Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/8/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Zusatztagesordnungspunkt 6 auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Eureka Hierzu liegt auf Drucksache 10/4139 ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Vosen, Roth, Dr. Hauff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD vor. Meine Damen und Herren, nach einer infraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die zweite Eureka-Ministerkonferenz am 5. und 6. November 1985 in Hannover hat die von uns angestrebten Entscheidungen getroffen. Die Verhandlungen in Hannover waren von dem Willen der Vertreter der Eureka-Partnerstaaten und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften getragen, die wirtschaftliche und technologische Wettbewerbsfähigkeit Europas zu sichern und zu stärken. Zugleich werden die Vorteile eines großen, dynamischen europäischen Wirtschaftsraumes für Eureka eingesetzt. Unsere Region soll auch im Übergang in die dritte industrielle Revolution ein weltweit unübersehbares Kraftzentrum sein. In Hannover ist dieses neue Selbstbewußtsein der europäischen Demokratien deutlich geworden. Eureka ist Teil eines neuen Aufbruchs unserer Region. ({0}) Der Eureka-Prozeß zeigt eine Dynamik, die das starke Engagement und die positive Grundhaltung der Partnerstaaten eindeutig unter Beweis stellt. Ich darf daran erinnern, was in kurzer Zeit geleistet werden konnte: Am 17. Juli 1985 wurde Eureka in Paris ins Leben gerufen, am 6. November 1985 ist Eureka in Hannover in die Realisierung eingetreten. Damit ist Eureka innerhalb weniger Monate in der politischen Landschaft Europas zu einem unübersehbaren Faktor geworden. Die Eureka-Initiative wird von den Staaten und Regionen außerhalb Westeuropas, gerade auch von den technologischen Mächten USA und Japan, mit größter Aufmerksamkeit verfolgt. ({1}) Das gleiche gilt für die Volksrepublik China, für die ASEAN-Staaten und auch für Lateinamerika. Es werden erhebliche Erwartungen in Eureka gesetzt. Die zweite Eureka-Konferenz in Hannover, an der 18 europäische Staaten und die EG-Kommission teilnahmen, hat gezeigt, daß die Europäer in der Lage sind, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Die zweite Eureka-Konferenz hatte zwei wesentliche Aufgaben zu bewältigen. Wir haben das Eureka-Konzept, die Grundsatzerklärung, verabschiedet, und es wurden erste konkrete Projekte vorgestellt. Unsere Arbeit in Hannover wurde durch das wachsende Interesse einer breiten europäischen Öffentlichkeit an der Intensivierung und Zusammenarbeit europäischer Unternehmen und Forschungsinstitute, wesentlich unterstützt. Alle Teilnehmer haben mit Genugtuung die positive Aufnahme vermerkt, die Eureka gerade in der europäischen Industrie und Wissenschaft gefunden hat. Beweis dafür sind nicht nur die Äußerungen bedeutender Industrievertreter, etwa der Roundtable führender europäischer Unternehmer oder der Westdeutschen Rektorenkonferenz, die eine Beteiligung der deutschen Hochschulen an EurekaProjekten gefordert hat, sondern vor allem auch die große Zahl vielversprechender Projekte, die von seiten der Unternehmen, den großen wie den kleinen, und den Forschungsinstituten im Eureka-Rahmen jetzt erarbeitet werden. ({2}) Herr Kollege Riesenhuber wird die forschungspolitischen Implikationen und die in Hannover vorgestellten ersten konkreten Projekte erläutern. Mit der Eureka-Grundsatzerklärung haben wir jetzt einen Aktionsrahmen für Unternehmen und Forschungsinstitute, zugleich eine Ausgangsbasis für die begleitenden Maßnahmen der Eureka-Partnerstaaten. Die Industrieunternehmen und Forschungsinstitute können jetzt in diesem Rahmen arbeiten, weitere Projekte gemeinsam mit europäi12886 schen Partnern in Gang setzen und somit viele ihrer bereits in Hannover bekanntgegebenen Ideen konkretisieren. Lassen Sie mich einige Bemerkungen zum Eureka-Konzept, zur Grundsatzerklärung machen, die der Eureka-Initiative Statur und Struktur gibt. Erstens. Die Grundsatzerklärung definiert Ziele, Kriterien, Strukturen und Verfahren von Eureka. Im Mittelpunkt von Eureka stehen nicht Prozeduren, sondern konkrete Projekte. Sie richten sich auf zivile Produkte, Verfahren und Dienstleistungen der Hochtechnologie. ({3}) Eureka steht allen leistungsfähigen Unternehmen und Forschungszentren offen, insbesondere auch unseren hochinnovativen kleinen und mittleren Betrieben und Forschungsinstituten. Zweitens. Die Schaffung eines großen homogenen und offenen europäischen Wirtschaftsraums ist für Eureka von größter Bedeutung. Eureka soll hier Impulse geben und schon laufende Bemühungen um Vereinheitlichung der Industrienormen, um Beseitigung technischer Handelshemmnisse und um Öffnung der Beschaffungsmärkte beschleunigen. Eureka ist ein wesentliches Element bei der Schaffung eines großen europäischen Binnenmarktes. Drittens. Durch die Art und Weise, wie EurekaProjekte entstehen, betreten wir Neuland. Wesensmerkmale sind Flexibilität und Freiheit von Bürokratie. Die Initiative liegt bei den Unternehmen und Forschungsinstituten, die Projekte vereinbaren. Die Regierungen der Staaten, aus denen sich Unternehmen und Forschungsinstitute an dem vereinbarten Projekt beteiligen, und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften setzen sich nicht an die Stelle von Unternehmensentscheidungen oder der Entscheidungen der Forschungsinstitute. Es ist gewährleistet, daß in der Phase des Entstehens von Projekten ein umfassender Informationsfluß unter den Eureka-Partnern stattfindet. Der Grundsatz der Vertragsfreiheit wird selbstverständlich in vollem Umfang respektiert. Viertens. Die Eureka-Konferenz hat sich auf die Einrichtung eines kleinen flexiblen Sekretariats oder Arbeitsstabs geeinigt. ({4}) Damit sollen Transparenz und Informationsaustausch erhöht werden. Fünftens. Das Verhältnis von Eureka zu den Europäischen Gemeinschaften und zu den bestehenden europäischen Kooperationsvereinbarungen ist klar. Was es in Europa an bewährter technologischer Zusammenarbeit gibt, soll nicht dupliziert, sondern sinnvoll ergänzt werden. Ich denke z. B. an die Programme der Europäischen Gemeinschaft und die Projekte der Europäischen Weltraumagentur. ({5}) Die Europäische Gemeinschaft kann als Partner an Eureka-Projekten teilnehmen, und sie tut das bereits, und damit ihre eigene Forschungskapazität sowie ihre Finanzinstrumente einbringen. Sechstens. Die zweite Eureka-Ministerkonferenz hat mit Interesse Kenntnis von den Ergebnissen der Beratungen von Vertretern aus dem privaten Finanzsektor und der Industrie genommen, die auf Einladung der britischen Regierung am 14. Oktober 1985 in London stattfanden. Die Finanzierung von Eureka-Projekten ist in erster Linie Aufgabe der beteiligten Partner. Der private Kapitalmarkt sowie die etwa im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zur Verfügung stehenden Finanzierungsinstrumente sollen im vollem Umfang genutzt werden. Subsidiär können öffentliche Förderungsmittel eingesetzt werden. Der Bundeskanzler hat in seiner Eröffnungsansprache in Hannover erklärt, daß die Bundesregierung im Rahmen von Eureka auch zu finanziellen Leistungen bereit ist und interessante und ausgewählte Projekte aus dem Bundeshaushalt unterstützen wird. Die Bundesregierung wird ferner ihre Einflußmöglichkeiten auf die dienstleistenden Unternehmen des öffentlichen Sektors zugunsten von Eureka geltend machen. Meine Damen und Herren, wir können mit den Ergebnissen von Hannover zufrieden sein. ({6}) Eureka hat die Annahme widerlegt, daß Westeuropa nur langsam reagieren könne. Im Gegenteil: Eureka ist Ausdruck europäischen Selbstbehauptungswillens. Eureka ist Wegbereiter für ein noch engeres Zusammenwachsen des demokratischen Europas. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesaußenminister hat eine Erklärung abgegeben, die noch einmal das Eureka-Programm unterstützt. Das ist zu begrüßen. Der Bundesaußenminister hat aber die tiefen Konflikte verschwiegen, die in der Bundesregierung insoweit bestehen, und er hat die Fortschritte, die in Hannover erzielt werden konnten, arg übertrieben. ({0}) Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister in der Bewertung von SDI, dem „Krieg der Sterne"-Programm der amerikanischen Administration, und dem europäischen Technologieförderungsprogramm Eureka unterschiedlicher Meinung sind. Die Bonner Konfusion auch in dieser Frage hat wesentlich zu der Konfusion beigetragen, in der sich inzwischen in beiden Fragen Westeuropa befindet. Dabei hatten doch der Bundeskanzler und der Bundesaußenminister anfangs mehrfach, und zwar Dr. Ehmke ({1}) durchaus zu Recht, erklärt, daß eine gemeinsame europäische Haltung nicht nur wichtig, sondern die Voraussetzung für einen Erfolg sei. Inzwischen bietet Westeuropa in der SDI-Frage ein Bild des Jammers. Die tiefen Meinungsverschiedenheiten vor allem mit unseren französischen Freunden über Eureka sind in Hannover nur sehr notdürftig übertüncht worden. Der Herr Bundesaußenminister beliebt in bezug auf solche querelles européennes das Bild der Zwerghaftigkeit Europas zu beschwören. Es wäre gut, wenn er zugeben würde, daß sich auch seine Regierung in Sachen Europa nicht gerade durch Größe auszeichnet. (Mann [GRÜNE]: Beschwörungspolitiker Genscher! Die Beruhigungsformel, SDI und Eureka hätten gar nichts miteinander zu tun, ({2}) ist eine Täuschungs- bzw. eine Selbsttäuschungsformel. Beide Projekte sind zwar keineswegs dekkungsgleich, sie sind aber in zwei für Europa essentiellen Fragen untrennbar miteinander verbunden. ({3}) SDI stellt Westeuropa vor die Frage, ob es politisch, militärisch, wirtschaftlich und technologisch endgültig ein Anhängsel der Vereinigten Staaten werden will, die sich wieder als Weltmacht Nummer 1 verstehen, ({4}) oder ob es sich zu seiner Selbstbehauptung im westlichen Bündnis und in der Welt aufraffen will. ({5}) Die Bundesregierung gibt ohne ausreichende Diskussion, Herr Bundesaußenminister, einem Projekt ihre politische Unterstützung, gegen das in dem von der gleichen Bundesregierung gerade mit viermonatiger Verspätung vorgelegten Abrüstungsbericht schwerwiegende Bedenken vorgebracht werden. ({6}) Schon heute ist klar, daß SDI das Wettrüsten weiter anheizt, daß seine Verwirklichung Europas Sicherheit beeinträchtigen würde, daß es schon heute den wichtigsten Rüstungskontrollvertrag der Nachkriegszeit, den ABM-Vertrag, gefährdet und daß an ihm die Genfer Verhandlungen scheitern können, wenn der amerikanische Präsident nicht doch nicht, wenn es in Genf zum Schwur kommt, insoweit einlenkt. Über die Frage, welche Rolle eigentlich die NATO und die Mitwirkung der Westeuropäer in ihr denn noch spielen werden, wenn ein erdumspannendes Weltraum-Waffensystem der Weltmacht USA über das Bündnis gestülpt würde, hat diese Bundesregierung, hat diese Koalition gar nicht erst angefangen nachzudenken. Der Politik der Bekenntnisse, für die Bundeskanzler Kohl steht, ist Nachdenken suspekt. ({7}) Anders ließe sich auch nicht erklären, verehrte Kollegen von der Union und der FDP, daß Sie erst mit uns eine Anhörung über SDI im Verteidigungs- und Auswärtigen Ausschuß des Bundestages vereinbart haben, ({8}) es jetzt aber ablehnen, auch amerikanische Experten zu dieser Anhörung einzuladen. ({9}) Da Sie wissen, daß die große Mehrheit der amerikanischen Wissenschaftler, voran der Nobelpreisträger, dem SDI-Programm mehr als kritisch gegenüberstehen, möchten Sie Ihre politische Unschuld durch Nichtanhören und durch Nichtzuhören schützen. Nur der mangelnde sachliche Ernst und der politische Dilettantismus der Kohl-Regierung machen es möglich, daß die Bundesregierung die Entscheidung über eine noch weitergehende Unterstützung für das „Krieg der Sterne"-Programm, nämlich durch ein Rahmenabkommen zwischen den Regierungen, auf einen Reisebericht des Herrn Teltschik zu stützen gedenkt, dem das Auswärtige Amt, Herr Bundesaußenminister, zu Recht einen bedenklichen Mangel an Professionalität bescheinigt hat und dem ich leider auch noch politische Leichtfertigkeit attestieren muß. ({10}) Die Freien Demokraten - Herr Bangemann hat es am Bundesaußenminister vorbei schon signalisiert - werden natürlich wieder umfallen. ({11}) - Na, ich sehe Sie noch. Wir gucken zu. Vor Weihnachten wird der Schwur ja noch geleistet. - Was auf der Strecke bleibt, ist die Selbstbehauptung Europas, die gemeinsame Wahrnehmung gemeinsamer Interessen. Die zweite Ausrede lautet, es handle sich ja nur um ein Forschungsprogramm. Wie Sie aber schon den Zeitungen entnehmen können, behauptet das nicht einmal die amerikanische Administration. Wohl aber sind Forschung und Technologie der zweite Aspekt, der das SDI- und das Europa-Programm miteinander verbindet. Es gibt in der westlichen Welt eine ebenso fruchtbare wie - wenn wir nicht aufpassen - gefährliche wirtschaftliche und technologische Konkurrenz zwischen den Vereinigten Staaten, Japan und Westeuropa. Die Selbstbehauptung Europas erfordert - aus Ihren Reihen wird das ja auch immer wieder gesagt - die Zusammenfassung der Kräfte Westeuropas auch auf diesem Gebiet, um seine eigene Rolle spielen, um im eigenen und im gesamten westlichen Interesse seinen eigenen unverwechselbaren Beitrag mit einbringen zu können. Für diese Anstrengung muß Europa seinen eigenen Weg ge12888 Dr. Ehmke ({12}) hen. Es kann weder das amerikanische noch das japanische Beispiel kopieren. Die amerikanische Forschungs- und Technologieförderung zeichnet sich durch einen wesentlichen, in den letzten Jahren stetig steigenden Einfluß der Militärforschung, damit des Staates, vor allem des Verteidigungsministeriums aus. ({13}) Das ergibt sich aus dem Status der USA als Weltmacht, aber auch aus ihrer Geschichte und ihrem Regierungssystem. Für zivile Forschungs- und Technologieprogramme würde man im Kongreß nie die Unsummen wie für SDI lockermachen können. Westeuropa hat aber keinen Grund, sich hier einzugliedern. Ich wiederhole: Amerikanische Projekt-Dominanz, militärische Geheimhaltung, amerikanische Transfer-Beschränkungen, amerikanische Beschränkungen des wissenschaftlichen Austauschs, die heute schon ständig ausgedehnt werden, sind für die Entwicklung der westeuropäischen Forschung und Technologie denkbar schlechte Voraussetzungen. Herr Kollege Strauß, der das Gegenteil behauptet, scheint mir die durchaus legitimen Geschäftsinteressen der in Bayern beheimateten Rüstungsindustrie mit den Grundinteressen der deutschen Wissenschaft und Forschung zu verwechseln. ({14}) Der Reisebericht von Herrn Teltschik zeigt im übrigen, daß keines unserer Bedenken ausgeräumt, sondern lediglich mit vielen Good-will-Erklärungen von amerikanischer Seite überkleistert worden ist. Good-will-Erklärungen können aber keine Gesetze und Verwaltungsvorschriften ändern. Wir wollen auch keine Militarisierung unserer Grundlagenforschung. Wir wollen sie nicht zu einer Geheimwissenschaft machen. Wir wollen auch nicht, daß junge begabte Forscher daran gehindert werden, sich öffentlich zu profilieren. Der Westen, der seine wirtschaftliche Stärke auf technologische Überlegenheit gründet, schädigt sich durch eine Politik zunehmender Geheimhaltung selbst. Die fundamentalen Prinzipien der Freiheit der Wissenschaften, der Gedankenfreiheit dürfen nicht weiter eingeschränkt werden. Wir müssen unsere Stärke nutzen, die im freien Austausch der Informationen liegt, statt eine Philosophie zu kopieren, die wir dem Osten vorwerfen und die in der Tat einer der Gründe für die mangelnde Effizienz seines Wirtschaftssystems ist. Schließlich kommt noch eines hinzu: Europa weiß und die Deutschen wissen, daß der Krieg nicht der Vater aller Dinge ist. Wir können uns an den technologischen Herausforderungen eines „Kriegs der Sterne" nicht berauschen. Uns fasziniert die wissenschaftliche und technologische Möglichkeit, Hunger, Armut und Elend in der Welt zu bekämpfen, der Umweltzerstörung Einhalt zu gebieten, z. B. etwa auch die Sahel-Zone wieder zum Grünen zu bringen. Das ist keine Utopie; das könnte morgen Wirklichkeit werden, wenn es uns endlich gelänge, dem Wahnsinn des Wettrüstens Einhalt zu gebieten. ({15}) Japans Modell der Forschungs- und Technologieförderung folgt dieser Einsicht. Es hat einen rein zivilen Ansatz. Aber Japans geschichtlich gewachsenes Regierungs- und Industriesystem, die Tradition der planenden Kooperation vor Eintritt in die Wettbewerbsphase ist von Westeuropa nicht zu kopieren, zumal es weder ein homogener politischer Körper ist noch bis jetzt auch nur einen einheitlichen wirtschaftlichen Markt darstellt. Also muß Westeuropa seinen eigenen Weg gehen. Es ist sicher kein isolierter Weg. Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten und Japan ist nicht nur nützlich, sondern zusätzlich zu den eigenen Anstrengungen auch erforderlich. Wir Sozialdemokraten haben daher seit Jahren - von uns stammt ja das inzwischen zum politischen Gemeingut gewordene Wort von der „Selbstbehauptung Europas" - eine intensivierte westeuropäische Forschungs- und Technologiepolitik verlangt. Die Bundesregierung hat die Initiative aber Präsident Mitterrand überlassen. Es hat der SDI- Herausforderung bedurft, um so etwas wie die Idee Eureka zu gebären - zunächst nur ein Wort. Der Kollege Strauß hat sogar von einer Worthülse gesprochen. Der Bundesaußenminister hat diese Idee zusammen mit seinem französischen Kollegen von Anfang an nach Kräften unterstützt. Aber der Bundesaußenminister ist auch insofern das Opfer seiner eigenen Wendekünste geworden; denn der Bundeskanzler läuft ebenso mannhaft wie im Zickzack SDI und nicht Eureka hinterher, und Herr Kollege Stoltenberg hat für Eureka kein Geld. Der wirft zwar der EG vor, daß sie das schöne Geld, das wir für die Zukunft Europas brauchen, für unsinnige Agrarsubventionen vergeudet; aber Herr Stoltenberg tut genau dasselbe, wenn nur einmal tausend protestierende schleswig-holsteinische Bauern vor ihm stehen. ({16}) Dementsprechend dünn ist das Ergebnis von Hannover: kaum öffentliches Geld, keine Struktur, kein effizientes Verfahren, ein kleines Sekretariat statt eines Ansatzes, der eine Verbindung mit den bereits bestehenden Einrichtungen, Programmen und Verfahren der Europäischen Gemeinschaft und, verehrte Kollegen im Parlament, damit auch eine europäische parlamentarische Kontrolle sicherstellte. ({17}) Dabei liegt der unlösbare Zusammenhang mit der EG doch auf der Hand. Ohne einen einheitlichen Binnenmarkt, ohne einheitliche technische EG-Normen muß ein Versuch der technologischen Selbstbehauptung Europas schon im Ansatz scheitern. Dr. Ehmke ({18}) Was an dem Ergebnis von Hannover daher vor allem zu begrüßen ist, ist, daß Eureka in Hannover nicht gescheitert ist. ({19}) Wir unterschätzen dabei nicht die sich aus der föderativen Struktur der EG und der Liberalität ihrer industriellen Ordnung ergebenden Schwierigkeiten. Das habe ich im Vergleich mit den Vereinigten Staten und Japan bereits gesagt. Schließlich ist zu bedenken, daß es für große Unternehmen in Europa im Hinblick auf die Konkurrenz auf dem Weltmarkt oft vernünftiger ist, sich mit Zweiten oder Dritten in den Vereinigten Staaten oder in Japan zusammenzuschließen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, meine Zeit läuft leider aus. ({0}) Wir dürfen sicher nicht gegen den Weltmarkt ansubventionieren. Insofern hat ein dezentraler Start, der die einzelnen Forschungsinstitute und Technologieunternehmen von Anfang an einbezieht, sicher seine Vorteile, Herr Kollege Riesenhuber; nur darf es dabei nicht bleiben. Mein Kollege Vosen wird dazu noch im einzelnen Stellung nehmen. Was mich in diesem Zusammenhang bekümmert, Herr Bundesaußenminister, ist die Verstimmung in Paris, über die ich mir neulich vor Ort ein Bild machen mußte, das mich eher erschreckt hat. Unsere französischen Freunde zweifeln - nicht ohne Grund - daran, daß diese Bundesregierung Eureka, einen europäischen Raumgleiter, einen europäischen Aufklärungssatelliten und militärische Zusammenarbeit überhaupt will. Bundeskanzler Kohl verspricht in Paris viel und hält wenig. Er verärgert Frankreich dadurch ebenso, wie er England durch unausgegorene Europavorschläge in Mailand ({1}) oder Amerika in Bitburg durch schiefangefaßte Vergangenheitsbewältigung verärgert hat. ({2}) Ich muß sagen: Dieser unser Bundeskanzler tolpatscht schon ganz schön durch die außenpolitische Gegend. Und der Herr Bundesaußenminister rauft sich die Haare. Aber auch das wird er nicht mehr lange tun; denn es werden immer weniger, Herr Kollege Genscher. ({3}) Was aber noch ärger ist: Nach Jahrzehnten des Sich-selbst-genug-Seins hat sich Frankreich, und zwar quer durch alle Parteien, wieder Europa und insbesondere wieder uns Deutschen zugewandt. Es blickt nach Bonn, sieht da aber nur Helmut Kohl, in Nibelungennebel gehüllt. Wir versprechen daher unseren französischen Freunden, die heute Gast in dieser Stadt sind, daß wir unser Bestes tun werden, dies ab 1987 zu ändern. ({4})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Klein ({0}).

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Früher habe ich mich immer darüber gefreut, wenn ich mich an dem Kollegen Ehmke ein bißchen wetzen konnte. ({0}) Heute überfällt mich schon ein bißchen Trauer, daß ein j a nicht ganz unerfahrener und nicht ganz dummer Mensch zu so billigen Tricks wie Kritik an der Haartracht des Herrn Bundesaußenministers greift. ({1}) Lieber Herr Kollege Ehmke, machen Sie sich keine Sorgen darum - ich kann Ihnen wirklich versichern, daß das überflüssig ist -, wie dieser Bundeskanzler mit den Amerikanern, mit den Franzosen, mit den Engländern, mit allen unseren Verbündeten, allen unseren ausländischen Partnern zurechtkommt. ({2}) Ich wünschte, der von mir durchaus geschätzte frühere Bundeskanzler hätte in den letzten Jahren das Verhältnis zu unseren Verbündeten in der gleichen wirkungsvollen Weise gepflegt, wie das Bundeskanzler Kohl jetzt tut. ({3}) Herr Präsident, ich möchte, wenn es erlaubt ist, von dieser Stelle aus an die Adresse der sozialdemokratischen Kollegen zunächst die Bitte richten, ihren Entschließungsantrag, wenn es geht, doch überweisen zu lassen. - Danke vielmals. ({4}) - Sie waren jetzt so konziliant, mir zuzustimmen, daß er überwiesen wird. Deshalb erspare ich mir die Antwort auf diesen Zwischenruf. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Tempo der technologischen Entwicklung wird immer atemberaubender. Auf zahlreichen Gebieten entfaltet sie eine geradezu revolutionäre Kraft, die unser Leben verändert. Die Augen davor zu verschließen, in überholten technischen, wirtschaftli12890 Klein ({5}) chen oder politischen Kategorien weiter zu planen, die Chancen des Neuen nicht zu nutzen, hieße verantwortungslos handeln. Bundeskanzler Kohl hat bereits auf dem Stuttgarter EG-Gipfel 1983 namens der Bundesrepublik Deutschland die Europäer zu einer engeren und besser abgestimmten Zusammenarbeit im Bereich der Technologie aufgefordert. War es dafür vor zwei Jahren schon höchste Zeit, so ist die Notwendigkeit heute eher noch zwingender geworden, Erfindungsgeist, technische Intelligenz, Fleiß und handwerkliche Erfahrung der Europäer zu bündeln. ({6}) Dies bedingt die Schaffung von politischen Rahmenbedingungen, Koordinationsmechanismen, Infrastrukturen ({7}) und den Einsatz privater wie - je nach Zweck und Erfordernis - selbstverständlich auch öffentlicher Mittel. Die technologische Entwicklung in den USA und in Japan ist eine Herausforderung an die Wettbewerbskraft Europas; aber ich spreche von Wettbewerbskraft, nicht von Wirtschaftsgegnerschaft, denn die Rede ist von Freunden und Verbündeten. ({8}) An der zweiten Eureka-Konferenz haben zu Beginn dieser Woche die Außenminister der zwölf EG- Staaten, der Schweiz, Norwegens, Schwedens, Finnlands, Österreichs und der Türkei sowie Repräsentanten der EG-Kommission teilgenommen. Dieses breite europäische Interesse, die von der Konferenz verabschiedete Grundsatzerklärung und die auf der Konferenz vorgelegten Projekte haben der Öffentlichkeit eine erste Vorstellung von den möglichen Inhalten des beziehungsreichen Kürzels vermittelt. Bringen die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft und Forschung genügend Wagemut und Originalität auf, gelingt es, das Übermaß an Mittelmaß in Europa zu überwinden, dann kann das der Beginn eines Aufbruchs sein, den die Bürger überzeugt mittragen und der vor allem der Jugend neue, erstrebenswerte Ziele gibt. Um all dieser Chancen willen gestatten Sie mir bitte aber auch einige sehr ernstgemeinte, warnende Bemerkungen. Erstens. Es wäre für die wirtschaftliche und technische Position sowie für die politisch-psychologische Verfassung Europas verheerend, wenn dieses Vorhaben wie so viele andere pompös entworfene europäische Visionen schon bald wieder an national-egoistischem Kleinmut zerschellte oder in eurobürokratischer Routine erstarrte. ({9}) Zweitens wäre Eureka weniger als eine Worthülse, wenn es nur ein weiterer europäischer Subventionstopf würde, aus dem mehr oder weniger konventionelle Projekte finanziert werden, deren Verwirklichung gar keines supranationalen Sekretariats, keiner Ministerkonferenzen und keiner neuen Rahmenbedingungen bedürfte. Der Kollege Ehmke hat mir den Gefallen erwiesen, daran zu erinnern, daß Franz Josef Strauß erklärt hat: „Eureka ist bis jetzt eine Worthülse." ({10}) Strauß hat aber in demselben Fernsehinterview auf die Frage, ob Bonn gleichzeitig an Eureka und SDI mitwirken könne, geantwortet: „Man braucht eine Hose und eine Jacke." ({11}) - Sie können ja ohne Hose herumlaufen; ich hindere Sie nicht daran. - Im übrigen sollte niemand diesen Mann, einen Europäer der ersten Stunde, als Zeugen für die falsche Seite bemühen. Allein mit seiner Leistung an der Spitze des inzwischen weltweit erfolgreichen Airbus-Projekts hat er ein geradezu klassisches Modell für europäische technologische Zusammenarbeit geschaffen. Meine dritte warnende Bemerkung: Es wäre ein gefährlicher Fehler, Eureka als Alternative zu einer europäischen Mitarbeit an SDI zu betrachten. Ich weiß, daß sich die UdSSR, wie „Sowetskaja Rossija" dieser Tage schrieb, einerseits von Eureka eine „technologische Entgegnung Europas auf die amerikanische Provokation" erhofft, andererseits aber finstere Absichten „westeuropäischer Politiker und gierige Interessen des Militärindustriekomplexes der NATO-Länder" mutmaßt. Wer auf dieser Linie argumentiert, entstellt die Zielsetzungen von SDI und Eureka. ({12}) Sogar der Kollege Ehmke - ich muß dem Herrn Professor Lernfähigkeit bescheinigen ({13}) hat eben eingeräumt, SDI und Eureka seien nicht deckungsgleich. Es ist schon ein erster Schritt, Herr Kollege Ehmke, das zu erkennen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Klejdzinski?

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, danke. Schon 1970 wollte die Sowjetunion die Vereinigten Staaten in der Pro-Kopf-Produktivität überflügelt haben. Heute ist es ausweislich unzähliger eigener Bekundungen eher schlecht bestellt um wirtschaftliche Effizienz und technologische Entwicklung in der UdSSR. Sie ist vielmehr ihrerseits von mehreren neu aufstrebenden Staaten überflügelt worden. Darin gründen - neben militärstrategischen Erwägungen - ihre Ablehnung von SDI und ihr Argwohn gegenüber Eureka. Die modernen Naturwissenschaften, ihre technische Nutzung und ihre industrielle Anwendung haKlein ({0}) ben indes einen Entwicklungsstand erreicht, von dem aus es ohne freie Information und freie Diskussion nicht mehr oder nur mühsam weitergeht. Das ist ein wesentlicher Teil für die Erklärung der offenkundigen technologischen Überlegenheit pluralistischer Demokratien des Westens. Das hat die Volksrepublik China erkannt und zu entsprechenden Konsequenzen veranlaßt. ({1}) Vielleicht haben es die politisch Verantwortlichen in Moskau und den anderen Hauptstädten der kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas auch erkannt, aber zu Konsequenzen haben sie sich bislang nicht durchgerungen. Vor diesem Hintergrund kommt der Beteiligung Schwedens, Finnlands, Österreichs und der Schweiz an Eureka ein besonderer Wert zu. Denn Europa, das wieder zu beweisen beginnt, daß es von der weltpolitischen Bühne nicht abgedankt hat, ist größer als die EG. Werden aber die Vollendung des europäischen Binnenmarkts, die Ausarbeitung gemeinsamer Industrienormen, der Abbau technischer Handelshemmnisse, u. a. durch gegenseitige Anerkennung von Prüfungen, und die Öffnung des öffentlichen Beschaffungswesens durch Eureka wirklich erkennbar beschleunigt, dann kann diese von den Außenministern Frankreichs und der Bundesrepublik Deutschland aus der Taufe gehobene technologische Zusammenarbeit auch zu einem entscheidenden Impulsgeber für die EG und den ins Stocken geratenen europäischen Einigungsprozeß werden. Ich wünsche uns dabei, meine sehr verehrten Damen und Herren, uns und den Bügern, wieder ein Stück von der Gabe zur wirtschaftlichen Vision Ludwig Erhards und der realistischen Durchsetzungskraft Konrad Adenauers. Ich bedanke mich. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Freunde und Freundinnen! Eureka ist kein Weg aus der Eurosklerose, wie der Bundeskanzler gemeint hat. Der Bundeskanzler hat in Hannover betont, daß die EG und Eureka dazu beitragen sollen, daß Europa in zentralen Bereichen der Hochtechnologie gegenüber Japan und den USA aufholt und den Anschluß findet, und gesagt, daß Europa an der Spitze dieser Entwicklung bleiben muß. Herr Kohl betonte ferner, daß in den Europäern genügend Vitalität, Wagemut und geistige Beweglichkeit stecke, um mit den Herausforderungen der Zukunft fertig zu werden. Er sagte in Hannover, daß wir Optimismus, Dynamik und Vitalität für Europa brauchen. Vielleicht können die Vorstandsherren von Messerschmitt-Bölkow, von Zeiss, Siemens, Nixdorf oder Bosch oder die französische Regierung mit diesen Worten und großen Visionen etwas anfangen. Aber dem immer größer werdenden europäischen Heer der Arbeitslosen, der Wanderarbeitnehmer und -arbeitnehmerinnen, den Frauen und Kindern und den älteren Menschen, die in den armen Regionen Europas leben, bieten solche Worte und Regierungsprojekte keinen Trost, keine Lösung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Probleme. ({0}) Ziel von Eureka ist, so sagen Sie, Herr Genscher, die Produktivität der Industrien durch verstärkte Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Hochtechnologien zu steigern, um sich auf dem Weltmarkt erfolgreich behaupten zu können. Eureka soll Europa in die Lage versetzen, die für seine Zukunft wichtigen Technologien zu beherrschen. Doch während Europas High-Tech-Avantgarde über die Grundlinien der Robotertechnik, der Lasertechnik und der Informationstechnik philosophiert - alles zivile Bereiche, die ebenso militärisch nutzbar sind -, haben die Regierungschefs Europas es immer noch nicht geschafft, dem ursprünglichen Ziel der EG, der stetigen Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen ihrer Völker nachzukommen. Der Europäische Regionalfonds, der Investitionen zur Schaffung von Arbeitsplätzen in armen Regionen unterstützen soll und heute nur etwa 6 % des EG- Haushalts ausmacht, reicht in keiner Weise aus, irgendeine sinnvolle, ökologisch orientierte Regionalpolitik zu betreiben. ({1}) Der EG-Sozialfonds, der Umschulungs- und Weiterbildungsmaßnahmen für Behinderte, für Frauen und für Jugendliche - denn über 40 % der Jugendlichen sind arbeitslos, Herr Genscher - finanzieren soll, macht nur 7 % des EG-Haushalts aus. Wir, die GRÜNEN, befürworten durchaus die kreativen und dezentralen Prozesse der europäischen Verständigung und Kooperation über alle Grenzpfähle und Zollbeamten hinweg, aber wir lehnen die jetzige EG-Struktur und EG-Politik, die EG- Erweiterung und damit die Kopplung an die NATO, und die Wiederbelebung der WEU wie auch Eureka als Instrumentarium der europäischen Integration ab. ({2}) Die Zwölfergemeinschaft wird die größte Handelsmacht der Welt. Die EG hat zwar nur 6 % der Weltbevölkerung, jedoch 21 % der Wirtschaftsleistung, 36 % des Welthandels und 37 % der Weltwährungsreserven. An die Stelle der Idee der wirtschaftlichen und sozialen Solidarität, der Vision eines zivilen und sozial gerechten Europas der Regionen ist der Plan einer ausbeuterischen technologischen und militärischen Supermacht Europa getreten. Dieses Supermachtdenken auf Kosten der Armen und Schwachen lehnen wir ab. Eureka fördert nicht nur in keiner Weise die europäische Integration, sondern verstärkt auch das europäische Nord-Süd-Gefälle. Leistungsfähige Firmen, die unter dem Diktat der Hochtechnik und der Rahmenbedingungen europäischer Großpro12892 jekte immer extrem kapitalkräftig sein müssen, finden sich eher in den großen und technisch hochentwickelten Ländern. Herr Genscher, Fähigkeiten und Bedürfnisse kleiner Länder oder kleiner Unternehmen werden damit aufgesogen, nivelliert und vernachlässigt. ({3}) Die Strukturschwäche der wenig entwickelten Regionen Europas wird durch Eureka zunehmen. Eureka ist erklärtermaßen ein Hochtechnologie-Programm. Genauso, wie Hochtechnologie der Schlüssel zur militärischen Überlegenheit ist, ist Eureka der Schlüssel zur Überlegenheit auf dem Weltmarkt. Meßlatte für diese Entwicklung ist nicht mehr, wie gut eine Technik gesellschaftliche Bedürfnisse befriedigt, sondern nur noch, wie gut sie sich auf dem Weltmarkt behaupten kann. Herr Kohl wie auch der französische Außenminister Dumas und andere betonten, Eureka sei im Gegensatz zum militärischen Projekt SDI als ziviles Vorhaben angelegt. Gut, man will uns beruhigen, Herr Genscher, aber wir glauben dem nicht. ({4}) Hierfür gibt es einige Gründe. Eureka ist nach wie vor eine Art Konkurrenzunternehmen zu SDI, ein Unternehmen, das ideologisch und ökonomisch auf denselben Grundgedanken aufbaut: wirtschaftliche Wachstumsimpulse mit militärischen Hintergedanken, die Strukturkrisen abfedern sollen. Eureka-Projekte wie Lasertechnik und Werkstoffe sind zentrale Bereiche von SDI. Der französische Außenminister Dumas meinte vor zwei Tagen, Wissenschaft und Technik seien neutral, und wie man sie verwende, sei im wesentlichen eine Frage der Philosophie. Herr Genscher, die Frage ist: Welche Philosophie? ({5}) Forschungsminister Riesenhuber meinte am 9. September 1985: „Wenn das Stichwort ,Laser` steht, kann das völlig verschiedene Dinge bedeuten." Er sagte: „Zudem ist nun einmal die Eigenheit bestimmter Technik, daß sie sowohl militärisch als auch zivil verwendet werden kann." ({6}) Und hier der Schlüsselsatz von Herrn Riesenhuber: Eine eventuelle spätere militärische Verwendung ändert nicht den zivilen Charakter von Eureka, wenn die Entwicklung dieser Technik für den beabsichtigten zivilen Zweck gerechtfertigt war. Der Atomphysiker Edward Teller ließ vor einigen Wochen die Katze aus dem Sack, als er sagte, Eureka könne eine wichtige Rolle als begleitende Technologie für die Entwicklung der amerikanischen Weltraumbewaffnung spielen; das zivile Eureka sei SDI-kompatibel. Teller nannte optische Systeme der Firma Zeiss, die für SDI von größter Bedeutung sind. General Rogers hält es - so am 4. November 1985 in einem Interview - für sehr wichtig, daß eine Abwehr gegen taktische Raketen in Westeuropa entwickelt wird, entweder unter Führung der Europäischen Programmgruppe innerhalb der NATO oder via Eureka. Schließlich soll der Superrechner „Suprenum 10", der militärisch eingesetzt wird, innerhalb von Eureka weiterentwickelt werden. Herr Genscher, Ihr Planungschef im Auswärtigen Amt plädierte jüngst im „Europa-Archiv" für Eureka und für eine europäische Verteidigungsinitiative als Gegenstück zum SDI-Programm. Er schrieb: Nur wenn Europa neben den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion zur dritten Weltraummacht wird - zur dritten Weltraummacht! -, wird es auf der Erde weiterhin mitreden und Einfluß nehmen können. ({7}) Wir müssen also erst einmal dritte Weltraummacht werden, um Einfluß haben zu können! ({8}) Das alles wiederum trifft sich mit den Vorstellungen des Sozialdemokraten Karsten Voigt und des französischen Sozialisten Huntzinger. Beide meinten nach der Tagung der Sozialistischen Internationale, daß das Eureka-Projekt - ich zitiere - „indirekt" zu gemeinsamen Verteidigungsvorhaben beitragen könne. Wir meinen, daß dies nicht so sein kann. Herr Genscher behauptet, Eureka-Pläne seien Ausdruck europäischen Selbstbehauptungswillens. Für die Herren Mitterrand, Strauß und Dregger schimmert hinter Eureka die Diskussion um eine neue europäische Militärstrategie für Europa, ein europäisches Raketenabwehrsystem, eine neue Definition für die französische Nuklearstreitmacht auf. Herr Ehmke, wenn ich Ihren Aussagen zu SDI glauben möchte: warum hat sich dann ein Kollege der SPD auf der NATO-Tagung in San Franzisko bei der Abstimmung über SDI der Stimme enthalten? Auch hier muß die SPD berechenbarer werden, auch in der Aussage zu SDI. Eines ist auf jeden Fall ganz sicher: Eureka entstand erst im Windschatten von SDI. Die unverdächtige „Wirtschaftswoche" schrieb am 18. Oktober 1985, daß viele Eureka-Projekte wie Optoelektronik, Hochgeschwindigkeitsrechner nicht losgelöst von SDI betrachtet werden dürfen. Ich denke schon, daß den Amerikanern sehr daran gelegen ist, europäisches Eureka-Know-how in ihre Verteidigungsinitiative einfließen zu lassen und daß Herr Mitterrand über Eureka auch französische militärische Pläne zu Wege bringen will. Auf jeden Fall gab Ronald Reagan den Anstoß für Eureka, nicht die Europäer sich selbst. ({9}) Ich glaube, man muß hier auch betonen, daß die Eureka-Pläne Hand in Hand mit Forderungen von Mitterrand in seiner Rede vor dem Parlament in Den Haag 1985 gehen, eine bemannte europäische Raumstation für militärische Zwecke zu installieren. Soll dies Dreh- und Angelpunkt beim Aufbau einer Weltraummacht Europa für die Wartung ziviler und militärischer Satelliten werden? ({10}) Ich komme zum Schluß. Um nicht von dem USSpace-Shuttle-Programm abhängig zu werden, soll Ariane auch noch zentrales Trägersystem werden. Dann hätten wir es: Eureka ermöglicht den Aufbau eines militärischen Weltraumkommunikationssystems, den Weg in die weitere Aufrüstung, ein ziviles Eureka, dessen militärische Spin-off-Produkte Antisatelliten- und Raketenabwehrwaffen werden. ({11}) Wir wünschen ökologisch und sozial verträgliche Technologie mit menschlichem Maß, Herr Genscher. ({12})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In den letzten Tagen - man hat es auch heute wieder gehört - ist sehr viel Kritisches über Eureka zu hören gewesen. Es sei zu unkonkret, schaffe zuviel neue Bürokratie, es gebe zuviel staatliche Eingriffe in die Wirtschaft. Aber nach der Konferenz der 18 europäischen Staaten in Hannover ist Eureka nicht mehr nur eine hehre Wunsch- und Willenserklärung, sondern hat sich in beträchtlichem Maße konkretisiert. ({0}) Nicht weniger als zehn Projekte im Bereich der Hochtechnologie sind grenzüberschreitend auf den Weg gebracht. Um Umweltschutz, Frau Kelly, genauso wie in der Wirtschaft gibt es Impulse, die auch Arbeitsplätze schaffen. ({1}) Eine neue Bürokratie wird nicht aufgebaut. Eureka beschränkt sich bei der Verwaltung auf eine Clearing-Stelle beim Ministerrat zum Informationsaustausch. Es wird auch nicht zu viele staatliche Eingriffe und Regulierungen geben. Für Liberale ist besonders wichtig, nicht die Regierungen, sondern die Antriebskräfte der freien Marktswirtschaft sollen das Programm in Schwung halten. Aus der Schwungkraft der freien Marktwirtschaft werden sich Ideen und Programme von Eureka entwikkeln und speisen. Das ist zumindest der oberste Leitgedanke, und wir Freien Demokraten begrüßen dies. Meine Damen und Herren, Europapolitik ist für viele Bürger zu einem Synonym für Rückschläge geworden. Die Konferenz von Hannover hat das Gegenteil gezeigt. Innerhalb weniger Monate ist es gelungen, eine Initiative der beiden Außenminister Genscher und Dumas mit Leben zu erfüllen. Man kann dies nicht hoch genug einschätzen. Der wichtigste Satz in der Grundsatzerklärung heißt für uns: „Eureka wird Europa in die Lage versetzen, die für seine Zukunft wichtigen Technologien zu beherrschen und zu nutzen, um seine Leistungsfähigkeit in wichtigen Bereichen zu steigern." Genau dies war es doch, was wir in der Vergangenheit immer beklagt haben. Wir haben immer gejammert, daß von 100 Patenten nur noch zehn nach Europa gegangen sind, der Rest nach Japan und in die USA. Bei der zukunftsträchtigen Computertechnik war es sogar noch schlimmer. Dabei haben wir schon früher gesehen, daß es bei einer Bündelung europäischer Potentiale Weltspitzenleistungen geben kann, wie z. B. das Airbus-Projekt gezeigt hat. Die Weichen sind richtig gestellt. Eureka kann jetzt in die Realisierungsphase eintreten. Schon auf der nächsten Konferenz in Großbritannien kann, wie es einmal ausgedrückt wurde, der Schmelztiegel für neue Technologien gegossen sein. Dies ist für uns auch eine Herausforderung. Vieles muß angepaßt werden. Beispielsweise muß der europäische Binnenmarkt geschaffen werden, damit auch die anderen Hemmnisse beseitigt sind. Es geht um die Ausarbeitung gemeinsamer verbindlicher Normen. Es muß durch viele Bonner Amtsstuben auch noch ein etwas frischerer Wind des Problembewußtseins wehen. Zu den Eigenbeiträgen der betroffenen Projekte müssen flankierende Maßnahmen aus öffentlichen Mitteln hinzukommen. Allerdings darf es nicht dazu kommen, daß Eureka-Projekte etwa mit staatlichen Subventionen zugestülpt werden. Das „Handelsblatt" schrieb kürzlich: Die Römischen Verträge zu verabschieden, war auch einfacher, als sie in politische Wirklichkeit umzusetzen. - Das ist sicher richtig. Aber es ist auch richtig, daß die Zollunion beispielsweise früher erreicht worden ist, als die Römischen Verträge vorgesehen hatten. Ich sehe deshalb nicht ein, weshalb man sich dem Eureka-Projekt mit so großer Skepsis nähern will. Es geht schlicht und einfach um die Fragen der Zukunftssicherung der europäischen Völker. Das darf man, Herr Ehmke, den kleinmütigen und ängstlichen Geistern nicht überlassen. Deshalb finden wir es auch gut, daß Eureka nicht auf die EG beschränkt ist, sondern Länder wie z. B. die Schweiz, Österreich oder Finnland sich beteiligen können. Sie werden nicht an den Rand gedrängt. Sie können dieses Eureka-Projekt sogar als Brücke benutzen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß die CSU einstimmig einen Beschluß gefaßt hat, SDI beizutreten, und ist Ihnen zusätzlich bekannt, daß der Bundesminister der Verteidigung auf der Bundeswehrtagung erklärt hat, daß die Bundesregierung sich eindeutig an SDI beteiligt? Wie sehen Sie diese Beteiligung in bezug auf Eureka?

