Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich bekanntgeben, daß die Abgeordnete Frau Eid ihr Amt als Schriftführerin niedergelegt hat. Ich danke ihr für die gute Zusammenarbeit.
Die Fraktion DIE GRÜNEN schlägt als Nachfolger für das Amt des Schriftführers den Abgeordneten Rusche vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Rusche zum Schriftführer gewählt.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Tagesordnung um weitere fünf Punkte zu erweitern. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung" aufgeführt, die Ihnen vorliegt:
1. Aktuelle Stunde Waffenexport nach Saudi-Arabien
2. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Ausbildungsplatzangebot
- Drucksache 10/4019 -3. Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Programm zur finanziellen Absicherung des Rechts auf eine qualitativ sinnvolle berufliche Erstausbildung
- Drucksache 10/4027 4. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker ({0})
- Drucksache 10/3882 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Eingliederung Arbeitsloser im Arbeitsleben und zur Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes bei Arbeitslosigkeit
- Drucksache 10/4016 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Fraktion DIE GRÜNEN hat fristgerecht beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrages betreffend Stopp der Rüstungsexporte in die Länder des Nahen Ostens auf Drucksache 10/4029 zu erweitern. Sind Sie damit einverstanden, daß wir über den Antrag auf Erweiterung der Tagesordnung im Anschluß an die Fragestunde gegen 15.30 Uhr abstimmen? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Waffenexport nach Saudi-Arabien
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde zu dem genannten Thema verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Renger.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf am Anfang meiner Bemerkungen dem Herrn Bundespräsidenten, der uns alle in Israel so hervorragend vertreten hat, meinen Dank aussprechen.
({0})
Ihm ist schweres Gepäck aufgeladen worden. Durch die vorgesehenen Waffenlieferungen in Milliardenhöhe an Saudi-Arabien waren die Israelis auf das höchste alarmiert. Gleichzeitig mußten sie sich auch von den Versicherungen des Bundeskanzlers getäuscht fühlen, wie er sie in seiner Rede im Deutschen Bundestag am 9. Februar 1984 abgegeben hat.
Er erklärte:
In der Frage möglicher Rüstungslieferungen an das Königreich Saudi-Arabien habe ich die Gelegenheit ... genutzt, mich eingehend über die israelische Haltung zu unterrichten. Ich werde das, was ich gehört habe, bei der Entscheidung berücksichtigen, die in Bonn zu treffen ist ...
Meine Damen und Herren, es ist nicht anzunehmen, daß die Israelis dem Bundeskanzler ihre großen Besorgnisse verschwiegen hätten. - Er sagte weiter:
Das Ergebnis ... meiner Gespräche in Saudi-Arabien ändert nichts daran, daß die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung auch künftig restriktiv bleibt.
Ich stelle fest: das Gegenteil ist inzwischen eingetreten.
({1})
Der Bundeskanzler hat „grünes Licht" für die Lieferung einer großen Anzahl von Tornados durch die britischen Vertragspartner an Saudi-Arabien gegeben. Er hat seine Zustimmung zur Errichtung einer Munitionsfabrik mit einer umfassenden Infrastruktur gegeben. Unter anderem wurde ein Panzermodell zur Verfügung gestellt, das man j a nicht vorführt, wenn man es nicht auch liefern will. Wahrscheinlich könnte diese Aufzählung noch fortgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, mir drängt sich die Frage auf: Fehlt es dem Bundeskanzler, ja, dem Kabinett an der Sensibilität, zu erkennen, daß die immer weitere Anhäufung von Waffenarsenalen in der hochexplosiven Nahost-Region, also in einem brisanten Spannungsgebiet, jede Friedensbemühung zunichte macht und letztlich auch zur Eskalation der terroristischen Gewalt beiträgt? Zypern, Tunesien, „Achille Lauro" sind doch unübersehbare Warnzeichen.
({2})
Diese Waffenlieferungen nützen darüber hinaus auch in keiner Weise Saudi-Arabien selbst. Aber die unvermeidliche öffentliche Diskussion darüber schadet einem von uns allen gewünschten guten Verhältnis zu den arabischen Staaten und bringt uns Israel gegenüber ins Zwielicht.
Ich hatte gehofft, daß der Herr Bundeskanzler durch seinen Besuch, ich möchte sagen: geradezu körperlich dafür empfindsam gemacht worden wäre, welcher Bedrohung sich die dreieinhalb Millionen Juden ausgesetzt sehen in ihrem ersten eigenen Staat, umgeben von einer feindlichen Umwelt. Wir dürfen nicht zu vermeidbaren Überreaktionen beitragen.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat vor einem halben Jahr ein Kriegswaffenkontrollgesetz eingebracht, daß die Fragen der Waffenlieferungen, der Abgrenzung und der Kontrolle auf eine sichere Grundlage stellt. Es sollte schnellstens verabschiedet werden.
Ich hätte gerne den Herrn Bundeskanzler selbst angeredet, aber vielleicht kann man ihm das übermitteln: Er sollte von seiner Richtlinienkompetenz gemäß Art. 65 des Grundgesetzes Gebrauch machen, was angesichts der internationalen Bedeutung dieser Frage erforderlich wäre. Ich rufe ihm zu - man sollte es ihm weitersagen -: Machen Sie vor allem die Zusage der vorgesehenen Waffenlieferungen rückgängig!
({3})
Meine Damen und Herren, gestern sprach ein junger Berichterstatter im Jugendforum einen von uns allen zu beherzigenden Satz: Wir sind uns alle einig, von deutschem Boden soll nie wieder ein Krieg ausgehen. Er fügte hinzu: Von deutschen Waffen soll auch nie wieder ein Krieg ausgehen.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Hauser ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der vergangenen Woche habe ich die Entscheidung begrüßt, einem deutschen Firmenkonsortium erste Vorbereitungen zum Bau einer Munitionsfabrik in Saudi-Arabien zu genehmigen.
({0})
Ich wiederhole: Diese Entscheidung ist geprägt von hoher Empfindsamkeit für das Spannungsverhältnis zwischen außen- und sicherheitspolitischer Interessenlage und wirtschaftspolitischer Vernunft.
({1})
Die Entscheidung steht auch in Übereinstimmung mit den politischen Grundsätzen der Bundesregierung vom 28. April 1982.
({2})
Diese Grundsätze sind von der SPD-geführten Bundesregierung aufgestellt worden.
({3})
Es ist deshalb nicht sehr hilfreich - Frau Kollegin -, wenn der Herr Professor Ehmke in einer Presseerklärung behauptet, ein Rüstungsexport sei verboten, wenn die innere Lage des Empfängerlandes in bezug auf Menschenrechte der Genehmigung entgegenstehe.
({4})
- Ich würde Ihnen empfehlen, erst einmal zuzuhören.
So bedeutend die Beachtung der Menschenrechte in anderen Ländern für unsere Politik sein muß, in den politischen Grundsätzen für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern, verabschiedet von einer SPD-geführten Regierung, kommen sie nicht vor.
Hauser ({5})
Ich frage mich allerdings, wie glaubwürdig eine Argumentation ist, wenn damit in bereits von der damaligen Regierung erlassene Richtlinien zusätzliche Kriterien hineingeschmuggelt werden sollen, offenbar in der Absicht, die dünne Argumentation haltbarer zu machen.
({6})
Für uns steht zweifelsfrei fest, daß die bisherige Entwicklung in klarer Abstimmung mit Recht und Gesetz stattgefunden hat.
({7})
Diese Diskussion kann sich deshalb auf den politischen Gehalt konzentrieren.
Dabei möchte ich mich gerne an ein Wort halten, das der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt in einer Debatte hier im Hohen Hause
({8})
am 30. Januar 1981 zur damaligen Krisensituation am Persischen Golf geprägt hat. - Wissen Sie, die Art und Weise, wie Sie auf das hier reagieren, zeigt mir, daß Sie offenbar nicht gerne an Ihre eigene politische Vergangenheit in diesem Hause erinnert sein wollen.
({9})
Helmut Schmidt sagte damals:
Wir haben überhaupt keinen Grund, diese Debatte mit einem schlechten Gewissen zu führen. Im Gegenteil, wir haben allen Grund, diese Debatte mit Stolz auf unsere wohltuende, der Welt dienende Zurückhaltung zu führen.
Ich halte es für bedauerlich, daß in der SPD-Fraktion offenbar niemand bereit ist, eine solche differenzierte Bewertung der Problemlage vorzunehmen, wenn wir über den Bau einer Munitionsfabrik in Saudi-Arabien sprechen.
Die vorliegenden Zahlen sprechen eindeutig dafür, daß auch diese Bundesregierung den Rüstungsexport äußerst restriktiv handhabt.
({10})
Im Durchschnitt der Jahre 1981 bis 1984 machten die Rüstungsausfuhren jährlich 2,3 Milliarden DM aus; das sind 0,54 % der gesamten deutschen Warenausfuhr.
({11})
In den letzten Jahren waren es weniger als 4 % der Rüstungslieferungen im internationalen Vergleich.
({12})
Dies hat das renommierte Internationale Friedensforschungsinstitut in Stockholm festgestellt.
Meine Damen und Herren, wenn man sich diese Zahlen ansieht, dann fällt es einigermaßen schwer, dem Kollegen Gansel zu glauben, wenn er in diesem Zusammenhang von einer Waffenexportoffensive redet. Er tut das entweder in Unkenntnis der wahren Sachverhalte, oder es ist böswillig.
Jedem ist klar, daß eine solche Entscheidung eine große Anzahl von Abwägungen widerstrebender Interessen enthält, auch von Interessen der eigenen Wirtschaft. Zwangsläufig enthält sie auch eine Vielzahl moralischer Abwägungsnotwendigkeiten,
({13})
und sie ist in jedem Fall sehr viel komplizierter, als mancher es sich vorstellt, sehr viel komplizierter insbesondere, als es sich offenbar der Herr Fraktionsvorsitzende Vogel vorstellt, wenn er der Regierung vorwirft, sie involviere sich mit dieser Entscheidung ohne jede Not in einer Krisenregion.
({14})
Wir sagen dazu: Solange politische Konfliktregelungen und vertraglich internationale Rüstungsbeschränkungen nicht erreicht sind,
({15})
muß sich unser Rüstungsexport nach den vitalen Interessen der Bundesrepublik Deutschland,
({16})
einer weltweiten Sicherung des Friedens und der Freiheit,
({17})
der Sicherung unserer Verteidigungsfähigkeit und unserer wirtschaftlichen Lebensnotwendigkeiten richten.
Meine Damen und Herren, Saudi-Arabien ist ein Land, das in vielen Bereichen eine mäßigende und stabilisierende Rolle in seiner Region spielt.
({18})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Darf ich noch einen Satz sagen? - Dieses Volk hat erkannt, daß sich die Golfstaaten der Bedrohung der sowjetischen Militärmacht ausgesetzt sehen,
({0})
und wir werden dazu beitragen, daß auch in diesem Teil der Welt der Frieden gesichert bleibt.
({1})
Meine Damen und Herren, ich empfehle uns allen in dieser frühen Mor12334
Präsident Dr. Jenninger
genstunde etwas Zurückhaltung und die Bereitschaft, dem Redner zuzuhören.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Borgmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit schöner Regelmäßigkeit versichern uns die Regierungsvertreter, das Ziel einer restriktiven Waffenexportpolitik nicht aus den Augen zu lassen - wie wir auch gerade wieder gehört haben. Jüngstes Beispiel: Regierungssprecher Ost verwies auf strenge Maßstäbe bei der Genehmigung von Kriegswaffenausfuhren. Beruhigend, zu wissen, daß das Grundgesetz in dieser hinsicht bei der Kohl-Regierung in guten Händen ist! Beruhigend auch, zu wissen, daß die Bundesrepublik zu den sechs größten Waffenlieferanten der Welt gehört. Beruhigend für die Rüstungsbosse!
Zur Absicherung dieses hervorragenden Tabellenplatzes sind Leute wie Verteidigungsminister Wörner oder Ministerpräsident Strauß gerade jetzt wieder unterwegs auf Verkaufstournee, in Japan, Korea, Indonesien und Thailand bzw. China. Ländern,
({0})
die allesamt Kriegsgerät in großem Stil von bundesdeutschen Firman kaufen.
({1})
Während die Schmidt-Regierung immerhin fünf Jahre brauchte, um Waffen im Werte von ca. 8 Milliarden DM zu exportieren, schafften die Christliberalen dies in nur einem Jahr, nämlich 1983.
Doch damit nicht genug: Die Vertriebskooperative Rüstungsfirmen plus Regierungsvertreter stellte ihren eigenen Rekord in den Schatten. Der Verkaufsumfang des in Rede stehenden Saudi-Geschäfts beträgt runde 8 Milliarden DM. Wie man sieht, wird hier der geistig-moralischen Wende voll Rechnung getragen.
({2})
Unsere Fraktion wird - im Unterschied zur SPD-Fraktion - von der Bundesregierung über beabsichtigte Rüstungsexporte nicht informiert.
({3})
Rüstungsexporte sind in der Öffentlichkeit nicht mehrheitsfähig - ein Grund dafür, hier von der Bundesregierung öffentlich Rechenschaft zu verlangen. Wir haben einen Antrag gestellt, der die Veröffentlichung wenigstens statistischer Angaben über die Rüstungsexporte - wie in den USA üblich - verlangt. Natürlich wird die moralisch-sittliche Mehrheit in diesem Hause diesen Antrag hier ablehnen; denn würde die Bundesregierung öffentlich erklären müssen, wer wie viele und welche Waffen und Rüstungsmaterialien bekommt, ein Proteststurm ginge durch unser Land. Die Mehrzahl der Bürger will keinen Rüstungsexport, will kein Geschäft mit dem Tod.
({4})
„Rüstungsexporte in Entwicklungsländer sind", so erklärte der Vorsitzende der Deutschen Postgewerkschaft, Kurt van Haaren, am 1. September dieses Jahres in Neuwied, „nicht nur unmoralisch, sondern auch in hohem Maße menschenverachtend". Ich kann mich dem nur anschließen und hinzufügen: Wir lehnen auch Rüstungsexporte in entwikkelte, in Industrie- und Schwellenländer ab.
Gegen den Export von Panzern nach Saudi-Arabien tritt selbst die IG Metall ein. Sie wird dabei berücksichtigt haben, daß die Argumentation mit vermeintlich sicheren Arbeitsplätzen hier nicht zieht. Arbeitsplätze, die mit dem Tod von Menschen in anderen Ländern erkauft werden, sind für uns - anders als für die Mehrheit dieses Hauses - kein erstrebenswertes Ziel.
({5})
Das in der Öffentlichkeit diskutierte Saudi-Arabien-Geschäft hat einen ungewöhnlich großen finanziellen Umfang. Wenn die SPD aber den Eindruck zu erwecken versucht, hier geschehe etwas völlig Neues, so ist dies unredlich. Saudi-Arabien gehört zu den Großkunden der bundesdeutschen Rüstungsindustrie, und dies nicht erst seit gestern, auch nicht erst seit 1982.
({6})
Die Wende-Regierung setzt also mit dem neuen Geschäft das fort, was die SPD 13 Jahre lang praktiziert hat.
({7})
Allerdings betreibt die jetzige Regierung diese Waffengeschäfte noch dreister, noch profitgieriger, noch skrupelloser.
({8})
Wir freuen uns natürlich darüber, daß sich die SPD jetzt - in der Opposition - gegen diese Waffengeschäfte wendet;
({9})
Sie können sicher sein, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, daß wir diese begrüßenswerten Vorstöße nicht so schnell vergessen werden.
Auch Israel kritisiert nachhaltig das deutsche Waffengeschäft mit den Saudis. In dieser Kritik ist ein sehr ernster Kern enthalten. Die Israelis fürchten wohl weniger, daß die jetzige saudi-arabische Regierung die Waffen gegen Israel richtet, als vielmehr, daß eine andere Regierung nach einem Umsturz im Lande selbst dies tun könnte.
Konsequenz dieser Überlegungen: Die Lieferung von Tornados, Panzern oder Munition in ein KriFrau Borgmann
sengebiet wie den Nahen Osten setzt eine nicht zu überbietende Scheinheiligkeit voraus, die unter dem Mäntelchen „legitimer Interessenbefriedigung" - so unser Bundeskanzler - nur ein Ziel kennt, nämlich Reibach,
({10})
Reibach als Grundlage einer Nahostpolitik, die den israelischen Terrorüberfall auf das PLO-Hauptquartier, die brutale Schiffskaperung durch Palästinenser, das andauernde gewaltsame Sterben im Libanon oder auch den nur lokal geführten Golfkrieg offensichtlich nicht ins Kalkül zieht, von der möglichen Initialzündung für einen globalen Konflikt ganz zu schweigen.
Unter dem Eindruck derart gigantischer Unersättlichkeit können wir nur wiederholt die Einstellung jeglicher Waffenexporte in diese Region fordern, und wir fordern die Veröffentlichung aller Rüstungsexporte. Wir haben ein Recht darauf, wenigstens zu erfahren, welche Regimes warum mit bundesdeutschen Waffen versorgt werden.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich bin fertig.
({0})
Ich erteile dem Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für Wirtschaft, Herrn Grüner das Wort.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Aktueller Anlaß für diese Aktuelle Stunde ist die Genehmigung der Ausfuhr von Unterlagen,
({0})
von Konstruktionszeichnungen für eine Munitionsfabrik in Saudi-Arabien. Zu diesem Sachverhalt möchte ich für die Bundesregierung hier Stellung nehmen, und ich möchte den Versuch machen, die Informationsbasis zu verbreitern.
Saudi-Arabien ist wegen der Errichtung einer Munitionsfabrik an deutsche Firmen herangetreten. Zwischen Saudi-Arabien und den Firmen Rheinmetall und Thyssen Rheinstahl Technik GmbH haben erste Verhandlungen stattgefunden; ein Liefervertrag wurde bisher nicht abgeschlossen.
Zur Fortführung der Verhandlungen mit Saudi-Arabien war für die Firma Rheinmetall die Vorlage bestimmter technischer Zeichnungen erforderlich. Auf Antrag der Firma wurde vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft am 14. Mai 1985 eine Ausfuhrgenehmigung für entsprechende Konstruktionszeichnungen und Fertigungsunterlagen erteilt.
Dieser Genehmigung ist vom Bundeswirtschaftsministerium in Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt zugestimmt worden.
({1})
Aus der Erteilung der Ausfuhrgenehmigung für technische Zeichnungen kann kein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung für die Ausfuhr der Anlage hergeleitet werden. Darauf ist im Genehmigungsbescheid ausdrücklich hingewiesen worden.
({2})
Bisher sind konkrete und spezifizierte Anträge für die Ausfuhr von Gegenständen, die dem außenwirtschaftsrechtlichen Genehmigungsvorbehalt unterliegen, nicht gestellt worden. Sofern die deutschen Unternehmen den endgültigen Zuschlag erhalten, wird über derartige Ausfuhranträge zu gegebener Zeit unter den dann gegebenen Umständen zu entscheiden sein.
Die Ausfuhr der Fertigungsunterlagen ist erst genehmigt worden, nachdem vom saudiarabischen Verteidigungsministerium die erforderliche Endverbleibserklärung beigebracht worden ist, wie dies nach den rüstungsexportpolitischen Grundsätzen der Bundesregierung vom April 1982 zwar nicht vorgeschrieben, aber anzustreben ist.
Der genaue Umfang der Gesamtanlage und die konkreten Projektstufen stehen nach Auskunft der Firma Rheinmetall noch nicht fest. Soweit uns das Projekt bekannt ist, umfaßt der größte Teil der Lieferungen voraussichtlich Gegenstände, deren Ausfuhr keiner Genehmigung bedarf oder die nach Abschnitt C Teil I der Ausfuhrliste - also keine sonstigen Rüstungsgüter im engeren Sinne - bis auf wenige Ausnahmen vom Bundesamt für gewerbliche Wirtschaft selbständig genehmigt werden können. Bei den übrigen Gegenständen handelt es sich nach bisheriger Erkenntnis voraussichtlich um sonstige Rüstungsgüter, deren Ausfuhr nach dem Außenwirtschaftsgesetz genehmigungspflichtig ist und über die im Lichte der rüstungsexportpolitischen Grundsätze zu entscheiden ist.
Die jetzt getroffene Entscheidung muß vor dem Hintergrund unserer guten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien gesehen werden.
({3})
Im Lichte dieser Gesamtsituation hat bereits die frühere Bundesregierung wiederholt und nach sorgfältiger Abwägung aller Einzelumstände der Lieferung bestimmter Rüstungsgüter nach Saudi-Arabien zugestimmt.
({4})
So hat z. B. die damalige Bundesregierung 1977 der
Ausfuhr einer Fertigungsanlage für Maschinenge12336
wehre und einer Sprengstoffabrik nach Saudi-Arabien zugestimmt.
({5})
Beide Projekte sind in der Folgezeit nicht verwirklicht worden,
({6})
weil die deutschen Unternehmen nicht zum Zuge gekommen sind.
({7})
Weitere positive Entscheidungen der früheren Bundesregierung betrafen die Lieferung eines Minenräumsystems im November 1978 und die Lieferung von 72 Feldhaubitzen, Kaliber 155 mm, aus britischer Endfertigung im Oktober 1981. Außerdem wurden seit 1978 über mehrere Jahre fortlaufend Lieferungen von Komponenten für die Herstellung von Handfeuerwaffenmunition genehmigt.
Aus dieser Darlegung des Sachverhalts, meine Damen und Herren, ergibt sich, daß der Rüstungsexport der Bundesrepublik Deutschland nach Saudi-Arabien unverändert restriktiv gehandhabt wird.
({8})
Dies entspricht den rüstungsexportpolitischen Grundsätzen von 1982 und deren Handhabung durch die frühere und die jetzige Regierung.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gansel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So leicht, Herr Grüner, können Sie sich die Sache nicht machen. Das kennen wir seit zehn Jahren von Ihnen.
({0})
Wir wollen bei dieser Debatte in Erfahrung bringen, aus welchen Motiven und mit welchem Ziel sich die Bundesregierung am Brandherd des Golfes und im israelisch-arabischen Konflikt, also außerhalb des Geltungsbereiches des NATO-Vertrages, militärisch engagieren will.
({1})
Wir wissen, daß Waffen- und Munitionsverkäufe der geplanten Dimension die Entsendung deutscher Experten und Ausbildungshilfe durch das Bundesverteidigungsministerium nach sich ziehen werden. Wir befürchten, daß an die Stelle unseres Auftrages, durch eine Politik des Vermittelns und des Ausgleichens zum Frieden beizutragen, militärische Parteinahme treten wird.
({2})
Die Moral der deutschen Außenpolitik wird auf der Strecke bleiben, und die Zeche wird zum Schluß die deutsche zivile Exportindustrie zahlen.
({3})
Die Bundesregierung kann sich nicht damit herausreden - auch nicht mit Unterstützung der GRÜNEN -, daß ihre Vorgängerin bis 1981 den Export von Funk- und Minensuchgeräten und einer Anlage zur Produktion von zivilen und militärischen Sprengstoffen genehmigt hat. Die Kritik an diesen Genehmigungen und an den Überlegungen Helmut Schmidts, Panzerverkäufe an Saudi-Arabien zu genehmigen, hatte in der Öffentlichkeit und in der SPD zu einer Diskussion geführt, die mit der Verabschiedung neuer Waffenexportrichtlinien im April 1982 abgeschlossen wurde.
({4})
Waffenlieferungen außerhalb des Bündnisses sollten nur noch dann erfolgen,
({5})
wenn vitale Interessen der Bundesrepublik Deutschland unter Berücksichtigung des Bündnisinteresses es erforderten. Schmidt ließ deshalb dem König im Juni 1982 mitteilen, daß die von Saudi-Arabien gewünschten Waffenlieferungen nicht erfolgen könnten. Johannes Rau hat diese Haltung wenige Tage vor seinem anstehenden Besuch in Saudi-Arabien bekräftigt. Das schafft Klarheit.
({6})
Helmut Schmidt hat sich der öffentlichen Diskussion gestellt. Helmut Kohl spielt herunter, drückt sich, ist nicht hier, weicht aus, sitzt aus, schwitzt aus. Er versucht, sich hinter dem Rücken seines Vorgängers in Deckung zu begeben. Die Unterschiede im politischen Format würden das ermöglichen, aber nicht die Unterschiede in der Sache.
({7})
Die Regierung Kohl/Bangemann entdeckt überall dort „vitale Interessen", wo die Rüstungsexportlobby vorher gewesen ist. Sie liefern nach Südamerika, Afrika, in den Nahen Osten und in den Fernen Osten, jetzt auch in die Volksrepublik China. Können Sie mir eine Region, ein Konfliktfeld der internationalen Politik nennen, in das Sie keine Waffen liefern wollen?
Seit Ihrer Amtsübernahme haben Sie allein nach Saudi-Arabien den Export von Kriegsschiffen, Hubschraubern, Panzerspähwagen, anderen Waffen, von denen wir im Auswärtigen Ausschuß unter „Geheim" erfahren haben - dazu können wir hier nichts sagen -, und von Tornado-Kampfflugzeugen genehmigt. Und jetzt auch noch das Milliardenprojekt für die Munitions- und Pulverfabriken!
1981 verkaufte Großbritannien an Saudi-Arabien über 70 Feldhaubitzen, ein deutsch-britisches Produkt, aus dem Bestand seiner Armee. Dagegen konnte die Bundesregierung kein Veto einlegen. Jetzt will Großbritannien an Saudi-Arabien den atombombenfähigen Tornado verkaufen. 40 % dieGansel
ses Flugzeuges stammen aus deutscher Fertigung. Aber bei diesem Gemeinschaftsprojekt hat die sozialliberale Koalition einen Zustimmungsvorbehalt im Falle von Exporten vertraglich vereinbart.
Als Israel gegen den Tornado-Verkauf an Saudi-Arabien protestierte, nahm der Sprecher der Bundesregierung am 7. Oktober dazu Stellung: Man habe für diese Bedenken zwar Verständnis, aber man könne den Briten nichts vorschreiben. Es gebe keinen deutschen Zustimmungsvorbehalt. - Herr Ost hat dabei unterschlagen, daß es seine Bundesregierung war, die den Vertrag nachträglich geändert hat, indem sie auf den Zustimmungsvorbehalt schriftlich verzichtet hat.
({8})
Dies ist ziemlich genau wenige Tage nach dem Besuch des Bundeskanzlers in Saudi-Arabien geschehen - nach seiner leichtfertigen Verpflichtung zur verteidigungspolitischen Zusammenarbeit. Der Bundeskanzler hatte noch nicht einmal das Rückgrat, seinerzeit im Auswärtigen Ausschuß über diese Vertragsänderung zu informieren. Wir haben davon durch „Die Zeit" und den „Spiegel" erfahren.
Es geht um Waffenexporte von ungefähr 15 Milliarden DM. Es geht um das deutsch-israelische Verhältnis. Es geht auch um das deutsch-arabische Verhältnis. Es geht um Art. 26 des Grundgesetzes. Es geht wirklich um eine Schicksalsfrage unseres Volkes.
({9})
Ich sage Ihnen: Das haben die Deutschen, das haben auch die Saudis nicht verdient: diese Mischung von Inkompetenz und Feigheit, die dazu führt, daß der Bundeskanzler sich hier heute nicht rechtfertigen kann.
({10})
Ich danke, Herr Präsident!
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU begrüßt die Erklärung der Bundesregierung, daß die Genehmigung des Bundesamtes für gewerbliche Wirtschaft vom 14. Mai 1985 keine Ausweitung der bisherigen restriktiven Rüstungsexportpolitik darstellt. Herr Staatssekretär Grüner, die CDU/CSU begrüßt es, daß Sie hier nachhaltig offengelegt haben, daß sich die Rheinmetall erteilte Genehmigung voll im Einklang mit dem Außenwirtschaftsgesetz befindet.
Die CDU/CSU setzt mit dieser Politik die restriktive Rüstungspolitik fort. Sie befindet sich in voller Übereinstimmung mit ihr.
Diese restriktive Rüstungspolitik knüpft an die bereits von der SPD im Einklang mit der FDP praktizierte Rüstungsexportpolitik an. Sie beruht auf der Grundlage des Kriegswaffenkontrollgesetzes und des Außenwirtschaftsgesetzes.
Die CDU/CSU begrüßt darüber hinaus die hier getroffene Aussage, wonach der zur Debatte stehenden Genehmigung keinesfalls eine Präjudizwirkung zukommt.
({0})
Es muß festgehalten werden, daß die CDU/CSU für diese Fortführung der restriktiven Rüstungsexportpolitik eintritt. Die hier getroffene Entscheidung beweist dies.
Wer wie die SPD dies seit Tagen zum Anlaß nimmt, mit Polemik, mit mißverständlichen Aussagen die Fakten der Politik bewußt zu vernebeln, dem geht es nicht um die wohlverstandenen Interessen der Bundesrepublik Deutschland, sondern darum, innenpolitisch und außenpolitisch Mißtrauen zu säen und dies ausschließlich in selbstsüchtigem Eigeninteresse.
({1})
Herr Gansel, Ihr Beitrag eben war an sich ein klassischer Beweis dafür. Sie haben auch gezeigt, wie die SPD mit doppelter Moral argumentiert. Dies ist nicht glaubwürdig und wird von uns nicht hingenommen.
Die SPD tut, als wäre sie nie in Verantwortung gewesen. Sie ist aufgerufen, die auch von ihr zu vertretende und verantwortende Politik mitzutragen, wie zu Zeiten der SPD-Regierung auch die CDU/ CSU in der Opposition sich dieser Pflicht nicht entzogen hat.
Ich bin gerade in diesem Zusammenhang der Meinung, daß die Lieferung von Waffen, wie sie die Sozialdemokraten in ihrer Regierungszeit zu verantworten hatten, weit problematischer als die Lieferung von Anlagen sein kann. Die SPD wird von uns nicht aus der Verantwortung entlassen werden.
({2})Herr Gansel, im vitalen Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt es, diese Golfregion zu stabilisieren.
({3})
Dies ist auch unter außenwirtschaftlichen Gesichtspunkten unabdingbar.
({4})
Ihre Diskussionsbeiträge, beispielsweise die von Herrn Wischnewski vor kurzem im Auswärtigen Ausschuß, zeigen, daß Sie die gleichen Sorgen und die gleichen Probleme haben. Wir müssen langsam mal wissen, wer von der SPD eigentlich das Sagen
hat: Sie, Herr Gansel, oder aber in der politischen Verantwortung andere Politiker bei Ihnen.
({5})
Können Sie sich am Beispiel der Ölpreispolitik Saudi-Arabiens klarmachen, welche Verantwortung Saudi-Arabien seit Jahren in dieser Region übernimmt?
({6})
Saudi-Arabien ist selber maßgeblich gerade an der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit uns interessiert.
Die CDU/CSU hat keinen Nachholbedarf in ihrer Freundschaft mit Israel. Aber wir sind auch der Meinung, daß das abgrundtiefe Mißtrauen gegen Saudi-Arabien unangemessen ist, besonders angesichts der traditionellen guten Beziehungen, die sich vor allem in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit manifestieren.
({7})
Unser langfristiges Ziel kann nur darin bestehen, gemeinsam mit anderen Ländern die stabilisierenden Elemente in dieser Region zu festigen und damit den Frieden auch langfristig herbeizuführen und zu sichern.
({8})
Hier sei die Frage erlaubt, mit wem überhaupt ein Ausgleich in dieser Region erreichbar ist, wenn nicht auch mit Saudi-Arabien. Es wird wahrscheinlich auch Ihnen, Herr Dr. Vogel, trotz Ihrer Zwischenrufe klar sein, daß ein nicht stabilisiertes Saudi-Arabien kein Vorteil für Israel wäre.
({9})
Es geht also nicht darum, Freunde vor den Kopf zu stoßen, sondern darum, gemeinsam nach einer Politik zu suchen, die im wohlverstandenen Interesse auch der Bundesrepublik Deutschland liegt.
In diesem Zusammenhang darf und muß daran erinnert werden: Es war nicht diese Bundesregierung, die die Leos an Saudi-Arabien verkauft hat; es waren Ihr Bundeskanzler Schmidt und Ihre Fraktion, die Weichen gestellt haben, die noch heute für uns spürbar sind.
({10})
Sich daraus mit Polemik zu retten, wird Ihnen nichts nutzen. Sie haben Zeichen gesetzt, an die Sie sich selber halten müssen.
({11})
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß!
Ich darf einen letzten Satz sagen. Es bleibt dabei: Die CDU/CSU sieht keinen Anlaß, von ihrer restriktiven Rüstungspolitik abzuweichen.
({0})
Die hier diskutierten Maßnahmen der Bundesregierung befinden sich in diesem Rahmen.
Schönen Dank.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren. Die FDP-Bundestagsfraktion hat mit großer Aufmerksamkeit die Entscheidung der Bundesregierung nach dem Außenwirtschaftsgesetz, hier vorgetragen vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Grüner verfolgt, daß sich deutsche Unternehmer an einer Ausschreibung für eine Munitionsfabrik in Saudi-Arabien beteiligen können. Diese Frage wurde in der Fraktion mit großer Sorgfalt diskutiert.
Die FDP hat zur Kenntnis genommen, daß die Bundesregierung grundsätzlich an einer restriktiven Politik für Waffenexporte festhält. Wir stellen mit Befriedigung fest, daß die Genehmigung den Vorbehalt enthält, daß die Ausfuhrgenehmigung noch keine zustimmende Vorentscheidung ist, daß diese endgültige Entscheidung vielmehr erst im konkreten Fall des Zuschlags und im Lichte der dann in der Region bestehenden Situation gefällt wird. Eine Genehmigung ist nach unserer Auffassung deshalb nicht präjudiziert worden. Darüber hinaus enthält der Vorentscheid eine sogenannte Endverbleibsklausel.
Die FDP sieht darin den Beweis dafür, daß die Bundesregierung an ihrer restriktiven Politik beim Waffenexport festhält und diese Politik in jeder Phase des Genehmigungsvorgangs auch mit Sorgfalt und unter Abwägung aller Argumente durchhalten will.
({0})
Die FDP-Bundestagsfraktion stellt ferner mit Genugtuung fest, daß diese Bundesregierung in der Kontinuität der sozialliberalen Koalition steht, die deutsche Waffenexporte ebenfalls restriktiv gehandhabt hat. Wir erinnern daran, Herr Gansel, daß seinerzeit beim Kooperationsabkommen im Waffenbau zwischen verschiedenen Ländern in Europa das deutsche Vetorecht in ein Konsultationsrecht umgewandelt worden ist.
({1})
Vor diesem Hintergrund ist die Lieferung der Tornados zu sehen. Auch die Einschränkung bezüglich der Spannungsgebiete ist damals zugunsten des vitalen Interesses der Bundesrepublik Deutschland - das wurde schon mehrfach zitiert - aufgegeben worden.
Wir von der FDP halten jedenfalls die Entscheidung von damals auch heute noch für richtig.
({2})
Wir wiederholen hier vor diesem Hohen Hause unsere grundsätzliche Auffassung über Rüstungsexporte in der Welt. Außenminister Genscher hat mehrfach mehr Transparenz im internationalen Waffengeschäft gefordert und dies auch vor der UNO vorgetragen.
({3})
Bei einem internationalen Vergleich stünde die Bundesrepublik mit ihrer restriktiven Waffenexportpolitik gut da. Noch besser käme die Bundesrepublik bei einem Vergleich zwischen Aufwendungen für Waffenexporte und Aufwendungen für die Entwicklungshilfe weg.
Zum Waffenexport in den sensiblen Bereich des Nahen Ostens, der sicher in allen Fraktionen sehr unterschiedliche Auffassungen hervorgerufen hat, stelle ich fest, daß ich als Angehöriger der mittleren Generation - ich spreche jetzt sicher für viele in diesem Hause ({4})
genauso fühle, wie es Bundespräsident von Weizsäcker hier anläßlich des 40. Jahrestages des Kriegsendes formuliert hat: Als ein Kind, das in der Zeit düsterer deutscher Geschichte aufgewachsen ist, fühle ich mich verantwortlich für diese Region. Ich fühle mich aber nicht schuldig.
({5})
Ich stehe zu meiner Verantwortung. Meine Verantwortung für Israel möchte ich aber auch wahrnehmen können, indem ich als Abgeordneter jeden Fall von Waffenlieferungen für sich und unabhängig von einer anderen Entscheidung, die unter anderen Voraussetzungen getroffen wurde, beurteile.
({6})
Deshalb stehe ich auch heute noch zu der damaligen Entscheidung der sozialliberalen Koalition. Sie wissen sich selbst genau daran zu erinnern.
Entscheidend für mich ist der Einzelfall; ich möchte sagen: die Einzigartigkeit jeder Entscheidung. Es darf keine vorgefestigte und keine von vornherein festgelegte Meinung geben. Eine Beteiligung an einer Ausschreibung in Saudi-Arabien muß vor dem Hintergrund der Stabilität der inneren Verhältnisse in diesem Land und der Haltung Saudi-Arabiens gegenüber Israel in der Konferenz von Fès gesehen werden. Dort haben die Saudis das Lebensrecht aller in der Region bekräftigt und eine ausgesprochen konstruktive Rolle gespielt.
Bundeskanzler Kohl hat diese Zusagen, die damals von der Regierung Schmidt gegenüber SaudiArabien gemacht wurden, modifiziert, und er hat sie erneuert. Er hat auch in Israel dazu gestanden, und dafür danken wir ihm ausdrücklich.
({7})
Aus diesen Gründen steht die FDP auch heute hinter der Entscheidung der Bundesregierung.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Stobbe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Für uns Deutsche ist das Thema Rüstungsexport mit den Kategorien reiner Realpolitik nicht zu bewältigen.
({0})
Unsere Geschichte verlangt von uns eine Betrachtung des Themas, mit der wir unsere bitteren Erfahrungen aus der Vergangenheit aufarbeiten. Darüber bestand in unserem Volk bislang ein weitreichender Konsens. Die Bundesrepublik Deutschland hat sich durch grundgesetzliche Bestimmungen, durch Gesetze und vor allen Dingen durch die Richtlinien der Regierung selbst aus dem Jahre 1982 freiwillig enge Grenzen gesetzt, wie sie in keinem vergleichbaren Land der Welt für den Rüstungsexport bestehen.
Die jetzige Bundesregierung lebt mit dem traurigen und alarmierenden Makel, daß sie diese restriktive Politik aufgeben will, daß sie eine Bewertung des Themas aus einer ganz bestimmten Gesinnung heraus aufgibt und sich in dieser Frage immer mehr einer fast zynischen Realpolitik zuwendet.
({1})
Wirtschaftliche Opportunität scheint das Denken derjenigen zu beherrschen, die für einen neuen Stil bei den Entscheidungen und für neue Sachentscheidungen gesorgt haben. Die engen Grenzen der politischen Grundsätze der Regierung Schmidt aus dem Jahre 1982 sind von der Regierung Kohl heute ganz eindeutig überschritten.
({2})
All die Nachrichten, die wir bekommen - und die Sie auch nicht haben widerlegen können, Herr Kollege Hauser -, zeigen, daß diese Bundesregierung auf dem Weg ist, für die Bundesrepublik Deutschland gewissermaßen Marktpositionen im internationalen Waffengeschäft zu erobern. Das ist nicht nur eine Abkehr von den Richtlinien aus dem Jahre 1982, zu denen sich Bundeskanzler Kohl ursprünglich bekannt hat, sondern das führt darüber hinaus, so befürchte ich, auch zu einer Zerstörung der gemeinschaftlichen Überzeugung, daß die Bundesrepublik Deutschland in Sachen Rüstungsexport prinzipiell restriktiv handeln muß.
({3})
Die Bundesregierung lädt sich damit nicht nur den außenpolitischen Ärger auf, den wir ja jetzt schon in Israel gesehen haben, sondern sie fordert auch eine innenpolitische Diskussion heraus, von der ich annehme, daß sie prinzipiell und sehr aufwühlend sein wird.
Das neue Vorgehen der Bundesregierung erfordert zunächst einmal eine adäquate parlamentarische Kontrolle in diesem Bereich. Der Weg des gemeinsamen Tragens von Ausnahmeentscheidungen durch das Einbeziehen einiger weniger Spitzenpar12340
lamentarier - auch aus dem Bereich der Opposition - in den Kreis der Informierten trägt deshalb nicht mehr, weil der Bundeskanzler die Zusage der rechtzeitigen und umfassenden Information eindeutig nicht eingehalten hat.
({4})
Das alte Verfahren kann nicht mehr repariert werden; das dafür notwendige Vertrauen ist verspielt worden.
({5})
Der Bundestag braucht jetzt eine angemessene Kontrollmöglichkeit für die Rüstungsexportentscheidungen der Bundesregierung. Wir fordern die Kollegen aus den anderen Fraktionen auf, dem von der SPD hierzu vorgelegten Gesetzentwurf zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, Frau Renger hat über Israel gesprochen. Ich frage: Hat die Bundesregierung bedacht, wie die Anzeigen in der amerikanischen Presse demnächst aussehen werden, die die aufs höchste besorgten, beunruhigten und auch mächtigen jüdischen Organisationen in den Vereinigten Staaten gegen diese Bonner Politik lancieren werden? Ich frage: Ist sich der Bundeskanzler denn nicht bewußt, daß für Konrad Adenauer die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Israel, die Wiedergutmachungsgesetze und sein starkes Werben gerade bei den amerikanischen Juden eine einheitliche Politik waren und deren Erfolg eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Aufnahme der Bundesrepublik Deutschland in die internationale Völkerfamilie war? Warum, so frage ich, gefährden Sie diesen mit so vielen Mühen geschlossenen Kreis durch eine Rüstungsexportpolitik, die ihn ja doch nur sprengen kann?
({6})
Wenn die Saudis berechtigte Sicherheitsinteressen haben sollten, dann dürfen es noch lange nicht die Deutschen sein, die ihnen ihre diesbezüglichen Wünsche erfüllen. Daß Sie über diesen Grundsatz einfach hinweggehen, meine Damen und Herren, zeigt, daß das Vorgehen der Bundesregierung letztlich wirtschaftlich und kommerziell motiviert ist, also: Rüstungsexport aus Gründen des Geschäfts. Rüstungsexport aus Gründen des Geschäfts also. Dazu kann ich nur sagen: Unser Land muß seine wirtschaftlichen Probleme mit anderen Mitteln lösen als mit der Vorstellung, daß über den Rüstungsexport der wirtschaftliche und soziale Fortschritt der Bundesrepublik gewissermaßen herbeigerüstet werden könnte.
({7})
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für besondere Aufgaben, Herrn Dr. Schäuble.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Frage des Rüstungsexports eignet sich, wie wir an den Beiträgen der Kollegen Gansel und Stobbe in besonderer Weise gesehen haben, für polemisch einseitig verfälschende Darstellungen.
({0})
Bei der Sensibilität dieses Themas ist das verständlich. Aber Sie werden mit dieser Art der Behandlung des Themas eben dieser Sensibilität nicht gerecht;
({1})
denn zu einer der Sache angemessenen Behandlung gehört die notwendige Wahrhaftigkeit.
Herr Kollege Gansel, Sie haben beispielsweise geflissentlich verschwiegen, daß bei der Lieferung der Feldhaubitzen die damalige Bundesregierung das Vetorecht hatte, das die heutige Bunderegierung bei Gemeinschaftsgeschäften eben nicht mehr hat.
({2})
Ich möchte gerne den Versuch machen - so mühsam das sein wird, Herr Kollege Vogel, angesichts der Art, wie Sie dieses Thema zum Vehikel des innenpolitischen Kampfes machen wollen;
({3})
das ist damit ein weiteres Feld, auf dem wir die ursprünglich gegebene und im Interesse unseres Landes auch notwendige außen- und sicherheitspolitische Gemeinsamkeit zerstören -,
({4})
einen Beitrag zur Versachlichung der Debatte zu leisten. Wir können dieses Thema nämlich nicht ohne realen Bezug auf unsere außenpolitischen, sicherheitspolitischen und wirtschaftspolitischen Interessen und nicht ohne Rücksicht auf die Wirkung nach außen behandeln.
({5})
Unsere Interessenlage ist auf Grund der Besonderheiten unserer politischen und wirtschaftlichen Existenz vielschichtig. Als rohstoffarmes, hochindustrialisiertes Land, das vom Export lebt, sind wir auf gute, politisch funktionierende, ausbaufähige Wirtschaftsbeziehungen mit grundsätzlich allen Ländern der Erde angewiesen.
Unsere wirtschaftliche Gesundheit und Stabilität sind zugleich wesentliche Elemente unserer Sicherheit gegen äußere Bedrohung, die wir als geteiltes und exponiertes Land im Bündnis mit gleichgesinnten Partnern und Freunden suchen. Zu diesem für uns lebensnotwendigen Bündnis müssen wir nach Kräften beitragen.
Angesichts unserer wirtschaftlichen Bedeutung und unserer industriellen Leistungsfähigkeit stelBundesminister Dr. Schäuble
len andere Völker an uns auch Erwartungen, ganz gleich wiederum, ob uns das gefällt oder nicht.
({6})
Wir sind ein Bestandteil der internationalen Gemeinschaft. Es wäre wirklichkeitsfremd zu glauben, daß wir eine international so wichtige, weil mit der eigenen Verteidigungsfähigkeit zusammenhängende Frage wie Rüstung und Rüstungslieferungen aus unseren internationalen Beziehungen ausklammern könnten.
({7})
Die Bundesregierung sieht die politischen Grundsätze ihrer Vorgängerin vom April 1982 als brauchbare Richtlinie an. Der Kollege Grüner hat dargelegt, daß die Entscheidung der Bundesregierung in der Kontinuität ihrer Vorgängerregierung steht.
({8})
Die Bundesregierung macht sich auch den Punkt der neuen Grundsätze zu eigen, daß der Export von Kriegswaffen nicht zum Aufbau zusätzlicher exportspezifischer Industriekapazitäten führen darf, d. h. zu Kapazitäten, die dann ohne Rücksicht auf unsere politische Interessenlage bedient werden müssen.
({9})
Wir müssen aber auch anerkennen - auch das gehört zum Kapitel, daß wir auf Heuchelei verzichten sollten -, daß auch Länder außerhalb der beiden großen Bündnisse und auch Länder außerhalb des Kreises der hochindustrialisierten Länder ebenso wie wir Sicherheitsinteressen und Verteidigungsbedürfnisse haben.
({10})
Ein grundsätzliches Nein zum Rüstungsexport durch ein seinerseits gut gerüstetes Industrieland würde auf solche Länder herablassend wirken.
({11})
- Aber, Herr Kollege Vogel, es mag ja sein, daß Ihnen eine solche Betrachtungsweise durchaus nicht fremd ist,
({12})
daß das Empfängerland nach der höheren Weisheit, die wir uns zumessen, keine Sicherheitsinteressen habe oder daß wir es für unreif halten würden, mit von uns gelieferten Waffen verantwortlich umzugehen. Ich glaube, daß wir uns diese Art der Arroganz nicht leisten sollten.
({13})
- Meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, Herr Kollege Vogel, wir haben
es gelegentlich damit zu tun, daß Sie sagen, die
Zuschauer würden schon zu werten wissen, wie manche hier im Saale reagierten. Ich will Sie angesichts Ihres eigenen Verhaltens nur daran erinnern.
({14})
Ich finde, die Anerkennung der Tatsache, daß auch die Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika wie überhaupt in der Dritten Welt legitime Sicherheitsinteressen wie auch wir haben,
({15})
sollte uns zu der weiteren Erkenntnis führen, daß die Grundelemente der Sicherheit für alle Völker gleich sind. Auch hier sollten wir uns von dem vielleicht unbewußten Hochmut befreien, daß zweierlei Maß gelte, eines für die hochindustrialisierten Industrieländer und eines für die noch jungen Staaten des Südens.
({16})
Nicht nur in diesem Fall ist das Gleichgewicht der Kräfte die Grundlage des Friedens und der sicherheitspolitischen Stabilität. Dies gilt eben auch für die Länder der Dritten Welt. Auch dort kann ein schwaches, schlecht gerüstetes Land zu Aggression und hegemonialer Druckausübung verleiten.
Meine Damen und Herren, in diesem Sinne ist die Verständigung mit Saudi-Arabien Ausdruck unseres vitalen Interesses an der Stabilität in der Golfregion. Und wir teilen dieses vitale Interesse mit dem gesamten Westen.
({17})
Auch die Vereinigten Staaten von Amerika, Frankreich und Großbritannien tragen diesem Interesse durch enge Rüstungsbeziehungen mit Saudi-Arabien Rechnung.
({18})
Nach Ansicht der Bundesregierung, auch früherer Bundesregierungen, Herr Kollege, denen Sie angehört haben, wird Saudi-Arabien im Hinblick auf unsere rüstungsexportpolitischen Grundsätze auch sehr strengen Anforderungen gerecht. Saudi-Arabien hat sich innerhalb einer hochsensiblen Region stets als vernünftig handelndes Land erwiesen, das sich seiner regional- und weltpolitischen Verantwortung bewußt ist. Seine Regionalpolitik ist von Augenmaß und Zurückhaltung geprägt. Saudi-Arabien hat stets eine aktive Politik der Vermittlung und der Vermeidung von Gewalt betrieben.
Meine Damen und Herren, deshalb hat der Bundeskanzler bei seinem Besuch in Saudi-Arabien im Oktober 1983
({19})
seine Absicht erklärt, auch Fragen der Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Verteidigungspolitik in
die Prüfung einzubeziehen. Diese Prüfung ist nicht abgeschlossen, wie Sie wissen und wie Sie hier wider besseres Wissen bestritten haben.
Die Entscheidung, die Herr Kollege Grüner hier vorgetragen hat, steht in der Kontinuität der restriktiven Rüstungsexportpolitik auf der Grundlage der Entscheidungen der früheren Regierung.
({20})
Eine Entscheidung über eine neue Form verteidigungspolitischer Zusammenarbeit ist bis heute nicht getroffen. Deshalb hat es bis heute auch nicht zu der vom Bundeskanzler zugesagten Unterrichtung über eine solche Entscheidung im Auswärtigen Ausschuß kommen können.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend sagen, daß sich die Bundesregierung der besonderen Verantwortung der Deutschen aus ihrer Geschichte für Israel sehr bewußt ist und daß wir gerade deshalb an alle, die in der Sozialdemokratischen Partei noch zur Einsicht fähig sind, appellieren, das Thema nicht zum Gegenstand eines vordergründigen, innenpolitisch motivierten Streites zu machen.
({21})
Lassen Sie uns doch gemeinsam erkennen, daß unser Beitrag zur Stabilität der Golfregion dem Frieden im Nahen Osten dient und daß wir damit in einer verantwortlichen Weise unseren Beitrag auch zum Lebensinteresse Israels leisten.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Stobbe, ich stimme Ihnen durchaus zu, wenn Sie sagen, daß diese Fragen für uns Deutsche mit reiner Realpolitik nicht zu bewältigen seien. Aber Sie widersprechen dem selbst, wenn Sie nachher, statt hier um diese Fragen zu ringen, von „zynischer" Politik reden. Das zeigt, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie es hier auf eine reine Stimmungsmache gegen die Bundesregierung anlegen. Und dem werden wir hier entgegentreten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, als die CDU/CSU in der Opposition war, konnten Sie sich auf eines verlassen: Bei Entscheidungen, die der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und des Westens dienten, war unsere Zustimmung garantiert. Wir taten dies in der Mitverantwortung für Deutschland. Deshalb haben wir auch die politischen Grundsätze für den Rüstungsexport bejaht, die die Bundesregierung - Ihre Bundesregierung - seinerzeit, im April 1982, beschlossen hatte.
Nach diesen Grundsätzen verfährt auch die gegenwärtige Bundesregierung, sowohl allgemein als auch bei dieser Ausschreibung der Munitionsfabrik.
({0})
Dies besagt:
Erstens. Die Lieferung von Rüstungsgütern darf nicht zu einer Erhöhung bestehender Spannungen beitragen.
({1})
- Eine Munitionsfabrik erhöht keine Spannungen, Herr Kollege.
({2})
Die Ursachen für Spannungen liegen ganz woanders. Auf die Beseitigung dieser Ursachen müssen wir uns konzentrieren.
({3})
Zweitens. Der weitere Grundsatz lautet: Lieferungen an Länder, bei denen eine Gefahr für den Ausbruch bewaffneter Auseinandersetzungen besteht, scheiden deshalb grundsätzlich aus.
({4})
Saudi-Arabien ist ein defensives Land. Seit Gründung des Staates Israel kamen die Attacken stets von anderen Seiten, z. B. durch jenen Terrorismus, bei dessen Bekämpfung Präsident Reagan jetzt dankenswerterweise neue Maßstäbe gesetzt hat, wobei wir Europäer allen Anlaß haben, volle Solidarität zu üben.
({5})
Drittens. Schließlich muß hinreichende Sicherheit bestehen, daß die Rüstungsgüter nur zur Verteidigung der betreffenden Region bestimmt sind. Saudi-Arabien ist ein entscheidender Stabilisierungsfaktor in jener Krisenregion der Weltpolitik. Es dient daher dem Frieden in der Welt, wenn Saudi-Arabien in die Lage versetzt wird,
({6})
eine Ordnungsfunktion gerade in jener Golfregion auszuüben. Die Sowjetunion und ihr Umfeld lassen sich auch hier keine Chance entgehen, Unruhe zu stiften,
({7})
wie die Krisen und Kriege in der Region beweisen.
Diese Feststellung zu den Grundsätzen unserer Rüstungsexportpolitik haben auch und gerade angesichts unseres Verhältnisses zu Israel bestanden. Es ist schon befremdlich, wenn sich ausgerechnet die SPD nunmehr als besonderer Sachwalter dieser Belange Israels aufspielt.
({8})
In 13 Jahren war keiner Ihrer Kanzler in Israel.
({9})
Das allein spricht für sich. Sie schaden dem Verhältnis zwischen dem jüdischen Volk und Deutschland, wenn Sie die Union jetzt anzuschwärzen versuchen und parteipolitische Keile in diesen besonders empfindlichen Bereich unserer Außenpolitik treiben.
({10})
Meine Damen und Herren, dies muß über den Fragen der Parteipolitik stehen, gerade zu dem Zeitpunkt, in dem unser Bundespräsident in Israel erfolgreich um weiteres Vertrauen geworben hat.
({11})
CDU und CSU waren seit jeher Garanten für ein positives Verhältnis zu Israel. Konrad Adenauer hat hierzu die Grundlage gelegt. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Strauß hat Israel mit Waffen geholfen, als das Land in Not war. Und Bundeskanzler Kohl hat sich in seiner Rede in Bergen-Belsen zu diesen Grundsätzen und zu unserer Verantwortung als Deutsche vor der Geschichte bekannt. Wir werden auch weiter keiner Politik zustimmen, die zur Preisgabe oder zur Gefährdung Israels führen könnte.
({12})
Wir wissen, daß das deutsche Volk dem Staat Israel und seinen Bürgern besonders verpflichtet ist. Es bleibt Richtschnur unseres politischen Handelns, den Frieden für Israel zu fördern. Nur so wird im Verhältnis unserer beiden Völker das Vergangene endgültig Vergangenheit werden.
({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Klose.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Erlauben Sie mir vier Bemerkungen, um die Fakten zurechtzurücken und unsere Bewertung zu verdeutlichen.
Erstens. Waffengeschäfte nach Saudi-Arabien mißachten unsere besonderen Beziehungen zum Staat Israel. Es sind und bleiben besondere Beziehungen auch für die Generation, die keine Schuld für das trägt, was den Juden angetan worden ist. Die deutsche Geschichte ist und bleibt auch die Geschichte der nachwachsenden Generation.
({0})
Zweitens. Die Waffenexporte nach Saudi-Arabien öffnen eine Schleuse, denn wer in diesem massiven Umfang Waffen nach Saudi-Arabien, in ein Gebiet höchster Spannung, liefert, der schafft ein Präjudiz, mit dem er sich selbst bindet. Meine Damen und Herren, was machen wir denn, wenn demnächst die Jordanier und die Kuwaitis kommen und von uns in gleicher Weise bedient werden wollen? Haben wir da keine vitalen Interessen? Und was machen wir denn, wenn der Iran kommt? Haben wir, die Deutschen, im Verhältnis zum Iran denn keine vitalen ökonomischen Interessen, Herr Staatssekretär? Was werden denn die Folgen sein, wenn wir in einem solchen Fall nein sagen? Wie handlungsfähig sind wir dann außenpolitisch?
Drittens. Waffenexporte nach Saudi-Arabien komplettieren die politische Linie. Die Bundesrepublik Deutschland ist schon heute der fünftgrößte Waffenexporteur der Welt. Die Bundesrepublik Deutschland ist der drittgrößte Waffenexporteur in die Länder der Dritten Welt, was zu deren Verelendung beiträgt.
({1})
Die Bundesrepublik Deutschland ist ganz vorn bei der Lieferung von Blaupausen, Konstruktionsplänen, Lizenzen und Know-how.
Viertens. Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, Sie können diese Waffenexporte auch nicht mit dem Bemerken rechtfertigen, auch die SPD-geführte Bundesregierung habe schon darüber gesprochen, abgesehen davon, daß diese Geschäfte ja nicht Wirklichkeit geworden sind, weil die SPD-Bundestagsfraktion widersprochen hat. Dies allein wäre doch keine moralische Rechtfertigung. Ich bitte Sie, das können Sie als Christdemokraten doch nicht ernsthaft behaupten. Und wenn Sie sich schon an den Vorgängern, an der Sozialdemokratie, orientieren, dann orientieren Sie sich doch an dem Vorbild der SPD-Fraktion.
({2})
Das heißt: Machen Sie es doch so, wie wir es damals gemacht haben.
({3})
Bremsen Sie doch Ihre Regierung. Bestehen Sie doch darauf, daß mit London vereinbarte Veto-Rechte auch wahrgenommen werden.
({4})
Stoppen Sie doch die führenden Unionspolitiker, die gegenwärtig als Waffenhandelsvertreter durch die Welt reisen:
({5})
der bayerische Ministerpräsident Strauß in der Volksrepublik China; der Bundesverteidigungsminister Wörner in Japan, Süd-Korea, Indonesien und Thailand. Der Bundesinnenminister - so hören wir zu unserem Schrecken - reist demnächst nach Lateinamerika, u. a. nach Paraguay. Was wird er uns denn von da wohl mitbringen? Reisen die denn alle in der Nachfolge des ach so sensiblen Bundeskanzlers Kohl, der im Oktober 1983 die verteidigungspolitische Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien vereinbart hat, um ein dreiviertel Jahre später in Israel
über die Normalität deutscher Außenbeziehungen zu philosophieren?
({6})
Sind Waffengeschäfte in dieser Massivität deutsche Normalität? Ich sage Ihnen: Waffen töten, und deutsche Waffengeschäfte tragen zu diesem Töten bei. Es sind Geschäfte mit dem Tod. Kaum ein Spannungsgebiet, in das deutsche Firmen nicht Waffen lieferten, kaum ein militärischer Konflikt, bei dem nicht auch deutsche Waffen eingesetzt worden wären.
({7})
40 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges ist das eine schreckliche Feststellung.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, die Sprecher der Koalition haben in ihren Beiträgen heute vormittag deutlich gemacht, daß es sich bei dem in Frage stehenden Geschäft im Gegensatz zu dem, was wir wiederholt von der SPD gehört haben, gerade nicht um eine neue Qualität unserer Exporte handelt, sondern daß sich diese Bundesregierung hier durchaus in der Kontinuität mit der Vorgängerregierung befindet.
({0})
Bei Abwägung, ob eine Genehmigung zu erteilen ist, darf und muß nicht nur die entsprechende Region - in diesem Fall eine Krisenregion - herangezogen werden; vielmehr spielt auch das Bestimmungsland eine große Rolle. Wer wollte Saudi-Arabien versagen, daß es in der Vergangenheit ein stabilisierender Faktor in dieser gefährdeten Region war?
({1})
Wer wollte den mäßigenden Einfluß dieses Landes in dieser Region verneinen, und wer wollte die vitalen Sicherheitsinteressen dieses Landes anläßlich der Vorgänge östlich des Golfes verneinen? Dies, meine Damen und Herren von der SPD, wurde übrigens auch von der SPD-Regierung unter Kanzler Schmidt so gesehen.
({2})
Herr Kollege Gansel, dies ist von daher ein Musterbeispiel für Scheinheiligkeit, die hier nicht am Platze ist.
Sie haben darauf hingewiesen, daß die Rahmenbedingungen geändert wurden. Die Genehmigung, die wir heute hier diskutieren, spielt sich genau in dem Rahmen ab, den die Regierung Schmidt dieser Regierung hinterlassen und damit auch vorgegeben hat. Es war, Herr Kollege Gansel, die Regierung
Schmidt - und es war nicht der Bundeskanzler Kohl -, die auf das Vetorecht im Rahmen dieser Rahmenbedingungen verzichtet hat. Auch von daher ist dieser Vergleich mit den Tornados nicht angebracht.
Sie sollten, meine Damen und Herren von der Opposition, auch mit den Zahlen nicht ähnlich unlauter argumentieren, wie dies der „Spiegel" in seiner letzten Ausgabe getan hat. Man kann die tatsächlichen Ausfuhrzahlen nicht mit fiktiven Genehmigungszahlen vergleichen. Diese Zahlen stimmen in aller Regel nicht überein.
Sie sollten auch nicht durch die Höhe des Geschäfts eine neue Qualität begründen wollen. Sie wissen genau, daß wir es hier nicht mit einem Waffentransfer in einer Größenordnung von 8 bis 9 Milliarden DM zu tun haben, sondern mit dem Bau eines industriellen Komplexes mit Mischcharakter. Sie wissen auch, daß dies in einer Zeitspanne von 10 bis 15 Jahren realisiert werden soll, also nicht Waffen im Wert von 8 bis 9 Milliarden DM im nächsten oder übernächsten Jahr exportiert werden sollen.
Ich glaube, gerade dies ist kein Beweis für eine Liberalisierung der Genehmigungspraxis der Bundesregierung. Wir sind weiter, sowohl die Bundesregierung als auch meine Fraktion, für eine restriktive Handhabung dieser Praxis.
({3})
Wir lassen uns nicht, auch nicht von Ihnen, von der SPD, in die Ecke exportwütiger Geschäftemacher mit Waffen drängen. Dies wird Ihnen nicht gelingen.
({4})
Wir sind übrigens nicht nur aus ethischen, wir sind auch aus außen- und entwicklungspolitischen, aus verfassungsrechtlichen wie aus volkswirtschaftlichen Gründen auch in der Zukunft für eine restriktive Handhabung.
