Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Vor Eintritt in die Tagesordnung: Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Tagesordnung um zwei Zusatzpunkte erweitert werden. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur Tagesordnung" aufgeführt, die Ihnen vorliegt:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Entlassung des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit - Drucksache 10/178 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Neuordnung der Parteienfinanzierung ({0}) - Drucksache 10/183 Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 10/165 Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz. Der Abgeordnete Stiegler bittet um die schriftliche Beantwortung seiner Frage 3. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Der Abgeordnete Dr. Sperling bittet ebenfalls um die schriftliche Beantwortung der von ihm eingebrachten Frage 4. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Der Abgeordnete Lenzer bittet um schriftliche Beantwortung der von ihm eingereichten Fragen 5 und 6. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung.
Die Frage 7 der Frau Abgeordneten Weyel wird auf Grund von Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf:
Ist die Bundesregierung bereit, im Zusammenwirken mit den Ländern sicherzustellen, daß für ausländische Studierende die Zulassungsbescheide der Hochschulen und die Erteilung der Einreisevisa zeitlich so aufeinander abgestimmt werden, daß nicht die Hochschulzulassung erlischt, bevor das Einreisevisum erteilt wird?
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Hirsch, die Bundesregierung hat bereits auf verschiedenen Ebenen Verhandlungen mit den Ländern und Hochschulen aufgenommen und dabei Regelungsvorschläge unterbreitet, die sicherstellen sollen, daß ausländische Studienbewerber rechtzeitig zu den von den Hochschulen gesetzten Terminen, beispielsweise für Immatrikulation, Aufnahmeprüfung und Sprachprüfung, einreisen können. Das Ziel der Bundesregierung ist es, die Gespräche aller Beteiligten im Interesse der ausländischen Studenten baldmöglichst zum Abschluß zu bringen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß durch diese Verordnung der Bundesregierung, die die Visumpflicht erst neu einführt, tatsächlich viele Studenten, insbesondere aus Entwicklungsländern, daran gehindert werden, ein Studium in der Bundesrepublik aufzunehmen?
Herr Kollege Dr. Hirsch, es ist das Bemühen der Bundesregierung, zusammen mit den Ländern zu einer Regelung zu kommen, die gerade verhindert, daß die von Ihnen befürchtete Entwicklung eintreten kann.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, nachdem es Jahrzehnte ohne eine solche Regelung über die Visumpflicht gegangen ist, frage ich Sie, ob es nicht dann, wenn man sie einführen will, sinnvoll ist, vor der Einführung mit den Ländern zu vereinbaren, daß diese, wie ich annehme, ungewollten Schwierigkeiten nicht auftreten, und ist es darum nicht auch
sinnvoll, diese Verordnung so lange außer Kraft zu setzen, bis die notwendigen Einigungen erzielt sind?
Ich gehe davon aus, daß es jetzt bald zu einem Einvernehmen unter den Beteiligten kommen wird, und zwar so bald, daß das bei den Hochschulzulassungen, die bevorstehen, noch zur Auswirkung kommen kann. Infolgedessen sollte man sich jetzt darauf konzentrieren, diese Einigung unter den Beteiligten zustande zu bringen. Dann hätten wir ein Verfahren, das, wie gesagt, die von Ihnen geäußerten Befürchtungen nicht eintreten läßt.
Keine weiteren Zusatzfragen. Die Beantwortung der Fragen aus diesem Geschäftsbereich ist damit abgeschlossen.
Wir kommen nunmehr zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung.
Die Frage 13 des Herrn Abgeordneten Bohl soll auf seinen Wunsch schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 9 der Frau Abgeordneten Dr. Hickel auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß nach Stellungnahmen von Fachleuten der Weltgesundheitsorganisation Röntgenreihenuntersuchungen nach § 47 des Bundes-Seuchengesetzes eine Quelle künstlicher Strahlenbelastung darstellen, die vom Standpunkt der Wissenschaftler heute nicht mehr zu rechtfertigen ist, und was gedenkt die Bundesregierung dagegen zu tun, daß Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bei Weigerung, an diesen Untersuchungen teilzunehmen, mit Disziplinarmaßnahmen belangt werden?
Frau Kollegin, auch wenn die künstliche Strahlenbelastung bei Röntgenreihenuntersuchungen unter der jährlichen natürlichen Strahlenbelastung liegt, die zeitlebens gegeben ist, ist die Bundesregierung um deren Abbau bemüht.
Über die Frage der Röntgenuntersuchung der Lehrer und der Schulbediensteten gibt es einen ständigen Meinungsaustausch zwischen den obersten Gesundheitsbehörden des Bundes und der Länder. Die erhöhte Gefahr einer Schulepidemie an Tuberkulose durch den engen Sprachkontakt des Lehrers mit seinen ihm durch die Schulpflicht anvertrauten Schülern war der Grund für die Forderung nach einer jährlichen Wiederholungsuntersuchung für Lehrpersonen und Schulbedienstete.
Wegen des Rückgangs der Tuberkulosehäufigkeit in den letzten Jahren wurde das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose beauftragt, zu den jährlichen Wiederholungsuntersuchungen im Hinblick auf die heutigen epidemiologischen Gegebenheiten Stellung zu nehmen. Die Stellungnahme enthält eine Reihe von Vorschlägen, die zu einer Lockerung der jährlichen Untersuchungspflicht führen könnten. Über die daraus zu ziehenden Folgerungen findet zur Zeit mit den Ländern eine Abstimmung statt. Letzten Endes geht es um eine Risikoabwägung zwischen der Minderung der Strahlenbelastung durch gezielte Eingrenzung der Röntgenuntersuchungen auf einen engeren Personenkreis und der Minderung der Gefahr einer Schulepidemie. Es dürfen keine Maßnahmen unterlassen werden, die zur Verhütung einer etwaigen Schulepidemie als erforderlich anzusehen sind.
Die sich abzeichnende Lockerung der .Untersuchungspflicht wird eine intensivere Einstellungsuntersuchung erforderlich machen. In begründeten Verdachtsfällen einer Tuberkuloseerkrankung der Lehrer bietet das Bundesseuchengesetz die Möglichkeit gezielter Untersuchungen in Einzelfällen. Zur Zeit werden diese Fragen abschließend geprüft. Die Durchführung des Bundesseuchengesetzes obliegt den Ländern. In Abstimmung mit den Ländern wird die Bundesregierung gegebenenfalls das Bundesseuchengesetz der aktuellen Situation und dem Stand der Erkenntnisse anpassen.
Bei Verstößen gegen geltendes Recht ist es den Ländern zur Zeit unbenommen, disziplinarische Maßnahmen zu treffen. Hierauf hat der Bund keinen Einfluß.
Zusatzfrage? - Bitte.
Ich danke sehr für diese ausführliche Auskunft. Sind Sie nicht der Auffassung, daß die Gefahr einer Tuberkuloseepidemie in den Schulen heute in gar keinem Verhältnis mehr zu der Strahlenbelastung steht? Sie haben doch sicher ein Urteil schon darüber, bevor alle diese Beratschlagungen zu Ende geführt sind?
Frau Kollegin Hickel, ich habe ja ausgeführt: Wir müssen abwägen. Dabei kommen wir zu dieser Situation, so wie ich sie gerade ausgeführt habe.
Eine weitere Zusatzfrage? - Bitte.
Was kann ein Lehrer - mir sind solche Fälle bekannt -, der jedes Jahr gezwungen ist, sich untersuchen zu lassen, und der das als untragbare Belastung für seine Gesundheit empfindet, unternehmen? Was würden Sie empfehlen?
Ich würde mich an die gesetzlichen Bestimmungen halten.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Sie haben eingangs einen Vergleich zwischen natürlicher und künstlicher Strahlenbelastung gezogen und haben das auf die Jahresdosis bezogen. Ich halte das für außerordentlich gefährlich -
Verehrte Frau Abgeordnete, eine Frage, bitte!
Ja, pardon. - Ist Ihnen bekannt, daß aber die natürliche Strahlenbelastung nur ganz geringe Mengen an Energie abgibt, während die künstliche Strahlenbelastung in dem Moment, wo sie stattfindet, außerordentlich viel höher sein kann und sehr wohl bewirken kann, daß eine Zelle mutagen getroffen wird, was bei der natürlichen so gut wie ausgeschlossen ist?
Frau Kollegin, dies kann ich Ihnen nicht umfassend beantworten. Ich habe mich vorher sachkundig gemacht. Die Fachleute in dem Ministerium haben mir die Auskunft gegeben, die ich Ihrer Kollegin eben gegeben habe.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Menzel auf:
Ist das Vorgehen der Frankfurter Ferrero OHG, die nach Pressemeldungen ({0}) über 80 Kinder als Testperson benutzte, um die Wirkung ihrer Nougatcreme „Nutella" zu untersuchen, nach bundesrechtlichen Vorschriften Rechtens, und wenn ja, sieht die Bundesregierung einen Anlaß für eine Rechtsänderung oder -ergänzung?
Herr Kollege Menzel, darf ich die beiden Fragen im Zusammenhang beantworten?
Einverstanden.
Dann rufe ich auch Frage 11 des Herrn Abgeordneten Menzel auf:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um zu verhindern, daß Kinder - ohne Not - zu Forschungszwecken gebraucht werden?
Die Bundesregierung hat Presseveröffentlichungen entnommen, daß im Rahmen eines von Ärzten eines ernährungswissenschaftlichen Instituts durchgeführten 12wöchigen Hauptversuches 50 Kinder neun Wochen lang täglich zu ihrer normalen Kost durchschnittlich 116 Gramm Nougatcreme „Nutella" der Firma Ferrero erhalten haben sollen, um die Auswirkungen eines dauernden Verzehrs dieses Brotaufstriches auf den Gesundheitszustand von Kindern zu testen.
Vorausgegangen sein soll ein Vorversuch an 36 Kindern, in dem die im Hauptversuch täglich zu verabreichende durchschnittliche Höchstmenge von 116 Gramm „Nutella" ermittelt worden sein soll.
Im Rahmen des Hauptversuchs soll nach der ersten, zweiten, dritten, neunten und zwölften Woche den Kindern Blut aus der Armvene entnommen worden sein, um die Blutfette und Lipoproteine zu testen. Das Bundesrecht enthält keine speziellen Vorschriften, welche die Durchführung von ernährungswissenschaftlichen Forschungen an Menschen betreffen. Ob durch das Vorgehen der Firma Ferrero und die Durchführung der Versuche durch
Ärzte des betreffenden ernährungswissenschaftlichen Instituts gegen Strafvorschriften verstoßen worden ist, muß der etwaigen Beurteilung durch die Strafverfolgungsbehörden und die zuständigen Gerichte vorbehalten bleiben.
Die Überwachung der ärztlichen Berufstätigkeit und der Einhaltung der im Landesrecht geregelten Berufspflichten der Ärzte ist Sache der zuständigen Ärztekammern und der Berufsgerichte. Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, gesetzgeberische Maßnahmen in Gang zu setzen. Sie wird der Angelegenheit nachgehen. Zunächst wird sie die Problematik mit der Bundesärztekammer und den anderen Organisationen erörtern.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, heißt das, daß es die Bundesregierung für durchaus in Ordnung hält, daß jeder Nahrungsmittelproduzent ohne Not Kinder zu solch großen Versuchen benutzt?
Nein, Herr Kollege, das habe ich nicht gesagt.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Ich habe Sie aber richtig verstanden, daß ein solcher Versuch eines Nahrungsmittelproduzenten nicht gegen gesetzliche Bestimmungen verstößt?
So ist es.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Ich habe Sie auch richtig verstanden, daß sich die Bundesregierung nicht genötigt sieht, gesetzliche Bestimmungen zu schaffen, um solche Versuche zu verhindern.
Nein, ich habe ausgeführt, daß wir jetzt mit der Bundesärztekammer und den anderen Organisationen dieserhalb sprechen werden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehen wir keine Erforderlichkeit.
Noch eine Zusatzfrage.
Macht es die Bundesregierung von dem Ergebnis der Besprechungen abhängig, ob sie bereit ist, gesetzesmäßig initiativ zu werden, um solches Vorgehen zu unterbinden?
Das will ich nicht ausschließen, ich will es aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht mit Ja beantworten.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, kann aus dem, was Sie hinsichtlich der Vorversuche gesagt haben, der Schluß abgeleitet werden, daß es nicht unbedenklich ist, täglich mehr als 116 g der besagten Nougatcreme zu verzehren?
Herr Kollege Jaunich, wir müssen das abwarten. Ich sagte, es ist in einem Versuchsstadium. Die Mitarbeiter des Hauses haben sich sehr viel Mühe gegeben. Das ist mein Erkenntnisstand zum jetzigen Zeitpunkt.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten Poß auf:
Trifft es zu, daß die falschen Bescheide über Kindergeldleistungen, deren Zahl nach Aussage des Finanzministers von Nordrhein-Westfalen, Dr. Posser, allein in Nordrhein-Westfalen 1983 in die Hunderttausende gehen soll, darauf zurückzuführen ist, daß das Kindergeldgesetz verwaltungstechnisch höchst unzulänglich ist, und wenn ja, welche Folgerungen zieht die Bundesregierung daraus?
Herr Kollege Poß, die Aussage von Herrn Minister Posser, deren genauer Wortlaut in der Information der Landesregierung NRW Nr. 359/6/83 vom 13. Juni 1983 enthalten ist, bezieht sich nicht, wie vielfach irrtümlich angenommen wird, auf das zur Zeit von den Kindergeldstellen praktizierte Verfahren. Minister Posser hat also ausweislich der erwähnten Information der Landesregierung Nordrhein-Westfalen gar nicht behauptet, daß es Hunderttausende falscher Kindergeldbescheide in Nordrhein-Westfalen gäbe. Davon könnte auch keine Rede sein. Die Aussage von Herrn Minister Posser richtet sich vielmehr gegen den vorgesehenen Datenaustausch zwischen Finanzämtern und Kindergeldstellen, ein - insbesondere die Kindergeldbezieher entlastendes - Verfahren, das von der Bundesregierung für die Zukunft angestrebt wird und wohl frühestens für die Kindergeldzahlungen im Jahre 1985 angewendet werden kann. Aber auch für die Zukunft sind die Befürchtungen von Herrn Minister Posser unbegründet.
Die geltenden Kindergeldregelungen, auf denen das derzeit praktizierte Verfahren beruht, werden den verwaltungstechnischen Anforderungen gerecht. Sie bringen nicht die Gefahr einer hohen Zahl von Fehlentscheidungen mit sich. Bei der Erarbeitung des von der Bundesregierung für die Zukunft angestrebten Verfahrens wird selbstverständlich sichergestellt, daß die geltenden Gesetze beachtet, die Bürger vor Fehlentscheidungen bewahrt und die Finanzämter nicht überfordert werden.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wie gedenkt die Bundesregierung das Problem des unterschiedlichen Einkommensbegriffes - zum einen nach dem Steuerrecht und zum anderen nach dem Bundeskindergeldgesetz - zu lösen? Das ist auch ein Vorwurf, der von Herrn Posser erhoben wurde.
Soweit mir bekannt ist, gibt es da keine Schwierigkeiten.
Noch eine Zusatzfrage? - Sie haben nur das Recht, nicht die Pflicht, noch eine Zusatzfrage zu stellen.
Hält es die Bundesregierung für wirtschaftlich vertretbar, mit großem Aufwand einen Datenabgleich vorzusehen, ohne daß zuvor geklärt wäre, wie denn die von der Bundesregierung angekündigte Neuregelung des Familienlastenausgleichs aussehen soll?
Familienlastenausgleich oder bezogen auf das Kindergeld?
({0})
- Das sind aber zwei Dinge, Herr Kollege. Ich will hier nicht bevormundend eingreifen, aber ich möchte schon gerne wissen, wie ich Ihre Frage beantworten soll. Meinen Sie das Kindergeld, wie es von der Bundesregierung vorgesehen ist?
({1})
Einen Augenblick, Herr Abgeordneter. Ich habe Ihre Fragen noch großzügig als Ergänzung zugelassen. Daß wir jetzt eine Diskussion eröffnen, ist nicht der Sinn der mündlichen Fragestunde. Aber Sie können bei einer anderen Gelegenheit eine neue Frage stellen, die beides umfaßt.
({0})
- Ja, es ist in Ordnung. Das ist doch selbstverständlich.
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Aus welche Gründen hat der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit veranlaßt, den früheren Präsidenten des Bundesgesundheitsamts, Professor Dr. Fülgraff, der vom Bundesgesundheitsamt als einer der Redner des Festsymposiums aus Anlaß der Einweihung des Instituts für Arzneimittel des Bundesgesundheitsamts am 24. Juni 1983 eingeladen war, wieder auszuladen, obwohl gerade unter seiner Amtszeit das Institut gegründet und das einzuweihende Gebäude geplant und gebaut wurde?
Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
Herr Kollege Jaunich, Professor Fülgraff wurde nicht ausgeladen. Vielmehr mußten aus Gründen eines überlasteten Vormittagsprogramms die letzten vier Vorträge vom ursprünglichen Programmentwurf gestrichen bzw. auf den Nachmittag verlegt werden. Professor Fülgraff hat die vorgesehene Verlegung seines Vortrags vom Vormittag auf den Nachmittag nicht akzeptiert und leider abgesagt.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wenn dem so ist, warum ist dann nicht einer der mehr fachlich orientierten Vorträge in das Nachmittagsprogramm ausgelagert worden, sondern gerade dieser Vortrag von Herrn Professor Fülgraff, dem früheren Staatssekretär im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit?
Herr Kollege Jaunich, es geht um vier Vorträge ab 11.45 Uhr. Man muß davon ausgehen, daß sie durch Verzögerungen ohnehin später beginnen und folglich auch später abschließen; nachmittags soll schon wieder um 14 Uhr begonnen werden. Wegen der Überfülle am Morgen haben die Herren Lewandowski und Überlaa auf ihre Ausführungen verzichtet. Wir haben einen auswärtigen Gast aus Paris, der sich ebenfalls ohne viel Federlesens hat umsetzen lassen. Lediglich Herr Professor Fülgraff wollte dies nicht.
Zweite Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, erkennen Sie, daß dies der Bundesregierung als Kleinkariertheit ausgelegt werden kann, und wäre es nicht angezeigt gewesen, daß der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit alles getan hätte, um diesem Eindruck entgegenzutreten, indem er Herrn Professor Fülgraff, in dessen Amtszeit dieses Objekt maßgeblich initiiert, vorbereitet und eingeleitet wurde, die Gelegenheit gegeben hätte, seinen Vortrag im ersten Block halten zu können?
Herr Kollege Jaunich, ich teile Ihre Meinung, daß das kleinkariert ist, nicht. Die notwendige Abänderung des Programmablaufs hat der Präsident vorgenommen. Das Programm ist dann mit dem Hause abgestimmt worden. Mehr kann ich Ihnen zu dem Verfahrensvorgang nicht sagen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 15 des Herrn Abgeordneten Weisskirchen ({0}) wird auf Grund Nr. 2 Abs. 2 der Richtlinien für die Fragestunde schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Ich rufe die Frage 16 des Herrn Abgeordneten Kriszan auf:
Was unternimmt die Bundesregierung zur Bekämpfung und Erforschung der neuerdings auch in Europa und der Bundesrepublik Deutschland auftretenden Krankheit „Acquired Immune Deficiency Syndrome" ({1}) sowie deren Folgeerkrankungen „Kaposi-Sarkom" ({2}), „Pneumocystis carinii" ({3}) u. a.?
Herr Kollege, ich bitte Sie, beide Fragen im Zusammenhang beantworten zu dürfen.
Dann rufe ich auch Frage 17 des Herrn Abgeordneten Kriszan auf:
Was kann die Bundesregierung gegen die Diskriminierung von Gruppen, die von dieser Krankheit betroffen sind, tun?
Seit Dezember 1981 arbeitet eine Arbeitsgruppe des Bundesgesundheitsamtes intensiv an Problemen im Zusammenhang mit einer neu aufgetretenen Krankheit, einer erworbenen Immun-Abwehrschwäche des menschlichen Körpers, genannt AIDS. Diese Arbeitsgruppe steht in einem engen Kontakt mit den zuständigen Überwachungsstellen der Weltgesundheitsorganisation und der USA. Zusammen mit den Gesundheitsbehörden der Länder und den Gesundheitsämtern ist durch Herausgabe eines Erfassungsbogens die Ermittlung aller AIDS-Fälle, die mit einem Kaposi-Sarkom, einer seltenen Krebsgeschwulst der Haut, einer Pneumocystis-carinii-Infektion, einer besondern Art der Lungenentzündung, und anderen Infektionen mit opportunistischen Erregern verbunden sein können, eingeleitet. Opportunistische Erreger sind solche, die günstige Gelegenheiten mangelnder Abwehr benutzen, um sich im Organismus auszubreiten.
Diese Erfassung ist Voraussetzung einer erfolgversprechenden Ursachenforschung. Neben der epidemiologischen Erfassung laufen Forschungsarbeiten im Bundesgesundheitsamt und in Forschungseinrichtungen der Länder ({0}), um den vermuteten Erreger zu identifizieren. Es werden alle Anstrengungen unternommen, um die noch unbefriedigende Diagnostik zu verbessern. Gleiches gilt für die Therapie dieser neuen Erkrankung. Eine ursachenbezogene Therapie oder eine prophylaktische Impfung sind zur Zeit noch nicht möglich.
Das Bundesgesundheitsamt hat in Zusammenarbeit mit der Organisation homosexueller Männer ein Flugblatt erarbeitet, das den hauptsächlich betroffenen Personenkreis vor der Erkrankung warnen soll. Die Bundesregierung hofft, den Selbsthilfegedanken in diesen Gruppen zu fördern und damit auch die Gefahr der Ausbreitung zu vermindern. § 7 des Bundesseuchengesetzes gibt der Bundesregierung die Möglichkeit, die Meldepflicht bei übertragbaren Erkrankungen auszudehnen, soweit die epidemiologische Lage dies erfordert. Bei der Unsicherheit der Verdachtsdiagnose und der Unsicherheit der Abgrenzung gegenüber anderen Immunmangelzuständen sowie der langen Inkubationszeit wurde bisher von einer Meldepflicht abgesehen, um jedwede Diskriminierung Krankheitsverdächtiger zu vermeiden.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, aus Presseberichten ist bekanntgeworden, daß diese Krankheit durch Übertragung von Blutkonserven und durch Spritzen weitergegeben werden kann. Was sagen Sie zu diesen Feststellungen?
Herr Kollege, auch ich habe das der Presse entnommen. Ich gehe davon aus, daß die Fachleute im Bundesgesundheitsamt dieser Frage nachgehen.
Weitere Zusatzfrage.
Frau Staatssekretärin, ich glaube nicht, daß ein Nachgehen der Fachleute da ausreichen wird. Ich selbst möchte nicht der Gefahr ausgesetzt werden, bei einer Bluttransfusion solche Krankheitserreger zu bekommen. Sind Sie denn bereit, da irgendwelche Schritte zu unternehmen?
Ich sagte: Wir werden das prüfen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz ({0}) auf:
Teilt die Bundesregierung die vom Bundesrat und unter anderem auch von der Deutschen Brauwirtschaft zum Ausdruck gebrachte Befürchtung, daß dadurch, daß in Artikel 1 Nr. 6 des Richtlinienvorschlags des EG-Ministerrats zur Änderung der Richtlinie 79/112/EWG ({1}) für jedes zur Bierherstellung verwendete, nichtgemälzte Getreide nicht die spezifische Bezeichnung vorgeschrieben, sondern der Obergriff „nichtgemälztes Getreide" oder „nichtgemälzte Getreidemischung" für zulässig erklärt wird, die ausländischen Brauer in der Gemeinschaft, die ihr Bier abweichend vom Reinheitsgebot nicht ausschließlich aus Malz, sondern mit Reis, Mais, Maisgritz und dergleichen herstellen, dies nicht offenlegen müssen, sondern sich hinter den wenig besagenden vorstehend genannten allgemeinen Bezeichnungen verbergen können?
Herr Kollege Kunz, diese Frage kann ich Ihnen sehr kurz beantworten: mit einem uneingeschränkten Ja.
Keine Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 19 des Herrn Abgeordneten Dr. Kunz ({0}) auf:
Ist die Bundesregierung bereit, bei den weiteren Verhandlungen mit Nachdruck auf eine Regelung hinzuwirken, derzufolge im Zutatenverzeichnis für Bier das ungemälzte Getreide ({1}) mit seiner jeweiligen spezifischen Bezeichnung ({2}) anzugeben ist, da die Klassenbezeichnungen „nichtgemälztes Getreide" oder „nichtgemälzte Getreidemischungen" dem Informationsbedürfnis des Verbrauchers nicht gerecht werden?
Meine Antwort auf Ihre zweite Frage ist ebenfalls ein klares Ja. Die Bundesregierung wird mit Nachdruck auf eine solche Regelung hinwirken.
Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, wie beurteilt die Bundesregierung nach den bisher gewonnenen Eindrücken und Erfahrungen die Aussichten, eine Änderung des Anhangs I des Richtlinienvorschlags im Sinn des Beschlusses des Bundesrates vom 18. März 1982 zu erreichen?
Wie ich eben ausführte: Wir werden alles tun, damit wir dem Reinheitsgebot für die Bierherstellung Rechnung tragen können.
({0})
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 20 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzlichen jährlichen finanziellen Belastungen, die den Gemeinden und Landkreisen im Rahmen der Sozialhilfe durch die Begleitgesetze zum Bundeshaushalt 1983 und die geplanten sozialen Kürzungen für 1984 entstehen?
Herr Kollege, einige der Sparmaßnahmen, die mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 getroffen worden sind, wirken sich finanziell belastend bei der Sozialhilfe aus. Über die Gesamthöhe der Belastungen ist mangels ausreichender statistischer Unterlagen eine Schätzung nicht möglich. Den Mehrausgaben stehen im übrigen auch Entlastungen der kommunalen Haushalte, z. B. durch die gesetzliche Festlegung der Regelsätze für das Jahr 1983, und Mehreinnahmen durch steuerliche Maßnahmen gegenüber.
Das Bundeskabinett hat eine abschließende Entscheidung über das Begleitgesetz für den Haushalt 1984 noch nicht getroffen. Bei den Vorbereitungen des Gesetzes läßt sich die Bundesregierung von dem Grundsatz leiten, die Konsolidierung des Bundeshaushaltes nicht zu Lasten von Ländern und Gemeinden vorzunehmen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Frau Staatssekretärin, sind Sie mit mir nicht der Meinung, daß die Bundesregierung vor so einschneidenden Entscheidungen in diesem Bereich genaue Berechnungen vorzulegen hat? Gehört es nicht zu verantwortlichem politischem Handeln, genaue Berechnungen über die Auswirkungen auf Kommunen und Landkreise anzustellen, bevor ich solche Entscheidungen treffe?
Die Bundesregierung hat sich zwar Mühe gegeben, aber das alles bis ins letzte zu kalkulieren war sehr schwierig, Herr Kollege.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte, Herr Kollege Jaunich.
Frau Staatssekretärin, können Sie das denn auch nicht in Teilbereichen quantifizieren, z. B. die durch die Änderung im Wohngeldbereich bewirkten Kürzungen und deren Einfluß auf die Sozialhilfe?
Herr Kollege Jaunich, das sind im Jahre 1983 etwa 60 Millionen DM.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Peter.
Wenn Sie keine genau quantifizierten Zahlen geben können, Frau Staatssekretärin, von welchen Schätzungen ist die Bundesregierung denn in den angesprochenen einzelnen Bereichen ausgegangen?
Wie ich ja eben sagte, Herr Kollege, war es im allgemeinen außerordentlich schwierig, Schätzungen vorzunehmen, da es zur Zeit kein statistisches Material gibt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Frau Staatssekretärin, nachdem Sie die ungefähren Zahlen beim Wohngeld genannt haben: Können Sie auch eine ungefähr geschätzte Zahl nennen, die deutlich macht, welche zusätzliKuhlwein
chen Belastungen durch den Kahlschlag beim Bundesausbildungsförderungsgesetz auf die Sozialhilfe zugekommen sind?
Nein, Herr Kollege, das ist nicht möglich, da die Förderung ja bis August noch in jedem Fall durchgehalten wird.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gilges.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, der Städte- und Gemeindetag, der Landkreistag, und wie sie alle heißen, haben j a nun Schätzungen vorgenommen, was ihnen das kostet. Sind Ihnen diese Schätzungen bekannt, und könnten Sie uns die Schätzungen für die Jahre 1983 und 1984 einmal mitteilen?
Herr Kollege Gilges ich kann es hier nicht, verspreche Ihnen aber gerne, das schriftlich nachzureichen.
Keine weiteren Zusatzfragen. - Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Die Frage 25 des Abgeordneten Stiegler soll auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden, ebenso die Fragen 28 und 29 des Abgeordneten Müller ({0}) sowie die Frage 30 des Abgeordneten Immer ({1}). Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 21 des Herrn Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Hält die Bundesregierung es für mit ihren allgemeinen wirtschaftspolitischen Zielsetzungen vereinbar, daß die Bundesbahndirektion Köln Leistungen zum dreigleisigen Ausbau der Ost-West-S-Bahn Düsseldorf und auf der Strecke Wuppertal-Schwelm mit einem Auftragswert von jeweils über 100 oder mehreren hundert Millionen DM, deren Ausführung sich zudem über mehrere Jahre erstreckt, in Großlosen vergeben will und die Aufträge dadurch auch für große mittelständische Bauunternehmen von vornherein unerreichbar bleiben?
Herr Kollege, die von Ihnen genannten Gesamtausschreibungen für die Ost-WestS-Bahn Düsseldorf und die Strecke WuppertalSchwelm liegen mit ihrem Auftragswert weit unter der von Ihnen genannten 100-Millionen-DM-
Grenze. Die Deutsche Bundesbahn hält die Ausschreibungen in dieser Form im vorliegenden Fall aus wirtschaftlichen, technischen und bahnbetrieblichen Gründen für geboten.
Die Größenordnung der Ausschreibung liegt auch, wie die Erfahrungen gezeigt haben, im Bereich der Möglichkeiten von größeren mittelständischen Bauunternehmen. Dabei sollte nicht außer acht gelassen werden, daß mittelständische Bauunternehmen an den Maßnahmen der Ost-West-S- Bahn bisher auch schon als Subunternehmer beteiligt worden sind.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, „weit unter 100 Millionen DM" - können Sie das näher beziffern?
Ich habe hier eine Liste mit allen einzelnen Maßnahmen. Ich bin gerne bereit, Ihnen diese sehr umfangreiche Liste nachher auszuhändigen.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, auch wenn es „nur" 80 Millionen DM wären: Hält es die Bundesregierung für möglich, daß die Gesichtspunkte weniger Verantwortung, weniger Arbeit, weniger Risiko bei der Bundesbahndirektion Köln hier ein solches Gewicht gehabt haben, daß deswegen diese enorme Ausschreibung in einer Summe erfolgt ist?
Die Deutsche Bundesbahn hat der Bundesregierung mitgeteilt, daß es wirtschaftliche, technische und bahnbetriebliche Gründe gewesen sind.
Ich darf Sie aber darauf hinweisen, daß es zur Politik der Bundesregierung gehört, den Mittelstand besonders zu fördern. Wir werden dies auch gegenüber der Deutschen Bundesbahn erklären. Ich werde diese Frage von Ihnen zum Anlaß nehmen, das Entsprechende zu tun.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 22 des Herrn Abgeordneten Dr. Freiherr Spies von Büllesheim auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Ausschreibungen aufheben zu lassen, oder akzeptiert sie ohne nähere Prüfung die allgemeine Darlegung der Deutschen Bundesbahn, die Vergabe der Arbeiten an z. B. 18 Brücken, der Umbau von drei Haltepunkten, die Erstellung von vier P + R-Anlagen und Tiefbauarbeiten für 35 Kilometer Gleis sei aus technischen, wirtschaftlichen und bahnbetrieblichen Gründen in einem Großlos erforderlich, und dies trage trotz der Einschränkung des Anbieterkreises zur Verbilligung der Baumaßnahme bei?
Bitte.
Dr. Schulte, Parl. Staatsssekretär: Die Bundesregierung sieht in dem betreffenden Fall, Herr Kollege, keine Veranlassung anzuregen, die im Zuge der Ost-West-S-Bahn bisher getätigten Ausschreibungen aufzuheben. Im Rahmen der Ost-West-S-Bahn sind neben einer Fülle von kleineren Objekten, die einzeln ausgeschrieben und vergeben worden sind, einige wenige Großbaulose zur Ausschreibung gelangt, die, wie ich vorher schon gesagt habe, aus wirtschaftlichen, technischen und bahnbetrieblichen Gründen in dieser Form nach Ansicht der Bundesbahn geboten waren.
Bisher sind etwa in 25 Einzelausschreibungen Baumaßnahmen für rund 200 Millionen DM ausgeschrieben und vergeben worden. Ich sagte vorhin, daß ich Ihnen die Liste nachher übergeben werde.
Parl. Staatsssekretär Dr. Schulte
Die Größenordnung der von Ihnen genannten Großbaulose liegt in ihrem Auftragswert, wie vorher gesagt, unter der Grenze von 100 Millionen DM.
Vizepräsient Stücklen: Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung die Darlegung, diese Großausschreibung sei aus technischen, wirtschaftlichen und bahnbetrieblichen Gründen erfolgt, ohne weiteres glauben, oder hat die Bundesregierung die Absicht, diesen spektakulären Einzelfall einmal nachzuprüfen, unter Umständen unter Einschaltung von Gutachtern oder des Referats des Bundeswirtschaftsministeriums für öffentliche Aufträge?
Es gibt j a noch andere Großvorhaben bei der Deutschen Bundesbahn. Wir haben Anlaß, mit der Deutschen Bundesbahn darüber zu reden, wie die Vergaben stattfinden.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hätte die Bundesregierung es vorgezogen, wenn auch dieses Großlos in Einzelaufträgen vergeben worden wäre?
Wenn dies aus wirtschaftlichen, technischen und bahnbetrieblichen Gründen möglich ist, dann wäre es der Bundesregierung angenehm, der Mittelstand würde entsprechend berücksichtigt werden. Dies ist Teil der erklärten Politik der Bundesregierung.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 23 des Herrn Abgeordneten Gerstl ({0}) auf.- Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird wie in den Richtlinien vorgesehen verfahren. Dasselbe gilt für die Frage 24 des gleichen Abgeordneten.
Ich rufe die Frage 26 des Herrn Abgeordneten Kißlinger auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird wie in den Richtlinien vorgesehen verfahren. Dasselbe gilt für die Frage 27 des gleichen Abgeordneten.
Die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Pauli ist zurückgezogen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 32 der Frau Abgeordneten Fuchs ({1}) auf:
Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung, um im Jahr 1983 sowie in den folgenden Jahren zu gewährleisten, daß alle Auszubildenden zum Fernmeldehandwerker in eine ausbildungsgerechte Beschäftigung von der Deutschen Bundespost übernommen werden?
Frau Kollegin, um die Bemühungen der Bundesregierung - sowohl der jetzigen als auch der früheren - bei der Bekämpfung des allgemein herrschenden Ausbildungsplatzmangels wirksam zu unterstützen, stellt die Deutsche Bundespost bereits seit einigen Jahren in den gewerblich-technischen Berufen zum Fernmeldehandwerker, zum Elektromechaniker und zum Kraftfahrzeugmechaniker wesentlich mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung, als zur Deckung des betrieblichen Bedarfs an Nachwuchskräften eigentlich erforderlich wäre. Aus dieser überhöhten Ausbildungskapazität darf für die Deutsche Bundespost aber nicht der Zwang entstehen, alle auslernenden Auszubildenden unabhängig vom tatsächlichen Bedarf auch ausbildungsgerecht zu übernehmen. Sie kann auf Grund ihrer betrieblichen und auch der haushaltsrechtlichen Verpflichtungen Einstellungen, d. h. Übernahmen, nur im Rahmen des sich jeweils ergebenden örtlichen und bezirklichen Personalbedarfs vornehmen. Dabei ist es für die Deutsche Bundespost selbstverständlich, daß unter Ausschöpfung aller sinnvollen und vertretbaren Beschäftigungsmöglichkeiten ein Maximum an ausbildungsgerechten Arbeitsplätzen bereitgestellt wird.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie ist Ihre Antwort mit der Aussage des Bundespostministers zu vereinbaren, der nach einem Bericht der „Stuttgarter Zeitung" vom 26. November 1982 am 25. November 1982 in Hamburg vor Journalisten erklärt hat, die Deutsche Bundespost werde 1983 in der Lage sein, alle ihre Ausbildung beendenden Fernmeldehandwerker ausbildungsgerecht in ihrem erlernten Beruf einzusetzen? Der Bundespostminister hat danach weiter erklärt, er werde auch diejenigen Fernmeldehandwerker, die ausbildungsfremd, z. B. im Postdienst, eingesetzt sind, in ihren erlernten Beruf überführen. Stimmen Sie mir zu, Herr Staatssekretär, daß man bei einem Vergleich zwischen dieser Aussage und Ihrer Antwort auf die Frage einen Wortbruch des Bundespostministers feststellen kann?
Nein, Frau Kollegin, ich kann Ihnen darin nicht zustimmen. Ich kenne die vorliegende Zeitungsnotiz nicht. Aber dies ist ganz offensichtlich eine Fehlinterpretation. Denn nicht nur der Bundespostminister, sondern auch alle Mitarbeiter, die in unserem Hause dafür zuständig sind, haben immer wiederholt, daß eine ausbildungsgerechte Unterbringung aller, die die Ausbildung beenden, nicht gewährleistet ist. Dies ist denjenigen, die einen Ausbildungsvertrag eingegangen sind, bei Abschluß des Ausbildungsvertrages mitgeteilt worden.
Hier scheint eine Verwechslung mit einer Aussage des Ministers vorzuliegen, der eine Garantie ausgesprochen hat, daß all diejenigen, die im Jahr 1983 bei der Deutschen Bundespost ihre Ausbildung
beenden, von uns auch ein Arbeitsplatzangebot erhalten. Dies ist allerdings teilweise auch ein ausbildungsfremdes Arbeitsplatzangebot. Aber der Bundesminister hält es ein. Jeder, der bei uns auslernt und bei der Deutschen Bundespost beschäftigt bleiben will, kann im Jahre 1983 einen Arbeitsplatz bekommen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie beurteilen Sie die Auffassung der Deutschen Postgewerkschaft, wonach es in den Fernmeldeämtern noch eine erhebliche Anzahl von bisher nicht genutzten Beschäftigungsmöglichkeiten gibt und im Fernmeldedienst noch genügend Arbeit vorhanden ist, um die Fernmeldehandwerker des Prüfungsjahrgangs 1983 ausbildungsgerecht unterzubringen sowie die ausbildungsfremd eingesetzten Fernmeldehandwerker wieder in ihre erlernten Beruf zu überführen, und ist das Postministerium bereit, diese Beschäftigungsmöglichkeiten für eine ausbildungsgerechte Übernahme voll auszuschöpfen?
Verehrte Frau Kollegin, ich will die verschiedenen Fragen, die Sie gestellt haben, gern zu beantworten versuchen.
Zunächst können Sie sicher davon ausgehen, daß die Personalvertreter unseres Unternehmens und die in unserem Unternehmen vertretenen Gewerkschaften mit der Unternehmensleitung alle Möglichkeiten ausschöpfen werden, wo immer eine ausbildungsgerechte Unterbringung zu erreichen ist.
Darüber hinaus bitte ich, es doch einmal positiv zu werten, wenn wir weit über das hinaus jedem - auch in dieser schweren Zeit -, der in unserem Unternehmen beschäftigt bleiben will, die Garantie geben, daß er einen Arbeitsplatz bekommen wird. Ich meine, das läßt sich sehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, können Sie mir erklären, welche Zukunftschancen denn Fernmeldehandwerker auf dem Arbeitsmarkt haben, wenn sie bei der Deutschen Bundespost keinen Arbeitsplatz finden?
Ich bitte um Verständnis, Herr Kollege, daß ich nicht den gesamten Arbeitsmarkt übersehen kann. Die Bemühungen, die die früheren Bundesregierungen und die jetzige unternommen haben, um die Arbeitsplatznot zu beseitigen, sind aber auch aus heutiger Sicht noch richtig. Wir stellen immer wieder fest, daß ein junger Mensch, wenn er eine ordentliche Ausbildung erhalten hat, am Arbeitsmarkt wesentlich besser zu vermitteln ist, als wenn er erst gar nicht in die Ausbildung gegangen ist. Deshalb, meine ich, waren die Anstrengungen der Bundesregierungen - ich schließe die vorherige Bundesregierung hier ausdrücklich mit ein -, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung zu stellen, als eigentlich Bedarf bestand, richtig. Wir werden dies auch in den Jahren 1983 und 1984 fortführen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, sollte es nicht dennoch möglich sein, in Zukunft alle Fernmeldehandwerker in ein Arbeitsverhältnis zu übernehmen, nachdem der Bundespostminister j a angekündigt hat, daß durch die geplante Verkabelung der Bundesrepublik 20 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen würden?
Herr Kollege, Sie wissen doch so gut wie ich, daß er damit nicht 20 000 Arbeitsplätze bei der Deutschen Bundespost gemeint hat, sondern daß sich diese Arbeitsplätze aufteilen. Darüber hinaus wissen Sie doch so gut wie ich, daß wir in ganz bestimmten Teilen der Bundespost, nämlich in unserem Fernmeldedienst, einen rückläufigen Bedarf an Arbeitsplätzen dadurch haben, daß z. B. die Nachfrage nach neuen Fernmeldeanschlüssen zurückgeht. Wenn Sie also, so wie wir, wünschen - ich entnehme das jedenfalls Ihren Worten -, daß die Breitbandverkabelung vorangetrieben wird, werden wir dies ganz erheblich auffangen können. Auch das ist ein gutes Ergebnis.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Ich möchte fragen: An welchen Stellen werden die Fernmeldehandwerker der Post z. B. nicht ausbildungsgerecht eingesetzt? Stimmen Sie mir - ich beziehe mich auf Ihre Antwort - nicht zu, daß gerade für diese jungen Leute dann, wenn sie an ganz anderen Arbeitsstellen eingesetzt sind, eben auch ihre vorherige Ausbildung immer mehr entwertet ist? Warum schaffen Sie nicht gerade im Rahmen der geplanten Innovationen Projekte, in denen die Fernmeldehandwerker weiter in bezug auf Ihre Zukunftsinvestitionen ausgebildet werden, also z. B. im Bereich der Mikroprozessoren-, Computertechnik usw. eine zusätzliche Ausbildung erhalten?
Frau Abgeordnete, es ist an und für sich in der Fragestunde nicht vorgesehen, daß drei Zusatzfragen auf einmal gestellt werden. - Bitte sehr!
Herr Präsident, ich werde mir gleichwohl Mühe geben, umfassend zu antworten. - Frau Kollegin, ich hatte mir eigentlich immer gewünscht, daß es unserem Unternehmen gelingen möge, von der strengen Trennung der sogenannten klassischen gelben Post und der Fernmeldetechnik ein wenig abzukommen. Im Sinne Ihrer Fragestellung kann ich mir sehr gut vorstellen, daß es auch anders ausgebildeten jungen Menschen sehr guttun kann, wenn sie einmal in anderen Bereichen der Deutschen Bundespost tätig werden. Dies würde das Zusammenwachsen aller unserer Dienste, das von Ihnen auch angesprochen worden ist, eines guten Tages erleichtern.
Ich darf ausdrücklich versichern, daß wir darüber hinaus natürlich auch nach anderen Konzepten Ausschau halten, wie wir die Ausbildung vervielfältigen können. Ich sage noch einmal - bitte nehmen
Sie mir das ab -: Die in unserem Unternehmen vertretenen Gewerkschaften, aber auch unsere Personalvertreter stehen mit uns in einem ständigen Dialog, um für unsere Mitarbeiter, vor allen Dingen für unsere jungen Mitarbeiter das Bestmögliche zu erreichen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, es ist sicherlich allen klar, daß der Arbeitsmarkt sehr angespannt ist und, wie Sie eben dargestellt haben, ein Teil dieser jungen Menschen keinen Vollarbeitsplatz bekommt. Deshalb stellt sich doch die Frage an die Deutsche Bundespost als quasi öffentliches Unternehmen, ob es nicht sinnvoll ist - um alle ausgebildeten jungen Leute in ein Arbeitsverhältnis zu bringen, damit sie nicht auf der Straße liegen -, sich mehr Gedanken darüber zu machen, ob es nicht möglich ist, die jungen Leute vorübergehend, für einen gewissen Zeitraum in Arbeit zu bringen, ihnen also Zeitverträge und Verträge über Teilzeitarbeit anzubieten, eben damit sie nicht auf der Straße liegen und an unserem Staat verzweifeln.
Herr Kollege Stahl, die Bemühungen zur Unterbringung erstrecken sich auch darauf. Aber hören Sie bitte doch noch einmal in den Beginn meiner Antworten. Ich habe ausdrücklich gesagt: Im gegenwärtigen Zeitpunkt müssen wir uns mit dieser Frage so intensiv noch nicht beschäftigen, weil wir im Jahre 1983 all denen, die bei uns ihre Ausbildung beenden, einen vollen - wenn auch nicht ausbildungsgerechten, aber immerhin einen vollen - Arbeitsplatz anbieten können. Wenn darüber hinaus dieses Hohe Haus zu der Auffassung gelangen sollte, daß man überhaupt im öffentlichen Dienst die Situation des Arbeitsplatzmangels vielleicht dadurch erleichtern kann, daß man zu Job sharing oder ähnlichem - das lassen Sie ja anklingen - kommen kann, dann steht die Bundesregierung dem sicherlich nicht im Wege.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gilges.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, ist es nicht so, daß die Rationalisierungsmaßnahmen der Bundespost dazu geführt haben, daß zunehmend Sachzwänge aufgetreten sind und diese Sachzwänge wiederum dazu geführt haben, daß die Lehrlinge oder Auszubildenden, die ihre Ausbildung abgeschlossen haben, nicht in ihren erlernten Beruf übernommen werden können?
Nein, Herr Kollege, das ist nur teilweise richtig. Ich darf einmal ein paar Zahlen nennen, die in dieser Diskussion noch nicht so zum Ausdruck gekommen sind. Wir haben insgesamt etwas über 12 000 junge Menschen, die in unserem Unternehmen in diesem Jahr ihre Ausbildung beenden. Drei Viertel, d. h. 75 %, davon bringen wir ausbildungsgerecht unter. Die Schwierigkeit entsteht insbesondere bei den Fernmeldehandwerkern, weil die Regierungen vor uns, aber auch wir, um die Ausbildungsplatznot beseitigen zu helfen, bewußt über unseren Bedarf ausgebildet haben. Nun bitte ich doch, daraus nicht ableiten zu wollen, daß wir, wenn wir uns dort schon mit ganz erheblichen zusätzlichen Kosten belastet haben, dann auch noch die Verpflichtung haben, egal, ob wir Arbeit zur Verfügung haben oder nicht, eine ausbildungsgerechte Beschäftigung durchzuführen. Ich glaube, das kann doch im Ernst niemand fordern.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 33 des Herrn Abgeordneten Delorme auf:
Ist der Vorwurf der Deutschen Postgewerkschaft berechtigt, daß 130 Auszubildende der Oberpostdirektion Koblenz nicht in ihrem erlernten Beruf weiterbeschäftigt werden sollen, obwohl es im gleichen Bezirk 370 freie Stellen im Fernmeldewesen gibt?
Herr Kollege Delorme, ich glaube, daß der Vorwurf der Deutschen Postgewerkschaft unberechtigt ist, weil es nach meiner Kenntnis im Bezirk der Oberpostdirektion Koblenz keinen Personalbedarf im einfachen fernmeldetechnischen Dienst in der angegebenen Größenordnung von 370 gibt. Nach meinen Unterlagen stehen bzw. standen im Bezirk der Oberpostdirektion Koblenz im Jahre 1983 150 auszubildende Fernmeldehandwerker zur Prüfung an. Von diesen konnten 21 - das waren die, die ihre Lehrzeit verkürzt und bereits im Frühjahr 1983 ihre Prüfung bestanden haben - in ein ausbildungsgerechtes Beschäftigungsverhältnis übernommen werden. Weitere Möglichkeiten zur ausbildungsgerechten Beschäftigung stehen für die restlichen Auszubildenden des Fernmeldehandwerks des Prüfungsjahrgangs 1983 - also die, die im Sommer 1983 ihre Prüfung abzulegen haben - im Bezirk Koblenz leider nicht zur Verfügung.
Ich darf noch einmal wiederholen, was ich vorhin schon gesagt habe: Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat sich gleichwohl grundsätzlich dazu bekannt, daß er für alle, die ihre Ausbildung beenden, einen Arbeitsplatz zusagt; dabei bleibt es auch. Den Arbeitskräften, denen keine ausbildungsgerechten Arbeitsplätze mehr zur Verfügung stehen, werden somit Arbeitsmöglichkeiten in ausbildungsfremden Bereichen - überwiegend im Postdienst - angeboten.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, da Sie sich vorhin auf die gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften berufen haben: Können Sie nicht davon ausgehen, daß die Zahlen, die mir als Information zur Verfügung stehen, stimmen, und die besagen, daß im Fernmeldewesen insgesamt 370 freie Arbeitsplätze zur Verfügung stehen und daß 130 ausgebildete Fernmeldehandwerker mit Hilfsarbeiten, mit Botengängen und als Hofreiniger beschäftigt werden und nur deshalb nicht in ihrem erlernten Beruf eingesetzt werden können, weil die Bundespost gerade im FernmeldeDelorme
wesen in beachtlichem Umfang Aufträge an Privatfirmen vergibt?
Herr Kollege, wenn der Nachweis möglich wäre, daß Ihre Zahlen stimmen, wäre ich gerne bereit, dies nachprüfen zu lassen. Es ist nur so, daß unsere Personalvertreter und unsere Personalabteilungen solche aufkommenden Probleme in ständiger Überprüfung gegenseitig nachzuprüfen suchen. Dabei haben sich die von mir hier genannten Zahlen ergeben. Sollten Sie, Herr Kollege Delorme, darüber hinaus ein anderes Zahlenmaterial zur Verfügung stellen wollen, bin ich selbstverständlich gerne bereit, es auch meinerseits einer erneuten Überprüfung zu unterziehen.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst für diese Zusage der Überprüfung und darf eine weitere Frage stellen: Gibt es für die Auszubildenden, die 1984 ihre Lehrzeit beenden, eine Weiterbeschäftigungsgarantie, oder kann das im Moment noch nicht abgesehen werden?
Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege, daß die Situation im Jahre 1984 nach dem, was bis jetzt an Zahlenmaterial vorliegt, noch wesentlich schwieriger sein wird als im Jahre 1983. Deswegen wage ich in diesem Zeitpunkt nicht die Zusage, daß wir eine volle Beschäftigungsgarantie für alle, die die Ausbildung im Jahre 1984 beenden, übernehmen können.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Milz.
Herr Staatssekretär, wären Sie bereit, dem Kollegen zu sagen,
({0})
daß eine Weiterbeschäftigungsgarantie in der Wirtschaft insgesamt nicht üblich ist, und wären Sie möglicherweise auch bereit, ihm zu sagen, daß die Vergabe von Aufträgen -
Herr Abgeordneter Milz, das ist eine dieser nicht zugelassenen Dreiecksfragen.
({0})
Entschuldigung, dann werde ich umgekehrt fragen.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir in der Feststellung zu, daß eine Weiterbeschäftigungsgarantie in der freien Wirtschaft schon seit vielen, vielen Jahren nicht üblich ist und daß sich jeder Auszubildende danach richten muß, und stimmen Sie mir in der Feststellung zu, daß auch die Vergabe von Aufträgen des Bundes - in diesem Fall der Bundespost - mit zur Sicherung von Ausbildungsplätzen in der freien Wirtschaft beitragen kann?
Herr Kollege, was Sie ausgeführt haben, ist richtig. Aber ich will dazu gern eine kleine Ergänzung anbringen, auch im Zusammenhang mit der Frage des Kollegen Delorme, wenn der Herr Präsident das gestattet. Wir dürfen hier ja nicht in einen Fehler verfallen. Es kann ja nicht richtig sein, daß wir neue Arbeit an unser Unternehmen heranziehen, um junge Leute, die bei uns die Ausbildung beenden, weiterbeschäftigen zu können, mit der Folge, daß bei Handwerksbetrieben beispielsweise ältere Mitarbeiter, die über 40 oder über 50 Jahre alt sind, der Gefahr ausgesetzt werden, ihren Arbeitsplatz für immer zu verlieren. Dies kann keine vernünftige Politik sein. Dies wird die Bundesregierung auch nicht unterstützen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Grünbeck.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß es zu einem eklatanten Rückgang des Angebots an Ausbildungsplätzen führen würde, wenn wir tatsächlich eine Weiterbeschäftigungsgarantie erteilten?
Herr Kollege, ich muß Ihnen das leider bestätigen. Denn in dieser schwierigen Frage, zunächst einmal der Ausbildungsnot abzuhelfen, geht die Bundesregierung diesen Weg. Ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie die Frage noch einmal aufgeworfen haben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Becker.
Herr Staatssekretär, halten Sie die Rationalisierungsmaßnahmen bei der Bundespost für übertrieben, oder meinen Sie, daß sie im Einklang mit der Forderung des Rechnungshofes, das Unternehmen so wirtschaftlich wie möglich zu führen, stehen?
Verehrter Herr Vorgänger im Amt - wenn ich es einmal so ausdrükken darf, Herr Präsident -, wir müßten uns dann darüber unterhalten, welche Rationalisierungsmaßnahmen Sie meinen. Ich bin aber ganz sicher, daß wir beide darin übereinstimmen, daß wir hinsichtlich der wirtschaftlichen Führung unseres Unternehmens dem nachkommen müssen, was der Bundesrechnungshof uns aufgegeben hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung, daß die Bundesregierung auch eine gesamtstaatliche Verantwortung für die Beschäftigung hat und daß dies auch Auswirkungen auf die Beschäftigungspolitik der Deutschen Bundespost haben müßte?
Herr Kollege, diese Auffassung teile ich. Wir werden ihr auch gerecht. Wenn Sie meinen Ausführungen gefolgt sind, werden Sie das daran erkannt haben, daß wir Ausbil900
dungsplätze weit über unseren Bedarf hinaus zur Verfügung stellen.
({0})
Herr Abgeordneter Kuhlwein, als ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär wissen Sie, daß das Gespräch nur außerhalb der Fragestunde fortgesetzt werden kann.
Da keine weiteren Zusatzfragen vorliegen, rufe ich die Frage 34 des Herrn Abgeordneten Dr. Lammert auf:
Welche Notwendigkeit bestand für die Neufassung verbindlicher „Vorschriften über die Dienstkleidung bei der Deutschen Bundespost ({0})", und welche Vorkehrungen sind dafür getroffen, „das Tragen der Dienstkleidung ... zu überwachen"?
