Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Meine Damen und Herren, am Montag erreichte uns die Nachricht, daß der gewählte Präsident der Föderativen Republik Brasilien, Tancredo Neves, am 21. April nach schwerer Krankheit im Alter von 75 Jahren verstorben ist, ohne daß er sein Amt antreten konnte.
Auf Präsident Tancredo Neves, der Brasilien zur Demokratie zurückführen sollte, hatten sich viele Hoffnungen gerichtet. Sein Tod hat im brasilianischen Volk und weit über die Grenzen seines Landes hinaus große Betroffenheit ausgelöst.
Ich habe dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer der Föderativen Republik Brasilien, Herrn Flavio Portela Marcilio, im Namen des Deutschen Bundestages folgendes Telegramm übermittelt:
Herr Präsident,
zum Tode des gewählten Präsidenten der Föderativen Republik Brasilien, Seiner Excellenz Herrn Tancredo Neves, spreche ich Ihnen und den Mitgliedern der Abgeordnetenkammer im Namen des Deutschen Bundestages und persönlich Beileid und Anteilnahme aus.
Präsident Tancredo Neves trug die Hoffnung des brasilianischen Volkes auf eine glückliche demokratische Entwicklung des Landes. Möge seine Persönlichkeit und die Wirkung seines politischen Vermächtnisses weiter wirken für Fortschritt, Gerechtigkeit und Freiheit in Brasilien.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Vor Eintritt in die Tagesordnung habe ich folgende Amtliche Mitteilungen zu verlesen.
Die Tagesordnung wurde durch eine interfraktionelle Vereinbarung geändert. Es liegt Ihnen eine Amtliche Mitteilung vor, aus der Sie die für heute vorgesehenen Änderungen entnehmen können:
Eine Mittagspause entfällt, weil die Aussprache über Punkt 2 der Tagesordnung - Erklärung der Bundesregierung - über 13 Uhr hinaus bis 14 Uhr dauern soll.
Der bisherige Punkt 5 a der Tagesordnung wird Punkt 7.
Die Punkte 5 b - Bericht der Bundesregierung über die schnellere und weitergehende Verminderung der Emissionen aus Altanlagen -, 6 - Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Mikrozensusgesetzes - und 7c - Antrag betr. Repräsentation der Bundesrepublik Deutschland im ehemaligen Konzentrationslager Auschwitz - sind abgesetzt.
Die bisherigen Punkte 7 a und b werden Punkte 5 a und b der Tagesordnung.
Der bisherige Punkt 8 der Tagesordnung wird Punkt 6.
Durch den Wegfall eines Tagesordnungspunktes, des bisherigen Punktes 6, werden die Punkte 9 bis 11 der bisherigen Tagesordnung zu den Punkten 8 bis 10.
Als neuer Punkt 11 werden die Sammelübersichten 74 und 75 des Petitionsausschusses in die Tagesordnung aufgenommen.
Weiterhin ist interfraktionell vereinbart worden, daß die verbundene Tagesordnung erweitert werden soll um den
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Bekämpfung des politischen Extremismus
- Drucksache 10/3238 Dieser Punkt soll zusammen mit Punkt 6 der Tagesordnung aufgerufen werden. Es ist beabsichtigt, den Punkt 6 und den Zusatzpunkt 1 nicht zu überweisen, sondern darüber Beschluß zu fassen.
Der Herr Abgeordnete Waltemathe legt sein Amt als Schriftführer nieder. Ich danke ihm für die gute Zusammenarbeit. Die Fraktion der SPD schlägt als Nachfolger für das Amt des Schriftführers den Abgeordneten Kastning vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Kastning zum neuen Schriftführer gewählt.
Aus dem Gemeinsamen Ausschuß nach Art. 53 a des Grundgesetzes sind die Kollegen Weiskirch ({1}) und Dr. Althammer ausgeschieden. Die Fraktion der CDU/CSU schlägt als ordentliches Mitglied den Abgeordneten Wimmer ({2}) vor. Für den Sitz des Stellvertreters im Gemeinsamen Ausschuß wird der Abgeordnete Biehle benannt. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Damit sind der Abgeordnete Wimmer ({3}) als ordentliches und Abgeordneter Biehle als stellvertretendes Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses bestimmt.
Präsident Dr. Jenninger
Die Fraktion DIE GRÜNEN benennt als Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates an Stelle des Abgeordneten Vogt ({4}) die Abgeordnete Frau Kelly. Für die Abgeordnete Frau Kelly, die bisher Stellvertreter in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates war, wird der Abgeordnete Horacek benannt. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Damit sind die Abgeordnete Frau Kelly als Vertreter und Abgeordneter Horacek als Stellvertreter in die Parlamentarische Versammlung des Europarates gewählt.
Aus dem Wahlprüfungsausschuß ist Herr Fischer ({5}) als beratendes Mitglied ausgeschieden. Die Fraktion DIE GRÜNEN schlägt als seinen Nachfolger den Abgeordneten Vogel ({6}) vor. Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre und sehe keinen Widerspruch. Damit ist Abgeordneter Vogel ({7}) als beratendes Mitglied des Wahlprüfungsausschusses gewählt.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung
Zwischenbilanz über die Verwirklichung des Regierungsprogramms der Koalition der Mitte
Hierzu liegen Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3240 ({8}) und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3257 vor.
Interfraktionell sind für die Beratung fünf Stunden vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dieser für heute erbetenen Regierungserklärung konzentriere ich mich ganz auf die Fragen, die die Bürger unseres Landes heute vor allem im Bereich der Wirtschaftspolitik, der Arbeitsmarktpolitik sowie der Sozial- und Gesellschaftspolitik bewegen. Zu den großen, auch kontroversen Themen der Außen- und Sicherheitspolitik, der Europapolitik und der Deutschlandpolitik habe ich in den letzten Monaten in Regierungserklärungen hier immer wieder Stellung genommen. Ich erinnere aus jüngster Zeit an meine Regierungserklärung letzter Woche zur amerikanischen Strategischen Verteidigungsinitiative und an den Bericht zur Lage der Nation im geteilten Deutschland. Über die Ergebnisse des Weltwirtschaftsgipfels hier in Bonn werde ich im Bundestag vermutlich in einer der Mai-Sitzungen berichten können.
Ich will auch jetzt in diesem Abschnitt meiner Ausführungen auf einen Kommentar zu dem mir gerade vorgelegten Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zur Vorbereitung des Besuchs des amerikanischen Präsidenten verzichten. Ich werde selbstverständlich im Verlauf der Debatte zu diesem Thema noch einmal Stellung beziehen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, am 6. März 1983 haben die Wähler in der Bundesrepublik Deutschland der Koalition der Mitte, der Koalition von CDU/CSU und FDP, in einer klaren Mehrheit ihr Vertrauen ausgesprochen.
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Sie haben mit diesem Votum bei der Bundestagswahl dokumentiert, daß die Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands gescheitert war.
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Die Koalition der Mitte wurde gewählt, weil unsere Mitbürger einen neuen Anfang wollten. Sie setzten ihre Hoffnung auf unser Programm einer politischen Erneuerung, und sie taten gut dabei, wenn sie diese Hoffnung so zum Ausdruck brachten.
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Wir stehen jetzt in der Mitte der Legislaturperiode. Regierung und Koalition haben zur Halbzeit Bilanz gezogen. Punkt für Punkt haben wir den Stand unserer Arbeit an dem Regierungsprogramm gemessen, das ich namens der Koalitionsparteien am 4. Mai 1983 hier im Hohen Hause vorgetragen habe.
Ich kann heute feststellen: Die Vorhaben des Regierungsprogramms sind zum größeren Teil bereits verwirklicht. Die übrigen Teile unseres Programms sind in Arbeit, sie werden zügig bis zum Ende der Legislaturperiode durchgeführt. Was wir angekündigt haben, machen wir wahr. Wir sind auf einem guten Weg. Es geht wieder aufwärts in der Bundesrepublik Deutschland.
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Von Anfang an war unsere Politik notwendigerweise auch mittel- und langfristig angelegt. Wir wollen die Herausforderungen der Zukunft annehmen. Politik ist für uns mehr als ein permanentes Krisenmanagement. Wir wollen die Zukunft neu gestalten.
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- Wer eine solche Erblast hinterläßt, wie Sie das getan haben, darf sich nicht wundern, daß zunächst Krisen zu managen sind!
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Die Leitgedanken unserer Politik habe ich in der Regierungserklärung am 4. Mai 1983 dargelegt. An diesen Zielen, an diesem Programm für eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht war und bleibt unsere Arbeit auch im Alltag der Entscheidungen orientiert.
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Wir werden dieses Programm Schritt für Schritt verwirklichen. Das gilt für alle Themen der Politik, auch für jene, die ich heute aus Zeitgründen nicht eigens ansprechen werde.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, unser Programm ist darauf angelegt, zunächst die schwerwiegendsten Fehlentwicklungen zu korrigieren, damit neuer Handlungsspielraum geschaffen wird, um so die Fähigkeit zu gewinnen, die Herausforderungen der Zukunft bestehen zu können. Ich sagte bei meiner Regierungserklärung:
Wir haben einen langen Weg vor uns. Keine Politik ist in der Lage, die Hypotheken der Vergangenheit kurzfristig zu tilgen und die Probleme schnell zu lösen.
Die heutige Regierungserklärung hat den Sinn, eine Art Standortbestimmung vorzunehmen und über unsere Arbeit Rechenschaft zu geben im Blick auf zwei zentrale Ziele, die nur mittel- und langfristig zu verwirklichen sind: Es geht um die Behauptung unseres Ranges als einer der führenden Industrienationen der Welt, um die Gestaltung einer Gesellschaft mit menschlichem Gesicht.
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Mit der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft sichern wir unseren Rang als eines der führenden Industrieländer.
Als die Koalition der Mitte im Oktober 1982 die Regierungsverantwortung übernahm, befand sich das Land in der tiefsten Krise seiner Nachkriegsgeschichte.
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Meine Damen und Herren, verantwortlich für diese Entwicklung in Deutschland ist vor allem die Sozialdemokratische Partei Deutschlands,
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die sich einmal mehr - das möchte ich Ihnen heute wiederum ins Stammbuch schreiben - als unfähig erwiesen hat, die Probleme einer modernen Industriegesellschaft zu lösen.
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Es war doch Ihre verfehlte Politik, die die Wachstumskräfte unserer Wirtschaft gelähmt hat.
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Es war doch Ihre Politik, die dazu führte, daß die Arbeitslosigkeit dramatisch und scheinbar unaufhaltsam wuchs.
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Es war Ihre Politik, die zur Folge hatte, daß eine hohe Inflationsrate an den Einkommen von Arbeitnehmern, Rentnern und Sparern zehrte.
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Meine Damen und Herren, die Tatsachen sind bekannt. Arbeitnehmer und Wirtschaft waren mit Steuern und Sozialabgaben überlastet.
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Der Staat war bis an die Grenze des Tragbaren überschuldet.
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- Meine Damen und Herren, lassen Sie die Kolleginnen und Kollegen der SPD nur lärmen. Das deutsche Publikum am Fernsehen erkennt, warum das so ist.
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Ich will den Satz wiederholen, weil er so zutreffend ist:
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Unser Staat war durch Ihre Politik bis an die Grenze des Tragbaren überschuldet.
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Die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft war in Gefahr. Unserem Land drohte der Absturz in die Zweitklassigkeit, der Verlust von Wohlstand und sozialer Sicherheit, und viele Menschen hatten Angst vor der Zukunft.
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Nur eine gewaltige politische Kraftanstrengung konnte dem Staat und der Wirtschaft den notwendigen Handlungsspielraum zurückgewinnen. Wir, die Koalition der Mitte, haben gehandelt. In der kurzen Frist von zweieinhalb Jahren haben wir erhebliche Fortschritte bei der Gesundung der Staatsfinanzen erreicht.
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Der Schuldenzuwachs wurde gebremst - für Sie ein unvorstellbarer Vorgang.
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Der Staatsanteil am Bruttosozialprodukt geht zurück. Der Staatshaushalt ist wieder solide finanziert. Das hat den Kapitalmarkt entlastet und den Zinsdruck abgeschwächt. Die Inflationsrate, meine Damen und Herren von der SPD, wurde halbiert. Die Preise sind wieder stabil wie zuletzt in den 60er Jahren. Das ist sozialer Erfolg unserer Politik.
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Diese Entwicklung hat neue Handlungsfähigkeit für den ganzen Staat, für den Bund, für die Länder und die Gemeinden, geschaffen. Sie hat die Rahmenbedingungen der Wirtschaft verbessert und stabilisiert.
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Diese Politik ist auch allen Bürgern zugute gekommen, den Arbeitnehmern,
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den Rentnern, den Sparern.
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Eine Vorstellung, die mit sozialistischer Politik in der Tat nicht zu vereinbaren ist, ist verwirklicht: Erstmals seit 1981 hat das verfügbare Einkommen der Bürger sich wieder real vermehrt, hat real zugenommen.
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Die ausufernde Staatsverschuldung konnten wir - das ist wahr - nur durch ein umfassendes Sparprogramm in den Griff bekommen.
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Aber nach Jahren einer unbezahlbar gewordenen Politik der Wohltaten und Gefälligkeiten war eben die Einschränkung staatlicher Leistungen unvermeidlich geworden. Unseren Bürgern wären manche Opfer erspart geblieben, wenn man zuvor nicht allzu großzügig über die Verhältnisse des Landes gewirtschaftet hätte.
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Es ist auch wahr: diese Sparmaßnahmen haben viele Menschen empfindlich getroffen; aber die große Mehrheit von ihnen wußte und weiß, daß man eben nicht dauerhaft auf Kosten der Zukunft leben kann. Die Krise konnte damals nur durch eine solidarische Anstrengung überwunden werden.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, Sparen war und ist für uns kein Selbstzweck. Die Ausgabendisziplin des Staates und die Opfer der Bürger haben für die Politik des Landes neuen Handlungsspielraum gewonnen. Wir haben ihn genutzt zur Wiederbelebung unserer Wirtschaft.
Wir konnten die steuerliche Belastung der Unternehmen spürbar verringern. Ich nenne die Reduzierung der Gewerbesteuer und der betrieblichen Vermögensbesteuerung.
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Ich erinnere an die Sonderabschreibung für kleine und mittlere Unternehmen sowie an die Verdoppelung des Verlustrücktrags.
Mit der Förderung von Forschung und Entwicklung haben wir die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft gestärkt. Ich nenne als Beispiele die Wiedereinführung der Sonderabschreibungen auf Investitionen für Forschung und Entwicklung, die verbesserte Förderung von Forschungspersonal - gerade auch in mittelständischen Unternehmen -, den umfassenden Ausbau des Technologietransfers zwischen Hochschulen und Industrien, den Modellversuch für technologieorientierte Unternehmensgründungen.
Durch Umstellung auf indirekte Forschungsförderung geben wir den Unternehmen neue Chancen für Innovationsentscheidungen in eigener Verantwortung. Generell, meine Damen und Herren, unterstützt die Bundesregierung die Entwicklung zu mehr Selbständigkeit. Unser Programm zur Förderung von Existenzneugründungen ist eine Starthilfe für junge Leute, die sich etwas zutrauen und unternehmerische Initiative entfalten.
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Nach 14jährigem Stillstand hat die Koalition der Mitte die Vermögenspolitik wieder in Bewegung gebracht. Das eröffnet den Arbeitnehmern neue Perspektiven für mehr Selbständigkeit und Teilhabe am Produktivvermögen der Wirtschaft. Die Kapitalausstattung der Betriebe gewinnt an Substanz,
wenn Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Unternehmen Partner werden können. Beide, Arbeitnehmer und Arbeitgeber, haben ein gemeinsames Interesse am Abbau überflüssiger staatlicher Reglementierung.
Mit Rechtsvereinfachung und Entbürokratisierung im Wirtschafts- und Baurecht schaffen wir zugleich neuen Freiraum. Allein durch Änderungen im Wohnungsrecht können bei den Wohnungsbauförderungsämtern mehr als 500 000 Akten geschlossen werden. Wir wollen noch in dieser Legislaturperiode
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- ich bin sehr gespannt, meine Damen und Herren von der Opposition, wie dann Ihre Mitarbeit aussehen wird - ein neues Baugesetzbuch fertigstellen, damit Vorschriften reduziert und für den Bürger transparent und übersichtlich gemacht werden.
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Die Verbesserung wichtiger Rahmenbedingungen war die entscheidende Voraussetzung für die Wiederbelebung unserer Wirtschaft, und der Erfolg gibt uns recht.
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Die Wachstumskrise unserer Wirtschaft ist überwunden. Das Bruttosozialprodukt, Ausdruck der volkswirtschaftlichen Leistung, wächst wieder. Und was entscheidend ist, meine Damen und Herren: Wir haben Wachstum bei stabilen Preisen, ein Erfolg, von dem Sie nur träumen konnten.
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Die Ertragslage der Unternehmen hat sich erheblich verbessert.
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Ihre Investitionskraft ist gestärkt, und es wird wieder mehr investiert. Meine Damen und Herren, Sie konnten ja ohne große Probleme in diesen Tagen auf der Hannover-Messe, der größten Industrieschau der Welt, ganz konkret erfahren, wie die, die Verantwortung in den Betrieben tragen, die Lage tatsächlich einschätzen.
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Meine Damen und Herren, unser Export hat sich günstig entwickelt. 1984 haben wir einen Rekordüberschuß im Außenhandel erzielt. Das hat - und jeder weiß dies, deswegen führe ich es auch an - natürlich auch mit dem für unsere Exportwirtschaft zur Zeit günstigen Dollarkurs zu tun.
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- Meine Damen und Herren, ich sage, wie es ist.
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Aus früheren Zeiten bin ich gewohnt, daß Sie solche Einschränkungen in Regierungserklärungen nie gemacht haben.
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Aber Sie alle wissen: Über den Erfolg auf den Weltmärkten entscheidet nie allein der Preis. Qualität, technisches Niveau der Produkte und ein guter Service sind genauso wichtig. Mit einem Wort: Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft hat sich in den letzten Jahren stark erholt. Dazu - und ich sage das dankbar und deutlich - haben sich auch maßvolle Lohnabschlüsse günstig eingefügt.
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- Ich weiß gar nicht, was Sie wollen, Herr Arbeitsminister a. D., zu Ihrer Zeit war das natürlich kein Credo für die deutsche Wirtschaftspolitik. Sie haben ausgegeben; anschaffen durften immer die anderen. Das war immer Ihre Politik.
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Ich sage es noch einmal: Dazu haben maßvolle Lohnabschlüsse beigetragen. Das ist ein Verdienst der Arbeitgeber gleichermaßen wie kluger Gewerkschaftsführer.
Inzwischen rentieren sich Anlagen in Sachkapital bereits wieder besser als inländische Wertpapiere. Damit, meine Damen und Herren, ist schon jetzt, zur Mitte der Legislaturperiode, deutlich, daß drei der vier grundlegenden Ziele für die Gesamtwirtschaft erreicht wurden: Wachstum, Preisstabilität und eine positive Bilanz in unserer Außenwirtschaft. Hier haben wir Ergebnisse erzielt, die von den wenigsten, von Ihnen in der Opposition schon gar nicht, vor zwei Jahren für denkbar gehalten wurden.
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Und heute sagt der Sachverständigenrat, daß Chancen für einen langen Aufschwung bestehen.
Sorge bereitet uns immer noch die Lage auf dem Arbeitsmarkt. Und es ist offenkundig, daß wir in diesem wichtigen, entscheidenden Feld der deutschen Innenpolitik
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noch lange nicht über den Berg sind. Zentrale Aufgabe dieser Legislaturperiode war und ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Die Massenarbeitslosigkeit - und das wissen Sie so gut wie ich - ist vor allem deswegen entstanden, weil es in den 70er Jahren versäumt worden ist, veraltete Wirtschaftsstrukturen rechtzeitig zu modernisieren.
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Meine Damen und Herren, Sie alle sind jetzt wie ich am Abend fast Tag für Tag an Rhein und Ruhr unterwegs, und wenn Sie dort durch die Städte etwa des Ruhrgebiets fahren, wissen Sie, daß die veralteten Strukturen gerade in diesem Raum eben dringend einer Veränderung schon zum Ende der 60er und in den ganzen 70er Jahren bedurft hätten.
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Wenn wir heute eine sehr ungute Diskussion in der Bundesrepublik haben, wenn davon gesprochen wird, daß die Bundesländer südlich der Main-Linie dem Norden und dem Westen der Bundesrepublik davonlaufen, dann haben wir alle daran keine Freude. Wir brauchen möglichst ausgeglichene Verhältnisse im Bundesgebiet. Aber diejenigen, die das jetzt kritisieren und seit 19 Jahren in Düsseldorf die Verantwortung tragen, sollen Rechenschaft geben, warum sie in diesem Jahrzehnt nichts getan haben.
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Diese Erfahrung wird besonders deutlich im Ruhrgebiet.
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Vom Revier gingen nach der Zerstörung 1945 viele der großen Aufbauleistungen für die Bundesrepublik aus. Einen beachtlichen Teil unseres Wohlstandes verdanken wir nicht zuletzt den Menschen an Rhein und Ruhr. Heute trägt das Ruhrgebiet besonders schwer an den Folgen der wirtschaftlichen Krise, weil diejenigen, die in den 70er Jahren vor allem in Düsseldorf die politische Verantwortung trugen, die notwendigen Strukturveränderungen verschlafen haben.
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Die Leidtragenden sind die Menschen ohne Arbeit an der Ruhr.
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Das alles ist Ergebnis einer verfehlten Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in entscheidenden Jahren. Meine Damen und Herren, jeder von uns weiß, daß die Massenarbeitslosigkeit nicht über Nacht entstanden ist und nicht über Nacht abzubauen ist. Wir wissen auch, daß der Abbau der Arbeitslosigkeit dem Aufschwung der Wirtschaft immer mit einem zeitlichen Verzug folgt.
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Der Rückgang der Arbeitslosenquote stand nie am Anfang einer Aufschwungperiode. Nur eine wachsende Volkswirtschaft, deren Innovationskraft vom Staat ermutigt und unterstützt wird, kann die notwendigen neuen und zusätzlichen Arbeitsplätze schaffen.
Wir haben wichtige Teilerfolge erzielt. Die Zahl der Kurzarbeiter ist von 1,2 Millionen auf 400 000 zurückgegangen.
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Die Jugendarbeitslosigkeit ist jetzt niedriger als vor einem Jahr. Die Zahl der offenen Stellen nimmt zwar nur langsam, aber immerhin wieder zu. Vor allem geht die Zahl der Beschäftigten nicht mehr zurück. Sie steigt wieder an. Im Januar und Februar dieses Jahres war die Beschäftigung in der Industrie - genauer gesagt: im Bergbau und Verarbeitenden Gewerbe - erstmals seit September 1980 wieder höher als im Vorjahr. Dabei - das unter9960
schlage ich in gar keiner Weise - sind die großen Strukturprobleme in der Bauwirtschaft, die großen Sorgen, die wir in diesem wichtigen Sektor haben, unübersehbar.
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Dennoch können wir feststellen: Auch in der Gesamtwirtschaft hat die Zahl der Beschäftigten Ende 1984 saisonbereinigt wieder zugenommen. Das zeigt: Wir sind auf dem richtigen Weg.
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Unsere Bürger haben nicht vergessen, daß die Arbeitslosigkeit von 1980 bis 1982 um rund eine Million steil angestiegen ist. Bereits 1984 haben wir den Anstieg praktisch zum Stillstand gebracht.
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Wir haben 1985 eine gute Chance, daß die Arbeitslosigkeit endlich wieder abnimmt.
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Meine Damen und Herren von der SPD, es mutet uns alle schon sehr eigenartig an, wenn Sie nach 13 Regierungsjahren
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Massenarbeitslosigkeit hinterlassen und heute gegen uns polemisieren.
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Herr Kollege Vogel, vielleicht haben Sie die Freundlichkeit - Sie sprechen ja gleich nach mir -, auf Ihre Erklärung vom Februar 1983 vor der Bundestagswahl zurückzukommen, wo Sie sagten:
Wenn Sie mich fragen, welchen Zeitraum ich brauche, um diesen Prozeß der weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit zu bremsen und dann umzukehren, dann antworte ich, daß dies eine Aufgabe für eine volle Legislaturperiode sein wird.
Sie haben damit recht.
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Wir, die Koalition der Mitte, FDP, CDU und CSU, haben bereits einmal - unmittelbar nach dem Krieg, zu Beginn der 50er Jahre - Massenarbeitslosigkeit in Deutschland erfolgreich bekämpft und beseitigt. Wenn Sie die Diskussion unserer Tage aufmerksam verfolgen, stellen Sie fest: Es sind im Prinzip die gleichen Grundlagen der Politik, die wieder gegeneinander stehen, damals vertreten durch Professor Nölting und Professor Erhard. Wer sich durchgesetzt hat, wer den Wiederaufstieg geschafft hat, zeigt die Geschichte. Sie wissen es so gut wie ich. Mit der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft werden wir auch dieses Mal Erfolg haben, wie bei der Gründung der Bundesrepublik Deutschland.
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Die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung strebt beides an: kurzfristige Hilfen für die betroffenen Arbeitnehmer und die Schaffung moderner und zukunftssicherer Arbeitsplätze.
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- Da würde ich an Ihrer Stelle beruhigt sein. Am Sonntag, dem 3. Februar 1987, haben wir Wahlen. Ich denke, die Wähler werden dann einen Rationalisierungseffekt bei Ihnen vornehmen, meine Damen und Herren.
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Wir werden dann zwar bei Ihnen einige Arbeitslose mehr haben, aber es wird ein Segen für das Land sein; auch das will ich hinzufügen.
Mehr als 11 Milliarden DM stellt die Bundesregierung 1985 für Kurzarbeitergeld, Arbeitsbeschaffung und berufliche Förderung zur Verfügung. Damit leisten wir - und Sie können das ja nachher zu widerlegen suchen - mehr als jede bisherige Bundesregierung.
Auch die Rückkehrhilfen, meine Damen und Herren - und auch auf diesem Feld haben Sie in der Vergangenheit nun wirklich gar nichts gemacht -, für ausländische Arbeitnehmer tragen zur Entlastung unseres Arbeitsmarktes bei. 150 000 ausländische Arbeitnehmer - zusammen mit ihren Familienangehörigen sind das weit über 300 000 Menschen - haben dieses Angebot der Bundesregierung angenommen und sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Entlastung des Arbeitsmarktes in der Bundesrepublik Deutschland.
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Aber, meine Damen und Herren, so wichtig - und ich verkenne dies nicht - diese kurzfristig wirksamen Maßnahmen sind, entscheidend bleibt die Schaffung neuer, dauerhafter Arbeitsplätze. Ich wiederhole, was ich vor einigen Wochen auf unserem Parteitag in Essen gesagt habe: Wir brauchen und wir wollen eine „Offensive für mehr Beschäftigung".
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- Ja, meine Damen und Herren, bei uns ist das so, daß wir hier im Haus nicht anders sprechen als auf unseren Parteitagen.
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Darin unterscheiden wir uns von Ihnen. Wir haben viele Jahre gehört, Sie unterstützen die Politik des Kollegen Schmidt, und dann haben Sie ihm gerade 4 % der Stimmen auf Ihrem Parteitag gegeben.
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Wir wissen dabei allerdings aus Erfahrung: Neue Ausgabenprogramme nach alten Rezepten wären wirkungslos. Mit Staatsausgaben allein ist hierzulande kein einziger zusätzlicher, dauerhafter Arbeitsplatz zu gewinnen.
Die Arbeitslosigkeit - jeder weiß dies - hat vor allem strukturelle Ursachen. Sie lassen sich nur dadurch beseitigen, daß notwendige Anpassungen von Unternehmen, Branchen und Regionen an neue, weltweite Wettbewerbsverhältnisse erleichtert und unterstützt werden.
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Und genau dies haben wir auch versucht, übrigens in einer engen Kooperation - wenn ich an die IG Bergbau denke - mit Gewerkschaften und Unternehmen beim Bergbau, beim Stahl, bei den Werften. Die Stahlindustrie schreibt heute in wichtigen Bereichen wieder schwarze Zahlen.
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- Ja, Arbed ist natürlich nicht gerade das Beispiel für eine besonders glückliche Kooperation zwischen Gewerkschaften und Unternehmen, meine Damen und Herren.
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Aber Sie haben ja jetzt den angekündigten Wundermann an der Saar. Wir werden sehen, was der da zustande bringt, meine Damen und Herren. Die deutschen Werften konnten 1984 bei den Auftragseingängen ihren dritten Platz in der Weltrangliste erfolgreich behaupten. Die Textilindustrie - ich will dies besonders hervorheben - hat ihre schwierigen Umstellungsprozesse im wesentlichen aus eigener Kraft bewältigt.
„Offensive für mehr Beschäftigung" heißt also: Schaffung neuer Arbeitsplätze dort, wo zusätzliche Aufträge mehr Beschäftigung möglich machen. Mit anhaltendem Wirtschaftswachstum, mit stabilen Preisen und soliden Staatsfinanzen sind entscheidende Voraussetzungen für mehr Beschäftigung geschaffen. Vorruhestand und Teilzeitarbeit, befristeter Arbeitsvertrag und ein modernes Arbeitszeitgesetz, vernünftige Sozialplanregelungen und der Abbau beschäftigungshemmender Vorschriften, dies alles wird zu mehr Neueinstellungen und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit beitragen.
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Auch unser energisches Bemühen um Kostendämpfung im Gesundheitswesen muß in diesem Zusammenhang genannt werden. Hier geht es nicht zuletzt auch um eine Begrenzung der zu hohen Lohnnebenkosten. Hier werden wir noch in diesem Jahr vor wichtigen Entscheidungen stehen.
Zusätzliche Chancen für mehr Beschäftigung gewinnen wir durch eine weitere Stärkung des Mittelstandes, durch den Kampf gegen die Schwarzarbeit und vor allem durch den Abbau von Überstunden. Einstellung muß jetzt Vorrang haben vor Überstunden. Mit Nachdruck unterstützt die Bundesregierung diesen Appell der Tarifpartner.
Tarifautonomie heißt doch selbstverständlich auch: Mitverantwortung für Wachstum und Beschäftigung. Denn Tarifvereinbarungen über Arbeitslohn und Arbeitszeit haben ganz unmittelbare
Auswirkungen auf die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen.
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Ich bin zuversichtlich, daß die Tarifparteien diese gemeinsame Verantwortung sehen. Dazu gehören auch Überlegungen der Tarifpartner zu einer breiteren Staffelung der Entlohnung je nach Lage in den einzelnen Wirtschaftszweigen und Regionen.
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In jedem Falle aber, meine Damen und Herren, sollte bei allen Entscheidungen auch der Tarifpartner eines erste Priorität haben: weniger Arbeitslosigkeit und mehr Beschäftigung.
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Alle unsere Anstrengungen müssen sich darauf konzentrieren, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft weiter zu verbessern, ihre Wachstumsdynamik zu stärken. Dies ist selbstverständlich auch der Auftrag unserer Wirtschaftspolitik.
Für die zweite Hälfte der 80er Jahre nenne ich zwei Schwerpunkte. Vor allem: Wir brauchen mehr produktive Investitionen, denn nur mit mehr Investitionen gibt es auch mehr Arbeitsplätze. Wir brauchen mehr Offenheit für Innovation und neue Technologien, denn nur so können wir unseren Platz als eine der führenden Industrienationen behaupten.
Meine Damen und Herren, Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen hängen entscheidend von der Entwicklung der Investitionen ab. Dabei geht es in erster Linie um die Nettoinvestitionen, also um das, was nach Abzug stillgelegter Altanlangen übrigbleibt. Und hier war eben die Entwicklung der letzten fünfzehn Jahre nicht nur alarmierend, sondern zum Teil katastrophal.
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Diese Zahlen sind doch Grund zum Nachdenken: Während die Ausgaben des privaten Verbrauchs in der Bundesrepublik Deutschland seit 1969 real fast um die Hälfte zugenommen haben, hielten sich die Nettoinvestitionen bei neuen Anlagen, Maschinen und Bauten gerade noch auf dem Stand des Jahres 1969.
Meine Damen und Herren, das Ergebnis dieser gigantischen Investitionslücke der siebziger Jahre kennen wir doch: Wir haben nicht Millionen zusätzlicher Arbeitsplätze wie in den USA bekommen, sondern wir haben nach dreizehn Jahren eine Million weniger Arbeitsplätze. Das ist doch die Realität in der Bundesrepublik Deutschland.
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Diese Zahlen machen deutlich: Der Schlüssel zu mehr Beschäftigung - anders ausgedrückt: zum Abbau der Arbeitslosigkeit - liegt bei eine nachhaltigen Belebung der Investitionen.
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Wir wissen aus der Erfahrung: Mit staatlichen Investitionsprogrammen ist das nicht zu schaffen.
Schauen Sie doch zurück in die letzten zehn Jahre. Investitionen in neue Arbeitsplätze können weder verordnet noch herbeigeredet werden; sie hängen wesentlich davon ab, daß unternehmerische Leistung Ertrag verspricht.
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Daraus folgt: Wichtige Rahmenbedingungen, die den Ertrag von Investitionen und Arbeitsplätzen bestimmen, müssen verbessert werden.
Es gehört zu den wichtigsten Erfolgen unserer Wirtschafts- und Finanzpolitik, daß der erste große Schritt bei der Reform der Lohn- und Einkommensteuer bereits in wenigen Monaten, am 1. Januar 1986, wirksam werden kann. Damit werden vor allem die privaten Haushalte entlastet. Zusammen mit der zweiten Stufe zum 1. Januar 1988, die aber im selben Gesetz jetzt mit verabschiedet wird, wird die Steuerentlastung der Bürger bei Löhnen und Einkommen rund 20 Milliarden DM ausmachen.
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Dies bedeutet im Durchschnitt eine Entlastung der Steuerzahler um 8 %.
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch einmal in Europa um, wo sonst noch eine Regierung und eine Koalition fähig waren, die Inflationsgewinne des Staates zum frühestmöglichen Zeitpunkt unter soliden Bedingungen zurückzuzahlen. Das ist doch eine einzigartige Leistung.
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Gerade diese Entscheidung zur Steuerentlastung - Leistung muß sich wieder lohnen - zeigt, daß das Opfer, das viele gebracht haben, sinnvoll war. Der Stabilitätsgewinn einer stark verringerten Inflationsrate und die Wirkung der Steuerreform zusammengenommen tragen doch entscheidend dazu bei, daß Leistung sich wieder lohnt.
Ich weiß auch: Manche haben an den Umfang und an die Ausgestaltung der Steuerreform größere Ansprüche gestellt. Aber niemand soll mehr verlangen als das, was heute finanzierbar ist. Wir haben lange genug über unsere Verhältnisse gewirtschaftet. Wir werden eine solche Politik nicht mitmachen.
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Mit jedem weiteren Fortschritt unserer Politik der Haushaltskonsolidierung gewinnen wir auch neuen Spielraum für die Entlastung der Wirtschaft und der Bürger. Es bleibt unser Ziel: Wir wollen weniger Staat, weniger staatliche Bevormundung und eben nicht mehr. Wir wollen mehr Raum für persönliche Initiative und Engagement für den, der im wahrsten Sinne des Wortes etwas unternehmen will.
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Nicht staatliche Versorgung und Bevormundung, sondern persönliche Leistung und Verantwortungsbereitschaft schaffen Arbeitsplätze. Es ist eine erfreuliche Tatsache, daß der Mut zur Selbständigkeit wieder zugenommen hat. 1984 gab es insgesamt 1,8 Millionen steuerpflichtige Unternehmen; das waren
rund 150 000 mehr als im Jahre 1980, obwohl wir eine beachtliche Konkurswelle in diesen Jahren erlebt haben.
Die Bundesregierung fördert diese Tendenz nachdrücklich in ihrer Mittelstandspolitik. Insgesamt werden wir 1985 für die Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit des Mittelstands fast 750 Millionen DM aufwenden. Das sind über 20 % mehr als im vergangenen Haushaltsjahr.
Wir sind selbstverständlich darüber hinaus bemüht, den weiteren Abbau steuerlicher Belastungen ins Auge zu fassen. Sowohl die Reform der Unternehmensbesteuerung als auch eine weitere Diskussion um die Absenkung der Lohn- und Einkommensteuer stehen auf der Tagesordnung der nächsten Legislaturperiode.
Als ein Land, meine Damen und Herren, das ein Drittel seiner Waren und Dienstleistungen auf dem Weltmarkt verkauft und exportiert, müssen wir vor allem auch in den Spitzentechnologien konkurrenzfähig bleiben. Ein wesentlicher Teil unserer Arbeitsplätze hängt davon ab, daß wir uns auf die Wachstumsmärkte der Zukunft einstellen und uns dort behaupten. In den kommenden Jahren werden Informationstechnik und Biotechnologie, aber auch Raumfahrtprojekte wie „Ariane" und „Columbus" unsere ganze Aufmerksamkeit erfordern.
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Unsere Fähigkeit, auf diesem Gebiet wirtschaftlich und technisch mitzuhalten, entscheidet auch darüber, ob wir in der Lage sind, die damit einhergehenden gesellschaftlichen Veränderungen in eigener Verantwortung zu gestalten. Nur wer die Technik wirklich beherrscht, kann auch den Fortschritt ethisch und sozial unter Kontrolle halten.
In vielen Bereichen der technischen Entwicklung hält die deutsche Wirtschaft einen Spitzenplatz. Sie ist wieder dabei, diese Position weiter auszubauen. Es gibt Bereiche, in denen wir Terrain verloren haben, das wir jetzt wieder zurückgewinnen. Diese Entwicklung wird unterstützt durch die in unserem Land allgemein wieder wachsende Aufgeschlossenheit für notwendigen technischen Fortschritt und seinen verantwortlichen Gebrauch.
Das zeigt sich, meine Damen und Herren, auch im Ausbildungsinteresse junger Menschen ebenso wie in vielen Investitionsentscheidungen auch von Ländern und Gemeinden.
Mit ganz besonderem Nachdruck bemühen wir uns um die Chancen des wissenschaftlich-technischen Nachwuchses. Nach Schätzungen der Experten wird es 1985 gegenüber 1983 16 000 - das ist für mich eine bedeutungsvolle Zahl - zusätzliche Arbeitsplätze im Forschungsbereich der Unternehmen und der öffentlichen Hand geben.
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Hier wie überall sind wir auf den Beitrag unserer Leistungseliten angewiesen.
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- Nun, darüber werden Sie in der Öffentlichkeit wohl nicht diskutieren können, meine Damen und Herren.
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- Natürlich, wenn man im grünen Getto lebt, kommt man mit der Wirklichkeit des Landes nicht mehr in Berührung. Das weiß ich auch.
({85})
Zum Schaden unseres Landes wurden Leistung und Eliten jahrelang verteufelt. Auch das war ja eine der Ursachen für die Krise des Landes.
Leidtragende dieser Politik waren aber nicht nur die Eliten und die Leistungsstarken, sondern gerade die Schwächeren in unserer Gesellschaft, jene Menschen, die auf Hilfe des Staates und der Solidargemeinschaft angewiesen sind.
Im Herbst 1982 war die Belastbarkeit der Bürger überfordert. Der Bestand unserer sozialen Sicherungssysteme war in Gefahr. Viele hatten Grund zur Sorge.
Die Sicherung des Sozialstaats, die Sicherung der Solidarität mit den Schwächeren war deshalb von Anfang an der zweite Schwerpunkt unserer Politik der Erneuerung.
Wir wollen eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht.
Wir wollen dafür sorgen, daß die Hilfe der Solidargemeinschaft sicher und zuverlässig jenen zuteil wird, die sie wirklich brauchen. Deshalb haben wir Schluß gemacht mit jener unsoliden und damit letztlich unsozialen Politik breitgestreuter Wohltaten und Gefälligkeiten. Deshalb haben wir dem Mißbrauch sozialer Leistungen Riegel vorgeschoben. Deshalb wenden wir uns mit Nachdruck gegen das Anspruchs- und Versorgungsdenken jener Cleveren, die sich auf Kosten der wirklich Bedürftigen ein bequemes Leben machen wollen.
({86})
Wir machen den Sozialstaat wieder leistungsfähig und damit wieder sicherer.