Lassen Sie mich zwei Argumente anführen. Wir wissen sehr wohl, daß wir der deutschen Wirtschaft durch eine allzu großzügige Handhabung von Exportlizenzen einen Bärendienst erweisen würden, weil wir dadurch auch Abhängigkeiten schaffen würden. Exportzuwächse in diesem Bereich sind ausschließlich in der Dritten Welt zu erzielen. Die daraus resultierenden Probleme würden die Vorteile bei weitem aufwiegen; auch darüber sind wir uns im klaren.
({5})
Waffenexport, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist - auch dies wissen wir - zugleich politischer Export. Nicht nur, daß sich jede Exportnation natürlich in eine bestimmte politische Verantwortung für die weitere Entwicklung in dieser Region begibt; mit dem Export von Waffen sind in der Regel - auch dies wissen wir - auch politische Folgekosten verbunden, die für ein auf zivile Exporterfolge angewiesenes Land wie die Bundesrepublik Deutschland eher ab- als zuträglich sind.
Die großen Exporterfolge - lassen Sie mich dies auch noch sagen - unserer Wirtschaft nach dem Kriege sind natürlich auf die herausragende Leistungsfähigkeit dieser Wirtschaft zurückzuführen, aber sicherlich auch darauf, daß bis auf wenige Ausnahmen kaum störende Impulse von militärischen Transfers ausgegangen sind.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, um diese Grundsätze noch klarer aufzuzeigen, um sie gegenüber dem Ausland wie auch gegenüber der eigenen Bevölkerung zu verdeutlichen, um Zweifel auszuräumen, um die Ernsthaftigkeit unserer Bemühungen um restriktive Handhabung unter Beweis zu stellen, ist die Bundesregierung gerade angesichts der geführten Diskussion, angesichts der Verdrehungen und Unterstellung in diesem Bereich gut beraten, wenn sie im Gegensatz zu ihrer Vorgängerregierung auch die Grenzen deutschen Engagements in diesem Bereich definiert und deutlich macht.
Vielen Dank.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Unland.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das sensible Thema eventueller Rüstungsverkäufe nach Saudi-Arabien hätte aus meiner Sicht eine subtilere Behandlung verdient. Es hätte eine „ordentliche Debatte" verdient, etwa anläßlich der Beratung des von der SPD eingebrachten Entwurfs für ein Kriegswaffenkontrollgesetz.
({0})
Der Fünf-Minuten-Schlagabtausch, Herr Kollege Gansel, den man bei passender Gelegenheit durchaus zu deftiger Polemik nutzen kann, kann auf keinen Fall, wie ich finde, der verantwortungsvollen Behandlung und der sachlichen Erörterung solch diffiziler Themen dienen.
({1})
Ich kann mir nur denken, Herr Kollege Gansel, daß diese Idee der Aktuellen Stunde wie so viele andere Ideen aus dem Küchenkabinett des Kollegen Vogel, genannt Fraktionsvorstand, kommt, über den man in letzter Zeit einiges in den Gazetten lesen konnte, leider nicht sehr viel Positives.
({2})
In einer Debatte, wie ich sie mir gewünscht hätte, könnte dann ja auch einmal Altbundeskanzler Helmut Schmidt hier auftreten
({3})
und sich über die Hintergründe äußern, die sein Kabinett am 28. April 1982 zur Neufassung der Grundsätze veranlaßt haben. Und vielleicht könnte er auch etwas sagen über die Hintergründe seiner Gespräche mit Politikern und Militärs aus SaudiArabien, Herr Kollege Gansel. Ich bin überzeugt, das würde differenzierter geschehen, als Sie es eben hier vorgetragen haben.
({4})
Die in Frage stehende Genehmigung ist unter strenger Beachtung der Ziffern 8ff. der vom Kabinett Schmidt - das kann man gar nicht oft genug betonen - verabschiedeten Grundsätze erteilt worden. Hierbei ist insbesondere die Ziffer 9 beachtet worden, die die Berücksichtigung vitaler Interessen der Bundesrepublik vorsieht. Herr Kollege Klose, ich hatte soeben den Eindruck, daß Sie von diesem Grundsatz weg wollen, den Sie selber eingeführt haben.
Die Bundesrepublik, meine Damen und Herren, hat ein vitales Interesse an der Stabilität in der Golfregion, ein Interesse, das wir mit dem gesamten freien Westen teilen. Herr Bundesminister Schäuble hat schon darauf hingewiesen, daß die USA, Frankreich und Großbritannien diesem Interesse durch enge Zusammenarbeit mit Saudi-Arabien im Bereich der Verteidigung Rechnung tragen.
Es ist auch zu berücksichtigen, daß Saudi-Arabien im Nahostkonflikt eine gemäßigte und mäßigende Haltung einnimmt, nachdrücklich für friedliche Lösungen eintritt und mit dem Fand-Plan und dem Fes-Plan zu erkennen gegeben hat, daß es die Existenz Israels akzeptiert.
({5})
Der Bundeskanzler hat mehrfach erklärt, daß alle Entscheidungen auf diesem Gebiet in voller Berücksichtigung der legitimen Interessen der mit der Bundesrepublik Deutschland befreundeten Länder der Region getroffen werden und daß wir eingedenk unserer besonderen Verantwortung für die Sicherheit des befreundeten Israels
({6})
auch in Zukunft die von Israel gehörten Argumente bedenken werden - und dabei bleibt es, meine Damen und Herren.
({7})
- Dazu komme ich.
Bei der Wertung der vitalen Interessen der Bundesrepublik müssen wir u. a. auch berücksichtigen, daß die Saudis in den Fragen der internationalen Politik von der OPEC bis zu den Entwicklungsfragen und bei den internationalen Währungsfragen für uns ein verantwortungsbewußter und konstruktiver Partner sind. Wer diesbezüglich Nachhilfeunterricht braucht - ich habe den Eindruck, einige Kollegen brauchen ihn -, sollte sich einmal mit Bundesfinanzminister Stoltenberg oder Bundesminister Warnke unterhalten - oder auch mit deren Vorgängern -; er wird dann detailliert belegt bekommen, daß die Saudis immer auf unserer Seite gestanden haben, wenn es darum ging, etwa eine
Brücke zu schlagen zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern.
({8})
Wenn unsere Zeit nicht so kurzlebig wäre, würden sich viele Sozialdemokraten sicherlich auch noch an die verantwortungsvolle Rolle der Saudis bei der ersten und zweiten Ölpreiskrise erinnern. Was wäre eigentlich geschehen, wenn Scheich Yamani nicht immer so auf die Heißsporne in den OPEC-Reihen eingewirkt hätte?
({9})
Meine Damen und Herren, und jetzt frage ich Sie: was wäre eigentlich geschehen, wenn Helmut Schmidts Finanzminister Matthöfer und Lahnstein nicht bei den Saudis ihren Etat hätten ausgleichen können?
({10})
25 Milliarden DM haben sie sich dort geholt -25 000 Millionen DM! Das ist doch kein Pappenstiel. Da sollte man jetzt doch nicht so moralinsauer auftreten.
({11})
In der Frage der Rüstungsexporte stehen wir in der Gnade des Neuanfangs von 1945. Wir haben im Vergleich zu anderen Ländern des Westens und des Ostens nur minimale Rüstungskapazitäten - Herr Kollege Hauser hat darauf hingewiesen -, und ich finde das gut so. So sind wir nicht in der Versuchung, Beschäftigungspolitik oder Konjunkturpolitik mit Rüstungsexporten zu betreiben. Unser Bundeskanzler und unsere Bundesminister brauchen auch nicht mit dem Musterkoffer in der Welt herumzureisen, wie andere westliche Staatsmänner und auch Staatsfrauen es tun müssen.
({12}) Gott sei Dank brauchen sie es nicht.
({13})
Wir achten - wie frühere Regierungen - streng darauf, daß beschäftigungspolitische Gründe bei Exportgenehmigungen keine ausschlaggebende Rolle spielen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Das ist sichergestellt.
Ich wünsche mir, daß wir alle hier in diesem Hause, meine Damen und Herren, von heute an dieses sensible Thema etwas feinfühliger angehen, wie es im Interesse der mit uns befreundeten Länder Israel und Saudi-Arabien nötig ist.
({0})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir fahren um 14 Uhr mit der Fragestunde fort.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Meine Damen und Herren, bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich folgendes bekanntzugeben: Ausweislich des mir zwischenzeitlich vorliegenden Stenographischen Berichts hat der Abgeordnete Matthias Wissmann während der Aktuellen Stunde heute morgen geäußert: „Von Heuchelei von Herrn Gansel!" Für diese Äußerung erteile ich dem Abgeordneten Wissmann im Namen des zu diesem Zeitpunkt sitzungsleitenden Präsidenten Dr. Jenninger einen Ordnungsruf.
Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1: Fragestunde
- Drucksache 10/4004 Ich rufe zunächst die Dringlichkeitsfragen auf, und zwar zuerst die zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf der Drucksache 10/ 4030. Zur Beantwortung der Fragen ist der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt anwesend.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 1 der Abgeordneten Frau Eid auf:
Welches ist der Anlaß für Bundesminister Dr. Zimmermann, General Stroessner in Paraguay zum jetzigen Zeitpunkt zu besuchen?
Bitte schön, Herr Waffenschmidt.
Frau Kollegin, Ihre Frage im Hinblick auf die Reise von Bundesminister Dr. Zimmermann beantworte ich wie folgt: Der Bundesminister des Innern wird bei seiner bereits im Frühjahr geplanten Südamerika-Reise
({0})
mit seinen Amtskollegen in Argentinien, Paraguay und Brasilien Fragen der polizeilichen Zusammenarbeit, insbesondere der Rauschgiftbekämpfung, erörtern. Bei seinem Besuch in den genannten Ländern wird er darüber hinaus von führenden Repräsentanten der jeweiligen Staaten empfangen werden, in Paraguay auch von Staatspräsident Stroessner.
Bitte, Frau Eid, eine Zusatzfrage.
Wie kann es die Bundesregierung vertreten, daß im Mittelpunkt der jetzt stattfindenden Reise, so wie Sie soeben gesagt haben, die Verbesserung der polizeilichen Zusammenarbeit steht, bedenkt man, daß nach Berichten vieler Menschenrechtsorganisationen in Paraguay
({0})
willkürliche Verhaftungen, Folter, Mord und das
Verschwindenlassen von Personen an der TagesFrau Eid
ordnung sind und die Menschenrechte dort mit Füßen getreten werden?
Frau Kollegin, ich konnte bereits bei der Beantwortung Ihrer Frage darauf hinweisen, daß im Mittelpunkt der Erörterungen die Rauschgiftbekämpfung steht. Ich darf daran erinnern, daß Mitglieder des Innenausschusses des Deutschen Bundestages wegen der drängenden Probleme in diesem Bereich bereits eine Reise nach Südamerika unternommen haben.
({0})
Wie gesagt, die Rauschgiftbekämpfung steht eindeutig im Vordergrund, aber auch andere Aufgaben im Blick auf wirtschaftliche Fragen und Umweltschutz werden zur Sprache kommen. Zu den Menschenrechtsproblemen darf ich ganz deutlich sagen: Die Bundesregierung hat bei vielfältigen Gelegenheiten deutlich gemacht, welche klare Haltung sie im Hinblick auf die Wahrung der Menschenrechte einnimmt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Weitere Zusatzfrage, Frau Eid.
Geht die Bundesregierung allen Ernstes davon aus, daß ein Land wie Paraguay mit einem Diktator wie Stroessner seine Grenzen nicht unter Kontrolle hat und über den Rauschgiftschmuggel nicht Bescheid weiß und demzufolge auch die Regierung nicht in Rauschgiftgeschäfte verwickelt ist?
Ich möchte hier noch einmal klarmachen, daß es eine wichtige Aufgabe ist - nicht nur in Paraguay, sondern auch in anderen Ländern -, Möglichkeiten zu erörtern - dies haben im übrigen auch Mitglieder dieses Hauses schon getan -, um die wichtige Aufgabe der Rauschgiftbekämpfung zu bearbeiten und zu versuchen, diese ganz bedeutsame Aufgabe noch besser in den Griff zu bekommen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Können Sie verbindlich zusagen, daß der Innenminister, wenn auch im Zentrum der Gespräche die Rauschgiftprobleme stehen, dort auch die Probleme des Verschwindenlassens von Menschen, der willkürlichen Verhaftung und des Folterns ausdrücklich ansprechen wird, und können Sie dem Deutschen Bundestag hinterher schriftlich Bericht geben, in welcher Form und wo genau der Minister dies wie getan hat?
Herr Kollege Bindig, ich will hier sehr deutlich machen, daß die Bundesregierung immer wieder alle geeigneten Möglichkeiten wahrnimmt, um überall in der Welt für die Einhaltung der Menschenrechte einzutreten. Ich gehe davon aus, daß dies jedes Kabinettsmitglied so tut. Dies wird auch der Bundesminister des Innern, Friedrich Zimmermann, bei den Gelegenheiten, die sich ihm dafür bieten, tun. Ihre Bitte, über eventuelle Initiativen auch zu berichten, werde ich gern an den Bundesminister des Innern weitergeben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Ströbele.
Herr Staatssekretär, was wird der Herr Bundesminister des Innern in Paraguay dem dortigen Diktator dazu mitteilen, was an Protesten hier in der Bundesrepublik im Vorfeld des ursprünglich geplanten Besuchs dieses Diktators hier in der Bundesrepublik stattgefunden hat?
Ich gehe davon aus, daß der Staatspräsident von Paraguay über alle politischen Aufgaben, politischen Fragen und politischen Diskussionsbereiche, die Sie angesprochen haben, bestens informiert ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Eigen.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sagen, daß die Reise des Herrn Bundesinnenministers schon im April geplant worden ist und sich an der Route und den Bedingungen nichts geändert hat: Was könnte nach Ihrer Meinung an dieser Frage dringlich sein?
({0})
Oder könnte es sein, daß dies eine rein agitative Frage gewesen ist?
Herr Kollege Eigen, das ist eine Entscheidung des Präsidenten des Hauses gewesen.
({0})
Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß die Dringlichkeit durch Präsidententscheid festgestellt worden ist. - Bitte schön, wenn Sie dazu etwas sagen wollen, Herr Staatssekretär.
Ich habe den Darlegungen des Präsidenten nichts hinzuzufügen. Der Präsident entscheidet über den Tatbestand, ob eine Frage dringlich ist oder nicht.
({0})
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 2 der Abgeordneten Frau Eid auf:
Wird der Bundesminister des Innern dem paraguayischen Staatschef eine Einladung in die Bundesrepublik Deutschland überreichen im Sinne der Ankündigung des CSU-Vorsitzenden, der Bundesminister werde „den General mit den Deutschen wieder versöhnen" ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Auf die zweite Frage, Frau Kollegin Eid, möchte ich wie folgt antworten. Wie Sie dem bereits von Ihnen zitierten Artikel der „Süddeutschen Zeitung" vom
15. Oktober 1985 selbst entnehmen können, hat der CSU-Vorsitzende, Franz Josef Strauß, die ihm unterstellten Aussagen des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel" dementiert und eindeutig zurückgewiesen. Eine Einladung an den Staatspräsidenten von Paraguay, die Bundesrepublik zu besuchen, kann schon deswegen jetzt gar nicht in Betracht kommen, weil die Einladung der Bundesregierung bereits erfolgt ist und der für Juli 1985 vorgesehene Besuch auf Wunsch des Staatspräsidenten von Paraguay lediglich verschoben worden ist. Die Einladung besteht also fort.
Zusatzfrage, Frau Eid.
Heißt das dann, daß Herr Zimmermann diese Einladung bekräftigen wird?
Es bedarf gar keiner Bekräftigung, weil die Einladung bereits ausgesprochen worden ist.
Weitere Zusatzfragen, Frau Eid? - Keine.
Wir kommen dann zu den Dringlichkeitsfragen des Abgeordneten Ströbele, gerichtet an den Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Ich rufe die Dringlichkeitsfrage 1 auf:
Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, um die für Freitag, den 18. Oktober 1985, in Pretoria geplante Hinrichtung des schwarzen Südafrikaners Benjamin Moloise zu verhindern?
Herr Kollege Ströbele, sofort nach Bekanntwerden der beabsichtigten Vollstreckung des Todesurteils gegen den schwarzen Südafrikaner Moloise haben Bundeskanzler Kohl - mit einem Fernschreiben an den Staatspräsidenten der Republik Südafrika, Herrn Botha - und Bundesminister Genscher - in einem Fernschreiben an den südafrikanischen Außenminister, Botha - appelliert, das Urteil gegen Herrn Moloise nicht zu vollstrecken. Der Staatssekretär des Auswärtigen Amtes Meyer-Landrut hat am Abend des 16. Oktobers den Geschäftsträger der südafrikanischen Botschaft in das Auswärtige Amt einbestellt. Der Geschäftsträger wurde gebeten, die dringende Bitte der Bundesregierung, das Todesurteil nicht zu vollstrecken, unverzüglich seiner Regierung zu übermitteln.
Diese Appelle erfolgten aus humanitären Gründen und im Rahmen unseres weltweiten Eintretens für die Abschaffung der Todesstrafe. In den Vereinten Nationen haben wir dazu Initiativen ergriffen. Bundeskanzler Kohl und Bundesminister Genscher wiesen in ihren Fernschreiben darauf hin, daß durch eine Vollstreckung der Todesstrafe die ohnehin gespannte innenpolitische Lage in Südafrika verschärft und sich die Eskalation der Gewalt in diesem Land fortsetzen würde. Der niederländische Botschafter in Pretoria hat im Namen der Europäischen Gemeinschaft demarchiert und die südafrikanische Regierung dringend ersucht, das Leben von Moloise zu verschonen.
Zusatzfrage, Herr Ströbele.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß bereits im April 1979 ein schwarzer Südafrikaner und am 9. Juni 1983 drei schwarze Südafrikaner trotz weltweiter Proteste gehenkt worden sind, und welche Schlußfolgerungen für wirksame Maßnahmen jetzt zieht die Bundesregierung daraus?
Ich kann Ihnen die Daten jetzt nicht bestätigen, weil ich diese Fälle vorher in der Frage von Ihnen nicht genannt bekommen habe. Aber ich schließe nicht aus, daß es so ist.
Das wären dann erneut ein oder mehrere Beispiele dafür, daß Interventionen, die die Bundesregierung unternimmt, um die Vollstreckung von Todesstrafen zu verhindern, nicht immer erfolgreich sind. Wir hatten kürzlich in einer Fragestunde des Deutschen Bundestages das Thema der Vollstrekkung von Todesstrafen in anderen Staaten, in diesem Falle befreundeten Demokratien, und mußten zur Kenntnis nehmen, daß auch dort nicht in allen Fällen die angerufenen Stellen unseren Interventionen gefolgt sind.
In diesem Fall haben wir auch mit dem Hinweis darauf, welche vermutlichen Auswirkungen die Vollstreckung über den Betroffenen hinaus haben würde, deutlich gemacht, daß es sehr vernünftige Gründe für die südafrikanische Regierung auch über den Einzelfall hinaus gibt, die Todesstrafe nicht zu vollstrecken.
Weitere Zusatzfrage, Herr Ströbele.
Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, daß jedes Jahr in Südafrika über hundert Todesurteile vollstreckt werden, meistens durch Hängen, und ist das Veranlassung für die Bundesregierung, ihre Überlegungen hinsichtlich Wirtschaftsboykottmaßnahmen gegen Südafrika zu überdenken?
Nein, Herr Kollege Ströbele. Unsere Bewertung des Sinns und Unsinns von wirtschaftlichen Boykottmaßnahmen hat ja die Situation in den davon möglicherweise betroffenen Ländern stets eingeschlossen, damit auch die von Ihnen angesprochene Situation. Wir sind trotzdem, unter Abwägung aller Gesichtspunkte, in dieser Bundesregierung - wie auch unsere Vorgänger - stets zu dem Ergebnis gekommen, daß es keinen Sinn macht, wirtschaftliche Boykottmaßnahmen als Mittel der Politik einzusetzen.
Im übrigen darf ich auch in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß wir, wenn wir die Vollstreckung von Todesurteilen, über deren einzelne Begründungen ich hier pauschal nichts sagen kann, zum Kriterium für Wirtschaftsbeziehungen machen
wollten, vermutlich sehr bald zu sehr vielen Staaten unsere Beziehungen abbrechen müßten.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Bindig.
Herr Staatsminister, Sie haben uns eine Reihe von Initiativen dargelegt, die die Bundesregierung unternommen hat. Ähnliche Initiativen sind auch von Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel und weiteren Mitgliedern dieses Hauses unternommen worden. Können Sie uns einmal sagen, wie denn offiziell die Regierung der Republik Südafrika gegenüber der Bundesregierung auf solche Telegramme und Interventionen reagiert? Gibt es eine formelle Antwort, oder bleiben dieses einseitige Telegramme und Appelle, die aus der Bundesrepublik hinausgehen, ohne daß darauf eine ausdrückliche Antwort der südafrikanischen Regierung erginge?
In aller Regel erfolgt auf solche formalisierten Vorstöße auch eine formalisierte Antwort. Da die nun erst gestern abend und vorgestern erfolgt sind - und ich schließe in die positive Wertung ausdrücklich jedes Engagement und jede Initiative ein -, liegt eine förmliche Antwort noch nicht vor. Die überzeugendste förmliche Antwort, die wir uns vorstellen könnten, wäre der Verzicht auf die Vollstreckung des Todesurteils.
Ich rufe die Dringliche Frage 2 des Abgeordneten Ströbele auf:
Falls die Bundesregierung bisher nichts unternommen hat, was gedenkt sie in der verbleibenden kurzen Zeit noch zu tun, um das Leben dieses unschuldigen jungen Mannes zu retten?
Herr Kollege Ströbele, ich glaube, mit dem, was ich zur ersten Frage gesagt habe, ist deutlich geworden, daß die zweite Frage gegenstandslos ist.
Finde ich logisch.
Sie haben trotzdem das Recht zur Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, hielte es die Bundesregierung für angezeigt, als eine wirklich wirksame Maßnahme gegen die Vollstreckung eines Todesurteils an einem schwarzen Südafrikaner beispielsweise den südafrikanischen Militärattaché in der Bundsrepublik auszuweisen?
Ich möchte die Voraussetzungen, die Ihre Frage implizite aufweist, nicht übernehmen. Ich möchte ausdrücklich die Erwartung äußern, daß das Todesurteil nicht vollstreckt wird, und deswegen nicht so argumentieren, als sei dafür keine Chance da.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Ströbele.
Ist Ihnen bekannt, daß das Todesurteil morgen vollstreckt werden soll?
Ja. Deswegen geht dieser Appell von seiten der Regierungsbank im Deutschen Bundestag auch öffentlich an die südafrikanische Regierung.
Damit sind die beiden Dringlichkeitsfragen be antwortet. Dem Parlamentarischen Staatssekretär und dem Staatsminister danke ich für die Beantwortung.
Die Fragen 1 und 2 des Herrn Abgeordneten Menzel, die zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau eingebracht worden sind, sowie die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Hedrich, die zum Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingebracht worden ist, brauche ich hier nicht aufzurufen, weil die Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten haben. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Erhard zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Weng ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, Initiativen zu unternehmen, die das Ziel haben, innerhalb der Europäischen Gemeinschaft - und eventuell darüber hinaus - zur gegenseitigen Anerkennung von strafrechtlichen Verurteilungen zu kommen?
Herr Kollege Weng, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die weitestgehende Form der Anerkennung einer ausländischen strafrechtlichen Verurteilung besteht darin, daß ein Staat - in der Regel der Wohnsitzstaat des Verurteilten - die Vollstreckung der Sanktion übernimmt. Insoweit hat das am 1. Juli 1983 in Kraft getretene Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen ({0}) für das deutsche Recht die Möglichkeit geschaffen, solche Rechtshilfe, genannt Vollstrekkungshilfe, zu leisten und andere Staaten darum zu ersuchen.
Im Bereich des Europarates wird die Materie durch das Europäische Übereinkommen vom 21. März 1970 über die internationale Geltung von Strafurteilen und durch das Übereinkommen vom 21. März 1983 über die Überstellung verurteilter Personen geregelt. Beide Übereinkommen hat die Bundesrepublik Deutschland gezeichnet, aber noch nicht ratifiziert.
Im Bundesministerium der Justiz wird derzeit mit Nachdruck die Ratifizierung des zuletzt genannten Übereinkommens vorbereitet, das es ermöglichen soll und ermöglichen wird, in einem verhältnismäßig einfachen Verfahren freiheitsentziehende Sanktionen mit Zustimmung des Verurteilten außerhalb des Urteilsstaates zu vollstrecken.
Als weitere Formen der Anerkennung ausländischer strafrechtlicher Verurteilungen kommen Regelungen in Betracht, mit deren Hilfe an ausländische Verurteilungen dieselben Rechts- oder Indizwirkungen geknüpft werden wie an entsprechende
Parl. Staatssekretär Erhard
inländische Urteile. Solche Regelungen finden sich zum Teil auch in dem obengenannten Übereinkommen von 1970. Wegen des Umfanges der Problematik, insbesondere wegen der zwischen den strafrechtlichen Sanktionen in den Mitgliedstaaten des Europarats noch bestehenden Unterschiede, sind Regelungen dieser Art bislang nur von wenigen Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht übernommen worden.
Seit 1984 werden verstärkte Anstrengungen unternommen, im Bereich der Europäischen Gemeinschaft zu entsprechenden Übereinkünften unter den Mitgliedstaaten der EG zu gelangen. Weiterer Initiativen der Bundesregierung bedarf es deshalb jetzt nicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Weng?
({0})
Die Frage 5 ist von Herrn Abgeordneten Jäger zurückgezogen worden.
Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der einen Frage, die ihm gestellt worden ist.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 110 des Herrn Abgeordneten Vosen auf:
Welche Rechtsgrundlage besteht für die D-1-Mission, und welche rechtlichen Schritte haben im einzelnen zur Aufnahme des GLOMR-Satelliten in das SHUTTLE und zur entsprechenden Reduzierung der D-1-Mission geführt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Vosen, Ihre Frage 110 beantworte ich wie folgt. Die Rechtsgrundlage für die Durchführung der deutschen Spacelab-Mission D 1 ist ein mit der amerikanischen Raumfahrtbehörde NASA geschlossenes Staatsabkommen. Auf Ersuchen der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika hat die Bundesregierung dem Mitflug des kleinen experimentellen Nachrichtensatelliten GLOMR im Space Shuttle zugestimmt. Bei der Beurteilung dieser amerikanischen Bitte war zu berücksichtigen, daß die Mitnahme die deutsche D-1-Mission nicht beeinträchtigt, während auf Grund der Zeit- und Bahnkonstellation eine Ablehnung für die amerikanische Seite mit erheblichen Nachteilen verbunden gewesen wäre.
Eine Zusatzfrage, Herr Vosen.
Herr Staatssekretär, Sie sagten, es handle sich um einen kleinen Nachrichtensatelliten. Ist es nicht so, daß es sich um einen Spionagesatelliten handelt, der seine Flugbahn u. a. über Nicaragua nehmen wird?
Herr Kollege, da es sich um einen Prototyp handelt, der sämtliche bewohnten Gebiete der Welt überfliegt, überfliegt er natürlich auch die von Ihnen erwähnten Gebiete. Es ist j a gleich, welches Gebiet Sie nehmen. Es handelt sich nicht um einen Spionagesatelliten, da es ja ein Prototyp ist. Er hat zwar im Bereich der Kommunikationstechniken selbstverständlich Fähigkeiten, später im Bereich militärischer Überwachung eingesetzt zu werden. Aber das ist bei der Elektronik auch in anderen Bereichen so üblich.
Weitere Zusatzfrage, Herr Vosen.
Wenn es sich um einen Satelliten handelt, der durchaus in der Lage ist, Aufklärung - ich will mal das Wort „Spionage" durch „Aufklärung" ersetzen - zu betreiben, um einen Satelliten, von dessen Typ weitere acht in den Weltraum befördert werden sollen, warum ist dann dieser Satellit in einem ausschließlich deutschen Flug mitgeführt worden, und leiden darunter nicht deutsche Experimente?
Herr Kollege, die Frage wird anläßlich späterer Fragen des Herrn Kollegen Fischer eingehend beantwortet. Ich möchte auf diese Fragen verweisen, die ich noch beantworten werde.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da Sie zur Verniedlichung sagen, das sei ein Prototyp und gleichzeitig ein kleiner Nachrichtensatellit, frage ich: Stimmen Sie mir zu, daß es bei der Beurteilung der Fähigkeiten eines Satelliten nicht ausschlaggebend ist, ob er klein ist, und daß ein Prototyp in der Regel alle Voraussetzungen hat, die die später eigentlich zu entsendenden Satelliten haben?
Herr Kollege, mit Sicherheit kann man auch mit einem kleinen Satelliten militärische Zwecke erfüllen. Aber für den Start ist es von Bedeutung, daß der Satellit klein ist, weil der freie Raum im Shuttle dadurch genutzt werden kann.
({0})
Auch die Frage von Elektronik und Sensorik ist natürlich immer eine Frage eines amphoteren Einsatzcharakters. Das liegt in der Natur der Sache.
Zusatzfrage des Abgeordneten Fischer ({0}).
Herr Staatssekretär, stimmt es, daß noch andere ESA-Staaten bei dieser D-1-Mission in Form von Laborversuchen beteiligt waren, und, wenn j a, welche Staaten waren daran beteiligt und welche Experimente mußten bei diesem Start zurückgestellt werden?
Es muß überhaupt nichts zurückgestellt werden. Sicher sind
ESA-Länder dabei. Aber es handelt sich um die Möglichkeit. Nur deshalb haben die Vereinigten Staaten von Amerika nachgesucht, weil es eben eine Möglichkeit ist, dieses Gerät zu transportieren. Sonst hätte auf Grund der Bahnkonstellation und eines weiteren Shuttle-Flugs über ein Jahr gewartet werden müssen. Da solche Flüge ja außerordentlich teuer sind, Herr Kollege Fischer, ist es selbstverständlich, daß man sich gegenseitig entgegenkommt. Es kann ja auch sein, daß die Bundesrepublik Deutschland oder die Europäer irgendwann einmal einen Mitflug bei den Amerikanern haben möchten, wenn dort noch Platz zur Verfügung steht. Es ist von den Amerikanern zugesichert, daß sie uns in solch einem Fall entgegenkämen. Ich glaube, unter Verbündeten ist das eigentlich nichts Ungewöhnliches.
({0})
Bitte schön, Herr Vahlberg, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es die Möglichkeit, die ausgefallenen Experimente auf Kosten der USA nachzuholen, und wird in Erwägung gezogen, sich einen Teil der gezahlten Startkosten bar zurückzahlen zu lassen?
Herr Kollege, ich habe bereits ausgeführt, daß von den Experimenten weder etwas abgestrichen noch etwas behindert wird. Aus diesem Grund ist Ihre Frage obsolet, weil sie sich darauf bezieht, daß ein Schaden entsteht. Damit hängt auch die Frage des Abzugs von Kosten zusammen. Ich habe schon ausgeführt: Die Amerikaner haben uns zugesichert, in einem entsprechend gelagerten Fall im Zweifelsfall auch uns zu bedenken, wenn etwas transportiert werden muß.
Ich rufe die Frage 111 des Abgeordneten Vosen auf:
Sind die deutschen Astronauten Reinhard Furrer und Ernst Messerschmidt und der Niederländer Wubbo Okkels vor der Änderung der D 1-Mission um ihre Meinung bzw. Zustimmung gefragt worden, und welches ist ihre Meinung dazu?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Für die Mission D 1, die von den deutschen Wissenschaftsastronauten und ihrem niederländischen Kollegen betreut wird, ergeben sich - ich habe das ja eben schon ausgeführt - keine Änderungen. Die Operationen im Zusammenhang mit dem Aussetzen des GLOMR-Satelliten liegen ausschließlich in der Verantwortung der NASA.
Zusatzfrage, Herr Vosen.
Herr Staatssekretär, ist es vielleicht möglich, daß Sie im Irrtum sind, wenn Sie behaupten, daß keine Experimente ausfallen? Denn ist es nicht so, daß ein Experiment vorgesehen war, bei dem ein Gascontainer eine wichtige Rolle spielte, und dieser Gascontainer nun aus Gewichtsgründen zurückgelassen werden mußte, so daß dadurch die
Experimente, die damit vorgesehen waren, ausfallen?
Herr Kollege, alle unsere vier Container sind an Bord. Es ist so, wie ich Ihnen bereits ausgeführt habe. Da natürlich aus der Sicht menschlicher Empfindungen Fehler immer möglich sind - wahrscheinlich sind sie in diesem Fall überhaupt nicht -, ist natürlich auch die Frage eines Irrtums niemals 100 %ig ausgeschlossen.
Zusatzfrage, Herr Vosen.
Herr Staatssekretär, Sie sagen, das Experiment liege in der Verantwortung der NASA, was die Spionagesatelliten angeht. Wir wissen, daß es immer wieder zu Störungen gekommen ist, wenn solche Experimente durchgeführt wurden. Kann es nicht doch sein, daß dadurch das ganze Experiment riskanter wird, und halten Sie es für richtig, daß ein rein deutscher Flug mit amerikanischen Spionagesatelliten belastet wird?
Nach unseren Prüfungen ist eine Gefährdung unserer Experimente nicht gegeben.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da Sie es vorhin aufs Gewicht bezogen haben: Kann man denn hier fragen, ob die beiden Astronauten informiert waren, ob zusätzliches Startgewicht eingespart wurde, oder muß man davon ausgehen, daß sie überhaupt nicht wußten, wieviel Startgewicht grundsätzlich ausgenutzt werden kann, und es deswegen so war, daß das als sogenanntes Leergewicht von den Vereinigten Staaten genutzt werden konnte?
Herr Kollege, vielleicht haben Sie einmal Gelegenheit, in ein Shuttle zu steigen, in dem auch das Spacelab vorhanden ist. Dann werden Sie sehen, daß in diesem Transporter eine Fülle von Raum vorhanden ist, der so oder so genutzt oder ungenutzt als leerer Raum mitfliegt. Das ist ja kein essentielles Problem. Wenn es die Möglichkeit gibt, außerhalb des Spacelab und unserer Mission etwas mitzunehmen, kann ich Ihre Frage und auch Ihr Insistieren nicht verstehen.
({0})
Zusatzfrage, Herr Fischer ({0}).
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß auch beim Shuttle die Nutzlast nach oben begrenzt ist, genauso wie die Auskunftsfähigkeit und -möglichkeit der Vertreter der Bundesregierung?
Herr Kollege Fischer, davon können Sie ausgehen.
Herr Kollege Fischer, bleiben Sie am besten gleich stehen, denn jetzt kommt Ihre Frage 112:
Welches erhöhte Flugrisiko für die drei europäischen Astronauten ergibt sich gegenüber dem ursprünglichen Missionskonzept dadurch, daß beim Shuttle-Flug jetzt die Aussetzung eines Spionagesatelliten als Aufgabe hinzugenommen worden ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Fischer, Ihre Frage 112 beantworte ich folgendermaßen.
Der kleine amerikanische experimentelle Nachrichtensatellit GLOMR wird beim Start der amerikanischen Raumfähre anläßlich der D-1-Mission in der Ladebucht - außerhalb des Raumlabors und ohne daß ein für die D-1-Mission sonst benötigter Transportraum tangiert würde - mitgenommen und von den amerikanischen Astronauten auf eine Erdumlaufbahn ausgesetzt. Dadurch ergibt sich weder eine Änderung für das Missions-Konzept D 1 noch ein erhöhtes Flugrisiko.
Zusatzfrage, Herr Fischer.
Herr Staatssekretär, wer hat die Verantwortung übernommen, dem amerikanischen Anliegen zuzustimmen, daß das Programm geändert und dieser Satellit mit transportiert wird?
Die Bundesregierung. Ich führte das schon aus.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, Herr Fischer.
Sind die betroffenen anderen Staaten von dieser Entscheidung der Bundesregierung informiert worden, und haben die betroffenen ESA-Staaten, die ein Interesse und auch Programme hatten, zugestimmt?
Da Vertragspartner ausschließlich die Vereinigten Staaten und die Bundesrepublik Deutschland sind, war eine Einholung dieser Zustimmung nicht nötig.
Eine Zusatzfrage? - Herr Vosen, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie sich vorstellen, daß andere Staaten, über deren Gebiet dieser von uns, der Bundesrepublik Deutschland, mitgenommene Spionagesatellit jetzt fliegt, das so einfach sehen, wie die Bundesregierung es - ich würde fast sagen: naiv - sieht, nämlich daß man da eben mal etwas mitgenommen habe, oder könnten sich diese Länder durch diesen Spionagesatelliten vielleicht auf irgendeine Weise belastet oder beeinträchtigt oder aber überwacht fühlen, und wie, Herr Staatssekretär, könnte das wirken?
Herr Kollege, es handelt sich nicht um einen Spionagesatelliten. Das wäre auch ganz sinnlos, denn wenn Sie Spionagesatelliten dieser Art installieren wollten, bräuchten sie davon 8 oder 12. Es ist der Prototyp eines Nachrichtensatelliten, mit dem geprüft werden soll, ob ganz bestimmte Systeme durchführbar sind.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie mir da auf die Sprünge helfen, weil Sie mir vorhin auch die Einladung überbrachten, in einem Shuttle mitzufliegen: Wie ist eigentlich die Vertragslage, bezogen auf den ESA-Vertrag? Steht darin nicht, daß eine rein friedliche Nutzung vorgesehen ist? - Ich warte auf Ihre Antwort.
Ich warte auf Ihre Frage.
Wenn Sie die Frage nicht mitbekommen haben, kann das nur am Akustischen liegen, denn es war eine Frage; da paßt der Präsident schon auf.
Herr Kollege, vielleicht wiederholen Sie am besten Ihre Frage.
Herr Staatssekretär, können Sie mir bitte den ESA-Vertrag erläutern? Was steht in diesem Vertrag? Steht darin nicht, daß nur eine rein zivile Nutzung dieser Projekte gestattet ist?
Herr Kollege, ich kann Ihnen jetzt natürlich nicht den ganzen ESA-Vertrag explizieren; der hat hier auch keine Wirkung. Hier geht es um einen bilateralen Vertrag zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland; das ist die Rechtsgrundlage.
Ich rufe die Frage 113 des Abgeordneten Fischer ({0}) auf:
Welche Experimente müssen im einzelnen zurückgestellt werden, und welches ist der dadurch ausgelöste wissenschaftliche und finanzielle Schaden?
Herr Kollege Fischer, da sich für Konzept und Durchführung der D-1-Experimente keine Änderung ergibt, kann ich auch einen wissenschaftlichen und finanziellen Schaden nicht feststellen.
Eine Zusatzfrage, Herr Fischer.
Herr Staatssekretär, vielleicht können Sie uns hier einmal erklären, welchen finanziellen Beitrag die Bundesrepublik für den Start dieser D-1-Mission hat leisten müssen.
Herr Kollege, die Startkosten betragen 165 Millionen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Fischer.
Und in welcher Höhe können Sie für die betroffenen Staaten den entstandenen Verlust beziffern?
Für wen?
({0})
- Ich habe wiederholt ausgeführt und, so glaube ich, auch einleuchtend dargelegt, daß es einen Schaden für uns nicht gibt.
({1})
Im Gegenteil, wir haben dadurch die Option, daß wir zu einem späteren Zeitpunkt, wenn wir in einer ähnlichen Situation sind, bei den Amerikanern mit Erfolg die Bitte vortragen können, uns auch auszuhelfen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Weinhofer.
Herr Staatssekretär, welches sind im Zusammenhang mit GLOMR die Aufgaben der Spionagesatelliten, die mit dem soeben gestarteten Atlantis-Shuttle in den Weltraum gebracht wurden? Und die zweite Frage: -
Eine Frage nur, aber Sie können ihr eine zweite Bedeutung unterschieben!
({0})
Stimmen Sie mit meiner Ansicht überein, daß die Bundesregierung nicht sagt, was sie denkt, nicht weiß, was sie sagt, und nicht sagt, was sie weiß?
({0})
Das waren zu viele Fragen!
Ich stimme mit Ihnen in keinem Falle überein.
Herr Vosen noch dazu? - Bitte, Sie haben noch das Recht, eine Zusatzfrage zu stellen.
Herr Staatssekretär, da ja die Freundschaft zwischen Amerika und der Bundesrepublik von uns allen gewünscht ist und Sie, wie ich höre, deswegen auch auf von uns allein bezahlten Flügen, die ja nicht billig sind, Spionagesatelliten in Erwartung späterer Gegenleistungen, von denen wir noch nicht wissen, ob sie dann nicht doch bezahlt werden müssen, mitnehmen, frage ich: Was hielten Sie davon, wenn wir in Europa mit den Franzosen und den anderen europäischen Partnern ein eigenes Shuttle bauen würden, bei dem wir dann diese Art von Mitnahmeeffekten nicht zu bezahlen bräuchten?
Ich hielte davon viel, wenn das Geld hierfür zur Verfügung stünde. Bei diesen teuren Unternehmungen ist eine internationale Zusammenarbeit insbesondere der Bündnispartner der westlichen Welt eine selbstverständliche Voraussetzung, Herr Kollege.
Zusatzfrage des Abgeordneten Reuter.
Herr Staatssekretär, Sie haben dargelegt, daß die Forschung keine Not leiden würde bei der Mitnahme dieses Satelliten. Hat die Bundesregierung nicht auch einmal bedacht, daß eventuell unser Ruf als friedliebende Nation Not leiden könnte, wenn wir die Hand reichen zur Beförderung von Satelliten, die die ganze Welt ausspähen können?
Diesen Blickwinkel hat die Bundesregierung immer. Aber ich glaube, daß die Bundesrepublik Deutschland wirklich als eine der ganz und gar friedliebenden Mächte der Welt bekannt ist und auch so anerkannt wird.
({0})
Da die Frage 114 vom Fragesteller zurückgezogen worden ist, sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Forschung und Technologie. Ich danke dem Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes.
Die Fragen 6 und 7 des Abgeordneten Nehm werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Schily auf:
Wie nimmt die Bundesregierung zu der Behauptung des FDP-Vorsitzenden von Baden-Württemberg, Herrn Walter Döring, Stellung, daß der sicherheitspolitische Berater des Bundeskanzlers an „Größenwahnsinn" leide?
Herr Präsident und Herr Kollege Schily, ich würde gern die Fragen 8 und 9 im Zusammenhang beantworten.
Der Abgeordnete ist einverstanden. Dann rufe ich auch die Frage 9 des Abgeordneten Schily auf:
Welche Konsequenzen würde die Bundesregierung ziehen, wenn der von Herrn Walter Döring behauptete Sachverhalt zuträfe?
Ich kann mir die Antwort dadurch sehr einfach machen, daß ich Bezug nehme auf die Erklärung, die Bundesminister Dr. Schäuble dazu am 2. Oktober 1985 abgegeben hat.
Nur zur Erläuterung: In dieser Erklärung hat Bundesminister Dr. Schäuble die Angriffe gegen Ministerialdirektor Teltschik mit aller Entschiedenheit zurückgewiesen.
Zusatzfrage, Herr Schily.
Herr Minister, ist der Bundesregierung bekannt, was den FDP-Vorsitzenden von Baden-Württemberg, Herrn Walter Döring, zu der Feststellung veranlaßt hat, der sicherheitspolitische Berater des Bundeskanzler, Herr Teltschik, leide an Größenwahnsinn?
Herr Kollege Schily, ich würde Ihnen empfehlen, dazu Herrn Döring selbst zu befragen. Er wird Ihnen sicher am besten die Antwort darauf geben können.
Weitere Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Minister, es interessiert mich jetzt nicht eine Befragung von Herrn Döring. Wir sind hier nicht in der Fragestunde, um uns mit Herrn Döring zu unterhalten, sondern wir interessieren uns für den Kenntnisstand der Bundesregierung und für das Verhältnis der jeweiligen Koalitionspartner.
Insofern möchte ich Sie doch bitten, meine Frage zu beantworten, die nicht darauf abzielte, welche Vorstellungen Herr Döring hat, sondern darauf, welches der Kenntnisstand der Bundesregierung ist.
Ich darf die Frage so formulieren: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Kritik an Herrn Teltschik im wesentlichen darauf beruht, daß Herr Teltschik präjudizierende Erklärungen hinsichtlich der SDI-Problematik in der Öffentlichkeit abgegeben hat?
Ist auch in der Bundesregierung selbst Kritik am Verhalten von Herrn Teltschik klar geworden?
Zu Ihrem Einwand darf ich zunächst folgendes sagen. Sie haben nach den Motiven des Herrn Döring gefragt, der ja im übrigen nicht Mitglied dieses Hauses und im strengeren Sinne von daher auch nicht Koalitionspartner hier im Hause ist.
Im übrigen: Wer Herrn Teltschik kennt, weiß, daß Herr Teltschik einer der qualifiziertesten, einer der kenntnisreichsten Mitarbeiter der Bundesregierung ist
({0})
und daß dies auch bei allen sachkundigen Beobachtern im In- und Ausland anerkannt wird.
Sie haben noch weitere Zusatzfragen, Herr Schily, wenn Sie wollen.
Herr Minister, darf ich doch noch einmal darauf insistieren: Trifft es zu, daß die Erklärungen von Herrn Döring im Zusammenhang damit stehen, daß Herr Teltschik nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten bestimmte Erklärungen zu SDI abgegeben hat?
Ist auch innerhalb der Bundesregierung - möglicherweise sogar von einem Bundesminister - Kritik an dem Verhalten von Herrn Teltschik geäußert worden?
Letzteres ist mir nicht bekannt.
Was den ersten Teil Ihrer Frage angeht, muß ich noch einmal sagen: Sie fragen nach den Motiven eines Politikers, der diesem Hause nicht angehört. Da kann ich nur nochmals die Empfehlung geben: Fragen Sie ihn selbst!
({0})
Keine weitere Zusatzfrage. Dann kommt die Abgeordnete Frau Hürland zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, was Abgeordnete dieses Hohen Hauses, wenn sie die Bundesregierung etwas fragen, sich dabei denken?
Frau Kollegin, ich habe genügend Phantasie, mir vorstellen zu können, was sich die Abgeordneten dabei denken. Je nachdem, welche Vorstellung ich davon habe, was sie sich dabei denken, richte ich meine Antworten ein.
Sie haben noch das Recht, eine weitere Zusatzfrage zu stellen.
({0})
- Das ist nicht beabsichtigt.
Herr Abgeordneter Gansel zu einer Zusatzfrage.
Ist es zutreffend, daß Sie, Herr Vogel, die Frage von Herrn Schily, ob es zutreffe, daß Herr Teltschik an Größenwahnsinn leide - was Herr Döring, Landesvorsitzender der FDP in Baden-Württemberg, behauptet -, deshalb nicht beantworten können, weil Sie sich an die ärztliche Schweigepflicht gebunden fühlen?
({0})
Die Antwort lautet schlicht und einfach nein.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Danke, Herr Staatsminister, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht Staatsminister Möllemann zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Bindig auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß sich die Treffpunkte der antifaschistischen Widerstandsgruppe des „Kreisauer Kreises", das Schloß des Grafen Helmuth von Moltke und das dazugehörige „Berghaus" in Kryzowa ({0}), Polen, in einem äußerst baufälligen Zustand befinden und daß weder eine Gedenktafel noch ein Denkmal daran erinnern, daß es sich um eine historische Stätte des Widerstandes gegen das
Vizepräsident Westphal
NS-Regime handelt, an der sich Persönlichkeiten aus den verschiedensten Schichten und Ständen, Sozialdemokraten und Gewerkschafter ebenso wie bürgerliche Politiker, Widerstandskämpfer aus dem kirchlichen Bereich und Vertreter des Adels getroffen haben?
Herr Kollege Bindig, der Bundesregierung ist bekannt, daß sich die Treffpunkte der Widerstandsgruppe des „Kreisauer Kreises", das Schloß des Grafen von Moltke und das dazugehörige „Berghaus" in Kreisau, in einem sehr schlechten baulichen Zustand befinden. Die Bundesregierung hat sich seit 1980 darum bemüht, die Zustimmung der polnischen Regierung zur Errichtung einer Gedenktafel zur Erinnerung an die Widerstandskämpfer des „Kreisauer Kreises" zu erhalten. Diese Bemühungen sind bisher leider ohne Erfolg geblieben.
Zusatzfrage, Herr Bindig.
Herr Staatsminister, wie erfolgt denn die Beurteilung der Bundesregierung: Fährt jemand von der Botschaft einmal dorthin, nimmt die Gebäude in Augenschein und berichtet dann über deren baulichen Zustand, oder haben Sie das mehr aus Sekundärquellen?
Nein, nein, darum kümmert man sich schon selber, spätestens dann, wenn im Deutschen Bundestag danach gefragt wird. Im übrigen ist bekannt - ich möchte es nur erwähnen, wiewohl wir nicht dafür zuständig sind -, daß sich auch die Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Gedanken trägt, dort möglicherweise engagiert tätig zu werden, indem man das Haus anmietet oder erwirbt, um dort eine Begegnungsstätte zu errichten. Schon deswegen sind wir über die Situation informiert.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Bindig.
Herr Staatsminister, ich will jetzt den Inhalt meiner zweiten Frage nicht zum Gegenstand meiner jetzigen Frage machen, aber ich möchte Sie dennoch fragen: Richten sich Ihre Überlegungen, wie Sie soeben gesagt haben, hauptsächlich auf die Errichtung einer Gedenktafel, oder denken Sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände dort - des Zerfalls dieses Hauses - nicht daran, diese historische Stätte wiederherzustellen?
Es ist schon schwierig, ein Einvernehmen im Blick auf die Gedenktafel zu erzielen. Es ist noch schwieriger, hier wie dort weitergehende Vorstellungen umzusetzen. Ich glaube, daß die entsprechenden Überlegungen, die die Friedrich-Ebert-Stiftung angestellt hat, und daß die Gespräche, die sie dazu geführt hat, gezeigt haben, warum es so schwierig ist. Uns wäre es schon lieb, wenn dieses Gebäude in seinem historischen Wert erhalten werden könnte.
Wenn von seiten des Deutschen Bundestages etwa der Wunsch bestünde, daß dies mit einem Millionenaufwand geschehen sollte, dann müßten die entsprechenden Mittel dafür zur Verfügung gestellt werden. Aber vorweg müßte wirklich erklärt werden - ich beschrieb Ihnen gerade unsere Skepsis hinsichtlich der Frage, ob das möglich sein wird -, ob überhaupt ein Einvernehmen besteht. Ich komme bei der Beantwortung Ihrer zweiten Frage auf diesen Zusammenhang zu sprechen.
Zunächst hat jedoch der Abgeordnete Broll eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, gründet sich die Weigerung der polnischen Behörden, etwa eine Gedenktafel anbringen zu lassen, auf Desinteresse am deutschen Widerstand - speziell aus dieser gesellschaftlichen und beruflichen Gruppe - oder eher auf mangelnde Bereitschaft, die deutsche Vergangenheit - z. B. dieses Hauses und dieses Besitzes - zuzugeben?
Mein Eindruck ist - ich komme jetzt zwangsläufig mit in den Bereich der zweiten Frage hinein -, daß auf der Seite der polnischen Regierung nach wie vor eine außerordentlich große Reserviertheit im Blick auf alles besteht, was die deutschpolnische Vergangenheit vor 1945, vor 1939 betrifft. Ich glaube, daß hier noch nicht - so hat uns die polnische Regierung jedenfalls zu verstehen gegeben - eine hinreichend große Bereitschaft vorhanden ist, bei der nach wie vor bestehenden Empfindlichkeit zwischen den Verbrechen, die in der damaligen Zeit begangen worden sind, auf der einen Seite und dem Gedenken an jene Bestandteile dieser geschichtlichen Phase, die von den Opfern des Nationalsozialismus und den Widerstandskämpfern gegen den Nationalsozialismus geprägt worden ist, andererseits zu unterscheiden.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Bindig auf:
Ist die Bundesregierung bereit, an die polnische Regierung heranzutreten mit der Zielsetzung, das Schloß sowie das Berghaus als historische Stätte der deutschen Widerstandsbewegung im Dritten Reich zu erhalten, als solche zu kennzeichnen und somit der polnischen Bevölkerung sowie deutschen Besuchern die Möglichkeit zu geben, sich über die Aktivitäten des „Kreisauer Kreises" zu informieren?
Herr Kollege Bindig, die Bundesregierung wird auch in Zukunft darauf hinzuwirken suchen, in Polen mehr Verständnis für den Ernst und die Tiefe des deutschen Widerstands zu wecken. Ansatzpunkte für ein solches Verständnis sind nach Auffassung der Bundesregierung vorhanden. Viele ehemalige polnische Häftlinge der Konzentrationslager erinnern sich mit Achtung ihrer mutigen deutschen Mithäftlinge. Vor dem Hintergrund der Verbrechen, die durch Deutsche und im deutschen Namen dem polnischen Volk zugefügt wurden, kann dieses Anliegen von uns jedoch nur mit einem hohen Maß an Behutsamkeit und Zurückhaltung gefördert werden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Bindig.
Herr Staatsminister, da Sie vorhin in Ihrer Antwort gesagt haben, Sie meinten, hierbei stelle sich auch die Frage, ob das Parlament bereit sei, sich dafür zu engagieren und Mittel zur Verfügung zu stellen, frage ich: Sollte das nicht Anlaß sein, zu versuchen, in einem gemeinsamen Vorgehen von Parlament und Regierung das Anliegen mit der gebotenen Behutsamkeit voranzutreiben, also diese ganz wichtige Stätte des Widerstands gegen die nationalsozialistische Herrschaft zu erhalten und so auszubauen, daß sie zu einer Begegnungsund Verständigungsstätte zwischen Deutschen und Polen werden kann?
Wie ich es in beiden Antworten dargestellt habe, sind wir bemüht, unsere Anstrengungen fortzusetzen. Wenn uns das Parlament dabei unterstützt, werden wir dafür nur dankbar sein.
Weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wie könnte denn das Verfahren laufen? Halten Sie es für sinnvoll, daß wir dieses Thema hier in einem halben Jahr im Bundestag wieder aufgreifen, um damit der Sache einen gewissen Nachdruck zu geben und gegenüber den Polen zum Ausdruck zu bringen, daß dies vielleicht ein Anliegen des ganzen Parlaments sein könnte?
Das kann eine Möglichkeit sein. Ich kann jetzt aber keine Empfehlung geben. Eine andere Möglichkeit wäre vielleicht, daß neben den Unterredungen, die regierungsseitig geführt werden, auch bei den zahlreichen deutsch-polnischen Begegnungen - eine wichtige steht j a wieder bevor - von seiten der Parlamentarier aller Fraktionen dieses Thema mit den polnischen Gesprächspartnern einmal erörtert wird.
Die Fragen 12 und 13 des Abgeordneten Bahr werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Horn auf:
Hat die Bundesregierung irgendein Konzept, das die Stationierung neuer chemischer Waffen auf deutschem Boden vorsieht, und welche Maßnahmen werden gegebenenfalls vorgesehen?
Bitte schön, Herr Staatsminister. Möllemann: Nein.
Dies war die Antwort. Zu-einer Zusatzfrage Herr Horn.
Herr Staatsminister, ist Ihnen nicht bekannt, daß der amerikanische Kongreß auf eine Stationierung binärer Waffen in der Bundesrepublik Deutschland - die wäre ja der Partner - drängt? Und in welcher Weise hat sich die Bundesregierung auf dieses Politikum in den Vereinigten Staaten geäußert?
Ein solches Drängen des amerikanischen Kongresses ist mir nicht bekannt. Von daher gibt es keinen Anlaß, daß wir uns daraufhin äußern. Gesprächspartner der Bundesregierung ist verständlicherweise die amerikanische Regierung. Die ist mit einem entsprechenden Petitum an uns nicht herangetreten.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Horn.
Ist Ihnen nicht bekannt, daß im amerikanischen Kongreß sowohl der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Les Aspin, als auch andere Mitglieder ganz eingehend vor einer Produktionsfreigabe, vor einer Mittelfreigabe die Regierung dahin gedrängt haben, eine Zustimmung der alliierten Partner zu einer Stationierung zu bekommen, und dementsprechend Minister Weinberger, der ja zu Ihren Gesprächspartnern gehört, die Aussage von Herrn Dregger klar dementierte, daß die amerikanische Regierung ihm gegenüber eine Zusicherung gegeben habe, daß es keine Absichten zur Stationierung chemischer Waffen in der Bundesrepublik Deutschland gebe?
({0})
Herr Kollege Horn, vielleicht eine Vorbemerkung. Das Problem ist, daß man als Mitglied der Regierung vorher nicht weiß, welche Kollegen ihre Fragen zurückziehen oder um schriftliche Beantwortung bitten, und daß man seine Antwortenreihe möglicherweise so aufgebaut hat, daß die Beantwortung von vorherigen Fragen im Grunde mit zur Voraussetzung für das Verständnis der anderen Antworten gemacht worden ist.
Wir akzeptieren, daß es ein bißchen länger wird.
Deswegen möchte ich gern bei der auch etwas länger geratenen Frage, Herr Kollege Horn, daran erinnern, daß ich bereits in der Plenardebatte am 3. Oktober 1985 gesagt habe, daß Vertreter der Administration, also der amerikanischen Regierung, zuletzt gegenüber einer Delegation des Verteidigungsausschusses erkärt haben, daß keine Absicht besteht, binäre Waffen, um die es hier geht, außerhalb der USA zu stationieren. Ich erinnere in diesem Zusammennhang auch an die Antwort, die Staatssekretär Dr. Rühl auf eine entsprechende Frage Ihres Kollegen Dr. Kübler gegeben hat.
Im übrigen beobachte ich, da ich auch Parlamentarier bin, natürlich mit großem Interesse die Debatten bei unseren parlamentarischen Kollegen. Aber es bleibt dabei: Ein entsprechendes Petitum der amerikanischen Regierung ist nicht an uns herangetragen worden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, Sie haben vorhin erklärt, daß die Bundesregierung kein Konzept hat, das die Stationierung neuer chemischer Waffen auf deutschem Boden vorsieht. Die
entsprechende Frage haben Sie mit Nein beantwortet. Darf ich Sie jetzt fragen, warum Sie diese Frage mit Nein beantwortet haben?
Ja, weil es so ist.
({0})
Der Logik nach hätte „ja" genügt.
Eine weitere Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs.
Herr Staatsminister, ist Ihnen von der gleichen Delegation, die Sie soeben erwähnten, berichtet worden, daß Vertreter des Senats und des Repräsentantenhauses energisch und nachhaltig dafür plädiert haben, daß wir bitte sehr bereit sein sollten, binäre Kampfstoffe auf unserem Boden zu stationieren, weil es sonst völlig unsinnig sei, daß sie das Geld für die Produktion dieser Waffen ausgäben und neu bewilligten, daß es überhaupt in unserem ureigensten Interesse sei, sie zur Abschreckung hier zu haben und überhaupt nicht einsehbar, warum sie produziert werden sollten, wenn wir sie nicht übernehmen?
Ich beantworte jetzt nur die Frage, ob uns das berichtet worden ist: Ja.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Horn auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im amerikanischen Kongreß lediglich die Frage einer Zustimmung der Alliierten zur Stationierung neuer chemischer Waffen als entscheidend betrachtet wird, wogegen der Aspekt einer Konsultation als „bedeutungslos" eingestuft wird?
Nein.
Herr Horn, Sie sind schon wieder dran.
Bedauerlicherweise erläutert der Herr Staatsminister sein lakonisches Nein hier nicht. Herr Staatsminister, trifft es zu, daß Sie über den Verhandlungsstand zwischen Senat und Repräsentantenhaus in den auch für uns existentiell äußerst wichtigen Fragen überhaupt nicht informiert sind und auch nicht bereit sind, eine politische Stellungnahme zu diesem so wichtigen Prozeß abzugeben?
Nein, das trifft nicht zu. Herr Kollege, ich bin vom Präsidenten vor einiger Zeit einmal angehalten worden, möglichst knapp zu antworten, damit möglichst viele Fragen beantwortet werden können, und Sie haben zu diesem Thema 25 Fragen eingereicht. Ihre Frage ist mit Nein zu beantworten. Ich bin aber gern bereit, jetzt den Sachverhalt darzustellen, damit die Erläuterung, Ihrem Wunsch entsprechend, klar ist.
Dem amerikanischen Repräsentantenhaus liegt das von dem Vermittlungsausschuß der beiden Häuser des Kongresses erarbeitete Gesetz über den Verteidigungshaushalt 1986 - das ist die Defence
Authorization Bill - zur Entscheidung vor, dem der Senat bereits zugestimmt hat. In diesem Gesetz wird als Voraussetzung für die Bewilligung von Mitteln für die Aufnahme der Produktion chemischer Waffen u. a. eine Erklärung des Präsidenten gefordert, daß die USA in Verbindung mit dem obersten alliierten Befehlshaber in Europa, dem SACEUR, einen Plan ausgearbeitet haben, nach dem binäre chemische Waffen der USA gemäß entsprechenden Eventualfallplanungen zur Abschreckung gegen Angriffe mit chemischen Waffen auf die USA und ihre Verbündeten disloziert werden können, und diesen Plan mit den NATO-Partnern konsultiert haben. Dieser vom Vermittlungsausschuß des US-Kongresses erarbeitete Kompromiß, der im übrigen noch nicht verabschiedet ist - er soll nächste Woche, wie ich jetzt höre, behandelt werden, im Gegensatz zur früheren Planung -, bestätigt die in Ihrer Frage enthaltene Vermutung nicht. Deswegen habe ich mit Nein geantwortet.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Herr Horn.
Herr Staatsminister, in welcher Weise will die Bundesregierung in dieser für die Bundesrepublik Deutschland existentiell wichtigen Frage politisch tätig werden, und sind Sie nicht auch der Auffassung, daß eine Stationierung in Krisenzeiten - das steht j a doch dahinter - gegebenenfalls krisenverschärfend wirken kann?
Herr Kollege Horn, das ist Bestandteil der bestehenden Konzeption des westlichen Verteidigungsbündnisses, d. h. wenn diese Frage virulent wird, wird sie im westlichen Verteidigungsbündnis, in der NATO zu besprechen sein.