Herr Kollege Dr. Lammert, die bisherigen Dienstkleidungsvorschriften aus dem Jahre 1961 waren nicht mehr zeitgemäß. Zum Gegenstand hatten sie zum einen die Verpflichtung zum Tragen von Dienstkleidung für alle männlichen Beschäftigten des einfachen Dienstes; zum anderen wurde ganz grob auf bestimmte Funktionsträger abgehoben. Eine einheitliche Verfahrensweise bei der Festlegung einer Trageverpflichtung und damit der Zuschußberechtigung war nicht mehr notwendig und auch nicht mehr gewährleistet.
Um diesen Mangel zu beseitigen, sind neue Dienstkleidungsvorschriften erlassen worden, die sich von der laufbahnbezogenen Trageverpflichtung lösen und ausschließlich auf die entsprechenden dienstlichen Tätigkeiten abheben.
Die Anordnung des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen, Dienstkleidung zu tragen, begründet für die Betroffenen eine Pflicht. Ein Hinweis auf die Überwachung des Tragens der Dienstkleidung ist in den Dienstkleidungsvorschriften enthalten. In einer Einführungsverfügung wurde darüber hinaus auf das Oberwachen dieser Dienstpflicht durch die Vorgesetzten hingewiesen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung davon überzeugt, daß die Verpflichtung dieser jetzt überarbeiteten Vorschrift - ich zitiere -, „zur Dienstkleidung grundsätzlich dunkelbraunes Schuhwerk zu tragen", im Sinne Ihrer Klarstellung in der Antwort „zeitgemäß" ist, daß man damit der Zielsetzung dieser Vorschrift Rechnung trägt - ich zitiere wieder -, „die Sicherheit der Beschäftigten und des Betriebes zu erhöhen, einem einheitlichen Erscheinungsbild bei der Darstellung der Deutschen Bundespost zu dienen", und daß dies schließlich „dem Ansehen der Deutschen Bundespost dienlich" ist?
({0})
Herr Kollege, ich hoffe, daß ich den Sinn der Frage richtig verstehe. Ich will hier einmal - vor allen Dingen im Zusammenhang mit einer Presseveröffentlichung, die in diesen Tagen seitens einer Wochenzeitschrift erfolgt ist - ganz deutlich sagen, daß es mir nicht unbedingt darauf ankommt, ob es nun solche oder andere Schuhe sind; vielmehr lassen wir uns da von Fachleuten beraten.
({0})
- Das waren - meine Damen und Herren, wenn Sie das zur Kenntnis nehmen wollen - zum Teil sehr bedeutende Modeschöpfer.
Meine Mitarbeiter haben mir ausdrücklich versichert, daß wir von Jahr zu Jahr in den jeweiligen Ausführungen der Dienstkleidung Anpassungen vornehmen, und dabei kann sich, verehrter Kollege Dr. Lammert, die Modefarbe sicherlich einmal ändern.
Herr Staatssekretär, diese Vorschrift unterscheidet ja mit einer bewunderswerten Präzision zwischen den zum Tragen von Dienstkleidung verpflichteten Beschäftigten, die Pflichtmitglieder der Postkleiderkasse werden müssen,
({0})
und den zum Tragen von Dienstkleidung berechtigten Personen, die freiwillige Mitglieder der Postkleiderkasse werden können. Ich unterstelle, daß Sie und Ihr Postminister zum Kreis der zum Tragen berechtigten Mitglieder gehören und möchte Sie deshalb fragen, ob Sie trotz dieser Berechtigung deswegen auf das Tragen von Dienstkleidung im Amt verzichten, weil die sich daraus ergebenden finanziellen Verpflichtungen als freiwillige Mitglieder der Postkleiderkasse bei Ihren Amtsbezügen nicht mehr tragbar wären oder weil Sie vielleicht selber Zweifel daran haben, daß dies die Sicherheit bei der Ausübung Ihres Amtes erhöhen, dem einheitlichen Erscheinungsbild der Bundespost und ihrem Ansehen dienlich sein könnte.
({1})
Verehrter Herr Kollege Dr. Lammert, ich habe bei eingehendem Studium dieser neuen Vorschrift leider nicht feststellen können, daß der Bundespostminister oder sein Vertreter berechtigt oder verpflichtet seien, etwa wie die früheren Generalpostmeister mit schmukken Uniformen herumzulaufen. Ich sehe dafür eigentlich auch keinen Bedarf. Deswegen, meine ich, muß ich der Frage nicht weiter nachgehen.
({0})
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, es war immer der Traum meines Lebens, Generalpostmeister in Uniform mit Degen zu sein. Der ist leider bis heute nicht erfüllt. Durch diese Fragestunde bin ich daher für den Rest meines Lebens enttäuscht.
({0})
Herr Präsident, das tut mir sehr leid.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Fellner.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie selbst schon die Pressekritik vom Wochenende erwähnt haben, die darin gipfelte, daß diese neue Dienstkleidung nicht übermäßig chic sei, würde mich interessieren, wie die Bundesregierung zu dieser eher ästhetischen Frage steht.
Das will ich gerne beantworten. Da das für eine Regierung gelegentlich schwer ist, habe ich mir heute morgen bei der Sitzung des Postausschusses erlaubt, eine kleine Auswahl aus dieser Dienstkleidung vorführen zu lassen. Die Damen, die das vorgeführt haben, haben auf Fragen der Mitglieder des Postausschusses geantwortet, daß sie sich in dieser Dienstkleidung ausgesprochen wohlfühlten und sie als ausgesprochen chic empfänden.
({0})
Ich meine, deshalb braucht die Bundesregierung nicht weiter Stellung zu nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht eine Möglichkeit, die arbeitslosen Fernmeldehandwerker mit diesen Überlegungen zu beschäftigen? Ich meine, man könnte doch vielen jungen Leuten einen Arbeitsplatz geben, wenn weiter über braune oder schwarze Schuhe und ähnliche Dinge nachgedacht würde.
Herr Kollege, ich glaube nicht, daß wir - ich bitte mir nachzusehen, daß ich das jetzt so sage - über Fragen des Arbeitsplatzmangels, der Arbeitslosigkeit in dieser scherzenden Form diskutieren sollten. - Es tut mir sehr leid, daß ich das so sagen muß.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Milz.
Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß man, wenn man auf die Mode abhebt, Jahr für Jahr über braune oder schwarze Schuhe entscheiden müßte, und glauben Sie, daß dieses Vorgehen im Grunde genommen mehr Staat und nicht weniger Staat bedeutet?
Herr Kollege, dem kann man sicherlich folgen.
Ich denke, wir sollten die Frage, welche Schuhe nun wann zu tragen seien, nicht überstrapazieren.
Auch ich glaube, daß wir die Dienstkleidung bei der Deutschen Bundespost in einer anderen Fragestunde weiter behandeln könnten, dann, wenn eine neue Modefarbe im Gespräch ist.
Herr Abgeordneter Toetemeyer noch zu einer Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, welche dienstrechtlichen Konsequenzen würden sich für einen Bediensteten der Bundespost, der zum Tragen von Dienstkleidung verpflichtet ist, ergeben, wenn er statt brauner schwarze Schuhe anhätte?
({0})
Sie wissen, generell ist das natürlich ein Vergehen gegen diese Vorschrift. Aber in unserem Unternehmen wird sicherlich nicht so heiß gegessen, wie gekocht wird.
({0})
Damit ist diese Frage erschöpfend beantwortet. Wir sind am Ende der Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Die Fragen 53 und 54 des Herrn Abgeordneten Dr. Miltner, die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling, die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Milz und die Fragen 60 und 61 des Herrn Abgeordneten Wartenberg ({0}) sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Reents auf:
Gibt es Vereinbarungen zwischen dein Bundesinnenministerium oder nachgeordneten Behörden und dem amerikanischen Verteidigungsministerium oder Dienststellen der US- Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland über die polizeiliche und militärische Sicherung US-amerikanischen Militärgeländes in der Bundesrepublik Deutschland bei zu erwartenden Demonstrationen gegen die Raketenstationierung im Herbst dieses Jahrs, und wenn ja, worin bestehen diese Vereinbarungen?
Ich beantworte Ihre Frage mit Nein.
Zusatzfrage? - Bitte.
Herr Staatssekretär Spranger, können Sie mit etwas größerem Respekt vor dem Informationsbedürfnis und dem Informationsrecht der Öffentlichkeit und des Bundestages denn mal erläutern, welche möglichen Vereinbarungen und Planungen hinter den Äußerungen des Bundesinnenministers Zimmermann stehen, die in der Presse bekanntgeworden sind, wonach es gegebenenfalls zu Konfrontationen im Herbst zwischen Demonstranten und Militärangehörigen kommen kann, und ob das gegebenenfalls Schutzwaffeneinsatz amerikanischer Militärangehöriger mit einschließen könnte?
Herr Abgeordneter, Sie fragen, ob es Vereinbarungen gibt. Der Herr Parlamentarische Staatssekretär antwortet mit Nein. Das ist eigentlich die präziseste Beantwortung, die man in einer Fragestunde erwarten kann.
({0})
- Eine Zusatzfrage!
Ich habe es nicht so verstanden, daß ich die Frage an Sie gestellt habe, Herr Stücklen.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Nein, das war meine Zusatzfrage an Herrn Spranger.
Mit Ihrer Einleitung. - Es sind hier Fragen zu stellen, es ist nicht Kritik zu üben, wenn die Bundesregierung eine Frage mit Ja oder mit Nein beantwortet.
Ich kann nur wiederholen: ich habe auf Ihre Frage eine klare Antwort gegeben. Ich habe mich hier nicht zu Pressemeldungen zu äußern.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, welche gesetzlichen Möglichkeiten gibt es denn und wie gedenkt die Bundesregierung sie gegebenenfalls anzuwenden, um mögliche Übergriffe amerikanischer Militärpolizei und amerikanischer Militärangehöriger gegen Demonstranten gegen die Raketenstationierung im Herbst zu verhindern angesichts der Tatsache, daß es zu solchen Übergriffen bereits in Bremerhaven und Nordenham gekommen ist, als dort nur Pressefotographen außerhalb amerikanischen Militärgeländes beispielsweise die Verladung amerikanischer Munition und Panzer fotografieren wollten?
Herr Präsident, ich sehe auch hier keinerlei Zusammenhang mit der ursprünglichen Frage. Ich habe hier kein Rechtskolleg über die Rechtsgrundlagen in Bund, Ländern und Gemeinden zu geben, sondern habe klar Ihre Fragen zu beantworten, und das habe ich getan.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gilges.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, wenn es keine Vereinbarung gibt: gibt es Gespräche über mögliche Vereinbarungen? Sind diese Gespräche zum Abschluß gekommen? Welchen Inhalt haben diese Gespräche zwischen den in der Frage genannten Behörden und Institutionen?
Es ist die Frage nach Vereinbarungen gestellt worden, und die Frage ist klar beantwortet worden. Daß hier die zuständigen Behörden in den Ländern und den Gemeinden Gespräche führen und eventuell auch Vereinbarungen anstreben, davon ist auszugehen.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kuhlwein.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung denn bereit, Vereinbarungen mit den US-Behörden anzustreben, um Fehlreaktionen bei Demonstrationen zu vermeiden, die zu vermeidbaren Eskalationen führen könnten?
Herr Kollege Kuhlwein, ich habe in meiner vorigen Antwort auf die Zuständigkeit der Länder und der örtlichen Behörden hingewiesen. Es fehlt der Bundesregierung hier an der Zuständigkeit.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lennartz.
Herr Staatssekretär, Sie beantworteten die Frage mit „Vereinbarungen - Nein". Aber unter den normalen Deutschen versteht man darunter ja schriftliche Vereinbarungen. Kann ich daraus schließen, daß es informelle Vereinbarungen gibt? Und zweitens, wäre die Bundesregierung bereit - und zu welchen Zeiten -, solche kundzutun oder, wenn es schriftliche Vereinbarungen gibt, sie dem Deutschen Bundestag mitzuteilen?
Herr Kollege, Sie können meine Antwort im umfassenden Sinne des Wortes auf den Begriff „Vereinbarung" beziehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peter.
Herr Staatssekretär, falls es, wie aus Ihrer Antwort ersichtlich ist, zur Zeit keine Vereinbarungen gibt: halten Sie den Abschluß von Vereinbarungen für erstrebenswert?
Ich muß noch einmal darauf hinweisen, daß die Zuständigkeit für diese Fragen den Ländern und den Gemeinden zusteht und daß diese zu beurteilen haben, ob solche Vereinbarungen sinnvoll und nützlich und notwendig sind.
Frau Abgeordnete Odendahl, eine Zusatzfrage.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, können wir aus Ihrer Antwort entnehmen, daß die Bundesregierung somit Vereinbarungen der Länder direkt mit den US-Streitkräften begrüßt und der Übernahme solcher Vereinbarungen durch die Länder zustimmt?
Die Bundesregierung wird alles tun, was der Sicherheit der angesprochenen Objekte dient.
Keine weitere Zusatzfrage.
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Verheyen ({0}) auf. - Der Abgeordnete ist nicht im Saal. Es wird, wie in den Richtlinien vorgesehen, verfahren.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Drabiniok auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung den Anteil der Abgasbelastung durch den gewerblichen mit Dieselkraftstoff betriebenen Lastwagenverkehr ein?
Der Anteil der mit Dieselkraftstoff betriebenen Lkw an den Gesamtemissionen liegt hinsichtlich Kohlenmonoxyd bei ca. 3 %, hinsichtlich Kohlenwasserstoffen bei ca. 6 %, hinsichtlich Stickoxyden bei ca. 11 % und hinsichtlich Schwefeldioxyd bei 1,5 % der Jahresemissionen aller Verursacher in der Bundesrepublik Deutschland. Bei Ruß liegt der Anteil bei ca. 2,2 der Gesamtstaubemissionen.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 51 des gleichen Abgeordneten auf:
Sind der Bundesregierung Untersuchungen bekannt, daß durch den Einbau von Katalysatoren die Schadstoffbelastungen bei dieselbetriebenen Lastkraftwagen reduziert werden können, und, wenn ja, welche Schadstoffe würden um wieviel Prozent vermindert?
Der Bundesregierung sind lediglich Forschungsarbeiten bekannt, die eine Minderung der Kohlenwasserstoffemissionen, insbesondere eine Reduzierung der geruchsverursachenden Kohlenwasserstoffe, mit Hilfe von Katalysatoren zum Ziele haben. Eine Reduzierung des auf Grund seiner Mengenanteile im Vordergrund stehenden Stickoxydes ist aber mit Katalysatoren bei Dieselmotoren nicht möglich. Da die genannten Forschungs- und Entwicklungsarbeiten noch nicht abgeschlossen sind, können Angaben über die Verminderung der übrigen Schadstoffe durch Katalysatoren bei Dieselmotoren nicht gemacht werden.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 52 des Abgeordneten Graf Stauffenberg auf:
Welche Entscheidungen für die Reduzierung der Luftbelastung mit Schadstoffen aus Autoabgasen haben die für Umweltfragen zuständigen Minister der Gemeinschaft auf ihrer Tagung in Luxemburg getroffen?
Kollege Graf Stauffenberg, auf Initiative der Bundesregierung hat der EG-Umweltministerrat am 16. Juni 1983 zur Reduzierung der Luftbelastung durch Schadstoffe aus Autoabgasen folgende Entscheidungen getroffen.
Erstens. Die Richtlinie des Rates über die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeugmotoren mit Fremdzündung mit einer Herabsetzung der Abgasgrenzwerte um ca. 20 % wurde verabschiedet.
Zweitens. Zur Frage der Einführung von bleifreiem Benzin, auch als Voraussetzung für den Einsatz von Katalysatoren, wurde folgender Beschluß gefaßt:
Ziel des Rates ist, den Bleigehalt der Luft weiter zu verringern. Der Rat setzt sich dafür ein, daß die auf Gemeinschaftsebene bereits beschlossenen Vorschriften soweit wie möglich zur Ausführung gebracht werden.
Was den besonderen Fall des Bleis im Benzin anbelangt, so ist der Rat bereit, bei den jeweiligen Verwendungen eine größtmögliche Reduzierung der Bleigehalte anzustreben, die gegebenenfalls zur Verwendung bleifreien Benzins führen würde. Zu diesem Zweck ersucht der Rat die Kommission, die von ihr für zweckmäßig erachteten Vorschläge zu unterbreiten. Der Rat wird auf seiner nächsten Tagung einen Zwischenbericht prüfen, um die Erörterung der Vorschläge, die die Kommission zum 15. April 1984 vorlegen wird, vorzubereiten.
Die Schlußfolgerungen des Europäischen Rates in Stuttgart hierzu lauten wie folgt:
Der Europäische Rat begrüßte auch die Schlußfolgerungen des Rates ({0}) über den Sonderfall des Bleis im Benzin. Er betonte, wie wichtig es ist, die Bleimenge in der Umwelt zu verringern, und forderte, daß Fortschritte angestrebt werden, die zur Verwendung von bleifreiem Benzin führen könnten.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, in welchem Zeitraum und in welchem Ausmaß wird nach Auffassung und nach Planung der Bundesregierung durch diese Entscheidungen tatsächlich der Ausstoß von Stickoxyden aus Autoabgasen wirksam reduziert werden?
Die Reduzierung von Stickoxyden ist beispielsweise durch die bisher beschlossenen Maßnahmen schon auf den Weg gebracht worden. Wir bemühen uns weiterhin. Ein genauer Zeitrahmen für die Reduzierung läßt sich auch im Hinblick darauf nicht nennen, daß natürlich internationale Abstimmungen möglich sind und wir solche anstreben.
Noch eine Zusatzfrage.
In welchem Zeitraum wird es nach Berechnung der Bundesregierung möglich sein, durch die Einführung bleifreien Benzins zu einer erheblichen und sehr viel wirksameren Reduzierung der Umweltbelastung durch Autoabgase zu gelangen?
Herr Kollege Graf Stauffenberg, auch das hängt davon ab, inwieweit eine EG-einheitliche Regelung erreicht werden könnte. Wir sehen es als großen Fortschritt an, daß sich am 16. Juni in Luxemburg erstmals alle EG- Länder einmütig zu der Perspektive bleifreies Benzin bekannt haben und daß das auch noch in Stutt904
gart als die politisch notwendige und richtige Entscheidung bewertet wurde.
Im übrigen weise ich nochmals auf den Fahrplan hin: Zwischenbericht Herbst 1983; Behandlung im Rat im Frühjahr 1984.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.
Ist Ihnen bekannt, daß die Schadstoffreduzierung, insbesondere die Reduzierung von Stickoxiden, von bleifreiem Benzin abhängig ist und daß die von Ihnen geforderte Schadstoffverringerung - die per EG-Richtlinie angeordnet werden muß -, nicht erfolgen kann, wenn wir jetzt noch weitere elf oder zwölf Jahre darüber debattieren, wie wir eine EG-einheitliche Richtlinie bezüglich bleifreien Benzins durchsetzen können, wie das bei anderen Problemen - etwa der höchstzulässigen Achslast bei Lkw - der Fall war?
Ich stimme Ihnen zu, daß eine zwölfjährige Diskussion natürlich nicht zu einer Verminderung von Stickoxiden führen kann; wir brauchen hier vielmehr politische wirksame Entscheidungen. Sie können versichert sein, daß die Bundesregierung nicht nur national, sondern auch international alles tun wird, um diese Entscheidung herbeizuführen. Die Beschlüsse, die bei der ECE in Genf und jetzt in Luxemburg getroffen wurden, stimmen insofern hoffnungsvoll.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lennartz.
Herr Staatssekretär, ausgehend von der Darstellung des Terminfahrplans - bis April 1984 - frage ich Sie: Erwägt die Bundesregierung - falls es im April 1984 nicht zu einer einheitlichen Auffassung bezüglich der Einführung bleifreien Benzins kommt -, einen nationalen Alleingang zu unternehmen?
Die Bundesregierung hat sich diese Möglichkeit immer vorbehalten, und sie hofft, daß sich die Bereitschaft, die bei den anderen Staaten der EG erkennbar war, in konkrete Beschlüsse dergestalt umsetzen läßt, daß nationale Maßnahmen dann überflüssig sind.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe Frage 55 des Herrn Abgeordneten Fellner auf:
Ist es der orthodox-kommunistisch beeinflußten VVN-BdA auf ihrem Bundeskongreß vom 13. bis 15. Mai 1983 in Hamburg, an dem neben Vertretern der DKP und ihrer Vorfeldorganisationen die Repräsentanten von 18 sogenannten Bruderverbänden aus dem Ausland und der DDR sowie Abordnungen diplomatischer Vertretungen der Sowjetunion und anderer sozialistischer Länder teilnahmen, gelungen, über diese Kreise hinaus politische Resonanz zu finden, und wenn ja, wie äußerte sich dies?
Herr Kollege Fellner, Ihre Frage beantworte ich mit Ja.
Zu dem Bundeskongreß der orthodox-kommunistisch beeinflußten „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" ({0}) haben auch die „Grünen", die Jungsozialisten, die Jungdemokraten und die Naturfreundejugend Vertreter entsandt. Der Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hielt eine Grußansprache, in der er u. a. betonte, es dürfe trotz unterschiedlicher Auffassung „heute keine Berührungsängste unter Antifaschisten" geben, „ob Sozialdemokraten oder Kommunisten, ob Christen oder Freimaurer, Juden oder Atheisten, im Antifaschismus gehören sie alle zusammen".
Marion Roßkothen vom Bundesvorstand der „Deutschen Jungdemokraten" nannte in ihrer Begrüßungsrede die „Kontakte zur VVN wichtig und wertvoll". Der Vertreter des Bundesvorstandes der Jungsozialisten, Olaf Scholz, wies darauf hin, die Jungsozialisten hätten sich dafür ausgesprochen, „daß es für die Zukunft keinerlei Unvereinbarkeit zwischen der Mitgliedschaft in der VVN und der SPD geben darf". Es sei an der Zeit, daß die SPD- Führung ihren „Unvereinbarkeitsbeschluß" zur VVN-BdA aufhebe.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hoffmann ({0}).
Darf ich die Antwort auf diese Frage so verstehen, daß damit parlamentarisch wieder eine Kampagne gestartet werden soll, wer „böse" Kontakte zu wem unterhält, und ist Ihnen bekannt, daß der Verkehrsminister heute morgen im Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages erklärt hat, er habe mit dem kommunistischen Minister Fiterman aus Frankreich sogar zu Abend gespeist, und würden Sie das für diesen Regeln widersprechend halten?
({0})
Herr Kollege, es geht hier nicht darum, irgendwelche Kampagnen einzuleiten, sondern es geht darum, Fragen zu beantworten.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, daß in den Konzentrationslagern des Hitler-Regimes Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen, Zeugen Jehovas etc. inhaftiert, gefoltert und ermordet wurden, und ist es deshalb verständlich, daß der antifaschistische Widerstand eine gemeinsame Aufgabe ist?
Ich glaube nicht - und ich bitte, mich hier auch nicht mißzuverstehen -, daß die Situation in den Konzentrationslagern mit der Situation bei diesem Kongreß und in der Bundesrepublik Deutschland von heute gleichzusetzen ist.
({0})
Weitere Zusatzfragen, Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die auf diesem Kongreß von dem Hamburger Bürgermeister Klaus von Dohnanyi geäußerte Auffassung, daß es keine Berührungsängste zwischen Antifaschisten geben dürfe?
Natürlich gehören alle Demokraten zusammen, wenn es darum geht, die Entstehung eines dem NS-Regime zwischen 1933 und 1945 ähnlichen politischen Systems zu verhindern. Hier ist ein breiter Konsens aller demokratischen Kräfte in unserem Land notwendig und auch vorhanden. Wenn orthodoxe Kommunisten sich jedoch in dieser Weise engagieren, müssen sie daran erinnert werden, daß sie nach ihrer eigenen politischen Zielsetzung ein totalitäres System anstreben, das mit einer freiheitlichen demokratischen Ordnung nichts mehr zu tun hat.
({0})
Auch sollte man wissen, daß die orthodox-kommunistische Antifaschismuskampagne der Aktionseinheit und Bündnispolitik orthodoxer Kommunisten zu dienen bestimmt ist. Sie ist darauf gerichtet, mit nichtkommunistischen Kräften zusammenzuarbeiten und so zu größerem politischen Einfluß zu gelangen. Demokraten sollten sich daher nicht dazu hergeben, an Veranstaltungen teilzunehmen, die der orthodox-kommunistischen Antifaschismuskampagne dienen und von einer kommunistisch beeinflußten Organisation wie der VVN-BdA veranstaltet werden.
({1})
Es ist eben nicht richtig, daß im Antifaschismus alle zusammengehören. Demokraten und Kommunisten gehören auch hier nicht zusammen.
({2})
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Graf Stauffenberg.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, im Anschluß an Ihre letzte Antwort zur allgemeinen Kenntnis beizutragen, daß der Begriff „Antifaschismus" ein politischer Kampfbegriff ist, der aus kommunitischen Gruppen in den 30er Jahren entstanden und eine Wortschöpfung aus diesen Gruppen ist - mit der politischen Zielsetzung, eine geistige Einheit und eine geistige Verbindung solcher Gegner des Nationalsozialismus, die für Demokratie und Freiheit kämpften, mit solchen die an die Stelle der braunen Diktatur eine rote Diktatur setzen wollten, vorzutäuschen?
({0})
Spranger. Parl. Staatssekretär: Ich danke Ihnen für diese Anregung. Die Bundesregierung wird sie gern übernehmen
({1})
und in politische Informationen derer, die hier offensichtlich Informationsnachholbedarf haben, umzusetzen versuchen.
({2})
Eine weitere Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Boroffka.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß die Gruppen, die der Kollege Waltemathe in bezug auf ihr Schicksal in deutschen Konzentrationslagern genannt hat, in ähnlichen Lagern des Archipel Gulag - einschließlich Kommunisten - ähnliche Schicksale erleiden mußten?
({0})
Nach meiner Kenntnis der Dinge würde ich Ihre Frage bejahen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Staatssekretär, haben Sie auch Kenntnis von dem Inhalt des Bundeskongresses, was sich da eigentlich abgespielt hat? Zum zweiten. Sie übernehmen ohne weiteres den Begriff „orthodox-kommunistisch". Würden Sie mir bitte mal erklären, was Sie darunter verstehen?
Ich sehe hier mit der ursprünglich gestellten Frage keinen Zusammenhang.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Fellner auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die Ziele und den Teilnehmerkreis der auf Initiative des sowjetisch gesteuerten Weltfriedensrats für Ende Juni nach Prag eingeladenen „Welt-Versammlung für Frieden und Leben, gegen Atomkrieg" vor?
Herr Kollege Fellner, die „Welt-Versammlung für Frieden und Leben, gegen Atomkrieg" dient nach den Worten des Präsidenten des sowjetisch gesteuerten „Weltfriedensrates" ({0}), Romesh Chandra, der „Organisierung weiterer Proteste" gegen die NATO-Nachrüstung. Sie soll nach dem Willen ihrer Initiatoren die Tradition der kommunistisch gesteuerten „Weltfriedenskongresse", besonders des „Weltparlaments der Völker für den Frieden" vom September 1980 in Sofia, fortsetzen. Das Sofioter „Weltparlament" war seinerzeit als „Ausgangspunkt einer entscheidenden Offensive der Friedenskräfte" im Kampf gegen die Nachrüstung und, wie der „Sowjetische Friedensfonds" einräumte, „zur Verwirklichung des außenpolitischen Kurses der UdSSR" von diesem neben anderen „internationalen Großaktionen" finanziert worden. Der „Sowjetische Friedensfonds"
dürfte auch einen Großteil der Aufwendungen für die geplante Prager „Welt-Versammlung" tragen.
Für die Werbung von Teilnehmern aus der Bundesrepublik Deutschland ist Achim Maske, Mitglied des WFR-Präsidiums und des Büros des DKP-beeinflußten „Komitees für Frieden, Abrüstung und Zusammenarbeit" - KFAZ - zuständig.
Neben Kommunisten und deren Sympathisanten nehmen an den Treffen auch zahlreiche Nichtextremisten teil. Aus der Bundesrepublik Deutschland wird eine bis zu 100 Personen starke Gruppe erwartet, nach Angaben des DKP-Zentralorgans „Repräsentanten aus demokratischen Parteien, Organisationen, Gewerkschaften und Friedensinitiativen". Dem DKP-Zentralorgan zufolge kündigte der Vorsitzende des SPD-Unterbezirks Bonn die Teilnahme einer „größeren Zahl von Sozialdemokraten" an. Er hoffe auch auf eine offizielle Beteiligung des Parteivorstandes.
Keine weitere Zusatzfrage.
Dann rufe ich die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Dr. Blank auf. - Der Abgeordnete Blank ist nicht im Saal. Es wird so verfahren, wie in den Richtlinien vorgesehen.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele zur Verfügung.
Die Frage 62 des Kollegen Grobecker darf ich so beantworten: Der Bundesregierung ist bekannt, daß die Brinkmann AG beabsichtigt, die Produktion der Zigarettenmarke Lord Extra von Bremen nach Berlin zu verlagern. In diesem Zusammenhang sollen in Berlin 50 neue Arbeitsplätze geschaffen werden. Darüber hinaus sollen weitere 100 Arbeitsplätze in Berlin gesichert werden, die wegen einer zu geringen Auslastung der Berliner Produktionskapazitäten des Unternehmens gefährdet sind. Eine Durchführung der Investitionen in Bremen ginge damit auch zu Lasten der Arbeitsplätze in Berlin.
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß allein infolge der AEG-Sanierung in Berlin 2 600 Arbeitsplätze verlorengegangen sind, von denen eine nennenswerte Zahl zu den LloydDynamo-Werken in Bremen verlagert wurden.
Die Firma Reemtsma, Hamburg, unterhält wie die Brinkmann AG ebenfalls Produktionskapazitäten in Berlin. Eine Erweiterung der Berliner Produktion plant das Unternehmen bereits seit längerem. Zu diesem Zweck hat das Unternehmen bereits 1972 ein Grundstück erworben, das unmittelbar an die bestehende Berliner Produktionsstätte angrenzt, das jedoch aus rechtlichen Gründen bislang für Produktionszwecke nicht genutzt werden konnte.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie sind jetzt eigentlich unnötig strapaziert worden. Wir haben nachträglich festgestellt, daß der Abgeordnete Grobecker gar nicht im Saal ist. Aber er wird von Ihrer Antwort sicherlich Kenntnis nehmen und sehr dankbar sein. Ich kann auch keine Zusatzfragen zulassen, da der Abgeordnete Grobecker nicht im Saal ist.
Das Entsprechende gilt natürlich für die Frage 63 des Abgeordneten Grobecker, die damit erledigt ist.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Waltemathe auf:
Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, ob bereits jetzt positive Auswirkungen auf die Wirtschaftsstruktur Berlins nachgewiesen werden können, die auf das im letzten Jahr verabschiedete Dritte Gesetz zur Änderung des Berlin-Förderungsgesetzes zurückzuführen sind?
Herr Kollege Waltemathe, ich darf Ihnen folgende Antwort geben. Das Dritte Gesetz zur Änderung des Berlin-Förderungsgesetzes ist am 22. Dezember 1982 in Kraft getreten. Der Zeitraum eines halben Jahres ist für die Messung von Auswirkungen dieser Reform zu kurz. Es ist aber damit zu rechnen, daß für die auf der Berliner Wirtschaftskonferenz im Dezember 1982 und in der Folgezeit angekündigten Investitionsvorhaben zahlreicher Unternehmen die Änderung der Berlin-Förderung mit maßgebend gewesen ist.
Außerdem berichtet die Berliner Wirtschaftsverwaltung über eine starke Zunahme der Anträge auf Erteilung von Ursprungsbescheinigungen als Anzeichen für einen Anstieg der wirtschaftlichen Aktivitäten in Berlin.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Wenn es Anzeichen dafür gibt, daß dieses Berlin-Förderungsgesetz in Berlin wirkt, Herr Staatssekretär, frage ich Sie: Kann die Bundesregierung Auskunft darüber geben, ob es sich dabei um neue wirtschaftliche Aktivitäten oder um die Verlagerung von Aktivitäten in Westdeutschland nach Berlin handelt?
Soweit man die Ergebnisse bisher schon beurteilen kann, sind durchaus Anzeichen dafür vorhanden, daß es sich um neue Aktivitäten handelt.
Keine Zusatzfrage. - Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Waltemathe auf:
Wir beurteilt die Bundesregierung die arbeitsplatzmäßigen Auswirkungen des Berlin-Förderungsgesetzes auf das übrige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland?
Wie ich bereits bei der Beantwortung der Anfrage des Herrn Kollegen Grobecker - in seiner Abwesenheit - ausgeführt habe, hat Berlin in den vergangenen zehn Jahren etwa hunderttausend industrielle Arbeitsplätze auch durch Abwanderungen nach Westdeutschland verloren. Die Berlin-Förderung hat diese Entwicklung allenfalls abgeschwächt. Die
Bundesregierung hofft, daß dieser Entwicklung durch die Änderung der umsatzsteuerlichen Herstellerpräferenzen im Dezember 1982 wirksam entgegengetreten werden kann.
Auswirkungen regionaler Förderungsmaßnahmen auf das Arbeitsplatzangebot im übrigen Bundesgebiet lassen sich nur schwer ermitteln. Angesichts der unterschiedlichen Größe des Arbeitsmarktes im übrigen Bundesgebiet und in Berlin sind nennenswerte arbeitsplatzmäßige Auswirkungen der Berlin-Förderung auf das übrige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland aber kaum zu erwarten.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung Anzeichen dafür feststellen können, daß manche westdeutschen Firmen die BerlinFörderungsmöglichkeit in Anspruch nehmen, um steuerliche Vorteile zu erlangen, ohne die Wirtschaftskraft Berlins nennenswert zu stärken?
Bei allen diesen regionalen Wirtschaftsförderungsmaßnahmen kann man nie ganz ausschließen, daß solche Gesichtspunkte auch entscheidend sind.
Keine weiteren Zusatzfragen. Wir sind am Ende der Fragestunde angelangt.
Die Fraktion der SPD hat beantragt, den Entwurf eines Gesetzes über Zuschüsse zum tariflichen Vorruhestandsgeld - Vorruhestandsgeldgesetz -, Drucksache 10/122, auf die Tagesordnung zu setzen, ihn im Anschluß an die Fragestunde aufzurufen und eine Debattenrunde vorzusehen.
Der Antrag ist rechtzeitig zugegangen. Interfraktionell ist vereinbart worden, den Antrag jetzt zu behandeln. Wird zu diesem Antrag zur Geschäftsordnung das Wort gewünscht? - Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs.
({0})
- Darf ich bitten, Platz zu nehmen. Wir sind vorerst bei den Beratungen zur Geschäftsordnung.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 8. Juni hatte die SPD-Bundestagsfraktion den Entwurf eines Vorruhestandsgesetzes zugeleitet. Letzte Woche haben wir Sie im Ältestenrat gebeten, ihn auf die Tagesordnung des Plenums zu setzen. Sie haben das mit Ihrer Mehrheit abgelehnt und zwingen uns damit zu einer Geschäftsordnungsdebatte, die der Mehrheit des Hauses nicht zur Ehre gereicht.
({0})
Deshalb beantrage ich namens der SPD-Fraktion, die erste Lesung des Gesetzesantrags auf Drucksache 10/122 auf die Tagesordnung der heutigen Sitzung zu nehmen. Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren, daß seit der Einbringung alle Mitglieder des Hauses Gelegenheit genug hatten, sich in die Materie einzulesen. Ich erinnere an die
Dringlichkeit, angesichts bedrohlich weiter wachsender Arbeitslosigkeit zu handeln.
({1})
Wir hören, auch die Rechtskoalition bastele an einer gesetzlichen Vorruhestandsregelung. Sie soll in der nächsten Woche ins Kabinett kommen. Wir vernehmen, daß die Rechtskoalition
({2})
derzeit noch ein paar Verständigungsschwierigkeiten in der Frage hat, ob sie nicht das Rentenalter für Frauen heraufsetzen müsse, weil angeblich ein entsprechendes Verfassungsgerichtsurteil ins Haus steht.
({3})
Wir lesen Protokolle, in denen die finanziellen Folgen eines solchen Schrittes zu Lasten der Frauen durchgerechnet wurden, nämlich 1985 200, 1986 500, 1987 700 Millionen DM. Aber wir können das alles hier im Parlament nicht diskutieren, weil Ihre Mehrheit im Ältestenrat die Beratung des Gesetzentwurfs verweigert und die Beantwortung von Dringlichkeitsanfragen nicht zugelassen wurde.
({4})
Wie kleinmütig sind Sie geworden, die Sie doch eine recht komfortable Mehrheit in diesem Hause haben. Sie fürchten schon die Ideen, die wir einbringen,
({5})
obwohl Sie allemal in der Lage wäre, sie niederzustimmen.
({6})
Wenn Sie sich entschließen könnten, mit uns den Gedanken einer Vorruhestandsregelung zu beraten, dann würden sie erstmals mit einer praktikablen Grundlage für entsprechende Tarifverträge befaßt, die älteren Arbeitnehmern die Möglichkeit geben, mit 58 Jahren ihren Arbeitsplatz bei weitgehender Wahrung ihrer materiellen Sicherung einem Arbeitslosen zur Verfügung zu stellen. Sie würden eine solidarische Lösung erreichen, in der Staat und Tarifvertragsparteien die Kosten tragen, ohne die Rentenversicherung zu belasten. Sie würden sich ein Instrumentarium verschaffen, mit dem erstmals lebensarbeitszeitverkürzende Maßnahmen rechenbar wären.
Warum, so frage ich Sie, nutzen Sie diese Chance nicht? Warum beraten Sie nicht jetzt mit uns eine Vorlage, auf die bedeutende Gewerkschaften warten und die schon jetzt von vielen Arbeitnehmern herbeigesehnt wird?
({7})
Lernen Sie schneller, meine Damen und Herren! Warten Sie nicht erst darauf, daß Sie durch immer schlimmere Meldungen vom Arbeitsmarkt zum Handeln gezwungen werden! Und seien Sie ein Parlament und keine preußische Ständekammer, die
Frau Fuchs ({8})
sich nur dann nachzudenken getraut, wenn Ihrer Majestät Regierung vorgedacht hat! Stimmen Sie unserem Antrag zu!
({9})
Das Wort hat Herr Kollege Bötsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der Fraktion der CDU/CSU bitte ich Sie, den Geschäftsordnungsantrag der SPD-Fraktion abzulehnen.
({0})
Um kein Mißverständnis aufkommen zu lassen: Es gab keine Einigung im Ältestenrat.
({1})
Dies ist der Sachverhalt. Da dürfen wir nicht in eine Begriffsverwirrung kommen. Offensichtlich lachen die am meisten, die sich noch nie mit der Funktion des Ältestenrats beschäftigt haben. Das ist mein Eindruck.
({2})
Wir debattieren hier, weil es im Ältestenrat keine Einigung gab.
Die Ablehnung der Aufsetzung auf die Tagesordnung heute bedeutet nicht, daß wir uns zur Stunde in der Sache mit dem Anliegen, das Ihrem Gesetzentwurf zugrunde liegt, etwa negativ auseinandersetzten.
({3})
Nur halten wir den jetzigen Zeitpunkt für eine Beratung Ihres Gesetzentwurfs nicht für zweckmäßig.
({4})
Ich weiß, meine sehr verehrten Damen und Herren, wie schwer es Ihnen fällt, vielleicht aus objektiven Gründen fallen muß, sich aus der Regierungsverantwortung heraus in die Rolle der Opposition hineinzufinden. Trotz dieses Rollentausches wären wir Ihnen aber dankbar, wenn Sie alte und auch zu Ihrer Regierungszeit bewährte Parlamentsbräuche weiterhin achten und beachten könnten. Diese beinhalten, daß dann, wenn die Bundesregierung Überlegungen zu einer Gesamtkonzeption anstellt, wir eigentlich auch in der Opposition immer zugestimmt haben, Gesetzentwürfe so lange nicht in erster Lesung zu beraten, bis Überlegungen zum Abschluß gekommen sind, die in etwa in einem zeitlichen Zusammenhang mit vorgelegten Gesetzentwürfen standen. Eine solche Situation ist hier gegeben.
Die Zusammenbehandlung solcher Überlegungen - seien es Gesamtkonzeptionen der Regierung oder Gesetzentwürfe der Opposition - dient der Klarheit, der Übersichtlichkeit und, ich meine, auch der Arbeitsökonomie.
({5})
Sie werden mir besonders in dieser Sitzungswoche
sicherlich zugestehen, daß dies richtig ist. Diese Sitzungswoche ist ja nicht gerade von einem Mangel an Themen geprägt; das Gegenteil ist der Fall.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, abschließend darf ich Sie bitten, den Antrag der SPD- Fraktion abzulehnen. - Danke schön.
({6})
Das Wort hat Herr Kollege Wolfgramm.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es ist das vornehmste Recht dieses Hauses, sich mit Vorlagen zu beschäftigen, über deren Behandlung es im Ältestenrat keinen Konsens gegeben hat. Eine solche Situation haben wir vor uns.
Dieses Thema ist zu wichtig, als daß wir es sich verzettelnden Schritten überlassen wollen, die dann im Ausschuß nur stufenweise, aber dadurch nicht sorgfältig vergleichend behandelt werden können; denn wir wissen, daß die Regierung dazu einen Entwurf auf den Tisch legen wird. Es ist guter Brauch in diesem Hause, daß wir beide Positionen - Herr Kollege Linde, wir haben das früher gemacht, wir werden das auch in Zukunft so halten - gemeinsam im Ausschuß behandeln, um sie dann in zweiter und dritter Lesung im Plenum zu behandeln.
({0})
Ich meine, daß wir dann auch die Möglichkeit haben, Ihre und unsere Überlegungen sorgfältig abzuwägen. Es wird in dieser Frage kein Patentrezept geben. Wir werden uns mit vielen Schritten und Überlegungen auseinandersetzen müssen, um zu einem besseren Ergebnis zu kommen. Wir wollen das zusammen in Ruhe tun und gemeinsam erörtern.
Ich möchte die Kollegen, da es heute - wie die Temperaturen zeigen - heiß geworden ist, nicht mit weiteren Begründungen in der Lebensqualität stören. Ich bitte Sie, den Antrag abzulehnen.
({1})
Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD. Wer dem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Zeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit.
({0})
- Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Europäischen Rat in Stuttgart
({1})
- Ich nehme an, daß Sie sie hören wollen oder das Haus verlassen werden.
({2})
Präsident Dr. Barzel
- Im Ältestenrat gibt es, verehrte Frau Kollegin Fuchs, keine Mehrheitsentscheidung. Ich habe das eben nicht alles richtig gehört.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Beratungen vier Stunden vorgesehen. Ich höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wir haben uns entschlossen, heute die Redezeiten für jedermann streng zu handhaben, weil diese drei Tage voll belastet sind. Ich höre auch hier keinen Widerspruch.
Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Europäische Rat, der vom 17. bis 19. Juni in Stuttgart getagt hat, war eine wichtige Station in der Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft und der Zusammenarbeit unter ihren Mitgliedstaaten. Nicht nur Stagnation und Rückschritt für die Gemeinschaft sind vermieden worden; der Europäische Rat hat in Stuttgart wichtige Anstöße für die Fortentwicklung der Gemeinschaft gegeben und dazu konkrete Orientierungen formuliert.
Aber die Probleme sind nicht vom Tisch. Wir müssen uns in den nächsten Monaten verstärkt diesen Herausforderungen stellen. Wir sind in Westeuropa wirtschaftlich und politisch in rauhere See geraten. In allen unseren Ländern hat die Wirtschaftskrise kräftige Wunden geschlagen.
({0})
Meine Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat der Herr Bundeskanzler. Wer Dringenderes zu tun hat, als dem Bericht, der nun wirklich aktuell ist, zuzuhören,
({0})
möge bitte den Saal verlassen. Darf ich noch einmal hinzufügen, daß die Tätigkeit im Hause überwiegend im Sitzen ausgeübt wird.
Diese Entwicklung ist in allen Bereichen und Regionen spürbar. Sie hat auch tief in das Leben des einzelnen eingegriffen. Zwölf Millionen Bürger in der Gemeinschaft sind in unseren Ländern ohne Arbeit. In solchen Zeiten treten nationale Interessen wieder härter und kantiger zutage und treffen dort ungedämpft aufeinander, wo das Polster der Prosperität dünner geworden ist. Diese Lage fordert von uns allen größere und bewußtere Anstrengungen europäischer Solidarität. Hinzu kommt - dies weiß jeder -, daß wir in schwierigen Verhandlungen zwischen Ost und West begriffen sind, in denen es ein Gebot der Vernunft ist, daß Europa seine Stimme klar und gemeinsam erhebt, daß Europa sein Gewicht voll auf die Waagschale des Friedens bringt, daß Europa als Faktor der Stabilität und der Friedenserhaltung tätig ist.
Meine Damen und Herren, schließlich stehen wir in Europa vor einer dritten, wichtigen Erweiterung der Gemeinschaft. Spanien und Portugal, zwei große europäische Nationen, wollen ihren durch Geschichte und politischen und demokratischen Willen vorgezeichneten Platz in unserer Gemeinschaft einnehmen. Unsere Aufgabe ist es, dazu beizutragen, daß diese Völker diesen Platz zu ihrer und unser aller Nutzen auch wirklich einnehmen können.
In Stuttgart ging es deshalb darum, daß die Regierungschefs der Mitgliedstaaten - und zwar aller Mitgliedstaaten - der Europäischen Gemeinschaften nicht vor den schwierigen Problemen kapitulieren, sondern ihre Kraft und ihre Fähigkeit beweisen, die Lösung der Probleme wenigstens einzuleiten. Wir haben in Stuttgart die Entscheidungen getroffen, die zu diesem Zeitpunkt von uns erwartet werden konnten. Es wäre wenig realistisch gewesen, anzunehmen, daß der Europäische Rat so komplexe und eng miteinander verbundene Fragen wie die künftige Finanzierung der Gemeinschaft, die Wahrung einer strengen Haushaltsdisziplin, die Überprüfung und Anpassung bestehender Politiken, insbesondere der Agrarpolitik, die Entwicklung neuer Politiken und eine größere Ausgewogenheit im Haushalt unter zehn Beteiligten auf einmal und ein für allemal regeln könne.
Meine Damen und Herren, in einer solchen Lage ist es notwendig, daß die Gemeinschaft zusammensteht. Dazu muß sie ihre Politiken, dazu muß sie ihre Finanzen und damit ihr Haus in Ordnung bringen. Denen - und die gibt es in allen europäischen Ländern, so auch in der Bundesrepublik Deutschland -, die uns vorhalten wollen, daß wir uns in Stuttgart buchhalterisch mit Finanzen beschäftigt hätten, sage ich, daß wir uns dieser mühseligen Aufgabe zum Wohle des Ganzen, zum Wohle Europas unterziehen mußten. Wenn die finanziellen Grundlagen der Europäischen Gemeinschaft nicht in Ordnung gebracht werden, können wir über die Überwindung der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Krise sicherlich viele Stunden diskutieren. Aber viele Worte können dann das Handeln nicht ersetzen, das Handeln, das auch einschließt, daß die Gemeinschaft finanzierbar ist.
({0})
Zudem, meine Damen und Herren, kommen auf die Europäische Gemeinschaft neue Aufgaben zu: durch die Erweiterung der Gemeinschaft um Portugal und Spanien, durch die neuen Entwicklungen in Forschung und Technologie und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft, durch die wirtschaftlichen Strukturprobleme und Umweltfragen. Alle diese Aufgaben kosten Geld. Gäbe es die Gemeinschaft nicht - das muß deutlich gesagt werden müßten diese Mittel national aufgebracht werden. Wir müssen deshalb für die künftige Finanzierung dieser Aufgaben Vorsorge treffen: durch eine Begrenzung der Ausgabendynamik bei den einzelnen Politiken, insbesondere bei der Agrarpolitik, durch Einsparungen, durch Umschichtungen und - soweit notwendig - auch durch die Erhöhung der Eigeneinnahmen der Gemeinschaft. Es geht nicht an, meine Damen und Herren, daß die Auseinandersetzung um den Haushalt der Gemeinschaft in kurzen Abständen immer wieder die ganze Kraft der Gemeinschaft und ihrer Mitglieder bindet und häufig genug auch lähmt. Es geht nicht
an, daß dadurch ein Klima ständigen Konflikts in die Gemeinschaft hineingetragen wird, und dies in einem Augenblick, in dem wir alle unsere Kräfte zur Bewältigung der wirtschaftlichen, politischen und vor allem auch der sicherheitspolitischen Herausforderungen benötigen - Herausforderungen, die das Schicksal Europas entscheiden werden.
Wir, die Bundesregierung, sind dieser Aufgabe nicht ausgewichen. Wir haben vielmehr bestimmt, in welchem Verfahren und in welchem sachlichen Rahmen die künftige Finanzierung und die damit zusammenhängenden sachlichen Probleme zu behandeln sind. Der Europäische Rat hat Fristen gesetzt, und wir alle - ich hoffe, daß ich das sagen kann - wollen möglichst rasch die angestrebten Ergebnisse erreichen.
({1})
Wir haben für die Europapolitik Perspektiven eröffnet, kurzfristige, mittelfristige und mit der wichtigen Erklärung zur Europäischen Union auch langfristige. Die Arbeit für den Tag und die Perspektive für die Zukunft gehören zusammen. Dies ist der Inhalt der beiden wichtigen in Stuttgart verabschiedeten Erklärungen, der Erklärung über die finanziellen Ressourcen und die damit zusammenhängenden Fragen sowie der Erklärung zur Europäischen Union.
Meine Damen und Herren, wir wollen und können in Europa nicht nur für den Tag arbeiten, ohne zu wissen warum und mit welchen Zielen. Die europäische Zusammenarbeit darf sich nicht in täglichem Krisenmanagement erschöpfen, wenn wir wirklich auf Dauer ein erfolgreiches Krisenmanagement betreiben wollen. Wer ein Haus bauen will, tut gut daran, nicht planlos Ioszubauen. Die bevorstehenden schwierigen Verhandlungen der Außen- und der Finanzminister und der zuständigen Fachminister sollen deshalb auch der Überprüfung der Baupläne Europas dienen. Sie sollen - das ist unser Wunsch - die Fundamente der Gemeinschaft wieder solider machen. Darum haben wir uns in Stuttgart sowohl mit Sachfragen als auch mit Finanzfragen beschäftigt. Wir wollen der Gemeinschaft wieder neues Selbstvertrauen, neue Dynamik und eine weitergehende politische Perspektive geben.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis von Stuttgart versteht sich nicht von selbst. Es gab in diesen Sitzungen Augenblicke, in denen es so aussah, als würden die Gegensätze der Positionen unüberbrückbar sein, als würde Entmutigung den Sieg davontragen. Es war von allen Beteiligten viel Geduld erforderlich. Es half dabei sehr, daß sich die Mitglieder des Rates untereinander gut verstehen, denn zur Kompromißfähigkeit gehört auch das persönliche Vertrauen untereinander. Es spiegelt das Vertrauen wider, das die Völker Europas heute zueinander haben. Dazu gehört selbstverständlich auch die sachlich gute Vorbereitung, um kompromißfähige Lösungen zu erreichen.
Ich will von dieser Stelle aus einmal meinen Kollegen in der Regierung und allen unseren Mitarbeitern für die vorzügliche Vorarbeit für diese Stuttgarter Konferenz danken.
({2})
Unsere Partner erkennen durchaus an, was in diesen sechs Monaten unter der deutschen Präsidentschaft geleistet wurde. Sie erkennen vor allem an - weil sie alle politisch verantwortliche Männer und Frauen sind -, daß wir dies leisten mußten und leisten wollten, obwohl wir nach dem Wechsel in der Bundesregierung Anfang Oktober vergangenen Jahres am 6. März dieses Jahres Bundestagswahl hatten und dies alles sozusagen gleichzeitig stattfand. Wir mußten in diesen Monaten mit einer wirtschaftlich und politisch recht risikoreichen Krise im europäischen Währungssystem fertig werden. Wir haben dazu beigetragen, daß es zu einer unter den obwaltenden Umständen ausgewogenen Neufestsetzung der Wechselkurse im europäischen Währungssystem gekommen ist. Unter unserer Präsidentschaft sind mehrere Entscheidungen getroffen worden, die für die längerfristige Perspektive überaus wichtig sind. Die Sozialminister und Arbeitsminister haben auf meine Anregung hin unter dem Vorsitz des Bundesministers Norbert Blüm einen wichtigen Beschluß über die Reform des Sozialfonds gefaßt, durch den die Mittel dieses Fonds vorrangig für die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit in Europa eingesetzt werden.
({3})
Wir haben uns beharrlich und mit Erfolg um weitere Erleichterungen im Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft bemüht. Die Arbeiten an dem Rahmenprogramm für Forschung 1984 bis 1987 wurden erfolgreich abgeschlossen, so daß es von den Forschungsministern in ihrem nächsten Rat Ende Juli verabschiedet werden kann.
Meine Damen und Herren, wir haben auch - und ich denke, das ist sehr im gemeinsamen Interesse des Hohen Hauses - in der Umweltpolitik kräftige Anstöße gegeben, zuletzt mit einem Memorandum zum Waldsterben, das ich den Staats- und Regierungschefs zur Stuttgarter Konferenz übersandt habe. Der Schaden, den der saure Regen an den Waldbeständen nicht nur bei uns, sondern in vielen europäischen Staaten verursacht hat, macht wirksame grenzüberschreitende Maßnahmen dringend erforderlich. Nationale Maßnahmen reichen überhaupt nicht aus.
({4})
Die Bundesregierung hat eine konsequente Umweltpolitik zur Bekämpfung der besorgniserregenden Waldschäden eingeleitet, und ebenso rasch wollen wir mit unseren europäischen Nachbarn, auch und vor allem mit der DDR und der Tschechoslowakei, europäische Maßnahmen zur Rettung der Wälder vereinbaren. Diese sind zum Schutz unseres Wasserhaushalts, für Klima, Gesundheit und Erholung von unwiederbringlichem Wert, und wir dürfen keine Zeit verlieren.
Der Europäische Rat hat anerkannt, daß rasche und deutliche Fortschritte in einer europäischen Umweltpolitik erreicht werden müssen. MinisterBundeskanzler Dr. Kohl
präsident Papandreou, der in wenigen Tagen den Vorsitz übernimmt, hat auf dem Rat versichert, er werde während seiner Präsidentschaft sein ganz besonderes Augenmerk auch auf dieses Problem richten.
Ober die Ergebnisse in den Einzelbereichen hinaus haben wir durch unsere Arbeit, an der zahlreiche Bundesminister beteiligt waren, das Vertrauen unserer Partner in unser europapolitisches Engagement verstärken können. Wir haben damit, so glaube ich sagen zu dürfen, auch einen Beitrag zu mehr Selbstvertrauen in der Gemeinschaft geleistet. Dies, meine Damen und Herren, hat unsere Vorarbeit für Stuttgart - als es eben darum ging, ein umfangreiches Beschlußpaket zu schnüren - erleichtert.