Prof. Dr. Wolfgang Rumpf (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001904, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Mein lieber Kollege Klejdzinski, schon bei Herrn Ehmke ist mir aufgefallen, daß Sie heute die falschen Manuskripte dabeihaben. Sie sprechen dauernd von SDI, und wir sprechen von Eureka. ({0}) Eureka gibt auch die Möglichkeit, osteuropäische Staaten in bestimmten Teilbereichen zu beteiligen. Unser Fraktionsvorsitzender Mischnick hat dazu gesagt: Jede wirtschaftliche und technologische Zusammenarbeit zwischen den Blöcken dient letztlich der Vertrauensbildung und der Entspannung. ({1}) Die Abkürzung „Eureka" für eine europäische Forschungs- und Technologiegemeinschaft ist ein altgriechisches Wort, eine Form des Präteritums, und heißt übersetzt: Ich habe es herausgefunden; oder: Ich habe es entdeckt. Es liegt wirklich an uns, daß wir diese Entdeckung zu einer stattlichen Figur anwachsen lassen. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Forschung und Technologie. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Die Regierung ist sehr wohl imstande, hier darzulegen, was notwendig ist. Der Bundeskanzler hat die Position, die er und die Bundesregierung einnehmen, ({0}) in Hannover in einer überzeugenden und eindrücklichen Weise dargestellt. Ich greife drei Punkte auf, die der Kollege Ehmke angesprochen hat. Der erste Punkt: Herr Ehmke, wenn das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich nicht so vorzüglich wäre, wie es tatsächlich ist, wäre die Konferenz in Hannover nicht zu einem so überzeugenden Erfolg gekommen. ({1}) Die Zusammenarbeit war bis in jedes Detail glänzend. ({2}) Das zweite: Wir haben hier eine interessante Rede zu SDI gehört. Herr Ehmke, falls wir, wenn wir über europäische Technik sprechen, uns von SDI faszinieren lassen, werden wir keine autonome europäische Technik aufbauen, wie wir sie brauchen. ({3}) Insofern halte ich es für seltsam, daß Sie, wenn Sie eine Debatte über Eureka führen wollen, eine Rede über SDI halten. Hier setzen Sie die Akzente falsch. Wir sprechen über Europas Zukunft und nichts sonst. ({4}) Das Dritte ist dies, Herr Kollege Ehmke: Ich war einigermaßen überrascht von Ihrer Position, nach der Sie das Ergebnis von Hannover an der Bürokratie, die angeblich entstanden sein soll, messen wollen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Fischer?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Ich möchte diesen Passus noch zu Ende bringen. Dann beantworte ich sie gern. Herr Ehmke, wenn Sie hier sagen, es sei ein kleines Sekretariat entstanden, muß ich wirklich sagen: ({0}) ich halte es für einen großartigen Erfolg, daß uns ins Europa etwas gelungen ist, was nicht mit großen Bürokratien, sondern mit einer Idee begonnen hat. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte, Herr Abgeordneter Fischer.

Lothar Fischer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000554, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wenn Sie die Gemeinsamkeiten zwischen der Bundesrepublik und Frankreich so herausstellen: Können Sie bestätigen, daß uns der französische Forschungsminister Curien gesagt hat, daß die Franzosen für Eureka 1 Milliarde Francs, d. h. 330 Millionen DM, in den Haushalt 1986 eingestellt haben? ({0}) - Ich habe gesagt: Können Sie bestätigen ...; ich nehme an, daß auch Sie eine Aussage von einer Frage unterscheiden können - und daß die Franzosen erwarten, daß wir in unseren Haushalt einen ähnlichen Betrag einstellen, daß wir aber nur 40 Millionen DM eingestellt haben?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Kollege, die Lektüre des französischen Haushalts wird Ihnen nicht eindeutig zeigen, daß der Forschungshaushalt um 1 Milliarde Francs gewachsen ist. Im übrigen hat der Bundeskanzler erklärt, daß der Bundeshaushalt in dem Maße, wie es notwendig ist - er hat die Kriterien genannt -, Beiträge zu Eureka leisten werde. Schließlich halte ich es für ein problematisches Vorgehen, den Erfolg einer Idee daran zu messen, was an Geld zur Verfügung gestellt wird. Was hier den Antrieb gibt, ist nicht das Geld. Wir haben es vielmehr mit einem Aufbruch der Unternehmen zu tun. Eureka ist keine staatliche Veranstaltung, die davon lebt, daß Regierungen Geld hineinpumpen. Eureka ist ein Zusammenspiel des Staates in seiner hoheitlichen Funktion und der Initiative von Unternehmern und Wissenschaftlern. Gemeinsam entsteht ein Europa der Technologien. ({0}) Wir haben schon' bisher - Herr Kollege Rumpf hat darauf hingewiesen - hervorragende technologische Spitzenleistungen in Europa erreicht, wenn wir gemeinsam ans Werk gegangen sind. Ariane, Spacelab und Airbus sind treffende Beispiele. Wir haben in Europa traditionell eine exzellente Zusammenarbeit in der Grundlagenforschung. Bei CERN, beim Institut von Laue-Langevin und bei JET ist eine vorzügliche Zusammenarbeit in Spitzenwissenschaften und Spitzentechnologien dadurch entstanden, daß wir die Dinge gemeinsam angegangen sind. Eureka verfolgt die Idee, daß diese punktuellen Ansätze zu einem gesamten Konzept zusammenwachsen sollen. In diesem Konzept gehen wir davon aus, daß Eureka zuerst und vor allen Dingen auf zivile Märkte ausgerichtet ist, und daß zivile Märkte eine Fülle von unterschiedlichen Techniken brauchen werden. Es kann aber nicht so sein, daß bei der Fülle der Techniken, die entstehen, einzelne von ihnen deshalb für die zivile Entwicklung ausgeschlossen werden sollten, weil man befürchtet, daß sie irgendwann militärisch genutzt werden können. Dies wäre die Perversion einer vernünftigen zivilen Technologieentwicklung, und dies wäre von Grund auf falsch. ({1}) Was aus Eureka entstehen soll, ist einerseits ein einheitlicher Markt in Europa und andererseits eine Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen in Europa. Beides gehört unverzichtbar zusammen. Was bei Eureka entstehen soll, ist ein staatlicher Rahmen, in dem sich die Initiative der einzelnen entwickelt, in dem aber der Staat nicht von oben her anordnet. Wenn der Staat anordnet, erlahmen Initiativen und Neues entsteht nicht. Wir wissen, daß wir in einer engen und freundschaftlichen Zusammenarbeit die Verantwortung und die Zuständigkeiten der EG-Kommission einzubeziehen haben. Die Kommission hat umfassende und weitgehende Möglichkeiten. Was wir in diesem Zusammenspiel leisten müssen: der Aufbau des europäischen Gesellschaftsrechts, die Festlegung von Standards, von Normen, von Infrastrukturen, von gemeinsamen Netzen für die neuen Techniken - ich nenne Kommunikationstechniken und Verkehr -, eine öffentliche Beschaffung, die innovativ und vor allem auf Gemeinsamkeit angelegt ist, so daß die Märkte wirklich zu einer Einheit zusammenwachsen, die Großserien und damit internationale Wettbewerbsfähigkeit erlaubt - dies alles kann von Eureka nicht allein geleistet werden. Eureka kann aber einen Impuls von großer Stärke geben, der die begrenzten Kapazitäten der einzelnen Länder zu einem einheitlichen Konzept zusammenführt, das tragfähig ist und etwas ermöglicht, was die Kräfte der einzelnen Nationen und der einzelnen Unternehmen überschreitet. Daß darüber hinaus zu prüfen ist, wo der Staat subsidiär mit Geld helfen kann, ist in Ordnung. Aber die Diskussion kann nicht damit beginnen, daß der Staat mit Subventionstöpfen lockt. Am Anfang der Diskussion muß stehen, daß wir ein gemeinsames Konzept erarbeiten und dann die Voraussetzung - einschließlich der finanziellen - für seine Verwirklichung schaffen. Wir haben in Hannover eine Reihe exemplarischer Projekte vorgestellt. Diese Projekte sind insofern exemplarisch, als sie die Vielfalt dessen, was Eureka bedeuten kann, zeigen. Wenn wir von dem Laser-Projekt sprechen, dann zeigt dies allein durch die beteiligten Partner, daß Eureka nicht nur eine Veranstaltung großer Firmen, sondern genauso eine Veranstaltung kleiner und mittlerer Unternehmen ist. Am Projekt Euro-Laser nehmen auch sehr kleine Unternehmen, zum Teil neugegründete Unternehmen teil, die über ein exzellentes Wissen auf diesem Gebiet verfügen. Eureka ist eine Initiative von großen und kleinen Ländern, und nur wenn sich alle beteiligen, alle etwas einbringen, wenn alle mitarbeiten und selbst die Vorteile verspüren, wird sie erfolgreich sein. Eureka - das zeigt sich am Projekt des europäischen Forschungsnetzes - gelingt nur "dann, wenn wir Wissenschaftler und ihre Datenverarbeitungsgeräte aus unterschiedlichen Ländern und unterschiedlichen Systemen miteinander sprechfähig machen, wenn wir ein gemeinsames Netz und eine Infrastruktur so errichten, daß alle gemeinsam zu einer einzigen wissenschaftlichen Gemeinschaft zusammenwachsen, daß die europäische Wissenschaft nicht zersplittert ist, genauso wenig wie der europäische Markt zersplittert sein darf; denn die Gemeinschaft der Wissenschaften soll gerade in den neuen und innovativen Bereichen zusammenwachsen und Erfolg haben. ({2}) Wir haben das Projekt Eurotrac beschlossen, weil wir wissen wollen: Wo entstehen die Umweltschadstoffe, wie werden sie transportiert, wie wandeln sie sich in der Atmosphäre um, wo gehen sie nieder, wo richten sie Schaden an? Denn Europa wird nur dann dauerhaft erfolgreich sein, wenn es nicht nur in den Märkten als Industrienation erfolgreich ist, sondern wenn es zeigt, daß es imstande ist, seine eigene dichtbevölkerte Welt sinnvoll zu gestalten und seine Umwelt zu bewahren. ({3}) Deshalb wollen wir Eureka so anlegen, daß wir vor allem in den Märkten hier starke Impulse setzen; aber wir wollen auch die notwendige Infrastruktur aufbauen, die die Entwicklung und Anwendung der Technologien ermöglicht, von der Kommunikation über den Verkehr bis hin zu den gemeinsamen Grundlagen eines Zusammenspiels im Gesellschaftsrecht und der öffentlichen Beschaffung. ({4}) Wir wollen die Sache so anlegen, daß wir unsere Umwelt bewahren, daß wir gemeinsam Probleme der modernen Technik und Gesellschaft lösen, daß wir auch gemeinsam Probleme der Gesundheit angehen. ({5}) Dies alles gehört zusammen, weil dies alles dazu gehört, daß eine Industrienation und eine Gemeinschaft von Industrienationen erfolgreich sein können. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Stärke Europas war immer seine Kraft zur Renaissance, die Stärke Europas war immer seine Kraft, neue Herausforderungen aufzugreifen, aus dem Geist einer großen Tradition, aber mit der Bereitschaft, neue Fragen aus diesem Geist zu gestalten. ({6}) Eureka kann hierzu ein Aufbruch sein, wenn wir es wirklich wollen. Ich wiederhole es: Eureka entsteht nicht in erster Linie aus der Initiative der Staaten und schon gar nicht aus der Anordnung von oben. Eureka entsteht zuallererst in den Köpfen der Menschen, in ihrer Bereitschaft zur Leistung, in ihrer Bereitschaft zur verantwortlichen Gestaltung von Problemen in einer komplexen Welt, und so haben wir es gemeinsam angelegt. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe hier, Herr Riesenhuber und Herr Außenminister, eigentlich mit großer Freude vernommen, wie Sie für Eureka und für Europa eintreten. Allerdings scheint es mir so, daß Sie, so wie es zumindest beim ersten Redebeitrag des Außenministers anklang, das ein wenig traurig vorgetragen haben, ({0}) weil Sie, zwar für Eureka eintreten, aber, so glaube ich, letztendlich die Verlierer im Kabinett waren, als es darum ging, die entsprechenden Finanzmittel für Eureka bereitzustellen. ({1}) Der Forschungsminister ist, wenn man so will, in der Sprache der Märchenwelt der Kaiser ohne Kleider. So kann man es bezeichnen. Von daher sollten wir uns, glaube ich, etwas realistischer Eureka und Europa zuwenden. ({2}) Als Titel über allem könnte man sagen: Eureka ist ein großangelegtes Ablenkungsmanöver - so, wie Sie es vortragen und wie es angelegt ist -, um die Bundesrepublik mit um so größerer Vehemenz in das Abenteuer des Krieges der Sterne zu stürzen. Dies ist genauso dem großen Presseecho zu entnehmen. Wie lauten die Charakterisierungen des Hannoveraner Ereignisses? ({3}) - „Ereignis" ist ein bißchen zu hoch gegriffen. Ich zitiere aus einigen Zeitungen. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" schreibt von einem „Nebelschleier". Die „Hannoversche Allgemeine Zeitung" schreibt von einem „Luftschloß". Im Westdeutschen Rundfunk war die Rede von einem „Propagandaerfolg". ({4}) Ähnlich äußert sich die „Frankfurter Rundschau". „Religiöser Eifer für das technische Ei des Kolumbus", so schreibt das „Handelsblatt". Das sind alles seriöse Zeitungen. ({5}) Ich meine, meine Damen und Herren, ein mit großem finanziellen und organisatorischem Aufwand und völlig unzulänglichen geistigen Investitionen ausgerüstetes Unternehmen wie die Eureka-Konferenz in Hannover wird im Prinzip zum Staatsereignis aufgepäppelt. Oder war es vielleicht, frage ich, eine Wahlkampfunterstützung für Ernst Albrecht? Ich zitiere aus der in Hannover erscheinenden „Neuen Presse": „Eureka in Hannover: Spektakel für 1,4 Millionen DM". Was ich sehe, ist folgendes. Die in großer Überheblichkeit „Charta" genannte Grundsatzerklärung von Hannover ist eine Irreführung aller gutmeinenden europafreundlichen Menschen in Europa. Unter Ziff. 3 der „Rahmenbedingungen" heißt es: „Eureka wird von den Regierungen der teilnehmenden Staaten und von den Europäischen Gemeinschaften in geeigneter Weise unterstützt". Ich meine, daß dies doch wohl eine Selbstverständlichkeit ist. Wer anders als die Bundesregierung und die übrigen europäischen Mitgliedstaaten haben denn Eureka überhaupt erfunden? Wir wissen von den großen deutschen Firmen Siemens und Nixdorf, wir wissen es von Otto Wolff von Amerongen, daß sie von den schönen Absichtserklärungen der Regierung wenig halten. Unter Ziff. 2 heißt es: „Die Schaffung eines großen homogenen, dynamischen und nach außen offenen europäischen Wirtschaftsraumes ist für den Erfolg von Eureka von entscheidender Bedeutung". Hier kann ich nur sagen, daß da irgendwelche Minister wohl nicht genau hingeschaut haben, was ihnen aufgeschrieben worden ist. Wenn ich die Sache richtig verstehe, muß es ja wohl das Ziel sein, mit Eureka den europäischen Binnenmarkt zu beschleunigen. Aber es kommt noch besser. In Ziff. 3 heißt es: „Daher wird die Vollendung des Binnenmarktes für Eureka von Nutzen sein." Ich muß sagen: Das stellt die Notwendigkeiten auf den Kopf. Wir SozialdemoVosen kraten wollen dagegen Eureka zu einem Instrument zum weiteren Ausbau des europäischen Binnenmarktes machen. Eureka muß ein solches Instrument sein, diesen Binnenmarkt zu schaffen. Wenn ich nun noch lese, daß die Maßnahmen im Rahmen von Eureka in Abstimmung mit den Grundsätzen des internationalen freien Wettbewerbs durchgeführt werden, wie es bei den Rahmenbedingungen unter Ziff. 5 heißt, bin ich fest davon überzeugt, daß unsere Bundesregierung die Herausforderung wirklich nicht begriffen hat, die durch SDI in Amerika entstanden ist, die durch Japan bereits besteht und die zu einer Bündelung der europäischen Kräfte führen müßte, um gemeinsam gegen diese beiden Herausforderungen anzutreten. Im übrigen glaube ich, daß der Bundesregierung noch Ideen fehlen. Zumindest sollte man aufgreifen, was im Prinzip die französische Regierung am 12. September 1983 bereits auf den Tisch gelegt hat, nämlich das Eureka-Programm - so kann man es bezeichnen -, das Memorandum der französischen Regierung an den Rat der Europäischen Gemeinschaften, die französische EG-Initiative zur Industriepolitik. Dies liegt schon lange auf dem Tisch, Herr Forschungsminister. Auch der Wirtschaftsminister hätte sich das anschauen müssen, ebenfalls der Außenminister. Im Grunde genommen sind wir schon um zwei Jahre hinter den Ereignissen und hinter den Ideen der französischen Regierung zurück. Es ist erheblich Zeit verloren worden. ({6}) In diesem Memorandum heißt es - ich will nur einen Satz zitieren -: Seit einigen Jahren ist Europa zum erstenmal in seiner Geschichte nicht mehr Hauptinitiator wissenschaftlicher und technologischer Innovationen. Europa, ausschließlicher Urheber der ersten industriellen Revolution und Haupturheber der zweiten, ist im Begriff, den Weg in die dritte Revolution, die der Elektronik, zu verfehlen. ({7}) Sofern die Gemeinschaft nicht rasch ihren Willen zur Umkehr dieses Trends bekundet und sich mit den erforderlichen Instrumenten ausrüstet, erscheint diese Bedrohung unausweichlich. Soweit am 12. September 1983. Darauf ist nicht reagiert worden. Meine Damen und Herren, wer Eureka, d. h. eine Integration Europas auch bei der technologischen Forschung und Entwicklung, wirklich will, braucht keinen europäischen Wanderzirkus, sondern er braucht rasche und klare Entscheidungen in den europäischen Institutionen, nämlich im Europäischen Parlament, bei der Europäischen Kommission und im EG-Ministerrat. Hier müssen die europäischen Ziele, für die die neuen Technologien eingesetzt werden sollen, formuliert werden. ({8}) - Das ist aber nur für das Parlament zu sagen. Die Gremien selbst sind fest installiert. Für uns Sozialdemokraten ist klar: Europa braucht einen neuen Anlauf, bei dem auch die Technik kraftvoll in den Dienst der Erreichung europäischer Ziele gestellt wird. Das oberste Ziel in diesem Zusammenhang ist und bleibt, daß die Integration Europas weiter gefördert wird. Dies muß durch die rasche Vereinheitlichung und Verbesserung der Rahmenbedingungen für einen europäischen Forschungs- und Industrieraum geschehen, z. B. durch erhöhten Informationsaustausch, einheitliche Normen, gemeinsame Ausschreibung und innovative Beschaffungen. Hierauf müssen sich die Anstrengungen der europäischen Außen-, Industrie- und Forschungsminister konzentrieren. Die europäische Integration muß ferner durch die gemeinsame Definition und Inangriffnahme von Infrastrukturprojekten geschehen, die geeignet sind, die innereuropäischen Grenzen abzubauen. Meine Damen und Herren, wer Technologie um ihrer selbst willen entwickeln will, ist noch immer gescheitert. Nur wenn man Ziele setzt, nur wenn man insbesondere den Ingenieuren und Wissenschaftlern den Zwang auferlegt, fertige Systeme abzuliefern, wird es einen Ansporn dafür geben, auch im Technologiebereich neue Anstrengungen zu machen und neue Lösungen zu finden. Wir Sozialdemokraten halten es nicht in erster Linie für wichtig, Technologien zu beherrschen, sondern wir halten es für wichtig, Ziele zu setzen, zu deren Lösung Technologien gebraucht werden. An dieser Stelle liegt ein ganz entscheidender Unterschied zwischen dem regierungsamtlichen Ansatz zu Eureka und unserem Ansatz. Ihr Ansatz ist ein reiner Technologieansatz. ({9}) Sie haben keine klaren übergreifenden Ziele. Es ist Technologiegläubigkeit, nicht mehr. In unserem Antrag, der Ihnen zur Beschlußfassung vorliegt, ({10}) haben wir ein europäisches Programm zur Humanisierung des Arbeitslebens gefordert, ein umfassendes europäisches Umweltschutzprogramm, Aufforstungsprogramme, Recyclingtechnikprogramme und Entgiftungsprogramme, ({11}) ein europäisches Programm zur Ressourcenschonung in den Bereichen Rohstoff und Energie, ein einheitliches neues breitbandiges Kommunikationsnetz ({12}) und ein europäisches Schnellbahnsystem, für das die Magnettechnik bereitsteht. ({13}) - Wir wollen nicht mit Brieftauben arbeiten, obwohl das sicherlich eine grüne Alternative wäre. - Meine Damen und Herren, nur wenn wir uns in diesen Bereichen Ziele setzen, haben wir eine Chance, daß wir auch technologisch wettbewerbsfähig bleiben. Ich höre aber nichts von solchen Zielen wie: In 10 Jahren sollen unsere Flüsse uns das Baden wieder erlauben. In 10 Jahren sollen unsere Fabriken lärmfrei, frei von gefährlichen Arbeitsstoffen sein. In 20 Jahren soll ein neuer Wald in vielen Bereichen Europas aufwachsen. ({14}) In 20 Jahren sollen die chemischen Altlasten bereinigt sein. ({15}) In 30 Jahren sollen wir unsere Energieversorgung auch ohne Kernenergie bestreiten können, wenn dies von der Mehrheit der Bevölkerung gewünscht wird. ({16}) Wenn wir solche Ziele setzen, ist es selbstverständlich, daß die genannten Programme aufgelegt werden müssen. Hierbei werden unsere Ingenieure und Wissenschaftler auch neue Technologien entwickeln, anwenden und beherrschen. Wenn man die Dinge so zurechtrückt, kann etwas daraus werden. Das alles wird selbstverständlich erhebliche zusätzliche öffentliche Finanzmittel kosten. Es soll eine 50 %ige Beteiligung der Industrie vorgesehen sein. Da frage ich: Wo sind die 50 % der öffentlichen Hand? Das ist das Konzept Die sind j a nicht vorhanden. Meine europäischen Kollegen haben es neulich schon ausgeführt: Die Bundesregierung möchte, indem sie für Europa keine Finanzmittel bereitstellt, als blinder Passagier eine Traumreise zum Nulltarif machen. So kann man das kommentieren. Im übrigen möchte ich noch darauf hinweisen, daß die Projekte, die dort angeführt sind, bereits schon vor über einem Jahr im Programmheft „Informationstechnik" der Bundesregierung aufgelistet sind. Sie verkaufen sie zum zweitenmal. Das ist also nichts Neues. Dort ist z. B. von der Förderung eines deutschen Forschungsnetzes mit 100 Millionen DM die Rede. Das haben Sie längst schon einmal verkauft. Sie verkaufen es jetzt unter dem Titel Eureka zum zweitenmal, nachzulesen auf Seite 68 Ihres Heftes. Sie sind ein Doppelverkäufer, Herr Riesenhuber, mit Ihren Technologien. ({17}) Meine Damen und Herren, es ist doch unglaublich, daß die Verweigerung von Finanzmitteln für Eureka mit dem Argument begründet wurde, es dürften keine weiteren Subventionen für die Industrie bereitgestellt werden. Forschungsförderung und die Unterstützung der Entwicklung von Schlüsseltechnologien sind und waren nie Subventionen. Schließlich haben nur die Regierungen die Verantwortung für Planung, Finanzierung und Gestaltung von Infrastrukturmaßnahmen. Das Gerede davon, unsere Industrien seien die Alleinverantwortlichen dafür, ob wir wettbewerbsfähig bleiben oder nicht, ist doch eine Überforderung der Industrie. Das Beispiel Japan, wo Industrie, Forschung und Regierung durch das MITI koordiniert sind, beweist das Gegenteil. Man kann doch nicht auf der einen Seite dem SDI-Spektakel hinterherlaufen und auf der anderen Seite sagen: Die europäischen Industrien sollen einen technologischen Sprung machen. Wer anders denn als die amerikanische Regierung veranstaltet SDI? Der Mangel an Ideen, der bei uns in der Bundesrepublik Deutschland zu verzeichnen ist, zwingt uns ja immer wieder dazu, entweder französische Initiativen aufzugreifen oder auf solche militärische Initiativen der Amerikaner wie SDI einzugehen, denn wir haben keine eigenen Programme, keine eigenen Ideen. ({18}) Wir ziehen doch unsere Hochschulen nicht heran, die darum bitten, mit vielen Ideen an solchen Programmen mithelfen zu dürfen; sie stehen zur Zeit noch draußen vor der Tür. Ideen gibt es in der Bundesrepublik mehr als genug, nur: Die Bundesregierung greift sie nicht auf. Meine Damen und Herren, wenn Sie es mit Ihren europäischen Sonntagsreden einigermaßen ernst meinen, dann sollten Sie unserem Entschließungsantrag zustimmen. Sie haben jedoch um Überweisung gebeten, denn es ist Ihnen sicherlich peinlich, daß Sie hier einen solch sinnvollen Antrag ablehnen müßten. Wir sind auch bereit, Ihnen entgegenzukommen. Wir sind bereit, Ihrem Überweisungsantrag oder -ansinnen um der Sache willen zuzustimmen, um zu zeigen, daß die SPD zu kooperieren bereit ist, wenn es darum geht, auf dem Weg nach Europa vorwärts zu kommen. Meine Damen und Herren, wir bitten Sie: Machen Sie Schluß mit dem europäischen Wanderzirkus, der in Form eines flexiblen Sekretariats installiert werden soll; denn sonst, so glaube ich, müßten wir uns noch einen Forschungsauftrag beschaffen, der - ich sage das ein bißchen humoristisch - diesem flexiblen Wanderzirkus eine flexible Bürostadt schafft. Ich schlage vor, eventuell einen Forschungsauftrag für den Bau eines großen BüroCaravans zur Flexibilisierung dieses Büros zu vergeben. ({19})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Lenzer.

Christian Lenzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001327, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kenne den Kollegen Vosen aus langen Debatten im Forschungsausschuß. Herr Kollege Vosen, Sie haben mehrfach das Wort vom Wanderzirkus gebraucht. Ich habe eine ganz bestimmte Rolle in diesem Wanderzirkus für Sie vorgesehen. Sie können sicher sein: Ich sitze dann in der ersten Reihe, gehöre zu Ihren Fans und jubele Ihnen zu. ({0}) Ich bitte Sie, einmal die beiden Herren Bundesminister auf der Regierungsbank zu betrachten. Sie scheinen mir sehr gut gekleidet zu sein, von wegen „Kaiser ohne Kleider". Sie werden vielleicht nur noch von dem Krawattenmann des Jahres übertroffen; den stellt aber auch die Regierungskoalition. ({1}) Meine Damen und Herren, Spaß beiseite. Ich möchte etwas an die Adresse des Kollegen Ehmke sagen. Herr Vosen, bitte klären Sie den Kollegen Ehmke doch einmal darüber auf, daß wir uns im Forschungsausschuß am Montag und am Dienstag in einer öffentlichen Anhörung in einer sehr umfassenden Weise mit dem gesamten Komplex der Weltraumforschung und der Weltraumtechnik auseinandersetzen werden. Es ist also nicht so, daß wir eine öffentliche Befragung der Fachwelt scheuten. Um ein für allemal den wirklich törichten Zwischenrufen entgegenzutreten: Wo ist der Bundeskanzler? Ich glaube, jedem, der Zeitung liest - das sollte man gelegentlich tun - oder auch die Sendungen des Fernsehens verfolgt, ist klar, daß der Bundeskanzler heute morgen durch den deutschfranzösischen Gipfel andere Verpflichtungen hat. ({2}) Weil Sie ihn angesprochen haben, möchte ich mit einem Zitat des Bundeskanzlers zum eigentlichen Thema kommen, zum Thema Eureka. Er hat in seiner Rede zur Eröffnung dieser Konferenz in Hannover gesagt - ich zitiere -: Eureka steht für den Willen der hier vertretenen Länder, die technologische Spitzenposition, die Europa innehat, auch für die Zukunft zu behaupten. Der von Frankreich ausgegangene Anstoß zu Eureka hat von Anfang an die entschiedene politische Unterstützung der Bundesregierung gehabt. ... Der Übergang von der klassischen Industriegesellschaft in eine Gesellschaft, die von den neuen Techniken geprägt wird, ist unaufhaltsam. Wer sich hier in modischen Kulturpessimismus oder eine Verweigerungshaltung flüchtet, steckt den Kopf in den Sand. Es genügt ein Blick auf die industrielle Entwicklung Europas in den letzten zweihundert Jahren, um zu begreifen, daß derjenige, der sich dem Wandel verschließt, am Ende als Verlierer dasteht. ({3}) Ich glaube, diese Passage aus der Rede des Herrn Bundeskanzlers bei der Eröffnung der Konferenz in Hannover zeigt, welchen Stellenwert die Bundesregierung dieser Eureka-Konferenz beimißt. ({4}) Europa hat es bisher verstanden, im Wettbewerb mit den hochentwickelten Regionen, insbesondere den USA und Japan, seine führende Stellung in vielen wissenschaftlichen und technologischen Bereichen zu behaupten. Allerdings sind die USA und Japan dabei, mit zahlreichen neuen Initiativen hier zusätzliche Schübe zu schaffen. Auch in Europa besteht eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Grundlagenforschung. - Ich nehme gern diese Diskussion zum Anlaß, der Grundlagenforschung in unserem Land zu versichern, daß alle Befürchtungen, durch diese großen internationalen Projekte gingen ihr Forschungsmittel verloren, völlig unbegründet sind. ({5}) Der Anteil für die Grundlagenforschung ist im Forschungshaushalt des Jahres 1986 mittlerweile bei 30 % angelangt. Dies ist ein stolzer Prozentsatz, der vorher noch nie erreicht worden ist. Es besteht eine erfolgreiche Zusammenarbeit in der Grundlagenforschung in Europa. Aber es gibt dagegen nur verhältnismäßig wenige europäische industriell-technologische Projekte. Ich denke hier an Airbus, an Spacelab - das liegt in diesen Tagen nahe - und an Ariane. ({6}) Diese Projekte machen deutlich, daß die europäischen Staaten dort, wo sie ihre Kräfte bündeln, Hervorragendes leisten, sich auch auf zukunftsträchtigen Märkten behaupten können und die Unabhängigkeit Europas in technologischer Hinsicht zu sichern in der Lage sind. Das unstreitig vorhandene hohe wissenschaftliche und technologische Potential der Gemeinschaft wird aber nicht immer optimal genutzt. Es gibt Defizite bei der Kooperation in Forschung und Entwicklung, in der Mobilität der Wissenschaftler, im Fluß von Gütern und Dienstleistungen europäischer Herkunft. Auch die große Vielfalt untereinander konkurrierender europäischer Industrieunternehmen und ihrer privaten sowie national orientierten öffentlichen Kunden erschweren zweifellos gelegentlich ein Zusammenwachsen dieses gemeinsamen Marktes. Die gegenwärtige Situation wird auch von den für die Forschungs-, Technologie- und Industriepolitik Verantwortlichen in vielen Ländern der EG als unbefriedigend empfunden. Zahlreiche Aufgaben in öffentlicher Verantwortung wie z. B. Umweltschutz, Gesundheitswesen, neue, moderne Infrastrukturen des Verkehrs- und Kommunikationswesen stellen sich gleichartig in allen europäischen Staaten. Sie ein gemeinsames Handeln. Es hat in der Vergangenheit gerade von Frankreich Kritik an der Schwerfälligkeit mancher Entscheidungsfindung auf europäischer Ebene gegeben. Da ist auch die Kommission angesprochen. Niemand will jedem einzelnen dort Tätigen den guten Willen abstreiten. Aber es ist nun einmal das Wesen einer großen Bürokratie, daß halt zwangsläufig oft Sand im Getriebe ist, daß die Entscheidungsprozesse lange Zeit in Anspruch nehmen, daß sie schwerfällig und mühsam sind. Diese Kritik müssen wir berücksichtigen, wir können uns ihr nicht verschließen. Wir sehen mit Sorge, daß das Zustandekommen europäischer Forschungsprogramme zeitraubend und ihre Durchführung mit erheblichem bürokratischen Aufwand verbunden ist. Selbst ein solches Programm, das im Prinzip sehr positiv beurteilt wird, wie etwa das ESPRIT- Programm, erfüllt oft nicht alle Erwartungen. Hier ist der strategische Ansatz für Eureka. Statt die knappen Programmittel auf ausgewählte große richtungsweisende Projekte zu konzentrieren, wie dies jetzt versucht wird, wird oft eine Vielzahl zu kleiner und häufig auch unterkritischer Projekte finanziert, was zur Zersplitterung der Mittel und Möglichkeiten führt. Hiergegen wachsen in immer mehr Mitgliedstaaten, vor allem in den größeren, erhebliche Vorbehalte. Eine derartige Gemeinschaftspolitik - wir alle, glaube ich, meinen es doch gut mit der Gemeinschaft - ist nicht geeignet, den neuen technologischen Herausforderungen zu begegnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist in dieser Debatte heute deutlich geworden, daß der politische Wille besteht, dies jetzt zu ändern. ({7}) Die Zusammenarbeit muß einen europäischen Mehrwert bringen. Sie soll dort stattfinden, wo sie wirksamer ist als die Summe nationalen Handelns. Ich glaube, das ist eigentlich der wesentliche, strategische Ansatz, die europäische Komponente an Eureka. Wir müssen uns angesichts vieler Punkte, die noch offengeblieben sind - das ist kein Wunder, das konnte gar nicht anders sein, dafür sind die Entscheidungsprozesse viel zu mühsam -, fragen: Wird Eureka die hohen Erwartungen erfüllen? Für uns als CDU/CSU-Fraktion ist es entscheidend, daß der politische Wille erkennbar wird, hier Änderungen zu schaffen. Es ist eine Aufbruchstimmung dort in Hannover deutlich gewesen. ({8}) Die Ziele sind auch voll kompatibel mit unseren nationalen Anstrengungen im Bereich der Forschungs- und Technologiepolitik. Kooperation in ausgewählten Bereichen der Hochtechnologie, Leistungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit im Weltmarkt sollen gestärkt werden. Auch das sind Ziele, über die wir uns alle klargeworden sind. Herr Kollege Vosen, ich darf Sie noch einmal ansprechen. Es geht halt nicht allein darum - mir waren diese Äußerungen Ihrerseits völlig unverständlich -, nur Ziele zu formulieren und dann darüber zu schwadronieren, sondern es geht auch darum, diese Ziele mit Leben zu erfüllen und zu sagen, wo es längs geht und wie, mit welchen Instrumenten ich diese Ziele erreichen will. Dabei muß ich vom Realitätssinn geprägt sein und kann mir nicht die Welt wünschen, wie ich sie gerne hätte, quasi aus Wille und Vorstellung. Es geht um die Beherrschung von Schlüsseltechnologien in Europa. Bitte, Herr Kollege Ehmke, unterlassen Sie als SPD-Fraktion doch die immer wieder vorgenommene Vermischung des Komplexes SDI mit dem Komplex Eureka. Das eine hat doch mit dem anderen nun wirklich keinen sachlichen Zusammenhang. ({9}) Zweiter Punkt. Ein Minimum an bürokratischem Aufwand wird es hierbei geben. Die Ministerkonferenz, die Experten, das kleine Sekretariat, eine Art Taskforce: Das ist ein wirklich pragmatischer Ansatz, den wir unterstützen. ({10}) Hierzu werden wir bis 31. Januar 1986 Vorschläge der Experten aus den Häusern bekommen. Dritter wichtiger Punkt: der Mittelstandsansatz. Es wird auch kleineren und mittleren Unternehmen von hoher Leistungsfähigkeit und hohem technologischem Niveau ebenso wie kleinen Forschungsinstituten möglich sein, sich hier zu beteiligen. Es ist also nicht etwa eine Elefantenhochzeit, wie es irgendein Kritiker einmal bezeichnet hat. Weiterer Punkt: homogener, dynamischer und offener europäischer Wirtschaftsraum. Er wird durch einen solchen Beitrag gefördert. Aber, Herr Kollege Vosen, Sie werden ihn mit starken Worten nicht von heute auf morgen schaffen. ({11}) Ein fünfter Punkt. Eureka ist eine komplementäre Aktion zu den bereits auf den verschiedenen nationalen Ebenen bestehenden Projekten. Eureka hat also keinen Exklusivitäts- und Ausschließlichkeitscharakter. Als sechster Punkt auch ein Wort zur Finanzierung. Wo kommen wir eigentlich hin, wenn wir zunächst einmal Geld auf den Tisch legen und uns dann unterhalten, wie wir es ausgeben? Ich meine, erst sprechen wir über die Projekte, und dann werden wir weitersehen, wieviel Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Es ist einfach nicht richtig, daß im französischen Haushalt die Mittel eingestellt sind. Der französische Haushalt unterliegt einem ganz anderen Haushaltsrecht. Dort wird mit Verpflichtungsermächtigungen und ähnlichen Dingen gearbeitet. Die Mittel, die 1 Milliarde Franc, stehen im 86er Haushalt der Republik Frankreich effektiv nicht drin. Abschließend: Die Rolle des Staates ist subsidiär. Er schafft Rahmenbedingungen, etwa das VorhalLenzer ten der notwendigen Infrastrukur, Ermutigung des Datenaustausches. Vielleicht noch ein Wort zur Finanzierung; ich habe das bisher vergessen. Eigenmittel - das ist bisher schon gang und gäbe -, aber auch Kapitalmarktmöglichkeiten und schließlich öffentliche Mittel werden herangezogen. ({12}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Abschluß - ich habe mit einem Zitat begonnen - auch mit einem Zitat enden und gleichzeitig auch dem Bundeskanzler, dem Bundesaußenminister und dem Bundesforschungsminister für ihr Engagement danken. Ich zitiere die exakte Zustandsbeschreibung der Situation, wie sie der Bundesaußenminister in seiner Rede in Hannover vorgenommen hat: Eureka ist Teil eines neuen Aufbruchs unserer Region, deren kulturelle und wirtschaftlichtechnologische Potenz auch heute lebendig und unverfälscht ist. Diese Kräfte zur Entfaltung zu bringen, zu bündeln und auf lohnende Betätigungsfelder zu lenken, erfordert eine politische Anstrengung ... Und er hat geschlossen: Nutzen wir diese neuen Technologien verantwortlich, so verspricht die technologische Revolution, uns auf eine neue Stufe zu heben, in der die Entwicklung menschlicher Freiheit und Persönlichkeit neue Steigerungsmöglichkeiten erhält. Die CDU/CSU unterstützt die Bundesregierung bei diesen Bemühungen vorbehaltlos. Der Überweisung Ihres Antrags, in dem einiges Vernünftiges, aber auch einige Ungereimtheiten stehen, stimmen wir gern zu. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.

Roland Kohn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001168, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz aller Herummäkeleien der sozialdemokratischen Fraktion muß man eines feststellen: Eureka ist auf dem allerbesten Wege, zu einem Schwungrad für den europäischen Fortschritt zu werden. Das ist das Ergebnis von Hannover. ({0}) Was mit Eureka begonnen hat, nämlich der Versuch einer offensiven Forschungs- und Technologiepolitik, ist das Bemühen, die Bündelungseffekte der europäischen Staaten zusammenzufassen, um etwas, was in der Vergangenheit an Stimmung kaputtgegangen ist, wiederherzustellen. Wir sind doch allmählich - das ist auch in den Beiträgen der SPD deutlich geworden - zu einer Gesellschaft von Bedenkenträgern geworden, in der jeder, der etwas Neues bringt, erst einmal gesagt bekommt: Das geht doch gar nicht, das können wir nicht machen, das haben wir noch nie gemacht, statt das zu unterstützen, zu fördern und zu sagen: Laßt uns die Ärmel hochkrempeln und einmal probieren, ob es hinhaut! ({1}) Ich möchte deshalb ganz deutlich sagen, daß wir Liberalen es nachdrücklich unterstützen und begrüßen, daß der Bundesaußenminister zusammen mit dem Forschungsminister dieses Projekt Eureka zu ihrer eigenen Sache gemacht haben und daß sie dafür gesorgt haben, daß dieses 6-Monats-Kind inzwischen schon ein sehr strammer Bursche geworden ist. ({2}) Wir sind keine Technologiefetischisten, wie uns vorhin von Ihnen, Herr Vosen, unterstellt worden ist, sondern wir wissen - vielleicht im Gegensatz zu Ihnen -, daß Technologie in einen ganz bestimmten politischen Zusammenhang hineingestellt werden muß. ({3}) Wir wissen: Technologische Wettbewerbsfähigkeit ist die Voraussetzung für wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Die Erhaltung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit wiederum ist Voraussetzung dafür, daß wir den Wohlstand in diesem Lande sichern können, daß wir die politische Stabilität einer freiheitlichen Demokratie gewährleisten können. Deswegen sage ich: Eureka ist ein weiteres einigendes Band der europäischen Demokratien. Schon deshalb ist es gut. ({4}) Lassen Sie mich ganz deutlich sagen: Mit diesem Eureka-Projekt ist vor allem etwas an Motivation und Mobilisierung in Europa geschehen. Es gab ja so die Stimmung, daß wir Europäer auf dem besten Wege seien, gleichsam zu den Schnürsenkellieferanten Amerikas oder Japans zu werden. Das ist doch Unsinn, eine groteske Verzeichnung der Fähigkeiten und Möglichkeiten der Europäer. Wir greifen diese Möglichkeiten auf und versuchen, sie fortzuentwickeln: Eureka als ausgewähltes Programm, damit die Möglichkeiten, die innerhalb der Europäischen Gemeinschaft an Projekten und an Organisationen da sind, ergänzt und komplettiert werden. Lassen Sie mich aus liberaler Sicht sieben Essentials für diesen weiteren Prozeß von Eureka formulieren. Erster Punkt: Wir beharren darauf: Eureka muß ein rein und ausschließlich zivil orientiertes Projekt bleiben. Da darf es kein Wackeln und Wanken geben. Zweiter Punkt: Wir wollen nicht, daß dieses Eureka-Projekt zu dem Versuch einer technologischen Gängelung der europäischen Forschungskapazitäten führt. Die Möglichkeiten, Projekte zu definieren, müssen von unten kommen. Dritter Punkt: Wir bleiben dabei: Es darf keine neue Forschungsförderungsbürokratie geben; das können wir uns überhaupt nicht leisten. Vierter Punkt: Wir legen großen Wert darauf, daß Eureka nicht dazu führt, daß direkte Projektförderung im marktnahen Bereich stattfindet und deshalb Mitnahmeeffekte eintreten. Wir wollen, daß sich die Industrie selbst mit eigenen Beiträgen beteiligt, weil nur so sichergestellt werden kann, daß man marktorientierte Projekte verfolgt. ({5}) Fünfter Punkt, meine Damen und Herren: Wir wollen, daß im Rahmen des Eureka-Projekts auch eine engagierte Förderung der Grundlagenforschung stattfindet. Es darf nicht nur auf den unmittelbar marktbezogenen Bereich orientiert sein, so wichtig der auch ist. Sechster Punkt - und da stimme ich dem zu, was vorhin schon Herr Kollege Lenzer gesagt hat -: Wir wollen, daß in das Eureka-Projekt auch die Universitäten und Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland einbezogen werden. Und siebter Punkt: Wir wollen, daß auch die kleinen und mittleren Unternehmen in Europa die Chance haben, an diesem Projekt mitzuwirken. Lassen Sie mich schließlich noch ein Wort zum Thema Finanzierung sagen, da Sie, Herr Vosen, das so in den Mittelpunkt Ihrer Ausführungen gestellt haben: Ich halte mich da an den Bundeskanzler, ({6}) und der hat in Hannover gesagt - ich darf das zitieren -: Die Bundesregierung ist daher im Rahmen von Eureka auch zu finanziellen Leistungen bereit und wird interessante und ausgewählte Projekte aus dem Bundeshaushalt unterstützen. So viel zum Thema Finanzierung. ({7}) Meine Damen und Herren, Eureka ist auf einem guten Weg; wir Liberalen unterstützen das. Wir bitten die Bundesregierung, ihren bisherigen Weg konsequent fortzusetzen. ({8}) Wir Liberalen wollen Eureka, weil wir Europa wollen. Danke schön. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. ({0}) Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Abgeordneten Vosen, Roth, Dr. Hauff, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4139. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4139 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 11 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Vahlberg, Schmidt ({1}), Dr. Schöfberger, Amling, Bamberg, Büchler ({2}), Gerstl ({3}), Dr. Glotz, Dr. Haack, Haase ({4}), Kißlinger, Kolbow, Lambinus, Lutz, Frau Dr. Martiny-Glotz, Müller ({5}), Porzner, Frau Schmidt ({6}), Sieler, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Stiegler, Verheugen, Weinhofer, Dr. Wernitz, Wimmer ({7}), Dr. der With Ökologische und ökonomische Situation im deutschen Alpenraum - Drucksachen 10/2807, 10/3993 ({8}) Hierzu liegt auf Drucksache 10/4150 ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat ist eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.