Ich erwähnte bereits, daß eine Konsultation der NATO-Partner in dieser entsprechenden Kompromißvorlage verlangt wird. Ich denke, daß die Bundesregierung dann, wenn eine solche Konsultation erfolgt, ihre Position einbringen wird, die bekannt ist. Diese bekannte Position der Bundesregierung ist wiederum unverändert die gleiche wie die jener Bundesregierung, die wir vor noch nicht allzu langer Zeit gemeinsam getragen haben.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, Sie sprechen vom Konsultationsrecht. Darf ich das so verstehen, daß man konsultiert, aber gleichzeitig sagt: wenn keine Zustimmung erfolgt, erfolgt keine Stationierung?
Nach allen Erfahrungen, die wir bisher haben, ist Konsultation immer so verstanden worden - jedenfalls in allen wichtigen Fragen -, daß man zwischen den Bündnispartnern ein Einvernehmen herbeizuführen bemüht ist. Ein Konsultieren, das eine Farce wäre - nach dem Motto: wir informieren euch, aber was immer ihr
denkt und wollt, ist uns gleichgültig -, wird es in diesem Bündnis nicht geben.
Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Fuchs, bitte schön.
Herr Staatsminister, heißt in diesem Zusammenhang Konsultation eigentlich nicht dasselbe wie Dislozierung? Ich habe den Text der conditions vorliegen, und es heißt darin, daß die Mitglieder der NATO hinsichtlich des Plans konsultiert werden sollten. Dieser Plan beinhaltet die Standorte, an denen die binären Waffen stationiert werden. Das ist eine Vorbedingung dafür, daß überhaupt weiter produziert wird.
Nein. Man kann die Frage immer noch nur mit Nein beantworten. Konsultation heißt in diesem Fall nicht Dislozierung.
Aber ich möchte doch meinen sehr geschätzten früheren Kollegen im Verteidigungsausschuß und ehemaligen Parlamentarischen Staatssekretär Penner zitieren, der im Blick auf die Grundsatzfrage, die Sie ansprechen, am 13. Mai 1981 folgendes gesagt hat:
Wie schon ausgeführt, lagern nur die USA einen geringen Teil ihres C-Kampfstoffbestandes in der Bundesrepublik Deutschland. Die Lagerung geschieht in Übereinstimmung mit den genannten Verträgen, die die Anwesenheit amerikanischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland und ihre Rechtsstellung regeln. Die Bundesregierung
- damals die Regierung Schmidt -beabsichtigt nicht, die USA aufzufordern, ihr in der Bundesrepublik Deutschland gelagertes CKampfstoffpotential abzuziehen.
Das ist die Aussage der seinerzeitigen Regierung Schmidt. Sie macht deutlich, welches die rechtlichen Grundlagen sind.
Aber ich verweise noch einmal auf meinen Hinweis, daß eine Konsultation im westlichen Bündnis natürlich bedeutet, daß die Meinungsäußerungen der verschiedenen Bündnispartner nicht nur akustisch zur Kenntnis genommen werden, sondern daß man versucht, zu einer gemeinsamen Position zu kommen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir darin zu, daß es sowohl einen völkerrechtlichen wie auch einen politischen Unterschied macht, ob hier zu Recht chemische Waffen aus alten Beständen lagern oder ob neue und neu zu produzierende chemische Waffen hierher verbraucht werden sollen?
({0}) Möllemann, Staatsminister: Ja.
Wir kommen zur Frage 16 des Abgeordneten Jungmann, der aber nicht im
Raume ist. Diese Frage wird daher entsprechend der Geschäftsordnung behandelt; das gilt auch für seine Frage 17.
Ich rufe nun die Frage 18 des Abgeordneten Kolbow auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der amerikanische Verteidigungsminister Verlautbarungen dementiert hat, denen zufolge die USA bereit seien, ihre chemischen Waffen einseitig aus der Bundesrepublik Deutschland abzuziehen?
Herr Kollege Kolbow, für die Frage eines Abzugs der auf dem Bundesgebiet gelagerten chemischen Waffen ist die bisher nur vom Senat gebilligte Defense Authorization Bill, also das Haushaltsgesetz, von dem ich gerade gesprochen habe, relevant. Sie sieht sich in Verbindung mit der Bewilligung der Mittel für eine Produktion binärer Waffen vor, daß das gesamte bestehende Potential der USA an chemischen Waffen bis zum 30. September 1994 vernichtet werden muß. Dies schließt die gegenwärtig außerhalb der USA gelagerten amerikanischen Chemiewaffenbestände ein, also auch die, die auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland stationiert sind.
Dem trägt die Erklärung Rechnung, die Verteidigungsminister Weinberger in seiner Pressekonferenz am 8. August 1985 abgegeben hat. Darin hat er u. a. ausgeführt, daß binäre chemische Waffen Änderungen in den Dislozierungsplänen möglich machen würden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Danke.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, Ihren Ausführungen habe ich entnommen, daß alle chemischen Waffen im Rahmen der Erneuerung aus der Bundesrepublik abgezogen werden. Kann ich, wenn ich das zur Kenntnis nehme, was Sie vorhin zur Konsultationspflicht gesagt haben, daraus folgern, daß gegen den Widerstand der Bundesregierung hier niemals erneut chemische Waffen stationiert werden können?
Ich sagte bereits, daß über die Frage der Ausstattung des Bündnisses - mit welchen Arten von Waffen auch immer - das Bündnis als Ganzes berät und sich eine Meinung bildet. Ich glaube, wir tun gut daran, dies nicht zu einem bilateralen Problem zu machen.
({0})
Wir kommen zur Frage 19 des Abgeordneten Kolbow:
Kann die Bundesregierung bestätigen oder widerlegen, daß es Ziel der amerikanischen Regierung ist, binäre chemische Waffen in Europa zu stationieren, und daß die Auseinandersetzung im amerikanischen Kongreß über die Mittelfreigabe für die Produktion neuer chemischer Waffen sich darauf konzentriert, ob und in welcher Weise eine ZustimVizepräsident Westphal
mung der europäischen Alliierten - insbesondere der Bundesrepublik Deutschland - zur Dislozierung dieser Waffen auf ihrem Territorium eingeholt werden kann?
Herr Kollege Kolbow, die Bundesregierung kann dies nicht bestätigen. Ihr ist bekannt, daß die Frage der Stationierung neuer chemischer Waffen eine Rolle in der inneramerikanischen Auseinandersetzung gespielt hat. Hierbei handelt es sich, was die Auseinandersetzungen angeht, um eine reine inneramerikanische Angelegenheit. Die Bundesregierung sieht es nicht als ihre Aufgabe an, inneramerikanische Vorgänge zu kommentieren.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kolbow.
Danke.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, kann ich also nach den Ausführungen, die Sie vorhin gemacht haben, und nach dem, was Sie jetzt gesagt haben - eine Verbindung ist ja zulässig -, davon ausgehen, daß Sie für die Bundesregierung erklären, daß die Konsultationspflicht, wenn die Bundesregierung nein sagt, nichts daran ändert, daß stationiert wird? Denn Sie sagen j a: Das Bündnis entscheidet.
Nein, das können Sie aus dem, was ich gesagt habe, nun wirklich nicht schlußfolgern. Ich habe darauf hingewiesen, daß über die Fragen der Ausrüstungen, der Strategie und der Bewaffnung des Bündnisses vernünftigerweise das Bündnis berät. Ich will, da ich gemerkt habe, daß das möglicherweise mißverständlich war, noch einmal unterstreichen: Es ist bei einem so sensiblen Thema wie diesem zweifellos angezeigt, daß die Bundesregierung ihre eigene Position in solche Bündnisberatungen einbringt. Aber es ist ganz sicherlich auch gut, wenn wir dies nicht allein zu einem bilateralen Problem machen, sondern hier z. B. alle europäischen Partner mit einbeziehen und eine gemeinsame Haltung erarbeiten.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatsminister, kann man daraus schließen, daß sich die Bundesregierung dann, wenn sie - ich frage ganz konkret - nein sagt, unter Umständen überstimmen lassen würde, wenn die anderen Staaten sagen würden: Jawohl, wir sind für eine Stationierung?
Das ist eine rein hypothetische Frage, auf die ich jetzt nicht eingehen möchte. Sie, meine Kollegen, argumentieren unter Außerachtlassung eines zentralen Punktes, den ich zu Beginn vorgetragen habe. Uns ist von seiten der amerikanischen Regierung - und das ist unser Gesprächspartner - mitgeteilt worden, daß nicht beabsichtigt sei, die neuen binären Kampfstoffe außerhalb der USA zu stationieren.
({0})
Zusatzfrage des Abgeordneten Horn.
Herr Staatsminister, bei allem Respekt gegenüber der Funktionsfähigkeit des Bündnisses: Sind Sie nicht der Auffassung, daß es eine prekäre Lage ergibt, wenn 14 NATO-Staaten darüber zu befinden haben, daß allein und ausschließlich auf dem Boden der Bundesrepublik Deutschland - und nur wir sind betroffen - eine solche Stationierung vorgenommen würde?
Ich kann die Prämisse, die in Ihrer Frage enthalten ist, nicht teilen. Der Hinweis des amerikanischen Verteidigungsministers auf die Notwendigkeit und Möglichkeit neuer Dislozierungsüberlegungen muß nicht notwendigerweise die von Ihnen genannte Prämisse beinhalten, nämlich, daß allein auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in einem solchen Fall stationiert werden müßte. Das kommt auf eine Menge technischer Fragen an, z. B. die der Trägermittel. Wo steht geschrieben, daß bei unterschiedlichen denkbaren Trägermitteln für den Fall der Fälle überhaupt nur die Bundesrepublik Deutschland in Frage käme? Das ist der Grund, warum ich gesagt habe, daß es nicht zweckmäßig ist, wenn wir das zu einer bilateralen deutsch-amerikanischen Frage machen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Gansel.
Herr Staatsminister, können Sie von vornherein klarstellen, daß die Bundesregierung bei Konsultationen deutlich machen wird, daß sie in keinem Fall die Stationierung dieser neuen chemischen Waffen ausschließlich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland akzeptieren würde?
Ich möchte dazu, weil es nach den Vorbemerkungen, die ich gemacht habe, eine hypothetische Frage ist, keine weiteren Bemerkungen machen.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs ({0}).
Herr Staatsminister, heißt Ihre Aussage, daß die chemischen Waffen in der Bundesrepublik nicht stationiert werden, daß das nicht nur für die Zeiten des Friedens zutrifft, sondern auch für Zeiten der Krise und des Krieges?
Ich denke, daß eine solche Differenzierung von mir nicht vorgenommen worden ist. Aber der Hinweis auf die Kompromißvorlagen zwischen den beiden amerikanischen Häusern hat schon deutlich gemacht, daß innerhalb der amerikanischen Diskussion zwischen diesen verschiedenen Phasen unterschieden wird. Das
heißt, daß möglicherweise bei den von dieser Gesetzesvorlage geforderten Konsultationen ebenfalls zwischen diesen Phasen unterschieden werden wird.
Bevor ich die nächste Frage aufrufe, möchte ich unterbrechen und Sie darauf aufmerksam machen, daß wir auf der Ehrentribüne Gäste haben, und zwar Mitglieder der Nationalversammlung der Republik Nicaragua. Ich begrüße Sie im Namen des Deutschen Bundestages
({0})
und wünsche Ihnen nützliche Gespräche und einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Da wir vorhin schon Zeit hatten, zusammen intensiver zu diskutieren, beschränke ich mich jetzt auf diesen Gruß und freue mich, daß Sie an unseren Beratungen teilnehmen.
Ich rufe die Frage 20 des Abgeordneten Heistermann auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die entschiedene Ablehnungshaltung der Opposition gegen neue chemische Waffen auf „deutschem" Boden und den dadurch gegenüber ihren amerikanischen Partnern geschaffenen Handlungsspielraum dahin gehend zu nutzen, von dem Ansinnen der Stationierung neuer chemischer Waffen in der Bundesrepublik Deutschland abzuraten?
Ich möchte nicht, wie es in meiner Vorlage heißt, an die Antwort auf die Frage des Kollegen Bahr erinnern, sondern darauf hinweisen, Herr Kollege Heistermann, daß z. B. auf Grund der der Delegation des Verteidigungsausschusses gegebenen Erklärungen entsprechende Begründungen für das in Ihrer Frage enthaltene „Ansinnen" nicht gegeben sind.
Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Herr Staatsminister, kann ich denn davon ausgehen, daß die Bundesregierung zu allen anderen europäischen Staaten dahin gehende Verhandlungen aufnehmen wird, es nicht zu einer neuen Stationierung von binären Waffen hier in Europa kommen zu lassen?
Nein, davon können Sie nicht ausgehen. Denn diese Frage behandeln wir nicht in der EG; darüber werden wir innerhalb des NATO-Rahmens zu sprechen haben, und zwar nicht getrennt nach EG- und nordamerikanischen Partnern. Das wird ein Thema der Konsultationen mit allen Partnern sein.
Weitere Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Herr Staatsminister, können sie dann bestätigen, daß die Dislozierung dieser neuen Waffensysteme auf dem Boden der Bundesrepublik nicht den Vorstellungen der Bundesregierung entspricht?
Das ist wiederum eine hypothetische Frage, weil ich mich hier zu Waffensystemen und ihrer Dislozierung äußern soll, über deren Produktion noch nicht einmal das zuständige Parlament eine Entscheidung getroffen hat.
Wir kommen zur Frage 21 des Abgeordneten Heistermann:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ihre Haltung zur Stationierung binärer chemischer Waffen der USA auf unserem Territorium ausschlaggebend ist für die Entscheidung des amerikanischen Kongresses, Mittel für die Produktion binärer Chemiewaffen freizugeben, und welche Haltung hat die Bundesregierung in dieser Frage?
Die Entscheidung über die Aufnahme der seit 16 Jahren eingestellten Produktion chemischer Waffen ist eine nationale Entscheidung der USA, auf die die Bundesregierung keinen Einfluß nimmt. Ich wiederhole: Die Entscheidung über die Aufnahme der Produktion ist eine nationale Entscheidung, auf die wir keinen Einfluß nehmen.
Zusatzfrage, Herr Heistermann.
Welche Haltung dokumentiert denn die Bundesregierung gegenüber der amerikanischen Regierung, was die Produktion von binären Waffen betrifft? Wird sie eine zustimmende, hinhaltende oder ablehnende Haltung einnehmen?
Ich gehe nicht davon aus, daß die amerikanische Regierung uns um Zustimmung, Hinhaltung oder Ablehnung bei ihrer souveränen eigenen Entscheidung ersuchen wird. Das, was sie in ihrer Eigenverantwortlichkeit zu entscheiden hat, werden wir ihr auch nicht abnehmen können.
Ich erwähnte bereits, daß die Ausrüstung der NATO-Einheiten mit Kampfmitteln Gegenstand der NATO-Beratungen ist. Die Vereinigten Staaten betreiben im übrigen darüber hinaus ihre eigene souveräne Verteidigungspolitik, sind z. B. auch in andere Bündnissysteme integriert. Deswegen treffen sie in dieser Frage die Produktionsentscheidung souverän.
Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Heistermann.
Herr Staatsminister, ist denn mein Eindruck richtig, daß gerade die Haltung der Bundesregierung zur Stationierung, wie sie auch in meiner Frage 21 zum Ausdruck kommt, von entscheidender Bedeutung dafür ist, ob die Amerikaner diese Produktion aufnehmen? Können Sie also verneinen - Sie haben ja gesagt, Sie hätten keine Konzeption -, daß durch die noch nicht vorgenommene grundsätzliche Abstimmung in der Bundesrepublik eine Möglichkeit der Produktion eröffnet wird, eben weil die Bundesregierung in dieser Frage noch nicht entschieden hat?
Herr Kollege Heistermann, ich bitte Sie herzlich, jetzt nicht den Unterschied zwischen Produktionsentscheidung und Stationierungsentscheidung zu verwischen. Zur Grundsatzfrage, die dauernd unterschwellig mit eine Rolle spielt, ob wir auf seiten der NATO überhaupt chemische Kampfstoffe bevorraten wollen, möchte ich an dieser Stelle noch einmal sagen, was Haltung dieser Bundesregierung wie der vorherigen ist. Ich lege großen Wert darauf.
In einer Antwort auf eine Große Anfrage der Fraktion DIE GRÜNEN haben wir festgestellt:
Solange die C-Waffen-Bedrohung durch den Warschauer Pakt
- ich könnte dazu ausführliche und detaillierte Darstellungen geben, aber ich denke, die sind Ihnen bekannt fortbesteht, hält die Bundesregierung - diese wie ihre Vorgängerregierung wie ihre Bündnispartner es für unerläßlich, im NATO-Bereich nicht nur die C-Waffen-Abwehrfähigkeit zu verbessern, sondern auch eine im Umfang begrenzte Repressalienkapazität aufrechtzuerhalten, um einen Aggressor von einem völkerrechtswidrigen C-Waffen-Einsatz abzuhalten.
Lassen Sie mich hinzufügen: Die sowjetische Militärdoktrin erkennt unverändert den Einsatz chemischer Kampfstoffe als Mittel der Kriegführung an. Ihre Führungsgrundsätze sehen den offensiven Einsatz von C-Kampfstoffen im Rahmen der Operationsführung vor. Die Sowjetunion verfügt über ein erhebliches offensiv einsetzbares C-Waffen-Potential.
({0})
Hinzu kommt, daß die Sowjetunion in der Lage ist, große Mengen chemischer Kampfstoffe kurzfristig und ohne Indikation für den Westen herzustellen. Dies trifft auch für binäre Kampfstoffe zu. Für den chemischen Einsatz durch die Streitkräfte des Warschauer Pakts sind bei ihnen bis zur unteren Ebene entsprechende Einsatzmittel, darunter Raketen, Artillerie und Flugzeuge, vorhanden. Die Streitkräfte des Warschauer Pakts verfügen daneben über eine hohe C-Waffen-Abwehrfähigkeit, die sie in die Lage versetzt, eigene C-Waffen-Einsätze auszunutzen und längere Zeit unter C-Bedingungen zu kämpfen. - Das ist der wahre Grund, warum sich die Frage überhaupt gestellt hat und weiter stellt. Ich denke, wir tun gut daran, die Diskussion auf die Frage zu konzentrieren, wie wir denn auf beiden Seiten von diesem - wie es immer so schön heißt - Teufelszeug wegkommen können, damit der eigentliche Anlaß für diese Diskussion beseitigt wird.
({1})
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, nachdem Sie uns jetzt die Begründung geliefert haben, warum die Bundesregierung für die Stationierung von chemischen Waffen ist - ({0})
Herr Klejdzinski, wollen Sie bitte Ihre Frage formulieren.
Herr Staatsminister, da Sie jetzt vorgetragen haben, weshalb die Bundesregierung für die Stationierung chemischer Waffen ist, nachdem Sie also die Begründung dafür geliefert haben,
({0})
darf ich Sie fragen: Werden Sie, wenn davon auszugehen ist, daß die bisherigen chemischen Waffen, die hier gelagert sind, obsolet sind oder nicht mehr brauchbar sind, nach dem, was Sie vorhin erklärt haben, zwangsläufig einer ersatzweisen Stationierung chemischer Waffen - ob sie binär oder anderer Art sind, ist jetzt nicht die Frage - wieder zustimmen?
Herr Kollege Klejdzinski, Sie haben in Ihrer einleitenden Bemerkung meine bisherigen Aussagen nicht korrekt wiedergegeben. Da ich nicht möchte, daß meine Aussagen im Protokoll des Deutschen Bundestages und - zitiert - anschließend in der Dülmener Zeitung falsch wiedergegeben werden, möchte ich hier folgendes feststellen. Ich habe dargestellt, daß und warum das westliche Bündnis - getragen auch von der Bundesregierung, und zwar von den Verteidigungsministern Georg Leber, Helmut Schmidt und Hans Apel genauso wie von dem jetzigen Verteidigungsminister - als politische Repressalie gegenüber dem erschreckend hohen C-Waffen-Potential des Warschauer Paktes eigene C-Waffen vorhält. Ich habe mit keinem Wort davon gesprochen, daß damit die Entscheidung, wo nach einer eventuellen Produktion binärer Waffen in den USA solche Kampfmittel disloziert werden, präjudiziert worden wäre. Ich habe im Hinblick auf eine Zwischenfrage des Kollegen Horn nur einen Teil der möglichen Überlegungen angedeutet, die die Diskussion in eine ganz andere Richtung lenken könnten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, Sie haben die Bedrohung, die potentiellen Gefahren der chemischen Rüstung in den Warschauer Paktstaaten dargestellt. Stimmen Sie mir darin zu, daß dieses eigentlich deutlich macht, wie sinnvoll es im Interesse unserer Sicherheit wäre, eine chemiewaffenfreie Zone auf beiden Seiten der Grenze - diese Zone müßte unser Land einschließen - zu vereinbaren, und zwar in einer Art und Weise, daß der Abzug chemischer Waffen auch tatsächlich kontrolliert werden kann?
Ich stimme Ihnen zu, daß Abzug und Vernichtung chemischer Waffen kontrollierbar sein sollten. Ich möchte aber darauf hinweisen, daß die Verfügungsgewalt über chemische Waffen im Blick auf Warschauer Pakt und NATO bei der Sowjetunion auf der einen und bei den Vereinigten Staaten von Amerika auf der anderen Seite liegt. Deswegen ist es wirklich zweckmäßig, wenn die im Genfer Rahmen getroffenen Verhandlungen über den vollständigen Abbau chemischer Waffen unter Beteiligung gerade dieser beiden Mächte geführt werden. Wir sollten nicht die Fiktion schaffen, als könnten diese Fragen zwischen der Tschechoslowakei, der Bundesrepublik Deutschland und der DDR geklärt werden. Ich glaube, Sie wissen sehr genau, welchen Einfluß die beiden von Ihnen ins Auge genommenen osteuropäischen Mittelmächte auf die Entscheidung der Sowjets haben. Das ist überschaubar. Die Entscheidung soll an den Stellen getroffen werden, wo sie tatsächlich liegt. Deswegen sind wir dafür, daß ein weltweiter Abbau und eine weltweite Vernichtung der chemischen Waffen vereinbart werden, im übrigen auch deswegen, weil wir sehr wohl wissen, daß neben diesen beiden Großmächten in den beiden Bündnissen andere Staaten außerhalb der beiden Bündnisse entweder schon die Fähigkeit zur Herstellung chemischer Kampfstoffe haben oder mit dem Gedanken spielen, solche Kampfstoffe herzustellen. Deswegen möchten wir diese Staaten gern auch in eine Regelung eingebunden wissen.
Eine Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Fuchs ({0}).
Herr Staatssekretär, anknüpfend an die Frage von Herrn Gansel und an Ihr fast leidenschaftliches Plädoyer eben für das Wegbringen dieses Teufelszeugs beziehe ich mich nicht nur auf die Gruppe von Politikern aus SED und SPD, die einen Vertragsentwurf über eine chemiewaffenfreie Zone in Europa vorgelegt hat, sondern auch auf das Ersuchen der Regierungen von Polen und der Tschechoslowakei gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, doch in Verhandlungen darüber einzutreten und Wege zu suchen, wie die Chemiewaffen aus Zentraleuropa abgeräumt werden können. Meinen Sie nicht, daß Ihr Verweis auf eine weltweite Abrüstung bei chemischen Waffen lediglich der Versuch ist, sich davor zu drücken, selbst Verantwortung zu übernehmen und eigene Schritte einzuleiten, die doch schon sehr gut vorbereitet sind und in Europa in breiter Öffentlichkeit ein positives Echo gefunden haben?
Frau Kollegin, zunächst einmal versuche ich überhaupt nicht, mich vor diesem Thema zu drücken, sondern bemühe mich, hier vernünftige Antworten zu geben. Ich will diesen Appell jetzt gar nicht weiter kommentieren. Wir haben den Regierungen der Tschechoslowakei und der DDR immerhin angeboten, im Rahmen der Genfer Verhandlungen unsere Kräfte zu bündeln, um auf ein weltweites Verbot, eine weltweite Abschaffung der chemischen Waffen hinzuwirken. Ich möchte nur sagen, daß es nach meinem Eindruck vom eigentlichen Thema ablenkt, dies in den Mittelpunkt zu stellen. Es wäre doch nicht das Schlechteste, wenn nach der Erklärung der Vereinigten Staaten von Amerika gegenüber einer Delegation des Verteidigungsausschusses, die binären Waffen nicht außerhalb der USA zu stationieren, jetzt die Sowjetunion ihrerseits eine gleichermaßen einseitige Erklärung abgeben würde, daß sie alle chemischen Waffen, die in ihrer Verfügungsgewalt sind, nicht mehr außerhalb der Sowjetunion stationiert. Das ist doch gar kein Problem, das wir hier insoweit zu klären hätten. Die Erwartung geht ja an diese.
({0})
Aber, Herr Kollege Gansel - ich habe das in einem Nebensatz gesagt -: Es ist überhaupt kein Problem, in Stundenfrist chemische Kampfmittel, von denen ja ein erheblicher Teil in Form von Bomben durch Bomber transportiert werden, aus der Sowjetunion nach Zentraleuropa zu transportieren. Es ist ablenkend, davon zu reden, daß man sie um einige hundert Kilometer dorthin oder dorthin transportiert. Zerstören soll man sie unter Kontrolle und keine neuen mehr bauen.
({1})
Zusatzfrage des Abgeordneten Horn.
Herr Staatsminister Möllemann, sehen Sie nicht, daß darin ein ganz qualitativer Unterschied besteht, ob eine Delegation des Deutschen Bundestages durch einzelne Sprecher eine Presseveröffentlichung macht, nach der die Amerikaner angeblich keine Stationierung in der Bundesrepublik vornehmen wollen, und der amerikanische Verteidigungsminister im Gegensatz dazu dies in der Sache ganz eindeutig dementiert, d. h. der amerikanische Verteidigungsminister, auf den Sie sich ja sonst als Ihr adäquates Pendant als Regierungsvertreter berufen?
Herr Kollege Horn, zu der Erklärung, die die Delegation des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages abgegeben hat, hat Herr Weinberger überhaupt nicht Stellung genommen.
({0})
Sie beziehen sich auf den Disput über die tatsächlichen oder angeblichen Aussagen
({1})
nach dem Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden der Union. Die Kollegen des Verteidigungsausschusses
({2})
haben mitgeteilt, daß ihnen von seiten der amerikanischen Regierung vorgetragen worden sei, diese beabsichtige nicht eine Stationierung der binären Waffen außerhalb ihres eigenen Territoriums. Das ist auch von Herrn Weinberger nicht dementiert worden.
({3})
Herr Weinberger hat erklärt, mit der Produktion binärer Waffen kämen, wie ich hier zitiert habe, neue Dislozierungsüberlegungen möglicherweise zum Zug. „Neu" heißt ja: anders gegenüber der bisherigen Situation, die eine Dislozierung in Europa, in Deutschland vorsieht.
({4})
Noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reuter.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß eigentlich der Friede der Normalfall sein sollte und daß gerade deshalb eine chemiewaffenfreie Zone notwendig ist, weil sich sehr viele unserer Mitbürger in dem Umfeld, wo vermutlich Giftgas lagert, sehr beunruhigt und auch bedroht fühlen?
Ich weiß, daß viele unserer Mitbürger, die in der Nähe von Bundeswehreinheiten sind, sich Gedanken machen, ob die Ausrüstung, die dort gelagert ist, die Bewaffnung, besonders wenn es sich um sogenannte Sonderwaffen, also nukleare Systeme handelt, ihre Sicherheit möglicherweise erhöht oder beeinträchtigt. Das ist eine Diskussion, die man sehr breit führen kann.
Aber ich glaube, daß der Großteil unserer Bundesbürger sich besonders durch die Frage beunruhigt fühlt, weshalb die Sowjetunion in drei Teufels Namen, während die USA in den letzten 16 Jahren keine chemischen Kampfstoffe produziert haben, dies in einem beängstigenden Umfang getan und Spezialeinheiten aufgestellt hat,
({0})
die mit diesen Mitteln umzugehen verstehen. Ich denke, daß man sich als Deutscher im wesentlichen durch diese Aufrüstung des Warschauer Pakts und nicht durch diese Überlegungen bei befreundeten Nationen, die dieser Aufrüstung Paroli bieten wollen, beunruhigt fühlen muß.
({1})
Die Frage 22 des Abgeordneten Steiner und die Fragen 23 und 24 des Abgeordneten Gerstl ({0}) haben wir nach der Geschäftsordnung zu behandeln, weil die Fragesteller nicht im Raum sind.
Wir kommen zur Frage 25 des Abgeordneten Wiefel:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß sie gegenüber den USA und Frankreich verbindlich erklärt hat, eine Stationierung von Neutronen- bzw. neutronenfähigen Sprengköpfen auf dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland abzulehnen?
Herr Kollege, wenn Sie einverstanden sind, würde ich Ihre Fragen 25 und 26 zusammen beantworten.
Er ist einverstanden. Ich rufe auch die Frage 26 des Abgeordneten Wiefel auf:
Ist die Bundesregierung bereit, gegenüber unseren amerikanischen Verbündeten zu erklären, daß sie eine Stationierung von neutronenfähigen nuklearen Gefechtsköpfen für die nuklearfähige Rohrartillerie der Bundeswehr auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland ablehnt?
Das Bundesministerium der Verteidigung, das im Verteidigungsausschuß für die Bundesregierung spricht, hat dort bereits mitgeteilt - ich erwähne das hier, damit es auch öffentlich ist -, daß sich die Frage einer Stationierung von Neutronenwaffen nicht stellt. Es gibt daher keine Notwendigkeit für eine Erklärung der Art, wie Sie sie angeregt haben.
Zusatzfrage, Herr Wiefel. Wiefel ({0}): Von mir aus keine Zusatzfrage.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, können Sie sich vorstellen, daß eine normale atomare Waffe durch Hinzufügung eines Zündungsteiles neutronenfähig wird?
Den genauen Mechanismus kenne ich, da ich kein Physiker bin, nicht. Aber wenn Ihre Frage implizieren soll, ob ich mir vorstellen kann, daß meine Antwort, die ich gegeben habe, auf Schleichwegen entkräftet werden könnte, dann meine ich, daß ich mir das nicht vorstellen könnte.
({0})
- Das liegt in Ihrem Urteil.
Sie werden nach den vielen Fragen verstehen, daß ich die Absicht habe, diesen Geschäftsbereich noch zu Ende zu bringen, zu dem noch eine Frage des Abgeordneten Jäger ({0}) kommt. Ich lasse jetzt noch eine Zusatzfrage zu und gehe dann zur letzten Frage über.
Bitte schön, Frau Fuchs ({1}).
Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, daß General Rogers, der NATO-Oberbefehlshaber, verlangt hat, daß die Neutronenwaffen zunächst produziert werden sollen mit dem Ziel, sie in Europa, auch in der Bundesrepublik Deutschland zu stationieren, und zwar dann, wenn die mitteleuropäischen Staaten und Länder ihre „Bauchschmerzen" in dieser Frage etwas vergessen hätten. Genau genommen hat er das Wort „gaspains" benutzt. Hat diese Aussage in diesem Zusammenhang irgendeine Relevanz?
Ich sagte bereits, daß Gesprächspartner der Bundesregierung in solchen Fragen - es handelt sich wiederum um Fragen, bei denen das Bündnis zu konsultieren wäre und die im Bündnis zu besprechen wären - die jeweiligen Re12364
gierungen sind. Bei allem Respekt vor dem SACEUR, aber auch der höchste Soldat der NATO in Zentraleuropa ist nicht der Gesprächspartner der Bundesregierung bei dieser Frage, sondern es sind die Partnerregierungen.
({0})
Herr Wiefel, ich verstehe Ihr Verhalten nicht ganz. Sie haben auf Ihre Zusatzfragen verzichtet. Wir haben beide Fragen zusammen beantwortet.
({0})
- Nein, nein. Ich hatte ein bißchen eingeschränkt, weil ich als Präsident auf die Uhr sehen muß.
Ich würde Herrn Wiefel, wenn er sich geirrt hat, gerne noch eine Zusatzfrage geben. Wir haben dann noch die Frage von Herrn Jäger ({1}) und sind dann am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Bitte schön, Herr Wiefel.
Nein, Herr Präsident. Ich habe jetzt keine Zusatzfragen mehr. Das war ein Mißverständnis.
Dann beenden wir diese Frage. Ich bitte noch einmal um Ihr Verständnis.
Die Fragesteller der Fragen 27 - Abgeordneter Hedrich - 28 und 29 - Abgeordneter Dr. Olderog - und 30 - Abgeordneter Dr. Kübler - bitten um schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Fragen 31 und 32 des Abgeordneten Ströbele sind vom Fragesteller zurückgezogen worden.
Wir kommen zur Frage 33 des Abgeordneten Jäger ({0}):
Wann wird die Bundesregierung den zuständigen Bundestagsausschüssen zur Vorbereitung auf das KSZE-Expertentreffen im kommenden Frühjahr in Bern einen Bericht über den Stand der Implementierung der Vereinbarungen in Korb III der KSZE-Schlußakte von Helsinki und der entsprechenden Vereinbarungen im Abschließenden Dokument von Madrid durch die DDR und die anderen Ostblockstaaten vorlegen?
Herr Kollege Jäger, die Vorbereitungen für das KSZE-Expertentreffen über menschliche Kontakte, das am 15. April 1986 in Bern beginnen wird, sind angelaufen. Dazu gehört auch eine Bestandsaufnahme über die Verwirklichung der einschlägigen Bestimmungen des Korbes III der Schlußakte von Helsinki und des Kapitels über menschliche Kontakte im abschließenden Dokument von Madrid durch die dem Warschauer Pakt angehörenden KSZE-Teilnehmerstaaten. Die Bundesregierung ist bereit, die zuständigen Ausschüsse des Deutschen Bundestages über das Berner Expertentreffen und den Stand der Vorbereitungen für dieses Treffen zu unterrichten, sobald diese Bestandsaufnahme vorliegt.
Zusatzfrage, Herr Jäger.
Herr Staatsminister, nachdem Ihre Antwort ja erhebliche Hoffnungen zuläßt, möchte ich fragen, ob Sie mir versichern können, daß noch im Laufe dieses Jahres eine solche Information der Ausschüsse möglich ist, damit sich die Mitglieder, vor allem die des Auswärtigen Ausschusses, rechtzeitig mit der Regierung über die Vorbereitungen dieses Expertentreffens unterhalten können?
Herr Kollege Jäger, ich bin jetzt nicht imstande, Ihnen ein genaues Datum zu nennen. Aber es liegt in der Natur der Sache, da das Treffen am 15. April 1986 in Bern beginnt und wir ein Interesse daran haben, in diesem Zusammenhang auch mit dem Parlament vertrauensvoll zusammenzuarbeiten, daß wir Sie so schnell wie möglich informieren, so daß eine solche vorbereitende Diskussion auch möglich ist.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, können wir in diesem Falle, in dem es um viele Einzelheiten geht - ich denke nur an die Ziffern 1 a bis e oder etwa den Korb III der Helsinki-Schlußakte und die entsprechenden Bestimmungen der abschließenden Erklärung von Madrid -, daß vor der mündlichen Berichterstattung im Auswärtigen Ausschuß eine Übersicht gegeben wird, damit sich die Abgeordneten auf diese Diskussion gründlich vorbereiten können?
Wenn ich Ihre Bitte betreffend einer schriftlichen Ausarbeitung richtig verstehe, so halte ich es durchaus für möglich, daß man das macht; nur kann ich Ihnen heute auch dazu nichts über das Datum sagen.
Meine Damen und Herren, die Fragen 34 und 35 der Abgeordneten Frau Eid sind von der Fragestellerin zurückgezogen worden. Ich danke dem Staatsminister für die Beantwortung der Fragen.
Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft braucht nicht aufgerufen zu werden, weil die Fragen 38 und 39 des Abgeordneten Mann vom Fragesteller zurückgezogen worden sind, während alle anderen Fragen aus diesem Geschäftsbereich - es sind die Fragen 36 und 37 des Abgeordneten Wolfram ({0}), 40 und 41 des Abgeordneten Suhr und 42 des Abgeordneten Stiegler - schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Der Herr Kollege von Geldern kommt leider wegen Zeitablaufs nicht mehr dran. Die Fragestunde ist beendet.
Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, habe ich eine amtliche Mitteilung zu machen. Meine Damen und Herren, wie bereits heute morgen mitgeteilt wurde, hat die Fraktion DIE GRÜNEN beantragt, die heutige Tagesordnung um die Beratung ihres Antrages „Stopp der Rüstungsexporte in die Länder des Nahen Ostens" auf Drucksache 10/4029 zu erweitern. Interfraktionell ist ver-
Vizepräsident Westphal
einhart worden, daß dieser Antrag aufgesetzt und im Anschluß an den Tagesordnungspunkt 15 aufgerufen wird. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen ({1})
- Drucksache 10/537 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({2})
- Drucksache 10/3472 - Berichterstatter:
Abgeordnete von Schmude
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({3}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/3528 - Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({4})
Hoppe
Wieczorek ({5})
Dr. Müller ({6})
({7})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses ({8}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Fortsetzung der Gemeindefinanzreform
- Drucksachen 10/538, 10/3472 -
Berichterstatter:
Abgeordnete von Schmude Dr. Struck
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der unter a) und b) aufgeführten Vorlagen und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wer zur Erfüllung seiner Aufgaben investieren muß, der braucht dafür Geld, und wer investieren soll, weil andere es etwa wünschen, dem muß man entweder Geld geben oder sein eigenes Geld belassen.
({0})
Die Städte und Gemeinden in der Bundesrepublik haben, von wenigen Ausnahmen abgesehen, zu wenig Geld, um die notwendigen Investitionen zu finanzieren. Soweit also Bund und Länder die Kommunen auffordern, jetzt - etwa der katastrophalen Beschäftigungslage wegen - mehr zu investieren - besonders im Bausektor -, wird diesen dafür nicht nur zu wenig Geld gegeben; darüber hinaus wird auch die eigene Steuerkraft der Städte beispielsweise über die Aushöhlung der Gewerbesteuer durch die derzeitige Koalition und die Bundesregierung eingeengt.
({1})
Es stellt sich darum die Frage, ob die Kommunen überhaupt die in sie gesetzten konjunkturpolitischen Hoffnungen erfüllen können. Können die Gemeinden gleichzeitig die steigenden Lasten z. B. auf Grund der Arbeitslosigkeit tragen und die über Jahre verminderten Investitionen wieder steigern? Dies wäre besonders für die Bauwirtschaft wünschenswert.
Da helfen auch nicht die dauernden gesundbetenden Hinweise auf die zweifellos fortgeschrittene Konsolidierung der kommunalen Haushalte. Die Finanzierungsdefizite sind zwischen 1981 und heute von rund 10,1 Milliarden auf etwa 0,5 Milliarden DM zusammengeschmolzen; für dieses Jahr können wir sogar davon ausgehen, daß es eine Deckung geben wird.
({2})
Aber diese Konsolidierung wurde nicht über eine Verbesserung der Einnahmeseite, sondern ausschließlich über rigorose eigene Anstrengungen der Kommunen erreicht; denn freiwillige Ausgaben wurden gekürzt, Personal wurde eingespart, Investitionen wurden erheblich verringert.
({3})
Gegenüber 1980 fehlen bei den Investitionen allein über 10 Milliarden DM. Real sind das rund 35%. Mehr als ein Drittel der kommunalen Investitionen sind also ausgefallen.
Auch 1985 sind beispielsweise die kommunalen Ausgaben für den Bausektor wiederum um mindestens 5% zurückgegangen. Der Bund trägt dafür die Hauptverantwortung. Er hat nicht nur verantwortungslos und rücksichtslos die Steuerkraft der Gemeinden ausgehöhlt; er hat auch keinerlei Anstrengungen zur Verringerung der starken Unterschiede in der regionalen Finanzausstattung unternommen, jedenfalls nicht in dem Umfang, wie er das könnte.
({4})
- Ich weiß. Ich habe gesagt: in dem Umfang, wie er es könnte. Ich komme darauf zurück.
Ich erinnere an die unterschiedlichen Ausgangslagen für den Finanzausgleich bei den Kommunen, die die Anwendung der Bemessungsmaßstäbe erschweren, beispielsweise der Bestand an Altindustrien oder auch die Feststellung unterschiedlich hoher Arbeitslosigkeit in den einzelnen Kommunen, die sich zweifellos im Länderfinanzausgleich spiegeln müssen, die aber letztlich von der Bundesregierung mit zu verantworten sind.
({5})
Im Gegenteil: Der Abbau der Gewerbesteuer, die Hinzurechnungskürzungen für Dauerschulden - etwa Zinsen - gingen ausschließlich zu Lasten strukturschwacher Städte. Die Senkung der Gewerbesteuerumlage hat diese Ausfälle - hier liegt ja die Verantwortung des Bundes - überhaupt nicht ausgleichen können.
({6})
Zusätzliche Einnahmeausfälle durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 hat es gegeben, weil der Bund den Gemeinden direkt und den Ländern auch indirekt wiederum keinen vollen Ausgleich für ihre überproportionalen Steuerausfälle gezahlt hat. Auch hier sind die Stichworte bekannt: Senkung der Vermögensteuer, Abschreibungserleichterungen für Unternehmen, die auch im Städtebauförderungsbereich durch die jetzt angekündigten Zuschüsse nicht ausgeglichen werden.
Dazu kommen die Senkung der Lohn- und Einkommensteuer 1986 und 1988 und die Abschreibungserleichterungen für Betriebsgebäude.
Die aktuelle Investitionszurückhaltung der Kommunen kann auch nicht mit einem Mangel an Bedarf für Investitionen erklärt werden. Ich will hier nur auf die Gutachten etwa des Deutschen Instituts für Urbanistik verweisen. An Bedarfsfeldern für Investitionen fehlt es keineswegs. Insbesondere in den großen Kernstädten ist der Bedarf noch groß. Aufmerksamkeit verlangt hier etwa der Aufwand für Substanzerhaltung, aber auch der Neubedarf für Stadterneuerung und Umweltschutz.
Die Städte sind aus eigener Kraft nicht in der Lage - nicht einmal um den Preis noch höherer Verschuldung -, kalkulierbare Investitionsausgaben zu finanzieren. So entsteht die paradoxe Situation, daß einerseits Städte einen großen Investitionsbedarf haben, diesen aber nicht finanzieren können, während andere Städte und Gemeinden die erforderlichen finanziellen Spielräume haben, aber bei weitem nicht so viele vordringliche Investitionsprojekte verzeichnen.
({7})
Die Koalition lehnt Investitionsprogramme - sie nennt das „Strohfeuerprogramme" - ab. Aber das Beispiel ZIP, von der sozialliberalen Koalition 1977 initiiert, bewies ihre Zweckmäßigkeit und auch ihre Richtigkeit. Ihren bisherigen Höhepunkt erreichten die kommunalen Investitionen nämlich auf der Grundlage etwa dieses Programms im Jahre 1980. Die Zuwachsraten ab 1978 betrugen 12 %, 15 %, 14 % und mehr, bezogen auf die Investitionen.
Ich wiederhole noch einmal: Es gibt nach wie vor genügend Bereiche, in denen die Gemeinden notwendige und sinnvolle Investitionen nicht finanzieren können, in denen aber durch gemeinsame Anstrengungen von Bund, Ländern und Gemeinden wichtige und am Arbeitsmarkt wirksame Projekte wirkungsvoll und auch schnell vorangetrieben werden könnten. Für solche Projekte müßten Bund und Länder Vertrauen schaffen, denn die konjunkturpolitische Verantwortung liegt eindeutig beim Bund und auch bei den Ländern. Diese Ebenen haben auch zumindest verstetigend auf die kommunalen
Haushalte, auf die Investitionsentwicklung bei den Kommunen einzuwirken.
Für die Entwicklung der kommunalen Investitionen hat das Investitionsklima große Bedeutung. Die Investitionsfähigkeit, aber auch die Bereitschaft dazu - auch wegen der Folgekosten - hängen entscheidend von der Einschätzung künftiger kommunaler Finanzausstattung ab. Die Entwicklung unserer Bevölkerung in den Städten, die wirtschaftliche Entwicklung allgemein, aber auch gesellschaftliche und politische Gründe belegen den nach wie vor erheblichen Investitionsbedarf der Kommunen.
Die Investitionsdefizite im traditionellen Bereich liegen derzeit besonders in der Stadterneuerung, im innerstädtischen Straßenbau, in der Wasserversorgung und in der Substanzerhaltung bei vorhandenen Gebäuden, bestehenden Straßen oder Rohrleitungsnetzen.
Es gibt eine ganze Menge neuer Investitionsfelder, etwa im erweiterten Umweltschutz - nicht zuletzt auch wegen der anhaltenden Verschärfung der Normen im Umweltschutz -, in der Deponiesanierung, bei der Altlastenbeseitigung, bei Abwasserproblemen, die über Investitionen in den Griff zu bekommen sind, Schutz von Boden und Grundwasser und letztlich auch in der Industrieförderung. In die Milliarden gehen die Investitionen, die zur Beseitigung von Schäden notwendig sind und die etwa in den frühzeitigen Substanzverlusten aus früheren Investitionen - wegen einer oft oberflächlichen Bauweise bei den Bauten aus den 50er und 60er Jahren - begründet sind.
Damit die Kommunen ihren Investitionsverpflichtungen nachkommen können, sind also verläßliche Orientierungen über die kommunalen Steuereinnahmen, auf denen die Gemeinden ihre Investitionsplanungen aufbauen können, unerläßlich. Dazu gehört, daß keine weiteren Eingriffe in die gemeindlichen Steuereinnahmen vorgenommen werden und daß eine Neuordnung des Gemeindesteuersystems schnell in Angriff genommen wird,
({8})
mit der der bereits erfolgte Substanzverlust - insbesondere bei der Gewerbesteuer - aufgefangen und ausgeglichen werden könnte.
Ich fasse zusammen: Es ist konjunkturpolitisch, aber auch unter Bedarfsgesichtspunkten wünschenswert, die kommunalen Investitionen erheblich zu steigern. Die Investitionsappelle der Bundesregierung wirken so lange unglaubwürdig, wie sie selbst durch ihre Steuerpolitik, durch die Lastenverlagerung im Sozialbereich und den Verzicht auf zusätzliche gemeinsame mittelfristige Investitionsprogramme die Finanz- und Investitionskraft der Kommunen schwächt. Wenn die Bundesregierung es ernst mit ihren Investitionsappellen meint, muß sie weitere Eingriffe in die Steuerkraft der Kommunen vermeiden, die Gewerbesteuer reaktivieren, die Gemeinden von den Kosten der Arbeitslosigkeit entlasten.
Dafür liegen Ihnen mit unserem Gesetzentwurf konkrete durchgerechnete Vorschläge vor. Darüber
hinaus zeigen wir Ihnen erneut Wege hin zu einer Gemeindefinanzierungsreform, die es den Gemeinden erleichtern soll, in Selbstverwaltung - also unbürokratisch, bürgernah und bedarfsgerecht - mit den Aufgaben der 90er Jahre fertig zu werden.
Herr Abgeordneter, das war ein schöner Schlußsatz.
Dazu bitten wir um Ihre Zustimmung.
Danke schön.
({0})
Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß wir wieder Gäste haben. Auf der Ehrentribüne hat eine Delegation unter Leitung des Präsidenten der Nationalversammlung der Republik Mali, Herrn Sidiki Diarra, Platz genommen.
Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag herzlich zu begrüßen. Nach Besuchen in München und Stuttgart führen Sie seit gestern Gespräche in Bonn. Noch heute werden Sie nach Berlin reisen. Für das Interesse, das Sie der geteilten alten Hauptstadt entgegenbringen, danken wir Ihnen in ganz besonderer Weise.
({0})
Wir wünschen Ihnen weiterhin einen angenehmen Aufenthalt und nützliche Gespräche in unserem Land.
({1})
Ich rufe als nächsten Redner den Abgeordneten von Schmude auf.
von Schmude ({2}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als vor nunmehr fast zwei Jahren der Gesetzentwurf über Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen von der Opposition eingebracht wurde, bemühten sich die Sozialdemokraten vergeblich, die Lage zu dramatisieren und Zukunftspessimismus zu verbreiten.
({3})
Eine objektive Bestandsaufnahme zeigte bereits 1982 nach dem Regierungswechsel, daß die wirtschaftliche Krise, die Sie damals zu verantworten hatten, auch tiefe Spuren in den Gemeindekassen hinterlassen hatte.
({4})
Herr Kollege Bernrath sprach in der Debatte vom 2. Dezember 1983 dann auch folgerichtig, von einer Wachstumsschwäche der Kommunen.
Das unter Ihrer Regierungsverantwortung entstandene Minuswachstum der deutschen Wirtschaft mußte sich nämlich zwangsläufig kommunalfeindlich auswirken. Mit Ihrem Gesetzentwurf wollten Sie schon damals von Ihrer Verantwortung ablenken und an den Symptomen herumkurieren, statt mit uns die Grundlagen, d. h. die Rahmenbedingungen, für die Kommunen nachhaltig zu verbessern.
Die Rückkehr der öffentlichen Hände zu einer soliden Haushaltspolitik zeigte dann auch bereits 1983 deutliche Erfolge. So stiegen z. B. die kommunalen Schulden nur noch um 1,2 Milliarden DM an. Die Gemeinden brauchten ihre Ausgaben nur noch mit rund 2 % durch Kredite zu finanzieren.
({5})
Dies stand im Gegensatz zu Bund und Ländern, wo die Zahlen entsprechend höher lagen.
Daß in diesem Zusammenhang auch die kommunalen Investitionen vorübergehend rückläufig sein mußten,
({6})
haben wir genauso bedauert wie Sie.
({7})
Die seinerzeitigen Ausführungen des Kollegen Poß hingegen, die Konsolidierungspolitik beschädige die gemeindliche Substanz und führe zu Verelendungserscheinungen in unseren Kommunen, entsprach nun wirklich dem mißlungenen Versuch, ein Zerrbild der Wirklichkeit zu zeichnen. Eine nüchterne Bestandsaufnahme war und ist nun einmal das Gebot der Stunde. Panikmache führt nur zur Verunsicherung der Kommunen und trägt letztlich dazu bei, daß notwendige Investitionen nur zögernd oder gar nicht angegangen werden.
Mit unangebrachtem Zukunftspessimismus schaffen wir keine neuen Arbeitsplätze.
({8})
Wenn 1983 weder vom Sachverständigenrat noch von den kommunalen Spitzenverbänden die Lage so dramatisch gesehen wurde wie von der SPD, muß man sich heute erst recht die Frage stellen, welche zwingenden Gründe nun, im Oktober 1985, Sofortmaßnahmen erfordern. Nach einem Finanzierungsdefizit im Jahr 1981 von 10,1 Milliarden DM schließen die Gemeinden 1984 und 1985 mit Finanzierungsüberschüssen ab. Die Politik des Wachstums führt wieder zu steigenden Steuereinnahmen. Verzeichnete man 1981 noch ein Minus von 2,7 %, so hatten wir 1984 schon wieder ein Plus von 6,4 %.
Der Handlungsspielraum der Kommunen wird durch die Erfolge der Konsolidierungspolitik dieser Regierung deutlich verbessert. Der Rückgang der Schuldzinsen auf dem Kapitalmarkt wirkt sich bei einem kommunalen Schuldenstand von rund 105 Milliarden DM nachhaltig positiv auf die Gemeindekassen aus. Eine noch größere Entlastung erfahren die Gemeinden allerdings durch die ebenfalls um fast 4% gesunkene Inflationsrate. Und was für jeden Bürger zählt, zählt hier auch für die Gemeinden. 6,5% Zinsen für öffentliche Anleihen und nur 2 % Inflationsrate sind attraktive Voraussetzungen für kommunale Investitionen.
Nach der witterungsbedingt unbefriedigenden Entwicklung im ersten Quartal 1985 zeichnet sich jetzt ab, daß die Gemeinden angesichts der guten Rahmenbedingungen und der verbesserten Haus12368
von Schmude
haltslage die Situation nutzen und ihre Sachinvestitionen wieder steigern, was nicht ohne positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt bleiben wird.
Die Gemeinden können auch mit der im Jahr 1985 auf 3 % begrenzten Steigerung der Ausgaben zufrieden sein. Immerhin lagen die Erhöhungen in diesem Bereich 1982 noch bei 5,2 %. Selbst bei der Sozialhilfe hat sich der Kostenanstieg in den letzten Jahren verringert: von 10,5% im Jahr 1982 auf 6,7 % im Jahr 1984.
({9})
- Da müssen Sie sich einmal das Statistische Bundesamt anhören.
Von einem dramatischen Anstieg dieser Haushaltsposition, durch Arbeitslosigkeit oder Asylantenzustrom bedingt, kann deshalb nicht gesprochen werden. Die kommunalfreundliche Politik dieser Regierung hat für alle Kommunen Verbesserungen gebracht.
({10})
Aber wo Licht ist, ist auch Schatten. So gibt es in strukturschwachen Räumen, zum Teil auch in Ballungsgebieten, natürlich Gemeinden mit einem nach wie vor bestehenden Sanierungs- und Konsolidierungsbedarf.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Reuschenbach?
von Schmude ({0}): Nein, ich habe nicht so viel Zeit.
Der vor uns liegende Gesetzentwurf schert jedoch alle Gemeinden im Bundesgebiet über einen Leisten. Auf die besondere Situation in Schwierigkeiten geratener Kommunen wird nämlich nicht eingegangen. Dieser Aufgabe müssen sich vor allem die Länder und die Landkreise im Rahmen ihrer kommunalen Ausgleichsfunktion stellen. Aber offensichtlich geschieht dies in unterschiedlichem Maße. Ein Blick auf die Pro-Kopf-Verschuldung zeigt das sehr deutlich: Die höchste Pro-Kopf-Verschuldung haben wir in Hessen mit 2 268 DM und die niedrigste in Schleswig-Holstein mit 868 DM.
({1})
Wenn man die Stadtstaaten dazunimmt - wenn Sie das gerne hören möchten -, dann liegt Bremen mit 12 173 DM, gefolgt von Hamburg mit 6 966 DM mit großem Abstand vorn.
({2})
Meine Damen und Herren, wer für die Wünsche der Gemeinden ein offenes Ohr hat - wer hätte das nicht -, muß auch an die eigene Brieftasche denken. Bund, Länder und Kommunen sitzen in einem Boot, und die Haushaltskonsolidierung bei Bund und Ländern und der damit verbundene Abbau der Neuverschuldung erfordern nach wie vor alle Anstrengungen. Wer zusätzliche Finanzhilfen oder unbezahlbare Beschäftigungsprogramme fordert, gefährdet den Konsolidierungsprozeß und damit auch die bisher erreichten günstigen Rahmenbedingungen. Gerade das letztere wäre aber für die Kommunen ein großer und durch nichts auszugleichender Rückschlag.
({3})
Die Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer um einen Punkt würde den Bundeshaushalt 1986 mit rund 1 Milliarde DM belasten. Ebenfalls rund 2,5 Milliarden DM wollen Sie mit Ihren Vorschlägen aus der Wirtschaft herausziehen, die nun nach vielen Jahren der Auszehrung wieder in der Lage ist, das für Sachinvestitionen notwendige Kapital zu bilden.
({4})
16,8 % Zuwachs bei den Ausrüstungsinvestitionen im Jahre 1985 zeigen deutlich, daß die Wirtschaft wieder Vertrauen in die Verläßlichkeit politischer Rahmendaten setzt. Dieses Vertrauen werden wir nicht enttäuschen. Dies gilt vor allem auch für den Mittelstand, den Sie mit ihrem Gesetzentwurf in besonderer Weise treffen.
Die Einbeziehung der Freiberufler in die Gewerbesteuerpflicht, wie von Ihnen vorgeschlagen, macht grundsätzlich eine steuerliche Neudefinition des Begriffs „Gewerbe" notwendig. Das zeigt schon, daß auch Sie die Gewerbesteuer herkömmlicher Art in Frage stellen. Hier gibt es in der Tat einen Regelungsbedarf, weil diese Steuer heute nur noch etwa von einem Drittel aller Betriebe getragen wird, zum anderen weil diese Steuer auch für die Gemeinden Probleme mit sich bringt. Für die Wirtschaft wirkt sich die ertragsunabhängige Besteuerung durch die Gewerbekapitalsteuer und die hälftige Einbeziehung der Dauerschuldzinsen und Dauerschulden in die Bemessungsgrundlage negativ aus. Die Fremdfinanzierung muß aber im Interesse wünschenswerter Investitionen auch in diesem Bereich entlastet werden.
Mit Ihrem Antrag auf die Fortsetzung der Gemeindefinanzreform stimmen wir insoweit überein, als es sicher notwendig ist, die Gemeindefinanzen auf eine langfristig gesicherte Basis zu stellen.
({5})
Die hier jedoch vorgesehene Einengung der Prüfung von Möglichkeiten wird diesen zu lösenden Problemen nicht gerecht. Wir wollen kein Flickwerk, sondern eine möglichst optimale Lösung, die den Interessen der Kommunen und der Länder entspricht, ohne daß der Wirtschaft neue unzumutbare Lasten aufgebürdet werden.
({6})
Die Länderfinanzministerkonferenz hat am 24. Januar 1985 angesichts der großen Konsolidierungserfolge der Gemeinden festgestellt, daß eine kommunale Steuerreform nicht unter Zeitdruck steht. Die Minister wollen selbst eine abgestimmte Beratungsvorlage erarbeiten. Auch insoweit gibt es keinen Anlaß zu einer einseitigen Festlegung seitens des Bundes.
von Schmude
Bei der für die nächste Legislaturperiode vorgesehenen Neuordnung der Gemeindefinanzen müssen alle Denkmodelle in die Überlegungen mit einbezogen werden, und sie sind nicht etwa durch vorzeitige Festlegung hier zu reduzieren. Es gibt deshalb heute überhaupt keine zwingende Notwendigkeit, dem SPD-Antrag nach Fortsetzung der Gemeindefinanzreform zuzustimmen. Ebensowenig rechtfertigt die Gesamtsituation der Gemeindefinanzen die Verabschiedung des von der Opposition eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Sofortmaßnahmen auf diesem Gebiet.
Gestatten Sie mir eine Schlußbemerkung. Ich bedauere es außerordentlich, daß wie bei der ersten Lesung des Gesetzes auch diesmal die Bundesratsbank wieder leer geblieben ist.
({7})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogel ({0}).
Herr Präsident! Liebe Kollegin, liebe Kollegen! Herr von Schmude hat völlig zu Recht gesagt, man solle nicht alle Gemeinden über einen Leisten scheren. Aber in seinem Bemühen zu zeigen, daß es den Gemeinden finanziell blendend gehe und daß Handlungsbedarf für eine Reform der Gemeindefinanzierung nicht bestehe, macht er genau das, wenn er nämlich als Beweis dafür, daß es den Gemeinden besser gehe, anführt, daß die kommunalen Schulden letztes Jahr nur noch um 1,2 % angestiegen sind.
Das ist eine völlig undifferenzierte Behauptung; denn erstens muß man sehen, daß es beträchtliche regionale Unterschiede gibt, große Unterschiede vor allem zwischen den kreisangehörigen Gemeinden und den kreisfreien Städten. So haben in Nordrhein-Westfalen die kreisfreien Städte auch im letzten Jahr ein Finanzierungsdefizit von 123 Millionen DM gehabt. Ein insgesamt positiver Abschluß auf der Gemeindeebene kam nur durch die Überschüsse der kreisangehörigen Gemeinden zustande. So ist der Schuldenstand immer noch beträchtlich.
Da hilft es auch nichts, Länderdurchschnittszahlen heranzuziehen. Vielmehr muß man insoweit berücksichtigen, daß z. B. der Schuldenstand in Düsseldorf 3 985 DM je Einwohner betrug, in Bonn 2 827 DM und in Hannover, im schwarzen Niedersachsen, 4 266 DM.
({0})
Gerade für Großstädte hat sich die Situation also keineswegs rosig entwickelt, was in der Stoltenbergschen Art, andere Haushalte reichzurechnen, völlig untergeht.
Zweitens geht dabei auch völlig unter, daß die Gemeinden in ihrem Verschuldungsverhalten nicht frei sind. Das finde ich auch richtig; ich sage das ausdrücklich. Aber die Gemeinden haben in den letzten Jahren ihre Schuldendienstgrenze erreicht. Sie befinden sich in der Situation eines Geschäftsmannes, der bis über die Halskrause verschuldet ist, zur Bank geht und sagt, ich brauche noch Kredit, sonst gehe ich völlig kaputt, sonst kann ich nicht einmal mehr die Butter für das Brot kaufen. Die Bank schmeißt ihn gleichwohl hinaus, und nachher sagt dann der Wirtschaftsminister oder der Finanzminister: Na, immerhin hat sich seine Nettoneuverschuldung dieses Jahr nicht erhöht, er ist also schon wieder auf dem Weg der Besserung.
({1})
Die Nettokreditaufnahme der Gemeinden ist also beschränkt. Die Tatsache, daß sie abgenommen hat, ist noch lange kein Zeichen dafür, daß es den Gemeinden jetzt besser geht. In den letzten Jahren gab es nämlich kaum noch Überschüsse aus den Verwaltungshaushalten, die j a zur Berechnung der Schuldendienstgrenzen dienen. Das ist hauptsächlich auf die Bundespolitik zurückzuführen. Hier wurde eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik auf Kosten der Gemeinden betrieben, in dem die Besteuerungsgrundlage der Gewerbesteuer reduziert wurde. Anschließend wurde wegen der Erfolglosigkeit dieser Wirtschaftspolitik der Sozialabbau auf Kosten der Gemeinden betrieben.
({2})
Es ist j a mittlerweile Allgemeinwissen, daß aus der steigenden Arbeitslosigkeit und den Kürzungen bei der Bundesanstalt für Arbeit steigende Sozialhilfeausgaben der Kommunen resultieren. Nur das Finanzministerium hat die Stirn - z. B. in einer Antwort vom 28. Mai 1985 -, von den finanziell entlastenden Wirkungen im Bereich der Sozialhilfe durch Maßnahmen des Bundes zu sprechen.
Wie die Realität aussieht, läßt sich dem Gemeindefinanzbericht entnehmen. Danach sind die Leistungen der Sozialhilfe für Arbeitslose im Zeitraum von 1981 bis 1984 z. B. in Essen um 264 % gestiegen, in Dortmund um 197 %.
({3})
In Oberhausen mußten im Jahr 1984 für Arbeitslose sogar 335 % mehr an Sozialhilfezahlungen geleistet werden als 1981. In Lübeck z. B. deckten die Gewerbesteuereinnahmen 1983 trotz eines gestiegenen Hebesatzes die Sozialausgaben nicht mehr ab. Eine Ausweitung der Kreditaufnahme wurde von der kommunalen Aufsicht unterbunden.
