Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Meine Damen und Herren, vor ganz kurzer Zeit hat uns die schmerzliche Nachricht erreicht, daß aus bisher ungeklärter Ursache unser Kollege Franz Josef Conrad verstorben ist.
Franz Josef Conrad wurde am 14. April 1944 in Riegelsberg geboren. Er war verheiratet und hat zwei Kinder, die er nun hinterläßt. Von 1950 bis 1959 besuchte er in seinem Heimatort die Volksschule, hat von 1959 bis 1962 eine Schlosserlehre bei den Stahlwerken Röchling absolviert und war dort bis zum Oktober 1976 beschäftigt.
Seit 1961 war Herr Conrad Mitglied der Jungen Union, seit 1963 Mitglied der CDU. 1970 wurde er Mitglied des CDU-Landesvorstands im Saarland, seit 1972 stellvertretender Landesvorsitzender. Er war Mitglied des Gemeinderats Riegelsberg von 1974 bis 1977.
Unserem Haus gehörte er seit 1976 an.
Der Bundestag spricht der Familie und der Fraktion der CDU/CSU sein Mitgefühl aus.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erhoben. Ich danke Ihnen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um folgende Zusatzpunkte erweitert werden:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ({1})
- Drucksache 10/3806 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens"
- Drucksache 10/3805 Diese Zusatzpunkte werden in verbundener Debatte zusammen mit Punkt 27 der Tagesordnung aufgerufen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 der Tagesordnung auf:
Aktuelle Stunde
Maßnahmen zur gewaltfreien Lösung der Konflikte in Südafrika
Die Fraktion DIE GRÜNEN hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Tagesordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort dem Abgeordneten Schmidt ({2}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unter öffentlichem Druck hat die südafrikanische Regierung diese Woche angekündigt, ihre Rassenpolitik und ihre Menschenrechtsverletzungen in veränderter Weise fortzusetzen. Sie macht Konzessionen, um Rassengleichheit und Demokratie wirksamer verhindern zu können.
Unter öffentlichem Druck hat auch die Bundesregierung diese Woche angekündigt, die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit mit Südafrika verändert fortzusetzen. Wir stellen fest: Die Bundesregierung macht Konzessionen nicht, weil sie die Kollaboration einstellen will, sondern weil sie sie auf veränderter Grundlage fortsetzen will.
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Die treffendste Kennzeichnung der westlichen Sanktionen stand in der „Süddeutschen Zeitung", wo es hieß, es sei gelungen, aus dem umfangreichen Katalog von Sanktionen gegen Südafrika solche herauszupicken, die - wörtlich - „der Regierung Botha nicht wirklich wehtun". Warum das so ist, begreifen wir, wenn wir hören, wie führende Unionspolitiker die Ereignisse und Tatsachen in Südafrika kommentieren. Tatsache ist: In jüngster Zeit wurden 2 000 Schwarze verhaftet und 660 in diesem Jahr bei Demonstrationen erschossen. Aber Herr Geißler beteuert: Wir unterstützen den eingeleiteten Reformprozeß in Südafrika. Tatsache ist: 8 Millionen Schwarze wurden in sogenannte Homelands zwangsausgebürgert, und keiner der 23 Millionen Schwarzen darf wählen. Aber Herr Strauß belehrt uns, die Apartheid sei weitestgehend abgebaut. Tatsache ist: Ende August wurden 800 Schülerinnen und Schüler in Soweto verhaftet und über Nacht auf einer Polizeistation festgehalten. Die Jüngsten waren gerade sieben Jahre alt. Aber Herr
Schmidt ({1})
Strauß warnt in Washington davor, die deutlichen Zeichen - wörtlich - „kommunistischer Konfliktstrategie" nicht allzu niedrig einzuschätzen. Die Frage, was Strauß tun würde, wäre er Ministerpräsident in Südafrika, ist damit beantwortet.
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Aber auch für die Bundesregierung gilt: Wer jetzt Maßnahmen beschließt, die nicht wehtun, rettet die Apartheid und liefert den Widerstand ans Messer. Wir dagegen fordern, unverzüglich das zu tun, was die schwarze Bürgerrechtsbewegung in Südafrika fordert, nämlich konsequenten Wirtschaftsboykott, keine Investitionen, Bankkredite, vor allem keine staatlichen Bürgschaften so lange, bis alle politischen Gefangenen freigelassen, die demokratischen Organisationen wieder zugelassen wurden und die Abschaffung der Apartheid Tatsache geworden ist.
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Um diesen Forderungen Gehör zu verschaffen, haben acht GRÜNE zwei Tage lang die Deutsche Botschaft in Südafrika besetzt.
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Uns war klar, daß die Resonanz hier minimal und die rechtsstaatliche Heuchelei groß sein würde.
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Was für uns aber zählt, ist: Alle Zeitungen in Südafrika, sogar Rundfunk und Fernsehen, haben über die Forderungen der Besetzer, d. h. die Forderungen der schwarzen Bürgerrechtsbewegung, in aller Ausführlichkeit berichtet.
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Was noch wichtiger ist: Die Bürgerrechtsorganisationen selbst haben diese Aktion zum Teil überschwenglich begrüßt. Bischof Tutu z. B. hat den Besetzern in einem Telegramm für ihre Aktion ausdrücklich gedankt.
Meine Damen und Herren, am 15. September ist der 50. Jahrestag der Verabschiedung der Nürnberger Rassegesetze. Die Fraktion der GRÜNEN wird deshalb morgen in einer öffentlichen Sitzung mit Juden, mit Roma und Sinti, Homosexuellen und anderen Betroffenen über Schuld, deutsche Schuld und sogenannte Entschädigung diskutieren. Es ist nicht verwunderlich, daß die Regierungsfraktionen ihrerseits diesen Schandtag 15. September 1935 peinlichst totschweigen. Wer mit den Rassepolitikern von heute Geschäfte macht, muß auch über die Opfer von gestern schweigen.
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Wir GRÜNEN haben unser Mandat dazu erhalten, dieses Schweigen zu durchbrechen, und das werden wir hier im Bundestag wie überall dort tun, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
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Herr Abgeordneter Schmidt, Sie haben das Wort „Heuchelei" verwendet. Das ist in der Weise, wie Sie es gebraucht haben, ein unparlamentarischer Ausdruck. Wir geben uns alle Mühe, diesen Begriff hier endlich aus den Köpfen aller herauszubringen. Helfen Sie uns doch bitte dabei!
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein ({1}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit polemisch-aggressiven Redensarten wie diesen stiftet man keinen Frieden.
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In Südafrika geht es für Millionen von Menschen um Leben oder Tod.
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Die ganze westliche Welt lädt schwere Verantwortung auf sich, wenn sie in dieser dramatischen Situation das Falsche tut, wenn sie ihre moralische Kraft, ihre wirtschaftlichen Möglichkeiten und ihren politischen Einfluß nicht rückhaltlos für die Betroffenen einsetzt.
({2})
Wir alle in diesem Hohen Hause wollen, daß die menschenunwürdige Apartheid so rasch wie irgend möglich beseitigt wird.
({3})
Wir alle wollen, daß die 24 Millionen Schwarzen in fairer Weise an der politischen Macht teilhaben, die heute von 5 Millionen Weißen und seit kurzem in begrenztem Umfange auch von 3 Millionen Mischlingen und 1 Million Asiaten ausgeübt wird.
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Wir alle wollen, daß die bislang Benachteiligten gerechte Chancen zu schulischer und beruflicher Ausbildung, zu wirtschaftlicher und kultureller Entfaltung erhalten. Wir wollen, daß alle Bewohner Südafrikas ihren Lebensstandard weiter erhöhen und die Wirtschaftskraft des Landes auch zum Nutzen ihrer Nachbarn einsetzen können.
Also drängen wir die südafrikanische Regierung,
({5})
den Reformkurs beschleunigt fortzusetzen, den sie mit der Aufhebung des Verbots zwischenrassiger Eheschließungen, mit dem Verbot der Lohndiskriminierung und der Rassentrennung im Sport und mit der Wiederzuerkennung der Staatsbürgerschaft für Schwarze aus den sogenannten Homelands eingeschlagen hat! Helfen wir den schwarzen Millionenvölkern der Zulu, Xhosa, Sotho, Tswana und Shangaan - um nur die größten zu nennen -, aber
Klein ({6})
auch den Millionen städtischer Schwarzer, den Mischlingen, den Indern und den Chinesen,
({7})
den holländisch-, englisch-, deutsch- oder jüdischstämmigen Weißen, gemeinsam eine staatliche Struktur zu entwickeln, die demokratischen Fortschritt ermöglicht und primitive Schwarzweißvorstellungen überwindet!
({8})
Werfen wir, Europäer und Amerikaner, unsere Ressourcen zusammen, und bauen wir Schulen, bauen wir Ausbildungsstätten in Südafrika, unterstützen wir die Heranbildung eines bäuerlichen, handwerklichen und kleinindustriellen Mittelstands aller Rassen und Bevölkerungsgruppen!
Dies setzt freilich voraus,
({9})
daß wir jene weißen südafrikanischen Politiker, die den Weg zur Überwindung der Rassentrennung angetreten haben, ermutigen, nicht beschimpfen.
({10})
Für die Schaffung eines Staatswesens, das allen Südafrikanern Heimat ist, Gleichheit vor dem Gesetz garantiert und die vollen Menschenrechte gewährleistet, ist in diesem Stadium - wovon bis jetzt auch die Mehrheit der Schwarzen überzeugt ist - die Formel „One man, one vote" ebenso untauglich wie etwa bei uns bei den Europawahlen.
({11})
Da haben die Bewohner kleiner Staaten auch relativ mehr Stimmen als die größerer Staaten.
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- Es tut mir leid, meine Damen und Herren, wenn Sie die Wahlgesetze in Europa nicht kennen; Sie werden das schon noch lernen.
Die friedliche Evolution voranzubringen erfordert aber die sichtbare und spürbare Unterstützung der friedlichen, kooperationsbereiten Kräfte, nicht die internationale Aufwertung der radikalen Revolutionsprediger.
({13})
Hier hat sich die südafrikanische Regierung allerdings gefährlicher Kurzsichtigkeit schuldig gemacht, weil sie anerkannten moderaten Führern wie etwa Gathsa Buthelezi das verweigerte, was sie unter dem Druck gewalttätiger Demonstrationen teilweise zugestand.
({14})
Es fällt mir schwer,
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meinen Abscheu vor jenen zu unterdrücken, die vor
dem Hintergrund des vorrevolutionären Szenarios
in Südafrika bei uns oder anderswo politisches Showgeschäft betreiben.
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Sanktionsforderungen aufstellen heißt in diesem Falle moralisch posieren - ohne Rücksicht auf die tödliche Zwangsläufigkeit der Folgen.
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Oder haben wir schon vergessen, wie erregt die Proteste gegen den Schah und wie flau die Reaktionen auf das Blutregime seines Nachfolgers waren?
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Zum Schluß möchte ich die eindringliche Bitte an die Bundesregierung richten, den Bericht über das Treffen der EG-Außenminister sehr sorgfältig zu prüfen, insbesondere auch die Auswirkungen der geplanten Maßnahmen auf die schwarze Bevölkerung. Denn wir wollen friedliche Reform und nicht blutige Revolution.
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Das Wort hat der Abgeordnete Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Bemerkung zum persönlichen Engagement vorweg. Ich habe sechs Jahre die Beziehungen der Sozialdemokratischen Partei zu Organisationen im südlichen Afrika koordiniert. Nur in einer Frage stimme ich mit meinem Vorredner überein: Die Verhältnisse sind etwas komplizierter, als sie sich in der Presse und in der Medienwirklichkeit Europas darstellen.
({0})
Wir Sozialdemokraten haben uns die Auseinandersetzung, beispielsweise über die Frage von Sanktionen, nie leichtgemacht. Aber eines kann ich von uns sagen: Wir haben die Beziehungen zu Südafrika und zur Situation dort nie zum billigen Medienspektakel mißbraucht. Ich halte den Politklamauk, den die GRÜNEN in der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland eine Woche lang jetzt aufführen, für lächerlich, widerlich und unerträglich.
({1})
Ich sagte schon: Wir haben es uns nicht leichtgemacht. Wir haben in den letzten Jahren die Wirtschaftssanktionen nicht unterstützt, weil wir fest davon überzeugt waren, daß eine positive wirtschaftliche Entwicklung in der Republik Südafrika den Widerspruch zwischen moderner Wirtschaft auf der einen Seite und reaktionärer politischer und gesellschaftlicher Struktur auf der anderen Seite verschärfen und somit von innen heraus schrittweise eine grundlegende Reform erzwungen werden würde. Vor allem könnte, so haben wir analysiert, eine schnell wachsende Elite von schwarzen
Arbeitnehmern den Veränderungsprozeß aus dem schwarzen Lager heraus reformorientiert tragen.
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Meine Damen und Herren, aber die südafrikanische Regierung hat exakt diese Chance vertan, und zwar von oben.
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Es wurden zwar kosmetische Reförmchen eingeleitet. Sie sollten das Ausland beruhigen. Nach innen wurde aber gerade in den letzten Jahren der Polizeistaat perfektioniert.
Ich sage das auch sehr konkret: Gerade unsere ständigen Gesprächs- und Kooperationspartner aus der freien Gewerkschaftsbewegung, jene Partner, die die demokratische Front organisiert haben, freiheitliche Organisationen, wurden gerade im letzten Jahr in Massen ins Gefängnis geworfen. Sie sind in den Gefängnissen verschwunden. Das heißt, die Reformkräfte wurden isoliert und gefoltert, nicht etwa jene, die außerhalb des Landes in Aktion waren.
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Meine Damen und Herren, wer angesichts dieser Lage die südafrikanische Regierung stützt - wie Teile dieser Regierung oder beispielsweise der bayerische Ministerpräsident -, verrät nach meiner Meinung den Gleichheits- und Freiheitsgrundsatz, der gerade in unserem Grundgesetz auch für die Außenpolitik postuliert wird,
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oder er scheint Südafrika nur aus der Kumpanei in burischen Zirkeln oder aus Großwildjagden zu kennen.
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Heute möchten wir endlich einmal erfahren, was die Koalition nun tatsächlich will. Es ist erstaunlich gewesen, wie diffus die Willensbildung im Auswärtigen Ausschuß war. Wie steht die Koalition beispielsweise zu der Gegenhaltung von Mitgliedern der CSU zu den Vorschlägen der EG? Das frage ich den Herrn Außenminister.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich ganz kurz unsere Alternativen zusammenfassen:
Erstens. Das Apartheidsregime muß politisch isoliert sein.
Zweitens. Die demokratische Bewegung auch im weißen Lager muß entschieden unterstützt werden.
Drittens. Es ist notwendig, konkrete, nachvollziehbare, auch wirtschaftliche Sanktionen, die die Entschlossenheit des Westens demonstrieren, jetzt durchzusetzen.
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Ich bin zutiefst überzeugt, daß demokratische Kräfte, die es in der nationalen Partei genau gibt wie in der liberalen Partei in Südafrika, gestärkt werden, wenn wir entschlossenen Druck aus Europa gegen Südafrika durchsetzen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Lage in Südafrika - darüber gibt es hier wohl kaum einen Unterschied der Meinungen - ist alles andere als friedlich, und die Aussichten, dort Lösungen zu erzielen, sind nach wie vor unklar. In dieser Situation ist eigentlich nur eines umstritten. Das ist die Frage: Wie sollen wir uns mit der Situation abfinden? Wie sollen wir damit fertig werden? Was können wir tun?
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- Ich weiß, daß Sie grundsätzlich dazu neigen, alles, was hier getan wird, mit Unterstellungen zu versehen. Das ist Ihre politische Methode. Sie ist inzwischen bekannt. Ich habe keine Lust mehr, mich damit auseinanderzusetzen. Sie waren noch längst nicht in diesem Bundestag, und es gab Ihre Bewegung noch nicht, da haben wir schon Reden zu diesem Thema gehalten, die weitergingen als das, was Sie heute sagen. Sie sollten aufhören, so zu tun, als hätten Sie die Moral gepachtet, um mit internationalem Kasperletheater in irgendeiner Form Reformen zu erzwingen.
({1})
Das ist doch Ihr Problem, nicht unser Problem.
Meine Damen und Herren, wir können heute, nach Luxemburg, sagen: Es gibt zumindest einen ersten Schritt in der Richtung, daß wir des langen Redens und der Versuche, zu überzeugen, müde geworden sind. Das haben wir seit zehn Jahren gemacht. Wir haben den Dialog geführt. Insofern halte ich es nicht für ein sinnvolles Mittel, heute davon zu sprechen, daß nur Dialoge geführt werden müßten. Es sind genug der Dialoge geführt worden.
({2})
Worauf es jetzt vor allem ankommt, meine Damen und Herren, ist, daß die Entschlossenheit der Europäer deutlich wird, mit der Lage in Südafrika anders fertig zu werden als nur durch freundliche verbale Bekundungen. Darüber gibt es gar keinen Zweifel.
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Die Frage des Wirtschaftsboykotts, über die dauernd gesprochen wird, muß sehr ernsthaft überprüft werden. Wir haben zig Beispiele - nehmen Sie z. B. Rhodesien -, daß der Wirtschaftsboykott nicht funktioniert, daß er ineffektiv bleibt, daß er Wirkungen kontraproduzenter Art erzeugt. Das ist doch kein Versuch, uns herauszureden oder wirtschaftliche Beziehungen weiter zu pflegen oder was weiß ich zu tun, sondern es geht uns darum, zu fragen, was in dieser Situation wirken kann. Da bin ich nach wie vor der Meinung, daß es nicht Sache der
Schäfer ({4})
Bundesrepublik allein ist, sondern Europas gemeinsam, etwas zu tun. Und da war es nicht ganz leicht, einen gemeinsamen Nenner zu finden. In Luxemburg ist diese Gemeinsamkeit erzielt worden. Mein Appell geht an diejenigen in diesem Hause, die das immer noch für zu weitgehend halten: Ich halte das für eine milde, moderate erste Form einer Antwort an Südafrika. In dem Protokoll der EG-Außenministerkonferenz steht: Die Frage anderer Maßnahmen bleibt bestehen, wenn nicht in einem bestimmten Zeitraum wirklich Lösungen erzielt werden können. Daran gibt es, glaube ich, nichts zu rütteln. Ich kann nur dazu sagen: Es kommt jetzt darauf an, was aus diesem Katalog von Luxemburg gemacht wird.
Ich appelliere deshalb an die Bundesregierung, daß sie uns sehr bald eine Liste vorlegt, was denn sensitive Produkte sind, die in Zukunft nicht mehr nach Südafrika geliefert werden sollen. Ich bin auch der Meinung, daß die Bundesregierung diese Frage sehr bald in einem Gespräch mit der deutschen Industrie Hären sollte und daß in diesem Zusammenhang dringend erörtert werden muß, daß die deutsche Industrie nicht einspringen darf für ausbleibende Investitionen aus anderen westlichen Ländern. Ich halte das für eine ganz wichtige Sache und darf herzlich an die Bundesregierung appellieren, das zu tun.
Darüber hinaus ist es notwendig, daß wir sagen, was darunter zu verstehen ist, daß die Kontakte mit den nichtweißen Bevölkerungsteilen erheblich verstärkt werden. Es werden dazu Programme aufgelegt. Es gibt einige positive Anregungen der Europäischen Gemeinschaft, zu helfen, die ich nur unterstreichen kann. Ich meine, es kommt jetzt auch darauf an, daß der Deutsche Bundestag von der Möglichkeit Gebrauch macht, auch mit Politikern der Opposition in Südafrika Gespräche zu führen. Ein entsprechender Antrag ist im Auswärtigen Ausschuß eingebracht worden. Der Auswärtige Ausschuß hat übrigens eine gemeinsame Entschließung der SPD, der CDU/CSU und der FDP zum Sportboykott einstimmig beschlossen.
Ich bin der Meinung, wir sind auf dem richtigen Weg. Ich selbst werde in den nächsten Tagen in Südafrika nicht auf spektakuläre Weise, mit einer Aktion, wie Sie das getan haben, sondern in Gesprächen mit allen Betroffenen versuchen, mein Bild über die jetzige Situation zu verbessern. Ich kann nur sagen: Wir sind meiner Ansicht nach auf dem richtigen Weg, wenn wir keinen Wirtschaftsboykott beschließen, der südafrikanischen Republik aber deutlich machen, daß die Zeit des Nur-miteinanderRedens vorbei ist und daß mehr getan werden muß als das, was in den letzten Jahren geschehen ist.
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Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft haben sich am Dienstag erneut mit der Lage in Südafrika befaßt. Unsere immer wieder geäußerte Sorge, daß ein Aufschub notwendiger Reformen die Reformchancen verschüttet und zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führt, hat leider täglich neue Bestätigung erfahren.
Die dramatische und sich laufend verschärfende Lage in der Republik Südafrika ist nicht das Ergebnis einer Verschwörung von außen, sondern hat nach Auffassung der Staaten der Europäischen Gemeinschaft ihre Ursache in der Aufrechterhaltung des menschenverachtenden Systems der Apartheid.
({0})
Die Bundesregierung hat schon in der Antwort auf die Große Anfrage im Dezember 1983 zum Ausdruck gebracht, daß sie den notwendigen Wandel in Südafrika als die Gewährung gleicher Rechte an die Menschen in Südafrika versteht. Und wir sind der Auffassung, daß wir unsere eigenen Interessen - auch das ist in der Antwort auf diese Große Anfrage gesagt worden - in diesem wichtigen Land am besten wahrnehmen, wenn wir jene unterstützen, die für gleiche Rechte für die Menschen in Südafrika eintreten.
Die europäische Mission, also die drei Außenminister, hatte gefordert, daß der Ausnahmezustand aufgehoben, Nelson Mandela und die anderen politischen Gefangenen unverzüglich und bedingungslos freigelassen werden,
({1})
die Praxis der Haft ohne Gerichtsverfahren und die Zwangsumsiedlungen beendet werden und sich die südafrikanische Regierung zur Beendigung der Apartheid und zur Abschaffung diskriminierender Gesetzgebung, insbesondere der Paßgesetze und der Group Areas Act verpflichtet und daß schließlich wirkliche Verhandlungen mit den authentischen Vertretern des südafrikanischen Volkes einschließlich der Inhaftierten aufgenommen werden.
Wir haben noch einmal gemeinsam zum Ausdruck gebracht, daß wir erwarten, daß die Apartheid vollständig abgeschafft wird und nicht nur gewisse Teile des Systems. Wir haben gemeinsam festgestellt: Es gibt weder eine gute noch eine schlechte Apartheid, sondern sie muß insgesamt beseitigt werden.
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Die Minister sind der Auffassung, daß alle Bürger Südafrikas gleiche Rechte genießen sollten und - darauf haben wir besonderen Wert gelegt - daß Minderheitenschutz gewährleistet sein muß; denn, meine Damen und Herren, für uns bedeutet der notwendige Wandel nicht, daß ein Akt der Machtübernahme durch eine neue Bevölkerungsgruppe stattfindet, sondern daß gleiche Rechte für alle gewährt werden.
Meine Damen und Herren, es wurden eine Reihe restriktiver Maßnahmen beschlossen, die sich vor
allem gegen die militärische Zusammenarbeit richten, die sich richten gegen die nukleare Zusammenarbeit, die sich richten - und hier geht es um das sensitive Material - gegen die Unterstützung von Einrichtungen zur Aufrechterhaltung der Apartheid und die sich richten gegen Kontakte und Vereinbarungen, die geeignet sein könnten, die Apartheid aufrechtzuerhalten.
Wir haben uns aus grundsätzlichen Erwägungen nicht entschließen können, wie wir das auch in anderen Fällen getan haben, wirtschaftlichen Sanktionen zuzustimmen. Wir konnten auch jenen Vorschlägen nicht zustimmen, die auf die Einführung eines Visazwangs für Bürger Südafrikas gerichtet sind, weil wir nicht erkennen können, daß es zu einer Verbesserung der Lage in Südafrika beiträgt, wenn wir die Reisemöglichkeiten der südafrikanischen Bürger nach außen erschweren. Diese Auffassung vertreten wir in allen Fragen, weil uns der freie Reiseverkehr ein wichtiges Anliegen ist.
Meine Damen und Herren, diesen Vorschlägen, von denen ich spreche, haben in den Einzelberatungen alle Staaten der Europäischen Gemeinschaft zugestimmt. England hat sich ausschließlich in der Frage der Rückziehung der Militärattachés zu einer Zustimmung in Luxemburg nicht oder, wie wir vermuten, noch nicht entschließen können.
Der Beschluß über das Einfrieren von Kontakten bedeutete für uns, daß wir auch darüber zu entscheiden hatten, wie wir es mit dem Kulturabkommen halten. Die Bundesregierung hat entschieden, die Anwendung des Kulturabkommens mit sofortiger Wirkung auszusetzen und gegenüber der Regierung Südafrikas eine Änderungskündigung mit dem Ziel von Verhandlungen auszusprechen, durch die wir eine rechtliche Absicherung der Teilnahme aller Bevölkerungsgruppen Südafrikas an kulturellem, wissenschaftlichem und sportlichem Austausch erreichen wollen.
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- Eine rechtliche Absicherung, Herr Kollege! - Wir sehen darin eine geeignete Möglichkeit, durch positive Einwirkungen und nicht durch Sanktionen Veränderungen in dem von uns gewünschten Sinne in Südafrika zu bewirken.
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat weiter in den Beratungen der Europäischen Gemeinschaft großen Wert auf positive Maßnahmen gelegt. Hierzu rechnen wir eine Anpassung, Verstärkung und Publizierung des Verhaltenskodexes. Hierzu rechnen wir eine Reihe von Hilfsprogrammen, die die Lage der schwarzen Bevölkerung verbessern sollen, wobei wir uns vor allem der Vermittlung der Kirchen bedienen wollen. Wir glauben, daß dieses Hilfsprogramm ein wirksamer Beitrag zu einer Entspannung und auch zu innerer Stabilität als Voraussetzung einer aktiven Reformpolitik in Südafrika sein kann.
Die Staaten der Europäischen Gemeinschaft haben beschlossen, diese Entwicklung in Südafrika weiter zu beobachten. Die Bundesregierung appelliert an die Regierung Südafrikas, die Erklärung der Europäischen Gemeinschaft, die Ausdruck unserer ernsten Sorge ist, auch als einen solchen Ausdruck zu verstehen und entsprechend zu handeln. Je schneller der Dialog mit allen Beteiligten, mit allen anerkannten Vertretern stattfindet, desto größer sind die Chancen, daß dieser Dialog in eine von allen Seiten akzeptierte Reformentwicklung einmünden kann, ohne daß es darüber zu revolutionären und gewaltsamen Auseinandersetzungen kommt.
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Für die westlichen Demokratien bleibt die Herstellung demokratischer Rechte für alle Bürger Südafrikas das gemeinsame Ziel.
Die Ankündigung der Schaffung einer einheitlichen Staatsangehörigkeit ist eine Ankündigung, die eine bedeutende Veränderung im positiven Sinne bewirken würde. Wenn dieser Ankündigung auch die Aufhebung der Homeland-Gesetzgebung folgen würde, wäre das ein weiterer ermutigender Schritt.
Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, wird auch in Zukunft das ganze Gewicht ihrer Möglichkeiten darauf legen, durch kritischen Dialog und durch Ermutigung zu einer positiven Entwicklung in Südafrika beizutragen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Schon der bisherige Verlauf der Debatte zeigt deutlich, warum die deutsche Politik gegenüber Südafrika so halbherzig, unentschlossen und inkonsequent ist, nämlich deshalb, weil Sie sich in Ihren eigenen Reihen nicht einig sind.
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Vom Herrn Außenminister hören wir, daß Südafrika aufgefordert werden soll, die diskriminierende Gesetzgebung aufzugeben, und von Herrn Klein hören wir, daß die Wahlrechtsregelungen in Südafrika eben nicht so geändert werden sollen, wie alle Welt das verlangt und mit Recht verlangt, nämlich daß jeder Mensch das gleiche Recht hat, an den Regelungen seiner Dinge mitzuwirken; one man, one vote. Das können Sie nicht so darstellen, Herr Klein, wie Sie das hier getan haben.
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Ich weiß, daß das der Punkt ist, der Ihnen besonders wehtut, denn das ist doch der Kern der Apartheid, um die es heute noch geht: die Beteiligung der Mehrheit der Menschen in diesem Lande an den demokratischen Prozessen und demokratischen Entscheidungen. Das ist das, was die Reaktionären überall auf der Welt vermeiden wollen, und das ist auch das, was der große Experte, der uns heute hier leider wieder abgeht, uns bei jeder Gelegenheit zu
vermitteln versucht, nämlich eine ganz merkwürdige Art von Argumentation, die rassistische Anklänge vermeidet, aber in Wahrheit doch nichts anderes sagt, als daß die Schwarzen nicht in der Lage sind, sich in demokratischen Strukturen zu bewegen. Da wir den Ausdruck Heuchelei nicht mehr gebrauchen dürfen, muß ich sagen, daß eine solche Einstellung, den Schwarzen die Fähigkeit abzusprechen, demokratische Prozesse mitzugestalten und über ihre eigenen Dinge zu entscheiden, allen unseren Vorstellungen von Menschenwürde und Menschenrechten widerspricht.
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Das Ergebnis dieser hinhaltenden und zögernden Taktik der Bundesregierung und der Koalition ist jedenfalls, daß sich die europäischen Außenminister nur auf den wirklich allerkleinsten gemeinsamen Nenner einigen konnten. Ich glaube nicht, daß die beschlossenen Maßnahmen etwas bewirken werden. Ich glaube auch nicht, daß speziell das, was die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Südafrika angeht und was also wir zu regeln haben, den von Herrn Genscher selbst aufgestellten Forderungen an die südafrikanische Regierung auch nur im entferntesten entspricht.
Ich frage Sie: Warum verzichten Sie denn um Himmels willen auf die Möglichkeit, den Visumzwang für Südafrikaner - was in der Praxis heißt: für weiße Südafrikaner; denn ich habe bisher nur sehr wenig schwarze Südafrikaner erlebt, die reisen durften ({3})
einzuführen, um in Verhandlungen wenigstens zu erreichen, daß umgekehrt der Visumzwang für unsere Staatsangehörigen, die nach Südafrika reisen, aufgehoben wird? Sie wissen genauso gut wie ich, daß der Visumzwang in die umgekehrte Richtung von Südafrika politisch mißbraucht wird, um solche Menschen aus dem Land fernzuhalten, die möglicherweise hier unbequeme Äußerungen gegen die Apartheid getan haben.
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Ich weiß nicht, wie Sie das wegkriegen wollen, wenn Sie von vornherein darauf verzichten, den Visumzwang auch auf unserer Seite einzuführen.