Mit unserer Entschlossenheit, zu sparen und gleichzeitig den wirklich Bedürftigen zu helfen, haben wir auch im Sozialbereich Raum für Verbesserungen gewonnen:
Wir haben den Bezug von Arbeitslosengeld für ältere Arbeitnehmer verlängert. Jungen Arbeitslosen geben wir wieder Kindergeld und kostenlosen Krankenversicherungsschutz. Auch die Anhebung des Wohngeldes ab 1. Januar 1986 um insgesamt 900 Millionen DM und das Baukindergeld sind wesentliche Verbesserungen.
Wir haben beschlossen, die Regelsätze der Sozialhilfe und die Leistungen für ältere Mitbürger und alleinstehende Mütter zu erhöhen.
({87})
Für Alleinerziehende haben wir die Regelung der Kinderbetreuungskosten erheblich verbessert. Mit der Anrechnung von Kindererziehungszeiten im Rentenrecht haben wir ein entscheidendes Signal
zur Anerkennung der Lebensleistung vieler Frauen gesetzt.
({88})
Wir führen ein Erziehungsgeld von 600 DM monatlich für alle Mütter und Väter ein, die sich nach der Geburt eines Kindes ganz dessen Betreuung und Erziehung widmen.
({89})
Im Rahmen der Steuerreform erhöhen wir die Kinderfreibeträge und führen wir einen Kindergeldzuschlag für Geringerverdienende ein.
Unsere Maßnahmen - und jetzt stellen Sie dem einmal Ihre Tätigkeit im letzten Jahrzehnt gegenüber - entlasten die Familien um rund 8 Milliarden DM.
({90})
Zweieinhalb Jahre nachdem wir leere Kassen und einen Berg von Schulden übernommen haben, gehen wir daran, eine der schwersten und ungerechtesten Benachteiligungen auszugleichen, die es bisher im Land gab: die Benachteiligung der Familie und vor allem der Frauen, die sich um die Erziehung ihrer Kinder kümmern.
({91})
Jahrelang wurde durch Ihre Politik die Familie ins soziale Abseits gedrängt. Sie wurde verunsichert und vom Staat bevormundet.
({92})
Wir wollen eine Renaissance der Familie. Sie ist das Fundament unseres Staates und unserer Gesellschaft. Wir stärken ihre Erziehungskraft. Wir anerkennen die Leistung der Familie.
({93})
Die Familie ist der erste und wichtigste Ort menschlicher Sinnvermittlung und Geborgenheit. Der Rang der Familie entscheidet über die soziale und die menschliche Qualität einer Gesellschaft. Wir wollen, daß die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland endlich wieder familien- und kinderfreundlich wird.
({94})
Unsere Politik für die Familie ist aber zugleich ein Beitrag für mehr Wahlfreiheit, für mehr persönliche Unabhängigkeit und damit für mehr Gleichberechtigung der Frauen.
({95})
- Verehrte Frau Kollegin, wenn ich Sie betrachte, verstehe ich zwar, daß Sie jetzt für die Gleichberechtigung der Männer eintreten.
({96})
Das muß ich wirklich sagen. Aber daß Sie jetzt
nicht dankbar sind, wenn wir das tun, was Sie in
Ihrer Partei und Fraktion jahrelang nicht erreichen konnten, ist doch absurd.
({97})
- Sie sind sehr stark im Austeilen, aber nicht im Einstecken. Das ist die Erfahrung, die wir mit Ihnen gemacht haben.
({98})
Die Entscheidung einer Frau für die Familie und Kinder oder für den Beruf ist eine sehr persönliche Entscheidung. Wir alle wissen, daß das keine Sache ist, in die sich die Politik einzumischen hat. Aber wenn sich eine Frau, wenn sich ein Ehepaar für Kinder entschieden hat, muß diese Familie den ganzen Schutz des Staates erwarten dürfen.
({99})
Wir wollen nicht, daß eine Frau dafür bestraft wird, daß sie sich dazu entschließt, Kinder zu haben und sich ganz der Erziehung ihrer Kinder zu widmen.
({100})
Dieser für die Zukunft unseres Landes unverzichtbare Dienst der Mütter ist jeder anderen Leistung gleichwertig.
({101})
Wir sorgen dafür, daß Frauen diese zentrale Lebensentscheidung künftig materiell und sozial in größerer Unabhängigkeit treffen können als je zuvor in der Geschichte unseres Landes.
({102})
- Aber, Frau Kollegin, Sie wissen doch, daß es so ist.
({103})
Ich hätte Sie j a gerne, wenn es Ihrer politischen Entwicklung in Ihrer Partei nicht geschadet hätte, zu unserem Parteitag in Essen eingeladen.
({104})
- Ja, wir haben kein Problem, mit denen, die anders denken als wir, zu reden. Das ist der Unterschied zwischen uns.
({105})
Um persönliche Wahlfreiheit in Lebensentscheidungen ging und geht es auch bei unseren Bemühungen um die Bereitstellung einer ausreichenden Zahl von Ausbildungsplätzen für junge Menschen. Wir dürfen nicht zulassen, daß die Lebens- und Berufschancen einer ganzen Generation junger Leute von der Mangelsituation einer wirtschaftlichen Krise bestimmt werden. Deshalb haben wir an Handel und Industrie, an Handwerk und freie Berufe, an Unternehmer und Gewerkschafter appelliert, in diesen schwierigen Jahren auch über den Bedarf hinaus Lehrstellen anzubieten.
Ich danke allen, die diesem Appell gefolgt sind. Ich rufe sie auf, auch in diesem und in den nächsten Jahren jungen Leuten die Chance einer qualifizierten Berufsausbildung zu bieten. Viele, die hier mithalfen, haben anerkannt, daß die Pflicht zur Solidarität im Blick auf die junge Generation wichtiger ist als rein wirtschaftliche Erwägungen.
Es ist eine wichtige Erfahrung - und sie verdient, festgehalten zu werden -: Die Lehrstellenrekorde der Jahre 1983 und 1984 waren das Ergebnis vieler Tausender unabhängiger Entscheidungen für Solidarität mit jungen Menschen. Sie sind der Beweis dafür, daß Privatinitiative und Gemeinsinn mehr zu bewirken vermögen als jeder staatliche Zwang.
({106})
Meine Damen und Herren von der SPD, dies alles war möglich, obwohl in den Jahren Ihrer Verantwortlichkeit gerade die Lehrherren in einer besonderen Weise verunsichert wurden. Wenn wir über die jüngste Entwicklung sprechen, ist es doch wohl noch erlaubt, daran zu erinnern, welche unsinnigen Vorschläge in diesem Zusammenhang aus Ihren Reihen kamen. Ich habe nicht vergessen, wie der damals zuständige Minister von Dohnanyi den Vorschlag machte, daß Lehrherren, die seit über 20 Jahren Lehrlinge ausbildeten, noch einmal ihre pädagogische Eignung nachweisen sollten.
({107})
Meine Damen und Herren, das alles ist doch ein Teil der Erblast, die Sie im Lande aufgebaut haben.
({108})
Unser duales System der Berufsausbildung hat sich bewährt; wir werden es nicht ändern. Es gehört zu den entscheidenden Vorzügen unserer Sozialen Marktwirtschaft - nicht zuletzt auch im Wettbewerb mit anderen Ländern. Wir haben deshalb in der Bundesregierung - hier will ich vor allem auch den Kollegen Blüm nennen - ausbildungshemmende Vorschriften abgebaut.
({109})
Wir tragen im Rahmen unserer Möglichkeiten sehr wesentlich zur Verbesserung der Chancen beruflicher Bildung bei. Bund und Bundesanstalt für Arbeit leisten im Jahre 1984 mit einem Gesamtaufwand von 6,2 Milliarden DM ihren Beitrag. Die Bundesregierung wird aber auch in Zukunft darauf verzichten, die Eigenverantwortlichkeit der betrieblichen Berufsausbildung mit staatlichen Zwangsmaßnahmen einzuschränken.
Die Folgen krisenhafter Fehlentwicklungen vieler Jahre hat die Solidarität der Generationen auch im Bereich der Alterssicherung in Gefahr gebracht. Bis zum Herbst 1982 - auch das gehört zur Erblast - war die Rücklage der Rentenversicherung aufgezehrt. Ohne die Sofortmaßnahmen der neu gewählten Bundesregierung im Oktober 1982 wäre die
Rentenversicherung im Sommer 1983 zahlungsunfähig gewesen.
({110})
Wir haben gehandelt. Durch die Haushaltsbegleitgesetze 1983 und 1984 haben wir die Finanzlage der Rentenversicherung bis 1987 um rund 50 Milliarden DM verbessert. Die Maßnahmen, die ich vor zwei Jahren zur Einleitung einer Strukturreform der Rentenversicherung angekündigt habe, sind inzwischen verwirklicht. So haben wir die bisher ungenügend erfaßten Sonderzahlungen zum Arbeitsentgelt in die Sozialversicherung einbezogen. Wir haben die Voraussetzungen für Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrenten enger gefaßt. Wir haben die Renten dem Anstieg der Arbeitnehmereinkommen zeitnäher angeglichen. Wir haben die Finanzbeziehungen zwischen Arbeitslosen- und Rentenversicherung auf eine solide und verläßliche Grundlage gestellt.
({111})
Erst in der vergangenen Woche haben wir hier im Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das die zur Sicherung der Rentenfinanzen notwendigen Lasten gleichmäßig und gerecht zwischen Beitragszahlern, Rentnern und Steuerzahlern aufteilt. Damit haben wir wesentliche Grundlagen für notwendige Strukturreformen geschaffen. In diesen Zusammenhang gehört auch das Konzept, das wir für die Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung vorgelegt haben. Dieses Modell ist sozial gerecht. Es ist zugleich kostenneutral und trägt so der angespannten Finanzlage der Rentenversicherung Rechnung.
Im Blick auf die demographische Entwicklung, d. h. auf die wachsende Zahl von Rentnern und die abnehmende Zahl von Beitragszahlern, stehen wir in den kommenden Jahren vor schwierigsten Grundsatzentscheidungen. In diesem Zusammenhang werden wir auch über eine Aufhebung starrer Altersgrenzen für den Übergang vom Berufsleben in den Ruhestand neu nachzudenken haben. Ich wiederhole meine Einladung aus der Regierungserklärung vom Mai 1983 an Sie alle, sich wenn möglich an dieser Aufgabe zu beteiligen. Wir sind bereit, vor allem der Bundesminister Blüm, uns um eine einvernehmliche Lösung zu bemühen.
Ich beobachte allerdings mit einiger Sorge, wie gerade in Wahlkämpfen versucht wird, die älteren Mitbürger zu verunsichern, ihnen Angst einzureden und damit politische Geschäfte zu machen.
({112})
Allen Angstparolen zum Trotz ist das Niveau der Nettorenten seit 1980 von 71,1 % auf inzwischen 73,5% im Jahre 1984 angestiegen. Es hat damit, meine Damen und Herren, fast den Höchststand des Jahres 1977 - damals waren es 73,8% - erreicht.
Unsere alten Mitbürger können sich darauf verlassen: Die Rente bleibt sicher, sie bleibt dynamisch, und sie bleibt beitragsbezogen.
({113})
Rente ist verdienter Alterslohn für Lebensarbeit. Wir, die Koalition der Mitte, halten daran fest: Die dauerhafte Sicherung der Rente bleibt eine Aufgabe in der Solidarität der Generationen. Wir wollen die personalen und nicht die anonymen Strukturen unserer Gesellschaft stärken.
Um Solidarität der Generationen geht es auch beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen unserer Umwelt.
({114})
- Meine Damen und Herren, im Fall Buschhaus haben Sie ja vom Gericht bestätigt bekommen, was zu bestätigen war. ({115})
Hier sind wir alle in den letzten Jahren sehr viel sensibler und - warum soll ich das nicht sagen?; ich hoffe, das gilt für alle - durch mancherlei Schaden auch klüger geworden. Wir haben die Lektion gelernt, die uns die Schäden und Gefahren in unseren Wäldern lehren.
Es war für die Bundesregierung, die das Ausmaß der Waldschäden als Herausforderung zu bisher beispiellosen Initiativen zum Umweltschutz angenommen hat,
({116}) selbstverständlich, hier zu handeln.
({117})
Keine Bundesregierung vor dieser Koalition der Mitte hat für den Umweltschutz in so kurzer Zeit so viel geleistet.
({118})
Binnen weniger Monate haben wir ein umfassendes Programm zur systematischen Erforschung der Ursachen der Waldschäden auf den Weg gebracht.
({119})
Seine ersten Ergebnisse liegen vor.
({120})
Sie bestätigen, daß wir uns um eine Minderung der Luftverunreinigung bemühen müssen. Die Bundesregierung hat dazu sofort wichtige Voraussetzungen geschaffen. Ich nenne hier nur die Maßnahmen im Bereich der Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Damit haben wir - meine Damen und Herren, das hätten Sie alles früher tun können ({121})
innerhalb weniger Monate für Kraftwerke die Grenzen der Schadstoffabgabe drastisch heruntergesetzt - mit dem Ergebnis, daß die Umweltbelastung mit Schwefel bis 1993 auf ein Drittel verringert wird. Bei Industrieanlagen wird die Verschärfung der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft zu ähnlichen Verbesserungen führen.
Mit dem Konzept des umweltfreundlichen Autos haben wir in Europa eine Pilotfunktion übernommen.
({122})
Diejenigen, die unsere Entscheidungen und die Schwierigkeiten auf diesem Weg kritisieren, müssen sich doch vor allem die Frage gefallen lassen: Warum haben Sie denn in über einem Jahrzehnt nichts, aber auch gar nichts getan?
({123})
Warum haben Sie in den 70er Jahren - damals trugen Sie die Regierungsverantwortung -, als Japan und die USA erste wichtige Entscheidungen - auf zehn Jahre bemessen - eingeführt haben, die ganze Entwicklung verschlafen? Hätten Sie 1972 oder 1974 gehandelt, dann wäre dieses Programm 1982 und 1984 längst abgeschlossen.
({124})
Die Zeitnot, in der wir heute angesichts des Waldsterbens stehen, ist doch durch Sie geschaffen worden.
({125})
Wir haben in weniger als zwei Jahren darauf hinwirken müssen, daß vor allem unsere Partner und Freunde in der Europäischen Gemeinschaft ein Bewußtsein für die Herausforderung in der Bundesrepublik entwickeln. Es war für mich doch eine deprimierende Erfahrung, als ich wenige Monate nach meiner Amtsübernahme den Vorsitz auf dem EG-Gipfel in Stuttgart führte und alle Möglichkeiten ausschöpfen mußte, um das Thema Umweltschutz überhaupt auf die Tagesordnung zu bringen. Warum haben Sie denn nicht zu früheren Zeitpunkten das Bewußtsein unserer Partner für diese Herausforderung geschärft?
({126})
Wir - der Kollege Genscher, den Sie nennen, der Kollege Zimmermann und viele andere - haben doch in diesen entscheidenden Tagen mit großen Initiativen und in vielen Gesprächen bis zur Grenze des physisch Möglichen für das umweltfreundliche Auto in der Gemeinschaft gekämpft.
({127})
Aber, meine Damen und Herren, es gab doch auch vor mir einen Bundeskanzler, es gab doch vorher auch in Ihren Reihen Umweltschutzdiskussionen. Warum haben Sie denn nicht gehandelt, wenn Sie das alles schon längst gewußt haben?
Die Bundesregierung hat sich intensiv und mit Erfolg auch darum bemüht, nicht nur in unseren Gesprächen mit unseren Partnern in der EG, sondern auch in anderen Bereichen, insbesondere in Gesprächen mit der DDR, mit der CSSR, mit Polen, mit der Sowjetunion und vielen anderen auf diesem Feld weiterzukommen. Diese Bemühungen werden wir fortsetzen. Die Lage und die Betroffenheit unseres Landes legen nahe, daß wir hier einfach immer wieder, ich sage es noch einmal, die Pilotfunktion übernehmen müssen.
Weitere wichtige Maßnahmen hat die Bundesregierung zur Intensivierung der Klimaforschung, zur Verbesserung des Gewässerschutzes und für den Umgang mit gefährlichen Stoffen beschlossen. Eine umfassende Konzeption zum Schutz des Bodens liegt vor. Die Umweltforschung wird ausgebaut und die Entwicklung umweltfreundlicher Technologien weiter gefördert.
Ziel all dieser langfristig angelegten Bemühungen ist die drastische Schadstoffentlastung von Boden, Luft und Gewässern. Dabei - das muß ebenfalls klar gesagt werden - gilt es, das richtige Augenmaß zu bewahren und stets zu beachten, daß es beim Umweltschutz immer auch um Arbeitsplätze geht. Es geht um den Ausgleich der Interessen an einem wirksamen Umweltschutz und an der Erhaltung einer wettbewerbsfähigen Wirtschaft. An beidem haben wir ein gemeinsames Interesse. Ökonomie und Ökologie dürfen nicht auf einen Kollisionskurs gesteuert werden; sie müssen miteinander versöhnt werden.
({128})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe die Zwischenbilanz unserer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik in diesen zwei Jahren erläutert. Die Koalition der Mitte hat in der kurzen Zeit seit dem 6. März 1983 mehr erreicht, als viele der Beobachter und erst recht unsere Kritiker für denkbar hielten. Diese Bundesregierung wurde zu einem Erfolg für unser Land.
({129})
Wir haben schon jetzt entscheidende Teile unseres Regierungsprogramms verwirklicht. Es geht aufwärts in der Bundesrepublik Deutschland, und die Menschen haben wieder Hoffnung geschöpft.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben nur die erste Etappe auf einem langen Weg hinter uns gebracht. Wir sind nicht nur angetreten, den Nachlaß der Vorgänger zu ordnen und Schulden abzutragen. Nach Jahren der Gegenwartsorientierung wollen wir einen grundlegenden Wandel in unserem Land herbeiführen und ein stabiles Fundament für die Sicherung der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland schaffen. Das erfordert Gestaltungskraft, Geduld und Beharrlichkeit. Wir haben sie, weil wir wissen, daß zuerst gesät werden muß, wenn geerntet werden soll. Wir brauchen für diese Arbeit auch weiterhin die Hilfe, die Unterstützung unserer Bürger. Ihre Tatkraft, ihre Schaffensfreude, ihre Zukunftshoffnung wollen wir mit unserer Politik fördern.
Deshalb lassen Sie mich diese Zwischenbilanz der Arbeit der Regierung mit dem Dank an die Bürger unseres Landes schließen. Ihr Fleiß und ihre Energie, ihre Bereitschaft, sich im Miteinander zu bewähren und das Wohl des Ganzen zu fördern - das macht die Stärke unseres Volkes aus. Das gibt uns die Zuversicht, daß wir die Herausforderungen
zum Ende dieses Jahrzehnts, zum Ende dieses Jahrhunderts bestehen werden.
({130})
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es für ein selbstverständliches Gebot der parlamentarischen Höflichkeit, bei einer Debatte, in der man selbst das Wort ergreift, ununterbrochen anwesend zu sein. Die Terminsituation hat jedoch ergeben, daß ich mit den hier in Bonn zur Vorbereitung des Weltwirtschaftsgipfels versammelten Vorsitzenden der Gewerkschaften aus den Staaten, die an diesem Gipfel teilnehmen, nur heute um 11.30 Uhr zusammentreffen kann. Ich bitte deshalb auch von dieser Stelle aus um Nachsicht, wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt für etwa eine Stunde entferne.
Ihre Bilanz, Herr Bundeskanzler, war über weite Strecken hin mühsam; überzeugend war diese Bilanz nicht.
({0})
Das gilt schon für die Überschrift Ihrer Erklärung. Da bezeichnen Sie sich selbst als eine Koalition der Mitte.
({1})
Sie haben offenbar ein merkwürdiges Koordinatensystem, Herr Bundeskanzler. Es gehört schon eine gewisse Kühnheit dazu, eine Koalition, in der Herr Dregger außenpolitisch und die Herren Haussmann und Bangemann sozialpolitisch mehr und mehr den Ton angeben, eine Koalition, die den Sozialabbau Schritt für Schritt vorantreibt, eine Koalition, der Ernst Breit, der besonnene und von Ihnen so umworbene Gewerkschaftsvorsitzende warnend zuruft, das Maß ihrer Angriffe auf den sozialen Frieden sei jetzt voll, eine Koalition der Mitte zu nennen.
({2})
Nein, Herr Bundeskanzler, das ist keine Koalition der Mitte; das ist eine Koalition, die immer unverhüllter rechte Politik betreibt. Das ist eine Koalition der Rechten in unserer Politik.
({3})
Unter dem Eindruck Ihrer Regierungserklärung füge ich hinzu: Das ist auch die Koalition der Selbstgerechten und der Selbstzufriedenen.
({4})
Als innenpolitische Aktivposten Ihrer Regierung reklamieren Sie vor allem die Konsolidierung des Haushalts,
({5})
die Preisstabilität und den Wirtschaftsaufschwung.
({6})
Die Menschen, so sagen Sie, hätten deshalb wieder Zuversicht.
Ein wichtiger Gewährsmann in Ihren eigenen Reihen, mein hochgeschätzter Kollege Alfred Dregger, sieht das anders. Er hat auf Ihrem letzten Parteitag in Essen, auf den Sie sich hier auch mehrfach berufen haben, also auf dem Parteitag, auf dem Sie Ihren Delegierten zum Auftakt der Schlußphase des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen Herrn Bangemann als besonders erfolgreichen Werber um die Überlassung von CDU-Stimmen präsentiert haben,
({7})
wörtlich gesagt, es gebe in unserem Volk starke Unzufriedenheiten.
({8})
Dann hat er aufgezählt, wer alles mit der Regierung unzufrieden sei.
({9})
Unzufrieden seien die Bauern, obwohl man nationale Hilfsmaßnahmen - und nun wörtlich, Kollege Dregger - bis an die Grenzen des Möglichen und - man höre und staune - eher noch über die Grenzen des Möglichen hinaus beschlossen habe.
({10})
Unzufrieden seien auch die Rentner, haben Sie gesagt, Herr Dregger.
({11})
Unzufriedenheit über diese Regierung gebe es beim Handwerk und bei den mittelständischen Unternehmen, und natürlich - so haben Sie gesagt - gebe es Unzufriedenheit mit Herrn Kohl und seiner Regierung bei den Heimatvertriebenen.
({12})
Herr Kollege Dregger, Sie hätten ohne weiteres auch noch die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen oder auch die Frauen hinzufügen können. Sie sind nämlich auch mit der Regierung sehr unzufrieden.
({13})
Und alle - da stimme ich Ihnen zu, Herr Kollege Dregger - haben weiß Gott Grund zur Unzufriedenheit,
({14})
die Frauen vor allem deshalb, weil sie unter der
Verschlechterung ihrer Chancen in Beruf und Ausbildung und den Kürzungen, die Sie bei den sozia9968
len Leistungen beschlossen haben, ganz besonders leiden.
({15})
- Herr Kollege Dregger, ich überreiche Ihnen nachher das wörtliche Protokoll Ihrer Ausführungen. Lesen Sie nach. Wir werden es gerne hier noch ein paarmal verlesen, was Sie über die Unzufriedenheit gesagt haben. Was Sie da gesagt haben, lobe ich ja. Das war schon ganz bemerkenswert realistisch, Herr Dregger, realistischer jedenfalls und ehrlicher als das, was uns Ihr Parteivorsitzender, der Bundeskanzler, in der letzten Stunde erzählt hat.
({16})
Aber vielleicht, Kollege Dregger, gehören auch Sie schon zu den Kulturpessimisten, zu den Miesmachern, die es dem Bundeskanzler so sehr angetan haben. Vielleicht sind Sie auch schon ein Miesmacher.
({17})
- Meine Herrschaften, leben Sie sich ruhig aus, legen Sie sich keinerlei Hemmungen auf. Ihre Selbstdarstellungen sind unübertroffen.
({18})
Aber nun zu Ihren angeblichen Aktivposten: Herr Bundeskanzler, Sie rühmen sich der Konsolidierung des Haushalts. Aber woher kommt denn die rückläufige Nettokreditaufnahme? Ich nenne drei Gründe. Erstens. Sie haben mehr als 35 Milliarden DM Bundesbankgewinne in den Bundeshaushalt eingestellt. Davon haben Sie kein Wort gesagt, daß 35 Milliarden DM von der Bundesbank kommen, übrigens aus Zinsen von Devisenreserven, die während unserer Zeit angesammelt worden sind.
({19})
Als wir in der Zeit unserer Regierungsverantwortung auf den Bundesbankgewinn zurückgriffen, da liefen Sie Sturm, und der Herr Finanzminister Stoltenberg wurde damals nicht müde, von Selbstbedienungsladen zu reden. Aber Sie und Herr Stoltenberg denken sich eben: Was kümmert uns unser Gerede von gestern?
({20})
Das ist Ihre Konsolidierungspolitik. Wenn man nämlich die Bundesbankgewinne berücksichtigt, dann weisen die unter Ihrer Verantwortung zustande gekommenen drei Haushalte eine höhere Finanzierungslücke aus, als sie Helmut Schmidt in den drei vorausgegangenen Jahren zu verantworten hatte. Das ist die Wahrheit über Ihre Konsolidierung.
({21})
Zweitens. Sie haben sich massiv beim Steuerzahler, insbesondere beim Lohnsteuerzahler, bedient, und das werden Sie auch in den nächsten Jahren fortsetzen. Trotz der angeblich größten Steuerreform aller Zeiten - wieder ein Beispiel für Selbstgerechtigkeit, im übrigen für eine fast unseriöse Selbstgerechtigkeit - werden die Lohn- und Einkommensteuereinnahmen 1988 um mehr als 60 Milliarden DM über denen des Jahres 1982 liegen. Sie, Herr Bundeskanzler und Herr Stoltenberg, haben die höchste Lohnsteuerquote seit Gründung der Bundesrepublik zu verantworten: 17,2 %.
({22})
Nach Ihrer famosen Reform, meine Herren, wird die Lohnsteuerquote für die Arbeitnehmer noch steigen, nämlich auf 18,3 %. Und da werfen Sie uns vor, wir hätten die Arbeitnehmer überbürdet. Das ist doch ein Schlag ins Gesicht der Wahrheit, meine Herren.
({23})
Drittens. Sie haben konsolidiert, weil Sie bei den beschäftigungswirksamen öffentlichen Investitionen sparen. Gerade auch wegen dieser verfehlten Politik liegt die Bauindustrie am Boden. Das sagt Ihnen doch der Herr Herion jeden Tag, und Sie verschließen die Ohren.
({24})
Sie wollen an Investitionen, die Sie von anderen fordern, selbst weiter sparen. Bis 1988 sinkt die öffentliche Investitionsquote nach Ihrer Planung bis auf einen historischen Tiefstand von 12,6%. Das sind die Gründe für Ihre angebliche Konsolidierung, Herr Bundeskanzler. Was Sie Konsolidierung nennen, ist nämlich in Wahrheit Umverteilung.
({25})
Sie haben den einkommenschwächeren Gruppen in unserem Land Milliarden-Beträge genommen und sie anschließend freigiebig an Unternehmen und Hochverdienende verteilt. Das ist Ihre Konsolidierung.
({26})
Auf die Arbeitsplätze, die Sie durch diese Operation angeblich schaffen wollten, warten die Arbeitslosen bis heute vergebens.
Noch einen ganz besonderen Rekord haben Sie, Herr Bundeskanzler, und Sie, Herr Bundesfinanzminister, zustande gebracht: Die Steuersubventionen betragen in diesem Jahr rund 40 Milliarden DM. Das sind 10 Milliarden DM mehr als in unserem letzten Jahr. Auch darüber haben Sie kein Wort verloren, daß Sie die Subventionen in die Höhe fahren und nicht abbauen, wie Sie das versprochen haben.
({27})
Wir freuen uns mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, über stabile Preise. Aber wo liegt denn eigentlich Ihre Leistung, der Sie sich da so berühmen? Von 1970 bis 1982 lag die Bundesrepublik mit ihrer Preisstabilität im internationalen Vergleich stets auf dem zweiten Platz. Das ist auch heute so. 1983 war die Bundesrepublik sogar auf den fünften Platz abgesunken. Ich frage Sie: Wo ist Ihre Leistung, wenn Sie im internationalen Vergleich mit den Preisen dort stehen, wo wir 15 von 16 Jahren gestanden haben? Wo ist da Ihre Leistung?
({28})
Außerdem: Ihre ständige Betonung der Preisstabilität kann doch überhaupt nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Arbeitnehmer und die Rentner während Ihrer Regierungszeit real nicht mehr, sondern weniger bekommen haben. Sowohl die Reallöhne als auch die Realrenten als auch die Realleistungen aus dem sozialen System sind unter Ihrer Verantwortung nicht gestiegen. Sie sind gesunken, und zwar deutlich gesunken.
({29})
Arbeitnehmer und Rentner können sich unter der Koalition der Rechten weniger leisten als vorher. Das können Sie doch nicht mit Milchmädchenrechnungen aus der Welt schaffen. Die Rechnung, die Sie immer anstellen, wie es wäre, wenn wir als einziges Industrieland der Welt noch die Preissteigerungsraten des Jahres 1982 hätten, also nicht auf dem traditionellen zweiten Platz, sondern auf einem fünften, sechsten oder siebenten Platz stünden, ist doch ein Rechenkunststück, eine Milchmädchenrechnung, die den Rentnern und Arbeitnehmern real nicht eine Mark mehr in ihren Geldbeutel liefert.
({30})
Dafür fließt unter Ihrer Verantwortung Kapital immer schneller und in immer höheren Summen in das Ausland. 1982, in einem schwierigen Jahr, im letzten Jahr unserer Verantwortung, betrug der Kapitalausfuhrüberschuß 4 Milliarden DM, 1983 16,2 Milliarden DM
({31}) und 1984 29,1 Milliarden DM.
({32})
Zusammen mit dem Kapitalabfluß steigt die Arbeitslosigkeit auf immer neue Rekordhöhen. Es ist nicht einzusehen, warum Sie bei diesen Fakten in der Preisfrage den Mund so vollnehmen. Außerdem: Niemand weiß doch, wie lange die US-Administration ihre Politik astronomischer Budget- und Leistungsfinanzdefizite noch fortsetzt, überhaupt fortsetzen kann. Fällt aber der Dollarkurs endgültig, sinken unsere Exporte. Dann wird es sich bitter rächen, daß diese Regierung die Binnenkaufkraft derartig massiv beschnitten hat. Die ersten Warnzeichen aus den USA sind doch nicht mehr zu übersehen.
({33})
Ihre wirtschafts- und beschäftigungspolitische Rechnung geht nicht auf, Herr Bundeskanzler. Das Bruttosozialprodukt steigt, aber die Arbeitslosigkeit und die Armut wachsen, und die Reallöhne sinken, während die Einkünfte aus Vermögen und Kapital steigen. Ihre Politik ist der Weg in die Zwei-DrittelGesellschaft. Das ist der britische Weg. Ändern Sie Ihren Kurs, bevor die nächste Rezession die Arbeitslosigkeit noch höher hinauftreibt.
({34})
Wenn Sie dennoch von Ihren Rekorden reden, ist das nicht in Ordnung, es sei denn, Sie meinten die Negativrekorde. Die haben Sie aber nicht erwähnt. Diese Negativrekorde gibt es in großer Zahl. Unter Ihrer Regierungsverantwortung gibt es heute, zwei Jahre nach der sogenannten Wende, die höchste Arbeitslosigkeit, die höchste Lohnsteuerquote, die höchsten Rentenversicherungsbeiträge seit 1949, die höchste Zahl an Sozialhilfeempfängern und die höchste Zahl von Firmenzusammenbrüchen seit der Währungsreform. Gerade heute berichten die Zeitungen, daß im Februar die Zahl der Insolvenzen und der Zusammenbrüche einen neuen absoluten Rekord erreicht haben und um 22 % gegenüber Februar 1984 gestiegen seien.
({35})
Vor allem, Herr Bundeskanzler: Zwei Jahre nach Ihrer Wende greift in unserem Land Armut um sich,
({36})
gibt es mehr und mehr Menschen, die sich bitter einschränken müssen, weil es ihnen am Notwendigsten fehlt, und die sich in ihrer Not an karitative Organisationen, an Caritas und Arbeiterwohlfahrt, an Innere Mission und Rotes Kreuz oder an den Paritätischen Wohlfahrtsverband wenden.
({37})
Allein 940 000 registrierte Arbeitslose - von den Hunderttausenden, die es aufgegeben haben, sich zu melden, ganz zu schweigen - erhalten keinen Pfennig Arbeitslosenunterstützung mehr. Ich weiß, Sie hören das nicht gerne, und Sie sprechen dazu auch nicht. Herr Geißler, Ihr Chefdemagoge, wird noch ausfallender als sonst, wenn von der neuen Armut, von der Armut die Rede ist, die Ihre Koalition verursacht hat.
({38})
Aber wenn Sie uns nicht glauben und wenn Sie hier mit verzerrten Gesichtern Ihre Zwischenrufe machen,
({39})
dann fragen Sie einmal Herrn von Sayn-Wittgenstein, Ihren Partei- und früheren Fraktionskollegen. Er hat erst vor wenigen Tagen in einem Interview wörtlich gesagt: Die neue Armut ist in der Bundesrepublik eine ganz harte Realität und nicht nur ein Schlagwort von Politikern. Die Zahl der Bedürftigen steige ständig, und immer mehr sozial schwache Bürger müßten humanitäre Hilfe in Anspruch nehmen, da die Sozialhilfe überfordert sei. Wie wäre es, wenn statt Ihrem wütenden Geschrei ein Zeichen der Betroffenheit über diese Feststellung auch bei Ihnen zu erkennen wäre?
({40})
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie Ihr Lachen, Herr Kohl und Herr Zimmermann,
({41})
in diesem Moment auf die Menschen wirkt, von denen ich rede?
({42})
Aber wir brauchen ja noch nicht einmal Herrn Sayn-Wittgenstein allein zu bemühen. Sie bekommen doch tagtäglich aus der Bevölkerung Briefe, die das gleiche sagen, Herr Bundeskanzler, die bittere Klage über ihre Armut führen. Manche Bürger schicken mir Abdrucke solcher Briefe, die an Sie gerichtet sind.
({43})
Da heißt es dann beispielsweise im Brief eines Rentners an Sie:
Leistung muß sich wieder lohnen. Das muß angesichts der vorgesehenen Rentenanpassung im Umkehrschluß dann logischerweise heißen, daß die heute über 60jährigen Rentner in ihrem mühevollen Dasein mit Krieg und Gefangenschaft, Vertreibung und Neuaufbau eine jetzt zu lohnende Leistung in ihrem Leben nicht erbracht haben.
Dann schließt der über 60jährige Rentner seinen Brief an Sie:
Der heilige Zynikus läßt grüßen.
Ist dieser Rentner auch ein Miesmacher, ist dies auch ein Pessimist?
({44})
Sie haben in Ihrer Erklärung von diesem Pult aus gesagt, die Rentner und die alten Leute würden durch Wahlkämpfe beunruhigt. Herr Bundeskanzler, die Rentner werden nicht durch Wahlkämpfe beunruhigt, sie werden durch Ihre Politik und das verantwortungslose Gerede von Herrn Bangemann beunruhigt.
({45})
Das hat sich ja sogar bis in die Reihen der Union herumgesprochen, und in öffentlichen Äußerungen hat man Herrn Bangemann das Notwendige bemerkt.
Sie haben gesagt, Herr Bundeskanzler - und das war ja wohl Kernstück Ihrer Rede -, alle diese Schwierigkeiten seien in den 70er Jahren von der damaligen Bundesregierung verursacht worden.
({46})
Draußen reden Sie noch etwas schlichter. Da sagen Sie beispielsweise auf dem Deutschen Bankentag, Sie müßten den ökonomischen Schutt der 70er Jahre wegräumen.
({47})
Das ist ziemlich anmaßend, Herr Bundeskanzler.
({48})
Vielleicht sind Sie sich dessen gar nicht bewußt, das ist auch ein ziemlich schäbiger Fußtritt für die Wirtschaftsminister der 70er Jahre, die Herren Friderichs und Lambsdorff, die ja wohl an dieser Schuttproduktion als Wirtschaftsminister beteiligt gewesen sein müssen.
({49})
In Wahrheit hat unser Land, hat die Bundesrepublik Deutschland im Oktober 1982 im internationalen Vergleich in allen wesentlichen Punkten besser dagestanden als die uns vergleichbaren Industriestaaten. Diese Leistung lassen wir uns von Ihnen nicht vermiesen, Herr Bundeskanzler.
({50})
Zu Ihren Angriffen auf das Ruhrgebiet und auf Nordrhein-Westfalen wird sich mein Kollege Posser noch gesondert äußern. Übrigens sollten Sie zur Kenntnis nehmen, es ist schon Ihrem Herrn Worms nicht sonderlich gut bekommen, daß er fortgesetzt sein eigenes Land und insbesondere das Revier herabsetzt und schlecht macht. Die Antwort darauf werden Herrn Worms und Ihnen die Menschen im Revier und in Nordrhein-Westfalen am 12. Mai geben, und es wird eine klare Antwort sein.
({51})
Außerdem, das bringen ja nur Sie fertig, Herr Bundeskanzler, sich hier pharisäisch über das Ruhrgebiet zu äußern und kein Wort über das Saarland und Herrn Zeyer zu verlieren.
({52})
Herr Bundeskanzler, Sie sollten lieber von dem reden, was Sie zu verantworten haben an Rückschlägen, an Enttäuschungen, an menschlicher Not und Sorge. Oder Sie sollten von den leichtfertigen Redereien Ihrer Minister Blüm und Geißler sprechen, die 1983 die Behauptung unter die Leute brachten, bis 1985 werde die Arbeitslosenzahl auf eine Million sinken.
({53})
- Ich stelle es Ihnen gern zur Verfügung. Herr Bötsch, wenn Sie sich morgen früh oder heute nach der Debatte
({54})
zusammen mit den anderen Schreiern in meinem Büro einfinden, werde ich Ihnen die Bildzeitung gern übergeben, Ihr Leib- und Magenblatt.
({55})
Die Herrn Blüm und Geißler
({56})
hätten sich besser an meiner Aussage orientieren sollen, die Sie immer wieder zitieren und die Sie heute hier an dieser Stelle zitiert haben, über den Zeitraum zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Dann wären diese Sprüchemacher näher an der Wahrheit geblieben. Und wenn Sie schon von Schutt reden wollen, dann reden Sie lieber von den sozialpolitischen Verwüstungen, von dem sozialpolitischen Schutt, der den Weg der Wende seit Oktober 1982 säumt.
({57})
Das gehört auch zu der Wendelast, die Sie unserem Volk aufgebürdet haben. Dazu gehören die radikalen Streichungen und Kürzungen bei vielen Sozialleistungen. Dazu gehört die finanzielle Anfälligkeit unseres Rentenversicherungssystems, die Sie mit immer neuen Flickschustereien nicht beheben können. Dazu gehört die Kostenexplosion im Gesundheitswesen, der Sie hilflos gegenüberstehen, weil Sie beispielsweise nicht den Mut haben, der Marktmacht der Pharmaindustrie und ihren Werbepraktiken endlich entgegenzutreten.
({58})
Mutig und tapfer sind Sie überhaupt lieber gegen die Kleinen und Schwachen. Denen wird ohne Zögern in die Tasche gegriffen. Denen wird eine 15 %ige Selbstbeteiligung an den Krankheitskosten angekündigt. Den Großen und Hochverdienenden geben Sie auch im Gesundheitsbereich noch dazu.
({59})
Aber offenbar hat die Koalition auf diesem Gebiet noch mehr vor.
({60})
Die stärksten Angriffe auf den Sozialstaat stehen anscheinend noch bevor. Das sogenannte Beschäftigungsförderungsgesetz, das die Arbeitnehmerschaft spalten und Millionen von Arbeitnehmern die Schutzrechte nehmen soll, für die sie, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften, über Generationen hinweg gekämpft haben,
({61}) bietet darauf einen Vorgeschmack.
Es zeugt übrigens einmal mehr für das bewährte soziale Fingerspitzengefühl dieser Bundesregierung, daß dieses Gesetz ausgerechnet am 1. Mai, am
historischen Kampftag der Arbeitnehmer für soziale Gerechtigkeit, in Kraft treten soll.
({62})
Das empfinden auch viele Ihrer Freunde in den Sozialausschüssen und in den Gewerkschaften, in den Betrieben geradezu als Provokation.
Aber sie gehen j a schon weiter. Sie selbst, Herr Bundeskanzler, sagen seit kurzem - auch heute haben Sie es wieder gesagt -, die Behebung der Arbeitslosigkeit sei im wesentlichen Sache der Tarifparteien, also der Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften.