Die Folgen dieser finanziellen Lage der Gemeinden sind sowohl sozial als auch ökologisch mehr als bedenklich. So wird bei den Personalausgaben gespart. Lübeck z. B. hat seinen Beitrag zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit dadurch geleistet, daß im Personalhaushalt 400 Stellen abgebaut wurden.
({4})
Duisburg hat heute 5,1 % weniger Vollzeitbeschäftigte als 1981. In Düren wurde die Anzahl der Vollzeitbeschäftigten um 13 %, die der Teilzeitbeschäftigten um 20 % abgebaut usw. usw.
Weil die Gemeinden, insbesondere die Städte, also mit den materiellen Folgen der Arbeitslosigkeit belastet werden, tragen sie selbst durch Perso12370
Vogel ({5})
nalabbau zu einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit bei. Fürwahr ein Teufelskreis.
({6})
Gespart wird dann auf kommunaler Ebene vor allen Dingen bei den freiwilligen Sozialleistungen, so daß das reale Einkommen der Sozialhilfeempfänger nicht nur deshalb zurückgeht, weil die Anpassungen ausbleiben - also Bundesebene -,
({7})
sondern auch deshalb, weil immer mehr Sachleistungen entfallen. Dabei hätten die Gemeinden gerade in diesem Bereich durchaus Möglichkeiten, den Sozialhilfeempfängern verstärkt unter die Arme zu greifen. So könnten z. B. Freifahrtscheine für die Benutzung der Straßenbahn zur Verfügung gestellt werden. Dies würde die Gemeinden praktisch nichts kosten, weil die Leute, da sie so wenig Geld haben, sowieso kaum mit der Straßenbahn fahren. Allerdings werden wegen des Sparzwangs solche Leistungen fast nicht gewährt. Es gibt zwar Ausnahmen - das gebe ich durchaus zu -, aber es wäre anstrebenswert, daß viel mehr Gemeinden einen derartigen Sozialpaß einrichten, der nicht nur für die Benutzung der Verkehrsbetriebe, sondern z. B. auch für eine kostenlose Benutzung des Schwimmbads, botanischer und zoologischer Gärten usw. dienen könnte.
({8})
Der Sparzwang der Städte führt dann aber zu solchen Forderungen, wie sie vom Städtetag jüngst an die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gerichtet worden sind.
({9})
Es ist gefordert worden, die Schaffung von Arbeitsgelegenheiten für Sozialhilfeempfänger finanziell zu unterstützen. Bei diesen gemeinnützigen und zusätzlichen Arbeitsgelegenheiten - kurz GZ-Arbeit genannt - wird ein Mehrbedarfszuschlag von zur Zeit nur 1 DM pro Stunde gewährt. Die Arbeitenden sind dabei nicht sozialversichert, so daß sie trotz ihrer Arbeit Klientel der Sozialhilfe bleiben. Es ist trotz der finanziellen Situation der Kommunen unverzeihlich, daß eine Ausweitung dieser Tätigkeiten statt ihrer völligen Streichung gefordert wird.
Natürlich führt der Sparzwang der Kommunen auch zum Sparen bei den Investitionen. Ich teile hier nicht die pauschale Klage der SPD über den Investitionsrückgang. Allerdings zeigt sich, daß auch die Umweltschutzinvestitionen 1984 um gut ein Viertel unter dem Niveau des Jahres 1980 liegen. In Konstanz z. B. konnten Abwassermaßnahmen zur Reinhaltung des Bodensees nicht durchgeführt werden. Im Enz-Kreis im Schwarzwald fehlte das Geld für Regenwassersammler- und -rückhaltebecken. In Lüneburg konnte eine Mülldeponie nicht fachgerecht ausgebaut werden. Die Liste läßt sich beliebig verlängern, wie eine Umfrage des DGB nach den Defiziten öffentlicher Investitionspolitik zeigt.
Wie in der Vergangenheit auf kommunaler Ebene Prestigebauten und Großprojekte mit verheerenden ökologischen Folgen getätigt wurden, so fehlt auch heute noch das ökologische Kriterium bei gemeindlichen Entscheidungen über Investitionsmaßnahmen. So sind z. B. in Straubing für den Ankauf und die Erschließung von Industrieansiedlungsgelände bereits 60 Millionen DM verausgabt worden, wobei das Hauptelement ein Donauhafen bei Straubing-Sand ist. Dabei ist klar, daß dadurch praktisch kaum Arbeitsplätze neu geschaffen bzw. gesichert werden. Die Zeit großer Industrieanlagen ist doch wahrhaftig vorbei. Hier sollten die Gemeinden einmal darauf hinwirken, daß - unter Inkaufnahme weiterer Umweltzerstörung - nicht völlig nutzlose Investitionen getätigt werden, die überhaupt keinen arbeitsmarktpolitischen Effekt haben.
({10})
Der finanzielle Bedarf der Gemeinden für notwendige Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes und zur Erhöhung der Lebensqualität der Bürger kann von Stoltenberg und auch von Herrn von Schmude nicht weggeredet werden. Deshalb stimmen die GRÜNEN den Anträgen der SPD zu. Diese stellen jedoch auch nur einen Anfang dar, um den Gemeinden mehr Finanzautonomie und mehr Mittel zu verleihen, damit sich diese von der unsozialen und unökologischen Politik des Bundes und vieler Länder besser abkoppeln können.
Ich möchte nun noch etwas zu dem Antrag auf Drucksache 10/538 sagen: Ich finde es für den Finanzausschuß bzw. für die Mehrheit im Finanzausschuß wirklich beschämend, daß man nicht einmal bereit war, einem Prüfungsauftrag zuzustimmen, mit dem einmal untersucht werden soll, wie die Wertschöpfungssteuer funktionieren, wie sie ausgestaltet werden könnte. Wir sind zwar nicht unbedingt dafür, daß die Wertschöpfungssteuer zur Aufstockung der Gemeindefinanzen verwendet wird - wir halten sie z. B. durchaus für ein mögliches Finanzierungsinstrument für die Rentenversicherung
({11})
aber daß man nicht einmal zustimmt, die Wertschöpfungssteuer überhaupt überprüfen zu lassen, ist beschämend.
({12})
- Ja.
Oh, Entschuldigung. - Herr Abgeordneter Vogel, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Bitte.
Bitte sehr.
Danke schön, Herr Präsident. - Axel, mich würde einmal interessieren: Welche Begründung hat die Mehrheit im Finanzausschuß dafür angegeben, daß diese Prüfung nicht erfolgen kann?
Nun, die Mehrheit im Finanzausschuß lehnt die Wertschöpfungssteuer schlechthin ab und ist von daher nicht bereit, eine Prüfung vornehmen zu lassen.
({0})
- Ich war dabei sehr wohl anwesend.
Des weiteren ist auch bezeichnend, daß z. B. nicht einmal ein Prüfungsauftrag dahin vergeben wurde, den bisherigen Schlüssel zur Verteilung des gemeindlichen Lohn- und Einkommensteueranteils zu überprüfen. Denn hier liegt doch wirklich vieles im argen, insbesondere daß gerade die Städte, die einen hohen Arbeitslosenanteil, hohe Sozialhilfeaufwendungen haben, am wenigsten Geld aus diesen Schlüsselzuweisungen kriegen. Da müßte doch zumindest einmal überlegt werden, inwieweit die örtliche Arbeitslosenquote in den Schlüssel mit einbezogen werden kann.
({1})
Ich möchte noch ein paar grüne Perspektiven aufzeigen, die in dem SPD-Antrag natürlich nicht erwähnt sind. Zum Beispiel könnte man die Gewerbesteuer besser ausdifferenzieren. Man könnte prüfen, inwieweit ökologisch verträgliche Betriebe weniger Gewerbesteuer zahlen sollen als solche, die die Umwelt besonders belasten. Auch könnte man überlegen, ob man die Gewerbesteuer nicht progressiv zugunsten der kleinen und zu Lasten der großen Betriebe ausgestaltet.
({2})
Die Zweitwohnungsteuer müßte von den Landesregierungen weniger restriktiv gehandhabt werden. Denn gerade die Zweitwohnungen belasten die Gemeinden durch die Infrastrukturmaßnahmen besonders, während die Leute, die dort wohnen, praktisch keine müde Mark zum Finanzhaushalt der Gemeinden beitragen. Die Zweitwohnungsteuer wäre ein wichtiger Ansatz, um die Gemeinden in eine bessere Lage zu bringen.
({3})
Als letztes möchte ich noch einen wichtigen Punkt erwähnen. In den letzten Jahren hat es überhand genommen, daß die Gemeinden immer mehr zweckgebundene Zuweisungen erhalten, daß sie praktisch am goldenen Zügel geführt werden, daß ihnen Straßen aufgedrückt werden. Lange Jahre wurden ihnen Mehrzweckhallen aufgedrückt.
({4})
Heute sitzen sie da mit ihren Schwimmhallen und wissen nicht mehr, wie sie den laufenden Unterhalt bezahlen sollen.
({5})
Wir sind der Meinung, daß die zweckgebundenen Zuweisungen verringert und mehr Schlüsselzuweisungen gegeben werden sollten.
({6})
Hier ist es wiederum beschämend, daß das Land Nordrhein-Westfalen jetzt die Schlüsselzuweisungen der Länder gekürzt hat.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Gattermann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von Ihnen vorgelegte Gesetzentwurf, Herr Kollege Apel,
({0})
über Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen ist
({1})
für mich als nordrhein-westfälischen Abgeordneten ein markantes Beispiel für eine absolut unglaubwürdige Finanzpolitik.
({2})
Die Sozialdemokraten, Sie, bringen es fertig, hier Gewerbesteuererhöhungen und eine Aufstockung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer von 15% auf 16% zu fordern, die den Gemeinden Mehreinnahmen von zusammen 4'/2 Milliarden DM bringen sollen, während Ihr designierter Kanzlerkandidat in dem größten Land der Bundesrepublik justament in diesem Augenblick über die Kürzung des Verbundsatzes von 25' /2 % auf 23% sage und schreibe 1 Milliarde DM aus den Gemeindekassen herausholt.
({3})
Meine Damen und Herren, ohne diese Kürzung des Verbundsatzes würden die Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, auch in meiner Heimatstadt, insgesamt trotz der in Kraft tretenden Steuerentlastung am 1. Januar 1986 rund 600 Millionen DM Mehreinnahmen haben. Auf Grund der besonderen finanzpolitischen Kunststücke des Johannes Rau und seiner Mannen
({4})
sind es aber 400 Millionen DM weniger. Das ist „glaubwürdige Finanzpolitik", Bund und Land Hand in Hand!
({5})
Meine Damen und Herren, das ist deshalb so besonders verwunderlich, weil von Ihnen immer wieder beklagt wird - nicht ganz ohne Grund -, daß die Gemeinden zu wenig investieren, und weil von den Gemeinden mehr Investitionen verlangt werden. Solche Mehrinvestitionen von Gemeinden wären gerade im Lande Nordrhein-Westfalen mit seinen besonders großen Beschäftigungsproblemen
notwendig. Genau dort findet diese Form von Kürzung statt, die in keinem anderen Bundesland in dieser Form stattfindet.
Eines hat mich als Ruhrgebietsabgeordneten ein bißchen froh gemacht, meine Damen und Herren. Selbst die SPD-Ruhrgebietsoberbürgermeister proben jetzt den Aufstand gegen diese Finanzpolitik des designierten Kanzlerkandidaten. Ich wünsche den Herren in Oberhausen, Essen, Duisburg, Gelsenkirchen
({6})
- und Mühlheim - Erfolg, wenn sie sich auf den Hoffnungsträger SPD-Landtagsfraktion in Düsseldorf stützen. Ich fürchte allerdings: Sie werden mit der Hoffnung nicht zum Zuge kommen.
Meine Damen und Herren, es stellt sich natürlich die Frage, warum ein Kabinett unter der Führung von Johannes Rau, der doch sicherlich Gespür für das hat, was draußen beim Volke, beim Wähler ankommt, solche finanziellen Operationen zu Lasten der Gemeinden durchführt. Nun, meine Damen und Herren, die Antwort ist ganz einfach: Die Finanzlage des Landes Nordrhein-Westfalen ist derart katastrophal,
({7})
daß ihm wahrscheinlich nichts anderes übrigbleibt.
({8})
Meine Damen und Herren, die Politik dort hat dieses Land in eine tiefe Schuldenkrise gestürzt. Ich möchte aus einem Brief zitieren, den der Herr Posser an den Herrn Rau Ende des Monats September geschrieben hat. Sie kennen ihn alle.
({9})
- Sie kennen diesen alten Hut, aber er kann nicht oft genug wiederholt werden. Repetitio est mater studiorum.
({10}) Es heißt also da:
Es ergibt sich, daß wir, um im Durchschnitt der übrigen Flächenländer zu bleiben, seit Anfang der 80er Jahre Jahr für Jahr etwa 3 bis 4 Milliarden DM weniger Neuverschuldung hätten auf uns nehmen dürfen, als wir das tatsächlich getan haben. Das bedeutet: Soll sich unsere Neuverschuldung so entwickeln, wie es dem Durchschnitt der anderen Flächenländer entspricht, müßten wir für 1986 eine Neuverschuldung von etwa 3 bis 4 Milliarden DM vorsehen und nicht wie geplant von 8,9 Milliarden DM.
Und weiter - das ist besonders schön -:
Die Lage der Landesfinanzen gleicht einer chronischen Krankheit, bei der eine rasche Wunderheilung nicht in Sicht ist.
({11})
Es ist daher zu befürchten, daß sich die gegenwärtigen finanzpolitischen Probleme in dieser Wahlperiode nicht beseitigen lassen.
({12})
Worüber reden wir hier? Die Finanzpolitik -
Herr Abgeordneter Gattermann - Gattermann ({0}): Entschuldigung, Herr Kollege Mann. Heute nicht. Ich habe relativ wenig Zeit. Ich möchte nichts offenlassen.
({1})
Meine Damen und Herren, warum rede ich hier so ausführlich über Nordrhein-Westfalen? Diese Antwort will ich Ihnen dann doch geben: Ich rede über Nordrhein-Westfalen deshalb, weil es, erstens, ungefähr ein Drittel der Republik ausmacht, und ich rede darüber, zweitens und vor allem, weil die Finanzpolitik eine Politik ist, die man nicht von heute auf morgen macht, sondern die über Jahre gemacht werden muß, und Sie doch immerhin mit diesem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten als Kanzlerkandidaten antreten werden. Also müssen wir uns insbesondere mit den Fähigkeiten des designierten Kanzlerkandidaten auseinandersetzen.
({2})
Ich bedaure zutiefst, daß er nicht da ist.
Meine Damen und Herren, das also ist das Alternativ-Modell Deutschland, mit dem wir es nach 1987 zu tun haben würden.
({3})
Meine Damen und Herren, ich will in diesem Zusammenhang dann auch noch einmal, genau wie gestern, auf die Rückgängigmachung aller Kürzungen hinweisen.
({4})
- Herr Kollege Apel, ich bin nie dichter am Thema gewesen als heute.
({5})
Ich wollte nur noch einmal klarstellen: Die Differenzierungen, die Herr Vogel hier gestern gegenüber den Aussagen von Herrn Rau hinsichtlich der Rückgängigmachung der Einsparungen vorgenomGattermann
men hat, ziehen nicht; denn heute habe ich gelesen, daß der Pressesprecher von Johannes Rau alles Wort für Wort noch einmal bestätigt hat.
({6})
Ich wehre mich gegen eines, meine Damen und Herren, daß von Ihnen, insbesondere im Lande Nordrhein-Westfalen, ein unverschämtes Schwarzer-Peter-Spiel gespielt wird. Unentwegt werden alle Probleme, die man hat, nach Bonn geschoben, nach dem Motto: Wir sind ja so gut, und die da oben haben an allem Schuld.
({7})
Ich kann Ihnen nur sagen: Das alte Spiel „Haltet den Dieb"
({8})
funktioniert nur so lange, wie man den Dieb nicht ausgemacht hat. Wir haben ihn ausgemacht. Er sitzt in der Staatskanzlei in Düsseldorf.
({9})
Herr Abgeordneter Gattermann, der Abgeordnete Reuschenbach begehrt eine Zwischenfrage. Ich mache darauf aufmerksam: Die Zeit würde nicht angerechnet.
Gut, bitte schön.
({0})
Herr Gattermann, haben Sie bei Ihrem Wahlkampfausfall eben übersehen, daß das Fernsehen überhaupt nicht eingeschaltet ist?
Sehen Sie, Herr Kollege Reuschenbach, das ist der Unterschied zwischen Ihnen und mir. Ich lege nicht unbedingt Wert darauf, daß die Medien das Ganze transportieren. Ich möchte es hier zu Protokoll geben. Ich möchte es den Kollegen sagen; ich möchte für Ehrlichkeit bei Ihnen appellieren. Wir haben hier ja auch viele Zuschauer und Zuhörer im Saal. Und deswegen sollten wir uns ruhig über die Sache in aller Form auseinandersetzen.
Meine Damen und Herren, wenn von daher schon der Grundansatz verfehlt ist, dann sind auch die einzelnen Elemente Ihres Gesetzentwurfes verfehlt. Vor allen Dingen ist es nicht so ganz verständlich, daß dies gerade zugunsten der staatlichen Ebene angesetzt wird, der es relativ am besten geht. Ich weiß: Es gibt viele Gemeinden, denen geht es schlecht. Es gibt viele Gemeinden, denen geht es besonders gut. Ich will das jetzt hier nicht vertiefen. Jedenfalls: Die Hauptzuständigkeit für den Finanzausgleich für die Gemeinden liegt nicht beim Bund. Es dürfte durch einen Blick in die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland aufzuklären sein, wo die Zuständigkeiten liegen.
Meine Damen und Herren, auch die Instrumente sind verfehlt. Die Forderung, die Halbierung der Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen wieder rückgängig zu machen, bedeutet, daß wir unsere Wirtschaft mit 1,7 Milliarden DM ertragsunabhängiger Steuern belasten würden. In einer Zeit, wo wir uns um bessere beschäftigungspolitische Rahmenbedingungen mühen, wäre dies natürlich Gift, es wäre tödlich, es wäre kontraproduktiv, wie es schlimmer nicht mehr geht. Auch das Wiederaufleben des 1960 preisgegebenen Vervielfältigungsfaktors läuft doch auf überhaupt nichts anderes hinaus. als die Gewerbesteuer zu revitalisieren - wie Sie es nennen -, ein altes steuerliches Fossil, das abgeschafft gehört, neu zu beleben, die Sache auf eine breitere Ebene zu stellen, im Endergebnis Steuern zu erhöhen. Das ist das einzige, was Ihnen einfällt, Steuern erhöhen oder Verantwortung woanders abladen.
Meine Damen und Herren, diese Forderungen können ganz sicher nicht unsere Billigung finden.
Herr Abgeordneter, der Abgeordnete Vogel ({0}) möchte eine Zwischenfrage stellen.
Wenn die Zusage des Präsidenten noch gilt.
Die Zusage gilt noch. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Gattermann, würden Sie mir zustimmen, daß man j a die Gewerbesteuertarife senken könnte, wenn man die Bemessungsgrundlage verbreitert, so daß praktisch Steuern nicht erhöht, sondern teilweise sogar gesenkt werden?
Entschuldigung, das steht in dem Antrag der SPD aber nicht drin. Da steht nur die Verbreiterung und die Erhöhung der Steuern drin und sonst gar nichts.
Meine Damen und Herren, die Nachteile der Gewerbesteuer sind so klar, daß man sie eigentlich nicht mehr zu wiederholen brauchte. Sie verstößt gegen ziemlich alle Anforderungen, die an eine vernünftige Gemeindesteuer zu stellen sind. Sie führt zu starken Steuerkraftunterschieden der Kommunen, was hier vielfach beklagt worden ist. Sie bringt die Gemeinden in eine gefährliche Abhängigkeit von den Konjunkturausschlägen und begünstigt damit ein prozyklisches Investitionsverhalten der Kommunen, wie wir bewiesen haben. Sie ist national und international wettbewerbsverzerrend. Sie besitzt nach wie vor eine starke ertragsunabhängige Komponente.
({0})
Meine Damen und Herren, die Forderung, die Gewerbesteuer abzuschaffen, liegt seit vielen Jahren auf dem Tisch.
({1})
- Ich will Ihnen allgemein antworten, Herr Kollege
Spöri. Eine unverzichtbare Voraussetzung muß na12374
türlich ein alternatives Finanzierungssystem für die Gemeinden sein, das die Finanzkraft und die Finanzautonomie der Gemeinden erhält, die Interessenverbindung zwischen Gemeinden und Betrieben nicht über Gebühr stört und auch einen stetigen Einnahmenzufluß garantiert. Ich weiß, ich kenne das: Nun sagen Sie bitte die Alternative! - Sie wissen, es werden viele Alternativmodelle gehandelt und die Diskussion über dieses Thema läuft. Diese Diskussion muß wirklich breit und sorgfältig geführt werden. Eines will ich Ihnen sagen und hier ausdrücklich zu Protokoll geben. Dieses notwendige unverzichtbare Stück Gemeindefinanzverfassungsreform kann selbstverständlich nur mit und nicht gegen die Gemeinden gemacht werden.
({2})
Das ist, glaube ich, wenn man das einigermaßen realistisch sieht, eine unverzichtbare Feststellung.
Aber eines - und da will ich dem Kollegen Mann auf die Frage antworten, die er an Herrn Vogel gestellt hat -: Über die Wertschöpfungssteuer, jedenfalls mit den Strukturelementen, die zur Zeit auf dem Tisch liegen und diskutiert werden, ist mit der FDP nicht zu reden.
({3})
Denn dies ist nun in der Tat, wie die Spitzenverbände der Wirtschaft zu Recht feststellen, der Jobkiller erster Kategorie. Wir haben die Lohnsummensteuer - dankenswerterweise mit Ihnen zusammen - nicht deshalb abgeschafft, um sie einige Zeit später durch eine Superlohnsummensteuer zu ersetzen.
Die ausreichende finanzielle Ausstattung der Gemeinden ist eines der zentralen Anliegen unserer Finanzpolitik. Wir werden uns bemühen, auf diesem Weg vorwärtszuschreiten.
({4})
Eines will ich noch zu der Diskussion über die Gewerbesteuer sagen. Da echauffieren wir uns stets. Aber überlegen Sie sich einmal nüchtern, wen die Gewerbesteuer denn eigentlich interessiert. Sie interessiert die, die sie zahlen, und die Kommunalpolitiker und die Politiker überhaupt. Ansonsten ist das ein Thema, das die Bürger im Lande so gut wie nicht interessiert. Das heißt, die Hitzigkeit unserer Auseinandersetzung über dieses Thema ist unangebracht. Wenn man diese hitzige Auseinandersetzung verbal positiv besteht, setzt sich das nicht in entsprechendes Wählerverhalten um. Hier liegt eine Sachfrage auf dem Tisch, ein Finanzierungsproblem, ein Problem des Finanzausgleichs zwischen den staatlichen Ebenen, bei dem wir unseren gebündelten gemeinsamen Sachverstand einsetzen könnten, müßten und sollten, um ein Alternativfinanzierungssystem zu finden. Gedacht worden ist eine ganze Menge. Wir müssen weiter denken. Denn unsere Gemeinden müssen finanzstark sein. Das ist für die Infrastrukturversorgung unserer Bürger unverzichtbar.
Herzlichen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Voss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Den Gesetzentwurf und den Antrag, den wir heute hier beraten, muß man an sich als obsolet und überholt betrachten, weil er in krassem Gegensatz zu der günstigen Entwicklung der Finanzlage der Gemeinden steht. Er mag berechtigt gewesen sein, als er 1983 hier eingebracht wurde, zu einer Zeit, als wir 10,1 Milliarden DM im Jahr 1981 und 7,3 Milliarden DM im Jahr 1982 als Finanzierungsdefizit zu beklagen hatten. Dies waren traurige Rekordmarken, die bei gleichzeitigem Sinken der Sachinvestitionen zu beklagen waren. Sie gaben den Gemeinden, den Gemeindeverbänden sehr wenig Anlaß zu Optimismus. Aber die Bundesregierung hat schon damals die Finanzentwicklung der Gemeinden richtig eingeschätzt. Das können Sie nachlesen, wenn Sie sich die Ausführungen ansehen, die damals gemacht worden sind. Damals ist bereits gesagt worden, daß das Finanzierungsdefizit 1983 sich um etwa 6 Milliarden auf 1,2 Milliarden reduzieren werde und daß man für 1984 einen Finanzierungsüberschuß von, damals vorsichtig geschätzt, der Größenordnung von 1 Milliarde DM haben werde, der sich aber dann auf 1,5 Milliarden DM erhöhte. 1985 werden wir ein ähnlich positives Ergebnis haben. Wir werden bei den Investitionen, die zu erwarten sind, zumindest einen Ausgleich der Ausgaben und der Einnahmen haben.
({0})
Dies ist gegenüber der Finanzsituation sowohl des Bundes, der in diesem Jahr j a noch ein Finanzierungsdefizit von 25 Milliarden DM hat, und der Situation bei den Ländern, die immerhin noch ein Defizit von 16 Milliarden DM aufweisen, eine Tatsache, die klar unterstreicht, daß die Gemeinden im Vergleich zum Bund die größten Konsolidierungsfortschritte gemacht haben.
Nun ist dieses günstige Bild nicht für alle Gemeinden zutreffend. Es gibt noch viele Städte und Gemeinden - das ist hier gesagt worden -, die durchaus mit starken finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, wenn Sie sich einmal die Städte ansehen, die bereits im Jahre 1983 ihr Finanzierungsdefizit und ihre Schulden verkleinern konnten, so ist das eine durchaus erfreulich ins Auge springende Zahl. Von 151 Städten über 50 000 Einwohnern konnten 49 bereits 1983 ihre Schulden vermindern. Darunter sind Städte wie Wuppertal, Bonn, Münster, Wiesbaden, Augsburg; ich mag sie gar nicht alle aufzählen.
Die Schwierigkeiten, die noch bei den anderen Gemeinden, Gemeindeverbänden und Städten zu beklagen sind, kann man, wie hier bereits richtig
gesagt worden ist, mit bundespolitischen Mitteln nicht bekämpfen. Hier müssen die Länder mit ihrem System des kommunalen Finanzausgleichs zur Kasse treten.
Hier ist es natürlich wenig hilfreich, wie eben auch vom Kollegen Gattermann erwähnt worden ist, daß beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen eine Kürzung der Zuweisungen vornimmt. Hier wird der Spielraum, der den Gemeinden jetzt an sich wieder eröffnet worden ist, kraß zerstört. Sie haben gehört, daß Nordrhein-Westfalen die Verbundquote von 25,5 auf 23 % senkt.
({1})
Herr Posser sagt wörtlich, daß dadurch den Gemeinden gegenüber 1985 ein Zuweisungsverlust von 388 Millionen DM entsteht. Aber, meine Damen und Herren, das ist so etwas wie ein Finanztrick, der hier vorgeführt wird, denn er nimmt bereits die Senkung der Verbundquote mit hinein.
In Wirklichkeit ist es so, wie der Kollege Gattermann gesagt hat, daß die Gemeinden ein weniger an Zuschuß in einer Größenordnung von rund 1 Milliarde DM - genau 960 Millionen DM - zu beklagen haben. Das ist natürlich wenig hilfreich für das, was alle von ihnen verlangen. Sie haben eben hier ausgeführt, Herr Kollege Bernrath, daß man demjenigen, der investieren soll, entweder das Geld belassen muß, das er hat, oder daß man ihm welches geben muß. Aber genau das Gegenteil geschieht im Lande Nordrhein-Westfalen.
Wenn Sie sich einmal vor Augen führen, meine Damen und Herren, daß das Land Nordrhein-Westfalen offensichtlich auch nicht bereit ist, seinen Beitrag zur Bekämpfung der Beschäftigungssituation in der Bauwirtschaft zu leisten, so ist das ein weiterer trauriger Tatbestand.
({2})
- Herr Kollege, ich kann recht gut verstehen, daß Ihnen unangenehme Tatsachen etwas auf die Nerven gehen, aber dennoch muß ich sie Ihnen sagen, weil sie in den Gesamtzusammenhang hineingehören.
({3})
Das Land Nordrhein-Westfalen ist offensichtlich nicht bereit, seinen Verpflichtungen nachzukommen, die Mittel für die Städtebauförderung zu verdoppeln, auf Grund der Zusagen, die die Länder, also auch das Land Nordrhein-Westfalen, gemacht haben auf Grund der Verdreifachung der Bundesmittel in diesem Bereich. Wenn Sie sich die entsprechenden Äußerungen ansehen, sind hier Zweifel durchaus angebracht. Es ist zu befürchten, daß Nordrhein-Westfalen seine Zusage nicht einhält und dadurch seiner Aufgabe nicht gerecht wird, die es als Land in diesem Bereich hätte.
Die Ursache für das bisher schleppende Ingangkommen der kommunalen Investitionstätigkeit liegt aber auch im psychologischen Umfeld. Das wurde bei der Anhörung der Vertreter des Deutschen Städtetages im April dieses Jahres bewiesen. Durch die Konsolidierungspolitik der vergangenen Jahre sind in die Rathäuser und in die Gemeindeparlamente Verhaltensweisen eingezogen, die einem kräftigen Wiederanstieg der Investitionsausgaben entgegenstehen. Diese Erkenntnis bedeutet, daß die kommunalen Entscheidungsträger unterstützt werden müssen, um die unbestritten vorhandenen finanzwirtschaftlichen Handlungsspielräume für einen stetigen Anstieg der kommunalen Investitionstätigkeit auch zu nutzen.
Für einen baldigen Anstieg der kommunalen Investitionen spricht die sehr stark ansteigende Nachfrage der Gemeinden nach Krediten der Kreditanstalt für Wiederaufbau und nach ERP-Krediten, mit denen Umweltschutzinvestitionen der Gemeinden gefördert werden. Die Programme, die hier aufgelegt worden sind, sprechen dafür, daß in sehr kurzer Zeit sehr günstige Ergebnisse zu erwarten sind.
Meine Damen und Herren, wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß den Kommunen mittelfristig eine gesicherte Finanzperspektive geboten wird. Es ist der Bundesregierung bewußt, welch große Bedeutung für die Kommunen eine eigenständige kommunale Steuer mit Hebesatzrecht hat. Die Bundesregierung hat daher ihre Gewerbesteuergarantie auch unter diesem Aspekt gegeben.
({4})
Die Gemeinden können sich darauf verlassen, daß diese Aussage der Bundesregierung auch in Zukunft Bestand haben wird.
({5})
- Wollen Sie von mir jetzt Zukunftsperspektiven -
Herr Staatssekretär, nun bittet der Abgeordnete Apel um eine Zwischenfrage.
Ja, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben eben gesagt, die Bundesregierung würde auch für die Zukunft eine Bestandsgarantie für das an Gewerbesteuer geben, was wir derzeit haben.
({0})
Da frage ich Sie sehr konkret: Wie lange geht bei Ihnen die Zukunft, bis zum Wahltermin 1987 oder darüber hinaus?
({1})
Herr Kollege Apel, die Zukunft in dieser Hinsicht geht so lange, bis ein Modell
gefunden worden ist, das den Ansprüchen besser gerecht wird als das, was wir zur Zeit haben.
({0})
In diesem Zusammenhang ist hier eben ja schon die Wertschöpfungssteuer angesprochen worden, ein Modell, das aus vielen Gründen den Ansprüchen nicht besser gerecht zu werden vermag als das System, das wir heute haben. Aus diesem Grunde wird weiter gesucht und gefragt werden müssen, ob ein besseres Finanzierungssystem für die Gemeinden, aber auch für die anderen Betroffenen möglich ist.
({1})
Meine Damen und Herren, ich halte es für unredlich, wenn die SPD heute fordert, die größeren Betriebe von Selbständigen in die Gewerbesteuerpflicht einzubeziehen. Herr Kollege Apel, Sie werden sich noch gut daran erinnern, daß zu Ihrer Regierungszeit ähnliche Überlegungen angestellt worden sind, und Sie werden sich auch noch daran erinnern, wie zurückhaltend Sie damals diesen Überlegungen gegenüber gewesen sind. Denn eine Ausdehnung der Gewerbesteuer auf die freien Berufe bedeutete, wie Sie damals richtig gesagt haben, eine grundlegende Änderung im System der Gewerbesteuer, die nur im Rahmen einer allgemeinen Gewerbesteuerreform gesehen und durchgeführt werden könnte. Die jetzt von Ihnen vorgeschlagenen steuerpolitischen Maßnahmen würden zu einer deutlichen Erhöhung der Steuerbelastung der Wirtschaft führen; sie würden u. a. dazu führen, daß rund 1 Million Steuerpflichtige mehr auftreten würden, ein Ergebnis, das man nicht mit den Zielen in Einklang bringen könnte, die diese Bundesregierung sich gesetzt hat. Im übrigen: Nicht Steuererhöhungen, sondern Steuerentlastungen sind heute geboten.
({2})
Die kommunalen Steuereinnahmen werden nach den letzten Steuerschätzungen bis 1989 um 12 Milliarden DM auf 67,5 Milliarden DM ansteigen. Das entspricht einem jahresdurchschnittlichen Steigerungssatz von rund 5 % und einem jahresdurchschnittlichen Anstieg um 3 Milliarden. Dabei sind, meine Damen und Herren, das Steuersenkungsgesetz 1986/88 und das Gesetz zur Verbesserung der Abschreibungsbedingungen für Wirtschaftsgebäude bereits berücksichtigt. Die Steuereinnahmen der Kommunen steigen somit stärker, als sie beispielsweise in den Jahren 1978 bis 1982 gestiegen sind; damals betrug die jahresdurchschnittliche Steigerungsrate 3,4 %.
Die Klage, der Bund habe den Kommunen mit dem Steuersenkungsgesetz 1986/88 Steuereinnahmen entzogen, ohne diese auszugleichen, ist ebenfalls unredlich; denn der Bund hat im Rahmen eines politischen Kompromisses den Ländern als
Ausgleich einen halben Prozentpunkt von der Umsatzsteuer abgetreten. Das sind 600 Millionen DM jährlich. Daran partizipieren die Gemeinden in Höhe der Verbundquote von rund 20 %. Ein Ausgleichsanspruch zu Lasten des Bundes bestand und besteht daher nicht.
Im übrigen: Das Umsteigen der Gemeinden von einem Teil der Gewerbesteuer auf die Beteiligung an der dynamischen Lohn- und Einkommensteuer seit der Finanzreform des Jahres 1970 hat den Gemeinden enorme finanzielle Vorteile gebracht. Im Ergebnis beläuft sich dieser Vorteil einschließlich des Jahres 1984 auf rund 118 Milliarden DM.
Aber, meine Damen und Herren, Beteiligung an einer dynamischen Steuer heißt logischerweise auch Beteiligung an den von Zeit zu Zeit notwendigen Steuerentlastungen. Das wird im übrigen von den kommunalen Spitzenverbänden auch anerkannt; denn das Gebot, heimliche Steuererhöhungen zurückzugeben, gilt nicht nur für den Bund, sondern auch für die Länder und die Gemeinden.
Die Bundesregierung hat im übrigen sehr viel getan, um die Finanzbelastung der Kommunen bei den Sozialhilfeausgaben zu vermindern. Das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche wurde zum 1. Januar 1985 wieder eingeführt. Ab 1. Januar 1986 wird es einen einkommensabhängigen Zuschlag zum Kindergeld geben. Ab 1. Januar 1986 wird durch die Verbesserungen beim Wohngeld die Sozialhilfe um ca. 300 Millionen DM pro Jahr entlastet.
({3})
Bereits seit dem 1. Januar 1985 ist die Bezugsdauer für Arbeitslosengeld für über 49jährige Arbeitslose von früher bis zu 12 Monaten auf bis zu 18 Monate verlängert worden.
({4})
Im Rahmen des Entwurfs der Änderung des Arbeitsförderungsgesetzes sind weitere Verbesserungen geplant. Die Höchstanspruchsdauer des Bezugs von Arbeitslosengeld für Arbeitslose soll ab dem vollendeten 44. Lebensjahr stufenweise erhöht werden. Außerdem werden die seit 1969 nicht mehr angepaßten Freibeträge für die Anrechnung von Ehegatteneinkommen auf die Arbeitslosenhilfe deutlich aufgestockt.
Nach alledem, meine Damen und Herren, und aus den hier dargelegten Gründen lehnt die Bundesregierung den vorliegenden Gesetzentwurf sowie den Antrag auf Fortsetzung der Gemeindefinanzierung zu diesem Zeitpunkt ab.
Ich danke Ihnen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Struck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst zu Ihnen, Herr Kollege Gattermann: Vor Herrn Rau haben Sie ja alle mächtig Angst. Ich sage dazu: Was schert es die Eiche, wenn das Wildschwein sich an ihr reibt? Oder anders ausDr. Struck
gedrückt: Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter.
({0})
Was Sie nämlich zu Johannes Rau und zu Nordrhein-Westfalen gesagt haben, stimmt in verschiedenen Punkten nicht.
({1})
Um es gleich klarzustellen, Herr Staatssekretär: Es ist die Pflicht der Bundesregierung, bei der Wahrheit zu bleiben. Das gilt auch für das, was sie in bezug auf die Städtebauförderungsmittel gesagt haben. Ich zitiere aus einem Aufsatz des nordrhein-westfälischen Ministers für Stadtentwicklung, Wohnen und Verkehr, Christoph Zöpel. Nachdem er sich damit auseinandergesetzt hat, daß offenbar von Bundesseite aus behauptet wird, Nordrhein-Westfalen erbringe nicht die nötigen Komplementärmittel, führt er aus - ich teile Ihnen und Ihren Mitarbeitern dies offiziell mit -:
Diese Argumentation ist irreführend. Nordrhein-Westfalen erbringt selbstverständlich die vertraglich vereinbarten Komplementärmittel aus Haushaltsmitteln der Jahre 1986 bis 1990.
Der zweite Punkte - ich komme zu Ihnen, Herr Gattermann - betrifft den Verbundsatz beim Länderfinanzausgleich. Sie haben darauf hingewiesen, daß Nordrhein-Westfalen von 25,5 % auf 23 % gekürzt hat. Aber der Redlichkeit halber hätten Sie auch die Zahlen anderer Länder nennen sollen. In Baden-Württemberg beträgt der Satz jetzt 23 %, in Rheinland-Pfalz ist er von 23 % auf 20,5 % gekürzt. Im Saarland liegt er bei 23,5 %, in Hessen bei 22,9 %, in Niedersachsen bei 22,27 %, in Schleswig-Holstein bei 23,8 %, in Bayern bei 11,54 %.
Daraus kann man schließen, daß Nordrhein-Westfalen trotz der Kürzungen, die von den Gemeinden sicherlich beklagt werden, immer noch besser dasteht als manches andere, CDU-regierte Land.
Herr Abgeordneter Dr. Struck, es werden drei Zwischenfragen begehrt: zunächst einmal der Abgeordnete Voss, dann der Abgeordnete Gattermann und dann der Abgeordnete Mann. Ich nehme an, daß Sie damit einverstanden sind, wenn ich die Fragen hintereinander zulasse.
Herr Abgeordneter Voss.
Herr Kollege Struck, ich würde Sie gerne fragen, ob Ihnen der Runderlaß des NRW-Ministers Zöpel vom 17. Juli 1985 bekannt ist, in dem es u. a. wörtlich heißt: „Damit wird deutlich, daß die erhöhten Bundeszuweisungen zu keinen grundlegenden Veränderungen im finanziellen Volumen führen werden", und ich möchte Sie weiterhin fragen, ob Ihnen der Schriftverkehr zwischen dem Bundesbauminister und Herrn Zöpel bekannt ist, aus dem sich permanent ergibt, daß Herr Zöpel und damit die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zögert, ihren Verpflichtungen nachzukommen.
({0})
Herr Kollege Voss, woher soll mir das denn bekannt sein? Ich bin noch nicht Mitglied einer Regierung; das kann sich vielleicht einmal ändern.
({0})
Herr Voss, ich zitierte nur aus dem Aufsatz von Christoph Zöpel, den ich vorhin genannt habe, der mit Datum vom 15. Oktober 1985 im sozial-demokratischen Pressedienst Wirtschaft erschienen ist. Ich füge hinzu, was Ihnen sicherlich aber auch nicht unbekannt ist, daß j a NRW in den Vorjahren schon mehr als die nach dem Städtebauförderungsgesetz erforderlichen Komplementärmittel bereitgestellt hat.
({1})
Abgeordneter Gattermann, bitte schön.
Herr Kollege Struck, können Sie meine Traurigkeitsgefühle darüber teilen,
({0})
daß gerade im Land Nordrhein-Westfalen der hervorragende Prozentsatz deshalb gekürzt worden ist, weil der Spitzensatz für Nordrhein-Westfalen ein Verdienst meines Parteifreundes Hirsch war, als er für diesen Bereich zuständig war?
Herr Kollege Gattermann, ich muß Ihnen ehrlich gestehen: Es fällt mir schwer, mit Freidemokraten Gefühle zu teilen.
({0})
Nun kommt der Abgeordnete Mann.
Herr Kollege Struck, ich - der ich wie auch der Kollege Gattermann, der meine Zwischenfrage nicht zugelassen hat, Nordrhein-Westfale bin - frage Sie als Niedersachse ganz besonders gern: Stimmen Sie mit mir überein, daß gerade das Land Nordrhein-Westfalen - es wurde gesagt: etwa ein Drittel der Bundesrepublik Deutschland - angesichts einer sehr einseitig strukturierten Wirtschaft - Eisen und Stahl - besondere strukturelle Probleme hat, die auch zu dieser Staatsverschuldung geführt haben, und stimmen Sie weiter mit mir darin überein, daß die Freie Demokratische Partei, der Herr Gattermann angehört und die bis 1980 der nordrhein-westfälischen Landesregierung angehörte, ein Gutteil mit dazu beigetragen hat, daß die jetzige Situation in Nordrhein-Westfalen besteht?
Ich stimme nur insoweit mit Ihnen überein, als es im Land Nordrhein-Westfalen in der Tat ganz erhebliche Probleme gab und gibt; aber diese Probleme sind natürlich auch auf Bundespolitik zurückzuführen, insbesondere auf die
Steuergesetzgebung. Darauf komme ich nachher noch zu sprechen, meine Damen und Herren.
({0})
Ich möchte jetzt etwas zu unserem Gesetzentwurf und zu unserem Antrag auf Fortsetzung der Gemeindefinanzreform sagen und einmal unbescheidenerweise aus meiner eigenen Rede zur ersten Lesung zitieren. Ich habe damals im Zusammenhang mit der FDP und der Gewerbesteuer vom „dämlichen Gerede der FDP über die Gewerbesteuer" gesprochen. Ich fühle mich in dieser Bewertung, nämlich „dämliches Gerede der FDP über die Gewerbesteuer", durch den Deutschen Städtetag bestätigt. Der Deutsche Städtetag hat sich allerdings etwas vornehmer ausgedrückt. Er hat formuliert: „Erneute Verunsicherung der Städte durch die FDP", Veröffentlichung des Städtetages vom 29. September 1985. Ich muß dazu sagen, daß diese berechtigte Verärgerung und auch Unsicherheit im Bereich des Deutschen Städtetages auch unsere volle Zustimmung findet.
Herr Voss und auch Herr Kollege von Schmude, es ist für mich völlig unverständlich, daß Sie hier ein Bild von den Gemeinden malen, das überhaupt nicht der Realität entspricht. Lieber Herr von Schmude, Sie hätten dem Oberbürgermeister der Stadt Essen, unserem Kollegen Peter Reuschenbach, schon einmal die Gelegenheit geben sollen, Ihnen hier in einer Zwischenfrage die Situation der Stadt Essen darzustellen.
({1})
- Andere werden für uns zu diesem Thema sprechen. - Man kann sich doch nicht hier hinstellen
- das gilt auch für Sie, Herr Voss - und sagen: Wenn ich alles über einen Kamm schere, dann ist das hervorragend. Es darf doch nicht verschwiegen werden, daß uns die unterschiedliche Finanzsituation von Gemeinden, und zwar unabhängig davon, ob sie von Sozialdemokraten oder von Christdemokraten regiert werden, dazu veranlassen muß, über eine Fortsetzung der Gemeindefinanzreform nachzudenken.
({2})
Das muß uns auch dazu bringen, darüber nachzudenken, was passieren soll, wenn wir keine für die Gemeinden angemessene Alternative zur Gewerbesteuer finden. Es liegen zwar Vorschläge der FDP aus ihrer Präsidiumssitzung vom 22. Juli 1985 vor, das ist zu diesem Thema aber alles heiße Luft und laut Auskunft des Deutschen Städtetages für die Gemeinden absolut nicht akzeptabel.
Aber wenn es nun offenbar überhaupt nicht möglich ist - weder mit dieser Regierung, die ein Gutachten, das ein eigener Beirat, der Wissenschaftliche Beirat beim BMF, zu diesem Thema gemacht hat, nicht zur Kenntnis nimmt, noch mit diesen Regierungsfraktionen -, über eine Fortsetzung der Gemeindefinanzreform ernsthaft zu reden, dann bleibt doch für uns, die wir im Interesse der Gemeinden handeln wollen, nur eine Alternative, nämlich die, das entscheidende Einnahmeinstrument, das Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland zur Zeit haben, die Gewerbesteuer, zu revitalisieren und vernünftig auszufüllen.
({3})
Darum geht es.
Das bedeutet, daß man die Maßnahmen, die diese Regierungskoalition Ende 1983 bezüglich der Hinzurechnung der Dauerschulden und der Dauerschuldzinsen getroffen hat, wieder rückgängig macht. Das bedeutet auch, daß man den Gemeinden schlicht mehr Geld geben muß - das betrifft den Punkt der Erhöhung des Gemeindeanteils an der Einkommensteuer -, aber auch, daß die Gewerbesteuer auf eine breitere und vor allem gerechtere Grundlage gestellt werden muß.
Man kann doch heute keinem Handwerksmeister mehr klarmachen, warum er Gewerbesteuer zahlen muß, während jemand, der ein Vielfaches seines Umsatzes erwirtschaftet, aber einem freien Beruf angehört, dies nicht muß.
({4})
Das kann man keinem klarmachen. Das ist steuerungerecht, weil Leute, die wirtschaftlich gleichzubewerten sind - da sind wir uns sicherlich einig, Herr von Schmude - steuerlich ungleich behandelt werden. Deshalb haben wir beantragt, die Gewerbesteuer auf eine breitere Grundlage zu stellen und insbesondere einer gerechteren Form entgegenzuführen.
Ich will Ihnen einmal zitieren - mich wundert, daß die Kollegen von der CDU/CSU, auch der Staatssekretär, darüber hinweggehen -, was die entscheidenden Gremien, die sich mit den Kommunen und der kommunalen Finanzsituation beschäftigen, zu diesem Thema sagen, nämlich der Deutsche Städtetag oder auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund, dessen Präsidium ich angehöre. Ich zitiere Herrn Wallmann, den jetzigen Vorsitzenden des Deutschen Städtetages.
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- Ja, er ist ein sehr guter Mann, wenn er auch einmal etwas Richtiges sagt. - In einer Presseerklärung vom August dieses Jahres, also nach dem Deutschen Städtetag, hat er von einem Mißtrauen der Gemeinden gegen die Politik der Bundesregierung gesprochen.
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Zu Recht hat er von diesem Mißtrauen der Gemeinden gegen die Politik der Bundesregierung gesprochen. Dann fährt er fort: Die Kommunen erwarten eine verläßliche, langfristig zu überschauende Hilfe.
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Das können sie mit Recht erwarten. Dieses ewige Gerede hat keinen Sinn. Herr Gattermann hat es vorhin schon wieder gemacht. Man sollte an der Gewerbesteuer nicht herumdrehen. Wenn Sie keine Alternative haben, dann hören Sie auf, über die Gewerbesteuer herumzuquaken. Die Gewerbesteuer ist und bleibt die Säule des gemeindlichen Finanzierungssystems, jedenfalls für uns Sozialdemokraten.
Man sollte auch zur Kenntnis nehmen, was die Gremien, die die Bundesregierung beraten sollen, z. B. zu diesem Thema sagen. Ich meine den Sachverständigenrat mit seinem Sondergutachten vom 23. Juni 1985. Auf Seite 15 heißt es dort:
Eine baldige Einigung über eine solche Reform
- gemeint ist die Gemeindefinanzreform würde die Unsicherheit der Gemeinden, wie sie den Kapitaldienst für neu aufzunehmende Kredite mittelfristig und gegebenenfalls langfristig überhaupt leisten können, weitgehend abbauen.
Sehr richtig heißt es dort dann weiter:
Wenn die Kommunen fest mit einer stabilen Basis und möglichst auch mit einer Verbesserung der eigenen Steuereinnahmen rechnen können, sind auch befristete Finanzierungshilfen für eine Erhöhung der Investitionsausgaben gewissermaßen im Vorgriff auf das später ohnehin Vorgesehene vertretbar.
Genau diesem Ziel dient unser Gesetzentwurf: den Gemeinden eine mittelfristige und auch langfristige Gewähr dafür zu geben, daß sie bestimmte Einnahmen erwarten können, ohne daß wieder irgendeine Fraktion dieses Hauses anfängt, über entscheidende Finanzierungsgrundlagen der Gemeindefinanzen zu reden.
Meine Damen und Herren, die SPD-Bundestagsfraktion hat mit ihren beiden Anträgen dargelegt, daß sie auf der Seite der Gemeinden gegen die kommunalfeindliche Politik der Bundesregierung steht. Wir erwarten - ich sehe viele von ihnen hier - auch von den Kommunalpolitikern der Union - bei der FDP hat das j a keinen Sinn -, daß sie nicht nur in den Gremien des Städtetages und des Städte- und Gemeindebundes oder in ihren Räten oder Kreistagen für eine Verbesserung der Gemeindefinanzen, für eine Revitalisierung der Gewerbesteuer, sondern auch hier im Deutschen Bundestag unserem Gesetzentwurf und unserem Antrag zustimmen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Vorschläge der SPD umfassen im wesentlichen drei Punkte: erstens eine massive zusätzliche Steuerbelastung der Bürger von rund 2,5 Milliarden DM, zweitens eine ebenso massive Verschiebung von Finanzmitteln in Höhe von rund 2 Milliarden DM weg vom
Bund und den Ländern und hin zu den Gemeinden und schließlich einen Verfahrensvorschlag für die langfristige Neuordnung der Gemeindefinanzen.
Zum ersten. Zusätzliche Steuerbelastung der Bürger: Es ist immer das alte Lied der SPD und der Sozialisten in allen Ländern der Welt: Das Geld ist am besten beim Staat aufgehoben, und deswegen muß man den Bürgern möglichst viel davon zuerst einmal abnehmen und dem Staat zur Verfügung stellen.
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Diesen Irrglauben teilen wir nicht.
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Wir sind der Auffassung, daß die Bürger so weit wie möglich selbst entscheiden sollen, was sie mit ihrem Geld machen. Ich füge hinzu: Wir sind der Auffassung, daß die Bürger das noch besser wissen als selbst die Oberbürgermeister.
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Deswegen haben wir Steuerentlastungen von rund 20 Milliarden DM für die Bürger beschlossen, und deswegen kommen Steuererhöhungen für uns nicht in Frage.
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Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ja, wenn sowohl die Frage als auch die Antwort nicht auf meine Redezeit angerechnet werden.
Jawohl. Aber ich muß das Haus darauf aufmerksam machen, daß wir nicht mehr ganz in der Zeit sind. Ich bitte sehr, die Fragen und die Antworten kurz zu halten.
Herr Kollege Daniels, wollten Sie damit vorschlagen, daß die Stadt Bonn in Zukunft auf die Zuweisungen aus dem Bundeshaushalt verzichtet, damit der Bund dieses Geld den Steuerzahlern zurückgeben kann?
Herr Kollege, ich kann den Zusammenhang dieser Frage mit dem heute erörterten Problem nicht feststellen.
({0})
Ich kann nur sagen: Die Stadt Bonn hat seit Jahren ihre Steuersätze stabil gehalten und gehört mit zu denen, die die geringste Gewerbesteuerbelastung in nordrhein-westfälischen Städten haben. Wir sind dem Bund dankbar, daß er die zusätzlichen Belastungen, die wir als Bundeshauptstadt haben und die andere Städte nicht haben, durch Zuschüsse abdeckt.
({1})
Meine Damen und Herren, Punkt 2: Verschiebungen von Geld, weg von Bund und Ländern, hin zu
den Gemeinden, das ist natürlich jedem Kommunalpolitiker zunächst einmal sympathisch. Es ist aber soeben hier von anderen Rednern - ich will das nicht wiederholen - dargelegt worden, daß die gegenwärtige Finanzlage von Bund, Ländern und Gemeinden dazu keinen Anlaß gibt.
Ich kann Ihnen auch als nordrhein-westfälischer Abgeordneter nicht ersparen, auf den Kanzlerkandidaten zur Anstellung, wie ihn Graf Lambsdorff gestern genannt hat, Johannes Rau, noch einmal zurückzukommen. Ich meine, es ist schon ein Widerspruch, wenn Sie hier sagen: Bund und Länder müssen Geld abgeben, und die Gemeinden sollen dieses Geld bekommen, weil es den Gemeinden noch schlechter geht als Bund und Ländern, während Johannes Rau genau das Gegenteil sagt. Er sagt nämlich: Dem Lande Nordrhein-Westfalen geht es noch schlechter als den Gemeinden, und deshalb müssen die Gemeinden 1 Milliarde DM abgeben, und dieses Geld muß das Land Nordrhein-Westfalen bekommen. Das ist die genau gegensätzliche Argumentation Ihres - noch nicht ganz - Kanzlerkandidaten auf der einen Seite und der Bundestagsfraktion mit ihren hiesigen Anträgen.
Wenn dann zur Begründung gesagt wird, dem Lande gehe es ja nur so schlecht, weil der Bund so eine schlimme Politik mache, kann ich Ihnen dazu nur sagen: Auch als die SPD im Bund noch regierte, ist Johannes Rau schon ganz genauso verfahren. Im September 1982 hat er für das Land Nordrhein-Westfalen einen Etatentwurf über das Jahr 1983 vorgelegt. Auch damals hat er in dem Etatentwurf bereits einen Ausgabenzuwachs von rund 3 Milliarden DM für das Land vorgeschlagen, während den Gemeinden die Zuweisungen um rund 1 Milliarde DM gekürzt werden sollten. Dieses Verhalten hat in Nordrhein-Westfalen also Tradition.
Selbst mit diesen immer wieder vorgenommenen Geldverschiebungen von den Gemeinden weg zum Land hin ist es ihm nicht gelungen, die Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen zu sanieren. Die Schulden des Landes Nordrhein-Westfalen werden in den Jahren 1980 bis 1986 - wenn es so läuft, wie es sich die Landesregierung in ihrem Etatentwurf vorstellt - von 40 auf 88 Milliarden DM gestiegen sein. Sie werden sich also insgesamt mehr als verdoppeln.
Ich meine schon, das Verhalten dieses Ihres FastKanzlerkandidaten und Schuldenmachers Johannes Rau macht das unglaubwürdig, was Sie heute mit Ihren Anträgen fordern.
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Zum dritten Punkt: In dem Wunsch nach einer langfristigen Neuordnung der Gemeindefinanzen sind wir uns, glaube ich, alle einig. Die Mängel der Gewerbesteuer sind eben noch einmal dargestellt worden. Sie sind den Kommunalpolitikern j a auch alle bekannt. Ich will das nicht wiederholen.
Auf der anderen Seite hat die Gewerbesteuer aber auch ganz erhebliche Vorteile. Ich nenne zwei: Erstens. Städte und Gemeinden können die Höhe der Gewerbesteuer selbst bestimmen. Zweitens. Die Gewerbesteuer schafft eine enge Bindung zwischen den Städten und Gemeinden und ihrer Wirtschaft. Das sind ja auch die Gründe, weshalb die Bundesregierung, der bekanntlich auch die FDP angehört - das hat sich gegenüber der ersten Lesung geändert; damals hatte das nur der Bundeskanzler in öffentlichen Reden gesagt -, in ihrer Antwort auf eine Große Anfrage, die die Koalitionsfraktionen gestellt haben, eine Gewerbesteuergarantie abgegeben hat, die ich Ihnen noch einmal im Wortlaut vorlese, um klarzumachen, daß Ihr Gerede von Verunsicherung absoluter Unsinn ist. Es heißt nämlich dort:
Weitere Eingriffe in die Gewerbesteuer stehen in dieser Legislaturperiode nicht zur Diskussion
({3})
- Herr Kollege Apel, nun warten Sie doch einmal ab und kommen auch später ohne ein Konzept für die Neuordnung der Gemeindefinanzen, dem die Betroffenen zustimmen können, nicht in Betracht.
Das ist noch etwas mehr als das, was der Herr Parlamentarische Staatssekretär eben vorgetragen hat. Er hat nämlich gesagt: ohne ein System, das noch besser ist als die Gemeindesteuer. Hier steht sogar drin: ohne ein System, dem die Betroffenen zustimmen können. Die Gemeinden können also völlig sicher sein, daß ohne ihre Zustimmung die Gewerbesteuer nicht abgeschafft und auch nicht weiter eingeschränkt wird. Der Kollege Gattermann hat das eben noch einmal ausdrücklich bestätigt.
Die Gemeinden werden sicher nur einer neuen Lösung zustimmen können, die auch ein Hebesatzrecht für die Gemeinden vorsieht. Ich freue mich, daß die FDP das in der Erklärung ihres Bundesvorstandes auch noch einmal bestätigt hat - auch Herr Gattermann hat das eben zum Ausdruck gebracht -, wo es nämlich heißt: Die neue Steuer darf keine Einschränkung der Finanzautonomie der Gemeinden mit sich bringen.
Wir haben vor wenigen Tagen mit einer Delegation des Präsidiums des Deutschen Städtetags, der ich angehört habe, mit dem Herrn Fraktionsvorsitzenden der FDP, Herrn Mischnick, und einigen weiteren Abgeordneten gesprochen, die uns auf Rückfrage noch einmal ausdrücklich bestätigt haben: „Keine Einschränkung der Autonomie" bedeutet für uns, daß jede neue Lösung auch ein Hebesatzrecht für die Gemeinden vorsehen muß.
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Nachdem dies alles klarsteht, halte ich es wirklich für Unsinn, zu behaupten, daß die Gemeinden durch das Verhalten der Bundesregierung oder der Koalitionsfraktionen verunsichert würden.
Nun muß natürlich einer neuen Lösung auch die Wirtschaft zustimmen können. Ich halte es auch für unseriös, die Abschaffung der Gewerbesteuer zu fordern, ohne zugleich eine Alternative vorzuschlagen, die der Zustimmung von Gemeinden und Wirtschaft fähig ist. Im Arbeitskreis Finanzen der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages
sind dazu im Juni dieses Jahres in Berlin interessante Denkansätze vorgetragen worden. Wenn die Wirtschaft bereit sei, den größeren Teil der Belastung durch die Gewerbesteuer in Zukunft durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu tragen, wie es sowohl das Modell des Deutschen Industrie- und Handelstages als auch das Modell des Institutes Finanzen und Steuern vorsähen - Sie hören, daß ich das alles im Konjunktiv sage -, ließe sich das mit einem Hebesatzrecht für die Gemeinden vielleicht dadurch verbinden, daß man die Belastungsverschiebung auf die Mehrwertsteuer auf einen Teil - sozusagen die „Grundlast" - beschränke und für die „Spitzenlast" das Hebesatzrecht der Gemeinden erhalte.
Die Bereitschaft zu Gesprächen auf seiten der Gemeinden wird allerdings stark durch die Sorge beeinträchtigt, Kompromisse könnten vielleicht nur erste Schritte zu weiteren Maßnahmen zum Abbau der Gewerbesteuer oder auch zu einer späteren Änderung eines zunächst an die örtliche Wirtschaft anknüpfenden Verteilungsschlüssels sein. Diese Sorge könnte den Gemeinden vielleicht durch eine verfassungsrechtliche Absicherung der Grundzüge einer neu gefundenen Lösung genommen werden.
Einig sind wir uns alle: Solange nicht mit Zustimmung der Gemeinden und der Wirtschaft eine andere Gemeindesteuer mit Hebesatzrecht und Bindung an die örtliche Wirtschaft gefunden worden ist, muß es bei der Gewerbesteuer verbleiben. Auf der anderen Seite: Nachdenken ist erlaubt. Deshalb sollten wir uns alle - einschließlich der Gemeinden - an diesem Nachdenken beteiligen. Auch die Gemeinden könnten sonst unter Umständen von einer Entwicklung überrollt werden, die sie selbst nicht befürworten.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Waffenschmidt.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Hier ist noch einmal deutlich festzustellen: Durch die Politik der Bundesregierung Helmut Kohl haben die Städte, Gemeinden und Kreise in ihrer Gesamtheit klare, positive Voraussetzungen für die Erfüllung ihrer Aufgaben in den nächsten Jahren erhalten. Ich will, gerade auch nach den Darlegungen der Sprecher der Opposition, noch einmal zwei Elemente herausstellen.
Erstens. Das Wachstum der Wirtschaft läßt die Steuereinnahmen der Kommunen weiter wachsen. Im ersten Halbjahr 1985 nahmen sie um 4,8 % zu. Selbst wenn man die Steuerermäßigungen der Steuerreform 1986 und 1988 berücksichtigt, werden die Steuereinnahmen der Städte und Gemeinden nach allen gesicherten Prognosen Jahr für Jahr um rund drei Milliarden DM ansteigen. Das beweist: Die beste Initiative für die kommunalen Kassen ist eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik. Dann haben auch die Gemeinden etwas davon.
({0})
Die schönsten Steueranteile nutzen den Gemeinden nichts, wenn die Wirtschaft nicht wächst, wenn sie nicht ergiebig ist. Das haben wir im letzten Abschnitt der Regierung Helmut Schmidt gesehen. Damals gab es ein sogenanntes Minuswachstum, und die Steuereinnahmen der Gemeinden gingen rapide zurück. Das war Politik zu Lasten der Gemeinden. Das muß heute noch einmal festgestellt werden.
