Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Verhältnis von Kapital und Politik in der Bundesrepublik Deutschland an Hand des aktuellen Beispiels der angedrohten Kapitalflucht in Hessen
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Umweltminister der GRÜNEN in Hessen reichte aus, um den Vorstandsvorsitzenden von Hoechst dazu zu bringen, Investitionsverlagerungen aus Hessen anzudrohen. Ein Umweltminister der GRÜNEN, und schon wurden mit Kapitalflucht gedroht, das Chaos an die Wand gemalt usw. Der Kanzler, der Chemiegewerkschaftsführer Rappe, Stoltenberg und einige CDU- Wirtschaftsminister - unter Führung Ernst Albrechts aus Niedersachsen -, alles Minister aus Ländern mit höherer Arbeitslosigkeit als in Hessen, schlossen sich dem Gerede an.
Das Verlogene an diesen Kapitalfluchtandrohungen ist, daß sie ausgerechnet von denjenigen Leuten vorgetragen werden, die den GRÜNEN bei jeder sich bietenden Gelegenheit vorwerfen, daß sie nicht bereit seien, konkrete Programme vorzulegen oder Verantwortung zu übernehmen.
({0})
Seit dieser Kampagne wissen wir genau, daß dieser Vorwurf immer nur polemisch gemeint gewesen ist.
({1})
Die wichtigste Frage in diesem Zusammenhang ist,
warum eigentlich ein demokratisch gewählter, bis
jetzt ja erst designierter Umweltminister der GRÜNEN ausreicht, um gleich Kapitalflucht aus Hessen anzudrohen.
({2})
Das Umweltgewissen des Hoechst-Konzerns muß schon extrem schlecht sein, wenn es eine Investitionsentscheidung an die Regierungsbildung in Hessen knüpft.
Ausgerechnet wieder die Firma des Ministers Schwarz-Schilling besitzt die Frechheit, sich an den Drohungen zu beteiligen. Die Firma Sonnenschein ist j a immer dabei, wenn es darum geht, Gesetze zu brechen und die Umwelt zu vernichten.
({3})
Was ist denn eigentlich, meine Damen und Herren von der CDU, an einem Umweltminister der GRÜNEN so wirtschaftsfeindlich, als daß er erwarten läßt, daß die bestehenden Umweltgesetze eingehalten werden?
({4})
Dies ist es, wovor die mit Kapitalflucht drohenden Konzerne Angst haben.
Offensichtlich gibt es in Sachen Umweltschutz so etwas wie eine rechtliche Grauzone, in der munter auf Kosten der Umwelt, der Gesundheit der Bevölkerung giftige Stoffe emittiert werden. Allein um diese Grauzone geht es, wenn Unternehmen Betriebsverlagerungen in andere Bundesländer androhen, die j a die gleichen Umweltgesetze haben.
({5})
Was nutzen uns denn alle Gesetze zum Umweltschutz, wenn wirtschaftliche Macht ausreicht, um diese rechtlichen Grauzonen für weitere Umweltzerstörung zu nutzen? Es stellt sich doch angesichts der Drohung der Industrievertreter die Frage, wer hier eigentlich der Souverän ist: die demokratisch gewählten Parlamente oder die Industrielobby?
({6})
Dr. Müller ({7})
Meine Damen und Herren von der CDU, wenn Sie dieses Verhalten der Industrie hier verteidigen, dann machen Sie uns eines deutlich: Diese Demokratie und auch der Umweltschutz sind Ihnen gleichgültig.
({8})
Machen Sie mir bitte einmal klar, wie das Verursacherprinzip angewendet werden soll, wenn umweltfeindliche Unternehmen wie damals die Seveso-Fässer durch Europa geistern! Wie soll denn ein Schutz der Bevölkerung, der Natur gewährleistet werden, wenn man sich auf diese Art und Weise dem Gesetz entzieht? Wir schaffen doch durch Umweltauflagen und Umweltgesetze nur dann wirklich Arbeitsplätze - das ist unsere Absicht -, die meinethalben auch steuerlich subventioniert werden können, wenn ökologisch unverträgliche Produktionsprozesse umgerüstet werden. Dies ist doch die Chance, die zu nutzen wäre. Für diese Chance steht in der Zukunft selbstverständlich auch ein grüner Umweltminister.
({9})
Es gibt eine große Mehrheit in der Bundesrepublik, die jenseits ihrer Parteienwahl für mehr Umweltinvestitionen ist. Diese Mehrheit ist für eine konsequente Anwendung des Verursacherprinzips. Sie ist es auch, die eingeschüchtert und erpreßt werden soll, wenn wegen eines grünen Umweltministers Betriebsverlegungen angedroht werden.
({10})
Diese Mehrheit wird es auch nicht billigen, daß durch Standortverlagerungen Umweltzerstörung fortgesetzt wird, denn dies ist ja der materielle Gehalt dieser Androhung. Es gibt also eine Mehrheit jenseits der Koalitionsparteien, weil deutlich geworden ist, daß sie auch jeden Umweltschutz gegenüber privatwirtschaflichem Interesse verleugnen würden. Das ist das Problem, mit dem wir es hier zu tun haben.
Was Sie wollen, meine Herren von der Koalition, ist, aber auch jede Gelegenheit zu nutzen, die GRÜNEN überall dort zu denunzieren, wo Sie auch nur die Chance einer Möglichkeit sehen, Ihrer Ideologie der freien Marktwirtschaft das Wort zu reden.
({11})
Es ist ja kein Zufall, daß auch der Hoechst-Konzern, der j a die Kapitalflucht angedroht hat, auf den Spendenlisten steht, die wir von den Parteifinanzierungsskandalen her kennen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Mein letzter Satz: Das Thema dieser Debatte ist nicht nur der grüne Umweltminister oder die rot-grüne Koalition, sondern das Thema ist, daß Sie endlich begreifen werden, daß in dieser Republik nicht alles käuflich ist, auch nicht zu Hoechst-Preisen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Seiters.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden nicht zulassen, daß die GRÜNEN mit ihrer Verfälschung der demokratischen und wirtschaftspolitischen Realität der Bundesrepublik Deutschland von dem eigentlichen Vorgang ablenken, der sich in Hessen abspielt. Die SPD eröffnet einer extremen Bewegung, die dem Industriestaat den Kampf angesagt hat, die den Ausstieg aus der Kernenergie,
({0})
die Abschaffung von Kohlekraftwerken und die Demontage der chemischen, der pharmazeutischen und der Automobilindustrie fordert
({1})
und in deren Programm steht: Gesetzesverletzungen können bis zur gezielten Sabotage gehen, wenn andere Mittel nicht mehr greifen ({2})
die SPD eröffnet dieser Partei mit der Verschacherung des Umwelt- und Energieministeriums um der Macht willen den direkten Zugriff auf einen zentralen und sensiblen wirtschaftspolitischen Bereich, verhindert wichtige Investitionsentscheidungen und gefährdet Zigtausende von Arbeitsplätzen. Das ist die wahre Lage.
({3})
Wenn der Vorsitzende der IG Chemie und SPD- Bundestagsabgeordnete Rappe - ich würde mich freuen, wenn er ans Rednerpult träte - in dieser Woche mit Blick auf die hessischen Verhältnisse erklärt, wichtige Investitionsentscheidungen für die Zukunft und damit neue Arbeitsplätze würden verhindert, wenn er die ökologischen Forderungen der GRÜNEN mit dem industrie- und arbeitnehmerfeindlichen Morgenthau-Plan und der Abschaffung unserer Industriegesellschaft vergleicht, mag dies die frühere Arbeitnehmerpartei SPD, Herr Vogel, nicht mehr interessieren, dann mag dies auch Herrn Börner nicht mehr interessieren, der sich vor Jahren nicht einmal auf einer Fotomontage mit den GRÜNEN zeigen wollte
({4})
und jetzt die Stirn besitzt, zu sagen - man muß sich diesen Unfug einmal anhören -, er wolle die protestierende Jugend von den Mitwirkungschancen im demokratischen Staat überzeugen und damit die arbeitnehmerfeindliche Koalition in Hessen verteidigt. Ein wirklich grober Unfug!
({5})
Ich sage an die Adresse der SPD: Sie machen sich zu Zieheltern von Leuten, die diese Gesellschaft
nicht vor Gewalt schützen wollen, sondern sie mit Arbeitslosigkeit bedrohen; denn wo die GRÜNEN die Rahmenbedingungen setzen
({6})
und darüber entscheiden, unter welchen Bedingungen Industrieunternehmen investieren, forschen und arbeiten können, brauchen wir uns keine Gedanken mehr über neue Arbeitsplätze zu machen, über internationale Wettbewerbsfähigkeit, unseren Wohlstand und letztlich auch nicht über den Erhalt unserer Umwelt, die nur wirksam geschützt werden kann bei Wachstum und florierender Wirtschaft.
({7})
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, ist es geradezu lächerlich, wenn SPD und GRÜNE den Unternehmern vorwerfen, sie übten mit ihren Befürchtungen über den Bestand von Arbeitsplätzen unzulässigen Druck auf die Regierung aus. Solche Töne waren bei den Demonstrationen des Deutschen Gewerkschaftsbundes in der letzten Woche, wo nun wirklich massiver Druck auf die Regierung ausgeübt werden sollte, überhaupt nicht zu hören, weder von Ihnen von der SPD noch von den GRÜNEN.
({8})
Die „Frankfurter Allgemeine" hat geschrieben: In den Äußerungen aus der Industrie ist der SPD und der hessischen Landesregierung nicht das Recht auf autonome politische Entscheidung bestritten worden; aber jedermann weiß, die Industrie kalkuliert bei ihren Standort- und Investitionsentscheidungen auch Vorteile oder Behinderungen ein, die auf politische Verhältnisse zurückgehen;
({9})
täte sie dies nicht, liefe sie Gefahr, ihre Projekte auf Sand zu bauen.
Eine andere Zeitung schreibt, man könne einer Industrie nicht verübeln, wenn sie auf andere Länder blicke, wo man ein investitionsfreundliches Klima, Schutz vor Eingriffen der Maschinenstürmer
({10}) und politisch stabile Verhältnisse finde.
({11})
- Meine Damen und Herren, daß dies GRÜNE nicht begreifen, ist mir ja einleuchtend; aber daß es die Sozialdemokraten nicht begreifen, zeigt ein weiteres Mal, daß man wirtschaftspolitische Verantwortung in diesem Lande - jedenfalls heute - in ihre Hände nicht legen darf.
({12})
Eine letzte Bemerkung. Da der mutmaßliche Kanzlerkandidat der SPD Johannes Rau nach seinem mißglückten Ausflug in die Sozial- und Wirtschaftspolitik in der vergangenen Woche zu den hessischen Vorgängen schweigt, müssen wir fragen, ob Hessen der rot-grüne Probelauf für die Bundespolitik werden soll. Wäre dies so, dann wären die Eckpunkte der Rau'schen Wirtschaftspolitik schon bekannt: nach Herrn Posser Staatsschulden wie in Brasilien und Mexiko und nach Herrn Börner die Blockade von Investitionen und die Vernichtung von Arbeitsplätzen.
({13})
Davor sollten wir die Bundesrepublik Deutschland bewahren.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Westphal.
({0})
- Meine Damen und Herren, ich empfehle uns, doch zuzuhören; auch das gehört zur Demokratie.
Lieber Kollege Seiters, nachdem unser Kollege Rappe, der sonst sehr oft für uns redet, heute morgen nicht dabei ist, will ich eine Minute meiner Redezeit - ({0})
- Er ist da. Ich zitiere ihn, ich gebe ihm meine Redezeit.
({1})
Hermann Rappe hat zu Hessen gesagt:
Wir erwarten, daß der neue hessische Umweltminister seine Pflicht als Minister tut und daß er sich in die Disziplin einer Landesregierung einfügt. Wir erwarten ferner, daß alle verantwortungsbewußten Unternehmer ihre Entscheidungen nach objektiven Kriterien treffen und nicht nach Stammtischmaßstäben.
({2})
Sollte es aber Unternehmen geben, die sich absetzen, bin ich fast geneigt, zu wetten, daß sie bei ihrer Produktion in punkto Umweltschutz einiges ins reine zu bringen haben.
({3})
Meine Damen und Herren, kein Parlament kann ungestraft hinnehmen, daß seine auf Grund von Wahlergebnissen getroffenen Entscheidungen durch gesellschaftliche Gruppen mit dem Einsatz von parlamentarisch nicht kontrollierter Macht konterkariert oder gar zum Schaden von Bürgern verändert werden.
({4})
Damit wir uns recht verstehen: Wenn eine gesellschaftliche Gruppe meint, daß eine Koalition gegen ihre Interessen gerichtet sei, oder meint, eine Regierung mache falsche Politik, dann ist es das Recht dieser Gruppe, dies laut zu sagen und dafür auch zu demonstrieren. Aber jeder von Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition, würde doch empört sein, wenn ein Gewerkschaftsvertreter mit dem Mittel des Streiks gegen eine Entscheidung einer von der Mehrheit getragenen Regierung vorgehen wollte.
({5})
Deshalb muß jeder von Ihnen, müssen wir alle, die wir unser Ja zu der parlamentarischen Demokratie ernst nehmen, mit aller Entschiedenheit Front machen gegen ein Verhalten, bei dem die andere Seite des Wirtschaftslebens, die unternehmerische Seite, die ihr gegebene Möglichkeit der freien Standortwahl als Drohung gegen eine Koalitionsbildung oder gar zur Erpressung einer anderen Politik benutzt.
({6})
Die Endphase der Weimarer Republik sollte jeden lehren, wohin es führen kann, wenn wirtschaftliche Macht politisch mißbraucht wird.
({7})
Doch bevor ich, meine Damen und Herren, ein Wort zum Unternehmerverhalten sage, wende ich mich bewußt zuerst an diejenigen, die staatliche Verantwortung tragen. Da betreiben Minister benachbarter, CDU-geführter Bundesländer
({8})
Industrieabwerbung in Hessen. Die Wähler, um die die CDU in Hessen wirbt, werden sich sicher schön mit Beifall bedanken - oder nicht?
({9})
Meine Damen und Herren, hier wird ein Verhalten praktiziert, das dem Geist des Grundgesetzes Hohn spricht
({10})
und außerdem bewußt Angst um die Existenzgrundlage in hessische Familien trägt.
Nun zu den Aussagen der Verbandsvertreter und Manager: Es ist schlimm, was da der Präsident des BDI gesagt hat. Es ist auch schlimm, wenn ein Manager von Hoechst Andeutungen über die Verlagerung von Investitionen macht. Es ist erst recht schlimm, wenn ausgerechnet das Unternehmen Sonnenschein ähnliche Töne ausspricht, ein Unternehmen also, dessen Zweigbetrieb in Berlin vom zuständigen Senator, der nicht den GRÜNEN angehört, wegen unzulässiger Umweltbelastung zeitweilig geschlossen werden mußte.
({11})
Meine Damen und Herren, ich mag trotz dieser Fälle nicht glauben, daß unsere Unternehmerschaft so unklug, so unvernünftig, ja, so wenig gemeinwohlbezogen ist; ich kann es mir nicht denken. Es wäre ja auch das Nachlaufen hinter einer eingebildeten eigenen Macht, wenn man sich gegen den Willen unserer Bürger stellen würde. Die erwarten von uns nämlich mit Recht, daß wir dieses Land demokratisch regieren und keine anderen Machtzentren zulassen.
({12})
Bleibt noch ein wichtiger Gesichtspunkt: Arbeitnehmer haben nicht nur Sorgen vor irrationalen oder einseitigen Unternehmerentscheidungen
({13})
- Herr Pfeffermann, Ihre Zwischenrufe kenne ich -, sondern sie haben - warum sollte man dies nicht offen aussprechen? - auch Sorgen vor einer möglicherweise illusionären Politik der GRÜNEN, die nicht abwägt, was in einem auf industrielle Arbeitsplätze angewiesenen Land vertretbar, machbar ist. Diese Sorgen nehmen wir Sozialdemokraten sehr ernst.
({14})
Die sich daraus ergebende Frage ist doch: Sind diese Sorgen etwa bei der CDU oder gar bei der FDP besser aufgehoben?
({15})
Nein, die Antwort kann nur sein: Diese Sorgen vor einer illusionistischen Politik sind in den Händen des Sozialdemokraten Holger Börner am besten aufgehoben.
({16})
Dem wünschen wir guten Erfolg bei seiner schwierigen Aufgabe, mit schwierigen Partnern zu regieren.
({17})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die rot-grüne Aufgeregtheit über die angebliche Kapitalflucht aus Hessen ist an Scheinheiligkeit nun wahrlich überhaupt nicht mehr zu überbieten.
({0})
Das, was den GRÜNEN politisch nicht in den Kram paßt, wird, meine Damen und Herren, seit eh und je mit Demonstrationen, mit Hausbesetzungen und - nicht nur auf Startbahnen - mit Krawallen beantwortet. Das, was dem DGB und der SPD nicht ins politische Konzept paßt, wird mit Massendemonstrationen und Aktionswochen beantwortet. Aber
wenn in Hessen der eine oder andere Unternehmer darüber nachdenkt, wie denn künftig - ({1})
Meine Damen und Heren, ich bitte, dem Redner zuzuhören.
Wenn in Hessen der eine oder andere Unternehmer darüber nachdenkt, wie denn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen als Konsequenz aus einem rot-grünen Bündnis zukünftig aussehen, dann wird dies als Eingriff in Kompetenzen von Parteien und Fraktionen oder als Revisionsversuch demokratischer Wahlen und als unheilige Verbrüderung von Kapital und Politik diffamiert, meine Damen und Herren.
({0})
Wenn wir soweit sind - diese Frage muß man sich j a stellen -, bevor die GRÜNEN in Hessen überhaupt in der Regierung sind, wie sieht es denn dann nachher mit der Meinungsfreiheit in diesem Lande aus, Herr Dr. Steger?
({1})
Dabei besteht nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für alle Bürger in Hessen Anlaß zur Besorgnis. Denn SPD und GRÜNE gehen doch wohl davon aus, daß ihre hessische Koalition ernstgenommen werden soll. Dann muß man doch auch ernst nehmen, meine Damen und Herren,
({2})
was in den Wahlprogrammen steht, was man in Wahrheit vorhat und was nicht in Koalitionsvereinbarungen hineingeschrieben worden ist.
({3})
Meine Damen und Herren, dies ist doch auch dann ernst zu nehmen, wenn der Bundesvorstand der GRÜNEN sagt, da werde künftig ein Politchaot, einer, der keine Ahnung habe, im Kabinett sitzen. Da muß ich die Koalition doch auch ernst nehmen, obwohl sie sich auf einen doppelten Wahlbetrug gründet, nämlich einerseits darauf, daß DIE GRÜNEN aus lauter Angst vor Neuwahlen ihren Grundsatz der Unabhängigkeit geopfert haben,
({4})
und andererseits darauf, daß Herr Börner zwar immer regieren wollte, aber niemals mit den GRÜNEN.
({5})
Es wäre gut, wenn die Unternehmer das wirklich ernst nehmen könnten, was der Ministerpräsident von Hessen in seiner Regierungserklärung gesagt hat, nämlich daß die hessischen Unternehmen nicht nur eine Bestands-, sondern auch eine Entwicklungsgarantie in diesem Lande hätten.
({6})
Aber wie es damit in Wahrheit aussieht, Herr Dr.
Steger, haben wir gerade im Zusammenhang mit
dem Gezerre um die Nuklearbetriebe in Hanau erfahren. Wer die Wahrheit in Hessen kennt, weiß, daß es dicke Aktenordner im hessischen Wirtschaftsministerium gibt - noch bevor DIE GRÜNEN dabei sind.
({7})
Diese werden ständig hin und her gereicht zwischen hessischem Umweltministerium und hessischem Wirtschaftsministerium und beinhalten die Fälle, in denen hessische Unternehmer aus bestimmten Gründen keine Genehmigung für bestimmte Anlagen und Vorhaben bekommen. Das ist die Wahrheit.
({8})
Diese Aktenordner wird künftig Joschka Fischer unter dem Arm haben.
({9})
Wie sieht denn die Politik alleine gegenüber den drei größten hessischen Arbeitgebern aus? Da steht in den Wahlprogrammen, aus Ford wolle man eine Fahrradfabrik machen. Ich weiß nicht, was man in Hessen aus Opel machen will. Da sagen DIE GRÜNEN seit Jahren: Wir wollen nicht nur die Abschaffung des Nachtflugverkehrs, sondern wir wollen den europäischen Flugverkehr eingestellt wissen. Da muß man einmal fragen, wie das künftig für diesen Arbeitgeber in Hessen aussieht. Da sagt man, die chemische Industrie solle bitte reduziert werden auf reine Ökowaren. Das betrifft dann nicht nur die Farbwerke Hoechst. Das ist alleine die Politik gegenüber den drei größten Arbeitgebern.
({10})
Nein, meine Damen und Herren, seit Jahren fordern DIE GRÜNEN den Ausstieg aus der Industriegesellschaft, die Abkopplung von der EG, den Verzicht auf den Export und damit den Verzicht auf jeden dritten Arbeitsplatz. Seit Jahren soll die Marktwirtschaft durch ein Rätesystem, sollen Unternehmer durch Struktur- und Sozialräte ersetzt werden. Das hat Herr Börner für die SPD ja schon auf dem Münchner Parteitag gefordert. Insoweit hat er wirklich recht mit seiner Behauptung, das Bündnis sei logisch und konsequent. Ist das die von Herrn Börner gerade beschworene neue Kultur in Hessen, wenn Unternehmen das Recht auf politische Stellungnahme abgesprochen wird? Ist das die proklamierte Aussöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie? Das muß man doch fragen dürfen.
Dennoch, kein Unternehmer wird deshalb seine Fabrik unter den Arm klemmen und aus Hessen auswandern.
({11})
Dazu hat Hessen viel zu viele natürliche Standortvorteile.
({12})
Dazu gibt es genügend Vorteile, die die Wirtschaftskraft dieses Landes bisher begründet haben. Dabei
wird es bleiben. Hessens Lage, Hessens Infrastruk12666
tur und Hessens qualifizierte Arbeitnehmer werden dafür sorgen, daß dieses Land ein Wirtschaftsland bleibt.
({13})
Der niedersächsische Kandidat Ihrer Partei, Herr Schröder, auch der Kanzlerkandidat zur Anstellung Johannes Rau
({14})
und dazu noch der Bundesvorstand der GRÜNEN haben erklärt, dieses hessische Bündnis werde kein Modell für die Bundesrepublik Deutschland sein. Ich glaube, dann hat der hessische Landesvorsitzende der FDP wirklich recht, wenn er sagt, das Gebot der Stunde sei etwas mehr Gelassenheit und weniger Aufgeregtheit und Scheinheiligkeit.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Dreßler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Wer das Mehrheitsprinzip in Zweifel zieht, legt die Axt an die Wurzel der Demokratie.
({0}): Wer tut das
denn?)
Wo kommen wir hin, wenn jede in demokratischen Wahlen unterlegene Minderheit zum Widerstand gegen Parlament, Regierung und Gesetz aufruft?"
({1})
Wenn Ihr Fraktionskollege Dr. Geißler anwesend wäre, hätte er jetzt lebhaften Beifall geklatscht, denn diese beiden Sätze stammen von ihm. Sie waren an die Friedensbewegung gerichtet, natürlich nicht an jene Verbandsfunktionäre und wohlgebetteten Manager, deren Hinweis auf den angeblichen drohenden Verlust tausender Arbeitsplätze an politische Nötigung grenzt.
({2})
Die Debatte über die Regierungsbildung in Hessen nimmt von Tag zu Tag groteskere Formen an.
({3})
Sie wird im Stil einer Bananenrepublik geführt.
({4})
Der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Herr Langmann, will in Hessen das Chaos ausgemacht haben. Herr Langmann befürchtet es nicht; er stellt das Chaos für die Gegenwart fest.
({5})
Chaos steht für totale Verwirrung, steht für Auflösung aller Ordnungen.
({6})
Das nenne ich einen demagogischen Umgang mit der Sprache.
({7})
Und, wie ein Kommentator formulierte, es offenbart einen aufdringlichen Hang zur politischen Einflußnahme.
({8})
Die vom BDI-Präsidenten veröffentlichten Unterstellungen an die Adresse des hessischen Ministerpräsidenten und seine Arbeitsplatzhysterie - leider im Gleichklang mit der CDU - werfen die Frage auf, für welche Art Unternehmer dieser Mann eigentlich spricht.
({9})
Das unverantwortliche Gerede, daß vor dem Hintergrund der hessischen Koalitionsentscheidung Investitionen dort nicht mehr in Betracht kämen, ist nicht nur politisch anfechtbar. Es begünstigt ein Bild von Unternehmerentscheidungen, auf das die Preußische Elektrizitäts-AG zu Recht mit dem Begriff „Unsinn" reagierte.
({10})
Die Urheber dieser Kampagne haben nicht nur der politischen Kultur geschadet, sie haben auch der Wirtschaft einen Bärendienst erwiesen.
({11})
Herr Langmann sollte als Präsident des BDI zurücktreten.
({12})
Seine Positionen werden von der schweigenden Mehrheit deutscher Industrieller nicht akzeptiert.
({13})
Will die Christlich Demokratische Union eigentlich leugnen, daß die im Grundgesetz geforderte Bundestreue auch für das Verhalten der Länder untereinander gilt? Wieweit sind CDU-Landesregierungen bereit, rückwärts in die Geschichte zu gehen?
({14})
Welchem Lernprozeß haben sich CDU-geführte Bundesländer unterworfen, die die Versuche der Wirtschaft, ein Katz-und-Maus-Spiel mit der Politik zu treiben, dadurch unterstützen, daß sie notorischen Umweltsündern Rabatt oder Asyl gewähren wollen?
({15})
Es ist nicht auszudenken, welchen Aufschrei die
CDU/CSU organisiert hätte, wenn die deutsche GeDreßler
werkschaftsbewegung die Grenze politischer Nötigung für sich reklamiert hätte!
({16})
Die Arbeitnehmer und ihre Familien beharren auf dem Vorrang der Politik. Deshalb muß es sie empören, wenn finanzschwache CDU-Landesregierungen wie Niedersachsen und Rheinland-Pfalz offenkundig bereit sind,
({17})
die ihnen vom Wähler auf Zeit übertragene Macht teilweise der Wirtschaft in die Hände zu legen.
({18})
Ob CDU-Politiker damit der immer noch jungen Demokratie in der Bundesrepublik einen Dienst erweisen, ist ihnen offensichtlich völlig egal.
({19})
Wieder einmal entsteht der Eindruck, als ob finanzkräftige Kreise sich mit Geld und Propaganda Regierungen nach ihrem Gutdünken zusammenzimmern wollten.
({20})
Nehmen Sie endlich zur Kenntnis, daß die Wahlentscheidung der hessischen Bürger Ihnen keine Mehrheit gegeben hat - der SPD allerdings auch nicht. Aber Sie können sicher sein, daß Holger Börner lieber allein regiert hätte.
({21})
Aber haben wir als Parlamentarier oder Minister über demokratische Wahlentscheidungen zu rechten?
({22})
Nein, wir haben nach bestem Wissen und Gewissen unsere Arbeit ausgeführt. Und das hat die sozialdemokratische Regierung in Hessen verantwortlich getan. Von allen Flächenstaaten
({23})
hat Hessen die stärkste Wirtschaftskraft pro Kopf der Bevölkerung.
({24})
Die Arbeitslosigkeit liegt bei einer hohen Beschäftigungsquote ganz am Ende der Tabelle. Und ich sage Ihnen: Ihr Keksbäcker in Niedersachsen würde doch 24 Stunden am Tag Pressekonferenzen geben, wenn er auf solche Wirtschafts- und Arbeitsmarktzahlen verweisen könnte wie Holger Börner.
({25})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Als letztes einen Satz von Heiner Geißler: Wenn Blockaden, Sitzstreiks und Sabotage die Richtlinien der Politik bestimmen würden, wären demokratische Prinzipien außer Kraft gesetzt. - Ich habe Heiner Geißler nichts hinzuzufügen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Glos.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die scheinheiligen und polemischen SPD-Reden sollen davon ablenken, daß sich diese traditionsreiche Partei mit einem Partner ins Bett gelegt hat, mit dem spazieren zu gehen man vor noch gar nicht allzu langer Zeit als unehrenhaft bezeichnet hat.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die deutschen Unternehmer sind Demokraten, aber die deutschen Unternehmen können auch rechnen, Gott sei Dank.
({1})
Noch immer haben wir, auch wenn Sie es nicht wollen und es Ihnen nicht gefällt, eine freie Wirtschaftsordnung. Und solange wir diese freiheitliche Wirtschaftsordnung haben werden, wird es freie Wahl des Arbeitsplatzes für die Arbeitnehmer und auch freie Wahl der Niederlassung für die Unternehmer geben.
({2})
Wenn man dann beginnt, darüber nachzudenken, wo sich Investitionen noch lohnen, wie man noch längerfristig planen kann, so ist das meiner Ansicht nach nicht nur das Recht, sondern die Pflicht der Unternehmer, die mit eigenem und mit dem Geld anderer Leute umgehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wollen doch, daß dies besser geschieht, als es die Neue Heimat mit dem Geld der Gewerkschaftsmitglieder getan hat.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer Böcke zu Gärtnern macht, der muß sich nicht wundern, wenn sich Blumenfreunde überlegen, ob sie sich einen anderen Garten suchen. Und wer Politclowns wie den Herrn Fischer, der aus der AnarchoSzene kommt, zu Ministern macht,
({4})
der muß sich nicht darüber wundern, wenn man dann überlegt, ob man von diesem Minister in Zukunft Genehmigungsbescheide erwarten kann.
({5})
Die GRÜNEN haben nie einen Zweifel daran gelassen, daß es ihnen um den Ausstieg aus der industriellen Gesellschaft geht, daß sie dabei die Vernichtung von Arbeitsplätzen locker in Kauf nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch die deutschen Gewerkschaftsbosse haben in früherer Zeit davor gewarnt. Sie tun es zum Teil heute noch. Und wir sollten diese Warnungen sehr ernst nehmen.
Ich bin der Meinung, wir sollten weder Unternehmen aus Hessen abwerben noch ihnen verbieten, sich zu überlegen, ob sie sich woanders ansiedeln wollen. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist nicht Schleichwerbung, sondern es ist offene Werbung, wenn ich sage, daß es in Bayern sehr viel Industriegelände gibt,
({6})
auch in meinem Wahlkreis. In Kleinostheim allerdings - das liegt gleich neben Hessen ({7})
habe ich gestern mit dem Bürgermeister telefoniert, und der hat mir gesagt, das Industriegelände dort, 80 000 qm, sei bereits vergeben, es sei fest in hessischer Hand.
({8})
Also, man muß dann schon ein Stückchen weiter nach Bayern wandern. Wie gesagt: Herzliche Einladung dazu.
Wir in Bayern sind bereit, die Rolle der liberalen Fürsten zu übernehmen, die in der Vergangenheit
({9})
die Hugenotten aus Frankreich - Sie sagen es - aufgenommen haben, nachdem sie sich dort nicht mehr hatten entfalten und wohlfühlen können.
Dieses Thema, von den GRÜNEN heute als Unternehmerschelte in die Debatte gebracht, wird für Sie zu einem Schuß nach hinten und macht uns möglich, deutlich zu machen, daß Sie eine Industrie- und wirtschaftsfeindliche Politik betreiben, daß Sie Leute wie Herrn Fischer zu Ministern machen, daß Sie in Zukunft nicht berechenbar sind, wenn es um Baugenehmigungen geht. Deswegen ist dieses Verhalten zu verurteilen.
Auch wenn wenige bayerische Kollegen anwesend sind: Alle haben mir gestern einzeln versichert, sie hätten in ihren Wahlkreisen noch Gelände anzubieten.
({10})
Ich erteile das Wort dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Grüner.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Niemand kann sich darüber wundern, daß die konkrete Aussicht auf eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und GRÜNEN einen Schock ausgelöst hat, und zwar sicher nicht in erster Linie wegen der GRÜNEN, sondern wegen der Bereitschaft der Sozialdemokraten, unter diesen Voraussetzungen ein solches Bündnis einzugehen.
({0})
Die GRÜNEN haben oft erklärt, daß sie einen anderen Staat wollen. Ich erinnere nur an die besonders arbeitnehmer- und beschäftigungsfeindlichen Forderungen der GRÜNEN: an die Forderung nach sofortiger Stillegung aller Kernkraftwerke
({1})
zugunsten kleiner Kohlekraftwerke in der Übergangsphase, bis genügend regenerative Energieträger vorhanden sind, oder an die Forderung nach Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel mit dem Ziel, das Auto überflüssig zu machen.
({2})
Meine Damen und Herren, wer sich angesichts der Beschäftigungslage in unserem Land solche Forderungen vergegenwärtigt, muß sich doch darüber im klaren sein, daß ein solches Bündnis zwischen SPD und GRÜNEN auch die Vorstellung einschließt, daß die mit politischen Mitteln beabsichtigte Umstrukturierung unserer Volkswirtschaft verheerende Auswirkungen haben müßte,
({3})
wenn dafür politische Mehrheiten gefunden würden.
Meine Damen und Herren, eine Umstrukturierung, wie sie in diesen beiden Fällen als politische Zielsetzung angekündigt ist, würde in ihrer Auswirkung auf die Beschäftigung in unserem Lande die beiden Ölpreiskrisen und ihr Gefolge als ein Frühlingslüftchen erscheinen lassen.
({4})
Das ist der eigentliche Hintergrund der Befürchtungen.
Wenn nun Herr Ministerpräsident Börner dieses Bündnis in Hessen auch als eine Chance für die Versöhnung zwischen Ökologie und Ökonomie anpreist und wenn die Sozialdemokraten in ihrer Bereitschaft, den GRÜNEN einen Schritt entgegenzuParl. Staatssekretär Grüner
gehen, den Verzicht auf die Kernenergie - wenn auch nur langfristig - aussprechen, dann muß man doch einmal nüchtern fragen: Was bedeutet denn ein Verzicht auf Kernenergie für die Umweltpolitik? Das ist doch eine wirklich hohle Phrase, wenn wir uns nüchtern eingestehen, daß beim derzeitigen technischen Stand die Erzeugung von Energie aus Kernkraft die umweltfreundlichste Art der Energieerzeugung darstellt.
({5})
Meine Damen und Herren, würden wir einmal unterstellen, daß die heute bei uns vorhandenen Kernkraftwerke nicht existieren würden und daß an ihrer Stelle Kohlekraftwerke in Betrieb wären
({6})
- ich will das sagen, weil hier die Versöhnung von Ökonomie und Umwelt behauptet wird - durch Verzicht auf Kernenergie,
({7})
dann würde das für uns in der Bundesrepublik als Orientierungsgröße bedeuten: 450 000 t Schwefeldioxid mehr im Jahr, 250 000 t Stickoxide mehr im Jahr, 50 000 t Stäube mehr im Jahr.
({8})
Wenn wir uns vorstellen, die Großfeuerungsanlagenverordnung in ihren heutigen Ausprägungen wäre schon wirksam,
({9}): Völlig unzureichend!)
und es würden diese Kernkraftwerke durch Kohlekraftwerke modernster Bauart ersetzt, durch Kraftwerke, die unseren zukünftigen Umweltschutzvorschriften entsprechen, wären es immer noch 70 000 t Schwefeldioxid mehr, 40 000 t Stickoxide mehr und 10 000 t Stäube mehr. Wer hier von einer Versöhnung von Ökologie und Ökonomie spricht und die Abschaffung der Kernenergie fordert, der täuscht seine Wähler!
({10})
Lassen Sie mich hinzufügen, daß sich die von mir als Orientierungsgröße genannten Umweltbelastungswerte verdreifachen würden, wenn etwa unsere unmittelbaren Nachbarn, die Schweiz, Frankreich, die Niederlande, Belgien, die CSSR und die DDR, nicht auch einen Teil ihrer Energie mit Kernkraft erzeugen würden.
Ich meine, daß es darauf ankommt, daß diese Zusammenhänge gesehen werden, und daß das der Hintergrund der berechtigten Sorgen ist, die wir alle angesichts dieses Bündnisses haben.
Wenn beispielsweise der Hoechst-Vorsitzende Hilger angesichts des rot-grünen Bündnisses von einer „gewissen Bestürzung" gesprochen hat und die Verlagerung von Investitionen in andere Bundesländer als „durchaus ernste Alternative" bezeichnet hat, so ist das j a nichts anderes als das, was etwa der Vorsitzende der IG Chemie, unser Kollege Rappe, in diesem Zusammenhang gesagt hat. Er hat wörtlich gesagt: „Wichtige Investitionsentscheidungen für die Zukunft und damit für neue Arbeitsplätze werden verhindert."
({11})
Meine Damen und Herren, was für Gewerkschafter gilt, gilt auch für andere Gruppen. In unserer Demokratie können gesellschaftliche Kräfte, aber auch einzelne politische Entscheidungen zu beeinflussen versuchen und auch Bedenken gegen absehbare Entwicklungen vortragen. Sie müssen die Verantwortung dafür tragen. Nichts anderes ist hier geschehen. Niemand - Herr Dreßler, diesen Popanz müssen Sie sich nun wirklich abschminken - aus der Industrie und aus der Politik hat der SPD und der hessischen Landesregierung das Recht auf autonome politische Entscheidungen bestritten, niemand!
({12})
Die Wirtschaft muß bei ihren Entscheidungen aber auch die Vorteile und die Behinderungen einkalkulieren, die durch politische Mehrheiten im Landtag von Hessen geschaffen werden oder geschaffen worden sind. Sonst liefe die Industrie Gefahr, Arbeitsplätze und Produktivkapital auf schwankendem Grund aufzubauen.
Diese Bundesregierung will der Bevölkerung Vertrauen und Zuversicht in eine verläßliche Politik der Sozialen Marktwirtschaft vermitteln. Gerade der Bundeswirtschaftsminister weiß - er hat das immer betont -, wie wichtig das Wirtschaftsklima für mehr Investitionen und damit für mehr Beschäftigung bei uns ist.