Was das Kulturabkommen angeht: Das Ergebnis dieser Änderungskündigung, die Sie uns mitgeteilt haben, wird sein, daß die Bundesrepublik Deutschland das einzige Land ist, das mit Südafrika über seine Maßnahmen im Bereich der Bildungsarbeit für Schwarze verhandeln muß. Die anderen brauchen das nicht zu tun; die haben nämlich kein Kulturabkommen mit Südafrika. Die Amerikaner legen ein Programm auf, hinter dem sich das unsere von der Größenordnung her wirklich schamhaft verstecken muß. Die Amerikaner brauchen keine Kulturverhandlungen mit Südafrika zu führen, weil sie eben kein Kulturabkommen mit diesem Staat haben; und Sie brauchen das auch nicht. Sie können die Stipendien für schwarze Studenten an weißen Universitäten und das Lehrerausbildungsprogramm in Soweto auch ohne Verhandlungen über ein Kulturabkommen ausweiten. Ich würde auch gerne wissen, wie denn die haushaltsmäßigen Folgen dieser Entscheidungen sind. Wie sieht denn das „Sonderprogramm südliches Afrika" in unserem Haushalt jetzt aus? Kärgliche 2,5 Millionen DM geben wir für die Erziehung Schwarzer aus. Wir alle wissen, welche Summe für die große Zahl von Schulen, von weißen Schulen, die wir in Südafrika finanzieren, bereitsteht.
Ich möchte festhalten, daß wir mit unserer Politik klarmachen müssen, daß die Apartheid nicht mehr toleriert werden kann, sondern daß sie aktiv bekämpft wird, daß jeder dazu einen Beitrag leisten muß, die Politik und die Wirtschaft, und daß wir das tun, weil wir einen Beitrag zur Sicherung des Friedens in diesem Teil der Welt leisten wollen, weil wir unsere eigenen Interessen in diesem Land schützen wollen und weil wir dazu beitragen wollen, daß Rassismus, Menschenrechtsverletzungen und Unterdrückung, soweit es geht, aus dieser Welt verschwinden.
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Das Wort hat der Abgeordnete Graf von Waldburg-Zeil.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, daß wir hier heute eine der moderatesten Südafrika-Debatten haben, die wir in der letzten Zeit geführt haben. Das spiegelt ein bißchen das Betroffensein von uns allen über das, was in Südafrika vorgeht.
Ich hatte vor zehn Jahren in der Diskussion über Südafrika ein Erlebnis, das mich sehr stark geprägt hat. Ich habe in Pretoria mit einem Professor diskutiert und, wie man das so macht, gleich einmal voll drauflos kritisiert und gesagt: Die Apartheid muß weg; sonst geschehen Katastrophen. Ich habe Vorschläge gemacht, was man alles verbessern könne. Nach einiger Zeit hat mir dieser Mann geantwortet: Ich muß Ihnen etwas sagen: Ich bin als Kind mit meinen jüdischen Eltern aus Deutschland emigriert und habe hier eine neue Heimat gefunden. Ich bin selber Gegner des Apartheid-Regimes und arbeite beharrlich daran, aus dieser Sackgasse herauszukommen. Aber verstehen Sie doch, daß es für uns nahezu unerträglich ist, wenn jemand, der aus Deutschland kommt, uns nun bis in die kleinste Kleinigkeit hinein sagt, wie das alles geschehen soll. - Ich glaube, daß wir uns das ein bißchen zu Herzen nehmen sollten.
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Das, worum es uns allen geht - ich freue mich, Herr Roth, über das, was Sie gesagt haben; ich bin sehr dankbar dafür -, ist: Wir sollen in diesem Prozeß helfen.
Herr Verheugen, Sie haben den Titel „Pflege kultureller Beziehungen" im Haushalt angesprochen. Auch wenn er nur 2,5 Millionen DM umfaßt, zeigt er deutlich die wichtige Absicht an: Förderung von nicht weißen Sekundarstufenlehrern in naturwis11778
senschaftlichen Fächern in Soweto; Stipendienprogramm zur Förderung nicht weißer Sekundarschüler bis zur Hochschulreife und anschließender Weiterbetreuung beim Studium von Ingenieurwissenschaften und Medizin; deutsche Sprachkurse für nicht weiße Schüler, damit sie auf unsere Schulen gehen können; Aufbrechen der praktischen Apartheid. Solche Maßnahmen müssen ganz bestimmt ausgeweitet werden. Sie dienen in Stille, aber wirkungsvoll einem gewaltfreien Wandel.
Auch die Änderungskündigung des Kulturabkommens kann diesem Zweck dienen; nicht als Sanktion, die verkrampfte Standpunkte nur verhärtet, sondern als Versuch, dieses Abkommen einer sich rasch ändernden Realität anzupassen. Und daß sich die Realität ändert, ist nicht nur der Ankündigung von gestern zu entnehmen, daß die Homeland-Gesetzgebung geändert werden soll. Am 11. September hat der südafrikanische Minister für Verfassungsentwicklung in einer Sendung gesagt: Die Frage ist nicht länger, o b die Schwarzen in das politische System eingegliedert werden sollen, sondern allenfalls, wie das geschehen soll.
({1})
Das ist aber schon ein ganz gewaltiger Wandel, wenn Sie daran denken, daß es vor zehn Jahren ganz unmöglich gewesen wäre, daß ein offizieller Regierungsvertreter das sagt.
({2})
Wir müssen mit den Vertretern der schwarzen Mehrheit weiterreden, ohne unter ihren Gruppen besserwisserisch Partei zu ergreifen.
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Einigen von ihnen müssen wir auch deutlich machen, daß wir eindeutig gegen Blutbadlösungen sind.
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Der Präsident der Inkatha-Partei, Chief Buthelezi, hat vor einer Woche gesagt: Ich unternehme jede nur mögliche Bemühung, um zu vermeiden, daß Südafrika zu einem weiteren Beirut wird. Genau darauf einzuwirken, ohne uns einzumischen, ist Aufgabe unserer Politik.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte in der zweiten Runde für die Fraktion der FDP die Erklärung des Herrn Bundesaußenministers ausdrücklich begrüßen und unterstützen. Ich möchte aus seiner Darlegung besonders drei Themen noch einmal kurz aufnehmen: erstens die sehr bescheidenen Möglichkeiten der Unterstützung der Politik des Wandels, die jetzt hoffentlich bald in Südafrika sichtbar werden wird; zweitens die Frage der
Glaubwürdigkeit des Westens; drittens die Frage unserer eigenen Glaubwürdigkeit.
Jeder, der hier redet, hat j a wohl noch einmal die letzten Südafrika-Debatten nachgelesen. Wir müssen da mit Erschrecken feststellen, wie sehr sich seit unserer letzten Debatte die Lage in Südafrika zugespitzt hat und daß die südafrikanische Tragödie einem Höhepunkt zutreibt, der nun tatsächlich alle besorgen muß, die allen Bürgern, allen Bewohnern dieses schönen und vielversprechenden Landes eine friedliche und eine chancengleiche Entwicklung so von Herzen wünschen, wie wir das j a tun.
Die Eskalation von Gewalt und Haß, von Gegengewalt und Gegenhaß scheint unabwendbar. Immer wieder stellt sich uns die Frage: Hat die Vernunft, haben die Vernünftigen in Südafrika überhaupt noch eine Chance? Gibt es nur noch das Chaos entweder der Unterdrückung oder des Bürgerkrieges?
Herr Genscher hat aufgezeigt, wie man sich einen letzten Ausweg der Vernunft vorstellen kann und was wir dazu beitragen können. Der amerikanische Botschafter Nicholson hat nach seiner Rückkehr nach Südafrika die Lage sehr klar beschrieben. Er hat gesagt: Die Politik des kritischen Dialogs ist gescheitert, und die Zeit der Absichtserklärungen des Westens ist vorbei. Das kann man doch nur unterstützend zur Kenntnis nehmen.
Wie könnte der Fahrplan der Vernunft denn nun aussehen, um zu retten, was noch zu retten ist? Ich wiederhole noch einmal für die FDP: Ausnahmezustand beenden; Staatsbürgerschaftsfrage sofort regeln; Freilassung aller politischen Gefangenen - vor allem des so lange inhaftierten schwerkranken Nelson Mandela -;
({0})
sofortiger Stopp aller Umsiedlungen; Verhandlungen, von denen soviel die Rede ist, von denen man aber nichts sieht;
({1}) Weiterentwicklung des Verfassungsmodells.
Meine Damen und Herren, es war ein fundamentaler Fehler, daß die südafrikanische Regierung das ethnische Modell der Mitbeteiligung nicht von Anfang an auch auf die schwarze Mehrheitsbevölkerung ausgedehnt hat.
({2}) Wir haben das hier wiederholt festgestellt.
Es ist eine Tragik: Noch vor einem Jahr wären solche Vorschläge, wie sie jetzt gemacht werden, ein realistisches und auch realisierbares Programm für einen friedlichen Wandel gewesen. Aber heute müssen wir nur noch auf den raschen Wandel drängen, damit Krieg, Vernichtung, Zerstörung und Unrecht nicht weitereskalieren.
Bei dem wenigen, was wir, die westlichen Demokratien, dazu beitragen können, müssen wir glaubwürdig sein; Herr Genscher hat das gesagt. Ich glaube, wir müssen uns selbstkritisch eingestehen, daß dies trotz vieler verbaler Bekundungen nicht
oder nicht ausreichend geschehen ist. Wieder einmal muß man feststellen: Bedrucktes Papier, viel bedrucktes Papier ist noch lange kein Druck-Papier. Das müssen wir wirklich einmal ernst nehmen.
({3})
Ich habe in der letzten Debatte nachgewiesen, was im Bereich der Kulturbeziehungen alles zu geschehen hat. Deshalb begrüßt die Fraktion der FDP die Kabinettsentscheidung über die Änderungskündigung; denn wir bestehen darauf, daß Kulturbeziehungen ein wichtiges Instrument sind, um an Menschen heranzukommen und ihnen zu helfen. Sie dürfen nicht auf unseren sonstigen außenpolitischen Stand hin reduziert werden. Sonst können wir in der Tat die Kulturabkommen mit osteuropäischen Ländern gar nicht rechtfertigen.
({4})
Es kommt entscheidend auf folgendes an: Wenn diese Änderungskündigung ernst genommen werden soll, müssen wir ganz schnell alle Projekte und Programme beenden, die nicht auch auf die nicht weiße Bevölkerung ausgedehnt werden können.
Wir müssen alle Restriktionen für die Öffnung unserer Schulen aufheben und nicht weiße Kinder aufnehmen, nicht weiße Lehrer einstellen - das ist sehr wichtig - und Ortskräfte, die partout unsere Politik der Öffnung sabotieren, dann auch einmal entlassen. Das wäre längst fällig.
Frau Abgeordnete, Ihre Redezeit ist beendet.
Der letzte Satz: 80% unserer Finanzmittel für Südafrika gehen in diese Schulen. Nur 10 % sind für die nichtweiße Bevölkerung. Wenn wir das nicht ändern, meine Damen und Herren, nützt uns die Ankündigung, das Kulturabkommen zu ändern, am Ende auch nichts.
Herzlichen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hauchler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Südafrika steht in einer aufbrandenden Welle von Gewalt, Terror und Haß. Immer war es bisher die schwarze Mehrheit, die mit ihrem Blut bezahlen mußte, was die weiße Minderheit dort angerichtet hat.
In diesem Parlament sind über diesen Tatbestand schon viele Worte gemacht worden, auch heute. Frau Hamm-Brücher hat ebenfalls darauf hingewiesen. Aber, Frau Hamm-Brücher, Politik besteht nicht darin, immer wieder Ziele und immer wieder neu die alten Ziele zu nennen, sondern darin, zu bestimmen, was wir tun, um diese Ziele durchzusetzen.
({0})
Da haben wir weitgehend - jedenfalls viele in diesem Parlament - versagt. Wir sind nicht weit genug gegangen.
({1})
Im letzten Jahr sind über 600 Schwarze ums Leben gekommen und Tausende ins Gefängnis geworfen worden. Jetzt aber erleben wir eine neue Stufe der Eskalation: Schwarze greifen Weiße an, dringen in ihre Wohnviertel ein.
({2})
Der ANC hat angekündigt, er könne in Zukunft keine Rücksicht mehr auf weiße Zivilisten nehmen.
Die SPD hat immer, vor allem im letzten Jahr, die Bundesregierung aufgefordert, ihren Druck auf Pretoria zu verstärken, damit schnellere und konkretere Schritte zur Abschaffung der Apartheid erfolgen. Aber statt eine aktive Rolle zu übernehmen, damit in Südafrika ein blutiger Bürgerkrieg verhindert wird, hat sich die deutsche Regierung, Frau Hamm-Brücher und Herr Genscher, aufs Zureden beschränkt. Wir haben zugeredet, aber wir haben nicht wirklich deutlich gemacht, daß wir nicht mehr bereit sind, diese Entwicklung so, wie sie dort von dieser Regierung gefahren wird, zuzulassen.
Wir sind deshalb mitschuldig geworden. Wir haben geduldet, daß deutsche Geländewagen und Hubschrauber eingesetzt werden, um Menschen, die nichts weiter als ihr Menschenrecht fordern, effizienter verfolgen zu können. Diese und auch frühere Regierungen haben mit staatlichen Exportbürgschaften Geschäfte mit der Apartheid gefördert. Diese Regierung hat es hingenommen, daß in den eigenen Reihen ein Ministerpräsident und andere, die aus der Geschichte des deutschen Faschismus und Rassimus offenbar wenig gelernt haben,
({3})
in stillem Einverständnis mit den Bothas, Le Grange und Malan den schwarzen Menschen gleiche Rechte absprechen. Die Zitate aus Ihren Reihen sprechen für sich.
({4})
Warum also sollte Pretoria wirklich reagieren, wenn man dort die Überzeugung haben konnte, Bonn, London und Washington würden letzten Endes doch diesem Regime nicht wirklich in den Arm fallen?
Die Maßnahmen, die Bonn nun praktisch als Nachzügler in der Entwicklung doch beschlossen hat, sind ein weiterer Beweis der Ausflucht. Sie sind weder geeignet, neue Signale zu setzen, noch verlangen sie uns selbst Opfer ab. Deshalb fordern wir konkretere Maßnahmen, um auch wirtschaftlichen Druck auf Südafrika auszuüben. Mein Kollege Verheugen hat den Katalog genannt.
Nun kennen wir natürlich den Einwand, Sanktionen und wirtschaftlicher Druck würden den Schwarzen in Südafrika und den Nachbarländern schaden.
({5})
- Zum einen ist dazu zu sagen, Herr Kollege: In der jüngsten Umfrage haben sich über 70 % der städtischen Schwarzen für Sanktionen ausgesprochen. Wir dürfen uns also hier nicht arrogant hinstellen und über die Köpfe der Betroffenen hinweg sagen,
({6})
welchen Preis sie zahlen wollen oder nicht zahlen wollen. Das wollen aber Sie tun. Zum anderen: Die Nachbarländer sind durch die ständigen Aggressionen Südafrikas
({7})
schon heute wirtschaftlich extrem belastet. Der Kampf Mosambiks, Angolas, Simbabwes gegen die von Südafrika gestützten Rebellen verschlingt Ressourcen, die dringend benötigt würden, um Armut und Hungersnot zu beenden. Im übrigen ließe sich die gegenwärtige Erpressung der Frontstaaten durch Südafrika
({8})
heute schon wenigstens zum Teil dadurch ausgleichen, daß wir bereit wären, Mosambik und Angola zu helfen, die Transportwege zur Verfügung zu stellen,
({9})
die die Länder des südlichen Afrikas brauchen, um regional zu kooperieren und ihren Außenhandel abzuwickeln.
Wie die Dinge liegen, kann nur eine schnelle Beendigung der Apartheid das Blutbad abwenden, in dem j a nicht nur schwarze, sondern auch weiße Menschen versinken würden.
({10})
Und wer die Apartheid nicht aktiv bekämpft oder sich nur minimal bewegt, wie Herr Genscher es will, wer mit Worten die Abschaffung der Apartheid immer neu fordert, gleichzeitig aber auf die eigenen guten Geschäfte achtet, der handelt nicht nur verantwortungslos und unmoralisch; der handelt auch wider die Vernunft.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Mittelpunkt all unseres politischen Handelns steht der Mensch. Bezogen auf die Situation in Südafrika bedeutet dies, daß im Mittelpunkt auch unseres Handelns der schwarze wie der weiße Mensch stehen, Lebensrecht und Mitwirkungsrechte für den schwarzen, aber auch Überlebensrechte für den weißen.
Diese These verpflichtet uns, auf eine friedliche Lösung hinzuwirken. Friedliche Lösung bedeutet: Dialog statt Waffen, Dialog statt Gewalt, Dialog statt Boykott und, Herr Kollege Hauchler,
({0})
Dialog statt Polemik und Verunglimpfung deutscher Politiker.
Ich glaube, gerade Ihr Beitrag, Herr Kollege Hauchler, hat sehr deutlich gezeigt, daß Sie keine Vorschläge machen, die einen Weg hin zu einem friedlichen Miteinander im südlichen Afrika aufzeigen.
({1})
Ich werde versuchen, dies auch zu begründen.
Alle Beteiligten, ob sie im südlichen Afrika sind oder ob sie sich hier in den Industrienationen befinden, sind in dieser schwierigen spannungsgeladenen Situation gehalten, klug und vernünftig zu handeln.
({2})
Klug und vernünftig bedeutet für uns - übrigens für alle Seiten des Hauses genauso wie für die deutsche Wirtschaft oder für die deutschen Gewerkschaften -, nicht anzuheizen, sondern die vorhandenen Gesprächsfäden zu nutzen.
({3})
Wir müssen die Gesprächsfäden zur Regierung, zu den Kirchen und - dies sage ich ganz bewußt auch im Hinblick auf die Kollegen von der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion - auch zu den Gewerkschaften nutzen. Ich finde, es ist der Sache nicht dienlich, wenn schwarze Gewerkschafter, die die Bundesrepublik Deutschland besuchen, von Ihrer Seite nicht empfangen werden.
({4})
Man sollte auch zu schwarzen Gewerkschaften, deren Vertreter zu uns kommen, den Faden spinnen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die geforderten Boykottmaßnahmen sind ein zweischneidiges Schwert. Dafür gibt es viele Beweise. Wir wissen, daß durch Boykotte nicht in erster Linie und zuvörderst die Reichen, sondern die Armen getroffen würden. Wir wissen, daß durch Boykotte zuvörderst nicht z. B. der südafrikanische Farmer, sondern der schwarze Landarbeiter betroffen würde. Wir wissen, daß nicht in erster Linie die Minenunternehmen, sondern der Kumpel in der Mine betroffen würde. Boykott in der jetzigen Situation würde heißen: verstärkte Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen hin zu Toten, zu noch mehr Toten.
({5})
Wer will das in diesem Hause? Niemand. Niemand könnte es verantworten.
Ich sage es deutlich: Politik, die sich an Rassen orientiert, ist menschenverachtend. Apartheid ist menschenunwürdig. Gleichgültig aber, ob diese Politik von Schwarzen oder ob sie von Weißen betrieben wird: Sie ist menschenverachtend.
({6})
Es ist gleichgültig, ob sie sich gegen Schwarze, gegen Weiße oder - wie in Nicaragua - gegen Indianer richtet.
({7})
Klug und vernünftig handeln heißt für die südafrikanische Regierung in dieser Situation: Reformen nicht nur verkünden, wie so oft in der Vergangenheit, sondern diese Reformen auch umsetzen, Apartheid so schnell wie möglich abschaffen, den Schwarzen Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte geben.
Wir appellieren an die südafrikanische Regierung, Gesten des guten Willens zu zeigen, die der Gewalt Einhalt gebieten. Wir appellieren an die Regierung, mit der schwarzen Opposition zu sprechen, den Dialog mit den schwarzen Oppositionsführern zu führen. Wir appellieren aber auch an die schwarze Opposition, nicht auf Gewalt, sondern auf friedliche Mittel zu setzen, nicht auf Revolution, sondern auf Reformen. Alle Beteiligten haben in dieser schwierigen Situation nicht nur Dialogbereitschaft, sondern auch Dialogfähigkeit unter Beweis zu stellen.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Schwarz.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In einer bedeutenden deutschen Wochenzeitung war in diesem Monat zum Thema Südafrika unter der Überschrift „Was bringen Sanktionen?" zu lesen - ich darf zitieren -:
Pragmatische Lösungen sind in weite Ferne gerückt. Bewußtsein und Verhaltensweise aller Beteiligten sind bis zur Absurdität emotionalisiert worden. Die europäischen Staaten benutzen den Anlaß zur innenpolitischen Profilierung, oder sie meinen, sich im Wettbewerb um die Schaustellung ihrer moralischen Empörung überbieten zu müssen; .. .
Ich glaube, man kann diesen Satz auf die Debatte übertragen, die in der Bundesrepublik Deutschland geführt wird, wobei insbesondere die GRÜNEN, was die Schaustellung ihrer moralischen Empörung angeht, eigentlich ein Beispiel gegeben haben, das nicht mehr überbietbar ist. Entschuldigung, das ist Heuchelei, auch wenn mir das einen Ordnungsruf einbringen muß, meine Damen und Herren. Man
muß in diesem Parlament noch sagen können, was Heuchelei ist.
({0})
Dieses Wort ist die klare Präzisierung dessen, um was es geht. Es war wichtig, dieses Wort auszusprechen, auch wenn es nicht zum parlamentarischen Sprachgebrauch gehört. Ich glaube, daß dies deutlich gesagt werden muß.
({1})
Und ich meine, dem ist so. Das gehört zu dem, was Gräfin Dönhoff gesagt hat.
Ich komme zur parteipolitischen Auseinandersetzung. Die parteipolitische Auseinandersetzung
- hier die innenpolitische Auseinandersetzung, die skizziert ist - braucht Buhmänner. Und nun haben die Sozialdemokraten und die GRÜNEN einmal wieder den Buhmann Franz Josef Strauß gefunden. Auch ich habe, wie Sie wissen, in manchen Punkten eine andere Meinung als er. Nur, ich bin ganz sicher, daß Gespräche mit den Verantwortlichen in Südafrika geführt werden müssen.
({2})
- Natürlich seit 30 Jahren, noch viel länger als seit 30 Jahren. Auch einige andere Personen haben sich bemüht. Manche meinen, es sei zu spät. Es ist nie zu spät, solange nicht die Revolution und der Krieg ausgebrochen ist.
({3})
Der Dialog ist wichtiger als alles andere. Was er dort bewegt hat, ist mehr als das, was mancher bewirkt, der in südafrikanischen Botschaften demonstriert oder hier von der Tribüne des Deutschen Bundestages aus etwas fordert.
({4}) Politik heißt durchsetzen, Herr Hauchler.
Wenn ich höre, was Herr Verheugen gesagt hat, was wir in Südafrika alles machen müssen, dann sage ich Ihnen ganz ehrlich: Ich habe ein klein bißchen das Gefühl, hier kommt die Mentalität wieder „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen".
({5})
- Nein, es ist nicht so, daß wir nicht unsere Vorstellungen von der Politik dort haben. Nur, von dieser Tribüne hier zu sagen: Das muß alles so sein, wie wir das meinen!, hat etwas von der Mentalität „Am deutschen Wesen soll die Welt genesen". Das ist keine gute Politik.
({6})
- Reden Sie doch kein dummes Zeug! Es gibt keine deutschen Waffen in Südafrika; das hat der Außenminister gesagt. Hören Sie endlich auf mit der per11782
manenten Verfälschung und der Behauptung der Unwahrheit in dieser Frage.
({7})
- Warum soll ein Unimog nicht geliefert werden dürfen? Ein Unimog ist ein wichtiges Element der Entwicklungspolitik.
({8})
Dort muß doch transportiert werden. Natürlich kann man mit dem Unimog auch Waffen transportieren. Aber Ihre Behauptung beweist die ganze Dummheit, die Sie in der Bundesrepublik in die politische Debatte einführen.
({9})
Ich glaube, eines ist wichtig: Wir müssen begreifen, daß die Politik, die wir in Südafrika wollen, auch wegen der Rassentrennung, nur im permanenten, im ständigen Gespräch möglich ist. Ich bin Herrn Kollegen Roth dankbar, der hier gesagt hat, daß wir uns in einem Punkt einig sind - er hat gesagt: nur in einem Punkt -: daß es nicht wahr ist, daß in Afrika der Konflikt nur schwarz-weiß ist. Der Konflikt ist weiß-weiß. Der Konflikt ist schwarz-schwarz, und das mehrfach.
({10})
Der Konflikt ist schwarz-weiß und weiß-schwarz.
({11})
- Ja, alles. So differenziert ist die Lage in Südafrika. Wer dem Land helfen will, muß endlich begreifen, daß die Lage dort viel differenzierter ist,
({12})
als sie in emotinalisierten Debatten hier dargestellt wird. Ich hoffe, diese Debatte hier trägt mit dazu bei, daß die Regierung und die Verantwortlichen in Südafrika erkennen, daß es bei uns in der Bundesrepublik viel guten Willen gibt, ihnen zu helfen. Ich glaube, da helfen nicht radikale Töne, nicht Pressionen und Belehrungen. Permanentes Gespräch miteinander hilft da eher als dummes Zeug in der deutschen Botschaft in Pretoria.
({13})
Herr Kollege Schwarz, ich habe ja nicht geglaubt, daß wir es schaffen, diesen Begriff, von dem ich vorhin gesprochen hatte, aus der Debatte herauszubekommen. Bis jetzt waren es zwei von elf Rednern, denen ich sagen mußte, das Wort „Heuchelei" sei unparlamentarisch. Nun gehören auch Sie dazu.
Das Wort hat der Abgeordnete Toetemeyer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in dieser Debatte heute immer nur über Südafrika gesprochen. Ich möchte, daß Namibia in dieser Debatte nicht untergeht. Deshalb wird Namibia Gegenstand meines Beitrags sein.
Aber vorab: Herr Bundesaußenminister, wenn ich Sie richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, nach Ihrer Auffassung sollte das Sonderprogramm „Südliches Afrika" ausgebaut werden. Ich gehe - sicherlich für das ganze Haus - wohl nicht fehl in der Annahme, daß die Bundesregierung zum Haushalt 1986 noch eine stärkere Erhöhung als um 300 000 DM vorschlagen wird. Ich hoffe, daß Sie da Ihren Worten Taten folgen lassen.
({0})
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, Namibia wird nun schon seit über einem halben Jahrhundert durch die Republik Südafrika illegal besetzt. Wer, wie viele unter Ihnen und wie auch ich in letzter Zeit dieses Land besucht hat, der wird feststellen, daß dieses - da sind wir Deutschen j a nicht ganz unbetroffen - seit über 100 Jahren nach Selbstbestimmung suchende Land auch in einer solchen Debatte angesprochen werden muß und daß alle Maßnahmen - welche auch immer -, die wir treffen, die einen Druck auf die Republik Südafrika ausüben, dem Ziel dienen müssen, daß auch dieses Land endlich frei wird.
({1})
Wenn Sie im Zusammenhang mit der Installierung der sogenannten Übergangsregierung in Namibia durch den südafrikanischen Staatspräsidenten hören, daß der Oberbefehlshaber der südafrikanischen Truppen in Namibia in einer internationalen Konferenz folgendes ausführt, sollte das Ihr Interesse wecken. Ich zitiere:
Wir sind im Begriff, den Krieg zu gewinnen. Wir haben jetzt im Norden Namibias in den ersten fünf Monaten bereits 264 Informationsfälle der dort lebenden Bevölkerung. Die Bevölkerung fühlt sich nicht mehr bedroht, wenn sie uns Informationen bringt. Das ist ein gutes Zeichen; sie fühlen sich beschützt.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, dies ist blanker Zynismus. Wer das Land im Norden Namibias besucht, wird feststellen, daß es nirgendwo auf der Welt Menschen gibt, die so unterdrückt sind, die so mißbraucht werden wie in diesem Land.
({2})
- Herr Kollege Klein, ich würde an Ihrer Stelle sehr vorsichtig sein. Wer sich auf Kosten der südafrikanischen Regierung einladen läßt, hat das Recht zur Kritik verloren.
({3})
Deswegen muß - Herr Kollege Klein, fahren Sie doch bitte in den Norden Namibias - es unser Bestreben sein, daß auch dieses Land frei wird.
({4})
Das kann nur geschehen - ({5})
- Lassen Sie mich zu diesem Stichwort sehr offen sagen: Gewalt provoziert immer Gegengewalt.
({6})
Verwechseln Sie doch bitte nicht Ursache und Wirkung! Wenn Menschen, deren Land besetzt wird, sich dagegen wehren, kann man die Dinge doch nicht herumdrehen.
({7})
Ich möchte schließen, meine Damen und Herren. Ich halte es für sehr gut, daß wir auf die Stimmen der beiden großen Kirchen in Namibia hören. Ich habe sowohl mit dem Bischof der evangelisch-lutherischen Kirche im Ovamboland als auch mit dem katholischen Bischof der Norddiözese Namibias sehr ausführlich noch vor kurzer Zeit gesprochen. Ich möchte damit schließen - ich bitte Sie sehr, daß wir das beherzigen -: Beide haben mit etwa den gleichen Worten gesagt - ich zitiere -: „Wenn ihr das Problem in Namibia erst morgen löst, dann sterben die Menschen heute." - Darum geht es.
({8})
Das Wort hat Herr Dr. Hornhues.
Herr Vorsitzender! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Toetemeyer, in zweieinhalb Sekunden am Ende noch Namibia zu erörtern, mag einen bestimmten Reiz haben; aber das Thema ist mir zu ernst und zu wichtig, als daß ich an dieser Stelle noch näher darauf eingehen möchte. Vielleicht nutzen Sie die Gelegenheit, das Thema von sich aus noch einmal angemessen auf die Tagesordnung zu bringen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie mich zum Ende dieser Aktuellen Stunde für meine Fraktion folgendes feststellen. Auch wenn Sie es immer wieder anzweifeln und immer wieder Ihre Fragezeichen machen, so gilt für uns, für die CDU/CSU-Fraktion: Apartheidspolitik ist, bleibt und war mit unseren Grundsätzen unvereinbar. Deswegen ist es das Ziel unseres politischen Bemühens, gewaltfreien und friedlichen Wandel so schnell wie möglich herbeizuführen. Deswegen begrüßen wir, daß die Bundesregierung in der gebotenen Klarheit mit ihren Beschlüssen in dieser Woche deutlich gemacht hat, wie sehr wir daran interessiert sind, daß die Apartheidspolitik so schnell wie möglich beendet wird, daß alle Bürger Südafrikas gleiche Rechte genießen sollen und Minderheitenschutz gewährleistet sein muß.