In meiner Regierungserklärung vom 9. Juni habe ich gesagt, daß der Europäische Rat nur dann den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht werden kann, wenn alle Mitgliedstaaten zu Kompromissen und Beiträgen bereit sind. Ich habe hinzugefügt: Das wird alle - auch uns - Opfer kosten. Zu diesem Satz stehe ich selbstverständlich auch heute.
Mich hat während dieser Tage in Stuttgart die Zuversicht nicht verlassen, daß wir aufeinander zugehen werden, weil wir aufeinander zugehen müssen. Meine Damen und Herren, wäre der Europäische Rat in Stuttgart gescheitert, hätte Mutlosigkeit in Europa um sich gegriffen, und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem wir vor allem mehr Zuversicht und Selbstvertrauen brauchen. Der Zusammenhalt der Gemeinschaft hätte sich gelockert, und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem wir mehr Einheit und mehr Gemeinsamkeit brauchen. Wir hätten vor Schwierigkeiten des Tages kapituliert, obwohl jetzt in Sachen Europa nichts notwendiger ist als neuer Elan.
In den zentralen Fragen der finanziellen Ressourcen und der damit zusammenhängenden Probleme kennen Sie alle die vom Europäischen Rat verabschiedete Erklärung. Ich will sie deswegen hier nicht wiederholen, sondern nur auf die wichtigsten Dinge aufmerksam machen.
Der Europäische Rat beauftragt die Außen- und Finanzminister, erforderlichenfalls auch andere Minister, in den nächsten sechs Monaten über die drängendsten Probleme der Gemeinschaft Verhandlungen zu führen. Die Gegenstände dieser Verhandlungen sind: die künftige Finanzierung der Gemeinschaft, die Entwicklung der Gemeinschaftspolitiken, die Erweiterung der Gemeinschaft, Fragen der Ausgewogenheit des Haushalts sowie die Notwendigkeit einer strengeren Haushaltsdisziplin. Diese Aufgaben sind in dem vom Europäischen Rat geschnürten Paket - ich lege Wert auf diese Feststellung - gleichgewichtig miteinander verbunden, d. h. sie sind einander nicht über- oder untergeordnet; sie sind in den Verhandlungen parallel zu behandeln.
Ziel dieser Verhandlungen ist es - ich zitiere aus der Erklärung -,
die Finanzierung der Gemeinschaftspolitiken
und -maßnahmen sowie ihre Fortentwicklung
für einen längeren Zeitraum unter Berücksichtigung des zusätzlichen Finanzbedarfs, der sich aus dem Beitritt Spaniens und Portugals ergeben würde, sicherzustellen, wobei alle Möglichkeiten für Einsparungen auszuschöpfen sind
Über all diese Fragen wird am Ende gemeinsam beschlossen, wobei über Ausmaß und Zeitplan des Gemeinschaftsbedarfs an eigenen Mitteln auf der Grundlage der erzielten Ergebnisse befunden werden wird. Dieses Ergebnis trägt sehr nachdrücklich dem deutschen Wunsch nach Begrenzung der Haushaltsdynamik, nach Einsparungen und Umstrukturierungen Rechnung. Es berücksichtigt unsere Forderung nach einer ausgewogeneren Struktur des Gemeinschaftshaushaltes. Es wird uns schließlich erlauben, unseren Verpflichtungen nachzukommen, die Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal zügig fortzuführen und abzuschließen.
Meine Damen und Herren, der vom Europäischen Rat in Stuttgart bezifferte Ausgleich für Großbritannien für 1983 wird in den Gemeinschaftshaushalt für 1984 eingesetzt und steht mit den genannten Fragen in einem engen Zusammenhang. Der Großbritannien gewährte Ausgleich ist deutlich niedriger als im Vorjahr. Unser Beitrag zu diesem Ausgleich bleibt entsprechend dem Vorjahr gemindert.
Jetzt geht es darum, die beschlossenen Verhandlungen möglichst rasch in Gang zu setzen. Die Vorschläge der Kommission zur Anpassung der Agrarpolitik, zu ihrer Modernisierung und der Verbesserung ihrer Kosteneffektivität und zu einer wirksameren Nutzung des Strukturfonds der Gemeinschaft werden bis zum 1. August 1983, also schon in wenigen Wochen, vorliegen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich mache mir keinerlei Illusionen darüber, daß diese Verhandlungen ungewöhnlich schwierig sein werden. Sie werden in aller Nüchternheit geführt werden müssen. Das gilt für uns wie für unsere Freunde und Partner in Europa. Sie werden aber nur dann mit Aussicht auf Erfolg geführt werden können, wenn in ihnen der Geist der Solidarität herrscht, der trotz aller Schwierigkeiten in Suttgart spürbar war. Die Verhandlungen können nur erfolgreich sein, wenn ihnen gegenseitiges Vertrauen zugrunde liegt. Dieses Vertrauen zu stärken, bleibt die vorrangige Aufgabe unserer Europapolitik, der Europapolitik dieser Bundesregierung. Eine solche Politik dient unseren Interessen, wie sie den Interessen unserer Partner dient. Wir müssen den Weg zu einem gemeinsamen Europa fortsetzen. Dazu gibt es keine Alternative, es sei denn den Rückfall in das 19. Jahrhundert.
Ich darf in diesem Zusammenhang wieder einmal einige Selbstverständlichkeiten ins Bewußtsein rufen, damit wir bei europäischen Verhandlungen und Entscheidungen wissen, was gerade für uns Deutsche auf dem Spiele steht, wenn die Idee des gemeinsamen Europa scheitert. Unser Wohlstand, unsere wirtschaftliche Entwicklung und damit unsere soziale und politische Stabilität sind mit dem Bestehen der Europäischen Gemeinschaft aufs engste
verknüpft. Das gilt für uns, und das gilt auch für unsere Partner.
Meine Damen und Herren, die Gemeinschaft ist ein Binnenmarkt von 271 Millionen Verbrauchern. Wenn Spanien und Portugal beitreten, erweitert sich die Zahl auf 318 Millionen Verbraucher.
({5})
Im Vergleich dazu beträgt die Zahl der Verbraucher in den Vereinigten Staaten 221 Millionen, in der Sowjetunion 264 Millionen.
({6})
Die Europäische Gemeinschaft stellt für uns alle einen relativ risikofreien Exportmarkt dar.
({7})
Fast die Hälfte des gesamten Außenhandels der Mitgliedstaaten wird innerhalb der Gemeinschaft selbst abgewickelt. Bei einigen der kleineren Mitglieder ist es sogar noch wesentlich mehr. In den Jahren von 1958 bis 1981 ist der Handelsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten um das 22fache gestiegen.
({8})
Bei uns gehen über 48 % der Ausfuhren in die Partnerstaaten der Gemeinschaft. Unser Handel mit den Ländern der Europäischen Gemeinschaft stieg in dem gleichen Zeitraum, von 1958 bis 1981, um das 26f ache.
({9})
Unsere Ausfuhrüberschüsse im Handel mit den EG- Staaten betrugen 1982 fast 25 Milliarden DM. Alle Mitgliedstaaten profitieren von der Europäischen Gemeinschaft und sind daher in Wahrheit existentiell auf das reibungslose Funktionieren des Gemeinsamen Marktes angewiesen.
({10})
Der Gemeinsame Markt fördert nicht nur den Wettbewerb und damit ein vielfältiges und kostengünstiges Angebot, er ist auch Ansporn zur Erneuerung und zu technologischem Fortschritt. Wenn hierzulande oder anderswo über die japanische Herausforderung diskutiert wird, so will ich klar sagen, daß die entscheidende Antwort nur von den Europäern insgesamt gegeben werden kann. Auch das sollten wir bedenken.
({11})
Das Europäische Währungssystem trägt zur währungspolitischen Stabilisierung und damit zur Absicherung des innergemeinschaftlichen Handels bei. Es ist ein wichtiges Mittel, um die Konvergenz der Wirtschaftspolitiken und die Koordinierung unter den Wirtschaftspolitiken der verschiedenen Mitgliedsländer zu fördern.
Die deutschen Agrarexporte in der Gemeinschaft sind zwischen 1959 und 1982 auf rund 16 Milliarden DM angestiegen. Dem so oft geschmähten Agrarmarkt verdanken wir die Sicherheit unserer Versorgung mit Ernährungsgütern. Wir haben es j a in
Deutschland erlebt, was es bedeutet, wenn diese Sicherheit ausbleibt. Mit einem Wort: nur die Gemeinschaft als Ganzes kann voll das Gewicht der Länder Europas auch in den internationalen Organisationen wie GATT, UNCTAD, OECD zur Geltung bringen. Nur mit Hilfe der Gemeinschaft und ihres großen Binnenmarktes - für unsere Partner natürlich auch ein großer Anreiz - können wir auf Marktöffnung bei anderen Ländern in der Welt hoffen, sie durchsetzen und uns gegen handelspolitische Versuchungen wehren, protektionistische Maßnahmen zu verstärken.
Die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft und die Zusammenarbeit unter ihren Mitgliedstaaten garantiert auf Dauer, daß wir handelnde Akteure in den internationalen Beziehungen bleiben, daß wir unser Geschick in die eigenen Hände nehmen können und nicht Gegenstand der Politik anderer zu sein brauchen. Wir wissen, unsere Freunde auch außerhalb Europas, nicht zuletzt unsere amerikanischen Freunde wünschen und brauchen einen starken europäischen Partner. Je eindeutiger unsere gemeinsame Position ist, um so aktiver kann auch die Rolle sein, die Westeuropa in Fragen der Sicherheit und der Abrüstung spielen kann.
In dem Dialog zwischen West und Ost und im Dialog zwischen Nord und Süd darf die europäische Stimme, darf das europäische Gewicht auf der westlichen Seite nicht fehlen. Wir Deutsche müssen uns auch immer bewußt bleiben, daß die deutsche Frage, die Frage der Teilung unseres Landes in Wahrheit ihre Antwort nur in einer gesamteuropäischen Friedensordnung finden kann.
({12})
Der Weg zu ihr führt über eine starke Europäische Gemeinschaft und über die atlantische Partnerschaft Westeuropas mit den Vereinigten Staaten und mit Kanada.
Unsere Aufgabe ist es, Europa stark und handlungsfähig zu halten. Wir wissen, daß dies unser aller Anstrengungen bedarf. Europa darf nach den Erfahrungen mit der Geschichte dieses Jahrhunderts nie wieder in den Sog nationalstaatlicher Interessen und Eifersüchteleien geraten.
Lassen Sie mich mit einem Zitat Friedrich Schillers schließen, das mich während dieses Stuttgarter Rates begleitet hat.
({13})
Er sagte in seiner 1789 gehaltenen Vorlesung zur Universalgeschichte:
Endlich unsere Staaten - mit welcher Innigkeit, mit welcher Kunst sind sie ineinander verschlungen! Wieviel dauerhafter durch den wohltätigen Zwang der Not als vormals durch die feierlichsten Verträge verbrüdert! Den Frieden hütet jetzt ein ewig geharnischter Krieg, und die Selbstliebe eines Staates setzt ihn zum Wächter über den Wohlstand des andern. Die europäische Staatengesellschaft scheint in eine große Familie verwandelt. Die HausgenosBundeskanzler Dr. Kohl
sen können einander anfeinden, aber hoffentlich nicht mehr zerfleischen.
Dies ist ein ungewöhnlich aktuelles Zitat.
({14})
Es muß einen nachdenklich stimmen, was alles in Europa geschehen mußte, wieviel Blut und Tränen über diesen Kontinent kommen mußten, bevor wir nach der Katastrophe des zweiten Weltkrieges uns auf diesen Weg in die Zukunft gemacht haben. Die Baumeister Europas, ob das Alcide de Gasperi, Robert Schuman, Paul Henri Spaak, ob das Winston Churchill, ob das viele Ungenannte waren - sie alle sind angetreten, um aus der Geschichte zu lernen. 30 Jahre Europapolitik zeigen, daß wir aus der Geschichte lernen wollen. Wir, die Deutschen, wollen aus der Geschichte lernen, und daraus können wir Vertrauen und Selbstvertrauen ziehen.
Aber wir brauchen Geduld, um auch die Rückschläge zu ertragen. Wir brauchen vor allem den festen Willen, um uns von unserem Ziel einer Europäischen Union nicht abbringen zu lassen. Resignation und Stagnation bedeuten immer Rückschritt. Kleine Schritte, auch kleinste Schritte in die richtige Richtung können Fortschritt bringen, Fortschritt im Blick auf die Einheit Europas.
Unser Auftrag ist und bleibt, mit aller Kraft daran mitzuwirken, daß Europa für unsere Kinder und Enkel ein Kontinent bleibt, in dem sich zu leben und zu arbeiten lohnt.
Ich glaube, daß der Rat in Stuttgart hierzu einen bescheidenen Beitrag geleistet hat. Ich wünsche und hoffe für uns, daß die schwierigen Verhandlungen, die uns jetzt bevorstehen, aus dem Geist europäischer Gemeinsamkeit geführt werden.
({15})
Das Wort hat der Herr Kollege Hauff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Europa macht uns Sorge. Es ist richtig, in fast allen europäischen Ländern haben die Menschen den Eindruck, daß sich die Europäische Gemeinschaft von Krise zu Krise dahinschleppt. Stuttgart - dies ist das wichtigste Ergebnis - zeigt keinen Weg aus dieser Krise. Das ist bedauerlich, das ist vor allem deswegen traurig, weil der von Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler, versprochene europäische Aufbruch nicht stattfand.
({0})
Es ist eine magere Bilanz, die uns vorgetragen wurde. Diese Regierungserklärung zum Gipfel von Stuttgart, Herr Bundeskanzler, entspricht in Stil und Inhalt vollkommen dem Verlauf und dem Ergebnis von Stuttgart selbst.
({1})
Das einzige Positive an Stuttgart: Man ist nicht im Krach auseinandergegangen.
({2})
Meine Damen und Herren, ich bitte, dem Redner zu folgen. Ich wiederhole, was ich an die andere Seite des Hauses gesagt habe.
({0})
- Sie dürfen sogar einen Zwischenruf machen, Herr Kollege.
Das einzige Positive an Stuttgart: Man ist nicht im Krach auseinandergegangen. Aber das reicht eben nicht aus, um Resignation und Europamüdigkeit zu überwinden. Der Präsident der Kommission hat recht, wenn er nach Stuttgart klar und deutlich formuliert: Die Probleme sind nicht gelöst.
Die deutsche Präsidentschaft 1983 wird als eine Präsidentschaft der vertanen Chancen in die Geschichte eingehen.
({0})
So sieht es auch die Öffentlichkeit. Da spricht die „Süddeutsche Zeitung" vom „Gipfel der Unverbindlichkeiten", da spricht der „Express" davon: „Der EG-Berg kreißte und gebar ein Mäuslein". Die „Badische Zeitung" sagt: „In Stuttgart wurden die Probleme lediglich katalogisiert." Unsere wichtigsten Partner, in unserem eigenen Land beispielsweise die Europa-Union, sprechen von einem „Wechsel auf die Zukunft", der gezogen wurde.
({1})
Noch deutlicher spricht der Ministerpräsident von Griechenland - da hören Sie bitte gut zu - im Zusammenhang mit Stuttgart von der „Last des Stuttgarter Auftrages". Weil das so ist, wirken einige Stellungnahmen aus der CDU/CSU, die von einem „Wunder von Stuttgart" sprechen, lächerlich, ja geradezu peinlich.
({2})
Meine Damen und Herren, wir spüren überall in Europa - in Italien wie in Frankreich, in Großbritannien wie auch hier bei uns in der Bundesrepublik - die negativen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise. Seit dem Regierungswechsel ist ja auch die Union bereit, zuzugestehen, daß hier die eigentlichen Probleme unserer wirtschaftlichen Entwicklungen liegen. Nur: Wer diese Krise für Europa überwinden will, der muß führen, der darf Entscheidungen nicht den wuchernden Bürokratien überlassen, und der muß auch etwas wagen.
({3})
Ich erinnere in dem Zusammenhang an das Jahr 1978, an die Zeit der letzten deutschen Präsidentschaft. Damals ergriff Helmut Schmidt persönlich die Initiative für mehr Wechselkursstabilität in Europa. Er schaffte es dann durch persönlichen Einsatz. Ich erinnere mich noch sehr genau, wie damals die Fachleute aufstanden und wie einer wie der andere aufzählte, was alles gegen ein Europäisches Währungssystem spreche. - Nein, es wurde von Helmut Schmidt zusammen mit Giscard
d'Estaing durchgesetzt. Es hat gehalten bis zum heutigen Tag; es hat sich auch bewährt. Wer wollte das bestreiten? Auch in der Regierungserklärung ist es ja erwähnt.
Ihr Vorgänger, Herr Bundeskanzler, gab sich eben nicht damit zufrieden, auf einer Gipfelveranstaltung Papiere zu unterzeichnen. Er wußte, daß es gerade in der Vorbereitungsphase auf intensive bilaterale Kontakte, daß es auf persönliche Gespräche ankommt, die einer Einigung dann den Weg bereiten. Hieran, Herr Bundeskanzler, hätten Sie sich ein Beispiel nehmen sollen.
({4})
Vielleicht wäre das Stuttgarter Ergebnis positiver ausgefallen, wenn Sie persönlich sich früher eingeschaltet und dies nicht den Beamten überlassen hätten, an deren Qualifikation wir überhaupt keinen Zweifel haben. Wenn Sie sagen: Vor Stuttgart wurde hart gearbeitet, dann trifft das sicherlich für Ihre Mitarbeiter und für die Mitarbeiter in den Ministerien zu - für Sie persönlich trifft es sicherlich nicht zu.
({5})
Um erfolgreiche Europapolitik zu machen, braucht man klare Vorstellungen. Man braucht auch persönliche Initiative und Zähigkeit. Mit dem Aussetzen von Problemen, mit dem bloßen Abwarten, dem Warten auf Vorschläge von anderen kann man vielleicht das Schlimmste verhindern, nämlich das Auseinanderbrechen der Gemeinschaft, den Krach - das haben Sie auch erreicht, Herr Bundeskanzler; das erkennen wir auch an -, aber man kann Europa mit einer solchen Politik nicht voranbringen. Dazu braucht man eigene Initiativen. Darauf haben Sie, Herr Bundeskanzler, verzichtet. Sie hielten das offensichtlich nicht für nötig. Dies ist unser Vorwurf an Sie.
Unser Fazit des Gipfels lautet: Positiv ist, daß der Zusammenbruch der Gemeinschaft - jedenfalls für die nächsten Monate - abgewendet werden konnte. Damit endet aber auch die positive Bilanz.
Der eigentliche Gewinner - soviel scheint sicher zu sein - dürfte Großbritannien sein. Sie, Herr Bundeskanzler, stellen in den Dokumenten von Stuttgart die Übernahme von Lasten in Aussicht, ohne daß man bei der Lösung der wichtigen europäischen Probleme - zu denen j a Ihr Außenminister im Januar dieses Jahres Stellung bezogen und große Ankündigungen gemacht hat - auch nur einen Schritt vorangekommen wäre. Ihre Präsidentschaft, Herr Bundeskanzler, endet, ohne daß eine Reform der Agrarmarktordnung auch nur ansatzweise eingeleitet worden wäre, ohne daß der Beitritt Spaniens und Portugals zum Abschluß gekommen oder jedenfalls zeitlich fixiert worden wäre, ohne daß wirksame europäische Initiativen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verabredet worden wären und ohne daß es auch nur zu einer teilweisen Lösung der Finanzprobleme gekommen wäre.
Wir sind Realisten. Wir nehmen gerne Ihr Wort zur Kenntnis, daß man, was Stuttgart angeht, keine unrealistischen Erwartungen haben sollte. Nur, Herr Bundeskanzler: wir halten es für sehr angemessen, Sie selbst, Ihre Politik an Ihren eigenen Ankündigungen zu messen.
({6}) Da fällt das Urteil negativ aus.
Keine Ihrer Ankündigungen von Straßburg, Herr Bundesaußenminister, ist erfüllt worden. Es gibt - jedenfalls was die vier Hauptbereiche angeht, die Sie selbst in Straßburg im Januar genannt haben - eben nur ungedeckte Wechsel auf die Zukunft. In einer solchen Situation helfen auch wohlmeinende Abschlußerklärungen nicht weiter. Sie bringen die Sache nicht voran; sie sind kein Ersatz für Politik.
Wir beharren darauf, daß es ohne eine durchgreifende Reform der europäischen Agrarpolitik keinen dauerhaften Weg aus der Krise der Gemeinschaft geben kann.
({7})
Die durch die Agrarpolitik zwangsläufig entstehende Überproduktion und deren anschließende Verschleuderung haben der europäischen Idee schon bisher schweren Schaden zugefügt. Auf längere Sicht werden sie den Gedanken Europa diskreditieren.
Wir wissen um die herausragende Bedeutung der Agrarpolitik. Wir wissen, daß sie für Frankreich zur Geschäftsgrundlage des gemeinsamen Markts gehört. Und wir respektieren das auch.
Das heißt aber nicht, daß wir Fehlentwicklungen akzeptieren. Es geht eben nicht an, daß zwei Drittel der Mittel des Haushalts der Europäischen Gemeinschaft für den Agrarmarkt ausgegeben werden. Es geht nicht an, daß die Kostenexplosion im Agrarbereich zum Sprengsatz wird. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres 1983 sind die Agrarausgaben um mehr als 35 % gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Ein Ende dieser Kostenexplosion ist überhaupt nicht in Sicht. Am Jahresende 1983 haben wir, so sagen die Experten, in der Gemeinschaft 800 000 t Butter und über 1 Million t Milchpulver auf Lager, ohne daß irgendwie abzusehen wäre, wo diese Güter abgesetzt werden können.
Ich will nicht schweres Geschütz auffahren.
({8})
Aber was hier auf dem Agrarmarkt geschieht, ist absurd und ein Skandal.
({9})
Wir Sozialdemokraten kritisieren die Agrarpolitik aus vier Gründen.
Erstens. Die Agrarpolitik der Gemeinschaft wird zum Haushaltsrisiko Nr. 1 der Gemeinschaft. Wenn sich nichts ändert, droht der finanzielle Kollaps.
({10})
Zweitens. Die Agrarpolitik führt zu einer gigantischen Überproduktion von Agrarprodukten, die anDr. Hauff
schließend verramscht oder ganz vernichtet werden.
({11})
- Und dies ist in einer Welt voller Hunger, verehrter Herr Kollege, nicht zu rechtfertigen.
({12})
Drittens. Die Agrarpolitik mit ihrer erzwungenen Intensivbewirtschaftung wird zu einem unkalkulierbaren Risiko für die Umwelt in Europa. Die unheilige Allianz von Großchemie und Großlandwirtschaft bedroht die Natur in unseren Ländern.
({13})
Viertens. Die Agrarpolitik ist unsozial, weil sich die Einkommen zwischen den kleinen Bauern und den großen Bauern immer weiter auseinanderentwickeln.
({14})
Mit dieser Politik muß Schluß sein. Sie ist zu kostspielig, und sie ist sinnlos. Der Agrarmarkt wird 1983 voraussichtlich 37 Milliarden DM kosten.
({15})
Der Löwenanteil wird für die Beseitigung von Überschüssen ausgegeben. Das ist unvorstellbar viel Geld. Stellen Sie sich nur vor, wir könnten einen großen Teil dieses Geldes für die Modernisierung unserer Wirtschaft und für die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen ausgeben. Dann wäre dieses Geld sinnvoll angelegt.
({16})
Der Gipfel von Stuttgart bietet den Bürgern Europas auf diesem Gebiet Prüfungsaufträge an.
({17})
Was in Stuttgart zur Agrarpolitik gesagt worden ist, ist sehr, sehr wenig, ist dünn. Sie, Herr Bundeskanzler, reden oft von Hausaufgaben, die man machen muß. Einverstanden. Nur, mein Vorschlag: Machen Sie endlich Ihre eigenen Hausaufgaben auf diesem Gebiet! Sagen Sie den Beteiligten, wie es mit der Agrarpolitik weitergehen soll!
Die Reform der Agrarpolitik ist dringender denn je. Wir Sozialdemokraten haben dazu unsere konkreten Vorschläge vorgelegt. Die kann jeder nachlesen.
({18})
Statt klar zu sagen, was aus der Sicht der Bundesregierung in der Agrarpolitik geschehen soll, haben Sie in der Stuttgarter Erklärung einige Formulierungen gebraucht, die darauf hindeuten, daß sich am Agrarsystem substantiell nichts ändern wird.
Deshalb sagen wir in dem Zusammenhang: Hier hat die deutsche Präsidentschaft eine Chance vertan.
Die wirtschaftlichen Probleme in allen Ländern Europas sind groß. Die Arbeitslosigkeit steigt. Über zwölf Millionen Menschen in der Gemeinschaft - Sie haben es selber erwähnt - sind arbeitslos. Wir sollten das nicht verniedlichen. Das ist mehr als die Erwerbsbevölkerung der Niederlande, Belgiens und Dänemarks zusammengenommen. Die Aussagen des Gipfels zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sind eine bittere Enttäuschung.
Viele Menschen hatten große Hoffnungen gerade in die deutsche Präsidentschaft gesetzt; denn die Bundesrepublik ist das wirtschaftlich und finanzstärkste Land der Gemeinschaft und damit vorrangig gefragt, wenn es darum geht, wirtschaftliche Impulse zu geben. Das haben mehrere Mitgliedstaaten von der Bundesrepublik erwartet. Es gab ja auch die berühmten Briefe, die an Sie als Parteivorsitzender geschrieben, wurden, Herr Kohl. Nur: Sie, Herr Bundeskanzler, haben sich in Stuttgart bei der aktiven Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sogar als ideologisch motivierter Bremsklotz verhalten. Dabei hat Ihr Bundesaußenminister in Straßburg selbst noch davon gesprochen, daß es darum gehe, eine „gestaltende Arbeitsmarktpolitik" zu verwirklichen.
Warum sind diese Ankündigungen nicht verwirklicht worden? Welche Haltung haben Sie, Herr Bundeskanzler, selbst eingenommen? Was haben Sie getan, um - wie ebenfalls in Straßburg im Januar angekündigt und wie heute wieder behauptet - den Binnenmarkt zu stärken und gegen Protektionismus anzugehen? Man kann es doch nicht auf die leichte Schulter nehmen - da helfen keine Sprüche und auch keine Regierungserklärungen weiter -, wenn die Kommission feststellt, daß wir zur Zeit über 400 offene Verstöße gegen die Regeln des offenen Marktes im Binnenmarkt der Gemeinschaft haben.
({19})
Da muß man doch auf dem Gipfel darüber reden und auch Beschlüsse fassen und darf nicht nur sagen, man trete für die Stärkung des Binnenmarktes ein.
({20})
Europa wird nur Fortschritte machen, wenn es auch ein Europa der Arbeitnehmer bleibt. Wir Sozialdemokraten verlangen, daß die Nöte und Sorgen der Arbeitnehmer mindestens so ernst genommen werden wie die Interessen der landwirtschaftlichen Lagerhalter und der Überschußproduzenten.
({21})
Die in Stuttgart zum Thema Arbeitslosigkeit verabschiedeten Erklärungen sind ärgerlich. Die arbeitslosen Jugendlichen werden sie sogar mit Verbitterung zur Kenntnis nehmen. Hören Sie sich das
doch einmal an: daß der Europäische Rat seine „tiefe Besorgnis" über die Jugendarbeitslosigkeit zum Ausdruck bringt; daß er es für „äußerst wichtig" hält, daß „energische Aktionen auf dem Gebiet eingeleitet" werden. Solche Sätze sind an Banalität und an Unverbindlichkeit, ja an Leichtfertigkeit nicht mehr zu überbieten.
({22})
Leichtfertig vor allen Dingen deswegen, weil Massenarbeitslosigkeit zu einer wachsenden Gefahr für die innere Stabilität der Gemeinschaft geworden ist.
Lassen Sie mich in dem Zusammenhang an eine Erkenntnis erinnern, die wir vor allen Dingen Frau Professor Marie Jahoda verdanken, die ihr Leben lang über Arbeitslosigkeit geforscht hat. Sie hat uns gesagt: Wenn arbeitslose Menschen ihr Selbstvertrauen verlieren, dann schenken sie leicht den Versprechungen von Demagogen Glauben, wie wir das nur allzugut aus unserer eigenen Geschichte wissen.
Auch die Aussagen des Gipfels zur Stahlpolitik werden in den Ohren der Stahlarbeiter wie Hohn klingen. Müssen sich eigentlich wirklich die Staatschefs der Gemeinschaft treffen, um dann festzustellen, sie gäben „ihrer Hoffnung Ausdruck", „daß der Rat zu einer Einigung" in der Stahlfrage gelange? Ist es eigentlich der Sinn eines Gipfels, so etwas zu beschließen?
Was sagen Sie, Herr Bundeskanzler, eigentlich den Werftarbeitern, wenn sie fragen, warum über sie auf dem Gipfel überhaupt kein Wort verloren wurde? Auf diesem Gebiet der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hat die deutsche Präsidentschaft nicht nur eine Chance nicht genutzt, nein sie hat die Interessen der betroffenen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik nicht vertreten.
({23})
Auch die umweltpolitische Bilanz ist deprimierend. Es ist Ihnen nicht gelungen, - ({24})
- Hören Sie doch zu. Das ist Ihnen unangenehm, das weiß ich. Aber sie ist deprimierend.
Es ist Ihnen als Präsident nicht gelungen, den seit 1982 vorliegenden Entwurf zur EG-Grundsatzrichtlinie über die Luftreinhaltung voranzubringen. Das wäre etwas gewesen; der Entwurf liegt ja vor. Die Bürger Europas warten auch darauf, daß wir beim bleifreien Benzin, daß wir bei den Giftmülltransporten, daß wir bei der Umweltverträglichkeitsprüfung vorankommen.
({25})
Es reicht auch nicht aus, in Gipfelerklärungen die akute Gefahr - so heißt es da - für europäische Waldgebiete zu erwähnen. Wo war die deutsche Initiative für ein Notprogramm der Gemeinschaft zur Rettung des Waldes? Warum gab es keine Initiative
für eine europäische Luftreinhaltekonferenz, wie wir Sozialdemokraten sie gefordert haben?
({26})
Wir brauchen auf diesem Gebiet keine weiteren Grundsatz- und Orientierungsdiskussionen, sondern wir brauchen auf diesem Gebiet Beschlüsse, die weiterhelfen.
({27})
Meine Damen und Herren, die sich zuspitzende Finanzkrise der Gemeinschaft war der Regierung gut bekannt. Wir haben erwartet, daß die Regierung die Präsidentschaft nutzt, um dem Europäischen Rat dann ein gut vorbereitetes und schlüssiges Konzept für die künftige Finanzausstattung der Gemeinschaft vorzulegen. Dieses Ziel, das wir miteinander vertreten, hat Ihnen, Herr Bundeskanzler, auch der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages am 8. Juni 1983 mit seinem einstimmigen Beschluß zu den Vorschlägen der Kommission über die künftige EG-Finanzierung mit auf den Weg gegeben - nicht, um Sie zu ärgern, sondern um Sie zu unterstützen, in dieser Sache wirklich voranzukommen. Dieser Beschluß des Haushaltsausschusses, diese Unterstützung, das war eine Chance. Aber auch sie wurde nicht genutzt.
Nach Stuttgart stellt sich auf finanzwirtschaftlichem Gebiet eindringlich die Frage: Will diese Bundesregierung überhaupt die Überprüfung aller Politikbereiche der Gemeinschaft mit dem Ziel, zu sparen und die vorhandenen Mittel wirklich effektiv einzusetzen? Da bleiben Zweifel.
({28})
Der krasseste Widerspruch zwischen den Ankündigungen - ich sage noch einmal: alles gemessen an den Ankündigungen der deutschen Präsidentschaft - und dem tatsächlichen Erfolg betrifft die Erweiterung der Gemeinschaft um Spanien und Portugal. Der von uns gewünschte Beitritt von Spanien und Portugal ist fällig. Die Stuttgarter Erklärung ist in diesem Punkt aber so unklar, daß sie die verhängnisvolle Möglichkeit offenläßt, eine Erhöhung der Eigenmittel im Zusammenhang mit dem Beitritt zu beschließen, ohne daß eine Reform des Agrarmarktes in Kraft gesetzt worden wäre. Der Beitritt von Spanien und Portugal darf nicht für sich genommen, als Hebel benutzt werden, um die 1%-Grenze bei der Mehrwertsteuer zu erhöhen - ohne substantielle Reformen im Bereich des Agrarmarktes.
({29})
Wir Sozialdemokraten wollen den Beitritt von Spanien und Portugal ohne Zeitaufschub. Denn wir fühlen uns an unsere Versprechungen gegenüber diesen Ländern, gegenüber Spanien und Portugal, gebunden.
({30})
Nun komme ich zum Schönsten, meine Damen und Herren. Schließlich ist in Stuttgart eine feierliche Erklärung unterzeichnet worden. Die Absichten
dieser Erklärung begrüßen wir. Was diese feierliche Erklärung tatsächlich bewirkt, wird sich dann am 6. Dezember in Athen herausstellen. Denn erst am 6. Dezember in Athen wird es möglich sein, ein endgültiges Urteil über die deutsche Präsidentschaft zu fällen.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben einen riskanten Weg gewählt. Statt einzelne Probleme innerhalb der Europäischen Gemeinschaft wirklich zu lösen, haben Sie alle Probleme in einen Korb gepackt, den Korb dann mit schönen Wünschen geschmückt und ihn anschließend nach Athen geschickt. Das heißt, Sie haben nichts weiter gemacht, als alle ungelösten Probleme unserem Partner Griechenland vor die Tür zu stellen. Und dann soll am 6. Dezember in Athen die große Lösung kommen, sozusagen, um die Worte von Herrn Rühe aufzunehmen, das Wunder von Athen. Nein, meine Damen und Herren, mich erinnert die ganze Geschichte so ein bißchen an den naiven Glauben von Kindern, der Nikolaus werde am 6. Dezember schon alle Wünsche erfüllen, die man da beieinander hat.
({31})
Im Hinblick auf eine wirkliche Erneuerung Europas hat Hans-Jochen Vogel mit Recht an das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von Europa erinnert, das mit dem Namen Jean Monnet verbunden ist. Dieser Mann hat in den 50er Jahren eine solche Bewegung in Gang gesetzt, eine Volksbewegung. Europa braucht heute solche neuen Impulse, sonst erstickt es in Kleingeisterei, im Krämergeist und in nationalen Egoismen. Wir müssen miteinander die Europamüdigkeit überwinden.
Die Europäische Gemeinschaft ist mehr als eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie hat die Menschen in Europa einander nähergebracht. Sie hat Verständnis unter den Völkern und unter den Menschen geweckt. Schließlich und nicht zuletzt hat sie uns eine kulturelle Vielfalt gebracht, die wir alle als Bereicherung empfinden. Europäische Einflüsse bestimmen heute das Leben der Menschen in allen Bereichen. Ob sie sich dessen bewußt sind oder nicht: Die Bürger Europas leben und denken heute europäisch.
Die Direktwahl zum Europäischen Parlament war ein wichtiger Schritt, um diesen Sachverhalt, diese positive Entwicklung auch politisch zum Ausdruck zu bringen. Das Europäische Parlament mit seinen Präsidenten Simone Veil und Pieter Dankert an der Spitze hat unter schwierigen Bedingungen daran gearbeitet, die europäische Idee mit neuem Leben zu erfüllen. Dieses Parlament braucht dringend mehr Rechte, wenn wir ihm helfen wollen, daß es diese Arbeit in Zukunft erfolgreicher durchführt.
({32})
Meine Damen und Herren, wer die Menschen für Europa begeistern will, muß für eine Reform der Gemeinschaft an Haupt und Gliedern eintreten. Diese Reform an Haupt und Gliedern ist nicht durch Sonntagserklärungen, durch feierliche Erklärungen zu schaffen, sondern die kann man nur durch Alltagshandeln voranbringen. Oder - wie Sie, Herr Bundeskanzler, es formuliert haben -: Viele Worte können das Handeln nicht ersetzen. - Stuttgart war ein Gipfel der vielen Worte.
({33})
Das Wort hat Herr Kollege Dr. Lenz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir waren eben Zeugen eines erstaunlichen Vorgangs. Sie haben nämlich eben hier zum erstenmal im Deutschen Bundestag den Vorgang der Wiedergeburt erlebt. Da haben Sie einen gestandenen Mann reden hören, der als Abgeordneter, Parlamentarischer Staatssekretär und Bundesminister der vorangegangenen Bundesregierung zahlreiche Erfahrungen gesammelt und an vielen internationalen Konferenzen teilgenommen hat, der am 1. Oktober letzten Jahres gestorben ist, aber heute wiederauferstanden ist mit einem blanken Gewissen, ohne Spur einer Erfahrung, der hier redet wie der Schüler im „Faust": „Die Welt war erst, als ich sie sah."
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat durch ihren Beifall bewiesen, daß sie der Regierungserklärung des Bundeskanzlers zustimmt.
({1})
Das Mögliche nämlich, was in Stuttgart geschehen konnte, ist geschehen, und vieles Notwendige - darüber hat der Bundeskanzler gar keinen Zweifel gelassen - bleibt noch zu tun übrig.
Was möglich ist, meine Freunde, unterscheidet sich von den falschen Vorstellungen, die manche hie und da von dem Gipfel gehabt haben.
({2})
Ich stehe nicht an, Herr Kollege Linde, zu sagen, daß manche falsche Vorstellungen gelegentlich von Staats- und Regierungschefs selber geweckt werden, wie z. B. vor Den Haag und in Den Haag 1969 und in Paris 1972, wo man uns nämlich die Europäische Union für das Jahr 1980 in Aussicht gestellt hatte.
({3})
Ich bin sehr dankbar, daß derjenige, der das mitunterzeichnet hat, im Gegensatz zu seinem Nachfolger dieser Debatte beigewohnt hat. Gelegentlich geben sich auch Oppositionsparteien, Herr Kollege Linde, falschen Vorstellungen über die Möglichkeiten von Gipfeln hin. Ich nehme die CDU/CSU-Bundestagsfraktion davon gar nicht aus.
Die Wirklichkeit, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, ist doch die: Wir hatten während der deutschen Präsidentschaft in drei wichtigen Mitgliedsländern - es gibt natürlich nur wichtige Mitgliedsländer - Wahlen, nämlich in Deutschland, Großbritannien und jetzt in Italien. Es ist das Na918
Dr. Lenz ({4})
türlichste auf der Welt und überhaupt nicht zu kritisieren, Herr Kollege Hauff, daß Wahlen die Aufmerksamkeit auch der Regierenden in Anspruch nehmen. Die Italiener haben europäischen Geist bewiesen, indem sie nicht eine Verschiebung des Gipfels bis nach ihren Wahlen verlangt haben. Das sollten wir anerkennen.
({5})
Außerdem gibt es eine Reihe von Mitgliedsländern - auch solche, die von Ihren Parteifreunden regiert werden -, die Schwierigkeiten haben, ihren Handlungsspielraum einschränken, ohne daß sie Wahlen haben, meine Damen und Herren.
Wenn trotzdem die Ergebnisse von Stuttgart erzielt werden konnten, die erzielt worden sind, dann beweist das eben, daß der vielzitierte europäische Geist und die europäische Solidarität nicht nur Erfindungen von Sonntagsrednern, sondern ein Teil der politischen Wirklichkeit sind.
Zweitens, Herr Kollege Hauff, fand man in Stuttgart einen Haufen von Problemen vor, die zum Teil ein Jahrzehnt alt sind.
({6})
Ich denke z. B. an die Probleme im Bereich der Landwirtschaftspolitik. Herr Kollege Hauff, wo waren Sie eigentlich, wenn im Kabinett Jahr für Jahr die Brüsseler Agrarpreisbeschlüsse von der deutschen Bundesregierung abgesegnet wurden? Sie sind doch mit die Ursache für die Probleme im Bereich der Landwirtschaftspolitik, für die finanziellen Probleme und Überschüsse, die es nun einmal gibt. Wer hat denn noch im Jahre 1982 die Beschlüsse gefaßt? Das war doch eine Bundesregierung unter Vorsitz des von Ihnen genannten Bundeskanzlers Schmidt, wobei ich mich frage, warum er sich die Lobrede, die Sie heute auf ihn gehalten haben, hier im Hause nicht selber angehört hat.
({7})
Herr Kollege Dr. Lenz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sperling?
Meine Zeit ist so knapp bemessen, daß ich den Herrn Kollegen Sperling bitte, seine Zwischenfragen an seine eigenen Parteifreunde zu richten, damit er deren Redezeit verkürzt, aber nicht die meine.
({0})
Ein weiteres Problem, das so alt ist wie seine Ursache, ist das Problem des britischen Beitrages. Dieses Problem gibt es seit der britischen Mitgliedschaft. Meine Damen und Herren, Sie haben es zehn Jahre lang mit sich herumgeschleppt und haben hier die Stirn, dem Bundeskanzler vorzuwerfen, daß es nicht in sechs Monaten gelöst worden ist. Meine Damen und Herren, erwarten Sie eigentlich noch, von irgendeinem Teil der deutschen Öffentlichkeit ernstgenommen zu werden?
({1})
Wenn ich mir die Geschichte des britischen Beitritts und des britischen Beitrags angucke, habe ich persönlich eine ganze Menge Verständnis dafür, daß einige Mitgliedsländer - darunter die Bundesrepublik Deutschland - wissen wollen, welche finanziellen Lasten, welche Agrarpolitik und welche politischen Perspektiven sich z. B. mit dem Beitritt Spaniens zur Europäischen Gemeinschaft verbinden. Ein Mitgliedsland der Europäischen Gemeinschaft, das der NATO nicht angehört, ist in unseren Augen mehr als genug.
({2})
Meine Damen und Herren, schließlich und letztlich muß man wohl auch hier einmal klar und deutlich sagen, daß die Europäische Gemeinschaft in der Zeit, in der Sie Verantwortung getragen haben, um vier neue Mitglieder erweitert worden ist. Wir haben das damals mitgetragen. Das stelle ich gar nicht in Abrede. Zwischen dem europäischen Engagement und der europäischen Erfahrung der ursprünglichen Sechs und der neuen Vier gibt es aber eben beträchtliche Unterschiede. Wenn es sie nicht gäbe, hätten ja die neuen Vier gleich von Anfang an mitmachen können, dann hätten sie heute mehr Erfahrung. Diese objektiven Tatsachen kann doch niemand in Abrede stellen. Herr Kollege Hauff, in Ihrem erstaunlichen Beitrag, in dem die Geschichte der letzten zehn Jahre völlig gefehlt hat, war davon aber natürlich nicht die Rede.
({3})
Sie haben bemängelt, daß nicht alle Probleme gelöst worden sind.
({4})
- Herr Kollege Hauff, die Bundesregierung hat zum erstenmal ein Gesamtkonzept für die Lösung aller Probleme vorgelegt.
({5})
Dieses Gesamtkonzept ist das Ergebnis eingehender Bemühungen der von Ihnen eben mit Recht gelobten Beamten gewesen, die in der Tat viele Wochen in Europa unterwegs waren, um die Elemente dieses Gesamtkonzepts zusammenzubinden.
({6})
- Man hätte natürlich schon zu Ende des Jahres 1980 über die Europäische Union entschieden haben können, wenn den Ankündigungen von 1972 Rechnung getragen worden wäre.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Nein, ich habe mich dazu bereits abschließend geäußert, Herr Präsident.
({0})
Dr. Lenz ({1})
Auf diesem Gesamtkonzept beruhen die Ergebnisse, die in Stuttgart erzielt worden sind. Für die Lösung der noch ausstehenden Probleme Herr Kollege Hauff, sind feste Termine und feste Verfahren vereinbart worden.
({2})
Es ist zwar nicht alles vom Tisch gekommen, aber es ist nichts unter den Teppich gekehrt worden. Das, Herr Kollege Linde, ist immerhin schon etwas wert. Es sind auch keine Vorleistungen erbracht worden, keine finanziellen und keine politischen Vorleistungen. Durch die Paketformel, die man gefunden hat, hat man alle Probleme gleichgewichtig nebeneinandergestellt und in ihrem Lösungsansatz verbunden. Auch in dieser Beziehung unterscheidet sich das Ergebnis von Stuttgart vorteilhaft von anderen Erfahrungen dieser Art.
Dann ist Kritik am Stil der Finanzverhandlungen geübt worden. Ich brauche dem, was der Herr Bundeskanzler dazu gesagt hat, nicht viel hinzuzufügen. Meine Damen und Herren, ich war 1969 Berichterstatter des Rechtsausschusses für die Finanzverfassungsreform. Immer dann, wenn wir glaubten, eine schöne neue Paragraphenformel gefunden zu haben, dann guckten die Beamten in ihren Spalten, in denen viele Zahlen standen, nach, ob da bei der einen oder anderen Formel eine Mark mehr oder weniger stand; danach haben sie das Ergebnis beurteilt. Das ist nun einmal so der Lauf der Welt. Wir können das leider nicht ändern, aber wir finden diesen Zustand genausowenig schön wie Sie.
Aber es ist ja dabei nicht geblieben: Der Bundeskanzler hat mit Recht ausgeführt, daß auch langfristige Perspektiven aufgezeigt worden sind. Die Europäische Gemeinschaft muß handlungsfähiger werden. Dazu hat Herr Bundesminister Genscher
- das sollte man, glaube ich, hier einmal in aller Objektivität anerkennen; denn es ist ja zur Zeit Ihrer Verbindung mit ihm noch begonnen worden
- den Versuch gemacht, das leidige Problem der Einstimmigkeit vom Tisch zu bringen. Ich gebe zu, die gefundene Lösung ist nicht befriedigend, aber, meine Damen und Herren, den Mut, das Problem angepackt zu haben, sollte man dem Bundesaußenminister doch bescheinigen.
({3})
Wir hoffen, daß nach der Regelung der leidigen Finanzfrage auf europäischen Gipfeln auch in der Wirtschaftspolitik, aber auch und vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammen mehr Gemeinsames geschafft wird. Denn nur so können die Europäer ihr Gewicht international zur Geltung bringen, nur so können die Europäer ihr Geschick stärker in die eigenen Hände nehmen. Meine Freunde, ich möchte für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Feststellung des Bundeskanzlers unterstreichen, daß es für die deutsche Frage keine andere Antwort gibt als eine gesamteuropäische Friedensordnung, in der die getrennten Teile Deutschlands und Europas wieder zusammengeführt werden. Auch dies ist eine Perspektive unserer Europapolitik.
Meine Damen und Herren, dann hat sich der Kollege Hauff zur Arbeitslosigkeit geäußert. Herr Kollege Hauff, über dieses Thema haben wir in diesem Hause schon öfters gesprochen und gestritten. Ich halte es nicht für zweckmäßig, daß wir diese Debatte heute mit den gleichen Argumenten wie vor zwei oder drei Wochen wiederholen, indem wir ihr ein europäisches Mäntelchen umhängen. Wir haben unsere Vorstellungen, wie man das am besten macht - dazu stehen eine ganze Reihe von Punkten in der Erklärung von Stuttgart -,
({4})
Sie haben Ihre. Allerdings haben Sie Ihre Punkte bei uns natürlich nicht wiedergefunden; das ist ja völlig verständlich.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch einen Satz zum Thema Binnenmarkt
({5})
sagen. Sie haben mit Recht von 400 Handelshemmnissen gesprochen.
({6}) - Verstößen, meine ich j a auch.
({7})
- Na, Verstöße wirken sich als Hemmnisse aus, Herr Kollege Hauff, aber wir wollen hier jetzt nicht Philologie betreiben. - Ich möchte Ihnen einmal die Frage vorlegen, wieviel denn davon zwischen dem 1. Oktober und heute und wieviel in den zehn Jahren vorher entstanden sind. Das ist doch wieder Ihre erschreckende Geschichtslosigkeit, Ihr blankes Gedächtnis, Ihr totales Vergessen dessen, was Sie in den zwölf Jahren angerichtet haben, in denen Sie an der Regierung waren.
({8})
Wir würden es begrüßen, Herr Bundeskanzler, wenn in Athen am Sankt-Nikolaus-Tag - das wäre für Griechenland sogar ein schönes Datum - Fortschritte gemacht würden, damit wir recht bald das Ziel erreichen können, das der Vor-Vorgänger von Ihnen, Bundeskanzler Brandt, schon im Jahre 1972 verkündet hat, nämlich die Ausrufung der Europäischen Union. Nach unserer Überzeugung war Stuttgart ein Fortschritt auf diesem Wege - nicht mehr, Herr Kollege Hauff, aber auch nicht weniger. Dieser Fortschritt lag im deutschen Interesse. Wir wollen und wir müssen weiter vorangehen und dürfen uns nicht auf den Lorbeeren von Stuttgart ausruhen. Dies, Herr Bundeskanzler, ist unser Wunsch in dieser Stunde. - Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kelly.
Liebe Freundinnen und Freunde! Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten haben am 19. Juni eine feierliche Deklaration zur Europäischen Union abgegeben. Wir wissen, Herr Genscher, daß Sie und Ihr Bundes920
kanzler es nicht verantworten wollten, den Ratsvorsitz Ende Juni mit einem gescheiterten Integrationskonzept abzugeben. So ist Ihre feierliche Deklaration - der Pfeiler zum sogenannten Einigungswerk der westlichen europäischen Union - verabschiedet worden. Dafür ist sehr viel Prestige, so der „Rheinische Merkur", auch an den Namen Genschers geknüpft und investiert worden. Doch beglückwünschen können wir Sie leider nicht. Vielleicht sehen Sie sich, Herr Genscher, nun eingereiht zwischen den sogenannten Vätern der Europäischen Gemeinschaft, sei es Churchill oder Jean Monnet oder der Lothringer Robert Schuman oder sei es sogar Karl der Große vor 1100 Jahren, auf den sich immer wieder europäische Politiker berufen haben, wie z. B. de Gaulle, als er befand: „Alles in allem hieße dies, auf moderner, sozialer und kultureller Basis das Unternehmen Karls des Großen wieder aufzunehmen."
Ähnliche Gefühle und Hoffnungen auf eine große gemeinsame Anstrengung in Europa mochten auch jene Politiker und Beamte gehabt haben, die am 25. März 1957 im römischen Kapitol die Verträge zur Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft unterschrieben haben. Sie alle waren auch Teilnehmer eines feierlichen Aktes und meinten mit ihrem ehrgeizigen Unternehmen, daß sie laut Rom-Vertrag und Präambel „die stetige Besserung der Lebens- und Beschäftigungsbedingungen ihrer Völker als wesentliches Ziel" anstreben. Die Gründungsväter sprachen von beständigem Wirtschaftswachstum, von „ausgewogenem Handelsverkehr" und einem „redlichen Wettbewerb".
Nun, Herr Genscher, 25 Jahre nach diesem Ereignis von Rom haben wir nun das Ereignis und Wunder von Stuttgart. Viele von uns fragen sich, ob es nicht die feierliche Deklaration von Zynikern geworden ist. Die beständige Wirtschaftsausweitung heißt Energie- und Rohstoffverschwendung, heißt, daß 660 Millionen Menschen in der Dritten Welt durch EG-Politik innerhalb der Armutsgrenze leben, heißt ökologische Zerstörung und strukturelle Arbeitslosigkeit, und es heißt auch Großprojekte und Größenwahn.
Nicht nur Sie während Ihres Ratsvorsitzes, schon viele vor Ihnen, Herr Genscher, haben erlebt, daß die europäische Idee, die nach dem Marshall-Plan, nach Gründung der NATO und nach dem Europarat samt brennender Grenzpfähle belebt wurde, heute verblaßt ist. Von brennenden Grenzpfählen sieht man sehr wenig. Nicht nur Sie, Herr Genscher, fast alle europäischen Politiker haben die vergangenen 25 Jahre schlecht genutzt. Aus dem positiven kühnen Gedanken und Gefühl, einem größeren Verbund als dem eigenen Staat anzugehören, ist ein negatives, bevormundendes und eurozentristisches Konzept einer arroganten und ausbeuterischen kapitalistischen Handelsmacht entwachsen, das Europa der multinationalen Konzerne, das Europa der vereinigten Atomkraftwerke, der vereinigten Sprengköpfe und das Europa der Ressourcenverschwendung.
({0})
Die GRÜNEN meinen, daß Sie, Herr Genscher, neuen Wein in die alten Schläuche des Nationalismus gegossen haben. Wir lehnen diese Konzeption der Europäischen Wirtschafts- und Atomgemeinschaft in ihrer herrschenden Struktur mit ihren jetzigen wirtschaftlichen, entwicklungs- und energiepolitischen Inhalten ab.
({1})
Wir möchten deutlich zum Ausdruck bringen, daß es sich beim überwiegenden Teil der sogenannten europäischen Politik um eine subventionierte nationale Politik handelt, die kaum kontrolliert wird, denn die EG-Kommission, so weiß ich wohl, ist kein kontrollierendes Organ, ist eher Rechnungsführer, und natürlich ist das Europaparlament nicht in die Lage gebracht worden, europäische Macht zu kontrollieren.
Wir streben eine ökologische dezentrale selbstverwaltete zivile Europäische Gemeinschaft der Regionen an, eine Gemeinschaft, die nicht weiterhin alte Sachzwänge vollzieht,
({2})
die nicht fraglos alte Herrschaftsstrukturen übernimmt und die nicht mit dem Knüppel, dem EG-Knüppel, internationale Konkurrenzfähigkeit, jeden Ansatz einer bedarfsorientierten und arbeitsplatzsichernden Strukturpolitik erschlägt.
({3})
Doch ist es sehr wichtig, daß ich Sie doch, Herr Genscher und Herr Kohl, zu den Vätern dieser Europäischen Gemeinschaft einordne, denn das, was Sie in der Deklaration im außen-, wirtschafts- und sicherheitspolitischen Bereich zum Ausdruck bringen , hat sehr viel zu tun mit den subtilen Ansätzen einer ehemaligen Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, doch dieses Mal in sehr starker Anbindung an die Führungs- und Supermacht USA. Ihr Bemühen um gemeinsame Positionen in der Außenpolitik und Ihr Bemühen, Herr Genscher, z. B. vor Weihnachten 1983 in der Bundesrepublik, in Greenham Common und in Comiso zu stationieren, sowie auch Ihr Bemühen in bezug auf die DritteWelt-Politik Gerechtigkeit sozusagen dort vor Ort stattfinden zu lassen, nehme ich Ihnen nicht ab. Sie betreiben ein widerwärtiges Hinterhaltespiel,
({4})
in bezug auf Südafrika! Zu Südafrika möchte ich Ihnen sagen, daß in Pretoria die Menschen- und Freiheitsrechte mit Füßen getreten werden und daß die EG in Teilen sogar fortschrittlichere Politik dort als Sie gemacht hat, denn Sie, Herr Genscher, postulieren verbal vor den Vereinten Nationen, vor der Europäischen Gemeinschaft, daß Sie es mit den Menschenrechten ernst meinen. Doch Sie nehmen die Verletzung von Freiheitsrechten in Südafrika hin, wenn es opportun erscheint; z.B. lassen Sie deutsche Firmen durchaus am Kap investieren und
profitieren, und wir werden damit zu wirtschaftlichen Säulen eines Unrechtsregimes in Südafrika. Man weiß dort in Pretoria sehr wohl zu schätzen, was Sie, Herr Genscher, vor der EG sagen, denn Sie lassen den diplomatischen Druck dieser EG gegen Südafrika nie zu, und Sie lassen auch keine wirtschaftlichen Sanktionen gegen Südafrika zu.