Meine Damen und Herren, wenn das neue Wirtschaftsprogramm der Sozialdemokraten, das ja noch nicht verabschiedet wurde, das aber schon auf dem Tisch liegt, wiederum eine Zusatzbesteuerung für die Besserverdienenden fordert, dann wird ja auch hier wieder eine Politik gefordert, die unsere Beschäftigung zusätzlich belasten würde. Denn wir haben j a gestern hier in diesem Hause darüber diskutiert, daß gerade die etwa 1,9 Millionen kleinen Unternehmen und Selbständigen hier in der Bundesrepublik, die zwei Drittel aller abhängig Beschäftigten stellen und deren Erträge heute mit 70 % Steuer belastet sind, von einer solchen zusätzlichen Besteuerung betroffen würden. Das ist das Gegenteil dessen, was etwa die fünf wirtschaftswissenschaftlichen Institute als eine Voraussetzung für mehr Investitionen und für mehr Beschäftigung gefordert haben.
({13})
Auch deshalb ist es so ernst zu nehmen, wenn die Sozialdemokraten in Hessen ihre Hand ausstrekken und damit die Bereitschaft der SPD erklären, um ihrer Mehrheitsfähigkeit willen eine Politik der Grünen zu unterstützen, die ich hier charakterisiert habe.
({14})
Die für Hessen politisch Verantwortlichen müssen sehen, welche Konsequenzen sich aus einem Bündnis mit den Grünen für das Investitionsklima
in der Region ergeben. Ich fordere die hessische Landesregierung auf, alles zu unternehmen, damit sich für Hessen beim Wirtschaftsklima kein negatives Gefälle zu anderen Bundesländern ergibt - im Interesse der Arbeitslosen und der Beschäftigten in Hessen, die auch in Hessen ihre Chancen für mehr und wettbewerbsfähigere Arbeitsplätze nicht unnötig geschmälert sehen wollen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Voigt ({0}).
({1})
Herr Staatssekretär, ich glaube, wenn Sie ehrlich wären, dann würden Sie selber auch eingestehen: Ihre staatspolitischen Bedenken sind vorgeschoben. In Wirklichkeit fürchten Sie, daß FDP und CDU durch diese Koaltion auf Dauer von der Regierungsverantwortung in Hessen ausgeschlossen bleiben. Das ist auch so, und so soll es auch sein.
({0})
Denn wirtschaftspolitisch gesehen ist es ja völlig klar: Die Arbeitsplätze in Hessen sind sicherer als in den meisten anderen Bundesländern. Die Arbeitslosenzahlen in Hessen sind niedriger
({1})
als in den meisten von der CDU geführten Bundesländern. Mit seiner wirtschaftlichen Leistungskraft liegt Hessen an der Spitze aller Bundesländer.
({2})
Das Wirtschaftswachstum in Hessen ist höher, und die Zahl der Konkurse ist niedriger als in anderen Bundesländern.
({3})
Das ist eine erfolgreiche Leistungsbilanz hessischer Politik. Diese Politik wird jetzt von Holger Börner fortgesetzt.
({4})
Die Bundesregierung fordert Optimismus. In Hessen ist wirklich Anlaß und Grund für Optimismus.
({5})
Die Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die jetzt
gegen die Politik der hessischen Landesregierung
stänkert, ist in Wirklichkeit ein Kostgänger der hessischen Landesregierung.
({6})
Hessen ist Zahlmeister für die meisten minderbemittelten CDU-Regierungen.
({7})
Hessen kann zahlen, weil es eine vorausschauende Politik betreibt, die Arbeit und Umwelt gleichermaßen sichert.
({8})
Denn Arbeitsplätze können durch Umweltschutz gesichert werden, und diese Politik betreibt Hessen. Die Bundesregierung dagegen hat durch ihr umweltpolitisches Chaos, z. B. in der Frage des Katalysators, sowohl der Umwelt geschadet als auch Arbeitsplätze gefährdet.
({9})
Die hessischen Arbeitnehmer wissen, daß eine konsequente Umweltschutzpolitik nötig ist, damit ihre Arbeitsplätze auch langfristig gesichert bleiben.
({10})
Und in Wirklichkeit wissen das auch die Vertreter der chemischen Industrie. Wenn man bei der Hoechst AG, die in meinem Wahlkreis liegt, nachfragt: Die sind doch immer stolz auf ihre Umweltschutzinvestitionen.
({11})
Sie zeigen sie jedem und sagen: Soundsoviel davon verkaufen und exportieren wir. Also auch die Hoechst AG verkauft Umweltschutz, und dabei werden auch bei ihr Arbeitsplätze gesichert.
({12})
Sie weiß genau, daß Umweltschutz nötig ist, auch im Interesse der chemischen Industrie.
({13})
Die Leute, die bei Hoechst arbeiten, arbeiten doch nicht nur dort, sondern sie leben auch in den Stadtteilen drum herum. Diese Bürger sind an Umweltschutz genauso interessiert wie jeder andere Bürger auch.
({14})
Wenn die Sprecher der Industrie jetzt versuchen, mit ihrer wirtschaftlichen Macht Parlamentarier unter Druck zu setzen, dann wissen sie doch genau, daß das nicht klappt.
({15})
Die einzige Reaktion, die sie damit hervorrufen, ist
doch, daß auch in der SPD wieder darüber diskuVoigt ({16})
tiert wird, ob man Investitionsentscheidungen der Industrie demokratisch kontrollieren muß.
({17})
Ob das die Reaktion ist, die die hessischen Industriellen wirklich wollen, und ob es im Interesse der hessischen Industrie liegt, diese Reaktion hervorzurufen, das frage ich mich.
Und dann ist doch auch ganz klar: Jeder hessische Minister muß nach Recht und Gesetz entscheiden, und er wird auch nach Recht und Gesetz entscheiden - übrigens auch ein Landesminister Joschka Fischer.
Das ist doch das eigentlich Interessante an dieser gesamten Entwicklung: daß bei den GRÜNEN inzwischen ein rasanter Veränderungsprozeß stattfindet, wenigstens bei den GRÜNEN in Hessen,
({18})
noch nicht bei den GRÜNEN auf Bundesebene, nicht so, daß man auf Bundesebene eine Koalition machen könnte.
({19})
Aber in Hessen benehmen sie sich inzwischen weitgehend wie eine stinknormale parlamentarische Partei.
({20})
Die Jeans sind zwar geblieben,
({21})
aber die versprochene „neue Zärtlichkeit" ist einem erbitterten innerparteilichen Machtkampf gewichen. Und diejenigen, die ursprünglich als Fundamentalopposition gegen alle anderen Parteien antraten, sind inzwischen zu Kompromissen und Koalitionen bereit.
({22})
Ich begrüße das. Sie übernehmen Funktionen im Staatsapparat.
({23})
Damit sind sie zum Teil dessen geworden, was Joschka Fischer mal „Teil der öffentlichen Gewalt" nannte. Sie sind zum Teil der öffentlichen Gewalt geworden. Er selber ist zum Teil der öffentlichen Gewalt geworden.
({24})
Und wenn ein ehemaliger Streiter im Häuserkampf jetzt plötzlich zum staatstragenden Minister wird, zum etablierten Politiker, dann kann ich als Sozialdemokrat das doch nur begrüßen.
({25})
Das ist ein rapider Wandlungsprozeß auf dem Weg zum parlamentarischen Reformismus.
({26})
Und wenn ihn jetzt Gruppierungen in Frankfurt mit Eiern bewerfen, die 10 Jahre vorher mit seiner Unterstützung mich mit Eiern bewarfen,
({27})
dann meine ich, daß das bei ihm einen Lernprozeß auslösen sollte: einen Lernprozeß nicht nur in Richtung Parlamentarismus - den vollzieht er zur Zeit bereits -, sondern auch in Richtung Sozialdemokratie.
Herr Kollege, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Aber noch wichtiger ist es, daß sich nicht nur einzelne GRÜNE sozialdemokratisieren, noch wichtiger ist es, daß grüne Wähler die Sozialdemokratie wählen.
({0})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von den vielen Stichworten dieser Diskussion möchte ich zwei aufnehmen. Das eine ist die Frage nach den demokratischen Spielregeln, die Herr Westphal gestellt hat, und das andere ist das Stichwort vom Herrn Kollegen Voigt von dem rasanten Veränderungsprozeß.
Der „rasante Veränderungsprozeß", Herr Kollege Voigt, hat sich nicht bei den GRÜNEN vollzogen, sondern beim hessischen Ministerpräsidenten Holger Börner.
({0})
Deswegen haben Herr Börner und die sozialdemokratische Partei in Hessen ein Glaubwürdigkeitsproblem, das durch noch so forsche Sprüche und polemische Reden von Ihrer Seite nicht aus der Welt geschafft werden kann. Es sind dieselben grünen Abgeordneten in Hessen, die Kandidaten vor der Wahl, die Abgeordneten nach der Wahl. Es sind dieselben grünen Parolen und Programme, die Herr Börner bis in die jüngste Vergangenheit als - wie das dann so heißt - „politikunfähig" beschrieben hat, von deren Verwirklichung oder auch nur teilweisen Beeinflussung der Politik des Landes Hessen er verhängnisvolle Folgen für die Bürger, die wirtschaftliche Zukunft, den Arbeitsmarkt vorhergesagt hat. Es ist überhaupt nicht wahr, daß sich die Personen - Herrn Fischer kennen wir aus langjähriger Tätigkeit im Deutschen Bundestag - und die Positionen so grundlegend verändert haben. Wahr ist, daß Herr Börner das vertritt, was er gestern verurteilt hat, daß Herr Börner und seine Pflichtverteidiger in diesem Hause heute das recht12672
fertigen wollen, was er gestern als eine Katastrophe beschrieben hat.
({1})
Das ist der Sachverhalt, der auch durch noch so viel Dialektik nicht aus der Welt geschafft werden kann.
Nun geht es um die demokratischen Spielregeln, Herr Kollege Westphal. Zu den demokratischen Spielregeln gehören in diesem Zusammenhang
({2})
Investitionsentscheidungen, nicht das Mehrheitsprinzip. Hierzu gehört das Recht auf Freizügigkeit, auf Niederlassungsfreiheit, ein Grundrecht für Bürger und ein Grundrecht auch für Unternehmer, das nicht zur Disposition irgendwelcher Mehrheiten steht.
({3})
Das ist nicht nur ein Grundrecht in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in der Europäischen Gemeinschaft.
({4})
Es gilt heute - was ein großartiger Tatbestand ist
- faktisch für alle westlichen Industrieländer. Im Jahre 1909 ist einmal die Firma IBM aus den Vereinigten Staaten nach Sindelfingen gegangen. Warum? Marktchancen,
({5})
qualifizierte Arbeitnehmer und eine attraktive Gesetzgebung! - Man kann alles in der Form von Kabarettismus behandeln. Das machen Sie in Hessen zur Zeit j a auch und verlieren Ihre Glaubwürdigkeit als SPD dabei.
({6})
Es gab also eine attraktive Gesetzgebung, die eine solche Investition vernünftig erscheinen ließ.
({7})
- Eine attraktive Gesetzgebung heißt, daß die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Steuerquote, die Abgabenquote bei jeder Investition eine große Rolle spielen. Das ist doch eine bare Selbstverständlichkeit. Das gilt selbst für alternative Betriebe heute, die sich auch überlegen, wohin sie gehen, sobald sie ernsthafte Produktion betreiben.
({8})
Nur haben Sie im Elfenbeinturm der Universität Bremen jeden Kontakt mit der Wirklichkeit arbeitender Menschen verloren, Herr Müller.
({9})
In den 60er Jahren sind so Tausende von ausländischen Unternehmen zu uns gekommen. Sie haben Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Natürlich sind unter diesem Vorzeichen auch zwei- bis dreistellige
Milliardenbeträge von deutschen Unternehmen im Ausland investiert worden. Wir begrüßen das. Wir begrüßen es vor allem, wenn sie in Schwellen- und Entwicklungsländer gehen und dort Arbeitsplätze schaffen.
Aber wohin gehen diese Investitionen? Sie gehen in der Regel in Länder und Regionen mit einem stabilen und wirtschaftsfreundlichen Klima.
({10})
Deswegen haben unsere Vorgänger - Herr Kollege Vogel, auch Regierungen, denen Sie angehört haben - über 70 Investitionsschutzabkommen abgeschlossen - deutsche Regierungen seit den 60er Jahren -, um die Voraussetzung gegen politische Risiken zu verbessern. Das ist die erklärte Politik der verschiedenen Bundesregierungen in den letzten 25 Jahren gewesen.
Aber in puncto Hessen - das muß ich Ihnen sagen - würde keine private Versicherungsgesellschaft heute ein solches politisches Investitionsschutzabkommen ins Auge fassen bei den Risiken, die dort jetzt durch Ihr verantwortungsloses Handeln geschaffen sind.
({11})
Natürlich, meine Damen und Herren, gibt es auch Bewegungen in der Bundesrepublik Deutschland.
({12})
- Das ist doch ein Tatbestand, über den ich hier spreche. - In den letzten 25 Jahren haben sich über 500 Unternehmen aus Hamburg entschlossen, ihren Sitz nach Schleswig-Holstein zu legen. Auf diese Weise ist der Süden des Landes - leider nicht der Norden - eine der blühenden Wachstums- und Wirtschaftsregionen in der Bundesrepublik Deutschland geworden. Warum?
({13})
- Ich verstehe gar nicht, daß Sie sich bei der Darstellung von Tatsachen pausenlos erregen müssen, meine Damen und Herren. - Warum haben sie das getan? Reden Sie einmal mit Herrn von Dohnanyi darüber. Warum, Herr Kollege Vogel?
({14})
- Nein, das ist nicht ein Thema der Flächen, sondern Thema einer zu schwerfälligen, von mangelndem Verständnis für Investitionsnotwendigkeiten getragenen Hamburger Kommunalpolitik gewesen. Das ist der Grund gewesen.
({15})
- Herr Kollege Vogel, ich habe meine Jugend in einer schleswig-holsteinischen Stadt 30 km von der Hamburger Landesgrenze entfernt verbracht und bin elf Jahre lang Ministerpräsident des Landes
Schleswig-Holstein gewesen. Mir zu sagen, ich hätte von diesen Problemen keine Ahnung,
({16})
ist ebenso absurd wie das, was Herr Börner zur Zeit in Hessen über seine Politik erklärt.
({17})
Wir haben Freizügigkeit. Wir haben länderübergreifende Investitionsentscheidungen innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik. Wir haben einen vernünftigen Wettbewerb der Bundesländer um attraktive Standortbedingungen.
({18})
Wir haben einen internationalen Wettbewerb der Steuersysteme, der Gesetzgebung, der politischen Rahmengrundlagen und Investitionen weit über Europa hinaus. Sie sollten unter diesen Bedingungen, unter denen wir leben und arbeiten, unter denen Entscheidungen für und gegen Arbeitsplätze fallen, aufhören, mit den Parolen der Schlagworte, der Polemik, der Drohungen und der Klischees zu bestreiten, daß das, was in Hessen mit einer zentralen Verantwortung des früheren Abgeordneten Fischer für die Energie- und Umweltpolitik geschieht, ohne Wirkungen auf die wirtschaftlichen und Arbeitsmarktdaten der Zukunft bleibt. Freie Bürger entscheiden, wo sie leben und arbeiten wollen, und freie, selbstverantwortliche Unternehmer entscheiden, wo sie investieren. Diese Grundtatsachen können Sie durch noch so viele Sprüche nicht aus der Welt schaffen.
({19})
Ich erteile dem hessischen Staatsminister für Wirtschaft und Technik, Herrn Dr. Steger, das Wort.
Staatsminister Dr. Steger ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, daß der hessische Ministerpräsident Holger Börner keine andere Wahl hatte, diese Koalition unter den zweifellos schwierigen Bedingungen einzugehen, so hat ihn die heutige Debatte erbracht.
({1})
Denn was hier vom „Stahlhelm"-Flügel der Union vorgetragen worden ist
({2})
- und die hessische CDU steht ja für diesen Flügel -,
({3})
ist ja nun wirklich für Sozialdemokraten weder koalitions- noch konsensfähig.
({4})
Herr Staatsminister, wir haben in diesem Parlament vereinbart, daß wir bestimmte Bezüge auf die Vergangenheit zurückweisen. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis.
({0})
Herr Staatsminister, fahren Sie in Ihrer Rede bitte fort.
({1})
Staatsminister Dr. Steger ({2}): Herr Abgeordneter Hoffie, wenn Sie hier die instabilen Verhältnisse in Hessen beklagen, so muß ich Sie daran erinnern, daß dies die Folgen des mißglückten Putsches zum Sturz der sozialliberalen Koalition sind, den Sie in Hessen inszeniert haben.
({3})
Meine Damen und Herren, ich - ({4})
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, daß wir uns gegenseitig zuhören. Es gehört auch zur politischen Kultur einer Demokratie, daß man sich gegenseitig zuhört.
Staatsminister Dr. Steger ({0}): Herr Präsident, meine Damen und Herren, hier ist Herr Rappe als Vorsitzender der IG Chemie zitiert worden. Er sitzt hier im Saal.
({1})
- Herr Rappe, ich möchte Ihnen von dieser Stelle aus - nicht nur, weil ich mich Ihnen und Ihrer Gewerkschaft persönlich verbunden fühle - gern versichern, daß das, was Sie als Erwartung an die hessische Landesregierung hinsichtlich der Stabilität und Gesetzestreue der Landesregierung formuliert haben,
({2})
Ministerpräsident Holger Börner auch in Zukunft so garantieren wird, wie er es in der Vergangenheit getan hat.
({3})
Von daher besteht nicht der geringste Anlaß,
({4})
daß Parteien und Wirtschaftsverbände, die sonst bei jeder Gelegenheit versuchen, Mitbestimmungsrechte zu beschneiden und sich einer aktiven Beschäftigungspolitik zu verweigern, plötzlich Krokodilstränen für Arbeitnehmerinteressen verlieren.
Meine Damen und Herren, die hessischen Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften wissen, daß auch die hessische Landespolitik für sie viele Chancen
Staatsminister Dr. Steger ({5})
eröffnet und daß in dieser Konstellation Fortschritte für Arbeitnehmer möglich sind, die woanders und in anderen politischen Konstellationen nicht möglich gewesen sind.
({6})
Es war doch wirklich auffällig in den Argumenten der Oppositionsparteien - ich wollte sagen: der künftigen Oppositionsparteien -, der Koalitionsparteien, daß sie peinlich vermieden haben, auch nur mit einem Satz auf die Politik einzugehen, die die hessische Landesregierung nun immerhin seit drei Jahren betreibt.
({7})
Wir sind unter den Stichworten Arbeit, Umwelt, soziale Gerechtigkeit angetreten, um in der Tat eine Alternative zur Bundespolitik zu zeigen.
({8})
Lassen Sie mich nur zwei Beispiele aufzeigen, die Ihnen vielleicht verdeutlichen, warum auch die Politik der hessischen Landesregierung dazu beigetragen hat, daß dieses Land so gut dasteht,
({9})
wie hier schon mehrfach hervorgehoben; ich will das nicht wiederholen.
Als ich mein Amt antrat,
({10})
wurde von der hessischen CDU der Vergleich zwischen dem Kohlekraftwerk Borken aus den 50er Jahren und dem Kraftwerk Buschhaus mit der größten Dreckschleuder gezogen.
({11})
Wir haben in schwierigen Verhandlungen mit der PREAG aber dann letztlich im Konsens erreicht, daß Borken sehr viel schneller nachgerüstet wird als das die Großfeuerungsanlagen-Verordnung vorsieht, sondern daß das Kraftwerk dann auf ein Sechstel der Werte geht, die Herr Zimmermann für Altanlagen noch für zulässig hält.
({12})
Wenn wir diese Politik nicht gemacht hätten, wäre in Borken nicht nur das Kraftwerk 1986 geschlossen worden, sondern wären auch 900 Arbeitsplätze im Braunkohlenbergbau hinfällig geworden.
({13})
Durch die Umweltschutzinvestitionen haben wir nicht nur den Umweltschutz vorangebracht, sondern auch 900 Arbeitsplätze im Braunkohlenbergbau gerettet.
({14})
Das ist ein Beispiel für die Politik der Landesregierung.
Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Seiters, wenn die hessische Lehrstellenbilanz so schlecht wie die niedersächsische oder die schleswig-holsteinische aussehen würde,
({15})
dann würde ich mich schämen, hier zu reden.
({16})
Daß die hessische Lehrstellenbilanz so gut aussieht,
({17})
hat etwas damit zu tun, daß sich die Landesregierung in einem überdurchschnittlichen Ausmaß engagiert und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen hat.
({18})
Jeder zehnte Ausbildungsplatz in Hessen ist 1984 mit den Mitteln der Landesregierung finanziert und gefördert worden, und damit haben wir ein Beispiel dafür gesetzt, daß aktive Beschäftigungspolitik zu positiven Ergebnissen führt und daß wir den jungen Leuten eine Ausbildungschance in Hessen bieten können.
({19})
Ich möchte hier meine Zeit nicht überziehen; lassen Sie mich nur einen abschließenden Satz zu den Vertretern der Bundesregierung sagen. Ich will hier nicht auf die gute Übung, Herr Bundesminister Stoltenberg, verweisen,
({20})
daß normalerweise Verfassungsorgane nicht öffentlich miteinander streiten. Aber ich hätte von Ihnen und vom Bundeswirtschaftsminister schon erwartet, daß Sie die CDU/CSU-regierten Bundesländer darauf aufmerksam machen, daß es unzulässig ist, Subventionen anzubieten, um aus Hessen Unternehmen abzuwerben.
({21})
Die Mittel der Gemeinschaftsaufgabe sind dafür da, überall in strukturschwachen Ländern neue Arbeitsplätze zu schaffen, und nicht dafür, noch eine finanzielle Prämie dafür zu zahlen, daß sich manche Unternehmen offensichtlich erhoffen, sie bekämen in CDU-regierten Ländern einen Rabatt auf die Umweltgesetze.
({22})
Mittlerweile hat die Industrie selber erkannt, wie sie Standortbedingungen belastet, wenn sie diesen Eindruck erweckt, manche Betriebe würden in Regionen gehen, weil dort die Umweltschutzgesetze nicht so eingehalten würden wie in anderen Ländern. Wissen Sie, was Sie als Konservative wirklich
Staatsminister Dr. Steger ({23})
bedenken sollten - ich sage das in allem Ernst -: Die Konservativen hatten traditionell ein Verständnis dafür, daß der Staat nicht zur Beute von Interessengruppen werden soll, sondern daß er über den Interessengruppen stehend
({24})
Konflikte in einer pluralistischen Gesellschaft regulieren und ausbalancieren muß. Aber die Art und Weise, wie sich die Bundesregierung auch heute morgen zu Spießgesellen von einzelnen Interessengruppen gemacht hat, ist staatspolitisch ein Skandal.
({25})
Die hessische Landesregierung wird ihren Verfassungsauftrag wahrnehmen, und wir werden uns hüten, in eine solche moralisch skandalöse Position zu rutschen, wie es die Bundesregierung getan hat.
Herzlichen Dank.
({26})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Minister Steger hat Fragen und ungewöhnliche harte Attacken gegen die Bundesregierung gerichtet. Ich will zu seinen Fragen Stellung nehmen.
({0})
Herr Minister Steger, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung auch bei der Verwendung der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe regionale Wirtschaftsförderung auf Recht und Gesetz achten wird. Diese Mittel können nicht für einen gegen die Vorschriften verstoßenden unlauteren Subventionswettbewerb verwandt werden.
Daß wir auf Recht und Gesetz achten, hat die Bundesregierung deutlich gemacht, indem sie Ihnen die Anweisung gegeben hat - eine Anweisung war ja hier notwendig -, die nach Recht und Gesetz erforderlichen Genehmigungen zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Zukunft wichtiger hessischer Betriebe wie ALKEM und NUKEM in Hanau zu erteilen.
({1})
Herr Minister Steger, Sie sollten die Tatsachen nicht verdrehen. Sie waren wegen der gefährlichen Abhängigkeit von den GRÜNEN im Begriff, Recht und Gesetz zu brechen.
({2})
Die Bundesregierung hat dafür gesorgt, daß Recht und Gesetz in diesem wichtigen Bereich auch in Hessen zur Anwendung kommen.
({3})
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.
({4})
Herr Kollege Vogel, Ihre Aufregung wäre wenige Minuten vorher begründet gewesen.
({5})
Der Herr Minister Steger hat die Stirn gehabt, die Bundesregierung zu ermahnen, nicht zu Spießgesellen von einzelnen Interessenten zu werden.
({6})
Das ist eine Bemerkung eines Mitglieds einer Landesregierung an die Bundesregierung mit Ausdrükken wie Spießgesellen, die man nur mit Empörung in diesem Hohen Hause zurückweisen kann.
({7})
Der Herr Minister Steger hat als Mitglied des Bundesrates Diskussionen in der Freien Demokratischen Partei, in Hessen zu einem Regierungswechsel zu kommen, mit dem Ausdruck Putsch bezeichnet. Ich empfinde das als eine Ungeheuerlichkeit.
({8})
Das ist nicht die Sprache von Demokraten, Herr Steger.
Der Herr Minister Steger hat auch in dem j a erlaubten Lob der hessischen Leistung für die Ausbildungsplätze - ich habe da gar nichts hinzuzufügen - so nebenbei zwei andere Bundesländer, Niedersachsen und Schleswig-Holstein, in einer Weise herabgesetzt, die mit den Tatsachen, z. B. der hervorragenden Ausbildungsbilanz Schleswig-Holsteins, nichts zu tun hat. Ich empfinde das als eine Reihe von ungewöhnlichen Entgleisungen, die wir von der Bundesratsbank in diesem Hause nicht gewohnt sind.
({9})
Das Wort hat der hessische Staatsminister für Wirtschaft und Technik, Dr. Steger.
({0})
Staatsminister Dr. Steger ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich
Staatsminister Dr. Steger ({2})
will nicht darüber nachkarten, Herr Bundesminister Stoltenberg,
({3})
wer den Ton in diese Debatte gebracht hat.
({4})
Aber Sie müssen eines wissen: das Bundesland Hessen hat es nicht notwendig, sich in dieser Weise von der Bundesregierung schurigeln zu lassen.
({5})
Wir sind es mittlerweile gewohnt, daß die Bundesregierung alles tut, um die hessische Landesregierung und damit aber auch die hessischen Bürger, meine Damen und Herren, in vielfältiger Weise zu benachteiligen.
({6})
Ich erinnere beispielsweise nur daran, daß bei der Fortschreibung des Bundesfernstraßenausbauplanes die hessische Quote entgegen allen objektiven Kriterien massiv gekürzt werden soll,
({7})
nicht etwa deshalb, weil wir nicht genügend Projekte angemeldet hätten, ganz im Gegenteil;
({8})
wir haben noch so manches Umgehungsstraßenprojekt,
({9})
- einige Kollegen, die mir Briefe schreiben, wir sollten das realisieren, sitzen ja hier -, das wir auch realisieren könnten.
({10})
Ist es denn ein Zufall, daß beispielsweise der Bundesforschungsminister bei Eureka Projekte anmeldet und dabei das Bundesland Hessen, das ja nun eine anerkannte Forschungs- und Technologiekapazität hat, meidet wie der Teufel das Weihwasser?
({11})
Lassen Sie mich nur noch kurz auf das Thema Hanau eingehen, wobei ich gerne zugebe, daß dies mit zu den bittersten Erfahrungen in meinem Leben gehört.
({12})
Aber was war denn die Situation? Wir haben bei einer der Hanauer Firmen gravierende Rechtsverstöße festgestellt.
({13})
- Nein, nein, meine Damen und Herren, Sie können Herrn Warrikoff gerne mal befragen, die zuständigen Beamten, gegen die die GRÜNEN ja Strafanzeige erstattet haben,
({14})
sind alles andere als rot-grüne Chaoten;
({15})
so werden sich die Herren sicherlich nicht abstempeln lassen.
({16})
- Herr Abgeordneter Hoffie, Ihre Partei hat bislang immer dankbar anerkannt, daß ich das auch getan habe.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich sagen, was die Situation war. Eine der Hanauer Firmen hat gravierende Rechtsverstöße begangen, die uns in Vollzug der Atomaufsicht auf Grund der Gesetzeslage eindeutig gezwungen haben, zu handeln und zu reagieren. Ich glaube, daß, wenn das Atomgesetz nicht nur Papier sein soll, auch jedes andere Bundesland und jeder andere Minister so gehandelt hätte.
({17})
Und was ist dann passiert? Herr Bundesminister Stoltenberg, nicht Recht und Gesetz, sondern Herr Warrikoff hat sich dann beim Bundesinnenminister die Weisung besorgt, die er in seinem Firmeninteresse brauchte.
({18})
Das ist der eigentliche Skandal bei dieser Geschichte, meine Damen und Herren.
({19})
Daß die GRÜNEN mich zwingen wollen, aus politischen Erwägungen dieses Genehmigungsverfahren nicht sauber durchzuführen, meine Damen und Herren,
({20})
damit lebe ich. Wir haben durch unsere Entscheidungen bislang bewiesen, daß wir diesem Druck standhalten. Aber daß sich der für die Atomaufsicht zuständige Bundesinnenminister in dieser Weise dafür hergibt, sich ohne Konsultation mit der zuständigen Landesbehörde zum Handlanger einer Firma zu machen,
({21})
dies hat mein Vertrauen in die Rechtsstaatlichkeit mehr erschüttert, als alle grünen Forderungen zusammen. Dies will ich Ihnen hier mal deutlich sagen.
({22})
Staatsminister Dr. Steger ({23})
- Wissen Sie, was unglaublich ist?
({24})
Dieses Parlament hat 1975 ein Gesetz verabschiedet, das die Hanauer Nuklearbetriebe einer nachträglichen Genehmigung unterwerfen soll. Ich frage Sie: Wieso, Herr Hoffie, haben Sie und Ihr Vorgänger acht Jahre lang keinen Strich an diesen Genehmigungsverfahren getan?
({25})
Ich bin der erste Minister, der nach zehn Jahren eine positive Entscheidung in diesen Genehmigungsverfahren getroffen hat. Damit Sie klarsehen: Wir werden in diesem Genehmigungsverfahren auch weitere Entscheidungen zügig treffen, obwohl das Management uns Schwierigkeiten macht, weil es eben nicht bereit war, auf die Forderungen, die der Gesetzgeber in diesem Hause einstimmig beschlossen hat, mit der notwendigen Gewissenhaftigkeit und Akribie einzugehen. Das ist die Lage in Hessen.
Wenn in dieser Situation gesagt wird, die hessische Landesregierung hielte sich nicht an Recht und Gesetz, dann antworte ich: Herr Bundesminister Stoltenberg, wir hatten die Kooperation mit den GRÜNEN platzen lassen, weil wir nicht bereit waren,
({26})
uns dem Beschluß der Landesversammlung der GRÜNEN zu beugen, die atomrechtliche Genehmigung, die zu erteilen war, nicht zu erteilen. Aber der Bundesinnenminister hat dem Druck der Industrie nachgegeben und sich hier wider besseres Wissen seiner Beamten - ich wiederhole es - zum Handlanger einer Firma gemacht.
({27}) Dies ist rechtsstaatlich der eigentliche Skandal.
({28})
Deswegen, meine Damen und Herren, bitte ich um Verständnis:
({29})
Das Bundesland Hessen hat eine lange und rechtsstaatliche Tradition.
({30})
- Nein. - Wir lassen uns nicht, gerade weil wir mit Stolz auf unsere Leistungen blicken, in dieser Art und Weise diffamieren, diskreditieren.
({31})
Denn Sie erzeugen doch erst die miese Stimmung, die dann hinterher von den Unternehmern gegenüber der Landesregierung beklagt wird.
({32})
Sie polemisieren, Sie reden doch den Unternehmern was ein, Sie versuchen doch, sie zu verängstigen und sie zu veranlassen, daß sie ihre Firmen wie Beduinenzelte abbrechen und in andere Bundesländer bringen.
({33})
Sie erzeugen doch erst den Meinungsdruck, auf den hin dann solche unglückseligen Äußerungen entstehen, wie der BDI-Präsident sie getan hat.
Meine Damen und Herren, darüber sollten Sie sich klar sein; aber auch darüber, daß die Hessen eines zu wachen Sinnes sind, als daß sie das nicht bemerken würden. Die letzten Kommunalwahlen haben der CDU ja gezeigt, wie weit Sie mit Ihrem Gerede vom rot-grünen Chaos wirklich kommen.
Herzlichen Dank.
({34})
Meine Damen und Herren, die von der Bundesregierung und vom Bundesrat - ({0})
- Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. Es muß doch noch möglich sein, daß man sich in diesem Haus gegenseitig zuhört. - Die von der Bundesregierung und vom Bundesrat in Anspruch genommene Redezeit beträgt mehr als 30 Minuten. Damit verlängert sich nach den Richtlinien die Dauer der Aussprache ebenfalls um 30 Minuten.
Wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Abgeordnete Weirich.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Steger, ich möchte drei Bemerkungen machen.
Erstens. Nach dieser schlimmen Rede, die Sie hier heute morgen gehalten haben, fängt Hessen offensichtlich an, mit seiner langen und großen rechtsstaatlichen Tradition zu brechen.
({0})
Ein zweites: Die hessische CDU mag einen Stahlhelm tragen, Herr Steger, aber ein Stahlhelm ist besser als ein Brett vor dem Kopf.
({1})
Ich möchte Ihnen ein Drittes sagen: Wenn wir zu der hessischen Politik nicht Stellung genommen haben, dann deswegen, weil uns dazu nichts mehr einfällt; denn in Hessen wird nicht regiert, sondern es wird nur noch intrigiert, und in Hessen wird nicht mehr gestaltet, sondern es wird nur noch unterdurchschnittlich verwaltet. Das ist das Problem Hessens.
Vorgestern hat die „Berliner Morgenpost" geschrieben:
Wegen eines Parlamentsclowns wie Fischer als Energie- und Umweltminister geht die Demokratie nicht kaputt. Schlimmer ist das Verhalten der SPD, dieser bespiellose Glaubwürdigkeitsverlust.
Recht hat das Blatt. Nicht die GRÜNEN, die sich in ihrem Überlebenskampf jetzt an jeden roten Koalitionsstrohhalm klammern, sind das Thema, sondern die SPD und ihre Mehrheit „diesseits der Union", die Willy Brandt vor einigen Monaten bereits herbeigewünscht hat.
Die Wirtschaft und die Arbeitnehmer brauchen auch in Hessen Vertrauen. Ich sage Ihnen eines: Wer vor der Landtagswahl die GRÜNEN in der Nähe von Faschisten angesiedelt hat wie Herr Börner, wer inbrünstig den Wählern zugerufen hat: „Mit denen nie", wer als anständiger Sozialdemokrat und Naßrasierer gesagt hat, er möchte beim Anblick des Spiegels dort nicht hineinspucken müssen, und wer gleichzeitig gesagt hat - ich zitiere ihn wörtlich -, er werde denen mit der Dachlatte in die Fresse hauen, jetzt aber gleichzeitig mit dieser Gruppierung aus reinem Machtopportunismus paktiert, der verdient kein Vertrauen, sondern blankes und erklärtes Mißtrauen.
({2})
Wer wie Holger Machiavelli die Wähler in einer solchen Weise an der Nase herumgeführt hat, der ist für den Glaubwürdigkeitsverlust und für den Zerfall der politischen Kultur in diesem Lande zuständig. Wer einem Abgeordneten wie Herrn Fischer zugerufen hat - an dieser Stelle hat Herr Börner das getan -, er sei politikunfähig, ihn jetzt aber unkritisch als Minister ins Kabinett holen will, der hat jeden Bezug zur Leistung und zu seiner eigenen Aussage verloren.
({3})
Die Wirtschaft trifft ihre Investitionsentscheidungen nicht nach Gunst und Laune, auch nicht nach Parteibuch, sondern nach Rentabilität und Rahmenbedingungen. Was hat sie von Ihnen in Hessen bekommen? Beschimpfungen wegen angeblicher Profitgier, partielle und temporäre Investitionsverbote, Blockade neuer Technologien und immer wieder behördliche Verschleppungstaktik. Daß das zu Investitionsattentismus führen muß, ist doch klar. Es haben ja auch Sozialdemokraten eindringlich davor gewarnt: der zurückgetretene Finanzminister Reitz, der SPD-Bundestagsabgeordnete Rappe, der Staatssekretär Lenz. Und ein Abgeordneter aus Ihren Reihen legt jetzt sein Mandat nieder - Herr Haase aus Fürth -, weil er diese ominöse Entwicklung nicht mehr mittragen kann.
Da wundern Sie sich über Besorgnisse von Unternehmungen, sprechen von einem fragwürdigen Demokratieverständnis. Wer am Rande der Arena steht und zu der sozialdemagogischen Kampagne des Deutschen Gewerkschaftsbundes gegen die erfolgreiche Politik der Regierung Kohl Beifall klatscht und gleichzeitig Unternehmern einen
Maulkorb umhängen will, der handelt linksautoritär - doppelbödig in unglaublicher Form.
({4})
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich drei Schlußbemerkungen machen.
Mittel- bis langfristig werden Sie die Standortgunst des Rhein-Main-Gebietes verspielen. Wir finden das nicht schön, weil wir als hessische Abgeordnete stolz sein wollen auf unser Land und weil dieser unheilvolle Kurs uns alle belastet.
Ein Zweites: Die beste Wirtschaftspolitik für Hessen wäre ein schneller Regierungswechsel auch in Wiesbaden, damit die positiven Wirkungen der Wirtschaftspolitik der Regierung Kohl zum Tragen kämen.
