Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 10/16/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. ({0}) Meine Damen und Herren, in Trauer gedenken wir des Mitgliedes des Deutschen Bundestages, unseres Kollegen Dr. Haimo George, der am 5. Oktober unerwartet im Alter von nur 52 Jahren verstorben ist. Haimo George wurde am 9. August 1933 in Oldeani/Tansania geboren. Nach dem Abitur in Darmstadt studierte er Rechts- und Staatswissenschaften an der Universität Freiburg, wo er 1957 sein Referendarexamen ablegte. Im Jahre 1962 bestand er das Assessorexamen in Stuttgart. An der Universität Basel erwarb er nach dem Lizentiat den juristischen Doktortitel. Im Jahre 1963 trat er in die Firma Siemens ein, in der er leitender Angestellter in der Sozialpolitischen Abteilung und zuletzt Hauptreferent für internationale Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialfragen war. 1968 wurde er stellvertretender Geschäftsführer des Wirtschaftsrates der CDU, für den er anschließend - von 1970 bis 1976 - als Bundesgeschäftsführer tätig war. Dem Deutschen Bundestag gehörte Haimo George als direkt gewählter Abgeordneter des Wahlkreises Calw/Freudenstadt seit dem Jahre 1976 an. Auch in seiner parlamentarischen Tätigkeit galt sein Engagement der Sozialpolitik. In seiner Eigenschaft als Obmann der CDU/CSU-Fraktion im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und als Vorsitzender der Arbeitsgruppe Arbeit und Soziales der CDU/CSU-Bundestagsfraktion war er maßgeblich an der Beratung der sozialpolitischen Initiativen der letzten drei Legislaturperioden beteiligt. Seine sozialpolitischen Ideen und Vorstellungen hat er in zahlreichen Publikationen in die öffentliche Diskussion eingebracht. Er war ein streitbarer Kollege, dabei aber stets von dem Bestreben geleitet, einen fairen Interessenausgleich herzustellen. Seine Sachkunde ebenso wie sein herzliches und menschlich sympathisches Auftreten haben ihm bei diesem schwierigen Unterfangen geholfen und ihm über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg Achtung und Anerkennung eingetragen. Frau George und ihren drei Kindern spreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl aus. Der Deutsche Bundestag wird Dr. Haimo George ein ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zu Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3948 vor. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache zur Regierungserklärung insgesamt fünf Stunden vorgesehen. Im Hinblick auf die zahlreichen jungen Gäste auf den Tribünen, die wir zu der Veranstaltung „Jugend und Parlament" erwarten, soll die Debatte aufgeteilt werden: zunächst zwei Stunden bis etwa 12 Uhr und dann drei Stunden von 12 bis 15 Uhr. Eine Mittagspause ist nicht vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung sind zentrale Herausforderungen der deutschen Politik. Diese Fragen betreffen uns alle, aber in einer ganz besonderen Weise, ganz unmittelbar die breiten Schichten unserer Bevölkerung, vor allem Arbeitnehmer und Rentner, Lehrstellenbewerber und Arbeitssuchende. Schon seit längerer Zeit wissen wir, daß die Bundesrepublik Deutschland bei der Preisstabilität eine internationale Spitzenstellung erreicht hat. Ebenso unbestritten ist, daß aus einem Rückgang der gesamtwirtschaftlichen Leistung im Jahre 1982, beim Amtsantritt der von mir geführten Bundesregierung, inzwischen Wachstumsraten geworden sind, mit denen wir auch von der OECD zur Spitzengruppe der westlichen Länder gerechnet werden. ({0}) Seit vier Wochen, meine Damen und Herren, wissen wir darüber hinaus, daß die Wende an der Beschäftigungsfront nicht erst zu Beginn dieses Jahres, sondern bereits Mitte 1984, also 21 Monate nach Amtsantritt dieser Bundesregierung, eingetreten ist. Gleichzeitig ist der erreichte Zuwachs an Arbeitsplätzen vom Statistischen Bundesamt deutlich nach oben korrigiert worden. Diese neue Lage bei Beschäftigung und Arbeitsplätzen gibt Anlaß, die wirtschaftspolitische Gesamtsituation heute - gerade in dieser Woche - in den Mittelpunkt der Diskussion des Deutschen Bundestages zu stellen. ({1}) Ich will dabei zu Beginn dieser Aussprache das betonen, was, wie ich denke, allen gemeinsam ist, Bundesregierung und Bundestagsfraktionen, Gewerkschaften und Arbeitgebern: unsere gemeinsame Sorge um Arbeitsplätze, unser gemeinsames Ziel, Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Wir stimmen darin überein, daß Beschäftigung und Arbeitsplätze auf der Tagesordnung der deutschen Politik unverändert ganz oben stehen. Diese Gemeinsamkeit in der Zielsetzung ist wichtig, auch wenn ich natürlich weiß - der heutige Tag wird viele Beweise dafür erbringen -, daß wir hinsichtlich der Wege zur Lösung dieses Problems sehr unterschiedlicher Meinung sind. Die jüngsten gemeinsamen Gespräche zwischen Vertretern der Bundesregierung, den Gewerkschaften und Arbeitgebern haben aber gezeigt, daß - bei allem Trennenden - einvernehmliche Schritte zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zumindest in Teilbereichen sehr wohl möglich sind. Ich nenne als Beispiel die beträchtlichen zusätzlichen Anstrengungen zur besseren beruflichen Qualifikation von Arbeitsplatzsuchenden. Ich darf daher die Gelegenheit wahrnehmen, alle Seiten innerhalb und außerhalb des Hauses von dieser Stelle aus aufzufordern, die legitimen und notwendigen Auseinandersetzungen um diese Frage auf das Wie, auf die Überlegung, wie wir die Lage verbessern können, zu konzentrieren. Niemand, meine Damen und Herren, sollte der anderen Seite in diesem Zusammenhang den guten Willen absprechen und damit die Gemeinsamkeit in dem, was wir erreichen wollen, gefährden. ({2}) Ich füge allerdings - auch nach den Erfahrungen der letzten Tage - ebenso klar hinzu: Die schwierigen Probleme, um deren Lösung wir gemeinsam ringen und, wenn es sein muß, auch streiten, lassen sich nicht mit Propaganda, mit Agitation, mit Klassenkampfparolen und bestellten Kundgebungen lösen. ({3}) Manche Formulierung und mancher Ton in den letzten Tagen ({4}) lassen die Frage aufkommen, ob dies alles überhaupt das Ziel hat, sich um Beschäftigungsprobleme zu kümmern, oder ob es nicht vielmehr um Propaganda und Herabsetzung der Arbeit der Bundesregierung geht. ({5}) Wir machen uns diesen Propagandastil nicht zu eigen. ({6}) - Sie werden heute genug Gelegenheit haben, über Ihr Versagen in zehn Jahren zu berichten, meine Damen und Herren. ({7}) Um es gleich zu sagen: Das Schlimmste ist eigentlich nicht Ihr Versagen, sondern daß Sie, wie ein Interview von heute zeigt, nichts dazugelernt haben; das ist das eigentlich Schlimme. ({8}) Wir werden die Dinge mit aller gebotenen Deutlichkeit dort, wo das notwendig ist, beim Namen nennen. Wir werden niemanden aus seiner Verantwortung entlassen. Ich füge gleich hinzu: Verantwortung heißt natürlich Verantwortung der Politik und immer auch der Regierung. Verantwortung heißt in einer Gesellschaft mit Tarifautonomie aber auch Verantwortung von Unternehmen, von Arbeitgebern und Arbeitnehmern; Tarifautonomie muß sich nämlich nicht allein in Schönwetterperioden und bei der Verteilung von Wohltaten bewähren. Wer Tarifautonomie beansprucht - und ich bin ein überzeugter Anhänger der Idee und der Verwirklichung von Tarifautonomie -, muß auch bereit sein, Mitverantwortung zu übernehmen, auch und gerade, wenn es um Beschäftigung und um die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit geht. ({9}) Wenn wir auf diesem Feld vorankommen wollen, ist das Wichtigste, daß wir zunächst einmal die Tatsachen zur Kenntnis nehmen. ({10}) Die wichtigste Ursache für die heutige Massenarbeitslosigkeit liegt darin - jetzt zitiere ich wörtlich -, ({11}) daß „die Zahl der Arbeitsplätze von 26,7 Millionen gefallen ist auf 25,4 Millionen ... und gleichzeitig die Arbeitslosigkeit von praktisch 0 auf 1,8 Millionen gestiegen ist". Das Zitat müßte Ihnen in der SPD bestens vertraut sein. Es stammt aus der Rede von Helmut Schmidt - es war sozusagen seine Abschiedsrede in der Fraktion - am 22. Juni 1982. Diese sehr knappe, aber ungewöhnlich - was bei dem Redner auch nicht verwunderlich ist - prägnante Analyse dessen, was die SPD-geführte Bundesregierung hinterlassen hat, stammt eben - ({12}) - Herr Kollege Vogel, wenn es um Prägnanz geht, sehe ich Ihrer Zukunft mit großem Interesse entgegen. ({13}) An Fröhlichkeit und Prägnanz sind Sie, wie Ihre interne Diskussion jetzt ja beweist, nicht zu überbieten. Wenn wir heute nach Lösungen für die Arbeitsmarktprobleme suchen, muß am Anfang die Frage nach den Ursachen stehen, ({14}) d. h. die Frage, wie es denn möglich war, daß nach den 13 Jahren Ihrer Regierung keine Zunahme, sondern per Saldo sogar ein erheblicher Abbau von Arbeitsplätzen festzustellen war, und das, obwohl gleichzeitig in anderen großen Industrienationen genau das Gegenteil erreicht wurde, nämlich eine starke Ausweitung der Beschäftigung. Ich will dazu nur zwei Hinweise geben. Zum einen war es ein fundamentaler Irrtum der früheren Regierung zu glauben, mit Nachgiebigkeit in Sachen Inflation könne etwas Positives in Sachen Arbeitslosigkeit bewirkt werden. ({15}) Zum anderen - das hängt mit dem eben Gesagten zusammen - wurde diese Politik von der Vorstellung beherrscht, daß eine expansive staatliche Ausgabenpolitik auf Dauer zusätzliche Arbeitsplätze schaffen könne, daß also der Staat im wesentlichen selbst die Beschäftigungsentwicklung positiv steuern könne. Die Endabrechnung für diese Fehlsteuerung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt lag beim Regierungswechsel am 1. Oktober 1982 auf dem Tisch. 50 Milliarden DM für sogenannte Beschäftigungsprogramme aller Art hatten die Arbeitslosigkeit nicht verringert, sondern statt dessen auf über 2 Millionen emporschnellen lassen. Und vor allem: Die finanziellen Handlungsspielräume zur Lösung eben dieser Probleme waren gleichzeitig auf Null zurückgeführt worden. Schlimmer noch als diese Momentaufnahme vom Herbst 1982 waren jedoch die damaligen Perspektiven und die Prognosen seriöser Fachleute. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin - den Kollegen von der SPD durch die Persönlichkeit seines Leiters bestens vertraut ({16}) hat im Oktober 1982 festgestellt - ich zitiere -: Die Lage am Arbeitsmarkt hat sich dramatisch verschlechtert. Der Rückgang der Beschäftigung hat sich verstärkt, der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist steiler geworden. Eine vernichtende Analyse Ihrer Politik! ({17}) Aber für den Arbeitnehmer in der Bundesrepublik hieß das doch in jenen Tagen ganz konkret: weiterer Abbau von Arbeitsplätzen und dazu noch sinkende Reallöhne. Die Vertreter der heutigen Opposition haben dieses Zukunftsbild auch noch besonders düster ausgemalt, indem sie öffentlich den Anstieg der Arbeitslosenzahlen auf über 3 Millionen für möglich erklärt haben. Wer heute, 1985, von Massenarbeitslosigkeit und den Wegen zu ihrer Überwindung spricht, der kann und darf redlicher-weise an dieser Ausgangslage nicht vorbeigehen. ({18}) Er muß versuchen, aus diesen Erfahrungen zu lernen und für heute Schlußfolgerungen zu ziehen. Die Schlußfolgerungen, die diese Bundesregierung, die auch ich aus diesen Erfahrungen gezogen habe, will ich hier kurz zusammenfassen: Erstens. Wir haben die Politik des ziellosen Geldausgebens beendet und die Staatsfinanzen wieder auf eine solide Grundlage gestellt. ({19}) - Ja, meine Damen und Herren, ich weiß, daß Sie dazu lachen. Was Herr Vogel und Herr Rau in diesen Tagen erklärt haben, zeigt ja, daß Sozialisten mit dem Geld der Bürger nicht umgehen können. ({20}) Die Begriffe „solide Finanzpolitik" und „sozialdemokratische Finanzpolitik" gehen - jedenfalls heute - nicht zusammen. Das erkennt jeder; Sie können es überall nachlesen. Das Ergebnis unserer Politik lautet jedenfalls: Unser Staat ist wieder handlungsfähig geworden. Er kann wichtige Impulse sowohl für die Belebung der Wirtschaft als auch für den Arbeitsmarkt und die Sozialpolitik geben. Zweitens. Wir haben der wirtschaftlichen Talfahrt Einhalt geboten, wir haben Sie überwunden. Wir haben eine stabile Aufwärtsentwicklung in Gang gebracht. Anders ausgedrückt: Seit 1982, als die gesamtwirtschaftliche Leistung real um 14 Milliarden DM schrumpfte, verzeichnen wir in der Bundesrepublik Deutschland ein Wachstum von insgesamt 100 Milliarden DM. ({21}) Das heißt, wie jedermann unschwer erkennen kann, es gibt wieder eine realistische Perspektive für mehr Arbeitsplätze und damit für wachsende Beschäftigung. Drittens. Wir haben die Inflation, die Geldentwertung und den Kaufkraftverlust, durch ein hohes Maß an Preisstabilität ersetzt. Die Kaufkraft der privaten Haushalte geht nicht mehr zurück, sondern sie nimmt wieder zu. Das, meine Damen und Herren, ist eine sozialpolitische Tat ersten Ranges, die breiten Schichten unserer Bevölkerung zugute kommt. ({22}) Viertens. Wir haben den notwendigen Strukturwandel durch gezielte Hilfen für Unternehmen und Arbeitnehmer erleichtert. Das heißt - bei allen Schwierigkeiten, die ich sehe und die ich nicht verschweige -, auch in Krisenbranchen und strukturschwachen Regionen gibt es jetzt eine Perspektive für wirtschaftliche Erholung. Fünftens. Wir haben die internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternhemen gestärkt. Für Arbeitnehmer bedeutet das: Die Arbeitsplätze in der Bundesrepublik Deutschland, einer der großen Exportnationen der Welt, sind heute wieder sicherer geworden. Sechstens. Wir haben die Investitionsschwäche, d. h. den faktischen Abbau von Arbeitsplätzen, überwunden und in diesem Jahr Ausrüstungsinvestitionen in einer Rekordhöhe von nicht weniger als 150 Milliarden DM möglich gemacht. Das heißt, es gibt auch in diesem für den Arbeitsmarkt mittel- und langfristig entscheidenden Teil unserer Volkswirtschaft eine klare Perspektive für die Zukunft. Meine Damen und Herren, man kann dies alles auf einen sehr kurzen Nenner bringen: Wir haben den ökonomischen Schutt, den wir im Oktober 1982 vorgefunden haben, beseite geräumt und die Schaffung neuer Arbeitsplätze überhaupt erst wieder möglich gemacht. ({23}) Mit unserer klaren Entscheidung für eine Politik zur Gesundung der Staatsfinanzen, die nicht zu allen Zeiten - Sie haben davon bei Wahlen profitiert - dem Bürger sofort eingängig war, haben wir wirtschaftliches Wachstum in Gang gebracht, Preisstabilität in hohem Maße erreicht, niedrige Zinsen ermöglicht und eine Welle von Investitionen ausgelöst. Dies alles bedeutet vor allem eines: Eine wachsende Zahl von Neueinstellungen und von neuen, sicheren Arbeitsplätzen. ({24}) Vor diesem Hintergrund will ich einiges zum Thema „Arbeitsmarkt" sagen: Ausgehend von den jeweiligen Septemberzahlen ist festzustellen, daß die Zahl der Arbeitslosen zwischen 1980 und 1982 um ziemlich genau 1 Million zugenommen hat. Im September 1983 lag sie noch einmal um 300 000 höher, danach ist der rasante Anstieg der Vorjahre praktisch zum Stillstand gekommen. Was dieser Stopp des Anstiegs der Arbeitslosigkeit tatsächlich bedeutet, wird erst deutlich, wenn man die geburtenstarken Jahrgänge in Rechnung stellt, die in dieser Zeit zusätzlich auf den Arbeitsmarkt drängten. Allein für 1985, für dieses Jahr, rechnet das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg mit einer zusätzlichen Nachfrage vor allem junger Mitbürger nach Arbeitsplätzen in einer Größenordnung von knapp 200 000. Meine Damen und Herren, das bedeutet: Wir benötigen allein diese 200 000 zusätzlichen Arbeitsplätze, damit sich die Zahl der Arbeitslosen nicht aus demographischen Gründen weiter erhöht. Und genau dies haben wir erreicht! In diesem Jahr werden voraussichtlich zusätzliche Arbeitsplätze in eben dieser Größenordnung von knapp 200 000 bereitgestellt. Erstmals seit vielen Jahren können wir damit das Angebot an Arbeit in gleichem Umfang steigern, wie die Nachfrage junger Menschen nach Arbeitsplätzen zunimmt. Dies ist ein ganz wichtiger Schritt nach vorn - ein Schritt, der in erster Linie den jungen Bürgern auf dem Arbeitsmarkt zugute kommt und den wir vor allem deswegen zur Kenntnis nehmen sollten, weil das auch ein Schritt zu einer gesicherten Zukunft junger Leute ist. ({25}) Es wäre ein Stück Beitrag zur Wahrheit, wenn auf den Kundgebungen dieser Woche dieser Sachverhalt, dieser Tatbestand einfach einmal nüchtern gewürdigt würde. ({26}) Das eben Gesagte gilt im übrigen auch für den Abbau der Kurzarbeit. Das ist ein Thema, das ebenfalls ganz bewußt von einem interessierten Teil der Öffentlichkeit verschwiegen wird. Waren es Anfang 1983 noch knapp 1,2 Millionen Kurzarbeiter, so ist ihre Zahl bis heute auf rund 100 000 zurückgegangen. Dies bedeutet nicht mehr und nicht weniger, als daß Hunderttausende von Arbeitnehmern, die vor zwei Jahren noch den Verlust ihres Arbeitsplatzes befürchten mußten, heute wieder davon ausgehen können, daß ihr Arbeitsplatz sicher geworden ist. ({27}) Meine Damen und Herren, noch etwas ist im Blick auf den Arbeitsmarkt von Bedeutung: Die Jugendarbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zeigt im europäischen Vergleich von allen Ländern den niedrigsten Stand. Dies ist kein Zufall. ({28}) Es läßt sich an der enormen Steigerung des Lehrstellenangebots ablesen. ({29}) Innerhalb der letzten zwei Jahre konnte die Gesamtzahl der Lehrstellen im dualen System um über 130 000 gesteigert werden. ({30}) - Frau Kollegin, ich verstehe eigentlich Ihren Zwischenruf überhaupt nicht! Als ich ins Amt kam, fand ich im Blick auf die Vorbereitung der Einstellung der geburtenstarken Jahrgänge von Ihrer Seite nichts, aber auch gar nichts vor! ({31}) Sie haben doch die ganze Lehrstellenaktion, die ich eingeleitet habe, eigentlich nur mit Häme und mit Mißtrauen verfolgt. ({32}) Ihr Beitrag für die Zukunftsvorsorge bestand doch im letzten Jahrzehnt im wesentlichen darin, daß Sie den Handwerksmeister bevormunden wollten, daß Sie Mißtrauen gesät haben ({33}) und daß Sie eine miserable Stimmung erzeugt haben! ({34}) Meine Damen und Herren, auch in diesem Jahr ist nach den bis jetzt vorliegenden Informationen damit zu rechnen, daß das Angebot an Ausbildungsplätzen noch einmal ausgeweitet wird. Rund 730 000 zu erwartende Ausbildungsplätze bedeuten dabei einen neuen Lehrstellenrekord. Unternehmen und Betriebe, Unternehmer und Betriebsräte - ich will nur zwei Gruppen für viele nennen - haben damit im dritten Jahr hintereinander ihre Anstrengungen zur Ausbildung und Eingliederung der geburtenstarken Jahrgänge beträchtlich verstärkt - und zwar ohne jeden staatlichen Zwang, aus freier Entscheidung des einzelnen. Dies ist eine ganz hervorragende Leistung im Interesse unserer jungen Mitbürger, die jetzt den ersten Schritt ins Berufsleben tun. Wir sollten allen herzlich danken, die dabei mitgewirkt haben. ({35}) Auch in den kommenden Wochen müssen wir uns darauf konzentrieren, die noch nicht vermittelten Bewerber, die auch tatsächlich ein Lehrverhältnis beginnen wollen, unterzubringen. Im vergangenen Ausbildungsjahr ist dies in hohem Maße gelungen. Von den 58 400 Jugendlichen, die zum Stichtag 1984 noch nicht vermittelt waren, fanden bis auf einen kleinen Rest alle eine Ausbildungsmöglichkeit. Ich hoffe, daß alle - Unternehmen, Bund, Länder und Gemeinden - auch in diesem Jahr dazu das Ihrige beitragen, um ein ähnlich gutes, wenn möglich sogar ein noch besseres Ergebnis zu erreichen. Diese Erfolge, meine Damen und Herren, in Sachen Ausbildung und Lehrstellen haben eine weitreichende Bedeutung: Zum ersten für den ganz unmittelbar betroffenen Kreis junger Mitbürger. Sie erhalten eine qualifizierte Berufsausbildung und damit eine positive Zukunftsperspektive für ihr eigenes Leben. Zum zweiten für die Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit: In keinem anderen vergleichbaren Industrieland der Welt erhalten so viele junge Leute eine vergleichbar qualifizierte berufliche Ausbildung. Mit dieser Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit durch die Strategie einer umfassenden Qualifizierung erreichen wir zum dritten die Sicherung bestehender und die Schaffung neuer Arbeitsplätze. Berufliche Ausbildung, Qualifizierung und Arbeitsplätze gehören heute und noch mehr in Zukunft untrennbar zusammen. Neben dem Abbau von Kurzarbeit und Jugendarbeitslosigkeit gibt es noch eine dritte entscheidende Veränderung: Es gibt heute eine klare Trendwende an der „Beschäftigungsfront". Diese Trendwende, meine Damen und Herren, hat um so größeres Gewicht, als sie den Schlußpunkt einer seit 1980 ununterbrochenen Abwärtsentwicklung darstellt. Demgegenüber lag der Zuwachs an Arbeitsplätzen im zweiten Quartal dieses Jahres bereits bei nicht weniger als 160 000. Dieser deutliche Aufwärtstrend an der Beschäftigungsfront gibt Anlaß zur Zuversicht und auch zur Ermutigung. Manche öffentlichen Äußerungen gerade in diesen Tagen vermitteln allerdings eher den Eindruck, als sei dies eine Entwicklung, für die man sich am Ende auch noch entschuldigen müsse. Ich setze dagegen unsere Devise: Schaffung neuer Arbeitsplätze, so viele wie möglich und wo immer sich dazu eine Chance bietet. ({36}) Wir erwarten, daß in allen Betrieben Betriebsleitungen und Betriebsräte prüfen, ob Überstunden abgebaut werden können, ob Neueinstellungen möglich sind. ({37}) Wenn Unternehmensführungen und Arbeitnehmervertretungen vor Ort sehr ernsthaft alle Reserven für neue Arbeitsplätze mobilisieren, dann wird sich der neue Trend zu mehr Arbeitsplätzen noch ganz wesentlich verstärken. ({38}) Noch etwas, meine Damen und Herren, ist wichtig: Die zweistelligen Zuwachsraten bei den Ausrüstungsinvestitionen in Maschinen und Anlagen zeigen, daß die Investoren - das ist für alle Betrachtungen in diesem Bereich wichtig - die Zukunftschancen heute offensichtlich positiv beurteilen. Zugleich deuten die Konjunkturindikatoren darauf hin, daß neben den Exporten auch die Inlandsnachfrage an Schwung gewinnt, daß neben den Investitionen auch der private Verbrauch zunehmend kräftiger wird. Das Fundament der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung bei uns wird also breiter und damit stabiler. Alle neuen Wirtschaftsprognosen in das nächste Jahr hinein gehen deshalb auch davon aus, daß sich das Wirtschaftswachstum in der Bundesrepublik weiter verstärken wird. Das ist ein großartiges Ergebnis unserer Arbeit. ({39}) Meine Damen und Herren, diese Aufwärtsentwicklung ist nicht von selbst gekommen. Notwendig ist auch weiterhin eine Politik, die den Strukturwandel nicht behindert, sondern fördert und erleichtert. Für uns heißt dies: Wir treiben eine aktive Regionalpolitik, die Standortnachteile strukturschwacher Regionen ausgleicht und überwinden hilft. Wir schaffen ein forschungs- und damit innovationsfreundliches Klima. So fördern und unterstützen wir neue Ideen und neue Entwicklungen in Wirtschaft und Industrie, z. B. auch durch wesentlich verbesserte Abschreibungsbedingungen. Wir tun dies, weil man nur mit einer solchen offensiven Strategie dauerhafte Arbeitsplätze sichern kann. Meine Damen und Herren, der gegenwärtige Erfolg zeigt deutlich, daß wir auf den Weltmärkten wieder an Boden gewinnen und daß all diese Anstrengungen nicht ohne Wirkung geblieben sind. Wir haben die Bedingungen für Existenzneugründungen verbessert. Für 1984 wird die Zahl der Neugründungen gewerblicher Unternehmen auf rund 300 000 geschätzt, rund 100 000 mehr als zu Beginn der 80er Jahre. Hinter diesen Zahlen steht eine deutliche Zunahme an Dynamik und Innovation, stehen neue Impulse, die für eine moderne Industrienation, die entscheidend auf den Export ihrer Güter angewiesen ist, lebenswichtig sind. Und, meine Damen und Herren, wir haben den Umweltschutz erfolgreich in Gang gebracht. ({40}) - Natürlich nicht in Ihrem Sinne. Ihre Vorstellung von Umweltschutz ist das Ende einer Industrienation. ({41}) Aber daraus, meine Damen und Herren, werden die Wähler bei der nächsten Bundestagswahl auch die richtigen Schlüsse ziehen. ({42}) - Aber, meine Damen und Herren von der SPD, Sie wissen doch, was Ihnen an diesem Tag bevorsteht. Warum sind Sie denn heute schon so unruhig bei dem Thema? ({43}) Wir haben in der Tat den Umweltschutz in Gang gebracht. Allein durch die GroßfeuerungsanlagenVerordnung wird nach Schätzung von Fachleuten ein Investitionsvolumen von 20 Milliarden DM ausgelöst, und zwar zugunsten sowohl der Umwelt als auch einer wachsenden Zahl von Arbeitsplätzen. Auch das umweltfreundliche Auto beginnt sich - entgegen Ihren Unkenrufen - am Markt durchzusetzen. So hat der Anteil der schadstoffarmen Personenkraftwagen an den Erstzulassungen im August weiter deutlich zugenommen. Die noch vor kurzem von manchen - übrigens auch aus der Automobilindustrie - an die Wand gemalte Kurzarbeit in diesem Industriebereich ist nach wenigen Monaten offensichtlich in Vergessenheit geraten. In diesem so wichtigen Wirtschaftszweig mit rund 800 000 Beschäftigten ({44}) wird für 1985 jetzt statt dessen mit einem Rekordjahr in der Geschichte der Bundesrepublik gerechnet. Und noch etwas, meine Damen und Herren: Wir unterstützen Unternehmen und Arbeitnehmer, die vom Sturkturwandel ganz besonders betroffen sind. Aber wir tun dies nicht mit Dauersubventionen, sondern mit zeitlich begrenzten Hilfen für den Übergang in neue Märkte und neue Strukturen. Wir haben dabei, wie jeder erkennen kann, gute Ergebnisse erzielt: Ich denke an den Bereich des Stahls. Stahlunternehmen schreiben heute - von einer Ausnahme abgesehen - wieder schwarze Zahlen. Deutsche Werften halten einen guten Platz auf der Weltrangliste der Schiffbauaufträge. Der Bergbau ist aus den Negativ-Schlagzeilen verschwunden. Mit der Einigung über die Fortschreibung des Hüttenvertrages ist hierzu in den letzten Tagen erneut ein wichtiger Beitrag geleistet worden. ({45}) Herr Abgeordneter Vogel, ich denke, Sie kommen jetzt anschließend an dieses Pult und bedanken sich bei der Bundesregierung, bei mir dafür, daß ich Wort gehalten habe. ({46}) In der Bauwirtschaft erleichtern wir die schwierige, aber notwendige Kapazitätsanpassung durch zusätzliche staatliche Bauinvestionen. ({47}) Insgesamt stehen für die Städtebauförderung in den nächsten beiden Jahren jetzt 4,6 Milliarden DM zur Verfügung. Auch den Aufbau einer neuen Infrastruktur für moderne Kommunikationstechniken haben wir nach dem früheren Stillstand jetzt zügig in Gang gebracht. Mit neuen Technologien wie Glasfaserkabel und Fernmeldesatelliten wird das Dienstleistungsangebot für Wirtschaft, Verwaltung und Verbraucher nachhaltig verbessert. Allein für 1986 belaufen sich die Investitionen der Post auf rund 18 Milliarden DM. Die Zahl der durch diese Investitionen der Bundespost Beschäftigten hat sich seit 1983 um 25 000 erhöht. Meine Damen und Herren, diese aktive Politik zur Förderung der Strukturanpassung und damit zur Sicherung der Arbeitsplätze ist wichtig. Aber wir haben nicht die Absicht, dabei stehenzubleiben; denn eine umfassende Strukturverbesserung kann ihre volle Wirkung für Unternehmen und Arbeitsplätze erst in einem Zeitraum, der sich über mehrere Jahre erstreckt, erreichen. Mit einer aktiven Arbeitsmarktpolitik gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir schöpfen alle Möglichkeiten aus, um die Lage auf dem Arbeitsmarkt auch kurzfristig zu verbessern. Ich nenne folgende Punkte: Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz - d. h. vor allem mit befristeten Arbeitsverträgen, mit besseren Bedingungen für Teilzeitarbeit und mit vernünftigen Sozialplanregelungen - haben wir die Chancen für Neueinstellungen ganz beträchtlich verbessert. ({48}) Im übrigen, sehr verehrte, geschätzte Frau Kollegin, habe ich noch Ihre Rede zum Thema befristete Arbeitsverträge im Ohr. Ich habe auch noch im Ohr, wie hier von anderen aus Ihrer Fraktion ein gewaltiges Feldgeschrei über „Sozialabbau" angehoben hatte. ({49}) Ich habe nun allerdings mit großem Interesse im „Hamburger Abendblatt" gelesen, daß in Ihrer Heimatstadt Hamburg das Ihnen besonders nahestehende gewerkschaftseigene Unternehmen Co op ausdrücklich Mitarbeiter für befristete Arbeitsverhältnisse sucht. ({50}) Mir scheint, es ist bei der Co op nicht anders als bei der Neuen Heimat: Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache als die Reden, die Sie hier in diesem Zusammenhang halten. ({51}) Wir haben die Zahl der Beschäftigten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen - ({52}) - Ich weiß, daß Sie bei Nennung von Tatsachen immer unruhig werden. Aber Sie müssen sich daran gewöhnen, daß das ganze Jahr 1986 Tatsachen vorgetragen werden. ({53}) Sie müssen sich auch daran gewöhnen: Wenn Sie eine Kundgebungswoche ins Leben rufen, werden auch wir das tun. Sie haben heute eine erste Ahnung von dem bekommen, was Sie dabei erwarten wird. ({54}) Wir haben die Zahl der Beschäftigten in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen auf knapp 100 000 gesteigert. ({55}) Das ist, meine Damen und Herren, gegenüber 1982 mehr als das Dreifache. Die Zahl neuer Teilnehmer an beruflichen Bildungsmaßnahmen konnte auf weit über 300 000 gesteigert werden. Durch die jüngsten Beschlüsse der Bundesregierung werden noch einmal 750 Millionen DM für die Qualifikation von Arbeitnehmern, vor allem von arbeitslosen Arbeitnehmern, zusätzlich bereitgestellt. Wie notwendig dies ist, ergibt sich aus der Tatsache, daß über 1 Million Arbeitslose ohne qualifizierte Berufsausbildung möglicherweise vor allem deshalb in Arbeitslosigkeit geraten sind, weil sie den Anforderungen des Berufs nicht mehr gewachsen waren. Hier gibt es einen großen Nachholbedarf, den wir befriedigen müssen. Wir erlauben uns wenigstens die Frage, warum Sie vorher nicht mehr für Qualifikation gemacht haben. ({56}) Mit der Vorruhestandsregelung können heute eine große Zahl älterer Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz für jüngere Kollegen freimachen. Gerade auch in der Bauwirtschaft bedeutet dies eine wichtige Hilfe bei der Strukturanpassung. Meine Damen und Herren, mit diesem Maßnahmenpaket sichert die Bundesregierung nicht nur die Beschäftigung derer, die bereits einen Arbeitsplatz besitzen, sondern wir nehmen auch die Interessen derer wahr, die noch draußen stehen, die unserer Sorge bedürfen und einen Arbeitsplatz suchen. Solidarität mit den Arbeitsplatzsuchenden darf sich eben nicht nur auf Worte beschränken, sie muß praktische Konsequenzen haben. ({57}) Die Erfolge dieser Politik sind unübersehbar. Für diese aktive Arbeitsmarktpolitik gibt die Bundesregierung jährlich mehr als 10 Milliarden DM aus, weit mehr als alle ihre Vorgänger. Gerade deshalb darf aber nicht übersehen werden, daß das nur möglich war, weil wir gleichzeitig die Staatsfinanzen in Ordnung gebracht haben. Eine solide Haushaltspolitik ist auch Grundlage für jede vernünftige Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik. ({58}) Wie aktuell diese Feststellung ist, hat übrigens - wie ich finde: ungewöhnlich verdienstlicherweise - der nordrhein-westfälische Finanzminister Posser, ein Mann, der seine Erfahrungen gemacht hat, in Erinnerung gerufen. In einem Schreiben an seine Ministerkollegen im Kabinett Rau in Düsseldorf beklagt er die Haushaltslage seines Bundeslandes Nordrhein-Westfalen mit sehr eindrucksvollen Worten: Es liegt auf der Hand, daß sich eine solche spezielle Verschuldungspolitik nur wenige Jahre durchhalten läßt, weil die dramatisch rasch steigenden Zinslasten den Haushalt sonst in Kürze geradezu erdrosseln würden, wie am abschreckenden Beispiel anderer hochverschuldeter Länder ({59}) zu studieren ist. ({60}) Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht auf die Ländervergleiche eingehen. Wir müßten sonst eine Menge in der internationalen Politik zurechtrücken. Das ist heute nicht mein Thema. Aber, Herr Kollege Vogel, ich meine - ich habe hier keinen Rat zu geben -, Sie sollten angesichts dieses Zitats von Herrn Posser und des heutigen Interviews von Herrn Rau, in dem er diese Politik noch einmal als seine Politik postuliert hat, die Frage aufwerfen, ob nicht Herr Posser der solidere Kanzlerkandidat für die SPD wäre. ({61}) Geldausgeben allein, meine Damen und Herren, ist natürlich keine Politik zugunsten der Arbeitnehmer. Denn sie müssen es am Ende doch bezahlen. Nur wer für solide Staatsfinanzen, für günstige, kluge wirtschaftliche Rahmenbedingungen sorgt, der kann dann, wenn es darauf ankommt, die notwendigen Hilfen für den Arbeitsmarkt finanzieren und aktivieren. Mit dieser Finanzpolitik der Vernunft haben wir nicht nur die Arbeitsmarktpolitik ausgebaut und beträchtlich verstärkt. Wir haben auch neue Handlungsspielräume geschaffen, um die Hilfen für die Schwächeren in unserer Gesellschaft zu verbessern. Ich sage dies vor allem an Ihre Adresse, an die der Opposition, weil Sie in Ihrer Regierungszeit ganz anders verfahren haben. Nicht nur, daß Sie während Ihrer Regierungsverantwortung die Entwicklung der Renten mit dem Zwanzigsten und Einundzwanzigsten Anpassungsgesetz empfindlich beschnitten haben. Damals wurden die Renten - neben einer sechsmonatigen Verschiebung der Anpassung - für drei Jahre von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt. Das war Ihr Werk. Ebenso ist der Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung im Grundsatz bereits vor dem Herbst 1982 beschlossen worden. Viel folgenschwerer war noch etwas anderes. Durch Ihre Unfähigkeit, Inflation wirksam zu bekämpfen, haben Sie praktisch die Einkommen breiter Schichten der Bevölkerung effektiv gekürzt. Sie haben damit die von Ihnen so oft zitierte Umverteilung von unten nach oben selbst und tatsächlich herbeigeführt. ({62}) Der anhaltende Rückgang der Realeinkommen und die schleichende Entwertung der Sparguthaben treffen bekanntermaßen nicht die Vermögenden, nicht jene, die Geld ins Ausland bringen können, und andere derartige Gruppen, sondern die vielen Bezieher kleiner Einkommen, die Rentner, die breiten Schichten der Bevölkerung. Ihre verfehlte Politik hat in erster Linie breite Arbeitnehmerschichten und die sozial Schwachen in der Gesellschaft getroffen. Aus dieser Verantwortung werden wir Sie nicht entlassen. ({63}) In Ihrer Regierungszeit, meine Damen und Herren von der SPD, ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger von 1,5 Millionen auf 2,3 Millionen angestiegen. Das ist eine Zunahme um 800 000. Ich finde, auch für den Deutschen Gewerkschaftsbund sind das Zahlen, die in einer solchen Woche einmal erwähnt werden sollten, ({64}) wie ich angesichts bestimmter Töne hier überhaupt einmal deutlich sagen möchte - ich habe mich zu diesem Thema bisher nie geäußert -: Auf Grund der Erfahrungen mit der Neuen Heimat sollten manche im DGB darüber nachdenken, wieweit Worte und Taten in der sozialen Wirklichkeit auseinanderklaffen können. ({65}) Wir haben durch große Anstrengungen den verlorengegangenen finanzpolitischen Handlungsspielraum zurückgewonnen. Wir können und wollen ihn nutzen, gerade dort, wo Hilfe notwendig ist. Wir haben das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche wieder eingeführt, das von der SPD-geführten Bundesregierung gestrichen worden war. Wir haben bereits zweimal die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für ältere Arbeitnehmer verlängert. Dafür wurde zuletzt noch einmal zusätzlich 1,1 Milliarde DM bereitgestellt. Wir erhöhen das Wohngeld um nicht weniger als 900 Millionen DM pro Jahr. Das ist eine Größenordnung, die es bisher nicht gegeben hat. Zur Mitte dieses Jahres ist die Sozialhilfe um durchschnittlich 8 % angehoben worden. ({66}) Im Rahmen der ersten Stufe der Steuerreform werden Familien mit Kindern ab Anfang nächsten Jahres um über 5 Milliarden DM entlastet. Wir schaffen das Erziehungsgeld von 600 DM monatlich bei erweitertem Kündigungsschutz. Wir haben die Renten wieder auf eine sichere Gundlage gestellt. ({67}) Walter Quartier, ein führender Gewerkschaftsvertreter, hat es gerade in diesen Tagen noch einmal ausdrücklich bestätigt. Vor allem, meine Damen und Herren - ich muß es Ihnen noch einmal sagen -, bedeutet der beispiellose Rückgang der Preissteigerungsrate auf etwas mehr als 2 %, das Löhne und Einkommen breiter Bevölkerungsschichten nicht mehr an Kaufkraft verlieren, sondern wieder gewinnen, gerade auch in diesem Jahr wird das der Fall sein. ({68}) 1984 und 1985 erhöht sich die reale Kaufkraft der privaten Haushalte um insgesamt mehr als 20 Milliarden DM. 1986 vergrößert der erste Teil der Steuerreform den finanziellen Spielraum gerade derer, die über kleine Einkommen verfügen. ({69}) Diese Kombination von steuerlicher Entlastung und Preisstabilität ist echte Sozialpolitik für alle in der Bundesrepublik Deutschland. ({70}) Sie verringert die Abhängigkeit des Bürgers von staatlichen Zuweisungen und verstärkt das selbsterworbene Einkommen, d. h. das Einkommen aus eigener Leistung. Das ist immer auch ein Stück persönlicher Unabhängigkeit. Dies ist unsere Politik. Daran halten wir auch in Zukunft fest. ({71}) Meine Damen und Herren, jetzt, im Herbst 1985 - Sie alle spüren das, ob Sie es zugeben wollen oder nicht -, stehen wir an der entscheidenden Wendemarke. ({72}) Es ist deutlich spürbar: Wir haben es geschafft, meine Damen und Herren. ({73}) Die Zunahme neuer, zusätzlicher Arbeitsplätze hat deutlich gemacht, daß wir wieder mehr Dynamik auf diesem Feld haben. Wir haben erstmals die Möglichkeit geschaffen, der stark steigenden Nachfrage junger Menschen nach Arbeit eine ebenso deutliche Zunahme an Arbeitsplätzen gegenüberzustellen. Das Allerwichtigste ist: Dem von Ihnen immer gepredigten Pessimismus ist keine Zukunft beschieden. Optimismus beherrscht die Szene. Das ist ein entscheidender Fortschritt im Verhältnis zu den letzten Jahren. ({74}) In den vor uns liegenden Monaten kommt es darauf an, diesen Trend zu mehr Arbeitsplätzen und Beschäftigung weiter zu verstärken. Nur wenn wir dies gemeinsam schaffen, haben wir eine dauerhafte Chance, das hohe Niveau der über mehr als ein Jahrzehnt hinweg entstandenen Arbeitslosigkeit spürbar zu verringern. Dabei helfen Negativkampagnen, die das Erreichte verschweigen, in Abrede stellen oder nur kritisieren, überhaupt nicht. Wer solches tut, verfolgt eigene Interessen auf dem Rücken der Arbeitslosen. Das muß man deutlich aussprechen. ({75}) Ich plädiere bei aller Härte, die in der politischen Auseinandersetzung notwendig ist, dennoch für ein Mehr an gemeinsamer Entschlossenheit für mehr Arbeitsplätze und Beschäftigung. Die eingangs erwähnten Gespräche zwischen Bundesregierung, Gewerkschaften und Arbeitgebern haben hierfür wichtige und, wie ich glaube, bei allem Trennenden auch durchaus erfolgversprechende Chancen gezeigt. Ich halte an dieser Politik fest. Ich habe die Absicht, noch im Dezember dieses Jahres, d. h. nach dem Vorliegen der wichtigsten Gutachten zur Wirtschaftsentwicklung im nächsten Jahr, erneut den Versuch zu machen, die Verantwortlichen - das sind wiederum Gewerkschaften, Arbeitgeber und die Repräsentanten der Bundesregierung - zu einem Gespräch einzuladen und zusammenzubringen. Dabei werden wir an Hand der konkreten Unterlagen und der dann entstandenen Situation zu prüfen haben, was im nächsten Jahr noch getan werden kann und getan werden muß, um zusätzliche Impulse für Arbeitsplätze und Beschäftigung zu geben, um möglichst kurzfristig alle Arbeitsplatzreserven im Interesse derer voll auszuschöpfen, die jetzt noch draußen vor den Toren stehen. Meine Damen und Herren, ich gehe dabei davon aus, daß sich letztlich - das ist ja auch eine große Tradition der deutschen Gewerkschaftsbewegung, gerade nach dem Zweiten Weltkrieg - niemand dieser Verantwortung entziehen wird. Ich bin jedenfalls entschlossen, meinen Beitrag zu leisten. Dabei lassen wir uns in der Bundesregierung - ich bin auch ganz sicher: ebenso in den die Regierung tragenden Koalitionsfraktionen - nicht von irgendwelchen Propagandafeldzügen ablenken. Wir werden unsere Pflicht tun, auch gegenüber den noch Arbeitslosen, auch und vor allem gegenüber der jungen Generation, die statt eines törichten Kulturpessimismus einen Anspruch darauf hat, mit einem vernünftigen Optimismus und einem Stück Zukunftsvision ihr Leben gestalten zu können. ({76})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, bevor wir in die Aussprache über die Regierungserklärung eintreten, möchte ich unsere Gäste begrüßen. Ich freue mich, 520 junge Mitbürger aus allen Ländern der Bundesrepublik Deutschland im Deutschen Bundestag herzlich willkommen heißen zu können. ({0}) Wir haben Sie, liebe junge Mitbürger, eingeladen, damit Sie Einblick in unsere Arbeit nehmen können. Sie haben heute Gelegenheit, nach einer Erklärung der Bundesregierung zu Preisstabilität, Wirtschaftswachstum und Beschäftigung die Aussprache des Deutschen Bundestages zu diesem Thema zu verfolgen. Im weiteren Verlauf des Tages werden Sie selbst in zehn Gesprächskreisen politische Fragen diskutieren. Am späten Nachmittag werden Sie hier im Plenum die Plätze der Abgeordneten einnehmen und über die Ergebnisse und Eindrücke berichten. Ich werde an Ihrer Schlußsitzung heute nachmittag selbst nicht teilnehmen können, da ich eine Sitzung des Gemeinsamen Ausschusses leiten muß. Herr Vizepräsident Westphal wird deshalb die Sitzungsleitung übernehmen. Ich wünsche Ihnen einen guten und interessanten Verlauf des Tages. Für uns alle wäre es ein Gewinn, wenn diese Begegnung auch Anregungen für die parlamentarische Arbeit geben würde. Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß die Bundesregierung heute eine Erklärung zur Wirtschaftslage und zur Lage am Arbeitsmarkt abgegeben hat. Noch besser wäre es allerdings gewesen, wenn die Sache schon bei der Anmeldung zur Tagesordnung ungeschminkt beim Namen genannt worden wäre. Dann hätte es nämlich heißen müssen: Regierungserklärung zum sozialen Abbau und zur Massenarbeitslosigkeit. ({0}) Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, die jungen Mitbürgerinnen und Mitbürger, die heute hier im Parlament versammelt sind, werden mit Interesse verfolgen, wie Sie schon auf den ersten Satz der Kritik reagieren. ({1}) Darin, in der mit einem kontinuierlichen Sozialabbau verbundenen andauernden Arbeitslosigkeit von über zwei Millionen Männern und Frauen, der Arbeitslosigkeit von über 540 000 jungen Menschen unter 25 Jahren, liegt nämlich die zentrale Herausforderung. Auf diese Herausforderung erwartet unser Volk und erwarten stellvertretend die jungen Menschen, die heute hier in diesem Hause anwesend sind, von Regierung und Parlament konkrete Antworten. ({2}) In einer von Ihnen selbst, Herr Bundeskanzler, veranlaßten Umfrage haben 86,5 % aller Befragten die Massenarbeitslosigkeit und ihre Bekämpfung als die wichtigste Aufgabe der deutschen Politik bezeichnet. Ihre bisherigen Antworten, Herr Bundeskanzler, auf diese Herausforderungen waren unzulänglich, Ihre heutige Antwort war enttäuschend. ({3}) Ihre Antworten, Herr Bundeskanzler, sind dem Ernst der Situation und der Notlage der betroffenen und ihrer Familien nicht gerecht geworden. Sie sind an der Oberfläche geblieben, wo unser Volk Orientierung benötigt. Sie haben Schönfärberei betrieben, wo nur konkrete Perspektiven Hoffnung begründen können. ({4}) Sie haben polemisiert, wo Sie als Bundeskanzler hätten überzeugen sollen. ({5}) Sie brauchen sich deshalb nicht zu wundern, daß die Zustimmung zu Ihrer Politik selbst bei Ihren Anhängern rapide abnimmt. ({6}) Ihre eigene Umfrage, die ich schon erwähnte, beweist das. ({7}) Danach haben Ihnen vor einem Jahr 60 % der Unionswähler Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bescheinigt. Jetzt, ein Jahr später - der Text liegt Ihnen ja vor, und er ist im Kanzleramt ausgewertet worden - waren es nicht mehr 60 %, sondern nur noch 33 %, die Ihnen Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit bescheinigen. Das liegt nicht an der Darstellung Ihrer Politik, das liegt am Inhalt Ihrer Politik. ({8}) In Ihrer Lagebeschreibung haben Sie die positiven Elemente der wirtschaftlichen Entwicklung in den Vordergrund gerückt; so etwa die Verlangsamung des Preisanstiegs, den Exportüberschuß, die gestiegenen Anlageinvestitionen oder die hohe Zahl an Ausbildungsverhältnissen oder die Zunahme der Zahl der Beschäftigten in den letzten zwölf Monaten. ({9}) Wir teilen Ihre Freude über diese Tatsachen, und wir begrüßen sie. Wir, meine Damen und Herren von der Union, waren im Gegensatz zu Ihnen nie Anhänger der Katastrophenphilosophie Ihres Freundes Franz Josef Strauß. ({10}) Im Gegensatz zu Ihrer damaligen Haltung wollen wir nicht, wie Sie es in Sonthofen formuliert haben, daß alles immer schlechter wird, damit unsere parteipolitischen Chancen steigen. Wir wollen, daß es unserem Volk gutgeht. Wir wollen, daß richtige Politik gemacht wird. Das ist unser Ziel und unser Anliegen. ({11}) Wir sind eine konstruktive Opposition. Wir sind eine Opposition konstruktiver Alternativen. ({12}) Im übrigen: Es wäre ja verwunderlich, wenn die Anstrengungen unseres Volkes nicht Früchte tragen würden. ({13}) Wir danken als Opposition all denen, die sich an diesen Anstrengungen beteiligen. Wir danken den Arbeitnehmern, die seit Jahren eine Senkung der Reallöhne hinnehmen, die aus Solidarität mit ihren arbeitslosen Kolleginnen und Kollegen im vorigen Jahr in erster Linie für eine Arbeitszeitverkürzung und nicht für eine Erhöhung der Löhne gekämpft haben. ({14}) Es hätte Ihnen gut angestanden auch diesen Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Wort des Dankes und der Würdigung zuteil werden zu lassen. ({15}) Wir danken dem Handwerk und den kleinen und mittleren Betrieben, ({16}) die in verstärktem Umfang junge Menschen ausbilden. Wir haben übrigens - das sollten Sie noch einmal überdenken - diese Anstrengungen des Handwerks und der kleinen und mittleren Betriebe nicht mit Häme begleitet. Wir haben diese Anstrengungen durch Sonderprogramme in den Ländern und Gemeinden, in denen wir Verantwortung tragen, unterstützt und gefördert. ({17}) Wir danken den Gewerkschaften, die in unserem Lande ein Maß von Verantwortungsbewußtsein an den Tag legen, um das uns viele Länder in Europa und in der Welt beneiden. ({18}) Wir danken auch den Unternehmensleitungen, die sich zusammen mit den Betriebsräten aktiv um die Erhaltung der Arbeitsplätze, um unsere Auslandsmärkte und um die ökologische Erneuerung unserer Volkswirtschaft bemühen. Herr Bundeskanzler, wir kritisieren nicht unser Volk; wir kritisieren Sie. Verwechseln Sie das bitte nicht und setzen Sie sich nicht mit unserem Volk gleich! ({19}) Wir machen auch nicht in Pessimismus, wie Sie hier immer behaupten. ({20}) Wir sind in bezug auf Ihre Arbeit pessimistisch; und dieser Pessimismus wächst mit der Dauer Ihrer Amtszeit. ({21}) Die Anstrengungen, von denen ich sprach, und die weltweite Entwicklung haben zu einzelnen Fortschritten geführt. Aber mit welchem Recht eigentlich nehmen Sie diese Fortschritte mehr oder weniger pauschal für sich in Anspruch? Sie rühmen, die Zahl der Beschäftigten habe um 150 000 innerhalb der letzten zwölf Monate zugenommen. ({22}) Zunächst einmal, Herr Bundeskanzler: Wir in der Bundesrepublik erreichen damit noch nicht einmal die Beschäftigtenzahl vom September 1982. ({23}) Nach drei Jahren Aufschwung sind wir also noch nicht einmal da, wo die Regierung Helmut Schmidt aufgehört hat. Das ist Tatsache. ({24}) Ein neuer Abschwung würde also dort beginnen, wo wir am Tiefpunkt der letzten Rezession gestanden haben. ({25}) Noch etwas. Während des letzten Aufschwungs in unserer Regierungszeit haben die Beschäftigtenzahlen viel mehr zugenommen, als Sie uns jetzt berichten. Sie haben zugenommen: 1978 um 240 000, 1979 um 400 000, 1980 um 330 000. Wohin soll es denn führen, wenn jetzt auf dem Höhepunkt und im Endstadium dieses Aufschwungs nicht solche Zahlen, sondern nur Zahlen in der Gegend von 150 000 berichtet werden? ({26}) Außerdem, Herr Bundeskanzler: Sie wissen doch ganz genau, daß ein großer Teil der zusätzlichen Arbeitsplätze eine Folge der von den Gewerkschaften gegen Ihren erbitterten Widerstand durchgesetzten Arbeitszeitverkürzung ist und immer noch sein wird. ({27}) Herr Bundeskanzler, die Klügeren in Ihren Reihen geben das ja inzwischen zu. Warum verschweigen Sie das eigentlich? Um es mit Ihren eigenen Worten auszudrücken, Herr