Während Sie aber bei der feierlichen Deklaration von der Dynamik einer sogenannten europäischen Außen- und Innenpolitik beflügelt sind, haben viele, viele nichts zu feiern, weder die 10 Millionen Arbeitslosen noch die 4,5 Millionen jugendlichen Arbeitslosen noch die 10 Millionen in Armut lebenden Haushalte in Europa, weder die Sozialhilfeempfänger noch die Obdachlosen, weder die Gemeinschaft der entrechteten Frauen am Arbeitsplatz noch die 23 Millionen behinderten Mitbürger in Europa. Es gibt nichts zu feiern, nichts, weswegen man feierlich sein kann, wenn sich die Europäische Gemeinschaft an der Ausbeutung und Bevormundung der Dritten Welt beteiligt. In einer Gemeinschaft, die durch solche Vorhaben wie die Schaffung einer europäischen Agentur für Rüstungsbeschaffung und das Absichern der Seewege in den Nahen Osten immer mehr ihren zivilen Charakter verliert -
Frau Kollegin, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Graf Lambsdorff?
Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage!
({0})
In einer Gemeinschaft, die - vielleicht sollten Sie sich das doch noch anhören - unter dem heuchlerischen Deckmantel - unter dem auch ich zehn Jahre gearbeitet habe ({1})
der Europäischen Regional- und Sozialpolitik in Brüssel die Atomenergie, die Gentechnologie und die Mikroelektronik vorantreibt,
({2})
und zwar - ich zitiere - als „unentbehrliche Hilfsquelle für die Entwicklung und Belebung der Wirtschaft" und „für den sogenannten friedlichen Fortschritt", wird jetzt mit Forschungsgeldern, bewilligt durch die Bundesregierung, die Genmanipulation vorangetrieben, und es wird auch dieser Bereich dem technokratischen Gestaltungswillen unterworfen.
({3})
Wir sind sehr wachsam, Herr Genscher und Herr Kohl, bei Ihrer Europapolitik, bei Ihrer Vision der - wie Sie auch in Williamsburg gesagt haben - Vereinigten Staaten von Europa, und wir warnen vor der Entwicklung, durch die die jetzige Europäische Gemeinschaft zur Basis der europäischen NATO-Säule werden könnte. Mit der Mitgliedschaft Spaniens und Portugals wird diese NATO-Säule strategisch und personell verstärkt, z. B. durch die
Kanarischen Inseln, einen sehr schönen Ort für NATO-Stationierung.
({4})
Wenn Sie, Herr Genscher, von der „deutschen Europapolitik nach innen" sprechen und damit den konsequenten Ausbau der europäischen Einigung mit dem Ziel der Union und die Orientierung an der „Wertegemeinschaft" fordern, so frage ich Sie noch einmal: Was heißt „Union", und was ist denn diese Wertegemeinschaft? Mit diesen leeren Formeln kann man in den Spannungszonen der Weltpolitik nicht viel anfangen.
Was heißt „entschlossen, gemeinsam für die Demokratie einzutreten"? So steht es in der Präambel der Deklaration von Stuttgart. Es ist doppelbödig, in der Deklaration die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und die Europäische Sozialcharta aufzuführen, wenn wenig Freiheit, wenig Gleichheit und wenig soziale Gerechtigkeit in Nord- und Südirland und auch in anderen Teilen Europas herrschen.
Meine Herren, wenn Sie zusammen mit Frau Thatcher den Chor von der wirtschaftlichen Integration und von der notwendigen Entwicklung einer europäischen Sozialpolitik anstimmen, so haben wir das zum x-ten Male mit Langeweile und Müdigkeit gehört, denn zu Hause wissen Sie Ihre eigene Position zu rechtfertigen, und Sie wissen nichts zu tun für den kleinen Landwirt in Sizilien, für die irische Textilarbeiterin in Cork und für den behinderten Jugendlichen in Liverpool oder hier in Dortmund. Viele Regionen und Bevölkerungsgruppen sowie die alternativen Energien und die menschenfreundlichen Technologien sind in Brüssel zu kurz gekommen, weil die Wettbewerbs- und Wachstumspolitik sehr phantasielos ist und den Menschen - und, Herr Kohl, die 270 Millionen Verbraucher, von denen Sie gesprochen haben, sind auch Menschen - keinen Vorrang gegeben hat.
Sollte diese Versammlung von Regierungschefs - manchmal habe ich das Gefühl, es sind Monarchen von Gottes Gnaden, nicht Gewählte von Bürgers Willen ({5})
nicht endlich klare Aussagen in bezug auf die Anerkennung der legitimen Rechte des palästinensischen Volkes machen und nicht nur immer von der „Not im Nahen Osten" sprechen, wie es ihre Deklaration wieder sehr seelenlos tut?
({6})
Immer Besorgnis über die Not ausdrücken kann nicht Politik bedeuten, Herr Genscher.
Sie sprechen auch feierlich vom direkt gewählten Europäischen Parlament, doch liegt bis heute kein einheitliches europäisches Wahlgesetz vor, das aktiven Minderheiten eine Chance bietet, dort mit vertreten zu sein. Sie reden von einer Angleichung bestimmter Bereiche der Gesetzgebung, doch haben weder die Christ- oder Sozialdemokraten noch die Liberalen etwas getan, um irgendeinen Grenzübergang, irgendein Zollformular überflüssig zu
machen. Sie haben hier in den letzten 25 Jahren nichts bewirkt.
({7})
Doch gerade die Menschen in den dezentralen Regionen Europas, die wie z. B. im Dreiländereck Wyhl, im alemannischen Raum am Kaiserstuhl, jeden Tag ein Stück Schicksalsgemeinschaft und europäische Identität leben und erfahren, erfuhren an den deutsch-französischen Grenzübergängen, daß sie während der gewaltfreien Demonstrationen gegen das Atomkraftwerk Wyhl gesperrt waren. Sie haben das vereinigte Europa der Innenminister, der Polizeikräfte und der Industrie- und Atomkraftlobbies erfahren,
({8})
doch es gibt in diesem Europa, in den dezentralen Regionen, bei den Grenzübergängen auch ein Menschenbeben, wie Robert Jungk erklärt hat.
Wenn Sie schon, Herr Bundeskanzler, vom gemeinsamen kulturellen Erbe der Väter - so ist das zumeist - sprechen, dann hoffe ich, daß Sie nicht das Subventionskarussel mit Überschüssen und deren Vernichtung meinen; denn es lebe das Europa von unten. Das Europa in Brüssel, kann ich Ihnen getrost sagen, ist tot.
({9})
Gerade in den Einzelbereichen in Brüssel, wo es einige lobenswerte Gedanken gibt, wie z. B. auf dem Gebiet der Gleichbehandlung, auf dem Gebiet der Mitbestimmung, auf dem Gebiet der Konsultations-
und Informationsrechte der Arbeitnehmer in multinationalen Konzernen - und in diesem Bereich gibt es sogar Gutes - oder auf dem Gebiet der Gesundheitspolitik in den Betrieben, kehrt man zurück zur Politik des untersten Nenners und der Mindestnormen und war nicht in der Lage, die Entscheidungsfähigkeit der EG irgendwo zu verbessern. Bis heute gibt es kein Mehrheitsvotum im Ministerrat. Und Herr Minister Zimmermann ergreift nicht die Initiative für bleifreies Benzin in Europa. Er wartet, bis es andere in Europa tun.
Wir haben wenig gemerkt von der sogenannten Verstärkung der Kontroll- und Entscheidungsfunktion der Organe in Brüssel. Wir wissen auch, daß nur Arbeitnehmer-, Arbeitgeber- und Bauernverbände konsultiert werden. In keiner EG-Institution werden Alternative-Energie-, Dritte-Welt-, Ökologie- oder Frauenbewegung angehört. Nirgendwo werden diese Bevölkerungsschichten konsultiert.
So halten wir wenig von Ihrem Transfer von Ressourcen in wenig wohlhabenden Regionen, wenn es heißt, Billiglohnländer wie das Mitgliedsland Irland oder Spanien und Portugal noch mehr auszubluten, als es schon vor dem EG-Beitritt der Fall war.
Wir halten wenig von der Gesamtstrategie der EG im Bereich der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und Inflation, wenn das ganze Konzept auf Mehrproduktion bis zur Selbstvernichtung beruht. Und wir halten wenig von den Maßnahmen in bezug auf die Aufspaltung der Welt in über- und in unterentwickelte Regionen.
In den Schlußfolgerungen des Europäischen Rates nehmen Sie auch Stellung zu Polen. Doch wie steht es, Herr Kohl, Herr Genscher, mit der weiteren Demokratisierung der betrieblichen Entscheidungsstrukturen hier in Europa, hier in der Bundesrepublik? Mit der Entwicklung von Großunternehmen über Grenzen hinaus werden nämlich die Rechte der Arbeitnehmer immer mehr eingeschränkt. - Dazu aber kein Wort.
Dann sprachen Sie zum Thema Umwelt. Da fiel Ihnen nur die Bekämpfung des Waldsterbens und der Umweltverschmutzung ein, aber kein Wort über die Umweltkriminalität der vereinigten Atom- und Chemiebetriebe in Europa.
Die sogenannte europäische Energiestrategie beruht weiterhin auf Drängen der Bundesregierung nicht auf Einsparung und nicht auf der Nutzung alternativer, weicher Energiequellen, sondern auf Urananreicherung, Ausbau der Schnellen Brüter, auf Atomspaltung und bald auch Atomfusion, auch ein europäisches Projekt. Wir sichern uns unser Uran durch Abkommen der EG mit Australien und beuten die Ureinwohner dort vor Ort aus. Und das nennen wir dann Stabilität in der Energieversorgung.
Ihre tiefe Sorge in bezug auf Mittelamerika können wir Ihnen nicht abnehmen, Herr Genscher, weil die Bundesregierung wie auch andere europäische Regierungen immer noch das Reagansche Hinterhofschema mit CIA-Politik und Militärberatern in Honduras unterstützen und damit am sozialen Elend und am Blutvergießen in Mittelamerika mitschuldig sind. ({10})
Auch hierzu kein Wort.
So ist die EG in ihrer jetzigen Situation, in ihrer jetzigen Struktur nicht in der Lage, aus der Ökologie-, Wirtschafts- und Sicherheitskrise herauszuführen. Ich glaube, das können nur die Menschen, die Einzelinitiativen an der Basis ergreifen, in dem Europa von unten.
({11})
Das Wort hat der Kollege Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen! Also, Frau Kelly, was Sie da eben für einen Rundumschlag gemacht haben - da wackelt man nur mit den Ohren. Ich glaube, man kann gar nicht im einzelnen darauf eingehen. Ich will versuchen, im Laufe meines Vortrags das eine oder andere dazu zu sagen. Sie haben keinen Ton dazu gesagt, was Sie eigentlich machen wollen. Sie haben nur gesagt: Alles furchtbar schlecht. Eine Miesmacherei vom Anfang bis zum Ende.
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es waren junge Leute meiner Generation, die Ende der 40er Jahre, Anfang der 50er Jahre an die Grenzen gezogen sind, um die Schlagbäume einzureißen.
Auch ich habe dazugehört. An der pfälzisch-lothringischen Grenze zwischen Pirmasens und Bitsch haben meine Freunde und ich die deutschfranzösische Grenze symbolisch beseitigt. Zugegeben, es waren auch abenteuerliche Motive dabei und ein Anflug von Revoluzzertum mit im Spiel. Entscheidend war aber, daß wir die Grenzen und die Kontrollen beseitigen wollten.
In den dazwischen liegenden 30 Jahren ist in Europa sehr viel geschehen. Wir sind sehr gut vorangekommen mit dem Werk der Einigung. Wir müssen dies nur sehen, und sehen können wir es nur, wenn wir es mit dem Zustand von vor 30 Jahren vergleichen.
Die Ergebnisse des Stuttgarter Gipfels mit den Ergebnissen des vorangehenden Gipfels zu vergleichen ist zwar legitim, aber man muß dann auch bereit sein, sich die richtige Brille aufzusetzen, Herr Hauff, und sich nicht etwa als Kurzsichtiger eine Fernbrille auf die Nase setzen oder das Fernglas umgekehrt halten, damit die Objekte möglichst klein erscheinen. Dann sehen Sie die Ergebnisse natürlich überhaupt nicht.
({1})
Wir Freien Demokraten brechen sicherlich nicht in Euphorie aus, und wir wollen das ganze Ergebnis von Stuttgart auch nicht zu hoch stellen. Aber ich will doch versuchen, objektiv zu sein und die Ergebnisse zu analysieren bzw. in den richtigen Rahmen zu stellen.
Ich komme noch einmal auf die Szene an der Grenze zurück, auf den Versuch, die Schlagbäume wegzureißen. Kürzlich haben einige Europaabgeordnete eine ähnliche Initiative versucht und eine ähnliche Aktion durchgeführt. Allerdings wurde diese Aktion sehr wenig beachtet - wahrscheinlich weil es auch nur sehr wenige Abgeordnete waren. Die liberalen Europaabgeordneten Bangemann und Jürgens haben vor einiger Zeit den Versuch unternommen, mit einem Auto und mit Waren über die europäischen Grenzen zu fahren. Sie haben dabei erlebt, daß es oft eine langwierige Prozedur ist. Es ist sicherlich ein Feld - das wollen wir ehrlich ansprechen -, auf dem noch einiges weggeräumt werden kann. Eines ist jedenfalls sicher: wir jungen Leute von damals hätten uns nicht zu erträumen gewagt, daß es schon nach 25 Jahren eine Europäische Gemeinschaft geben würde, der zehn Staaten angehören und die sich anschickt, zwei weitere Staaten aufzunehmen. Wir dachten damals eher an eine engere deutsch-französische Zusammenarbeit und an eine Union mit Frankreich und den Benelux-Staaten. Daß aber in weniger als einer Menschengeneration Irland mit Griechenland und Dänemark demnächst mit Spanien an einen Tisch gebracht werden könnten, dies haben wir uns nicht vorstellen können.
Jetzt muß den Miesmachern, die ich weiß nicht was für Erwartungen gehabt haben und die nun enttäuscht sein zu müssen glauben, einmal vor Augen geführt werden, welche Vorteile die Europäische Gemeinschaft heute schon für uns alle bringt, und zwar auch bevor die letzte Gipfelkonferenz als
Erfolg gefeiert oder als Mißerfolg dargestellt worden ist. Der Kanzler hat selber einige Dinge aufgezählt. Ich will es noch einmal zum Teil wiederholen: daß die Wirtschaftsgemeinschaft mit 272 Millionen Einwohnern - es sind Einwohner, Frau Kelly, es sind selbstverständlich auch Verbraucher, und es sind auch Menschen - vollkommen gleichrangig als politische Kraft neben den USA und neben der Sowjetunion steht, daß die EG das zweitgrößte Bruttosozialprodukt der Welt - nach den USA - erwirtschaftet und dies sogar unter Einbeziehung der relativ armen und von der Natur benachteiligten Gebiete in Irland und Süditalien, daß die EG der größte Handelspartner der Welt ist. Das Außenhandelsvolumen der EG ist sogar größer als das der UdSSR und der USA zusammen. Frau Kelly, die EG bringt die Hälfte der gesamten Entwicklungshilfe für die unterentwickelten Länder auf.
({2})
Der Handelsaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten - der Kanzler sagte es - hat sich seit der Unterzeichnung der Römischen Verträge um das 22fache erhöht. Jeder dritte Arbeitsplatz in der Bundesrepublik hängt mit der EG zusammen. Vor diesem Hintergrund muß man das Ergebnis von Stuttgart bewerten, und dann kann man dreierlei feststellen. Ich habe den Eindruck, daß Herr Hauff die Erklärung doch nicht genau genug und Sie, Frau Kelly, sie sowieso nicht gelesen haben.
({3})
Erstens. Der Gipfel hat eine Basis geschaffen, auf der man weiter aufbauen kann. Beharrlich weiterbauen können natürlich nur diejenigen, die auch die notwendige Geduld dazu aufbringen.
Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hauff?
Ja, bitte.
Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, welche Ankündigungen der Bundesaußenminister zu Beginn der deutschen Präsidentschaft in Straßburg gemacht hat? Haben Sie das Protokoll einmal gelesen? Und wären Sie bereit, zu akzeptieren, daß es ein legitimer Maßstab ist, jemanden daran zu messen, was er selber angekündigt hat?
({0})
Selbstverständlich, ich komme gleich darauf zurück.
Herr Kollege, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Kelly?
Ja, bitte.
Habe ich Sie gerade richtig verstanden, daß Sie meinten, ich hätte diese Deklaration nicht gelesen? Ich bitte Sie, das zurückzuneh924
men; denn ich habe sie sehr wohl und sehr gut gelesen.
({0})
Es tut mir furchtbar leid, aber was Sie hier gebracht haben, sah so aus, als ob Sie es nicht gelesen hätten.
({0})
Das Wort hat der Kollege Rumpf.
Ich lasse Zwischenfragen zu; Sie, Frau Kelly, machen es ja leider nicht!
({0})
- Aus Ihren Erläuterungen und aus dem, was Sie hier gesagt haben, habe ich annehmen müssen, daß Sie die Erklärung nicht gelesen haben.
({1})
Am schlimmsten sind die „Todvorhersager" der EG; aber die Europäische Gemeinschaft hat wieder einmal gezeigt, daß sie lebensfähig ist und gar nicht daran denkt, zu sterben.
Zum zweiten darf die Stuttgarter Erklärung auch aus einem anderen Grunde nicht unterschätzt werden. Sie hat Bereiche zur Gemeinschaftspolitik erklärt, die in den Römischen Verträgen bisher nicht vorgesehen waren, z. B. den Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik und der Kulturpolitik, um einmal zwei oder drei Bereiche herauszugreifen.
Zum dritten wurde die Stellung des Europäischen Parlaments gestärkt, indem die Deklaration ausdrücklich fordert, daß die Stellungnahme des Europäischen Parlaments vor Abschluß bedeutender internationaler Übereinkünfte durch die Gemeinschaft und vor dem Beitritt eines Staates zur EG eingeholt werden muß. Dies ist bedeutsam, dies muß herausgestellt werden. Es ist besonders bedeutsam für die bevorstehenden Verhandlungen mit den assoziierten Staaten der Dritten Welt, den sogenannten AKP-Staaten - Afrika, Karibik, Pazifik -, über das Lomé-III-Abkommen, das jetzt wieder neu aufgelegt wird. Es stärkt das Europäische Parlament bei den Verhandlungen über den Beitritt der iberischen Länder Spanien und Portugal.
Ich gebe zu, meine Damen und Herren, daß das Ungleichgewicht der europäischen Institutionen, nämlich Kommission, Ministerrat und Europäisches Parlament, trotz dieser Verbesserungen noch nicht beseitigt ist; aber man kann dennoch von einem Fortschritt sprechen. Die FDP begrüßt jedenfalls ausdrücklich den Verfassungsentwurf des Europäischen Parlaments, der bei den Europawahlen mit zur Abstimmung gestellt werden soll.
({2})
Die Regierungschefs haben nochmals feierlich die vom Europäischen Rat 1978 abgegebene Erklärung zur Demokratie bekräftigt. Dies sage ich denen, die hier so tun, als sei das gar nichts. Sie haben im Hinblick auf die Türkei, sie haben es im Hinblick auf die KSZE-Verhandlungen in Madrid, auf den Nahen Osten, auf die Lage im Libanon und auf die Lage in Mittelamerika ausdrücklich festgestellt, daß sie zur parlamentarischen Demokratie stehen und überall die Aufrechterhaltung der Menschenrechte verfolgen und dafür sorgen werden, daß sie durchgesetzt werden.
({3})
Sie sind ferner gegen jegliche Einmischung von außen eingetreten. Ich frage Sie, Herr Hauff: Kann man so etwas, wenn es in einer feierlichen Deklaration steht, nicht durchaus als positiv darstellen?
({4})
Diese Ergebnisse sind ein großes Verdienst der umsichtigen und entschlossenen deutschen Präsidentschaft des letzten halben Jahres gewesen
({5})
und vor allem das Verdienst der jahrelangen Vorarbeit des Bundesaußenministers Hans-Dietrich Genscher.
({6})
Die FDP-Fraktion spricht dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl und dem Bundesaußenminister ihren Dank dafür aus.
({7})
Ihnen ist es gelungen, eine Phase der Stagnation in der EG zu überwinden und einen wichtigen Schritt auf dem Wege zur Europäischen Union zurückzulegen. Ohne die maßgebliche Genscher-Colombo-Initiative wäre die auf dem Stuttgarter Gipfel unterzeichnete feierliche Erklärung überhaupt nicht zustandegekommen. Ich möchte es einmal so sagen: Gemessen an dem, was getan werden könnte, war Stuttgart sicher ein kleiner Schritt, aber gemessen an dem, was gemacht werden konnte, sind die Ergebnisse von Stuttgart sehr befriedigend.
({8})
Die Zeterei und die Schelte vor, während und nach Gipfelkonferenzen veranlassen mich denn doch, ein paar kritische Anmerkungen zu machen. - Herr Hauff, Sie haben an 1978 erinnert; Helmut Schmidt habe seinerzeit, wie Sie sagten, einen wesentlich größeren Anlauf gemacht. Ich muß Sie daran erinnern - das haben Sie nicht erwähnt -, daß 1978 der damalige Kanzler auch den NATO- Doppelbeschluß innerhalb der Europäischen Gemeinschaft vorbereitet hat, von dem Sie sich - so sieht es aus - ja doch so langsam davonstehlen wollen.
({9})
Genauso wollen Sie sich offensichtlich aus der gemeinsamen europäischen Politik davonstehlen. Es ist doch falsch, zu glauben, daß sich der Vorteil, den die einzelnen Mitglieder der EG aus der GeDr. Rumpf
meinschaft ziehen, am Umfang der Nettoerstattungen aus dem Haushalt messen läßt.
({10})
- Sie haben doch so gerechnet. - Wer so rechnet, hat doch eine Krämerseele.
({11})
Ich habe eingangs schon eine ganze Reihe nicht meßbarer Vorteile aufgezählt, aber für die Nettozahl-Fetischisten kann man ja auch einmal meßbare Vorteile aufzählen. Zunächst ist j a der EG-Haushalt mit einem Umfang von 57 Milliarden DM gar nicht größer als der Haushalt von Nordrhein-Westfalen. Die Kosten für die Agrarpolitik machen mit etwa 35 Milliarden DM - hier muß man sicher strukturelle Verbesserungen finden - nur 2 % der Ausgaben der Verbraucher in der EG für Lebensmittel aus.
({12})
Das sind 155 DM pro Bürger der Bundesrepublik. Ist das denn zuviel dafür, daß wir eine funktionierende Landwirtschaft haben?
({13})
Ich meine, diese Relationen werden nicht richtig gesehen.
Was heißt überhaupt Nettozahler? Die EG wird j a gar nicht aus nationalen Beiträgen finanziert. Vielmehr setzt sich der Haushalt der EG zu 50 % aus dem Anteil an der Mehrwertsteuer und zu weiteren 50% aus eigenen Einnahmen, wie Zöllen, zusammen. Diese Einnahmen fließen ihr ja direkt zu.
Ein Finanzausgleich zwischen den deutschen Bundesländern - der ehemalige Finanzminister Matthöfer lauscht - ist jedenfalls völlig unumstritten. Er wird begründet mit der Herstellung vergleichbarer Verhältnisse und Bedingungen in Deutschland. Nicht anders verhält es sich bei der EG. Wenn wir in Deutschland Milchüberschüsse produzieren, dann wird die Einlagerung durch die EG finanziert. - Herr Hauff, Sie spielen auf die „unheilige Allianz" von Großchemie und Großbauern an. Ich verstehe das wirklich nicht. Gehen Sie mit geschlossenen Augen durch Ihr Musterland Baden-Württemberg? Sehen Sie dort nicht die funktionierenden bäuerlichen Familienbetriebe, sehen Sie nicht, wie dort der Klatschmohn und die Kornblume in den Feldern steht?
({14}) - Familienbetriebe, ja, die sehen Sie doch!
({15})
- Sie tun doch so, als ob in der Europäischen Gemeinschaft nur eine unheilige Allianz zwischen Großchemie und Großbauerntum bestehe.
Wenn man so etwas darstellt, kann man durchaus auch einmal Verständnis für die englische Position aufbringen. Schließlich sehen die Engländer es ja so, daß sie für die aus dem Autarkiebestreben vergangener Jahre heraus gewachsenen Landwirtschaften in Frankreich und in Deutschland zu viele
Beiträge bezahlen, während sie selbst früher vom Commonwealth abhängig waren.
({16})
Aber Frau Thatcher ist ja auch bescheidener geworden. Sie erhält 1983 weniger Rückerstattungen als 1982 und 1982 weniger als 1981.
Darüber hinaus bedarf das Finanzpaket mit der Entlastung für Großbritannien der Zustimmung des Europäischen Parlaments. Das hat überhaupt noch niemand hier gesagt. Das ist übrigens eine weitere Aufwertung dieses Parlaments. Das Europäische Parlament wird diesem Finanzpaket aber nur unter zwei Bedingungen zustimmen: erstens, daß keine Barauszahlungen erfolgen, sondern daß das Geld nur über die Finanzierung von Gemeinschaftsprojekten fließt, und zweitens, daß eine grundlegende Finanzreform erfolgt.
({17})
- Herr Präsident, ich bin von meiner Fraktion unterrichtet, daß ich keine zeitliche Begrenzung für meine Rede habe.
Ist dies so? - Bitte schön. Ich bitte, fortzufahren.
Danke schön. - Es wäre noch etwas zu der Jammerei zu sagen, daß der EG-Gipfel keine Ergebnisse zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und zum Umweltschutz gebracht habe. Dies ist schlicht falsch.
({0})
Die zehn Regierungen waren sich nur darin einig, daß sozialistische Programme die Jugendarbeitslosigkeit nicht beseitigen können - und das mit Zustimmung der sozialdemokratisch regierten Länder.
({1})
Der Weg geht über die gemeinsame Finanz- und Zinspolitik, über die Förderung der mittelständischen Wirtschaft und über die Beseitigung von Handelshemmnissen.
Im Bereich des Umweltschutzes muß man doch wohl die Ergebnisse der Umweltministerkonferenz von Luxemburg, die vorher stattgefunden hat, mit im Kontext sehen. Es ist doch nicht möglich, zu beklagen, daß sich die Fachminister nicht einigen können und alles auf die Gipfelebene hochschieben, um dann der Gipfelkonferenz ein weiteres Erfolgserlebnis zukommen lassen. Wenn sich aber die Umweltminister vorher einigen, dann können sie nichts mehr auf den EG-Gipfel übertragen, dann ist auch das Erfolgserlebnis geringer, und dann beklagt man auch das. Also irgendwie widersprechen Sie sich sehr, die Sie das so darstellen.
({2})
Die. Umweltminister haben sich geeinigt, bis 1985 den Benzinbleigehalt auf 0,15 mg zu senken und gemeinsame Lösungen zur Verringerung der Luft926
schadstoffbelastung anzustreben. Auch das ist schon wieder ein Schritt nach vorn.
({3})
Ich muß dazu anmerken, daß für uns Liberale in ganz Europa die Europäisierung der Umweltpolitik ganz oben auf dem Programm bleibt. Vielleicht ist die gemeinsame Politik im Umweltbereich zur Bekämpfung der Luftschadstoffe die größte Herausforderung seit Bestehen der Europäischen Gemeinschaft, die den europäischen Partnern überhaupt bevorsteht. Es geht nicht nur um die Zerstörung der Wälder, die mir besonders am Herzen liegen, sondern es geht ja auch um die Zerstörung der hervorragenden europäischen Kulturdenkmäler, die durch die gleiche Schadstoffbelastung ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen werden.
Ich sagte vorhin: Seit 25 bis 30 Jahren hat sich in Europa viel verändert, mehr, als wir hoffen konnten. Trotzdem muß ich feststellen, daß es nicht gelungen ist, die Grenzen, die wir seinerzeit symbolisch einreißen wollten, ganz zu beseitigen. Doch möchte ich Ihnen zum Schluß sagen, daß wir Freien Demokraten selbstverständlich bereit sind, jede Initiative zum Abbau dieser Grenzen, vor allem für die Touristen und den Urlauberstrom, zu unterstützen. Erst wenn die Urlauber ganz frei durch Europa fahren können, stellt sich für Millionen europäischer Bürger das Gefühl ein, Europäer zu sein. - Vielen Dank.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach diesem Gipfelsturm von Herrn Dr. Rumpf muß ich sagen: Es ist von der FDP nichts mehr übriggeblieben als die Pünktchen.
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- Er hatte es ja selber so angelegt!
Ich halte nichts davon, wenn man sich beim Thema Europa auf der einen Seite in hohlen Worten und der hehren Europaphilosophie erschöpft oder sogar, wie die CDU in einer Pressemitteilung verlautbaren läßt, das „Wunder von Stuttgart" erfreut feiert. Ich halte im übrigen auch nichts davon, wenn man glaubt, die Europäische Gemeinschaft sei das personifizierte Böse in der Welt. Beide Punkte haben mit der Realität nicht viel zu tun. Ich denke, daß wir diese Europadebatte durchaus auch mal kritisch und bissig führen können. Aber wir müssen es auch ein bißchen mit Perspektive tun. Ich will versuchen, einen kleinen Beitrag dazu zu leisten.
Ich habe der Presse entnommen, wie das, was der Bundeskanzler an Leistungen vollbracht hat, allgemein bewertet wird. Wenn man daraus ein Fazit ziehen wollte, dann könnte man sagen: Der Herr Bundeskanzler hat sich nicht durchgesetzt, er hat sich durchgesessen, d. h. dem intellektuellen Stehvermögen seiner beiden Vorgänger hat er das Sitzvermögen entgegengesetzt. Ich kann dazu nur sagen: Herzlichen Glückwunsch, Herr Bundeskanzler. Wenn das der Erfolg war - den wollen wir Ihnen nicht mißgönnen.
War ein Scheitern dieses Gipfels möglich? Nun, wenn man unter einem Scheitern versteht, es wäre ein gesellschaftlicher Eklat gewesen, dann wäre ein Scheitern in der Tat möglich gewesen. Das ist vermieden worden. Daß ein Scheitern aber in dem Sinne möglich gewesen wäre, daß sich der Gipfel aufgelöst und die Europäische Gemeinschaft in Frage gestanden hätte, ist aus einem ganz schlichten und einsehbaren Grund nicht zu glauben. Alle Partner der Europäischen Gemeinschaft wissen, daß die Europäische Gemeinschaft mehr wert ist, als man ihr manchmal zurechnet, alle. Das sollten wir nicht vergessen.
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Meine Aufgabe ist es nun nicht - deshalb bitte ich um Entschuldigung, wenn ich nicht in der Philosophie weiterfahre -, zu beschreiben, was uns die Europäische Gemeinschaft im einzelnen gebracht hat. Ich will versuchen, ein bißchen zum Finanzrahmen der Europäischen Gemeinschaft zu sagen. Wenn man darüber redet, wieviel Geld für was bereitgestellt wird, ist es natürlich nötig, sich zumindest einige Gedanken darüber zu machen, was denn die Ursachen der Finanzklemmen und die Ursachen der Krisen, die ihnen zugrunde liegen, eigentlich sind. Das möchte ich nur in Stichworten tun, weil ich annehme, daß das nachher noch eine Rolle spielen kann.
Zunächst einmal: Wenn wir heute die Krise der Europäischen Gemeinschaft beschreiben und damit im wesentlichen auch Wirtschaftskrise meinen, dann bedürfte es doch zumindest einer kurzen Erläuterung der Bundesregierung, daß diese Krise im wesentlichen eine Überproduktionskrise oder eine Unterkonsumtionskrise ist. Das wäre das mindeste, was sie hätte sagen müssen, um daraus ableiten zu können, welche Finanzpolitik sie denn ansetzen will. Oder sie müßte sagen, daß wir Wachstumsprobleme haben, und zwar - darin besteht der Konflikt - gleichzeitig mit Produktivitätswachstumsraten. All das hat j a Folgen auf die Arbeitslosigkeit, all das hätte Konsequenzen, wenn man wirklich eine Strategie für Europa entwickeln will. Man müßte sich nämlich damit auseinandersetzen, was diese Wirtschaftskrisen sind, wie sie zu bekämpfen sind. Man müßte reden über gemeinsame Vereinbarungen, über Arbeitszeitverkürzungen, Arbeitsbeschaffungsprogramme und über ähnliches mehr. Aber all das, was zur Bewältigung solcher Krisen notwendig wäre, ist eben gerade nicht erfolgt. Statt dessen haben Sie sich zu zwei Dritteln der Zeit darüber unterhalten, wieviel Geld Frau Thatcher mit nach Hause nimmt.
Sie haben sich auch nicht über andere Gründe von Krisen unterhalten, die im Bereich Umwelt, Rohstoffe und Energie liegen. Das heißt, jede Strategie, die diese Krisen nicht analysiert und nicht versucht, auf dieser Analyse ein Finanzkonzept aufHoffmann ({2})
zubauen, muß scheitern. Das ist eine sehr simple Logik, aber, ich glaube, sie stimmt.
Sie haben auf alle diese Herausforderungen, auf alle diese Krisenerscheinungen eigentlich gar keine Antwort gefunden. Deshalb finde ich es in der Tat sehr bedauerlich - Kollege Hauff hat das schon angesprochen -, daß Sie praktisch nichts aussagen zur Frage der Jugendarbeitslosigkeit, zur Stahlkrise, zur Werftenkrise usw.
Ich möchte mich aber mit den Finanzmitteln etwas intensiver beschäftigen und dazu einige Daten aufzeigen. Die Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaft betragen im Jahre 1983 rund 52 Milliarden DM. Der Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaft - einschließlich des Nachtragshaushalts - füllt diesen Spielraum praktisch aus, so daß wir bei einer Steigerung der Agrarausgaben vom letzten auf das nächste Haushaltsjahr um 30 % eine völlige Dominanz der Agrarausgaben haben, die zur Zeit 36,6 Milliarden DM betragen. Das heißt, wir werden bereits in diesem Jahr an die Grenze der Finanzierbarkeit stoßen, und wir werden bereits im nächsten Jahr - wenn man sich die Zahlen ansieht - diese Grenze durchstoßen.
Das wird vielleicht mit folgenden Finanzdaten klar. Eigenmittel stehen im nächsten Jahr, wenn nichts anderes passiert, in Höhe von 57 Milliarden DM zur Verfügung. Die Planung der Kommission, was den Haushalt angeht, beträgt 56 Milliarden DM. Damit hätten wir noch einen Spielraum von 1 Milliarde DM. Aber die Rechnung ist falsch. Sie berücksichtigt nicht, was an Großbritannien zurückgezahlt wird; sie berücksichtigt nicht, was an Zusatzbedarf aus dem Agrarmarkt erwachsen wird. Alleine diesen Risiken können Sie entnehmen, daß wir bereits nächstes Jahr - wenn alles so läuft, wie es programmiert ist - den Finanzrahmen durchstoßen werden, und zwar in Höhe von etwa 8 Milliarden DM.
Daß diese Tendenzaussage richtig ist - ich streite mich nicht darum, ob das jetzt hinter oder vor dem Komma noch eine gewisse Veränderung erfährt -, hat unser Gespräch bewiesen, das wir als Unterausschuß „Europa" in der letzten Woche mit dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Herrn Tugendhat, führen konnten. Er hat uns bestätigt, daß die Finanzmittel in diesem Jahr ausgeschöpft werden und wir im nächsten Jahr ein Durchbrechen der Schallmauer haben werden.
Ein weiteres Finanzproblem. Wir wollen - ich nehme an, wir sind alle einig in diesem Hause - den schnellstmöglichen Beitritt von Spanien und Portugal. Das hat auch eine finanzielle Konsequenz. Wenn man den Beitritt finanzwirksam auf den 1. Januar 1985 terminieren würde, müßte man für das erste Jahr mit etwa 500 Millionen DM an zusätzlichen Ausgaben rechnen und für das zweite Jahr mit 1,2 Milliarden DM.
Das Fazit dieser wenigen Zahlen heißt, wir werden in Kürze eine völlige Blockierung der europäischen Finanzen erreichen. Eine völlige Blockierung! Dazu gibt es ein paar Lösungswege, über die man sich klar werden muß. Ich vermisse, daß weder der Bundeskanzler noch Kolleginnen oder Kollegen aus den Reihen der CDU/CSU oder FDP dazu etwas sagen. Ich vermisse, daß Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt werden, damit wir uns damit auseinandersetzen können.
Deshalb versuche ich einmal kurz aufzuzeigen, welche verschiedenen Lösungsmöglichkeiten es gibt und welche Probleme sich daraus entwickeln.
Erster Lösungsweg. Man könnte darüber reden, wie die Kommission vorgeschlagen hat, die 1 Mehrwertsteuer auf 1,4 % oder irgendeine andere Größe anzuheben. Die unmittelbare Finanzfolge wäre zuerst einmal, daß wir auf zwei Jahre wieder einen finanzierbaren EG-Haushalt hätten. Aber - und das ist ein ganz gravierender Punkt - wir hätten damit praktisch die Zementierung des Agrarsystems und des Agrarpreissystems mit allen Überschußzwängen, die sich daraus ergeben. Das heißt, die Vorstellung, ohne eine Korrektur des Agrarpreissystems auszukommen, die Vorstellung, ohne eine Revision der derzeitigen Finanzregeln die 1-%-Grenze anzuheben, kann nicht unsere Zustimmung finden. Ich denke, daß das Übereinstimmung im ganzen Hause finden sollte.
Das heißt ganz deutlich, wir müssen die 1-%- Grenze als Druckmittel ausnützen, damit wir nicht weiter in die permanente Überschußproduktion hineinschlittern und immer stärkere Überschußproduktion erhalten, als wir das jetzt schon haben.
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Der Haushaltsausschuß des Europäischen Parlaments hat festgestellt, daß er diese Logik exakt teilt. Er hat formuliert: Wer die 1%-Grenze, ohne diese entsprechenden systematischen Reformen aufhebt, der versteinert dieses Agrarsystem. Das können wir mit Sicherheit so nicht wollen.
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Meine Damen und Herren, die zweite Lösung, die sich offenbaren würde, ist sehr viel mühsamer, sie hat nicht soviel Charme. Aber ich glaube, sie ist eine sehr viel realistischere. Sie heißt: Wir müssen die Reform des Agrarpreissystems endlich anpakken. Dazu ist es aber notwendig, daß wir uns auseinandersetzen, wo die unterschiedlichen Agrarinteressen denn überhaupt herkommen. Man kann nicht den Franzosen einfach vorwerfen, sie würden das blockieren, wenn man nicht begriffen hat, daß es dort um Millionen Kleinbauern, um Millionen Landarbeiter geht, die möglicherweise, wenn man dieses System überkopf stülpt, die Arbeitslosenzahlen hochschnellen lassen. Das heißt, wir müssen uns damit auseinandersetzen, was wir in Zusammenarbeit mit den Franzosen erreichen können, daß sie dieses Problem lösen können. Umgekehrt sagen die Briten zu Recht, daß das, was das Agrarsystem für Großbritannien finanziell ausmacht, für sie eine unzumutbare Finanzbelastung insgesamt ist. Ich glaube, daß sie recht haben. Beide Seiten beschreiben damit ein systematisches Problem, das wir Deutschen meistens nicht so genau sehen.
Hoffmann ({5})
Um hier eine Lösung zu finden, ist es notwendig, diese Interessen darzustellen. Wenn wir jedoch an eine Korrektur des Agrarpreissystems heran wollen, stellt sich eine ganz andere Frage: Wer kontrolliert denn zur Zeit überhaupt die Preisbeschlüsse im Agrarbereich? Hat der Deutsche Bundestag ein Mitbestimmungsrecht bei der Kontrolle? Nein. Hat das Europäische Parlament eine Möglichkeit der Kontrolle? Nein. Hat die Kommission die Möglichkeit der Durchsetzung bei der Preisbildung im Agrarsektor? Nein. Das heißt, wir haben hier schlicht ein demokratisches Loch. Es gibt keine parlamentarische Kontrolle dieser Preisbeschlüsse. Und das muß doch Parlamentarier interessieren, gleichviel, in welcher Fraktion sie zu Hause sind.
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- Richtig. Der Ministerrat beschließt, und er ist praktisch national und europäisch nicht mehr kontrollierbar.
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Wenn es eine Strukturveränderung in Richtung auf Mitbestimmung oder auf Stärkung der parlamentarischen Rechte gibt - hier liegt ein Grund. Und da würde ich gerne hören, ob die Bundesregierung bereit ist, diesem Gedanken zu folgen.
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Er müßte auf jeden Fall heißen, daß wir uns national an der eigenen Nase packen und unseren jeweiligen Landwirtschaftsminister in den Griff bekommen mit seinen Verhandlungen.
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- Das ist manchmal sehr schwierig; das glaube ich schon.
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- Na gut, der mag seine Ecken und Kanten haben. Das ist auch in Ordnung.
Das heißt auf der anderen Seite, daß wir bereit sein müssen, dem Europäischen Parlament Kontroll- und Einflußmöglichkeiten zu geben, die über die einfache Äußerung von Meinungen hinausgehen. Das müssen wir durchsetzen. Dann würden wir, glaube ich, einen sehr guten Beitrag zur Einigung leisten.
Was das Agrarpreissystem im einzelnen angeht, bin ich jetzt nicht in der Versuchung, es hier darzustellen. Wir haben dazu eine Kommission gehabt, die sogannte Apel-Kommission. Diese hat sehr ausführliche Vorschläge unterbreitet. Ich erkläre hiermit, daß dies die große Linie unserer agrarpolitischen Reform-Vorstellungen ist. Wenn Sie dies noch nicht zur Kenntnis genommen haben, bitte ich Sie, es einmal zu tun. Vielleicht haben wir dann die Gelegenheit, konkret darüber zu sprechen.
Fazit dieser Punkte: Ich glaube, daß wir unsere eigene Tätigkeit gegenüber dem Landwirtschaftsminister sehr viel kritischer untersuchen müssen. Außerdem müssen wir dem Europäischen Parlament Kontrollrechte einräumen, die es in den Stand setzen, hier mitzuwirken.
Natürlich bedeutet eine Kontrolle der Ausgaben nicht, daß wir im Agrarsektor stehenbleiben. Jeder Haushaltsbereich - ich spreche hier auch als Haushälter -, auch die europäischen Haushaltsbereiche, muß durchforstet werden, muß durchkämmt werden daraufhin, ob es Überschneidungen gibt, ob es Fehlausgaben gibt. Aber dazu bedarf es auch einer Klärung. Erstens: Sind das Aufgaben, die die Europäische Gemeinschaft besser löst als die Nationalstaaten? Wenn j a, dann sollten wir sie dort belassen bzw. dorthin übertragen. Zweitens: Sind es Aufgaben, die national viel besser gelöst werden können als auf der europäischen Ebene? Wenn ja, dann gehören sie ins nationale Parlament. Oder sind es - drittens - Aufgaben, die diese beiden Ebenen miteinander verbinden, wo man eine Kooperation haben muß?
Erst wenn wir diese drei Kategorien aufschlüsseln können, können wir etwas über die Sinnhaftigkeit von Ausgaben sagen. Deshalb heißt das für mich: Bevor der Deckel der Mehrwertsteuer um 1 angehoben würde, müßten nicht nur die Agrarfragen geklärt sein, sondern müßte auch dieses Verfahren im Detail geklärt werden, damit wir nicht in eine Situation kommen, wo wir unkontrollierbare parallele Ausgabenbereiche haben.
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Damit bin ich gleichzeitig bei einem heiklen Thema, nämlich bei der Frage der Nettozahlerposition. Meine Damen und Herren, die Bundesrepublik zahlt in diesem Jahr netto etwa 7 Milliarden DM. Dem einen klingt das sehr hoch, dem anderen bescheiden. Ich will nur einmal eine Orientierungsgröße hinzufügen: Das entspricht etwa 70 % unserer Berlin-Förderungen. Ich klassifiziere das also weder nach oben noch nach unten. Ich sage das nur, damit man einmal die Relation begreift.
Großbritannien zahlt in diesem Jahr netto einen Betrag von, sagen wir, 2 Milliarden DM; den genauen Betrag werden wir noch erfahren, wenn es soweit ist. Die Aufteilung, daß allein Großbritannien und die Bundesrepublik Nettozahler sind, wird der Situation der Europäischen Gemeinschaft nicht gerecht, und zwar nicht etwa deshalb nicht, weil ich mich auf den Standpunkt stellte: „wir armen Nettozahler", sondern weil vergleichbar starke wirtschaftliche Regionen mit vergleichbarem Lebensstandardniveau vergleichbare Leistungen zur Europäischen Gemeinschaft beisteuern müssen. Das bedeutet: Solange die Bundesrepublik wirtschaftlich stärker ist als der Durchschnitt der Gemeinschaft, wird sie selbstverständlich die Aufgabe haben, zu helfen, und zwar nicht als Samariter, sondern im wohlverstandenen gemeinschaftlichen und eigenen Interesse. Das bedeutet für mich, daß wir in der ganzen Frage der Nettozahler zu einer Position finden müssen, wo die Niederländer, die Dänen, die Franzosen und die Deutschen, weil sie mit ihrem Einkommen und ihrem Bruttosozialprodukt über dem Schnitt der Gemeinschaft liegen, alle zusammen Nettozahler sind. Dann sind sie finanziell überhaupt erst in der Lage, die Probleme, von denen wir
Hoffmann ({12})
sprechen, gemeinsam zu bewältigen. Ich glaube, alles andere wäre nicht sachgemäß.
Meine Damen und Herren, dies bedeutet gleichzeitig, daß wir uns darüber unterhalten müssen - auch hier vermisse ich konkrete Vorschläge -, wie denn diese Aufteilung der europäischen Finanzen sein kann. Was soll denn nun Maßstab sein? Wollen wir an der Mehrwertsteuerbemessungsgrundlage festhalten? Damit meine ich nicht, ob der Anteil 1 oder etwas mehr betragen soll, sondern das System. Oder wollen wir ein gemischtes System haben, das genau diese verschiedenen Faktoren so zusammenführt, daß nicht Dänemark zum Nettoempfänger wird - ich greife das einmal als Beispiel heraus -, obwohl es von seinem Lebensstandard her im Vergleich beispielsweise zu Italien sehr gut dasteht.
Die Kommission hat dazu Vorschläge unterbreitet. Ich vermisse hier eine klare Position der Bundesregierung. Auch hier Fehlanzeige, meine Damen und Herren! Ich würde mir wünschen, daß wir nicht so sehr über die hehre Philosophie sprechen, sondern daß wir uns hier an den konkreten Maßstäben orientieren.
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Sie sollten hierher kommen und sagen: Nach unseren Vorstellungen müßten wir beim Europäischen Rat die und die Vorstellung einbringen. Dazu hatten Sie eine hervorragende Chance im letzten halben Jahr. Hier hätten Sie Impulse setzen können. Das ist aber nicht geschehen.
Wenn vorhin mit viel Getöse der hochverehrte Herr Kollege Lenz über Herrn Hauff hergefallen ist, dann hat er ihn grundsätzlich nicht verstanden. Herr Hauff hat nicht gesagt: Wir messen euch an unseren Idealen. Er hat vielmehr gesagt: Wir messen euch an dem, was ihr am 1. Januar 1983 gesagt habt. Wir messen euch an dem, was ihr zu Beginn der Präsidentschaft an hehren Vokabeln vor euch hergetragen habt.
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Dann sehen wir einmal, was herausgekommen ist. - Was herausgekommen ist, ist wirklich nur die vielzitierte, von Thorn ins Leben gerufene Dampfwalze: Es ist alles platt.
Meine Damen und Herren, zu den Methoden, wie man sich über die Finanzverteilung auseinandersetzt, möchte ich doch noch ein Wort sagen. Dazu möchte ich ein Zitat aus der „Süddeutschen Zeitung" von gestern bringen. Ich zitiere einen Absatz aus dieser Zeitung wörtlich:
Ein britischer Journalist hat aufgezeichnet, wie Frau Thatcher im kleinen Kreise ihren Triumph ausgekostet hat: „Das Angebot ging hoch auf 400 Millionen ECU, und daran blieben wir einige Zeit kleben. Dann schlug jemand 500 vor, als Ausgangslage, aber ich wußte, daß ich verloren war, wenn ich das annahm, daher sagte ich Nein. Wir stürmten weiter vorwärts, bis wir, nach einigem sehr schweren Feuer, schließlich bei 750 Millionen ECU standen. Und das bedeutet: 65,4 Prozent Rückzahlung über vier Jahre - nicht schlecht, was?"
Die „Stuttgarter Zeitung" fügt dann hinten an:
Das ist genau der Stil, in dem die Heimatfront ihren Oberbefehlshaber im Kampf mit den Europäern sehen will - Falklandkrieg vor dem Neuen Schloß in Stuttgart.
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Meine Damen und Herren, ich verkneife es mir, das weiter zu kommentieren.
(
Das ist so blödsinnig, daß man es nicht kommentieren kann!)
- Es ist ja selten, daß man einmal einen Zuruf von der Regierungsbank bekommt. Ich greife ihn natürlich dankbar auf. Das heißt also, daß Sie sagen wollen, Herr Abgeordneter Kohl,
({0})
daß diese Aussage von Frau Thatcher sicher zumindest nicht den diplomatischen Gepflogenheiten entspricht. Habe ich Sie so recht verstanden?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Kohl?
Gerne.
Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das von Ihnen eben Beschriebene in der Wirklichkeit des Stuttgarter Gipfels nicht stattfand und daß das, was in dieser Zeitung berichtet wird, von A bis Z blanker Unsinn ist?
Ich nehme das gerne zur Kenntnis, denn das freut mich. Ich finde, alle Vergleiche auf europäischer Ebene, die mit Falkland etwas zu tun haben, wären arg geschmacklos.
({0})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Bitte schön, Herr Sperling.
Herr Kollege Hoffmann, können Sie bestätigen, daß der Abgeordnete Kohl bei dem Gespräch von Frau Thatcher mit den Journalisten dabei war?
Er war sicher nicht dabei. Nun hatte ich den Herrn Bundeskanzler so verstanden, daß dies nicht die Verhandlungsposition während der offiziellen Beratungen gewesen sei und daß das, was hier zum Gegenstand eines Hintergrundgespräches gemacht worden ist, sicher seinen Erfahrungen so nicht entsprochen hat. Wir nehmen das zur Kenntnis.
Meine Damen und Herren, nun möchte ich, da ich nur noch eine kurze Redezeit habe, einen Punkt ansprechen, der mich selbst ein bißchen ärgert. Dieser Ärger richtet sich nicht gegen den Herrn Bun930
Hoffmann ({0})
deskanzler, gegen den Herrn Außenminister, gegen die CDU/CSU oder die FDP, sondern er richtet sich eigentlich, schön verteilt, auf alle möglichen Kollegen dieses Hauses und auch, wie ich hinzufügen muß, an eine Reihe von Journalisten. Wenn Sie gestatten, möchte ich auch einmal etwas in das Stammbuch hineinschreiben dürfen, wenn man schon die Möglichkeit hat, das von hier vorn zu tun. Viele der Debatten, die im Zusammenhang mit dem europäischen Gipfel geführt wurden, sind der Versuchung erlegen, daß man wieder einmal die von allen Seiten des Hauses und vielen Journalisten mitzuverantwortende Debatte über die Zahlmeister geführt hat. Ich halte das nicht nur für falsch. Es ist verdammt gefährlich, wenn wir glauben, wir könnten im nächsten Jahr eine Europa-Begeisterung aus dem Boden stampfen, heute aber das, was an Zahlungen notwendig ist, diffamieren. Deshalb sage ich noch einmal: Wenn wir über Finanzen in Europa sprechen, bedeutet das nicht, daß die Finanzen der ausschließliche Maßstab sind. Die Finanzen haben sich vielmehr den politischen Zielen der Gemeinschaft unterzuordnen. Diese politischen Ziele der Gemeinschaft sind ein großartiger historischer Versuch, nämlich der Versuch, erstmals friedlich Nationalstaaten, die lange gewachsen sind, in eine Gemeinschaft zusammenzuführen, die sich friedliche und demokratische Ziele setzt. Das darf nicht auf den Pfeffersäcken totgeritten werden. Deshalb sage ich: Es ist fatal - gleichviel, wer so argumentiert, gleichviel, welche Zeitung es schreibt oder welche Medien es transportieren -, wenn wir uns an diese Zahlmeister-Attitüde anhängen lassen.
({1})
Meine Damen und Herren, aber nicht nur die politische Überschrift zu diesem Titel hat etwas zu sagen. Selbst wenn man es wirtschaftlich betrachtet: Ich behaupte, daß wir, gemessen an dem, was wir in die Europäische Gemeinschaft einzahlen, einen vielfachen wirtschaftlichen Nutzen daraus ziehen. Deshalb ist es kleinkariert, zu glauben, wir könnten 7 Milliarden DM, die dort hineingegeben werden, gegen einen nicht richtig faßbaren Wirtschaftserfolg gegenrechnen. Ich behaupte, daß wir allein auf Grund unserer Überschüsse des Handels mit den anderen europäischen Gemeinschaftsstaaten gewaltige Vorteile haben. Wir sollten uns davor hüten, diese Diskussion zu strapazieren. Im übrigen glaube ich, daß da viel, viel Arroganz durchschimmert, wenn man das Gefühl des kräftigen Zahlers hat. Es gibt da Analogien zu anderen, die man als Schlechte oder Böse bezeichnet hat; ich will das hier nicht weiter vertiefen.
