Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 5/14/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Punkte 2 a und 2 b der Tagesordnung auf: a) Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Wirtschaftsgipfel Bonn 1985 und zu den Staatsbesuchen von Präsident Reagan und Ministerpräsident Nakasone b) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD zur Großen Anfrage der Abgeordneten Kittelmann, Wissmann, Klein ({1}), Dr. Pinger, Höffkes, Dr. Unland, Dr. Marx, Dr. Abelein, Dr. Schwörer, Lattmann, Dr. von Wartenberg, Graf Huyn, Lenzer, Müller ({2}), Dr. Hüsch, Echternach, Clemens, Dr.-Ing. Kansy, Kraus, Dr. Köhler ({3}), Borchert, Pfeffermann, Landré, Frau Fischer, Biehle, Dr. Jobst, Dr. Bugl, Dr. Müller, Dr. Götz, Schulze ({4}), Weiß, Jagoda, Susset, Magin, Regenspurger, Lowack, Milz, Schreiber, Dr. Olderog, Feilcke und der Fraktion der CDU/ CSU sowie der Abgeordneten Dr. Haussmann, Beckmann, Grünbeck, Dr.-Ing. Laermann, Frau Seiler-Albring, Dr. Solms, Schäfer ({5}), Ertl, Frau Dr. Hamm-Brücher, Dr. Rumpf und der Fraktion der FDP Protektionismus - Drucksachen 10/2183, 10/2916 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Mitzscherling Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung der beiden Tagesordnungspunkte 4' /2 Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich erteile dem Herrn Bundeskanzler das Wort.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf heute die Gelegenheit benutzen und dem Parlament in einer Regierungserklärung Bericht über den Ablauf des Wirtschaftsgipfels in Bonn und über die Staatsbesuche des Präsidenten der Vereinigten Staaten, Reagan, und des Ministerpräsidenten von Japan, Nakasone, erstatten. Der Besuch des japanischen Ministerpräsidenten war für uns ein wichtiges Ereignis; es war ein wichtiges Ereignis für das bilaterale Verhältnis zwischen unseren Ländern, aber ebenso für die Gemeinschaft des Westens. Dieser Besuch hat eine Entwicklung gestärkt und vorangetrieben, an der die Bundesregierung und nicht zuletzt ich persönlich seit meinem Amtsantritt gearbeitet haben. Ich meine den Prozeß des Zusammenwachsens der großen demokratisch verfaßten westlichen Industrienationen zu einer Solidargemeinschaft, die zum Nutzen der Bürger sowie im Interesse des Weltfriedens und einer gedeihlichen Weltwirtschaft immer enger zusammenarbeitet. Während seines Besuches hat Ministerpräsident Nakasone klar zum Ausdruck gebracht, daß Japan unwiderruflich Teil dieser Solidargemeinschaft ist. Japan will am weiteren Ausbau der Gemeinschaft mitarbeiten. Dies ist für uns alle eine ebenso wichtige wie ermutigende Botschaft. Dieser Wille wurde in dieser Klarheit zuerst bei meinem Besuch Japans in der Gemeinsamen Erklärung von Tokio vom 1. November 1983 formuliert. Wir haben das, was wir in Tokio bereits beschrieben haben, jetzt in Bonn in unserer Gemeinsamen Erklärung vom 1. Mai 1985 erneut bekräftigt. Diese solidarische Gemeinschaft des Westens besteht aus den drei Eckpfeilern Europa, Vereinigte Staaten von Amerika und Japan. Die Beziehungen Westeuropas zu den USA und die Beziehungen Japans zu den USA sind eng und intensiv. Im Vergleich zu ihnen ist das europäisch-japanische Verhältnis noch zu schwach entwickelt. Zu seiner Stärkung beizutragen, war auf beiden Seiten ein erklärter Zweck dieses Besuches. Wir sind diesem Ziel einen weiteren Schritt näher gekommen. Seit Beendigung des Zweiten Weltkriegs, der Deutschland und Japan schwer gezeichnet und Millionen von Opfern gefordert hat, verfolgen Japan und die Bundesrepublik Deutschland eine Politik des Friedens und der Verständigung. Das Ost-WestVerhältnis, Fragen der Abrüstung und Rüstungs10160 kontrolle waren daher ein natürlicher Schwerpunkt unserer gemeinsamen Gespräche. Im Rahmen dieses Themenkreises haben wir selbstverständlich auch über die Strategische Verteidigungsinitiative des amerikanischen Präsidenten gesprochen. Ministerpräsident Nakasone und ich waren uns einig darüber, daß das Forschungsprogramm SDI gerechtfertigt sei. Einer Meinung waren wir jedoch auch darüber, daß noch viele Fragen offen sind, viele Gespräche und viele Auskünfte notwendig sind. ({0}) Auch die japanische Entscheidung wird davon abhängen, ob eine Mitarbeit an diesem Forschungsprogramm als Zwei- und nicht als Einbahnstraße angelegt sein wird und ob es zu einem Prozeß des Austauschs, des Gebens und Nehmens, kommt. Wir haben verabredet, auch in dieser Frage sehr eng zusammenzuarbeiten und die deutsche und die japanische Position miteinander abzustimmen. Ministerpräsident Nakasone hat mir den Stand der Zusammenarbeit im asiatisch-pazifischen Raum, an deren Entwicklung auch wir großes Interesse haben, erläutert. So hat der Besuch des japanischen Ministerpräsidenten - wie schon meine Besuche in dieser Region - mit dazu beigetragen, unsere asiatisch-pazifischen Bindungen und Beziehungen zu verstärken. ({1}) Diesem neuen politischen und wirtschaftlichen Kräftefeld muß auch in Zukunft unsere Aufmerksamkeit gelten. ({2}) Einen wichtigen Schritt voran haben wir in der konkreten Ausgestaltung der bilateralen Beziehungen zwischen Japan und der Bundesrepublik Deutschland getan. Es ist uns gelungen, die im Schlußabsatz unserer Erklärung von 1983 zum Ausdruck gebrachte Absicht, unsere bilateralen Beziehungen auf allen Gebieten enger zu gestalten, in ein konkretes Programm umzusetzen. Dies hat in der Erklärung vom 1. Mai seinen Niederschlag gefunden. Wir haben darin bekräftigt, daß die Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan nicht nur auf den Gebieten der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie notwendig ist, sondern auch auf wichtigen anderen Gebieten, auch und insbesondere auf kulturellem Gebiet. ({3}) - Nun, im Goethe-Institut von Kioto gibt es ja spezielle Erfahrungen mit einem Bild von Deutschland, das allerdings mit unserem Bild wenig zu tun hat! ({4}) Wir wollen in Wirtschaft und Technologie sowie bei Energie- und Umweltforschung den Austausch verstärken und noch stärker zu gemeinsamen Forschungsprojekten hinlenken, und zwar unter aktiver Beteiligung unserer Wirtschaft. Wir wollen darüber hinaus die Kenntnisse unserer Länder voneinander und das Verständnis füreinander vertiefen, um Partnerschaft zu begründen und zu intensivieren. Wir haben dazu konkrete Initiativen ergriffen. Noch während des Aufenthaltes des japanischen Ministerpräsidenten hat ein erstes gemeinsames Gespräch einer neuen Arbeitsgruppe ergeben, daß die gemeinsame Erklärung vom 1. Mai zu einer Verstärkung des Austauschs von Experten, Studenten, jungen Wissenschaftlern, Praktikanten und Künstlern führen soll. Bei diesem Austausch wird es uns vor allem darum gehen, die Zahl der Deutschen, junger Deutscher, die in Japan studieren oder ihr Praktikum absolvieren, zu erhöhen. Damit wollen wir das Ungleichgewicht verringern, das sich aus der Entwicklung ergibt, daß eine große Zahl von Japanern bei uns leben und auch studieren und daß nur eine vergleichsweise geringe Zahl von jungen Deutschen in Japan arbeiten. Am 5. Mai war Ministerpräsident Nakasone dann in Berlin anwesend, als das „Japanisch-Deutsche Zentrum" seinen ersten Schritt in die Öffentlichkeit tat. Dieses Zentrum wurde im Januar dieses Jahres gegründet und soll 1987 seine Arbeit aufnehmen. Meine Damen und Herren, mit diesem Zentrum geht unser alter Wunsch nach einer neuen Nutzung des ehemaligen japanischen Botschaftsgebäudes in Berlin in Erfüllung. Wir verdanken dies ganz wesentlich dem sehr persönlichen Einsatz von Ministerpräsident Nakasone, und ich möchte ihm hier vor dem Plenum des Deutschen Bundestages für diese Initiative ausdrücklich danken. ({5}) Wir verstehen dieses deutsch-japanische Zentrum als Brücke zwischen Orient und Okzident, die beide Kulturen schöpferisch verbindet, neue Wege weisen und unserer Zusammenarbeit immer neue Anstöße geben soll. Meine Damen und Herren, dieses Mehr an Gemeinsamkeit und Zusammenarbeit im deutsch-japanischen Verhältnis wäre eben ohne den persönlichen Einsatz des japanischen Ministerpräsidenten und - das füge ich hinzu - ohne das enge persönliche Vertrauensverhältnis, das wir in unseren Begegnungen schaffen konnten, nicht möglich gewesen. In diesem Klima freundschaftlicher Verbundenheit haben wir auch die drängenden - und uns gegenseitig gelegentlich auch belastenden - Handels- und Wirtschaftsfragen behandelt. Ich habe den Appell von Ministerpräsident Nakasone an die japanische Öffentlichkeit, mehr Güter aus dem Ausland einzuführen, den japanischen Markt zu öffnen und faire Wettbewerbsbedingungen herzustellen, ausdrücklich begrüßt. Ich habe die Zustimmung des Ministerpräsidenten dafür erhalten, daß die japanischen Maßnahmen der Marktöffnung nicht nur auf die USA gezielt sein dürfen, sondern auch für die Europäer und nicht zuletzt für die Bundesrepublik Deutschland gelten müssen. Meine Damen und Herren, ich darf noch ein weiteres wichtiges Element dieses Besuches hervorheben. Es ist das Verständnis und die Unterstützung Ministerpräsident Nakasones für das nationale Anliegen aller Deutschen. Er hat in seiner Rede am Abend des 30. April seine tiefe Sympathie - ich zitiere wörtlich - für das Leid ausgedrückt, das dem deutschen Volk aus der Teilung Deutschlands erwächst. Er hat von seiner Hoffnung auf einen Zustand des Friedens gesprochen, der es dem deutschen Volk ermöglicht, in freier Selbstbestimmung seine Einheit wieder zu erlangen. ({6}) Der japanische Ministerpräsident hat als erster japanischer Regierungschef nach dem Zweiten Weltkrieg Berlin besucht und dort im Schöneberger Rathaus und beim Empfang des „Japanisch-Deutschen Zentrums" sich zur historischen Verbundenheit der Japaner mit Berlin bekannt. Er hat damit einen sehr wichtigen persönlichen Beitrag zu einer neuen Qualität der deutsch-japanischen Beziehungen geleistet. Hierfür gehört ihm unser besonderer Dank. ({7}) Der Besuch von Ministerpräsident Nakasone hat die Bundesrepublik Deutschland und Japan einen weiteren und, ich glaube, auch großen Schritt näher zueinander geführt. Das bilaterale Verhältnis wurde weiter vertieft; unsere Zusammenarbeit hat für die nächsten Jahre wichtige neue Impulse erhalten. Herr Präsident, meine Damen und Herren, Anfang Mai sind die Staats- und Regierungschefs der sieben großen westlichen Industrieländer hier in Bonn zum 11. Weltwirtschaftsgipfel zusammengekommen. Lassen Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen zu diesem Thema die Bereitschaft und Entschlossenheit aller Teilnehmer hervorheben, hier in Bonn gemeinsam neue Anstöße zu geben für die Lösung wichtiger internationaler Fragen in der Mitte der 80er Jahre. Angesichts der Schwierigkeiten und Komplexität dieser Probleme waren einfache Antworten nicht zu erwarten. Dennoch wurden sehr wichtige weiterführende Ergebnisse erzielt. Dieser Gipfel war ein Gipfel der Zuversicht und der Ermutigung. ({8}) Meine Damen und Herren, die Gespräche in Bonn wurden mit großer Offenheit und zugleich in freundschaftlicher Verbundenheit geführt, auch und gerade bei kontroversen Themen. Ich füge hinzu: Der Erfolg solcher Gespräche läßt sich natürlich nicht nur am Endkommuniqué ablesen. Entscheidend ist, daß dort die Möglichkeit besteht, daß viele anstehende Fragen von den Teilnehmern über viele Stunden hinweg direkt und persönlich erörtert werden können. ({9}) - Ich weiß gar nicht, warum Sie bei diesem Thema so unruhig sind. Das sind Formulierungen, die mein Vorgänger Helmut Schmidt hier nahezu wortgleich gebraucht hat. ({10}) Warum wollen Sie denn in diesem Zusammenhang eine wichtige Chance persönlicher Begegnungen von Regierungschefs leugnen? Ich finde, es ist völlig absurd, was Sie hier veranstalten. ({11}) Ich sage es noch einmal, ähnlich wie es andere Regierungschefs und auch mein Vorgänger hier im Hause gesagt haben: Es gibt eine große Chance ({12}) bei solchen Veranstaltungen, jenseits offizieller Erklärungen und Positionen genauer zu erfragen und zu erfahren, welche Argumente und Überlegungen das politische Handeln der Partner tatsächlich bestimmen. Meine Damen und Herren, wir schätzen dies nicht gering ein, denn jeder, der sich mit diesen Fragen beschäftigt, weiß, daß aus solchen Gesprächen dann auch vernünftige gemeinsame Handlungen erwachsen können. In diesem Sinne werden sich die Bonner Gespräche gerade in den kommenden Monaten im GATT, in der OECD und im Internationalen Währungsfonds und bei anderen Gelegenheiten als hilfreich erweisen. ({13}) Zu den wichtigsten Ergebnissen des Bonner Weltwirtschaftsgipfels gehört zunächst die gemeinsame Politische Erklärung zum 40. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs. Zu dieser Erklärung hatte die Bundesregierung die Initiative ergriffen, die Zustimmung unserer Freunde und Partner erreicht, und wir haben selbst wichtige Vorarbeiten geleistet. In diesem Dokument wird nicht nur der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft gedacht. Es ist zugleich ein Bekenntnis zu gemeinsamen Wertvorstellungen, zu Demokratie und Menschenrechten, zu Frieden und Freiheit. Diese geistig-politische Übereinstimmung ist das Fundament dauerhafter Partnerschaft und Freundschaft zwischen den Vereinigten Staaten, Japan und den Ländern Europas. Diese Partnerschaft ist und bleibt unentbehrlich für die Sicherung von Frieden und Stabilität in der Welt. ({14}) Alle Partner, die in Bonn versammelt waren, haben sich erneut auf den Gewaltverzicht verpflichtet. Sie haben ihre Bereitschaft zum Ost-West-Dialog unterstrichen und sich für nachhaltige Bemühungen um Abrüstung und Rüstungskontrolle auf allen Ebenen, insbesondere auch bei den Verhandlungen in Genf, ausgesprochen. ({15}) Alle Partner haben ferner ihre Entschlossenheit bekräftigt, mit friedlichen Mitteln Barrieren in Eu10162 ropa abzubauen und auf einen Zustand des Friedens hinzuarbeiten, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Gerade für uns Deutsche ist diese gemeinsame Politische Erklärung des Bonner Weltwirtschaftsgipfels von besonderem Wert. ({16}) Im Mittelpunkt der Bonner Gespräche standen natürlich - das war ja das Hauptthema - die Herausforderungen der Weltwirtschaft. Die Überschrift der gemeinsamen Wirtschaftserklärung macht bereits deutlich, in welche Richtung die gemeinsamen Anstrengungen gehen müssen. Die Überschrift lautet: „Für dauerhaftes Wachstum und höhere Beschäftigung". Aus den intensiven Beratungen möchte ich ganz besonders das hohe Maß an Übereinstimmung hervorheben, und zwar sowohl in der Beurteilung der weltwirtschaftlichen Entwicklung als auch in der grundlegenden Orientierung der Wirtschaftspolitik. Ich glaube, daß gerade in diesem Punkt im Vergleich zu früheren Gipfelkonferenzen zwei ganz wesentliche Fortschritte festzustellen sind: 1. Anstatt anderen Schuld zuzuweisen und Vorleistungen von anderen zu fordern, haben sich die Teilnehmer zu ihrer jeweils eigenen Verantwortung, zu ihren jeweils eigenen Notwendigkeiten bekannt. 2. Es gab keine Diskussion mehr über die Möglichkeit bequemer Lösungen. Wichtig waren die klare Absage an Inflation und Verschuldungspolitik sowie das Bekenntnis zum technischen Fortschritt und zum wirtschaftlichen Wachstum. Hier liegen die entscheidenden Voraussetzungen für höhere Beschäftigung und weniger Arbeitslosigkeit. ({17}) Die Teilnehmer der Konferenz sind aber noch einen weiteren Schritt vorangegangen. Jeder hat in der Erklärung für sich und sein Land im einzelnen dargelegt, wie er diese wichtigen Wachstumsbedingungen zu Hause verwirklichen will. So hat sich der Präsident der Vereinigten Staaten persönlich für eine bedeutende Verringerung des amerikanischen Haushaltsdefizits engagiert. Das ist, wie jeder weiß, eine alte Forderung, nicht zuletzt der Europäer in den vergangenen Jahren. ({18}) So hat der japanische Regierungschef eindeutig erklärt, die japanische Regierung werde darauf hinwirken, daß der Zugang zum japanischen Markt weiter erleichtert und das Einfuhrwachstum gefördert werde. Auch das ist eine wichtige Forderung aus Europa. ({19}) Meine Damen und Herren, das sind nur zwei Beispiele aus einer langen Liste von Festlegungen mit beachtlichem politischen Gewicht. Wir haben die Möglichkeit, in Jahresfrist, wenn wir uns in Tokio wieder treffen, zu überprüfen, ob das, was zugesagt wurde, auch tatsächlich eingehalten wurde: ({20}) - Herr Kollege, ich denke, Sie sind fähig zu lesen, und Sie haben das sicherlich gelesen, da Sie durch Ihre Zwischenrufe ja bekunden, daß Sie an dem Thema interessiert sind. ({21}) Mit dieser Politik wird eines ganz deutlich: Die Lösung der Probleme wird nicht darin gesehen, daß Vorleistungen anderer Partner zur Vorbedingung eigenen Handelns gemacht werden. ({22}) - Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, was es soll. ({23}) Wenn Sie eine Regierungserklärung zum Anlaß nehmen, eine prinzipielle Position Ihres Benehmens im Parlament deutlich zu machen, dann ist das Ihre Sache. ({24}) Nur müssen Sie angesichts der Ernsthaftigkeit der Probleme, die hier zur Diskussion anstehen, wissen, daß ich es dem geschätzten Publikum überlasse, zu beurteilen, wie Sie sich hier aufführen. ({25}) Mit dieser Politik wird also eines ganz deutlich: Die Lösung der Probleme wird nicht darin gesehen, Vorleistungen anderer Partner zur Vorbedingung eigenen Handelns zu machen. Eigene Anstrengungen werden vielmehr als entscheidender Beitrag für die weitere Aufwärtsentwicklung von Weltwirtschaft und Welthandel gekennzeichnet. Diese Übereinstimmung ist zweifellos eines der wichtigsten Ergebnisse von Bonn. Weltwirtschaft und Welthandel hängen darüber hinaus in ihrer Entwicklung von zwei grundlegenden Bedingungen ab: vom Kampf gegen den Protektionismus sowie von der Funktionsfähigkeit des internationalen Währungssystems. Zur internationalen Handelspolitik hat diese Gipfelkonferenz eine zentrale Aussage in ihrer Abschlußerklärung festgehalten: Protektionismus löst keine Probleme - er schafft sie nur. Diese Aussage kommt aus der Sicht der Bundesregierung die gleiche Bedeutung zu wie der Erklärung des Londoner Gipfels von 1977 zum Verhältnis von Inflation und Arbeitslosigkeit. Damals wurde unmißverständlich festgestellt: Inflation ist kein Heilmittel gegen Arbeitslosigkeit, sondern eine ihrer Hauptursachen. ({26}) Daß es noch mehrere Jahre dauerte, bis diese Erkenntnis überall Eingang in politisches Handeln geBundeskanzler Dr. Kohl funden hat, ändert nichts an der Wichtigkeit der Signalaussage des Londoner Gipfels. Mit gleicher Entschiedenheit wie in London hat das Bonner Treffen der Staats- und Regierungschefs Front gegen jede Form des Protektionismus gemacht. ({27}) Für diese handelspolitischen Gespräche in Bonn waren wichtige Vorarbeiten geleistet worden. Zunächst hatten die zuständigen Minister der EG im März hierüber beraten, danach der Ministerrat der OECD im April, um die damit zusammenhängenden Fragen vorher zu erörtern. In diesen Gesprächen wurde Einigkeit darüber erzielt, daß eine neue, baldige Verhandlungsrunde im Rahmen des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, GATT, von allen Beteiligten für notwendig gehalten wird, um den freien Welthandel zu sichern und weiter zu liberalisieren. Eine größere Zahl von Ländern hatte darüber hinaus schon damals eine Präferenz für die Festlegung eines Termins für den Verhandlungsbeginn erkennen lassen. Vor diesem Hintergrund bestand in Bonn Einigkeit darüber, daß die neue GATT-Verhandlungsrunde sobald wie möglich stattfinden soll. Es war die übereinstimmende Meinung aller Teilnehmer, daß die inhaltliche Vorbereitung dieser Verhandlungsrunde durch eine Konferenz hoher Beamter noch vor Sommer des Jahres beginnen soll. ({28}) Dieser Übergang von der Diskussion zum konkreten Vorbereiten bringt uns der neuen GATT-Runde einen entscheidenden Schritt näher. Dies hat, meine Damen und Herren, selbstverständlich große Bedeutung, unabhängig von der Frage einer bestimmten Terminfestlegung. Das heißt doch in der Praxis, daß diese Konferenz von hohen Beamten aus allen Ländern in der Sache einen substantiellen Fortschritt bringen wird, bringen muß. Wir haben damit sichergestellt, daß sich der Zug zur Bekämpfung des Protektionismus endlich wieder in Bewegung setzt. Das ist für uns in der Bundesrepublik Deutschland von allergrößter Bedeutung. ({29}) In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, möchte ich auch noch ein knappes Wort zu der Diskussion über die unterschiedliche Meinung, was den Termin betrifft, zwischen der Bundesregierung und der französischen Regierung sagen. Wir haben in aller Freundschaft - und die Beziehungen sind ja, wie jeder weiß, ganz ungewöhnlich freundschaftlich - auch über diesen Dissens miteinander gesprochen. ({30}) - Ich denke, Sie werden doch keinen Zweifel daran haben, daß die Beziehungen mit dem französischen Präsidenten besonders freundschaftlich sind. ({31}) Ich darf Sie nur daran erinnern, was der französische Präsident in diesem Hause zur Notwendigkeit der Verteidigungsbereitschaft gesagt hat. ({32}) Da wir vor einigen Wochen, also schon in der Zeit vor dieser Gipfelbegegnung, über unsere nächste Begegnung hier Ende dieses Monats gesprochen haben, hat mir der Präsident gerade angesichts der Diskussion, die Sie hier gerne führen möchten, gestern abend noch einmal eine Botschaft zukommen lassen, in der der Präsident der Republik die Festigkeit der deutsch-französischen Freundschaft und die Notwendigkeit gemeinsamen Vorgehens mit dem Ziel unterstreicht, die wesentlichen internationalen, insbesondere auch die Probleme anzugehen, die die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft betreffen. ({33}) Ich denke, das ist eine Botschaft, die einmal mehr überzeugend dartut, daß die deutsch-französischen Beziehungen eng und gut sind. Sie sollten sich darüber freuen; denn es ist unser gemeinsames Interesse, daß die deutsch-französischen Beziehungen gut sind. ({34}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, auch für die Gespräche über Fragen des internationalen Währungssystems besteht ein klar abgesprochener Fahrplan: Die sogenannte Zehnergruppe tagt hierzu im Juni in Tokio, der Interimsausschuß des Internationalen Währungsfonds im Oktober in Seoul. Wir haben damit erreicht, daß wichtige Initiativen sowohl für die Offenhaltung des freien Welthandels als auch für die Sicherung eines funktionsfähigen internationalen Währungssystems gleichzeitig in Gang kommen. Dies berechtigt zu Hoffnungen auf einen spürbaren Fortschritt, der in den kommenden Monaten notwendig ist. Von besonderer Bedeutung ist der Erfolg dieser Gespräche für die Entwicklungsländer. Über ihre ganz schwierige Situation und unsere Pflicht zu helfen bestand völliges Einverständnis. Dies gilt insbesondere für längerfristige Umschuldungen sowie für die weitere Bereitstellung von Finanzmitteln, wobei von Fall zu Fall Einzelregelungen getroffen werden müssen. Entscheidend ist, daß die Entwicklungsländer in die Lage versetzt werden, ein stabiles Wirtschaftswachstum zu erreichen und finanzielle Schwierigkeiten Schritt für Schritt zu überwinden. Anhaltendes Wachstum des Welthandels, niedrige Zinsen - genauer gesagt: niedrigere Zinsen - und offene Märkte sind dabei unentbehrliche Voraussetzungen. ({35}) Mit Blick auf die große Not afrikanischer Völker soll die Zusammenarbeit der Gipfelteilnehmer weiter verstärkt und verbessert werden. Dies betrifft zunächst und vor allem die kurzfristige Hilfe zur Linderung von Hungersnot. Darüber hinaus geht es um gemeinsame Anstrengungen zur dauerhaften Verbesserung der Ernährungssituation in weiten Teilen Afrikas. Herr Präsident, meine Damen und Herren, eine ganz besondere Würdigung verdienen die Beratungsergebnisse für einen besseren Schutz unserer Umwelt. Gerade weil die Intensivierung des Umweltschutzes in vielen unserer Partnerländer nicht als so vordringlich empfunden wird wie bei uns, ist es wichtig, daß konkrete Bereiche für eine verstärkte internationale Zusammenarbeit festgelegt wurden. Dazu gehören die Luftverschmutzung durch Kraftfahrzeuge ebenso wie der Schutz vor giftigen Chemikalien und gefährlichen Abfällen. Erstmals bei einem solchen Gipfeltreffen wurden darüber hinaus die Fortentwicklung und breite Anwendung des Verursacherprinzips in allen Ländern vereinbart. Ich gehe davon aus, daß von diesen Ergebnissen wichtige Impulse für die Durchsetzung eines wirksameren internationalen Umweltschutzes ausgehen werden. Ein weiteres wichtiges Ergebnis des Bonner Gipfels sind die Vereinbarungen über die Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie. Wir haben dabei vor allem den Grundsatz fairer Partnerschaft, d. h. des Gebens und Nehmens, bekräftigt. Dies bedeutet eine angemessene Regelung für Beteiligung und Mitverantwortung bei wichtigen Projekten sowie die Sicherung des ungehinderten Zugangs zu erzielten Forschungsergebnissen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Der Bonner Wirtschaftsgipfel hat politisch und wirtschaftlich greifbare Ergebnisse gebracht: Er hat die gemeinsame Politische Erklärung verabschiedet, deren Aussagen gerade für uns Deutsche über den Tag hinaus von großer Bedeutung sind. Er hat die Entschlossenheit bekräftigt, gemeinsam und im eigenen Land wichtige Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung zu verbessern, d. h. mit Inflationsbekämpfung, Haushaltsdisziplin, niedrigeren Zinsen, Anpassung an veränderte Marktbedingungen, Nutzung moderner Technologien und Offenhaltung der nationalen Märkte Ernst zu machen. Er hat Anstöße zu weiterführenden Verhandlungen gegeben - sowohl zur Stärkung des freien Welthandels als auch zur Sicherung eines funktionsfähigen internationalen Währungssystems. Er hat die Partnerschaft mit den Entwicklungsländern hervorgehoben und die anstehenden Aufgaben beim Namen genannt, d. h.: wirksame Hilfen zur Lösung wirtschaftlicher und finanzieller Schwierigkeiten und vor allem zur Linderung der Not, nicht zuletzt der Hungersnot, in weiten Teilen Afrikas. Er hat neue Impulse für einen wirksamen internationalen Umweltschutz gegeben. Er hat die Bedeutung fairer Partnerschaft bei der Zusammenarbeit in Wissenschaft und Technologie unterstrichen. Jetzt kommt es für uns alle entscheidend darauf an, diese Ergebnisse der Konferenz in Bonn konsequent in weiterführende internationale Vereinbarungen in allen zuständigen Gremien umzusetzen und selbstverständlich vor allem zu Hause zu praktizieren. Ich füge hinzu: Für niemanden unter den Teilnehmerstaaten ist dies wichtiger als für die Bundesrepublik Deutschland. Deutsche Unternehmungen verkaufen ein Drittel ihrer Waren und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt. Offene Märkte, weltweites Wirtschaftswachstum, expandierender Welthandel und ein funktionierendes internationales Währungssystem sind wichtige Voraussetzungen für eine dauerhafte Aufwärtsentwicklung der deutschen Wirtschaft in den kommenden Jahren. ({36}) Anders ausgedrückt: Die Lösung internationaler Wirtschaftsprobleme ist für uns ein Anliegen allerersten Ranges; denn für uns geht es hier sehr konkret und sehr direkt um mehr Beschäftigung und um weniger Arbeitslosigkeit. Die Bundesrepublik Deutschland wird deshalb weiterhin ihren Beitrag zur Überwindung internationaler Gegensätze und Schwierigkeiten zu leisten haben. Herr Präsident, meine Damen und Herren, der Besuch des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in der Bundesrepublik Deutschland am 1., 2. und 5. und 6. Mai 1985 ({37}) war geprägt von gegenseitiger Freundschaft und persönlichem Vertrauen. Er hat das über viele Jahre hinweg gewachsene Verhältnis zwischen unseren beiden Staaten weiter gefestigt. Grundgedanke bei diesem Besuch war, im Angesicht des 40. Jahrestages des 8. Mai 1945 der Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft zu gedenken. Wir wollten gleichzeitig verdeutlichen, daß zwischen unseren beiden Völkern die Versöhnung erreicht und Freundschaft gewachsen ist. Dies ist symbolisch mit den Besuchen des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen und des Soldatenfriedhofs in Bitburg zum Ausdruck gekommen. ({38}) Wir sind für diese Geste der Versöhnung des amerikanischen Präsidenten in Bergen-Belsen und auf dem Friedhof in Bitburg dankbar. ({39}) Die sehr große Mehrheit der Bürger der Bundesrepublik Deutschland war und ist zutiefst von der Haltung des amerikanischen Präsidenten beeindruckt und auch davon, daß er sich nicht beirren ließ, diese Geste der Freundschaft in diesen Tagen gegenüber den Deutschen deutlich werden zu lassen. ({40}) - Wenn Sie sich von den Deutschen ausschließen, ist das Ihre Sache, nicht meine. ({41}) Ich bin sicher, unser Volk - und ich füge hinzu: auch ich persönlich - wird dies dem Präsidenten nicht vergessen. ({42}) Mit seinen drei bedeutenden Reden in BergenBelsen, in Bitburg und auf Schloß Hambach ({43}) steht Präsident Reagan in der großen Tradition des Besuchs von Präsident Kennedy im Jahre 1963. ({44}) Seine Worte haben die Empfindungen und Gefühle der Deutschen und der Amerikaner, wie wir in diesen Tagen auch aus den USA wissen, zutiefst angerührt. Vor dem Hintergrund der Besuche in Bergen-Belsen und Bitburg sind die Botschaften des leidvollen Erinnerns und der Versöhnung gleichermaßen unterstrichen worden. Die Entscheidung, an dem vorgesehenen Programm festzuhalten, ist richtig gewesen. ({45}) Ich habe in den Tagen vor und während des Besuches - das gleiche widerfuhr glücklicherweise dem Präsidenten - viele Zeichen der persönlichen Ermutigung aus allen Schichten der Bevölkerung unseres Landes erfahren, wofür ich ausdrücklich dankbar bin. ({46}) Ein Höhepunkt dieses Besuches war für mich die Begegnung des amerikanischen Präsidenten mit über 8 000 jungen Leuten vor dem Hintergrund des Hambacher Schlosses. ({47}) - Es mag ja sein, daß aus Ihrem Generationsverständnis 17jährige nicht mehr zur Jugend zählen; für mich zählen sie dazu. ({48}) Der Präsident hat in einer bedeutenden Rede die junge Generation in Deutschland aufgefordert, ihre Zukunft selbst und kraftvoll zu gestalten. Mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten sind die in vielen Jahren enger Zusammenarbeit gewachsenen Bindungen weiter gefestigt worden. Die Diskussion hat aber auch gezeigt, daß freundschaftliches Verbundensein und auch eine von gemeinsamen Interessen her festgefügte Allianz nicht einfach als gegeben hingenommen werden können. Sie müssen immer wieder neu erarbeitet und - man kann sagen - täglich neu verwirklicht werden. ({49}) Einen besonderen Dank möchte ich von hier aus den Bürgern der Stadt Bitburg aussprechen. ({50}) Welcher Ort hätte sich besser für den Besuch des amerikanischen Präsidenten geeignet? Nirgendwo sonst ist das freundschaftliche Zusammenleben von Deutschen und Amerikanern so spürbar. Nirgendwo sonst ist die gemeinsame Entschlossenheit zur Wahrung von Sicherheit und Freiheit im Rahmen des Bündnisses so sichtbar als gerade in dieser Stadt, in dieser Region und auf diesem amerikanischen Stützpunkt auf deutschem Boden. ({51}) - Ich wiederhole, was ich schon vor einem Jahr hier gesagt habe: Sie sind in dieses Haus mit dem Zeichen der Blume eingezogen und verlassen das Haus mit dem Zeichen des Hasses. Das ist Ihr Beitrag. ({52}) Man kann den Besuch des amerikanischen Präsidenten nicht abschließend würdigen, ohne auch auf seine Ausführungen vor dem Straßburger Europaparlament am 8. Mai einzugehen. Die Idee, nach dem Besuch in Spanien am 8. Mai nach Frankreich zu kommen, um vor den gewählten Vertretern des freien Europa zu sprechen, hat eine große Symbolkraft. Präsident Reagan hat in Straßburg die große Leistung und die Vision der europäischen Gründergeneration nach dem Krieg beschworen. Er hat zugleich das Bekenntnis erneuert, daß Amerika der Einheit und Stärkung Europas verschrieben bleibt. Er hat leidenschaftlich für die Überwindung der künstlichen Teilung des europäischen Kontinents plädiert. Dieses amerikanische Bekenntnis zu Europa sollte für uns alle Ansporn sein, auch und gerade bei den bevorstehenden Entscheidungen des Europäischen Rates in Mailand. ({53}) Die Rede des Präsidenten, aber auch seine anderen Reden hier und in anderen europäischen Ländern zeigen darüber hinaus deutlich eine Persönlichkeit, die sich eben in gar keiner Weise in jenes verzerrende Schema seiner Kritiker einfügt, das wir immer wieder beobachten müssen. Der Präsident unterstrich erneut die Entschlossenheit der Vereinigten Staaten, zu Vereinbarungen mit der Sowjetunion zu gelangen, um die Stabilität zu stärken und den Frieden zu sichern. Er erklärte ausdrücklich, daß die USA nicht nach Überlegenheit, sondern nach Gleichgewicht streben und vor einer Entscheidung über die Entwicklung und Aufstellung neuer Abwehrsysteme mit der Sowjetunion verhandeln werden. Wir unterstützen diese Straßburger Vorschläge des Präsidenten, die zur Vertrauensbildung und Krisenbewältigung beitragen können und die damit auch die Stabilität vergrößern, nämlich das Angebot zum Austausch von Beobachtern zu militärischen Übungen zwischen den USA und der Sowjetunion, die Einrichtung regelmäßiger Kontakte auf hoher Ebene sowie einer ständigen Nachrichtenverbindung zwischen sowjetischen und amerikanischen Militärstellen und eine substantielle Vereinbarung über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen im Rahmen der Stockholmer Konferenz für vertrauensbildende Maßnahmen und Abrüstung in Europa, welche auch eine Bekräftigung des Gewaltverzichts rechtfertigen würde. Ich fasse zusammen: Der Besuch des amerikanischen Präsidenten in der Bundesrepublik Deutschland und seine Begegnung mit dem Europäischen Parlament am 40. Jahrestag des Kriegsendes waren für uns alle ein bedeutsames und historisches Ereignis. Der Geist des Erinnerns und der Versöhnung wurde durch die eindrucksvollen Ansprachen des Präsidenten in Bergen-Belsen und in Bitburg auf nachdrückliche Weise dokumentiert. Die deutsch-amerikanische Freundschaft ist gefestigt worden. Sie muß von uns allen als ständige Aufgabe verstanden werden. Das Bündnis und die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika werden von der sehr großen Mehrheit des deutschen Volkes geteilt. Diese Zustimmung geht wie wir wissen, durch alle Gruppen und Schichten und durch alle Generationen unserer Bevölkerung. Die Vereinigten Staaten bekennen sich zum Zusammenschluß Europas und betrachten ihn als eine Stärkung des Westens insgesamt. Die Hand Amerikas gegenüber der Sowjetunion bleibt ausgestreckt. Moskau ist zu kooperativen Lösungen im Bereich der Rüstungskontrolle und der Verteidigungspolitik weiter aufgefordert. Unser Dank gilt dem amerikanischen Präsidenten für seine klare Haltung und seine Entschlossenheit zur Versöhnung und zur Freundschaft gegenüber unserem, dem deutschen Volk. ({54})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des kanadischen Unterhauses Platz genommen. Ich habe die Ehre, Sie zu begrüßen. ({0}) Wir freuen uns über die engen und guten Kontakte zum Parlament Kanadas. Ihnen, den Mitgliedern des Sonderausschusses für die Reform des Unterhauses, wünsche ich nützliche, fruchtbare Gespräche beim Deutschen Bundestag und beim Bundesrat und einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. ({1}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, die wir soeben gehört haben, ({0}) kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich der Bundeskanzler in immer rascherer Folge Aufgaben gegenübersieht, denen er nicht gewachsen ist. ({1}) Der Herr Bundeskanzler war auch einer Aufgabe nicht gewachsen, die er sich selbst gestellt hat, nämlich der Aufgabe, mit der zeitlichen Verknüpfung des Weltwirtschaftsgipfels und des Staatsbesuchs des amerikanischen Präsidenten mit dem 40. Jahrestag des Kriegsendes und der Befreiung von der NS-Gewaltherrschaft zurechtzukommen. ({2}) Niemand, Herr Bundeskanzler, hat Sie zu dieser Verknüpfung, zur Wahl dieses Termins gezwungen. ({3}) Umgekehrt: Sie haben die Staats- und Regierungschefs, insbesondere den amerikanischen Präsidenten, gedrängt, die von Ihnen gewünschten Termine zu akzeptieren. Weil Sie der damit verbundenen Aufgabe nicht gewachsen waren, haben Sie sowohl den Gipfel als auch den Staatsbesuch, aber auch das Gedenken an einen der tiefsten Einschnitte in unserer Geschichte vermeidbaren Belastungen und bedrückenden Mißverständnissen ausgesetzt. ({4}) Die Bundesrepublik hat dafür einen hohen Preis entrichtet: an Substanz und Ansehen nach außen, an außenpolitischem Bewegungsspielraum, aber auch an innerem Frieden. Wir alle haben dem Bundespräsidenten der Bundesrepublik dafür zu danken, daß er mit seiner großen Rede vom vergangenen Mittwoch vieles zurechtgerückt hat, was in bedrückender Weise ins Zwielicht geraten war. ({5}) Wir haben dem Bundespräsidenten dafür zu danken, daß er es in einer gänzlich unpathetischen, gerade durch Nüchternheit und klares Aussprechen auch unangenehmer Wahrheiten besonders überzeugenden Weise getan hat. Damit ist der von anderen verursachte Schaden wenigstens im Nachhinein begrenzt worden. ({6}) Es wäre gut gewesen, Herr Bundeskanzler, die Grundgedanken dieser Rede hätten von Anfang an allen Äußerungen der Bundesregierung zum 8. Mai 1985 zugrunde gelegen. ({7}) Lassen Sie mich nach Anhören Ihrer Erklärung hinzufügen: Es wäre auch gut gewesen, Sie hätten als Bundeskanzler den Dank an den Bundespräsidenten in Ihrer Erklärung für uns alle ausgesprochen, für das ganze Haus. ({8}) Wir wissen nicht im einzelnen, Herr Bundeskanzler, warum Sie so sehr auf der zeitlichen Verknüpfung dieser drei Ereignisse bestanden haben. Aber welches politische Kalkül auch immer Ihrer Planung zugrunde lag, die Rechnung zumindest Ihrer Mitarbeiter oder auch Ihre eigene Rechnung, dies werde sich für Sie und Ihre Partei in Nordrhein-Westfalen günstig auswirken, ist jedenfalls nicht aufgegangen. ({9}) Die Wählerinnen und Wähler an Rhein und Ruhr haben eine hohe politische Reife bewiesen. ({10}) Sie haben sich nicht durch Gipfelfestspiele von den Fragen ablenken lassen, um die es bei dieser Wahl wirklich gegangen ist. ({11}) Die Wählerinnen und Wähler in Nordrhein-Westfalen haben Johannes Rau glanzvoll in seinem Amt bestätigt. ({12}) - Ach, lieber Freund, denken Sie mal über Ihren Kanzlerkandidaten für '87 nach! Da haben Sie eine ganze Menge zu tun. ({13}) Die Wähler und Wählerinnen an Rhein und Ruhr haben Ihrer Partei, Herr Bundeskanzler, die Quittung gegeben, die sie verdient, und nicht nur ihrer Partei in Nordrhein-Westfalen, sondern auch Ihnen, Herr Bundeskanzler Helmut Kohl, ganz persönlich und der von Ihnen zu verantwortenden Politik der Wende. Sie können es drehen und wenden, wie Sie wollen. Sie mögen von Zwischenwahlen reden, bei denen die in Bonn regierende Partei stets benachteiligt sei. Oder Sie mögen davon reden, daß die Menschen an Rhein und Ruhr Ihre guten Absichten und Ihre Politik nicht begriffen hätten. Die Wahrheit ist: Herr Worms - dem wir unseren persönlichen Respekt für seine noble Haltung in der Niederlage durchaus nicht versagen, sondern erweisen ({14}) war Ihr Kandidat. Und die Wahrheit ist auch: Noch keine Bundesregierung und noch kein Bundeskanzler hat in Nordrhein-Westfalen seit 1949 eine so vernichtende Niederlage erlitten wie Sie, Herr Kohl; nicht einmal Ludwig Erhard im Juli 1966, und das war viereinhalb Monate vor seinem Rücktritt. ({15}) Im übrigen, Herr Bundeskanzler: Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, Sie hätten am Sonntag verloren, weil die Wählerinnen und Wähler Ihre Politik nicht begriffen haben. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Herr Bundeskanzler, Sie haben die Wahl verloren, weil die Wählerinnen und Wähler inzwischen Ihre Politik sehr gut begriffen und weil sie sie durchschaut haben. ({16}) Herr Dregger hatte recht mit seinen Ausführungen vor Ihrem Parteitag über die wachsende Unzufriedenheit. Ich greife diesen Gedanken auf. Sie haben die Wahl verloren, weil immer mehr Arbeitnehmer, immer mehr Rentner, immer mehr Frauen und junge Menschen, aber auch immer mehr Mittelständler und immer mehr Bauern diese Politik eindeutig ablehnen, und sei es damit, daß sie zu Hause bleiben und Ihnen die Stimme verweigern. Auch dies ist Ablehnung, ({17}) weil sie von Ihrer Politik des Sozialabbaus, der Umverteilung, der Untätigkeit gegenüber der Arbeitslosigkeit, von den immer neuen Negativrekorden auf vielen Gebieten und von Ihrem folgenlosen Zickzackkurs im Umweltschutz genug haben, weil sie auch der fortwährenden Skandale und Peinlichkeiten, die Sie eine Zeitlang hingenommen haben, heute überdrüssig sind, ({18}) weil gerade die Menschen an Rhein und Ruhr -

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Vogel, auf der Tagesordnung steht „Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Wirtschaftsgipfel Bonn 1985 und zu den Staatsbesuchen von Präsident Reagan und Ministerpräsident Nakasone". ({0}) - Meine Damen und Herren, ich habe den Abgeordneten Vogel nicht zu rügen. Ich wollte ihn nur auf die Tagesordnung hinweisen. ({1})