Eine dritte und letzte Bemerkung: Der liebe Gott, die Wähler, Helmut Kohl und auch die Union mögen uns 1987 vor einem Wiesbadener Modell in Bonn bewahren, für das jetzt der Probelauf gestartet wird. Wer Raus Abgrenzungssprüchen gegenüber den GRÜNEN glaubt, dem sei die politische Lebensgeschichte eines Holger Börner zum Studium empfohlen. Glaube und Glaubwürdigkeit gehören in der Politik zusammen.
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon erstaunlich, wenn man die hessische Regierungspolitik und politische Entwicklung der letzten zwei Jahre beobachtet: sozusagen vom Streit mit der Dachlatte über ein zweijähriges Konkubinat in eine ungeliebte Ehe. Aber wer muß die Kosten für diese Ehe und die bevorstehende Scheidung zahlen?
({0})
Das sind die Arbeitnehmer in Hessen. Denn die Voraussetzungen für eine vernünftige Entwicklung in Hessen werden jetzt zerstört. Die Folgen werden wir erst in den 90er Jahren erleben.
({1})
Denn was ist die Mitgift, die die sozialdemokratische Braut in diese Ehe einbringen muß? Sie muß ihr zartrosa Kleid der Tugenden einer alten Arbeitnehmerpartei ablegen, um mit einem ungeliebten dahergelaufenen Heiratsschwindler ins Bett gehen zu müssen, der eigentlich einer östlichen Braut in einem feuerroten Kleid schon längst versprochen ist.
({2})
Das ist die Situation.
Und wenn der Herr Steger hierher als Wolf im Schafspelz kommt,
({3})
dann soll das niemanden darüber hinwegtäuschen,
welche Gefahr hinter einer solchen Entwicklung in
Hessen, aber nicht nur in Hessen, sondern für das ganze Bundesgebiet steht.
({4})
Ich will mir nicht vorwerfen lassen, hier nicht rechtzeitig davor gewarnt zu haben.
Ich will ein Weiteres sagen.
({5})
Die GRÜNEN waren nie zaghaft, wenn es darum ging, Unternehmen zu beschimpfen, zu bedrohen, zu verunsichern und sozusagen davonzujagen.
({6})
Es darf sich doch keiner wundern, wenn die Beschimpften dadurch verunsichert werden. Sie alle wissen, daß Wirtschaftspolitik zu einem guten Teil eine Frage des Vertrauens, eine Frage der Psychologie ist. Es schafft eben kein Vertrauen in einem Land, wenn die Leute, die investieren sollen und die sich um die künftigen Ausbildungs- und Arbeitsplätze kümmern sollen, laufend verunsichert, verunglimpft, bedroht und beschimpft werden. Ich als hessicher Unternehmer sage Ihnen: Das bringt keine positive Stimmung.
Und dann überlegt man sich natürlich bei künftigen Investitionen: Muß man sich dem denn eigentlich aussetzen?
({7})
Kann man denn nicht bessere Plätze in der Bundesrepublik finden, wo man bessere Voraussetzungen hat, um diese Investitionen zu tätigen? Und da wird man feststellen: Hessen hat zwar die besten Voraussetzungen, weil es in der Mitte des Landes liegt. Man würde gern in Hessen bleiben. Es hat hervorragende Arbeitnehmer, gut ausgebildete Arbeitnehmer, gute Ausbildungsstätten. Allein, die Regierung und die politischen Voraussetzungen sind nicht geeignet, solch eine Entwicklung auf Dauer zu sichern.
({8})
Ich frage mich: Welches Demokratieverständnis haben eigentlich die Leute, die Meinungsäußerungen von seiten der Unternehmer diffamieren und die den Unternehmern das Recht auf freie Meinungsäußerung in diesem Land nehmen wollen? Gehören die Unternehmer nicht mehr zu unserem demokratischen System? Haben sie nicht mehr das Recht der freien Meinungsäußerung, das Recht, ihre Meinung auch gegenüber Andersdenkenden auszusprechen?
({9})
Die GRÜNEN sind j a wahrlich nicht zimperlich gewesen
({10})
in der Wahl der Mittel, ihre Meinung durchzusetzen. Demonstrationen, Hausbesetzungen, Fabrikblockaden, Kampf um die Startbahn West: Waren das keine Drohungen? Ist das kein Druck? Seit wann regen sich die GRÜNEN darüber auf, daß Druck auf eine Regierung ausgeübt wird? Die bloße Aussicht auf eine Regierungsbeteiligung in Hessen hat sie offensichtlich schon so verunsichert und korrumpiert, daß sie jeden zum Staatsverbrecher machen, der sich über die künftige rot-grüne Regierungspolitik besorgt äußert.
Ich weise darauf hin: Ohne Vertrauen geht es nicht. Wenn sich eine große Partei wie die Sozialdemokraten auf ein solches Experiment einläßt, müssen sie die Risiken kennen und sich der Risiken immer bewußt sein. Zum Schluß müssen die Sozialdemokraten selber die Suppe auslöffeln, die sie sich jetzt einbrocken.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Peter ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich als Abgeordneter, der aus Kassel kommt, nicht in diesen Wettbewerb einmischen, wie demokratisch denn der Herr Langmann ist. Ich glaube, die Zitate des Herrn Langmann sprechen für sich.
({0})
Es ist kein Zufall, daß es zum Ausgang der Weimarer Republik einen Langnam-Verein gab, dessen Zielsetzung war, das Bündnis zwischen Kapital und Konservativen zum Schaden der Demokratie vorzubereiten. Ich möchte auch nicht über diese Neuauflage der Harzburger Front von Kapital und Konservativen reden, die sich hier heute morgen an ein paar Stellen angedeutet hat.
({1})
Ich habe den Eindruck, daß hier manche, wenn sie von rot-grün reden, wie die Blinden von der Farbe reden.
({2})
Ich möchte deshalb versuchen, aus der Sicht Kassels Erfahrungen darzustellen.
Diese Erfahrungen sind gut. Die Begleitmusik, die heute morgen hier abläuft, ist für mich eine ganz vertraute Begleitmusik aus dem Jahre 1981. Da hat der Herr Weirich, der sich hier eben auch aufgeführt hat, die gleiche Rolle gespielt. Da ist das rot-grüne Chaos auf Kassel herabgebetet worden.
Peter ({3})
Das Ganze entpuppte sich dann sehr schnell als ein Sturm im Wasserglas.
({4})
In Kassel gab es im Durchschnitt mehr Ausbildungsplätze als in anderen hessischen Gemeinden, beispielsweise CDU-regierten. In Kassel gab es keine Rücknahme freiwilliger sozialer Dienstleistungen für die Bürger wie beispielsweise in Frankfurt. In Kassel gab es im Vergleich zu anderen hessischen Städten mehr Umweltschutzinvestitionen.
({5})
In Kassel ist ein Programm durchgesetzt worden, das das Wohnumfeld für Bürger lebenswerter gemacht hat. Und in Kassel gibt es ein gerechteres Schulsystem und eine menschenfreundlichere Verkehrspolitik, als sie in Ihren Köpfen herumspukt.
({6})
Es gab gewiß Konflikte in Kassel. Es gab auch Konflikte zwischen Rot und Grün. Es gab aber auch Lernprozesse.
({7})
Karsten Voigt hat vorhin einige dieser Lernprozesse angedeutet. Die haben sich als langandauernd und glaubwürdig erwiesen. Es gab aber auch Lernprozesse bei der Kasseler Wirtschaft; denn da sind keine Arbeitsplätze abgezogen worden. VW hat seinen Beschäftigtenstand aufgestockt. Das liegt wahrscheinlich daran, daß ein Unternehmer, der nüchtern kalkuliert, seine betriebswirtschaftlichen Kennziffern zur Grundlage von Investitionsentscheidungen macht und nicht irgendwelche ideologischen Warnungen, wie sie vorhin von Herrn Hoffie erhoben worden sind.
({8})
Andernfalls wäre er ein unvernünftiger Unternehmer.
In diesem Sinne, Herr Hoffie und auch Herr Solms, fand ich gut, was der Herr Gerhardt in der letzten Woche im hessischen Landtag gesagt hat, als er an die hessischen Unternehmer appellierte, sich von Herrn Langmann und seinen Sprüchen nicht bange machen zu lassen,
({9})
sondern im Lande zu bleiben. Ich habe bei den CDU-Rednern aus Hessen heute morgen einen ähnlichen Appell an die Vernunft vermißt.
({10})
Vor Ort sieht doch alles ein bißchen anders aus. Ich habe gestern in der Zeitung über Mainhausen gelesen. In Mainhausen gibt es auch ein Chaos. Diesmal ist es nur kein rotgrünes, sondern es ist ein schwarz-grünes Chaos. Ich bin sicher, daß auch dieses schwarz-grüne Chaos zu einer vernünftigen, die Interessen der Bürger weiter berücksichtigenden Kommunalpolitik führen wird, wenn Sie von der CDU dazu in der Lage sind.
({11})
Und in Kassel gab es noch etwas: In Kassel gab es eine Volksabstimmung über das rot-grüne Chaos, und zwar die Kommunalwahlen 1985. FDP und CDU hatten überall, auf jedem Plakat gewarnt: Rot-Grün! Rot-Grün! Das Ergebnis dieser Volksabstimmung war: Die Sozialdemokraten haben wieder die absolute Mehrheit errungen.
({12})
Die GRÜNEN haben Stimmen hinzugewonnen. Und CDU und FDP sind in Kassel zusammen politisch noch nie so schwach gewesen wie jetzt.
({13})
Das ist der Grund für Ihre Angst und Ihre ganze künstliche Aufgeregtheit heute morgen. Das ist etwas, was in der Tierpsychologie als Angstbeißertum bezeichnet wird.
({14})
Das Wort hat der Abgeodnete Link ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung eines Abgeordneten aus Frankfurt: Die hier beschworene wirtschaftliche Leistungskraft des Landes Hessen besteht im Kern darin, daß allein Frankfurt am Main über 40% des Steueraufkommens aufbringt. Gleichzeitig aber wird es vom Land Hessen permanent benachteiligt. In Frankfurt regieren Wallmann und die CDU.
({0})
Meine Damen und Herren, Börner und die SPD in Hessen haben unter Wortbruch und Wählertäuschung den verhängnisvollen Weg einer Koalition mit den grünen Aussteigern beschlossen und festgelegt.
({1})
In Hessen schwindet deshalb das Vertrauen in eine berechenbare Politik; Unsicherheit und Mißtrauen breiten sich aus. Firmen und Arbeitnehmer sehen sich durch die rot-grüne Koalition gefährdet, sehen ihre Zukunft und die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze und der Betriebe zunehmend bedroht.
({2})
Der Zugriff der GRÜNEN auf besonders empfindliche Bereiche der hessischen Wirtschaft wie die Chemieindustrie, die Energiewirtschaft und die Autoindustrie durch einen neuen grünen Umwelt- und Energieminister, durch Joschka Fischer, ist eine Kampfansage an die Interessen der ArbeitnehLink ({3})
mer, der Gewerkschaften und der Wirtschaft und an eine konsensfähige Politik.
({4})
Ein Sprecher der GRÜNEN hatte in Hessen schon vor Monaten gesagt: Wir werden Jahr für Jahr die Schrauben für das enger drehen, was sich die Industrie in diesem Land noch leisten kann.
({5})
Wer aufmerksam die politischen Absichten und Ziele der GRÜNEN - sowohl programmatisch als auch in den Reden ihrer führenden Repräsentanten - verfolgt, muß den unüberbrückbaren Widerspruch zwischen den existentiellen Interessen der Arbeitnehmer und der Industriegesellschaft einerseits und den geradezu abenteuerlichen Vorstellungen der GRÜNEN andererseits sehen.
({6})
Zu den zentralen politischen Zielen der GRÜNEN gehören die sofortige Stillegung von Kernkraftwerken, der Ausstieg aus der Kernenergie, die politische Bekämpfung der chemischen Industrie, der mittelfristige Ausstieg aus den Kohlekraftwerken, die Verhinderung moderner Kommunikationstechniken oder der Ausstieg aus ihnen und die Verhinderung und Blockierung notwendiger Straßenbaumaßnahmen. Die GRÜNEN polemisieren gegen das Auto und prophezeien die autofreie Gesellschaft. Gewalt, Rechtsbruch und ein zwielichtiges, ungeklärtes Verhältnis zum Rechtsstaat sind Bestandteil grüner Politik. Die GRÜNEN fordern auch den Austritt aus der NATO und dem westlichen Sicherheitsbündnis. Im Klartext: Die GRÜNEN propagieren und arbeiten zielstrebig am Ausstieg aus der Industriegesellschaft und dem westlichen Sicherheitsbündnis. Sie gefährden die Sicherheit, und mit ihren technologiefeindlichen Zielen bedrohen sie die wirtschaftliche und die soziale Existenz der Arbeitnehmer und ganzer Wirtschaftszweige und damit auch die Stabilität der Bundesrepublik Deutschland.
Wie weit ist die SPD unter Wortbruch und Wählertäuschung schon auf die schiefe Bahn abgerutscht, daß sie mit diesen Aussteigern und Verweigerern koaliert?
({7})
Dagegen protestieren alle: Arbeitnehmer, Betriebsräte, Gewerkschaftler und Unternehmer.
({8})
Als langjähriger Betriebsrat kann ich sehr gut verstehen, daß hessische Bauarbeiter bei einer Demonstration Transparente mit der Aufschrift „Grün-rot macht Arbeitsplätze tot" trugen. Der Gesamtbetriebsratsvorsitzende der Farbwerke Hoechst sowie alle sechs Vorsitzenden der Betriebsräte der Zweigwerke in Hessen haben Börner einen eindringlichen Brief geschrieben, in dem sie u. a. folgendes sagen:
Wir fordern Sie deshalb auf: Ziehen Sie das
Koalitionsangebot zurück, bevor es von den
GRÜNEN angenommen wird, deren Wirtschaftspolitik das Ende der Industriegesellschaft anstrebt
({9})
und mit ihrer Umweltpolitik das Geschäft der Angst betreibt. Die GRÜNEN haben mit uns Arbeitern und Angestellten nichts im Sinn. Ihre utopischen elitären Programme setzen sich mit Arroganz, Intolerenz, Maßlosigkeit über die Interessen der arbeitenden Menschen hinweg.
({10})
So weit das Zitat der Betriebsräte der Farbwerke Hoechst.
Der frühere hessische Finanzminister Reitz sagte:
Früher war Hessen in Sachen Wirtschaft eine erste Adresse. Heute ist dies wegen der wirren Vorstellungen der GRÜNEN nicht mehr so. Mir läuft es eiskalt den Rücken herunter,
({11})
wenn ich daran denke, wie die GRÜNEN unsere Wirtschaftskraft beschneiden wollen.
Das sagte der SPD-Finanzminister aus Hessen.
({12})
Der Vorsitzende der IG Chemie sagte mit Bezug auf die GRÜNEN:
Die negative Haltung der GRÜNEN zur modernen Industriegesellschaft, zur Technologie unserer Zeit, und ihr gestörtes Verhältnis zum parlamentarischen Rechtsstaat macht sie für die Arbeitnehmer unwählbar. Die Gewerkschaften müssen ein Bollwerk gegen die GRÜNEN sein.
So der Gewerkschaftsführer. An anderer Stelle sagte er:
Die weitreichenden Kompetenzen des grünen Umweltministers in Hessen führen zu einer Verunsicherung der Wirtschaft. Wichtige Investitionsentscheidungen und damit neue Arbeitsplätze werden verhindert.
Die Gewerkschaftsführer Konrad Carl, Rappe, Schmidt, Döding haben öffentlich vor den schlimmen Folgen einer von den GRÜNEN mitbestimmten Politik gewarnt. Carl fügte hinzu, Hunderttausende von Arbeitsplätzen würden gefährdet. Und das nennen Sie nun Panikmache.
({13})
Die Gewerkschaftsführer haben vor den schlimmen Folgen gewarnt. Wenn nun schon die Arbeitnehmer, Betriebsräte und Gewerkschaften der betroffenen Wirtschaftszweige sowohl die künftigen Investitionen als auch die Arbeitsplätze in Hessen bedroht sehen, wen wundert es da noch, daß Unternehmer bei dieser politischen Vertrauenskrise in Hessen ebenfalls laut und öffentlich darüber nach12682
Link ({14})
denken, ob ihre künftigen Investitionen außerhalb Hessens zu tätigen sind, wo politische Stabilität und Berechenbarkeit vorhanden ist. Wenn der soziale Friede in Hessen gefährdet ist, wie Umfaller und Wortbrecher Börner meint, dann nicht durch Unternehmer und Wirtschaft, sondern allein durch die rot-grüne Aufkündigung einer konsensfähigen Politik, die ständig am Abgrund entlang operiert und durch das Konfliktbündnis einer permanenten Erpressung ausgesetzt ist. In Hessen erprobt die SPD das Modell für die Bundesrepublik Deutschland. Den gegenteiligen Beteuerungen von Rau in der SPD ist ebensowenig zu glauben wie denen des wiederholten Wortbrechers Börner. Sie verbrennen heute alles, was Sie gestern noch angebetet haben, wenn es Ihnen nützlich erscheint.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommem Sie zum Schluß.
Ich bin fertig.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie werden verstehen, daß ich mich zunächst einmal nicht auf die Ausführungen meines Vorredners beziehe, sondern auf das, was die Bundesregierung heute morgen hier vorgetragen hat. Ich finde, das, was Sie - das gilt sowohl für Sie, Herr Grüner, als auch für den Herrn Stoltenberg - hier heute morgen zu dem Thema gesagt haben, war mehr als scheinheilig. Was Sie hier vorgetragen haben, sollte dazu dienen, zu verschleiern, worum es Ihnen in dieser Debatte eigentlich geht. Sie wollen den Menschen nämlich Angst machen vor den Grünen, und Sie wollen ihnen Angst machen vor einer politischen Alternative in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Sie wollen ihnen deshalb Angst machen, weil Sie um ihre politischen Mehrheiten fürchten, und weil Sie fürchten, daß sich das, was in Hessen in Gang gekommen ist, hier in Bonn einmal wiederholen kann, und daß Sie das die Stühle kosten kann, auf denen Sie jetzt sitzen.
({1})
Sie fürchten das, und deshalb wollen Sie den Arbeitnehmern einreden, Umweltpolitik in Hessen werde Arbeitsplätze gefährden.
Wenn der Herr Stoltenberg hier im Blick auf die Wirtschaft von einer „attraktiven Gesetzgebungspolitik" gesprochen hat, dann sollte das schon Anlaß sein zu überlegen, was er damit eigentlich meint. Wenn ich mir ansehe, was die Bundesregierung in den letzten Jahren an Gesetzgebung vorgelegt hat, dann muß ich sagen: Das war keine „attraktive Gesetzgebungspolitik", das war Gefälligkeitspolitik!
({2})
Die Folgen dieser Gefälligkeitspolitik, meine Damen und Herren, werden nicht nur im Flick-Ausschuß noch immer behandelt. Wenn hier das Wort „Spießgesellen" von Herrn Steger gebraucht worden ist, dann kann ich nur sagen:
({3})
Wenn ich mir manche Gesetzgebungswerke ansehe, und wenn ich mir ansehe, was Sie beispielsweise zur Vermögensteuer beschlossen haben, dann kann ich auch wiederum nur den einen Schluß ziehen, daß Sie - wenn man sich diese Dinge ansieht, wenn man das zum Maßstab nimmt - tatsächlich die „Spießgesellen" einzelner Interessen sind, so wie das heute morgen schon formuliert worden ist.
({4})
Aber zurück zum eigentlichen Problem. Hier ist von der Freiheit unternehmerischer Entscheidung die Rede gewesen. Die Freiheit unternehmerischer Entscheidungen war die Umschreibung für den gezielten Versuch von Unternehmerverbänden, schon im Vorfeld politischer Koalitionsentscheidungen massiven politischen Druck auszuüben.
Es ist nicht zu Unrecht mehrfach an die Weimarer Republik erinnert worden. Es ist auch schon angedeutet worden, daß solche Themen im Hinblick auf Gewerkschaften hier schon öfters eine Rolle gespielt haben. Ich will dazu nur noch eines anmerken: Wo immer in den letzten Jahrzehnten bei Gewerkschaften vom Streik als politischem Kampfmittel überhaupt nur die Rede war, waren es doch die politischen Kräfte auf der rechten Seite in diesem Haus, die, wenn davon auch nur gesprochen wurde, die Demokratie schon in Gefahr sahen.
({5})
Und wenn jetzt Unternehmer mit Abzug von Produktionsanlagen drohen, dann finden Sie das ganz in Ordnung, meine Damen und Herren. Das ist ein merkwürdiges Verständnis von Demokratie.
({6})
Wenn ein demokratich gewählter grüner Minister ausreichen soll, um hier solche Angstbeißerei in Gang zu setzen, dann muß ich mich schon fragen: Wie schlecht ist das Umweltgewissen der Konzerne wie Hoechst, wie schlecht ist das Umweltgewissen Ihrer politischen Freunde, und wie schlecht ist das Umweltgewissen anderer Unternehmen, wenn ein BDI-Präsident solche Angst vor den Grünen bekommen kann?
Und wovor haben Sie eigentlich diese Angst? Ich will es Ihnen sagen, meine Damen und Herren. Ich habe in der Tat den Eindruck, daß es in Sachen Umweltschutz eine Art Grauzone gibt, wo seit Jahren und Jahrzehnten munter auf Kosten der Umwelt und der Gesundheit der Bürger Giftstoffe emittiert werden. Es ist also gar nicht die Frage, ob ein grüner Minister sich an Recht und Gesetz hält; die
Kleinert ({7})
Frage ist eher umgekehrt zu stellen: nämlich ob die Wirtschaftsunternehmen bereit sind, zu akzeptieren, daß endlich mal ein Minister da ist, der darauf bestehen wird, daß Recht und Gesetz konsequent eingehalten werden zum Nutzen von Natur, zum Nutzen von Umwelt und zum Nutzen der Menschen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für alle die, die in den letzten anderthalb Stunden neu hinzugekommen sind, darf ich in Erinnerung rufen, worüber wir diskutieren.
({0})
Die GRÜNEN haben eine Aktuelle Stunde beantragt zum Thema „Verhältnis von Kapital und Politik in der Bundesrepublik Deutschland an Hand des aktuellen Beispiels der angedrohten Kapitalflucht in Hessen".
({1})
Dieses Thema entspricht der Fragestellung eines volkswirtschaftlichen Grundseminars, setzt allerdings die Bereitschaft zum Zuhören und die Fähigkeit zum Verstehen voraus.
({2})
Weil einige Unternehmen die Möglichkeit angedeutet haben, auf Grund der sich anbahnenden rotgrünen Koalition in Hessen industrielle Standorte von Hessen in ein anderes Bundesland zu verlegen, wird von den GRÜNEN und von der SPD behauptet, die Wirtschaft setze die hessische Landesregierung unter Druck. Korrekt?
Wer so argumentiert, verwechselt Ursache und Wirkung. Bei freier Beweglichkeit fließt das Kapital immer an den Ort seiner bestmöglichen Verwendung.
({3})
Langfristige Investitionen setzen günstige Erwartungen voraus, und zwar nicht nur hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung, sondern auch hinsichtlich der Stabilität der ökonomischen Rahmenbedingungen.
({4})
Ändern sich diese Daten - so ist ja auch Ihr Thema -, so reagieren die Anleger mit großer Sensibilität und wählen eine andere, eine attraktivere Form des Kapitaleinsatzes.
({5})
Meine Damen und Herren, ich bitte, diese Störungen zu unterlassen. - Bitte, fahren Sie mit Ihrer Rede fort.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn Investitionen ein Seismograph für wirtschaftliche Rentabilität sind, dann sind die Aufmerksamkeit der Grünen und die Argumentation der Grünen hier ein Seismograph dafür, wie ernst Sie diese aktuelle Stunde gemeint haben. Sie wollen nichts weiter als Demagogie, statt ein Thema sachlich auszudiskutieren.
({0})
In der Fragestellung der Grünen steckt ja auch die Frage: Wie verhält sich denn Kapital in bezug auf politische Stabilitätsbemühungen? Ein Blick über die Grenzen zeigt - wenn ich mir einmal die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und die internationalen Kapitalströme betrachte -, daß Kapital kaum in Länder fließt, in denen es keine Garantie vor Enteignung gibt, daß Kapital nicht in Länder fließt, die keinen Rücktransfer von Devisen ermöglichen, daß Kapital kaum in Länder fließt, in denen politisch instabile Verhältnisse herrschen.
Nun haben die GRÜNEN nicht nur in Hessen hinreichend oft erklärt, daß sie ein anderes Wirtschaftssystem wollen. Ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen sind alles andere als auf marktwirtschaftlichen Grundsätzen beruhend. Nun wird ein Vertreter der GRÜNEN Minister für Energie und Umwelt. Er muß nach seinem Verständnis und auch nach dem Verständnis der SPD erfolgreich arbeiten. Das verändert die ökonomischen Rahmenbedingungen. Das ist eine gravierende Änderung der Bedingungen, unter denen die Unternehmen in Hessen zu arbeiten haben. Die Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik, soweit sie überhaupt von einer Landesregierung beeinflußt werden kann, gehen vollends verloren.
({1})
Man kann diese ökonomischen Zusammenhänge ignorieren. Sie gelten aber trotzdem. Wenn davon die Rede ist, Betriebe in ein anderes Bundesland zu verlagern, so ist das nur ein Reflex auf die zu erwartende Veränderung der politischen Standortbestim12684
mung, ein Reflex auf die zu erwartenden Reglementierungen und keine Strafaktion.
({2})
Es ist allein eine Ausweichreaktion auf eine Politik, die das Wirtschaften erschwert, und ist insofern die Wahrnehmung legitimer ökonomischer Arbeitsplatzinteressen.
Wer behauptet, dies sei der Versuch, Druck auf die Politik auszuüben, nimmt eine vordergründige Schuldzuweisung vor und enthebt sich selbst der Notwendigkeit, seine eigene Position zu überprüfen.
Damit im Zusammenhang steht auch der Vorwurf der Verdächtigung eines fragwürdigen -
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Zweifelhaft ist nicht das Demokratieverständnis derjenigen, die ihre ökonomischen Dispositionen an veränderte politische Gegebenheiten anzupassen haben, sondern zweifelhaft ist das Demokratieverständnis derjenigen, die es anderen verbieten wollen, sich frei zu entscheiden.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
({0})
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen! Als ich soeben den ehemaligen Kollegen Steger, zur Zeit Staatsminister in Hessen, seine wenig staatsmännische Rede halten hörte, habe ich mich gefragt: Ist das eigentlich der alte Kollege Steger, den wir aus dem Bundestag kennen, der sachlich argumentierte, der im Rahmen seiner sozialdemokratischen Möglichkeiten ein fairer, abwägender Politiker war? Nein, da ist ein erstaunlicher Wandel, Herr Kollege Steger, bei Ihnen vorgegangen. Dafür gibt es vermutlich nur zwei Ursachen: erstens ein schlechtes Gewissen - das kann ich verstehen -, und zweitens scheinen Sie vom grünen Bazillus angesteckt worden zu sein. Dieser Bazillus verbreitet sich offensichtlich bei der hessischen SPD immer schneller.
Nun beschweren Sie sich, verehrte Kolleginnen und Kollegen, daß einige Unternehmer in Hessen nicht mehr investieren wollen. Ich bin einer von diesen so verteufelten Übeltätern, die vom Ausbeuten anderer Leute leben. Ich bin also einer jener Unternehmer, die hier heute beschimpft werden. Verehrte Kollegen von den GRÜNEN, fragen Sie sich einmal ehrlich: Würden Sie mir zumuten, in Hessen ein Unternehmen zu gründen?
({0})
Würden Sie mir zumuten, in Hessen zu investieren? Würden Sie einem Unternehmer, der sich redlich um Arbeit bemüht, zumuten können ({1})
mit einem Koalitionspartner, der das Wirtschaftssystem auf den Kopf stellen will - zu investieren?
({2})
Ich will es einmal auf eine Kurzformel bringen. Unter einem Minister Fischer, von dem auch Sie offensichtlich nichts halten - denn die Unfähigkeit wird ihm laufend aus den eigenen Reihen bescheinigt -, würde ich nicht auf die Idee kommen und kann auch niemandem empfehlen, zu investieren. Aber damit das klar ist: Auch bei politisch Andersdenkenden, z. B. unter einem Minister Hermann Rappe, würde es mir ein Vergnügen sein zu investieren. Ich sage das, damit es keine Mißverständnisse gibt. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, Sie verspielen die Standortvorteile - das waren ja Vorteile, die Hessen gehabt hat -, und andere werden sich darüber freuen. Unter diesen Rahmenbedingungen kann man ehrlichen Herzens keinem Unternehmer empfehlen, zu investieren in einem Land, wo man nicht weiß, wann die Regierung die Fabriken schließt, blockiert oder Aussperrungen auf umgekehrte Art praktiziert. Aus diesem Grunde sage ich mit allem Freimut: Ich werde meinen Kollegen ehrlichen Herzens und mit Überzeugung nicht empfehlen können, in Hessen zur Zeit auch nur eine müde Mark zu investieren.
({3})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schreiner.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich halte das, was die Kollegen Wartenberg und Cronenberg zum Schluß gesagt haben, für das eigentliche Problem dieses Vormittags. Der Kollege Wartenberg hat ausgeführt, es sei völlig legitim, daß die Unternehmer bei ihren ökonomischen Dispositionen die politischen Strukturen berücksichtigen. Ich denke, wenn dies zur Generallinie in der Bundesrepublik werden würde, wäre dies der Anfang vom Ende unseres demokratischen Systems.
({0}) Ich will Ihnen das begründen.
Ich komme aus dem Saarland - wir regieren dort ohne die GRÜNEN -, wo der Präsident der Industrie- und Handelskammer vor einigen Tagen öffentlich verkündet hat, daß die Ansiedlungsstrategie der Unternehmungen natürlich auch berücksichtige, daß im Saarland der Extremistenerlaß aufgehoben worden ist, daß im Saarland von der Regierung erwogen wird, unter dem Gesichtspunkt der Ökologie eine Verbandsklage einzuführen, daß die Regierung im Saarland erwägt, die Zahl der Gesamtschulen - bisher gibt es nur eine - auf drei, vier oder fünf auszuweiten.
Wenn die Wirtschaft beispielsweise die Abschaffung des Extremistenerlasses, der im Saarland in zehn Jahren nur zu einem einzigen Fall geführt hat, also gewissermaßen eine Nullrelevanz besessen hat, zum Kriterium von Ansiedlungsstrategien machen will - wohl wissend, daß gerade der Extremistenerlaß nahezu im gesamten westlichen Ausland Anlaß zu Zweifeln an der Demokratiefähigkeit der Deutschen gegeben hat -, dann frage ich mich, was die Großwirtschaft aus den eigenen historischen Erfahrungen denn jemals gelernt haben mag.
({1})
Als weiteres Beispiel nenne ich die Zerstörungsprozesse in unserer Natur. Gerade die Vorlage des jüngsten Waldschadensberichtes zeigt, daß in der Bundesrepublik mit weiteren Zerstörungsprozessen im Bereich des Waldes - dies ist gewissermaßen die generelle Linie - zu rechnen ist. Vor diesem Hintergrund wird erwogen, neue Instrumente zum Schutz unserer natürlichen Güter zu finden. Wenn dies aber zum Anlaß genommen wird, ökonomische Gegenstrategien zum Aushungern von demokratisch gewählten Landesregierungen öffentlich zu propagieren, so ist auch dies der Anfang vom Ende unserer Demokratie.
({2})
Ich sage: Es wäre interessant gewesen - die Zeit reicht nicht aus, um es zu tun -, einige geschichtliche Streiflichter hier aufzuführen. Eines ist sicherlich wahr: Die massiven Einmischungsversuche des großen Geldes in Deutschland waren mit eine wesentliche Bedingung für das Heraufziehen des deutschen Faschismus.
({3})
Ich denke, wenn man aus diesen historischen Erfahrungen - kein Land ist davon so geprügelt worden wie unser Land - seine Konsequenzen ziehen möchte, so wäre der dringendste Appell der an die Großwirtschaft, sich politisch möglichst bescheiden zu gebärden. Was jetzt heraufzieht, ist das genaue Gegenteil dessen, was auf Grund der eigenen Erfahrungen des deutschen großen Geldes historisch geboten wäre.
({4})
Lassen Sie mich deshalb folgendes formulieren. Ich bin der festen Überzeugung, daß angesichts dieser Sachlage der eigentliche Skandal, das eigentliche Problem in unserem Hause heute morgen darin besteht, daß nicht alle demokratischen Parteien - ich habe keinen Zweifel, daß CDU, CSU und FDP demokratische Parteien sind - in einem breiten Konsens und einhellig diese antidemokratischen Interventionsversuche der deutschen Großwirtschaft zurückgewiesen haben.
({5})
Das ist das eigentliche Problem. Wo wollen wir in Zukunft in diesem Haus noch von demokratischem Grundkonsens reden,
({6})
wenn Sie, die Herrschaften von der konservativen Seite, es ungestraft durchgehen lassen, daß sich die Verbandsfunktionäre der Großwirtschaft gewissermaßen zur Straf- und Korrekturinstanz von Wahlentscheidungen des deutschen Volkes begreifen?
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Das ist der Punkt. Wo bleibt der demokratische Konsens in diesem Lande,
({8})
wenn es die Schwarzen und die Gelben ungestraft durchgehen lassen, daß das, was an demokratischer Gestaltungs- und Meinungsvielfalt in dieser Republik möglich sein soll und vom Grundgesetz vorgegeben wird, in Zukunft nur unter entsprechenden Erlaubniszeichnungen des deutschen großen Geldes möglich sein soll?
({9})
Wo bleiben Ihre Stellungnahmen -
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Kommen Sie bitte zum Schluß.
Zum Schluß will ich mich mit einem einzigen Satz bei den hessischen Steuerzahlern ganz herzlich bedanken. Es waren die hessischen Arbeitnehmer, es waren auch die hessischen Unternehmer, die mit ihren Beiträgen letztlich über den Länderfinanzausgleich über viele Jahre mit dazu beigetragen haben, daß eine geradezu bankrotte saarländische Landesregierung bis zu Weihnachten letzten Jahres den saarländischen Beamten das Weihnachtsgeld auszahlen konnte.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pfeffermann.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin dem Kollegen von Wartenberg dankbar, daß er noch einmal auf den eigentlichen Anlaß der Aktuellen Stunde heute morgen aufmerksam gemacht hat.
Wer soeben den Kollegen Schreiner gehört hat, kommt leicht in die Versuchung, Ursache und Wirkung miteinander zu verkennen. Ich denke, wir alle werden darin übereinstimmen: Natürlich wird kein hessischer Unternehmer seinen Betrieb unter den Arm nehmen und irgendwo anders hingehen. Aber ist dies das eigentliche Problem, um das es hier geht?
In Wahrheit geht es doch darum, welche Planungssicherheit für die Zukunft gegeben sein wird, um Investitionen vorzunehmen die die Arbeits12686
plätze von heute sichern und die von morgen ermöglichen. Das ist doch das Problem.
Dazu ein Beispiel aus dieser Zeit. Ich komme aus Darmstadt. In unserer Nähe ist die Mülldeponie Messel. Die hessische Landesregierung hat durch alle Instanzen hindurch rechtlich gesichert, daß diese Mülldeponie laufen soll. 30 Millionen DM sind in der Zwischenzeit investiert. Als reines Zugeständnis an die Koalition mit den GRÜNEN wird nun der Weiterbau durch die hessische Landesregierung behindert.
({0})
Stellen Sie sich dies in einem Privatbetrieb vor. Genehmigungen, die mit Herrn Steger an der Spitze gelaufen sind, werden aus politischem Opportunismus zurückgenommen!
({1})
Ein solcher Betrieb geht bankrott. Dies ist die Überlegung, die im Hintergrund der Unternehmen steht,
({2})
die bedenken, wie sich die Dinge weiter entwikkeln.
Wir haben heute morgen ein trauriges Beispiel politischer Auseinandersetzung miterlebt. Herr Kollege Steger, Herr Minister, ich bin mir nicht sicher, ob Sie sich bewußt waren, was Sie eigentlich taten, als Sie den Kollegen Warrikoff in dieser - ich möchte fast sagen - unverschämten Weise attackierten. Da setzt sich ein Mann für den Erhalt von Arbeitsplätzen in Hessen ein,
({3})
er arbeitet dafür, daß dringend notwendige neue Investitionen getätigt werden, und dann wird er von Ihnen in dieser Weise diskriminiert, wie Sie das hier gemacht haben. Herr Steger, ich frage Sie: Wenn die Anweisungen des Bundesinnenministers widerrechtlich waren, warum setzen Sie sie den jetzt um? Dann hätten Sie doch längst rechtliche Wege finden müssen, um deutlich zu machen, daß das, was vom Bundesinnenminister veranlaßt worden ist, wider Recht und Gesetz ist.
({4})
Nein, Sie setzen sie um, weil Sie nämlich Politik mit Augenzwinkern machen. Sie wollen den GRÜNEN signalisieren, Sie kommen ihnen einen Schritt entgegen, aber Sie hoffen auf die Bundesregierung, daß sie auch im Lande Hessen für Gesetz und Ordnung sorgt. Das ist die Realität.
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Diese Ausgangslage wird allerdings natürlich unter einem grünen Umweltminister in empfindlicher Weise behindert werden. Dies ist die Schwierigkeit, die hessische Unternehmen heute sehen. Niemand der hessischen Unternehmen will gegen Gesetze handeln, sondern sie fragen sich: Können wir auf der Basis geltender Gesetze überhaupt noch in die Zukunft investieren? Das ist die Ausgangslage.