Ignaz Kiechle (Minister:in)

Politiker ID: 11001091

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Alpenraum, insbesondere der deutsche Alpenraum, ist eine unserer schönsten Großlandschaften. ({0}) Der Jahr für Jahr anschwellende Strom naturhungriger und erholungssuchender Touristen beweist dies mehr als alle Argumente. Aber: Der Alpenraum ist wegen seiner natürlichen Besonderheiten ökologisch sehr sensibel. Er ist damit weniger belastbar als andere Gebiete. Und: Seine Bergwälder sind von zentraler Bedeutung für das Klima in Europa sowie für den Schutz der Alpentäler. Deshalb müssen wir die Natur des Alpenraumes in ihrer Ursprünglichkeit soweit wie möglich erhalten; ({1}) deshalb müssen wir die gefährdete Flora und Fauna in ihrer Lebenskraft stärken. Hier bricht der Konflikt zwischen Ökologie und Ökonomie auf. Denn die Ökonomie lebt von den Touristen, die die einzigartige Schönheit des Alpenraums ({2}) im Sommer wie im Winter genießen wollen. Negative ökologische Folgen bleiben nicht aus, da die touristische Erschließung zwangsläufig in die Tier- nd Pflanzenwelt eingreift. Es wäre weltfremd, den Tourismus einfach verbieten oder abwürgen zu wollen. Unsere Aufgabe besteht daher in einer sehr vorsichtigen Gratwanderung zwischen Ökonomie und Ökologie, ({3}) bei der im Zweifel gegen überbordenden Tourismus und gegen zu intensive Landnutzung entschieden werden muß. Dies ist längerfristig auch ökonomisch die sinnvollste Lösung, denn: halten wir die ökologischen Schäden nicht in Grenzen oder sind wir nicht bereit, gegebenenfalls dort, wo in der Vergangenheit übertrieben wurde, auch Rückzieher zu machen, dann verändert sich die faszinierende Vielgestaltigkeit der Alpen, dann verändert sich ihr Charakter, und dann verlieren die Alpen die Attraktivität für die Touristen und somit eine wichtige ökonomische Basis. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir müssen zudem bedenken: Nicht nur Tourismus und intensive Landnutzung laufen Gefahr, die ökologische Stabilität des Alpenraums zu unterminieren; als problematischer erweisen sich mehr und mehr weiträumig transportierte Luftschadstoffe. Davon betroffen sind insbesondere die Bergwälder. Die Ergebnisse der Waldschadenserhebung 1985 zeigen eine erhebliche Zunahme der insgesamt geschädigten Waldfläche in den Alpen auf 78 %. Der Anteil der mittelstarken und starken Schäden liegt bei 53% und ist damit seit dem letzten Jahr um 19 % gestiegen. Es ist das Ziel der Bundesregierung, den Schadensursachen mit allen Mitteln entgegenzuwirken. ({5}) - Was haben denn Sie getan, als Sie dran waren? Gar nichts! ({6}) - Ja, Verzeihung, ich nehme das zurück. ({7}) - Entschuldigung, ist erledigt! Ich bitte um Nachsicht; ich habe den Herrn etwas falsch eingeschätzt. ({8}) Lösungen müssen auf verschiedenen Ebenen ansetzen. Ich sehe vier Ansatzpunkte: Erstens die Luftreinhaltemaßnahmen. Diese Bundesregierung hat von Anfang an das Ziel verfolgt, im Rahmen ihrer Vorsorgepolitik die Emission von Luftschadstoffen erheblich zu vermindern und damit dem Problem der Waldschäden durch Bekämpfung der wesentlichen Ursachen an der Quelle zu begegnen. ({9}) Kernstücke sind die am 1. Juli 1983 in Kraft getretene Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die Novellierungen der TA Luft und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie die Maßnahmen zur Einführung abgasarmer Autos. Zweitens. Neben den Luftreinhaltemaßnahmen müssen alle Möglichkeiten genutzt werden, die Waldschäden durch forstliche Maßnahmen zu mildernIch habe nach meiner Amtsübernahme besonderen Wert darauf gelegt, daß zusätzliche Unterstützungsmaßnahmen für den Wald im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe unverzüglich ergriffen worden sind, z. B. die forstliche Düngung, die mehrfache Bestandspflege, die Unterpflanzung lückiger und verlichteter Bestände und die Wiederaufforstung. Vom Freistaat Bayern, der schon in den letzten Jahren in der Alpenregion 1 500 ha mit einem Kostenaufwand von 17 Millionen DM neu aufgeforstet hat, ({10}) wird zur Zeit ein Schutzwaldsanierungsprogramm für die Alpen aufgestellt. Dringliche Projekte sollen unverzüglich, d. h. noch vor Fertigstellung des Programms, in Angriff genommen werden. Drittens. Die bayerische Staatsregierung hat bereits 1972 die Konzeption „Erholungslandschaft Alpen" verwirklicht. ({11}) Danach sind in über 40 % des bayerischen Alpenraumes Erschließungsmaßnahmen gänzlich unzulässig und sonst nur insoweit möglich, als sie den Erfordernissen der Raumordnung und des Umweltschutzes entsprechen. ({12}) Durch diese zukunftsweisende Maßnahme konnte im bayerischen Alpenraum das unersetzliche Naturpotential erhalten werden. ({13}) Viertens. Die Bundesregierung unterstützt auf internationaler Ebene die Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer und der Arbeitsgemeinschaft Ostalpengebiete bei der Lösung alpenspezifischer Probleme. Sie sehen, daß die Bundesregierung auf nationaler und internationaler Ebene alle Anstrengungen unternimmt, um in dem einzigartigen Alpennaturraum eine Symbiose zwischen Ökologie und Ökonomie zu erreichen. Im Zweifel wird der Ökologie der Vorrang gegenüber der Ökonomie eingeräumt. Entscheidender jedoch als alles, was wir beschließen, ist das Verhalten der Menschen. Nicht was auf dem Papier steht, zählt, sondern der Wille und die Bereitschaft von Einheimischen und Gästen, die einzigartige landschaftliche Schönheit der Alpen im Herzen von Europa zu erhalten. Daß dies bisher schon in so großem Maße erfolgt, verdanken wir im wesentlichen auch den Naturschutzverbänden, insbesondere dem Alpenverein, ({14}) dessen Mitglieder mit großem Engagement ihre Freizeit opfern, um mit konkreter Arbeit vor Ort Natur und Umwelt im Alpenraum zu erhalten. Ich danke Ihnen. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vahlberg.

Jürgen Vahlberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002361, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum erstenmal in seiner Geschichte debattiert der Deutsche Bundestag über die Alpen. Die Sorgen um den Zustand der Natur in unserer Heimat, die sich viele Bewohner dieser Region machen, die beschwörenden Hilferufe der Forstbeamten angesichts des sterbenden Bergwaldes, die Forderung der Fachleute nach harten umweltpolitischen Maßnahmen sind bis in unsere naturferne Bonner Kunstwelt vorgedrungen. Problem erkannt, möchte man vorschnell meinen, wenn man die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Bundestagsabgeordneten aus Bayern zur ökologischen und ökonomischen Situation im deutschen Alpenraum flüchtig liest. Da wird die gesamtstaatliche Verantwortung für diese Landschaft von einzigartiger Schönheit für das Waldgebiet von zentraler Bedeutung für unser Klima und für den größten Wasserspeicher Europas anerkannt. Die Wahrnehmung der Funktion des Alpenraumes - so die Bundesregierung - werde zunehmend durch die neuartigen Waldschäden in den Alpenwäldern beeinträchtigt. Bei einem raschen und flächigen Zusammenbruch der Wälder sei mit zunehmender Gefährdung durch Lawinen, Hangrutsche und Überschwemmungen zu rechnen, so heißt es. Man liest gespannt weiter, erwartet, daß nun die konkreten Maßnahmen kommen, mit denen dieser Entwicklung begegnet werden soll, und erfährt, daß in keinem Fall die Bewohnbarkeit von ganzen Alpentälern oder gar des Alpenvorlandes bedroht sei, wenn die Schutzfunktion des Waldes weiter beeinträchtigt würde. Das ist eine Verharmlosung entgegen den Erkenntnissen aller Fachleute, Herr Kiechle. ({0}) Damit hat man die Substanz dieser Antwort der Bundesregierung erfaßt. Diese Antwort ist ein Dokument des zaghaft erwachenden Bewußtseins, des Verharmlosens und Vernebelns und der Feigheit vor mächtigen Interessengruppen. ({1}) Viel Umweltlyrik, keine konkreten Maßnahmen; Sorgen äußern, j a, aber bitte in gedämpften Tönen; keine Panikmache, das wäre schließlich unseriös. ({2}) Für die Auswirkungen des Waldsterbens auf die alpinen Schutzwälder gilt, was der Direktor der eidgenössischen Anstalt für das forstliche Versuchswesen gesagt hat: Die Auswirkungen dürften sowohl unser Vorstellungsvermögen als auch unsere finanziellen und technischen Abwehrmöglichkeiten übersteigen. ({3}) Dabei macht die Bundesregierung noch nicht einmal Anstalten, ihr Vorstellungsvermögen zu strapazieren. ({4}) Noch am 9. Oktober - Datum der Antwort auf die Alpenanfrage - heißt es: „Die Ergebnisse der Waldschadenserhebung sind abzuwarten." Dabei wußten zu diesem Zeitpunkt schon alle Fachleute, daß trotz des waldklimatisch äußerst günstigen Verlaufs des Jahres 1985 die Schäden in den Schutzwäldern dramatisch zugenommen haben. ({5}) Die Bundesregierung aber läßt es auch noch im Waldschadensbericht 1985 bei der Feststellung bewenden, daß 80 % der Bäume im Alpenraum den Schadstufen 1 bis 4 zugeordnet werden können. Den Schluß daraus, daß im Alpenraum praktisch alle älteren Bäume geschädigt sind, zieht die Bundesregierung nicht. Rechnet man den Schadensverlauf hoch, gibt es ab 1988 nur noch mittel- bis schwergeschädigte Bäume. Der sterbende Wald steht still und schweiget - das ist kein Problem, das man aussitzen kann! ({6}) Die Bewohnbarkeit ganzer Alpentäler sei nicht gefährdet - stellt die Bundesregierung fest. Die Evakuierung des Ortes Bristen im Kanton Uri in der Schweiz wegen waldschadensbedingter Lawinengefahr wird ignoriert. Auch die Sperrung der Bundesstraße 308 zwischen Immenstadt und Oberstaufen am Alpsee im Mai 1985 kommt in dem bereits real existierenden Schadensszenario nicht vor. Dabei sind dies alles nur erste Anzeichen für den Zustand der Umwelt im Alpenraum. Nach den dreitägigen Regenfällen Anfang August in Tirol waren 60 Bergdörfer von den abgehenden Wasser-, Schlamm- und Geröllmassen betroffen. 40 Millionen Schilling mußten allein im August/September für Sanierungsmaßnahmen an Bächen aufVahlberg gewandt werden. Die Schäden an Häusern und Verkehrswegen sind dabei nicht mitgerechnet. Wie viele Tonnen Mutterboden und Gestein buchstäblich den Bach runtergegangen sind, können die Beamten des „Forsttechnischen Dienstes für Wildbach- und Lawinenerbauung" nicht sagen. Aber - so betonen sie - die Schäden nehmen von Jahr zu Jahr zu. Apokalypse now? - Nein; bitte, keine Aufregung; denn gleich auf Seite 2 der Antwort ist zu lesen, daß es das erklärte Ziel der Bundesregierung sei, einer solchen Entwicklung rechtzeitig entgegenzuwirken. „Rechtzeitig": Wann ist das? Auf unsere Frage nach den vom Aussterben bedrohten Tierarten stellt die Bundesregierung fest, daß in den nächsten 10 bis 30 Jahren zahlreiche Arten vom Aussterben bedroht seien; 53 % der Säugetiere, 53 % der Vögel, 70 % der Kriechtiere, 60 % der Lurche, 48% der Fische und 70 % der Weichtiere. Muß uns nicht vor uns selbst grausen angesichts solcher Daten? Das Artensterben ist in den „Roten Listen" fein säuberlich vermerkt. Diese „Roten Listen" sind Bankrotterklärungen der staatlichen Naturschutzpolitik. Die ganze Hilflosigkeit der Politik wird deutlich, wenn ein paar Zeilen weiter als einzige Maßnahme für den bayerischen Alpenraum auf ein Artenhilfsprogramm zum Schutz der Wanderfalken verwiesen wird. Was tut die Bundesregierung? Sie verharmlost die Probleme oder verweist auf die bayerische Staatsregierung. Was tut die bayerische Staatsregierung? Sie verharmlost auch, zögert, zaudert und treibt zum Teil die Naturzerstörung weiter. Beispiele: Zunächst die Antwort auf unsere Frage 9 zur Kartierung von Biotopen. Mit enormen Kostenaufwand wurden auch bei uns, nicht nur in der Schweiz, Kartierungen aller Art - Biotop-Kartierungen, Hanglabilitäts-Kartierungen - durchgeführt. Praktische Folgerungen daraus aber werden, wie die Antwort selbst eingesteht, nicht gezogen. Wie könnte es sonst zu der mittlerweile von allen gesellschaftlichen Gruppen abgelehnten Verlegung des Standortübungsplatzes der Bundeswehr mitten ins Naturschutzgebiet Oberjettenberg kommen? Nächstes Beispiel: Die Antwort auf Frage 19 zum überhöhten Schalenwildbestand und zur Waldverjüngung. Die Naturverjüngung der hochgradig gefährdeten alpinen Schutzwälder wird anerkanntermaßen durch den übersetzten Wildbestand verhindert. Maßnahmen gegen die Hobbyjäger - die selbsternannten Pfleger und Heger des Waldes - werden nicht in Aussicht gestellt. Auf den naheliegenden Gedanken, wenigstens die Subventionierung von Aufforstungen aus Steuermitteln dann zu überdenken, wenn der Nutzen einer Aufforstung durch Wildverbiß zunichte gemacht wird, kommt niemand. Ein weiteres Beispiel: Zur Frage 41 nach der Notwendigkeit ökologischer Schutzgebiete wird auf den Nationalpark Berchtesgaden verwiesen. Damit hat man sich wohl der „gesamtstaatlichen Verantwortung" bereits entledigt. Kein Wort darüber, daß bis heute der Nationalpark noch immer nicht das Naturschutzdiplom des Europarats zuerkannt bekommen hat, einfach deshalb, weil er die internationalen Anforderungen nicht erfüllt. Im übrigen wird die Situation dort immer schlechter. Nachdem vor einiger Zeit ein Müllskandal aufgedeckt wurde, erlaubt nun die bayerische Staatsregierung auf dem Königsee den Klärschlammtransport mit Motorschiffen, obwohl bereits in der Nationalpark-Verordnung von 1978 nur Schiffe mit Elektroantrieb empfohlen wurden. Was tut die Bundesregierung, was tut die bayerische Staatsregierung? Sie verstecken sich hinter Gummiparagraphen und Schlupflochgesetzen. ({7}) Sie gehen hinter Gutachten und Obergutachten in Deckung. Mit Großversuchen zum Tempolimit wird wertvolle Zeit vertan. Wir brauchen keine Großversuche, wir brauchen Entscheidungen in der Sache. Angesichts der dramatischen Entwicklung des Waldsterbens besonders in den höheren Gebirgslagen müßte die Bundesregierung eine internationale Schutzkonferenz einberufen und eine eigene Schutzkonvention erarbeiten. Um den Schadstoffausstoß in den Alpenländern zu vermindern, müßte sie ein Tempolimit in den Bergen verfügen. ({8}) - Auch in der Ebene, aber wenn das nicht funktioniert, zumindest in den Bergen, wo alpenklimatische Besonderheiten die Schadenswirkungen zusätzlich verschärfen. ({9}) Interessanterweise haben die Waldbesitzerverbände Franz Josef Strauß jetzt auf seinem Hochsitz in Kreutz eine Petition überreicht und fordern ein Tempolimit 80 auf Landstraßen und 100 auf Autobahnen. Wer glaubt, daß die Waldbesitzerverbände Linkschaoten sind, Herr Freiherr von Heeremann, der kennt die Wählerlandschaft in Bayern schlecht. Der Straßenbau muß gestoppt, der Güterfernverkehr auf die Schiene verlagert werden. ({10}) Der Wildverbiß durch überhöhten Schalenwildbestand muß bekämpft, die Jäger müssen als Waldschädlinge erkannt werden. ({11}) Großzügige grenzüberschreitende Naturparks sind zu verwirklichen. Einem sanften Tourismus muß das Wort geredet werden. Die Weigerung der Bundesregierung, eine solche internationale Konferenz einzuberufen, ist angesichts der apokalyptischen Entwicklung eine Katastrophe. Die GRÜNEN haben dankenswerterweise einen Antrag vorgelegt. ({12}) Sie haben sich inzwischen auf das alpenpolitische Thema hinaufsynchronisiert. Wir begrüßen dies und glauben, daß es einen Sinn macht, diesen Antrag den Ausschüssen zur Beratung zu überweisen. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Geiger.

Michaela Geiger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000649, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erst gestern habe ich mit dem Forstamt Garmisch telefoniert und habe erfahren, daß sich der Zustand des Gebirgswaldes wieder ein wenig verschlechtert hat. Die gerade vor kurzem vorgenommenen Stichproben haben ergeben, daß der trockene Herbst die Lage erneut verschärft hat. Die Waldschäden im Gebirge haben besorgniserregende Ausmaße angenommen. Der Zustand des Gebirgswaldes ist alarmierend. Insofern stimme ich mit meinem Vorredner überein. Gerade der Hochwald hat ja sehr wichtige Funktionen für unsere Alpenregion. Ein gesunder Wald bewahrt den Boden vor Erosion. Er vermindert die Hochwassergefahr, er schützt die Täler vor Lawinen und Steinschlag. Der Wald filtert und reinigt das Regenwasser und sorgt für unser gesundes Trinkwasser. Für unser stark vom Fremdenverkehr abhängiges Gebiet hat der Wald als Erholungsraum eine unersetzliche Funktion. ({0}) Wenn man sich dies alles vor Augen hält, bereitet einem die Entwicklung des Waldes in unserem Gebiet große Sorgen. Beim Gebirgswald kommt hinzu, daß es dort immer schon mehr ältere Bäume mit verminderter Vitalität als in Wäldern tieferer Lagen gegeben hat und daß deshalb der Gebirgswald natürlich anfälliger ist. Schwierig ist die Situation auch deshalb, weil ein neuer Baum im Bergwald 20 bis 50 Jahre braucht, bis man sagen kann: Jetzt hat er es geschafft. In ausgesetzten Lagen an der Baumgrenze ist es außerdem fast unmöglich, einen neuen Baum zu pflanzen, wenn ein alter Baum, der dort jahrzehnte- oder jahrhundertelang dem rauhen Wetter getrotzt hat, abgestorben ist. ({1}) Wie die CIPRA, die Internationale Alpenschutzkommission, feststellt, würde ein rasch kränker werdender Bergwald eine Gefahr für Verkehrswege, für Autobahnen und Eisenbahnlinien bedeuten. Die Zufahrtsstraßen zu den Orten innerhalb der Alpen könnten blockiert werden. Ein sterbender Bergwald würde auch Gefahr für den Tourismus bedeuten; denn die Touristen könnten sich nicht mehr sicher fühlen. Wenn aber die Urlauber ausbleiben sollten, würde etwa die Hälfte der Alpenbewohner ihre Existenzgrundlage verlieren. Man müßte dann Lawinenverbauungen schaffen, von denen ein Hektar 1 Million DM kostet. Der Schutz eines einzigen Kilometers Straße durch wirksame Lawinenschutzbauten würde zirka 10 Millionen DM kosten. Dies sind für uns im Alpenraum erschreckende Visionen, aber so weit ist es glücklicherweise noch nicht, so weit darf es nicht kommen und so weit wird es nicht kommen. ({2}) Wir wissen inzwischen, daß die Luftverunreinigung bei der Entstehung der Schäden im Gebirgswald eine wichtige Rolle spielt. Aber nicht eine Ursache allein, sondern das Zusammenwirken mehrerer Einflüsse löst die Schädigung der Bäume aus. Zusätzlich zur Immissionsbelastung kann die Belastung durch Stürme, Kälteeinbrüche, durch trokkene Sommer ein gravierender Faktor sein. Die Waldkrankheit, meine Damen und Herren von der SPD, gibt es nicht erst, seit wir an der Regierung sind. Es hat sie auch unter der Regierung Schmidt gegeben. ({3}) Man hat sie allerdings nicht offiziell festgestellt, und man hat auch keine Maßnahmen dagegen getroffen. ({4}) Viele Sünden unserer Technisierung wurden erst über Jahrzehnte hinweg in den Bäumen gespeichert, und nun ist offensichtlich das Maß erreicht und das Faß zum Überlaufen gebracht, ({5}) und der Wald ist sehr krank. Manche Techniken, z. B. die hohen Schornsteine in den Industriegebieten des In- und Auslandes, die zwar den Menschen dort wieder den blauen Himmel gebracht haben, betrachten wir in der Alpenregion inzwischen sehr kritisch. Viel von dem Schmutz, der in den Revieren in die Luft geblasen wird, bleibt offensichtlich an unseren Gebirgshängen hängen und schädigt dort die Wälder. ({6}) Der Tatsache, daß der Luftverschmutzung beim Waldsterben eine entsprechende Rolle zukommt, hat unsere Regierung nach dem Regierungsantritt sofort Rechnung getragen, nämlich mit der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, mit der umfassenden Novelle der Technischen Anleitung Luft, mit der Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und mit der Verordnung über genehmigungsbedürftige Anlagen. Als positives Ergebnis dieser Regelungen wird allein schon bei der Schwefeldioxidbelastung im Bereich der Kraftwerke bis 1988 eine Reduzierung um 73 % erreicht. Meine Damen und Herren, unsere Bundesregierung hat innerhalb kürzester Zeit eine völlige Neuordnung der Luftreinhaltung verwirklicht. In nur drei Jahren - das ist eine kurze Zeit - sind die wichtigsten Maßnahmen zur Verminderung der Schadstoffbelastung der Luft größtenteils schon umgesetzt oder zumindest auf den Weg gebracht. Davon wird nun leider unser Gebirgswald nicht von heute auf morgen gesund. ({7}) Es hat lange gedauert, bis die Bäume sichtbar krank wurden, und es wird auch lang dauern, bis sich der Wald wieder erholt. Wir haben auch wirksame Maßnahmen für die Schadstoffbegrenzung bei Kraftfahrzeugen eingeführt. Ich bin aber immer noch traurig - das sage ich ganz offen -, daß die noch schnellere Einführung des Katalysatorautos und des bleifreien Benzins durch unsere europäischen Freunde vereitelt wurde. ({8}) Der Katalysator bringt eine wesentlich höhere Schadstoffreduzierung als jede Geschwindigkeitsbegrenzung. ({9}) Jeder - da appelliere ich an jeden einzelnen -, der einen Katalysator in sein Fahrzeug einbauen läßt, tut etwas für unseren kranken Wald. ({10}) Ich nehme auch an - ({11}) - Ich habe Sie im Verdacht, daß aus ideologischen Gründen viel vom Tempolimit gesprochen wird. Von anderen Schadstoffquellen wird wenig gesprochen, z. B. von den Hausbrandanlagen. Auch hier müssen wir uns überlegen, was zu tun ist; ({12}) auch hier müssen wir an Energieersparnis und eventuell auch an Filteranlagen denken. ({13}) Ein großes Problem für die Regenerierung des kranken Waldes stellt das Schalenwild, stellen Hirsche, Rehe und Gemsen dar; auch das haben Sie schon gesagt. Die Erschließung der Alpen hat massiv in die Lebensgewohnheiten der Wildtiere eingegriffen. Heute bleibt das Rotwild - auch durch die fremdenverkehrswirksamen Wildfütterungen - den ganzen Winter im Bergwald, und die Wilddichte ist kräftig angestiegen. ({14}) Die vielen Tiere lassen die Jungpflanzen kaum aufkommen. Diesem Problem tragen jedoch die Bestimmungen des Bayerischen Jagdgesetzes und des Bayerischen Landesentwicklungsprogramms Rechnung. Hier ist der Bund nicht gefordert; da müssen die bayerischen Jäger für Abhilfe sorgen. ({15}) Die Bayerische Forstverwaltung leistet sehr viel, um dem Gebirgswald zu helfen. Es findet eine ständige Kontrolle statt. Man versucht, intakte Bestände zu erhalten. Holz wird nur noch aus kranken Beständen geschlagen. Jungwälder werden forciert aufgezogen. Gezielt wird eine Naturverjüngung durchgeführt. Die Haupterwerbsquellen des deutschen Alpenraums, der Fremdenverkehr und im besonderen der Naherholungsverkehr, bringen aber für diesen Raum auch starke Belastungen. An den Wochenenden sprechen überlastete Straßen in die Erholungsgebiete und zurück, zertrampelte Schutzzonen, hinterlassener Unrat an Seeufern, auf Bergpfaden und auf Gipfeln eine beredte Sprache. Es zeigt sich immer wieder, daß fast jeder Bürger mehr Umweltschutz vom Staat fordert, daß aber nur ganz wenige bereit sind, auch selbst etwas dafür zu tun. ({16}) Auch da ist noch sehr viel Aufklärung nötig. In diesem Zusammenhang möchte ich gerade dem Alpenverein und den Naturschutzverbänden danken, die immer wieder aufklärend wirken. ({17}) Die Erschließung der Berge durch Seilbahnen ist längst an ökologische Grenzen gestoßen. Die Bayerische Staatsregierung hat daraus bereits vor 13 Jahren Konsequenzen gezogen. ({18}) Das erste Umweltministerium in ganz Europa - ich bitte die GRÜNEN zuzuhören - hat es bekanntermaßen in Bayern gegeben. ({19}) Um dem zum Teil ungezügelten Bau von Liften und Seilbahnen entgegenwirken zu können, wurde 1972 die Konzeption „Erholungslandschaft Alpen" verwirklicht. Mit dieser vorausschauenden und einmaligen Regelung wurde die Verkehrserschließung mit Bergbahnen und Liften, Skiabfahrten und Rodelbahnen, öffentlichen Straßen und Privatstraßen gesteuert. Den Bewohnern und Gästen unserer bayerischen Heimat wurde damit ein großer Teil der Natur im ursprünglichen Zustand erhalten. Wenn Sie in die Schweiz und nach Österreich schauen, sehen Sie, daß das nicht überall so ist. Bayern hatte glücklicherweise im Umweltschutz immer schon die Nase vorn. ({20}) Herr Vahlberg, eine Frage in Ihrer Großer Anfrage hat mich doch sehr verwundert, und zwar die Frage 36 nach den Sommerskigebieten. Ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie den Referenten, der dies geschrieben hat, einmal nach Bayern schicken, damit er sich das anschaut. Dann wird er ganz schnell feststellen, daß es bei uns überhaupt keine Sommerskigebiete gibt. Er kann höchstens mit Gummistiefeln auf dem Zugspitzplatt auf dem Gletscher herummarschieren. ({21}) Nun wieder zurück zu unserem ernsten Thema der Rettung unseres bedrohten Alpengebietes. Alle Maßnahmen der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung zusammengenommen sind großartig. Trotzdem werden sie nicht ausreichen, wenn unsere Nachbarn nicht mit uns am selben Strang ziehen. ({22}) Erste wichtige Schritte dazu sind getan mit der Umweltschutzkonferenz in München und der daraus resultierenden völkerrechtlichen Vereinbarung in Helsinki sowie auch mit den Aktivitäten der „Arbeitsgemeinschaft Alpenländer" ({23}). Es ist in den letzten Jahren - ich habe es gesagt - viel getan worden, um die ökologische und ökonomische Situation im deutschen Alpenraum in einem gesunden Gleichgewicht zu erhalten. ({24}) Aber wenn unsere Kinder die schönen Bergwälder, unter unseren Berggipfeln die grünen Almen und die jahrhundertealten Bergdörfer an den steilen Hängen noch selbst erleben sollen, wenn wir die Schönheit dieses Gebiets nicht nur auf den Postkarten erhalten wollen, dann müssen wir noch mehr tun. Dann müssen wir auch bereit sein, Opfer auf uns zu nehmen. Dann hat es auch keinen Sinn, hierbei Parteipolitik zu betreiben, sondern dann müssen wir alle zusammenwirken. ({25})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Bueb.

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Die vorliegende Antwort zur Großen Anfrage „Ökologische und Ökonomische Situation im deutschen Alpenraum" zeigt wieder einmal deutlich, daß Sie entweder nicht in der Lage sind, das ganze Ausmaß der Gefährdung im Alpenraum zu erfassen, oder daß Sie es noch einmal mit Verharmlosen versuchen, um die Bevölkerung hinters Licht führen zu können. Typisch hierfür sind solche Sprüche wie: Bei einem raschen Schadensfortschritt und flächigem Zusammenbruch der Wälder wäre ... mit zunehmender Gefährdung durch Lawinen, Abrutschen von Hängen, ... und Überschwemmungen zu rechnen. Es ist das Ziel der Bundesregierung, den Schadensursachen rechtzeitig entgegenzuwirken. Da kann ich nur sagen: Da können wir ja beruhigt sein. Dann ist das Problem in den besten Händen. ({0}) Böswilligkeit und Panikmache sind dann für Sie bestimmt Verlautbarungen von Alpenexperten wie Karl Partsch und Reinhard Witt, die sagen: Bei dem Schneckentempo, das die verantwortlichen Politiker der CDU/CSU/FDP-Koalition in der Ursachenbekämpfung des Waldsterbens an den Tag legen, werden große Teile des Schutzwaldes in naher Zukunft absterben. Optimistisch geschaut trennen uns von diesem Punkt 10 bis 20 Jahre, pessimistisch nur 5 bis 10 Jahre. ({1}) Sollte dies aber trotz der „umsichtigen Politik" der Bundesregierung eintreten, kann sie natürlich auf Grund ihrer „umfassenden Kompetenz" selbstverständlich voraussagen, daß alles nicht so tragisch sein wird. Sie sagt: In keinem Fall wäre die Bewohnbarkeit von ganzen Alpentälern oder gar des gesamten Alpenvorlandes bedroht, wenn die Schutzfunktion des Waldes weiter beeinträchtigt wird. Na ja, kann man sagen, alles paletti. Angesichts dieses enormen Sachverstandes der Bundesregierung ist auch die Aussage der Oberforstdirektion München nur als blanke Makulatur zu bezeichnen. In der Waldfunktionskarte heißt es: Ohne Schutzwald drohen katastrophale Verwüstungen. Schlamm- und Geröllawinen bedrohen die Alpentäler, wenn die Hänge entwaldet sind. Die Ortschaften dort müssen evakuiert werden. Wir haben es gehört: Der erste Ort in der Schweiz ist evakuiert worden. Aber in der Bundesrepublik kann das laut Bundesregierung natürlich alles nicht vorkommen. Ihre Maßnahmen zur Reinhaltung der Luft und zur Verjüngung des Bergwaldes werden dies wirkungsvoll verhindern, weiß sie zu berichten. Der einzige Schönheitsfehler dabei ist bloß: Der dumme Wald hält sich nicht daran. Landwirtschaftsminister Kiechle hat es gesagt: Wir haben heute Schäden von 78 %. Er sollte einmal etwas zu Tanne und Buche sagen. Die sind zu 90 % krank bzw. bereits tot. ({2}) Dies ist eine dramatische Entwicklung, die wegen der Gefährdung der Schutzfunktion des Bergwaldes schlimme Folgen für die Alpen haben wird. Das erklärte der Bayerische CSU-Landwirtschaftsminister Eisenmann ({3}) bei der Vorstellung dieser Zahlen. Vielleicht erinnern Sie sich einmal an diesen Mann. Solche ZahBueb len bedeuten aber auch eine Bankrotterklärung Zimmermannscher Luftreinhaltepolitik. ({4}) Selbst CDU-regierte Länder müssen heute bei der von der Bundesregierung verabschiedeten Novelle zur TA Luft nachbessern. Eine Luftreinhaltepolitik, die nicht nur verbale Kraftakte umfaßt, sondern wirklichen und nachhaltigen Schutz der bedrohten alpinen Lebensräume im Auge hat, muß zu neuen Instrumenten greifen. Eine Schadstoffabgabe ist unabdingbar zur Beschleunigung der Altsanierung. Hier liegt das entscheidende Reinigungspotential der Energiewirtschaft. Das notwendige Erreichen des Emissionsniveaus der 50er Jahre kann anders kaum bewerkstelligt werden. Ebenfalls ist die Bereinigung der umweltfeindlichen Rechtsvorschriften sofort vorzunehmen. Neben der ungenügenden Abgasentgiftung für Kraftfahrzeuge und Tempolimit betrifft dies vor allem das Energiewirtschaftsrecht. Noch immer fehlt im Energiewirtschaftsgesetz von 1935 die Maxime, eine umweltfreundliche Energieversorgung anzustreben und deshalb die billigste und sauberste Energiequelle, nämlich das Energiesparen, verstärkt anzuwenden. ({5}) Daneben ist die umgewandelte Energie besser als bisher auszunutzen, z. B. mit Wärme-KraftKopplung. Die derzeit nur mit Almosen bedachten oder bewußt unterdrückten Möglichkeiten zur Technologieförderung im Bereich der erneuerbaren, umweltfreundlichen Energiequellen, z. B. Geothermik, Solarwasserstofftechnologie, Biomasse, Kleinwindanlagen, sind gerade auch im Alpenraum zu unterstützen und zu fördern. Aber auch bei drastischer Einschränkung der Emissionen, meine Damen und Herren, ist bis zum Ende des Jahrtausends mit dem Verlust etwa der Hälfte der derzeitigen Wälder in den Alpenräumen zu rechnen. Da hilft auch kein Gesundbeten oder Verharmlosen durch die Bundesregierung. Das wird eintreten. Das ist Tatsache. ({6}) Deshalb ist es wichtig, die absterbenden Altbestände so rasch und wirkungsvoll wie möglich zu verjüngen. Die Erfahrungen eines vollen Jahrhunderts haben aber gezeigt, daß die bis heute gehaltenen Bestände an Reh-, Rot- und Gamswild die Naturverjüngung der Bergwälder so gut wie völlig unmöglich gemacht haben. Eine ähnliche, wenn auch bei weitem nicht so gravierende Rolle spielt die auch heute noch großflächig ausgeübte Waldweide mit Schafen und Rindern. Wenn es nicht sehr bald gelingt - hier sind die Landwirte und ihre Verbände, die Jagdgenossen und die Jagdbehörden ebenso angesprochen wie die Jagdbeflissenen und ihr Verband -, die Waldweiderechte rasch abzulösen und die Schalenwildbestände auf ein Maß zu reduzieren, das die natürliche Verjüngung aller standortgerechten Holzarten auf großer Fläche erlaubt, dann sind in den bayerischen Alpen mit Sicherheit unabsehbare Schäden in der Landschaft auf Generationen zu erwarten. Die Bundesregierung hat bisher keinen Willen gezeigt, im Interesse von Wald und Wild eine Verbesserung der Situation einzuleiten. Selbst bei der Jägerschaft beginnt ganz zaghaft das Umdenken, wenn sie sich hier und da zu einer deutlichen Verminderung der Wildbestände bekennt. ({7}) In Notstandsgebieten will der Landesjagdverband Bayern sogar den Totalabschuß freigeben, und in Baden-Württemberg erlaubt eine neue Jagdordnung neuerdings auch die Treibjagd auf Hirsch und Reh, um die Forstschäden zu verringern. Nur in Bonn ist Sendepause, und dabei wird's auch bleiben, solange es diese Bundesregierung gibt. Ziel sei es, so die Bundesregierung, die Bergwälder so naturnah wie möglich zu erhalten. Was ist aber dann mit dem Plan der Bundesregierung, 1992 in Berchtesgarden die Winterolympiade zu veranstalten? Dadurch würde ausgerechnet im zweiten deutschen Nationalpark Natur und Umwelt zusätzlich auf Dauer unerhört belastet. ({8}) Die gewachsene Fremdenverkehrsstruktur, die sich vor allem auf die Kleinbetriebe stützt, würde damit einem ungewissen Schicksal mit Hotel-Monostrukturen überlassen. Wie Hohn muß es in diesem Zusammenhang klingen, wenn die Bundesregierung sagt, der Nationalpark Berchtesgaden sei ein beispielhaftes Schutzgebiet im Sinne der Nationalparkidee. Diese Sprüche sind so doof wie die Diskussion über die Stühle im Ältestenrat. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich kann mich nicht erinnern, ob Sie sich an der Diskussion beteiligt haben. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paintner.