Meine Damen und Herren, wir werden in einem Jahr den Höhepunkt des Europawahlkampfes haben. Wir sollten bei allen Diskussionen, die wir darüber führen, nicht den Fehler machen, zu glauben, Europa sei der Grund allen Übels. Wir sollten auch nicht glauben, es könne sich in den hehren Formulierungen klassischer oder mitteleuropäischer Philosophie erschöpfen. Die Wahrheit ist nüchtern, aber trotzdem sehr bedeutend: Ich bin der festen Überzeugung, daß wir Stahlkrise, Werftenkrise, Arbeitslosigkeit, Textilprobleme usw. nicht national lösen werden, sondern wir müssen sie europäisch lösen. Das bedeutet: Solange wir widerstrebende, gegenläufige wirtschaftstheoretische Ansätze der europäischen Staaten haben, werden wir diesem Ziel nicht näherkommen. Daher mein Appell, darüber nachzudenken, daß es überhaupt nur mit einer gleichlaufenden Wirtschaftspolitik, Sozialpolitik und Finanzpolitik möglich ist, an diese Probleme heranzukommen. Wenn wir das als gemeinsame Position festhalten können, wären wir, denke ich, unserer Verantwortung als Parlamentarier gegenüber dieser Frage gerecht geworden.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Graf Huyn.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben aus den Reihen der SPD zwei Reden gehört. Man könnte meinen, das seien zwei Reden gewesen, die von völlig unterschiedlichen Standpunkten aus gehalten worden sind.
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Herr Hauff hat hier von einer mageren Bilanz gesprochen und dann noch Behauptungen aufgestellt, die nicht richtig sind,
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so z. B. die Behauptung, der Europäische Rat habe sich der Frage der Arbeitslosigkeit nicht angenommen. Sie haben j a gehört, was der Herr Bundeskanzler dazu gesagt hat, nämlich daß Entscheidungen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit - Stichwort: Sozialfonds - getroffen worden sind.
Herr Kollege Hoffmann, ich teile zwar der Substanz nach nicht alles, was Sie hier gesagt haben, aber ich muß Ihnen für Ihren konstruktiven Beitrag mit vielen Gedanken, die Sie hier gebracht haben, ausgesprochen danken.
({2})
Es wäre besser um Europa bestellt, wenn wir in mehr Fragen der auswärtigen Politik, insbesondere aber in der Europapolitik, gemeinsam darum ringen würden, vorwärtszukommen.
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Wenn wir nur Kritik, nur Mäkelei, nur Nörgelei hören - auch in einer Reihe von Presseerklärungen, meine sehr verehrten Damen und Herren -, dann kann ich - und da ist natürlich ein Unterschied - nur sagen: Natürlich, wir sind die allerersten, die bereit sind, zu sagen, es ist nicht genug, was erreicht worden ist; wir hätten sehr gerne viel mehr gesehen. Denn schließlich ist die Frage der europäischen Einigung von Anfang an der Königsgedanke der Union, das Leitmotiv der Politik Konrad Adenauers gewesen; das gilt auch für unsere Politik danach bis heute. Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ich bin sehr gern bereit, die Äußerungen des Unmuts darüber,
daß nicht genug erreicht worden ist, auch zu meinen eigenen zu machen. Nur, eines muß ich Ihnen sagen: Sie richten sich mit Ihrer Kritik an den falschen Adressaten. Denn angesichts des Zustandes, in dem sich Europa heute befindet, ist es eine ganz bedeutende Leistung des Bundeskanzlers Helmut Kohl gewesen, daß in Stuttgart einige Schritte - sicher nicht genug, aber entscheidende - in die richtige Richtung gemacht worden sind ({4})
und das trotz der schwierigen wirtschaftlichen Situation, in der sich alle Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft befinden.
Ich habe gesagt, diese Kritik hat sich an den falschen Adressaten gerichtet. Ich meine damit folgendes: Was ist denn in den 13 Jahren geschehen, in denen Sie von der SPD die Bundeskanzler gestellt haben? Wir haben zwar eine Erweiterung der Gemeinschaft, aber Sie haben doch versäumt, den Kern der Europäischen Gemeinschaft zu stärken. Dadurch sind die zentrifugalen Kräfte immer stärker geworden.
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Sie wollten - und das ist zumindest bei einigen von Ihnen der Fall - diese Stärkung Europas gar nicht.
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- Lieber Herr Matthöfer, ich werde Ihnen das gleich beweisen. In der ersten Sitzung des europäischen Gipfels - Herr Brandt war noch nicht lange Zeit Bundeskanzler -, auf dieser Konferenz der damals sechs Staats- und Regierungschefs in Den Haag am 2. Dezember 1969, hat Bundeskanzler Brandt erklärt, „daß unsere Gemeinschaft kein neuer Block, sondern eine exemplarische Ordnung sein soll, die als Bauelement einer ausgewogenen gesamteuropäischen Friedensordnung" eingefügt wird.
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- Nichts gegen die Substanz, aber es kommt auf die Nuancen an. Wir wollen diese Europäische Gemeinschaft mit einem Faktor der Stärkung, der Einigung, und nicht eben nur als ein Bauelement für eine gesamteuropäische Friedensordnung.
Herr Brandt hat das noch öfter wiederholt, aber Egon Bahr war es, der noch deutlicher geworden ist. Er hat in einem Interview im Deutschen Fernsehen am 4. Juni 1972 erklärt, daß er, vor die Wahl zwischen einem Europa der Vaterländer, der Nationalstaaten, und einem geeinten Westeuropa gestellt, sich selbstverständlich für das nationalstaatliche Europa entscheiden würde, weil das sonst die Ostpolitik behindern könnte.
Meine Damen und Herren, das war ja das Entscheidende. Sie haben in diesen letzten Jahren die Prioritäten der deutschen Politik umgekehrt.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Soell zulassen?
Bitte sehr.
Bitte.
Herr Kollege Huyn, wenn Sie Bundeskanzler Brandt aus dem Dezember 1969 zitieren, können Sie sich dann auch noch erinnern, daß gerade auf dieser Konferenz die jahrelange Blockade bei der Erweiterung der Gemeinschaft eben auch durch die Politik von Willy Brandt durchbrochen worden ist?
({0})
Herr Kollege, ich möchte Ihnen dazu einiges sagen. Wenn Sie meinen, daß hier die Blockade durchbrochen worden ist, so zweifle ich bei niemandem den guten Willen an, nur, es ist die Gewichtung der Politik, worum es mir geht. Ich möchte Sie fragen: Was ist denn, wenn gerade von 1969 und 1970 gesprochen wurde, aus dem Werner-Plan, genannt nach unserem Freund Pierre Werner, geworden? Es ging um die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion. Die sollte doch in zehn Jahren vollendet sein. Was ist denn aus dem Tindemans-Plan geworden, der 1976 als Bericht vorgelegt wurde und der nicht einmal ernsthaft diskutiert, geschweige denn befolgt worden ist? Wie lange hat es gedauert, bis wir von der CSU und von beiden Unionsparteien die Direktwahl zum Europäischen Parlament durchsetzen konnten?
Herr Abgeordneter, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Lahnstein?
Bitte nicht mehr, Frau Präsidentin. Meine Zeit ist leider sehr beschränkt. Sonst sehr gerne.
Ich meine, wir sollten hier natürlich nicht über die Vergangenheit richten, sondern sollten schauen, was wir gemeinsam für die Zukunft tun können. Wir wollen natürlich alle kein Europa der Bürokraten, kein Europa der Buchhalter. Wir haben die gemeinsamen Sorgen über wachsenden Protektionismus. Wir wollen den Abbau vertragswidriger Subventionen. Wir werden uns bemühen, unser Bestes für den Beitritt von Spanien und Portugal zu tun.
Aber, meine Damen und Herren, jetzt komme ich auf eine Frage, auf die gerade mein Vorredner eingegangen ist. Natürlich sehen auch wir die Schwierigkeiten auf dem europäischen Agrarmarkt. Die gemeinsame europäische Agrarpolitik ist aber nicht Sprengstoff, sondern sie muß eine Klammer der europäischen Einigungspolitik sein. Sie ist ein Teil des bis heute noch unvollendeten europäischen Einigungswerks, der eben vorab verwirklicht worden ist. Es ist ganz sicher nicht die Schuld der Bauern, daß der Agrarmarkt bisher alleingeblieben ist, daß andere Politiken ihm nicht gefolgt sind.
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Jedenfalls ist dieser Agrarmarkt ein Kernstück der Europapolitik geworden. Für eine Reihe von Partnern ist natürlich der Agarbereich von lebenswichtigem Interesse; andere müssen hier mehr Zugeständnisse machen und finden Ausgleich bei Industrie und Gewerbe.
Trotz dieser unauflösbaren Zusammenhänge sind Grenzen der Belastungsfähigkeit der Agrarpolitik sichtbar geworden. Der Europäische Rat hat dies erkannt. Er hat auch am vergangenen Wochenende die Bedeutung hervorgehoben, die eine Weiterentwicklung der gemeinsamen Agrarpolitik hat, hat jedoch gleichzeitig gefordert, diese Politik an die Situation, der sich die Gemeinschaft gegenübersieht, anzupassen. Jedermann weiß, daß auch im Agrarbereich Einsparungen unabweisbar sind. Gelingt es nicht, die Finanzen der Gemeinschaft zu konsolidieren, gerät der gemeinsame Agrarmarkt und damit die Integrationskraft der Gemeinschaft überhaupt in Gefahr.
Das Finanzdebakel kommt ja nicht von ungefähr. Es ist auch von Strukturschwächen der EG-Agrarpolitik mit verursacht. Zu wenig ist in der Vergangenheit auf vorgegebene örtliche Verhältnisse Rücksicht genommen worden. Die Mittel kamen in erster Linie den großen Betrieben zugute. Wir wollen keine Landwirtschaft, deren strukturell erzwungenes Ziel die industrielle Agrarproduktion ist.
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In erheblichem Maße sind es Großbetriebe, die die Produktion ausufern lassen und die Finanzierbarkeit des Agrarmarktes zunehmend gefährden. Damit bedrohen manche Großbetriebe auch die Existenz der bäuerlich betriebenen Landwirtschaft. Es ist aber eines unserer vorrangigen gesellschaftspolitischen Ziele, den bäuerlichen Familienbetrieb und damit eine breite Eigentumsstreuung zu erhalten. Daraus haben wir nie einen Hehl gemacht.
Wenn es etwa im Bereich der Milchwirtschaft Überproduktion gibt, so darf dieses Problem nicht - hier appelliere ich mit Nachdruck an die Bundesregierung - dadurch gelöst werden, daß mittelständische Landwirtschaftsbetriebe, die ihr eigenes Grünfutter produzieren, gefährdet werden. Vielmehr müssen überproduzierende Agrarfabriken, die mit importiertem Kraftfutter betrieben werden, eingedämmt werden.
1956 habe ich als Sekretär der deutschen Delegation die EWG-Vertragsverhandlungen in Val Duchesse mitgemacht, und ich weiß, daß der europäische Agrarmarkt von Anfang an auch als ein Teil europäischer Gesellschaftspolitik konzipiert worden ist. An den Grundprinzipien dieses Agrarmarktes und an den Marktordnungen müssen wir festhalten.
Lassen Sie mich noch ein Wort dazu sagen, daß Europa am Scheidewege zwischen Freihandelszone und Europäischer Union steht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind immer für das Ziel einer europäischen politischen Union eingetreten, und wir müssen wieder die Kräfte der einzelnen mobilisieren, auch den deutsch-französischen Vertrag, der weiterhin ein bewegendes Element der europäischen Einigungspolitik sein muß. Gewiß ist in der Deklaration zur Europäischen Union nicht so viel enthalten wie in dem ursprünglichen GenscherColombo-Plan, aber es ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten, so meine ich abschließend, eines nicht vergessen: Wir wollen mit diesem Europa nicht nur einen europäischen Partner innerhalb der Wertegemeinschaft der atlantischen Allianz schaffen, sondern auch ein Modell für die Versöhnung und Verständigung der europäischen Nachbarn untereinander und auch mit unseren Nachbarn im Osten.
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Gerade in diesen Tagen vernehmen wir mit tiefer Bewegung und innerer Anteilnahme, wie sich in unserem östlichen Nachbarland Papst Johannes Paul II. zum Sprecher der Sorgen und Hoffnungen des polnischen Volkes macht. Er erinnert daran, wie vor 300 Jahren Polen und Deutsche, Kaiser und Reich, Österreicher, Bayern und Lothringer gemeinsam zur Verteidigung Europas gegen die Gefahren vor den Toren Wiens gestanden sind. In Breslau und Annaberg spricht er in deutscher Sprache das Wort „Versöhnung" aus und fordert die Verständigung von Deutschen und Polen.
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Ich hoffe, im Namen aller in diesem Hause sprechen zu können, wenn ich sage, daß wir diesen Appell zur Verständigung und zur Versöhnung aufgreifen müssen. In der Tat endet ja Europa nicht am Eisernen Vorhang, nicht an Elbe und Werra, nicht am Böhmerwald und am Plattensee. Das ist nie unsere Meinung gewesen, und dies ist auch das Vermächtnis Konrad Adenauers aus seiner letzten großen Europarede im Ateneo in Madrid.
Die Europapolitik, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in Wirklichkeit eine neue Dimension der Politik. Der übersteigerte Nationalismus im 19. und 20. Jahrhundert, der soviel Leid über Europa gebracht hat, hat erst dazu geführt, daß man die Grenzen den vorgeblichen Interessen der Nationen angepaßt und dann, als dies nicht mehr ging, die Menschen verschoben und vertrieben und in neue, künstliche Grenzen gepreßt hat. Darum ist es ein besonderes Verdienst, daß gerade die Heimatvertriebenen in ihrer Charta 1950 zur Versöhnung und europäischen Einigung aufgerufen haben. Es darf nie mehr zu dieser Politik von gestern, zu dieser Politik des übersteigerten Nationalismus kommen.
Darum ist es kein Gegensatz, wenn wir einerseits fordern, die deutsche Frage, die Frage für Deutschland als Ganzes, offenzuhalten, aber andererseits sagen: Wir wollen für die Zukunft eine neue Dimension der Politik. Und dies eben ist die Politik der europäischen Einigung, eine Politik nicht der Verschiebung oder Festschreibung trennender Grenzen, sondern der politischen Abwertung der Grenzen bis zur Bedeutungslosigkeit.
Insofern, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist dieses Europa, das wir bauen, mit Freizügigkeit für Menschen, für Arbeitnehmer, für Unternehmer und freie Berufe, mit sozialer Sicherheit, mit gemeinsamen Grundrechten, mit einem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, ein Modell der Freiheit, das ausstrahlen kann auch für unsere Partner, gerade für unsere Partner im Osten.
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Das hat auch eine besondere Bedeutung für das deutsch-polnische Verhältnis. Es wird kein freies Polen in gesicherten Grenzen geben ohne ein in Freiheit geeintes Deutschland, und es wird keine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit geben ohne ein freies Polen. Dies muß das gemeinsame Ziel beider Völker in der Auseinandersetzung gegen Unterdrückung und Fremdbestimmung sein.
Wenn Selbstbestimmungsrecht gewährt und Menschenrechte garantiert sind, dann sind auch die wesentlichen Ursachen der Spannung beseitigt, so, wie dies der Papst in Tschenstochau gefordert hat. Vor allen Tagesproblemen von Marktordnungen und Finanzierungsbeiträgen dürfen wir dieses Ziel nicht aus den Augen verlieren. Wir müssen den langen Atem behalten, um das Ziel zu erreichen: ein Europa der Freiheit, das niemanden bedroht und das eine gesicherte Heimat für alle Menschen und Nationen unseres Kontinents sein kann.
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Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.
Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir alle sind uns der Schwierigkeiten bewußt, gerade in einer Zeit großer weltwirtschaftlicher Probleme, der Notwendigkeit, die nationalen Haushalte zu konsolidieren, die Arbeitslosigkeit zu überwinden, in Europa die erforderlichen Reformaufgaben zu verwirklichen. Wir werden es nicht schaffen, wenn wir zu Vertretern eines Europa-Pessimismus werden, wenn wir alles miesmachen, was erreicht wurde, und darüber vergessen, daß Europa in Wahrheit für uns alle einen großen wirtschaftlichen, aber vor allen Dingen politischen Fortschritt in diesem Teil unseres Kontinents gebracht hat. Deshalb wird sich die Bundesregierung nicht in die Reihe der Europa-Pessimisten einreihen, sondern sich das sichere Urteil dafür bewahren, was heute möglich ist und was erreicht werden kann.
Gemessen daran haben wir in Stuttgart die Fortschritte erzielt, die wir uns vorgenommen hatten, um zu strukturellen Reformen in der Europäischen Gemeinschaft zu kommen.
Ich muß dem Kollegen Graf Huyn zustimmen. Im Unterschied zu Herrn Kollegen Hauff, der seine Rede wirklich noch einmal nachlesen sollte, hat der Kollege Hoffmann, sicher nicht in allen Punkten unserer Auffassung zustimmend, auch nicht zustimmungsfähig, doch einen Beitrag zur Diskussion darüber geliefert, was wir als Bundesrepublik
Deutschland für die europäische Politik zu leisten haben.
Für uns ist und bleibt Europa der Ort unserer Zukunft. Und da ist dieses Europa die Gemeinschaft der europäischen Demokratien. Diese Wertvorstellung von Freiheit und Menschenrechten, von Demokratie und Selbstbestimmungsrecht ist es, die - im Gegensatz zu den Auffassungen der Frau Kollegin Kelly - die Europäische Gemeinschaft bereits heute zu einem geachteten, nachahmenswerten Modell des regionalen Zusammenschlusses in aller Welt hat werden lassen.
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Wenn das Wort „Der Prophet gilt nichts im eigenen Lande" auf die Leistungen einer zwischenstaatlichen Gemeinschaft übertragen werden kann, so ist wahr, daß das, was die Europäische Gemeinschaft heute darstellt, hier zu Hause bei uns, in Europa unterschätzt und manchmal draußen in der Welt überschätzt wird. Wir werden dafür Sorge zu tragen haben, daß sich daraus nicht Enttäuschungen ergeben.
Aber eines ist heute in der Dritten Welt bekannt: daß die Europäische Gemeinschaft die Gruppierung von Industriestaaten ist, die nicht nur die höchsten Leistungen für die Entwicklung der Dritten Welt erbringt, sondern die diese Leistungen auch ohne jeden Anspruch auf Einflußnahme in die inneren Verhältnisse der Staaten der Dritten Welt erbringt.
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Deshalb sind wir ein so gesuchter Partner, und deshalb werden die Lomé-Konventionen als ein vorbildliches Werk der Zusammenarbeit von Industriestaaten und Staaten der Dritten Welt empfunden. Das lassen wir hier auch nicht miesmachen.
Ich empfehle Ihnen, einmal mit Menschen in Südafrika zu sprechen, ich meine, mit schwarzen Bürgern dieses Staates, was die Ihnen über die Arbeitsbedingungen gerade in den deutschen Unternehmen sagen. Wenn es gelungen ist, kleine, schmale Pfade gegen den Rassismus durchzukämpfen, ein Stück Gleichberechtigung, auch gleiche soziale Lebensbedingungen zu schaffen, dann ist es in den deutschen Unternehmen möglich gewesen, die dort investieren. Wenn wir uns daraus zurückzögen, würde es zuerst die schwarze Bevölkerung Südafrikas treffen und schon gar nicht diejenigen, die wir gemeinsam zu Recht kritisieren.
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Deshalb hat unsere Zusammenarbeit auch auf diesem Gebiet das Ziel, unsere Vorstellungen von Menschenwürde und Menschenrechten durchzusetzen.
Die Aufgabe dieses Europäischen Rates in Stuttgart bestand darin, einen Problemstau in der Europäischen Gemeinschaft zu überwinden. Es war notwendig, die künftige Finanzierung der Europäischen Gemeinschaft sicherzustellen. Es ist notwendig, sich darüber zu verständigen, daß wir neue Gemeinschaftspolitiken entwickeln, daß wir die Probleme lösen, die mit der Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft zusammenhängen, daß wir
Entlastungen für diejenigen bringen, die überproportionale Leistungen erbringen, und daß wir vor allem den Grundsatz der strengen Haushaltsdisziplin durchsetzen.
Wenn Sie meinen, Herr Kollege Hauff, da sei ein Korb gepackt worden, da habe man die Probleme hineingegeben und weitergereicht, so unterscheidet sich diese Beurteilung wirklich von der Beurteilung aller derjenigen, die sich sachkundig über dieses Thema geäußert haben. In Wahrheit ist es gelungen, durch Schnüren eines Paketes zu erreichen, daß alle Beteiligten daran interessiert sind, daß dieses Paket im Dezember in Athen erfolgreich verabschiedet werden kann.
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Wir wissen doch, daß hier unterschiedliche Interessen einander gegenüberstehen, daß unsere südlichen Partnerstaaten zusätzliche Probleme für ihre Landwirtschft durch den Beitritt Spaniens und Portugals befürchten. Wir wissen, daß andere Länder erwarten, daß die Beiträge zur Europäischen Gemeinschaft erhöht werden, und daß wir daran interessiert sind, daß die Mittel effektiver eingesetzt werden können. Das mußte man bündeln, damit nicht einander gegenüberstehende Forderungen sich gegenseitig blockieren, sondern damit wir eine Lage erreichen, in der alle gemeinsam daran interessiert sind, daß durch Bereitschaft zum Kompromiß diese Probleme überwunden werden können.
Daran kann kein Zweifel bestehen: wir wollen die Süderweiterung, wir wollen Spanien und Portugal als Mitgliedstaaten in der Europäischen Gemeinschaft. Die Tatsache, daß die Zuleitung der Ratifikationsgesetze über den Beitritt dieser Länder mit den Gesetzen verbunden worden ist, die zur Lösung der Finanzfragen notwendig sind, gibt unseren Partnern, den künftigen Partnern in Spanien und in Portugal die Sicherheit, daß ihre Mitgliedschaft nicht auf die lange Bank geschoben werden kann. Wir wiederum gewinnen die Sicherheit dafür, daß vor dem Beitritt die erforderlichen Sparmaßnahmen durchgeführt werden.
Da ist es schon Mode geworden, daß als Hauptspartopf der Europäischen Gemeinschaft die gemeinsame Agrarpolitik genannt wird. In der Tat, hier muß der Hebel zum Sparen angesetzt werden. Da hat man nicht nur gesagt: Wir wollen sparen, sondern da sind für die gemeinsame Agrarpolitik eine Reihe von Leitlinien genannt worden, nach denen Sparmaßnahmen geprüft werden sollen, so daß jetzt die zuständigen Minister in den kommenden Monaten entlang dieser Linien das gewünschte Ergebnis erreichen können. Nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, tun wir nicht so, als sei heute die Agrarpolitik durch Verschwendung, durch sinnlose Ausgaben ausgezeichnet und als müßte sozusagen die Verschwendungssucht der Landwirtschaftsminister bei der Erhöhung der Preise auf dem Agrarmarkt kontrolliert werden!
Ich stelle mich voll Ihrer Auffassung, Herr Kollege Hoffmann: Die parlamentarische Kontrolle in Europa läßt erheblich zu wünschen übrig, weil eine Reihe von Entscheidungen hier durch die nationalen Parlamente nicht mehr voll kontrolliert werden können, weil wir im Ministerrat Kompromisse mit anderen schließen müssen.
Das Europäische Parlament hat noch nicht die ausreichenden Kontrollfunktionen. Das kann keinen Parlamentarier befriedigen. Nur appellieren Sie bitte nicht an die Bundesregierung, daß sie bereit sein soll, dem Europäischen Parlament mehr Kompetenzen zu geben! Wir sind dazu bereit. Wenn es hier ein Gebiet gibt, wo Sie missionarisch tätig sein können, dann sind das vor allen Dingen Parteien der Sozialistischen Internationale, die dort, wo sie Einfluß auf die Regierungspolitik haben, einen höchst retardierenden Standpunkt einnehmen.
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Wenn wir über die Preispolitik reden, so darf ich in Erinnerung rufen, daß jedenfalls die Preisentscheidungen, die wir gerade in diesem Jahr wieder erlebt haben, alles andere als maßlose Preiserhöhungen waren. Sehen Sie sich einmal an, mit welchem Ergebnis in einer gemeinsamen Verantwortung auch für die Entwicklung der europäischen Kosten der Herr Kollege Kiechle zurückgekommen ist! Nein, meine Damen und Herren, diese europäische Agrarpolitik ist nicht nur der Teil, wo eine gemeinsame europäische Politik schon entwickelt ist, sie ist auch - das ist mit Recht festgestellt worden - für Frankreich eine Geschäftsgrundlage dieser Europäischen Gemeinschaft. Aber als man damals bei der Gründung der Gemeinschaft angenommen hat, von dem handelspolitischen Teil, dem industriellen Teil würden wir allein und die Franzosen würden ganz überwiegend von der Agrarpolitik profitieren, hat man nicht richtig eingeschätzt, daß heute auch die Bundesrepublik Deutschland ihren gehörigen Vorteil aus der europäischen gemeinsamen Agrarpolitik zieht.
Dieser Vorteil ist ein Beitrag zur sozialen Stabilität in den ländlichen Räumen geworden. Das ist mehr als nur Stabilität für die bäuerlichen Familienbetriebe. Sehen Sie sich einmal die Vielzahl selbständiger gewerblicher Existenzen im ländlichen Raum an, die davon abhängig sind, daß wir leistungsfähige bäuerliche Familienbetriebe haben!
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Es ist eine wesentliche Aufgabe, die jetzt gestellt ist, sich auf diesen bäuerlichen Familienbetrieb zu konzentrieren. Deshalb hat die Bundesregierung Wert darauf gelegt, daß in den Beschluß des Europäischen Rates aufgenommen worden ist, daß die Größe der Betriebe, die Unternehmensart und -größe, die besondere Lage der verschiedenen Gruppen von Landwirten mit berücksichtigt werden sollen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte schön, Herr Kollege.
Herr Bundesminister, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß sich die Agrarordnungen, die in einer Mangelgesellschaft entstanOostergetelo
den sind, heute gegenteilig auswirken und daß die Preispolitik, die soeben von einem Kollegen der Union der bisherigen Regierung angelastet worden ist, am Ende auch ursächlich damit zu tun hat, daß die Überproduktion ins Unendliche gesteigert wird? Was wollen Sie eigentlich tun - Sie reden von einer leistungsfähigen Landwirtschaft -, damit nicht ein Viertel aller bäuerlichen Existenzen unter Sozialhilfeniveau leben muß?
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf zunächst meinen Gedankengang ausführen. - Wir wollen erreichen, daß die zur Förderung zur Verfügung stehenden Mittel vornehmlich auf die bäuerlichen Familienbetriebe konzentriert werden können. Niemand kann ein Interesse daran haben, daß wir unter diesem Gesichtspunkt Agrarfabriken fördern, bei denen ganz andere als die gesellschaftspolitischen Anliegen, die wir haben, verwirklicht werden.
Ich warne davor, in der Preispolitik das eigentliche Problem zu sehen. Herr Kollege, in Wahrheit liegt in der Mengenpolitik, in der unbegrenzten Mengenförderung ein zentrales Problem. Dem werden wir jetzt uns an Hand der Leitlinien widmen, was ja durchaus hätte anerkannt werden können. Da wissen Sie genauso gut wie ich, daß wir uns in den letzten Monaten - wie auch schon die frühere Regierung - bemüht haben, hier schon Fortschritte zu erzielen. Aber Sie wissen doch auch, daß diese Probleme nicht mit dem 1. Oktober 1982 begonnen haben;
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sie sind schon lange vorhanden, weil man eben die Zustimmung aller anderen Partner in der Europäischen Gemeinschaft braucht. - Herr Kollege Hauff, tun Sie doch in Ihrer Rede nicht so, als sei der Bundeskanzler ohne Konzept, ohne nachzudenken, ohne etwas zusammenzubringen, nach Stuttgart gefahren, obwohl Sie wissen, daß nur das, was neun andere mit akzeptieren, Wirklichkeit auf einem solchen Gipfel werden kann.
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Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hauff?
Selbstverständlich.
Herr Kollege Genscher, war Ihnen bei der Formulierung Ihrer Ankündigung im Januar im Europäischen Parlament in Straßburg all das bekannt, was Sie heute hier vorgetragen haben?
Herr Kollege, wir haben die Ziele, die unsere Ziele sein müssen, im Europäischen Parlament angekündigt. Dem fühlen wir uns verpflichtet; dem fühlen wir uns auch über den 30. Juni hinaus verpflichtet. Was wäre das für eine deutsche Präsidentschaft, wenn sie das mindestens Erreichbare als ihr Ziel betrachtet? Sie muß das sagen, was wir wollen. Dann muß sie dafür soviel Unterstützung wie möglich gewinnen.
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Damit hier nicht ein falsches Bild in der Öffentlichkeit über die Ausgaben für die Agrarpolitik entsteht, muß ich noch einmal darauf hinweisen, daß unsere Agrarpolitik auch ein Beitrag dazu ist, daß in diesem Lande sorgsam und behutsam mit der Landschaft umgegangen wird. Ein kluger Mann hat einmal ausgerechnet, wie hoch der Bundeshaushalt belastet werden würde, wenn anstelle der deutschen Bauern staatlich besoldete Landschaftspfleger bezahlt werden müßten, um dasselbe Ergebnis herbeizuführen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit wird deutlich, was hier gesellschaftspolitisch, aber auch umweltpolitisch erreicht ist.
Wenn wir das vor Augen haben, dann werden wir eine nüchterne Einstellung zu dem bekommen, was notwendig und richtig ist, um eine von uns allen nicht gewünschte, von uns allen abgelehnte Oberproduktion zu vermeiden, die ja nicht in unserem Interesse liegen kann und die am Ende auch nicht im Interesse der anderen Staaten der Europäischen Gemeinschaft liegt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Linde?
Herr Kollege, ich habe jetzt zwei Zwischenfragen beantwortet; ich liege also weit über dem Durchschnitt der anderen Redner.
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- Was das angeht, meine ich.
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Ich bitte um Nachsicht, da ich meinen Gedankengang jetzt zu Ende führen möchte.
Wir haben uns in Stuttgart aber auch verpflichtet, die anderen Politiken einer Überprüfung hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und Effektivität zu unterziehen. Da muß man doch ernsthaft fragen, ob die Mittel im Regionalfonds wirklich effektiv eingesetzt werden, ob sich dort nicht längst auch das regionale Gießkannenprinzip durchgesetzt hat, ob wir nicht wieder stärker auf die wirklich förderungswürdigen Regionen konzentrieren müssen.
Weil Europa nicht stillstehen darf, hat die Bundesregierung durch ihre Bereitschaft, an einer Erhöhung der Eigenmittel unter der Voraussetzung mitzuwirken, daß die notwendigen Sparmaßnahmen durchgesetzt werden, den Weg für die Entwicklung neuer Politiken freigemacht. Neue Politiken sind notwendig, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Es heißt hier:
Auf der Grundlage entsprechender Kommissionsvorschläge werden neue Gemeinschaftsaktionen beschlossen, insbesondere um die Dimension der Gemeinschaft zur Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu sichern. Der Europäische Rat ist entschlossen, die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Forschung, der Innovation, der neuen Technologien im Hinblick auf eine Zusammenarbeit zwischen Unternehmen weiterzuentwickeln und effizienter zu gestalten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Sozialdemokratische Partei hat heute durch ihre Redner beklagt, es sei zur Arbeitsbeschaffung und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nichts geschehen. Der Bundeskanzler hat sich in der Regierungserklärung zum Einsatz und zur Konzentrierung der Mittel auf die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit geäußert. Aber wenn Sie unter Programmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit neue Ausgabenprogramme der Europäischen Gemeinschaft verstehen, dann sage ich Ihnen: Die besten Ausgabenprogramme, so hoch sie sein mögen - wie sie bezahlt werden, ist dann offensichtlich die zweite Frage -, werden nicht das bewirken, was die Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft am Weltmarkt bewirken wird. Darum geht es.
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Und darum müssen wir uns darauf konzentrieren, daß nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland alles getan wird, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu sichern und auszubauen, sondern daß wir auch durch gemeinschaftliche Aktionen in der Europäischen Gemeinschaft die Anstrengungen unternehmen, damit dieser große Wirtschaftsraum seine Wettbewerbsfähigkeit bewahrt und dort, wo er sie leider verloren hat, zurückgewinnt. Da gibt es keinen Zweifel, daß wir in wichtigen Bereichen der Spitzentechnologien hinter Japan und hinter die Vereinigten Staaten von Amerika zurückgefallen sind und daß neue Industrieländer auch in der Dritten Welt entstehen, die noch aus anderen Gründen konkurrenzfähiger sind. Die Sicherung und der Ausbau der Konkurrenzfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften sind ganz entscheidend und sind die Voraussetzung, um die Probleme der Arbeitslosigkeit überwinden zu können.
Daß wir uns darauf konzentriert haben, daß wir dafür neue Programme, neue Instrumente, neue Aktionen in Aussicht nehmen, ist ein wesentlicher Beitrag zur Überwindung der Beschäftigungsprobleme. Und da hat der Europäische Rat der Versuchung widerstanden, Versprechungen über den Erfolg und den zeitlichen Ablauf dieser Aktionen zu machen. Aber er hat die Weichen in die richtige Richtung gestellt.
So ist dieses Paket von Stuttgart ein kurzfristiger Auftrag, ein Auftrag, der bis zum 6. Dezember zu erledigen ist. Deshalb haben wir auch beschlossen, daß Sondersitzungen und Sonderräte der Außenminister und der Finanzminister unter Teilnahme der zuständigen Ressortminister stattfinden, damit in der Zeit der griechischen Präsidentschaft dieses Ergebnis erreicht werden kann. Und da hat niemand in Griechenland das Gefühl, daß ihm eine Aufgabe abgewälzt worden ist, aber hat jeder in Griechenland das Gefühl, wie groß die Verantwortung für dieses Ergebnis und für diesen Erfolg ist.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es mußte auch in Stuttgart über die Frage der britischen Entlastung - das ist j a hier angeschnitten worden - gesprochen werden. Diese Entlastung ist geringer als in den vergangenen Jahren.
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Sie ist degressiv, verglichen mit den Zahlungen der letzten Jahre. Das ist auch notwendig und richtig.
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Natürlich haben wir auch Wert darauf gelegt, daß die deutsche Beteiligung an der britischen Entlastung nicht zu groß gerät.
Dabei hat das Europäische Parlament keinen Zweifel daran gelassen, daß es über alles gemeinsam entscheiden wird.
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Das ist eine wichtige Entscheidung. Wir haben alle Probleme miteinander verknüpft. Daß die Zahl genannt wurde, war eine Verpflichtung, die der Europäische Rat in Brüssel ausgesprochen hatte, nämlich daß in dem Budgetentwurf für das nächste Jahr der Betrag eingesetzt wird. Das ist geschehen. Nun müssen wir sehen, daß wir alles bis zum 6. Dezember zusammenknüpfen können, damit diese Ergebnisse erzielt werden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind aus Stuttgart in der Überzeugung weggegangen, daß trotz aller natürlich noch vorhandenen Gegensätze - die werden in den Beratungen der Ministerräte auszutragen sein - alle unsere Partner sich bewußt sind, daß in den kommenden sechs Monaten nicht nur über Einzelfragen der europäischen Politik entschieden wird, sondern daß wir in Wahrheit über die Zukunft der Europäischen Gemeinschaft entscheiden.
Der Kollege Hoffmann hat hier gesagt: Na ja, es hat j a niemand damit gerechnet, daß die Europäische Gemeinschaft in Stuttgart auseinanderfällt. - Ganz sicher nicht. Auch ein Scheitern des Gipfels hätte nicht sofort die Auflösung der Gemeinschaft zur Folge gehabt. Aber ein Scheitern dieses Gipfels in Stuttgart hätte Stagnation bedeutet. Dort, wo dynamische Entwicklung geboten ist, ist Stagnation aber immer der Beginn eines Auflösungsprozesses. Das galt es in Stuttgart zu vermeiden. Das ist vermieden worden.
Dann haben wir versucht, mit der Feierlichen Deklaration auch eine Zielvorstellung für Europa zu entwickeln: für die Stärkung der Handlungsfähigkeit der Gemeinschaftsorgane, für neue Dimensionen unserer Politik, für die Kulturpolitik, für den Bereich der Rechtspolitik und in der Tat auch für
den Bereich der Sicherheitspolitik. Ich muß sagen, ich habe mit großem Erstaunen davon Kenntnis genommen, daß ausgerechnet Frau Kollegin Kelly kritisiert hat, daß die Sicherheitspolitik in die europäische Zusammenarbeit einbezogen werden soll. Einer der Hauptangriffe der GRÜNEN gegen die Politik der Bundesregierung geht doch dahin, sie sei zu wenig europäisch und zu stark amerikanisch orientiert. Nun sorgen Sie doch einmal dafür, daß Sie mit uns die europäischen Sicherheitsinteressen definieren, damit wir sie stärker zur Geltung bringen können.
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- Ich würde gern auf Ihren Zwischenruf antworten, wenn Sie ihn verständlich vorbrächten.
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- Ich sage Ihnen eines: Nichts ist für die Durchführung einer Friedenspolitik eine bessere Garantie als ein demokratisches Europa. Das ist das europäische Wunder nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Ich habe Ihnen neulich in der Debatte über die NATO-Außenministerkonferenz gesagt, welche Vorleistungen an Sicherheit, Durchschaubarkeit, Überprüfbarkeit, Berechenbarkeit unsere offenen demokratischen Systeme erbringen. Das ist praktische Friedenspolitik, die mehr zählt als Deklamationen und Geheimhalterei über Rüstungspläne.
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Deshalb sind wir davon überzeugt, daß die Europäische Union unser Ziel bleiben muß und daß in dieser Europäischen Union das Europäische Parlament eine feste Stellung mit größerem Einfluß haben muß. Ich glaube, für uns alle besteht die Aufgabe darin, in unseren Parteifamilien in den anderen europäischen Staaten dafür zu werben, daß sich unsere Auffassung, das Europäische Parlament müsse größere Kompetenzen haben, am Ende auch tatsächlich durchsetzt; denn sonst könnte in Europa Resignation einziehen.
In dem Zusammenhang ist mit Recht auf das Wahljahr 1984 hingewiesen worden. Deshalb glauben wir, daß sowohl die Verabschiedung der Feierlichen Erklärung wie auch die substantiellen Ergebnisse des Europäischen Rates in Stuttgart und das, was wir vom Europäischen Rat in Athen erwarten, Beiträge sein können, um das Vertrauen in Europa neu zu beleben. Wir werden die Aufgaben, die dieses Europa uns stellt, nicht meistern, wenn wir mit Begriffen wie Zahlmeister - der wir nicht sein wollen - hantieren.
Ich habe eben etwas über unseren Nutzen der europäischen Agrarpolitik gesagt. Der Bundeskanzler hat heute in seiner Regierungserklärung auf die wirtschaftlichen Vorteile hingewiesen, die wir als ein exportabhängiges Land haben, das einen wesentlichen Teil seiner Produktion in die Europäische Gemeinschaft exportiert. Am Schluß seiner Regierungserklärung hat der Bundeskanzler dann noch einmal festgeschrieben, daß für uns die Wahrnehmung deutscher Interessen immer europäische Friedenspolitik bedeute. Wer es mit der Wahrnehmung deutscher Interessen ernst meint, wer Deutschlandpolitik als das begreift, was in einem geteilten Europa, in einem geteilten Land unsere vornehmste Aufgabe sein muß, der muß wissen, daß wir letztlich aus nationalen Interessen heraus von einem funktionsfähigen, handlungsfähigen Europa die größten Vorteile haben werden. Das ist nicht der einzige Grund, warum wir gute Europäer sind. Wir haben unsere geschichtliche Lektion gelernt.
Aber Europa zu stärken, Europa auszubauen, ist in unserem Verständnis, ist im Verständnis der Bundesregierung kein Geschenk an andere. Europa zu stärken, Europa auszubauen, bedeutet für uns: investieren in eine freie und friedliche Zukunft unseres Volkes.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Vollmer.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bauern Europas hatten keinen Grund zu zittern, als der Stuttgarter Gipfel zu scheitern drohte. Die Bauern Europas hatten niemals Grund, über die Existenz der Europäischen Gemeinschaft zu jubeln. Entgegen den landläufigen Meinungen sind die europäischen Bauern nicht die Gewinner des Gemeinsamen Marktes, sondern sie gehören zu den Verlierern - wie Millionen von Arbeitern. Ich denke, in dieser Debatte ist eine Aufklärung über diesen Sachverhalt dringend geboten.
Die europäische Einigung, wie sie besteht, die im Kern weder eine politische noch eine friedliche Einigung der Menschen Europas war, ist nichts anderes als ein wirtschaftlicher Zweckverband. Der Herr Bundeskanzler hat dies mit seinen stolzen Zahlen deutlich bestätigt. Diese Zahlen kann man übernehmen. Man muß sie nur einmal aus der Sicht der Betroffenen lesen; dann haben sie einen ganz anderen Charakter.
Insbesondere die deutsche Exportindustrie hat mit Hilfe der Europäischen Gemeinschaft erreicht, daß ihr die Märkte Europas mit den 271 Millionen Verbrauchern geöffnet wurden. Sie hat sich über den europäischen Markt gleichzeitig die Marktchancen für den Export in Drittländer eröffnet. Damit hat die EG die Möglichkeit industrieller Konzentration und die Herausbildung einer dritten wirtschaftlichen Weltsupermacht geschaffen.
Die Bilanz für diesen Teil der deutschen Industrie war durchaus „erfreulich" - der Herr Bundeskanzler hat es gesagt. Der Umfang des Gesamtexports in die Länder der EG stieg von 10 Milliarden DM am Anfang der Europäischen Gemeinschaft auf heute über 180 Milliarden DM. Das sind 50 % unseres Gesamtexports. Der Eintrittspreis - nichts als der Eintrittspreis! - für diese gute Bilanz waren die Beiträge für den EG-Agrarmarkt von heute, die 10 Milliarden DM, die wir zahlen. Immer938
hin, es blieb doch wohl ein sehr lohnendes Geschäft.
Was aber, frage ich, hat der EG-Agrarmarkt den europäischen Bauern gebracht?
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Gebracht hat er erstens den brutalsten Preisdruck. Dies war das Konzept der EG-Agrarpolitik und ist von Mansholt in klassischer Weise formuliert worden. Jahr für Jahr sanken die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse real um durchschnittlich 1 % bei steigenden Produktionskosten. Bei sinkenden Preisen mußten und sollten die Bauern rationeller und kapitalintensiver produzieren, und das brachte zwangsläufig Überschüsse. Daß so zu produzieren nur wenigen gelingen konnte, war selbstverständlich klar und auch so beabsichtigt. So zahlten den Preis dafür die Kleinbauern in allen europäischen Ländern, vor allen Dingen in den ärmeren, aber auch bei uns.
Jede zweite Minute muß im Rahmen der EG ein landwirtschaftlicher Betrieb aufgegeben werden. Das schaffte in der Anfangsphase der Europäischen Gemeinschaft gewollt ein freies Arbeitskräftepotential. Heute aber vergrößern die arbeitslose Bäuerin und der ausscheidende Bauer das trostlose Heer der nunmehr 12 Millionen Arbeitslosen in Europa, zu deren Beseitigung der Stuttgarter Gipfel nicht einmal die kleinste Idee geboren hat.
Wir hören allerdings, die EG-Agrarpolitik habe den Bauern doch soziale Sicherungssysteme und garantierte Preise gebracht; nur darum hätten sie ja soviel produziert. Beides ist falsch. Erstens. Die Sozialpolitik war eindeutig gedacht als Auffangmaßnahme für soziale Unruhen infolge der unsozialen Unterbewertung der bäuerlichen Arbeit. Sie war ebenso gedacht als Beschleunigungsmaßnahme, damit z. B. bei der Landabgaberente die Bauern gedrängt würden, ihr Land freizugeben und den Boden für größere Betriebe mobil zu machen. Heute wird die Sozialpolitik ihrerseits zum doppelten Motor für den Existenzverlust von Bauern. Schließlich müssen die verbliebenen 7 % Bauern, die wir in der EG noch haben, die alten Lasten der Sozialpolitik tragen, die einmal bei einem Stand von 25% von Bauern entstanden sind.
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Zweitens. Es gibt keine garantierten Preise für die Bauern. Ein Beispiel: Subventioniert wird nicht die Milch, die die Bäuerin melkt, sondern der Magermilchpulverberg und der Butterberg in der Genossenschaft. Was aber nützt es den Bauernfamilien, wenn Dr. Oetker für die Speiseeisherstellung verbilligte Butter erhält? Subventioniert wird auch nicht das Schwein des Bauern, sondern die Schweinehälfte in dem großgenossenschaftlichen Kühlhaus; und dies ist auch nur eine Kann-Bestimmung!
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Butter zu lagern, Butter lange zu lagern ist also profitabler, also sie zu verkaufen. Das muß man begreifen, wenn man einen Teil der wirklichen Ursachen der EG-Überschüsse verstehen will, für deren Lagerung und Exportförderung und Vernichtung im letzten Jahr 30 Milliarden DM ausgegeben worden sind, insgesamt 80% des EG-Haushalts.
Die zweite Ursache - das will ich hier deutlich sagen - sind die niedrigen Agrarpreise selbst; so absurd dies erscheinen mag. Unterbewertung der bäuerlichen Arbeit erzeugt Überschüsse, gesetzmäßig. Hier, an der Wurzel, muß das Agrarpreissystem geändert werden.
Eine weitere Ursache liegt in dem moralisch-politischen Skandal, der wirtschaftlich aber Methode hat, daß wir in der EG ebensoviel Getreideeinheiten an Futtermitteln aus der Dritten Welt und den USA - je zur Hälfte - einführen, wie die Bundesrepublik alleine erzeugt.
Was hat die EG den Bauern noch gebracht? Von der großen europäischen Idee, die wir achten, ist unter den herrschenden Strukturen für die ländlichen Räume Europas Entvölkerung und Verelendung übrig geblieben. Die Regionen mit ihren charakteristischen landschaftlichen Vielfältigkeiten, mit ihren Traditionen und Gebräuchen, ihrer Sprache und ihrer Musik, ihren nationalen Freiheits-
und Widerstandserfahrungen wurden der Menschen beraubt und bekamen - wieder vermittels einer Industrie, diesmal der Fremdenverkehrsindustrie - Touristen geliefert. Für diese verkommt dann das übriggebliebene bäuerliche Leben und Arbeiten in den Küsten- und Berglandschaften Europas zur bäuerlichen Prostitution für Fremde.
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Wenn das die stabilen bäuerlichen Verhältnisse in den Familienbetrieben sind, die Sie meinen, Herr Genscher, dann bedanke ich mich dafür.
Der „griechische" Schafskäse wird schon jetzt in Irland und in Norddeutschland hergestellt, aus Magermilch! Die griechische heimische bäuerliche Milchproduktion wird zerstört.
Weiter: Die zentralen Absprachen im Rahmen der EG bieten gerade die Möglichkeit, die Spezialisierung einzelner Länder auf wenige Produkte und auf Monokulturen voranzutreiben. Die Ausbreitung weniger Saatgutunternehmen, unter ihnen so illustre Namen wie Shell, Esso, Sandoz und Hoffmann-La Roche, die mittlerweile 90 % des Marktes kontrollieren, bewirken in der landwirtschaftlichen Praxis einen ungeheuren Artenrückgang.
Wen wundert es, daß die Bauern in Griechenland und in Irland, daß die Bretonen und die Basken raus wollen aus der Europäischen Gemeinschaft, daß die Bauern Grönlands und Norwegens sich nach Kräften gegen das „Glück" gewehrt haben, Teil dieser Gemeinschaft, so wie sie ist, zu sein!
Dieses Europa, das so viel Liebenswertes hat, wird in Ihren Händen, Herr Bundeskanzler, zu einem Europa, das gefürchtet wird, und zwar nicht
nur aus militärischen Gründen, von seinen Gegnern, sondern zunehmend von einem großen Teil seiner Bewohner, den Bauern und Arbeitern.
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Meine Damen und Herren, die Agrarpreisbeschlüsse, die im Dezember anstehen, lassen bei dem durch Preisdruck und Überschußkrisen geschüttelten europäischen Agrarmarkt Schlimmes befürchten. Es wird offen darüber gesprochen, daß der Milchpreis gesenkt wird, eventuell durch eine drastische Erhöhung der Mitverantwortungsabgabe.
Die Bäuerinnen und die Bauern Europas haben ein deutliches Gefühl für Gerechtigkeit. Sie wissen, daß sie weder die Verursacher noch die Begünstigten dieser europäischen Agrarmarktordnung sind.
Wer die Bauern kennt, weiß: Es wird einen unruhigen Winter geben!
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Das Wort hat der Abgeordnete von Heereman.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach den letzten Ausführungen bekomme ich Angst, daß diejenigen, die über die Bauern reden und einen heißen Herbst prophezeien, überhaupt nicht deren Interessen vertreten. Das muß ich einmal sagen.
({0})
Man muß den notwendigen Sach- und Fachverstand haben, auch wenn man über die europäische Agrarpolitik spricht, meine Damen und Herren.
({1})
Herr Kollege Hauff, ich muß Ihnen sagen: Sie haben doch seit 1969 Zeit gehabt, die EG-Agrarpolitik zu ändern. Aber Sie haben nur geredet. Sie haben ein Apel-Papier verabschiedet, und was ist dabei herausgekommen? - Überhaupt nichts. Sie haben immer dasselbe gesagt. Sie haben von Einkommensübertragungen gesprochen.
({2})
- Von Einkommensübertragungen haben Sie gesprochen.
({3}) - Nein, in den letzten Jahren.
({4})
Was ist seitdem passiert? Fragen Sie doch einmal Herrn Vogel, Ihren Vorsitzenden, fragen Sie den Bundeskanzler Schmidt. Von Ihrer Partei ist davon gesprochen worden, und Sie haben doch für Ihre Partei gesprochen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling?
Ich möchte nein sagen, und zwar aus folgendem Grund: Sie haben in der Agrarpolitik schon so viel weggeschnitten, da will ich mir nicht auch noch Zeit wegschneiden lassen, meine Damen und Herren.
({0})
Entschuldigen Sie, aber ich muß hier schon vortragen.
Bei Ihnen, Herr Hauff, hatte ich den Eindruck, daß Sie sich schon auf die Rolle als Landwirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen vorbereiten. Das waren Töne, die machten einen schon sehr munter.
Meine Damen und Herren, ermunternd - lassen Sie mich das ganz offen sagen - war die Aussage des Herrn Außenministers zur Agrarpolitik. Ich möchte hier ganz klar herausstellen: Das ist eine Linie, die wir, die CDU/CSU, voll unterstützen. Wir werden eine EG-Agrarpolitik durchsetzen und forcieren, bei der wir das aufgreifen und ändern werden, was Sie, meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, kritisiert und beklagt haben. Dazu werde ich Ihnen noch etwas sagen.
Lassen Sie mich hier klar ausführen: Der jüngste Gipfel in Stuttgart hat doch deutlich gemacht, welch dorniger Weg in Richtung Europa noch vor uns liegt. Wir sollten nicht nur kritisieren. Herr Hauff und Herr Hoffmann: Der eine hat gesagt, der Bundeskanzler habe nichts getan; der andere hat gesagt, der Kanzler habe sich durchgesessen. Ich kann die Dinge ein wenig mit beurteilen. Ich muß schon sagen, daß der Bundeskanzler und die Delegation, die dort verhandelt hat, dazu beigetragen haben, einige Dornen aus dem Weg zu räumen.
Wenn wir über Europa, wenn wir über Agrarpolitik sprechen, dann müssen wir auch die Leistungen dieses Europas mehr herausstellen, anstatt nur über seine Mängel zu klagen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hauff?
Ich habe das vorhin schon abgelehnt, Herr Kollege Hauff.
Ich muß leider immer wieder fragen, Herr Abgeordneter. Aber wenn Sie generell sagen, daß Sie keine Zwischenfrage zulassen, dann werde ich so verfahren.
Wenn ich nachher Zeit übrig habe, gerne.
Gut, danke.
Die größten Leistungen zur Sicherung des Friedens in Europa seit 1945 waren doch - daran wird überhaupt nicht erinnert - die europäischen Einigungswerke: die Atomgemeinschaft, die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft sowie das atlantisch-europäische Verteidigungswerk der NATO, das hier
auch genannt werden muß. Ich meine, daß der Bundeskanzler die große Bedeutung der Europäischen Gemeinschaft für die Friedensordnung, für die wirtschaftliche Entwicklung sowie für die Beziehungen zu den Ländern und Staatengemeinschaften der Welt hier mit Recht herausgestellt hat.
Die wirtschaftlichen Vorteile unseres Landes, die allen Bürgern unseres Landes auf Grund unserer Zugehörigkeit zur Europäischen Gemeinschaft zugute kommen, wären jedoch ohne die hier so viel diskutierte gemeinsame Agrarpolitik nicht möglich.
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Anscheinend wird das immer wieder vergessen, meine Damen und Herren. Die gemeinsame Agrarpolitik sichert unserer Exportwirtschaft einen zollfreien Absatz in Höhe von mehr als 200 Milliarden DM in der Gemeinschaft. Wenn das kein Wort ist, meine Damen und Herren, wenn das keine Arbeitsplätze hier in unserem Lande sichert, dann frage ich mich: Was wollen wir denn dann noch für Politiken haben?
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- Sie sind anscheinend nicht richtig informiert.
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Es ist so, wie ich es hier darstelle; das können Sie überall nachforschen. - Im Außenhandel mit den Mitgliedstaaten - auch das ist hier gesagt worden; diese Zahl werden Sie hoffentlich nicht auch noch bezweifeln - erwirtschaften wir einen positiven Saldo von immerhin 25 Milliarden DM.
Sicherlich - lassen Sie mich das ganz offen sagen - läßt sich an der gemeinsamen Agrarpolitik vieles kritisieren. Aber im Vergleich zu dem positiven Außenhandelssaldo sind die Beiträge der Bundesrepublik Deutschland für Europa durchaus vertretbar.
Es ist sicherlich keine neue Erkenntnis, über die wir erst seit heute verfügen, daß 32 bzw. 36 Milliarden DM, die alle Mitgliedstaaten zusammen für die gemeinsame Agrarpolitik heute aufwenden, sehr viel Geld sind. Aber schließlich haben wir - und ich bin dankbar, daß das hier auch herausgestellt worden ist; auch der Bundeskanzler hat das deutlich gemacht - dem oft geschmähten Agrarmarkt eine sichere Versorgung mit Ernährungsgütern zu verdanken.
Frau Kollegin Vollmer, Sie sagen, die Bauern verzweifelten an Europa, Europa habe ihnen nichts gebracht. Nun frage ich Sie: Wohin sollten wir das denn - Agrarexport der deutschen Landwirtschaft in der EG: insgesamt 25 Milliarden DM - bringen, wenn wir es dort nicht absetzen könnten? Das sind doch Märkte, neue Märkte! Da meine ich schon, daß das besser ist als ein Loch in der Hose, wenn ich das einmal so vereinfacht sagen darf.
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Meine Damen und Herren, das Ziel des EG-Vertrages, die Versorgung der Verbraucher zu angemessenen Preisen, ist in vollem Umfang erreicht worden.