({6})
Zu meinem Erschrecken haben einige heute morgen auf die Weimarer Zeit Bezug genommen, auch der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Herr Westphal. Auch der Kollege aus Kassel hat diesen Schritt getan. Es wurde auf die Wirtschaft Bezug genommen. Ich habe den Kampf Holger Börners in seiner Partei über eine gewisse Zeit mit aufmerksamer Anerkennung verfolgt. Ich kenne seine Überlegungen. Er sieht sich in der Tradition von Ministerpräsidenten - nicht unbedingt hessischer Prägung -; sein großes Vorbild ist der frühere preußische Ministerpräsident Braun. Was aber in diesen Tagen und in den letzten Monaten in Hessen geschieht, bringt für mich im Rückblick auf die Weimarer Zeit die Frage: Wird Holger Börner eigentlich eines Tages Braun als Vorbild haben, oder wird er nicht sehr viel mehr mit dem, was er jetzt tut, zum Hindenburg unserer Zeit?
({7})
Einstmals als Fels in der Brandung gefeiert, und später einen solchen Burschen, wie es der Herr Fischer ist, ins Kabinett zu nehmen unterscheidet ihn nicht wesentlich vom Versagen des damaligen Reichspräsidenten.
({8})
Herr Kollege Pfeffermann, ich darf auch Sie darauf hinweisen, daß wir uns verständigt haben, diese Bezüge im Hause nicht mehr herzustellen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Sperling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Vorbild für Holger Börner, was das Ordnen politischer Verhältnisse angeht, ist Johannes Rau und nicht irgend jemand anderes. Das exportfähige Modell von Sozialdemokraten für den Bund ist nicht Hessen, sondern das Saarland oder Nordrhein-Westfalen.
({0})
Wir wollen auch in Hessen absolute Mehrheiten. Der Versuch einer Unternehmensberatung aus dem Kollektiv des Deutschen Bundestages heute morgen dürfte von den Konkurrenten der Unternehmensberater als gescheitert betrachtet werden.
({1})
Wenn man - wie Herr Wartenberg - nach Kapitalfluß fragt und erwägt, wohin das gehen wird, ist mir klar: Eine Regierung Börner, ob mit oder trotz
Joschka Fischer, wird dafür sorgen, daß Hessen ein hervorragender Standort für energiesparende Investitionen und Produktionsverfahren sein wird, die Umwelt und Natur schützen. Damit wird Hessen seine Position zur Sicherung des Industrielandes Bundesrepublik ausbauen. Die Welt wird nach Produkten schreien,
({2})
die Natur und Umwelt schützen. Die hessische Landesregierung - mit oder trotz Joschka Fischer ({3})
wird dafür sorgen, daß die Bundesregierung recht behält, wenn sie in Zukunft - ob von den GRÜNEN wie in diesem Fall oder von anderen - über die Lage in Hessen gefragt wird: Wie antwortet die Bundesregierung?
({4})
Die Arbeitslosenquote in Hessen liegt im Vergleich mit allen Bundesländern, einschließlich Berlin ({5}), seit 1977 an zweitbester Stelle. Das liegt insbesondere an der günstigen Wirtschaftsstruktur in der geographischen Mitte der Bundesrepublik Deutschland.
({6})
Hessen verfügt nicht zufällig dauernd über sozialdemokratisch geführte Regierungen. Herr Hoffie - Sie ermuntern mich; das Zitat abzubrechen -, als Sie von dem Sessel herunterrutschten, den Sie in Hessen hatten, haben Sie Ihre hessische FDP - ich sage: leider - in die Koalitionsunfähigkeit in Hessen geführt;
({7})
denn sonst wären Sie ja vielleicht auf dem Stuhl, den Sie dem Joschka Fischer neiden.
({8})
Da wären Sie doch gelandet. Jetzt sind Sie von Wallmanns Gnaden koalitionsunfähig. Welche Politik bieten Sie denn an? Keine Beschäftigungspolitik,
({9})
nichts, was die hessischen Wähler interessieren könnte. Schauen Sie, was der Herr Zimmermann in puncto Umweltschutz treibt!
({10})
Sie dürften sich schämen. Im Punkt Sozialpolitik
({11}) ist der Abbau Ihr Prinzip.
Für diese Form falscher Politik darf es in Hessen keine Große Koalition geben. Folglich bleiben uns die ungeliebten GRÜNEN als einziger Partner übrig,
({12})
nicht weil wir sie wollten, sondern weil Sie, Herr Hoffie, es mit Ihrer hessischen FDP nicht können, weil Herr Wallmann nur eine falsche Politik anbietet.
Nun lassen Sie es sich gesagt sein, das Einziehen von GRÜNEN in ein Parlament taugt nicht dazu, den Staatsnotstand auszurufen.
({13})
Große Koalitionen können doch nicht dadurch gerechtfertigt werden, daß diese Kollegen hier sind oder daß deren Kollegen in Hessen im Landtag sitzen. Also, machen Sie es mal eine Nummer kleiner. Fragen Sie danach, was es denn wirklich bedeutet. Wir werden aus dem Unternehmerlager, ja, aus dem Konzern Hoechst Stimmen haben, die es in der Industrie- und Unternehmensberatung versuchen. Gleichzeitig haben wir in Hessen im Konzern Hoechst Firmen, auf deren Reißbrettern längst umweltfreundliche Produktionsverfahren entwickelt worden sind,
({14})
die am Main leider noch nicht stehen; sonst bräuchte sich doch der Farbwerkekonzern Hoechst nicht vor Gericht bescheinigen zu lassen, wie es denn eigentlich mit seiner eigenen internen Organisation zum Schutz der Umwelt und des Mainwassers aussieht. Der befindet sich doch vor Gericht, nicht die hessische Landesregierung.
({15})
Deswegen halten wir all dieses Gerede, na, sagen wir es bescheiden, für Unsinn.
Eines können die anderen Bundesländer natürlich tun; sie können versuchen, in Konkurrenz mit Hessen zu treten. Wenn sie umweltschädliche Produktionen aus meinem Heimatland abwerben, dann sollen sie das von mir aus tun; aber sie sollen dann nicht anschließend kommen und sagen, wir wollen aus dem Länderfinanzausgleich aus Hessen das Geld haben, um anschließend die Schäden zu beseitigen; das darf dann auch nicht passieren.
({16})
Und wenn die anderen Bundesländer, die von Ihnen regiert sind, den Geist aufgeben, nachdem sie bisher Industrieansiedlungspolitik betrieben haben, dann ist ein Wettbewerb mit Hessen um Standorte für umweltverträgliche Produktionen und naturschützende Produkte in der Tat für die Bundesrepublik ratsam. Nehmen Sie deswegen doch die auch von uns nicht als sehr freundlich geschätzte Hert ausforderung an, und bringen Sie sie in Ihre Bundesländer heim. Wenn ich mir anschaue, wo wir in Hessen stehen, sage ich: Wir haben die Wahl, mit Unzuverlässigen die richtige Politik zu machen - 12688
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß, bitte.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. - Wir haben die Wahl, mit Unzuverlässigen die richtige oder mit Zuverlässigen die falsche Politik zu machen. Unsere Wahl ist klar.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Warrikoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister Steger, Sie haben ausgeführt, daß Sie die Genehmigungsverfahren für die Nukleargesellschaften in Hanau zügig durchführen. Ich komme darauf zurück. Wie wäre es denn, wenn Sie einen Schritt darüber hinausgingen und nicht nur sagen wollten, Sie wollen Genehmigungsverfahren durchführen, sondern sagen würden, Herr Minister Steger, Sie wollen die Firmen haben? Wie wäre es denn, wenn Sie hier sagen würden, Sie wollen die Nukleargesellschaften in Hessen haben? Wie wäre es denn, wenn Sie ein Bekenntnis zu Wackersdorf und dem Schnellen Brüter ablegen würden? Denn dazu gehört auch die ALKEM. Ohne Wackersdorf und den Schnellen Brüter ist die ALKEM nicht sinnvoll. Das wissen Sie ganz genau. Warum sagen Sie das nicht? Sagen Sie das nicht mir?
({0})
- Das ist ganz gleichgültig. Bitte, sagen Sie doch mal den Mitarbeitern, die sich Sorgen machen,
({1})
sagen Sie den vielen Hunderten von Leuten in Hanau
({2})
- daß Ihnen die Menschen, die arbeiten, gleichgültig sind, ist mir klar -,
({3})
sagen Sie mal den Leuten in Hanau, daß Sie das durchführen wollen.
({4})
Mir liegt das Schicksal der Mitarbeiter am Herzen
({5})
- Daß es Ihnen nicht am Herzen liegt, weiß ich. - Sagen Sie uns, daß Sie uns wollen. Tun Sie das bitte hier und an dieser Stelle.
Nächster Punkt. Wenn Sie die Genehmigungsverfahren so großartig zügig durchführen, warum haben Sie sich bei NUKEM darauf beschränkt, nur die Genehmigung zu erteilen, die ja, wie Sie wissen, durch acht Jahre Prozesse geht? Warum mußten Sie vom Bundesinnenminister gezwungen werden, den Sofortvollzug anzuordnen? Warum haben Sie, wenn Sie Dinge so zügig betreiben, dies nicht von sich aus getan? Warum halten Sie die Genehmigung für die Firma ALKEM zurück? Warum kündigen Sie in der Öffentlichkeit an, daß Sie Plutoniumwirtschaft und damit die ALKEM endgültig nicht haben wollen? Wir wollen in Hessen bleiben.
({6})
Die Nuklearindustrie will in Hessen bleiben.
({7})
- Sie wissen schon ganz genau, was ich meine.
({8})
Schließlich und endlich möchte ich auf das Element des persönlichen Angriffes zurückkommen, den Sie, Herr Minister Steger, für richtig gehalten haben.
({9})
Sie haben es für richtig gehalten, hier vorzutragen, daß ein rechtswidriges Verhalten vorgelegen habe; Herr Kollege Pfeffermann ist bereits darauf eingegangen. Wenn es rechtswidrig gewesen ist, Herr Minister Steger - es wäre natürlich wunderbar, wenn Sie zuhören würden, aber ich bin ja Schlimmstes gewöhnt -, warum haben Sie bzw. Ihre Beamten dies dann jahrelang geduldet? Warum haben Sie dann diese Verfügung, die hier inkriminiert ist, an einem Freitagnachmittag losgeschickt, obwohl nicht die geringste Eilbedürftigkeit bestand? Warum haben Sie schließlich und endlich die entsprechende Anweisung des Bundesministers des Innern vollzogen?
Herr Minister Steger, Sie zwingen mich auf ein Niveau herab, auf dem ich mich nicht wohlfühle. Aber da Sie dieses Niveau vorgegeben und mir rechtswidriges Verhalten vorgeworfen haben, kann ich nur antworten: Herr Minister Steger, Sie haben rechtswidrig gehandelt.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Bevor wir in der Tagesordnung weiterfahren, darf ich mitteilen, daß der Abgeordnete Schmitz ({0}) als stellvertretendes Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats ausscheidet. Die Fraktion der CDU/CSU hat die Abgeordnete Frau Pack als seine Nachfolgerin benannt. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist die Abgeordnete Frau Pack als stellvertretendes Mitglied in die Parlamentarische Versammlung des Europarats gewählt.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 18 a bis 18c auf:
Präsident Dr. Jenninger
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Schutz vor unzumutbarem Verkehrslärm
- Drucksache 10/3654 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:. Ausschuß für Verkehr ({1})
Innenausschuß
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Schulte ({2}), Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN
Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel ({3})
hier: Einführung einer Lkw-Verkehrsabgabe
- Drucksache 10/3644 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({4}) Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Schulte ({5}), Senfft und der Fraktion DIE GRÜNEN
Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel ({6})
hier: Maßnahmen gegen überhöhte Geschwindigkeiten durch Lastkraftwagen
- Drucksache 10/3645 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Verkehr ({7}) Innenausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 c und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Daubertshäuser.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das von der sozialliberalen Bundesregierung eingebrachte Verkehrslärmschutzgesetz ist in der 8. Legislaturperiode in Stufen gescheitert. Nachdem der Bundestag das Verkehrslärmschutzgesetz damals fast einstimmig angenommen hatte, ist dieser damalige Gesetzesbeschluß nicht über die Hürde der Bundesratsmehrheit gekommen. Im Vermittlungsausschuß konnte zwar ein Einigungsvorschlag zwischen Bundesrat und Bundestag erzielt werden; aber bei der abschließenden Beratung hier im Bundestag waren es CDU/ CSU und FDP gemeinsam, die diesen Einigungsvorschlag mit Blick auf den damaligen Bundestagswahlkampf mit einer fadenscheinigen Argumentation abgelehnt haben.
({0})
- Herr Kollege Hoffie, ich gebe Ihnen gerne zu, daß Sie verschiedene Motivationen hatten, aber im Ergebnis haben Sie den damaligen Einigungsvorschlag beide abgelehnt; anderes sage ich nicht. Wenn Vertreter der Bundesregierung nun in öffentlichen Verlautbarungen erklären, die jetzt in Kraft befindlichen Richtlinien zum Schutz vor Verkehrslärm seien zur Schadenseindämmung ausreichend und es bestehe kein weiterer Handlungsbedarf, dann ist das allerdings den Bürgern Sand in die Augen gestreut.
({1})
Diese Richtlinien, die 1983 von dieser ehemaligen Verhinderungskoalition in Sachen Lärmschutz in die Welt gesetzt worden sind, sind ja nur ein Minimalkonsens zwischen dem Bundesverkehrsminister und dem Bundesinnenminister. Er ist zustande gekommen, weil man sich eben nicht auf ein Verkehrslärmschutzgesetz und auch nicht auf eine Verordnung einigen konnte.
Noch im Januar 1983 kündigte der Bundesinnenminister vor der Hanns-Seidel-Stiftung an, er werde den Entwurf einer Rechtsverordnung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz vorlegen, um Grenzwerte für Lärmbelastungen für neue Straßen und Schienenwege festzusetzen. Er hat hier seine Zusage wieder einmal nicht eingehalten, aber er hat bei den Bürgern große Erwartungen geweckt.
Die nun vorgelegten Richtlinien stehen qualitativ weit hinter seinem Versprechen zurück. Denn diese Richtlinien haben keine Bindungswirkung für die Straßenbaulastträger und selbstverständlich auch keine Bindungswirkung für die Gerichte. Eine Verordnung oder ein Verkehrslärmschutzgesetz hätte diese Wirkung selbstverständlich.
Ihre Richtlinien können keinesfalls eine normative Regelung ersetzen. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Auflagenvorschrift, die wir im Fernstraßengesetz haben. Dort ist das in § 17 geregelt, der im Gegensatz zu den Richtlinien nicht nur auf den Schutz der baulichen, sondern auch auf die allgemeine Grundstücksnutzung abstellt.
Jetzt rächt sich, daß die heutigen Koalitionsfraktionen im Juli 1980 die Umweltpolitik auf dem Altar parteiegoistischer Interessen geopfert haben. Seitdem liegt dieses Thema trocken. Aber Tatsache ist, daß sich nach wie vor über 60 % unserer Bürger vom Verkehrslärm erheblich belästigt fühlen. Wir wissen, Lärm entwickelt sich zu einer Volkskrankheit. Deshalb wird die Bundesregierung auch um klare Aussagen und konkretes Handeln nicht herumkommen.
Für uns ist es zugegebenermaßen von einem gewissen Reiz, eine Bundesregierung zu einer politischen Wertung des Lärmschutzproblemes aufzufordern, deren sie tragende Fraktionen für das parlamentarische Scheitern des Verkehrslärmschutzgesetzes im Juli 1980 verantwortlich waren.
Mit der zunehmenden Motorisierung ist die Bekämpfung des Verkehrslärms zu einem zentralen gesellschaftspolitischen Problem geworden. In dem Zeitraum von 1970 bis 1983 ist der Bestand an zulassungspflichtigen Kraftfahrzeugen von 17 Millionen auf etwa 28 Millionen angestiegen, und die jährliche Gesamtfahrleistung hat sich in diesem Zeitraum von 234 Millarden auf 335 Milliarden km erhöht. Lärm macht den Menschen krank. Am härte12690
sten - auch das muß man wissen - sind in aller Regel diejenigen betroffen, die in eng bebauten Ortskernen oder dicht gebauten Siedlungen wohnen, weil sie nicht das nötige Geld haben, sich ein Häuschen im Grünen leisten zu können. Ich meine, der Verkehrslärmschutz muß mithelfen, daß ungestörtes Wohnen nicht zu einem Luxusartikel wird.
Ebenso hart betroffen sind natürlich viele Arbeitnehmer, die häufig einer Doppelbelastung ausgesetzt sind, nämlich zum einen dem Streß, dem Lärm am Arbeitsplatz und zum anderen ähnlich belastenden Bedingungen in ihrem Wohnumfeld. Deshalb muß hier dringend etwas geschehen, und zwar rasch und effektiv.
Die autogerechte Stadt fordert natürlich ihren Tribut. Sie fordert ihn in Form von Verkehrslärm, Abgasen, Lebensbedingungen, die das alte Wort „Stadtluft macht frei" schon lange in das Gegenteil verkehrt haben.
Die früheren Diskussionen mit Vertretern von Wissenschaft und Technik sowie den Betroffenen - auch im Bundestag - haben deutlich gemacht, daß wir das Lärmproblem insgesamt nur durch eine Paketlösung in den Griff bekommen können. Deshalb fordern wir in unserem Antrag nicht nur aktive und passive bauliche Lärmschutzmaßnahmen. Vielmehr fordern wir ein Bündel von sich ergänzenden Maßnahmen, nämlich auch Maßnahmen am Fahrzeug, verkehrslenkende und verkehrsordnende Maßnahmen.
({2})
- Doch, natürlich. Wir wollen den Verkehrslärm eben auf ein für Menschen hinnehmbares Maß zurückdrängen, und zwar durch den Einsatz dieses umfassenden Maßnahmenbündels zum Schutz gegen unvermeidbaren Verkehrslärm.
Das, was wir vorschlagen, ist der Versuch, eine durchhaltbare Balance zu finden zwischen umwelt- und verkehrspolitischen sowie zwischen gesundheitspolitischen und städtebaulichen Notwendigkeiten, aber auch gleichzeitig die auf Grund unseres föderativen Staatsaufbaus diffizilen Finanzierungsfragen zu lösen, ohne daß man die Gesamtkostensituation aus dem Auge verliert.
Eine Sonderregelung, wie sie auch in der Diskussion ist, nur für Bundesstraßen wird von uns abgelehnt, weil sie insbesondere im kommunalpolitischen Bereich vielerorts Streit entfachen würde. Keine Kommune könnte es politisch durchstehen, wenn die Anwohner einer Ortsdurchfahrt, die Bundesstraße ist, für Schallschutzmaßnahmen an ihren Gebäuden Entschädigung erhalten, während die Bürger, die an einer ebenso lauten oder sogar noch stärker verkehrsbelasteten kommunalen Straße wohnen, leer ausgehen sollen. Das heißt, wir wollen eine einheitliche Regelung des Lärmschutzes sowohl für die Bundesfernstraßen als auch für die Landes- und Kommunalstraßen.
({3})
Das beseitigt die jetzt noch vorhandene Rechtsunsicherheit und führt auch zur Gleichbehandlung aller betroffenen Straßenzüge.
Die Bundesratsmehrheit hat seinerzeit den damaligen Gesetzentwurf abgelehnt, weil angeblich die Kosten nicht finanzierbar seien. Wir wissen inzwischen, daß die damals in der Diskussion befindlichen Kosten überhöht angesetzt waren. Die Kosten, die entstehen würden, sind finanziell darstellbar, auch für die Kommunen, weil über das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz 60 % für den Lärmschutz beim Neubau kommunaler Straßen vom Bund übernommen werden. Der Bund würde mit 69,4 % der Gesamtkosten auch die Hauptlast des Verkehrslärmschutzgesetzes zu tragen haben.
Neu ist unser Finanzierungsvorschlag für die Lärmsanierung von Landes- und Gemeindestraßen aus unserem Programm „Arbeit und Umwelt". Hierfür soll die Mineralölsteuer zweckgebunden um einen Pfennig erhöht werden. Dies ist für die Länder und die Kommunen deshalb von Interesse, weil dadurch Landes- und Kommunalhaushalte nicht in Anspruch genommen werden und weil das strenge Verursacherprinzip zur Grundlage der Finanzierung" genommen würde.
Wir verstehen ein Verkehrslärmschutzgesetz eben nicht als ein bloßes Reparaturinstrument. Es soll vielmehr Mut machen, neue Prioritäten zu setzen, Mut auch zu einer menschengerechten Verkehrsplanung, Mut, die Fußgänger, Radfahrer, motorisierten Zweiradfahrer und Autofahrer als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer zu behandeln, Mut auch, die öffentlichen Nahverkehrsmittel so zu fördern, so auszubauen und so attraktiv zu machen, daß sie vom Bürger angenommen werden.
Der Verkehrslärmschutz erfordert aber auch Ideenreichtum. Er erfordert Kreativität in der Raum- und der Verkehrsplanung. Besonders hier müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, wieder eine Stadt für Menschen zu schaffen statt eine Drehscheibe für Blechkarossen.
Es ist nicht möglich - das wissen wir -, von heute auf morgen den Verkehrslärm aus der Welt zu schaffen. Ein sinnvolles Gesamtkonzept braucht einen längeren Zeitraum. Auch unsere Initiative wird nicht schlagartig eine leise Umwelt herbeiführen. Aber unser Antrag nennt die Instrumente, die eine erhebliche Verbesserung des gegenwärtigen Zustands bringen. Und dies ist eine konstruktive Umweltpolitik im Interesse unserer Bürger.
Danke sehr.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hanz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Kollege Daubertshäuser hat sich sehr breit über das Verkehrslärmschutzgesetz, das wir in der 8. Wahlperiode beraten haben, ausgelassen. Ich glaube, daß
Hanz ({0})
dieses Gesetz und sein Ergebnis kein Ruhmesblatt der vorigen Koalition sind.
({1})
Denn ganz eindeutig war die Vorlage damals völlig unzulänglich. Erst die Beratungen im Ausschuß haben viel gebracht, was auch Sie jetzt als Postulat vorgetragen haben, nämlich die Einbeziehung aller Straßen. Es gab sicher viele Gründe für das Scheitern damals. Aber einer der Hauptgründe war die Unfähigkeit der damaligen Koalition, sich zu einigen und es durchzusetzen. Ich glaube, das sollten wir hier festhalten. Es gab natürlich auch eine Anzahl anderer Gründe. Vielleicht komme ich auf den einen oder anderen zurück.
({2})
Mir, Herr Kollege Daubertshäuser, ist keine einzige Äußerung aus der jetzigen Koalition oder der Bundesregierung bekannt, die besagt, es gebe beim Lärmschutz keinen Handlungsbedarf. Natürlich können wir darüber streiten, in welcher Form wir den Lärmschutz entwickeln. Aber daß es auch für die Zukunft keinen Handlungsbedarf gebe, das sagt niemand.
({3})
Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland derzeit 30 Millionen zugelassene Kraftfahrzeuge, und die Tendenz steigt.
({4})
Rund 80 % des Verkehrsaufkommens entfallen auf den Individualverkehr.
Der Bundesbürger legt Wert darauf, sein Verkehrsmittel frei zu wählen.
({5})
Wir sind aufgefordert - und die Bundesregierung folgt dem -, dieser Wahl in einem freiheitlichen Rechtsstaat grundsätzlich Rechnung zu tragen.
({6})
Dies bringt natürlich, wie wir alle wissen, große Umweltprobleme und große Diziplin für den einzelnen mit sich.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schulte ({0})?
Nein, meine Redezeit ist so knapp -
Nein. Das wird nicht angerechnet. Das ist Ihre freie Entscheidung.
Nein.
Insbesondere der Verkehrslärm ist, wie wir alle wissen, zu einer großen Belastung der Menschen in unserem Lande geworden. Hinzu kommt noch, daß sich die Zunahme des Verkehrslärms bei uns besonders stark auswirkt, weil die Bundesrepublik Deutschland besonders dichte Siedlungs- und Wirtschaftsräume aufweist. In anderen Ländern sind die Verhältnisse hier bei weitem weniger ungünstig. Daher wird auch dort dem Verkehrslärm nicht die Bedeutung beigemessen wie in der Bundesrepublik Deutschland. Aus diesem Grunde haben wir es manchmal schwer, bei unseren europäischen Partnern für unsere viel stärker greifenden Maßnahmen Verständnis zu finden und gemeinsame Lösungen aufzuzeigen.
Noch einmal zu dem Verkehrslärmschutzgesetz aus der 8. Legislaturperiode. Einer der Hauptgründe war natürlich, daß der Bundesrat wegen der aus der damaligen Sicht auf Länder und Gemeinden zukommenden großen Kostenlast diesen Gesetzentwurf abgelehnt hatte. Heute, meine Damen und Herren, sprechen nach meiner Meinung viel mehr Gründe gegen den für ein neues Verkehrslärmschutzgesetz in dieser 10. Legislaturperiode.
({0})
Ohne ein eigenes Gesetz braucht und darf unser Bemühen um Lärmschutz keineswegs nachlassen. Aber schon allein der Zeitraum von knapp einem Jahr Gesetzgebungsarbeit reicht nicht aus, ein so umfassendes Gesetzeswerk zu verabschieden. - Aber auch in den vergangenen Jahren war die Bundesregierung auf dem Gebiet des Lärmschutzes nicht untätig. Um die Vereinheitlichung des Lärmschutzes zu erreichen, hat der Bundesminister die auch eben angezogenen Richtlinien 1973 erlassen. Diese Richtlinien fußen ganz eindeutig auf dem Ergebnis der Beratungen in der 8. Legislaturperiode. Diese Richtlinien sollten - und haben dies nach meiner Meinung getan - eine Vereinheitlichung der Lärmgrenzwerte und des Lärmschutzes in der Bundesrepublik Deutschland, auch für Länder und Gemeinden, herbeiführen.
Hauptbestandteil dieser Richtlinien sind die Emissionsgrenzen für Lärmsanierung und Lärmvorsorge. Die Ergebnisse - ich sagte es schon - der damaligen zweitägigen Anhörung sind voll mit eingeflossen.
Zu unserer Genugtuung, möchte ich noch einmal sagen, ist fast in allen Ländern eine gleichmäßige Behandlung der Lärmgrenzwerte für Kreis- und Landesstraßen durch die Baubehörden festzustellen.
Der Antrag der SPD, wie er hier vorliegt, ist zudem so äußerst kostenintensiv, daß er nach meiner Meinung im Bundesrat keine Mehrheit erwarten kann. Und Steuererhöhungen kommen für diese Koalition in der jetzigen Legislaturperiode nicht in Frage.
Meine Damen und Herren, wenn wir durch unsere Lande fahren, können wir an der Vielzahl der Lärmschutzwände feststellen, daß die Zeit nicht stillgestanden hat. Nur manchmal - das möchte ich hier klar betonen - bin ich nicht nur traurig, sondern auch böse darüber, was hier teilweise angerichtet wurde. Oft noch geschmackloser als manche Hochbauten der 50er oder 60er Jahre stehen Lärmschutzwände an unseren Straßen. Man könnte manchmal glauben, sich auf der Fahrt in einem Ostblockland zu befinden. Hier muß nach meiner Meinung Abhilfe geschaffen werden. Österreich, aber auch die Schweiz und andere Länder, können ein
Hanz ({1})
nachahmenswertes Beispiel für die Gestaltung unserer Lärmschutzwände sein. Aber ich möchte bei dieser Gelegenheit gar nicht alle verurteilen, sondern die loben, die geschmackvolle und moderne Lärmschutzwände in die Landschaft eingepaßt haben.
Nun, meine Damen und Herren, die Grenzwerte für bestehende Straßen können im Rahmen der bisher für Lärmschutzmaßnahmen vorhandenen Mittel gesenkt werden, weil neue Bauverfahren zu einer Minderung der Kosten für den Bau entsprechender Anlagen geführt haben. Die Fraktion der CDU/CSU wird sich dafür einsetzen, daß die notwendigen Schritte und Maßnahmen zur Verkehrsverbesserung unverzüglich durchgeführt werden. Der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages hat in den Beratungen zum Verkehrshaushalt die Absenkung der Grenzwerte bei Lärmschutzmaßnahmen an bestehenden Fernstraßen gebilligt. Dadurch können vor allem Krankenhäuser, Schulen, Kurheime usw. an stark befahrenen Bundesstraßen besser geschützt werden.
Meine Damen und Herren, für uns ist klar, daß trotz erheblicher Leistungen zur Verbesserung der Lärmsituation in den vergangenen Jahren noch immer viele Menschen unter der Beeinträchtigung durch Verkehrslärm leiden. Auf der Grundlage der derzeit noch bestehenden Grenzwerte gibt der Bund 250 Millionen DM jährlich für Lärmvorsorge aus. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß dies nur ein Beitrag zur Verbesserung der Lärmsituation sein kann. Der beste Lärmschutz ist nach wie vor der an der Quelle des Lärms, also z. B. beim Motor, wozu auch ein rücksichtsvoller Fahrstil unserer Kraftfahrer gehört.
Meine Damen und Herren, die Aufforderung in dem Antrag der SPD an die Straßenbaubehörden vor Ort, die Vorschriften aus dem Erlaß des Bundesministers für Verkehr vom 6. November 1981 zu erfüllen, um die Verkehrsbelastung der Bevölkerung zu reduzieren, können wir nur unterstützen. Besonders darauf hingewiesen wurde aber wohl deshalb, weil das die einzige Maßnahme ist, die die damalige Koalition an Lärmvorsorge getroffen hat. Wenn wir auch mit dem Antrag der SPD in manchen Punkten nicht voll übereinstimmen, glauben wir doch, daß bei der Beratung etwas herauskommen kann.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die GRÜNEN wollen beim Straßenverkehrslärm direkt an der Quelle ansetzen. Wir wollen deshalb die umweltverträglichen Verkehrsmittel fördern und die Verkehrsmittel, die die Bürger am meisten beeinträchtigen, zurückdrängen. Dabei geht es aus unserer Sicht insbesondere um den Lkw.
({0})
Wir haben deshalb hier im Bundestag einen Antrag eingebracht, in dem wir eine Schwerverkehrsabgabe für Lkw fordern. Ich möchte kurz begründen, warum dies unbedingt notwendig ist.
Bei allen gesellschaftlichen Folgekosten des Straßenverkehrs steht der Lkw an erster Stelle. Er ist Hauptverursacher. Das wird hier im Deutschen Bundestag immer wieder vernachlässigt, was auch seine Gründe haben wird; ich komme darauf noch zu sprechen.
Bei den Emissionen z. B. verursacht der LkwVerkehr folgende Werte: 500 000 t Stickoxide; das sind 31 %, also rund ein Drittel der gesamten Stickoxidemissionen des Straßenverkehrs. Das heißt, auch wenn Sie eine Umrüstung bei den Pkw vornehmen und die Bürger jetzt dazu verleiten wollen, neue Autos mit Katalysator zu kaufen,
({1})
muß man hier eindeutig sagen: Sie haben die Industrie und das Gewerbe wieder in Schutz genommen. Sie hätten hier, beim Lkw, ansetzen sollen; denn immerhin bekommen Sie ein Drittel der Emissionen nicht von der Straße weg, wenn Sie nur den Pkw-Verkehr angehen.
({2})
Die Lkw verursachen 83 000 t Kohlenwasserstoffe; das sind 13 % der Emissionen im gesamten Straßenverkehr. Ferner entstehen 42 000 t Schwefeldioxid - das sind 62 % der betreffenden Emissionen des Straßenverkehrs - und 50 000 t Partikel und Ruß; das sind 75% der gesamten Emissionen. Durch diese Emissionswerte wird sehr deutlich, daß etwas getan werden muß.
Meine Damen und Herren, entsprechend hoch ist der Energieverbrauch. 23 % des gesamten Energieverbrauchs im Straßenverkehr geht zu Lasten der Lkw, obwohl der Lkw-Verkehr nur 8,5% des gesamten Verkehrs ausmacht. Bei dem Lärm, den Lkw verursachen, bei den sonstigen Belästigungen durch Erschütterungen usw. sieht es nicht anders aus. Sie bekommen sicherlich auch laufend die Protestbriefe der Bürger, in denen geschrieben steht: Wir halten diesen Lärm nicht mehr aus, wenn die Lkw hier bei uns vorbeidonnern. Das werden Sie sicherlich auch immer wahrnehmen müssen. Nur, es wird nichts getan. Es ist also auch Handlungsbedarf bei der Belästigung durch Lärm vorhanden.
Das gilt aber genausogut für die gefährlichen Güter. Sie wissen, daß die Bahn das sicherste Verkehrsmittel ist.
({3})
Ich erinnere an die schweren Unfälle - an die sogenannten Nebel-Unfälle -, die im Januar dieses Jahres passiert sind. Es waren aber keine Nebel-Unfälle, sondern diese Unfälle sind durch die Raserei von Lkw verursacht worden. Sie sind mit überhöhter Geschwindigkeit - mit 120 km/h - durch den Nebel gerast. - Was ist dann passiert? Überhaupt nichts.
Deshalb haben wir unseren zweiten Antrag eingebracht, in dem wir grundsätzlich eine technische
Vorrichtung bei Lkw fordern, damit die nicht mehr schneller fahren als 85 km/h. Das sind immerhin noch 5 km/h mehr als die erlaubte Geschwindigkeit.
Bei den Unfällen mit Lkw ist es genauso. Betroffen sind vor allen Dingen diejenigen, die am unschuldigsten, die am schwächsten sind. Wir haben den starken Lkw auf der einen Seite und auf der anderen Seite die Fußgänger und die Radfahrer. Wir haben 200 tote Radfahrer im Jahr, und zwar überwiegend deshalb, weil der Deutsche Bundestag und diese Bundesregierung unter anderem nicht in der Lage sind, die Lkw-Unternehmen anzuweisen, sie sollen Seitenschutzbleche bei den Lkw installieren und einen lumpigen zusätzlichen Außenspiegel an der einen Seite anbringen, damit der „tote Winkel" endlich beseitigt wird. Nicht einmal diese 49,50 DM oder was dieser Spiegel kostet, wollen Sie den Unternehmen aufbürden. Das Ergebnis sind 200 tote Radfahrer jedes Jahr. Sie haben den Artikel im „stern" wahrscheinlich auch gelesen.
Hinzu kommen noch die unverschämten Arbeitsbedingungen und die Sozialvorschriften, die im Lkw-Verkehr immer wieder umgangen werden.
({4})
Es gibt kaum einen brutaleren Arbeitsplatz als den des Lkw-Fahrers im Fernverkehr. Wenn die 15 Jahre auf dem „Bock" gesessen haben, dann sind sie psychisch und physisch fertig mit der Welt. Das ist die Realität. Das geht alles auf die Knochen der Arbeitnehmer. Hier besteht auch Handlungsbedarf.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch einmal die Entwicklung an. Es ist ganz eindeutig: Der Lkw ist der Hauptverursacher. Die Bahn indessen ist das umweltfreundlichste und sicherste Verkehrsmittel.
({5})
Ich will Ihnen die Zahlen einmal nennen. Der Straßengüterfernverkehr ist in den letzten 15 Jahren von 41,9 Milliarden tkm auf 88,1 Milliarden tkm gewachsen. Das heißt: Das Aufkommen hat sich mehr als verdoppelt. Das gilt aber nur für den Fernverkehr. Die Zahl der ausländischen Fahrzeuge hat sich verfünffacht.
Schauen wir uns jetzt die umweltfreundliche Eisenbahn an. Was ist da passiert? 71,5 Milliarden tkm 1970; bis 1984 hat sich diese Zahl auf 60 Milliarden tkm verringert. Es ist permanent eine Verkehrspolitik betrieben worden, die noch mehr Verkehr auf der Straße und - zu Lasten der Bahn - immer weniger Verkehr auf der Schiene zuläßt. Das muß dringend geändert werden.
({6})
Die Regierungspolitik zielt hingegen darauf ab, das Geschäft der Lkw-Verkehrsunternehmen noch weiter zu erleichtern und damit die Belastungen und Gefährdungen der Bürger zu erhöhen. Sie predigen immer den kombinierten Verkehr. Was machen Sie aber? Erstmals seit den letzten sechs Jahren fallen die Unterstützungszahlungen für den kombinierten Verkehr an die Deutsche Bundesbahn in Höhe von 156 Millionen DM ersatzlos weg. Sie haben das ersatzlos gestrichen. Begründen Sie einmal, warum sie den kombinierten Verkehr, von dem Sie hier immer reden, nicht mehr durch Unterstützungszahlungen fördern wollen.
Sie geben immer neue Genehmigungen im Güterbezirksverkehr auf der Straße. 2 100 neue Genehmigungen sind erteilt worden. Für 4 t-Nutzlast-Lkw wollen Sie gar keine Genehmigungen mehr erteilen; da wollen Sie den Wettbewerb bis zum Erbrechen. Das drückt immer weiter, auch auf die Arbeitsbedingungen der Lkw-Fahrer. Sie erhöhen die Benzinfreimengen. Sie verschärfen die gesamte Situation zu Lasten der Bahn und
({7})
zu Lasten derjenigen, die diese Arbeit dort leisten müssen, meine Damen und Herren.
Wenn ich mir die Prognosen angucke, nach denen Sie Ihre Verkehrspolitik ausrichten, dann ergibt sich folgendes Bild: Sie erwarten weiterhin eine Steigerung im Straßengüterfernverkehr um bis zu 40 % bis zum Jahre 2 000. Das ist der absolute Wahnsinn.
({8})
Sie richten Ihre Verkehrspolitik darauf aus, anstatt hier politisch zu handeln. Es wäre Ihre Aufgabe, politisch zu handeln, einzugreifen und massiv dazu beizutragen, daß der Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert wird.
({9})
Unsere Forderungen: die Schwerverkehrsabgabe. Wir sind dafür, daß die Preise im Güterverkehr nicht etwa sinken; sie müssen vielmehr erhöht werden, und zwar unter anderem deshalb, damit - erstens - unnötige Transporte wegfallen.
({10})
Den Bürgern bringt das gar nichts. Nehmen wir z. B. dieses Hin- und Herschaukeln der Milch. Was haben die Bürger davon, wenn die schleswig-holsteinische Milch mit Lkw nach Bayern oder nach Italien gebracht wird und wenn die bayerische Milch nach Schleswig-Holstein gefahren wird? Milch ist Milch. Das sind völlig unnötige Transporte.