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der deutsche Alpenraum macht zwar nur einen geringen Teil der Gesamtfläche der Bundesrepublik Deutschland aus, er ist jedoch von einigen Besonderheiten gekennzeichnet, die es rechtfertigen, ihm eine große Aufmerksamkeit zu widmen. Es geht ebenso um die Erhaltung der wirtschaftlichen Tragfähigkeit wie um den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in diesem Raum. ({0}) Die Säulen der wirtschaftlichen Entwicklung in den deutschen Alpen sind Landwirtschaft und Tourismus. Beide Wirtschaftsbereiche ergänzen sich sinnvoll. Der Tourismus ist in weiten Teilen ohne die Landwirtschaft sogar nicht denkbar. Die Alm-und Alpwirtschaft leistet wesentliche Beiträge zur Erhaltung der Kulturlandschaft. Es soll nicht verkannt werden, daß es Konflikte zwischen Landwirtschaft, Tourismus und ökologischen Zielen gibt. Ich gehe davon aus, daß die Neuorientierung der Agrarpolitik, vor der wir gegenwärtig stehen, hier Abhilfe schaffen wird. Inzwischen bestreitet niemand mehr, daß im Rahmen dieser Neuorientierung Flächenstillegungen erforderlich sein werden. Die FDP hat schon seit längerer Zeit in einer Konzeption zur Agrarpolitik gefordert - Sie wissen, daß das Gallus-Papier in dieser Woche vorgestellt worden ist -, daß ein wesentlicher Teil der stillzulegenden Flächen dem Naturschutz zuteil werden soll. Hier bietet sich eine große Chance für den Alpenraum. Es kommt darauf an, die ökologischen Ausgleichsflächen dorthin zu legen, wo sie besonders großen ökologischen Nutzen stiften. Auf der anderen Seite muß die Landwirtschaft in bestimmten Regionen des Alpenraumes auch dann erhalten werden, wenn ihr ein erträgliches Auskommen allein durch Umsatzerlöse nicht möglich ist. Die FDP ist hier bereit, direkte Einkommenshilfen wie z. B. die Ausgleichsabgabe und Zulagen mitzutragen. Jedoch sollten diese zu einer Extensivierung der Landbewirtschaftung führen. Dies ist nicht nur wegen der Überschußsituation geboten, sondern in der Regel auch aus ökologischen Gründen sinnvoll. Den Tourismus in seiner Entwicklung zu behindern, würde für den Alpenraum bedeuten, ihm den wirtschaftlichen Lebensnerv abzuschneiden. Es müssen deshalb Mittel und Wege gefunden werden, touristische Aktivitäten und ökologische Erfordernisse soweit wie möglich in Einklang zu bringen. ({1}) - Es ist schon eine Besonderheit, wenn dem Wimmer Hermann der Stuhl zusammenbricht. Das Konzept des sogenannten sanften Tourismus - und das ist ein Wort, das mir als Bayern gar nicht so paßt - bietet hier einen guten Ansatz. Wir könnten es unserer Bevölkerung kaum verständlich machen, unter größeren Opfern, die ich durchaus befürworte, die herrliche Naturwelt des Alpenraumes zu erhalten, ihr aber gleichzeitig zu verwehren, ihn auch als Urlaubslandschaft zu genießen. Von der ethischen Verpflichtung, die Natur im Alpenraum gegebenenfalls auch unter erheblichen Opfern zu schützen, kann uns niemand freisprechen. Die Antwort der Bundesregierung, daß in den nächsten 10 bis 30 Jahren zahlreiche Arten vom Aussterben bedroht sein werden, muß uns mit großter Besorgnis erfüllen. Deshalb müssen wir bestimmte Lebensräume noch stärker als bisher schützen. Aber nicht durch Aussperren der Bevölkerung aus der Region, sondern durch gezielten Biotopschutz sichern wir das Überleben der gefährdeten Arten. ({2}) Hier setze ich große Hoffnungen in den Entwurf des Bundesnaturschutzgesetzes, den die Bundesregierung diesem Hohen Hause demnächst zur Beratung vorlegen wird. Der darin vorgesehenen Bestimmung, daß zerstörende Veränderungen oder sonstige nachhaltige Beeinträchtigungen bestimmter Biotope grundsätzlich untersagt und nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen zugelassen sein sollen, wird die FDP ihre Stimme nicht versagen. Große Verdienste um den Schutz der Natur im Alpenraum kommen den Verbänden zu - das ist heute schon einige Male gesagt worden -, deren Aktivität gar nicht mehr wegzudenken ist und gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Mein Dank an die vielen Engagierten, die hier in der Regel ohne jedes Entgelt mitwirken, ist als Anerkennung zu werten, mehr noch: Es wird diesen Personenkreis freuen, wenn seine Arbeit Früchte trägt, ein weiterer Grund auch seitens der öffentlichen Hand hier großes Engagement an den Tag zu legen. Die rapide Entwicklung der Waldschäden in den Alpen bereitet große Sorgen und ist sicher zur Zeit eine der zentralen Fragen des Alpenraumes. Aber nicht nur die Bundesrepublik, sondern auch die Alpengebiete unserer Nachbarstaaten sind betroffen. Die bedrohliche Entwicklung in den Alpen hat sich bereits 1983/84 abgezeichnet. Die Abnahme der Vitalität des Bergwaldes muß uns mit besonders großer Sorge erfüllen, weil die Folgen einer auch nur teilweisen Entwaldung im Gebirge viel gravierender wären als im Flachland oder in den Mittelgebirgen. Ein Verlust der mittelstark und stark geschädigten Bäume birgt in vielen Fällen die Gefahr, daß die Schutzfunktion der Bergwaldbestände so weit geschwächt wird, daß z. B. Schneebewegungen, die bisher im bewaldeten Bereich zur Ruhe gekommen sind, als Lawinen den Schutzwald verlassen und regelmäßig Siedlungen und Verkehrswege gefährden. Wenn sich die Entwicklung der letzten Jahre fortsetzt, kann man unterstellen - so sagen die Wissenschaftler -, daß größere Zusammenbrüche von Schutzwäldern und, als Folge davon, vermehrte Lawinenabgänge wohl erst in 10 bis 15 Jahren eintreten werden, falls das absterbende Holz stehen bliebe. Wir dürfen die Zeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. Wir müssen heute handeln, um Schlimmeres zu verhüten. Als erstes stellt sich natürlich die Aufgabe einer drastischen Verringerung der Schadstoffbelastung der Luft. Dies ist auch in dieser Woche schon oft gesagt worden, aber ich meine, diese Wahrheit muß man ständig wiederholen. Die Bundesregierung hat nicht letzte wissenschaftliche Beweise abgewartet, sondern im RahDeutscher Bundestag - 10. ahlperiode Paintner men einer umfassenden Vorsorgestrategie bahnbrechende Maßnahmen eingeleitet, die in Europa beispielhaft sind. ({3}) Ich nenne vor allem den Erlaß der Großfeuerungsanlagen-Verordnung, die Novellierung der TA Luft und des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie die EG-weite Einführung der abgasarmen Kraftfahrzeuge. Ergänzt wird dies durch internationale Vereinbarungen wie die Unterzeichnung des Protokolls von Helsinki durch 21 Staaten. Unter anderem haben sich alle unseren Grenznachbarn völkerrechtlich verbindlich verpflichtet, ihre S02-Emissionen oder deren grenzüberschreitende Ströme bis 1993 um mindestens 30% zu reduzieren. Ich meine, dies ist ein guter Anfang. Leider sind diese Bemühungen wiederholt am Widerstand der damaligen Koalition gescheitert. Ich sage Ihnen nur das eine: Wir lassen uns die erfolgreiche Umweltpolitik von der Opposition nicht zerreden. ({4}) Die Bundesrepublik Deutschland hat in Europa auf dem Gebiet der Luftreinhaltepolitik eine Schrittmacherrolle übernommen. ({5}) Ganz selbstverständlich für mich ist aber auch, daß die Forschungen zur weiteren Untersuchung der Waldschäden mit Nachdruck fortgeführt werden müssen. In den Alpen hat sich der Waldzustand stark verschlechtert. Im Gebiet zwichen Alpen und Donau sind leichte Verbesserungen eingetreten. Das wirft natürlich Fragen auf und dürfte meines Erachtens diese Region zu einem besonders interessanten und wichtigen Untersuchungsgebiet machen. Auch die Forschungen über verbesserte und neue Technologien zur Verminderung des Schadstoffausstoßes in die Luft haben hohe Priorität. Jede Chance für weitere Minderungsmaßnahmen muß genutzt werden. Trotz des gewaltigen Schrittes, den wir durch die neuen Maßnahmen gemacht haben, darf es keinen Stillstand in der Luftreinhaltepolitik geben. Die Waldschäden müssen uns eine ernste Lehre für die Zukunft sein. Zum Schutz der menschlichen Gesundheit, zum Schutz der empfindlichen Teile von Natur und Landschaft, zum Schutz der Gebäude, baulichen Anlagen und Kulturdenkmäler sowie zur Sicherung der Existenzgrundlagen der Menschheit muß eine konsequente Vorsorgepolitik bei der Luftreinhaltung und in den anderen Bereichen des Umweltschutzes fortgeführt werden. Ergänzend zu den Luftreinhaltemaßnahmen müssen aber auch alle sinnvollen forstwirtschaftlichen Maßnahmen getroffen werden, die dazu beitragen können, die Widerstandsfähigkeit der Bergwälder zu verbessern und die gegebenenfalls erforderlichen Verjüngungen einzuleiten und zu sichern. Für den Waldbau sind die Länder zuständig und damit zu wirksamen Maßnahmen aufgefordert. Der Bund kann die Länder nur im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes" unterstützen. Eine Mitfinanzierungskompetenz des Bundes ist also nur für solche forstwirtschaftlichen Maßnahmen gegeben, die eine strukturverbessernde Wirkung haben. Mit den bereits 1984 neu eingeführten Förderungsmaßnahmen der forstlichen, der mehrmaligen Bestandespflege, des Vor- und Unterbaus und der Wiederaufforstung wird dieser gesetzliche Rahmen bereits voll ausgeschöpft. Es ist nun Sache der Länder, diese Möglichkeiten voll zu nutzen. Auch Bergwälder zeichnen sich durch eine enorme Reproduktionskraft aus. Sie ist aber jahrzehntelang durch Verbißschäden des Schalenwildes nicht ausreichend zum Tragen gekommen. Auch dies ist heute schon betont worden, aber ich will es wiederholen. Während über 120 Jahre alte Bergwälder noch 19 % Buche und 12 % Tanne aufweisen, ist in der jüngsten Altersklasse bis zu 20 Jahren der Anteil der Buche auf 10 % und der der Tanne auf 2 % abgesunken. Das kann nicht länger hingenommen werden. Die bayerische Staatsregierung hat hier in vorbildlicher Weise Maßnahmen eingeleitet, um die tragbare Schalenwilddichte besser einschätzen zu können, die Abschußplanungen anzupassen, die Erfüllung der Abschußpläne zu erleichtern und einem Unterschreiten der Abschußpläne wirksam zu begegnen. Es darf hier keine Tabus geben. Eine Gefährdung des Bestandes an Reh- und Damwild ist nicht gegeben. Wir brauchen in einer Reihe von Gebieten eine erhebliche Reduzierung der zu großen Wildbestände. Der gesetzlich festgelegte Vorrang des Waldes, insbesondere des Bergwaldes, vor den Interessen der Jagd muß in jedem Falle gewahrt werden. Lassen Sie mich noch eine letzte Bemerkung machen. Die Waldschäden erfordern zusätzliche Arbeit in Forstbetrieben und in der Forstverwaltung. Die Forstmänner tun ihr Bestes. Wenn ihnen die Arbeit über den Kopf wächst, ist auch ihr Engagement überfordert. Die Politik hat die Pflicht, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß die Forstwirtschaft den höheren Belastungen und den höheren Anforderungen gerecht werden kann. Dazu gehört auch eine ausreichende Ausstattung mit finanziellen Mitteln und Personal. ({6}) Mir ist bewußt, daß eine solche Aussage nicht in die haushaltspolitische Landschaft paßt, auch nicht in die haushaltspolitische Landschaft der Länder, die davon in erster Linie betroffen sind. Dennoch muß hier nach wirksamen Wegen gesucht und müssen Hilfen geboten werden, weil es um die Sicherung unserer natürlichen Grundlagen geht, um die Erhaltung unserer schönen Heimat, um die schönen deutschen Alpengebiete und um die Sicherung der Zukunft unserer Kinder. Herzlichen Dank. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Staatsminister Schmidhuber. Staatsminister Schmidhuber ({0}): Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mit der Großen Anfrage der SPD wird der Eindruck erweckt, unser deutscher Alpenraum wäre einer fortschreitenden Umweltzerstörung ausgesetzt und es bestünde beim Bund wie auch beim Freistaat Bayern, in dem der Alpenraum j a ausschließlich liegt, ein Planungs- oder Vollzugsdefizit. Davon kann keine Rede sein. Bayern hat sich schon sehr frühzeitig - in der Debatte ist schon mehrmals darauf hingewiesen worden -, lange bevor der Begriff Umweltschutz Bestandteil des gängigen politischen Vokabulars geworden ist, der ökologischen Probleme des Alpenraums angenommen. Dabei war und ist allerdings auch zu berücksichtigen, daß das Alpengebiet auch Lebens- und Wirtschaftsraum für fast 1 Million Einwohner und Erholungsraum für zirka 4 Millionen Urlauber ist. Der Fremdenverkehr ist seit mehr als 100 Jahren eine substantielle wirtschaftliche Grundlage für den Alpenraum, und genauso alt sind auch bereits die Klagen über die hieraus folgenden Belastungen. ({1}) - Diese Schlußfolgerung ziehen Sie, nicht wir. - Ich darf dazu nur eine Bemerkung des zumindest in Süddeutschland wohl bekannten frühen Alpenreisenden Ludwig Steub zitieren, der im letzten Jahrhundert geschrieben hat: Vor allem ist das neue, geräuschvoll wimmelnde Leben zu schildern, das sich jetzt in unserem Gebirge auftut. Die Eisenbahn bringt nie gesehene Schwärme deutscher Ausländer herbei, Westfalen, Niedersachsen und Friesen, Holsteiner, Mecklenburger, Pommern usw. Ich will mit diesem Zitat nicht von den Problemen, die der heutige Massentourismus mit sich bringt, ablenken. Aber wir müssen uns bewußt sein, daß der Fremdenverkehr im Alpenraum als Erwerbsgrundlage für die Bevölkerung unverzichtbar ist. Um die damit verbundenen Eingriffe in Natur und Landschaft so weit wie möglich zu begrenzen, hat Bayern mit dem sogenannten Alpenplan schon 1972 ein Instrument geschaffen, durch das eine wirksame Steuerung des Erholungsverkehrs erreicht wurde. Dieser Plan teilt das Alpengebiet in drei Zonen. In der Zone C, die ca. 42 % des bayerischen Alpenraums umfaßt, ist jede Erschließungsmaßnahme - mit Ausnahme von Forst- und Almwegen - landesplanerisch unzulässig. In der Zone B, die ca. 23 % des bayerischen Alpenraums umfaßt, kommen Erschließungsmaßnahmen nur nach sorgfältiger und eingehender Abwägung mit anderen Belangen, insbesondere des Natur- und Landschaftsschutzes, in Betracht. Lediglich in den verbleibenden 35% des bayerischen Alpenraums, die der Zone A zugeordnet sind, ist die Errichtung weiterer Erschließungsanlagen grundsätzlich unbedenklich. ({2}) - Zum Truppenübungsplatz Oberjettenberg ist zu sagen, daß die bayerische Staatsregierung darauf bestehen wird, daß die Belange des Landschafts- nd Naturschutzes voll gewahrt werden. ({3}) Ministerpräsident Strauß hat sich in dieser Angelegenheit schon an die Bundesregierung gewandt. Dieser Alpenplan, meine Damen und Herren, hat voll gegriffen. In der Zone C sind z. B. seit 1972 - da hat es die GRÜNEN noch gar nicht gegeben und da war dieses Thema auch noch unpopulär, meine Damen und Herren - keine Bergbahnen mehr gebaut worden. Insgesamt nahm der Bestand an Bergbahnen seit 1972 nur noch um rund 15% zu, nachdem er sich vorher innerhalb von zwei Jahrzehnten nahezu verdoppelt hatte. Der Alpenplan war auch beispielgebend für die benachbarten Alpenländer. So stellt der 4. Raumordnungsbericht der Österreichischen Raumordnungskommission von 1984 fest, daß die vom Land Tirol ausgewiesenen Ruhegebiete in Anlehnung an die Zone C des Bayerischen Alpenplans festgesetzt worden sind. Die CIPRA, die Dachorganisation von Natur- und Umweltschutzverbänden aus den Alpenländern, hat anläßlich ihrer Jahrestagung 1984 an alle Alpenländer den Appell gerichtet, dem Beispiel des Bayerischen Alpenplans zu folgen. Ebenfalls schon im Jahre 1972 wurden weitreichende Sonderregelungen zur Bauleitplanung im Alpen- und Voralpengebiet erlassen, um dem starken Siedlungsdruck zu begegnen. Durch diese Vorgaben, die später in das Landesentwicklungsprogramm übernommen wurden, gelang es, die drohende Zersiedlung abzuwenden und schützenswerte Landschaftsteile freizuhalten. Dabei wurde besondere Aufmerksamkeit den Zweitwohnsitzen gewidmet - im übrigen kein hausgemachtes Problem Bayerns, da nicht nur großstadtmüde Münchner, sondern überwiegend Bürger aus allen Teilen des Bundesgebietes Zweitwohnsitz im Alpenraum anstreben. Die Möglichkeiten zur Errichtung von Zweitwohnsitzen werden künftig noch stärker eingeschränkt sein, nachdem die Bautätigkeit in den drei betroffenen Regionen Allgäu, Oberland und Südostbayern durch Maßnahmen der Raumordnung und der Bauleitplanung auf den örtlichen Bedarf reduziert worden ist. Wesentlich beeinflußt wird das Alpengebiet durch seine Lage zwischen den Wirtschaftsräumen in Mittel- und Nordeuropa und in Südeuropa. Mit dieser Brückenfunktion ist eine erhebliche Verkehrsbelastung verbunden. Allein 60 % der bayerischen Agrarexporte gehen nach Italien. Das bedeutet z. B., daß täglich 180 Lastzüge mit Milch allein aus Bayern den Alpenraum durchqueren. Wer im Sommer seinen Urlaub in Österreich oder Italien verbringen Deutscher Bundestag - 10. ahlperiode Staatsminister Schmidhuber will, kennt die endlosen Fahrzeugschlangen an den Grenzen und damit das hohe Verkehrsaufkommen, das auf den Durchgangsrouten nach Süden bewältigt werden muß. Weitere Verbesserungen bei den Nord-Süd-Verbindungen sind daher dringend erforderlich. Sie müssen in Abstimmung mit den anderen Alpenländern geplant und gebaut werden. Dazu zählt ebenso eine Verbesserung des Grenzübergangs Brenner wie der Bau der Bundesautobahn zur österreichischen Grenze bei Füssen oder auch der Anschluß von Garmisch-Partenkirchen an das Autobahnnetz. ({4}) - Ich würde Ihnen raten, einmal am Samstag- oder Sonntagabend die Nachrichten des Bayerischen Rundfunks zu hören; da können Sie nämlich mit großer Regelmäßigkeit hören, daß drei, vier oder fünf Personen tödlich verunglückt sind. ({5})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Staatsminister, eine Sekunde, bitte!) Herr Mann, ich würde doch einmal darauf achten, was die Zuhörer davon halten, wenn Sie hier die Reden der Kollegen oder des Staatsministers als Unfug bezeichnen. Das würde ich mir doch einmal überlegen! ({0}) - Ich kann Ihnen auch Ordnungsrufe erteilen, wenn Sie wollen! ({1}) Ich bitte Sie doch, ein bißchen Zurückhaltung zu üben. Bitte sehr. Staatsminister Schmidhuber ({2}): Nicht zuletzt die Aufnahme des Umweltschutzes als Staatsziel in die Bayerische Verfassung wird dazu führen, daß möglichst umweltfreundliche Lösungen angestrebt und die Eingriffe in Natur und Landschaft auf den unvermeidbaren Umfang beschränkt werden. Das Hauptproblem im Alpenraum, mit dem wir uns heute befassen - dies ist hier in verschiedenen Beiträgen schon angeklungen -, sind die Schäden am Bergwald. Nach der Schadenserhebung '85 sind in vielen Gebieten Bayerns die Waldschäden auf Grund der günstigen Witterung und der starken Minderung der Schwefeldioxidimmissionen zurückgegangen. Im Hochgebirge dagegen haben die Schadflächen insgesamt und auch die starken Schäden zugenommen. ({3}) - Sie können sich setzen; ich lasse keine Zwischenfragen zu. ({4}) Etwa die Hälfte der Bäume im Gebirgswald zeigt deutliche Schäden; 1984 war es erst ein Drittel. Die bayerische Staatsregierung hat alles in ihrer Macht Stehende getan, um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. So wurde der Ausstoß von Schwefeldioxid bei den Kraftwerken von 430 000 t im Jahre 1976 auf derzeit 100 000 t, also auf weniger als ein Viertel, vermindert. Bei den privaten Haushalten wurden die S02-Emissionen halbiert. Diese Verringerung ergab sich auf Grund von Energiesparmaßnahmen, durch den Einbau von Anlagen zur Rauchgasentschwefelung in Kraftwerken, durch die reduzierte Nutzung bzw. die Stillegung von Altanlagen und insbesondere durch den konsequenten Ausbau der Kernenergie in der öffentlichen Elektrizitätswirtschaft; ({5}) die Kernenergie hat in Bayern in der Grundlast inzwischen einen Anteil von 50 % erreicht. Auf die Reduzierung der Stickoxide und der Kohlenwasserstoffe, die für die Waldschäden von den meisten Sachverständigen in erster Linie verantwortlich gemacht werden, kann auf Landesebene nicht entscheidend eingewirkt werden. Hauptemittenten dieser Schadstoffe sind die Kraftfahrzeuge. Die bayerische Staatsregierung begrüßt deshalb den Beschluß der Bundesregierung, ab 1986 die Mineralölsteuer auf bleifreies Benzin um weitere drei Pfennig je Liter zu ermäßigen, und wertet dies als einen wichtigen Beitrag zur Förderung des abgasarmen Pkw, durch dessen verstärkten Absatz ein entscheidender Beitrag zur Verminderung der die Alpenwälder besonders stark belastenden Stickoxidemissionen geleistet werden wird. Entscheidend für die Sicherung des Ökosystems Alpenraum war und ist die Freihaltung ökologisch wertvoller Gebiete von Nutzungen durch den Menschen. Durch eine konsequente Anwendung der im Naturschutzgesetz gegebenen Möglichkeiten hat Bayern umfangreiche Teile des Alpengebietes unter Schutz gestellt. ({6}) Ca. 83 000 ha oder ein Fünftel des bayerischen Alpenraumes sind als Nationalpark oder als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Die bayerische Alpenbiotopkartierung, mit der erstmals eine umfassende ökologische Bestandsaufnahme und Beweissicherung wertvoller Flächen erstellt wurde, haben sich inzwischen auch österreichische Bundesländer zu eigen gemacht. Mit diesen wegen der Kürze der Zeit nur pauschal skizzierten Maßnahmen hat Bayern in den entscheidenden Fachbereichen einen maßgeblichen Beitrag zu einer ausgewogenen Entwicklung des Alpenraums geleistet. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schöfberger.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesminister Kiechle und der Herr Staatsminister Schmidhuber scheinen doch vom Stamme der Großglockner zu sein, wenn sie sagen, die Bundesregierung habe alle Anstrengungen unternommen, um in den Alpen für ökologische und ökonomische Ordnung zu sorgen, oder wenn Herr Schmidhuber meint, die bayerische Staatsregierung habe alles in ihrer Macht Stehende getan. Herr Paintner setzt noch drauf: bahnbrechende Maßnahmen seien eingeleitet worden. Dabei weiß jeder, der die Alpen kennt: Hotelketten und Liftkonzerne, Gletschererschließer sind mächtiger als die Bundesregierung und die bayerische Staatsregierung zusammengenommen. ({0}) Sie prägen das Gesicht mehr als alle Minister in Wien, in München, in Bonn, in Paris, in Rom und in Bern zusammengenommen. Die Bergwaldabholzer, die Wasserkraftwerksbetreiber, die Wildbachverbauer scheinen einflußreicher zu sein als die hier sprechenden Minister. Wenn Herr Minister Schmidhuber meint, die Sozialdemokraten erweckten mit ihrer Anfrage den Eindruck der fortschreitenden Zerstörung, so ist das nicht wahr. Die Bundesregierung selbst weist dies in ihren Antworten nach, wenn es dort heißt: In den nächsten zehn bis 30 Jahren muß das Aussterben zahlreicher Arten befürchtet werden. ({1}) Was in Hunderten von Millionen Jahren gewachsen ist, wird in den nächsten 10 bis 30 Jahren aussterben. Wer erweckt denn nun den Eindruck, daß die Zeit fortgeschritten ist? 62 % der Waldfläche sind geschädigt. Es handelt sich um die am meisten geschädigte Waldfläche in der Bundesrepublik. Ich habe hier ein interessantes Dokument aus dem Jahre 1979 in der Zeitung „Christ und Welt" gefunden. Da heißt es: Wer in einem Museum ein Kunstwerk beschädigt, den nennen wir kriminell. Wer aber eine Berglandschaft voller Naturwunder zerstört, der darf sich nach wie vor ungestraft und blauäugig Erschließer nennen. ({2}) Es muß aber neu gedacht werden, - heißt es in diesem Dokument weiter wenn nicht in wenigen Jahren die Hochregionen der Alpen als Erbe von europäischem Rang vollends verloren gehen sollen. Deshalb muß endlich ein Anfang gemacht werden mit einer integrierten Raumplanung. Und noch eines ist wichtig: Der rechtzeitige Protest aller Zerstörungsgegner, der einheimischen Skeptiker ebenso wie der Freunde von draußen, ist zu organisieren. Wer schreibt denn das in einem Leserbrief? Dr. Reiner Geißler, Vorsitzender des Alpenvereins in Mainz, Generalsekretär der CDU. Erweckt er denn auch die Eindrücke, daß alles getan würde, oder erweckt er auch den Eindruck, daß die Zerstörung fortschreitet? Wir sprechen heute von der ökonomischen und ökologischen Situation der Alpen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich gestatte mir, das Thema in einen etwas größeren Zusammenhang zu stellen. Die Alpen sind nicht nur eine Naturlandschaft von atemberaubender Schönheit, sie sind auch eine Kulturlandschaft, eine der farbigsten und eindrucksvollsten Kulturlandschaften in Europa. Wer dort widerstandslos die Natur zerstören läßt oder diesen Raubbau auch noch fördert, der vernichtet über kurz oder lang auch ein bedeutendes Stück gemeinsamer europäischer Kultur. Die Alpen sind, wie man bei einem bloßen Blick auf die Europakarte vermuten könnte, nicht ein völkertrennender Felsriegel. Sie haben sich nicht wie andere Hochgebirge der Welt den Menschen versperrt. Sie haben die Menschen angezogen. Kein anderes Hochgebirge der Welt hat die Menschen so verbunden. Auf einer Fläche, die fast so groß ist wie die Bundesrepublik, lebt alte europäische Geschichte weiter. Nicht nur das Alpenhüpfen in St. Moritz und das Après-Ski in Kitzbühel prägen diese Landschaft. Es sind auch nicht nur archäologische Spuren. Nein, diese Geschichte ist sichtbar, hörbar, greifbar, erlebbar, wenn ich an die sieben und 13 Kommunen denke, die im tiefen Italien noch ein altes stehengebliebenes Bayerisch, das Zimbrische, bewahrt haben. Hier findet sich ein vorindogermanisches Alteuropa wieder, ethnische Reste der Etrusker, der Ladiner, der Rätoromanen, das Europa der Römer mit den nordalpinen Provinzen Rätien und Noricum und schließlich das Europa der eingedrungenen Bajuwaren, der Alemannen und der Slowenen. Hier gibt es dieses durch abgeschlossene Bergtäler begünstigte friedliche und tolerante Nebeneinander von 45 Volksstämmen in den Alpen. Man sehe sich das Denkmal des Kaisers Augustus am Beginn der Seealpen an; da sind diese 45 Stämme schon verzeichnet! ({3}) Wer auch diese urdemokratische Entwicklung sieht, von der die Eidgenossenschaft noch ein sinnfälliger Ausdruck ist, weiß, daß mit der Natur in den Alpen auch Kultur verlorengeht. ({4}) Ich weiß nicht, ob das bei der Dominanz der fernen Hauptstädte Paris, Wien, Bonn, Rom oder Belgrad so richtig erkannt wird. Das scheint also auch das Problem der Menschen zu sein, die dort wohnen, weil sie sich in diesen fernen Hauptstädten nicht gemeinsam politisch artikulieren können. Und doch gibt es bis auf die heutigen Tage eine völkerverbindende alpine Kultur, die die Menschen mehr verbindet als die Zufälligkeit gemeinsamer Pässe und gemeinsamer Fahnen. Diese gemeinsame Kultur verbindet die Menschen zwischen München und Verona und zwischen Wien und Grenoble. Diese Verbindung reicht von der Baukunst über die Musik bis zur Malerei, von den Trachten bis hin zu den Tänzen, von der Jagdleidenschaft bis zum Essen und Trinken, von barocker Sinnesfreude bis zur Rauflust ({5}) und zu bestimmten Sportarten, die es anderswo nicht gibt. ({6}) Ich glaube, man muß viel von Ökologie sprechen. Aber man muß immer wieder betonen, was damit zusammenhängt, was dazugehört, auch an Baudenkmälern, von der Wieskirche bis zum Brixener Dom, was an Kunst dazugehört, von den Mittenwaldern Geigenbauern bis zu den Holzschnitzern vom Grödner Tal, von der Tiroler Freskenmalerei bis zu Mozart, der, wie alle Musikwissenschaftler bestätigen werden, ohne alpenländische Volksmusik schwer denkbar ist. Ich trage dies nicht im besorgten Ton eines alten Heimatpflegers vor, sondern weil ich wie viele andere Menschen im Alpenraum darunter leide, wie mit der Natur- die Kulturzerstörung einhergeht. Wir wissen zu gut, wie dreckig es den Bergbauern geht, wie wenig man mit der Almwirtschaft noch ein Geschäft machen kann. Wir wissen, daß es seit der Erstbesteigung des Matterhorns 1865 durch den Engländer Edward Whymper mit der unbefleckten Empfängnis aus ist, daß heute 40 Millionen Touristen jährlich in die Alpen einströmen, daß es dort 250 Millionen Übernachtungen im Jahr gibt, daß sich selbst an einem Wochenende winters wie sommers 2 Millionen Menschen im Alpenraum aufhalten. Wir wissen, daß dieser Tourismus einen Siedlungsdruck ausübt. Wir würden es allen Menschen gönnen, die Schönheit der Alpen zu erleben. Wir würden es allen deutschen Pensionisten gönnen, dort einen Zweitwohnsitz zu haben. Aber die Alpen halten das nicht mehr aus. Sie ertragen das nicht mehr. Sie werden zersiedelt. Die Wasserkraftwerke und die Eisenbahnfernstrecken und die Autobahnen und die Panoramastraßen und die Forst- und Almwege und alles, was zum Siedlungsdruck gehört, die Industrieansiedlungen in den Alpentälern, das beklagen wir, und wir rufen auf, dies nicht mehr so treiben zu lassen. Die Menschen im Gebirge brauchen eine Verdienstchance. Ohne Tourismus hätten sie längst abwandern müssen. Sie könnten das karge Leben nicht führen. Unser Problem ist also nicht das Ob, sondern das Wie, das Wieviel, das Maß und das Ziel in den Alpen. Es gibt dort 13 000 Lifte. Wer bequem zum Bergsteigen oder Skifahren auf einen Berg hinauf will, findet doch eigentlich Gelegenheit. Es muß keiner mehr gebaut werden. Das reicht in die Haut hinein. ({7}) Es gibt dort 200 km Skipisten. Warum muß denn die letzte Gletscherregion vom Wintergebiet zum Sommergebiet gemacht werden, damit noch Tausende mehr glauben, im Sommer sei der Winter ausgebrochen?

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, würden Sie Ihre Rede beenden? Die Zeit ist abgelaufen.

Dr. Rudolf Schöfberger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002054, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich beende meine Rede. Wir Sozialdemokraten möchten die Bundesregierung auffordern, zusammen mit allen alpenländischen Anrainerstaaten, wie die Österreicher sagen, alsbald eine internationale Alpenschutzkonferenz einzuberufen, deren Ziel es ist, diese großartige Natur- und Kulturlandschaft der Alpen vor weiterer schamloser Ausbeutung und gnadenloser Vernichtung im Namen des Profits zu bewahren. Noch ist es nicht zu spät. Noch ist Zeit dafür vorhanden. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brunner.

Josef Adalbert Brunner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000282, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der heutigen Debatte haben wir uns mit einer Region zu beschäftigen, die zu einer der schönsten in der Bundesrepublik und in Europa gehört. Wenngleich wir nur einen relativ kleinen Bereich des Alpenmassivs und der den Alpen vorgelagerten Räume in unseren Landesgrenzen haben, so galt dieser in jeder Beziehung attraktiven Landschaft doch schon immer die besondere Aufmerksamkeit der bayerischen Staatsregierung und dieser Bundesregierung. In der Präambel zur Antwort auf die Große Anfrage der SPD ist in vier Punkten dargestellt, welche besondere Bedeutung das Alpengebiet für die dort lebende Bevölkerung hat. Ferner ist die Funktion des Erholungsraumes für Millionen unserer Mitbürger, aber auch für sehr viele Besucher aus dem Ausland deutlich herausgestellt. Vermerkt werden muß, daß nicht nur die landschaftliche Schönheit der Berge als Anziehungspunkt wirkt. Die Wertschätzung, die einst bayerische Stammesfürsten der Kunst in der Architektur entgegengebracht haben, wirkt ebenfalls heute noch einladend auf die Besucher. Selten gewordene Pflanzen und Tierarten haben hier ihre Lebensstätte, und dem Alpenraum kommt eine bedeutende ökologische Funktion im Naturhaushalt zu. Meine sehr verehrten Damen und Herren, bevor ich auf Einzelheiten zur vorliegenden Großen Anfrage eingehe, darf ich feststellen, daß weder mit Großen Anfragen noch mit Aktuellen Stunden die Situation des Waldes und des Alpenraumes zu verbessern ist, wie Sie, meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, es des öfteren hier versuchen. Diese Bundesregierung hat in knapp drei Jahren für die Reinhaltung der Luft und damit gegen die Schadstoffeinwirkungen auf die Natur weit mehr getan als die Regierungen Schmidt und Brandt in den 13 Jahren zuvor. Emissionen entstehen aber nicht nur bei uns, sondern länderübergreifend. Deswegen hat Bundesminister Dr. Zimmermann im vorigen Jahr bereits eine europaweite Umweltkonferenz einberufen, um international den Schadstoffeinträgen ein gemeinsames Handeln entgegenzusetzen. Das Ausmaß der Waldschäden in Bayern hat in der Öffentlichkeit das Verständnis für die Belange des Waldes und die Sorge um die Walderhaltung verstärkt. Dies war nicht zuletzt auch der Anlaß für die Änderung der Bayerischen Verfassung zum 1. Juli 1984, die nunmehr den Schutz des Waldes wegen seiner besonderen Bedeutung für den Naturhaushalt ausdrücklich hervorhebt. Noch stärker als zuvor sind deshalb alle zuständigen Stellen verpflichtet, ihren Beitrag zum Schutz und zur Erhaltung des Waldes zu leisten. Ein weiterer Schwerpunkt der Forstpolitik lag im Jahr 1984 in der Einleitung von Maßnahmen zu einem verstärkten Schutz des Bergwaldes. Auf der Grundlage zweier hierzu ergangener Beschlüsse des Bayerischen Landtages vom 5. Juni 1984 wurden die seit Jahren unternommenen Anstrengungen der Staatsforstverwaltung zu einem verbesserten Schutz der Wälder im bayerischen Hoch- und Mittelgebirge mit neuen Impulsen belebt. Die Erhaltung der Schutzwirkung des Bergwaldes wurde dabei als oberstes Gebot erneut herausgestellt. Dies erfordert a) eine waldbauliche Behandlung der Bergwälder, die so naturnah wie möglich ist, b) eine verstärkte Initiative zur Trennung von Wald und Weide - beispielsweise auch die Anhebung der Ablösungsbeträge für Weiderechte -, c) eine Reihe jagdlicher Maßnahmen mit dem Ziel, tragbare Schalenwilddichten zu erreichen und somit die im Bergwald vorkommenden Hauptbaumarten, insbesondere Tannen und Laubholz, auch außerhalb von Schutzzäunen verjüngen zu können, und d) einen allgemeinen Verzicht auf die Rodung von Bergwald für Freizeiteinrichtungen und Infrastrukturmaßnahmen. Die Erfassung abrutschgefährdeter Berghänge im oberbayerischen Alpenraum wurde 1984 abgeschlossen. Damit ist für den Hochgebirgswald aller Besitzarten eine wichtige Grundlage für eine gezielte und funktionsgerechte Waldbehandlung gegeben. Die Auswertung der Ergebnise sowie die kartenmäßige Darstellung werden demnächst vorliegen. Die Waldschadenserhebung aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für 1985 zeigt hier eine leichte Besserung an. Der Wald erholt sich in Teilbereichen auf Grund günstiger Witterungsverhältnisse, aber auch sich verbessernder Umweltverhältnisse. Nun zur ökonomischen Situation des Alpenraumes: Die Besiedelung des Alpenraumes hat eine lange Geschichte. Die dort lebenden Menschen hatten kein einfaches Dasein. Doch zu allen Zeiten hat die Bevölkerung der Alpentäler und des Voralpenraumes in heimatlicher Verwurzelung mit der Natur gerungen und um ihre wirtschaftliche Existenz gekämpft. Dank des technischen Fortschritts und verständnisvoller Begleitung durch Politik und Wirtschaft konnten die Lebensverhältnisse erträglicher gestaltet werden. Politik und Wirtschaft müssen dies weiter fördern und dabei den Besonderheiten vom Umwelt und Klima ausreichend Rechnung tragen. Bisher ist es gelungen, emittierende Industrien weitgehend von dort fernzuhalten. Umweltfreundliche Industrieanlagen und eine sinnvolle Förderung des Fremdenverkehrs in Bayern haben immer bessere wirtschaftliche Voraussetzungen geschaffen. Auf die Förderung der Landwirtschaft, die hier unter oft schwierigsten Bedingungen wirtschaftet, wurde ein besonderes Augenmerk gerichtet. Auf Grund der gegebenen klimatischen und geographischen Bedingungen kommt der Milchviehhaltung und der Waldbewirtschaftung eine besondere Bedeutung zu. Die Bundesregierung hat diese Situation bei der notwendig gewordenen Milchregelung und bei den Strukturprogrammen für benachteiligte Gebiete in besonderer Weise berücksichtigt. Die Landwirte in den Bergregionen wurden von der Zahlung einer Mitverantwortungsabgabe befreit und bei der Festlegung der Referenzmengen begünstigt. Für das Grünland- und Bergbauernprogramm in Bayern wird der Höchstsatz angewendet. Die Sondermaßnahmen für die Landwirtschaft stellen die Voraussetzungen dar, damit der Fremdenverkehr seine Funktion als Motor für die Wirtschaftskraft des Alpenraumes erbringen kann. Auch hier gilt: Ökonomie und Ökologie ergänzen sich. Schönen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).

Manfred Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002011, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsidentin! Ich freue mich immer, wenn wir solche Debatten erleben, weil wir da immer feststellen können, wie begeistert manche von ihrer eigenen Tätigkeit sind. Herr Minister Schmidhuber hat wieder etwas gemacht, was die CSU bei ihren Wahlkämpfen zu machen pflegt, ({0}) nämlich den Eindruck zu erwecken, die größte Leistung der CSU sei es, daß es in Bayern so schön ist. Da kann man ihm zustimmen: Sie haben zwar nichts dazu beigetragen, aber Sie versuchen, den Eindruck zu erwecken, daß jeder glaubt, daß das im Grunde nicht der Schöpfer, wer er auch immer ist, sondern die CSU geschaffen hat. Da steht z. B. in einer Antwort der Bundesregierung, daß wir bestimmte Arten nur über Samenbanken aufrechterhalten können. Wir müssen den Samen konservieren, damit wir diesen Samen in besseren Zeiten vielleicht wieder aussäen können. Aber Herr Schmidhuber sagt nicht: Das ist alles ganz schrecklich, sondern er sagt: Es ist doch Schmidt ({1}) schrecklich, daß jemand den Eindruck zu erwecken versucht, daß alles ganz schrecklich ist. ({2}) Ich meine, das ist eine Politik des Augenverschließens, die wir nicht mitmachen können. Herr Kollege Brunner, ich freue mich immer sehr, wenn ich von ständig verstärkten Impulsen höre. Der Bergwald ist leider zu dumm, um zu merken, daß diese Impulse ständig auf ihn zukommen; er reagiert nicht darauf. Da ist er selber schuld. Während die bayerische Staatsregierung einen Impuls nach dem anderen aussendet, reagiert der dumme Bergwald leider Gottes nicht auf die Impulse der bayerischen Staatsregierung. ({3}) Herr Kiechle, ich möchte Ihnen ausdrücklich das Bemühen bestätigen, diese Anfrage sorgfältig zu beantworten. Gerade weil ich den Eindruck habe, daß es eine sorgfältige Arbeit ist, erschrecken mich die Defizite, die auftauchen, um so mehr. Zum Beispiel gibt es ganz offensichtlich kein Kataster der jetzt noch existierenden Pflanzen in der Alpenregion und eine Fortschreibung dessen, was dort ständig verschwindet. Das gibt es offensichtlich auch nicht in bezug auf die Tiere. Das entnehme ich jedenfalls der Antwort der Bundesregierung. Wir wissen nicht einmal, was da ständig passiert. Aber die bayerische Staatsregierung sendet einen Impuls nach dem anderen aus. Wenn ich von Ihnen, Frau Kollegin Geiger, höre, wie gut das bayerische Jagdgesetz ist, muß ich mich fragen, warum sogar einer der CSU-Kollegen im Bayerischen Landtag, der gleichzeitig Vorsitzender des Jagdverbandes ist, jetzt an alle seine Kollegen einen Brief geschrieben hat, daß sie nun doch über das Jagdgesetz hinausgehen müßten, sonst würden sie zunehmendem Druck ausgesetzt, und das Ganze würde soviel schrecklicher, weshalb es besser sei, man würde jetzt noch mehr abschießen. Wenn man das alles hört, versteht man überhaupt nicht, wie sich jemand hier hinstellen und die wirklich dramatische Situation verharmlosen kann. Mir geht es gar nicht darum, Herr Minister Schmidhuber, parteipolitisches Kapital daraus zu schlagen. Ich wehre mich nur dagegen, daß man den Eindruck erweckt - das genau ist nämlich falsch -, als sei alles so phantastisch, daß jeder, der Fragen stellt und Sorgen äußert, im Grunde genommen einen Frevel begeht. ({4}) So ist es nicht, sondern wir müssen uns alle überlegen, was wir tun können. Daß der Herr Kollege Paintner in der Zwischenzeit geradezu enthusiastisch die Leistungen dieser Regierung im Bereich des Umweltschutzes feiert und die alte Regierung angreift, in der die FDP im übrigen mit dem Umweltminister und dem Grafen Lambsdorff ständig den Mann im Bremserhäuschen gestellt hat, ist auch eine der Besonderheiten, denen wir hier ausgesetzt sind. ({5}) Ich möchte, nachdem die Zeit auf die Fraktion aufgeteilt wurde und für mich sehr wenig übriggeblieben ist, nur ganz wenige Probleme ansprechen. Zum Tourismus hat der Kollege Schöfberger schon ganz kurz etwas gesagt, auch zu den mit dem Skifahren und der ganzjährigen Saison verbundenen Gefahren. Ich meine, daß die Forderung, daß endlich Schluß sein muß mit der weiteren Erschließung der Alpen durch Skipisten, ganz berechtigt ist. Wir müssen aber auch sagen: Es muß Schluß damit sein, Skipisten wie Autobahnen auszubauen, zu planieren und damit zu bewirken, daß beispielsweise in einer einzigen Skipiste in Österreich in ganz kurzer Zeit 120 Millionen Kubikmeter Wasser zu Tal schießen und damit Wald und Erde mitreißen. Die Verdichtung, die von den Planierraupen hervorgerufen wird, geht bis zu 15 cm tief. In den so behandelten Gebieten wächst in den höheren Regionen bis zu 500 Jahren nichts mehr. In diesem Zusammenhang auch ein Wort zu den Olympischen Spielen. Ich meine - darüber sollte die CSU-Staatsregierung noch einmal nachdenken -, solange sich das Internationale Olympische Komitee - hier wäre ein Umdenkprozeß auch unter dem Gesichtspunkt der Ökologie erforderlich - nicht dazu bereit erklärt, auch Bewerbungen von mehreren Orten oder einer etwas weiteren Region zu akzeptieren, sollten wir darauf verzichten, mit Berchtesgaden allein anzutreten. Wenn wir Berchtesgaden und Garmisch hätten, bräuchten wir überhaupt nicht in die Landschaft einzugreifen. Dann wären alle Einrichtungen vorhanden. Die Bewerbung allein eines Ortes wie Berchtesgaden zieht erhebliche Eingriffe in die Natur nach sich. ({6}) Aus diesem Grunde wiederhole ich meinen Vorschlag, sich nicht zu bewerben, solange kein Umdenkprozeß stattgefunden hat. Im übrigen möchte ich dazu sagen: Wenn das Olympische Komitee Städte wie Los Angeles akzeptiert, die fast so groß sind wie halb Bayern, könnte man durchaus auch einen Raum wie denjenigen, um den es sich hier handelt, insgesamt akzeptieren. Ich möchte auch noch etwas zum Siedlungsdruck sagen. Herr Kollege Schmidhuber hat gesagt: Der Zweitwohnungsbau wird noch weiter eingeschränkt. Sie waren es doch, die alle Anträge der Opposition auf Einführung einer Zweitwohnungssteuer abgelehnt haben, obwohl diese Forderung von allen CSU-Bürgermeistern in den betroffenen Gebieten unterstützt wurde. ({7}) Mit diesem Unfug muß Schluß sein. Das sollte man einmal sagen. Es muß auch Schluß damit sein - das betrifft den Bundesgesetzgeber -, daß wir diesen Wohnungsbau auch noch steuerlich fördern. ({8}) Schmidt ({9}) - Ach, mein Gott, wenn Ihnen überhaupt nichts mehr außer der Neuen Heimat einfällt und wenn Sie das wie eine tibetanische Gebetsmühle immer so vor sich her schwenken, dann tun Sie mir leid. ({10}) Im übrigen ist der Zweitwohnungsbau in diesem Gebiet nicht von der Neuen Heimat, sondern das machen eher die Leute, für die Sie in diesem Hause ständig Politik machen. ({11}) Sie sollten aufhören, den Zweitwohnungsbau steuerlich zu fördern. Damit würde eine wesentliche Entlastung des wunderbaren Alpenraumes eintreten. Es ist noch viel zu tun. Durch unsere Anfrage haben wir einen Anstoß gegeben. Ich glaube, wir sollten heute keineswegs zufrieden sein. Wir müssen weiterarbeiten. Wir brauchen auch die Alpenschutzkonferenz, damit die Alpen als eine der großartigsten Kulturlandschaften erhalten werden, die es auf dieser Erde noch gibt. Herzlichen Dank. ({12})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zum Entschließungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/4150. Es ist beantragt, diesen Entschließungsantrag zu überweisen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - federführend - und zur Mitberatung an den Innenausschuß. Gibt es noch weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Das Haus ist damit einverstanden? - Dann ist es so beschlossen. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Haushaltsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Abgeordneten Kleinert ({1}), Dr. Müller ({2}), Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN Ökologischer Nachtragshaushalt - Drucksachen 10/3497, 10/3828 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({3}) Hoppe Wieczorek ({4}) Dr. Müller ({5}) Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Einverständnis? - Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Müller ({6}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! ({0}) - Letztes Mal haben sie sich darüber mokiert, daß ich eine Krawatte anhabe. Ich bin nun wirklich flexibel. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Fünf Minuten sind sehr kurz, Herr Kollege. ({0})

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir haben- in unserem Antrag, den wir vorgelegt haben, die Bundesregierung aufgefordert, einer parlamentarischen Initiative zu folgen, nach der so schnell wie möglich ein ökologischer Nachtragshaushalt vorgelegt werden muß, um zwei ernstzunehmende Probleme zu lösen bzw. endlich einmal anzugehen, die uns, wie wir hier immer wieder hören, so drücken: das Problem der zunehmenden Umweltzerstörung und das Problem der Arbeitslosigkeit. Mit diesem ökologischen Nachtragshaushalt bekennen wir GRÜNE uns zu einer Strategie, in der soziale und ökologische Ziele in einem integrierten Prozeß gemeinsam angegangen werden sollen. Wir bekennen uns mit der Vorlage dieses Antrags auch dazu, daß es zur Lösung dieser beiden Probleme zusätzlichen staatlichen Handelns auf Basis des wachsenden Umweltbewußtseins und der wachsenden gesellschaftlichen Solidarität mit den von Arbeitslosigkeit Bedrohten bedarf. Das ist das entscheidende Politische an diesem ökologischen Nachtragshaushalt. Ich bitte insbesondere die Herren von der SPD, auf dieses Politikum einzugehen. Die GRÜNEN wissen, daß Umweltbewußtsein und soziale Solidarität in dieser Gesellschaft weiter wachsen müssen, um die ökologische Krise und die strukturell bedingte Arbeitslosigkeit zu beseitigen. ({0}) Wir wissen sehr wohl von der Stärke des Gegners. Wir wissen von den Profitinteressen, die natürlich gleichgültig gegenüber dem Schicksal der Arbeitslosen und dem Schicksal unserer Umwelt sind. Wer die Umweltkrise ernst nimmt und wirklich etwas gegen die Arbeitslosigkeit tun will, meine Damen und Herren von der CDU und der FDP, und auch nicht nur darüber reden will, meine Damen und Herren von der SPD, wer also wirklich die notwendigen ersten Schritte machen will, der sollte sich dieser Initiative des ökologischen Nachtragshaushalts anschließen. Die ökologische Krise und die realen Situationen der Arbeitslosen eignen sich nämlich nicht zum Wetteifern beim ideologischen Bekennertum. CDU und FDP, hören Sie auf, die Umweltkrise und die Arbeitslosigkeit dazu zu mißbrauchen, Ihre ideologische Borniertheit in Sachen Arbeit, freier Marktwirtschaft hier darzustellen. Ihre fundamentalistische Haltung in dieser Sache, Dr. Müller ({1}) die allein auf die segensreiche Anarchie des freien Spiels der Kräfte wartet, ({2}) ist nichts anderes als ideologische Selbstbespiegelung auf Kosten konkreter und realistischer Schritte zur Lösung der Umweltkrise und des bedrückenden Schicksals der Arbeitslosen. Wir bekennen uns mit dem Antrag „Ökologischer Nachtragshaushalt", den wir hier gestellt haben, zu einer Strategie, die den notwendigen ökologischen und sozialen Umbau finanziell absichert. Dies ist für uns entscheidend. Wer wirklich etwas erreichen will - deswegen ein ökologischer Nachtragshaushalt -, der muß auch dafür sorgen, daß diese Maßnahmen so schnell wie möglich finanzierbar sind. ({3}) Dies ist natürlich nur durch eine verschärfte, d. h. finanziell wirksame Anwendung des Verursacherprinzips zu erreichen. Wer verdreckt, soll nämlich auch zahlen. Wer ökologisch sinnvoll investiert, soll auch bekommen. Dies ist notwendig, um zu erreichen, daß so schnell wie möglich etwas passiert. Unser Vorschlag würde pro Jahr schätzungsweise 150 000 bis 200 000 Arbeitsplätze schaffen, wenn er kontinuierlich weitergedacht werden würde, dies in den notwendigen Bereichen der Abwasserentgiftung, der Altlastensanierung und - das ist sehr wichtig für Nordrhein-Westfalen - der Entgiftung von Kohlekraftwerken. Weiterhin bringen Investitionen im Bereich der Energieeinsparung und der rationellen Energienutzung auch dort entsprechende Arbeitsplätze. Zusätzlich käme es darauf an, so etwas wie eine umweltverträgliche Verkehrswirtschaft zu entwickeln, um den horrenden Schaden, der heutzutage durch den Individualverkehr, insbesondere durch den Automobilverkehr, angerichtet wird, zu vermeiden. Ich komme zum Ende. Unser Antrag folgt dem Prinzip, das Geld dort zu holen, wo die Verschmutzer sind, und das Geld dorthin zu geben, wo sinnvolle ökologische Maßnahmen und damit auch Arbeitsplätze finanziert werden. Dieser politischen Strategie folgen die Haushaltspolitiker innerhalb der Fraktion DIE GRÜNEN im Bundestag. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Antrag der GRÜNEN zur Schaffung eines ökologischen Nachtragshaushalts verrät wenig umweltpolitischen Sachverstand, Herr Kollege Müller, und zielt genau an den Problemen vorbei. Ich möchte das, was Sie beabsichtigen, in einem Satz festhalten: Sie planen nichts anderes, als dem Bürger und der Industrie riesige Finanzmittel aus der Tasche zu ziehen, um diese dann über einen aufgeblähten Staatsapparat wieder nach dem Gießkannenprinzip zu verteilen. Sie predigen mehr Umweltschutz, wollen aber in Wahrheit mehr Staat, mehr Staatsbürokratie. Während Sie noch von der Neueinrichtung von Bürostuben und gut dotierten neuen Staatsposten träumen, fährt der Zug dagegen bereits in eine umweltfreundlichere Zukunft, was Sie, wie Ihr Antrag ausweist, nicht zur Kenntnis nehmen. Sie können sicher sein, daß wir, weil wir unmittelbar auf Maßnahmen setzen und nicht auf den Umweg über neue Bürokratien, Ihren Antrag ablehnen werden. Wie unzureichend begründet Ihr Antrag ist, sieht man an einer Reihe von falschen Feststellungen, die in dem Antrag getroffen werden. So ist die Kritik der GRÜNEN an der Reinigungsleistung der Abwasserbehandlungsanlagen schlichtweg unbegründet. Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, daß seit 1970 über 50 Milliarden DM in Kanalisation und Kläranlagen gesteckt wurden, womit inzwischen über 90% der Bevölkerung an die Kanalisation angeschlossen sind. Ich frage mich, was Sie eigentlich reitet, daß Sie diese großartige Leistung der Kommunen kritisieren. Das ist eine großartige Leistung, die lange vor Ihrer Existenz entstanden ist und konsequent fortgesetzt wurde. Oder warum gehen Sie bei der Altlastsanierung an den falschen Adressaten, den Bund? Wissen Sie nicht, daß da die Länder zuständig sind, daß der Bund lediglich Forschungs- und Entwicklungsvorhaben in Zusammenarbeit mit anderen Industriestaaten fördern kann und dies bereits umfänglich geschieht? Oder haben Sie die Entwicklung in der Luftreinhaltung wirklich verpaßt? Drei Viertel der Kraftwerke werden unverzüglich umgerüstet, wie Sie wissen müßten. Der Rest wird stillgelegt. Ich frage mich: Was soll dann noch eine Schadstoffabgabe, wie Sie sie fordern? Hier würde doch die derzeit laufende Umrüstung etwa bei den Energiebetrieben nur behindert, da den Betrieben diese Mittel, die Sie für den Staatshaushalt einziehen wollen, fehlen würden. Das kann doch wohl nicht richtig sein. Oder entgehen Ihnen wirklich die positiven Konsequenzen, die aus der Großfeuerungsanlagen-Verordnung und der TA Luft erwachsen? Der Schwefeldioxidausstoß wird, wie Sie wissen, bis 1993 erfreulicherweise von etwa 3 Millionen Tonnen von 1982 auf 1,1 Millionen Tonnen zurückgehen. Die Stickoxidemissionen werden in demselben Zeitraum um 800 000 Tonnen reduziert werden. Ich sage nicht, daß das genug sei. Ich sage aber deutlich, daß es eine Fehlbewertung wäre, zu glauben, daß man durch einen Ausbau des Staatsapparats hier schneller zu Rande käme. Das Gegenteil wäre der Fall. Hier muß die Industrie nach dem Verursacherprinzip unmittelbar angegangen werden, was auch geschieht. Oder warum nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß aus dem Bundeshaushalt inzwischen 1,6 Milliarden DM für den Umweltschutz ausgegeben werden? Ich verstehe, daß es Ihnen schwerfällt, das nachzurechnen. Sie sind noch neu im Ausschuß. Hier setze ich auf Verbesserung Ihrer Erkenntnisse. ({0}) Gerster ({1}) Oder warum nehmen Sie nicht das ERP-Sondervermögen mit über einer Milliarde DM zur Kenntnis? Nehmen Sie die Bemühungen der Bundesbanken LAB und KfW, nehmen Sie das Stadtsanierungsprogramm, das weitgehend Umweltschutzmaßnahmen bedeutet, nehmen Sie die Überbrükkungskredite für Gewässerschutz und Luftreinhalteinvestitionen, rechnen Sie sie wirklich einmal zusammen, und Sie werden zu erheblichen Beträgen kommen. Oder warum sagen Sie nicht der Bevölkerung, auch Ihrer Klientel, daß die Wirtschaft allein im Jahre 1984 über 3,6 Milliarden DM nur für Umweltschutz ausgegeben hat, was angesichts der steuerlichen Begünstigung leicht zu errechnen ist? Hier geschieht also eine Menge, und Sie stellen sich wieder hier hin und tun so, als würde nichts geschehen. Nein, Ihr Beitrag ist kein seriöser Beitrag zum Umweltschutz. Ihr Beitrag ist allenfalls ein Beitrag zu mehr Staat. Parkinson läßt grüßen. Ich verstehe, daß Sie nach neuen Posten streben. Mit dieser Politik werden Sie sie aber nicht erreichen. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wieczorek ({0}).