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Absurd, dumm und töricht war nicht der Kampf um Arbeitszeitverkürzung; absurd, dumm und töricht ist der Widerstand, den Sie aus ideologischen Gründen gegen die Fortsetzung dieses Prozesses geleistet haben und noch leisten. ({0}) Sie rühmen sich der niedrigen Inflationsrate; wir freuen uns mit Ihnen darüber. ({1}) Aber, Herr Bundeskanzler, das ist doch eine weltweite Entwicklung, die schon um die Jahreswende 1981/82 einsetzte ({2}) und an der alle Industrieländer teilhaben. Zusammen mit Japan und der Schweiz haben wir unter allen Bundesregierungen in der Bundesrepublik stets die niedrigste Inflationsrate aller Industriestaaten gehabt. Wir waren immer auf dem ersten oder - äußerstenfalls - auf dem zweiten Platz. ({3}) Das war unter Willy Brandt so, das war unter Helmut Schmidt so, und das ist unter Ihnen so geblieben. Außerdem: In den letzten neun Monaten der Regierung Schmidt, in den neun Monaten von Januar bis September 1982, ist die Inflationsrate in der Bundesrepublik um 1,4 Prozentpunkte gesunken, in den 36 Monaten Ihrer bisherigen Regierungszeit um 2,6 Prozentpunkte. Wo liegt da eigentlich Ihre spezielle Leistung auf diesem Gebiet? Wollen Sie das bitte erläutern? ({4}) Sie sagen, Sie hätten die Schuldenaufnahme zurückgeführt. Aber Sie verschweigen, daß Sie bisher - entgegen Ihren Versprechungen und Ankündigungen - 48 Milliarden DM an Bundesbankgewinnen in den Bundeshaushalt eingestellt und weitere 28 Milliarden DM Bundesbankgewinne bereits verplant haben; das sind zusammen 76 Milliarden DM. Uns standen während unserer 13 Regierungsjahre ganze 13 Milliarden DM Bundesbankgewinne zur Verfügung, also nicht einmal ein Fünftel. Die Bundesbankgewinne - auch wenn Sie es nicht gerne hören, wir werden es Ihnen immer wieder sagen - sind im übrigen nach Bekundung von Herrn Präsi12272 dent Klasen, auf den Sie sich bei anderer Gelegenheit so gern berufen, Zinsen aus Devisenvermögen, die die Bundesbank während unserer Regierungszeit angesammelt hat. ({5}) Sie zehren heute von dem, was zu unserer Zeit angesammelt worden ist. ({6}) Das ist offenbar der „Schutt" aus unserer Zeit, von dem Sie so herabsetzend und verächtlich reden, von dem Sie aber in Wirklichkeit gerade in diesem Zusammenhang profitieren. ({7}) Herr Bundeskanzler, Sie feiern das niedrige Zinsniveau. ({8}) In der Tat: Ein nominaler Kapitalzins von gegenwärtig zwischen 6,5% und 7 % ist beachtlich und erfreulich. Aber - lassen Sie sich das vielleicht von Herrn Lambsdorff oder anderen Herren noch näher erläutern - viel wichtiger als der nominale ist der reale Zinssatz, also die Differenz zwischen Nominalzins und Preissteigerungsrate. Die liegt bei rund 4,5% und ist damit höher als in 12 von unseren 13 Regierungsjahren. ({9}) Diese Rekordhöhe des Realzinses ist auch die Ursache dafür, warum unverändert viel zu viel Kapital in die Geldvermögensanlage fließt. Auch zu diesem Punkt muß ich deshalb fragen: Herr Bundeskanzler, wo liegt eigentlich Ihre spezifische Leistung auf diesem Gebiet? Wir verstehen ja gut, daß Sie den Hut gerne vor sich selber ziehen, aber Sie tun es an der falschen Stelle in der Hoffnung, daß unser Volk die Zusammenhänge nicht durchschaut. Sie täuschen sich in unserem Volk auch hier. ({10}) Sie sagen, Herr Bundeskanzler, Sie hätten neues Wirtschaftswachstum zustande gebracht. ({11}) Ganz abgesehen davon, daß wir das quantitative Wachstum nicht für einen Wert an sich halten, daß es auch schädlich ist, daß es umweltgefährdendes Wachstum gibt - die neuesten Ergebnisse der Waldschadenserhebung, die seit wenigen Tagen vorliegen, unterstreichen das erneut in alarmierender Weise -: ({12}) Auch mit diesem Wachstum liegen wir doch nicht über, sondern deutlich unter dem internationalen Trend. Außerdem sollte Sie das britische Beispiel nachdenklich stimmen. Dort ist das Bruttosozialprodukt zuletzt um 5,4 % gestiegen, und dennoch hat die Arbeitslosigkeit dort die Rekordhöhe von mehr als 12 % erreicht und steigt noch weiter. ({13}) Wachstum für sich ist eben keine ausreichende Antwort auf die Massenarbeitslosigkeit. Daß Sie das noch immer glauben, ist einer Ihrer fundamentalen Irrtümer, ein Irrtum, den die Arbeitslosen und gerade auch die jungen Arbeitslosen bitter bezahlen müssen. ({14}) Ihre Lagebeschreibung weist noch andere schwerwiegende Mängel auf. Vor allem ist sie unvollständig. Unvollständig waren Ihre Ausführungen zu den internationalen Ursachen der Arbeitslosigkeit und zu der Frage, was die Bundesrepublik zur Beseitigung, zumindest aber zur Milderung dieser Ursachen tun kann, etwa zur Neutralisierung der Folgen des astronomischen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizits der Vereinigten Staaten. Erstaunlich, daß Sie heute die Folgen einer solchen Defizitpolitik sogar wieder ausdrücklich gelobt haben, während Ihr Finanzminister diese Politik - jedenfalls in weiter entfernten Hauptstädten - allmählich zu kritisieren beginnt, weil sie ihm offenbar unheimlich wird. Dazu werden meine Kollegen noch im einzelnen Stellung nehmen. Weiter fehlen in Ihrer Lagebeschreibung die gravierenden Negativrekorde, die unter Ihrer Regierungsverantwortung aufgestellt worden sind; Negativrekorde, unter denen die breiten Schichten unseres Volkes, unter denen die Arbeitenden und die Arbeitsuchenden immer mehr zu leiden haben. Ich weiß, Sie hören das nicht gern. Sie halten sich neuerdings in bemerkenswerter Bescheidenheit für den erfolgreichsten Regierungschef Europas. ({15}) - Sehen Sie, da klatschen noch nicht einmal seine eigenen Parteifreunde. ({16}) Ich sehe es doch an den Gesichtern, daß manche meinen, bei dieser Bemerkung hätte er es vielleicht eine Nummer kleiner machen sollen. ({17}) Aber wie paßt denn zum erfolgreichsten Regierungschef Europas, daß wir drei Jahre nach Ihrer Regierungsübernahme die höchste Lohnsteuerquote, die höchsten Rentenversicherungsbeiträge und trotzdem die kritischste Finanzlage der Rentenversicherung, ({18}) die niedrigste Investitionsquote des Bundes innerhalb des Zeitraums der mittelfristigen Finanzplanung, die höchste Zahl von Firmenpleiten seit 1949, seit Gründung der Bundesrepublik haben? ({19}) Herr Bundeskanzler, das sind doch die Tatsachen. Als Sie die Regierung übernahmen, lag die Lohnsteuerquote bei 16,6 %. Heute beträgt sie 17,6 %. 1988 wird sie trotz der von Ihnen sogenannten größten Steuerreform aller Zeiten - darunter machen Sie es nicht - bei 18,3 % liegen. Diese Entwicklung ist in der Geschichte der Bundesrepublik ohne Beispiel. Was Sie hier machen, ist der Marsch in den Lohnsteuerstaat. Und da werfen Sie uns vor, wir seien eine Lohnsteuererhöhungspartei. ({20}) Die Rentenversicherungsbeiträge haben Sie bereits zweimal erhöht. Als Sie antraten, beliefen sich die Beiträge auf 18 %. Heute sind es 19,2 %. Gleichzeitig steigen die Krankenversicherungsbeiträge auf breiter Front, und Sie haben selbst weitere Steigerungen angekündigt. Und Sie haben vor diesem Hintergrund den Mut, uns eine Abgabenpartei zu nennen. ({21}) Die Investitionsquote des Bundeshaushalts lag 1982 bei 13,1 %. Das war unser schwierigstes Jahr. Nach Ihrer mittelfristigen Finanzplanung wollen Sie, Herr Bundeskanzler, die Investitionsquote, also die Ausgaben, die insbesondere für die Bauwirtschaft von größter Bedeutung sind, bis 1989 auf 12,1 % absenken. Das ist dann der tiefste Stand seit 1949. Und dann wundern Sie sich über den Zusammenbruch der Bauwirtschaft. Die Pleitewelle hatte schon 1984 mit 16 750 Konkursen und Vergleichen, Firmenzusammenbrüchen - das sind rund 5 100 mehr als in unserem letzten Regierungsjahr - einen absoluten Rekord erreicht. Jetzt gab es allein vom Januar bis Juni 1985, in einem halben Jahr, 11 064 Pleiten, d. h. wir müssen mit einer weiteren Jahreszunahme der Pleiten von rund 13 % rechnen. ({22}) In der Opposition haben Sie die weit geringeren Zahlen während unserer Regierungsverantwortung lautstark tagtäglich kritisiert und uns zum Vorwurf gemacht. Heute schweigen Sie zu einer Explosion der Pleitenzahl. ({23}) Sie schweigen auch zu den schweren sozialen Ungerechtigkeiten, die Sie seit 1982 begangen haben. Sie haben ausschließlich bei den breiten Schichten und da vor allem bei den Schwächeren gekürzt. Das hält Ihnen j a Ihre eigene Arbeitnehmerorganisation immer wieder vor. Es gibt in unserem Land keinen Arbeitnehmer, keinen Rentner, keinen Arbeitslosen, keinen Behinderten, keinen Schüler und keinen Studenten, dem Sie und Ihre politischen Freunde nicht massive Opfer auferlegt hätten. Die Stärkeren, die zu ihrem hohen Verdienst auch noch hohe Einkünfte aus Vermögen beziehen, die haben Sie nicht nur verschont, denen haben Sie unter Bruch Ihres Wahlversprechens auch noch dazugegeben. ({24}) Herr Bundeskanzler, Sie mögen es noch so drehen und wenden und unter dem Druck der Wahlergebnisse da und dort die eine oder andere geringfügige Korrektur vornehmen, es bleibt doch wahr, daß Sie den Schwächeren genommen und daß Sie den Großen gegeben haben und noch weiter geben wollen. Wir werden nicht müde werden, daran zu erinnern, denn der Kampf um soziale Gerechtigkeit ist ein Stück unserer geschichtlichen Identität als Sozialdemokraten. ({25}) Meine Damen und Herren, Sie haben die sozialen Leistungen seit Oktober 1982 um Dutzende von Milliarden gekürzt, gleichzeitig aber die Vermögensteuer gesenkt und die Steuersubventionen um Milliarden erhöht. Sie haben bei der sogenannten Steuerreform die Großen um ein Mehrfaches stärker entlastet als die Masse der Steuerzahler. Sie haben - und dies ist ein besonders eklatantes Beispiel - für die Frühpensionierung von 1200 Offizieren weit mehr als eine halbe Milliarde DM bewilligt, gleichzeitig aber den Müttern, die im Krieg und in der Nachkriegszeit ihre Kinder geboren und aufgezogen haben, das Erziehungsjahr verweigert. ({26}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie diskutieren ernsthaft über eine Senkung des Spitzensteuersatzes für höchste Einkommen und wissen, daß es sich hier nicht um Arbeitseinkommen, sondern um fundierte Einkommen aus Vermögen handelt, denn mit reinem Arbeitseinkommen kommt man nicht in die Höhe des Spitzensteuersatzes, und Sie müssen sich gleichzeitig nicht von uns, sondern von den Wohlfahrtsverbänden, von Ihren eigenen politischen Freunden vorwerfen lassen, daß seit 1982 eine neue Armut um sich greift. ({27}) Jetzt berufen Sie sich auf Ihre familienpolitischen Maßnahmen und auf die Novelle zum Arbeitsförderungsgesetz, mit der Sie die sogenannten Überschüsse der Bundesanstalt verteilen wollen. Wir haben bereits gesagt, was wir an diesen Maßnahmen richtig finden und was wir an Ihnen zu kritisieren haben. Nur, von der Wiederherstellung der sozialen Gerechtigkeit, von einer Wiedergutmachung des von Ihnen bereits begangenen sozialen Unrechts kann doch überhaupt keine Rede sein. Im Gegenteil, von dem, was die Beitragszahler zur Arbeitslosenversicherung und was durch die lange Dauer ihrer Arbeitslosigkeit - das ist doch die Hauptquelle der sogenannten Überschüsse - die Arbeitslosen selbst in Nürnberg angesammelt haben in Höhe von 2 bis 3 Milliarden DM, beschlagnahmen Sie über eine halbe Milliarde für den Bundeshaushalt, nehmen es also den Beitragszahlern und den Arbeitslosen weg und vereinnahmen es ohne weiteres für den Bundeshaushalt. Eine weitere dreiviertel Milliarde - 745 Millionen DM genau - verwenden Sie für Zwecke, für die gerechterweise der Bundeshaushalt aufzukommen hätte. Sie belasten also einmal mehr die Schwächeren, die Arbeitslosen und die Beitragszahler, weil Sie sich an die Großen nicht herantrauen. Auch Ihre familienpolitischen Maßnahmen, etwa die Wiedereinführung des Kinderfreibetrages, begünstigen einseitig die Stärkeren. Insgesamt geben Sie den Familien nur einen Teil dessen zurück, was Sie ihnen seit 1982 genommen haben. Wenn Sie mir das nicht glauben wollen, lesen Sie einmal das nach, was Ihre neue Familienministerin dazu in ihrer bisherigen Funktion als Vizepräsidentin des Familienbundes der deutschen Katholiken noch vor kurzem gesagt hat. Sie hat gesagt: „Minuspunkte gebe ich dieser Regierung vor allem deshalb, weil die Familien nicht entlastet, sondern belastet werden." ({28}) Hören Sie wenigstens auf das Wort Ihrer eigenen Ministerkollegin! ({29}) Herr Bundeskanzler, Sie schweigen aber leider auch zu ganz wesentlichen Aspekten der Arbeitslosigkeit. Ist es denn etwa nicht wahr, daß die Arbeitslosigkeit im dritten Jahr des Aufschwungs unbeweglich auf einer absoluten Rekordhöhe verharrt? Monat für Monat im Jahre 1985 war am Monatsende die Arbeitslosenzahl die höchste seit Gründung der Bundesrepublik. Ist es nicht wahr, daß rund 700 000 Arbeitsuchende länger als ein Jahr und davon wiederum 300 000 sogar zwei Jahre und länger arbeitslos sind? Ist es nicht wahr, daß 368 000 junge Menschen, 368 000 Menschen zwischen 20 und 25 Jahren, vergeblich einen Arbeitsplatz suchen? Ist es nicht wahr, daß Wehrdienstpflichtige und Zeitsoldaten zum Zeitpunkt ihrer Entlassung genauso auf der Straße liegen wie Ersatzdienstleistende, weil sie keine Chance haben? Ist es nicht wahr, daß 60 000 Schulentlassene ohne Ausbildungsplatz sind und daß die Zahl noch um 30 000 bis 40 000 höher wäre, wenn man all die dazurechnete, die in Ermangelung einer Lehrstelle jetzt vorübergehend Kurse oder Lehrgänge besuchen - was vernünftig ist -, um nicht ganz auf der Straße zu liegen? Herr Bundeskanzler, wo, bitte, ist denn für all diese Menschen, für diese über 2 Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger, für diese über 700 000 Jugendlichen, wo ist denn für sie die „Trendwende an der Beschäftigungsfront", von der Sie seit Jahr und Tag und auch heute wieder geredet haben? Es wäre gut, die Antwort der Betroffenen zu hören! ({30}) All diese Menschen warten doch auf eine Perspektive. All diese Millionen und unser Volk wollen doch einfach nicht glauben, daß ihr Schicksal nicht durch eine große gemeinsame Anstrengung gewendet, zumindest aber fühlbar verbessert werden könnte. Daß diese Perspektive fehlt, daß an Stelle einer gemeinsamen Anstrengung, die Arbeitslosigkeit abzubauen, diese Arbeitslosigkeit auch noch zum Vorwand genommen wird, um den Abbau sozialer Schutzrechte zu rechtfertigen, etwa den Abbau des Kündigungsschutzes, des Jugendarbeitsschutzes und des Schutzes der Behinderten, das erbittert die Betroffenen, und es erbittert sie mit Recht. ({31}) Und da wundern Sie sich, daß die Gewerkschaften zu einer Protestwoche aufrufen? Warum wundern Sie sich eigentlich? Wer sollte denn gegen Arbeitslosigkeit, gegen soziales Unrecht, gegen den Abbau von Schutzrechten protestieren, wenn nicht die Gewerkschaften? Wir sagen: Das ist geradezu die Pflicht der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften wären miserable Vertreter der Arbeitnehmer, wenn sie nicht ihre Stimme erheben und sich zu Wort melden würden! ({32}) Das müssen die Gewerkschaften tun, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob es den jeweiligen Regierungen paßt oder nicht. Sie kritisieren das. Sie sagen, die Gewerkschaften würden mit solchen Protestaktionen die ihnen gezogenen Grenzen überschreiten; j a, Sie sprechen von einer Kriegserklärung des DGB und davon, daß der DGB die Regierung stürzen wolle. ({33}) Das überrascht mich. Mir liegt nämlich ein Brief vor, den Sie, Herr Bundeskanzler, Ende August an den DGB-Vorsitzenden, an Herrn Breit, gerichtet haben und in dem Sie sich ganz anders äußern. ({34}) In diesem Brief schreibt der Herr Bundeskanzler an den DGB-Vorsitzenden Breit wörtlich: Nie seit dem Zweiten Weltkrieg sind so viele Betriebe zusammengebrochen wie in diesem Jahr. Sehr richtig, Herr Bundeskanzler! Das war eine richtige Feststellung gegenüber Herrn Breit. Dann fahren Sie fort: Die CDU/CSU teilt die Sorge des Deutschen Gewerkschaftsbundes um die rasch wachsende Arbeitslosigkeit ({35}) und um die soziale Ausgewogenheit der zu ihrer Bekämpfung erforderlichen Maßnahmen. Die Beschlüsse der Bundesregierung können - so der Herr Bundeskanzler vor dieser Herausforderung keinen Bestand haben. Weiter schreibt er im August an Herrn Breit: Die wachsende Arbeitslosigkeit und die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage erfordern nach Auffassung der Union und gewiß auch des Deutschen Gewerkschaftsbundes dringend eine Belebung der öffentlichen Investitionstätigkeit. ({36}) Dann teilt der Bundeskanzler Herrn Breit noch mit, daß nach Auffassung der CDU/CSU die Belastungen, die sich aus der Steigerung der öffentlichen Investitionstätigkeit ergeben, von allen Schichten der Bevölkerung entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit mitgetragen werden müssen. ({37}) - Ausgezeichnet! Herr Geißler äußert sich noch klarer: In der Ausgabe der „Welt der Arbeit", in der Wochenzeitung des DGB vom 26. August schreibt Herr Geißler: Die Politik der Bundesregierung hat zu den größten sozialen Spannungen der Nachkriegszeit geführt und kann von den Gewerkschaften nicht mehr gebilligt werden. ({38}) Dann schreibt er weiter: Die Maßnahmen der Bundesregierung lassen keine Perspektive erkennen, sondern verstärken zu Recht die Auffassung, daß auf Kosten des kleinen Mannes herumgewurstelt wird. Das schreibt Herr Geißler. ({39}) Weil Herr Geißler es ohne Appell nicht abgehen lassen kann, beendet er seinen bemerkenswerten Artikel mit einem bemerkenswerten Appell an den DGB: Es ist Aufgabe der Gewerkschaften, für eine Politik zu kämpfen, die im Interesse der Arbeitnehmer liegt. ({40}) Nun kommt der schönste Satz von Geißler: Es ist nicht Aufgabe der Gewerkschaften, eine Regierung im Amt zu halten, die die Arbeitnehmerinteressen längst der politischen Taktik geopfert hat. Ausgezeichnet! ({41}) Wenn man das liest, meine Damen und Herren, dann könnte man fast glauben, die Herren Kohl und Geißler hätten die Absicht, persönlich an den Protestkundgebungen teilzunehmen, ({42}) und sie hätten die Absicht, gegen sich selbst zu demonstrieren. Aber so folgerichtig, so konsequent sind die Herren natürlich nicht. Herrn Geißlers Aufforderung zum Kampf für die Arbeitnehmerinteressen und Ihr verständnisvoller, anbiedernder Brief an den DGB stammen nämlich nicht vom August 1985, sondern vom August 1982, ({43}) als der DGB damals protestierte. ({44}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie Ihre eigene Fraktion jetzt einen Moment beobachtet und nicht so sorgfältig Ihren alten Brief studiert hätten, dann hätten Sie gemerkt, daß nicht wenige es für möglich gehalten haben, daß der Brief vom August 1985 stammt. ({45}) Herrn Geißlers Aufforderung, der DGB solle die Regierung nicht im Amt halten, Herrn Kohls verständnisvolle Würdigung der Situation stammen vom August 1982, ({46}) als der DGB gegen die damalige Arbeitslosigkeit und gegen die damaligen Kürzungsmaßnahmen der Regierung Helmut Schmidt protestierte. Da waren Sie natürlich für Proteste; heute sind Sie scheinheilig gegen Proteste. ({47}) Damals, Herr Bundeskanzler Kohl, haben Sie sich beim DGB mit ihrem Brief geradezu angebiedert. Heute, wo der DGB im dritten Jahr Ihrer Regierung gegen eine weit höhere Arbeitslosigkeit und gegen Maßnahmen kämpft, die den Sozialstaat geradezu in Frage stellen, beschimpfen Sie den DGB, werfen ihm von diesem Pult Agitation und Klassenparolen vor. Dies ist eines Bundeskanzlers nicht würdig. ({48}) Was Sie hier betreiben - natürlich immer unter Assistenz Ihres Generalsekretärs -, ist eine tief unglaubwürdige Doppelstrategie, und es ist auch eine Doppelstrategie, daß Sie den DGB auch hier wieder einerseits zu vertrauensvoller Zusammenarbeit einladen, andererseits aber bekämpfen und provozieren. Sie loben das dreiseitige Gespräch vom 5. September 1985. Auch wir haben die Tatsache dieses Gesprächs begrüßt; das war gut. Aber welche Konsequenzen hat denn dieses Gespräch gehabt? Sie reden heute nicht anders als vor dem Gespräch. Es hat sich doch gar nichts geändert. ({49}) Warum denn dann Gespräche, wenn man nicht auf den anderen zugehen will? ({50}) Ihr Briefpartner Herr Breit hat doch recht, wenn er das Gespräch als den Versuch bezeichnet hat, Zeit zu gewinnen, sich ein Alibi für eigene Untätigkeit zu verschaffen und Proteste zu unterlaufen. ({51}) Sie versuchen, die Gewerkschaften zu umarmen und provozieren sie gleichzeitig am laufenden Band. Sie sprachen heute davon, Sie wollten die Tarifautonomie stärken, die müsse sich bewähren. Das klingt gut; dem stimmen wir zu. Aber Sie wissen doch ganz genau, daß die Änderung des § 116 des Arbeitsförderungsgesetzes, die eine Mehrheit der Regierungsfraktionen bereits unterschrieben hat und mit der Sie dem DGB ständig drohen, daß die Überwälzung des Risikos von Betriebsstillegungen in Bezirken, in denen gar keine Arbeitskämpfe stattfinden, auf die Gewerkschaften diese kampfunfähig machen und die Tarifautonomie, die Sie hier in Worten preisen, praktisch aufheben und beseitigen soll. Das ist doch Doppelstrategie. ({52}) Sie haben sich bis heute mit keinem Wort von Vorschlägen distanziert, die Angriffsaussperrung gesetzlich anzuerkennen, also zum Zwecke der Lohnsenkung ganze Arbeitnehmerschaften auszusperren. ({53}) Sie haben sich mit keinem Wort von den Vorschlägen distanziert, das Streikrecht einzuschränken, und Sie haben sich mit keinem Wort von den Vorschlägen distanziert, die staatliche Zwangsschlichtung einzuführen. ({54}) Die Vorschläge werden doch in beiden Koalitionsfraktionen - ich hoffe, vorläufig noch von einer Minderheit - lebhaft befürwortet. Eine dritte Herausforderung, nein, ich muß sagen: eine Provokation haben Sie mit Ihrer eigenen Unterschrift bereits auf den Weg der Gesetzgebung gebracht, nämlich die Novelle zum Betriebsverfassungsgesetz ({55}) eine Novelle, die durch die Zulassung von Splitterlisten und durch die Einführung eines Konkurrenzbetriebsrates in Gestalt der Sprecherausschüsse ({56}) die Gewerkschaften spalten und schwächen will. Das ist Ihr Ziel! ({57}) Meine sehr verehrten Damen und Herren und insbesondere Sie, lieber Kollege Dregger, die Sie diese Initiative auch hier so befürworten, es ist doch Tatsache, daß sogar die Arbeitgeber, daß sogar Mitglieder Ihres eigenen Parteipräsidiums, Herr Kollege Dregger, vor dieser Absicht warnen. Oder ist es nicht wahr, Herr Kollege Dregger, daß Ihr hessischer Nachfolger, der in Frankfurt ein wichtiges Amt innehat, die Unionsfraktion erst vor kurzem in einem langen Brief eindringlich gewarnt und gebeten hat, diese Vorlage noch einmal zu überdenken? Herr Kollege Dregger, hat der Nachfolger in Ihrer hessischen Funktion nicht wörtlich an Sie geschrieben - Sie haben es Ihrer Fraktion sicher mitgeteilt; davon bin ich überzeugt -: „Die Intensität der Kritik an dieser Vorlage hat mich bewogen, mich mit der Gesetzesvorlage näher zu befassen." Das ist ausgezeichnet. „Ich gestehe ganz offen" - schreibt Ihnen Ihr Nachfolger -, „daß ich für diese Kritik nicht nur Verständnis habe, sondern sie im großen und ganzen auch in der Sache für überzeugend halte." - Und dennoch halten Sie hier mit Begeisterung an dieser Vorlage fest, nicht aus Sachgründen; weil Sie die Gewerkschaftsbewegung schwächen wollen, schlagen Sie sogar diesen Rat in den Wind. ({58}) Herr Bundeskanzler und meine Damen und Herren von der Koalition, mit all dem laden Sie schwere Verantwortung auf sich. Mit all dem gefährden Sie den sozialen Konsens, den Konrad Adenauer und Hans Böckler begründet haben und den alle Gewerkschaftsvorsitzenden und Bundeskanzler seitdem wie ihren Augapfel gehütet haben. Einen sozialen Konsens, der sich seitdem auch in kritischen Situationen bewährt und unserem Lande das erspart hat, was wir etwa in Großbritannien seit Jahr und Tag tagtäglich erleben. Es ist ein Konsens, dem die Bundesrepublik einen Gutteil ihrer bisherigen Stabilität verdankt. Herr Bundeskanzler, das ist nicht konservativ. Kluge Konservative - das habe ich gerade zitiert - warnen vor diesem Weg. Das ist der bedenkliche Versuch, das Rad der Geschichte auf dem Gebiet der sozialen Beziehungen um Jahrzehnte zurückzudrehen. Das, Herr Bundeskanzler, ist nicht konservativ; das ist im Wortsinne reaktionär! ({59}) Und auch noch ein offenes Wort zu einem Thema, das Sie angesprochen haben. Das wird nicht dadurch besser, daß Sie und Ihre Helfer und Helfershelfer jetzt das Thema Neue Heimat in den Vordergrund rücken. Natürlich ist die Kritik an der Neuen Heimat berechtigt. ({60}) Niemand kann das persönliche Fehlverhalten einzelner entschuldigen, und niemand, meine Damen und Herren, kann entschuldigen, daß gemeinwirtschaftliche und genossenschaftliche Grundsätze in den 70er Jahren zunehmend mißachtet worden sind. ({61}) Kein Geringerer, meine sehr verehrten Damen und Herren, als Ernst Breit hat dazu in der ÖffentlichDr. Vogel keit festgestellt - und der Text ist jedermann zugänglich -, ({62}) daß sich die gemeinwirtschaftliche Unternehmensgruppe von ihrer ursprünglich selbstverständlichen Aufgabenstellung wegentwickelt hat. Und er hat in diesem Zusammenhang - und das ehrt ihn - kritisiert, daß es die Gewerkschaften über eine viel zu lange Zeit versäumt hätten, die Nähe der Gemeinwirtschaft zu den gewerkschaftlichen Organisationen in dem erforderlichen Maße sicherzustellen. ({63}) Ich wüßte nicht, wer ihm in diesen Feststellungen nicht ausdrücklich zustimmen wollte. ({64}) Unbeschadet des Respekts vor den früheren großen Leistungen der Neuen Heimat im sozialen Wohnungsbau, von denen Hunderttausende, ja Millionen auch ihren Vorteil gehabt haben, sind auch der Unmut und die Empörung von Mietern, deren Wohnungen zur Zeit veräußert werden, ({65}) verständlich und berechtigt. Aber die richtige Antwort auf diese Entwicklung ist doch, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, zu den strengen Prinzipien der Genossenschaftsbewegung zurückzukehren und vor allem den Mietern zu helfen, wie das die Stadt München und das Land Hessen jetzt in vorbildlicher Weise zu tun versuchen. ({66}) Meine Damen und Herren, Graf Lambsdorff trauert an dieser Stelle immer über die Arbeitergroschen. Ich finde es gut, daß er von den Arbeitergroschen eine so plastische Vorstellung entwickelt. Sie versuchen statt dessen, das Thema zu antigewerkschaftlicher und parteipolitischer Polemik auszubeuten. In aller Freundschaft kann ich Ihnen dabei, meine Damen und Herren, insbesondere von der CDU, aber auch der CSU, nur zu größter Vorsicht raten, auch Ihnen, Herr Bundeskanzler: Tun Sie doch hier nicht so, als ob nicht auch Ihre Parteifreunde in der und für die Neue Heimat Verantwortung getragen hätten. Wenn Sie dazu Namen hören wollen, wollen wir Ihnen da gerne dienen. Den Organen der Neuen Heimat, etwa den Aufsichtsräten, haben in den maßgebenden Zeiten doch zu Dutzenden auch Ihre Parteifreunde angehört. Auch in der Geschäftsführung war zumindest ein namhafter Angehöriger Ihrer Partei tätig. - Ihnen geht es offenbar um etwa ganz anderes, Ihnen geht es darum, vom eigentlichen Thema der Massenarbeitslosigkeit und des Sozialabbaus abzulenken und einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen. ({67}) Uns geht es darum, daß den Mietern geholfen wird, und darum, meine Damen und Herren, daß nicht unabsehbarer, weit über den Kreis der Mieter der Neuen Heimat hinausreichender volkswirtschaftlicher Schaden entsteht. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat dazu in einem bemerkenswerten Artikel - ich glaube, es war die Ausgabe vom 30. September - geschrieben, die Klärung der Vorgänge bei der Neuen Heimat habe auch ihr Gutes gehabt; denn sie habe weit Schlimmeres verhindert, habe wenige Minuten vor zwölf zum Aufräumen und zum Inventurmachen ohne Selbstbetrug gezwungen. - Dabei sollten wir alle ohne Ansehen der Parteizugehörigkeit helfen. Dies ist die Aufgabe und nicht die Ausschlachtung des Themas. ({68}) Außerdem: Sie können doch aus den Vorgängen um die Neue Heimat nicht eine Spur von Rechtfertigung für Ihre Untätigkeit gegenüber der Arbeitslosigkeit und für Ihre Politik des Sozialabbaus ableiten. Wir beschränken uns auch sonst nicht nur auf Kritik, wir haben konkrete Alternativen entwikkelt. ({69}) Wir sagen, was wir an Ihrer Stelle tun würden, wo die Unterschiede zwischen Ihnen und uns liegen. ({70}) - Meine Damen und Herren, Sie müssen furchtbar nervös sein, wenn Sie nur durch ständige unartikulierte Schreie Ihr Bewußtseinskostüm in Ordnung halten können. ({71}) Ein Unterschied liegt darin, daß wir, anders als Sie, nicht die Statistik anzweifeln. Das haben wir zur Zeit unserer Regierungsverantwortung nicht getan, und das tun wir auch heute nicht. Der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit hat recht, wenn er Ihre Angriffe, Herr Bundeskanzler, mit der Feststellung zurückweist, die Statistik der Bundesanstalt sei die detaillierteste und konkreteste Statistik, die es über Arbeitslosigkeit überhaupt gebe. Er könne die Politiker nicht verstehen - damit meint er Sie -, die diese Statistik in Mißkredit zu bringen versuchen. Wir machen auch nicht Stimmung gegen die Arbeitslosen, wie Sie das tun. Sie waren sich bedauerlicherweise nicht zu schade, die Arbeitslosigkeit in öffentlicher Versammlung u. a. darauf zurückzuführen - und nun wörtlich -: Von den über zwei Millionen Arbeitslosen denke so mancher im Traum nicht daran, einen Arbeitsplatz anzunehmen. Auf diese Entgleisung finden Sie die gebührende Antwort im jüngsten Text des Vorsitzenden der katholischen Bischofskonferenz. Dort heißt es: „Pflicht der Kirche ist es, dafür einzutreten, daß weder offen noch versteckt den Arbeitslosen der Stempel der Leistungsunwilligkeit aufgedrückt wird." ({72}) Das ist höflich, aber deutlich an die Adresse all derer gerichtet, die es angeht. Im übrigen ist Ihre Aussage auch der Sache nach unsinnig. Sie wissen so gut wie wir, daß die Zahl der möglichen Mißbrauchsfälle bei weitem von der Zahl derjenigen übertroffen wird, die sich aus Resignation bei den Arbeitsämtern nicht mehr registrieren lassen. Wollte man sie alle in die Statistik aufnehmen, dann läge die Arbeitslosenzahl weit über 2,1 Millionen. ({73}) Der Hauptunterschied zwischen uns liegt aber darin, daß wir in der Verminderung der Massenarbeitslosigkeit eine Gemeinschaftsaufgabe sehen, während Sie das dem freien Spiel der Kräfte, der sogenannten Selbstheilung, überlassen wollen. Für Sie - so gewinnt man immer mehr den Eindruck, auch nach Ihrer heutigen Erklärung - ist Arbeit eine Ware. ({74}) Für uns ist Arbeit primär ein unverzichtbares Wesenselement eines sinnerfüllten Lebens. Das ist der Unterschied. ({75}) Arbeitslosigkeit ist deshalb ein bitterer und verbitternder Entzug von Lebensqualität. ({76}) Wir wissen, was der Markt zu leisten vermag. Deshalb bejahen wir ihn als ein wichtiges Element unserer Wirtschaftsstruktur. Aber wir kennen auch seine Grenzen. Wir wissen, daß er, sich selbst überlassen, schwere ökologische und soziale Schäden anrichtet. Wir wissen, daß der Markt, sich selbst überlassen, unsere Gesellschaft genauso spalten würde, wie er etwa die britische Gesellschaft zutiefst gespalten hat. Unser Konzept trägt dem Rechnung. Unser Konzept mobilisiert die Kräfte der Gemeinschaft dort, wo der Markt allein nichts ausrichten kann oder gar Abträgliches bewirkt, und es stärkt ihn, wo der Markt Gutes zu bewirken vermag. Folgendes sind die wesentlichen Elemente unseres Konzeptes. Erstens. Eine weitere kontinuierliche Arbeitszeitverkürzung einschließlich eines Überstundenabbaus, eines Abbaus, der sich nicht wie bei Ihnen nur auf Appelle beschränkt. Auch hier gilt: nicht reden, sondern handeln, die Vorlagen, die wir eingebracht haben, annehmen ({77}) oder meinetwegen modifiziert annehmen! Zweitens. Die Stärkung der Massenkaufkraft durch die Beseitigung der schlimmsten sozialen Ungerechtigkeiten. Sie haben sich heute in diesem Zusammenhang mit einem Interview des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten auseinandergesetzt. Mir ist mitgeteilt worden, daß es sich an der fraglichen Stelle um eine verkürzte Wiedergabe einer längeren Unterhaltung handelt. ({78}) Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident stimmt mit der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion darin überein, daß wir die schlimmsten sozialen Ungerechtigkeiten rückgängig machen werden. Dafür hat Johannes Rau konkrete Beispiele genannt. Alles ungeschehen zu machen, was Sie in drei Jahren angerichtet haben, das würde in der Tat auch unsere Kräfte übersteigen. ({79}) Und das hat Johannes Rau auch nicht behauptet. Drittens. Die verstärkte Förderung der Mittel- und Kleinbetriebe, insbesondere auf dem Dienstleistungssektor. ({80}) Viertens. Die Schaffung des Sondervermögens „Arbeit und Umwelt" und die Steigerung der öffentlichen Investitionen auf allen Ebenen. Fünftens. Die Unterstützung von örtlichen Sonderprogrammen für Langzeitarbeitslose, schwer Vermittelbare und Jugendliche, die nach der Berufsausbildung keine Arbeit finden. Sechstens. Eine gemeinsame Anstrengung - Ansätze dazu gibt es; das haben wir anerkannt - zur besseren beruflichen Qualifizierung der Arbeitslosen, aber auch der Arbeitnehmer insgesamt. Die weiteren Redner meiner Fraktion werden diese Elemente im einzelnen konkretisieren und erläutern. Sie werden darlegen, daß unser Konzept solide finanzierbar ist, finanzierbar durch steuerliche Maßnahmen, die eben nicht allein die breiten Schichten, sondern vor allem die hohen und die sehr hohen Einkommen belasten, finanzierbar durch unseren Gesetzentwurf zur Verbesserung der kommunalen Finanzen, finanzierbar durch einen geringen Zuschlag auf den Energieverbrauch zur Grundfinanzierung des Sondervermögens. Dieser Zuschlag hätte auch den Nebeneffekt, den Energieverbrauch zu senken. Unsere Initiative ist auch durch eine Beschränkung der Verteidigungsausgaben auf den prozentualen Stand des Jahres 1983 sowie durch die Mehreinnahmen und die Minderausgaben finanzierbar, die sich durch jeden zusätzlichen Arbeitsplatz in einer Höhe von etwa 24 000 DM ergeben. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, trotz aller Schwierigkeiten, in denen wir uns befinden, sind wir kein armes Volk. Verglichen mit unserer eigenen Lage in den Nachkriegsjahren -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie, daß ich Sie unterbreche. - Wir haben vereinbart, daß wir die Redezeiten heute vormittag aufteilen. Ich bitte um Verständnis, wenn ich darum Präsident Dr. Jenninger bitte, daß Sie jetzt, nachdem Ihre Redezeit schon weit überschritten ist, zum Schluß kommen.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich werde Ihren Hinweis befolgen. Verglichen mit unserer eigenen Lage in den Nachkriegsjahren, verglichen mit den meisten anderen Völkern der Erde sind wir wohlhabend, wenn nicht sogar reich. ({0}) Unser Volk hat aus Not und Elend in den Jahrzehnten nach dem Krieg weit über 10 Millionen Vertriebene und Flüchtlinge eingegliedert. Es hat durch den Bau von Millionen Wohnungen die Wohnungsnot überwunden. Es hat aus den Trümmern die Produktionsanlagen moderner und leistungsfähig wiederaufgebaut. ({1}) Es hat ein vorbildliches System der sozialen Sicherheit geschaffen. ({2}) Das ist gelungen, weil wir die Entfaltung der individuellen Kräfte mit dem Einsatz der gebündelten Kraft unseres Volkes verbunden haben: mit dem Lastenausgleich, mit dem sozialen Wohnungsbau, mit großen Investitionshilfeprogrammen und mit den Gemeinschaftsinstrumenten unserer sozialen Sicherung. ({3}) Auf dem gleichen Weg können wir auch die Arbeitslosigkeit fühlbar mildern und zugleich der Zerstörung unserer Umwelt Einhalt gebieten. ({4}) Es fehlt nicht an gutem Willen und der Anstrengung unserer Mitbürgerinnen und Mitbürger. Es fehlt auch nicht an den Ressourcen. Es fehlt an der Bündelung der Kräfte. Es fehlt an der politischen Orientierung und der politischen Führung. Dies ist der Kernpunkt. ({5}) Wir sind tief überzeugt: Unser Volk will nicht zurück in die Zeit der Ellbogengesellschaft. Diejenigen, denen es gutgeht, wollen in ihrer übergroßen Mehrheit nicht, daß es anderen schlechtgeht. Nur ganz wenige wollen, daß es ihnen auf Kosten der anderen gutgeht. Unser Volk weiß: Eine menschenwürdige Gesellschaft und sozialer Friede setzen das solidarische Bündnis zwischen Stärkeren und Schwächeren voraus. Die Gewerkschaften und die Kirchen fordern dieses Bündnis. Wir bejahen es und sind bereit, unsere Verantwortung im Rahmen eines solchen Bündnisses zu übernehmen. ({6}) Sie sagten soeben, Herr Bundeskanzler, Sie stünden im Herbst 1985 an einer entscheidenden Wendemarke. Da stimme ich Ihnen zu. Für eine Wende, für eine Korrektur Ihres verfehlten, Ihres gefährlichen, Ihres auf Konfrontation hinauslaufenden Kurses bleibt Ihnen und Ihrer Koalition nur noch ein kurzer Zeitraum. ({7}) Mißachten Sie die Wendemarke für diese Korrektur und setzen Sie Ihre bisherige Politik fort, ({8}) so wird es nicht bei einer Protestwoche und nicht bei unseren Protesten im Bundestag bleiben, sondern dann wird der Wahltag im Januar 1987 zum entscheidenden Protesttag werden. Dann wird Ihnen unser Volk im Januar 1987 die notwendige Quittung geben, ({9}) und zwar nicht weniger klar und nicht weniger deutlich, als es unser Volk in diesem Jahr bereits an der Saar sowie an Rhein und Ruhr getan hat. ({10})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben nicht die Wahrheit zu fürchten, sondern die Lüge, die Tatsachenverdrehung, die Desinformation, an der sich viele beteiligen. ({0}) Ich will ein Beispiel aus der Rede des Oppositionsführers herausgreifen. ({1}) Er hat die Briefe zitiert, die der damalige Oppositionsführer Helmut Kohl und der Generalsekretär der CDU, Geißler, an den DGB-Vorsitzenden geschrieben haben. Das war 1982. Meine Damen und Herren, in den Jahren 1981 und 1982 stieg die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland schneller als in jedem anderen Land der Europäischen Gemeinschaft. ({2}) Von 1983 auf das Jahr 1984 standen wir in der Entwicklung der Arbeitslosigkeit am Ende der Skala in Europa. Da war nur noch Dänemark mit uns zu vergleichen. Alle anderen Staaten standen schlechter da als wir. Das ist die Wende am Arbeitsmarkt, die wir herbeigeführt haben. ({3}) Der Brief von Helmut Kohl und der Aufruf von Heiner Geißler waren 1982 voll gerechtfertigt. Heute sind solche Feststellungen nicht gerechtfertigt; das ist der Unterschied. ({4}) Ehe ich näher darauf eingehe, meine Damen und Herren, will ich unserer Absage an die Politik der Abgabenerhöhungen und der Schuldenmacherei - darauf läuft alles hinaus, was SPD und DGB anzubieten haben - bekräftigen. Wir lehnen Schuldenmacherei nach Art der SPD ab, weil sie erstens die Zinsen hochtreibt, dadurch die Kredite verteuert, auch die Investitionskredite, damit aber die Investitionsfähigkeit und die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft, ohne die es keine Vollbeschäftigung geben kann, zerstört. ({5}) Wir lehnen die Schuldenmacherei nach Art der SPD zweitens ab, weil sie die Steuer- und Abgabenlast von Arbeitnehmern, Rentnern und Unternehmen hochtreibt und dadurch die Kaufkraft der Konsumenten und die Investitionskraft der Wirtschaft, ohne die weder alte Arbeitsplätze erhalten noch neue geschaffen werden können, beeinträchtigt. ({6}) Wir lehnen diese Politik der Schuldenmacherei nach Art der SPD drittens ab, weil sie zunehmend den Staat handlungsunfähig macht. Das ist ja das schlimmste Ergebnis der Ara Brandt/Schmidt: Die Schuldenlast dieser Ara und die sich daraus ständig erneuernde Zinslast sind heute der Klotz am Bein der deutschen Politik. ({7}) Wir können diesen Klotz leider nicht abschlagen. Wir können ihn nur eingipsen und sein Wachstum hemmen. Das tun wir. Schulden, die wir heute aufnehmen, dienen nur noch der Finanzierung der Altschulden. In dieser Legislaturperiode beträgt die Nettoneuverschuldung des Bundes 109,8 Milliarden DM. Das ist weniger als die Zinslast, die wir für die Schulden von Willy Brandt und Helmut Schmidt aufbringen müssen; das sind nämlich 114,3 Milliarden DM. Hätte es diese Schuldenmacherei der Regierungen Brandt und Schmidt nicht gegeben, hätten diese Regierungen sich so solide verhalten wie die Regierung von Bundeskanzler Helmut Kohl, könnten wir heute entweder auf jede Neuverschuldung verzichten oder wir hätten über 100 Milliarden DM für Ausgaben verfügbar, die wir lieber vornehmen würden, als Zinsen an die Banken zu zahlen. ({8}) Dann könnten wir die Einführung des Erziehungsjahres in der Rentenversicherung, von der Sie, Herr Vogel, gesprochen haben, rückwirkend finanzieren. Dann könnten wir die Investitionen der Deutschen Bundesbahn zur Einführung von Schnellbahntrassen finanzieren. Aber wir können es eben nicht, weil wir über 100 Milliarden DM aufbringen müssen, nur um die Zinsen Ihrer Schulden zu finanzieren. ({9}) Wir zahlen heute für Zinsen mehr, als wir Geld ausgeben für Umweltschutz plus innere Sicherheit plus Berufsausbildung plus Ausbildungsförderung plus Wissenschaft und Forschung plus Wohnungs- und Städtebau. Meine Damen und Herren, das ist das Finanzerbe, das Sie uns hinterlassen haben. ({10}) SPD und DGB haben davon offenbar nichts verstanden. Sie wollen weiter Schulden machen wie vorher, hemmungslos, rücksichtslos, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Rücksicht auf die Zukunft. Wir nicht. Viele Länder der Welt, nicht nur der Dritten Welt, verhalten sich ebenso. Sie verkaufen ihre Zukunft durch Schulden, deren Zinslast ihnen die Kehle zuschnürt. Zur Spitzengruppe der Schuldenmacher in Deutschland gehört der eben mehrfach zitierte nordrhein-westfälische Ministerpräsident Rau. ({11}) Der Bundeskanzler hat den Hilferuf seines Finanzministers Posser zitiert. Ich will dieses Zitat um einige Tatsachenfeststellungen in diesem Brief Possers erweitern. Er schreibt dort: Von Ende 1977 bis Ende 1984 hatten die übrigen Flächenländer [der Bundesrepublik Deutschland] im Durchschnitt einen Verschuldungsanstieg von 188,9 % zu verzeichnen, darunter Hessen mit 86,3% den geringsten und das Saarland mit 198,3% den stärksten. In dem selben Zeitraum ist die Verschuldung von Nordrhein-Westfalen aber um nicht weniger als 408,9% angestiegen ... ({12}) Um 408,9 %! Und so ein Mann will Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. ({13}) - Zurufe von der CDU/CSU: Daraus wird nichts! - Armes Deutschland, wenn der käme!) Ich wiederhole jetzt das Zitat, das schon der Bundeskanzler gebracht hat, weil es die Lage in klassischer Prägnanz schildert. Posser schreibt: Es liegt auf der Hand, daß sich eine solche ... Verschuldungspolitik nur wenige Jahre durchhalten läßt, weil die dramatisch steigenden Zinslasten den Haushalt sonst in Kürze ... erdrosseln würden, wie am abschreckenden BeiDr. Dregger spiel anderer hochverschuldeter Länder ... zu studieren ist. Meine Damen und Herren, ob diese Warnung Possers bei seinen Parteifreunden in Düsseldorf, bei seinen Parteifreunden in Bonn oder beim DGB Erfolg hat? ({14}) Dafür spricht leider nichts. Posser ist ja nicht der erste Rufer in der Wüste seiner Partei. Alex Möller hat bereits vor 15 Jahren sein Amt als Bundesfinanzminister in der Regierung Brandt niedergelegt, um auf diese Weise vor der hemmungslosen Schuldenpolitik seiner Partei zu warnen und dagegen zu protestieren. Leider ohne jeden Erfolg, wie wir heute wissen. ({15}) Meine Damen und Herren der SPD und des DGB, nehmen Sie bitte zur Kenntnis, meine Mitbürgerinnen und Mitbürger draußen im Lande, verlassen Sie sich darauf: Wir, die Union, setzen die verantwortungslose Schuldenpolitik der SPD nicht fort. Wir sind solide, und wir bleiben solide. ({16}) Wir geben für die Nation jetzt das aus, was sie jetzt verdient, ({17}) aber die Zukunft halten wir offen. Unsere Kinder sollen dereinst über sich selbst bestimmen können. Wir wollen sie nicht zu Zinssklaven der Schulden machen, die SPD und DGB jetzt zusätzlich aufnehmen möchten. ({18}) Und nun zu der Erfolgsbilanz, die der Bundeskanzler vorlegen konnte. Sie ist nicht das Ergebnis unsolider Schuldenpolitik. Sie ist das Ergebnis richtiger politischer Entscheidungen, die zur allmählichen Gesundung unseres Landes beitragen. Ich will fünf Felder hervorheben, die sozial ebenso bedeutsam sind wie ökonomisch. Erstes Thema: Geldwertstabilität. Stabiles Geld bringt dem kleinen Mann real mehr, als jede Lohn- und Rentenerhöhung bringen könnte, die durch die Inflation entwertet wird, wie es zu SPD-Zeiten regelmäßig der Fall gewesen ist. ({19}) 1982, am Ende der SPD-Regierung, betrug die Geldentwertungsrate 5,4 %; vorher lag sie über 6 %; heute sind es nur noch 2,2 %, und die Bundesbank traut uns zu, daß sie unter 2% sinken wird. Die D-Mark ist heute wieder die stabilste Währung der Welt, wie zu Ludwig Erhards Zeiten. ({20}) Herr Vogel, zu Zeiten von Herrn Brandt und Herrn Schmidt ist sie das nie gewesen. Diese Wertbeständigkeit der Löhne und der Sparkonten ist nicht nur eine ökonomische, sondern auch eine soziale Errungenschaft ersten Ranges. Der DGB verschweigt diese soziale Errungenschaft in seiner Kampfbroschüre. Wir aber zollen dem Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg Dank und Anerkennung für diese soziale Politik, die sie durchgesetzt haben. ({21}) Zweites Thema: Arbeitslosigkeit. Die SPD war nicht nur die Partei unsolider Schuldenwirtschaft, unter der wir heute noch zu leiden haben. Sie wurde - sicherlich gegen ihren Willen, aber auf Grund ihrer Politik - zwangsläufig auch zur Partei der Massenarbeitslosigkeit. ({22}) Die Massenarbeitslosigkeit wird immer mit dem Namen der SPD verbunden bleiben, denn die SPD hat sie entstehen lassen. ({23}) In der Ära Brandt/Schmidt hat sich die Zahl der Arbeitslosen bei uns vervierzehnfacht, von unter 150 000 auf über 2 Millionen, jeweils saisonbereinigt von Oktober 1969 bis Oktober 1982, gerechnet. 1981 und 1982, in den letzten beiden SPD-Jahren - ich erwähnte es schon -, waren wir im Anstieg der Massenarbeitslosigkeit europäische Spitze. Sie stieg bei uns schneller als in jedem anderen Land der EG. In zwei Jahren waren es 106% Anstieg. Heute, drei Jahre später, stehen wir in dieser Hinsicht in der EG nicht mehr wie zu SPD-Zeiten an der Spitze, sondern am Schluß. Von 1983 auf 1984 blieb die Arbeitslosigkeit bei uns mit plus 0,3 % konstant. Mit Ausnahme Dänemarks standen alle anderen Länder der Europäischen Gemeinschaft in dieser Hinsicht schlechter da als wir. An der Spitze der „negativen" Spitze stand leider Frankreich, dessen Arbeitslosigkeit sich in diesem Zeitraum noch einmal um 13,1% erhöht hat. Übrigens: Sämtliche Daten, die ich Ihnen vortrage, sind „eurostat" entnommen; das ist die offizielle Statistik der Europäischen Gemeinschaft. Inzwischen nimmt die Zahl der Arbeitsplätze bei uns wieder zu. Uns gelingt es nicht nur, Ersatz für Freisetzungen in schrumpfenden Branchen zu schaffen, sondern die Bilanz kommt auch insgesamt wieder ins Plus, zunächst mit 165 000 Arbeitsplätzen. Wir sind noch nicht am Ziel, natürlich nicht. Aber der Fortschritt gegenüber der sozialdemokratischen Ara ist doch unübersehbar. Ich frage den DGB, warum er gegen diesen Fortschritt eine Kampagne durchführen will. Ich bin sicher: Hätte eine SPD-Regierung einen ähnlichen Erfolg wie die Regierung Kohl erzielt, dann würde der DGB nicht zur Oktoberkampagne aufrufen, sondern zum Oktoberfest einladen, meine Damen und Herren. ({24}) Mit Einheitsgewerkschaft hat das alles wenig zu tun. Drittes Thema: Abbau der Ausländerarbeitslosigkeit. Von unserem Rückkehrförderungsgesetz machten rund 140 000 ausländische Arbeitnehmer mit ihren Familien Gebrauch. Insgesamt kehrten 350 000 Ausländer freiwillig, aus eigenem Entschluß in ihre Heimat zurück. Sie machten Platz für 140 000 deutsche Arbeitnehmer. Sind SPD und DGB etwa dagegen? Wir sind dafür, nicht nur aus Gründen des Arbeitsmarktes. ({25}) Viertes Thema: sicheres Wohnen. Wir haben das Wohngeld durchschnittlich um mehr als 30 % erhöht. Dank dieser Maßnahmen und auf Grund unseres sozialen Mietrechts werden jetzt viele nicht obdachlos, deren Wohnung zur Zeit von der Neuen Heimat ohne Rücksicht auf Verluste abgestoßen werden. Solange der DGB in seinen eigenen Wirtschaftsbereichen für derartige Mißstände verantwortlich ist, sollte er mit seinen wirtschaftspolitischen Ratschlägen an unsere Adresse etwas zurückhaltender sein, meine Damen und Herren. ({26}) Zumindest sollte er sie nicht zum Gegenstand von Kampagnen machen. 40 Jahre Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben gezeigt, daß die Union von Wirtschaftspolitik und Vollbeschäftigung mehr versteht als SPD und DGB zusammengenommen. ({27}) Fünftes Thema: Sozialhilfe, Familien- und Gesellschaftspolitik. Zum 1. Juli 1985 haben wir die Regelsätze der Sozialhilfe durchschnittlich um 8 % erhöht; das liegt um mehr als 5 % über der Geldentwertungsrate. ({28}) Was soll eigentlich das dumme Geschwätz vom Sozialabbau, meine Damen und Herren von der SPD? ({29}) Es gibt auch keine neue Armut. Es gibt nur eine alte Armut, die die SPD hat entstehen lassen: die Armut der Familien und der Alleinstehenden mit Kindern, mit vielen Kindern, eine Armut, die wir mit unserem 10-Milliarden-Programm jetzt beseitigen oder zumindest lindern. ({30}) Ab 1. Januar 1986 erhält jede Mutter ein Erziehungsgeld von 600 DM monatlich. Wir verbinden das mit einer Beschäftigungsgarantie. ({31}) Die Mutter hat nach Ablauf des Erziehungsjahres Anspruch auf Wiedereinstellung an ihrem Arbeitsplatz, zumindest in ihrem Betrieb. Meine Damen und Herren, wir befreien die Frauen auf diese Weise von der Alternative: entweder Kinder oder Beruf. Wir wollen, daß Frauen beides haben können: berufliche Tätigkeit und die Möglichkeit, jungen Menschen das Leben zu schenken. ({32}) Dieses Erziehungsgeld, verbunden mit einer Beschäftigungsgarantie, war sicherlich ein besonders schwieriges Reformwerk. Nur die Union konnte e: durchsetzen. Wir danken unseren Partnern von de FDP aufrichtig, daß sie uns dabei unterstützt ha ben. ({33}) Ein Zweites: Für die Erziehung eines jeden Kindes wird der Mutter künftig rentenbegründend und rentensteigernd ein Erziehungsjahr in der Rentenversicherung angerechnet. Mit diesen beiden Reformwerken schlagen wir ein neues Kapitel in der Sozialgeschichte des deutschen Volkes auf. ({34}) Wir schützen Mütter in Beruf und Alter. Das ist unser Programm für die Zukunft. ({35}) Wer diese Bilanz - und sie ist unvollständig - zur Kenntnis nimmt, wird verstehen, wenn ich sage: Wir sind stolz auf die Union und stolz auf die von der Union gestellte Regierung. ({36}) Bei allen großen sozialpolitischen Reformwerken der Nachkriegszeit war die Union die Schrittmacherin. Die dynamische Rente ist unser Werk, die Unternehmensmitbestimmung, ein fortschrittliches Betriebsverfassungsrecht, ({37}) der Lastenausgleich und jetzt unser großes Reformwerk für Kinder, Mütter und Familien. ({38}) In dieser Bilanz fehlen z. B. die erheblichen Steuerentlastungen in der Lohn- und Einkommensteuer, die wir für 1986 und 1988 beschlossen haben; in der Tat mit 20 Milliarden DM vom Volumen her die größte Steuerentlastung, die in der Nachkriegszeit beschlossen worden ist. Wir haben in den drei Jahren so viel auf den Weg gebracht, daß man selbst bei knappster Diktion in einer Bundestagsrede gar nicht alles vortragen kann. ({39}) An die Adresse des DGB-Vorstandes möchte ich sagen: Wir bedauern es, daß sich der DGB vor den Wagen der SPD-Opposition hat spannen lassen, ({40}) obwohl doch diese SPD wegen ihres Versagens in der Regierung - sie ist verantwortlich für Massenarbeitslosigkeit und Hochverschuldung - gerade aus der Sicht der Arbeitnehmer nun wirklich Tadel und keine Unterstützung verdient hat. ({41}) Ich möchte dem DGB weiter sagen: Wir, die erfolgreiche Union, sind nicht Ihre Gegner. Wir wollen Zusammenarbeit. Wir wissen, daß unsere Arbeitnehmer starke Gewerkschaften brauchen ({42}) als Gegengewicht gegen die Arbeitgeber; stark nicht nur in der Kampfkraft, sondern auch im Verantwortungsbewußtsein für die Allgemeinheit. ({43}) Aber unsere Arbeitnehmer brauchen keine Gewerkschaften, die gegen eine frei gewählte Regierung Kampagnen veranstalten oder gar Krieg führen, wie in einer Verlautbarung des DGB gesagt worden ist. ({44}) Zwischen DGB und Union gibt es eine klare Arbeitsteilung. Der DGB ist die gewerkschaftliche Interessenvertretung der Arbeitnehmer; zwar nicht die einzige, aber die größte und bedeutendste. Die Union ist die politische Interessenvertretung ({45}) der Arbeitnehmer; ({46}) zwar ebenfalls nicht die einzige, aber nach Erfolg und Leistung ohne Zweifel die beste. ({47}) Wir können gut zusammenarbeiten, wenn jeder diese Arbeitsteilung respektiert. Wir als Union sind nicht für die Tarifpolitik verantwortlich. Das ist Sache der Gewerkschaften. Aber die Gewerkschaften sind nicht dafür da, uns durch Kampagnen zu zwingen, die miserablen wirtschaftspolitischen Konzepte der SPD zu übernehmen, die doch nur zur Massenarbeitslosigkeit geführt haben. ({48}) Der SPD sei gesagt: Sie, meine Damen und Herren, haben Anlaß, über Ihre Fehler nachzudenken. Sie haben unser Volk in eine gefährliche Staatsverschuldung, in Geldentwertung und Massenarbeitslosigkeit geführt. Bisher gibt es keinerlei Anzeichen, daß Sie daraus gelernt hätten. ({49}) Das einzige, was Sie bisher gezeigt haben, ist das billigste Handwerkszeug der Parteipolitik: die Regierung schmähen und herabsetzen. Meine Damen und Herren, wir dagegen haben gearbeitet und geglaubt, daß unsere Erfolge für sich selbst sprächen. Das war falsch. Wir müssen gegen Kampagnen, Tatsachenverdrehungen und Desinformation Front machen, und das werden wir jetzt auch tun, wenn notwendig, mit Härte. ({50}) Meinen Mitbürgerinnen und Mitbürgern im Lande möchte ich sagen: Welchen europäischen Vergleich Sie auch ziehen - Wirtschaftswachstum, Geldwertstabilität, Handels- und Leistungsbilanzüberschüsse, Haushaltskonsolidierung, Bekämpfung der Arbeitslosigkeit -, die Regierung Kohl ist die erfolgreichste Regierung in Europa. ({51}) Briten, Franzosen und Italiener wären glücklich, wenn sie auf ähnliche Erfolge ihrer Regierungen hinweisen könnten. ({52}) Aber das können sie leider nicht. Deswegen hat das deutsche Volk allen Anlaß, mit dieser Regierung seinen wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg fortzusetzen. ({53})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002002, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dregger, Sie sollten sich mal als Kabarettist versuchen, aber nicht den anderen europäischen Völkern mit diesem Bundeskanzler drohen. ({0}) Das Bemerkenswerteste an der Rede des Bundeskanzlers heute morgen war, daß er mit keinem Wort auf das eingegangen ist, was in dieser Woche abläuft. Ich meine die millionenfachen Proteste gegen die Politik dieser Regierung. ({1}) Er ist mit keinem Wort auf die 2 Millionen Leute eingegangen, die Arbeit nachsuchen, und auf die Millionen, die diese Suche schon aufgegeben haben. Er hat kein Wort gesagt über die Auszubildenden, die kein BAföG mehr bekommen, und nichts gesagt über die Behinderten, denen die Freikarten gestrichen wurden. Er hat nichts dazu gesagt, daß die Witwenrenten heute bei 770 DM im Monat liegen und daß die Arbeitslosenhilfe zwischen 800 und 900 DM beträgt. Herr Dregger hat eben den kalten Zynismus gehabt zu sagen, statt zu protestieren, sollten die Arbeitnehmer und Rentner ein Oktoberfest feiern. Das ist kältester Zynismus und soziale Demagogie, Herr Dregger. ({2}) Schmidt ({3}) Der Kanzler seinerseits ist mit keinem Wort auf ein gewaltiges Problem eingegangen, auf die neue Armut. Gleichzeitig hat er festgestellt, bei jetzt 3 Millionen Arbeitslosen ist „die Trendwende an der Beschäftigungsfront" - ein militärischer Ausdruck - „erreicht". Zur Beschäftigungskrise, Herr Kohl, will ich Ihnen sagen: Hören Sie endlich auf, den Erwerbslosen mit statistischen Tricks einzureden, daß es sie eigentlich gar nicht gibt, oder schlimmer, was Sie auf dem CDA-Kongreß gemacht haben, ihnen zu sagen, ihnen, deren Arbeitslosigkeit Sie mitverschuldet haben, daß sie eigentlich gar nicht arbeiten wollten. ({4}) In denselben Tagen habe ich in der „Welt am Sonntag" gelesen, ({5}) daß ein Bauunternehmer in Schleswig-Holstein eine Anzeige aufgegeben und Arbeitsplätze für 800 DM im Monat angeboten hat, und es haben sich Dutzende von Leuten beworben. Das ist ein Zeichen dafür, wie dreckig es den Leuten geht, aber der Bundeskanzler attestiert ihnen: alles faule Schmarotzer. ({6}) Nun zu dem, was Sie uns hier als beschäftigungspolitische Erfolge verkaufen, erstens zu den Qualifizierungsmaßnahmen. Halten wir da einmal fest: Die werden zum großen Teil über Arbeitnehmerbeiträge finanziert. Man kann darüber streiten, ob das nicht Zweckentfremdung von Beitragsmitteln ist, ({7}) denn das Medizinstudium wird j a schließlich auch nicht von der Bundesärztekammer finanziert. ({8}) Die zweite Großtat: Sie rühmen sich, daß die Überschüsse der Bundesanstalt für Arbeit zur längeren Zahlung des Arbeitslosengeldes verwendet wurden. Ja, wo sind wir denn? Wofür denn sonst sollen Beiträge verwendet werden? Das als Verdienst herausstellen, kann doch nur jemand, der schon gewohnheitsmäßig und jahrelang in die Taschen anderer Leute faßt. ({9}) Das schönste, absurdeste Argument ist aber immer wieder: Was wollt ihr denn, ihr Protestanten, ({10}) der Wirtschaft geht's doch glänzend! - Oggersheimer Dialektik! Wir bezweifeln gar nicht, Herr Kohl, daß es der Wirtschaft glänzend geht. Nur, die Leute protestieren, weil sie begriffen haben: Damit die Industrie heute 30 % höhere Gewinne als 1982 haben kann, mußten sie entlassen werden. Das haben die Leute begriffen. Sie protestieren, weil sie begriffen haben: Arbeitslosengeld und -hilfe mußten gekürzt werden, damit die Unternehmer dieses Jahr wieder 30 Milliarden ins Ausland verschieben können. ({11}) Schließlich protestieren die Leute, Hunderttausende in dieser Woche, weil sie begriffen haben: Jedesmal, wenn es ein neues Großprojekt gibt - Rüstung, Wackersdorf, Verkabelung, SDI oder Eureka -, spielen Milliarden überhaupt keine Rolle; nur wenn es um das Taschengeld von Altenheimbewohnern, wenn es um die Rente von Behinderten in Werkstätten geht, dann fehlt jeder Pfennig, dann ist Herr Stoltenberg total pleite. Weil dies so ist, protestieren Hunderttausende gegen die Politik der Regierung. Damit bin ich bei dem Punkt „neue Armut". ({12}) Es wurde gesagt: Die neue Armut gibt es nicht. Gleichzeitig werden die Leute, die tatsächlich arm sind, für dumm verkauft. In dem Argumentationspapier gegen den DGB aus dem Hause Blüm kann man lesen, daß durch Absenken der Inflationsrate die Arbeitnehmerhaushalte 15 Milliarden gewonnen hätten ({13}) und daß die Rentnerhaushalte 6 Milliarden gewonnen hätten. Der Kanzler hat das vorhin wiederholt: 20 Milliarden Gewinne für Rentner und Arbeitnehmer. Ja, glauben Sie denn, daß einer von denen so bescheuert sein wird, jetzt unters Sofa zu gucken, um zu sehen, ob da vielleicht die Milliarden liegen? Was Sie hier präsentieren, ist doch eine absolute Milchmädchenrechnung. ({14}) Nun zu der Frage: Ist die soziale Armut eine Erfindung aus der Giftküche des DGB oder des Klassenkampfes? Meine Damen und Herren, es gibt ein Dokument, das erbarmungslos ehrlich definiert, was bei uns Armut ist. Ich meine den Warenkorb der Sozialhilfe. Da wird Gramm für Gramm vorgerechnet, was sich die Ärmsten in dieser Gesellschaft im Monat leisten dürfen, von 250 Gramm Frischnudeln und 50 Gramm Ketchup über die Fertigsuppen in Beuteln, über die zwei Rollen Klopapier im Monat und die 100 Gramm Seife bis hin zum Fahrschein für 30 Kilometer Bundesbahn oder bis hin zu den 10 Telefongesprächen, die sie im Monat führen dürfen. Dies ist ein Dokument, das nicht ethisch kalkuliert, was Menschen brauchen, um würdevoll zu leben. Da wird kalkuliert, Herr Geißler, wieviel ein Mensch braucht, um nicht zu krepieren, nichts anderes. Das ist Armut! ({15}) Schmidt ({16}) Gleichzeitig hat dieser Warenkorb zwei wichtige ideologische Funktionen. Erstens erlaubt er denjenigen, die über sechsstellige Jahreseinkommen verfügen, zu sagen: Es gibt keine Armut, solange - das ist die Begründung - keine Hungertoten anfallen. Zweitens - das ist das Wesentlichere - führt er tatsächlich zu so bitterer Armut, daß jeder Arbeitnehmer sagt: In die Sozialhilfe möchte ich nie kommen. Deshalb akzeptiert er jede Drecksarbeit und auch jeden gesundheitsschädigenden Arbeitsplatz. ({17}) Diese Armut ist deshalb neu, weil in den letzten zehn Jahren in diese sozialen Einkommen, auch in die Sozialhilfe, hineingekürzt worden ist. ({18}) - Es ist hineingekürzt worden. Herr Geißler, der Warenkorb ist seit den 60er Jahren unverändert geblieben. ({19}) - Ja, jetzt ist einmal erhöht worden; die Erhöhung ist oft begrenzt worden. Trotzdem ist die reale Kaufkraft in diesen zwölf Jahren gesunken; das sagen alle Sozialwissenschaftler. Es ist kein Wunder, wenn man das sieht: Sogar Ihr eigenes Finanzministerium berechnet, daß die Kürzungen sowohl in der sozialliberalen Ara als auch auf Grund Ihrer Verschärfungen in den letzten Jahren mehr als 200 Milliarden DM betragen haben. ({20}) Zur familienpolitischen Programmatik. Erstens haben Sie beim Erziehungsgeld eine Kürzung zurückgenommen. ({21}) - Nicht ganz; das ist richtig. Schlimmer ist, daß der Kündigungsschutz nicht mehr ohne Ausnahme gilt. Das erste Mal ist der absolute Kündigungsschutz bei Mutterschaft aufgeweicht worden. ({22}) Wesentlich ist, wo dieses einzuordnen ist: Beschäftigungspolitik und Familienpolitik wachsen bei Ihnen in folgender Weise zusammen. Sie schaffen Jobs, die weder ihren Mann noch ihre Frau ernähren. Die Leute sollen zwischen Hausarbeit und Erwerbsarbeit oder, anders gesagt, zwischen Lohn und Fürsorge hin- und herwechseln. Diese neue Grauzone wollen Sie etablieren. Das ist das Ziel und wesentlichster Bestandteil Ihrer Familienpolitik. ({23}) Sehen Sie sich an, was Teilzeitarbeit heute ist, die Sie so propagieren: Teilzeitarbeit ist zu 95% Frauenarbeit. Ebenso werden Heimarbeit und Job sharing und all diese modernen Kürzel genau dasselbe sein. Da ist der entscheidende Hebel bei dieser Regierung nach unserer Einschätzung, Frauenemanzipation kaputtzumachen. ({24}) Wir fürchten, da wird viel mehr kaputtgemacht, als Sie je mit Ihrem Geschwätz über die deutsche Familie, mit Ihrer Stiftung „Mutter und Kind" oder Ihrer Drohung, den § 218 wieder zu verschärfen, anrichten könnten. Zum Schluß: Wir stimmen dem DGB ausdrücklich zu. Wichtige Forderungen: ökologische und soziale Investitionen, 35-Stunden-Woche, Ausweitung der betrieblichen Mitbestimmung, gesetzliches Verbot der Aussperrung, Berufsbildungsabgabe und die Sicherung menschenwürdiger Mindesteinkommen. Diese Forderungen können nicht nur durch irgendeinen Regierungswechsel durchgesetzt werden. Um sie durchzusetzen, ist vielmehr eine neue Politik notwendig, um die es in dieser Woche in besonderer Weise geht. Auch deshalb unterstützen wir die Aktionswoche des DGB, und deshalb rufen wir auch von dieser Stelle dazu auf, die Demonstrationen am Wochenende zahlreich zu be suchen. Schönen Dank. ({25})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Für die FDP-Fraktion begrüße ich es, daß die Bundesregierung, daß der Herr Bundeskanzler die heutige Gelegenheit benutzt haben, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Diese Bilanz, Herr Bundeskanzler, ist in unseren Augen positiv, sie ist eindrucksvoll. Die FDP steht zu dieser Politik und zu ihren Ergebnissen. Sie wollte diese Politik, und sie wird zur Fortsetzung und Weiterarbeit beitragen. ({0}) Meine Damen und Herren, Anlaß unserer heutigen Debatte - der letzte Beitrag hat es besonders deutlich gemacht - ist nicht zuletzt die Aktionswoche des Deutschen Gewerkschaftsbundes, und man fragt sich: Was treibt den DGB auf die Straßen? ({1}) Ist es die Arbeitslosigkeit? Durch Demonstrationen kommen vielleicht einige Arbeitslose auf die Straße, aber kein einziger Arbeitsloser von der Straße. ({2}) Es ist eine - das wissen wir alle in solchen wirtschaftlichen Lagen - für Gewerkschaften schwierige Situation. Unter den heutigen wirtschaftlichen Bedingungen sind Erfolge im herkömmlichen Sinne für ihre Mitglieder nicht leicht vorzuzeigen; es ist nicht viel zu holen. Was kann eine Gewerkschaft für ihre Mitglieder tun? Ist die Aktionswoche eine Ersatzbefriedigung für Mitglieder? Soll sie der Entsolidarisierung in den eigenen Reihen entgegenwirken? Muß die Bundesregierung zum Watschen12286 mann gemacht werden, um so Solidarität herbeizuzwingen? ({3}) Wieviel gewerkschaftspolitischer, wieviel organisationspolitischer Aktionismus steckt in dieser Aktionswoche? Soll sie dem Mitgliederabbau entgegenwirken? Meine Damen und Herren, dem Deutschen Gewerkschaftsbund geht es nicht anders als fast allen monolithischen Großorganisationen unserer Tage. Es fällt Ihnen und auch ihm schwer, sich auf die Veränderungen von Industrie-, Arbeits-, Freizeit-, Verbrauchsstrukturen angemessen einzustellen und darauf angemessen zu reagieren. Sie werden es aber auf lange Sicht gesehen tun müssen. Der im Gleichschritt marschierende Einheitsarbeitnehmer bestimmt ganz gewiß nicht die Zukunft. Die Teilzeitarbeit-Diskussion, die Frage der Frauen, die gleichzeitig in Familie und Beruf arbeiten wollen, die Dezentralisierung von Arbeitsplätzen, die damit einhergeht, überhaupt der Anspruch auf neue Arbeitsordnungen: das alles sind Fragen, die sich stellen, Fragen, die flexible Antworten erfordern. Meine Damen und Herren, dieser Wandel wird übrigens nicht nur den DGB, sondern die Gesellschaft insgesamt fordern. Beispiele für solche Problemstellungen und die Schwierigkeit, Antworten zu geben, kann man heute landauf, landab schon sehen: Arbeitgeberverbände wehren sich gegen Differenzierungen in der Tarifpolitik. Es ist vorhin erwähnt worden: Gewerkschaften und Arbeitgeber wehren sich gemeinsam gegen mehr Minderheitenrechte im Betriebsverfassungsgesetz. Beide sind Großorganisationen; überhaupt kein Wunder. Einzelhandelsverbände verteidigen den Ladenschluß wie das heiligste Gut der Nation. Gewerkschaften bekämpfen die Flexibilität bei der Arbeitszeitverkürzung. Herr Kollege Vogel, hier muß man wirklich fragen: Was ist hier konservativ, reaktionär, fortschrittlich? ({4}) Betriebsräte wehren sich gegen die Vorschläge ihrer Gewerkschaften zur Überstundenbegrenzung. Und große Volksparteien sehen sich vor parallelen Problemen im politischen Raum. Wir, die FDP, verfolgen diese Entwicklung gespannt, mit Interesse. Ich sage überhaupt nicht, daß wir etwa für jedes einzelne Problemfeld eine Patentantwort parat hätten, aber ich sage, daß wir diesen Weg zu mehr Individualität, zu mehr Selbständigkeit, zu mehr Unabhängigkeit und Freiheit gerne sehen, daß wir ihn fördern und daß wir ihn nicht behindern wollen. Nicht zuletzt deshalb wollen wir Privatisierung, wollen wir den Abbau der Staatsquote. Deshalb wollen wir neben allen wirtschaftlichen Gründen eine durchgreifende Steuerreform und einen durchgreifenden Subventionsabbau. Deshalb, meine Damen und Herren, sind eben Mittelstand, Selbständige, freie Berufe, Handwerker, für die Antworten auf diesen unvermeidlichen Wandel unserer gesellschaftlichen Strukturen so außerordentlich wichtig. Man sieht, wie sich die Organisationen - sinnlos, wie ich finde - im Raume stoßen, wenn man in Nordrhein-Westfalen beobachten muß, daß die größte Einzelgewerkschaft der Welt, die IG Metall, Punktstreiks gegen Handwerksbetriebe in Münster und Oberhausen führt. Ist das Waffengleichheit? ({5}) Meine Damen und Herren, der Deutsche Gewerkschaftsbund leistete in der konkreten Situation mehr für den Abbau der Arbeitslosigkeit durch verantwortungsbewußtes Verhalten als Tarifpartner denn durch diese Aktionswoche. ({6}) Die nächste Tarifrunde, Herr Vogel - das scheint sich aus den Diskussionen herauszustellen -, wird wohl eher eine Lohn- als eine Arbeitszeitverkürzungsrunde werden. Das scheint mir vernünftig zu sein. Was heißt denn nun - ich komme auf Ihren Einwurf zurück - in diesem Zusammenhang verantwortungsbewußte Tarifpolitik? Es hat Erklärungen von Regierungsmitgliedern gegeben, seien sie mißverständlich gewesen oder seien sie bewußt mißverständlich interpretiert worden - ich will das gar nicht untersuchen -, die jedenfalls nach dem Motto interpretiert worden sind, das sei die Aufforderung: Nun bedient euch mal. Aber ganz gewiß gilt die Spendierhosenmentalität ebensowenig wie bei staatlichen Ausgaben auch auf diesem Gebiet noch lange nicht wieder. Eine Lohnrunde des Jahres 1986 muß im Rahmen verteilungspolitischer Spielräume bleiben, also unterhalb des Produktivitätszuwachses. ({7}) Immerhin, meine Damen und Herren, das bedeutet in der gegebenen Situation realen Einkommenszuwachs. Das hilft sowohl den Arbeitnehmern wie auch den Arbeitslosen. Es ist ein Ergebnis der Stabilitätspolitik dieser Regierung, daß bei 2 % Preissteigerungsrate nahezu jeder Tarifabschluß reale Einkommensverbesserungen mit sich bringt. Die Diskussion dieser Tage - und wir haben das eben noch einmal gehört - konzentriert sich schon wieder auf das Stichwort Beschäftigungsprogramme. Ich weiß sehr wohl, daß die Zuhörer im Lande sagen: Ein Programm für Beschäftigung, das muß doch etwas Gutes, das muß doch etwas Vernünftiges sein, das wollen wir doch. ({8}) Nein, meine Damen und Herren, so wie Beschäftigungsprogramme heute nur finanziert werden können, nämlich entweder durch mehr Schulden oder durch mehr Steuern, so wie Beschäftigungsprogramme auf die strukturellen Veränderungen in der deutschen Wirtschaft nicht mehr so antworten können wie auf die konjunkturellen Verwerfungen des Endes der 60er und des Anfangs der 70er Jahre, so sind Beschäftigungsprogramme nicht nützlich, sondern sie sind schädlich. Und ich sage hier noch einmal - und in voller Übereinstimmung mit dem Kollegen Dregger -: Einen neuen Weg in die Schuldenpolitik werden wir, wird diese Koalition nicht unternehmen. Es wird dafür, ebensowenig wie es dafür, wie ich gehört habe, die Zustimmung der CDU/CSU geben wird, auch die Zustimmung der FDP nicht geben. Es darf nicht sein, daß wir Schulden zu Lasten der nächsten Generation machen, um unsere eigenen Probleme zu lösen. Wir dürfen die Zukunft unserer Kinder nicht verfrühstücken. ({9}) Nun ist es allerdings besonders unerfreulich, wenn die Forderung nach Beschäftigungsprogrammen von solchen erhoben wird, die in Wirklichkeit in praxi dagegenhandeln. Es tut mir leid, Herr Vogel - ich weiß, das Stichwort Neue Heimat hat Sie schon in der Aktuellen Stunde nicht erfreut -, wir werden Ihnen noch manche ungelegene Stunde mit diesem Stichwort bereiten, und so auch jetzt. ({10}) Wodurch ist denn die Neue Heimat eigentlich in ihre schwierige finanzielle Situation und Klemme geraten? In allererster Linie durch massive Bodenspekulation, durch den Aufkauf von Bauland und Bauerwartungsland. Die Sozialdemokraten hier im Hause haben seit Jahren die Bodenspekulation kritisiert und Sie, Herr Vogel, an vorderster Front, an vorderster Stelle. Aber wer hat denn raffgierig, in einem Anfall von finanziellem Größenwahn Bauland und Bauerwartungsland in diesem Ausmaß gehortet? Wer hat damit die Grundstückspreise für Eigenheimer nach oben gejagt? ({11}) Die Neue Heimat unter dem Aufsichtsratsvorsitz des jeweiligen DGB-Vorsitzenden hat diese Politik betrieben, meine Damen und Herren. Hier im Bundestag beklagen Sie die Entwicklung der Bodenpreise. In der Praxis treiben Ihre Genossen die Preise rauf. ({12}) Das ist absurdes Theater. Und nun werden zu Hunderttausenden Mietwohnungen verhökert. Damit wird der Markt verdorben. Damit werden Arbeitsplätze im Bauhauptgewerbe gefährdet und vernichtet. Das Fazit heißt: Der DGB vernichtet über die Wohnungsverkäufe der Neuen Heimat Arbeitsplätze. Und das heißt auf deutsch: Auf den Straßen und Plätzen der Bundesrepublik veranstalten in dieser Woche die Arbeitsplatzvernichter Demonstrationen gegen die Arbeitslosigkeit. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauff?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Hauff.