Bei dem Restverkehr wollen wir die Verlagerung auf die Bahn und beim kombinierten Verkehr eine Erhöhung der Dezentralität. Deshalb haben wir eine Schwerverkehrsabgabe in Höhe von 5 bis 32 Pf pro Tonnenkilometer gefordert. Das würde den gesellschaftlichen Kosten entsprechen, die der Lkw-Verkehr verursacht.
Ich möchte hier aber auch noch etwas zur Durchsetzung solcher Forderungen sagen. Dabei möchte ich an die Debatte anknüpfen, die wir heute morgen geführt haben. Wir sind uns darüber im klaren, daß es jede Regierung, wie auch immer sie gestaltet sein mag, schwer haben wird, solche Forderungen gegenüber der brutalen Lkw-Lobby durchzusetzen. Es gibt kaum eine schlimmere, brutalere Interes12694
senvertretung als die der Unternehmer im Straßengüterfernverkehr.
An dieser Stelle möchte ich nur einmal daran erinnern, daß es damals die Fuhrunternehmer waren, die mit den Unterstützungsgeldern der CIA die demokratische Regierung Allendes in Chile in die Knie gezwungen und eine Militärregierung installiert haben.
Ich möchte hier auch daran erinnern,
({11})
daß die Lkw-Unternehmer, als die Schweiz demokratisch, per Volksabstimmung, eine Schwerverkehrsabgabe nicht nur für die ausländischen, sondern auch für die heimischen Unternehmen beschlossen hatte, ihre Arbeitnehmer dazu getrieben haben, mit ihren Lkw den Straßenverkehr zu blokkieren. Ich möchte an die Straßenverkehrsblockaden am Brenner erinnern.
Was war denn da mit Ihrem Staatsverständnis? Was ist da passiert? Herr Strauß ist dort hingefahren, aber nicht etwa deshalb, um die Lkw-Unternehmer und die Beteiligten darauf hinzuweisen, daß sie einem Rechtsstaat grob zuwiderhandeln, daß sie wirklich kriminell handeln. Nein, er hat Ihnen heißen Kaffee gebracht.
({12})
Auf der anderen Seite haben wir bei den friedlichen, symbolischen Besetzungen von Straßen oder Plätzen vor Militäreinheiten vergeblich darauf gewartet, daß Herr Strauß kommt und uns heißen Kaffee bringt. Nein, da kamen die Wasserwerfer!
({13}).
Das zeigt Ihr gespaltenes Rechtsbewußtsein, meine Damen und Herren.
({14})
Ich möchte hier noch ganz kurz auf den Antrag der SPD zum Verkehrslärm zu sprechen kommen. Die meisten Forderungen, die in diesem Antrag enthalten sind, unterstützen wir. Wir teilen diese Forderungen. Ich kann diesen Antrag allerdings nicht so ganz ernst nehmen, wenn ich dort den Punkt 5 sehe. Ich muß ihn hier einmal zitieren:
Die Kosten der Lärmsanierung sind aus den jeweiligen Mitteln für den Straßenbau und aus dem bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau einzurichtenden Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" ... aufzubringen.
Erstens. Die SPD hat zur Finanzierung dieses Sonderprogramms vorgeschlagen, die Mineralölsteuer um 2 Pf pro Liter zu erhöhen. Und was passiert am Mittwoch im Verkehrsausschuß bei der Beratung des Antrags der CDU/CSU und der FDP? Ich beantrage, die Mineralölsteuer für bleihaltiges Benzin um auch nur 2 Pf pro Liter zu erhöhen. Wer lehnt ab? Dreimal können Sie raten: die Sozialdemokraten!
({15})
Zweitens. Sie sagen, Sie wollen aus den Mitteln des Straßenbaus finanzieren. Was passiert in der Woche zuvor im Ausschuß bei der Beratung des Verkehrshaushalts? Ich beantrage die Umverteilung der Mittel von der Straße auf die Schiene in Höhe von 3,6 Milliarden DM. Daß das mit den Sozialdemokraten nicht geht, war mir klar. Ich mache ein Angebot und sage: Liebe Leute, laßt uns doch wenigstens schrittweise etwas heruntergehen beim Straßenbauetat. - Nein. Statt dessen haben die Sozialdemokraten einer Erhöhung der Mittel für den weiteren Bundesfernstraßenbau um 50 Millionen DM von diesem Jahr zum nächsten Jahr zugestimmt. Also noch mehr Mittel für den Bundesfernstraßenbau.
Und wenn ich mir dann den Auftritt von Herrn Steger heute morgen hier angucke, dann muß ich doch fragen: Was ist denn hier passiert? Er hat um mehr Straßenbaugelder gebettelt. Und was passiert in Nordrhein-Westfalen? Dort stellt sich der Verkehrsminister hin und verkündet: Bei uns ist der Straßenbau beendet, Baustopp! - Ich habe es hier, dicke Schlagzeilen: Es wird hier nichts mehr gebaut. Ich möchte den Verkehrsminister oder den Staatssekretär mal fragen: Wieviel hat er denn an Geldern angefordert? Die volle Summe wie vorher. Die Bettelei geht weiter.
Dann möchte ich meinen ehemaligen Kollegen - Heinz Suhr war auch dabei - im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz Jo Leinen ansprechen. Er ist heute Umweltminister im Saarland. Ich kann mich daran erinnern, daß wir damals gemeinsam brennende Pressemitteilungen gegen den Straßenbau geschrieben haben. Wenn ich heute sehe, daß er als Umweltminister des Saarlandes bei diesem Verkehrsminister geradezu darum bettelt, daß er mehr Gelder für den Straßenbau bekommt, dann wird diese Doppelzüngigkeit der SPD ganz eindeutig.
({16})
Sie von der Koalition haben eine klare Position zu den Fragen, die den Straßenbau angehen. Sie sagen: Jawohl, wir halten ihn für notwendig. Sie vertreten das auch in der Öffentlichkeit. Auch wir haben eine klare Position zu dieser Frage. Wir sagen: Nein, wir wollen keinen Straßenbau mehr. Und wir vertreten das hier auch.
({17})
Was macht die SPD? Die SPD sagt in der Öffentlichkeit: Um Gottes willen, der Straßenbau ist weitestgehend abgeschlossen. Wir wollen nicht mehr. Sie beantragt hier und über die Länder mehr Mittel für den Straßenbau. Das ist die bittere Realität. Deshalb können wir Ihren Antrag nicht ganz ernst nehmen. Es ist stückweit ein Schauantrag, den Sie da im Zuge des bevorstehenden Wahlkampfes gestellt haben.
Lassen Sie mich zum Schluß noch eines zu den Landesstraßenbaumitteln in Hessen feststellen. Hessen ist das einzige Bundesland, wo die Landesstraßenbaumittel schrittweise Jahr für Jahr gekürzt worden sind. Das geschah nicht etwa, weil dort die SPD den Ministerpräsidenten stellt, sondern weil die GRÜNEN mit bzw. gegen die Sozialdemokraten das durchgesetzt haben.
Meine Damen und Herren, wenn ich mir Ihre Verkehrspolitik anschaue, die Sie betreiben, dann wird mir schwarz vor Augen, wenn ich daran denke, wie dieses Land in zehn Jahren aussehen wird und wie die Bürger allein durch den Straßenverkehr darunter zu leiden haben.
({18})
Ich kann Ihnen eines sagen: Wir werden jede Gelegenheit, die sich uns bietet, nutzen, um 1987 mit bzw. gegen die Sozialdemokraten
({19})
- trotz der Sozialdemokraten - den Straßenbau zu verringern und eine Wende in der Verkehrspolitik endlich einzuleiten und durchzusetzen, im Interesse der Bürger unseres Landes. Denn Sie sind dazu absolut nicht fähig, meine Damen und Herren.
({20})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich mit der Verkehrspolitik auseinandersetzen,
({0})
die die GRÜNEN betreiben wollen. Ich will deshalb gleich zu zwei Anträgen der GRÜNEN reden, die hier Gegenstand der Debatte sind, nämlich die Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel.
Was von den GRÜNEN gefordert wird, ist eine Lkw-Verkehrsabgabe von 5 Pfennig je Tonnenkilometer für die 1-t-Lkw, die es praktisch überhaupt nicht gibt,
({1})
und 32 Pfennig je Tonnenkilometer für Lkw über 20 t Nutzlast, wie sie im Fernverkehr, im grenzüberschreitenden Verkehr, aber auch im Bezirksgüterverkehr in aller Regel eingesetzt werden. Der Antrag, meine Damen und Herren, ist ein sehr eindrucksvolles Beispiel für die Wirtschafts- und Verkehrsfeindlichkeit der GRÜNEN, wie sie ja in Hessen künftig praktiziert werden soll.
Machen wir, Herr Senfft, eine ganz einfache Rechnung auf. Ich hoffe, daß Sie das nachvollziehen können. Dann zeigt sich das ganze Ausmaß Ihrer utopischen Vorstellungen. Im Straßengüterverkehr ist die Situation die, daß wir jährlich allein von bundesdeutschen Unternehmen eine Verkehrsleistung von 129,5 Milliarden Tonnenkilometern registrieren. Diese Leistung, multipliziert mit dem in der Regel eingreifenden Satz von 32 Pfennig, den Sie jetzt draufschlagen wollen, gibt eine Summe von rund 41 Milliarden DM, die von Ausländern zu verlangenden Zahlungen noch gar nicht mitgerechnet.
({2})
Der gesamte Umsatz des Straßengüterverkehrsgewerbes, meine Damen und Herren, beträgt jährlich 31,3 Milliarden DM einschließlich Mehrwertsteuer. Somit übersteigt die Verkehrsabgabe für Lkw, die Sie hier fordern, den Umsatz von 24 Pfennig je Tonnenkilometer um 33 %.
({3})
Die Konsequenz der Einführung - ich weiß nicht, ob Sie dann auch noch klatschen - wäre mithin eine Erhöhung der Transporttarife um satte 133%, was jeden Transport derart verteuern würde, daß sich Unternehmer es nur noch dann leisten könnten,
({4})
solche Transporte auf den Lkw zu nehmen, wenn es gilt, Gold oder Platin zu transportieren. Was hier also beantragt wird, ist schlicht und einfach - unter anderer Überschrift, unter anderem Etikett - die Abschaffung des Lkw-Verkehrs.
({5})
Das ist ja wohl auch beabsichtigt, wenn man die Begründung liest, in der Sie sich für die Bundesbahn sehr stark machen. Ich werde Ihnen gleich sagen, welche Konsequenzen das hätte.
({6})
- Ich muß meine Redezeit voll nutzen. Am Ende lasse ich - wie immer - gerne Zwischenfragen zu, wenn sie nicht auf die Redezeit angerechnet werden.
Daß zunächst einmal Tausende von Arbeitsplätzen in der Automobilindustrie und 80 000 Arbeitsplätze im Transportgewerbe vernichtet würden, wissen Sie. Dazu haben Sie aber nichts gesagt.
({7})
Sie müßten dazu aber etwas sagen. Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, die von Ihnen so freundlich bedachte Bundesbahn wird Ihnen diese Art von Förderungsprogramm aber wohl kaum danken können, denn sie müßte, wollte sie die Transportleistungen der Lkw tatsächlich übernehmen, allein für die Verkehrsleistungen bundesdeutscher Spediteure ihre Kapazitäten um ca. 1 000% steigern,
({8})
Wozu sie beim besten Willen nicht in der Lage ist.
({9})
Der Antrag ist also in jeder Hinsicht unsinnig. Wenn Sie 1000 % mehr Verkehrsleistungen im Güterverkehr, der heute 8 % ausmacht, auf die Schiene nehmen, müßten Sie - und zwar sofort - ein Netz
zur Verfügung haben, das das 10- bis 20fache an Transportleistungen ermöglicht. Dies haben Sie aber nicht zur Verfügung.
({10})
- Wir fangen ja damit an. Meine Damen und Herren, dieses ist die erste Bundesregierung, die für Neubauinvestitionen der Bahn mehr Geld als für entsprechende Investitionen für den Bereich Straße zur Verfügung stellt. Das hat es bisher unter keiner anderen Bundesregierung gegeben. Das sind die Tatsachen.
({11})
Sie hätten all das, was die Bundesbahn zu übernehmen hätte, leicht errechnen können, wenn Sie, Herr Kollege Senfft, das Gesprächsangebot des Verbandes, den Sie hier noch einmal beschimpft haben, angenommen hätten
({12})
und sich vielleicht einmal mit Fachleuten unterhalten hätten, anstatt ihnen Briefe zu schreiben, daß man sich nichts zu sagen habe.
({13})
Herr Kollege Hoffie, gilt Ihre Aussage von vorhin generell, oder lassen Sie jetzt eine Zwischenfrage zu'?
Am Ende lasse ich gerne Zwischenfragen zu. Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege Daubertshäuser.
Ich komme in zehn Minuten darauf zurück.
Meine Damen und Herren, all das zeigt, daß es hier nicht um Politik geht, sondern um das alte Theaterspiel, das wir schon so oft erlebt haben.
Die Abwegigkeit dieser Verkehrsabgabe wird auch noch durch etwas anderes deutlich. Alles, was Sie an Gegenständen hier im Plenum oder in Ihrem Büro sehen - z. B. der Stuhl, auf dem Sie sitzen, der Schreibtisch, an dem Sie sich solchen Unfug einfallen lassen, das Papier, auf dem Sie ihn dann auch noch niederschreiben -, ist mindestens einmal irgendwann mit einem Lkw transportiert worden. Wenn Sie den Lkw-Verkehr abschaffen wollen, müssen Sie demnächst mit dem Bollerwagen zum Bahnhof ziehen, um sich dort Ihre Latzhosen und Ihre Turnschuhe selbst abzuholen. Sie können es natürlich auch mit dem Fahrrad tun.
({0})
Gegenüber dem, was Sie hier fordern, war der heftig umstrittene, 1968 eingeführte sogenannte LeberPfennig geradezu eine lächerliche Kleinigkeit. Er wurde 1972 wieder abgeschafft, weil er gegen EG- Recht verstieß, genau wie der Antrag, den Sie heute einbringen, gegen EG-Recht verstößt. Herr Senfft,
das hätten Sie leicht nachlesen können. Es sollte hier nicht unerwähnt bleiben, mit welcher Leichtfertigkeit Sie hier glauben, großzügig Anträge vorlegen zu müssen.
Ihr zweiter Antrag betreffend Maßnahmen gegenüber überhöhte Geschwindigkeiten von Lkws -Sie fordern die Einführung der Einbaupflicht von Geschwindigkeitsreglern - erscheint mir rechtlich nun wirklich widersinnig. Erst wird der Lkw-Verkehr durch Ihre 32-Pfennig-Regelung praktisch verboten, und dann verordnet man dem Toten auch noch eine Kur. Die Idee ist ja nicht neu. In Frankreich gibt es diese Einbaupflicht, wobei die eingestellte Geschwindigkeit aber eine andere ist als die, die Sie fordern. Sie fordern eine 85-km/h-Grenze. Das liegt daran - das ist ein Problem -, daß nicht in allen europäischen Ländern die gleiche Geschwindigkeitsbegrenzung für Lkws besteht. Das heißt, Sie würden den deutschen Lkws einen Geschwindigkeitsregler verpassen, der dann in einem ausländischen Land, wenn man die Grenze überschritten hat, schon deswegen nicht mehr richtig ist, weil der Lkw z. B. in Frankreich schneller fahren dürfte.
({1})
Der deutsche Lkw kann dann nicht schneller fahren, weil er den Geschwindigkeitsbegrenzer eingebaut hat, und damit ist er im Verhältnis zu den Franzosen aus dem Wettbewerb. So unsinnig ist also auch dieser Antrag.
({2})
Das wäre Ihnen vielleicht aufgefallen, wenn Sie einmal nachgesehen hätten, welche Geschwindigkeitsbegrenzungen für Lkws in welchen europäischen Ländern vorgeschrieben sind. Dann hätten Sie einen solchen Antrag gar nicht gestellt.
({3})
Meine Damen und Herren, Ihre Angaben zur Senkung der durchschnittlichen Geschwindigkeit und des NOx-Ausstoßes glauben Sie doch wohl selbst nicht. Sie tun so, als würden praktisch alle Lkw-Fahrer durchschnittlich 5 km/h zu schnell fahren.
({4})
- Hören Sie doch einmal zu, Herr Senfft! Dann begreifen Sie es vielleicht.
Wenn das so wäre und wenn Sie den Geschwindigkeitsregler auf 85 km/h einstellen, dann senken Sie nach Ihren eigenen Angaben die Durchschnittsgeschwindigkeit um höchstens 2 km/h und nicht um 10 km/h, wie Sie das bei einer rein theoretischen und deshalb falschen Berechnung angeblicher Schadstoffsenkungen zugrunde gelegt haben.
({5})
Wenn Sie dem Bundestag also schon Anträge zumuten, dann wäre etwas mehr Sorgfalt bei der Begründung angebracht.
Was die aufgeführten Stichprobenmessungen anbelangt, so sollten Sie uns nicht mit alten Zahlen behelligen, wenn der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, was Sie hätten nachlesen können, gerade neue Zahlen vorgelegt hat, die besagen, daß die Geschwindigkeitsüberschreitungen um 33 % abgenommen haben und nur noch bei 1 % aller Fälle von einem schweren Verstoß gesprochen werden muß. Damit geht die stetige Verbesserung der Unfallbilanz einher, die 1985 auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren überhaupt angekommen ist. Bei alledem sehe ich über die im Verkehrssicherheitsprogramm beschlossenen und von den Verbänden geplanten Maßnahmen hinaus keinen Handlungsbedarf.
Meine Damen und Herren, diese beiden Anträge allein - der Kollege Baum wird gleich noch zum Verkehrslärm Stellung nehmen - charakterisieren, welch schwachsinnige und unüberlegte verkehrspolitische Forderungen Sie tatsächlich hier einführen, die, würden Sie sich auch nur ein einziges Mal mit den Tatsachen auseinandersetzen, niemals gestellt würden.
Herzlichen Dank.
({6})
Meine Damen und Herren, seine Redezeit war zu Ende, und am Schluß kann man dann nicht noch Zusatzfragen stellen.
({0})
- Es ist in der Hand des Redners, seine Zusagen einzuhalten. Die Redezeit war vorbei.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Buckpesch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Senfft, wenn Sie draußen in Bürgerinitiativen lautstark wie berechtigt den Bau von Ortsumgehungen fordern, um stark belastete Ortskerne oder Wohngebiete zu entlasten, aber im Verkehrsausschuß die dafür notwendigen Mittel aus dem Verkehrshaushalt herausnehmen wollen, dann ist das aus unserer Sicht schlicht unehrlich. Das können Sie mit uns nicht machen. Soweit die Antwort auf das, was Sie vorhin vorgetragen haben.
Meine Damen und Herren, wenn wir uns heute auf Grund des Antrags der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion mit dem Schutz der Bevölkerung vor unzumutbarem Verkehrslärm befassen, dann befassen wir uns mit einer Geißel der Menschheit in der modernen Industriegesellschaft. Das Max-Planck-Institut für Arbeitspsychologie hat bereits vor Jahren betont, der Lärm sei das stärkste Umweltgift von heute. Mit diesem Umweltgift befassen wir uns heute im Deutschen Bundestag nicht zum ersten Mal, sondern leider zum wiederholten
Male. Aber wir Sozialdemokraten tun dies in der Hoffnung, daß unsere Initiative nun endlich zum Erfolg führt, und wir tun das in der Hoffnung, daß Sie, meine Damen und Herren, insbesondere von der Regierungskoalition, mit uns bereit sind, am Ende der Auseinandersetzung das dringend notwendige Verkehrslärmschutzgesetz zu verabschieden.
In der Auseinandersetzung wird oft darauf hingewiesen, daß es zum Schutz der Bevölkerung vor Verkehrslärm an sich keines eigenen Gesetzes. bedarf. Auch der Kollege Hanz hat so etwas Ähnliches gesagt, wenn er zwar andeutete, daß es einen Handlungsbedarf gebe, aber erklärte, Sie wollten nichts tun oder jedenfalls im Moment kein Verkehrslärmschutzgesetz verabschieden. Da kommt also ebenfalls der Hinweis: Wir haben das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die dazu erlassenen Richtlinien, und das ist ein Instrumentarium, das zur Bewältigung der Probleme völlig ausreicht. Über die Unverbindlichkeit dieser Richtlinien, Herr Kollege Hanz, hat Kollege Daubertshäuser schon einiges ausgeführt.
Ich werde darüber hinaus noch einige Gründe vortragen, wie wir das bereits Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre getan haben, warum wir Sozialdemokraten glauben, daß das vorhandene Instrumentarium zur Bekämpfung des Verkehrslärms völlig unzureichend ist.
Der erste Grund: Das Bundes-Immissionsschutzgesetz von 1974 enthält keine konkreten Angaben darüber, ab wann, d. h. ab welcher Lärmschwelle der durch den Verkehr verursachte Lärm als schädliche Umwelteinwirkung im Sinne des Gesetzes zu verstehen ist.
Der zweite Grund: Das Bundes-Immissionsschutzgesetz verlangt Lärmschutz nur „bei dem Bau oder bei der wesentlichen Veränderung öffentlicher Straßen sowie von Eisenbahnen und Straßenbahnen". Das Gesetz kennt also keine Regelungen für Verkehrswege, die bei Inkrafttreten des Gesetzes bereits bestanden. Das Argument, die Anwohner dieser Verkehrswege werden sich möglicherweise schon an den Lärm gewöhnt haben, ist für uns Sozialdemokraten unerträglich. Aus diesem Grunde fordern wir auch den Abbau von Altlasten. Wir fordern also die sogenannte Lärmsanierung.
Der dritte Grund: Das Bundes-Immissionsschutzgesetz sieht für die Entscheidungen, für die notwendigen Immissionsschutzmaßnahmen keine Abwägung mit anderen öffentlichen Belangen vor, insbesondere keine Abwägung mit finanzpolitischen Notwendigkeiten. Daraus folgt, daß die im Bundes-Immissionsschutzgesetz vorgesehene Verordnung, die im Gesetz selbst nicht vorgesehene Abwägung ebenfalls nicht übernehmen kann. So formuliert es jedenfalls die höchstrichterliche Rechtsprechung.
({0})
Der vierte Grund: Die im Bundes-Immissionsschutzgesetz ausgesprochene Ermächtigung für diese Rechtsverordnung ist so eng, daß die für eine zweckmäßige Handhabung des Rechtsschutzes in der Praxis erforderlichen Regelungen in der Ver12698
ordnung nur sehr lückenhaft getroffen werden können.
Alle diese Gründe wurden bereits in der 8. Legislaturperiode vom Deutschen Bundestag gewürdigt. Sie wurden sogar mit großer Mehrheit akzeptiert. Das damals vorgelegte Gesetz scheiterte allerdings zunächst an der Unionsmehrheit im Bundesrat und dann an der damals schon unheiligen Allianz von CDU/CSU und FDP im Deutschen Bundestag.
({1})
Das war damals kurz vor einer Wahl, und es war blanker Opportunismus.
({2})
Wir können an Sie nur die Bitte richten, Ihre jetzigen Entscheidungen auf Grund der folgenden Diskussion nicht wieder im Opportunismus versinken zu lassen.
({3})
Wir sollten uns doch alle darüber im klaren sein, daß wir, je länger wir das dringend notwendige Verkehrslärmschutzgesetz hinauszögern, den Schaden für die betroffene Bevölkerung vergrößern und daß die Sanierung der Altlasten mit jedem Tage teurer wird.
({4})
Wir Sozialdemokraten können auch nicht einsehen, weshalb nur die Anwohner an Verkehrswegen des Bundes in den Genuß solcher Lärmschutzmaßnahmen kommen sollen. Wir wollen selbstverständlich auch die bestehenden Landes- und Kommunalstraßen in ein Verkehrslärmschutzgesetz einbezogen wissen, denn gerade in den Städten und Gemeinden tritt das Lärmproblem an den bestehenden und stark frequentierten Straßen ganz besonders deutlich hervor. Dort, in den Städten und Gemeinden, wohnt doch die Masse der Bevölkerung, die vor den schädlichen Umwelteinflüssen des Verkehrs geschützt werden muß.
Nun zeigen zwar die Entscheidungen höchster Gerichte, daß die Rechtsprechung auch ohne gesetzliche Grundlagen Gemeinden und Kreise zwingen könnte, entsprechende Schutzmaßnahmen zu erlassen. Dabei entsteht aber doch die Gefahr, daß die Rechtsprechung ohne die Entscheidung des Gesetzgebers, also ohne unsere Entscheidung, regional unterschiedliche Umweltmaßstäbe an die zu treffenden Schutzmaßnahmen anlegen würde. Dies gilt es eben zu verhindern.
Unserem Antrag ist auch zu entnehmen, daß wir - wie früher - wiederum einen Schienenbonus für die Schienenwege vorgesehen haben, aber nicht deshalb, weil wir der Schiene einen Vorteil gegenüber der Straße einräumen wollen, und auch ganz besonders nicht deshalb, weil wir in erster Linie mit diesem Bonus das Bundesunternehmen Deutsche Bundesbahn in einen Vorteil bringen wollen, sondern es gibt vielmehr objektive Gründe, die es erfordern; denn der Schienenverkehrslärm ist gegenüber dem Straßenverkehrslärm schon allein dadurch benachteiligt, daß durch die Verwendung der
Maßgröße für den Schienenverkehrslärm Nachteile entstehen. Bei der Verwendung dieser Maßgröße werden nämlich die tieferen Frequenzen erheblich unterdrückt, das heißt, für die Geräusche mit einem starken Anteil tiefer Frequenzen - und dazu gehören die Geräusche aus dem Straßenverkehrslärm - wird das Meßergebnis reduziert. Damit ist es nach der Aussage der Wissenschaftler durchaus geboten, den Schienenverkehrslärm mit einem Bonus zu versehen, den die Wissenschaft etwa bei 5 Dezibel ansetzt. Deshalb erscheint es uns nur recht und billig, diese Benachteiligung im Meßverfahren auszugleichen.
Der beste Lärmschutz, meine Damen und Herren, ist jedoch der, den Lärm erst gar nicht entstehen zu lassen.
({5})
Es ist übrigens auch volkswirtschaftlich völlig unsinnig, für den Lärmschutz enorme Investitionen vorzunehmen, ohne gleichzeitig den Versuch zu machen, lärmmindernde Maßnahmen zu ergreifen.
({6})
Das ist ein Appell an die Automobilhersteller, noch mehr als bisher den Lärm an der Quelle, den Lärm am Kraftfahrzeug, zu reduzieren.
({7})
Es ist aber auch ein Appell an unsere Stadt- und Verkehrsplaner; denn eine wesentliche Verbesserung der Verkehrsumwelt läßt sich durch Verkehrsberuhigungsmaßnahmen erreichen. Verkehrsberuhigungsmaßnahmen als umfassender Umweltschutz dienen gleichzeitig auch der Lärmminderung.
Über die heute bekannten Möglichkeiten der Verkehrsberuhigung hinaus gibt es mit Sicherheit weitere Maßnahmen. Wir alle - Automobilhersteller, Stadtplaner, Verkehrsteilnehmer und Politiker - müssen nur unsere Phantasie und unsere Kreativität in eine andere als die bisher übliche Richtung lenken. Umdenken tut not auch beim Lärmschutz.
({8})
So müssen doch unsere Automobilhersteller stolz darauf sein, ein Automobil konstruiert zu haben, das sich zwar nicht in sechs Sekunden von 0 auf 100 km pro Stunde beschleunigen läßt, aber schadstoffarm fährt und sogar mit einem Motor ausgerüstet ist, der sich bei niedriger Geschwindigkeit im Stadtverkehr noch elastisch fahren läßt.
Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schlußsatz.
Wir müssen doch stolz darauf sein, Wohngebiete geplant zu haben, in denen die Kinder mehr Rechte als das Automobil haben. Und wir müssen als Verkehrsteilnehmer stolz darauf sein, wenn wir mal auf das Fahrrad umsteigen, und wir müßten als Politiker stolz sein, wenn es uns gelänge, noch in dieser Legislaturperiode ein gutes
und ein wirksames Verkehrslärmschutzgesetz zu verabschieden.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben schon genug über die Gefahren des Lärms gehört. Die Lärmbekämpfung ist nach dem Kriege nicht zügig genug vorgenommen worden. Ich habe mich auch manchmal über das Verhalten der Automobilhersteller - lärmarme Kraftfahrzeuge - geärgert. Das alles wissen wir. Wir wissen, welche Auswirkungen Lärm auf Gesundheit, auf die Planung unserer Städte und den Wohnwert unserer Städte hat. Deshalb ist es nützlich, daß wir uns hier unterhalten.
Auch ich bin der Meinung, daß zu viel auf der Straße transportiert wird. Nur, Ihr Mittel, Ihr Instrument ist völlig falsch. Ich bin auch der Meinung, daß man jetzt mal überlegen muß, ob man in reinen Wohnbereichen mit der Geschwindigkeit nicht drastisch heruntergeht.
({0}) Das sind Fragen, die auch wir diskutieren.
Es hat bei den ganzen Bemühungen um Lärmschutz neben wesentlichen Fortschritten in der vorigen Koalition auch einen Rückschlag gegeben, und an dem Rückschlag war auch die damalige Opposition beteiligt. Ich erinnere mich noch gut, wie mein Kollege Hoffie gekämpft hat. Das Ergebnis des Vermittlungsausschusses war dann unzureichend. Sie, die beiden großen Parteien, hätten es akzeptiert. Es ist dann aber nicht zustande gekommen, und zwar aus Kostengründen, die die Länder und Gemeinden vorgetragen haben. Und die Kollegen von der SPD nehmen doch nicht im Ernst an, daß ihre eigenen Länder jetzt das annehmen, was sie hier vorgeschlagen haben. Denken Sie doch einmal an die Finanzsituation in Nordrhein-Westfalen! Das, was Sie vorgeschlagen haben, würde eine Verdoppelung bis Vervierfachung der Kosten bedeuten. Das ist so nicht möglich.
Nun zur Frage eines Gesetzes: Ich sage, es geht, es läuft ohne Gesetz.
({1})
- Ich möchte nicht, vielen Dank. - Es gibt die Richtlinien, die 1983 aufgestellt worden sind und die für die neuen Straßen gelten. Sie haben Rechtseinheitlichkeit bewirkt; es ist keine Abweichung festzustellen. Der Bund hat die Richtlinien quasi vorgeschrieben, und sie gelten in der praktischen Anwendung.
Und wir haben jetzt eine bemerkenswerte Entscheidung der Koalition im Haushaltsausschuß: Ab 1986 werden die Lärmwerte in empfindlichen, in schutzwürdigen Bereichen und reinen Wohngebieten bei bestehenden Bundesfernstraßen um 5 Dezibel gesenkt. Sie müssen sich bitte vorstellen, daß das menschliche Gehör 10 Dezibel als eine Verdoppelung empfindet. Das ist also eine drastische Herabsetzung durch Haushaltsmittel des Bundes. Hier wird eine Priorität für den Lärmschutz gesetzt. Das ist praktisches Handeln. Wozu brauchen wir Gesetze, wenn wir handeln können? Wir können es ja, und es wird auch im Rahmen der Möglichkeiten getan.
({2})
Die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei haben Finanzierungsvorschläge gemacht.
({3})
Ich habe Bedenken gegen die Finanzierungsvorschläge Ihres Programms „Arbeit und Umwelt". Auch die Sachverständigen haben Ihnen gegenüber hier in Bonn vor einigen Tagen solche Bedenken geäußert. Wollen Sie denn die Abgaben, die Steuern weiter erhöhen? Wir haben das Verursacherprinzip, und auch der andere Weg, den wir jahrzehntelang gegangen sind, ist viel besser. Die Mineralölsteuer haben wir doch jetzt erhöht.
({4})
Im übrigen steht in Ihrem Antrag ein Satz, den Sie zurücknehmen müssen. Es steht da sinngemäß, der Bundesfinanzminister habe auf Grund der Mineralölsteuerspreizung zugunsten des bleifreien Benzins einen Überschuß gemacht. Ich hoffe, daß dieser Überschuß jetzt nach den neuesten Beschlüssen zugunsten des Umweltschutzes abfließt. Also, Ihre Finanzierung steht wirklich auf tönernen Füßen.
Ich halte den Weg, den die Bundesregierung jetzt geht, für richtig. Ich meine, wir sollten ihn so fortsetzen. Hier werden wirklich praktische Erfolge erzielt. Es ändert alles nichts daran, daß wir alle, meine Kollegen, auch Sie von den GRÜNEN, Lärm erzeugen
({5})
- wir steigen gleich ins Auto -; wir sollten den Leuten nichts vormachen. Es muß an der Quelle des Übels angesetzt werden:
({6})
beim Auto, beim Straßenbelag, bei den Reifen; da gibt es Forschungsvorhaben. Nur, so wie Sie das hier vorgeschlagen haben, Herr Senfft, nämlich den großen Hammer zu nehmen, geht das nicht. Wir sind auf dem richtigen Wege.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Schmidbauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag, den die SPD zum Verkehrslärm vorgelegt hat, verleitet, Herr Kollege Daubertshäuser, in der Tat zur Betrachtung der Beratung vom März 1980. Ich
bin Ihren Ausführungen mit großer Aufmerksamkeit gefolgt und meine, daß Ihre Position im März 1980 in der Tat die war, die Sie auch heute hier vertreten haben. Nur, wenn wir die Position der SPD von heute, so wie der Antrag formuliert ist, mit ihrer damaligen Position vergleichen, dann müssen wir feststellen, daß hier ein eklatanter Wechsel eingetreten ist.
In Ihrem heutigen Antrag ist von der damaligen Position wenig zu spüren. Sie fordern heute nach dem Motto „schneller", „schärfer" und stellen diese Forderung heute auf, auch wenn es technisch nicht machbar ist. Herr Kollege Daubertshäuser, ich würde Sie bitten, die technischen Angaben in Ihrem Antrag einmal zu überprüfen. In diesem Antrag wird zum Teil auch der Versuch gemacht, Ladenhüter in neuer Verpackung zu verkaufen. Da die Argumente Emissionsminderung in Verbindung mit Tempolimit nicht mehr so richtig greifen, wird jetzt der Lärm als Pseudoargument herangezogen.
({0})
Nur muß man wissen - und das wissen Sie sehr genau
({1})
- ob Sie es wissen, weiß ich nicht; ich bin mir fast sicher, daß Sie davon überhaupt nichts verstehen, so wie Sie heute dazu geredet haben -:
({2})
Lärm ist ein örtliches Problem. Wenn an Außerortsstraßen und an Autobahnen Lärmprobleme auftreten, können bereits heute die Straßenverkehrsbehörden Geschwindigkeitsbegrenzungen einführen.
({3})
Allerdings - das muß auch gesagt werden - sind die möglichen Verbesserungen durch ein Tempo 80 und 100 minimal. Sie betragen genau 1 dB. Daß das als Maßnahme nicht ausreicht, müssen Sie inzwischen auch erkannt haben. Deshalb werden in der Praxis aus Lärmschutzgründen auch niedrigere Geschwindigkeiten vorgeschrieben.
Mit der Verordnung über die versuchsweise Einführung einer Zonen-Geschwindigkeitsbegrenzung vom Februar 1985 ist, so denke ich, ein ausreichendes Instrument zur Einführung von örtlichen Tempo-30-Zonen gegeben. Es sei aber an dieser Stelle auch darauf hingewiesen, daß Geschwindigkeitsreduzierung nicht immer mit Lärmminderung gleichzusetzen ist. Wenn Sie ein Beispiel brauchen: 32 Pkw mit 2 000 Umdrehungen sind genauso laut wie 1 Pkw mit 4 000 Umdrehungen.
In dem SPD-Antrag werden zwei wichtige Bereiche nicht angesprochen; auch insoweit möchte ich mich an Sie wenden, Herr Kollege Daubertshäuser. Erstens sprechen Sie nicht die Erziehung zu lärmarmer, energiesparender Fahrweise an - das gehört mit in ein Maßnahmenbündel - und zweitens nicht die Überwachung der Fahrzeuge im Verkehr, insbesondere die der motorisierten Zweiräder.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Senfft?
Am Ende bitte, kurz vor Schluß.
Dann müssen Sie daran erinnern.
Ich tue das gern.
Hierauf legt die SPD offensichtlich aber keinen großen Wert. Sie zielt offensichtlich nur darauf ab - das finde ich bei Ihren Ausführungen an sich schade -, ein Verkehrslärmschutzgesetz zu verabschieden, allerdings - das wiederhole ich - mit unrealistischen und zum Teil technisch nicht machbaren Grenzwerten.
In diese Richtung geht auch ein Antrag des Landes Hessen, der aber im Bundesrat offensichtlich keine Mehrheit finden wird. Wenn ich etwas Positives zu Hessen im Unterschied zu heute morgen sagen kann, so dies, daß in diesem hessischen Entwurf wenigstens von realistischen Grenzwerten ausgegangen wird. Es wird nicht wie im SPD-Antrag nach Rasenmähermethode vorgegangen und eine Reduzierung aller Werte um 5 bis 7 dB verlangt; übrigens im Gegensatz zu Ihrem eigenen Entwurf 1980. Das ist die Schwäche dieses Entwurfs. Ich sage das ohne Polemik; denn ich habe auf Grund der beiden Ausführungen von Ihnen heute erkannt, daß wir hier in der Tat ein Stück weiterkommen. Sachlich sind wir nicht weit auseinander. Aber wir müsen überlegen, ob wir die Werte, die Sie in dem Antrag angeben, technisch überhaupt realisieren können.
Die Bundesregierung - das ist vorhin vom Kollegen Hanz gesagt worden, auch wenn er mißinterpretiert wurde - hat sehr rasch gehandelt. Wir haben in der Tat Mitte 1983 Richtlinien eingeführt, die es erlauben, neue Grenzwerte anzugehen.