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- Ja, das sind eindeutige Zahlen, die man jederzeit nachlesen kann. Weil Sie so nett einen Zwischenruf machen, will ich Sie erinnern: 1980 hatten die Gemeinden 47,3 Milliarden DM, 1981 waren es nur noch 46,1 Milliarden DM Steuereinnahmen. Der neben Ihnen sitzende ehemalige Finanzminister Apel wird j a wissen, wie die Steuereinnahmen damals zurückgegangen sind. Bei uns gehen sie mit der wirtschaftlichen Entwicklung nach vorne. Das ist wichtig für die Städte, Gemeinden und Kreise.
Ich will ein zweites sagen: Leider werden alle Zwischenbilanzen der Entwicklungen für das gesamte Bundesgebiet - das muß noch einmal herausgestellt werden - durch die schlechten Entwicklungen in Nordrhein-Westfalen negativ beeinflußt. Das muß man hier aussprechen, meine Damen und Herren von der SPD, weil Sie j a hier Anträge stellen; in Nordrhein-Westfalen sind Sie in der Regierung und versäumen Ihre Pflichten für die Gemeinden. Deshalb ist es so wichtig, das hier auszusprechen.
Ich will hier noch einmal in Erinnerung rufen: Während es im ersten Halbjahr 1985 in Nordrhein-Westfalen nur 2,9 % Zuwachs bei den kommunalen Steuern gab, gibt es im Bundesgebiet 4,8 %. Man kann das im Hinblick auf die Finanzierungsdefizite auch vergleichen. Die Politik im größten Bundesland ist leider vom Versagen der SPD in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gekennzeichnet, und das verschlechtert die Gesamtbilanzen für die Gemeinden im ganzen Bundesgebiet. Das muß hier deutlich ausgesprochen werden, auch wenn Ihnen das wehtut, meine Damen und Herren von der SPD.
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Wir werden nicht nachlassen, über die Versäumnisse und das Versagen der SPD im größten Bundesland zu reden.
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Das zweite ist: Der Kollege Dr. Daniels hat hier mit Recht noch einmal die Gewerbesteuergarantie der Bundesregierung vorgetragen. Ich darf sie für die Bundesregierung - genauso wie der Kollege Voss - noch einmal bekräftigen. Und ich will hier sagen: In 13 Jahren Führung der Bundesregierung, meine Damen und Herren von der SPD, haben Sie doch eine solche Zusage im Hinblick auf das Finanzvolumen für die Gemeinden nicht fertiggebracht. In 13 Jahren haben Sie im Gegenteil immer wieder Eingriffe ins Gemeindefinanzsystem vorgenommen. Jetzt stellen Sie sich heute, nachdem Sie mit Recht in der Opposition gelandet sind, hin und wollen den Anwalt der Kommunen spielen, wollen
den Anwalt für die Gemeinden und die Bürger spielen, nachdem Sie in 13 Jahren mit berechtigten Anliegen der Gemeinden konfrontiert waren und für die Gemeinden nichts gemacht haben. Das ist doch einmal deutlich herauszustellen.
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Jetzt ein nächster Punkt: Wir haben eine wichtige Reihe von Entscheidungen in der Bundesregierung getroffen, um die Gemeinden auch bei der Sozialhilfe zu entlasten. Es wurde mit Recht schon darauf hingewiesen: Anhebung des Wohngeldes, längere Leistungen in der Arbeitslosenversicherung. Das sind wichtige Hilfen, die gerade auch den Städten und Gemeinden helfen, in denen die Sozialhilfe-Aufwendungen leider gestiegen sind.
Aber, meine Damen und Herren - das geht auch wieder an die Adresse der Sozialdemokraten -, wir wollen hier doch einmal in Erinnerung rufen: Die größte Aktion zu Lasten der kommunalen Haushalte, die größte Aktion zur weiteren Belastung der Sozialhilfe war doch die Operation '82 der Regierung Schmidt, als sie für Hunderte von Millionen Sozialleistungen bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg zu Lasten der Betroffenen gekürzt und die ganzen Lasten in die Sozialhilfe hineingeschoben hat. Das war ein Verschiebebahnhof der SPD-geführten Bundesregierung zu Lasten der Gemeinden. Das können wir auch nur schrittweise wieder auf einen besseren Weg bringen.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang auch folgendes sagen. Es ließe sich ja hier heute über manches sprechen, vielleicht auch dieses oder jenes noch schneller den Gemeinden etwas für Investitionen zur Verfügung zu stellen, wenn Sie von der SPD nicht den Finanzspielraum des Bundes durch Ihre unsolide Finanz- und Wirtschaftspolitik so belastet hätten. Mit Recht haben gestern der Bundesfinanzminister und der Bundesarbeitsminister darauf hingewiesen: Weit über 20 Milliarden DM pro Jahr müssen wir im Bund für die Schulden an Zinsen bezahlen, die die SPD alle gemacht hat. Wenn wir über diese 20 Milliarden DM nicht mehr zu sprechen hätten, Herr Kollege Apel, wenn Sie die alle getilgt hätten, dann könnten wir den Gemeinden auch noch mehr geben. Aber wir haben die Hypothek der SPD-Finanzwirtschaft.
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Ich finde, es ist ganz wichtig, dies immer wieder darzustellen. Die SPD ist über das, was sie damals gemacht hat, was sie uns heute wieder vorschlägt, was sie in Düsseldorf macht - das ist ein geschlossenes Konzpt, aber negativ für die Gemeinden und für die Bürger - immer mehr ein Symbol für Schulden, für Inflation und für Versagen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geworden.
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Wir wollen als Bundesregierung Helmut Kohl einen Kurs fortsetzen, der den Gemeinden hilft. Er hat drei wichtige Elemente:
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Wir werden weiter dafür sorgen, daß die Wirtschaft wächst und daß wir dadurch gute Einnahmen für die Städte und Gemeinden haben. Wir werden dafür sorgen, daß dadurch auch die Möglichkeiten der kommunalen Handlungsspielräume verstärkt werden. Wir werden weiter das städtebauliche Entwicklungsprogramm fördern, auf das wir mit Recht stolz sein können; denn es wird unseren Städten und Gemeinden bei wichtigen Aufgaben für die kommunalen Investitionen helfen. Wir werden auch sehr aufmerksam verfolgen, wie die Konferenz der Innen- und Finanzminister der Länder, die in erster Linie zuständig sind, Modelle prüfen und erarbeiten, was man in der Struktur der kommunalen Finanzausstattung künftig vielleicht noch besser machen könnte.
Eines will ich in der Kürze der mir zur Verfügung stehenden Redezeit noch sagen: Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat in den drei Jahren ihrer Verantwortung gezeigt, daß sie das, was der Bundeskanzler in der Regierungserklärung angekündigt hat, die Bundesregierung werde die Anliegen der Städte, Gemeinden und Kreise offensiv vertreten, wahrgemacht hat. Das zeigen die steigenden Einnahmen der Gemeinden. Das zeigt der steigende Handlungsspielraum der Gemeinden. Das zeigen die Initiativen zur Entlastung im Ausgabenbereich. Das zeigen die ansteigenden Investitionen. Und das zeigen auch die Perspektiven für die Zukunft.
Wir wissen, daß es unter der Gesamtzahl von 8 500 Städten und Gemeinden natürlich auch solche gibt, die nach wie vor Sorgen haben. Aber uns allen ist bekannt - das wissen auch Sie, meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten -, daß wir in der Bundespolitik nur Gesetze und Richtlinien erarbeiten können, die für alle Städte und Gemeinden gleichermaßen gelten. Der Ausgleich im einzelnen muß über die Instrumentarien der Länderfinanzausgleichsgesetze kommen. Dazu ist leider festzustellen, daß Sie dort, wo Sie Verantwortung tragen - ich muß noch einmal das Land Nordrhein-Westfalen erwähnen -, die Zuweisungen nicht erhöhen, sondern sie zu Lasten der Gemeinden und der Bürger kürzen. Deshalb sagen wir auch von dieser Stelle nach Düsseldorf: Hört in der SPD-geführten Landesregierung endlich mit der Politik zu Lasten der Gemeinden auf und tut etwas für die Kommunen! Ich glaube, dieser Appell ist dringend und angebracht.
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Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen. Wir hätten es sicherlich gern gesehen, wenn Sie in der Zeit, in der Sie die Regierungsverantwortung getragen haben, etwas mehr von dem auf den Weg gebracht hätten, von dem Sie heute als Verbesserung für die Gemeinden sprechen. Damals haben
Sie versagt. Deshalb sind Ihre heutigen Initiativen unglaubwürdig. Ich stelle noch einmal fest: Die Städte, Gemeinden und Kreise können sich auf diese Bundesregierung verlassen.
Herzlichen Dank!
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Mertens.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Staatssekretär Voss, Sie haben vorgetragen, die Konsolidierung der kommunalen Finanzen befinde sich in einem erfreulichen Zustand. Sie haben in einem Nebensatz regionale Ungleichgewichte eingeräumt. Diese regionalen Ungleichgewichte sehen im Ruhrgebiet so aus, daß sich die Entwicklung der Finanzen in vielen Ruhrgebietsstädten fast schon dramatisch darstellt. Ich finde es bedauerlich, daß Sie nur einen unverbindlichen Halbsatz zu der Situation in den Ruhrgebietsstädten gefunden haben. Ich kann Ihnen, meine Damen und Herren von der Union, prophezeien, daß der vor jeder Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen von Ihnen propagierte Sturm auf die roten Rathäuser angesichts dieses Interesses auch beim nächsten Mal leider ins Wasser fallen muß.
({0})
Herr Gattermann und Herr Staatssekretär Voss haben davon gesprochen, wenn es regionale Ungleichgewichte gebe, sei nicht der Bund dafür zuständig, diese auszugleichen, sondern die Länder hätten die Aufgabe, diese Ungleichgewichte auszubalancieren. Ich sage Ihnen - und Sie wissen das sicher so gut wie jeder hier im Saal -, daß der Bund den Verfassungsauftrag hat, für einheitliche Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zu sorgen und daß die Bundesregierung diese Verpflichtung durch steuerpolitische Entscheidungen konkret verletzt hat, z. B. mit der Ausgleichsregelung bei der letzten Änderung der Gewerbesteuer; denn diese Ausgleichsregelung hat zu Einnahmeverzerrungen insbesondere zu Lasten der steuerschwachen Städte im Ruhrgebiet geführt.
Wie soll im übrigen Nordrhein-Westfalen angesichts der Sonderlasten im Kohle- und Stahlbereich und angesichts der permanenten Ungerechtigkeiten beim Länderfinanzausgleich Steuerkraftunterschiede zwischen seinen und etwa den Gemeinden in Baden-Württemberg ausgleichen? Ich halte das für schlechterdings unmöglich.
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Meine Damen und Herren, ich stehe gar nicht an, zu sagen, daß diese Entwicklung, die in den letzten Jahren zu Lasten der Kommunen gegangen ist, ihren Anfang unter der sozialliberalen Regierung durch mehrfache Erhöhung der Freibeträge bei der Gewerbesteuer und vor allem durch die Abschaffung der Lohnsummensteuer genommen hat. Letzteres war aus kommunalpolitischer Sicht ein schwerer Fehler. Verlierer waren vor allem die Ruhrgebietsstädte. Während zahlreiche süddeutsche Gemeinden nicht nur nichts verloren, sondern über den Spitzenausgleich noch Geld obendrein bekommen haben, sind die Städte im Ruhrgebiet in zusätzliche Schwierigkeiten gebracht worden, ohne daß die Abschaffung beschäftigungspolitisch positive Effekte ausgelöst hätte. Unter dieser Regierung jedoch hat eine Verschiebebahnhofpolitik zu Lasten der Kommunen stattgefunden, die ohne Beispiel ist. Noch nie hat es eine so massive Kostenumwälzung vom Bund auf die Kommunen gegeben wie im Bereich der sozialen Sicherung.
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Verantwortlich dafür sind massive Einschnitte bei Leistungsgesetzen durch die Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984, vor allem aber Leistungseinschränkungen im Bereich der Bundesanstalt für Arbeit. Kürzungen in diesem Bereich haben in den Städten und Kommunen, vor allem in denen mit überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquoten - die Städte im Ruhrgebiet gehören dazu -, zu unverhältnismäßig hohen Sozialhilfeausgaben geführt. Die Sozialhilfeausgaben im Ruhrgebiet haben im Jahre 1984 um 42,1 % über dem Bundesdurchschnitt gelegen. Meine Damen und Herren, so sieht es bei uns im Ruhrgebiet aus.
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Diese explodierenden Sozialhilfeausgaben sind allein schon geeignet, viele Gemeindehaushalte in die Luft zu sprengen. Hinzu kommen auf der Einnahmeseite die Senkung der Vermögensteuer, die Vorsteuerpauschale für Landwirte, die Abschaffung der sogenannten Zwölftelung bei der Gewerbesteuer. Alle diese Maßnahmen sind mit Mindereinnahmen für die Kommunen verbunden.
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Schließlich war die Kürzung der Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen eine kommunalfeindliche Maßnahme.
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Trotz der Ausgleichsregelungen ist es wieder zu Einnahmeverzerrungen gekommen, insbesondere zu Lasten der Kommunen im Ruhrgebiet, denn ihre oft einseitig strukturierten Wirtschaftsbetriebe haben in der Regel eine überdurchschnittlich hohe Fremdfinanzierung, während z. B. Frankfurt kaum betroffen ist, weil sich bekanntlich keine Bank fremdfinanziert.
Die Bundesregierung beruft sich jetzt auf den positiven Konsolidierungsstand der Gemeinden im Vergleich zu Bund und Ländern. Dabei gibt es nicht die geringste Veranlassung, die Ergebnisse der rigorosen, von ihr veranlaßten, kommunalen Sparpolitik als finanzpolitischen Erfolg zu feiern.
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Es wird nämlich vernebelt, daß diese Konsolidierung durch massive Einschnitte bei den kommunalen Investitionen erkauft wurde. Schauen Sie einmal auf das Ruhrgebiet. Die Quoten sind dort in den
Dr. Mertens ({7})
letzten vier Jahren bis zu 60 % zurückgegangen. Durch die Steuerreform, die die Kommunen in Milliardenhöhe zur Kasse bittet, wird sich die Situation weiter verschlechtern. Ähnliches gilt für die Vorschläge der Bundesregierung zur Belebung der Bautätigkeit. Angesichts dieser Tatsachen ist es ja verständlich, daß Herr Pützhofen gestern an die Bundesregierung die Forderung nach besserer Finanzausstattung der Gemeinden gestellt hat.
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten sind uns seit langer Zeit klar darüber, daß nur mit einer umfassenden Gemeindefinanzreform eine wirkliche Gesundung der Kommunalfinanzen möglich ist. Von den diskutierten Modellen wird keines - mit Ausnahme der Wertschöpfungsteuer - auch nur annähernd den Anforderungen gerecht, die aus der Sicht der Kommunen an eine Neuordnung des Gemeindefinanzsystems gestellt werden müssen. Bezeichnend ist aber, daß die Bundesregierung trotz jetzt schon jahrelanger Forderungen der Kommunen und SPD-Bundestagsfraktion nicht bereit ist, die Auswirkungen der Wertschöpfungsteuer in Modellrechnungen überhaupt auch nur zu überprüfen. Deshalb ist unsere Position: Festhalten an der Gewerbesteuer als wichtigstem Teil des kommunalen Einnahmesystems, aber Änderungen im Gewerbesteuerrecht. Diese haben meine Kollegen bereits begründet.
Ich will nur noch eine Anmerkung zur Einbindung der Selbständigen in die Gewerbesteuerpflicht machen. Mir ist in diesem Zusammenhang nicht erfindlich, warum z. B. Bundespost und Bundesbahn nicht gewerbesteuerpflichtig sind.
Meine Damen und Herren, zum Schluß noch ein Wort zu den permanenten Forderungen aus den Reihen der FDP, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Wie wollen Sie z. B. bei einer Beteiligung der Kommunen an der Umsatzsteuer an Stelle der Gewerbesteuer das Interesse der Gemeinden an der Industrieansiedlung aufrechterhalten?
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Es gibt doch ein Gleichgewicht zwischen den Gewerbesteuerzahlungen der örtlichen Betriebe auf der einen Seite und den Belastungen durch diese Betriebe - sprich: Kosten, Umwelt, Infrastruktur - auf der anderen Seite. Für die Wirtschaft ist es wichtig, Herr Gattermann, zu wissen, daß die Gemeinden bereit sind, von den Betrieben erzeugte Belastungen und Kosten hinzunehmen. Dazu sind sie aber doch nur dann noch bereit, wenn es für sie steuerlich weiterhin reizvoll bleibt, Unternehmen in ihren Grenzen zu fördern und neu anzusiedeln.
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Ich sage Ihnen: Die Abschaffung der Gewerbesteuer wird die Kommunen zu bloßen Kostgängern von Bund und Ländern degradieren und die kommunale Selbstverwaltung zu einer Mogelpackung machen. Bürgernähe verlangt auch lokale finanzpolitische Entscheidungen. Es reicht nicht aus, nach Abschaffung der Gewerbesteuer hinterher den Saldo bei den Kommunen stimmend zu machen. Herr Gattermann, in diesem Zusammenhang ist Mark nicht gleich Mark. Entscheidend ist nicht der
finanzpolitische, sondern der staatspolitische Aspekt. Die grundgesetzlich statuierte Selbstverwaltungsgarantie bedingt nicht nur eine quantitativ ausreichende Finanzausstattung der Gemeinden, sondern auch das qualitative Recht auf eigene Steuer- und Abgabenhoheit.
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Ich komme zum Schluß. Das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung ist ebenso wie das Prinzip des Föderalismus bewußt im Grundgesetz abgesichert worden. Die Verfassungsväter haben sich von dem Gedanken leiten lassen, politische Macht auf möglichst viele Ebenen zu verteilen - aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Deshalb ist unser Kampf um originäre kommunale Einnahmen, um eine gesunde kommunale Selbstverwaltung keineswegs provinzielle Eigenbrötelei, sondern nicht zuletzt auch ein Bollwerk gegen einen Obrigkeitsstaat alter Prägung, den wir alle gemeinsam nicht mehr erleben wollen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schroeder.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion fordert Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Gemeindefinanzen und eine Fortsetzung der Gemeindefinanzreform. Die heutige Debatte hat wohl jedem deutlich gemacht, daß die gesamte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung eine einzige laufende und wirkungsvolle Sofortmaßnahme zur Verbesserung der Gemeindefinanzen darstellt.
({0})
Den Gemeinden in unserem Land ist mit einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die wirtschaftliches Wachstum in unserem Land kontinuierlich garantiert, besser als mit jedem Antrag geholfen, der heute hier von Ihnen vorgetragen worden ist.
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Das ist die hilfreichste Sofortmaßnahme, Herr Kollege Spöri, und die beste Gemeindefinanzreform für unsere Gemeinden.
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Wenn Sie von der SPD nun die volle Wiedereinführung der Hinzurechnung von Dauerschulden und Dauerschuldzinsen bei der Gewerbesteuer fordern, dann ist das für meine Fraktion völlig indiskutabel. Gerade unsere mittelständischen Betriebe leiden seit Jahren unter einer zunehmenden Verschlechterung der Eigenkapitaldecke. Die Besteuerung ertragsunabhängiger Vorgänge ist für die Gewerbetreibenden ein Weg zurück in Richtung Substanzbesteuerung, ein Weg, der kein tragfähiges Fundament für die Kommunalfinanzen sein kann. Das wäre ein Schritt in die falsche Richtung.
Herr Abgeordneter Dr. Schroeder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Spöri?
Ich gestatte eine Zwischenfrage des Kollegen Spöri, obwohl Sie vorhin darauf hingewiesen haben, daß die Zeit uns etwas davonläuft.
({0})
- Jawohl; und nicht nur deswegen!
Herr Kollege Schroeder, können Sie mir mal erklären, wie Sie die Eigenkapitalfinanzierung der Unternehmen fördern wollen, wenn Sie die Fremdkapitalfinanzierung steuerlich begünstigen?
({0})
Herr Kollege Spöri, ich komme dazu noch im Rahmen meines Referats.
({0})
Vielleicht, Herr Kollege Spöri, hören Sie sich das mal an, was ich nachher sage, ebenso meine Empfehlung: Gehen Sie mal zu dem Herrn Oberbürgermeister Dr. Böhme nach Freiburg, der lange Ihr finanzpolitischer Vordenker war und über den nun die Zeitung schreibt, daß er Ihnen hier in manchen Überlegungen etwas den Rang als Praktiker im Land Baden-Württemberg und auch in der Kommunalpolitik abläuft. Vielleicht hören Sie sich nachher an, welchen Weg Herr Böhme beschreitet; vielleicht können wir uns dann nachher noch unterhalten.
({1})
- Ja.
({2})
- Herr Kollege Spöri, da kann ich Ihnen deswegen nicht zustimmen, weil hier durch diese Hinzurechnung Gewerbetreibende davon abgehalten werden, überhaupt zu investieren; weil eben dieses Kapital hinzugerechnet wird: zum Gewerbeertrag bei den Dauerschuldzinsen und zum Gewerbekapital bei den Dauerschulden. Das ist ein Investitionshemmnis; das wissen auch Sie, Herr Kollege Spöri.
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Mit dem allgemeinen Abbau der Steuerentlastung der Bürger und der Betriebe, die angesichts der Steuerlastquote überfällig ist, werden die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft und damit das wirtschaftliche Wachstum gestärkt.
({4})
Jedes Steigen des wirtschaftlichen Wachstums um einen Prozentpunkt bewirkt einen Anstieg der kommunalen Steuereinnahmen um über eine halbe Milliarde DM.
Niemand in meiner Fraktion bestreitet, daß es nach wie vor erhebliche Unterschiede in der Steuerkraft und Finanzausstattung unserer Gemeinden gibt. Wir stimmen auch zu, daß laufend geprüft werden muß, ob eine weitere Gemeindefinanzreform erfolgen muß. Eine solche Reform haben wir durch eine Anhebung der Höchstbeträge gemeinsam durchgeführt, der Höchstbeträge, die bei dem Gemeindeanteil der Einkommen- und Lohnsteuer zugrunde gelegt werden, nämlich der Anhebung auf 32 000 und 64 000 DM. Hierdurch wurde das Steuerkraftgefälle zwischen armen und reichen Gemeinden etwas nivelliert.
Besonders wichtig ist - darauf ist heute auch hingewiesen worden - die kommunale Investitionstätigkeit, insbesondere dort, wo die Voraussetzungen auch für die Durchführung privater Investitionen geschaffen werden. Solche Investitionen sind ganz besonders von Vorteil. Herr Staatssekretär Waffenschmidt hat vorhin das Städtebauförderungsprogramm angesprochen, wo eine Mark des Bundes zum Achtfachen an privaten Investitionen führt. Genau das muß das Ziel sein. Vielleicht bringt einigen Kollegen von der SPD eine Reise - die ich vorhin hier schon angeboten habe - zu Ihrem früheren finanzpolitischen Vordenker, dem jetzigen Oberbürgermeister Dr. Böhme, Gewinn, wenn Sie dort einmal sehen, was mit dem Städtebauförderungsprogramm des Bundes und dem Stadtqualitätsprogramm des Landes Baden-Württemberg an kommunalen Investitionen, an Zukunftsinvestitionen umgesetzt wird, von denen dann auch die Gemeinden und die Bürger etwas haben.
({5})
- Ich habe wenig Zeit; ich kann auf Ihre Zwischenrufe nicht eingehen.
Genauso hilfreich für die Stärkung der kommunalen Investitionstätigkeit ist die Ausweitung des Kreditvolumens für gemeindliche Umweltinvestitionen: die Erhöhung des Volumens durch den Bund um 6 Milliarden DM. Im Land Nordrhein-Westfalen - erlauben Sie mir diesen Hinweis - ist im Gegensatz zum Land Baden-Württemberg versäumt worden, rechtzeitig Umstrukturierungen durchzuführen. Sie, Herr Kollege Spöri, kommen aus Baden-Württemberg und wissen, daß es dort mit der rechtzeitigen Umstrukturierung richtig gemacht worden ist und daß hier gerade in Nordrhein-Westfalen große Versäumnisse vorliegen.
({6})
Dr. Schroeder ({7})
Zum Schluß. Es muß, wenn man über die Gemeindefinanzen spricht, immer wieder darauf hingewiesen werden, daß hier die solide Politik des Bundes mit einer Entlastung des Kapitalmarktes auch den Gemeinden endlich die niedrigen Zinsen beschert hat, auf die sie lange gewartet haben, nämlich vier Prozentpunkte weniger als noch vor drei Jahren.
({8})
Im gleichen Atemzug muß auch die erreichte Preisstabilität genannt werden, die die öffentlichen Haushalte der Gemeinden überproportional entlastet und ihnen die günstigsten Baupreise seit langer Zeit beschert und viele Investitionen ermöglicht, von denen die Gemeinden vor Jahren nur zu träumen gewagt haben.
Das ist eine kommunalfreundliche Politik aus einem Guß, die allen Gemeinden und Kreisen wirkungsvoll hilft. Aber es ist auch eine bürgerfreundliche Politik, die den Bürgern nicht immer mehr Lasten aufbürdet und die öffentlichen Lasten nur vom Bund über die Länder zu den Gemeinden verschiebt. Die Gemeinden können sich auf die CDU/ CSU-Fraktion bei dieser kommunalfreundlichen Politik auch in Zukunft voll verlassen.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Poß.
Meine Damen und Herren! Auch in der heutigen Debatte werden wir Zeuge eines Ablenkungsmanövers dieser Bundesregierung. Es ist eines von vielen Ablenkungsmanövern, hier ein kommunalpolitisches. Ich denke, es ist fast typisch für diese Bundesregierung, daß sie unter teilweisem Realitätsverlust leidet. Sie weigert sich ganz einfach, die Realität in vielen Städten anzuerkennen. Offenbar ist das Bestandteil ihrer Optimismuskampagne. Da nützen auch die Krokodilstränen nichts, die hier zum Thema Nordrhein-Westfalen geweint werden.
Es ist schon darauf hingewiesen worden: Nordrhein-Westfalen ist das gemeindefreundlichste Land der Bundesrepublik gewesen
({0})
und zählt auch nach den neuen Sätzen immer noch zu den gemeindefreundlichen. Nordrhein-Westfalen leidet unter einem ungerechten Finanzausgleich. Wenn die Oberbürgermeister, die hier vorhin zitiert wurden, und ihre Städte durch Ihre Politik nicht so geknebelt würden, dann brauchten Sie hier auch nicht so scheinheilig Umarmungstaktiken zu zeigen.
({1})
Die Gemeinden haben - das wird ja nicht bestritten -, wenn sie denn konsolidiert haben, dies zu Lasten der Investitionen getan. Wenn sie jetzt mehr investieren sollen, müssen sie erneut in die Verschuldung gehen, und das vor dem Hintergrund Ihrer Steuerbeschlüsse, die den Gemeinden in den nächsten Jahren kräftige Mindereinnahmen bescheren werden.
({2})
Jetzt kommen wir zu den Fakten; bisher war ja vieles Lyrik.
({3})
Der Präsident des Deutschen Städtetages, Ihr Parteifreund Wallmann, nebenbei gesagt, auch ein fulminanter Schuldenmacher, hat zu Recht darauf hingewiesen, daß die kommunalen Mindereinnahmen durch die aktuellen Steuerrechtsänderungen im Zeitraum 1986/1989 18 Milliarden DM betragen werden. Die Gemeinden werden bei voller Wirksamkeit der Halbierung der Abschreibungsbedingungen für Betriebsgebäude
({4})
Steuermindereinnahmen von 1,3 Milliarden jährlich erleiden.
({5})
Liebe Freunde von der Regierungsbank, das müssen Sie hier einmal in eine solche Debatte einführen, statt nur Schönfärberei zu betreiben.
Der Deutsche Städtetag hat dazu ausgeführt:
Damit sollen die Städte und Gemeinden einen weit überproportionalen Beitrag zur Finanzierung dieser Abschreibungserleichterungen leisten. Aus den genannten Zahlen errechnet sich ein Anteil der unmittelbaren Steuermindereinnahmen der Städte und Gemeinden an den gesamten Mindereinnahmen von 28,4% im Durchschnitt der Jahre 1986 bis 1989. Dagegen beläuft sich der Gemeindeanteil am gesamten Steueraufkommen nicht einmal auf 14 v. H.
Ich könnte noch weitere Fakten nennen, die belegen, daß diese Politik in der Tat gemeindefeindlich ist.
Der Deutsche Städtetag sagt:
Dieser weit überproportionale Finanzierungsanteil der Städte und Gemeinden legt die Forderung nach einer steuerlichen Ausgleichsregelung nahe.
Nach den Berechnungen des Bundesfinanzministeriums beruht der überproportionale Finanzierungsbeitrag der Kommunen überwiegend auf den Gewerbesteuerverlusten. Meine Damen und Herren, bereits im Jahre 1988 wird das Bruttoaufkommen der Gewerbesteuer allein durch diesen gesetzgeberischen Eingriff um über 1,1 Milliarden DM verkürzt. Herr Daniels, auch diese Fakten müssen Sie hier einmal zur Kenntnis nehmen und darstellen.
({6})
Wenn man sich die Erklärung des Bundeskanzlers zur Gewerbesteuergarantie, die er in den letzten Monaten erneuert hat, vor Augen führt, erkennt man, wie gering der Wert von Zusagen des Herrn Bundeskanzlers Kohl - oder soll ich sagen: des
CDU-Vorsitzenden mit dem Kanzlermalus - eben ist.
({7})
Nun werden sich einige Kommunalpolitiker an all das erinnern, was der vorhin hier anwesende Herr Waffenschmidt - er ist wohl inzwischen gegangen - noch vor Jahren versprochen hat.
({8})
- Ach, er ist da! Herr Waffenschmidt, ich habe gehört, daß Sie in Ihrer Stadt Wiehl auch zu den Schuldenmachern gehört haben sollen. Sie haben versprochen, daß die Ausfälle bei den Steuern, die der Bund durch seine Gesetzgebung auslöst, den Gemeinden vom Bund auch wieder ausgeglichen werden. Dieser Steuerausgleich für die Gemeinden müsse, so haben Sie 1982 gesagt, durch Bundesgesetz immer gleich mit geregelt werden. Ihr Ankündigungsminister Zimmermann hat diesen Ihren altbekannten Sprechzettel vor dem Hauptausschuß der Kommunalpolitischen Vereinigung in München wieder hervorgeholt und hat gesagt, die Bundesregierung nehme die Haushaltssorgen der Städte, Gemeinden und Kreise ernst und erkenne ihre Mitverantwortung für die Finanzlage auch der Kommunen. Zimmermann wörtlich: sie werde bei allen Maßnahmen die finanziellen Auswirkungen beachten und dementsprechend keine Maßnahmen mit wesentlichen finanziellen Auswirkungen zu Lasten der Kommunen beschließen, ohne diesen einen finanziellen Ausgleich zu gewähren.
Was sagt der Bundesfinanzminister heute zu diesen Aussagen? Die Gemeinden dürften bei der Finanzausstattung nicht isoliert betrachtet werden, sie seien Teile der Länder.
({9})
Und was bedeutet das, Herr Waffenschmidt? Sie verfahren nach der Methode „Was schert uns unser Geschwätz von früher"! Was Sie als Opposition immer gefordert haben, daß nämlich bei jeder Steuersenkung ein Ausgleich erfolgen müsse, das vergessen Sie heute,
({10})
was ja typisch und charakteristisch für Ihre gesamte Politik ist.
Nun hat Herr Daniels hier versucht, im Blick auf die FDP und auf andere zu beruhigen. Herr Daniels, ich weiß nicht, ob Ihre Beruhigungspille schon dem Herrn Bundeswirtschaftsminister Bangemann bekanntgemacht wurde, denn dieser Mann ist ja mit einigen anderen in vorderster Front ein personifiziertes Investitionsrisiko, was die gemeindlichen Investitionen angeht. Überall, wo er auftritt, fordert er heute noch z. B. die Abschaffung der Gewerbesteuer, ohne konkrete Alternativen zu nennen.
Aber auch Herr Gattermann hat sich heute dadurch ausgewiesen, daß ihm Alternativen nicht gerade geläufig sind, wenn es denn konkret wird. Sie sagen „Im Grundsatz sind wir für den Ausgleich", aber konkret können Sie keinen Ausgleich und keine Alternative zur Gewerbesteuer nennen.
({11})
Nach der Abschaffung der Gewerbesteuer - das ist ein Aufkommen von jährlich 30 Milliarden DM - kommt die Erhöhung der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Es bleibt dann immer noch eine Deckungslücke von zwei bis drei Prozentpunkten, die geschlossen werden muß.
Dann käme die Mehrwertsteuererhöhung, meine Damen und Herren. In dieser Hinsicht muß man die Verbraucher aufklären, man muß Handel und Gewerbe sagen, was das bedeuten würde. Handel und Gewerbe müßten versuchen, diese Umsatzsteuererhöhung in ihren Preisen zu überwälzen. Dies nützt Handel und Gewerbe nichts, es sei denn, Sie denken an die exportorientierte Großindustrie, die natürlich an einer Abschaffung der Gewerbesteuer interessiert ist, weil sie - das liegt auf der Hand - dadurch völlig entlastet würde; denn sie läßt sich beim Export die Umsatzsteuer vom Staat erstatten. Ich weiß nicht, ob das allgemein so bekannt ist.
({12})
Wie verhält es sich denn mit dem gleichwertigen Ersatz für die Gemeinden? Der Hinweis von Dr. Bangemann, es gebe genügend Möglichkeiten, zeigt eine kaum vorstellbare Leichtfertigkeit. Der Bundeswirtschaftsminister verbreitet Unsicherheit auch auf diesem Feld über die zukünftigen kommunalen Steuereinnahmen und hat nichts als Alternative angeboten. Das weiß auch der hier anwesende Staatssekretär Voss.
Alles in allem, meine Damen und Herren: Es wird Zeit, daß Sie auch auf dem Feld der Kommunalpolitik das Ruder herumreißen, daß Sie den Kommunen ihre Investitionszurückhaltung durch konkrete Taten nehmen. Dazu gehört, daß Sie heute unserem Antrag zustimmen sollten.
({13})
Das würde dazu beitragen, daß in der Tat in den nächsten Jahren investiert würde.
({14})
- Sie sind zu spät gekommen, lieber Freund. Herr Rau war hier schon dreimal in der Debatte. Sie brauchen ihn hier nicht mehr einzuführen. Herr Rau wird sich sicherlich, wenn er einmal hierherkommen sollte - er ist ja aufgefordert worden-,
({15})
zu Recht der großen kommunalpolitischen Leistungen des Landes Nordrhein-Westfalen rühmen können. Das müssen Sie erst einmal durch Fakten widerlegen, nicht nur durch Geschrei, meine Herren.
({16})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zunächst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 3 a. Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 10/3472 unter Nr. 1, den von der Fraktion der SPD eingebrachten Gesetzentwurf auf Durcksache 10/537 abzulehnen.
Ich rufe Art. 1 bis 7, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung abgelehnt. Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt jede weitere Beratung.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 3 b. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3472 unter Nr. 1, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/538 abzulehnen.
Wer dieser Beschlußempfehlung des Ausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt Ihnen auf Drucksache 10/3472 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer dieser Entschließung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Entschließung angenommen.
Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
a) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft
({0})
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1985
zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD
zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Berufsbildungsbericht 1985
- Drucksachen 10/2974, 10/3090, 10/3542 Berichterstatter:
Abgeordnete Rossmanith Weisskirchen ({1})
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Sofortprogramm des Bundes zur Erhöhung des Ausbildungsplatzangebotes und zur Verbesserung der Ausbildungssituation Jugendlicher
- Drucksache 10/3634 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Bildung und Wissenschaft ({2}) Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Ausbildungsplatzangebot
- Drucksache 10/4019 Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Programm zur finanziellen Absicherung des Rechts auf eine qualitativ sinnvolle berufliche Erstausbildung
- Drucksache 10/4027 Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a, 4 b sowie der Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 und eine Aussprache von 90 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Damit ist dies so beschlossen.
Ich gehe davon aus, daß keiner der Berichterstatter das Wort wünscht und daß auch sonst das Wort zur Begründung nicht erbeten wird. - Meine Annahme ist richtig.
Somit kann ich die Aussprache eröffnen. Das Wort hat der Abgeordnete Rossmanith. - Ich bitte das Haus, nun wieder zu der Ruhe zurückzufinden, die für die Beratungen erforderlich sind. Recht herzlichen Dank. - Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.
Ich bedanke mich. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben gestern von Bundeskanzler Helmut Kohl eine sehr deutliche Aussage zur Situation auf dem Arbeitsmarkt gehört. Er hat darauf hingewiesen, daß die Zahl der Ausbildungsstellen im dualen System in den vergangenen drei Jahren seit dem Regierungswechsel um 130 000 gesteigert werden konnte. Das heißt, daß jetzt über 1,8 Millionen Jugendliche in einer Lehrausbildung sind. Bei heuer zu erwartenden 730 000 neu abgeschlossenen Lehrverträgen ist das weiß Gott ein neuer Lehrstellenrekord. Das bedeutet aber auch, daß Unternehmungen und Betriebe nun bereits im dritten Jahr hintereinander ihre Anstrengungen zur Ausbildung der geburtenstarken Jahrgänge ganz beträchtlich erweitert und verstärkt haben, und zwar - darauf möchte ich hinweisen - ohne jeden staatlichen Zwang.
Ich glaube, daß dies eine herausragende Leistung auch im Interesse der jungen Menschen ist, für die ich namens der CDU/CSU-Bundestagsfraktion allen Beteiligten in Industrie, Handel, Handwerk, freien Berufen und der öffentlichen Verwaltung noch einmal unseren Dank und unsere Anerkennung aussprechen möchte.
({0}): Was kriegen Sie da-
für?)
Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist es in diesem Jahr bereits die vierte Debatte, die wir zu diesem Thema führen. Ich muß ganz offen gestehen:
Mir macht es in der Zwischenzeit Spaß, hier darüber zu diskutieren und auf diese Ausbildungsleistung und auf diese berufsbildungspolitischen Erfolge unserer Regierung Kohl hinweisen zu können.
Ich muß allerdings sagen: Das gleiche gilt für mich - auch das amüsiert mich immer wieder -, wenn ich das Minderheitenvotum der Gewerkschaftsvertreter zu dem Berufsbildungsbericht lese. Ich frage mich manchmal, was die Erfinder dieser Horrorzahlen überhaupt bewegt oder was sie bezwecken wollen, wenn sie ein derartiges Votum abgeben. Denn wir alle wissen, daß in der Zwischenzeit zwei Drittel eines jeden Jahrganges eine Lehre durchlaufen und daß heute jeder dritte Abiturient ebenfalls in das duale Ausbildungssystem einsteigt. Ich muß ganz ehrlich gestehen
({1})
- gnädige Frau, natürlich, die schließe ich immer mit ein, ganz ohne Frage -, daß ich der Meinung bin, daß wir dieses Problem trotz einer schwierigen Zeit gelöst haben oder es fast gelöst haben. Nur, ich frage mich immer wieder, weshalb Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Sie jahrzehntelang bewußt eine falsche Bildungspolitik betrieben haben, jetzt für die Akademiker - ich darf hier beispielsweise nur die 70 000 Lehrer ansprechen, die keine Stelle haben; das berührt mich wirklich, ich mache mir wirklich Sorgen um sie -, also für den Personenkreis, den Sie durch Ihre Politik in diese Ausbildung getrieben haben, überhaupt kein Interesse, überhaupt kein Verständnis aufbringen.
Denn es ist wie bei der Arbeitslosigkeit natürlich auch im Lehrstellenbereich so, daß man ganz klar erkennen kann, daß es in Bundesländern, in denen eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben wurde, keine gravierenden Probleme hinsichtlich der Lehrstellensituation - von regionalen Problemen natürlich abgesehen - mehr gibt.
Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie wollen, so hört man allenthalben, mit dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen in den Bundestagswahlkampf ziehen.
({2})
Ich glaube, es ist Ihre Sache, mit wem Sie in den Wahlkampf ziehen wollen. Nur will ich Ihnen eines sagen: Sorgen Sie dafür, daß gerade in diesem Kernland der Bundesrepublik Deutschland wieder eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik betrieben wird, damit auch wieder eine verantwortungsbewußte Arbeitsmarkt- und Lehrstellenpolitik betrieben werden kann.
({3})
Ich glaube, es ist kennzeichnend für die ganze Art Ihres berufsbildungspolitischen Denkens, überhaupt Ihres bildungspolitischen Denkens, daß Sie den zigtausendfachen unternehmerischen Initiativen zutiefst mißtrauen, weil sie von der Wirtschaft selber kommen, und daß Sie sich nach wie vor dem Irrglauben hingeben, die Lehrstellenfrage lasse sich auf Dauer nur staatlicherseits, mit Umlagefinanzierungen, mit Notprogrammen, mit Sonderprogrammen oder weiteren bürokratischen Auflagen lösen. In der Praxis ist tausendfach bewiesen worden, daß das eben nicht so ist. Genau das Gegenteil ist der Fall. Aber ich kann Ihnen sagen: Ideologische Voreingenommenheit ist für Sie oder diejenigen, die davon leben, nach wie vor existenznotwendig.
Ich möchte mich deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, in dieser Debatte konstruktiven Themen zuwenden.
({4})
Statt daß wir hier ständig auf Problembereiche, Problemgruppen und auf begrenzten Lehrstellenmangel hinweisen und dies immer wieder künstlich dramatisieren, sollten wir lieber fragen, welche Konsequenzen es für das duale System der Berufsausbildung haben mag, wenn in einigen Jahren - das ist abzusehen - auf Grund der demographischen Entwicklung die Lehrstellensituation besser wird und sich die Zahl der Lehrstellen, gemessen am heutigen Stand, auf zwei Drittel vermindert oder gar halbiert haben wird.
Wir sollten deshalb auch hier einmal die Frage erörtern, ob die Konstruktion und Arbeitsweise des Bundesinstituts für berufliche Bildung den berufsbildungspolitischen und vor allem den berufspraktischen Anforderungen in der gebotenen Weise noch gerecht werden kann. Mich kann es auf jeden Fall nicht befriedigen, wenn ich vor Ort immer wieder die sich wiederholenden Klagen hören muß, daß sich der Erlaß neuer Ausbildungsordnungen endlos hinzieht und diese Ausbildungsordnungen im Ergebnis viel zu oft an den Erfordernissen der Praxis vorbeigehen.
Lassen Sie mich sagen, daß es mich sehr nachdenklich gestimmt hat, als der Generalsekretär des Bundesinstituts für berufliche Bildung bei unserem letzten Besuch Anfang September ausdrücklich darauf hingewiesen hat, daß sich die Tarifvertragsparteien über die Eckdaten der Stufenausbildung im Berufsbereich Metall ausgerechnet während des letztjährigen Metallarbeiterstreiks verständigt hatten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mir ist die Berufsausbildung von weit über 100 000 junger Menschen in den Metallberufen viel zu wichtig, als daß ich sie jetzt in den Verhandlungspoker politisch motivierter Streiks eingeschlossen bzw. dort gelöst wissen möchte.
({5})
Kein Mensch bestreitet, daß die Ausbildungsordnungen in erster Linie von den dafür zuständigen Fachleuten erstellt werden müssen. Wenn bei der Erstellung dieser Ausbildungsordnungen aber gleichzeitig weitreichende bildungspolitische Grundsatzfragen entschieden werden - die Stufenausbildung im Berufsbereich Metall ist für mich eine dieser grundsätzlichen politischen Fragen -, dann darf sich dieses Verfahren nicht unter weitge12390
hendem Ausschluß der Öffentlichkeit und somit auch nicht unter Ausschluß des Deutschen Bundestages abwickeln. Ich möchte deshalb alle und auch Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, noch einmal darum bitten, daß wir in die Debatten über den Berufsbildungsbericht in Zukunft auch solche Grundsatzfragen mit einbeziehen und nicht nur in polemischer Art und Weise versuchen, ein nicht immer ganz korrektes Zahlenspiel zu betreiben.
Ich bedanke mich.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weisskirchen ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestern nachmittag - ich weiß nicht, wer von Ihnen dabei war - haben uns Jugendliche hier von dieser Stelle aus gemahnt, doch auf gestanzte Floskeln zu verzichten. Ich denke, diese Jugendlichen haben um so mehr Recht, als manche unserer Debatten oftmals zu Ritualen verkümmert sind,
({0})
die Lautstärke sich oftmals umgekehrt zur Bereitschaft verhält, ideologische Panzer, Herr Rossmanith, abzulegen, um zum Kern der Probleme vorzustoßen.
({1})
Wir haben vielleicht heute diese Chance, daß wir mehr können, als uns gegenseitig mit geschönten Erfolgsbilanzen auf der einen und dramatischen Untergangsklängen auf der anderen Seite zu übertrumpfen.
Die Mädchen und Jungen, über die wir heute reden, haben nichts davon, wenn wir sie zum Objekt unserer Begierde machen, billige Effekte zu haschen. Wir helfen ihnen, denke ich, wenn wir ihre Sorgen um ihre Zukunft ernst nehmen, und wir helfen ihnen noch mehr, wenn wir alle jetzt handeln, Herr Rossmanith, statt Zehntausende von jungen Menschen damit zu vertrösten, in einigen Jahren löse sich der Mangel an Ausbildungsplätzen plötzlich in einen Mangel an Auszubildenden auf. Das hören wir jetzt schon Jahr für Jahr, und das Gegenteil stellen wir jedesmal am 30. September jedes Jahres fest.
({2})
Wie sieht es in diesem Jahr aus? 59 400 Jungen und Mädchen stehen jetzt auf der Straße, Herr Rossmanith, und nochmals zusätzlich 39 600 wollen jetzt einen Ausbildungsplatz und finden sich in etwas ganz anderem, in berufsbildenden Maßnahmen, wieder. Ein Viertel von ihnen - lesen Sie die Statistik mal nach - werden „sonstig erledigt", wie es in der maschinenhaften Sprache heißt, die sich manchmal in die Statistiken einschleicht. Insgesamt ist aber festzustellen, daß zum zweitenmal hintereinander knapp 100 000 Jugendlichen der unmittelbare Einstieg in die berufliche Lebenschance verwehrt worden ist. Das ist der Tatbestand, den wir feststellen.
({3})
Gewiß ist es erfreulich, daß mehr Ausbildungsplätze bereitgestellt worden sind. Wer kann sich eigentlich nicht darüber freuen? Ich sage das noch einmal ausdrücklich: Wir danken all denen, die dazu beigetragen haben.
({4})
Ich meine das ernst. Aber dann muß man auch hinzufügen: 85 °A) derjenigen, die ausgebildet werden, werden nur von den kleinen und mittleren Betrieben ausgebildet, und leider werden nur die letzten 15 % von der Großindustrie ausgebildet. Übrigens sieht es auch bei den öffentlichen Dienstleistungen insgesamt nicht so gut aus.
Mich bedrückt es mehr und mehr, welche Folgen diese Verweigerung - so müssen die jungen Leute das empfinden - bei ihnen hat. Wer kann von uns denn eigentlich ausschließen, daß die Verzweiflung, die bei Zehntausenden junger Menschen anwachsen muß, weil sie sich als Teil der geburtenstarken Jahrgänge als überflüssig vorkommen oder ihr Problem auf die nächsten Jahre verwiesen wird, in Gewalt gegen sich selbst oder in Gewalt gegen andere umschlägt? Ist denn das, was in Liverpools verschiedenen Stadtvierteln oder auch in London begonnen hat, etwas, wovor wir immer gefeit sein werden? Ich habe die Sorge, daß sich in Stadtquartieren mit 50, 60 und 80 % Jugendarbeitslosigkeit Gewalt gegen eine Gesellschaft Bahn bricht, die das Versprechen, alle ernst zu nehmen, eben doch nicht einlöst.
Wenn wir uns angucken, wie die Zahlen aussehen, stellen wir folgendes fest. Wir werden in den Anstrengungen - die wir doch alle gemeinsam, dachte ich, auf uns genommen haben -, die jungen Frauen gleichzustellen, wieder zurückgeworfen. Zwei Drittel aller statistisch ohne Ausbildungsplatz Gezählten sind weiblich, und fast drei Viertel derjenigen, die Ersatzmaßnahmen von Arbeitsamt und Schule wahrnehmen, sind auch Mädchen. Die Tatsache, daß man keinen Ausbildungsplatz bekommen hat, beinhaltet ja die Unterstellung der selbstverschuldeten Unfähigkeit. Diese jungen Menschen suchen daher nach der eigenen Schuld, daß sie keinen Ausbildungsplatz haben.
Viele werden zurückgeworfen in autoritäre Verhaltensmuster und in längst überholte Rollenverständnisse. Schauen Sie sich einmal an, wie sich das bei den Mädchen entwickelt. Ich glaube, jeder sollte sich überlegen, was er tun kann, damit die schrecklichen Zahlen, die wir in den Berufsbildungsstatistiken finden, endlich verschwinden.
Das, was schließlich die Folge all dessen sein kann, sind wachsende Gleichgültigkeit gegenüber sozialem Unrecht, Verantwortungslosigkeit auch im Hinblick auf das eigene Handeln. Das gilt besonders für denjenigen, der seinen eigenen Ausbildungsplatz gefunden hat.
Weisskirchen ({5})
Nun wird mancher von Ihnen sagen: Eben hat er uns ermahnt, unverstellt an die Lösung der Probleme heranzugehen, vorurteilsfrei zu prüfen, wie man den Arbeitsmarkt und Ausbildungsmarkt wirklich öffnen kann, und jetzt stimmt er doch nur Katastrophengesänge an. Aber ich muß Ihnen entgegenhalten: In unserer Regierungszeit waren die Zahlen günstiger. Beispielsweise gab es von 1975 bis 1981 noch einen Überschuß von fast 60 000 Ausbildungsplätzen im Vergleich zur Nachfrage. In den drei Jahren Ihrer Regierung hat sich das in eine Negativbilanz verwandelt.
({6})
Seitdem Sie regieren, gibt es 147 000 Ausbildungsplätze weniger, als auf Grund der Nachfrage eigentlich bereitgestellt werden müßten.
({7})
Ich habe immer davor gewarnt - vielleicht werden Sie sich daran erinnern -, auch in der sozialliberalen Koalition, Jahr für Jahr Beschwörungsparolen auszugeben, so etwa nach dem Motto: Wir sind jetzt eben über den Berg. Nicht die jungen Menschen haben sich anzupassen, haben sich gefälligst flexibel zu verhalten und von Friesland an den oberen Neckar zu gehen, sondern wir sind es, die Politik ist es, die handeln muß. Wir haben die Bringschuld gegenüber den jungen Menschen.
({8})
Sehen Sie denn nicht, daß Ihre Beschwörungsformeln der Ausbildungsnot nicht begegnen können? Sehen Sie nicht, daß sich Ihre Versprechungen, die Sie Jahr für Jahr gemacht haben, als Illusion entpuppt haben?
({9})
Und schon wieder - wir werden es nachher von Frau Dr. Wilms hören - bläst das Bundesbildungsministerium Entwarnung. Muß das denn nicht wie Hohn gegenüber den jungen Menschen klingen, die immer noch zu Zehntausenden auf ihre Chance warten?
Heute sage ich ihnen voraus - das haben wir im letzten Jahr ebenfalls getan -, daß im nächsten Jahr wahrscheinlich wieder an die 100 000 junge Menschen keinen Ausbildungsplatz bekommen werden. Letztes Jahr haben Sie uns vorgeworfen, wir würden nur Schlachtengemälde malen. Und was ist jetzt am 30. September 1985 herausgekommen? Genau das ist eingetreten, was wir Ihnen vorhergesagt haben.
({10})
Wir haben Ihnen ein Angebot unterbreitet, mit dem wir den Scherbenhaufen, vor dem Sie jetzt stehen, gemeinsam hätten verhindern können. Sie aber haben unsere Vorschläge mit Ihrer Mehrheit so behandelt, wie Sie die Zukunftshoffnungen Zehntausender junger Menschen behandelt haben. Sie haben sie nämlich abgelehnt. Wir legen Ihnen heute erneut unser Angebot vor. Es ist durchdacht, es ist finanzierbar, und es bietet allen, die ins Abseits gedrängt worden sind, eine Berufschance.
({11})
Es geht uns darüber hinaus auch darum, dabei mitzuhelfen, daß ein hunderttausendfach brachliegendes Potential an jungen Menschen, an Fähigkeiten, ein Potential, das wir doch alle brauchen, um die Zukunft unserer Gesellschaft zu sichern, erschlossen werden kann, damit wir denen helfen und gleichzeitig die Zukunft unserer Gesellschaft sichern.
Wenn Sie das, was in Punkt 5 unseres Vorschlages steht, ernst nehmen, nämlich endlich dafür zu sorgen, daß diejenigen, die nicht ausbilden, nicht ausreichend genug ausbilden, zur Lösung der finanziellen Probleme herangezogen werden, wenn Sie dafür sorgen, daß diejenigen, die zur Übernahme großer Lasten bereit sind, die Kleinen, insbesondere die Handwerker, endlich ihren gerechten Ausgleich von denen finanziert bekommen, die nicht ausbilden, die ständig darüber jammern, sie hätten keine Facharbeiter, die aber selber nur eine ganz geringe Ausbildungsquote aufzuweisen haben, wenn Sie also mithelfen, daß diejenigen zur Finanzierung, zur Lösung der Berufsbildungsprobleme herangezogen werden,
({12})
dann werden Sie auch nicht mehr vor 100 000 jungen Menschen stehen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben.
Helfen Sie mit! Wir machen Ihnen ein Angebot.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man soll Chancen nicht wahrnehmen, wenn sie sich so leicht bieten. Lieber Gert Weisskirchen, Sie haben verheißungsvoll angefangen. Ich wollte auch auf die gestrige Jugend-Fragestunde zu sprechen kommen. Denn als im ersten Arbeitskreis über das Thema Ausbildungsplätze berichtet wurde, gab es ja, wie an Beifall und Widerspruch leicht zu erkennen war, offenbar sehr verschiedene Ansichten unter den jungen Leuten.
({0})
Ich finde - ich greife das auf, was Sie sagen, ganz ernst -, daß wir uns - das Internationale Jahr der Jugend nähert sich seinem Ende - alle gemeinsam anstrengen sollten, den jungen Leuten in unseren verschiedenen Vorschlägen, in unseren verschiedenen Denkansätzen das zu bieten, was sie eigentlich verdienen, nämlich den Wettstreit um die möglichst beste Lösung der Probleme. Dazu gehört, so meine ich, auch, daß wir uns einerseits - ich hatte wirklich die Hoffnung, das wäre heute besser möglich - nicht zu Horrorgemälden verleiten - und es kam dann doch wieder dazu - und uns anderer12392
seits nicht zu Verharmlosungen verführen lassen. Man nimmt ja den verbleibenden Problemen nichts von ihrer Dringlichkeit, wenn man die Proportionen zunächst einmal richtig beleuchtet - das hat Kurt Rossmanith getan - und feststellt, daß ein Ausbildungsplatzangebot von 730 000 Lehrstellen ein Ergebnis ist, das eben dem allergrößten Teil der Schulabgänger einen Einstieg in das berufliche Leben bietet, und daß von einer, wie manchmal behauptet wird - das klang soeben an -, „verlorenen Generation" überhaupt keine Rede sein kann. Man nimmt, meine Damen und Herren, diesem Erfolg andererseits nichts von seiner tatsächlichen Bedeutung, wenn man Sorge um die zum Stichtag, um mich auf das Datum zu beziehen, unversorgten 60 000 Bewerber trägt. Es gibt eben kein Licht ohne Schatten. Beides zusammen stellt erst die ganze Wirklichkeit dar.
Deswegen müssen wir zunächst einmal ganz konkret sein und sagen, die Bemühungen um eine weitere Mobilisierung des Ausbildungsstellenangebots und der Nachvermittlung müssen fortgesetzt werden. Trotz allem, was hier soeben kritisch gesagt worden ist, meine ich: Die Erfolge der Nachvermittlung des letzten Jahres können sich doch sehen lassen. Auch in diesem Jahr können Bund, Länder und Gemeinden - ich will einmal an die öffentlichen Hände appellieren - weiterhin einen wichtigen Beitrag dazu leisten.
Zu diesen Bemühungen gehört natürlich auch der Wunsch, das „Programm des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft zur Förderung der Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher" noch einmal aufzustocken. Hier ist in den vergangenen Jahren Erhebliches geleistet worden, und zwar im Haushalt und im Ministerium für Bildung und Wissenschaft ebenso wie in den Einrichtungen, überall mit großem Engagement. Wenn ich von der Notwendigkeit der Aufstockung spreche, will ich Sie nicht mit Schätzwerten oder irgendwelchen Zahlen belästigen, sondern einmal ein konkretes Beispiel nennen und aus einem Brief der Leiterin des Berufsförderungswerkes Gütersloh, das vom KolpingBildungswerk getragen wird, zitieren. Sie schreibt:
Es liegen also wesentlich mehr Bewerbungen jetzt vor, als Ausbildungsplätze zu besetzen sind. Die Not dieser jungen Menschen und die Sorgen der Eltern kann ich kaum schildern. Viele haben bereits zwei oder drei Jahre gewartet: Berufsvorbereitungsjahr, MBSE, Berufsgrundschuljahr. Sie erfüllen die Eingangsvoraussetzungen; vom Arbeitsamt wurden die Förderungskriterien geprüft. Trotzdem müssen wir
- die Einrichtung sagen: Es tut uns leid, wir können euch nicht in die Ausbildung nehmen. Wir hätten die räumlichen Möglichkeiten, aber helfen kann nur eine Aufstockung des Benachteiligtenprogramms.
Ich bedanke mich ausdrücklich nicht nur bei den Mitgliedern unseres Ausschusses, sondern auch bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses, vor allem - Sie werden das verstehen - bei meiner Kollegin Frau Seiler-Albring dafür, daß sie sich für eine solche Aufstockung eingesetzt haben.
Meine Damen und Herren, wie in diesem Fall muß man natürlich auch andere Lösungsvorschläge an konkreten Beispielen messen. Herr Weisskirchen hat welche genannt. Ich meine damit die erneut in die Diskussion eingebrachte Umlagefinanzierung. Sie wissen - ich brauche das nicht zu wiederholen -, ich bin ein gebranntes Kind. Ich habe bei mehreren sehr ausbildungsintensiven Betrieben vornehmlich im Handwerk in meinen Diskussionen der letzten Wochen keinerlei Zustimmung, sondern nur einhellige Ablehnung dazu erfahren, gerade von denen, die ausbilden.
Das hängt natürlich auch mit den Vorschlägen, wie sie auf dem Tisch liegen, zusammen. Denn im Antrag der SPD über ein Sofortprogramm heißt es, die Abgabe solle für gar nicht oder unterdurchschnittlich ausbildende Betriebe gelten. Im gestrigen Antrag der Fraktion der GRÜNEN zur Erklärung der Bundesregierung zu Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung wird die Abgabe für Betriebe, die kein hinreichendes Angebot zur Verfügung stellen, gefordert. Heute liegt ein weiterer Antrag vor, aber die Grenzen, die Bezugsgrößen, die Verhältnisse bleiben im unklaren. Und wenn ich dann noch sehe, was die Konferenz der SPD-Fraktionsvorsitzenden im März 1985 erwogen hat - eine Ausbildungsquote von 4 % zugrunde zu legen -, dann muß ich den Schluß ziehen, daß man mit solchen Ideen den mittelständischen Betrieb - das wird einem deutlich gemacht - praktisch verunsichert, der bei 100 Beschäftigten 14 Lehrplätze zur Verfügung stellt, vom Handwerksmeister mit 3 Gesellen und 4 Lehrlingen ganz zu schweigen.
({1})
Meine Damen und Herren, die Folgen kann man sich leicht vorstellen. Es darf auf dem Hochplateau der Ausbildungsstellennachfrage keine neue Verunsicherung der ausbildenden Betriebe durch neue Bürokratien, neue Erhebungs- und Verteilungsgremien geben. Das alles wäre jetzt kontraproduktiver denn je.
Meine Damen und Herren, es gibt schon Verunsicherungen genug. In einer Aktuellen Stunde der letzten Sitzungswoche ist die angebliche Erkenntnis in die Diskussion eingeführt worden, daß das Handwerk seine Ausbildungsintensität mit dem Abbau von Arbeitsplätzen für Vollerwerbskräfte kompensiere. Ich habe in den Diskussionen das Echo erleben müssen. Wie alle undifferenzierten Behauptungen dieser Art hilft auch das niemandem. Es schreckt ab und wird als Undank für große Anstrengungen empfunden.
({2})
Ja, bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Neuhausen, würden Sie mir bestätigen, daß diese Bewertung nicht von uns entwickelt worden ist, sondern daß es sich um
eine Untersuchung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung handelte, das zu der Aussage kam, im Handwerk seien Facharbeiter durch Lehrlinge ersetzt worden?
Herr Kollege Kuhlwein, ich habe mir das sehr genau angesehen und muß sagen, daß ich den wissenschaftlichen Wert - das nehme ich für mich in Anspruch - bezweifle, wenn ich sehe, daß hier sehr globale Zahlenverhältnisse einander gegenübergestellt werden. Worauf es ankommt, ist aber, daß wir in dieser Situation die einzelnen Betriebe nicht verunsichern, die von solchen Behauptungen nicht berührt werden können, weil es so einfach nicht stimmt. Das ist das Wichtige.
({0})
Weil wir schon dabei sind, Herr Kuhlwein: Ähnlich ist es auch mit der undifferenzierten Hinzurechnung von jungen Leuten, die sich in sogenannten Ersatzmaßnahmen befinden, zu den unvermittelten Bewerbern. Herr Weisskirchen hat das eben auch getan. Ich sehe die Probleme durchaus. Ich habe eben aus einem Brief zitiert, in dem ein Teil des Problems berührt wird. Aber man kann nicht im Ernst alle Bewerber, die sich einmal vorsorglich oder alternativ mit einem Vermittlungswunsch gemeldet haben, dann aber einen schulischen Bildungsweg weitergehen oder einschlagen, zu den anderen addieren. Denn nicht zuletzt liegt darin die Gefahr, schulische Wege oder auch berufsvorbereitende Maßnahmen abzuqualifizieren, was weder den jungen Menschen hilft noch dem Einsatz der pädagogischen Kräfte gerecht wird. Ich möchte in allem Ernst gerade die Kollegen der SPD auf die Berufsbildungsberichte 1981 und 1982 hinweisen, wo über das Problem der Notwendigkeit der Berufsvorbereitung und der Qualifizierung mit Zahlen zum Übergang noch heute sehr lesenswerte Ausführungen enthalten sind. Die damals festgestellten Einzeldaten sind nicht in der Zwischenzeit einfach verschwunden, so daß man sie jetzt in einem Topf zusammenrechnen könnte.