Helmut Wieczorek (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002501, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Arbeit, Umwelt, soziale Sicherung waren für uns das Leitmotiv, unter dem wir angetreten sind, um in dieser Legislaturperiode Veränderungen herbeizuführen. Ich gehe davon aus, daß wir alle darüber einig sind, daß der Umweltschutz eine immer größere Bedeutung bekommt, daß wir uns auch darüber einig sind, daß wir damit die Schaffung von Arbeitsplätzen verbinden müssen. Wir Sozialdemokraten haben aus diesem Grunde unser Programm „Arbeit und Umwelt" vorgelegt. Die Schwerpunkte dieses Programmes könnten fast von Ihnen abgeschrieben sein, Herr Dr. Müller - ich unterstelle da aber nichts. Ich will die Schwerpunkte, die wir gesetzt haben, noch einmal wiederholen. Sie liegen beim Gewässerschutz. Sie liegen bei der Wasserversorgung, der Abfallwirtschaft, der Luftreinhaltung, der sparsamen Energieverwendung, beim Lärmschutz und beim Natur- und Landschaftsschutz. Durch dieses Programm, Herr Dr. Müller, werden nachweisbar rund 400 000 Menschen in Arbeit kommen. Diese zusätzlichen Arbeitsplätze werden dauerhaft zur Verfügung gestellt werden. Was nun Ihren „Ökologischen Nachtragshaushalt" angeht - und da mache ich Ihnen ein Kompliment: Ihnen fallen immer wieder schöne Überschriften ein, das zergeht einem ja auf der Zunge; ich bin richtig neidisch, daß es mir nicht selbst eingefallen ist, wie ich gerne zugebe -, ({0}) so sind wir uns wirklich darüber einig, daß die Maßnahmen in guter Absicht vorgeschlagen worden sind; denn sie decken sich weitgehend mit dem, was auch wir vorschlagen. Nur, wenn man sich ansieht, mit welchen Summen Sie hier hantieren und wie diese Summen finanziert werden sollen, muß man sich fragen, ob die Vorstellungen, die Sie hier entwickelt haben, überhaupt ernst zu nehmen sind. Sehen Sie einmal: 3 Milliarden DM jährlich sollen durch Sonderabgaben über das Abwasserabgabengesetz erhoben werden, 1 Milliarde DM jährlich an Abgaben auf Grundchemikalien, eine Schadstoffabgabe auf Kohlekraftwerksemissionen soll 12 Milliarden DM in drei bis vier Jahren erbringen, der Kohlepfennig soll erhöht werden und die Mineralölsteuer ebenfalls. Die Mittelaufbringung über Sonderabgaben soll nach Auffassung der GRÜNEN weitgehend beschäftigungsneutral sein. Angeblich werden hauptsächlich überdurchschnittlich gewinnstarke Sektoren der Wirtschaft belastet. Hieran, meine Damen und Herren, müssen erhebliche Zweifel angemeldet werden. Mit solch blauäugigen Behauptungen lassen sich keine zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen. Darüber hinaus nimmt der Antrag der GRÜNEN keine Rücksicht darauf, daß hier die Kompetenzen zwischen Bund und Ländern unterschiedlich sind. Mit dem Antrag würden sie verwischt. Soviel sollten Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, hier im Deutschen Bundestag trotz Rotation schon gelernt haben, daß man das nicht einfach übersehen darf. Schließlich - das müßte Ihnen als Haushälter geläufig sein - ist es für einen Nachtragshaushalt viel zu spät. Wir Sozialdemokraten haben den Antrag schon im Ausschuß abgelehnt. Wir lehnen ihn auch hier ab. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich, Herr Kollege Müller, bei dem ökonomischen Sachverstand, den ich bei Ihnen unterstelle, daß Sie so etwas hier überhaupt vorlegen. Der Antrag ist überhaupt nicht beschlußreif. Sie quantifizieren nichts für den Haushalt. Sie geben allgemeine Zielvorstellungen. Sie behaupten, daß wir uns der segensreichen Phantasie der freien Marktkräfte überlassen - was überhaupt nicht geschieht. Seit vielen Jahren beschließen wir ein Umweltgesetz nach dem anderen. Es gibt also ein ganz strenges Regelwerk. Darüber, ob dessen Vollzug in genügender Weise betrieben wird, kann man streiten. Aber daß wir uns hier nicht den Marktkräften überlassen, wissen Sie doch so gut wie ich. Dann beschwören Sie das Verursacherprinzip. Sie gehen vom Verursacherprinzip ja gerade ab. Sie wollen den Steuerzahler heranziehen. ({0}) Alles, was in wir in diesem Hause in bezug auf die Grundlagen in großer Übereinstimmung tun, ist, den Verursacher mit präzisen Regelungen zu einem bestimmten Handeln zu veranlassen: seien es die Kraftwerke, seien es die Kraftfahrzeuge. Das ist der richtige Weg. Dieser Antrag ist überhaupt nicht verabschiedungsreif, und er weist in die falsche Richtung. Es ist ein Sammelsurium zumeist nicht konkreter Forderungen im Umweltbereich. Die Forderungen richten sich zum Teil an die Bundesländer. Die Kompetenz der Bundesländer übersehen Sie. Das sind Mischfinanzierungstatbestände. Selbst wenn man sich Ihre Überlegungen einmal zu eigen machen würde, sind wir hier im Bundesparlament der falsche Adressat. Ich kann nur sagen: Gehen wir den Weg weiter, durch ein Bündel von Maßnahmen die Grenzen abzustecken, die notwendig sind, um in diesem Lande wirklich umweltfreundlich zu wirtschaften und zu haushalten. Das geschieht beispielsweise mit dem Abwasserabgabengesetz. Das wollen wir jetzt überprüfen. Wir werden uns fragen: Sind die Abgabensätze richtig? Hat das gegriffen? - Das Gesetz hat sich im großen und ganzen sehr gut bewährt. Die Entgiftung der Kohlekraftwerke - Herr Gerster hat sie angesprochen - läuft ja, mit Milliardeninvestitionen. Was sollen die Leute eigentlich noch tun? Es gibt ja überhaupt keine Kapazität mehr. Es gibt keine Unternehmen mehr, die in diesen kurzen Fristen Filteranlagen herstellen oder einbauen könnten, die Sie hier praktisch voraussetzen. Noch zur Verkehrswirtschaft: Im Bundeshaushalt sind 6 Milliarden DM zur Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs vorgesehen. Ich plädiere wirklich dafür, daß wir unsere Zeit nicht mit solchen Anträgen vergeuden müssen, ({1}) sondern konkret auch im Innenausschuß reden über das Abfallgesetz, das ansteht, über das Wasserhaushaltsgesetz, über das Abwasserabgabengesetz, über das Waschmittelgesetz. Das müssen wir in dieser Legislaturperiode schaffen. Da helfen solche Schauanträge, wie Sie sie hier vorlegen, nicht weiter. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 12. Der Haushaltsausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3828 den Antrag der Abgeordneten Kleinert ({0}), Dr. Müller ({1}), Suhr und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3497 abzulehnen. Wer dieser Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. de With, Frau Blunck, Bachmeier, Catenhusen, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Diederich ({2}), Egert, Dr. Emmerlich, Fischer ({3}), Frau Fuchs ({4}), Frau Fuchs ({5}), Frau Dr. Hartenstein, Frau Huber, Immer ({6}), Klein ({7}), Dr. Kübler, Kuhlwein, Lambinus, Frau Luuk, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Matthäus-Maier, Müller ({8}), Frau Odendahl, Peter ({9}), Frau Renger, Frau Schmedt ({10}), Frau Schmidt ({11}), Schmidt ({12}), Dr. Schöfberger, Schröder ({13}), Dr. Schwenk ({14}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Dr. Soell, Frau Steinhauer, Stiegler, Frau Terborg, Frau Dr. Timm, Frau Traupe, Frau Weyel, Frau Zutt, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte des Verletzten im Strafprozeß ({15}) - Drucksache 10/3636 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({16}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann ist das so beschlossen. Das Wort zur Begründung wird nicht erbeten. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir sind uns einig: Das Ziel aller Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Prozeßrecht muß die Herstellung von Rechtsfrieden sein, und zwar zugunsten der betroffenen wie der unbeteiligten Staatsbürger, denen es keineswegs gleichgültig sein kann, wie ihr Staat Konflikte bereinigt. Fußend - ich darf etwas weiter ausholen - auf dem berühmten Promemoria von von Savigny und Uhden vom 23. März 1846 ist im Bereich des Strafrechts über den reformierten Prozeß unsere Strafprozeßordnung im Jahre 1877 entstanden als Antwort - das vergessen wir gern - auf den absolutistischen Staat und auf das damalige Polizeirecht, ein Polizeirecht, von dem wir heute nur als Polizeistaat sprechen. Diese Strafprozeßordnung besteht in ihren tragenden drei Prinzipien noch heute praktisch unverändert fort: erstens dem Gewaltmonopol des Staates - Selbsthilfe gibt es bei uns nicht -, zweitens dem Anklagemonopol der Staatsanwaltschaft - nur auf Antrag des Staatsanwaltes und nicht des Verletzten wird das Gericht tätig -, drittens dem Legalitätsprinzip - Polizei, Staatsanwalt und Gericht sind strikt an Gesetz und Recht gebunden und haben stets von Amts wegen einzuschreiten; sie können nicht, wenn es ihnen opportun erscheint, von der Strafverfolgung absehen -. Das angelsächsische Recht ist, wie Sie wissen, einen anderen Weg zu Punkt 2 gegangen. Dort klagt grundsätzlich der Verletzte; ein Prinzip, das unseren Zivilprozeß beherrscht. Das Anklageprinzip allerdings ist bei uns in drei Bereichen zugunsten der aktiven Teilnahme des Verletzten schon jetzt durchbrochen. Der Verletzte kann durch das Klageerzwingungsverfahren auch gegen den Willen des Staatsanwaltes mit Hilfe des Gerichts erreichen, daß dennoch eine Anklage erfolgt. Im Bereich der Kleinkriminalität kann er selbst anklagen. Das ist die Privatklage. Und bei gewissen Delikten, z. B. bei der vorsätzlichen Körperverletzung, kann er als Nebenkläger neben dem Staatsanwalt auftreten. Gleichwohl sind die Einflußmöglichkeiten des Verletzen, des Opfers, so gering, daß Eberhard Schmidt, einer der großen Kommentatoren der Strafprozeßordnung, in seinem berühmten Lehrkommentar sagen konnte: So ist es wohl richtiger, den Verletzten von den Prozeßsubjekten abzusondern. Man merke sich das Wort „abzusondern". Es spricht Bände. Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion, der Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Stellung des Verletzten im Strafprozeß, bringt hier eine klare Kurskorrektur, und zwar eine Kurskorrektur zugunsten von mehr Mitsprache und mehr Schutz des Verletzten im Strafprozeß, ohne freilich - das betone ich - das Anklageprinzip als solches, das sich bewährt hat, im Kern anzutasten. Diese Kurskorrektur ist fällig; die Zeit ist reif dazu. Mit dem Anklageprinzip ist der Staatsanwalt auch in die Rolle dessen geschlüpft, der von Amts wegen zugleich die Rechte des Verletzten wahrnimmt. Damit hat der Verletzte, wie es so schön heißt, Objektstellung erhalten, die er in nicht wenigen Fällen als Urteil zur Unmündigkeit empfinden muß. Er fühlt sich als Zeuge im Prozeß, sagen wir es, nicht selten hin- und herdirigiert, obwohl er als Opfer das Bedürfnis hat, seinen Teil selber beitragen zu wollen - eine Quelle zur Staatsverdrossenheit. Aber schlimmer noch: Es gibt spektakuläre Beispiele dafür, daß die heutige Gewalt der Medien von geschickten Verteidigern ganz legal als Mittel dazu gebraucht oder - besser - mißbraucht wird, das Tatopfer - z. B. durch peinliche, öffentliche Fragen nach seiner Intimsphäre - bloßzustellen und damit letztlich sogar einzuschüchtern. Durch die Brutalität der Befragung wird das Verbrechensopfer so zum Befragungsopfer. ({0}) Dem so geschundenen Opfer kann es dabei widerfahren, wenn es als Betroffener im Gericht aufschreit, daß der Richter es belehrt oder sogar anfährt mit den Worten: „Sie haben hier nichts zu fragen oder zu werten. Sie haben auf Fragen bloße Tatsachen zu schildern." Die Justiz hat diesen Mißstand - das muß man einräumen - selbst erkannt. Deshalb empfehlen die Richtlinien für das Strafverfahren, dem Verletzten bei der Vernehmung mit besonderem Einfühlungsvermögen zu begegnen. Dennoch kommt es immer wieder und immer wieder zu gravierenden öffentlichen Bloßstellungen und Einschüchterungsversuchen. Man denke an die vergewaltigte Frau, die in aller Öffentlichkeit genüßlich intimen Fragen über ihr Vorleben ausgesetzt wird und die dazu noch erwarten muß, daß hierzu männliche Zeugen aus ihrem Bekanntenkreis benannt werden. Diesen wird allein schon Schaden dadurch zugefügt, daß sie vor den Augen der Presse als Zeugen aufzutreten haben und sich peinlich befragen lassen müssen, mag auch letztlich an der Sache, wie man so schön sagt, gar nichts dran sein. Gerhard Hammerstein hat hierzu gesagt: Der Verletzte verdient Besseres; je mehr er zum Opfer wurde, desto größer ist sein Anspruch auf Rücksicht und angemessene Behandlung. Diese Problematik, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist allerdings alt, sie ist sehr alt. Der nämliche Gerhard Hammerstein hat sie durch ein Zitat Platons vor seinem sehr lesenswerten diesbezüglichen Referat auf dem 55. Deutschen Juristentag auf den Punkt gebracht: „Schämst du dich nicht, Sokrates, du erwiderst Fragen durch Gegenfragen?" Klingt Ihnen nicht das Ohr, wenn man an heutige Gerichtsverhandlungen denkt? Die SPD hatte schon 1983 mit dem Entwurf zum besseren Schutz der Opfer von Sexualdelikten eine Regelung für diesen Bereich und damit eine Teilregelung vorgeschlagen. Die Diskussion auf dem erwähnten 55. Deutschen Juristentag in Hamburg und die Aufbereitung danach brachten das Material für unseren Vorschlag zur Stärkung des Rechts aller Verletzten im Strafprozeß. Unser hier gegenständlicher Entwurf vom 10. Juli 1985 übernimmt Teile aus unserem ersten Entwurf, macht sich Vorschläge auf dem 55. Deutschen Juristentag sowie in der Bund-Länder-Konferenz der SPD vom 30. November 1984 zueigen und, Herr Minister - ich verschweige das nicht -, bezieht auch den diesbezüglichen Diskussionsentwurf der Bundesregierung vom Mai 1985 ein. Wir gestehen das frank und frei zu, aber ich sage auch: Da sich überhaupt nicht abzeichnet, wann sich Ihr Diskussionsentwurf zum Referentenentwurf, der Referentenentwurf zum Kabinettsentwurf und der Kabinettsentwurf zu einem Regierungsentwurf mausern wird, müssen wir Ihnen mit unserem Entwurf wieder einmal Beine machen, um der schon sprichwörtlichen Trägheit der Bundesregierung in der Rechtspolitik ein wenig auf die Sprünge zu helfen. ({1}) Ihr Diskussionsentwurf stammt ja, wie ich sagte, vom Mai 1985, und jetzt schreiben wir November, und noch immer ist es ein Diskussionsentwurf. Wir alle wissen, wann ein Gesetzentwurf eingebracht werden muß, damit er in dieser Legislaturperiode noch verabschiedet werden kann. Was bis zur Sommerpause nicht läuft, das läuft nicht mehr. Wir schlagen folgendes vor: erstens die Stärkung der Stellung des Verletzten im Strafprozeß, zweitens besondere Regelungen für die Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, drittens den Täter-Opfer-Ausgleich und viertens die Stärkung der Rechte des Beschuldigten im Strafprozeß. Einige Anmerkungen zum ersten Punkt: Jeder Verletzte soll sich in Zukunft eines Beistands in Gestalt eines Rechtsanwalts bedienen können. Ist zu erwarten, daß höchstpersönliche Umstände des Verletzten in der Hauptverhandlung zur Sprache kommen, und bedarf der Verletzte zur Wahrnehmung seiner Rechte eines Beistandes, ist ihm - so sagen wir - ein Beistand in Gestalt eines Rechtsanwalts beizuordnen, d. h. dann muß das geschehen. Von der Eröffnung des Hauptverfahrens, von der Erhebung der öffentlichen Anklage, vom Ort und Termin der Hauptverhandlung und vom Urteil oder von der sonst das Verfahren abschließenden Entscheidung ist er im Gegensatz zum heutigen Recht zu benachrichtigen. Derzeit erfährt er hiervon gar nichts und kann allenfalls der Presse, wenn diese darüber berichtet, etwas entnehmen. Weiter soll er - das ist ein wesentlicher Punkt - zum erstenmal Rederecht in der Hauptverhandlung bekommen; er hat es heute nur, wenn er als Zeuge gehört wird. Sein Beistand soll außerdem Akteneinsichtsrecht erhalten. Darüber hinaus soll der Verletzte - das ist im Hinblick auf die berühmten peinlichen Fragen wichtig - Fragen beanstanden können und in der Lage sein, darum zu bitten, daß der Vorsitzende allein ihn vernimmt. Schließlich wird die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit erweitert, um das Ausbreiten der Intimsphäre einzudämmen. Der Nichtausschluß der Öffentlichkeit wird Revisionsgrund. Zweitens. Wird jemand Opfer einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, so ist diesem Verletzten auf seinen Antrag ein Rechtsanwalt als Beistand schon im Vorverfahren, also beim ersten Zugriff durch die Polizei, zuzuordnen. In allen Fällen ist darüber hinaus das Opfer über seine neuen Möglichkeiten rechtzeitig zu belehren. Das Opfer einer sexuellen Straftat hat ferner in Zukunft stets die Befugnis zur Nebenklage, was heute eben nicht der Fall ist. Drittens zum Täter-Opfer-Ausgleich: Das Bemühen des Täters, den Schaden wiedergutzumachen und einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, wird bei der Strafzumessung in Zukunft im Falle der Verurteilung und auch im Vorverfahren zum Zweck der Einstellung des Verfahrens berücksichtigt werden. Unter anderem können dabei zur besseren Schadenswiedergutmachung Geldstrafen zur Bewährung ausgesetzt und Zahlungserleichterungen bei Geldstrafen gewährt werden. Nicht umsonst haben wir am Mittwoch dieser Woche im Rechtsausschuß gemeinsam eine entsprechende Entschließung zu unserem Sanktionensystem verabschiedet. Viertens. Um zu vermeiden, daß durch die Stärkung der Stellung des Opfers der Beschuldigte in eine zu schwache Position gerät, wird diesem - einfach als Fairneßausgleich - die Möglichkeit gegeben, schon dann einen Verteidiger beigeordnet zu erhalten, wenn sich auch der Verletzte eines Rechtsanwalts bedient. Ich darf Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regierungskoalition, bitten - und ich appelliere dabei auch an den Bundesminister der Justiz -, diesen Entwurf alsbald mit uns zu beraten. Es wäre gut, wenn die fällige Kurskorrektur zugunsten des Verletzten noch in dieser Legislaturperiode Gesetz würde. Die Vorarbeiten sind auf breiter Basis geleistet. Es geht darum, die Strafprozeßordnung so zu ändern, daß der Verletzte nicht mehr das Gefühl hat, vom eigentlichen Mitwirken abgesondert, peinlichen Befragungen hilflos ausgesetzt und als mündiger Bürger von Staatsorganen bevormundet zu werden. Nur so kann in unserer Zeit im Einzelfall Rechtsfrieden hergestellt und auf die Dauer dem Anspruch des sozialen Rechtsstaates entsprochen werden. Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Marschewski.

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! 4,3 Millionen Straftaten jährlich bedeuten auch 4,3 Millionen Kriminalitätsopfer, insgesamt wohl die größte Einzelgruppe unserer Gesellschaft. Selten genug schenkt der Meinungsjournalismus dieser Gruppe seine Aufmerksamkeit. Die oftmals einseitige, vom einzelnen Rechtsbrecher weggeleitete, tatentschuldigende Diskussion hat gleichzeitig zur Verdrängung der Opferschicksale geführt, der Schicksale von Vergewaltigten, von an Leib und Seele Geschädigten, von Kindern, von Alten. Nunmehr wurde jedoch dem ständigen Mahnen des Weißen Ringes und seines Vorsitzenden Beachtung geschenkt. Von den Kieler Grundsätzen der Union über das durch uns verbesserte Opferentschädigungsgesetz, vom Opferschutzdiskussionsentwurf des Bundesjustizministers bis hin zum Antrag der SPD-Fraktion besteht heute im Grundsatz Einigkeit. Dem Opfer muß eine stärkere Zuwendung geschenkt, ihm muß mehr Schutz und Hilfe gewährt werden. Dies ist insbesondere im Strafverfahren vonnöten. Das überkommene noch geltende Strafverfahrensrecht hat, so meine ich, die eigenständige Position des Verletzten vernachlässigt. Diese vor dem Hintergrund absoluter Straftheorien zu erklärende Lehre der Wesensfremdheit von staatlichem Strafanspruch und dem Interesse des Verletzten ist heute nicht mehr haltbar. Strafnormen sind öffentliche Rechtssätze, die auch dem Interesse des einzelnen zu dienen bestimmt sind. Dieser Verletzte ist dazu noch die wichtigste Instanz strafrechtlicher Sozialkontrolle. Denn in 80% aller Verfahren sind Opfer und Anzeigenerstatter identisch. Trotzdem, sobald das Ermittlungsverfahren initiiert ist, beginnt, so sieht es zumindest Heike Jung und viele andere mit ihr, die Demontage des Opfers, entwikkelt sich das Opfer oft zum Störfaktor. In der Hauptverhandlung wird es noch oft als Zeuge benötigt, jedoch auch da begegnet man ihm mit Mißtrauen. Man gängelt es mit Fragen und läßt es zu, daß sich manche Verfahren, namentlich bei Sexualstrafdelikten, zu einem Spießrutenlauf entwickeln. Meine Damen und Herren, hier tut Abhilfe not. Es reicht eben nicht aus, dem Verletzten im Strafverfahren quasi nur die normale Rolle eines Zeugen zuzuerkennen. Ich meine, der Grundsatz der Waffengleichheit verlangt nach Schutzpositionen, die dem Verletzten die Verteidigung gegen unbegründete Verantwortungszuweisungen ermöglichen. Diese verbesserte Subjektstellung ist einmal dadurch zu erreichen, daß dem Verletzten Akteneinsicht gewährt und ihm wesentliche Verfahrensereignisse mitgeteilt werden. Ob und in welcher Weise, meine Kollegen der SPD-Fraktion, insbesondere die Einführung eines sogenannten Opferanwalts über das derzeitige Recht hinaus erforderlich ist, muß die weitere Diskussion zeigen. In diesem Zusammenhang ist jedoch der Vorschlag Ihrer Fraktion nicht unproblematisch. Er beschränkt die Beiordnung des Beistandes einerseits zu eng auf den Bereich von Sexualstraftaten, andererseits erfaßt er Delikte, bei denen ein Verletztenbeistand nicht unbedingt erforderlich erscheint. Zu begrüßen ist jedoch, daß allgemein eine Ausweitung der Nebenklage befürwortet wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich möchte gerne fortfahren, Herr Kollege de With. Wir haben gestern in diesem Hause schon lange diskutiert. Ich meine, wir sollten dies der Diskussion im Ausschuß überlassen. ({0}) Ich halte es für gut, daß wir die Nebenklage allgemein befürworten. Gerade sie hat sich nämlich, so meine ich, als das wirkungsvollste Instrument für den Persönlichkeitsschutz des Verletzten erwiesen. Im Gegensatz zu Ihrem Entwurf schlage ich jedoch vor, die Nebenklage über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung hinaus generell auf Straftaten gegen höchstpersönliche Rechtsgüter auszudehnen. Eine Verbesserung der Rechte des Verletzten könnte, meine ich, auch durch eine Erweiterung des Unerläßlichkeitskriteriums des § 68 a der Strafprozeßordnung auf Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich erreicht werden. Dabei sind mir natürlich die kritischen Stimmen des letzten Deutschen Juristentags durchaus bekannt. Ich meine jedoch, daß hier eine Änderung zumindest als Programmsatz durchaus hilfreich sein könnte. Gleichfalls, meine ich, ist besonders die Diskussion, die Öffentlichkeit auszuschließen, ein Schritt nach vorn. Der Öffentlichkeitsgrundsatz hat nämlich tiefgreifende Wandlungen erfahren. Ursprünglich als Kontrollinstrument gegenüber der Justiz installiert, wird diese Schutzfunktion heute, sehr oft zumindest, umgekehrt. Auf der einen Seite führt nämlich vielfach das Verhalten der Verteidiger in Verfahren, in denen besonders die Intimsphäre des Opfers berührt wird, zur Demontage des Opfers. Auf der anderen Seite begründen oftmals erst die Medien die öffentliche moralische Verurteilung des Verletzten. An Scheinheiligkeit fehlt es dabei aber nicht. Der aufklärerische Impetus und die Entrüstung über das Verteidigerverhalten gehen einher mit dem vermeintlichen Bedürfnis der Leser, zu erfahren, was sich in der Intimsphäre ereignet hat. Ich erwähne beispielhaft die Berichterstattung des „Stern" über das Engelbrecht-Verfahren. Unter der Überschrift „Die Würde des Opfers ist angetastet" wird detailliert geschildert, was das Opfer nach der Anklage an sexuellen Perversionen erdulden mußte und welche Fragen nach sexuellen Praktiken und Erlebnissen der Verteidiger stellte. Ich meine, daher ist jede Regelung zu begrüßen, die einen erleichterten Ausschluß der Öffentlichkeit vorsieht. Opferschutz bedeutet auch Wiedergutmachung. Sie ergibt sich aus dem unstreitigen Recht des Verletzten, Ersatz für den durch eine deliktische Handlung entstandenden Schaden verlangen zu können. In der Tat, wenn es der Sinn des Strafverfahrens ist, die Verantwortung des Täters vor der Rechtsgemeinschaft festzustellen und hieraus die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen, kann der Ausgleich des Opferschadens keineswegs ausgeklammert werden. Daher, meine ich, sind die Vorschläge, auch der SPD-Fraktion, aber auch des Regierungsentwurfs oder des Diskussionsentwurfs zum Adhäsionsverfahren zu begrüßen. Dies gilt für die Prorogationsmöglichkeit im amtsgerichtlichen Verfahren. Dies gilt auch für die Zulässigkeit von Grund- und Teilurteilen sowie für die Prozeßkostenhilfe für den Anschlußkläger. Verwirklichung des Wiedergutmachungsinteresses ist es auch, dem zivilrechtlichen Schadensersatzanspruch des Verletzten einen gewissen Vorrang vor staatlichen Ansprüchen einzuräumen. Dem wird, das wissen wir, das geltende Strafrecht nur zum Teil gerecht. Wie letzten Endes diese Anspruchskonkurrenz zugunsten des Verletzten gemildert wird, muß sicher der Diskussion und weiteren Prüfung vorbehalten sein. Problematisch ist, meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, besonders Ihre Forderung, Geldstrafen zur Bewährung auszusetzen. Ich meine, die Geldstrafe könnte vielleicht dadurch ihre Funktion verlieren, eine echte Alternative zur kurzen Freiheitsstrafe zu sein. Ihre spezialpräventive Wirkung wäre, anders als beim drohenden Strafvollzug, äußerst gering. Ich meine, die Gerichte könnten dann eben wieder verstärkt dazu neigen, der Strafrechtsreform zuwider kurze Freiheitsstrafen zu verhängen, was sich ja glücklicherweise erheblich geändert hat. Die von mir gestern abend hier getroffene Feststellung, die Rechtspolitik dieser Koalition sei zweifellos eines ihrer Glanzstücke, ({1}) findet heute erneut ihre Bestätigung. ({2}) - Herr Kollege de With, Sie brauchen keinem von uns, wie Sie gesagt haben, Beine zu machen. Wir werden in gemeinsamer Verantwortung der Koalition mit dem Herrn Bundesjustizminister durchaus die Rechtsprobleme lösen. Darauf können Sie sich in jeder Hinsicht verlassen. ({3}) - Herr Kollege de With, auch das werden wir lösen. Darüber haben wir uns gerade im Vorraum unterhalten. Ihre Behauptung in einer Presseerklärung, die Rechtspolitiker der Koalition hätten Schwierigkeiten, sich durchzusetzen, wird durch diese Debatte, meine ich, eindrucksvoll widerlegt. Wir haben in den vergangenen zweieinhalb Jahren gezeigt, daß wir handlungsfähig sind. Ich habe dies hier gestern abend ausgeführt. Wir werden diesem Hohen Hause - darauf können Sie sich verlassen - diesen Diskussionsentwurf nach Beratung in den Ländern und nach Anhörung der Verbände unverzüglich vorlegen. Dabei ist das Ziel klar und eindeutig. Der Verletzte darf nicht mehr weitgehend funktionslose Prozeßfigur bleiben. Der von mir angesprochene Gedanke der Wiedergutmachung weist den Weg des Ausgleichs. Er verdrängt keineswegs Resozialisierung; er bereichert sie. Unser Diskussionsentwurf ist daher nicht nur Ausdruck eines viktimologischen Zeitgeistes; er hält, so meine ich, in jeder Hinsicht reformatorischen Forderungen stand. Ich danke Ihnen. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Rechte des Verletzten im Strafprozeß greift die SPD-Fraktion eine in der rechtspolitischen Diskussion allzu lange schlummernde Seite des Straf- und Strafverfahrensrechtes auf. Die vorliegende Gesetzesinitiative mit ihren vier Schwerpunkten - ich erwähne ausdrücklich den Täter-Opfer-Ausgleich und die Stärkung der Stellung des Beschuldigten - eröffnet die Möglichkeit, die Absurdität unseres vor allem auf Abschreckung und Drohung mit Freiheitsentzug aufgebauten Strafrechtssystems durch stärkere Rationalität menschlicher zu gestalten. Ausgehend von dieser Überlegung begrüße ich es auch im Namen unserer Fraktion, wenn die Sicht der Opfer im Strafprozeß stärkere Berücksichtigung findet. Allerdings darf - darauf wird in der Begründung zu Recht hingewiesen - die Stellung des Verletzten nicht zu Lasten der Rechte des Angeklagten gestärkt werden. Insofern begrüßen wir ausdrücklich die vorgeschlagene Erweiterung der notwendigen Verteidigung. Problematisch und einer sehr sorgfältigen Beratung bedürftig sind jedoch Täter-Opfer-Ausgleichsregelungen, die beispielsweise Körperverletzungsoder Verkehrsunfalldelikte mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung wie Vergewaltigung gleichstellen. ({0}) In der Begründung des Entwurfs ist zu Recht davon die Rede, daß Frauen als Opfer einer Vergewaltigung als Hauptbelastungszeuginnen nicht selten das Gefühl haben, selbst auf der Anklagebank zu sitzen. Allzuhäufig werden in solchen Verfahren von einer Männerjustiz prozessuale Verfahrensgrundsätze außer Kraft gesetzt. Dazu ist ja eben schon einiges gesagt worden. Wir werden uns mit dieser Problematik hoffentlich unverzüglich in einer seit Anfang dieses Jahres geplanten Anhörung des Rechtsausschusses gründlich befassen. Herr Kollege Dr. de With und Herr Kollege Dr. Emmerlich, ich rechne dabei auf die Unterstützung der SPD-Fraktion. Ich will hier noch einen kleinen Einschub machen. Wenn wir hier so oft von den Opfern reden - ich habe das Problem der Opfer von Vergewaltigungen angesprochen - und über Gewalt in Ehen sprechen, müssen wir doch auch sehen, daß wir hier nicht nur rechtspolitisch handeln müssen. Wir müssen sehen, daß z. B. öffentliche Mittel für Frauenhäuser zunehmend nicht mehr verfügbar sind. ({1}) - Wir müssen zur Kenntnis nehmen, Herr Marschewski, daß vor zwei Wochen im Petitionsausschuß von der CDU-Fraktion und der FDP-Fraktion eine Petition betreffend ein Sofortprogramm zur Erhaltung autonomer Frauenhäuser abgelehnt worden ist. Auch daran wird hier und heute Ihr Verständnis von Opferschutz deutlich. ({2}) - Sie sollten Ihre Zwischenrufe zumindest zur Sache machen, Herr Marschewski. ({3}) Natürlich setzt ein verbesserter Opferschutz voraus, das Juristen z. B. in psychologischen Fragen aus- und, Herr Kollege Dr. Emmerlich, fortgebildet werden. Ich denke, daß es manchmal überhaupt keiner neuen Gesetze bedürfte, wenn Juristen in der Lage wären, bei Zeugenvernehmungen mit der notwendigen Sensibilität - das setzt allerdings eine Ausbildung in aussagepsychologischer Hinsicht voraus - vorzugehen. Daran fehlt es. Ich habe gerade noch einmal einen Ausschnitt aus der „Stuttgarter Zeitung" vom 5. Oktober gelesen. Drei Tage lang haben sich da Juristen aus 15 Ländern in Karlsruhe mit dem Problem der Wiedergutmachung des Schadens in Strafprozessen auseinandergesetzt. In diesem Artikel heißt es u. a., daß international solche Möglichkeiten der Wiedergutmachung da seien. Aber: „In der Justizpraxis blieben diese Möglichkeiten jedoch weitgehend ungenutzt, bedauern die Teilnehmer der von der Ständigen Europäischen Konferenz für Straffälligen- und Bewährungshilfe veranstalteten Tagung." Wir brauchen also vielleicht gar nicht so sehr neue Gesetze, sondern ein neues rechtspolitisches Bewußtsein, das sowohl dem Opfer als auch - das betone ich noch einmal - der Schutzbedürftigkeit des Beschuldigten und des Angeklagten gerecht wird. Noch einmal zu dem menschlichen Einfühlungsvermögen: Ich habe selber in meiner beruflichen Tätigkeit erlebt, wie wenig z. B. bei der Vernehmung von Kindern in Strafprozessen deren Situation Rechnung getragen worden ist. Die Justiz sollte bei ihrer Suche nach Wahrheit und Gerechtigkeit in solchen Verfahren nicht ein Verfahren wählen, bei dem die Vernehmung des Opfers als Zeuge zu einem erniedrigenden und quälenden Wiederaufleben der Tat in der Hauptverhandlung führt. Auch dazu brauchen wir keine neuen Gesetze. ({4}) Ich möchte zum Abschluß noch auf einen sehr wichtigen Ansatzpunkt für unsere Arbeit im Rechtsausschuß hinweisen. Der Deutsche Richterbund spricht in einer Presseerklärung vom 24. Oktober davon, die Entprivatisierung der Strafverfolgung und ihre Übertragung auf die zu Objektivität und Gerechtigkeit verpflichteten Gerichte und Staatsanwälte seien Elemente des modernen Rechtsstaates. So wichtig diese Feststellung ist und so überholt das alttestamentarische „Auge um Auge, Zahn um Zahn" sein mag, so notwendig ist doch die Aufgabe, im Strafrecht rationale Strafzwecke wie die Wiedergutmachung zu verstärken. Dazu kann der vorliegende Gesetzentwurf einen Beitrag leisten. Ich hoffe, die Beratungen werden dazu führen, daß wir noch in dieser Legislaturperiode mit einem möglichst großen Konsens aller Parteien, der in der Rechtspolitik in der Tat wünschenswert wäre, zu vernünftigen Ergebnissen kommen. Wir werden dann in anderem Zusammenhang, Herr Marschewski, sicherlich auch auf Ihr stinkendes Eigenlob hinsichtlich der Rechtspolitik dieser Bundesregierung eingehen können. Vielen Dank. (({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).

Detlef Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001121, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Einigkeit unter den drei Vorrednern ist sehr groß. Ich stehe nicht an zu erklären, daß die Liberalen gleichermaßen die Notwendigkeit von Regelungen im Bereich des Opferschutzes seit langem sehen. Liebenswürdigerweise hat ja der Erfinder dieses Entwurfes in seiner Rede wie auch in der schriftlichen Begründung noch einmal darauf hingewiesen, daß er sich u. a. des Diskussionsentwurfs des Bundesjustizministeriums bedient hat, um diesen Entwurf zu kompilieren; so muß man wohl nach der geschilderten Entstehungsgeschichte sagen. Da komme ich natürlich auf die Frage, warum denn bei so großer Einigkeit über das, was zu geschehen hat, noch keine entscheidungsreifen Entwürfe vorliegen. Zu Ihrem Entwurf ist schon von Herrn Marschewski mit Recht einiges bemerkt worden. Es wird sicherlich in der Ausschußberatung noch eine ganze Menge zusätzliches zu bemerken sein, bevor man dann zu dem richtigen Weg gekommen sein wird. Es hat ein kluger Beobachter darauf hingewiesen, daß die Abstimmungsergebnisse auf dem bereits zitierten 55. Deutschen Juristentag um so eindrucksvoller ausgefallen sind, je allgemeiner die zur Abstimmung gestellten Forderungen formuliert waren, und daß die Abstimmungsergebnisse um so knapper wurden, je mehr man sich konkreten Einzelfallvorschlägen genähert hat, weil sich nämlich hier doch eine Fülle gegenläufiger Interessen herausstellt, sobald man zum Detail vorstößt. Deshalb, so glaube ich, war der Bundesjustizminister gut beraten, die Gespräche mit den Anwendern zu suchen, die Akzeptanz zu suchen, insbesondere auch in der Richterschaft. Was nützt es denn, wenn ich hier gut gemeinte und hoffentlich dann auch gut gemachte Vorschriften zum Opferschutz einführe und schließlich wegen einer Verweigerungshaltung der Gerichte, mit denen ihre Probleme insoweit vorher nicht genügend erörtert worden sind, Prozesse länger dauern oder die Regeln schließlich doch nicht so angewandt werden, wie wir uns das vorstellen? Herr Mann hat natürlich recht: Einige solcher Regeln bräuchten wir gar nicht, wenn die von Ihnen vorhin zitierte Stelle aus den Richtlinien für das Strafverfahren, die so feinsinnig formuliert ist, der Natur des Gegenstandes entsprechend auch mit demselben Feinsinn in möglichst vielen Fällen angewandt würde. Deshalb heißt es, bei den Vorbereitungen der Beratungen und bei den Beratungen selbst zu einem solchen Gesetz möglichst viel Akzeptanz und Einigkeit auch mit denen herzustellen, die das Recht anzuwenden haben. Einige Ihrer Vorschläge betreffend den Ausgleich des materiellen Schadens sind ja nichts Neues, wie Sie auch erklärt haben. Das Adhäsionsverfahren ist bekannt und wird, soweit ich sehen kann, fast nie angewandt. Dafür gibt es natürlich auch einige einleuchtende Gründe. Das ist nicht nur der böse Wille oder, wie man manchmal hören kann, der Versuch der Gebührenschinderei, sondern das hängt auch damit zusammen, daß man die nötige Sachkunde bei der Schadensberechnung und der Kontrolle von Rechnungen und komplizierten Aufstellungen beim Strafrichter nicht so leicht findet wie bei dem traditionsgemäß mit diesen Aufgaben beschäftigten ZiKleinert ({0}) vilrichter. Deshalb sucht man der größeren sachkundigen Erledigung wegen den Weg zum Zivilrichter und macht von der schnelleren Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens keinen Gebrauch. Das betrifft nicht nur die Verteidiger oder die Interessenvertreter der Geschädigten; das betrifft natürlich gleichermaßen die Richter, die sich dem Gegenstand aus weiser Erkenntnis ihrer eigenen Neigungen und Fähigkeiten auch nicht so gern nähern mögen. Auch auf diese rein tatsächlichen Hintergründe neu zu treffender Regelungen muß man natürlich eingehen. Deshalb finde ich es gut, daß der Bundesjustizminister mit seinem Entwurf, der ja immerhin schon jetzt so gut ist, daß Sie etliches davon übernommen haben, gründlich vorgeht. Wir werden die Dinge noch zusammenführen können. An der Notwendigkeit - ich sagte es bereits - kann kein Zweifel bestehen. Ich glaube, mindestens für einige der Fälle, die sich inzwischen ereignet haben, ist es nicht zu überspitzt ausgedrückt, wenn man sagt: Gelegentlich wird die Tat im Gerichtssaal noch ein zweites Mal begangen. Das ist etwas, was in jeder Weise bekämpft und verhindert werden sollte. Wir wollen das alle und werden es gemeinsam beraten. Ich glaube, wir werden der breiteren Öffentlichkeit und der großen Zahl der Kollegen, die an diesem Thema, wie jedermann sieht, dringend interessiert sind, zuviel zumuten, wenn wir hier auf die Fülle der Einzelheiten eingehen. Ich möchte eine Bemerkung zum Revisionsgrund machen. Sie haben es ausdrücklich noch einmal hervorgehoben, Herr de With. Das betrifft auch die Beschleunigung von Verfahren. Auf der einen Seite machen wir eine Strafprozeßnovelle und wollen rein formale absolute Revisionsgründe einschränken, um nicht umfangreiche und kostspielige Verfahren zweimal führen zu müssen, obwohl ein sachlicher Fehler, ein Fehler, der sich auf das Urteil hätte auswirken können, gar nicht vorliegt. Sie kommen jetzt mit einem weiteren Ding dieser Art. Das ist eine sehr schöne Variante. Während man früher unauffällig festzustellen versuchte, ob der Wachtmeister das Schild mit dem Ausschluß wieder weggenommen hat oder ob man diesen Revisionsgrund notieren soll, werden wir jetzt umgekehrt auch noch herausgehen und gucken können, ob der Wachtmeister auch ja das Schild hingehängt hat, daß nun die Öffentlichkeit ausgeschlossen sein soll. ({1}) Die Einstellung ist schon heute in gewissen Grenzen möglich. Es ist auch heute schon möglich, eine Strafe zur Bewährung auszusetzen und Bewährungsauflagen zu machen - was vielleicht zu selten geschieht -, die mit der Regulierung des Schadens in Zusammenhang stehen. ({2}) Das passiert eigentümerlicherweise selten, ist aber möglich. Wir können das alles bei dieser Gelegenheit mal wieder in Erinnerung rufen. Man muß eben feststellen, wo die psychologischen Gründe dafür liegen, daß hier so einiges nicht geschieht, was schon jetzt geschehen kann. ({3}) Nachdem ich den Herrn Präsidenten schon gestern abend in leichte Probleme im Zusammenhang mit der Redezeit gebracht habe, möchte ich das nicht schon wieder tun und an dieser Stelle zum Schluß kommen, um so mehr, als ich gerne dem Bundesjustizminister Gelegenheit gebe, ({4}) selber hier noch darzustellen, was er von dem weiteren Verfahren hält und wie er sich die Lösung vorstellt. Auf das, was Herr Marschewski zu unserer Handlungsfähigkeit gesagt hat, werden wir an Hand von Beweisen zurückkommen, ohne uns irgendwie auf Vermutungen einzulassen. ({5}) Herzlichen Dank. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die letzte Bemerkung gibt mir Veranlassung, dem Bundesjustizminister das Wort zu geben.