Inzwischen ist eine neue Situation durch das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. März 1985 zur Lärmvorsorge eingetreten, das erst im September bekanntgeworden ist. Danach müssen wir uns überlegen - wir sind dabei, das zu tun -, ob wir nicht im Rahmen des § 43 Abs. 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes eine Rechtsverordnung erlassen müssen, die angemessene Grenzwerte für die Lärmvorsorge normativ festlegt. Hier ist eine Grauzone entstanden; denn die Richtlinien reichen nicht aus, und das neueste Urteil sagt ja deutlich, daß das geändert werden müsse. Ich denke, wir müssen hier in der Tat ein Stück weiterkommen.
Wenn ich den Antrag der SPD kurz werten darf, dann meine ich, daß die quantitativen Forderungen in allen Punkten überzogen sind, sowohl was Lärmvorsorge als auch Lärmsanierung, sowohl was Straße als auch Schiene betrifft. Sie sind kaum finanzierbar und bedeuten in der Praxis eine ausgedehnte Bepflasterung der Bundesrepublik Deutschland mit Schallschutzwänden. Auch das wurde von Ihnen - daran zeigt sich, daß Sie auch Ästheten in der Fraktion haben - im Haushaltsausschuß festSchmidbauer
gestellt, wo Sie ausgeführt haben: häßlicher Schallschutz an Bundesautobahnen.
Welches ist aber jetzt der richtige Weg? Ich denke, nicht die Forderung nach überzogenen Sekundärmaßnahmen, und zwar Sekundärmaßnahmen um jeden Preis mit zum Teil umweltschädigenden Folgen, sondern die Durchsetzung von Primärmaßnahmen, d. h. Maßnahmen an der Quelle zur Emissionsminderung. Sie sagten das, und dem stimme ich ebenfalls zu. So wurden die Grenzwerte für Kraftfahrzeuge in den letzten zwei Jahren deutlich verschärft. Hier wird die Politik der Bundesregierung ja klar und deutlich. Während unter der SPD-Regierung noch Fahrzeuge in den Verkehr kommen konnten, und zwar bis zum Oktober 1983, die den Geräuschanforderungen von 1966 entsprachen, wurden unmittelbar nach Regierungsübernahme zum 1. Oktober 1983 schärfere Grenzwerte eingeführt. Und ab Oktober 1985, also in diesen Tagen; wurde zudem ein deutlich schärferes Meßverfahren verbindlich.
Darüber hinaus - das ist der SPD entgangen - sind auf Grund unserer Interventionen entsprechende EG-Richtlinien bereits verabschiedet und werden neue, schärfere Grenzwerte eingeführt, die zum Oktober 1989 bzw. 1990 EG-weit in Kraft treten. Dies bedeutet besonders für die lästigen Lkw-Geräusche eine Verschärfung der Anforderungen und führt damit zu einer Reduzierung des Lärms um 90 %. Um das zu verdeutlichen: 10 Lkw des Jahrgangs 1990 werden zusammen nur so laut sein wie ein einziger Lkw des Jahrgangs 1980. Auch hier wird deutlich, was wir inzwischen erreicht haben.
In Großbritannien wird ein Forschungsprogramm mit 10 Millionen Pfund aufgelegt und der Industrie zur Verfügung gestellt, allein um diese EG-Grenzwerte einzuhalten. Man sieht also deutlich, daß hier ziemlich hohe Anforderungen für die Zukunft gestellt werden.
Zusätzlich haben wir in die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, die am 1. Dezember 1984 in Kraft getreten ist, den Begriff des lärmarmen Lkw aufgenommen. Auch damit werden höhere Anforderungen an die Geräuschdämmung gestellt.
Die Forderungen des SPD-Antrags, die noch darüber hinausgehen - nach bewährtem Muster einfach 2 bis 5 dB weniger fordern -, sind technisch nicht machbar. Ich will das an Beispielen aus dem Pkw-Bereich kurz demonstrieren. Bereits die Reifengeräusche liegen in der von der SPD gewünschten Größenordnung. Um ein weiteres Beispiel zu nennen: Nur ein Golf ohne Motor könnte Ihre Grenzwerte erreichen. Und das wird wohl nicht Sinn und Zweck Ihres Antrags sein.
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Dies zeigt erneut, daß hier relativ realitätsfern gedacht wird und daß der umweltpolitische Sachverstand sich noch nicht durchgesetzt hat.
({1})
- Ich kann Ihre Frage leider nicht zulassen, weil meine Redezeit zu Ende geht. Ich würde es gern tun
- im Unterschied zu Ihnen.
Der Kollege Hauff, der j a immer dann nicht da ist, wenn es um die Dinge geht, die er nach außen vertritt, hat damals, als er noch Verkehrsminister war, den Antimanipulationskatalog aus unerfindlichen Gründen verhindert. Nachdem wir an die Regierung gekommen waren, haben wir hier sofort gehandelt und haben damit auch bei Mopeds und Mofas natürlich einen Fortschritt erreicht.
Herr Abgeordneter, Sie haben vorhin gesagt, Sie wollen am Schluß Zwischenfragen zulassen.
Ich will jetzt noch einen Satz sagen, den Schlußsatz. Ich komme eh nicht hin. Danach, wenn Sie es nicht anrechnen: Zwischenfragen.
Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Anträge der Opposition keine neuen sachlichen Hinweise enthalten, wohl aber die Ansätze der beiden Vorredner von der SPD Anlaß geben, daß wir in der Beratung dieser Problematik mit Ihnen - das hoffe ich - ein gutes Stück weiterkommen werden.
Herzlichen Dank.
Ich lasse jetzt die Zwischenfragen zu. Ich war noch in der Zeit.
Eine lasse ich zu. Es sind noch elf Sekunden. Bitte schön, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Kollege Schmidbauer, wir wollen ja versuchen, hier wirklich zu gemeinsamem Handeln im Sinn der Bürger zu kommen. Das finde ich bei Ihrem Beitrag sehr gut.
({0})
Stimmen Sie mit uns darin überein, daß der beste Lärmschutz an der Quelle eine wirklich alternative Verkehrspolitik wäre, wo wir gemeinsam aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, z. B. mit einem eindeutigen Vorrang für die Bundesbahn gegenüber dem Güterverkehr auf der Straße?
({1})
Wenn Sie mir zugehört haben, haben Sie gehört, daß ich dargestellt habe, welche Bemühungen wir gemacht haben, um hier ein Stück voranzukommen. Wenn Sie mit alternativen Bemühungen Ihre eigenen Bemühungen und die Bemühungen, die in Ihren Anträgen stehen, meinen, kann ich dem beim besten Willen nicht zustimmen. Aber darauf wird nachher Herr Kollege Haungs eingehen. Ich habe mich, wie Sie bemerkt haben, mit den GRÜNEN heute nicht beschäftigt. Sie tun mir in dem Zusammenhang, was den Sachverstand Ihrer Anträge angeht, ein bißchen leid.
Deshalb habe ich mich heute nur mit der SPD auseinandergesetzt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Antretter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Herrn Kollegen Schmidbauer möchte ich sagen, daß der Kollege Volker Hauff sich als einziger Deutscher bei der UNO-Umweltkonferenz in Kolumbien befindet, zu der er wegen seines Sachverstands eingeladen wurde.
({0})
Ich möchte gerne auf den Punkt eingehen, der heute ein bißchen zu kurz gekommen ist: Wie sieht es eigentlich bei den Menschen aus, die davon betroffen sind? Was geschieht bei ihnen? Schon lange vor der Lärmtaubheit oder Gehörlosigkeit - so sagen uns die Fachleute - setzen vegetative, psychische und physiologische Störungen ein. Im Laufe der Zeit werden im Ohr die Zellkerne der Sinneszellen zerstört. Dies ist dann weder durch Operationen noch durch Hörgeräte reparabel. Der Betroffene bleibt lebenslang taub. Diese Taubheit bildet die brutalste Behinderung, die es gibt.
({1})
- Ja, natürlich, Herr Kollege Schwörer. Bei manchen tritt es auch nicht gleich ein; da muß man zuerst noch den kleinen Mann im Ohr wegnehmen.
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Eines Tages
- hat um die Jahrhundertwende der Berliner Seuchenforscher Robert Koch vorhergesagt wird der Mensch den Lärm ebenso unerbittlich bekämpfen müssen wie die Cholera und die Pest.
Ich glaube, dieser Tag ist da. Darum ist es angemessen, daß wir über dieses Thema sehr ernsthaft diskutieren.
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Natürlich hat sich der Lärm längst zu einer Volkskrankheit ausgewachsen. Weit mehr als die Hälfte der Bevölkerung in der Bundesrepublik fühlt sich schon heute durch den Lärm erheblich belästigt. Dabei Ist, wie alle Umfragen zeigen, der Straßenverkehr die Lärmquelle Nr. 1, und so müssen wir sie auch angehen.
Wir sehen auch hier wieder, meine Damen und Herren: Wie alle Technik ist das Auto beides, Beleg unseres Wohlstandes und zugleich Umweltbelastung, Sorgenkind der Umweltpolitik. Es ist Zugpferd der Konjunktur und Barometer für den Zustand unserer Wirtschaft. Diese Zugpferdrolle der Autoindustrie, meine Damen und Herren, wird auch in den nächsten Jahren bleiben, wenn das umweltfreundlichere Auto verstärkt auf den Markt kommt. Natürlich wissen wir: Jeder siebente Arbeitsplatz in der Bundesrepublik hängt direkt oder indirekt vom Auto ab. Und wem wäre die Sicherung von Arbeitsplätzen und die Schaffung von Arbeitsplätzen wichtiger als den Sozialdemokraten in diesem Haus?
Wir brauchen natürlich auch in Zukunft Autos. Dies kann keine Frage sein. In einem Land wie der Bundesrepublik mit seiner großen Zersiedelung ist es überhaupt nicht möglich, jeden Ort mit dem öffentlichen Nahverkehr auf der Schiene oder mit dem Bus zu erreichen. Wir werden immer auf das Auto angewiesen sein. Das ist überhaupt keine Frage.
Die Märkte der Zukunft, meine Damen und Herren, gehören aber auf jeden Fall dem umweltfreundlicheren. Kraftfahrzeug.
Herr Abgeordneter, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Senfft?
Bitte, gern, Herr Senfft.
Bitte schön.
Zu der Frage der Pkw: Selbstverständlich brauchen wir auch in Zukunft Autos. Sind Sie der Auffassung, daß wir in Zukunft die angepeilte Zahl von 30 Millionen Pkw wirklich brauchen, oder können Sie sich andere Verkehrssysteme oder eine andere Aufteilung feststellen, auf Grund deren diese hohe Zahl nicht mehr notwendig ist?
Ich kann mir vorstellen, Herr Kollege Senfft, daß man durch eine weit bessere Attrahierung des öffentlichen Personennahverkehrs die Entwicklung von selbst in eine vernünftige Richtung lenkt. Natürlich wird es nicht sinnvoll sein, wenn jede deutsche Familie drei oder vier Autos hätte. Vernünftig wird sein, dem Auto den Platz zu geben, den es als ein Fortbewegungsmittel zu beanspruchen hat, ohne das wir nicht auskommen, aber nicht den eines Fortbewegungsmittels, bei dem in erster Linie Geschwindigkeit, Hochgeschwindigkeit, Styling eine Rolle spielen, nicht den eines Fortbewegungsmittels, das auf vierspurige Trassen angewiesen ist. Wir müssen vernünftig überlegen: Wie machen wir alles eine Nummer kleiner, damit es diesen Platz auch ausfüllt, ohne daß wir es verteufeln müßten?
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Die öffentliche Diskussion hat sich bereits in den letzten Jahren der vom Auto ausgehenden ökologischen Probleme angenommen. Aber es ist eben so, daß sich heute leider viel mehr um die PS-Zahlen, das Sprintvermögen, äußerstenfalls noch um den Benzinverbrauch kümmern als um das Abgasverhalten, den Lärm oder die Sicherheitssituation kümmern.
Ich bin überzeugt: Eine umweltorientierte Absatzstrategie wird sich auch für die Automobilindustrie lohnen; denn es gibt bereits heute einen überzeugenden Markt für umweltfreundliche ProAntretter
dukte, auch wenn ihn die Industrie noch nicht überall entdeckt hat. Das Umweltbewußtsein unserer Bevölkerung ist jedenfalls heute schon sehr ausgeprägt, und ich bin sicher: Es wird noch wachsen.
Meine Damen und Herren, ich würde es begrüßen, wenn sich die Marketing-Leute, die sich heute in Frankfurt zu ihrem Kongreß zusammenfinden, auch einmal Gedanken darüber machten, wie man Bedürfnisse nicht nur wecken kann, um der Industrie zu helfen, sondern z. B. um unsere Lebensgrundlagen für das nächste Jahrtausend zu sichern.
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Meine Damen und Herren, es kann keinen Zweifel geben: Beim Thema „Auto und Umwelt" geht es nicht nur um Lärmgrenzwerte, Schadstoffstandards, Verbrauchszahlen oder Produktionsziffern; es geht auch um die Zukunft des Verkehrsmittels Auto selbst, des zentralen Verkehrsmittels unserer Industriegesellschaft. Die Zukunft dieses Verkehrsmittels hängt natürlich von entsprechenden Fortschritten in puncto Reduzierung der Umweltbelastung ab. Die Industrie muß sich dabei gewiß stärker, als es bisher geschehen ist, auf ihre innovative und kreative Führungsrolle besinnen. Sie hält sich auf ihre Flexibilität und auf ihre Innovationskraft etwas zugute, und sie muß auch bei der ökologischen Neuorientierung unseres Verkehrswesens ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen.
Nur derjenige verdient in unserer Zeit die Qualifikation des Unternehmers, der wirklich innerlich verstanden hat, daß unsere Verantwortung für die Umwelt eben nicht als eine von Politikern auferlegte Fessel, sondern als eigenständige, originäre Mitverantwortung und damit als Aufgabe, als Herausforderung angenommen werden muß.
So sagte Edzard Reuter, Mitglied des Vorstands der Daimler-Benz AG, bereits Anfang der 80er Jahre.
Meine Damen und Herren, der Autolärm geht den hochmotorisierten Deutschen mittlerweile so sehr an die Nerven, daß heute die Mehrheit unserer Bürger den Schutz vor Lärm für wichtiger hält als den Bau neuer Straßen. Der Lärmschutz muß also ganz wesentlich intensiviert werden. Dabei ist wichtig, zu wissen, daß schärfere Lärmschutzbestimmungen keinesfalls Arbeitsplätze gefährden; im Gegenteil, sie sichern Arbeitsplätze und schaffen neue, und zwar nicht nur in der Bauindustrie, sondern auch und vor allem in der Fahrzeugindustrie; denn der Bekämpfung des Lärms an der Quelle kommt natürlich ein ganz besonderer Stellenwert zu. Es ist sicherlich der richtigere Weg, den Lärm vom Entstehungsort her erst gar nicht nach außen dringen zu lassen, als die Menschen mit Ohrenschützern auszurüsten.
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Auch wenn der erstgenannte Weg etwas schwieriger und teurer ist, muß er begangen werden, denn er verspricht gute Resultate. Wir fordern deshalb in unserem Antrag die Bundesregierung auf, die
Lärmbekämpfung an der Quelle entscheidend zu forcieren.
Meine Damen und Herren, gerade in dem für den Menschen so lästigen Bereich des Mofa-, Moped- und Kleinkrafträderlärms gibt es keine EG-Richtlinie. Die Lärmgrenzwerte müssen deshalb durch Änderung der nationalen Vorschriften entscheidend reduziert werden. Hier erwarten wir von der Bundesregierung industriepolitische Schrittmacherdienste. Zwar hat - dies ist unbestritten - der Antimanipulationskatalog zu einer gewissen Lärmminderung beigetragen; die deutsche Industrie hat jedoch mittlerweile wesentlich lärmärmere Zweiräder entwickelt, deren Großeinsatz ich für wünschenswert halte, und zwar aus Umweltschutzgründen, aus Gründen der Arbeitsplatzschaffung und Arbeitsplatzsicherung und auch aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit unserer Industrie im Ausland, denn wir stehen auf diesem Gebiet offenbar sehr gut da.
Nun wurde hier vom Kollegen Schmidbauer behauptet, wir hätten, was die Geschwindigkeitsbegrenzung betrifft, eine unklare Linie. Herr Kollege Schmidbauer, ich muß Sie an diesem Punkt korrigieren. Für uns war die Geschwindigkeitsbegrenzung stets ein Instrument mit dreifacher Wirkung:
Erstens. Wir wollen weniger Verkehrstote in diesem Land. Wir wissen, daß wir - so makaber das klingt - die Weltmeister im Kindertotfahren sind. Deshalb sagen wir: Tempo 30 in Wohngebieten!
Zweitens. Wir wissen, daß der Kraftfahrzeugverkehr durch die Stickoxide zu einem guten Teil zum Waldsterben beiträgt. Deshalb sagen wir: Da, wo am meisten Stickoxide emittiert werden, nämlich auf den Autobahnen und auf den Bundesfernstraßen, herunter mit der Geschwindigkeit!
Drittens haben wir stets die Position vertreten und halten sie auch heute noch für richtig, daß auch im Lärmbereich eine Geschwindigkeitsreduzierung ihre Wirkung tun kann.
Dies ist unsere Position zum Thema „Geschwindigkeitsbegrenzung".
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidbauer?
Gerne. Bitte, Herr Kollege.
Herr Kollege, Sie haben mich offensichtlich mißinterpretiert. Ich habe festgestellt, daß ein Tempolimit von 80/100 für die Lärmreduzierung nur Minimales bringt, nämlich 1 dB, und deshalb habe ich ausgeführt, daß dies ein Pseudoargument ist.
Da muß jetzt aber ein Fragezeichen kommen, Herr Kollege.
Ich wollte das nur feststellen.
Das geht nicht.
Ich könnte das auch in Frageform kleiden, Herr Präsident, aber ich will es abkürzen.
Daß es abgekürzt wird, will ich zulassen.
Ich will es gerne als Frage aufgreifen, Herr Kollege Schmidbauer, und Ihnen das sagen, was dazu zu sagen ist. Beim Pkw ist es beispielsweise so: Das Lärmgeräusch des Fahrzeugs ist so groß, daß erst bei über 50 km/h das Rollgeräusch größer wird. Beim Lkw wird erst bei über 80 km/h das Rollgeräusch größer. Dies sind doch, glaube ich, eindrucksvolle Daten, die man zur Grundlage einer solchen Aussage und eines solchen Antrages machen kann.
Meine Damen und Herren, ein ganz wesentlicher Faktor in einem umfassenden Konzept zur Förderung lärmarmer Fahrzeuge, meine ich, muß die Erhöhung der Marktchancen durch ökonomische Anreize sein. Ich möchte hier, weil ich jetzt natürlich durch meine Bereitschaft zur Beantwortung von Zwischenfragen in Zeitverzug gekommen bin, darauf hinweisen, daß wir in Reichenhall ein hervorragend funktionierendes Modell haben. Ich möchte die Bundesregierung ermuntern, auf diesem Wege fortzufahren, woanders ähnliche Modelle einzurichten. Ich habe das Gefühl, daß der Benutzervorteil, den man dem lärmärmeren Fahrzeug einräumt, ein wichtiges Instrument, eine gute Gelegenheit ist, um zu weniger Lärm in unserer Republik zu kommen.
Lassen Sie mich jetzt etwas abrupt zum Schluß dieser weithin doch sehr sachlich geführten Debatte sagen, meine Damen und Herren: Der Antrag, den wir vorgelegt haben, verdeutlicht, glaube ich, eindrucksvoll, daß der Gesamtkomplex Lärmbekämpfung nur mit einer umfassenden Paketlösung zu bewältigen ist. Eine humane Gesellschaft braucht auch eine menschenwürdige Umwelt. Unser Antrag „Schutz vor unzumutbarem Verkehrslärm" wird, glaube ich, einen guten Beitrag dazu leisten. Ich wäre froh, wenn die Debatte im Ausschuß so konstruktiv wie weithin heute vormittag im Plenarsaal verlaufen würde.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Dr. Schulte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte in ganz, ganz wenigen Worten vier Feststellungen zu der Frage Verkehrslärm und zu dem Antrag der SPD treffen:
Erstens. Die Richtlinien für den Straßenbau aus dem Jahre 1983 haben eine Verbesserung gebracht. Sie haben sich bewährt, sie sind erfolgreich. Kein Bundesland baut schlechter, als es diese Richtlinien ausweisen. Keine Gemeinde in der Bundesrepublik Deutschland hat schlechtere Lärmgrenzwerte, als in diesen Richtlinien steht. Die Deutsche Bundesbahn hält sich bei ihren Neuinvestitionen genauso an konkrete Werte. Deswegen brauchen wir kein Gesetz, wie dies im SPD-Antrag gefordert wird.
Zweitens. Der Bund stellt in diesem Jahr 260 Millionen DM für Schutz gegen Verkehrslärm zur Verfügung. Diese Zahl ist heute noch nicht genannt worden, aber Sie sehen daran, wie ernst es der Bundesregierung ist, den Verkehrslärm auch über das Verkehrsministerium zu bekämpfen.
Drittens. Der Haushaltsausschuß hat kürzlich beschlossen, daß die Lärmgrenzwerte an bestehenden Straßen um 5 Dezibel gesenkt werden. Ich habe in den Reden der drei SPD-Abgeordneten nichts davon gehört. Offensichtlich stimmt die Kommunikation mit Ihren Haushaltspolitikern nicht mehr. Dies wird eine erhebliche Verbesserung bringen.
Viertens möchte ich feststellen, daß die von Ihnen in Ihrem Antrag geforderten Absenkungen bei den Lärmgrenzwerten je nach Kategorie das Zwei- bis Vierfache von dem kosten, was wir in diesem Jahr für die Bekämpfung des Verkehrslärms bereitgestellt haben. Wer solche Anträge stellt oder wer so wenig rechnet, stellt sich offensichtlich auf eine lange Oppositionszeit ein.
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Das Wort hat der Abgeordnete Haungs.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegen zwei Anträge der GRÜNEN zur Förderung umweltverträglicher Verkehrsmittel vor. Dahinter steckt - wie schon immer und auch schon bei früheren Anträgen zu den gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs - eine tiefsitzende Abneigung gegen das Auto. Rational ist dies alles nicht erklärbar. Die unbestreitbaren und allen sichtbaren individuellen und volkswirtschaftlichen Vorteile und Nutzen des Fahrzeugs werden nicht gesehen. Die Nachteile werden maßlos übertrieben. An die Arbeitsplätze in den Automobilfabriken, bei den Tausenden von Zulieferern, in den Kraftfahrzeugwerkstätten denken Sie bewußt nicht, wollen Sie nicht denken.
Sie fordern die Einführung einer Lkw-Verkehrsabgabe. Darüber kann man reden; darüber reden andere auch. Nur, man müßte es besser begründen. Und wenn man es wirklich gut begründet, kann man darauf verzichten, Verbände zu beschimpfen und Lkw-Fahrer zu kriminalisieren.
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Straßenbau und Straßenverkehr werden von Ihnen als Verursacher von Umweltbelastungen genannt. Deshalb behaupten Sie wider besseres Wissen, daß die Wegekosten durch Mineralölsteuer und Kraftfahrzeugsteuer nicht gedeckt werden, und deshalb fordern Sie, das Güterverkehrsvolumen auf der Straße zu verringern und auf die Schiene zu verlegen. Dieser Antrag - ich versuche, in der kurzen Zeit dies darzulegen - verkennt völlig die Grundbedingungen, unter denen eine arbeitsteilige Industriegesellschaft funktioniert. Wenn Sie dies alHaungs
lerdings nicht wollen, dann hat er eine gewisse innere Logik. Wenn Sie nicht wollen, daß unsere Bürger mobil sind, wenn Sie die Forderungen nach gleichwertigen Lebensbedingungen in den Regionen nicht wollen,
({1})
wenn Sie die Voraussetzungen für die Leistungskraft der Wirtschaft und des Wachstums der Wirtschaft nicht wollen und wenn Ihnen die Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen uninteressant sind, dann müssen Sie solche Anträge stellen.
({2})
Sie werden allerdings keine Mehrheiten dafür bekommen. Wir brauchen Investitionen in Verkehrswege, in Straßen und in Bundesbahnstrecken gleichermaßen. Daß diese Investitionen teurer werden als früher, liegt daran, daß wir richtigerweise dem Umweltschutz und den Aspekten des Umweltschutzes größere Bedeutung beimessen.
Wenn der Straßenverkehr - seien es der Personen- oder der Güterverkehr - bisher die Umwelt mit Lärm und Abgasen belastete, dann sind technische Innovationen gegen die Umweltbelastung beim Automobil notwendig. Deshalb brauchen wir hier ein offensives Konzept, sei es beim Pkw oder beim Lkw. Deshalb verstehe ich nicht, daß mein Vorredner von den GRÜNEN beklagt hat, daß wir Anreize zum Kauf des schadstoffarmen Autos geben. Das ist meines Erachtens der einzig richtige Ansatz. Ihrer ist der falsche.
({3})
- Auch dafür brauchen wir Anreize. Wir brauchen Anreize, schadstoffarme Autos zu kaufen, und wir brauchen Anreize, die Bundesbahn zu benutzen.
({4})
- Dann sind Sie einer der wenigen, die kein Auto brauchen. Fragen Sie mal Ihre grünen Freunde, wie sie zu den Demonstrationen kommen.
({5})
Wir brauchen Anreize, daß die Bundesbahn benutzt wird. Deshalb ist die derzeitige Politik der Bundesbahn zu begrüßen, weil sie zum erstenmal etwas tut, um - ich will das in kurzen Worten sagen - die Bundesbahn doppelt so schnell wie das Auto und halb so schnell wie das Flugzeug zu machen. Ich warte nur noch auf den ersten Antrag der Grünen, der fordert, die Geschwindigkeit der Bundesbahn auf den neuen Schnellstrecken zu begrenzen. Der wird wahrscheinlich auch noch kommen.
({6})
Ihren dirigistischen Ansatz, den individuellen Pkw- und Lkw-Verkehr zu begrenzen, halten wir für falsch.
({7})
Sie verkennen die Tatsache, daß sich heute 90% des
Personenverkehrs und 50 % des Güterverkehrs auf
den Straßen bewegen, dort mit zunehmender Tendenz abgewickelt werden.
({8})
Es ist ja nicht die Vorhersage der Regierung, daß sich der Straßenverkehr in der Zukunft noch mehr steigern wird, sondern es ist die Prognose eines unabhängigen Instituts.
({9})
Da wir wissen, daß die Nachfrage nach Straßengüterverkehrsleistungen in Zukunft wächst - trotz Leistungsverbesserng der Bahn, die wir wollen -, daß der Lkw-Verkehr weiter wächst, dann müssen wir natürlich auch für die Verkehrswege arbeiten.
({10})
Ich bitte Sie ja lediglich um etwas mehr Realismus, auch wenn es schwerfällt. Wenn wir für die Bundesbahn als umweltverträgliches Verkehrsmittel sind und ihr die finanziellen Möglichkeiten geben, damit sie ihre Neubaustrecken bauen kann, dann frage ich Sie, wieviel Grüne schon gegen den Bau neuer Verkehrsstrecken demonstriert haben.
({11})
Sie müssen einmal überlegen - ich bemühe mich ja, Ihren Antrag zu verstehen, auch wenn es nicht gelingt - was es rein theoretisch bedeuten würde, das Straßengüterverkehrsvolumen auf die Bahn umzulenken, und dafür die notwendigen Neubaustrecken zu errichten. Ich würde mich nicht wundern, wenn Sie an den Rändern der Neubaustrekken stehen und Ihre umweltfreundliche Bahn sehr schnell vergessen würden.
({12})
Investitionen im Straßenbau, vor allem Ortsumgehungen - das hat der Kollege Buckpesch gesagt -, sind notwendig.
({13})
Sie sind notwendiger, komplementärer Beitrag zu den fahrzeugtechnischen Innovationen der Automobilindustrie, bei Pkw und Lkw gleichermaßen.
Die Anträge der Grünen im Zusammenhang mit der europäischen Verkehrspolitik zu sehen ist äußerst schwer. Wenn von Ihnen behauptet wird, daß selbst bei Anerkennung von Kraftfahrzeug- und Mineralölsteuer der Lkw keinen ausreichenden Beitrag zu den Wegekosten bringe und man deshalb zusätzlich eine Lkw-Verkehrsabgabe fordern müsse, dann haben Sie völlig übersehen, daß der deutsche Lkw schon heute steuerlich im Europavergleich überbelastet wird. Es ist von wenig Sach12706
kenntnis getrübt, wenn auch nur an eine Kraftfahrzeugsteuererhöhung gedacht wird. Genau das Gegenteil ist richtig.
({14})
Wir müssen sie drastisch senken, um Wettbewerbsnachteile für das deutsche Gewerbe im Zuge der Liberalisierung zu verhindern.
({15})
- Doch, das habe ich.
Ich will Ihnen nur einmal eine Zahl vorlegen. Ein 38-t-Lastzug hat bei einer Jahresleistung von 100 000 km und einem Treibstoffverbrauch von 451 je 100 Kilometer
({16})
in Deutschland 37 130 DM Steuerbelastung, während er in dem Wettbewerbsland Niederlande auf 19 988 DM kommt.
({17})
Deshalb ist Ihre Behauptung einfach lächerlich, daß Pkw und Lkw ihre Wegekosten nicht decken und daß sie zu den größten Subventionsempfängern gehören.
({18})
Das kann man so nicht aufrechterhalten, bei aller Problematik, die Wegekostenberechnungen heute haben.
Unabhängig von verschiedenen zugrunde gelegten Rechnungsvarianten könnte man höchstens zu dem Schluß kommen, daß ausländische Nutzfahrzeuge ihre Wegekosten, wenn sie in der Bundesrepublik Deutschland fahren, nicht voll decken. Unter diesem Aspekt kann man darüber nachdenken, ob es bei der notwendigen Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen in der EG nicht sinnvoll wäre, bei massivem Abbau der deutschen Kraftfahrzeugsteuer auf ein europäisches Durchschnittsniveau einen Gebührenausgleich für alle gewerblichen Straßenbenutzer festzusetzen. Denn die derzeitige Regelung ausländischer Autobahngebühren ist und bleibt für tins völlig unbefriedigend. Ich entnehme dies allerdings nicht Ihrem Antrag. Insofern ist dieser Antrag wie auch der nächste, der sich mit dem Einbau von Geschwindigkeitsreglern befaßt, abzulehnen. Das wird von Fachleuten überwiegend abgelehnt, da eine Überprüfung von überhöhten Geschwindigkeiten über Fahrtenschreiber und Kontrollgeräte schon jetzt möglich ist. Auch hier haben Sie bei der Beurteilung des Vorschlags den Europaaspekt völlig übersehen.
({19})
Sie können diese Einführung nur national machen, nur am deutschen Auto, so daß die beklagte Überschreitung der Geschwindigkeit durch ausländische Fahrzeuge auch in Zukunft nicht zu verhindern ist. Sie bringen aber den deutschen Unternehmern, die schon jetzt in einer schwierigen Wettbewerbslage sind, Nachteile, wenn sie im Ausland zulässige höhere Geschwindigkeiten nicht fahren können.
({20})
Wenn Sie allerdings der Meinung sind, wie Ihre Diskussionsbeiträge und Ihre Zwischenrufe deutlich zeigen, daß in der Europäischen Gemeinschaft gar kein grenzüberschreitender Verkehr beim Abbau der Grenzen stattfinden sollte,
({21})
dann ist dies kein Beitrag zu einer konstruktiven Europapolitik. Sinnvoll wäre eine solche Lösung, wenn man sie wirklich ernsthaft will, nur im Rahmen einer europäischen Lösung, die für alle gleichermaßen gilt.
Sie haben die Kontrollmaßnahmen angesprochen. Damit will ich zum Ende kommen. Bei uns in der Bundesrepublik müssen wir ja beklagen, daß wir eine im Europavergleich weitaus höhere Dichte der Kontrolle haben als in anderen Ländern. Bei uns kontrollieren gleichermaßen die Verkehrspolizei, die BAG und das Gewerbeaufsichtsamt die Unternehmen. Es ist einfach nicht wahr, wie Sie gesagt haben, daß Lkw immer mehr wegen Geschwindigkeitsüberschreitungen an Unfällen beteiligt sind. Die Beteiligung von Lkw an Unfällen ist in den letzten 20 Jahren glücklicherweise zurückgegangen. Trotz der von Ihnen erwähnten spektakulären und traurigen Massenunfälle im Nebel, die nicht auf überhöhte, sondern auf unangepaßte Geschwindigkeit zurückzuführen waren,
({22})
haben wir im ersten Halbjahr 1985 einen absoluten Tiefpunkt bei den Unfällen erreicht. Das ist erfreulich. Im Laufe dieses Jahres - das hat uns die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen mitgeteilt - haben die Geschwindigkeitsüberschreitungen, die von Ihnen und uns gleichermaßen beklagt werden, deutlich abgenommen.
Deshalb: Beide Anträge von Ihnen sind nicht logisch, führen in der Sache nicht weiter und sind von uns abzulehnen.
({23})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu dieser Debatte nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/3654, 10/3644 und 10/3645 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude
- Drucksache 10/4042 Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß ({0})
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen Herr Dr. Häfele hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Regierungsentwurf zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude handelt es sich um einen weiteren Schritt der Bundesregierung zur Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen und damit für mehr Beschäftigung. Ich erinnere daran, daß am Anfang das Haushaltsbegleitgesetz 1983 stand. Als weitere Schritte folgten das Steuerentlastungsgesetz 1984 und das Steuersenkungsgesetz 1986/88, das schon seit Sommer dieses Jahres im Gesetzblatt steht.
Nun geht es um die Verkürzung der Abschreibungsdauer für Produktionsgebäude. Wir wollen vor allem aus zwei Gründen Verbesserungen vornehmen.
Einmal geht es um eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit. Die alten Abschreibungszeiträume von 50 Jahren sind durch die Lebenswirklichkeit überholt. Technischer Fortschritt und wirtschaftlicher Wandel sowie die Anpassung an neue Bedürfnisse lassen heute viel kürzere Abschreibungsfristen als früher geboten erscheinen.
Zweitens wollen wir mit zu einer Verstetigung der Bautätigkeit beitragen. Auch der Bauwirtschaft ist nicht mit Wechselbädern gedient. Deshalb ist eine dauerhafte - nicht befristete - Verbesserung, auf die sich die Unternehmen einstellen können, ganz entscheidend.
Im einzelnen ist vorgesehen, den Abschreibungszeitraum von 50 auf 25 Jahre herunterzusetzen. Damit werden die linearen jährlichen Abschreibungssätze von 2 % auf 4 % verdoppelt. Bei der degressiven Abschreibung gibt es natürlich eine entsprechende Anpassung. In den ersten vier Jahren wird die Abschreibung auf immerhin 40 % gegenüber bisher nur 20 % angehoben. Das bedeutet einen gewaltigen Anreiz gerade in der Anlaufphase.
({0})
- Wollen Sie nicht mehr Beschäftigung, Herr Kollege? Wollen Sie Ideologie oder mehr Beschäftigung?
({1})
Wir wollen dieses Thema jetzt nicht ausweiten. Ich kenne Ihre Ideologie. Wir wollen hier praktisch handeln.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, wir wollen hier handeln und uns nicht mit Ideologen auseinandersetzen.
Zugleich wird der Fördervorsprung der für das Zonenrandgebiet und Berlin besteht, etwas ausgeweitet. Man soll sich in diesen Bereichen bei der Förderung nicht benachteiligt vorkommen. Ich möchte aber vor weiteren Verbesserungen warnen. Die Anreize in Berlin und im Zonenrandgebiet sind so gewaltig - gerade in den ersten Jahren -, daß wir hier nicht zuviel des Guten tun dürfen. Auch hier müssen wir maßhalten.
Um keine Abwartehaltung zu erzeugen, haben wir ferner den Begünstigungsstichtag so bemessen, daß die Verbesserungen schon für solche Wirtschaftsgebäude gelten, für die der Bauantrag nach dem 31. März dieses Jahres gestellt ist. Jeder kann sich darauf verlassen, daß daran nichts mehr geändert wird. Alle entsprechenden Vorhaben werden also erfaßt. Wir werden die Regelungen selbstverständlich - die beiden Koalitionsfraktionen haben das dankenswerterweise schon bekundet - auch in den Ausschüssen und in zweiter und dritter Lesung beibehalten, um Vertagungen bei den Investitionen zu vermeiden. Andererseits haben wir das Gesetz auch so ausgestaltet, daß keine Mitnahmewirkungen entstehen. Es geht uns um eine effektive Fördermöglichkeit.
Vielen Dank.
({0})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Klose.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte vier Anmerkungen zu diesem Gesetzentwurf machen.
Die erste ist diese. Ich habe eigentlich wenig oder fast nichts gegen die Ziele dieses Gesetzentwurfs einzuwenden, denn - Herr Staatssekretär, darin stimme ich Ihnen zu - es ist sinnvoll, betriebliche Anlagevermögen - hier Wirtschaftsgebäude - zu erneuern, und zwar unter verschiedenen Gesichtspunkten, unter ökonomischen Gesichtspunkten - aus der Sicht der Betriebe selbst und aus der Sicht der Baubranche -, unter ökologischen Gesichtspunkten und sicher auch unter dem Gesichtspunkt der Humanisierung der Arbeitsverhältnisse. Es ist auch für mich ganz unbestritten, daß es hier bei
Wirtschaftsgebäuden, vor allem bei kleinen und mittleren Unternehmen, einen Nachholbedarf gibt. Also nichts gegen die Ziele!
Ich habe aber - das ist meine zweite Bemerkung -, Herr Staatssekretär, erhebliche Zweifel, ob der eingeschlagene Weg, dieses Ziel zu erreichen, richtig und wirksam ist. Es sind im wesentlichen drei Erwägungen, die mich zweifeln lassen.