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich bedanke mich für Ihren Hinweis. Ich weiß ihn wohl zu würdigen. ({0}) Ich verweise aber ebenso auf die wiederholten Erklärungen aus den Reihen der Koalition vor dem 12. Mai, daß der Weltwirtschaftsgipfel und seine Er10168 gebnisse für Nordrhein-Westfalen das wichtigste Ereignis dieses Jahres darstellen. ({1}) Ich wiederhole: weil mehr und mehr gerade die Menschen an Rhein und Ruhr - aber nicht nur dort - aufgesetzten Scheinoptimismus und Aufschwunggerede von ehrlichem Engagement und realistischer Zuversicht zu unterscheiden wissen und weil sie unseren konkreten Alternativen in der Beschäftigungspolitik, in der Sozialpolitik, in der Friedenspolitik mehr und mehr den Vorzug geben. Unser Programm „Arbeit und Umwelt", unser Konzept für eine langfristige Rentenreform und unser Konzept für eine stärkere Selbstbehauptung Europas sind nur einige Beispiele für solche Alternativen. Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Sie vielleicht einen Moment zum Nachdenken kommen, haben mit dem Bundeskanzler allen Anlaß, über Ihre Politik nachzudenken und Ihre Politik zu ändern, wenn Sie noch die Kraft dazu haben. ({2}) Wir aber haben Anlaß, Johannes Rau und alle unsere Freunde in Nordrhein-Westfalen herzlich zu beglückwünschen und ihnen unsere volle Unterstützung bei der Bewältigung der schweren Aufgabe zuzusagen, die jetzt vor ihnen liegt. ({3}) An Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, appelliere ich gleichzeitig, an all den Zusagen und Versprechungen festzuhalten, die Sie in Nordrhein-Westfalen in den letzten Monaten gemacht haben. ({4}) Ich komme jetzt, meine Damen und Herren - Sie werden daran genausowenig Freude haben -, zu den inhaltlichen Aussagen Ihrer Erklärung. Sie werden daran genausowenig Freude haben. ({5}) - Meine Herrschaften, Ihre Heiterkeit klingt etwas gequält, und das kann ich auch verstehen. ({6}) Dem, Herr Bundeskanzler, was Sie zum Staatsbesuch des japanischen Ministerpräsidenten gesagt haben, können wir in wesentlichen Teilen zustimmen. Wir bejahen die freundschaftlichen Beziehungen unserer beiden Völker. Wir glauben, daß wir uns in mancher Hinsicht in einer vergleichbaren Situation befinden und deshalb auch in Zukunft wechselseitig voneinander lernen. Wir begrüßen deshalb auch die Fortschritte, die hinsichtlich der Errichtung eines japanischdeutschen Zentrums in Berlin erzielt worden sind. Da Japan, wie Sie wissen, Herr Bundeskanzler, auch in Ost-Berlin in vielfältiger und besonders aktiver Weise präsent ist, ergeben sich hier zusätzlich interessante Aspekte. Im übrigen sind wir - und nicht nur wir - davon beeindruckt, welch führende Position Japan im technologischen und wirtschaftlichen Wettbewerb einnimmt, obwohl es bisher jährlich weniger als 1 % seines Bruttosozialprodukts für militärische Zwecke und davon - also von diesem einen Prozent - wiederum nur 8 % für Zwecke der militärischen Forschung ausgibt. ({7}) Stoff zum Nachdenken für diejenigen, die die Beteiligung an SDI mit wirtschaftlichen und technologischen Argumenten begründen wollen. Sie haben sodann in Ihrer Erklärung den Wirtschaftsgipfel als Erfolg dargestellt. Damit stehen Sie ziemlich alleine. Die weit überwiegende Mehrheit der Beobachter sieht das anders, und zwar mit Recht; denn bei allem Wohlwollen und Freude darüber, daß die Regierungs- und Staatschefs auf dem Gipfel wirklich miteinander gesprochen haben, war der Gipfel im Ergebnis ein Fehlschlag. Er hat eben keine konkreten Fortschritte gebracht. In manchen Beziehungen hat er sogar zu deutlichen Rückschlägen geführt. ({8}) Im einzelnen ist festzustellen, die Äußerungen zum Abbau des Budget- und Leistungsbilanzdefizits der Vereinigten Staaten sind vage und unverbindlich, dabei liegt hier eine der Hauptursachen für die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten in Europa und vor allem in den Entwicklungsländern. ({9}) Inzwischen sieht es so aus, als ob hier Einsicht eher vom amerikanischen Kongreß als von der Administration zu erwarten ist, die vom Kongreß mühsam genug in die richtige Richtung der Haushaltspolitik mehr gezwungen als geführt wird. Es gibt keine gemeinsamen Anstrengungen zur Förderung öffentlicher und privater Investitionen und zur Verstärkung der Nachfrage. Das internationale Währungssystem bleibt weiterhin spekulativen Einflüssen und willkürlichen Kursschwankungen ausgesetzt. Die Gefahr protektionistischer Maßnahmen ist keineswegs gebannt, im Gegenteil: da der Gipfel in diesem wichtigen Punkt keine konkreten Ergebnisse erbracht hat, ist die Gefahr vor allem in den Vereinigten Staaten eher noch größer geworden, als sie vor dem Gipfel war. Die Schwellen- und Entwicklungsländer - wir hören es ja von ihnen - werden mit dilatorischen Formeln abgespeist. Das alles, was sich in den langen Dokumenten findet, kann höchstens einen Generalisten erfreuen, der Worte für Wirklichkeit und Fotos schon für Fakten hält. Die 35 Millionen Arbeitslosen in den Teilnehmerstaaten, die 2,3 Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik, die können aus dem Gipfeltreffen keine Hoffnung schöpfen. Die deutschen Arbeitnehmer müssen darüber hinaus einen weiteren Sozialabbau befürchten. Die in der Schlußerklärung geforderte - wörtliches Zitat - „größere Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit" des Arbeitsmarktes zielt nämlich im Klartext auf die Fortsetzung der mit dem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz eingeleiteten Politik der Beseitigung sozialer Schutzrechte. ({10}) Sie selbst sprechen in diesem Zusammenhang immer wieder von verkrusteten Strukturen, die Sie aufbrechen wollen. Herr Bundeskanzler, ich kann Sie nur warnen. Soziale Schutzrechte sind keine Verkrustungen. Sie sind das Fundament des sozialen Friedens in dieser Republik. ({11}) Darum werden wir gegen alle Ihre Pläne und Absichten diese sozialen Schutzrechte mit Zähnen und Klauen verteidigen. An der Saar, an Rhein und Ruhr hat sich gezeigt, daß eine wachsende Mehrheit unseres Volkes bei dieser Abwehr Ihrer Anschläge auf unserer Seite steht. ({12}) Der Gipfel hat nicht nur nichts gebracht, er hat sogar einen gefährlichen Zwiespalt offenbart, über den Sie bezeichnenderweise in Ihrer langen Erklärung nicht ein einziges Wort verloren haben, nämlich den Zwiespalt zwischen Paris und Bonn, insbesondere den Zwiespalt zwischen Präsident Mitterrand und Ihnen in der Beurteilung der Strategischen Verteidigungsinitiative. Ihrem jetzt schon fast beflissenen Ja zu dieser Initiative, das Sie dann im nachhinein jeweils wieder zu relativieren suchen, steht das Nein von Mitterrand gegenüber. Ihr Ja zu SDI, Herr Bundeskanzler, ist schon in der Sache falsch und gefährlich. Jetzt droht dieses Ja überdies, Europa zu spalten und den Weg zur europäischen Einigung in einem entscheidenden Moment zu blockieren. ({13}) Der von uns eingebrachte Entschließungsantrag mahnt deshalb eindringlich: Akzeptieren Sie die europäische Alternative, die Paris vorgeschlagen hat! Kehren Sie um, solange noch Zeit ist, bevor die neue Runde des Wettrüstens nicht nur den wahnwitzigen Wettlauf noch weiter beschleunigt, sondern auch noch die Hoffnung auf die Einigung Europas zunichte macht! Sie strapazieren diese Hoffnung zur Zeit ohnehin dadurch auf das äußerste, daß Ihr Finanzminister in Brüssel Einsparungen, Ihr Agrarminister unter Androhung des Vetos gleichzeitig Mehrausgaben in Milliardenhöhe und Sie selbst die Abschaffung des Vetos verlangen. Herr Bundeskanzler, das ist nicht nur eine doppelzüngige, das ist eine dreizüngige Europapolitik, die zum Scheitern verurteilt ist. ({14}) Übrigens, Ihr Chefdemagoge, der gelegentlich behauptet, Generalsekretär einer ausgesprochen christlichen Partei zu sein, ({15}) hat doch unter Ihrem Beifall, Herr Bundeskanzler, verkündet, die Ablehnung von SDI sei unmoralisch. Ist jetzt auch Präsident Mitterrand unmoralisch? Oder liegt das moralische Problem vielleicht ganz woanders? Etwa bei Ihrem Generalsekretär selbst? ({16}) Auf ihn paßt das, was Kurt Schumacher schon 1947 gesagt hat, wie auf keinen anderen. Schumacher - Sie berufen sich doch neuerdings so gerne auf Kurt Schumacher - sagte damals: Demokratie beruht auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit und der Ehrlichkeit. Die Demokratie kann nur leben, wenn die Menschen selbständig sind und den Willen zur Objektivität haben. ({17}) Aber die technokratische und geradezu kriegswissenschaftliche Handhabung der politischen Mittel führt zum Gegenteil. ({18}) Ihr Generalsekretär handelt nicht aus dem Affekt, der handelt nicht, weil ein Gefühl ihn plötzlich übermannt, nein, er führt die Auseinandersetzung mit seinen politischen Gegnern so, als ob es sich um einen geistigen Bürgerkrieg handelte. Und der bekennt sich noch dazu; er spricht ja vom internationalen geistigen Bürgerkrieg, der im Gange sei. ({19}) In diesem Bürgerkrieg setzt dieser famose Mann die Verleumdung, die falsche Anschuldigung, die Denunziation kühl kalkuliert und berechnet ({20}) als Waffe gegen die ein, die ihm schon längst als Feinde, nicht mehr als Gegner erscheinen. ({21}) Wer - um nur zwei Beispiele zu nennen - die Pazifisten für Auschwitz verantwortlich macht, wer die Sozialdemokraten als „fünfte Kolonne Moskaus", d. h. als Spionage- und Sabotagetrupp Moskaus, bezeichnet, der will nicht argumentieren, der will denunzieren. ({22}) Nicht umsonst urteilt der Volksmund über die Denunzianten seit je ebenso hart wie deutlich. Sie kennen doch alle ebenso wie ich das jahrhundertealte Sprichwort, das sich derb, aber eindeutig über den Denunzianten im Lande äußert. In diesem Sprichwort steckt viel Wahrheit und Erfahrung. Denken Sie über den moralischen Aspekt dieses Zusammenhanges nach! ({23}) Auch der Besuch des amerikanischen Präsidenten ist von Ihren Freunden - allen voran wieder von Ihrem famosen Generalsekretär - zu dem Versuch mißbraucht worden, die deutschen Sozialdemokraten in der bedenkenlosesten Weise zu verleumden. In Äußerungen, die an Gehässigkeit kaum zu überbieten waren, haben sie uns Antiamerikanismus, ({24}) ja, Amerikahaß ({25}) und einen Neutralismus der Werte vorgeworfen. ({26}) Auch Sie selbst, Herr Bundeskanzler, waren sich nicht zu schade, uns primitiven Antiamerikanismus vorzuwerfen. ({27}) Meine Damen und Herren, zu unserer Begegnung mit den Bürgermeistern von Lidice, Auschwitz und Oradour, von Coventry und Rotterdam, zu unserer Begegnung mit dem Vertreter des amerikanischen Jewish Labor Committee ist Ihnen nur der erbärmliche Satz eingefallen, die SPD feiere den 8. Mai mit Kommunisten. Das ist erbärmlich! ({28}) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, in aller Ruhe: ({29}) Diese infamen Äußerungen ({30}) weise ich mit Entschiedenheit, nein, ich weise sie mit Verachtung zurück, ({31}) und ich habe volles Verständnis dafür, daß sich diese Verachtung auch in zorniger Empörung äußert. ({32}) Zunächst einmal: Wer wie Herr Kollege Dregger vom amerikanischen Kongreß mit drohendem Unterton die Würdigung der Tatsache verlangt, daß er - Dregger - noch am 8. Mai 1945 gegen die Rote Armee gekämpft habe, und daran den Vorwurf knüpft, der Senat der Vereinigten Staaten stelle den Sinn des Dienstes junger deutscher Soldaten im Rahmen der NATO in Frage; wer sich wie Herr Mertes sogar - und ich bedaure das, weil ich das von ihm nicht erwartet hätte - dazu versteigt, der amerikanischen Öffentlichkeit „Perversion des Denkens" vorzuwerfen, wer den traurigen Mut aufbringt, amerikanischen Juden vorzuhalten, ihre Proteste gegen das Besuchsprogramm trügen dazu bei, die psychologischen Einflußchancen Moskaus bei der jungen Generation zu erhöhen, wer zu alle dem schweigt, Herr Bundeskanzler, wer auch zu der unglaublichen, aus dem Arsenal eines Joseph Goebbels stammenden Andeutung schweigt, „die Macht der Juden" sei für die Haltung der amerikanischen Presse verantwortlich, der hat nicht den Hauch einer Rechtfertigung dafür, andere des Antiamerikanismus zu zeihen, der kehre vor der eigenen Tür! ({33}) Wir deutschen Sozialdemokraten bedürfen jedenfalls keiner Belehrungen - und von Ihrer Seite schon gar nicht - über die tiefen Unterschiede zwischen den Gesellschaftsordnungen der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten, ({34}) und wir bedürfen keiner Belehrung darüber, für welche Ordnung sich unser Volk gerade auch auf unser Betreiben und auf Grund unserer geschichtlichen Erfahrung 1945 entschieden hat. ({35}) Wir bedürfen auch nicht Ihrer peinlichen Belehrungen darüber, was wir den Vereinigten Staaten und dem amerikanischen Volk zu danken haben. Wir wissen, welchen Beitrag Amerika im Rahmen der Antihitlerkoalition im Krieg geleistet hat, um Europa und uns von der Gewaltherrschaft zu befreien. Wir wissen, wie sehr Amerika unter seinen Präsidenten Truman, Eisenhower und Kennedy beim Wiederaufbau unseres Landes und in kritischen Situationen bei der Sicherung unserer Freiheit und der Freiheit West-Berlins geholfen hat. ({36}) Wir wissen ebenso um die freiheitlichen Traditionen, um die Lebenskraft und die weltweite Verantwortung dieses großen Landes. Aber gerade deshalb schulden wir diesem großen Land nicht vorauseilenden Gehorsam und beflissene Akklamation, sondern Aufrichtigkeit. ({37}) Und wir schulden diesem großen Land, wo notwendig, auch Widerspruch. ({38}) Deshalb bringen wir unsere Sorgen wegen des immer gefährlicheren Rüstungswettlaufs, wegen der Lage in Zentralamerika, wegen der Defizitpolitik unüberhörbar zum Ausdruck. Was immer Sie hier behaupten, Herr Bundeskanzler, wir stehen doch mit diesem Widerspruch schon lange nicht mehr allein, oder ist François Mitterrand, ist Felipe Gonzalez, sind alle, die etwa das Handelsembargo ablehnen, auch Antiamerikaner? Noch ein Wort, weil Sie mit Ihren Zwischenrufen das Stichwort zu den Veranstaltungen in Hambach und in Neustadt geben. Herr Bundeskanzler, wir wissen nicht, wie die jungen Deutschen ausgesucht und ausgewählt worden sind, zu denen der Präsident am 6. Mai gesprochen hat, wir wissen nur - das haben Sie bestätigt -: Es war kein repräsentativer Querschnitt der deutschen Jugend. Das war es nicht. ({39}) Wir wissen auch, daß dort in Hambach nicht eine einzige kritische Frage gestellt werden konnte, weil für die vorgesehenen Fragen und Antworten nur ganze acht Minuten übergeblieben sind. Es ist deshalb durchaus in Ordnung, daß die Meinung vieler junger Deutscher am Tage vorher auf einer Kundgebung in Neustadt zum Ausdruck gekommen ist. Die Kritik, die Sie deswegen an meiner Partei äußern, ist abwegig. Mit dieser Kritik stehen Sie viel mehr in autoritären als in demokratischen Denktraditionen. ({40}) Der erste Außenminister des gegenwärtigen Präsidenten der Vereinigten Staaten, Alexander Haig, hat in einer viel schwierigeren Situation im Herbst 1981 in Berlin unter Anspielung auf ein berühmtes Wort des Philosophen Voltaire wörtlich gesagt: Selbst wenn wir nicht mit dem übereinstimmen, was die Demonstranten hier sagen, wir sind bereit, bis zum Tode das Recht auch dieser Menschen zu verteidigen, es zu sagen und zum Ausdruck zu bringen. ({41}) Ich bin sicher, das amerikanische Volk denkt nicht anders als Alexander Haig. ({42}) Der Voltair'sche Gedanke, der Gedanke der Toleranz, der Meinungsfreiheit, ist ein elementarer Bestandteil der Wertegemeinschaft, von der Sie in den letzten Tagen und auch hier unaufhörlich sprechen. Das ist ein Grundelement der Wertegemeinschaft. ({43}) Übrigens, wir bleiben dabei, wir sind Freunde und Verbündete des amerikanischen Volkes, aber wir sind nicht Vasallen der jeweiligen Administration des amerikanischen Volkes. ({44}) Daran, Herr Bundeskanzler, muß ich Sie auch erinnern, weil Sie es schweigend hingenommen haben, daß der gegenwärtige Präsident eine hochpolitische Entscheidung, von der bekannt war, daß sie, wenn ich es richtig sehe, sogar Ihrer politischen Auffassung, jedenfalls aber der ausdrücklichen Auffassung Ihres Außenministers widerspricht, nämlich das Nicaragua-Embargo, nicht vor seinem Abflug in Washington, sondern unmittelbar nach seiner Ankunft in der Bundesrepublik getroffen und bekanntgegeben hat. Glauben Sie, man hätte Konrad Adenauer, Willy Brandt oder Helmut Schmidt einen solchen Affront zugemutet? Oder glauben Sie, diese Männer hätten wie Sie einen solchen Affront kommentarlos hingenommen? Was tun Sie denn eigentlich, Herr Kanzler und Herr Außenminister, ({45}) wenn nächstens ein anderer Staatsgast - vielleicht aus einer anderen Himmelsrichtung - unter Berufung auf diesen Vorgang genau das gleiche tut? Was sagt denn Ihr Außenminister zu diesem Vorgang, den Sie hier mit Schweigen übergehen? Und es ist eher eine besorgte Frage: Ist Ihr Schweigen etwa eine erste Gegenleistung für das, was dem amerikanischen Präsidenten gegenüber seinem eigenen Kongreß von Ihnen zugemutet worden ist? ({46}) Auf das quälende Hin und Her vor dem Besuch will ich nicht mehr zurückkommen. Was dazu zu sagen war, haben Ihnen inzwischen Ihre eigenen Freunde deutlich zur Kenntnis gebracht, am deutlichsten Ihr Schatzmeister, Herr Leisler Kiep, der die Vorbereitung des Besuchs öffentlich eine Katastrophe nannte. Oder Herr Strauß, der Ihnen noch in letzter Minute nahelegte, nicht nach Bitburg zu gehen, und dafür einen anderen Vorschlag gemacht hat. Ich kritisiere auch nicht, was Sie in Bergen-Belsen und in Bitburg gesagt haben. Dem Zwischenrufer aus diesen Reihen möchte ich ganz deutlich entgegenhalten: Der Soldatenfriedhof in Bitburg ist für uns kein SS-Friedhof; das weise ich genauso entschieden zurück. ({47}) Im übrigen: Ich war selber Soldat. Darum weiß ich, es läßt keinen, der je an einem Soldatengrab stand, unberührt, wenn das Lied vom guten Kameraden erklingt. Ich bekenne mich zu dem Gefühl der Trauer und der Anteilnahme, die dieses Lied auslöst, einer Trauer, die sich übrigens noch verstärkt, wenn die Toten, denen diese Trauer gilt, einen sinnlosen Tod gestorben sind, weil sie mißbraucht wurden. Aber das alles, Herr Bundeskanzler, macht die Fragen nicht entbehrlich, die nicht nur wir stellen und auf die Sie auch in Ihrer heutigen Erklärung nicht den Versuch einer Antwort gegeben haben. Ich frage: Was haben denn die beiden symbolischen Akte der schon lange vollzogenen Aussöhnung zwischen Amerikanern und Deutschen eigentlich hinzugefügt? Ist das deutsch-amerikanische Verhältnis damit tragfähiger und belastbarer geworden, als es beispielsweise im Sommer 1963 schon in den Tagen war, in denen John F. Kennedy Berlin, Köln, Bonn und Frankfurt am Main besuchte und Hunderttausende begeisterter Deutscher ihn auf den Straßen begrüßten und ihm zujubelten? Ist das Verhältnis durch die symbolischen Akte darüber hinaus gesteigert worden? Außerdem darf ich Sie daran erinnern: Das war ein Besuch eines amerikanischen Präsidenten, bei dem nicht ein Embargo gegen ein Entwicklungsland verhängt wurde, sondern auf amerikanische Anregungen und nach amerikanischem Vorbild der Deutsche Entwicklungsdienst als Hilfe für alle Entwicklungsländer ins Leben gerufen wurde. ({48}) Weiter, Herr Bundeskanzler: Wiegen die symbolischen Akte, die Sie so ausführlich gewürdigt haben, wirklich auf, daß im Verhältnis zu Amerika, im Verhältnis zum jüdischen Volk und zu anderen vom NS-Terror betroffenen Völkern alte, zum Teil schon vernarbende Wunden wieder aufgerissen wurden? Wiegen die beiden Akte wirklich auf, daß der Zentralrat der Juden es ablehnte, an dem zweiten Gedenken in Bergen-Belsen teilzunehmen? Wiegen die beiden Akte auf, daß jüdische KZ-Häftlinge von unserer Polizei aus dem ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen mit der Begründung weggetragen wurden, ihr weiteres Verbleiben in der Nähe der Gedenkstätte hätte die Gedenkzeremonie gestört? Mußte das alles sein, Herr Bundeskanzler? Haben Sie - und es war ja angekündigt - das alles um der symbolischen Akte willen bewußt in Kauf genommen? Auch die mit überwältigenden Mehrheiten beschlossenen Appelle des Senats und des Repräsentantenhauses der Vereinigten Staaten? Diese Appelle wurden ja fast einstimmig ausgesprochen; das repräsentiert doch Amerika. Ich erinnere auch an die Beschlüsse mehrerer europäischer Parlamente, der Präsident sollte Ihren Programmvorschlägen nicht folgen. Was, Herr Bundeskanzler - darauf hätten wir heute von Ihnen eine Antwort erwartet -, ist eigentlich durch diese beispiellose Kraftanstrengung gewonnen worden? Ich sage: Ich kritisiere nicht, was Sie am 5. Mai in Bitburg und in Bergen-Belsen gesagt haben. Aber ich frage: Warum ist dort mit keinem Wort der millionenfachen Blutopfer gedacht worden, die der Sowjetunion durch den Überfall vom Juni 1941 abverlangt worden sind? Wen, Herr Bundeskanzler, hätte es gekränkt, wenn bei dem gemeinsamen Besuch wenigstens die 46 000 russischen Kriegsgefangenen erwähnt worden wären, die in unmittelbarer Nähe der Gedenkstätte in Massengräbern liegen? Wenn die wenigstens erwähnt worden wären! ({49}) Wir akzeptieren, Herr Bundeskanzler, daß Sie in Bergen-Belsen ein zweites Mal die Einmaligkeit der NS-Verbrechen betont und anerkannt haben. Der Herr Bundespräsident hat hier an diesem Pult zu Recht die Sätze gesprochen: ... es gibt kaum einen anderen Staat, der in seiner Geschichte immer frei blieb von schuldhafter Verstrickung in Krieg und Gewalt. Der Völkermord an den Juden jedoch ist beispiellos in der Geschichte. - Beispiellos in der Geschichte! - Spüren Sie da nicht wenigstens im nachhinein selber die tiefe Widersprüchlichkeit, die darin liegt, daß Sie zwischen Ihren beiden Reden, zwischen dem 21. April und dem 5. Mai, am 25. April in später Abendstunde persönlich mit aller Entschiedenheit darauf bestanden haben, die Leugnung dieser vom Staatsoberhaupt als einmalig und beispiellos und von Ihnen als einmalig und beispiellos gewürdigten Verbrechen ihrem Strafgehalt nach wie irgendeine x-beliebige Beleidigung zu behandeln, und daß Sie selbst der Verfolgung dieser Beleidigung von Amts wegen nur zustimmen wollten, wenn für andere Gewalttaten das gleiche gelte? Ich kann es Ihnen nicht ersparen, Herr Bundeskanzler: Entgegen Ihren Reden haben Sie da, wo es nicht nur um Worte ging, wo es zum Schwur kam, die Einmaligkeit von Auschwitz in Abrede gestellt, nein, Sie haben sie geleugnet. ({50}) Und ebenso schlimm: Sie haben in jener Nacht noch nicht einmal die Kraft gefunden die Kraft, die einige aus Ihrer Koalition durchaus aufgebracht haben -, ein Treffen ehemaliger SS-Angehöriger wenigstens moralisch zu verurteilen, ein Treffen, das allein schon durch sein Zustandekommen das Gedächtnis des 8. Mai in bitterer Weise beleidigt hat. ({51}) Ich sage Ihnen: Das werden Sie lange nicht abschütteln. Noch eine letzte Frage, Herr Bundeskanzler. Sie haben auch heute gesagt, der Sinn des Besuchs des amerikanischen Präsidenten sei Versöhnung gewesen. Ich stelle die Redlichkeit und Ehrlichkeit des Motivs auf keiner Seite in Zweifel. Aber, Herr Bundeskanzler, wie paßt zu diesem Sinn der Versöhnung, daß im Programm eines Versöhnungsbesuches ausgerechnet für ein Gespräch mit dem Vorsitzenden einer Partei kein Platz war, die im Kampf gegen Hitler von der ersten Stunde an schwerste Opfer gebracht hat und als einzige schon 1932 auf ihren Wahlplakaten warnte: „Wer Hitler wählt, wählt Krieg"? ({52}) Hat es nach Ihrem Verständnis, Herr Bundeskanzler, der Versöhnung gedient, daß kein Platz war im Programm für einen Mann, der Hitler und seine Gewaltherrschaft nicht nur mit Worten oder im nachhinein, sondern unter schwersten persönlichen Opfern aufrechten und hartnäckigen Widerstand geleistet hat? ({53}) Hat es nach Ihrem Verständnis von Versöhnung dem Gedanken der Versöhnung gedient, daß in dem Programm ausgerechnet für den Mann kein Platz war, der als einziger Deutscher nach 1945 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden ist? ({54}) Entspricht es Ihrem Verständnis von Versöhnung, Herr Bundeskanzler, daß in einem Programm eines Versöhnungsbesuchs ausgerechnet für den die halbe Stunde nicht zu finden war, dessen Name für immer mit einer Politik verbunden ist, die gegen wütenden Widerstand die Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn überhaupt erst möglich gemacht hat? ({55}) Sie schieben das jetzt auf die Berater des Präsidenten ab, auf Berater übrigens, die keine Bedenken dagegen hatten, daß sich der Präsident in Madrid mit dem ehemaligen Franco-Minister Iribarne als Sprecher der dortigen Opposition traf. ({56}) Herr Bundeskanzler, dieses Abschieben auf amerikanische Berater ist zu einfach. Ich sage: Dieses Abschieben in einer so zentralen Frage auch des inneren Friedens ist eines deutschen Bundeskanzlers nicht würdig. ({57}) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sehe nicht, wem die von Ihnen zu verantwortende Terminierung des Staatsbesuchs genutzt hat. Unserem Volk, seinem Ansehen in der Welt, den deutsch-amerikanischen Beziehungen hat diese Terminierung jedenfalls mehr geschadet als genutzt, und die Folgen werden wir auch im außenpolitischen Bereich noch lange spüren. Ein Positives allerdings hat der Besuch bewirkt: ({58}) Er hat uns innerhalb kürzester Zeit bewußt gemacht, daß wir unserer Geschichte nicht entfliehen, daß wir unsere Verantwortung nicht von uns werfen können. Er hat uns gezeigt, wie dünn das Eis auf den Wassern der Vergangenheit noch immer ist. Und er hat uns innewerden lassen, was noch zu leisten ist, bis wir mit unserer Geschichte, d. h. aber auch mit unserer Identität, ins reine kommen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, aus dem Geschehenen Konsequenzen zu ziehen und die Versöhnung nicht auf einen symbolischen Akt zu beschränken, sondern sie zu einem andauernden Prozeß zu machen. Was wir deutschen Sozialdemokraten, meine sehr verehrten Damen und Herren, darunter verstehen, haben wir mit dem Nürnberger Friedensgespräch in der vorigen Woche und auch mit unseren Besuchen in Theresienstadt und Lidice deutlich gemacht, mit einem Gespräch, an dem Repräsentanten der Städte Auschwitz, Coventry, Dresden, Köln, Leningrad, Minsk, Rotterdam, Villeneuve d'Ascq, Warschau und Wolgograd sowie die Bürgermeisterin von Lidice, aber auch ein Sprecher des amerikanischen Jewish Labor Committee und einer von sieben Überlebenden des Massakers von Oradour teilgenommen haben. Mit einem Gespräch, bei dem nicht vom Reich des Bösen und vom Reich des Guten, bei dem nicht von neuen Feindbildern, nicht von neuem Haß, sondern bei dem - über die Grenzen der Gesellschaftsordnungen und der Bündnisse hinweg - vom Frieden die Rede war. Denn bei allen Wertunterschieden, deren wir uns, nicht zuletzt auf Grund unserer 120jährigen Geschichte, stets bewußt sind, bei all unserem Bemühen, der Schlußakte von Helsinki in all ihren Teilen Geltung zu verschaffen - einer Schlußakte, an der wir übrigens gar nicht beteiligt wären, wenn es nach Ihrem politischen Willen gegangen wäre -, ({59}) bei all diesen Wertunterschieden ist das Überleben der Menschheit ein Gut, das sich nicht auf ein Bündnis, auf eine Wertegemeinschaft beschränkt, sondern ein Gut, das der ganzen Menschheit als höchster Wert anvertraut ist. Daran muß sich gerade die deutsche Politik messen lassen, und zwar nicht nur am 8. Mai, sondern für alle Zukunft. ({60})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Herr Abgeordneter Rühe.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Dr. Vogel, Sie haben nur mit einigen wenigen Alibibemerkungen zu dem Thema Stellung genommen, das der Bundeskanzler hier heute in seiner Regierungserklärung dargestellt hat. Dann sind Sie sehr schnell zu einer Sprache der Verleumdung und zu einem demagogischen Rundumschlag übergegangen. ({0}) Im Unterschied zu Ihnen brauche ich meine Stimme hier nicht künstlich zu erhöhen, um unsere Mitbürger davon zu überzeugen, was das für ein Irrweg ist und daß das nur der Vergiftung der Atmosphäre in der Demokratie dient. ({1}) Ich weise Ihre Angriffe auf Heiner Geißler und andere mit aller Entschiedenheit zurück. ({2}) Diese Bundesrepublik Deutschland ist eine streitbare Demokratie, Heiner Geißler ist ein streitbarer Demokrat. Wir haben diese Demokratie in der Vergangenheit gegen Gegner von links und rechts verteidigt. Wir werden das auch in der Zukunft tun. ({3}) Ich bin mir sicher, wer in der Krise der Demokratie in vorderster Front stehen würde, um sie gegen Gegner von links und rechts zu verteidigen: allen voran Heiner Geißler. Deswegen hat er unsere volle, auch moralische Unterstützung. ({4}) Er hat Sie zu Recht gefragt, warum Sie heute nur den halben Schumacher zitieren. Warum sagen Sie heute nur: Nie wieder Krieg von deutschem Boden? Warum sagen Sie nicht auch, was Schumacher gesagt hat: Nie wieder Diktatur auf deutschem Boden, auf dem ganzen deutschen Boden? ({5}) Demokratie ist auch friedenstiftend. Es ist kein Zufall, daß die Kriege in der Regel von Diktaturen angefangen werden. Sehen Sie sich die Rolle von Hitler-Deutschland und der Sowjetunion an, die die Demokratien in den Krieg hineingezogen haben! Deswegen ist der Einsatz für die Demokratie auf deutschem Boden friedenstiftend und friedenstabilisierend. ({6}) Herr Dr. Vogel, die gesamte Fraktion der CDU/ CSU unterstützt die großartige Rede des Bundespräsidenten. Aber warum müssen Sie versuchen, den Bundespräsidenten hier taktisch gegen den Bundeskanzler auszuspielen? ({7}) Das ist unwürdig und dient nicht dem Respekt gegenüber dem Bundespräsidenten. Warum können Sie nicht einfach sagen: Dieses war eine große Rede, hinter der das gesamte deutsche Parlament steht? Warum dieses taktische, dieses vergiftete Lob, was typisch für Sie ist? ({8}) Was Sie hier heute an Demagogie geboten haben, wird um so schlimmer, weil es kalt berechnet war. Sie haben sich das vorher aufgeschrieben; das ist nicht in der Erregung gesprochen, Herr Vogel, und deswegen trifft Sie eine besondere Verantwortung. ({9}) Aber wir müssen uns fragen, warum Willy Brandt am Abend dieses großen Wahlsieges für die Sozialdemokraten in Nordrhein-Westfalen in der Erregung des Augenblicks so reagiert und so unentschuldbare Angriffe auf Heiner Geißler geführt hat. Das hat er getan, weil er sehr wohl gespürt hat, daß die Angriffe des Bundeskanzlers im Hinblick auf ihre außenpolitische Unzuverlässigkeit berechtigt sind, die sie bündnisunfähig und damit mehrheitsunfähig auf der Bundesebene macht. ({10}) Denn auch der unzufriedene Arbeitnehmer, der es heute noch ist, der unzufriedene Landwirt oder der unzufriedene Rentner weiß ganz genau: Wenn es um die Bundestagswahl geht, dann geht es um die Sicherheit dieses Landes, und da wäre alles nichts, wenn diese Bundesrepublik Deutschland unzuverlässig würde, so wie Ihre Sicherheits- und Außenpolitik heute aussieht. ({11}) Im übrigen, Herr Dr. Vogel, wir haben einen Bundeskanzler, und der wird sich am Ende dieser Legislaturperiode der Wiederwahl stellen. Deswegen brauchen wir keinen Kanzlerkandidaten so wie Sie; das unterscheidet uns von Ihnen. ({12}) - Das ist doch so. Früher waren Sie in der Lage, den Kanzler zu haben, und wir mußten den Weg gehen, einen Kanzlerkandidaten zu suchen. Heute haben wir den Kanzler, und Sie haben die Probleme vor sich, einen Kanzlerkandidaten zu suchen. ({13}) Ihre Zuneigung zum deutsch-französischen Verhältnis ist j a auch eine späte und taktische Liebe. Ich will jetzt gar nicht auf Ihre Rolle 1963 eingehen. Aber im Januar 1983 stand an diesem Pult der französische Staatspräsident Mitterrand und hat leidenschaftlich um Ihre Zustimmung zu einer Sicherheitspolitik geworben, um zu verhindern, daß die Situation andauert, in der auf der sowjetischen Seite - wie er gesagt hat - die Raketen stehen und bei uns die Pazifisten. Wie haben Sie damals dort reagiert, Herr Vogel, wo Sie jetzt sitzen? Sie haben ihm doch nicht Beifall geklatscht, sondern Sie haben Ihren Blick zusammen mit Herrn Brandt auf den Boden dieses Saales gesenkt. Wo blieben damals Ihre Sorge und Ihre Unterstützung für eine enge deutsch-französische Zusammenarbeit? ({14}) Deswegen können wir uns des Eindrucks nicht erwehren, als ob diese späte und taktische Liebe für Frankreich in Wirklichkeit den Antiamerikanismus in Ihrer Partei verbergen soll, der gerade in den letzten Wochen immer wieder deutlich geworden ist. ({15}) Lassen Sie mich das im einzelnen konkret ansprechen. Herr Brandt hat in einem „ZDF"-Interview zwar einerseits die USA wieder einmal als Verbündeten, als Partner bezeichnet, andererseits aber als Parteivorsitzender nichts dagegen unternommen, daß die Einladung an den Präsidenten dieses Partnerlandes, in Hambach vor der deutschen Jugend zu sprechen, von Sozialdemokraten kritisiert wurde. Im übrigen, Herr Vogel, der Oberbürgermeister von Ludwigshafen, der Sozialdemokrat ist, und all die anderen auch, die die Jugendlichen dort auswählen konnten, werden ja wohl dafür gesorgt haben, daß eine repräsentative Gruppe zusammengekommen ist. Auch dieser Angriff von Ihnen bricht in sich selbst zusammen. ({16}) Diese Veranstaltung des amerikanischen Präsidenten in Hambach mit der deutschen Jugend ist von Ihrer Partei als Mißachtung der demokratischen Tradition in Deutschland bezeichnet worden, ({17}) obwohl es der mit großer Mehrheit gewählte Präsident einer der ältesten Demokratien der Welt ist. Das ist ein ungeheurer Vorwurf. ({18}) Was verstehen Sie eigentlich unter der demokratischen Tradition des Hambacher Festes, wenn Sie drei Tage später in Nürnberg zwar „Nie wieder Krieg von deutschem Boden" rufen, aber nicht mehr zwischen freiheitlicher und totalitärer Staatsordnung unterscheiden wollen, wenn Sie den zweiten Teil des Satzes von Schumacher unterschlagen „nie wieder Diktatur auf deutschem Boden"? Ist Ihnen die Freiheit hier so selbstverständlich geworden oder - was schlimmer wäre - haben Sie sich mit der Unfreiheit im anderen Teil Deutschlands schon so sehr abgefunden, daß Sie es Ihren Gästen in Nürnberg nicht zumuten wollten, daran erinnert zu werden, daß es für 17 Millionen Menschen im anderen Teil Deutschlands Frieden in Freiheit nicht gibt? ({19}) Sehen Sie denn nicht mehr den politischen und den moralischen Unterschied zwischen der Sowjetunion einerseits - die seit über fünf Jahren in Afghanistan Völkermord begeht und dort jedes Streben nach Freiheit brutal unterdrückt - und unseren amerikanischen Freunden andererseits, ({20}) die die Freiheit Berlins garantieren? Warum, Herr Brandt und Herr Vogel - und in Zukunft auch Herr Rau; denn größeres bundespolitisches Profil bedeutet auch größere Verantwortung für das Gesicht der SPD -, widersprechen Sie denn nicht Ihrem Enkel von der Saar, der die USA politisch und moralisch mit der Sowjetunion auf eine Stufe stellt ({21}) - er hat ja recht; hier haben Sie die Bestätigung -, auch kürzlich wieder, als er ihnen in Neustadt vorwarf - Zitat -, „daß sie in ihrer Vor- und Hinterhofmentalität von Verbrechen zu Verbrechen stolpern"? Wie lange wollen Sie eigentlich noch diese böse Bezeichnung eines Freundes und Verbündeten als Verbrecher unwidersprochen lassen, Herr Vogel, der mit dem Risiko für das eigene Überleben unsere Freiheit garantiert und damit auch die Rede- und Meinungsfreiheit eines Herrn Lafontaine? ({22}) Welch ein politischer Stil, welch eine Moral ist es eigentlich, seinem Freund und Verbündeten in Neustadt unter die Gürtellinie zu schlagen, gleichzeitig in Bonn die Hand zum Gespräch auszustrecken und hinterher dann auch noch beleidigt zu sein, daß es dafür keinen Besuchstermin gab? ({23}) Es gibt keinen Zweifel: Die SPD-Gegenveranstaltung in Neustadt war eine antiamerikanische Veranstaltung. ({24}) Davon zeugen nicht nur die Worte Lafontaines. Die Art und Weise, wie der amerikanische Präsident, der Gast unseres ganzen Volkes war, von der deutschen Sozialdemokratie behandelt wurde, ist beschämend für die SPD. ({25}) Die „Stuttgarter Zeitung" schreibt hierzu in einem Kommentar vom 24. April: Seit wann ist es eigentlich üblich, einen Staatsgast, wie überhaupt einen Gast, so zu behandeln, als sei er ins Haus eingedrungen. Ist es nicht beschämend, einem Freund der Deutschen, dem engsten Bündnispartner, der Schutzmacht, vor allem aber: dem Repräsentanten des Volkes, das den Deutschen Freiheit, Wohlstand und Demokratie brachte, während seines Aufenthaltes solchen Zumutungen auszusetzen? Das muß um so mehr abstoßen, als die SPD nicht im Traum daran denkt, bei Besuchen kommunistischer Potentaten ähnlich entrüstet zu sein. Das ist bestürzend. ({26}) Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt die Einschätzung des Besuchs des amerikanischen Präsidenten, wie sie der Bundeskanzler hier für die Bundesregierung vorgetragen hat. Wir danken dem amerikanischen Präsidenten und dem Bundeskanzler dafür, daß sie gemeinsam der Opfer des Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gedacht haben und die in den letzten vierzig Jahren gewachsene Freundschaft und Versöhnung zwischen unseren Völkern zum Ausdruck gebracht haben. ({27}) Der Antiamerikanismus in der deutschen Sozialdemokratie - das vor allem muß man sich klarmachen - verstößt ja nicht gegen amerikanische Interessen, sondern gegen deutsche Interessen, vor allem gegen deutsche Sicherheitsinteressen. ({28}) Freundschaftliche, auch deutliche Kritik unter Bündnispartnern muß und wird es immer geben. Das Ringen um den richtigen Weg gehört zum Bündnis der Freien. Aber Herabsetzung und moralische Fundamentalkritik, das wirkt bündniszerstörend. Das ist nicht unsere Politik. ({29}) Wenn wir uns gegen diesen Antiamerikanismus der SPD wenden, dann geht es uns dabei weniger um die Amerikaner. Die sind im übrigen stark genug, für sich selbst zu sorgen und ihre Interessen zu vertreten. Es geht uns um die Deutschen. Denn Antiamerikanismus schadet nicht den Amerikanern, sondern den Deutschen. Antiamerikanismus in der Form der Herabsetzung unseres wichtigsten Verbündeten oder seiner moralischen Gleichsetzung mit der Sowjetunion bedeutet zutiefst eine Verletzung von lebenswichtigen Sicherheitsinteressen Deutschlands. Wer unserem wichtigsten Bündnispartner in einem Atemzug mit der Sowjetunion Verbrechen unterstellt, der zerstört das notwendige Bewußtsein unserer Mitbürger, vor wem und mit wem diese junge deutsche Demokratie, wir alle miteinander Schutz suchen und Schutz finden. ({30}) Sie, Herr Brandt, haben in Ihrer New Yorker Rede vom 24. April über Frieden und Entwicklung formuliert - das ist ein Zitat; es ist belegt -: Es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß die Streitkräfte und die Waffen, die die Supermächte angesammelt haben, weit über das hinausgehen, was zu ihrer Verteidigung nötig sein mag. ({31}) Sie haben die Fähigkeit erworben - und zwar diese beiden allein -, daß Leben auf unserem Globus zu beenden. ({32}) Ihre Macht ist damit objektiv zu einer Bedrohung aller geworden. ({33}) - Ich setze mich damit auseinander. Herr Vogel, wer undifferenziert und mit gleichsetzenden Worten wie ein Beobachter aus der Loge der Weltpolitik heraus die Politik der Supermächte kommentiert, verkennt und verbirgt, daß die Bundesrepublik Deutschland in einer Sicherheitsgemeinschaft der nordamerikanischen und westeuropäischen Demokratien lebt, daß unser wichtigster Partner in diesem Bündnis die USA sind, daß deren Verteidigungsaufwendungen nicht zuletzt auch unserem Schutz dienen und daß deswegen die USA nicht eine Bedrohung für uns bedeuten, sondern Schutz, ({34}) Schutz vor allem vor der Sowjetunion, deren Waffenpotential darauf abzielt - es würde mich interessieren, ob Sie das unterschreiben, Herr Vogel -, die Sicherheitslage der westlichen Demokratien zu verschlechtern und deren politischen Bewegungsspielraum einzuschränken. Deswegen ist das Nordatlantische Bündnis eine Sicherheitsgemeinschaft der Demokraten. Büdnispolitik und Abschreckungspolitik sind für uns praktizierte Friedenspolitik, die den Frieden auch für die Demokratien nicht nur ersehnt, sondern verwirklicht - in der Vergangenheit und auch in der Zukunft. ({35}) Eine besonders schlimme Entgleisung leistet sich Herr Lafontaine, wenn er die Meinung übernimmt, daß die Atomwaffen das Auschwitz unserer Zeit seien. ({36}) Auch Willy Brandt hat in seiner Nürnberger Rede eine schlimme Gedankenverbindung geschürt, als er das Grauen der Vernichtungslager in einen Zusammenhang mit atomarer Abschreckung brachte - auch dafür liegt das Zitat vor. Wer die Massenvernichtung von Auschwitz mit der atomaren Abschreckung gleichsetzt, ({37}) - der hat nicht recht, sondern der verursacht eine moralisch und geschichtlich unverantwortliche Umwertung der Begriffe ({38}) und eine Verschleierung der eigentlichen Ursachen der heutigen Konflikte. Für die Erhaltung des Friedens in Freiheit durch Abschreckung auch mit nuklearen Waffen sind doch schließlich auch die Bundeskanzler Brandt und Schmidt sowie die Verteidigungsminister Schmidt, Leber und Apel eingetreten - mit Erfolg und mit guten moralischen Gründen. Soll denn das alles nicht mehr gelten? ({39}) Lassen Sie mich auch einiges zum Weltwirtschaftsgipfel anführen. Ich meine, die wirtschaftspolitische Stellungnahme auf diesem Gipfel hat deutlich gemacht, daß es Einigkeit der sieben Mitglieder des Weltwirtschaftsgipfels in den Grundfragen der Wirtschaftspolitik gibt, daß Wachstum und Stabilisierung des Wachstums inflationsfrei gewonnen werden können. Insofern hat es eine große grundsätzliche politische, wirtschaftliche und geistige Übereinstimmung gegeben. Es hat sich erneut gezeigt, daß Sie - das muß ich in Richtung SPD sagen - mit Ihrer Wirtschaftspolitik ganz ähnlich wie mit der Sicherheitspolitik eine Außenseiterrolle spielen und auf diesem Gipfel völlig isoliert gewesen wären. Denn bei allen Unterschieden, die es im einzelnen gegeben haben mag, in den wesentlichen Zielen gab es Übereinstimmung, und von allen ist die Strohfeuerpolitik der Sozialdemokraten mit immer neuen Beschäftigungsprogrammen abgelehnt worden. Sie wären auf diesem Weltwirtschaftsgipfel isoliert gewesen, Herr Vogel. Deswegen ist es gut, daß Sie keine Verantwortung in der Bundespolitik tragen. Denn dann wären die Chancen für eine wirtschaftliche Gesundung wesentlich schlechter. ({40}) Ich meine weiter, die wirtschaftspolitischen Selbstverpflichtungen der einzelnen Länder habe ihre große Bedeutung auch für die Politik gegenRühe über der Dritten Welt. Wir werden gemeinsam darauf achten, daß dies realisiert wird. ({41}) Ich glaube, die politische Grundsatzerklärung, die es auf diesem Gipfel gegeben hat, ist noch nicht ausreichend gewürdigt worden. Hier können wir die Tatsache feststellen, daß diese sieben Länder einschließlich Japans sich dazu bekannt haben, daß die deutsche Frage offen ist und daß für alle Deutschen das Selbstbestimmungsrecht gilt. Ich finde, das sollte Sie nachdenklich machen. Denn bei Ihnen wird ja von einigen behauptet, die deutsche Frage sei nicht mehr offen. Bestenfalls wird bei Ihnen kritisch darüber diskutiert. Es ist beschämend für Sie, daß wir etwa bei diesem weit entfernten Land Japan für diese Grundfrage der deutschen Politik mehr Unterstützung als bei Ihnen finden. ({42}) Es sollte Sie auch nachdenklich machen, daß in Japan mehr Verständnis dafür vorhanden ist, daß es unhistorisch ist, die Akten über der deutschen Frage zu schließen. Die Geschichte geht weiter, und wir müssen daran mitwirken. Die Haltung der SPD, die die deutsche Frage für geschlossen und erledigt hält, ist unhistorisch. - Dies ist eine wichtige Aussage auf dem Gipfel. ({43}) Diese Haltung, Herr Ehmke, ist aber auch unmoralisch. Denn dieser Gipfel hat auch betont, daß das Selbstbestimmungsrecht für die Deutschen auch eine wichtige moralische Position ist. Wir müssen Sie fragen: Woher nehmen Sie die moralische Rechtfertigung dafür, daß Sie die deutsche Frage für geschlossen erklären und damit den 17 Millionen in der DDR dieses moralische Recht auf Selbstbestimmung aberkennen? ({44}) Lassen Sie mich noch einiges im Hinblick auf das Thema Weltraumabwehr und zu den Diskussionen im Bündnis und den europäischen Bemühungen sagen. Zunächst: Herr Vogel, Sie und Ihre Freunde vertreten seit zwei Jahren verstärkt die Auffassung, daß es unmoralisch sei, den Frieden durch Abschreckung zu garantieren. Sie ziehen ja schon die Parallelen zu Auschwitz. Deswegen steht es doch gerade Ihnen überhaupt nicht zu, zu kritisieren, wenn der amerikanische Präsident sagt: Es ist unsere moralische Pflicht, alles zu tun, um herauszufinden, ob es denn eine Chance gibt, den Frieden anders zu erhalten als durch die Vergeltungsdrohung. Man kann sagen: Das ist ein schwieriger Weg, und man kann skeptisch sein. ({45}) Aber wenn es jemandem nicht zusteht, dieses moralisch zu kritisieren, dann Ihnen, die Sie auf der anderen Seite die Politik der Friedenserhaltung durch Abschreckung immer stärker auch moralisch angreifen. ({46}) Deswegen ist diese Aussage von Heiner Geißler völlig berechtigt. Natürlich haben wir die moralische Verpflichtung, herauszufinden, ob es nicht eine Alternative gibt. ({47}) Ich muß Ihnen auch sagen: Es gab auf diesem Gipfel eine große Übereinstimmung darüber, daß die Forschungsanstrengungen der Amerikaner gerechtfertigt sind. Auch hier wären die Sozialdemokraten völlig isoliert gewesen. Ich muß die Frage, die ich hier vor zwei Wochen gestellt habe, wiederholen. Sie sprechen jetzt zwar auch die von den Sowjets inzwischen offiziell zugegebenen eigenen Forschungsanstrengungen bezüglich der Weltraumverteidigung an, aber Sie wissen, daß Sie keinerlei Einfluß auf die Sowjetunion haben, diese Forschungsanstrengungen zu unterbinden. Dennoch versuchen Sie, diesen Hebel in die Hand zu nehmen, um unseren Bündnispartner, die Amerikaner, daran zu hindern, ein Forschungsgleichgewicht herzustellen. ({48}) Dieses ist keine moralische Haltung, sondern es ist eine unkluge Haltung, die nicht der Sicherheit unseres Landes dient. Mit dieser Haltung wären Sie auf dem Gipfel isoliert gewesen. ({49}) Daß es zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Frankreich in einzelnen Fragen Diskussionen gibt, ist doch ganz selbstverständlich; denn Frankreich ist eine Nuklearmacht und muß sich natürlich anders als wir darum sorgen, welche Auswirkungen auf die Abschreckungsfähigkeit der französischen Force de Frappe z. B. ein sowjetisches Abwehrsystem hätte, wieweit eine Abwehr gegen die seegestützten Mittelstreckenraketen, wie Frankreich sie besitzt, technisch zu realisieren ist. Die Franzosen wissen selbst - das unterscheidet sie von der SPD -, daß ein Nein zu SDI die Sowjetunion nicht vom Aufbau eines modernen Raketenabwehrsystems abhielte, wenn sie auf Grund von Forschungsergebnissen dazu in der Lage ist. Es ist kein Zufall, daß der französische Verteidigungsminister Hernu am 9. November letzten Jahres ein Studienprogramm für die Entwicklung von Eindringhilfen für die neue seegestützte französische M-4-Rakete in Auftrag gegeben hat. Auch hier besteht keinerlei Übereinstimmung zwischen Ihrer und der französischen Position. Wir übersehen auch nicht, daß ein Nein der Pariser Regierung zur Forschungsbeteiligung bei einer gleichzeitigen Zusammenarbeit staatlicher französischer Firmen mit den Amerikanern politisch, wirtschaftlich und technologisch eine andere Qualität hätte als ein Nein der Bundesregierung gegenüber den privaten deutschen Firmen. Was nun die Aussage von Staatspräsident Mitterrand auf dem Weltwirtschaftsgipfel betrifft, so gehen wir davon aus, daß damit noch nicht das letzte Wort Frankreichs für den europäischen Abstim10178 mungsprozeß gesprochen ist. Ich erinnere nur an die sehr herbe Frontalkritik, mit der Frankreich bis zum Anfang dieses Jahres auf das SDI-Programm reagiert hat. Jetzt heißt es, daß Frankreich „beim gegenwärtigen Stand des Vorschlags" nicht teilnehmen werde. Mitterrand begründet seine Position mit zwei entscheidenden Fragen: Erstens. Welche Rolle könnte man auf welchen technologischen Gebieten spielen? Zweitens. Ist sichergestellt - so fragt er -, daß das, was mein Land und Europa interessiert, auch das wäre, was uns in dieser technologischen Zusammenarbeit mit den USA zugestanden wird? Er fügt schließlich hinzu, daß dieses Nein keinesfalls besage, daß Frankreich sich nicht von dieser Linie entfernen könne. Der französische Präsident hat damit Fragen und Bedenken formuliert, die auch von anderen, beispielsweise von den Briten und auch von uns, gestellt und geteilt werden. Auch wir sagen: Es muß erst noch geklärt werden, wie und zu welchen Bedingungen eine deutsche Forschungsbeteiligung erfolgen kann, zu der wir grundsätzlich bereit sind und die wir grundsätzlich für richtig halten. Insofern sind Bonn und Paris oder beispielsweise Paris und London gar nicht so weit auseinander. Von daher gehen wir davon aus, daß der Abstimmungsprozeß der Europäer für eine gemeinsame Linie auch mit Frankreich weitergehen wird, zumal kurz vor dem Weltwirtschaftsgipfel in der WEU für diese Beratungen eine spezielle Arbeitsgruppe eingesetzt worden ist. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fordert deshalb die Bundesregierung auf, weiterhin alle Anstrengungen zu unternehmen, um zu einer unter den Europäern abgestimmten Linie zu kommen und so weit wie möglich eine einheitliche Haltung zumindest eines Teils der Europäer zu erarbeiten. Dabei ist dann auch zu prüfen, wieweit die Europäer in Zusammenarbeit mit den USA spezifische Komponenten für den Schutz Europas erforschen und beisteuern könnten, beispielsweise gegen die konventionelle Bedrohung, beispielsweise gegen Marschflugkörper, aber auch die Frage, welche Schutzmaßnahmen gegen atomare Kurzstreckensysteme denkbar wären. Ich meine, wenn wir dieses tun, wenn wir uns den spezifischen Sicherheitssorgen der europäischen Bevölkerung zuwenden, dann haben wir dafür die Unterstützung unserer Bevölkerung, und dann können wir es auch verschmerzen, dafür nicht die Unterstützung der Opposition in diesem Hause zu haben. ({50}) Ob Eureka von Bedeutung sein wird, wird noch zu prüfen sein, denn nicht von ungefähr sind die von Frankreich genannten Bereiche einer zivilen europäischen Hochtechnologiezusammenarbeit allesamt Schlüsselgebiete der SDI-Forschung. Was die zivile Zusammenarbeit im Weltraum betrifft, so wird sich zeigen müssen, wieweit hier die ESA, die Europäische Weltraumagentur, als ein durchaus erfolgreiches Modell europäischer wie transatlantischer Zusammenarbeit noch umfangreicher zu nutzen ist, ehe man durch neue Einrichtungen das ohnehin noch schwer durchschaubare Dickicht europäischer Institutionen unübersichtlicher machen sollte. Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas in Richtung auf die Genfer Verhandlungen sagen. Es hat ja die Unterstützung des Gipfels für die amerikanische Verhandlungsposition gegeben, und zwar für alle drei Bereiche, in denen die Amerikaner in Genf verhandeln. Auch hier wird deutlich, daß Sie, Herr Vogel, mit Ihrer Politik im Abseits stehen. Der amerikanische Präsident hat ganz konkrete Offerten für vertrauensbildende Maßnahmen gemacht, während Willy Brandt z. B. in seiner New Yorker Rede sagte, die Supermächte müßten einen Vertrag zu Verhinderung des dritten Weltkrieges schließen. Hat er denn die geltenden Übereinkünfte der Vereinten Nationen über den Gewaltverzicht ganz übersehen? Ich meine, daß Sie sich an das erinnern lassen sollten, was Sie in anderem Zusammenhang die „Politik der kleinen Schritte" genannt haben. Ihre Abrüstungspolitik ist die Politik der großen Worte. Mit solchen Vorschlägen schaffen Sie keine einzige Atomwaffe beiseite, Herr Ehmke. ({51}) Deswegen unterstützen wir die Politik der kleinen Schritte mit den vier ganz konkreten Schritten, die der amerikanische Präsident vorgeschlagen hat und auf die man sich schnell verständigen könnte, wenn es guten Willen auf beiden Seiten gäbe. Wir fordern Sie auf, sie auch zu unterstützen. Dann gibt es auch die Chance, mittlere Schritte in Genf zu erreichen mit einer erneuten Bestätigung des ABM- Vertrages, mit einem Ernstmachen, die real existierenden Raketen abzurüsten. Aber wer statt dessen nur eine Politik der großen Worte macht, der versäumt die konkreten Abrüstungschancen, die es gibt. Deswegen fordere ich Sie auch in diesem Bereich auf, Ihre Politik zu überdenken; denn anderenfalls werden Sie feststellen, daß Sie zwar eine Landtagswahl gewinnen können, daß die Bürger der Bundesrepublik Deutschland aber noch für lange Zeit der Auffassung sein werden, daß man Ihnen das Schicksal des ganzen Landes - wo es um Sicherheit und Außenpolitik geht - keinesfalls anvertrauen kann. ({52})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Hönes.