Um diese Ziele in Südafrika zu erreichen, ist, so heißt es in dem Papier der EG-Außenminister, ein wirklicher Dialog vor allem mit den Vertretern der Schwarzen erforderlich. Ich darf darauf hinweisen, daß die Diskussion in Südafrika von der Wortwahl her glücklicherweise schon ein Stückchen weiter ist, Herr Außenminister, denn man spricht nicht mehr vom „Dialog". Bei aller Kritik, die man üben mag, bei aller Enttäuschung, die man hinsichtlich der Erwartungen, die man an den südafrikanischen Präsidenten gerichtet hat, haben mag: Auf dem Tisch liegt jetzt erstmalig das Wort von „Verhandlungen", nicht mehr vom Dialog, sondern von Verhandlungen über eine gemeinsame Zukunft mit allen Bevölkerungsgruppen. Da gibt es zugegebenermaßen viele Wenn und Aber, viele Haken und Ösen, aber ich glaube, es ist unsere Pflicht, in dem Augenblick, in dem nun erstmalig - wenn auch mit vielen Einschränkungen - auch die südafrikanische Regierung erklärt, daß sie mit den Schwarzen über die gemeinsame Zukunft in einem gemeinsamen Südafrika verhandeln will, sie beim Wort zu nehmen, sie darauf festzunageln und alles dafür zu tun, daß es dazu kommt, daß diese Verhandlungen stattfinden.
Deswegen, meine sehr geehrten Damen und Herren, begrüßen wir nachdrücklich, daß die Bundesregierung im Kern an ihrer Politik des konstruktiv-kritischen Dialogs festhält, daß sie ihn sogar zu verstärken versucht.
In diesem Zusammenhang begrüßen wir auch nachdrücklich die Änderungskündigung des Kulturabkommens, die das Ziel hat, unsere Bemühungen in den kulturellen Beziehungen auf alle Menschen in Südafrika auszuweiten.
({0})
Wir lehnen Boykotte und Sanktionen, auch den Wirtschaftsboykott, ab. Mehrere meiner Kollegen haben deutlich gemacht, warum. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß ein Wirtschaftsboykott nicht sinnvoll ist. Wenn man die Frage stellt, warum es die Unruhen gibt, spielt vieles eine Rolle, aber auch wirtschaftliche Not und wirtschaftliches Elend vor allem der jungen Generation. Wer das verschärfen will, treibt Kinder und junge Menschen vor die Gewehre der Polizei und vor ihre Nilpferdpeitschen. Meine Position ist, Herr Kollege Verheugen: Da kann man jetzt nicht mehr fragen, wer am Anfang welche Schuld gehabt hat. Wir sind nicht bereit - auch ich nicht -, zu einer Politik beizutragen, die dazu führt, daß man Menschen - aus welchen Motiven auch immer - in die Gewalt und vor Gewehrläufe treibt, und sich dann hier moralisierend hinstellt und sagt: O, wie entsetzlich ist das Ganze!
Wir glauben, daß wir alle miteinander alles tun müssen, was notwendig ist, um diesen Prozeß von Verhandlungen so schnell wie irgend möglich zu erreichen. Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich bin nicht sicher, ob wir in der Vergangenheit - das ist ein Appell an uns alle, an meine Fraktion, an Sie, verehrte Kollegen, und an die Bundesregierung - tatsächlich alle Chancen eines konstruktiv-kritischen Dialogs genutzt haben. Ich bin seit vielen Jahren mit dem Thema beschäftigt, und ich erlaube mir die Feststellung: Niemand soll sich hier hinstellen und sagen, er habe bisher alles Menschenmögliche auf diesem Sektor getan. Ich kenne zu wenige, denen ich zubilligen würde, daß dem so sei.
Herzlichen Dank.
({1})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 27 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub ({0})
- Drucksache 10/3792 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({1})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Verteidigungsausschuß
Außerdem rufe ich die vorhin bereits verlesenen Zusatzpunkte 4 und 5 der Tagesordnung auf:
4. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ({2})
- Drucksache 10/3806 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({3})
Innenausschuß
Finanzausschuß
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
5. Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens"
- Drucksache 10/3805 Überweisungsvorschlag:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind eine gemeinsame Beratung des Tagesordnungspunkts 27 sowie der Zusatztagesordnungspunkte 4 und 5 und eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Die Begründungen werden, glaube ich, in der allgemeinen Aussprache gegeben, die ich hiermit eröffne. Das Wort hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenden wir uns wieder der Innen-, Gesellschafts- und Sozialpolitik zu. Mit dem Gesetzentwurf über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub und der damit verbundenen Anerkennung von Erziehungsjahren in der Rentenversicherung überschreitet die Bundesregierung den bisherigen Rahmen des Familienlastenausgleichs und schlägt ein völlig neues Kapitel in der Familien- und Frauenpolitik auf.
Ich habe Anfang der 70er Jahre - der jetzige Bundeskanzler war gerade zum Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz gewählt worden - mehrere Gespräche mit dem Verband alleinstehender Mütter geführt. Bei diesen Gesprächen ist diese Idee entwickelt worden. Es ging um die Frage: Wie kann man alleinstehende Mütter, die sich in einer sozialen Notlage befinden, von der schrecklichen Alternative befreien, wenn sie ein Kind bekommen, entweder arbeiten zu gehen und dann das Kind alleinlassen zu müssen oder beim Kind zu bleiben und auf die Sozialhilfe angewiesen zu sein. Damals entstand die Idee des Erziehungsgeldes, des Babyjahres, des Familiengeldes. Die Begriffe haben damals noch gewechselt.
Gleichzeitig wurde ein Problem erörtert, das immer aktueller wurde. Immer mehr Frauen wollten ihren Beruf ausüben, waren nicht mehr bereit, nach einer kurzen Phase der Berufsausübung in die Familie zu gehen, ihren Beruf aufzugeben. Es war also ein Problem entstanden, das es in den vergangenen Jahrzehnten in diesem Umfang nicht gegeben hatte. Millionen von jungen Frauen hatten einen Beruf erlernt, ihn lieben gelernt und wollten ihn ausüben. Wie kann man Familie und Beruf miteinander vereinbaren? Das war das zweite Problem.
Es kam eine weitere wichtige Frage hinzu, in der Nachkriegszeit unter dem Begriff der Schlüsselkinder bekannt und inzwischen zu einem wichtigen gesellschaftspolitischen und auch sozialpädiatrischen Problem geworden. Es betrifft gerade Kinder aus Familien, in denen beide Elternteile berufstätig sind. Es war die Erkenntnis, daß es für die Entwicklung eines Kindes gar nicht so sehr darauf ankommt, welche Förderung das Kind im Alter von 14 Jahren bekommt, sondern eher darauf, welche Förderung ein Kind in den entscheidenden ersten Lebensjahren erfährt, in denen sich Sprachschatz, Denkvermögen und soziales Verhalten entwickeln. Forschungen in der Tschechoslowakei und in Israel, aber auch in unserem Land, etwa von Professor Hellbrügge oder seinem Schüler Professor Pechstein, haben zu der klaren Erkenntnis geführt - die eigentlich eine Selbstverständlichkeit ist, aber sie wurde wissenschaftlich noch einmal unterstrichen -, daß die Kinder gerade in den entscheidenden ersten Jahren auf die Zuwendung, die persönliche Betreuung der Eltern, des Vaters oder der Mutter, in einer besonderen Weise angewiesen sind,
wenn die Lebenschancen der Kinder voll entwickelt werden sollten. Sie müssen Vertrauen, Liebe und Geborgenheit in der Familie erfahren. Das war eine der wichtigsten sozialpädiatrischen Forderungen.
Hier mußte eine Antwort gegeben werden. Denn es war plausibel, daß es nicht nur humaner, sondern gleichzeitig ökonomischer war - ein Gesichtspunkt, auf den wir damals immer unsere Finanzpolitiker hingewiesen haben -, es einer Mutter - der Gedanke an den Vater kam zeitlich etwas später - zu ermöglichen, das eigene Kind selber zu erziehen, anstatt sie aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen zur Arbeit zu zwingen, in die Fabrik zu zwingen und das eigene Kind von Sozialmüttern in gesellschaftlichen Einrichtungen unter hohen Personalkosten erziehen zu lassen. Daß hinterher die schweren seelischen Schäden, die Deprivationsschäden wie die Sozialpädiater sagen -, die bei dieser gesellschaftlichen Erziehung entstehen mußten, meist vergeblich und unter noch höheren Kosten in Kinderheimen, Sonderschulen bis hin zu Jugendgefängnissen geheilt werden müssen, ist nicht nur ökonomischer Unsinn, sondern auch unmenschlich gegenüber den Müttern, den Vätern und den Kindern.
({0})
Es war klar, daß von der Beantwortung dieser und anderer damit zusammenhängender Fragen der Stellenwert der wichtigsten Gemeinschaft der Gesellschaft und unseres Staates, nämlich der Familie, grundsätzlich berührt wurde. Die Tatsache, daß die Bundesrepublik Deutschland seit vielen Jahren das geburtenschwächste Land der Welt ist, hat ihre wichtigste Ursache darin, daß diese, die Existenz von jungen Frauen und Männern und ihre Familien berührenden Fragen bis heute keine befriedigende soziale und gesellschaftspolitische Antwort erfahren haben.
Das waren also die zentralen Fragen: Beseitigung der Notlagen alleinstehender Mütter, Erziehung und Betreuung des Kindes in der ersten wichtigen Lebensphase durch Vater oder Mutter, Unvereinbarkeit von Beruf und Familie.
Es kann nicht bestritten werden - positiv gesagt: Es wird von allen Fachverbänden, von allen gesellschaftspolitisch relevanten Gruppen anerkannt -, daß das von uns seit vielen Jahren vorgeschlagene und nunmehr von der Bundesregierung eingebrachte Gesetz über das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub eine überzeugende Antwort auf diese Probleme darstellt.
({1})
Es ist allerdings zu bedauern, daß es vom ersten Gesetzentwurf für ein Erziehungsgeld - daran darf ich erinnern -, der von der CDU/CSU-Fraktion im Jahre 1974 im Deutschen Bundestag eingebracht worden war
({2})
- wir hatten j a keine Mehrheit -, über die ganze
Ara der alten Regierung hinweg mehr als zehn
Jahre gedauert hat, bis nunmehr die neue Bundesregierung dieses Gesetz vorlegen konnte. Eine lange Geschichte! Bei früherer Einsicht hätte man, wie auch der jetzt nachgetragene Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zeigt, ein Jahrzehnt früher zur Verabschiedung dieses entscheidenden Gesetzes kommen können.
({3})
Was wird nun für die jungen Familien ab 1. Januar 1986 anders und neu werden? Alle Mütter werden in Zukunft ein Erziehungsgeld erhalten, nicht nur die Angestellte, die Arbeiterin, sondern auch die selbständig tätige Frau, die im Handwerk und im Geschäft mitarbeitende Ehefrau, die Hausfrau, die Bäuerin, aber auch die Arbeiterin, die schon vor einem oder vor zwei Jahren ein Kind bekommen hat, bei dem Kind geblieben ist und jetzt ein zweites Kind bekommt. Sie alle erhalten ein Erziehungsgeld von monatlich 600 DM zunächst für zehn Monate und von 1988 an für ein Jahr. Damit machen wir Schluß mit dem ungerechten Zweiklassenrecht des Mutterschaftsurlaubsgeldes, das nur eine in einem abhängigen Beruf erwerbstätige Frau erhält.
({4})
- Ich komme gleich darauf. - Ich muß leider sagen, daß dieser Fehler in dem nachgereichten Entwurf der sozialdemokratischen Fraktion wiederholt wird, indem die Hausfrauen, die selbständigen und die mithelfenden Frauen und übrigens auch die Männer anders, nämlich schlechter, behandelt werden. Ich kann mir das nicht anders erklären, als daß hier nach wie vor die ideologischen Rudimente einer antiquierten marxistischen Anthropologie
({5})
ihre fröhlichen Urständ feiern; denn das ist ja nun klar: Ich habe im Gegensatz zu Ihnen den Marx gelesen.
({6})
Daß Sie den Marx nicht gelesen haben, davon bin ich überzeugt; die Bücher sind viel zu dick! - Marx definiert den Menschen anthropologisch als produzierendes Wesen; alle gesellschaftlich relevanten Werte können nach seiner Philosophie nur im Produktionsprozeß entstehen.
({7})
Wer in den 80er Jahren dieses Jahrhunderts nach wie vor einen Unterschied macht zwischen Frauen, die im Produktionsprozeß stehen, und Frauen, die ihre Aufgabe in der Familie und in der Erziehung der Kinder erfüllen, dem kann ich nur attestieren, daß er die marxistischen Eierschalen noch nicht abgestreift hat.
({8})
Eine andere Begründung kann ich dafür nicht finden.
({9})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
11786 Deutscher Bundestag - 1O. Wahlperiode Dr. Geißler, Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: Ich gestatte.
Bitte schön, Herr Horacek!
Herr Minister, Sie haben dann sicher auch die Anmerkungen zum Gothaer Programm von Marx gelesen. Da steht gleich im ersten Satz die Kritik: Der Mensch definiert sich nicht nur durch die Arbeit. Die Natur ist sozusagen die Kraft, die alles in die Richtung bringt, und die Arbeit ist nur Ausdruck der Natur. Das heißt, das ist eine andere Definition der Arbeit des Menschen als die, die Sie heute gebracht haben.
Ich habe nicht vom Gothaer Programm geredet, sondern von Karl Marx.
({0})
- Die Sozialisten sind im Laufe der Jahre doch auch ein bißchen gescheiter geworden und haben über Marx differenzierter nachgedacht. Im übrigen steckt natürlich ein ernster Kern in dieser etwas lustigeren Auseinandersetzung: Die Marxisten in der DDR verfahren doch bis heute nach diesem Prinzip, indem diejenigen die im Produktionsprozeß stehen und diese gesellschaftlich relevanten Werte im Sinne des Sozialismus noch zu produzieren in der Lage sind, von Mauer und Stacheldraht eingesperrt werden, während die Alten, die keinen Wert im Produktionsprozeß mehr haben, in den kapitalistischen Westen hinübergelassen werden.
({1})
Das ist auch noch ein Resultat dieses völlig falsch verstandenen Menschenbildes.
Wir sagen: Die Tätigkeit in der Familie und für die Erziehung der Kinder ist genauso wichtig und deshalb vom Staat bei seinen Leistungen genauso anzuerkennen wie die Arbeit im normalen Erwerbsleben. Dies ist unsere Auffassung.
({2})
Wer dies nicht begreift und nach wie vor einen wichtigen Teil unserer Frauen diskriminiert, der ist eben im alten Jahrhundert und nicht in diesem Jahrhundert zu Hause. Ich kann mir nicht helfen.
({3})
Dieses Erziehungsgeld erhalten im übrigen auch Väter. Auch das ist neu. Väter tragen für die Erziehung ihrer Kinder genau dieselbe Verantwortung wie die Mütter. Die Bundesregierung erteilt mit diesem Gesetz eine klare Absage an diejenigen, die Männern oder Frauen vorschreiben oder durch bestimmte gesetzliche Strukturen zwingen wollen, wie sie ihr Zusammenleben gestalten sollen.
({4})
Unsere Politik hat das Ziel, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß Männer und Frauen, daß die Ehepartner miteinander vereinbaren können, ohne sozial und wirtschaftlich diskriminiert zu werden, wer welche Aufgabe erfüllt. Und deswegen gibt es, im Gegensatz zum früheren Mutterschaftsgeld der Sozialdemokraten, eben das Erziehungsgeld auch für den Vater.
Alle neueren Untersuchungen belegen: Fast alle Bürger der Bundesrepublik Deutschland sind der Auffassung, daß zu einer Ehe auch Kinder gehören und daß viele Ehepaare mehr Kinder wünschen, als sie tatsächlich haben. Tatsache ist auch, daß die Zahl der Gestorbenen in der Bundesrepublik jährlich höher ist als die Zahl der Geburten, eine problematische, ich meine, fast dramatisch schlechte Entwicklung.
({5})
- Damit Sie meine Meinung hier kennenlernen: Ich glaube nicht, daß jemand Kinder bekommt, damit Deutschland eine Zukunft hat. Das glaube ich nicht. Aber wenn niemand mehr Kinder bekommt, hat unser Land keine Zukunft. Davon bin ich überzeugt.
({6})
Wir wollen nicht irgendeine notwendige Kinderzahl propagieren.
({7})
Uns geht es vielmehr darum, daß die von der überwiegenden Mehrheit unserer Bevölkerung gewünschte Lebensform, nämlich ein Leben in einer Familie mit Kindern, ohne Benachteiligung und Diskriminierung verwirklicht werden kann. Darum geht es uns.
({8})
Daß das Erziehungsgeld auf Sozialleistungen wie Wohngeld und Sozialhilfe nicht angerechnet wird, ist eine Antwort auf die Probleme, die mir damals von den alleinstehenden Müttern vorgetragen worden sind - ein Problem, das uns in der Vergangenheit immer wieder beschäftigt hat. Und diese Probleme gibt es bis heute.
Auch die geschiedene Frau bekommt im übrigen das Erziehungsgeld auf ihre Unterhaltsansprüche in der Regel nicht angerechnet. Nur, mit diesem Gesetz wird ein neuer, qualitativer Schritt vollzogen. In Zukunft werden alleinstehende Mütter - ich nehme dieses Beispiel wieder auf, weil es am Anfang der Diskussion stand -, die sich in einer sozialen Notlage befinden, ab Januar nächsten Jahres gegenüber dem jetzigen Zustand in einer wesentlich verbesserten Situation sein: 600 DM Erziehungsgeld, 380 DM Sozialhilfe - zustande gekommen durch die 8%ige Erhöhung der Regelsätze ab 1. Juli dieses Jahres und zustande gekommen auf Grund der Tatsache, daß wir zum 1. Juli 1984 bereits die Deckelung der Sozialhilfe-Regelsätze beseitigt und wieder das Bedarfsdeckungsprinzip eingeführt haben -, also 600 DM Erziehungsgeld, 380 DM Sozialhilfe, 180 DM Sozialhilfe für das Kind und 20 % Mehrbedarfszuschlag, ebenfalls neu eingeführt - ergeben zusammen ungefähr 1 250 DM netto, zuzüglich die Kosten für Miete und Heizung.
Dies ist eine großartige sozialpolitische Leistung dieser Koalition.
({9})
Keine Frau kann deswegen, weil sie ein Kind bekommt, in eine soziale Notlage geraten. Dies ist in der konkreten Situation der wichtigste Beitrag zum Schutz des ungeborenen Lebens.
({10})
Nun wird zu Recht gesagt - dieser Zwischenruf kam schon -, das Kind lebt nicht nur ein Jahr, und deswegen gehen die sozialen Probleme nach einem Jahr wieder weiter.
({11})
- Ja, wenn man Ihre Wirtschafts- und Finanzpolitik betreibt, kann man die ganze Sozialpolitik streichen. Dann können wir nur noch das Elend gleichmäßig verteilen. Sozialpolitik ist dann nicht mehr möglich.
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- Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß wir eine Gesamtkonzeption haben. Diese wichtigste Phase dauert auch nach den Erkenntnissen der Sozialpädiatrie in der Rat nicht zehn oder zwölf Monate, sondern es handelt sich, bis die Kindergartenzeit beginnt, um die ersten zwei bis drei Jahre, in denen sich die frühkindliche Sozialisation und die ganz entscheidende Entwicklung des Kindes vollzieht. Ich mache nun allerdings darauf aufmerksam, daß wir nicht alles auf einmal machen können nach dem Scherbenhaufen, den wir angetroffen hatten, sondern wir haben erst einmal den ersten wichtigen Schritt getan, für ein Jahr; das war eine großartige Entscheidung.
Aber ich mache nun darauf aufmerksam, daß die von der CDU-regierten Länder Baden-Württemberg, Berlin, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz ihrerseits bereits ein Familien- und Babygeld haben und daß Baden-Württemberg und Berlin sich schon jetzt bereit erklärt haben, dieses ab 1. Januar 1986 für das zweite Lebensjahr des Kindes zur Verfügung zu stellen. Ich fordere alle von der SPD geführten Länder, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen,
({13}) auf, nun dasselbe zu tun
({14})
und endlich ein Baby- und Familiengeld einzuführen. Ich bin darüber hinaus der Auffassung - ich kann hier nur für meine Partei, die Christlich Demokratische Union, sprechen -, daß in der nächsten Legislaturperiode das Erziehungsgeld zeitlich ausgeweitet werden muß. Der Parteitag der Christlich Demokratischen Union in Essen hat - im übrigen auf Anregung des Bundesfinanzministers, ich führe dies hier gern an - einen entsprechenden Beschluß gefaßt, so daß wir in einem finanzpolitisch verantwortbaren Zeitraum eine Konzeption realisieren können, die dem entspricht, was wir uns zur Lösung dieses Problems vorstellen.
Im übrigen möchte ich zu dem von der SPD vorgeschlagenen neuen Modell mit dem verlängerten Erziehungsurlaub darauf aufmerksam machen: Dieses letzte Erziehungsurlaubsjahr, das in dem jetzt nachgereichten Antrag gefordert wird, können sich wirklich nur Leute mit einem dicken Geldbeutel leisten. Die anderen können es nicht, die sind nämlich auf ihr Arbeitseinkommen angewiesen.
Herr Präsident, ich habe den Eindruck, der Kollege will eine Zwischenfrage stellen. Ich komme jetzt zu einem neuen Kapitel und nehme an, daß er zu dem letzten Kapitel eine Frage stellen will.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?
Bitte schön.
Herr Minister, da das ja wohl Ihr Schwanengesang als Minister in diesem Hause ist, eine Frage.
({0})
Sie werden sich noch wundern.
({0})
Ich habe gesagt: als Minister.
({0})
So sehr ich persönlich den Ansatz in diesem Gesetzentwurf begrüße: Meinen Sie nicht, daß die Finanzpolitik und finanzpolitischen Notwendigkeiten gegenüber sozial- und familienpolitischen Erfordernissen noch immer allzu sehr Vorrang haben, und meinen Sie nicht, daß es nicht ausreichend ist, hier an Bundesländer zu appellieren? Denn wenn Sie sich darauf berufen, daß Sie seit 1974 solche Vorstellungen haben, hätten Sie dann hier und heute nicht andere Schritte tun müssen, als zunächst zehn Monate und ab 1988 zwölf Monate vorzusehen? Dann hätten Sie auch einmal zu den 1,5 Milliarden DM Stellung nehmen müssen, die das jetzt kostet. Das ist zwar viel, aber wenn Familienpolitik wirklich diese Bedeutung hat,
({1})
dann reicht das nicht aus. - Ich habe meine Frage mit einer begründenden Anmerkung versehen. Ich glaube, der Herr Minister hat diese Frage sehr wohl verstanden.
Ja, ich habe Ihre Anmerkung als Frage verstanden. Aber es ist nur so: Die beste Sozialpolitik hat keinen Sinn, wenn ich nach dem Motto verfahre: Wenn ich 50 Pfennig im Sack habe, gebe ich eine Mark aus; das geht nicht.
({0})
Vielmehr muß ich zunächst einmal den Bundeshaushalt wieder in Ordnung bringen, um eine qualitative Sozialpolitik machen zu können. Denn
wenn ich mehr ausgebe, als ich einnehme, dann ist die Konsequenz Inflation. Die Schuldenmacherei hat zur Konsequenz die Inflation. Da können wir sozialpolitische Leistungen beschließen, wie wir wollen, sie werden von der Inflation wieder aufgefressen.
({1})
Deswegen ist die Inflation gerade für die kleinen
Leute und die Familien mit Kindern die schädlichste gesellschafts- und sozialpolitische Entwicklung.
({2})
Im übrigen darf ich Sie darauf aufmerksam machen: Die solide Politik, die wir getrieben haben, die solide Politik des Bundesfinanzministers setzt uns in die Lage, das größte Familienpaket - es hat eine Größenordnung von mehr als zehn Milliarden DM -, das es in der Bundesrepublik gegeben hat, in dieser Legislaturperiode in Kraft zu setzen. Wenn wir Ihre Wirtschafts-, Finanz- und Haushaltspolitik fortgesetzt hätten, dann hätten wir in der Sozialpolitik Konkurs anmelden müssen; davon bin ich überzeugt.
({3})
Aber über das Thema werden wir noch lange genug reden. Wir werden über das Thema Erblast so lange reden, bis wir die Folgen Ihrer Politik beseitigt haben.
({4})
Das wird noch lange ein Thema sein.
Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß die Koalitionsfraktionen mit diesem Gesetz gleichzeitig ein Initiativgesetz zur Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" eingebracht haben, um dadurch die Mittel noch für dieses Jahr und für die kommenden Jahre um 10 Millionen DM je Jahr auf 60 Millionen DM pro Jahr zu erhöhen. Weit mehr als 20 000 Müttern in sozialer Not konnte durch die Stiftung im ersten Jahr geholfen werden - ein großer Erfolg dieser Bundesstiftung.
({5})
Ohne diese Bundesstiftung hätten wir diesen 20 000 Frauen nicht helfen können. Ich fordere deshalb auch hier - denn das ist der Grund für die eine oder andere Schwierigkeit, die wir im ersten Jahr des Bestehens dieser Stiftung gehabt haben - die Länder Hessen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bremen auf, endlich eine entsprechende Landesstiftung zu errichten,
({6})
so wie das in den anderen Bundesländern der Fall ist, damit auch in diesen SPD-regierten Ländern - das war bisher nicht möglich - zusammen mit der Bundesstiftung in Not geratenen Frauen noch wirksamer geholfen werden kann.
({7})
Am wenigsten kann ich hier den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen verstehen, der doch gerade im letzten Wahlkampf, zumindest auf den Plakaten, immer wieder gesagt, behauptet hat, wie sehr ihm die Familie und die Kinder am Herzen lägen. Landesstiftung zum Schutz des ungeborenen Lebens in Nordrhein-Westfalen: 0,0, negativ, abgelehnt. Ich habe immer geglaubt, daß Johannes Rau mit seiner Behauptung, ihm liege die Familie am Herzen, auch die noch ungeborenen Kinder gemeint hat.
({8})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es genügt nicht, Kinderfreundlichkeit auf schönen Plakaten zu demonstrieren.
({9})
Vielmehr werden wir die Sozialdemokraten daran messen, was sie in den Ländern, in denen sie die Verantwortung tragen, für die Familien mit Kindern konkret tun.
({10})
Eine wichtige Entscheidung nach vorne war die Entscheidung, daß während des Erziehungsurlaubs nicht gekündigt werden darf. Ich sehe gerade Frau Fuchs hier sitzen: Als wir vor einem Jahr bei den Beratungen über den Bundeshaushalt über dieses Thema redeten, haben Sie immer dazwischengerufen „Aber mit Beschäftigungsgarantie. Darauf sind wir gespannt!". Ich kann Ihnen sagen: Während des Erziehungsurlaubs darf nach unserem Gesetzentwurf nicht gekündigt werden. Nur in besonderen Fällen kann ausnahmsweise eine Kündigung von der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle für zulässig erklärt werden. Dieser umfassende Kündigungsschutz entspricht dem Kündigungsschutz, wie er bereits seit vielen Jahren für die ersten beiden Monate nach der Geburt gilt, in denen wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit der Mutter zugleich noch ein absolutes Beschäftigungsverbot besteht. Diese Regelung wird jetzt auf die gesamte Dauer des Erziehungsurlaubs ausgedehnt.
Diese Beschäftigungsgarantie bedeutet für 4,3 Millionen erwerbstätige Frauen im Alter von 20 bis 40 Jahren, daß sie im Falle der Schwangerschaft ihren Arbeitsplatz nicht verlieren.
({11})
Ich hätte es mit der von unserem Grundgesetz geschützten Menschenwürde für unvereinbar gehalten, diese Frauen vor die Alternative zu stellen: entweder Kind oder Arbeitsplatz.
({12})
Die Behauptung - da muß ich die Unternehmer in Schutz nehmen -, die Unternehmer in der Bundesrepublik Deutschland würden wegen dieser Beschäftigungsgarantie keine Frauen mehr einstellen - wie sie von einigen Verbänden und ihren hauptamtlichen Vertretern aufgestellt worden ist -, geht von einem Bild des Unternehmers aus, das wir in der Bundesrepublik Deutschland erfreulicherweise der Mehrheit der Unternehmer gar nicht mehr vorBundesminister Dr. Geißler
finden. Ich bedanke mich ausdrücklich bei den mittelständischen Unternehmern meiner Partei, auch dem Diskussionskreis Mittelstand meiner Fraktion, aber auch bei der Freien Demokratischen Partei, daß sie diese Beschäftigungsgarantie mitgetragen haben und weitsichtiger als manche Verbandsfunktionäre waren.
Wie die Erfahrungen vor allem in den Vereinigten Staaten bewiesen haben, wollen kluge Unternehmer auf die besondere Qualifikation, die Frauen für den Betrieb mitbringen, immer weniger verzichten. Gerade in einer Zeit des Umbruchs, des technischen Wandels ist es wichtig, darauf hinzuweisen: Wo Flexibilität, rasches Sich-Einstellen auf neue Situationen und neue Anforderungen verlangt werden, bewährt sich die Arbeit von Frauen in Betrieben besonders. Die Erfahrung hat auch gezeigt, daß Mädchen und Frauen auch in technischen Berufen Überdurchschnittliches leisten können.
({13})
Die große Mehrheit unserer Frauen will heute Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Keine Frau ist ein Leben lang Mutter von kleinen Kindern. Die Frauen begnügen sich zu Recht immer weniger mit sogenannten Zuverdienerjobs. Ich will das in aller Deutlichkeit sagen: Frauen sind keine konjunkturpolitische Manövriermasse,
({14})
die man in Zeiten hoher Arbeitslosigkeit nach Hause schickt und in Zeiten nicht ausreichender Arbeitskräfte wieder anheuert. Ich trete deshalb auch dem abschätzigen Gerede von den Doppelverdienern entschieden entgegen,
({15})
einem Gerede, hinter dem nichts anderes als die Absicht steckt, Frauen aus ihren Berufen hinauszudrängen. Etwas anderes steckt nicht dahinter.
({16})
Wir haben Millionen von jungen Frauen, die ihren Beruf erlernt haben. Ich habe es vorhin schon gesagt: Sie lieben ihren Beruf und wollen ihren Beruf ausüben, genauso wie die Männer. Niemand hat das Recht, diesen Frauen, weil sie dieselben Chancen wie die Männer wahrnehmen wollen, sozusagen überhöht ideologisch, weltanschaulich ein schlechtes Gewissen einzureden. Niemand.
({17})
Aber - ich hoffe, daß Sie jetzt auch Beifall geben - wir wehren uns genauso dagegen, wenn Frauen, die sich aus voller Überzeugung für die Aufgabe in der Familie und für die Erziehung der Kinder entscheiden, eingeredet wird, diese Aufgabe sei etwas Minderwertiges. Dagegen wehren wir uns genauso nachdrücklich.