({4})
Die Europäische Gemeinschaft hat andererseits - bitte, berücksichtigen Sie das endlich auch einmal - aber durchaus auch auf die Interessen der Drittländer Rücksicht genommen. Die Europäische Gemeinschaft ist nach wie vor der größte Importeur von Agrarprodukten auf der Erde. Fast ein Drittel aller Agrareinfuhren der Welt nimmt die Europäische Gemeinschaft auf. Und nun bin ich bei den Entwicklungsländern: Rund 45% dieser Einfuhren kommen aus den Entwicklungsländern und aus den Schwellenländern. Frau Vollmer, Sie haben gesagt, daß wir hier das verfüttern würden, was dort produziert werde. Nun müssen Sie wissen, Frau Kollegin, daß die Futtermittel aus hochindustrialisierten Ländern dieser Welt kommen. Man kann hier doch nicht mit falschen Zahlen operieren.
({5})
- Ich weiß, daß Wahrheiten Sie nervös machen. Aber das nützt nichts. Wir sind nun einmal angetreten, mit Wahrheiten und Klarheiten Politik zu machen, und dazu stehe auch ich, meine Damen und Herren.
({6})
Ich will mich mit diesen meinen Darstellungen keineswegs den vorhandenen Problemen und Konflikten im Agraraußenhandel entziehen und sie unter den Teppich kehren. Die Europäische Gemeinschaft muß sich mit den Vereinigten Staaten arrangieren, aber auch die USA müssen sich mit der Europäischen Gemeinschaft arrangieren.
Die Stuttgarter Erklärung der Regierungschefs hat ganz konkrete Prüfungsaufträge im Bereich der Agrarpolitik erteilt. So sollen bis zum 1. August von der Kommission entsprechende Vorschläge gemacht werden. Dieses Datum halte ich allerdings für sehr verfrüht. Gut, aber man sollte es versuchen. Ich hoffe, und die CDU/CSU-Fraktion hofft sehr, daß die Kommission dieses Mal Vorschläge vorlegt, die finanziell tragbar, gleichzeitig aber auch kompromißfähig sind und endlich eine größere Ausgewogenheit nach der Bedürftigkeit einführen. Das ist eine alte Forderung, und sie muß endlich verwirklicht werden.
Die CDU/CSU wird ihren Beitrag zu einer Politik, die die EG-Agrarausgaben nicht weiter ansteigen läßt, konkret leisten. Aber bisher ist es nicht gelungen, sich in der Europäischen Gemeinschaft auf die Größenordnungen der angestrebten Agrarproduktion zu verständigen. Großbritannien z. B. hat, um seine Devisenbilanz zu entlasten, seit es Mitglied des Gemeinsamen Marktes ist, seinen Selbstversorgungsgrad von 50 auf 80% erhöht. Andere Staaten haben ihre Landwirtschaft ermuntert, die Produktion kräftig auszudehnen,
({7})
weil die Landwirtschaft das „Grüne Erdöl" sein sollte. Eine Änderung ist aber nur dann zu erzielen,
wenn man sich auf eine bestimmte Grundausrichtung einigt.
({8})
Die Prüfungsaufgaben des Europäischen Rates beziehen sich auf ganz konkrete Tatbestände.
Zur Preispolitik kann man sicherlich sehr kritische Betrachtungen anstellen. Eines trifft mit Sicherheit nicht zu, meine Damen und Herren: daß sie die Bauern in der Gemeinschaft reich und die Verbraucher arm gemacht hat. Genau das Gegenteil ist der Fall.
({9})
Die Nahrungsmittelpreise sind seit Jahren die Inflationsbremse Nr. 1 in unserem Lande, was mir selbst der ehemalige Bundeskanzler Schmidt sehr häufig bestätigt hat.
({10})
- Ich weiß, daß Ihnen vieles nicht paßt, nur, das müssen Sie sich nun einmal anhören.
Diese für die Verbraucher erfreuliche Entwicklung hat in den landwirtschaftlichen Betrieben deutliche Spuren hinterlassen. Welcher Wirtschaftssektor mußte in den letzten zehn Jahren mehr als 230000 Betriebe aufgeben?
({11})
Dies ist ein Druck, der angesichts nicht vorhandener alternativer Erwerbsmöglichkeiten zu immer neuen Leistungssteigerungen und Produktionsüberschüssen in der Landwirtschaft geführt hat.
Ich sehe mit Sorge - und das sollten Sie sich einmal anhören, anstatt hier irgendwelche komischen Witzchen zu machen, die doch nichts bringen -, daß wir in der Tier- und Pflanzenzüchtung - darüber muß man doch einmal nachdenken, wer das versucht hat - in der Bodenbewirtschaftung an ökologische Grenzen geraten, die wir nicht unbestraft überschreiten dürfen. Wir müssen jetzt fragen: Wer hat denn die Bauern in diesen Produktionsdruck hineingebracht?
({12})
Das waren doch Sie von der Opposition, die Sie jahrelang die Verantwortung gehabt haben und jetzt so tun, als wenn wir in den letzten neun, zehn Jahren regiert hätten. Das wollen wir doch einmal sehen!
({13})
Eine Überforderung der Natur wäre langfristig mit Sicherheit weitaus teurer als das, was wir in der Agrar- und Europapolitik für die bäuerliche Landwirtschaft tun.
Meine Damen und Herren, sicherlich sind hier die Überschüsse anzusprechen. Sicherlich ist auch das für uns eine große Sorge. Ernährungsminister Kiechle hat ein geschlossenes Konzept der Mengenbesteuerung und Marktanpassung gefordert. Die CDU/CSU wird dieses Konzept voll unterstützen.
Sie haben über die Mängel immer nur gesprochen und sie beklagt, wir aber werden agieren. Wir werden im europäischen Geist eines nicht tun, nämlich was einige von Ihnen hier getan haben: nur alles bedauern und die Europamüdigkeit beklagen. Herr Hoffmann - ich sehe ihn gerade nicht - hat von den Direktzahlern gesprochen und hat dann einen Salto mortale gemacht; er hat gesagt: „Wir müssen j a auch zahlen und und und." Die letzten Sätze waren hervorragend. Nur, das von dem „Direktzahler" und „Zahlmeister Europas" ist doch nicht von uns und nicht von mir erfunden worden, sondern das ist doch von Ihnen und von den Herren erfunden worden, die das Apel-Papier verabschiedet haben.
({14})
Meine Damen und Herren, daran muß man auch einmal erinnern! Ich bin hier für Gemeinsamkeiten, denn da haben wir große Aufgaben zu bewältigen.
Wenn wir Beschränkungen vornehmen, wenn wir die Produktion einschränken, so weiß ich natürlich um die ordnungspolitischen Bedenken gegen solche Überlegungen, aber wir diskutieren darüber auch bei Kohle und Stahl, und darum werden wir auch nicht vergessen, daß dieser Vorschlag angesichts der gesamtwirtschaftlichen und insbesondere der arbeitsmarktpolitischen Situation in der Gemeinschaft wohl am ehesten auf dem Kompromißwege in die Tat umzusetzen ist.
({15})
Die Kosten der Agrarpolitik können auf diese Weise vertretbar in Grenzen gehalten werden, und zwar ohne daß ein Sozialproblem geschaffen würde oder ein dauerhafter Handelskrieg mit wichtigen Drittländern zu führen wäre.
({16})
- Die COPA sagt ein klares Ja zu diesen Ausführungen, und ich weiß ja nun, was die COPA ist, denn ich bin zwei Jahre ihr Vorsitzender gewesen. Wir hatten hier in Bonn eine Vereinbarung beschlossen; nur hat es die damalige Regierung abgelehnt, über ein Quotensystem in der Milchproduktion zu sprechen.
({17})
Das war die damalige Bundesregierung! Daran muß ich einmal erinnern. Man kann doch nicht einfach so tun, als wäre nur bei uns alles falsch gelaufen und als hätten Sie, meine Damen und Herren, die alleinseligmachende Gnade in der Agrarpolitik gefunden. So ist es nicht!
({18})
Statt einen Agrarhandelskrieg zwischen Nordamerika und der Europäischen Gemeinschaft herbeizureden, sollten sich ohnehin alle wichtigen Agrarexporteure möglichst bald auf ein Mindestmaß an abgestimmtem Marktverhalten verständigen. Meine Damen und Herren, ich meine, so ist es möglich, zu agieren.
Die Staatshandelsländer des Ostblocks sind auf Grund der vollständigen Zerschlagung der familienbäuerlichen Landwirtschaft in eine dauerhafte Versorgungskrise bei Agrarprodukten geraten
({19})
und sind damit gleichzeitig zu den wichtigsten Käufern auf den Weltmärkten geworden. Wenn dieser Marktpartner auf der anderen Seite des Tisches marktwirtschaftliche Prinzipien aus ideologischen Gründen kategorisch ablehnt, ist es mit dem Ruf nach freiem Welthandel und nach Abbau des Protektionismus bestimmt nicht getan. Die Regelung dieses Problems erscheint mir ebenso dringlich wie eine Einigung über das Ausmaß des Außenschutzes bei Nahrungsmitteln.
Ich darf abschließen: Im Sinne des Vorgetragenen bietet das Ergebnis von Stuttgart, welches hier von der Opposition so negativ dargestellt wurde,
({20})
Ansatzpunkte zur Weiterentwicklung des europäischen Einigungswerkes. Wir brauchen mehr europäischen Geist. Wir brauchen mutiges Agieren, nicht nur ständig negatives Reagieren. Die CDU/ CSU wird das tun, über dessen Fehlen Sie, meine Damen und Herren der Sozialdemokraten, immer geklagt haben, ohne etwas zu ändern: Sie wird strebsam und fleißig das Wohl der Mitbürgerinnen und Mitbürger Europas verwirklichen. - Ich danke Ihnen.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Sperling.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mir liegt hier ein Fernschreiben vor: „Heereman sieht im Gipfel sehr schlechte Entwicklung".
({0})
Untertitel: „Ergebnisse von Nichtfachleuten".
Nun könnte man ja glauben - das war mein erster Irrtum, als ich dies eben bekam -, das sei von vor einigen Jahren. Aber dann kommt es: Bonn, 19. Juni 1983, ddp.
({1})
Da heißt es: Der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Constantin Freiherr Heereman, sieht im EG-Gipfel von Stuttgart eine „sehr schlechte Entwicklung ohne Gemeinschaftsgeist".
({2})
In einem Gespräch mit dem „deutschen depeschendienst" sagte Heereman am Sonntag, er habe sich
mehr Gemeinsamkeit von dem Gipfeltreffen erhofft
und könne nicht verstehen, daß „Mitgliedschaft offenbar nur bedeutet, daß man die Beiträge an die Gemeinschaft auch herausbekommt". Krämergeist, Kaufmannsseelen, Zahlmeistermentalität, das sind Ihre Vorwürfe!
({3})
Waren Sie denn Buchhalter des Bauernverbandes, Herr Heereman?
In Stuttgart gab es für ihn - Herrn Heereman - lediglich große Erklärungen, die zum Teil nicht dem Geist der Gemeinschaft entsprechen.
({4})
Miesmacherei müssen Sie sich, Herr Heereman, nach dem Urteil, das Sie eben gefällt haben, selbst ins Stammbuch schreiben.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Löffler?
Ja. Natürlich gern, Herr Kollege Löffler.
Herr Kollege Sperling, würden Sie dem Freiherrn von Heereman zugute halten, daß er diese Erklärung am 19. abgegeben hat und wir heute immerhin schon den 22. haben?
({0})
Aber, die Großwetterlage, Herr Kollege Löffler, ist dieselbe geblieben. Und es gab noch keinen Grund, irgend etwas abzuernten und schon etwas Neues zu säen.
({0})
- Hohes Tempo an Lernfähigkeit, vermuten Ihre Kollegen. Die täuschen sich in Ihnen, Herr Heereman.
({1})
Zu notwendigen Sparbeschlüssen sagte Heereman gegenüber „ddp", daß dabei in Stuttgart von hoher politischer Warte Werte vorgegeben worden seien, die so überhaupt nicht zu erfüllen seien. - Da entdecke ich gewisse Gemeinsamkeiten zwischen uns beiden. - Man brauche sich über diese Ergebnisse nicht zu wundern, wenn dort zum Großteil von Nichtfachleuten die Überlegungen angestellt würden.
Herr Heereman, Sie haben ein roten Kopf bekommen. Das ehrt Sie.
({2})
Ich will dann gleich fortfahren. Wissen Sie, was Sie mit einer russischen Bauarbeiterin in Moskau gemeinsam haben? Die Vorteile der Vergeudung von menschlichen, natürlichen und finanziellen Ressourcen bei der westeuropäischen Butterproduktion haben Sie gemeinsam mit einer Bauarbeiterin in Moskau. Und ich kenne keine Politik des Bauernverbandes, in der Großbauern wie Sie zuDr. Sperling
gunsten der landwirtschaftlichen Familienbetriebe je einmal darauf verzichtet hätten, die sozialen Vorteile für sich in größerem Umfang abzukassieren, um sie den kleineren zugute kommen zu lassen.
({3})
Da Sie eigene Vorschläge ankündigen, will ich gleich sagen: Die kleinen Bauern in diesem Land müssen aufpassen, ob die Vorschläge, die Sie machen werden, nicht zu Lasten gerade der bäuerlichen Familienbetriebe gehen;
({4})
denn das war bisher die Politik des Bauernverbandes.
({5})
Herr Heereman, damit bin ich mit Ihnen fertig.
({6})
Da ist so manches darüber gesagt worden, daß Erwartungen von den früheren Regierungsparteien geäußert worden seien, die nun dazu führten, daß wir unsere Enttäuschung ausdrückten.
({7})
- Nein, Herr Kollege Klein, wir legen nichts anderes an als die Latte, über die Herr Genscher und Herr Kohl zu hüpfen versprochen haben, als sie die deutsche Präsidentschaft antraten.
({8})
Als Sie antraten, da haben Sie nämlich nicht gesagt: kleine Schritte. Sie haben eine ziemlich hohe Meßlatte hingelegt, Herr Genscher.
({9})
- Natürlich hat er das erklärt. Aber wir dürfen doch ein paar andere Schlußfolgerungen daraus ziehen.
Der Herr Genscher hat gemeinsam mit dem Herrn Kohl gemeint, daß das, was aus Stuttgart als Folge der deutschen Präsidentschaft erwartet werden dürfe, nun in der Tat mehr werden würde, als am Ende herauskam. Ich könnte Herrn Kohl noch folgen bei seinen Einleitungsbemerkungen, die da lauteten, es wäre nicht sonderlich realistisch gewesen, aus Stuttgart etwas anderes zu erwarten, als das, was herausgekommen sei. Volkstümlich gesagt: Man kann von einem Ochsen nicht mehr erwarten als ein Stück Rindfleisch. - Ich könnte dem folgen. Aber dann hätten Sie sich nicht hier hinstellen und sagen dürfen, daß Ihre Aufgabe, die Sie für die deutsche Präsidentschaft skizzierten, anders zu sehen sei.
Da steht - ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin -:
({10})
Größte Priorität hat der Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Mehr als 11 Millionen Menschen - das sind nahezu 10 % der Erwerbsbevölkerung - sind heute in der Gemeinschaft arbeitslos.
Das sagten Sie, Herr Genscher, Anfang Januar. Als Herr Kohl heute hier sprach, war die Zahl 11 Millionen in 12 Millionen korrigiert. In der deutschen Präsidentschaft hat sich die Arbeitslosenzahl in Europa um eine Million vermehrt. Nicht, daß das Ihre Schuld ist; nur: das, was Sie an Konsequenzen aus den 11 Millionen Arbeitslosen gezogen haben, muß doch wohl noch mehr gelten, wenn es 12 Millionen geworden sind.
({11})
Da haben Sie Konsequenzen gezogen. Sie haben geschildert: 40 % der Arbeitslosen sind Jugendliche unter 25 Jahren. Sie haben hinzugefügt, Herr Genscher: Wenn wir das jetzige Beschäftigungsniveau auch nur halten wollen, dann müssen wir in den nächsten Jahren 1 Million neue Arbeitsplätze jährlich schaffen. Selbst in den goldenen 80er Jahren - das muß wahrscheinlich „60er Jahren" heißen; Druckfehler beim Europäischen Parlament - konnten wir aber jährlich in Europa nur 260 000 Arbeitsplätze schaffen. Das zeigt das Ausmaß der Aufgabe, die vor uns liegt.
Sie haben fast dieselbe Formulierung im Deutschen Bundestag verwendet. Es gab geringfügige Abweichungen. Ihre Ghostwriter bemühen sich um Differenzierung, wenigstens der Rede, wenn auch in diesem Fall nicht des Inhalts; das ist anzuerkennen. Da haben Sie von der Herausforderung gesprochen, vor der Europa steht und an die Sie herangehen wollten. Sie haben hinzugefügt: Der Europäische Rat hat das Ziel gesetzt, für jeden jungen Menschen muß eine Ausbildungsstelle oder eine praktische Lehrstelle gefunden werden. - Herr Genscher, das war die Zeit, als hier im Lande auch der Herr Kohl Versprechungen machte, was die Ausbildungsplätze angeht; da paßte das hinein. Sie haben Ihren Kanzler und der Kanzler hat Sie jeweils sagen lassen, konkrete Beschlüsse müßten gefaßt werden. So noch in der Regierungserklärung im Mai, so auch schon in der Regierungserklärung im November. Diese konkreten Beschlüsse sollten sich auf die Beseitigung der Jugendarbeitslosigkeit beziehen. Sie haben zwischen den beiden Passagen, die ich verlesen habe, hinzugefügt: „Die Gemeinschaft muß beweisen, daß sie in dieser zentralen Frage einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Die Menschen in Europa und insbesondere die jungen Menschen müssen sehen, daß die Europäische Gemeinschaft für ihr eigenes Leben, für ihre Zukunftschance etwas tun kann, daß sie hier nicht versagt."
Nun gehen Sie mal durch, was in Stuttgart zu diesem Thema passiert ist! Gehen Sie die Papiere durch, die Sie verabschiedet haben. Gehen Sie durch, welche Zeit Sie für welches Thema verwen944
det haben. Gehen Sie durch, welchen Betrag Sie anderthalb Tage verhandelt haben und was mit der 1 Milliarde für die Jugendarbeitslosigkeit geschehen ist, die Sie da mehr auf's Konto verbuchen. Die ist woanders abgebucht worden. Was bedeutet aber diese 1 Milliarde, wenn Sie das einmal umrechnen? Eine Milliarde mehr in Europa für Jugendarbeitslosigkeit von 4,5 Millionen, das sind nicht ganz 20 Mark im Monat je jungen Arbeitslosen. Nicht ganz 20 Mark! Dies riecht nach Konsum umgerechnet. Das ist aber gar nicht gemeint. Nicht ganz 20 Mark im Monat ist Europa als Gemeinschaft in der Lage aufzuwenden, um das dringendste Problem seiner Zukunft anzugehen, das Problem Jugendarbeitslosigkeit.
Was also sollen nach Ihren Kriterien, Herr Genscher, und denen von Herrn Kohl, der Sie so reden ließ, junge Menschen erwarten, und wie will die Gemeinschaft beweisen, daß sie mit diesem Betrag in dieser zentralen Frage einen wesentlichen Beitrag leisten kann? Da haben Sie die Meßlatte gelegt, da wollten Sie darüberspringen. Herausgekommen ist ein winzig kleiner Schritt.
Nun könnten Sie erwarten, daß wir Sie wenigstens für den loben,
({12})
wenn Sie nicht vorher gesagt hätten, Sie wollten etwas anderes tun. Wir könnten Sie vielleicht auch noch für diesen kleinen Schritt loben, wenn er in einem Zusammenhang mit konkreten Beschlüssen zu den anderen Problemen stünde, die die Europäische Gemeinschaft vor sich hat. Denn Ihre Aussage, Sie wollten konkrete Beschlüsse fassen, bezog sich j a auf wesentlich mehr. Sie wollten - das haben Sie auch uns vorgetragen, und das haben Sie auch in Straßburg vorgetragen, Herr Genscher - eine Industriepolitik machen, und Sie wollten die Industriepolitik der Partnerstaaten untereinander abstimmen, koordinieren, konzertieren, wie Sie das immer nennen wollten. Es gibt gelehrte Worte dafür.
Ich frage Sie - Hausaufgaben -: Welche hier im Lande praktizierte Industriepolitik wollen Sie denn mit welcher woanders praktizierten abstimmen? Was ist denn da mit den Mikroprozessoren und all diesem elektronischen Kram, der - nach Ihrer Aussage, Herr Genscher - vier bis fünf Millionen Arbeitsplätze in Europa ausmachen könnte? Wie kriegt man ihn industriepolitisch in den Griff, wenn Sie hier gleichzeitig am Steuerrecht herum-sinnieren, das die Forschungsförderung als direkte Zuschußförderung kappt? Mit wem wollen Sie Industriepolitik in diese Richtung machen, wenn es nur noch über das Steuerrecht geht? Von Siemens oder Nixdorf ist dann doch nichts mehr da. Wie wollen Sie diese Industriepolitik, die Sie, von mir aus zu Recht, ins Auge fassen, mit einer anderen abstimmen?
Was ist mit der Abstimmung der Stahlpolitik auf dem Stuttgarter Gipfel geschehen? „Eineinhalb Tage mit Frau Thatcher gestritten." - Das ist von Frau Thatcher wahrscheinlich richtig so zusammengefaßt, wie es der Journalist wiedergegeben hat. Das war ihr Erleben. Daß sich die eineinhalb Tage nicht in einem so kurzen Zitat wiederfinden lassen, ist klar. Was aber sollte denn in Stuttgart in der Zeit noch über Stahlpolitik geredet werden? Wo war noch Zeit dafür, dies zu tun? Oder wo konnte über Schiffbau oder über die Wahrung von Industriestandorten geredet werden,
Herr Genscher, Sie haben uns hier in der Aussprache zu einer Regierungserklärung in bezug auf Europa gesagt: Es sollten nicht Menschen aus Existenzgründen entwurzelt und gezwungen werden, die angestammte Heimat zu verlassen, um Arbeit zu finden, sondern es sollte eine Strukturpolitik durchgeführt werden, die überall ein angemessenes Angebot an Arbeitsplätzen schaffen kann. Herr Genscher, machen wir da die Hausaufgaben! Hat Herr Lambsdorff sich um diese Hausaufgabe bemüht? Schon als ich mit Ihnen in der Regierung hockte, hatte ich den Eindruck, daß diese Hausaufgabe vernachlässigt wurde, obwohl wir gedrängelt haben. Strukturpolitik ist im Wirtschaftsbereich eine unserer Schwachstellen in der Koalition gewesen, und hier sprechen Sie so, als würden Sie die von uns in München beschlossenen Folterwerkzeuge sozusagen als Inbegriff freidemokratischer Politik ausgeben.
({13})
Das ist doch etwas, was wir immer gefordert haben. Dies fordern Sie nun im Deutschen Bundestag am 25. November vorigen Jahres für Europa. Was ist in Stuttgart dazu beschlossen worden? Nichts, wirklich nichts. Ich frage mich sogar, ob überhaupt darüber geredet wurde.
Nun könnten Sie sagen: Wir haben zwar nicht darüber gesprochen, aber wir hatten das alles gut vorbereitet. In den Papieren, die wir vorbereitet hatten, steht etwas dazu. Herr Kollege Genscher, das, was in den Papieren steht, die Sie in Stuttgart haben beschließen lassen, ist zwar vielleicht nur das „Rindfleisch", das man erwarten konnte, aber dann sollte man dazu auch keine großen Worte mehr machen.
Da über Miesmacherei und Erzeugen von Europamüdigkeit gesprochen worden ist, will ich dies mit allem Ernst hinzufügen: Nichts macht Europäer europamüder als große Worte, hinter denen nichts mehr steht.
({14})
Wir können von Glück sagen, daß das, was „Feierliche Deklaration zur Europäischen Union" genannt wird, ein Text ist, der zwar in den Zeitungen zum Teil im Wortlaut abgedruckt worden ist, den aber Gott sei Dank wohl kaum einer gelesen hat. Das ist ein Text für Juristen, für juristische Streitigkeiten, für Berufereien an späterer Stelle.
({15})
Es ist kein Text, an dem sich irgend etwas wie Begeisterung entzünden kann.
({16})
- Es steht auch nichts drin.
Ich will Ihnen ein paar Textproben geben. Es lohnt sich immer, daß das eigene Parlament weiß, welcher Text für Europa in Stuttgart wirklich beschlossen wurde. Vor allem nachdem wir Schiller-Zitate gehört haben, mag das sehr angemessen sein.
({17})
Feierlich wird unter 2.1.1. deklariert:
Im Europäischen Rat kommen die Staats- und Regierungschefs und der Präsident der Kornmission zusammen, die von den Außenministern der Mitgliedstaaten und einem Mitglied der Kommission unterstützt werden.
Dann geht es weiter:
2.1.2. der Europäische Rat, der im Hinblick auf
die Europäische Union handelt,
- gibt dem europäischen Aufbauwerk einen allgemeinen politischen Impuls;
- legt die Ansatzpunkte für die Förderung des europäischen Aufbauwerks fest und erläßt allgemeine politische Leitlinien für die Europäischen Gemeinschaften und die Europäische Politische Zusammenarbeit;
- berät über Fragen der Europäischen Union unter ihren verschiedenen Aspekten und trägt dabei für deren Übereinstimmung Sorge;
- man weiß nicht, ob es die Übereinstimmung der Aspekte oder der Fragen sein soll ({18})
- eröffnet neue Tätigkeitsbereiche für die Zusammenarbeit;
- bringt die gemeinsame Position in Fragen der Außenbeziehungen feierlich zum Ausdruck.
Die Juristen werden sich fragen, welchen Wert die nächste Klausel 2.1.3. hat:
Wird der Europäische Rat in Angelegenheiten aus dem Zuständigkeitsbereich der Europäischen Gemeinschaften tätig, so tut er dies als Rat im Sinne der Verträge.
Das wollen wir dann auch stark hoffen.
({19})
Ich weiß, daß es unter Juristen j a seinen Wert haben kann, dies alles als Berufungsgrundlage zu haben. Nur, wenn man darauf vertrauen muß, daß dies einmal seinen Wert hat: In welchem Zustand ist dann eigentlich Europa? Ist es dann angemessen, ein solches Europa mit einer feierlichen Erklärung zu bedienen?
({20})
Dabei mache ich keinen Vorwurf - damit das ja nicht mißverstanden wird -,
({21})
daß der Zustand Europas etwa von Ihnen oder von sonstwem, der hier im Hause Politik gemacht hat, verschuldet worden ist. Diesen Vorwurf will ich gar nicht erheben.
({22})
Mein einziges Problem ist, daß dieses feierliche Deklamieren die Europäer nicht nur bei uns europamüde macht, daß die Politik der großen Worte am Ende nur das heraufbeschwört, was sie angeblich verhindern soll: Miesmacherei
({23})
- nein, täuschen Sie sich nicht -, weil inhaltsleere, aber erhaben wortreiche Erklärungen zum Inbegriff für Europa werden könnten. Wenn das passieren sollte, dann kann ich einem Kollegen wie Herrn Huyn, der j a was vom Abendland versteht, immer nur gute Nacht sagen.
({24})
Dies ist in der Tat keine geeignete Europapolitik, obwohl ich gestehen muß, Herr Genscher: Was soll man denn in der Sprache der Diplomatie anderes abfassen als dies? Darum rate ich Ihnen eigentlich zu einem anderen Ansatz!
({25})
Warum legen Sie nicht die Papiere über den Zustand der Volkswirtschaften unserer Partnerstaaten vor - wenn schon nicht die aus der Zeit der Regierung Kohl so doch die aus der Zeit der Vorgänger-Regierung -, die anständigerweise im Kanzleramt hätten gemacht werden müssen oder früher gemacht worden sind, und belegen, was man denn gescheiterweise von diesen Partnerstaaten als gemeinsames europäisches Interesse erwarten darf, damit man die Erwartungen - an wen auch immer - nicht zu hoch züchtet? Wenn man sich Aufschluß über den Zustand der Volkswirtschaften unserer Partnerstaaten gegeben hat und sie dann nicht überfordert, dann braucht man auch keine großen Worte mehr zu machen. Dann kann man nach den kleinen Schritten gucken. Dann sind die kleinen Schritte, die man ankündigt, auch glaubhaft gegenüber denen, die man bei Wahlen zum Europäischen Parlament und an anderer Stelle für Europa mitnehmen muß.
Damit auch dies deutlich wird: Wenn wir hier in unseren wirtschaftspolitischen Streitigkeiten dauernd davon reden, daß wir das Zurückschneiden von Konsumausgaben brauchen, daß mehr Investitionen getätigt und dafür insgesamt in Europa mehr Mittel zur Verfügung stehen müssen, dann gehen Sie doch einmal daran und fragen danach, wie die anderen europäischen Länder, denen gegenüber wir gern Nettozahler sind, weil wir aus Europa in der Tat Vorteile haben, diese Zahlungen nutzen. Es ist nicht gut für das Selbstbewußtsein der Europäer, wenn das Geld, das man aus Europa kriegt, immer nur gebraucht wird, um immer größere Pflaster auf immer größer schmerzende Stellen zu le946
gen, um Schmerzlinderungsmittel zu nehmen, statt die Ursache der Schmerzen zu beseitigen.
Die veränderte Strukturpolitik müßte ja wenigstens bei den zusätzlichen Zuflüssen an europäischen Partnerstaaten beginnen. Ich habe überhaupt keine Skrupel zu sagen: Die Bereitschaft der Bundesrepublik, Nettozahlungen zu leisten, sollte durchaus wachsen, aber unter der Voraussetzung, daß unsere europäischen Partnerstaaten vermehrte Zuflüsse zur Beseitigung der Probleme verwenden, die sie immer stärker in die Position der Nettoempfänger-Länder bringen.
({26})
Denn es tut nicht gut, daß Spanien und Portugal Schwierigkeiten beim Beitritt haben; es tut nicht gut - ich nenne das Land, dessen Regierung mir politisch eigentlich etwas näher steht als die Regierung des anderen Landes, Großbritannien; ich nenne Frankreich - für das europäische Bewußtsein der Franzosen, daß sie nicht in die Lage kommen, den spanischen und portugiesischen Bauern helfen zu können, sondern selber immer die Nehmenden sind. Eine Aufgabenstellung, die zu einer Ausgabenverwendung führt, bei der die Schmerzen nur gelindert werden, statt daß die Ursache der Schmerzen beseitigt wird, ist falsch.
Nun haben Sie in wortreichen Erklärungen in Stuttgart versprochen, was alles geprüft werden soll.
({27})
- Ich habe zum erstenmal in meinem Bundestagsleben - das ziemlich lang ist - die Chance, eine ausreichende Redezeit zu haben. Die nutze ich auch
- meine Lebensqualität! - zum erstenmal.
({28})
Sie haben die Chance, mit der Erklärung, die da so wortreich gekommen ist, Dinge zu prüfen. Aber bis jetzt sind dies Absichts- und Prüferklärungen, die Sie auf Athen verlagert haben. Volker Hauff hat völlig recht. Im Grunde haben Sie Arbeit für ein Wunder von Athen zu leisten. Ich glaube Ihnen j a, daß Sie den guten Willen dazu mitbringen. Aber ich rate dazu, daß unser Kanzler endlich weiß, in welchem Zustand die Volkswirtschaften der Partnerstaaten sind.
({29})
Zwei Abschlußbemerkungen.
({30})
Der Bundeskanzler und unsere Bundesregierung geraten, nach dem Vorbild von Williamsburg Stuttgart organisiert habend, in die Gefahr, das Vorbild für künftige europäische Konferenzen abzugeben
- gedacht als Schau für den innenpolitischen
Schlagabtausch. Politikgebrauch: Die Partner kommen alle, weil sie hoffen, das nächste Mal die anderen Spitzen Europas als Schausteller für ein innenpolitisches Ereignis dabeizuhaben. In diesem Sinn sind sich die europäischen Staatsmänner, fürchte ich, allesamt einig. Auch dies schafft kein glaubwürdiges europäisches Bewußtsein, vor allem nicht, wenn auf der gleichen Konferenz eineinhalb Tage gefeilscht wird.
({31})
Der Herr Heereman hat doch mit seiner kritischen Anmerkung recht gehabt, daß dort eineinhalb Tage gefeilscht wurde.
Und es ist auch nicht gut für Europa - Europa kann daran kaputtgehen -, wenn dauernd die Illusion erzeugt wird, die doch die Botschafter der Nachbarstaaten nach Hause bringen, daß bei uns ein Bundeskanzler einen Aufschwung sieht und ein Stoltenberg als Finanzminister sieht, daß die Steuermehreinnahmen fließen. Da kann man natürlich mehr fordern, ohne darüber reden zu müssen, wie denn mehr gefordertes Geld anders verwendet wird.
Es hat keinen Sinn, auch für Europa nicht, Schönfärberei und Täuschungen im Inland über das zu verbreiten, was man für Europa tun kann. Denn bei schrumpfenden Steuereinnahmen mehr für Europa zu zahlen, fordert Opfer. Und wenn wir die den Menschen in unserem Land auferlegen wollen, müssen wir wissen, daß diese Opfer sinnvoll sind und nicht dem bisherigen Verteilungsmechanismus anheimfallen.
({32})
Dies hat nichts mit Zahlmeistermentalität zu tun. Das ist keine Buchhaltergesinnung. Das ist Solidarität im eigenen Interesse. Und davon gab es in Stuttgart zuwenig.
({33})
Was es in Stuttgart gab - und damit wende ich mich an jemand, der hier eine Erklärung für die Presse abgegeben hat -, war ein großes Strohdreschen, mit guter Absicht vieler Beteiligter. Das Stroh war leer. Aber anschließend sollen wir alle die Dreschleistung bewundern. Bei den wenigen Körnern, die da herausgekommen sind, kann ich Ihnen als „Sperling" nur sagen: lohnt nicht mal die Bewunderung der Dreschleistung.
({34})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hellwig.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Sperling, ich muß zugeben, Ihre Äußerungen haben mich ausgesprochen verwirrt.
({0})
Ich frage Sie: Was versprechen Sie sich eigentlich davon, daß Sie gleich zu Beginn den Kollegen Heereman beleidigen?
({1})
Halten Sie es für angebracht, z. B. in bezug auf seinen Beruf und seinen Betrieb, ihm von vornherein zu unterstellen, er vertrete nicht die Interessen aller Landwirte?
({2}) Herr Sperling, ich könnte Sie beleidigen.
({3})
Ich überlege mir nämlich - das ist noch nicht einmal eine Beleidigung, sondern das ist eine praktische Beobachtung, die mir durch den Kopf gegangen ist -, daß Sie als Berufsbezeichnung Lehrer angegeben haben. Ich würde sagen: Es war eine oberlehrerhafte Rede, eine sehr belehrende.
({4})
Und das war im Grund das, was in diesem Fall - ({5})
Jetzt kommt aus meiner Sicht noch etwas hinzu.
({6})
Meine Damen und Herren, ich bitte doch, die Rednerin in Ruhe fortfahren zu lassen.
Sie haben hier etwas als generelle Weisheiten verkaufen wollen, hinter denen sich wieder einmal nichts anderes verborgen hat als in der Wolle gefärbtes, reines sozialistisches Gedankengut.
({0})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Burgmann?
Nein, ich gestatte generell keine Zwischenfrage. Ich habe zuwenig Redezeit.
Wir haben in der Bundesrepublik - das ist noch nicht lange her - zur Frage der richtigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einen Wahlkampf geführt, der sich sehen lassen konnte. In diesem Wahlkampf sind die unterschiedlichen Rezepte, wie man Arbeitslosigkeit bekämpft, von SPD, GRÜNEN auf der einen Seite und CDU/CSU und FDP auf der anderen Seite in aller Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen. Wir haben ganz klargemacht, daß wir auf eine Wirtschaftspolitik setzen, die uns
({0})
in die Lage setzt, wieder Arbeitsplätze zu schaffen. Mit Hilfe der Einnahmen aus diesen Arbeitsplätzen werden wir die Sozialpolitik überhaupt erst wieder finanzieren können.
({1})
Sehen Sie, Herr Sperling, genau das unterscheidet Ihre und unsere Europapolitik. Wir setzen auf den freien Markt, wir setzen auf die Möglichkeit des Wettbewerbs der europäischen Völker untereinander. Wir wehren uns gegen Handelshemmnisse und Handelsschranken, die von einer sozialistischen Regierung in diesem Europa wieder errichtet werden sollen. Wir ermuntern alle zur europäischen Solidarität, weil wir wissen, daß das mit Abstand die beste Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, auch der Jugendarbeitslosigkeit, ist.
({2})
Lassen Sie mich noch zu dem Sonderproblem Stellung nehmen, das Sie auch angesprochen haben. Sie haben Herrn Genscher vorgeworfen, daß er die Ankündigungen nicht wahrgemacht habe. Sie haben über die 1 Milliarde DM gespottet, die immerhin im Haushalt der EG mit dem Ziel zur Verfügung gestellt wird, die Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen, Ausbildungsplätze in ausreichender Zahl für Jugendliche zu schaffen. Setzen Sie diese 1 Milliarde DM bitte einmal in Relation zu den sonstigen Mitteln des Sozialetats der EG. Sie werden feststellen, daß diese 1 Milliarde DM allein 75 % des gesamten Sozialetats der EG ausmacht. Daran sehen Sie überhaupt erst einmal, welche politische Durchsetzungsfähigkeit die Bundesrepublik bewiesen hat, daß es ihr im Konzert der Zehn tatsächlich gelungen ist, hier den Schwerpunkt im gesamten Sozialetat zu setzen.
Ich weiß, wovon ich rede; denn ich weiß, wie viele hunderttausend Einzelmaßnahmen durch diesen Sozialetat bisher gefördert worden sind. Diese Maßnahmen, breit gestreut, zum Teil uneffektiv, werden jetzt eben alle eingestellt zugunsten dieser eindeutigen Schwerpunktsetzung.
Herr Sperling, Sie haben immer wieder betont, bei der Auswertung, bei der Interpretation des Stuttgarter Gipfels gehe es darum, keine zu großen Worte zu machen und nicht mehr Erfolge festzuschreiben, als erreicht worden seien. Angesichts der sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen ist es ein sehr, sehr großer Erfolg gewesen, daß überhaupt ein Scheitern der Stuttgarter Verhandlungen vermieden werden konnte; denn wäre der EG-Gipfel geplatzt,
({3})
hätte das auf die Arbeitsmarktsituation noch wesentlich verhängnisvollere Auswirkungen gehabt, als Sie je durch irgendwelche Sozialprogramme, auch nationale, hätten vermeiden können.
({4})
Geradezu zynisch finde ich Ihren Vorschlag, die Bundesrepublik solle anregen, daß die EG einen Bericht über den Zustand der anderen Volkswirtschaften vorlege.
({5})
Darin steckt ein ganz gerüttelt Maß an deutschem Hochmut. Es soll nämlich letztlich zum Ausdruck kommen, daß sich diese Volkswirtschaften in einem wesentlich schlechteren Zustand befinden als die
deutsche und daß wir dann auf Grund eines Mitleidsausbruchs sozusagen mehr oder weniger gnädig und herablassend begründen können, warum wir diese Volkswirtschaften durch unsere Nettozahlung unterstützen. Da hat mir der Beitrag Ihres Kollegen Hoffmann wesentlich besser gefallen. Er hat gesagt, wir sollten uns diese Arroganz vom Nettozahler abschminken. Ich fand das einen sehr guten europäischen Beitrag. Aber ich muß Ihnen sagen: Er ist natürlich auch schon dadurch in einer besseren Lage, vernünftig zu sein, weil Mitglieder von Haushalts- und Finanzausschüssen, die mit Geld zu tun haben, von vornherein die Chance zu mehr Realitätsbezug haben,
({6})
selbst dann, wenn sie einer sozialistischen Partei angehören.
Lassen Sie mich nun auf die fünf Schwerpunktprobleme kommen. Ich spreche hier für die Vertreter der CDU/CSU im Haushalts- und Finanzausschuß. Sehen wir uns das Paket an, das heute schon oft behandelt worden ist, das sogenannte Stuttgarter Paket, wo sich die EG unter einen ganz erheblichen Leistungsdruck gesetzt hat. Die fünf Schwerpunktprobleme sind die große Hürde, die genommen werden muß, um Europa überhaupt voranzubringen. Binnen einem halben Jahr müssen für diese fünf Schwerpunktprobleme Lösungen gefunden werden. Das ist meines Erachtens ein beachtlicher Schritt, der hier getan worden ist. Außenminister Genscher hat völlig recht, wenn er sagt, daß das überhaupt nur erreicht werden konnte aufgrund des trickreichen Verpackens, wobei jeder im Grunde sein Interesse nur wiederfinden konnte, wenn er gleichzeitig bereit war, das Interesse des anderen EG-Mitgliedstaates zu wahren.
Meine Damen und Herren, natürlich ist eine Integration wesentlich einfacher, wenn sie unter einer Hegemonie stattfindet. Es fanden bisher immer nur Einigungen in großen Wirtschaftsräumen statt. Sie können sich die ganze europäische Geschichte ansehen. Es diktierte eben einer, was alle anderen zu machen haben. Ein anderes Beispiel dafür ist der COMECON. In solch einem System ist ein Einigungsprozeß einfacher.
Ich lasse mir von meiner europäischen Begeisterung nichts nehmen.
({7})
Auch für mich ist es ausgesprochen schmerzlich, miterleben zu müssen, wie lange und wie mühsam es hier nur in kleinen Schritten gelingt, immer wieder die Egoismen der Einzelstaaten zu überwinden. Aber das ist ja gerade das Modellhafte an diesem partnerschaftlichen Einigungsprozeß, daß hier vorbildlich für die gesamte Welt nachgewiesen wird: Auch wenn es schwierig ist, es ist möglich. Es ist eine friedliche Form des Zusammenschlusses.
({8})
Nun haben sich die EG-Staaten unter einen doppelten Leistungsdruck gesetzt. Sie haben einerseits gesagt - das geht nicht zuletzt auf deutsche und britische Interessen zurück -, daß eine künftige weitere Finanzierung des EG-Haushalts, d. h. eine Ausweitung des Finanzierungsrahmens, davon abhängig gemacht wird, daß solide Haushaltspolitik, Sparmaßnahmen, genaues Unterscheiden von Überflüssigem und Notwendigem Voraussetzung ist, ehe es überhaupt zu einer Ausweitung des Finanzierungsrahmens kommen kann. Sie haben auf der anderen Seite diese Erweiterung des Finanzierungsrahmens gleichzeitig davon abhängig gemacht, daß bis dahin die Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal erfolgreich abgeschlossen sind.
Meine Damen und Herren, wenn es um die solide Finanzierung des Gesamthaushalts geht, dann kann man auch als Nicht-Agrarpolitiker einfach nicht umhin, wenigstens ein, zwei Sätze zum Thema Agrarhaushalt zu sagen. Lassen Sie mich dazu hier nur eine Bemerkung machen. Gerade auch von den Vertretern der GRÜNEN und von der SPD sind immer wieder die Überschüsse angegriffen worden.
({9})
Ich möchte dazu einen Gedanken hier in diese Debatte tragen. Wir haben in der gesamten Welt bisher noch kein einziges Agrar-Finanzierungssystem gefunden, das garantiert, daß genau 100 % soviel Nahrungsmittel hergestellt werden, wie die jeweilige Volkswirtschaft braucht.
({10})
Unsere Agrarsysteme in der Welt zeichnen sich leider durch Unterproduktion oder durch Überproduktion aus.
({11})
Ich halte das eine für ebenso beklagenswert wie das andere. Aber wenn ich jetzt abzuwägen hätte und sagen müßte: ich kann kein absolut treffsicheres Agrarsystem herstellen; welches Risiko bin ich dann eher bereit zu tragen: das der Über- oder das der Unterproduktion? Ich glaube, meine Damen und Herren, daß vielen Ländern in der Welt, wenn sie nur könnten, diese Entscheidung leichtfallen würde.
({12})
Lassen Sie mich auch dazu noch einen relativ einfachen Mechanismus darstellen, den wir in anderen Teilen der Welt beobachten können. Ich behaupte hier, daß sowohl in Ostblockländern als auch in einigen Entwicklungsländern die Ursachen der Unterproduktion nicht zuletzt darin liegen, daß die Regierungen die Nahrungsmittelpreise im Interesse des Verbrauchers künstlich zu niedrig halten. Damit sehen die Landwirte keine Produktionschance und stellen deswegen ihre Produktion ein. Das gilt sowohl für Polen als auch für einige Entwicklungsländer.
In den Entwicklungsländern beobachtet man sogar folgendes. Der Weltmarktpreis liegt über dem Preis, den man im Entwicklungsland selber für das
einzelne Nahrungsmittel bekommt. Das hat zur Folge, daß Agrarproduktionen in den Exportmarkt drängen bei gleichzeitigem Hunger der eigenen Bevölkerung. Daran sehen Sie, was für ein Unsinn im Grunde entstehen kann, wenn man durch Subventionierung für den Verbraucher niedrige Agrarpreise schaffen zu müssen glaubt.
({13})
Wir sollten uns alle dessen bewußt sein, ehe wir hier eine zu einseitige starke Kritik üben.
Die Bauern, insbesondere diejenigen der Bundesrepublik, brauchen sich insofern keine Vorwürfe zu machen. Wir sind erst sechs Monate an der Regierung. Aber bereits jetzt hat Ignaz Kiechle ein Programm vorgelegt, das aufzeigt, wie wir bereit sind, durch Abschöpfungen auch die Überproduktion in unserem eigenen Land dadurch teilweise herabzusetzen, daß wir Margen einführen, binnen deren sozusagen der Garantiepreis noch voll gewährt wird, und wo auch gesagt ist, wann er schrittweise zurückgenommen wird.
Als weiteres Problem möchte ich den Regionalfonds ansprechen. Meine Haushälter und Finanzer sagen, es müsse nicht nur im Agrarsektor gespart werden, sondern es müßten auch all die anderen Bereiche der Schere unterzogen werden, und es müsse überprüft werden, inwieweit hier Mittel bei der EG eingespart werden können. Wenn Sie den Regionalfonds ansehen, dann stellen Sie fest, daß bereits jetzt im Haushaltsentwurf der EG Kürzungen von 1983 auf 1984 vorgesehen sind. Insofern versucht man hier schon durch Vorwegnahme das Einschränkungsgebot, das von uns ausgeht, zu erfüllen.
Im Sozialfonds werden wir schätzungsweise nicht mehr viele Kürzungen durchsetzen können, nachdem wir gerade erst erreicht haben, daß er schwerpunktmäßig genau für die Aufgabe vorgesehen wird, für die wir ausdrücklich verlangt haben, daß etwas zur Verfügung gestellt wird, nämlich für die Jugendarbeitslosigkeit.
Lassen Sie mich auch noch ein paar Sätze zum Forschungsetat sagen, der ebenfalls immer wieder der Kritik unterliegt. Beim Forschungsetat haben wir leider folgendes Problem. Die EG hält in relativ großem Maße einen beachtlichen Stab hochqualifizierter Wissenschaftler und gibt dafür jährlich nicht wenig Geld aus. Gleichzeitig schaffen es die Mitgliedsstaaten nicht, sich auf gemeinsame Forschungsprogramme zu einigen, weil hier nationale Eifersüchteleien eine große Rolle spielen. Man wird hier tatsächlich die Frage aufwerfen müssen, ob die EG-Staaten entweder einen Schritt weitergehen und entsprechende Forschungsprogramme billigen oder ob sie den gesamten Wissenschaftlerstab einmotten und die Forschungspolitik nationalisieren.
Herr Sperling, Sie haben sich so beklagt, daß beim EG-Gipfel nichts herausgekommen sei. Der EG-Gipfel sieht hier aber ganz eindeutig vor, daß sich im Bereich der Forschungspolitik für neue Technologien alle Mitgliedsstaaten gemeinsam dazu verpflichten, einen Schritt voranzugehen, statt zurückzugehen. Es wird darauf ankommen, zu diesem Punkt im Laufe des nächsten halben Jahres Vorschläge zu machen.
Dann werden wir, ehe wir es uns versehen, in diesem Bundestag vor der Notwendigkeit stehen, tatsächlich die Ausweitung der EG-Mittel zu beschließen, wenn all die Bedingungen, die wir damit verbinden, erfüllt sind. Dann wird sich beweisen, wieviel echte Europäer es in diesem Parlament gibt,
({14})
wieviel Bereitschaft es gibt, Einnahmen zugunsten der EG vorzusehen und damit automatisch Machtbereiche dieses Parlaments teilweise an ein anderes Parlament abzugeben. Da bin ich auf das Verhalten der Oppositionsparteien sehr gespannt.
({15})
Hier sind vordergründig europafreundliche Reden gehalten worden. Wieweit sie dann in die Wirklichkeit umschlagen, wird sich zeigen.
Herr Hauff, noch eine letzte Bemerkung zu Ihnen.
Frau Abgeordnete, darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich weiß. Ich komme sofort zum Schluß.
Herr Hauff, ich kann nur das wiederholen, was Herr Heereman schon gesagt hat: Es war natürlich die Vorbereitungsrede für den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen. Ich hoffe nur, daß Sie nicht der dritte abschiednehmende Umweltminister des Landes Nordrhein-Westfalen werden. - Vielen Dank.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt.
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Fuchs ({0}), Buschfort, Egert, Glombig, Lutz, Dreßler, Heyenn, Kirschner, Peter ({1}), Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Arbeitszeitgesetzes ({2})
- Drucksache 10/121 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({3}) Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit
Im Ältestenrat ist eine Vereinbarung getroffen worden, die vorsieht, daß in der Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion möglich ist. - Ich höre keinen Widerspruch gegen diese Vereinbarung. Dann ist es so beschlossen.
Ich frage, ob das Wort zur Begründung gewünscht wird. - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne
Vizepräsident Westphal
dann die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dreßler.
Meine Damen und Herren! Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes hat am 20. April 1983 dem Bundeskanzler eine Stellungnahme zu den Koalitionsvereinbarungen von CDU/CSU und FDP zugeleitet. Es heißt da u. a.: „Es wäre mehr als enttäuschend, wenn es nur bei den Koalitionsvereinbarungen bliebe, die zwar eine Arbeitsplatzteilung und damit eine vielfach besondere Form von Kurzarbeit, dagegen keine Novelle der noch aus dem Jahre 1938 stammenden Arbeitszeitordnung vorsehen."
Die Regierungserklärung verzichtet ebenfalls auf eine Ankündigung. Wie wir alle wissen, verzichtete die Regierung generell auf jede konkrete Absicht, Arbeitslosigkeit mit dem Mittel gesetzlicher Flankierung zu bekämpfen oder zu mildern. Die SPD- Fraktion hingegen hat ihre Zusage eingehalten und erneut den Gesetzentwurf eines Arbeitszeitgesetzes eingebracht.
({0})
Während sich nun in diesen Tagen drei Minister täglich über Fernsehstationen und Presseagenturen erklären,
({1})
wie sie es denn in Wirklichkeit gemeint hätten, die Altersgrenze für Frauen von 60 Jahre auf 65 Jahre zu erhöhen, womit sie alles andere, nur keinen Beitrag zum Abbau zur Arbeitslosigkeit leisten,
({2})
erfüllen Sozialdemokraten ihre Zusage, zu Beginn der 10. Legislaturperiode ein modernes Arbeitszeitgesetz vorzulegen. ({3})
Verehrter Herr Zwischenrufer, wenn Sie sich einmal um die Inhalte kümmern würden, würden Sie wissen, daß die Aufhebung der Altersgrenze von 60 Jahren automatisch eine Altersgrenze von 65 Jahren bedeutet. Das wissen Sie aber augenscheinlich noch nicht. Ich habe Ihnen das hiermit gesagt.
Meine Damen und Herren, unser Gesetzentwurf hat mehrere Zielsetzungen: Schutz vor Überforderung und Überbeanspruchung; nicht vertretbare Überstundenmengen auf bisheriger gesetzlicher Basis im Interesse von Neueinstellungen zu reduzieren; die Tarifvertragsparteien zu ermuntern, ihrerseits zu vereinbaren, das knapper gewordene Gut Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen; ein Signal zu setzen und damit zu bekunden, daß wir als Gesetzgeber nicht länger zögern und unseren Teil beizutragen beginnen.
Die noch immer gültige Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938 wird der heutigen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in keiner Weise mehr gerecht.
({4})
Sie war, als sie in Kraft gesetzt wurde, auf die
Erfordernisse der Rüstungsindustrie zugeschnitten.
Die alte Arbeitszeitordnung nennt als Regelarbeitszeit die 48-Stunden-Woche. Der Rahmen für Sonderschichten und Überstunden liegt bei einer Wochenarbeitszeit von 60 Stunden, bei Sonntagsarbeit sogar bei einer solchen von 72 Stunden. Für mehr als 96 % der Arbeitnehmer gilt hingegen seit langem tarifvertraglich die 40-Stunden-Woche. Das heißt, die alte Arbeitszeitordnung greift nicht mehr. Moderne Arbeitsmethoden, Arbeitstechniken und Arbeitsverfahren bewirken heute einerseits Arbeitserleichterungen, führen aber andererseits zu neuen Gesundheitsbelastungen, die in physischen und psychischen Schäden sowie vorzeitigem Verschleiß zum Ausdruck kommen.
({5})
Die alte Arbeitszeitordnung bietet dagegen keinen ausreichenden Schutz. Das gleiche gilt für die Probleme, die sich aus der Schicht- und Nachtarbeit ergeben.
Mit dem Arbeitszeitgesetz wird das Arbeitszeitrecht an die heutigen Erfordernisse angepaßt.
({6})
Im Vordergrund steht das Ziel, die Arbeitnehmer vor Überforderung und Überbeanspruchung durch zu lange Arbeitszeiten oder zu kurze Ruhepausen und Ruhezeiten zu schützen.
({7})
Um den notwendigen Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer zu sichern, muß der Rahmen für Überstunden eng begrenzt werden.
({8})
Arbeitsmedizinische Erfahrungen zeigen, daß das Unfallrisiko während der Überstunden infolge der zusätzlichen Belastung ansteigt.
Aber genauso wichtig ist auch die arbeitsmarktpolitische Begründung. Um den Arbeitsmarkt zu entlasten, können nach Meinung der Sozialdemokraten nur die unbedingt notwendigen Überstunden zugelassen werden.
({9})
Das alte Recht bietet dazu, wie jedermann weiß, keine ausreichende Grundlage.
({10})
Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gehen deshalb heute oft ins Leere.
({11})
Ziel des Arbeitsschutzgesetzes ist es nicht, den Tarifvertragsparteien vorauszueilen. Die regelmäßige gesetzliche Arbeitszeit soll vielmehr an die Tarifwirklichkeit herangeführt werden, der Rahmen für Arbeit, für Überstunden und Sonderschichten den heutigen Verhältnissen angepaßt werden.