Hannegret Hönes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000924, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich denke, es ist an der Zeit, das Wahlkampfgetöse zu beenden, denn, meine Damen und Herren, das Hauen und Stechen scheint Ihnen immer noch in den Gliedern zu stecken. Jetzt ist eine sachliche Beurteilung des Weltwirtschaftsgipfels angesagt. Diese sachliche Beurteilung haben Sie bisher vermissen lassen. ({0}) Herr Bundeskanzler, Sie sagten in Ihrer Begrüßungsrede auf Schloß Falkenlust: „In diesen Tagen blicken viele Menschen der Welt hierher auf uns. Es sind vor allem viele Hoffnungen, die sich auf uns richten, ..." - Grundlage dieser Hoffnungen ist der Wunsch aller Menschen dieser Welt, ein friedliches, gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Leben in einer intakten Umwelt führen zu können. Herr Bundeskanzler, ich stelle Ihnen die Frage, inwieweit dieser Weltwirtschaftsgipfel einen Beitrag dazu geleistet hat, um auch nur einen Teil dieser Hoffnungen zu erfüllen. Die Bemühungen auf diesem Gipfel beschränkten sich doch wohl nur auf die Beschwörung von Wirtschaftswachstum als angeblichen Garanten für die Schaffung von Arbeitsplätzen. Zwar wird mit dem überholten Rezept des Wirtschaftswachstums bei durchrationalisierten Produktionsverfahren kein Beitrag zum Abbau der Arbeitslosigkeit geleistet, dafür aber warten Sie mit einer anderen - negativen - Wachstumsbilanz auf: einem Anwachsen der Umweltzerstörung, die Sie bewußt mit einkalkulieren. ({1}) Mit den sterbenden Wäldern scheint sich diese Regierung schon abgefunden zu haben. ({2}) Herr Bundeskanzler, wenn Sie mit blumigen Worten die Vermählung von Ökologie und Ökonomie predigen, dann sollten Sie das Brautgeld nicht vergessen. Wir kommen an Veränderungen unserer Lebens- und Gebrauchsgewohnheiten und an dem notwendigen Umbau der Produktion nicht vorbei. Auf Wachstum setzen bedeutet, daß die Bundesrepublik pro Jahr 6 % bzw. 7 % Wirtschaftswachstum bräuchte, sollte die Arbeitslosigkeit beseitigt werden. Der Produktionsausstoß müßte sich innerhalb von zehn Jahren verdoppeln - und das in unserem überindustrialisierten Land. Wachstumspolitik bedeutet eine gewaltige Offensive auf dem Weltmarkt, wie sie auch gerade wieder von Japan gestartet wird. Insbesondere die Länder der Dritten Welt sollen ihre Märkte öffnen, um diese Warenschwemme aufzunehmen. Ich frage Sie: Wie sollen sich diese Länder denn eigenständig entwickeln? Wie sollen sie ihren Schuldenberg abtragen? Wachstum muß mit tiefen Einschnitten in die Sozialpolitik erkauft werden. Was Sie im Abschlußkommuniqué so vornehm mit „größerer Anpassungs- und Reaktionsfähigkeit auf allen Märkten, besonders auf dem Arbeitsmarkt" umschreiben, heißt konkret: Der Mensch wird immer mehr zur hilflosen Ware auf dem Arbeitsmarkt. Nach dem Abbau von Jugend- und Frauenarbeitsschutz hat die Bundesregierung mit ihrem sogenannten Beschäftigungsförderungsgesetz den Arbeitern und Arbeiterinnen gerade zum 1. Mai 1985 gezeigt, was Flexibilität bedeutet: Heuern und Feuern zum Billigtarif, wenn es nach FDP-Generalsekretär Haussmann geht, der die Arbeitslosen gezielt als Lohndrücker einsetzen will. ({3}) Die Bundesregierung benutzt also schon heute die Arbeitslosigkeit, um lang erkämpfte Rechte der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen Zug um Zug abzubauen. ({4}) Herr Kohl, die Regierung mag das als Erfolg feiern, die Arbeiterinnen und Arbeiter in Nordrhein-Westfalen haben offenbar anders darüber gedacht. ({5}) Ihre Politik hat in der Bundesrepublik schon zu einer neuen Armut geführt. ({6}) In den USA und in England ist es genauso. Rentnerinnen und Rentner, Kranke, Behinderte und Arbeitslose müssen die Opfer bringen. Herr Bundeskanzler, ist das Ihre Version von einer Gesellschaft mit menschlicherem Gesicht? Die Not dieser Menschen wird vergrößert, vor allem damit der Profit wächst. Die Unternehmer verzeichnen unter Ihrer Regierung gleichzeitig Gewinnzuwachsraten bis zu 12 %. Was ist wohl gemeint, wenn es da in der Schlußerklärung heißt, daß Unternehmergeist und Investitionen gestärkt werden sollen? 3 Milliarden DM Vermögensteuergeschenke an die Unternehmer im Jahre 1984 bescheren uns die größte Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik im Januar 1985. ({7}) 1983 sind allein 53 % dieser Investitionen in die Rationalisierung geflossen, 25 % in den Ersatz und nur 22 % in die Erweiterung und somit in Arbeitsplätze. Wachstum, Herr Bundeskanzler, bedarf auch einer immer rasanteren Technologieentwicklung. Keine Frage mehr, was entwickelt wird und ob die Menschen es brauchen; vom Schnellen Brüter in Kalkar über die Wiederaufbereitungsanlage, von der Mikrotechnologie bis zur Verkabelung, von der Gentechnologie bis zur Weltraumrüstung ist da jede Entwicklung recht, wenn sie nur technologischen Vorsprung und Wachstum erträumen läßt. ({8}) Die Wachstumspolitik, die auf diesem Gipfel beschworen wurde, wird also mit Not und hohen Risiken in den Industriestaaten und mit weiterer Ausbeutung in der Dritten Welt erkauft. Bei dem Gipfel ist für die Menschen nichts herausgesprungen. Nicht einmal die Bonner Taxifahrer konnten ein zusätzliches Geschäft machen, da Daimler-Benz und VW die Karossen in notwendiger Stückzahl zur Verfügung stellten. ({9}) Selbst diese Randerscheinung macht deutlich, um welche Interessen es bei diesem Gipfel eigentlich ging. ({10}) Neben der Beschwörung der Wachstumsideologie war das Bekenntnis zum freien Welthandel angesagt. Über den freien Welthandel wurde also gesprochen, doch keiner der Beteiligten war ernsthaft bereit, die Abschottung des eigenen Marktes auch nur in Ansätzen in Frage zu stellen. In den USA wächst der innenpolitische Druck der Farmer und der Industriearbeiter, die EG will ihren hochsubventionierten Agrarmarkt unter allen Umständen schützen, und auch in Japan bleiben die Grenzen dicht. ({11}) In Wirklichkeit geht es Ihnen also nur darum, die Märkte der wirtschaftlich und politisch schwächeren Entwicklungs- und Schwellenländer aufzubrechen, damit denen jeder Rest von wirtschaftlicher Souveränität genommen werden kann. ({12}) Das ist eine unverhüllte Machtausübung der Starken, ({13}) aber keine Politik der Verantwortung gegenüber den Menschen in der Dritten Welt, wie Sie sie ständig beschwören. Vielen Ländern der Dritten Welt steht das Wasser bis zum Hals. Es ist ein Skandal, daß die internationale Finanzkrise und die Verschuldung der Entwicklungsländer auf diesem Gipfel nicht zum Thema erhoben wurden. Auf Grund der hohen Schuldendienstzahlungen exportieren die Entwicklungsländer inzwischen Kapital in die reichen Länder - statt, wie es eigentlich sein müßte, umgekehrt. In vielen dieser Staaten geht es bei großen Teilen der Bevölkerung um einen Kampf um Leben und Tod. Die Schuldenkrise drückt immer mehr Menschen in Armut und Verelendung. Herr Kohl, Ihre Entwicklungs- und internationale Finanzpolitik, die auf aggressive Exportförderung setzt, verschärft noch die Probleme in den armen Ländern. Am deutlichsten aber wurde durch den US-Boykott gegen Nicaragua vor Augen geführt, daß die Forderung nach freiem Welthandel nichts als billige Maskierung für die Verfolgung egoistischer Interessen ist. ({14}) Die Verkündung des Handelsboykotts gegen Nicaragua von Bonn aus ist, Herr Bundeskanzler, die Quittung dafür, daß Sie Herrn Reagan nicht aus der Verpflichtung des Bitburg-Besuchs entlassen haben. Doch der Preis für Bitburg und für Ihre Selbstdarstellung, Herr Kohl, ist noch höher anzusetzen. War schon Ihre damalige Bereitschaft, einen Finanzierungsbeitrag für die amerikanische Raumfähre zu übernehmen, ein gefährlicher Schritt, so bringt Ihre überstürzte Zusage zur Beteiligung am SDI-Programm, am „Krieg der Sterne", nicht überschaubare finanzielle und sicherheitspolitische Risiken für unser Land und die gesamte Welt mit sich. ({15}) Sie behaupten, es gehe um einen Technologieschub, aber ich frage Sie: Warum haben Sie Geld, um zu erfahren, ob ein Rhesusaffe in der Raumstation Nahrung zu sich nimmt - das ist eine Perversität -, wenn Sie nicht einmal willens sind, ausreichend Mittel für Kinderkrebsstationen bereitzustellen? ({16}) Sie wissen genauso gut wie wir, daß es beim SDI- Programm nicht um neue Technologien, sondern um die amerikanische Vorherrschaft in der Welt - und um die damit verbundene Gefahr der endgültigen Zerstörung dieses Planeten - geht, und da sprechen Sie, Herr Bundeskanzler, von Hoffnung? Dazu wären die Einsicht und der Wille notwendig gewesen, ganz andere Probleme anzugehen. Ich will Ihnen die Themen nennen, die auf diesem Weltwirtschaftsgipfel angesagt gewesen wären: Entschuldung der Dritten Welt, Programme zur Bekämpfung des Hungers dort und der Armut hier, radikale militärische Abrüstung, Analyse der dringenden Bedürfnisse von Mensch und Natur, Bekämpfung und Vermeidung der Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, gemeinsame Aktionen zur besseren Arbeitsverteilung durch Arbeitszeitverkürzung, Steuerung der Technologieentwicklung im Hinblick auf ökologische und soziale Verträglichkeiten. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen, und das wäre die Aufgabe des Weltwirtschaftsgipfels gewesen. ({17})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Dr. Vogel hat den verständlichen Versuch unternommen, uns heute an der Düsseldorf-Nachfeier zu beteiligen; trotzdem bin ich sicher, daß Johannes Rau dankbar dafür ist, daß er diese Rede erst heute im Deutschen Bundestag gehalten hat. Diese Rede ist dem nicht gerecht geworden, was hier im Zusammenhang mit dem Weltwirtschaftsgipfel und im Zusammenhang mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten und des Ministerpräsidenten Japans geschehen ist. Bevor ich darauf eingehe, Herr Kollege Dr. Vogel, eine Richtigstellung: Sie haben den Bundeskanzler und den amerikanischen Präsidenten kritisiert, daß sie in Bergen-Belsen nicht auch der Opfer des russischen Volkes gedacht hätten. Ich muß Sie daran erinnern, daß der Bundeskanzler bei einer vorangegangenen Veranstaltung am 21. April 1985 in Bergen-Belsen folgendes erklärt hat: Als das Lager Bergen-Belsen errichtet wurde, da brachte man hierher zunächst russische Kriegsgefangene. Wie sie untergebracht und behandelt wurden, geriet für die Gefangenen zur Tortur. Über 50 000 starben allein hier im Raume um Bergen. Auch daran müssen wir uns heute und ständig erinnern: Von den insgesamt fast 6 Millionen sowjetischen Soldaten, die in Gefangenschaft gerieten, überlebten weit weniger als die Hälfte. Und so besinnen wir uns in dieser Stunde auch auf das Leid, das den Völkern Mittel- und Osteuropas in deutschem Namen zugefügt wurde. Weiter sagte der Bundeskanzler: Wir gedenken der Kriegstoten der Sowjetunion. Und wir erinnern uns an die Verbrechen am polnischen Volk. Meine Damen und Herren, hören wir damit auf, uns gegenseitig Vorschriften zu machen, wie wir der schrecklichen Ereignisse der faschistischen Zeit und des Zweiten Weltkrieges gedenken, ({0}) und hören wir auch damit auf, die Staats- und Regierungschefs unserer Verbündeten, unserer Freunde, im innenpolitischen Stellungskampf einzusetzen und, wie ich finde, zu mißbrauchen. Es wird immer wieder Lagen geben, wo die eine oder die andere Partei oder Fraktion in einer aktuellen Frage stärker mit dieser oder jener Regierung übereinstimmt. Wer sich aber auf François Mitterrand beruft, der kann nicht aussparen, daß er sich hier von diesem Pult zur Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland als einem integralen Bestandteil deutscher und französischer Sicherheitspolitik bekannt hat. ({1}) Daran müssen wir festhalten. Ich verstehe, Herr Kollege Vogel, daß Sie nicht viel über den Gipfel gesprochen haben, denn dieser Gipfel war, wie der Bundeskanzler zu Recht ausgeführt hat, ein Gipfel der Zuversicht und der Ermutigung für eine Politik der Bundesregierung, die sich bemüht, Wachstum in Stabilität und umweltschonend durchzuführen. Hier haben wir die Unterstützung aller unserer Partner. Wir stehen da im Gegensatz zu Ihnen, aber wir sind in Übereinstimmung mit unseren Partnern, von denen zwei Staats- und Regierungschefs - das muß ich nun einmal aus unserer Richtung sagen - der Sozialistischen Internationale angehören. Wir haben eine Unterstützung für unsere liberale Welthandelspolitik gefunden, wir haben eine Unterstützung für unsere Bemühungen um den technologischen Fortschritt gefunden. Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, werden noch erkennen, was mehr und mehr Ihrer Wähler schon erkannt haben, daß Umwelterhaltung nicht durch eine Flucht in die Vergangenheit, sondern durch neue umweltschonende Technologien bewirkt werden kann, ohne daß wir Menschen in Not bringen. ({2}) Meine Damen und Herren, was für uns von entscheidender Bedeutung ist - deshalb war der Zeitpunkt für den Gipfel richtig gewählt -, ist die Tatsache, daß die sieben Staats- und Regierungschefs zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs eine Erklärung abgegeben haben, in der sie nicht nur der Opfer des Krieges gedacht, sondern auch das bestätigt haben, was uns verbindet, in dem eindrucksvollen Satz: Wir sind stolz darauf, daß die Menschen in unseren Ländern frei sind, zu sagen und zu schreiben, was sie wollen, die Religion auszuüben, zu der sie sich bekennen, und zu reisen, wohin sie wollen. In der Tat, das verbindet uns mit den Staaten, die hier versammelt waren. Das ist der Ausgangspunkt für eine Politik der Perspektive, die sich mit unseren nationalen Interessen trifft. Da ist es unbestreitbar, daß die Partnerschaft des demokratischen Europas, der Vereinigten Staaten und Japans ein Garant für Frieden und Stabilität in der Welt ist. Zu dieser Feststellung sollte sich jede Fraktion des Deutschen Bundestages bekennen. Wir können doch mit Freude feststellen, daß gesagt wird: Wir wollen gemeinsam Barrieren abbauen, die Europa trennen. Daß wir die Bedeutung des KSZE-Prozesses für die Möglichkeit zur Stärkung von Vertrauen, Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa hier noch einmal bekundet haben, entspricht doch unseren nationalen Interessen. Wer kann eigentlich mehr darüber befriedigt sein als der Gastgeber, die Bundesrepublik Deutschland, wenn das von den sechs anderen Staats- und Regierungschefs wiederholt wird, was wir alle gemeinsam in dem Brief zur deutschen Einheit als das Ziel unserer nationalen Politik betrachten? ({3}) Wir sehen einem Zustand des Friedens in Europa entgegen - so sagen sie -, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiedererlangt. Meine Damen und Herren, das hat am Vorabend des 40. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkriegs die Bestätigung für unsere nationalen Ziele, für unsere europäische Friedensverantwortung und für eine Politik gebracht, die darauf gerichtet ist, durch Zusammenarbeit die Grenzen in Europa zu überwinden. Ich denke, daß das der Würdigung bedarf, daß es der Unterstützung aller Seiten unseres Hohen Hauses würdig sein sollte. Es ist heute noch einmal viel über SDI gesprochen worden. Es gibt die klare Position der Bundesregierung, die der Bundeskanzler in der letzten Regierungserklärung und der Bundessicherheitsrat zum Ausdruck gebracht haben. Aber, meine Damen und Herren, wir müssen erkennen, daß es jetzt darum geht, in europäischer Zusammenarbeit unsere Position dazu zu entwickeln. Wir wissen, daß die sicherheitspolitische Zusammenarbeit zwischen Frankreich und Deutschland von so entscheidender Bedeutung ist. Da ist ganz klar: Es gibt keine Lösung der Sicherheitsprobleme, die für Frankreich schlecht und für Deutschland gut wäre oder für Deutschland schlecht und für Frankreich gut wäre. Nein, wir gemeinsam als Kern des Prozesses der europäischen Einheit sind darauf bedacht, eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik im Rahmen des Bündnisses zu vertreten. Denn nur die europäisch-atlantische Partnerschaft bietet das sichere Fundament für jene Politik, die unverzichtbar ist: der Überwindung der Spaltung Europas, der Beseitigung des Trennenden. Deshalb ist für uns die gemeinsame europäische Reaktion auf SDI wichtig im Interesse der Stärkung der deutsch-französischen Zusammenarbeit, der Förderung der europäischen Einheit und der Festigung des atlantischen und des europäischen Pfeilers der Allianz sowie, meine Damen und Herren, des Erfordernisses für uns, aus historischen und geographischen Gründen in empfindlichen Sicherheitsfragen besondere Behutsamkeit zu zeigen, hier zusammen mit unseren europäischen Partnern die wichtigen Entscheidungen zu treffen. Davon völlig getrennt - auch ohne daß es ein SDI-Forschungsprogramm gäbe - ist es notwendig, daß Europa in seiner Identitätsfindung auch technologisch zu dem wird, was allein Garantie für eine Ordnung sozialer Gerechtigkeit sein kann, nämlich zu einer Technologiegemeinschaft, in der die Staaten Westeuropas, die europäischen Demokratien ihre Möglichkeiten zur Fortschrittsbewältigung auch durch Bündelung ihrer technologischen Fähigkeiten stärken und zusammenfassen. Meine Damen und Herren, dieser Weltwirtschaftsgipfel war deshalb von einer so entscheidenden Bedeutung, weil die politische Erklärung alle diese Ziele zu einer gemeinsamen politischen Perspektive der hier vertretenen sieben Staaten gemacht hat. Diese Gemeinsamkeit gibt uns die Kraft, jene Politik fortzusetzen, die wir gerade an der Nahtstelle zwischen West und Ost für so entscheidend halten. Wir werden bei der NATO-Ministerkonferenz in Lissabon in Ausführung dessen, was hier gesagt wurde, dafür sorgen, daß die Einheit des Bündnisses nicht gefährdet, daß unsere Strategie bestätigt wird. Nur, meine Damen und Herren, zur NATO- Strategie der Kriegsverhinderung, zur Strategie, wie wir sie jetzt haben, gehören eben auch der Doppelbeschluß und seine Ausführung. Man kann sich weder in der deutsch-französischen Freundschaft noch in der Partnerschaft in der NATO nach dem Rosinen-Prinzip das heraussuchen, was einem gefällt, und zu dem nein sagen, was man ablehnt. ({4}) Ich halte es für ganz entscheidend, daß in Bonn die Notwendigkeit kooperativer Lösungen für die Rüstungsfragen und Abrüstungsfragen zwischen West und Ost unter Hinweis auf die Genfer Verhandlungen unterstrichen worden ist. Es ist doch ein gewaltiger Fortschritt, daß sich die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion darüber verständigt haben, daß sie die Probleme, um die es geht, die Abrüstung bei den Langstreckenraketen, bei den Mittelstreckenraketen, die militärische Nutzung des Weltraums, im Zusammenhang erörtern und lösen wollen, daß sie auf kooperative Lösungen hinarbeiten, so wie es die Bundesregierung im Beschluß des Bundessicherheitsrates vorgesehen hat. ({5}) Hier geht es darum, daß wir die Spaltung Europas in einem kooperativen Prozeß überwinden. Dafür müssen wir die Perspektiven gemeinsam erarbeiten. Dafür gemeinsame Positionen zu finden, sollten wir hier in dem Hause versuchen. Da darf niemand daran vorbeigehen, daß auf der einen Seite der Westen die Bereitschaft erklärt, durch Zusammenarbeit zur Überwindung der Spaltung beizutragen, und daß auf der anderen Seite der Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzende Honecker am 24. April sagte: Wir werden mit unseren Freunden dazu beitragen, die Spaltung Europas zu überwinden. - Meine Damen und Herren, nehmen wir die andere Seite beim Wort. Suchen wir die kooperativen Lösungen. Da ist es entscheidend, daß es in diesen Tagen, heute, zu einer Begegnung des amerikanischen und des sowjetischen Außenministers kommt. Wir können nur hoffen, daß der amerikanische Präsident Zustimmung zu seiner Einladung zu einem Treffen mit Generalsekretär Gorbatschow findet, weil der Dialog der beiden Großmächte, nach dem wir doch so lange und so oft gerufen haben, jetzt in Gang gekommen ist und weil die Begegnungen der beiden Führungspersönlichkeiten aus den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion von uns doch immer wieder gefordert wurde. Das heißt, wir sollten aus dieser politischen Erklärung, die unsere nationalen Ziele unterstützt, die eine gemeinsame Perspektive der westlichen Demokratien aufzeigt, Schlußfolgerungen ziehen, die darin bestehen, den Prozeß der europäischen Einigung zu stärken, unser Bündnis in seiner Verteidigungsfähigkeit, aber auch in seiner Fähigkeit zur politischen Kooperation zu stärken. Das geht nur, wenn wir die gemeinsame Basis dieser Politik erhalten, wenn wir uns nicht in Emotionen gegenüber unserem wichtigsten Bündnispartner ergehen. Für die Bundesregierung gilt unverändert, was von dieser Stelle wiederholt gesagt worden ist: Wir unterstützen die Verhandlungsziele, die sich die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion mit der Erklärung vom 8. Januar 1985 gesetzt haben, die Verhandlungsziele, die in der gemeinsamen Feststellung definiert sind, nämlich einen Rüstungswettlauf im Weltraum zu verhindern und ihn auf Erden zu beenden. Dazu können wir als mittlere und kleinere Staaten bedeutende Beiträge leisten. Aber dazu gehört natürlich, daß wir das im Verband eines handlungsfähigen Bündnisses und einer politisch handlungsfähigen Europäischen Gemeinschaft tun. Dabei wird unser Gewicht nicht dadurch erhöht, daß wir uns in einen Gegensatz setzen, daß wir gegenüber unseren Partnern, den großen oder den kleinen, Polemik suchen. Unser Gewicht wird vielmehr dadurch größer, daß wir der Verantwortung, die Verpflichtungen, die wir im Bündnis übernommen haben, auch konsequent gerecht werden bzw. einhalten. Das, meine Damen und Herren, ist der Anspruch, aus dem wir dann auch ableiten könBundesminister Genscher nen, daß alle anderen mit uns die Politik der Kooperation mit unseren östlichen Nachbarn vertreten. Hier müssen wir alles tun, damit niemand die Einhaltung unserer Verpflichtungen in Zweifel ziehen kann. Unser Ziel kann es da nur sein, daß wir im WestOst-Verhältnis langfristige Entwicklungen einleiten, die die Sowjetunion vor die Entscheidung stellen, entweder den Anschluß auch an die technologische Entwicklung in einer friedlichen Welt in der Kooperation mit dem Westen zu suchen - mit allen Konsequenzen, die sich dabei für die Zusammenarbeit in allen Bereichen ergeben - oder militärischen Ehrgeiz in konfrontativer Weise durchzusetzen. Es kann keinen Zweifel geben, daß nur der Weg der Zusammenarbeit im Interesse der Völker des Westens und des Ostens liegt. Eine solche Politik eines einigen Westens, der diese Strategie, diese politische Strategie vertritt, die auch in der politischen Erklärung von Bonn zum Ausdruck kommt, meine Damen und Herren, wird ihre Wirkung im Osten nicht verfehlen - unter einer Voraussetzung: daß niemand im Osten darauf spekulieren kann, er könne den Westen spalten. ({6}) Voraussetzung der Sicherheitspolitik ist das einheitliche Bekenntnis zu dem, was wir gemeinsam wollen. Ich würde es für einen Gewinn halten, wenn wir nach aller Polemik des ersten Beitrages der Opposition jetzt Antworten hören würden, ob die Opposition alle Punkte der politischen Erklärung von Bonn unterstützt. Wenn das geschieht, meine Damen und Herren, hätte sich die Debatte gelohnt. Wenn nicht, würden wir für eine lange Zeit vor schwerwiegenden Meinungsunterschieden stehen. Die Antworten sind erbeten. Ich danke Ihnen. ({7})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brandt. ({0})

Willy Brandt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000246, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In erster Linie möchte ich mich heute dazu äußern, ob der Bonner Wirtschaftsgipfel Positives für jene Länder erwarten läßt, die von Hungerkatastrophen heimgesucht werden oder die unter der Last der Schuldenkrise zusammenzubrechen drohen. ({0}) Neben den üblichen Gemeinplätzen findet man in der Erklärung des Gipfels immerhin einige wichtige Stichworte: Da die Gefahr neuer Handelsbeschränkungen wächst, ist die gemeinsame Forderung nach weniger Protektionismus natürlich gerechtfertigt. Da die Unordnung und Unsicherheit im internationalen Währungssystem weiter zunehmen, ist die Übereinstimmung, daß man sich mit dem Problem befassen muß, besser als nichts. Da die Hungerkatastrophe in Afrika immer schrecklichere Ausmaße annimmt, ist es gut, daß man größere Hilfsanstrengungen erwägen will. Da die Schuldenlast viele Länder, vor allem die neu erwachenden Demokratien in Lateinamerika, zu ersticken droht, ist jeder Schritt weg von der früheren Ansicht, es werde sich alles von allein regeln, zu begrüßen. Aber das alles bleibt meiner Meinung nach viel zu unbestimmt, unverpflichtend, unbefriedigend, zumal wenn man bedenkt, daß es sich um Zusammenkünfte der Regierungschefs jener westlichen Industriestaaten handelt, die mit einem Achtel der Menschheit über zwei Drittel des weltweiten Reichtums verfügen. Der Bundeskanzler hat den umfassenden Gedankenaustausch als wichtigsten Nutzen des Gipfels bezeichnet. Dazu war diese Art von Veranstaltungen auch ursprünglich einmal eingeführt worden. Aber so ganz umfassend scheint der Austausch wohl nicht gewesen zu sein. Es kommt nicht von ungefähr, daß zahlreiche Beobachter und Kommentatoren die Frage aufwerfen, ob solche Gipfelkonferenzen, die Art, in der sie durchgeführt werden, das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag, zwischen Meinungsaustausch und Öffentlichkeitsarbeit, ob dies zusammen eigentlich noch dem entspricht, was mit den Gipfeln bezweckt werden sollte. ({1}) Ich knüpfe insoweit an Bemerkungen an, die ich hier vor drei Jahren, also nicht der jetzigen Regierung gegenüber - damals war das im Anschluß an den Gipfel in Versailles -, schon einmal gemacht habe. Man hat den Eindruck, meine Damen und Herren, der Umfang der Delegationen wird immer größer, die Zeit für Sachgespräche der Chefs immer knapper. So wird der Zweifel genährt, ob diese Konferenzen ihr Geld wert sind. Dabei will ich nicht ausschließen, daß die Neigung zum Protektionismus vielleicht noch rascher um sich gegriffen hätte, wenn nicht durch das jährliche Aufarbeiten der Gipfelakten gewisse Gegenkräfte mobilisiert worden wären. ({2}) Für besonders bedenklich halte ich es, daß Europa nicht mit mehr Geschlossenheit, sondern mit mehr Uneinigkeit aus dem Gipfeltreffen herausgekommen ist. ({3}) Dabei hätte dies doch nach des Bundeskanzlers Worten ein Jahr Europas werden sollen. Er hat sich auf dem Gipfel nicht daran orientiert. Jetzt muß er sich mit dem öffentlich in Paris und anderswo vorgetragenen Vorwurf auseinandersetzen, er sei vom europäischen Weg abgewichen. ({4}) Wie die deutsche Öffentlichkeit amtlich unterrichtet wird, läßt auch erheblich zu wünschen übrig. Wer die Schönmalereien unserer Regierungsspitzen mit der Wirklichkeit verwechselt, ist nicht gut dran. Man muß es schon mit dem vergleichen, was gleichzeitig in Paris und in Washington auf den Markt gebracht wird, um sich ein halbwegs klares Bild zu machen, wer sich für was eingesetzt hat und wer was zu sagen unterließ. Es ist nicht nur so, daß Deutschland und Frankreich in der Frage der Weltraumpolitik auseinandergefallen sind, während es dringend geboten gewesen wäre und bleiben sollte, gerade auf diesem Gebiet eine gemeinsame, an europäischen Interessen orientierte Position zu beziehen. ({5}) Wir hielten es für verhängnisvoll, wenn wir uns für etwas einspannen ließen, was nicht mehr Sicherheit bringt, aber mit Sicherheit schrecklich viel Geld kosten wird. ({6}) Den europäischen Interessen hätte es entsprochen, den französischen Staatspräsidenten auch nicht allein zu lassen, wo es darum geht, über die internationalen Währungsfragen einigermaßen gleichgewichtig neben den internationalen Handelsbeziehungen zu verhandeln. Hier habe nicht nur ich den Eindruck, sondern viele andere haben den Eindruck, daß sich der Bundeskanzler nicht an das gehalten hat, was im Europäischen Rat hierzu vereinbart worden war. ({7}) Wenn das so ist, dann ist das nicht gut. Hinzu kommt, daß Deutschland und Frankreich an einem konkreten Punkt der Nord-Süd-Politik - ich meine Mittelamerika und Nicaragua - völlig auseinandergefallen sind. ({8}) Darauf muß ich gleich noch einmal zurückkommen. Der offizielle Besuch von Präsident Daniel Ortega gestern in Paris spricht für sich. Im übrigen, Herr Kollege Rühe, Sie haben vermutet, es handele sich um eine taktische Freundschaft zu Frankreich. Unsere Tradition ist stärker als Ihre Polemik. ({9}) Unsere Tradition im Verhältnis zu Frankreich beginnt weder 1963 noch 1973. 1871 ist der damalige Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, als aus dem Krieg in der zweiten Phase ein Eroberungskrieg wurde, lieber ins Gefängnis gegangen, als noch Mittel für diesen Krieg zu bewilligen, und wir haben in der Zeit danach uns denen widersetzt, die geschrien haben, siegreich wollten sie Frankreich schlagen. ({10}) Nein, das, was Sie dazu an Polemik eingeführt haben, Herr Kollege Rühe, ist ebenso abwegig wie das, was Sie zu unserer Haltung zur deutschen Frage gesagt haben. ({11}) Ich bleibe bei Europa und sage: Wir brauchen eine Politik, die die europäische Mitverantwortung für die großen Dinge der Welt deutlicher werden läßt und die uns Europäer zu dem potenten Partner werden läßt, auf den man in weiten Teilen der Dritten Welt, besonders in Lateinamerika und in Afrika, so große Hoffnungen setzt. Was auf dem Gipfel tatsächlich vereinbart wurde, ist viel zu bescheiden, wenn man zugrunde legt, was in unserem Land, in Europa und erst recht in der Welt wirklich vor sich geht. Herr Bundeskanzler, das was dort auf dem Papier steht - ich habe ja gesagt, es stehen erwägenswerte Dinge darin -, bringt doch die Arbeitslosen in Europa nicht von der Straße. Das beseitigt weder Hunger noch Elend in den Teilen der Welt, die von Hunger und Elend betroffen sind. Das ist in Wirklichkeit eine Menge an wohlbekanntem Selbstbetrug und altem Wunschdenken. ({12}) Übrigens ist es selbst in der Rückschau viel zu dürftig. Schon beim ersten Gipfel dieser Art vor zehn Jahren ging es um die Wahrung des freien Handels und um die Reform des Weltwährungssystems. Vor zehn Jahren! Und was ist passiert? ({13}) Die Handelsbeschränkungen haben zugenommen, die Unordnung im Währungssystem ist größer geworden. Es geht eben nicht nur um gewisse Anpassungen, sondern um die Konsequenz aus der Einsicht, daß das internationale Währungssystem nicht zuletzt deshalb aus den Fugen geraten ist, weil es einer gründlich veränderten Struktur des Staatensystems auch nicht annähernd angepaßt wurde. Auch die anderen Themen, die auch dieses Mal routinemäßig abgehakt wurden, machen wenig Hoffnungen. In der Schuldenfrage soll weiterhin von Fall zu Fall und dann meist durch Flickschusterei geholfen werden. Die zunehmende Hungerkatastrophe in Afrika soll von einer weiteren Sachverständigengruppe studiert werden. Wahrlich, man traut seinen Augen nicht, wenn man das liest. Ich weiß nicht, was einen mehr erschüttert: die Vergeßlichkeit der veröffentlichten Meinung oder die Abgebrühtheit der für den Gipfel insoweit Verantwortlichen. ({14}) Denn ich frage: Hatten wir das alles nicht schon einmal vor Jahresfrist, vor zwei Jahren? Hatte man das Ersuchen der Weltbank um mehr Mittel nicht zunächst mit einer ähnlichen Studie abgeblockt? Hatte man nicht erst im Januar Mühe, den schließlich vereinbarten niedrigeren Betrag aufzubringen, weil sich wichtige Gipfelteilnehmer, die Vereinigten Staaten voran und die Bundesrepublik im Schlepp, zierten und die direkte Mitarbeit verweigerten? Und nun das Ganze von neuem. Das ist, auf diesen Punkt bezogen, kein Gipfel. Man könnte eher sagen, das sei die Höhe. ({15}) Hatte man nicht schon vorher - muß ich fragen - bei der Wiederauffüllung der Mittel der internationalen Entwicklungsorganisation IDA, International Development Association - als Tochter der Weltbank für die ärmsten Länder -, die Mittel gekürzt, die für Hilfe in Afrika sonst zur Verfügung gestanden hätten, weil angeblich die USA den in solchen Zusammenhängen vergleichsweise bescheidenen Betrag von 250 Millionen Dollar im Jahr nicht aufbringen konnten und weil Japan und die Bundesrepublik aus Prinzip nur zahlen wollten, wenn auch die USA zahlen? Jetzt streut man den Leuten wieder Sand in die Augen. Ich finde, das ist angesichts der akuten Not schrecklich. ({16}) Es ist in der Sache falsch und schlecht im Stil. Die USA-Administration läßt jedoch verbreiten, sie sei weiterhin nicht für die Aufstockung der Weltbankmittel, trotz allem was in dem Text, der mit zur Debatte steht, angedeutet wird. Die Dritte Welt kommt in der Erklärung des Gipfels fast nur indirekt vor. Als Partner werden die Entwicklungsländer schon gar nicht mehr gesehen. Das ist falsch. Ich meine, die Einstellung in dieser Frage müßte grundlegend geändert werden. ({17}) Tatsache ist doch, meine Damen und Herren: Die Krise der Weltwirtschaft ist keineswegs vorbei. Die Hungerkrise ist akut. Die Arbeitslosigkeit ist enorm. Die Schuldenkrise ist nur aufgeschoben. Die Energiekrise ist zur Zeit nur in unserem Teil der Welt nicht spürbar. Der Graben zwischen Arm und Reich wird breiter, und dies nicht nur in den armen Ländern. Hunger, Elend, vermeidbare Krankheiten gibt es heute mehr als vor zehn Jahren. Die Bedrohung der Umwelt nimmt nicht ab. Das derzeitige Wirtschaftswachstum in den westlichen Industrieländern - wie lange es denn vorhalten mag? - beruht weitgehend auf Pump, auf einer abartigen Finanzierung der reichsten Volkswirtschaft durch die weniger reichen und die armen. ({18}) Nun ist die Rede auch davon, daß eine erhebliche Reduzierung des amerikanischen Haushaltsdefizits wichtig wäre. Beim vorjährigen Gipfel hatte der Präsident der Vereinigten Staaten noch erklärt, zwischen Haushaltsdefizit und hohen Zinsen bestehe kein Zusammenhang. Aber wie dem auch sei, Kenner sehen vorläufig wenig Aussicht auf eine politische Entscheidung für einen solchen Schritt. Es ist eben leichter, von anderen zu verlangen, sie sollten ihren Gürtel enger schnallen, als dies selber zu tun. Wenn die objektiv stärkste Volkswirtschaft, die objektiv stärkste Wirtschaftsmacht, auf Pump und über ihre Verhältnisse lebt, dann ist dies allerdings ruinös für die Weltwirtschaft. ({19}) Die Rüstungsindustrie - ganz bestimmt nicht nur in den USA, aber wir reden hier über den westlichen Gipfel - ist so groß geworden, hat soviel Einfluß gewonnen, weil sie unter dem schützenden Mantel der Sorge um die Sicherheit ungehindert wachsen konnte. Daß jemand das alles auch finanzieren muß, wird dabei fast vergessen. Daß man für dasselbe Geld und mit Hilfe derselben Ingenieure und Techniker auch landwirtschaftliche Geräte herstellen könnte, das steht zwar sinngemäß schon in der Bibel, wird aber oft genug übersehen. ({20}) Ich sage: Zum Umdenken ist hier höchste Zeit. Der Effekt könnte ungeheuerlich sein. Denn in diesem Jahr, 1985, gibt die Welt zum erstenmal in der Geschichte mehr als 1 000 Milliarden US-Dollar für militärische Zwecke aus. Darin steckt die Überrüstung als ein Teil davon. Da würde schon eine kleine Einschränkung und eine Umlenkung der eingesparten Mittel zugunsten der Entwicklung, zum Kampf gegen den Hunger ein großer Beitrag zur Verbesserung der Lage von Millionen Menschen sein. ({21}) Das ist der Kern des Zukunftsprogramms Dritte Welt, das wir vor einiger Zeit vorgelegt haben. ({22}) Herr Kollege Rühe, hieran hat Ministerpräsident Lafontaine erinnert, als er in Neustadt an der Weinstraße auf die große Verantwortung der Supermächte drastisch und beschwörend hingewiesen hat, ({23}) wobei man durchaus darüber streiten kann, ob die schreckliche Erinnerung an Auschwitz in diesen Zusammenhang gehört. Ich meine, auch wenn es keinen anderen die mitmenschliche Verantwortung herausfordernden Widerspruch als diesen gäbe, daß Millionen auf dieser Welt verhungern, während sie mit einem Bruchteil der für Überrüstung verwendeten Mittel gerettet werden könnten, ({24}) er müßte uns alle aufbegehren lassen. ({25}) Allerdings ist nicht zu erkennen, daß die Bundesregierung initiativ wird. Ihr Entwicklungsminister, dessen Äußerungen dazu ich aufmerksam gelesen habe, erkennt diesen Zusammenhang offensichtlich nicht. Er meint, beides sei wichtig, aber einen ei10186 gentlichen Zusammenhang gebe es nicht. Von Weitsicht und Vorstellungskraft der Regierenden zeugt das nicht. ({26}) Der Streit um Mittelamerika nimmt sich demgegenüber für manche nicht sehr gewichtig aus. Nicaragua - was sind schon weniger als drei Millionen? ({27}) Und weiß man denn nicht, wo es im Verhältnis zú den Vereinigten Staaten liegt? Ich habe, als ich im vorigen Herbst in der Region war, durchaus empfohlen, sich mit der Landkarte vertraut zu machen. Aber hier muß ich sagen: Die Prinzipien des internationalen Rechts, des Völkerrechts, sind besonders für die Kleinen da, für Menschen, deren Heimat kleine Länder sind. ({28}) Präsident Mitterrand hat den Wirtschaftsboykott gegen Nicaragua abgelehnt, weil er zu Recht davon ausgeht, daß man die dort anstehenden Probleme nicht mit Druck und Gewalt, auch nicht mit dem Aufpäppeln Aufständischer - vom Territorium eines benachbarten Staates aus - lösen kann, auch nicht, indem man erfolgversprechende Friedensbemühungen innerhalb der Region - das ist ja das, was Contadora bedeutet und was die europäischen Außenminister zu unterstützen versprachen - auszuschalten oder zu überspielen versucht. Es gibt Länder, denen es nach langen Zeiten der ausbeuterischen Gewaltherrschaft nicht leichtfällt, ihren eigenen Weg zu finden. ({29}) Wie geht man mit einem solchen Land um? Treibt man es unbedacht in andere Abhängigkeiten, wenn man es nicht nach eigenen Vorurteilen modeln kann? ({30}) Hat der Bundeskanzler seinem hohen amerikanischen Gast auch nur angedeutet, ({31}) daß viele von uns nicht nur gegen militärische, sondern auch gegen wirtschaftliche Strangulierung sind? Hat er dem Präsidenten mindestens gesagt, daß es sich mit unserem Verständnis von Souveränität und Takt nicht verträgt, ein Dekret wie das erwähnte gegen den erwähnten kleinen Staat von Bonn oder Gymnich aus in die Welt zu setzen? ({32}) Auch in Washington müßten die zuständigen Herren begreifen, daß sich das nicht gehört, auch dann nicht, wenn es Sinn der Sache war, von anderem durch eine nach Stärke aussehende Demonstration abzulenken. ({33}) Ich finde, das ist eine Frage von Selbstachtung. Wenn man allerdings, Herr Bundeskanzler, sein Konto auf andere Weise überzogen hat, kommt es vor, daß es in solchen Zusammenhängen nichts mehr zu melden gibt. ({34}) In einer großen amerikanischen Zeitung war in der vorigen Woche zu lesen - die müssen das ja von irgendwoher haben -, es sei durchaus die Absicht gewesen, eine Vasallenrolle der Bundesregierung deutlich zu machen. ({35}) Solange im übrigen das alte Zeug von Licht und Schatten, von gutem Freund und bösem Feind zu hören ist, solange man glaubt, allein im Besitz der ganzen Wahrheit zu sein, ({36}) solange gibt es wenig Hoffnung. ({37}) Solange man hohe moralische Ansprüche predigt, während ständig nach ganz anderen Prinzipien verfahren wird, solange sind wir in Wirklichkeit in zusätzlicher Gefahr. Das Datum der Gipfelkonferenz und die Anlage des übrigen Programms waren nicht glücklich gewählt. Mein Freund Jochen Vogel hat schon darauf hingewiesen: Sollte es für die Planungen Anfang des Monats wahlpolitische Nebengedanken gegeben haben, ist am Sonntagabend klar geworden, daß das danebengegangen ist, daß dabei nichts herauskommen kann. Ich finde, auf beiden Seiten - in den Vereinigten Staaten und bei uns in der Bundesrepublik - wurden Schwierigkeiten produziert, die sich hätten vermeiden lassen. Mängel bei der Einordnung geschichtlicher Vorgänge lassen sich nicht durch Fernsehauftritte kompensieren. ({38}) Man hat bedauert - der amerikanische Präsident selbst hat es bedauert -, daß alte Wunden wieder aufgerissen worden sind. Das und manche Peinlichkeiten hätte man sich in der Tat sparen können. ({39}) Doch unter dem Strich wird sich ergeben: Schlechte Berater können geschichtlich gewachsene Freundschaften nicht zerstören. ({40}) Ob es, meine Damen und Herren, um das Ausmaß der Rüstungen geht, um die Währungsfragen oder um die Dritte Welt: Was wir deutschen Sozialdemokraten dazu sagen, stimmt weithin mit dem überein oder liegt nahe bei dem, was Mitglieder des amerikanischen Kongresses und wichtige Teile der öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten gelBrandt tend machen: Man kann Deutschland mehr mögen als eine amtierende Bundesregierung; mancher liebt drüben wie hüben die Vereinigten Staaten noch mehr als eine amtierende Administration. Ich bin im übrigen gern bereit, darüber zu diskutieren, wer wann was für die deutsch-amerikanischen Beziehungen geleistet hat. Mein Beitrag als Berliner Regierender Bürgermeister, als Außenminister und Bundeskanzler und danach braucht keinen Vergleich zu scheuen. ({41}) Ich habe am Sonntagabend im deutschen Fernsehen zugespitzt - völlig unnötig zugespitzt - reagiert, ({42}) aber doch erst, nachdem der Bundeskanzler seine Platte vom primitiven Antiamerikanismus aufgelegt hatte. ({43}) Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident, Herr Bundeskanzler, hat mich gestern daran erinnert, daß Sie im nordrhein-westfälischen Wahlkampf gesagt haben: Wer Rau wählt, der wähle den Weg in die sowjetische Hegemonie ({44}) noch genauer: den Weg in den Neutralismus und in die sowjetische Hegemonie. Man gehe davon aus, Herr Bundeskanzler und alle anderen, die es angeht, daß wir keine Waschlappen sind. ({45}) Wenn es darauf ankommt, werden wir zurückzugeben wissen. ({46}) Wer wie Herr Geißler die politische Diskussion in diesem Land vergiftet und dabei in Kauf nimmt, unser Volk zu spalten, indem er die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten für sich allein in Anspruch nimmt und der anderen großen Partei, den Sozialdemokraten, ein abstoßendes Russenbild oder -schild umzuhängen versucht, der darf sich nicht wundern, wenn ihm leidenschaftlich widersprochen wird. ({47}) Wir werden uns das, was hier versucht wurde und versucht wird, auch in Zukunft nicht gefallen lassen. ({48})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer gleichsam verbundenen Debatte behandelt das Hohe Haus heute die Fragen des Wirtschaftsgipfels, der Staatsbesuche und damit Grundthemen der Orientierung unserer Weltwirtschaftspolitik und Sicherheitspolitik. Ich habe persönlich, wenn ich an die langen Jahre der Oppositionszeit der Christlich Demokratischen Union zurückdenke, ein gewisses Verständnis für die Exkursionen des Herrn Kollegen Vogel in die Landespolitik von Nordrhein-Westfalen. Wer auf der Bundesebene nicht nur im März 1983, sondern auch in vielen Diskussionen hier keine Erfolgserlebnisse hatte, muß ein Erfolgserlebnis von Düsseldorf auch in Bonn pflegen und genießen. Ich kann das menschlich durchaus begreifen, Herr Vogel. ({0}) - Ich fang erst richtig an, Herr Kuhlwein. Seien Sie nicht übermütig! Denken Sie an Ihre vielen Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein, dann werden sie bald wieder auf die richtigen Maßstäbe zurückgeführt werden, innerhalb und außerhalb dieses Hauses! ({1}) Ich kann das, meine Damen und Herren, auch deshalb sehr gut verstehen, weil wir ja selbst in den Jahren der Bonner Opposition und auch sehr früh in einer großen Zahl von Ländern und Gemeinden beachtliche Wahlerfolge hatten. Ich erinnere mich, wie ich nach den - -({2}) - Damals waren wir in der Opposition und haben in jener Zeit unsere Position in Ländern und Gemeinden ausgebaut. - Ich erinnere mich daran, wie ich im Mai 1981 von den damals strahlenden Helden der alten Regierung hier mit einer gewissen Mißgunst empfangen wurde nach einem bestimmten Ergebnis in einer denkwürdigen Landtagswahl. Nur, Herr Vogel, wir haben in Bonn lange warten müssen. Wenn Sie so weitermachen wie heute, werden Sie noch viel länger warten, ehe Sie hier wieder eine Chance bekommen. ({3}) Es gibt keinen Grund zum Übermut über den Tag hinaus, wenn man die geradezu erschreckende Dürftigkeit und Substanzlosigkeit gehört hat, mit der Sie zu den wirtschaftlichen Zukunftsfragen der Bundesrepublik Deutschland ({4}) und der Weltwirtschaft hier Stellung genommen haben. ({5}) Was mich hier, Herr Kollege Vogel, an Ihrer Rede wieder nachdenklich gestimmt hat, ist das hohe moralische. Pathos, mit dem Sie politische Gegner kritisieren und angreifen, und zugleich die vollkommene Hemmungslosigkeit, mit der Sie schlimme demagogische Entgleisungen wie die des Herrn Brandt von Sonntagabend hier verteidigen oder noch mit Weihrauch beräuchern wollen. ({6}) Es wird nicht besser - das gilt auch für die Schlußbemerkung des Herren Kollegen Brandt -, mit immer neuen Argumenten und Pseudoargumenten diesen ungeheuerlichen und verwerflichen Vergleich zwischen Heiner Geißler und Joseph Goebbels begründen zu wollen. ({7}) Sie können das nur aus der Welt schaffen, indem Sie das zurücknehmen, Herr Kollege Brandt, und gar nicht anders. ({8}) Herr Kollege Vogel, was nutzt da die Erinnerung an den Friedensnobelpreis. Dem Friedensnobelpreiskomitee - bei allem Respekt - sind manche Irrtümer in seiner langen Geschichte unterlaufen. Ich muß das einmal in aller Deutlichkeit sagen. ({9}) - Natürlich! Beruhigen Sie sich doch! ({10}) - Ich schäme mich überhaupt nicht, wenn ich von einem Irrtum rede. - Dem kommunistischen Verhandlungsführer Nordvietnams, Le Duc Tho, den Friedensnobelpreis zu verleihen, halte ich für einen Irrtum. Das zu sagen müssen Sie mir doch erlauben. ({11}) - Seien Sie doch nicht so empfindlich. Was Herr Kollege Brandt zum Schluß erklärt hat, gilt nämlich auch für uns: Wir sind nicht die Watschenmänner. Wir stecken hier nicht nur ein, wir teilen auch aus, nur in einer anständigeren Weise als Sie. ({12}) Herr Kollege Vogel, ich will Ihnen meine Deutlichkeit hier einmal begründen. Ich wurde natürlich bei dieser Entgleisung am Sonntagabend und bei Ihrer erneuten Entgleisung hier ({13}) an eine Erklärung der Sozialdemokratischen Partei, Abteilung Jungsozialisten, aus dem Jahre 1975 erinnert. Das ist genau zehn Jahre her. Unter Mitwirkung von Mitgliedern Ihrer Fraktion kam es zu dem berühmten Büsumer Beschluß der Landeskonferenz, der folgendermaßen lautete: Politiker wie Carstens, Strauß, Stoltenberg und Dregger sind eine schlimmere Gefahr für die deutsche Demokratie wie die Baader-Meinhof-Bande. - Es gehört zu meiner politischen Biographie und zur Geschichte Ihrer Partei. Verehrter Herr, ich will Ihnen das nur einmal sagen! ({14}) Ich habe damals die Frage gestellt, ob sich führende Politiker der SPD - vielleicht auch der damalige Vorsitzende Willy Brandt ({15}) gegenüber dem Ministerpräsidenten eines Bundeslandes davon öffentlich eindeutig distanzierten. Ich habe das vermißt. Sie müssen bei mir und anderen eine bestimmte Empfindlichkeit gegen diese Mischung aus großem Pathos und Diffamierung, die Sie in diesen Tagen wieder üben wollen, verstehen. Wir nehmen das nicht hin. Ich will Ihnen das nur sagen. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Gerhard Stoltenberg (Minister:in)