Meine Damen und Herren, wir kommen hier an den Übergang zu einem ganz anderen Problembereich, zu dem es im Antrag der Koalition heißt:
Daß immer mehr Abiturienten im dualen System der beruflichen Bildung eine Ausbildungschance suchen und finden, ist grundsätzlich eine vernünftige Entwicklung, wenn dies kontinuierlich erfolgt und ein Verdrängungswettbewerb vermieden wird.
Ich füge hinzu und wiederhole, was ich immer sage: Es sollten alle Aspekte dieser Entwicklung tatsächlich sorgfältig und ohne Vorbehalte analysiert werden.
Meine Damen und Herren, die Fraktion der GRÜNEN hat hier - ich bemühe mich, das ganz sachlich zu sehen und Ihnen zu zeigen, daß man sich damit natürlich beschäftigt - einen umfangreichen Forderungskatalog zum Antrag erhoben. Er berührt u. a. die von Gert Weisskirchen schon angesprochene wichtige Frage nach der Benachteiligung von Mädchen in der Berufsausbildung. Wir sind j a alle dafür, daß diese Benachteiligungen abgebaut werden, aber ich muß Ihnen sagen: Die von Ihnen geforderte Quotierung halte ich für einen so technokratischen Ansatz, daß er in der Praxis nicht funktionieren würde; denn bei allen Bemühungen, Männerberufe für Frauen zu öffnen oder umgekehrt, ist es doch so, daß junge Menschen bestimmte Interessengebiete haben und deshalb nicht einfach nach Quoten auf die einzelnen Ausbildungsberufe aufgeteilt werden können. Ich fürchte, nein ich bin sicher: Wer das im Ernst durchführen wollte, würde den jungen Menschen ihre sowieso schon eingeschränkten Wahlmöglichkeiten in Ausbildung und Beruf beschneiden.
Deswegen halte ich auch Ihre Vorschläge zur Veränderung des sogenannten Benachteiligtenprogramms für wenig förderlich; denn dieses Programm soll in der Tat Jugendliche unterstützen, die individuelle Probleme haben. Aber es sollen neben diesen Zielgruppen auch Mädchen, z. B. in schwierigen Ausbildungsregionen, zusätzlich gefördert werden. Das ist ein ganz anderes Problem, das Sie in Ihrem Antrag damit in Verbindung bringen. Ich halte es grundsätzlich für sozialpädagogisch nicht vertretbar, das ganze auf individuelle Förderung ausgerichtete Programm dadurch zu verändern, daß man 70 % der Mittel ausschließlich für Mädchen vorsieht.
Meine Damen und Herren, es sind nicht neue Fragen. Ich würdige das, was Sie hier beantragen, weil es Fragen widerspiegelt, die wir in der Berufsbildungsdiskussion der ganzen letzten Jahre ins Gespräch gehoben haben, z. B. die Einführung einer allgemeinen Meldepflicht für Ausbildungsplätze. Wie sollte die denn in der Wirklichkeit praktiziert werden, wenn es doch heute noch darauf ankommt, Betriebe, die möglicherweise gar keinen Ausbildungsplatz haben, davon zu überzeugen, doch einen zu schaffen? Abgesehen davon würde die Meldepflicht zwar ausreichend neuen bürokratischen Aufwand, nicht aber bessere Übersichten über die tatsächliche Lage auf dem Ausbildungsstellenmarkt liefern.
({1})
Und, am Rande erwähnt, das von Ihnen geforderte neue Berufsbild Abfalltechniker ist meines Erachtens in sinnvoller Weise, wesentlich breiter angelegt, beim sogenannten Entsorger bereits realisiert.
Meine Damen und Herren, in den Fragen, die uns heute beschäftigen, gehen mehr und mehr quantitative und qualitative Gesichtspunkte ineinander über. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses, auf die ich aus Zeitgründen nicht näher eingehen kann, die ich aber Ihrer nochmaligen Lektüre empfehle, gibt auf Seite 4 in den Abschnitten a bis d wichtige Ansatzpunkte, die beide Bereiche umfassen. Für weiteren Diskussionsstoff ist durchaus gesorgt.
Es läge aber im Interesse der jungen Menschen, wenn wir in der gegenwärtigen Situation vor allem
über Maßnahmen und Vorschläge nachdächten, die tatsächlich quantitative und qualitative Ausbildungschancen, wozu auch die Übergangsmöglichkeiten gehören, schafften oder verbesserten, und uns nicht in alle möglichen theoretischen Modelle oder Auseinandersetzungen verlieren, die unsere gemeinsamen Möglichkeiten zersplittern, statt sie zum Einsatz für die Zukunft der jungen Leute zu bündeln.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.
Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Erlauben Sie mir, an dieser Stelle zuerst einmal die Gäste auf der Tribüne zu begrüßen, da das Interesse im Hause doch ziemlich gering ist und dort oben einfach mehr sitzen.
({0})
- Ich begrüße auch die Bundeswehrsoldaten. Damit habe ich kein Problem.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, sich an die Gepflogenheiten des Hauses zu halten.
Ich komme zur Sache, zum Berufsbildungsbericht 1985.
Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Die Bundesregierung übertrifft wieder alle Erwartungen - selbst die schlimmsten - der Gewerkschaften und vieler junger Menschen. Der Kanzler und seine Getreuen blicken optimistisch in die Zukunft. Sie haben allen Grund dazu, bietet doch die Gegenwart wenig Anlaß für strahlende Mienen.
Der vorliegende Berufsbildungsbericht und die Bilanz der Ausbildungsvermittlung 1985 sind ein stolzer Beweis dafür, was man mit Empirie so alles machen, oder besser: unterschlagen kann. Denn wenn der Spielraum für optimistische Interpretationen der Zahlen immer enger wird, verkürzt sich die politische Moral auf die Devise: die Wahrheit zu verschweigen, ist doch keine Lüge!
Im Berufsbildungsbericht klopft sich die Regierung anerkennend auf die Schulter und empfiehlt, die sogenannten erfolgreichen Überzeugungsarbeiten fortzusetzen. Damit wird sie auch genug zu tun haben, denn 60 000 Jugendliche ohne einen Ausbildungsplatz konnten bisher noch nicht überzeugt werden, endlich Ruhe zu geben und sich nicht weiter beim Arbeitsamt für die Statistik zu melden. Über 40 000 Jugendliche hat man erst einmal auf das berufliche Eis legen können, in der Hoffnung, daß sich dort ihre Berufswünsche schon abkühlen würden. 50 000 junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz fanden, stecken in berufsvorbereitenden Maßnahmen der Arbeitsverwaltung, 150 000 in Berufsgrundbildungsschulen und noch einmal so viele in einjährigen Berufsfachschulausbildungen.
Der Berufsbildungsbericht stellt weiter fest: die Ausbildungskapazität ist schließlich beeinflußbar, Angebot und Nachfrage müssen erst einmal nach dem Motto definiert werden: Das ist genau der richtige Ausbildungsplatz für deinen falschen Berufswunsch. Wer von Kiel nicht in eine Lehre nach München will, ist nicht ausbildungswillig, wer nach dreijähriger Suche im technischen Bereich immer noch nicht Bäcker werden will, ist nicht ausbildungsfähig. So bleibt Ausbildungsnot ein Problem von Jugendlichen, die eigentlich nicht können oder wollen.
Ein deutliches Wort ist auch zum Problem Ausbildung über den Bedarf hinaus angebracht. Tatsache ist, daß z. B. 33 % der Arzthelferinnen nach ihrer Ausbildung nicht mehr in ihrem Beruf tätig sind. Die Ausbildung über den Bedarf hinaus geschieht wohl nicht aus Verantwortung um die Jugend, sondern garantiert billige Arbeitskräfte für die Betriebe. Dazu haben auch die im Berufsbildungsbericht genannten berühmten sogenannten marktkonformen Mittel der Bundesregierung beigetragen. Die Rede ist von ausbildungshemmenden Vorschriften, die abzubauen sind, um die Jugendlichen wieder der Verantwortung des freien Marktes und des un-gebremsten Wettbewerbes zu überlassen. Der Abbau von Jugendarbeitsschutzregelungen soll die Verwertbarkeit der Auszubildenden an die Verwertbarkeit von Erwachsenen angleichen, um sie so für den Einsatz im Betrieb attraktiver zu machen.
Um die Chancen vieler junger Frauen zu verbessern, hat die Bundesregierung mit der Änderung des Arbeitszeitgesetzes Arbeits- und Ruhezeiten flexibler gestaltet, flexibler für den betrieblichen Produktionseinsatz.
Auch für die jugendlichen Behinderten wurde der freie Markt der unternehmerischen Willkür geöffnet. Im neuen Schwerbehindertengesetz sollen sie wie zwei behinderte Erwachsene gelten, so daß 300 DM Ausgleichsabgabe für die Unternehmen eingespart werden können.
So ist es für viele ausbildende Betriebe heute kostengünstiger, regelmäßig Lehrlinge zu beschäftigen, die nach kurzer Einarbeitungszeit - sogenannter Ausbildung - ebenso viel leisten dürfen wie Erwachsene, aber mit Abschluß der Lehre der nächsten Lehrlingsgeneration wieder Platz machen müssen. So wird Arbeitskraft zum zynisch kalkulierten Produktionsfaktor Arbeit.
Der vorliegende Antrag der SPD entspricht genau der Versorgermentalität der Bundesregierung. Für die, die nichts gefunden haben, soll es demnach vollzeitschulische Maßnahmen geben, das Benachteiligtenprogramm soll gesichert werden, eine Berufsausbildungsabgabe das verbleibende Defizit abdecken. Für junge Frauen bietet die SPD Modellprojekte und neue Technologien. Ungeachtet der neuesten Ergebnisse der Jugendforschung und den dort formulierten grundsätzlich veränderten Bedürfnissen nach selbstbestimmten Arbeits- und Lebensbedingungen soll nach Meinung der SPD alles
beim alten bleiben, es soll nur in neuester Reformideologie modernisiert werden.
({0})
- So ist die SPD, ganz genau.
Jeder weiß: Gerade neue Technologien werden die Arbeitsplätze von Frauen im Dienstleistungsbereich besonders gefährden.
Durch unseren Entschließungsantrag wird erreicht, daß Ausbildungen in ökologisch und sozial zukunftsweisenden Berufen gefördert werden.
({1})
Eine Quotierung von Ausbildungsplätzen soll über eine gestaffelte Auszahlung von Finanzierungshilfen an öffentliche und private Unternehmen dem langfristigen Ziel einer paritätischen Besetzung dienen, das heißt, es sollen mehr Ausbildungsplätze für junge Frauen bereitgestellt werden.
Um jugendliche Behinderte in die Erwerbsarbeit zu integrieren, aber auch um den notwendigen Prozeß der Humanisierung von Arbeitsbedingungen endlich einzuleiten, sollen Behinderte ebenfalls über eine entsprechende Finanzierung aus dem Abgabenfonds der Berufsausbildungsabgabe gefördert werden.
Die bisherige Form der Beschützenden Werkstätten muß in ihrer Produktion auf selbstverwaltete Arbeits- und Ausbildungsformen mit Mehrfachqualifikation umgestellt werden.
({2})
Eine einheitliche Finanzierung der Ausbildung über die Berufsausbildungsabgabe kann zudem die Kosten, die heute zu 70 % vom Handwerk getragen werden, auf alle öffentlichen und privaten Unternehmen gleichmäßig verteilen.
70% des Benachteiligtenprogramms sollen für die qualifizierte Ausbildung von jungen Frauen in ökologisch und sozial sinnvollen Berufen reserviert werden. Sofort notwendig ist aber die Verkürzung der Antragsfristen für die Bewilligung von Maßnahmen innerhalb des Benachteiligtenprogramms. Die heutige Praxis zwingt vielen jungen Menschen eine lange Zeit der beruflichen Ungewißheit und einen verspäteten Ausbildungsbeginn auf.
Eine zukunftsorientierte Bildungspolitik, die auch eine Gestaltungsmöglichkeit für alle Beteiligten eröffnet, kommt um eine sofortige Meldepflicht von Ausbildungsplätzen nicht herum.
Wer gegen die Jugendarbeitslosigkeit wirklich etwas unternehmen will und wer eine qualifizierte Berufsausbildung vorantreiben möchte, der muß sich unseren Forderungen anschließen.
({3})
Das Wort hat der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, Frau Dr. Wilms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einmal sagen, daß in diesem Jahr zum drittenmal ein neuer Lehrstellenrekord erzielt wird.
({0})
In drei Jahren ist es gelungen, den Bestand an Ausbildungsverhältnissen in der Wirtschaft insgesamt um 150 000 Plätze zu erhöhen. Das bedeutet: 150 000 junge Menschen zusätzlich haben eine Ausbildungschance und damit eine solide Grundlage für ihre berufliche Perspektive erhalten.
({1})
Große und kleine Betriebe haben zu diesem Erfolg beigetragen. Ich möchte dafür an dieser Stelle Dank sagen.
({2})
Ich weiß auch nicht, warum der Kollege Weisskirchen die kleinen Betriebe und ihre Ausbildungsleistung hier in ein fahles Licht stellt. Ich finde, wir haben besonders den kleineren und mittleren Betrieben zu danken,
({3})
daß sie eine hervorragende Leistung erbringen.
({4})
Meine Damen und Herren, die Wertschätzung einer beruflichen Ausbildung -
Frau Bundesminister, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Bitte schön.
Frau Minister, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß Herr Weisskirchen nämlich genau das Gegenteil gesagt und den kleinen Betrieben für ihre Ausbildungsleistung gedankt hat.
({0})
Die Wertschätzung einer beruflichen Ausbildung bei Jugendlichen und Ihren Eltern - ({0})
- Herr Kollege Vogelsang, wenn Sie eine Antwort erwarten: Die Aussage des Kollegen Weisskirchen war, um es dezent zu sagen, zumindest mißverständlich.
({1})
Die Wertschätzung einer beruflichen Ausbildung bei Jugendlichen und ihren Eltern - und dies, glaube ich, muß auch einmal erwähnt werden - ist enorm gestiegen. Nach neuesten Untersuchungen
beurteilen Jugendliche die betriebliche Ausbildung zu 61 % als gut und sehr gut, und 63 % der Abiturienten sind der Auffassung, daß es im Bereich der beruflichen Bildung attraktive Ausbildungsmöglichkeiten gibt.
Ich denke, daß diese positive Bewertung eine Folge der klaren Zielvorgaben und Rahmenbedingungen ist, die die Bundesregierung für die berufliche Bildung gesetzt hat. Wir haben der beruflichen Bildung nach vielen Jahren der Schmähungen wieder den Stellenwert gegeben, der ihr zukommt.
({2})
Betriebe haben sich ihrer Verantwortung, über den eigenen Bedarf hinaus auszubilden, in eindrucksvoller Weise gestellt. Ich denke, man kann sagen, daß sich Bildungs- und Beschäftigungssystem wieder aufeinander zubewegen, nachdem sie sich viele Jahre voneinander wegbewegt haben, und dies - das sage ich mit Stolz - ist eine Wende in der Bildungspolitik
({3})
gegenüber den bildungspolitischen Zielvorstellungen der SPD-geführten Bundesregierungen der 70er Jahre.
({4})
Frau Bundesminister, Herr Abg. Reimann möchte gern eine Zwischenfrage stellen.
Bitte schön.
Bitte sehr.
Frau Ministerin, haben Sie mittlerweile vielleicht Erkenntnisse in Ihrem Ministerium darüber gesammelt, wie viele der Jugendlichen, die vor drei Jahren in die berühmte qualifizierte Ausbildung gegangen sind, inzwischen ohne Arbeitsplatz sind?
Herr Kollege, wenn Sie erlauben, werde ich im Verlauf meiner Ausführungen dazu Stellung nehmen.
({0})
Frau Minister, ich bitte Sie, fortzufahren.
({0})
Meine Damen und Herren, mit einer Nachfrage nach Ausbildungsplätzen von rund 770 000 in diesem Jahr ist - so vermuten alle Fachleute - der Höhepunkt des Bedarfs an Ausbildungsplätzen erreicht. Die Zahl der Schulabgänger sinkt, und die Lage auf dem Arbeitsmarkt bessert sich. Beides wird in den nächsten Jahren zu einem Rückgang der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen führen. Gerade vor diesem Hintergrund wird die Vermittlung der zum 30. September noch nicht in ein Bildungsangebot vermittelten Jugendlichen so wie auch in den Vorjahren gelingen. Ich möchte noch einmal sagen, daß die 58 000 zum 30. September des Vorjahres noch nicht vermittelten Jugendlichen bis auf 4 000 in Ausbildungsstellen und Bildungsmaßnahmen untergekommen sind.
({0})
Herr Kollege Weisskirchen, Sie sagten soeben, zu Zeiten der SPD-Regierung sei immer ein Überhang an Ausbildungsplätzen vorhanden gewesen. Das muß ich korrigieren.
({1})
In den Jahren 1976 bis 1978 war bei einem insgesamt niedrigeren Niveau auch ein starker Überhang an nachfragenden Jugendlichen vorhanden. Also, wenn Sie Statistiken lesen, tun Sie es bitte vollständig.
({2})
Ich darf feststellen, meine Damen und Herren, daß sich die Lage auf dem Ausbildungsmarkt nach vielen Jahren des Auseinanderfahrens von Angebot und Nachfrage insoweit zu stabilisieren beginnt, daß sich nunmehr Angebot und Nachfrage wieder stärker aufeinander zubewegen. Insoweit besteht überhaupt kein Anlaß, unsere bisher sehr erfolgreiche Strategie der Berufsbildungspolitik ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt und in diesem Jahr zu ändern. Wenn ich mir einen Vorschlag erlauben darf, meine verehrten Kollegen der sozialdemokratischen Fraktion: Ich finde, die Verunsicherung der Betriebe durch ständige Forderungen nach Einführung eines Umlageverfahrens sollte jetzt ein Ende haben.
({3})
Ich wundere mich darüber, daß bei Ihnen immer noch die doch irrige und von den Fachleuten auch widerlegte Ansicht vorherrscht, man könne mit Umlagefinanzierungen das Angebot an Lehrstellen steigern. Haben Sie eigentlich nicht die Sorge, daß bei einer Umlageerhebung im Gegenteil das Ausbildungsinteresse der Betriebe sinken könnte, weil man sich dann zur Not auch freikaufen könnte? Wichtig scheint mir weiterhin auch noch zu sein, daß die Betriebe selber ein solches Umlageverfahren nicht wünschen und es somit nur gegen die Wünsche auch der ausbildenden Wirtschaft mit allen negativen Konsequenzen eingeführt werden könnte.
Meine Damen und Herren, wir wissen, daß auch in diesem Jahr noch vielfältige Probleme bestehen. Insbesondere möchte ich in diesem Zusammenhang
noch einmal auf die erheblichen regionalen Unterschiede im Ausbildungsangebot hinweisen.
(Weisskirchen [Wiesloch] ({4})
Vor allem in Teilen Niedersachsens und in Nordrhein-Westfalen ist ein erhebliches Ausbildungsplatzdefizit festzustellen. Hier sind eben auch die Landesregierungen zu Hilfeleistungen gefordert.
({5})
Ich begrüße es daher sehr, daß das Land Niedersachsen ein Sonderprogramm für einige Tausend Jugendliche plant und auflegt.
({6})
Ich hoffe sehr, daß auch das Land Nordrhein-Westfalen trotz seiner - wie wir ja durch das Schreiben des Finanzministers Posser wissen - sehr desolaten Finanzsituation seine Ausbildungshilfen noch weiter steigert, denn dies ist notwendig, um den Jugendlichen in NRW eine Bildungschance zu geben. Ich möchte nämlich darauf hinweisen, daß von den 20 Arbeitsamtsbezirken mit besonderen Problemen allein 9 in Nordrhein-Westfalen liegen.
({7})
Der Bund ist - ich darf das auch noch einmal sagen - nicht untätig. Ich gehe heute davon aus, daß das Parlament den bereits von der Bundesregierung erhöhten Etatansatz 1986 für das Benachteiligtenprogramm von 275 Millionen DM noch einmal erheblich erhöht, wie es gestern der Haushaltsausschuß beschlossen hat,
({8})
und daß damit einigen Tausend Jugendlichen geholfen werden kann. Ich darf mich schon an dieser Stelle bei den Kollegen der Koalitionsfraktionen, aber auch bei den Kollegen von den Sozialdemokraten dafür bedanken, daß gestern eine solche Entwicklung möglich war.
Frau Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Weisskirchen?
Bitte schön!
Frau Minister, sehen Sie nicht den entscheidenden Punkt bei der Lösung der Quantitäts- und Qualitätsprobleme in der beruflichen Bildung darin, daß man entweder auf der einen Seite immer mehr Steuermittel bzw. Haushaltsmittel einsetzen muß oder daß auf der anderen Seite diejenigen, die die Verantwortung für die Bereitstellung der Ausbildungsplätze tragen müssen, nämlich die Wirtschaft, stärker herangezogen werden müssen?
Herr Kollege Weisskirchen, ich glaube, es steht doch außer Zweifel, daß die Wirtschaft in den letzten Jahren wirklich enorme, ungeheure
Leistungen vollbracht hat. Wir wissen, daß die Betriebe des Auslandes voller Staunen und zum Teil auch voller Unverständnis auf die deutsche Situation schauen, weil sie sich fragen: Wie ist es möglich, daß in Deutschland die Wirtschaft ohne staatliche Zuschüsse in diesem Maße ausbildet?
({0})
Unsere Hilfen - und die sind doch, glaube ich, eine originär staatliche Aufgabe -, die Hilfen des Bundes und auch die Programme der Länder, zielen ja insbesondere auf solche Jugendliche, die sich - aus den Gründen, die wir alle miteinander kennen - besonders schwertun, noch eine Ausbildungsstelle zu bekommen.
Ich möchte auch noch ein Wort zu den Mädchen sagen. Meine Damen und Herren, bei der Mädchenausbildung halte ich es für den entscheidenden Punkt, daß es uns gelingt, die Berufspalette für Mädchen zu erweitern. Es ist nicht allein mit einer Erhöhung der finanziellen Hilfe durch Sonderprogramme für Mädchen getan, so notwendig das auch sein mag, sondern entscheidend ist, daß sich sowohl bei den Mädchen selbst, bei den Eltern und bei den Lehrern in den Schulen als auch in den Betrieben die Ansichten über Berufsmöglichkeiten für Mädchen verbessern. Dies scheint mir der entscheidende Punkt zu sein. Im Rahmen der Modellversuche des Ministeriums wollen wir hierzu unseren Beitrag leisten.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt in aller Kürze erwähnen, um hier auch der Anfrage des Kollegen gerecht werden zu können. Meine Damen und Herren, wir alle waren uns darüber einig - und ich hoffe, daß dieser Konsens noch besteht -, daß wir über Bedarf ausbilden. Über Bedarf ausbilden heißt, daß mit der Ausbildung keine Beschäftigungsgarantie verbunden ist. Worauf es jetzt ankommt, ist, daß wir im Sinne der jungen Menschen zusätzliche neue Arbeitsplätze bekommen. Die über 200 000 neuen Arbeitsplätze, die in den letzten anderthalb Jahren geschaffen worden sind, sind ein Stück Zukunftschance für die junge Generation. Es kommt darauf an, daß wir durch unkonventionelle Maßnahmen auf dem Arbeitsmarkt wie Teilzeitarbeit mit Qualifizierung, mit befristeten Arbeitsverträgen oder auch mit gezielten Betriebspraktika für Berufsanfänger, auch für Hochschulabsolventen, Übergangshilfen bieten,
({1})
damit junge Menschen zusätzlich zu ihren theoretischen, zu ihren Ausbildungskenntnissen praktische Erfahrungen sammeln können, damit ihnen der Weg in den Beruf erleichtert wird. Ich hoffe und gehe davon aus, daß die Qualifizierungsoffensive der Bundesregierung hierzu einen erheblichen Beitrag wird leisten können, daß wir das Problem der zweiten Schwelle für diese jungen Leute gerade mit dem Beschäftigungsförderungsprogramm, mit den zusätzlichen Mitteln aus dem Arbeitsförderungsprogramm und mit neuen Bildungsmaßnahmen ein Stück werden lösen können.
Bundesminister Frau Dr. Wilms Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Vogelsang.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Dr. Wilms, ich bin eigentlich heute abend an das Rednerpult getreten, um den ernsthaften Versuch zu machen, einen Bereich von Gemeinsamkeiten zu entdecken, auf Grund deren wir im nächsten Jahr eine bessere Berufsbildungsbilanz als in den letzten drei Jahren bekommen könnten. Nur, Frau Dr. Wilms: Ihre Rede macht einem das Vorhaben in eine sachliche Aussprache einzutreten unheimlich schwer. Was soll denn eigentlich die Behauptung von den „Schmähungen der beruflichen Bildung"? Wer hat diese denn vorgenommen? Sie bauen hier einen Pappkameraden auf, nur um ein Argument zu haben.
({0})
Was bedeutet denn hier die Wende? Sie haben das Benachteiligtenprogramm, das die Sozialliberalen eingeführt haben, fortgeführt. Ich sage: richtig so. Sie waren froh, daß es dieses Jahr noch einmal erheblich aufgestockt wurde.
Sie schaffen weiter überbetriebliche Ausbildungsstellen. Wir sagen: richtig so. Wir haben damit begonnen.
({1})
Sie führen das Berufsbildungsinstitut weiter fort, weil es die Institution ist, die die Tarifvertragsparteien, die Länder, die Berufsschulen und ({2})
- Augenblick, dazu komme ich noch, Herr Rossmanith; das ist ja geradezu eine Revolution, die Sie hier ausgerufen haben - auch den Bund an einen Tisch bringt.
Nun zu Ihnen, Herr Rossmanith. Es kann doch wohl nicht ernsthaft sein, daß Sie gerade in dieser Woche, da die Gewerkschaften eine Aktionswoche durchführen, sagen: Jetzt können wir in der beruflichen Bildung auf den Sachverstand der Arbeitgeber und der Gewerkschaften verzichten. Ich würde gern von der CDU hören, ob das ihre Meinung und die Meinung der Bundesregierung ist. Dazu müßten Sie sich irgendwann einmal äußern. Ich meine damit nicht Sie persönlich - Ihre Meinung kenne ich ja; die haben Sie vorgetragen -, sondern die CDU und die FDP müssen sich einmal dazu äußern.
({3})
Herr Abgeordneter Vogelsang, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rossmanith?
Bitte.
Herr Vogelsang, darf ich Sie bitten, darzulegen, wie Sie zu der Behauptung kommen, ich möchte die beiden Tarifpartner bei der Gestaltung der Ausbildungsordnungen ausschließen?
Aber Sie haben doch gerade, wenn ich richtig hingehört habe, einen Zwischenruf gemacht, als ich vom Berufsbildungsinstitut und von dem gemeinsamen Tisch sprach. Ihr Zwischenruf war, als ich bei den Tarifpartnern war: Aber nicht mehr lange! Wie darf ich das dann verstehen? Herr Rossmanith, in Zukunft werden Sie Ihre eigenen Zwischenrufe kommentieren müssen.
({0})
Fahren Sie bitte fort, Herr Abgeordneter.
Danke, Herr Präsident.
Frau Minister Wilms, wenn Sie meinen, das Trennende müßte hervorgehoben werden, möchte ich Ihnen einen Hinweis geben.
({0})
Sie haben die Erblast nicht erwähnt. Werfen Sie uns doch einfach vor, daß wir Ihnen die geburtenstarken Jahrgänge überlassen haben. Das wäre doch ein Erblastargument. Das wäre etwas Neues. Das hat bisher noch keiner gebracht.
({1})
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in einer Situation, in der nicht nur die Zahl der Ausbildungsplätze, sondern auch die Zahl der Unversorgten zunimmt. Ich sage Ihnen: Nichts spricht dafür, daß wir im nächsten Jahr günstiger dran sind. Es mag ja Schätzungen geben, etwa in der Form, daß man sagt: Auf Grund des Rückgangs der Zahl der Schüler wird die Nachfrage geringer. Wir erleben, daß die Zahl der Schüler zwar zurückgeht - so z. B. in diesem Jahr -, daß aber die Nachfrage trotzdem zunimmt. Das ist auch leicht zu erklären. 30% der Jugendlichen, die in diesem Jahr einen Ausbildungsplatz haben wollten, haben die Schule bereits früher als 1985 verlassen. Wir haben also ein großes Potential von jungen Leuten, die zwar bereits aus den Schulen entlassen wurden, die aber in den jeweiligen Schulentlaßjahren keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Deshalb sind wir zum Handeln aufgerufen.
({2})
Wir können uns nicht damit trösten, daß wir sagen: Die zurückgehende Zahl der Schüler wird uns aller Sorgen entheben. Wenn wir nicht handeln, dann müssen wir uns darauf einrichten, daß ähnliche Situationen - -({3})
- Wenn von der Regierungsbank auch keine Zwischenrufe gemacht werden dürfen, so will ich Ihren
Zuruf trotzdem aufnehmen; meine Altersschwerhörigkeit ist noch nicht so weit, Frau Minister. - Ich korrigiere mich: Wenn wir nicht mehr tun, dann werden wir auch in den nächsten zwei, drei Jahren Situationen erleben, die denen der letzten drei Jahre ähnlich sind.
Wir haben Ihnen mit unserem Sofortprogramm ein Angebot gemacht. In bezug auf Ziffer 1 gibt es Meinungsübereinstimmung. In bezug auf Ziffer 2 gibt es auch Meinungsübereinstimmung. Wenn ich richtig sehe, herrscht in bezug auf Ziffer 3 ebenfalls Meinungsübereinstimmung. In bezug auf Ziffer 4 ist das offensichtlich auch der Fall - ich finde, die Aufzählung ist ganz nützlich, denn einige lesen jetzt einmal nach, was im Sofortprogramm drinsteht -,
({4})
weil Sie ja selber mit Recht darauf hinweisen können, daß die Zahl der Ausbildungsplätze im Verantwortungsbereich des Bundes gestiegen ist.
Nun komme ich zu Ziffer 5. Es ist falsch zu sagen: Die Wirtschaft bildet aus.
({5})
Ich freue mich ja, daß der CDU-Antrag wenigstens in einem Punkte meine Zustimmung findet, nämlich dort, wo in ihm von der „ausbildenden" Wirtschaft die Rede ist.
({6})
Frau Minister, niemand will die Wirtschaft verunsichern. Das will niemand, auch wir nicht. Das ist eine Unterstellung.
({7})
- Das ist nicht wahr. Sie behaupten hier in Abwehrhaltung etwas, ohne zu differenzieren. Sie können es doch; bitte tun Sie es doch einmal.
({8})
- Wir sind ja immerhin zusammen im Ausschuß für Bildung und Wissenschaft.
Ich denke, es sollte doch unser gemeinsames Bestreben sein, uns an die Betriebe zu wenden, die eben nicht ausbilden, an denen unsere Appelle, an denen Ihre Appelle, an denen die Appelle anderer Leute bisher abgetropft sind wie das Wasser an der Ente.
({9})
Das sind feste Blöcke. Es ist ja nicht so, daß es ein Hin und Her zwischen ausbildenden Betrieben und nicht ausbildenden Betrieben gäbe. Wenn wir uns auf genau diese Zielrichtung verständigen könnten, dann, meine ich, könnten wir für den Herbst nächsten Jahres mehr bewegen, als wir das bis jetzt tun können. Das habe ich gemeint, als ich soeben davon sprach, wir müßten mehr tun.
Denjenigen, der meint, das habe keine Bedeutung, den will ich mit Zahlen langweilen. Wenn nur 25% der nicht ausbildenden Betriebe je einen Auszubildenden einstellen würden, dann wären das zusätzlich 100 000 Ausbildungsplätze.
({10})
So groß ist nämlich die Zahl derer, die nicht ausbilden.
Wenn wir wenigstens in dieser Zielrichtung einig sind, dürfen wir durchaus in einen edlen Wettstreit der Lösungsvorschläge eintreten. Wenn Sie uns dann bessere Lösungsvorschläge machen, als wir sie haben, sind wir gern bereit, sie zu übernehmen.
Zum Abschluß darf ich dazu noch eine persönliche Meinung äußern. Frau Minister Wilms, es hat keinen Sinn, auf diesem Feld in Abwehrhaltung gegen die Auffassung, es werde zuwenig getan, die Ausbildungsrekorde immer wie einen Schild, wie ein Banner vor sich herzutragen.
({11})
- Ich räume ein: Das macht sich gut. Sie müssen aber auch diejenigen sehen, die keine Ausbildungsplätze bekommen; denn das sind in den letzten drei Jahren, Gott sei es geklagt, immer mehr geworden.
Der Bundeskanzler hat gestern bezüglich der Ausbildung und der Lehrstellen gesagt
({12})
- das würde ich nicht sagen; aber was sollten Sie anderes dazwischenrufen. Herr Daweke, das sehe ich ein; das fördert die Karriere -, daß es die jungen Menschen, die eine Ausbildung bekommen, eine persönliche berufliche Perspektive haben, daß sich durch diejenigen, die eine Ausbildung bekommen, die Wettbewerbsfähigkeit erhöht, daß diejenigen, die eine Ausbildung bekommen, außerdem auch persönlich auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähiger sind. Das heißt aber doch im Umkehrschluß: All diejenigen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen, haben keine Perspektive; sie fördern die Wettbewerbsfähigkeit nicht, und sie haben auch selber wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Ich meine, das sollte auch Grundlage für unser zukünftiges politisches Handeln sein.
({13})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schemken.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist schon ein erstaunlicher Vorgang, lieber Herr Weisskirchen, wie Sie es verstehen, aus einer Hunderttausendermarke eine Negativbilanz zu machen.
({0})
Genau das Gegenteil ist richtig. Ihr Niveau der 70er Jahre lag, was das Angebot bei der Ausbildungsplatzsituation angeht, höchstens bei knapp über 600 000. Heute dagegen sind es über 700 000.
({1})
Jetzt frage ich Sie: Sind das mehr oder weniger Ausbildungsstellen?
({2})
Wenn man dies noch mit der Bemerkung „Verweigerung" versieht, Herr Vogelsang, dann wird das natürlich recht brisant, weil man damit denjenigen trifft, der im Grunde genommen etwas Positives für den Jugendlichen erreichen wollte. Das ist nicht gut. Aber es entspricht der von der SPD hier im Plenum zu dieser Frage wiederholt vorgetragenen Negativdarstellung.
({3})
Nun bietet sich der Berufsausbildungsbericht für die Opposition als Anlaß zu Negativschlagzeilen an. Die Negativschlagzeilen sollten dazu dienen, überhaupt Schlagzeilen zu erreichen. Der Berufsausbildungsbericht bietet sich aber vor allem dazu an, über die Perspektiven der Zukunft nachzudenken.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Herr Kollege Schemken, wenn Sie auf den Begriff der Verweigerer kommen, dann ist das, was Sie hier sagen, völlig falsch. Das können Sie im Protokoll des Deutschen Bundestages nachlesen. Sind Sie mit mir nicht der Meinung, daß ich genau dort ausgeführt habe, daß ich diejenigen meine, die bisher nicht ausgebildet haben? Nur die, und niemand anderes habe ich gemeint.
({0})
In dem Streicheln und der Anerkennung derjenigen, die ausbilden, sind wir uns durchaus einig.
Herr Vogelsang, ich bin mit Ihnen einer Meinung. Aber ich hatte das mit Bezug auf Herrn Weisskirchen gesagt. Er hatte in diesem Zusammenhang von Verweigerung gesprochen. Er hat die Hunderttausendermarke genannt. Also kann ich die Verweigerung nur auf diese Minusmarke beziehen. Aber es war eine Positivmarke. Insofern kann sie nicht als Verweigerung bewertet werden.
({0})
Meine Damen und Herren, es sticht doch ins Auge - das war gestern auch in den Berichten des Rundfunks nicht zweifelhaft -, daß mehr und mehr festzustellen ist, daß wir Facharbeiter mit Qualifikation in der Wirtschaft benötigen. Dies gilt für die Metallverarbeitung, dies gilt für Maschinenbau, für Elektrotechnik und Elektronik.
({1})
Das heißt, daß es wichtig ist, dort auszubilden. Herr Vogelsang, vielleicht ist es richtig - Sie sagen mehr bewegen -, dort auszubilden, wo auch die Hoffnung dieser Jugendlichen nach der Ausbildung erfüllt werden kann. Wenn wir mehr bewegen sollen - Sie haben von mehr Bewegung gesprochen -, dann muß es auch in die richtige Richtung gehen.
({2})
Ich wage hier einmal zu fragen: Wie sähe es im Jahre 1988 ff. aus - da gibt es keinen Zweifel -, wenn wir ein ähnlich hohes Angebot an Ausbildungsplätzen hätten und in der Tat 100 000 Bewerbungen weniger da wären, und es blieben noch 30 000 über, die nicht vermittelt würden?
({3})
Ich wage einmal, diese Marke zu nennen, um an die Wurzel des Geschehens heranzukommen. Man muß zum Berufsbildungsbericht auch fragen, was in dieser Stunde eigentlich gefragt ist. Wir sollten einmal über den Tellerrand hinausschauen. Dann stellt sich die qualitative Frage: Was ist zu tun, damit dann nicht eine solche Negativmarke übrig bleibt? Es handelt sich ja um Einzelschicksale. Ich meine, hier müssen wir an die Frage unseres Bildungssystems heran.
Das beginnt bei den Schulen, meine Damen und Herren. Wenn ich den Benachteiligten, den Sonderschülern, auch den Behinderten, wenn ich den jugendlichen ausländischen Mitbürgern helfen will, dann muß ich sie beruflich qualifizieren; denn ohne berufliche Qualifikation wird in Zukunft keiner einen langfristig sicheren Arbeitsplatz erhalten und behalten können. Das ist entscheidend.
({4})
Hier muß ich sagen: Das ist der Appell, an die Pädagogen, an unsere Schulen, an die Bildungssysteme auch der einzelnen Länder gerichtet, und diesen sollten Sie auch an den zukünftigen Kanzlerkandidaten Rau richten; denn in Nordrhein-Westfalen haben wir das große Gefälle, da zu diesem Zeitpunkt ein Drittel der nicht Vermittelten in Nordrhein-Westfalen sind. Diese Aufforderung ist auch an BIBB gerichtet.
Herr Vogelsang, zur Gewerkschaft: Ich kann Ihnen hier bestätigen - dies sage ich in einer Woche, wo der Gewerkschaftsbund protestiert -, daß die Betriebsräte vor Ort in hervorragender Weise mitgewirkt haben, wenn es um die Schaffung von mehr Ausbildungsplätzen ging.
({5})
Genauso haben die Handwerker, der Handel, die Wirtschaft, die freien Berufe und wer auch immer mitgewirkt. Das muß ich hier einmal ausdrücklich sagen. Mein Lob auch diesen Menschen auf der Ebene der Betriebsräte, die hier dem Vorbild des Handwerks geradezu gefolgt sind
({6})
- ich sage das mal ganz bewußt -, die das in den Betrieben als ihr Ziel angesehen und Ausbildungsplätzen gefordert haben.
Wir sollten in dieser Stunde, wenn ich von BIBB rede - da bin ich mit meinem Freund Rossmanith natürlich einig -, gerade die Verantwortung der Tarifpartner hervorheben, daß schneller gehandelt und flexibler auf die Herausforderungen der 80er und später 90er Jahre reagiert wird. Wir begleiten die Arbeit des BIBB positiv; wir kritisieren aber die ineffiziente Art der Arbeit, und die liegt natürlich auch da, wo Wirtschaft und Gewerkschaft in der Zuarbeit nicht so reagieren. Wir wollen diesen Sachverstand einbringen, aber er muß auch pünktlich abgeliefert werden, damit wir den Jugendlichen helfen.
({7})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Ich lasse sie zu. Bitte schön, Herr Kuhlwein.
Herr Kollege Schemken, würden Sie sich bitte beim Bundeswirtschaftsminister dafür verwenden, daß das Antragsverfahren über die Neuausbildung der industriellen Metallberufe, wo sich die Tarifparteien bereits geeinigt haben, auch von der Seite beschleunigt wird?
({0})
Ja. Da bin ich mit Ihnen einer Meinung. Wir sollten mitwirken; dazu sind wir in der Politik aufgefordert. Wenn es darum geht, Jugendlichen in ihren schwierigen Lagen und existentiellen Fragen zu helfen - ich möchte jetzt nicht dazu kommen, daß wir das Problem des von der Qualifikation her unterschiedlichen Eingangs des einzelnen Jugendlichen überhaupt nur über Stufenausbildung lösen können -, bin ich mit Ihnen einer Meinung, daß wir nicht schnell und nicht prompt genug arbeiten können. - Schönen Dank.
Ich komme dann weiter zu dem von Ihnen immer wieder angebotenen Rezept einer Abgabe. Was kommt dabei heraus? Selbst wenn das System gerecht wäre, würde 1 DM abgeliefert und 20 Pfennige kämen zurück, weil die Verwaltung eines solchen Apparates das Geld, das unmittelbar im Betrieb bleiben könnte - das wäre wichtig -, aufzehrt. Deshalb sage ich Ihnen: Geraten Sie doch nicht in die Schleifspuren Ihrer Irrwegpolitik der 70er Jahre.
Ich bin der Meinung, wir sollten miteinander, nach vorne gerichtet die existentielle und qualitative Problematik der Berufsausbildung in den nächsten zehn Jahren sehen. Das ist ein Zeitraum, den wir übersehen können. Für diesen Zeitraum können wir realistischerweise auch die Forderungen an die Wirtschaft stellen.
Wir sollten uns gerade bei dieser Ministerin, bei Frau Dr. Wilms bedanken, die durch ihre Appelle nun schon zum drittenmal dafür gesorgt hat, daß 100 000 Ausbildungsplätze für solche Jugendlichen bereitgestellt werden, die auf die Lösung ihres Problems warten. Das sind jeweils Einzelschicksale.
Helfen wir jedem einzelnen weiter. Dann brauchen wir nicht mit großen Statistiken aufzuwarten.
Schönen Dank.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Odendahl.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Gestern hatte in der Tat die Jugend in diesem Hohen Hause das Wort. Sind sich eigentlich die Vertreterinnen und Vertreter der Jugend bewußt geworden, daß sie seit Jahren von dieser Bundesregierung, und zwar in allen Berufsbildungsberichten - 1983, 1984 und 1985 -, als demographisches Problem behandelt und abgehandelt werden?
({0})
Unter der Überschrift „Babybooms Folgen" war gestern in der „Süddeutschen Zeitung" zu lesen - Sie sollten wirklich zuhören -:
Es grenzt ans Unerträgliche, mit welcher Menschenverachtung Hunderttausende als unerwünschte Massen, Berge, Fluten oder Schwemmen - geradezu als Naturgewalten - anonymisiert und als Bedrohung dargestellt werden, obwohl sie jede und jeder für sich einen Anspruch auf Lösung ihres Problems, d. h. auf eine Entfaltung im Beruf haben.
Seit drei Jahren verwechselt die Bundesregierung in ihrer auf Quantität eingeengten Sichtweite auf unverantwortliche Weise Statistiken und Prozente mit Menschen.
({1})
Sie redet, als ginge es darum, einen großen Kuchen, der nur einmal da ist, aufzuteilen. Zwar bleiben da eben immer ein paar Prozentstückchen übrig - und die Stückchen werden auch immer größer -, aber die lassen sich ja bis zum nächsten Jahr einfrieren. Vielleicht findet sich dann irgendein Abnehmer.
Konkret heißt das in diesem Jahr: 99 000 Jugendliche haben noch keinen Ausbildungsplatz gefunden. Auf der Angebotsseite stehen dem nur 22 100 unbesetzte Ausbildungsplätze gegenüber, so daß die positiven Tendenzen, die die Bundesregierung seit der geplatzten Lehrstellengarantie des Bundeskanzlers Jahr für Jahr beschwört, nur noch als systematische Schönfärberei bezeichnet werden können.
({2})
Frau Abgeordnete, entschuldigen Sie, daß ich Sie unterbreche. Aber ich möchte das Haus eindringlich bitten, die notwendige Ruhe für die Rednerin herzustellen. Die Kollegen, die sich unbedingt unterhalten wollen, mögen das bitte in der Lobby tun.
Dabei wird die Wortwahl in der Diskussion der Ausbildungsplatzsituation immer bedrückender. Lassen Sie mich ein paar solcher Negativbezeichnungen aufführen. Diese Jugendlichen - oder das oft so genannte demographische Problem - werden dann säuberlich aufgeteilt in Schülerberge, Benachteiligte, Altbewerber, Parker in Warteschleifen, Problemgruppen wie Mädchen, Ausländer usw. usw. Als positive Aspekte fallen Ihnen dann Begriffe ein wie Lehrstellenrekord, erfolgreiche Ausbildungsbilanz, Ausbildungsmarkt und Lehrstellenbörse.
({0})
Ich habe Ihnen schon einmal zu erklären versucht, daß eine Bilanz nur als positiv gewertet werden kann, wenn die Aktiva überwiegen.
({1})
Und ein Ausbildungsmarkt kann nur dann als zufriedenstellend bezeichnet werden, wenn die meisten Bewerber wenigstens eine gewisse Auswahl unter mehreren Ausbildungsplätzen haben.
({2})
Solange sie irgendeinen Ausbildungsplatz nehmen müssen, nur um überhaupt unterzukommen, kann doch von „Markt" überhaupt keine Rede sein.
({3})
Ich will Ihnen an Hand der Praxis einmal aufzeigen, wohin Ihre Klimmzüge zur Verschönerung der Ausbildungsstatistik führen. Tatsache ist, daß die meisten mit der zweiten und dritten Möglichkeit vorlieb nehmen - und das oft in einem Betrieb, der nicht gewollt ist, und in einen Beruf, der wenig Zukunftschancen bietet.
Mit Ihrer Politik, die einseitig auf das Problem der Quantität fixiert bleibt, obwohl Sie es eigentlich längst besser wissen, sind Sie für einen weiteren Negativbegriff verantwortlich: den der mangelnden Qualifikation bzw. Fehlqualifikation. 1984 wurden 81 000 Jugendliche direkt im Anschluß an ihre betriebliche Ausbildung arbeitslos. Im Jahresdurchschnitt sind es 13,5%, und die Entwicklung dieses Jahresdurchschnitts ist im Vergleich zum Vorjahr auch weiter steigend.
({4})
Meine Damen und Herren, ein bißchen mehr Ruhe, wenn ich bitten darf.
Vielen Dank, Frau Präsidentin.
Ihre Politik der pauschalen Danksagungen und Appelle anstelle eines verantwortungsvollen politischen Handelns hat dazu geführt, daß die Zahl der Ausbildungsplätze insbesondere in solchen Bereichen erhöht worden ist, wo Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten kaum vorhanden sind. Nehmen wir die unbesetzten Stellen einmal näher unter die Lupe: Hier konzentriert sich das Ausbildungsplatzangebot in Bereichen für Verkäufer und Verkäuferinnen, vor allem im Nahrungsmittelbereich, Friseure und Friseurinnen und auf Ernährungsberufe wie Bäcker, Konditor, Fleischer, Koch usw.
({0})
Die für Mädchen immer aussichtsloser werdende Situation wurde schon mehrfach angesprochen. Der Berufsbildungsbericht macht deutlich, daß die meisten von Mädchen nachgefragten Berufe zugleich diejenigen sind, deren Arbeitsmarktchancen als außerordentlich schlecht beurteilt werden müssen. 14% der nachfragenden Mädchen und jungen Frauen wollten Bürogehilfin oder Kauffrau werden, 13 % Verkäuferin, 9 % Arzthelferin und jeweils 6 % Friseurin oder Industriekauffrau. Nur hat dieses Nachfrageverhalten der Mädchen auch etwas mit dem Angebot zu tun. Das sollten Sie sich bitte vor Augen halten.
Wir von der SPD-Fraktion versuchen seit Jahren, Sie von Ihrer verhängnisvollen Statistikdeutung der Ausbildungssituation abzubringen.
({1})
Wir haben Sie durch konkrete Programme - so auch heute mit unserem Antrag - immer wieder zum Handeln aufgefordert. Wann endlich werden Sie einmal begreifen, daß die Ausbildungsprobleme von heute die Beschäftigungsprobleme von morgen sind?
({2})
Wir verkennen nicht, welche Anstrengungen viele Betriebe in den vergangenen Jahren unternommen haben, um zusätzliche gute Ausbildungsplätze zu schaffen. Dafür sprechen wir unseren Dank und unsere Anerkennung aus.
({3})
Aber wir halten Ihre pauschalen Danksagungen an die Wirtschaft, die auch die mit einbeziehen, die sich ständig weigern auszubilden, für unverantwortlich und töricht.
({4})
Sie entlassen damit die Trittbrettfahrer aus der Verantwortung und räumen den tatsächlichen Anstrengungen der gut ausbildenden Betriebe einen zu geringen Stellenwert ein.
({5})
Ich darf dazu noch ein Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" von gestern anfügen:
Eine Gesellschaft samt Wirtschaftssystem, in der solidarische Lösungsvorschläge verworfen werden ({6}), macht sich unglaubwürdig in ihren Appellen an Gemeinsinn und Bürgerengagement.
({7})
Hier ist der Kernpunkt einer gerechten Finanzierung der beruflichen Bildung angesprochen. Nicht eine Finanzierungsregelung würde die positive Entwicklung bei der Zahl der Lehrstellen gefährden. Eine Gefährdung läßt sich vielmehr durch eine ungerechte Verteilung der Ausbildungskosten und durch Ihre undifferenzierten Danksagungen, die die Totalverweigerer auch noch ermutigen, absehen.
({8})
Wir halten in der Tat eine Umlagefinanzierung für ein geeignetes Instrument, um ein auswahlfähiges Angebot an Ausbildungsplätzen zu erhöhen sowie die Qualität der Ausbildung zu verbessern.
Der Antrag der Regierungskoalition, den Sie heute zur namentlichen Abstimmung vorlegen, verschönt die Realität und bleibt jede Antwort für die in diesem Jahr leer ausgegangenen hunderttausend jungen Menschen schuldig.
({9}) Die SPD-Fraktion lehnt ihn deshalb ab.
Bei der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft, der einige von uns geteilte Ansatzpunkte enthält, werden wir uns der Stimme enthalten.
Die Fraktion der GRÜNEN legt einen Antrag vor, der auch aus unserer Sicht gute Ansätze enthält. Nur - nehmen Sie es uns nicht übel -, er ist sehr mit heißer Nadel genäht oder manchmal sogar geflickt. Wir sollten über einzelne Dinge weiter diskutieren. Für eine Gesetzesform, die wir heute unterstützen können, reicht er nicht aus.
({10})
Meine Damen und Herren, wenn es heute wieder bei der seit drei Jahren geübten Praxis der Appelle und undifferenzierten Danksagungen durch die Regierungskoalition bleibt, ergibt sich daraus das Fazit: Der Engpaß endet noch lange nicht; eigentlich beginnt er erst.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schultz ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die neueste Ausbildungsplatzbilanz und die hier geführte Diskussion lassen erkennen, daß für den Ausbildungsplatzmarkt noch keine Entwarnung gegeben werden kann. Doch fest steht, daß die Grundlinien der Berufsbildungspolitik der Bundesregierung erneut eindrucksvoll bestätigt wurden.
({0})
Schon die bis jetzt vorliegenden Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Laßt Zahlen sprechen! Vielleicht überzeugen die mehr.
({1})
Das Ausbildungsplatzangebot, das 1983 um 7 %, 1984 um 41/2% und in diesem Jahr um knapp 5% gesteigert werden konnte, beweist, daß sich die ausbildende Wirtschaft ihrer Verantwortung gegenüber der jungen Generation in hohem Maße bewußt ist.
({2})
Wir haben zum drittenmal hintereinander eine bemerkenswerte Steigerung, und das gerade in diesem Jahr auf dem Hochplateau der Lehrstellennachfrage. Sie wissen ganz genau, daß die Nachfrage nach Lehrstellen noch einmal um 5% gestiegen ist. Trotzdem werden wir mit voraussichtlich 710 000 abgeschlossenen Verträgen zum drittenmal einen Lehrstellenrekord erreichen. Meine Damen und Herren, das ist eine Spitzenleistung der deutschen Wirtschaft, des dualen Bildungssystems und ein großer Erfolg für diese Bundesregierung.
({3})
Was ist der Schlüssel zu diesem Erfolg?
({4})
Die Politik zur Stärkung des freiwilligen Engagements der Wirtschaft ist der Schlüssel zu diesem Erfolg. Meine Damen und Herren, ich bin ganz sicher: Unter dem Zwang von Berufsbildungsabgaben und Umlagefinanzierungen würde die Bereitschaft der Wirtschaft, sich derart ins Ruder zu legen wie gerade geschildert, zusammenbrechen. Die Betriebe würden sich aus ihrer Verantwortung zurückziehen; denn der Staat würde sie dann ersatzweise bevormunden. Die Neigung der Opposition zu Reglementierungen ist altbekannt. Und im Grundsatz zu immer mehr Staat zu greifen, wäre Gift für den Ausbildungsmarkt. Die Folgen hätten direkt die Ausbildungsplatzsuchenden zu tragen, deutlicher: Die jungen Menschen draußen müßten die Zeche zahlen. Deshalb gibt es keine überzeugende Alternative zur Berufsbildungspolitik der Bundesregierung.
({5})
Die bisherige Ausbildungsplatzbilanz dieses Jahres weist immer deutlicher auf eine sich ändernde Struktur des Ausbildungsstellenmarktes hin. Zwar steht die Bewältigung seiner quantitativen Probleme nach wie vor im Vordergrund der berufspolitischen Anstrengungen der Bundesregierung - ich sage es ungeschminkt: Eine, wenn auch nicht wunschgemäße Lehrstelle ist immer noch besser als gar keine -, doch gewinnen schon heute und noch stärker in den nächsten Jahren qualitative und strukturelle Probleme der Berufsbildung an Bedeutung. Ich will hier nur zwei davon exemplarisch herausgreifen: die Änderung in der Bewerberstruktur im Hinblick auf Alter und schulisches Bildungsniveau und die Konsequenzen, die sich aus der steigenden Nachfrage von Abiturienten nach Ausbildungsplätzen im dualen System ergeben.
Kurz zur Altersstruktur: Das Durchschnittsalter der Ausbildungsplatzbewerber hat deutlich zugenommen. Etwa die Hälfte der gemeldeten Bewerber
Schultz ({6})
war 1984 bereits 18 Jahre oder älter. Noch vor drei Jahren umfaßte diese Altersgruppe lediglich 30 aller Bewerber.
Mit dieser Entwicklung einher geht auch eine beachtliche Veränderung des Bildungsverhaltens. Ein spürbarer Trend zu höheren Bildungsabschlüssen ist unverkennbar. Die absolute Zahl der Bewerber mit Fachhochschul- und Hochschulreife hat sich von 1981 auf 1984 mehr als verdreifacht. In diesem Jahr beträgt der Anteil dieser Bewerber bereits 14,3 % aller Bewerber um betriebliche Ausbildungsplätze. Im Klartext: Rund 100 000 Abiturienten haben sich um eine Lehrstelle beworben. Unabhängig davon, daß dies zusätzliche Nachfragesteigerungen nach sich zieht, bedeutet dies ein deutliches und bemerkenswertes Signal für jede Berufsbildungspolitik.
Meine Damen und Herren, ich glaube, an dieser Stelle sind einige Takte zu den Ursachen angebracht. Viele der Schwierigkeiten, mit denen wir heute auf dem Ausbildungsstellenmarkt zu kämpfen haben, sind von der verfehlten Bildungspolitik der früheren SPD-geführten Bundesregierung mit verursacht.
({7})
In den 70er Jahren haben Sie unreflektiert und pauschal das Ziel verfolgt, immer mehr junge Menschen zum Abitur und an die Hochschule zu führen. In verlockenden Farben wurde ein Berufsbild der Art skizziert, daß der gute und im Leben erfolgreiche Mensch erst beim Abiturienten und beim Akademiker anfinge.
({8})
Ich kann mich an Schülerdiskussionen erinnern, in denen diese Politik flapsig hieß: Haste was, biste was; haste Abi, biste mehr. - Diese Politik lief jedenfalls auf eine Diskriminierung der beruflichen Bildung hinaus.
({9})
Übrigens, wer Vorschub leistet, daß die praktische Berufsausbildung geringer als die schulische geschätzt wird, wird unglaubwürdig, wenn er von der Gleichwertigkeit von beruflicher und schulischer Bildung spricht. Das eben ist der Unterschied zwischen sozialdemokratischer Theorie und der Wirklichkeit.
Die jungen Menschen vertrauen heute mit unserer Unterstützung - und da liegt ganz konkret ein Stück Wende - wieder mehr auf die Wirklichkeit - oder besser gesagt: auf den gesunden Menschenverstand. Während früher vor allem das Studium als besonders erstrebenswert galt - die Akademikerschwemme kommt ja nicht von ungefähr -, sehen heute viele Jugendliche und ihre Eltern in einer betrieblichen Ausbildung die bessere Garantie für eine erfolgreiche berufliche Zukunft.
Verehrter Herr Kollege, bitte kommen Sie zum Schluß.
Acht Minuten sind doch kürzer, als ich gedacht habe.
({0})
Es tut mir leid; aber es ist sowieso so laut.
({0})
Ich möchte Ihnen zum Schluß nur noch eines sagen. Die Erfolge der Bundesregierung in der Berufsbildungspolitik sind so klar und eindeutig und auch im dritten Jahr nachweisbar, daß ich Ihnen einen Tip geben möchte: Würden Sie dem Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zustimmen, könnten Sie nächstes Jahr ({0}) draußen wenigstens sagen, Sie seien dabeigewesen. Wir können uns mit unserer Bilanz zeigen.
Vielen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, zunächst bitte ich herzlich, Platz zu nehmen, damit wir zu den Abstimmungen kommen können.
Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Debatte.
Wir kommen zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 4 a. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/3542 unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen.
Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3542 unter Ziffer 2, den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3090 abzulehnen. Wer dem entsprechen will, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Auch diese Beschlußempfehlung ist angenommen.
Zu Tagesordnungspunkt 4b: Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/3634 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft und zur Mitberatung an den Finanzausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie den Haushaltsausschuß zu überweisen. Weitere Vorschläge liegen nicht vor. Dann ist es so beschlossen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4027. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über Zusatzpunkt 2 der Tagesordnung - Drucksache 10/4019 -. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP verlangen gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung, was bereits bekannt ist. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die
Vizepräsident Frau Renger
entsprechenden Abstimmungskarten in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Ich frage noch einmal. - Alle Stimmkarten scheinen abgegeben zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte, auszuzählen.
Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4019 bekannt: Abgegebene Stimmen 406, davon keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 228 Mitglieder des Hauses, mit Nein haben 178 Mitglieder des Hauses gestimmt.
Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 405 Abgeordnete; davon
ja: 228 Abgeordnete
nein: 177 Abgeordnete
Ja
CDU/CSU
Dr. Abelein Frau Augustin Austermann Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker ({0}) Berger
Frau Berger ({1})
Dr. Blank Dr. Blens Böhm ({2})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Boroffka Braun
Breuer
Brunner
Bühler ({3})
Dr. Bugl
Buschbom Carstens ({4})
Carstensen ({5}) Clemens
Dr. Czaja Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Engelsberger
Erhard
({6}) Eylmann
Dr. Faltlhauser
Fellner
Frau Fischer
Fischer ({7})
Dr. Friedmann
Ganz ({8})
Frau Geiger
Dr. von Geldern Gerlach ({9}) Gerster ({10})
Glos
Dr. Göhner
Götzer
Günther
von Hammerstein Hanz ({11})
Haungs
Hauser ({12}) Hauser ({13}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({14}) Dr. Hornhues
Hornung
Dr. Hupka
Jäger ({15})
Jagoda
Dr. Jahn ({16})
Dr. Jobst
Jung ({17})
Kalisch
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle Kittelmann
Kraus
Krey
Dr. Kronenberg Lamers
Dr. Lammert Dr. Langner Lattmann
Dr. Laufs
Lenzer
Link ({18}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold Löher
Lohmann ({19}) Dr. h. c. Lorenz
Lowack
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({20})
Müller ({21})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr. Olderog Frau Pack
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pöppl
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({22}) Rode ({23}) Frau Rönsch
Dr. Rose
Rossmanith Roth ({24}) Ruf
Sauer ({25})
Saurin
Sauter ({26}) Sauter ({27}) Dr. Schäuble Scharrenbroich Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({28}) von Schmude Schneider
({29}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({30}) Dr. Schulte
({31}) Schulze ({32})
Schultz ({33}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spilker
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({34})
Dr. Stavenhagen Stockhausen Stommel
Straßmeir
Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Frau Verhülsdonk
Vogel ({35})
Vogt ({36})
Dr. Voigt ({37})
Dr. Waffenschmidt
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil
Dr. Warrikoff Weirich
Werner
Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({38}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({39}) Würzbach
Zink
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann Bredehorn Cronenberg ({40})
Eimer ({41})
Engelhard Ertl
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher
Frau Dr. Hamm-Brücher
Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoffie
Hoppe
Kohn
Dr. Graf Lambsdorff Neuhausen
Paintner
Dr. Rumpf Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng ({42}) Wolfgramm ({43})
fraktionslos Handlos
Nein
SPD
Amling
Bachmaier Bahr
Bamberg
Vizepräsident Frau Renger
Becker ({44}) Bernrath
Frau Blunck Brandt
Brück
Buckpesch Büchler ({45})
Dr. von Billow
Buschfort Collet
Conradi
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Duve
Dr. Ehrenberg
Eickmeyer
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Esters
Ewen
Fischer ({46})
Fischer ({47})
Franke ({48})
Frau Fuchs ({49})
Gilges
Glombig
Grunenberg Dr. Haack Haar
Haehser
Hansen ({50})
Frau Dr. Hartenstein
Dr. Hauchler Hauck
Dr. Hauff Heimann Heistermann
Herterich Hettling
Hiller ({51})
Dr. Holtz Horn
Huonker
Immer ({52}) Jahn ({53})
Jansen
Dr. Jens
Jung ({54}) Junghans Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({55})
Klose
Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Liedtke
Löffler
Lohmann ({56})
Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus Menzel
Dr. Mertens ({57})
Dr. Mitzscherling
Müller ({58})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner Peter ({59})
Pfuhl
Porzner Poß
Purps
Ranker
Rapp ({60}) Reimann
Reuter
Rohde ({61}) Schäfer ({62})
Dr_ Scheer Schlaga Schlatter
Frau Schmedt
({63})
Dr. Schmidt ({64}) Schmidt ({65})
Frau Schmidt ({66}) Schmitt ({67})
Dr. Schmude
Dr. Schöfberger Schreiner
Dr. Schwenk ({68}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Stahl ({69})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Stobbe
Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Vahlberg Dr. Vogel Vogelsang Walther Weinhofer
Weisskirchen ({70}) Dr. Wernitz
Westphal Frau Weyel
von der Wiesche Wimmer ({71}) Wischnewski
Wolfram ({72}) Zeitler
Frau Zutt
DIE GRÜNEN
Bueb
Frau Dann Frau Eid
Frau Kelly Mann
Dr. Müller ({73}) Rusche
Dr. Schierholz Schily
Schmidt ({74})
Schulte ({75}) Senfft
Suhr
Tischer
Vogel ({76}) Frau Wagner Werner ({77}) Werner ({78})
Der Antrag ist angenommen.