({63})
Was bleibt denn dann eigentlich noch von der Substanz des Sozialstaates, wenn er sich nicht einmal mehr durch Massenarbeitslosigkeit herausgefordert und zu eigenem aktiven Handeln aufgerufen fühlt?
({64})
Außerdem, als die Gewerkschaften die Initiative ergriffen haben, meine Herren, und zur Linderung der Arbeitslosigkeit in schweren Kämpfen Arbeitszeitverkürzungen durchgesetzt haben, da waren Sie doch auf der Gegenseite. Da wollten Sie den Gewerkschaften doch in den Arm fallen und ihnen eine Niederlage beibringen. Das ist doch zutiefst widersprüchlich.
({65})
Sie reden j a auch schon ganz ungeniert - während gleichzeitig die Lohnsteuerbelastung kontinuierlich steigt - von der Senkung der Spitzensteuersätze von 56 % auf 36% für die, die als Verheiratete eine Viertelmillion DM oder mehr im Jahr haben. Ganz ungeniert stellen Sie diese Forderung auf. Herr Biedenkopf - um hier nicht nur Herrn Worms, sondern auch ihn zu erwähnen - sagt, das Kernproblem der Arbeitslosigkeit sei, daß es zuwenig Millionäre gebe. Andere aus Ihrer Koalition treten ungeniert dafür ein, die Verbindlichkeit der Tarifverträge abzuschaffen. Und Herrn Bangemanns ebenso inkompetentes wie leichtfertiges Gerede über die Rentenversicherung ist noch lange nicht vergessen.
({66})
Von Ihnen, Herr Bundeskanzler, war in Ihrer bemühten Regierungserklärung zu all diesem sozialpolitischem Abenteurertum, zu diesen sozialpolitischen Amokläufen Ihrer Koalition und Ihrer Freunde nicht ein einziges Wort der Distanzierung zu hören.
({67})
Weil Sie nun inzwischen wachsenden Widerstand spüren - das haben Sie auch schon gemerkt -, haben Sie die Sache mit dem Neid erfunden. Das sieht sehr nach Geißler aus. Deshalb redet Herr Geißler vom Neid. Deshalb redet Herr Genscher
von einer Neidsteuer, wenn auch Hochverdienende zu einem Opfer herangezogen werden sollen.
({68})
Sie selbst behaupten sogar, unser ganzes Land sei neidisch. Ausgerechnet auf dem Bankentag haben Sie wörtlich gesagt - und ich stelle Ihnen, wenn wieder Zwischenrufe kommen, gern Ihr eigenes Regierungsbulletin zur Verfügung -:
Wir sind ein Land, das aus vielerlei Gründen weit mehr vom Neid geplagt wird als etwa die Vereinigten Staaten.
({69})
Wir sind ein Land, in dem die Tüchtigen, in dem die hart Arbeitenden beneidet werden und wo Tüchtigkeit und wirtschaftlicher Ertrag nicht automatisch als Leistung anerkannt werden.
({70})
Herr Bundeskanzler, was meinen Sie damit denn eigentlich? Warum ist es denn Neid, wenn sich die Schwächeren gemeinsam gegen den sozialen Abbau wehren? Waren denn die Rentner, die Behinderten, die Arbeitslosen, die Arbeitskollegen, die z. B. bei einem der rund 17 000 Firmenzusammenbrüche des letzten Jahres, bei den 2 000 Firmenzusammenbrüchen des Monats Februar
({71})
ihren Arbeitsplatz verloren haben, sind die Bauarbeiter, die auf der Straße liegen, etwa nicht tüchtig? Sind die gemeint? Sind die neidisch?
({72})
Haben diese Männer und Frauen, über die Sie sich auf dem Deutschen Bankentag verbreitet haben, nicht hart gearbeitet? Wollen Sie, Herr Bundeskanzler, dem Schaden noch den Spott hinzufügen?
Ich sage: Solche Herabsetzung, solche pauschale Verdächtigung hat unser Volk nicht verdient.
({73})
Unser Volk ist und war fleißig. Viele, die dazu Gelegenheit hatten, die Arbeitsplätze hatten, haben sich besonders angestrengt. Es gibt ermutigende Anzeichen der Solidarität in unserem Volk, ermutigende Anzeichen nach innen und nach außen, z. B. gegenüber den hungernden Menschen in Afrika. Viele, nein: fast alle, haben aus eigenem Geld und nicht aus Firmengeldern wirklich Opfer gebracht, um den hungernden Menschen zu helfen.
({74})
Wir kritisieren nicht unser Volk, wir danken ihm. Wir nehmen unser Volk gegen Ihre schlimmen Unterstellungen in Schutz.
({75})
Wir kritisieren nicht unser Volk, wir kritisieren Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Bundesregierung.
({76})
Herr Bundeskanzler, Sie sind auf einem gefährlichen Weg.
({77})
Von Neid haben auch in der Vergangenheit immer diejenigen gesprochen, die Privilegien verteidigen, die von sozialer Gerechtigkeit nichts wissen wollen.
({78})
Sie sollten zur Kenntnis nehmen, Herr Bundeskanzler: Empörung gegen Ungerechtigkeit ist nicht Neid, und Verteidigung von Privilegien ist nicht Tüchtigkeit.
({79})
Damit wir uns da ganz gut verstehen: Wir schüren keinen Neid,
({80})
aber wir sind auf der Seite derer, die sich über soziales Unrecht empören und sich gegen soziales Unrecht zur Wehr setzen.
({81})
- Meine Damen und Herren, ich hoffe, daß das Fernsehen die Gelegenheit hat, sowohl die Gesichter hier als auch die Worte, die mir zugerufen werden, den Bürgerinnen und Bürgern voll mitzuteilen. Dies trägt in erheblichem Umfang zur Meinungsbildung bei!
({82})
- Darauf können Sie sich verlassen: Es geht weiter so.
({83})
- Herr Präsident, ich beschwere mich in keiner Weise. Dies ist eine unglaublich wirkungsvolle DarDr. Vogel
stellung. Ob das alles mit der Würde des Hauses in Einklang steht, unterliegt nicht meinem Urteil.
({84})
In einem weiteren Teil Ihrer Erklärung haben Sie sich mit unserer Umwelt und mit Ihrer Umweltpolitik beschäftigt. Ich räume auch bei dieser Gelegenheit ausdrücklich ein: Manche Gefahren sind zu spät erkannt worden. Aber Sie sind die Allerletzten, die uns deswegen zu kritisieren haben.
({85})
Sie haben doch noch zu Beginn dieses Jahrzehnts jeden, der vom Waldsterben überhaupt nur sprach, als „grünen Panikmacher" oder „Systemveränderer" diffamiert.
({86})
Herr Albrecht, der Ministerpräsident von Niedersachsen
({87})
und Stellvertreter des Herrn Bundeskanzlers als Parteivorsitzender, hat sogar noch im März 1982 Umweltschutzauflagen und Verbote mit der Begründung abgelehnt, der Staat dürfe durch seine Maßnahmen die Ertragslage der Wirtschaft nicht noch schlechter gestalten. Herr Lambsdorff hat doch die Vorschläge von Herrn Baum immer wieder mit ähnlichen Argumenten blockiert. Das ist doch die Wahrheit!
({88})
- Sie können schreien, was Sie wollen: Wir Sozialdemokraten haben uns wegen unserer Umweltschutzpolitik weiß Gott nicht zu verstecken.
({89})
Wo stünde denn unser Land, wenn wir nicht eine Vielzahl einschneidender Maßnahmen zwischen 1969 und 1980 verwirklicht hätten?
({90})
Von wem stammen denn die grundlegenden Umweltschutzgesetze unter Federführung von Herrn Genscher und dann von Herrn Baum, etwa das Bundes-Immissionsschutzgesetz oder das Abwasserabgabegesetz oder die strafrechtlichen Vorschriften gegen die Umweltkriminalität? Und ist Ihnen, die Sie Ihre Koalition immer so beschwören und die Sie so viel Verständnis für die FDP aufbringen, denn gar nicht klar, daß diese Kritik in erster Linie auch wieder Ihre Koalitionsfreunde, die damaligen Umweltminister Genscher und Baum trifft, wenn überhaupt etwas an dieser Kritik wahr wäre Was ist das für eine lustige Koalition, wo ich diese
Kollegen gegen die Angriffe ihres eigenen Bundeskanzlers in Schutz nehmen muß?
({91})
Sie, Herr Bundeskanzler, haben bislang nur eine Vielzahl von Ankündigungen vorzuweisen, die Sie alsbald widerrufen haben oder zum großen Teil nicht verwirklichen konnten. Das Drama um Buschhaus und die Tragikomödie um den Katalysator sind in frischer Erinnerung und auch gar nicht zu Ende. Das letzte, was Sie uns zugemutet haben, ist ein Blankettgesetz, über dessen Inhalt selbst Sie keine konkreten Aussagen machen. Und Ihre in Halbmillionenauflage verstreuten Druckschriften müssen, wenn sie beim Bürger und Autokäufer eintreffen, bereits wieder eingestampft werden: wegen gefährlicher Irreführung der Bürgerinnen und Bürger.
({92})
Ihnen, meine Herren auf der Regierungsbank, ist das Kunststück gelungen, sowohl die Umwelt als auch die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie zu gefährden; beides.
({93})
Es spricht doch auch für sich, daß Ihr Ankündigungsminister Zimmermann - der sich gerade bei seinen Freunden Rat holt -,
({94})
dieser wackere Ankündigungsminister, Herr Bundeskanzler, bislang keinen einzigen seiner Gesetzentwürfe in das Bundesgesetzblatt gebracht hat; keinen einzigen.
({95})
Ebenso wirkt sich auf diesem Feld aus, daß die öffentlichen Investitionen 1984 unter Ihrer Verantwortung um 25% unter denen von 1980 lagen. Auch deshalb sind mögliche und dringend notwendige Umweltschutzmaßnahmen unterblieben.
Es ist Pflicht der Opposition zu kritisieren. Sie haben sich darauf während Ihrer Oppositionszeit im wesentlichen beschränkt. Wir begnügen uns nicht damit. Wir haben konkrete Alternativen vorgelegt. Wir sagen unserem Volk, was wir und wie wir es anders und besser machen wollen.
({96})
- Na, warten Sie es doch ab! Nicht so hektisch, meine Damen und Herren! Ich verstehe j a, daß Sie unruhig sind. Aber seien Sie nicht so hektisch!
({97})
Das gilt für unser Projekt ,,Arbeit und Umwelt". Das würde jährlich 18 bis 20 Milliarden DM verfügbar machen. Das würde weiteren Umweltzerstörungen wirksam Einhalt gebieten und die bereits eingetretenen Zerstörungen - ich nenne nur das Problem der Bodenvergiftung und die Altdeponien - beseitigen. Das würde schon im ersten Jahr rund
300 000 Arbeitsplätze schaffen. Das Projekt wäre zugleich eine Hilfsmaßnahme für die Bauwirtschaft. Und es ist doch kein Zufall, daß die stärksten Befürworter dieses Programms bei den Arbeitgebern in der Bauwirtschaft zu finden sind. Die wissen doch, wovon sie reden.
({98})
Dieses Projekt wäre jedenfalls wirksamer als Ihre ständig wiederholten Appelle, die unter den wachsenden Sozialhilfelasten stöhnenden Gemeinden, denen Sie zunächst die Einnahmen beschnitten haben, sollten etwas tun.
Sie sagen immer, daß bedeute mehr Bürokratie, und Sie wenden ein, wir Sozialdemokraten wollten das Geld - einen halben Pfennig pro Kilowattstunde und zwei Pfennige pro Liter Benzin - bei den breiten Schichten holen. Es ist originell, daß gerade Sie uns vorwerfen, daß wir für diese Zwecke Geld bei den breiten Schichten holen wollten.
Im übrigen: Es kommt j a wohl auf den Zweck an. Es ist doch ein Unterschied,
({99})
ob die breiten Schichten belastet werden, damit die Vermögenssteuer gesenkt werden kann, oder ob sich unser Volk an der Erhaltung und Wiederherstellung unserer Umwelt beteiligt.
({100})
Da bin ich viel optimistischer als Sie, Herr Bundeskanzler. Da habe ich starkes Vertrauen in unser Volk.
({101})
Das kennt diesen Unterschied sehr gut.
Ebenso abwegig ist der Bürokratievorwurf. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau würde dieses Sondervermögen ebenso unbürokratisch verwalten, wie sie das ERP-, also das Marshallplanvermögen verwaltet. Der Vorwurf der Bürokratie ist - ich fürchte fast - gegen besseres Wissen aufgestellt worden. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau verdient diesen Vorwurf nicht, der darin steckt.
({102})
Wir haben weitere konkrete Vorschläge zum Abbau der Arbeitslosigkeit vorgelegt. Wir unterstützen den Prozeß der Arbeitszeitverkürzung, dem Sie Hindernisse in den Weg legen, den Sie als absurd, töricht und dumm bezeichnet haben. Wir treten für verstärkte Förderung der mittleren und kleinen Betriebe ein, weil sich diese als besonders arbeitsplatzstabil und flexibel erwiesen haben, vor allem auch auf technologischem Gebiet.
({103})
Es ist nicht in Ordnung - vielleicht kann man sich wenigstens darüber verständigen -, daß Geldvermögensanlagen in dieser Situation, in der wir uns befinden, steuerlich günstiger behandelt werden als die Investitionen. Das ist doch einer der Gründe, warum 1984, in Ihrem Regierungsjahr,
sage und schreibe 95,2 % der Gewinne entnommen und nur 4,8 % wieder investiert wurden.
({104})
Das ist übrigens auch eine Zahl, von der Sie schweigen, von der Sie nicht reden.
Wir haben einen Entwurf zur sofortigen Verbesserung der Gemeindefinanzen eingebracht. Auch er würde helfen, die Bauwirtschaft vor dem Ruin zu bewahren.
Wir haben Konzepte für die ökologische Erneuerung unserer Industrie entwickelt. Die sozialdemokratisch regierten Bundesländer haben bei der Verwirklichung dieser Konzepte bereits Erfolge erzielt, so insbesondere das hier geschmähte Nordrhein-Westfalen mit der auf Initiative von Johannes Rau zustande gekommenen Vereinbarung zwischen dem Land und den Elektrizitätsversorgungsunternehmen über eine beschleunigte Rauchgasentschwefelung - schneller, als es in den Gesetzen vorgeschrieben ist.
Wir wissen, daß Oskar Lafontaine, der neue Ministerpräsident des Saarlandes, gerade diese Aufgaben mit großer Energie anpackt. Seine realistische und nüchterne Regierungserklärung gestern hat das unter Beweis gestellt. Wir wünschen ihm dabei im Interesse der Menschen im Saarland einen vollen Erfolg.
({105})
Die Union hat Oskar Lafontaine und den Sozialdemokraten dort nach 24 Regierungsjahren eine der anerkannt schwierigsten Situationen in der ganzen Bundesrepublik hinterlassen. Herr Bundeskanzler, wenn es je eine Erblast gegeben hat, dann ist es diese Hinterlassenschaft, dann ist es die Verschuldung des Saarlandes, die mit 8 Milliarden DM doppelt so hoch ist wie das jährliche Haushaltsvolumen des Saarlandes. Reden Sie kein Wort mehr von Erblast, ohne an die Saar zu denken, Herr Bundeskanzler.
({106})
Wir werden deshalb besonders genau darauf achten, daß die Bundesregierung ihre Pflichten gegenüber dem Saarland auch künftig sorgfältig erfüllt, wie das auch die sozialliberale Bundesregierung getan hat. Ich danke im Namen der Sozialdemokraten denen in der Koalition, die hier klare, saubere Erklärungen abgegeben haben.
Wir haben eine agrarpolitische Alternative präsentiert, die mit geringerem finanziellen Aufwand den kleinen und mittleren Betrieben wirklich helfen, dafür allerdings die umsatz- und gewinnstarken Großbetriebe weniger begünstigen würde, als ihre Agrarpolitik das tut.
({107})
- Ich möchte den Zwischenruf aufgreifen: Was ich
hier zugunsten der kleinen und mittleren Betriebe
sage, wird aus den Reihen der Union mit allgemeiDr. Vogel
ner Zustimmung als Klassenkampf bezeichnet. Wir sollten das ruhig der Öffentlichkeit mitteilen.
({108})
Wir haben Ihrer Steuersenkungsvorlage, die wiederum die Stärkeren begünstigt, ein sozial gerechtes und familienfreundliches Konzept entgegengestellt. Übrigens, Herr Bundeskanzler: alles, was Sie hier und bei vielen Gelegenheiten über Ihre Familienpolitik sagen, kann doch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Familien frühestens 1988 materiell wieder den Stand erreichen, den sie bis zur Wende unter unserer Verantwortung gehabt haben.
({109})
Auf diesem Hintergrund der Tatsachen, die doch jede Familie im eigenen Budget nachprüfen kann, wirken die etwas pathetisch vorgetragenen Familienpassagen Ihrer heutigen Erklärung doch schal und unseriös und für die Familien frustrierend, Herr Bundeskanzler.
({110})
Wir haben schließlich, meine Damen und Herren, einen ausformulierten Gesetzentwurf zur langfristigen Reform und Sicherung der Rentenversicherung eingebracht, der die Rentenversicherung sowohl gegenüber der Arbeitslosigkeit als auch gegenüber der demographischen Entwicklung, also der Bevölkerungsverschiebung - mehr alte Menschen, weniger junge, die im Arbeitsleben tätig sind -, stabilisiert und eine finanzierbare Rentenformel deutlich und klar an die Stelle der bisherigen, nicht mehr finanzierbaren Rentenformel setzt.
({111})
Die Opposition, die den Mut hat, eine solche weitreichende Reformkonzeption vorzulegen und zu sagen, daß die nicht finanzierbare Rentenformel durch eine auf Dauer finanzierbare ersetzt werden soll, ist eine verantwortungsbewußte Opposition. ,
({112})
Auch zum Weltwirtschaftsgipfel haben wir konkrete Vorschläge gemacht, die heute nachmittag behandelt werden.
Sie lehnen alles ab, und dann reden Sie von Gemeinsamkeit, auch heute wieder. Aber die jüngsten Erfahrungen, etwa bei dem auf unsere Initiative zustande gekommenen interfraktionellen Umweltgespräch, zeigen, daß Sie offenbar schon vor der geringsten Gemeinsamkeit selbst dann zurückschrecken, wenn es zwischen der SPD und der FDP und sieben von elf Bundesländern, darunter auch zwei CDU-Ländern, Gemeinsamkeit gibt. Wenn das Gerede von der Gemeinsamkeit eine Heimat hätte, müßte die Unionsfraktion doch über ihren Schatten springen, und sich allen anderen anschließen. Dann könnten wir die Staatszielbestimmung in das
Grundgesetz schreiben. Aber Sie wollen das doch nicht.
({113})
Wir weichen der Gemeinsamkeit nicht aus. Wir sind für gemeinsame Lösungen ansprechbar, wenn sie im nationalen Interesse liegen; aber Sie sollten auch zur Kenntnis nehmen: Wir laufen Ihnen mit solchen Angeboten nicht nach. Es ist Ihre Pflicht als Kanzler, die Initiative zu ergreifen.
({114})
Ich habe mich mit dem beschäftigt, wozu Sie gesprochen haben. Es ist bemerkenswert, wozu Sie heute nichts gesagt haben, Herr Bundeskanzler.
({115})
Sie haben kein Wort, nicht eines, zur Rechtspolitik gesagt. Das läßt erkennen, welchen Stellenwert diese Fragen in Ihrer Koalition haben.
({116})
Sie haben die Landwirtschaft in dieser Regierungserklärung mit keinem einzigen Wort erwähnt.
({117})
Sie haben, Herr Bundeskanzler, kein Wort über den Dauerstreit in Ihrer Koalition verloren,
({118})
in der sich Ihre verschiedenen Männerfreunde zur Zeit tagtäglich wechselseitig als demagogisch, töricht oder verantwortungslos beschimpfen. Neuerdings tituliert man sich in Ihrer wackeren Koalition sogar gegenseitig als „Hofhund" und droht sich weitere zoologische Vergleiche an. Das ist die Koalition der Mitte, meine Damen und Herren, in ihrer vollen Blüte!
({119})
Der Inhaber der Richtlinienkompetenz schweigt und sitzt selbst solche Theatervorstellungen offenbar als unbeteiligter Zuschauer aus; aber das wird nicht mehr lange gutgehen.
({120})
Sie haben, Herr Bundeskanzler - ich würde es begrüßen, wenn wir wenigstens diese Frage auf allen Seiten des Hauses mit Ernst besprechen können -, zu der Debatte über die Vorbereitung des Besuchs des Präsidenten der Vereinigten Staaten geschwiegen, obwohl diese Debatte das amerikanische Volk und unser Volk, aber auch andere Völker, etwa das israelische Volk, auch das polnische - ich schließe kein Volk aus - tief aufwühlt. Herr Bundeskanzler, es hätte Ihnen gut angestanden, zu dieser aufwühlenden Debatte vor dem Deutschen Bundestag von sich aus ein klärendes Wort zu sagen.
({121})
Dieses Schweigen im Angesicht des Bundestages in einer Regierungserklärung fügt der Reihe der Peinlichkeiten eine weitere hinzu.
({122})
Auf diesen Besuch sind im voraus schwere Schatten gefallen.
({123})
- Ich sagte „Koalition der Selbstgerechtigkeit", und Sie bestätigen das ja. Ich wiederhole: Auf diesen Besuch sind im voraus schwere Schatten gefallen. Herr Bundeskanzler, es war Ihr Wille und Ihr Entschluß, diesen Besuch so nahe wie möglich an den 8. Mai heranzurücken.
({124})
Sie wußten, daß dieser Zeitraum in Anbetracht unserer Geschichte empfindlicher und sensibler als jeder andere Zeitraum ist. Deshalb haben Sie mit Ihrem Entschluß, den ich hier nicht kritisiere, eine besonders schwere Verantwortung auf sich genommen. Sie haben die Verantwortung dafür auf sich genommen, daß der Besuch in einer Weise abläuft, die dem besonderen Charakter des 8. Mai als Tag des Kriegsendes und der Befreiung Europas und unseres Volkes von der NS-Gewaltherrschaft und den Gefühlen der Millionen Opfer und ihrer Hinterbliebenen in würdiger Weise Rechnung trägt. Ich sage es mit Bedauern, weil die Folgen uns alle treffen: Herr Bundeskanzler, ich fürchte, Sie sind dieser Aufgabe nicht gerecht geworden. Sie haben zu verantworten, daß Peinlichkeit an Peinlichkeit gereiht wurde. Die Aussöhnung zwischen den Opfern der NS-Gewaltherrschaft und unserem Volk, aber auch zwischen unserem Volk und den Völkern, die Europa und uns in einem blutigen Ringen von der Gewaltherrschaft Hitlers befreit haben, ist nach dem gegenwärtigen Lauf der Dinge nicht gefördert, sondern beeinträchtigt worden.
Herr Bundeskanzler: Das hat nicht der Präsident der Vereinigten Staaten zu verantworten. Das sind Fragen an Sie als den Gastgeber, den Einladenden und den Bundeskanzler dieser Republik. Wir Sozialdemokraten und viele mit uns ({125})
ich schließe niemanden aus - begrüßen, daß in das Programm nachträglich ein Besuch des Geländes eines ehemaligen Konzentrationslagers aufgenommen worden ist. Im Gedenken an die millionenfachen Opfer der NS-Gewaltherrschaft hätte das von Anfang an, nicht erst im nachhinein auf Druck der öffentlichen Meinung, geschehen müssen.
({126})
Meine Damen und Herren, die fortdauernde Erinnerung an das dunkelste Kapitel unserer Geschichte und die Scham über das Geschehene ist die Voraussetzung jeder Versöhnung.
({127})
Dieser in Stein gehauene Satz in Yad Vashem trifft den Kern der Sache.
Wir begrüßen - ich schließe wiederum niemanden aus -, daß im Rahmen des Besuches auch der gefallenen deutschen Soldaten gedacht werden soll. Die Erinnerung an den Tod derer, die von einem verbrecherischen Regime in einem Angriffskrieg gegen fast alle Völker Europas in allen Himmelsrichtungen mißbraucht worden sind, ist ebenfalls ein Bestandteil unserer Geschichte und ein Beitrag zur Versöhnung.
Um keinen Preis darf jedoch der Eindruck entstehen, dieses Gedenken erstrecke sich pauschal auch auf die SS. Es ist wahr - das bezeuge ich, weil ich selber einem Jahrgang angehöre, der diesen Pressionen ausgesetzt war -, daß junge Menschen seinerzeit auch gegen oder ohne ihren Willen zum Dienst in der Waffen-SS herangezogen worden sind. Es ist ebenso wahr, daß viele ehemalige Angehörige der Waffen-SS heute den Abscheu über die Verbrechen teilen, die für immer und ewig mit dem Namen der SS verbunden sind. Unverändert ist aber auch richtig, daß die Waffen-SS an der Errichtung und Unterhaltung von Konzentrationslagern, an Folter und Mord, an Völkermord und an schwersten Kriegsverbrechen beteiligt war.
Diese Unterscheidung, Herr Bundeskanzler und meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, kann von uns Deutschen nachvollzogen werden; von unseren Altersjahrgängen, Kollege Dregger, noch leichter als von Jungen, die 40 Jahre davon entfernt sind. Es bedeutet aber eine Überforderung, diese Unterscheidung auch den Opfern der SS, ihren Hinterbliebenen und den Völkern abzuverlangen, die unter dem SS-Terror gelitten oder ihn mit blutigen Opfern bezahlt haben. Es gibt Völker, die 20 Millionen Tote zu beklagen hatten, um den SS-Terror zu überwinden. Auch die Amerikaner haben ihr Blutopfer zur Überwindung dieses Terrors geleistet. Hier, meine Damen und Herren - darüber sollten wir in großer Ruhe miteinander reden -, liegt der entscheidende Gesichtspunkt, der von Ihren Beratern oder auch von Ihnen selbst nicht genügend bedacht worden ist.
Ich füge hinzu: Hier fürchte ich, gibt es eine ahistorische Sicht der Dinge. Der schon eingetretene Schaden kann durch eine bloße Änderung des Programms, wie sie in einem Antrag gefordert wird, nicht mehr aus der Welt geschafft werden. Der Entschließungsantrag, den wir eingebracht haben, appelliert deshalb an Ihre Berater und an Sie, weiteren Schaden durch eine Gestaltung des Programmablaufs abzuwenden, die unserer Pflicht zur Erinnerung und Versöhnung, unserer Pflicht zum Respekt, nein, unserem Willen zum Respekt vor den Leiden der Opfer und dem Empfinden des amerikanischen Volkes, der anderen betroffenen Völker und unseres eigenen Volkes in gleicher Weise entspricht. Dies bringt unser Entschließungsantrag zum Ausdruck.
({128})
Herr Bundeskanzler, ich glaube, in diesem Zusammenhang ist es nicht zu vermeiden, auch noch einige Bemerkungen zur Entwicklung der GesetzDr. Vogel
gebung gegen die Auschwitz-Lüge zu machen. Auch hier ist Schaden verursacht worden. Ich denke dabei gar nicht an die peinlichen Streitigkeiten in der Koalition um den von Ihnen, Herr Bundeskanzler, mit Ihrer Unterschrift eingebrachten Gesetzentwurf. Ich denke vielmehr daran, daß Sie am vergangenen Sonntag - ich habe das auch schon an anderer Stelle gesagt - in einer eindrucksvollen Rede, der ich fast vollständig zustimmen kann, in Bergen-Belsen zu Recht die Einmaligkeit der Hitlerschen Verbrechen hervorgehoben haben. Wenn ich mich nicht täusche, haben Sie die Stätten des Völkermords - Auschwitz, Treblinka, Majdanek - ausdrücklich genannt.
Wenn Sie jetzt aber die Leugnung und Verherrlichung des Hitlerschen Völkermords nur unter Strafe gestellt wissen wollen, wenn andere Gewalttaten ebenso behandelt werden, dann ist das doch zutiefst widersprüchlich. Das ist, ob Sie es wollen oder nicht - ich hoffe, Sie wollen es nicht, Herr Bundeskanzler -, ein Stück Aufrechnung von Unvergleichbarem.
({129})
Theodor Heuss - ich berufe mich absichtlich auf Theodor Heuss - hat dazu 1952 in einer Rede in Bergen-Belsen gesagt - in Bergen-Belsen; er sprach an derselben Stelle, auf demselben Gelände, auf dem Sie Ihre eindrucksvolle Rede gehalten haben -, die Völker, die hier die Glieder ihres Volkes in Massengräbern wüßten, würden nie, sie könnten auch nie vergessen, was ihnen angetan wurde; die Deutschen dürften nie vergessen, was von Menschen ihrer Volkszugehörigkeit in diesen schamreichen Jahren geschah. Dann fuhr er fort, er höre den Einwand: Und die anderen? Ob man denn nichts von ihren Rohheiten und dem Unrecht der anderen, von den Opfern in fremdem Gewahrsam, von den Mißhandlungen und Verbrechen an Deutschen wisse. Dann fuhr er wörtlich fort - ich zitiere -:
Ich weiß davon und habe nie gezögert, davon zu sprechen, aber Unrecht und Brutalität der anderen zu nennen, um sich darauf zu berufen, das ist das Verfahren der moralisch Anspruchslosen.
Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, daß sich kein deutscher Bundeskanzler in der Gruppe einreiht, die Heuss hier als die Gruppe der „moralisch Anspruchslosen" bezeichnet hat.
({130})
Ich bitte Sie, und ich weiß mich einig mit der entsprechenden Bitte des Zentralrats der Juden in Deutschland - ({131})
- Bitte sehr? „Korrupt" sagten Sie?
({132})
- Ich weiß nicht, was dies jetzt mit meiner Bitte zu tun hat.
({133})
Ich bitte Sie, Herr Bundeskanzler, und die Bitte - ({134})
- Ich glaube, das paßt jetzt hier wirklich nicht hinein.
({135})
Die Bitte äußere ich in voller Übereinstimmung mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland, mit dem Appell des Präsidenten der Knesset, der uns leider erst mit drei Wochen Verspätung, aber noch rechtzeitig erreicht hat, mit dem Appell aus vielen Ländern der Welt. Ich bitte Sie, den Opfern des Hitlerschen Völkermordes und unserer Geschichte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Ich verlange oder erbitte j a nicht mehr von Ihnen, als daß Sie dem Entwurf zustimmen, den Sie, Herr Bundeskanzler, mit Ihrer Unterschrift und Ihrer Regierung diesem Hause vorgelegt haben.
({136})
Wenn Sie schon Gründe hatten, es nicht zu tun, dann muß ich Ihnen sagen, es wäre besser gewesen, Ihre Regierung hätte diesen Entwurf nie und nimmer eingebracht. Auch die Einbringung ist ein politisches Faktum, das Sie bei der Abstimmung heute nachmittag oder heute abend zu berücksichtigen haben. Wenn Sie meine Bitte nicht erhören, dann bitte ich zumindest jede einzelne Kollegin und jeden einzelnen Kollegen in diesem Hause, in dieser Frage nach seiner innersten Überzeugung abzustimmen, so wie wir das - ({137})
- Es fällt mir schwer, das Wort „Selbstgerechtigkeit" nicht wieder in den Sinn zu bekommen.
({138})
Zumindest aber bitte ich auch diejenigen, die glauben, sie könnten dies zu einer geräuschvollen Auseinandersetzung benutzen, daß jeder nach seiner innersten Überzeugung abstimmt, so wie das bei der historischen Abstimmung über die Aufhebung der Mordverjährung im Jahre 1979 geschehen ist.
Herr Bundeskanzler, Sie haben für die zweite Hälfte der Legislaturperiode viel angekündigt. Die Worte haben wir gehört; mit unserem Glauben und unserer Zuversicht in diese Ankündigungen können Sie nicht rechnen. Eine Kursänderung, eine Abwendung von bisherigen Fehlern ist nicht zu erkennen und ist auch wenig wahrscheinlich.
Sie sagen draußen so häufig, wir Sozialdemokraten seien irrational, wir seien technikfeindlich, wir seien die Gegner der Industriegesellschaft.
({139})
Auch heute haben Sie das zwischen den Zeilen und mit halben Andeutungen wieder anklingen lassen. Das ist polemisch, und das ist unwahr. Wir Sozialdemokraten wollen nicht aus der Industriegesellschaft aussteigen. Wir wissen: Der soziale Aufstieg der breiten Schichten unseres Volkes wäre ohne technischen Fortschritt und ohne Industrialisierung nicht möglich gewesen. Die Vorstellung, daß die Fortschritte der Technik zur Befreiung der Menschen beitragen können, hat das Denken von Generationen deutscher Sozialdemokraten wesentlich geprägt. Wir wollen die Industriegesellschaft nicht beseitigen, aber wir wollen sie so verändern und erneuern, daß sie unsere natürliche und soziale Umwelt nicht zerstört, sondern dauerhaft befördert. Das ist unsere Linie.
({140})
Diese Linie ist nicht irrational, diese Linie ist rational.
Irrational - und wer sich den Schuh anziehen muß, der möge ihn sich anziehen -, nicht nur irrational, reaktionär sind hingegen Versuche, wieder zum Manchester-Liberalismus des 19. Jahrhunderts zurückzukehren.
({141})
Irrational ist, daß Sie die neue Armut leugnen, daß Sie sie nicht zur Kenntnis nehmen. Irrational und nur ideologisch zu erklären ist, daß Sie mit äußerstem Starrsinn - um nur ein Beispiel zu nennen - die Geschwindigkeitsbeschränkung ablehnen und dafür hohe Preise beim Katalysator und den Grenzwerten in Brüssel bezahlen, obwohl dadurch die Rettung der Wälder, aber auch die Bewahrung vieler Menschen vor dem Verkehrstod fühlbar erleichtert würde.
({142})
Das ist irrational, nicht unsere Haltung.
({143})
Wir sind auch nicht die Pessimisten, als die Sie uns auf Rat Ihrer Public-Relations-Mitarbeiter gerne hinstellen. Wir Sozialdemokraten sind realistische Optimisten, Optimisten in dem Sinne, daß wir glauben: Es gibt Wege aus der Gefahr, Katastrophen sind nicht zwangsläufig,
({144})
Friede und mehr Gerechtigkeit, eine solidarische Gesellschaft ist möglich. Aber wir haben unter Opfern und Leiden gelernt: das fällt uns nicht in den Schoß, wir müssen darum kämpfen. Wir müssen um bessere Alternativen gegen Rückschritt und Entsolidarisierung kämpfen. Deshalb kämpfen wir auch um die Wiedererlangung der Regierungsverantwortung in den Ländern und in der Bundesrepublik.
({145})
Verlassen Sie sich darauf! Das werden wir auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode tun, so wie im Saarland und jetzt in Nordrhein-Westfalen,
({146})
dann in Niedersachsen und 1987 auch im Bund, ob Ihnen das paßt oder nicht.
({147})
Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre Koalition sind in der Defensive. Wir werden klar sprechen, wo Sie verschwommen reden.
({148})
Wir werden Ihren großen Worten Tatsachen und Argumente entgegensetzen.
({149})
Wir werden, ob Ihnen das paßt oder nicht, Armut Armut und Unrecht Unrecht nennen.
({150})
Wir werden die politische Kultur verteidigen,
({151})
wo Sie sie in Frage stellen. Wir werden unsere Konzepte gegen Ihre wortreiche Untätigkeit stellen.
({152})
Ihnen, Herr Bundeskanzler, und den verehrten Kolleginnen und Kollegen der Koalition sage ich voraus: Sie werden in dieser zweiten Hälfte noch mehr in die Defensive geraten, und darauf können Sie sich verlassen.
({153})
Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribühne hat eine Delegation der Nationalversammlung der Republik Kamerun unter der Leitung des Präsidenten der Nationalversammlung, Herrn Salomon Tandeng Muna, Platz genommen.
Ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag recht herzlich zu begrüßen. Ich wünsche der Delegation und Ihnen, Herr Präsident, einen recht angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
({0})
Wir fahren in der Debatte fort.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Waigel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich in der Zeit, Herr Dr. Vogel, wo Sie noch da sein können - wir respektieren Ihre Situation -, etwas mit Ihnen und dem, was Sie gesagt haben, auseinandersetzen und voranschicken: Worin besteht eigentlich der Unterschied zwischen Ihnen und uns? Sie sind mit sich zufrieden und mit der
Regierung unzufrieden; wir sind mit der Regierung zufrieden und mit Ihnen auch.
({0})
Denn, Herr Kollege Dr. Vogel - und das sei mein persönliches Wort an Sie -, Sie sind ein Glücksfall für die CDU/CSU und für diese Koalition.
({1})
Solange Sie Kanzlerkandidat sind und solange Sie in dieser Art auftreten, selbstzufrieden, anderen aber Selbstgerechtigkeit vorwerfend, und mit einer merkwürdigen, angelernten, eingeübten komischen Nachdenklichkeit, so lange werden wir die Fernsehauseinandersetzung bei der Betrachtung der Bürger mit Ihnen jederzeit bestehen.
({2})
Als bayerischen Parlamentarier hat es mich übrigens betrübt, daß Sie Bayern bei Ihrem Kampf um die Macht ausgelassen haben. Wir werden das im Wahlkampf zu würdigen wissen. Offensichtlich trauen Sie es einem Ihrer Nachfolger, Herrn Schöfberger, einem intimen Freund von Ihnen, wenn ich mich richtig erinnere, nicht zu, daß er in Bayern die Mehrheitsverhältnisse umdrehen könnte.
({3})
Sie haben sich, Herr Kollege Vogel, mit den Themen Mitte und Rechts beschäftigt. Ich kann, wenn ich Ihren politischen Lebensweg verfolge, Oberbürgermeister in München, dann Bundesminister, auf der rechten Seite, Kanalarbeiterseite, der SPD, im engeren Zirkel des früheren Kanzlers Helmut Schmidt, nur sagen: Sie haben sich doch als der begnadetste Koordinatenwanderer erwiesen, den es überhaupt in der SPD gegeben hat.
({4})
Niemand hat sich so schnell wie Sie - und jedesmal mit großer Überzeugung - eine neue Mehrheit an der Seite des politischen Opportunismus gesucht.
({5})
Sie beklagen in dieser Rede die hohe Lohnsteuerquote und werfen sie uns vor. Ja, bitte, dann beteiligen Sie sich doch an der Diskussion um die Steuerentlastung beim Steuerreformpaket, und werfen Sie uns doch nicht vor, daß wir dabei Steuergeschenke an Bürger verteilen wollten!
({6})
Sie sind es doch gewesen, der geklagt hat, der öffentliche Korridor sei zu gering, und es gebe eine
öffentliche Armut und einen privaten Reichtum.
Dann haben Sie die Staatsquote erhöht mit der Konsequenz, daß immer weniger öffentliche Investitionen und fast gar keine privaten Investitionen mehr erfolgt sind.
({7})
Und die „neue Armut", die Sie zitieren, rührt davon her, daß wir jedes Jahr so viel Zins- und Tilgungslast tragen müssen, über 70 Milliarden DM allein im Bund, wegen der Schulden, die Sie gemacht haben. Das ist der Grund.
({8})
Übrigens, wenn man sich hier schon so großspurig über politische Kultur ausläßt, dann muß man Behauptungen und Unterstellungen auch belegen können. Sie sind bei dem Zwischenruf von Dr. Bötsch auf den Bauch gefallen. Hic Rhodus, hic sal-ta, hier müssen Sie die Belege bringen und nicht nur Behauptungen - nicht morgen beim Frühstück. Da ist es bei Ihnen viel zu ungemütlich, als daß wir da hingingen.
({9})
Nun, Herr Dr. Vogel, ein ernstes Wort zur Auschwitz-Lüge, ein ernstes Wort zu diesem Thema - Sie haben es mit Ernst vorgetragen, und auch ich will das tun -: Es gibt in dem Haus hier niemanden, auch Sie nicht, der irgend jemandem einen Vorwurf machen könnte, daß dieses Gesetz nicht mit der notwendigen Sorgfalt, mit Intensität und dem großen Bewußtsein um Konsequenzen und öffentliche Diskussion geführt worden wäre. Sie waren selber in den 70er Jahren lange Justizminister und hätten in dieser Zeit, wenn Sie es für notwendig gehalten hätten, die rechtlichen Dinge so in die Wege leiten können, daß es auch unter Ihrer Zeit als Justizminister hätte eingebracht werden können. Das ist nicht passiert. Erst zwei Tage vor dem Ende der früheren Koalition ist dieses Gesetz eingebracht worden. Auch wenn Sie sagen, erst 1977 sei dieses Thema akut geworden, hätten Sie mehr als fünf Jahre Zeit gehabt, etwas auf den Weg zu bringen, was rechtspolitisch hieb- und stichfest gewesen wäre und was in unser ganzes liberales Rechtssystem hineingepaßt hätte.