Dr. Volker Hauff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, hätten Sie die Freundlichkeit, in diesem Zusammenhang auch eine Würdigung der Zeit der hauptamtlichen Mitarbeit und Mitgliedschaft in den Aufsichtsgremien der Neuen Heimat des Ministerpräsidenten des Landes Baden-Württemberg vorzunehmen?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren, was die Würdigung der Arbeit des Ministerpräsidenten Späth ablangt, so wenden Sie sich besser an eine andere Fraktion. Er gehört nicht zu meiner Partei. Ich bin gar nicht mit allem einverstanden. Herr Hauff, das ist nicht mein Thema, nicht mein Problem. Ich habe nicht Herrn Späth zu rechtfertigen und in diesem Zusammenhang auch nicht zu kritisieren. In keiner Weise - das sage ich an die Adresse der GRÜNEN, die uns schon wieder einen solchen Vorschlag auf den Tisch gelegt haben - helfen weitere Eingriffe in das Arbeitszeitrecht durch Verbot von Überstunden. Eine gesetzliche Beschränkung von Überstunden wird es mit den Stimmen der Freien Demokraten in diesem Hause nicht geben. ({0}) Erst recht nicht werden wir den Vorschlägen des nordrhein-westfälischen Arbeitsministers Heinemann zustimmen, die Kosten für Überstunden steuerlich nicht mehr als Betriebsausgaben anzuerkennen. Herr Heinemann zeigt mit dieser Kabinettsvorlage in Düsseldorf, daß er weder vom Arbeitsmarkt noch vom Steuerrecht etwas versteht. ({1}) Eine derartige massive Erhöhung der Arbeitskosten bedeutet Arbeitsplatzvernichtung. Wir sind nur gespannt, ob sich der nordrhein-westfälische Ministerpräsident durch Kabinettsbeschluß mit diesem Unfug identifizieren wird. Wir warten mit Interesse auf die Entscheidung des sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten z.A., zur Anstellung ({2}) Meine Damen und Herren, möglich ist ja wohl vieles. Es verschlägt einem fast den Atem, wie Bruder Johannes als Bruder Leichtfuß im „Expreß" riesige Wechsel auf die Zukunft ausgestellt hat. Und das, Herr Vogel, nennen Sie eine Opposition der konstruktiven Alternative? ({3}) Diese Politik, zu der der Finanzminister Posser - der Bundeskanzler hat ihn ja zitiert - mitgeteilt hat, ({4}) Nordrhein-Westfalen sei schon in die Nähe mexikanischer Verschuldung gebracht worden? ({5}) Am Schluß kommt dann - das kennen wir von Johannes Rau -: Wir betrachten uns das alles in fideler Resignation. ({6}) Nein, meine Damen und Herren. Wenn ich dieses Interview lese, kann einem die Fidelitas vergehen. Da steht drin: Raus aus der NATO und rein in die Schulden! ({7}) Das ist nicht die Politik, die dieses Land verdient hat. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter - Dr. Graf Lambsdorff ({0}): Nein. - Da sagen wir dem deutschen Wähler: Machen Sie es wie die Belgier, lassen Sie diese sozialistischen Wechsel platzen; von finanzwirtschaftlicher Unseriosität haben wir genug erlebt. ({1}) Herr Kollege Vogel, Sie haben zur Steuerpolitik angemerkt, wir machten den Marsch in den Lohnsteuerstaat. Nein, wir sind für eine massive Steuerreform; wir sind für den Abbau der heimlichen Steuererhöhungen. ({2}) Es ist der DGB, und es sind Ihre Freunde - allerdings mit Ausnahmen; ich muß das Herrn Apel konzedieren -, die sich gegen jedwede Steuersenkung wenden, die die Ausplünderung der Lohnsteuerzahler, die die heimliche Steuererhöhung mit sich bringt, weiter fortsetzen wollen. ({3}) Ich sage in allem Ernst zu dem, Herr Schmidt, was Sie ausgeführt haben, was man überall im Lande hört: Niemand wird übersehen, welche Probleme Sozialhilfeempfänger in der Bundesrepublik Deutschland haben. ({4}) Das ist überhaupt nicht zu bestreiten. ({5}) Aber wer in diesem Zusammenhang von neuer Armut in einem Lande spricht, in dem als fast einzigem der Welt der Sozialhilfeanspruch einen Rechtsanspruch darstellt, der hat den Rest der Welt offensichtlich völlig aus den Augen verloren. Abbau der Arbeitslosigkeit: Ich stimme dem Bundeskanzler ausdrücklich zu, keinem darf hier unterstellt werden, er wolle den Abbau der Arbeitslosigkeit nicht. Es geht um das Wie und nicht um das Ob. ({6}) - Gut, Frau Kollegin Fuchs, Sie werden weiter dazu beitragen, den Rest von Gemeinsamkeit in diesem Hause zu zerschneiden. - Den Abbau der Arbeitslosigkeit erreichen wir nicht durch mehr Gesetze, durch mehr Verbote oder durch mehr Kontrollen. ({7}) Wir erreichen ihn nur, wenn wir die Rahmenbedingungen interessant machen, die Rahmenbedingungen sowohl für die Unternehmen wie für die Arbeitnehmer. Nur auf diese Weise, nur mit marktwirtschaftlicher Politik, ist dieses Ziel zu erreichen. Diese Politik, meine Damen und Herren, hat uns ja Erfolge gebracht. Die Ausgangsposition, die Analyse, Herr Vogel, die Sie Ihrem Antrag voranstellen, ist schlicht falsch. In der halben Seite stehen vier falsche Sätze. Lesen Sie sie nach! Die konjunkturelle Erholung ist nicht am Arbeitsmarkt vorbeigegangen. Sie hat noch nicht die wünschenswerten Ergebnisse erzielt. Aber jeder weiß: Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist gestoppt. Die Kurzarbeiterzahlen sind zurückgegangen. Die Zahl der Beschäftigten nimmt zu. Wir werden im Jahr 1985 - da können Sie, Herr Vogel, vielleicht schnell etwas korrigieren, nämlich aus 100 000 die Zahl 200 000 machen - voraussichtlich 200- bis 250 000 neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Wir werden auch weiter Erfolg haben, meine Damen und Herren. ({8}) Das Jahr 1985 ist, wie jeder weiß, jetzt, im Oktober, volkswirtschaftlich gelaufen. Aber für 1986 sind die Prognosen besser, als sie in den letzten drei oder vier Jahren jemals gewesen sind. Es ist falsch, Herr Vogel, wenn Sie hier formulieren ({9}) - Sie wissen es ja auch; Sie reden wider besseres Wissen -, wir seien am Ende des Aufschwungs angekommen. Das Jahr 1986 - da sind sich die internationalen Institute einig, und ich habe keinen Zweifel daran - wird stärkere Wachstumsraten bringen als 1985. Die Preise bleiben stabil. Der Außenhandel wird sich positiv entwickeln, wenngleich ich nicht übersehe, daß das Risiko für die deutsche Volkswirtschaft, so exportabhängig, wie sie ist, in den protektionistischen Bestrebungen der Vereinigten Staaten gesehen werden muß. Herr Kollege Stoltenberg, Sie sind ja in Seoul gewesen. Da ist manches an vernünftigen Ansätzen herausgekommen. Aber vieles scheint mir auch eine Aufführung gewesen zu sein, die verdunkeln, verundeutlichen soll, daß die Vereinigten Staaten noch immer nicht die politische Kraft aufbringen und gefunden haben, die eigentlichen Probleme der Weltwirtschaft, die in ihrem Haushaltsdefizit lieDr. Graf Lambsdorff gen, wirklich in den Griff zu nehmen. Das ist nicht eine Kritik an der Bundesregierung; die kann nämlich nicht den amerikanischen Haushalt gestalten, sondern hat den eigenen in Ordnung gebracht. Unsere Hausaufgaben in diesem Zusammenhang haben wir erledigt. ({10}) Aber natürlich stellt sich die Frage: Wie sieht der Arbeitsmarkt 1986 aus? Ich verstehe es, wenn die Menschen im Lande sagen: Was nutzt ein Aufschwung, wenn er nachhaltig und beharrlich am Arbeitsmarkt vorbeigeht? Ich erlaube mir eine zugegebenermaßen vielleicht mutige Prognose. Ich erlaube sie mir auch deshalb, weil ich das ganze Jahr 1985 über zurückhaltender und pessimistischer in der Beurteilung der Arbeitsmarktzahlen gewesen bin als die Bundesregierung. Ich habe das ganze Jahr über gesagt, daß sich in diesem Jahr nichts ändern wird. Ich wage die Voraussage, daß wir angesichts der jetzt angelaufenen heimischen Konjunktur, der Investitionstätigkeit im Jahr 1986 eine gute Chance haben, unter durchschnittlich 2 Millionen Arbeitslose zu kommen. ({11}) - Nicht durch Manipulation der Statistik! Meine Damen und Herren, die Antwort auf die Frage, warum es bei uns so lange dauert, bis sich am Arbeitsmarkt konjunkturelle Erholungstendenzen und Besserung der wirtschaftlichen Lage durchsetzen, lautet einmal: weil der Arbeitsmarkt eben kein Markt mehr ist. Er ist es nicht. Man kann das zwar so wollen, aber es ist unredlich, Marktmechanismen abzuschaffen und dann, weil sie deshalb nicht mehr funktionieren, „Haltet den Dieb!" zu rufen. Das beste Beispiel ist aus der Geschichte der Bundesrepublik in den vergangenen zehn Jahren ablesbar. 1975 begann die Erholung nach der Rezession im Zusammenhang mit der Erdölpreiskrise. Damals hat es drei Jahre gedauert - das ist heute von Herrn Vogel übrigens richtig zitiert, nur nicht in den richtigen Zusammenhang gestellt worden -, bis die Beschäftigtenzahlen anstiegen. Diesmal haben wir beinahe genau denselben Zeitabstand. Es hat vier Jahre gedauert, bis die Arbeitslosenzahlen zurückgingen. Auch diese Entwicklung deutet und bahnt sich an. Wir werden es schaffen. Wir werden - da bin ich völlig sicher - mit einer überzeugenden Bilanz im Januar 1987 vor die Wähler treten können. Herr Bundeskanzler, der Deutsche Gewerkschaftsbund - das werden Sie ihm nicht bestreiten, das wird ihm niemand bestreiten - hat das Recht zu demonstrieren. Die Bundesregierung und die Koalition haben das Recht und die Pflicht zu regieren. Das wollen wir gemeinsam tun. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Waigel.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hatte erwartet, daß der von mir geschätzte Kollege Roth vor mir redet. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, dies ist eine Wirkung der Vereinbarung, die im Ältestenrat getroffen worden ist. Aber sie können verzichten und sich anschließend wieder melden.