Auf Grund einer interfraktionellen Vereinbarung soll die heutige Tagesordnung um die erste Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktionen der CDU/ CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/4043 sowie um die erste Beratung des Gesetzentwurfes der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4041 erweitert werden. Sie betreffen das Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der EG. Die Vorlagen werden nach Tagesordnungspunkt 15, also dem letzten Tagesordnungspunkt, aufgerufen. Ist das Haus damit einverstanden? - Das scheint der Fall zu sein. Dann ist das so beschlossen.
Ehe ich jetzt fortfahre, bitte ich die Herrschaften, sich auf ihre Plätze zu begeben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz
- Drucksache 10/902 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({79})
- Drucksache 10/3958 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Stark ({80}) Dr. de With
({81})
Der Herr Berichterstatter Dr. Stark wünscht zu einer Berichtigung das Wort. Bitte sehr, Herr Berichterstatter.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie bitten, in der Ihnen vorgelegten Drucksache 10/3958 auf Seite 3 die Eingangsformel zu dem Gesetz zu fassen: „Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates ... beschlossen:"
Es bestand Einigkeit im Ausschuß, daß dem so sein sollte. Es wurde versehentlich vergessen.
Vielen Dank, Herr Berichterstatter.
Der Berichterstatter wünscht nicht weiter das Wort. Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. de With.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! CDU/CSU, FDP und SPD haben 1977 im Gefolge der tragischen Geiselnahme von Hanns-Martin Schleyer durch Terroristen das sogenannte Kontaktsperregesetz gemeinsam verabschiedet. Das wissen wir, und das vergesDr. de With
sen wir auch nicht. Der Verabschiedung waren schwierige Verhandlungen vorausgegangen.
Mit der Kontaktsperre kann einem inhaftierten Terroristen unter bestimmten Voraussetzungen - und zwar befristet - jeder Kontakt mit seinem Verteidiger untersagt werden.
Das Kontaktsperregesetz wurde nur einmal angewandt. Das Bundesverfassungsgericht hat jene Bestimmungen am 1. August 1977 für verfassungsgemäß erklärt. Zumindest in der Praxis gibt es in allen westlichen Staaten ähnliche Möglichkeiten.
Inzwischen hat sich jedoch immer mehr die Befürchtung verdichtet, daß die Aussperrung auch der Verteidiger zu einem Verlust von Beweismitteln zugunsten des Inhaftierten führen kann. Dein muß unter Wahrung der Sicherheitsinteressen vorgebeugt werden. Das ist auch möglich.
Mit einem entsprechenden Gesetzentwurf vom 10. November 1982 wollten wir Sozialdemokraten dies durch die Einführung eines Kontaktanwaltes während der Kontaktsperre erreichen.
Die Bundesregierung benötigte zur Vorlage ihres Entwurfes geraume Zeit länger: Erst am 19. Januar 1984 konnte sie sich zu einer Vorlage bereitfinden. Wie stets trabte der Regierungsgaul auch hier langsam. Der Entwurf der Bundesregierung ist überdies enger, ja fast, Herr Kollege Lowack, ängstlich gefaßt.
({0})
- Hören Sie bitte zu.
Wir Sozialdemokraten wollen, daß der Kontaktanwalt binnen 48 Stunden bestellt wird. Die Bundesregierung hatte hier einen zu langen Zeitraum gewählt, nämlich 72 Stunden. Gott sei Dank hat sie sich inzwischen unserem Vorschlag angeschlossen. Das ist ein Fortschritt.
In drei weiteren Eckpunkten ist die Koalition unserer Vorlage nicht gefolgt:
Erstens. Wir wollen, daß der Kontaktanwalt „insbesondere" zugunsten der Inhaftierten tätig werden „soll". Die Koalition begnügte sich mit einer schwachen Kann-Vorschrift.
Zweitens. Wir wollen, daß der Kontaktanwalt durch das unabhängige Gericht, nämlich durch die Strafkammer beim Landgericht, ausgewählt wird. Die Regierung will, daß dies der Landgerichtspräsident, also insoweit eine Verwaltungsperson, tut.
Drittens. Wir wollen, daß nicht nur mündlicher, sondern auch schriftlicher Kontakt möglich ist, d. h., daß es auch möglich sein soll, Schriftstücke auszutauschen. Die Union will sich auf den mündlichen Austausch, auf das Gespräch beschränken. Wir wollen natürlich, daß das unter den erforderlichen Sicherheitskautelen abläuft.
Die Koalition geht mit ihrem Entwurf - das sei eingeräumt - in die richtige Richtung. Nur, Herr
Minister: Sie tun vier Schritte nach vorn und dann drei Schritte zurück.
({1})
Wir wiederholen deswegen in zweiter Lesung die bereits im Ausschuß von Ihnen abgelehnten drei Änderungsanträge. Lehnt die Regierungskoalition diese unsere eben beschriebenen Anträge erneut ab, können wir uns in dritter Lesung leider nur der Stimme enthalten. Das wäre zu bedauern.
Nun ein Wort zu dem Antrag der GRÜNEN: Sie schlagen mit Ihrem Änderungsantrag vor, daß das ganze Gesetz gestrichen wird. Das ist ungefähr so, wie wenn ein Gesetzesantrag zur Änderung des § 6 b des Einkommensteuergesetzes eingebracht würde und dann, nachdem im Ausschuß nur darüber gesprochen wurde, in zweiter und dritter Lesung beantragt wird, das ganze Einkommensteuergesetz in der Versenkung verschwinden zu lassen. Das ist nach meinem Dafürhalten unzulässig.
({2})
Aber wir streiten hier nicht um juristische Spitzfindigkeiten, um die Frage, ob dies zulässig oder nicht zulässig ist. Wir werden den Antrag der GRÜNEN auch der Sache nach ablehnen.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Stark.
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahre 1977 stand unsere Demokratie, unser Rechtsstaat, durch die terroristischen Morde vor der größten Herausforderung der Nachkriegszeit. Ich erinnere nur an den Fall Hanns-Martin Schleyer, als Herr Schleyer zunächst entführt und seine vier Begleiter ermordet wurden und die Terroristen versuchten, 13 inhaftierte Terroristen herauszupressen. Das war der Anlaß zu dem Gesetz, das wir heute besprechen, zu dem sogenannten Kontaktsperregesetz. Aus der Erfahrung heraus, daß die Terroristen in den Haftanstalten Kommunikationszentren aufbauten, das leider manche Anwälte zu Komplizen der Terroristen wurden und daß manche Haftvollzugsanstalten Befehlszentralen für Terroristen außerhalb dieser Haftvollzugsanstalten waren,
({0})
hat dieser demokratische Staat wehrhaft reagiert und das sogenannte Kontaktsperregesetz mit den Stimmen aller Fraktionen hier im Bundestag beschlossen.
({1})
- Wollen Sie eine Frage an mich richten, Herr Ströbele? Bitte schön.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ströbele?
Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, daß der seinerzeitige Justizminister und heutige Führer der Opposition, Herr Dr. Vogel, dieses Gesetz seinerzeit in den Bundestag mit der Begründung eingebracht hat, daß aus den Zellen in Stuttgart-Stammheim heraus die Schleyer-Entführung geplant und vorbereitet worden ist, und daß er selber diese Argumentation, die er in der Offentlichkeit gebraucht hat, in Italien in einem Interview zurückgenommen hat, daß er also durch eine Lüge das Parlament hier dazu gebracht hat, dieses Gesetz seinerzeit hier zu verabschieden?
Ich habe sonst keine Veranlassung, Herrn Dr. Vogel in Schutz zu nehmen. Aber er hat das Gesetz nicht nur damit begründet, sondern Erfahrungsberichte der Justizminister der Länder aus den Haftanstalten über das, was dort geschehen ist, haben zur Begründung gedient. Sehr verehrter Herr Ströbele, Sie müssen es ja genau wissen; Sie waren auf diesem Gebiet tätig.
({0})
Meine Damen und Herren, der Staat hat damals richtig reagiert. Er hat sich entschlossen gezeigt und hat vor den Terroristen nicht kapituliert, Herr Ströbele, auch vor Ihnen nicht kapituliert,
({1})
auch vor Anwälten Ihrer Art hat er nicht kapituliert.
({2})
Es gab über dieses Gesetz eine interessante Aussprache 1977; ich habe sie noch einmal nachgelesen. Herr de With, die Bundesregierung hat nicht zu spät gehandelt; es gab für diese Bundesregierung noch dringendere Probleme, als dieses Gesetz zu mildern, noch wesentlich dringendere Probleme.
({3})
Niemandem ist Schaden dadurch entstanden, daß das Gesetz erst jetzt geändert wird.
({4})
Die CDU/CSU stimmt dem Gesetz zu, wenn auch nicht freudigen Herzens. Wir stimmen ihm zu, weil wir das, was jetzt vorgeschlagen wird, gerade noch für tragbar halten. Es wird vorgeschlagen, die totale Kontaktsperre nur so weit zu mildern, daß ein Anwalt, der das besondere Vertrauen eines Landgerichtspräsidenten und nicht einer Strafkammer,
Herr de With, haben muß, in einem begrenzten Umfang tätig werden kann.
({5})
Ich sage ganz offen: Ich trage das nur deshalb mit, weil unter die Kontaktsperre nicht nur verurteilte Terroristen, sondern auch verhaftete und in Verdacht stehende fallen. Es könnte also sein - das kann auch in einem Rechtsstaat im Eifer des Gefechts passieren -, daß auch einmal ein Unschuldiger darunter ist.
({6})
Für diesen Fall schaffen wir einen Kontaktanwalt mit eng umgrenztem Aufgabenbereich, der eine ganz bestimmte Aufgabe nur für diesen Bereich hat, damit der Inhaftierte notfalls auf den Anwalt zurückgreifen kann, wenn er es wünscht. Wir wollen dem Gefangenen nichts oktroyieren - darin unterscheiden wir uns von Ihnen, Herr de With -; der Gefangene muß es schon wollen.
({7})
Wenn er wirklich unschuldig ist, wird er wollen, daß ihm jemand hilft und dem Gericht schnellstens sagt, daß der Inhaftierte unschuldig ist. - Darum geht es bei dieser leichten Milderung des Kontaktsperregesetzes.
({8})
Wir lehnen die Anträge der SPD ab. Sie sind im Grunde genommen - Herr de With, seien Sie ehrlich! - nur gestellt worden, damit Sie überhaupt etwas anderes als wir beantragen können.
({9})
Sie sind schon der Überzeugung, daß wir den ausgereifteren Entwurf vorgelegt haben. Wir haben uns etwas länger Zeit gelassen und nicht mit so heißer Nadel genäht wie Sie. Deshalb ist unser Antrag auch etwas besser geworden.
({10})
Nach unserem Entwurf bestimmt ein erfahrener Landgerichtspräsident einen Anwalt als Kontaktanwalt. Wir sind aber wiederum auch nicht so begeistert von dieser Lösung, daß wir gleich wieder schriftlichen und mündlichen Verkehr zulassen, damit wieder irgend etwas hin- und hergeschoben werden kann. Das wollen wir von vornherein ausschließen. Deshalb lassen wir nur mündlichen Verkehr zu, nämlich das Gespräch des Kontaktanwalts mit dem Gefangenen.
({11})
- Sehen Sie, Herr Ströbele, so vorsichtig sind wir durch Sie geworden.
({12})
Dr. Stark ({13})
Meine Damen und Herren, ich darf abschließend sagen: Wir lehnen die Anträge der SPD-Opposition ab. Daß die GRÜNEN nichts Besonderes vorhaben, was den Schutz vor Terrorismus betrifft, habe ich gelernt, seit ich sie kennengelernt habe. Das ist kei nes ihrer Hauptanliegen.
({14})
Wie gesagt, wir stimmen dem Gesetz zu, nicht mit Begeisterung, aber wir halten die Lösung im Sinne einer strafprozessualen Garantie für den Gefangenen und im Sinne eines sehr liberalen Rechtsstaats gerade noch für erträglich.
Vielen Dank.
({15})
Herr Ströbele, ich möchte Sie bitten, die Unterstellung einer Lüge zu unterlassen.
({0})
- Was heißt „Nein!"? Wenn Sie einen Ordnungsruf haben wollen, können Sie einen bekommen. Ich habe in aller Höflichkeit gesagt, Sie mögen die Unterstellung einer Lüge unterlassen. Das ist absolut unparlamentarisch.
({1})
- Dessen bin ich als Nichtjurist nicht mehr so sicher.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion der GRÜNEN lehnt den vorliegenden Gesetzentwurf ab,
({0})
weil er trotz einer an sich löblichen Zielsetzung der Verbesserung der strafprozessualen Garantien für Gefangene ein Sondergesetz festschreibt, das mit den Grundsätzen eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates, vor allem mit dem Schutz der Menschenwürde und dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren nicht vereinbar ist.
({1})
Erinnern wir uns: In einem in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte beispiellosen Schnellverfahren wurde im Herbst 1977, genau am 28. und 29. September, aus Anlaß der Entführung Schleyers das Kontaktsperregesetz verabschiedet. Der Verdacht, diese Aktion, die Entführung, werde über die Verteidiger zwischen den inhaftierten und den in Freiheit befindlichen RAF-Terroristen gesteuert, diente als Rechtfertigung, der Exekutive die Befugnis einzuräumen, Gefangene vollständig von der Außenwelt und innerhalb der Anstalt zu isolieren.
Heute, acht Jahre nach dem Herbst 1977, sollte die Zeit eigentlich reif sein, die damals getroffene gesetzliche Fehlentscheidung zurückzunehmen. Das setzt allerdings voraus, daß in dieser unserer Republik eine rationale Auseinandersetzung mit dem Terrorismus möglich wäre. Herr Kollege Dr. Stark und meine Kollegen vor allem von dieser Seite des Hauses, nach dem, was ich hier bisher gehört habe und auch von der Atmosphäre vernommen habe, ist es offenbar leider immer noch nicht möglich, sich hier mit dem Phänomen des Terrorismus rational auseinanderzusetzen.
({2})
Aus Anlaß des heimtückischen und abscheulichen Mordes an Dr. Ernst Zimmermann hat der Herr Bundestagspräsident Dr. Jenninger am 7. Februar 1985 an dieser Stelle u. a. erklärt:
Diese zweite deutsche Republik - der freiheitlichste Staat, den es je auf deutschem Boden gegeben hat ({3})
wird niemals durch die Taten einiger irregeleiteter Gewalttäter aus den Angeln gehoben werden können.
Betrachten wir die unter dem Oberbegriff der Terrorismusbekämpfung zwischen 1970 und 1980 verabschiedeten Maßnahmen zur Änderung des materiellen und des formellen Strafrechts in ihrer Gesamtheit, so läßt sich leider feststellen, daß die sich als staatstragend bezeichnenden politischen Kräfte unter der Devise, der Rechtsstaat werde auf die konkrete Situation abgestellt - das ist übrigens ein Zitat des damaligen Justizministers Dr. Hans-Jochen Vogel -, selbst den demokratischen Rechtsstaat an seinen Wurzeln gefährden. Die systematische Erweiterung der Befugnisse der Polizei, des Verfassungsschutzes, der Staatsanwaltschaften und der Strafgerichte hat nämlich zu einer strukturellen Verkehrung der traditionellen Funktion der Grund- und Verfahrensrechte geführt. Diese Rechte wandeln sich von Schutznormen der Bürger gegen und gegenüber dem Staat zu Staatsschutznormen.
Unsere Fraktion sieht in dieser gefährlichen Tendenz der Verrechtlichung der Entrechtung, die in den alltäglichen Strafprozeß ausstrahlt, substantielle Gefahren für den Rechtsstaat.
({4})
Ich möchte noch einmal Hans-Jochen Vogel zitieren, diesmal aus der Sitzung des Bundestages vom 11. Oktober 1974:
Der fundamentale Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und einem Machtstaat offenbart sich nicht zuletzt darin, wie ein Staat mit einem Beschuldigten, mit einem angeklagten Bürger umgeht,
({5})
dem gegenüber er von seiner Strafjustiz Gebrauch macht.
An diesem Maßstab gemessen, handelt es sich beim Kontaktsperregesetz einschließlich der heute anstehenden scheinliberalen Nachbesserung um eine machtstaatliche Maßnahme.
In Übereinstimmung mit dem Republikanischen Anwaltsverein und der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht des Deutschen Anwaltvereins fordern die GRÜNEN im Bundestag die Aufhebung des Kontaktsperregesetzes.
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Ich will noch auf zwei wichtige Kritikpunkte des Änderungsentwurfs eingehen. Mit der Kontaktperson wird die Figur des doppelter Loyalität verpflichteten Rechtsanwalts, der die Funktion eines strafprozessualen Staatskommissars wahrnimmt, geschaffen. Wie der RAV befürchten wir, daß dadurch in der Öffentlichkeit das Vertrauen in den Anwalt als Garanten zur Verwirklichung der Rechte des Beschuldigten beeinträchtigt werden kann. Der Deutsche Anwaltverein sieht im Kontaktsperregesetz zu Recht ein Mißtrauen gegenüber der Anwaltschaft, das sich durch die Änderung noch verstärken würde. Waren nämlich bisher alle Verteidiger von einer Kontaktsperre betroffen, sozusagen gemeinsam diskriminiert, so würde nunmehr der Verteidiger des Beschuldigten diskriminiert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Inhumanität von schallisolierten Einzelzellen, Hochsicherheitstrakten, Trennscheiben und der steingewordene Irrtum von Stammheim mahnen uns zur Umkehr.
({7})
Stimmen Sie mit uns für eine Aufhebung des Kontaktsperregesetzes!
Ich möchte hiermit schon ankündigen, daß ich gleich den entsprechenden Antrag kurz begründen werde.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({8})
Wollen Sie die Begründung nicht gleich geben, Herr Mann? Wenn Sie es jetzt machen, haben wir es hinter uns.
({0})
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen dann sozusagen im Anschluß an diese Rede noch ein Gedicht von Peter-Jürgen Boock „Kriminelle Vereinigung" zitieren, das ich sehr eindrucksvoll finde. Es befindet sich in einem Briefwechsel „Boock, Schneider, Ratte, Tod". Wie wir alle wissen, ist Peter-Jürgen Boock zu dreimal lebenslänglich und 15 Jahren verurteilt worden. Er hat sich von der RAF distanziert, er hat - das ist gerichtlich festgestellt - den geplanten Anschlag auf die Bundesanwaltschaft 1977 im letzten Augenblick, als er gemerkt hat, welches die Folgen seiner Tat sein würden, als diese Schußanlage installiert war, verhindert. Ich darf aus diesem Gedicht zitieren - es ist vielleicht etwas zu viel Gefühl, aber ich denke, das ist sehr wichtig, das ist jemand, der im Grunde genommen nur noch die Perspektive hat, hinter diesen Mauern zu bleiben -:
({0})
Kriminelle Vereinigung
Ich bin unverbesserlich,
({1})
ich würde es immer wieder tun, rauben und stehlen,
z. B. Herz und Kuß,
mein Komplize ist deine Liebe.
({2})
Kolleginnen und Kollegen, solche Menschen haben sich damals in der RAF verrannt, und wir haben, meine ich, als Politiker die Verantwortung, denen, die diesen Irrweg erkannt haben, zu helfen herauszukommen.
Jetzt komme ich zur Begründung unseres Antrags. Unser Antrag läuft darauf hinaus, hier nicht nach deutschem Perfektionismus das Kontaktsperregesetz, das übrigens nur einmal, 1977, angewendet worden ist, durch einen § 34 a zu verwässern.
({3})
Wir beantragen die Streichung dieses gesamten Gesetzentwurfes.
({4})
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir, daß ich Herrn Professor Böckenförde aus einem Aufsatz in der NJW zitiere, um Ihnen in Erinnerung zu rufen, wie dieser Gesetzentwurf zustande gekommen ist. Herr Böckenförde, übrigens Bundesverfassungsrichter,
({5})
schreibt in der NJW 1978 auf Seite 1881 f. unter der Überschrift: „Der verdrängte Ausnahmezustand - Zum Handeln der Staatsgewalt in außergewöhnlichen Lagen". Herr Engelhard, Sie haben damals 1977 Ihre Rede, die ich heute morgen noch einmal nachgelesen habe, vor allen Dingen mit der außergewöhnlichen Situation begründet.
Herr Böckenförde schreibt in diesem Aufsatz an dieser Stelle:
Schließlich kam es zur Einbringung und Verabschiedung des als Maßnahmeermächtigung in Gesetzesform konzipierten sogenannten Kontaktsperregesetzes vom 30. 9. 1977 in einem außergewöhnlichen Gesetzgebungsverfahren. Beratung und Beschlußfassung in erster bis dritter Lesung, einschließlich der Ausschußberatungen, erfolgten am 28.9. 1977, 9 Uhr, bis zum 29.9. 1977, 15.30 Uhr.
In der Fußnote 9 heißt es:
Bemerkenswert ist, daß die Ausschußberatungen bereits am 28.9. um 9 Uhr, d. h. vor der ersten Lesung des Gesetzentwurfs im Plenum des Bundestages, die um 13 Uhr stattfand, begann.
So weit zur Erinnerung.
Herr Dr. Stark, Sie sind mir beim Nachlesen des Protokolls durch Ihre Zwischenrufe aufgefallen, genauso wie der gegenwärtige Präsident des Bundestages Dr. Jenninger. Sie haben dem Kollegen Coppik damals vorgeworfen, er sei nicht im Rechtsausschuß gewesen.
({6})
Wenn ich heute nachlese, was der Kollege Coppik damals ausgeführt hat, kann ich nur sagen, daß er leider recht behalten hat.
Unsere Verantwortung - dazu dient unser Antrag, für den wir um Ihre Zustimmung bitten, aber ich mache mir da keine Illusionen - als Politiker liegt darin, diesen irrsinnigen Kreislauf von Gewalt, die ausgeübt worden ist, die ich in meiner Rede soeben verurteilt habe, zu durchbrechen. Der Staat, der Rechtsstaat muß auch das Selbstbewußtsein haben, Fehler zuzugeben und sozusagen in Gesetz gegossene Irrtümer in einer sicherlich schwierigen Situation zurückzunehmen.
({7})
In dieser Richtung appelliere ich an Sie: Werden Sie sich endlich Ihrer Verantwortung auch dafür bewußt, daß es hier und heute in diesem Land immer noch wie im Dezember und Januar möglich ist, daß diese unselige Spirale von Gewalt und Gegengewalt aufs neue stattfindet
({8})
und daß Menschen wie Peter-Jürgen Boock, aus dessen Gedicht ich zitieren durfte, hinter Mauern bleiben.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamnkeit.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein vor einigen Jahren leider ermordeter Parteifreund, der frühere hessische Staatsminister Heinz Herbert Karry pflegte im Zusammenhang mit der hier debattierten Problematik immer zu sagen: Drei Menschen braucht der Gefangene: einen Anwalt, einen Arzt und einen Pfarrer. Damit hat er, wie ich meine, die Dinge auf einen einfachen Nenner gebracht. Wenn der Gefangene in der Zeit der Kontaktsperre schon auf einen geistlichen Beistand verzichten muß, so muß ihm zumindest - das ist meine Auffassung -der anwaltliche Beistand gewiß sein.
({0})
Das erfordert der ungeschriebene Grundsatz des „fair trial", der in allen Verfahrungsordnungen gilt und ein Gleichgewicht der prozessualen Rechte der an der gerichtlichen Auseinandersetzung Beteiligten zum Ziele hat. Man nennt das zuweilen auch Waffengleichheit. Mir scheint dieser Ausdruck ein wenig zu drastisch zu sein.
({1})
Jetzt geht es aber darum, die Situation des Gefangenen in rechtsstaatlich befriedigender Form zu regeln. Ich finde, das ist auch Ausdruck des gesunden Zustands unserer Rechtsordnung und der verfassungsrechtlich verbürgten Rechte der Gefangenen.
Die Kontaktsperre hat - darauf ist eben schon hingewiesen worden - bis auf wenige Einzelfälle keine praktische Bedeutung erlangt. Es haben sich andere, für meinen Geschmack weniger einschneidende und vor allen Dingen auch verfassungsrechtlich unbedenkliche Wege gefunden, den Kontakt zwischen Gefangenen und Verteidigern so zu begrenzen, daß terroristische Aktionen hieraus weder gefördert noch sonst durch Informationsaustausch irgendwie begünstigt werden konnten.
({2})
Das ist nicht zuletzt, Herr Kollege Ströbele, auf das besonnene Verhalten der Anwaltschaft zurückzuführen,
({3})
für das ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken will. Die Anwaltschaft selbst war es, die bewirkt hat, daß die Zustände, die überhaupt zunächst zu dem sogenannten Kontaktsperregesetz geführt haben, weitgehend beseitigt werden konnten. Ich wiederhole es: Auch hier hat der Grundsatz des fairen Umgangs beider am Verfahren beteiligter Seiten seine Wirkung erzielt.
Von dieser Situation ausgehend sind die von den Koalitonsfraktionen vorgetragenen Änderungen geboten, sachlich vertretbar und der Verstärkung bzw. der Wiederherstellung der Rechte des Gefangenen in hohem Maße dienlich. Der Kontakt nach außen wird in einem vertretbaren Umfang wiederhergestellt, ohne befürchten zu müssen, daß diese Erleichterung wieder zur Förderung eventueller terroristischer Aktivitäten des Gefangenen führen kann. Diese Maßnahmen werden, so hoffe ich, auch zu einer spürbaren Entspannung und Entkrampfung in diesem Bereich führen.
({4})
Lassen Sie mich noch ein Wort zum Zustandekommen dieser Gesetzesinitiative sagen. Den Koalitionsfraktionen wird in der Öffentlichkeit ja oft vorgeworfen, sich gerade im Bereich der Innen- und Rechtspolitik nicht allzu schnell auf einen einheitlichen Kurs verständigen zu können. Bei solchen Äußerungen beschleicht mich allerdings manchmal das Gefühl, daß hier auch der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Ich will sicherlich keine Schönfärberei betreiben, aber ich darf zumindest für die betei12412
ligten Rechtspolitiker sagen, daß wir bisher immer Lösungen gefunden haben, die von jedem Partner ohne Verlust seiner Identität und Selbstachtung getragen werden konnten. In diesem Sinne ist auch der vorliegende Gesetzentwurf zu verstehen und einzuordnen.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Justiz.
Frau, Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zunächst ist es erfreulich, feststellen zu können, daß es sich bei dieser Vorlage nicht um eine brandaktuelle Sache handelt; erfreulich deswegen, weil wir ja alle zutiefst hoffen, überhaupt nie mehr von der Kontaktsperre Gebrauch machen zu müssen und deswegen, was immer wir beschließen, nie mehr zur Anwendung bringen zu müssen. Das ist das, was man wird sagen müssen, Herr Kollege de With, wenn man hört, jetzt habe es so lange gedauert, bis diese Novellierung vonstatten gehen konnte. Ich möchte diese abendliche Runde nicht damit behelligen, daß ich die Akten des Ministeriums aufblättere, die gewissenhaft ausweisen, Punkt für Punkt, wie in der alten Koalition, in der die Übereinstimmung angeblich doch eine so große war, dem Drängen der FDP auf Einführung der Kontaktperson im Kontaktsperregesetz nicht stattgegeben wurde, jedenfalls so lange nicht, daß schließlich keine Zeit mehr verblieb, dies in der Zeit unserer politischen Partnerschaft zu verwirklichen.
Ich meine, daß wir allerdings in einer Situation, die zwar unter der terroristischen Drohung steht, aber vom Kontaktsperregesetz her jetzt nicht aktuell ist, immer gerüstet sein müssen.
({0})
Deswegen kann die Frage überhaupt nicht sein, ob dieses Gesetz - im Sinne der Fraktion DIE GRÜNEN - aufgehoben wird. Gerade wer es so beklagt, unter welchen Umständen wir damals nach der Entführung von Hanns-Martin Schleyer arbeiten mußten, möchte - ich habe damals mit vielen anderen mitgewirkt und mitwirken müssen - dies nicht mehr erleben. Deswegen brauchen wir dieses Gesetz, wir müssen es zur Verfügung haben.
Ich wende mich auch gegen alle Interpretationen, die in der Presse immer wieder auftauchen, mit dem, was wir heute abend beschließen werden, werde eine Lockerung des Kontaktsperregesetzes bewirkt.
({1})
Davon kann nicht die Rede sein.
({2})
Nein, denn wo es um den Schutz des Lebens, der
Freiheit und der Gesundheit von Mitbürgern geht,
da kann man das Bemühen, dafür alles, aber auch alles positiv zu tun, nicht lockern, da kann man in diesen Bemühungen nicht nachlassen.
({3})
Nur sind wir überzeugt, daß es ohne eine solche Lockerung und bei voller Gewährung des Schutzes möglich ist, in einem Rechtsstaat deutlich zu machen, daß dieser Rechtsstaat - und kein anderes Staatswesen auf dieser Welt - bereit und auch in der Lage ist, den Betroffenen auch noch in einer solchen Situation - über das verfassungsrechtlich Gebotene hinaus - alle Garantien zu geben.
({4})
Dazu sind wir bereit, und dies tun wir.
({5})
Es ist das Wort „Rechtsstaat - Machtstaat" gefallen.
({6})
Sie, Herr Mann, haben dieses Wort benutzt. Ich sage Ihnen eines: Erliegen Sie keinem Mißverständnis: Dieser Rechtsstaat ist kein Machtstaat, aber dieser Rechtsstaat ist nicht machtlos. Dieser Rechtsstaat wird darauf achten, Macht zu haben:
({7})
im Rahmen des Rechts und der Gesetze, und dies ist der große Unterschied. Wir sind kein Staat für eine Schönwetterperiode. Dieser Rechtsstaat ist ein starker Staat, wie ich in der Aussprache am 15. September 1977 von dieser Stelle aus gesagt habe, ein starker Staat, der sich wo es notwendig ist, mit den Mitteln des Rechts zu wehren wissen wird.
Das ist die Stunde, in der wir heute einen notwendigen und wichtigen Schritt tun, der bei voller Bewahrung der Abwehr terroristischer Gefahren Sicherstellungen für alle bringt, die durch Inhaftierung in einer solchen Situation betroffen sind.
({8})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den Punkt 5 der Tagesordnung. Dazu liegen Änderungsanträge der Fraktion der SPD sowie des Abgeordneten Mann und der Fraktion der GRÜNEN auf den Drucksachen 10/4017 und 10/4044 vor.
Die Fraktion der SPD wünscht Einzelabstimmung über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/4017. Wer der Änderung in Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Damit ist diese Änderung abgelehnt.
Ich rufe die Ziffer 2 der Drucksache 10/4017 auf. Wer dieser Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen! - Enthaltungen? - Die Änderung ist abgelehnt.
Vizepräsident Frau Renger
Ich rufe die Ziffer 3 der Drucksache 10/4017 auf. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist insgesamt abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/4044 unter Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Enthaltungen? - Dieses ist abgelehnt.
Wer Artikel 1 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieses ist angenommen.
Ich rufe Artikel 2 auf.
Hierzu liegt auf Drucksache 10/4044 unter Ziffer 2 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Mann und der Fraktion der GRÜNEN vor. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt.
Wer Art. 2 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Artikel ist angenommen.
Ich rufe die Art. 3 und 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit der vom Berichterstatter vorgetragenen Berichtigung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind in der zweiten Lesung angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in der dritten Lesung angenommen.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Beratung des Berichts des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung ({1}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Aussperrung
- Drucksachen 10/1635, 10/4013 Der Ältestenrat hat für die Aussprache eine Redezeit von fünf Minuten je Fraktion vereinbart. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tischer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN beantragte gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Bericht des federführenden Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum Stand der Beratungen über den am 27. Juni 1984 im Deutschen Bundestag beratenen Gesetzentwurf der Fraktion DIE GRÜNEN zum Verbot der Aussperrung. Ohne daß ich jetzt den Ausschußvorsitzenden, Herrn Glombig, kritisieren möchte, muß ich hier und heute feststellen, daß in diesem Hause Gesetzesinitiativen wie gerade der Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Aussperrung über 16 Monate unbehandelt mit dem Hinweis in der Schublade verschwinden, der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sei überlastet.
({0})
- Moment, immer schön langsam!
({1})
- Ich mache doch Ihnen keinen Vorwurf. Hören Sie erst mal zu.
Zur gleichen Zeit bringt es jedoch die Bundesregierung fertig, Kürzungen bei den Leistungen für Sozialhilfeempfänger oder Arbeitslose per Gesetzentwurf in nur wenigen Wochen durch die Ausschüsse zu peitschen. Das werden Sie wohl bestätigen.
({2})
Dieses Verhalten zeigt den Standort der regierenden Parteien.
({3})
Folgende Gründe geben Anlaß, den Gesetzentwurf der GRÜNEN zum Verbot der Aussperrung umgehend im Ausschuß, vor Sachverständigen und im Bundestag zu behandeln.
({4})
- Wenn Sie so gut lesen können, ist das in Ordnung.
Erstens. Der Gesetzentwurf zum Verbot der Aussperrung ist der erste seiner Art, der seit dem Bestehen der Bundesrepublik Deutschland von einer Bundestagspartei im Deutschen Bundestag eingebracht worden ist. Dies heißt konkret: Es hat über drei Jahrzehnte und die Anwesenheit der GRÜNEN im Bundestag gebraucht, bis hier ein Gesetzentwurf zum Verbot der Aussperrung diskutiert wird.
Zweitens. Der Gesetzentwurf zum Verbot der Aussperrung soll dem Grundrecht auf Streik zu einer Zeit Nachdruck verleihen, in welcher immer mehr wirtschaftliche und politische Kräfte die strategische Demontage dieses Grundrechtes vorbereiten und sich somit, gewollt oder ungewollt, zu Verfassungsbrechern machen.
Drittens. Der vom Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Ernst Breit, an alle Abgeordneten dieses Hauses gerichtete Brief vom 26. Juni 1984 mit der Bitte um Unterstützung dieses Gesetzentwurfs ist bis heute das einzige existierende Ge12414
genstück zum sogenannten Müller-Gutachten, welches per konkreten Formulierungsvorschlag die Angriffsaussperrung und somit das wirtschaftliche Fiasko der Gewerkschaften vorsieht. Hier muß man wohl dazusagen, daß es, obwohl damit jetzt hinter dem Berg gehalten wird, deutliche Absicht vor allem der Leute aus der FDP-Fraktion ist, diesen Punkt per Gesetzesinitiative in den nächsten Monaten im Bundestag einzubringen, d. h. Gebrauch von den Vorschlägen des Herrn Professors Müller zu machen.
({5})
- Da klatschen Sie. Aber Sie wissen gar nicht, was Sie damit in einer Demokratie, in der die Gewerkschaften im Vergleich zu anderen in Europa mäßig mit dem Mittel Streik umgegangen sind, anrichten.
({6})
Wir bitten alle Fraktionen dieses Hauses, auf eine zügige und positive Behandlung dieses Gesetzentwurfes zu drängen. Insbesondere die Kolleginnen und Kollegen der SPD werden aufgefordert, sich ihrer Arbeitertradition zu erinnern und nicht formalistische Ausreden zur Verschleppung der Beratung oder zur Ablehnung dieses Gesetzentwurfs zu gebrauchen. Wer sich Arbeiterpartei nennt, muß auch die Positionen vertreten, die bei Arbeitern und Gewerkschaften Konsens sind.
({7})
Alle Mitglieder des DGB bitte ich als IG Metaller, an der positiven Behandlung dieses Gesetzentwurfs mitzuwirken, da er eine schon lange ausgesprochene Forderung des DGB und seiner Einzelgewerkschaften einlöst. Wir können das in Grundsatzpapieren der Einzelgewerkschaften sehr gut nachlesen. Das liegt im Interesse der Arbeitnehmer.
Den Parteien der Regierungskoalition sei noch ein Schuß vor den Bug gegeben. Die Regierungsparteien mögen sich bei dieser Gesetzesinitiative - wir werden die Möglichkeit einer Anhörung haben; die SPD wird einen entsprechenden Antrag wohl noch einbringen - sehr genau überlegen, was sie in den nächsten Monaten mit ihren eigenen Gesetzesinitiativen vorhaben und was sie damit anrichten. Das Augenmerk sollte dabei auf dem Mißverhältnis zwischen dem, was heute mit Gewerkschaftern besprochen wird und was man heute in Gewerkschaften, vor allem in der Aktionswoche, einbringt, und dem, was man danach tut, liegen. Wir werden die Doppelzüngigkeit vor allem der FDP- und der CDU/ CSU-Fraktion aufdecken, sobald dies an den Tag tritt. Die Arbeitnehmer draußen seien davor gewarnt, vor allem den Freidemokraten leichtgläubig das abzukaufen, was diese mit wenigen Leuten auf DGB-Foren in dieser Woche oder in den vorhergehenden Wochen vertreten haben; dabei wurde das, was man eigentlich vorhat, weggeleugnet.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lohmann ({0}).
Frau Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Tischer, wenn Sie wenigstens heute die Gelegenheit genommen hätten, über Ihr Anliegen zu sprechen, kämen wir vielleicht einen kleinen Schritt weiter.
({0})
So haben Sie es im Grunde genommen im Ausschuß aber auch gehalten. Wer häufig nicht da ist, kann seine eigenen Initiativen und Gesetzentwürfe nicht vertreten. Er darf sich dann nicht wundern, wenn Zeitverzug eintritt.
({1})
Weil Sie auch heute zu Ihrem Gesetzentwurf nichts gesagt haben, kann ich mich nur auf das beziehen, was in den Papieren steht. Das will ich jetzt tun.
Die Aussperrung ist eben nicht, wie die Fraktion der GRÜNEN behauptet, ein Angriff auf das verfassungsrechtlich gesicherte Streikrecht der abhängig Beschäftigten in ihren Gewerkschaften, wie es wörtlich heißt, sondern die Aussperrung ist unverzichtbarer Bestandteil des „Arbeitskampfes"; dieser Begriff findet sich in Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes. Ganz bewußt wird hier das Prinzip von Macht und Gegenmacht gekennzeichnet.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Tischer? - Herr Abgeordneter Tischer, bitte.
Nachdem öfter der Vorwurf - vor allem von Ihnen - lautgeworden ist, daß die GRÜNEN an Ausschußsitzungen nicht teilnehmen, möchte ich von Ihnen gern einmal aufgezählt haben, bei welchen Ausschußsitzungen die Fraktionsmitglieder der GRÜNEN - wir stellen nur zwei Mitglieder im Ausschuß - gefehlt haben.
Ich werde es im Protokoll nachlesen und Ihnen dann schriftlich geben. Sie könnten es auch selbst nachlesen; ich werde es aber für Sie tun. Wir haben schließlich noch etwas anderes zu tun, als auch noch darüber Protokoll zu führen.
Sie haben nur fünf Minuten Redezeit.
Aber die Zwischenfrage wird ja nicht angerechnet, Frau Präsidentin.
Ganz bewußt wird darauf also nicht eingegangen. An einer Grundgesetzänderung wollen Sie sich, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, nun vorbeimogeln und so tun, als wenn das Grundgesetz nur das Streikrecht als Arbeitnehmerschutzrecht garantiert. Auch in einer Reihe von anderen Gesetzen wird der Oberbegriff „Arbeitskämpfe" verwendet: im Betriebsverfassungsgesetz, im Arbeitsgerichtsgesetz, im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und im Arbeitsförderungsgesetz, das hier schon anLohmann ({0})
gesprochen wurde. In keinem dieser Fälle hat der Gesetzgeber zwischen Streik und Aussperrung differenziert. Wir haben sogar ein Gesetz, in dem der Gesetzgeber sowohl den Streik als auch die Aussperrung als zulässiges Arbeitskampfmittel expressis verbis zugebilligt hat. Nach § 18 Abs. 7 des Schwerbehindertengesetzes von 1974 sind Schwerbehinderte, denen lediglich aus Anlaß eines Streiks oder einer Aussperrung fristlos gekündigt worden ist, nach Beendigung des Streiks oder der Aussperrung wieder einzustellen. Es ist zu unterstellen, daß dem Bundes- und auch dem Landesgesetzgeber die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zur Aussperrung bekannt war.
Meine Damen und Herren, wer einem pauschalen Aussperrungsverbot das Wort redet, der will den Bruch mit allen Kampf- und Friedensregelungen, die bisher in breiter Übereinstimmung von unserer Gesellschaft getragen worden sind. Dazu gehören unverzichtbar die Kampffreiheit, die Waffengleichheit und die soziale Adäquanz. Das gewerkschaftliche Streikrecht darf nicht angetastet werden.
({1})
In einem freiheitlichen Tarifvertragssystem müssen Arbeitskämpfe zur Lösung von Tarifkonflikten zulässig sein, Herr Dreßler. Dies gilt aber genau so und ohne Wenn und Aber für das Aussperrungsrecht der Arbeitgeber.
({2})
- Nehmen Sie doch bitte das Urteil des Bundesarbeitsgerichtes vom 12. März 1985 einmal zur Kenntnis, in dem gesagt wird, daß die Arbeitgeber dem Druck, den die Gewerkschaften durch einen Streik auf sie ausüben, mit dem Mittel der Aussperrung begegnen können.
Die Tarifautonomie kann nur funktionieren, wenn sichergestellt ist, daß nicht eine Tarifpartei der anderen von vornherein ihren Willen aufzwingt, und wenn für beide Seiten möglichst gleiche Verhandlungschancen gegeben sind.
Es besteht keinerlei Handlungsbedarf in dieser Sache. Wer die Tarifautonomie will, muß auch die Kampfparität der Tarifvertragsparteien wollen.
({3})
Wer die Waffengleichheit nicht will oder wie Sie so tut,
({4})
als sei sie für die Gewerkschaft nicht gegeben,
({5})
der will das Diktat nur einer Seite, nämlich der Gewerkschaften,
({6})
oder er will sich dort durch billige Effekthascherei mit der Vorlage eines nachlässigen Gesetzentwurfs anbiedern, wie Sie es tun.
({7})
Wie unser Arbeitsleben, unser Gesellschaftsleben, der gesamte Umgang miteinander, ja wie unser Staat aussähe, wenn Sie, DIE GRÜNEN, das Sagen hätten, zeigt dieser Gesetzentwurf. Ich will jetzt gar nicht auf den Tagesordnungspunkt eingehen, den wir unmittelbar vorher behandelt haben. Die Spielregeln gesellschaftlicher und sozialer Fairneß wären außer Kraft gesetzt, und im Grund wäre das Faustrecht herbeigeführt.
({8})
Sie wollen eine andere Republik. Ein freiheitlicher und sozialer Rechtsstaat wäre das sicher nicht.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Tischer, der Ausschußvorsitzende hat uns einen sehr unterkühlten Bericht vorgelegt, aber immerhin sehr deutlich gesagt, daß die Behandlung Ihres Entwurfs mit Ihrem Einverständnis so geschehen ist. Er hätte vielleicht hineinschreiben können, daß wir nicht früher dazu gekommen sind, weil wir im Ausschuß auf Druck der Mehrheit die Wende vollziehen mußten
({0})
- in permanenten Kürzungsgesetzen, in zahlreichen Sondersitzungen unseres Ausschusses.
Zu Ihrem Entwurf lassen Sie mich sagen: Wir meinen, gesetzgeberische Vorstöße dieser Art dürfen nicht mit heißer Nadel, nicht mit dicker Nadel unternommen werden.
({1})
Wer zum Problem Aussperrungsverbot nur einen Zwölfzeiler präsentieren kann, hat nach unserer Auffassung die Dimension dieses Problems nicht erkannt.
({2})
Ihr Entwurf läßt so viele Fragen offen, daß wir uns im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, meinen wir, mehrere Sitzungswochen allein damit werden beschäftigen müssen. Zum Beispiel ist völlig unklar, wie sich Ihr Entwurf zur bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes verhält. Es bleibt völlig offen, wie sich z. B. ein isoliertes gesetzliches Aussperrungsverbot auf den Inhalt des Streikrechts auswirken könnte.
({3})
Wir Sozialdemokraten sind nicht bereit, in diesen
Fragen Blankoschecks auf die künftige Rechtspre12416
chung auszustellen. Wir wollen das Thema sorgfältig prüfen
({4})
und erwägen auch, ob eine Anhörung zu diesem Thema nötig ist. Auch künftig werden wir nicht darauf verzichten, daß unsere Beratungen in enger Abstimmung mit den Gewerkschaften geschehen.
Wir lehnen den Antrag der GRÜNEN in der vorliegenden Fassung ab. Aber unsere Haltung zum Verbot der Aussperrung ist über jeden Zweifel erhaben. Wir fordern ebenso wie die Gewerkschaften seit langem eine Ächtung
({5}) und ein Verbot der Aussperrung.
({6})
Wir verurteilen die Aussperrung als Angriff auf das grundgesetzlich verankerte Streikrecht. Während das Recht zum Streik das Ungleichgewicht zugunsten der Arbeitgeber beseitigen soll, Herr Lohmann, schafft die Aussperrung diese Waffengleichheit wieder ab. Die Aussperrung höhlt das Streikrecht aus und setzt den Machtvorteil der Arbeitgeberseite wieder voll durch.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tischer?
Ja - wenn es nicht angerechnet wird.
Bitte.
Mich interessiert ein Punkt: Sie führen jetzt formalistische Gründe für die Ablehnung an. Sie haben ein Jahr Zeit gehabt, im Ausschuß eine andere Interpretation mit dem gleichen Inhalt zu servieren. Ich frage Sie: Warum haben Sie in diesen 16 Monaten nicht eine andere Formulierung benutzt, die nach Ihrer Ansicht juristisch sauberer ist, aber inhaltlich die gleiche Position wie die hat, die die unsere und vor allem die des DGB ist?
({0})
Mit Verlaub gesagt, Herr Kollege Tischer: Ich finde das ein wenig überheblich. Sie wissen, wie lange dieser Antrag im Ausschuß vorliegt und wie wenig Sie sich darum gekümmert haben, daß dieser Antrag vordringlich behandelt wird. Und dann hier solche Reden!
({0})
- Aber das ist die richtige Antwort.
({1})
Wir Sozialdemokraten haben am 6. Juni 1984 in einem Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag zum Ausdruck gebracht - ich zitiere -:
... die Aussperrung [hat] keine moralische Berechtigung. Sie darf auch in der Bundesrepublik Deutschland kein Arbeitskampfmittel sein.
Durch eine Ächtung der Aussperrung muß das Koalitions- und Streikrecht wieder seine grundgesetzlich vorgesehene Bedeutung erlangen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tatge?
Wenn es nicht angerechnet wird, gern.
Ja, natürlich. Tatge ({0}): Ich bedanke mich.
Können Sie mir bestätigen, Herr Kollege, daß Sie das durchführen werden, was Ihr Obmann im Wirtschaftsausschuß, der Kollege Jens von der SPD, gesagt hat, daß Sie eine öffentliche Anhörung zu dem von uns geforderten Verbot der Aussperrung durchführen werden; und wenn das so ist, teilen Sie mit mir die Meinung, daß das mit ein Grund war, daß Sie das so lange hinausgezögert haben?
Ich habe bereits gesagt, daß wir der Frage einer Anhörung sehr offen gegenüberstehen.
({0})
- Ich kenne seine Aussage nicht.
Lassen Sie mich zum Abschluß sagen: Unsere Aussage im Deutschen Bundestag im Juni vergangenen Jahres bestimmt unsere Haltung nach wie vor. Wir werden jede mögliche und jede realistische Initiative ergreifen, um die Aussperrung als Arbeitskampfmittel zu beseitigen. Der Antrag der GRÜNEN ist nach unserem Empfinden keine realistische Initiative.
Unsere ablehnende Haltung gegenüber der Aussperrung macht uns nicht blauäugig, oder wenn Sie so wollen, Herr Kollege Tischer, nicht grünäugig. Wir lehnen Initiativen ab, die nur um der politischen PR-Show willen ergriffen werden.
({1})
Mit reinen PR-Effekten ist dieser Sache nicht gedient. Wer die Aussperrung gesetzlich verbieten will, darf sich über die bestehenden Machtverhältnisse keine Illusionen machen, er darf vor allen Dingen nicht übersehen, zu welchen Konsequenzen eine gesetzgeberische Initiative führen kann. Ein gutgemeinter Schnellschuß kann bei den Diskussionen in der FDP und der CDU über Probleme des Verbändegesetzes und ähnliches sehr schnell nach hinten losgehen.
({2})
Wir sehen die Gefahr, daß diese Initiative von konservativer und wirtschaftsliberaler Seite dazu mißbraucht wird, das Arbeitskampfrecht insgesamt gesetzlich zu regeln und die Gewerkschaften zu gängeln. Dies lehnen wir kategorisch ab.
({3})
Was im Gruselkatalog des Herrn Müller formuliert wurde und was innerhalb der Koalitionsfraktionen zu § 116 AFG vorbereitet wird, stößt auf unseren entschiedenen Widerstand. Zusammen mit den Gewerkschaften lehnen wir eine gesetzliche Regelung des Arbeitskampfrechts und jede Einschränkung der Neutralitätspflicht der Bundesanstalt für Arbeit ab. Wer diesen Plänen nachhängt, höhlt das verfassungsrechtliche Streikrecht aus und stellt die Tarifautonomie in Frage.
Letzter Satz: Wer so handelt, verhält sich wie ein Brandstifter, und zwar als Brandstifter unseres sozialen Friedens.
Ich danke Ihnen.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Tischer, nur zu Ihrer Information: Sie werden sicherlich auch gemerkt haben, daß gestern nachmittag Ausschußsitzung war, bei der Sie nicht da waren. Dies nur, um Ihrem Gedächtnis wieder aufzuhelfen.
({0})
Wir lehnen den Antrag der GRÜNEN auf ein Verbot der Aussperrung ab. Tarifauseinandersetzungen brauchen Kampfparität. Bei Tarifauseinandersetzungen muß deshalb auch die Möglichkeit bestehen, daß beide Seiten ihre Interessen angemessen darstellen und auch durchsetzen.
Dieser Kampfparität dient im übrigen auch die Neutralität des Staates, so wie sie heute schon im Arbeitsförderungsgesetz vorgeschrieben ist.
({1})
Sie ist vorgeschrieben. Wenn es darum geht, sie sicherzustellen, kann es eigentlich nur, falls sich die Tarifparteien nicht selber einigen sollten, darum gehen, eine Klarstellung dessen zu erreichen, was jetzt schon im Arbeitsförderungsgesetz steht.
({2})
Das Streikrecht, meine Damen und Herren, ist geschützt. Streikrecht wird in der Tarifauseinandersetzung gebraucht. Aber nicht alle Strategien, die die Gewerkschaften in einer Tarifauseinandersetzung anwenden, sind ebenfalls grundgesetzlich geschützt. Schon deshalb ist es notwendig, daß hier Waffengleichheit hergestellt wird, um ein Ungleichgewicht der beiden Seiten zu vermeiden.
({3})
Die Minimax-Strategie der Gewerkschaften z. B. können Sie sicherlich nicht aus dem Grundgesetz ableiten; trotzdem ist es notwendig, daß gegen diese Minimax-Strategie der Gewerkschaften die Arbeitgeber auch ein Mittel zur Verfügung haben. Mini-max, das heißt, bei einem minimalen Einsatz von
Geld der Gewerkschaften einen maximalen Schaden in der Wirtschaft zu erzielen.
({4})
- Mein Gott, hören Sie doch einmal zu!
({5})
Jeder Streik soll selbstverständlich einen Schaden in der Wirtschaft hervorrufen; er wäre sonst nicht sinnvoll. Deshalb muß natürlich die andere Seite, nämlich die Unternehmen, die Möglichkeit haben, diesen wirtschaftlichen Schaden so weit wie möglich zu begrenzen. Dafür brauchen wir die Aussperrung. Die Aussperrung dient dazu, den Streik schneller zu beenden. Das führt dazu, daß keine Diktate von der Seite der Gewerkschaften akzeptiert werden müssen,
({6})
sondern daß es zu wirklichen Kompromissen kommt, die letztlich dazu dienen, gesamtwirtschaftlich erträgliche Ergebnisse eines solchen Streiks sicherzustellen.
({7})
- Es wirft schon ein bezeichnendes Licht auf die Kollegen, daß sie nicht einmal mehr in der Lage sind, zuzuhören, wenn hier jemand redet, der nicht ihre Auffassung vertritt.
({8})
Ein bezeichnendes Licht auf die Einstellung der GRÜNEN wirft auch die Begründung, die sie zu diesem Antrag gebracht haben.
({9})
Da fragt man sich wirklich, ob diese Partei noch auf dem Boden unserer Verfassung steht.
({10})
Denn da wird in der Begründung etwa die Forderung aufgestellt, daß es doch wohl auch möglich sein muß, Eingriffe in das durch das Eigentumsrecht des Grundgesetzes garantierte Verfügungsrecht des Unternehmers vorzunehmen.
({11})
Das läßt zumindest die Frage offen, wie denn die GRÜNEN zu unserer Verfassung stehen.
({12})
Zum anderen wirft das ein sehr bezeichnendes Licht auf die autoritäre Haltung der GRÜNEN, autoritär schon deshalb, weil sie mögliche Einwände, mögliche andere Auffassungen zu dem gleichen Bereich, der politisch gestaltet werden muß, überhaupt nicht zulassen und einfach vom Tisch wischen. Da gibt es eine Zwischenüberschrift, die besagt - wörtliches Zitat -: „Mögliche Einwände sind unbe12418
gründet". Das heißt, die GRÜNEN schwingen sich hier wirklich zum Richter darüber auf, wer denn moralisch besser argumentiert.
({13})
- Ich gestehe Ihnen ja gerne zu, daß jeder in der Versuchung ist, auch einmal die Formulierung zu wählen: Die Einwände, die Sie bringen, sind unbegründet. Nur, wenn man das überlegt formuliert und gedruckt in einen Antrag hineinschreibt, wirft das ein bezeichnendes Licht auf diejenigen, die für sich allein das Recht auf absolute Wahrheit in Anspruch nehmen.
({14})
Darauf möchte ich einfach deshalb hinweisen, weil es natürlich schon die Konsequenz einer solchen Haltung sein kann, gegen eine pluralistische Demokratie Wege zu ebnen, und solche Wege fänden wir gefährlich. Deshalb haben wir, so meine ich, die Verpflichtung, auf das hinzuweisen, was hierin an Gefahren steckt.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten haben hier einen Eiertanz vollführt.
({15})
Das spiegelt durchaus die Widersprüche wider, die auch in dieser Frage zwischen gemäßigten Gewerkschaftern und Ideologen in der SPD anzutreffen sind.
({16})
Abschließend, meine Damen und Herren: Wir brauchen starke Gewerkschaften in unserer Gesellschaft, wir brauchen die Tarifautonomie,
({17})
wir brauchen die Kampfparität im Streik, und dazu gehört für uns auch das Recht zur Aussperrung.
Vielen Dank.
({18})
Meine Damen und Herren, damit ist Punkt 6 der Tagesordnung erledigt.
({0}) Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Überstundenabbau
- Drucksache 10/3947 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({1}) Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht, oder können wir gleich in die Aussprache eintreten? - Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Tatge.
Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit dem heute zu debattierenden Gesetzentwurf der GRÜNEN zum Überstundenabbau wird ein weiterer Mosaikstein im Gesamtbild unserer Wirtschaftspolitik deutlich. Die Möglichkeiten, die man im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit hat, haben wir im Bundestag vielfach eingebracht und debattiert: erstens unser Arbeitszeitgesetzentwurf; zweitens der Gesetzentwurf zur Förderung örtlicher Beschäftigungsinitiativen; drittens der ökologische Nachtragshaushalt, der über sinnvolle Investitionen Arbeitsplätze schafft; viertens die Stärkung der Arbeitnehmerrechte, wie dies durch unseren heute erörterten Antrag zum Gebot der Aussperrung deutlich wurde.
Wir als GRÜNE haben auch gegenüber den Gewerkschaften eine eigenständige Position, was die Wahrnehmung und Verteidigung von Arbeitnehmerrechten angeht. Wir möchten, wo immer möglich, diesen Weg gemeinsam mit den Gewerkschaften gehen, aber wir lassen uns unser eigenes Profil nicht nehmen. Wir hoffen jedoch, daß gerade die gewerkschaftlich organisierten Mitglieder des Deutschen Bundestages unserem Gesetzentwurf zustimmen.
Der DGB schreibt auf Seite 16 seiner Broschüre zur Aktionswoche, daß die Vermeidung von Überstunden Arbeitsplätze schaffen würde. Jede Arbeitsstunde weniger, so führt der DGB aus, ist ein Stück mehr Chance für einen Arbeitslosen.
({0})
In der Tat: Auf Grund der Untätigkeit der Bundesregierung in einer Situation, in der wirtschaftspolitisches Handeln gefragt wäre, bei 2,2 Millionen Arbeitslosen und ca. 1,3 Millionen sogenannter stiller Reserve, ist unser Gesetzentwurf als aktuelle Maßnahme zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu verstehen.
({1})
Die Realisierung dieses Gesetzentwurfs würde die Struktur der bundesdeutschen Produktion in der richtigen Weise verändern. Eine solche Strukturpolitik ist jetzt notwendig. Tatsache ist, daß die in der Bundesrepublik geleisteten Überstunden 1985 ca. 1,6 Milliarden Stunden ausgemacht haben. Das entspricht rein rechnerisch - ich betone: rein rechnerisch - 940 000 Vollzeitarbeitsplätzen.
Hinzu tritt noch eine nicht näher erfaßbare Zahl informeller Überstunden, die vor allem im Bereich der Angestellten und der Verwaltung geleistet werden.
Die Arbeitsmarktforschung sagt ganz deutlich, daß Überstunden weitgehend kontinuierlich anfallen und insofern ein fester Bestandteil der Produktions- und Arbeitszeitplanung der Betriebe sind. Der Regelfall ist nicht so, daß Überstunden sporadisch auftreten und somit einen nicht vorhersehbaren Charakter haben.
Tatsache ist ebenso, daß in dem Zeitraum von 1975 bis 1985 im Jahresdurchschnitt von den abhängig Beschäftigten wöchentlich zwischen 1,6 und 2,4 Überstunden geleistet wurden.
Auch wir sehen, daß in einem gewissen Rahmen Mehrarbeit bzw. Überstunden vonnöten sind, wenn tatsächlich unvorhersehbare und unaufschiebbare Arbeitszeiterfordernisse anfallen. Dies haben wir auch in unserem Gesetzentwurf berücksichtigt.
Wir sind mit dem Präsidenten der Bundesanstalt für Arbeit, Herrn Franke, einer Meinung, daß durch einen sofortigen Überstundenabbau - hier zitiere ich Herrn Franke - mehrere hunderttausend Arbeitsplätze geschaffen werden könnten.
Die wichtigsten drei Punkte in unserem Gesetzentwurf sind: Erstens. Die gesetzliche wöchentliche Normalarbeitszeit soll auf 40 Stunden begrenzt werden.
Zweitens. In diesem Rahmen soll Mehrarbeit nur bis zu zwei Stunden wöchentlich möglich sein, und zwar nur dann, wenn unvorhersehbare und unaufschiebbare Arbeiten auftreten.
Drittens. Falls Mehrarbeit bzw. Überstunden geleistet werden, muß dem Freizeitausgleich Vorrang eingeräumt werden.
({2})
Ein weiteres wichtiges Argument ist der Arbeitsplatzabbau durch weitere Rationalisierung. Die Informations- und Kommunikationstechnologien, die auch noch massiv vom Staat gestützt und gefördert werden, lassen auf Grund ihrer Universalität ungeheure Rationalisierungspotentiale erschließen. Die zu erwartende Rationalisierungswelle konzentriert sich nicht auf einzelne Branchen, sondern wird quer durch alle Wirtschaftszweige verlaufen. Den geringen Beschäftigungseffekten, z. B. bei der Verkabelung, steht ein rigoroser Arbeitsplatzabbau im Bürobereich gegenüber. Wie viele Arbeitsplätze wirklich abgebaut werden, läßt sich derzeit noch nicht exakt quantifizieren, doch muß dabei immer bedacht werden, daß die Rationalisierungswelle die bereits hohe Arbeitslosigkeit begleiten und damit verschärfen wird.
Das mit der öffentlichen Finanzierung der Informations- und Kommunikationstechnologien vorgebrachte Beschäftigungsargument hat allein die Funktion, von dem Rationalisierungscharakter dieser Technik abzulenken. Gleiches gilt auch für den Hinweis auf die notwendige Modernisierung der Volkswirtschaft, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft herzustellen. Gerade in bezug auf den Dienstleistungssektor, in dem Informations- und Kommunikationstechnologien rasche Verbreitung finden, kann von internationalem Wettbewerb nicht gesprochen werden. Demnach ist in die öffentliche Förderung der Informations- und Kommunikationstechnologien auch die Förderung der Arbeitslosigkeit eingeschlossen.
Die Aussage der Enquete-Kommission „Neue Informations- und Kommunikationstechnologien" über die Arbeitsplatzeffekte im Bürobereich sind besonders erwähnenswert. Es läßt sich nachweisen, daß im Durchschnitt 80 % der Bürokosten Personalkosten sind, während der Personalkostenanteil im Produktionsbereich im Durchschnitt 40 % beträgt. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß der Anteil der im Büro Beschäftigten an der Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten von rund 35 % im Jahre 1950 auf mehr als 50 % im Jahre 1980 angestiegen ist, so ergibt sich daraus, daß heute etwa 40 % der volkswirtschaftlichen Produktionskosten auf Personalkosten im Büro- und Verwaltungsbereich entfallen. Berücksichtigt man weiterhin die Siemens-Studie, die darlegt, daß zirka 25 % der Büro- und Verwaltungstätigkeiten als Routinetätigkeiten potentiell automatisierbar sind, so folgt daraus, daß sich durch den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien ungefähr 10 % der Personalkosten potentiell einsparen lassen. Eine Einsparung von 10 % der gesamten Personalkosten würde - grob gerechnet - einem Arbeitsplatzverlust in der Größenordnung von 2 Millionen bis 2,5 Millionen entsprechen. Genau wegen dieser Entwicklung, die in den nächsten 10 bis 15 Jahren in der bundesdeutschen Wirtschaft Platz greifen wird, sind Arbeitszeitverkürzungen, Wochenarbeitszeitverkürzungen, aber eben auch der Abbau von Überstunden dringend notwendig.