Wenn wir über dieses Thema reden, sollten wir nicht nur von Müttern und Vätern, sondern vor allem über die Kinder reden. Sie werden bei dieser Debatte meistens vergessen. Kinder brauchen ihre Eltern; Kinder brauchen Vater und Mutter. Es gibt Untersuchungen, aus denen sich ergibt: Die meisten
Kinder wünschen sich nicht nur Zeit mit der Mutter, sondern vor allem mehr Zeit mit dem Vater. Wir wollen weder eine mutterlose noch eine vaterlose Gesellschaft. Wir wollen eine intakte Familie und wollen durch unsere Sozial- und Gesellschaftspolitik dafür die Voraussetzungen schaffen.
({18})
Manche Besorgnisse gegen die Beschäftigungsgarantie aus dem Bereich des Handwerks, des Einzelhandels und von Klein- und Mittelbetrieben konnten ausgeräumt werden. Befristete Arbeitsverträge sind auf Dauer möglich, solange es dieses Gesetz über den Erziehungsurlaub und das Erziehungsgeld gibt. Das Notwendige dazu ist schon im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz gesagt worden.
Die Ermöglichung der Teilzeitarbeit ab dem dritten Monat - eine neue gesetzliche Regelung - wird vor allem mittelständischen Betrieben helfen, besonders dann, wenn es sich um Spezialkräfte und solche Arbeitnehmer handelt, die mit den Verhältnissen des Betriebs besonders vertraut sind und daher schwer ersetzt werden können.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?
Bitte schön.
Bitte.
Herr Geißler, sind Sie sicher, daß alles das, was Sie über Doppelverdiener, über die Nichtverwendung dieses Wortes, über die Erwerbstätigkeit und darüber, daß sich auch die Väter beteiligen sollten, gesagt haben, auch von Herrn Blüm geteilt wird?
Ich empfehle Ihnen, verehrte Frau Kollegin, die von der Christlich-Demokratischen Union auf ihrem Essener Parteitag beschlossenen Leitsätze sorgfältig zu studieren.
({0})
Sie sollten gleichzeitig zur Kenntnis nehmen, daß diese Leitsätze einstimmig, also auch mit der Stimme von Norbert Blüm - aus Überzeugung -, verabschiedet worden sind.
({1})
Verba volant, scripta manent - Worte verfliegen, das Geschriebene, das Beschlossene, bleibt. Die Leitsätze, die wir beschlossen haben, sind die Richtlinie für unsere Frauenpolitik der Zukunft. Wir werden diese Frauenpolitik Schritt für Schritt durchsetzen.
({2})
Das haben wir auch in den letzten drei Jahren realisiert.
Im übrigen - das darf ich noch einmal sagen -: Die Ersatzkräfte können auf dem Arbeitsmarkt ohne weiteres gefunden werden. Dies ist auch die Auskunft der Bundesanstalt für Arbeit.
Kosten entstehen den Unternehmen im übrigen nicht, von der Einarbeitungszeit einmal abgesehen. Das Erziehungsgeld wird vom Staat gezahlt, die Erziehungszeiten in der Rentenversicherung ebenfalls. Wir haben eine beitragsfreie Weiterversicherung in der Krankenversicherung.
Ich will aber auch auf einen wichtigen Punkt hinweisen. Das Gesetz über das Erziehungsgeld und den Erziehungsurlaub kann eine gute Wirkung auf den Arbeitsmarkt haben. Wir gehen davon aus, daß im Jahre 1986 300 000 Väter oder Mütter den Erziehungsurlaub in Anspruch nehmen. Wenn von der Wirtschaft - ich bitte darum, daß auch die Betriebsräte mitmachen - für diese Erziehungsurlauberinnen und Erziehungsurlauber auch nur 150 000 oder 200 000 arbeitslose Ersatzkräfte eingestellt werden, erreichen wir dadurch - es setzt sich j a jedes Jahr erneut fort - eine gewaltige Entlastung des Arbeitsmarktes. Ich möchte einem Mißverständnis gleich vorbeugen; ich bin absichtlich mißverstanden worden. Nicht ich beabsichtige dies, sondern wir wissen aus der Erfahrung mit dem Gesetz über den Mutterschaftsurlaub, daß 50 % derjenigen, die den Erziehungsurlaub und den Mutterschaftsurlaub in Anspruch nehmen, nicht mehr - obwohl sie es vorher vorhatten - in ihren Betrieb zurückkehren, sondern bei ihrem Kind bleiben, was im übrigen auch verständlich ist. Es besteht also - jetzt komme ich wieder zur arbeitsmarktpolitischen Konsequenz - für 50 % derjenigen, die zunächst einen befristeten Arbeitsvertrag als Ersatzkraft bekommen, die Chance, einen Dauerarbeitsplatz zu erhalten. Ich appelliere an die Wirtschaft, an die Unternehmer und auch an die Betriebsräte, diese Chance für den Arbeitsmarkt zu ergreifen.
Je länger der Erziehungsurlaub dauert, um so wichtiger wird es sein, daß es mehr Teilzeitarbeit und Arbeitsplatzteilung in der Wirtschaft gibt. Viele Firmen - ich halte das für eine gute Entwicklung -, auch angeregt durch Modellversuche meines Ministeriums, bieten früheren Mitarbeiterinnen während ihrer Aufgabenerfüllung in der Familie z. B. an, Weiterbildungs- und Fortbildungskurse der Firma zu besuchen, oder laden sie ein, Urlaubsvertretung oder Krankheitsvertretung zu machen, so daß diese Frauen auch in der Zeit, in der sie in der Familie sind, sich sozusagen familienbegleitend beruflich qualifizieren können und dadurch später leichter den Anschluß an ihre berufliche Tätigkeit finden. Diese Seite des Erziehungsurlaubs muß bei unserer sozial- und frauenpolitischen Arbeit gesehen werden.
Nach über zehnjähriger Arbeit und politischer Auseinandersetzung sind nun also das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub mit Beschäftigungsgarantie von dieser neuen Bundesregierung beschlossen und am heutigen Tag in das Parlament zur Beratung eingebracht worden. Es ist ein Kernstück des 10-Milliarden-DM-Familienpakets, das in dieser Wahlperiode in Kraft treten wird. Erziehungsgeld, Erziehungsurlaub mit Beschäftigungsgarantie, Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung, Kinderfreibeträge im Steuerrecht, Kindergeldzuschlag, Kindergeld für arbeitslose Jugendliche, Stiftung „Mutter und Kind - Schutz des ungeborenen Lebens" und Verbesserung des Baukindergeldes - ich frage Sie: wann hat es je seit 1949 innerhalb einer Wahlperiode eine solche Aufwertung der Familienpolitik gegeben?
({3})
Ich bedanke mich bei allen, die in dieser Zeit die politischen und Gesellschaftlichen Voraussetzungen für die Verwirklichung dieses großen Gesetzgebungsvorhabens geschaffen haben. Ich schließe bei diesem Dank den politischen Gegner, die Sozialdemokratische Partei, nicht aus, die in manchen Fragen mit uns in einen der Sache förderlichen Wettbewerb getreten ist, was wir als überzeugte Anhänger der Sozialen Marktwirtschaft j a nicht zurückweisen durften. Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD allerdings beweist auch, wenn es dazu noch eines Beweises bedurft hätte, daß wir mit dem Gedanken des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs wirklich einen Durchbruch erreicht haben. Sie müssen mal Ihre Debattenbeiträge in den Jahren 1974 und 1979 zu diesem Thema nachlesen. Vergraben Sie sie in den Archiven Ihres Parteihauses! Daß sie jetzt sozusagen einen Gesetzentwurf eingebracht haben, der inhaltlich dem entspricht, was wir ohnehin vorschlagen - er fordert allerdings in manchen Punkten das Doppelte, ohne daß Sie richtig klar machen, wie das bezahlt werden soll; aber gut, das wollen wir der Opposition nachsehen -, beweist, daß wir einen Durchbruch erreicht haben.
Das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub reihen sich im Bereich der Gesellschafts- und Sozialpolitik in die großen sozial- und gesellschaftspolitischen Gesetze der Nachkriegszeit ein, die im übrigen in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht von den Sozialdemokraten, sondern von den Christlichen Demokraten initiiert und im Parlament zum großen Teil auch zusammen mit den Freien Demokraten verabschiedet worden sind: Montanmitbestimmung, Betriebsverfassungsgesetz, Familienlastenausgleich, die große Rentenreform, Bundesversorgungsgesetz, 312-DM-, 624-DM-Gesetz, Arbeitsförderungsgesetz, Ausbildungsförderungsgesetz, Bundessozialhilfegesetz, der Lastenausgleich für über 10 Millionen Heimatvertriebene und Flüchtlinge, die gesamte Sparförderung, um nur einige wenige Grundentscheidungen unserer Sozial- und Gesellschaftspolitik zu nennnen, die das Bild Nachkriegsdeutschlands geprägt haben.
({4})
Alle diese großen Gesetze sind, ebenso wie dieses Gesetz, das ich heute im Bundestag einbringe, aus dem Geist christlich-sozialer Verantwortung entstanden und mit den Mehrheiten von CDU/CSU und FDP zustande gekommen. Die neue Familienpolitik mit Erziehungsgeld und Anerkennung von Erziehungsjahren als einem Kernstück dieser Legislaturperiode gehört in diese Reihe. Dieses Gesetz
stärkt unsere Familien. Sie sind die wichtigsten Gemeinschaften in unserer Gesellschaft.
({5})
Die Familie ist darüber hinaus - das ist ihre weitere große Bedeutung - ein unantastbarer Raum der Freiheit gegenüber Staat und Gesellschaft.
Nicht ohne Grund haben alle totalitären Herrschaftssysteme, von den Nazis bis zu den Kommunisten, versucht, die Familie und ihre Strukturen zu zerstören. Das Selbstverständnis der Familie mit ihren personellen Bindungen und Bezügen, dem gegenseitigen Vertrauen, der Liebe, der Geborgenheit, der personalen und sozialen Verantwortung und der Partnerschaft, dieses Selbstverständnis, dem natürlich auch ein christliches, freiheitliches Menschenbild zugrunde liegt, muß eine Herausforderung für jedes totalitäre Herrschaftssystem sein, bei dem das gesellschaftliche oder staatliche System wichtiger ist als der Mensch.
Die ganze philosophische Entwicklung Europas - ich habe es hier im Deutschen Bundestag schon einmal gesagt -, von Aristoteles über Thomas von Aquin bis zu Montesquieu,
({6})
hat den Menschen und seine natürliche Gemeinschaft, nämlich die Familie und deren Rechte auf eigene Lebensgestaltung vor den Staat und vor die Gesellschaft gestellt. Erst mit Hegel kam der Bruch, denn nach ihm läuft die Geschichte auf ein Ziel zu, nämlich die vollkommene Verwirklichung des objektiven Geistes in der Gestaltung des Staates. Mensch und Familie werden zum bloßen Teil des Staates. Personale Einzigartigkeit und Verantwortung werden den Menschen und der Familie abgesprochen, und sie werden auf den Staat übertragen. Von dort spannt sich ein Bogen zur Staatsphilosophie von Carl Schmitt und genauso zu Marx und Lenin, bei denen an die Stelle des Obrigkeitsstaates das totale Gesellschaftssystem getreten ist, dem der Mensch und die Familie untergeordnet werden.
({7})
- Das muß man erwähnen, wenn wir über die Familienpolitik sprechen. Mich wundert es überhaupt nicht, daß Sie hier protestieren, denn Sie haben offenbar die grundsätzliche gesellschaftspolitische Bedeutung der Familie und der Politik für die Familie immer noch nicht begriffen.
({8})
Deswegen ist es auf diesem Hintergrund gar nicht so interessant, welche einzelnen Sozialleistungen Sie für die Familie beschließen oder welche familienpolitischen Geldleistungen Sie beantragen. Viel wichtiger ist, welchen grundsätzlichen Wert Sie der Familie und der Politik für die Familie in unserer Gesellschaftspolitik beimessen, ob Sie nämlich nach wie vor den Theorien, wie wir sie in den 70er Jahren bis Anfang der 80er Jahre in Ihren gesellschaftspolitischen Schriften - wie z. B. in der „Neuen Gesellschaft" - haben lesen können, beipflichten. Diesen Theorien zufolge ist die Familie z. B. der Ort erster Verformung und Beschädigung des Potentials der geistigen und moralischen Kräfte, die das menschliche Wesen unverzüglich und vom ersten Lebenstage an erfährt.
({9})
- Entschuldigung, das ist Ihre ideologische Geschichte, nicht unsere.
({10})
Ob die Familie der Ort ist, wie es z. B. heißt, an dem schon in der Kindheit die geistige und seelische Verkrüppelung der Menschheit vollzogen werde und daß der junge Mensch, wie es anderenorts heißt, aus der Fremdbestimmung seiner Eltern befreit werden müsse. Ihre Politik muß hier auch erst noch definiert werden, genauso wie in der Wirtschafts- wie in der Außenpolitik. Sie haben ein grundsätzlich theoretisch gespaltenes Verhältnis zur Familie und zur Familienpolitik. Ich stelle jedenfalls fest, daß das, was wir aus Ihrem Bereich in den vergangenen Jahrzehnten an Theorien gehört haben, in einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung nach meiner Auffassung nichts verloren hat.
({11})
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?
Nein, danke schön, Herr Präsident.
Von den 45 Minuten fehlt noch eine.
Herzlichen Dank, ich möchte jetzt keine Zwischenfrage mehr beantworten.
Für uns jedenfalls ist die Familie der wichtigste Ort der Gleichberechtigung und der Partnerschaft, aber auch der Ort, in dem Freiheit als personal verantwortete Freiheit erfahren wird, in dem Selbstverantwortung und Mitverantwortung in der Gemeinschaft erfahren werden. Klassische Tugenden und Verhaltensweisen können in der Familie wie wahrscheinlich nirgendwo sonst erlernt werden.
Deswegen reicht die Familienpolitik mit ihrer Aufgabe weit über die Sozialpolitik hinaus. Sie ist unverzichtbarer Bestandteil jeder modernen und gleichzeitig humanen Gesellschaftspolitik. Dieser Aufgabe wollte ich in den vergangenen drei Jahren dienen. Daß ich mit diesem Parlament zusammen und mit der Bundesregierung und dem Bundeskanzler für unsere Mitbürgerinnen und Mitbürger in diesem zentralen Bereich unserer Gesellschaft etwas erreichen konnte, dafür bin ich dankbar.
({0})
Ich verabschiede mich mit dieser Rede von Ihnen als Bundesminister, versichere Ihnen aber, daß ich
auch in Zukunft gelegentliche aufmunternde Worte an die Opposition richten werde.
({1})
Ich muß aber gerade bei dieser Verabschiedung dieses Gesetzes mit großer Dankbarkeit an eine Frau denken, nämlich an die verstorbene Frau des bayerischen Ministerpräsident, an Frau Marianne Strauß, die, wie wir alle wissen, bei unserer Schwesterpartei, der CSU, dem grundsätzlichen Gedanken des Erziehungsgeldes und des Erziehungsurlaubs zum Durchbruch verholfen hat. Ich bin mir bewußt: Ohne sie wäre dieses Gesetz nicht zustande gekommen. Ich werde das nicht vergessen.
Ich bedanke mich bei den Fraktionen der CDU/ CSU und der FDP, bei den Mitgliedern der Bundesregierung und vor allem beim Bundeskanzler, der die Familienpolitik immer wieder als ein Kernstück seiner Politik bezeichnet und auch durchgesetzt hat.
({2})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Sehr geehrter Herr Minister! Ich bin es allmählich leid. Ich bin es leid, als eine Frau, die hier steht, drei Kinder hat, die ein Leben lang damit beschäftigt war, Beruf und Kinderbetreuung unter einen Hut zu bringen, die, weil sie Großmutter ist, die Schwierigkeiten alleinerziehender Frauen kennt, ich bin es leid, wenn ich mir meine Kolleginnen in meiner Fraktion anschaue, wenn ich mir auch meine Kollegen in meiner Fraktion anschaue, mir dauernd Ihre philosophischen Exkurse über unsere angebliche Familienfeindlichkeit anzuhören.
({0})
Ich werde darauf auch nicht mehr eingehen, weil die geliebte Wirklichkeit unserer Partei und aller derer, die hier zusammensitzen, Sie schlicht und einfach Lügen straft.
({1})
So gebe ich Ihnen recht - auch wenn ich es ein bißchen anders formuliere -: Eine Gesellschaft ohne Kinder ist eine Gesellschaft ohne Hoffnung. Sie aber, Herr Minister, haben bei den Frauen Hoffnungen geweckt und enttäuscht.
({2})
Dieser Minister ist für viele Frauen und leider für
viele Familien ein Minister der Hoffnungslosigkeit.
({3})
Ich will das begründen. Ich will das nicht etwa mit Ihrem Umgang mit den Frauen Ihrer Fraktion begründen, auch nicht damit, daß Sie als Generalsekretär Ihrem Pressesprecher bei Entgleisungen wie: „Die Stuten sind noch nicht in den Schlußbogen gegangen", wenn es um die Besetzung eines
Ministeramtes mit einer Frau geht, nicht entgegentreten.
({4})
Es ist kein Wunder, daß Sie das nicht tun, weil Sie sich ja selbst huldvoll „unter den Töchtern des Landes umgesehen" haben. Frauenkarrieren von Männers Gnaden - das Lächen von Frauen gefriert zusehends.
({5})
Ich will das, wie gesagt, nicht damit begründen, obwohl das auch zur Veränderung des Bewußtseins zu Lasten oder zugunsten von Frauen dazugehört. Sie haben versucht - bewußt oder unbewußt -, Bewußtsein zu Lasten von Frauen zu verändern.
Ich begründe es damit, daß es zur Verbreitung von Hoffnungslosigkeit bei Frauen gehört, wenn der für Frauen zuständige Minister kein einziges Wort verliert, wenn es um Manipulationen an der Arbeitslosenstatistik geht, wenn Frauenarbeitslosigkeit und Teilzeitarbeitslosigkeit zur Arbeitslosigkeit zweiter Klasse degradiert werden soll.
({6})
Deshalb sage ich: Das, was Sie heute über „Doppelverdienerinnen" gesagt haben, mag j a vielleicht Ihre persönliche Meinung sein; es bleiben Lippenbekenntnisse, wenn nicht auch Taten folgen.
({7})
Vielleicht fragen Sie: Was hat das mit Elternurlaub oder Erziehungsgeld zu tun? Ich sage Ihnen: Ungeheuer viel, weil unser gemeinsames Bemühen - und dieses Bemühen gestehe ich Ihnen zu-, etwas für die Familien und für die Frauen zu tun, ohne Erfolg bleiben wird, wenn für Frauen weiterhin Hoffnungslosigkeit besteht, Ihre eigenen Vorstellungen vom Leben verwirklichen zu können.
Ich möchte Ihnen das erklären, weil ich glaube, daß hier jenseits aller Polemik die Ursache unserer grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten liegt. Frauen wollen heute die uneingeschränkte Chance einer qualifizierten Ausbildung, einer eigenständigen Erwerbstätigkeit, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und einer eigenen Altersversorgung, und daneben steht gleichberechtigt der Wunsch, Kinder zu haben und diese gemeinsam mit einem Mann oder auch alleine großzuziehen. Zwei Drittel aller Frauen, die ein Kind bekommen, sind erwerbstätig. Ein ebenso hoher Prozentsatz kann sich vorstellen, ein Arbeitsleben lang erwerbstätig zu sein und Kinder zu haben. Was haben Sie, was hat Ihre Regierung getan, um diesen Wünschen von Frauen ein Stückchen näherzukommen?
Als erstes - das war die erste Maßnahme Ihrer Regierung - haben Sie die Bildungschancen von Frauen zusammengestrichen.
({8})
Versuchen sie, sich doch einmal mit einem bißchen
Phantasie vorzustellen, was das seit 1983 für
Frauen bedeutet hat, die mühsam auf dem zweiten
Frau Schmidt ({9})
Bildungsweg Abschlüsse nachholen wollen und denen sie Knall auf Fall alles sogar dann gestrichen haben, wenn sie ein Kind hatten! Das haben sie erst vor ganz kurzer Zeit auf unser Insistieren hin geändert. Ansprüche auf Sozialhilfe wurden einer solchen Frau, wenn sie versucht hat weiterzulernen, gleich mitgestrichen, und wenn sie die Ausbildung abgebrochen und sich arbeitslos gemeldet hat, war und ist es mit ihren Ansprüchen auf Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe wieder Essig.
Wissen Sie überhaupt, wieviel geschiedene Frauen, wieviel Frauen, die sich Chancen auf dem Arbeitsmarkt überhaupt erst erlernen wollten, Sie damit getroffen haben? Wissen sie, wieviel von ihnen das Heer der bitter-realen und nicht etwa der sozialdemokratisch erfundenen neuen Armen vergrößert haben? Nicht weniger klein ist die Zahl der Frauen, denen Sie gleichzeitig jede Chance genommen haben, wieder in den Beruf zurückzukehren, durch nicht mehr vorhandene Möglichkeiten für Frauen, sich umschulen zu lassen.
Wie steht es mit dem Ziel einer eigenständigen Altersversorgung für die Frauen? Gebetsmühlen-haft haben Sie in diesem Parlament immer wieder die frohe Botschaft verkündet, daß es künftig bereits ab fünf Versicherungsjahren Altersrente gibt. Haben Sie den Frauen erzählt, wie diese Altersrente nach fünf Versicherungsjahren aussieht? Sind nicht einmal 100 Mark eine eigenständige Altersversorgung?
({10})
Rechtfertigt so eine Leistung, daß alle, auch die mit 15, 20 Versicherungsjahren, ihre Ansprüche
({11})
- Ruhe, meine Herren, Ruhe! - auf Erwerbsunfähigkeitsrente verloren haben, wenn sie nicht freiwillig Beiträge weiterzahlen? Wissen Sie, was es auch heute noch für eine Familienmutter bedeutet, jeden Monat 90 DM vom Haushaltsgeld abzwacken zu müssen, um sich Ansprüche erneut zu sichern, die sie längst gesichert glaubte?
({12})
Wissen Sie, was meine Schwiegermutter und ihre Altersgenossinnen von dieser Regierung halten,
({13})
die ihre Lebens- und Erziehungsleistung mit wohlklingenden Worten feiert und ihnen gleichzeitig einen finanziellen Tritt gibt?
({14})
Haben Sie die Frauen ein einziges Mal tatsächlich und wahrheitsgetreu über das vielgepriesene Babyjahr aufgeklärt? Haben Sie ihnen gesagt, daß es gegenüber heute nur ein Babyhalbjahr ist, haben Sie ihnen auch gesagt, daß Frauen wie ich - ich habe, wie gesagt, drei Kinder - kein einziges Jahr anerkannt bekommen, weil ich meine Kinder zum falschen Zeitpunkt betreut habe? Was haben meine
Kolleginnen in meinem ehemaligen Betrieb, die alle ein, zwei oder drei Kinder haben, die alle zeitweise dann aus dem Beruf ausgeschieden sind, als die Kinder sie brauchten, was nicht immer direkt nach der Geburt sein muß, gestaunt, als sie erfuhren, daß das Babyjahr für sie ohne jegliche Bedeutung ist!
({15})
- Das Babyjahr haben Sie so eingeführt.
Wie sieht es nach Ihrer Meinung in einer Familie aus, in der sich die Eltern jahrelang krummgelegt haben,
({16})
um ihren Kindern eine Ausbildung zu finanzieren, die dann als 27- oder 30jährige keine Arbeit finden und durch Ihre Regierung und durch niemanden anders jeden Anspruch auf Arbeitslosengeld verloren haben und weiter voll ihren Eltern auf der Tasche liegen?
Wie steht es Ihrer Meinung nach mit der Zukunftshoffnung einer der vielen jungen Frauen, die sich 30-, 40-, 50mal erfolglos um einen Ausbildungsplatz bewerben? Wird diese Frau mit dem Mann, den sie liebt, vielleicht eine große Familie gründen wollen, in der Angst, ihre Kinder denselben Erfahrungen auszusetzen?
Wie kann sich der für Frauen zuständige Minister breitschlagen lassen, die Arbeitslosenbeiträge zu senken, statt die dringend benötigten Mittel für Benachteiligtenprogramme, insbesondere für Mädchen, aufzustocken?
({17})
Wie kann der für Familien zuständige Minister der Maßnahme zustimmen, Arbeitslosenversicherungsbeiträge den Arbeitnehmern in Pfennigbeträgen und den Arbeitgebern in Marktbeträgen zu erlassen, statt dafür zu sorgen, daß Familien mit erwachsenen arbeitslosen Kindern wieder etwas freier atmen können?
({18})
Es wäre viel, viel wichtiger gewesen, all dies wiederherzustellen, als eine Stiftung einzurichten, die nach dem Willkürprinzip Gelder verteilt.
({19})
Auch da habe ich das Gefühl, daß Sie unsere Kritik nicht verstehen. Da wir uns hier nicht mehr sehen werden, will ich noch einmal versuchen, es zu erklären.
({20})
In unseren Augen machen Sie, Herr Geißler, den Fehler, soziale Notlage mit materieller Notlage gleichzusetzen.
({21})
Frau Schmidt ({22}) Für Sie ist - -({23})
- Herr Minister, mir ist das ungeheuer wichtig: Sie machen in meinen Augen den Fehler, soziale Notlage mit materieller Notlage gleichzusetzen.
({24})
Für Sie ist der Konflikt, in dem sich eine schwangere Frau befinden kann, immer ein Konflikt, der sich mit Geld lösen läßt;
({25})
ein typisch männlicher Irrtum!
({26})
Sonst weiß ich nicht, wie Sie zu Ihren Lösungen kommen;
({27}) sonst verstehe ich Ihre Lösungen nicht.
({28})
- Herr Schlottmann, Sie haben ja noch Gelegenheit, mich zu widerlegen, wenn es Ihnen gelingt.
Soziale Notlage bedeutet aber vielmehr die Sorge, arbeitslos zu werden, bedeutet die Angst, verlassen zu werden - wer die Äußerungen von Männern hört, deren Partnerinnen abgetrieben haben, kann diese Angst nachempfinden -, bedeutet die Sorge, eine Ausbildung nicht abschließen zu können. Diesen Frauen ist mit kurzfristiger Hilfe nicht gedient. Die Erfahrungsberichte aller Beratungsstellen bestätigen das. Diesen Frauen ist zu einem großen Teil überhaupt nicht mit Geld gedient.
({29})
Gedient ist ihnen nur mit einer Wiederherstellung und Verbesserung der Rechte, die sie schon einmal hatten.
({30})
Das Ziel Ihrer Stiftung, Herr Geißler, Abtreibungen überflüssig zu machen, wird ja auch in keiner Weise erreicht. Die weit überwiegende Zahl der werdenden Mütter, die die Stiftung in Anspruch nehmen, zieht einen Schwangerschaftsabbruch überhaupt nicht in Betracht, sondern braucht schlicht und einfach Geld.
({31})
Unsere Haltung ist insofern zwiespältig, weil ich natürlich etwas dafür übrig habe, daß Frauen, die es nötig haben, zusätzlich Geld bekommen.
({32})
Eine Lösung des Problems ist das aber nicht!
({33})
Auch das ist ein Beweis dafür, daß die neue Armut von Frauen nicht unsere Erfindung, sondern von Ihnen geschaffene Realität ist.
({34})
- Das tue ich!
({35})
Das tue ich einfach deshalb, weil wir Frauen da mit viel größerer Berechtigung von der persönlichen Betroffenheit reden können als jeder Mann, der hier sitzt.
({36})
Da schließe ich alle Männer ein.
({37})
Aber über Ihre Milchbübchenrechnung, die Sie uns vorhin vorgetragen haben, müssen wir jetzt noch reden.
({38})
Sie sagen: Nicht ausreichende Stiftungsmittel kann es nach dem 1. Januar 1986 nicht mehr geben, da jede alleinstehende Frau mit Erziehungsgeld, Sozialhilfe, Wohngeld und Mietzuschüssen ein Jahr lang ca. 1 600 DM zur Verfügung hat. Dazu sage ich:
Erstens ist frau für ihr Kind ein Leben lang verantwortlich.
Zweitens trifft Ihre schöne Rechnung dann nicht mehr zu, wenn die Frau in Ausbildung ist, weil dann nämlich die Sozialhilfeleistungen entfallen und es mit dem Wohngeld auch nichts wird.
({39})
- Lassen Sie sich von Ihren Beamten informieren, Herr Geißler.
Drittens ist es ein Hohn, einer Mutter als Lebensperspektive für sich und ihr Kind Sozialhilfeleistungen anzubieten. Der Verdacht, daß mit dieser Stiftung und dem Erziehungsgeld-Entwurf eben doch ein Herausdrängen aus dem Beruf verbunden sein soll, bleibt bestehen.
({40})
Damit bin ich bei Ihrem Erziehungsgeld und unserem Elternurlaub und möchte die wesentliche Kritik und die wesentlichen Unterscheidungsmerkmale herausstellen:
Erstens. Sie sind nicht bereit, zuzugestehen, daß unterschiedliche Situationen von Frauen, daß unFrau Schmidt ({41})
terschiedliche Situationen von Familien unterschiedlich behandelt werden müssen.
({42})
Sie versuchen weiterhin, uns Frauen, vor allen Dingen uns sozialdemokratischen Frauen, einen Dauerkonflikt zwischen Erwerbs- und Familienfrauen einzureden. Dies, Herr Minister, funktioniert nicht mehr, wie Sie vorhin ja selber ausgeführt haben!
({43})
Beinahe alle Frauen sind zeitweise oder immer berufstätig. Viele Frauen haben Familien. Frauen profitieren sowohl von guten Sozialleistungen für Erwerbstätige als auch von solchen für Familien, und sie leiden unter einem Mangel an beidem.
Zweitens. Für Sie ist es kein Unterschied, ob für eine Frau nach der Geburt eines Kindes ein ganzer Monatslohn entfällt oder nicht. Für uns ist das ein Unterschied, und wir handeln danach. Wir stellen den Mutterschaftsurlaub in voller Höhe wieder her.
Drittens. Wir sehen keinerlei Notwendigkeit, der Frau eines Ministers, eines Zahnarztes oder eines leitenden Angestellten, die vor der Geburt des Kindes nicht gearbeitet hat, auch noch 600 DM zu geben.
({44})
Ich weiß nicht, ob wir so viel übrighätten, das zu tun. Wir sehen dagegen die unbedingte Notwendigkeit, alleinerziehenden Vätern und Müttern größere Hilfen anzubieten. Bei Ihnen gibt es in diesem Bereich nur Fehlanzeige.
({45})
Viertens. Sie, Herr Minister, sprechen inzwischen von einem Dreiklassensystem bei uns, weil wir über den bezahlten Elternurlaub hinaus einen unbezahlten Elternurlaub anbieten. Wir sagen, daß das eine wichtige Leistung zur Wiedereingliederung von Frauen ist, daß das Frauen Mut und Hoffnung macht und die Sicherheit gibt, danach wieder arbeiten zu dürfen. Wir stellen fest, daß Sie diesen Frauen überhaupt nichts anzubieten haben.