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn der Kollege Roth vor mir sprechen möchte, stehe ich zur Verfügung. So fair sind wir, im Gegensatz zum Kollegen Vogel, der seine Zeit überschritten hat. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich gebe also zuerst dem Abgeordneten Roth das Wort. Dann folgt ihm der Abgeordnete Waigel. Bitte schön, Herr Roth.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Waigel, jenseits der politischen Inhalte funktioniert unsere Freundschaft immer. Ich werde zu gegebener Zeit darauf zurückkommen. Aber das war auch der Rest an Gemeinsamkeit; das kann ich schon vorweg sagen. Ich sage das in bezug auf die Rede, die gerade von Graf Lambsdorff gehalten wurde. Sie haben eine Prognose über die 1,9 Millionen Arbeitslosen im nächsten Jahr angestellt. Ich darf an andere Prognosen dieser Bundesregierung in den letzten Jahren erinnern. Herr Geißler, der ihr nun nicht mehr angehört, hat gesagt: 1 Million weniger im Jahre 1985. Dann wären wir jetzt bei 1,2 Millionen. Der Bundesarbeitsminister hat sich diesem Vorschlag angeschlossen. Das ist die Qualität der Prognosen. Wir befassen uns mit den Realitäten, meine Damen und Herren. ({0}) Mir geht es im Grunde um das wahrnehmen einer entscheidenden Realität. Wir sind jetzt im vierten Aufschwungjahr. Seit Beginn der konjunkturellen Wende haben wir 400 000 Arbeitslose mehr: von 1,8 auf 2,2 Millionen. ({1}) Das ist der eine Sachverhalt. Wir haben zweitens - Graf Lambsdorff, Sie wissen das so gut wie ich - in der Bundesrepublik Deutschland stets eine relativ gleichmäßige Konjunktur gehabt. Es ist jetzt abzusehen - ich streite mich nicht um die Differenz zwischen 1,95 und 2,1 Millionen Arbeitslosen -, daß nach aller Erfahrung eine Rezession, wenn sie eintritt, in einer Situation eintritt, in der mehr als 2 Millionen Menschen als arbeitslos registriert sind und weitere 1 Million Menschen zwar nicht zum Arbeitsamt gehen, aber auch Arbeit wollen. Das ist eine dramatische Situation, für die man Vorsorge treffen muß. ({2}) Die jungen Leute, die hier im Raum sitzen, sind noch nicht im Arbeitssystem. Sie sind noch im Bildungssystem. Sie wissen ganz genau, wieviel Hunderttausende zur Zeit noch länger im Bildungssystem geblieben sind und abwarten. ({3}) Diese jungen Leute kommen künftig zusätzlich auf den Arbeitsmarkt. Eine Debatte über den Arbeitsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht diesen Aspekt berücksichtigt, die nicht berücksichtigt, daß sich die Arbeitslosigkeit im Aufschwung sogar noch verfestigt hat - ein ganz neues Phänomen -, geht an der Wirklichkeit und an den Erwartungen der jungen Leute in der Tat vorbei. Deshalb muß ich in meinen Ausführungen in der gebotenen Kürze auf diesen Sachverhalt zurückkommen. Der Kernpunkt von Graf Lambsdorff war, er halte die Arbeitslosigkeit in ihrer Ursache bedingt durch ein Eindämmen der Marktkräfte. Alle arbeitsmarktpolitischen Bewegungen in der Vegangenheit haben gezeigt, daß allein aus dem Markt heraus eine Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit nicht möglich ist. Das gilt für die USA des Jahres 1983/84 genauso wie beispielsweise für die Situation nach den 50er Jahren. Es waren regelmäßig Anstöße von außen - damals die gewaltige Finanzierung des Wiederaufbaus der Städte -, die die übrige Wirtschaft mitgezogen haben. Dann hat der Markt natürlich eine vorzügliche Funktion. Aber er reicht zur Selbstheilung eines desorganisierten Arbeitsmarktes nicht aus. Er ist nicht in der Lage, die Verfestigung am Arbeitsmarkt zu beseitigen. Da kommen wir jetzt auf eine Grundfrage: Geht das mit mehr Ellenbogengesellschaft, mit mehr Markt in diesem Sinne, wie Graf Lambsdorff es vorgeschlagen hat? Oder geht es mit dem Versuch, ein Stück Solidarität mit denjenigen zu entwickeln, die zur Zeit keine Arbeitsplätze haben? ({4}) Meine Damen und Herren, die Frage lautet doch erstens: Kommen wir ohne dieses Stück Solidarität aus, das wir jetzt von denen - Arbeitgeber und Arbeitnehmer - verlangen, die jetzt Überstunden machen? Wir rechnen aus, daß theoretisch etwa eine Million Arbeitsplätze in den Überstunden lauern. Ich bin sicher, aus Betriebsnotwendigkeiten heraus kann man diese eine Million, die sich rechnerisch ergibt, nicht mit einem Abbau der Arbeitslosigkeit gleichsetzen. Aber wir haben im Zusammenhang mit der Erarbeitung eines modernen Arbeitszeitgesetzes errechnet, daß etwa 300 000 Arbeitsplätze möglich wären, wenn wir durch ein modernes Arbeitszeitgesetz die Überstunden wirksam abbauen würden. ({5}) Meine Damen und Herren, dieses Stück Solidarität mit den Jungen ist jetzt verlangt und nicht das Parlieren vom Markt, der den Jungen in den nächsten fünf Jahren überhaupt nicht helfen wird. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber bitte.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Grünbeck.

Josef Grünbeck (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000737, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Roth, haben Sie in Ihre Überlegungen einbezogen, daß eine Menge Überstunden durch hochqualifizierte Facharbeiter geleistet werden, die auf dem Arbeitsmarkt überhaupt nicht zu erhalten sind? ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb verknüpft sich, Herr Grünbeck, mit jeder vernünftigen Politik der Arbeitszeitverkürzung und mit jeder vernünftigen Politik des Überstundenabbaus eine Politik für eine Qualifizierungsoffensive weit über das hinaus, was Sie angepackt haben: ({0}) Zweiter Punkt. Ein Stück Solidarität mit den Arbeitslosen, mit den jungen Leuten, die jetzt auf den Arbeitsmarkt kommen, wäre eine Umweltoffensive, die wir gemeinsam auch durch Opfer finanzieren müssen. Die Nachfrage der Menschen nach Umweltverbesserungen ist stark. Die Menschen wären bereit, dafür Geld zu geben. Umweltanlagen sind technisch möglich. Wir könnten jedes Jahr bis zu 400 000 Arbeitsplätze schaffen, wenn wir das Solidaritätsopfer für die Arbeitslosen brächten. Meine Damen und Herren, das ist ein konkreter Vorschlag, der den jungen Leuten helfen wird. ({1}) Der dritte Punkt. Graf Lambsdorff hat von den Gefährdungen gesprochen, die durch die US-Konjunktur, durch die Überschuldung der USA, durch das hohe Leistungsbilanzdefizit, durch das Zusammenbrechen von Teilmärkten in den USA und durch protektionistische Tendenzen in den USA gegeben sind. Er hat das mahnend in Richtung Stoltenberg gesagt. Ich teile die Meinung, daß hier viel größere Gefahrenpotentiale liegen. Wenn man diese Meinung teilt, dann kann sich eine Bundesregierung nicht dadurch darauf vorbereiten, daß man Ausreden diskutiert oder behauptet, man könne gegen die Situation in den USA nichts tun. Ich will nicht das sagen, was Graf Lambsdorff gesagt hat: Nehmen Sie Einfluß auf Reagan! - Da, glaube ich, ist die Wirksamkeit der Europäer und der Deutschen begrenzt. Es gibt ja eine Sturheit und Starrheit in der fehlerhaften amerikanischen Wirtschaftspolitik, die offenbar nicht zu beeinflussen ist. Aber es gibt eine europäische Alternative. Warum geht die Bundesrepublik nicht an die Spitze eines europäischen Beschäftigungspakts? ({2}) Warum fassen wir nicht die Kräfte in Europa zu einer expansiveren Finanzpolitik für mehr Arbeitsplätze zusammen? Warum beschleunigen wir nicht die Einführung eines Binnenmarktes in Europa? (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Wir sind doch gerade dabei!) Ich will sagen, daß der Binnenmarkt in Europa vielleicht die wirksamste Beschäftigungsmaßnahme für das ausgehende Jahrzehnt überhaupt sein könnte. ({0}) Sie gehen da nicht heran. Sie sind bereit, Formeln zu unterschreiben, die den Binnenmarkt in Europa vielleicht im Jahre 1991 erfüllen. Das ist die Wahrheit. ({1}) Meine Damen und Herren, an dieser Stelle muß man dann auch sagen: So wie die USA ihre Dominanz in der Weltwirtschaft haben und wir leider viele Fehlentscheidungen der USA nicht voll ausgleichen können, genauso ist im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft die Bundesrepublik Deutschland die dominierende Wirtschaft. So wie in den USA die Fehler für die Weltwirtschaft nicht ausgeglichen werden können, so können die deutschen Fehler nicht in der EG ausgeglichen werden. ({2}) Sie haben bisher die Führungsfunktion für die Konjunktur in Europa, für die Beschäftigungsaufgabe in Europa nicht wahrgenommen. ({3}) Für Europa ist die Bundesrepublik Deutschland die dominierende Wirtschaftskraft. Hier haben Sie keine europäischen Antworten gefunden. Es ist kein Zufall, daß das Wort „Europa" heute in der Rede des Bundeskanzlers anhand der wirtschaftspolitischen Diskussion nicht einmal vorgekommen ist. Vielen Dank fürs Zuhören. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat nun der Abgeordnete Waigel. ({0})

Dr. Theodor Waigel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002412, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn ich gewußt hätte, daß der Kollege Roth unerwartet schwach ist, hätte ich nicht verzichtet. ({0}) Aber ich hatte gehofft, es käme etwas Besseres. Doch ich räume Ihnen gern ein: Die Zeit war zu kurz. Das hat er selber angedeutet. Ihm haben die zehn Minuten gefehlt, die ihm sein Fraktionsvorsitzender in der bekannten Ellbogenmanier in der Fraktionsspitze der SPD weggenommen hat, ({1}) wobei ich sie rein ökonomisch bei Herrn Vogel gern entbehrt und dem Kollegen Roth durchaus zugebilligt hätte, denn dann wäre wahrscheinlich etwas Vernünftigeres herausgekommen. ({2}) Ich wundere mich nur, Herr Kollege Roth, daß Sie vor der Verschuldung in den Vereinigten Staaten zu sehr warnen - zu Recht warnen - und die Risiken für die Weltwirtschaft darstellen, aber im eigenen Bereich die Verschuldung fortführen wollen. ({3}) Wenn es stimmt, daß diese hohe Verschuldung in Amerika und für die Weltwirtschaft zu den Problemen führt, dann müssen Sie doch vor Ihrem Kanzlerkandidaten Rau warnen; denn der führt das doch fort. ({4}) Wie will ich denn auf der einen Seite Solidität, eine vernünftige Finanzpolitik mit Senkung von Zinsen und höhere Investitionen ermöglichen, wenn ich andererseits alle Kürzungen, die notwendig waren, um die Mißwirtschaft der SPD zu beseitigen, ({5}) rückgängig mache, dadurch wieder mehr Schulden mache und damit dem Beispiel folge, mit dem im Augenblick jedenfalls die Amerikaner trotz guter Ansätze ihre Probleme haben, Probleme, die sie sozusagen auch in die Welt exportieren? Die dritte Vorbemerkung. Wir freuen uns, wenn die SPD bei der Europapolitik mitzieht. Nur: Sehr viel Aktivität, sehr viel Initiative war hier in den letzten Jahren nicht zu vermerken, während wir mit Bundeskanzler Kohl in der Europapolitik unter den europäischen Freunden ganz vorn waren und bei jeder entsprechenden Konferenz die Bahnbrecher dafür waren, um das Notwendigste durchzusetzen ({6}) und um schlimmere Dinge zu verhindern, die durchaus hätten eintreten können. Wir haben in diesem europäischen Konzert durchaus die wirtschaftspolitische Führungsfunktion. Ihre Freunde in Frankreich, die Sozialisten, mußten ja einen dramatischen Kurswechsel ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik durchführen, um wieder zu einer insgesamt vernünftigen nationalen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu kommen. Von den vier Zielen des Stabilitätsgesetzes - darauf hat der Kanzler hingewiesen - sind drei Ziele erreicht. Unsere Wirtschaft ist im dritten Jahr der konjunkturellen Aufwärtsbewegung. Das Stabilitätsziel ist mit einer Preissteigerungsrate von rund 2 % praktisch erreicht. Die Handels- und Leistungsbilanz weist Rekordüberschüsse auf. Diese Überschüsse sind nicht nur ein Resultat der Dollarkurs-Entwicklung, sondern in ihnen spiegelt sich die wiedergewonnene internationale Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wider. Wer behauptet - das ist wieder versucht worden -, die konjunkturelle Erholung habe sich auf dem Arbeitsmarkt nicht niedergeschlagen, betreibt Demagogie oder ist geistig unfähig, Fakten zur Kenntnis zu nehmen. ({7}) Auf dem Arbeitsmarkt hat sich mittlerweile eine eindeutige Trendwende vollzogen, abzulesen an der Entwicklung der Zahl der Kurzarbeiter, ({8}) der Beschäftigten und der Lehrstellen; das kann niemand leugnen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Übergang von einer roten auf eine schwarze Regierung brachte in wirtschaftlicher Hinsicht einen Übergang von den roten in die schwarzen Zahlen. Das wird auch so bleiben, über 1987 hinaus. ({9}) Im Gegensatz zu Ihrer Regierungszeit, Herr Dr. Vogel, hat das reale Sozialprodukt zugenommen. Der Saldo der Leistungsbilanz, die Realeinkommen der Arbeitnehmer, ({10}) die Zahl der Ausbildungsverträge und - das Wichtigste - die Zahl der Beschäftigten nehmen wieder zu, ({11}) während die Zahl der Beschäftigten am Ende Ihrer Regierungszeit dramatisch nach unten gegangen ist. Die Beschäftigtenzahl ging nach unten und die Arbeitslosenzahl nach oben. ({12}) Ich würde Ihnen, Herr Kollege Vogel, wenn Sie wieder wirtschaftspolitische Reden halten, wenigstens raten, vorher in der „Zeit" bei Helmut Schmidt nachzulesen. ({13}) Mit dem Mann waren wir in vielen finanz- und wirtschaftspolitischen Dingen zwar nicht einverstanden, aber daß er davon - im Gegensatz zu Ihnen - etwas versteht, ({14}) wird man nicht bestreiten. Er jedenfalls hat schon vor Wochen festgestellt, daß diese Arbeitslosigkeit, diese leider jetzt immer noch währende Massenarbeitslosigkeit natürlich nicht zu Lasten dieser Regierung geht. ({15}) - Entschuldigung, wenn Helmut Schmidt - „Schmidt statt Kohl", sagt er - heute eine Wertung abzugeben hätte, wem er ökonomisch, finanzpolitisch, wirtschaftspolitisch näherstünde, dann würde er sich, ({16}) wenn er nicht noch einmal zu Ihnen in die Fraktion kommen müßte, jedenfalls für diese Seite hier entscheiden, gar keine Frage. ({17}) Jeder, der diese Fragen ernsthaft debattiert, weiß natürlich, daß die demographische Herausforderung, d. h. die Frage des Zugangs vieler junger Menschen zum Arbeitsmarkt, das große Problem ist und daß die absolute Zahl hinsichtlich der Arbeitslosigkeit deswegen noch nicht entscheidend gesenkt werden konnte. Wir müssen die Fakten zur Kenntnis nehmen und sehen, daß in den Jahren 1977 bis 1984 1,4 Millionen junge Menschen zusätzlich auf den Arbeitsmarkt gedrängt sind ({18}) und wir deswegen jedes Jahr neue Arbeitsplätze schaffen müssen, ({19}) um die Arbeitslosigkeit, die Massenarbeitslosigkeit bewältigen zu können. Meine Damen und Herren, wenn ich aus den Reihen der Opposition höre, binnen eines Jahres sei es möglich, die Zahl der Arbeitslosen um 500 000 bis 1 Million zu senken, ({20}) so kann ich dies nur als den Versuch der Opposition ansehen, mit Hilfe traumtänzerischer Versprechungen auf Wählerjagd zu gehen. Gegenüber dem Vorjahreszeitraum - das wird niemand bestreiten - ist die Zahl der Beschäftigten gegenwärtig um rund 200 000 angewachsen. Wenn es uns gelingt, unseren finanz- und wirtschaftspolitischen Kurs fortzusetzen - die Zeichen sind günstig, auch die Prognosen der Bundesbank und vor allen Dingen die internationaler Experten, die uns betrachten -, dann heißt es übereinstimmend, daß wir vor einem exzellenten wirtschaftspolitischen Jahr stehen, daß wir damit rechnen können, daß sich die Daten eher günstiger entwickeln, als bisher angenommen wird, und daß wir - vorausgesetzt, der Dollarkurs entwickelt sich weiter nach unten - hinsichtlich der Inflationsrate eher noch günstigere Ergebnisse erzielen können, als sie ohnehin schon erreicht worden sind. Wenn man sich diese Bilanz, diese Aspekte, diese Möglichkeiten, diese Entwicklung vor Augen stellt, dann ist doch das, was Sie hier betreiben, Traumtänzerei. Damit können Sie doch das Volk nicht beeindrucken, schon gar nicht den Arbeitnehmer, der weiß, daß sein Arbeitsplatz unter unserer Regierung sicherer geworden ist, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden, während er in Ihrer Regierungszeit Angst um seinen Arbeitsplatz haben mußte. ({21}) Ich wiederhole, was Norbert Blüm zu dem Thema Arbeitslosenstatistik gesagt hat: Wir bekämpfen nicht die Arbeitslosenstatistik, sondern wir bekämpfen die Arbeitslosigkeit. Aber auch in dem Zusammenhang muß es erlaubt sein, die Frage zu stellen, warum es völlig untergeht, daß die Kurzarbeiterzahlen seit längerer Zeit kräftig zurückgehen. Und bisher ist in der öffentlichen Diskussion auch völlig untergegangen, daß die Beschäftigtenzahlen seit Ende 1984 wieder kräftig ansteigen. Es ist auch nicht hinreichend deutlich geworden, welch enorme regionale Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Das hat jüngst die Ausarbeitung der Arbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern in Baden-Württemberg gezeigt. Im Großraum Stuttgart haben wir heute nicht nur einen Mangel an Facharbeitern, die Unternehmen sehen sich heute dort nicht mehr in der Lage, ihren Bedarf an Hilfsarbeitern zu decken. Hier bestehen offensichtlich Probleme insoweit, als die Mammutbehörde Arbeitsverwaltung in manchen Bereichen überfordert ist. Ich verstehe das nicht als eine Kritik an der Bundesanstalt, aber als eine Anregung, hier die Arbeit noch effizienter zu gestalten. Es hat nicht nur mit Zufall zu tun, wenn sich vor allem kleine und mittlere Unternehmen immer wieder massiv an uns, an die Politiker wenden, die jeweils zuständigen Arbeitsämter seien trotz örtlicher Arbeitslosenquoten von 10 % und mehr nicht in der Lage, Arbeitskräfte zu vermitteln. Das ist die andere Seite der Medaille, die auch zu einem differenzierten Bild bei der Diskussion über die Arbeitslosigkeit gehört. Die Arbeitslosenzahlen sind nicht statisch. Es ist nicht dauernd eine hohe Zahl von gleichen Arbeitslosen. Täglich gibt es Tausende von Vermittlungen in neue Arbeitsverhältnisse. So haben beispielsweise in diesem Jahr über 1,4 Millionen Arbeitsvermittlungen stattgefunden. Interessant ist auch folgende Zahl: Während 1981 von der Meldung bis zur Besetzung eines freien Arbeitsplatzes noch 54 Tage vergangen sind, hat sich die Laufzeit bis Mitte 1985 auf 25 Tage verkürzt. Nur, man muß natürlich auch wissen, daß die Meldung auf dem Arbeitsamt vielfach Voraussetzung für den Bezug bestimmter Transferleistungen darstellt, auch wenn damit keine konkrete Absicht zur Aufnahme einer Arbeit verbunden ist. Auch viele Firmen konstatieren zwischenzeitlich einen erheblichen Mangel an qualifizierten Facharbeitern. Das gilt auch in Regionen, in denen die Arbeitslosenquote zum Teil - bedauerlicherweise - 15 % beträgt. Die Arbeitslosigkeit können wir letztlich nur auf der Grundlage eines dauerhaften wirtschaftlichen Wachstumsprozesses bekämpfen. Andere Maßnahmen - so etwa die von Ihnen propagierte Arbeitszeitverkürzung oder auch gezielte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen - kommen nur flankierend in Betracht. Das sollte die Opposition endlich zur Kenntnis nehmen. Ich zitiere hierzu das der Opposition nicht gerade feindlich gesonnene Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wörtlich: Vieles spricht aber dafür, daß die bisher beobachteten Einstellungen auf das Wachstum dieser Branchen und die günstige konjunkturelle Entwicklung zurückzuführen sind, zumal mit den vermehrten Einstellungen schon lange vor dem Inkrafttreten der Arbeitszeitverkürzungen begonnen wurde. Ausreichendes Wachstum ist also nach wie vor der wichtigste Weg zur Beschäftigung. Trotzdem wurde nie eine aktivere Arbeitsmarktpolitik betrieben als in den letzten Jahren unter Bundesarbeitsminister Norbert Blüm. ({22}) 1984 erhielten über 170 000 Jugendliche aus einkommensschwachen Familien Berufsausbildungsbeihilfe zur Sicherung ihres Lebensunterhalts. 1983 und 1984 nahmen über 58 000 Jugendliche an berufsvorbereitenden Maßnahmen teil. Dazu kommen Hilfen zur Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen, wobei 1985 256 Millionen DM bereitgestellt wurden. Die Liste ließe sich beliebig weiterführen. Mit dem neuerlichen Programm zur Qualifizierung haben wir eine neue Offensive für Arbeitslose begonnen. Meine Damen und Herren, auch durch die weitere Verlängerung des Bezuges von Arbeitslosengeld bei älteren Arbeitnehmern verbessern wir entscheidend deren soziale Situation. Aber ich frage die SPD: Was haben Sie eigentlich in Ihrer Zeit arbeitsmarktpolitisch getan, bewegt oder auf die Beine gebracht? Sie haben die Einschränkung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu verantworten, Sie haben die Kürzung des Kurzarbeitergeldes durchgeführt, Sie haben die Verschärfung der Voraussetzungen für die Zahlungen von Schlechtwettergeld und Winterbauförderung zu verantworten, und Sie haben das Kindergeld beim zweiten und dritten Kind um 20 DM pro Monat gekürzt. Meine Damen und Herren, das ließe sich beliebig fortsetzen. Ich frage nur den großen Finanztheoretiker, Herrn Ministerpräsidenten Rau, ob er diese Kürzungen auch zurücknehmen möchte und wie er das noch finanzieren will, dieser finanzpolitische Tau12294 sendsassa, der wohl als Finanzminister in Mexiko oder in Brasilien geeignet wäre, aber nicht für die solide Wirtschaftsführung eines mitteleuropäischen Landes. ({23}) - Ich nehme den berechtigten Protest aus meinen eigenen Reihen zur Kenntnis und nehme den Vorschlag, daß er als Finanzminister woanders geeignet wäre, ebenfalls zurück. ({24}) Wir dagegen haben ein Beschäftigungsförderungsgesetz in Kraft gesetzt, um damit neue Voraussetzungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt zu schaffen. ({25}) Wir haben arbeitslose Jugendliche wieder in den Kindergeldbezug gebracht und in die Krankenversicherung eingeführt. Wir haben sichergestellt, daß durch ein neues Jugendarbeitsschutzgesetz gezielt Beschäftigungshemmnisse für Jugendliche abgebaut werden. Wir haben die illegale Beschäftigung härter bestraft - angesichts der zunehmenden Schwarzarbeit notwendig und unumgänglich -, und wir haben dafür gesorgt, daß die Ansprüche der Mütter, die ins Erwerbsleben zurückkehren wollen, länger erhalten bleiben. Meine Damen und Herren, ich weise wiederum den pharisäischen Vorwurf, wir hätten für die Frauen der Trümmergeneration nichts getan, zurück. ({26}) Sie haben zu dem Zeitpunkt, als die Kassen voll waren, nichts vorgeschlagen. ({27}) Es ist Pharisäismus, es ist Bösartigkeit und nicht nur Ignoranz, ({28}) wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und wider besseres Wissen etwas anderes behaupten. ({29}) Die Frauen wissen, warum wir so handeln und nicht anders, und Sie werden sich von Ihren Lügen nicht beeindrucken lassen. ({30}) Wir haben Kurbeschränkungen für ältere Arbeitnehmer wieder gelockert, wir haben den Arbeitslosenversicherungssschutz für ältere Arbeitnehmer verbessert, und wir haben die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen wesentlich erweitert. Ich habe erwartet, daß wenigstens heute von der SPD etwas Neues zur Wirtschaftspolitik käme. Es ist nichts passiert. Der Kollege Vogel reist durch die Lande und fordert die Schonung der Massenkaufkraft, gleichzeitig glaubt er jedoch, durch die saftige, genau die Massenkaufkraft belastende Energieverbrauchsteuer seine Idee mit dem Sondervermögen „Arbeit und Umwelt" schmackhaft machen zu können. ({31}) - Frau Kollegin Fuchs, damit haben wir uns so oft auseinandergesetzt. Wir wissen doch, daß der Weg der Steuererhöhung kein Weg ist, um mehr Arbeit zu schaffen. Der gegenteilige Weg ist notwendig, ({32}) die Senkung von Steuern und Abgaben und eine solide Finanzpolitik ohne zusätzliche Verschuldung. Nur das ist der kombinierte richtige Weg, den wir in den letzten drei Jahren gemeinsam in der Koalition gegen härteste Widerstände durchgesetzt haben und der nun Früchte zeitigt. Das macht Sie ja so nervös; Sie haben doch im nächsten Jahr, wenn die Konjunktur gut läuft - und sie läuft gut -, nicht die Spur einer Chance, ({33}) an die Regierung zu kommen. ({34}) Man wählt doch nicht eine erfolgreiche Regierung ab, ({35}) und Sie werden eher noch kleiner wiederkommen; Sie könnten höchstens davon profitieren, daß auch die GRÜNEN weniger werden, aber das nützt nicht viel. ({36}) - Ja, das ist bei Ihnen der Fall gewesen! ({37}) - Ihr Hochmut kommt vor dem Fall, und das hat sich bei Ihrem Nachbarn zur Linken, dem Herrn Vogel, schon gezeigt; dem hat man sogar die Kanzlerkandidatenwürde weggenommen. ({38}) Allerdings könnte ich möglicherweise mit dem Kollegen Vogel in der Beurteilung des Ministerpräsidenten Rau durchaus wieder innere Gleichklänge verspüren, aber er kann das natürlich hier nicht sagen. ({39}) - Unser Ministerpräsident in Bayern? Das ist ein sehr guter Mann; bei dem siedelt sich die Industrie an, die von Herrn Rau wegmarschiert. ({40}) Meine Damen und Herren, ich habe es da natürlich etwas leichter, denn wir in Bayern - wenn ich für die CSU sprechen darf - haben z. B. keine AbwanDr. Waigel derungsabsichten großer Industrieunternehmen. Bei uns ist die Gutehoffnungshütte willkommen, ({41}) und ebenso freuen wir uns auf das zunehmende Engagement der Firma Nixdorf in Bayern. ({42}) Wie will denn ein Mann Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland werden, ({43}) dem die Unternehmen davonlaufen, meine sehr verehrten Damen und Herren? ({44}) - wir haben einen Kanzler, und das ist der Kanzlerkandidat! ({45}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien sind bereit, mit allen politischen und gesellschaftlichen Gruppen zusätzliche Anstrengungen zur Lösung der Arbeitsmarktprobleme zu erörtern. Das ist aber nur sinnvoll, wenn dies auf sachlicher Grundlage erfolgt. Arbeitsplätze werden nicht durch politisch motivierte Streiks, nicht durch Demonstrationen gegen notwendige Energieanlagen oder Großvorhaben und nicht durch Agitation gegen eine erfolgreiche Regierung geschaffen, die ein sozialistisches Erbe übernommen und positiv bewältigt hat. Arbeitsplätze entstehen durch das Zusammenwirken von Arbeitnehmern und Arbeitgebern, durch eine solide Finanzpolitik, durch niedrige Zinsen, stabile Preise, Wachstum, Investitionen und Innovationen. Dagegen entwickelt sich die SPD zum Trittbrettfahrer von Verweigerern, Aussteigern und Berufsdemonstranten. ({46}) Der neue Spitzenmann der bayerischen SPD - für den Fall, daß die meisten hier das nicht wissen: er heißt Hiersemann ({47}) - Sie sind aber die einzige, die das jetzt gewußt hat; ({48}) brav, Frau Fuchs, sehr ordentlich -, der neue Spitzenmann der bayerischen SPD also sah bei der Großdemonstration der Wiederaufarbeitungsgegner in München noch schlechter aus als auf dem Plakat, das ihn großspurig angekündigt hatte. ({49}) Ich habe in der Zeitung gelesen, daß Sie, Herr Kollege Vogel, Ihrem „Enkel", dem roten Rudi, mehr Erfolg gewünscht haben, als seinem Vorgänger Rothemund und Ihnen beschieden war.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