Politiker ID: 11002259

Nein. Ich habe jetzt die Absicht, zu den Problemen des Weltwirtschaftsgipfels überzugehen. Dazu ist einiges zu sagen. Herr Kollege Vogel, Sie haben das hier in fünf Punkten - das findet sich auf Seite 4 Ihres Manuskripts - bewertet. Diese Bewertungen der wesentlichen weltwirtschaftlichen Aussagen des Bonner Gipfels halte ich in der Tat für falsch. Sie sagen, die Äußerungen zum Abbau des Budgets- und Leistungsbilanzdefizits der Vereinigten Staaten seien vage und unverbindlich. „Dabei liegt hier eine der Hauptursachen für die weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten. Inzwischen sieht es so aus, als ob hier Einsicht eher vom Kongreß als von der Administration zu erwarten ist." Dazu muß man folgendes feststellen - das haben Sie übersehen -: Seit Anfang dieses Jahres gibt es eine nachhaltige Anstrengung der amerikanischen Regierung und auch starker Kräfte im Kongreß, endlich die notwendigen Entscheidungen zum Abbau des Budgetdefizits zu treffen. Im Gegensatz zu der pessimistischen Annahme des Kollegen Brandt haben wir jetzt im Senat eine erste weitreichende Entscheidung - noch mit einer knappen Mehrheit -, die die Chance für eine Lösung eröffnet. Für mich ist das ein Beispiel dafür, daß eine jahrelange intensive und kritische Diskussion mit unserem wichtigsten Partner, die Sie geführt haben und die wir geführt haben - was soll denn das bösartige Wort von „Vasallentum", das hier irgendwann einmal anklang?; das gehört zum Teil auch zur Vergiftung -, sehr wohl Ergebnisse zeitigen kann. Nur, Herr Kollege Brandt, es mutet mich erstaunlich an, wenn Sie hier sagen - ich glaube, ich zitiere es aus dem Gedächtnis richtig; ich habe den Text Ihrer Rede nicht hier -, es könne nicht hingenommen werden, daß die führende Industrienation der Welt, die USA, ohne Rücksicht auf weltwirtschaftliche Verpflichtungen jahrelang auf Pump lebe. Es kann nicht hingenommen werden, daß Sie dies sagen, wenn Herr Vogel und Ihre Freunde in NordrheinWestfalen - wie vor der Wahl geschehen - zur selben Zeit alle Maßnahmen der Bundesregierung zur Überwindung des Pumps und zur Gesundung der Haushalte unter dem Vorzeichen des Sozialneids angreifen. Das kann nicht hingenommen werden! ({0}) Was man von anderen - den USA - zu Recht erwartet, müssen auch wir als die zweitgrößte Handelsnation der Welt über die Grenzen der Parteien hinweg als Verpflichtung für uns anerkennen, sonst werde die Appelle an andere vollkommen unglaubwürdig. Das zweite, was in Ihrer Bewertung falsch ist, Herr Kollege Vogel, ist der Satz: Es gibt keine gemeinsamen Anstrengungen zur Förderung öffentlicher und privater Investitionen und zur Verstetigung der Nachfrage. Davon kann wirklich nicht die Rede sein. ({1}) Nicht nur in den Kommuniqués - ({2}) - Ich rede zur Zeit über den Wirtschaftsgipfel; Sie reden über etwas anderes. ({3}) - Entschuldigung, nicht nur in den Kommuniqués des Weltwirtschaftsgipfels, sondern auch in einer ständig abgestimmten Politik der Notenbanken der westlichen Industrieländer und in einer in den Grundzügen weitgehend abgestimmten Finanzpolitik ist es das vorrangige Ziel, inflationsfreies Wachstum zu fördern, die Defizite abzubauen und den Zinssenkungsprozeß zu verstärken oder ihn da, wo er noch nicht stattgefunden hat, zu ermöglichen. In diesem Dreiklang, vor allem aber in dem entschiedenen Bemühen um niedrigere Zinsen, liegt natürlich die Voraussetzung dafür, daß öffentliche und private Investitionen langanhaltend gefördert werden. Die Voraussetzung liegt nicht in neuen, auf Pump finanzierten Konjunkturprogrammen, wie sie von Ihnen immer wieder gefordert werden. ({4}) Das dritte, Herr Kollege Vogel - und dies auch zu Herrn Kollegen Brandt -: Es ist falsch, zu beklagen, daß wir in der Währungsdiskussion nicht vorankommen. Es ist auch ein Irrtum, anzunehmen, daß es auf dem Gipfel zwischen Deutschland und Frankreich Auseinandersetzungen in der Frage der Währungspolitik gegeben hat. Manche haben sie wegen des vorhergehenden Pressebildes erwartet, aber sie haben nicht stattgefunden. Wir haben hier eine Annäherung der Positionen. Nur glaube ich mit der sehr großen Mehrheit meiner Kollegen in den westlichen Industrieländern und der Notenbankpräsidenten nicht, daß wir gleichsam vor einem neuen Bretton Woods stehen, vor einer vollkommen neuen Konzeption oder Neuordnung des internationalen Währungssystems. ({5}) Wir sehen nicht die Alternative zu flexiblen Wechselkursen, die übrigens einmal in der Regierungszeit der Sozialdemokratischen Partei eingeführt wurden und die auch viele Jahre lang von ihren damaligen Sprechern, die wir heute hier im Hohen Hause nicht mehr sehen, als großer Fortschritt gepriesen wurden. Es geht also um begrenzte Ziele, darum, extreme Schwankungen zu vermeiden und einen besseren Koordinierungs- und Überwachungsprozeß stattfinden zu lassen. ({6}) Aber die Einschätzungen der Währungen und der Kursbewegungen an einem offenen, weltweiten Markt erfolgen auf Grund von Vertrauen, und dieser offene, weltweite Markt der Währungen sollte nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Spekulation behandelt werden, sondern auch unter dem Aspekt eines - auch heilsamen - Zwanges für jede Regierung, sich über die eigenen Grenzen hinaus um Vertrauen zu bemühen, d. h. Stabilitätspolitik, nicht Inflationspolitik zu betreiben. ({7}) Die Gefahr neuer protektionistischer Maßnahmen ist nicht gebannt. Herr Kollege Vogel, das ist der einzige Satz, den ich unterschreibe. Das ist wohl wahr! Deshalb waren wir der Überzeugung - und sind es weiterhin -, daß man in die Offensive gehen muß, ({8}) daß man nicht nur verbal - wie schon früher - sagen kann, wir wollen eine neue GATT-Runde, sondern auch Termine nennen muß. Weil das bei Ihnen unterschlagen wurde, will ich doch noch einmal unterstreichen, daß wir alle - auch mit dem französischen Partner - Einvernehmen bezüglich des einen Termins haben, nämlich bezüglich dessen, daß die dringend notwendige Vorbereitungsrunde hoher Beamter in diesem Jahr beginnt. Denn ohne eine solche Vorbereitungsrunde zur Aufstellung der Tagesordnung und zur Auflistung der Probleme ist eine GATT-Runde nicht sinnvoll. ({9}) Mit anderen bedaure ich, daß aus Gründen, die wir ernst nehmen müssen, aber in der Konsequenz nicht teilen, Frankreich noch nicht in der Lage war, der GATT-Runde für 1986 zuzustimmen. Aber wir hoffen, daß dies noch möglich ist, weil wir wirklich in einem gewissen Wettlauf gegen neue protektionistische Bestrebungen - auch in den USA, aber nicht nur dort - stehen. Die Offenhaltung bzw. Öff10190 nung der Märkte ist allerdings die Voraussetzung dafür, daß es einen länger anhaltenden Aufschwung gibt und daß die Schuldenprobleme der Entwicklungsländer beherrschbar, erträglich bleiben. Das will ich nun auch zu einigen kritischen Äußerungen von Publizisten und einzelnen Politikern aus Paris sagen: Es ist keine Belastung der deutschfranzösischen Freundschaft, und es ist nicht eine Abkehr der Bundesregierung von der europäischen Solidarität, wenn wir in einer Einzelfrage, in der Frage eines Termins, gemeinsam mit anderen europäischen Ländern zu einem anderen Ergebnis kommen, als es zu diesem Zeitpunkt unsere französischen Freunde tun. Meine Damen und Herren, davon kann überhaupt keine Rede sein! ({10}) - Ich bedanke mich für die Klarstellung auch in diesem Zwischenruf, Herr Friedmann. Nun will ich als vorletztes sagen, Herr Kollege Vogel, Herr Kollege Brandt: Was Herr Kollege Vogel gesagt hat, die Schwellen- und Entwicklungsländer würden mit dilatorischen Formeln abgespeist, ist absurd. Herr Kollege Brandt hat hier in der Tat - das will ich unterstreichen - etwas differenzierter bestimmte Formulierungen gewürdigt. Ich möchte das aufnehmen. Ich kenne in keinem Gipfelkommuniqué früherer Jahre, auch Ihrer Regierungszeit, eine so sorgfältige detaillierte Festlegung bestimmter Maßnahmen, die für ein Notstandsgebiet der Dritten Welt ergriffen werden sollen, wie das, was die Staats- und Regierungschefs sich für die Verstärkung der Hilfe für das notleidende Afrika vorgenommen haben. Das kann doch Herrn Vogel oder seinem Redeschreiber nicht entgangen sein. Ich empfinde das als unerhört, daß der Oppositionsführer hier eine solche Formulierung gewählt hat. ({11}) „Mit dilatorischen Formeln abspeisen": Dann lesen Sie das doch einmal, was hier zur Afrika-Hilfe steht. Es ist nicht ein Hauch von Seriosität in dem ganzen Auftritt des Herrn Oppositionsführers und solchen Formulierungen, die uns hier an den Kopf geworfen werden. ({12}) Ich will hier auch klarmachen, daß wir mit großer Eindringlichkeit die anderen Probleme der Dritten und Vierten Welt erörtert haben. Natürlich brauchen wir Einvernehmen. Ich bedaure mit Herrn Kollegen Brandt, daß es nicht möglich war, schneller voranzukommen mit der Kapitalaufstockung für die Weltbank und die IDA, aber die IDA-Mittel sind nicht gekürzt, Herr Kollege Brandt - ich will das doch sagen -, sondern sie sind leider nicht in dem Umfang erhöht worden, wie wir und andere es gewünscht haben. Das sind zwei verschiedene Dinge, Herr Kollege Vogel. Ich brauche kein gelernter Finanzpolitiker zu sein, um den Unterschied zwischen Kürzung und begrenzter Erhöhung klarzumachen. ({13}) Sie sind offenbar noch immer bei Ihren irreführenden Wahlreden in Nordrhein-Westfalen. Da haben Sie den Deutschen tolle Geschichten erzählt. Das werden wir so schrittweise wieder richtigstellen müssen nach dieser Wahl. ({14}) - Jawohl, so ist das. Lassen Sie uns das hier auch einmal nicht so ganz tierisch ernst machen. ({15}) Aber die Sache ist ernst, über die wir reden. Ein weiterer wichtiger Schritt, Herr Vogel, über den wir Einvernehmen erzielt haben, ist, daß wir jetzt auch bei den öffentlichen Schulden und den öffentlich verbürgten Schulden erstmals zu langjährigen Umschuldungsabkommen gelangen, alle Industrieländer gemeinsam. Das erste Umschuldungsabkommen dieser Art ist vor wenigen Tagen mit Ecuador abgeschlossen worden. Das ist alles „dilatorisch" und „nichtssagend", „abgespeist"? Sie sollten sich mit diesen Problemen etwas ernsthafter auseinandersetzen, Herr Oppositionsführer, und nicht so überheblich einherreden. ({16}) Das gilt nun auch für das, was Sie zur Erklärung des Gipfels über die größere Anpassung und Reaktionsfähigkeit des Arbeitsmarktes gesagt haben. In der ernsthaften wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion der westlichen Industrieländer ist die Frage, woran es liegt ({17}) - ich habe noch gar nicht davon geredet, wer daran beteiligt ist; wenn Sie sich gleich ausschließen wollen, widerspreche ich dem nicht, aber das ist jetzt gar nicht meine Betrachtung -, daß in Amerika diese dramatische Zunahme der Beschäftigung bei nicht sehr viel höherem Wachstum zu verzeichnen ist, wir aber seit Anfang der 70er Jahre langfristig eine Verschlechterung der Beschäftigungssituation haben, ein Hauptthema geworden. Sie können ja nun die führenden Nationalökonomen der westlichen Welt - ich beginne mit Professor Herbert Giersch in Kiel, um einen wichtigen Mann aus unserem Land zu nennen, ({18}) einen bedeutenden Mann aus unserem Land zu nennen - ({19}) - Den habe ich nicht genannt, nein, den habe ich nicht genannt. Bleiben Sie mal bei dem Namen, den ich genannt habe. ({20}) - Ich habe einen anderen genannt. Sie bauen immer gleich Feindbilder auf. Ich habe hier Professor Herbert Giersch bewußt genannt, weil er nach meiner Einschätzung im Augenblick der deutsche NaBundesminister Dr. Stoltenberg tionalökonom ist, der in diesen Fragen die größte internationale Wirkung ausübt, übrigens bei manchen intelligenten Leuten auch über den Eisernen Vorhang hinweg in die andere Richtung, aber die können das nicht so laut und deutlich sagen. Von ihm beginnend bis zu vielen in Frankreich, Italien, Großbritannien und den USA ist dies das Thema. Daß wir mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt brauchen, Herr Kollege Vogel, darüber kann kein ernsthafter Zweifel bestehen. ({21}) Daß wir mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz erste Schritte gegangen sind, die richtig sind, davon sind wir überzeugt. Nur: Das, was die Staats- und Regierungschefs der sieben Staaten - darunter durchaus auch solche von sozialdemokratischen und sozialistischen Gruppierungen - als eine Aufgabe beschreiben, sofort wieder als eine „Politik der Beseitigung sozialer Schutzrechte" - Originalton Vogel - zu diffamieren, ist unter Niveau, Herr Oppositionsführer; das muß ich Ihnen wirklich einmal sagen. ({22}) - Das ist unter Niveau. Ich bin sehr höflich; ich könnte es viel härter brandmarken. Nein, wir müssen unsere Politik in den Grundzügen fortsetzen ({23}) und durch den wiedergewonnenen Handlungsspielraum weitere Akzente setzen. ({24}) - Ja, die können Sie uns wünschen; Sie werden uns begleiten. - Es geht vor allem um die Sicherung der Preisstabilität, des zunehmenden Stabilitätsvorteils, den wir wieder gewinnen. Das ist eine Voraussetzung dafür, daß soziale Politik in diesem Land überhaupt möglich ist. Denn bei 5 bis 6% Inflation in Ihren Regierungsjahren ist der soziale Charakter der Politik zunehmend verlorengegangen. Das heben wir heute anklagend hervor. ({25}) Preisstabilität ist eine erste Priorität. Zweite Priorität ist, die Wachstumsgrundlage zu verbreitern und zu verstärken. Trotz der Schwierigkeiten in der Bauwirtschaft erblicke ich eine Chance, daß sich die Wachstumsgrundlage verbreitert, weil wir in diesem Jahr eine nachhaltige Zunahme der Ausrüstungsinvestitionen verzeichnen. Ich bin überzeugt, daß sich das im weiteren Verlauf des Jahres nach einem Rückschlag in den ersten drei Monaten, der uns politisch kurzfristig geschadet hat, in der Erfahrung der Menschen wieder bewußter machen läßt und bewußter werden wird. Wir glauben, daß wir durch eine solche Politik mit der Nutzung der Möglichkeiten des Beschäftigungsförderungsgesetzes auch die Trendwende auf dem Arbeitsmarkt erzielen können. Ein Wahlergebnis und eine Wahlanalyse sind immer - vor allem für diejenigen, die verloren haben - zur sorgfältigen und kritischen Selbstprüfung geeignet. Aber ich warne Sie vor Übermut. Ich tue das in Ihrem Interesse, ({26}) aber auch im Interesse der Auseinandersetzung in diesem Hause, meine Damen und Herren. Ich möchte Sie ausdrücklich vor Übermut warnen. Herr Vogel, Sie haben es nach Ihrer heutigen Rede nötig, und wir bitten Sie herzlich, in Zukunft einen anspruchsvolleren Beitrag zu leisten, ({27}) wenn es um die großen Fragen der Weltwirtschaft geht. ({28})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Roth. ({0})

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Stoltenberg, lassen Sie mich nur ein Wort zu Ihrer Attacke auf den Parteivorsitzenden der SPD sagen. Sie haben ja nicht nur Willy Brandt, sondern gleichzeitig ein Komitee angegriffen, das zu Friedensnobelpreisträgern Martin Luther King, im letzten Jahr Bischof Tutu, vorher Sadat, Begin, Sacharow und eben auch Willy Brandt gewählt hat. ({0}) Diese Liste verurteilt Ihre Haltung hier am eindeutigsten. ({1}) Es ist mir ein Anliegen, jetzt etwas in Richtung auf die Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU zu sagen. Diese Provokation, die Geißler gestartet hat und die jetzt zunehmend zur Vergiftung des politischen Klimas führt, ({2}) veranlaßt mich zu der Frage - das sage ich bezogen auf die Generation, der ich angehöre: Rühe, Waigel, der im Moment nicht da ist, Wissmann -: Soll das der Stil der 80er und der 90er Jahre sein, daß die einen die anderen als Kommunisten bezeichnen ({3}) und anschließend die anderen die einen als Faschisten bezeichnen oder sie in deren Nähe rücken? ({4}) In diese Auseinandersetzung zurückzufallen halte ich nicht für den Problemen der Bundesrepublik Deutschland und unserer inneren Situation angemessen. ({5}) - Sehen Sie, Sie können auf Grund der Vergiftung des Herrn Geißler nicht einmal ruhig zuhören. ({6}) Aber ich weiß, daß viele von Ihnen das ähnlich empfinden, wie ich es gerade gesagt habe. Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsgipfel 1985 war für mich der Gipfel der Resignation vor der Massenarbeitslosigkeit. ({7}) 35 Millionen Menschen in den westlichen Industriestaaten sind arbeitslos. Gerade auch in der Rede des Herrn Bundesfinanzministers wurde deutlich, daß der Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit auf diesem Gipfel zur Nebensache degradiert wurde. ({8}) Meine Damen und Herren, diese unerträgliche Deformation des Gipfels ist vor allem die Schuld des Gastgebers, des Bundeskanzlers Helmut Kohl. Anders als Helmut Schmidt auf dem ersten Bonner Gipfel setzte er nicht die drängenden Probleme auf die Tagesordnung, sondern versuchte, sich mit allgemeinen Formulierungen zu retten. Anders als Helmut Schmidt beim ersten Gipfel in Bonn versuchte der heutige Kanzler nicht, ein gemeinsames Europa in die Diskussion mit den USA zu führen, sondern er ließ eine Spaltung Europas zu. Anders als beim ersten Gipfel war nicht das enge Bündnis zwischen Frankreich und Deutschland die Grundlage der Verhandlungen mit den USA, sondern ein deutsch-französischer Konflikt war der Mittelpunkt dieses Gipfels. Diesmal führte der Dilettantismus bei der Vorbereitung des Besuches des US-Präsidenten zum Opportunismus in der wirtschaftspolitischen und währungspolitischen Diskussion mit den USA. Ich möchte Ihnen nur vermitteln, wie der Kontrast zum ersten Gipfel ist: Damals war klar, daß die Weltwirtschaft nur würde verbessert werden können, wenn die Amerikaner ein Zugeständnis bei den Mineralölpreisen machten, endlich Weltpreisniveau auf diesem Gebiet akzeptierten. Helmut Schmidt hat damals ein einiges Europa in dieser Frage in die Verhandlungen mit den USA gebracht. ({9}) Und ich stelle die Frage: Was wäre in der zweiten Ölpreiskrise geschehen, wenn dieser Ölspareffekt in den USA nicht von außen durchgesetzt worden wäre? ({10}) Ich habe das Beispiel nur genannt, um die Art und Weise der Vorbereitung der Gipfel damals und heute gegeneinanderzustellen. Wenn Präsident Mitterand und der Präsident der Europäischen Kommission auf diesem Gipfel für eine Verbindung von Handels- und Währungsgesprächen eingetreten sind, dann war das doch nicht primär französisches Interesse. Es liegt auch in unserem Interesse, daß das Chaos im Weltwährungssystem endlich überwunden wird. ({11}) Wir bezahlen schon heute für die völlige Währungsunsicherheit mit Investitionszurückhaltung der Unternehmen und damit mit Arbeitslosigkeit. Das heißt: Handel und Währung gehören zusammen. Im übrigen, meine Damen und Herren von der CDU/CSU und der FDP - und da spreche ich vor allem meinen Nachredner, Graf Lambsdorff, an -: Wie ist denn Ihr Verhältnis zum Freihandel wirklich? Was ist das Interesse des amerikanischen Präsidenten bezogen auf die nächste GATT-Runde? Das ist ganz einfach: Die europäische Agrarordnung mit ihrer Preisfixierung muß fallen. Das ist das Interesse der Amerikaner. ({12}) - Das ist das Interesse der Amerikaner. Täglich kann man das in amerikanischen Zeitungen lesen. Wie wollen Sie, Graf Lambsdorff, eigentlich in der nächsten GATT-Runde den Liberalismus, der gefordert ist, mit dem Kiechle-Dirigismus zusammenbringen, der in diesen Tagen in Europa praktiziert wird? ({13}) Ich hatte schon in der letzten Debatte in Richtung der patentierten Marktwirtschaftler gesagt: Wer hier ja sagt zu einer neuen GATT-Runde und keine neue Konzeption für die europäische Agrarordnung schafft, ist in sich widersprüchlich und wird in dieser GATT-Runde scheitern. - Das ist jetzt vorauszusehen. ({14}) Wir haben Vorschläge gemacht, ich brauche sie nicht zu wiederholen. Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung, wir sollten fest auf Europa setzen: Ausbau des Binnenmarktes, Ausbau eines europäischen Währungssystems, das dann die Kraft hätte, sich auch gegen den Dollar zu behaupten. Und wir sagen ja zur französischen Initiative zu einer forschungs- und technologiepolitischen Kooperation in Europa. Den Helden im BMFT, der sich in der Presse immer so feiern läßt, möchte ich einmal fragen, ob er jetzt zu Europa, zu der Anstrengung Frankreichs oder ob er zu der Geldverschwendung hinsichtlich SDI durch die Amerikaner steht. Das ist doch die Frage! ({15}) Wir haben in dieser Woche ein paar Dutzend Fragen eingebracht. Die wurden, obgleich sie forschungspolitisch ausgerichtet sind, alle im VerteidiRoth gungsministerium abgelagert. Das ist ja ein Held in der zweiten Reihe der Regierungsbank! Sie werden sich da nicht mehr heraushalten können, ob Sie jetzt für oder gegen SDI sind, meine Damen und Herren. ({16}) Wir jedenfalls sind für die europäische Anstrengung. Daß der Weltwirtschaftsgipfel im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit nichts gebracht hat, habe ich schon gesagt. Jetzt aber muß wenigstens in Europa, in der Bundesrepublik Deutschland mit der Politik der Verweigerung einer aktiven Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik Schluß sein. Die letzten Daten zur wirtschaftlichen Entwicklung, zu der der Finanzminister kein Wort gesagt hat, zeigen, daß sich der Aufschwung schon nach zweieinhalb Jahren deutlich abgeschwächt hat. ({17}) Die schlimme Lage der Bauwirtschaft strahlt nun in die gesamte Wirtschaft aus. Im März sind die Auftragseingänge bei den Investitionsgütern, beim Maschinenbau, in der Elektroindustrie gesunken. Ein Drittel aller Bauarbeiter der Bundesrepublik Deutschland ist zur Zeit arbeitslos, und Sie tun nichts. Der Finanzminister sagt weiterhin: keine Anstrengungen in der Beschäftigungsfrage. Im übrigen: Die Abschwächung der Konjunktur in den USA - nur noch 1,3 % Wirtschaftswachstum im ersten Quartal - schlägt bei den Bestellvorgängen in der Bundesrepublik Deutschland offensichtlich schon durch. Bei den Bestellungen aus dem Ausland haben wir für den Monat März bereits einen Rückgang zu verzeichnen. Spätestens hier sollten die Alarmglocken bei der Bundesregierung klingeln. Aber keine Antwort auf dieses Datum. ({18}) Sie haben uns, meine Damen und Herren, vor zweieinhalb Jahren gesicherte, verläßliche Rahmenbedingungen für unsere Volkswirtschaft versprochen. Ich stelle einmal die Frage: Gehört es zu diesen gesicherten Rahmenbedingungen, daß jetzt seit zweieinhalb Jahren unklar ist, wann die Steuersenkungstermine nun tatsächlich sind? ({19}) Seit Sonntag gibt es keinen prominenten FDP- Redner - jetzt haben die von der CDU angesichts dieses Themas die Regierungsbank schon verlassen -, der nicht öffentlich einen Steuersenkungstermin zum 1. Januar 1986 verlangt. Was ist jetzt die Meinung des Herrn Bundeswirtschaftsministers, was ist die Meinung meines Nachredners? Wie läßt sich das mit dem in Einklang bringen, was der Bundesfinanzminister gerade gesagt hat? Dies ist eine Regierung, die, was die Rahmenbedingungen betrifft, fahrlässig und ohne Konzentration handelt. ({20}) Übrigens, im Zusammenhang mit der Bauwirtschaft, habe ich einmal eine Frage: In unserer Regierungszeit gab es keine Debatte hier im Parlament, in der nicht behauptet wurde, daß ein gewaltiger Investitionsstau in der deutschen Volkswirtschaft aufgelöst werden müsse, was dann zu unendlich vielen Arbeitsplätzen führen werde. Wo ist denn die Auflösung des Investitionsstaus und wo sind die auf diese Weise in den letzten zwei Jahren neu geschaffenen Arbeitsplätze geblieben? ({21}) Wir sind der Meinung - und das sage ich nun als Angebot in Richtung auf die größere Regierungsfraktion; ich wiederhole das -, daß wir dann, wenn wir Arbeit und Umwelt zusammenbringen, die Krise in der Bauwirtschaft unter Kontrolle bekommen könnten. Wir haben vorgeschlagen, Umweltinvestitionen, vor allem auf der Gemeindeebene, aber nicht nur dort, durch ein Kreditprogramm zu fördern, das solide finanziert ist. Nun schlägt der Bauindustrieverband vor, dies durch eine Aufstockung des ERP-Sondervermögens zu tun. ({22}) Ich hatte letzte Woche eine Diskussion, bei der zwei Vertreter der CDU/CSU-Fraktion anwesend waren und diese Position unterstützten. Ich habe nichts dagegen, wenn als erster Schritt eine deutliche Aufstockung des ERP-Sondervermögens zugunsten von Arbeit und Umwelt stattfindet. Wir werden hier zustimmen; denn die Krise in der Bauwirtschaft strahlt in die gesamte Wirtschaft aus. ({23}) Zweiter Schritt - auch da biete ich Zusammenarbeit an -: Unser Unternehmenssteuersystem ist falsch organisiert. Es bestraft denjenigen, der sein Geld im Betrieb läßt, und unterstützt denjenigen, der es rauszieht. ({24}) Derjenige, der wirklich Unternehmer ist, der wirklich investiert, der Arbeitsplätze schafft, wird oft bis zu 70 % besteuert, während derjenige, der spekuliert, steuerfrei bleibt, wenn er gute Nerven hat. Das ist falsch organisiert, meine Damen und Herren. ({25}) Das wäre ein zweiter konkreter Schritt zur Stärkung der Investitionstätigkeit in qualitativ sinnvoller Richtung. Meine Damen und Herren, Sie von der CDU/CSU haben am letzten Sonntag die Quittung dafür bekommen, daß Sie mit einem Koalitionspartner zusammenarbeiten und regieren, der keine Rücksicht auf die Arbeitnehmerinteressen nimmt. ({26}) Ich nenne mal einen Vertreter des alten Konservatismus, an den Sie sich gern erinnern und an dem Sie sich gern orientieren: Ludwig Erhard. Er forderte Wohlstand für alle, und bei Ihnen kommt Woche für Woche Lohnkürzung für jeden. Das ist der Unterschied. ({27}) Ich sage Ihnen, eine Volkspartei wie Ihre - das sehen Sie im Aachener Raum, das sehen Sie in Düren, in all den Bereichen, wo die katholische Arbeitnehmerschaft stark war -, die keine Rücksicht auf die Arbeitsmarktinteressen und sozialen Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung nimmt, wird diese Position der Volkspartei schrittweise verlieren. ({28}) Die katastrophale Reaktion aus den Reihen der katholischen Arbeitnehmerschaft müßte Sie stutzig machen. ({29}) Wenn Herr Blüm heute an einem Tag zwei Reden hält, morgens vor Arbeitnehmern und nachmittags vor dem BDI, dann fragen Sie mal, wo er mehr Beifall bekommen wird! Beim BDI. Wenn ein Arbeitsminister in der Öffentlichkeit so dasteht, würde ich mir als CDU/CSU spätestens überlegen, ob Sie nicht den Kurswechsel für eine aktive Beschäftigungspolitik, für Arbeit und Umwelt und gegen die Blockade jeder Beschäftigungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland mitmachen. ({30})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir werden hier einem Wechselbad ausgesetzt: Vom sehr hohen Podest, von dem Herr Brandt gesprochen hat, bis zu den täglichen kleineren Problemen wirtschaftspolitischer, binnenpolitischer Art, die der Kollege Roth angeschnitten hat. Herr Roth, Sie haben mich als Ihren Nachredner bezeichnet; Sie werden das selber nur als zeitlichen Begriff verstehen, wie ich annehme. Vor allen Dingen will ich mit aller Entschiedenheit sagen, wir sollten aufhören - bei Ihnen darf ich vielleicht sagen: nicht anfangen -, daß der eine dem anderen bestreitet, es mit der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit als Ziel ernst zu meinen. Daß wir über die Methoden sehr verschiedener Auffassung sind, wissen wir. Aber daß Sie hier unterstellen, die Freien Demokraten nähmen es mit dem Thema Arbeitslosigkeit nicht genau so ernst wie Sie, Herr Roth, ist keine gute Auseinandersetzung, und das ist auch nicht der Stil, in dem wir miteinander umgehen sollten. Wir haben das bisher jedenfalls nicht getan. Ich habe im übrigen nicht den geringsten Zweifel daran, daß die Arbeitslosigkeit ein Thema bei der Entscheidung in Nordrhein-Westfalen gewesen ist, und es bleibt die Aufgabe unserer Politik, auf diesem Gebiet positive Ergebnisse zu zeigen, um nachweisen zu können, daß unsere Politik erfolgreich ist und erfolgreich sein kann. ({0}) Im übrigen finde ich diese Hochrechnungen und Weiterrechnungen aus einem Landtagswahlergebnis, wenn ich mal an die Geschichte der Bundesrepublik zurückdenke, ganz amüsant. Ich erinnere mich an die Zeiten von Konrad Adenauer. Da hieß zwischen den Wahlen nach einer Landtagswahl der nächste Bundeskanzler theoretisch immer Ollenhauer. Bei der Bundestagswahl war es dann wieder Adenauer. Diesmal ist nur interessant: Der theoretische Bundeskanzler heißt - auch in den Diskussionen der SPD - nicht Vogel, sondern Rau. Aber das ist das Problem der Sozialdemokraten. ({1}) - Er hat auch nicht die Absicht, verehrter Herr Kollege Vogel - das wissen Sie ganz genau -, hat auch niemals dafür kandidiert und wird dafür auch nicht kandidieren. ({2}) Ich glaube, wir sollten doch zur Kenntnis nehmen, daß die mehr oder weniger gescheiten Witze über das Medienspektakel, das zum Weltwirtschaftsgipfel gehört, nun so abgedroschen sind, so alt sind wie die Weltwirtschaftsgipfel selber. ({3}) Ich fand es eigentlich verwunderlich, daß Herr Brandt es für richtig hielt, auch das am Sonntag in seinem Fernsehauftritt zu wiederholen. Wir sollten doch wohl in der Lage sein, zum Kern der Veranstaltung durchzudringen und zu untersuchen, miteinander zu diskutieren und festzustellen, was denn der Weltwirtschaftsgipfel von Bonn, um den es diesmal geht, nun eigentlich wirklich für uns gebracht hat, wie die Ergebnisse aussehen. Wenn Sie sich die Geschichte der Weltwirtschaftsgipfel vom zugegebenermaßen bescheideneren und vielleicht daher wirksameren Anfang in Rambouillet im Jahre 1975 - aber wer will denn das ändern, und wer kann denn so etwas ändern? Niemand von uns, die wir in einer Welt leben, in der wir die Medienöffentlichkeit als selbstverständlichen Teil bejahen - bis zum Jahre 1985 ansehen, so ist festzustellen, daß das Maß an Übereinstimmung zwischen den Gipfelteilnehmern in wesentlichen politischen und wirtschaftspolitischen Fragen kontinuierlich gewachsen ist. Es ist nicht richtig, Herr Roth, plötzlich ein Bild zu zeichnen, als wären auf dem Bonner Gipfel des Jahres 1985 riesige Meinungsverschiedenheiten aufgetreten, als ob es die früher nicht auch gegeben hätte. Die eklatantesten Meinungsverschiedenheiten als Ergebnis einer Gipfelveranstaltung bestanden in Versailles, als anschließend jeder ans Mikrophon auf seiner Pressekonferenz lief und für seine Regierung das Gegenteil von dem verkündete, was vorher im Kommuniqué verabredet worden war. Seither sind wir ein gutes Stück weitergekommen. Wir sind auch politisch ein gutes Stück weitergekommen, nachdem nämlich seit 1983 auch politische Erklärungen in den Weltwirtschaftsgipfel Eingang gefunden haben. Die diesjährige politische Erklärung - das wird erfreulicherweise von niemandem ernsthaft bezweifelt, ist allerdings auch nicht hinlänglich gewürdigt worden - zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges ist inhaltlich nach Auffassung der Freien Demokraten - und ich glaube, nach Auffassung aller unserer Mitbürger - ein außerordentlich erfreuliches, politisch gewichtiges Dokument. Was dabei vielleicht eine noch größere Rolle spielt und noch erfreulicher zu werten ist, ist die Tatsache, daß das ohne große Mühen nach einer schnellen Vorbereitung in großer Übereinstimmung - ohne große Diskussionen oder gar Meinungsverschiedenheiten - verabschiedet werden konnte. ({4}) Das zeigt deutlich, daß wir hier ein gutes Stück weitergekommen sind. Das macht auch klar, daß der Weltwirtschaftsgipfel mit Recht eine allgemeinpolitische Komponente hinzugewonnen hat, wenngleich unter dieser allgemeinpolitischen Komponente die wirtschaftspolitischen Themen, die ja der eigentliche Anlaß dieser Veranstaltung waren und sind, nicht verschwinden sollten. Diese wirtschaftspolitischen Themen sind Währung, Handel, Beschäftigung, Entwicklungsländer und Umwelt. Ich habe mit Interesse den Äußerungen des Kollegen Brandt zugehört. Das, was Herr Brandt zu diesen Themen vorgetragen hat, klang ja - vom hohen Podest und mit einigem Pathos vorgetragen; ich habe gar nichts dagegen - durchaus zuhörenswert. Nur, Herr Vogel, wenn gleichzeitig eingeschoben wird, das sei der wohlbekannte Selbstbetrug, das sei altes Wunschdenken, das Schuldenproblem sei Flickschusterei, das sei die Abgebrühtheit der Verantwortlichen, fragt man sich nun doch, ob eigentlich der hohe moralische Anspruch gerechtfertigt ist, der in einigen Bereichen j a durchaus bedenkenswert formuliert wird. Wer wollte denn bestreiten, daß die Widersprüche zwischen Rüstungswirtschaft und Entwicklungspolitik einer Lösung bedürfen und daß wir hier auf der ganzen Welt nicht weitergekommen sind? Aber das liegt sicherlich nicht in erster Linie an der Position der Bundesrepublik Deutschland. Wer wollte bestreiten, daß ein Embargo - die sechs Außenminister haben das übrigens in ihrer Erklärung während des Weltwirtschaftsgipfels deutlich gemacht - nach Auffassung der Bundesregierung, und zwar der alten auch schon, in keiner Weise und nirgendwo ein geeignetes Mittel ist? ({5}) Ich zähle mich nicht zu der Legion selbsternannter Nicaragua-Experten der Bundesrepublik Deutschland. Davon gibt es hier nach meinem Eindruck schon reichlich genug. Aber soviel sage ich wohl in allem Freimut: Wirtschaftliches Embargo und Boykott sind überhaupt keine geeigneten Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Sie versagen und sind schon deswegen nach meiner Überzeugung falsch und schon immer falsch gewesen. ({6}) Zum Thema Währung, meine Damen und Herren. Ich begrüße und halte es für richtig, daß sich der Gipfel - wie übrigens auch OECD und andere - darauf konzentriert, zusammenzukommen und dem französischen Wunsch entsprechend in den vorgesehenen Institutionen über das Funktionieren des' Weltwährungssystems zu beraten und nicht darüber nachzudenken, in besonnter Erinnerung an Bretton Woods ein neues Weltwährungssystem auf die Beine stellen zu wollen, das feste Wechselkurse zurückbringt. Das wird es nicht geben, aber besseres Funktionieren des bestehenden Systems sehr wohl. Jedes Weltwährungssystem - diese Erfahrung haben wir gemacht, Herr Roth - kann ruiniert werden. Das mit flexiblen Wechselkursen ist wegen Inflationspolitik und Mangel an Stabilität ruiniert worden. Sie können genauso eines mit freien Wechselkursen ruinieren, wenn Sie national vor allem in den großen, in den Reservewährungsländern keine monetäre Disziplin wahren. Darüber zu reden ist sinnvoll und ist vernünftig. Ein „link", eine technische Verbindung zur Handelspolitik herzustellen, das hielte ich allerdings für außerordentlich bedenklich. Wenn man die beiden Dinge koppelt und daraus ein Paket schnürt, wird nie im Leben eine Lösung und eine Möglichkeit entstehen. Wohl aber kann man gleichzeitig in den vorgesehenen Institutionen darüber verhandeln. Wir glauben - ich sage das mit allem Freimut -, daß handelspolitisch das Ergebnis des Weltwirtschaftsgipfels von Bonn keine gute Note verdient hat. Die Formulierung „die meisten von uns" möchten gerne, daß wir einen Termin festsetzen, macht deutlich, daß es zum Termin keine Einigung gegeben hat. Warum soll das bei einer Veranstaltung, die bekanntlich eine Reihe von Jahren in Anspruch nimmt, eigentlich so wichtig sein? Deswegen, weil der protektionistische Druck zusehends wächst - ich erinnere an die Importsteuerdiskussion im Kongreß der Vereinigten Staaten - und weil für eine bald beginnende GATT-Runde - im übertragenen Sinn selbstverständlich - der Satz gilt: Wo verhandelt wird, wird nicht geschossen. Wenn die großen Handelsmächte an einem Tisch sitzen, dann fällt es schwerer, zur gleichen Zeit neuen Protektionismus zu entwickeln und zu praktizieren. Es ist durchaus hilfreich, wenn eine solche Konferenz stattfindet und man sich über Neuentwicklungen unterhält, dabei aber auch ein psychologisches Klima schafft, das neue Handelsschranken vermeidet. Das ist für ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland mit ihrem überaus hohen Exportanteil von ganz großer Bedeutung. Ich will hier ausdrücklich sagen, daß unsere Kritik am Ergebnis des Gipfels keine Kritik an der Bundesregierung einschließt. Denn die hat sich mit aller Intensität für den Beginn einer neuen GATT- Runde gemeinsam mit Amerikanern, Japanern und Engländern eingesetzt. Wir wissen, daß die Franzosen widersprochen haben. Richtig ist es, wenn Herr Brandt sagt: Es gibt ein Dokument des Europäischen Rates. Aber dann hätte er der Korrektheit halber hinzufügen müssen: Anschließend gibt es ein Abschlußkommuniqué der OECD-Konferenz. Dort steht der Vorbehalt nicht mehr. Die alte Rei10196 henfolge der Vorbereitung von Weltwirtschaftsgipfeln heißt nun einmal: erst der Europäische Ministerrat, dann die OECD-Konferenz. Das führt zum Weltwirtschaftsgipfel und zu seinem Kommuniqué. GATT-Runden - das macht mich eben so stutzig bei der immer wieder vorgetragenen Begründung der französischen Regierung, daß hier in erster Linie eine Stoßrichtung gegen die europäische und gegen die französische Agrarpolitik geplant sei - dauern sechs bis sieben Jahre. Solange hat die Kennedy-Runde gedauert. Solange hat die Tokio-Runde gedauert. Übrigens haben wir von dieser noch einiges nicht in Kraft gesetzt, was im wesentlichen nicht zuletzt an den Franzosen liegt. Hier sollte ruhig einmal jemand die Frage der selective safeguards, also der ausgewählten Schutzmöglichkeiten - die gerade Herrn Brandt im Verhältnis zu den Entwicklungsländern interessieren müßten -, ins Spiel bringen. GATT-Runden dauern also sechs bis sieben Jahre. So kann am Anfang natürlich überhaupt keine isolierte und alleinige agrarpolitische Entscheidung stehen. Daß wir, Herr Roth, in puncto Agrarpolitik alle miteinander auf der Welt Sünder sind, weiß man doch. Was die protektionistische Komponente der Agrarpolitik anbelangt, gibt es keinen, der sich von Sünde freizeichnen kann. Überall regt doch gerade die Agrarpolitik unter dem Gesichtspunkt der Handelspolitik zum Nachdenken an, übrigens auch ihre Ergebnisse. In den Vereinigten Staaten gehen die Farmen pleite, in Japan zahlt der Verbraucher viel zu hohe Lebensmittelpreise, und in Europa ertrinken wir in der Überproduktion mit all den Konsequenzen, über die wir auch hier gesprochen haben. Aber wenn Sie sagen, das sei Folge des KiechleDirigismus - wie Sie es genannt haben -, dann ist das nun wirklich eine harte Zuteilung an einen einzelnen Menschen für ein System, das schon seit vielen Jahren existiert und mit dem auch er sich zurechtfinden muß. Das ist keine sehr gerechte und keine sehr faire Behandlung, Herr Roth. ({7}) Lohnt es sich denn nicht, gerade unter solchen Umständen und angesichts solcher Ergebnisse sich zusammenzusetzen und mal zu sehen, ob man gemeinsam Positionen entwickeln kann, wo jeder sich etwas bewegt, auch in dem höchst sensiblen Bereich der Agrarpolitik? Wenn jeder allein vor sich hin macht, in allen drei Blöcken, wie wir es seit Jahren getan haben, rührt sich doch nichts. Ich meine, es lohnt sich durchaus und es wäre nützlich, sich zusammenzusetzen und zu reden. Ich fürchte, daß das nicht sehr befriedigende Ergebnis in diesem Punkt es z. B. dem japanischen Ministerpräsidenten schwerer macht, seine Marktöffnungspolitik voranzutreiben, und es dem amerikanischen Präsidenten schwerer macht, seinem Kongreß klar zu machen, daß Protektionismus uns allen schadet - die Administration ist ja nicht protektionistisch, sondern zeigt sich sehr häufig durchaus standhaft; denken Sie an die Selbstbeschränkung japanischer Automobile, die der Präsident nicht verlängert hat. Also in puncto Freihandel hätten wir uns ein besseres Ergebnis gewünscht. Aber noch einmal: Dies ist sicher nicht die Schuld der Bundesregierung. ({8}) Um so erfreulicher, und zwar ganz im Gegensatz zu dem, Herr Roth, was Sie gesagt haben, ist der Punkt: allgemeine Wirtschaftspolitik, Wachstum und damit auch Beschäftigungspolitik. Die wirtschaftspolitische Konvergenz, die in diesem Schlußdokument zum Ausdruck kommt, ist weitergegangen und hat sich weiterentwickelt gegenüber den Gipfelveranstaltungen der vorigen Jahre. Der Bundeskanzler hat mit vollem Recht den Satz aus dem Kommuniqué des Jahres 1977 zitiert, wonach Inflation eben nicht für Beschäftigung sorgt, sondern im Gegenteil Beschäftigung gefährdet. ({9}) Bis daraus konsequente Handlungsanweisungen, konsequente Übereinstimmung geworden sind, hat es lange gedauert. Das hat ganz offensichtlich Herr Brandt bei seinem Vortrag hier vollständig übersehen. In der Tat, was ist dort beschlossen worden? Man will mehr wirtschaftliches Wachstum, mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze. Die Teilnehmer haben gesagt: Die sind zu erlangen, wenn Unternehmen und Arbeitnehmern mehr Luft zum Atmen gegeben wird. Die Rezepte allerdings, nach denen alles ökonomische Heil mit staatlichen Beschäftigungsprogrammen, mit öffentlicher Verschuldung, mit immer höherer Steuerbelastung zu erreichen sei, gelten nicht mehr. Da, Herr Roth, hätten Sie und die Sozialdemokraten mal etwas sorgfältiger hinhören sollen, statt alberne Gegengipfel in der Nähe von Hambach zu veranstalten. ({10}) Kein einziger Teilnehmer des Bonner Gipfels ist auf die Idee verfallen, zur Linderung der Arbeitslosigkeit in Europa eine Politik vorzuschlagen, die zu mehr staatlicher Aktivität, zu neuen Haushaltsdefiziten, zu neuen Belastungen der Steuerzahler führen würde. Alle wollen mehr Wirtschaftswachstum, ({11}) mehr Arbeitsplätze. Aber sie wollen es eben über weniger Staat, weniger Bürokratie. Ich höre aus den Reihen der GRÜNEN: „Wir nicht!" Eines, muß ich Ihnen sagen, haben die nordrhein-westfälischen Wähler richtig gemacht: der arbeitnehmer- und arbeitsplatzfeindlichsten Partei den Rang zuzuweisen, der ihr gebührt: unter der 5-Prozent-Grenze. ({12}) Es hat vorher keinen Gipfel gegeben, auf dem das so deutlich ausgesprochen worden ist wie jetzt in Bonn. Ich halte diese Aussage und diese wirtschaftspolitische Konvergenz für einen Durchbruch in der internationalen Wirtschaftspolitik, der nicht unterschätzt werden darf. Verehrter Herr Kollege Roth, wenn Sie so freundlich und natürlich an bestimmte Adressen gerichtet Ihren Vorschlag mit dem ERP-Sondervermögen machen, dann tun Sie mal Butter bei die Fische und sagen Sie, Sie wollen mit 10 Milliarden DM zusätzlich auf den Kapitalmarkt gehen. Dann sagen Sie mal, was das für die Zinsentwicklung bedeutet. Dann sagen Sie dazu, ({13}) daß Sie 600 Millionen DM Zinssubventionen jährlich aus dem Haushalt dafür haben wollen, um diese Mittel auf ein Zinsniveau herunterzubringen, daß noch attraktiv ist. Hier so zu tun - darüber haben wir ja neulich diskutiert -, als ob das alles auf Knopfdruck möglich wäre, ohne erhebliche Nachteile und Schäden mit sich zu bringen, ist zu einfach. Sie können die Probleme immer nur lösen über mehr Steuern, mehr Abgaben, mehr Schulden, höhere Zinsen. Aus dem Weg müssen wir heraus, aus dem Weg wollen wir heraus. ({14}) Einen Gefallen werden Ihnen diese Regierung und diese Koalition nicht tun. Sie werden nicht aus Zwischenwahlergebnissen die Konsequenz ziehen, daß wir den Weg, den wir jetzt zeitlich zur Hälfte gegangen sind, zurückdrehen, um dann in der Sackgasse zu landen und uns Ihnen 1987 zu stellen. ({15}) Wir gucken uns 1987 in aller Ruhe und mit aller Zuversicht an; denn dann, Herr Ehmke, wird es einen Wahlkampf geben, der nicht so entpolitisiert und so personalisiert geführt werden kann. Dann wollen wir über politische Probleme reden. ({16}) Ich habe in meinen 98 Wahlveranstaltungen in Nordrhein-Westfalen immer darauf gewartet, die Sozialdemokraten einmal mit politisch-inhaltlichen Positionen und nicht nur mit dem zugegebenermaßen liebenswürdigen, sympathischen Johannes Rau agieren zu sehen. Wir kommen noch einmal zu ganz anderen Themen und zu ganz anderen Diskussionen. ({17}) Alles in allem, meine Damen und Herren, komme ich zu folgender Bewertung dieses Weltwirtschaftsgipfels. Es sind sicherlich nicht alle Wünsche erfüllt worden. Das wird auf keinem internationalen Treffen dieser Größenordnung der Fall sein. Aber der Bonner Gipfel hat die internationale wirtschaftspolitische Zusammenarbeit gestärkt. Die Bundesrepublik war ein würdiges Gastgeberland und hat diesen Gipfel ordnungsgemäß, gut und planmäßig vorbereitet. Die Bundesregierung hat zu diesem Erfolg entscheidend beigetragen. Wir danken ihr dafür. ({18})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kraus.