Fünftens. Sie streuen Geld nach dem Gießkannenprinzip aus, wir verteilen es gezielt an die Familien, die es brauchen, Familien, denen Sie genommen haben und trotz Steueränderungen und Kindergeld für Einkommensschwache nur unzulänglich zurückgeben.
({46})
Ihr 10-Milliarden-DM-Programm einschließlich des Erziehungsgeldes, Herr Geißler, wird die Familien - das kann man nicht oft genug wiederholen ({47})
nicht wieder in den Stand von 1982 zurückversetzen. Das sagt nicht die sozialdemokratische Partei, sondern u. a. Ihre Nachfolgerin.
({48})
- Es lohnt sich nicht.
({49})
Sechstens. Sie zwingen Mütter und Väter - im Regelfall werden es die Mütter sein -, den Erziehungsurlaub sofort nach der Geburt des Kindes zu nehmen. Das heißt konkret für die Frau: eben doch Abschied nehmen vom Beruf. Wir wollen die Entscheidungsfreiheit der Familien erhalten und sie wählen lassen, wann sie in den ersten drei Lebensjahren des Kindes den Elternurlaub antreten wollen. Wir wollen sie ihr Leben selber organisieren lassen und keine Zwänge ausüben.
({50})
Siebtens. Sie reden von Wahlfreiheit und wissen genau, daß diese Wahlfreiheit von Mann und Frau auf dem Papier stehenbleibt, solange Männer und Frauen keine gleichen Einkommenschancen haben.
({51})
Demnach sieht Ihr Gesetz auch keine Belohnung vor, wenn der Urlaub tatsächlich solidarisch von beiden Elternteilen geteilt wird. In den dreizehn Jahren haben wir das gemacht, was Sie jetzt kaputtgemacht haben.
({52})
Wir wollen einen Anreiz schaffen, den Urlaub zu teilen, und verlängern deshalb den bezahlten Elternurlaub um drei Monate bei einer Teilung. Dabei wissen wir, daß diese Lösung unvollkommen und von der Finanzierbarkeit diktiert ist. Wir betrachten das deshalb als Zwischenlösung und als Einstieg in ein Elternurlaubsgesetz, bei dem sich die Bezahlung nach dem vorhergehenden Einkommen des betreuenden Elternteils richtet.
Achtens. Einer der wichtigsten Unterschiede: Sie lassen den Mutterschaftsurlaub ersatzlos in Erziehungsurlaub aufgehen. Das heißt konkret: Das ohnehin nicht üppige Mutterschaftsurlaubsgeld unserer Regierungszeit von 750 DM wird nie wieder erreicht, der verstärkte Kündigungsschutz ist perdu. Wir stellen den alten Mutterschaftsurlaub in alter Höhe und den verstärkten Kündigungsschutz wieder her, weil viele erwerbstätigen Frauen eine längere Regenerationszeit als acht Wochen benötigen,
({53})
weil gerade diese Frauen eine Frist benötigen, in
der sie unbesorgt entscheiden können, wie sie ihr
künftiges Leben gestalten und organisieren wollen,
({54})
Frau Schmidt ({55})
und weil wir - das möchte ich noch einmal betonen - auf unterschiedliche Situationen von Frauen als Gesetzgeber unterschiedlich reagieren müssen.
Wie frauenfeindlich sich Ihre Lösung auf Ehen auswirkt, in denen die Frau erwerbstätig und der Mann Hausmann oder Student ist, wird Ihnen meine Kollegin Matthäus-Maier noch darstellen.
({56}) - Weil auch sie betroffen ist.
Sehr geehrter Herr Geißler, Sie waren ein Familienminister für die reichen Familien. Ihr Jahrhundertprogramm, Ihre vernebelnden Statistiken können nicht darüber hinwegtäuschen, daß die einkommensschwachen Familien in den drei Jahren Ihrer Regierungszeit ärmer und die gutsituierten Familien reicher geworden sind. Sie waren ein Familienminister für die nachüberkommener Tradition organisierte Familie. Ein Frauenminister waren Sie trotz vieler Lippenbekenntnisse nicht.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Geißler?
Selbstverständlich.
Frau Kollegin, wie würden Sie einen Minister oder eine Ministerin bezeichnen, die in ihrer Amtszeit das Kindergeld gekürzt hat - und zwar für alle um 20 DM für das zweite und dritte Kind, sowohl für den Generaldirektor wie für den Hilfsarbeiter oder die alleinstehende Mutter -, und wie würden Sie eigentlich den Minister beurteilen, der im Gegensatz zu Ihnen eingeführt hat, daß diejenigen Leute, die ein höheres Einkommen haben, die mehr verdienen als 62 000 DM brutto, ein geringeres Kindergeld erhalten als alleinstehende Mütter, als Arbeiterinnen und Leute mit einem geringeren Einkommen?
Herr Minister, ich antworte Ihnen mit einer Gegenfrage:
({0})
- Es geht leider nicht anders. - Wie würden Sie einen Minister beurteilen, der zwar ein geringeres Kindergeld für Besserverdienende eingeführt hat, gleichzeitig aber dafür gesorgt hat, daß diese über das Steuerentlastungsprogramm doppelt und dreimal so viel zurückbekommen haben?
({1})
Wie würden Sie einen Minister beurteilen, der dies alles vernebelt? Wie würden Sie einen Minister beurteilen, der es trotz seiner gesamten familienpolitischen Anstrengungen nicht geschafft hat, die Familien wieder in den Stand zu versetzen, den die zitierte Ministerin bis 1982 trotz Kindergeldkürzung für sie geschaffen hat?
({2})
Herr Minister, ich habe keine Zeit mehr; meine Antwort wird j a angerechnet. Es tut mir leid.
({3})
Frau Abgeordnete, es steht noch ein Fragesteller da. Möchten Sie noch antworten?
Ich möchte jetzt zum Schluß kommen!
Keine Zwischenfragen mehr.
Wir hoffen, Herr Minister, und wir gehen davon aus, daß Ihre Nachfolgerin, Frau Professor Süssmuth, anders als Sie ihren Worten auch Taten folgen lassen wird. Sie wird uns, die Sozialdemokraten, dabei an ihrer Seite haben. Spielräume haben Sie ihr allerdings so gut wie keine gelassen. Deshalb wissen wir: Der einzige Minister des Kabinetts Kohl, der künftig das Recht haben wird, über Erblast zu reden, wird die Ministerin Frau Professor Süssmuth sein!
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Männle.
Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Allen Unkenrufen zum Trotz, Unkenrufen von Zweiflern, die nie geglaubt haben, daß wir das durchsetzen werden, aber auch von Leuten, die - wie ich meine - Hoffnungen ein bißchen auf der falschen Seite hatten, hat es diese Regierung fertiggebracht, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem sie ein weiteres neues Zeichen in der Familienpolitik gesetzt hat. Das ist ihr so gut gelungen, meine Damen und Herren, daß sich die SPD-Fraktion in letzter Minute herausgefordert sah, ebenfalls einen Gesetzentwurf zu präsentieren, wozu sie sich in ihrer eigenen Regierungszeit bedauerlicherweise als unfähig erwies.
({0})
Liebe Frau Schmidt, gestatten Sie mir dies als Vorbemerkung: Ich bewundere wirklich, mit welcher Unverfrorenheit
({1})
Sie sich jetzt hier hinstellen. Sie stellen Behauptungen auf, sehr elegant in Frageform gekleidet, und wissen ganz genau, daß sehr vieles daran falsch ist. Sie treten keinen Beweis für die Zahlen an. Ich nenne Ihnen ein paar Beispiele.
Zum einen haben Sie den Herrn Minister gerügt. Sie wissen, daß der Minister Herrn Tiesenhausen wegen dieser Äußerung, die zugegebenermaßen nicht richtig war, sofort zurückgepfiffen hat.
({2})
Sie haben das AFG angesprochen, Frau Schmidt.
Wer hat denn beim ersten Haushaltsstrukturgesetz
verhindert, daß die Frauen, die wieder einsteigen wollen, im AFG bleiben? - Sie haben es ihnen unmöglich gemacht! Wir haben das jetzt wieder aufgenommen und haben das rückgängig gemacht, was Sie verkehrt gemacht haben.
({3})
Sie haben über Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung gesprochen. Es ist wirklich sehr interessant zu sehen, wie Sie - ich bin fast versucht zu sagen: heuchlerisch - seit X Jahren zu den Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung zwar Forderungen aufgestellt und sich immer verbal geäußert haben, aber nicht einen einzigen Gesetzentwurf eingebracht haben.
({4})
- Was haben Sie denn mit dem Babyjahr gemacht?
({5})
- Frau Fuchs, lassen Sie mich mal ausreden. Ich will Ihnen deutlich machen, was dieses Babyjahr sollte. Hätte das für die Frauen gegolten, liebe Frau Fuchs, die vor 1921 geboren sind? Sagen Sie es, bitte schön, mal den Wählerinnen draußen, daß das für sie eben nicht gegolten hätte.
({6})
Und, Frau Fuchs, sagen Sie auch, daß es nicht für die Frauen gegolten hätte, die nicht erwerbstätig waren,
({7})
sondern wiederum nur für die erwerbstätigen Frauen. Die Hausfrau, die drei, vier, fünf, sechs Kinder großgezogen hat und eben keine 15 Jahre Versicherungszeit hatte, wäre völlig leer ausgegangen.
({8})
Zu der Absenkung auf fünf Jahre: Sie beklagen jetzt, daß das so wenig Geld ist, auf das man nach fünf Jahren Versicherungszeit Anspruch hat. Sie wissen, daß das die Mindestvoraussetzung ist. Ich bin froh, wenn jemand 100 DM Rente kriegt anstatt 0 DM Rente.
({9})
Und was bekommt denn jemand, der 13 Jahre, 14 Jahre eingezahlt hat? Der bekommt andere Beträge. Aber das unterschlagen Sie natürlich, weil man mit den 100 DM nach fünf Jahren Versicherungszeit draußen recht gut hausieren und Unwahrheiten verbreiten kann.
({10})
- Ich sage: nicht die volle Wahrheit. Es ist doch immer so schön, wenn man Halbsätze herausnimmt. Das haben Sie, Frau Schmidt, gerade getan.
Auf die anderen Dinge brauche ich nicht einzugehen, weil ich meine, daß ich das, was Sie hier sagten, doch in gewisser Weise widerlegen konnte. Ich meine BAföG und all die anderen Dinge. Wir kennen sie; wir haben schon häufig darüber gesprochen.
Meine Damen und Herren, als wir die Regierung übernahmen, haben wir versprochen, die Familie wieder in den Mittelpunkt der Politik zu rücken.
({11})
- Wir haben versprochen, die Familie in den Mittelpunkt zu stellen, und wir haben die Familie stärker gefördert.
({12})
Ich behaupte - und wir können das beweisen -, daß unseren Ankündigungen Taten gefolgt sind. Das können Sie doch nicht verschleiern.
({13})
Herr Minister, letztlich verdanken wir das einem Familienminister, der mit Weitblick und auch Durchsetzungskraft für die Sache der Familie gekämpft hat. Sie haben der Familienpolitik ganz neue Impulse gegeben. Ich darf Ihnen im Namen der gesamten Fraktion von diesem Platz hier ganz herzlichen Dank dafür sagen.
({14})
Wir hoffen - ich hoffe da auf die Unterstützung von allen -, daß Ihre Nachfolgerin mit der gleichen glücklichen Hand und Umsicht Ihre Ideen zu verwirklichen wissen wird. Wir alle werden ihr dabei helfen. Doch alle Arbeit ist noch nicht getan.
({15})
Mit dieser Gesetzesinitiative wird das geltende Mutterschaftsurlaubsgesetz nicht nur ergänzt und verbessert. Entscheidend ist, daß wir die bisherige Diskriminierung der nichtberufstätigen Frau beseitigen und damit - ich weiß, Sie hören es nicht gerne - das bestehende Zweiklassenrecht für Frauen aufheben. Genau das, meine Damen und Herren von der Opposition, haben Sie mit Ihrem Gesetzentwurf nicht getan. Sie bevorzugen wieder einmal die abhängig beschäftigten Mütter, indem Sie den nichterwerbstätigen Müttern ein geringeres, einkommensabhängiges Elternurlaubsgeld gewähren wollen. In diesem entscheidenden Punkt wird unsere Fraktion nicht mit sich handeln lassen. Wir haben hier im Parlament zwei grundverschiedene Ansätze.
Der jetzt vorliegende Gesetzentwurf löst mit dem gerade verabschiedeten Hinterbliebenenrecht, das erstmalig eine Anrechnung von Erziehungszeiten in der Rentenversicherung bringt - ich möchte noch einmal daran erinnern: wir haben dies durchgesetzt -, eine langjährige Forderung der CDU/ CSU ein.
({16})
Wir Frauen - gestatten Sie mir, daß ich dies so deutlich sage - in der Union haben hierfür mehr als zehn Jahre unermüdlich gekämpft. Wir sind am Anfang belächelt worden, ob dieser Ideen. Das ist
ganz klar. Es dauert oft recht lange, bis sich eine Idee in der Partei durchsetzt, bis sie Allgemeingut wird und dann im Parlament verwirklicht wird. Aber dieses Beispiel zeigt, daß man zehn Jahre kämpfen muß, um dann Erfolg zu haben.
({17})
Mit dem Erziehungsgeld machen wir einen großen Schritt zur Anerkennung der Erziehungsarbeit in der Familie. Das Erziehungsgeld setzt die theoretische Gleichwertigkeit von außerhäuslicher Erwerbstätigkeit und Erziehungstätigkeit endlich in die Praxis um. Wir reden zwar überall von der Gleichwertigkeit, aber hier wird sie ganz konkret praktiziert.
({18})
Meine Damen und Herren, dies ist wirklich ein ganz neuer Ansatz von Familienpolitik, völlig anders gegenüber früher. Und dieser Ansatz von Familienpolitik hat ganz große Auswirkungen auf Gesellschaftspolitik allgemein. Da werden wir zukünftig noch einige Veränderungen erfahren.
Im Vorfeld der Auseinandersetzungen - wir haben schon deutlich gemacht, wie viele Jahre wir dies diskutieren - erfuhren das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub sehr viel Kritik. Diese Kritik kommt aus unterschiedlichen Richtungen. Von daher muß das Gesetz schon recht gut sein. Die mit dem Erziehungsurlaub verbundene Beschäftigungsgarantie wirkt auf manche bedrohlich. Ich möchte jetzt nicht auf das eingehen, was gerade auch Frau Schmidt gesagt hat. Meine Kollegin Frau Verhülsdonk wird gesondert auf diesen Aspekt eingehen.
Ich darf nur ganz kurz sagen: Das Erziehungsgeld ist keine verschleierte Art Arbeitsmarktpolitik.
({19})
Es wundert mich schon, daß Sie in Ihrem Gesetzentwurf die Anschlußbeurlaubung vorsehen. Seien Sie mal ehrlich: Wenn wir dies gebracht hätten, was hätte es da für ein Aufheulen in Ihrer Fraktion gegeben: das können nur die Reichen, das ist keine Sicherung des Arbeitsplatzes.
({20})
Das hätten Sie uns sondergleichen um die Ohren gehauen.
({21})
Was Sie hier machen - na ja, wenn man in der Opposition ist, dann kann man sich in dieser Richtung vielleicht mehr leisten, weil man den entsprechenden Beweis nicht antreten muß.
({22})
Meine Damen und Herren, ich sagte: Das ist keine verschleierte Arbeitsmarktpolitik.
({23})
Aber das Familiengeld ist auch keine Bevölkerungspolitik. Es geht nicht um Anreizprämien für Babys - das sage ich ganz deutlich -, sondern es geht um die gesellschaftliche Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern.
({24})
Dieses Gesetz ist ein Beitrag zum längst fälligen Ausgleich finanzieller Benachteiligungen der Familien mit Kindern. Wer hier böswillig von Geburtenprämien spricht, der kann sich ganz offensichtlich nicht davon freimachen, daß das Ja zum Kind von ganz vielen Faktoren abhängig ist. Es besteht kein Zweifel, daß die Entscheidung eines Ehepaares für oder gegen ein Kind letztendlich in deren höchstpersönlicher Verantwortung liegt. Der Staat kann und will sie daraus nicht entlassen. Wir haben kein Recht, hier einzugreifen. Aber Staat und Gesellschaft können die Rahmenbedingungen schaffen. Sie können ein positives Klima für die Hinwendung zum Kind schaffen, und Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub sind ein Beitrag dazu.
({25})
Es ist unser Ziel, daß der Wunsch nach einem Kind nicht an materiellen Gründen scheitert. Auch - das ist vorhin schon angesprochen worden - die außerordentlich hohe Zahl von Schwangerschaftsabbrüchen aus sozialer Notlage stellt für uns eine große Herausforderung dar, und so hoffen wir, daß das Erziehungsgeld und die erhöhten Leistungen aus der Stiftung „Mutter und Kind", die unabhängig von anderen Sozialleistungen gezahlt werden, zur Veränderung des Bewußtseins beitragen und daß diejenigen, die sich mit dem Gedanken an eine Abtreibung tragen, zu anderen Entscheidungen kommen.
Ich habe schon einmal gesagt: Mit dem Erziehungsgeld wollen wir finanziell anerkennen, wenn ein Elternteil die Arbeit für die Betreuung des Kindes unterbricht, bzw. wir wollen anerkennen, wenn sie es bereits getan hat. Wir wollen es Müttern und Vätern erleichtern, auf ihre Erwerbstätigkeit zu verzichten - hier haben wir wirklich einen anderen Ansatz -, nämlich um sich ganz der Erziehung und Pflege ihres Kindes zu widmen, da wir der Bildung und Erziehung des Kindes in der eigenen Familie Vorrang einräumen, und weil gerade die erste Lebensphase des Kindes von entscheidender Bedeutung ist. Frauen, die schon bisher im Interesse ihrer Kinder auf ein Arbeitsverhältnis verzichtet haben, sollen bei der Geburt eines zweiten oder dritten Kindes nicht weiterhin gegenüber erwerbstätigen Müttern benachteiligt werden.
({26})
Meine Damen und Herren, wir dulden es auch nicht, daß Frauen dann diskriminiert werden, wenn sie wegen der Kinder aus dem Beruf aussteigen. Viele möchten es, können es aber nicht. Diesen Frauen bieten wir heute die Hilfe zur Verwirklichung ihres Wunsches an.
Ein kleiner Haken ist dabei, ich sage es ganz deutlich: Die Politik bedarf noch einer Ergänzung. Wenn viele Frauen für die Jahre der KindererzieFrau Männle
hung gern auf Beruf und Karriere verzichten, dann ist dies nicht altmodisch. Aber sie wollen nicht endgültig ihren Anspruch verlieren, wieder ins Erwerbsleben eintreten zu können, wenn die Kinder groß sind. Hier müssen wir Anschlußprogramme schaffen für eine jüngere, zunehmend höher qualifizierte Frauengeneration. Wenn die Kinder groß geworden sind - diese Frauen sind dann noch recht jung; wir sehen es auch an Frau Schmidt als Großmutter mit 41 Jahren, das ist eine tolle Leistung -, da hat man noch andere Ideen. Da will man nicht auf Ehrenämter beschränkt bleiben, da will man nicht beschränkt bleiben auf das Hüten von Enkelkindern oder Urenkelkindern. Da will man wieder einsteigen.
({27})
Für diese junge Großmutter-Generation müssen wir noch einiges tun, ihr müssen wir noch Angebote machen. Erst dann, wenn dieser Wiedereinstieg klappt, haben wir echte Wahlfreiheit. Wahlfreiheit ist im übrigen nicht nur etwas für Frauen, sondern Wahlfreiheit - dies haben wir auch schon in unserem Wahlprogramm ausgedrückt - ist auch etwas für Männer. Deswegen gilt dieses Erziehungsgeldgesetz auch für die Väter. Um dies zu verwirklichen - da geben wir uns keinen Illusionen hin -, ist sicherlich ein längerer Bewußtseinswandel notwendig. Auch in anderen Ländern kann man feststellen, daß es theoretisch zwar möglich ist, aber praktisch nicht umgesetzt wird. Da sind wir realistisch. Männer verdienen heute im Durchschnitt immer noch viel mehr als Frauen und werden von daher auch im Beruf bleiben. Aber ich möchte schon deutlich machen, daß Familie und das Verbleiben in der Familie heute von vielen Frauen wie Männern entgegen früheren Einschätzungen als Bereicherung betrachtet werden. Familientätigkeit, Erziehungstätigkeit bedeutet neue Lebensperspektiven, Entfaltung der Persönlichkeit. Dies ist einem Teil der Gesellschaft bisher letztlich vorenthalten geblieben. Erfreulicherweise gelten heute andere Werte als auschließlich Berufsarbeit und Geld, insbesondere in der jungen Generation. Hier bietet das Erziehungsgeld im Zusammenhang mit dem Erziehungsurlaub eine Chance, diese Wertvorstellungen auch zu verwirklichen und durchzusetzen. Es ist ein Angebot, von dem man Gebrauch machen kann.
Lassen Sie mich noch ganz kurz anmerken: Was das weitere Gesetzgebungsverfahren betrifft, so werden wir uns mit der Ausgestaltung der Einkommensgrenzen - von wann an, Frau Schmidt, von Anfang an oder nicht; warum eigentlich nicht? - und der Verwaltungszuständigkeit sicher noch intensiv auseinandersetzen müssen. Hier sollten wir zu klaren, bürgernahen, handhabbaren und verwaltungskostengünstigen Regelungen kommen.
({28})
Wir sind hier in der ersten Lesung und werden sehen, worauf wir uns noch einigen können. Teilzeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, Aushilfstätigkeit - all dies ist noch in der Diskussion. Ich bin sicher, daß wir zusammen mit den Ländern akzeptable Lösungen finden werden. Die CDU/CSU-Fraktion bekräftigt aber ihren Wunsch, dieses Gesetzgebungsverfahren ganz rasch zum Abschluß zu bringen, um das Inkrafttreten zum 1. Januar 1986 nicht zu gefährden.
Anschlußprogramme - es ist angedeutet worden - wären schön. Die unionsregierten Länder machen davon Gebrauch; auch mein Land Bayern ist hier dabei.
Und noch einmal, meine Damen und Herren von der Opposition: Es ist wirklich kein großes Kunststück, Wohltaten, die Sie jetzt verkünden, auf dem Papier zu erweisen.
({29})
Sie, die Opposition, machen es gerade. Von verantwortungsbewußtem politischen Handeln zeugt dieser Vorgang jedenfalls nicht.
({30})
Ich bin davon überzeugt, daß das Erziehungsgeld und der Erziehungsurlaub die beste Investition für die Zukunft sind, deren Kosten uns heute zwar drücken mögen, die aber einen vielfachen Nutzen für die Familien bringen: für die Mütter, für die Väter, für die Kinder. Aber letztlich ist auch unsere gesamte Gesellschaft dadurch bereichert.
({31})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wagner.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Der Erziehungsurlaub in Verbindung mit einer Rückkehrgarantie in den Beruf nach Ablauf des Erziehungsgeldes ist unverzichtbarer Teil eines Erziehungsgeldgesetzes. Nachdem die Benachteiligung der Hausfrauen künftig beseitigt werden soll, würde ohne Rückkehrgarantie gleichzeitig ein neues Zweiklassenrecht für Mütter, diesmals zu Lasten der erwerbstätigen Mütter, geschaffen.
Gerade Mütter aus einkommensschwächeren Schichten, die das Risiko eines Arbeitsplatzverlustes nicht eingehen können, müßten künftig auf das Erziehungsgeld verzichten. Dieses Ergebnis widerspricht in jeder Hinsicht der sozialen Gerechtigkeit und den Bedürfnissen der Familie.
({0})
Das ist ein Zitat vom Familienbund Deutscher Katholiken. Ich glaube, mit denen sollten Sie sich noch einmal auseinandersetzen.
({1})
Die Kritik dieses Zitats trifft das Bundeserziehungsgeldgesetz - des Familienministers letzter großer Wurf. In seinem Schußfeld stehen wieder die Frauen. Was hat ihnen das Abschiedsgeschenk von Heiner Geißler zu bieten, nachdem er bei seinem Einstand eine drastische Kürzung des Mutterschaftsgeldes von 750 DM auf 510 DM präsentierte?
Zehn Monate lang 600 DM für ein bißchen Erziehungsarbeit - das ist doch etwas.
({2})
Und dazu noch Gleichberechtigung, weil auch die Väter für diese Summe auf ihr Gehalt verzichten dürfen - wenn sie wollen.
Mit der Arbeitsplatzgarantie hat es zwar nicht so geklappt, weil die Unternehmer es besser wußten als die Skandinavier, die längst ein solches Modell praktizieren,
({3})
und in weiser Selbsterkenntnis befürchten mußten, dann überhaupt nicht mehr Frauen einstellen zu können. Aber der jetzt ausgehandelte Kündigungsschutz muß auch reichen. Er gilt selbstverständlich nicht, wenn es dem Arbeitgeber nicht möglich ist, sich auf den schwangerschaftsbedingten Ausfall der Frauen einzustellen, weil: die Betriebsexistenz dadurch gefährdet oder erschwert würde, ein Teil des Betriebes verlegt wurde, eine Umsetzung der Arbeitnehmerin in eine andere Abteilung einfach unmöglich ist usw. usw. Da ist das Angebot für die Frauen, in Teilzeitarbeit hinzuzuverdienen, doch sehr praktisch - für die Unternehmer, die damit je nach Bedarf einstellen können.
Gerecht ist das Gesetz auch, weil schließlich alle das gleiche erhalten: die alleinerziehende Frau ohne jedes Einkommen ebenso wie die Gattin von Herrn Krupp. Heiner Geißler hat es mit einer großzügigen Geste vom Tisch gefegt: das Zweiklassensystem; denn schon lange liegen ihm die Frauen am Herzen, wohl weil sie ihm und seiner Partei nicht mehr zu Füßen liegen und ihr Kreuz bei anderen politischen Bewerbern unterbrachten.
Dagegen drücken den Arbeitsminister mehr die vielen arbeitslosen Männer und die unbeirrbaren „Doppelverdienerinnen". Beide Herren haben die Lösung gefunden: die Familie. Das vorliegende Gesetz soll ihr wieder auf die Sprünge helfen, nachdem ihr durch Kindergeldkürzung, Sozialabbau und Arbeitslosigkeit das Wasser bis zum Hals steht.
Daß für den Erziehungsurlaub nicht die Männer in Frage kommen, können sich die meisten Familien selbst ausrechnen.
({4})
Für ganze 600 DM können sie auf das durchschnittlich höhere Einkommen der Väter nicht verzichten. Also sind es die Frauen, die in den sauren Apfel beißen müssen.
({5})
Und von ihnen sind auch nur die jungen Frauen betroffen;
({6})
denn Mütter mit Kindern erhalten keinen Pfennig mehr.
Im Visier hat Herr Geißler dabei besonders die jungen Frauen, sozusagen die im besten gebärfähigen Alter. Ihre Bildungs- und Berufschancen haben sich trotz durchschnittlich besserer schulischer Qualifikation gerade in der Kohl-Ara extrem verschlechtert. Nach den BAföG-Umstellungen wurden allein 1983 33 % weniger Schülerinnen gefördert. Der Anteil der Studentinnen sank im gleichen Jahr um 7,6 %. Diese Mädchen und jungen Frauen stekken in perspektivlosen beruflichen Sackgassen, in denen ihnen gerade das Notwendigste für schlecht bezahlte Arbeiten beigebracht wird, bis sie dann später zwei Drittel aller arbeitslosen Jugendlichen ausmachen. Ihnen bietet sich nun die Alternative: die Rolle als Hausfrau und Mutter.
Nach dem Abbau vieler sozialer Dienstleistungen einschließlich Kindertagesstätten und anderer Jugendeinrichtungen und dem breiten Spektrum psychischer Folgen von Leistungsdruck und beruflicher Perspektivlosigkeit muß eine Mutter heute Sozialarbeiterin, Psychologin, Lehrerin, Buchhalterin, Altenpflegerin, Köchin, Putzfrau usw. sein.
({7})
Und wo werden gerade Frauen mit den entsprechenden beruflichen Qualifikationen aus dem Arbeitsleben herausgedrängt, weil statt ihrer laut Stoltenberg Facharbeiter benötigt werden? Das sind dann wieder die Sozialarbeiterinnen, Psychologinnen, die Lehrerinnen und die Buchhalterinnen, die dann ab sofort Nixdorf oder Apple heißen.
Die Kürzungen beim Arbeitslosengeld und bei der Arbeitslosenhilfe haben in den vergangenen Jahren bereits 85 % der Frauen in die Sozialhilfe abgedrängt.
({8})
Unter ihnen ist gerade der Anteil junger Frauen und die Gruppe der Alleinerziehenden besonders groß. Mit den 600 DM Erziehungsgeld sind auch sie weiterhin auf diese Leistung angewiesen, wenn sie keine der schlechtbezahlten Teilzeitarbeiten finden oder keinen finanzkräftigen Ehemann haben - eine Abhängigkeit, die angesichts der hohen Scheidungsrate den konservativen Herren bei ihrem Feldzug gegen die Emanzipation von Frauen entgegenkommen mag.
({9})
Auch das Angebot der beruflichen Wiedereingliederung der Mütter, die das erste Jahr zu Hause geblieben sind, ist eine Farce. Der Lebensplan, den der Familienminister für die jungen Frauen längst entworfen hat, sieht eine Vollzeitbeschäftigung nicht mehr vor.
Der Kündigungsschutz, der keiner ist, bedeutet für Frauen: Risiko. Aber das Beschäftigungsförderungsgesetz hat dem Erziehungsurlaub den endgültigen Todesstoß versetzt. Es ermöglicht eine BefriFrau Wagner
stung von Arbeitsverträgen auf 18 Monate und ohne Begründung. Deshalb trifft es besonders Frauen, deren Einsatz durch eine mögliche Schwangerschaft ein unternehmerisches Risiko darstellt. Damit können sowohl das Mutterschaftsgeld als auch das Erziehungsurlaubsgesetz elegant umschifft werden.
Erwerbstätigkeit von Frauen ist ein Luxus, den ihnen die Männer je nach Laune des Arbeitsmarkts anbieten. Die Frauen, die dennoch hinzuverdienen müssen, dürfen das demnächst in Heimarbeit am Bildschirm tun. Das ist dann die vielbeschworene Vereinbarkeit von Familie und Beruf.
({10})
Mit diesen gut klingenden Forderungen will sich selbst die SPD nicht von Geißler links überholen lassen. Sie hat nachgezogen und einen eigenen Entwurf für ein Elternurlaubsgesetz vorgelegt. Mit der Erhöhung des Mutterschaftsgeldes auf 750 DM will sie den alten Zustand erst einmal wieder herstellen. Der anschließende sechsmonatige Erziehungsurlaub soll ihnen aber auch nicht mehr als 600 DM wert sein. Nur die Alleinerziehenden erhalten 750 DM. Gratis drauf gibt es noch ein Jahr Elternfreistellung - für diejenigen, die es sich leisten können - ohne einen Pfennig.