Zum einen: Investitionsentscheidungen dieser Art werden doch nicht kurzfristig
({0})
und mit Blick auf steuerliche Vorteile getroffen, die erfolgen doch längerfristig geplant, aus betrieblichen, betriebswirtschaftlichen Gründen. Braucht man ein neues Gebäude, hilft es einem, besser zu arbeiten, kann man dieses neue Gebäude aus dem Ertrag finanzieren? Das sind die Fragen, die sich ein vernünftiger Unternehmer stellt.
({1})
Zum anderen: Große Unternehmen sind, wie wir alle wissen, in der Regel von sich aus in der Lage, die notwendige Erneuerung zu finanzieren. Die brauchen keine Steuerentlastung, werden sie aber natürlich gerne in Anspruch nehmen, ohne daß dadurch irgendwelche zusätzlichen Wachstumseffekte ausgelöst werden.
Und schließlich: Bei kleinen und mittleren Unternehmen kann die aus betrieblichen Gründen zu treffende Entscheidung für einen Neubau durch finanzielle Anreize erleichtert werden. Deshalb wäre eine Regelung, die ihnen in spezifischer Weise hilft, durchaus wünschenswert, aber sie ist als gezielte Maßnahme über den Weg der Steuerentlastung nicht möglich.
Die steuerliche Regelung, hier die verbesserten Abschreibungsmöglichkeiten, wirkt unterschiedlos und bringt Hilfen für kleine, mittlere und große Unternehmen mit der Folge, daß die Mitnahmeeffekte nicht die Ausnahme, sondern die Regel sein werden. Eine gezielte Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen müßte mit anderen Maßnahmen erreicht werden, z. B. durch regionale Wirtschaftsförderungsmaßnahmen, obwohl dazu auch vor allen Dingen ordnungspolitisch viel anzumerken wäre.
Dritte Bemerkung: Ganz und gar unakzeptabel ist für uns die vorgeschlagene Finanzierung. Vorgeschlagen wird eine Abschreibungsregelung, die überwiegend die Länder und die Gemeinden belastet. Die Bundesregierung selbst schätzt in dem Entwurf die Steuerausfälle auf jährlich bis zu 4 Milliarden DM, im Entstehungsjahr 1 Milliarde DM, nur 349 Millionen DM Minus beim Bund, der Rest bei den Ländern und bei den Gemeinden, und im Jahr 1989 sind es nach den Angaben der Bundesregierung 3,8 Milliarden DM, davon nur 1,3 Milliarden DM beim Bund und der Rest wiederum bei den Ländern und bei den Kommunen. Zu mehr als 60 % werden diese Wohltaten nicht aus Mitteln des Bundes, sondern aus Mitteln der Länder und der Gemeinden finanziert.
Ich habe mir nun, um das konkret zu machen, mal ausrechnen lassen, was diese Zahlen für die
Freie und Hansestadt Hamburg bedeuten würde. Da sieht es so aus: Hamburg würde im Jahre 1986 durch diese Maßnahme Steuerausfälle in der Größenordnung von 43 Millionen DM brutto haben, 20 Millionen DM netto. Die Nettozahlen ergeben sich unter Berücksichtigung des Länderfinanzausgleichs. 1987 wären es schon minus 120 Millionen DM, netto 50 Millionen DM, 1988 wären es 198 Millionen DM, netto 100 Millionen DM, und 1989 wären es 208 Millionen DM, netto 100 Millionen DM. Ich möchte gern verdeutlichen, was diese Beträge für den Hamburger Haushalt bedeuten. Ich mache das so konkret, damit Sie nicht hinterher sagen können, hier werde abstrakte Politik gemacht. Man kann diese Zahlen auch für andere Länder und Gemeinden umrechnen. Um die Größenordnung deutlich zu machen: Hamburg finanziert Investitionsausgaben für Universität und Fachhochschulen mit jährlich 21 Millionen DM, Lehr- und Lernmittel an Schulen mit 29 Millionen DM, Ausbildungsplatz-Sonderprogramme für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz mit 52 Millionen DM, ABM-Maßnahmen für 4 000 Arbeitslose mit 143 Millionen DM, Wohngeld mit jährlich 150 Millionen DM. Diese Zahlen machen deutlich, daß es hier um ganz erhebliche Beträge geht, daß die Kommunen und die Länder als Folge dieser Maßnahme erhebliche Mindereinnahmen haben werden und daß sie gezwungen sind, erhebliche Abstriche bei den Ausgaben vorzunehmen,
({2})
zumal sie ja gerade in erheblichem Umfang durch die sogenannte große Steuerreform belastet sind.
Um es gleich vorwegzunehmen: Die Verbesserung der Länderposition bei der Umsatzsteuerverteilung um 0,5 Prozentpunkte bringt fast nichts, z. B. für Hamburg jährlich 20 Millionen DM netto. Das heißt, die Verluste, die die Kommunen und die Länder als Folge dieser Maßnahmen erleiden, sind ungleich viel höher als das, was ihnen über die Veränderung bei der Umsatzsteuer zugebilligt wird.
({3})
Ich erlaube mir noch einen Hinweis zur Finanzierungsproblematik, Herr Staatssekretär: Die vorgesehenen Abschreibungsverbesserungen gelten für Wirtschaftsgebäude, die zu einem Betriebsvermögen gehören. Sie sollen nicht für Betriebsgebäude gelten, die zu einem Privatvermögen gehören. Dagegen wird mit Sicherheit - das sage ich Ihnen voraus - der Gleichbehandlungsgrundsatz ins Feld geführt werden. Ob zu Recht oder zu Unrecht, will ich hier nicht entscheiden; das werden am Ende, vermute ich, die Gerichte entscheiden. Wie sie entscheiden, kann niemand voraussehen, weil, wie Ihr Herr Minister immer sagt, vor deutschen Gerichten und auf Hoher See der Mensch mit Gott allein ist. Darin stimme ich Ihnen zu. Aber jedenfalls ist die Entscheidung zweifelhaft, und es ist nicht auszuschließen, daß die Bundesregierung durch Gerichtsentscheid gezwungen wird, den Anwendungsbereich dieses Gesetzes auszudehnen mit erheblichen finanziellen Konsequenzen für den Bund, für Länder und für die Gemeinden.
Fazit: Das Ziel der vorgesehenen Gesetzesänderung ist in Ordnung. Der eingeschlagene Weg ist
nach unserer Einschätzung nicht wirksam. Die Finanzierung ist absolut unakzeptabel. Die Bundesregierung sollte daher meines Erachtens die Vorlage überprüfen. Jedenfalls sollte sie so fair sein, Steuergeschenke selbst zu finanzieren, statt sie zu mehr als 60 % auf andere abzuwälzen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Häfele?
Nein, ich bin sowieso am Ende.
Herr Staatssekretär, bestellen Sie doch bitte Ihrem Bundesfinanzminister, der aus sicherlich zwingenden Gründen nicht anwesend sein kann, einen schönen Gruß von mir.
({0})
Erinnern Sie ihn bitte daran, daß er, als er noch Ministerpräsident von Schleswig-Holstein war, in Gesprächen der Ministerpräsidenten mit dem damaligen Bundeskanzler diese Position - keine Geschenke zu Lasten der Länder und Gemeinden - mit meiner damaligen Zustimmung sehr nachdrücklich vertreten hat. Sagen Sie ihm, ich würde ihm auch heute gerne zustimmen, wenn er so handelte, wie er damals geredet hat.
Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schwörer.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt,
({0})
daß die Bundesregierung zum Bundeshaushalt 1986 am 1. Juli eine Reihe von Maßnahmen beschlossen hat, um die Investitionskraft in der Wirtschaft zu stärken und den Anpassungsprozeß im Baubereich zu erleichtern. Zu diesen Maßnahmen gehört auch die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für die Wirtschaftsgebäude, die mit dem heutigen Gesetzentwurf verwirklicht werden soll.
Es handelt sich dabei um die Verwirklichung eines Anliegens, für das wir uns, insbesondere die Mittelstandsvereinigung unserer Partei, schon lange eingesetzt haben. Abschreibungsverbesserungen sollen die Investitionsbereitschaft der Unternehmen verstärken und eine Verstetigung der Baunachfrage auf dem Sektor des Wirtschaftsbaus einleiten. Damit wird ein wichtiger Beitrag, meine Herren Kollegen, zur Sicherung der Beschäftigung in der Bauwirtschaft, aber auch in der übrigen Wirtschaft geleistet.
({1})
- Herr Spöri, wir haben so wenig Zeit. Treten Sie doch selber auf; ihr habt ja noch gar nicht alle Zeit verbraucht.
Das war eine Absage, Herr Abgeordneter.
Nach geltendem Recht können Wirtschaftsgebäude grundsätzlich nur über einen Zeitraum von 50 Jahren abgeschrieben werden. Ein so langer Abschreibungszeitraum ist jedoch nicht mehr zeitgemäß. Die Unternehmen müssen in die Lage versetzt werden, die im Betrieb erwirtschafteten Erträge für die notwendige Modernisierung des überalterten Anlagevermögens einzusetzen. Wir wissen doch, wie sich die Schere geöffnet hat, wie diese Investitionslücke entstanden ist, und zwar vor allem wegen der katstrophalen Eigenkapitalsituation unserer Betriebe in den letzten 15 Jahren. Eine solche Lücke ist für einen Industriestaat lebensgefährlich.
Moderne Produktionsbedingungen erfordern auch moderne Abschreibungsbedingungen. Besonders der schnelle technologische Wandel bringt häufiger als früher die Notwendigkeit zu Neubaumaßnahmen mit sich.
Im Ausland ist das früher als bei uns erkannt worden. So sieht das Steuerrecht in Kanada, Belgien und Frankreich für Produktionsgebäude eine Abschreibungsdauer von 20 Jahren vor; in den USA sind es 18 Jahre. In Großbritannien, Italien, der Schweiz und in Österreich sind die Bedingungen noch weit günstiger. Deshalb ist auch die Gefahr der Abwanderung von Betrieben groß.
({0})
Es ist zu begrüßen, daß die Verbesserungen der Abschreibungsbedingungen nicht als Steuervergünstigungen ausgestaltet werden, sondern daß sie eine dauerhafte und nachhaltige Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen darstellen.
Was der Gesetzentwurf enthält, hat der Herr Staatssekretär bereits gesagt. Es geht um eine Verbesserung sowohl der linearen als auch der degressiven Abschreibungsbedingungen. Vor allem in den Anfangsjahren werden die degressiven Abschreibungssätze stark angehoben. Ich gebe zu, diese Verbesserung kommt hauptsächlich den Unternehmen zugute, die Gewinne erzielen.
({1})
- Einer aktiven und zukunftsorientierten Finanz- und Strukturpolitik, Herr Kollege Dr. Spöri, entspricht dies.
Wenn die Betriebe nicht die hohen Abschreibungsbedingungen in Anspruch nehmen wollen,
({2})
können Sie auf die lineare Abschreibung in Höhe von 4 % der Anschaffungs- und Herstellungskosten ausweichen.
({3})
- Darauf komme ich noch, Herr Spöri. - Hierin
wird die Wende deutlich, die von einer Politik der
Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft geprägt
ist, einer Politik, die uns in nahezu idealer Weise Preisstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und ein angemessenes, stetiges Wirtschaftswachstum gebracht hat.
({4})
- Die Massenarbeitslosigkeit kommt doch aus Ihrer Zeit, Herr Spöri; das wissen Sie doch ganz genau.
({5})
Diese Politik führt auch zunehmend zu einer Verbesserung der Beschäftigungslage.
Die Erfahrungen mit einer zeitlich befristeten, kreditfinanzierten Konjunkturpolitik mit Konjunkturprogrammen haben gezeigt, daß sie die Erwartungen nicht erfüllen konnte. Die Konjunkturprogramme von 1974 bis 1982 haben 80 Milliarden DM gekostet.
({6})
In dieser Zeit ist die Arbeitslosigkeit von 273 000 auf 1,833 Millionen Arbeitslose angestiegen;
({7}) die Arbeitslosenzahl hat sich versiebenfacht.
({8})
Gleichzeitig hat sich die Kurzarbeit bis auf 1,2 Millionen im Winter 1982 erhöht.
Wir setzen nicht auf Konjukturprogramme; wir setzen darauf, die private Initiative anzuregen, ihr die Betätigung zu ermöglichen, sie von steuerlichen und bürokratischen Fesseln zu befreien.
Besonders die Verbesserung der Arbeitsplatzsituation liegt uns mit dieser Initiative am Herzen. Nicht nur in der Bauwirtschaft, auch in den übrigen Bereichen, in den Zulieferungsbereichen, hoffen wir Arbeitsplätze zu erhalten und zu schaffen. Eine Untersuchung des Ifo-Instituts hat ergeben, daß sich die Zahl der Beschäftigten durch dieses Gesetz in der Gesamtwirtschaft um 70 000 erhöhen wird. Das ist zwar für die unterbeschäftigte Bauwirtschaft längst nicht ausreichend; aber es ist immerhin ein Lichtblick für viele, vor allem auch für ältere Arbeitnehmer im Bau, die es schwer haben, in anderen Bereichen unterzukommen.
Nun, manche kritisieren - Herr Klose hat es wieder getan - die Mindereinnahmen des Staates. Das Ifo-Institut hat eine Mindereinnahme für die ersten drei Jahre von 2,5 Milliarden DM errechnet, also eine niedrigere als die von der Regierung errechnete. Letztlich wirken aber - Herr Klose, das wissen Sie auch - die Abschreibungsverbesserungen beim einzelnen Investitionsobjekt nur als Steuerstundung. Verbesserte Erträge, höhere Umsätze, eine bessere Beschäftigungslage werden die Ausfälle schnell wettmachen.
Auch die Gemeinden können nicht das Klagelied anstimmen, das Sie hier angestimmt haben. Selbst wenn man diesen Gesetzentwurf und auch den Gesetzentwurf zur Reduzierung der Lohnsteuern mit Wirkung zum 1. Januar 1986 und 1. Januar 1988 berücksichtigt, werden die Gemeinden nach den neuesten Steuerschätzungen bis 1989 dennoch j ahresdurchschnittlich Mehreinnahmen von 5 % haben. Also, dieses Klagelied können Sie nicht aufrechterhalten.
({9})
Auch müßten die Gemeinden, Herr Spöri, daran interessiert sein, daß die Firmen in ihrem Bereich konkurrenzfähig bleiben und damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Das ist doch auch ein Punkt, der die Gemeinden sehr stark interessiert.
({10})
Meine Damen und Herren, ich freue mich, daß Sie nicht wieder das Stichwort gebracht haben, daß die Abschreibungsvergünstigungen nur den Unternehmern zugute kämen und die Reichen begünstigten. Ich hätte Ihnen sonst entgegengehalten, daß Sie in Ihren neuen Programmen von der Begünstigung von Investitionen reden. Also muß dieses Gesetz Ihnen sehr wohl zupaß kommen. Sie müßten diesem Gesetz sogar zustimmen, wenn Sie da konsequent bleiben wollen.
({11})
Die Stimmen für eine Förderung von Investitionen von außerhalb des Hauses sind gewichtig; Sie wissen das. Die Bundesbank, alle wirtschaftswissenschaftlichen Institute, die Fünf Weisen, die EG- Kommission, die OECD, bekannte Wirtschaftswissenschaftler und auch die Beiräte des Bundesfinanz- und des Bundeswirtschaftsministeriums sprechen sich ausdrücklich für Verbesserungen der Investitionsbedingungen aus. Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf macht die Bundesregierung einen Schritt in diese Richtung.
Ich behaupte: Wenn wir diesen eingeschlagenen Weg der dauerhaften und nachhaltigen Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen konsequent fortsetzen, wird die Wirtschaft ihre Aufgabe erfüllen können, in absehbarer Zeit die heute noch fehlenden Arbeitsplätze anzubieten. Dem dient dieser Gesetzentwurf mit in erster Linie. Wir hoffen, daß die Wirtschaft, kräftig davon Gebrauch macht.
Deshalb unterstützen wir diese Initiative der Bundesregierung. Wir sind sicher, daß sie in der gegenwärtigen Konjunktur-, aber auch Struktursituation einen wichtigen Beitrag leisten wird.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogel ({0}).
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für Wirtschaftsgebäude soll zukünftig nicht mehr davon ausgegangen werden, daß sie 50 Jahre genutzt werden können, sondern nur noch 25 Jahre. Damit soll - ich zitiere aus der Begründung des Gesetzentwurfes - dem „tiefgehende({0}) Wandel der Wirtschaft ... eine rasche Anpassung an die gewandelten Verhältnisse" ermöglicht werden. Welchem Wandel soll denn
Vogel ({1})
da Rechnung getragen werden? Ist es vielleicht der Wandel, der sich in Silicon Valley, dem amerikanischen Computerzentrum, ereignet hat, der jetzt als neue Norm dafür gelten soll, wie lange Wirtschaftsgebäude zu nutzen sind? Dann ist allerdings die halbe Abschreibungszeit auch noch viel zu lang. Da müßte man dann auf acht Jahre heruntergehen. Oder vielleicht haben Sie noch einen Gesetzentwurf in petto, mit dem Sie dann auf vier Jahre heruntergehen, der Dauer der Legislaturperiode entsprechend, damit die Unternehmen ihre Investitionen im Hinblick auf die jeweils im Amt befindlichen Regierungen planen können. Das hat sich ja heute in der Debatte schon angedeutet.
({2})
Übrigens, da wir gerade bei Silicon Valley -sind: Es ist schon interessant, daß es den Firmen in Silicon Valley zu einem Zeitpunkt, in dem deutsche Landesfürsten und die Bundesregierung immer noch davon ausgehen, daß dies die Zukunftstechnologien sind, gar nicht mehr so gut geht. Im Februar dieses Jahres noch war Blüm in den USA und meinte dort: „Innovationen und Investitionen bringen uns aus der Arbeitslosigkeit heraus." Dies hat er bei einem Besuch in der Firma Intel gesagt. Am selben Tag wurden von der Firma Intel, dem viertgrößten Halbleiterproduzenten der Welt, 1000 Arbeitskräfte entlassen, was ihn natürlich nicht irritiert hat. Weiter hat z. B. die Firma Apple in diesem Sommer 1200 Mitarbeiter entlassen und drei Werke geschlossen. Data General hat 1300 Mitarbeiter, Wang Laboratories hat 5 %, Commodore International 15% ihrer Belegschaft entlassen, und Hewlett Packard hat alle US-Werke für mehrere Tage geschlossen. IBM hat massive Ertragseinbrüche sowie enorme Absatzschwierigkeiten gemeldet. Und da träumen einige deutsche Städte immer noch von ihrem eigenen Technologiepark. In Wirklichkeit wird sich das alles nicht lohnen. Auch in den USA wird am Ende ein Beton- und Asphalt-Valley bleiben, aber nicht diese traumhafte neue Technologiezone, die man sich einmal vorgestellt hat.
Dort hat sich wahrlich ein tiefgreifender Wandel vollzogen, der seine Spuren im Wasser, in der Luft und im Landschaftsbild unübersehbar hinterläßt.
Welcher Wandel soll denn nun mit diesem Gesetzentwurf gefördert werden? Welcher Wandel in der Industriearchitektur wird hiermit gefördert? Die Verkürzung der Abschreibungsfristen fördert doch genau die Ex-und-hopp-Fertighallen, die sich rund um die Gemeinden wie die Pest ausbreiten und die eher an Slums als an Wirtschaftsgebäude erinnern, von landschaftsangepaßter Architektur einmal ganz zu schweigen.
({3})
Wir halten auch die für Berlin und für das sogenannte Zonenrandgebiet in dem Gesetz enthaltenen Sonderregelungen für ungeheuerlich. Für in Berlin gelegene Wirtschaftsgebäude, deren Errichtung oder Erweiterung nach dem 31. März dieses Jahres beantragt wurde, soll die Investitionszulage von 15 auf 20% angehoben werden. Wenn die Gebäude Forschungs- und Entwicklungszwecken für drei Jahre dienen, sollen sogar 25% Investitionszulage gezahlt werden. Diese Investitionszulage wird neben den erhöhten Abschreibungen, die sowieso in Berlin gelten, gewährt. Damit ist es also möglich, daß Wirtschaftsgebäude in Berlin in fünf Jahren zu 75% abgeschrieben werden, für die vorher 20 bzw. sogar 25% Investitionszulage gezahlt wurden.
Für das Zonenrandgebiet sind die erhöhten Abschreibungen nicht ganz so hoch wie für Berlin, weil es immer noch rentabler sein soll, vom Zonenrandgebiet nach Berlin abzuwandern. Das hat ja Bayreuth schon erlebt, wo die dortigen Zigarettenfabriken dichtgemacht und nach Berlin verlegt wurden, und zwar unter einem riesigen Verlust von Arbeitsplätzen; denn natürlich haben auch Rationalisierungsmaßnahmen stattgefunden. In Berlin sind dann mit Millionenzuschüssen des Bundes wesentlich weniger Arbeitsplätze entstanden, als vorher in Bayreuth vorhanden waren. Das ist dann die neue Berlin-Beschäftigungspolitik der Regierung.
({4})
Wir halten es für eine völlig falsche Politik, gerade in den Gebieten, in denen hohe Abwanderungen von Betrieben bestehen, die Abwanderung auch noch zu unterstützen, zu beschleunigen. Im Zonenrandgebiet hat sich in den letzten Jahren die Anzahl der Betriebe ohnehin im Vergleich zum Bundesgebiet überproportional verringert. Ganz besonders gilt das für Oberfranken; ich habe das ja gerade an einem Beispiel geschildert. Durch erhöhte Abschreibungssätze wird die auf kurzfristiges Ansiedeln orientierte Unternehmenspolitik noch zusätzlich unterstützt.
Der durch das Gesetz bewirkte Steuerausfall beträgt im nächsten Jahr rund 1 Milliarde DM. 1988 werden es 3,7 Milliarden DM sein; Herr Klose hat das bereits angesprochen. 3,7 Milliarden DM, das ist der Gegenwert von zweieinhalbmal BAFÖG - um einmal die Dimension auf der Bundesebene aufzuzeigen -, das man den Studenten nur gibt, um es nachher wieder hereinzuholen. Das hätte man damit praktisch finanzieren können.
3,7 Milliarden DM werden hier also wieder einmal mit lockerer Hand für eine wirtschaftspolitisch fragliche Maßnahme, für eine aus baupolitischen, strukturpolitischen und insbesondere auch aus ökologischen Gedanken sogar völlig verwerfliche Maßnahme ausgegeben. Die Förderung von Ex-undhopp-Bauten und die Verbesserung des Anreizes, aus Berlin und aus dem Zonenrandgebiet schnell das Kapital abzuziehen, nachdem dort vorher Investitionszulagen in gewaltiger Höhe abgesahnt wurden, eine solche Politik lehnen wir ab.
Danke.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die FDP-Fraktion un12712
terstützt den Antrag zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude,
({0})
weil dieser Antrag in die langfristige Politik zur Verbesserung der Bedingungen für die Wirtschaft paßt.
({1})
Das ist ein Element einer angebotsorientierten Politik, die bis jetzt schon erfolgreich gewirkt hat. Ich erinnere nur an die Erfolge im Bereich der Konsolidierungspolitik, im Bereich der Verbesserung des Geldwertes, im Bereich der Verbesserung des Aktivsaldos bei der Handelsbilanz - wir erzielen ja von Monat zu Monat neue Rekorde - und im Bereich des wirtschaftlichen Aufschwungs.
Der Erfolg dieser Politik wird j a bestätigt durch den Bundesbankbericht für Oktober 1985. Ich darf daraus wörtlich zitieren:
Die Wirtschaft hat damit ihre wichtigste innere Antriebskraft zurückgewonnen, die sowohl auf das übrige konjunkturelle Geschehen positiv austrahlt als auch die strukturellen Bedingungen für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum verbessert. Die Erweiterung, Modernisierung und technologische Erneuerung der Sachanlagen schafft zugleich günstigere Bedingungen für die Bewältigung der Probleme auf dem Arbeitsmarkt. Zu der ausgeprägten Entfaltung der Investitionskonjunktur trug bei, ja war unerläßliche Voraussetzung, daß sich die Ertrags- und Finanzierungsverhältnisse der Wirtschaft verbesserten.
Ich glaube, daß die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude notwendig und zeitgemäß ist. Die Bedingungen, die bislang gelten - eine Dauer von 50 Jahren -, entsprechen nicht mehr der Nutzungsdauer von Wirtschaftsgebäuden heute.
Die Begrenzung auf das Betriebsvermögen, Herr Kollege Klose, ist insofern begründet, als wir mit diesem Gesetz j a nicht wollten, daß durch die Ausdehnung auf Betriebsgebäude im Privatvermögen neue Abschreibungsgesellschaften wieder entstehen können.
({2})
Ich glaube, daß diese Begrenzung akzeptiert werden kann.
Ich sagte bereits, daß die derzeitigen Abschreibungsbedingungen dem normalen Nutzungsverlauf nicht mehr entsprechen. Darüber hinaus wird diese Verkürzung auf 25 Jahre ein Beitrag zur Verstetigung in der Bautätigkeit sein. Denn eine Befristung, die ja ebenfalls diskutiert worden ist, würde dazu führen, daß die Bautätigkeit kurzfristig vorgezogen würde und nach dieser Frist natürlich entsprechende Ausfälle bei der Bautätigkeit entstehen müßten.
Die Verbesserung ist auf Neubauten begrenzt. Dies ist sinnvoll. Die Ausdehnung auf Altbauten hätte enorme zusätzliche Ausfälle gebracht und hätte der Bauindustrie natürlich keine neue Anregung gegeben.
Im Finanzausschuß sind im wesentlichen zwei Themen zu diskutieren. Das eine ist die Frage, wie der Präferenzvorsprung des Landes Berlin erhalten werden kann. Es wird ja vorgeschlagen, daß die Sonderabschreibungen für Betriebsgebäude von 40 auf 50 % im Zonenrandgebiet angehoben werden, und in Berlin wird die Investitionszulage für Betriebsgebäude von 15 auf 20 % und im Bereich von Forschung und Entwicklung von 20 auf 25 % erhöht. Wir sind der Meinung, daß dann, wenn - wie das Land Berlin sagt - der Präferenzvorsprung für das Land Berlin dadurch nicht voll erhalten bliebe, ins Auge fassen sollte, ob nachträgliche Herstellungsarbeiten an beweglichen Wirtschaftsgütern in die Vergünstigung des Berlinförderungsgesetzes, also in die Investitionszulagenregelung, einbezogen werden können.
Darüber hinaus haben wir die Frage der Einbeziehung von Heizungs- und Warmwasseranlagen in den § 82 a der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung zu diskutieren. Auch dies ist quasi beschlossen und soll in diesem Gesetz eingebracht werden. Wenn allerdings dieses Gesetz später in Kraft tritt, könnte man es eventuell schon in das Steuerbereinigungsgesetz einbeziehen und damit eine möglichst baldige Verabschiedung gewährleisten. Sicher ist jedenfalls, daß die Vergünstigung rückwirkend zum 1. Juli 1985 in Kraft tritt, so daß hier kein weiterer Grund für Attentismus vorhanden ist.
Ich sage abschließend: Die FDP-Bundestagsfraktion unterstützt diesen Gesetzesantrag. Wir hoffen, daß wir ihn nach einer kurzen, vernünftigen und sachgerechten Beratung, wie wir es im Finanzausschuß gewöhnt sind, bald zum Abschluß bringen können.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wieczorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Häfele, ich habe mit Interesse gelesen, daß Sie in einem Interview gesagt haben, es gehe darum, steuerliche Vergünstigungen und Schlupflöcher auf den Prüfstand zu stellen und lieber niedrigere Steuersätze und weniger Ausnahmen als hohe Steuersätze zu haben. Das ist ein lobenswertes Unterfangen. Ich frage mich da nur, wie Sie auf diesen Gesetzentwurf gekommen sind. Denn dieses Gesetz schafft ja wohl eine steuerliche Subvention in dem erheblichen Umfang von rund 10 Milliarden DM bis zum Ende dieses Jahrzehnts. Wir werden das allerdings - da stimme ich Ihnen zu - vergeblich im Subventionsbericht suchen, weil Sie erklären: Es ist eine auf Dauer angelegte Maßnahme zur Verbesserung der steuerlichen Rahmenbedingungen. Und durch so einen Trick erscheint es dann nicht in der Subventionsstatistik. Das ist ja schön. Nur, wissen Sie - wenn Sie schon, Herr Schwörer, so fragen -, warum es eine Subvention
ist? Es war doch bisher Brauch und richtig und gutes Prinzip, Wirtschaftsgüter nach der Maßgabe ihrer tatsächlichen voraussichtlichen Lebensdauer abzuschreiben. Wenn es real davon Abweichungen gab, konnten Sie schon immer früher und schneller abschreiben. Wenn dieses Prinzip hier gelten würde, müßte ich unterstellen, daß die deutsche Bauindustrie - das wollen Sie, Herr Schwörer, doch nun sicherlich nicht sagen - plötzlich nur noch Bauten errichtet, die nur noch die Hälfte von dem wert wären, was sie früher wert waren. Wollen Sie ernsthaft behaupten, wir hätten jetzt die Wegwerfwirtschaft in der Bauindustrie?
({0})
- Aber ich bitte Sie. Da kommen wir doch zum nächsten Punkt, Herr Schwörer.
Sie nehmen doch auch bei diesem Gesetz in Kauf, daß Gebäude, die vor dem 31. März 1985 erstellt wurden, noch in den Büchern stehen, während neuere Gebäude nicht mehr drinstehen. Wenn dieses sinnvoll sein soll, möchte ich wissen, warum.
Das gleiche gilt für die Aktivierungspflicht von Erneuerungen und Umbauten an älteren Gebäuden. Kollege Klose hat im übrigen schon auf die Problematik der betrieblich genutzten Gebäude, die in Privatvermögen stehen, hingewiesen.
Ich halte das für einen hervorragenden Beitrag zur Klarheit im Steuerrecht, Herr Häfele. Ich muß Sie da an Ihren Spruch in der „Bank-Information" erinnern.
Ich habe da allerdings einen Verdacht. Wenn ich mir die Gesetzesbegründung ansehe, wo Sie sagen, der Gesetzgeber habe einen großen verfassungsrechtlichen Gestaltungsspielraum, also meinen, dieses extra betonen zu müssen, habe ich den Verdacht, daß Sie uns wieder so etwas präsentieren wie bei der Investitionshilfeabgabe und klammheimlich hoffen, daß das Gericht die steuerliche Vergünstigung für diese anderen steuerlichen Tatbestände auch noch gewähren wird. Dann allerdings hätten Sie ein Risiko für die öffentlichen Haushalte geschaffen, das immens wäre.
Nun kann es sein, daß Sie sich sagen: Na ja, das betrifft uns nicht mehr. Nach 1987 sind wir nicht mehr dran. ({1})
Das wird voraussichtlich auch so sein, und wir hoffen auch, daß es so sein wird. Nur, damit wird Ihre Gesetzgebung wirklich nicht seriöser.
Daß das Ganze eine Konjunkturmaßnahme ist, geben Sie in Ihrer Gesetzesbegründung auch zu, nur kleiden Sie es in die Form einer Strukturmaßnahme.
Es ist auch löblich, wenn Sie nun endlich Wirtschaftspolitik betreiben wollen. Aber der von Ihnen so geschätzte Sachverständigenrat hat in seinem Gutachten vom 23. Juli 1985 Ihnen klar ins Stammbuch geschrieben, daß das eine ungeeignete Maßnahme ist. Lesen Sie Ziffer 34 dieses Sondergutachtens nach.
Dann führen Sie - Herr Schwörer, Sie selber haben das in Ihrer Rede gemacht - die Ifo-Untersuchung ins Feld. Nun gut, dann wollen wir mal sagen, was die selber sagen. Da steht - ich zitiere den Schlußsatz der Autoren, die sehr redlich vorgegangen sind -:
Insgesamt dürften die unterstellten Anstoßeffekte der Abschreibungserleichterungen nicht unrealistisch sein, möglicherweise bilden sie aber doch die Obergrenze.
Wenn Sie alle anderen Einschränkungen, die in diesen Simulationsrechnungen enthalten sind, lesen, kommen Sie zu dem Ergebnis, daß Sie mit diesem Gesetz der Bauindustrie nun sicherlich nicht helfen; denn was Sie erreichen, sind private Anstöße höchst zweifelhaften Charakters, aber daneben Kürzungen bei den Haushalten der Kommunen und der Länder. Und die werden sich dann bei ihren Investitionen gezwungenermaßen zurückhalten. Das wird das Ergebnis sein. Ich halte es für eine unredliche Politik, sich als Bundesregierung hier hinzustellen und zu sagen: „Jetzt sollen doch die Gemeinden gefälligst investieren", während Sie ihnen auf der anderen Seite über 1 Milliarde DM allein durch dieses Gesetz wegnehmen. Das ist einfach unredlich.
({2})
Und Sie werden sehen, daß die Mitnahmeeffekte bei diesem Gesetz erheblich überwiegen werden; denn die sind ja - dankenswerterweise haben Sie das selber zugegeben - vor allem für Unternehmen interessant, die eh und je verdienen. Wenn die aber eh und je verdienen, brauchen sie dieses Steuergeschenk nun wirklich nicht.
Aber auch für die, wie auch für die anderen, wäre es töricht, in etwas zu investieren, was sich nur wegen dieser Steuervergünstigung rechnete.
({3})
Das ist nicht das Denken eines Unternehmers entsprechend dem unternehmerischen Investitionskalkül, sondern das Denken eines Abschreibungskünstlers. Sie wollen doch wohl nicht die Unternehmer zu Abschreibungskünstlern machen.
({4})
- Ich will es nicht im Privatvermögen. Ich will das Ganze nicht, verehrtester Herr Kollege, weil ich es für eine unsinnige Maßnahme halte. Das versuche ich Ihnen gerade zu erklären, auch an Hand der von Ihnen geschätzten Studie.
({5})
Man muß einfach feststellen, daß Bauinvestitionen im Unternehmensbereich von den langfristigen Ertragserwartungen, nicht von steuerlichen Begünstigungen, abhängen. Sie können auch keine VorDr. Wieczorek
zieheffekte erreichen; denn Sie wollen es dauerhaft machen. Es gibt also keinen Grund, das jetzt vorzuziehen. Insofern beißt sich das sogar mit Ihren Erwartungen im Hinblick auf die Konjunktur. Sie hoffen aber, daß sich einige Leute unter dem Gesichtspunkt, Steuern zu sparen, dazu verführen lassen, zu investieren - nicht aber zugunsten einer gesunden Struktur unserer Volkswirtschaft. Primäreffekte sind doch bei Bauinvestitionen selten der Grund dafür, daß man investiert.
Normalerweise haben wir ja einen sehr guten Baubestand. Im Gegensatz etwa zu England mit seinen hervorragenden Abschreibungsmöglichkeiten haben wir einen guten Bestand. Den wollen die Unternehmen nutzen, indem sie Umbauten, Anbauten u. ä. gefördert sehen wollen. Nur, es ist mehr als zweifelhaft, ob das unter dieses Gesetz fällt. Ein neues Werk dagegen, eine neue Halle wird man doch nur aufbauen, wenn man wirklich ganz neue zusätzliche Anlagen bauen will, etwa im maschinellen Bereich, oder wenn man Anlagen hat, die nicht mehr hineinpassen. Das ist das eigentliche Motiv.
Jetzt komme ich genau an die Stelle, an der das alles zweifelhaft wird. Das Ifo-Institut sagt in seiner Modellrechnung selber, die Begünstigung wirkt ähnlich wie eine Zinssenkung von 1 % bei der linearen Abschreibung und von 3/4 % bei der degressiven. Aber das gilt ja nur für den Bauanteil an einer Gesamtinvestition; der maschinelle Teil ist im Zweifel viel größer. Gemessen an dem, was ansonsten noch zum Betriebsvermögen hinzukommt, ergibt sich bei einer Neuinvestition in diesem Sinne also nur ein marginaler Effekt.
Sie wollen auf der einen Seite viel Geld für so etwas ausgeben, was mit Sicherheit keine einzige sinnvolle unternehmerische Investition veranlassen wird; das ist -das eigentliche Problem das Sie mit diesem Gesetz haben. Deswegen komme ich dazu, daß Sie auf der anderen Seite im Ergebnis eigentlich nur einen Abschreibungsvorteil gewähren, der in der Beschäftigung ohne Folgen bleibt. Diese Effekte haben Sie offensichtlich übersehen.
Wenn Sie dann diese höheren Abschreibungen haben und als Unternehmer eine Vollkostenkalkulation machen, haben Sie im übrigen plötzlich auch bloß deshalb höhere Kosten, weil ein Steuervorteil gewährt wird. Das heißt, Sie setzen indirekt auch eine Preistreibung in Gang.
Ein weiterer Punkt: Die Gewinn- und Verlustrechnung wird natürlich die Gewinne falsch ausweisen. Sie stellen sich immer hin - das macht j a gerade auch der Bundesfinanzminister gerne - und sagen, wir müssen jetzt breitere Kreise der Bevölkerung am Betriebsvermögen, am Produktivvermögen, beteiligen. Schön, wenn Sie aber über solche Sonderabschreibungen und die damit entstehenden stillen Reserven den Betreffenden die Gewinne vorenthalten, betreiben Sie im Bereich der Beteiligung am Produktivvermögen natürlich genau das Gegenteil einer Förderungspolitik.
Ein weiterer Effekt entsteht, weil die Thesaurierung der stillen Reserven ja wohl nur für den Mehrheitsgesellschafter von Vorteil ist, nicht für den kleinen Aktionär; da wollen wir uns j a nichts vormachen. Sie sündigen nämlich gegen den von Ihnen sonst immer so gepriesenen Geist der Marktwirtschaft. Herr Solms, ich wundere mich darüber, daß Sie darauf nicht eingegangen sind; Sie haben das sonst ja immer gepachtet. Wenn Sie über steuerliche Maßnahmen falsche Gewinnsignale geben, stören Sie natürlich den Steuerungsmechanismus der Marktwirtschaft, weil Sie die wichtige Marktinformation „Gewinn" schlicht und einfach steuertechnisch in eine falsche Richtung lenken. Ich habe meine Zweifel daran, daß Ihnen das so genehm sein kann. Nun habe ich allerdings auch Zweifel daran, daß Sie es mit der Marktsteuerung tatsächlich so ernst nehmen; wenn es um andere Dinge geht, sind Sie da ja auch großzügiger.