Die Regierung, meine Damen und Herren, beginnt, ihre Prognosen der geschätzten durchschnittlichen Arbeitslosenzahlen kräftig nach oben zu korrigieren. Für den Winter erwarten wir, daß drei Millionen Menschen ohne Arbeit sind.
({12})
Für die kommenden Jahre hat die Regierung bereits erkannt, daß eine Besserung durch ihre Politik nicht erreichbar ist.
In solch einer Situation, denke ich, kann man gemeinsam zu der Auffassung kommen, daß es unvertretbar ist, daß nach dem gültigen Gesetz unter Einbeziehung des Sonntags heute 32 Überstunden wöchentlich geleistet werden können.
({13})
- In solch einer Situation ist es unvertretbar, Herr Kolb - im dritten Drittel des 20. Jahrhunderts auch für Ihren Betrieb unvertretbar -, daß ohne Einbeziehung des Sonntags 60 Wochenstunden der Rahmen für Sonderschichten und Überstunden sind.
({14})
- In solch einer Situation, Herr Kolb, ist es auch unvertretbar, daß auf der heute gültigen gesetzlichen Basis im Jahre 1982 sage und schreibe zwei Milliarden Überstunden geleistet wurden.
({15})
Wenn unser Gesetzentwurf von zusätzlichen Beschäftigungsmöglichkeiten für 150 000 Arbeitnehmer ausgeht, bedeutet dies, daß nur knapp 15 % des rein rechnerischen Ergebnisses zugrunde gelegt wurden. Hinzu kommen möglicherweise noch über 200 000 zusätzliche Arbeitsplätze durch Einschränkung der Mehrarbeit.
Bereits Ende 1982 haben Redner der Koalition versucht, von den arbeitsmarktpolitischen Begründungen und den arbeitsmedizinischen Erfahrungen abzulenken. Damals hieß Ihr Zauberwort „Bürokratie", und Minister verstiegen sich im Dezember 1982 zum Reglementierungsvorwurf. Der SPD-Bundestagsfraktion, meine Damen und Herren, geht es nicht um Reglementierung, sondern um Humanisierung.
({16})
Jeder Kritiker unseres Gesetzentwurfs hat damals und hat heute das Recht, aber auch die Pflicht, seine Verbesserungsvorschläge zu machen. Davon war im Dezember letzten Jahres nichts zu hören. Daraus muß man schließen: Diese Art von Kritik sollte damals - ich hoffe, nicht auch wieder heute
- als Alibi für das Nichtstun herhalten, weil die ganze Richtung nicht paßt.
Es ist und bleibt arbeitsmarktpolitischer Widersinn, wenn die beschäftigten Arbeitnehmer zusätzlich das Arbeitsvolumen von zwei Milliarden Stunden erledigen, während gleichzeitig 2,5 Millionen Menschen keine Arbeit finden und 650 000 Arbeitnehmer Kurzarbeit machen.
({17})
Zu diesen unvertretbaren Überstundenmengen kommen weitere zeitliche Belastungsfaktoren hinzu. Ich will Ihnen ein paar Beispiele der bremischen Metallindustrie aufzeigen, die veröffentlicht wurden. Daß zwei von drei Beschäftigten eine tägliche Wegezeit bis zu einer Stunde haben, ist doch nicht mehr unbekannt. Daß jeder Dritte für den Weg von und zur Arbeitsstätte mehr als eine Stunde benötigt, ist auch keine Neuerung. Daß jeder Zweite inklusive Überstunden und Fahrzeit auf über 50 Stunden wöchentlich kommt, dürfte Ihnen auch nicht unbekannt sein. Daß Überstunden vorwiegend in Betrieben mit 500 bis 2 000 Beschäftigten geleistet werden
({18})
- Herr Kolb, Ihre Zwischenrufe werden durch die Lautstärke nicht qualifizierter -,
({19})
und daß 75% der Arbeitnehmer Überstunden als anstrengend und auf Dauer nicht durchhaltbar empfinden, sollten Sie zumindest einmal bedenken. Überlange Arbeitszeiten erhöhen die Wahrscheinlichkeit, nicht bis zum Rentenalter durchhalten zu können. Je länger an einem Tag gearbeitet wird, um so größer ist die Gefahr von Betriebsunfällen.
Meine Damen und Herren, beim Erlaß der Arbeitszeitordnung im Jahre 1938 galt das nationalsozialistische Tarifordnungs- und Betriebsordnungssystem. Die Arbeitszeitordnung verwendet dementsprechend Begriffe wie „Gefolgschaftsmitglieder", „Betriebsführer", „Tarifordnung" und „Reichstreuhänder der Arbeit". Diese Begriffe werden nach unserem Entwurf aus dem Arbeitszeitrecht gestrichen.
({20})
Der Gesetzentwurf ist im übrigen so angelegt, daß die Tarifautonomie und die Rechte der Arbeitnehmervertretungen nach dem Betriebsverfassungsgesetz und den Personalvertretungsgesetzen des Bundes und der Länder voll gewahrt bleiben.
Die SPD-Fraktion bittet um Überweisung an die zuständigen Ausschüsse. - Ich danke Ihnen.
({21})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hartmann.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dreßler, Sie haben eine überzeugende Begründung Ihres Gesetzentwurfes durch überzogene Polemik ersetzt. Wir sind das von Ihnen gewöhnt.
({0})
Eine Bemerkung zu Ihrer falschen Behauptung in Sachen Altersgrenze für Frauen, die durch ständige Wiederholung ja nicht wahrer wird.
({1})
In dieser Angelegenheit haben der Bundeskanzler, der Bundesminister für Arbeit und der Vorsitzende meiner Fraktion Klarheit geschaffen.
({2})
An eine Heraufsetzung der Altersgrenze ist nicht gedacht..
({3})
- Keine Zwischenfragen; ich habe nur zehn Minuten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit dem vorliegenden Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes bringt die SPD-Fraktion ihren alten Entwurf aus der letzten Legislaturperiode in etwas abgewandelter Fassung wieder ein. Man möchte sagen: Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
({4})
Es handelt sich um einen Entwurf, dessen Grundmuster schon in der 8. Legislaturperiode in der gescheiterten alten Koalition von SPD und FDP vergeblich diskutiert wurde und dann anschließend als wesentlicher Bestandteil der diversen Arbeitsschutzgesetzentwürfe alles andere als positive Resonanz gefunden hat. Man muß diese Vorgeschichte aufzeigen, um die Hintergründe und wahren Absichten, die mit dem Entwurf verfolgt werden sollen, transparent machen zu können.
Am 9. Dezember letzten Jahres fand dann die erste Lesung des nunmehr isolierten Gesetzentwurfs statt mit der Zielrichtung - aus der damaligen Situation erklärlich -, für den bevorstehenden Wahlkampf beschäftigungspolitische Pseudoaktivitäten nachweisen zu können. Dies war aus dem Blickwinkel der SPD notwendig, nachdem sie am Ende ihrer 13jährigen Regierungszeit vor einer vernichtenden Arbeitsmarktbilanz stand. Zu den großen beschäftigungspolitischen Ankündigungen der SPD während des Wahlkampfes gehörte neben ihrem sogenannten Beschäftigungshaushalt und dem sogenannten zweiten Arbeitsmarkt - alles auf Pump, versteht sich - auch die Änderung der geltenden Arbeitszeitordnung. Herr Dr. Vogel und Herr Professor Krupp rechneten vor, daß eine zweistündige Verkürzung der Wochenarbeitszeit zu einer halben Million zusätzlicher Arbeitsplätze führen würde, eine vierstündige Verkürzung würde gar mehr als eine Million erbringen. Für diese abenteuerlichen Rechnungen haben Sie am 6. März dieses Jahres das entsprechende Zeugnis bekommen.
({5})
Doch Sie machen munter weiter. Am 6. Mai dieses Jahres schreibt Herr Vogel in der Augsburger Allgemeinen, er wolle die Arbeitszeitverkürzung gleichzeitig mit einem neuen Arbeitszeitgesetz, einem Gesetz über eine Vorruhestandsregelung - natürlich mit 75% Vorruhestandsgeld - und durch Unterstützung der 35-Stunden-Woche-Kampagne fördern. Die Entwürfe liegen nunmehr vor. Und man staune, meine Damen und Herren: Kosten entstehen nach Ihrer Rechnung durch dieses Arbeitszeitgesetz keine.
({6})
In Wahrheit würde durch Ihr Maßnahmenbündel gleichsam ein Zangendruck auf die deutsche Wirtschaft ausgeübt, der mehr Dauerarbeitsplätze vernichten als neue schaffen würde. Das ist die Realität.
({7})
Meine Damen und Herren von der SPD, Ihr Vorgehen ist zu einfach und zu durchsichtig. Ihr Anliegen ist es nicht, die Arbeitszeitordnung aus dem Jahre 1938, die natürlich die Terminologie der damaligen Zeit enthält, und die teils noch älteren Arbeitszeitbestimmungen den heutigen Erfordernissen und wirtschaftlichen Notwendigkeiten anzupassen - dazu hätten Sie mit Ihren damaligen Mehrheitsverhältnissen längst Zeit gehabt -, sondern Sie wollen draußen weismachen, daß Sie im Besitz von Patentrezepten sind, was nicht stimmt. Damit aber erschweren Sie den Weg zu einer wirklichen Gesundung und einer dauerhaften Aufwärtsentwicklung.
({8})
Sie wirken dem entgegen, was Sie erreichen zu wollen vorgeben. Jahrelang hätten Sie Gelegenheit gehabt, die beschäftigungshemmenden Vorschriften der Arbeitszeitordnung und der Ausführungsverordnungen hierzu zu bereinigen. An Aufforderungen hierzu hat es nicht gefehlt.
({9})
Wie unausgegoren, widersprüchlich und kontraproduktiv Ihr Entwurf ist, kann leicht nachgewiesen werden. Da sind zunächst einmal die verschiedenen gegenläufigen Ziele des Entwurfs, denen Sie mit einer Realisierung kaum näherkommen könnten. Während Sie überall ankündigen, Ihr Arbeitszeitgesetz solle ein Instrument zum Abbau der Arbeitslosigkeit sein - Herr Kollege Dreßler hat es ja soeben wieder getan -, steht in der vor uns liegenden Drucksache, daß im Vordergrund der Schutz der Arbeitnehmer vor Überforderung und Überbeanspruchung stehe.
({10})
- Herr Kollege Lutz, ich sage Ihnen gleich, und zwar zum einzigen Mal, damit ich nicht noch mehr von meiner Redezeit verbrauche, daß Sie mich mit Ihrem Geschrei überhaupt nicht beeindrucken und daß ich mir meine Redezeit durch Ihre Einwürfe auch gar nicht schmälern lasse.
({11})
Gleichzeitig räumen Sie aber ein, daß inzwischen bei mehr als 96 % aller Arbeitnehmer die regelmäßige Arbeitszeit durch Tarifverträge auf 40 Stunden
in der Woche verkürzt worden sei. Tun Sie doch nicht so, als ob unter der Geltung der Arbeitszeitordnung der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer vernachlässigt worden sei.
({12})
Das eigentliche Ziel Ihres Entwurfs ist die rigorose Einschränkung betrieblicher Flexibilität bei der Wochenarbeitszeit und bei den Überstunden. Die wöchentliche Arbeitszeit wird starr auf 40 Stunden begrenzt. Ein viel zu enger Ausnahmekatalog belegt die absolute Realitätsferne dieses Entwurfs.
Man muß sich einmal in die Situation eines kleineren Betriebs versetzen, für den kein Tarifvertrag über Mehrarbeit gilt und in dem kein Betriebsrat existiert. Nachdem die bisherigen Möglichkeiten zu Arbeitsverlängerungen nach §§ 6 ff. der Arbeitszeitordnung nach Ihrem Entwurf entfallen, müßte beispielsweise eine durch besondere Aufträge oder Eilbestellung notwendig werdende Mehrarbeit nach § 17 Abs. 2 des Entwurfs von der Aufsichtsbehörde befristet genehmigt werden.
({13})
Genehmigen kann die Aufsichtsbehörde aber nur, wenn der Betrieb ein dringendes Bedürfnis nachweist. Was ist das? Er muß vorher auch noch das zuständige Arbeitsamt hören. Das aber ist nichts anderes als zusätzliche Bürokratie und Bindung von Kräften, um den Betrieb von vornherein abzuhalten, Mehrarbeit zu beantragen. Das sind Ihre wahren Absichten!
({14})
Als geradezu grotesk muten Ihre Erfolgsberechnungen an, meine Damen und Herren. Der Entwurf, so führen Sie aus, würde eine zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeit für rd. 150 000 Arbeitnehmer bedeuten. Hinzu kämen nach Ihren Berechnungen möglicherweise noch rd. 230 000 zusätzliche Arbeitsplätze durch Einschränkung der Mehrarbeitsstunden. Ich sage Ihnen: Mit Ihren Vorstellungen würden Sie die betrieblichen Arbeitsabläufe so beeinträchtigen und die Wachstumskräfte unserer Wirtschaft ein weiteres Mal blockieren, so daß nicht eine Entlastung auf dem Arbeitsmarkt, sondern das Gegenteil einträte.
({15})
Meine Damen und Herren, mit zusätzlicher Bürokratie, staatlicher Reglementierung der Arbeitszeiten, zusätzlicher Kostenbelastung und staatlichen Kontrollen können die Arbeitsmarktprobleme nicht gelöst werden. Aber Sie geben vor, daß es mit diesen Instrumenten zu machen ist, weil Sie keine anderen anzubieten haben.
({16})
Sie haben immer noch nicht begriffen, daß nur mehr Flexibilität bei den Arbeitszeiten den Arbeitsmarkt entlastet. Das räumen Sie zwar in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs mit einem Lippenbekenntnis ein; Ihr Entwurf wurde aber nicht nach diesem Bekenntnis ausgestaltet.
({17})
Meine Damen und Herren, eine öffentlich-rechtliche Arbeitszeitordnung hat nach unserer Auffassung nicht die Aufgabe, den Arbeitsvertragsparteien, den Tarifvertragsparteien und den Partnern im Betrieb die Gestaltungsräume zu verengen.
({18})
Genau das aber bezwecken Sie mit Ihrem Gesetzentwurf. Sie wollen Ihre Vorstellungen von der Mengenanpassung der vorhandenen Arbeit den Beteiligten aufoktroyieren. 18 Nummern über Ordnungswidrigkeitentatbestände und mehrere Straftatbestände sollen Ihr Ziel absichern.
({19})
Wir dagegen unterstützen Bestrebungen freiwilliger Art, durch flexiblere Arbeitszeitregelungen stärker individuellen Arbeitswünschen Rechnung zu tragen.
({20})
Nicht daß ich das als optimale Arbeitseinteilung ansehe, aber warum muß man beispielsweise die VierTage-Woche mit einer täglichen Arbeitszeit von zehn Stunden gesetzlich ausschließen? Warum muß die Verteilung der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die Arbeitstage mindestens vier Wochen vorher festgelegt werden? In Ihrem alten Entwurf war es immerhin nur eine Woche. Warum kann mit Arbeitnehmern nicht ein ausschließlich durch die Rufbereitschaft begründeter Arbeitsvertrag abgeschlossen werden? Die Beispiele könnte ich beliebig vermehren.
Unsere Einwände zu den restriktiven Vorschriften im Bereich der Saisonarbeit, der Pausenregelungen, des Freizeitausgleichs etc. werden wir im einzelnen bei den Ausschußberatungen nachtragen können. Dort können dann auch Sie, Herr Kollege Lutz, Ihre Anmerkungen dazu machen, die Sie jetzt hier nicht loswerden, weil ich sie nicht zur Kenntnis nehme.
({21})
Noch eines zum Schluß: Haben Sie sich eigentlich einmal überlegt, wie viele Arbeitnehmer Überstunden leisten wollen, und haben Sie einmal bedacht, ob durch Ihre rigorose Beschneidung der Möglichkeit, Überstunden zu machen, nicht ein gewaltiger Sog zu vermehrter Schwarzarbeit entstehen würde?
({22})
Diese Probleme klammern Sie einfach aus, obwohl sie eine zentrale Bedeutung haben.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie zum Schluß kommen müssen.
Ich komme zum Schluß, indem ich in drei Punkten zusammenfasse.
Erstens. Die allgemeine Einführung der 40-Stunden-und-fünf-Tage-Woche ist arbeitsmedizinisch nicht generell geboten.
Zweitens. Der arbeitsmarktpolitische Wert des 1977/78 konzipierten Entwurfs ist minimal.
Drittens. Eine Kontingentierung der Mehrarbeit auf zwei Stunden in der Woche, bei zusätzlicher tariflicher Regelung auf vier Stunden in der Woche,
({0})
würde wegen der Bezogenheit auf die Woche für viele Betriebe nicht flexibel genug sein. Insbesondere bei Auslandsaufträgen könnten Auftragsverluste die Folge sein. Ein solche Regelung ist im Wortsinne kontraproduktiv. - Vielen Dank.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stratmann.
({0})
Mit kleinen Unterschieden, Herr Kollege, wie Sie merken werden.
Ich stelle fest: Es sind nur ein paar liebe Bürgerinnen und Bürger da. Aber dennoch: Grüß Gott.
({0})
- Nein, ich habe zwei Jahre in München studiert. Da habe ich mir diesen schönen Gruß angewöhnt.
Herr Hartmann, Ihrem rotgeredeten Kopf zum Trotz: Die radikale Verkürzung der Arbeitszeit, insbesondere der Wochenarbeitszeit, wird das Thema der 80er Jahre sein,
({1})
wenn wir daran festhalten wollen, die Arbeitslosigkeit zu beseitigen und Vollbeschäftigung wiederherzustellen.
({2})
Ich werde auf einige Ihrer Argumente gleich eingehen. Zuvor möchte ich nur den Eindruck der Grünen Fraktion zum Ausdruck bringen, daß wir den von der SPD-Fraktion vorgelegten Gesetzentwurf für einen notwendigen Schritt in die richtige Richtung halten - und auch für den richtigen Schritt zum richtigen Zeitpunkt halten.
Aus zwei Gründen - das ist in der Begründung des Gesetzentwurfes schon dargelegt - ist auch die gesetzliche flankierte Verkürzung der Wochenarbeitszeit notwendig. Aus Gründen der Humanisierung der Arbeit: Herr Hartmann, wenn Sie sagen, in den vergangenen Jahren sei für Arbeitsschutz in der Bundesrepublik genug getan worden, dann erklären Sie mir doch bitte das Faktum, daß 1981 laut Erwerbstätigen- und Versicherten-Statistik 50 % der
Arbeiter mit 54 Jahren wegen Erwerbsunfähigkeit in Rente gegangen sind.
({3})
Was sagen Sie denn da zu dem funktionierenden Arbeitsschutz in der Bundesrepublik? Vielleicht meinen Sie damit das Funktionieren Ihrer Sozialen Marktwirtschaft. Nur, mit sozialer Arbeitsschutzsicherung hat das gar nichts zu tun.
({4})
Aus dem Grunde sind alle tariflichen und gesetzlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, die Wochenarbeitszeit zu verkürzen und den Arbeitsschutz damit indirekt zu erhöhen.
Ein zweiter Grund ist der arbeitsmarktpolitische. Ohne daß ich jetzt in platte Rechnerei verfalle: die Zahl, das Volumen der Überstunden entspricht ungefähr - die Schätzungen differieren etwas - einem Arbeitsplatzaufkommen in der Größenordnung von 1,2 Millionen. Das Volumen der Überstunden ist konjunkturabhängig rückläufig. Unbestrittenes Faktum. Jetzt frage ich Sie: wenn Sie dagegen sind, den möglichen Rahmen für Überstunden von heute 60 - ohne Sonntagsarbeit - möglichst auf 44 Stunden zu reduzieren, also bei erheblicher Reduktion der Mehrarbeitsmöglichkeiten, und gleichzeitig konzedieren müssen, daß das Volumen der Überstunden konjunkturabhängig ist, d. h. mit dem von Ihnen gewünschten Aufschwung auch wieder ansteigen wird, dann erklären Sie doch mal, wie der von Ihnen erwünschte Konjunkturaufschwung nicht zu einem aufgeblähten Überstundenvolumen, sondern zur Schaffung von neuen Arbeitsplätzen führt.
Herr Abgeordneter Stratmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Gerne.
Herr Abgeordneter, weil wir uns um eine Mehrheit in diesem Hause bemühen: halten Sie es für möglich, dem Abgeordneten Hartmann auch mitzuteilen, daß arbeitszeitverkürzende Maßnahmen möglicherweise ein sehr wichtiges Mittel sind, um die Arbeitslosigkeit in diesem Lande einzudämmen - nicht zu beseitigen, einzudämmen?
({0})
Ich halte es für möglich, das dem Abgeordneten Hartmann mitzuteilen. Nur: bei der interessegeleiteten Unternehmerpolitik dieser Fraktion und ihrer einzelnen Repräsentanten halte ich es für unmöglich, sie davon zu überzeugen.
({0})
Damit kommen wir zu dem Faktum, Herr Hartmann, was der Wirtschaftsminister Lambsdorff in der Regierung, für die Sie j a als Koalitionspartei mitverantwortlich sind, im Wirtschaftsausschuß letzte Woche gesagt hat. Herr Lambsdorff hat gesagt - Herr Cronenberg kann das bestätigen -,
daß die Koalition einschließlich ihres Wirtschaftsministers in diesem Jahrzehnt mittelfristig mit einer sehr hohen Arbeitslosigkeit rechne. Er hat nicht dementiert, daß „sehr hohe Arbeitslosigkeit" heißt: Massenarbeitslosigkeit in der Größenordnung von 2 bis 3 Millionen, bei unterstelltem Wirtschaftswachstum von 2,5 bis 3 %. Wenn Sie sich konsequent weigern - und das tut die Koalition -, drastische Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen vorzuschlagen - das, was Sie an Vorruhestandsregelung hier einbringen werden, ähnlich wie die SPD, ist zwar ein wichtiger Schritt, aber arbeitsmarktpolitisch gesehen nicht in der entferntesten Weise hinreichend, um die Arbeitslosigkeit nennenswert einzudämmen -, wenn Sie sich also konsequent weigern, radikalen Arbeitszeitverkürzungsmaßnahmen zuzustimmen,
({1})
und gleichzeitig mit dieser Arbeitslosigkeit bei unterstelltem Wirtschaftswachstum in diesem Jahrzehnt rechnen, nehmen Sie Massenarbeitslosigkeit in der Größenordnung von 2 bis 3 Millionen in diesem Jahrzehnt billigend in Kauf.
({2})
Sie tun das aus dem Grunde, weil Ihre erklärte Politik die Wiederherstellung einer funktionierenden sozialen Marktwirtschaft in Ihrem Sinne ist, d. h. von profitablen Anlagemöglichkeiten privater Unternehmer,
({3})
und um das wiederherzustellen, brauchen Sie die Massenarbeitslosigkeit und benutzen Sie die Massenarbeitslosigkeit. Das ist das Interesseargument, das hinter Ihrer Weigerung, der Arbeitszeitverkürzung zuzustimmen, steht.
({4})
Das ist der Grund auch dafür, Herr Lutz, warum ich das den Kollegen zwar mitteilen kann, sie aber nie davon überzeugen kann, weil das nämlich bedeuten würde, daß sie aus dem Unternehmerlager aussteigen und sich für eine andere Bevölkerungsgruppe, deren Interessen sie vertreten wollen, zuwenden.
Zur Kritik an dem vorgelegten Entwurf der SPD! Wir stimmen der SPD insofern zu, als wir das für einen notwendigen Schritt in die richtige Richtung halten. Wir meinen allerdings, daß zusammen mit den Gewerkschaften überlegt werden muß - und an der Stelle stimme ich Ihrer Sensibilität in puncto Tarifautonomie zu -, ob nicht die gesetzliche Regelarbeitszeit nicht auf 40 Wochenstunden, sondern auf
({5})
- Warten Sie doch mal ab! - eine geringere Wochenstundenzahl festgelegt werden soll in Anbetracht der Tatsache, daß noch um die Jahreswende die gesellschaftlichen Kämpfe - und es wird Streiks und Arbeitskämpfe geben ({6})
um die Verkürzung der Wochenarbeitzeit auf 35 Stunden auf der Tagesordnung steht. Wir hoffen, daß das durchgesetzt werden kann. Ich denke, wir hoffen das zusammen. Wenn es der Fall ist, daß wir in absehbarer Zeit, in einem kurzfristigen Zeitraum, die Wochenarbeitszeit drastisch reduzieren wollen, wäre es auch angezeigt, gesetzlich die Regelarbeitszeit unter die 40 Stunden pro Woche zu senken.
({7})
Zweitens schlagen wir vor, die Möglichkeit, in Überstunden auszuweichen, statt neue Arbeitsplätze zu schaffen, dadurch zu erschweren, daß man Überstunden über die Überstundenzulage hinaus zusätzlich verteuert, und zwar durch eine Mehrarbeitsabgabe, die an die Bundesanstalt für Arbeit gezahlt werden soll, wodurch zusätzliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen finanziert werden können.
({8})
- Dies ist kein größerer Aufwand, und es ist nicht im entferntesten ein so großer Aufwand, wie Sie ihn dabei haben werden, wenn Sie die sozialen Folgekosten der von Ihnen verantworteten Massenarbeitslosigkeit in Zukunft annähernd bewältigen wollen.
({9})
- Es ist nicht ungeheuerlich, daß man die Wahrheit ausspricht, sondern Ihre Politik und ihre Folgen sind ungeheuerlich.
({10})
Die Kritik an den einzelnen Maßnahmen und an den einzelnen Vorschlägen zur Ruhezeitregelung, Ruhepausenregelung, Schichtarbeit, Nachtarbeit werden wir sicherlich in den Ausschüssen und in der zweiten Beratung im Bundestag im Detail besprechen.
Ich möchte abschließend darauf hinweisen, daß natürlich auch der vorgelegte Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes nur eine flankierende Maßnahme neben anderen notwendigen Maßnahmen zur drastischen Arbeitszeitverkürzung darstellt. Dies muß deutlich gemacht werden, damit nicht die Gewichte falsch gesetzt werden - das muß ich auch an die Adresse der SPD-Fraktion sagen -, damit nicht der Eindruck erweckt wird, mit dem von Ihnen vorgelegten Entwurf zur Vorruhestandsregelung und dem Entwurf eines Arbeitszeitgesetzes sei das von Ihnen zu Leistende im wesentlichen getan. Das ist nicht der Fall.
({11})
Es muß ebenfalls im Parlament dafür Sorge getragen werden müssen, Initiativen entwickelt wer956
den - wir werden das im Rahmen unserer Möglichkeiten tun -, durch Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes und des Mitbestimmungsgesetzes die Möglichkeiten der Betriebsräte zur betrieblichen Kontrolle zu erweitern, und zwar insbesondere bei der Einführung neuer Technologien. Weiter müssen die Kontrollrechte der Betriebsräte bei Personaleinstellungen, insbesondere bei den Neueinstellungen erweitert werden, die wir begleitend zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit verpflichtend fordern.
Zum Abschluß möchte ich Herrn Hartmann und den Kollegen Ihrer Fraktion sagen: Wenn Sie sich nach wie vor weigern, der 35-Stunden-Woche in der politischen, gesellschaftlichen Auseinandersetzung zuzustimmen
({12})
- das ist heute nicht das Thema, aber das ist in diesen Monaten gesellschaftspolitisch das Thema -, wenn Sie sich nach wie vor weigern, einem flankierenden Gesetzentwurf zur Wochenarbeitszeitverkürzung zuzustimmen und - ich komme zum Schluß - unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten nur solche kleinen Schritte vorschlagen wie Vorruhestandsregelung oder individuelle Flexibilisierung der Arbeitszeit, werden Sie von uns und auch von den Arbeitslosen und den bedrohten Arbeitnehmern immer wieder die Einschätzung hören, daß Sie für die weiter steigende Massenarbeitslosigkeit in diesem Land mitverantwortlich sind. - Danke schön.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stratmann, Sie müssen jetzt noch die Ausführungen eines ungeliebten, so unterstelle ich, mittelständischen Unternehmers ertragen, der sich redlich bemüht, möglichst vielen Menschen Arbeit zu verschaffen.
({0})
Daß er sich dabei Ihrer Unterstützung nicht erfreuen kann, bedauert er sehr.
Aufgabe der Arbeitszeitordnung ist es, den notwendigen Gesundheitsschutz sicherzustellen und Überforderungen des einzelnen Arbeitnehmers zu vermeiden.
({1})
- Egon Lutz, ich habe viel Verständnis dafür, aber bei 10 Minuten Redezeit und dieser Materie bitte ich ausnahmsweise um Nachsicht dafür, daß ich heute nicht so großzügig bin.
Selbstverständlich wird nicht geleugnet, daß es einen Zusammenhang zwischen der technologischen Entwicklung und der Arbeitszeit in unserer Gesellschaft gibt, aber ebenso notwendig ist es zu berücksichtigen, daß wir in unseren Betrieben nur Arbeit haben werden, wenn wir die notwendige Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen.
Die AZO vom 30. April 1938 ist in verschiedenen Punkten novellierungsbedürftig. Ursache der unterschiedlichen Bewertung des vorliegenden Entwurfes ist im Grunde genommen die Tatsache, daß die Verfasser des Antrages das Gesetz - Herr Dreßler hat das j a auch deutlich gemacht - als Instrument genereller Verkürzung von Arbeitszeit und als Instrument einer rigorosen Kürzung von Überstunden benutzen wollen.
({2})
Wir befürchten, daß in diesem Entwurf der Teufel mit Beelzebub ausgetrieben werden soll. Zur Zeit wird für eine Verkürzung der Arbeitszeit so entschlossen und gläubig geworben - wir waren ja soeben Zeuge eines solchen Werbens -, wie früher einmal für Kreuzzüge gepredigt worden ist. Das Kalkül wird nicht aufgehen. Diese Feststellung stammt nicht von mir, sondern von dem Präsidenten des Instituts für Wirtschaftsforschung in Hamburg, Arnim Gutowski.
Ich kann sie nur nachhaltig unterstreichen.
({3})
- Das ist j a keine Schande, Herr Stratmann, im Gegenteil.
({4})
Ich möchte noch einmal kurz feststellen: Die Kassen der öffentlichen Hände, die Kassen der Sozialversicherungen sind leer. Über zu wenig Schulden braucht sich hier niemand zu beklagen. Wenn die Einnahmen die Ausgaben nicht decken, dann muß man für mehr Einnahmen sorgen und weniger Ausgaben tätigen. Das Kapitel Sparen, d. h. Kürzungen, wird hier heute nicht abgehandelt.
Wer mehr Einnahmen will, hat drei Möglichkeiten. Erste Möglichkeit: Man pumpt Geld und belastet seine Kinder mit den Zinsen und Rückzahlungen und verfrühstückt so die Leistung der nächsten Generation; Ausnahme hier: Schulden für sinnvolle Investitionen. Zweite Möglichkeit: Man erhöht die Steuern und Abgaben, d. h. man belastet Leistung und Arbeit mit der Folge, daß weniger geleistet und dementsprechend auch weniger eingenommen wird. Oder - dritte Möglichkeit - man leistet mehr, arbeitet mehr mit der Folge, daß mehr Abgaben und Steuern in die Kassen kommen.
({5})
Weil wir die Chance für mehr Arbeit verbessern
und Arbeit nicht durch höhere Kosten und mehr
Bürokratie verhindern wollen, stehen wir dem
Cronenberg ({6})
blindwütigen Kreuzzug für weniger Leistung kritisch gegenüber.
({7})
Wer jedem einzelnen und jedem Betrieb Arbeit zuteilen will, Arbeit auf Bezugschein verteilen will, der kann nicht erwarten, daß mehr geleistet und mehr geschaffen wird und daß damit auch mehr zu verteilen ist. Wie schon gesagt: Wir brauchen mehr Einnahmen, um zugesagte Leistungen des Staates und der Sozialversicherung zu finanzieren,
({8})
aber nicht die Verhinderung von Überstunden.
Kollege Stratmann, eigentlich müßten Sie für diese meine Philosophie viel Verständnis haben,
({9})
denn Ihre Argumentation ist j a ähnlich, es sei denn, Sie behandelten Ihre eigene Argumentation so ein bißchen unter dem Motto Radio Eriwan: theoretisch j a, im eigenen Bereich praktisch nein.
({10})
Bis jetzt habe ich nicht den Eindruck, daß Sie die 48- oder 40-Stunden-Woche praktizieren, von 30 oder 25 Stunden ganz zu schweigen. Mein Eindruck ist vielmehr, daß Sie von sich selber und Ihren Mitarbeitern ein Höchstmaß an Arbeit und Arbeitszeit verlangen, also sozusagen das von mir propagierte Rezept für den Erfolg Ihres Unternehmens in Anspruch zu nehmen gedenken. Das spricht j a doch mindestens dafür, daß Sie das Rezept nicht für völlig falsch halten.
({11})
- Ich habe dem Kollegen Egon Lutz das soeben verweigert. Der würde mir ewig böse sein, wenn ich Ihnen etwas zugestehen würde, was ich ihm verweigert habe.
Man kann also auch sagen: Von der Möglichkeit der Selbstverwirklichung durch Arbeit machen Sie in besonders großem Umfang Gebrauch. Ich habe natürlich nichts dagegen.
({12})
Der Entwurf, in dessen Vorblatt es heißt „Kosten: keine", ist durch die Begründung, Herr Kollege Dreßler, fast schon widerlegt. Sie schreiben selber, 0,5 % der Bruttolohn- und Bruttogehaltssumme sei als Mehrbelastung für die Wirtschaft zu erwarten. Sie rechnen dann 150 000 zusätzliche Beschäftigte dagegen. Dies unterstellt j a, daß für dann vom Gesetz verbotene Überstunden auch bei kleineren und mittleren Unternehmen neue Arbeitskräfte eingestellt werden. Die Verfasser huldigen hier einem bürokratisch-mechanistischen Denken, das ich nicht teile.
({13})
- Ich komme darauf! Man orientiert sich an Großbetrieben. Und selbst bei denen sind solche Vorstellungen irreal. Vergessen Sie nicht: 80 % der Betriebe haben weniger als zehn Beschäftigte.
Nun komme ich auf den Punkt der Zwischenrufe. Ich habe mir in der Tat - und ich stehe gern dazu
- sehr viel Mühe zusammen mit dem Kollegen Buschfort gemacht,
({14})
eine Lösung zu finden, die all die Nachteile, die Sie wieder in den Gesetzentwurf hineinpraktiziert haben, vermeidet. Ich stehe auch dazu und werde dies in den Beratungen auch vertreten.
Wie stellen Sie sich das vor, Egon Lutz, wenn Ihr Unternehmer, der Ihre Heizung reparieren soll, Ihnen erklärt: Mein lieber Herr Abgeordneter Lutz, das ist leider nicht möglich; ich habe in den letzten Monaten viele Überstunden gemacht; ich muß erst nach § 17 Abs. 2 die Aufsichtsbehörde fragen. Ob Sie damit Ihren Rohrbruch in Ordnung bekommen, ist eine andere Frage, die Sie sich selber beantworten müssen.
({15})
Ich halte solche Antragsverfahren für schlechterdings unpraktikabel.
({16})
Herr Abgeordneter Cronenberg, bleiben Sie bei Ihrer vorhin geäußerten Ablehnung von Zwischenfragen?
Ich muß dabei bleiben. Ich komme ja nur zu der Hälfte dessen, was ich vortragen will.
Was fördern Sie durch ein solches Gesetz? Ihr Rohr wird natürlich geflickt. Ich unterstelle dem Kollegen Lutz bei Gott nicht, daß er sich Schwarzarbeiter bedient. Aber in dem Fall wird er der Versuchung natürlich unterliegen, selbst den Schwarzarbeiter zu bestellen, um den Schaden in Ordnung zu bekommen.
({0})
Die Feststellung in der Begründung des Gesetzes, daß möglicherweise 230 000 zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden, halte ich glatt für eine Illusion. Ich bin überzeugt, daß Sie hier den vergeblichen Versuch unternehmen, sich reichzurechnen.
({1})
Wir brauchen viele kleine Schritte, um das Problem der Arbeitslosigkeit zu lösen. Aber es müssen richtige Schritte in die richtige Richtung sein, nicht Schritte in die falsche Richtung.
Herr Kollege Lutz, ich spreche diesem Entwurf nicht ab, daß einige Formulierungen gegenüber der
Cronenberg ({2})
geltenden AZO eine echte Verbesserung sind. Das wollen wir in aller Offenheit zugeben.
({3})
Aber dieses Gesetz darf kein Instrument sein, Schwarzarbeit zu erhöhen, mögliche Leistung zu verhindern und im Prinzip mehr Schaden als Nutzen zu bringen.
({4})
Man könnte sich wohl eine bessere Welt vorstellen,
({5})
aber auch bessere Weltverbesseer. Das ist meine abschließende Bemerkung zu diesem Gesetzesvorschlag.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/121 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zu überweisen. Sind Sie mit diesem Überweisungsvorschlag einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung der unmittelbaren Beteiligung der Versicherten an den Kosten der Krankenhaus- und Kurbehandlung ({0})
- Drucksache 10/120 Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch gegen diese Regelung. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung verlangt? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Herr Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Gesetz mit dem sperrigen Titel, das der Präsident gerade zur Beratung aufgerufen hat, verfolgt die politische Absicht, die Selbstbeteiligungsregelungen, die im Haushaltsbegleitgesetz 1983 enthalten waren, hinsichtlich der Zuzahlung im Krankenhaus und bei Kuren rückgängig zu machen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat in dem halben Jahr, das seit dem Inkrafttreten vergangen ist, festgestellt, daß sich die Bedenken, die wir grundsätzlich gegen diese Regelung hatten, bestätigt haben.
({0})
Dieses Gesetz hat sich als ein sozialpolitischer Flop erwiesen.
({1})
Die Kostenbeteiligung von 5 DM je Krankenhaustag ist ein Verstoß gegen das Sachleistungsprinzip in der Krankenversicherung. Wir hatten bis zu diesem Zeitpunkt die Tatsache zu verzeichnen, daß die Versicherten mit dem Eigenbeitrag, den sie zahlen, ihre Gesundheitsleistungen kostenfrei in Anspruch nehmen können. Mit der 5-DM-Beteiligung im Krankenhaus ist dieser Grundsatz durchbrochen worden.
Hinzu kommt, daß diese Kostenbeteiligung auch gegen das Solidarprinzip verstößt;
({2})
denn hier werden einseitig die Kranken mit den zusätzlichen Kosten belastet. Ihnen wird ein zweites Mal in den Geldbeutel gegriffen. Sie werden zur Kasse gebeten.
Die Solidarität wird auch noch in eine andere Richtung verletzt. Nicht nur, daß die Kranken einseitig belastet werden, die Arbeitgeber werden aus ihrer Solidarhaftung, die sie sonst hälftig mit den Beiträgen übernehmen, entlassen. Hinsichtlich dieses Beitrags werden sie nämlich nicht zur Kasse gebeten.
Aber der gewichtigste Einwand gegen den Selbstbehalt sind die gesundheitspolitischen Wirkungen. Denn wer kann sich die 5 DM pro Krankenhaustag, bezogen auf 14 Tage, ersparen? Ersparen wird sie sich in der Regel der, der sich das finanziell nicht leisten kann. Da er j a nicht die Entscheidung trifft, ins Krankenhaus zu gehen, kann die Folge davon nur sein, daß die eh materiell schlechter Gestellten - Frau Fuchs hat das auf einem Symposium über schichtenspezifische gesundheitliche Versorgung feststellen können -, diejenigen, die eh schon gesundheitliche Leistungen in geringerem Umfang in Anspruch nehmen, hinsichtlich der finanziellen Inanspruchnahme doppelt belastet werden.
({3})
Dahinter steht nun die Philosophie, deren wesentlicher Gedanke die häusliche Ersparnis ist. Lassen Sie mich dazu ein Wort aus sehr persönlicher Erfahrung sagen. Ich bin großgeworden in Berlin in einem Stadtteil, den man dort den Kleinen Wedding nennt. Das ist die Gegend, wo Heinrich Zille gemalt hat. Da habe ich erlebt, was ein Krankenhausaufenthalt für diejenigen bedeutete, die dort ins Krankenhaus mußten.
({4})
- Herr Feilcke, Sie werden das als Berliner, als Schöneberger Abgeordneter j a kennen. - Die Familie stand vor der Situation, daß der Vater zum erstenmal in seinem Leben einen Pyjama bekam. Das war erst einmal ein Mehraufwand und nicht ein Minderaufwand. Außerdem hat die Mutter gedacht, wenn Vater ins Krankenhaus kommt, dann verhungert er da. Das war damals falsch und ist
heute falsch. Trotzdem führt das dazu, daß die Arbeiterfamilie den Betroffenen, der im Krankenhaus liegt, dann auch noch zusätzlich versorgen will. In der Regel gibt es also keine häuslichen Ersparnisse, sondern Mehrausgaben, von den Fahrgeldern gar nicht zu reden, die aufgebracht werden müssen.
({5})
Herr Kollege George, dann reden Sie davon - und andere haben davon geredet -, daß das eine Steuerungsfunktion habe. Nun frage ich: Wer soll denn hier steuern? Soweit ich weiß, wird die Entscheidung, ob ein Versicherter ins Krankenhaus muß, von einem Arzt getroffen. Wenn etwas gesteuert werden soll und wenn wir unterstellen, daß die Entscheidung des Arztes falsch ist, müßte er dann nicht eigentlich mit einer selbstbeteiligenden Maßnahme in die Pflicht genommen werden, wenn es um Mißbrauch geht? Ich sehe die steuernde Funktion nicht. Im Gegenteil: Ich halte das für Schwachsinn.
Im übrigen waren wir uns zu Zeiten der Großen Koalition, Herr Kollege George, schon einmal viel einiger. In dem Bericht der Sozialenquete von 1967 - er ist in den Tagen der Großen Koalition entstanden - ist gerade der Selbstbehalt im Krankenhaus für einen törichten Unfug und für sozialpolitisch schädlich erklärt worden.
({6})
Diese Meinung könnten Sie, wenn Sie nur wollten, wieder einnehmen.
Nun lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu dem Aspekt der Bürokratie machen. Wenn es nun ums Geld geht, ist j a die Frage zu stellen: Kommt denn wenigstens der materielle Ertrag ein, wenn schon die gesundheitspolitischen Folgen so schädlich sind? Dazu muß man die Kritik der Deutschen Krankenhausgesellschaft und die des Marburger Bundes anführen: Da ist auch der bürokratische Unfug so teuer, daß der materielle Ertrag von den eingesparten Mitteln nicht zu erwarten steht.
({7})
Ganz besonders pikant ist in diesem Zusammenhang, daß die 5 DM auch von einem psychisch Kranken erhoben werden - um ein Beispiel für diesen bürokratischen Unfug zu nennen -, der auf Grund richterlicher Anordnung eingewiesen wird. Also der, der auf Grund einer richterlichen Anordnung, nicht freiwillig, ins Krankenhaus geht, darf dafür den Selbstbeitrag von 5 DM zahlen.
({8})
Das ist nun schon zynisch.
Die „Berliner Zeitung", die BZ, wie sie dort kurz heißt, hat ein anderes Beispiel erwähnt. Jemand starb im Krankenhaus. In einer Zeit nun, wo Computer zunehmend die Menschen ersetzen, hat dann der Computer getreulich bei den Angehörigen die 5 DM für den einen Tag vor dem Sterben als Selbstbeteiligung angemahnt. Auch dies halte ich für inhuman und zynisch.
({9})
Auch aus diesen Gründen muß diese Regelung fallen.
({10})
Noch bedeutsamer sind die Auswirkungen der Selbstbeteiligung bei Kuren. Die 10 DM dort haben sich zu einer Barriere entwickelt, die die ohnehin schwierige Situation für Arbeitnehmer, Kuren in Anspruch zu nehmen, nämlich vor dem Hintergrund der Arbeitsmarktlage, zusätzlich finanziell erschwert haben. 280 DM sind ein Batzen Geld. Bevor die jemand für die ersten vier Wochen - und das kann j a bei Kuren durchaus mehr werden - aufbringt, überlegt er sich zweimal, ob er in Kur geht.
Nun waren wir uns gestern in diesem Parlament einig, daß Prävention und Rehabilitation ihren Stellenwert in der gesundheitlichen Versorgung haben, also Vorrang haben sollen. Das war gestern richtig. Jetzt höre ich neue Äußerungen. Jetzt ist vor dem Hintergrund der beschäftigungspolitisch veränderten Situation alles anders.
({11})
Die Ärzteschaft ist jetzt auch der Auffassung, daß das Kurwesen bedenklich sei. Da kommt die Angst um den eigenen Geldbeutel durch, wenn jetzt solche Bewertungen in die öffentliche Diskussion eingehen.
Ich finde, daß wir den Gedanken der Prävention aufrechterhalten sollten. Gestern war richtig, daß uns 1 DM für Prävention 3 DM an Folgekosten in der Zukunft erspart,
({12})
gar nicht zu reden davon, daß natürlich auch den Betroffenen geholfen werden soll. Es geht ja schließlich nicht nur um buchhalterische Rechnungen und Übungen.
Es kommt hinzu, daß auf Grund der Selbstbeteiligung bei Kuren an den Kurorten natürlich eine mittelbare wirtschaftliche Folge stattfindet. Ich bin nun weit davon entfernt, zu behaupten, daß wegen dieser Selbstbeteiligung in den Kurorten Arbeitnehmer zunehmend nicht mehr beschäftigt werden können, weil die Kurheime oder die Kureinrichtungen geschlossen werden. Aber eine kumulierende Wirkung, eine verstärkende Wirkung hat die Selbstbeteiligungsregelung sicher.
({13})
Ich meine, daß der Arbeitsminister, der dort auf der Regierungsbank sitzt, eigentlich auch im eigenen Interesse sagen müßte: Diese beschäftigungspolitische Nebenwirkung kann ich nicht wollen.
Wir als Gesetzgeber haben ihm j a die Möglichkeit gegeben, über diese Selbstbeteiligung nachzudenken. Er soll uns bis 1984 einen Bericht geben. Nun sind ja Fristen manchmal sinnvoll, damit das Parla960
ment nicht vergißt, was es will. Aber Fristen können auch zur Bremse werden,
({14})
wenn man im Ausschuß von dem Arbeitsminister hören muß, er kann nur zwei, drei Werkstücke gleichzeitig in Auftrag geben, und deswegen wird er sich dieser Frage nicht zuwenden. Dies halte ich für unverantwortlich.
({15})
Denn die schädlichen Folgen sind jetzt erkennbar. Man wird bis 1984 nicht klüger. Aber das Zuwarten vermittelt bei den Bürgern den Eindruck, die seien hier trotzig. Dies ist eine Form von Parlamentarismus, die zunehmend Ablehnung erfährt. Wir dürfen hier im Parlament gemeinsam klüger werden und müssen nicht im trotzigen Beharren das Unverständnis bei den Bürgern mehren.
({16})
Meine Damen und Herren, ich will mich mit einem Appell auch an die CDU/CSU wenden. Wir wissen ja aus der Geschichte dieser Selbstbeteiligung, daß es eine kleine Partei gibt, die nun unbedingt der Asterix in dieser Frage sein will.
({17})
Wir bieten Ihnen nun in dieser Frage eine große Koalition der politischen Vernunft an.
({18})
Wir sind sehr gespannt, Herr Dr. Becker, von Ihnen zu erfahren, ob bei den Parteien, die in der Rechtskoalition zusammengeschlossen sind,
({19})
wie in der Vergangenheit der Schwanz mit dem Dackel wackeln darf oder ob das hier anders geht.
Deswegen meine herzliche Bitte, daß wir uns in den Ausschüssen dieser unsinnigen Regelung entledigen und daß Sie uns dabei unterstützen, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion CDU/CSU.
({20})
Wir freuen uns jedenfalls auf die Auseinandersetzung und hoffen auf Ihre politische Unterstützung.
({21})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Faltlhauser.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Egert hat den Gesetzentwurf der SPD gerade mit so deutlichen Farben verteidigt und die Selbstbeteiligung an den Krankenhaus- und den Kurkosten mit ihren Folgen so dramatisch geschildert - selbst Zille mußte herhalten -, daß man den Eindruck hat, daß es sich hier um ein Teufelswerk handelt.
({0})
Diese Haltung der SPD heute, im Juni 1983, verwundert, meine Damen und Herren, hat doch noch am 23. September 1982 der SPD-Bundeskanzler Schmidt mit Drucksache 9/1997 den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung sozialrechtlicher Vorschriften vorgelegt, in dem ebenfalls eine 5-DM-Kostenbeteiligung pro Tag bei Krankenhausaufenthalt und 10 DM Zuzahlung bei vollfinanzierten Kuren vorgesehen waren.
({1})
Herr Egert war damals in dem zuständigen Ministerium Parlamentarischer Staatssekretär; das will ich noch hinzufügen.
({2})
Wenn die Bestimmungen, die nun von der KohlRegierung zu verantworten sind, Teufelswerk sind, dann, meine Damen und Herren, muß ich sagen: Auch Sie sind damals als Regierungspartei vom Teufel geritten worden.
({3})
Wir unterstellen, daß Sie die Rolle der Opposition als eine Art läuterndes Fegefeuer begreifen, das Sie von Ihren Sünden der Regierungsverantwortung - -({4})
- Herr Egert, wenn Sie weiter so schreien, werde ich für Sie eine Kur beantragen, damit Sie sich etwas mehr beruhigen.
({5})
Wir verstehen das so, daß Sie Opposition als eine Art läuterndes Fegefeuer begreifen, das Sie von den Sünden der Regierungsverantwortung reinigen soll. Ich glaube, Sie werden sehr lange im Fegefeuer sein, bis Sie wieder in die himmlischen Sphären der Regierung zurückkommen.
Nun aber mal sehr ernsthaft, liebe Kollegen von der SPD. Von den fachlichen Überlegungen, die hier anzustellen sind, nehme ich eine grundsätzliche Erwägung vorweg. Wir haben vor genau einem halben Jahr Regelungen verabschiedet, mit denen wir Neuland betreten haben, die, wie wir meinen, zumindest noch im September letzten Jahres doch wohl von allen Fraktionen für vertretbar und praktikabel gehalten wurden.
({6})
Deshalb haben Sie solche Maßnahmen ja auch vorgeschlagen. In der Zwischenzeit gab es bei der Umsetzung - siehe Krankenhaus - sicherlich Trotzhaltungen und Verweigerungen. Meine Damen und Herren, wenn wir jetzt ein Gesetz zurücknehmen,
jetzt also Ihrem Vorschlag nachgeben, dann fordern wir diese Verweigerungshaltung gewissermaßen heraus.
({7})
Denjenigen, die gesagt haben: das machen wir in den Krankenhäusern nicht, würden wir aus dem Bundestag von dieser Stelle aus Mut zusprechen. Ich glaube, das sollten wir nicht tun. Das gilt bezüglich der Negativliste und bezüglich der Verweigerung der Ärzte in gleicher Weise wie für die Verwaltungen in den Krankenhäusern.
Nach einem halben Jahr eine derartige Gesetzesregelung zurückzunehmen wäre auf jeden Fall ein Dokument gesetzgeberischer Stop-and-go-Politik und würde eine Ermunterung für Gesetzesboykott in der Zukunft sein. Das wäre staatspolitisch schädlich.
({8})
- Herr Kollege Lutz, Frau Minister Rüdiger aus Hessen, die, wie Sie wissen, nicht meiner Partei angehört, hatte im Dezember 1978 in einem ähnlichen Fall im Bundesrat eine Ablehnung eines Gesetzes wie folgt begründet - ich zitiere mit Genehmigung des Präsidenten -:
Auf jeden Fall sieht sich die hessische Landesregierung nicht in der Lage, einer solchen gesetzgeberischen Wendigkeit zuzustimmen oder sich ihr anzuschließen; denn ein solches Verhalten muß Verunsicherung und Beunruhigung hervorrufen.
Ich glaube, wenn wir jetzt, nach einem halben Jahr, zurückgingen, dann würde das draußen beim Bürger Verunsicherung und Beunruhigung hervorrufen.
({9})
Ich glaube, Frau Rüdiger hat hier ein grundsätzliches und sehr richtiges Wort gesprochen.
({10})
Die SPD begründet ihre Ablehnung schriftlich und hier jetzt durch Herrn Egert mit vier Hauptargumenten: erstens Widerspruch zum Sachleistungsprinzip; zweitens zu hohe Verwaltungskosten - deshalb gehen die Beträge nicht ein - - Ich beantworte keine Zwischenfragen. Sie können sich also setzen; das ist vielleicht auch gesünder für Sie. - Drittens stellen Sie bei den Bädern das Arbeitsplatzargument in den Vordergrund. Ihr viertes Argument: keine Steuerungswirkungen. Lassen Sie mich in dieser Reihenfolge kurze Anmerkungen machen.
In der Begründung Ihres Gesetzentwurfs sagen Sie, daß das Sachleistungsprinzip - Herr Egert hat es gerade wiederholt - relativiert wird. Ich sehe dies an keiner Stelle. Auch bei Zuzahlungen wird die Verpflichtung zur Sachleistung in vollem Umfang aufrechterhalten. Wenn ein Patient ins Krankenhaus kommt, muß er entsprechend den medizinischen Möglichkeiten in vollem Umfang behandelt werden. Daran gibt es, ob Zuzahlung oder nicht Zuzahlung, keinerlei Abstrich. Deshalb scheint mir das Sachleistungsprinzip durch jene 5 DM im Grundsatz nicht einmal tangiert zu sein.
({11})
Wenn Sie diese grundsätzliche Haltung vertreten, muß ich Sie allerdings fragen, warum Sie bei den 2 DM, die man in der Apotheke zahlen muß, oder bei der Direktbeteiligung beim Zahnarzt solche grundsätzlichen Einwendungen nicht erheben.
({12})
Ich weiß, daß Sie bei den Arzneimitteln in schlaumeierischer Differenzierung von einer Gebühr sprechen. Ökonomisch ist aber genau der gleiche Fall gegeben wie bei den 5 DM im Krankenhaus. Das ist eine Direktbeteiligung. Ich habe den Eindruck, daß Sie Ihre grundsätzlichen Bedenken jeweils genau dann ansetzen, wenn es Ihnen gerade paßt.
({13})
Auch wir wollen das Sachleistungsprinzip in keiner Weise antasten oder unterhöhlen. Wir stehen zu dem Sachleistungsprinzip.
Wir meinen jedoch, daß das Sachleistungsprinzip von einer ganz anderen Seite, nämlich von der finanziellen Seite her bedroht ist. Wir glauben, daß das Sachleistungsprinzip gerade im Krankenhaus durch die Atemnot, durch die nicht abgedeckten Pflegesätze - die Gemeinden können ein Lied davon singen - bedroht ist. Hier wird die Direktbeteiligung unserer Auffassung nach eher zu einer Stütze des Sachleistungsprinzips. Wie heißt es doch in der Begründung Ihres eigenen Gesetzes aus dem Jahre 1982? Ich zitiere:
({14})
Neben den Maßnahmen zur finanziellen Entlastung der Krankenversicherung ist eine flankierende Regelung erforderlich, die sich darauf richtet, das angestrebte Ziel der Aufrechterhaltung der Beitragssatzstabilität nicht nur für die Krankenversicherung insgesamt zu erreichen, sondern vielmehr Beitragsanhebungen zu vermeiden.