Aber die SPD-Frauen haben erkannt, daß es mehr braucht als den Geißlerschen Appell, dem Chauvinismus abzuschwören, um die Männer zur Übernahme der Erziehungsarbeit zu zwingen. Entscheiden sich die Männer nach ihrem Gesetzentwurf dafür, erhalten sie zur Belohnung drei Monate länger die 600 DM.
Aber dieser Versuch setzt wohl eher auf den naiven Glauben, daß eine Arbeiterfamilie nicht rechnen kann. Wir haben es für Sie nachgeholt. Nehmen wir bei der in diesem unserem Lande durchschnittlichen Einkommensdifferenz zwischen Mann und Frau an, ein Mann verdiene durchschnittlich 2 000 DM netto und die Frau 1 200 DM. Bliebe der Mann zu Hause, hätten die Eltern damit insgesamt einen Anspruch auf acht Monate Erziehungsgeld. Es ergäbe sich ein Familieneinkommen von insgesamt 17 600 DM. Bliebe nur die Frau zu Hause, gäbe es sechs Monate 600 DM. Es bliebe aber das Einkommen des Mannes. Wiederum auf acht Monate berechnet wäre das ein Familieneinkommen von 23 200 DM. Die Bereitschaft des Mannes, zu Hause zu bleiben, kostet die Familie also 5 600 DM.
({11})
Auch dieser Entwurf kann den Familien bei etwas genauerem Hinsehen nichts vormachen; denn bei der Berechnung des Kostenplans für das Gesetz zeigt sich die SPD schon wieder realistischer. Geht auch sie davon aus, daß die damit erreichte Verdrängung der Frauen vom Arbeitsmarkt Einsparungen bei der Arbeitslosenhilfe und dem Arbeitslosengeld bringen wird.
Davon abgesehen ignoriert der Entwurf mit bemerkenswerter Treue zur Vorlage des Ministeriums die vielen unverheirateten Eltern. Unverheiratete Väter erhalten kein Erziehungsgeld.
Um tatsächlich die Aufgabenverteilung für Männer und Frauen zu ändern, muß der Einkommensverlust für die Väter viel deutlicher abgeschwächt werden. Aber beide Gesetzentwürfe verbieten es gerade jungen Familien, die Erziehung ihrer Kinder partnerschaftlich zu verteilen.
({12})
Deren Entwicklung und Erziehung ist schließlich nicht mit einem Jahr abgeschlossen. Deshalb haben die GRÜNEN in ihrem Arbeitszeitgesetz längst eine Freistellung für drei Jahre gefordert.
({13})
Es ist doch denkbar - auch hier sind uns die Schweden voraus -, das Erziehungsgeld nach dem tatsächlichen oder zu erwartenden Einkommen zu berechnen. Warum nicht auch gleich Lohnausgleich? Das entspräche doch der Wertschätzung, von der christdemokratische Politiker so viel reden.
({14})
Bei der Finanzierung der Erziehungsarbeit darf ein existenzsichernder Mindestbetrag, der weder mit 600 DM noch mit 750 DM gegeben ist, nicht unterschritten werden. Er muß auch den Frauen zustehen, die bisher nicht erwerbstätig waren. Bei der vorherrschenden Lohn-, Arbeits- und Rechtsdiskriminierung von Frauen werden gerade ihnen Bescheidenheit und die freiwillige Übernahme sozialer Mutterpflichten abverlangt.
({15})
Hierzu ein Zitat:
Die politische Gleichberechtigung, die politische Demokratie bleibt eine formale, äußerliche und unvollkommene Sache, solange sie nicht die wirtschaftliche Gleichheit als Grundlage hat.
({16})
Dies schrieb Clara Zetkin, Alterspräsidentin des Reichstags.
Mit den Bestrebungen, den Frauen ihre wirtschaftliche Selbständigkeit zu nehmen, stellt sich die Demokratie selbst in Frage. Aber der billigste und hilfloseste Versuch, ihnen auch noch ihre elementaren Entscheidungsrechte abzukaufen, ist die Stiftung „Mutter und Kind",
({17})
die nach den Vorstellungen von Herrn Geißler und langen Verhandlungen mit Herrn Stoltenberg aufgestockt werden soll. 10 000 Frauen wurden 1984 mit durchschnittlich 2 500 DM „überredet", ihr Kind auszutragen.
({18})
- Warten Sie doch mal ab, was ich weiter sage!
({19})
Wie ernst die Konflikte von Frauen genommen werden, zeigt dieser naive Glaube, eine so schwerwiegende Entscheidung sei käuflich.
({20})
Herr Pfeffermann, das ist erlaubt!
({0})
Der Bericht des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit über die Bundesstiftung „Mutter und Kind" spricht da eine klare Sprache. Ich zitiere aus dem Bericht:
In der ersten Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes haben in manchen Beratungsstellen ein Drittel, in anderen etwa zwei Drittel aller Frauen diese Stellen nicht wegen einer Konfliktberatung aufgesucht, sondern nur die in Aussicht gestellte finanzielle Hilfe erbeten. Sie waren an einer weiteren Beratung nicht oder zunächst nicht interessiert.
Der Bericht muß dann weiter feststellen, daß zwei Drittel aller hilfesuchenden Frauen alleinstehend waren. 50 % von ihnen waren arbeitslos oder Sozialhilfeempfänger.
({0})
Herr Geißler lobte die Stiftung wegen ihres unbürokratischen Handelns.
({1})
Gemeint hat er dabei wohl eher die Willkür, mit der über die Notlage der Frau entschieden wird.
({2})
Das ist einmalig in der sicherlich nicht zimperlichen Praxis der Persönlichkeitsprüfung bei anderen Sozialleistungen. Aber so etwas kann man sich wohl nur mit Frauen leisten. Selber macht der Minister sich die Hände nicht schmutzig. Das müssen für ihn die Beraterinnen in den Hilfseinrichtungen erledigen. Damit wird jedes vertrauensvolle Beratungsgespräch gleich am Anfang unmöglich gemacht und wird die Frau zur Bittstellerin degradiert.
({3})
Über die Erfolglosigkeit der Stiftung kann auch die Zahl der Frauen nicht hinwegtäuschen, die das Geld bei anerkannter finanzieller Notlage in Anspruch nehmen können. Das wirft ein deutliches Licht auf die tatsächliche Situation der von Armut betroffenen Frauen. Die Stiftung ist für die Frauen entwürdigend. Der Schuß aus dem Hinterhalt
({4})
von Heiner Geißlers rheinland-pfälzischen Parteifreunden spricht da schon eine deutlichere Sprache.
({5})
Demnach ist ein Schwangerschaftsabbruch keine Krankheit, sondern ein moralisches Übel,
({6})
für das die Solidargemeinschaft der Krankenversicherten nicht aufkommen muß. Hier wird mit allen Mitteln Interessenpolitik gemacht,
({7})
Interessenpolitik von Männern.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eimer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das vor uns liegende Erziehungsgeldgesetz brachte eine Reihe von Auseinandersetzungen auch innerhalb der Koalitionsparteien. Die erste Lesung ist eine gute Gelegenheit, um liberale Grundsatzpositionen zu diesem Thema deutlich zu machen.
({0})
Die FDP ist für eine Verbesserung des Familienlastenausgleichs. Familien, die Kinder erziehen, sind gegenüber solchen, die berufstätig sind und keine Kinder erziehen, in unserer Gesellschaft mehrfach benachteiligt. Diese Benachteiligung auszugleichen ist eine uralte Forderung der FDP und schon lange in unserem Programm enthalten. Dabei kommt es uns darauf an, daß bei diesem finanziellen Ausgleich über das Geld kein Rollenverständnis vom Staat vorgeschrieben wird. Dieser liberale Grundsatz wird bei dem vorliegenden Entwurf verwirklicht werden.
Bereits während der sozialliberalen Koalition hat unser damaliger Partner versucht, über den verlängerten Mutterschaftsurlaub Bedingungen an die Rolle und die Aufgabe der Mutter zu knüpfen. So mußte die Frau, um in den Genuß des Mutterschaftsurlaubs zu kommen, vorher berufstätig gewesen sein. Sicher gab es auch damals sachliche Gründe für diese Regelung.
({1})
- Erinnern Sie sich nicht mehr an das, was wir
gemeinsam verabschiedet haben? Es war unser
Eimer ({2})
Drängen, daß es nicht auf diese Gruppe beschränkt sein sollte. - Ich wiederhole: So mußte die Frau, um in den Genuß des Mutterschaftsurlaubes zu kommen, vorher berufstätig gewesen sein. Ich erinnere an die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat; auch die waren damals sicher Ursache.
({3})
- Frau Präsidentin, eine Zwischenfrage wird gewünscht.
Entschuldigung. - Sie gestatten eine Zwischenfrage? - Frau Matthäus-Maier, bitte schön.
Lieber Norbert Eimer, ist Dir nicht bekannt, daß wir damals zugleich mit dem Gesetzentwurf über den Mutterschaftsurlaub hier im Bundestag gemeinsam einen Antrag, eine Entschließung verabschiedet haben, worin stand, daß man dieses Geld bei besseren finanziellen Verhältnissen auch auf die nichterwerbstätige Frau ausdehnen will, daß es allein daran gescheitert ist und nicht an angeblichen Ideologien?
Liebe Ingrid Matthäus, wir waren damals j a wohl gemeinsam daran beteiligt, daß eine derartige Entschließung zustande gekommen ist, nur ist die Initiative zu dieser Entschließung damals nicht aus den Reihen der Sozialdemokraten gekommem, sondern aus den Reihen der Freien Demokraten.
({0})
Daß es damals nicht zu einem vernünftigeren Gesetz gekommen ist, hatte sicher finanzielle Gründe - ({1})
- Es wäre j a ganz gut, wenn man hier ausreden dürfte. - Es waren sicher nicht nur finanzielle Gründe, es waren sicher nicht nur praktische Gründe - ich habe den Bundesrat schon erwähnt -, sondern es waren auch ideologische Gründe von seiten der SPD. Letztlich war nämlich dieses Gesetz von den Vorstellungen der Sozialdemokraten über die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft diktiert. Wenn es letzte Zweifel daran gegeben haben mag, daß die SPD mit Geld Rollenbilder und Rollenverhalten erzwingen will, werden sie durch den Gesetzentwurf der SPD zu diesem Thema ausgeräumt, den wir heute als Alternative vorgelegt bekommen haben. Frauen, die wegen Erziehung eines ersten Kindes schon zu Hause sind, schauten in der Vergangenheit in die Röhre und werden bei dem SPD-Entwurf schlechtergestellt als die Frauen, die vorher einen Arbeitsplatz hatten. Das ist die Tatsache, und das zeigt sehr eindeutig die Ideologie der SPD.
Der heute vorliegende Entwurf der Regierung zum Erziehungsgeld kommt unseren Vorstellungen, unseren Positionen sehr viel näher. Er berücksichtigt die unterschiedlichen Lebensumstände und zwingt auch niemanden zu einem vom Geld diktierten Rollenverhältnis und Rollenverständnis. Das
Gesetz bedeutet also nicht nur den lange schon notwendigen finanziellen Ausgleich bei der Erziehung der Kinder, sondern aus unserer Sicht eine eindeutige qualitative Verbesserung in diesem Bereich.
Deswegen stehe ich und steht die FDP, für die ich hier spreche, grundsätzlich zu diesem Beschluß, und das, obwohl wir ja bei einigen Punkten Bauchschmerzen haben, mit denen ich auch hier nicht hinter dem Berg halten will.
Da ist zum einen die Arbeitsplatzgarantie. Obwohl gerade über diesen Punkt des Gesetzentwurfes am intensivsten in der Öffentlichkeit diskutiert wurde, ist der Standpunkt der FPD nur selten sachgerecht und deutlich interpretiert worden.
Unsere Haltung zu der von Heiner Geißler geforderten Arbeitsplatzgarantie entsprach zu keiner Zeit der uns ständig unterstellten Wirtschafts- und Industriehörigkeit. Wir argumentierten und argumentieren aus Sorge um die Arbeitschancen der Frau im Wettbewerb mit den Männern. Denn eine weitere Benachteiligung der Frauen am Arbeitsmarkt ist dadurch vorprogrammiert, ganz besonders aber durch die Vorschläge der SPD. So waren es vor allem die Frauen in der FDP, die hier warnend ihre Stimmen erhoben haben.
Ich wende mich deshalb nicht nur an unseren Koalitionspartner, sondern auch an die Opposition. Es geht uns hier nicht um die Verhinderung irgendwelcher Schutzgesetze, sondern um einen Schutz und um ein Gesetz, das nicht gleichzeitig die zu Schützenden, nämlich die Frauen und Mütter, benachteiligt. Sozialdenkende und handelnde Unternehmer, die z. B. Frauen einstellen, werden durch arbeitsrechtliche Schutzgesetze Nachteile auf dem Markt bekommen, entweder nicht mehr konkurrenzfähig sein und weniger Frauen einstellen, oder aber, um konkurrenzfähig sein zu können, bald alle sozialen Vorstellungen über Bord werfen. In beiden Fällen ist dies gegen die Frauen gerichtet.
Ähnliche Ergebnisse gibt es nicht nur bei diesem Gesetz, sondern auch bei Behindertengesetzen oder z. B. auch bei jungen Männern, die vor ihrer Wehrpflicht nicht mehr eingestellt werden.
Meine Damen und Herren, Liberale wissen, daß der Markt blind für soziale Bedürfnisse ist. Wer aber die Effizienz des Marktes erhalten will, muß ihm diese Blindheit lassen. Es ist allerdings möglich, unsere Sozialgesetze so zu gestalten, daß sich diese Blindheit des Marktes nicht gegen die Arbeitnehmer richtet. Wir müssen soziale Gesetze mit marktadäquaten Methoden durchsetzen. Vielleicht verstehen Sie jetzt unsere Sorgen und meine Bedenken, die ich eingangs schon erwähnt habe. Es geht hier nicht um den Abbau des sozialen Schutzes der Frauen, sondern um eine andere Organisation der Sozialgesetze.
Ich stehe hier nicht als Sprecher und Lobbyist der Unternehmer, sondern ich schätze das Verhalten der Menschen realistischer ein. Wir wissen, daß wir nicht den neuen Menschen gestalten können, und wollen Gesetze so haben, daß sie auch mit dem
Eimer ({2})
vorhandenen, unvollkommenen Menschen vernünftig funktionieren.
({3})
Bei der geplanten Arbeitsplatzgarantie hat die FDP aber immerhin eine Reihe von Verbesserungen und Entschärfungen erreicht, die die unvermeidlich negativen Auswirkungen für die Frauen mildern, wenn auch nicht ganz verhindern. Wegen der noch vorgenommenen Verbesserungen zur Chancengleichheit von Frauen und Männern, vor allem wenn sie sich um die Einstellung in Kleinbetrieben bewerben, werden wir dem Gesetz zustimmen. Dieses Gesetz ist - und das meine ich nicht in finanzieller Hinsicht, sondern in bezug auf die Arbeitsplatzchancen der Frauen - ein - wie ich meine - teures Abschiedsgeschenk von Heiner Geißler. Weitaus schwerer wiegt aber für mich der Rattenschwanz an Bürokratie, der mit diesem Gesetz verbunden werden soll. So haben wir zur Zeit neun wesentliche Einkommensgrenzen. Eine zehnte soll beim Erziehungsgeld hinzukommen. Alle haben unterschiedliche Höhen- und Einkommensbegriffe. Diese sind u. a. verfügbares Einkommen, Nettoeinkommen, modifiziertes Nettoeinkommen, modifiziertes verfügbares Einkommen, zu versteuerndes Einkommen, modifiziertes Bruttoeinkommen. Das alles bedeutet mehr Bürokratie und mehr Undurchsichtigkeit für den Bürger. Aber es bedeutet auch, daß jemand, der sich mehr anstrengt, zwar mehr Bruttolohn bekommt, aber weniger netto erhält, das heißt, die Mehranstrengung wird bestraft. Aber, so fürchte ich, in diesem Punkt rennen wir zur Zeit noch gegen die Uneinsichtigkeit der Mehrheit.
Ich komme auf das zurück, was ich schon mehrmals vorgeschlagen habe und was auch unser Bundesvorsitzender Bangemann verschiedentlich aufgegriffen hat: Besser wäre der Wegfall der Einkommensgrenzen und eine Besteuerung der Sozialleistungen. Das würde bedeuten, daß derjenige, der ein hohes Einkommen hat, nur minimal von den Sozialleistungen profitiert und der, der wenig oder gar kein Einkommen hat, sehr viel davon hat. Die Argumente, die bisher gegen diese Vorschläge gebracht wurden, sind mehr als schwach, und die Beispiele, die von seiten der Sozialdemokraten aufgeführt wurden, sind völlig am Thema und an unseren Vorschlägen vorbeigegangen. Unsere Vorschläge sind weitaus transparenter und unbürokratischer als alles das, was bisher in der Sozialgesetzgebung gang und gäbe ist.
Widerstand gegen die organisatorische Abwicklung des Erziehungsgeldgesetzes kommt auch aus Bayern. Unbestritten ist, daß die Bayern eine effektive Verwaltung haben. Aber unumstritten ist wohl auch, daß die Bayerische Staatsregierung nicht gerade ein Ausbund an Liberalität ist. Wenn also die Bayern meinen, daß dieses Gesetz auch aus zeitlichen Gründen vom Verwaltungsaufwand noch verbesserungsfähig ist, so sollten wir diese bayerischen Vorschläge zumindest sehr genau prüfen und uns gemeinsam im Ausschuß um Verbesserungen bemühen.
({4})
Jedes Gesetz verläßt normalerweise den Bundestag anders, als es eingebracht wurde. Die Beratungen sind deshalb nicht nur da, um politische Richtungen abzustecken, sondern auch, um die Gesetze noch vor ihrer Verabschiedung zu verbessern. Es gibt auch in diesem Gesetz noch einige Punkte, die nur unzureichend geklärt sind, politisch aber sicherlich keine unüberwindlichen Probleme darstellen. Das Gesetz sieht vor, daß während des Erziehungsurlaubs Teilzeitarbeit geleistet werden kann. Jemand, der bisher privat versichert ist, würde dadurch in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungspflichtig. Die Frage ist: Ist das zweckmäßig? Ist das die Absicht des Gesetzgebers?
Ein weiterer Punkt sind die Beiträge zur Krankenversicherung. Wer soll sie zahlen? Eine Beitragsfreiheit würde bedeuten, daß die ohnehin schwache Finanzlage der Krankenkasse weiter strapaziert würde.
Ein anderer noch ungeklärter Punkt betrifft Paare, die ohne Trauschein zusammenleben, aber gemeinsame Kinder erziehen. Auch hier müssen wir prüfen, ob der Erziehungsurlaub unter ganz bestimmten Voraussetzungen nicht auch auf die unverheirateten Väter ausgedehnt werden sollte. Ich möchte nicht, daß das Gesetz zum Schluß noch an einer Verfassungsklage scheitert.
Der letzte Punkt betrifft die Versorgungsleistungen für Beamtinnen. Hier muß geklärt werden, ob durch das geplante Gesetz Beamte bei ihrer späteren Pension nicht gegenüber Arbeitern und Angestellten benachteiligt werden. Ich kann diese Punkte noch nicht im einzelnen überblicken, aber ich glaube, daß es notwendig sein wird, Unklarheiten vorher, d. h. noch während der Beratungen zu diesem Gesetz, zu beseitigen.
Ich habe meine und unsere Bedenken hier ausgesprochen, und ich möchte daher die grundsätzliche Bereitschaft der Freien Demokraten zum Familienlastenausgleich, zum Erziehungsgeld und zum Erziehungsurlaub unterstreichen.
({5})
Es ist aus unserer Sicht nicht ohne Mängel, aber die positiven Seiten überwiegen bei weitem. Ich muß dies zum Schluß betonen, damit nicht durch die Aufzählung von kritischen Punkten in der Öffentlichkeit und auch hier im Plenum ein falsches Bild über unsere Meinung zu diesem Gesetz entsteht. Das Gesetz ist notwendig und entspricht im großen und ganzen der Programmatik und den Vorstellungen der FDP. Wir werden uns an die Abmachungen mit unserem Koalitionspartner halten. Wir wollen, daß das Gesetz zügig, aber auch mit aller Sorgfalt beraten wird.
Zum Schluß möchte ich einige Bemerkungen zur Bundesstiftung „Mutter und Kind" machen. Die Union weiß, die FDP läßt am § 218 nicht rütteln.
Eimer ({6})
Dies ist ein Punkt, der sich menschlicher Beurteilung entzieht. Aber wir Liberale wissen auch, daß wir in der Pflicht und in der Verantwortung sind, alles zu tun, um die Ursachen zur Abtreibung abzubauen. Dieses Gefühl für die Verantwortung, die wir da auf uns laden, konnte ich bei dem Beitrag der GRÜNEN nicht feststellen. Die Erhöhung der Finanzmittel für die Stiftung um 10 Millionen DM ist von der Sache und vom Erfolg der Stiftung her nötig und berechtigt. Mit dem Koalitionspartner werden wir beide Gesetze, Erziehungsgeld und Stiftung, verwirklichen und verbessern.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Lepsius.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen! Als ich vor mehr als sechs Jahren für meine Fraktion, die SPD-Bundestagsfraktion, das Vergnügen hatte, den Mutterschaftsurlaub über die parlamentarischen Klippen zu bringen, übrigens mit diesem sehr persönlichen Glücksgefühl, daß endlich auch die erwerbstätigen Frauen die Chance erhalten, ihr Baby ein halbes Jahr selbst zu erziehen,
({0})
da hätte ich mir wirklich nicht träumen lassen, daß eine von der Union geführte Bundesregierung diesen Mutterschaftsurlaub einfach kassieren
({1})
und durch ein gleichmacherisches und nivellierendes Erziehungsgeld ersetzen könnte.
({2})
Heute sind Sie nun angetreten, das Mutterschaftsurlaubsgesetz zu beerdigen, das für Millionen erwerbstätiger Frauen in der Bundesrepublik mehr Freiheit, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren, ermöglicht hat.
({3})
- Ich will das gleich sagen. Sie wissen ganz genau, daß wir hier im Haus gemeinsam eine Entschließung gefaßt und gesagt haben: Dies ist der erste Schritt,
({4})
dem ein Elternurlaub folgen soll. Die CDU/CSU - Frau Männle, ich möchte auf Ihre Wohltaten zu sprechen kommen, Sie waren damals noch nicht im Haus - hat damals einen Familiengesetzentwurf vorgelegt. Das war ein Milliardending. Es sollte 11 Milliarden kosten. Gott sei Dank, sind Sie von diesem Ding inzwischen abgerückt. Aber die Tatsache bleibt: Handstreichartig soll nun der Mutterschaftsurlaub kassiert werden.
({5})
Damit soll der ideologische Wendecharakter zurück ins Patriarchat im Grunde genommen zementiert werden.
({6})
- Ja, was machen Sie denn? Zwar loben Sie sich selbst, aber tatsächlich sind es die Frauen in der Bundesrepublik, die die Zeche Ihrer dreijährigen Sparpolitik gezahlt haben. Es sind die Hausfrauen, die von der Union aus der Invaliditätsversicherung und -sicherung herausgeschmissen wurden
({7})
- aber ich bitte Sie, so ist es doch! -, und es sind die erwerbstätigen Frauen, denen die Union ein volles Babyjahr in der Rentenversicherung nicht zubilligt. Viele der erwerbstätigen Frauen werden sogar keine müde Mark vom Babyjahr sehen.
Es sind auch die erwerbstätigen Frauen, die die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung bezahlen müssen, denn die Erwerbstätigkeit von Ehepaaren wird durch die Anrechnung ihrer Rentenansprüche oder gar durch eine völlige Streichung bestraft. Da ist ja wirklich eine Steigerung gar nicht mehr möglich.
({8})
Es sind auch die erwerbstätigen Frauen, deren Arbeitsplätze die Union durch das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz ironischerweise unsicherer statt sicherer gemacht hat;
({9})
die unterschiedlichen Formen der Teilzeitarbeit hat sie der sozialen Sicherung beraubt.
Dieser für die Frauen verheerend negativen Bilanz fügen Sie nun zynischerweise ein Erziehungsgeld hinzu, bei dem erwerbstätige Frauen gegen Hausfrauen kalt ausgespielt werden - Herr Geißler hat dies ja heute wiederum deutlich gemacht - und bei dem teilzeitbeschäftigte Väter und Mütter durch Ihre 19-Stunden-Regelung
({10})
noch den Schutz der Arbeitslosenversicherung verlieren. Das tun Sie doch nicht etwa unüberlegt, sondern sehr überlegt.
Ihre Bilanz ist erschreckend.
({11})
Sie haben sich mit der Parole von der Gleichberechtigung der Frauen im Grunde genommen nur eine Maske vorgehalten.
({12})
Sie haben erst bei den erwerbstätigen Frauen und
bei den Hausfrauen Milliarden eingesammelt, und
dann haben Sie durch Kürzungen bei der Ausbil11806
dungsförderung und beim Familienlastenausgleich von unten nach oben verteilt und haben damit vor allem und in erster Linie die Frauen getroffen. Den mühsamen, wirklich mühsamen Weg zu mehr Partnerschaft von Mann und Frau, zu mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf und damit zu mehr Gleichberechtigung haben Sie verlassen. Das ist Ihr Markenzeichen, und darum laufen Ihnen übrigens auch die Wählerinnen in Scharen weg. Das tun sie immer noch!
({13})
Mit Ihrer gleichmacherischen und nivellierenden Erziehungsgeldlösung wollen Sie die Frauen täuschen, denn Sie halten sich an Ihre alte Gesamtstrategie: Sie wollen den Frauen ihr Teilnahme am Erwerbsleben so versauern, daß sie wieder an den heimischen Herd zurückkehren;
({14})
Erwerbstätigkeit soll sich für Frauen letztlich nicht mehr lohnen.
Erstens. In den drei Jahren Ihrer Regierungsverantwortung haben Sie bei Hausfrauen, berufstätigen Frauen und Familien mehr Geld eingesammelt, als Frauen und Familien ab 1. Januar 1986 durch Ihre familien- und finanzpolitischen Maßnahmen jemals wieder erhalten werden. Diese Aussage stammt nicht von mir. Die Maßnahmen der Union werden, so heißt es in einer katholischen Stellungnahme, zusammengenommen nicht einmal annähernd die Leistungen für Frauen und Familien der sozialliberalen Koalition aus dem Jahre 1982 erreichen.
({15})
Zweitens. Zynisch und unverblümt haben Sie von unten nach oben umverteilt, aber klammheimlich und mit Geißlerischer - nicht gleisnerischer - Arroganz
({16})
hat die Union den erwerbstätigen Frauen erst etwas genommen, und den nicht erwerbstätigen Frauen will sie jetzt das geben, was sie im Grunde allen Frauen genommen hat.
({17})
Das nennen Sie jetzt auch noch Fortschritt. Es wäre in der Tat fortschrittlich gewesen, wenn Sie das alte Mutterschaftsurlaubsgesetz mit seinem leistungsrechtlichen, arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Teil in der ursprünglichen Fassung von 1979 wiederhergestellt hätten. Sie hätten auch das Mutterschaftsgeld dynamisieren können und tatsächlich zu einem Elternschaftsgeld ausbauen können. Das haben Sie aber nicht getan. Weder haben Sie in Ihrem Erziehungsgeldentwurf das alte Mutterschaftsgeld wiederhergestellt, noch haben Sie für die erwerbstätigen Mütter die uneingeschränkte Arbeitsplatzgarantie aus dem Mutterschaftsurlaub übernommen, noch erwerbstätigen Frauen das Babyjahr zur Rente zugeschlagen.
Ich habe mich immer gefragt: Was hält Sie davon ab, ein so bewährtes Leistungsgesetz, das von 95 % der erwerbstätigen Mütter angenommen wurde, schlicht und einfach einzusammeln? Es muß dafür doch einen Grund geben.
({18})
Mit unserem Elternurlaubsgesetz gehen wir Sozialdemokraten von der grundlegenden Konzeption aus, daß Ungleiches nicht gleichbehandelt werden kann, also für ungleiche soziale Tatbestände auch entsprechende differenzierte strukturelle Ansätze gesucht werden müssen.
({19})
Eine Gießkannenlösung - das ist j a Ihr altes Übel; das war bei Heck so, und das ist jetzt bei Ihnen genauso geblieben ({20})
behandelt eben Ungleiches gleich und schafft damit in Wahrheit erst ein Zweiklassenrecht für erwerbstätige Mütter und Familienmütter.
({21})
Es ist zu komisch,
({22})
- es ist wirklich traurig; ich nehme Ihr Wort auf -: Eher bringt man einen Alkoholiker von der Flasche als die Union von der Gießkanne! Daran hat sich nichts geändert.
({23})
Dabei sieht der typische Lebenslauf einer Frau so aus, daß sich Phasen einer überwiegenden Erwerbstätigkeit und der Erziehung und Betreuung von Kindern in der Familie überschneiden. Frau Schmidt hat das sehr überzeugend dargelegt. Es gibt also den von der UNION aufgeworfenen Graben zwischen Hausfrauen und erwerbstätigen Frauen überhaupt nicht. Der vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Bundestagsfraktion wird mit der Wiederherstellung des Mutterschaftsurlaubs und der Einführung des Elternurlaubs für Väter und Mütter den unterschiedlichen Phasenübergängen tatsächlich gerecht.
Ich muß zum Schluß kommen.
({24})
Unser Entwurf hat eine Funktion nicht, die hat der Mutterschaftsurlaub auch nie gehabt: daß die Erziehung eines Kindes von Staats wegen honoriert werden soll. Beim Mutterschaftsurlaub handelt es sich um einen teilweisen Lohnersatz, eine Entschädigung für die vorübergehend aufgegebene Erwerbstätigkeit. Der Elternurlaub ist konzeptionell anders angelegt. Ich möchte das noch einmal ganz klar machen. Sie können nicht beides zugleich machen.
Sie können nicht durch ein einheitliches, über einen Kamm geschorenes Erziehungsgeld
({25})
den erwerbstätigen Müttern den Lohnausfall ersetzen und es gleichzeitig als Lohn für Hausfrauen und Familienmütter einsetzen und sie damit abhängig machen. Das sehen auch die DGB-Frauen nicht anders.
({26})
Ich muß hier leider aufhören. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
({27})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Verhülsdonk.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Lepsius, ich muß doch eines sagen. Ihre Kritik war so maßlos und so ideologisch blind, daß es mir für Sie leid tut.
({0})
Ich habe Sie immer als eine sachverständige Sozialpolitikerin angesehen. Aber das Entscheidende ist: Sie haben mit dem, was Sie gesagt haben, voll und ganz das bestätigt, was Familienminister Geißler Ihnen an ideologischer Blindheit in der Frauen- und Familienpolitik vorgehalten hat.