({10}) Sie haben es nicht getan.
Wir haben uns in den letzten zwei Jahren redlich bemüht, dieses Thema verantwortungsvoll zu bewältigen. Wir mußten aber an einem bestimmten Punkt zu dem ehrlichen Ergebnis kommen, daß der vorgeschlagene Entwurf so nicht akzeptabel ist.
({11})
Wir lassen uns diese Erkenntnis von niemandem vorwerfen. Sie steht in Übereinstimmung mit fast allen Rechtwissenschaftlern, mit fast allen liberalen, sozialen, sozialistischen oder wie auch sonst firmierten Zeitungen. Von der „Süddeutschen Zeitung" bis zur „Zeit" haben alle Zeitungen und Zeitschriften den ursprünglichen Entwurf scharf kritisiert und uns gewarnt, etwas rechtspolitisch Falsches zu tun.
In der Zielsetzung waren wir uns alle einig, meine Damen und Herren. Ich glaube, daß es niemanden in diesem Hause gibt, der das billigt, was mitunter an Schmähschriften auftaucht. Nur, mit dem, was unsere jüdischen Mitbürger und was andere Opfer des Nationalsozialismus beschwert, müssen wir uns in erster Linie politisch, historisch und in der Pädagogik auseinandersetzen. Ich meine, der Kompromiß, den wir jetzt gefunden haben, kommt denen, die es betrifft, entgegen. Wir setzen ein Zeichen, um jene, die davon besonders betroffen sind, nicht auf den Weg des Antrags zu zwingen, sondern ihnen die Offizialhilfe des Staates zu ermöglichen.
Ich kenne niemanden, in welcher Fraktion auch immer, der sich zu diesem Thema nicht selbst eine intensive Meinung gebildet hätte. Fraktionszwang wird und kann es bei einem solchen Thema nicht geben. Nur sollte das dann auf allen Seiten des Hauses zum Ausdruck gebracht werden. Wir brauchen in dieser Frage, die wir sehr intensiv diskutiert haben, einen Gewissensappell nicht, Herr Vogel.
({12})
Sie haben dann noch gemeint, Herr Kollege Vogel, uns Belehrungen in der Umweltpolitik zum Tempolimit geben zu sollen. Ich hatte ursprünglich nicht vorgesehen, einen Beitrag zu diesem Thema, was Sie betrifft, zu leisten. Aber ich kann mich jetzt nicht der Versuchung erwehren, aus der „Frankfurter Rundschau" etwas zu zitieren, was dort am 6. November 1984 geschrieben stand. Ich habe nicht gemerkt, daß es bisher dementiert worden wäre. Darum erlaube ich mir, die Passage unter der Überschrift „Kam ein Vogel geflogen" zu zitieren. Das Ganze hängt etwas mit der Glaubwürdigkeit in der Politik und mit Aussagen zusammen. Da heißt es:
SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel unternimmt offenbar alles, um sein Versprechen, freiwillig nur noch Tempo 100 zu fahren, nicht zu brechen. Um ihm noch ein einigermaßen rechtzeitiges Erscheinen zur Eröffnung des Gewerkschaftstages der HBV in Mannheim zu ermöglichen, charterte ihm die SPD jetzt ein kleines Flugzeug, wie es in Gewerkschaftskreisen hieß. Vogel hatte vorher an einer Veranstaltung im bayerischen Tutzing teilgenommen, merkte dann aber, daß er mit Tempo 100 nicht mehr pünktlich zum Gewerkschaftstag eintreffen würde, auf dem er immerhin ein längeres Grußwort sprechen wollte.
Die Termine in Tutzing und Mannheim hatte Vogel noch zugesagt, bevor er sein Tempo-Versprechen abgab. Wie teuer die Einhaltung des Versprechens war, und ob das Flugzeug den Politiker tatsächlich umweltfreundlicher transportierte als ein über 100 Stundenkilometer fahrendes Auto, war in Mannheim nicht zu erfahren.
({13})
Meine Damen und Herren, ich werfe keinem Politiker vor, wenn er ein Flugzeug benutzt, um seinen
Termin zu erreichen. Nur sollte man sich dann nicht hier hinstellen und sagen, jeder sollte Tempo 100 fahren, wenn man selber als ein Privilegierter die Möglichkeit hat, das Flugzeug zu nehmen, das zehnmal soviel kostet.
({14})
Die Kritik der Opposition gilt der Bonner Wende.
({15})
Nur stellt sich natürlich die Frage, in welchen Bereichen der Politik und von welchen Kräften welche Wende in die Wege geleitet wurde. Die größte Wende der letzten Jahre hat zweifelsohne - das wird niemand bestreiten können - die SPD vollzogen. Sie hat sich in geradezu peinlicher Weise von den Leitlinien ihrer Politik ihres ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt abgewandt, eines Helmut Schmidt, der vor gut drei Jahren noch das Idol und das Zugpferd der SPD darstellte und dessen Äußerungen in den letzten Wochen und Monaten, z. B. auch zur Sicherheitspolitik, mit Sicherheit die Aufnahme in die Ahnengalerie der SPD ausschließen werden.
({16})
War Helmut Schmidts Politik noch fest im westlichen Bündnis verankert, seine Außenpolitik, seine Sicherheitspolitik, so gerät die SPD zunehmend ins politische Niemandsland zwischen West und Ost. Und es ist erschütternd, mit ansehen zu müssen, wie selbst Persönlichkeiten der SPD aus dem engsten Zirkel um Helmut Schmidt nach links abdriften, so Holger Börner, der seine politische Lebensaufgabe darin sieht, ein politisches Bündnis mit jenen Kräften und Bewegungen zu schließen, die sich für die straffreie Sexualität mit Kindern stark machen und sich an der Startbahn West mit den dem hessischen Innenminister unterstellten Polizeiverbänden bürgerkriegsähnliche Schlachten liefern, oder Hans-Jürgen Wischnewski, der in der marxistisch-leninistischen Militärjunta von Nicaragua die Verwirklichung der Freiheit sieht und in Neustadt an der Denunzierung des mit großer Mehrheit vom amerikanischen Volk gewählten Präsidenten teilzunehmen gedenkt.
({17})
Es ist ein Jammer und eine Schande, wo man überall mitmacht, nur um ein Mandat in einem Stimmkreis zu erhalten oder sich zu sichern.
({18})
Der SPD-Fraktionschef Hans-Jochen Vogel hat in einem Pressegespräch die Frage verneint, ob die SPD auch als Organisator einer Kundgebung auftrete, wenn der sowjetische Parteichef Gorbatschow die Bundesrepublik Deutschland besuche. Ein ungewöhnlicher Vorgang. Er sei sich sicher - so soll er gesagt haben -, daß bei Gorbatschow wie bei Breschnew andere für Demonstrationen sorgen würden. Meine Damen und Herren, das bedeutet eigentlich, er empfiehlt uns eine Arbeitsteilung: bei
Demonstrationen gegen die Amerikaner ist die SPD zuständig, bei Demonstrationen gegen Moskau solle die Union die Zuständigkeit übernehmen. Meine Damen und Herren, schlagender, als dies Herr Vogel gesagt hat, kann man den Antiamerikanismus seiner Partei nicht mehr unter Beweis stellen.
({19})
Wenn die SPD heute hilflose Bemühungen unternimmt, ihre Kritik an der Politik der USA richte sich ausschließlich gegen die Regierung der Vereinigten Staaten und nicht gegen das amerikanische Volk, so ist dies doch eine groteske Verschleierung der Tatsachen und eine Nichtbereitschaft, Wahlen hinzunehmen. Hinter diesem Präsidenten steht die große Mehrheit seines Volkes, und er hat einen der größten Wahlsiege in der Geschichte des amerikanischen Staates erreicht.
({20})
Wenn für uns der 8. Mai auch ein Tag der Befreiung ist, dann müssen wir und Sie von der SPD die Frage beantworten, wer letztendlich das Ende des Dritten Reiches und die Öffnung der KZ-Lager herbeigeführt hat.
({21})
Dann müssen wir uns die Frage stellen, mit welcher ausländischen Hilfe der schnelle Wiederaufbau in den 50er Jahren bewerkstelligt wurde. Und dann sollten Sie sich die Frage stellen, wer heute die Sicherheit des freien Teils von Berlin und auch die unsere gewährleistet.
({22})
Der 40. Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai ist für uns Deutsche ein Gedenken an das Ende der nationalsozialistischen Barbarei und der blutvergießenden kriegerischen Auseinandersetzungen. Der 8. Mai bedeutet Trauer über die Opfer des Krieges, der Verfolgung und der Vertreibung. Der 8. Mai erinnert auch an die Ersetzung der braunen Diktatur durch eine rote jenseits des Eisernen Vorhangs.
({23})
Über die Niederlage Hitlers und damit' über die Befreiung vom nationalsozialistischen Joch kann und muß jeder froh sein. Die Befreiung von der braunen Diktatur verhieß jedoch nicht für alle Deutschen und nicht für alle Europäer eine neue Freiheit. Die kommunistische Unterwerfung Ost- und Mitteleuropas durch die Sowjetunion erstickte die demokratische Entwicklung, die bei uns im westlichen Teil mit dem Ende des Nationalsozialismus möglich geworden war.
({24})
Angesichts der Teilung Deutschlands und Europas und angesichts der Millionen Opfer im Zweiten Weltkrieg, aber auch angesichts des unsäglichen Leids der stalinistischen Diktatur mit der Folge von Vertreibung und Verfolgung und einem heute noch gültigen Schießbefehl an der Mauer mitten in Deutschland besteht kein Anlaß für ausgelassene Jubelfeiern.
({25})
Die notwendige Erinnerung an die abscheulichen Greueltaten des Nationalsozialismus und der Nationalsozialisten darf nicht zur Gleichgültigkeit und Ignoranz gegenüber Verbrechen anderer Machthaber und anders gefärbter Diktaturen führen. Dies hat überhaupt nichts mit gegenseitiger Aufrechnung zu tun. Das deutsche Volk hat aus diesen Erfahrungen der schlimmen Epoche seiner Geschichte gelernt. Deutschland steht in der Verantwortung dessen, was in seinem Namen geschehen ist.
Der Teil Deutschlands, dem die westlichen Besatzungsmächte die Hände zur Versöhnung entgegenstreckten und die Chance zum demokratischen Wiederaufbau gaben, hat diese Chance genutzt. Auch die deutsche Bevölkerung in der DDR hätte sich bei freier Entscheidung auf die Seite der Demokratie gestellt und jeder Diktatur eine Absage erteilt.
({26})
Das Grundgesetz mit der Garantie unantastbarer Grundrechte, die unglaubliche Wiederaufbauleistung und die weitblickende Politik Konrad Adenauers mit der Integration in die Wertegemeinschaft des freien Westens haben die Rückführung des freien Teils Deutschlands in die Völkerfamilie mit vollen Rechten und Pflichten zustande gebracht. Der Wille zur Aussöhnung und Versöhnung und die ehrliche Überzeugung, daß von deutschem Boden nie wieder Krieg und Unfreiheit ausgehen darf, haben diese Entwicklung mit dem notwendigen Leben erfüllt. Die Integration der Vertriebenen und Flüchtlinge, deren Verzicht auf Rache und Gewalt und die Entwicklung der Beziehungen zu Frankreich und Israel sind dabei an erster Stelle zu nennen.
Der amerikanische Präsident Ronald Reagan will mit seinem' geplanten Besuch in der Bundesrepublik Deutschland die Freundschaft mit dem deutschen Volk zum Ausdruck bringen und die demokratische Leistung unseres Landes nach 1945 würdigen.
({27})
- Hier sagt jemand: Vasallenbesuch. Das ist eine Unverschämtheit, die an Dummheit, an Ignoranz und an Bösartigkeit nicht mehr zu übertreffen ist.
({28})
Wir sind Bündnispartner der Vereinigten Staaten. Wenn es nach Ihnen ginge, wären wir Vasallen der Sowjetunion. Das ist Ihre Politik.
({29})
Die Diskussion um das Besuchsprogramm des amerikanischen Präsidenten in der Bundesrepublik Deutschland ist Ausdruck eines bedenklichen Wertewandels und einer geistigen Verwirrung.
({30})
Der Höhepunkt dieser politischen Perversion ist der Aufruf der pfälzischen SPD und der Jungsozialisten zu einer Gegenveranstaltung zu der Rede Reagans in Hambach.
({31})
Unverhohlen bestreitet die heutige SPD die große freiheitliche Tradition der Vereinigten Staaten, aus der heraus der Auftritt des amerikanischen Präsidenten gerechtfertigt ist. Er und sein Land brauchen nicht von der SPD und schon gar nicht von den GRÜNEN Nachhilfeunterricht in Sachen Freiheit oder Demokratie.
({32})
Wir wissen die noble Geste des amerikanischen
Präsidenten wie auch die Haltung des französischen Staatspräsidenten Mitterrand und der britischen Premierministerin Thatcher gegenüber unserem Land und Volk zu schätzen, und wir danken ihnen dafür.
({33})
Der Oppositionsführer hat in diesem Zusammenhang etwas zu dem vorgesehenen Besuch in Bitburg und zu der Diskussion gesagt, die hier stattgefunden hat. Lassen Sie mich dazu ein persönliches und ein politisches Wort sagen. Es gehört zur Identität eines Volkes, daß es versöhnt ist mit seinen Toten.
({34}) - Versöhnt ist mit seinen Toten.
({35})
Es gab einmal eine Zeit, da wurden Selbstmörder am Rande der Friedhofsmauer begraben. Ich habe das als Kind als beschämend empfunden.
({36})
Heute wird das nicht mehr getan, und ich finde das gut so. Versöhnung - auch Versöhnung mit den Toten -, so haben die Kirchen gesagt, ist unteilbar. Es ist ein unwürdiger, ein beschämender, ein unchristlicher Streit, der hier um Gräber stattfindet.
({37})
Mein einziger Bruder ist mit 18 Jahren in Frankreich gefallen. Ich kenne den Friedhof nicht, auf dem er liegt. Nur: Wenn ich wüßte, daß das Gedenken an ihn und das Beten für ihn davon abhängig sind, wer sonst noch auf dem Friedhof liegt, dann hielte ich das für einen bestürzenden und mich innerlich zutiefst erschütternden Vorgang.
({38})
Es ist Aufgabe jeder Opposition, die Regierung zu kontrollieren und zu kritisieren. Das haben auch wir so gehalten, nur mit einem Unterschied: Wir sahen unsere Aufgabe darin, in grundlegenden Fragen wie der Sicherheitspolitik, der Ostpolitik, der Europapolitik und der Haushalts- und Sanierungspolitik bei allen kritischen Einwendungen doch Gemeinsamkeit anzustreben.
({39})
Solche Bestrebungen sind heute in den Reihen der Opposition überhaupt nicht mehr zu erkennen. Ihr Ziel ist es, Fundamentalopposition zu betreiben: Opposition gegenüber dem Wirtschaftssystem, gegenüber der gesellschaftlichen Entwicklung und gegenüber der Nordatlantischen Verteidigungsgemeinschaft.
Der Bundeskanzler hat im einzelnen dargelegt, was in zwei Jahren bereits geschehen ist und erreicht wurde.
({40})
- Schlimmes haben Sie uns hinterlassen.
Unsere Haushaltspolitik ist solide und glaubwürdig. Die entschlossene Konsolidierung der Staatsfinanzen hat das verlorengegangene Vertrauen in den finanzpolitischen Kurs unseres Gemeinwesens wiederhergestellt.
Wir haben dabei auch die Belange der Länder und der Kommunen berücksichtigt. Nach Rekorddefiziten in den vergangenen Jahren schließen die Kommunen erstmals wieder mit einem Plus ab und können wieder investieren. Das konnten sie ja nicht mehr unter Ihrer Regierungszeit.
({41})
Wir nützen die Konsolidierungserfolge, um schrittweise die Wirtschaft, die Leistungsfähigkeit in Ordnung zu bringen und damit die Arbeitslosigkeit abzubauen, zur Finanzierung der Steuerreform, zur Verstetigung und Erhöhung der investiven Ansätze.
Es gehört schon ein starkes Stück dazu, sich so zu verhalten wie Sie, wenn man mit dafür gesorgt hat, daß die öffentlichen Investitionen zurückgegangen sind. Ihr früherer Bundeskanzler Helmut Schmidt, der nun wirklich von Nationalökonomie mehr verstand als sie alle zusammen, hat Ihnen im Juni 1982 ins Stammbuch geschrieben, was Sie angerichtet haben. Sie haben einen nicht mehr bezahlbaren sozialen Besitzstand mit drei Dingen erkauft: mit einer höheren Belastung auch der Arbeiter mit SteuDr. Waigel
ern und Abgaben, mit einem Zurückfahren der öffentlichen Investitionen
({42})
und mit einer nicht mehr vertretbaren Verschuldung. Es ist eine Schande, wie Sie sich von den ökonomischen Erkenntnissen Ihres letzten Regierungschefs nun hier abwenden und damit nichts mehr zu tun haben wollen.
({43})
Sie wissen ganz genau, daß gespart werden mußte und weiter gespart werden muß.
({44})
Das tun auch die Finanzminister, die bei Ihnen Verantwortung tragen, jedenfalls verbal, mit einer Ausnahme, nämlich beim Klinikum in Aachen; da ist das Geld mit vollen Händen zum Fenster hinausgeworfen worden.
({45})
Das war ein echter Beitrag zur expansiven Finanzpolitik, aber nicht zu sinnvollen Investitionen.
Und was heute die SPD finanzpolitisch, haushaltspolitisch an Alternativen aufbieten will, weiß niemand. Sie kritisieren das Budgetdefizit in den Vereinigten Staaten und verlangen bei uns, daß ein höheres Budgetdefizit wieder hergestellt wird. Widersprüchlicher geht es nicht.
({46})
Sie bieten ein neues Patentrezept an: „Sondervermögen Arbeit und Umwelt". Nur, meine Damen und Herren, was steckt dahinter? Anstelle klarer umweltpolitischer Auflagen und Rahmenbedingungen, die die Wirtschaft einzuhalten hat und die Sie dann auch finanzieren muß, sollen künftig staatlich finanzierte Umweltschutzinvestitionen treten. Aber damit wird doch genau das Verursacherprinzip, jedenfalls teilweise, außer Kraft gesetzt.
Und finanziert werden soll das Ganze durch eine massive Erhöhung der Mineralöl- und Heizölsteuer und durch die Einführung einer Erdgassteuer, und dies, obwohl der so sachkundige Oppositionsführer Vogel nicht müde wird, ständig an die Notwendigkeit eines schonenden Umgangs mit der Massenkaufkraft zu erinnern. Finanzpolitisch hat die SPD nichts dazugelernt.
Sie fordern lautstark eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen und beklagen die mangelnde Dynamik bei den privaten Investitionen. Nur, in der Praxis betreiben Sie doch genau das Gegenteil, nämlich eine Blockadepolitik gegenüber wichtigen und notwendigen industriepolitischen Vorhaben. Ich verweise in diesem Zusammenhang nur auf die Projekte Verkabelung durch die Bundespost oder Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf. Überall, wo es um die Verhinderung konkreter Entscheidungen geht, sind Sie dabei; möglichst an der Seite der GRÜNEN.
({47})
Die Koalition hat sich darauf verständigt, die Lohn- und Einkommensteuerentlastung auf zwei Stufen zu verteilen, obwohl es sicher gewichtige gesamtwirtschaftliche als auch weltwirtschaftliche Argumente für eine Steuerentlastung in einem Schritt gibt. In den kommenden Monaten wird die Entscheidung über die zweite Hälfte des Steuerbereinigungsgesetzes fallen. Aber da stellt sich wieder die Frage: Was hat die SPD steuerpolitisch zu bieten? Außer dem Schüren von Neidgefühlen nur Widersprüchlichkeiten. Der Herr Posser - den wir noch hören werden - befürwortet offensichtlich die leistungshemmende Steuer- und Abgabenbelastung und hält die vorgesehene Steuerreform für überflüssig. Vor wenigen Minuten sagt hier Herr Vogel, sie sei zu hoch und er werfe uns vor, daß diese Steuer- und Abgabenlast so hoch sei.
({48})
Die SPD fordert eine Ergänzungsabgabe für sogenannte Besserverdienende, obwohl wir genau wissen, daß gerade sie durch das Hinausschieben der Entlastung von der heimlichen Steuerbelastung einen beachtlichen Beitrag zur Konsolidierung auch des Bundeshaushalts gebracht haben.
Die SPD kritisiert die Anhebung der Kinderfreibeträge wegen der sich aus dem progressiven System ergebenden ungleichen Entlastungen. Nur, wer hier konsequent weitergehen möchte und das ernst meint, muß für die Abschaffung aller Steuerfreibeträge vom Weihnachtsfreibetrag bis zum Altersfreibetrag eintreten. Nein, Sie suchen sich nur die Dinge heraus, die zur Polemik passen, ohne überhaupt noch systematisch zu denken oder denken zu können.
({49})
Da beklagt Herr Vogel den mangelnden Abbau der steuerlichen Subventionen. Weiß er denn gar nicht, daß die große Mehrheit der Subventionen den Arbeitnehmern zugute kommt und nicht den Arbeitgebern in ihre Kasse fließt?
({50})
Die Lektüre des Subventionsberichtes könnte hier eine gewisse Abhilfe bringen.
Ganz anders wieder denkt der Bremer Wirtschaftssenator, Ihr Genosse Lenz, der jüngst die sofortige Wiederzulassung höherer steuerlicher Verlustzuweisungen bei der Schiffsbaufinanzierung gefordert hat, was all jene Steuerzahler gerne gehört haben dürften, die händeringend auf der Suche nach steuersparenden Kapitalanlagen sind. Vielleicht sind noch einige von der „Neuen Heimat" übriggeblieben.
({51})
Wie sieht die Wirklichkeit aus? Welchen Beitrag hat die SPD geleistet? Bisher keinen. Der von mir
durchaus geschätzte Kollege Roth - es schadet ihm vielleicht, wenn ich das sage; aber zurücknehmen will ich es auch nicht - forderte unlängst die Subventionierung der Lohnkosten bei der Neueinstellung von Arbeitslosen. Gleichzeitig aber fällt die SPD über jeden her, der die Lohn- und Lohnnebenkosten als Beschäftigungshemmnis bezeichnet.
Das allerbeste Rezept zur Bewältigung einer Krise hat Herr Lafontaine dargestellt. Er hat große Dinge versprochen, er hat versprochen, die Dinge mit einer neuen Politik in Ordnung zu bringen, und stellt sich jetzt hin und sagt: Das will ich tun, aber bitte gebt mir vorher das Geld.
({52})
Wir werden ihn nicht schlechter- und nicht besserstellen, als es dem Saarland und früheren Landesregierungen zugestanden hat. Nur, daß wir ihm das Geld geben, das wir Herrn Zeyer vorher nicht geben konnten, so dumm sind wir auch nicht. Das können Sie sich doch nicht vorstellen.
({53})
In der Verkehrspolitik wurden wichtige Akzente gesetzt. Wir haben die Straßenbaumittel wieder erhöht. Bei der Modernisierung und Sanierung der Bundesbahn zeigen sich erste Fortschritte.
In der Landwirtschaftspolitik stehen wir vor dem Problem der wachsenden Überschüsse, die diese Regierung vorgefunden hat. Die finanziellen Folgelasten, die sich aus den Brüsseler Beschlüssen für unsere Landwirte ergeben, wurden durch ein Bündel von Ausgleichsmaßnahmen abgefangen. Bei den entscheidenden Punkten haben Sie, meine Damen und Herren von der SPD, nein gesagt und das kritisiert. Wir werden es nicht zulassen, daß Sie sich jetzt plötzlich draußen als Anwalt der Bauern aufspielen und hier nicht mitmachen, wenn notwendige Ausgleichsmaßnahmen beschlossen werden.
({54})
Wir lassen die deutschen Bauern nicht im Stich.
({55})
Wir wissen, was sie geleistet haben, was sie leisten und was sie verdienen. Wir wissen, wie notwendig wir sie brauchen für die Stabilität unserer Gesellschaft und für die Nahrungsvorsorge unseres Volkes.
({56})
Wir stärken Ignaz Kiechle in schweren Zeiten anläßlich der Verhandlungen in Brüssel den Rükken und unterstützen ihn.
({57})
Für die Unionsparteien war es von besonderer Bedeutung, die Familienpolitik wieder zu einem Schwerpunkt der Gesellschafts- und Sozialpolitik zu machen. Wichtige Maßnahmen wurden in die Wege geleitet, so die Familienkomponente bei der Steuerreform, der Einstieg in die Anrechnung von
Erziehungszeiten, der Erziehungsurlaub für alle Mütter. Und ich bin davon überzeugt, daß wir das umstrittene Problem - ({58})
- Ich komme jetzt darauf zu sprechen, Frau Kollegin Fuchs. Sehen Sie, so weit sind wir geistig gar nicht auseinander. Genau in dem Moment, wo Ihr Zwischenruf kommt, kommt auch die Antwort.
Ich bin davon überzeugt, daß wir das Problem der Arbeitsplatzgarantie durch die im Beschäftigungsförderungsgesetz verankerten Regelungen über befristete Arbeitsverträge lösen können.
({59})
Nur, Sie haben dazu keinen Beitrag geleistet. Sie haben das Gesetz j a abgelehnt.
({60})
Lassen Sie mich an dieser Stelle noch ein besonderes Problem ansprechen. Nach dem 6. März 1983 hatten viele besorgte Bürger Hoffnung auf Maßnahmen des Gesetzgebers zum Schutz des ungeborenen Lebens. Ohne auf die einzelnen Argumente näher eingehen zu können, möchte ich nur folgendes feststellen. Ich weiß, im Deutschen Bundestag gibt es keine Mehrheit für eine Änderung des § 218 des Strafgesetzbuches und eine Änderung der Reichsversicherungsordnung.
({61})
Angesichts dieser Ausgangslage war es das Ziel der Unionsparteien, durch flankierende Maßnahmen Hilfe zu leisten, so z. B. durch die Stiftung „Mutter und Kind", die steuerlichen Erleichterungen für alleinerziehende Mütter sowie die geplante Einführung des Erziehungsurlaubs.
Für die Familienpolitik gilt das gleiche wie für das gesamte System der sozialen Sicherung: Es muß im Einklang mit dem gesamtwirtschaftlichen Leistungsvermögen stehen, und auf Dauer können Sozialleistungen nicht durch staatliche Kreditaufnahme finanziert werden. Nur hat es in finanzpolitisch schwieriger Zeit noch nie ein Programm gegeben, das in einem Guß soviel für die Familie auf die Beine gebracht hat wie unser familienpolitisches Programm.
({62})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Staatswesen ist durch die Prinzipien der parlamentarischen Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit gekennzeichnet. Demokratie erfordert Toleranz und Gelassenheit. Toleranz und Gelassenheit enden jedoch dort, wo der Bestand des demokratischen Rechtsstaats in Frage gestellt wird.
({63})
Der demokratische Staat muß sich deshalb gegen
jene zur Wehr setzen können, die die Toleranz mißDr. Waigel
brauchen und das demokratische System beseitigen wollen. Wir brauchen einen starken Rechtsstaat, der in der Lage ist, die innere Sicherheit unseres Landes zu gewährleisten. Der nationale und der internationale Terrorismus bleiben eine dauernde Gefahr. Die brutale Ermordung des Industriellen Zimmermann wie auch die Ermordung der beiden Libyer auf offener Straße haben dies verdeutlicht. Es wäre ein falsch verstandener Liberalismus, nach diesen Vorgängen - ich verweise auch auf die Serie von gewalttätigen Demonstrationen und Anschlägen - einfach zur Tagesordnung überzugehen. Auch deshalb ist es zwingend, die in den Koalitionsverhandlungen vereinbarten Punkte in der Innen- und Rechtspolitik zu verabschieden. Wir haben dafür zwei Jahre Zeit, und wir werden Kompromisse finden, die die Identität beider Fraktionen, der CDU/CSU und der FDP, gewährleistet.
Nach jahrelangem Stillstand hat die Umweltpolitik unter Bundesinnenminister Fritz Zimmermann seit unserem Regierungsantritt den erforderlichen Stellenwert in der Politik erhalten. Noch im Sommer 1982 herrschte in der damaligen Koalition ein heilloser Streit über die GroßfeuerungsanlagenVerordnung. Heute können wir sagen: Diese Verordnung hat gegriffen und ihren Nutzen gezeigt.
({64})
Wer vor drei Jahren eine europaweite Einigung über die Einführung abgasarmer Autos vorausgesagt hätte, wäre als Träumer belächelt worden. Mit hektischen und undurchdachten Konzepten werden wir dem Umweltschutz nicht gerecht. Wir brauchen eine am Verursacherprinzip ausgerichtete, dem Stand der Technik entsprechende, für die Betroffenen kalkulierbare und auch finanzierbare Umweltpolitik.
Ich habe in diesem Zusammenhang mit großem Interesse das Papier der Herren Rappe und Steinkühler zur Kenntnis genommen, wo sich Aussagen zur Umweltpolitik finden, die durchaus zur Versachlichung der gegenwärtigen Diskussion beitragen können. Wer heute die umweltpolitischen Aussagen und Forderungen der SPD zur Kenntnis nimmt, muß die Überzeugung gewinnen, die SPD befinde sich seit 20 Jahren in der Opposition. Wo waren denn die sozialdemokratischen Minister, wie Volker Hauff, als in Japan und in den USA das Katalysatorkonzept eingeführt wurde? Wo war Volker Hauff, als sich das damalige Kabinett über die Herabsetzung der Schwefeldioxidgrenzwerte bei Kraftwerken stritt? Welche Partei hat letztlich Sonderbestimmungen zugunsten der Braunkohle bei der Großfeuerungsanlagen-Verordnung durchgesetzt? Meine Damen und Herren, das sind Fragen an Sie, auf die Sie keine glaubwürdige Antwort geben können.
({65})
Der Bundeskanzler hat seine Regierungserklärung heute der Innenpolitik, der Wirtschafts- und Sozialpolitik gewidmet. Lassen Sie mich deswegen nur wenige Bemerkungen zu dem machen, was
Herr Vogel angedeutet hat: Unsere Außen- und Verteidigungspolitik ist wertbezogen und ethisch begründet. Die Entwicklungspolitik wurde wieder entideologisiert und mit den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft, auch der mittelständischen, stärker in Einklang gebracht.
({66})
Unsere Deutschlandpolitik geht von klaren und eindeutigen Prinzipien und Rechtspositionen aus. Von den Grundsätzen Offenhalten der deutschen Frage, Einheit der Nation, Staatsangehörigkeit und Grenzfragen werden wir nicht abrücken. Sie haben durch die Diskussion in den letzten Wochen und Monaten hier keinen konstruktiven Beitrag erbracht. Sie können sich immer noch nicht von dem Schock erholen, daß unter uns eine erfolgreichere Deutschlandpolitik betrieben wurde, als sie vorher zu verzeichnen war.
({67})
Politik, meine Damen und Herren, spielt sich nicht im Bereich der unbegrenzten Möglichkeiten ab. Die Politik der Regierung Kohl stand von Anfang an unter dem Diktat der leeren Kassen, die Sie uns hinterlassen haben. Unter Beachtung der enorm begrenzten finanziellen Möglichkeiten wurde in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode bereits viel auf den Weg gebracht. Das Halbzeitergebnis kann sich sehen lassen. Wenn die Koalition auch die nächsten beiden Jahre kontinuierlich und zielbewußt weiterarbeitet und in den noch offenen Sachfragen die notwendige Kompromißfähigkeit zeigt, wird sich auch die Bilanz am Ende der Legislaturperiode sehen lassen können.
Die CDU/CSU-Fraktion dankt der Bundesregierung und dem Bundeskanzler für ihre Arbeit. Sie wird sich auch in der zweiten Hälfte der Legislaturperiode als konstruktiver und - wenn es sein muß - auch als kritischer Begleiter erweisen.
Der Münchner Philosoph Robert Spaemann hat in einer politischen Betrachtung zur sittlichen Verantwortung, zum sittlich-verantwortlichen Handeln gesagt: „Das heißt: unter vorgegebenen Umständen, die wir uns nicht ausgesucht haben, das Bestmögliche zu tun." Das geschieht, das tun wir mit gutem Erfolg.
Ich danke Ihnen.
({68})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers hat sich zu Recht mit den Fragen der Wirtschaftspolitik, der Sozialpolitik und insbesondere mit der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt beschäftigt. Wir haben schon über Außen- und Sicherheitspolitik, Innen- und Rechtspolitik diskutiert; wir werden darüber in Kürze - heute und morgen - noch diskutieren. Man sollte sich deswegen auf die
in der Regierungserklärung angeschnittenen Fragen konzentrieren. Ich will das auch tun, aber da Herr Vogel das nicht getan hat, sondern einige andere Probleme angesprochen hat, möchte ich zu einem Problem vorab etwas sagen.
Die Auseinandersetzungen um das Besuchsprogramm des amerikanischen Präsidenten scheinen mir eines ganz deutlich gemacht zu haben: Wir alle haben ein Defizit an Geschichtsbewußtsein. Niemand kann sich davon ausnehmen. Wenn man immer von Selbstgerechtigkeit spricht und wenn jemand davon redet, wir alle hätten ein Defizit an Geschichtsbewußtsein, dann wäre es vielleicht ganz gut, wenn Sie das ruhig auch einmal für sich gelten ließen, meine Damen und Herren von der Opposition.
({0})
Wir alle müssen das aufarbeiten, was aufzuarbeiten nicht leichtfällt; das ist schmerzlich. Zwölf Jahre Diktatur und Gewaltherrschaft, die im Namen des deutschen Volkes, aber nicht mit seiner Billigung ausgeübt worden sind, und die schreckliche Opfer zur Folge hatten, sind ein Stück deutscher Geschichte. Diese Erinnerung und Mahnung müssen wir aufrechterhalten, denn wer sich nicht auch an die dunklen Seiten seiner Geschichte erinnert, wird sie wiedererleben und wiedererleiden müssen.
({1})
Der große Wert der Erinnerung an diese dunklen Seiten unserer Geschichte liegt darin, daß es für uns eine Mahnung ist.
Aber, meine Damen und Herren, zur deutschen Geschichte gehört auch der Widerstand gegen Hitler.
({2})
Die Erinnerung daran mag uns ins Gedächtnis rufen, daß deutsche Geschichte mehr ist als die Jahre zwischen 1933 und 1945.
({3})
Wenn wir Deutsche uns 40 Jahre nach dem Krieg, der soviel Leid über unsere Nachbarn und auch über Deutsche gebracht hat, an diese Tage im Mai 1945 erinnern, dann tun wir das auch mit dem Bewußtsein, daß seither von uns allen auch hier in diesem Hause und vom deutschen Volk vieles geleistet worden ist, was uns und unseren Nachbarn eine neue, bessere, friedliche und gemeinschaftliche Zukunft garantiert. Das Gedenken nach 40 Jahren an diese Tage, meine verehrten Damen und Herren, ist auch das Gedenken an 40 Jahre Mithilfe der Deutschen am Aufbau eines demokratischen Europas, an Mithilfe und Beitrag zum Frieden in der Welt. Auch das sollte man nicht vergessen.
({4})
Die Bilanz der Regierungszeit der Koalition der Mitte kann nicht nur eine Summierung von einzelnen Posten sein, sie muß auch Vergewisserung über
die Zukunftsperspektiven sein, und sie muß uns deutlich machen, daß wir mit der Bildung dieser Koalition nach dem Kriege nicht zum ersten Male, sondern zum wiederholten Male eine Alternative deutscher Politik möglich gemacht haben, die man nur konterkarieren, aber nicht ersetzen kann.
Ich habe in der Auseinandersetzung der vergangenen Monate mit dem Begriff der zwei Lager das Verhältnis von Koalition und Opposition beschrieben. Auf der einen Seite die Parteien der Koalition, die selbständige, eigenständige Parteien sind mit selbständigen, eigenen politischen Ideen, die nicht immer übereinstimmen, die aber in diesem Regierungsprogramm weitgehend zu einer Übereinstimmung gebracht werden konnten. Sie sind ein Teil der deutschen Politik, der sich in den Grundwerten, in den grundsätzlichen Entscheidungen hinsichtlich unserer Zukunftsmöglichkeiten einig ist und der sich deutlich von den Grundwerten unterscheidet, die bei der Opposition vertreten werden, und zwar gemeinsam bei GRÜNEN und SPD.
Deswegen ist es wahr, daß diese Koalition der Mitte
({5})
in ihrer Politik, wenn sie Bilanz zieht, stolz darauf sein kann, daß sie sich in diesen Grundwerten unterscheidet und deutlich abhebt von dem, was die Opposition will.
Wir haben in diesen Grundwerten nun in der Tat auch eine Entscheidung getroffen für Zukunft und gegen Zukunftspessimismus, der unser ganzes Volk in eine große Schwierigkeit führen würde. Wer nicht müde wird, die Gefahren der Technologie an die Wand zu malen, der wird auch die Chancen der Technologie nicht nutzen können, und, was noch viel schlimmer ist, er wird sie auch moralisch-ethisch nicht begrenzen können, er wird überwältigt werden. Technik beherrscht man nur, wenn man sie nutzen will, aber nicht, wenn man vor ihr davonrennt.
({6})
Das gilt auch - diese Grundentscheidung ist vielleicht noch wichtiger - in der Außen- und Sicherheitspolitik. Ich weiß, daß die SPD-Fraktion noch nicht so weit ist, wie das die GRÜNEN empfehlen, nämlich aus der NATO auszutreten und einen Status wie Finnland anzustreben, aber das ist ein gradueller Unterschied.
({7})
- Sie sagen „leider". Ich weiß, daß Sie das bedauern. Warten Sie nur noch ein Stück weit, dann werden Sie erleben, daß sich die SPD auf diesem Weg noch weiter voranbewegen wird.
({8})
- Verehrter Kollege Apel, ich gebe zu, daß Sie einer der wenigen waren, die in der historischen Abstimmung auf Ihrem SPD-Parteitag dem früheBundesminister Dr. Bangemann
ren Bundeskanzler in der Abrüstungsfrage noch die Stange gehalten haben, aber Sie waren Teil einer verschwindenden Minderheit. Innerhalb weniger Wochen hat der Bundesparteitag der SPD in einer Frage, in der Ihr eigener, damaliger Bundeskanzler eine gewisse produktive Rolle gespielt hat, die Sicherheitspolitik, die wir gemeinsam hier vertreten haben, völlig verlassen.
({9})
- Sie nicht persönlich, aber die SPD. Es kann doch kein Zufall sein, daß man hintereinander drei Meldungen über die SPD und deren Kritik an den USA lesen konnte: Peters fordert Berücksichtigung deutscher Stahlinteressen gegenüber dem US-Handelsegoismus,
({10})
Voigt wirft USA unverantwortliche Verunsicherung vor,
({11})
und Ihr SPD-Vorsitzender Willy Brandt sagt in den USA, in New York, die USA-Politik sei unkalkulierbar geworden. Das ist die Behandlung, die Sie unserem wichtigsten Bündnispartner zukommen lassen.
({12})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein danke, Herr Präsident!
({0})
- Herr Conradi, wenn Sie bemerkt haben, daß meine Vorredner die Ausführungen zu Ende bringen konnten, die man am Anfang einer solchen Diskussion gern geschlossen macht, dann werden Sie das sicherlich verstehen.
Diese grundsätzlichen Perspektiven sind es, die uns, die Regierungskoalition von der Opposition unterscheiden. Deswegen ist es in der Tat wichtig, daß man auch das, wenn man eine Bilanz der Wirtschaftspolitik zieht, zunächst einmal sagt. Nun lassen Sie mich aber zu der wirtschaftspolitischen Arbeit der Bundesregierung Ausführungen machen.