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst einmal ein Wort zu Herrn Roth. Herr Roth, Sie stellen sich immer hier hin und tun so, als hätten Sie von vornherein das Patentrezept zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit. Nun fragt sich natürlich, warum Sie dieses Rezept in einer Zeit, die noch gar nicht so lange her ist, nicht angewandt haben, um den Menschen die Arbeitslosigkeit ersparen zu helfen. Sie hatten damals die Gelegenheit dazu. Sie haben das damals nicht getan. Überhaupt hat man den Eindruck, daß die Redner der SPD heute wieder bewiesen haben, daß sie keineswegs eine Alternative zur Außen- und Wirtschaftspolitik unserer Regierung darstellen. Der SPD-Vorsitzende zieht sich beleidigt in eine Ecke zurück, schmollt und versucht dann, mit Ausfällen gegen den Bundeskanzler und den Generalsekretär der CDU sein Ansehen aufzupolieren. Herr Vogel tritt seit 1983 als Buchhalter des Mißerfolgs auf und versucht - allerdings vergeblich -, die Erfolge und Leistungen der Bundesregierung herabzuzerren. ({0}) - Wenn Sie es so gut machten wie der „Bayernkurier", wäre das Ganze zumindest etwas lustiger, Herr Vogel. ({1}) So kritisieren Sie z. B. auch den Aufwand, der während des Wirtschaftsgipfels hier in Bonn betrieben worden sei. Sie sollten nicht vergessen, daß insbesondere bei unseren westlichen Verbündeten wegen Ihrer falschen und verfehlten Wirtschaftspolitik der Eindruck entstanden war, die Bundesrepublik Deutschland sei in ihrer internationalen Wettbewerbsfähigkeit angeschlagen. Die Journalisten aus den am Weltwirtschaftsgipfel teilnehmenden Staaten prägen durch ihre Berichte das Deutschlandbild in ihren Heimatländern. Dieses Bild wird einige Zeit vorhalten. Im Gegensatz zu Ihnen von der SPD sind wir selbstbewußt genug, uns mit unserer Wirtschaft zu identifizieren und darzustellen, daß wir in der Lage sind, die Herausforderungen einer modernen Industriegesellschaft anzunehmen. ({2}) Wir verfallen nicht in den Pessimismus der SPD. Der Bundesregierung ist auf dem Weltwirtschaftsgipfel eine konsequente Fortsetzung der beiden Gipfel von London und Williamsburg gelungen. Die sieben wichtigsten Industriestaaten haben sich über die notwendige Grundausrichtung der Wirtschaftspolitik geeinigt. ({3}) Nur die Einigkeit bei der Inflationsbekämpfung, bei der Geld- und Haushaltspolitik und beim Abbau der Wachstums- und Handelshemmnisse wird eine weitere Stabilisierung und Fortentwicklung der Weltwirtschaft gewährleisten. Der Bundeskanzler hat mit seiner Erklärung die Bemühungen der Teilnehmer verdeutlicht, die Beschäftigungsprobleme zu lösen. Gerade die Schwerpunkte Haushaltskonsolidierung, Verringerung der Inflationsraten und Stärkung der Investitionen zeigen, daß die westlichen Industrienationen in den Grundfragen ihrer Wirtschaftspolitik übereinstimmen. Dies gilt für Frankreich und Italien mit sozialistischen Regierungschefs ebenso wie für die konservativen Regierungen Englands und Kanadas. Darin liegt für mich der Erfolg dieses Gipfels. Die Regierungschefs sind sich darin einig, daß ein weiteres Wachstum der Weltwirtschaft nur mit marktwirtschaftlichen Steuerungsmechanismen erfolgen wird. Wir wissen, daß die Probleme noch nicht gelöst sind. Das Arbeitsplatzangebot muß verbessert werden, den Entwicklungsländern die Fortsetzung ihrer Konsolidierung ermöglicht werden. Die Handelshemmnisse müssen gelockert oder abgebaut werden, das internationale Währungssystem sollte verbessert werden. Trotz dieser Probleme sind auch hier Erfolge zu verzeichnen. So haben zahlreiche Entwicklungsländer im außenwirtschaftlichen Anpassungsprozeß große Fortschritte gemacht. Der strukturelle Anpassungsprozeß in den Industrieländern zeigt Fortschritte, der Welthandel ist 1984 um 8,5 % gestiegen, und die durchschnittliche Inflationsrate lag bei 5,3 % und war damit die niedrigste seit 1972. Der Weltwirtschaftsgipfel hat aber auch klargemacht, daß wir selbst große Anstrengungen unternehmen müssen, um unseren Rang in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht im Vergleich zu den anderen freiheitlichen Industrienationen zu behaupten. Wenig hilfreich ist dabei das Zerrbild unseres Staates, das die Opposition vermittelt. Dieses hat mit den tatsächlichen Verhältnissen nur sehr wenig zu tun. Wir können uns sehr wohl im internationalen Vergleich hinsichtlich Inflationsrate, Wachstum, sozialer Leistungen, Abbau der Verschuldung und letztlich auch der Arbeitslosigkeit sehen lassen. Was die Arbeitslosigkeit anbelangt, erinnere ich vor allem an die Voraussagen, die die jetzige Opposition noch vor wenigen Jahren glaubte machen zu müssen. Dieses Horrorgemälde wurde Gott sei Dank niemals Wirklichkeit. Die Arbeitszeitverkürzung, die Sie uns als Patentrezept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit immer wieder aufdrängen wollen, ist nach unserer Auffassung ein völlig untaugliches Instrument. Jede Verteuerung der Arbeit muß zu deren weiterer Unbezahlbarkeit führen, und Arbeitsplätze können so ganz sicher nicht geschaffen werden. ({4}) Dies ist also eine Politik gegen die wohlverstandenen Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Nicht die Löhne, sondern die Lohnnebenkosten sind bereits heute viel zu hoch. Ein Facharbeiter kann sich keine Facharbeiterstunde nicht mehr leisten. Vorschläge, die zur weiteren Verstärkung dieses Mißverhältnisses führen müssen, würden die Probleme nur verstärken. Sie werfen uns den Abbau des Sozialstaates vor und fordern neue soziale Maßnahmen. Sie verschweigen aber, daß jede Maßnahme schließlich von der breiten Masse der Bevölkerung bezahlt werden muß. Wer sollte es sonst bezahlen? ({5}) Sie bauen mit Ihren Forderungen ein Anspruchsdenken weiter auf, fördern aber gleichzeitig eine Tendenz zur Leistungsverweigerung. Damit forcieren Sie nach meiner Auffassung eine Entwicklung, die zu einer merkwürdigen neuen Klassengesellschaft führen muß, zu einer Gesellschaft, in der es Anspruchsbürger und in der es Leute gibt, die man als Leistungsbürger bezeichnen könnte. Letztere sind zwar heute noch die ganz überwiegende Zahl der Bevölkerung, aber die Zahl der Anspruchsbürger steigt. Als Anspruchsbürger würde ich jemanden bezeichnen, der mit sehr viel Intelligenz und großem Geschick es versteht, über die Jahre, in denen man sonst einen Beruf ausübt, möglichst ohne große Mühe hinwegzukommen. Diese Gruppe wird größer. Diese Gruppe wird durch die Züchtung der Mentalität, die von der Opposition hier verbreitet wird, natürlich vergrößert. Dies wiederum verstößt auf das gröbste gegen die Interessen der arbeitenden Bevölkerung. Eines noch zum Investitionsstau. Herr Roth, Sie sprachen davon, daß dieser Investitionsstau weiterbesteht. Ich glaube, daß das im Prinzip leider richtig ist. Man muß aber auch nach den Gründen fragen, warum dieser Investitionsstau weiterbesteht: weil nämlich die Mentalität, die zu einem ganz überwiegenden Teil dazu geführt hat, weiterbesteht. Die Bürger wollen zwar viele Einrichtungen, aber sie wollen sie ohne jede Belästigung ihres eigenen unmittelbaren Lebensumfeldes. Vor diesem Hintergrund muß man das sehen. Es gibt eine Menge von Großbauvorhaben, die heute noch durch Gerichtsentscheide, durch Einsprüche, durch Bürgerinitiativen aufgehalten sind. Eines ist merkwürdig. Dieselben, die oft bestimmte Einrichtungen fordern, auf Bundesebene beispielsweise, verstehen es, durch das Fördern von irgendwelchen Initiativen auf örtlicher Ebene genau diese zu verhindern. ({6}) Wir haben derzeit natürlich auch eine gespaltene Konjunktur. Auch das soll nicht verschwiegen werden. Es gibt Branchen, die im Schatten stehen. Dazu gehört auch die Bauwirtschaft; es gehören alle Bereiche dazu, die besonders lohnintensiv sind. In diesen Bereichen besteht natürlich auch Handlungsbedarf. Die Regierung ist meines Erachtens aufgefordert, alles zu unternehmen, um Initiativen und Investitionen im privaten, gewerblichen und öffentlichen Sektor zu initiieren. Dies sollte nicht durch ein herkömmliches Investitionsprogramm geschehen, sondern durch eine langfristig abschätzbare Verbesserung der Rahmenbedingungen wie verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten, steuerliche Erleichterungen und eine deutliche Verstärkung der öffentlichen Investitionen im Sinne einer antizyklischen Haushaltspolitik. ({7}) Darüber hinaus ist es notwendig, Überlegungen anzustellen, wie der Dienstleistungssektor, der für die Schaffung neuer Arbeitsplätze wohl wichtigste Sektor, besser gefördert werden kann. Es müssen Maßnahmen zur Entlastung dieses Bereichs ergriffen werden. Ansonsten kann weder das ständig wachsende Problem der Schwarzarbeit noch das Problem der Unvermittelbarkeit schwächerer Arbeitsloser jemals in den Griff bekommen werden. ({8}) Es wird also entscheidend sein, daß die gemeinsamen Bekenntnisse in Bonn -

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, lassen Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann zu?

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich habe keine Zeit mehr. Sonst hätte ich es sehr gern getan. - Aber wenn Sie mir die Zeit geben, lasse ich gern eine Zwischenfrage zu. - Bitte schön.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich die CDU in Mainhausen mit den GRÜNEN gegen eines der von Ihnen erwähnten Großprojekte zu einer Koalition auf kommunaler Ebene zusammengeschlossen hat?

Rudolf Kraus (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001202, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kenne diesen Fall natürlich nicht, aber im übrigen bestätigen Ausnahmen die Regel. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es auch in der CDU oder in der CSU Leute gibt, die manchmal nicht unbedingt das Richtige tun. Wir sind bescheiden genug, dies anzuerkennen. Es kommt nur auf die Masse, auf die große Zahl an. Es fallen mir sehr viel mehr Beispiele ein, die mehr der linken Seite zuzuordnen sind. ({0}) - Der Herr Vogel freut sich jetzt doch etwas. Heute hat er meistens etwas grimmig durch die Gegend geschaut. Man hatte den Eindruck, er sei einer von jenen, die sich über das Wahlergebnis in NordrheinWestfalen nicht so freuen. Ich freue mich, Herr Vogel, wenn ich Ihnen eine kleine Freude bereiten konnte, daß Sie sich etwas wohler fühlen. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Volmer.

Dr. Ludger Volmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002393, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Ein offenes multilaterales Handelssystem ist unentbehrliche Voraussetzung weltweiten wirtschaftlichen Wohlstandes; darum setzen wir uns nachdrücklich für umgehende und wesentliche Schritte zum Abbau von Handelsbeschränkungen ein"; so der Gipfel in seinem Abschlußkommunique. Der Gipfel spreizt sich in feierlicher Erklärung, während der Zeremonienmeister eiskalt einem Land den Krieg, den Handelskrieg, erklärt. Freier Welthandel und Handelskrieg: Was auf den ersten Blick wie Wasser und Feuer wirkt, erweist sich beim zweiten Hinsehen als Doppelgesicht eines einzigen Wesens. Totaler Markt oder gar keiner! Die Dritte Welt hat sich dem Weltmarkt zu unterwerfen; wer es nicht tut, ist nicht frei; wer nicht frei ist, steht unter der Knute der Sowjetunion und muß die amerikanische Peitsche spüren. ({0}) Wehe ein kleines Land der Dritten Welt wagt es, sich der Zwangsintegration in den Weltmarkt zu widersetzen! Wehe es weigert sich, seine oft armseligen Reichtümer zu Markte zu tragen! Wehe es denkt mehr an die Befriedigung der Grundbedürfnisse des eigenen Volkes an Nahrung, Kleidung, Bildung, Gesundheit und Wohnung! Solch ein Land muß weg. Eine Katastrophe - zumindest für die Bilanzentwicklung der multinationalen Konzerne und Banken -, wenn so ein Land sich anheischig macht, sich selbst entwickeln zu können, statt sich um die internationalen Profite oder die Bereicherungssucht einheimischer Eliten zu kümmern, ein Schandfleck für die freie Welt. Wer so egoistisch nur nach dem Überleben der eigenen Bevölkerung trachtet, statt alles, was nicht niet- und nagelfest ist, den konkurrenzgebeutelten Industriestaaten freundlich zur Verfügung zu stellen, der ist vom Russen unterwandert. Mit Schwert und Feuer muß ihm der abendländische Altruismus beigebogen werden. Das Beispiel könnte j a Schule machen. Undenkbar, was geschähe, wenn sich alle Entwicklungsländer selbst ernähren würden! Dann dreht man ihnen schon lieber den Hahn völlig zu, und notfalls marschiert man ein, um alles kurz und klein zu schlagen. Ein Toter erliegt nicht dem Konsumismus. Dem Lebenden werden Mores beigebracht. Export ist gefragt. Wer nicht alles gibt, dem wird alles genommen. Das ist die politische Moral des sogenannten freien Westens. ({1}) Unter diesem Banner zieht der oberste Feldherr der NATO gegen Nicaragua in den Krieg. Und der Deutsche Bundestag? Schweigt er dazu? Klatscht er Beifall? Windet er sich verlegen im Gestühl, wenn sein amerikanischer Freund die innenpolitische Lage Nicaraguas verschärft, um das Volk gegen die Regierung aufzuhetzen, wenn er die internationale Lage destabilisiert, wenn er die Contadora-Initiative für eine friedliche Konfliktlösung unterläuft, wenn er die San-José-Initiative der europäischen Länder für bessere Kooperation gegen den Strich bürstet? Spätestens hier hört für die GRÜNEN die Freundschaft auf. ({2}) Wir fordern von der Bundesregierung, daß sie ihrem NATO-Partner kräftig auf die Füßte tritt und alles Erdenkliche unternimmt, um den unabhängigen, blockfreien, auf eine diversifizierte Mischwirtschaft bauenden eigenständigen Entwicklungsweg Nicaraguas nach Kräften zu unterstützen. ({3}) Wir fordern die Bundesregierung auf, offensiv gegen die amerikanische Intervention einzutreten und ihrerseits sofort die gesperrten Entwicklungshilfeleistungen freizugeben. ({4}) Nicaragua ist eine Hoffnung für alle Länder der Dritten Welt. Deshalb bitten wir hier jeden im Hause, der nicht den Konzernen, sondern der ganzen Menschheit eine gute Zukunft wünscht, um Zustimmung zu unserem Antrag. ({5}) Wie hält es der Gipfel mit den anderen Entwicklungsländern? Weltweites Wachstum ist angesagt, freundliches Klima für Direktinvestitionen, eine harmonische Liaison mit dem IWF. Ein Entwicklungsland, das sich an diesen Knigge hält, darf mit wohlwollender Behandlung rechnen, mit ihm wird kooperiert; zum angeblich gemeinsamen Nutz und Frommen wird ausgesuckelt, was das Land hergibt und was auf dem Weltmarkt loszuschlagen ist. Der Markt, der alles verschlingende Moloch, verleibt es ein. Die letzten halbwegs intakten Refugien für Mensch und Tier, die letzten kostbaren Schätze unserer Erde, die Reste des gemeinsamen Erbes der Menschheit finden, selbstverständlich ökologisch abgefedert, den Weg in den Stoffwechselprozeß. Natur und Arbeit werden aufgesogen, Waren und Profite ausgespien. Die Erde erfährt ihre Metamorphose zur Firmenbilanz. ({6}) Der kapitalistische Weltmarkt verwandelt Erde, Wasser, Luft und menschliche Arbeitskraft in tote Gegenstände, damit sich auf einem Stück Papier rote Zahlen in schwarze verwandeln. Doch der zweifelhafte Genuß, der aus dem Farbwechsel der Bilanz zu ziehen ist, ist nur wenigen beschieden. Die Mehrheit der Weltbevölkerung verliert ihre natürliche und soziale Lebensgrundlage, ihre Lebensfreude, ihr Leben. Was nützt uns ein solcher Weltmarkt? Wir sind nicht gegen internationalen Austausch, aber strikt gegen seine hemmungslose Ausweitung. Wir sind auch nicht gegen jeden Marktmechanismus, aber gegen die Zwangsintegration in die Märkte. Zwang zum sogenannten freien Handel und Handel in Freiheit schließen einander aus. ({7}) Ein Land, das seinen Handel so weit reduzieren will, wie es ihn gerade braucht, um eine nach innen gerichtete grundbedürfnisorientierte Wirtschaftsweise zu pflegen, soll das tun; es darf nicht länger mit Intervention bedroht werden, und es darf nicht länger mit einer GATT-Konferenz bedroht werden, die in den Entwicklungsländern die letzten Hemmnisse gegen ausbeuterische Wirtschaftsstrategien des entwickelten Nordens niederreißen will. Deshalb ist es ein Glück, daß die Gipfelstaaten wegen ihrer eigenen Querelen keinen Termin zustande brachten. Dies war die einzige gute Tat des Gipfels für die Dritte Welt. Beim Dollarkurs war das anders. Angeblich sollte er gemeinsam mit dem Zinsniveau gesenkt werden, um die Last der Drittweltländer zu erleichtern. Nun, das Versprechen eines sinkenden Dollarkurses und fallender Zinsen verliert in dem Maße an Wert, wie das SDI-Programm an Konjunktur gewinnt. ({8}) Zu seiner Realisierung wird der amerikanische Freund mit dem Staubsauger über die Kapitalmärkte fahren und alle Liquidität absaugen. ({9}) US-Rüstungsindustrie und Entwicklungsländer werden um Kreditzuflüsse wetteifern und die Zinsen weiter in die Höhe treiben. Und das Versprechen offener Märkte, das als alleinseligmachendes Mittel zur Behebung der Bilanzsschwäche der Drittweltländer verkauft wird? Es brach zusammen wie der GATT-Plan. Während man glücklicherweise noch endlos über dem eigenen Unrat brütet, fault der Köder dahin, der die Entwicklungsländer vollends ins internationale Marktgetümmel zerren soll. Die Schuldenkrise ist nicht gelöst. Daran hat auch keiner Interesse. Die Zinsen fließen, und darauf kommt es an. Der IWF hat härtere Auflagen beschlossen. Endlich greift er mal durch. Tausende von Toten tauchen in den Bilanzen nicht auf. Sie bleiben sauber, werden sogar üppiger, denn es darf umgeschuldet werden. Jedem seine Zinspyramide. Pyramiden überstehen bekanntlich Jahrtausende. Würden sie verschwinden - vielleicht radiert sie einer einfach aus -, fehlte den ärmsten Ländern der Anreiz, sich in den Weltmarkt einzufädeln. Zwang will man ja nur im äußersten Notfall ausüben, vielleicht in Argentinien, wenn Alfonsin die Demokratie übertreibt. Jedenfalls, solange man am Gefüge des Marktes noch bastelt, müssen die Zinspyramiden ausgeblendet bleiben, es könnte sonst zu deutlich werden, daß es reiner Bluff ist, sie auf den Märkten auflösen zu wollen. Enttäuschung stört das Betriebsklima, und man will ja gutwillige Südländer, die zahlen und nicht fragen, solange sich die Frage nicht geradezu aufdrängt. ({10}) Aber der Gipfel, Frau Hürland, hat auch geholfen. Er versprach Saatgut und Schädlingsbekämpfungsmittel, von rabiaten Grünen zuweilen als Pestizide diffamiert. Sie sollen die Ernährungslage verbessern. Saatgut für Monokulturen, in die die kleinbäuerlichen Parzellen zur Subsistenzproduktion verwandelt wurden, Pestizide gegen Schädlinge, von denen die der natürlichen Abwehrkraft beraubten Hybridsorten befallen werden, Dünger für die Böden, die durch kapitalintensive Nutzung ausgelaugt werden. Die Bauern, die sich beim Kauf der Wundermittel nicht unrettbar verschulden wollen, geben das Land auf. Frauen werden ihres Landes, Besitzes und Einflusses beraubt. Die Menschen ziehen in die Städte, bilden Slums und stehen als billige Arbeitskraft für die freien Produktionszonen zur Verfügung. Frauen werden in die Prostitution getrieben. Für viel Geld können sie jetzt wenig Reis kaufen. Proteine gibt es gar keine mehr; Pestizide verseuchten die Fischzuchtgebiete. Doch die Ernährungslage hat sich verbessert - in den Chefetagen der Agrar- und Chemiemultis. ({11}) Das alles, meine Damen und Herren, hat der Gipfel mitbeschlossen, als er so gnädig die Lieferung von Saatgut und Pestiziden androhte. Wer dies für die verdrehte Meinung eines besonders bösartigen Grünen hält, der lese den Brief von Cäsar Esperitu, philippinisches Mitglied des Weltkirchenrates, an die Gipfelteilnehmer, der im „Sonntagsblatt" vom 5. Mai abgedruckt ist. Ich zitiere: Haben Sie eigentlich gehört von den exzessiv ausgenutzten Erdbeerfarmen in Mexiko, kultiviert für satte, schnelle Profite und zum Ergötzen der Erdbeer-Gourmets in New York? Bodenerosion war die Folge; die Felder sind jetzt wüstes Land. Haben Sie davon gelesen, wie auf den Philippinen Subsistenz-Bauern zusammen mit ihren philippinischen Bananen-Baronen von multinationalen amerikanischen Unternehmen verdrängt wurden, ermuntert durch japanische Händler? Alles im Namen von exportorientiertem Wachstum. Aber jetzt protestieren sogar unsere Affen in Mindanao dagegen, daß sie kaum noch Futter haben. Die guten Bananen werden von neuen Affen in Japan gegessen. Haben Sie davon gehört, wie eingeborene Stämme vertrieben oder einfach getötet wurden durch Paramilitärs, die als Agenten der malaysischen und philippinischen Regierung und der Weltbank in den neuen Palmölplantagen in Südostasien arbeiten? Selbst die große Regierung der Mrs. Thatcher ist darin verwikkelt. ({12}) Haben Sie von der gemeinen Armut und Entmenschlichung der Wanderarbeiter in unseren Zuckerplantagen gehört - halb Mensch, halb Tier ... in ihrer armseligen Existenz -, deren Ausbeutung durch Ihre ... Arbeitsverleiher ... in einer zivilisierten Gesellschaft nicht mehr zu beschreiben ist? Unser Fazit im Klartext: Wir, die GRÜNEN, schlagen uns eindeutig auf die Seite der Unterdrückten und Ausgebeuteten auf dieser Erde. ({13}) Wir fordern erneut die vollständige Schuldenstreichung für die Dritte Welt. Wir werden aber auch dagegen antreten, daß die Armen hier und die Ärmsten dort gegeneinander ausgespielt werden. ({14}) Unsere Sozialpolitik und unsere Entwicklungspolitik haben den gleichen Gegner, und dabei - das möchte ich ausdrücklich betonen - finden wir Bündnispartner, auch in den USA. Wir verurteilen ohne Einschränkung die offizielle Regierungspolitik der Vereinigten Staaten und die Wirtschaftsinteressen, die dahinterstehen. Aber wir kennen und schätzen das andere Amerika. Mit dem anderen Amerika wissen wir uns einig im Kampf gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Intervention. Diese Zusammenarbeit hat Zukunft. Danke. ({15})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Köhler.

Not found (Staatssekretär:in)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach diesen Ausführungen des Kollegen Volmer bin ich zu dem Eindruck gekommen, daß dadurch, daß er an der Seite der Dritten Welt steht, die Dritte Welt nicht ein Problem gelöst, dafür aber eines mehr hat. ({0}) - Ja, aber bei dieser sagenhaften Verwirrung der Begriffe und Tatsachen leider wohl zutreffend. Es ist über das hinaus, was der Herr Finanzminister in Klarstellung zu der Bedeutung dieses Gipfels für die Fragen der Dritten Welt schon gesagt hat, aus entwicklungspolitischer Sicht noch einmal ein Thema anzusprechen, nämlich die Schuldenfrage. Die Diskussionslinie verläuft ja an der Stelle, wo die einen sagen, daß dieses Problem generell, sozusagen mit einem großen Schlag, gelöst werden sollte, während die andere Position lautet: Von Fall zu Fall nach Maßgabe der Möglichkeiten. Die generelle Lösung soll vor allem aus ersparten Rüstungsmitteln gespeist werden. Dabei wissen wir immer noch nicht, ob das über die Weltbank oder über IMF - die lieben Sie ja nicht sehr - abgewikkelt werden soll. Diese generelle Lösung hat sich nach aller Erkenntnis der Fachleute in der ganzen Welt als nicht zweckmäßig und nicht richtig erwiesen. Es gibt ein entscheidendes Gegenargument, vor allem seit sich die mehrjährigen Umschuldungen bewährt haben. Sie stellen in der Tat einen erheblichen Fortschritt dar. Für die Entschuldung von Fall zu Fall und nach Ansehung des Einzelfalls spricht einmal die praktische Erfahrung. Ich weise hier darauf hin, daß die Bundesrepublik mit einem Schuldenerlaß an 22 ärmste Länder der Welt - dies sollte man hier auch einmal einfach zur Kenntnis nehmen, statt es unter den Teppich zu kehren; denn es handelt sich um eine Größenordnung von über 4 Milliarden DM - mehr als andere Gebernationen das ihr mögliche getan hat und weit an der Spitze der Leistungen auf diesem Gebiet steht. ({1}) Wer aber weiter generellen Schuldenerlaß fordert, muß sich auch der Frage stellen, welches Problem damit gerade für die Länder geschaffen würde, bei denen der Erlaß öffentlicher Schulden in den faktischen Einzelheiten eine minimale Wirkung, aber gleichzeitig eine ungeheure Auswirkung auf ihre internationale Kreditwürdigkeit hätte. Ich frage die Vertreter dieser Denkschule, was denn eigentlich für Wirkungen auf die Privatinvestitionen ausgehen sollen, wenn durch einen solchen Schuldenerlaß praktisch die Zahlungsunfähigkeit eines investitionswürdigen Landes verbrieft würde, und dies bei Ländern, die heute in zunehmendem Maße und geradezu händeringend um Privatinvestitionen ersuchen und in der ganzen Welt darum bemüht sind. Ich glaube, wir würden der entwicklungspolitischen Diskussion sehr dienen, wenn wir uns hier im Plenum wirklich einmal kritisch mit der Frage beschäftigten - das sage ich an die Adresse des Kollegen Brandt, dessen Engagement ich außerordentlich schätze -, ({2}) ob diese übermäßige Betonung rein quantitativer Gesichtspunkte, die Forderung nach immer wieder neuem Geld, eigentlich wirklich die Lösung ist und ob nicht das, was an der Entwicklungspolitik der vergangenen Dekaden kritisiert wurde, für die Sie die Verantwortung haben, gerade in der Überbetonung der rein quantitativen Gesichtspunkte gelegen hat. Woran liegt es, daß die IDA heute eine sehr niedrige Auszahlungsgeschwindigkeit hat? Woran liegt es, daß der Europäische Entwicklungsfonds nur sehr zögernd abfließt? Doch nur daran, daß die Probleme der Dritten Welt nicht einfach durch Kapitaltransfer zu lösen sind. Alle Sachkenner sind sich in der Bewertung einig, daß die internen, die qualitativen Faktoren der nationalen Entwicklungspolitik der Empfängerländer entscheidend sind. Die Entwicklungszusammenarbeit muß deshalb heute eben stärker in die makroökonomischen Rahmenbedingungen eingebunden sein. Diese Forderung von Weltbank und IMF tragen wir mit. Deswegen hat diese Regierung in den letzten Jahren ein hohes Maß an Verbesserung der Koordination der Zusammenarbeit zwischen allen Gebern geleistet. Zu diesen Bemühungen gehört auch der Schwerpunkt Ernährungssicherung aus eigener Kraft. Die Zahlen im Haushalt unseres Landes sprechen da eine beredte Sprache. Sie sind im Einzelplan 23, dem des BMZ, ganz wesentlich gesteigert worden. Daß der Weltwirtschaftsgipfel diese Tendenz durch seine Beschlüsse bestätigt hat, ist eine Bestätigung der Politik der Bundesrepublik, für die wir dankbar sind. Noch einmal: Das moralische Engagement des Kollegen Brandt steht außer jedem Zweifel. ({3}) Aber wenn ich dies hier sage, nehme ich mir auch das Recht heraus, in derselben Minute zu fordern, daß er uns helfen möge, den vor allem am linken Flügel der Diskussion weltweit zu findenden schädlichen Entwicklungspessimismus zu bekämpfen und mit dazu beizutragen, daß Entwicklungspolitik und Entwicklungshilfe nicht als Schaden für die Länder, als Vernichtung der Länder, als etwas, was schlimmer ist, als sich abzuwenden, zerredet wird - eine Position, die kein Verantwortlicher in der Dritten Welt bisher eingenommen hat und der wir, meine Damen und Herren von der SPD, gemeinsam entgegentreten sollten, weil das nichts anderes wäre als der Rückzug in die eigenen vier Wände unter Vernachlässigung jeglicher Verantwortung für die Menschen in der Dritten Welt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?

Not found (Staatssekretär:in)

Bitte, nein. Ich bin im Begriff zu schließen, Herr Präsident. Die Glaubwürdigkeit der Bemühungen unseres Landes und anderer Länder, in der Dritten Welt wirklich zu helfen, müssen wir gemeinsam herstellen und sichern. Deswegen meine nochmalige Aufforderung gerade an den Kollegen Brandt, in Zukunft nicht nur die große Utopie der Generallösung zu vertreten und demgegenüber alles, was getan wird, als kleinlich, schwächlich und nicht ausreichend zu kritisieren, sondern sich wirklich in die Mühsal der konkreten Diskussion und Arbeit zu begeben und auch zu erkennen, was dort in den letzten Jahren geschehen ist, nachdem wir von einer rein quantitativen Betrachtung, die 20 Jahre die deutsche Entwicklungspolitik beherrscht hat, endlich Abkehr gehalten haben. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann. ({0})

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines kurz vorweg: Ich bedaure, daß die Sozialdemokraten, vor allen Dingen Herr Brandt, die Chance der heutigen Debatte nicht genutzt haben, um eine Klimavergiftung, die er selbst zu vertreten hat, zu beseitigen. ({0}) Meine Damen und Herren, Willy Brandt hat nicht die Kraft gefunden, sich bei Heinrich Geißler zu entschuldigen. ({1}) Die CDU bedauert dies. Ich darf Ihnen sagen: Für uns wird die Angelegenheit so lange nicht vom Tisch sein, bis er das Wort der Entschuldigung gefunden hat. ({2}) Meine Damen und Herren, der Wirtschaftsgipfel - es war zu erwarten - wird in der anschließenden Kritik differenziert gesehen. Ich habe es bewundert, Herr Roth, welche Gabe der Verdrängung Sie haben - und Herr Brandt ist dem teilweise auch unterlegen -, wenn Sie völlig vergessen haKittelmann ben, wie die Gipfel in den Jahren, als Sie die Regierungsverantwortung trugen, verlaufen sind, und im Moment so tun, als wäre bei Ihnen alles anders gewesen. Ja, es war anders: Der Gipfel, der jetzt stattgefunden hat, war seriöser, glaubwürdiger und vom ernsten Bemühen derjenigen getragen, die zusammengesessen haben, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen. ({3}) - Ihr Hohnlachen zeigt lediglich, daß Sie unfähig sind, dies zu begreifen oder Ihrerseits anders als früher zu handeln. ({4}) Meine Damen und Herren, die CDU/CSU dankt der Bundesregierung und vor allen Dingen Bundeskanzler Kohl für das Ergebnis dieses Gipfels, für ein Ergebnis, an dem vor allen Dingen Bundeskanzler Kohl maßgebend beteiligt war. ({5}) Es war ein Gipfel des Optimismus und der Zuversicht. ({6}) Die Sozialdemokraten werden lernen müssen, daß ihre immer stärker zunehmende Ablehnung der Sozialen Marktwirtschaft, ihr Weg in Dirigismus, ihr Weg in staatliche Investitionsplanung in anderen Ländern der Welt keine Unterstützung findet. ({7}) Es ist an der Zeit, daß Sie sich dazu durchringen - die meisten von Ihnen, die hier lachen, haben das Kommuniqué wahrscheinlich noch nicht einmal gelesen -, dem Protektionismus, dem Dirigismus, staatlicher Intervention - im übrigen ist in dem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß es Länder gibt, einschließlich Frankreich, die zu Hause eine andere Politik machen, als sie es im Kommuniqué des Weltwirtschaftsgipfels selbst für richtig halten - eine klare Absage zu erteilen, so wie Herr Roth sie soeben wieder gefordert hat und wie manche Sozialdemokraten es in den letzten Jahren immer wieder fordern. ({8}) Meine Damen und Herren von den Sozialdemokraten, Sie werden in den nächsten Monaten erfahren, daß unsere Wirtschaftspolitik, die Wirtschaftspolitik der CDU/CSU und FDP, nicht nur auf dem richtigen Wege ist, sondern auch weitere Erfolge zeitigen wird. Der Öffentlichkeit wird klar werden - mehr noch, als sie es am letzten Wochenende vielleicht begriffen hat -, daß Ihre Wirtschaftspolitik mehr Arbeitslosigkeit, mehr Verschuldung und - mehr noch, als in den letzten Jahren deutlich geworden ist - kein bißchen Hoffnung bedeutet, sondern wirklich ein Weg in eine Zeit ist, in der Sie niemandem helfen können, nicht der eigenen Bevölkerung und vor allen Dingen nicht der Dritten Welt, weil das notwendigere stärkere Wirtschaftswachstum ausbleibt. Meine Damen und Herren, ich darf vor allen Dingen noch auf ein Thema eingehen, ({9}) das hier nur kurz angesprochen worden ist. Ich finde, der Umstand, daß man sich in dem Kommuniqué nicht auf einen Termin für eine neue GATT- Runde hat einigen können, vor allen Dingen auf Grund der Haltung Frankreichs , muß in den nächsten Monaten korrigiert werden. Die CDU/CSU ermuntert die Bundesregierung, in engen Gesprächen mit der französischen Regierung - das bevorstehende Treffen des Bundeskanzlers mit Mitterrand bietet Gelegenheit dazu -, dafür zu sorgen, daß eine Terminierung der neuen GATT-Runde, die bisher im wesentlichen von Frankreich verhindert worden ist, und zwar aus Gründen, die mit dem GATT selbst nichts zu tun haben, vorgenommen wird. Die GATT-Runde ist notwendig: für die Länder der Dritten Welt, für ein gemeinsames Bekämpfen des Protektionismus und für Wachstum in der Weltwirtschaft. Sie allein ist in der Lage, unsere Probleme und vor allen Dingen die Probleme der Dritten Welt langfristig zu lösen. Ich darf die GRÜNEN, die glauben, hier mit der Forderung nach globalem Schuldenerlaß einen Beitrag leisten zu können, bitten - das gilt vor allem für die neuen Vertreter -, ihrerseits einmal ein bißchen mehr nachzudenken und nicht immer nur seit Jahren im wesentlichen die gleichen Schlagworte hier abzuliefern. Ich darf Sie bitten, zu bedenken, daß ein globaler Schuldenerlaß ein Abschneiden von den Handelströmen und vor allen Dingen von den Geldströmen bedeuten würde, was den Ländern der Dritten Welt langfristig nichts bringt. Lediglich Verunsicherung und noch mehr Verelendung wären die Folge. Das wäre kein Beitrag zur Lösung der Probleme der Dritten Welt, sondern genau das Gegenteil. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU geht davon aus, daß die Ergebnisse dieses Wirtschaftsgipfels, die vor allen Dingen bewiesen haben, daß sich alle Länder einig sind, daß nur inflationsfreies Wachstum höhere Beschäftigung bringt, in den nationalen Wirtschaften positiv umgesetzt werden. Die CDU/CSU hofft, daß es möglich ist, die Ergebnisse des Wirtschaftsgipfels mit den konkreten Zielvorgaben, die ausgesprochen worden sind, national umzusetzen. Sie hofft, daß in einem Jahr in Tokio, aber auch in den vielen multinationalen Konferenzen vorher deutlich wird, daß diese Ergebnisse ernstgenommen werden. Wir erklären hier, daß die Bundesregierung die volle Unterstützung der CDU/ CSU haben wird, die Ergebnisse dieses Wirtschaftsgipfels in praktische Politik umzusetzen. Schönen Dank. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, nach § 30 unserer Geschäftsordnung gebe ich dem Abgeordneten Dr. Mertes das Wort zu einer persönlichen Erklärung.

Dr. Alois Mertes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001482, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die gegen mich Dr. Mertes ({0}) persönlich gerichtete Äußerung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Dr. Vogel von heute morgen beruht auf einem Interviewzitat, das er - vielleicht nicht bewußt - aus dem erkennbaren Zusammenhang gerissen hat. Ich weise diese Äußerung von Dr. Vogel als unfair und irreführend zurück, zumal sie eine existentielle Frage jedes Menschen berührt. Zahlreiche Menschen des Wahlkreises Bitburg, den ich seit 1972 im Deutschen Bundestag vertrete, haben mir ihr Entsetzen und ihre Erbitterung über die Einbeziehung der Gräber von 49 toten Menschen, die sich nicht mehr wehren können, in die Diskussion über den Reagan-Besuch in Bitburg zum Ausdruck gebracht. Mit ihnen bin ich der Auffassung, daß dies den Fundamenten unserer Zivilisation zuwiderlief. In Übereinstimmung mit der überwältigenden Mehrheit der Menschen meiner Eifelheimat, die in ihrer christlichen Tradition wurzeln und daraus auch Kraft gegen jede Form totalitärer Herrschaft geschöpft haben und im Sinne der Mahnung des für Bitburg zuständigen Bischofs von Trier Dr. Hermann Josef Spital vom 28. April 1985 „Über Gräbern streitet man nicht" bleibe ich dabei, daß zahlreiche amerikanische und leider auch deutsche Aussagen zum Thema „Gräber von Menschen, die vor ihrem Tod Waffen-SS-Soldaten waren oder sein mußten", eine „Verirrung des menschlichen Geistes" und eine „Perversion des Denkens", wie ich ausdrücklich hinzufügte, „gegenüber unseren toten Menschen" darstellen. ({1}) Ich verwies dabei darauf, daß die Ehrfurcht vor den toten und ihren Gräbern „ein Grundsatz unserer jüdisch-christlich geprägten Zivilisation ist". Denn die Ehrfurcht vor dem Toten ist auch ein Ausdruck unserer Ehrfurcht vor dem Schöpfer und Herren seines Lebens, für den Christen zudem ein Ausdruck seines Glaubens an Gottes Liebe zu jedem Menschen, an die Berufung zur Auferstehung. Nicht umsonst nennt unsere schöne deutsche Muttersprache die letzte Ruhestätte des Menschen „Friedhof" und „Gottesacker". Ähnliches hat der Frankfurter Rabbi Professor Dr. Pinchas Lapide mir persönlich bestätigt und in der Presse sowie im ZDF bekräftigt. Am 3. Mai 1985 schreibt er in der „Welt": Als ehemaliger KZ-Häftling, späterer Offizier in der jüdischen Brigade der britischen Armee während des Zweiten Weltkrieges und als jüdischer Theologe will ich zur peinlichen Debatte um den Reagan-Besuch des deutschen Soldatenfriedhofs in Bitburg einige Gedanken äußern. Für Juden, denen das Wort Selektion von der Rampe in Auschwitz her in tödlicher Erinnerung bleibt, ist es geradezu makaber, von einer Selektion der vermodernden Leichen von deutschen Soldaten und Angehörigen der Waffen-SS zu sprechen, von denen etwa 47 in Bitburg begraben liegen. Lapide wendet sich dann - so wie Schumacher und Adenauer -, auch unter Berufung auf eine autoritative israelische Aussage im Eichmann-Prozeß, eindeutig gegen ein Kollektiv-Urteil über die Soldaten der Waffen-SS. Im Sinne der Mahnung des Trierer Bischofs „Über Gräbern streitet man nicht", die stets auch das Verhalten des Bürgermeisters von Bitburg Theo Hallet bestimmt hat, dem ich vor dem Deutschen Bundestag für seine großartige Haltung in den letzten für ihn so schweren drei Wochen danken möchte, wiederhole ich, jetzt als Aufforderung, meinen Gedanken: Aus einem Streit dieser Art über die Gestaltung eines Besuches, der weitgehend auf unterschiedlichen, bisweilen unvereinbaren Erf ah-rungs- und Emotionshintergründen beruht und von allen Seiten mit viel gegenseitiger Rücksichtnahme geführt werden muß, sollten wir tote Menschen und ihre Gräber heraushalten. Das schulden wir auch ihren Witwen, Kindern und Kindeskindern, das schulden wir der Wahrheit. Vor allem aber schulden wir dies der jüdisch-christlichen Sicht des Menschen, seiner Würde, seiner Schuld, seiner Errettung durch Gottes Allmacht und Gnade. Auf ihr beruht die Theologie des Todes und des Heiles, zu der sich alle christlichen Kirchen bekennen, wenn sie dem in die Nacht des Todes gesunkenen Menschen „ewige Ruhe", „immerwährendes Licht", „Frieden in Fülle" erbitten. Schon die pietas der heidnischen Römer sagte von den Toten, man solle nur auf gute Weise von ihnen reden: „De mortuis nihil nisi bene." Abschließend erinnere ich an zwei alte israelitische Spruchweisheiten, auf die mich eine deutschjüdische Persönlichkeit hingewiesen hat: „Richte deinen Nächsten nicht, denn Gott richtet ihn erst im letzten Augenblick seines Lebens", und „Verurteile deinen Nächsten nicht; denn du weißt nicht, was du in seiner Lage getan hättest". Der Jude Jesus von Nazareth, den wir Christen als Erlöser aller Menschen von Schuld und Tod bekennen, sagt in seiner Bergpredigt das gleiche: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet." Die Lust an der Selbstgerechtigkeit und am Richten über andere Menschen hat in den letzten Wochen in Amerika und Deutschland traurige Triumphe erlebt. Mit der biblischen Ethik und Heilsbotschaft hat das nichts zu tun. Wir sollten in Amerika und in Europa zur guten Tradition des Judentums, des Christentums und des Humanismus zurückkehren. Sie fordert auch bei legitimer Emotion und entschiedener Forderung gegenüber dem anderen Verständnis und Fairneß gegenüber dem anderen. Dann könnten von dieser unglückseligen Debatte über Gräber und tote Menschen klärende und helfende Kräfte für die Zukunft ausgehen. Ich danke Ihnen. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge auf den Drucksachen 10/3337, 10/3338 und 10/3340 zu Tagesordnungspunkt 2 a. Vizepräsident Cronenberg Ich rufe zunächst den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3337 auf. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3338 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! ({0}) - Meine Damen und Herren, der Sitzungsvorstand ist sich über die Mehrheitsverhältnisse im Hause nicht einig. Ich muß daher von dem Verfahren nach § 51 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung - genannt Hammelsprung - Gebrauch machen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich eröffne die Abstimmung. Wer für den Entschließungsantrag der SPD ist, den bitte ich, durch die „Ja"-Tür zu gehen. Wer dagegen ist oder sich der Stimme enthalten möchte, den bitte ich, durch die entsprechenden Türen zu gehen. Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist geschlossen. Bevor ich das Ergebnis bekanntgebe, möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, daß noch einige kontroverse Abstimmungen kommen. Zur Vermeidung eines weiteren Hammelsprungs bitte ich Sie daher, den Saal nicht zu verlassen. Ich gebe nunmehr das Abstimmungsergebnis bekannt. Von den stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 370 ihre Stimme abgegeben. Mit Ja haben gestimmt 152, mit Nein 218. Der Entschließungsantrag ist damit abgelehnt. ({2}) Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3340. Wer diesem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer lehnt diesen Entschließungsantrag ab? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 2 b. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft auf Drucksache 10/2916 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit angenommen. Die Beschlußempfehlung und der Bericht des Innenausschusses zum Tagesordnungspunkt 3 konnten erst gestern verteilt werden. Es ist mir mitgeteilt worden, daß nach einer interfraktionellen Vereinbarung von der Frist für den Beginn der Beratung gemäß § 81 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung abgewichen werden soll. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden. Dann ist dies mit der erforderlichen Mehrheit beschlossen. Ich rufe nunmehr Punkt 3 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Durchführung einer Repräsentativstatistik über die Bevölkerung und den Arbeitsmarkt ({3}) - Drucksachen 10/2600, 10/2972 - a) Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({4}) - Drucksache 10/3328 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Wernitz Ströbele Broll b) Bericht des Haushaltsausschusses ({5}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3330 Berichterstatter: Abgeordnete Gerster ({6}) Kühbacher Frau Seiler-Albring Kleinert ({7}) ({8}) Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3341 vor. Meine Damen und Herren, bevor ich die Aussprache eröffne, möchte ich Sie sehr eindringlich bitten, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen. Ich werde die Aussprache erst eröffnen, wenn die notwendige Ruhe im Hause hergestellt ist. Meine Damen und Herren, das Wort zur Berichterstattung ist vom Abgeordneten Ströbele gewünscht worden. Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort. Mit Rücksicht auf die zeitliche Situation bitte ich Sie allerdings, sich kurz zu fassen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen! Verehrte Kollegen! Liebe Erhebungseinheiten! ({0}) Die geplante umfassende Datenerhebung bei 600 000 Bürgerinnen und Bürgern - genannt „Erhebungseinheiten" - darf nach Auffassung der GRÜNEN nicht erzwungen werden. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie als Berichterstatter sprechen und hier keinen Debattenbeitrag leisten dürfen. Dazu haben Sie sicher gleich noch Gelegenheit. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, es gibt einen Bericht des Ausschusses, in dem die Beschlußempfehlung der GRÜNEN zwar mit zwei Sätzen wiedergegeben ist, in dem aber von der Begründung dieser Beschlußempfehlung so gut wie nichts enthalten ist. Ich bitte daher, da wir auch sonst nur fünf Minuten haben, mir Gelegenheit zu geben, hier als Berichterstatter die Begründung, die ich dem Ausschuß schriftlich eingereicht habe, in Auszügen vorzulegen. ({0}) - Das ist die Aufgabe des Berichterstatters! ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich bitte fortzufahren, sich aber auf den Bericht zu begrenzen. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich begrenze mich auf den Bericht. Eine solche sanktionsbewehrte, obrigkeitsstaatliche Erhebung im persönlichen, ganz persönlichen, im beruflichen und sogar im gesundheitlichen Bereich darf bei einem mündigen Bürger heute nicht mehr zwangsweise herbeigeführt werden. ({0}) Das Bundesverfassungsgericht hatte in der Entscheidung vom 13. Dezember 1983 dazu ausdrücklich ausgeführt: Vor - ich betone: vor künftigen Entscheidungen für eine Erhebung wird der Gesetzgeber erneut mit dem dann erreichbaren Stand der Methodendiskussion sich auseinandersetzen müssen, um festzustellen, ob und in welchem Umfang die herkömmlichen Methoden der Informationserhebung und Informationsverarbeitung beibehalten werden können. ({1}) Das bedeutet, daß, wenn der Gesetzgeber auch nur Zweifel daran hat, daß eine andere, weniger einschneidende Methode dasselbe Ziel erreichen kann, dann die Zwangsmethode nicht durchgeführt werden kann. § 13 des jetzt vorgelegten Gesetzentwurfs beweist aber, daß der Gesetzgeber selbst - jedenfalls der Innenausschuß, so wie er das jetzt vorgelegt hat - Zweifel daran hat, ob nicht heute auf Grund des Fortschrittes der Technik und der Methodik eine freiwillige Erhebung der Daten ausreichend ist. In § 13 des Ihnen vorliegenden Gesetzentwurfes steht: Zur Prüfung, ob in künftigen Mikrozensuserhebungen ganz oder teilweise auf die Auskunftspflicht verzichtet werden kann, werden zusätzlich ... Testerhebungen mit freiwilliger Auskunftserteilung ... durchgeführt. Wir sind der Auffassung, diese Testerhebungen müssen vor der Verabschiedung dieses Gesetzes durchgeführt werden. Wenn sich dann ergibt - was von vielen Sachverständigen in der mündlichen Anhörung im Ausschuß vorgetragen worden ist -, daß auf Grund der heutigen Methodik eine freiwillige Testerhebung ausreichend ist, dann darf dieser Mikrozensus nur auf freiwilliger Basis durchgeführt werden. Die Fraktion der GRÜNEN ist der Auffassung, daß der mündige Bürger im kommunalen Bereich nahe an den Problemen befragt werden kann und befragt werden muß, daß er dazu aber freiwillig bereit ist, weil er selbst einsehen kann, wozu die Daten dienen und wozu die Daten gebraucht werden. Die Fraktion der GRÜNEN ist der Auffassung, daß nur ein gläserner Staat, eine gläserne Verwaltung vom Bürger Daten verlangen darf.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, ich bitte Sie erstens, zum Schluß zu kommen, denn Ihre Redezeit ist abgelaufen, und zweitens, Ihren Beitrag nicht unzulässig auszuweiten, denn Sie sind im Begriff, solches zu tun. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident, ein Satz noch. - Die Fraktion der GRÜNEN wird spätestens im Herbst einen Gesetzentwurf vorlegen, ({0}) der für die Bundesrepublik Deutschland einen Freedom of Information Act vorsieht und dem Bürger damit die Möglichkeit gibt, die Verwaltung zu durchschauen und zu kontrollieren.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Sie haben das Recht des Berichterstatters mißbraucht. Ich möchte das feststellen. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Broll.