So selbstlos sind wir!) Es ist schon nett, wenn man sich den Herrn Kollegen Vogel als Großvater von Schöfberger vorstellt, ({0}) aber Sie können versichert sein: Er und Hiersemann, Sie und Rau, Sie werden mit Ihrer Konzeption in den nächsten Jahren genauso wenig erfolgreich sein, wie Sie es in der Vergangenheit gewesen sind. ({1}) Denn mit einer Politik billiger Polemik, destruktiver Kritik und Anbiederung bei GRÜNEN und Aussteigern werden Sie bei den Arbeitnehmern keinen Erfolg erreichen. ({2}) Wir setzen unsere Politik im Interesse aller Bürger - gerade der Arbeitnehmer - unbeirrt fort. Ich danke Ihnen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gott sei Dank dürfen bei uns Arbeiter demonstrieren und brauchen nicht an Regierungslogen vorbeizuparadieren, wie das in Ost-Berlin und in Moskau am 1. Mai notwendig ist. ({0}) Gott sei Dank ist das bei uns so. Auch gegen Regierungen kann und darf in einer freien Gesellschaft demonstriert werden. Da gibt es niemanden in diesem Haus, der dies bestreitet. Keine Regierung, die mit den Füßen auf dem Boden bleibt, wird sich als fehlerlos darstellen. In sozialistischen Diktaturen darf die Kritik nur an den Vorgängern geübt werden; die Amtsinhaber, die Machthaber sind tabu. Von dieser menschenverachtenden Überheblichkeit müssen sich demokratische Regierungen freihalten. Kritik ist keine Majestätsbeleidigung; das ist der Vorzug der Demokratie. ({1}) Die Bundesregierung ist nicht überempflindlich. Wir sind nicht die Prinzessin auf der Erbse. ({2}) - Wenn schon Bilder, dann würde ich sagen: Wo gehobelt wird, fallen Späne. Dies entspricht mehr unserer Mentalität. ({3}) Aber der demokratische Meinungskampf ist etwas anders als Haß und Vernichtung, demokratischer Meinungskampf ist etwas anderes als Klassenkampf. ({4}) Wer seinen Protest als Dauerkrieg ausgibt, von Kriegserklärungen, vom Zurückschießen spricht - an ihrer Sprache sollt ihr sie erkennen -, denen kann ich nur sagen: Rüstet erst einmal in eurem Kopf ab, bevor ihr über Abrüstung insgesamt redet. ({5}) Den Scharfmachern im DGB - Gott sei Dank sind es nicht alle, und Gott sei Dank sind die Scharfmacher in der Arbeitnehmerschaft eine verschwindende Minderheit, so daß wir die Schreier nicht mit der Arbeitnehmerschaft verwechseln sollten ({6}) rufe ich zu: Sie sollen mit der Entmilitarisierung in ihrer Sprache beginnen. ({7}) - Was habe ich von „verbrannter Erde" gesagt? ({8}) Ich rede im Moment gegen Klassenkampf, Kriegserklärung, Zurückschießen und Dauerkrieg, die Spache der Klassenkämpfer. ({9}) Meine Damen und Herren, diese Republik ist von Männern wie Hans Böckler und Walter Freitag mit aufgebaut worden. ({10}) Die Demokratie verdankt und der Sozialstaat verdankt Männern und Frauen aus allen Parteien vieles. Wir stehen auf ihren Schultern, und wer jetzt sagt, diese Republik sei ein Armenhaus, der beschädigt auch das Ansehen der Leute, die diesen Sozialstaat mit aufgebaut haben, und das waren nicht nur Christdemokraten. ({11}) - Sie machen wirklich Nestbeschmutzung. Wir haben eine Rentenversicherung, eine Krankenversicherung, eine Arbeitslosenversicherung, die sich in der Welt sehen lassen können. Ein Drittel unseres gesamten Bundeshaushaltes geben wir für Sozialleistungen aus. Von welcher Republik reden Sie, wenn Sie sagen, der Sozialstaat sei zertrümmert und zerstört? ({12}) Im übrigen hat dieser Sozialstaat, Herr Kollege Ehrenberg, zwei Seiten: nicht nur die Seite der Empfänger, sondern auch die Seite der Zahler. Soziale Gerechtigkeit beginnt nicht erst auf der Ausgabenseite. ({13}) Wenn die Arbeitnehmer, die Unternehmer überlastet werden, dann kann das weder Sozialstaat noch soziale Gerechtigkeit sein. ({14}) Für wen sparen wir, wenn wir sparen? Ich wende mich auch an die Kolleginnen und Kollegen draußen. Wir sparen doch nicht für irgendwelche anonymen Kassen, wir sparen für die Arbeitnehmer, die Beitrag zahlen und die an die Grenze ihrer Beitragslast gekommen sind. ({15}) Es ist heute morgen schon über Johannes Rau gesprochen worden, der alle sozialen Kürzungen zurücknehmen will. Herr Vogel hat gesagt, das sei eine Verkürzung. Ich weiß nicht, was eine Verkürzung ist, aber wir können ja einmal öffentlich klären, was er mit „allen sozialen Kürzungen" gemeint hat. Hat er auch die gemeint, die von der SPD vor unserer Zeit durchgeführt wurden? Hat er auch die 94 Milliarden DM Sozialleistungskürzungen der SPD gemeint? Oder hat er gar die Kürzung der Sozialleistungen in Nordrhein-Westfalen gemeint? Das könnte ja auch sein. ({16}) Da will ich einmal einige Kürzungen vorlesen: Bildungsaufgaben 35% Kürzung, Jugenderholung 56% Kürzung, Kindererholung 73 % Kürzung, Berlin-Fahrten 60 % Kürzung, freiwillige soziale Dienste 100% Kürzung, Landesjugendplan 53 % Kürzung, Familienerholung 73 % Kürzung, Kinder- und Müttererholung 43 % Kürzung, Adoption- und Pflegekinderdienst 90% Kürzung, Altenerholung 35% Kürzung, Förderung von Behinderteneinrichtungen 52 % Kürzung, Personalkostenzuschüsse für freie Verbände 10 % Kürzung, Zuschüsse zur Rehabilitation von Obdachlosen 100 % Kürzung, soziale Betreuung von Vertriebenen und DDR-Bürgern 36 % Kürzung, Kulturarbeit der Vertriebenenverbände 57 % Kürzung, Ausbildung in den nichtärztlichen Heilberufen 79 % Kürzung. Hat der Herr Rau diese Kürzungen gemeint, die er zu verantworten hat? Was ist das eigentlich für eine Politik, wenn man kürzt und dann auf andere hinweist? Das ist doch eine Politik nach dem Motto „Haltet den Dieb!" ({17}) Jetzt komme ich zum Bundeshaushalt. Wer alle Einsparungen aufheben will, müßte die Beiträge enorm steigern, in der Sozialversicherung um 5 Prozentpunkte, also in der Rentenversicherung von 19,2 % auf 24,2 %. Die Steuern müßten um 17 % angehoben werden. Mit anderen Worten: Der durchschnittliche Arbeitnehmer müßte, wenn Rau sich durchsetzte - die Gefahr besteht nicht, denn er bekommt nicht die Zustimmung der Wähler -, ({18}) im Jahr 1 590 DM mehr an Steuern und Sozialabgaben bezahlen. ({19}) Herzlichen Glückwunsch! ({20}) Ich kann nur sagen: Wenn mehr Geld ausgegeben, als eingenommen wird, und wenn man sich dann darüber beklagt, es sei zuwenig Rücklage in der Sozialkasse, dann erinnert mich das an klein Fritzchen, der wenig in seine Sparbüchse hineinwirft, viel herausholt und darüber schimpft, daß nichts in der Sparbüchse ist. ({21}) Ich schlage deshalb Johannes Rau für seinen Vorschlag, alle Sozialkürzungen zurückzunehmen, für den Klein-Fritzchen-Preis in der Sozialpolitik vor. Nichts anderes ist nämlich dieses Denken. ({22}) Er hat sich über Zeitverträge beschwert. Coop, eine gewerkschaftsnahe Gesellschaft, hat Zeitverträge angeboten, warum auch nicht? Mir ist jedenfalls die Coop mit Zeitverträgen, mit befristeten Arbeitsverträgen, lieber als die Neue Heimat mit unbefristeten Mieterschädigungen. ({23}) Da lese ich in dieser etwas verunglückten Kandidaten-Erklärung im heutigen „Express" - wenn das der Probelauf war, dann hat er voll in den Ofen geschossen -, ({24}) er plane nach der Sommerpause eine Verbesserung der Arbeitslosenunterstützung. Jetzt Originalton Rau: Wer lange gearbeitet hat, soll länger als bisher Arbeitslosenunterstützung erhalten. Guten Morgen, Herr Rau, kann ich nur sagen. ({25}) Im Herbst 1986 will er durchführen, was wir im Oktober 1985 in den Deutschen Bundestag eingebracht haben. Ich will diesen Morgen in der Tat auch dazu benutzen, auf Ursachen hinzuweisen, die es zu beseitigen gilt. Wenn jemand glaubt, ein Arbeitsminister hätte nichts Schöneres zu tun, als zu sparen, dann hat er sich jedenfalls in mir getäuscht. Nur: Wir zahlen 29 Milliarden DM an Zinsen für die Schulden, die uns die SPD hinterlassen hat. ({26}) Was könnte ein Sozialminister mit 29 Milliarden DM anfangen? Er könnte das Kindergeld erhöhen, er könnte all das machen, was gefordert wird. ({27}) - Herr Vogel, hätten Sie uns, hätten Sie Gerhard Stoltenberg den Sozialhaushalt so übergeben wie Franz Josef Strauß ihn 1969 der SPD übergeben hat, dann gäbe es in der Sozialpolitik überhaupt keine Probleme. ({28})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Nein, ich möchte jetzt im Zusammenhang vortragen. - Wenn der Deutsche Gewerkschaftsbund Adressen für seine Demonstrationen sucht, dann bitte ich, die richtige Reihenfolge einzuhalten. Wenn das Verursacherprinzip gilt, dann heißt die erste Adresse: ({0}) Parteivorstand, 5300 Bonn, 011enhauerhaus. Das ist die richtige Adresse. ({1}) - Herr Vogel, reizen Sie mich doch nicht! Ich bin nicht sicher, ob die Arbeitslosen etwas davon haben, wenn wir uns jetzt gegenseitig unser Sündenregister vorhalten. ({2}) Ich hätte mich nie getraut, die Rentenversicherung vier Jahre von der Lohnentwicklung abzuhängen. ({3}) Eine CDU/CSU-geführte Regierung hätte niemals willkürlich die Rentenversicherung vier Jahre von der Lohnentwicklung abgehängt. ({4}) - Liebe Frau Fuchs, daran waren Sie beteiligt, auch mit Schreien kriegen Sie das nicht weg. Ich hätte mich nie getraut, den Bundeszuschuß siebenmal zu kürzen oder zu verschieben. ({5}) Wir sind die erste Bundesregierung - nur kein Neid, es ist halt so -, die ihn erhöht. ({6}) Wir haben die Renten der Arbeitslosen nicht gekürzt, obwohl das pausenlos behauptet wird, in der IG Metall-Zeitung immer wieder behauptet wird, ja sogar zu Demonstrationen mit dieser Behauptung eingeladen wird. Mit Falschmeldungen wird zu Demonstrationen eingeladen. ({7}) Habt ihr keine besseren Argumente? Das ist die Unwahrheit. Deshalb: Wer demonstriert, wer protestiert - das ist sein gutes Recht -, soll nicht gegen die Wahrheit protestieren. ({8}) Da lese ich im Musterreferat - ich habe es dabei, wir können eine Dichterlesung machen -, das offenbar das Kochbuch für die Redner ist, auf Seite 11 die Behauptung - Sie können sie nachlesen -: Weniger Rente. - Ich frage: Wo gibt es weniger Rente? Wo ist eine gesetzliche Rente auch nur um eine Mark gekürzt worden? ({9}) -- Hören Sie doch zu. Nach 45 Versicherungsjahren hat 1985 ein Durchschnittsrentner rund 1200 DM mehr Rente pro Jahr als 1982. Was ist da Kürzung? Das Gegenteil ist der Fall. Die Renten sind gestiegen, wenn auch - das gebe ich zu - bescheiden. ({10}) Sie sind in der Tat bescheiden gestiegen. Auch wir bleiben dabei, daß Rentensicherheit vor Rentensteigerung geht, die die Rentenversicherung gefährdet. ({11}) Ich mache weiter. Im Musterreferat heißt es, ({12}) die Regierungspolitik richte sich gegen die Jugendlichen. Originalton: Sie dürfen jetzt schon morgens um sechs Uhr mit der Arbeit beginnen. Das durften die 16jährigen Jungarbeiter auch bisher schon. Lediglich der gleichaltrige Lehrling wurde ihm jetzt gleichgestellt. Jetzt frage ich Sie: Welcher Unterschied ist denn unter Gesundheitsaspekten zwischen einem 16jährigen Lehrling und einem 16jährigen Jungarbeiter? ({13}) Wir haben hier lediglich für eine Gleichstellung gesorgt, die im übrigen verhindern soll, daß der Lehrling überhaupt nicht eingestellt wird. ({14}) Ich kann weitermachen. Seite 8, Musterreferat - das sollen jetzt also tausendfach die Funktionäre in den Mund nehmen -: Wir wollen nicht, daß unsere Kinder verpestete Luft atmen müssen. Richtig, kann ich da nur sagen. Wer will das schon? Aber jetzt erwarte ich auch Information. Aufklärung gehört doch zu den besten Tugenden und Traditionen der Arbeiterbewegung. Was haben wir gemacht? Der Schwefelausstoß sinkt um 1,6 Millionen t, der Staubauswurf um 40%, die Schwefeldioxidemissionen um ein Drittel, die Autoabgase werden europaweit auf unsere Initiative um 70% verringert, ab 1989 wird die Autoentgiftung Pflicht. - Die SPD hat geschwafelt, wir haben entschwefelt. Das ist der Unterschied. ({15}) Also, meine erste Bedingung: Seid fair im Umgang. Meine zweite Bedingung ist: Bleibt bei der Wahrheit. Und meine dritte Bedingung ist, ein paar Fragen stellen zu können. Uns wird arbeitsmarktpolitische Tatenlosigkeit, also Nichtstun, vorgeworfen. Ich frage deshalb: Wir haben die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verdreifacht. Ist das nichts? ({16}) - Ich rede jetzt von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, und die haben wir verdreifacht. Ist das etwa nichts? Zweitens. Wir haben die Mittel für eine aktive ({17}) - Laßt doch die Leute mal zuhören. Ihr müßt doch nicht durch Geschrei die Wahrheit verhindern. Ein paar ganz bescheidene Fragen wird man doch stellen dürfen. ({18}) Wird die SPD schon bei Fragen unruhig? Das sind doch ganz bescheidene Fragen. Wir haben die Mittel für eine aktive Arbeitsmarktpolitik im AFG auf eine Rekordhöhe gebracht. Sie liegen ein Drittel über dem Niveau, auf dem Sie sie verlassen haben. Wir haben den Arbeitslosengeldbezug für die älteren Arbeitnehmer verlängert. Ist das nichts? frage ich nur. Wenn das, was wir tun, nichts ist, was haben Sie dann getan? ({19}) Ist das nichts, dreimal so viele Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, Verlängerung des Arbeitslosengeldbezuges? Wir haben die jugendlichen Arbeitslosen wieder ins Kindergeld und die Krankenversicherung hereingeholt, aus denen Sie, Frau Fuchs, sie rausgeschmissen hatten. Sie waren der Rausschmeißer. ({20}) Wir erhöhen den Ehegattenbeitrag der Arbeitslosenhilfe. Wenn Sie sagen, das sei selbstverständlich: Warum haben Sie 13 Jahre diese Selbstverständlichkeit nicht gemacht? Sie hätten es doch in 13 Jahren machen können. Wir haben ein Vorruhestandsgesetz eingeführt. Jetzt frage ich meinen Kollegen Ernst Breit, ob er im Oktober 1985 auf den Kundgebungen des DGB dieses Vorruhestandsgesetz so bezeichnet, wie er es im August in den gewerkschaftlichen Monatsheften genannt hat: ({21}) Er zähle es zu den wichtigsten und wirksamsten Instrumenten gegen Arbeitslosigkeit. ({22}) Mein Kollege Conrad Carl, der Vorsitzende der Bauarbeitergewerkschaft, hat vor acht Tagen diesen Vorruhestand einen „Meilenstein in der Tarifgeschichte der Gewerkschaften" genannt. Ich hoffe, daß das, was im August und vor acht Tagen richtig war, auch am Samstag auf den Protestkundgebungen des DGB richtig ist. Sagt den Arbeitnehmern die ganze Wahrheit. Halbwahrheiten sind schlimmer als ganze Lügen. ({23}) - Ich denke pausenlos über Halbwahrheiten nach. Ich frage die Kumpels an Rhein und Ruhr, ob sie sich daran erinnern, wer ihnen die 36 Anpassungsschichten im Bergbau beschafft hat, 36 Anpassungsschichten, die Freisetzungen verhindert haben. ({24}) - Und wer hat sie bezahlt? Mein Gott, ich stelle die Verdienste der IG Bergbau nicht in Frage. Warum hat die IG Bergbau nicht unter SPD-Zeiten die 36 Anpassungsschichten durchgeführt? ({25}) Ich frage die Stahlkocher: Wer hat euch die Verlängerung der Kurzarbeitergeldzahlung um ein Jahr gebracht? Wäre das nicht gekommen, hätte es an Rhein und Ruhr Entlassungen gegeben. Dafür brauche ich keine Ideologen. Das hört ihr nicht in der IG-Metall-Schule in Sprockhövel. Dort hört ihr etwas über Karl Marx. Erkundigt euch über die Tatsachen; das ist für die Arbeiter besser, kann ich nur sagen. ({26}) Jetzt noch eine besondere Freundlichkeit für meine verehrte Kollegin Fuchs. Die Sozialpolitiker und der DGB sollen sich nicht aus dem Gedächtnis streichen, daß wir eine Hinterbliebenenrenten-Reform durchgeführt haben, die die Zustimmung des Deutschen Gewerkschaftsbundes gefunden hat. ({27}) Ich frage Sie: Wer hat Ihnen zugestimmt, Frau Fuchs? ({28}) Es ist ja keine Schande! Ihr Bündnis: Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Unser Bündnis: Gewerkschaften und Frauenrat. ({29}) Das war die Konstellation. Ich sage das nur beschreibend, damit jene Märchen zerstört werden: die gute Fee Fuchs und der böse Teufel Blüm. ({30}) Da kann ich nur sagen: Rotkäppchen, da hast du dich getäuscht. Auf diesen Leim werden die Arbeiter nicht gehen. ({31}) Die Familien sollen und dürfen sich auch durch Demonstrationen nicht aus dem Gedächtnis streichen lassen, daß wir Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub und Erziehungszeiten im Rentenrecht eingeführt haben. Wann, so frage ich, in welchem Jahr wurden jemals 10 Milliarden DM für die Familie zusätzlich ausgegeben? In welchem Jahr? Es ist das Jahr 1986. Jetzt frage ich: Wer regiert? Da regiert die CDU/CSU mit der FDP. Natürlich gibt es in unserer Gesellschaft auch Armut. Wer will darüber hinweggehen? Nur, meine Damen und Herren, es ist nicht das Massenelend der Dritten Welt. Es ist auch nicht die Massenarmut der Weimarer Zeit. Ich gebe zu: Für den, der in Armut ist, ist es relativ belanglos, ob er sein Schicksal, seine Not mit zehn oder mit einer Million teilt. Deshalb werden wir eine Sozialpolitik betreiben, die auch dem Einzelfall gerecht wird. Unser großes Sozialleistungssystem, das die großen Gruppen auffängt, hat ein Niveau, das auf der ganzen Welt seines Gleichen sucht. Deshalb brauchen wir uns nicht in die Ecke zu stellen und zu schämen, sondern können voll Selbstbewußtsein diesen Sozialstaat vorführen. ({32}) Um fast vier Millionen übertraf 1984 die Zahl der Urlaubsreisen die des Jahres 1980. 4 Milliarden DM haben die Bundesrepublikaner in diesem Jahr mehr für Urlaub ausgegeben. ({33}) Das waren nicht alles Millionäre. Soviel Millionäre haben wir gar nicht. In diesem Jahr hatten wir 650 000 mehr Kurgäste als in den vergangenen Jahren. Wir hatten 24 Millionen Fluggäste. Auch hier kann ich Ihnen versichern: Es waren nicht alles Angehörige der Familie Flick, die in Urlaub reisten oder die das Flugzeug benutzten. Ich glaube jeden12300 falls: Massenelend als Beschreibung der Bundesrepublik ist die Erfindung von porschefahrenden Jungsozialisten, aber nicht die Wirklichkeit. ({34}) Ich darf jetzt noch eine Broschüre zitieren. Das ist alles keine Erfindung von mir. Es ist eine Broschüre, die vom DGB verteilt wird. ({35}) Ich werde es jetzt zum drittenmal erzählen, mit Genuß, weil es eine gewisse Erhellung bringt. ({36}) - Ich habe nichts gegen Porsche-Fahrer. Ich habe nur etwas gegen Porsche-Fahrer, wenn sie sich zum Schutzpatron der Sozialhilfeempfänger aufspielen. ({37}) Der DGB verbreitet eine Broschüre bzw. läßt sie verteilen: „Die neue Armut". Darin wird auf Seite 95 ein Oliver D. beschrieben. Der beklagt seine „neue Armut" mit dem markerschütternden Bekenntnis, die neue Armut bestehe bei ihm darin, daß er seiner Freundin keine Geschenke mehr machen kann. ({38}) Meine Damen und Herren, ich habe erstens nichts gegen Freundin und zweitens nichts gegen Geschenke. Nur habe ich etwas dagegen, daß die Geschenke von den Malochern bezahlt werden sollen. Dafür ist der Sozialstaat nicht da. ({39}) Hat denn noch niemand gemerkt, wer das Ganze bezahlen soll? Das sind die Stahlkocher bei Hoesch, die die Geschenke bezahlen sollen. Ein 18jähriger Lehrling beklagt in dieser Broschüre, daß er sich den Gedanken abschminken müsse, eine eigene Wohnung zu nehmen. Ein 18jähriger Lehrling! Wieweit ist denn die Arbeiterbewegung degeneriert, daß sie das als Armut ausgibt! Die alten Führer der Arbeiterbewegung müssen sich im Grab herumdrehen, wenn sie solche Degenerationserscheinungen sähen. ({40}) Seid ihr denn von euren grünen bürgerlichen Nachbarn schon so angesteckt worden? Die Grünen sind doch die Rache des 19. Jahrhunderts an der Arbeiterbewegung. Die Bürgersöhnchen haben euch angesteckt. Ihr verwechselt jetzt deren Lebensgewohnheiten. ({41}) Ihr verwechselt jetzt deren Gewohnheiten mit den klassischen Tugenden der Arbeiterbewegung. Das sind aber jedenfalls nicht die, die hier beschrieben werden. Unseren größten Erfolg will ich hier am Schluß darstellen. ({42}) - Aber, lieber Kollege, ich kandidiere dort ja noch ein paarmal. Ich bleibe Ihnen noch lange erhalten, als Arbeitsminister wie als Kandidat. Da brauchen Sie keine Angst zu haben. ({43}) - Wenn Sie mich noch ein bißchen reizen: Ich habe noch ein paar schöne Sachen. ({44}) Heute morgen hat Herr Kollege Vogel hier eine Statistik vorgelesen und beklagt, wie ungenau sie sei und was darin alles falsch sei. Er sprach von einer stillen Reserve. Sie haben das alles ja im Ohr. ({45}) - Dann will ich Ihnen erst einmal vorlesen, was der sicherlich auch von Ihnen verehrte Kollege Buschfort als Parlamentarischer Staatssekretär im Arbeitsministerium am 28. August 1980 in der „Welt der Arbeit" gesagt hat: Ich glaube, daß die Zahlen, die wir bekommen, von vorne bis hinten nicht stimmen. Mindestens 70 000 wollte er herausnehmen. So etwas würde ich mir nie herausnehmen. Ihr Parlamentarischer Staatssekretär war es, der gesagt hat, die Zahlen stimmten nicht. Die verehrte Frau Kollegin Fuchs hat am 10. April 1981 - offenbar wechselt ihr Standpunkt schon mal mit dem Standort, je nachdem, ob die SPD in der Regierung oder in der Opposition ist - gesagt: ({46}) Ich wiederhole, daß ich nicht der Auffassung bin, daß die stille Reserve für uns für die Arbeitsmarktpolitik von Bedeutung ist; denn die Menschen, die in unserem Land arbeiten wollen und deshalb in die arbeitsmarktpolitischen Anstrengungen einbezogen werden müssen, melden sich beim Arbeitsamt. ({47}) Ich habe dem nichts hinzuzufügen. ({48}) Ich will meinen Beitrag abschließen. Ich führe keine Diskussion über Statistik. Ich brauche meine ganze Kraft dazu, die Arbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen. Das andere ist etwas für Buchhalter. Nur: Wenn Sie mit dem schweren Vorwurf kommen, wir manipulierten, dann halte ich Ihnen Ihre alten Manipulationsabsichten als Spiegel vor Augen. ({49}) Die größte Errungenschaft, der größte soziale Fortschritt ist die Preisstabilität bzw. besteht darin, daß die Preissteigerungsrate zurückgenommen wurde. Das kann man nicht oft genug wiederholen, auch gegenüber den Arbeitnehmern. Die Arbeitnehmer wissen doch: Es kommt nicht darauf an, was man im Geldbeutel hat; es kommt darauf an, was man damit kaufen kann. Das wissen auch die Rentner. Daß uns die Senkung der Preissteigerungsrate gelungen ist, hat den Arbeitnehmern und den Rentnern, wie heute morgen schon gesagt worden ist, einen Kaufkraftgewinn von über 20 Milliarden DM gebracht. Das ist mehr als die Sozialkürzungen, die wir in zwei Haushaltsbegleitgesetzen hier für den Haushalt durchgeführt haben. Für die Rentner betrug der Kaufkraftgewinn durch unsere Stabilitätspolitik 6 Milliarden DM. Für den durchschnittlichen Rentnerhaushalt sind das 810 DM mehr Kaufkraft im Jahr. Das sind zwei Monatsmieten. Das sind die Ausgaben von neun Monaten für Bekleidung und Schuhe. Stellen Sie sich vor, wir hätten den Rentnern zwei Monatsmieten geschenkt; dann hätte die ganze Republik gejubelt. Wir haben es ja sogar gemacht, allerdings leise: durch Preisdämpfung, durch Senkung der Preissteigerungsraten. ({50}) Das ist der Unterschied zwischen einer lautstarken Sozialpolitik mit Trommelwirbeln und Seifenblasen, die dann auch platzen, und einer Sozialpolitik der kleinen Schritte, einer Sozialpolitik, die mehr an der Praxis und der Realität orientiert ist. Deshalb setze ich auf den Praxis- und Realitätssinn meiner Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben. Laßt euch durch Ideologen nicht verrückt machen. Bleibt bei den Realitäten. Es gibt in unserer Republik vieles zu verbessern. 2 Millionen Arbeitslose können niemanden ruhen lassen. Wir haben noch große Aufgaben vor uns. Aber wir haben auch viel erreicht. Deshalb bin ich sicher, daß nach dieser Agitationswoche die Chancen für Kooperation, Zusammenarbeit und Vernunft genutzt werden müssen. Dieser Karren kommt - wie nach 1945 - nicht aus den Schwierigkeiten heraus durch Ideologen und Klassenkämpfer, sondern - wie nach 1945 - nur durch Besonnenheit, Vernunft und Partnerschaft. ({51})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch wenn Sie jetzt weggehen: Herr Blüm, wenn wir die Rache des Bürgertums an der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts sind, dann sind Sie die Rache des Mainzer Karnevals am Deutschen Bundestag. Das ist jedenfalls meine Auffassung. ({0}) Aber zu Ihnen und Ihrer Karnevalsrhetorik komme ich später noch. Ich will zuerst noch ein paar Worte zur Rede des Herrn Kohl sagen, der uns leider vor einiger Zeit schon wieder verlassen hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Er hat sich aber entschuldigt.

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Daß der Bundeskanzler in seinen Regierungserklärungen im Bundestag wenig Originelles zu bieten hat, wissen wir nicht erst seit heute. Daß diese Regierung in den Debatten um Wirtschaftspolitik und Arbeitslosigkeit seit Jahr und Tag die Rolle des Gesundbeters spielt und ansonsten allenfalls noch „Erblast, Erblast!" schreit, ist auch nicht neu. Seit dem letzten Jahr wissen wir auch, daß Herr Kohl die 35-Stunden-Woche dumm und töricht findet. Das alles war bekannt. Aber wenn Herr Kohl hier heute morgen an die Adresse der Gewerkschaften ausgeführt hat - jetzt zitiere ich ihn -, wer solche Kampagnen führe wie die in dieser Woche, der verfolge eigene Interessen auf dem Rücken der Arbeitslosen, ist das wahrlich ein starkes Stück. Ich finde eine solche Aussage unverschämt. ({0}) Wenn es in seiner Rede weiter hieß - jetzt zitiere ich wieder den Bundeskanzler - „Für den DGB besteht bei genauerem Hinsehen wenig Anlaß zu lauten sozialpolitischen Anklagen", dann kann ich dazu nur sagen: Angesichts der sozialpolitischen Wirklichkeit in der Bundesrepublik ist das nicht nur Schönfärberei, wie Herr Vogel es genannt hat; diese Aussage stellt die Tatsachen auf den Kopf, denn die Tatsachen sind so, daß zu Protesten jede Menge Anlaß besteht. ({1}) - Das ist so. Sie haben heute früh wieder in der Ihnen eigenen Schlichtheit die bekannte Litanei heruntergebetet von der großen Trendwende auf dem Arbeitsmarkt, von Aufschwung und Wachstum, von Ihren angeblich so grandiosen Erfolgen bei der Inflationsbekämpfung und bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Es war die Rede von einem Höchststand der Sozialleistungen. Ich kann nur sagen: Ich hoffe, daß viele Arbeitslose, die seit Jahren einen Arbeitsplatz suchen, daß viele Rentner, denen Sie die Renten gekürzt haben, ({2}) daß all die anderen Gruppen der Bevölkerung, denen Sie die Sozialleistungen gekürzt haben, diese Rede gehört haben; denn ich denke, daß sich diese Menschen genauso fragen werden wie ich: Wo lebt dieser Mann eigentlich? Von welcher Realität wird hier gesprochen? Sie fragen sich vor allen Dingen: Von welchen Erfolgen wird hier gesprochen? Kleinert ({3}) Was hier heute abgefeiert worden ist, das war eine Mischung aus Halbwahrheit, aus Augenwischerei, Tatsachenverdrehung und Gesundbeterei. Das war nichts anderes. ({4}) Denn schlichte Tatsache bleibt doch, daß noch in keinem vorangegangenen Herbst seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland die Arbeitslosenzahl so hoch war wie in diesem Jahr. Tatsache bleibt, daß wir 2,2 Millionen registrierte Arbeitslose haben, daß wir 1,3 Millionen haben, die zur stillen Reserve gehören. Tatsache bleibt, daß in manchen Regionen der Bundesrepublik mittlerweile jeder fünfte arbeitslos ist. Tatsache bleibt, daß zweieinhalb Millionen Menschen von den viel zu niedrigen Sozialhilfesätzen leben müssen. Tatsache bleibt auch, daß in den letzten Jahren die Zahl der Dauerarbeitslosen sich vervierfacht hat. Das ist die soziale Realität in der Bundesrepublik. Die zählt und nicht Ihre schönen Reden hier. ({5}) Die sozialliberale Regierung hat mit der sozialen Demontage begonnen, das ist wahr und hier nicht zu bestreiten. Aber Sie haben diesen Kurs doch seit drei Jahren nur verschärft fortgesetzt. Da ist es doch ein Hohn, wenn Sie hier versuchen, mit der SPD in eine Art Wettbewerb darüber einzutreten, wer denn angefangen hat und wer dabei schlimmer war. Das jedenfalls macht Ihre Politik nicht besser; denn Sie waren es doch, die mit den Haushaltsbegleitgesetzen 1983 und 1984 gerade den sozial Schwächeren das Geld aus der Tasche gezogen haben. Sie waren es doch, die umverteilt haben. Ich kann Ihnen die Zahlen nennen. ({6}) - Die Vorschläge werden noch kommen. Warten Sie es ab! - 1983 waren es 16,9 Milliarden DM, die Sie den Arbeitslosen, den Kranken, den Behinderten, den Familien, Frauen, aber auch Arbeitern und Angestellten aus der Tasche gezogen haben. 1984 waren es 18,5 Milliarden DM, 1985 noch einmal 7,6 Milliarden DM; dabei sind die kumulativen Umverteilungseffekte noch gar nicht berücksichtigt. Nun haben Sie den Betroffenen Jahr für Jahr erzählt, das alles sei zwar nicht schön, aber es sei nötig, denn langfristig werde die Wirtschaft dadurch gesunden und früher oder später hätten alle etwas davon. Sie haben erzählt, wenn die Unternehmensgewinne wieder kräftig stiegen, dann komme die Wirtschaft wieder in Gang, dann gebe es mehr Arbeitsplätze. Sie haben den Leuten erzählt, mit diesen Kürzungen würden Sie das Sozialsystem langfristig sichern. ({7}) Mit diesen Versprechungen ist diese Regierung auch wesentlich weniger zurückhaltend gewesen als mit den Sozialleistungen. Es war der Kanzler selbst, der im Wahlkampf 1983 verkündet hat, diese Regierung werde die Arbeitslosenzahlen zwar langsam, aber stetig wieder herunterdrücken. Es waren die Herren Geißler und Blüm, die vor zwei Jahren davon gesprochen haben, daß es 1986 eine Million Arbeitslose weniger geben werde. Das waren Ihre Versprechungen, das waren Ihre Aussagen. Jetzt haben wir den Oktober 1985. Jetzt kann man sehen, wie die Resultate dieser Politik aussehen. Wie sehen Sie aus? Die Unternehmensgewinne sind gestiegen, sie sind sogar beträchtlich gestiegen. Aber die vielen neuen Arbeitsplätze sind doch ausgeblieben. Die zusätzlichen Gewinne wandern in Rationalisierungsinvestitionen, und sie vernichten unter dem Strich mehr Arbeitsplätze, als sie neue schaffen. ({8}) Die zusätzlichen Gewinne wandern auf die Kapitalmärkte, wo sie vor allem im Ausland enorme Zinserträge erzielen. Meine Damen und Herren, Sie wissen das. Sie wissen, daß es nicht stimmt, wenn Sie den Sozialhilfeempfängern erzählen, daß ihr Eckregelsatz so niedrig liegen muß, weil sich nur auf Grundlage eines solchen Kurses etwas an der Arbeitslosigkeit ändert. Sie wissen das, aber Sie fahren diesen Kurs weiter. Sie tun so, als wäre nichts geschehen. ({9}) Ich kann da nur fragen: Wo soll das eigentlich hinführen? Wo ist Ihr Konzept? Glauben Sie in allem Ernst, Sie bekämen 4,5, 5, 6 oder gar 7 % Wachstum? Glauben Sie in allem Ernst, daß Sie auf diese Weise die Massenarbeitslosigkeit wirksam werden bekämpfen können? Sie werden dieses Wachstum nicht bekommen, ganz abgesehen davon, daß ein solches Wachstum aus ökologischen Gründen überhaupt nicht sinnvoll sein kann. ({10}) Und auch das zweite Versprechen ist nicht Wirklichkeit geworden, mit dem Sie die Notwendigkeit der Sozialkürzungen begründet haben: Die Stabilisierung des Sozialsystems ist ausgeblieben. Die Renten sind heute genausowenig langfristig gesichert wie bei den Sozialliberalen. Und es ist ja schon interessant, daß es ausgerechnet das Institut jenes Herrn Biedenkopf, den der Kanzler so mag wie der Teufel das Weihwasser, war, das Ihnen das in diesen Tagen wieder vorgerechnet hat. Nun sagen Sie, die Inflationsrate sei gesenkt worden. In der Tat, die Inflation liegt heute um einiges niedriger als vor ein paar Jahren. Das nutzt denen, die Einkommen haben. Das ist wahr. Aber was nützt das denn den Arbeitslosen, die statt mit 2 000 oder 2 500 DM Monatseinkommen nun mit 1 000 oder 1 200 DM ihre Familien durchbringen müssen? Was nützt die niedrigere Inflationsrate denn den dauerarbeitslosen Sozialhilfeempfängern, wenn ihr Einkommen gleichzeitig unter die Armutsgrenze gesunken ist? Das ist doch Augenwischerei, was Sie hier treiben. Und es ist ein Gerücht, diese Regierung betreibe Subventionsabbau und keine Investitionsförderung. Kleinert ({11}) Sie betreiben Investitionsförderung, Sie betreiben sie sogar massiv. Da braucht man nur einen Blick in den Etat des Forschungsministers zu werfen, da braucht man nur mal in den Rüstungshaushalt hineinzusehen. Nur: Was Sie da fördern, das geht doch in die völlig falsche Richtung: Wiederaufbereitungstechnologie, Breitbandverkabelung, Rhein-Main-Donau-Kanal, Atomindustrie; die Reihe der Beispiele läßt sich fortsetzen. Investitionsförderung und Subventionierung finden schon statt. Aber sie gehen in die völlig falsche Richtung. Sie gehen in eine Richtung, wo es ökologisch gefährlich ist und wo es auf Grund des riesigen Kapitalbedarfs pro Arbeitsplatz auch keine oder kaum positive Arbeitsplatzeffekte hat. Nun kommen Sie und sagen: Das ist noch nicht alles. Sie weisen auf gestiegene Ausbildungsplatzzahlen hin; Sie kommen mit Vorruhestandsregelung und Beschäftigungsförderungsgesetz. Zum ersten Punkt. Es ist richtig: Es werden heute mehr Ausbildungsplätze als vor ein paar Jahren angeboten. Dazu sind drei Dinge zu sagen. Erstens. Nach wie vor suchen Zehntausende von Jugendlichen einen Ausbildungsplatz. Zweitens. Die Zahlen sagen überhaupt nichts über die Qualität der Ausbildung, die dort angeboten wird. Es ist oft genug eine Ausbildung ohne jede Perspektive, in diesem Beruf weiterarbeiten zu können. Drittens - und das ist der zentrale Punkt -: Die Arbeitslosenzahl ist zwar bei den unter 20jährigen gesunken. Aber sie ist bei den 20- bis 25jährigen entsprechend in die Höhe gegangen. Da beträgt sie 14 %. Der Zusammenhang ist ganz einfach zu erklären. Jene, die von einer Maßnahme in die andere geschoben werden - das sind die unter 20jährigen -, fallen zunächst aus der Arbeitslosenstatistik heraus, aber nur mit dem Ergebnis, daß sie ein paar Jahre danach den Gang zum Arbeitsamt antreten müssen und daß Sie dann die höheren Arbeitslosenraten wieder haben, nämlich bei denen, die ein paar Jahre älter sind. Das ist die Realität Ihrer Ausbildungsplatzoffensive. Damit bin ich bei Herrn Blüm und den Themen Vorruhestand und Beschäftigungsförderungsgesetz. Leider ist Herr Blüm nicht da. ({12}) Vorruhestand und Beschäftigungsförderungsgesetz sind j a zwei Lieblingskinder des Arbeitsministers. Ich erinnere mich noch gut, wie der Herr Blüm im vorigen Jahr im Bundestag in der Pose des Volkstribuns den Arbeiterführer gemimt und die Vorruhestandsregelung als demokratischste Form der Arbeitszeitverkürzung und ganz wichtigen Schritt zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit angepriesen hat. Der Herr Blüm hat hier vorne den Kollegen Norbert von Opel gemimt, ist entsprechend herumgeturnt und hat den Leuten verkündet, der Vorruhestand werde einen großen Durchbruch bringen und sei bei den Arbeitnehmern populärer als die Wochenarbeitszeitverkürzung. Das war in der Zeit, als die Auseinandersetzung um die 35-StundenWoche anstand, jene Forderung, die der Herr Bundeskanzler damals als dumm und töricht bezeichnet hat. Nun will ich gerne zugeben, daß ich ein großer Verehrer der rhetorischen Talente des Herrn Blüm bin. Ehre, wem Ehre gebührt. Die ganzen Wasserrohrbrüche, die der Herr Blüm in den letzten Jahren im Deutschen Bundestag verhandelt hat, die vielen geplatzten Wasserleitungen, die angeblich nicht repariert werden könnten, wenn die Überstunden eingeschränkt würden, die zerbrochenen Fensterscheiben, die hier die Beispiele abgegeben haben und die zu reparieren im Winter unabweisbarer Bedarf, im Sommer keiner besteht, die ideologischen Lagerfeuer, die der Herr Blüm bei den Gewerkschaften im Sprockhövel ausgemacht hatte, die „Butter bei die Fisch", das alles ist schon gekonnt. In Sachen Populismus ist der Herr Blüm in dieser Regierung in der Tat konkurrenzlos. Aber damit hat es sich auch schon mit der Verehrung. Denn wenn ich mir die praktischen Ergebnisse der Politik des Herrn Blüm ansehe, dann stelle ich fest, daß von dem IG-Metall-Kollegen Norbert, der hier den Sachwalter von Arbeitnehmerinteressen mimt, nicht mehr viel übrigbleibt. Hinsichtlich des Vorruhestandes hatte der IG-MetallKollege Norbert Blüm angekündigt, dies könne bis zu 150 000 neue Arbeitsplätze schaffen. Bis jetzt sind es kaum mehr als 10 000 geworden. Das ist das praktische Ergebnis. Das Beschäftigungsförderungsgesetz verdient alles andere als diesen Namen. Denn es fördert nicht die Beschäftigung, sondern die Aushöhlung des gesetzlichen Kündigungsschutzes. Das Beschäftigungsförderungsgesetz schafft praktisch keinen einzigen neuen Arbeitsplatz, sondern führt nur dazu, daß bei der Neubesetzung alter Dauerarbeitsplätze fast nur noch zeitlich befristete Arbeitsverträge vergeben werden. ({13}) Das sind die wirklichen Segnungen, die der Herr Blüm in seiner ganzen Vitalität und Volkstümlichkeit über die Arbeitnehmer ausgestreut hat. Ich will dazu ein ganz deutliches Wort sagen: Der Herr Blüm spielt hier den Kasper, ({14}) um den Leuten die Politik dieser Regierung zu verkaufen. Zwar haben seine Reden hohen Unterhaltungswert - das würde ich nie bestreiten -, aber die ganze Sprechblasenrhetorik, die dabei abgelassen wird, kann über eines nicht hinwegtäuschen: Der Herr Blüm ist aus meiner Sicht in Wahrheit nichts anderes als ein populistischer Simplizissimus der Sozialpolitik. Ich sage hier an dieser Stelle: Die Leute merken langsam, daß sich hinter dieser Rhetorik, hinter dieser Sprechblasenrhetorik eine ganz andere Realität verbirgt. ({15}) Das wirtschafts- und sozialpolitische Konzept dieser Regierung ist im Blick auf die eigenen vorgegebenen Ziele nicht nur kläglich gescheitert, sondern es ist auch schon im Ansatz verfehlt; es enthält keinerlei weiterweisenden Perspektiven. Wenn Sie Ihre Kleinert ({16}) Politik so fortsetzen, werden die Gewinne weiter steigen, werden Sie vielleicht noch ein bißchen mehr Wachstum des Bruttosozialprodukts erzielen, werden Sie weiter Umverteilungseffekte produzieren, aber die Arbeitslosigkeit wird mindestens auf dem gegenwärtigen Niveau bleiben. Und wenn dann die nächste konjunkturelle Talfahrt kommt - und die wird kommen -, dann wird die Arbeitslosenzahl noch kräftiger ansteigen, als sie das gegenwärtig tut. Eine Perspektive ist bei dieser Politik nicht sichtbar. Aber der Herr Bangemann, der leider auch nicht da ist, ({17}) hat ja inzwischen ohnehin schon seine eigene Erklärung für die Massenarbeitslosigkeit bei der Hand: Nach Auffassung von Herrn Bangemann ist die Arbeitslosigkeit vor allem eine Frage mangelnder Qualifikation und mangelnder sozialer Mobilität der Arbeitslosen. Eine solche Aussage berührt einen sensiblen Punkt. Man mag hier über richtige und falsche Wege in der Wirtschaftspolitik zwar viel streiten, aber solche Erklärungen für das Vorhandensein von Massenarbeitslosigkeit in die Welt zu setzen, die den Arbeitslosen die Schuld am Ende selber in die Schuhe schieben, finde ich zynisch. Da frage ich mich schon, ob jemand, der so etwas behauptet, die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit wirklich als vorrangiges Ziel seiner eigenen Politik begreift. Da habe ich schon die Auffassung, daß der Herr Bangemann nichts anderes ist als die Fortsetzung des Herrn Lambsdorff mit etwas weniger arroganten Mitteln. Daß diese Bundesregierung Sozialabbau und Umverteilung massiv betreibt, daß sie Arbeitslosigkeit im wesentlichen tatenlos hinnimmt, ist nur die eine Seite ihrer Politik. Die andere Seite ist die massive Einschränkung von Arbeitnehmerrechten. Diese massive Einschränkung von Arbeitnehmerrechten ist der Hintergrund für ihre Vorhaben zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes. Dies ist auch der Hintergrund für die beabsichtigte Änderung des § 116 AFG. In dieser beabsichtigten Änderung des § 116 AFG sehen wir den Zentralangriff. Hier wird auf die Einschränkung des Streikrechts gezielt. Wenn Ihre Vorstellungen zur Änderung des § 116 zum Tragen kommen sollten, würde das in der Konsequenz einen Schlag gegen ein elementares Verfassungsrecht bedeuten. Es bedeutete die faktische Einschränkung, ja Aushöhlung des Streikrechts; denn wenn dieses Gesetz im Bundestag beschlossen werden sollte, hätten die Unternehmer in zukünftigen Arbeitskampfauseinandersetzungen die Möglichkeit, auf dem Wege der Angriffsaussperrung die Gewerkschaften finanziell ausbluten zu können. Das ist nicht nur eine vage Absichtserklärung der Regierung; Herr Bangemann hat erst in diesen Tagen wieder seine Überzeugung geäußert, daß dieses Gesetz bis zum nächsten Frühjahr verabschiedet werde. In diesem Zusammenhang wird häufig und gern das Wort von der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit und der Chancengleichheit verwendet. Ich sage Ihnen dazu: Verbieten Sie die Aussperrung, wie wir das in unserem Gesetzentwurf vorschlagen und wie die hessische Landesverfassung aus dem Jahre 1946 das vorsieht. Wenn Sie das täten, wäre das ganze Problem, das in § 116 AFG beinhaltet ist, jetzt erledigt. ({18}) Aber das würde eine ganz andere gesellschaftspolitische Strategie voraussetzen als die, auf die Sie abzielen. Die, auf die Sie abzielen, ist nicht die gesellschaftspolitische Richtung, in die DIE GRÜNEN wollen. So sehr wir kritisieren, wenn in der Gewerkschaft kritische Positionen abgewürgt werden, so sehr wir kritisieren, wenn die IG Bau-Steine-Erden beispielsweise beschließt, daß Arbeitslose nicht in die Gewerkschaft aufgenommen werden sollen, so sehr bejahen wir die Notwendigkeit von Protesten gegen diese Politik, gegen die gesellschaftspolitische Strategie dieser Regierung und unterstützen es, wenn diese Proteste in diesen Tagen stattfinden. Wir sind für einen grundlegenden Kurswechsel in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Wir sagen nicht Arbeit oder Beschäftigung um jeden Preis. Wir wollen keine zusätzlichen Arbeitsplätze in der Rüstung oder Atomindustrie. Im Gegenteil: Wir wollen solche Produktionszweige abbauen. Aber wir sagen gleichzeitig: Es gibt eine Fülle von Bedarfsfeldern in der Gesellschaft, wo dringend Investitionen und auch staatliche Investitionsförderung notwendig sind. ({19}) Die Abwässer und die Kohlekraftwerke müssen entgiftet werden. Die Altlasten müssen saniert werden. Es muß Energie eingespart werden. Die Voraussetzungen zu einer rationelleren Energienutzung müssen hergestellt werden. Wir brauchen einen Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems; denn es bietet umweltverträgliche Verkehrsmittel. Und es gibt weitere Bereiche, in denen dringend etwas getan werden muß. ({20}) Solche Investitionen sind notwendig und solche ökologischen Investitionen hätten auch positive Arbeitsplatzeffekte. Darüber hinaus muß Arbeitszeit umverteilt werden. Es kann doch nicht sinnvoll sein, daß die einen Überstunden leisten und die anderen auf dem Arbeitsamt Schlange stehen müssen. Arbeitszeitverkürzung ist dringend notwendig, Verkürzung der Wochenarbeitszeit, Verkürzung der Lebensarbeitszeit zu akzeptablen sozialen Bedingungen. Ein neues Arbeitszeitgesetz ist notwendig, das dazu Rahmenbedingungen schafft. Wir brauchen die gesetzliche Beschränkung von Überstunden. Auch in der Sozialpolitik ist ein grundlegender Kurswechsel notwendig. Die in den letzten Jahren eingetretenen Leistungskürzungen in den Sozialhaushalten müssen zurückgenommen werden. Das ist finanzierbar, wenn entsprechend HaushaltsmitKleinert ({21}) tel umgeschichtet werden. Wir brauchen eine entsprechende Mindestabsicherung für die Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe in einer Höhe von 1 000 DM und eine Anhebung des Eckregelsatzes in der Sozialhilfe. Nicht die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten darf die Richtung der gesellschaftspolitischen Diskussion angeben, sondern ihre Ausweitung. Nicht nur die ökologischen Perspektiven in diesem Lande sind eher düster, auch die sozialen und wirtschaftlichen. Diese Regierung tut das Ihre dazu, daß das so bleibt. Wir behaupten nicht, daß wir den Stein des Weisen für uns gepachtet hätten. Wir wissen auch, daß der ökologische Umbau dieser Gesellschaft, der längerfristig unumgänglich ist, eine Reihe von Umstrukturierungs- und Übergangsproblemen aufwirft. Aber wir gehen davon aus, daß der Weg, den wir vorschlagen, in die richtige Richtung weist. Und eines steht fest: Der Weg, den diese Regierung seit einigen Jahren geht und den sie fortsetzen will, geht mit Sicherheit in die falsche Richtung. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie melden sich zur Geschäftsordnung. Nach § 29 der Geschäftsordnung?