Es ist schon richtig, bei Übernahme der Regierung durch die Koalition aus CDU/CSU und FDP standen wir vor der Entscheidung, welchen Weg wir einschlagen sollten. Wir hätten mit dem Blick auf kurzfristige Erfolge einen kurzatmigen Aktionismus von Beschäftigungspolitik entfalten können, so wie es die SPD nicht müde wird, es vorzuschlagen. Wir standen also vor der grundsätzlichen Alternative, entweder kreditfinanzierte Ausgabenprogramme fortzusetzen oder eine Strategie zu wählen, die die Chance bot, Strukturfehler zu korrigieren,
({1})
Flexibilität zu erneuern und die Ursachen zu beseitigen, die die wirtschaftlichen Kräfte in eine falsche und ineffiziente Richtung gelenkt haben. Deswegen war diese grundsätzliche Entscheidung für Marktwirtschaft, für die Behebung der Strukturmängel, die offensichtlich geworden waren, eine wichtige Grundlage für die Bildung dieser Koalition, und sie muß es bleiben. Wir dürfen uns nicht dadurch, daß die Opposition wie das Kaninchen auf die Schlange auf statistische Zahlen schaut, davon abbringen lassen, die Ursachen der Arbeitslosigkeit zu beseitigen.
({2})
Herr Vogel hat das hier auch wieder vorgetragen. Übrigens darf ich nebenbei sagen: da unterscheide ich mich von Herrn Waigel, aber nur in diesem einen Punkt. Ich habe kein Verständnis dafür, daß der Oppositionsführer bei dieser wichtigen Debatte hier nicht anwesend ist. Der Bundeskanzler stand vor derselben Entscheidung, vor derselben Schwierigkeit, und er hat sich für die Anwesenheit hier im Plenum entschieden.
({3})
- Darauf kann man sich vielleicht einigen, Herr Waigel. Sie sehen, Herr Waigel, ich finde relativ schnell eine Einigung mit der CSU, auch in so wichtigen Fragen.
({4})
Herr Vogel hat davon gesprochen, daß insbesondere die FDP - er hat den Kollegen Haussmann und mich genannt - eine Sozialpolitik betreibe, die zum Frühkapitalismus zurückführe und die keine Rücksicht auf die Arbeitslosen nehme.
({5})
- Daß Sie bei einem Zitat dessen, was Herr Vogel gesagt hat, klatschen, spricht für ein Stück Kontinuität in Ihrer Politik, auch wenn es nicht sehr groß ist.
({6})
Aber ich frage Sie: Ist es denn nicht eine abgrundtiefe Heuchelei, daß Sie durch die Lande ziehen und
- auch hier im Bundestag - die Arbeitslosigkeit beklagen, aber die Maßnahmen, mit denen wirklich die Arbeitslosigkeit bekämpft wird, nämlich das Beschäftigungsförderungsgesetz und eine Flexibilisierung der Tarifvertrags- und Lohnpolitik, nicht akzeptieren?
({7})
Sie sind im Grunde unfähig, das zu beseitigen, was Sie beklagen, und das ist der eigentliche Angriff auf den sozialen Frieden in unserem Lande.
({8})
Da Sie es einem Mitglied der Regierung weniger abnehmen als einem unabhängigen und objektiven Mitglied des Sachverständigenrats, möchte ich Ihnen vorlesen, was der neue Vorsitzende des Sachverständigenrates zu diesem Problem der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in dieser Woche in der „Wirtschaftswoche" gesagt hat.
({9})
- Sie schreien schon, bevor man Ihnen dargelegt hat, was der Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sagt. Meine Damen und Herren, wir haben einen Sachverständigenrat, der dazu eingesetzt worden ist, parteiunabhängig
({10})
die Arbeit jeder Bundesregierung - jeder Bundesregierung - kritisch zu begleiten. Der Vorsitzende dieses Sachverständigenrates hat vernünftige, sehr abgewogene, zum Teil auch kritische Äußerungen über die Regierungspolitik in einem Interview gemacht. Bevor ich das zitieren kann, fangen Sie Ihr übliches Geschrei an. Damit wollen Sie Arbeitslosigkeit bekämpfen?
({11})
Jetzt werde ich Ihnen diese Ausführungen zitieren:
Was wir brauchen,
- so Hans Karl Schneider ist eine stärkere Differenzierung der Löhne nach Branchen, nach Regionen, nach Tätigkeiten.
({12})
Das ist genau das, was der Bundeskanzler heute morgen in seiner Erklärung gesagt hat; das ist das, was der Kollege Haussmann und was ich immer wieder als diese eine Möglichkeit bezeichnet haben.
({13})
Frage an den Vorsitzenden: „Ist es nicht sehr unbefriedigend für einen Wissenschaftler, wenn er sich ständig vorwerfen lassen muß, kein Mittel zur kurzfristigen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit finden zu können?"
({14})
- Setzen Sie sich ruhig hin, ich möchte hier im Zusammenhang reden.
({15})
Antwort von Schneider: „Wir plädieren schon seit Jahren für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt
und für Maßnahmen, die der konstitutionellen Verbesserung unserer Wirtschaft dienen, also für das, was auf Dauer mehr Beschäftigung rentabel macht." Schneider weiter: „Abgesehen vom Aufschwung, der das Arbeitslosenproblem mildern wird, müssen die Unternehmen verstärkt investieren, das heißt neue Arbeitsplätze schaffen. An die Adresse der Regierung läßt sich sagen, daß auch eine Verminderung der Lohnnebenkosten und Maßnahmen für mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt neue Arbeitsplätze schaffen können."
Das ist eine genaue Beschreibung der Politik dieser Regierung. Das ist ein gutes Urteil des Vorsitzenden des Sachverständigenrates für diese Regierung und ein vernichtendes Urteil über alles, was Sie dazu vorgeschlagen haben.
({16})
Die Ergebnisse dieser Politik bestätigen das auch.
Ich will hier einen weiteren Zeugen anführen, weil es j a in einer solchen Debatte sicherlich immer besser ist, man bezieht sich auf das, was andere Unabhängige sagen, als daß man selber versucht, seine Politik zu erklären unter dem allgegenwärtigen Vorwurf, man wolle sich nur entschuldigen. Deswegen zitiere ich aus dem neuesten Bericht der Deutschen Bundesbank. Die Deutsche Bundesbank schreibt:
Für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland war 1984 ein Jahr kräftigen konjunkturellen Aufschwungs bei gleichzeitigen Fortschritten in der Stabilisierung des Geldwertes. Das reale Bruttosozialprodukt hat deutlich zugenommen, und die Auslastung des Produktionspotentials ist verbessert worden. Die öffentlichen Haushalte haben ihre Defizite 1984 erneut abbauen können. Die außenwirtschaftliche Grundposition hat sich verbessert. Die Ausfuhren sind nach den USA, aber auch nach anderen wichtigen Handelspartnern stark gestiegen.
Das, meine Damen und Herren, sind Tatsachen, die in dieser Debatte eigentlich niemand bestreiten sollte. Sie werden trotzdem bestritten. Das macht diese Diskussion, diese Auseinandersetzung so schwierig, weil man gar nicht will, daß man sich auch einmal über Erfolge unterhält. Sie können doch nicht so tun, als ob diese drei wichtigen Ziele des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes nicht erreicht worden wären, nämlich eine Geldwertstabilität mit einer Zwei vor dem Komma - das war 1969 zum letzten Mal der Fall -, ein Überschuß in der Außenhandelsbilanz mit 53 Milliarden DM zugleich mit Wachstum der Wirtschaft. Sie können doch nicht so tun, als ob das alles Luftgebilde sind oder daß die Regierung das erfunden hat. Das ist die Wirklichkeit, in und von der auch Sie leben. Diese Wirklichkeit wird unsere Regierung, werden diese beiden Fraktionen, garantieren, aber nicht eine Opposition, der dazu nichts anderes einfällt, als sogar diese Wirklichkeit zu bestreiten.
({17})
Schauen Sie doch nach Hannover! Die Messe ist in diesen Tagen zu Ende gegangen, sie hat in allen Bereichen Erfolge, Rekorde gebracht. Nicht nur die Zahl der Aussteller, sondern auch die Zahl der Geschäftsabschlüsse ist gestiegen. Die Stimmung ist gut. Die Leute wissen, daß die deutsche Wirtschaft im internationalen Maßstab konkurrenzfähig ist. Wir sind auch nicht technologisch rückständig. Wenn Sie sich mal angesehen haben, was dort an neuen Produktionsverfahren von vielen deutschen Firmen, nicht nur von wenigen, geboten worden ist, werden Sie erkannt haben: In dieser technologischen Entwicklung der deutschen Wirtschaft liegt ein ungeheures Potential auch für Arbeitsplätze in der Zukunft. Es ist falsch, zu sagen, daß die Anwendung moderner Technologie Arbeitsplätze abschaffe. Sie verstärkt die Sicherheit, daß bestehende Arbeitsplätze erhalten werden. Und, meine Damen und Herren, sie schafft auch neue. Das zeigen alle die Industrien, die heute schon verstärkt moderne Technologie anwenden. Das zeigt die Automobilindustrie. Das zeigt übrigens die ganze japanische Wirtschaft, die mit einem stark technologisierten Produktionsapparat bei hoher Beschäftigungslage schon seit Jahren große wirtschaftliche Erfolge erzielt und auch Erfolge auf dem Arbeitsmarkt.
Wer auf die Nutzung moderner Technologie verzichtet, gefährdet Arbeitsplätze.
({18})
Meine Damen und Herren - das sage ich auch den Kollegen aus Nordrhein-Westfalen -, beklagen Sie sich doch nicht, wenn im Lande Nordrhein-Westfalen, in dem die Bürger genauso fleißig, genauso intelligent, genauso leistungsbereit wie in der ganzen übrigen Bundesrepublik sind, Neuansiedlungen von Unternehmungen zögerlicher stattfinden. Was soll man denn davon halten, wenn dauernd über Sozialverträglichkeitsprüfungen gesprochen wird und wenn auf den Plakaten der Regierungspartei von Nordrhein-Westfalen jungen Menschen, die einen Betrieb anfangen wollen, gesagt wird, daß der Aufschwung nur etwas für Millionäre und nichts für Millionen sei? Das sind die eigentlichen Gründe, warum der Exportanteil von Nordrhein-Westfalen von einem Drittel auf ein Viertel des Gesamtexports der Bundesrepublik zurückgegangen ist.
({19})
Deswegen gehört zur Bilanz dieser Regierung auch die Feststellung: Diese Bilanz wäre noch schöner ausgefallen, wenn wir eine ähnlich wirkungsvolle Regierung auch in Nordrhein-Westfalen gehabt hätten. Und ich hoffe, wir werden sie haben.
({20})
- Ja, ja, „Dummes Zeug": Wenn es eine Sozialverträglichkeitsprüfung schon gegeben hätte, als die Röntgenstrahlen erfunden worden sind, würden die heute noch nicht angewendet. Das ist doch kein dummes Zeug. Vielmehr sind Sie das, was Sie immer bestreiten: zutiefst technologiefeindlich - die
GRÜNEN sowieso. Sie glauben nicht an die Zukunft.
({21})
Sie machen den Menschen Angst, weil Sie mit der Angst Ihr politisches Geschäft betreiben wollen. Das ist Ihre Politik.
({22})
Investitionen sind der Schlüssel zur Bekämpfung des Problems der Arbeitslosigkeit. Diese Wahrheit kann niemand bestreiten. Und wir haben nun mal eine beträchliche Arbeitsplatzlücke, die die Folge mangelnder Investitionen ist. Sie ist um so größer, als bis 1988 die Zahl der Erwerbspersonen wahrscheinlich um 200 000 bis 300 000 zunehmen wird. Leider kann man das nicht genau sagen, weil die SPD bisher immer noch die Volkszählung verhindert. Solche Grunddaten haben wir nicht zur Verfügung, weil die Opposition nicht bereit ist, in solchen wichtigen Fragen uns das nötige Material zu verschaffen.
({23})
Wir werden durch eine Förderung von Investitionen die nachhaltige Steigerung dieser Tätigkeit von Unternehmen fördern. Darüber besteht übrigens auch keine Meinungsverschiedenheit, wenn ich den Bericht von Herrn Rappe und Herrn Steinkühler lese. Manches von dem, was die Gewerkschaften sagen, ist viel besser, viel fortschrittlicher, progressiver, als das, was die SPD-Fraktion vorzuschlagen hat.
({24})
Ich habe manchmal den Eindruck, meine Damen und Herren, daß die Begriffe „links" und „rechts", die hier immer gebraucht werden, eigentlich überhaupt nicht mehr stimmen.
({25})
Früher war das mal so, daß der Begriff „links" ein Ausweis für Fortschrittlichkeit war, ein Ausweis für mehr Bewegung, Dynamik - früher.
({26})
Heute, meine Damen und Herren - Sie haben das richtig erkannt -, bedeutet der Begriff „links", daß sich dahinter die Reaktionäre des Jahres 1985 verbergen.
({27})
Es gibt ein Problem, mit dem wir uns in Zukunft ganz gezielt und wirklich entschieden beschäftigen müssen:
({28})
Wenn neue Arbeitsplätze durch die Anwendung neuer Technologie geschaffen werden, setzt das immer auch ein höheres Qualifikationsprofil bei denjenigen voraus, die diese Arbeitsplätze besetzen sollen.
({29})
Das heißt, die Ausbildung, die Weiterbildung, die ständige Beschäftigung mit neuen Anforderungen sind ein ganz wesentlicher weiterer Schlüssel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
({30})
Wenn man sich die Zusammensetzung der Arbeitslosen und ihre Qualifikation ansieht, dann kann man schon heute sagen: Wer sich gut ausbildet, wer die Chancen nutzt, die auch im dualen System liegen, ist besser dran. Hier hat der Bundeskanzler, wie in allen anderen Punkten auch, besonders recht:
({31})
Das duale System, das wir haben, hat dazu geführt, daß die Arbeitslosigkeit bei uns unter die Rate der allgemeinen Arbeitslosigkeit gesunken ist,
({32})
während alle Staaten, die dieses duale System nicht haben, überproportionale Jugendarbeitslosigkeit haben. Ich weiß schon, was in diesem Jahr wieder passieren wird mit den Lehrstellen und mit dem Geschrei der Opposition.
({33})
Ich kann Sie nur bitten: Hören Sie in diesem Jahr endlich auf, Panik zu machen, und unterstützen Sie die vielen Handwerksbetriebe, die kleinen und mittleren Betriebe, die die Hauptlast bei der Schaffung von Ausbildungsplätzen getragen haben.
({34})
Natürlich hat der relativ geringe Anstieg der Lohnkosten generell zur Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft beigetragen. Das hat niemand bestritten. Nur ist es die sehr undifferenzierte Gestaltung der Löhne, was den Arbeitsmarkt so unflexibel macht. Da will ich jetzt einmal wissen, ob es nun sozial ungerecht, ob es unvernünftig ist, wenn Herr Haussmann und ich - und damit die FDP - sagen: Wir wollen, daß sich die Tarifpartner bei der Chance, die in der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes liegt, ihrer Verantwortung bewußt werden.
({35})
Kann es denn richtig sein, wenn für den Arbeitsamtsbezirk Reutlingen - in dem ich lebe -, wo die Arbeitslosigkeit 5 % beträgt,
({36})
und für den Arbeitsamtsbezirk Leer, wo die Arbeitslosigkeit über 30% beträgt, die gleichen Tariflohnsteigerungen vereinbart werden? Ist das denn richtig?
({37})
Ist es denn richtig, meine Damen und Herren, daß ein Unternehmen wie Thyssen, das in der Stahlbranche Gewinn macht, in Tariflohnabkommen genauso behandelt werden muß wie ARBED Saarstahl, das, wie Sie hoffentlich alle zugestehen, keinen Gewinn macht? Ist das richtig? Kann das vernünftig sein?
({38})
Ich sage: Es kann nicht vernünftig sein.
Ich will Ihnen etwas sagen, wenn ich schon bei ARBED Saarstahl bin. Das, was sich der jetzige Ministerpräsident, der im Wahlkampf immer von Glaubwürdigkeit in der Politik gesprochen hat,
({39})
an Unterschieden zwischen dem, was er vor der Wahl gesagt hat, und dem, was er nach der Wahl gesagt hat, geleistet hat, ist bis jetzt von keinem Politiker der Bundesrepublik übertroffen worden.
({40})
Vor der Wahl hieß es: Verstaatlichung ist das einzige Mittel, um ARBED Saarstahl zu retten.
({41})
- „Hat er nicht gesagt", sagen Sie jetzt schon.
({42})
- Er hat in einer Fernsehdiskussion, die ich selber gesehen habe, das Mittel der Verstaatlichung angepriesen. Sie wissen das ganz genau.
({43})
Jetzt will er es nicht mehr wissen. Er hat es abgelehnt - weil die SPD technologiefeindlich ist -, eine Kohleverflüssigungsanlage ins Saarland zu holen. Daraufhin habe ich gesagt: Damit ist die Entscheidung für den Standort Bottrop bereits gefallen.
({44})
Jetzt läßt er seinen Wirtschaftsminister sagen, diese Frage sei wieder offen, es seien neue Argumente aufgetaucht. Ich frage mich: Was ist neu daran? Vor der Wahl hat man aus Technologiefeindlichkeit diese Anlage verteufelt. Nach der Wahl sieht man sehr wohl, daß das Arbeitsplätze bringen wird. Jetzt will man sie. Das ist die Glaubwürdigkeit eines SPD-Ministerpräsidenten, meine Damen und Herren.
({45})
Der wirtschaftspolitische Weg, den wir eingeschlagen haben, findet auch international seine Bestätigung.
({46})
Am 11. und 12. April haben in Paris - ({47})
- Das trifft leider für Sie nicht zu. Herr Ehrenberg, wenn Sie sich darüber unterrichten wollen, wie beispielsweise die französische Regierung den wirtschaftspolitischen Kurs dieser Regierung und den wirtschaftspolitischen Kurs Ihrer Fraktion beurteilt, dann unterhalten Sie sich einmal mit Frau Edith Creysson. Die wird Ihnen sagen: Wir machen die Wirtschaftspolitik, die auch die Bundesrepublik macht, weil wir das für vernünftig halten. Auch international bei der OECD und in der Europäischen Gemeinschaft haben wir uns mit unserem Standpunkt durchgesetzt, daß Freihandel ein Schlüssel und ein Weg zu wirtschaftlichem Erfolg und zu Arbeitsplätzen ist. Noch vor kurzem war das gar nicht sicher.
({48})
- Auch europäische. Ja, ich habe in den vergangenen Monaten, ich weiß nicht, wie viele Konferenzen über wie viele Stunden damit zugebracht, auch unseren europäischen Nachbarn, aber darüber hinaus unseren amerikanischen Partnern und den Entwicklungsländern den Wert und den Vorteil der neuen GATT-Runde so nahezubringen, daß wir jetzt in der Tat kurz davor stehen, daß wir uns alle darauf einigen können, daß diese GATT-Runde beginnen kann. Meine Damen und Herren, das ist auch ein positiver Posten in der Bilanz dieser Regierung. Aber so etwas nehmen Sie natürlich nicht zur Kenntnis.
({49})
Auch die Erkenntnis, daß das riesige Bilanzdefizit in den USA eine Belastung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen ist, hat sich in den USA verbreitet. Der Präsident selbst hat nach einer Rücksprache und einer Vereinbarung mit den führenden Republikanern angekündigt, daß er dieses Defizit bekämpfen wird. Denn in der Tat ist dieses Defizit mitverantwortlich für die hohen Zinssätze am amerikanischen Kapitalmarkt und für den hohen Dollarkurs. Der Dollarkurs wird übrigens - das ist klar - nicht allein durch das Budgetdefizit bestimmt. Dabei muß man sich ja wundern: Solange er hoch war, stellt sich der Oppositionsführer hier hin und sagt, der Dollarkurs sei zu hoch. Wenn er dann abfällt, sagt er: Paßt auf, jetzt habt ihr keine Exportchancen nach Amerika mehr. - Meine Damen und Herren, ich will das hier auch ganz deutlich sagen, weil das ein Thema ist, das ich in der öffentlichen Diskussion immer wieder antreffe. Unser Export in die Vereinigten Staaten hat natürlich durch den hohen Dollarkurs profitiert. Deswegen die überproportionalen Steigerungen des letzten Jahres. Aber auch nach diesen Steigerungen beträgt der Export in die USA nur 10% des Gesamtexportes der Bundesrepublik. Unsere Exporte beispielsweise in Entwicklungsländer sind höher als die Exporte nach Japan und in die USA zusammengenommen. Man sollte dieses Problem auf den Stand bringen, den es verdient. Wir hängen im Export nicht ausschließlich von den USA und den Chancen dort ab. Wir werden diese Chancen weiter nutzen. Aber es ist ganz klar, daß ein niedriger Dollarkurs die Möglichkeiten der Entwicklungsländer vergrößert, bei uns zu kaufen, und daß das dann ein Ausgleich für solche entgangenen Chancen ist.
Ich will im Rahmen der neuen GATT-Runde auch noch einmal sagen: Wenn wir den Entwicklungsländern nicht unsere eigenen Märkte mehr öffnen, dann haben wir das Recht verloren, selbst als Freihändler den Kampf gegen den Protektionismus zu fordern. Wir müssen das, was wir von anderen fordern, auch gegen uns gelten lassen. Die Öffnung unserer Märkte ist ein entscheidendes Element zur Stabilisierung der Wirtschaft von Entwicklungsländern.
Diese Verflechtung der Weltwirtschaft ist ein Vorteil für alle. Protektionismus, meine Damen und Herren, zahlt sich für niemanden aus. Protektionismus ist wie jeder überzogene Schutz am gefährlichsten für diejenigen, die man schützen will. Wir wissen aus allen Statistiken und Untersuchungen der OECD: Die Länder, die die höchsten Importbarrieren errichten, haben die schwächste Industrie, wenn es darum geht, ihre Produkte auf dem Weltmarkt zu verkaufen. Deswegen sind wir aus Überzeugung Anhänger dieses Gedankens des Freihandels und werden uns dagegen wehren, wenn protektionistische Maßnahmen - von wem auch immer - vorgeschlagen werden. Dieser Protektionismus ist bestenfalls vordergründig für viele ein Ausweg, die Angst haben. Ein solcher Ausweg verhindert in Wahrheit Strukturanpassungen und damit Entwicklungschancen einer Wirtschaft, die im freien Wettbewerb durchaus vorhanden sind. Bisher haben sich die Entwicklungsländer zu der neuen GATT-Runde etwas skeptisch geäußert. Aber es beginnen sich auch dort Bewegungen abzuzeichnen, und ich bin ganz sicher, daß wir im nächsten Jahr zu einer solchen Runde kommen.
Meine Damen und Herren, diese Debatte hat Gelegenheit geboten und wird noch Gelegenheit bieten, den fundamentalen Unterschied deutlich zu machen, den es zwischen dieser Regierungskoalition und der Opposition gibt. Das nicht zu verwischen ist Aufgabe der Opposition, aber auch Aufgabe dieser Regierung. Es ist sicher richtig, daß bei jeder Regierung Kritikpunkte auftreten. Aber wenn wir durch jede - wenn auch berechtigte - Kritik verdunkeln lassen, daß diese Regierungskoalition angetreten ist, um dem einzelnen in der Wirtschaft, in der Gesellschaft wieder eine Chance zu geben und der Bundesrepublik Deutschland einen Platz in der Welt zu verschaffen, dann tun wir nicht nur uns etwas an, was wir uns nicht antun sollten, sondern wir verlassen auch die Aufgabe, die wir als Politiker haben. Wir machen Politik nicht für diese Regierung, sondern für die Bürger in der Bundesrepublik
Deutschland, und davon lassen wir uns auch von der Opposition nicht abbringen.
({50})
National wie international werden wir unsere Anstrengungen fortsetzen, die Marktwirtschaft zu stärken. Diese Koalition ist auf dem richtigen Weg. Sie ist auch über 1987 hinaus ohne Alternative. Wir, die Freien Demokraten, bekennen uns aus Überzeugung zu ihr. Ich sage der Opposition: Herausforderungen besteht man nicht mit Defätismus. Mutlosigkeit, Angst vor dem Risiko und Zukunftspessimismus müssen zum Scheitern führen. Diese Regierung wird alles tun, ihren Bürgern wieder eine Perspektive zu eröffnen.
Wenn wir alle diese Chance nutzen, dann wird Deutschland seinen Platz in Europa finden und wird dazu beitragen, daß Europa sich entwickelt.
({51})
Mit Deutschland kann auch Europa Kräfte entfalten, die wir entfalten müssen, um auch unsere wirtschaftliche Zukunft zu sichern - zum Nutzen aller, auch derjenigen, die Kritik an dieser Politik der Regierung üben.
Diese Politik, meine Damen und Herren, ist eine Politik, die sich durch die Tatsachen als erfolgreich ausweist. Sie fortzusetzen, daran hindern uns auch nicht freundschaftliche Auseinandersetzungen in unseren eigenen Reihen. Wenn die Opposition so schwach ist, daß sie die Kritik nicht aufgreifen kann, die man auch üben kann, dann müssen wir das halt selber auch noch erledigen.
({52})
Aber auch das werden wir in großer Freundschaft und Gemeinsamkeit tun, im besonderen mit der CSU.
({53}) Auch diese Bürde laden wir uns auf.
Meine Damen und Herren, ohne diese Regierungskoalition wäre die Bundesrepublik ohne Alternative. Das ist der Grund, warum wir diese Regierung fortsetzen wollen.
({54})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
({0})
Herr Bangemann, ich glaube, Sie haben hier ein paar Urkunden liegengelassen, die Sie vielleicht noch brauchen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Halbzeitbilanz, die uns heute vormittag mit dem üblichen Wortweihrauch - es überrascht mich nicht, daß sich Herr Waigel wieder als Weihrauchschwenker besonders hervorgetan hat ({1})
dargeboten wurde, kann sich - da stimme ich seltsamerweise mit Herrn Waigel überein - gewiß sehen lassen,
({2})
aber wohl nur in den Augen jener, mit denen sich der Bundeskanzler seit Jahrzehnten verbunden weiß. Auf den freundlichen Beifall der Flicks, Horten und Konsorten werden Sie rechnen können.
({3})
Sie haben von der Politik der gewendeten Regierung kräftig profitiert. Hohe Aktienkurse, Traumdividenden, steigende Unternehmergewinne, Steuerentlastungen zugusnten jener großindustriellen Kreise: Wer sollte dort über die für sie so überaus segensreiche Tätigkeit des von der Großindustrie spendierten Kanzlers nicht äußerst zufrieden sein!
({4})
Deshalb ist es sicherlich kein Zufall, daß einer ihrer Exponenten, Friedrich Karl Flick, kürzlich weitere Belohnungen für das musterhafte Betragen der Bundesregierung ankündigte.
({5})
Nach zwei Jahren Regierungszeit ist es überdeutlich geworden, welchen Interessen Sie verpflichtet sind, Herr Bundeskanzler, als Kanzler der Großindustrie, der die Solidarität mit dem Volk der Kumpanei mit dem großen Geld opfert. Darin werden wir uns durch die Schmuckblattsprache, durch allerlei politische Garnituren nicht täuschen lassen. Sie feiern zum hundertsten Male den sogenannten Aufschwung und brüsten sich mit der Ihnen eigenen dröhnenden Selbstgerechtigkeit, Sie hätten die Staatsfinanzen saniert.
({6})
Wer an der Wirklichkeit nicht vorbeigeht, weiß, daß dies alles fauler Zauber ist. In Ihrer Regierungserklärung am 4. Mai 1983 haben Sie die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit als die Aufgabe Nummer eins bezeichnet und angekündigt, daß der Abbau der Arbeitslosigkeit einer der Schwerpunkte der Arbeit der Bundesregierung sein werde. Inzwischen sind Sie sehr viel kleinlauter geworden und sprechen nur noch davon, ob es gelungen sei, den Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen oder mindestens zu bremsen.
Eines ist offenkundig: Die Bundesregierung hat bei der sich selbst gestellten Aufgabe Nummer eins rundum versagt.
({7})
Selbst Ihr Einfallsreichtum beim Erfinden immer neuer Ausreden scheint inzwischen verkümmert. Die dramatische Entwicklung der Arbeitslosigkeit hat Sie nicht veranlaßt, Ihre Konzepte zu überprüfen - oder richtiger gesagt: Ihre Konzeptionslosigkeit zu überwinden -, sich von Ihren Vorurteilen zu befreien und sich mit den Vorschlägen der GRÜNEN im Bund und in den Ländern, von Bürgerinitiativen und alternativen Wissenschaftlern auseinanderzusetzen, mit denen der Massenarbeitslosigkeit wirksam begegnet werden könnte.
Seit 1982 gibt es in der Bundesrepublik - daran gibt es nichts herumzudeuteln - einen sprunghaften Anstieg von offener und verdeckter Arbeitslosigkeit. Die offene Arbeitslosigkeit, also die Zahl der Arbeitssuchenden, die bei den Arbeitsämtern gemeldet sind, stieg von 1982 von 1,83 Millionen bis zum Jahre 1984 um 440 000 auf 2,27 Millionen. Bei der verdeckten Arbeitslosigkeit gab es einen Anstieg von 0,95 Millionen im Jahre 1982 auf 1,35 Millionen im Jahr 1984. Das sind in diesem Bereich 400 000 Arbeitssuchende mehr.
Insgesamt hat sich somit die Zahl der Arbeitslosen im Bereich der offenen und verdeckten Arbeitslosigkeit während der zweijährigen Regierungszeit von Bundeskanzler Kohl um rund 850 000 Menschen vergrößert. Das sind 850 000 Einzelschicksale, meine Damen und Herren. Ich sage das, damit wir uns dieser Zahl wirklich bewußt sind.
Besonders deprimierend ist die Tatsache, daß in verstärktem Maße Jugendliche von der Arbeitslosigkeit betroffen sind. In seiner Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 wußte Bundeskanzler Kohl zu berichten, daß es sich bei der Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit nicht nur um ein wirtschaftliches Problem, sondern vor allem um ein Gebot der Mitmenschlichkeit handele. Richtig - aber wo bleibt die Mitmenschlichkeit gegenüber den Hunderttausenden junger Menschen, die keinen Arbeitsplatz finden können? Bei Jugendlichen bis zum Alter von 24 Jahren hat sich die offene Arbeitslosigkeit von 533 000 im Dezember 1982 bis zum Dezember 1984 auf 573 000 gesteigert. Das sind 40 000 Arbeitssuchende mehr. Die verdeckte Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen in diesem Altersbereich schätzt der Deutsche Gewerkschaftsbund auf rund 1 Million.
Alarmierend ist auch der Anstieg - und das sollte unsere besondere Sorge ausmachen - der Quote der Langzeitarbeitslosen. Während im Jahre 1980 der Anteil der langfristig Arbeitslosen - ein Jahr und länger arbeitslos - noch bei einem Sechstel der gemeldeten Arbeitslosen lag, war im September 1984 bereits ein Drittel der Arbeitslosen von langfristiger Erwerbslosigkeit betroffen.
Es gibt wenig Arbeit, aber viel zu tun, hat Heinrich Böll gesagt. Durch ihre Untätigkeit und ihre Bindung an großindustrielle Interessen läßt die Bundesregierung die schöpferischen Kräfte nicht zuletzt junger Menschen brachliegen, obwohl es wichtige gesellschaftliche Aufgaben in Hülle und Fülle gibt,
({8})
für die diese Menschen gebraucht werden: im sozialen Bereich, im Umweltbereich, in der Landwirtschaft, wenn sie naturerhaltend und nicht naturzerstörend betrieben wird,
({9})
in der alternativen Forschung und Technologie und bei der Entwicklung und Erhaltung umweltverträglicher Verkehrssysteme, um nur einige Beispiele zu nennen.
Die Bundesregierung rühmt sich der Sanierung der Staatsfinanzen. Aber die Frage ist: Wer hat sich auf wessen Kosten saniert? Die Bundesregierung präsentiert uns Zahlen, ohne die Kosten zu nennen, ohne diejenigen zu erwähnen, in deren Taschen sie gegriffen hat. Durch finanz- und steuerpolitische Maßnahmen hat die Bundesregierung in den Jahren 1982 bis 1984 eine Umverteilung in gigantischem Ausmaß vorgenommen, die den Armen nimmt und den Reichen gibt. Der Bundeskanzler mag sich damit als Prokurist der Großindustrie ausweisen; der Kanzler der kleinen Leute ist er nicht.
({10})
220 Milliarden DM sind in den Jahren 1982 bis 1984 zu Lasten der sozial Schwächeren, der Frauen, Kinder, Sozialhilfeempfänger, Arbeitslosen, Behinderten, Rentner, Schüler und Studenten, zu Lasten der unteren Einkommensschichten verschoben worden. 180 Milliarden DM wurden den sozial Schwächeren an Mehrbelastung auferlegt, während den Unternehmern und dem Staat Entlastungen
({11})
in Höhe von 40 Milliarden DM zugute kamen.
({12})
Wir sagen dazu: Zu dieser Art von Umverteilung haben Sie zwar gegenwärtig die Macht, aber nicht das geringste Recht. Denn Sie verwalten keine schwarze Kasse oder ähnliches, sondern Sie verwalten das Geld, das vom Volk aufgebracht wurde und das Sie auch in dessen Interesse zu verwenden haben.
({13})
Wenn Sie sich als Handlungsbevollmächtigter der Großindustrie profilieren wollen, Herr Bundeskanzler, sollten Sie nach anderen Gelegenheiten Ausschau halten. Das Amt des Bundeskanzlers taugt nicht dazu. Eine Politik jedenfalls, die den vorgeblichen Aufschwung damit erkauft, daß sie die sozial Schwächeren ins Abseits und in die Armut verabschiedet, sollte wenigstens nicht das Etikett „christlich" für sich in Anspruch nehmen.
({14})
Denn eines sollte uns bewußt sein: Die Güte einer Gesellschaft - im Wortsinn: die Güte einer Gesell9994
schaft - bemißt sich nicht danach, wieviel Reichturn ein einzelner Mensch zusammenraffen kann, sondern danach, wieviel Armut sie zuläßt.
({15})
Wenn über Verringerung der Staatsverschuldung geredet wird, sollte nicht übersehen werden, daß der Anstieg der Verschuldung des Staates zwar verringert werden konnte, dafür aber die Verschuldung bei den unteren Einkommensgruppen erhöht wurde.
Beschämend ist nicht zuletzt, daß die Bundesregierung ihrer Verantwortung gegenüber der älteren Generation nicht gerecht wird. Die grassierende Altersarmut ist eine Anklage der Versäumnisse der Bundesregierung im sozialen Bereich.
({16})
Circa zwei Millionen alte Menschen, vor allem alte Frauen, müssen ihr Leben von Einkommen im Sozialhilferahmen fristen. Die eklatante Benachteiligung von Frauen im Rentenrecht, das Fehlen einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen, die Versäumnisse in der Familienpolitik, insbesondere die Benachteiligung von Alleinerziehenden und Nichtverheirateten: Das sind die sozialen Realitäten, die von Aufschwungduselei nicht übertönt werden können.
Die Bundesregierung hat es nicht vermocht, mit der Rentenversicherung ins reine zu kommen. Sie hat die Tradition früherer Bundesregierungen fortgesetzt, die unheilvolle Tradition, den Rentenversicherungsträgern Milliardenbeträge zu entwenden, indem der Rentenversicherung beitragsfremde Leistungen auferlegt wurden. Die chronische Finanzkrise der Rentenversicherung wurde auf diese Weise nicht bereinigt. Die gigantische Summe von 150 Milliarden DM ist seit 1957 auf diese Weise den Rentnern entzogen worden, während Selbständige und Beamte von einem entsprechenden Solidaropfer verschont blieben.
Da sich die Probleme der Rentenversicherung bis zum Jahre 2000 drastisch verschärfen werden, sollte sich die Bundesregierung nicht länger gegenüber den Vorschlägen der GRÜNEN taub stellen, die von folgenden drei Grundsätzen ausgehen: erstens eine vom früheren Erwerbsleben unabhängige Grundrente von mindestens 1 000 DM ab dem 60. Lebens-j ahr, zweitens eine eigenständige Alterssicherung für Frauen und drittens eine einheitliche Rentenversicherung für die gesamte Bevölkerung unter Einschluß der Beamten, Selbständigen, Freiberufler, Landwirte und anderen. Daß eine solche Rentenstruktur finanzierbar ist, haben wir jüngst durch die Vorlage eines Gutachtens des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin nachgewiesen.
Aber nicht nur die sozialen Kosten der verfehlten Aufschwungspolitik fehlen in der Bilanz der Bundesregierung - soziale Kosten, von denen hier nur stichwortartig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit gesprochen werden konnte -; ebenso gravierend sind die ökologischen Kosten, die das unmittelbare und mittelbare Resultat Ihrer Politik sind. Die fortschreitende Verseuchung von Wasser, Luft und Erde scheint Sie kaum zu beunruhigen. Das Siechtum unserer Wälder - eine der größten ökologischen Katastrophen in Mitteleuropa - läßt in Ihnen keine Alarmstimmung aufkommen. Selbst daß der Alpenverein jüngst davor gewarnt hat, daß ganze Alpenregionen unbewohnbar und zerstört werden könnten, und selbst die Warnung der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald, es werde schon 1990 - meine Damen und Herren, das ist in fünf Jahren - nur noch sterbende Wälder geben, wenn nicht sofort drastische Maßnahmen ergriffen werden, bleiben von Ihnen ungehört.
Ihre Umweltpolitik, Herr Bundeskanzler, ist ein einziges Fiasko. Sie haben es zugelassen, daß die größte Dreckschleuder der Nation, das Kraftwerk Buschhaus, in Betrieb gehen darf. Das Tohuwabohu bei der Abgasentgiftung von Kraftfahrzeugen ist so niederschmetternd, daß es kaum noch einer Kommentierung bedarf.
({17})
Bei der Entschwefelung und Entstickung von Großkraftwerken sind Sie nur millimeterweise vorangekommen.
({18})
Warum haben Sie sich den Forderungen der GRÜNEN in den Weg gestellt, wenigstens vorläufig auf die Verkabelung der Republik zu verzichten und die Milliardensummen, die dafür verschwendet werden, sinnvoll für die Entschwefelung und Entstickung aller Kraftwerke einzusetzen?
({19})
Was liegt Ihnen - darauf wollen wir eine Antwort - näher am Herzen, die Verkabelung der Republik oder die Erhaltung der deutschen Wälder? Darauf will das Volk eine Antwort. Darauf haben Sie eine Antwort zu geben!
({20})
Oder kann sich der Bundeskanzler seinem Souffleur, jenem schwarz-schillernden Bundespostminister nicht entziehen, der auf seine eigene Weise für Sonnenschein sorgen will?
({21})
Warum bringt es die Bundesregierung nicht über sich, eine Geschwindigkeitsbeschränkung für Kraftfahrzeuge einzuführen? Warum kann sich die Bundesregierung nur für ein einziges Tempolimit erwärmen, nämlich die Einhaltung eines SchnekSchily
kentempos bei der Einführung umweltschonender Techniken?
({22})
Angesichts der Zuspitzung der Naturzerstörung mit allen ihren unmittelbaren und mittelbaren Gefahren für das menschliche Leben und die menschliche Gesundheit sind Behäbigkeit und feiste Selbstzufriedenheit nicht mehr angebracht. Warum haben Sie sich den Vorschlägen der GRÜNEN zur Reinhaltung der Luft, zur Verbesserung der Wasser- und Abfallwirtschaft und des Bodenschutzes, zum Schutz der Verbraucher vor giftigen Chemikalien in Haushalt und Wohnung und den Vorschlägen zur Konversionsförderung in der Chemieindustrie durch umfassende Bewertung chemischer Produkte und Produktionsverfahren entgegengestellt? Warum widersetzen Sie sich den Vorschlägen der GRÜNEN zur Förderung der ökologischen Landwirtschaft, wenn Sie wissen oder wenigstens wissen könnten, daß ökologische Landwirtschaft Arbeitsplätze erhält und schafft, zugleich aber die Natur bewahrt und uns vor der Vergiftung von Wasser, Luft und Boden schützt?
({23})
Warum stellen Sie sich der Umschichtung von Finanzmitteln aus dem Straßen- und Kanalbau zur Stärkung der umweltfreundlichen Deutschen Bundesbahn entgegen?
({24})
Warum betreiben Sie statt dessen Streckenstillegungen und Entlassungen im Bereich der Bundesbahn?