({6}) Auch dies ist dafür ein schönes Beispiel.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordeten Dr. Solms?
Bitte sehr.
Herr Kollege, wären Sie bereit, zuzugestehen, daß es betriebswirtschaftlich heute - wie immer - richtig ist, den Abschreibungsverlauf möglichst nahe an den tatsächlichen Nutzungsverlauf anzupassen, und daß eine 25jährige Abschreibungsdauer im Durchschnitt dem tatsächlichen Nutzungsverlauf eher entspricht als eine 50jährige Abschreibungsdauer?
({0})
Wenn dies denn so wäre, frage ich mich, warum Sie nicht Material darüber vorgelegt haben, daß die Abschreibung für den Bestand an Bauten geändert werden muß; denn das würde ja wohl auch für die Altbauten gelten. Es ist doch wohl logisch, daß eine Änderung dann nicht nur für Neubauten gelten kann,
({0})
oder? Es tut mir leid, da komme ich nicht mit.
Der nächste Punkt: Dadurch, daß Sie jetzt stille Reserven haben, die aber in der Bilanz nicht erscheinen, werden Sie natürlich weiterhin die Klagelieder aus dem Unternehmerlager zu hören bekommen, wie schlimm es denn mit der Eigenkapitalausstattung stehe, und da müsse man unbedingt etwas machen. Insofern legen Sie hier natürlich ganz geschickt die Grundlage für neue Anforderungen, weitere Steuergeschenke zu machen. Das ist natürlich für Sie etwas sehr Schönes; aber leider hilft es der deutschen Volkswirtschaft gar nicht.
So schlimm ist es übrigens - wenn Sie das anziehen, Herr Schwörer - mit der Eigenkapitalausstattung auch nicht. Ich empfehle Ihnen da doch einmal sehr, die Studien der KW in ihren Geschäftsberichten zu lesen. Sie sollten beachten, was in den zusätzlichen Bemerkungen darüber, was die stillen Reserven ausmachen, steht, und sollten auch beachten, was denn eigentlich die Trennung zwischen BeDr. Wieczorek
triebsvermögen und Privatvermögen, zwischen Besitz- und Betriebsgesellschaft, unter diesem Gesichtspunkt bedeutet. Das empfehle ich sehr! Sie kennen ja die Überraschung auf seiten deutscher Unternehmen, die an amerikanische Börsen gehen wollen und plötzlich feststellen, wie dort ihr Eigenkapital berechnet wird. Dann stimmt nämlich diese Mär, es gebe ein so geringes Eigenkapital, häufig gar nicht mehr. Ich habe im übrigen gar nichts dagegen, bei jungen Unternehmen, die anfangen, da etwas zu tun; da haben Sie uns auch immer auf der richtigen Seite gefunden.
Sie haben noch einen weiteren schönen Effekt. Wenn Sie diese stillen Reserven legen, haben Sie künftig noch um so mehr Vergnügen bei der Gewährung von Übertragungsmöglichkeiten nach § 6b. Daran sollte man auch einmal erinnern.
Ich komme zum Schluß. Wenn man das Gesetz bewertet, so muß man feststellen, das es nicht dazu beiträgt, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Hierdurch wird nur eine neue Subvention geschaffen. Es wird eingeführt um den Preis weiterer Einnahmeausfälle bei den Gemeinden und bei den Ländern. Die Baukonjunktur wird damit nicht gefördert. Zugleich aber verkommt eine wichtige Steuergrundregel, und die Steuergesetzgebung wird mißbraucht, um eine wirtschaftlich unnötige Subvention zu tarnen. Das Gesetz entbehrt damit einer vernünftigen Rechtfertigung. Es muß deshalb zu Recht abgelehnt werden, und wir werden das auch tun.
Ich danke Ihnen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete von Schmude.
von Schmude ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer den Ausführungen meines Vorredners folgen wollte, was sehr schwierig war, weil es, Herr Wieczorek, Ausführungen waren, die völlig an der Realität und auch an der unternehmerischen Praxis vorbeigingen,
({1})
der mußte doch feststellen, daß Sie im Interesse der Schaffung neuer Arbeitsplätze offensichtlich nicht bereit sind, hier ein wichtiges Gesetz zu befürworten.
Abschreibungsbedingungen beeinflussen - das ist allgemein unbestritten - in starkem Maße das Investitionsverhalten der Wirtschaft, und zwar nicht nur bei uns, sondern überall. Abschreibungsbedingungen, Abschreibungsmöglichkeiten, Herr Klose, sind keine Steuergeschenke; sie haben vielmehr steuerstundenden Charakter, nicht mehr und nicht weniger. Um Ihnen das auch zu sagen, weil Ihnen das offensichtlich unverständlich ist: Unternehmen - jedenfalls ist es in Deutschland so - finanzieren ihre Investitionen selten allein aus den Erträgen - es wäre sehr schön, wenn das möglich wäre -, sondern sie finanzieren sie aus dem Cash flow bzw. dann zusätzlich auch aus Fremdmitteln. Das ist die unternehmerische Wirklichkeit 1985.
({2})
Der vorliegende Gesetzentwurf trägt im Grunde genommen einer langjährigen Forderung unserer Industrie- und Handelskammern und auch der Wirtschaftsverbände Rechnung,
({3})
die zu Recht darauf hingewiesen haben, daß der Wandel der Zeit und auch der Fortschritt der Technik im Ansatz bei der steuerlichen Berücksichtigung eine reduzierte Lebensdauer von Gebäuden notwendig macht.
Wenn man den Vergleich mit unseren europäischen Nachbarländern anstellt, so ist aus Gründen des Wettbewerbs eine Verkürzung auf 25 Jahre dringend geboten.
Ich möchte auf die Studie des Ifo-Instituts eingehen, aus dem Sie j a dankenswerterweise zitiert haben. Ich finde es jedoch sehr merkwürdig, daß Sie nicht zitiert haben, daß das Ifo-Institut zu dem Ergebnis kommt, daß in einem Zeitraum von etwa fünf Jahren 150 000 bis 200 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden können. Das wäre das Ergebnis einer Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, wie wir sie heute zur Beschlußfassung vorliegen haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wieczorek?
von Schmude ({0}): Ja, bitte.
Es interessiert mich ja, wie Sie zu der Zahl kommen. Das Papier liegt mir hier vor. Darin ist - mit all den Einschränkungen, die ich hier zitiert habe - von 70 000 Arbeitsplätzen die Rede. Deswegen hätte ich gerne gewußt, wie Sie aus dem Papier der Simulationsrechnung aus dem IfoSchnelldienst unter Berücksichtigung der Beschränkungen, die das Ifo-Institut selber nennt, auf die Werte kommen, die Sie soeben genannt haben.
von Schmude ({0}): Ich beantworte Ihre Frage gern. Die Zahl von 70 000 Arbeitsplätzen entspricht einem Zeitraum von drei Jahren. Dabei bleibt die gleichzeitige Anhebung der Präferenzen bei der Abschreibung für Zonenrand und Berlin unberücksichtigt.
Das Herbstgutachten der wirtschaftswissenschaftlichen Institute belegt auch - das möchte ich Ihnen hier auch gleich dazusagen -, daß eine Belebung bei den gewerblichen Baumaßnahmen feststellbar ist. Durch dieses Gesetz wird diese Belebung jetzt allerdings nachhaltig verstärkt.
Im Zusammenhang mit den bisher gestiegenen Ausrüstungsinvestitionen in der deutschen Wirtschaft - in diesem Jahr sind sie um 17 % gestiegen - können die verbesserten AfA-Bedingungen jetzt auch dazu beitragen, daß ein erhebliches Bauvolumen geschaffen wird, wodurch die unbefriedigende Lage der Bauwirtschaft bedeutend verbessert wird.
von Schmude
Die Anhebung der Sätze der degressiven Abschreibung von 25 % auf 45 % in den ersten fünf Jahren bewirkt einen starken Investitionsanreiz auch für mittelständische Unternehmen, die insgesamt einen beachtlichen Investitionsbedarf offen haben. Wenn man in Verbindung damit die günstigen Kapitalmarktzinsen und auch die niedrigen Baupreise und die günstige Konjunkturentwicklung, die ja vorausgesagt worden ist, berücksichtigt, dann wird ein außerordentlich günstiger Rahmen vorgegeben.
Erfreulich an dem Gesetzentwurf ist auch, daß der Präferenzvorsprung des Zonenrandes und Berlins Berücksichtigung findet. Die Anhebung der Sonderabschreibungen im Zonenrandgebiet von 40 auf 50 % in Verbindung mit der Verdopplung der linearen MA ergibt, bezogen auf den Restwert, wenn man es umrechnet, eine Gesamtabschreibung in den ersten fünf Jahren von 61 %, bezogen auf die Anschaffungs- und Herstellungskosten.
Für Berlin verbleibt es bei den 50 % Sonder-AfA, weil damit wohl auch, jedenfalls in bezug auf die Abschreibungen, das Ende der Fahnenstange erreicht sein dürfte. Allerdings profitieren auch die Berliner Firmen zusätzlich von der höheren Abschreibung, der linearen MA, und, was am wichtigsten ist, von der Anhebung der steuerfreien Investitionszulage um 5 Punkte auf 20 %, im Bereich Forschung und Entwicklung sogar auf 25 %.
Dennoch sollte einmal grundsätzlich in Anbetracht dieses Gesetzes und auch anderer Maßnahmen geprüft werden, ob der Präferenzvorsprung Berlins insgesamt noch ausreichend ist. In jedem Fall machen die vorgesehenen Abscheibungsverbesserungen das Investieren in Berlin und im Zonenrandgebiet bedeutend attraktiver. Dies ist auch notwendig, weil die Bauwirtschaft in weiten Teilen des Grenzlandes auf Grund der dort vorhandenen Strukturprobleme sich in einer schwierigen Situation befindet. Die rückläufigen Investitionen im Baubereich, ausgelöst durch die Zurückhaltung der Landwirtschaft, haben der Branche in der Vergangenheit schwer zu schaffen gemacht. Die vorgesehenen Abschreibungsverbesserungen sind auch in anderen von der Strukturpolitik besonders benachteiligten Räumen von großem Wert.
Die nun angesprochenen Steuerausfälle bei den Gemeinden sind - und auch das muß man sich bei dem Charakter von Abschreibungen vor Augen halten - nur vorübergehend. Sie werden für die Gemeinden für 1986 mit 182 Millionen DM veranschlagt, ansteigend bis auf 1,3 Milliarden DM im Jahr 1989. Aber da die Investitionsdynamik erheblich steigt, ist für die Gesamtsituation der Gemeinden in Deutschland eine positive Auswirkung zu erwarten. Die Länder, Herr Klose, haben deshalb diesem Gesetzentwurf im Prinzip auch bereits zugestimmt,
({1})
weil sie ähnliche Auswirkungen auf ihre Länderfinanzen erwarten.
({2})
Denn man muß dabei berücksichtigen, daß auch in Anbetracht dieses Gesetzes, auch in Anbetracht des Steuerentlastungsgesetzes, die durchschnittlichen Steuereinnahmen der Kommunen um 5 % jährlich ansteigen werden. Deshalb ist es ein unverantwortliches Gerede, die Sache so darzustellen, als würden die Kommunen durch ein solches Gesetz in ihrer Investitionskraft nachhaltig geschwächt.
({3})
Das Gegenteil, Herr Spöri, wird eintreten, weil die Gemeinden mittelfristig von den Investitionen, die durch dieses Gesetz ausgelöst werden, stärker profitieren, als sie es sich heute vielleicht vorstellen.
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Lassen Sie mich zum Schluß eines sagen. Es ist schon merkwürdig, daß sich die Sozialdemokraten bei diesem Gesetz verweigern wollen, offensichtlich aus taktischen Motiven, wie ich vermute. Sie sollten vielmehr aus Gründen des sozialen Gewissens sagen: Wir wollen mehr Arbeitsplätze schaffen, deshalb sagen wir ja zu diesem Gesetz. Und das müßte Ihnen eigentlich um so leichter fallen, als Sie in Ihrer Regierungszeit Abscheibungspraktiken in Deutschland nicht nur geduldet, sondern begünstigt haben, die zu verheerenden Auswirkungen auf dem Baumarkt geführt haben. Abschreibungskünstler, die wir damals erlebt haben, haben schwere Fehlentwicklungen auf dem Baumarkt mitverursacht,
({5})
auf Grund der Gesetzgebung, die Sie damals begünstigt haben.
({6})
Wir haben diese Steuergesetze geändert. Und heute stellt sich Herr Wieczorek hierhin und sagt: Nun sollen die Gebäude, die nicht zum Betriebsvermögen gehören, auch begünstigt werden.
({7})
Ich sage Ihnen: Damit erreichen Sie dasselbe an Auswüchsen, an Wildwuchs, wie Sie ihn schon einmal gehabt und geduldet haben.
({8})
Jeder Steuerpflichtige hat heute die Wahlmöglichkeit. Jeder Steuerpflichtige kann sagen, ob sein Grundstück zum Betriebsvermögen gehören oder draußen vorbleiben soll. Jeder hat diese Wahlmöglichkeit. Aber wir wollen verhindern, daß es wieder Konstruktionen gibt, die es gestatten, auf einem Umweg - auch unter Ausschluß jeder Haftung - die Vorteile des Steuerrechts mitzunehmen und sich dann - in der Sonne dieses Steuerrechts - bei Veräußerungsgewinnen steuerfrei zu halten.
von Schmude
Das kann und darf nicht sein. Das ist nicht unsere Politik.
({9})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich kann also die Aussprache schließen.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/4042 zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau und an den Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen sowie zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ,ist nicht der Fall. Die Überweisung ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, dann beginnen wir nunmehr mit der
Fragestunde
- Drucksache 10/4050 Wir haben noch die Bereiche Arbeit und Sozialordnung und Auswärtiges abzuhandeln.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Vogt steht uns zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Immer aus Altenkirchen auf:
Inwieweit ist der Bundesregierung bekannt, daß die im § 1 Bundesbeschäftigungsförderungsgesetz erlaubte Vereinbarung von befristeten Arbeitsverträgen sich in vielen Fällen bei Frauen als Pression dahin gehend ausgewirkt hat, daß sie, um eine Daueranstellung nicht zu gefährden, Kinder abgetrieben haben, und wie vereinbart sich diese Folgewirkung mit der erklärten Absicht der Bundesregierung, ungeborenes Leben zu schützen?
Der Abgeordnete Immer betritt eben den Saal. Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, mit der Beantwortung der Frage zu beginnen.
Herr Präsident, mit Erlaubnis des Fragestellers würde ich gern die Fragen 30 und 31 gemeinsam beantworten.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Immer ({0}) auf:
Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung zu veranlassen, damit in Zukunft nicht weiterhin durch die Gewährung von befristeten Arbeitsverträgen Frauen einer Pression ausgesetzt werden, die darin besteht, daß sie ungeborenes Leben abtreiben lassen, um eine Dauer- bzw. Anschlußbeschäftigung nicht zu gefährden?
Die Bundesregierung weist die in der Frage enthaltene Unterstellung mit aller Entschiedenheit zurück. Die Behauptung, Frauen könnten durch die erweiterte Zulässigkeit von befristeten Arbeitsverträgen einer Pression dahingehend ausgesetzt sein, um eine Daueranstellung nicht zu gefährden, Kinder abzutreiben, entbehrt jeder Grundlage. Auch schon vor Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes waren befristete Arbeitsverträge zulässig. Spätestens seit der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts von 1960 steht fest, daß der Kündigungsschutz des Mutterschutzgesetzes bei rechtmäßig befristeten Arbeitsverträgen nicht greift, wenn vorher das Arbeitsverhältnis wegen Fristablauf endet. Trotzdem ist bisher nie behauptet worden, Frauen würden abtreiben, um unbefristet eingestellt zu werden.
Im übrigen stellt die Frage die Dinge auf den Kopf. Gerade das Beschäftigungsförderungsgesetz erleichtert die Einstellung von Frauen. Die vereinfachte Befristung von Arbeitsverhältnissen baut psychologische Einstellungsbarrieren bei den Arbeitgebern ab. Durch die Einbeziehung der Arbeitgeberleistungen nach dem Mutterschutzgesetz in das Ausgleichsverfahren nach dem Lohnfortzahlungsgesetz sind bei kleineren Betrieben Bedenken wegen möglicher zusätzlicher finanzieller Belastungen durch die Beschäftigung von Frauen ausgeräumt worden.
Bitte schön, Herr Abgeordneter Immer.
Herr Staatssekretär, nachdem die Bundesregierung den § 1 des Gesetzes dahin gehend begründet hat, daß durch die Zeitverträge die Chance bestehen solle, Dauerarbeitsverträge im Anschluß daran zu erreichen, möchte ich Sie fragen: Ist nicht doch eine Schwangerschaft vor Ablauf des Zeitvertrages ein Hinderungsgrund dafür, daß ein Anschlußvertrag gewährt wird?
Nein.
Weitere Zusatzfrage.
Ist Ihnen bekannt, daß Schwangerschaftsberatungsstellen immer darauf hingewiesen haben, daß Frauen in der Beratung deutlich gemacht haben, daß sie einer inneren Pression - nicht einer von außen - ausgesetzt sind, eben die Schwangerschaft abbrechen zu lassen, um ihre Chance nicht zu vergeben, einen Dauerarbeitsplatz zu erreichen?
Herr Kollege, ich muß wiederholen: Die Behauptung, Frauen könnten durch die erweiterte Zulässigkeit von befristeten Arbeitsverträgen einer Pression dahin gehend ausgesetzt sein, um eine Daueranstellung nicht zu gefährden, Kinder abzutreiben entbehrt jeder Grundlage.
Sie haben noch zwei weitere Zusatzfragen, bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, also muß ich davon ausgehen, daß die Bundesregierung nicht daran denkt, den Schutz des ungeborenen Lebens auch dadurch zu gewährleisten, daß Kündigungsschutz auch nach Zeitarbeitsverträgen eingerichtet wird?
Herr Kollege, diese Schlußfolgerung ist unzulässig.
Nun noch Ihre letzte Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ein Mitarbeiter Ihres Hauses, Herr Reuber, hat nach einem Bericht der Zeitung „Express" offiziell gesagt - ich zitiere -:
Innerhalb der Laufzeit befristeter Arbeitsverträge gilt der Mutterschutz genauso wie bei unbefristeten.
Das ist unbestritten.
Würde man den Mutterschutz über die Laufzeit des Arbeitsvertrages hinaus ausdehnen, würden die Chancen aller arbeitslosen Frauen sinken, wenigstens einen befristeten Arbeitsvertrag zu erhalten.
Läßt das nicht darauf schließen, daß selbst Ihr Haus davon ausgeht, daß dann, wenn eine Schwangerschaft innerhalb der Laufzeit eines befristeten Arbeitsvertrages eintritt, die Chancen einer Frau, einen Anschlußvertrag zu erhalten, gleich Null sind?
Nein, Sie interpretieren den Sprecher des Hauses falsch. Herr Reuber hat darauf hingewiesen, daß wenn schwangere Frauen davon ausgeschlossen würden, befristete Arbeitsverträge abzuschließen, die Beschäftigungschancen dieser Frauen noch weiter gemindert würden.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Ich rufe dann die Frage 32 des Abgeordneten Ranker auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Überlegungen zur Änderung des Ladenschlußgesetzes, wonach die obersten Landesbehörden die Offenhaltung von Verkaufsstellen innerhalb einer baulichen Anlage, die der Verknüpfung zwischen dem Personennah- und -fernverkehr dient, aus besonderen örtlichen Gründen, insbesondere der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, an allen Tagen von 6 Uhr bis 22 Uhr bewilligen können?
Herr Kollege, die Bundesregierung steht solchen Überlegungen grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Sie prüft derzeit, welche rechtlichen Möglichkeiten bestehen, solchen Anliegen Rechnung zu tragen. Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich dem Ergebnis dieser Prüfung heute nicht vorgreifen möchte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ranker.
Herr Staatssekretär, wie steht die Bundesregierung zu der scharfen Kritik der Hauptgemeinschaft des Einzelhandels zu diesen Fragen, die ja in etwa aussagt, daß es auf Grund der Zuständigkeit der Behörden der einzelnen Bundesländer in der Praxis zu erheblichen Ungleichbehandlungen und Ungereimtheiten bei der Regelung der Ladenschlußzeiten kommen würde, und wie gedenken Sie angesichts dessen zu verfahren?
Herr Kollege, nachdem ich gesagt habe, daß die Prüfung dieser Frage nicht abgeschlossen ist, kann ich natürlich auch nicht zu den Anwürfen, die Sie hier gerade zitiert haben, Stellung nehmen, denn je nachdem, welches Ergebnis die Prüfung hat, wird die Antwort auf die Anwürfe unterschiedlich sein.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ranker. Wenn Sie sie selber stellen wollen, brauchen Sie nicht den Kollegen zu bemühen.
Ich wollte in diesem Zusammenhang auch einmal die Frage nach Wettbewerbsverzerrungen stellen, die gerade im Bereich der kleinen Einzelhandelsbetriebe entstehen. Sie sind j a aber noch nicht mit Ihren Ergebnissen zu Rande gekommen.
Gut. Dann hat der Abgeordnete Brück zu einer Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung in ihre Überprüfung auch die Tatsache einbeziehen, daß verlängerte Öffnungszeiten automatisch zu einem höheren Umsatz in den Geschäften führen, die länger geöffnet haben, und daß dieser Umsatz dann den Geschäften, die nicht länger öffnen dürfen, verlorengehen wird und dies auch zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten für solche Geschäfte führt, weil eine Wettbewerbsverzerrung erfolgt?
Herr Kollege, selbstverständlich wird in die Prüfung die Frage einbezogen, ob durch diese oder jene Regelung neue oder zusätzliche Wettbewerbsverzerrungen eintreten. Dies wird ein wichtiger Gesichtspunkt sein, der für die endgültige Stellungnahme der Bundesregierung maßgebend sein wird.
Der Abgeordnete Dr. Enders hat um schriftliche Beantwortung der von ihm eingebrachten Fragen 33 und 34 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Damit stehen wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Herr Staatssekretär, ich bedanke mich und wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Der Bundesminister des Auswärtigen wird durch Herrn Staatsminister Dr. Stavenhagen vertreten, der uns zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung steht.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Ströbele auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung Berichte der Medien aus Mexico City, die auch von Deutschen in Mexiko bestätigt werden, daß die gespendeten Hilfsgüter aus der Bundesrepublik Deutschland für die Erdbebenopfer in Geschäften und auf Märkten der Stadt zum Teil noch in der OriginalverVizepräsident Cronenberg
packung zu Höchstpreisen verkauft werden und daß gespendete Gelder von Staatsangestellten vereinnahmt wurden und die Hilfebedürftigen nie erreichen?
Herr Kollege, nach Aussage der deutschen Botschaft in Mexico City gibt es keine Anhaltspunkte dafür, daß aus der Bundesrepublik Deutschland gespendete Hilfsgüter für die Opfer des Erdbebens in Mexiko in privaten Geschäften oder auf den Märkten der Stadt verkauft werden.
Die im Rahmen der Hilfsaktion der Bundesregierung nach Mexiko eingeflogenen zwei Rettungsfahrzeuge des Technischen Hilfswerkes und das in diesen beförderte Rettungsgerät wurden nach Beendigung des Einsatzes der zuständigen örtlichen Polizei für den Aufbau eines Katastropheneinsatzkommandos übergeben. Ein weiteres mitgeführtes Fahrzeug wurde einem unter deutscher Leitung stehenden Sozialzentrum geschenkt.
Die vom Deutschen Roten Kreuz zur Verfügung gestellten 1,5 t Medikamente wurden zusammen mit weiteren zur Ausrüstung der deutschen Helfer gehörenden Hilfsgüter dem Mexikanischen Roten Kreuz ausgehändigt. Der Präsident des Mexikanischen Roten Kreuzes hat der Botschaft versichert, daß diese Hilfsgüter an die unmittelbar betroffenen Erdbebenopfer verteilt werden. Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß in Einzelfällen Betroffene Hilfsgüter weiterverkaufen, um sich Bargeld zu verschaffen.
Der deutschen Botschaft in Mexiko ist weiterhin nichts darüber bekannt, daß mexikanische Staatsangestellte Bargeldspenden veruntreut hätten. Die mexikanische Regierung hat ein Sonderkonto für alle in- und ausländischen Spenden eingerichtet. Der mexikanische Präsident hat sich öffentlich persönlich für eine nachprüfbare Verwendung der Spendenmittel verbürgt.
Zusatzfrage. Bitte schön, Herr Abgeordneter Ströbele.
Herr Staatsminister, wollen Sie damit sagen, daß andere Hilfsgüter als die von Ihnen genannten zwei Apparate und Medikamente aus der Bundesrepublik nicht nach Mexiko geliefert worden sind?
Herr Kollege, ich kann Ihnen eine Aufstellung darüber geben, was im Rahmen der Soforthilfe geliefert worden ist. Die weiteren Maßnahmen, die für den Wiederaufbau geleistet werden, müssen einer Prüfung vorbehalten bleiben. Hierfür ist das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit zuständig.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, können Sie ausschließen, daß von diesen Hilfsgütern, die Sie bisher nicht im einzelnen aufgeführt haben, auf öffentlichen Auktionen in Mexiko Stadt mit der ausdrücklichen Begründung verkauft werden, daß dieses Geld dann den Erdbebenopfern zur Verfügung gestellt werden soll?
Herr Kollege, nach den mir vorliegenden Informationen kann ich dies ausschließen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Rusche.
Welche Kontrollmaßnahmen gibt es, um einen unseriösen Umgang mit den Hilfsmitteln aus der Bundesrepublik zu verhindern?
Herr Kollege, wir haben folgende Dinge geleistet. Einmal sind es die Fahrzeuge, deren Verwendung klar ist, deren Verwendung ich Ihnen geschildert habe. Die Barzuwendungen, die wir geleistet haben, sind für den Einsatz der 56 deutschen Helfer aufgewendet worden. Somit ist der Nachweis für dieses Geld eindeutig klar. Das weitere Geld ist für die Wiederbeschaffung des in Mexiko übergebenen Rettungsgeräts bestimmt. Damit ist der Leistungsnachweis für das aufgewendete Geld, glaube ich, lückenlos.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 63 des Abgeordneten Ströbele auf.
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang die Forderung Deutscher Residenten in Mexico City, in Zukunft Hilfsgüter und Geldspenden nur noch über nichtstaatliche Organisationen, wie z. B. die Handelskammer, direkt an die Hilfebedürftigen gelangen zu lassen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese Intentionen zu unterstützen?
Herr Kollege, die Bundesregierung unterstützt über die Botschaft in Mexiko Bemühungen der dort vertretenen deutschen Organisationen und Institutionen um eine möglichst zweckentsprechende Verwendung deutscher Spenden. Diese Mittel sollen für ein konkretes überprüfbares Projekt, z. B. den Wiederaufbau einer zerstörten Schule, verwendet werden. Die mexikanische Regierung und der Oberbürgermeister der Stadt Mexiko haben dem deutschen Botschafter gegenüber ihr grundsätzliches Einverständnis mit diesem Vorgehen erklärt. Geldspenden des Deutschen Roten Kreuzes und der christlichen Hilfsorganisationen werden ohnehin nicht über staatliche Stellen, sondern über die jeweiligen Partnerorganisationen geleitet.
Danke schön.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele, bitte schön.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung aus Presseberichten oder vielleicht aus Berichten der deutschen Botschaft in Mexiko Stadt bekannt, daß sich vor allen Dingen in den zerstörten Gebieten von Mexiko Stadt Selbsthilfeorganisationen der Bürger gebildet haben, und ist die Bundesregierung bereit, direkt an diese
Selbsthilfeorgansiationen der betroffenen Bürger Hilfeleistungen und Zahlungen zu geben?
Herr Kollege, wie ich schon ausführte, ist die Aktion der humanitären Hilfe, diese Sofortaktion, abgeschlossen. Nun wird sich die Bundesregierung über die Soforthilfe hinaus am Wiederaufbau in Mexiko beteiligen. Da sind die Überlegungen in vollem Gange und auch noch nicht abgeschlossen. Infolgedessen sind auch die Überlegungen über den Kreis derjenigen, die die Mittel bekommen, und über die Abwicklung noch nicht abgeschlossen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, den deutschen Botschafter in Mexiko Stadt zu bitten, sich mit mir, wenn ich Anfang übernächster Woche in Mexiko Stadt bin, in Verbindung zu setzen, damit ich diesem dort andere als die offiziellen Regierungsadressen nennen kann, wo er sich über den Verbleib der deutschen Hilfsgüter in Mexiko Stadt informieren und dann vielleicht die Informationen an die Bundesregierung weitergeben kann?
Herr Kollege, selbstverständlich wird Ihnen der deutsche Botschafter in Mexiko Stadt zur Verfügung stehen und Ihnen auch bei Ihrer Reise im Rahmen seiner Möglichkeiten behilfreich sein.
({0})
- Er steht Ihnen zur Verfügung.
Zusatzfrage des Abgeordneten Rusche. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Welche Möglichkeiten außer der genannten sieht die Bundesregierung sonst, den unseriösen Umgang mit Spendenmitteln zu verhindern?
Herr Kollege, die Bundesregierung wird alles versuchen und alles unternehmen, im Rahmen bewährter Wege, z. B. über das Rote Kreuz und andere Einrichtungen, Hilfeleistungen zu gewähren und dabei ihre Möglichkeiten ausschöpfen. Es ist nicht das erstemal, daß wir an ein betroffenes Land Hilfeleistungen geben. Dies hat sich in der Vergangenheit bewährt und wird sich auch in der Zukunft bewähren.
Danke schön.
Ich rufe die Frage 64 des Abgeordneten Dr. Hupka auf:
Welches Dokument liegt dafür zugrunde, daß ein Beamter des Auswärtigen Amtes in der Evangelischen Akademie Loccum erklären konnte, „das Wiedervereinigungsgebot im Grundgesetz gelte nur für die beiden Teile Deutschlands und reiche daher territorial nur bis zur Oder-Neiße-Grenze" ({0})?
Herr Kollege, die in Ihrer Frage wiedergegebene Meldung der „Süddeutschen Zeitung" vom 27. September 1985 über angebliche Äußerungen eines Beamten des Auswärtigen Amtes trifft nicht zu.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte schön.
Ich bedanke mich für die Auskunft.
Das war keine Zusatzfrage, sondern eine Höflichkeitsfloskel, die der Staatsminister sicher gern entgegengenommen hat.
Die Fragen 65 und 66 des Abgeordneten Dr. Todenhöfer werden schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe jetzt die Frage 67 des Abgeordneten Berger auf:
Sind Pressemeldungen zutreffend ({0}) denen zufolge die Sowjetunion im Kampf gegen die Freiheitskämpfer in Afghanistan erneut chemische Kampfstoffe eingesetzt haben soll, obwohl nach der Genfer Konvention von 1925 diese Waffen geächtet sind und deren Einsatz nur als Repressalie erlaubt ist?
Herr Kollege, Pressemeldungen über den Einsatz chemischer Kampfstoffe in Afghanistan bei einer kürzlichen Militäraktion sowjetischer und afghanischer Truppen bei Maydan in der Provinz Wardak müssen als nicht hinreichend gesichert betrachtet werden. Jedoch ist es richtig, daß sowjetische Verbände und afghanische Regierungstruppen in der ersten Oktoberhälfte eine großangelegte Aktion zu Lande und aus der Luft gegen Widerstandspositionen im Raume Maydan und Paghman durchgeführt haben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Berger. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, ist die Bundesregierung bereit, die in diesen Pressemeldungen genannten diplomatischen Quellen vielleicht doch noch weiter daraufhin zu erforschen, ob ein solcher Verstoß gegen die Genfer Konvention von 1925, wie er dort behauptet worden ist, nicht doch verifiziert werden kann?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat in der kurzen ihr zur Verfügung stehenden Zeit bis zur Beantwortung der Frage versucht, dies zu kären, und ist zu dem Ergebnis gekommen, das ich Ihnen vortragen konnte. Wenn sich darüber hinaus neuere Gesichtspunkte ergeben, werden wir sie Ihnen selbstverständlich mitteilen.
Dann rufe ich die Frage 68 des Abgeordneten Berger auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um den Vertragspartner dieser Genfer Konvention von 1925 Sowjetunion nach dieser wiederholten Vertragsverletzung zukünftig zu vertragstreuem Verhalten zu veranlassen?
Herr Kollege, ich verweise auf meine Antwort auf Ihre vorangegangene Frage. Darin habe ich dargelegt, daß der Bundesregierung keine gesicherten Erkenntnisse über einen Einsatz chemischer Kampfstoffe durch die Sowjetunion in Afghanistan vorliegen.
Der immer wieder auftauchende Verdacht eines Einsatzes von chemischen Kampfstoffen in verschiedenen Teilen der Welt und der von einer Expertenkommission der Vereinten Nationen festgestellte Einsatz solcher Kampfstoffe im Golfkrieg unterstreicht die Dringlichkeit eines baldigen weltweiten und umfassenden Verbotes aller chemischen Waffen.
Ein solches Verbot ist das Ziel der Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz, an denen sich die Bundesregierung intensiv beteiligt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang auch daran erinnern, daß die Bundesregierung die Bemühungen um die Schaffung einer Verifikationsregelung für das Genfer Protokoll von 1925 unterstützt hat. Diese Bemühungen haben inzwischen in einer Resolution der Vereinten Nationen ihren Niederschlag gefunden. Diese Resolution fordert den Generalsekretär der Vereinten Nationen auf, im Falle des Verdachts einer Verletzung des Genfer Protokolls selbständig Untersuchungen anzuordnen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.
Herr Staatsminister, stimmt die Bundesregierung in Konsequenz des eben Vorgetragenen mit meiner Auffassung überein, daß es gerade wegen immer wieder auftauchender Gerüchte über Verstöße gegen die schon bisher geltende Genfer Konvention notwendig ist, ausreichende Verifikationen als Vertragsbestandteil zu vereinbaren, und daß das als ausreichend auch nur dann betrachtet werden kann, wenn schon im Falle des Verdachts eine Überprüfung vor Ort ermöglicht wird?
Herr Kollege, wie ich schon sagte, ist ja in der Resolution vorgeschlagen, den Generalsekretär der Vereinten Nationen aufzufordern, im Falle des Verdachts einer Verletzung der Genfer Konvention - genau wie Sie gesagt haben - selbständig Untersuchungen anzuordnen. Im übrigen ist es Auffassung der Bundesregierung, daß hier der Verifikation eine ganz besondere Bedeutung zukommt und ein Vertrag mit einer ausreichenden und wirksamen Verifikation versehen sein muß.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatsminister, stimmen Sie und stimmt die Bundesregierung weiter mit meiner Auffassung überein, daß, solange es nicht zu einer weltweiten kontrollierten Vernichtung der Bestände an chemischen Waffen und ihrer Produktionsmöglichkeiten kommt, eine Repressalienkapazität, wie sie auch nach dem Genfer Protokoll von 1925 erlaubt ist, im Interesse unserer - der westlichen - Sicherheit daher zwingend erforderlich ist?
Herr Kollege, die Auffassung der Bundesregierung ist, daß wir zu einem globalen Abkommen, zu einer globalen Beseitigung von chemischen Waffen kommen müssen. Wir sind der Auffassung, daß auch nur ein solches globales Abkommen ausreichend verifizierbar ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Rusche.
Es ging bei der Frage um vertragstreues Verhalten. Ich wollte Sie fragen: Ist die Lagerung von chemischen Waffen der USA in der Bundesrepublik Deutschland vertragstreues Verhalten in diesem Sinne?
Die Frage lasse ich nicht zu; es ist kein sachlicher Zusammenhang.
Herr Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident, vielleicht kann ich die Frage so formulieren: Herr Staatsminister, würden Sie mir recht geben, wenn ich sage, daß schon die Lagerung von chemischen Kampfstoffen in Afghanistan zu erheblichen Gefahren für die Bevölkerung führen muß und deshalb von der Bundesregierung abzulehnen ist und daß der gleiche Maßstab auch in der Bundesrepublik angewandt werden sollte?
Herr Kollege, die Auffassung der Bundesregierung ist, daß chemische Waffen weltweit verschwinden müssen.
({0})
Das ist die Auffassung der Bundesregierung, und ich glaube nicht, daß dem noch etwas hinzuzufügen ist.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Hupka.
Herr Staatsminister, wie kann überhaupt eine Verifikation des Einsatzes von chemischen Waffen in Afghanistan erfolgen?
Herr Kollege, derzeit kann man im Rahmen der Möglichkeiten, die man hat, solchen Informationen nachgehen und versuchen, Erkenntnisse zu gewinnen. Es ist dabei sehr schwierig, gesicherte Erkenntnisse zu gewinnen, wie ich zu der Eingangsfrage schon ausführte.
Danke schön.
Der Herr Abgeordnete Duve hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 69 und 70 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers des Auswärtigen.
Der Ordnung halber möchte ich noch mitteilen, daß die Fragesteller der Fragen 42 bis 48, 51 bis 54, 36, 39, 40, 55 bis 61 um schriftliche Beantwortung
Vizepräsident Cronenberg
1 ihrer Fragen gebeten haben und daß die Fragesteller der Fragen 3, 35, 37, 38, 41, 49 und 50 ihre Fragen zurückgezogen haben. Die schriftlichen Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 6. November 1985, 13 Uhr ein und wünsche Ihnen allen ein gutes Wochenende.
Damit ist die Sitzung geschlossen.