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Nein, ich melde mich zur Geschäftsordnung nach § 25 Abs. 2, wo es um den Schluß der Aussprache geht. Wir sind der Meinung, daß das Interesse des Bundestages an der Aussprache über die Regierungserklärung äußerst dürftig ist, meine eigene Fraktion eingeschlossen, und deswegen beantrage ich Schluß der Aussprache, weil ich nicht einsehe, daß wir vor leerem Haus diskutieren sollen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Seiters.

Dr. Rudolf Seiters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002156, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nur zwei oder drei Sätze. Vielleicht haben einige Kollegen jetzt in der Mittagszeit dieses Haus verlassen, weil sie nicht unbedingt diese Rede hören wollten, die gerade gehalten worden ist, aber ich will das gar nicht bewerten. Dieses Haus war heute morgen gut besetzt, und es wird auch wieder gut besetzt sein. Es kommt hinzu, daß gerade jetzt die Gespräche der Fraktionen mit den 500 Jugendlichen stattfinden. ({0}) Ich denke, wir haben auch ein Interesse daran, daß die Jugendlichen nicht nur hier im Plenum sitzen und zuhören, sondern auch Gelegenheit zur Aussprache mit der sozialdemokratischen Fraktion, mit der Fraktion DIE GRÜNEN, mit unserer Fraktion, mit den Liberalen bekommen. Deswegen und auch angesichts der Bedeutung dieses Themas - es kommt noch eine ganze Reihe von Rednern - sollten wir diese Debatte fortsetzen. Wir lehnen Ihren Antrag ab.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wird noch das Wort zur Geschäftsordnung erbeten? - Das ist nicht der Fall. Ich stelle den Antrag zur Abstimmung. Wer dem Antrag nach § 25 Abs. 2 der Geschäftsordnung auf Abbruch der Debatte zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Der Arbeitsminister hat sich bei mir persönlich entschuldigt; er kann nicht da sein. Ich akzeptiere das. Ich will Ihnen ohnehin sagen, daß ich eigentlich heute gar nicht in einer Kampfesstimmung bin. Ich möchte meinen Beitrag dazu nutzen, um auch im Namen meiner Fraktion den Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU die Betroffenheit über den Tod unseres Kollegen George zum Ausdruck zu bringen. Ich bitte dafür um Nachsicht. Wir haben mit ihm weiß Gott Meinungsunterschiede gehabt, wir haben mit ihm weiß Gott gestritten, aber wir haben ihn als einen fairen Partner empfunden. Sie werden mir nachsehen: Wenn ich heute auf seinem Pult die Blumen sehe, kann ich nicht einfach so reden, als ob nichts geschehen wäre. Nun bin ich ganz froh, daß der Bundesarbeitsminister nicht da ist. Deswegen habe ich vielleicht die Chance, daß ich in diesem Ton weitersprechen kann; denn wir haben heute, finde ich, bis jetzt, keine gute Debatte gehabt. Ich trage normalerweise zur Schärfe bei, aber ich möchte jetzt noch einmal ein Thema ganz besonders nachdenklich behandeln. Keiner der bisherigen Redner mit Ausnahme meines Fraktionsvorsitzenden hat über die Situation der Frauen in unserem Lande auch nur ein Wort verloren. Können wir uns eigentlich vorstellen, wie die sich verhöhnt vorkommen, jene Frauen, die unter ständig steigender Arbeitslosigkeit leiden, jene Frauen, die darunter leiden, daß ihre Töchter und Söhne keinen Ausbildungsplatz bekommen, jene Frauen, die überhaupt nicht begreifen können, warum sie als Jahrgänge vor 1920 kein Kindererziehungsjahr zuerkannt bekommen, ({0}) jene Frauen, die darunter leiden, daß das Familienbudget so zusammengestrichen worden ist, daß sie als die meistens für das Haushaltsgeld Zuständigen mit den eingeschränkten Möglichkeiten zurechtkommen müssen? Da muß ich schon sagen, ich finde, der Arbeitsminister hat die 2,5 Millionen Sozialhilfeempfänger und die über 2 Millionen arbeitslosen Menschen in unserem Lande mit seinem Beitrag verhöhnt. So kann man mit den Problemen als Arbeitsminister nicht umgehen. ({1}) Frau Fuchs ({2}) Ich muß Ihnen sagen, ich finde auch inzwischen seine Gags richtig stumpfsinnig. ({3}) Man kann dem eigentlich nicht mehr zuhören. Ich möchte Sie fragen: Kennen Sie eigentlich die Notsituation in Familien, wie Kinder leiden, wenn die Eltern arbeitslos sind? Ich finde es hochinteressant, daß wir dafür überhaupt Untersuchungen brauchen, ({4}) daß wir Politiker so weit von der Realität entfernt sind, daß wir uns die Schwierigkeiten von Kindern arbeitsloser Eltern erst dann vorstellen können, wenn Soziologen uns das in einem Gutachten vorstellen. Müßten wir das nicht von uns aus wissen? ({5}) Müßten wir nicht in den Schulen darüber reden? Müßten wir nicht Hilfe anbieten, statt immer nur auf Wachstum zu setzen? ({6}) - Nun hören Sie doch mit der „Erblast" auf! Gehen Sie doch mit uns einmal den Weg, daß wir uns fragen: Wie wollen wir eigentlich den Weg dieser Demokratie ins Jahr 2000 gestalten? Wie lange wollen Sie eigentlich noch das Gute als Kohlschen Erfolg, das Schlechte als Erblast der Sozialdemokratie hinstellen? ({7}) Sie machen sich doch allmählich selbst lächerlich ({8}) mit dieser Art der Argumentation! ({9}) Mir geht es noch einmal um zwei konkrete Punkte. Wir haben heute festgestellt: Sie setzen auf Wachstum. Niemand will Wachstum bestreiten. Aber es ist doch ganz eindeutig, daß dieses Wachstum nicht ausreichen wird - das sagen alle Prognosen -, um Massenarbeitslosigkeit abzubauen. Nun stellt sich doch die Frage: Kann in einer solchen Situation der Staat, kann die Politik über dieses Wachstum hinaus für mehr Beschäftigung sorgen? Da ist es doch unser aller Sorgfalt wert, darüber nachzudenken, welche Elemente wir über diese Politik des Wachstums hinaus konzipieren können, damit wir für Arbeitsplätze sorgen. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Urbaniak?

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Kollegin, Sie haben hier ja die Kürzungen herausgestellt, für die der Bundesarbeitsminister verantwortlich ist, und er hat j a heute morgen von einem Preis gesprochen, den er dem Ministerpräsidenten Rau zuordnen möchte. ({0}) Meinen Sie angesichts dieser Kürzungen und Demontagen der Arbeitnehmerrechte nicht, daß Herrn Blüm ein Preis für den sozialpolitischen Kahlschlag verliehen werden müßte? ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da stimme ich Ihnen sehr zu, Herr Kollege. Es wäre ganz gut, wenn wir zusammen dies alles noch einmal auflisten würden. ({0}) Der Herr Bundesarbeitsminister hat neulich einmal gesagt, er habe mit Frau Holle nichts zu tun. Ich finde schon, daß er mit Frau Holle viel zu tun hat: Frau Holle ist eine Märchentante, und Herr Blüm ist - diesen Eindruck habe ich manchmal - ein ganz kleiner Märchenonkel. ({1}) Ich wollte darauf hinweisen, daß es jeder Anstrengung bedarf, zu fragen: Wo kann ich denn durch Politik zu mehr Arbeitsplätzen kommen? Da kommt dann das Thema öffentliche Investitionen, da kommt das Thema Städtebauförderung, da kommt das Thema Arbeit und Umwelt, da kommt das Thema Arbeitszeitverkürzung. Ich will Ihnen noch ein anderes Thema nennen: Wir haben in unserem Lande - das sagen alle - zuwenig Dienstleistungen, zuwenig Dienstleistungen im gewerblichen Bereich und zuwenig Dienstleistungen im sozialen Bereich. Wir sind eine älter werdende Bevölkerung, und jedermann weiß, daß es über materielle Not hinaus häufig an personeller Zuwendung fehlt. Warum unternehmen wir eigentlich nicht eine große Anstrengung, um in diesem Bereich vernünftige, arbeits- und sozialrechtlich abgesicherte Arbeitsverhältnisse zu schaffen? ({2}) Der erste Schritt wäre die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung. ({3}) Unterhalten Sie sich einmal mit den Arbeitgebern des Gebäudereinigerhandwerks, unterhalten Sie sich einmal mit vernünftigen Einzelhandelskaufleuten, unterhalten Sie sich einmal mit den Trägern der sozialen Hilfen! Sie alle wollen inzwischen aus diesen vielen grauen Arbeitsverhältnissen, in denen ja die Frauen ausgebeutet werden, vernünftige, arbeits- und sozialrechtlich abgesicherte Arbeitsverhältnisse machen. Ich appelliere an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam einen Weg suchen! Der erste Schritt wäre, wie gesagt, die Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze in der Sozialversicherung; dann könnten wir den ganzen grauen Arbeitsmarkt in einen ordentlichen Arbeitsmarkt überführen. ({4}) Frau Fuchs ({5}) Mein letzter Bereich: Ich habe heute morgen Graf Lambsdorff genau zugehört, und ich habe mir überlegt: Was hat sich eigentlich an der Qualität unserer Diskussion geändert? Da sage ich Ihnen noch einmal, auch Ihnen, meine Damen und Herren von der Koalition: Wir haben in den letzten 40 Jahren gute Erfolge erzielt, indem wir versucht haben, die Industriegesellschaft sozial zu gestalten. Wir sind durch Mitbestimmungsgesetze, durch Betriebsverfassungsgesetze, durch verläßliche Arbeitsbedingungen, durch kooperative Konfliktbewältigung mit den Problemen sehr viel besser als alle anderen Industrienationen in Europa fertig geworden, und wir waren stolz drauf, daß wir z. B. sehr wenige Streiktage hatten. Wir haben den Gewerkschaften, die sich nach dem Krieg gegen Klassenkampf, aber für Mitverantwortung entschieden haben, auch mit gesetzgeberischen Rahmenbedingungen den Weg von Klassenkampf weg eröffnet. Jetzt müßte diese Bundesregierung, wenn sozialer Konsens auch ein Produktivitätsfaktor ist, längst in Gespräche mit dem DGB eingetreten sein: Wie kann ich Mitbestimmungsrechte angesichts einer technologischen Entwicklung erweitern, die mehr Mitbestimmungsrechte erfordert? ({6}) Die Bundesregierung müßte schon lange mit den Gewerkschaften in ein Gespräch eingetreten sein: Wie kann ich eigentlich die Montan-Mitbestimmung erhalten und ausweiten im Hinblick auf das Jahr 2000? ({7}) Aber was geschieht? Diese Bundesregierung ist seit drei Jahren dabei, durch das Beschäftigungsförderungsgesetz Arbeitnehmerrechte einzuschränken, ({8}) diese Regierung ist seit drei Jahren dabei, das Streikrecht einzukassieren, ({9}) diese Regierung ist dabei, die Gewerkschaften lahmzulegen, indem sie über Verschlechterungen der Gewerkschaftsbedingungen und nicht über deren Verbesserungen redet. ({10}) Nach dem, was Graf Lambsdorff hier heute deutlich gesagt hat, steht fest: Diese reaktionären Wirtschaftsliberalen verleugnen auch die reformerische Kraft, die in den 70er Jahren gesteckt hat, als es uns gelungen ist, einen Konsens zwischen Liberalen und Sozialdemokraten herzustellen. Graf Lambsdorff setzt das sozialliberale Erbe in einer schäbigen Weise aufs Spiel. ({11}) Deswegen, meine Damen und Herren, dürfen Sie sich nicht wundern, wenn es in diesen Demonstrationswochen auch um die Qualität unserer Demokratie geht. ({12}) Deswegen ist es richtig, wenn sich Arbeitnehmerorganisationen wehren. Ich sage Ihnen: Es steht mehr auf dem Spiel, als wir heute morgen in dem großen Schlagabtausch miteinander diskutiert haben. ({13}) Ich glaube, Sie sollten darüber nachdenken, ob es richtig ist, daß Sie den Weg des sozialen Konsenses verlassen, weil Sie auf ein paar reaktionäre Wirtschaftsleute hören müssen, ({14}) oder ob es nicht an der Zeit ist, daß Sie auch als CDU-Leute aufhören zu sagen, die Einheitsgewerkschaft sei in Gefahr. ({15}) Jochen Vogel hat sehr zu Recht darauf hingewiesen, was Sie Ende 1982 gesagt haben, als die Gewerkschaften damals demonstriert haben. Ich glaube, auch heute ist deutlich geworden: Wir haben den Gewerkschaften gegenüber auch die Verpflichtung, ihnen ein Konzept anzubieten, das deutlich macht, daß wir diese Demokratie, diese Industriegesellschaft im Hinblick auf das Jahr 2000 sozial gestalten wollen. Dazu muß auch Politik beitragen, und Sie tun gerade das Gegenteil. Vielen Dank. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu der heute diskutierten Problematik eine Vorbemerkung machen. Mich überrascht es nicht, daß die unterschiedlichen Fraktionen des Hauses unterschiedliche Vorschläge zur Lösung der Arbeitsmarktproblematik hier heute morgen gemacht haben. Mich überrascht es auch nicht, daß kontrovers, teilweise polemisch diskutiert worden ist. Hier möchte ich die Frau Kollegin Fuchs - heute morgen hier die große Ausnahme - ausnehmen. Es ist an sich selbstverständlich, daß eine solche kontroverse Diskussion stattfindet. Erschreckt haben mich allerdings einige Bemerkungen, die hier im Hause und die vor allen Dingen draußen auf der Straße bei der Aktionswoche gemacht werden. Es wird uns teilweise der gute Wille abgesprochen, es wird von einigen unterstellt, wir würden sozusagen Arbeitslosigkeit bewußt in Kauf nehmen oder sie sogar herstellen, um etwa besonders hohe Gewinne machen zu können. Diese Unterstellung ist mir um so unverständlicher, als diejenigen, die sie vorbringen, doch wissen müssen, daß mindestens das redliche Bemühen, der gute Wille, zu einer Lösung zu kommen, vorhanden ist. Deswegen möchte ich noch einmal ausdrücklich Cronenberg ({0}) feststellen, - auch mit Hinweis auf die Ausführungen, die die Frau Kollegin Fuchs gerade gemacht hat -: Wir bejahen die Diskussion. Wir bejahen den Dialog, auch und gerade den Dialog zwischen Arbeitsgeber- und Arbeitnehmerorganisationen. Wir suchen - auch hier im Hause - diesen Dialog geradezu. Und ich sehe niemanden, beispielweise auf dieser Seite des Hauses, der Ihnen unterstellen würde, es gebe bei Ihnen jemanden, der der Regierung in der Frage der Beschäftigungspolitik Mißerfolge wünscht, weil er sich kurzfristige parteipolitische Vorteile davon verspricht. So wäre es vergleichsweise, wenn ich das zur Grundlage der Beurteilung nehme, was wir draußen und auch heute morgen hier im Hause von einzelnen gehört haben. Ich meine, wir würden unserer demokratischen Verantwortung gerecht, wenn wir dem politischen Kontrahenten, dem, mit dem wir im politischen Wettbewerb um die bessere Idee stehen, nicht den guten Willen absprechen würden. ({1}) Es ist heute schon mehrmals gesagt worden, welche Voraussetzungen für Arbeit im Lande verbessert worden sind, wo die Bedingungen verbessert worden sind, daß wiederum mehr Arbeit vorhanden ist. Ich will das hier jetzt im einzelnen nicht wiederholen. Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPDFraktion, wir kennen uns gut, weil wir lange zusammengearbeitet haben. Frau Kollegin Fuchs, niemand von uns wird bestreiten, daß es in dieser Zeit der gemeinsamen Arbeit auch Vernünftiges und Erfolgreiches gegeben hat. Niemand will das ändern. ({2}) Aber wir kennen uns auch so gut, Frau Kollegin Fuchs, daß ich hier mit allem Freimut feststellen darf: Wenn es uns gemeinsam gelungen wäre - wir, insbesondere Graf Lambsdorff, haben Ihnen die Rezepte dazu ja angeboten -, eine Inflationsrate von 2 % herbeizuführen, wenn es uns gelungen wäre, für 200 000 Menschen mehr als im Jahr zuvor Beschäftigung zu bekommen, wenn es uns gelungen wäre, wieder Exportüberschüsse zu erwirtschaften, wenn uns gemeinsam gelungen wäre, die strukturellen Haushaltsdefizite abzubauen, dann, versichere ich Ihnen, hätten Sie dies weitaus besser verkauft, als wir das überhaupt fertigbringen können. ({3}) Das ist neidlos anzuerkennen. Ich bin auch sicher: Der Deutsche Gewerkschaftsbund würde statt einer Aktionswoche gegen die Regierung eine Lobeshymne singen ({4}) und würde der Regierung die größten Komplimente machen. Dies hätte auch Erfolg, nämlich den, daß das wirtschaftspolitische und auch sozialpolitische Klima im Lande besser wären. Da wir alle wissen, daß das Klima im Lande von hoher Bedeutung ist, wird Ihnen die Chance, einiges zur Klimaverbesserung beizutragen, nicht verbaut. Das ist auch ein Beitrag für mehr Arbeit, ein Beitrag für mehr Arbeitsplätze. ({5}) Ich möchte hier nicht alle sozialpolitischen Verbesserungen - von der Verlängerung des Arbeitslosengeldes bis zum Vorruhestand, von der Verbesserung der beruflichen Fortbildung und Umschulung bis zur Verbesserung der Bedingungen für Teilzeitarbeit - im Detail ausführen. Ich möchte nur noch ein paar Bemerkungen zu den phantastischen Ausgabeprogrammen machen, die uns die SPD hier vorgelegt hat. Ich verweise auf das, was Graf Lambsdorff richtigerweise hier schon festgestellt hat: Wer Programme, wie auch immer ausgestaltet, finanzieren will, muß sich entweder des Instruments der höheren Schulden oder des Instruments der Abgabenerhöhung bedienen. Beides ist beschäftigungsfeindlich und richtet mehr Schaden an als Nutzen. ({6}) Frau Kollegin Fuchs hat hier soeben mit Recht die Frage gestellt: Kann und wird denn das Wachstum ausreichen, um mit der Problematik der Arbeitslosigkeit fertig zu werden? - Ich bin kein Prognosefetischist, aber gebe zu - ({7}) - Ich bin kein Prognosefetischist und stelle auch nicht solche Prognosen, wie Sie sie seinerzeit gestellt haben, nach denen wir heute 3 Millionen Arbeitslose haben müßten. ({8}) - Aber wie dem auch sei, zwei Dinge sind unbestritten richtig: ({9}) Die Wachstumsmöglichkeiten und das realisierte Wachstum schlagen erst mit Verzögerung auf den Arbeitsmarkt durch, und wir haben mehr Beschäftigte als vor einem Jahr. Wir streiten uns darüber, ob es 160 000 oder 200 000 sind, aber es ist eine Vielzahl einzelner Menschen, die infolge dieses Wachstums wieder einen Arbeitsplatz gefunden haben. ({10}) Ob nun das Wachstum auf Dauer ausreichend sein wird, ist nicht nur nach der Gleichung zu messen: = Prozent mehr Wachstum des Bruttosozialprodukts ist gleich = Prozent mehr Beschäftigung, sondern wie Sie wissen und wie uns das amerikanische Beispiel deutlich gezeigt hat, hat sich die Zunahme der Beschäftigung im Verhältnis zur Zunahme des Bruttosozialprodukts sehr beschleunigt. ({11}) Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, daß mit Hilfe der Auflockerung auf dem Arbeitsmarkt, der FlexiCronenberg ({12}) bilisierungsmöglichkeiten, ähnliche Verhältnisse wie dort auch bei uns eintreten werden. ({13}) - Dabei möchte ich, bevor ich Ihnen, Herr Kollege Ehrenberg, die Möglichkeit zu einer Zwischenfrage gebe, noch einmal feststellen, daß das nicht nur oder nicht vorwiegend Billigarbeitsplätze in der Gastronomie oder anderwärts sind. - Frau Präsidentin.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, sind Sie bereit, wenn Sie das amerikanische Wachstum als Beispiel anführen, dem Hohen Hause und der Öffentlichkeit auch in Erinnerung zu bringen, daß Amerika ein Wachstum von real 7 % gehabt hat, und sind Sie bereit, zuzugeben, daß 2 1/2 oder 3 %, wie wir sie bekommen werden, von daher ganz andere, nämlich viel kleinere Auswirkungen haben müssen?

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Kollege Ehrenberg, es ist überhaupt nicht zu bestreiten, daß es dort in einzelnen Jahren überdurchschnittliche Wachstumsraten des Bruttosozialproduktes gegeben hat. Aber Sie wissen genausogut wie ich, daß in dem Gesamtzeitraum, über den wir uns unterhalten, das Wachstum des amerikanischen Bruttosozialprodukts insgesamt niedriger gewesen ist als die Beschäftigungssteigerung, die sich ergeben hat. Im übrigen möchte ich auch in anderem nicht mit der amerikanischen Situation vergleichen, weil ich, wie Sie wissen, die Verschuldenspolitik der öffentlichen Hände dort für ein schlechtes, auch für die Arbeitsplätze schlechtes Instrument halte. Was Sie uns sonst an Vorschlägen zur Überwindung der Arbeitslosigkeit präsentieren, sind samt und sonders Vorschläge, die genau das Gegenteil von dem bewirken würden, was Sie vorgeben. Sie reden vom zweiten Arbeitsmarkt und in dem Zusammenhang auch von Lohnsubventionen. Ich möchte an dieser Diskussion aber positiv vermerken, daß Sie im Zusammenhang mit diesem zweiten Arbeitsmarkt immerhin zu der Erkenntnis und Feststellung gekommen sind, daß es einen Zusammenhang zwischen dem Preis für Arbeit und Arbeitslosigkeit gibt. Nur ziehen Sie bedauerlicherweise aus dieser richtigen Feststellung die falschen Konsequenzen. Es überrascht mich nicht, aber ich möchte es Ihnen noch einmal bewußt machen, daß Sie auch hier das Problem dadurch zu lösen versuchen, daß Sie Lohnsubventionen vorschlagen. Das heißt doch, mit anderen Worten, nichts anderes, als daß Sie das hart erarbeitete Geld anderer Leute verteilen wollen und damit Ungleichgewichtigkeiten auf diesem Arbeitsmarkt - andere sagen - -nichtmarkt - herstellen. Ist es denn nicht vernünftiger, die Arbeitsbedingungen derjenigen, die rentable Arbeitsplätze zur Verfügung stellen, mittlere und kleinere Unternehmen, wo die meisten Menschen beschäftigt sind, zu verbessern? Das ist einfach. Wirksam ist es, nebenbei, auch. ({0}) Warum wollen Sie die Arbeitsmöglichkeiten der Selbständigen verschlechtern, indem Sie Arbeitsplatzabgaben verlangen? Warum wollen Sie die Betriebe durch Sondersteuern in Form von Ausbildungsplatzabgaben belasten? Warum wollen Sie eine neue Sondersteuer „Wertschöpfungsabgabe", „Maschinensteuer" einführen? Warum wehren Sie sich eigentlich dagegen, daß in Betrieben, die hohe Gewinne haben, höhere Löhne gezahlt werden, und in Betrieben, die Verluste machen, weniger hohe Löhne? ({1}) Sie wissen nur zu gut, daß unser Einsatz für das Senken von Lohnnebenkosten den Faktor Arbeit verbilligen und die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen soll und auch wird und somit neue Arbeitsplätze schafft. Nicht Abgabenerhöhung, nicht Steuererhöhung ist gefragt, genau das Gegenteil. Arbeit schafft Arbeit, nicht höhere Steuern und höhere Abgaben. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Urbaniak, eine Zwischenfrage.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, es kann nicht Sinn einer Politik sein, Jahr für Jahr hunderttausend junger Menschen zu haben - das ist der Fall, seit diese Koalition, der Sie angehören, an der Regierung ist -, die nicht in ein Ausbildungsverhältnis hineinkommen. Hier sind doch der Staat und das Parlament verpflichtet, dafür zu sorgen, daß dieser schwierige Punkt beseitigt wird. Können Sie dem zustimmen? ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Urbaniak, es fällt mir überhaupt nicht schwer, Ihnen zuzustimmen. All unser Einsatz ist es doch, dafür zu sorgen, daß möglichst viele Ausbildungsplätze da sind. Wir haben noch nie so viele Ausbildungsplätze wie zur Zeit gehabt. Sie wissen wie ich, daß das Ganze, bedingt durch den Pillenknick, ein zeitlich befristetes Problem ist. Ehe Sie Ihre Ausbildungsabgabe organisiert und - wahrscheinlich an der falschen Stelle - abkassiert und mit viel Bürokratie eingesetzt haben, werden die Betriebe per Anzeige Auszubildende - oder wie es bei uns heißt: Lehrlinge - suchen. Das heißt: Das Instrument ist falsch, der Zeitpunkt ist falsch, und der Erfolg ist nicht gesichert. Deswegen empfehle ich Ihnen dringend, davon abzusehen. ({0}) Unser großer Einsatz und unser bescheidener Erfolg in Sachen Lohnnebenkosten - nämlich die Senkung um 0,1 Prozentpunkte bei der Arbeitslo12310 Cronenberg ({1}) senversicherung - wird so dargestellt, als ob wir den armen Arbeitslosen das Geld wegnähmen. ({2}) Bei richtiger Betrachtung wird umgekehrt ein Schuh daraus. Jeder zehntel Prozentpunkt weniger Steuern, jeder zehntel Prozentpunkt weniger Abgabe, Sozialversicherungsbeiträge ist aktive Beschäftigungspolitik. Das ist eine Chance für mehr Arbeit. Wir sollten sie nutzen und mit dieser Politik weitermachen. Unser Bemühen um Beitragssenkung in der Sozialversicherung hat doch nur einen einzigen Sinn: die übermäßige Verteuerung des Faktors Arbeit zu mildern und zu mehr offizieller, zu mehr beitragspflichtiger, zu mehr steuerpflichtiger Arbeit zu kommen. Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, daß wir Freie Demokraten weniger Steuern kassieren wollen. Auch wir möchten mehr Steuern für den Staat haben. ({3}) Wir möchten das Mehr an Steuern jedoch dadurch haben, daß mehr Umsatz, mehr Gewinn gemacht wird, daß mehr verdient wird, und nicht dadurch, daß die Steuersätze hochgetrieben werden und damit sozusagen Leistungsverweigerung provoziert wird. Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Politik. Meine Damen und Herren, wenn Sie unser Bemühen um mehr Arbeit durch die Methoden, wie wir sie Ihnen vorschlagen und auch erfolgreich praktizieren, schon nicht unterstützen wollen oder unterstützen können, dann möchte ich noch einmal bitten: Sprechen Sie uns nicht den guten Willen, das redliche Bemühen ab. ({4}) - Herr Kollege Reimann, Sie gehören ganz sicher nicht zu den Kollegen, die uns den guten Willen absprechen. Aber hören Sie sich die Polemik an, die in den Versammlungen der Aktionswoche zu hören ist. Das ist erschreckend. ({5}) Auch in diesem Hause sind solche Worte gefallen. Es kann doch nicht in Ihrem und nicht in unserem Interesse, es kann nicht im Interesse dieser Gesellschaft und dieser parlamentarischen Demokratie sein, daß wir uns gegenseitig den guten Willen absprechen. ({6}) Ich möchte mich mit aller Entschiedenheit dagegen wehren, daß wir hier permanent der sozialen Demontage bezichtigt werden. Meine Damen und Herren, wenn man sich um mehr Arbeit bemüht - wie ich immer wieder feststellen muß: auch erfolgreich -, dann ist das nicht soziale Demontage. Soziale Demontage ist, wenn ich noch nicht Erwirtschaftetes verteile, weil es letztendlich zu weniger Arbeitsplätzen führt. Ich möchte in dem Zusammenhang einfach noch einmal den Altbundeskanzler Helmut Schmidt vom 22. Juni 1982 zitieren. ({7}) Er hat damals gesagt: Einige haben bemängelt, daß in diesem Pakt nicht genug getan werde zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Ich sage denen: Dies ist leider wahr. Wer mehr tun will, muß in die Geld- und Sozialleistungen tiefer hineinschneiden, als es in dem Kompromißpaket von mir vorgeschlagen ist. Von den beiden Möglichkeiten scheiterte die eine, es nämlich durch höhere Kreditaufnahme zu finanzieren, an mir. - An Helmut Schmidt. Ich kann es nicht verantworten. Die zweite Möglichkeit scheiterte an euch. Wer mehr für die beschäftigungswirksamen Ausgaben des Staates tun will, muß tiefer, noch viel tiefer als hier in die Sozialleistungen hineinschneiden. ({8}) Meine Damen und Herren, dieser Satz wird von mir heute wie damals unterstrichen. Es kann doch nicht wahr sein, daß uns, wenn wir das, was dort verlangt wird, in die Tat umsetzen, zum Schluß soziale Demontage vorgeworfen oder mangelnder guter Wille nachgesagt wird. Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie verbauen sich wirksame Wege zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, weil Sie, ideologisch bedingt, immer wieder in den gleichen Kardinalfehler verfallen. Sie gehen nämlich davon aus, Arbeit sei eine feste Größe, die man nur gerecht zu verteilen brauche, um die Probleme zu lösen. Dieser Gedanke ist falsch. Arbeit muß in sehr hartem Wettbewerb, insbesondere auf den internationalen Märkten geholt werden. Arbeit hängt von der Leistungsfähigkeit und der Leistungsmöglichkeit insbesondere der kleineren und mittleren Betriebe ab. Ob die Betriebe in der Lage sind, die erwartete und gewünschte Leistung zu erbringen, können wir gemeinsam beeinflussen. Wir müssen als Höchstlohnland, als ein Land mit nach wie vor auch höchster sozialer Sicherheit und höchster Produktivität höchste Leistungen erbringen. Der verehrte Kollege Kleinert ({9}) - er ist jetzt nicht mehr da - hat hier gesagt und damit an sich eine richtige Feststellung vorgenommen, daß die Betriebe wieder gesund wären. Wenn den Betrieben aber gleichzeitig der Vorwurf gemacht wird, die Gesundung werde durch Rationalisierung herbeigeführt - sie sind gesund, weil sie keine Verluste mehr machen -, dann muß man sich doch fragen: Ist das nicht ein Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze? Beklagen Sie die Rationalisierung, indem Sie sie zum Jobkiller machen? Dieser Zusammenhang stimmt übrigens nicht. Wenn Sie die Rationalisierung beklagen, sind Sie sich dann Cronenberg ({10}) gleichzeitig bewußt, daß sie die Voraussetzung für Arbeit ist? Ich möchte den Kollegen Kleinert einmal fragen, ob er überhaupt jemals versucht hat, Produkte aus einer deutschen Fabrikation zu verkaufen, und zwar im Inland oder, was noch viel wichtiger ist, im Ausland, und ob er das Verkaufsgespräch damit beginnen würde, daß er feststellt: Es tut mir leid, Herr Einkäufer, meine Produkte sind teurer, möglicherweise auch ein bißchen schlechter; aber wir haben viel mehr Leute im Betrieb beschäftigt; deswegen sollen Sie das teurere und schlechtere Produkt kaufen. ({11}) - Das ist nicht zu einfach. Diese Auffassung kommt daher, daß Herr Kollege Kleinert im Gegensatz zu Ihnen nie in einem Betrieb gearbeitet, weder produziert noch verkauft hat. Wenn er diese Zusammenhänge kennen würde, würde er hier - intelligent genug ist er dafür ja - genauso gut eine solche Position vertreten, wie ich sie hier wahrnehme. ({12}) Ähnliches trifft für die Arbeitszeitverkürzung zu. Frau Präsidentin, meine Fraktion hatte genügend Redezeit bekommen. Daher könnte für mich eigentlich nachgemeldet werden. Wenn ich noch fünf Minuten bekäme - ich glaube, wir haben noch mehr unausgenutzte Redezeit -, wäre ich sehr dankbar. - Danke schön. ({13}) - Ich zweifle nicht, Frau Kollegin Fuchs, daß Sie meine Ausführungen für weitaus vernünftiger halten, als es gelegentlich Ihre Zwischenrufe vermuten lassen. ({14}) Bei dieser Gelegenheit darf ich Sie noch einmal daran erinnern, daß wir 150 000 bis 200 000 Arbeitsplätze mehr haben. Wenn Sie sich als aufmerksamer Leser der Wochenendausgaben der überregionalen Zeitungen betätigen, werden Sie feststellen, ({15}) daß dort pro Monat über 20 000 Stellenangebote veröffentlicht werden, mit deren Hilfe die Betriebe qualifizierte Leute suchen. Deswegen ist es auch richtig, daß wir eine Qualifizierungsoffensive starten, um das Angebot an Arbeitskräften und die Nachfrage nach Arbeitskräften wieder deckungsgleich zu machen. ({16}) Wenn wir darüber reden, daß Rationalisierungsinvestitionen notwendig sind, um bestehende Arbeitsplätze zu sichern und neue zu schaffen, ist es für mich selbstverständlich, daß die Unternehmensleitungen und die Betriebsräte über den Einsatz neuer Technologien miteinander sprechen. Unterrichtung ist sinnvoll. Die Betriebsräte sollen selbstverständlich gehört werden. Sie müssen selbstverständlich mitreden. Das bestreitet keiner. Aber ein Entscheidungsrecht, ein Vetorecht der Betriebsräte würde die technische Neuerung geradezu aufhalten und verhindern und Arbeitsplätze kosten. Das ist der tiefere Grund, warum wir sagen: beraten - dreimal ja, Information - dreimal ja, aber kein Vetorecht. Gehen Sie davon aus - das ist realistisch -, daß das nicht die Zustimmung meiner Fraktion finden wird. ({17}) Wir könnten heute mehr Arbeit haben, wenn Neueinstellungen für die Unternehmen nicht immer mit einem unkalkulierbaren Risiko verbunden wären. Selbst betrieblich unvermeidliche Kündigungen enden, wie jedermann weiß, am Arbeitsgericht. Welcher Unternehmer geht wohl gern ans Arbeitsgericht? Wer möchte das nicht vermeiden? Deswegen war es richtig, zu Zeitverträgen zu kommen, um den Arbeitslosen die Möglichkeit zu geben, überhaupt wieder zu arbeiten, im Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Das ist nicht soziale Demontage, ({18}) sondern eine Verbesserung der Möglichkeiten des Wiedereinstiegs. Wir, meine Damen und Herren, sind für einen sozial verpflichteten Liberalismus und nicht für eine frühkapitalistische Spielform, wie Sie uns immer - manchmal böswillig - unterstellen. Niemand will, daß geheuert und gefeuert wird. Schutz und Hilfe der Gemeinschaft müssen und sollen erhalten bleiben. Wir werden uns auch dafür einsetzen. Meine Damen und Herren, ich weiß, wie schwer es für eine Opposition ist, der Regierung Erfolg zu wünschen. ({19}) Deshalb möchte ich Sie herzlich bitten, unser Bemühen um mehr Arbeit, um den Dialog zwischen den gesellschaftlichen Gruppen zu unterstützen. Versuchen Sie nicht, mit Hilfe der Arbeitslosen und auf Kosten der Arbeitslosen scheinbar politische Vorteile zu gewinnen. Niemandem ist gedient, wenn Cronenberg ({20}) Erwartungen geweckt werden, die nicht erfüllt werden können. ({21}) Meine Damen und Herren, ich möchte Sie zum Schluß dazu auffordern, nicht durch staatliche Eingriffe, höhere Verschuldung und höhere Abgaben das Problem zu lösen, sondern unseren Weg mindestens ernsthaft zu prüfen. Ich fordere Sie deswegen dazu auf, damit es nicht dazu kommt, daß die Leute zum Schluß sagen: Es gibt zwei Gruppen. Die eine Gruppe sind die Sozialpolitiker, die 1 Million haben und ständig 2 Millionen ausgeben wollen; die andere Gruppe sind diejenigen, die sagen „Das geht nicht!". Dies darf nicht der Tenor der Auseinandersetzung sein. Deswegen mein Appell an Sie. Ich möchte Sie bitten, unsere Vorschläge, unsere Bemühungen zu unterstützen, auch kritisch zu begleiten, uns nicht den guten Willen abzusprechen. Um des wirtschaftspolitischen und sozialpolitischen Klimas willen sollten Sie die Erfolge, die unbestreitbar vorhanden sind, nicht negieren, sondern als Tatsache akzeptieren. Sollten Sie sich so verhalten, ist dies sicher ein Betrag zu einem besseren Klima, zu mehr Arbeitsplätzen, die Sie wie ich und wir wünschen. Hierfür möchte ich mich im voraus sehr herzlich bedanken. ({22})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauff.