({25})
Rund 24 000 Arbeitsplätze sind in den vergangenen zwei Jahren - das können Sie sich ruhig auch einmal anhören, Herr Bohl - bei der Bundesbahn verlorengegangen; weitere 60 000 Arbeitsplätze sollen bis 1990 nach Ihren Plänen abgebaut werden. Ist das Ihr Beitrag zum Umweltschutz und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit? Das frage ich Sie.
({26})
Warum haben Sie dem Programm der GRÜNEN für eine umweltfreundliche Energieversorgung zur Förderung energiesparender Technologien und Produkte Ihre Zustimmung versagt?
({27})
Es ist billiger. Welche Interessen leiten Sie, wenn Sie statt dessen das Geld des Volkes für Sackgassentechniken verschwenden? Längst hat sich herumgesprochen, daß die sogenannte friedliche Atomenergie nicht nur aus ökologischen Gründen, sondern auch aus ökonomischen Gründen nicht zu verantworten ist. Gleichwohl halten Sie sogar an den schlimmsten Atomprojekten, dem Schnellen Brüter in Kalkar und der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, krampfhaft fest, unbeeindruckt von Bürgerinitiativen und Expertenmeinungen, unbeeindruckt davon, daß sogar in den Vereinigten Staaten von Amerika bis zum Jahre 2000 kein AKW mehr gebaut wird. Daß die Sozialdemokraten diesen starren und unheilvollen Kurs bedauerlicherweise mit ihrem üblichen Jein begleiten, beweist uns einmal mehr, wo im Bundestag und in den Ländern die wirkliche Opposition zu finden ist, nämlich bei den GRÜNEN.
({28})
Die Bundesregierung hat in der Umweltpolitik nichts ausgerichtet, sie hat nur sehr viel angerichtet. Wenn Ihnen aber, Herr Bundeskanzler, die Erkenntnis nicht unmittelbar zugänglich ist, daß wir die Natur und die Naturzusammenhänge in unserem Handeln berücksichtigen müssen, sollten Sie mindestens in Ihrem bewirtschafteten Denken anerkennen, daß Naturzerstörung und Naturbelastung stets auch wirtschaftliche Auswirkungen haben. Vielen von uns wird heute nicht mehr bewußt, daß die Zuwachsraten bei der Steigerung des Bruttosozialprodukts, das Sie als vermeintliches wirtschaftliches Gedeihen beurteilen, im wesentlichen nur noch zur oberflächlichen und unzureichenden Reparatur der durch das Industriesystem verursachten Schäden dienen. Die Langzeitschäden, Gesundheitsschäden, Schäden in der Pflanzen- und Tierwelt, Schäden an Gebäuden und Materialien, Schäden an Baudenkmälern und Kunstwerken bleiben außerhalb der wirtschaftlichen Erfolgsrechnung.
Aber das ist kein wahrer Wohlstand, der zur Steigerung der Dividenden bei Hoechst und BASF führt, wenn gleichzeitig Gifthypotheken in den Mülldeponien und Abfallhalden ins Unermeßliche aufgetürmt werden, für die wir und spätere Generationen die Zeche zahlen sollen. Es entlastet Sie nicht, Herr Bundeskanzler, daß anderswo von sozialdemokratischen Landesregierungen, die sich auf eine absolute Mehrheit stützen können, eine ähnlich verderbliche Politik betrieben wurde und wird.
({29})
Vermutlich kommt es nicht von ungefähr, daß sich der Bundeskanzler vor allem auch im Bereich der Chemieindustrie gegen ein Entgiftungsprogramm sperrt, obwohl in der Bundesrepublik - dem Land mit der höchsten Chemiedichte der Welt - mit der Umstellung der Produktion und der Produkte auf Verfahren, die sich den natürlichen Stoffkreisläufen einfügen, schleunigst begonnen werden sollte. Umwelt, Sozialpolitik und Wirtschaft gehören zusammen. Wenn die Vorschläge der GRÜNEN ernst genommen werden,
({30})
dann haben wir einen ökologischen Wohlstand, der den wahren Lebensbedürfnissen der Menschen gerecht wird.
({31})
In ihrer Regierungserklärung hatte die Bundesregierung versprochen - sie hat dieses Versprechen mehrfach erneuert -, sie wolle Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Sie hat dieses Versprechen ebensowenig eingelöst wie ihre Versprechen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Umweltzerstörung. Keine einzige originäre Abrüstungsinitiative, keinen einzigen originären Abrüstungsgedanken hat der Bundeskanzler bisher zustande gebracht. Er war stets nur der Mitläufer und Nachläufer von Aufrüstungsinitiativen. Er trägt die Verantwortung für die Aufstellung neuer für die Bundesrepublik, Europa und die ganze Menschheit existenzbedrohender offensiver Raketensysteme auf dem Boden der Bundesrepublik.
({32})
Er befürwortet eine verstärkte Aufrüstung auf der Grundlage des Offensivkonzepts des Rogers-Plans, und er macht sich zum Fürsprecher der sogenannten Strategischen Verteidigungsinitiative, die das Wettrüsten in das Weltall ausdehnt und das Wettrüsten auf der Erde aufs Neue anheizen wird.
Ist das Frieden mit weniger Waffen? Ist es Frieden mit immer weniger Waffen, wenn die Rüstungsexporte aus der Bundesrepublik insbesondere auch in Gebiete der Dritten Welt und in Krisenregionen während der Regierungszeit Kohl erheblich gesteigert wurden? Ist es Frieden mit immer weniger Waffen, wenn nach Schätzungen der Vereinten Nationen im Jahre 1984 weltweit mehr als 800 Milliarden DM für militärische Zwecke ausgegeben werden und wenn die Bundesrepublik den traurigen Ruhm für sich beanspruchen kann, in der Weltrangliste der Staaten, die ihre Finanzen für Rüstungsausgaben vergeuden, neben den USA, der Sowjetunion, Großbritannien, China und Frankreich die sechste Stelle einzunehmen? Bemerken Sie nicht, wohin Sie sich verrannt haben, wenn Sie sich vergegenwärtigen, daß allein die Forschung entsprechend der Zielsetzung des SDI-Programms 26 Milliarden Dollar verschlingen wird und die volle Abwicklung des SDI-Programms insgesamt zwischen 100 Milliarden DM und 1 000 Milliarden DM kosten soll? Wollen Sie allen Ernstes der Devise folgen, es bedürfe militärischer Forschungsprogramme, um den technischen Fortschritt im zivilen Bereich voranzubringen? Wie heruntergekommen ist die Moral, wie heruntergekommen muß die Moral der Menschen sein,
({33})
wenn sie nicht die Infamie einer solchen Behauptung durchschauen können.
({34})
Nicht diejenigen sind unmoralisch, die sich gegen die Strategische Verteidigungsinitiative wenden, Herr Bundeskanzler und Herr Geißler - abgesehen davon, daß Sie damit eine Reihe westlicher Regierungen verleumden -, unmoralisch und sicherheitsgefährdend, um nicht zu sagen sicherheitszerstörend ist es, den Wahnsinn des Wettrüstens fortzusetzen, während Millionen Menschen auf unserem Planeten den Hungertod erleiden müssen. Das
Wettrüsten ist ein Verbrechen. Dies stets zu wiederholen, ist unsere Aufgabe und unsere Verpflichtung.
({35})
Es ist zuallererst ein Verbrechen an den Völkern der Dritten Welt, weil sie davon zuallererst betroffen sind.
Herr Bundeskanzler, wenn Sie schon nicht auf uns hören wollen, daß Abrüstung zuerst bei uns konkret und entschlossen begonnen werden muß entsprechend der Aufforderung von Franz Alt: Einer muß anfangen aufzuhören, so sollten Sie wenigstens den Vorschlägen der „Internationalen Katholischen Friedensbewegung Pax Christi" folgen, die dazu jüngst einen sehr vernünftigen Dreistufenplan publiziert hat. Sicherheit werden die europäischen Völker nur in einem gesamteuropäischen Friedensbündnis über die Blockgrenzen hinweg finden, das der elementaren Friedenssehnsucht der Menschen entspricht und der Kultur, der Wirtschaft und der Politik im europäischen Raum zu Eigenständigkeit verhilft und die Zusammenarbeit mit den Völkern der Dritten Welt auf eine neue solidarische Grundlage stellt.
Was über die Inhalte der Politik des Bundeskanzlers zu sagen war, ist zugleich ein Urteil über seinen Anspruch einer geistig- moralischen Erneuerung. Es lag nahe, in diesem Zusammenhang auf eines der trübsten Kapitel seiner politischen Geschichte, wie sie auch in den zwei Jahren seiner Regierungszeit zum Vorschein gekommen ist, einzugehen, aber ich will das an dieser Stelle unterlassen. Dazu wird zu anderer Zeit Gelegenheit sein.
Aber haben Sie im Vorfeld und im Zusammenhang der Gedenktage aus Anlaß der Befreiung von der Nazischreckensherrschaft einmal darüber nachgedacht, Herr Bundeskanzler, welchen Gönner Sie sich in der Person von Herrn Flick auserkoren hatten, welche geschichtliche Kontinuität am Werke war? Hat Sie der Gedanke je einmal betroffen gemacht, daß Flick seinen Profit aus einem verbrecherischen Krieg und aus der Vertreibung und Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland und Europa gezogen hat, daß dieser Profit Grundlage seines Nachkriegsvermögens war?
({36})
Es sind in diesen Tagen viele Gesten zum Gestikulieren und Stolzieren verkommen,
({37})
aber es wäre eine stille und sogar wirkungsvolle Geste gewesen, wenn Sie Ihre guten Beziehungen zum Hause Flick dazu genutzt hätten, wenigstens nachträglich - und gewiß äußerst spät - die Firma Flick dazu zu bewegen, den KZ-Opfern, die Frondienste für die Firma Flick während der Naziherrschaft leisten mußten, eine Entschädigung zuzubilligen.
({38})
Vermutlich sind Erwartungen in dieser Richtung hoffnungslos, wenn Sie es nicht einmal über sich bringen, den amerikanischen Präsidenten von dem Besuch in Bitburg abzuhalten, wenn Sie sich des Vermächtnisses von Dietrich Bonhoeffer zur Ermunterung der Profitphilosophie von Bankenvorständen bemächtigen.
({39})
Herr Abgeordneter - Schily ({0}): Unsägliche Geschichtslosigkeit bis hin zur Verfälschung der Vergangenheit, Verkennung der Gegenwart und Verwüstung der Zukunft, das sind die Kennzeichen Ihrer sogenannten geistig-moralischen Erneuerung.
({1})
Das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer, das Vermächtnis von Auschwitz, das Vermächtnis des antifaschistischen Widerstandes heißt anders.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie aufmerksam machen - Schily ({0}): Es heißt:
Herr Abgeordneter - Schily ({0}): Mut zur sofortigen einseitigen Abrüstung,
({1})
Mut zur Gewaltfreiheit, Vertrauen in die friedensstiftende Kraft der Kultur und des Gewissens, Hilfe für die Hungernden
({2})
und Frieden zwischen den Menschen und mit der Natur.
({3})
Das Wort hat der Herr Finanzminister und Stellvertreter des Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, Herr Dr. Posser.
Minister Dr. Posser ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Schon aus Zeitgründen muß ich meinen Redebeitrag darauf beschränken, auf das Verhältnis des Bundes zu den Ländern und den durch die Länder vertretenen Gemeinden einzugehen.
({1})
Die Entscheidungen des Bundes und seiner Organe, also Bundestag und Bundesrat, wirken sich immer auch, insbesondere im finanziellen Bereich, auf die Finanzausstattung der Länder und Gemeinden aus. Es ist in anderen Zusammenhängen wiederholt darauf hingewiesen worden, daß insbesondere die Finanzausstattung der Gemeinden darunter gelitten hat, daß ihnen manches an zusätzlicher Aufgabe - Stichwort etwa Sozialhilfe - übertragen worden ist, das deutlich höher ist als in vergangenen Jahren.
Ich möchte Ihnen vortragen, wie sich die Belastung der Länder vollzogen hat. 1982 ist unter dem Vorsitz des jetzigen Herrn Bundesfinanzministers eine Arbeitsgruppe der Länder mit dem Bund darüber einig geworden, daß die Länder wegen ihrer schlechteren Finanzausstattung nach der sogenannten Deckungsquotenberechnung zwei Prozentpunkte mehr Umsatzsteueranteil erhalten sollten. Die haben sie 1983 und 1984 bekommen, nur war bei der Vereinbarung 1982 keine Rede davon, daß den Ländern zusätzliche Einnahmeverzichte durch Bundesentscheidungen abverlangt wurden. Das war einmal die auch heute im Rückblick noch unbegreifliche Senkung der Vermögensteuer bei Betriebsvermögen um 30 % zum 1. Januar 1984,
({2})
die sich überhaupt nur bei Betriebsvermögen von 500 Millionen DM an aufwärts nennenswert auswirken konnte.
({3})
Gerade die kämpfenden, in Wirtschaftskreisen stekkenden Betriebe hatten überhaupt nichts davon, denn sie zahlen gar keine Vermögensteuer.
({4})
Die Vermögensteuer wird richtigerweise nur vom positiven Vermögen erhoben. Alle Kredite, alle Verbindlichkeiten, alle zulässigen Rückstellungen und Rücklagen werden abgezogen, bevor überhaupt die Vermögensteuerpflicht beginnt. Sie ist auf 0,6 %, unverändert bis in die Milliarden Betriebsvermögen, festgesetzt worden. Nur Betriebe mit einem positiven Betriebsvermögen ab 500 Millionen DM aufwärts haben überhaupt einen nennenswerten Vorteil davon gehabt. Über 60 % des Entlastungsvolumens in Nordrhein-Westfalen sind auf 0,7 % der vermögensteuerpflichtigen Betriebe entfallen. Die große Mehrzahl hat eine Entlastung bei der Vermögensteuer, soweit sie sie überhaupt zu zahlen hatten, von jährlich 875 DM gehabt.
({5})
Das waren immerhin 15 570 von 25 597 vermögensteuerpflichtigen Körperschaften in Nordrhein-Westfalen, und 60% sind auf 191 Unternehmen entfallen.
({6})
Aber die Länder haben bei dieser hundertprozentigen Ländersteuer - das ist die Vermögensteuer - einen Ausfall von 1,5 Milliarden DM hinnehmen müssen. Da war schon mehr als ein Prozentpunkt des erhöhten Umsatzsteueranteils weg. Zum anderen haben wir erlebt, daß das Aufkommen der Gewerbesteuern bei den Gemeinden durch die verminderte Hinzurechnung von Dauerschuldzinsen und Dauerschulden bei der Gewerbesteuer nach Ertrag und Kapital drastisch reduziert wurde. Die Gemeinden haben einen Ausgleich bekommen, aber der Bund und die Länder nicht. Die Gewerbesteuerumlage ist entsprechend gesenkt worden, mit dem Ergebnis, daß auch dieser Ausfall die Länderhaushalte zusätzlich getroffen hat. Das heißt, die beiden
Minister Dr. Posser ({7}) Umsatzsteuer-Punkte, die wir 1982 unter dem Vorsitz des jetzigen Bundesfinanzministers, des damaligen Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, beim Bund wirklich zusätzlich durchsetzen konnten, sind verbraucht. Wir haben keine bessere Ausstattung mehr bekommen.
({8})
Nun haben wir wieder unter der geplanten Steuerentlastung 1986/88 zu leiden, die sich in zwei Stufen vollziehen soll.
({9})
Ich möchte Ihnen sagen, das wirkt sich bei den Ländern und Gemeinden sehr erheblich aus. Es wird immer so getan, als wäre das eine reine Bundessteuer. In Wirklichkeit zahlt der Bund von den Ausfällen der Lohn- und Einkommensteuer nur 42,5%. 57,5% der Einnahmeverzichte tragen die Länder und Gemeinden.
({10})
- Das Argument kommt ja. Der größere Teil der Steuermindereinnahmen liegt nicht beim Bund, sondern bei den Ländern und Gemeinden. Da wird nun eine Tarifgestaltung vorgeschlagen, die die Länder nicht hinnehmen können, jedenfalls nicht die Länder, die - wie wir in unserer Klage vom Juni 1983 beim Bundesverfassungsgericht vorgetragen haben - in einer von uns als verfassungswidrig empfundenen Weise im bundesstaatlichen Finanzausgleich benachteiligt werden.
({11})
Ich möchte Ihnen ein einziges Beispiel nennen, wie sich diese Tarifgestaltung auswirkt. Die Spitzenverdiener werden unvergleichlich stärker entlastet, als das beim Normalverdiener der Fall ist.
({12})
Ein Ehepaar ohne Kinder mit einem zu versteuernden Einkommen von 35 000 DM im Jahr erhält eine steuerliche Entlastung von jährlich 144 DM.
({13})
- Ich sage es doch gleich, seien Sie doch nicht so ungeduldig. - Es zahlt 5 846 DM Steuern im Jahr und wird um 144 DM im Jahr entlastet, und das ist der größte Teil der Arbeitnehmerhaushalte. Dagegen erhält ein Ehepaar ohne Kinder mit 200 000 DM Jahreseinkommen eine Entlastung von 6 446 DM; das ist das 45f ache.
({14})
Nun können Sie natürlich sagen, der Unterschied liegt darin, daß der andere in der Progressionszone ist. Den Einwand kenne ich.
({15})
- Nein, ich lasse keine Zwischenfrage zu, weil ich
versprochen habe, meine Redezeit nicht zu überschreiten. Ich halte mich an die Zusage, die ich mehreren hier im Saal gemacht habe.
({16})
Jetzt kommt der entscheidende Punkt. Sie sagen, im Progressionstarif wirkt sich das stärker aus. Das ist richtig. Aber wie wirkt sich das aus? Ich habe gesagt: um das 45fache, obwohl in dem von mir genannten Beispiel das verheiratete Ehepaar mit 200 000 DM mit 82 472 DM Jahressteuer nur 14mal soviel Steuern - Lohn- und Einkommensteuer - zu entrichten hat wie der normal Verdienende. Also eine 14fache Steuerbelastung wird mit einer 45fachen Entlastung honoriert. Darin sehen wir die Unerträglichkeit dieses Tarifs.
({17})
Ich könnte Ihnen jetzt eine Fülle weiterer Beispiele vortragen.
({18}) Das ist der entscheidende Punkt.
({19})
Deshalb sind wir gegen diese Tarifreform, wie sie vorgesehen ist; denn es ist doch nicht - ({20})
- Sie scheint das sehr zu interessieren, was - -({21})
Die Bürger merken, wie Sie mich am Reden hindern wollen.
({22})
Das ist Ihnen peinlich; das ist mir klargeworden.
({23})
Ich habe Ihnen die Beträge genannt, Sie können sie nachprüfen.
Nun frage ich mich: Warum wird denn eine solche schon auf den ersten Blick grob ungerechte Tarifentlastung vorgenommen,
({24})
obwohl doch bisher die gut Verdienenden keinerlei Solidaritätsbeitrag geleistet haben, um die Belastungen auch nur einigermaßen auszugleichen, die andere zu tragen hatten?
Herr Minister, einen Augenblick. Lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Minister Dr. Posser ({0}): Ich möchte Ihnen sagen, ich lasse keine Zwischenfragen zu. Sie wissen aus anderen Beiträgen, die ich hier gegeben habe, daß ich Dutzende von Fragen beantworte; heute nicht, weil ich mich an meine Redezeit halte.
({1})
Wenn Sie weiter fragen, sage ich auch, wer mich dringend gebeten hat, ich möge sie nicht überschreiten.
Minister Dr. Posser ({2})
Nun bitte ich Sie, sich das doch noch einmal deutlich sagen zu lassen. Es hat keinen Zweck, daß wir mit der Tarifgestaltung so grob ungerecht sind; denn die hoch Verdienenden haben doch bisher überhaupt keinen Beitrag geleistet. Das war ursprünglich mal so gedacht, nachdem Sie die Ergänzungsabgabe, die im Grundgesetz vorgesehen ist, abgelehnt haben. Es war vorgesehen, daß das dann eine rückzahlbare Investitionshilfeabgabe sein sollte. Dann kamen Sie unter Druck und haben beschlossen - auch in Ihrem Wahlprogramm; gemeinsam CDU/CSU -: wir werden die Rückzahlbarkeit der befristeten Investitionshilfeabgabe aufheben und das Gesetz entsprechend ändern.
({3})
Dann wurden Zweifel laut, und dann haben die Vorstände von CDU/CSU noch einmal versichert, es wird nicht zurückgezahlt. Der Bundesminister Norbert Blüm rief am 19. Januar 1983 in Dortmund aus: „Jetzt macht der Wahlkampf Spaß."
({4})
Der Ministerpräsident Strauß warf der FDP, die von Anfang an sagte: Nein, es wird zurückgezahlt, vor, sie stempele Kanzler Kohl mit ihrer Versprechung zur Zwangsanleihe als Wahllügner ab, notfalls würde man die Einbehaltung der Zwangsanleihe mit der SPD beschließen.
({5})
Der Bundeskanzler selbst erklärte zwei Tage vor der Wahl am 4. März 1983 in einem Interview mit „Welt-Bild": „Wenn wir für Beamte, Rentner, Landwirte, Schüler und Studenten Einschränkungen vorsehen, dann ist es aus Gründen der sozialen Gerechtigkeit auch richtig, daß die besser Verdienenden diesen nicht rückzahlbaren Solidaritätsbeitrag leisten; es geht um die Sicherung unserer Zukunft."
({6})
Die richtige Hintergrundaufklärung gab der damalige Generalsekretär der CSU Herr Stoiber. Er machte in einem unmittelbaren nach der Bundestagswahl 1983 erschienen Interview in der „Quick" vom 17. März 1983 folgende Aussage auf die Frage, ob man denn das durchhalten werde, daß nicht zurückgezahlt werde, nachdem ursprünglich die CSU für die Rückzahlung war: „Ursprünglich waren wir für die Rückzahlung; aber dann änderte die CDU ihre Meinung, weil besonders im Ruhrgebiet und in den CDU-Arbeitnehmerorganisationen gegen die Rückzahlbarkeit Sturm gelaufen wurde. Wir akzeptierten die Bitte der CDU
({7})
und machten diesen Punkt zu einer zentralen Aussage unseres gemeinsamen Wahlprogramms." Also den Kumpels an der Ruhr konnte man das nicht zumuten und der CDA auch nicht. Das war der Hintergrund. Und dann wurde diese Investitionshilfeabgabe für nichtig erklärt. Über einen Ersatz dafür ist hier nicht mehr gesprochen worden. Sie haben darauf verzichtet. Obwohl also bis heute Sie und ich
keinen Solidaritätsbeitrag geleistet haben, um die Schwierigkeiten zu bewältigen,
({8})
wird jetzt wieder, und zwar überwiegend zu Lasten von Ländern und Gemeinden, eine solche Tarifreform vorgeschlagen.
({9})
Und ich sage Ihnen: Kommen Sie nicht immer mit den Grenzsteuersätzen! Sie müssen den Leuten sagen, wann z. B. jemand 55% von seinem Einkommen zu zahlen hat. Das sind Ledige mit einem Jahreseinkommen von 1,5 Millionen und Verheiratete mit einem Jahreseinkommen von 3 Millionen DM. Die zahlen 55 %.
({10})
Und Sie operieren immer zum Zwecke der Vertuschung und Vernebelung vor der Bevölkerung mit Grenzsteuersätzen. - Also es kommt überhaupt nicht in Frage, daß wir das mitmachen.
Da haben Sie natürlich dann Nordrhein-Westfalen angeklagt und an unsere Adresse einiges gesagt.
({11})
- Ja, ja, ich komme jetzt darauf. ({12})
Der Bundeskanzler hat gesagt:
Die Massenarbeitslosigkeit ... ist vor allem deswegen entstanden, weil es in den 70er Jahren versäumt worden ist, veraltete Wirtschaftsstrukturen rechtzeitig zu modernisieren.
({13})
Diese Erfahrung wird besonders deutlich im Ruhrgebiet. Vom Revier gingen nach der Zerstörung 1945 viele der großen Aufbauleistungen für die Bundesrepublik aus. Einen beachtlichen Teil unseres Wohlstandes verdanken wir nicht zuletzt den Menschen an Rhein und Ruhr. Heute trägt das Ruhrgebiet besonders schwer an den Folgen der wirtschaftlichen Krise, weil diejenigen, die in den 70er Jahren vor allem in Düsseldorf die politische Verantwortung trugen, die notwendigen Strukturveränderungen verschlafen haben. Die Leidtragenden sind die Menschen ohne Arbeit an der Ruhr.
({14})
Sie haben schon heute morgen da geklatscht. Ich will Ihnen sagen: Das ist natürlich abwegig, was Sie da behaupten.
({15}) - Das tut Ihnen weh, das weiß ich.
({16})
Minister Dr. Posser ({17})
Es ging um den großen Versuch, eine alte Industrieregion, wie es in Europa mehrere gibt, zu revitalisieren. Das ist in weitem Umfange gelungen. Sie können in Ihren zur Wahl erschienenen Anzeigen zwar sagen, in Nordrhein-Westfalen gebe es die höchste Arbeitslosigkeit - da haben Sie recht; weil wir die meisten Einwohner haben, muß die Zahl schon höher sein als die in Baden-Württemberg oder Schleswig-Holstein oder Rheinland-Pfalz -, aber Sie müssen sich die Quoten ansehen. Und da ist es so, daß fünf Bundesländer vor Nordrhein-Westfalen rangieren,
({18})
darunter drei, die die ganzen Jahrzehnte von der CDU/CSU regiert worden sind.
Wenn also die Aussage entscheidend wäre, daß die Arbeitslosigkeit auf zu wenig Einsatz beim Strukturwandel zurückzuführen sei, dann bitte ich folgende Zahlen zu betrachten: Nordrhein-Westfalen - März 1985, letzte verfügbare Zahl -: 11,2 % Arbeitslosenquote, Schleswig-Holstein: 12,1, Niedersachsen: 13,3, Saarland: 13,7, Bremen: 14,5, Hamburg: 12,6.
({19})
Das heißt, fünf Bundesländer liegen vor Nordrhein-Westfalen.
Und wenn Sie sagen, es sei zu wenig gemacht worden, bitte ich Sie: Lesen Sie nur die Zeitungen aufmerksam. Ich will aus Zeitgründen nur ein Zitat bringen. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 14. März 1985 heißt es:
Die Länder Baden-Württemberg und Bayern werden von zahlreichen Managern deutscher Unternehmen bei der Standortwahl wegen der günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der politischen Ausrichtung der Landesregierungen eindeutig bevorzugt.
({20}) - Stimmt.
Dann geht es weiter - und nun kommen die entscheidenden Sätze -:
Erstaunlich ist jedoch, daß auch das von der SPD regierte Land Nordrhein-Westfalen gute Noten von den Managern erhält.
({21})
Die Politiker und Wirtschaftsförderer Nordrhein-Westfalens seien in der „glücklichen Lage", im Vergleich zur Konkurrenz günstige Rahmenbedingungen anbieten zu können.
({22})
Wir haben allein im Ruhrgebiet 50 Milliarden DM Landesmittel in Hochschulen, technische Einrichtungen usw. gesteckt.
({23})
- Ja.
Und ich will Ihnen sagen: Der schnellste Transistor und die schnellste integrierte Schaltung der
Welt werden im Ruhrgebiet, in einer der neuen Hochschulen, gebaut.
({24})
Wir haben vor allen Dingen den Anteil der Arbeiterkinder unter den Studenten deutlich steigern können. Bis 1966 konnte niemand im Ruhrgebiet eine Hochschule besuchen. Es gab keine. Wir haben vier bezahlt und noch eine Fernuniversität.
({25})
Nun sagen Sie weiter, wir wären zurückgeblieben. Jawohl. Von 1975 bis 1981 hat sich die Schere zwischen dem Bundesdurchschnitt und Nordrhein-Westfalen geöffnet. Aber seit 1981 schließt sie sich wieder. Ich nenne die Zuwachsraten bei Investitionen im verarbeitenden Gewerke aus dem Jahre 1983: Bundesdurchschnitt plus 5,6%, Baden-Württemberg plus 7,5%, Nordrhein-Westfalen plus 10,9 %, Ruhrgebiet plus 22 %.
({26})
Jetzt sagen Ihnen die Industrie- und Handelskammern, es muß endlich aufhören mit diesem Miesmachen des Landes Nordrhein-Westfalen.
({27})
Das sagen Ihnen z. B. die Institute, auch die „Rheinische Post", die sicherlich nicht SPD-nahestehend ist. Ein Symposium vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung sagt: Die Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen ist viel besser als ihr Ruf.
({28})
In der „Rheinischen Post" vom 12. Januar 1985 heißt es: „Ist die Wirtschaft schwach?" Das wird vom Mitdirektor des Instituts verneint. Die Regierung hat eine Menge getan.
Nun sagen Sie: Die Regierung hat die größte Verschuldung. Nordrhein-Westfalen hat - das ist nicht zu bestreiten - die höchste Verschuldung in absoluten Zahlen unter den Ländern. Wir werden bei 16,9 Millionen Einwohnern sicherlich eine höhere Verschuldung haben als Rheinland-Pfalz oder Schleswig-Holstein mit 2,3 bzw. 3,6 Millionen Einwohnern.
({29})
Wir haben am 31. 12. 1984 - das sind die Veröffentlichungen des Bundesfinanzministeriums - eine Prokopfverschuldung von 3 970 DM gehabt, Schleswig-Holstein von 4 799 DM
({30})
und das Saarland von 6 319 DM.
({31})
- Ich komme auf Ihren Zwischenruf zurück.
Ich lasse dabei die Situation der Stadtstaaten unerwähnt. Denn die kann man damit nicht vergleichen.
({32})
- Warten Sie doch einmal ab.
Minister Dr. Posser ({33})
Sie sagen jetzt: Wie ist das in den anderen Ländern?
({34})
Unser entscheidender Punkt ist unsere verfassungswidrige Benachteiligung im Länderfinanzausgleich und bei den Bundesergänzungszuweisungen.
({35})
Das läßt sich auch ganz leicht belegen, meine Damen und Herren. Die Montanindustrie stand 1974 in ihrer Blüte. Das wollen Sie bitte nicht vergessen. Damals hat der Stahl seinen Boom gehabt. Sein zweitbestes Jahr war 1979. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung soll die Regierung nicht mehr wachstumsträchtige Industriebereiche schließen, so meinen vielleicht einige, und neue holen. Wir haben durch die Entscheidung des Parlamentarischen Rates überhaupt keine Industriebeteiligung an privaten Aktiengesellschaften, GmbHs des Landes Preußen geerbt, während die jetzigen Nachfolgestaaten von Bayern, Württemberg und Baden die industriellen Beteiligungen ihrer Vorgängerstaaten geerbt haben. Unsere sind auf den Bund übergegangen. Deshalb sind Sie so stark bei VEBA, VIAG und Preußenelektra. Eigentlich gehörte uns ein Teil davon. Aber das ist eine andere Entscheidung.
({36})
Wir haben 11,2 Milliarden DM an andere Länder gezahlt.
({37})
Wir haben bis heute im Länderfinanzausgleich und bei den Bundesergänzungszuweisungen nicht eine einzige Mark bekommen,
({38})
obwohl wir uns bemühen, diese alte Industrieregion zu revitalisieren.
({39})
Aber die anderen Länder, meine Damen und Herren, die haben bekommen. „Bayern" haben Sie gerufen. Bayern kassiert im 36. Jahr ununterbrochen, ohne ein Jahr auszulassen, Zahlungen von anderen Ländern und erhält seit 1967 Bundesergänzungszuweisungen. Das ist ein derartiges Mißverhältnis. Der Anspruch Bayerns beim Länderfinanzausgleich betrug im abgeschlossenen Jahr - das ist eine Ist-Zahl - 40 Millionen DM.
({40})
Aber Sie haben 345 Millionen DM Ergänzungszuweisungen bekommen. Auch Rheinland-Pfalz kriegt schon mehr Ergänzungszuweisungen - der Name sagt schon, was damit gemeint ist -, als es originären Anspruch im Länderfinanzausgleich hat; wir bekommen null. Unsere Leistungen für die deutsche Steinkohle, die wir im gesamtstaatlichen Interesse seit 1978 erbringen, im Jahresdurchschnitt
1,1 Milliarden D-Mark, werden nirgendwo angerechnet. Auch das ist ein Skandal.
({41})
Aber die Förderzinseinnahmen in Niedersachsen mit 2 Milliarden DM im letzten Jahr - Ist-Einnahmen, nicht steuerliche Einnahmen - werden bei den Bundesergänzungszuweisungen mit Null berechnet und werden beim Länder-Finanzausgleich zur Zeit mit einem Drittel, ab 1. 1. 1986 mit der Hälfte angerechnet. Diese anderen Länder haben Dutzende von Milliarden D-Mark im Länderfinanzausgleich und bei den Bundesergänzungszuweisungen bekommen. Wir sind ganz zuversichtlich, daß wir den Prozeß beim Bundesverfassungsgericht gewinnen werden, den wir im Juni 1983 einleiten mußten, da alle neuen Auflagen der Kommentare, die sich mit den Finanzartikeln im Grundgesetz befassen, die Rechtsposition von Nordrhein-Westfalen unterstützen. Deshalb sind wir zuversichtlich. Es ist schlimm, daß gerade die Solidarität, die NordrheinWestfalen 30 Jahre lang im Länderfinanzausgleich als Geberland den anderen gegenüber bewiesen hat, jetzt verweigert wird, wo wir darum bitten und nach objektiven Kriterien einen Anspruch darauf haben.
({42})
Dann erzählen Sie uns hier, bei den Forschungsausgaben sei alles verschlafen worden. Ich habe hier die Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15. Febaruar 1984: „Forschungsausgaben erreichen neuen Höchststand", allerdings nicht das Jahr 1983, sondern 1981. Da steht: „Nach den für 1981 vorliegenden Vergleichszahlen betragen die Forschungsausgaben in der Bundesrepublik Deutschland 2,5 % vom Bruttoinlandsprodukt, in den Vereinigten Staaten beträgt dieser Anteil ebenfalls 2,5 %, in Japan und Großbritannien jeweils 2,4 %, in Frankreich 2 %." Also schon 1981 ist eine große Kraftanstrengung im Bund und auch im Land Nordrhein-Westfalen unternommen worden.
Deshalb sage ich Ihnen, Sie würden allen Bürgern einen Gefallen tun, wenn Sie mit der Diffamierungskampagne gegen Nordrhein-Westfalen, seine Wirtschaft und seine Regierung endlich aufhören würden.
({43})
Mich wundert insbesondere, daß Sie bei Ihren Vorwürfen immer draußen vorlassen, daß wir ja 14 Jahre lang eine Koalition mit der FDP gehabt haben und daß die Wirtschaftsminister in diesen Jahren bis 1980 alle der FDP angehört haben. Übrigens war ich überrascht, als ich noch einmal nachlas, vom Dezember 1972 bis zum Regierungswechsel 1982 waren ja zehn Jahre lang auch freidemokratische Wirtschaftsminister im Bund. Die müssen ja alles versäumt haben. Dann wäre der Vorwurf in erster Linie an diese Adresse zu richten.
({44})
Minister Dr. Posser ({45})
Also, Herr Bangemann, man muß die Dinge objektiv sehen. Dann kriegen Sie ein anderes Urteil als das, was Sie hier vorgetragen haben.
({46})
Bevor ich das Wort weitergebe, möchte ich das Haus davon unterrichten, daß wir nach Abschluß dieser Debatte zwei namentliche Abstimmungen haben werden.
Nun hat das Wort der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bevor ich mich meinem eigentlichen Thema zuwende, einem Bericht über die Vorbereitung der Reise des amerikanischen Präsidenten, möchte ich die Gelegenheit wahrnehmen, mich bei Ihnen, Frau Kollegin Däubler-Gmelin, zu entschuldigen. Ich habe vorhin einen Ausdruck gewählt, den ich bedaure. Ich will das ausdrücklich zum Ausdruck bringen.
({0})
Meine Damen und Herren, wer sich in diesen Tagen in der täglichen Konfrontation mit der jüngsten deutschen Geschichte befindet, tut gut daran, das, was wir im Zusammenhang mit der geplanten Reise und dem Staatsbesuch des amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan zu besprechen haben, mit Nachdenklichkeit und persönlicher Betroffenheit anzusprechen. Ich empfinde das sehr stark, denn mein Bemühen und meine Absicht war und ist es, bei dieser Reise einen Beitrag zum Frieden und zum Ausgleich der Völker zu erreichen. Das war auch der Sinn der vielen Gespräche, die der Vorbereitung dieser Reise dienten.
Im frühen Frühjahr des vergangenen Jahres hat mich der französische Staatspräsident François Mitterrand unterrichtet über die geplanten Veranstaltungen aus Anlaß des 40. Jahrestages der Invasion in der Normandie. Ich will auch dazu hier etwas sagen, weil über diesen Sachverhalt auch ganz irrige Meinungen verbreitet werden. Ich habe in diesem Gespräch sofort zum Ausdruck gebracht, daß ich als deutscher Regierungschef und Bundeskanzler kein Interesse daran habe, zu dieser Veranstaltung eingeladen zu werden und an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Ich habe bei meinen französischen Gesprächspartnern dafür sehr viel Verständnis gefunden.
Im Rahmen des damaligen Gespräches haben wir uns dann auch darüber unterhalten, ob eine Möglichkeit besteht - 40 Jahre nach D-Day, 39 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und rund 70 Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges -, das, was durch viele glückliche Fügungen, aber auch durch tatkräftige Handlung vieler bedeutender demokratischer Staatsmänner in Frankreich und in Deutschland nach dem Kriege möglich war: Verbündete zu werden, Erbfeindschaft von gestern zu begraben, die Herzen der jungen Generation einander näherzubringen, das alles, was ja eine der großen Leistungen, vielleicht eine der größten Leistungen der modernen Menschheitsgeschichte war
und ist, in einer Geste der Versöhnung über Gräber hinweg zu dokumentieren. Es entstand dann die Idee, der Vorschlag, dies im Herbst des vergangenen Jahres in Verdun, am Douaumont, zu tun. Sie alle haben jene Bilder in Erinnerung, wie sich neben den ganz alten, 90jährigen Veteranen des ersten Krieges Vertreter der Kriegsgeneration des zweiten Weltkrieges dort wiederfanden, aber auch einige zehntausend Schulkinder, junge Deutsche und Franzosen, die in der Unbefangenheit ihrer kindlichen Jahre gar nicht wußten, was es bedeutet, daß dort sozusagen besiegelt wurde - von wenigen Personen, aber für Völker -, daß wir über Erbfeindschaft hinweg zu Freunden geworden sind und daß Bruderkrieg in Europa für uns nicht mehr denkbar ist.
Ich habe über diesen Vorgang und über die Gespräche, die dahin führten, dann anläßlich meines Besuchs Ende November des vergangenen Jahres, lange, intensive Gespräche mit Ronald Reagan, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten, geführt. Ich kenne diesen Mann als einen Freund unseres Volkes. Ich konnte das in diesen Jahren immer wieder erfahren.
({1})
Und so konnten wir, ausgehend von dem Beispiel, das ich gerade eben im Blick auf deutsch-französische Freundschaft schildern durfte, auch in diesem Gespräch - und ich denke, aus gutem Grund - den Versuch besprechen, aus Anlaß seines Besuchs am Vorabend des 40. Jahrestages der deutschen Kapitulation über Gräber hinweg eine Geste für Frieden und Aussöhnung zu finden.
Meine Damen und Herren, in diesem Gespräch war die Rede davon, daß wir es gemeinsam für gut halten, wenn der Präsident der Vereinigten Staaten 40 Jahre danach zu jungen Deutschen über die Zukunft spricht, über die Welt von morgen, und wenn er bei diesem Besuch ebenfalls - das war immer mein Vorschlag - im Blick auf das, was in jenen schlimmen Tagen in Deutschland geschah, die Opfer des Nationalsozialismus an einer angemessenen Stätte ehrt und wenn - auch das war mein Vorschlag - die Möglichkeit besteht, auf einem Soldatenfriedhof die Gefallenen aller Völker zu ehren, nicht nur die Gefallenen unseres Volkes, nicht nur die gefallenen jungen Amerikaner, sondern alle Opfer des Zweiten Weltkrieges.
Ronald Reagan hat dies auf sehr noble Weise sofort aufgenommen und als eine Geste der Freundschaft verstanden. So haben wir auch die Vorbereitungen dieser Reise begonnen. Ich bedaure zutiefst, daß dieser großartige Mann, der ein Freund der Deutschen ist, heute wegen dieser noblen Gesinnung erhebliche innenpolitische Schwierigkeiten in den Vereinigten Staaten hinnehmen muß.