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heutige Debatte berührt einen wichtigen und sehr schwierigen Problembereich unseres Strafprozesses. Erst seit einigen Jahren ist der Verletzte einer Straftat wieder Gegenstand des allgemeinen rechtspolitischen Interesses geworden. Die gegenteilige Entwicklung ist nicht jüngeren Datums gewesen, sondern läßt sich in der historischen Entwicklung weit zurückverfolgen. Wir müssen festhalten und feststellen: Die Übernahme der Strafverfolgung durch den Staat als allein öffentliche Aufgabe hat das Tatopfer in seiner verfahrensrechtlichen Position leider in eine Randrolle abgedrängt. Wir sind mittlerweile für die Situation des Menschen in seiner Beziehung zur staatlichen Macht und in seiner Eingebundenheit in staatlich geregelte Verfahrensabläufe sehr sensibel geworden. Jedenfalls hat eine Analyse der Rechtsstellung des Verletzten im Strafprozeß jetzt zu dem allgemeinen rechtspolitischen Grundkonsens geführt, daß es eine sachlich gebotene und eine sehr dringende Aufgabe ist, die Position des Verletzten einer Straftat zu verbessern. Das gilt um so mehr, als es ja der Zweck aller letzten Strafprozeßordnungsnovellen war, die prozessualen Beziehungen zwischen Gericht, Staatsanwaltschaft und Beschuldigten sachgerecht zu regeln, darauf hinzuwirken, daß die Strafjustiz entlastet wird. Nur, etwas ist dabei weitgehend vergessen worden: Es ist dem Verletzten keine oder wenig, auf alle Fälle aber zuwenig Beachtung geschenkt worden. Da wollen wir einmal konkret werden. Ich habe bei meinem Amtsantritt im Ministerium einen Entwurf vorgefunden, der darauf abzielte, die Nebenklage überhaupt zu beseitigen, um der Entlastung der Justiz willen. ({0}) Ich habe damals die weitere Behandlung gestoppt mit Hinweis darauf, daß einer der wichtigen Themenpunkte beim Deutschen Juristentag in Hamburg im Herbst des letzten Jahres die Nebenklage sein werde. Das war dann auch das große Thema. ({1}) Ich habe dafür gesorgt, Herr Kollege - da wollen wir uns nicht an Begriffen wie Horrorliste oder ähnlichem festhalten -, daß man zunächst einmal den wichtigen Beitrag des Deutschen Juristentages abwartet. Wir haben ihn mittlerweile erhalten. Er hat jene, die ehedem in eine völlig andere Richtung gedacht haben, nun wohl auch überzeugt. Um das so zu Lasten des Verletzten einer Straftat entstandene Defizit zu beseitigen, hat mein Haus im Mai 1985 einen Diskussionsentwurf eines Ersten Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung des Verletzten im Strafverfahren vorgelegt. Inzwischen ist dieser Entwurf mit den Landesjustizverwaltungen bereits eingehend erörtert worden. Mit der Vorlage eines Regierungsentwurfs ist in Kürze zu rechnen. Ich schiebe hier eine Bemerkung ein, weil wir nicht verkennen dürfen, daß das von uns allen angestrebte Ziel so wichtig, so hoch und so hehr ist, daß man, solange man im Allgemeinen bleibt, des allgemeinen Beifalls auch sicher sein kann. Wenn es ins Konkrete geht, wo es dann stellenweise auch etwas kostet, wird es weit schwieriger. Dies immer im Hinterkopf zu haben, ist eine wichtige Sache. Nun haben Sie, Herr Kollege, gesagt, diesem Diskussionsentwurf und uns sollten die schon beinahe sprichwörtlichen Beine gemacht werden. Das sei der Grund, warum Sie hier mit Ihrem Entwurf vorstellig würden. Es ist eine gute Sache der Opposition, den Gang der Regierung zu beschleunigen; nur, ich bitte nach genauer Durchsicht Ihres Entwurfs doch herzlich: So bitte nicht. Die SPD hat nach-, zugleich aber auch vorgezogen. Sie hat insofern nachgezogen, als Sie Ihren Entwurf wohl als Reaktion auf den Diskussionsentwurf meines Hauses unbedingt der Öffentlichkeit vorstellen wollten. Sie sind ihm insofern bedauerlicherweise allzu schnell vorausgeeilt, als Sie vor Einbringung in das Gesetzgebungsverfahren eine genaue Untersuchung Ihrer Vorschläge unterlassen haben. Und so ist das Ergebnis ein Schnellschuß gewesen. Meine Damen und Herren von der SPD, ich muß hier schon bemerken, daß dieser Entwurf so nicht geeignet ist, ({2}) das uns allen gemeinsame grundsätzliche Anliegen zu erfüllen. Zum Teil werden Vorschläge des Diskussionsentwurfs übernommen, teilweise werden Grundgedanken aufgegriffen und Vorschläge modifiziert; teilweise werden auch alte Vorschläge aus längst vergangenen Zeiten, die Sie selber damals als nicht notwendig und untauglich angesehen haben, wieder aufgegriffen. ({3}) Das führt dann natürlich zu Brüchen und Unklarheiten. Erlauben Sie, daß ich hierzu beispielhaft nur drei kleine Hinweise gebe. Die Nebenklage wird von besonderer Bedeutung für die Opfer von Sexualstraftaten sein. Soweit sind wir uns völlig einig. Sie geben den Opfern von Sexualstraftaten - wie auch wir im Diskussionsentwurf - dieses Recht -, nur: Völlig unverständlicherweise verkürzen Sie die Nebenklagebefugnis auf die Opfer von Sexualstraftaten. ({4}) Dies verstehe ich nicht, und ich stelle die Frage: Welcher tiefere Sinn kann darin liegen, die Nebenklagebefugnis etwa einer alten Frau vorzuenthalten, der in einem Park gewaltsam die Handtasche entrissen wird und die bei dieser Gelegenheit zu Boden gestoßen und erheblich verletzt wird? Alle höchstpersönlichen Rechtsgüter wie das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit führen bei Ihnen nicht zu der Möglichkeit der Nebenklage; ({5}) umgekehrt steht die Nebenklagebefugnis durch die undifferenzierte Erwähnung von Sexualdelikten einer Frau zu, der ein Exhibitionist - sicher bedauerlicherweise, aber in deutlicher räumlicher Distanz - entgegentritt. ({6}) Zweiter Punkt: Andere Vorschläge zu prozessualen Befugnissen der Verletzten sind zum Teil unzureichend, an anderer Stelle aber auch überzogen. Informationen über behördliches Handeln und Verfahrensereignisse werden dem Verletzten selbst dann aufgedrängt, wenn er sie nicht benötigt und möglicherweise gar nicht haben will. In diesem Zusammenhang ist es wohl nur ein Versehen, daß in bestimmten Fällen dem Verletzten ein Rechtsanwalt als Verletztenbeistand selbst dann beizuordnen und aus der Staatskasse zu bevorschussen ist, wenn der Verletzte vermögend ist, also einen Anwalt seiner Wahl zunächst - zunächst - selbst bezahlen kann. ({7}) Drittens. Das Ziel, einen besseren Persönlichkeitsschutz des Verletzten vor Bloßstellungen in der öffentlichen Hauptverhandlung zu verwirklichen, ist ein dringendes Anliegen. Nur wird man die Frage stellen müssen, ob es richtig sein kann, daß in dem SPD-Entwurf die Öffentlichkeit auf Antrag - und dies ist bereits erwähnt worden - ausgeBundesminister Engelhard schlossen werden muß, wenn über eine Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung, siehe etwa wieder das Beispiel des Exhibitionisten, verhandelt wird. Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung ist nach wie vor ein hohes Gut. In der Abwägung für Öffentlichkeit oder für Persönlichkeitsschutz gehen wir mit dem Diskussionsentwurf den Weg, im Zweifel für den Persönlichkeitsschutz zu entscheiden. Aber alles an Öffentlichkeit beiseite zu schieben ist sicher nicht der richtige Weg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Minister, Sie lassen eine Zwischenfrage des Abgeordneten Emmerlich zu?

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Ja, bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bitte sehr, Herr Abgeordneter Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wenn ich einmal unterstelle, daß die Auslegung, die Sie unserem Entwurf geben, richtig sei, was nicht zutrifft, frage ich Sie: Wäre, wenn das die einzigen Kritikpunkte wären, die Sie vorzutragen hätten, die Bereinigung dieser Kritik im Rechtsausschuß nicht sehr schnell möglich, und sollten Sie dann nicht mit uns dafür sorgen, daß wir diesen Entwurf im Rechtsausschuß noch vor Weihnachten verabschieden können? ({0})

Hans A. Engelhard (Minister:in)

Politiker ID: 11000472

Herr Kollege Dr. Emmerlich, es trifft sich gut, daß ich die Beantwortung Ihrer Frage mit meiner Schlußbemerkung verbinden kann. Ihr Entwurf hat nach der gewissenhaften Analyse meines Hauses so viele, zum Teil nicht ohne weiteres reparierbare Mängel, daß man ihn auf seiten des Rechtsausschusses vorläufig dankbar als Material zu den Unterlagen nehmen sollte, die Vorlage des Regierungsentwurfs abwartend, um sodann unserem gemeinsamen Anliegen, für die Verletzten von Straftaten mehr zu tun, sachgerecht Rechnung zu tragen. Besten Dank. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor, so daß ich die Aussprache schließen kann. Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Abgeordneten Dr. de With, Frau Blunck, Bachmaier weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3636 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Weitere Vorschläge werden nicht gemacht. - Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe nun den Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 10/4114 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Sprung zur Verfügung. Ich rufe die Frage 47 des Abgeordneten Mann auf: Wann hat die Bundesregierung ihre Zustimmung zum Export von Tornado-Kampfflugzeugen nach Saudi-Arabien erteilt?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Mann, nach den politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern vom 28. April 1982 ist beim Export von Kooperationsprodukten aus NATO-Partnerländern eine Zustimmung der Bundesregierung nicht vorgesehen. Auf dieser Grundlage hat auch der Export von Tornado-Flugzeugen aus britischer Endfertigung nach Saudi-Arabien nicht der Zustimmung der Bundesregierung bedurft.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß diese Richtlinien, so wie Sie sie gerade interpretiert haben, unserem grundgesetzlichen Auftrag der Friedensstaatlichkeit noch gerecht werden, wenn auf diese Art und Weise Art. 26 des Grundgesetzes umgangen werden kann?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Mann, als die frühere Bundesregierung diese Grundsätze erarbeitete, hat sie sich auch von diesen Gedanken, von dieser Rücksichtnahme leiten lassen. Wir dürfen annehmen, daß sie dies alles bedacht hat; gleichwohl ist sie zu dieser Formulierung, wie wir sie vorliegen haben, gekommen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ich bin im Zusammenhang mit dem Problem der Kriegswaffenkontrolle immer wieder mit dem Problem unseres parlamentarischen Selbstverständnisses konfrontiert, weil nämlich sehr stark versucht wird, öffentliche Diskussionen zu vermeiden. Meinen Sie nicht, es wäre sachgerecht, wenn wir den Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zu diesem Problemkreis zum Anlaß nehmen würden, einmal grundsätzlich über die Problematik von Kriegswaffenexporten in diesem Parlament zu beraten und insofern den Bereich der Bundesregierung, den vor Öffentlichkeit zur Zeit sehr wohl geschützten Bereich, einmal gemeinsam in Frage zu stellen?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, zunächst einmal gibt die Bundesregierung weitestgehend Auskunft, auch in den Fragestunden des Bundestages. Wir haben zu diesem Bereich in den letz12930 ten zwei Jahren über 300 Einzelfragen beantwortet. Ich meine, das ist eine sehr große Zahl. Was den Entwurf der SPD-Fraktion anlangt, so befindet er sich in den Ausschüssen. Er wird dort beraten. Es ist das Parlament, das letzten Endes darüber zu entscheiden haben wird, wie wir künftig verfahren, ob es bei dem bleibt, was sich bewährt hat, oder aber ob neue, andere Wege gegangen werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Mann auf: Verfolgt die Bundesregierung bei ihrer Rüstungsexportpolitik das vom Bundeskanzler angegebene Ziel „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen"?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Mann, Ziel der konsequenten Friedenspolitik der Bundesregierung bleibt es, auf einen Zustand spannungs- und konfliktfreier Beziehungen zwischen den Staaten auf möglichst niedrigem Rüstungsniveau hinzuwirken. Allerdings kann auch anderen Staaten nicht verwehrt werden, was wir für uns selbst in Anspruch nehmen, nämlich die Sicherung gegen Bedrohung von außen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, bitte schön.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ist der Slogan der Bundesregierung so zu verstehen, daß immer mehr Waffen exportiert werden und deshalb weniger Waffen im eigenen Lande sind?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, dies ist eine völlig schiefe und falsche Interpretation dessen, was der Bundeskanzler zum Ausdruck gebracht hat. Unsere Rüstungsexportpolitik ist restriktiv; restriktiv wie in keinem anderen Lande. Sie trägt eben genau dazu bei, dem Ziel zu entsprechen, das Sie in Ihrer Frage formuliert haben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte der Lebendigkeit wegen gerne meinen Kollegen von der anderen Seite den Vortritt lassen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Dann muß ich zunächst einmal Ihrem Kollegen Rusche, der sich eher gemeldet hat, die Möglichkeit einer Zusatzfrage geben. - Bitte sehr.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Dienen die exportierten Waffen ausschließlich der Friedenserhaltung oder sonst irgendwelchen wie immer gearteten „vitalen" Interessen?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, wir können uns nicht auf den Standpunkt stellen, daß für uns Waffen notwendig sind, um den Frieden zu sichern - was der Fall ist -, andere aber keine Waffen erhalten sollen, weil bei ihnen Waffen nicht ein Element der Friedenssicherung wären. Wir prüfen in jedem Einzelfall. Je nachdem, was diese Prüfung ergibt, wird dann auch entschieden. Es sind diese Aspekte, es ist dieser Grundsatz, auf den dabei entscheidend abgehoben wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Berger, bitte schön.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß es der Bundeswehr Gott sei dank bisher gelungen ist, den Frieden zu bewahren, und daß wir auf wichtigen Feldern der Rüstung, etwa der nuklearen Rüstung, heute weniger Waffen haben als 1982?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Ich kann Ihnen da y oll und ganz zustimmen. Dies ist das Ergebnis der Politik dieser Bundesregierung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun der Abgeordnete Schily, bitte sehr.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Gibt Ihnen nicht die Äußerung eines Jugendlichen, der hier kürzlich in der Jugendstunde des Deutschen Bundestages aufgetreten ist und sinngemäß erklärt hatte, es solle in Zukunft nicht nur kein Krieg mehr von deutschem Boden ausgehen, sondern es sollten in Zukunft von deutschem Boden auch keine Waffen mehr in die Welt geliefert werden, Veranlassung, die bisherige Waffenexportpolitik der Bundesregierung zu überprüfen?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, ich darf darauf hinweisen, daß es darum geht, den Frieden zu bewahren. Das ist das Ziel, und unsere Waffenexporte sind darauf abgestellt. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Entscheidung darüber getroffen, ob ein Waffenexport genehmigt wird oder nicht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie wünschen, Ihre zweite Zusatzfrage zu stellen. Bitte sehr.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, da Sie j a 301 Fragen, glaube ich, beantwortet haben, dürfte es Ihnen nicht schwerfallen, meine jetzige Frage zu beantworten: Wie hat sich der Waffenexport in den letzten Jahren - während der Regierungszeit der sozialliberalen Koalition und in den letzten Jahren während Ihrer Regierungszeit - entwickelt? Soweit ich informiert bin, ist er ganz erheblich gestiegen. Aber wenn Sie das vielleicht einmal präzisieren könnten, damit wir die Richtigkeit Ihrer schönen, allgemeinen Formulierungen an Hand der konkreten Lieferungen nachprüfen können.

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, diese Frage steht mit der ursprünglichen Frage nicht im Zusammenhang. Das ist eine neue Frage. Sie fragen Zahlen ab. Diese Zahlen habe ich im Augenblick nicht zur Verfügung. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, Sie haben die Frage entsprechend beantwortet. Damit ist die Frage 48 abgeschlossen. Vizepräsident Cronenberg Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Rusche auf: Trifft es zu, daß allein 1982 von der saudiarabischen Grenzpolizei militärische und polizeiliche Ausrüstungen im Wert von 1 Milliarde DM in der Bundesrepublik Deutschland gekauft bzw. bestellt wurden?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Rusche, die Bundesregierung kann nicht bestätigen, daß 1982 von der saudiarabischen Grenzpolizei militärische und polizeiliche Ausrüstungen im Wert von 1 Milliarde DM in der Bundesrepublik Deutschland gekauft bzw. bestellt wurden. Der Wert aller im Jahr 1982 für Saudi-Arabien erteilten Ausfuhrgenehmigungen ist erheblich niedriger als die von Ihnen angegebene Summe.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zwischenfrage, bitte schön.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung denn zur Kenntnis genommen, daß über die Bestellung von kompletten Kasernenanlagen, 30 Küstenwachbooten, Fernmeldeeinrichtungen, Alarmanlagen, Sicherungsanlagen für Gebäude und Fahrzeuge aller Art beispielsweise die „Bild am Sonntag" am 8. August 1982 berichtet hat?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, ich darf noch einmal darauf hinweisen: Der Betrag, den Sie genannt haben, ist weit überhöht. Der Wert für die Ausfuhrgenehmigungen, die erteilt worden sind - Genehmigungen; soweit es sich um die Statistik handelt, geht es nicht um den Kauf und die Bestellung, sondern um Genehmigungen, was noch lange nicht bedeutet, daß auch tatsächlich ausgeführt wird -, liegt in seinem Gesamtbetrag erheblich niedriger als die von Ihnen genannte Zahl.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, könnten Sie die entsprechende erheblich niedrigere Zahl nennen?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, das ist eine Zahl, die zwischen der von Ihnen genannten Zahl und 100 Millionen DM liegt; etwa in der Mitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Schily wünscht, eine Zusatzfrage zu stellen. Bitte schön.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie vielleicht die Zahl hinsichtlich der Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien insofern etwas präzisieren, als Sie uns angeben, welche der von der saudiarabischen Militärdelegation im Dezember 1983 besuchten Firmen - AEG, MBB, Siemens, Krauss-Maffei, Iveco-Magirus, SEL, Thyssen-Henschel, Dynamit-Nobel - bisher Anfragen bezüglich Genehmigungen für Saudi-Arabien-Ausfuhren von Waffen an die Bundesregierung gerichtet haben?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, das kann ich nicht. Das könnte ich Ihnen auch dann nicht sagen, wenn ich die Zahlen jetzt verfügbar hätte, weil hier andere Gründe eine Rolle spielen, die Zahlen nicht zu nennen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Mann, bitte sehr.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, da wir ja so lernfähig sind, wäre es schön, wenn Sie die anderen Gründe etwas präziser nennen würden. Ich interessiere mich aber dafür - ich bitte um Beantwortung dieser Frage -: Was heißt denn jetzt „erheblich niedriger" als der Betrag von 1 Milliarde DM? Könnten Sie diesen unbestimmten Begriff einmal ein wenig präzisieren? Sind es 500 Millionen DM, sind es 250 Millionen DM gewesen oder erlaubt die Achtung vor diesem Parlament wiederum nicht, auch diese Frage wahrheitsgemäß zu beantworten? ({0})

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, ich habe vorhin - Sie haben vielleicht nicht genau zugehört - eine Rechenoperation vorgenommen und davon gesprochen, daß eine Zahl vom Fragesteller genannt worden ist und sich die tatsächliche Zahl zwischen der genannten und 100 Millionen DM bewegt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. - Dann rufe ich die Frage 50 des Abgeordneten Rusche auf: Wann hat die Bundesregierung den Export von BO 105 Panzerabwehrhubschraubern nach Saudi-Arabien genehmigt?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Rusche, die Bundesregierung hat im Mai 1984 den vorübergehenden Export eines - ich wiederhole: eines Militärhubschraubers BO 105 nach Saudi-Arabien zum Zwecke der Vorführung genehmigt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, bitte schön.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, welche vitalen Interessen der Bundesrepublik sprachen für die Genehmigung des Hubschrauberexports?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, ich habe Ihnen bereits vorhin eine Antwort dazu gegeben, von welchen Grundsätzen sich die Bundesregierung leiten läßt, wenn sie Genehmigungen für den Export von Rüstungsgütern erteilt. In diesem Falle hat es sich - ich wiederhole es - um eine Genehmigung gehandelt, diesen Hubschrauber zu überführen und ihn dort vorführen zu können. Der Hubschrauber ist dann anschließend wieder in die Bundesrepublik zurückgekehrt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Rusche.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich kann doch auf Grund Ihrer Aussage annehmen, daß Sie den Hubschrauber zum Testen zur Verfügung gestellt haben und daß dem auch eventuell Aufträge folgen werden: Wie werden Sie sich bei der Genehmigung solcher Aufträge verhalten?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Nun, Herr Kollege, dies ist eine hypothetische Frage, die Sie stellen; normalerweise gebe ich darauf keine Antwort. Aber ich kann Ihnen dazu gleichwohl sagen, daß über die Genehmigung von tatsächlichen Exporten zu gegebener Zeit - unter Berücksichtigung der dann gegebenen Umstände - zu entscheiden wäre. Ihre Frage ist auch insofern hypothetisch, als - soweit uns bekannt ist - noch gar nicht feststeht, ob die Firma, die diese Ausfuhr vorgenommen hat, bei der internationalen Ausschreibung, um die es sich dort gehandelt hat, überhaupt zum Zuge kommen wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Borgmann.

Annemarie Borgmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000234, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Wann hat die Bundesregierung die Mitglieder des Auswärtigen Ausschusses über die Genehmigung informiert?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Ich weiß nicht, ob dies geschehen ist, ob eine solche Information stattgefunden hat. Aber die Bundesregierung ist auch nicht verpflichtet, den Auswärtigen Ausschuß über eine solche Genehmigung zu informieren. Sie hat sich auch nicht selbst verpflichtet, dies zu tun. Noch einmal: Es handelt sich um den Export zu Vorführzwecken und die Rückführung in die Bundesrepublik.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist die Regierung Saudi-Arabiens bei Abwicklung dieses Rüstungsgeschäfts - und möglicherweise auch bei anderen Rüstungsgeschäften mit Saudi-Arabien - Verpflichtungen bezüglich der Nichtweitergabe von aus Rüstungsexporten gewonnenen Informationen bzw. des Rüstungsgutes selber eingegangen, und wenn das geschehen ist, in welcher Form hat das stattgefunden?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege, Sie haben offenkundig eine andere Frage zum Gegenstand Ihrer Zusatzfrage gemacht; denn es hat kein Rüstungsgeschäft stattgefunden. Es ist eine Genehmigung für eine Ausfuhr erteilt worden, die mit der Rückführung dieses Objekts verbunden war. Dies war alles, Herr Kollege; darauf habe ich geantwortet.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. - Herr Abgeordneter Berger, Sie haben eine Zusatzfrage.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß der Export aus der Bundesrepublik Deutschland nach Saudi-Arabien für uns als Industrienation von vitalem Interesse ist, und ist es weiter zutreffend, daß Saudi-Arabien in der dortigen Region zu den Stabilitätsfaktoren gehört?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Berger, ich habe unsere Grundsätze, die wir zugrunde legen, wenn wir Entscheidungen über Genehmigungen treffen, vorgetragen. Ich habe darauf hingewiesen, daß in jedem Einzelfall eine Prüfung erfolgt, daß unsere Rüstungsexportpolitik sehr restriktiv gehandhabt wird und daß dann, wenn dies erfolgt, die Gesichtspunkte, die Sie soeben angesprochen haben, die ausschlaggebende Rolle spielen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Entschuldigung, der Abgeordnete Mann ist der nächste, der bei mir auf der Liste der Fragesteller steht, und ich möchte das auch korrekt einhalten, um mir Vorwürfe zu ersparen. Herr Abgeordneter, Ihre Zusatzfrage.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Vielen Dank, Herr Präsident! - Herr Staatssekretär, können Sie denn etwas dazu sagen, ob auf Grund dieser Vorführung schon ein Antrag auf Genehmigung vorliegt oder in Aussicht steht? Außerdem würde mich interessieren: Wie hoch ist der Wert eines einzigen Hubschraubers?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Ich kann Ihnen sagen, daß Genehmigungen der Ausfuhr von Hubschraubern auf Grund dieser Vorführung bisher nicht erteilt und auch nicht beantragt worden sind. ({0}) - Es tut mir leid, ich bin kein Militärexperte und kann Ihnen da - auch nicht annähernd - eine Zahl nennen. Vizepräsident Cronenberg. Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich, bitte.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist es bei diesem Vorführexport, der da mit Rückkehr des Objekts in die Bundesrepublik stattgefunden hat, so gewesen, daß sich Saudi-Arabien verpflichtet hat, dabei gewonnene Informationen militärtechnischer Art nicht an Dritte weiterzugeben und nicht für sich selbst auszuwerten?

Dr. Rudolf Sprung (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002208

Herr Kollege Emmerlich, wie soll es möglich sein, Erkenntnisse zu gewinnen, wenn eine Maschine vorgeführt wird und dabei durch die Luft schwebt? Ich weiß nicht, wie das aussehen soll. Das, was interessant ist, steckt ja in der Maschine. Es kann bei einer Vorführung nicht erkannt werden. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, damit haben Sie alle gestellten Fragen - wenn auch vielleicht nicht zur Zufriedenheit der Fragesteller - beantwortet. Ich bedanke mich und wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beant- Vizepräsident Cronenberg wortung der Fragen steht Staatsminister Vogel zur Verfügung. Ich rufe Frage 8 des Abgeordneten Reuter auf: Wie hat der ehemalige Staatssekretär Boenisch vor seiner Ernennung am 9. Mai 1983 den Punkt 33) des von ihm ausgefüllten Fragebogens beantwortet, in dem nach schwebenden Ermittlungs-, Straf- und Dientsstrafverfahren gefragt wird? Herr Staatsminister! Vogel Staatsminister beim Bundeskanzler: Herr Kollege Reuter, ich bedaure außerordentlich, gehindert zu sein, Ihnen die gewünschte Auskunft zu geben. Es dürfte Ihnen bekannt sein, daß der Personalbogen, auf den Sie Bezug nehmen, Bestandteil der Personalakten ist. Personalakten unterliegen einem besonderen Vertraulichkeitsschutz; diesen kann ich hier nicht brechen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß gerade bei herausgehobenen Persönlichkeiten wie bei einem Staatssekretär dieser Bundesregierung ein legitimes öffentliches Interesse daran besteht, hier im Deutschen Bundestag zu erfahren, welche Hintergründe bei Ihnen im Bundeskanzleramt vorliegen? ({0})

Not found (Gast)

Ich kann im Augenblick nur davon ausgehen, daß Sie dieses Interesse haben. Ich habe Ihnen gesagt, weshalb ich gehindert bin, Ihr Interesse zu befriedigen, Herr Kollege.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage. Bitte.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da Sie im Bundeskanzleramt durch den Bundeskanzler doch, wenn ich mich richtig erinnere, über die Richtlinienkompetenz verfügen, frage ich Sie: Warum wird eigentlich bei der Einstellung eines kleinen Postbeamten ein anderer Maßstab angelegt als bei der Einstellung eines Staatssekretärs der Bundesregierung?

Not found (Gast)

Wir sprechen hier über den Vertraulichkeitsschutz bei Personalakten, und da gibt es überhaupt keinen Unterschied zwischen einem Postbeamten und einem Staatssekretär.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klein ({0}).

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nach § 12 des Bundesbeamtengesetzes ist eine Ernennung dann zurückzunehmen, wenn sie arglistig erschlichen worden ist; die genaue Formulierung kann ich Ihnen gerne vorlesen. Meine Frage ist: Hat die Bundesregierung, nachdem die Verstöße von Herrn Boenisch bekannt wurden, beabsichtigt, Herrn Boenisch aus dem Amt zu entlassen?

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Sie unterstellen hier Dinge. Es sind hypothetische Fragen, die Sie stellen. Hypothetische Fragen können auch nur hypothetisch beantwortet werden, und das tue ich nicht. Vizepräsident Cronenberg. Herr Abgeordneter Schily, bitte.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, jetzt unabhängig von irgendwelchen Fragebögen: Hat Herr Boenisch seinerzeit die Bundesregierung von einem oder mehreren schwebenden Straf- oder Ermittlungsverfahren unterrichtet?

Not found (Gast)

Herr Kollege Schily, Sie können mich auch nicht auf Umwegen dazu bringen, Fragen nach etwas zu beantworten, was sich ja nach Auffassung des Kollegen, der die Ausgangsfrage eingebracht hat, aus der Personalakte ergeben soll. Auch auf Umwegen kann ich die Vertraulichkeit von Personalakten nicht brechen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Stahl, bitte.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nun geht es ja nicht um die Vertraulichkeit von Personalakten. Wenn der Bundeskanzler einen engen Vertrauten einstellt, einen Staatssekretär in seinem Amt, der für die Öffentlickeitsarbeit zuständig ist, geht man doch davon aus, daß er mit ihm vor der Einstellung bzw. ihrer Festlegung ein längeres persönliches Gespräch - oder ein Gespräch unter Zeugen - führt. Hat dieser ehemalige Staatssekretär Boenisch in diesem Gespräch dem Herrn Bundeskanzler Andeutungen über ein mögliches Strafverfahren oder über Verstickungen, die mit einem Gesetzeskonflikt zusammenhängen und die dazu führen könnten, ihn nicht einzustellen, irgend etwas verlauten lassen?

Not found (Gast)

Ich weiß nicht, ob solche Gespräche stattgefunden haben, Herr Kollege. Wenn sie stattfgefunden haben, waren es persönliche Gespräche, und über persönliche Gespräche pflegen wir grundsätzlich auch keine Auskünfte zu erteilen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, liegt der tiefere Grund für die Beantwortung der Fragen in der bisherigen Art vielleicht darin, daß steuerstrafrechtliche Ermittlungsverfahren bei dieser Bundesregierung zur Normalität gehören?

Not found (Gast)

Herr Kollege, das ist eine polemische Frage, und polemische Fragen könnte ich allenfalls polemisch beantworten. Ich will mir das versagen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dr. Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie mit mir der Meinung, daß die Tatsache, ob ein so hoher politischer Posten wie der des Staatssekretärs Boenisch auf Grund der Verschweigung des hier in Rede stehenden Sachverhalts besetzt wor12934 den ist, ein politischer Sachverhalt ist, der für die politische Beurteilung der Kompetenz des Bundeskanzlers und seiner Mitarbeiter von Bedeutung ist und deshalb öffentlich gemacht werden muß, und sind Sie zusätzlich der Meinung, daß es angemessen ist, auf einen solchen Sachverhalt lapidar mit dem bloßen Hinweis auf die Vertraulichkeit von Personalakten zu reagieren?

Not found (Gast)

Herr Kollege Emmerlich, ich finde Ihre Ausführungen recht interessant. Sicher haben wir irgendwann Gelegenheit, auf diese Ihre Ausführungen hier in anderen Zusammenhängen noch einmal zurückzukommen. Ich muß trotzdem bei dem bleiben, was ich gesagt habe.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Rusche hat um eine Zusatzfrage gebeten.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir der Meinung, daß polemische Zusatzfragen in diesem Zusammenhang genehmigt werden bzw. beantwortet werden müßten, wenn von den Mitgliedern des Hauses von Ihnen gegebene Antworten als polemisch empfunden werden?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, die Frage lasse ich nicht zu, weil sie nicht in direktem Zusammenhang mit der gestellten Frage steht. Der Abgeordnete Immer hat dafür die Möglichkeit, eine Frage zu stellen.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist die Bundesregierung bereit, einmal nachprüfen zu lassen und dem Hohen Hause Mitteilung darüber zu machen, ob und wann diesbezügliche Gespräche zwischen dem Bundeskanzler und dem anzustellenden Staatssekretär Boenisch geführt worden sind?

Not found (Gast)

Herr Kollege Immer, ich habe vorhin schon einmal gesagt, wenn es ein solches Gespräch gegeben hat, war es ein persönliches Gespräch. Über den Inhalt persönlicher Gespräche wird nichts mitgeteilt. Außerdem wäre ohnehin die Frage zu stellen, inwieweit nicht auch der Inhalt eines solchen Gespräches dem Vertraulichkeitsschutz unterliegen würde.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe Frage 9 des Abgeordneten Klein ({0}) auf: Hatte der ehemalige Staatssekretär Boenisch Nebeneinkünfte, die außerhalb seines Staatssekretärsgehaltes lagen, angezeigt, und hatte er während seiner Tätigkeit im Bundespresse- und Informationsamt der Bundesregierung eine oder mehrere Nebentätigkeitsgenehmigungen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Klein, ich möchte wegen des thematischen Zusammenhangs Ihre Fragen im Zusammenhang beantworten, wenn Sie einverstanden sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie sind nicht einverstanden? ({0}) - Bitte sehr. Herr Staatsminister, dann beschränken wir uns auf die Beantwortung der Frage 9 des Abgeordneten Klein ({1}).

Not found (Gast)

Ja, ich will die Frage 9 gerne beantworten. Auch hier geht es um Fragen, die Gegenstand von Bemerkungen in Personalakten sein würden, was Nebeneinkünfte angeht. Nebentätigkeiten eines Beamten betreffen seine persönlichen und dienstlichen Verhältnisse in bezug auf den Dienstherrn. Sie unterliegen damit ebenfalls dem Vertraulichkeitsschutz. Insoweit kann ich mich auf meine Antwort auf die Frage des Kollegen Reuter beziehen. Ich möchte aber im übrigen darauf verweisen, daß nach dem geltenden Beamtenrecht nicht jede Nebentätigkeit genehmigungspflichtig ist und auch nicht jede Einnahme aus Nebentätigkeiten anzeigepflichtig ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben eine Zusatzfrage.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist beispielsweise das Werben für Mercedes-Produkte genehmigungspflichtig oder nicht? Dies hat der Staatssekretär während seiner Amtszeit getan.

Not found (Gast)

Dies ist eine Unterstellung von Ihnen. ({0}) Wenn ich jetzt auf diese Unterstellung einginge, müßte ich damit ebenfalls auf den Inhalt von Personalakten Bezug nehmen, Herr Kollege. Ich finde es ja sehr interessant, daß Sie Monate nach dem Ausscheiden von Herrn Boenisch immer noch ein recht beachtliches Fragebedürfnis haben. Aber ich kann nicht darüber hinwegsehen, daß auch gegenüber Herrn Boenisch das gilt, was gegenüber jedem Beamten gilt, nämlich daß seine Personalakten einem Vertraulichkeitsschutz unterliegen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Klein, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, vielleicht hat die Beharrlichkeit, mit der hier nachgefragt wird, mit der Qualität Ihrer Antworten heute und vorgestern zu tun. ({0}) Meine Frage: Können Sie mir erläutern, wie das Amtsgericht Berlin Tiergarten zu der Strafzumessung von 1 080 000 DM als Steuerstrafe kam, ({1}) wobei ein Tagessatz von 3 000 DM netto zu Grunde gelegt worden ist, und zwar zu einem Zeitpunkt, als Herr Boenisch noch Staatssekretär war? Wenn ich richtig nachrechne, konnte Herr Staatssekretär Boenisch zu diesem Zeitpunkt aus seinem Gehalt als Staatssekretär ein Nettoeinkommen von allenfalls 400 DM am Tag haben. Können Sie das erklären?

Not found (Gast)

Wie es dazu gekommen ist, würde nur das Amtsgericht Tiergarten beantworten können, nicht ich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Herr Abgeordnete Schily hat eine Zusatzfrage.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, bei allem Verständnis auch für Datenschutz für Beamte möchte ich Sie doch fragen, ob es zu den Gepflogenheiten der Bundesregierung gehört, hohen Beamten, die für die Bundesregierung tätig sind, die Genehmigung zu erteilen, für eine bestimmte Automobilfirma während ihrer Dienstjahre Reklame zu machen.

Not found (Gast)

Herr Kollege Schily, in Ihrer Frage liegt eine Unterstellung. Und auf Unterstellungen lasse ich mich nicht ein. Da können Sie also so rum fragen und so rum fragen und noch mals anders rum fragen: Sie werden bei mir die gleiche Antwort bekommen, daß gegenüber jedem Beamten die Verpflichtung besteht, auf den Vertraulichkeitsschutz hinsichtlich seiner Personalakten Rücksicht zu nehmen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Schily, es läßt sich auch darüber streiten, ob der direkte Zusammenhang gegeben war.

Not found (Gast)

Schönen Dank, Herr Präsident.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Reuter hat nun eine Zusatzfrage. Ich bitte, sie zu stellen.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, wenn ich als Abgeordneter einen Assistenten hier einstelle und er ein Hauptbeschäftigungsverhältnis hat, muß er eine Nebentätigkeitsgenehmigung vorlegen. Ich gehe davon aus, daß Sie in der Bundesregierung nicht anders handeln. Da frage ich Sie: Wie ist es eigentlich mit dem Bemühen der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit abzubauen, vereinbar, wenn Sie einen Mann einstellen, der schon 3 000 DM am Tag verdient, und zwar netto, Herr Staatsminister?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich habe hier ausgeführt, daß Nebentätigkeiten nicht in allen Fällen genehmigungspflichtig sind und daß Nebeneinkünfte nicht in allen Fällen angezeigt werden müssen. Dies ist eine Frage des jeweiligen Sachverhalts. Sie können sicher davon ausgehen, daß der jeweilige Sachverhalt nach den rechtlichen Bestimmungen geprüft und bewertet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, zunächst eine Vorbemerkung. Ihr früherer Kollege Boenisch war ein politischer Beamter.

Not found (Gast)

Das spielt doch keine Rolle. Das ist doch ein Beamter. Das wissen Sie doch, Herr Kollege Mann. Sie sind j a Jurist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich möchte nicht einen Dialog beginnen lassen.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich habe die Frage an Sie - und das erklärt unsere Neugier -: Stimmen Sie mir darin zu, daß wir, wenn wir, gerade von Ihrer Seite her, so oft von Selbstreinigung sprechen, auch an politische Beamte Anforderungen wie nach den Verhaltensrichtlinien an Abgeordnete stellen sollten. die ihre Verhältnisse zu offenbaren haben?

Not found (Gast)

Herr Kollege Mann, es müßte Ihnen eigentlich bekannt sein, daß auch für politische Beamte die beamtenrechtlichen Vorschriften und nicht die Vorschriften für Abgeordnete gelten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da ich vorhin eine Zusatzfrage zu der Frage von Herrn Reuter gestellt habe und Sie diese nicht beantwortet haben, frage ich nochmals: Wann hat das Einstellungsgespräch von Herrn Boenisch mit dem Bundeskanzler stattgefunden? Können Sie das einmal an Hand des Terminkalenders des Herrn Bundeskanzlers erforschen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Stahl, ich lasse die Frage nicht zu. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß sie im Zusammenhang mit der zuvor diskutierten Frage berechtigt war. Ein Zusammenhang mit der Frage 9 des Abgeordneten Klein ist aber nicht zu erkennen. Die Entscheidung des Präsidenten müssen Sie schon respektieren. ({0}) Herr Abgeordneter Immer möchte eine Zusatzfrage stellen.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem doch in der Öffentlichkeit durch Presse- und Anzeigenkampagnen deutlich ist, daß Herr Staatssekretär Boenisch neben seinem Amt im Rahmen der Werbung für ein aus Parteispendenaffären bekanntes Unternehmen tätig geworden ist, möchte ich Sie fragen, ob Herr Boenisch heutzutage, da er jetzt landauf, landab als Werber für die Bundesregierung tingelt, von der Bundesregierung einen Anstellungsvertrag erhalten hat, wonach er Geld bekommt. ({0})

Not found (Gast)

Zunächst einmal dies: Sie beziehen sich auf Pressemitteilungen und unterstellen Sachverhalte. ({0}) Ich bin nicht in der Lage, dazu jetzt wirklich Stellung zu nehmen, weil ich sonst aus dem Inhalt der Personalakten berichten müßte. Das möchte ich sehr deutlich sagen, ({1}) - Ich nehme so Stellung, wie es die rechtliche Situation zuläßt. ({2}) Sie wollen das nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist schlicht und einfach die Situation.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nun rufe ich Herrn Abgeordneten Dr. Emmerlich auf, der gebeten hatte, eine Zusatzfrage zu stellen.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, unterstellt, ein Mitglied der Bundesregierung oder der Leiter des Presseamtes habe während seiner Amtszeit einen Werbevertrag mit einer Automobilfirma: Würden Sie das für einen Verstoß gegen Rechtspflichten, insonderheit aber für eine schlimme Mißachtung politischer Pflichten im Zusammenhang mit der Sauberkeit der Amtsführung halten? ({0})

Not found (Gast)

Herr Kollege Emmerlich, Sie haben den Fehler begangen, eine hypothetische Frage zu stellen. ({0}) Auf hypothetische Fragen kann ich nur hypothetische Antworten geben. Das aber tue ich nicht.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe nun die Frage 10 des Abgeordneten Klein auf: Falls Herr Boenisch während seiner aktiven Tätigkeit Nebeneinkünfte hatte, ohne eine Nebentätigkeitsgenehmigung zu besitzen, sieht sich die Bundesregierung durch ein solches Verhalten getäuscht, und welche Schlußfolgerungen zieht sie gegebenenfalls daraus?

Not found (Gast)

Herr Kollege Klein, ich habe die Frage 10 schon im Zusammenhang mit der Frage 9 beantwortet, und ich kann auf diese Antwort Bezug nehmen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klein.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, gestatten Sie mir, zunächst anzumerken, daß ich aus dieser Fragestunde dümmer und uninformierter herausgehe, als ich hereingekommen bin. Nun meine Frage: Ist Ihnen das Gutachten des Berliner Justizsenators Rupert Scholz ({0}) bekannt, in dem er 1980 feststellte, daß die Informationspflicht gegenüber dem Parlament einen Vorrang vor dem Schutz von Personaldaten und vor dem Schutz des Steuergeheimnisses hat?

Not found (Gast)

Ich finde Ihre Bemerkung interessant. Ich bin gerne bereit, das bei Herrn Scholz nachzulesen, weil ich dann sicherlich darauf stoße, daß er von anderen Zusammenhängen spricht und daß es sich nicht um einen hier einschlägigen Fall handelt. Zu Ihrer ersten Bemerkung muß ich sagen: Das bedaure ich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klein.

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, darf ich Ihnen in den nächsten Tagen Pressemitteilungen auf Ihren Tisch legen, aus denen deutlich wird, daß der ehemalige Staatssekretär Boenisch in den letzten Wochen durch das Land tingelt, wie hier gesagt worden ist, Reden hält und sich Bemerkungen etwa des Inhalts leistet, daß die Abgeordneten mehr in Nairobi als in ihrem Wahlkreis zu Hause seien, und wie bewertet die Bundesregierung diese Äußerungen des ehemaligen Staatssekretärs gegenüber einem Verfassungsorgan, nämlich dem Parlament?

Not found (Gast)

Unabhängig davon, daß ich keinen Zusammenhang mit Ihrer Ausgangsfrage sehe

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Es ist wirklich kein Zusammenhang zu erkennen.

Not found (Gast)

- möchte ich nur darauf hinweisen, daß Herr Boenisch aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden ist. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Die nächste Zusatzfrage hat, wenn er noch darauf besteht, der Abgeordnete Dr. Emmerlich. - Ich bitte den Abgeordneten Dr. Emmerlich, seine Zusatzfrage zu stellen.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, können Sie mir Auskunft darüber geben, ob die Bundesregierung wegen der hier wiedergegebenen, öffentlich erhobenen Vorwürfe gegen Herrn Staatssekretär Boenisch dienstrechtliche Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet hat, und wenn nein: Beabsichtigt die Bundesregierung, auf Grund der heutigen Fragestunde solche dienstrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen einzuleiten?

Not found (Gast)

Herr Emmerlich, wenn ich Ihnen jetzt sagen würde, die Bundesregierung hat Ermittlungsmaßnahmen eingeleitet oder sie hat Ermittlungsmaßnahmen nicht eingeleitet, würde ich Ihnen damit gleichzeitig wiederum Auskunft aus den Personalakten geben. Das ist für Sie ja auch unschwer erkennbar.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, müssen wir aus der Tatsache, daß Sie heute unsere Fragen nicht beantworten oder defensiv beantworten - mit einer sehr tief gestaffelten Abwehr - folgern, daß Sie die Frage, ob hohe Beamte der BundesreSchily gierung Nebeneinkünfte anzeigen oder nicht, generell nicht überprüfen?

Not found (Gast)

Nein, das können Sie daraus nicht folgern.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dreßler.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, darf ich aus Ihrer Beantwortung der Frage 10 entnehmen, daß sich die Bundesregierung durch das Verhalten des ehemaligen Staatssekretärs Boenisch nicht getäuscht fühlt?

Not found (Gast)

Nein. Dreßler ({0}): Das heißt -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Dreßler, das war eine klare Beantwortung Ihrer Frage. Der Abgeordnete Mann hat eine Zusatzfrage.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muß mich zunächst entschuldigen, daß ich Sie mehrfach falsch angeredet habe. Herr Staatsminister, nachdem Sie auf die Frage des Kollegen Klein nach dem Scholz-Gutachten geantwortet haben, Sie würden das nicht kennen, und dieses immerhin im Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Rolle gespielt hat: Wie ernst nehmen Sie eigentlich Ihre Amtspflichten als Minister, und wie ernst - Sie waren auch einmal in der Opposition und werden es wieder sein - nehmen Sie die Kontrollrechte dieses Parlaments?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, das ist eine Frage, die nicht im direkten Zusammenhang zu der Frage 10 steht. Sie werden Verständnis dafür haben, daß ich sie nicht zulasse. ({0}) Der Herr Abgeordnete Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem Sie auf die Frage des Herrn Kollegen Klein sinngemäß geantwortet haben, daß das, was Herr Boenisch über ein Verfassungsorgan heute sagt, nicht relevant sei, da er aus dem Dienst ausgeschieden sei, möchte ich Sie fragen, ob nicht für einen Beamten auch nach dem Ausscheiden aus dem Dienst die Loyalitätspflicht besteht, die Verfassungsorgane dieser Bundesrepublik fair und objektiv zu behandeln und keine negativen Äußerungen über Verfassungsorgane zu machen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Immer, ich habe vorhin gesagt, Herr Boenisch ist aus dem Beamtenverhältnis ausgeschieden. Loyalitätspflichten könnten sich auf die Zeit seines Beamtenverhältnisses beziehen. Ich möchte dies betonen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Abgeordnete Stahl hat um eine Zusatzfrage gebeten.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, nachdem Sie auf die Zusatzfrage von Herrn Dreßler geantwortet haben, daß sich die Bundesregierung getäuscht fühlt - so habe ich das verstanden -, muß ich nochmals nachfragen, ob und wann der Bundeskanzler zumindest vor der Entlassung des Herrn Staatssekretärs mit ihm ein Gespräch geführt hat, denn es ist j a üblich, daß bei der Entlassung eines derart hohen Staatsbeamten wie Herrn Boenisch ein derartiges Gespräch stattfindet. Können Sie sagen, wann dieses Gespräch stattgefunden hat?