Dr. Volker Hauff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginn der heutigen Debatte hat der Bundeskanzler dazu aufgerufen - das hat dann auch bei mehreren Debattenrednern, zuletzt bei Ihnen, Herr Cronenberg, eine wichtige Rolle gespielt -, sich gegenseitig den guten Willen doch bitte schön nicht abzusprechen. Ich möchte dazu sagen: Die Botschaft hör' ich wohl. Aber ich frage mich, wie es eigentlich auf die Menschen wirkt, die von Arbeitslosigkeit bedroht sind, die keinen Ausbildungsplatz finden, wenn sie wahrnehmen, mit welcher Selbstgerechtigkeit die Bundesregierung in der Debatte hier behauptet, sie hätte alles getan, was getan werden kann, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Diese Selbstgerechtigkeit war nicht mehr zu überbieten. ({0}) Trotzdem möchte ich den Versuch wagen, für ein Stück Vernunft zu werben. Guter Wille heißt j a zunächst einmal, einander sorgfältig zuzuhören und auch bereit zu sein, einen Kompromiß zu schließen. Ich möchte den Versuch machen, für Vorschläge zu werben, wie wir mit der doppelten Herausforderung, vor der wir stehen, nämlich der Massenarbeitslosigkeit und der Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen, besser umgehen können, d. h., wie wir Arbeit und Umwelt besser miteinander verknüpfen können. Die bisherige Art der Bundesregierung, mit solchen Vorschlägen - es gibt eine ganze Reihe davon - umzugehen, ist kein gutes Beispiel für die politische Kultur in unserem Lande. Ich greife den Fall heraus, der mich persönlich am meisten interessiert. Das ist der Vorschlag, den wir Sozialdemokraten entwickelt haben: Arbeit und Umwelt miteinander zu verknüpfen und dafür ein Sondervermögen einzurichten. ({1}) Die Bundesregierung hat nichts Eiligeres zu tun gehabt, als diesen Vorschlag in Bausch und Bogen ({2}) - jetzt warten Sie doch einen kleinen Augenblick! - und mit ziemlich dürftigen Argumenten abzulehnen: Das bringe nichts, das sei ein Beschäftigungsprogramm - das Gegenteil ist richtig -, das sei zu bürokratisch - die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist nun wirklich nicht bürokratisch -, das führe zu unerträglichen Zinssteigerungen. Ein Mitglied dieser Regierung hat sich sogar dazu verstiegen: Das führe „zur Verschlechterung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft", ({3}) und von daher könne es sogar zu einem „Verlust von Arbeitsplätzen" führen. Meine Damen und Herren, diese Bewertungen sind nicht nur lächerlich; es ist für eine Regierung, die Verantwortung für den Abbau der Arbeitslosigkeit und für mehr Umweltschutz trägt, auch verantwortungslos, wie hier mit Vorschlägen umgegangen wurde. ({4}) Die Bürger haben ein Recht darauf, daß die Bundesregierung alle Vorschläge, die es gibt, sogfältig prüft und sich den Argumenten stellt und in dem Zusammenhang nicht Propaganda betreibt, sondern sich mit den Argumenten auseinandersetzt. Wir haben uns bei unserem Vorschlag neben vielen anderem hauptsächlich mit zwei Problemen auseinandergesetzt. Frage Nummer eins: Wie können wir das riesige Problem der Sanierung der angehäuften Umweltschäden, der Altlasten, lösen, die da sind, die niemand wegdiskutieren kann - vor allem bei Deponien - und bei denen das Verursacherprinzip nicht angewandt werden kann? Da kommt ein riesiger Finanzbedarf auf uns zu, der von den Kommunen nicht allein bewältigt werden kann. Zweites Problem: Wir betreiben eine Umweltpolitik mit Grenzwerten. Das ist richtig, das wird auch so bleiben. Nur, müssen wir dann dafür sorgen, daß an diesen jeweiligen Grenzwerten nicht Halt gemacht wird, sondern daß ein Anreiz für diejenigen geschaffen wird, die über die Grenzwerte hinausgehen wollen. Wir wollen die technologischen Innovationen beschleunigen. Gerade auf diesem Gebiet brauchen wir einen Aufbruch nach vorne, einen Aufbruch zu neuen Ufern, einen Aufbruch zur ökologischen Modernisierung unserer Volkswirtschaft. ({5}) Wir wollen die ökologischen Schnelläufer. ({6}) - Wir wollen sie wirklich fördern, Herr Schwörer. Ich sehe doch, daß es Ihnen wehtut. Das sind die beiden Fragen. Den Fragen können Sie nicht ausweichen. Da können Sie noch so laut dazwischenrufen. ({7}) Die Fragen haben wir uns gestellt. Ich finde, diese Fragen sollte sich auch die Bundesregierung endlich stellen. ({8}) - Entschuldigung, ich war auf einer internationalen Konferenz. Aber Sie können davon ausgehen, daß ich mich sorgfältig infomiert habe. Ich konnte die Abwesenheit nicht vermeiden, weil ich dort mehrere Monate vorher zugesagt habe. ({9}) - Ich habe mich sehr sorgfältig informiert. Sie können ja nachher gern das Wort ergreifen. Unsere Antwort auf die beiden Fragen ist das Sondervermögen Arbeit und Umwelt. Es ist ein Beitrag zu wirksamem Umweltschutz. Gleichzeitig werden mehr Arbeitsplätze geschaffen. Eine ganze Reihe von Sachverständigen aus der Wirtschaft und aus der Wissenschaft hält diesen Vorschlag für vernünftig. Ich zitiere sie nachher im einzelnen. Es sind nicht nur jene, von denen Sie meinen, sie ständen uns besonders nahe. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung - DIW - äußert sich so: Ohne Zweifel wäre ein auf die „Mobilisierung zusätzlicher Umweltschutzinvestitionen gerichtetes Programm ein wichtiger Baustein ... in einer solchen gebündelten Strategie", Arbeit und Umwelt miteinander zu verknüpfen. So wörtlich! Das DIW kommt zu dem Ergebnis, daß damit 400 000 bis 450 000 Arbeitsplätze geschaffen werden können. ({10}) Das Ifo-Institut - Institut für Wirtschaftsforschung - kommt zu dem Ergebnis: 200 000 Arbeitsplätze. Wenn die Wahrheit irgendwo dazwischen ist, ist es ja gut. Nur, wenn angesichts dieser Größenordnung von auf jeden Fall über 200 000 Arbeitsplätzen behauptet wird, wie es ein Mitglied dieser Regierung getan hat, das seien vernachlässigbare Größenordnungen, sage ich: Wer das für eine vernachlässigbare Größenordnung hält, den bezichtige ich des blanken Zynismus. ({11}) Zum Instrument der Zinsverbilligung. Es wurde von der Bundesbank kritisiert. Das hat mich gar nicht überrascht. Der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat es aber begrüßt. Er hat wörtlich gesagt, das sei ein „besonders geeignetes Instrument für integrierten Umweltschutz" - den wir doch alle wollen -, weil es über eine Senkung der Kapitalkosten ein früheres Erreichen der Rentabilitätsschwelle ermögliche. Auch das spricht für das vorgesehene Sondervermögen. Was die Finanzierung angeht, haben wir einen Vorschlag gemacht. Wir halten ihn für seriös. Trotzdem sage ich: Wer einen besseren Vorschlag hat, soll ihn präsentieren. Dann treten wir in einen fairen Wettstreit ein. Herr Cronenberg, wer bei der Finanzierung sagt „entweder Neuverschuldung oder Steuererhöhungen", der möge bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Sachverständigen zu dieser Frage einhellig die Auffassung vertreten haben, daß die Selbstfinanzierung von mindestens 50 % bei diesem Programm gegeben ist. ({12}) Das mögen Sie bitte zur Kenntnis nehmen. Die Altlasten in unserer Umwelt sind zu einer tikkenden Zeitbombe geworden. Alle Experten waren der Meinung, daß es dafür bis heute noch keine Lösungsinstrumente gibt. Das Problem ist ungelöst. Vor allem die Verantwortlichen aus den Kommunen, aus der Praxis haben diesem Sondervermögen bescheinigt, daß es für das Problem der Altlasten besonders geeignet erscheint. Das Umweltbundesamt rechnet hier, wie Sie wissen, mit einem Finanzbedarf in der Größenordnung von 14 Milliarden DM auf zehn Jahre. Andere reden von 50 Milliarden DM. Vor kurzem hat der Kollege Biedenkopf in einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung mit mir diese Größenordnung aus seiner Sicht bestätigt. Um diese Größenordnung handelt es sich. Wenn es so ist, dann rollt hier ein Bedarf in einer Milliardengrößenordnung auf die Gemeinden zu, der die Gemeinden überfordert, nicht zuletzt deswegen, weil sie völlig ausgeblutet sind, vor allem dort, wo es hohe Arbeitslosigkeit gibt, ({13}) weil man zwar die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung gesenkt, aber dies auf Kosten der Kommunen gemacht hat, die jetzt die Sozialhilfe bezahlen müssen. ({14}) Das Institut für Urbanistik hat deswegen gezeigt, daß das eine Möglichkeit zur Lösung des Problems ist. Die Bundesregierung lehnt, jedenfalls bis jetzt, unseren Vorschlag ab. Ich sage deutlich und klar: Das ist ihr gutes Recht. Das ist gar keine Frage. Aber ich warne Sie: Mit der Ablehnung werden die Fragen, die wir gestellt haben, nicht gegenstandslos: Wie wird man mit den Altlasten fertig? Wie fördert man die wirklichen Schnelläufer auf umweltpolitischem Gebiet? Auf diese beiden Fragen müssen Antworten gegeben werden. Ein Nein reicht dazu nicht aus. Sie mögen unsere Antwort ablehnen. Aber dann sagen Sie doch endlich, was Ihre Antwort darauf ist! Dann haben wir einen fairen Wettstreit. Dann können wir darüber streiten. Aber nur nein zu sagen und gar nichts zu machen, das ist doch keine Politik. ({15}) Deswegen sage ich: Mit Denkverboten, um nicht zu sagen: mit Denkfaulheit lassen sich diese Probleme nicht lösen. Ich spreche niemandem den guten Willen ab. Aber ich spreche denen, die sich bis jetzt auf Ihrer Seite öffentlich mit diesem Thema beschäftigt haben, die Ernsthaftigkeit des Nachdenkens auf diesem Gebiet ab. Und das halte ich für bedauerlich. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft. ({0}) - Der macht auch die Wirtschaft noch mit. ({1}) Herr Bundesminister der Finanzen!

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Niemand wird überrascht sein, daß die Regierungserklärung des Bundeskanzlers Anlaß für eine zum Teil kämpferische, zum Teil moderate Darlegung der unterschiedlichen Grundpositionen von Regierung und Opposition in diesem Hause war. Zwar sind nicht alle Argumente neu gewesen, aber die zentralen Fragen der Wirtschafts- und Finanzpolitik, die wichtige, bewegende Frage der Perspektiven für den Arbeitsmarkt - und das heißt vor allem: für die arbeitslosen Mitbürger - wird uns immer wieder beschäftigen müssen. Nur rate ich jedem, der seine Position glaubwürdig, d. h. überzeugungsfähig bestimmen will, auch die letzten Tatsachen und Trends wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Ich hatte - wie in der Haushaltsdebatte im September - den Eindruck, daß es manchen Sprechern der sozialdemokratischen Opposition, vor allem dem Oppositionsführer, Herrn Vogel, sehr schwerfällt, positive Trends und Tatsachen zu würdigen. Ich würde ihm und seinen Parteifreunden raten, diese Hemmung zu überwinden. Denn für die sozialdemokratische Opposition sollte es auf einer positiven Linie der Entwicklung leichter sein, ernsthafte Alternativen glaubwürdig zur Diskussion zu stellen, weil ein positiver Trend auch wieder Handlungsspielräume in größerem Umfang schafft. ({0}) Aber da dies in der schon bekannten Manier bestritten worden ist, will ich zur Lagebeschreibung hier einmal eine unabhängige Stimme von großer Autorität einführen: die Bundesbank. Herr Vogel hat in einem anderen Zusammenhang, auf den ich nachher noch zurückkommen werde, versucht, die Bundesbank und einen Brief von Herrn Klasen, den ich aus Höflichkeit und Respekt ihm gegenüber nicht näher kommentieren werde, für sich in Anspruch zu nehmen. ({1}) - Wenn ich von einem Brief von Herrn Klasen spreche, dann ist j a wohl klar, daß er ihn geschrieben hat. Ich habe nur gesagt, daß ich ihn nicht kommentieren will, Herr Hauff. Seien Sie nicht begriffsstutzig! Ich habe mich hier ganz klar ausgedrückt. - Aber ich will die Bundesbank hier nicht für fragwürdige parteipolitische - angebliche oder vermeintliche - Verdienste in Anspruch nehmen, sondern möchte vielmehr auf ihre letzte Beurteilung der wirtschaftlichen Lage und der Aussichten aus ihrem Monatsbericht vom Oktober verweisen. Dieser Monatsbericht beginnt mit folgenden Sätzen - ich zitiere mit Genehmigung der Frau Präsidentin -: Die Investitionstätigkeit der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland ist im Laufe dieses Jahres neben der Auslandsnachfrage zu einem tragenden Element des seit Anfang 1983 im Gang befindlichen konjunkturellen Aufschwungs geworden. ({2}) Die Wirtschaft hat damit ihre wichtigste innere Antriebskraft zurückgewonnen, ({3}) die sowohl auf das übrige konjunkturelle Geschehen positiv ausstrahlt als auch die strukturellen Bedingungen für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum verbessert. Die Erweiterung, Modernisierung und technologische Erneuerung der Sachanlagen schafft zugleich günstigere Bedingungen für die Bewältigung der Probleme am Arbeitsmarkt. Zu den ausgeprägten Entfaltungen der Investitionskonjunktur trug bei, j a war unerläßliche Voraussetzung, daß sich die Ertrags- und Finanzierungsverhältnisse in der Wirtschaft verbesserten. Das ist an Prägnanz und Eindeutigkeit so, daß man es nicht weiter zu kommentieren braucht. Dann kommt im einzelnen die Feststellung, daß die Unternehmen für Ausrüstungen im ersten Halbjahr 1985 rund 65 Milliarden DM aufgewendet hätten, gut 17 % mehr als in der gleichen Vorjahreszeit. ({4}) Dann folgt die Feststellung, daß wir - auch unter Beachtung des Einbruchs in der Bauwirtschaft, der sich nach Einschätzung der Bundesbank jetzt stabilisiert, ({5}) mit leichten Chancen für eine Verbesserung - im ersten Halbjahr 1985 insgesamt eine Zunahme der Investitionen um real 8,5 % zu verzeichnen haben. Die nächste Feststellung ist, daß sich die Eigenfinanzierungsmittel der Unternehmen, also ihre Gewinne, in derselben Zeit um 4,5% verbessert haben. 8,5% mehr Investitionen der Unternehmen, vor allem auch Erweiterungsinvestitionen, und 4,5 % mehr Eigenmittel - das sind die Feststellungen der Bundesbank - widerlegen, meine Damen und Herren, die törichte Legende, daß die deutschen Unternehmer steigende Erträge ins Ausland verschöben und risikolos in Kapital anlegten. ({6}) Das sind Legenden, die heute ja auch in gewissen Anklängen bei SPD und FDP wiederholt worden sind. Nein, die mündigen Bürger unseres Landes - das gilt nicht nur für die Unternehmer in ihrer großen Mehrheit, das gilt für die arbeitenden Menschen in ihrer großen Mehrzahl; viele Beispiele von Selbsthilfe, Existenzgründungen, Ideenreichtum beweisen das - haben die Signale der neuen Politik der Bundesregierung aufgenommen und in produktive Arbeit und Leistung, in Selbsthilfe und Nachbarschaftshilfe umgesetzt. ({7}) Einige von Ihnen - Herr Kollege Roth und andere - haben gemeint, uns, der Bundesregierung und dem Bundeskanzler, Selbstgefälligkeit vorwerfen zu müssen. Das ist ein großer Irrtum. Wir sind in unserem sozial-marktwirtschaftlichen Denken in dem, was die Möglichkeiten des Staates und auch der Regierung anbetrifft, problembewußter als Sie im sozialdemokratisch-sozialistischen Denken. Wir kennen sehr wohl die Grenzen staatlichen Handelns, ohne damit unsere Verantwortung verleugnen zu wollen. Wir vertrauen in erster Linie darauf, daß richtige politische Entscheidungen der Finanz-, der Wirtschafts-, der Währungs- und der Arbeitsmarktpolitik von den Menschen aufgenommen werden als bessere Grundbedingungen, als bessere Voraussetzungen für ihre eigene schöpferische Initiative. Diese positive Einschätzung der mündigen Bürger unseres Landes - ob Unternehmer, ob Arbeiter, ob Verbraucher - erweist sich als richtig. Wir sind den Bürgern unseres Landes dafür dankbar, daß sie diese Zeichen erkennen und zur Bewältigung ihrer privaten Probleme und der Gemeinschaftsprobleme nutzen. ({8}) Die Hauptredner der SPD sind inzwischen leider gegangen. Herr Vogel, Herr Roth und andere - vielleicht halten sie noch eine Krisensitzung über die Fehlleistung von Herrn Rau ab, auf die ich gleich noch zu sprechen komme - sind nicht mehr hier. ({9}) - Der Bundeskanzler sitzt im Plenum des Deutschen Bundestages. Herr Kollege, wenn Sie sich umdrehen, werden Sie ihn sehen. ({10}) Es ist das Recht des Bundeskanzlers und der Regierungsmitglieder, gelegentlich auch auf ihren Abgeordnetenplätzen zu sitzen. Sie sind jedenfalls im Gegensatz zum Oppositionsführer da. ({11}) Ich muß den abwesenden Hauptrednern der SPD sagen: Es macht keinen Sinn, gegen einen neuen, insgesamt positiven und ermutigenden Trend anzureden oder anzuagitieren, wie das der Kollege Vogel heute morgen versucht hat. ({12}) - Ja, zur Lohnsteuer sage ich noch etwas. - Es macht Sinn - für Sie natürlich vor allem; das ist wohl auch eine legitime Aufgabe der Opposition, aber auch eine Verpflichtung für uns -, bei aller Freude über das schon Erreichte die Schattenseiten nicht zu übersehen, die wir auch nach wie vor im Bild haben, und darüber zu diskutieren, wie wir dafür sorgen können, daß auch jene, die noch nicht oder nicht voll die Wirkungen einer grundlegend verbesserten Wirtschaftslage spüren, an den Ergebnissen einer positiven Trendwende teilnehmen. Das Wachstum beschleunigt sich. Bei Preisen und Zinsen haben wir die besten Daten seit zwei Jahrzehnten. Wir haben international zusammen mit Japan und der Schweiz eine Spitzenstellung in Sachen Stabilität. Wenn Ihnen das passiert wäre, meine Damen und Herren der SPD, hätten Sie einen Sonderparteitag mit großen Jubelorgien für die damals Verantwortlichen einberufen. Heute können Sie keine glaubwürdige Opposition betreiben, wenn Sie die entscheidenden sozialen Wirkungen und Erfolge dieser Stabilitätspolitik immer noch bestreiten und nicht zur Kenntnis nehmen wollen. ({13}) Ich will das Gesagte nicht mit der Nennung vieler Zahlen wiederholen. Der Trend auf dem Arbeitsmarkt hat sich zum Besseren gewendet. Das ist positiv gegenüber den nach wie vor noch bedrängenden Sorgen unserer meisten Nachbarn. Ob es eine sozialistische Regierung in Frankreich ist, ob es eine konservative Regierung in Großbritannien ist - ich nenne nur unsere beiden wichtigsten und größten Partner in Westeuropa; das gilt aber auch für viele andere -, sie haben trotz aller Anstrengungen, Mühe und auch Einschränkungen und Opfer, die sie Bürgern zumuten mußten - in stärkerem Umfang als bei uns -, noch nicht die Stabilisierung, geschweige denn die Trendwende in der Beschäftigung erreicht. Sie haben weiterhin steigende Arbeitslosenzahlen. Deswegen sollten wir die Bedeutung dessen, was sich an neuen positiven Entwicklungen ergibt, anerkennen und dann darüber reden, wie wir diesen Prozeß verstärken und dauerhaft gestalten können, damit in absehbarer Zeit ein wirklich erheblicher Rückgang der Arbeitslosigkeit erreicht werden kann. Ich muß Herrn Kollegen Vogel - auch in seiner Abwesenheit - sagen, mit statistischen Tricks und Wortklaubereien kann man keine glaubwürdigen Alternativen anbieten. Ich sage das zu seinen Ausführungen über den Bundesbankgewinn. Das ist schon eine phantastische Leistung, die nur damit entschuldigt werden kann, daß ihm dies jemand aufgeschrieben hat, weil ich Herrn Vogel nicht für einen Finanzexperten halte, der das hier aus eigener Erkenntnis vorgetragen hat. ({14}) Ich kann das hier nur als Milderungsgrund unterstellen. Meine Damen und Herren, wir wollen einmal zu den Tatsachen kommen, die Sie in den Veröffentlichungen der Bundesbank nachlesen können. Im letzten Jahr sozialdemokratischer Regierungsverantwortung, im Jahr 1982, hat die Bundesbank einen Gewinn von 10,510 Milliarden DM an die damalige Bundesregierung, also Herrn Matthöfer, abgeführt. ({15}) Dennoch haben Sie eine Neuverschuldung von 37,5 Milliarden DM hinnehmen müssen. Das ist eine sozusagen erschütternde Bilanz in der langfristigen Entwicklung der Finanz- und Kreditpolitik. Im Jahre 1983, im ersten Jahr unserer Regierungszeit, wurden als Bundesbankgewinn 11,03 Milliarden DM abgeführt; 1984 waren es 11,366 Milliarden DM und im Jahre 1985 12,944 Milliarden DM. Das heißt, 1985 haben wir einen um 2,307 Milliarden DM höheren Bundesbankgewinn als im Jahre 1982, Ihrem letzten Regierungsjahr. ({16}) - Das ist doch kein Problem. Entschuldigen Sie, Sie können doch nicht einen Trick anwenden und sagen, in drei Jahren vorher - ({17}) - Entschuldigen Sie, die Eröffnungsbilanz in einer anständigen kaufmännischen Rechnung ist das letzte Regierungsjahr der SPD für uns gewesen und nichts anderes. ({18}) Deswegen lese ich Ihnen die amtlichen Zahlen vor, Herr Kollege Hauff. Entschuldigen Sie! ({19}) Ebensowenig wie der von Ihnen zitierte Umweltschutzbeirat - bei allem Respekt vor seiner fachlichen Kompetenz - in der Lage ist, die finanzpolitischen Wirkungen von Zinssubventionen zu beurteilen, ebensowenig verstehen Sie von Bundesbankgewinn, Geld-, Kredit- und Finanzpolitik, wie Ihre Zwischenrufe hier deutlich machen. ({20}) Wir haben gegenüber Ihrem letzten Regierungsjahr einen um 2,307 Milliarden DM höheren Bundesbankgewinn, und wir werden nach meiner Schätzung am Ende dieses Jahres ({21}) die Nettokreditaufnahme gegenüber Ihrem letzten Regierungsjahr um 14 Milliarden DM zurückgeführt haben. Da Sie, wie ich vermute, die Elementarrechnungsarten erkennen können, werden Sie zugeben, daß es unsinnig ist, den Bundesbankgewinn als die wesentliche Ursache des Rückgangs der Nettokreditaufnahme zu bezeichnen. Das sind genau 13, 14, 15 %, ({22}) und 85, 86, 87 % der entscheidenden Rückführung der Nettokreditaufnahme sind ein politischer Erfolg dieser Koalition, den wir uns von den Schuldenmachern und Bankrotteuren von gestern nicht zerreden lassen. ({23}) Mit statistischen Tricks und Wortklaubereien - ich sage das noch einmal auf Grund Ihrer lärmenden Zwischenrufe - kann man keine glaubwürdige Alternative ersetzen. Diese Alternative fehlt. Das ist ja der neue Trend - ich habe das schon begriffen -: Nachdem man uns zunächst als die sturen Sparkommissare bezeichnet hat, will man jetzt den Erfolg unserer Gesundungspolitik in Frage stellen. Aber die Lektüre entsprechender abwegiger Artikel in Ihnen nahestehenden Organen vom „Vorwärts" bis zum „Spiegel" ersetzt nicht eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Tatsachen, und die nehmen wir hier zur Zeit vor, meine Damen und Herren. ({24}) Das ist wohl der Sinn einer Diskussion im Deutschen Bundestag. Herr Kollege Hauff, bleiben Sie bei der Umweltpolitik, und überlassen Sie die Finanzpolitik Herrn Kollegen Apel und Herrn Walther, die etwas mehr davon verstehen als Sie. Ich würde Ihnen das für Ihre weitere Laufbahn und die Wahl Ihrer Zwischenrufe empfehlen. ({25}) - Es ist schon ein bißchen lärmend, was Sie hier seit fünf Minuten machen. ({26}) Da Sie ja eingangs Ihrer Rede für Ernsthaftigkeit und Nachdenklichkeit eingetreten sind, empfehle ich Ihnen, das in Ihrem eigenen Benehmen in diesem Hohen Hause auch einmal zu praktizieren, sehr geehrter Herr Kollege. ({27}) Meine Damen und Herren, ich möchte mich doch noch einmal dem Punkt zuwenden, der hier schon angesprochen wurde: Das gestrige Interview Ihres in Aussicht genommenen Kanzlerkandidaten - er ist es noch nicht offiziell -, Herrn Rau, im Kölner „Express" hat heute ein ungewöhnliches Aufsehen in der deutschen Presse und Öffentlichkeit erregt, und deshalb ist es auch interessant, daß der Herr Kollege Vogel hier erklärt hat, es handele sich um ein falsch oder nicht korrekt wiedergegebenes Zitat aus einer Rede. Das kann nicht sein, denn der Kölner „Express" zeigt heute den Ministerpräsidenten Rau im Redaktionsgespräch - beim Interview - mit Redakteuren des „Express", mit den Herren Spreng, Weckbach-Mara und Streiter. Deshalb legen wir Wert auf eine Aufklärung. ({28}) Haben die drei auch vielen hier in Bonn bekannten Journalisten den Kanzlerkandidaten der SPD in einer zentralen Frage der politischen Diskussion der kommenden 15 Monate falsch zitiert, oder war Herr Vogel falsch informiert, als er im Deutschen Bundestag diese Behauptung aufstellte? Wir legen Wert auf diese Klarstellung. Ich bin auch sicher, daß die Redaktion des Kölner „Express" dazu ihren Beitrag leisten wird. ({29}) Meine Damen und Herren, so kommen Sie uns nicht davon! Mit einem Dementi des Herrn Vogel für Herrn Rau ist diese zentrale Frage - ich sage es noch einmal - bei der neuen Funktion des Herrn Rau hier nicht bereinigt. Aber selbst wenn die von Herrn Vogel gegebene Version stimmen sollte, ({30}) macht das die Sache nicht glaubwürdiger. Denn ich will Sie doch einmal darauf hinweisen, daß wir im Lande Nordrhein-Westfalen in diesen Tagen erbitterte, leidenschaftliche Auseinandersetzungen - auch in der Sozialdemokratischen Partei - über die massiven Kürzungsbeschlüsse des Kabinetts Rau in Verbindung mit dem Etatentwurf 1986 für dieses große Bundesland haben. ({31}) Ich habe da einiges in den Zeitungen gelesen. ({32}) - Frau Kollegin Fuchs, wenn Sie hier wieder die Steuerentlastung kritisieren, müssen Sie sich einmal mit Herrn Vogel abstimmen, der heute morgen die wachsende Lohnsteuerbelastung beklagt hat. Nicht einmal mehr in der engeren Fraktionsführung der SPD klappt es, ({33}) nicht einmal bei Herrn Vogel und seinen Stellvertretern, geschweige denn beim weiteren Kreis des Vorstandes, der sich j a durch Resignation erheblich lichtet. ({34}) - Nein, lenken Sie nicht ab, Frau Kollegin! ({35}) - Lenken Sie nicht ab! Das alles, was Sie hier jetzt an Zwischenrufen bringen, ist gar nicht ernst zu nehmen. ({36}) - Ja, Sie wollen hier stören. Sie wollen in einer Form stören, die nach meiner Meinung die Grenzen einer vertretbaren parlamentarischen Intervention überschreitet. Nein, wir haben hier ganz andere Stellungnahmen, auf die man in diesem Zusammenhang doch einmal eingehen muß. Wir haben die Stellungnahmen führender Vertreter der sozialdemokratischen Oberbürgermeister aus dem Ruhrgebiet, die Herrn Rau in diesen Tagen vorwerfen, daß dieser Haushaltsentwurf und die erneute massive Kürzung der Finanzmittel der Gemeinden soziale Aktivitäten vor Ort aufs Spiel setzen und kommunale Leistungen für soziale Aktivitäten unmöglich machen. Wir haben einen interessanten Aufsatz des Landesvorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nordrhein-Westfalen, Herrn Dieter Mahlberg, in der „Welt der Arbeit", dem Zentralorgan des DGB. Da steht in diesen Tagen die Schlagzeile „Neue Arbeitslosigkeit wird geschaffen"; meine Damen und Herren, das ist aber nicht ein Beitrag zur Aktionswoche des DGB gegen die Bundesregierung, sondern die Überschrift einer massiven Kritik des DGB-Vorsitzenden an dem Haushaltsentwurf des Ministerpräsidenten Rau. Denn in diesem Haushaltsentwurf für 1986 werden in der Tat 9 500 Planstellen gestrichen, und der kommunale Finanzausgleich wird drastisch beschnitten. Das ist der Proteststurm, den Sie jetzt aushalten müssen, der Protest Ihrer Kommunalpolitiker, ({37}) der Protest etwa von Herrn Reuschenbach und von anderen wie eben dem DGB-Vorsitzenden Mahlberg. Wir haben immer ein anderes Verständnis von den Möglichkeiten, durch Planstellen im öffentlichen Dienst Arbeitsmarktpolitik zu betreiben, gehabt, ein zurückhaltenderes Verständnis. Frau Kollegin Fuchs, weil wir 1983 die notwendigen Entscheidungen getroffen haben, brauchen wir im Saldo keine einzige Planstelle im öffentlichen Dienst mehr zu streichen. Das ist der Unterschied zu Ihrer Politik in Nordrhein-Westfalen. ({38}) Vor dem Hintergrund der Diskussion in Nordrhein-Westfalen ist es für mich befremdend - ich will mich gegenüber Herrn Rau zurückhaltend aus12318 drücken, ich würde das bei einem anderen vielleicht schärfer sagen -, ({39}) daß derselbe Mann, der einen solchen Haushaltsentwurf für das Land Nordrhein-Westfalen vorlegt - mit massiven sozialen Abstrichen, direkt und indirekt in seiner Verantwortung -, verspricht, er werde im Bund alle Kürzungen ganz oder teilweise wieder zurücknehmen. Er wird das zu erklären haben; da können Sie ganz sicher sein. ({40}) Mit der leichten unpolitischen Werbetour vom letzten Frühjahr, die in Düsseldorf - man muß das zugeben - einen Erfolg hatte, wird Herr Rau die bundespolitische Bewährungsprobe der kommenden 15 Monate nicht bestehen können. ({41}) Das werden wir sehen. Ich gehe natürlich davon aus - das sage ich als langjähriger Ministerpräsident, der oft von der Bundesratsbank hier auch in die Diskussion des Deutschen Bundestages eingegriffen hat -, daß sich Herr Kollege Rau der nächsten großen wirtschafts- und finanzpolitischen Diskussion in diesem Hause stellt, meine Damen und Herren. ({42}) Wir wollen uns hier im Austausch der Argumente und Meinungen mit ihm messen. Das ist eine merkwürdige Taktik. ({43}) - Das werden wir ja sehen. Das können Sie dann gern entscheiden. Ich rede im Augenblick nicht darüber, wer besser ist; das werden wir sehen. Wir wollen Herrn Rau hier sehen und hören, und dann kann jeder entscheiden, wer der Bessere und Schwächere ist. ({44}) Wir wollen ihn hier sehen und hören, wir wollen uns mit ihm messen. ({45}) Denn diese schlaue Idee der Herren Brandt, Glotz und Vogel, zu sagen, wir zeigen ihn jetzt vor, aber wir machen ihn nicht zum Kanzlerkandidaten, damit er sich nicht verschleißt, mag taktisch ja geschickt sein, aber sie ist nicht überzeugend. Ich fordere Herrn Rau auf, zur nächsten großen Debatte des Deutschen Bundestages über Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik hier zu erscheinen und zu erklären, was er im „Express" gesagt hat, was er wirklich meint, ({46}) sich an seiner Politik des Sozialabbaus in Nordrhein-Westfalen und dem messen zu lassen, was er bundespolitisch fordert. Es wird der deutschen Demokratie gut bekommen, wenn er den Mut hat, hier einmal aufzutreten. ({47}) Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, ich glaube, daß in der bisherigen Diskussion vor allem zwei sehr ernsthafte Fragen gestellt worden sind, die über den Tag hinausweisen, und zwar auch von Herrn Kollegen Roth und anderen. Die eine Frage hatte ich schon kurz gestreift: Aufgaben und Grenzen des Staates. Wir bejahen die volle Verantwortung von Regierung und Parlament; aber in einer freiheitlichen Demokratie, in Sozialer Marktwirtschaft - der Bundeskanzler hat das heute morgen betont -, bei Tarifautonomie müssen auch andere große gesellschaftliche Gruppen ihre Verantwortung praktizieren, nicht nur in Protestwochen und Festreden, sondern in ihren autonomen Entscheidungen. ({48}) Die zweite Frage wurde vor allem von dem Kollegen Roth gestellt: Ist dieser Aufschwung, den keiner mehr bestreiten kann, stabil begründet und ist er von Dauer? Das ist in der Tat der Fall. Wir sollten über den Wahltermin hinausdenken; das Jahr 1986 wird besser verlaufen, als es einige von der SPD parteipolitisch erhoffen. ({49}) Aber ist dieser Aufschwung auch über den Wahltermin hinaus stabil und von Dauer? Nun wissen wir alle, auch soweit wir nicht Nationalökonomie als Hauptfach studiert haben, daß es sogenannte Konjunkturzyklen gibt. ({50}) - Ich will es einmal kurz sagen, Frau Fuchs. Ist es Ihnen recht, wenn ich noch einen kommentierenden Satz dazu sage? ({51}) - Es wäre schön, wenn Sie einmal drei Minuten ohne erregte Unterbrechung zuhören könnten. Das würde Ihrem Gemütsleben gut bekommen, Frau Fuchs. ({52}) Konjunkturzyklus heißt, daß es nach einer Phase des Aufschwungs, des Wachstums auch eine Schwächephase gibt, in der die wachstumsdynamischen Kräfte ein Stück erlahmen. Ich glaube allerdings nicht - ich bin darin durch sehr bedeutende, unabhängige Nationalökonomen belehrt worden -, daß es ein Gesetz gibt, nach dem man Konjunkturzyklen von vornherein in einen Jahresrhythmus einpressen kann. Diese Einsicht wird unterstrichen, wenn wir uns die Entwicklung in anderen Ländern anschauen. Zu den wirklich interessanten Vorgängen der letzten zehn Jahre - vor allem, wenn wir einmal an die schwere Rezession von 1980 bis 1982 und ihre Folgen erinnern - gehört ja, daß zur selben Zeit trotz unbestreitbarer weltwirtschaftlicher Erschütterungen und Verwerfungen einige wenige Länder ohne vergleichbare Belastungen ihre Probleme meistern konnten. Das ist natürlich ein Land wie Japan, mit dem wir uns aus gutem Grund seit einigen Jahren auseinandersetzen. Dieser Konjunkturzyklus brachte für Japan keine Rezession im Sinne von Schrumpfung der volkswirtschaftlichen Leistung, nicht einmal Null-Wachstum, sondern nur ein verringertes Wachstum, aber weiterhin Wachstum. Das ist die Schweiz, das ist aber z. B. auch ein bei uns zu Unrecht wenig beachtetes Land wie Finnland. ({53}) - Ja, nicht ganz in demselben Maße; in einem gewissen Umfang, Herr Kollege Ehrenberg, könnte man auch Österreich in diese Betrachtung einbeziehen. - Ich sage das im Moment auch einmal ohne parteipolitische Zuordnung, denn Finnland wird ja von einer - so kann man sagen - großen Koalition regiert, einer sehr vernünftigen; nicht alle großen Koalitionen, die wir zur Zeit in Europa haben, sind vernünftig, aber die finnische sicher. Mir kommt es jetzt nicht darauf an, sondern auf die zugrunde liegende Fragestellung: Woran liegt es eigentlich wenn wir einmal das Thema der längerfristigen Perspektiven für die wirtschaftliche Verfassung unseres Landes, die Beschäftigung, die sozialen Leistungen, aufnehmen, daß einige Länder es gegen den allgemeinen Trend doch geschafft haben, auch in dieser weltwirtschaftlich kritischen Zeit auf dem Wachstumspfad zu bleiben, wenn auch mit einer Abschwächung? Ich glaube, es liegt daran, daß die grundlegende Verfassung der Volkswirtschaft dieser Länder - Japans, der Schweiz oder Finnlands; ich erwähne Finnland, weil es, wie gesagt, sonst keine Rolle bei uns spielt, aber zu Unrecht, denn es ist ein interessantes, ein bewundernswertes Land, was die Haltung seiner Menschen, was seine Nachkriegsgeschichte anbetrifft - stabiler und robuster war als in vielen anderen Ländern, auch stabiler und robuster als bei uns. Es bestand zugleich eine größere Flexibilität, sich kurzfristig auf schlechtere weltwirtschaftliche, gesamtwirtschaftliche Bedingungen einzustellen. Dies betrachte ich nun allerdings ebenfalls - da liegt ein Berührungspunkt mit der Frage von Herrn Roth - als eine schicksalhafte Frage für uns, weil die Arbeitslosigkeit aus den genannten demographischen Gründen, aber auch aus anderen Gründen nur langsam zurückgehen wird. Wir haben uns darauf einzurichten, daß wir auch in einer Situation, in der die weltwirtschaftlichen Bedingungen wieder einmal ungünstiger sein werden - das braucht keine neue Weltrezession zu bedeuten -, in der Lage sind, schwierigere Umweltbedingungen zu ertragen und zu meistern, ohne wieder - wie 1980 und 1982 - voll in die Rezession mit steigender Massenarbeitslosigkeit und schweren sozialen Belastungen zu gelangen. Das ist eine Frage für uns alle, meine Damen und Herren, die über den Wahltag hinausreicht. Darauf sollten wir die ernsthafte weitere Diskussion richten. Ich glaube in der Tat, daß wir im Vergleich zu den genannten Ländern eine erste Priorität haben, über den Wahltag hinaus, die Grundlagen unserer Volkswirtschaft weiter zu stärken und zu festigen, d. h. unsere Volkswirtschaft sozusagen wetterfester zu machen. Wann, wenn nicht in relativ besseren Jahren eines Aufschwungs, soll man in der Finanzpolitik, aber auch in anderen Bereichen der Wirtschaftspolitik Vorsorge für die Zukunft, für möglicherweise auch einmal schwierigere Zeiten treiben? Deshalb ist der gedankliche Ansatz, den die SPD und andere immer wieder vertreten, falsch, die Möglichkeiten der Finanzpolitik in dieser Aufschwungphase wieder bis zum äußersten zu strapazieren. Das ist das, was Herr Kollege Roth, aber auch andere hier als expansive Finanzpolitik bezeichnet haben. Das führt zu dem Ergebnis, was Sie, was wir alle leidvoll erlebt haben, nämlich daß die Finanzpolitik im Moment einer Abschwächung der Konjunktur vollkommen unbeweglich wird, ja überhaupt nicht mehr zur Verfügung steht, weder auf dem richtigeren Weg der Steuersenkung noch auf dem denkbaren Weg, bei einer Konjunkturabschwächung durch zusätzliche Ausgaben gegenzusteuern. ({54}) - Herr Kollege, das ist der tiefere Grund, warum wir dies machen. Ich meine, der Zwischenruf ist nicht hilfreich. Ich möchte auch im Gedankengang bleiben. - Es geht darum, die Volkswirtschaft wetterfester und stabiler zu machen. ({55}) Das heißt natürlich, daß wir darüber hinaus den Handlungsspielraum für die Finanzpolitik erweitern müssen. Wir müssen ihn erweitern. Aber ich sage genauso klar: Nachdem wir auf dem Gebiet der Haushaltskonsolidierung weit vorangekommen sind, müssen wir auch in der nächsten Wahlperiode die Neuverschuldung noch ein Stück zurückführen. Wir müssen uns aber als wichtigste innenpolitische Aufgabe unter diesen eben genannten Vorzeichen eine erhebliche Verringerung der Steuerbelastung vornehmen und eine grundlegende weitere Verbesserung unseres Steuersystems. ({56}) - Wenn wir uns diese Daten ansehen, Frau Fuchs, Japan, Schweiz, USA, kommen wir zu dem Ergebnis, daß es in diesen Ländern eine Steuer- und Abgabenbelastung von 25 bis 30% gibt und in der Bundesrepublik Deutschland eine Steuer- und Abgabenbelastung von rund 40%. ({57}) - Sie können sich natürlich bei einer geringeren Steuer- und Abgabenbelastung von 25 oder 27 % eine höhere Verschuldung volkswirtschaftlich leisten als bei einer Steuer- und Abgabenbelastung von 40 %. Ich glaube, das ist einleuchtend. ({58}) - Aber natürlich ist das einleuchtend, Herr Kollege Ehrenberg. Nur will ich mich jetzt nicht auf diesen Nebenkriegsschauplatz begeben. Ich will gerne einmal ein persönliches Gespräch mit Ihnen darüber führen. - Wenn Sie wenig Schulden gemacht haben, haben Sie einen höheren Spielraum für Verschuldung als jemand, der schon in guten Zeiten an die Grenze der Belastbarkeit gegangen ist, und wenn Sie eine niedrige Steuerquote haben, ist ein Stück Mehrverschuldung unbedenklicher als dann, wenn Sie bereits eine so hohe Steuer- und Abgabenquote haben, daß Sie sie absenken müssen, um in Zukunft überhaupt wettbewerbsfähig zu bleiben. Das ist doch vollkommen einleuchtend, was für Zusammenhänge hier bestehen. ({59}) Die dritte Konsequenz ist, daß wir einen neuen Zielkonflikt zwischen der Finanzpolitik des Staates und der Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank vermeiden müssen. Ich war gestern mit einigen von Ihnen bei dem Geburtstagsempfang, den der hessische Ministerpräsident für den Kollegen Matthöfer aus Anlaß seines 60. Geburtstags gegeben hat. Ich sage das deshalb, weil alle Besucher, darunter auch ich, eine sehr schöne Festschrift überreicht bekommen haben. ({60}) - Ja, die habe ich auch gehört. Ich möchte aber jetzt nicht auf die Einzelheiten eingehen. Ich habe also eine sehr gute Festschrift bekommen, die - ({61}) - Nein, nein, das ist jetzt gar nicht mein Problem. ({62}) Das ist eine verdiente Würdigung des Kollegen Matthöfer. Das wissen Sie. Mit dem habe ich schon als Ministerpräsident vernünftig zusammengearbeitet, als wir hier noch in der Opposition waren. Das wissen Sie ganz genau, Herr Kollege Vogel. ({63}) Man kann klare politische Gegensätze austragen - das haben wir oft gemacht -, und man kann mit einigen Politikern einer anderen Partei auch vernünftig zusammenarbeiten. Ich hoffe, daß auch Sie das noch erleben werden, Herr Kollege Vogel. Ich habe das erlebt, und das sage ich hier gerne. ({64}) Das ist doch nicht eine Eloge. Was heißt denn das? Der ist doch - das ist gestern betont worden nach wie vor ein angesehenes Mitglied Ihrer Fraktion. Insofern sollte man ihn auch nicht als einen Mann von gestern bezeichnen. Das klingt aus Ihren Reihen sehr merkwürdig. ({65}) - Ja, ich will es nur sagen. Ich habe das erwähnt, nicht um Ihre Zwischenrufe hervorzurufen, sondern um Ihnen zu sagen: In dieser Festschrift - und ich habe sie mir gestern abend noch zu Hause angeschaut - findet sich ein hochinteressanter Aufsatz des Präsidenten der Bundesbank, Karl Otto Pöhl, der den schweren Zielkonflikt zwischen der Finanzpolitik der damaligen Bundesregierung Schmidt und der Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank aus den Jahren 1979 bis 1982 beschreibt. Ich empfehle jedem von Ihnen, einmal diesen Aufsatz in der Festschrift für Hans Matthöfer zu lesen. Dann werden Sie begreifen, weshalb es für uns eine vorrangige Priorität ist, zu einer Harmonisierung der Finanzpolitik des Staates und der Geld- und Kreditpolitik der Bundesbank zu kommen, also weder wieder Ausgaben unangemessen zu erhöhen noch, was auch einige in der Koalition erwartet haben, Steuern so stark zu senken, daß die Nettokreditaufnahme wieder nach oben geht. Wir haben das beides nicht getan. Gott sei Dank, meine Damen und Herren. Deshalb haben wir Stabilität in diesem Lande, ({66}) zum Wohle der Bürger, vor allem der sozial schwachen Bürger. Meine Damen und Herren, vieles wäre noch zu sagen. Ich würde auch gerne noch etwas Stellung nehmen zu den internationalen Problemen der Dritten Welt, die vor allem von den Kollegen Graf Lambsdorff und Roth angesprochen worden sind. Aber mit dem Blick auf die Uhr will ich mich in diesen Schlußbemerkungen doch sehr kurz fassen. ({67}) - Natürlich ist es so, Herr Kollege Vogel - und das sage ich wirklich nicht nur in fernen Hauptstädten, wie Sie gemeint haben; ich habe es zuletzt im September in der Haushaltsdebatte hier sehr nachhaltig betont -, daß wir weltwirtschaftliche Risiken und Schatten sehen und daß die Haushaltspolitik der Vereinigten Staaten von Amerika eine der wesentlichen Ursachen für diese Spannungen in der Weltwirtschaft ist. Das sagen wir nicht nur im Ausland. Ich will das nur zu Ihrer Bemerkung heute morgen sagen. Das war zuletzt ein Thema meiner Ausführungen im Deutschen Bundestag im September. Allerdings sind wir einige Schritte vorangekommen. In der internationalen Welt der Finanzpolitiker, der Währungspolitiker, der Banken, des Kreditgewerbes sind wenige Entscheidungen dieses Jahres so stark diskutiert wie die Erklärung der Finanzminister und Notenbankpräsidenten der fünf großen Industrienationen vom Sonntag, dem 22. September, in New York. Präsident Pöhl und ich und unsere engsten Mitarbeiter haben an der Vorbereitung und Durchführung dieser Erklärung eiBundesminister Dr. Stoltenberg nen wesentlichen Anteil. Sie hat die Märkte beeindruckt. Sie hat zu der im Interesse der Handels- und Leistungsbilanzen wünschenswerten weiteren Korrektur im Sinne einer Abschwächung des Dollarkurses und einer Stärkung des Yenkurses beigetragen. Ich muß schon sagen, daß dies zeigt, wie vertrauensvoll und gut die Zusammenarbeit der fünf großen Industrieländer ist, vor allem im Feld der Finanz- und Währungspolitik. Aber wir wissen alle, daß das natürlich nicht reicht, daß konzertierte Interventionen durch handelspolitische und finanzpolitische Entscheidungen ergänzt werden müssen. Mein Eindruck ist, daß diese gemeinsame konzertierte Aktion der großen fünf Industrieländer die protektionistischen Kräfte im amerikanischen Kongreß nachdenklich gestimmt hat. Ich beurteile heute die Chance, eine für die Weltwirtschaft, vor allem aber für die notleiden-den Völker der dritten und vierten Welt, unerhört gefährlichen Hinwendung der USA zum Protektionismus zu vermeiden, optimistischer als vor fünf, sechs Wochen. ({68}) Aber daß wir als Regierung und Bundesbank daran mitwirken, zeigt, daß wir nicht nur in fernen Hauptstädten darüber reden, sondern mit aller Kraft auf unsere Verbündeten einwirken, vor allem auf Amerikaner und Japaner, von denen wir etwas anderes erwarten - was sich vollzieht. Der Bundeskanzler hat nach seinen Gesprächen mit Ministerpräsident Nakasone Anfang Mai hier in Bonn zum erstenmal feststellen können, daß sich die Japaner in den Grundfragen der Liberalisierung ihrer Märkte bewegen. Wir können heute sagen, daß dies auf dem Wege ist, nicht aus Mildtätigkeit, sondern weil die Japaner erkannt haben, daß ohne eine Verstärkung ihrer Währung und ohne eine Öffnung ihrer Märkte, auch ohne eine Änderung ihrer monetären Politik und ihrer monetären Institutionen der Protektionismus sie am härtesten trifft. Die Vermeidung neuer Handelshemmnisse, der Beginn einer neuen GATT-Runde ist eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß die schwere Schuldenkrise, die auf Lateinamerika und Afrika lastet, beherrschbar und schließlich lösbar bleibt. Aber dazu gehört auch - wir sind dazu bereit -, daß neue Beschlüsse bei Weltbank und Währungsfonds gefaßt werden, vor allem den ärmsten der Völker zu helfen. Wir werden es erreichen - nach dem Beschluß von Seoul -, daß im nächsten Jahr ein neues Programm der Internationalen Entwicklungsagentur kommt, das den ärmsten der Länder vor allem in Afrika zusätzliche Hilfen gibt. Wir werden dafür eintreten, daß vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika jetzt eine Haushaltspolitik verwirklichen - durch weitere Kürzungen und Sparbeschlüsse -, die zu einer Zinssenkung führt, weil ohne eine Zinssenkung in den USA die Lasten für die Völker Lateinamerikas zu groß werden. Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß sagen, daß es viele Themen gibt, die wir weiter diskutieren müssen, daß aber diese Diskussion, wenn man wägt und abwägt gegenüber der Regierungserklärung des Bundeskanzlers und unserer Politik, nicht eine wirklich glaubwürdige Alternative der sozialdemokratischen Opposition gebracht hat. ({69}) Schönen Dank. ({70})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Hauff einen Ordnungsruf für den Zwischenruf „Arroganter Affe!". Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ehrenberg.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, gestatten Sie mir vorweg zwei persönliche Anmerkungen. Erstens. Wir haben heute aus den gleichen Gründen über Mittag die Entschuldigung des Herrn Bundeskanzlers und des Herrn Bundesarbeitsministers akzeptiert. Ich hatte gehofft, Sie legen die gleichen Maßstäbe an unseren Fraktionsvorsitzenden an. ({0}) Zweitens. Der Regierungschef des größten Bundeslandes, den am 12. Mai 52 % der Wähler eines 17-Millionen-Bundeslandes gewählt haben, ({1}) ist für den Bundesfinanzminister kein Befehlsempfänger. Der wird zur Finanzpolitik reden, wann er es bestimmt, nicht dann, wenn Sie ihn dazu auffordern. ({2}) Meine Damen und Herren, Sie werden genug Möglichkeiten haben, Ihre Vorstellungen mit ihm zu konfrontieren. Aber die Wahl von Zeit und Ort müssen Sie ihm schon überlassen. ({3}) Meine Damen und Herren, der Bundesfinanzminister hat hier zu Beginn mit Recht gesagt, positive Entwicklungen sollte man nicht unterschlagen. Er hat von einer objektiven Lagebeurteilung gesprochen. Der Bundesarbeitsminister hat in seinen Ausführungen mehrmals die Wahrheit bemüht. Nun, meine Damen und Herren, zu der objektiven Lagebeurteilung im Oktober 1985 gehört j a wohl auch die Arbeitsmarktlage im Oktober 1985; daran kann man nicht vorbei. ({4}) Dazu stellen wir fest, daß nicht, wie es Bundeskanzler Kohl am 13. Oktober 1982, also vor drei Jahren, an diesem Pult beklagt hat, jeder vierzehnte Erwerbstätige in unserem Land arbeitslos ist. Heute, drei Jahre später, sucht jeder Zehnte vergeblich einen Arbeitsplatz, und das schon so lange, wie Sie regieren. ({5}) Zur Lagebeurteilung gehört auch folgendes. Der Bundesfinanz- und der Bundesarbeitsminister haben von einer Trendwende am Arbeitsmarkt geredet. ({6}) Darüber sollten Sie einmal im Arbeitsamtsbezirk Leer in Ostfriesland reden, wo in diesem Monat 20,3 % der Arbeitnehmer einen Arbeitsplatz suchen und ihn nicht finden. Das ist Ihre angeblich eingetretene Trendwende am Arbeitsmarkt. ({7}) Wenn dann gleichzeitig der Bundeskanzler hier als der erfolgreichste Regierungschef Europas dargestellt wird, ({8}) - ich will Ihnen die Erfolge gleich sagen; dann werden Sie nicht mehr klatschen -, dann sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß zur gleichen Zeit, in der die Bundesrepublik eine Arbeitslosenquote von 8,7 % hat, Österreich eine von 4,0 %, Norwegen eine von 3,7 %, Schweden eine von 2,6 % und die Schweiz eine von 2 % hat. Und da reden Sie von dem erfolgreichsten Regierungschef Europas! ({9}) Ich jedenfalls zähle Schweden und Österreich noch zu Europa, Sie vielleicht nicht mehr; aber dafür kann ich nichts. ({10}) Herr Bundesfinanzminister, natürlich kann man über die verbesserte Beschäftigungslage nicht hinwegsehen. Das ist ein großer Erfolg. Nur: Es sind 155 000 mehr in einem Jahr. Wenn Sie genau hinsehen, stellen Sie fest: 95 000 davon kommen aus dem Investitionsgüterbereich, vor allem aus dem Maschinenbau, der Elektrotechnik, dem Straßenfahrzeugbau. Das alles sind Bereiche, in denen in diesem Jahr die 381/2-Stunden-Woche gilt, die Sie bekämpft haben und die den Erfolg gebracht hat. ({11}) Meine Damen und Herren, niemand wird Ihnen den guten Willen, sich um die Arbeitslosigkeit zu kümmern, absprechen. Aber Sie scheinen selber an Ihren guten Willen nicht zu glauben; denn in der mittelfristigen Finanzplanung wird bis einschließlich 1989 von mehr als 2 Millionen Arbeitslosen ausgegangen. ({12}) Das ist das offizielle Dokument Ihres guten Willens. ({13}) Der Bundesfinanzminister hat hier noch einmal sehr breit seine Verdienste um die Konsolidierung des Haushalts dargelegt. Herr Stoltenberg, ich habe noch nicht den Monatsbericht der Bundesbank vom Oktober - da sind Sie immer schneller als ich -, sondern nur den vom September. ({14}) - Wenn der so gut ist, dann ist es ja gut. Aus dem Septemberbericht der Bundesbank möchte ich Ihnen den Schuldenstand des Bundes zitieren. Das scheinen Sie nicht zu wissen; sonst hätten Sie vorhin bei Herrn Stoltenberg nicht so laut geklatscht. ({15}) - Hören Sie zu. Als 1982 die Wende eintrat, betrug der Schuldenstand des Bundes 309 Milliarden DM. ({16}) Im Juli 1985 ({17}) betrug er 387 Milliarden DM. ({18}) - 387 Milliarden DM. ({19}) Bis zum Jahresende werden mindestens noch 5 Milliarden DM hinzukommen. Im letzten Jahr waren es 10 Milliarden DM. ({20}) - Ich nehme nur die bescheidenen 5 Milliarden DM, die in Ihrer Finanzplanung enthalten sind. ({21}) Sie werden am Jahresende 83 Milliarden DM Schulden neu aufgenommen haben. ({22}) Um sofort den Vergleich zu bringen: Das sind 24 Milliarden DM weniger als in den drei Jahren von 1980 bis 1982. ({23}) Nur, meine Damen und Herren: Der Bundesfinanzminister und die gesamte Bundesregierung sind ja wohl für die Haushalte der SozialversicheDr. Ehrenberg rungsträger genauso verantwortlich wie für den Bundeshaushalt. ({24}) - Da haben wir Vermögen hinterlassen, das Herr Blüm verzehrt hat. ({25}) Meine Damen und Herren, Sie kennen die Statistiken der Rentenversicherungsträger nicht. Sonst wüßten Sie, daß Ende 1982 die Schwankungsreserve 20,5 Milliarden DM betrug und daß Herr Blüm sie im November 1984 auf 9,7 Milliarden DM - das ist eine Monatsausgabe weniger als gesetzlich vorgeschrieben - heruntergewirtschaftet hat. ({26}) Dieser Vermögensverzehr bei der Rentenversicherung trotz Leistungskürzungen kam deshalb zustande, weil Herr Stoltenberg und Herr Blüm die Zahlungen der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherung um jährlich 5 Milliarden DM gekürzt haben. Diese Kürzung zugunsten des Bundeshaushalts ging zu Lasten der Rentenversicherung. Das, meine Damen und Herren, ist keine Konsolidierung. ({27}) Wenn Sie diese 10,8 Milliarden DM mit berücksichtigen und außerdem die von Ihnen genannten Zahlen des Bundesbankgewinns in den drei Haushaltsjahren, die Sie, Herr Bundesfinanzminister, zu verantworten haben, ebenso berücksichtigen wie in den drei Jahren von 1980 bis 1982 zuvor, müssen Sie zu der Feststellung kommen, daß Sie exakt dieselbe Schuldenaufnahme betrieben haben wie wir von 1980 bis 1982. Sie stehen keinen Pfennig besser da. ({28}) Aber, meine Damen und Herren, man kann sich ja einiges vorrechnen. Nur, ich bitte Sie herzlichst, den Monatsbericht der Deutschen Bundesbank für September nachzulesen. Da steht alles das, was ich hier zitiert habe, in Zahlen drin. Sie brauchen mir die Zahlen nicht zu glauben. Ich hoffe, der Deutschen Bundesbank werden Sie dies glauben. ({29}) Dann muß wohl auch noch etwas zu dem gesagt werden, was Herr Blüm, aber auch der Bundeskanzler so stark und laut über die Erfolge bei der Preisstabilität gesagt haben. Unseren Respekt davor! Sie haben eine sehr viel bessere Preissteigerungsrate aufzuweisen, ({30}) eine gleich gute, wie wir 1978. Nur, es gibt zwischen der Preissteigerungsrate 1978 mit 2,6% und Ihrer mit 2,4 % einen entscheidenden Unterschied. ({31}) - Jetzt hören Sie bitte zu, bevor Sie von der Verbesserung der Lebensumstände reden. ({32}) 1978 gab es eine Preissteigerungsrate von 2,6 % und eine Steigerung der Nettolöhne von 6,4 %, 1984 eine Preissteigerungsrate von 2,4 % und eine Steigerungsrate der Nettolöhne von 1,7 %. ({33}) Das heißt, der Anstieg der Löhne ist um fast einen Prozentpunkt hinter dem Preisanstieg zurückgeblieben. Und Herr Blüm und der Herr Bundeskanzler wollen erzählen, die Situation der Arbeitnehmer hat sich gebessert! ({34}) Meine Damen und Herren, wir sind mit dem Nettoreallohnniveau auf dem Stand von 1977 angekommen. Ich nehme Ihren Zuruf auf. Das Nettoreallohnniveau, gerechnet in Preisen von 1980, ({35}) liegt im Jahre 1984 - ({36}) - In Preisen von 1980 wird das Nettoreallohnniveau gerechnet! Bitte machen Sie doch nicht solche Zwischenrufe, wenn Sie die Statistik nicht kennen! Schauen Sie vorher hinein, damit Sie es wissen!