Damals haben Sie die Direktbeteiligung also als eine flankierende Maßnahme zur Stützung des Sachleistungsprinzips verstanden. Heute soll die gleiche Maßnahme den Kern dieses Prinzips zerstören.
({15})
Meine Damen und Herren, wir wundern uns über die Wandlungsfähigkeit Ihrer Erkenntnisse.
({16})
Meine zweite Anmerkung betrifft die Verwaltungskosten. Der Rechnung auf dem Deckblatt Ihres Gesetzentwurfes ist zu entnehmen, daß mehr
als 50% der Einnahmen von den Verwaltungskosten aufgefressen werden. Herr Kollege Egert, diese Schätzung geht an der Realität völlig vorbei. Zugegeben, in den ersten Monaten gab es Anlaufschwierigkeiten. Die Prozentsätze der Erfüllung waren sehr niedrig, sind dann jedoch von Monat zu Monat gestiegen. Heute liegen die Eintreibungsquoten im Schnitt bei 90%.
({17})
Dazu hat die Praxis in den Krankenhäusern beigetragen. Aber auch die Ländervereinbarungen, die sehr pragmatisch zwischen den Kassen und den Krankenhausträgern abgeschlossen wurden, haben sicher einen positiven Einfluß gehabt. Ich habe es einmal für bayerische Krankenhäuser durchgerechnet und bin zu dem Ergebnis gekommen, daß die Verwaltungskosten bei mittleren Krankenhäusern bei etwa 10% liegen. Bei ganz großen Krankenhäusern - diese Häuser haben meiner Ansicht nach aber nicht ganz korrekte Angaben gemacht; die Angaben dürften überhöht sein - liegen die Verwaltungskosten bei maximal 25%. Außerdem sind diese Verwaltungskosten degressiv: Je mehr sich die Häuser daran gewöhnen, um so weiter gehen sie nach unten. Die Angaben über die Verwaltungskosten in Ihrem Gesetzentwurf sind also völlig aus der Luft gegriffen.
Drittens möchte ich auf Ihr Arbeitsmarktargument im Zusammenhang mit den Kuren eingehen. Das ist sicher eine sehr besorgniserregende Angelegenheit, die auch in unseren Reihen Gehör findet. Wir sehen, daß 15 000 Betten bei den Bädern abgebaut worden sind. Allein die BfA hat 9 500 Plätze gekündigt. Man kann sagen, daß dies 7 000 bis 7 500 Arbeitsplätze gefährdet. Aber, Herr Egert, sind denn jene 10 DM tatsächlich daran schuld oder auch nur teilweise daran schuld?
({18})
Ich bezweifle das. Lassen Sie mich zwei Vergleichszahlen hierfür nennen. Mit dem Versuch eines Beweises können wir uns vielleicht ein bißchen annähern. In der Bundesrepublik Deutschland wurden 1975 804 000 Kuren genommen. In der Zeit der Rezession von 1975 bis 1978 ist die Zahl auf 638 000 heruntergegangen. Damals hat der Gesetzgeber überhaupt nicht, in keiner Weise irgendwie lenkend eingegriffen; er hat nichts gemacht - ein starker Rückgang ohne steuernde, kostendämpfende Maßnahmen. Ein aktuelles Beispiel, das meine These zusätzlich belegen soll: In Nordrhein-Westfalen ist die Zahl der Kuren für Privatkurgäste, also für diejenigen, die weder von der Renten- noch von der Krankenversicherung etwas bekommen oder 10 DM zahlen müssen, im Jahre 1982 um 23 %, die der Sozialkuren aber nur um 15,7 % gesunken. Also, die 10 DM haben an dem Rückgang der Zahl der Kuren sicherlich keinen Anteil. Deshalb gefährden sie sicherlich auch keine Arbeitsplätze. Allerdings könnten die Maßnahmen, die noch unter Ihrer Verantwortung getroffen worden sind, dazu beigetragen haben, z. B. der Kurdeckel, § 187 a RVO, die Dreijahresgrenze oder die Maßnahme im 2. Haushaltsstrukturgesetz, wo Sie die Erwerbsunfähigkeit nur selten als ausreichenden Grund für die Bewilligung einer Kur anerkannt haben, usw. Sie haben eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen, die die Inanspruchnahme von Kuren tatsächlich in erheblicher Weise beeinflußt haben könnten. Ich würde Sie ja noch verteidigen und sagen -
Herr Abgeordneter, ich muß Sie leider darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
({0})
Gut, ich werde ein Schlußwort sagen.
({0})
- Ich will, Herr Kollege, wegen meiner abgelaufenen Zeit ein Schlußwort sagen.
Ich meine, daß sich die Steuerungswirkungen dieser Direktbeteiligung gegenwärtig sicherlich noch nicht beweisen lassen. Wenn wir aber die Direktbeteiligung auf allen Gebieten als Element der finanziellen Eigenverantwortung - das ist ein Element der Stärkung der Eigenverantwortung - einführen wollen, dann können wir das Krankenhaus wohl auch in Zukunft nur schwerlich ausnehmen, weil sonst Fehlsteuerungen passieren. Wir werden uns die Ergebnisse der Untersuchung der Bundesregierung im Jahre 1984 sehr genau, in aller Ruhe ansehen. Wir werden uns also Ergebnisse einer Sache ansehen, die Sie zunächst auch gewollt haben, und dann werden wir entscheiden, wie wir in der Stärkung der Eigenverantwortung in unserem Lande auch im Gesundheitswesen vorankommen können.
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Hickel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst möchte ich dem Herrn Cronenburg
({0})
- Cronenberg - dazu gratulieren, daß seine Arbeiter und Angestellten zu Hause offensichtlich in dem Maße selbstbestimmt arbeiten können, wie wir bei den GRÜNEN im Bundestag es tun. Das konnte ich mir bisher nicht vorstellen.
({1})
- Das ist wieder etwas anderes.
({2})
Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden Gesetzentwurf hat dieses angeblich so Hohe Haus heute abend die Gelegenheit, einmal zu zeigen, daß es auch die Größe hat, eine inzwischen allgemein als unsinnig empfundene Rechtsvorschrift in besseFrau Dr. Hickel
rer Einsicht aufzuheben. Ich würde das für ein Zeichen von Weisheit halten
({3})
und nicht für einen Gesetzesboykott, wie hier vorhin gesagt wurde.
({4})
Zu bedauern ist bloß, daß die Regierung uns heute infolge ihrer andauernden Selbstdarstellung, die schon einer Arbeitsverhinderungstaktik gegenüber dem Parlament gleichkommt, dazu bringt, dies erst zu so später Stunde hier zu verhandeln.
({5})
- ja, so ist das hier; ein Hohes Haus, wie gesagt. -({6})
Stark umstritten war die Kostenbeteiligung der Kranken an den Kur- und Krankenhauskosten ja schon, wie wir soeben hören konnten, bei ihrer Entstehung vor einigen Monaten. Um so mehr freut mich, daß hier ein Lernprozeß - wenigstens auf dieser Seite - eingesetzt hat. Ich habe immer noch die Hoffnung, daß er auch bei der CDU einsetzt.
({7})
Inzwischen hat sich nämlich gezeigt, daß diese Kostenbeteiligung - unter welchem Gesichtspunkt auch immer, unter dem des gesunden Menschenverstandes wie auch unter dem des sozialen Handelns - nicht zu rechtfertigen ist. - Ja, der Minister; der kennt das schon. - Man kann sie allenfalls unter ideologischen Gesichtspunkten rechtfertigen, wenn man nämlich will - das scheint mir hier der Fall zu sein -, daß die ohnehin Hilflosen und Eingeschüchterten noch mehr eingeschüchtert werden, daß sie nicht mehr denken, sie hätten einen Anspruch, sie hätten ein Recht auf die Leistungen der Krankenkassen, sondern daß sie in dem Gefühl leben, es sei eine Gnade, die man ihnen erweist, die sie sich mühsam erkaufen müssen.
({8})
- Ja, das ist vielleicht die Mehrheit, die Sie gewählt hat. Ich weiß es nicht.
Niemand, meine Damen und Herren, ist so leicht einzuschüchtern wie ein Kranker, und bei niemandem kann man so leicht sparen wie bei stark Eingeschüchterten. Kranke Menschen sind etwas anderes als gesunde Wähler. Das sollten Sie auch einmal berücksichtigen.
Diese Maßnahme, vor etwas über einem halben Jahr beschlossen, war also kein Zeichen von Größe.
({9})
- Ja, so sollte man es vielleicht auch sehen!
({10})
Die beiden erklärten, allerdings schon damals nicht überzeugenden Ziele dieser Kostenbeteiligung waren Ersparnis, wie wir wieder gehört haben, und Steigerung der Selbstverantwortung - auch davon war die Rede -, des Mitverantwortungsgefühls der Kranken. Beides konnte gar nicht eintreten, wie man schon damals hätte sehen können. Wir haben gehört, daß sich die Ersparnisse in lächerlichen Grenzen halten - Ihre [an die CDU gewandt] Rechnungen überzeugen mich da überhaupt nicht -, daß sie zum größten Teil durch Verwaltungsaufwand und dann durch die Arbeitslosigkeit in den deutschen Badeorten wieder wettgemacht werden.
Die Steigerung der Selbstverantwortung der Kranken allerdings wäre ein Thema, auf das ich gerne heute abend noch, wenn auch kurz, eingehen möchte. Gerade die Grünen sind j a durchaus dafür, daß die Kranken mehr als bisher sich selbst für ihre Gesundung verantwortlich fühlen, ebenso wie sich auch Gesunde mehr als bisher für die Erhaltung ihrer Gesundheit verantwortlich fühlen sollten. Das allerdings muß man ihnen auch möglich machen. Der Wille des Kranken, wieder gesund zu werden und selbst dazu beizutragen, kann z. B. nicht gefördert werden, indem man ihm im Krankenhaus 5 DM pro Tag abverlangt, sondern indem man ihm z. B. eine Möglichkeit zur Mitbestimmung über seine Behandlung einräumt.
({11})
Warum z. B. sparen wir nicht bei den Arzneimitteln, mit denen man die Kranken im Krankenhaus beinah vollstopft und die der Kranke sehr häufig gar nicht nehmen will? Jeder Insider weiß, daß die Kranken sie häufig genug heimlich vernichten. Die compliance rate bei der Einnahme von Arzneien beträgt oft nicht einmal 60 % - und dies nicht umsonst.
Warum sparen wir z. B. nicht bei den sehr oft sehr teuren diagnostischen Untersuchungen, die zudem häufig so quälend sind, daß die Patienten sie gar nicht wollen, und die, wie man allzu oft feststellen kann, manchmal mehr der Auslastung teurer Apparaturen und der Neugier der Mediziner dienen als dem Patienten selbst?
({12})
Warum sparen wir nicht, um ein weiteres Beispiel zu nennen, von denen es noch viele gäbe, bei solchen Operationen, die ebenfalls mehr im Sinne der Auslastung der im Krankenhaus vorhandenen Ka964
pazitäten als aus der Notwendigkeit der Behandlung von Krankheiten entstehen?
({13})
- Sehen Sie sich einmal in gynäkologischen Kliniken um - da handelt es sich j a nur um Frauen -, was für Operationen da vorgenommen werden, die tatsächlich nicht nötig wären! Gucken Sie sich die Studien zu dem Thema einmal an!
({14})
- Zum Beispiel Sparvorschläge anderer Art.
Die Strukturen unserer Krankenhausversorgung, um die es hier nämlich geht, anzugreifen, das hieße allerdings, z. B. die Lieferanten von teuren medizinischen Geräten und Apparaturen, die Lieferanten von Arzneimitteln in die Pflicht zu nehmen, ihre Angebotspolitik und die Preisgestaltung bei ihren Angeboten zu überprüfen. Es ist z. B. meines Erachtens gar nicht einleuchtend, warum etwa die Herstellerindustrien, die ich nannte, ihre Gewinnspannen im Medizinalbereich nicht offenlegen müssen, wie dies doch für die betreffenden Groß- und Einzelhandelssparten schon längst zur Pflicht gemacht worden ist. Da hat man es dann allerdigs mit einem Gegner zu tun, der ein starker Gegner ist. Da ist es dann allemal einfacher und bequemer, bei demjenigen zu streichen und zu sparen, der sich nicht wehren kann, der hilflos ist, nämlich bei dem Kranken. Für ihn war diese angebliche Kostenbeteiligung nichts anderes als eine versteckte Beitragserhöhung, die man offen zuzugeben sich nicht traut. Wir aber sind der Ansicht, daß es nicht länger zu rechtfertigen ist, daß mit den Beiträgen der Mitglieder der Krankenkassen die Gewinne finanziert werden, die die großen am Gesundheitswesen beteiligten Firmen einstreichen. Mit den Gewinnen nämlich, die die Hersteller medizinischer Geräte und die Hersteller von Arzneimitteln mit Hilfe der Krankenkassen machen können, sind sie ja imstande, Verluste in anderen Teilen der Elektro- und der chemischen Industrie wieder auszugleichen.
({15})
- Beispielsweise! - Dies zu ermöglichen kann, so meine ich, nicht Aufgabe der Krankenkassen sein, und man kann nicht immerzu die Mitglieder der Krankenkassen zur Kasse bitten, um dies zu ermöglichen.
Wir sehen hier wieder einmal, denke ich, daß diese Regierung sich offensichtlich vorgenommen hat, bei den Verängstigten und bei den Eingeschüchterten zu sparen,
({16})
um dann das Ersparte den Aggressiven, die eine starke Lobby haben, zuzuschustern. Ist das die „Gesellschaft mit menschlichem Antlitz", so frage ich sie, von der wir hier in der Regierungserklärung so pathetisch hören konnten,
({17})
oder ist das nicht vielmehr die Wolfsgesellschaft, in der der Starke dem Schwachen Furcht einflößt?
({18})
Wir GRÜNEN denken, daß hier die Gelegenheit ist, ein Zeichen zu setzen, bei dieser kleinen Reform, bei der Abschaffung dieses Gesetzes, ein Zeichen zu setzen im Sinne einer Gesellschaft mit menschlichem Gesicht. Wir stimmen daher dem Gesetzentwurf der SPD zu.
({19})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Etwas war ja an der Rede, die Herr Egert hier gehalten hat, sehr bemerkenswert: nämlich daß er sich eigentlich immer nur mit seiner eigenen Fraktion beschäftigt hat, nicht mit den anderen Fraktionen dieses Hauses, was sich auch in seiner Haltung am Rednerpult besonders deutlich zeigte.
({0})
Nur ganz am Schluß seiner Rede fand er es einmal angebracht, auch der CDU ein Auge zuzuwerfen. Ich bin kein Psychologe und kann deshalb nicht darüber spekulieren,
({1})
wie man das interpretieren könnte.
({2})
- Herr Lutz, ich nehme bei Ihnen gleich Nachhilfestunden in Psychologie.
({3})
Dann können Sie mich sicherlich etwas aufklären.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch eine Bemerkung zu der Art und Weise machen, wie Frau Hickel und andere Redner der GRÜNEN hier zu argumentieren versuchen. Ich muß Ihnen ganz ehrlich sagen, Unterstellungen gegenüber anderen Fraktionen des Hauses sind hier schon immer üblich gewesen, und es charakterisiert inzwischen die GRÜNEN durchaus als eine etablierte Partei, daß sie sich der gleichen Methode bedienen.
({4})
Ich muß allerdings sagen: So miese Unterstellungen, wie sie hier üblich geworden sind,
({5})
bedaure ich zutiefst. Frau Hickel, wenn Sie sagen, daß Aggressive eine starke Lobby haben, müßten Sie eine ungeheuer starke Lobby haben.
({6})
Der Gesetzentwurf der Sozialdemokraten zur Aufhebung eines Beschlusses, dem die Sozialdemokraten im letzten Sommer doch zugestimmt haben, ist eigentlich nicht besonders verwunderlich. Trotzdem fragt man sich, was er soll, denn es ist seit der Verabschiedung des Gesetzes, mit der die Selbstbeteiligungen beim Krankenhausaufenthalt und beim Kuraufenthalt eingeführt worden sind, nichts Neues bekanntgeworden, was es in irgendeiner Weise rechtfertigen würde, dieses Gesetz jetzt wieder aufzuheben.
Frau Dr. Adam-Schwaetzer, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig zuzulassen?
Herr Präsident, die Zeit ist kurz. Es tut mir schrecklich leid, Herr Kollege, ich möchte keine Zwischenfragen zulassen.
({0})
- Beim nächstenmal, wenn wir etwas längere Redezeiten haben, werde ich gern wieder Zwischenfragen zulassen.
Es sind seit der Verabschiedung des Gesetzes in der Tat keine neuen Argumente vorgetragen worden. Auch die Begründung des Antrages der SPD stützt sich nur auf das, was zu diesem Thema bereits in der parlamentarischen Behandlung - etwa in der Anhörung zu dem entsprechenden Gesetz - gesagt worden ist. Das heißt, es war bekannt, und es ist mit abgewogen worden. Insofern gibt es im Moment keine Begründung dafür, dieses Gesetz wieder aufzuheben.
Wir wollen - und das ist auch der Wille des Parlaments bei der Verabschiedung des Gesetzes gewesen - einen Erfahrungsbericht, und zwar sehr bald.
Der Erfahrungsbericht soll Ende 1984 abgeliefert werden, und darauf werden wir uns dann auch konzentrieren. Ich kann also diesen Antrag der SPD- Fraktion eigentlich nur als eine Art Tätigkeitsnachweis für möglicherweise sonst unterbeschäftigte Abgeordnete werten.
({1})
Herr Egert, zu dem, was Sie hier gesagt haben, und auch zu der Begründung, die Sie für Ihren Antrag vorgebracht haben,
({2})
nämlich die Einführung einer Selbstbeteiligung bewirke eine Entsolidarisierung,
({3})
muß ich Sie eigentlich fragen: Warum beantragen Sie nicht gleichzeitig auch, die Rezeptblattgebühr wieder aufzuheben? Es ist ja nicht so, daß hier das erste Mal eine Zuzahlung durch Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung eingeführt worden wäre. Ich kann mich auch an Gesetzentwürfe
und an verabschiedete Gesetze erinnern, bei denen Sie einer Rezeptblattgebühr und der Erhöhung einer solchen Gebühr zugestimmt haben.
({4})
Wenn man sich die Argumentation dann etwas näher ansieht, wie differenziert wird, warum das eine gerade noch möglich sei, das andere aber nicht mehr, muß ich Ihnen sagen: Das finde ich sehr wenig überzeugend.
Dennoch glaube ich, daß wir alle gut daran täten, einmal darüber nachzudenken, ob denn der Prozeß der Entsolidarisierung der Versichertengemeinschaft nicht tatsächlich schon sehr weit fortgeschritten ist. Ich bin allerdings nicht der Ansicht, daß dies nur auf einem einzigen Grund beruht, sondern ich denke, daß wir alle sehr gut daran täten, darüber nachzudenken, ob wir nicht mit der Politik, die wir allesamt betrieben haben, nämlich jedem zu sagen, er habe ein Recht auf Inanspruchnahme einer Leistung, ohne ihm gleichzeitig klarzumachen, daß er sie selber über seine eigenen Beiträge bezahlt, dazu beigetragen haben, die Entsolidarisierung zu fördern.
({5})
Die Begründung des Antrags der SPD beinhaltet völlig zu Recht einen Hinweis darauf, daß sich die Situation in den Kurorten dramatisch verschärft hat.
({6})
Wir werden das selbstverständlich mit großer Sorgfalt beobachten müssen, und zwar auch aus gesundheitspolitischen Gründen; denn wir sind immer der Meinung gewesen, daß die Behandlung und der Aufenthalt in einem Kurort dazu beitragen können, erstens gesundheitsbewußtes Verhalten für den Patienten selbstverständlicher zu machen, aber zweitens natürlich auch seine Gesundheit insgesamt zu stärken.
({7})
Deshalb müssen wir diesen Bereich weiter überprüfen.
Ich fordere allerdings auch alle Kurorte nachdrücklich auf, selber zur Erschließung zusätzlicher Einnahmequellen beizutragen.
({8})
- Es gibt eine ganze Menge Ideen, Herr Lutz, die zum Teil auch hier schon andiskutiert worden sind. Ich möchte durchaus zur Diskussion stellen, ob nicht durch eine weitergehende Selbstbeteiligung, nämlich durch die Inanspruchnahme zumindest eines Teils des Urlaubs, noch weitere Möglichkeiten
zur Gesundheitsförderung und zur eigenen Gesundheitsvorsorge denkbar sind.
({9})
Wir kennen - und darüber gibt es eigentlich keine Diskussion - unterschiedliche Formen der Selbstbeteiligung. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß für mich die Selbstbeteiligung von Patienten eine durchaus nachdenkenswerte Sache ist und daß sie vor allen Dingen dann einen Effekt erzielen kann, wenn sie als Steuerungselement für die Inanspruchnahme von Leistungen und damit für die Stärkung von Selbstverantwortung und Eigenvorsorge eingesetzt werden kann.
({10})
Ich sehe durchaus, daß nicht alle der im Moment eingeführten Formen von Zuzahlungen dieses Kriterium der Selbstbeteiligung erfüllen. Deshalb sage ich ganz offen, daß wir schon darüber nachdenken, ob es nicht sinnvoll wäre, insgesamt zu einem Konzept der Selbstbeteiligung zu kommen, wobei man dann über die bisher eingeführten Formen wieder diskutieren müßte. Ich betone aber, daß wir das selbstverständlich nicht unabhängig vom Beitragssatz sehen, sondern hier muß eine sehr enge Beziehung zwischen Selbstbeteiligung und Beitragssatz gegeben sein.
({11})
- Wenn Sie meine Presseerklärungen und meine Reden sorgfältig gelesen hätten, brauchten Sie jetzt nicht „Aha!" zu rufen.
({12})
Wer versucht, Selbstbeteiligung in dieser Form völlig aus der Diskussion herauszunehmen, zeigt ganz deutlich, daß er die Schwierigkeiten, in denen sich die gesamten Sozialversicherungen befinden, noch nicht recht ins Auge gefaßt hat.
({13})
Ich habe, das sage ich ganz offen, sehr wenig Verständnis dafür, daß wir immer noch unterversorgte Fachgebiete haben, daß wir auch in der Versorgung von Kranken immer noch Bereiche haben, in denen wir nicht alles erfüllen können, was eigentlich wichtig wäre. Da ist es für mich eine Herausforderung und eine Aufgabe, in diesen Bereichen die Solidarität wiederherzustellen. Das werden wir aber nicht tun, wenn wir wie bisher alles Mögliche an Rechten, aber nicht an Pflichten aufgreifen. Wir sollten uns vielmehr ein Gesamtkonzept vornehmen, um die Solidarität wieder zu stärken.
Der Gesetzentwurf der SPD ist zu diesem Zeitpunkt sicherlich nicht zustimmungsfähig. Wir wollen abwarten, was die Bundesregierung mit den Beteiligten im nächsten Jahr als Bericht zur Selbstbeteiligung in Krankenhäusern und bei Kuren zusammenstellt, um anschließend darüber zu beraten, ob möglicherweise Konsequenzen aus dem Bericht zu ziehen sind.
({14})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/120 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung ausbildungs- und beschäftigungshemmender Vorschriften
- Drucksache 10/139 Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist auch für diesen Tagesordnungspunkt die Aussprache so festgelegt worden, daß ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion möglich ist. - Ich sehe keinen Widerspruch dazu. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Louven.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir von der CDU/ CSU-Fraktion begrüßen den Gesetzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 10/139.
({0})
Mit diesem Gesetzentwurf wird ein Teil der ausbildungs- und beschäftigungshemmenden Vorschriften beseitigt.
Dieser Gesetzentwurf sieht im wesentlichen vor, die bisher unterschiedlichen Höchstarbeitszeiten für Frauen und Männer anzugleichen, die derzeit mit maßgeblich dafür sind, daß Mädchen geringere Chancen auf eine Berufsausbildung haben.
({1})
- Herr Lutz, wenn Sie zur Kenntnis nehmen, daß ich auf Grund einer Sommererkältung stimmliche Schwierigkeiten habe, wäre ich Ihnen sehr dankbar.
Der Gesetzentwurf sieht weiter vor, Nachtarbeitszeit für Frauen zu beschränken. Schließlich soll durch eine Änderung des Schwerbehindertengesetzes erreicht werden, daß eine Erhöhung der
Zahl der Ausbildungsplätze sich nicht zum Nachteil der Ausbildungsbetriebe dadurch auswirkt, daß eine Ausgleichsabgabepflicht entsteht. Diese die Ausbildungsbereitschaft der Betriebe bestrafende Vorschrift wird so geändert, daß zukünftig die zusätzlich geschaffenen Ausbildungsplätze bei der Berechnung der Behindertenquote außer Betracht bleiben.
Mit diesem Gesetzentwurf des Bundesrates zum Frauenarbeitsschutz wird ein Bereich aufgegriffen, der seit Jahrzehnten geregelt ist, aus heutiger Sicht aber erstarrt und verkrustet wirkt. Unterschiedliche Regelungen über Höchstarbeitszeiten und Mindestruhepausen für Männer und Frauen können arbeitsmedizinisch nicht mehr begründet werden.
Dieser Gesetzentwurf ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
({2})
Ich meine jedoch, daß weitere Schritte folgen müssen. Alle zur Zeit noch bestehenden Arbeitsschutzvorschriften für Frauen sind daraufhin zu überprüfen, ob und inwieweit sie heute noch arbeitsmedizinisch begründbar sind.
Dabei bleibt es unser Ziel, Frauen nicht schutzlos dem Arbeitsleben preiszugeben.
({3})
Man wird z. B. darüber nachdenken müssen, ob es immer noch richtig ist, daß Frauen nicht unter Tage beschäftigt werden dürfen. Daran wird sich wohl im Grundsatz nichts ändern. Ich frage mich jedoch, weshalb es einer Frau verwehrt sein soll, gelegentlich für kürzere Zeit unter Tage zu arbeiten, wenn sie beispielsweise in leitender Stellung ist, wenn sie beispielsweise im Gesundheitsdienst oder im Wohlfahrtswesen tätig ist, wenn sie während ihrer praktischen Berufsausbildung Studien in den unter Tage gelegenen Teilen eines Bergwerks durchführen will.
({4})
Sie sehen, meine Damen und Herren, an diesem Beispiel, daß in diesem Bereich noch einiges für vernünftige Regelungen offensteht.
Herr Abgeordneter Louven, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Nein.
Generell? Louven ({0}): Generell.
Ich begrüße es, daß die Bundesregierung angekündigt hat, in absehbarer Zeit hierzu weitere Vorschläge zu machen. Hier ist dann sicherlich auch das Verbot der Beschäftigung von Frauen auf Baustellen zu lockern. Auch die Verordnung über die Beschäftigung von Frauen auf Fahrzeugen bedarf einer Neuregelung.
Der vorliegende Gesetzentwurf betrifft den Abbau von Vorschriften, die sich in der Praxis als ausbildungs- und beschäftigungshemmend erwiesen haben,
({1})
ohne den Kern der Schutzbestimmungen zu gefährden. Die Änderungen - davon gehen wir aus - verbessern die Ausbildungs- und Beschäftigungschancen von Frauen und Mädchen und fördern die zusätzliche Bereitstellung von Ausbildungsplätzen.
Daß mit der Vorlage dieses Gesetzentwurfs nicht alle ausbildungshemmenden Vorschriften beseitigt sind, erwähnte ich bereits. Vom Verfahren her wäre es vielleicht zweckmäßig gewesen, alle Initiativen zu dieser Problematik zu sammeln und im Verbund zu beraten. Es ist jedoch im Interesse der jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, Eile geboten.
Wir begrüßen es, daß der Bundesarbeitsminister mit seiner Verordnung zur Verbesserung der Ausbildung Jugendlicher, die dem Bundesrat am 3. Juni zugeleitet wurde und in Kürze zur Verabschiedung ansteht, initiativ geworden ist. In dieser Verordnung sind Ausnahmen für die Beschäftigung Jugendlicher vor 7.00 Uhr und nach 20.00 Uhr für Bereiche vorgesehen, in denen diese Ausnahmen besonders vordringlich erscheinen.
({2})
Wir begrüßen auch die Initiative des Landes Rheinland-Pfalz, womit der Teil, der auf dem Verordnungsweg nicht geregelt werden kann, im Wege einer Gesetzesänderung des Jugendarbeitsschutzes bald geregelt werden soll.
Ich möchte mit aller Deutlichkeit betonen, daß der notwendige Gesundheitsschutz für junge Menschen, die noch in der Entwicklung sind, nicht angetastet werden darf. Andererseits dürfen wir jedoch nicht den Blick davor verschließen, daß der Jugendarbeitsschutz seit jeher von zwei Zielen geprägt ist: dem notwendigen Gesundheitsschutz auf der einen Seite
({3})
und einer möglichst umfassenden praxisnahen Ausbildung der Jugendlichen auf der anderen Seite, Herr Kollege Lutz.
({4})
Die praxisnahe Ausbildung ist insbesondere im Bereich des Nahrungsmittelhandwerks, wo ein früherer Arbeitsbeginn unumgänglich ist, nicht gegeben. Einem Bäckerlehrling, der um 7.00 Uhr in den Betrieb kommt, oder einem Konditorlehrling, der sonntags nicht arbeiten darf,
({5})
bleiben wichtige praxisnahe und berufsbezogene
Erkenntnisse vorenthalten, was er dann, nachdem
er 18 Jahre alt geworden ist, unter Umständen als äußerst störend empfindet.
({6})
Meine Damen und Herren von der SPD, wir haben aus verschiedenen Äußerungen hier und auch zuletzt in der Fragestunde am 8. Juni erkennen müssen, daß Sie sich dem Ziel, ausbildungshemmende Vorschriften zu beseitigen, widersetzen.
({7})
Angesichts der schwierigen Ausbildungsplatzsituation kann dies nur verwundern. Gerade Sie als sozialdemokratische Partei sollten nichts unterlassen, um diese Situation mit uns zu verbessern.
({8})
Mit Stimmungsmache dagegen, meine Damen und Herren, wird nicht geholfen. Über Briefe so mancher Jugendvertretung innerhalb des Deutschen Gewerkschaftsbundes, die im übrigen von der Gesetzesänderung überhaupt nicht betroffen sind, kann man sich da nur wundern.
({9})
Aus meiner Praxis kann ich berichten - ich habe dies jüngst noch mit einer Berufsschulklasse von Bäckern diskutiert -, daß die Lehrlinge dafür Verständnis haben, ja sogar bestrebt sind, früher mit der Arbeit beginnen zu können.
({10})
Ihre vielfach an die Bundesregierung gestellte Frage, wieviel zusätzliche Ausbildungsplätze auf Grund dieser Änderungen bereitgestellt werden, kann natürlich nicht beantwortet werden. Wir sollten uns aber nicht dem Vorwurf aussetzen, daß es Betriebe gibt, die allein auf Grund ausbildungshemmender Vorschriften nicht bereit sind, auszubilden.
({11})
Ich weiß aus vielen Diskussionen mit Handwerkern, daß es diese Betriebe gibt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die derzeitige Situation erfordert kurzfristiges Handeln. Wir begrüßen darüber hinaus, daß der Bundesarbeitsminister angekündigt hat, ein neues Konzept der Arbeitszeitvorschriften des Jugendarbeitsschutzes mit dem Ziel zu entwickeln, die Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten für Jugendliche unter Wahrung ihres Gesundheitsschutzes zu verbessern.
({12})
Dabei sollte der Gesetzgeber auf den Ehrgeiz verzichten, alle möglichen und denkbaren Fälle zu regeln. Ein noch so ausgeklügeltes System gesetzlichen Arbeitsschutzes kann die Wirklichkeit nicht umfassend einfangen. Das Leben hat immer einen Fall mehr, als sich der Gesetzgeber ausdenken kann.
({13})
Eine generelle Neuregelung sollte, um praxisnah zu sein, ausreichenden Spielraum für Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen geben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch einige Anmerkungen zum Sofortprogramm der SPD zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit machen.
({14})
Einzelvorschläge Ihres Programms, meine sehr verehrten Kollegen von der SPD, sind diskutabel. Insgesamt jedoch ist Ihr Sofortprogramm als Propagandaantrag zu werten,
({15})
mit dem Sie von dem ablenken wollen, was Sie uns hinterlassen haben.
({16})
Dieser Antrag ist eine Fortsetzung der bisherigen falschen Politik, Arbeitslosigkeit mit öffentlichen Beschäftigungsprogrammen zu bekämpfen.
({17})
Ihr Programm ist nicht finanzierbar und würde im Falle einer Realisierung die Bemühungen der Wirtschaft um Eingliederung der Jugendlichen in Ausbildungsstellen erschweren
({18}) und demotivierend auf die Betriebe wirken.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich bin fertig. - Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte, dem Überweisungsantrag Ihre Zustimmung zu geben.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Buschfort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zwei kurze Vorbemerkungen machen.
Frau Adam-Schwaetzer, ich will meine Zuneigung gern gleichermaßen von rechts bis links verteilen.
Mein Geschäftsführer hat mir aufgetragen, den Beitrag kurz zu fassen; auch das will ich gern befolgen.
({0})
Meine Damen und Herren, seit vielen Jahren hören wir das Klagelied über die angeblich vorhandenen ausbildungs- und beschäftigungshemmenden Vorschriften, sei es im Jugendarbeitsschutz, der Arbeitszeitordnung oder aber im Schwerbehindertengesetz. All dies ist nicht neu, und die Argumente sind in der Zwischenzeit auch nicht besser geworden.
({1})
Das Beispiel der neuen Verordnung zum Jugendarbeitsschutz zeigt deutlich, daß es tatsächlich um einseitigen Anpassungsdruck geht, der jetzt möglich ist, weil die wirtschaftspolitische und die beschäftigungspolitische Lage einen solchen Gesetzentwurf und eine solche Verordnung möglich machte.
({2})
Dabei wird der notwendige Gesundheits- und Gefahrenschutz leichtfertig geopfert.
({3})
Ich befürchte schon jetzt - und ich sage das sehr deutlich -: Die Auszubildenden werden künftig früher, Herr Konditormeister, mit ihrer Arbeitsleistung beginnen. Sie werden nicht anders und auch nicht besser ausgebildet als bisher.
({4})
Und sie werden künftig am Nachmittag zur gleichen Zeit ihre Arbeit beenden.
({5})
Und im Ergebnis wird nur die Rate der Gesetzesverstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz erhöht werden.
({6})
Ich sage hier sehr deutlich, daß es doch bedenklich stimmen muß, daß die letzte Erhebung, die ich kenne, ergeben hat - und ich bin mir im klaren, daß das nur ein Teil der vorgekommenen Verstöße war -, daß 50 000 Verstöße von den einzelnen Landesbehörden registriert worden sind.
({7})
Da müssen Sie schon ein wenig einwirken, um dies zu verändern.
({8})
Der Gesetzentwurf des Bundesrates zur Beseitigung ausbildungs- und beschäftigungshemmender Vorschriften zielt in die gleiche Richtung.
Es ist - und das ist heute deutlich geworden - kein Geheimnis, daß wir Sozialdemokraten und auch die Gewerkschaften die Arbeitszeitordnung aus dem Jahr 1938 und das Schwerbehindertengesetz für reformbedürftig halten.
({9})
Deshalb haben wir auch dem Deutschen Bundestag umfassende Vorschläge vorgelegt.
Was der Bundesrat mit dem hier zur Beratung stehenden Gesetzentwurf vorschlägt, ist aus meiner Sicht - vorsichtig ausgedrückt - eine Ergebenheitsadresse an die Unternehmerseite, die wir nicht unterstützen können.
({10})
Bei diesem Gesetzentwurf geht es darum, eine Auflockerung des Nachtarbeitsverbots für Arbeiterinnen herbeizuführen. Es ist aber arbeitsmedizinisch seit Jahren bewiesen, daß Nachtarbeit der Gesundheit abträglich ist.
({11})
Also darf sich der Gesetzgeber doch nur dazu verstehen, Nachtarbeit einzuengen, nicht aber dazu, sie auszuweiten.
({12})
- Dann haben Sie den Entwurf nicht gelesen. Es geht um die Ausweitung der Nachtarbeitsmöglichkeit für Arbeiterinnen. Schauen Sie den Gesetzentwurf doch einmal genau an!
({13})
- Ich habe nicht von einer generellen Aufhebung gesprochen.
Aber um das an dieser Stelle gleich einzubinden, Herr Abgeordneter Louven: Als ich vorhin Ihr Argument hörte, ob man nicht beispielsweise darüber nachdenken soll, daß Frauen unter Tage tätig werden können, habe ich im ersten Moment gedacht - und ich glaube es auch jetzt noch -: Sie waren noch nie in Ihrem Leben unter Tage.
({14})
- Ich war schon öfter in einer Bäckerei, als Sie glauben.
({15})
- Aber haben Sie schon einmal Überlegungen darüber angestellt, wie es wohl kommt, daß ein Jugendarbeitsschutzgesetz, das jetzt seit langer Zeit in Kraft ist, all diese Beschwernisse hatte, und wir trotzdem heute gute Semmeln und gute Backwaren vorfinden?
({16})
Es muß doch möglich sein, mit dem derzeitigen Jugendarbeitsschutzgesetz die Ausbildung durchzuführen.
({17})
Auch den beabsichtigten Änderungen des Schwerbehindertengesetzes können wir nicht zustimmen.
Herr Abgeordneter Buschfort, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Bitte.
Herr Kollege Buschfort, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Tatsache, daß es gute Semmeln in ausreichender Zahl früh gibt, nicht auf Ausbildungsbetriebe, sondern auf Fa970
brikationsbetriebe zurückzuführen ist, die gar keine Ausbildungsplätze bereitstellen?
({0})
Es ist dann um so schlimmer, daß man aus solchen Überlegungen heraus Auszubildende erst gar nicht einstellt. Ich bin davon überzeugt, daß bei einer vernünftigen Organisationsform des Betriebes mit der derzeitigen Jugendarbeitsschutzgesetzgebung eine Ausbildung möglich ist.
({0})
Herr Abgeordneter Buschfort, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lutz?
Bitte.
Herr Kollege Buschfort, halten Sie das Nachtbackverbot in der Tat für eine mittelstandsfördernde Einrichtung?
({0})
Ich halte es nicht für eine gute Angelegenheit. Ich sage das dem Mittelstand auch.
Wir haben in diesem Bereich derzeit einen vertretbaren Zugang. Die Lehrlinge bzw. die Auszubildenden sind wieder bereit, in diesen Beruf hineinzugehen. Wenn Sie allerdings die Erschwernisse zu hoch treiben, wird es wieder dahin kommen, daß Sie an jedem Schaufenster eine Plakattafel aufstellen müssen: „Auszubildende gesucht."
({0})
Hinsichtlich der Änderung des Schwerbehindertengesetzes, das ich vorhin bereits angesprochen habe, ist ein völlig falscher Ansatz gewählt worden. Ich sagte es bereits: Das Schwerbehindertengesetz muß auf der Grundlage des Aktionsprogramms weiter ausgebaut werden. Dabei gilt es insbesondere - das wäre jetzt ein wichtiges Anliegen - die Beschäftigungssituation der Schwerbehinderten zu verbessern.
({1})
Sie, meine Damen und Herren, wissen es, aber ich wiederhole es, damit man darüber vielleicht auch einmal mit den Berufskollegen diskutiert: Wir haben in der Bundesrepublik zwischen 110 000 und 120 000 beschäftigungspflichtige Betriebe im öffentlichen und im privaten Bereich. 40 000 davon haben nicht einen einzigen Schwerbehinderten beschäftigt, und über zwei Drittel erfüllen ihre Beschäftigungspflicht nicht voll. Ich meine, daß das nachdenkenswert ist.
({2})
- Oder auch darüber nachzudenken, woran das liegt.
Es ist so - ich will Ihnen das gleich sagen, Herr George -: Es kostet j a nichts, einen Schwerbehinderten nicht einzustellen. 100 DM Ausgleichsabgabe, die ich steuerlich auch noch absetzen kann. Warum soll man sich denn bei diesem Betrag die Last noch auferlegen?
({3})
Das, was der Bundesrat jetzt vorschlägt
({4})
- Herr Präsident, ich bin mit meinem Beitrag gleich fertig -, führt lediglich dazu, daß eine Rivalität zwischen arbeitslosen Jugendlichen und arbeitslosen Behinderten herbeigeführt wird.
({5})
Die Arbeitgeber, die bisher schon nicht oder zuwenig ausgebildet haben, werden dafür nach dem Bundesratsentwurf auch noch belohnt.
Mit der in diesem Entwurf vorgesehenen einheitlichen Pausen- und Arbeitszeitregelung für Männer und Frauen können wir uns durchaus anfreunden.
Meine Damen und Herren, wir werden im weiteren Gesetzgebungsverfahren kritische Fragen stellen, die deutlich machen, daß die angestrebten punktuellen Veränderungen mehr verbauen als helfen. - Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jannsen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Aus dem Bundesrat liegt uns heute ein Gesetzentwurf vor, der für uns mehr ein Beschäftigungsprogramm als eine wirkliche Gesetzesinitiative ist. Dieser Gesetzentwurf soll dem Bundeskanzler offenbar helfen, sein Wahlversprechen „jedem Jugendlichen einen Ausbildungsplatz" zu erfüllen.
({0})
Das kann und das wird dieser Gesetzentwurf, auch wenn er Gesetz wird, nicht leisten können. Und die CDU .,begrüßt" diesen Gesetzentwurf!
({1})
- Auf dem Vorblatt des Gesetzentwurfs wird unter
der Überschrift „Zielsetzung" gesagt, die RegelunDr. Jannsen
gen sollten einen Beitrag zum Abbau ausbildungshemmender Vorschriften leisten
({2})
und damit die Möglichkeit eröffnen, weitere Ausbildungsplätze zu schaffen.
Ich werde zu den zwei Punkten dieses Entwurfs, nämlich der Änderung der Arbeitszeitordnung von 1938 und der Änderung des Schwerbehindertengesetzes von 1979, kurz Stellung nehmen. Der zweite Punkt scheint offenbar der CDU keiner Erwähnung wert gewesen zu sein.
Grundsätzlich besteht die Änderung der Arbeitszeitordnung in nichts anderem als der Streichung der Paragraphen, die besondere Belastungen für Frauen am Arbeitsplatz ausschließen sollen. Das sind Bestimmungen, über die sehr wohl arbeitsphysiologisch und ideologisch diskutiert werden kann, weil sie Begründungen enthalten, die man heute sicherlich nicht mehr vertreten kann. Insofern stimmen wir mit der Aussage in der Begründung zu diesem Gesetzentwurf überein - ich zitiere -:
Unterschiedliche Arbeitszeitregelungen für Männer und Frauen führen zu einer Benachteiligung der Frau. Soweit vertretbar, sollte daher eine Angleichung beider Regelungen erfolgen.
In der Begründung zu Art. 1 dieses Gesetzentwurfs des Bundesrates heißt es zusätzlich, daß „Nachtarbeit hinsichtlich der Gesundheit von Männern und Frauen nicht wünschenswert" ist. Soweit, so gut. Da könnten wir zustimmen.
Aber es wird nun nicht die Konsequenz gezogen, Nachtarbeit für alle zu verringern; das hätte doch nahegelegen. Nein, man greift auf ein internationales Abkommen von 1906 - das ist bald 80 Jahre her - zurück und belastet die Frauen wie die Männer. Sollte man nicht darüber nachdenken, ob nicht der umgekehrte Weg der Angleichung ein sinnvoller Weg wäre?
Weiterhin sollen alle arbeitserleichternden Maßnahmen aufgehoben werden, die 1938 für Frauen festgelegt wurden, wie etwa Bestimmungen über die Mindestpausenlänge, über das Ende der Arbeitszeit, täglich und wöchentlich, über Pausen und Stillegung der Arbeit in Pausen, über Höchstarbeitszeit zwischen den Pausen usw. Diese Bestimmungen wären nämlich bei Streichung der §§ 17 und 18 nicht mehr in der Arbeitszeitverordnung enthalten.
Ich erinnere daran, es gab einmal in der Bundsrepublik eine Diskussion über die Humanisierung der Arbeit. Hier ist diese Diskussion zu einem politischen Vorhaben geronnen. Humanere Arbeit als 1938 soll es weder für Frauen noch für Männer in der Bundesrepublik geben.
Es gab auch einmal eine Diskussion über die Gleichstellung der Frau im Beruf. Hier ist sie Politik geworden, auf Kosten der Frauen und langfristig wohl auch auf Kosten der Männer, wenn beide zusammen um menschlichere Arbeit kämpfen und ringen müssen.
Die notwendige Umverteilung von Hausarbeit und Kindererziehung von der Frau auf den Mann kann nur dann erfolgen, wenn für beide kürzere Tages- und Wochenarbeitszeiten erreicht werden können.
({3})
Diesen Weg geht man mit diesem Gesetzentwurf des Bundesrats sicherlich nicht. Aber das angegebene Ziel, eine Vermehrung der Ausbildungsplätze, wird wohl kaum erreichbar sein.
({4})
Wenn überhaupt etwas erfolgt, dann eine Verdrängung männlicher durch weibliche Bewerber. Das ist statistische Kosmetik auf Kosten der Männer und der Frauen. Es ist ein wirklich „christliches" Sozialgesetz sehr eigenartiger Prägung, das uns da bevorsteht!
({5})
Um aber doch noch wenige Ausbildungsplätze in den Bereich des Möglichen zu rücken, müssen die Schwerbehinderten herhalten. Die ohnehin schon schwachen Schutzregelungen des Schwerbehindertengesetzes sollen noch weiter geschwächt werden. Ein Betrieb, der die vom Bundeskanzler versprochenen zusätzlichen Ausbildungsplätze bereitstellt, soll nun keine entsprechenden Anteile an Schwerbehinderten mehr nachweisen müssen. Das heißt doch nichts anderes, als daß diesem Betrieb neue Ausbildungsplätze abgekauft und mit den Rechten der Schwerbehinderten bezahlt werden sollen. Die Bundesregierung empfiehlt auch noch, dieses Gesetz rückwirkend in Kraft zu setzen, und dies, nachdem noch am 28. April dieses Jahres der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Behinderten folgendes erklärt hat - ich zitiere -:
Durch großzügigere Angebote an Arbeitgeber sollten schwerbehinderte Jugendliche leichter einen Ausbildungsplatz finden.
Und Herr Minister Blüm äußerte am 13. Dezember vorigen Jahres:
Die Last der Behinderung ist häufig nicht die körperliche oder seelische Beeinträchtigung, sondern das Abseitsstehen in unserer Gesellschaft, die Isolation von vielen Dingen des täglichen Lebens.
Das Leben in der Arbeitswelt ist eines von diesen vielen Dingen des täglichen Lebens, von denen wiederum Behinderte und Schwerbehinderte ausgeschlossen werden sollen.
Diese Äußerungen sollen offenbar verschleiern, daß auch diese Gesetzesinitiative von der Bundesregierung dazu verwendet wird, dem Wahlversprechen des Kanzlers zum Erfolg zu verhelfen. Aber dies wird nicht eintreten.
Eine Antwort auf dieses Vorgehen geben die Betroffenen selber. Ich zitiere zum Abschluß aus einem Brief einer Vertretung von schwerbehinderten Rehabilitanden:
Das Stillhalten der Mehrheit sich mit einem
Würgegriff an einer Minderheit zu erschleichen
ist mit Sicherheit das ungeeignetste Mittel, den sozialen Frieden zu erhalten.
({6})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eimer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf soll einen Beitrag dazu leisten, ausbildungshemmende und beschäftigungshemmende Vorschriften zu beseitigen. Die FDP begrüßt eine derartige Zielsetzung, wenn dabei sichergestellt ist, daß der Schutz vor gesundheitlicher Beeinträchtigung nicht abgebaut wird.
({0})
Diesen Abbau sehen wir auch nicht. Es wird aber unsere Aufgabe im Ausschuß sein, gerade diesen Bereich sehr sorgfältig zu prüfen. Wir werden auf Anregungen und Einwände von allen Seiten des Hauses wie schon in der Vergangenheit sicher offen sein.
Wir dürfen eines nicht vergessen, meine Damen und Herren: daß gerade Frauen und Mädchen in der heutigen Zeit besonders große Schwierigkeiten haben, Arbeit zu finden. Sehr vielen jungen Frauen ist der Einstieg insbesondere in hochqualifizierte Berufe verwehrt.
Mein Kollege Louven ist in seiner Rede auf die Einzelheiten eingegangen. Ich will das alles zu dieser späten Stunde nicht wiederholen.
({1})
- Na ja, nach Ihren Vorstellungen ist es ja wohl zweckmäßig, wenn wir die Arbeitszeit nicht allzusehr ausdehnen.
({2})
Ich muß allerdings eines feststellen: In der Aussprache über Punkt 5 der Tagesordnung wurde nicht nur zu dem unter diesem Tagesordnungspunkt aufgerufenen Gesetzentwurf, nämlich dem Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung ausbildungs- und beschäftigungshemmender Vorschriften gesprochen. Teilweise wurden Gesetze angesprochen, die erst in zwei Monaten im Plenum eingebracht werden sollen.
({3})
- Herr Kollege, ich werde auf einige Punkte eingehen. Darauf können Sie sich verlassen. Wenn Sie mich nicht unterbrochen hätten, wäre dies schon der Fall gewesen.
({4})
Auf der anderen Seite habe ich aber bereits gesagt, daß ich mich sehr kurz fassen will.
Ich kann z. B. nicht verstehen, daß in der Beurteilung der Nachtarbeit nach dem jetzt gültigen Gesetz ein Unterschied zwischen Arbeiterinnen und
Angestellten gemacht wird. Ich glaube, wir sollten uns Gedanken machen, ob das so richtig ist.
Ich glaube, wir sollten uns - damit will ich auf einen Punkt zu sprechen kommen, der hier von meinem Kollegen Jannsen auch angesprochen worden ist - auch Gedanken über das Schwerbehindertengesetz machen.
({5})
Ich kann Ihnen nur raten, einmal mit Schwerbehinderten selbst zu diskutieren.
({6})
- Vielleicht kann er mal diskutieren; dann bekommt er auch diesen Praxisbezug.
({7})
Ich habe jedenfalls für mich die überraschende Feststellung machen müssen, daß dieses Gesetz gerade aus dem Bereich der Schwerstbehinderten ganz massiv angegriffen worden ist, und zwar mit der Begründung: Es schadet uns mehr, als daß es uns nützt. Es schützt nämlich diejenigen, die einen Arbeitsplatz haben, und gibt uns nicht die Möglichkeit, in den Arbeitsplatz hineinzukommen.
({8})
Ich glaube, wir sollten uns überlegen, ob alle unsere Schutzgesetze, die in bester Absicht geschaffen worden sind, wirklich in allen Fällen den zu Schützenden nützen oder ob sie nicht möglicherweise den zu Schützenden mehr schaden, als dies beabsichtigt ist.
({9})
Lassen Sie mich aber vor einem warnen. Wir sollten, was die Ausbildungsplätze angeht, auf keinen Fall von einzelnen Maßnahmen zuviel erwarten. Es gibt kein Patentrezept, um die Arbeitsmarktprobleme und die Probleme der Ausbildung schnell zu lösen.
Herr Abgeordneter Eimer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glombig?
Bitte schön.
Herr Kollege Eimer, sind Sie denn bereit, mit mir als Schwerbehindertem über die Unsinnigkeiten dieses Gesetzentwurfes zu diskutieren, soweit es das Schwerbehindertengesetz angeht?
Herr Kollege, ich bin selbstverständlich immer zu derartigen Diskussionen bereit, weil ich der Meinung bin, daß man durch Diskussionen nur klüger werden kann. Ich bin gerne bereit, Anregungen von allen Seiten aufzunehmen. Wir sind in dieser Beziehung offen.
({0})
Eimer ({1})
- Ich finde es ganz gut, wenn man offen für Anregungen ist. Sie sollten davon auch etwas lernen.
({2})
Ich habe gesagt, daß wir von den einzelnen Gesetzen nicht zuviel erwarten sollten. Wir müssen aber auf der anderen Seite sehen, daß sehr viele kleine Schritte notwendig sind, um aus den Problemen, die wir heute haben, herauszukommen. Deswegen habe ich die herzliche Bitte, nicht alles abzuqualifizieren, was nicht der persönlichen Meinung entspricht. Dies gilt auch für andere Rezepte zur Lösung der brennenden Probleme. Wir haben heute vormittag im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit u. a. über die Glaubwürdigkeit der Politik gesprochen. Wir hatten das Thema „Jugendprotest im demokratischen Staat" auf der Tagesordnung. Meine Damen und Herren, Glaubwürdigkeit der Politik leidet nicht darunter, wenn wir unterschiedliche Meinungen und unterschiedliche Rezepte hinsichtlich der Lösungen, die anstehen, haben. Sie ist aber davon abhängig, wie wir mit Meinungen anderer umgehen. Ich glaube, diese heutige Abendstunde hat gezeigt, daß wir in dieser Hinsicht noch einiges lernen können. Wir unterstellen Ihnen keine bösen Absichten bei Ihren Gesetzentwürfen.
({3})
Ich bitte Sie, uns auch nicht diese bösen Absichten zu unterstellen.
({4})
- Mein lieber Kollege Lutz, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für diesen Zwischenruf. Er zeigt sehr deutlich, welche Einstellung Sie dazu haben, daß ein anderer Demokrat andere Vorstellungen über die Rezepte haben kann.
({5})
Er zeigt sehr deutlich Ihre Toleranz gegenüber Andersdenkenden. Er zeigt sehr deutlich, wie Sie mit anderen Meinungen umgehen.
({6})
Ich bin jedenfalls der Meinung, daß wir die Gesetzentwürfe, vor allem diesen Gesetzentwurf hier, sehr sorgfältig prüfen sollten. Dabei sind wir auch für Ihre Einwände offen. Wir werden das, wie gesagt, sehr genau prüfen, aber ich darf nochmals bitten: Unterstellen Sie uns bitte keine bösen Absichten; wir tun dies Ihnen gegenüber auch nicht.
({7})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/139 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und den Ausschuß für Bildung und Wissenschaft zu überweisen. Sind Sie mit den vorgeschlagenen Überweisungen einverstanden?
({0})
- Das heißt, ich soll eine Abstimmung darüber herbeiführen. Dann bitte ich diejenigen, die für die Überweisung sind, das Handzeichen zu geben. - Die Gegenprobe! ({1})
Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Die Mehrheit ist für die Überweisung gewesen. Dann ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.