Not found (Gast)

Herr Kollege, hier gilt das gleiche, was ich schon zu der Frage nach dem Einstellungsgespräch gesagt habe. Ich bitte sehr um Nachsicht. Aber ich nehme meine Pflichten in jeder Hinsicht ernst, auch die Pflichten, die gegenüber dem Beamten bestehen, insbesondere soweit es sich um die Personalakten handelt. Ich wundere mich sehr, daß dies hier von Kollegen, die sonst großen Wert auf die Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen legen, nicht eingesehen wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Rusche.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sie betonten vorhin die Gleichbehandlung von hohen und kleineren Beamten in Sachen Geheimschutz. Ich wollte jetzt von Ihnen wissen, ob eine Gleichbehandlung von kleinen und hohen Beamten in bezug auf die in den Fragen angegebenen Nebeneinkünfte stattfindet.

Not found (Gast)

Die Gleichbehandlung ist rechtlich vorgeschrieben, und die Bundesregierung bemüht sich, das, was rechtlich vorgeschrieben ist, auch zu tun. ({0}) - Ich habe so konkret geantwortet, wie Sie gefragt haben, Herr Kollege. Vizepräsident Cronenberg. Die Frage 11 des Abgeordneten Schäfer ({1}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes erledigt. Herr Staatsminister, ich bedanke mich. Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung. Ich rufe die Frage 12 des Abgeordneten Dr. Müller ({2}) auf: Kann die Bundesregierung bestätigen, daß Vertreter deutscher Firmen bei Botschaften der Bundesrepublik Deutschland im Ausland im diplomatischen Dienst eingestellt worden sind, ihre Stellen aber weiter von ihren Firmen finanziert werden?

Not found (Gast)

Herr Kollege Müller, seit Anfang 1981 werden im Rahmen einer Absprache mit dem BDI jüngere Führungskräfte der Wirtschaft befristet als Wirtschaftsreferenten an ausgewählten Auslandsvertretungen eingesetzt. Dies geht auf Anregungen aus der deutschen Wirtschaft zurück, mit denen ein Personalaustausch zwischen Wirtschaft und aus12938 wärtigem Dienst befürwortet wurde und die auch Eingang in den Bericht der Kommission für die Reform des auswärtigen Dienstes - der sogenannten Herwarth-Kommission - gefunden haben. Zur Zeit sind vier jüngere Führungskräfte aus der Wirtschaft als Wirtschaftsreferenten an den Auslandsvertretungen in Tokio, Osaka-Kobe, Canberra und Kuwait eingesetzt. Die Entsendung ist auf der Grundlage von Dienstverträgen erfolgt, die auf drei Jahre befristet sind. Die entsandten Mitarbeiter aus der Wirtschaft sind entsprechend der von ihnen ausgeübten Referententätigkeit in die Vergütungsgruppe BAT I b - das entspricht ungefähr A 14 - eingruppiert und erhalten vom Auswärtigen Amt die für den jeweiligen Auslandsdienstort vorgesehene Vergütung. Das Auswärtige Amt hat keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie daneben von ihren früheren Arbeitgebern Zuwendungen erhalten. Es ist lediglich bekannt, daß Vereinbarungen über die Fortführung der von den Firmen für ihre Mitarbeiter eingegangenen Altersversorgungsmaßnahmen getroffen worden sind. Das ist auch sinnvoll, weil diese Mitarbeiter nach Ablauf der befristeten Tätigkeit im Auswärtigen Dienst zu ihren Unternehmen zurückkehren werden. Vizepräsident Cronenberg. Zusatzfrage des Abgeordneten Müller, bitte schön.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Möllemann, ist es möglich, die Frage zu beantworten, aus welcher Branche diese Mitarbeiter kommen bzw. welche Firmen dieses insbesondere in Anspruch nehmen?

Not found (Gast)

Das Verfahren, Herr Kollege, ist so, daß uns der BDI Vorschläge für Mitarbeiter aus dem Bereich von Unternehmen macht, die als besonders erfahren oder kompetent im Zusammenhang mit Außenwirtschaftsfragen gelten können. Die in Frage kommenden Personen werden in einem Gespräch mit der Personalabteilung unseres Hauses geprüft und dann eingestellt. Im übrigen möchte ich an dieser Stelle hinzufügen, daß es in dieser Frage einen breiten Konsens gibt, was die Notwendigkeit angeht. Ich zitiere hier aus einer Veröffentlichung der Fraktion der SPD im Deutschen Bundestag aus einem Schreiben, das der Kollege Junghans als Vorsitzender des Arbeitskreises Wirtschaftspolitik an den seinerzeitigen Bundeskanzler gerichtet hat. Dort heißt es: Es erschiene mir sinnvoll, wenn der Auswärtige Dienst für einen begrenzten Zeitraum ({0}) Möglichkeiten eröffnen könnte, Praktiker aus der Industrie als Wirtschaftsattachés an deutschen Botschaften einzustellen. Wir tun übrigens ein Gleiches auch in anderen Bereichen. Beispielsweise haben wir derzeit 13 vom DGB vorgeschlagene Angestellte im Bereich des Sozialdienstes des Auswärtigen Amtes beschäftigt. Vizepräsident Cronenberg. Zusatzfrage des Abgeordneten Müller.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich hatte gefragt, aus welchen Branchen diese Mitarbeiter kommen, nicht danach, wie das Auswahlverfahren ist. Vielleicht können Sie dazu noch einmal antworten. Es wäre schon relevant, zu wissen, welche Branchen dort beteiligt sind bzw. welche Unternehmen das in Anspruch nehmen. Was mich interessiert - das ist die zweite Frage; die erste ist nicht beantwortet worden -, ist, zu erfahren, ob nicht ein Problem besteht, daß, wenn ausgewählte Firmenvertreter im diplomatischen Dienst sind, sie im Ausland Interessen ihrer jeweiligen Firma wahrnehmen, d. h. nicht beispielsweise die Interessen anderer Firmen, die auch an Tätigkeiten des diplomatischen Dienstes interessiert sein können.

Not found (Gast)

Herr Kollege, Sie haben zutreffend kritisiert - insofern korrigiere ich das jetzt -, daß ich bei der Beantwortung der ersten Zusatzfrage nicht auf die Wirtschaftsbereiche eingegangen bin. Das kann ich jetzt noch tun. Es sind in den bisherigen Fällen Angehörige von Unternehmen aus dem Anlagenbau, von Consulting-Firmen, aus einem Unternehmen der Energiebranche sowie aus zwei Planungsfirmen gekommen. Es sind also ganz unterschiedliche Bereiche, aus denen Mitarbeiter für diesen Aufgabenbereich freigestellt worden sind. Wir achten sehr darauf, daß diese Mitarbeiter in der Zeit, in der sie für uns Dienst tun, nicht die Interessen ihres Hauses vor Ort vertreten, sondern die der Außenwirtschaftspolitik. Darauf achtet auch, wie man sich denken kann, der BDI sehr. Denn er hat kein Interesse daran, innerhalb seines Verbandes Konflikte zu bekommen. Denn jedes dieser Häuser hat natürlich Konkurrenten, die im BDI organisiert sind. Sie können davon ausgehen, daß wir auf diese Problemstellung sehr achten.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Möllemann, ist die Firma Messerschmitt-Bölkow in diesem Zusammenhang auch vertreten?

Not found (Gast)

Nein. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Müller, hatten Sie nicht schon die zwei Zusatzfragen, die Ihnen zustehen? ({0}) Sie können zu der Frage 13, die jetzt beantwortet wird, selbstverständlich erneut Zusatzfragen stellen. Ich rufe daher jetzt die Frage 13 des Abgeordneten Dr. Müller auf: Welche rechtlichen Grundlagen bestehen für diese Einstellungen, bzw. welche Absprachen wurden mit den Firmen, die diese Personen vertreten, getroffen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, die befristete Verwendung von jüngeren Führungskräften der Wirtschaft im auswärtigen Dienst beruht auf einer Absprache mit dem BDI, der die Kandidaten auch vorgeschlagen hat. Das Auswärtige Amt hat mit den Firmen, aus denen diese Herren stammen, keine Absprachen getroffen. Die Herren mußten vor der Einstellung allerdings Rücknahmezusagen ihrer Unternehmen vorlegen, also eine Gewährleistung, daß sie nach diesen drei Jahren von den Unternehmen wieder aufgenommen werden. Dadurch soll ihre spätere Reintegration in die Privatwirtschaft sichergestellt werden. Die entsandten Mitarbeiter aus der Wirtschaft haben sich bei der Einstellung schriftlich verpflichtet, den Dienst unparteilich ohne Bevorzugung von Personen und Firmen auszuüben und den Anschein einer besonderen Bindung zu ihrem früheren Arbeitgeber zu vermeiden. Seit Beginn des Personalaustauschs mit der Wirtschaft Ende 1980/Anfang 1981 hat es in keinem Fall einen Verstoß gegen diese Verpflichtung gegeben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bei der Beantwortung der Frage 12 sprachen Sie zu Recht davon, daß diese Firmenvertreter keine Aktivitäten im Sinne - ich zitiere Sie wörtlich - „ihres Hauses" unternehmen würden, womit Sie die Unternehmen meinten, aus denen diese Herren und Damen kommen. Ich habe die Frage: Was ist aus Ihrer Sicht das Haus, dem diese Damen und Herren dienen?

Not found (Gast)

In der Zeit, in der sie an den Botschaften als Wirtschaftsattachés tätig sind, dienen sie dem Auswärtigen Amt. Vorher haben sie einem Unternehmen gedient und haben, wie ich gerade sagte, die verbindliche Mitteilung, daß sie nach diesen drei Jahren dort wieder aufgenommen werden. Anders ist der Mechanismus, der vom Deutschen Bundestag, von der SPD, von der CDU und von der FDP ({0}) - aber mir ist das nicht egal; weil das die überwiegende Mehrheit dieses Hauses ist, achten wir sehr darauf - gewollt worden ist, nicht zu vollziehen. Wir haben keine Menschen, die wir uns außerhalb von Unternehmen heranzüchten können, die gleichzeitig die Qualifikationsmerkmale erfüllen, die die Herwarth-Kommission wollte, die die SPD will, die die FDP will, die die CDU will, nämlich daß sie Praktiker sind, die in Unternehmen Erfahrungen gesammelt haben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Müller.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist es nicht zu befürchten, daß angesichts einer Situation, daß Übernahmeverträge nach Ablauf dieser drei Jahre bestehen müssen, also eine vertragliche Vereinbarung zwischen den Damen und Herren, die hier im diplomatischen Dienst sind, und den Firmen, aus denen sie kommen, die Damen und Herren in Loyalitätskonflikten, die es zweifelsohne im Wirtschaftsbereich geben kann - ich verweise auf die Konkurrenz unterschiedlicher Firmen -, angesichts der Sicherung ihrer Altersversorgung nicht im Sinne des diplomatischen Dienstes, sondern im Sinne ihres ursprünglichen Hauses handeln werden?

Not found (Gast)

Ich glaube, daß ein Gutteil Ihrer Frage nur aus dem ihr zugrunde liegenden Weltbild des Fragestellers erklärlich ist. Wir haben insofern Vorkehrungen getroffen, als wir, wie ich beschrieben habe, dienstrechtlich vorgegangen sind. Ich wiederhole: Der Wunsch des Deutschen Bundestages - es ist der Wunsch aller Fraktionen mit Ausnahme der Fraktion DIE GRÜNEN -, Praktiker aus der Wirtschaft für eine begrenzte Zeit im auswärtigen Dienst tätig zu sehen, läßt sich nicht anders als dadurch erfüllen, daß man für eine begrenzte Zeit Unternehmensmitarbeiter freistellt. Ich wüßte nicht, wie es anders machbar wäre, ich wäre aber für gelegentliche Aufklärung über alternative Möglichkeiten sehr dankbar. Im übrigen gilt das gleiche natürlich auch für die 13 Mitarbeiter des DGB; auch zu denen haben wir hinsichtlich der Erfüllung ihrer Aufgaben volles Zutrauen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das „gelegentlich" wird unterstrichen, weil der Abgeordnete Müller das in der Fragestunde selbstverständlich nicht kann. Herr Abgeordneter Mann, Sie haben eine Zusatzfrage.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Möllemann, wir sind j a alle sehr lernwillig. Ich möchte Sie fragen: Ist diese Praxis, die wohl auf Vorschläge der Herwarth-Kommission zurückgeht, für Sie nicht Anlaß, darüber nachzudenken, ob bei der Ausbildung für den auswärtigen Dienst nicht generell anders verfahren werden sollte, so daß es sich bei der Praxis, die Sie hier so vehement verteidigen, um eine Notlösung handelt?

Not found (Gast)

Nein, Herr Kollege, wir haben j a im auswärtigen Dienst, was die Abteilung Wirtschaftsbeziehungen, Außenwirtschaftsförderung angeht, den ganz überwiegenden Teil der Aufgaben durch Beamte abgedeckt, die als Laufbahnbeamte für uns tätig sind. Nur: Es schien der Herwarth-Kommission und, wie ich bei der Beratung des Wirtschaftsausschusses, der mich dazu eingeladen hatte, kürzlich festgestellt habe, allen drei Fraktionen im Wirtschaftsausschuß - auch mit Ausnahme des Sprechers der GRÜNEN - zweckmäßig, daß zusätzliche Erfahrungen von Praktikern aus der Wirtschaft auf diese Art und Weise eingebracht würden. Was wir parallel dazu machen wollen, ist, daß wir eine bestimmte Zahl von jungen Beamten, die als Laufbahnbeamte für uns tätig sind, für eine bestimmte Zeit für die Tätigkeit im Wirtschaftsbereich beurlauben, damit sie ihrerseits dort Erfahrungen gewinnen und auf diese Art und Weise ein Austausch von Erfahrungen gegeben ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfragen liegen mir nicht vor. Vizepräsident Cronenberg Die Fragen 14 und 15 des Abgeordneten Suhr werden auf Grund der Richtlinien schriftlich beantwortet. Die Fragen 16 und 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Hupka sowie 18 und 19 der Abgeordneten Frau Terborg sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Damit schließe ich den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung. Die Fragen 51 und 52 des Abgeordneten Kißlinger sollen auf dessen Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe Frage 53 des Abgeordneten Michels auf. - Der Abgeordnete Michels ist nicht im Saal. Es wird entsprechend den Richtlinien verfahren. Ich rufe Frage 54 der Abgeordneten Frau Zutt auf: Trifft es zu, daß das Fischereiforschungsschiff „Anton Dohrn" zum 31. Juli 1986 stillgelegt werden soll, und wenn ja, wie sieht der Sozialplan für die Besatzung des Schiffes aus?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin Zutt, angesichts des drastischen Rückgangs der deutschen Hochseeflotte von mehr als 100 Fahrzeugen in 1970 auf heute 13 Einheiten und des veränderten Forschungsbedarfs ist beabsichtigt, das 22 Jahre alte Fischereiforschungsschiff „Anton Dohrn" nach Ablauf der Klasse zum 31. Juli 1986 außer Dienst zu stellen. Die zur Beratung der Bundesregierung, zur Förderung der Fischerei und der Bearbeitung der neuen Aufgaben im Bereich des Meeresumweltschutzes unbedingt notwendigen Forschungsarbeiten müssen bei entsprechender Prioritätensetzung künftig von den verbleibenden zwei Fischereiforschungsschiffen durchgeführt werden. Das Mitwirkungsverfahren mit der Personalvertretung ist derzeit noch nicht abgeschlossen. Sollte es zur Stillegung der „Anton Dohrn" kommen, wird ein Teil der aus 67 Mann bestehenden Besatzung auf den verbleibenden Fischereiforschungsschiffen und -schutzbooten des BML untergebracht. Ich gehe davon aus, daß der dann noch verbleibende Teil der Besatzung in meinen Geschäftsbereich bzw. in den Bereich anderer Bundes- und Landesbehörden übernommen werden kann. Deshalb ist auch die Aufstellung eines Sozialplans nicht erforderlich.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete, bitte sehr.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, heißt das, daß das einer Garantie gleichkommt, alle Beschäftigten der „Anton Dohrn" in andere Bereiche zu übernehmen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, Sie müssen das so nehmen, wie ich das gesagt habe. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, eine Zusatzfrage. Vielleicht kann der Herr Staatssekretär dann doch aufklärend wirken. ({0})

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ich kann das nicht anders darlegen. Ich kann hier nicht eine Garantie aussprechen, wenn die Verhandlungen noch vor uns stehen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, bitte sehr.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Zusatzfrage. Die Begründung, die der Herr Staatssekretär hier gebracht hat, und die, die ich in einer Vorlage von einem anderen Referat bekommen habe, sind unterschiedlich. Dort wird im Zusammenhang mit dem neuen Strukturkonzept für die deutsche Hochseefischerei gesagt, daß die Bundesregierung zur teilweisen Deckung der Ausgaben ein Fischereiforschungsschiff stillegt, um die Mittel, die sie damit einspart, für die Fangunion verwenden zu können. Sie sagten, daß geschehe aus Gründen allgemeiner Einsparung.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich bitte, die Frage konkret zu formulieren.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich würde dazu gern Ihre Stellungnahme erfahren, weil mir das doppelbödig erscheint.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, ich kann hier keine Doppelbödigkeit erblicken. Ich habe Ihnen die Fakten dargelegt, nämlich, daß sich die deutsche Hochseeflotte drastisch verkleinert hat. Wenn sich aus dieser Situation heraus die Möglichkeit ergibt, auf ein Forschungsschiff zu verzichten, und es dadurch zu Einsparungen kommen kann, ist das doch auch im Sinne dieses Hauses.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Werner ({0}), Sie wollen eine Zwischenfrage stellen.

Helmut Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002483, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß die Aufgaben der „Anton Dohrn" von den anderen Schiffen der Forschungsanstalt für Fischereiwesen übernommen werden sollen, obwohl diese Schiffe von ihrer Größe und Ausrüstung her spezielle Aufgaben der „Anton Dohrn" gar nicht übernehmen können?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, es ist zu überprüfen, inwieweit z. B. die „Walther Herwig" Teile der Aufgaben übernehmen kann. Des weiteren ist zu überprüfen, ob wir, falls die „Anton Dohrn" stillgelegt würde, nicht billiger führen, wenn wir kein neues Schiff bauten, sondern eines charterten. Das alles sind Fragen, die noch völlig ungeklärt sind.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter Müller, Sie wünschen eine Zwischenfrage, bitte schön.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich würde gern konkret wissen, was für Schätzungen Sie bezüglich der Höhe der Einsparungen bei einer Stillegung haben.

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen im Augenblick noch keine Auskunft erteilen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Darf ich annehmen, der Abgeordnete Mann möchte eine Zusatzfrage stellen? ({0}) - Bitte sehr, dann dürfen Sie eine Zusatzfrage stellen.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, unsere Fraktion hat Anfang der Woche eine Fraktionssitzung an der Nordsee gemacht, und von daher meine Frage: Wir haben uns unter anderem mit dem Nordseegutachten im Zusammenhang mit den sieben ostfriesischen Inseln befaßt. Meinen Sie nicht, daß nach diesen wirklich für uns alle alarmierenden Befunden die Notwendigkeit besteht, die Fischereiforschung auszuweiten, statt sie aus sicherlich irgendwo begründbaren haushaltspolitischen Erwägungen zu beschränken?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, die Situation ist so, daß die Bundesregierung alles unternehmen wird, daß die Forschung als solche gewährleistet wird.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Ich rufe jetzt die Frage 55 der Abgeordneten Frau Zutt auf. Besteht die Absicht, weitere Forschungs- oder Fischereischutzboote stillzulegen, wenn ja, wann?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, konkrete Absichten zur weiteren Verminderung der Zahl der Fischereiforschungsschiffe oder Fischereischutzboote bestehen zur Zeit nicht. Von den Berichterstattern des Haushaltsausschusses für den Einzelplan 10 wurde bei den Beratungen des Haushaltes 1986 angeregt, neben der Außerdienststellung des Fischereiforschungsschiffes „Anton Dohrn" mindestens auch ein Fischereischutzboot stillzulegen. Die Bundesregierung wird prüfen, ob angesichts der sich jetzt entwickelnden neuen Situation der Hochseefischerei ein Fischereischutzboot als entbehrlich angesehen werden kann. Falls diese Prüfung eine weitere Stillegung zum Ergebnis hätte, würde diese voraussichtlich nicht vor 1988 umgesetzt werden können.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete, bitte schön.

Ruth Zutt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, bis wann rechnet die Bundesregierung mit ihrer Prüfung zu Ende zu kommen?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Frau Kollegin, da bin ich im Augenblick überfragt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Zutt, wünschen Sie nicht. Herr Abgeordneter Rusche, bitte schön.

Herbert Rusche (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001906, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich wollte konkret nachfragen, ob z. B. auch das Forschungsschiff „Meteor" von einer geplanten Stillegung betroffen ist?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, ich habe die Frage bereits mit der letzten Antwort beantwortet. Es dreht sich um die „Anton Dohrn", die ja das älteste Forschungsschiff ist. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, hatten Sie die Frage damit beantwortet?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Okay. - Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, von welchen Faktoren hängt es denn ab, zu welchem Zeitpunkt Sie mit Ihrer Prüfung zu Ende gekommen sind?

Georg Gallus (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000628

Herr Kollege, Sie dürfen davon ausgehen, daß wir die Prüfung so schnell wie möglich vornehmen werden. Natürlich ist insgesamt zu prüfen: Welche Aufgaben kann man übertragen? Müssen wir nicht darauf verzichten, ein Schutzboot stillzulegen, nachdem die Aufgaben der Kontrollen - hier ist das Wattenmeer und alles Mögliche angesprochen worden - ebenfalls zusätzliche Aufgaben bringen? Sie dürfen zunächst einmal davon ausgehen, daß wir eine Anregung der Berichterstatter im Haushaltsausschuß ernst nehmen und dann in die Prüfung eintreten. Wir unsererseits müssen auch ins Feld führen, daß heute zusätzliche Aufgaben auf uns zukommen. Wenn diese Prüfung abgeschlossen ist, wird man entscheiden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Damit sind die Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantwortet. Ich bedanke mich beim Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beantwortung steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung. Ich rufe die Frage 56 des Abgeordneten Dreßler auf: Vizepräsident Cronenberg Wann gedenkt die Bundesregierung, den vom Deutschen Bundestag am 12. September 1985 einstimmig gefaßten Beschluß zur Änderung der Arbeitserlaubnisverordnung bezüglich einer auf acht Jahre bemessenen Rahmenfrist als Voraussetzung für die „besondere Arbeitserlaubnis" durch die Vorlage einer entsprechenden Änderungsverordnung zu befolgen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Präsident, wenn der Kollege einverstanden ist, würde ich die Fragen 56 und 57 gern gemeinsam beantworten. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 57 des Abgeordneten Dreßler auf: Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß es eine wesentliche Erleichterung für viele ausländische Arbeitnehmer ist, wenn der Nachweis von fünf Beschäftigungsjahren zur Erlangung einer „besonderen Arbeitserlaubnis" innerhalb einer Frist von acht Jahren erbracht werden kann und die schnelle Verankerung einer entsprechenden Frist im Interesse der betroffenen ausländischen Arbeitnehmer liegt?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Dreßler, auf Grund des Beschlusses des Deutschen Bundestages vom 12. September 1985, wonach ausländische Arbeitnehmer auch dann einen Anspruch auf die Arbeitserlaubnis unabhängig von der Arbeitsmarktlage erhalten sollen, wenn sie innerhalb einer Rahmenfrist von acht Jahren im Bundesgebiet fünf Jahre gearbeitet haben, hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung den nach der Geschäftsordnung zu beteiligenden Stellen den Entwurf einer entsprechenden Änderungsverordnung zur Arbeitserlaubnisverordnung zugeleitet. Der Präsident des Deutschen Bundestages ist hiervon mit Schreiben vom 9. Oktober 1985 unterrichtet worden. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung ist bemüht, das Beteiligungsverfahren sobald wie möglich abzuschließen und die Rechtsverordnung in Kraft zu setzen. Die Bundesregierung teilt die Auffassung, daß die Rechtsänderung im Interesse der betroffenen ausländischen Arbeitnehmer liegt. Ob sich hierdurch für eine größere Zahl ausländischer Arbeitnehmer Erleichterungen bei der Erlangung der Arbeitserlaubnis ergeben, erscheint zweifelhaft. Schon nach geltendem Recht wird Arbeitnehmern mit langjährigem Arbeitsaufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland in aller Regel eine Arbeitserlaubnis erteilt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dreßler. Bitte schön.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie mir die Stellen, an die der Entwurf geleitet worden ist, im einzelnen nennen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Dreßler, es sind die Stellen, die hier mit einem Sammelbegriff angegeben worden sind. Wenn Sie aber wollen, daß Ihnen alle Stellen mitgeteilt werden, so werde ich das veranlassen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie haben erklärt, Herr Staatssekretär, daß Sie den Präsidenten des Deutschen Bundestages unterrichtet haben. Darf ich Sie fragen, ob Sie im Sinne sozusagen kollegialer Hilfe bereit sind, den Fraktionen des Deutschen Bundestages einen solchen Entwurf ebenfalls zuzuleiten?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Ich werde das Anliegen im Hause besprechen und nehme an, daß das durchaus möglich ist.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Zusatzfrage.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich Ihre Aussage, daß die Bundesregierung Zweifel ob des Sinns - so habe ich Ihren letzten Hinweis verstanden - dieses einstimmigen Beschlusses des Bundestages hat, dahin gehend hinterfragen, warum die Bundesregierung anläßlich der Debatte im Ausschuß und im Plenum auf diese Bedenken nicht aufmerksam gemacht hat?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Dreßler, es ist an und für sich davon auszugehen, nachdem j a ein Anwerbestop besteht, daß praktisch nur noch Familienangehörige im Zusammenhang mit der Familienzusammenführung kommen. Insofern war es ja auch schon möglich, daß ausländische Arbeitnehmer eine Arbeitserlaubnis erhalten, wenn sie längere Zeit hier sind. Daher wird eine Neuregelung nicht allzu große Auswirkungen auf einen neuen Personenkreis haben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben eine weitere Zusatzfrage.

Rudolf Dreßler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000420, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich möchte meine letzte Frage dahin gehend formulieren, Herr Staatssekretär: Sind Ihnen die im Antrag der SPD-Fraktion aufgelisteten Zahlen geläufig? Und sind Sie wirklich der Meinung - wenn sie Ihnen geläufig sind; sie waren ja ausgedruckt -, daß die sich dahinter verbergenden Tausende von Schicksalen mit dem Begriff „nicht nennenswert" zu definieren sind?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

„Nicht nennenswert", Herr Kollege Dreßler, bezieht sich sicher auf die Zahl, aber nicht auf die Personen. Für jeden einzelnen ist das Anliegen eine nennenswerte Angelegenheit. Aber gemessen an der ansonsten großen Zahl kann der Begriff „nicht nennenswert", glaube ich, gebraucht werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Damit sind die Fragen 56 und 57 beantwortet. Die Fragen 58 und 59 des Abgeordneten Delorme werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 60 des Abgeordneten Stahl ({0}) auf: Vizepräsident Cronenberg Wie beurteilt die Bundesregierung die Notwendigkeit der Bereinigung der sehr unsicheren Rechtslage hinsichtlich der praktischen Handhabung des Hausarbeitstaggesetzes in den Betrieben der Wirtschaft, unter welchen Gesichtspunkten wird eine Bereinigung der Rechtslage für notwendig erachtet?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Präsident, auch hier bitte ich, die Fragen 60 und 61 gemeinsam beantworten zu dürfen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Fragesteller ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 61 des Abgeordneten Stahl ({0}) auf: Aus welchen Gründen hat die Bundesregierung bislang keine Klarheit für die Handhabung des Hausarbeitstaggesetzes geschaffen, wo doch schon seit langem eine klare Regelung auf Grund von Gerichtsentscheidungen verschiedener Instanzen für notwendig angesehen wird, und für wann erachtet die Bundesregierung eine Bereinigung der Rechtslage für notwendig?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Stahl, das Bundesverfassungsgericht hat auf die Verfassungsbeschwerde eines alleinstehenden Mannes hin mit dem Beschluß vom 13. November 1979 das Hausarbeitstaggesetz von Nordrhein-Westfalen insoweit mit Art. 3 Abs. 2 des Grundgesetzes für unvereinbar erklärt, als der Hausarbeitstag weiblichen, aber nicht männlichen alleinstehenden Arbeitnehmern mit eigenem Hausstand gewährt wird. Im Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes - Bundestagsdrucksache 10/2706 - hat die Bundesregierung vorgeschlagen, alle Hausarbeitstagsregelungen aufzuheben. Der Hausarbeitstag wurde durch die Freizeitanordnung von 1943 eingeführt, um die Leistungsfähigkeit der Frauen - ich zitiere -, „die wegen häuslicher Pflichten nicht voll einsatzfähig waren", während des Krieges zu erhalten. Diese Regelung wurde in den Jahren 1948/49 durch Hausarbeitstaggesetze einiger Länder erweitert, um die Belastung der erwerbstätigen Frauen in der Nachkriegszeit in zumutbaren Grenzen zu halten. Diese Voraussetzungen sind inzwischen weggefallen. Außerdem ist die regelmäßige Arbeitszeit von damals 48 Stunden in der Woche inzwischen durch Tarifvertrag für 99 % der Arbeitnehmer auf 40 Stunden in der Woche und darunter verkürzt worden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine Zusatzfrage, bitte schön, Herr Kollege Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Sie mit der Antwort auf meine Frage jetzt erklärt haben, Sie wollten sich mit dem Gesetz nicht weiter befassen, sondern es vollends außer Kraft setzen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Stahl, das werden die Beratungen im Zusammenhang mit dem Arbeitszeitgesetz bringen. Das Arbeitszeitgesetz ist eingebracht, in den Ausschüssen aber noch nicht weiter beraten worden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl, bitte sehr.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, finden Sie nicht, daß es im Vorfeld, bevor der Gesetzgeber eine endgültige Regelung beschließt, doch zweckmäßig wäre, Ihren Standpunkt, den Sie im Zusammenhang mit den neuen Überlegungen vertreten, einmal etwas mehr zu verdeutlichen und zu begründen? Denn das, was Sie eben bezüglich der nur 40 Stunden Arbeitszeit gesagt haben, trifft ja nicht in jedem Falle, für alle Frauen in der Bundesrepublik zu.

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Stahl, ich habe in meiner ersten Antwort schon darauf hingewiesen, daß im Entwurf der Arbeitszeitregelung vorgeschlagen wird, all diese Regelungen im Zusammenhang mit dem Hausarbeitstag aufzuheben. Aber längere Ausführungen, Herr Kollege Stahl, kann man dazu erst machen, wenn dieses Gesetz beraten wird und dann auch der Bundestag dazu Stellung genommen hat. Die Bundesregierung schlägt vor, diese Regelungen aufzuheben.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Eine weitere Zusatzfrage, bitte schön. Stahl ({0}) SPD): Herr Staatssekretär, sind denn von Ihnen dazu schon die einschlägigen Verbände, z. B. Hausfrauenverbände, Verbraucherverbände, Industriegewerkschaften - etwa wie hier die IG Textil, die davon sehr stark betroffen ist -, gehört worden, ehe Sie sich eine doch schon ziemlich abschließende Meinung gebildet haben?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Stahl, zum Arbeitszeitgesetz wird es meines Erachtens ganz gewiß eine Anhörung der Verbände geben. Dabei wird diese Frage ebenfalls eine sehr gewichtige Rolle spielen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie haben noch eine Zusatzfrage, das ist Ihre letzte.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wann ist denn damit zu rechnen, daß die von mir hier angesprochenen Verbände zu diesem Gesetz gehört werden? Denn normalerweise ist es ja so: Bevor dem Deutschen Bundestag ein Gesetz zugeleitet wird, werden in den Ministerialbürokratien die Vorentwürfe gefertigt und schon dann mit den interessierten Verbänden abgestimmt. Ist dies hier nicht geschehen?

Stefan Höpfinger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000926

Herr Kollege Stahl, es wird so sein, daß wir gerade hinsichtlich dieser Frage eine Anhörung abwarten, um die Meinung der Verbände in einer öffentlichen Anhörung ganz ausführlich zu hören. Das hat aber nicht die Bundesregierung zu entscheiden. Sowohl über den Termin der Anhörung als auch über die Anhörung selbst entscheidet der Ausschuß.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. - Damit ist der Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ebenfalls abgeschlossen. Wir bedanken uns beim Staatssekretär. Vizepräsident Cronenberg Den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr brauche ich nicht aufzurufen, da die Fragesteller, die Kollegen Dr. Ehrenberg, Zierer, Kirschner, Carstensen ({0}) und Jäger ({1}), schriftliche Beantwortung der Fragen 67 bis 72 beantragt haben. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich könnte die Sitzung jetzt schließen, wenn mir nicht eine Meldung zur Geschäftsordnung vorläge. Ich gebe dem Abgeordneten Becker ({2}) das Wort.

Dr. h. c. Helmuth Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000127, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Da der Herr Staatsminister Vogel auf die gestellten Fragen nach dem Verhalten des ehemaligen Staatssekretärs Boenisch während seiner Tätigkeit im Bundespresse- und -informationsamt praktisch keine Antworten gegeben hat, ({0}) beantragt die Fraktion der SPD gemäß Anlage 5 der Geschäftsordnung I 1 b eine Aktuelle Stunde. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat hinsichtlich der Antworten der Bundesregierung auf Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundeskanzleramts eine Aktuelle Stunde beantragt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien über die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß gemäß Nr. 2 a der Richtlinien unmittelbar im Anschluß an die Fragestunde erfolgen, d. h. jetzt. Somit rufe ich jetzt die Aktuelle Stunde auf und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es ist bedauerlich, daß wir uns heute am Freitagmittag zu dieser Aktuellen Stunde zusammenfinden. Ich glaube, man muß hinzufügen, daß es, Herr Staatsminister Vogel, ein einmaliger Akt von Arroganz ist, ({0}) wie Sie hier vor den Deutschen Bundestag doch verhältnismäßig harmlose Fragen der Kollegen Reuter und Klein ({1}) beantwortet haben. ({2}) Da sehr viele Kollegen zu dem Zeitpunkt hier nicht im Saal waren, will ich doch noch auf den Text verweisen. Der Herr Kollege Reuter hat gefragt: Wie hat der ehemalige Staatssekretär Boenisch vor seiner Ernennung am 9. Mai 1983 den Punkt 33 des von ihm ausgefüllten Fragebogens beantwortet, in dem nach schwebenden Ermittlungs-, Straf- und Dienststrafverfahren gefragt wird? Herr Staatsminister Vogel, ich habe Verständnis dafür, daß persönliche Dinge eines ehemaligen Staatssekretärs oder eines anderen Beamten nicht in die Öffentlichkeit gebracht werden. Wofür ich aber kein Verständnis habe - und deshalb ist die Aktuelle Stunde auch notwendig -, ist, daß Sie auf diese Frage hier noch nicht einmal irgend etwas geantwortet, sondern sich ganz einfach zurückgezogen haben, so z. B. auch bei Zusatzfragen, ob der Bundeskanzler mit dem ehemaligen Herrn Staatssekretär Boenisch ein ausführliches Gespräch vor dessen Einstellung geführt habe, was normalerweise bei derart hohen Positionen innerhalb des Staates doch geschieht. Selbst auf eine solche Frage haben Sie nicht geantwortet. Ich finde, wir finden, dies ist mehr als Arroganz. ({3}) Die erste Frage des Kollegen Klein lautete: Hatte der ehemalige Staatsskretär Boenisch Nebeneinkünfte, die außerhalb seines Staatssekretärsgehaltes lagen, angezeigt, und hatte er während seiner Tätigkeit im Bundespresse- und Informationsamt der Bundesregierung eine oder mehrere Nebentätigkeitsgenehmigungen? Auch dazu haben Sie gar nichts gesagt! ({4}) - Ach, wenn er es auf vernünftige Art und Weise vernebelt hätte, hätten wir es ja noch ertragen können. Aber selbst dies ist j a nicht geschehen, ({5}) sondern mit einer unwahrscheinlichen Arroganz haben Sie, Herr Staatsminister, hier das Parlament abblitzen lassen. ({6}) Sie haben die Abgeordneten so abblitzen lassen, wie ich es - das will ich Ihnen ehrlich sagen - in meiner zwölfjährigen Tätigkeit im Deutschen Bundestag bisher eigentlich noch nicht mitgemacht habe. ({7}) - Frau Kollegin Hürland, so etwas habe ich noch nicht mitgemacht! ({8}) Sie selbst werden sich ja über Ihren Kollegen ein Urteil erlauben. Das gleiche gilt für die dritte Frage, die eingebracht wurde, und für die Zusatzfragen, ob sich denn die Bundesregierung - wenn nun schon, wie Sie es in Ihren nichtssagenden Antworten dargestellt haben, dies alles nicht so war - durch Herrn Boenisch getäuscht fühlte. Dazu haben Sie, wenn ich es richtig verstanden habe, zwar nicht deutlich, aber doch zumindest zwischen den Zeilen gesagt: ja, sie habe sich getäuscht gefühlt. Wenn das so ist, meine ich, daß es richtig wäre, wenn das hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestages von Ihnen, Herr Staatsminister aus dem Bundeskanzleramt, auch offen und klar gesagt würde. Es ist in einigen Zusatzfragen auch gefragt worden, ob nach dem freiwilligen Rücktritt - der ja Stahl ({9}) auch toleriert und anerkannt wird; es ist ja gar nicht so, wie Sie, Herr Vogel, glauben, sondern er wird j a anerkannt - oder kurz vor diesem Rücktritt ein Gespräch zwischen dem Herrn Bundeskanzler und dem Staatssekretär geführt wurde. Auch dies haben Sie nicht beantwortet. Aber es ist in der Bundesrepublik doch wohl kein Geheimnis, daß dann, wenn ein hoher Staatsbeamter - in Ehren, so sage ich ausdrücklich, weil er freiwillig zurückgetreten ist - entlassen wird, der Bundeskanzler, sozusagen sein enger Vertrauter, mit ihm ein Gespräch führt. Das halte ich normalerweise für selbstverständlich. All diese Fragen beantworten Sie hier nicht. Wir finden, das ist eine Mißachtung des Parlaments, ({10}) und was Sie heute in der Fragestunde dargelegt haben, ist mehr als eine Unverschämtheit. Ihre Arroganz, Herr Staatsminister, müssen Sie dem Parlament gegenüber ablegen, sonst werden Sie demnächst noch mehrere Aktuelle Stunden haben. Das möchten wir Ihnen hier schon ganz klar ankündigen. ({11}) Schönen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bötsch. ({0})

Dr. Wolfgang Bötsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000228, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme mit dem ersten Satz meines Vorredners überein: Es ist bedauerlich, daß wir hier am Freitagmittag noch eine Aktuelle Stunde abhalten. ({0}) Das ist allerdings die einzige Übereinstimmung, die ich mit ihm habe. ({1}) - Wenn ich nicht da war, Frau Kollegin Matthäus, so sage ich Ihnen: Sie wissen so gut wie ich, wie das Haus technisch ausgestattet ist. Ich darf Ihnen verraten: Ich war in meinem Büro, ({2}) was für viele - auch aus Ihrer Fraktion - gilt. Ich bin jedenfalls am Freitagnachmittag noch da, ({3}) wie Sie vielleicht mit Überraschung feststellen. Es bleibt bei der Übereinstimmung: Ich finde das bedauerlich. Eigentlich hätte ich nicht vermutet, daß Sie sich schon nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Form manchen Dingen anpassen, die uns die GRÜNEN hier ja seit einigen Jahren vorexerzieren. ({4}) Da könnten wir uns natürlich einmal darüber unterhalten, wie - ({5}) - Was ist daran denn unverschämt? Bisher war es jedenfalls unüblich, am Freitagmittag Aktuelle Stunden zu machen. Nur das stelle ich fest. ({6}) Auf jede Frage, die gestellt wurde, hat der Herr Staatsminister geantwortet. ({7}) Es liegt in Ihrer Bewertung, ob Sie die Fragen für ausführlich beantwortet halten oder nicht. Da können Sie auch eine Aktuelle Stunde beantragen. Aber der Sinn der Vorschrift ist nicht, dann nur zu rügen, Fragen seien nicht beantwortet. Sagen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, dann doch den Inhalt, den Sie dazu wissen! ({8}) Das ist der Sinn der Geschäftsordnungsbestimmungen zu einer Aktuellen Stunde nach der Fragestunde. Beschäftigen Sie sich einmal damit! ({9}) - Ich kann mich nicht daran erinnern, daß Sie schon einmal Mitglied des Geschäftsordnungsausschusses gewesen wären. Ich war es allerdings, als die Geschäftsordnung neu gefaßt wurde. ({10}) Das möchte ich dazu gesagt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie halten doch den Datenschutz so hoch. ({11}) Er ist sicher auch ein hochzuhaltendes Rechtsgut, das wir in unserem Rechtsstaat haben. ({12}) - Ach, wissen Sie, ich kann nur sagen, wenn Sie Ihren Kehlkopf bemühen wollen, tun Sie es. Die Protokollanten hören es jedenfalls. Sonst ist sowieso niemand zum Zuhören da. Insofern ist das nicht weiter schlimm. Ein Teil des Datenschutzes ist der Persönlichkeitsschutz, der im Beamtenrecht noch in besonderer Weise ausgeformt ist. Diesem Grundsatz, wie er im Beamtenrecht ausgeformt ist, nämlich der Geheimhaltung von Personalakten, ist der Herr Staatsminister bei der Beantwortung der Fragen voll und ganz gerecht geworden. Deshalb ist an seinen Ausführungen hier vor dem Deutschen Bundestag nichts, aber auch überhaupt nichts zu rügen. Danke schön. ({13})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Der Herr Abgeordnete Schily hat das Wort.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es kann natürlich nicht Sinn einer freitagnachmittäglichen Aktuellen Stunde sein, ein nachträgliches Scherbengericht über Herrn Boenisch zu veranstalten. Daran haben wir kein Interesse. Aber in der Form, wie heute Herr Staatsminister Vogel Fragen nicht beantwortet hat und sich wirklich nur als Nebelwerfer verstanden hat, das ist in der Tat - da stimme ich dem Kollegen zu, der eben das Wort ergriffen hatte - eine Mißachtung des Parlaments. ({0}) Da geht es doch um unser ureigenstes Recht, das Kontrollrecht. Wie sollen wir dem gerecht werden, wenn wir nicht einmal die Amtsführung der Bundesregierung in der Weise nachprüfen können, daß wir beantwortet bekommen, ob sich der Leiter des Bundespresseamtes gleichzeitig gegen ein Tageshonorar von 3 000 DM als Reklamespezialist für Mercedes betätigt hat und ob eine solche Nebentätigkeit genehmigt worden ist? Wie soll das Kontrollrecht des Parlaments ausgeübt werden, wenn wir dieser Frage nicht nachgehen können? Ich weiß gar nicht, wie das funktionieren soll. ({1}) Ich habe nicht zufällig in einer Zusatzfrage formuliert, daß wir dann natürlich auch Schlüsse auf die Verfahrensweise bei anderen hohen Beamten ziehen müssen. Auch auf diese Frage haben wir ausweichende Antworten bekommen. Der Herr Staatsminister im vollen Prunk seines Amtes sagt natürlich: Sie können keine Schlußfolgerungen ziehen. In der Tat, ich gebe ihm recht, wir können aus den Antworten von Herrn Vogel gar keine Schlußfolgerungen ziehen, weil diese Antworten überhaupt keinen, auch nicht in homöopathischen Dosen, Tatsachengehalt haben. Wie sollen wir, wenn wir in Antworten überhaupt keine Faktizität bekommen, Bewertungen vornehmen? Ich finde, es ist auch nicht in Ordnung - im parlamentarischen Verfahren ist das ein bißchen eingerissen -, daß die hohen Herren der Regierung meinen, Fragen der Abgeordneten zensieren oder bewerten zu sollen. ({2}) Ich finde, da ist äußerste Zurückhaltung geboten. Wenn ich von der Regierungsbank höre, Fragen seien polemisch oder hypothetisch oder unzulässig, dann, finde ich, ist das nicht nur eine Mißachtung des Parlaments und der Abgeordneten, sondern ich empfinde das auch als eine Mißachtung des Parlamentspräsidenten, der nämlich darauf zu achten hat, ob Fragen zulässig sind oder nicht. ({3}) Es ist nicht Sache der Regierung, darüber zu wachen, ob Fragen zuzulassen sind oder nicht. Herr Kollege Dr. Bötsch, von Ihnen ist die Frage des Daten- und Persönlichkeitsschutzes angesprochen worden. Sie haben meine volle Zustimmung, wenn Sie sagen, daß natürlich Persönlichkeitsschutz und Datenschutz auch für Beamte gelten müssen. Sie können aber doch nicht, wenn es etwa um eine Frage der Strafbarkeit, um ein Strafverfahren ginge, wie es ja mitunter geschieht, daß sich sogar ein Minister oder ein ehemaliger Minister wegen bestimmter Straftatbestände vor einem Landgericht verantworten muß, aus dem Gesichtspunkt des Datenschutzes bei hochangesiedelten Beamten folgern, daß sich das Parlament dafür nicht interessieren darf, ob solche Vorgänge vorhanden sind oder nicht. ({4}) Zunächst einmal geht es j a auch gar nicht um strafrechtliche Verfehlungen. Es geht zunächst einmal auch um die Handhabung von Personalpolitik, darum, ob man einen hohen Beamten wie den Leiter des Bundespresseamtes einstellt, der gleichzeitig bei einem auch durch andere Verfahren etwas ins Zwielicht geratenen großen Automobilkonzern in Lohn und Brot steht. Das ist doch die Frage. Wenn wir schon über Abhängigkeiten von Amtsinhabern, seien sie im Parlament oder seien sie in der Regierung - in der Regierung ist es besonders heikel -, diskutieren, müssen Sie doch dem Parlament das Recht zubilligen, sich substantiierte Antworten von der Regierung zu holen. Das war heute nicht möglich. Insofern stimme ich den Kollegen von der SPD zu, daß sie das heutige Verhalten von Herrn Staatsminister Vogel entschieden beanstanden. Dem schließe ich mich an. Danke schön. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Marschewski. ({0})

Erwin Marschewski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001424, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Duve, wir alle sind als Parlamentarier aufgefordert, dieses Land zu retten. ({0}) Ich hoffe, daß Sie dies, wie es Tradition der Sozialdemokraten ist, auch in der Zukunft mit tun. Wenn ich hier den Kollegen Emmerlich sehe, bin ich mir dessen voll bewußt, daß wir dies gemeinsam unternehmen werden. Dafür danke ich Ihnen. ({1}) Sie wollten aus dieser Aktuellen Stunde eine Stunde Boenisch machen. Ich bin sehr überrascht, daß Sie daraus offensichtlich eine Stunde Vogel gemacht haben. ({2}) Wissen Sie, ich bin darüber hinaus darüber überrascht, daß Sie, meine lieben Freunde von der SPD, die Vokabeln der GRÜNEN aufgenommen haben: Arroganz, Mißachtung, Unverschämtheit, Nebelwerfer. ({3}) All das paßt doch gar nicht in Ihren Sprachschatz oder sollte doch gar nicht dahin passen. ({4}) Wir sind der Auffassung, daß dieses Parlament Kontrollaufgaben wahrzunehmen hat. Das ist richtig. Aber es darf sich nicht um einen sinnlosen Akt irgendwelcher Fragen handeln. ({5}) Die Frage, - Sie können sie ja beantworten, Herr Duve -, ob es für dieses Land interessant ist, ob der Herr Bundeskanzler mit Herrn Boenisch nach dessen Weggang ein Gespräch geführt hat, diese Frage müssen Sie selber beantworten. ({6}) Ein weiteres. ({7}) Wir sind nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und der ganz klaren Festlegung informatieller Selbstbestimmung mit Ihnen der Auffassung, daß hier Datenschutz greift. ({8}) Da der Herr Schily - der plötzlich gar nicht mehr da ist - gesagt hat, daß der öffentliche Dienstherr auch den Beamten schützen müsse, will ich Ihnen mal aus dem Beamtenrecht folgendes sagen. Der Beamte hat selbstverständlich mit seiner ganzen Arbeitskraft, seinem ganzen Wesen eine persönliche Treuepflicht zu leisten. Diese Treuepflicht entspricht genau der Schutzpflicht des Dienstherrn. Das werden wir hier tun. ({9}) Sie wollten Herrn Vogel ein Scherbengericht bereiten. ({10}) Wir sind mit der Arbeit des Herrn Staatsministers Vogel in jeder Hinsicht einverstanden. Wir danken ihm ganz besonders für seinen Einsatz. ({11}) Jetzt ist der Herr Schily nicht mehr da. Das bedaure ich. Was das Scherbengericht angeht, würde ich Herrn Schily fragen: Als ich im Untersuchungsausschuß dabei war, hat Herr Strauß, der Ministerpräsident aus Bayern, Herrn Schily ein paar interessante Fragen vorgelegt. Wissen Sie was? ({12}) Die Beantwortung dieser Fragen, Herr Mann, würde ich gern erfahren. ({13}) Das ist für uns noch wesentlicher als der Umstand, wann Herr Vogel mit dem oder dem gesprochen hat. ({14}) Ich stelle zusammenfassend fest: Die Auskunft des Herrn Vogel war in Ordnung. ({15}) - Herr Kollege Bötsch hat es doch vorhin ausgedrückt. Wir haben, Herr Kollege, doch die herrliche technische Möglichkeit, von oben ein bißchen dabei zu sein. Das erlaubt uns natürlich, auch auf Probleme einzugehen, die wir, während wir oben arbeiteten, mitbekommen haben. Ich stelle abschließend fest: Erstens. Herr Staatsminister Vogel hat in jeder Hinsicht korrekt gehandelt. Zweitens. Wir begrüßen es, daß die Bemühungen des Dienstherrn in die Richtung gingen, in jeder Hinsicht seine Beamten zu schützen. ({16})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}).