({1})
Das Mutterschaftsurlaubsgesetz wird nicht „kassiert", nicht „beerdigt", sondern es wird korrigiert. Es wird weiterentwickelt in einem Sinne, den Sie selbst, wie Frau Matthäus eben bestätigt hat, sogar einmal für notwendig gehalten haben.
Damit will ich mich jetzt dem kritischen Punkt der Gesetzgebung, nämlich der Beschäftigungsgarantie, zuwenden, weil ich meine, daß nach den Ausführungen des Herrn Kollegen Eimer aus unserer Sicht dazu noch etwas gesagt werden muß.
Ich will nicht verhehlen: Leicht war sie nicht, diese familienpolitische Wende: Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub für Mütter und Väter. Nicht nur, weil sie eine hübsche Menge Geld kostet. Der schwierigere Teil dieser Kursänderung, nämlich die Beschäftigungsgarantie, ist nur gelungen, weil Familienminister Geißler politisch besonders seetüchtig ist und weil er die Schubkraft der Frauen im Lande hatte.
Ich leugne es nicht: In dieser Frage politisch handelseinig zu werden, war sowohl innerhalb der Union wie innerhalb der Koalition das schwerste Stück.
Herausgekommen aus der heftigen bundesweiten Diskussion, die ihren Höhepunkt auf dem Essener Parteitag der Union hatte, ist ein brauchbarer Kompromiß zwischen dem berechtigten Interesse der jungen Mütter an der Erhaltung ihres Arbeitsplatzes während des Bezugs von Erziehungsgeld und den nicht zu leugnenden Problemen, die in kleinen Betrieben durch einen Kündigungsschutz für ein Jahr entstehen können und auch tatsächlich entstehen. Aber wir haben ja einschlägige Erfahrungen mit dem Mutterschaftsurlaubsgesetz sammeln können, das Müttern zur Zeit für sechs Monate eine absolute Arbeitsplatzgarantie gewährt. Auch bei dessen Einführung gab es fast drohend vorgetragene Widerstände der mittelständischen Wirtschaft. Sie haben sich, Gott sei Dank, nicht gegen die jungen Frauen ausgewirkt. Jedenfalls ist der Zugang zum Arbeitsmarkt für Frauen im gebärfähigen Alter mit einfachen und mittleren Qualifikationen durch dieses Gesetz nicht nachweislich schwieriger geworden. Probleme hatten allerdings Frauen mit hohen Qualifikationen.
Aus einem Bericht der Bundesregierung wissen wir, wie die Arbeitsplatzgarantie von den Frauen genutzt worden ist. Die relativ wenigen Frauen in besonders qualifizierten Positionen und mit entsprechend hohem Einkommen haben überwiegend auf den Mutterschaftsurlaub verzichtet und gleich nach der Mutterschutzfrist eine private Lösung für die Betreuung ihres Kindes gesucht. Sie nahmen somit Rücksicht auf ihren Betrieb. Das wird wohl auch bei dem neuen Erziehungsgeld mit Beschäftigungsgarantie nicht wesentlich anders sein.
Wir wissen, daß 50 % der jungen Mütter nach dem Mutterschaftsurlaub noch nicht an den Arbeitsplatz zurückkehren, sondern bei ihrem Kind zu Hause bleiben wollen. Beide Erfahrungen ermutigen uns, auch in der Zukunft eine Beschäftigungsgarantie für praktikabel und für zumutbar zu halten. Für die jungen Frauen ist sie in vielen Fällen die Grundvoraussetzung dafür, das Erziehungsgeld überhaupt in Anspruch nehmen zu können. Es ist schließlich nur zu berechtigt, wenn Frauen erwarten, daß in schwierigen Zeiten hoher Arbeitslosigkeit für sie die Entscheidung zu einem Kind nicht zum Verlust des Arbeitsplatzes führt.
Heute ist angesichts einer gut ausgebildeten jungen Frauengeneration tatsächlich eine neue Qualität der Familien- und der Arbeitsmarktpolitik gefordert. Da muß auch die Wirtschaft bereit sein, auf die Belange der Frauen stärker einzugehen. Kinder sind j a nicht nur Privatvergnügen. Schließlich brauchen wir morgen und übermorgen auch noch Arbeitnehmer, Steuerzahler und Rentenbeitragszahler.
({2})
Andererseits ist nicht zu leugnen, daß Kündigungsschutz, wo immer er gewährt wird, für die Betriebe Belastungen mit sich bringt, organisatorische und auch finanzielle. Deshalb muß bei der Beschäftigungsgarantie mit Augenmaß verfahren werden. Drohungen von Verbandsfunktionären helfen leider ebensowenig weiter wie die Forderung, auch im kleinsten Betrieb, der nur Frauen beschäftigt, müsse in jedem Fall ein absoluter Kündigungsschutz gewährt werden. Wenn wir durch rigorose gesetzliche Regelungen Betriebe und ihre Arbeitsplätze gefährden würden, wäre damit den Arbeitnehmerinnen ganz sicher nicht geholfen.
Nicht gelten lasse ich das Argument, Frauen im Mutterschaftsurlaub seien nicht zu ersetzen. Bei 2 Millionen Arbeitslosen, darunter sehr vielen gut ausgebildeten jungen Frauen, kann das gar nicht stimmen. Schließlich ist die Masse der erwerbstätigen Frauen in den unteren und mittleren Qualifikationsetagen zu finden. Wir haben im Beschäftigungsförderungsgesetz das Instrument des befristeten Arbeitsvertrages maßgerecht so geschneidert, daß es arbeitsrechtlich sehr unproblematisch ist, eine junge Mutter für ein Jahr zu ersetzen. Eine Ersatzkraft für dieses Jahr einzuarbeiten, ist wohl ungleich rentabler als für vier Monate, wie das zur Zeit noch der Fall ist. Diese Ersatzkraft hat zudem in 50 % der Fälle gute Chancen auf einen Dauerarbeitsplatz. Zumindest aber erwirbt sie in dem Jahr berufliche Erfahrung und den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Hilfreich für vernünftige Vereinbarungen zwischen Betrieb und Arbeitnehmerin ist es, daß Frauen während des Bezugs von Erziehungsgeld bis zu 20 Stunden arbeiten dürfen. Das wird sicher in vielen Fällen aus gegenseitigem Interesse zur Problemlösung führen.
Bleiben sicher noch Einzelfälle, in denen sich der Konflikt nicht auflösen läßt, vor allem in sehr kleinen Betrieben mit wenig Beschäftigten, wenn z. B. zwei Frauen gleichzeitig in Erziehungsurlaub gehen wollen. Da bietet sich eine Konfliktlösung an, die beim geltenden Mutterschutzgesetz bereits praktiziert wird. Während der Zeit vor und nach der Geburt, in der bekanntlich für die Mütter absolutes Arbeitsverbot besteht, kann schon heute der Kündigungsschutz ausgesetzt werden, wenn der Betrieb dadurch ernstlich gefährdet wäre. Die Gewerbeaufsichtsämter können auf Antrag und nach sorgfältiger Prüfung des Einzelfalls entscheiden. Wir denken, daß damit ein flexibles, auf den konkreten Einzelfall bezogenes Instrument der Problemlösung auch für die Zeit des Erziehungsurlaubs gefunden worden ist.
Erfreulicherweise gibt es eine sehr große Zahl von mittelständischen Unternehmerinnen und Unternehmern, die mit großem Verständnis und Hilfsbereitschaft jungen Frauen, die wegen eines Kindes zeitweise pausieren müssen, bei der Rückkehr in den Beruf entgegenkommen. Gerade der enge persönliche Kontakt im Kleinbetrieb fördert solches Entgegenkommen. Und wir würden uns wünschen, daß das in Zukunft in noch größerem Maße der Fall sein wird.
Schließlich: Unsere Arbeitswelt würde ohne Frauen nicht mehr funktionieren.
Und noch eines: Eine Gesellschaft mit immer weniger Kindern wäre in jeder Hinsicht eine Katastrophe.
({3})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgordnete Rapp.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Um das gleich klarzustellen: Kein Sozialdemokrat hat je behauptet,
CDU/CSU und FDP wollten der Familie übel. Keiner von uns bezweifelt, daß die Familie als Institution und als gelebte Gemeinschaft in der Vorstellungswelt und in der Programmatik der Unionsparteien einen hohen Rang einnimmt.
({0})
Was wir feststellen und festhalten müssen, ist, daß die konkrete Politik dieser Parteien drei Jahre lang den eigenen Ansprüchen nicht genügt, vielmehr die Lage der Familien verschlechtert hat.
({1})
Und wir stellen auch fest, daß die mit dem Steuerentlastungsgesetz und dem Erziehungsgeldgesetz jetzt intendierte Kurskorrektur hinter den besseren Lösungsmöglichkeiten zurückbleibt, die man für das gleiche Geld haben könnte.
({2})
Dazu haben wir zum Steuerentlastungsgesetz unsere Vorschläge unterbreitet, und wir tun dies heute mit unserem Elternurlaubsgesetz.
Von uns aus, meine Damen und Herren, sind jedenfalls die Voraussetzungen für dialogisch-argumentative und nicht monologisch-polemische Beratungen gegeben. Wie meine ich das? Sehen Sie, zur Haushaltsdebatte in der vorigen Woche hat uns allen das „Handelsblatt" folgendes ins Stammbuch geschrieben:
Im Bundestag darüber zu streiten, welche Mittel die geeignetsten sind, das ist in Ordnung. Vielleicht sollte jedoch dabei mehr aufeinander gehört werden, denn jede Seite hat Vorschläge parat, die nachdenkenswert sind.
Ich füge dem von mir aus hinzu: Unterschiedliche Einsichten in das politisch gebotene sind meist komplementär. Keiner, keine Partei verfügt über die ganze Einsicht. Jeder hat wahrscheinlich ein Stück davon. Vieles könnte man zum Besseren hin zusammenfügen, anderes könnte sich im Wettbewerb der Ideen bewähren.
Und welches Politikfeld böte sich von den Betroffenheiten und der inneren Sachlogik her denn dringlicher zum dialogischen Miteinander und Wettbewerb an als die Familienpolitik? Dazu bedarf es nur einer Voraussetzung: Man darf sich gegenseitig nicht den guten Willen absprechen.
Familienpolitiker pflegen zu sagen
({3})
- ja, warten Sie ab -, die Kultur des Miteinander auch im Gegeneinander der Meinungen sei in erster Linie in der Familie einzuüben. Das ist schon richtig. Aber wie kommt es dann, daß die Gebote der politischen Kultur regelmäßig gerade in der Familienpolitik noch schlimmer mißachtet werden als in anderen Bereichen? Ich habe mich oft gefragt, warum das so ist, und ich bin immer wieder zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Offenbar wird bei den Unionsparteien gerade in der Familienpolitik eine doch noch virulent gebliebene Ideologie berührt, die es nicht zuläßt, den Sozialdemokraten
Rapp ({4})
ausgerechnet auf diesem Gebiet auch nur guten Willen zuzuerkennen.
({5})
Indem ich das der Deutlichkeit halber auf die Spitze treibe, bitte ich alle um Entschuldigung,
({6})
die sich von dem die Unionsparteien insgesamt doch noch treffenden Vorwurf frei wissen, zu einer Weltanschauung zu neigen, wonach Gott nun einmal Gute und Böse geschaffen und es so eingerichtet hat, daß sich dies bei uns in einer Parteienkonstellation entlang der Linie christlich/nichtchristlich abbildet.
({7})
Klar, da kann es dann eben nur so sein, daß Sozialdemokraten es mit der Familie nicht gut meinen, anderenfalls ginge ja das ganze Welt- und Feindbild in die Brüche.
Dazu wenige CDU-Stimmen aus den letzten Wochen: Für die SPD ist solchen Äußerungen zufolge die Familie nur Objekt gesellschaftlicher Experimente - so Herr Kohl -, ihre Politik ist Ausdruck nur des Mißtrauens gegen die Institution, ist umgesetzte Ideologie der Allzuständigkeit des Staates in der bewußten Absicht, die Familie mit Konflikten zu überziehen. Keine Gruppe, so Herr Worms, wird von der SPD so diskriminiert wie die Familie, die von den Sozialdemokraten sogar ständig in Frage gestellt wird. Herr Geißler hat dergleichen auch heute wieder intoniert. Dies alles klingt noch vornehm gegenüber den früher alltäglichen Anwürfen, die SPD verfolge geradezu einen teuflischen Meisterplan zur Zerstörung der Familie, um so die Menschen und ihre Gesellschaft reif zu machen für den Kollektivismus. Ich erinnere mich daran, und ich werde Sie stets daran erinnern, auch unter Berufung auf Ihr hohes C!
All dies wurde und wird gesagt gegen die Fakten und gegen die Wahrheit. Richtig ist z. B., daß sich die Hilfen für die Familie zu unserer Regierungszeit allein nach 1975 d. h. nach der sprungartigen Aufstockung bei Einführung des Kindergeldes, bis 1981 um mehr als die Hälfte auf ein Niveau erhöht hatten, das wegen der Kürzungen durch die derzeitige Bundesregierung erst im Jahre 1988 wieder erreicht werden wird.
({8})
Richtig ist, meine Damen und Herren, daß wir Familienpolitik über die materiellen Hilfen hinaus in der Orientierung an Grundsätzen gestaltet haben, in denen z. B. von Nell-Breuning eine Kurzfassung der katholischen Soziallehre erkennen zu können meinte. Ich weiß, daß dieses Diktum gewisse Ideologen einer christlichen Einheitspartei bis heute schmerzt und irritiert.
Zur Stärkung der Familie hat auch beigetragen, daß wir bis in die Rechtspolitik hinein mit dem lange genug durchgehaltenen konservativen Aberglauben aufräumten, die Familie sei eine von der
Außenwelt abzuschirmende Idylle. Überhaupt Grundsätze und Programme: Wie wäre es denn, wenn wir alle erst einmal zur Kenntnis nähmen, wie der andere, wie die jeweils andere Partei sich selber versteht und verstanden wissen will? Ich weiß Ihre Essener Leitsätze zu würdigen. Ich nehme sie ernst. Ich werde Sie daran messen. Tun Sie denn uns gegenüber das gleiche? Ohne Frage ginge dann des einen und anderen Feindbild in die Brüche, das z. B. nun einmal dem Herrn Kroll-Schlüter - leider ist er nicht da - abverlangt, zu behaupten, daß Sozialdemokraten geradezu zwanghaft die Familie ständig in Frage stellen, so noch am 7. August dieses Jahres.
Meine Damen und Herren! Geradezu kampagnenartig hat man uns mit solcher Hetze überzogen, als wir 1979 den Mutterschaftsurlaub einführten. Wir hatten uns dabei gedacht, daß damit in den besonders dringlichen Fällen geholfen werde, in denen die Mutter zur Sicherstellung des Familieneinkommens unbedingt erwerbstätig sein muß. Viele von uns dachten dabei auch an den Schutz des ungeborenen Lebens, für den der Mutterschaftsurlaub mehr leistet als alles andere. Aber nein, die Kampagne gegen uns lief anders, und der Herr Geißler hat sie heute weitergeführt: Gewollte Diskriminierung der nichterwerbstätigen Mutter wurde uns unterstellt, die Auflösung der heilen Binnenwelt der Familie wurde beschworen, aus der heraus die Sozis noch die letzte Frau in die unheile Kollektiv- und Konfliktwelt der Erwerbsarbeit treiben wollen. Es hat uns dabei nicht geholfen, daß wir wieder und wieder erklärt haben, auch der nichterwerbstätigen Mutter helfen zu wollen, sobald wir den Elternurlaub finanziell darstellen könnten. Und jetzt, da wir die Chance sehen, ihn mit realisieren zu können, geht's der Union wieder nur ums Feindbild. Die gestrigen Presseerklärungen der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion atmen Verachtung und Häme - nichts anderes als dies.
Meine Damen und Herren, Vorredner aus meiner Fraktion haben die Unterschiede zwischen unserem Gesetzentwurf und dem der Bundesregierung herausgearbeitet. Wir wollen das Prinzip „Mutterschaftsurlaub" in eine Gesamtregelung mit hineinnehmen. Unser Elternurlaub ist flexibler ausgestaltet, der Kündigungsschutz ist bei uns wirksamer organisiert. Wir bieten Anreize, damit sich Vater und Mutter in die Betreuung des Kindes teilen, und vor allem helfen wir den Alleinerziehenden wirksamer. Ich bitte, meine Damen und Herren der Unionsparteien, dies wie auch den ergänzenden, unbezahlten Elternurlaub vor allem unter der Zielsetzung des Schutzes des ungeborenen Lebens zu sehen und nicht mit Hetzereien zu kommentieren, wie sie
({9}) in den gestrigen Verlautbarungen standen.
Ich blicke, meine Damen und Herren, auf eine lange Zeit der Mitarbeit in einem konfessionellen Familienverband zurück. Ich habe das alles mitgemacht: erst die Versuche der Ausgrenzung des Sozialdemokraten, das zu Unterstellungen neigende Mißtrauen; dann die Erfahrung, daß man Sozialde11810
Rapp ({10})
mokraten beim Wort und bei ihrer Ehre nahm, an ihren Taten maß, und endlich auch die Erfahrung der Öffnung und Offenheit, der vertrauensvollen Zusammenarbeit wie auch die, daß Versuche aus dem konservativen Lager, Sozialdemokraten doch immer wieder einmal ins ideologische Abseits zu drücken, in den Verbänden immer weniger fruchteten. Man hielt sich an die Tatsachen, und da ist dann eben den Unionsparteien seitens der Verbände in den letzten Jahren manch Mißliches ins Stammbuch geschrieben worden.
Solche Prozesse dauern lange, sind mühsam und schwierig, auch im Parlament. Ich mache den Familienpolitikern des Hauses, denen ich ja nicht angehöre, einen Vorschlag: Gehen Sie an die Gesetzentwürfe vorurteilslos und dialogisch heran. Handeln Sie nach dem biblischen Rat: Prüfet alles, und was gut ist, behaltet! Da aber die Koalitionsfraktionen unserem Gesetzentwurf ja doch nicht zustimmen werden, sage ich: Behalten Sie doch wenigstens das, was an ihm ganz offensichtlich gut ist. Handelten Sie so, würden Sie gerade auf dem so heiklen Feld der Familienpolitik einen Anfang zur dringend gebotenen Erneuerung der politischen Kultur im produktiven Wettbewerb der Parteien setzen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Schlottmann.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rapp, ich hatte bei Ihren Ausführungen, die ich persönlich zu schätzen weiß, den Eindruck, daß Sie einmal Gelegenheit gesucht haben, sich Dinge vom Herzen zu reden, die Sie in Ihrer Fraktion sicherlich schlecht sagen können.
({0})
Ich habe nach den Beiträgen der Damen Ihrer Fraktion den Eindruck, daß dort eine ganz andere Familienpolitik gilt
({1})
und daß Sie, Herr Rapp - ich sage es nicht gern -, einsam auf verlorenem Posten stehen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Rapp?
Ja, bitte schön, Herr Rapp.
Wie können Sie es wagen, die Bitterkeiten aus meiner persönlichen Erfahrung so miserabel und mies zu Ihren Gunsten zu manipulieren?
({0})
Herr Rapp, ich sage es aus folgendem Grund: Es hätte Ihnen gut angestanden, wenn Sie hier etwas zu den Grundsatzpapieren der SPD gesagt hätten, zumindest so viel, daß Sie diesen Papieren nicht folgen. Ich denke an die familienpolitischen Beschlüsse von Hamburg, in denen Sie nicht mehr in der Lage waren, die Familie so zu definieren, wie wir das in Deutschland tun, nämlich die Familie als Einheit von Vater, Mutter und Kindern zu zeigen. Sie haben da eine Definition gefunden, die von Ihrer Ideologie zeugt, eine Definition, die sagt, eine Familie bestehe aus einem oder mehreren Erwachsenen mit einem oder mehreren Kindern. Das, Herr Rapp - das wäre angemessen gewesen -, haben Sie bis heute nicht korrigiert. Gegen dieses Bild, auch gegen dieses Bild von der nicht berufstätigen Frau - auch das ist in diesen Papieren noch enthalten und nicht zurückgenommen worden - hätten Sie etwas sagen sollen. Sie hätten etwas zu § 218 sagen sollen. Sie hätten sagen sollen, daß Ihre Fraktion nicht bereit ist, den Frauen zu helfen, die schwanger und in Not sind, weder hier in Bonn noch dort, wo Sie, wie in Düsseldorf, die Mehrheiten haben. Dazu haben Sie geschwiegen.
({0})
Aber Sie wollten noch eine Zwischenfrage stellen.
Herr Kollege, kennen Sie unsere familienpolitischen Grundsatzpapiere aus dem Jahr 1979 und vom Dezember 1984?
Herr Rapp, es kommt nicht auf das an, was Sie hier sagen. Es kommt mir darauf an, was Ihre Partei auf Ihren Parteitagen grundsätzlich festgelegt hat. So, wie ich es vorgetragen habe, steht es; das ist nicht zurückgenommen worden. Einzelstimmen helfen da nicht viel.
({0})
- Ich möchte fortfahren.
Nach dieser Debatte - mir bleibt ja nur noch übrig, einiges nachzulesen - kann ich nur sagen: Frau Schmidt, die sozialistischen Zöpfe sind in Ihrer Partei - jedenfalls nach dem, was Sie vorgetragen haben; das paßt zu dem, was ich Herrn Rapp gesagt habe - nicht abgeschnitten. Sie haben ein Beispiel gegeben. Frau Kollegin Schmidt, wir kennen uns gut, und nach den Debatten im Ausschuß, wo Sie gelinder argumentieren, hatte ich den Eindruck, daß das weg ist. Ich habe auch gelesen, daß der Arbeitskreis Ihrer Fraktion zu dem alten Bild von - so sagen Sie noch - Familie und Ehe zurückgekehrt sei. Ich habe wenig Hoffnung, daß sich das durchsetzt; denn Sie haben bewiesen, daß Sie als Fraktion bereit sind - und Sie haben für Ihre Fraktion gesprochen -, den alten sozialistischen Klassenkampf auch in die Familie hineinzutragen.
({1})
Sie sagten, es tue Ihnen leid. Mir tut es wirklich leid, Frau Schmidt, daß Sie immer wieder diese Gegensätze zwischen Männern und Frauen hervorheben. Ja, Sie begnügen sich damit nicht einmal. Sie
haben doch früher in der Bildungspolitik immer wieder auf die Gegensätze zwischen den Eltern und den Kindern abgehoben. Sie haben versucht, diese Vorstellungen auch durchzusetzen. Lesen Sie einfach einmal die Lesebücher in den Ländern durch, wo Sie die Mehrheiten haben.
({2})
Sie versuchen jetzt sogar, Frau Schmidt - das haben Sie bewiesen -, nicht nur Mann gegen Frau, sondern sogar die berufstätigen Frauen gegen die nicht berufstätigen Frauen auszuspielen.
({3})
Das ist alter sozialistischer Klassenkampf. Ich kann Ihnen nur raten: Schneiden Sie diese Zöpfe ab.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Rapp?
Nein, es war jetzt genug; zweimal reicht.
Wir haben in den letzten Tagen und Wochen einige Argumente - auch von Ihnen, Frau Fuchs - gegen unsere Familienpolitik zur Kenntnis nehmen müssen. Dabei haben Sie einen Trick angewendet. Das ist deshalb ein Trick, weil Sie den Familienbund Deutscher Katholiken zitiert haben, tatsächlich aber nur Halbwahrheiten vorgetragen haben. Halbwahrheiten deshalb, weil die Familienverbände - nicht nur der von mir genannte Verband, sondern alle Familienverbände - erklärt haben, daß sie mit der Politik dieser Bundesregierung zumindest im Grundsätzlichen einverstanden seien,
({0})
und diese Politik auch unterstützten.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Vogelsang?
Nein. Ich mache jetzt weiter. Es ist ja ohnehin gleich Schluß.
Ich darf Ihnen jetzt einmal einen Katalog unterbreiten - Frau Fuchs, Ihnen ganz besonders -, den der Familienbund Deutscher Katholiken aufgestellt hat und in dem Ihre Familienpolitik beschrieben wird. Da heißt es:
Das Kindergeld wurde für alle zweiten und dritten Kinder unabhängig vom Einkommen um 20 DM monatlich gekürzt.
Es heißt weiter in diesem Katalog - er stammt nicht von uns oder der Regierung, sondern von diesem Verband -:
Für arbeitslose Jugendliche über 18 Jahre wurde der Anspruch auf Kindergeld gestrichen. Diese Jugendlichen verloren auch den Anspruch auf Familienkrankenhilfe in der gesetzlichen Krankenversicherung.
Es heißt weiter:
Die allgemeine Altersgrenze für kindergeldberechtigte Kinder wurde von 18 auf 16 Jahre gesenkt.
Das haben Sie doch damals getan, Herr Rapp. Denken Sie doch daran.
Der Kinderfreibetrag im Steuerrecht wurde ganz gestrichen. Es wurde kein Erziehungsjahr in der Rentenversicherung eingeführt, obwohl es in der Regierungserklärung angekündigt worden war.
({0})
- Ich danke Ihnen dafür, daß Sie sagen, ich sei ein kleiner Geißler. Das ist eine Ehre für mich. Das muß ich schon sagen. Herr Geißler, herzlichen Dank auch für Ihre vorbildliche Wirkung auf manchen Familienpolitiker hier.
Ich fahre fort. In diesem Katalog steht:
Ein dem Bundestag vorliegender Gesetzentwurf zur Einführung des Erziehungsgeldes wurde abgelehnt.
Von Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD. Warum regen Sie sich denn heute so auf?
Dieser Verband sagt - analytisch sehr gut -:
Der im Wahlprogramm versprochene Elternurlaub wurde nicht eingeführt, und der Kinderzuschuß für Rentenbezieher wurde eingefroren. Das BAföG
- dazu machen Sie j a draußen vor den Bürgern großes Geschrei wurde für die Schüler des 10. Schuljahres gestrichen. Die Zuschüsse für die studentische Krankenversicherung wurden gestrichen. Die Anspruchsvoraussetzung für den Bezug von Mutterschaftsurlaub wurde verschärft. Das Wohngeld wurde um 7,5% reduziert. Es gab keine
- Sie haben oft davon gesprochen Dynamisierung des Kindergeldes. Der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts zur Reform der Hinterbliebenenrente wurde ignoriert. Bis zur Aussetzung durch das Bundesverfassungsgericht gab es beim Schwangerschaftsabbruch sogar die Fristenlösung.
Auf keinen Fall aber - Herr Rapp, das haben Sie zu sagen vergessen - gab es konkrete Hilfen, weder in Bonn noch in den Ländern - ich sagte es schon -, in denen Sie die Mehrheit haben.
({1})
Sie sollten einmal dort hingehen, und mit diesen Herren und Damen sollten Sie diskutieren, insbesondere mit Ihrem zweiten Kanzlerkandidaten, dem Herrn Rau. Er läßt sich mit seiner Familie fotografieren und betreibt Stimmenfang mit seiner Familie. Das wurde heute hier schon gesagt. Aber dann versagt er eisern und ehern Hilfen für Frauen in Not. Wir haben im Düsseldorfer Landtag mehrere Anträge gestellt. Sie wurden ohne große Begründung heruntergemacht. Dorthin sollten Sie ge11812
hen, Herr Rapp. Dort sollten Sie Ihr großes Wort führen.
({2})
Eigentlich wollte ich aus Prinzip auf die GRÜNEN nicht eingehen.
({3})
Aber es tut mir weh, wie Sie hier mit den Frauen in besonderen Notlagen umgegangen sind, wie Sie diese Frauen angesprochen haben. Ich will einmal ganz sarkastisch sein: Wissen Sie, das entspricht genau der Linie, auf der auch die Lüdenscheider Beschlüsse der GRÜNEN - ich will sie hier nicht näher erläutern - liegen. Das tut mir für die Frauen leid. Ich stelle mich vor die Frauen. Ich lehne das, was Sie hier gerade im Zusammenhang mit der Familienpolitik betreiben, einfach ab.
({4})
Im Zusammenhang mit der Bundesstifung „Mutter und Kind" wurden die Beratungsstellen angesprochen, die dieser Stiftung negativ gegenüberstehen. Ich kann Ihnen genau sagen, bei welchen Beratungsstellen Sie sich erkundigt haben: Das waren die Beratungsstellen der AWO und die Beratungsstellen von „Pro Familia". Daß dort solche Meinungen herrschen, ist mir inzwischen bekanntgeworden. Darauf müssen wir noch näher eingehen.
Unsere Mittelerhöhungen - das sei hier einmal deutlich gesagt und unterstrichen - verstehen sich aus dem Bemühen, allen hilfsbedürftigen Frauen und Familien zu helfen. Niemand, der hilfsbedürftig ist, darf ohne Hilfe zurückgewiesen werden.
({5})
Gegenüber allen Kritikern füge ich hinzu: Wir sind dankbar dafür, daß die Hilfen aus der Bundesstiftung vielfach durch Landesstiftungen, Leistungen vieler Kommunen - in der Regel CDU-geführter Kommunen -, durch Leistungen der Kirchen und vieler Verbände ergänzt werden und damit in diesem Verbund einfach wirkungsvoller sind.
Außerdem müssen die Leistungen der Bundesstiftung im Zusammenhang mit sämtlichen Verbesserungen unseres Familienlastenausgleichs gesehen werden. Eben wurden einige Zahlen genannt. Hier sind die amtlichen Zahlen: 1984 erhielten 9 925 Frauen, 1985 - bis zum 31. Juli gerechnet - weitere 12 785 Frauen Hilfen aus der Bundesstiftung. Diese Frauen wandten sich wegen einer Notlage an eine anerkannte Beratungsstelle, welche die Hilfsbedürftigkeit prüfte und die Zuschüsse vermittelte.
Ich erinnere an die Kritik an den Beratungsstellen, an die Skepsis bei ihrer Errichtung. Ich erinnere mich noch an Ihre Ausführungen vor einem Jahr hier in diesem Hause bezüglich der Stiftung. Ich erinnere mich auch an die Kritik mancher Verbände, die Ihnen nahestehen.
Wir haben bei den Beratungsstellen nachgefragt und folgende Erfahrungen mitgeteilt bekommen. Die Bundesstiftung wird als wichtige Hilfe und Ergänzung der Beratung von allen Betroffenen akzeptiert. Leider gibt es bestimmte Beratungsstellen - solche Erfahrungen liegen auch vor; ich sagte es schon -, die Mittel der Bundesstiftung ablehnen und eher zur Abtreibung als zur Annahme von Hilfen raten.
({6})
Diese Praxis muß unterbunden werden. Das sage ich hier deutlich und mit allem Nachdruck. Hier werden Gesetze unterlaufen und Hilfen vorenthalten. Hier wird Frauen in ihrer Notlage nicht der nötige menschliche Beistand gewährt.