Werner Broll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Sie soeben an wenig durchsichtigen, einigermaßen konfusen Äußerungen neben der Geschäftsordnung erlebt haben, ist u. a. die Folge jener Selbstamputation und Selbststerilisation, die sich DIE GRÜNEN durch ihr Rotationsprinzip auferlegt haben. ({0}) Wir sollten das Plenum des Bundestages allerdings nicht damit bemühen, daß gewisse Kollegen Schwierigkeiten haben, das zu sagen, was sie im Innenausschuß hätten sagen können. Broll Dieses Gesetz ist so gründlich wie selten eines im Innenausschuß des Bundestages beraten und in einer umfangreichen Anhörung erhärtet worden. Diese Anhörung, meine Damen und Herren, hat übrigens keineswegs die Ergebnisse gebracht, wie der Kollege hier soeben behauptet hat. Aus der Anhörung geht zwar eindeutig hervor, daß es Länder gibt, die freiwillige Erhebungen machen. Aber z. B. der Präsident des schwedischen statistischen Reichsamts hat ja ausdrücklich darauf hingewiesen, daß in Schweden zwei Elemente anders sind als bei uns. Er hat geradezu angeraten, unserem Gesetzentwurf zu folgen, und zwar aus folgenden Gründen. Erstens. Das statistische Reichsamt in Schweden hat den Zugang zu einer Menge von Dateien, die für unsere statistischen Ämter im Bundesgebiet verschlossen sind und nach unserer Überzeugung auch verschlossen bleiben sollen. Zweitens. Die freiwilligen Erhebungen durch qualifizierte hauptberuflich tätige Befrager sind unwahrscheinlich teuer und erfordern darüber hinaus einen hohen Grad Nachfragen. Von diesen Nachfragen wiederum haben insbesondere Verfassungsrechtler bei uns gesagt, sie würden wahrscheinlich erst jene Verfassungswidrigkeit streifen oder herstellen, die wir durch unser Gesetz vermeiden wollen. Mit anderen Worten: Das, was soeben gesagt worden ist, ist nicht ernst zu nehmen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Mikrozensus-Erhebung 1984 ist ausgefallen. Das Volkszählungsurteil des Verfassungsgerichts hat zwar nicht ausdrücklich dieses Gesetz gemeint, sondern das Volkszählungsgesetz; wir waren aber der Überzeugung, daß eine Durchführung dieses analogen Gesetzes ohne eine gründliche Prüfung nicht zu verantworten sei. Der Mikrozensus selbst ist in gewissem Sinne ungefährlicher als die Volkszählung. Er wird nur bei einem Prozent, teilweise nur bei einem Zehntelprozent der Bevölkerung erhoben, und zwar von Beauftragten der Statistischen Landesämter, die quasi hauptamtlich tätig sind. Gewisse Gefahren, die dadurch entstehen können, daß der Nachbar beim Nachbarn fragt, was früher bei Volkszählungen üblich war, können hier gar nicht auftreten. Andererseits ist der Mikrozensus insofern empfindlicher, als er empfindlichere Bereiche des individuellen Lebens umfaßt. Wir fragen nach Elementen der Gesundheit oder Krankheit des einzelnen. Wir fragen nach seinem Ferienverhalten. Wir fragen nach seiner sozialen und wirtschaftlichen Stellung. Wir fragen nach seinem Ausbildungsweg usw. Die gesetzliche Regelung, die wir nun gefunden haben, sichert nach Auskunft aller in der Anhörung zu Aussagen Bereiten, daß wir das Urteil des Verfassungsgerichts beherzigt haben und daß wir die Anforderungen erfüllen. Wir haben die Frage pflichtgemäßer oder freiwilliger Auskunft im Innenausschuß mit Fachleuten außerordentlich gründlich beraten. Zumindest auch wir Berichterstatter waren in dieser Richtung sehr engagiert. Es wäre zweifellos wünschenswert, wenn der Staat das, was er braucht, um Politik nicht in den Nebel der Unkenntnis hinein zu machen, auf freiwilliger Basis und nicht durch Zwang bekommen könnte. Ein solcher Zwang allerdings wird von den Bürgern in der Regel zwar als lästig, nicht aber als demokratiefeindlich oder als rechtswidrig empfunden, es sei denn, sie sind bestimmten Kampagnen erlegen, die aus ganz anderen Motiven als solchen der Rechtsstaatlichkeit in Gang gesetzt worden sind. Die Bürger können die Gewißheit haben, daß wir nicht in der Lage gewesen sind, bei den Befragten unter 1 % zu gehen. Sonst wäre, wenn etwa bei 1 % Befragten im Stadtstaat Bremen überhaupt nur noch 2 800 Haushalte im Mikrozensus sind, überhaupt keine vernünftige Statistik - ich meine die Zusammenführung verschiedener Elemente zu bestimmten statistischen Bildern - mehr möglich. Um aber dennoch das Prinzip der Freiwilligkeit auch in Zukunft - vielleicht noch mehr als jetzt - verwirklichen zu können, haben wir eine begleitende Beobachtung und Diskussion der freiwilligen Elemente in diesem Mikrozensus beschlossen, und wir werden vom Statistischen Bundesamt und von den Landesämtern nichts geschehen lassen, was uns im Innenausschuß nicht vorher gezeigt worden wäre. Eines allerdings, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird im Mikrozensus nicht gefragt: Wir fragen nicht nach dem sexuellen Verhalten von Erwachsenen gegenüber Kindern. Ich könnte mir denken, daß das einer der Gründe dafür ist, daß die GRÜNEN diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({1}) Dabei erlaube ich mir die Bemerkung, daß nicht von Statistiken, sondern von solchen sittenwidrigen, rechtswidrigen, unglaublichen Vorschlägen Gefahr für unseren Staat und für unsere Gesellschaft ausgeht. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wernitz.

Dr. Axel Wernitz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002486, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In einer sehr umfassend angelegten öffentlichen Anhörung am 25. Februar dieses Jahres wurde der Mikrozensus-Gesetzentwurf auf den Prüfstand der Sachverständigen gestellt. Mit den Ergebnissen der Anhörung haben sich die Berichterstatter und der Innenausschuß sehr gründlich und konzentriert befaßt. So wurde die Mikrozensus-Thematik allein in drei Berichterstatterrunden und in sechs Ausschußsitzungen behandelt. Die parlamentarische Detailberatung hat hier also wirklich intensivst stattgefunden. Wie ist das Ergebnis zu bewerten? Nach dem Ergebnis der Anhörung und der Ausschußberatungen kann davon ausgegangen werden, daß der Mikrozensus-Entwurf in seiner jetzt vorliegenden Fassung den Vorgaben des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 entspricht und eine geeignete Grundlage für die Gewährleistung des Datenschutzes und der statistischen Ge10208 heimhaltung darstellt. Entsprechend dem Stellenwert des Mikrozensus als einer nach wie vor notwendigen und zentralen Datenbasis im Rahmen des Gesamtgefüges der amtlichen Statistik und damit einer der wesentlichen Informationsquellen für Staat, Gesellschaft und Wissenschaft ist es zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht angemessen, das Element der Freiwilligkeit über den im Gesetzentwurf jetzt vorgesehenen Rahmen hinaus zu realisieren. Wir haben dies alles sehr gründlich geprüft; der Kollege Broll hat das hier eben schon dargestellt. Wir haben uns auch durch verfassungsrechtliche Stellungnahmen sachkundig gemacht. Die Auswertung der Anhörung hat eindeutig ergeben, daß nach weit überwiegender Auffassung aus dem Urteil nicht die zwingende Einführung der Freiwilligkeit abzuleiten ist. Gleichwohl haben wir uns bemüht, die Freiwilligkeit der Erhebungen auszubauen und, was wichtig ist, mit Testerhebungen etwas Neues zu wagen. Schließlich wollen wir auch auf dem Weg in die Freiwilligkeit auf gesicherter Grundlage weitergehen; das sollte man hier sehr deutlich machen. Meine Damen und Herren, diese Zielsetzung kommt sehr klar auch in der Entschließung zum Tragen, die wir im Innenausschuß einmütig zur Annahme empfohlen haben und über die hier heute abgestimmt werden soll. Entsprechend den Vorgaben des Volkszählungsurteils hat sich - das ist ein Punkt, auf den ich sehr großen Wert lege - der Innenausschuß im Zuge der Beratungen auch die Entwürfe der Erhebungsunterlagen, die Fragebögen sowie den Entwurf der Verordnung zur Durchführung des Mikrozensusgesetzes vorlegen lassen. Darüber hinaus hat der Ausschuß beschlossen, diese Entwürfe dem Ausschußbericht als Anlagen beifügen zu lassen. Dies ist erfolgt. Zur zusätzlichen Verbesserung der Akzeptanz beim Bürger ist, einer entsprechenden Anregung aus der Anhörung folgend, in das Gesetz eine Regelung aufgenommen worden, die eine Datenzusammenführung mit dem Ziel untersagt, einzelne Personen, Personengruppen oder Haushalte zu re-identifizieren. Hier wird es von der inhaltlichen Gestaltung her durch einen Änderungsantrag noch eine Modifizierung geben, die dem verfassungsrechtlichen Gebot der Bestimmtheit aus der Sicht des Bundesrates besser Rechnung trägt. Meine Damen und Herren, ich komme zum Abschluß. Nachdem der Mikrozensus im Zusammenhang mit dem Volkszählungsurteil in den Jahren 1983 und 1984 ausgesetzt wurde, haben wir mit dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf unter Wahrung der Karlsruher Vorgaben für 1985 und die folgenden Jahre die Voraussetzungen geschaffen, daß dieses notwendige statistische Instrument als eine der wesentlichen Informationsquellen für Staat, Gesellschaft und Wissenschaft wieder zur Verfügung steht. Die SPD-Bundestagsfraktion stimmt dem Gesetz und der Entschließung zu. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Nunmehr, Herr Abgeordneter Ströbele, haben Sie das Wort zu einem Debattenbeitrag. ({0})

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Hier wird jetzt wieder einmal so getan - bei einem ähnlichen Gesetz ist das schon einmal schiefgegangen -, als wenn alles „Friede, Freude, Eierkuchen" sein könnte. So einfach ist es mit diesem Gesetz nicht. Sie haben alle dieses Buch mit über 100 Fragen vor sich liegen, zum Teil noch einmal in ein Dutzend Einzelfragen untergliedert, die 600 000 Bürger in der Bundesrepublik beantworten sollen. ({0}) Es handelt sich hierbei um Fragen z. B. nach dem Heiratsdatum, nach dem Geburtsdatum der Kinder, nach der Arbeitssuche, nach Krankheiten und nach ähnlichen Geschichten. ({1}) Schon einmal hat dieses Hohe Haus einmütig ein solches Gesetz beschlossen, ohne daß hier irgendwelche Skrupel aufkamen, und das Bundesverfassungsgericht mußte Sie belehren, daß Sie wichtige Grundsätze des Grundgesetzes außer acht gelassen haben. Uns geht es aber nicht nur darum, die vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Grundsätze eingehalten zu wissen; wir, die GRÜNEN, vertreten hier im Bundestag den Teil der Bevölkerung, der mißtrauisch gegenüber diesem Staat und vor allen Dingen gegenüber dieser Regierung ist, der mißtrauisch ist, ob die angegebenen Zwecke dieses Gesetzes die tatsächlichen Zwecke sind, und vor allen Dingen, ob die angekündigten Ergebnisse tatsächlich eintreffen werden. Wenn hier immer wieder so getan wird - das war in der Anhörung vor dem Ausschuß so, und das ist heute wieder so -, daß diese Erhebungen notwendig sind, um die Lage des einzelnen Bürgers in diesem Staat verbessern zu können, dann glauben wir nach 30 Jahren Erhebungen, Statistik und Regierung daran einfach nicht. ({2}) Unser Mißtrauen geht aber auch nach den Erfahrungen deutscher Geschichte dahin, daß die Anonymisierung dieser Daten, die im Gesetz vorgesehen ist und deren Durchbrechung jetzt unter Strafe gestellt wird, tatsächlich in Zukunft auch hält, daß niemand eine Deanonymisierung vornimmt, weil es auf Grund der erhobenen Daten ohne weiteres möglich ist - Heiratsdatum, Geburtsdatum und all die übrigen Erhebungsmerkmale -, festzustellen, wer diese Auskünfte wann und wo gegeben hat. Das kann man nachträglich rekonstruieren. Weil wir diesem Staat nicht glauben, daß er solchen Mißbrauch auch in Zukunft nicht zulassen wird, sind wir gegen diese Totalerhebung der Daten von 600 000 Bürgern in diesem Staate. Wir sind auch noch aus einem letzten Grunde gegen diese Erhebung: Die Erhebung einzelner Daten - wie beispielsweise Datum der Heirat, Datum der Geburt - steht in einer unseligen Tradition deutscher Statistik. Es ist die NS-Fruchtbarkeitsstatistik aus der jüngsten Geschichte. ({3}) Mit Feststellungen über den Geburtsstand der Kinder, über die Ehedauer sollte es möglich gemacht werden, über ein oder zwei Generationen hinweg die Regenerationsgeschichte der Bevölkerung statistisch erfaßbar zu machen. Dies ist auch eines der Ziele dieser Datenerhebung. Das Institut für Bevölkerungspolitik in Wiesbaden braucht diese Daten angeblich zur bevölkerungspolitischen Steuerung, zu wissenschaftlichen Zwecken hier in der Bundesrepublik. Hier wurde Ihnen von den beiden Kollegen, die zuvor gesprochen haben, ein einheitliches Bild aus dem Ausschuß dargestellt. So war es aber nicht. Sowohl der Vertreter der Freien Demokratischen Partei als auch der der SPD - jedenfalls einer dieser Vertreter - haben bis zuletzt ganz erhebliche Bedenken geäußert, ob es richtig sei, den Bürger auf Zwangsbasis, unfreiwillig zur Teilnahme an der Datenerhebung heranzuziehen. Diese Bedenken werden von den GRÜNEN artikuliert. Die Vertreter dieser Parteien haben sich nach der Diskussion zähneknirschend bereit erklärt, diesem Gesetzentwurf zuzustimmen - ein letztes Mal, so wurde es formuliert. Es kann also keine Rede davon sein, daß in dem Hearing und in der anschließenden sehr ausführlichen Diskussion alle Bedenken ausgeräumt worden wären. Vielmehr bleiben die Bedenken nach wie vor bestehen. Aber der Druck der Interessenverbände, vor allem der Industrie - und hier besonders der Touristikindustrie -, ist so groß, daß sich diese Parteien dem Anliegen offenbar nicht mehr verschließen wollen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Nach dem was Ihnen eben zugestanden worden ist, müssen Sie jetzt Schluß machen.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein letzter Satz: Wir sind deshalb der Auffassung, daß dieser Mikrozensus-Gesetzentwurf vom Deutschen Bundestag abgelehnt werden muß. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann nur mit einiger Verblüffung zur Kenntnis nehmen, was hier vorgetragen wird. Wenn Sie schon einzelne Daten besonders angreifen, Herr Kollege Ströbele, dann sollten Sie wenigstens sagen, daß z. B. das von Ihnen wiederholt genannte Eheschließungsdatum und alle Daten zum Fremdenverkehr nach dem Gesetzentwurf auf der Basis der Freiwilligkeit erhoben werden. Kein Mensch wird gezwungen, diese Fragen zu beantworten, sondern sie werden der freiwilligen Beantwortung des einzelnen anheimgestellt. Ich muß Ihnen sagen: Während wir anderen aus allen Fraktionen wirklich Frage für Frage durchgegangen sind und erörtert haben, wofür die Daten notwendig sind, ob man sie zwangsweise oder freiwillig erheben müsse, und uns mit den Sachverständigen im einzelnen auseinandergesetzt haben, haben Sie sich fröhlich lächelnd zurückgelehnt und gesagt: Wir wollen das ganze Gesetz nicht. Wenn das Ihre Beratungshaltung ist, dann verstehe ich nicht, warum Sie sich hier über Einzelheiten des Gesetzentwurfs aufregen, statt zu sagen: Wir wollen das ganze Unternehmen nicht; Ende der Durchsage! Was Sie machen, ist keine Haltung, mit der Sie eine notwendige Konsequenz aus 30 Jahren deutscher Geschichte ziehen können: Es geht um das Bemühen, rationale Politik zu betreiben. Wenn man in einem modernen Staat rationale Politik betreiben will, kommt man nicht daran vorbei, Strukturdaten zur Grundlage von Entscheidungen zu machen. Wer das bestreitet, ist, das muß ich sagen, ein Phantast und predigt eine Utopie, von der er weiß, daß sie nicht funktionieren kann. ({0}) Wir werden immer wieder danach gefragt, welche Konsequenzen wir aus dem Volkszählungsurteil ziehen. Dieser Gesetzentwurf ist eine solche Konsequenz, weil wir damit zeigen, wie man in der Tat Strukturdaten bei absolutem Schutz der Persönlichkeitssphäre des Bürgers erheben kann, der nach einem Zufallsverfahren ausgesucht und gebeten wird, eine Reihe von Fragen zu beantworten. In diesem Gesetzentwurf ist zum Schutz der Privatsphäre in der Tat alles gemacht worden, was denkbar ist. Wir können dem Bürger versichern, daß er bei wahrheitsgemäßer Beantwortung der Fragen weder Nachteile zu befürchten noch zu besorgen hat, daß diese Daten auf den offenen Markt gelangen. Herr Ströbele, Sie haben Bedenken angesprochen, die wir in den Ausschußberatungen in der Tat geäußert haben. Es gibt drei Punkte, in denen wir im Laufe der nächsten Jahre fortschreiten wollen. Dieser Gesetzentwurf soll ja nur für fünf Jahre Gültigkeit bekommen, bis 1990. Danach werden wir weiter sehen. Einer der erwähnten drei Punkte ist, daß der Fragenkatalog umfangreich geblieben ist. Ich glaube, die Statistiker und die Verwaltungen sollten einen größeren Mut haben, sich auch in ihren Anforderungen an den Gesetzgeber zu beschränken, d. h. ihrer eigenen Arbeit etwas kritischer gegenüberzustehen. Das zweite ist: Wir werden mit der weiteren Entwicklung der Befragungstechnik prüfen, ob und wie wir die Zahl der zu befragenden Bürger verringern können. 10210 Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 137. Sitzung. Bonn, Dienstag. den 14. Mai 1985 Drittens. Wir werden entschlossen den Weg weitergehen, der in diesem Gesetz und in der Entschließung angelegt ist, die Statistik immer mehr auf freiwillige Beantwortungen umzustellen, weil auch der Statistiker erkennen muß, daß er als Grundlage für eine zuverlässige Auskunft des Bürgers weniger auf die Androhung eines Bußgeldes vertrauen darf als auf die Bereitschaft des Bürgers, bestimmte Daten für politische Entscheidungen zu liefern. Wir müssen seine Einsicht wecken, daß der Staat ohne die Mitarbeit des Bürgers wie mit einer Stange im Nebel herumfuhrwerkt. Wir brauchen seine Mithilfe. Dann ist der Weg in die Freiwilligkeit ein wichtiges Element, diese Mithilfe in wachsendem Maße zu erlangen. Wir werden diesem Gesetzentwurf zustimmen, weil er notwendig ist und weil wir der Überzeugung sind, daß er den Bürgern nicht etwa Nachteile zufügt, sondern die Grundlage für eine vernünftige Politik ist. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Waffenschmidt.

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sechs kurze Bemerkungen möchte ich für die Bundesregierung machen: Zweck des Mikrozensus ist es, statistische Angaben in fachlicher Gliederung über die Bevölkerungsstruktur, die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung, der Familien, den Arbeitsmarkt, die berufliche Gliederung und Ausbildung der Erwerbsbevölkerung sowie die Wohnverhältnisse bereitzustellen. Ich erkläre hier deutlich: Die Ergebnisse sind eine ganz grundlegende Voraussetzung für eine sozialstaatliche Politik in Bund und Ländern. Damit verfolgt der Mikrozensus zugunsten aller Bürger wichtige Ziele der Daseinsvorsorge. Ich will hier deutlich sagen: Wer sich hier verweigert, verweigert Daseinsvorsorge und ein Stück sozialer Vorsorge gerade für die Bürger, die Vorsorge brauchen. Ich will zu der Kritik, die hier von seiten der GRÜNEN vorgetragen wurde, doch einmal sehr deutlich sagen: Kollege Ströbele, was Sie hier betreiben, ist doch im Grunde eine ganz klare Irreführung der Bürger. Sie wollen bewußt Ängste und Mißtrauen schüren. Das ist verwerflich, meine Damen und Herren. ({0}) Ja, Sie wenden sich mit Ihrem Verhalten im Grunde gegen die Daseinsvorsorge, die wir für die Bürger vornehmen wollen - auf Grund der nun einmal unerläßlichen Daten. ({1}) Im Grunde machen Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Politik gegen die Bürger, gerade zu Lasten der Bürger, die Hilfe des Staates brauchen. ({2}) Wir seitens der Bundesregierung begrüßen, daß in den Ausschüssen dieses Hauses intensiv beraten worden ist. In einer öffentlichen Anhörung haben sich die Datenschutzbeauftragten sowie Sachverständige aus den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und der amtlichen Statistik detailliert äußern können.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ströbele?

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Ja.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Abgeordneter, bitte schön.

Hans Christian Ströbele (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002273, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß in den Vereinigten Staaten, die heute mehrfach als Vorbild genannt worden sind, nur 60 000 Haushalte statt wie in der Bundesrepublik 250 000 Haushalte befragt werden und das allein auf freiwilliger Basis, daß also dort offenbar stärker auf die Freiwilligkeit geachtet wird? Ist das hier nicht ein Mißtrauen gegenüber der Bevölkerung, das Sie zum Ausdruck bringen?

Dr. Horst Waffenschmidt (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002403

Ich kann Ihnen nur sagen: In den Vereinigten Staaten ist die Volkszählung, die Sie hier mit Ihren Initiativen wesentlich behindert haben, schon längst durchgeführt worden, und man hat dort eine viel breitere Grundlage statistischen Materials, als wir sie leider in der Bundesrepublik haben. Deshalb ist Ihr Vergleich völlig fehl am Platze. ({0}) Meine Damen und Herren, die Anhörung hat gezeigt, daß der Mikrozensus als statistisches Instrument wirklich unverzichtbar und auch als Vorbedingung für die Planmäßigkeit staatlichen Handelns unentbehrlich ist. Ich will hier deutlich sagen: Ganz generell hat die Anhörung bestätigt, daß, wie es das Bundesverfassungsgericht im Volkszählungsurteil formuliert hat, eine Zunahme an Komplexität der Umwelt, welche eine hochindustrialisierte Gesellschaft kennzeichnet, nur mit Hilfe einer zuverlässigen Statistik aufgeschlüsselt und für gezielte Maßnahmen aufbereitet werden kann. Ich begrüße es für die Bundesregierung ausdrücklich, daß sich der Innenausschuß mit dem im Gesetzentwurf vorgesehenen Katalog der zu erhebenden Sachverhalte sehr intensiv auseinandergesetzt hat und dabei auch streng restriktive Maßstäbe angelegt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat es im Volkszählungsurteil zwar ausdrücklich für zulässig erklärt, daß die erhobenen Daten nach ihrer statistischen Aufbereitung für die verschiedensten - nicht von vornherein bestimmbaren - Aufgaben verwendet werden. Gleichwohl bin ich Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 137. Sitzung. Bonn. Dienstag. den 14. Mai 1985 10211 mit dem Innenausschuß der Auffassung, daß zumindest bei bevölkerungsstatistischen Erhebungen nur nach solchen Sachverhalten gefragt werden soll, deren Nutzung für bestimmte staatliche Zwecke bereits jetzt überzeugend begründet ist. Mit Genugtuung, meine Damen und Herren, stelle ich fest, daß der Gesetzentwurf den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts an den Datenschutz in vollem Umfang Rechnung trägt. Dies sollte jeder zur Kenntnis nehmen. Niemand hat Anlaß und Grund, hier Mißtrauen zu schüren. Denn wir sind auf dem Boden der Verfassung, meine Damen und Herren. ({1}) Die Frage der Auskunftspflicht nahm in den Beratungen der Ausschüsse und der Anhörung einen breiten Raum ein. Dabei konnte nicht zuletzt auf Grund von Gutachten, die der Innenausschuß eingeholt hatte, in einer, wie ich meine, nicht mehr anfechtbaren Weise nachgewiesen werden, daß das Volkszählungsurteil keine Befragungen auf der Grundlage freiwilliger Auskünfte in umfassender Weise fordert, sondern auch die anderen zuläßt. ({2}) Dies gilt jedenfalls unter den derzeitigen Bedingungen und Verhältnissen. Ebenso muß die gelegentlich aufgestellte Behauptung, die Ergebnisse eines Mikrozensus mit Auskunftspflicht würden wegen einer zu erwartenden Verweigerungshaltung der Bevölkerung verfälscht, als widerlegt angesehen werden. Von mehreren Sachverständigen ist in der Anhörung klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht worden, daß keine Erkenntnisse über solche Gefährdungen bestehen. Auch die guten Ergebnisse der EG-Arbeitskräftestichprobe, die in den Jahren 1983 und 1984 mit einer Auskunftspflicht durchgeführt worden ist, sprechen eindeutig gegen diese immer wieder vorgetragenen negativen Vermutungen. Lassen Sie mich abschließend dies sagen: Unabhängig davon und von dem, was heute festgelegt werden mußte, sehe ich - zusammen mit dem Innenausschuß des Deutschen Bundestages - in den im vorliegenden Gesetzentwurf enthaltenen freiwilligen Befragungsteilen einen wichtigen Schritt für die methodische Weiterentwicklung der Bundesstatistik. ({3}) Ich teile auch die Auffassung des Innenausschusses, daß der eingeschlagene Weg, Bevölkerungsbefragungen als Bundesstatistiken, soweit dies eben geht, auf freiwilliger Grundlage durchzuführen, konsequent mit dem Ziel fortgesetzt werden sollte, die Freiwilligkeit der Beantwortung durch die im Mikrozensus vorgesehenen Erfordernisse soweit wie möglich zu erhalten. Es ist uns mit der Regelung des § 13 des Gesetzentwurfs sehr ernst, nach der über Testerhebungen mit freiwilliger Auskunftserteilung nicht nur die entsprechende Bereitschaft der Bevölkerung ermittelt werden soll, sondern - das will ich hier abschließend sagen - auch Wege erschlossen werden sollen, damit der Bürger das Angebot des Staates zur freiwilligen Mithilfe bei statistischen Erhebungen verantwortungsbewußt annimmt. Meine Damen und Herren, wir haben ein Gesetz, in dem wir so viel Freiwilligkeit, wie heute möglich ist, anbieten, in dem wir aber auch das heute Notwendige an Solidarität zwischen Staat und Bürger verlangen, ({4}) damit der Staat seine Aufgaben erfüllen kann: letztlich zum Wohle des Bürgers und insbesondere zum Wohle all der Bürger, die die Hilfe des Staates dringend brauchen. Herzlichen Dank. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 14 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({0}) - Enthaltungen? - Wer ist dagegen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe § 15 auf. Auf Drucksache 10/3341 wird unter Ziffer 1 von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eine andere Fassung des § 15 beantragt. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen. Damit ist die aufgerufene Vorschrift in der Fassung des Änderungsantrages angenommen. Ich rufe die Nr. 2 des Änderungsantrages der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP auf Drucksache 10/3341 auf. Es wird beantragt, einen neuen § 15 a hinzuzufügen. Wer dem zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe die §§ 16 und 17, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Das ist mit großer Mehrheit angenommen. Meine Damen und Herren, nach der Annahme der Änderungsanträge in der zweiten Lesung darf sich nach § 84 b unserer Geschäftsordnung die dritte Beratung nur dann unmittelbar anschließen, wenn auf Antrag einer Fraktion oder 5 v. H. der Mitglieder des Bundestages zwei Drittel der anwesenden Mitglieder dieses Hauses dies beschließen. Vizepräsident Cronenberg Ein Antrag, die dritte Beratung jetzt unmittelbar anzuschließen, ist fristgerecht gestellt worden. Sind Sie damit einverstanden, sofort in die dritte Beratung einzutreten? ({1}) - Die Zweidrittelmehrheit kann ich sehr schnell überprüfen lassen. Wer dafür ist, die dritte Lesung jetzt anzuschließen, den bitte ich um das Handzeichen. - Das sind offensichtlich mehr Stimmen als die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Dann treten wir in die dritte Beratung ein. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist mit großer Mehrheit angenommen. Es ist noch über eine Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3328 unter Nr. 2 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe nunmehr die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c auf: a) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Büchner ({2}), Kastning, Kuhlwein, Frau Odendahl, Frau Schmidt ({3}), Dr. Schmude, Toetemeyer, Vogelsang, Weisskirchen ({4}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes - Drucksache 10/1749 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({5}) - Drucksache 10/3280 - Berichterstatter: Abgeordnete Daweke Frau Odendahl bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({6}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3339 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Diederich ({7}) Dr. Müller ({8}) Frau Seiler-Albring ({9}) b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Daweke, Graf von Waldburg-Zeil, Nelle, Frau Rönsch, Schemken, Strube, Frau Dr. Wisniewski, Frau Männle, Rossmanith, Dr. Rose und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Neuhausen, Dr.-Ing. Laermann, Frau Seiler-Albring, Frau Dr. Hamm-Brücher, Kohn, Baum und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({10}) - Drucksache 10/2735 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({11}) - Drucksache 10/3280 - Berichterstatter: Abgeordnete Daweke Frau Odendahl bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({12}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3339 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Diederich ({13}) Dr. Müller ({14}) Frau Seiler-Albring ({15}) c) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes ({16}) - Drucksache 10/3077 - aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft ({17}) - Drucksache 10/3280 - Berichterstatter: Abgeordnete Daweke Frau Odendahl bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({18}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung - Drucksache 10/3339 Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Diederich ({19}) Dr. Müller ({20}) Frau Seiler-Albring ({21}) Meine Damen und Herren, interfraktionell sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c und ein Beitrag von fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe keinen Widerspruch gegen diese Regelung. - Das ist damit so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist auch nicht der Fall. Vizepräsident Cronenberg Dann hat der Herr Abgeordnete Daweke das Wort.

Klaus Daweke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000361, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir im Herbst 1982 in diesem Hause die Spargesetze beschließen mußten, um den Haushalt in Ordnung zu bringen, ({0}) haben wir die Kollegschüler, die Abendschüler und die auswärts untergebrachten Schüler von den Einsparmaßnahmen im BAföG ausgenommen. Gleichwohl waren wir der Auffassung, daß auch sie einen kleinen Beitrag zur Konsolidierung bringen mußten, und haben deshalb überlegt, ob wir die Kollegiatenförderung um 6 % absenken sollten oder ob wir diese Gruppe durch die Streichung des BAföG für den Monat August, den Ferienmonat, wo sich diese Gruppe nach unserer Auffassung auch um Arbeitsplätze auf dem Arbeitsmarkt bemühen konnte, in die Sparüberlegungen einbeziehen sollten. ({1}) Wir haben uns damals für den zweiten Weg entschlossen. Als wir mit den Betroffenen redeten, haben wir allerdings festgestellt, daß sich diese Regelung aus mancherlei Gründen nicht bewährte. Die Gerichte haben sehr unterschiedliche Haltungen eingenommen, die Möglichkeiten, auf dem Arbeitsmarkt einen Arbeitsplatz zu finden, waren nicht so, wie wir uns das vorgestellt hatten. Wir haben dann gesagt: Wir werden uns bemühen, diese Regelung wieder rückgängig zu machen und gleichzeitig zusätzlich einige andere Gruppen in die Förderung für den August aufzunehmen. Dieser Gesetzentwurf liegt Ihnen heute vor. Wir haben ihn in den Ausschußberatungen insofern noch einmal nachgebessert, als wir darauf verzichtet haben, die ursprüngliche Einsparsumme von ungefähr 20 Millionen DM, die uns von unseren Finanzpolitikern vorgegeben war, in den Gesetzentwurf aufzunehmen, und zwar aus folgendem Grund: Wir waren der Auffassung, daß man die schon im Zuge der Sparmaßnahmen 1981 ff. von der alten Koalition beschlossene Altersgrenze absenken könne, um auf diese Weise die Sparsumme zu erreichen. Nun hat sich aber herausgestellt, daß für viele Gruppen Sonderregelungen notwendig geworden wären, wenn wir die Altersgrenze von 30 auf 27 Jahre abgesenkt hätten. Wir haben an die Übersiedler aus der DDR gedacht, wir haben an diejenigen gedacht, die sich in Warteschleifen befinden und deshalb von dieser Regelung betroffen werden könnten, ohne daß sie selbst etwa den späteren Beginn ihres Studiums zu verantworten hätten. Deshalb haben wir uns in den Ausschußberatungen zum Schluß dazu durchgerungen, dem Deutschen Bundestag diesen Einsparvorschlag nicht mehr vorzulegen, sondern nunmehr die August-Förderung aufzunehmen und die Mittel aus dem Etat des Bundesbildungsministers zur Verfügung zu stellen. Ich finde, das ist ein gutes Ergebnis. Ich möchte mich bei denjenigen bedanken, die uns geholfen haben, das zu erreichen, an die Spitze übrigens der Bundeskanzler, der seit jeher ein Faible für die Bildungspolitik hat. ({2}) - Daß die SPD uns geholfen hat, kann man überhaupt nicht sagen; denn Sie haben einen sehr mickerigen Gesetzesvorschlag vorgelegt. Er hätte denjenigen, denen wir helfen wollen, z. B. Zeitsoldaten, z. B. Zivildienstleistenden, z. B. Frauen und Männern, ({3}) die zu Hause ein Kind aufziehen, überhaupt nicht geholfen. Deshalb ist das mit dem Dank an Sie natürlich so eine Sache. Ich möchte aber auch denjenigen danken, die uns in großem Ernst beraten, gesagt haben, wie wir uns verhalten sollten. Das sind diejenigen Betroffenen, die uns geschrieben und uns ihre Probleme dargestellt haben. Bei der Gelegenheit möchte ich auch sagen, daß uns diejenigen nicht geholfen haben, die uns angeschrieen haben, die uns in Kollegiatenversammlungen haben fragen lassen, ob sie an dem Ort richtig seien, wo sie untergebracht seien. Das Geschrei, das dort teilweise zu hören war, war nicht sehr hilfreich. Ich möchte deshalb noch einmal ausdrücklich sagen, daß diejenigen den Gang der Gesetzgebung wesentlich beschleunigt haben, die uns in großem Ernst und, ich glaube, auch in einer fairen Weise geraten haben, etwas zu tun. Ich darf Sie bitten, unserem Vorschlag zuzustimmen. Schönen Dank. ({4})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Frau Abgeordnete Odendahl.

Doris Odendahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001632, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Verehrte Kollegen! Verehrte Kolleginnen! Lassen Sie mich im Gegensatz zu Herrn Daweke kurz ein bißchen auf die für die Regierungskoalition wenig ruhmreiche, aber insgesamt typische Vorgeschichte dieser neunten BAföG-Novelle eingehen. ({0}) - Ich kann es auch weniger spitz und schwäbisch sagen, wenn es denn nützt. Vor etwas mehr als einem Jahr war es so weit. Da mußte selbst der für diesen von der Wenderegierung gewollten BAföG-Kahlschlag verantwortliche Bundeskanzler eingestehen - ich zitiere ihn -, „daß beim Schüler- und Studenten-BAföG der Kahlschlag möglicherweise zu hart war". Leider blieb diese Einsicht - auch das ist typisch - ohne Konsequenzen. ({1}) - Als die SPD-Bundestagsfraktion die Wiederherstellung der Förderung für den Ferienmonat August für Kollegiaten und Abendgymnasiasten und die wenigen Schüler, die überhaupt noch BAföG erhalten, beantragte, haben die Koalitionsfraktionen diesen Antrag am 13. April 1984 in namentlicher Abstimmung abgelehnt, Herr Daweke. Die Betroffenen konnten sehen, wie sie im August über die Runden kamen. ({2}) Viele von ihnen sind in soziale Not geraten. Wir haben uns trotzdem nicht abschrecken lassen. Vielmehr haben wir mit immer wieder eingebrachten Anträgen ständig versucht, wenigstens die gröbsten Ungerechtigkeiten des unsinnigen Kahlschlags zu beseitigen. Die vorher erwähnte Einsicht des Bundeskanzlers hat dabei wenig geholfen. Vielmehr ist es dem hartnäckigen Drängen der Betroffenen zu verdanken - ich will jetzt keine Noten verteilen, wer da richtig und wer falsch gedrängt hat -, daß die Koalitionsfraktionen endlich zur Vernunft gekommen sind und nun wenigstens diesen unabweisbaren Korrekturen heute zustimmen. ({3}) Je mehr Briefe sich auf Ihren Schreibtischen stapelten, in denen die Kollegiaten und Abendschüler ihre soziale Lage schilderten, desto mehr stieg die Bereitschaft, Ihr Verhalten vom 13. April 1984 zu revidieren. Für diese Unterstützung unserer Arbeit möchte ich mich im Namen der SPD-Bundestagsfraktion ganz herzlich bedanken. ({4}) Unterstützt wurden wir auch über den Bundesrat. Denn auch in den Ländern häuften sich die Beschwerden über diese unsoziale Ferienbescherung. Wir hatten von seiten der SPD beantragt, die Wiederherstellung der August-Förderung rückwirkend, also auch für 1984, zu beschließen. Auch unser Antrag auf die generelle Einbeziehung der verheirateten und elternunabhängigen Geförderten fand keine Zustimmung. Als das BAföG-Hindernisrennen fast gelaufen war und auch der Haushaltsausschuß zugestimmt hatte, fiel den Kahlschlagspezialisten in der Regierung eine neue Hürde ein: die Herabsetzung des Berechtigtenalters von 30 auf 27 Jahre. ({5}) Es bedurfte aller Mühe und ist nun wirklich in letzter Minute gelungen, die Koalitionsfraktionen von diesem verheerenden Plan abzubringen. ({6}) Die Bundestagsfraktion der SPD stimmt heute dieser Neunten Novelle zu. ({7}) Ein kleines Geburtstagsgeschenk, Herr Daweke! ({8}) Aber nicht nur deshalb, sondern weil wenigstens eine kleine Korrektur des BAföG-Kahlschlags erreicht wird. Lassen Sie mich aber hier mit aller Deutlichkeit sagen - vielleicht hat Sie der vergangene Sonntag etwas hellhörig gemacht -: Wir bleiben bei unserer Grundsatzposition. Die SPD fordert die Wiederherstellung des Schüler-BAföG in der alten Form und die Rückkehr zum Teildarlehen bei der Studentenförderung. ({9}) Zu dieser BAföG-Historie gehört noch etwas. Als der BAföG-Kahlschlag im Dezember 1982 hier im Bundestag gegen die Stimmen der SPD durchgesetzt wurde, versprach die Regierung Hilfen für die Ausbildung der Kinder im Rahmen des Familienlastenausgleichs. ({10}) Vor über einem Jahr in der schon erwähnten Debatte am 13. April 1984 hat die Bundesbildungsministerin gesagt: Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, daß im Rahmen eines neu geordneten Familienlastenausgleichs die Lasten der Familien für die Ausbildung ihrer Kinder Berücksichtigung finden. ({11}) Die SPD stellt fest - ihre Vorschläge liegen bereits auf dem Tisch -, daß dieses Versprechen der Bundesbildungsministerin gebrochen wurde. Von einem wirklichen Ausgleich der Lasten für die Familien, deren Kinder sich in der Ausbildung befinden, kann nicht die Rede sein. Die Vorschläge zur steuerlichen Entlastung bevorzugen lediglich die Gutverdienenden, während die Familien mit einem Durchschnittseinkommen nahezu leer ausgehen und für die wirklich Armen gar nichts übrig bleibt. ({12}) Die Folgen sind heute schon offenkundig: dramatische Rückgänge bei den Gefördertenzahlen, auch an den Universitäten, wobei Kinder aus einkommensschwachen Familien gar nicht mehr zum Studium kommen oder aus Angst vor der hohen Verschuldung BAföG nicht mehr beantragen. Was Regierung, CDU/CSU und FDP Familienpolitik nennen, ist nichts anderes als die gewollte Umverteilung von unten nach oben, krasser Egoismus der Wohlhabenden und Zerstörung jeglicher Chancengleichheit ({13}) oder auch - weil Sie diesen Begriff lieber haben - der Chancengerechtigkeit. Auch hier bei der Ausbildungsförderung wird deutlich: Mit Gerechtigkeit hat diese Politik nichts, aber auch gar nichts zu tun. ({14})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Neuhausen. ({0})

Friedrich Neuhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001591, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind nicht platt, wie von da drüben gemutmaßt wird, sondern wir haben ja eigentlich erwartet, daß die SPD ihre Freude über das, was heute erreicht wird, verbergen muß, weil sie sonst in dem Freund-Feind-Schema nicht verharren könnte, an das sie sich in ihrer Sprache gewöhnt hat. Meine Damen und Herren, wir haben über das Thema der Wiederaufnahme der sogenannten August-Zahlung für die durch BAföG geförderten Schüler hier schon verschiedene Male gesprochen. Ich freue mich sehr - ich schließe mich da an Klaus Daweke an -, daß es soweit ist, eine Härte zu beseitigen, die sich beim Vollzug der Änderungen des BAföG gezeigt hat und die eben auch auf Unstimmigkeiten im Verhältnis zu anderen Gesetzen und Verordnungen zurückzuführen war, aber auf keinen Fall auf so finstere Absichten, wie sie Frau Odendahl jetzt wieder rhetorisch unterstellt hat. Ich will das, was ich hier schon ein paarmal zu diesem Thema gesagt habe, nicht wiederholen. Die aus den Daten und der Verlängerung bis heute sichtbar werdende Frist zeigt ja, wie viele Einzelheiten zu klären, zu untersuchen und zu gewichten waren. Andererseits muß ich in allem Ernst sagen: Es wäre nicht verantwortungsvoll, diese Fragen nicht auch im Zusammenhang mit den notwendigen Konsolidierungsbemühungen immer wieder zu untersuchen. Wir können nicht so tun, als ob einzelne Punkte im luftleeren Raum hingen. Das war früher nicht der Fall, das ist jetzt nicht der Fall. Das galt auch hinsichtlich des in dem Gesetzentwurf der Fraktionen enthaltenen Vorschlags einer Herabsetzung der Altersgrenze. Dieser Vorschlag war nicht Bestandteil der ersten Verabredungen gewesen, auch nicht des Beschlusses des Haushaltsausschusses vom 4. November 1984. Außerdem stellten sich neue Unstimmigkeiten heraus, die die Notwendigkeit zusätzlicher, aus sachlichen Gründen unumgänglicher Ausnahmeregelungen mit sich gebracht hätten. Ich habe darauf in der Debatte am 9. Februar ausführlich hingewiesen. Es zeigte sich, daß der Verwaltungsaufwand, der sich so ergäbe, in keinem vernünftigen Verhältnis zu dem beabsichtigten Ziel stände. Ich sagte schon, daß wir uns der Konsolidierungsnotwendigkeiten bei unseren Überlegungen durchaus bewußt waren und bewußt sind. Dabei sollte für eine längerfristige Betrachtung auch der Aspekt der zurückgehenden Schülerzahlen berücksichtigt werden, der ja nun auch die Sekundarstufe II der Schulen erreicht hat und nicht ohne Einfluß auf den Finanzbedarf bleibt. Der Entwurf in der Ausschußfassung sieht also die Herabsetzung der Altersgrenze nicht vor. Allerdings ist in der Beschlußempfehlung des Ausschusses eine Forderung an die Bundesregierung enthalten, bis Mitte Mai 1988 einen Bericht über die Erfahrungen mit der Altersgrenze vorzulegen. Dieser Bericht kann die Grundlage für eine sorgfältige Erwägung bieten. Nun ist öfters vorgeworfen worden, das habe alles zu lange gedauert. Implizit hat das soeben auch Frau Odendahl getan. Aber wer ein bißchen Erfahrung hat, weiß, daß sich das leichter behaupten als beheben läßt. Schließlich - um mich auf die Volksweisheit zurückzuziehen -: Was lange währt, wird endlich gut. ({0}) Oder: Gut Ding will Weile haben. Das ist nicht von Demokrit, sondern aus unserem ureigenstem Volksempfinden, lieber Herr Kuhlwein. Ich hätte diese Ausführungen ja gern damit geschlossen - und ich wage es immer noch zu tun -, daß ich die Hoffnung habe, daß wenigstens in diesem einen Punkt jenseits oder unterhalb dieser rhetorischen Worthülsen, die hin- und herfliegen, eine bestimmte Art Konsens in dieser wichtigen Frage der Ausbildungsförderung besteht, daß dieses Thema in Bewegung bleibt und daß wir noch öfters darüber zu debattieren haben werden. Vielen Dank. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat Frau Abgeordnete Zeitler.

Karin Zeitler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002586, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde es peinlich und auch beschämend, wie Sie sich hier um eine Sache winden, die so viele Menschen betroffen gemacht hat, und das alles nur, um den groben Schnitzer vom vorigen Jahr zurückzunehmen, und das auch nur - darauf hat die Kollegin von der SPD schon hingewiesen -, weil es waschkörbeweise Protestbriefe gab und an fast allen Schulen Aktionen und Diskussionen dazu gelaufen sind. ({0}) - Da rotierte ich genau an diesen Schulen herum. Scheinheilig ist, wie Sie jetzt darauf reagieren. Da war ja zuerst der Versuch, die einen gegen die anderen auszuspielen, also den 27- bis 30jährigen den Zugang zu BAföG zu verwehren und den anderen die August-Förderung wieder zu gewähren. Ich weiß nicht, ob Sie ernstlich damit gerechnet haben, damit durchzukommen. Aber einen Versuch ist Ihnen das ja immer wert, ({1}) noch dazu, wenn man das Ganze dann so vor sich herschiebt, daß bei den Betroffenen die Befürchtung besteht, entweder wieder kein BAföG für August zu bekommen oder die Bedingungen der Regierung akzeptieren zu müssen. Das finde ich unmoralisch. Denn Sie spielen hier mit jungen Menschen, die wirklich existenzielle Sorgen haben. ({2}) Aber vielleicht ist Ihnen das gar nicht deutlich. Denn sonst hätten Sie den Fehler vom vorigen Jahr wiedergutmachen müssen, d. h. Sie hätten der Forderung der SPD, die auch unsere ist, nachkommen und das August-BAföG '84 rückwirkend auszahlen müssen. ({3}) Wenn Sie das mit dem Hinweis auf den Verwaltungsaufwand versagen, dann wissen Sie wirklich nicht, was für die Leute vom zweiten Bildungsweg letzten Sommer abgelaufen ist. Ich möchte Ihnen das einmal ein bißchen an Ihrer eigenen Situation verdeutlichen. Können Sie sich eigentlich vorstellen, daß Sie in den Monaten Juli/August kein Gehalt und keine Aufwandsentschädigung bekommen? Sie hätten doch wahrlich Gelegenheit, von Ihrem Einkommen etwas für diese Zeit zurückzulegen. Oder Sie könnten sich ja auch einen Ferienjob besorgen. Sie haben bestimmt bessere Drähte zu Unternehmen als die Kollegschüler. Sie haben bestimmt auch bessere Verbindungen zu den Banken oder haben Ihren Überziehungskredit noch nicht voll ausgeschöpft. ({4}) - Eben. Das sind nämlich alles Ratschläge, die Sie oder die Behörden den Betroffenen erteilt haben. Wenn Sie mir das nicht glauben, dann kann ich Ihnen das schriftlich vorlegen. ({5}) Aber wir reden bestimmt auch nicht von denselben Leuten. Sie haben ja an einem Tag fast soviel zur Verfügung wie die Kollegiaten und Schüler in einem ganzen Monat. Was das für demokratische Verhältnisse sind! Sie brauchen sich wirklich nicht zu wundern, wenn die Jugendlichen den Glauben an unsere Gesellschaftsordnung verlieren. ({6}) Nun noch zu einem weiteren Punkt. Von dem unwürdigen Tauziehen um die Herabsetzung der Altersgrenze hat die SPD ja schon berichtet. Was sie allerdings nicht sagt, ist, daß sie vor ein paar Jahren, nämlich 1979, die Altersgrenze bereits von 35 auf 30 Jahre gesenkt hat. Unter diesen Umständen wundert es nicht, daß niemand in diesem Parlament über die Sinnhaftigkeit einer Altersgrenze überhaupt redet; denn Gründe, die Altersgrenze fallenzulassen, gäbe es genügend. ({7}) Heute, da viele Jugendliche nach dem Motto „Irgendeine Lehrstelle ist besser, als unqualifiziert arbeitslos zu sein" handeln müssen und keine Ausbildung nach ihren Wünschen und Fähigkeiten erhalten, könnte es für eine Reihe von ihnen eine Chance sein, in einem späteren Lebensabschnitt über den zweiten Bildungsweg einen Neuanfang zu machen. Für eine Abschaffung der Altersgrenze würde ebenfalls die sinnvolle Flexibilisierung von Arbeitskraft sprechen; sinnvoll deshalb und nur dann, weil und wenn sie am Interesse der Arbeitnehmer z. B. an Weiterbildung ausgerichtet ist. Aber obwohl die Regierung lautstark erst neulich bei der Debatte über das Beschäftigungsförderungsgesetz die Flexibilität der Arbeitnehmer und ihre Anpassung an den Arbeitsmarkt forderte, will sie den Menschen, die freiwillig aus eigener Motivation heraus ihren Arbeitsplatz freimachen, Steine in den Weg legen. Gerade den Menschen, die eh schon einen Einkommmensverzicht in Kauf nehmen, weil sie im zweiten Bildungsweg eine Chance für ihren weiteren Lebensweg sehen, soll aus Altersgründen diese klägliche Unterstützung über BAföG vorenthalten werden - und das bei über 10% Arbeitslosen. Hier ist doch jede Altersgrenze sinnlos. Im Grunde genommen sind die Streichung des August-BAföG und die Senkung der Altersgrenze auf 27 Jahre nur kleine mißlungene Versuche aus der Serie Ihrer Aktivitäten, aus dem Ausbildungsförderungsgesetz ein Ausbildungsförderungsverbotsgesetz zu machen. ({8})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Frau Abgeordnete, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen.