({2})
Ich will als Deutscher und als deutscher Bundeskanzler hier sagen: Ich bin ihm dankbar für seine
Einstellung, die ich auch in diesem Zusammenhang einmal mehr von ihm erfahren habe.
({3})
Bei der Vorbereitung der Details dieser Reise sind dann verständlicherweise in einer ganzen Serie von Gesprächen die denkbaren Orte der Begegnung erörtert worden. Es war mein Vorschlag, mit jungen Deutschen in Hambach zusammenzutreffen, der Stätte deutscher Demokratie, der Stätte europäischer Solidarität, der Stätte, die so viel auch an deutsch-amerikanischer Tradition des vergangenen und des vorvergangenen Jahrhunderts signalisiert.
Wir sprachen dann auch über jene Möglichkeiten, Begegnungen mit jungen Soldaten zu haben, Soldaten der amerikanischen Armee, Soldaten unserer Bundeswehr, nicht um dort große Paraden durchzuführen, sondern um - soweit dies möglich ist - in einer beinahe persönlich-privaten Sphäre mit diesen jungen Leuten zu sprechen, mit den jungen Amerikanern, stellvertretend für die Hunderttausende von Amerikanern, die in den letzten 30 Jahren den Frieden und die Freiheit unseres Landes immer wieder gesichert und gewährleistet haben,
({4})
und mit jungen deutschen Soldaten, 19, 20, 21 Jahre alt, mit Wehrpflichtigen.
Es war in unserem Gespräch ein wichtiges Argument, das ich immer wieder vortrug, daß es mir wichtig erscheint, daß der Präsident der Vereinigten Staaten, unser wichtigster Verbündeter, jungen deutschen Soldaten begegnet, vielleicht den Enkeln der Gefallenen des Zweiten Weltkriegs, die wir ja auch auf diesem Friedhof ehren wollen, jener Enkelgeneration, die für ihren Dienst für die Freiheit und zur Verteidigung des Friedens einen Sinn erkennen muß.
Und so entstand der Gedanke, nach Bitburg zu gehen, einer der kleinen Städte in Deutschland, einer Stadt, die beinahe in einer Symbiose mit ihrer amerikanischen Garnison lebt. Auf dem dortigen Flugplatz haben in den letzten Jahrzehnten zusammengerechnet im Durchlauf der jeweiligen Einheiten weit über 100 000 Amerikaner ihren Dienst getan. Die Stadt und die örtliche Garnison haben eine Größe, die eine ganz enge Verbindung entstehen ließ. Dort redet man nicht von Partnerschaft, dort lebt man sie jeden Tag, bis in den privaten Bereich hinein. In diesen Jahren sind dort weit über 5 000 Ehen zwischen Deutschen und Amerikanern geschlossen worden, sind viele Tausende von Kindern aus deutsch-amerikanischen Ehen auf die Welt gekommen. Wenn man irgendwo in Deutschland deutlich machen kann, daß Deutsche und Amerikaner ganz selbstverständlich miteinander leben, dann kann man das in Bitburg tun.
Ich habe diesen Platz auch deshalb vorgeschlagen, weil ich glaube, daß es richtig ist, daß jene Bürger unseres Landes, die Jahr für Jahr auch die Last und die Belästigungen von militärischen Anlagen in besonderer Weise tragen müssen, für die ganze
Bundesrepublik bei einer solchen Gelegenheit in einer besonderen Weise ausgezeichnet werden.
({5})
Angesichts der für diesen Besuch zur Verfügung stehenden Zeit war es dann auch ganz naheliegend, den unmittelbar am Stadtrand von Bitburg liegenden Soldatenfriedhof in unsere Überlegungen einzubeziehen. Es ist ein Soldatenfriedhof, der im Jahr 1959 neu gestaltet wurde und auf dem über 2 000 Soldaten - einige aus dem Ersten Weltkrieg, aber die große Zahl aus dem Zweiten Weltkrieg - beigesetzt sind, Soldaten, die in jenen Tagen bei den Kampfhandlungen in diesem Raum gefallen sind
({6})
und die man nach 1959 von den Friedhöfen der Gemeinden und Dörfer umgebettet hat.
Dabei wurden auf diesem Soldatenfriedhof in Bitburg auch Soldaten der Waffen-SS beigesetzt - wie übrigens auf fast allen Soldatenfriedhöfen, die vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge betreut werden.
Wer über diese Frage spricht: SS-Soldaten auf Soldatenfriedhöfen, d. h. SS-Leute der kämpfenden Truppe, der muß auch 40 Jahre danach der Pflicht zu einem differenzierten Denken und Urteil in der Geschichte gerecht werden. Viele dieser blutjungen Soldaten hatten - wie jeder, der diese Zeit erlebt hat, weiß - gar keine Chance
({7})
dem Einberufungsbefehl zur Waffen-SS zu entgehen.
Ich habe mir in diesen Tagen von den Grabplatten, die dort zu sehen sind, Namen und Daten notieren lassen. Von den 49 namentlich auf den Grabplatten des Friedhofs aufgeführten SS-Soldaten waren an ihrem Todestag 32 jünger als 25 Jahre. Wir sprechen heute über Gefallene im Alter von 17, 18, 19 Jahren. Ihr junges Leben währte viel kürzer als die Zeit, die uns heute von ihrem Todestag trennt. Sie sind gestorben - es war ihnen nur ein kurzes Leben vergönnt - in einem barbarischen Krieg.
Es ist wahr, daß die Verstrickungen unserer jüngsten Geschichte schon für die, die dabei waren, schwer begreiflich sind, für eine nachgewachsene Generation oft genug kaum begreiflich sind, daß sie für jene, die nicht hier lebten, die in einem anderen Kontinent aufgewachsen sind, unbegreiflich sind.
Ich maße mir - und ich stehe nicht an, auch das zu sagen - kein Urteil über jene an, die das ganze Grauen, die ganze Barbarei des Dritten Reiches in Auschwitz, in Treblinka, in Bergen-Belsen erlebten und die nicht vergessen können, was man ihnen selbst antat, was man nächsten Familienangehörigen antat, und die auch nicht vergeben können. Ich denke - ich sage das für meine Person, aber ich hoffe, ich darf es für uns alle sagen -, uns steht ein Urteil über eine solche Haltung oder gar ein Verurteilen nicht zu.
Es ist großartig - wir haben das am Sonntag in Bergen-Belsen erlebt -, wenn jemand, der das alles erleben mußte, dennoch das befreiende Wort der
Vergebung spricht. Aber wir haben weder einen moralischen noch gar einen rechtlichen Anspruch auf eine solche Haltung.
Aber ich denke auch, daß es angesichts der undifferenzierten Urteile, der zum Teil unerträglichen kollektiven Beschuldigungen und angesichts auch mancher - ich sage das nicht verallgemeinernd - unerträglicher Geschichtsverfälschung in diesen Tagen wichtig ist, einmal mit Ruhe einen Zeitzeugen zu zitieren, dessen Lebensweg, dessen Tun und dessen Handeln als deutscher Patriot in diesem Hause außer Frage stehen. Kurt Schumacher hat im Herbst 1951 Gedanken und Formulierungen gefunden, die mit Blick auf die heutige Debatte beinahe von visionärer Kraft sind. Ich zitiere:
Aus dem Zweiten Weltkrieg sind mehr als 900 000 Angehörige der früheren Waffen-SS zurückgekehrt. Diese Waffen-SS ist weder mit der allgemeinen SS noch mit den speziellen Organisationen der Menschenvernichtung gleichzusetzen. Sie war für Kriegszwecke geschaffen. Sicher sind viele der jungen Menschen Träger einer spezifisch hitlerischen Ideologie gewesen, ohne aber die Verbrechen der zwölfjährigen Diktatur als solche zum Bestandteil ihrer politischen Zielsetzung zu machen. Hunderttausende aber sind ohne ihr Zutun für die SS als Wehrmachtsteil eingezogen und dahin abkommandiert worden. Die Mehrzahl dieser 900 000 Menschen ist in eine ausgesprochene Pariarolle geraten. Sie sind kollektiv haftbar für die
Verbrechen des Sicherheitsdienstes, des SD, und der Menschenvernichtungsaktionen gemacht worden, obwohl sie als Waffen-SS kaum nähere Berührung damit hatten als manche andere Wehrmachtsteile. Zu jedem totalitären System hat es gehört, mit allen Methoden der Verstrickung ein Ergebnis der Mitschuld aller zu erzeugen. Im Falle der Waffen-SS hat man im Bewußtsein der Welt eine totale Komplizität herbeizuführen sich ziemlich erfolgreich bemüht. Uns
- so sagt Schumacher 1951 scheint es eine menschliche und eine staatsbürgerliche Notwendigkeit zu sein, diesen Ring zu sprengen und der großen Masse der früheren Angehörigen der Waffen-SS den Weg zu Lebensaussicht und Staatsbürgertum freizumachen.
Meine Damen und Herren, ich denke, eindrucksvoller kann man den Zwiespalt und die Pflicht zur Differenzierung nicht deutlich machen, als das Kurt Schumacher aus seiner Lebenserfahrung hier getan hat.
({8})
Meine Damen und Herren, was ich hier aus der Feder Kurt Schumachers vorgetragen habe, wandte sich an die Lebenden, bezog sich auf jene Generation von jungen Waffen-SS-Soldaten, die im Krieg noch einmal davongekommen waren. Heute diskutieren wir diesseits und jenseits des Atlantiks über
junge SS-Soldaten - und sprechen über ihr Schicksal -, die vor 40 Jahen gefallen sind.
Ich habe am vergangenen Sonntag in Bergen-Belsen deutlich gesagt, daß wir Deutschen das Bewußtsein für das ganze Ausmaß der geschichtlichen Last und Verantwortung wachhalten müssen. Wer sich der allgegenwärtigen Gewalt des Nationalsozialismus nicht entziehen konnte, der wurde in der einen oder anderen Weise in ihr Unrecht mit verstrickt: als junger Mensch in der HJ, als Soldat, oft als Beamter und manche in ganz anderen Zusammenhängen. Das Ausmaß - lassen Sie mich das zu unseren ausländischen Freunden und vielen jungen Mitbürgern sagen - solcher Verstrickungen war oft nur von Zufälligkeiten des Alters, der persönlichen Lebensumstände oder von Willkürentscheidung irgendwelcher Machthaber abhängig.
({9})
Meine Damen und Herren, ist es wirklich an uns, über Menschen zu richten, die, in das Unrechtsgeschehen verstrickt, ihr Leben verloren, während wir andere achten, die vielleicht nicht minder verstrickt waren, die aber überleben durften und die seither zu Recht ihre Chance wahrgenommen haben, die der Freiheit, die unserer Republik in diesen Jahren in allen demokratischen Parteien gedient haben.
Die Idee unseres Gespräches - das, was diesem Besuch zugrunde liegt -, war und ist, daß der amerikanische Präsident, unser Freund Ronald Reagan, und ich uns gemeinsam an die Opfer des Krieges erinnern und Soldatengräber ehren wollen. Ich bin dem Präsidenten der Vereinigten Staaten für diese noble Geste dankbar.
({10})
Ich bin ihm dankbar, daß er mit mir und anderen Bergen-Belsen, eine der Stätten der Schande der Deutschen, aufsucht. Aber ich bin ihm auch dankbar, daß er auf diesen Friedhof geht. Ich denke, ich darf aussprechen, was Millionen empfinden, die nächste Familienangehörige im Krieg verloren haben. Mein Freund Theo Waigel sprach davon, vor ein paar Tagen schrieb Alfred Dregger in einem Brief davon, und wenn Sie sich hier in diesem Saal umschauen, werden Sie in allen Bänken Kolleginnen und Kollegen finden, die Väter oder Brüder - bei den älteren Kollegen vielleicht sogar noch Söhne - in diesem Krieg verloren haben
({11})
und die sich in dieser noblen Geste eines Freundes nach 40 Jahren wiederfinden.
Meine Damen und Herren, diese Geste hat noch einen anderen Sinn. Sie hat auch den Sinn, jungen Leuten ein Signal zu geben, die ihren Dienst in der Bundeswehr tun,
({12})
nämlich das Signal zu geben, daß wir aus der Geschichte gelernt haben.
({13})
In ihrem geistlichen Wort zum 8. Mai 1985 sagen die katholischen Bischöfe Deutschlands - ich zitiere -: „Es gilt, das Vaterunser für jene und mit jenen zu beten, gegen welche unser Volk damals seine Hand gehoben hatte. Der Zusammenhang der blutigen Feindschaft und des Krieges bleibt ein Schicksalszusammenhang, der uns unabdingbar in die Versöhnung miteinander weist."
Wir wollen auf dem Friedhof in Bitburg der Kriegstoten gedenken - derer, die in dem von Hitler entfesselten Krieg in ganz Europa und darüber hinaus sterben mußten, und der Deutschen, die Hitler in diesen Krieg gezwungen hat und die ihr Leben ließen. Versöhnung zwischen ehemaligen Kriegsgegnern ist erreicht, wenn wir fähig zur Trauer um Menschen sind, unabhängig davon, welcher Nationalität die Gemordeten, die Gefallenen, die Verstorbenen einmal angehörten. Das haben wir demonstriert am Douaumont in Verdun. Das wollen wir in Bitburg demonstrieren.
Das Gedenken an die Opfer hält immer auch die Erinnerung an die Schuld der Täter wach. Kriegsgräber sind immer auch eine Mahnung an die Untaten jener, die die Verbrechen des Krieges in der Gewaltherrschaft gewollt und begangen haben. Werner Nachmann, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat in Bergen-Belsen - einem Ort, an dem Juden in deutschem Namen unvorstellbare Gewalt angetan wurde - davon gesprochen, daß er wie viele andere ins alte Vaterland zurückgekehrt ist, um Mißtrauen abzubauen und Brücken zu schlagen. Er hat hinzugefügt, daß dieser Schritt von den meisten für unmöglich und von manchen für ungebührlich gehalten wurde.
Wer wenn nicht wir Deutsche hätte nicht Verständnis - ich sage es noch einmal - für die Empfindungen von Überlebenden der NS-Greueltaten, die nicht nur nicht vergessen, sondern auch nicht vergeben können! Wir müssen diese Haltung ertragen, respektieren und mit ihr leben. Wir bitten unsere Freunde, wir bitten insbesondere unsere amerikanischen Freunde, das, was wir wollen - Versöhnung über den Gräbern - so zu nehmen, wie es aus dem Verstand und aus dem Herzen der Deutschen in diesen Tagen deutlich geworden ist. Denn wenn wir uns an diesen Gräbern treffen, an den Gräbern der Gewaltherrschaft in einem Konzentrationslager und auf einem Soldatenfriedhof, dann ist es vor allem ein gemeinsames Bekenntnis, daß nie wieder solche Barbarei die Völker, unser Volk heimsuchen darf,
({14})
daß Krieg und Gewalt für uns kein Mittel der Politik ist, daß für uns der Satz gilt: Von deutschem Boden muß Frieden ausgehen.
({15})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeskanzler, wir Sozialdemokraten haben Ihnen soeben aufmerksam zugehört. Wir sind Ihnen dankbar, daß Sie in diese schwierige Debatte Worte von Kurt Schumacher eingeflochten haben. Ich selbst erinnere mich sehr gut, daß in meiner Kindheit Kurt Schumacher bei uns zu Hause war. Er war nie bereit, über seine Erlebnisse in den Konzentrationslagern zu sprechen; er sagte: Ich möchte euch die Zuversicht für die Zukunft und ich möchte euch den Glauben an die Menschen nicht nehmen.
Aber auch dieser Kurt Schumacher würde in der heutigen Debatte von uns verlangen, daß wir sorgfältig differenzieren. Sie haben es versucht, Herr Bundeskanzler. Leider sind damit die Peinlichkeiten, die vor dem Besuch des amerikanischen Präsidenten und in der Vorbereitung dieses Besuchs entstanden sind, nicht aufgewogen, aber wir wollen Ihr Bemühen um eine vernünftige Behandlung dieses Themas anerkennen.
Es ist trotzdem deutlich geworden, daß Sie nicht erreicht haben, klarzustellen, daß es einen Unterschied gibt zwischen der Versöhnung über die Zeiten des Ersten Weltkrieges und der Versöhnung, wenn man die Verbrechen der Hitler-Diktatur mit einschließt.
({0})
Diese Differenzierungen können wir den Deutschen auch zumuten, aber, wie Hans-Jochen Vogel und wir in unserem Antrag sagen, wir können es nicht denjenigen zumuten, die unter der SS-Herrschaft gelitten haben.
({1})
Ich hoffe sehr, Sie haben Ihre Zustimmung zu dem aus meiner Sicht unglaublichen Brief von Herrn Dregger nicht so ernst gemeint, Herr Bundeskanzler.
({2})
Das Fazit für uns Sozialdemokraten ist: Wir wiederholen unsere Bitte, daß Sie nun auch die Konsequenzen aus Ihrer Rede in Bergen-Belsen ziehen und noch einmal eindringlich mit sich und Ihren politischen Freunden beraten, ob es nicht doch möglich ist, Ihrem ursprünglichen Entwurf und unseren Anträgen zum Thema Auschwitz-Lüge zuzustimmen. Das wäre die richtige Konsequenz Ihrer eindrucksvollen Intervention.
({3})
Dieselbe Sorgfalt der Behandlung von Themen würde ich Ihnen wünschen, Herr Bundeskanzler, wenn ich jetzt ein paar Bemerkungen zur Armut mache. Mich hat betroffen gemacht, daß Sie heute
Frau Fuchs ({4})
morgen in Ihrer Regierungserklärung das Wort Armut nicht in den Mund genommen haben.
({5})
Ich will Ihnen sagen: Durch Ihre Politik der letzten zweieinhalb Jahre werden der soziale Friede, die Qualität dieser Demokratie und die innere Stabilität aufs Spiel gesetzt.
({6})
Dabei, meine Damen und Herren, geht es doch nicht um Schuldvorwürfe. Es geht darum,
({7})
und es bedrückt mich, Herr Kollege Kolb, daß wir als reiches Land nicht in der Lage sind, mit der Massenarbeitslosigkeit besser fertig zu werden,
({8})
daß es nicht möglich ist, die sozialen Folgen gerecht zu verteilen. Es ist doch unser aller unwürdig, wenn in unserem reichen Land Menschen in Not leben müssen, wenn zunehmend die Kleiderkammern der Wohlfahrtsverbände in Anspruch genommen werden müssen, wenn ältere Menschen in Not leben und der Bundeskanzler zu diesem Thema nicht einmal einen Satz in seiner Regierungserklärung verwendet.
({9})
Aber es ist wohl so, wie Rolf Zundel im Februar in der „Zeit" schreibt:
... die Vereinigten Staaten haben das vorgemacht. Wirtschaftswachstum, technischer Fortschritt und Neue Armut gehen durchaus zusammen ... Man kann trotz Neuer Armut Wahlen ... gewinnen. Fragen aber muß man: Darf eine Gesellschaft ein solches Auseinanderdriften hinnehmen, ja noch fördern? Wird dabei nicht am Ende die Gesellschaft selber schwer zerstört? ... lästige Überlegungen von morgen, die gerne verdrängt werden.
In diesem Sinne, Herr Bundeskanzler, sind Sie ein Verdrängungskünstler.
({10})
Deswegen mache ich Ihnen zum Vorwurf, daß Sie mit Rücksichtslosigkeit und Unbarmherzigkeit dabei sind, jede vernünftige politische Debatte über Massenarbeitslosigkeit und ihre Folgen zu erstikken. Ihre Bilanz der zwei Jahre ist negativ, denn sie schafft Armut und Bitterkeit bei den Betroffenen und rüttelt an den Grundfesten unseres sozialen Rechtsstaats.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wäre verlockend, auf den letzten Teil Ihrer Ausführungen, Frau Kollegin Fuchs, einzugehen. Ich will mir das versagen.
({0})
- Wenn Sie das nicht verstehen, dann bedauere ich, daß Sie offensichtlich auch nicht verstanden haben, was vorher in dem Appell des Bundeskanzlers enthalten war.
({1})
Dafür danke ich auch namens meiner Fraktion. ({2})
Das hohe Gut der Meinungsfreiheit gerade in dieser Situation verantwortungsbewußt zu nutzen,
({3})
das scheint mir eine Aufgabe besonderer Art für uns alle zu sein. Deshalb wäre es besser, Sie würden sich selbst überlegen, ob Sie solche Zwischenrufe für angemessen halten.
Mit Recht ist in der Diskussion der letzten Tage und Wochen darauf hingewiesen worden, daß wir das, was wir an Schrecklichem erlebt haben, was die Völker Europas an Schrecklichem erlebt haben, nicht vergessen dürfen. Wir wollen es nicht vergessen, wir werden es nicht vergessen. Wir sollten uns aber auch bewußt sein, daß wir 40 Jahre danach Gräben in unserem Volk nicht wieder aufreißen dürfen, die wir als Demokraten in den vergangenen Jahrzehnten gemeinsam geschlossen haben,
({4})
geschlossen haben aus der Überzeugung heraus, daß die Gefahren, die 1933 bis 1945 entstanden, die zu diesem schrecklichen Krieg führten, die zur Vernichtung von Millionen Menschen führten, nicht zuletzt daher kamen, daß Demokraten glaubten, über das, was sie gemeinsam trugen, in einer Weise miteinander rechten zu sollen, die der freiheitlichrechtsstaatlichen Demokratie nicht angemessen ist.
({5})
Deshalb haben wir gerade in dieser Situation die Pflicht zur Aufklärung über das, was war, zur schonungslosen Aufklärung, zur Auseinandersetzung über diese Fragen. Dazu gehört aber, nicht nur die Zeit von 1933 bis 1945 zu sehen, sondern auch die Zeit vorher, die zu 1933 geführt hat, und daraus die Lehren für sich selbst auch für heute zu ziehen und sie zu beherzigen.
({6})
- Primitiver geht es wohl nicht, in diesem Augenblick.
({7})
Dies bedeutet auch, daß wir selbst uns im klaren sein müssen, daß die Feststellung richtig ist: Unterscheidungen, wie sie Kurt Schumacher zu Recht getroffen hat, werden im Ausland nicht in der
gleichen Weise getroffen. Das kann aber nicht dazu führen, daß wir dies hinnehmen, sondern es muß dazu führen, daß wir beharrlich überzeugend dafür Sorge tragen, daß diese Differenzierung aufgenommen, begriffen und nicht übertüncht wird. Denn Sie erreichen gerade bei jungen Menschen die gegenteilige Wirkung, wenn Sie nicht den Mut haben, diese Differenzierung auch in jeder Situation voll zu vertreten.
({8})
Wer die Gefahren abwehren will, darf nicht ungewollt Gefahren wieder heraufbeschwören.
Meine Damen und Herren, wenn im Zusammenhang mit dem Besuch des amerikanischen Präsidenten eine Kundgebung mit Jugend stattfindet, wäre es dann nicht das gemeinsame Anliegen aller Demokraten, dies als eine Gemeinsamkeit und nicht als eine Konkurrenz zu sehen? Sollten wir uns hier nicht selbst prüfen, ob manche Formen, wie man dies bewältigen will, ob es in dieser oder jener Form der Entschließung ist, den gemeinsamen Willen, es besser zu machen, nicht eher schaden als nützen? Geht es wirklich darum, die gemeinsame Bewältigung zu finden - ich will es; wir wollen es -, oder ist nicht bei manchen das vordergründige Punktesammeln für den Tag wichtiger als das gemeinsame Bewältigen dieser Vergangenheit für die Zukunft?
({9})
Ich stelle noch einmal fest: wir vergessen nicht. Wir werden dafür sorgen, soweit unsere Kräfte reichen, daß nicht vergessen wird, was hier an Wahnsinn durch Rassenwahn, durch Völkerverhetzung und durch Krieg entstanden ist. Wir kennen den Wahnsinn und die Gefahren und die Folgen eines Krieges. Deshalb werden wir es nicht vergessen. Wir wissen aber auch, Versöhnung ist ein Teil der Menschlichkeit.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Ströbele.
Herr Präsident! Verehrte Frauen und Männer! Drei Tage vor dem 40. Jahrestag des Endes der deutschen nationalsozialistischen Herrschaft sollen in Bitburg am 5. Mai dieses Jahres der Herr Bundeskanzler und der Präsident der Vereinigten Staaten und sicher andere ehrenwerte Männer auf einem Soldatenfriedhof stehen, ihr Haupt im Gedenken senken und die Nationalhymne u. a. der Bundesrepublik Deutschland anhören angesichts von Tafeln, auf denen „SS" als Organisation des Dritten Reichs verzeichnet ist. Am selben Tag werden in Nesselwang alte Kameraden im Gedenken an die SS-Panzerdivision „Totenkopf" zusammenkommen, und diese alten Kameraden werden ihrer Kameraden gedenken und vermutlich dieselbe Hymne hören. Beiden Veranstaltungen ist gemeinsam, daß sie dadurch gerechtfertigt werden sollen, daß man sagt, der einzelne Mann der Waffen-SS muß nicht persönlich unter der Herrschaft
des Nationalsozialismus schuldig geworden sein. Bei beiden stimmt diese Entschuldigung nicht; denn es geht nicht um junge Menschen, es geht auch nicht um ältere Menschen, es geht nicht um die einzelnen Mitglieder der SS und der Waffen-SS, sondern es geht um eine Organisation, die dadurch geehrt wird, die Organisation der Waffen-SS und der SS überhaupt.
({0})
Es geht um die Ehrung einer verbrecherischen Organisation,
({1})
einer verbrecherischen Organisation, die den industriellen Massenmord in Deutschland praktiziert hat.
({2})
Es ist, verzeihen Sie, eine Geschichtsklitterung, immer wieder zu behaupten - und das wird auch nicht richtiger durch das Zitat von Kurt Schumacher -, daß die Verbände der Waffen-SS nicht an Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt gewesen sind. Ich habe vor einem Dreivierteljahr an einem Prozeß teilgenommen, in dem ein Offizier der Waffen-SS angeklagt war, der den Befehl über das Massaker in Oradour in Frankreich hatte. In diesem Prozeß ist deutlich geworden, daß nach der amerikanischen Invasion in Frankreich die Waffen-SS mordend und plündernd durch Frankreich gezogen ist und ihr Weg markiert war von an den Straßenlaternen aufgehängten Menschen.
Wer das alles nicht zur Kenntnis nehmen will und sich trotzdem zum Gedenken vor solchen Tafeln versammelt, auf denen, „SS" steht, in Bitburg oder sonstwo, verharmlost die Verbrechen des Nationalsozialismus, verharmlost die Rolle der SS und auch der Waffen-SS bei diesen Verbrechen
({3})
und der verleumdet die Opfer dieser nationalsozialistischen Verbrechen.
({4})
Durch die Einladung des Bundeskanzlers an den US-Präsidenten Reagan, ihn zu dieser Gedenkveranstaltung nach Bitburg zu begleiten, ist genug Schaden für die Bundesrepublik Deutschland verursacht worden.
({5})
Der Deutsche Bundestag ist aufgerufen, diesen Schaden zurückzunehmen oder zu mildern. Ich bitte Sie daher, unserem Antrag auf Rücknahme
dieser Einladung und Verzicht auf diese Veranstaltung zuzustimmen.
({6})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die vorliegenden Entschließungsanträge.
Die Fraktion DIE GRÜNEN verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung über ihren Entschließungsantrag. Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3240 ({0}) zuzustimmen wünscht, den bitte ich die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegen zu stimmen wünscht, die Karte mit „Nein", und wer sich zu enthalten wünscht, die entsprechende Abstimmungskarte in eine der hier vorne aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die Abstimmung und teile mit, daß es danach noch einmal eine namentliche Abstimmung geben wird.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat und dies zu tun wünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann schließe ich die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich habe die Absicht, so schnell wie möglich die nächste Abstimmung aufzurufen.
Darf ich die Kollegen des Ältestenrates darauf aufmerksam machen, daß fünf Minuten nach Ende der zweiten namentlichen Abstimmung die Sitzung des Ältestenrates im üblichen Sitzungszimmer stattfinden wird.
Die Fragestunde schließt sich dann an die zweite Abstimmung und die Bekanntgabe des Ergebnisses an.
Meine Damen und Herren, ich darf um Ihre Aufmerksamkeit bitten für die Mitteilung des von den Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3240 ({1}). Abgegeben worden sind 422 Stimmen; davon war keine ungültig. Mit Ja haben gestimmt 24, mit Nein 398 Kollegen; es hat keine Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 422; davon
ja: 24
nein: 398
Ja
DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Borgmann Bueb
Frau Dann Frau Eid
Frau Hönes
Horacek
Kleinert ({2}) Lange
Dr. Schierholz
Schmidt ({3})
Schulte ({4})
Senfft
Suhr
Tischer
Vogel ({5})
Vogt ({6}) Volmer
Frau Wagner
Werner ({7}) Frau Zeitler
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker ({8}) Berger
Frau Berger ({9}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Boroffka Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler ({10})
Dr. Bugl Buschbom Carstens ({11})
Carstensen ({12}) Clemens
Dr. Czaja Dr. Daniels
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Engelsberger
({13}) Eylmann
Feilcke Fellner
Fischer ({14}) Francke ({15})
Dr. Friedmann
Ganz ({16})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George
Gerlach ({17}) Gerster ({18})
Dr. Göhner
Götzer
Günther
von Hammerstein
Hanz ({19})
Haungs
Hauser ({20}) Hauser ({21}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({22}) Dr. Hornhues
Frau Hürland
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jagoda
Dr. Jahn ({23})
Dr. Jobst
Jung ({24})
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Klein ({25})
Dr. Köhler ({26}) Dr. Kohl
Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({27}) Lamers
Dr. Lammert
Landré
Lattmann
Link ({28})
Link ({29}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann ({30}) Dr. h. c. Lorenz
Louven Lowack Maaß
Magin
Marschewski
Dr. Marx
Dr. Mertes ({31}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner
Milz
Dr. Möller
Müller ({32}) Müller ({33}) Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Petersen Pfeffermann
Pfeifer
Dr. Pinger
Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst
Rawe
Dr. Riedl ({34}) Dr. Riesenhuber
Rode ({35})
Vizepräsident Westphal
Frau Rönsch Dr. Rose
Rossmanith Roth ({36}) Rühe
Ruf
Sailer ({37})
Sauer ({38})
Saurin
Sauter ({39}) Sauter ({40}) Schartz ({41}) Scheu
Schlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
({42})
Dr. Schneider ({43}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({44}) Schulhoff
Dr. Schulte
({45}) Schulze ({46})
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({47})
Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel
Straßmeir
Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({48})
Vogt ({49})
Dr. Voigt ({50})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner ({51}) Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({52}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Wittmann ({53}) Würzbach
Dr. Zimmermann
Zink
SPD
Amling
Dr. Apel
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({54}) Bernrath Bindig
Frau Blunck
Büchler ({55}) Buschfort Collet
Conradi
Dr. Corterier
Curdt
Daubertshäuser Delorme
Dr. Diederich ({56}) Dreßler
Egert
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Esters
Ewen
Fiebig
Fischer ({57}) Fischer ({58}) Frau Fuchs ({59}) Frau Fuchs ({60}) Gansel
Gilges
Glombig Grunenberg Haar
Haehser
Hansen ({61}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn
Hiller ({62})
Frau Huber Huonker Ibrügger
Immer ({63}) Jahn ({64}) Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({65}) Junghans Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger
Klein ({66}) Klose
Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz
Frau Dr. Lepsius Liedtke
Löffler
Lohmann ({67}) Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mitzscherling Müller ({68}) Müller ({69}) Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner
Peter ({70})
Pfuhl
Porzner Purps
Ranker
Rapp ({71})
Rappe ({72}) Reimann
Reschke Reuter
Rohde ({73})
Roth
Sander
Schanz
Schlaga Schlatter Frau Schmedt
({74})
Dr. Schmidt ({75}) Schmidt ({76})
Frau Schmidt ({77}) Schmidt ({78}) Schmitt ({79})
Dr. Schöfberger
Schröer ({80}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({81})
Frau Steinhauer
Stiegler Stobbe
Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg
Verheugen Dr. Vogel
Vogelsang
Voigt ({82}) Waltemathe Walther
Wartenberg ({83}) Weinhofer
Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek
von der Wiesche Wimmer ({84}) Wischnewski
Witek
Dr. de With Würtz
Zeitler
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann
Cronenberg ({85}) Eimer ({86}) Engelhard
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoppe
Kohn
Mischnick Neuhausen Ronneburger
Schäfer ({87})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng ({88}) Wolfgramm ({89})
Damit ist die Entschließung nicht angenommen.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3257. Auch die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung über ihren Entschließungsantrag.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3257 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmkarte in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat, aber dies zu tun wünscht? - Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß sich keiner mehr an der Abstimmung zu beteiligen wünscht. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Vizepräsident Westphal
Ich erinnere noch einmal daran, daß fünf Minuten nach Bekanntgabe des Ergebnisses der Ältestenrat mit seiner Sitzung beginnt.
Nach der Bekanntgabe des Ergebnisses wird die Fragestunde aufgerufen, die normal 90 Minuten dauern kann, wenn nicht die Fragen vorher ausgeschöpft sein sollten. Darüber wird dann Mitteilung gemacht.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen das von den Schriftführeren ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/ 3257 vortragen. Abgegeben wurden 423 Stimmen. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 155 Abgeordnete gestimmt. Mit Nein haben 262 Abgeordnete gestimmt. 6 Kollegen haben sich der Stimme enthalten.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 423; davon
ja: 155
nein: 262
enthalten: 6
Ja
SPD
Amling Dr. Apel
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({90}) Bernrath
Frau Blunck
Brück Büchler ({91}) Buschfort
Collet Conradi Dr. Corterier
Curdt Daubertshäuser Delorme
Dr. Diederich ({92}) Dreßler
Egert
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Esters Ewen Fiebig
Fischer ({93}) Fischer ({94}) Frau Fuchs ({95}) Frau Fuchs ({96}) Gansel
Gilges Glombig
Grunenberg
Haar
Haehser
Hansen ({97}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler
Hauck
Dr. Hauff Heistermann Herterich
Hettling
Heyenn
Hiller ({98})
Frau Huber Huonker Ibrügger
Immer ({99}) Jahn ({100}) Jansen
Jaunich
Dr. Jens
Jung ({101}) Junghans Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({102})
Klose
Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz
Frau Dr. Lepsius Liedtke
Löffler
Lohmann ({103}) Lutz
Frau Luuk
Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mitzscherling Müller ({104}) Müller ({105}) Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({106})
Pfuhl
Porzner Purps
Ranker
Rapp ({107})
Rappe ({108}) Reimann
Reschke Reuter
Rohde ({109})
Roth
Sander
Schanz
Schlaga Schlatter Frau Schmedt
({110})
Dr. Schmidt ({111}) Schmidt ({112})
Frau Schmidt ({113}) Schmidt ({114}) Schmitt ({115})
Dr. Schöfberger
Schröer ({116}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({117})
Frau Steinhauer
Stiegler Stobbe
Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang
Voigt ({118}) Waltemathe
Walther
Wartenberg ({119}) Weinhofer
Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek
von der Wiesche Wimmer ({120}) Wischnewski
Witek
Dr. de With Würtz
Zeitler
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Frau Augustin Austermann
Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker ({121}) Berger
Frau Berger ({122}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen
Borchert Boroffka Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler ({123})
Dr. Bugl Buschbom Carstens ({124})
Carstensen ({125}) Clemens
Conrad ({126}) Dr. Czaja
Dr. Daniels
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Dr. Dollinger
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
({127}) Eylmann
Feilcke Fellner
Fischer ({128}) Francke ({129})
Dr. Friedmann
Ganz ({130})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George
Gerlach ({131}) Gerster ({132})
Dr. Göhner
Götzer
Günther Dr. Häfele
von Hammerstein
Hanz ({133})
Haungs
Hauser ({134}) Hauser ({135}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({136}) Dr. Hornhues
Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn
Jagoda
Dr. Jahn ({137})
Dr. Jobst
Jung ({138})
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Kiechle
Klein ({139})
Dr. Köhler ({140})
Vizepräsident Westphal
Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({141}) Lamers
Dr. Lammert Landré
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs
Link ({142})
Link ({143}) Linsmeier Lintner
Dr. Lippold Löher
Lohmann ({144}) Dr. h. c. Lorenz
Louven
Maaß
Magin
Marschewski
Dr. Marx
Dr. Mertes ({145}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({146}) Müller ({147})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Pesch
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier
Dr. Probst Rawe
Dr. Riedl ({148})
Dr. Riesenhuber
Rode ({149})
Frau Roitzsch ({150})
Dr. Rose
Rossmanith Roth ({151})
Rühe
Ruf
Sauer ({152})
Sauer ({153})
Saurin
Sauter ({154}) Sauter ({155}) Schartz ({156})
Scheu
Schlottmann
Schmidbauer
von Schmude
Schneider ({157})
Dr. Schneider ({158}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({159}) Schulhoff
Dr. Schulte
({160}) Schulze ({161})
Dr. Schwarz-Schilling
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({162})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stommel
Straßmeir Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({163})
Vogt ({164})
Dr. Voigt ({165})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner ({166})
Frau Dr. Wex
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wilz
Wimmer ({167}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Wittmann ({168}) Würzbach
Dr. Zimmermann
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann
Cronenberg ({169}) Eimer ({170}) Engelhard
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch Hoppe
Kohn
Mischnick Neuhausen Ronneburger
Schäfer ({171})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng ({172}) Wolfgramm ({173})
DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Borgmann Bueb
Frau Dann
Frau Hönes Horacek
Lange
Schmidt ({174}) Schulte ({175}) Senfft
Suhr
Vogel ({176}) Vogt ({177}) Volmer
Frau Wagner
Werner ({178}) Frau Zeitler
Enthalten
DIE GRÜNEN
Frau Eid
Kleinert ({179}) Mann
Schily
Tischer
Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt. Wir sind am Ende dieses Tagesordnungspunktes. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Fragestunde
- Drucksache 10/3226 Ich hoffe, daß ich nun abgelöst werde und der Herr Kollege Stücklen erst einmal die Arbeit hier übernimmt.
({180})
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 79 des Abgeordneten Dr. Schroeder ({0}) auf:
Welche Städte, Gemeinden und Kreise im Bundesgebiet haben sich bisher nach Kenntnis der Bundesregierung zu sogenannten „atomwaffenfreien Zonen" erklärt, und welche Auswirkungen haben sich hieraus für die Bundeswehr oder andere NATO-Streitkräfte ergeben?
Ich bitte gleichzeitig die Damen und Herren, die an der Fragestunde teilnehmen wollen, sich auf ihre Plätze zu begeben oder näher nach vorne zu rücken. Dies alles ist erwünscht, nur nicht die störende Unterhaltung während der Fragestunde. - Danke schön.
Herr Kollege Dr. Schroeder, eine Gesamtübersicht über entsprechende Beschlüsse kommunaler Vertretungskörperschaften liegt der Bundesregierung nicht vor. Auch die Länder verfügen nicht über einen lückenlosen Überblick. Auswirkungen haben sich aus kommunalen Beschlüssen, die wie in den von Ihnen angesprochenen Fällen die Sicherheitspolitik und Landesverteidigung betreffen, für die Bundeswehr oder andere NATO-Streitkräfte und deren Verteidigungsbereitschaft nicht ergeben.
Allgemeinpolitische Beschlüsse dieser Art sind rechtswidrig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überschreiten Beschlüsse kommunaler Vertretungen den kommunalen Zuständigkeitsbereich, wenn sie zu allgemeinen, überörtlichen oder gar hochpolitischen Fragen Stellung nehmen.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sieht die Bundesregierung in solchen Beschlüssen eine Aushebelung der verfassungsrechtlichen Ordnung des Grundgesetzes und ein bundes10012
Dr. Schroeder ({0})
unfreundliches Verhalten, das die Länder gegenüber den Kommunen auf den Plan rufen sollte?
Herr Kollege Dr. Schroeder, ich möchte nicht im einzelnen die Motive untersuchen, die zu solchen Beschlüssen geführt oder die Initiativen für solche Beschlüsse geprägt haben. Tatsache ist, daß solche Beschlüsse rechtswidrig sind, wie es auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, gibt es unterschiedliche Gerichtsurteile zu diesem Problemkreis? Sind Ihnen unterschiedliche Gerichtsurteile bekannt?