({7})
Nach Auskunft von Beratungsstellen bewirken 10% der materiellen Hilfen unmittelbar den direkten Schutz des ungeborenen Lebens, indem sie Abtreibungen verhindern. In weiteren Fällen wirken sich diese Hilfen zugunsten der Familien und der notleidenden Frauen und damit ebenfalls zugunsten des werdenden Lebens aus.
Ich sehe, ich muß hier aufhören. Es tut mir leid. Hier ist viel zwischengefragt worden.
Wir haben festgestellt, daß insbesondere sozial Schwache, Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Auszubildende und Berufstätige dafür in Frage kommen, von dieser Bundesstiftung Hilfe zu erhalten.
Ich überschlage viel. Nur eines noch. Ich bitte Sie: Gehen Sie zu Ihrem zweiten Kanzlerkandidaten, dem Herrn Rau - ich nannte ihn soeben schon -; diskutieren Sie mit ihm und sagen Sie ihm, was dringend geboten ist, nämlich daß im Land Nordrhein-Westfalen wie in Hessen, Hamburg und Bremen Landesstiftungen eingerichtet werden.
({8})
Sprechen Sie auch mit Ihren Kommunalpolitikern, daß sie nach CDU-Beispiel Sonderfonds einrichten, damit keine Frau, die in Not ist, von der Tür gewiesen wird,
({9})
wie es in Nordrhein-Westfalen leider Gottes der Fall ist. Das muß geändert werden.
Wir haben eine gute Familienpolitik gemacht. Wir werden diese Familienpolitik weiterführen. In Bereichen, die schon genannt worden sind, werden wir weiter initiativ sein.
Ich bin überzeugt, daß die Bevölkerung das weiß. Wenn man fragt, worin sich die beiden großen Parteien unterscheiden, kann man heute in aller Ruhe und mit vielen Beweisen sagen: Diese Unterscheidung kann man in der Familienpolitik ganz sicher finden, nicht nur von ihrer Ideologie her,
({10})
die wir heute einmal wieder knapp behandelt haben, sondern auch auf Grund Ihres permanenten Neinsagens besonders dort, wo Sie die Mehrheit haben. Das sollten Sie ändern. Dann können wir weiter miteinander sprechen.
Ich bedanke mich.
({11})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Matthäus-Maier.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Zufall wollte es, Herr Schlottmann, daß Sie nach dem Herrn Rapp geredet haben. Ich muß sagen: Nach diesem Beitrag, der sehr konziliant gewesen ist und auch so gemeint war, nun diese hetzerische und verleumderische Rede! Sie sollten sich schämen, Herr Schlottmann.
({0})
Sie haben genau die Vorwürfe von Herrn Rapp bestätigt. Aber wir lassen uns nicht auf diesen Ton ein. Denn die Bürgerinnen und Bürger hier auf den Tribünen wie draußen im Land wissen,
({1})
was sie von unserer Familienpolitik und von Ihrer Familienpolitik zu halten haben.
({2})
Sie sagen doch, die Familienverbände unterstützten Sie. Diese haben nach Ihrer Wahl ein Notprogramm aufgelegt und Herrn Kohl aufgefordert, endlich etwas zu tun.
({3})
Der Herr Rollinger - der Name sagt Ihnen ja etwas -, der Vizepräsident des Familienbundes der Deutschen Katholiken, hat in einem großen Artikel geschrieben: Die Kürzungen im Familienbereich ab 1983 gehen weit über das hinaus,
({4})
was den Kinderfamilien ab 1. Januar 1986 an zusätzlichen Leistungen zugestanden wird. - Nicht einmal 1988 werden Sie erreichen, was wir in 13 Jahren geschaffen haben.
({5})
Wir haben hier zwei Gesetzentwürfe vorliegen. Beide sehen finanzielle Hilfen für Väter oder Mütter, seien sie erwerbstätig oder nicht erwerbstätig, nach der Geburt eines Kindes vor. Dies ist gut.
Lassen Sie mich aber die sechs Hauptunterschiede zwischen diesen beiden Gesetzentwürfen nennen:
Erster Unterschied. Wir halten den bewährten Mutterschaftsurlaub aufrecht, den wir 1979 gegen Ihren Willen geschaffen haben. Übrigens, Herr Schlottmann, Sie fragen, wo die konkrete Hilfe bei § 218 war. Nun, das ist die konkrete Hilfe, einer erwerbstätigen Mutter zu sagen: Auch wenn du ein Kind bekommst, kannst du sechs Monate aufhören.
Zweiter Unterschied. Wir beharren auf dem alten Satz von 750 DM Mutterschaftsurlaubsgeld, das Sie als erste Tat, nachdem Sie an die Regierung gekommen waren, auf 510 DM gekürzt haben.
Dritter Unterschied. Wir halten den frauenfreundlichen Kündigungsschutz des Mutterschaftsurlaubsgesetzes aufrecht, der bisher eine Kündigung in den ersten acht Monaten völlig verboten hat.
Vierter Unterschied. Wir schlagen im Anschluß an den bezahlten Elternurlaub von zwölf Monaten - da sind unsere Gesetzentwürfe gleich - einen Anspruch auf unbezahlte Beurlaubung für weitere zwölf Monate vor.
Fünfter Unterschied. Wir schaffen einen Anreiz dafür, daß der Elternurlaub zwischen Vater und Mutter geteilt wird. Ich finde es nicht gut, daß diese Regelung ganz überwiegend Frauen betrifft. Der Anreiz besteht darin, daß der Elternurlaub, wenn man ihn sich aufteilt, insgesamt um drei Monate verlängert wird.
Sechster Unterschied. Wir berücksichtigen in unserem Entwurf ganz besonders die schwierige Situation der Alleinerziehenden, und zwar dadurch, daß wir zum einen die Dauer des Elternurlaubes für Alleinerziehende um insgesamt drei Monate verlängern und daß wir zum anderen das Elternurlaubsgeld auf 750 DM monatlich erhöhen.
Herr Geißler, bei der Vorstellung Ihres Erziehungsgeldes haben Sie gesagt, das Erziehungsgeld werde den bisherigen Mutterschaftsurlaub voll integrieren. Auch Frau Verhülsdonk hat hier heute gesagt, er werde nicht abgeschafft. Frau Verhülsdonk, Sie haben die Unwahrheit gesagt; ob bewußt oder unbewußt, lasse ich hier dahingestellt. Ich zitiere § 37 Nr. 1 Ihres Gesetzentwurfes. Dort steht:
1. Die §§ 8 a, 8 b, 8 c, 8 d, 9 a, 10 Abs. 1 Satz 2 und § 13 Abs. 3 werden aufgehoben.
Schlagen Sie doch einmal nach, was das für Paragraphen sind: Das sind die Paragraphen, denen zufolge der Mutterschaftsurlaub in das Mutterschutzgesetz eingebaut wird. Sie schaffen dieses Mutterschaftsurlaubsgeld schlicht und einfach ab.
({6})
Ich muß Ihnen sagen: Das ist nicht nur politisch falsch - ({7})
- Dies ist kein Quatsch. Sie schaffen das doch hier ab.
({8})
- Bitte, Herr Geißler, es interessiert mich, was Sie dazu fragen wollen.
Herr Abgeordneter Geißler zu einer Zwischenfrage.
Frau Präsidentin, ich habe zwei Fragen. Darf ich sie stellen?
Das muß die Rednerin entscheiden.
Dann will ich nur die eine Frage stellen. Verehrte Frau Matthäus-Maier, würden Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß die Paragraphen aus dem alten Mutterschaftsurlaubsgesetz, die - wie Sie gerade zitiert haben - aufgehoben werden sollen, ohne jeden Abstrich
({0})
- ohne jeden Abstrich! -, wenn ich von § 9 a absehe, der durch § 9 Abs. 3 ersetzt worden ist - er gilt für die ersten acht Wochen nach der Geburt -, vollinhaltlich in das Erziehungsurlaubsgesetz aufgenommen worden sind und daß Sie infolgedessen nicht das Recht haben, zu behaupten, wir hätten den Inhalt des Mutterschaftsurlaubsgesetzes arbeitsrechtlich oder sozialrechtlich verändert.
({1})
Herr Geißler, ich darf Ihnen allein zwei konkrete Beispiele nennen, um zu zeigen, daß das, was Sie sagen, nicht stimmt.
Erstes Beispiel. Wenn eine Mutter bisher den Mutterschaftsurlaub in Anspruch nahm, war sie, wie Sie wissen, in diesen sechs Monaten und darüber hinaus noch zwei Monate unkündbar.
({0})
Ihr Gesetz sieht das nicht mehr vor. Sie haben die Position der Unkündbarkeit verschlechtert.
({1})
Zweites Beispiel: Nehmen Sie eine Familie, bei der die Mutter erwerbstätig ist - das kommt ja auch vor; ich finde es ganz gut, daß es das auch einmal gibt -, und der Mann die Kinder erzieht; vielleicht studiert er auch noch. Bisher war es so: Sie bekommt - sagen wir einmal - das dritte Kind und geht in den Mutterschaftsurlaub. Sie möchte ihn gern sechs Monate lang in Anspruch nehmen, um auch zu Hause zu bleiben. Ihr Gesetzentwurf erlaubt das nicht mehr. Eine erwerbstätige Mutter muß kündigen, wenn ihr Mann nicht auch erwerbstätig ist. - Sie gucken so ungläubig. Wer hat Ihnen denn das aufgeschrieben, wenn Sie das nicht wissen? Solche Ideologen wie Herr Schlottmann, der hier soeben gesprochen hat?
({2})
Ich frage auch einmal die FDP mit der neuen Liberalität nach der Wende: Herr Mischnick, ist Ihnen bekannt, daß es Fälle solcher Art gibt? Ich wäre so ein Fall, wenn ich nicht Abgeordnete wäre. Wollen Sie den Frauen vorschreiben, daß sie nicht sechs Monate bei ihrem Kind sein können und statt dessen weiter malochen müssen, nur weil der Mann schon zu Hause ist? Gucken Sie sich das einmal an. Nein, es gibt gravierende Verschlechterungen.
Ich sage Ihnen: Sie sagen immer, Sie machen das, weil Sie die nicht erwerbstätigen Mütter besserstellen wollen. Das unterstreichen wir ausdrücklich. Das haben wir 1979 sogar gemeinsam angekündigt. Aber jetzt frage ich Sie: Warum müssen Sie die erwerbstätigen Mütter schlechterstellen, um die nicht erwerbstätigen besserzustellen? Diese Logik ist doch nicht zwingend. Tun Sie doch das eine und lassen Sie das andere!
({3})
Wenn man Sie trifft, sagen Sie meistens: Das könnte man nicht bezahlen. Wenn man die nicht erwerbstätigen Mütter besserstellen wolle, dann müßte man den anderen ein bißchen was abnehmen. - Er erkundigt sich gerade; das glaubt er nämlich selber nicht. Es steht aber drin, Herr Geißler. - Sie sagen immer, das Geld dafür sei nicht vorhanden. Aber das hat gar nichts mit Geld zu tun. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen. Sie streichen den „scharfen" Kündigungsschutz des Mutterschaftsurlaubsgesetzes. Sie bekommen dafür keine müde Mark, die Sie für die nicht erwerbstätigen Mütter einsetzen könnten. Es geht Ihnen darum, aus ideologischen Gründen die Position der erwerbstätigen Frau zu verschlechtern. Das ist eben Ihre Ideologie - trotz der feinen Worte hier heute morgen. Wissen Sie, Sie kamen mit Marx und Lenin - die interessieren mich alle nicht weiter - zur Frage der Ideologie der SPD in bezug auf die Familie. Ich sage Ihnen: Wir haben kein staatlich vorgegebenes Rollenbild.
Ich weiß aus vielen Gesprächen - das wissen wir alle -: Man kann sich im Beruf nicht unbedingt emanzipieren. Es gibt einen Haufen Berufe für Frauen - übrigens auch für Männer -, die sind so dreckig, gefährlich, scheußlich und unterbezahlt, da emanzipiert man sich nur, wenn man nicht mehr da hin muß.
({4}) Das müssen Sie uns nicht erzählen.
Wir wollen aber auch nicht das umgekehrte Familienbild: daß der eine zu Hause bleibt - in der Regel die Frau - und der andere erwerbstätig ist. Wir möchten die Entscheidungsfreiheit.
Sie wollen uns immer die Geschichte mit der Hausfrau unterjubeln. Wer hat denn die Rentenversicherung für die Hausfrauen geöffnet? Das war doch wohl die alte, die sozialliberale Koalition.
({5})
Wer hat die Aufteilung der Rentenansprüche nach einer Scheidung eingeführt, beim Versorgungsausgleich? Das war doch wohl die sozialliberale Koalition, meine Damen und Herren. Nein, die Frauen sind viel solidarischer untereinander, die Frauen, die nicht erwerbstätig sind, und die Erwerbstätigen, weil sie wissen, daß sie in ihrem persönlichen Leben meist nacheinander mal das eine und das andere sind. Wir sagen Ihnen: Wenn Sie einen Keil zwischen diese beiden Gruppen von Frauen treiben wollen, dann tun Sie das, aber nicht mit unserer Hilfe.
({6})
Warum helfen Sie nicht ein bißchen mehr den Alleinerziehenden? Warum können Sie denen denn um Himmels willen nicht die 750 DM lassen? Dann sagen Sie, das sei so teuer. Unser ganzer Gesetzentwurf mit den zusätzlichen Verbesserungen, die ich hier vorgestellt habe, kostet keine 300 Millionen
DM mehr. Nun können Sie sagen: 300 Millionen DM ist viel Geld. Das ist richtig. Aber was sind 300 Millionen DM angesichts von 20 Milliarden DM - eben sprach ich von Millionen -, die Herr Stoltenberg hier vorgestern bei der Berichterstattung über den Subventionsbericht allein bis 1991 den Bauern über den Tisch schiebt. Da meinen wir, da müßte auch für die alleinstehende Mutter was drin sein.
({7})
Oder wissen Sie eigentlich, Herr Geißler - das ist das Ressort von Herrn Stoltenberg -, daß die alleinstehenden Mütter nach der sogenannten Steuerreform schlechter stehen, weil der Kinderfreibetrag, den sie bekommen, die Kürzung der Sonderausgabenabzüge nicht aufwiegt? Nein, Herr Geißler, Sie treiben Politik nach dem Motto: Ein schönes Erziehungsgeld, und um den Rest kümmern Sie sich nicht. Sorgen Sie doch, wenn Sie frauenfreundlich sind, dafür - -- gut, wenn Sie es auch so verstehen, rede ich gerne leiser. Aber man hat das Gefühl, Sie hören nicht zu, oder Sie ziehen daraus nicht die Konsequenzen.
Sorgen Sie doch dafür, daß beim Ehescheidungsfolgen-Recht - hier sieht die Koalition vor, daß eine Frau, die viele, viele Jahre lang Kinder erzogen hat, nach der Scheidung unter Umständen auf die Sozialhilfe angewiesen ist - Änderungen erfolgen. Frau Wex, Sie sagen immer, das sei nicht der Fall. Sie waren bei der Anhörung im Rechtsausschuß nicht dabei. Bundesrichter Lohmann hat ausdrücklich bestätigt, daß dies nach Ihrem Gesetzentwurf möglich ist.
Sorgen Sie an diesen vielen Ecken und Enden dafür, daß eine Politik zugunsten der Frauen durchgesetzt wird, nicht aber die klammheimlichen, in vielen Einzelbereichen erfolgte Kürzungen vorgenommen werden.
({8})
Lassen Sie die Finger von § 218! Stellen Sie die Ausbildungsförderung für junge Mädchen wieder her! Stellen Sie die Erwerbsunfähigkeitsrenten für Frauen wieder her! Erhöhen Sie das Kindergeld, statt Kinderfreibeträge einzuführen!
({9})
Sie wollen einen Kinderfreibetrag für Gutverdienende. Nein, Familienpolitik ist kein Werbegag für Wahlkämpfe, Herr Geißler; Sie wollen sich ja dahin ganz zurückziehen.
({10})
Die Frauen in diesem Lande wissen, was wir für sie getan haben. Sie wissen auch, was sie von einem Minister zu erwarten haben, der mal auf einem Parteitag der CDU Revue-Girls auftreten läßt und dann z. B. eine Ministerin benennt, ohne die Frauen seiner Fraktion überhaupt zu fragen.
Ich sage Ihnen: Sie haben die Chance, dieses Gesetz mit uns zusammen so zu verbessern, daß es gut ist, und die Verschlechterungen mit uns zusammen zurückzunehmen. Hätten Sie das getan, wären Sie ein guter Minister gewesen. Ich hoffe, daß Frau Süssmuth das tun wird.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Adam-Schwaetzer.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Schlottmann, mit Ihrer Rede war ich auch nicht besonders glücklich, aber das, was die Frauen der SPD heute morgen hier geboten haben, stimmt mich schon traurig. Ingrid, ich hätte wirklich nicht gedacht, daß das Wort „Hetze" in einer solchen Debatte überhaupt einmal fallen müßte,
({0})
zumal das, was deine jetzigen Kolleginnen vorher in der Debatte geboten haben, sicherlich auf der gleichen Stufe stand und gleich zu qualifizieren war.
({1})
Sie haben versucht, aus Halbwahrheiten und selektivem Erinnerungsvermögen politisches Kapital zu schlagen.
({2})
Ich will dafür ein paar Beispiele bringen.
Der Kündigungsschutz, so wie er im bisherigen Mutterschaftsurlaubsgeld angelegt ist - das ist offensichtlich das selektive Erinnerungsvermögen -, ist nur deshalb so hineingekommen, damit der Gesetzentwurf damals nicht im Bundesrat zustimmungspflichtig wurde. Ansonsten waren die damaligen Koalitionsfraktionen gewillt, so wie wir das heute tun, den Kündigungsschutz, wie er in der Mutterschutzfrist vor der Geburt und acht Wochen nach der Geburt damals feststand, heute von uns wieder festgeschrieben wird, auch auf diesen Mutterschaftsurlaub auszudehnen. Das ist nur deshalb nicht gekommen, damit die Zustimmungspflichtigkeit nicht hergestellt werden mußte.
({3})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kollegin, der Abgeordneten Frau Däubler-Gmelin?
Nein, ich gestatte keine Zwischenfragen,
({0})
weil es ein paar Punkte sind, die wirklich im Zusammenhang vorgetragen werden müssen.
Zweiter Punkt: Halbwahrheiten.
({1})
- Herr Schreiner, Sie haben mit Ihrer schneidenden Stimme nach mir gleich noch die Möglichkeit, all das noch einmal vorzutragen, was Ihre Kolleginnen schon behauptet haben.
Halbwahrheiten: Sie verschweigen z. B. bei all den Dingen, die Sie aufgezählt haben, die Gesetzentwürfe, die hier in den vergangenen Wochen im Deutschen Bundestag verabschiedet worden sind. Meine Kolleginnen haben schon darauf hingewiesen. Ich muß Ihnen sagen, es gibt auch einen entsprechenden Eindruck draußen in der Bevölkerung
- ich glaube nicht, daß der besonders gut ist -, wenn wir uns die Sachen hier im Plenum mit Unterstellungen und schlimmen Halbwahrheiten um die Ohren hauen, indem wir einfach verschweigen, was tatsächlich gemacht worden ist.
({2})
Ich bin mit Herrn Geißler nicht immer einer Meinung gewesen, aber es hat mich schon geärgert, in welcher Weise Sie seine Aussagen zu der Stiftung „Mutter und Kind" hier falsch dargestellt haben.
({3})
- Ingrid, ich gestatte keine Zwischenfragen.
Niemand aus den Koalitionsfraktionen hat hier behauptet, daß es die Begründung „soziale Notlage" aus rein finanziellen Erwägungen gebe, sondern es ist ausdrücklich immer wieder darauf hingewiesen worden, daß es eine Vielzahl schwieriger und sehr schwerwiegender Situationen gibt. Die Begründung für die Stiftung war aber, daß in einem reichen Land, wie wir es sind, aus finanziellen Erwägungen kein Kind abgetrieben werden sollte, und ich kann überhaupt nicht verstehen, daß Ihnen das nicht zustimmungswürdig erscheint.
({4})
Die SPD behauptet, sie würde kein Rollenbild vorschreiben. Ich will das hier nicht auf die Spitze treiben, aber ich habe in den ersten Reden der Rednerinnen von der sozialdemokratischen Fraktion nicht einmal das Wort „Wahlfreiheit" für die Frau und für die Familie gehört. Es ist hier von den Rednerinnen der SPD kein Wort
({5})
über den Wert der nichtberufstätigen Frauen gesagt worden. Ich frage Sie: Wie diskutieren Sie draußen mit all den Frauen, die uns bereits seit 1979 fragen, warum das Mutterschaftsurlaubsgeld nur für berufstätige Frauen, aber nicht für diejenigen gewährt wird, die ihre Kinder ohne Berufstätigkeit vorher und nachher zu Hause erziehen? Das ist doch der Punkt, auf den wir alle immer wieder angesprochen worden sind, seitdem es dieses Gesetz gegeben hat.
({6})
Wie begründen Sie diesen Frauen gegenüber eigentlich, daß sie heute immer noch, entgegen den
Worten, die Ingrid Matthäus hier soeben gebraucht
hat, darauf bestehen, daß diese Leistungen nur berufstätigen Frauen zur Verfügung gestellt werden?
({7})
Das bedeutet, daß eine Frau, die nach ihrem ersten Kind die Berufstätigkeit aufgibt, dann - wenn Ihr Entwurf Gesetz werden würde - dieses in Anspruch nehmen könnte, jedoch nach einem zweiten Kind, wenn sie zwischendurch nicht wieder berufstätig gewesen ist, eine solche Zuwendung nicht mehr erhält.
({8})
Ich halte das nicht für erträglich, und deshalb werden wir bei unserer Meinung bleiben, daß das Erziehungsgeld allen Müttern gewährt wird,
({9})
weil Kindererziehung eine so wichtige gesellschaftliche Leistung ist, daß diese finanziellen Aufwendungen jedem Fall gerechtfertigt sind.
({10})
Ein letztes Wort zur Beschäftigungsgarantie: Sie ist in unserer Fraktion stark umstritten gewesen, wobei auch und vor allen Dingen die FDP-Frauen große Vorbehalte gegen eine zu weitgehend ausgestaltete Beschäftigungsgarantie vorgebracht haben, denn sie merken .es an ihren Einstellungschancen, wenn sie sich mit Männern um den gleichen Arbeitsplatz bewerben. Eine sehr weitgehend ausgebaute Beschäftigungsgarantie wird sicherlich an vielen Arbeitsplätzen keine negative Bedeutung für Frauen haben, nämlich an all den Arbeitsplätzen, um die sich Männer sowieso nicht bewerben, aber eine Beschäftigungsgarantie wird sich an den Arbeitsplätzen, um die Frauen und Männer gemeinsam konkurrieren, für die Frauen immer als Einstellungshemmnis auswirken. Das ist der Grund, aus dem die Frauen meiner Partei immer wieder davor gewarnt haben, diesen Weg in einer Weise mitzugehen, die die Chancen von Frauen nachdrücklich beeinträchtigen würde.
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Wir finden, daß der vorgelegte Entwurf durchaus noch in einigen Punkten überdacht werden muß. Diese Punkte hat der Kollege Norbert Eimer eben aufgezählt. Wir meinen aber, daß die Richtung der Politik, auch der Familienpolitik, dieser Regierung richtig und vernünftig ist und daß sie Forderungen erfüllt, die - und das können Sie nachlesen, wenn Sie sich einmal die Programmatik der FDP aus den 70er Jahren zu Gemüte führen; ich habe sie extra mitgebracht, damit Sie sie noch einmal lesen können - eine konsequente Aufnahme auch der Punkte beinhalten, die für uns seit vielen, vielen Jahren wichtig sind.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Vielen Dank.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Schreiner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, daß nach den Ausführungen des Herrn Schlottmann hier einige deutliche Worte notwendig sind. Wenn ihm in einem zuzustimmen ist, dann in der Aussage, daß es in Sachen Familienpolitik schwerwiegende Differenzen zwischen den großen Parteien gibt. Der Gesetzentwurf der Koalition ist nicht, wie der Bundesfamilienminister meint, der Durchbruch einer neuen Idee. Der Gesetzentwurf vermag auch nicht davon abzulenken, daß die Politik der Rechtskoalition unzählige Familien in materielles Elend gestürzt hat.
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Das von Ihnen konstruierte Erziehungsgeld wird darüber hinaus keineswegs den bedrängten Familien helfen; im Kern zielt es darauf ab, den in Gang befindlichen Rausschmiß vieler Frauen aus dem Erwerbsleben zusätzlich zu beschleunigen.
Zur ersten These. In einer Erklärung des Kommissariats der Deutschen Bischöfe vom 7. September 1983 heißt es:
Unbestritten wirkt sich eine ganze Reihe von Sparmaßnahmen zu Lasten der Familie aus, angefangen von den Kürzungen beim Bafög bis zur Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Den katholischen Bischöfen kann von der Sache her leider nur zugestimmt werden. Die gewaltigen Umverteilungsmaßnahmen zu Lasten der sozial Schwächeren haben in der Tat in die Haushalte der Arbeitnehmerfamilien, der Rentner-, Arbeitslosen- und Behindertenfamilien - um nur einige zu nennen - große Löcher gerissen.
Es kommt noch erheblich dicker, Herr Minister, obwohl die Sache Sie augenscheinlich nicht interessiert. Am 26. Februar 1985 berichtet die „Westfälische Rundschau" über den öffentlichen Aufruf eines Iserlohner Diakoniepfarrers, Hungernden - Hungernden in der Bundesrepublik Deutschland! - mit Spenden zu helfen. Der Pfarrer wörtlich:
Irgendwann mußten sich doch die Folgen jahrelanger Arbeitslosigkeit und falscher Sozialpolitik bemerkbar machen.
Die renommierte Züricher „Weltwoche" versieht einen Bericht über Armut in der Bundesrepublik am 20. Mai dieses Jahres mit der Überschrift:
Wenn das Geld nicht einmal für das Essen reicht.
Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung" berichtet am 1. März 1985 über hungrige Mütter in der Bundesrepublik, von denen es immer mehr gebe, unter dem Titel:
Mütter aus Arbeitslosen-Familien essen sich in der Kur wieder satt.
Diese alarmierenden Meldungen lassen sich aus allen Teilen der Bundesrepublik nahezu beliebig fortsetzen.
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Der amtierende Bundespropagandaminister - das ist die entscheidende Schlußfolgerung - ist drauf und dran, den Sozialstaat in der Bundesrepublik Deutschland zu spalten.
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Das ist der entscheidende Punkt. Immer mehr Menschen werden aus den eh schon hart zerzausten Systemen der sozialen Sicherung herausgekippt und in existentielle Not gestürzt, vor allem Frauen, aber auch viele Kinder in den betroffenen Familien.
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Haben Sie, Herr Bundespropagandaminister,
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jemals einen Blick in die Stuben der neuen Armut geworfen?
Herr Kollege, ich würde doch die richtige Anrede gebrauchen.
Haben Sie, Herr Generalsekretär der CDU, Herr Propagandasekretär der CDU, jemals einen Blick in die Stuben der neuen Armut geworfen, die Sie und Ihre Kollegen in der Bundesregierung mutwillig und bewußt herbeigeführt haben?
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- Ich lebe nicht in einem anderen Land. Ich habe aber den Eindruck, Herr Kollege Cronenberg, daß Sie nie mit einer Familie gesprochen haben, die irgendwo in den Hinterhöfen unserer Gesellschaft mit 1 200 DM drei Kinder zu versorgen hat.
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Haben Sie, Herr Bundesminister - jetzt im Jahre 1985 -, jemals in die Gesichter der Frauen und Kinder geblickt, deren materielle Fundamente Sie zerbrochen haben, denen Sie den Sorgenstempel ins Gesicht gepreßt haben und die nicht mehr wissen, wie es morgen weitergeht?
Derselbe Herr Geißler, der in den 70er Jahren neue Armut zu entdecken glaubte, ist immer mehr zur Geißel für die sozial Schwachen geworden.
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Sie hätten als Familienminister Gelegenheit gehabt, Mängel, wenn es sie denn gab, abzustellen.
Statt dessen haben Sie das Problem der neuen Ar11818
mut in seiner massenhaften Form überhaupt erst geschaffen.
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Sie sind nicht nur der größte und bösartigste Verleumder dieser Republik, Sie sind auch der übelste und schamloseste Pharisäer dieses Landes.
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Ich sage Ihnen noch eines dazu. Wenn derjenige, der vor fast 2000 Jahren die Falschmünzer aus dem Tempel getrieben hat, hier heute in diesen Saal käme, wären Sie, Herr Geißler, der erste, der sich vor den Türen des Plenarsaales wiederfinden würde.
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Es ist in der Tat vergebliche Mühe, Ihnen jenen Satz anzudienen, der sich unter der Zeichnung „Charitas" aus dem Jahre 1559 von dem holländischen Meistermaler Pieter Brueghel findet.
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- Wenn hier die Vertretung des neureichen Bonzentums in Deutschland bei dieser Frage solche albernen Zwischenrufe macht, ist das wirklich der Gipfel.
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- Sie sind ein radikaler Sozialumverteiler zu Lasten der Schwachen in diesem Lande gewesen. Das werden Sie allerspätestens bei den nächsten Wahlen merken.
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Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende. Herr Abgeordneter, kommen Sie zum Schluß Ihrer Rede.
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Es ist vergebliche Liebesmüh. Ich sage Ihnen jenen Satz aus dem Jahre 1559 trotzdem:
Hoffe, daß Du dasselbe durchmachen mußt, was anderen zustößt, denn dadurch kannst Du angeregt werden, Deine Hilfe anzubieten, indem Du Dich oft in die Lage des Hilfesuchenden, der im Elend lebt, versetzt und seine Schwierigkeiten teilst.
Es wäre wirklich einmal ganz gut, Herr Kollege Cronenberg -
Ihre Redezeit ist zu Ende. Bitte kommen Sie zum Schluß, ehe Sie wieder neue Verbalinjurien hier einbringen.
Ich führe den Satz zu Ende. - Es wäre ganz gut, wenn Sie einmal 14 Tage lang von dem sogenannten Warenkorb oder von der Arbeitslosenhilfe sich und Ihre Familie durchbringen müßten. Dann wüßten Sie, worüber Sie hier polemisieren.
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Herzlichen Dank.
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Meine Damen und Herren, es ist für den amtierenden Präsidenten außerordentlich schwierig zu unterscheiden, was noch eine politische Bewertung ist und was schon darüber hinausgeht. Ich denke, ich habe durch meine Bemerkungen hier gesagt, wie ich darüber denke.
Meine Damen und Herren, es gibt keine weiteren Wortmeldungen mehr. Ich schließe die Aussprache.
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Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3792, 10/3806 und 10/3805 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überweisen. Gibt es dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 25. September, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.