Karin Zeitler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002586, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ein Satz noch. Unserer Meinung nach stünde es an, den Jugendlichen Demokratie und Freiheit erfahrbar zu machen; nicht durch salbungsvolle Reden, sondern durch die Ermöglichung einer unabhängigen, menschenwürdigen Existenz, d. h. durch ein ausreichendes, nicht an Bedingungen geknüpftes Mindesteinkommen auch und gerade während Bildungs- und Ausbildungszeiten. Ich danke Ihnen. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer.

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst sagen, daß der vorliegende Gesetzentwurf einige wichtige Verbesserungen in der Ausbildungsförderung enthält. Das ist im einzelnen dargestellt worden. Ich möchte nochmals darauf hinweisen: Nicht nur die Tatsache, daß die August-Rate in der Schülerförderung wieder bezahlt wird, rechne ich zu den wichtigen Verbesserungen, sondern beispielsweise auch die Tatsache, daß wir für die Studierenden im Ausland künftig wieder Stipendien bezahlen wollen und damit einen wesentlichen Impuls zur Förderung des Auslandsstudiums geben. ({0}) Lassen Sie mich, Frau Kollegin Odendahl, zu drei kritischen Einwendungen etwas sagen, die Sie hier vorgetragen haben. Ich bedauere es im Grunde genommen, daß diese Debatte, in der unter den Bildungspolitikern in der Sache Einigkeit besteht, von Ihnen zur Kontroverse benutzt wird. Aber nachdem Sie sie benutzt haben, muß ich j a wohl etwas dazu sagen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kuhlwein?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Kuhlwein, darf ich mit Rücksicht auf die Zeit bitten, daß Sie keine Zwischenfragen stellen. ({0}) Erstens. Sie haben kritisiert, daß wir einen Einsparungsvorschlag vorgelegt haben. Ich halte diesen Einsparungsvorschlag in der Sache nach wie vor für vertretbar. Aber wenn Sie das schon kritisieren, dann frage ich mich eigentlich: mit welcher Berechtigung, nachdem der Gesetzentwurf, von dem Sie ausgegangen sind, in seinen Auswirkungen sehr viel weiter hinter dem zurückgeblieben ist, was heute beschlossen wird? Denn Sie wollten ja einen Teil der Schüler, die wir jetzt in die August-Förderung einbeziehen, in Ihrem Ausgangsgesetzentwurf gar nicht einbezogen wissen. ({1}) Daß wir hier unter dem Gesichtspunkt der Konsolidierung bei der Ausweitung des Gesetzentwurfes uns auch Gedanken darüber gemacht haben, ({2}) wie man zu Einsparungen kommen kann, sollte von Ihnen nicht kritisiert, sondern zunächst einmal anerkannt werden. Der zweite Punkte, den ich darstellen möchte: Frau Kollegin Odendahl, Sie sprechen von einem dramatischen Rückgang bei den Gefördertenzahlen. Mir liegen die Zahlen der Studierenden des vergangenen Herbstes vor. Die Zahl der erstsemestrigen Studenten ist um cirka 61)/0 zurückgegangen. Nach einer Aufstellung des deutschen Studentenwerkes sind die Erstanträge auf BAföG dagegen um 4,1 % zurückgegangen. Eine dramatische Entwicklung kann ich überhaupt nicht erkennen. Daß es einen Rückgang der Erstsemesterstudentenzahlen gegeben hat, hat seine Ursache wohl darin, daß sich junge Menschen heute mit Recht wieder etwas mehr Gedanken über die Berufschancen nach dem Studium machen. Mit dem BAföG hat das nichts zu tun. Dritter Punkt. Sie haben kritisiert, daß die Hilfen für die Familien mit Kindern nach dem Familienlastenausgleich in der Regierungsvorlage nicht ausreichend enthalten seien. Dazu will ich folgendes sagen: Der Kinderfreibetrag wird von 432 DM auf 2 484 DM erhöht, ({3}) die Ausbildungsfreibeträge werden erhöht, und zwar für die Kinder über 18 Jahre, die im Haushalt des Steuerpflichtigen untergebracht sind, von 1 200 auf 1 800 DM, bei auswärtiger Unterbringung von 2 100 auf 3 000 DM und bei Kindern unter 18 Jahren bei auswärtiger Unterbringung von 900 auf 1 200 DM. Diese Maßnahmen - es kommen weitere dazu - stellen eine wesentliche Verbesserung des Familienlastenausgleiches gerade für die Familien dar, ({4}) die Kinder und Jugendliche in der Ausbildung haben. Ich meine, daß dies Anerkennung und nicht die Kritik verdient, die Sie zum Ausdruck gebracht haben. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe damit die Aussprache. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung, und zwar zunächst über den Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen auf Drucksache 10/2735 zum Tagesordnungspunkt 4 b. Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist das Gesetz einstimmig angenommen. Zum Tagesordnungspunkt 4 a und 4 b empfiehlt der Ausschuß unter Nr. 2 seiner Beschlußempfehlung auf Drucksache 10/3280, die Gesetzentwürfe für erledigt zu erklären. Wer dieser Beschlußempfehlung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Das ist ebenfalls einstimmig angenommen. Es ist noch über eine weitere Beschlußempfehlung des Ausschusses abzustimmen: Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3280 unter Nr. 3 die Annahme einer Entschließung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das ist ebenfalls einstimmig angenommen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung rechtlicher Vorschriften an das Adoptionsgesetz ({0}) - Drucksache 10/1746 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1}) - Drucksache 10/3216 10218

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordnete Lowack Dr. Schwenk ({0}) ({1}) Die Geschäftsführer haben mir inzwischen mitgeteilt, daß dieser Tagesordnungspunkt ohne Debatte behandelt werden soll. Der Berichterstatter hat um das Wort gebeten. - Ich erteile Ihnen das Wort.

Dr. Wolfgang Schwenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002133, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei diesem Gesetz um ein Artikelgesetz, bei dem außerordentlich komplizierte gesetzestechnische Arbeit geleistet werden mußte. Kurz vor dieser Beratung ist noch aufgefallen, daß zwei kleine Textänderungen nötig sind, um die Abfolge zu verdeutlichen. Im Einvernehmen mit dem anderen Berichterstatter bzw. den Geschäftsführern lese ich, um das Gesetz zu vervollständigen, diese Änderungen vor. Die erste Änderung betrifft Artikel 9: Änderung des Bundesumzugskostengesetzes. Der Gesetzeskopf erhält folgende Fassung: Das Bundesumzugskostengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1973 ({0}), zuletzt geändert durch § 16 der Verordnung vom 18. Dezember 1984 ({1}), wird wie folgt geändert: Die zweite Änderung betrifft Artikel 17: Änderung des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte. Nr. 1 Buchstabe a erhält folgende Fassung: In Absatz 1 Satz 1 wird die Textstelle „({2}), seine Pflegekinder im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 des Bundeskindergeldgesetzes sowie seine Enkel und Geschwister, die er in seinen Haushalt aufgenommen oder überwiegend unterhalten hat" ersetzt durch „und Kinder im Sinne des § 1267 Abs. 1 a der Reichsversicherungsordnung". ({3}) Wir mußten dieses Verfahren wählen, weil wir nicht mehr in der Lage waren, überall noch eine Druckvorlage hinzulegen. Wir wollten, daß dieses Gesetz so bereinigt durchgeht. Schönen Dank.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 21 einschließlich der soeben vorgetragenen Änderungen, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmig angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das Gesetz ist in dritter Lesung einstimmig angenommen. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 e der Tagesordnung auf: a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Frau Schmidt ({0}), Dr. Hauff, Dr. Holtz, Müller ({1}), Jaunich, Frau Blunck, Bachmaier, Egert, Schmitt ({2}), Antretter, Frau Dr. Hartenstein, Dr. Hauchler, Oostergetelo, Stiegler, Reuter, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verringerung der Tierversuche - Drucksache 10/2703 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({3}) Innenausschuß Rechtsausschuß Verteidigungsausschuß Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO b) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes - Drucksache 10/3158 -Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({4}) Sportausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Wirtschaft Verteidigungsausschuß Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Ausschuß für Forschung und Technologie Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO c) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Tierschutzgerechte Nutztierhaltung - Drucksache 10/2704 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer und der Fraktion DIE GRÜNEN Verbot der Käfighaltung von Hühnern - Drucksache 10/1885 - Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Bard und der Fraktion DIE GRÜNEN Importstopp für Froschschenkel - Drucksache 10/2868 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Nach einer interfraktionellen Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung dieser Tagesordnungspunkte und eine Aussprache von Vizepräsident Frau Renger 60 Minuten vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär von Geldern.

Dr. Wolfgang Geldern (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000656

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dies ist der erste Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des deutschen Tierschutzgesetzes von 1972. Der Bundesregierung sind aus allen Schichten unseres Volkes und von den verschiedensten Organisationen zahlreiche Wünsche, Anregungen und Forderungen zu diesem Gesetzentwurf vorgetragen worden. Es geht der Bundesregierung mit diesem Gesetzesvorhaben darum, dafür zu sorgen, daß der Schutz der Tiere so weit wie irgend möglich gewährleistet wird und daß zugleich die Sicherheit des Menschen nicht gefährdet und wichtige wissenschaftliche Arbeiten nicht unmöglich gemacht werden. Die Standpunkte der verschiedenen Seiten zu bestimmten Tierschutzfragen sind zu unterschiedlich, als daß ein alle Seiten voll befriedigender Konsens über diesen Gesetzentwurf zu erwarten gewesen wäre. ({0}) Die Bundesregierung ist aber allen Argumenten nachgegangen und hat schließlich den Vorschlag zur Änderung des Tierschutzgesetzes gemacht, den wir heute in erster Lesung beraten, der dem großen ethischen Anliegen unseres Volkes Rechnung trägt und der - das möchte ich hinzufügen - die mit dem Tierschutzgesetz von 1972 bereits erreichte internationale Spitzenstellung - an der Seite etwa noch der Schweiz - auch für die Zukunft aufrechterhält und fortschreibt. Die Schwerpunkte dieses Gesetzentwurfes liegen in den Bereichen Tierversuche, gewerblicher Tierhandel, Tierhaltung und tierschutzgemäßes Schlachten. Zunächst zu den Tierversuchen: Hier sind drastische Einschränkungen vorgesehen. Tierversuche sollen überhaupt nur noch durchgeführt werden dürfen, wenn sie nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse unerläßlich sind und nicht durch andere Methoden oder Verfahren ersetzt werden können. Dabei dürfen sie nur noch der Vorbeugung und dem Erkennen und Behandeln von Krankheiten, der Erkennung von Umweltgefahren, der Prüfung von Stoffen auf ihre Unbedenklichkeit für Mensch und Tier oder der Grundlagenforschung dienen. Soweit Tierversuche danach überhaupt noch erforderlich sind, wird die Schmerz- und Leidensbegrenzung wesentlich verstärkt werden. Eingriffe und Behandlungen an Tieren, die Aus- oder Fortbildungszwecken dienen, sollen auf wenige Ausnahmefälle beschränkt werden, in denen der Ausbildungszweck nicht auf andere Weise, z. B. durch filmische Darstellung, erreicht werden kann. Ein weiterer kritischer Punkt: Tierversuche zur Prüfung von Kosmetika, zu denen auch Körperpflegemittel zählen, werden erheblich eingeschränkt. In Zukunft müssen sie jeweils durch die zuständige Behörde ausdrücklich genehmigt werden. Bei dieser Genehmigung wie überhaupt bei Entscheidungen der zuständigen Behörden über Tierversuche werden die vorgeschlagenen Kommissionen, an denen auch Vertreter der Tierschutzorganisationen beteiligt sein sollen, mitwirken. Alle Tierversuchseinrichtungen müssen künftig einen oder mehrere Tierschutzbeauftragte haben. Wo der Tierschutzbeauftragte an der Erfüllung seiner Aufgaben gehindert wird, können Tierversuche generell untersagt werden. An die Adresse derjenigen, die bezüglich der Mitwirkung der Tierschutzorganisationen in diesen Kommissionen Bedenken und Zweifel haben, möchte ich sagen, meine Damen und Herren, daß wir Schöffengerichte, aus Laien zusammengesetzt, über Menschen, über Mitbürger urteilen lassen; dann sollten wir auch in der Lage sein, Laien aus den engagierten Tierschutzverbänden über Tierversuche mitbestimmen zu lassen. ({1}) Der Gesetzentwurf wird jedenfalls zu einer erheblichen Einschränkung der Tierversuche, nicht aber zu einer Beeinträchtigung der notwendigen wissenschaftlichen Forschung führen, die im übrigen bei den Tierversuchen zu mehr als 90 % Ratten und Mäuse einsetzt. Zur weiteren Einschränkung von Tierversuchen hat die Bundesregierung über diesen Gesetzentwurf hinaus wichtige begleitende Maßnahmen beschlossen, nämlich die Entwicklung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden, die kritische Überprüfung aller einschlägigen nationalen wie internationalen Regelungen, die zum Schutz des Verbrauchers Tierversuche gesetzlich vorschreiben, die Prüfung der Einrichtung einer Datenbank, um möglichst alle Doppelversuche zu vermeiden, und schließlich auch die Lösung der nicht ganz leichten Zweitanmelderproblematik. Ich komme zum Themenbereich Tierhaltung. Hier ist vorgesehen, die Grundsätze über die Tierhaltung zu präzisieren. Sie gelten auch für die Intensivhaltung, und wir haben damit eine große Zustimmung namhafter Verhaltensforscher zu unserem Gesetzentwurf gefunden. Die Bundesregierung will tierschutzrechtliche Verbesserungen bei der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. Es müssen angesichts der Integration in den Gemeinsamen Markt der Europäischen Gemeinschaft bei allen nationalen Regelungen, aber auch darüber hinaus, EG-einheitliche Maßstäbe und Tierschutzmindestanforderungen abgesichert werden. Dies ist nicht nur im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft gedacht, sondern dies ist zugleich ein ganz zentrales Anliegen des Tierschutzes selbst, denn was nützt es unserem ethisch begründeten Tierschutzgedanken, wenn wir erleben, daß unsere Nachbarn, unsere Partner, für die wir die Märkte öffnen, ganz andere Maßstäbe anlegen. Wir brauchen EG-einheitliche Regelungen. ({2}) Der Gedanke - er taucht j a in einer der Vorlagen hier heute mit auf -, ein Importverbot für tierschutzwidrig hergestellte Erzeugnisse aus anderen Staaten auszusprechen, ist - das gestehe ich freimütig - durchaus im Sinne des Tierschutzes verlockend, aber ich sehe große Probleme bei der dann notwendig werdenden Kontrolle und auch bei der politischen Realisierbarkeit eines solchen Anliegens. Wir wollen einem Etikettenschwindel keinen Vorschub leisten. ({3}) Meine Damen und Herren, die Bundesregierung bemüht sich seit langem mit Nachdruck um EG- einheitliche Regelungen vor allem für die Legehennenhaltung, für die Schweinehaltung und auch für die Kälberhaltung. Auf Grund mehrfacher deutscher Interventionen, Interventionen der Bundesregierung, hat sich der Rat der Europäischen Gemeinschaft vor wenigen Tagen erst erneut mit der Käfighaltung von Legehennen befaßt. Eine Beschlußfassung in der Europäischen Gemeinschaft zu dieser Frage ist noch für das jetzt laufende erste Halbjahr 1985 in Aussicht genommen. Sollte sich dann herausstellen, daß wiederum eine Einigung zu unserem Bedauern nicht erzielt werden kann, dann - das kündige ich hiermit an - wird die Bundesregierung nationale Vorschriften erlassen. Auf Initiative der Bundesregierung sind übrigens in der Gemeinschaft inzwischen die Vermarktungsnormen für Eier geändert worden. Künftig besteht endlich für den Erzeuger die Möglichkeit, Angaben über die Haltungsform, ob Freiland-, Boden- oder Volierenhaltung, zu machen, und damit hat der Verbraucher in Zukunft auch die lange geforderten Wahlmöglichkeiten bei seiner Verbraucherentscheidung. Für die Haltung von Hühnern - lassen Sie mich das auch noch zum Thema Tierhaltung und insbesondere Käfighaltung sagen - stehen derzeit Alternativen zur Käfighaltung leider noch nicht zur Verfügung, Alternativen nämlich, die die erforderlichen hygienischen, ethologischen und ökonomischen Bedingungen in gleicher Weise erfüllen. Daher kann die Käfighaltung zumindest zur Zeit nicht verboten werden. Ich möchte aber der Öffentlichkeit und dem Plenum sagen, daß diverse Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet sowohl in der Europäischen Gemeinschaft als auch in der Bundesrepublik Deutschland laufen, um solche Alternativen zur Käfighaltung für die Praxis zu entwickeln. Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim ethisch gebotenen Tierschutz läßt sich die Bundesregierung von niemandem übertreffen. Sie achtet dabei zugleich auf die Wahrung anderer hoher Rechtsgüter und politischer Ziele, wie Erhalt der menschlichen Gesundheit, des medizinischen Fortschritts und unserer bäuerlichen Familienbetriebe. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, das Wort hat die Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Herren und Damen! Immer mehr Menschen treibt die Frage um, welche Rechte der Mensch gegenüber andersartigem, aber von ihm als gleichwertig erkanntem Leben hat. Immer mehr Menschen bezweifeln, daß die uneingeschränkte Verfügbarkeit von Tieren für wissenschaftliche, aber allzuoft auch für wirtschaftliche Zwecke richtig ist. Immer mehr Menschen suchen eine Antwort auf die Frage, ob es richtig ist, daß Wissenschaft alles, was möglich ist, auch tut und ob dies richtig verstandene Freiheit ist. Immer mehr Menschen fragen nach Sinn oder Unsinn von Teilen einer Industrie, die Krankheitssymptome mit einer Unmenge immer neuer Produkte kuriert und Krankheitsursachen unerforscht läßt. Immer mehr Menschen verlangen Lösungen dieser Fragen durch die Politik. Ohne die Mithilfe aller engagierten Tierschützer würden wir heute hier nicht stehen, würden wir heute hier nicht die Novellierung des Tierschutzgesetzes beraten. ({0}) Ihnen allen danke ich ganz herzlich. ({1}) Der Landwirtschaftsminister hat mit seinem Entwurf einen Großteil dieser Hoffnungen enttäuscht, weil er wirtschaftliche Interessen über den Tierschutz stellt, weil er eine falsch verstandene Freiheit der Wissenschaft über die ethische und moralische Verpflichtung eben dieser Wissenschaft gestellt hat. So ist dem Kollegen Riedl von der CSU zuzustimmen, der in einem offenen Brief an den Landwirtschaftsminister schreibt: Lieber Ignaz, so nicht. ({2}) Es ist nur zu hoffen, daß dies nicht wieder ein Teil der Doppelstrategie der CSU ist: in Bayern offene Briefe schreiben, um die Tierschützer zu beruhigen, aber in Bonn nichts tun. ({3}) Wir versuchen, durch unseren Gesetzentwurf zur Verringerung der Tierversuche einem veränderten Bewußtsein der Menschen Rechnung zu tragen. Wir versuchen mit diesem Gesetzentwurf aber auch zu berücksichtigen, daß der Wissenschaft heute viele Alternativen möglich sind, die bei der Verabschiedung des Tierschutzgesetzes von 1972 noch undenkbar waren. Wir versuchen auch klarzumachen - und hier, Herr von Geldern, liegt einer der wesentlichen grundsätzlichen Unterschiede zwischen unserem und dem Entwurf der Regierung -, daß Gesundheits- und wissenschaftliche Interessen den InFrau Schmidt ({4}) teressen des Tierschutzes nicht zuwiderlaufen, sondern daß sie gleichgerichtet sind. ({5}) So haben wir uns nach langen Diskussionen zu einem grundsätzlichen Verbot von Tierversuchen mit streng begrenzten Ausnahmemöglichkeiten entschieden. Wissenschaft und Industrie fragen uns: Warum grundsätzliches Verbot? Wir antworten: Weil wir dokumentieren wollen, daß es das Recht, über anderes Leben zu verfügen, nicht gibt, ({6}) weil wir den Willen des Gesetzgebers deutlich machen wollen, daß es sich beim Tierversuch um die Ausnahme und nicht um die Regel handeln muß, weil die Rechtsprechung Verstöße gegen das Tierschutzgesetz nicht als Kavaliersdelikte behandeln sollte. Tierschützer und Tierversuchsgegner fragen uns: Warum Ausnahmen? Wir sind derzeit noch davon überzeugt, daß einige Tierversuche notwendig sind, Tierversuche, die Sterben und Leiden von Menschen und Tieren verhindern sollen, Tierversuche, die ethischen Maßstäben genügen, Tierversuche, bei denen das Leiden der Tiere begrenzt werden muß. Dabei gebe ich gern zu, daß mich, je länger ich mich mit dieser Frage beschäftige, immer größere Zweifel befallen, ob das, was uns als Notwendigkeit geschildert wird, tatsächlich unumgänglich ist. Da schildern uns die einen Professoren, daß die Ergebnisse von Tierversuchen zwar mit Einschränkungen, aber doch auf den Menschen übertragbar sind. Da versuchen uns die anderen nachzuweisen, daß derartige Ergebnisse selbstverständlich ohne Aussagewert für den Menschen sind, jüngst so geschehen bei Formaldehyd. Da sagen uns die einen: Der Tierversuch ist zur Erprobung biomedizinischer Techniken notwendig. Und die anderen sagen uns: Gerade der Tierversuch scheidet aus, wenn es um die Herstellung von für Menschen geeigneten Materialien, z. B. künstlicher Gelenke, geht. Da sagen die einen, in der medizinischen Diagnostik komme man ohne Tierversuche nicht aus, während andere, die vor ihrem Namen ebenfalls mehrere Professorentitel stehen haben, Versuche mit befruchteten menschlichen Eiern für notwendig halten, weil Ergebnisse von Tierversuchen auf den Menschen eben nicht übertragbar seien. Die wissenschaftliche Begründung richtet sich offensichtlich nach Geschmack, weltanschaulichem Standort oder gar wirtschaftlicher Abhängigkeit und persönlichem Forschungsinteresse. Bei allen Widersprüchlichkeiten haben wir versucht, die Grenzlinie zu finden, die unverantwortliche Tierversuche von den derzeit noch unverzichtbaren trennt. ({7}) - Das gestehe ich Ihnen zu; ich glaube nur, daß unser Lösungsversuch gelungener ist. Als unverzichtbar bezeichnen wir Versuche, die nachweislich durch kein anderes wissenschaftliches Verfahren zu ersetzen sind und die dem Leben auf diesem Planeten dienen, also dem Leben von Menschen, Tieren und Pflanzen. Daraus folgt für uns zwangsläufig, daß Tierversuche zur Erprobung von Genußmitteln, Waffen und Kosmetika ohne Ausnahme verboten sind. ({8}) Dazu hat sich der Regierungsentwurf z. B. nicht durchringen können. Herr Kiechle, Herr von Geldern, Herr Kohl, Herr Geißler, ich frage Sie, wie Sie die ethische Notwendigkeit derartiger Versuche begründen wollen. Verbote und Einschränkungen müssen aber auch durchgesetzt werden. Auch das Tierschutzgesetz von 1972 hat nicht alle Tierversuche zugelassen. Aber es stimmt bedenklich, daß in diesen 13 Jahren kein Fall bekanntgeworden ist, in dem die Genehmigung versagt wurde. Wir wollen deshalb die Genehmigungsbehörden unterstützen und durch Ethik-Kommissionen beraten lassen. Wir sehen in der Einrichtung dieser Kommissionen die wirksamste Möglichkeit, Tierversuche tatsächlich auf das unerläßlich notwendige Maß zu beschränken. Aber wir sehen diese Möglichkeit nur dann, wenn unsere Forderungen erfüllt werden und diese Kommissionen zu je einem Drittel mit Naturwissenschaftlern, Geisteswissenschaftlern und Tierschützern besetzt werden. In das Wehklagen der Forschung, daß damit Laien wissenschaftliche Forschungen verhindern würden, kann ich nicht einstimmen. Wissenschaftler agieren nicht in einem wertfreien Raum. Auch sie müssen sich nach dem Sinn ihres Tuns fragen lassen. ({9}) Sie müssen heraus aus ihrem Elfenbeinturm. Sie unterliegen wie jeder andere arbeitende Mensch Rechtfertigungszwängen, und sie haben, je anspruchsvoller ihre Tätigkeit ist, sie um so deutlicher zu erklären und die Gesellschaft, mit deren Geld sie forschen, um Zustimmung zu bitten. So mögen ihnen Begründungen ausgehen, wenn zur Erreichung akademischer Würden Versuche durchgeführt werden, deren Ergebnisse in der Ablage verstauben, wenn Katzen über vier Jahre in Käfigen extremer Hitze und Kälte ausgesetzt werden und wenn, wie Professor Dr. Brendel in einer Fernsehsendung gesagt hat, Tierversuche in der Ausbildung nur deshalb durchgeführt werden, weil das Geld für anständige Lehrfilme fehlt. Bei derartigen Versuchen würden nach unseren Vorstellungen besetzte Ethik-Kommissionen nicht überzeugt werden, Genehmigungsbehörden ihre Zustimmung versagen. Der Regierungsentwurf sieht ebenfalls EthikKommissionen vor, will sie aber mehrheitlich mit Wissenschaftlern besetzen, die selber Tierversuche durchführen. Dies wird zum Scheitern verurteilt sein, liebe Kollegen, da damit bei Tierschützern und Tierversuchsgegnern vorhandenes Mißtrauen nicht Frau Schmidt ({10}) abgebaut werden kann, weil die auch im Interesse der Industrie und der Wissenschaft liegende Transparenz nicht hergestellt werden kann und weil in eigener Sache zu richten immer anrüchig bleiben wird. ({11}) An dieser Stelle möchte ich die Verantwortlichen in Industrie und Forschung fragen, ob sie es für den richtigen Weg halten, für ihre Interessen einzutreten, wenn Patienten im Krankenhaus durch ihren behandelnden Arzt mittels eines Faltblattes suggeriert werden soll, durch eine Novellierung des Tierschutzgesetzes entstünden katastrophale Folgen für die deutsche Medizin. Das nenne ich Geschäftemacherei mit der Angst von kranken Menschen. ({12}) Eine weitere unabdingbare Einrichtung in unserem Gesetzentwurf ist die Einrichtung von Datenbanken. Nur wenn es uns gelingt, Datenbanken einzurichten - und da ist das, was Sie in Ihrem Gesetzentwurf vorschlagen, eben unzulänglich, weil Sie sagen: Nur die zugänglichen Informationsmöglichkeiten sollen genutzt werden; die langen aber nicht aus -, wird es möglich sein, Doppelversuche tatsächlich zu vermeiden. Es ist unerträglich, wenn man sich vorstellt, daß Tiere leiden und sterben müssen, nur weil es nicht gelingt, die notwendigen Informationen zu beschaffen. Damit bin ich bei den Alternativ- und Ersatzmethoden. Wir haben die Forderungen der Tierschutzorganisationen und Tierversuchsgegner nur insoweit aufgenommen, als wir den zuständigen Minister ermächtigen wollen, eine solche Abgabe zu erheben, wenn nicht auf freiwilliger Basis durch die chemische und pharmazeutische Industrie ein Fonds gegründet wird, um Alternativmethoden gezielt zu erforschen. Wir haben uns für diese Lösung entschieden, weil wir unnötige Bürokratien vermeiden wollen. Aber auch wir halten die Erforschung von Ersatzmethoden für unerläßlich. Hier ist die Bundesrepublik gegenüber anderen Ländern weit zurück. ({13}) Wenn wir von ökologischer Modernisierung der Volkswirtschaft sprechen, dann gehören Methoden zur Ablösung der Tierversuche dazu. Sie dürfen nicht ein wirtschaftlichen Gesichtspunkten unterworfenes Abfallprodukt sein, sondern sie müssen losgelöst von der konkreten Versuchsreihe einzig mit dem Ziel Vermeiden des Tierversuchs erforscht werden. Dies kostet Geld. Ich frage mich, ob nicht die einschlägige Industrie für ihr Image und ihre Glaubwürdigkeit wesentlich mehr getan hätte als durch fragwürdige Aktionen, wenn sie ähnlich wie in der Schweiz längst einen solchen Fonds gegründet hätte, der unter öffentlicher Kontrolle und nicht unter der Industrie verwaltet werden müßte. Zur Frage der Forschungsabgabe auch wieder Fehlanzeige im Regierungsentwurf. Appelle und neue gesetzliche Vorschriften richten sich aber nicht nur an Industrie und Wissenschaft, sondern auch an uns selbst. Acht Gesetze, die wir verabschiedet haben, schreiben implizit Tierversuche vor. Ca. 3 Millionen Tierversuche gehen auf das Konto des Gesetzgebers. Auch diese können reduziert werden. Da brauchen wir nicht zu warten, bis das Tierschutzgesetz novelliert ist. ({14}) Wir schlagen in unserem Gesetzentwurf eine ständige Sachverständigenkommission vor, die Regierung und Parlament berät und dafür sorgt, daß sich wissenschaftliche Erkenntnisse nicht mit erheblichen Verzögerungen, sondern schnellstmöglich im Gesetz- und Verordnungsgebungsverfahren niederschlagen, Ersatzmethoden in die jeweiligen Datenbanken eingespeichert werden und die Pflicht zu ihrer Anwendung so auch durchsetzbar wird. Auch hier, Herr von Geldern, leider Gottes Fehlanzeige. ({15}) Meine Damen und Herren, wir hoffen, mit diesen Vorschriften und denen über den Versuchstierhandel und das Amputationsverbot, mit den Vorschriften über Tierzucht und das Verbot von Qualzüchtungen sowie mit den Vorschriften über Kennzeichnungspflicht für Hunde und Katzen - im Gegensatz zum Entwurf der Bundesregierung - eine wirkliche Reduzierung der Tierversuche und eine Verbesserung der Lage der Tiere zu erreichen. Neben dem Problem der Tierversuche ist die Tatsache der menschen- und tierunwürdigen Massentierhaltung das zweite große Problem, für das wir eine Lösung suchen müssen. ({16}) Wir haben deshalb - ergänzend zu unserem Gesetzentwurf zur Verringerung der Tierversuche - einen Antrag zur Massentierhaltung eingebracht. Im Gegensatz zum Antrag der GRÜNEN sehen wir nicht nur bei der Hühnerkäfighaltung Konflikte mit der Forderung nach artgerechter Haltung der Nutztiere, Regelungsbedarf besteht genauso bei Kälbern und Schweinen. ({17}) Wir fordern die Bundesregierung auf, Rechtssicherheit zu schaffen. Es kann nicht Gerichten überlassen werden, wie § 2 des derzeitigen Tierschutzgesetzes auszulegen ist. Legen Sie uns, Herr von Geldern, Herr Minister, spätestens bis zum Jahresende Rechtsverordnungen vor, damit diese Unsicherheit aufhört, damit eine artgerechte Nutztierhaltung gewährleistet wird! ({18}) Millionen von Bürgern sind in Käfigen und auf engstem Raum eingepferchte Hühner ein Greuel. Genauso sind es angebundene Kälber oder Schweine auf hartem Spaltenboden, die beim geringsten Streß umkippen. Wir wollen, daß mit dem verhängnisvollen Kreislauf endlich Schluß gemacht wird, durch eine nicht artgerechte Haltung Krankheitsund Streßanfälligkeit zu erzeugen, um diese dann durch den prophylaktischen Einsatz von Medikamenten aus der Welt zu schaffen. Frau Schmidt ({19}) Wir wissen allerdings, daß wir nicht allein auf der Welt sind. In anderen EG-Ländern ist das Tierschutzbewußtsein häufig weniger ausgeprägt als bei uns. ({20}) Aber, meine Herren und Damen, es gibt auch Vorreiter. Vorreiter ist nicht nur die Schweiz, wo die Käfighaltung von Hühnern ab 1992 verboten sein wird; auch in Dänemark und in den Niederlanden war und ist man bereit, mehr zu tun. Wir fordern die Bundesregierung auf zu handeln. Wir bitten sie, bis zum 30. Juni 1985 über den Stand der EG-Verhandlungen zu berichten. Sollte dann keine einheitliche Beschlußfassung möglich sein, muß national vorgegangen werden. Tierschutz darf nicht immer hinter ökonomischen Interessen zurückbleiben. Meine sehr verehrten Kollegen, viele Schwierigkeiten und Unsicherheiten rühren daher, daß das Tier in unserer Gesetzgebung nach wie vor eine Sache ist wie ein Auto, ein Mantel, ein Tisch, ein Stuhl und wie es - lassen Sie mich das anmerken - auch einmal die Frauen waren. ({21}) Ich würde mich freuen, wenn es uns gelänge, im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens eine Lösung zu finden, die aus der Sache Tier, Herr Eigen, ein Geschöpf Tier machen würde. Wir werden in den folgenden Anhörungsverfahren alle Bedenken und Anregungen auch zu unserem Gesetzentwurf sorgfältig prüfen. Es würde mich weiterhin freuen, wenn im weiteren Verfahren nicht die im Regierungsentwurf zum Ausdruck kommende Angst vor wirtschaftlichem Druck mächtiger Industriezweige und einiger weniger industrieller Fleisch- und Eierfabrikanten, die mit einem Bauern höchstens noch den Namen gemein haben, ({22}) die Oberhand behielte, sondern wir uns in allen Fraktionen zu Anwälten der moralischen Skrupel von vielen tausend Menschen und zum Anwalt eines Umweltverständnisses machen würden, das auf die Schwächeren Rücksicht nehmen will. ({23})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Stutzer.

Hans Jürgen Stutzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002283, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir befassen uns heute mit der Reform und Neuorientierung des Tierschutzrechts. Lassen Sie mich dem ein Wort Martin Luthers voranstellen: Unser Herrgott hat des öfteren seine schönsten und größten Gaben dem gemeinsten Tier gegeben. Nur, die Menschen suchen sie dort nicht. Meine Damen und Herren, Millionen Bürger in unserem Lande und viele Mitglieder dieses Hauses haben schon lange - ich meine: viel zu lange - auf diese Debatte gewartet. ({0}) Schon seit Jahren habe nicht nur ich mich, sondern haben sich auch andere Kollegen aller Fraktionen dieses Hauses um eine Novellierung des Tierschutzgesetzes bemüht. Die Regierung Schmidt sah hierzu keine Veranlassung und hatte das Ansinnen mit in meinen Augen fadenscheinigen Begründungen stets abgelehnt. ({1}) Wir sind daher dem Bundeskanzler Helmut Kohl und Herrn Bundesminister Kiechle dankbar, daß sie unverzüglich nach der Regierungsübernahme eine Änderung des Gesetzes in Angriff genommen haben. ({2}) Der Tierschutz ist nicht nur eine konservative, sondern er ist vor allen Dingen auch eine christliche Aufgabe. Der Tierschutz eignet sich nicht für parteipolitische Auseinandersetzungen. ({3}) Wir reden so oft in diesem Hause, liebe Kolleginnen und Kollegen, von den notwendigen Gemeinsamkeiten aller Demokraten. Das hier ist nun ein Feld, auf dem es diese Gemeinsamkeiten geben sollte. Ich darf daran erinnern, daß dieses Parlament am 21. Juni 1972 das Tierschutzgesetz einstimmig verabschiedet hatte, das damals noch zu den besten Gesetzen in der Welt gehörte. ({4}) Dieses Gesetz fand 1972 ein hohes Maß an Zustimmung seitens namhafter Vertreter des Tierschutzes, der Wirtschaft und auch der Wissenschaft. ({5}) Ich darf daran erinnern, daß sich noch zu Zeiten der Regierung Schmidt im Rahmen der IPA Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen des Bundestages und der Länderparlamente mit dem Ziel zusammengefunden hatten, das Tierschutzgesetz zu novellieren, weil die seinerzeitige Bundesregierung nichts getan hatte. ({6}) Wir hatten hier fraktionsübergreifend hervorragend zusammengearbeitet und kamen auch hier zu einstimmigen Beschlüssen. ({7}) Aus der Vorlage wurde dann wegen vorzeitiger Beendigung der Legislaturperiode nichts mehr. ({8}) Kolleginnen und Kollegen, ich frage Sie nun: Sollte das heute nun wirklich nicht mehr möglich sein, was bei gutem Willen der Mitglieder dieses Hauses und auch der Länderparlamente 1972 und zu Beginn der 80er Jahre geschaffen wurde? Ich frage Sie: Auf welchem Gebiet soll es heute überhaupt noch die so oft beschworenen Gemeinsamkeiten aller Demokraten geben, wenn wir uns nicht mal beim Tierschutz einig werden sollten? ({9}) Die Bürger erwarten von uns, daß wir wenigstens hier an einem Strang ziehen. ({10}) Ich kann mir nicht vorstellen, daß es bei den Politikern nun überhaupt keine Bereitschaft mehr zum Miteinander geben sollte. ({11}) Ich weiß, das ist schwer, und es gehört viel guter Wille und auch Kompromißbereitschaft dazu, lieber Kollege Müller. Ich weiß auch, daß in allen Fraktionen - ich betone hier: in allen Fraktionen - die Meinungen über die vorliegenden Entwürfe geteilt sind. Dem einen geht dies und das zu weit und dem anderen wiederum nicht weit genug. Aus vielen Zuschriften wissen wir, daß es auch in der Öffentlichkeit keine einheitliche Meinungsbildung gibt. Das ist bei einem Thema, das so stark Emotionen unterworfen ist, auch nicht zu erwarten. Wir wissen aber auch, daß es seit Jahren kein Thema mehr gegeben hat, wenn ich mal von der Diskussion über die Nachrüstung absehe, das so viele Bürger, gerade auch junge Menschen, in unserem Lande bewegt wie der Tierschutz. Ich bedaure es daher, daß wir bei dieser ersten Lesung eine nur relativ kurze Redezeit zur Verfügung haben. Für mich und viele Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen kann es keinen Zweifel darüber geben, daß es sich bei Fragen des ethischen Tierschutzes um eine echte Gewissensentscheidung handelt, folglich die Abstimmung in den Fraktionen freigegeben werden muß. Nicht nur die Bundesregierung, sondern alle Fraktionen müssen daran interessiert sein, daß wir am Ende zu einem Ergebnis kommen, das, wenn nicht einstimmig wie 1972, was ich mir übrigens sehr wünschte, so doch von einer breiten Mehrheit getragen wird. Wie können wir das erreichen, meine Damen und Herren? Wir sollten zwar zügig, aber doch sehr sorgfältig beraten. Der federführende Ausschuß ist, wenn ich es richtig sehe, in diesem Jahr noch so stark mit anderen Arbeiten belastet, daß er in den normalen Sitzungszeiten gar nicht in der Lage ist, diese schwierige Materie so zu beraten, wie wir uns das vorstellen. Das kostet nämlich viele, viele Stunden Zeit. Ich schlage daher vor, daß hierfür ein Unterausschuß oder aber eine Ad-hoc-Kommission gebildet wird, die sich dann ausschließlich mit den Tierschutzfragen beschäftigt. ({12}) Beratungsgrundlage muß der Regierungsentwurf sein, zu dem ich gleich noch einiges sagen werde. Nach meinem Demokratieverständnis müssen aber bei der Beratung auch alle anderen Novellierungsvorschläge auf den Prüfstand; nicht nur die, die wir heute auf der Tagesordnung haben, sondern auch die der deutschen Tierschutzorganisationen, um nur ein Beispiel zu nennen. Unbestritten beinhaltet der Regierungsentwurf Verbesserungen gegenüber dem derzeitigen Recht im Sinne eines ethischen Tierschutzes. Das sollten wir auch anerkennen. Es gibt aber in diesem Entwurf in meinen Augen auch bedenkliche Passagen, die nach meiner Überzeugung geändert werden müssen. ({13}) Die Bundesregierung weiß, daß ich an ihrem Entwurf so manches zu kritisieren habe und mein Gewissen es mir gebietet, mich für entsprechende Änderungen einzusetzen. Ich kann heute noch nicht sagen, ob das die Mehrheitsmeinung meiner Fraktion ist. Ich weiß aber, daß eine ganze Anzahl Fraktionskollegen ebenso denkt. Den Sozialdemokraten muß ich aber sagen, daß mir auch an ihrem Entwurf sehr vieles nicht gefällt. Es gibt, glaube ich, auf keiner Seite dieses Hauses zu den einzelnen Entwürfen eine einheitliche Fraktionsmeinung. Gäbe es sie, könnten wir nämlich auch nicht von einer echten Gewissensentscheidung sprechen. Wir bekennen uns alle zur Gewaltenteilung. Die Regierung hat nun einen Entwurf vorgelegt, und wir Parlamentarier sollen jetzt entscheiden. Ich darf noch einmal an die Selbstverständnisdebatte dieses Parlaments erinnern, die nur wenige Monate zurückliegt. Das, was in dieser Debatte Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen beschworen hatten, sollten wir jetzt in die Tat umsetzen. Es gibt kaum ein Gebiet, das sich dafür besser eignet als der ethische Tierschutz. Ich bin überzeugt davon, daß wir dann auch zu einem Ergebnis kommen werden, das sich sehen lassen kann. Ich habe viel Sympathie für die Forderungen der Tierschutzorganisationen. Wir sollten auch sehr sorgfältig prüfen, welche von den Tierschutzorganisationen gemachten Vorschläge in das Gesetz aufgenommen werden können. Es gibt wohl keinen in diesem Hause, der nicht lieber heute als morgen auf alle Tierversuche verzichten würde, wenn das verantwortbar und möglich wäre. Leider sind wir heute noch nicht so weit. Ich habe kein Verständnis für die sogenannten autonomen Tierschützer, die mit Gewaltanwendung dem Tierschutz mehr schaden als nützen. ({14}) Die von der Wissenschaft und Forschung vorgebrachten Einwände nehme ich ernst. Es gibt wohl auch keinen im Hause, der die Wissenschaft und Forschung grundgesetzwidrig behindern will. Nur, wir wissen heute, daß es auch für die Wissenschaft und Forschung Grenzen gibt. Im übrigen darf für mich als Christ der ethische Tierschutz niemals dort enden, wo wirtschaftliche Interessen beginnen. Lassen Sie mich zum Abschluß noch etwas sagen, was mir besonders am Herzen liegt. Wir haben meines Erachtens in der Bundesrepublik viel zuviele Rechtsvorschriften, die Tierversuche, zum Teil grausame Tierversuche - ich denke hier nur an den LD-50-Test - vorschreiben. Frau Kollegin Schmidt, Sie haben dankenswerterweise darauf hingewiesen: Die meisten dieser Gesetze sind ja auf die Initiativen der Sozialdemokraten zurückzuführen; denken Sie an das Chemikaliengesetz. Hier müssen wir also etwas tun. Es wird hohe Zeit, daß all diese Rechtsvorschriften daraufhin überprüft werden, ob es heute noch zwingend ist, so viele Tierversuche vorzuschreiben. ({15}) Kolleginnen und Kollegen, wir haben heute die erste Lesung, die zunächst nur die einzuschlagende Richtung vorgeben soll. Es hat oft lange gedauert, bis Fortschritte in der Humanität erzielt wurden. Ich bin überzeugt davon, daß wir am Ende der jetzt beginnenden Arbeit einen großen Schritt auf diesem Wege vorangekommen sein werden. Der ethische Tierschutz ist eine Fortentwicklung des Tierschutzes auch im Interesse des Menschen. Wir wollen das Tier künftig wirkungsvoller schützen als bisher, weil es ein Geschöpf Gottes ist und Anspruch auf diesen Schutz hat. Meine Damen und Herren, helfen Sie hier mit! ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Werner ({0}).

Helmut Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002483, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Empörung und der Widerstand in der Bevölkerung gegen tierquälerische Massentierhaltung und gegen tierquälerische, j a oft geradezu grauenhafte Tierexperimente nehmen von Tag zu Tag zu. Die GRÜNEN unterstützen diesen Protest von ganzem Herzen und wollen auch von dieser Stelle aus darauf hinweisen, daß jeder einzelne von uns durch ein bewußtes Verbraucherverhalten beim Lebensmittelhandel, in der Drogerie oder in der Apotheke die Möglichkeit hat, hier Einfluß zu nehmen. ({0}) Tierschutz ist im Grunde eine Frage der Ethik. Hier geht es um unser Verhältnis zur Natur und speziell um die Frage, ob das Lebensrecht der Tiere einfach dem Streben nach Profit durch industrielle Massentierhaltung und den Profitinteressen der chemisch-pharmazeutischen Industrie geopfert werden darf. Die Regierungskoalition - das zeigt uns der vorliegende Entwurf - beantwortet diese Frage trotz der christlichen Verpflichtung im Programm der Union mit einem klaren Ja. ({1}) Unsere Fraktion hat im August des letzten Jahres einen Antrag auf Verbot der Käfighaltung von Hühnern gestellt. Darin fordern wir ganz klar in Übereinstimmung mit den Verhaltensforschern auf diesem Gebiet: Einer Legehenne muß die Möglichkeit des Scharrens und Sandbadens und die Möglichkeit der Eiablage in einem dunklen Nest gegeben werden. In der Boden- oder Volierenhaltung ist eine Alternative zu der Käfighaltung gegeben. Besonders die Käfighaltung hat dazu geführt, daß die Legehennenhaltung heute in großem Umfang industriell betrieben wird. Aber auch dort, wo sie noch in landwirtschaftlichen Betrieben besteht, sind meistens die Tiereinheiten im Verhältnis zur landwirtschaftlichen Nutzfläche so groß, daß eine sinnvolle Verwertung des daraus anfallenden organischen Düngers nicht gegeben ist. Vielmehr ist oft eine direkte Verbindung zwischen Hühnergülle und Nitratanreicherung des Grundwassers festzustellen. Selbst in Holland mit seiner intensiven Geflügelhaltung sind ab 1. Januar 1994 Neueinrichtungen von Käfighaltungen verboten. In Dänemark ist wenigstens die Mindestfläche je Henne auf 600 cm2 und in Norwegen auf 650 cm2 festgesetzt. Diese Vorhaben sind im Sinne des Tierschutzes ungenügend, bzw. die Probleme werden in das nächste Jahrhundert verschoben. Konsequent ist die Schweiz. Hier läuft die Käfighaltung 1991 ganz aus. Was tut die Bundesregierung zur Verbesserung der Legehennenhaltung und zur Durchsetzung des § 2 Abs. 2 des Tierschutzgesetzes? Seit Jahren verweist sie darauf, daß man sich um eine EG-weite Lösung bemühe. Dabei geht es jedoch lediglich um die Frage, ob jeder Henne 450 cm2 oder 600 cm2 zugestanden werden sollten. Unklar bleibt für mich, ob man darüber, daß eine EG-einheitliche Lösung nicht zustande kommt, bekümmert ist oder ob damit - Gott sei Dank - dieses unbequeme Thema für die nächste Generation aufgespart wird. ({2}) In der Drucksache 10/2868 fordern wir einen Stopp der Importe von Froschschenkeln. 1981 exportierten Indien und Bangladesch zusammen 5 571 Tonnen Froschschenkel. Diese Ausfuhren sind seither noch gestiegen. Es geht dabei um nützliche Arten, von denen jährlich etwa 100 Millionen Tiere gefangen werden. Die Niederlande importieren nach Angaben des statistischen Zentralamtes jährlich etwa 1 100 Tonnen Froschschenkel. Gefangen werden die Tiere in den Exportländern vorwiegend in Reisfeldern. Dort hat ein Rückgang von rund 10 000 Stück je Hektar auf 50 Stück je Hektar stattgefunden. Dadurch wird das ökologische Gleichgewicht stark gestört. Malariamücken und Krabben haben stark zugenommen, so daß verstärkt der Einsatz von Pestiziden notwendig wurde. Da die Froschschenkel in der Bundesrepublik Deutschland keine Bedeutung für die Nahrungsmittelversorgung haben und da ein begründeter Verdacht des tierschutzwidrigen Tötens der Frösche besteht, fordern wir ein Importverbot. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang, daß der FroschschenkelAntrag des WWF bei der Vertragsstaatenkonferenz in Brasilien angenommen wurde. Werner ({3}) In der Begründung des Gesetzentwurfs der Regierung zur Änderung des Tierschutzgesetzes heißt es: Nach über zehnjähriger Erfahrung in der Anwendung des Tierschutzgesetzes hat sich gezeigt, daß das Grundkonzept des Gesetzes nach wie vor richtig ist und daher beibehalten werden sollte. ({4}) Andererseits ist nicht zu verkennen, daß die Zielvorstellung des Gesetzgebers bisher nicht voll verwirklicht werden konnte. Warum nun eigentlich eine Novellierung? Dieser Gesetzentwurf bringt in keinem einzigen Paragraphen eine Verbesserung. Die Nutztierhaltung wird nicht tiergerechter, und die Tierversuche können im gleichen Umfang weiter durchgeführt werden. ({5}) Das Grundkonzept bleibt. Die Einrichtung einer Datenbank, in der alle Tierversuche zur Vermeidung von unnötigen Wiederholungen gespeichert werden könnten, ist im Gesetzentwurf der Regierung nicht vorgesehen. Dazu Herr Staatssekretär von Geldern in einer Rede mit dem Thema „Wie kann eine Einschränkung von Tierversuchen durch den Gesetzgeber erreicht werden": Die zur Vermeidung von Doppelversuchen gebotene uneingeschränkte Weitergabe von Tierversuchsdaten an alle in Frage kommenden Antragsteller führt zu erheblichen entschädigungs- und patentrechtlichen Problemen. Ich finde es ungeheuerlich, daß sich deshalb schreckliche Tierversuche wiederholen sollen, weil ein Unternehmen für bereits durchgeführte Versuche ein Patentrecht beansprucht. Aus der gleichen Rede zu Tierversuchen im Bereich der Kosmetika: Ein gesetzliches Verbot von Tierversuchen in diesem Bereich ist, so sagen Fachleute, vorerst nicht möglich. Wir fragen, wann das möglich ist und ob die Kosmetikhersteller gleichzeitig die „Fachleute" sind. Die Forderung bei der Änderung des Tierschutzgesetzes kann heute nur lauten: Abschaffung aller Tierversuche als Ziel einer Politik, die aufhören muß, im Tier nur eine verwertbare Sache zu sehen. ({6}) Der Verwirklichung dieses Zieles können nicht patentrechtliche Probleme oder finanzielle Interessen der Kosmetikindustrie gegenüberstehen. Auch militärische Schießübungen auf lebende Hunde sind nicht geeignet, die Bürger von der Notwendigkeit von Tierversuchen zu überzeugen. § 2 Abs. 1 Nr. 2 bewirkt in seiner neuen Fassung durch Weglassen der Worte „nicht dauernd" zweifellos eine Verschlechterung für die Haltung von Nutztieren. Herr Bundesminister, Sie sagten in München: Auch die Bundesregierung ist für tierschutzrechtliche Verbesserungen bei der landwirtschaftlichen Nutztierhaltung. In § 2 a wird der Bundesminister ermächtigt, Rechtsverordnungen zu erlassen, soweit es zum Schutz der Tiere erforderlich ist. Wir fragen Sie: Warum enthält die Gesetzesnovellierung keine konkreten Verbesserungen für die Nutztierhaltung, die Sie selbst für nötig halten, und - da dieser Gesetzentwurf nur Verschlechterungen bringt -: Wann werden Sie diese Rechtsverordnungen für verbesserte Haltungsformen erlassen? In § 8 b wird bestimmt, daß von den Einrichtungen, in denen Tierversuche durchgeführt werden, ein Tierschutzbeauftragter benannt werden soll. Da dieser Tierschutzbeauftragte ein Mitglied des jeweiligen Instituts ist, bedeutet das, daß der Tierschutzbeauftragte unter Umständen seine eigenen Vorgesetzten maßregeln oder kritisieren muß. Wie stellt sich die Bundesregierung unter diesen Umständen eine unabhängige Kontrolle eigentlich vor? ({7}) Die verwertbare Sache Tier ist in ähnlicher Weise schmerzempfindlich und leidensfähig wie wir. Vom ethischen Standpunkt haben wir daher kein Recht, den Tieren das an Schmerzen und Leiden zuzufügen, wovor wir uns selbst schützen und bewahren möchten. Die Vielzahl der Tierversuche kann uns nicht davor schützen, daß wir durch das unerforschte Zusammenwirken tausender giftiger Chemikalien selbst die Rolle der Versuchsobjekte einnehmen. Deshalb gibt es für uns nur den Weg, die Zahl der schädlichen Substanzen so zu reduzieren, daß wir in Zukunft auf Tierversuche verzichten können. Schönen Dank. ({8})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.