Heinrich Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001116, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir alle würden zu dieser Stunde lieber im Zug sitzend in Richtung Wahlkreis fahren. Herr Staatsminister Vogel, die skandalöse Art der Beantwortung der zwei Dutzend Fragen, die hier gestellt worden sind, gebietet es aber, daß wir hier diese Debatte führen. ({0}) Wenn sich der Deutsche Bundestag ernst nimmt, kann er einfach nicht diese dümmlichen Antworten des Ministers zur Kenntnis nehmen und dann einfach weggehen. Er muß vielmehr akut, aus dem Stand heraus dazu Stellung nehmen. Ich meine, daß wir heute zum ersten mal seit langer Zeit Parlamentarismus aus dem Stand heraus praktizieren. Das ist gut. ({1}) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Herr Bötsch und Herr Marschewski, Sie haben erklärt, daß alles in Ordnung gewesen sei. Herr Marschewski, wir kennen uns doch lange genug. Sie fühlen doch selbst das Unbehagen - weit bis in die Kreise der CDU/CSU und der FDP hinein -, daß im Falle Boenisch schlecht gehandelt worden ist, ({2}) Klein ({3}) daß sich dieser Mann miserabel verhalten hat. ({4}) Daß der Bundeskanzler beim Ausscheiden von Herrn Boenisch noch erklärt hat, dieser habe sich honorig verhalten, ist ein Skandal obendrein. ({5}) - Herr Bötsch, seien Sie einmal ruhig. ({6}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, mir geht es darum, daß hier gleiches Recht für alle gilt. ({7}) Aus diesem Grunde wird hier diese Debatte geführt, und aus diesem Grunde wurden die Fragen gestellt. Sie, Herr Bötsch, Sie, Herr Marschewski, viele andere Kollegen und ich erleben es, daß sich das Bundespostministerium, die Hauptverwaltung der Bundesbahn und andere Bundesstellen gegenüber einem Postschaffner, einem Bahninspektor oder einem anderen Bundesbeamten ganz rigide verhalten, wenn er sich nur ein Quentchen dessen leistet, was sich hier Herr Staatssekretär Boenisch geleistet hat. ({8}) Uns geht es um das gleiche Recht für alle. Ich habe den Eindruck, Sie wollen hier heute - auch mit der Antwort von Herrn Vogel - das Beamtenrecht außer Kraft setzen. Das Beamtenrecht soll offenbar nur für den einfachen und den mittleren Dienst gelten, beispielsweise für Post und Bahn. Im Falle von Staatssekretären wird es aber ganz locker gehandhabt. ({9}) Wenn der Staatssekretär im Nebenamt gewissermaßen noch ein Paradiesvogel ist, wird es ganz gestrichen. ({10}) Konkret geht es um folgendes. Unmittelbar nach dem Ausscheiden von Herrn Boenisch aus dem Dienst hat das Amtsgericht Berlin-Tiergarten einen Strafbefehl wegen jenes Steuervergehens erlassen. 1 080 000 DM - es ist ja ein Klacks für uns alle, eine solche Summe zu bezahlen. Herr Boenisch hat diesen Strafbefehl akzeptiert und bezahlt. Meine Damen und Herren, diesem Strafbefehl lag ein Tagessatz seiner Nettoeinkünfte in Höhe von 3 000 DM zugrunde. Die Nettoeinkünfte eines Staatssekretärs liegen allenfalls bei 400 DM; das weist das Besoldungsgesetz aus. ({11}) Wenn wir den erwähnten Tagessatz hochrechnen das Amtsgericht Berlin-Tiergarten hat gründlich ermittelt, und Herr Boenisch hat den Strafbefehl akzeptiert -, muß Herr Boenisch ein Einkommen von 200 000 DM vor Steuern gehabt haben, und zwar zu dem Zeitpunkt, als er noch Staatssekretär gewesen ist. ({12}) - Ja, natürlich, im Monat. Laut Besoldungsgesetz lagen seine Bruttoeinkünfte als Staatssekretär allenfalls bei etwas mehr als 15 000 DM. Unsere Frage ist: Woher kommen die anderen 185 000 DM? Das ist die Frage. ({13}) Er hat gesagt, daß er 200 000 DM Einkünfte im Monat hatte. Auf dieser Grundlage wurde das Strafmaß ermittelt. Unsere konkrete Frage ist: Dieses Parlament muß, wenn wir uns ernst nehmen, klären, in welchem Zusammenhang diese Bemessung des Amtsgerichtes Berlin-Tiergarten zustande gekommen ist. Meine Damen und Herren, es geht uns nicht um einen Fall Boenisch. Wenn die Bundesregierung, vertreten durch den Bundespostminister oder den Verkehrsminister, sich gegenüber anderen Beamten im einfachen, mittleren und gehobenen Dienst aus den genannten Bereichen ähnlich kulant zeigen würde, brauchte diese Debatte heute hier nicht stattzufinden. Was draußen im Lande im Volksmund wirklich gesagt und gefragt wird: Ist es nicht so, daß man die Großen laufen läßt, während die Kleinen gehängt werden? ({14}) Auf diesen Punkt kommt es uns an. Ich hoffe sehr, daß sich die Bundesregierung diese Debatte heute zu Herzen nimmt und über diese Dinge nicht einfach hinweggeht. In § 40 des Strafgesetzbuches steht ganz deutlich, wonach sich ein Tagessatz zu bemessen hat. Schauen Sie da mal ein bißchen näher nach, Herr Bötsch, Herr Marschewski und Herr Vogel. Geben Sie uns dann bei Gelegenheit eine saubere Antwort. Wenn Sie sich heute anders verhalten hätten, dann hätten wir die Debatte längst nicht gebraucht. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Bundesminister Dr. Schäuble.

Dr. Wolfgang Schäuble (Minister:in)

Politiker ID: 11001938

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es steht mir nicht an, diese Debatte zu bewerten, obwohl ich, Herr Kollege Klein, Ihnen aufmerksam zuhörend, in den letzten fünf Minuten den Eindruck hatte, daß Sie einen weiten Weg von den drei Fragen, Nummer 8, 9 und 10, auf der Drucksache 10/4114 zu Ihren Ausführungen jetzt in der Aktuellen Stunde zurückgelegt haben. ({0}) Ich habe schon den Eindruck, daß Sie mit dieser Debatte etwas ganz anderes bezwecken wollen, und dem muß die Bundesregierung gegenüber einem ehemaligen Beamten wehren. Wir können nicht zulassen, daß die Vertraulichkeit und die Schutzbedürftigkeit von Personalakten verletzt wird und daß der Versuch gemacht wird, eine Debatte über einen Mitbürger zu führen, der sich hier nicht wehren kann. ({1}) Das ist die erste Feststellung, die ich machen muß. Die zweite Bemerkung, meine Damen und Herren, nachdem der Kollege Schily - ({2}) - Herr Kollege Duve, jetzt will ich Ihnen doch einmal sagen: Sie waren vermutlich so wenig wie ich im Saal, als der Kollege Vogel die Fragen in einer Weise beantwortet hat, die von Kollegen Ihrer Fraktion für nicht zureichend erklärt worden ist. Aber die Art, wie Sie versuchen, mich am Reden zu hindern, ({3}) spricht mir nicht für die Vermutung, daß Sie an einer Antwort interessiert sind. ({4}) Ich wollte gern dem Kollegen Schily, der aber leider auch nicht mehr hier sein kann - -({5}) - Ja natürlich, ich kritisiere das ja gar nicht. Aber ich möchte ihm die Antwort trotzdem geben. Er kann Sie ja nachlesen, und vielleicht haben Sie die Liebenswürdigkeit, ihn darüber zu informieren. Ich bin schon dafür, daß wir das in aller Ruhe, Offenheit und Klarheit miteinander austragen. Der Kollege Schily und auch Redner der SPD- Fraktion haben beklagt, daß die Bundesregierung bestimmte Sachverhalte nicht beantwortet habe, und ich würde mich in meiner Eigenschaft als Chef des Kanzleramtes davon betroffen fühlen, wenn die Bundesregierung diese Fragen, die Herr Kollege Schily genannt hat, nicht beantwortet hätte. Sie hat sie aber längst beantwortet. ({6}) - Ich möchte Sie doch gerade daran erinnern. - Die Bundesregierung hat durch offizielle Erklärungen im Zusammenhang mit dem Ausscheiden des Herrn Staatssekretär Boenisch öffentlich erklärt, ({7}) daß sich die Gegenstände, die Sachverhalte, die damals Gegenstand eines steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahrens waren - das nach seinem Bekanntwerden bei Herrn Boenisch zu dem Entschluß geführt hat, ({8}) aus seinem Amt als Staatssekretär auszuscheiden -, daß sich die Vorwürfe auf die Zeit vor seiner Tätigkeit als Staatssekretär und als Chef des Bundespresse- und Informationsamtes bezogen haben. ({9}) Dies ist öffentlich erklärt worden. ({10}) - Was sich auf Herrn Kollegen Vogel bezieht, ist erst der nächste Punkt, Herr Kollege Stahl. Wir können das alles in Ruhe austragen. Glücklicherweise habe ich eine Ablichtung des Protokolls der Sitzung vom 27. Juni dieses Jahres hier zu Händen, in der Herr Kollege Vogel auf Fragen einer Reihe von Kollegen Ihrer Fraktion darauf aufmerksam gemacht hat - das ist alles im amtlichen Protokoll des Bundestages nachzulesen -, daß Herrn Boenisch im April dieses Jahres die Tatsache eines gegen ihn anhängigen Ermittlungsverfahrens bekannt geworden ist. ({11}) Er hat daraufhin sofort von sich aus die Bundesregierung darüber informiert. Wenn ich richtig informiert bin, Herr Kollege Klein - ich habe jetzt diese Unterlage nicht mitgebracht -, ({12}) hat Herr Kollege Vogel anschließend in einem Brief an Sie oder einen Kollegen Ihrer Fraktion auch den genauen Zeitpunkt noch mitgeteilt, der sich deswegen, weil Herr Kollege Vogel diese Antwort nachgereicht hat, nicht im amtlichen Protokoll findet. Ich stelle damit fest - das ist im übrigen völlig klar, und es ist öffentlich mitgeteilt worden -, daß der Bundeskanzler natürlich mit dem damaligen Staatssekretär Peter Boenisch vor seinem Ausscheiden über sein bevorstehendes Ausscheiden und aus Anlaß seines Ausscheidens als Staatssekretär ausführliche Gespräche geführt hat. Es ist doch völlig klar, meine Damen und Herren - ich denke, daß wir uns darüber einig sind -, daß Herr Kollege Vogel in vollem Respekt vor dem Parlament und seinem Kontrollrecht zu Recht über den Inhalt dieser Gespräche, die der Bundeskanzler mit dem damaligen Chef des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung geführt hat, keine Auskunft gegeben hat. Das heißt, was Sie hier als Auskünfte reklamiert haben ({13}) und wovon Sie behaupten, Sie hätten die Auskünfte nicht bekommen, ist alles seit Monaten in offiziellen Dokumenten und Erklärungen der Öffentlichkeit und auch Ihnen mitgeteilt worden. ({14}) Deswegen weise ich die Vorwürfe, die Bundesregierung würde dem parlamentarischen Auskunftsbegehren nicht stattgeben und das parlamentarische Kontrollrecht zu unterlaufen versuchen, als unbegründet zurück. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Emmerlich.

Dr. Alfred Emmerlich (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000468, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es geht um zwei Probleme. Das erste Problem ist: In der Öffentlichkeit wird der Vorwurf erhoben, daß ein Mitglied der Bundesregierung während seiner Amtszeit einen privaten Werbevertrag für ein deutsches Unternehmen gehabt und aus diesem privaten Werbevertrag große, sehr große Einnahmen gehabt hat. ({0}) Der zweite Punkt, um den es sich hier heute dreht, sind das Kontrollrecht und das Auskunftsrecht des Parlaments. Zum ersten Thema: Wenn die Vorwürfe zutreffen, daß ein solcher Werbevertrag eines Mitglieds der Bundesregierung vorhanden war, dann handelt es sich nicht um einen Sachverhalt privater Natur, sondern dann handelt es sich um einen politischen Sachverhalt, und zwar um einen politischen Sachverhalt, der dem Kontrollrecht des Parlaments unterliegt, ({1}) und um einen politischen Sachverhalt, bei dem die Öffentlichkeit einen Anspruch darauf hat, Aufklärung zu erhalten. ({2}) Die Werbeeinnahmen des Herrn Boenisch sind im übrigen, meine sehr geehrten Damen und Herren, ebensowenig eine Privatangelegenheit wie die Tatsache, daß dieser ehemalige Staatssekretär der Bundesregierung nach seinem Ausscheiden in öffentlichen Vorträgen z. B. erklärt, daß die Abgeordneten - ich zitiere wörtlich, und es fällt mir schwer, dieses Zitat in den Mund zu nehmen - mehr über die Neger in Namibia wissen als über ihre Wähler. ({3}) In dieser Äußerung kommt in unerträglicher Weise Rassismus zum Ausdruck, und in gleich unerträglicher Weise kommt eine Mißachtung gegenüber der Demokratie und ihren Institutionen zum Ausdruck. ({4}) Herr Staatsminister Schäuble, ich hatte gehofft, Sie würden die Chance, die Sie gehabt haben, wahrnehmen, ({5}) um durch Ihren Redebeitrag zweierlei deutlich zu machen, nämlich erstens, daß das Parlament hier in der Fragestunde ein Kontrollrecht wahrgenommen hat, und zweitens, daß Herr Staatsminister Vogel dieses Kontrollrecht mißachtet hat, ({6}) und zwar in einer Weise, die ich nur als einen unglaublichen und unerhörten Affront bezeichnen kann. ({7}) Herr Bundesminister Schäuble, Sie hätten die Chance gehabt, für die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, für die Regierung aller Deutschen zu erklären, daß ein privater Werbevertrag eines Mitgliedes einer Bundesregierung ein unerhörter Verstoß gegen politische Moral, politischen Anstand und politische Sauberkeit ist. ({8}) Sie haben diese Chance, Herr Bundesminister Schäuble, bedauerlicherweise nicht wahrgenommen. Er erzählt sich etwas mit Herrn Vogel. Er ist nicht interessiert an dem, was Abgeordnete in Richtung auf ihn ausführen. Das ist wieder ein bemerkenswertes Zeichen für die Arroganz der Macht, die diese Bundesregierung prägt. ({9}) Herr Schäuble, Sie haben allerdings in einem, ohne es ausdrücklich zu sagen, ohne es vielleicht sogar ausdrücklich sagen zu wollen, Herrn Staatsminister Vogel korrigiert, indem Sie Angaben in bezug auf diese Fragen, wenn auch unzulängliche Angaben, gemacht haben, und sich nicht wie Herr Vogel darauf berufen haben, daß die Vertraulichkeit von Personalakten die Beantwortung dieser Fragen unmöglich mache. Durch Sie ist Herr Vogel in seiner Rechtsauffassung bereits widerlegt. Ich denke, daß die Einsicht, meine sehr verehrten Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP, daß hier ein politischer Sachverhalt vorliegt, über den im Interesse der Hygiene dieses Gemeinwesens Aufklärung erforderlich ist, sich auch bei Ihnen durchsetzt und daß dem Parlament und der Öffentlichkeit die nötige Aufklärung zuteil wird. Vielen Dank. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben uns sehr überlegt, ob wir uns an dieser Debatte überhaupt beteiligen. Es ist hier mit Recht mehrfach von der Würde des Parlaments gesprochen worden. Ich glaube, sie sollte nicht nur in der Art von Debatten zum Ausdruck kommen, sondern sie sollte auch bei der Art der Fragestellungen beachtet werden, die hier vor dem Deutschen Bundestag einer öffentlichen allgemeinen Erörterung für wert befunden werden. Ich glaube, man muß ein paar Dinge richtigstellen. Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Kollege Emmerlich, daß man eine Fragestunde sozusagen als eine Art Sanktion für abwertende Äußerungen über den Bundestag von jemandem macht, der nicht mehr im öffentlichen Dienst tätig ist. ({0}) Wenn also Herr Boenisch, den ich persönlich außerordentlich sympathisch finde - er ist nicht gerade das, was man einen Beamten nennt, aber das geht vielen so; es wird im allgemeinen nicht als sehr negativ bewertet - ({1}) - Herr Duve, wir haben alle nur fünf Minuten Redezeit. Ich muß es nochmals sagen: Ich finde Herrn Boenisch als Menschen außerordentlich sympathisch. ({2}) Er ist nicht gerade das, was man einen Beamten nennt. Das ist im Prinzip auch nicht nachteilig. Aber wenn Herr Boenisch nach seinem Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst für den Bundestag nachteilige Äußerungen macht, dann teile ich sie nicht. Ich finde sie auch nicht gerechtfertigt. Aber es ist das Recht eines jeden Bürgers dieses Landes, über den Deutschen Bundestag zu sagen und zu denken, was er für richtig hält. Ich teile das Unbehagen an einem was hier angesprochen worden ist, nämlich an manchen Erscheinungen in den Fragestunden des Bundestages. Auch ich wünschte, daß die Mitglieder der Bundesregierung, also die Minister, öfter die Gelegenheit wahrnehmen würden, sich hier selber den Fragen zu stellen. ({3}) Wir sollten auch durch unsere Fragestellung dazu beitragen, daß sie wirklich Veranlassung sehen, sich hier öfters zu zeigen. Ich muß auch offen sagen, daß ich die Art mancher Beantwortungen für nicht angemessen halte, zumal wir die Regeln der Fragestunde aufs äußerste zurückgeschraubt haben. Ich erinnere nur an die wenigen möglichen Zusatzfragen. Wenn man nur eine Frage stellen kann, dann hat man auch bei offenkundig ausweichenden Antworten keine Möglichkeit der Nachfrage. Alles das hat den Wert der Fragestunde verringert. Wenn wir das Instrument der Fragestunde ernst nehmen, dann sollten wir alle die bisherigen Regeln kritisch überprüfen und es nicht bei dem bewenden lassen, was hier praktiziert wird. Fast alle deutschen Landtage, die ich kenne, sind in der Art der Fragestunde viel offener, viel härter, viel exakter als der Deutsche Bundestag. ({4}) Ich glaube, was von jedem Landesminister erwartet wird, nämlich daß er sich in seinem Fragenbereich auch zu Einzelpunkten kundig macht und sich entsprechenden Fragen stellt, sollte auch von Bundesministern erwartet werden. Nun aber zu dem, was hier zu Herrn Boenisch gesagt worden ist. Ich sage das nur für mich: Ich habe ein großes Unbehagen, wenn personelle Einzelfragen vor dem Forum der Nation erörtert werden. ({5}) - Nun lassen Sie mich doch mal ausreden. - Wenn ich die Frage höre: Woher kommen 185 000 DM? ({6}) Du lieber Gott, das mag ja interessant sein. Aber ist das eine Angelegenheit des Deutschen Bundestages? Ich bin nicht der Meinung. ({7}) Meine verehrten Kollegen, wir sollten von Beamten auch nicht mehr Offenlegungen verlangen, als wir bisher in eigenen Dingen offenzulegen bereit sind. ({8}) Auch hier wäre eine gewisse Harmonisierung gar nicht schlecht. ({9}) Meine letzte Bemerkung zu dieser Frage. Es ist in der Tat eine Frage von öffentlichem Interesse, ob der Sprecher der Bundesregierung eine Nebentätigkeit hat, ob er wirtschaftliche Interessen hat, die nicht bekannt sind. ({10}) Ich finde, daß die Bundesregierung offen sagen könnte und offen sagen sollte, ob die Vorschriften des Nebentätigkeitsrechts auch in diesem Fall korrekt eingehalten worden sind. ({11}) Wenn hier eine Mitteilung darüber gemacht wird, dann, glaube ich, sollten auch Sie, meine verehrten Kollegen, nicht etwa hergehen und irgendwelche individuellen Details als vor dem Forum der Nation ausbreitungswürdig betrachten. Vielen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller.

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ebenso genannte Ad-hoc-Parlamentarismus, der sich hier entwickelt hat, ist wahrscheinlich auf dem Weg, ein SpontiParlamentarismus zu werden. Ich finde dem" gut so, weil das die einzig mögliche Reaktion_ auf die Art und Weise gewesen ist, wie dieses Parlament mit der Beantwortung bzw. mit der Nichtbeantwortung der Fragen, die wir gestellt haben, behandelt worden ist. ({0}) So etwas habe ich hier und auch in irgendeinem Ausschuß noch nicht erlebt. ({1}) Was ich in diesem Zusammenhang natürlich gern wissen würde, ist folgendes: Es muß doch einen Dr. Müller ({2}) Grund dafür geben, warum man so wortkarg ist. Es handelt sich um eine Wortkargheit - gerade in Sachen Boenisch; von Herrn Boenisch gelernt - bei einer Bundesregierung, die sonst gerne das Maul - nein, so darf ich das gar nicht sagen; so will ich das gar nicht sagen -, die sonst zu allem und jedem etwas zu sagen hat. Daher würde ich gern wissen: Was ist der Grund für diese Wortkargheit? Ich befürchte natürlich einiges. Ich befürchte, daß der Fall Boenisch - das ist natürlich ein Fall für das Parlament - finanziell schlichtweg noch nicht abgewickelt worden ist. Es spricht einiges dafür, daß er finanziell noch nicht abgeschlossen ist. Herr Boenisch - das ist sein gutes Recht - macht Veranstaltungen in der Bundesrepublik, wirbt damit, daß er einmal Sprecher für die Regierung gewesen ist. Damit wirbt er für solche Veranstaltungen. Er spricht weiter für die Regierung. Und nun möchte ich, nach all dem, was ich aus dem Fall Boenisch weiß, noch eines wissen: Macht der Mann das umsonst? Macht der Mann das heutzutage noch umsonst? Das würde ich gern wissen! ({3}) Der ist noch nicht einmal umsonst Auto gefahren. ({4}) Das ist ein Materialist, wie es ihn besser gar nicht geben kann. Dorthin schaffen wir es nie. ({5}) Der ist noch nicht mal umsonst seinen Mercedes gefahren. ({6}) Gut, er tingelt durch die Lande, macht Veranstaltungen. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, daß er das umsonst macht. Alle Lebenserfahrung, die ich so habe, und die Erfahrungen, die wir hier in Bonn gemacht haben, sprechen dafür: Irgend jemand bezahlt das. Und da möchte ich gerne wissen - jetzt spreche ich als Haushälter -, ob nicht die Möglichkeit besteht, daß hier aus Titeln beim Bundeskanzleramt noch heute eine finanzielle Leistung gewährt wird. - Da gibt es Werkverträge und viele andere Möglichkeiten mehr. - Dieses, vermute ich, macht die Wortkargheit aus, über die gesprochen wird. Und dann kam ein wunderschöner Begriff zum Tragen: Der Mitbürger Boenisch - mir kommen die Tränen -, 200 000 DM pro Monat früher, dann 15 000 DM Gehalt pro Monat hier, lächerlich, soll bezüglich seiner Einkünfte geschützt sein. - Ich wäre ja froh, das würde der Maßstab bei solchen Dingen wie Volkszählung sein. Ich wäre ja froh, das Argument des Datenschutzes würde konsequent verlängert werden, nur handelt es sich hier um etwas anderes: Bei diesen Nebeneinkünften handelt es sich offensichtlich - und das hat ja den Fall ausgemacht - um Steuerhinterziehung. Das heißt, es hat einen Regierungssprecher gegeben, der zu einer Zeit, wo der Finanzminister das Wort der Sparsamkeit redete, Steuern hinterzogen, die Einnahmen des Staates verkürzt hat. Das ist natürlich ein Skandal sondergleichen. Da kann man doch nur sagen: Bitte schön, so ist die Welt mit der Sparsamkeit, auf der einen Seite für Sparsamkeit reden, keine Ausgaben, keine Beschäftigungsprogramme, nichts für die Umwelt - wir kennen das alles - und auf der anderen Seite Steuerhinterziehung. Das ist die Moral derjenigen die Sparsamkeit predigen: Woanders ja, bei sich selbst Steuerhinterziehung. Danke schön. ({7})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mich zu Wort gemeldet, weil ich in der Fragestunde anwesend war und einige Fragen gestellt habe. Sonst hätte ich zur Sache nicht geredet. ({0}) Ich kann nur betonen, daß das, was wir von der Regierung gehört haben, unzureichend war. Ich will mich nicht auf den Herrn Boenisch einschießen. Ich glaube, daß das zutrifft, was hier schon verschiedentlich gesagt worden ist: Es geht nicht um die Person, sondern es geht um die Regierung. Es geht um das Fehlverhalten dieser Regierung. Dies sollte offenbar in der Fragestunde verschleiert werden und soll weiterhin verschleiert werden; denn obwohl Sie, Herr Schäuble, die Wahrheit auf den Tisch legen wollten, haben Sie Nebelkerzen geschossen, ja, Sie haben es noch unklarer gemacht, indem Sie den Unterschied zwischen den Terminen einfach weggedrückt und ausgeführt haben, Sie wüßten nicht Bescheid, obwohl offenbar und allen klar ist, daß zwischen April und Ende Mai doch immerhin sechs Wochen Zeit für Herrn Boenisch waren, um sich zu erklären, und obwohl es nicht darum ging, daß Herr Boenisch sich erklären mußte, nachdem er ein Verfahren am Hals hatte, sondern er doch wußte, daß er Steuern hinterzogen hatte, und hoffte und bangte, daß das keiner merken würde. ({1}) Er hätte es doch im Grunde sagen müssen - und hat es vielleicht auch gesagt. Warum wird denn nicht offenbart, was in dem Einstellungsgespräch gesagt worden ist? Und wer weiß nicht, was ein Einstellungsgespräch ist. Ich kenne die Einstellungsgespräche bei kleinen Leuten heute, die vom Arbeitsamt geschickt und dann auf Herz und Nieren geprüft werden, ({2}) die ihre Unbedenklichkeitserklärung beilegen, ein Führungszeugnis vorlegen müssen. Das alles braucht ein hoher Beamter, wenn er eingestellt werden soll, nicht. Der braucht nicht zu sagen, daß Immer ({3}) er in der Kreide steht und daß er den Staat um Steuern betrügt. ({4}) Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU - ich nehme nach der Rede von Herrn Hirsch die FDP aus -, müßten sich doch dagegen wehren, daß Ihnen keine Kontrollmöglichkeiten eingeräumt werden. Sie müßten doch diejenigen sein, die ihrer Regierung auf den Zahn fühlten und sagten: Mit uns so nicht. ({5}) Wo wollen Sie angesichts einer Regierung, die von Skandal zu Skandal läuft, in der es kaum einen Minister gibt, der nicht Dreck am Stecken hat, der nicht zwielichtig ist - und jetzt noch die BoenischAffäre -, eigentlich noch hin? Wo soll dieser Staat noch hintreiben? Was sollen die Bürger von diesem Staat denn noch halten, meine Damen und Herren? ({6}) Eine Affäre reiht sich an die andere. Diese Regierungskoalition im Parlament läßt sich degradieren zum Handaufheben und Stimmen und Ja-Stimmen, und wenn es befohlen ist, wieder Nein-Stimmen, aber sie übt keine Kontrollfunktion aus. Herr Bötsch, Sie sind doch ein ehrenwerter Jurist, nehme ich an. Entschuldigung, schämen Sie sich nicht, daß Sie diese Kontrollfunktion, die Ihnen die Wähler aufgetragen haben, nicht ausüben? ({7}) - Das tut mir leid. Nur ist der Beweis von Ihrer Rede her erbracht. Ich kann nur traurig darüber sein, in welcher Weise diese sensiblen Fragen eines sensiblen Amtes, nämlich der Öffentlichkeitsarbeit, ({8}) behandelt worden sind und daß ein Mensch so eingestellt, so verabschiedet und so beauftragt worden ist. Wie eigentlich muß sich der Bürger vorkommen? Ich habe ja die Frage gestellt und den Begriff geprägt: Er tingelt sich durch die Welt. Er betreibt Werbung für Kapitalnehmer und -geber, hebt die Bundesregierung in den Himmel und macht das Parlament schlecht. ({9}) - Ach, entschuldigen Sie vielmals. Ich wußte nicht, daß Herr Fischer dabei war, Steuern zu hinterziehen. Nein, meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Dieser Freitagmittag ist ein schwarzer Tag für diese Bundesregierung, ({10}) aber er müßte zu einem Morgenrot für dieses Parlament werden. Danke schön. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, den Ausdruck, daß die Mitglieder des Kabinetts ;,Dreck am Stecken" haben, weise ich zurück und rüge ihn. Das Wort hat der Abgeordnete Mann. ({0})

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Hirsch, auch ich habe überlegt, ob ich reden soll, nachdem sich meine Kollegen Schily und Dr. Müller gemeldet hatten. Aber ich war in der Fragestunde anwesend, und ich habe die Antworten von Herrn Dr. Schäuble gehört. Ich bin Mitglied der Rechtsstellungskommission des Altestenrates, jetzt stellvertretendes Mitglied, Herr Dr. Bötsch, des Geschäftsordnungsausschusses. Ich mache mir in der Tat auch Sorgen - das sage ich zu dieser Stunde, wo relativ wenig Öffentlichkeit da ist - über den Zustand des Parlaments. ({0}) - Das ist richtig. - Ich habe nach Auffassung meiner Fraktionskollegen neulich bei der Frage eines neuen Untersuchungsausschusses viel zu moderat geredet. ({1}) Ich frage mich, auch wenn ich mir die heutige Debatte und die Beantwortung der Fragen des Kollegen Klein vor Augen führe, ob man auf die Selbstreinigungskräfte dieses Parlaments tatsächlich vertrauen kann. Es gibt zwei sehr wichtige Problemkreise; Herr Dr. Emmerlich hat sie erwähnt. Es geht einmal um das Selbstverständnis des Parlaments und die Kontrollbefugnisse des Bundestages gegenüber der Bundesregierung, ({2}) auch im Vergleich zu anderen Parlamenten, den Landtagen. Zum zweiten geht es um den Fall Boenisch, aber nicht bezogen auf Herrn Boenisch als Person, als Peter Boenisch, als Bild-Boenisch, sondern auf Spitzenpolitiker in dieser unserer Republik. ({3}) Nach meiner Einschätzung sollten Sie das, was heute dazu gesagt worden ist, sehr ernst nehmen. Ich glaube, daß, wenn hier eine Aktuelle Stunde beantragt worden ist, etwas von dem zum Ausdruck kommt, was sich in den letzten zwei, zweieinhalb Jahren im Umgang mit den Kontrollrechten der Opposition ({4}) - des Parlaments, richtig -, manchmal auch der Mehrheitsfraktion aufgestaut hat. Deswegen sollten wir das ungeachtet der emotionalen Äußerungen jetzt wirklich sehr ernst nehmen. Ich bin mir eigentlich auch sicher, Herr Vogel und Herr Dr. Schäuble, daß Sie das sehr ernst nehmen werden, daß Sie als Bundesregierung, auch wenn Sie in Ihrer rechtlichen Argumentation die Argumente zum Teil für sich haben mögen, so mit dem Deutschen Bundestag, einfach nicht umgehen sollten. ({5}) Ich glaube, daß die deutsche Öffentlichkeit, Herr Dr. Hirsch - darauf haben Sie Bezug genommen -, in der Tat einen Anspruch darauf hat, zu erfahren, ob mit zweierlei Maß gemessen wird, ob - wie Herr Klein zutreffend gesagt hat - die Kleinen gehängt werden und man die Großen laufen läßt. Auf der einen Seite werden Tausende von Mitgliedern der Friedensbewegung, die sich noch nie strafbar gemacht haben, mit strafrechtlichen Mitteln belangt, obwohl deren Tun nach unsere Überzeugung straffrei ist, weil es aus Friedensengagement heraus erfolgt ist. Auf der anderen Seite wird klammheimlich ein Strafbefehlsverfahren abgeschlossen - es sind ja Hunderte von Verfahren, die zur Zeit laufen -, so daß Herr Boenisch ohne öffentliche Verhandlung verurteilt wird. ({6}) Hier geht es in der Tat um essentielle Fragen der Kontrolle durch dieses Parlament. Ich glaube, daß die Öffentlichkeit das auch sehr wohl so versteht. Wenn Herr Boenisch hier einmal zu Unrecht getroffen worden ist, dann trifft es sicherlich jemanden - Herr Duve hat das eben in einem Zwischenruf erwähnt; er ist der Sonnyboy der Boulevardpresse -, der das aushält. ({7}) Herr Vogel, ich hatte Sie auch gefragt, ob Ihr Antwortverhalten vielleicht nicht einfach damit zusammenhängt, daß diese Bundesregierung hinsichtlich ihres Stils wirklich eine Skandalregierung ist. Da gab es den Grafen Lambsdorff als Mitglied dieser Regierung. Da mußte erst die Anklage vor dem Landgericht Bonn erhoben werden, bis er zurücktrat. ({8}) Da gibt es den Herrn Schwarz-Schilling, der mit seinem Familienunternehmen Sonnenschein in allerlei merkwürdige Dinge verwickelt ist. ({9}) Da gibt es einen Bundeskanzler Kohl, der vor dem 1. Untersuchungsausschuß auf Fragen von Parlamentariern eigentlich nie richtig geantwortet hat. Ich fürchte wirklich, da liegen die tieferen Gründe. ({10}) Diese Regierung hat in der Tat sehr, sehr viel zu verbergen. Ich komme zum Schluß. Meine Kollegen von der rechten Seite des Parlaments, hätten wir nicht Angst, hinsichtlich unserer berechtigten Fragen noch mehr enttäuscht zu werden, hätten wir mit der neuen Mehrheit, die vielleicht sichtbar geworden ist, ({11}) heute auch noch den Herrn Bundeskanzler herbeizitiert. Vielen Dank. ({12})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Baum. ({0})

Gerhart Rudolf Baum (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000111, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Natürlich geht es um die politische Kultur. Es geht aber auch darum, daß hier Spektakel veranstaltet wird. Was Sie zuletzt gemacht haben, Herr Mann - ({0}) - Ich spreche jetzt über Herrn Mann. Herr Mann hat sich an die Stelle von Gerichten gesetzt. Er hat einen fundamentalen Grundsatz verletzt, nämlich den, daß jemand, der angeklagt ist, nicht verurteilt ist. Er hat vergessen, daß der Bundeskanzler im Untersuchungsausschuß stundenlang Auskunft gegeben hat. Wir sind doch ein Parlament, das funktioniert. Ich habe etwa 2 500 bis 3 000 Fragen in diesem Parlament beantwortet. Ich weiß, wie schwer das ist. Ich kann mich auch in die Lage des Kollegen Vogel versetzen. Es gibt mitunter Personenschutzinteressen. ({1}) - Jawohl, die gibt es. - Es gibt hier auch nichts zu verschleiern. Es gab ein Fehlverhalten von Herrn Boenisch. Herr Boenisch hat sich strafbar gemacht. Das haben Sie eben auch unterschlagen: Er hat einen Strafbefehl bekommen, hat ihn akzeptiert. Er ist wahrscheinlich sogar rüder, jedenfalls genauer behandelt worden als ein kleiner, unbekannter Straftäter. ({2}) - Gut, das lassen wir einmal dahingestellt sein. Aber Sie tun so, als könnte sich jemand, der Steuern hinterzieht, einfach wegschleichen. Der Mann hat dafür einen Strafbefehl bekommen, und er hat sein Amt aufgeben müssen. Wollen Sie denn unterstellen, daß irgend jemand in der Bundesregierung ihn gedeckt, das gewußt, das hingenommen hat? ({3}) Wenn Sie die Bundesregierung oder einzelne ihrer Mitglieder verantwortlich machen, müßten Sie dafür schon etwas vorlegen. Glauben Sie, mir gefällt das, was Herr Boenisch draußen erzählt? Aber wo kämen wir denn hin, wenn wir jetzt über alle redeten, die etwas erzählen, was uns nicht gefällt? ({4}) Es war so, daß er ein Fehlverhalten an den Tag gelegt hat, das mir persönlich überhaupt nicht gefallen hat. Dieses Fehlverhalten muß auch genannt werden. Wenn Sie Fragen stellen, die den Eindruck erwecken, als gäbe es möglicherweise noch etwas, dann belasten Sie den Mann zusätzlich. Dann bitte ich Sie wirklich: Sagen Sie das auch. ({5}) Wenn man die Fragen liest - ich war bei der Beantwortung nicht die ganze Zeit dabei -, hat man ja den Eindruck, als gäbe es da noch etwas. Das müßte dann aber auch im Interesse der Wahrhaftigkeit ausgesprochen werden; sonst bleibt es ja hängen. ({6}) Es könnte ja durchaus sein, daß es in solchen Fällen andere Formen der Information zwischen Regierung und Opposition gibt; das geht ja auch. Wir haben ja Mechanismen, mit deren Hilfe man sich informiert, wenn es um Personen, um Interessen des Personenschutzes geht. ({7}) Hier soll von der Regierung - so habe ich Sie auch verstanden - nichts unter den Teppich gekehrt werden. Benutzen Sie das, was hier geschehen ist, aber doch bitte nicht zu einem billigen Spektakel! ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte die Diskussion gern auf den Punkt zurückführen. Ausgangspunkt der Diskussion, die wir gerade miteinander bestreiten, ist die Tatsache, daß ein beamteter Staatssekretär vor seiner Einstellung als beamteter Staatssekretär Steuern in Höhe von einer halben Million DM hinterzogen hat und daß er später von einem Amtsgericht mit einer rechtskräftig gewordenen Geldstrafe von 1 Millon DM belegt worden ist. Nach Auskunft des Senators für Justiz und Bundesangelegenheiten in Berlin handelt es sich um einen besonders schwerwiegenden Fall von Steuerhinterziehung, bei dem nur aus besonderen Gründen von der Verhängung einer längeren Freiheitsstrafe abgesehen worden ist. ({0}) Nach den Auskünften, die uns erteilt worden sind - ich verweise auf das Schreiben, das Ihre Unterschrift trägt, Herr Staatsminister -, hat der beamtete Staatssekretär bei seiner Einstellung keine Mitteilung über seine steuerlichen Verhältnisse gemacht. Er hat vielmehr erst am 29. Mai 1985 angezeigt, daß gegen ihn ein Ermittlungsverfahren im Gange sei. Weiter: Der beamtete Staatssekretär hat während seiner Beamtenzeit geworben. Die Frage, ob er gegen Entgelt geworben hat, ist unter Umständen auf dem Hintergrund zu sehen, daß das Amtsgericht Tiergarten von Berlin ({1}) seine Tageseinkünfte auf 3 000 DM geschätzt hat, ({2}) während sich aus dem Gehalt lediglich eine Tageseinkunft von 400 DM ergibt. Bei jedem Beamten, bei jedem Postsekretär, bei jedem kleinen Inspektor, wäre bei diesem Sachverhalt von der zuständigen Behörde geprüft worden: Erstens. Hat der Beamte seine Verbeamtung durch Verschweigen von erheblichen Tatsachen herbeigeführt? Es ist eine erhebliche Tatsache, wenn man sich bei einem so herausgehobenen Amt in steuerlichen Verhältnissen befindet, die derart exemplarische Nachforderungen, derart exemplarische Bestrafungen nach sich ziehen. Zweitens wäre jeder kleine Beamte befragt worden, ob er Nebentätigkeiten ausübt. Der Sachverhalt der Werbung hätte allein schon Anlaß gegeben, ihn einzuladen, die näheren Darlegungen dazu zu machen. Ein kleiner Postsekretär wird ja bereits dann herangezogen und um Auskunft gebeten, wenn er in einer Musikkapelle Nebeneinkünfte in Höhe von 200 oder 300 DM hat. ({3}) Meine Herren von der Bundesregierung, meine Herren Staats- und Bundesminister, es ist das selbstverständliche Recht, nein, es ist die Pflicht des Parlaments, zu prüfen, ob der beamte Staatssekretär im Bundeskanzleramt genauso wie jeder kleine Beamte in dieser Republik behandelt worden ist. ({4}) Die Gleichbehandlung aller vor dem Gesetz, der Großen und der Kleinen, ist das Fundament unserer verfassungsmäßigen Ordnung. ({5}) Es ist um so mehr die Pflicht des Parlaments, und zwar des gesamten Parlaments - auch dieser Seite des Parlaments -, zu prüfen, ob dies hier gesche12956 hen ist, weil es sich um die Stelle eines beamteten Staatssekretärs in der nächsten Umgebung des Bundeskanzlers, an der für die Öffentlichkeit unseres Volkes sichtbarsten Stelle handelt. Die Antworten, die Sie gegeben haben, Herr Staatsminister, und Ihre Ausführungen, Herr Bundesminister, die ich eher mit noch größerer Sorge entgegengenommen habe, lassen uns vermuten, daß das Prinzip der Gleichbehandlung hier verletzt worden ist. ({6}) Die SPD-Fraktion wird sich mit den Auskünften und insbesondere mit Ihrer bedenklichen Rede, Herr Chef des Bundeskanzleramtes, nicht zufriedengeben. ({7}) Ich lade Sie ein, wir laden Sie ein - ich greife das auf, was Herr Baum gesagt hat -, uns in jeder geeigneten Weise die Auskünfte zu geben, die dem Parlament nachprüfbar machen, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz beachtet worden ist oder nicht. Wenn Sie das nicht tun, kündige ich an, daß die Opposition jedes parlamentarische Mittel einsetzen wird, um den Gleichbehandlungsgrundsatz zu verteidigen. ({8}) Wir tun das nicht, um den beamteten Staatssekretär, dessen Namen ich mit Absicht - ({9}) - Es ist peinlich, nicht nur was Sie schreiben, sondern auch was Sie sagen. ({10}) Meine Damen und Herren, wir üben dieses Recht und diese Pflicht nicht deshalb aus, weil es uns um einen Herrn ginge, dessen Namen ich hier nicht genannt habe; wir üben es aus, weil wir das der parlamentarischen Demokratie schuldig sind und dem Vertrauen unseres Volkes in die Gleichheit aller vor dem Gesetz. ({11})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Damit sind wir auch am Ende der Sitzung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 13. November 1985, 13 Uhr ein. Wenn auch verspätet, möchte ich Ihnen ein angenehmes Wochenende wünschen. ({0}) Die Sitzung ist geschlossen.