({3})
Ein weiteres entscheidendes Argument für unseren Gesetzentwurf ist das Problem der Belastungen am Arbeitsplatz. Eine Vielzahl von Studien - so auch die des Bundesinstituts für Berufsbildung und des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung - belegen, daß Millionen von Arbeitnehmern belastenden und gesundheitsschädigenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind, die aus der Arbeitsumgebung, aus der Arbeitsorganisation und dem Arbeitsvollzug resultieren. In diesem Kontext müssen restriktive Arbeitsregelungen, Nacht- und Schichtarbeit sowie die ständig geleistete Mehrarbeit thematisiert werden.
Tatsache ist, daß die Verlängerung der Arbeitszeit durch regelmäßige Überstunden und Sonderschichten die Arbeitsbelastung erhöht. Davon sind insbesondere die Industriearbeiter und Industriearbeiterinnen betroffen, die unter Belastungseinflüssen wie Lärm, Staub, schwerem Heben, Feuchtigkeit und Unfallgefahren arbeiten.
Die Diskussion um krankmachende Arbeitsbedingungen ist in den vergangenen Jahren bis heute durch eine hohe und nahezu kontinuierlich steigende Frühverrentung belegt. So stieg z. B. vom Jahre 1974 bis zum Jahre 1983 im Bereich der Arbeiterrentenversicherung bei den Männern die Zahl von 40,33 % auf 55, 8 %; bei den Frauen war im selben Zeitraum eine Steigerung von 47,73 % auf 59,16 % zu verzeichnen.
Daraus ergibt sich für mich die folgende Schlußfolgerung: Wer - erstens - Gesundheitsverschleiß am Arbeitsplatz abbauen will und - zweitens - im Rahmen des Systems der sogenannten Sozialen
Marktwirtschaft wirklich Maßnahmen ergreifen will, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, der kann unserem Gesetzentwurf nur zustimmen. Ich kann Ihnen versichern, daß wir sehr genau darauf achten werden, wer dies heute tut.
Erlauben Sie mir zum Schluß, zu sagen: Ich fände es interessant, zu wissen, was mein Ausschußkollege Wissmann - der Kollege ist leider nicht anwesend - dazu sagen würde, weil er in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung" sehr deutlich zum Ausdruck gebracht hat - dieser Fall ist jetzt eingetreten -, wenn die appellativen Aufforderungen der Bundesregierung ungehört blieben - jetzt zitiere ich -, „müßten bei der Novellierung der Arbeitszeitordnung nach der Sommerpause gesetzliche Vorschriften zur Begrenzung des Überstundenwildwuchses eingebracht werden". Wir haben das getan. Bitte stimmen Sie unserem Antrag zu.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Louven.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, Herr Tatge, daß die GRÜNEN nicht wissen, wie es in unseren Betrieben aussieht: Ihr Gesetzentwurf und Ihre Rede legen ein sehr deutliches Zeugnis dafür ab.
({0})
Insbesondere die Probleme der mittelständischen Wirtschaft sehen Sie nicht. Aber woher sollten Sie diese auch kennen? Ihr sehr forscher, jedoch von Unkenntnis strotzender Gesetzentwurf, mit dem zugunsten von Neueinstellungen Überstunden abgebaut werden sollen, sieht vor, die Wochenarbeitszeit auf 40 Stunden zu begrenzen und die wiederum auf höchstens fünf Tage in der Woche zu verteilen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tatge, Herr Kollege?
Nein, ich lasse keine Zwischenfragen zu.
Keine Zwischenfrage.
Auf Grund kollektivvertraglicher Regelungen soll dann bei unvorhersehbaren und unaufschiebbaren Arbeiten zwei Stunden mehr in der Woche gearbeitet werden können; danach ist Schluß.
Gestatten Sie, daß ich einmal mit einem Beispiel aus meinem Berufsstand beginne.
({0})
- Herr Kollege Jagoda, haben Sie „Südbahnhof" gerufen? Wollen Sie mir bitte sagen, was ich unter dem Wort „Südbahnhof" verstehen darf.
In Bäckereien und Konditoreien ist der Arbeitsanfall im November und Dezember auf Grund des Weihnachtsgeschäftes um etwa 60 % höher. Für diese sechs Wochen Arbeitskräfte einzustellen, scheidet aus. Bis die wissen, wo die Türen auf- und zugehen, ist Weihnachten vorbei.
({1})
Folgte man Ihren Überlegungen, müßten die Bäckereien auf ihr Weihnachtsgeschäft verzichten. Was soll denn ein Betrieb machen, wenn ein Wasserrohrbruch in zwei Stunden nicht zu beheben ist? Was soll das Unternehmen machen, wenn ein lebenswichtiger Eilauftrag erledigt werden muß? Soll der hochqualifizierte Spezialist, für den es am Arbeitsmarkt keinen Ersatz gibt, nach der 40-Stunden-Woche nach Hause gehen, mit der Folge, daß die von seinen Vorarbeiten abhängigen Kollegen nicht mehr beschäftigt werden können? Was ist denn, wenn in einem kleinen Handwerksbetrieb jemand krankheitsbedingt ausfällt und Verträge eingehalten werden müssen?
({2}) Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen.
Wir sollten auch bedenken und anerkennen, daß Überstunden vielfach die Vorstufe zur Kapazitätsausweitung bilden. Durch Überstunden wird mehr Nachfrage befriedigt. Solange jedoch Unsicherheit darüber besteht, ob die Mehrnachfrage dauerhaft ist und damit Kapazitätserweiterungen gerechtfertigt sind, weichen die Betriebe halt aus.
({3})
Wenn man sich Ihre Begründung zu Gemüte führt, wird auch hier Ihre Unkenntnis über die wirtschaftlichen Gegebenheiten deutlich. Es stimmt nicht, daß auf der Ebene der Tarifverträge und der Betriebsvereinbarungen bisher keine wirksamen Schritte zum Abbau der Überstunden vereinbart worden sind. In vielen Tarifverträgen ist diese Frage geregelt. Selbst Regelungen über das Abfeiern von Überstunden sind mittlerweile in Tarifverträgen enthalten. Diese Tarifverträge lassen übrigens den Betrieben wesentlich mehr Spielraum für Überstundenabbau, als Sie es in Ihrem wirklichkeitsfremden Gesetzentwurf fordern.
Den Schwarzen Peter für zu leistende Überstunden schieben Sie dann einseitig den Unternehmern zu. Nun sind wir es von Ihnen gewohnt, daß Sie sich als Unternehmerfresser hervortun.
({4})
Sie reden vom Druck, den die Unternehmensleitungen immer wieder auf die Personalvertreter ausüben. Dabei sollten Sie zur Kenntnis nehmen, daß es es leider vielfach so ist, daß sich Unternehmensleitungen und Personalräte augenzwinkernd und schulterklopfend auf Überstunden verständigen, und zwar auch solche Personalvertreter, die in Sonntagsreden gegen die hohe Arbeitslosigkeit protestieren.
({5})
Wir stimmen mit Ihnen überein, daß 1,6 Milliarden geleistete Überstunden pro Jahr zuviel sind. Im Gegensatz zu Ihnen bevorzugen wir aber flexiblere Lösungen für den Arbeitsmarkt, um von dieser hohen Überstundenzahl herunterzukommen.
({6})
Wir glauben, daß das Beschäftigungsförderungsgesetz, welches seit Mai in Kraft ist, hier richtige Ansätze enthält.
({7})
Daß wir nicht tatenlos dieser Entwicklung zusehen, erkennen Sie daran, daß wir die Bundesregierung beauftragt haben, bis zum 30. Juni des nächsten Jahres einen Bericht über die Entwicklung bei den Überstunden vorzulegen.
({8})
Wir sind davon überzeugt, daß eine Regelung, die auf einen Schlag die Überstunden bis auf einen kleinen Rest verbieten wollte, wirklichkeitsfremd wäre
({9})
und durch Erdrosselung der Betriebe sogar Arbeitsplätze gefährden und Schwarzarbeit fördern würde.
({10})
Die in vielen Betrieben praktizierte gleitende Arbeitszeit, die z. B. eine Wochenarbeitszeit von 48 Stunden in der einen und von 32 Stunden in der anderen Woche ermöglicht, wäre nach Ihrem Entwurf nicht mehr zulässig.
Die Bundesregierung hat schon im Vorjahr sehr intensive Überlegungen zum Überstundenabbau angestellt, dann aber aus wohlerwogenen Gründen von einer gesetzlichen Regelung abgesehen.
({11})
Auch uns in der CDU/CSU ist deutlich geworden, wie begrenzt auf Grund vielfältiger Rücksichtnahmen die Wirksamkeit gesetzgeberischer Maßnahmen wäre. Durch mehr Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt haben es die Tarifvertragsparteien in der Hand, in angemessener und wirksamer Weise Überstunden durch Neueinstellungen zu ersetzen.
Ich bin davon überzeugt, daß eine Lösung über tarifvertragliche Regelungen die Betriebe weniger beeinträchtigt; dennoch kann man dadurch mehr Überstunden abbauen, als es die Planierraupe des Gesetzgebers vermöchte, die Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, ansetzen wollen. Durch Tarifvertrag ließe sich auch die Berechnung des Ausgleichszeitraums und anderer Modalitäten des Abfeierns von Überstunden wesentlich besser regeln als mit dem groben Instrumentarium des Gesetzgebers.
Auch die gemeinsame Erklärung des DGB-Chefs Breit und des BDA-Präsidenten Esser vom 14. 12. 1984 macht deutlich, daß die Tarifpartner gefordert sind.
({12})
Wenn diese Ihre Möglichkeiten nicht nutzen, wenn der besagte Appell nicht beachtet wird, wenn die Möglichkeiten des Beschäftigungsförderungsgesetzes nicht ausgeschöpft werden
({13})
- und hierüber erwarten wir bis Mitte nächsten Jahres den Bericht den Bundesregierung -, dann ist in der Tat zu überlegen, ob Handlungsbedarf von seiten des Gesetzgebers besteht. Ich würde es aber sehr bedauern, wenn es hierzu kommen müßte; denn eine gesetzliche Regelung würde stark in innerbetriebliche Abläufe eingreifen.
({14})
Ich kann von daher nur an alle Beteiligten appellieren, uns nicht in diese Situation zu bringen.
Appellieren muß ich an dieser Stelle auch an die öffentliche Hand, an Bund, Länder und Gemeinden sowie an Bundespost und Bundesbahn. Es geht nicht an, daß wir von der freien Wirtschaft den Abbau der Überstunden erwarten, in diesen Bereichen jedoch weiter wie bisher verfahren.
({15})
Auch hierüber werden wir wachen, und darüber wird gegebenenfalls im nächsten Jahr zu reden sein.
({16})
Auch der Brief des Bundestagspräsidenten, den er uns heute zugeleitet hat, sollte uns zu denken geben. Er schreibt:
Ich halte es mit der Kommission für problematisch, auf Dauer Überstundenvereinbarungen mit Mitarbeitern zu treffen oder Rentner und Pensionäre aus dem öffentlichen Dienst mit entsprechender Versorgung einzustellen, während zahlreiche qualifizierte Arbeitslose sich erfolglos um eine Anstellung bemühen.
({17})
- Offensichtlich, Herr Dreßler, gibt es auch hier noch Kollegen, die so verfahren.
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur vorgeschlagenen gesetzlichen Festschreibung der 40Stunden-Woche. Diese Lösung ist schon vom Ansatz her falsch. Das staatliche Arbeitszeitschutzrecht sollte nicht zur Nachzeichnung der tariflichen Entwicklung der Wochenarbeitszeit herangezogen werden, sondern sich, wie es im Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes der Bundesregierung vorgeschlagen wird,
({18})
auf die Festlegung von gesundheitlich notwendigen
Grenzen für die höchstzulässige tägliche Arbeitszeit beschränken. Alles andere beeinträchtigt nur
die gebotene Flexibilität. Innerhalb dieser gesundheitlich notwendigen Grenzen sollte den Tarifvertragsparteien, den Betriebsräten und den Betriebsleitungen ein ausreichender Spielraum gelassen werden. Auch hier meine ich, daß autonome Regelungen vorzuziehen sind, weil sie einfach praxisnäher und korrekturfähiger sind.
Der vorgelegte Gesetzentwurf, meine Damen und Herren - lassen Sie mich dies abschließend sagen -, ist mit uns nicht zu verwirklichen.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Weinhofer.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In keinem anderen Hause werden wohl so viele Überstunden abgeleistet wie in diesem.
({0})
Eine weitere Eigenart ist vielleicht, daß wir von Regelungen sprechen, die wir selbst nicht einhalten.
({1})
Ich bin weiterhin der Meinung, daß dieses das einzige Haus in der Republik ist, in dem der Abbau von Überstunden nicht zwangsläufig neue Arbeitsplätze schaffen würde.
({2})
Aber nun zum vorliegenden Gesetzentwurf der GRÜNEN. Er ist meiner Meinung nach ein Teil aus Ihrem ursprünglichen Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes, der am 25. Oktober 1984 eingebracht wurde. Nach meiner Auffassung ist dieser Gesetzentwurf ein reiner Schaufensterantrag, der in der Sache nichts bringt.
({3})
Er ist außerdem in einem wesentlichen Punkt antigewerkschaftlich.
Unser Entwurf, den wir im Ausschuß wie im Parlament ausführlich beraten haben, ist von der CDU/ CSU, der FDP sowie der Fraktion der GRÜNEN leider abgelehnt worden.
({4})
- Daran haben Sie in der Zeit vorher auch noch mitgewirkt, Herr Cronenberg.
Der Gesetzentwurf der GRÜNEN folgt zwar unseren Vorgaben, durch gesetzliche Maßnahmen die Überstunden zu begrenzen und Dauerüberstunden abzubauen;
({5})
er ist aber weder neu noch originell,
({6})
allerdings in wesentlichen Teilen von unseren Entwürfen „abgekupfert".
({7})
- Ihre Zwischenrufe beweisen, daß Sie, obwohl Sie der „zweiten Welle" angehören, mittlerweile drittklassig geworden sind.
({8})
Neu in Ihrem Entwurf ist allerdings die Vorschrift des § 2 Abs. 5.
({9})
- Hören Sie doch mal zu. - Dort ist das individuelle Verweigerungsrecht der einzelnen Arbeitnehmer festgeschrieben. Der einzelne soll sich kollektiven Regelungen widersetzen können. In Ihrer Begründung heißt es:
Die Durchbrechung des Grundsatzes, daß Kollektivvereinbarungen in der Regel verbindliche Wirkungen für die betroffenen Arbeitnehmer/ innen entfalten ..., war erforderlich, um einzelne Arbeitsnehmer/innen nicht dem Zwang zu Überstunden auszusetzen.
Diesem Gedanken können wir nicht folgen. Kollektive Regelungen, die von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Betriebsräten unterschrieben sind, müssen auch eingehalten werden.
({10})
Zum Zustandekommen derartiger Vereinbarungen gehört zwingend die Berechenbarkeit hinsichtlich der Wirkung. Das individuelle Verweigerungsrecht, das die GRÜNEN hier niedergeschrieben haben, ist meiner Meinung nach offensichtlich ihrem Mißtrauen gegenüber Gewerkschaften und Betriebsräten entsprungen und im Grunde bourgeoises Denken.
({11})
Nun zur Sache selber. Der Abbau der Überstunden ist unserer Meinung nach aus zwei Gründen zwingend notwendig. Erstens kann dadurch eine Verminderung der Massenarbeitslosigkeit erreicht werden, und zweitens - das wird oft vergessen - geht es beim Abbau von Überstunden auch um die Humanisierung der Arbeit.
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz hat zu Recht wiederholt darauf hingewiesen, daß Arbeitszeitbeschränkung nach wie vor als präventive Arbeitsschutzmaßnahme anzusehen ist.
({12})
In der Stellungnahme der Bundesanstalt für Arbeitsschutz zum Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes der SPD heißt es - ich zitiere -:
Derzeit vollzieht sich in der Arbeitswelt eine Verschiebung des Belastungsspektrums: Abnahme körperlicher Arbeit, Zunahme informatorischer nichtkörperlicher Arbeit. Bei psychomentaler Beanspruchung besteht ein gegenüber physischer Beanspruchung größeres RiWeinhofer
siko der Überbeanspruchung, weil der Mensch für psychische, insbesondere aber informatorisch-mentale Beanspruchung nach dem Stand der Forschungen keinen so deutlichen ...
So geht dies in deren Wissenschaftsdeutsch weiter. Auf den Nenner gebracht heißt das: Die geistige Arbeit streßt oft mehr als die körperliche Arbeit.
({13})
Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz hat auch wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß sich fast die Hälfte aller tödlichen Unfälle ereignen, nachdem das Unfallopfer innerhalb der dem Unfall vorangegangenen sieben Kalendertage mehr als 40 bis 42 Stunden in der Woche gearbeitet hat. Das heißt: Arbeitszeitverkürzung generell, aber auch die Begrenzung der Überstunden ist ein zwingendes Gebot, wenn man Humanisierung der Arbeit nicht nur als Schlagwort begreift.
({14})
Auf die Beschäftigungswirkung durch den Abbau von Überstunden kann angesichts der steigenden Massenarbeitslosigkeit auch unserer Meinung nach auf keinen Fall verzichtet werden. Bei einem vorsichtig kalkulierten Wiederbesetzungseffekt von etwa 50 %, so rechnet dies das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit, sind das etwa 480 000 Arbeitsplätze - rein theoretisch.
({15})
Das ist allerdings die Obergrenze, weil nicht jede Überstunde wegzubringen ist. Es gibt z. B. - dies werden Sie auch nicht leugnen können - unvermeidbare Überstunden bei Reparaturfällen und auch jahreszeitlich bedingte abzufahrende Betriebsspitzen. Aber: Wenn der Gesetzgeber, was unbedingt notwendig ist, den Rahmen für Überstunden eng begrenzt, sind unserer Meinung nach schon in kurzer Zeit ca. 150 000 bis 200 000 Arbeitsplätze zu schaffen.
({16})
Damit wird die Massenarbeitslosigkeit zwar nicht beseitigt, aber der Abbau von Überstunden ist unserer Meinung nach ein wirksamer Beitrag zur Bewältigung des Problems der Massenarbeitslosigkeit.
({17})
Es ist allerdings erforderlich, daß der Abbau von Überstunden in eine Gesamtstrategie der Verkürzung der Arbeitszeit eingebettet und die Arbeitszeitverkürzung als Teil der Gesamtstrategie zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit begriffen wird.
Und nun zur Bundesregierung: Bisher hat die Bundesregierung es nur bei Appellen belassen. Dabei sind Unterschiede im Reden und Handeln bei
Minister Blüm sowie bei Bundeskanzler Kohl festzustellen.
({18})
Arbeitsminister Blüm hat im Deutschen Bundestag folgendes erklärt:
Ich teile Ihre Kritik daran, daß die einen null und die anderen mehr arbeiten. Insofern ist Mehrarbeit als Normalzustand ein Skandal, eine Rücksichtslosigkeit, auch ein Solidaritätsverstoß.
Aber was geschieht? Und hier habe ich Deckungsgleichheit mit dem Vorredner, dem Kollegen Louven: Ich zweifle an der Ernsthaftigkeit dessen, was hier gesagt worden ist. Die Minister Blüm unterstellte Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg bringt es pro Jahr auf mehrere 100000 Überstunden.
({19})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Tischer?
({0})
Nein, ich will zum Schluß kommen.
Also, der Redner läßt keine Zwischenfrage zu, Herr Abgeordneter.
Allein bei der Bundespost werden ca. 10 Millionen Überstunden pro Jahr geleistet.
({0})
- Darauf komme ich gleich. So ist es, an die Sache müssen wir einmal ran. Wir dürfen nicht nur immer reden, sondern müssen auch handeln.
({1})
- Ja, aber Sie haben j a sicherlich auch Innenminister in den von Ihnen geführten Bundesländern, in denen das gleiche Problem ist.
({2})
Aber ich will es noch einmal generell quantifizieren: Wir haben ca. 10 Millionen Überstunden im Bereich der Polizei, der Länder, des Bundes sowie des Bundesgrenzschutzes.
({3})
Ich meine, daß weitere Appelle hier nichts helfen. Auch im öffentlichen Bereich können neue Arbeitsplätze geschaffen werden.
({4})
Wir Sozialdemokraten lehnen den Antrag der GRÜNEN ab,
({5})
weil er unausgewogen und antigewerkschaftlich ist. Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich selbst konkrete gesetzgeberische Maßnahmen zu ergreifen, um durch den Abbau von Überstunden im öffentlichen Dienst sowie in der Privatwirtschaft neue Arbeitsplätze zu schaffen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg.
Frau Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich mich mit dem Gesetzentwurf der GRÜNEN auf Drucksache 10/3947 auseinandersetze,
({0})
erlaube ich mir, einige Bemerkungen zum Beitrag des Kollegen Weinhofer zu machen. Herr Kollege Weinhofer, ich möchte mich nicht in den Streit einmischen, ob die GRÜNEN den Entwurf bei Ihnen abgekupfert haben oder nicht, sondern mich lediglich dazu äußern, ob Ihre zwei Begründungen für den Abbau der Überstunden zutreffend sind.
Sie sagen, dies sei ein Beitrag zur Minderung der Massenarbeitslosigkeit.
({1})
Da bin ich der Meinung, daß das falsch ist. Radio Eriwan: theoretisch ja, praktisch nein. Es ist einfach nicht möglich, die Zahl der Überstunden durch die Zahl potentieller Arbeitnehmer zu dividieren, einen Abschlag zu machen und zu sagen: Das kommt dabei heraus. Das ist graue Theorie.
Anders bewerten möchte ich die zweite Begründung, Humanisierung. Kollege Weinhofer mag recht haben: Arbeitszeitverkürzung, auch Abbau von Überstunden, kann durchaus ein Beitrag zur Humanisierung sein. Es kommt darauf an, was man mit der Freizeit macht. Wenn sie Voraussetzung für mehr Schwarzarbeit ist, dann ist genau das Gegenteil die Folge.
({2})
- Selbstverständlich, Frau Präsidentin, gestatte ich dem Kollegen Dreßler eine Zwischenfrage.
Bitte, Herr Kollege Dreßler, eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Cronenberg, würden Sie mir zustimmen, wenn das, was Sie gerade gesagt haben, auch auf Persönlichkeiten außerhalb dieses Hauses angewendet wird: daß so gesehen der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit ein grauer Theoretiker ist?
({0})
Sie kennen die Auseinandersetzungen zwischen dem ehrenwerten ehemaligen Kollegen Franke und mir in diesem Hause. Sie wissen, wie ich seine Meinung schätze.
Herr Kollege Dreßler, wenn in der Bundesanstalt für Arbeit zu viele Überstunden gemacht werden, dann beklage ich das wie Sie. Der Vorschlag, dort mehr Beamte einzustellen, scheint mir nicht richtig zu sein. Wenn es uns jedoch gemeinsam gelingt, die Ursache für die Überstunden nämlich die Arbeitslosigkeit, zu beseitigen,
({0})
dann brauchen wir keine Mehreinstellung bei der Bundesanstalt.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schreiner?
Ja, Frau Präsidentin, unter der Voraussetzung, daß es mir nicht auf meine Arbeitszeit gleich Redezeit angerechnet wird.
Herr Kollege Cronenberg, ich wollte Sie fragen, ob Sie mir zustimmen, wenn ich sage, daß der Abbau von Überstunden auch insoweit ein Beitrag zur Humanisierung von Arbeit wäre, als nachweislich nach allen Statistiken die Mehrzahl der tödlichen Arbeitsunfälle und die Mehrzahl der schweren Verletzungen im Arbeitsbereich im Rahmen des Überstundensektors geschehen, daß jenseits der Dimension von menschlichem Leid auch die sozialen Folgekosten, die hierdurch erstehen, von ganz erheblicher Wirkung sind.
Herr Kollege Schreiner, Sie werden sicherlich niemandem unterstellen, daß er sozusagen auch durch Überstunden tödliche Unfälle provozieren will.
({0})
Sie wissen - insoweit ist in Ihrer Fragestellung eine Unterstellung, die ich hier zurückweisen möchte -, daß es niemanden gibt, der Überstunden für gut hält, daß es niemanden gibt, der mit Gewalt Überstunden haben will, sondern daß es lediglich Leute gibt - wie ich -, die Überstunden für unvermeidlich und das Verbot derselben für sehr schädlich halten. Ich bitte das vor diesem Hintergrund zu bewerten.
Im übrigen möchte ich die Kollegen bitten, den materiellen Inhalt des Gesetzes, das uns vorgelegt worden ist, ernst zu nehmen. Kollege Weinhofer hat schon darauf hingewiesen. Wer den materiellen Inhalt dieses Gesetzes ernst nimmt, dürfte heute abend - es sei denn, er hätte um 12 Uhr heute mittag gefrühstückt - nicht hier sein. Denn acht Stunden plus zulässiger Überstunde würden es gar nicht erlauben, daß Sie jetzt hier anwesend sind.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU Tatge [GRÜNE]: Freizeitausgleich! - Ströbele [GRÜNE]: Das wäre gar nicht so
schlecht
Verehrte Kollegen, auch wenn Sie für sich selber das Instrument der Überstunden als Instrument für mehr Effektivität in Anspruch nehmen, dann hoffe
Cronenberg ({1})
ich, daß Sie zumindest bei Ihren Mitarbeitern und den Wegrückern etwas großzügiger sind und denen keine Überstunden zumuten. Ich höre aus der Fraktion der GRÜNEN etwas völlig anderes. Genauso möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, verehrte Kollegen von der grünen Fraktion, daß sich nach meinen Feststellungen - ich bin überzeugt, sie sind nicht falsch - die sogenannten alternativen Betriebe und insbesondere diejenigen, die sich erfolgreich betätigen, des Instruments der Überstunden ausgiebig bedienen, weil sie anders mit den Wettbewerbsfragen nicht fertig werden.
({2})
Schauen Sie, auch dies ist der Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit, mit dem Sie sich tagtäglich auseinanderzusetzen haben.
({3})
Ich würde Ihnen in der Tat empfehlen, bei der Einbringung solcher Gesetze mit darauf zu achten,
({4})
daß sie auch im eigenen Beritt beispielhaft realisiert werden können. Wenn das nicht möglich ist, dann sollte man es besser sein lassen.
({5})
Denn sonst klaffen, wie gesagt, Anspruch und Wirklichkeit zu sehr auseinander.
Der Grund für all diese irrtümlichen Bewertungen ist relativ einfach. Der Grund ist, daß Sie immer wieder davon ausgehen, es gäbe ein fixes Volumen an Arbeit. Man müsse es nur einschränken, anders verteilen, etwas gerechter, und die Welt sei heil und in Ordnung.
({6})
Mit Verlaub - die späte Stunde gestatte es mir, Frau Präsidentin -: Dies ist schlicht und einfach Blödsinn. Eine Volkswirtschaft, die sich ein Drittel ihrer Arbeit im internationalen Wettbewerb holen muß, die wettbewerbsfähig sein muß, die höchste Löhne zahlt - Gott sei Dank -, die höchste soziale Sicherheit bietet wie die dieses Landes,
({7})
in der der Faktor Arbeit besonders teuer ist, Herr Bueb, muß sich im Wettbewerb auch bewähren können. Dazu muß sie auch flexibel und in der Lage sein, auf die Gegebenheiten, die aus der Marktsituation resultieren, kurzfristig zu reagieren.
({8})
- Herr Kollege Bueb, ehe ich Ihnen die Gelegenheit zu einer Zwischenfrage gebe, möchte ich diesen Gedanken zu Ende führen; denn so ganz realitätsfern waren Sie zumindest bei einem Satz nicht.
Sie haben sich erlaubt, in Ihrem Gesetzentwurf zu schreiben:
Eine Ausnahme besteht im Falle unaufschiebbarer Notarbeiten infolge unvorhersehbarer Katastrophen oder Naturereignisse.
Also, irgendwo haben Sie da schon geahnt: Es könnte möglich sein, daß so etwas mal unvermeidbar ist. Aber was solche Katastrophen- oder Notarbeiten sind, definieren Sie natürlich nicht. Ist das der Hagelschauer, oder sind das Demonstrationsfolgen? Muß erst der Betriebsrat angerufen werden, um festzustellen, ob die kaputtgegangenen Scheiben von den Glasern wieder eingesetzt werden dürfen? Oder wie sonst soll das Ganze veranstaltet werden?
Wie ist es denn nun mit der Zwischenfrage?
Und das Risiko, ob er nun die Überstunden über Bedarf gebraucht hat oder nicht, liegt natürlich beim Unternehmer.
Nun, Frau Präsidentin, habe ich sicher eine bessere Vorlage für eine Zwischenfrage des Kollegen Bueb geschossen. - Herr Kollege Bueb.
Herr Bueb, bitte schön.
Herr Cronenberg, Sie haben vorhin von der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gesprochen und gesagt, deswegen müßten Überstunden geleistet werden: Können Sie mir auch sagen, welche Kosten durch Arbeitslosigkeit entstehen und wer die zu bezahlen hat?
Lieber Herr Kollege Bueb, durch Arbeitslosigkeit entstehen sehr viele Kosten. Und deswegen ist Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Nur wenn Sie Instrumente anwenden wollen, die mit Sicherheit mehr Arbeitslosigkeit schaffen würden - und das würde Ihr Vorschlag für Arbeitszeitverteilung und Arbeitszeitverkürzung bedeuten -,
({0})
dann trieben Sie den Teufel mit dem Beelzebub aus, und der Schaden würde größer und der Nutzen geringer.
({1})
- Es tut mir schrecklich leid, aber ich kann Ihnen diese nationalökonomische Nachhilfestunde zu dieser späten Stunde nicht mehr geben.
Eines jedenfalls ist sicher: Arbeit schafft Arbeit, und nicht das Gegenteil schafft Arbeit. Deswegen sollten Sie mit dazu beitragen, daß die Bedingungen für Arbeit verbessert und nicht verschlechtert werden. Lassen Sie den Leuten die Chance, zu arbeiten. Schaffen Sie Rahmenbedingungen, damit Arbeit gegeben werden kann. Lassen Sie den Betrieben die nötige Flexibilität. Dann haben Sie die beste Chance, mit dem Problem der Arbeitslosigkeit fertig zu werden. Bedienen Sie sich der Instrumente, die Sie sich im politischen Bereich selber zumuten: Ermöglichen Sie, wenn es nötig ist, Überstunden.
Cronenberg ({2})
Herzlichen Dank.
({3})
Herr Kollege, sind Sie noch bereit, mich abzulösen, da ich dem Hause bereits 13 Stunden diene?
({0})
Aber selbstverständlich, sofort. Ich eile.
Das ist reizend von Ihnen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird vorgeschlagen, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3947 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend - und an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Haushaltsausschuß - mitberatend - zu überweisen. Weitere Vorschläge gibt es nicht? - Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes
- Drucksache 10/3933 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({1})
Ausschuß für Wirtschaft
Innenausschuß
Ausschuß für Verkehr
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Auch dagegen erhebt sich kein Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Eine Begründung ist, glaube ich, nicht erforderlich. - Dann treten wir in die Aussprache ein. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lippold.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
({0})
Die Koalitionsfraktionen haben den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes eingebracht. Der Gesetzentwurf sieht vor, bleifreies Benzin zusätzlich zu fördern. Die Mineralölsteuer für bleifreies Benzin von 49 Pfennig je Liter soll für die Zeit vom 1. Januar 1986 bis zum 31. März 1987 um 3 Pfennig auf 46 Pfennig gesenkt, für die Zeit vom 1. April 1987 bis zum 31. März 1988 auf 47 Pfennig und schließlich für die Zeit vom 1. April 1988 bis zum 31. März 1989 auf 48 Pfennig erhöht werden.
({1})
Ziel ist es, zusätzliche Anreize nicht nur dafür zu schaffen, daß bleifrei getankt wird, sondern auch einen zusätzlichen Anreiz für den Kauf schadstoffarmer Autos zu schaffen.
({2}) Einige Anmerkungen zur Situation.
Erstens. Wir haben bereits jetzt ca. 500 000 schadstoffarme oder bedingt schadstoffarme Autos.
Zweitens. Die schadstoffarmen Fahrzeuge drängen stärker auf den Markt. Dies wird daran deutlich, daß wir bereits jetzt 130 Typen von schadstoffarmen Fahrzeugen haben. Vor zwei Jahren bei der Internationalen Automobilausstellung waren es noch O. Das ist ein Fortschritt.
({3})
- Ich darf den Gedanken zunächst zu Ende führen.
Drittens. Wir haben 3 200 Tankstellen, die bleifreies Benzin anbieten, davon 1 200, die unverbleites Super anbieten. Das ist ein Einstieg. Das ist uns aber noch nicht genug.
Viertens. 20 bis 30% der derzeit laufenden Fahrzeuge können bleifrei tanken. Bei uns werden seit 1984 nur noch Kraftfahrzeuge hergestellt, die bleifrei tanken können. Trotzdem: Der Umsatz bleifreien Benzins liegt bei 1%. Das ist ganz entschieden zu wenig. Deshalb handeln wir, und wir handeln sofort.
Bei diesem Handeln sind drei Punkte zu überlegen. Erstens ist der Preis des Produkts dafür bestimmend, denn er nimmt auf das Verhalten der Bürger maßgeblich Einfluß.
Zweitens ist die Aufklärung entscheidend, welche Autos bleifrei gefahren werden können. Diese Aufklärung fehlt noch weitgehend.
Drittens wird das Kaufverhalten auch dadurch beeinflußt, daß Möglichkeiten, bleifrei im Ausland zu fahren, geschaffen werden. Das heißt, die Entwicklung in den Nachbarländern bleibt Gegenstand unseres Interesses.
Herr Abgeordneter Lippold, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Schulte ({0})?
Wenn es nicht angerechnet wird.
Es wird nicht angerechnet. - Bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ein sehr hoher Prozentsatz der jetzt als schadstoffarm bezeichneten Fahrzeuge überhaupt kein bleifreies Benzin benötigt, da er auf Grund der laschen EG-Beschlüsse keine Katalysatortechnik besitzt?
Sie sprechen die Fragestellung an, daß bleifreies Benzin nicht zwingend bei all diesen Fahrzeugen erforderlich ist. Es ist aber möglich, bleifrei zu tanken. Es wäre auch desDr. Lippold
halb sinnvoll, dies zu tun, weil der Zusatz von Blei zum Benzin naturgemäß zur Abgabe von Schadstoffen an die Umwelt führt. Schon deshalb ist die Bleireduktion von Bedeutung. Mithin ist das, was ich gesagt habe, nach wie vor zutreffend.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, über diese weitere Senkung der Steuer wollen wir jetzt die Voraussetzungen für die weitere Preissenkung bei unverbleitem Benzin schaffen. Wir fordern die Mineralölwirtschaft auf, diesen Vorteil weiterzugeben. Wir geben zu, daß wir unsere Haltung damit korrigiert haben. Wir hatten eine stärkere Nachfrage erwartet. Insbesondere hatten wir erwartet, daß auch diejenigen bleifrei tanken, deren Autos dies jetzt ermöglichen. Wir haben auch darauf gesetzt, daß bei den anstehenden Gesprächen zwischen Mineralölwirtschaft und Automobilindustrie eine Einigung erzielt wird, daß man statt zweier unverbleiter Benzinsorten nur eine unverbleite Benzinsorte anbietet: Eurosuper. Dieses ist leider nicht erreicht worden. Auf die Einführung hatten wir bedauerlicherweise keinen Einfluß, obgleich wir versucht haben, hierauf zu drängen.
Das freiwillige Dreisäulenkonzept ist mithin nicht durchsetzbar. Ich sage aber deutlich, daß wir auch keine falschen Erwartungen wecken sollten, daß hier eine zwangsweise Realisierung, wie von Herrn Schäfer noch anläßlich der letzten IAA dargestellt, möglich wäre. Wir erwecken hier Hoffnungen, die sich nicht erfüllen lassen, denn dies ist - das muß man ganz klar sagen - nicht EG-verträglich. Wer anderes behauptet, muß sich dieses vorhalten lassen.
Ich glaube, daß dieses Konzept, wie es jetzt vorgelegt wird, erstens für die Dauer des Konzepts aufkommensneutral sein wird. Zweitens wird es wegen der hohen Distributionskosten, die leider nach wie vor bestehen, EG-verträglich sein. Drittens kann, weil die Wirtschaft zugesagt hat, mittels der Einfärbung der Benzinpanscherei vorzubeugen, auch ein Mißbrauch weitgehend ausgeschlossen werden. Das sind geänderte Voraussetzungen. Das müssen Sie sehen. Wenn sie erfüllt sind, sind wir auch bereit, unsere Konzepte zu überdenken.
Wir glauben aber, daß ergänzend noch einiges hinzutreten muß. Wir drängen weiterhin auf eine internationale Angleichung, denn ohne diese internationale Angleichung ist kein Anreiz gegeben, erstens bleifrei zu tanken und zweitens schadstoffarme Autos zu kaufen. Wir danken deshalb der Bundesregierung für ihre Anstrengungen, dies europaweit zu erreichen, und werden sie darin unterstützen, diese Anstrengungen fortzusetzen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Spöri.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der von den Koalitionsfraktionen hier eingebrachte Gesetzentwurf zur steuerlichen Entlastung beim bleifreien Benzin, Herr Hoffie,
({0})
ist ein weiterer Beweis Ihres sattsam bekannten Zickzackkurses in Fragen der Förderung des schadstoffarmen Pkw.
Ich habe mich schon gewundert, Herr Lippold, daß Sie sich heute abend hierher getraut haben, nachdem Sie im März Ihre Rede zum gleichen Thema gehalten haben. Ich habe Sie an dieser Stelle bereits am 28. März darauf hingewiesen, daß damals bleifreies Benzin einen Preisnachteil von mindestens 7 Pfennigen am Markt hatte. Wir haben damals gesagt, daß eine Spreizung von 4 Pfennigen, Herr Lippold, nicht ausreichen wird, um Preisparität am Markt zu erreichen. Wir haben Ihnen auch gesagt, daß es nichts mehr mit der Förderung des schadstoffarmen Autos und mit der Förderung umweltfreundlichen Verhaltens zu tun hat, wenn der Bürger jeden Tag an der Zapfsäule sieht, wie blöd er ist, wenn er umweltfreundlich unverbleites Benzin tankt.
Die Bundesregierung hat dies alles damals mit der Koalition in der entsprechenden Debatte bei der Lesung dieses Gesetzentwurfs in den Wind geschlagen. Ihnen war, Herr Lippold, kein Argument zu schade, um unseren Vorschlag einer stärkeren Mineralölsteuerspreizung zurückzuweisen. Dies zeigt exemplarisch, wie opportunistisch Sie in wenigen Monaten die umweltpolitischen Argumente wie das Hemdchen gewechselt haben, Herr Lippold. Denn inzwischen spielen die Einwände, die Sie im März vorgebracht haben, die angeblich unüberwindbaren Hemmnisse überhaupt keine Rolle mehr in Ihrem Gesetzentwurf; die sind plötzlich wie weggeblasen. Sie haben das heute abend plötzlich eingesehen, weil Sie erkannt haben, auf welch niedrigem Niveau die Nachfrage nach bleifreiem Benzin inzwischen stagniert.
({1})
Das haben wir Ihnen in diesem Haus ja immer prophezeit. Immerhin, wir wollen akzeptieren, daß Sie endlich, wenn auch mit großer Verspätung, heute abend eingesehen haben, daß nur durch einer stärkere Mineralölsteuerspreizung der Wettbewerbsnachteil des bleifreien Benzins
({2})
am Markt abgebaut werden kann.
Insofern ist die Nachbesserung des Bundestagsbeschlusses vom 14. März, nämlich die Vergrößerung der Spreizung von 4 auf 7 Pfennige, sicher ein Schritt in die richtige Richtung.
({3})
Aber er fällt uns aus unserer Erfahrung etwas zu zaghaft aus. Wir werden im Finanzausschuß beantragen, die Mineralölsteuer auf bleifreies Benzin, Herr Hoffie, nicht um 3, sondern um 5 Pfennige zu
senken, damit wir einen wirklich kräftigen Verbrauchsanstoß bekommen.
Aus unserer Sicht muß Normalbenzin wie in der Schweiz und in Österreich sowieso längerfristig völlig aus dem Markt genommen werden.
({4})
Die Bundesregierung sollte auf EG-Ebene alles tun, um diese Forderung einzulösen.
Dies würde kapazitätsmäßig auch kleineren Tankstellenpächtern die Möglichkeit eröffnen, sofort bleifreies Benzin anzubieten. Mit einem Schlag könnte dadurch ein flächendeckendes Angebotsnetz geschaffen werden.
Die Durchsetzung des Verbots bleihaltigen Normalbenzins auf EG-Ebene würde uns aber weit leichter fallen, wenn wir umweltpolitisch glaubwürdig argumentieren und alle nationalen Handlungsmöglichkeiten ausschöpfen würden, um schädliche Luftbelastungen zu reduzieren.
({5})
Unsere EG-Partner haben zu Recht keinerlei Verständnis dafür, daß wir bisher in einsamer Isolierung in Europa kein Tempolimit in unserem Land eingeführt haben.
({6})
Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb die Bundesregierung nochmals auf, als kurzfristig wirksame Maßnahme endlich zur Bekämpfung gesundheitlicher Schäden und des Waldsterbens eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 80 km/h auf Landstraßen und 100 km/h auf Autobahnen zu erlassen.
({7})
Nur, meine Damen und Herren, wenn wir hier beim Tempolimit auf europäischer Ebene in unserem Land nachziehen, können wir bei zusätzlichen Forderungen auf EG-Ebene umweltpolitisch glaubwürdig argumentieren und erfolgreich verhandeln.
Herzlichen Dank.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Frau Timm! Meine Herren! Herr Spöri, wenn Sie die Anhörung zum Mineralölsteuergesetz verfolgt hätten, hätten Sie zur Kenntnis genommen, daß alle großen Verbände der Mineralölwirtschaft, der Automobilindustrie und alle anderen Fachleute, die wir angehört haben, vor einer größeren Spreizung als der, die wir hinter uns haben - mit 4 Pfennig -, bei der Mineralölsteuer gewarnt haben und die Politik aufgefordert haben, eine stärkere Spreizung nicht vorzunehmen. Dem sind wir gefolgt.
({0})
Heute wissen wir, daß wir nachbessern mußten, aus Gründen, die wir erklären wollen.
Heute steht fest, daß wir in wenigen Wochen, nämlich am 1. Januar 1986, das einzige Land der Europäischen Gemeinschaft sein werden, das den Autofahrern bleifreies Benzin billiger als die anderen Benzinsorten anbietet. Mit der Verbilligung der Mineralölsteuer um weitere 3 Pfennig ist - darauf kommt es an - die verbindliche Zusage der Mineralölwirtschaft verbunden, daß dies wirklich weitergegeben wird, nachdem bleifreier Sprit zur Zeit durchschnittlich noch um 1 bis 2 Pfennig teurer ist als der verbleite.
Mit Beginn des neuen Jahres in wenigen Wochen werden wir auch das erste Land in Europa sein, in dem an 4 000 Tankstellen bleifreies Normalbenzin und an 2 000 bleifreies Super praktisch flächendekkend angeboten wird. Die Zahl der Bleifreisäulen wird selbstverständlich in dem Maße zunehmen, indem die Anteile am Gesamttreibstoffabsatz steigen und sich die jetzt noch zu hohen Vertriebskosten ermäßigen.
Also: Ab 1. Januar 1986 wird sich kein Bürger, der von Umweltschutz spricht, als Autofahrer mehr hinter der Ausrede verschanzen können, es gebe nicht genügend Katalysatorfahrzeuge im Angebot, es gebe keine Umrüstungsmöglichkeit, es gebe nicht genügend Tankstellen mit bleifreiem Spritangebot, und schon gar nicht hinter dem Satz verschanzen können, Bleifrei tanken sei nicht zumutbar, weil noch zu teuer.
Jetzt kann sich jeder beim Kauf und Betrieb eines Autos für das umweltfreundlichere Produkt entscheiden. Schon jetzt können ja acht Millionen Autofahrer mit Autos jüngerer Baujahre, jetzt schon kann jeder dritte Pkw-Fahrer Bleifrei fahren. Warum tut er das nicht?
({1})
Wenn die SPD recht hat, dann deshalb, weil Bleifrei 1 bis 2 Pfennig teurer ist. Damit werden alle Umfragen Lügen gestraft, die man uns hier seitens der SPD und GRÜNEN noch vor wenigen Wochen vorgehalten hat, in denen es nämlich hieß, drei Viertel der deutschen Bevölkerung seien bereit, auch unter materiellen Opfern einen persönlichen Beitrag gegen das Waldsterben und für mehr Umweltschutz zu leisten. Wenn es nur einen einzigen Pfennig mehr kostet - wie heute das bleifreie Benzin -, dann ist plötzlich niemand mehr bereit, dieses bleifreie Benzin zu tanken, obwohl er es kann.
({2})
Das bedeutet nämlich pro Monat ganze zwei Mark mehr, bei durchschnittlicher Kilometerleistung. Schon dann, wenn dieser eine Pfennig für mehr Umweltschutz in Anspruch genommen werden
Hof fie
muß, ist kein Mensch mehr bereit, auf den umweltfreundlichen Sprit umzusteigen.
({3})
Deswegen muß sich die Bundesregierung genötigt sehen, durch eine weitere Spreizung den bleifreien Sprit so billig zu machen, daß dieses Angebot tatsächlich auf breiter Front wahrgenommen wird. Das ist erschreckend, und das straft alle Umfragen Lügen. Das ist die Wirklichkeit.
({4})
Es bleibt zu hoffen, daß wenn sich schon das Umweltbewußtsein nicht durchsetzen konnte, so doch wenigstens das Preisbewußtsein durchsetzen wird, wenn jetzt bleifreier Sprit das billigste Benzinangebot an unseren Tankstellen sein wird.
Die Verbilligung und damit die schnellere Verbreitung des bleifreien Benzins haben aber auch Schattenseiten. Herr Spöri, das muß jeder sehen, der das fordert; Sie haben das auch immer gefordert. Die Schattenseite ist die, daß in etwa jede dritte Tankstelle deshalb schließen wird, weil sie schon aus räumlichen Gründen - nicht einmal wegen der großen Investitionen - gar nicht in der Lage ist,
({5})
die vierte und fünfte Säule für das unverbleite Normal und Super zusätzlich zu installieren. Gerade in den ländlichen Bereichen wird das das Ergebnis einer Politik sein, die sich niemand wünschen kann.
({6})
Leider können wir als FDP nicht unsere Forderung durchsetzen, durch ein Verbot des verbleiten Normalbenzins
({7})
mit einem Dreisäulenmodell in Europa die Partner für mehr Vernunft zu gewinnen, wie die Osterreicher und die Schweizer es getan haben.
({8})
Heute abend höre ich zum erstenmal, daß neben den GRÜNEN, die sich unserer Forderung inzwischen ja schon angeschlossen hatten, auch die SPD bereit ist, dieses Dreisäulenmodell in Europa zu vertreten. Ich bin dankbar dafür, daß ich das hier gehört habe. Meine Damen und Herren, wir sollten dafür gemeinsam weiter eintreten. Dazu fordere ich die Bundesregierung auf. Dann werden wir in der Frage der Durchsetzung einer vernünftigen Politik einen gewaltigen Schritt weiter sein.
Herzlichen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Senfft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich komme zum Schluß, aber vorher möchte ich noch ein paar Worte sagen. Wir lehnen den Gesetzentwurf selbstverständlich ab, weil er eine weitere Subventionierung des Autoverkehrs vorsieht.
({0})
Das ist eigentlich auch der Haupthintergedanke dieses Gesetzentwurfs. Herr Dr. Lippold hat das hier j a ganz deutlich ausgedrückt. Es soll ein zusätzlicher Anreiz für den Kauf neuer Autos geschaffen werden. Das ist nicht unser Ziel.
({1})
Unsere Vorstellungen hinsichtlich der Mineralölsteuer - -({2})
- Wenn diese Zwischenfrage hier gestellt wird, würde ich sehr gerne darauf antworten. Diese Frage, wie ich fahre, die Sie hier andauernd wieder stellen, kann ich für mich persönlich wie folgt beantworten: Ich habe kein Auto und fahre auch überwiegend nicht mit dem Auto,
({3})
sondern mit Bussen und Bahnen. Darauf komme ich noch.
Ich wiederhole, daß die Frage des Autofahrens keine moralische Frage ist, und zwar ganz einfach deshalb, weil es die freie Wahl der Verkehrsmittel, die Sie ja immer so vehement vertreten, nicht mehr gibt,
({4})
insbesondere nicht in den ländlichen Räumen, abends und an Sonn- und Feiertagen. Da gibt es dort nämlich durch Ihre verkehrte Verkehrspolitik den Zwang zum Pkw.
({5})
Das muß geändert werden.
Hinsichtlich der Mineralölsteuer vertreten wir folgende Position. Wir sind grundsätzlich für das Verbot von bleihaltigem Normalbezin. Aber, Herr Hoffie, was Sie hier vorgeführt haben, ist ja wohl unerhört. Sie vertreten die Forderung „Verbot von bleihaltigem Benzin", lehnen aber den Antrag, den wir dazu gestellt haben, lehnen exakt diesen Antrag im Ausschuß ab.
({6})
Da möchte ich einmal Ihren Kollegen Kleinert zitieren: Diese Drumherumeierei müßten Sie hier einmal begründen.
Der Ansatz Ihrer Position ist von vornherein falsch. Wenn Sie wirklich vom Umweltschutzgedanken ausgehen würden, müßte der Bundeskanzler hier ans Mikrophon gehen und sagen: Liebe Bürgerinnen und Bürger, bitte laßt das Auto so oft, wie es geht, stehen;
({7})
geht die kurzen Wege zu Fuß, benutzt das Fahrrad, und benutzt insbesondere Busse und Bahnen.
Aber was machen Sie bei den Bussen und Bahnen? Haben Sie da eine Mineralölsteuerbefreiung vorgesehen? Natürlich nicht! Da entfällt das. Ganz im Gegenteil, Sie vertreten die Auffassung, die Bahnen und überhaupt die öffentlichen Verkehrsmittel sollen die volle Mineralölsteuer zahlen, während der Autoverkehr weiter begünstigt wird.
An dieser Position wird deutlich, worum es Ihnen in Wirklichkeit geht: um die Stützung der Automobilindustrie. Es geht Ihnen nicht in erster Linie um den Umweltschutz.
({8})
Meine Damen und Herren, hinsichtlich der Besteuerung machen wir folgende Vorschläge. Wir sind für die Abschaffung der Mineralölsteuer für Busse und Bahnen. Busse und Bahnen müssen breit und massiv gefördert werden.
({9})
Wir sind für die Abschaffung auch der Mehrwertsteuer für die öffentlichen Verkehrsmittel.
({10})
Wir denken uns, daß das z. B. dadurch finanziert werden könnte, daß der umweltfeindliche Flugverkehr endlich zur Kasse gebeten wird; denn es ist eine ungeheure Sauerei, daß der Flugverkehr von der Mineralölsteuer befreit ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffie?
Ja, selbstverständlich.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Hoffie.
Herr Kollege Senfft, wie erklären Sie sich denn, daß prominente grüne Vertreter hier aus dem Deutschen Bundestag ständig weltweit in Erster-Klasse-Abteilen der nationalen deutschen Luftverkehrsgesellschaft im In- und Ausland und auch bei ausländischen Gesellschaften ihre Fahrtkilometer bewältigen?
({0})
Darauf kann ich Ihnen eine Antwort geben. Sie sprechen sicherlich u. a. die Berliner Kollegen an.
({0})
Unser Programm geht dahin, daß wir nicht für die Abschaffung des Berlin-Flugverkehrs sind; erst wenn Sie dort ein anständiges öffentliches Schienensystem installiert haben, das es den Leuten hier
ermöglicht, in einer anständigen Zeit überhaupt dorthin zu kommen.
({1})
Ihre Verkehrspolitik fördert den Zwang zum Pkw und fördert auch noch im innerdeutschen Verkehr den Zwang zum Flugzeug.
({2}) - Aber selbstverständlich.
Meine Damen und Herren, Herr Lippold hat etwas ganz Tolles gesagt, nämlich daß das Kaufverhalten nicht zuletzt durch den Preis des Produkts bestimmt wird. Das ist genau richtig. Senken Sie die Fahrpreise der Deutschen Bundesbahn, die massiv überhöht sind. Dann sind die Leute auch bereit umzusteigen.
Ein gutes Beispiel gibt der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN im Freiburger Stadtparlament betreffend die Einführung des Umweltschutztickets. Dadurch konnten 25 % mehr Fahrgäste gewonnen werden. Pro Tag sind 4 000 Umsteiger zu verzeichnen, die ihr Auto stehenlassen. Als der Antrag im Freiburger Stadtparlament gestellt wurde, wurde den GRÜNEN auch gesagt: Ihr GRÜNEN spinnt, das ist nicht finanzierbar, das trägt sich nicht! Unter dem Strich ist dabei herausgekommen: mehr Fahrgäste, mehr Erlöse, eine Stützung des öffentlichen Verkehrs. Das wirkt sich ganz praktisch in einer Verminderung der Schadstoffemissionen aus, weil es hier um den umweltfreundlichen Verkehrsträger geht. Hier ist ein grundsätzliches Umdenken erforderlich.
({3})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Voss.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am 25. September dieses Jahres den Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes beschlossen, der zum Ziel hat, den Anreiz noch einmal zu verstärken, bleifreies Benzin anzubieten und zu verwenden. Ich danke den Koalitionsfraktionen dafür, daß sie den Entwurf aus der Mitte des Deutschen Bundestages eingebracht haben. Die einzelnen Konditionen dieses Gesetzes sind hier bereits erwähnt worden, so daß ich angesichts der späten Stunde mir das schenken kann.
Festzustellen ist jedenfalls, daß die technischen Möglichkeiten zur Verwendung bleifreien Benzins bei weitem nicht ausgeschöpft sind. Der Absatz an bleifreiem Benzin steigt nur langsam, während der Bestand an Personenwagen, die bleifreies Benzin vertragen, deutlich zunimmt. Es ist vorgesehen, zur Belebung des Absatzes von bleifreiem Benzin den Steuervorteil für bleifreies Benzin gegenüber verbleitem Benzin von heute 4 Pfennig je Liter zunächst auf 7 Pfennig zu verstärken und ihn dann in zwei Stufen mit 6 und 5 Pfennig bis zum 31. März 1989 zurückzunehmen. Die steuerlichen MaßnahParl. Staatssekretär Dr. Voss
men werden also verstärkt, zeitlich gerafft und auf den schwierigen Einführungsprozeß konzentriert.
Es ist kein Geheimnis, meine Damen und Herren, daß Steuermehreinnahmen entstehen, bis bleifreies Benzin Marktanteile von 50 % bei der heutigen Regelung bzw. 25, 30 und 40 % bei der geplanten Regelung erreicht. Danach entstehen, und zwar ebenfalls zwangsläufig, Steuermindereinnahmen. Die Bundesregierung bleibt dabei, daß die Steuermehreinnahmen der Finanzierung der Verbilligung von bleifreiem Benzin bei fortgeschrittener Umstellung dienen.
Bei dem wachsenden Bestand an Personenkraftwagen, die bleifreies Benzin vertragen, wird es immer wahrscheinlicher, daß die genannten Marktanteile auch erreicht und sogar überschritten werden. Technische Gründe stehen dem jedenfalls nicht entgegen.
Es ist unbestritten, daß bei Steuervorteilen für bleifreies Benzin von 7, 6 und 5 Pfennigen die herstellungsbedingten Mehrkosten nicht nur ausgeglichen werden. Es wird zusätzlich auch ein ausreichender Deckungsbetrag zu den anfänglich höheren Verteilungskosten geleistet. Damit werden günstige steuerliche Rahmenbedingungen für bleifreies Benzin geschaffen, die die Mineralölwirtschaft ausschöpfen muß. Die Bundesregierung kann und will die Mineralölwirtschaft von der Verantwortung für die Benzinpreisbildung allerdings nicht entbinden. Nach den Erfahrungen anläßlich der vorausgegangenen Steuersenkung für bleifreies Benzin können wir aber davon ausgehen, daß die Mineralölwirtschaft den Steuervorteil an die Kraftfahrer weitergeben wird. Entsprechende Zusagen liegen ebenfalls vor.
Als nicht förderlich sehe ich in diesem Zusammenhang Äußerungen wie „die Verwendung bleifreien Benzins müsse sich finanziell lohnen" an. Herr Kollege Spöri, ich meine, es sollte sich niemand blöd vorkommen, der sich dazu entschließt, bleifreies Benzin zu tanken.
Bei dem heute noch vorhandenen Preisabstand zwischen den verbleiten und bleifreien Benzinsorten von zwei Pfennigen je Liter - das ist hier soeben auch bereits angeklungen - betragen die durchschnittlichen Mehrkosten aus der Verwendung bleifreien Benzins - verteilt auf ein Jahr - ohnehin nur rund 24 DM.
Meine Damen und Herren, im übrigen liegen wir sowohl bei den Benzinpreisen als auch bei der Steuerbelastung in Mitteleuropa zusammen mit Luxemburg am unteren Rand der Preis- und Steuersatzskala.
Ich danke Ihnen.
({0})
Nachdem mir nunmehr keine Wortmeldungen mehr vorliegen, schließe ich die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3933 an den Finanzausschuß - zur federführenden Beratung -, an den
Ausschuß für Wirtschaft, an den Ausschuß für Verkehr und an den Innenausschuß - zur Mitberatung - sowie an den Haushaltsausschuß - zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung - zu überweisen. - Andere Vorschläge werden nicht gemacht. Dann wird so verfahren.
Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Untersuchung von Seeunfällen ({0})
- Drucksache 10/3312 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verkehr ({1})
- Drucksache 10/3907 -
Berichterstatter: Abgeordneter Bohlsen
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({2}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/3908 Berichterstatter:
Abgeordnete Purps Metz
Dr. Weng ({3}) Dr. Müller ({4})
({5})
b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({6}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD Standort des Seeamtes Flensburg
- Drucksache 10/2839, 10/3907 Berichterstatter: Abgeordneter Bohlsen
Ich nehme an, daß das Wort zur Berichterstattung nicht gewünscht wird. - Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 a. Ich rufe die §§ 1 bis 30, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir kommen zur
dritten Beratung
und Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über Tagesordnungspunkt 9 b. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3907 unter Nr. 2, den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2839 für erledigt zu erklären. Wer dem zuzustimmen wünscht,
Vizepräsident Cronenberg
den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses angenommen.
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sortenschutzgesetzes
- Drucksache 10/816 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({7})
- Drucksache 10/3665 Berichterstatter: Abgeordneter Sander
({8})
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 45, Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz als Ganzes angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 bis 14 auf:
11. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gebrauchsmustergesetzes
- Drucksache 10/3903 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({9})
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
12. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu den Verträgen vom 27. Juli 1984 des Weltpostvereins
- Drucksache 10/3961 -Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen
13. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1986 ({10})
- Drucksache 10/3997 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Wirtschaft ({11}) Ausschuß für innerdeutsche Beziehungen Haushaltsausschuß
14. Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Haltung der Bundesregierung zu dem Bericht der Sachverständigen-Kommission „Alterssicherungssysteme"
- Drucksache 10/3720 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({12}) Innenausschuß
Finanzausschuß
Dazu rufe ich die Zusatzpunkte 4 und 5 auf:
4. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung psychisch Kranker ({13})
- Drucksache 10/3882 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({14}) Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Eingliederung Arbeitsloser im Arbeitsleben und zur Wiederherstellung eines ausreichenden Schutzes bei Arbeitslosigkeit
- Drucksache 10/4016 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({15}) Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Es handelt sich um die Beratung von Gesetzentwürfen der Bundesregierung und der Fraktion der SPD. - Das Wort wird nicht gewünscht.
Interfraktionell und gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat wird vorgeschlagen, die Vorlagen an die in der gedruckten Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Andere Vorschläge gibt es nicht. - Die Überweisungen sind beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({16}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Außerplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1985 bei Kap. 10 04 Tit. apl. 682 01 ({17})
- Drucksachen 10/3733, 10/3916 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({18}) Frau Zutt
Dr. Müller ({19})
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht. Das Wort zur Aussprache wird ebenfalls nicht gewünscht.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3916, von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich hiergegen Widerspruch? - Auch das ist nicht der Fall.
Vizepräsident Cronenberg
Dann darf ich einen weiteren Zusatztagesordnungspunkt aufrufen:
Beratung des Antrages der Fraktion DIE GRÜNEN
Stopp der Rüstungsexporte in die Länder des Nahen Ostens
- Drucksache 10/4029 Das Wort wird nicht gewünscht.
Interfraktionell wird Überweisung des Antrags zur Federführung an den Ausschuß für Wirtschaft sowie zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorgeschlagen. Andere Vorschläge gibt es offensichtlich nicht. - Es ist so beschlossen.
Wir kommen zum nächsten Zusatztagesordnungspunkt:
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({20}) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft.
- Drucksache 10/4043 Dazu rufe ich den Zusatztagesordnungspunkt auf:
Erste Beratung des von der Fraktion DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Verordnung ({21}) Nr. 3626/82 des Rates zur Anwendung des Übereinkommens über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten freilebender Tiere und Pflanzen in der Gemeinschaft
- Drucksache 10/4041 Das Wort wird zu diesen Vorlagen nicht gewünscht.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Gesetzentwürfe an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen. Gibt es hierzu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist so beschlossen.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir endgültig am Schluß unserer heutigen Tagesordnung angelangt.
Ich berufe die nächste Sitzung auf morgen, Freitag, den 18. Oktober 1985, 8 Uhr und wünsche Ihnen viel Vergnügen für den Restabend.
({22}) - Herzlichen Dank.
Die Sitzung ist geschlossen.