Günther Bredehorn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000256, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Änderung des Tierschutzgesetzes aus dem Jahre 1972 ist notwendig. Darüber sind wir uns hier alle einig. Die Beurteilungsmaßstäbe, die wir heute an einen ausreichenden Tierschutz anlegen, sind nicht mehr dieselben wie vor 13 Jahren. Unser Verständnis für das Wohlergehen der Tiere und unsere Verantwortung für die uns in Obhut gegebenen Lebewesen haben sich gewandelt. In dem uns vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung gibt es zahlreiche Detailverbesserungen, die nach Ansicht der FDP zeigen, daß die Novelle ein Schritt in die richtige Richtung ist. Der Änderungsentwurf trägt in weiten Teilen den Forderungen der Tierschützer Rechnung, ohne daß der Gesetzgeber dabei den Sinn für das RealisierBredehorn bare verloren hat. So wird es zu einer drastischen Einschränkung der Tierversuche kommen, da Tierversuche nur noch dann genehmigt werden, wenn sie unerläßlich sind und nicht durch andere Methoden oder Verfahren ersetzt werden können. Tierversuche zur Beurteilung der gesundheitlichen Unbedenklichkeit der Anwendung von Kosmetika bedürfen in Zukunft einer ausdrücklichen Genehmigung. Die Erforschung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden, insbesondere unter Einsatz von Zell- und Gewebekulturen und Bakterien, soll zukünftig intensiv gefördert werden. Alle Tierversuchseinrichtungen müssen künftig einen oder mehrere qualifizierte Tierschutzbeauftragte bestellen. Zur Unterstützung der Behörden, die über die Genehmigung von Tierversuchen entscheiden, werden sogenannte Ethik- Kommissionen berufen. Wer Versuchstiere züchten oder mit ihnen handeln will, muß dies den zuständigen Behörden anzeigen. Er muß die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten haben und auf Verlangen nachweisen. Alle Rechtsvorschriften, also z. B. das Arzneimittelgesetz, das Pflanzenschutzgesetz und das Chemikaliengesetz, die zum Schutz des Verbrauchers Tierversuche vorschreiben, werden mit dem Ziel einer Einschränkung der Versuche überprüft. Entsprechende Änderungen unter besonderer Berücksichtigung des Einsatzes von Ersatz- und Ergänzungsmethoden wollen wir anstreben. Trotz dieser Verbesserungen sind für die FDP noch einige Fragen offen. Gerade in den Fragen, welche die Datenbank, den LD-50-Test, Tierversuche für kosmetische Produkte und Tabakwaren und den Transport von Tieren berühren, müssen wir in den jetzt anstehenden Beratungen noch Klarheit darüber gewinnen, was das Gesetz in diesen Fällen leistet. Bei jedem von uns gehen täglich im Büro Briefe zum Thema Tierschutz ein. Die meisten dieser Briefe stammen aus der Feder engagierter Tierschützer. Ich freue mich, daß uns auch heute bei dieser Debatte im Plenum eine ganze Anzahl Tierschützer zuhören. Diese Briefe beschäftigen sich insbesondere mit folgenden Problemen: erstens Tierversuche - ja oder nein? - zweitens Ethik - die Frage nach dem Gebrauch und Verbrauch von Tieren, drittens die Frage: Ist die Massentierhaltung Tierquälerei? Zum ersten Punkt, den Tierversuchen: Die FDP tritt seit langem für eine drastische Reduzierung von Tierversuchen ein. Durch strengere Regelungen wird das vorliegende Gesetz dazu führen, daß die Zahl der Tierversuche drastisch vermindert wird. Ein totales Verbot ist nach unserer Ansicht im Augenblick nicht möglich, da wir sonst der Wissenschaft und Forschung, also der Grundlage unserer Zukunft, den Teppich unter den Füßen wegziehen würden. Dennoch ist gerade die Reduzierung der Tierversuche das Kernstück des zu behandelnden Gesetzes. In ihm sind höhere Anforderungen an die Genehmigungsvoraussetzungen festgeschrieben. Die Anzeigepflicht ist erweitert worden, und der Gebrauch von Wirbeltieren zu Versuchszwecken wird eingeengt. Auch in der Aus- und Fortbildung wird man künftig mit weniger Versuchen am lebenden Tier auskommen müssen. Für die FDP-Fraktion begrüße ich diese Einschränkungen. Bei den kommenden Beratungen werden wir sehr genau prüfen, ob der Tierversuch, z. B. im Bereich der Kosmetik wirklich unerläßlich ist. Mir scheint, daß dies noch ein Feld ist, auf dem Einschränkungsmöglichkeiten ohne weiteres gegeben sind. Der vorliegende Gesetzentwurf wird dazu führen, daß die Zahl der Tierversuche in einzelnen Bereichen um bis zu 50 % vermindert wird. Tierversuche insgesamt zu verbieten würde zu einer nach unseren derzeitigen Erkenntnissen nicht zu verantwortenden Beeinträchtigung der wissenschaftlichen Forschung führen. Das, was sogenannte alternative Methoden mit Mikroorganismen, Zellkulturen, biochemischen Substanzen und dem Reagenzglas leisten können, muß noch mehr als bisher gefördert werden. Nur dann ist gewährleistet, daß die Zahl der Tierversuche kontinuierlich weiter abgebaut werden kann. Mit über 6 Millonen DM hat das Forschungsministerium 1984 Projekte, die Ersatzmethoden entwikkeln, gefördert. Ich gehe davon aus, daß dieser Betrag zwangsläufig mit der Novellierung des Tierschutzgesetzes in Zukunft aufgestockt wird. Zum zweiten Punkt, der Ethik. Es war die FDP, welche die Einrichtung von Fachkommissionen - jetzt sagt man „Ethik-Kommissionen" - zur Beratung der Länderbehörden, die Tierversuche zu genehmigen haben, durchgesetzt hat. Diese Kommissionen sollen auf Grund ihres wissenschaftlichen und tierschützerischen Sachverstandes den Behörden beratend zur Seite stehen. Ich halte die EthikKommission für eine ganz wichtige Einrichtung, in der auch die Tierschützer ihre Verantwortung unter Beweis stellen können. Ich möchte das Thema Ethik hier nicht in aller Breite auswalzen, auch wenn es im Tierschutz besonderes Gewicht einnimmt. Nur eine Bemerkung: Meiner Meinung nach wird nur der sparsame und verantwortungsvolle Gebrauch des Begriffs „Ethik" seiner besonderen Bedeutung gerecht. Ich sage hier auch, daß ich wegen der Bezeichnung „Ethik-Kommission", die hohe Ansprüche von fast philosophischem Ausmaße erweckt, etwas skeptisch bin. Der dritte Punkt sind die landwirtschaftlichen Nutzviehhaltung, speziell die größeren Tierbestände, oder die Massentierhaltung. Dazu liegen uns ja der Antrag der SPD und der Antrag der GRÜNEN speziell zur Käfighaltung von Hühnern vor. Glücklicherweise befindet sich die landwirtschaftliche Nutztierhaltung noch überwiegend in bäuerlicher Hand. Bedenklich wird es, wenn wir uns die bodenunabhängige Produktion bei Mastschweinen und in noch stärkerem Ausmaß in der Hühnerhaltung vergegenwärtigen. Größere, kostengünstige Bestände bedeuten gleichzeitig Wettbewerbsvorteile auf dem Markt. Dies darf für uns allerdings kein Grund sein, in Tierschutzfragen nachlässig zu werden. Da greife ich gerne auf die Argumentation der SPD zurück, die in ihrer Antragsbegründung ausdrücklich sagt, daß Nichtstun auf keinen Fall mit einer nicht vorhandenen EG-Harmonisierung begründet werden darf. ({0}) Zu den Problemen einer artgerechten Haltung kann man natürlich einiges sagen. Gerade die moderne Entwicklung z. B. hin zum Laufstall hat für die Tiere ja sicher zur Bedingung, daß sie artgerechter gehalten werden als jahrhundertelang in den Anbindeställen. Das ist z. B. ein Punkt. Auf der anderen Seite hat die Bundesregierung Modellversuche unterstützt und finanziert zur Volierenhaltung von Hühnern. Diese Dinge sind im Fluß. Wir müssen die Ergebnisse, die teilweise vorliegen, jetzt auch richtig interpretieren. Die umstrittene Käfighaltung wird in der anstehenden Tierschutzdiskussion einen breiten Raum einnehmen. Dabei fühlen wir Politiker uns durch die Wissenschaft etwas im Stich gelassen, denn es scheint nicht nachweisbar zu sein, daß Käfighühner wirklich leiden. Auf dieser Meinung fußt auch das jetzt ergangene Gerichtsurteil in Darmstadt, das zwei hessische Hühnerhalter freigesprochen hat. Jede Haltungsform hat Nachteile. In Käfigen sind die Hühner in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt, in der Bodenhaltung sind sie Krankheiten bis hin zum Kanibalismus ausgesetzt. Schließlich hat auch der Verbraucher ein gewichtiges Wort mitzureden. Ob dieser nämlich bereit ist, für das eine Ei tiefer in die Tasche zu greifen als für das andere, ({1}) ist nach einer Untersuchung, die das Wickert-Institut durchgeführt hat, zweifelhaft. Danach sagten mehr als zwei Drittel der Befragten, daß sie gegen ein Verbot der Käfighennenhaltung seien. Wir begrüßen es, daß es jetzt möglich ist, eine differenzierte Kennzeichnung von Boden- und Käfigeiern einzuführen, damit der Verbraucher eine Wahlmöglichkeit hat. Meine Damen und Herren, die FDP ist sich der aufgezeigten sensiblen Fragen des Tierschutzes bewußt. Wir erhoffen uns durch eine Anhörung, die unsere Fraktion im nächsten Monat mit Sachverständigen durchführt, nützliche Erkenntnisse, die wir mit in die Ausschußberatungen hineintragen und verwerten wollen. Schönen Dank. ({2})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Handlos.

Franz Handlos (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000799, Fraktion: Fraktionslos (Fraktionslos)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wurde von zahlreichen Tierschutzverbänden, von Tierschützern, auch von meiner Partei, der Freiheitlichen Volkspartei, gebeten, ({0}) zu diesem Thema im Parlament zu sprechen. Ich dachte, daß es hier allgemeines Schmunzeln gibt. ({1}) - Sie können sich dann bei mir privat erkundigen, Herr Kollege. - Aber wer zuletzt lacht, lacht am besten, und ich wußte genau, was kommt, wenn ich hier spreche. Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/3158 handelt es sich unserer Meinung nach nicht um ein Tierschutzgesetz, verehrter Herr Kollege, sondern um ein Tiernutzungsgesetz. Tiere haben bekanntlich in Bonn keine Lobby, im Gegensatz zur Pharmaindustrie. In der Pharmazie würden 200 Medikamente genügen. 20 000 Medikamente mit gleicher Wirkung sind auf dem Markt. Dafür wurden Millionen von Tieren zu Tode gequält. Wir betrachten uns als Partei der Tierschützer auf allen Ebenen. Für uns sind Tiere keine Sache im Sinne des BGB, sondern Lebewesen, die Angst und Schmerzen verspüren. Wir wenden uns deshalb mit Entschiedenheit gegen weitere Tierversuche. Es gibt in der Zwischenzeit - das wissen wir alle - genügend alternative Methoden. Meine verehrten Kollegen, es ist beschämend, daß die Bundesregierung nicht einmal weiß, wieviel Versuchstiere in der Bundesrepublik Deutschland jährlich zu Tode gequält werden. Die geschätzte Zahl von 7 Millionen Versuchstieren stimmt schon deshalb nicht, da nach einer Auskunft des hessischen Sozialministers - Drucksache 11/54 - in einem Jahr allein in Hessen 2,3 Millionen Tiere - wie es im Amtsdeutsch so schön heißt - verbraucht worden sind. Nach Schätzungen von Fachleuten werden in Tierversuchsanstalten der ganzen Welt täglich 300 000 Tiere zu Tode gefoltert. Unter anderem werden folgende Zahlen genannt: 90 Millionen: USA; 14 Millionen: Bundesrepublik Deutschland; 5 Millionen: England; 3 Millionen: Schweiz. Der Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes ist in vielen Teilen nur nach außen fortschrittlich, tatsächlich jedoch rückschrittlich. Dieser Entwurf wird von uns aus folgenden Gründen abgelehnt: Erstens. Wir erheben Einspruch gegen § 2 des vorliegenden Entwurfs. Nach der vorgelegten Fassung des § 2 entscheidet der Bundesernährungsminister über die Nutztierhaltung, weil er in § 2 a ermächtigt werden soll, die Anforderungen an die Nutztierhaltung näher zu bestimmen. Wir fordern statt dessen eine verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere und das Verbot der dauernden Einschränkung ihres artgemäßen Bewegungsbedürfnisses. Die Schutzbestimmungen für unsere Nutztiere müssen den Bestimmungen des § 2 des Tierschutzgesetzes von 1972 entsprechen und endlich erlassen werden. Meine Damen und Herren, das Schweizer Tierschutzgesetz von 1981 hat wesentlich humanere BeHandlos stimmungen für die Nutztierhaltung als unser Tierschutzgesetz. Anders als in den EG-Staaten sind Legebatteriekäfige in der Schweiz mit einer Übergangsfrist verboten worden. Dies ist ein Erfolg der Schweizer Bevölkerung, die j a plebiszitär darüber abgestimmt hat. In solchen Fällen würde ich sagen: Es wäre sehr vorteilhaft, wenn es auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland in dieser Hinsicht Volksbegehren und Volksentscheide geben würde, weil sich die Bevölkerung in dieser Frage dann tatsächlich artikulieren könnte. Zweitens. Tierversuche können nach wie vor aus allen erdenklichen Gründen durchgeführt werden. Der Gesetzentwurf ist nicht geeignet, die Leiden der Versuchstiere einzudämmen. Drittens. Die Stellung der Tierschutzvereine muß gestärkt werden. Wir fordern darüber hinaus für die Käfighaltung von Nutztieren erweiterte Normen. Wir verlangen strenge Maßstäbe für Tiertransporte auf internationaler Ebene und wenden uns mit Entschiedenheit gegen die Jagd auf Singvögel in der Europäischen Gemeinschaft. Viertens. Der Gesetzentwurf bietet nicht die geringste Gewähr für eine wirksame Kontrolle bei der Genehmigung und Kontrolle von Tierversuchen. Ich darf in diesem Zusammenhang ein Wort zu dem Thema Bundeswehr und Tierversuche sagen. Ich glaube, es ist hier allgemein bekannt, daß ich in allen Bereichen ein Befürworter der Bundeswehr bin. Ich war ja nicht zuletzt über ein Jahrzehnt im Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages. Durch das Eingreifen der politischen Führungsspitze des Verteidigungsministeriums wurde vor kurzem dankenswerterweise der Bau einer neuen Tierversuchsanstalt der Bundeswehr gestoppt. Ich darf jedoch an den Verteidigungsminister bzw. an seinen Staatssekretär, der hier ist, appellieren, diese Tierversuche ganz einzustellen. Warum? Wir vertreten die Auffassung, daß wir an den Bundeswehrkrankenhäusern in Koblenz und Ulm keine sogenannte Forschung in dieser Richtung benötigen. Außerdem sind wir der Auffassung, daß in den sechs Wehrbereichen auch keinerlei Veterinärversuchsanstalten für Tierversuche notwendig sind. Der Verteidigungsminister benötigt sowieso ständig neue Finanzmittel zur Stärkung der Kampfkraft der Armee. Herr Kollege Würzbach, hier bestünde eine Möglichkeit, um auf diese Art und Weise einzusparen. Ich habe mich auch davon überzeugen lassen: Die Versuche sind wirklich unnötig. In diesem Zusammenhang darf ich grundsätzlich die Nützlichkeit von Tierversuchen für das Leben und das Wohlergehen der Menschen bezweifeln, nachdem das Bundesgesundheitsamt z. B. 1983 in 43 Fällen Zulassungen für Präparate zurückziehen mußte, die in Tierversuchen getestet worden sind. Sie alle erinnern sich an das Thema Contergan. Es wurde in unzähligen Versuchen erprobt, und dann hatte es diese verheerende Wirkung auf die Menschen. Ich glaube deshalb, daß Tierversuche nur in ganz eingeschränktem Maße dem Wohlergehen der Menschen dienen können. ({2}) Was dringend notwendig ist, ist - das wurde heute schon von verschiedenen Kollegen gesagt - die Schaffung einer Datenbank, um alle Ergebnisse zu speichern und um zu vermeiden, daß ständig neue Tierversuche in Gang gesetzt werden. Meine Damen und Herren, wir sehen gar nicht ein, daß für die Erprobung von Tabakerzeugnissen - bei denen sowieso daruntersteht, daß sie gefährlich sind -, von Körperpflegemitteln sowie von Wasch- und Reinigungsmitteln nach wie vor Hunderttausende von Tieren zu Tode gequält werden sollen. Wir brauchen keine neuen Waschmittel, die noch weißer waschen, und wir benötigen auch - die Damen mögen dies entschuldigen - keine neuen Parfums, die noch besser riechen als die bisherigen, wir brauchen keine neuen Lippenstifte und Haarfärbemittel auf Kosten der brutal ausgebeuteten Tiere. Was wir benötigen, ist ein echtes Tierschutzgesetz, meine verehrten Kollegen und kein Tiernutzungsgesetz. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu dieser Debatte liegen nicht vor. ({0}) - Hier liegt keine mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/2703, 10/3158 - ({1}) - Bei mir lag keine Wortmeldung mehr vor, aber wenn für die Debatte noch Zeit zur Verfügung stand, bin ich gerne bereit, nochmals das Wort zu erteilen. Wer soll noch sprechen? ({2}) - Nachdem wir festgestellt haben, daß die vereinbarte Redezeit das noch zuläßt, erhält der Abgeordnete Michels in der Debatte zum Thema Tierschutz, die wir soeben geführt haben, das Wort. Bitte!

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das zur Zeit gültige Tierschutzgesetz aus dem Jahre 1972 gilt, wenn wir die Schweiz ausnehmen, weltweit als ein Regelungsrahmen, der bisher dem berechtigten Schutz des Tieres noch am ehesten gerecht geworden ist. Da die Entwicklung aber keinen Stillstand kennt, sind wir auch verpflichtet, neue Erkenntnisse in einem immer größeren Maße dem Schutz der uns anvertrauten Tiere dienen zu lassen. Diese Haltung liegt dem Bemühen der Bundesregierung zugrunde, durch einen neuen Tierschutzgesetzentwurf unserer ethischen Verpflichtung gegenüber dem Tier Rechnung zu tragen. Das bedeutet allerdings nicht, daß dieser Entwurf unverändert - so, wie er ist - Gesetz wird. Verehrte Frau Schmidt, Sie haben es bei der Vorstellung Ihres Entwurfs eben unterlassen, auf das von der SPD 1982 verabschiedete Chemikaliengesetz hinzuweisen, ({0}) nach welchem Tierversuche großen Ausmaßes gerade vorgeschrieben sind. Ich betone: Das Gesetz stammt aus dem Jahre 1982. Meine Damen und Herren, die Diskrepanz, der wir draußen begegnen, läßt sich wie folgt beschreiben: Die einen lehnen jeden Tierversuch mit der Begründung ab, es sei uns Menschen nicht gestattet, uns als sogenannte Krone der Schöpfung zu betrachten und das Tier je nach Bedarf in unseren Dienst zu stellen. Ein anderer Teil unserer Mitbürger hat gegenüber Tierversuchen und Tierhaltung weit weniger Vorbehalte; viele aber bemühen sich darum, das Verhältnis zwischen Mensch und Tier auf das höchstmögliche Niveau ethischer Verantwortung für die uns anvertraute Kreatur zu stellen. Bei der nun beginnenden Beratung des heute eingebrachten Entwurfs wird sich meine Fraktion von unserer gemeinsamen Verantwortung für Mensch und Tier leiten lassen. Der Gesetzentwurf beinhaltet wesentliche Verbesserungen gegenüber dem zur Zeit noch gültigen Gesetz. Ich bin den Tierschutzorganisationen, die uns durch ihre Aktivitäten in dem bisherigen Bemühen tatkräftig unterstützt haben, sehr dankbar. Uns, dem Gesetzgeber, kann natürlich niemand die Verantwortung abnehmen, umfassend zu analysieren und einen Weg einzuschlagen, der zu einem möglichst optimalen Schutz der Tiere führt. Niemand sollte aber außer acht lassen, daß auch und gerade in dieser Angelegenheit eben dem Gesundheitsanspruch des Menschen die Priorität gebührt. Einige mir wesentlich erscheinende Eckpunkte möchte ich hier ansprechen: Erstens. Wirbeltiere dürfen in Zukunft nur noch für Versuchszwecke genutzt werden, wenn sie aus speziellen Zuchtbetrieben stammen. Ausnahmen sollen nur im besonders nachgewiesenen Bedarfsfall möglich sein. Vielen, die wissenschaftliche Versuche machen, geht diese Einschränkung zu weit. Die Tierschutzorganisationen befürchten Mißbrauch. Zweitens. Ethikkommission und Tierschutzbeauftragte werden in Zukunft bei Genehmigung und Durchführung von Tierversuchen entscheidend mitwirken. Über die Zusammensetzung der Ethikkommission gibt es zwischen Wissenschaft und Tierschutzorganisationen noch widerstreitende Ansichten. Drittens. Der Entwurf sieht den Wegfall der Ausnahmeregelung für das Kupieren der Ohren bei Hunden vor. Wir sind der Meinung, daß wir hierzu noch einmal sehr eingehend die fachliche Seite hören müssen. Viertens. Versuche zur Erprobung von Kosmetika und Tabakwaren sollen nach dem Entwurf in Zukunft einer besonderen Genehmigung unterworfen werden. Hier müssen nach unserer Meinung bei der Beratung der diesbezügliche Bedarf und das Gesundheitsinteresse der Bevölkerung sehr nüchtern analysiert werden. Nicht nur im Bereich der Kosmetikforschung, sondern darüber hinaus sehe ich Probleme darin, daß von einem Institut bei Tierversuchen gewonnene Erkenntnisse nicht ohne weiteres von anderen Stellen genutzt werden können. Leider stehen entschädigungs- und patentrechtliche Gegebenheiten der Einrichtung und optimalen Nutzung einer Datenbank noch entgegen. Eines soll hier schon heute deutlich zum Ausdruck gebracht werden. Der sogenannte LD 50-Test wird von uns aufs allerschärfste unter die Lupe genommen. Ein positiver Wettstreit von Wissenschaft und Forschung einerseits sowie Tierschutzorganisationen andererseits wird mit Sicherheit dazu beitragen können, daß die parlamentarische Beratung dieses Gesetzes auf einem hohen Niveau geführt werden kann und zu einem optimalen Ergebnis für Mensch und Tier führen wird. Für meine Fraktion kündige ich schon heute an, daß wir die Einführung eines Tierschutzberichtes im Abstand von zwei Jahren sehr wohlwollend prüfen werden. Ein solcher Bericht gäbe uns die Möglichkeit, den Erkenntnisfortschritt in kürzeren Abschnitten schnellstens umzusetzen. Wir sehen hierin jenen gesetzlichen Rahmen, der uns die Entwicklung alternativer Methoden zeitlich limitiert vorantreiben läßt, um sie dann schnellstmöglich zu übernehmen. In seinem weiteren Teil bezieht sich der Entwurf eines Tierschutzgesetzes auf den Bereich der Nutztierhaltung. Die gebotene Versorgung unserer Bevölkerung mit tierischen Produkten macht eine besondere arbeits- und tiergerechte, aber auch wirtschaftliche Tierhaltung erforderlich. Der gesamte Bereich der Agrarproduktion unterliegt aber europäischer Rechtszuständigkeit. Alleingänge - wir kennen solche Vorstöße aus dem Land Hessen - sind nicht geeignet, dem Anliegen der Tiere auch anderswo in Europa gerecht zu werden. Tierschutz kann nicht punktuell sein. Tierschutz muß, wenn er ehrlich angegangen wird, so umfassend wie nur möglich sein. Ich verweise in diesem Zusammenhang auf das erst kürzlich ergangene Urteil der 5. Großen Strafkammer in Darmstadt. Mit diesem Gesetz berühren wir mit einer kaum vergleichbaren Intensität den gesamten Bereich der Gesundheitsvorsorge und der menschlichen Ernährungssicherung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich muß Sie aufmerksam machen, daß die Redezeit nun vorüber ist.

Meinolf Michels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001502, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich bin gleich am Ende. Wir nehmen uns selbst gegenüber der anvertrauten Kreatur in einem höchstmöglichen Maß in die Verantwortung. Hier ist umfassende VerantworMichels tung gefragt, und ich darf Sie alle bitten, hieran mitzuwirken. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nun nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/2703, 10/3158, 10/2704, 10/1885 und 10/2868 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Ich rufe Tagesordnungspunkt 7 auf: Beratung der Sammelübersicht 76 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/3210 Hierzu liegt auf Drucksache 10/3331 ein Änderungsantrag der Abgeordneten Mann, Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich höre dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Schierholz.

Dr. Henning Schierholz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001964, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Mitglieder aus Bürgerinitiativen gegen Munitionsdepots! Es handelt sich bei der zur Debatte stehenden Petition, Herr Carstensen - wenn Sie unseren Änderungsantrag gelesen haben, wissen Sie das -, um die Eingabe einer Bürgerinitiative, die sich gegen die Einrichtung eines neuen Munitionsdepots und insbesondere gegen dessen möglichen Charakter als A-, B- oder C-Waffenlager in der Nähe von Rotenburg an der Wümme zwischen Hamburg und Bremen wendet. Für uns GRÜNE ist diese Eingabe von elementarer Bedeutung. Der erste Grund dafür ist, daß wir alle diese Bürgerinitiativen gegen Naturzerstörung und Landschaftsverbrauch zu militärischen Zwecken nachdrücklich unterstützen. An ca. 200 Stellen, vornehmlich in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Osthessen und Bayern, werden zur Zeit Munitionsdepots gebaut oder geplant. Zweitens finden wir es dringend notwendig, daß wesentlich häufiger am hellichten Tage an dieser Stelle über die Anliegen von Bürgerinitiativen, von Bürgerinnen und Bürgern, die von diesem Parlament etwas erwarten, direkt diskutiert wird. ({0}) Wenn es die Bundesregierung mit ihren Versprechungen zu dem Thema ernst nähme, dann müßte sie hier eigentlich auch sagen: Frieden schaffen mit immer weniger Munitionsdepots. ({1}) Aber das tut sie nicht. Sie verwickelt sich wie an anderen Stellen in Widersprüche. Auch die Stellungnahme des Bundesministeriums der Verteidigung vom 18. Mai 1984 zu der Petition, die zu dem Schluß kommt, daß der Charakter des Munitionsdepots nicht offengelegt werden könne, enthält Widersprüche und ist zudem zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr zutreffend; denn darin wird behauptet, die Bundesrepublik Deutschland habe sich gegenüber der NATO verpflichtet, Lagerorte von Kernwaffen geheimzuhalten. Diese tatsächlich nahezu 30 Jahre lang geübte Praxis ist erstmals am 12. Dezember 1984 durchbrochen worden, als das BMVg offiziell bestätigt hat, der Raum Wüschheim im Hunsrück sei als Stationierungsort für die neuen atomaren Mittelstreckenraketen vom Cruise Missile vorgesehen. In der „Tageszeitung" vom 19. Oktober 1984 und im „Spiegel" vom 22. April 1985 sind die Baupläne für alle interessierten Menschen nachzulesen. Daraus ist ganz eindeutig zu entnehmen, daß dort Atomwaffen lagern sollen. Auch dem Untersuchungsbericht, den uns das BMVg über den Pershing-Unfall in der Waldheide bei Heilbronn zugeleitet hat, ist eindeutig zu entnehmen, daß in Heilbronn - Fachleute können daraus schließen, daß das auch bei den anderen Pershing-Einheiten so ist - bzw. in unmittelbarer Nähe Atomwaffen lagern. Von daher bestehen Widersprüche. Die Besorgnis in der Bevölkerung gegenüber der Stationierung oder der Lagerung atomarer oder chemischer Waffen ist vollauf berechtigt. ({2}) - Herr Carstensen, passen Sie mal auf, nach Nordstrand kommt sonst auch noch so ein Ding. ({3}) Dementsprechend ist nicht einzusehen, weswegen das Begehren der Petentin, der Bürgerinitiative, nicht klar beantwortet werden kann. Denn richtig ist in der Stellungnahme des BMVg vom 18. Mai 1984, daß Atomwaffen in speziell gesicherten Schutzbauten gelagert werden, die wiederum von technisch und personell abgesicherten Sicherheitsbereichen umgeben sind. Jeder Fachmann kann nachlesen, wie das aussieht. Darüber gibt es Broschüren. Gehen Sie einmal in den nächsten Buchladen. Da können Sie nachlesen, wie das mit den Atomwaffen aussieht. Und lesen Sie einmal die Veröffentlichungen von Brauch oder Rabe; auch dort können Sie genau entnehmen, wie es ausieht und wo chemische Waffen - das wissen wir mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit - heute in der Bundesrepublik lagern. Aus diesem Grund ist überhaupt nicht einleuchtend, weswegen Bürgerinitiativen, die sich gegen die Anlage von Munitionsdepots wenden, von der Bundesregierung und den zuständigen Stellen nicht klar und nicht eindeutig über den Charakter des beabsichtigten Bauvorhabens informiert werden. Die beste Lösung - das will ich nicht verschweigen - wäre natürlich der vollständige Abzug der atomaren und chemischen Waffen aus der Bundesrepublik. ({4}) Aber da die Bundesregierung dazu nicht gewillt ist, fordern wir kurzfristig: erstens, keine weiteren Eingriffe in Natur und Landschaft für militärische Zwecke, keine weiteren Munitionsdepots, ({5}) zweitens, entsprechende Änderungen des Landbeschaffungsgesetzes und des Schutzbereichsgesetzes, die erstens bürgerfeindlich sind, Frau Berger, und zweitens ihre Wurzeln - und das stimmt mich besonders traurig - im Jahre 1935 haben. Deswegen gehören sie schleunigst geändert. Wir unterstützen diese Petition der Bürgerinitiative in Scheeßel. Deswegen bitte ich, unserem Änderungsantrag auf Drucksache 10/3331 Ihre Zustimmung zu geben. Vielen Dank. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.

Dr. Reinhard Göhner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000697, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Ausnahme der Tatsache, daß es bei dieser Petition um ein Munitionsdepot geht, hatte die Begründung des Antrags des Kollegen der GRÜNEN nichts mit der wirklichen Petition zu tun. ({0}) Sie haben offensichtlich, ich nehme an, bedingt durch die Notwendigkeit der Einarbeitung als Nachrücker, nicht die Zeit gehabt, die Petitionsakte wirklich zu lesen. ({1}) Die Bürgerinitiative verlangt eine Zusicherung der Bundesregierung, daß bei diesem geplanten niederländischen NATO-Munitionsdepot in Scheeßel, einer niedersächsischen Gemeinde, keine atomaren, chemischen und biologischen Waffen gelagert werden. Nun können Sie in den Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums leicht nachlesen: Erstens. Biologische Waffen gibt es in der NATO nicht. Zweitens. Die Niederländer haben völkerrechtlich definitiv auf die eigene Verfügung über chemische und atomare Waffen verzichtet. - Da es sich um ein niederländisches Munitionsdepot handelt, in dem ausschließlich niederländisches Material gelagert wird, ist die Petition damit erledigt. Wenn Sie jetzt sagen, Sie wollten diese Petition der Bundesregierung zur Erwägung überweisen - das ist Ihr Antrag -, dann ist damit offenbar nur gemeint, daß Sie eine Diskussion über allgemeine Fragen der Lagerung von Waffen in der Bundesrepublik haben wollen. ({2}) Mit der Petition, dem Anliegen, so, wie es sich nach der Akte und dem Antrag der Bürgerinitiative dargestellt hat, hat das überhaupt nichts zu tun. ({3}) Deshalb möchte ich zunächst einmal etwas zu einer Grundsatzfrage sagen. Sie müssen sich einmal mit der Frage befassen, ob Sie eigentlich in Zukunft Petitionen und das Petitionswesen dazu mißbrauchen wollen, allgemeine, möglicherweise interessante grundsatzpolitische - hier sicherheitspolitische - Fragen aufzuzäumen und über diesen Weg ins Plenum zu zerren, unabhängig davon, ob das mit der Petition etwas zu tun hat. ({4}) Damit gefährden Sie eine wichtige Grundlage der Zusammenarbeit im Petitionsausschuß und im Petitionswesen; denn wenn Sie fortfahren, diese Parteipolitisierung und Profilierung in diesen Bereichen durchzuführen - etwa dann, wenn eine Bürgerinitiative dahintersteht - und das sofort zu Grundsatzfragen zu erheben und hier ins Plenum zu holen, ({5}) dann bedeutet das, daß Sie die bewährte, traditionelle Arbeit im Petitionsausschuß, die eigentlich nicht primär Oppositionsfraktionen und Regierungsfraktionen kennt, sondern gemeinsames Bemühen, Regierung, Behörden, Bundesbehörden, zu kontrollieren, zunehmend in Frage stellen. Ich frage Sie ernsthaft, ob Sie das wollen. ({6}) Im übrigen muß ich Ihnen zu Ihren Grundsatzfragen, die Sie hier aufgeworfen haben, sagen: Das haben wir hier im Plenum vielfach diskutiert. Wir haben beispielsweise zu der Frage der chemischen Kampfstoffe hier im Plenum vor wenigen Monaten eine besondere mehrstündige Debatte gehabt. Ich darf daran erinnern - wenn Sie über Lagerorte chemischer Kampfstoffe reden -: Wir unterstützen die Bundesregierung nachdrücklich in ihrem Bestreben, ein weltweites kontrollierbares Verbot jeglicher chemischer Kampfstoffe zu erreichen. ({7}) Wir haben zur Zeit in Genf nicht nur die Abrüstungsverhandlungen der Supermächte, sondern auch die Genfer Abrüstungskonferenz, an der über 40 Staaten beteiligt sind. ({8}) Die Bundesregierung ist dort bemüht, ein weltweites Verbot chemischer Kampfstoffe zu erreichen. Wenn Sie in diesem Zusammenhang schon Grundsatzfragen aufgreifen, dann sollten Sie das politisch unterstützen ({9}) und auch darüber reden, daß seit 1969 die USA - wir sowieso schon lange, wir haben nie selbst chemische Kampfstoffe gehabt - auf die Produktion chemischer Kampfstoffe verzichtet haben. ({10}) Und seit dieser Zeit, in der ein Einfrieren vorhandener Bestände erfolgte, hat die Sowjetunion die Produktion chemischer Waffen ganz stark ausgeweitet. Wir haben mittlerweile ein Verhältnis von 10 : 1. Das heißt, die Sowjetunion hat ein zehnmal so großes Reservoir an chemischen Kampfstoffen. Wir treten für die weltweite, kontrollierbare Abschaffung dieser Waffen ein, weil wir glauben, daß neben einer nuklearen Abschreckung nicht auch noch eine chemische erforderlich ist. ({11}) Sie wollen den Petitionsausschuß offenbar zu einer Art Überausschuß machen. Das, was eigentlich in die Fachausschüsse - hier: in den Verteidigungsausschuß - gehört, was dort möglicherweise an Grundsatzfragen diskutiert werden muß, sollten Sie nicht in den Petitionsausschuß bringen. ({12}) Der Petitionsausschuß muß Anwalt der Bürger bleiben und hat sich nur mit den Anliegen der Petenten zu befassen. Ihr Anliegen war nicht das der Petenten. Sie haben wieder einmal aus einem konkreten Anliegen eine große politische Grundsatzfrage machen wollen. Machen Sie das dort, wo Sie es machen können, in den Sachdebatten in den Ausschüssen, aber mißbrauchen Sie nicht weiterhin das Petitionswesen. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Kirschner.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Petition, um die es hier geht - dies wurde j a schon gesagt -, kommt von einer Bürgerinitiative mit ca. 900 Unterschriften, die uns vorliegen. Dieser Bürgerinitiative geht es darum - um das genau geht es, Herr Kollege Schierholz -, daß in dem geplanten holländischen NATO-Depot im Landkreis Wümme in Niedersachsen keine ABC-Waffen und -Kampfstoffe gelagert werden. Darum geht es, das ist der Inhalt der Petition. Das sollten Sie sich noch einmal genau anschauen. ({0}) Wir haben es uns mit dieser Petition nicht leicht gemacht. ({1}) - Entschuldigen Sie bitte! Das mag zwar Ihre Meinung sein, aber es trifft einfach nicht zu, was Sie hier in den Raum stellen. Wir haben diese Petition sehr ernstgenommen. Wiederholte Anfragen von uns, seitens der SPD an die Bundesregierung - das werden Ihnen die anderen Kollegen bestätigen -, an den Bundesminister der Verteidigung haben die Antwort gebracht, daß - immer unterstellt, die Antwort stimmt - keine biologischen, chemischen oder atomaren Waffen und Kampfstoffe in diesem geplanten holländischen NATO-Depot gelagert werden. In der Stellungnahme des Bundesministers der Verteidigung heißt es - ich möchte das zitieren -daß die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion auf Grund des Abschlusses des Biotoxinwaffen-Vertrags von 1972 öffentlich und verbindlich erklärt haben, daß sie ihre Bestände an biologischen Kampfstoffen vernichtet haben. Damit ist die eine Frage schon einmal geklärt. Weiter hat der Bundesminister der Verteidigung mitgeteilt, daß die Niederlande Vertragsstaat des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom 1. Juli 1968 und nicht im Besitz eigener Nuklearwaffen oder chemischer Waffen sind. Deshalb können wir diese Petition in der Sache als erledigt betrachten. Wir werden dem Erwägungsantrag von Ihrer Seite deshalb nicht zustimmen. Wir gehen jedoch - das möchte ich hier ausdrücklich noch feststellen - nach den Antworten des Bundesministers der Verteidigung davon aus, daß innerhalb dieses NATO-Depots kein anderer Entsenderstaat nach dem NATO-Truppenstatut Einrichtungen unterhält, in denen atomare Munition lagert oder gelagert werden kann. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie in diesem Sinne handelt und dementsprechend auch bei allen Atomwaffenstaaten dafür eintritt. In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch eine ganz andere Frage, nämlich die Frage nach der Auskunftsverweigerung der Bundesregierung gegenüber dem Bundestag über die Lagerung von chemischen und atomaren Kampfstoffen und Waffen auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland. ({2}) - Aber bei diesem Problem geht es nicht um die zur Diskussion stehende Petition, Herr Schierholz. Lesen Sie doch einmal nach! ({3}) Ich will noch einmal erläutern, wie unsere Position ist: Während die US-Regierung - im Gegensatz zur deutschen Bundesregierung - das Parlament über solche Standorte informiert, verweigert die Bundesregierung dies. ({4}) Wie dürftig diese Argumentation der Bundesregierung in Wirklichkeit ist, wird daran deutlich, daß die Landesregierung von Rheinland-Pfalz - darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen, Herr Kollege Dr. George - ausdrücklich ermächtigt wurde, den Stationierungsstandort der Cruise Missiles im Bereich von Wünschheim im Hunsrück bekanntzugeben. Gleichzeitig betont das Bundesverteidigungsministerium, daß die Preisgabe des Stationierungsortes für die Marschflugkörper eine Ausnahme darstelle. Hier wird nicht nur mit zweierlei Maß gemessen, sondern eine Landesregierung - darauf kommt es mir an - höherrangig behandelt als der Deutsche Bundestag ({5}) - und dies, obwohl die Landesverteidigung nicht in die Kompetenz eines Bundeslandes, sondern eindeutig in die Kompetenz des Bundes und seiner Vertreter fällt. Dem Bundestag und seinen Abgeordneten werden Informationen verweigert, die einer Landesregierung gewährt werden. Die Verweigerung von Information durch die Bundesregierung über Ort und Umfang von atomaren und chemischen Waffen ist völlig unglaubwürdig. Ein weiteres macht die Unglaubwürdigkeit deutlich. Auf Grund des Unglücks auf der Heilbronner Waldheide hat Herr Wörner den Heilbronner Gemeinderat über die angeblichen Ursachen des Brandes der Pershing informiert. Fernsehen, Rundfunk und Zeitungen haben ausführlich darüber berichtet. Wie verträgt sich dies mit der sonstigen Praxis der Bundesregierung? Lassen Sie mich auch eines noch erwähnen. Es grenzt auch an Unverfrorenheit, wenn der Bundesminister der Verteidigung in einem Brief vom 18. Mai 1984 an den Petitionsausschuß schreibt - ich darf zitieren -: „Unabhängig von der Standortfrage nuklearer Waffen kann gesagt werden, daß eine Lagerung von Nuklearwaffen keine Gefährdung der Bevölkerung mit sich bringt." Wie das Unglück auf der Heilbronner Waldheide gezeigt hat, stimmt dies nicht. Lassen Sie mich feststellen: Die Zustimmung der SPD-Bundestagsfraktion, die Petition als erledigt zu betrachten - dies möchte ich noch einmal ausdrücklich unterstreichen -, bezieht sich nur auf die Petition und die darauf erfolgten Antworten der Bundesregierung. Daraus kann in keinem Fall eine Zustimmung zur Haltung der Bundesregierung zur Auskunftsverweigerung gegenüber dem Parlament über die Lagerung und Stationierung von atomaren und chemischen Waffen und Kampfstoffen abgeleitet werden. Dazu liegt auch eine Normenkontrollklage einiger SPD-Bundestagsabgeordneter beim Bundesverfassungsgericht vor. ({6}) Wir werden deshalb Ihren Antrag, die Petition zur Erwägung zu überweisen, ablehnen, weil er in der Sache nicht weiterführt. ({7}) - Das mag Ihre Meinung sein. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paintner.

Johann Paintner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001672, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel der heute vorliegenden Petition ist es, eine Zusicherung der Bundesregierung zu erreichen, daß in dem bei Westervesede im Landkreis Rotenburg/Wümme für die niederländischen Streitkräfte geplanten NATO-Depot keine biologischen, chemischen oder atomaren Waffen bzw. Kampfstoffe gelagert werden. Vor Ort ist - darauf weisen die Petenten hin - die Anlage des Depots auch aus anderen Gründen, z. B. solchen des Natur- und Landschaftsschutzes, umstritten. Allerdings werden diese Einwände fast für jeden möglichen Standort vorgebracht. Deshalb muß, wenn solche Depots überhaupt angelegt werden müssen, das Bestreben dahin gehen, die Bedenken soweit wie irgendwie möglich zu berücksichtigen, wozu es auch in diesem Fall zahlreiche Bemühungen gegeben hat und gibt. Ebenso gibt es immer wieder Anfragen nach der Art der in diesen Depots zu lagernden Waffen oder Kampfstoffe. Ich verweise hier z. B. auf die Fragestunde vom 9. Juni 1983 im Deutschen Bundestag, wo nicht nur für ein anderes Lager dieser Punkt, sondern hinsichtlich einer Frage meines Kollegen Dr. Hirsch ebenso die Grundlagen der vom Bundesverteidigungsministerium auch zur vorliegenden Petition herangezogenen Geheimhaltungsabkommen behandelt wurden. So gewichtig die Gründe sind, die sich aus diesen ja nicht erst jetzt abgeschlossenen Vereinbarungen, die Lagerungsorte atomarer Waffen und chemischer Kampfstoffe geheim zu halten, für die Stellungnahme des Bundesministers für Verteidigung zu dieser Petition ergeben, so begreiflich bleiben Unruhe und Bedenken, und es ist nicht leicht, verständlich zu machen, daß die Geheimhaltung auch dann gilt, wenn es nichts geheimzuhalten gibt, ({0}) d. h. am betroffenen Ort diese Waffen oder Kampfstoffe nicht gelagert werden. Allerdings ist meines Erachtens eine auf Fünfminutenbeiträge beschränkte Debatte zu einer Einzelpetition nicht die geeignete Gelegenheit, solche grundsätzlichen FraPaintner gen und Probleme ausreichend und ernsthaft zu behandeln. Das Verteidigungsministerium hat aber darauf hingewiesen, daß es biologische Waffen nicht gebe, weil sich die USA und die Sowjetunion verbindlich zur Vernichtung ihrer Bestände erklärt haben. Es hat in einer ergänzenden Stellungnahme ebenfalls mitgeteilt, daß die Niederlande, für deren Streitkräfte das Depot bestimmt ist, Vertragsstaat des Vertrages über die Nichtverbreitung von Kernwaffen seien und nicht über eigene Nuklearwaffen verfügen. Ebensowenig verfügen die Niederlande über chemische Waffen. Diese Auskünfte haben den Petitionsausschuß bewogen, die Petition für erledigt zu erklären. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal das unterstreichen, was der Kollege von der CDU/CSU schon gesagt hat: daß man Petitionen eben nicht mißbrauchen soll. Da aber die Petenten die Zusicherung wünschen, daß die gefürchteten nuklearen Waffen und chemischen Stoffe niemals dort gelagert werden, bliebe hinsichtlich einer künftigen Nutzung ein Rest von Unsicherheit. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch noch einmal auf die schon erwähnte Fragestunde vom 9. Juni 1983 verweisen, in der von seiten der Bundesregierung im Hinblick auf ein anderes Depot darauf hingewiesen wurde, daß - wörtlich - „Nutzungsänderungen bezüglich der eingelagerten Versorgungsgüter kaum möglich sind". Es geht den Petenten im Grunde j a nicht nur um die lokale Frage. Es geht ihnen - wie sie schreiben - auch um die befürchtete allgemeine Vergrößerung des Rüstungspotentials, die dem Wunsch aller Bundestagsparteien widerspräche, den Frieden mit immer weniger Waffen sichern zu wollen. ({1}) Dieses Ziel ist unser Ziel, und dieses Ziel ist sicherlich auch das Ziel der Bundesregierung. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über den Änderungsantrag der Abgeordneten Mann, Dr. Schierholz und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3331. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! ({0}) Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt worden. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/3210 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der in Rom am 28. November 1979 angenommenen Fassung des Internationalen Pflanzenschutzübereinkommens - Drucksache 10/1921 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1}) - Drucksache 10/3225 Berichterstatter: Abgeordneter Bayha ({2}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht. - Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen ist das Gesetz mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Margarinegesetzes - Drucksache 10/3159 Das Wort wird nicht gewünscht. - Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf zu überweisen zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft und den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({3}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe im Haushaltsjahr 1984 bei Kap. 60 04 Tit. 698 01 - Zahlungen nach dem Spar-Prämiengesetz -- Drucksachen 10/2943, 10/3214 Berichterstatter: Abgeordnete Austermann Dr. Weng ({4}) Frau Simonis Kleinert ({5}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird auch nicht gewünscht. - Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuß empfiehlt auf Drucksache 10/3214, von der Unterrichtung Kenntnis zu nehmen. Erhebt Vizepräsident Westphal sich hiergegen Widerspruch? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann ist das so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 15. Mai 1985, 13 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.