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kroll-Schlüter?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nach diesem Satz. - 65 DM im Monat hat ein Facharbeiter netto und real gerechnet 1984 weniger in der Lohntüte als 1981. Erzählen Sie jetzt nicht, die Situation habe sich durch die von Ihnen erreichte Preisstabilität verbessert! ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter Kroll-Schlüter, Sie haben das Wort zu einer Zwischenfrage.

Hermann Kroll-Schlüter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Ehrenberg, wenn Sie vom Jahre 1978 sprechen, das so gut gewesen sein soll: Warum haben Sie denn die Rentner ganz von der Einkommensteigerung und Wohlstandsentwicklung abgekoppelt und die Rente überhaupt nicht angehoben?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir haben die Renten nicht abgekoppelt und auch nicht überhaupt nicht angehoben, sondern wir haben für drei Jahre feste Beträge beschlossen. ({0}) - Er hat gesagt „nicht angehoben", was schlicht falsch ist. Sie wurden um 4 und 4,5% angehoben. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Der Herr Ehrenberg möchte eine Frage beantworten. Vielleicht kann man dann zuhören.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich glaube, die Herren wollen die Frage nicht beantwortet haben. - Die Rentenerhöhung 1978 müssen Sie ja wohl vernünftigerweise aufs Jahr rechnen. Dann müssen Sie die Erhöhung um 9,9% im ersten Halbjahr mitrechnen. Es gab nämlich am 1. Juli 1977 eine Erhöhung um 9,9%. Das sind für das Jahr 1980 im Durchschnitt des Jahres 4,95%. Das ist im Verhältnis zum Preisanstieg von 2,6 % sehr viel mehr, als jemals in der Regierungszeit dieser Regierung, wo in jedem Jahr die Renten unter den Preissteigerungsraten angepaßt wurden, erreicht worden ist. ({0}) Meine Damen und Herren, man muß j a wohl auch noch einen Takt zu dem Vertrauen in diese Bundesregierung sagen, das so oft beschworen wird. Ich habe dem Bundesfinanzminister schon in der Haushaltsdebatte vorgehalten - er hat es damals bestritten; inzwischen liegen die Zahlen der Bundesbank vor -: Im Jahr 1985 haben deutsche Kapitaleigner für 26 Milliarden DM mehr deutsches Kapital ins Ausland transferiert, als umgekehrt Ausländer ihr Geld hier angelegt haben. Wenn Sie in diesem Kapitaltransfer von 26 Milliarden einen Beweis des Vertrauens in die Politik dieser Regierung sehen, haben Sie sehr merkwürdige Maßstäbe, Maßstäbe, die früher in diesem Haus sehr anders dargestellt worden sind. Zum Schluß. Die Sozialdemokraten werden am allerwenigsten bestreiten, daß sich schüchterne Beschäftigungserfolge zeigen, Beschäftigungserfolge aber in erster Linie dank der Arbeitszeitpolitik der Gewerkschaften und nicht dank der Politik dieser Regierung. ({1}) Wir werden an genau diesem Punkt weiterarbeiten. Wir brauchen eine Stärkung der kommunalen Finanzen, eine Stärkung der öffentlichen Investitionen, einen Finanzminister, der ehrlich über den Haushalt spricht und nicht so verschleiert, wie er es getan hat, der sich zu seinen Schulden bekennt, die auch er aufgenommen hat, und wir brauchen eine massive Verbesserung der Beschäftigung und der Umweltqualität gleichermaßen, wie es mit unserem Projekt „Arbeit und Umwelt" erreichbar wäre. Denken Sie darüber einmal nach! Vielen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Urbaniak.

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vertreter der Koalitionsfraktionen haben heute morgen beklagt, daß wir unterstellen, sie machten sich keine Gedanken und betrieben keine Politik, um die Arbeitslosigkeit abzubauen. Ich sage im Einverständnis mit dem Kollegen Hauff: Ihnen fehlen die Phantasie und der Wille, tatsächlich eine Politik zu betreiben, um von der Massenarbeitslosigkeit runterzukommen. Das ist unser Vorwurf. ({0}) Der Kollege Cronenberg hat hier die Zusammenarbeit über Jahre in der sozialliberalen Koalition hervorgehoben. Da ist einiges geschaffen worden, und wir sind stolz darauf. Aber wir möchten nicht, daß das, was zur Festigung des gesellschaftlichen Konsenses geschaffen worden ist, von Ihnen Zug um Zug demontiert wird. ({1}) Dagegen müssen wir und die Gewerkschaften sich wehren. Das ist doch selbstverständlich. ({2}) Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren, Herr Kollege Cronenberg: In dieser Zeit wurde nicht über die Demontage der Betriebsverfassung gesprochen; es wurde nicht über den Anschlag auf den § 116 AFG gesprochen, ({3}) es wurde nicht über die Angriffsaussperrung gesprochen, wie das in Ihren Reihen geschieht. Es wurde nicht über die Zwangsschlichtung gesprochen. Wir brauchten nicht über das Ergebnis Ihrer Politik zu reden, nämlich über die größte Pleitewelle, die wir im vorigen Jahr und in diesem Jahr erleben. Wir brauchten nicht über die Entlassung von 100 000 Bauarbeitern 1985 und 1986 zu reden. Der Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen war in Ordnung. Wir brauchten auch nicht über Arbeitslosenzahlen von 2,3 Millionen zu reden. Das wollte ich hier mal herausstellen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg? - Bitte.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, Sie sprechen die bedauernswerte Pleitewelle an. Würden Sie denn auch der Feststellung zustimmen, daß diese Pleiten im wesentlichen darauf zurückzuführen sind, daß die Betriebe zuwenig verdienen, zu wenig Gewinne haben, zu wenig Eigenkapital haben und deswegen pleite gehen und daß sich die Regierung bemüht, dies zu ändern?

Hans Eberhard Urbaniak (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Cronenberg, Sie haben die große Wende angekündigt und gesagt: Jetzt wird alles besser; wir kriegen das schnell in den Griff. Das Gegenteil ist der Fall. Das haben Sie zu verantworten. ({0}) Sie tun leider alles, um Arbeitslosigkeit - ein schlimmer Vorwurf - zu verstetigen. Denn wir haben mehr als 700 000 Menschen, die länger als ein Jahr arbeitslos sind; Tendenz: steigend. Erkundigen Sie sich bei den Wohlfahrtsverbänden, bei den Kirchen und den Selbsthilfegruppen einmal nach der Situation der Familien, und den betroffenen Menschen. In der „WAZ" von heute steht ein Artikel über den Westfälischen Herbergsverband, der vor 100 Jahren von Pastor Friedrich von Bodelschwingh gegründet wurde. In diesem Artikel wird in der Überschrift festgestellt: „So kaputt macht Arbeitslosigkeit". Das gilt für junge Menschen, für Frauen wie für Väter. Überall grassiert dieses schlimme Ergebnis Ihrer Politik. In dem Artikel heißt es: ,Mit wachsender Dauerarbeitslosigkeit steigt die Zahl der Betroffenen. Die wirtschaftliche Situation schlägt voll durch. Auch bei Frauen - etwa 3 Prozent - und ganz jungen Menschen', ... Eine Trendwende ist überhaupt nicht zu erkennen. Bemühen Sie sich also, auf diesem Feld etwas auf die Beine zu bringen. Wir würden es anerkennen. Da sich die Redner der Koalition heute über das aufgeregt haben, was die Gewerkschaften - weil sie es tun müssen - gegenwärtig vorbereiten, möchte ich noch kurz folgendes sagen. Herr Kollege Cronenberg - diese Frage richtet sich auch an andere Vertreter der Koalition -, ich weiß nicht, ob Sie in einer dieser Versammlungen waren. Ich habe mich für eine solche, für eine große in Essen, zur Verfügung gestellt. Da sollte über Ihren Entwurf der Betriebsverfassung geredet werden, aber FDP- und CDU-Vertreter haben keine Zusage gegeben. Ja, wenn Sie einen solchen Entwurf einbringen, dann müssen Sie doch auch draußen dazu stehen, Stellung nehmen und dürfen nicht kneifen. Das will ich Ihnen hier ganz offen sagen. Die CDA-Mitglieder in Ihren Reihen können sich, meine Damen und Herren, nicht darauf zurückziehen, zu sagen, sie seien dagegen. Denn dieser Entwurf ist ein Entwurf der CDU/CSU. Sie sitzen da alle im gleichen Boot. Wenn Sie also draußen gefordert werden, auch von den Gewerkschaften, dann nehmen Sie dazu Stellung und kneifen Sie nicht! Das ist doch wohl demokratischer Brauch und entspricht unserem Selbstverständnis. Hinsichtlich eines Spezialthemas, das morgen in Brüssel zur Debatte steht, nämlich hinsichtlich der Frage der richtigen Stahlpolitik, fordere ich die Bundesregierung auf, Position zu beziehen; denn bisher war das alles enttäuschend. Wenn das nicht geschieht, kommen ganz schwierige Verhältnisse auf uns zu, und das will niemand in diesem Haus. In den Belegschaften und bei den Betriebsräten gibt es Unruhe. Da der Bundesarbeitsminister dem Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen einen Preis stiften will, stiften auch wir ihm einen, nämlich: Bundesminister für den gigantischsten sozialpolitischen Kahlschlag, den es nach 1945 in dieser Republik gegeben hat. ({1})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Oostergetelo.

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte den Blick am Ende dieser Debatte auf die Probleme richten, die besonders die kleinen Unternehmen und die Selbständigen betreffen, und fragen, ob es denn so ist, daß all das, was die Bundesregierung vorgibt, geleistet zu haben, zu ihren Gunsten ist. Vorweg muß die Frage gestellt werden: Von welcher Bedeutung sind die Selbständigen unter dem heute hier im Vordergrund stehenden Aspekt der Arbeitsmarktsituation? Es mag für die Problemlösung keinen Königsweg geben, aber eins ist klar: Die Probleme sind ohne die Selbständigen nicht lösbar. ({0}) Zwei Zahlen zur Erinnerung: Zwei Drittel aller Arbeitsplätze und sogar 80 % aller Ausbildungsplätze werden von der Gruppe der Klein- und Mittelbetriebe in unserer Volkswirtschaft zur Verfügung gestellt. Nun die Frage: Was hat die Bundesregierung getan, damit diese Betriebe ihre unverzichtbare Leistung weiterhin erbringen und angesichts der erschreckend hohen Arbeitslosigkeit ausbauen und verstärken können? ({1}) Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern, daß die Union im Wahlkampf die Wirtschaftspolitik der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung für die damals noch sehr kleine Zahl an Unternehmenszusammenbrüchen verantwortlich gemacht hat. ({2}) Tatsache ist, Herr Kollege, daß wir im vorigen Jahr eine Rekordzahl an Pleiten von 16 700 hatten. Darüber kann nicht diskutiert werden; das sind Fakten. Tatsache ist auch, daß die Insolvenzzahlen in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 13 % gestiegen sind. Wir müssen - leider, sage ich - mit 18 000 Insolvenzen rechnen. ({3}) Herr Bundeskanzler, die Selbständigen sind von den Ergebnissen Ihrer Politik, die doch der Wirtschaft wieder Vertrauen bringen sollte, schrecklich enttäuscht. ({4}) Nach Ihrer mittelfristigen Finanzplanung wollen Sie die Investitionsquote 1989 auf 12,1 % absenken, d. h. auf den tiefsten Stand seit 1949. Und dann wundern Sie sich über den Zusammenbruch der Bauwirtschaft. Die Insolvenzen treffen selbstverständlich nicht nur Selbständige. Nach Schätzungen der Fachleute gingen alleine 1984 etwa 175 000 Arbeitsplätze verloren, und der volkswirtschaftliche Schaden betrug 24 Milliarden Deutsche Mark. So hatten wir 1984 im Einzelhandel eine Umsatzsteigerung, der real lächerliche 0,1 % betrug. 1985 dürfte keine wesentliche Verbesserung zu erwarten sein.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Feilcke?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, könnten Sie der Zahl der Insolvenzen, die Sie beklagen, freundlicherweise die Zahl der Betriebsneugründungen gegenüberstellen? ({0})

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich zitiere gleich die „Handwerkszeitung". Sie werden wohl nicht der Meinung sein, daß sie von uns bestochen ist. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks stellt fest: „Die wirtschaftliche Situation der Unternehmen ist nicht leichter, sondern eher schwieriger geworden." Das ist die Tatsache. ({0}) Die unerfreuliche Lage der Unternehmungen ist nicht verwunderlich; denn eine Hauptursache für unsere wirtschaftliche Erholungsphase ist doch der Export. Der wirkt sich hier so gut wie überhaupt nicht aus. Hinzu kommt, daß die rücksichtslosen und sozial völlig unerträglichen Einschnitte der Bundesregierung in die verschiedenen Sozialleistungen zu einer erheblichen Schwächung der Massenkaufkraft geführt haben. Es ist völllig natürlich, daß sich eine solche Kahlschlagpolitik für typisch mittelständische Wirtschaftsbereiche wie den Einzelhandel und das Handwerk, die fast ausschließlich vom Binnenmarkt leben, negativ auswirken muß. Wenn Sie schon im sozialen Bereich kein Gespür haben, sollten Sie wenigstens diese ökonomische Tatsache zur Kenntnis nehmen. ({1}) Wir haben eindringlich vor der Folge gewarnt, die mit einer rüden Abschwächung der Massenkaufkraft verbunden ist und die Sie hingenommen haben. ({2}) Ich frage Sie: Welcher Selbständige wird denn in Produktion oder Dienstleistung investieren, wenn er am Ende nichts verkaufen kann? Für so dumm können, nein, für so dumm dürfen Sie die Selbständigen nicht halten. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Handwerker, die vielen kleinen Selbständigen in Handel und Gewerbe, sie alle sind doch von den sogenannten Wohltaten des Bundessubventionssteigerungsministers, des Herrn Stoltenberg, ausgeschlossen. Diese sogenannten Wohltaten haben sie gar nicht erreicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Graf Lambsdorff?

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Graf Lambsdorff, bitte.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, können Sie ein gewisses Maß an Verständnis dafür aufbringen, - ({0}) - Ich frage ja den Kollegen Oostergetelo. Daß die gesamte Sozialdemokratische Partei immer schon weiß, was ich fragen will und deshalb kein Verständnis aufbringen kann, begreife ich ja. Ich frage Sie, Herr Kollege: Können Sie ein gewisses Maß an Verständnis dafür aufbringen, ({1}) daß ich bei den Einzelhandelstränen, die der Vertreter einer Partei hier verströmt, der früher die Aktion „Gelber Punkt" unterstützt hat, von Krokodilstränen spreche? ({2})

Jan Oostergetelo (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001650, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Lambsdorff, ich kenne Ihre Argumentation mit der Aktion „Gelber Punkt". Aber wenn ich richtig sehe, haben Sie damals Regierungsverantwortung getragen. Es würde Ihnen genausogut anstehen, einmal über Erblast im anderen Sinne nachzudenken. ({0}) Ich darf an die „mittelstandsfreundliche" Vermögenssteuersenkung erinnern, die doch tatsächlich - Herr Posser hat das exakt dargelegt - in Wirklichkeit in die Kassen der Großunternehmen und Konzerne gerutscht ist. Geradezu abenteuerlich wirkt es, wenn sich dieser Bundeskanzler hinstellt und verspricht, sich nachdrücklich für Entbürokratisierung im Interesse kleiner und mittlerer Unternehmen einsetzen zu wollen. Die Zeitschrift „Impulse" hat ermittelt, daß sich beispielsweise der Aufwand kleiner und mittlerer Unternehmen, ausgedrückt in Mark und Pfennig, für die Erledigung bürokratischer Arbeiten seit 1982 um sage und schreibe 70 % erhöht hat. So sehen die „bürokratischen Entlastungen" konkret aus, die der Bundeskanzler und Sie alle bei Amtsantritt versprochen haben. Ich halte eine solche Politik für verhängnisvoll. Die kleinen und mittleren Unternehmen, die den Löwenanteil der Arbeitsplätze in unserem Land stellen, brauchen keine unverbindliche Lobhudelei, sondern konkrete Hilfe. Meine Damen und Herren, auch nichts von all dem, was die Opposition in einem weiteren wichtigen Bereich, nämlich im Agrarbereich, versprochen hat, ist eingetreten. Hunderttausende Menschen kämpfen um ihre nackte Existenz, und Sie wissen das. Die markigen Forderungen nach höheren Preisen, Herr Bundesminister, haben Sie als Landwirtschaftsminister selbst gestellt und dann als Wolkenkuckucksheime entlarvt, und das, obwohl Sie ein Veto entgegen unserem europäischen Interesse eingelegt und die Getreidebauern in die Irre geführt haben. Die Bürokratie hat Hochkonjunktur. - Sie wissen es doch. - Mit unsinnigen planwirtschaftlichen Instrumenten und extrem ungerechtem Instrumentarium haben Sie einer Quotierung, einer Planwirtschaft das Wort geredet. Das kostet Sie, Herr Bundesfinanzminister, am Ende 22 Milliarden Deutsche Mark, die Sie im Subventionsbericht nur als Fußnote anmerken, damit das nicht so auffällt. Dieses sind nicht europäische Mittel, sondern es sind Mittel, die für desolate Verhandlungsführung in Europa vom nationalen Haushalt zu zahlen waren. ({1}) Wer bekommt das Geld? Doch nicht der, der Überschüsse abbaut, sondern der, der sie macht. Ich wundere mich j a nicht, meine Damen und Herren. Selbst der Bundeskanzler weiß nicht, was eigentlich Grenzausgleich ist, wenn er hier dem Oppositionsführer die Frage stellt: „Warum greifen Sie uns an? Sie sind es doch, die den Grenzausgleich nicht abbauen wollen; das müssen wir doch machen." So in der Europadebatte in derselben Woche, als der Landwirtschaftsminister im Blätterwald verkündet, es sei gelungen, 1,8 % zu erhalten. Es ist schrecklich, daß ein Kanzler, der die Richtlinien bestimmt, nicht einmal weiß, daß es hier um 22 Milliarden DM geht - nicht zum Nutzen der Bauern. Ich sagte das schon. Sie wissen von den Protestversammlungen, was das bedeutet. Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. ({2}) - Sie hätten ruhig am Anfang klatschen sollen, nicht erst jetzt! Es bleibt festzustellen: Die Gruppe der kleinen Betriebe, der Handwerker, der Selbständigen wird sträflich vernachlässigt. Die besorgniserregende Situation auf dem Arbeitsmarkt ist Beweis dafür, in welch grandiosem Maßstab hier versagt worden ist. Meine Damen und Herren von der rechten Seite des Hauses, Ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit. Denken Sie daran, daß Wahlzettel in der Hand besonders enttäuschter Liebhaber leicht zu Denkzetteln werden können. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich bitte Sie, Platz zu nehmen, weil wir jetzt über die Entschließungsanträge abzustimmen haben. Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3948. Beantragt ist Überweisung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - federführend -, an den Ausschuß für Wirtschaft und an den Rechtsausschuß zur Mitberatung sowie zur Mitberatung und nach § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu noch anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Gibt es gegen die Überweisung Widerspruch? - Auch das ist nicht der Fall: dann ist so beschlossen. Wir kommen zu dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/4022. Hierzu ist Abstimmung erbeten worden. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/4015. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/4018. - Meine Damen und Herren, wenn Sie sich jetzt bereits, ehe ich fertig bin, erheben, werde ich nicht weiterreden! ({0}) Die Fraktionen von CDU/CSU und FDP verlangen gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Entschließungsantrag auf Drucksache 10/4018 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen will oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in eine der hier vorn aufgestellten Urnen einzulegen. Die Abstimmung ist eröffnet. Ich frage noch einmal: Sind alle Stimmkarten abgegeben? - Das scheint der Fall zu sein. Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/4018 bekannt. Es wurden 354 Stimmen abgegeben; keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 199, mit Nein haben gestimmt 155. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 353 Abgeordnete; davon ja: 199 Abgeordnete nein: 154 Abgeordnete Ja CDU/CSU Frau Augustin Dr. Barzel Bayha Dr. Becker ({1}) Dr. Blank Dr. Blens Böhm ({2}) Bohlsen Boroffka Braun Broll Brunner Bühler ({3}) Dr. Bugl Buschbom Clemens Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Dörflinger Dolata Dr. Dollinger Doss Echternach Vizepräsident Frau Renger Eigen Engelsberger Erhard ({4}) Eylmann Dr. Faltlhauser Fellner Fischer ({5}) Ganz ({6}) Frau Geiger Dr. Geißler Gerlach ({7}) Dr. Göhner Günther Dr. Hackel Dr. Häfele Hanz ({8}) Haungs Hauser ({9}) Hauser ({10}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({11}) Jagoda Dr. Jahn ({12}) Dr. Jobst Jung ({13}) Kalisch Frau Karwatzki Keller Kiechle Kittelmann Dr. Köhler ({14}) Dr. Köhler ({15}) Kolb Kraus Krey Dr. Kronenberg Lamers Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lenzer Link ({16}) Link ({17}) Linsmeier Dr. Lippold Lohmann ({18}) Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({19}) Müller ({20}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr. Olderog Frau Pack Pesch Petersen Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe Regenspurger Repnik Rode ({21}) Frau Rönsch Ruf Sauer ({22}) Saurin Sauter ({23}) Sauter ({24}) Scharrenbroich Schartz ({25}) Schemken Scheu Schlottmann von Schmude Schneider ({26}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({27}) Schulhoff Dr. Schulte ({28}) Schultz ({29}) Schulze ({30}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({31}) Dr. Stavenhagen Stockhausen Dr. Stoltenberg Stommel Straßmeir Stutzer Susset Tillmann Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogt ({32}) Dr. Waffenschmidt Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Werner ({33}) Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({34}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Würzbach Zink FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({35}) Eimer ({36}) Engelhard Gallus Genscher Grünbeck Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoffie Kleinert ({37}) Kohn Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Dr. Solms Wolfgramm ({38}) fraktionslos Handlos Nein SPD Amling Dr. Apel Bachmaier Bamberg Becker ({39}) Bindig Frau Blunck Brück Buckpesch Büchler ({40}) Buschfort Collet Conradi Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Delorme Dr. Ehrenberg Eickmeyer Dr. Emmerlich Dr. Enders Esters Ewen Fiebig Fischer ({41}) Fischer ({42}) Franke ({43}) Frau Fuchs ({44}) Frau Fuchs ({45}) Gerstl ({46}) Glombig Dr. Haack Haehser Hansen ({47}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Hauck Dr. Hauff Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller ({48}) Huonker Immer ({49}) Jahn ({50}) Jansen Jaunich Dr. Jens Jung ({51}) Junghans Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({52}) Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Löffler Lutz Frau Luuk Frau Matthäus-Maier Matthöfer Meininghaus Müller ({53}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({54}) Pfuhl Porzner Poß Ranker Rappe ({55}) Reimann Reschke Reuter Rohde ({56}) Schäfer ({57}) Schanz Schlaga Schluckebier Frau Schmedt ({58}) Dr. Schmidt ({59}) Schmidt ({60}) Schmidt ({61}) Frau Schmidt ({62}) Schmitt ({63}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Dr. Schwenk ({64}) Sielaff Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling Dr. Spöri Stahl ({65}) Steiner Stobbe Stockleben Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Urbaniak Vahlberg Dr. Vogel Vogelsang Vosen Weinhofer Weisskirchen ({66}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Wiefel von der Wiesche Wimmer ({67}) Wischnewski Witek Dr. de With Vizepräsident Frau Renger Wolfram ({68}) Zeitler DIE GRÜNEN Auhagen Frau Borgmann Frau Eid Frau Hönes Kleinert ({69}) Mann Dr. Schierholz Schily Schmidt ({70}) Schulte ({71}) Senfft Ströbele Suhr Tatge Tischer Vogel ({72}) Frau Wagner Werner ({73}) Werner ({74}) fraktionslos Bastian Der Antrag ist angenommen. Damit sind wir am Schluß der heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 17. Oktober 1985, 8 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.