Es gibt unterschiedliche Gerichtsurteile zu konkreten Fällen, wobei für uns das verbindlich ist, was das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen, beispielsweise vom 30. Juli 1958, erklärt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt.
Da meiner Meinung nach die Fragestellung eine Tatsachenbehauptung enthält, die ich nicht teile, muß ich die Infragestellung dieser Tatsachenbehauptung in Frageform kleiden. Ich möchte Sie, Herr Staatssekretär, deshalb fragen, ob diejenigen, die in solchen Städten, Gemeinden und Kreisen solche Beschlüsse anregen oder fassen, nicht im Gegensatz zu dem, was hier unterstellt wird, gar nicht die Absicht haben, die verteidigungspolitische Kompetenz des Bundes in Frage zu stellen oder durch die Beschlüsse auf kommunaler Ebene die Strategie oder die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr oder der NATO unmittelbar zu beeinträchtigen oder zu beeinflussen, sondern vielmehr die Absicht haben, durch diese Beschlüsse politisch und moralisch Druck auf Abrüstungsverhandlungen in bezug auf Nuklearwaffen und in bezug auf Verhandlungen über die Herstellung nuklearwaffenfreier Zonen zu schaffen und daß deshalb die vermutete Unterstellung in der Frage nicht zutrifft. Haben Sie entsprechende Erkenntnisse, daß diese Unterstellung falsch ist?
Herr Kollege Voigt, ich darf wiederholen: Ich habe hier keine Aussagen zu irgendwelchen Motiven und Absichten gemacht. Ich habe mich zur Rechtslage geäußert.
Zur Klarstellung der Rechtslage darf ich vielleicht noch einmal kurz zitieren, was der Kollege Waffenschmidt auf einschlägige Fragen, u. a. auch des Kollegen Eylmann, bereits am 21. Februar 1984 geantwortet hat.
Die Gemeinden haben kein allgemeines politisches Mandat. Sie haben nach Artikel 28 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes das Recht, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Dazu gehören lediglich solche Aufgaben, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf die örtliche Gemeinschaft einen spezifischen Bezug haben und von ihr eigenverantwortlich und selbständig bewältigt werden können ...
Hierbei wird Bezug genommen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vorn 30. Juli 1958. Weiter heißt es in der Antwort:
Angelegenheiten und Maßnahmen der militärischen Landesverteidigung unterliegen dagegen der ausschließlichen Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes ... Allein der Bund ist daher befugt, zu derartigen Angelegenheiten und Maßnahmen Stellung zu nehmen; nur er besitzt eine entsprechende demokratische Legitimation.
Ich wäre dankbar, wenn alle zukünftigen Initiatoren rechtzeitig diese Rechtsprechung beachten würden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär, ich bin Ihnen dankbar, daß Sie die gemeindliche Selbstverwaltung in Art. 28 genannt haben. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich dieses Urteil, wenn ich mich richtig erinnere, mit einem anderen Sachverhalt befaßt hat - im übrigen ist seit 1958 ja einige Zeit verstrichen -, sind Sie bzw. die Bundesregierung weiter bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bürgerinnen und Bürger einer Gemeinde beispielsweise sehr wohl vom Transport nuklearer Waffen betroffen sind - und zwar in einem Maße, daß hier sowohl eine Zuständigkeit des Bundes als auch der Gemeinden gegeben ist -, und sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, -
Herr Abgeordneter, ich unterbreche Sie. Es dürfen nur zwei Fragen sein, nicht drei, vier oder fünf. Nur zwei.
Das ist eine Frage zur Rechtslage.
In Ordnung. Bitte schön.
Ich bin dann auch am Ende meiner Frage.
Sind Sie auch bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß es sehr wohl unterschiedliche Urteile von Verwaltungsgerichten zu der Frage gibt, die Sie als eindeutig beantwortet dargestellt haben?
Erstens. Zu unterschiedlichen Sachverhalten wird es immer unterschiedliche Urteile geben.
Zweitens. Was das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden anbelangt, sollten Sie nicht nur den ersten Satz, sondern auch den zweiten Satz zur Kenntnis nehmen, der gerade in dem Fall eine Beschränkung des Selbstverwaltungsrechtes und der Artikulationsmöglichkeiten der entsprechenden Gremien durch die entsprechenden Gerichtsurteile vorsieht.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, welche Auswirkungen es für die Bürger Heilbronns hatte, daß die NATO-Streitkräfte diese Stadt nicht als atomwaffenfreie Zone behandeln?
Ich weiß nicht, welche speziellen Auswirkungen Sie hier meinen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.
Herr Staatssekretär, wenn Gemeindeparlamente in einem Sachbereich Beschlüsse fassen, für die sie nicht kompetent sind, wer ist zuständig, die Gemeindeparlamente in ihre Schranken zu weisen, und wie haben solche Stellen bisher reagiert?
({0})
Herr Kollege Broll, ich weiß, daß beispielsweise im Freistaat Bayern die entsprechenden Aufsichtsbehörden hier ihrer Verpflichtung sehr wohl nachkommen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, genau in diesen Zusammenhang gehört meine Frage: Ist Ihnen bekannt, mit welcher Begründung die Regierung von Mittelfranken z. B. die Stadt Nürnberg in die Schranken gewiesen und gesagt hat, daß diese Erklärung zur atomwaffenfreien Zone bedeutet, daß sich die Stadt Nürnberg entgegen den Bewaffnungsplänen der Bundesregierung verhalten würde, und wie beurteilen Sie das?
Frau Kollegin Schmidt, ich habe hier keinerlei Anlaß, die Entscheidungen der Regierung von Mittelfranken zu kritisieren.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Staatssekretär, gesetzt den theoretischen Fall, eine Stadt, Gemeinde oder ein Kreis würde beantragen, daß auf ihrem Gebiet Atomwaffen aufgestellt würden, wäre ein solcher Beschluß zulässig?
({0})
Herr Kollege Waltemathe, ich habe keinerlei Anlaß, auf theoretische Fragen eine Antwort zu geben.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten Schroeder ({0}) auf:
Sind der Bundesregierung Städte in der DDR oder in anderen Staaten des Warschauer Paktes bekannt, die sich ebenfalls zu „atomwaffenfreien Städten" erklärt haben?
Herr Kollege Dr. Schroeder, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß Städte in der DDR oder in anderen Staaten des Warschauer Paktes ihr Gebiet zur atomwaffenfreien Zone erklärt haben.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Ihnen Fälle bekannt, in denen es auf Grund von Beschlüssen kommunaler Vertretungskörperschaften bereits konkrete Behinderungen des Transports, der Lagerung oder der Herstellung von Atomwaffen gegeben hat?
({0})
Diese Frage bezieht sich nicht wie die Ausgangsfrage auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland, und aus dem Stegreif kann ich zu dem anderen von Ihnen gemeinten Gebiet keine Auskunft geben.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, halten Sie solche einschlägigen Beschlüsse kommunaler Vertretungskörperschaften, gleich in welchem Lande, für ein politisches Schaulaufen, oder meinen Sie, daß solche Beschlüsse einen echten Gehalt haben?
Herr Kollege Dr. Schroeder, unabhängig von irgendwelchen Ländern: Ich sagte schon, es wäre hier nicht angemessen, zu den Motiven und den Zielsetzungen, die solchen Initiativen oder solchen Beschlüssen auf kommunaler Ebene zugrunde liegen, nun eine verbindliche Auskunft zu geben. Ich habe solche Beschlüsse rechtlich zu werten und habe das getan.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).
Herr Staatssekretär, da ich der Meinung bin, daß, auf Dauer gesehen, gemeinsame Sicherheit nicht durch einseitige Schritte gewährleistet werden kann,
({0})
möchte ich Sie fragen, ob die Bundesregierung, nachdem sich so viele Gemeinden in der Bundesrepublik Deutschland zu atomwaffenfreien Zonen erklärt haben, versucht hat, zu klären, ob im Bereich des Warschauer Paktes Städte, Gemeinden und Kreise, wie hier erwähnt, bereit sind, sich ebenfalls zur atomwaffenfreien Zone zu erklären.
Herr Kollege Voigt, nachdem aus Ihren Kreisen der Zuruf kam, der Bundesinnenminister sei für diese Fragen nicht zuständig, schließe ich mich der Meinung an.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, selbst auf die Gefahr hin, daß Sie mir antworten, daß Sie auf hypothetische Fragen nicht antworten, darf ich Sie fragen: Wie würde sich die Bundesregierung verhalten, wenn ihr bekannt würde, daß sich Gemeinden, Städte und Kreise im Warschauer Pakt zu atomwaffenfreien Zonen erklären?
Herr Kollege Lambinus, in diesem Fall war Ihre prognostische Kraft außerordentlich weittragend. Ich werde auch in diesem Fall auf theoretische Fragen nicht antworten.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, ist denn die Politik der Bundesregierung nicht darauf gerichtet, daß im Warschauer Pakt solche Verhältnisse herrschen sollten, daß sich dort viele Städte frei fühlen würden, sich zu atomwaffenfreien Städten zu erklären?
({0})
Ich habe nicht das Gefühl, daß Sie der Bundesregierung vorhalten können, daß sie sich unzulässigerweise in die Angelegenheiten anderer Staaten einmischt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär Spranger, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich im Vereinigten Königreich mehrere tausend Gemeinden für atomwaffenfrei erklärt haben?
Das ist Ihre Behauptung. Ich nehme Ihre Behauptung zur Kenntnis, aber ich muß sie nicht als Tatsache akzeptieren.
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, wird die Sicherheit der Bürger nach Ihrer Meinung erhöht, wenn sich eine Gemeinde zur atomwaffenfreien Zone erklärt?
({0})
Herr Kollege, ich halte das für eine sehr gute Frage.
({0})
Ich bin auch der Meinung, daß - wie Sie vermuten - die Sicherheit dadurch nicht erhöht wird.
({1})
Herr Abgeordneter Duve, wir wollen doch wenigstens die Fragestunde von häufigen Zwischenrufen freihalten, schon aus rein ökonomischen Gründen. Es gibt viele Fragesteller, die gern zum Zuge kommen möchten. Die Zwischenrufe halten natürlich auf, was zur Folge hat, daß einige Fragesteller daran gehindert sind, Fragen zu stellen. Das wollen Sie sicherlich nicht.
Herr Waltemathe zu einer Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär Spranger, würde nach Ihrer Meinung die Sicherheit von Bürgern in der Bundesrepublik erhöht, wenn sich Städte im Warschauer Pakt zu atomwaffenfreien Zonen erklären würden?
({0})
Ich habe vorhin bereits gesagt, daß ich keinen Anlaß sehe, mich hier zu sicherheitspolitischen Fragen in anderen Ländern zu äußern.
({0})
Herr Abgeordneter Waltemathe, Sie sind doch ein alter Hase in diesem Parlament.
({0})
- Bitte nicht, sonst muß ich etwas ernster eingreifen. Das möchte ich ja gar nicht, denn sonst wäre die Fragestunde doch zu trocken.
({1})
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.
Herr Staatssekretär, könnten Sie sich vorstellen, daß sich unsere Städte und Gemeinden eher zu dem Beschluß, ihr Gebiet zur atomwaffenfreien Zone zu erklären, durchringen könnten, wenn es auf der anderen Seite, im Osten, nicht viel zu viele Atomwaffen gäbe?
({0})
Herr Kollege Carstensen, es ist sicherlich richtig, daß die Rüstung, die uns bedroht, durch solche Beschlüsse in ihrer Gefährlichkeit in keiner Weise vermindert wird.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe die Frage 81 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}) auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, daß von seiten lokaler Grenzpolizeibehörden wiederholt Delegationsmitglieder der FDJ, die zur Pflege von Jugendverbandskontakten in das Bundesgebiet einreisen wollten ({1}), nach Adresse, Beruf sowie Ziel und Zweck der Reise befragt wurden, und versucht wurde, durch die Androhung der Behinderung an der Weiterfahrt die verlangten Angaben zu erzwingen?
Frau Kollegin Schmidt, wenn Sie gestatten, beantworte ich die beiden von Ihnen eingereichten Fragen des Sachzusammenhangs wegen gemeinsam.
Dann rufe ich auch Frage 82 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}) auf:
Teilt die Bundesregierung die Ansicht, daß sich offizielle Delegationen aus der DDR jederzeit auf ihr Recht auf Auskunftsverweigerung berufen können, und wird oder hat die Bundesregierung ihre Auffassung gegebenenfalls den Länderbehörden zum Ausdruck gebracht, um einer Gefährdung von Verbandskontakten entgegenzuwirken?
In den beiden genannten Fällen wurde die Kontrolle von der bayerischen Grenzpolizei auf der Grundlage des für sie maßgeblichen bayerischen Rechts durchgeführt. Nach den getroffenen Feststellungen haben die Beamten die Reisenden in ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Aufgaben nach Ziel und Zweck der Reise befragt. Die Weiterfahrt ist nicht in unzulässiger Weise behindert worden.
Die Bundesregierung sieht in den Befragungen der Angehörigen von FDJ-Delegationen über Ziel und Zweck der Reise bei der grenzpolizeilichen Kontrolle keinen Widerspruch mit der Förderung von Verbandskontakten der FDJ mit den demokratischen Jugendverbänden der Bundesrepublik Deutschland.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, vor dem Hintergrund der Beantwortung der Fragen meiner Kollegin Margitta Terborg im März dieses Jahres, wo angekündigt worden ist, daß die FDJ aus dem Verfassungsschutzbericht herausgenommen werden soll, möchte ich Sie fragen, ob Sie diese Verhaltensweisen für richtig halten.
Ich nehme Bezug auf meine erste Antwort, Frau Kollegin Schmidt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glauben Sie, daß durch solche Verhaltensweisen, wie sie jetzt zweimal an bayerischen Grenzen, meines Wissens aber auch an anderen Stellen in der Bundesrepublik vorgekommen sind, der deutsch-deutsche Jugendaustausch gefördert wird, und sehen Sie nicht auch die Gefahr, daß damit Vorwände geliefert werden, den deutsch-deutschen Jugendaustausch zu behindern?
Die Ankündigung der letzten Tage, daß der Jugendaustausch von der DDR wieder aufgenommen werden soll, widerlegt Ihre Unterstellungen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, könnten Sie mir einmal sagen, welchen Zweck diese Befragungen haben und ob mit anderen Jugendfunktionären ebenso verfahren wird?
({0})
Das ist eine Frage, die sich auch bei Besuchern aller anderen Verbände, die in die Bundesrepublik Deutschland kommen und an den Grenzen kontrolliert werden, in gleicher Form stellt und die die Grenzpolizei gleichwertig - auch gegenüber Angehörigen der FDJ - beantwortet.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sollten sich denn die von Ihnen angesprochenen anderen Jugendgruppen in Einzelfällen ebenso weigern, z. B. nähere Angaben zu Beruf, Adresse und ähnlichen Dingen zu machen, und würde ihnen dann ebenfalls angedroht, daß sie ihre Reise nicht fortsetzen können?
Solche abstrakt gestellten Fragen lassen sich konkret nicht beantworten.
({0})
Ich kann nur zum Ausdruck bringen, daß die Praxis, die hier gegenüber der FDJ durch die bayerische Grenzpolizei geübt wurde, sachgerecht und rechtmäßig ist.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schierholz.
Da es ja in den letzten Tagen einige widersprüchliche Äußerungen um das gegeben hat, worum es hier geht, nämlich Delegationen der FDJ, die zur Pflege von Jugendverbandskontakten in das Bundesgebiet einreisen wollen, möchte ich Sie fragen, Herr Spranger, ob die Bundesregierung insgesamt die Auffassung von Herrn Bundesminister Windelen teilt, daß die FDJ nicht nur in diesem Jahr, sondern auch in Zukunft bei entsprechenden Aktivitäten nicht mehr im Verfasssungsschutzbericht auftaucht, und ob die entsprechenden Meldungen, die ich in der „Süddeutschen Zeitung" vorgestern dazu lesen konnte, so auch von Ihrem Hause mitgetragen werden.
Spranger, Parl Staatssekretär: Ich habe hier keinerlei Anlaß, den erst zu veröffentlichenden Verfassungsschutzbericht vorab hier im Plenum zu diskutieren, sondern ich habe auf konkrete Fragen konkrete Antworten zu geben. Ihre Frage weicht von dieser Fragestellung total ab.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
({0})
- Sie haben zwei. Sie können sie jetzt gleich stellen oder nach Herrn Sperling. - Bitte, Herr Schierholz.
Herr Staatssekretär, wenn ich das als Antwortverweigerung begreifen darf: Ich habe deutlich auf das Bezug genommen, was in Frage 81 von Frau Abgeordneter Schmidt gerade gefragt worden ist; dazu haben Sie eine Antwort gegeben, die mich -
Eine Frage bitte, Herr Schierholz, und keine Diskussion.
Ich habe angefangen mit einem Wenn-Satz und wollte dann zur Frage kommen. Herr Präsident, geht das?
Ja, ja. Wir kennen das schon. Wissen Sie, wir sind schon lange hier.
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Bitte schön.
Dann darf ich fragen, Herr Staatssekretär, ob Sie sich nicht eventuell doch einmal zu einer klaren Äußerung der gesamten Bundesregierung in dieser wirklich wichtigen Frage bequemen wollen - Fragezeichen.
Wenn ich Ihre Frage, die so über vier Kurven hier vorne ankam, richtig interpretiere, ist es die Wiederholung Ihrer ersten Frage, und meine Antwort ist die gleiche.
({0})
Herr Abgeordneter Sperling, bitte.
Herr Staatssekretär, haben Sie etwa dieselbe Staatsangehörigkeit wie die Einreisenden?
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Spranger, Parl Staatssekretär: Auch hier sehe ich keinerlei Zusammenhang mit der von Frau Schmidt gestellten Frage.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob bei der Einreise offizieller Delegationen bundesrepublikanischer Jugendverbände in die DDR von Grenzorganen der DDR gleichgeartete Fragen gestellt werden?
Das weiß ich nicht, aber ich gehe davon aus.
Herr Abgeordneter Sperling, aber bitte im Zusammenhang.
Herr Staatssekretär, haben Sie den Eindruck, daß das Verhalten der Grenzbehörden gegenüber Einreisenden Ihrer Staatsangehörigkeit ein werbendes Verhalten für unseren Staat ist?
Herr Kollege Sperling, es geht nicht um werbendes Verhalten der Grenzpolizei, sondern es geht darum, daß sie sich rechtmäßig verhalten. Das haben sie getan.
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Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Reimann auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, inwieweit Unfalleinsatz- und Katastrophenpläne auch schwere Unfälle bei Transporten chemischer Güter berücksichtigen, und wenn ja, welche Erfahrungen liegen dazu vor?
Herr Kollege Reimann, die Länder sind für die Bekämpfung von Katastrophengefahren einschließlich Chemieunfällen zuständig. Die Durchführungsverantwortung liegt bei den Gemeinden und Kreisen. Die Kommunen sind verpflichtet, in Katastrophenschutzplänen die Abwehrmaßnahmen auch mit den Unternehmen der chemischen Industrie zu koordinieren. Der Bund unterstützt die Abwehrmaßnahmen der Länder durch das von ihm erlassene technische Sicherheitsrecht, insbesondere das Bundes-Immissionsschutzgesetz und die Störfall-Verordnung. Außerdem erarbeitet der beim Bundesminister für Verkehr gebildete Beirat für die Beförderung gefährlicher Güter Vorschläge zur Erhöhung der Sicherheit beim Gefahrguttransport. Ferner entwickelt das Umweltbundesamt für diesen Aufgabenbereich zentrale Informationssysteme.
Der Arbeitskreis V der Innenministerkonferenz ist zuständig für die Zusammenfassung, Förderung und Harmonisierung der öffentlichen und privaten Aktivitäten bei Chemietransportunfällen. Diese Form der Zusammenarbeit hat sich bewährt und zu beachtlichen Fortschritten geführt.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, meine Frage ging mehr in die Richtung, inwieweit durch Katastrophen- und Schutzpläne, die zunächst noch keine Sicherheit bringen, sondern einfach die Kompetenzverteilung regeln, der Schutz für die Bevölkerung und für die Natur vorhanden ist. Denn wir haben in der letzten Zeit auf diesem Gebiet sehr bedauerliche Unfälle gehabt, und ich hätte gern etwas zu diesem Problem von Ihnen gehört.
Herr Kollege Reimann, ich habe versucht, Ihnen in der Antwort deutlich zu machen, welche Fülle von Kompetenzträgern bei der Bewältigung dieses Bereiches mitwirken muß. Der Bund kann nur für seinen Bereich sprechen. Soweit ich Informationen habe, haben die anderen Kompetenzträger entsprechend ihrer Aufgabe, hier Vorsorge zu treffen, in dem von Ihnen erwähnten Fall reagiert. Aber der Arbeitskreis V der Innenministerkonferenz - Bund und Länder gemeinsam - wird sich, zusammen mit anderen natürlich, um weitere Verbesserungen bemühen, soweit das möglich ist und soweit aktuelle Gefahren in der Vergangenheit das notwendig machen sollten, wobei die Verantwortung, was den Transport anbelangt, bei den Verkehrsministern liegt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, dann muß ich noch einmal fragen: Wie sieht es mit dem Schutz für die Betroffenen aus? Haben Sie eine Zusammenfassung oder irgendwelche Erfahrungen, wie durch Unfälle Betroffene behandelt wurden und welche Sicherheiten ihnen im nachhinein in der Aufarbeitung der Probleme - sprich Langzeitwirkung und dergleichen mehr - gegeben werden?
Herr Kollege Reimann, all diese Vorschriften, Bestimmungen und Organisationsformen dienen vor allem den potentiell und eventuell auch real Betroffenen - mit den unterschiedlichen Verantwortlichkeiten, die ich nannte. Ich habe keine Informationen, daß die von mir genannten Mitverantwortlichen ihre Pflichten vernachlässigt hätten. Auch dem Bund sind hier keine Verpflichtungen zugewachsen. Aber es wird natürlich immer Aufgabe der Innenministerkonferenz sein, zu forschen, ob es hier Schwachstellen gibt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Dr. Nöbel auf:
Trifft es zu, daß der erweiterte Katastrophenschutz mit Fahrzeugen ausgestattet wird, die im Gelände in keiner Weise den an sie gestellten Anforderungen entsprechen?
Herr Kollege Dr. Nöbel, dies trifft nicht zu. Die großen Einsatzfahrzeuge sind durch Ausstattung mit Allradantrieb geländegängig, die übrigen leichteren Einsatzfahrzeuge sind durch zweckentsprechende Ausstattung, insbesondere mit Dieselmotoren mit hohem Drehmoment bei niedriger Drehzahl, Zwillingsbereifung, geringen Bodendruck und Gleitschutzketten geländegängig. Damit sind alle Einsatzfahrzeuge in der Lage, den ihnen zugedachten taktischen Auftrag sachgerecht zu erfüllen.
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Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen nicht bekannt, daß z. B. der Geräte- und Baukraftwagen eines Mercedes-Typs nicht in der Lage ist, aus eigener Kraft über eine durchfeuchtete Rasenfläche zu fahren, was genauso für den bereits angeschafften VW-Bully und für den Ford-Transit gilt, der sich zur Zeit in der Auslieferung befindet, wobei es sich ja um Fahrzeuge für den Verteidigungsfall handeln soll?
Herr Kollege Dr. Nöbel, der von Ihnen geschilderte Spezialfall kann mir natürlich nicht bekannt sein. Aber ich hielte es für falsch, aus diesem Spezialfall die generelle Eignung der Fahrzeuge insgesamt in Frage stellen, so daß ich von meiner Antwort nichts zurückzunehmen habe.
Eine weitere Zusatzfrage.
Haben Sie Verständnis für meine Verwunderung, daß offenbar zahlreiche Briefe von Betroffenen Ihr Ministerium bzw. die Spitze Ihres Hauses nicht erreichen?
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Herr Kollege Dr. Nöbel, ich weiß nicht, ob Sie den Auftrag hatten, diese an Sie adressierten und damit Ihnen bekannten Briefe weiterzuleiten. Sie sind jedenfalls bei mir nicht angekommen. Ich bin gern bereit, wenn Sie sie mir zuleiten, sie auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
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Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Nöbel auf:
Trifft es zu, daß Fahrzeuge des Fernmeldedienstes, für die eine Besatzung von sieben Personen vorgesehen ist, nur fünf Personen befördern können?
Herr Dr. Nöbel, dies trifft nicht zu. Nach den Stärke- und Ausstattungsnachweisen für den Fernmeldedienst ist der Fernsprechtrupp die einzige Teileinheit des Fernmeldezuges, die aus sieben Helfern besteht. Für diese Teileinheit wird seit 1980 im Rahmen des Konsolidierungsprogramms der Fernmeldekraftwagen beschafft, der über sieben Plätze verfügt, wie es in der StAN vorgeschrieben ist.
Zusatzfrage, bitte.
Ist Ihnen ein an Sie gerichteter Beschwerdebrief aus Paderborn vom 11. Februar dieses Jahres nicht bekannt, in dem beklagt wird, daß gemäß derzeitiger gültiger StAN für einige Fahrzeuge des Fernmeldedienstes eine Besatzung von sieben Personen vorgesehen ist, obwohl das Fahrzeug auf Grund seiner Bauart nur über fünf Sitzplätze verfügt und somit auch nur diese Personen befördert werden dürfen?
Herr Kollege Dr. Nöbel, ich kann nur wiederholen, ich bin gerne bereit, irgendwelche Briefe, die Ihnen zugegangen sind, zu beantworten und dazu Stellung zu nehmen.
Keine weiteren Zusatzfragen? Ich rufe die Frage 86 des Herrn Abgeordneten Clemens auf:
Wie gelingt es orthodoxen Kommunisten, auf die „Ostermarsch"-Anrufe zum Teil entscheidenden Einfluß zu gewinnen, und kann die Bundesregierung hierfür ein Beispiel nennen?
Herr Kollege Clemens, orthodoxe Kommunisten wenden dabei die Taktik des sogenannten Minimalkonsenses an: Gemeinsames betonen, Trennendes zurückstellen. Dabei wird alles ausgeklammert, was kommunistischen Interessen zuwiderläuft.
Bei den Beratungen zum Ostermarschaufruf 1985 in Schleswig-Holstein hatten die anderen beteiligten Gruppen z. B. vorgeschlagen, in den Aufruf aufzunehmen: erstens, Beendigung der sowjetischen Intervention in Afghanistan, zweitens, Beendigung der „staatlichen Repression gegen Friedensfreunde in Ost und West", drittens, Hinweis, daß auch sowjetische Verteidigungsstrategien „nicht ausschließlich defensiv" seien, sondern im Ernstfall den Einsatz auf fremden Territorien planten. Nach Auseinandersetzungen mit DKP-orientierten Kräften enthält der endgültige Text des Aufrufs erstens keine Erwähnung Afghanistans, zweitens nicht mehr die Formulierung „in Ost und West" und drittens keine Aussage mehr zur sowjetischen Militärstrategie. Statt dessen werden offensive Militärdoktrinen der NATO und die den Weltfrieden bedrohende Politik der Reagan-Regierung verurteilt.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, woher weiß die Bundesregierung überhaupt, daß es sich um orthodoxe und nicht um unorthodoxe Kommunisten handelte, und glaubt sie nicht auch, daß es unorthodoxe Kommunisten noch leichter hätten?
Herr Dr. Sperling, ich glaube, die Sache ist zu ernst, als daß man hier irgendwelche Späßchen machen sollte. Ich schicke Ihnen gern den Verfassungsschutzbericht zu, aus dem Sie entnehmen können, aus welchen Gründen der Begriff orthodoxe Kommunisten - auch von der früheren Bundesregierung - stets verwendet wird.
Weitere Zusatzfragen, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär, ist in Ihrem Hause eigentlich mal geprüft worden, welcher Aufwand personeller Art im Bereich der Ämter für Verfassungsschutz zur Ermittlung solcher Dinge wie z. B. des Inhalts des Ostermarschaufrufs, den Sie
uns gerade zur Kenntnis gebracht haben, getrieben wird?
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In dem zuständigen Amt entspricht in aller Regel der Aufwand der Aufgabe, die sich hier stellt, um die Bevölkerung zu informieren, was im Bereich der Ostermärsche an verfassungsfeindlichen Kräften mitmacht. Das ist eine staatspolitische Aufgabe nicht nur dieses Amtes, sondern der Bundesregierung.
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Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.
Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob möglicherweise Herren, die bei den Ostermärschen vorwiegend gesprochen haben, daran beteiligt waren, die Entschließung derartig zu bereinigen, wie Sie es eben vorgetragen haben?
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Herr Kollege Duve, ich habe Sie heute schon einmal daran erinnert, daß wir in der Fragestunde keine Diskussion haben und daß Zwischenrufe in den Fragestunden nicht üblich sind. Ich bitte Sie, sich doch daran zu halten; es stört.
Herr Kollege Eigen, die Bundesregierung hat wiederholt dargestellt, welche verfassungsfeindlichen oder kommunistisch beeinflußten Organisationen hier mitwirken. Sie wird dies auch weiterhin tun.
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Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Staatssekretär, obwohl ich nicht ganz erkennen kann, wie Sie einen orthodoxen Kommunisten von einem unorthodoxen Kommunisten und einem orthodoxen Nichtkommunisten unterscheiden, möchte ich Sie fragen, wie Sie den Widerspruch erklären, daß Sie gesagt haben, orthodoxe Kommunisten übten entscheidenden Einfluß aus, und gleichzeitig gesagt haben: weil sie vom Prinzip des Minimalkonsenses ausgehen. Ist es nun entscheidend oder ist es minimal?
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Ich glaube, Ihre Frage führt dazu, hier noch einmal kurz zu betonen, daß die orthodoxen Kommunisten in diesem Bereich mit ihrem Management, mit ihrer Funktionärsorganisation, insbesondere beispielsweise über die kommunistisch beeinflußte Organisation Deutsche Friedensunion, an der Vorbereitung dieser Ostermärsche auch in diesem Jahr beteiligt waren.
Und es ist die Pflicht der Bundesregierung, das immer wieder deutlich zu machen.
Im übrigen zu der Frage, was „orthodoxe Kommunisten" sind: Ich glaube, daß das keine ernsthaft von Ihnen gestellte Frage war, weil das hier soundso oft beantwortet worden ist. Danach ist das eine kommunistische Grundposition, die in kurzen Worten zusammengefaßt als Moskau-treu und SED-abhängig zu bezeichnen ist.
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Eine Zusatzfrage, Abgeordneter Dr. Hirsch.
Herr Staatssekretär, Sie haben sich dankenswerterweise bereiterklärt, dem Kollegen Sperling den Verfassungsschutzbericht zu übersenden: Können Sie uns sagen, wann Sie uns allen den Verfassungsschutzbericht des vergangenen Jahres übersenden werden?
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Herr Kollege Dr. Hirsch, ich gehe davon aus, daß der Verfassungsschutzbericht des Jahres 1983 weit verbreitet wurde und daß der vom vergangenen Jahr in den nächsten Wochen vorgelegt werden wird.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hornung.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor, daß gerade diese kommunistischen Einflüsse überall in der Bundesrepublik u. a. auch deswegen möglich sind, weil da immer erhebliche Mittel aus dem Ostblock zur Verfügung gestellt werden?
Herr Kollege, es ist bekannt, daß die Deutsche Kommunistische Partei ganz erhebliche Mittel - im Verfassungsschutzbericht sind hier über 60 Millionen DM jährlich ausgewiesen ({0})
für solche Aktionen zur Verfügung hat. Und es ist davon auszugehen, daß diese Mittel auch in dieser Form der politischen Darstellung der DKP mitverwendet werden.
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Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß es auch Ostermarschaufrufe gegeben hat, an deren Formulierung, an deren Verbreitung überhaupt keine Kommunisten mitgewirkt haben?
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Das ist mir nicht bekannt. Aber Sie können mir gerne die entsprechende Information zugänglich machen. Ich werde dann gern dazu Stellung nehmen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe - das wird im Protokoll nachzulesen sein -, pauschalierten Sie die Ostermarschteilnehmer vorhin als Verfassungsfeinde. Ich möchte Sie fragen, ob Sie mich als Verfassungsfeind ansehen, da ich an einem Ostermarsch, gemeinsam von Deutschen und Niederländern veranstaltet, teilgenommen habe.
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Also, Herr Kollege Tietjen, das, was Sie hier fragen, enttäuscht mich schon; denn Sie wissen genau - das habe ich schon in der letzten Fragestunde gesagt -, daß es einfach eine schlichte Unwahrheit ist, wenn behauptet wird, die Bundesregierung würde die Ostermarschierer mit Kommunisten gleichsetzen.
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Wir haben immer auf den maßgeblichen kommunistischen Einfluß hingewiesen und auch darauf, daß das ein Erfolg der Bündnispolitik der Kommunisten ist. Auch was das ist, ist längst bekannt und braucht hier nicht noch einmal erneut interpretiert zu werden.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heistermann.
Herr Staatssekretär, nachdem Ihnen Erkenntnisse vorliegen, wie stark der Einfluß der orthodoxen Kommunisten war, schließe ich, daß Ihnen auch Erkenntnisse vorliegen, wie stark der Einfluß der christlichen Gruppen innerhalb der Friedensbewegung und der Ostermarschbewegung gewesen ist. Würden Sie hier einmal darstellen, welchen Einfluß die christlichen Gruppen da gehabt haben? Mit welcher Bewertung würden Sie die versehen?
Sie verkennen scheinbar völlig die Aufgabe des Verfassungsschutzes,
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der nicht die Aufgabe hat, irgendwelche christlichen Gruppen zu überprüfen, sondern der sich mit verfassungsfeindlichen Kräften und ihrem Stärkepotential auseinanderzusetzen hat.
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Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatssekretär, nachdem Sie etwas darüber ausgesagt haben, welche Erkenntnisse Sie über Mitteltransfer von der DDR in die Bundesrepublik besitzen: Haben Sie auch Erkenntnisse darüber, ob die Deutsche Demokratische Republik für diese Mittelzuwendungen Kredite in Anspruch genommen hat, die vom bayeri10020
schen Ministerpräsidenten Strauß vermittelt worden sind?
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Sie werden dafür Verständnis haben, wenn ich zwischen Ihrer Frage und der eingangs gestellten Frage keinerlei Zusammenhang sehe.
({0})
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 87 des Herrn Abgeordneten Clemens auf:
Womit kann die Bundesregierung ihre Behauptung belegen, daß orthodoxe Kommunisten entscheidende Positionen auch bei der organisatorischen Vorbereitung der Ostermärsche besetzen konnten?
Herr Kollege Clemens, die bundesweite Zentrale Informationsstelle Ostermarsch 1985 war wie in den Vorjahren die Landesgeschäftsstelle der kommunistisch beeinflußten Deutschen Friedens-Union, DFU, in Hessen. Kurz vor Ostern wurde die Informationsstelle - offensichtlich um den kommunistischen Einfluß zu verschleiern - in das Frankfurter Gewerkschaftshaus verlegt. Geschäftsstellen der DFU waren in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern als Kontaktadressen für den Ostermarsch 1985 angegeben. In Nordrhein-Westfalen zeichneten für die Spendenkonten des Ostermarsches Rheinland 1985 und des Ostermarsches Ruhr 1985 in einem Fall ein DKP-Funktionär und im anderen Fall ein DKP-Mitglied verantwortlich. Für den Aufruf zum Ostermarsch Saar 1985 zeichnete ein Mitglied des DKP-Bezirksvorstandes verantwortlich.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatssekretär, wären Sie nicht auch der Auffassung, daß es angesichts dieser organisatorischen Vorbereitung ratsam wäre, Mitglieder der Regierungsparteien würden nicht nur durch Beamte des Verfassungsschutzes dort vertreten sein, sondern durch echtes Engagement an der Vorbereitung teilnehmen?
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Herr Kollege Dr. Sperling, Ihnen müßte es an sich klar sein, daß die Friedenspolitik der Bundesregierung solche Demonstrationen überflüssig macht.
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Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lambinus.
Herr Staatssekretär, nachdem ich selbst zu den Mitunterzeichnern und Mitformulierern eines Ostermarschaufrufes gehört habe, darf ich Sie fragen, ob Sie mich im Kontext all dessen, was Sie bisher ausführten, als einen Freund von Verfassungsfeinden bezeichnen wollen.
Spranger Parl. Staatssekretär: Herr Kollege Lambinus, ich möchte hier auf eine Bewertung Ihrer Aktion verzichten. Aber ich darf doch sagen, daß ich sie bedaure.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Herr Staatssekretär Spranger, ich möchte meine Frage von eben vertiefen. Insbesondere für die Bürger ist das eine wichtige Information. Können Sie kurz angeben, wie viele Beamte in den Landesämtern für Verfassungsschutz und im Bundesamt für Verfassungsschutz damit beauftragt sind, Christen, Kommunisten, ob orthodox, ob unorthodox, z. B. bei Ostermärschen und ihrer Vorbereitung zu beobachten?
Dazu bin ich nicht bereit, weil diese Frage in keinem Zusammenhang zu der ursprünglichen Frage steht.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hornung.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß Tausende von Organisationen und Gruppen in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht an Ostern marschieren, dem Frieden sehr wohl dienen?
Herr Kollege, ich würde davon ausgehen wollen, daß die ganz übergroße Mehrheit der gesamten Bevölkerung in der Bundesrepublik Deutschland sich zum Frieden bekennt und für den Frieden engagiert ist.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Carstensen.
Herr Staatssekretär, können Sie mit mir die Auffassung vertreten, daß es die Arbeit des Verfassungsschutzes sehr erleichtern würde, wenn sich diejenigen Gruppen, die hinter der Verfassung stehen, etwas deutlicher von denen absetzen würden, die nicht hinter der Verfassung stehen?
({0})
Es würde nicht nur die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden erleichtern, sondern es würde auch die Arbeit der demokratischen Institutionen in unserem Lande
außerordentlich erleichtern, wenn hier nicht eine ständige Vermischung mit verfassungsfeindlichen Gruppierungen stattfände.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie eigentlich fragen, wie Sie Ihren Parteifreund Franz Alt in der Bewegung beurteilen. Das will ich aber nicht tun.
Herr Abgeordneter, diese Beurteilung steht dem Staatssekretär Spranger auch nicht zu.
({0})
- Herr Abgeordneter Lambinus, beherrschen Sie sich!
Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Präsident, ich bitte um Verständnis. Ich habe nur geäußert, ich hätte gern gefragt.
Ich habe Sie schon verstanden.
Ich will jetzt fragen, Herr Staatssekretär, wie Sie es mit meiner Meinung halten, daß weit mehr als 95 % der Aufrufer zu den Ostermärschen nicht zu den orthodoxen Kommunisten gehören, auch nicht zu den unorthodoxen Kommunisten, sondern daß die zu den Gruppierungen aus den christlichen Kirchen aller Konfessionen, aus der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, aus der Freien Demokratischen Partei und leider viel zuwenig aus der Christlich Demokratischen Union gehören.
({0})
Herr Kollege Tietjen, ich möchte hier eine Quantifizierung überhaupt nicht vornehmen. Ich habe mich zu den verfassungsfeindlichen Kräften im Bereich der Ostermärsche zu äußern, und das habe ich hier getan.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Frau Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Staatssekretär, nachdem Sie meinen Kollegen Lambinus gerade bedauert haben, darf ich Sie fragen, ob Sie Christdemokraten, die an Ostermärschen teilnehmen, ebenfalls bedauern und wie Sie eigentlich begründen, daß sich diese Vielzahl von anderen Gruppen und erwachsenen Menschen von kleinen Gruppen von Kommunisten angeblich manipulieren lassen.
Frau Kollegin Schmidt, wer mich hier fragt, muß sich auch Antworten gefallen lassen. Ich habe keinen Anlaß, mich zu Gruppen zu äußern, die Sie beschreiben, die mich nicht gefragt haben.
({0})
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Abgeordneter Broll.
Herr Staatssekretär, kann man nicht gerade auch gutwillige Teilnehmer an solchen Friedensmärschen nicht oft genug darauf hinweisen, daß es nicht das erste Mal in der deutschen Geschichte wäre, daß Gutwillige von Böswilligen mißbraucht werden?
({0})
Herr Kollege Broll, ich kann dieser Bewertung und dieser Aussage nur zustimmen.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schierholz.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß in den Jahren 1984 und 1985 die Geschäftsführung für den Ostermarsch im Rheinland im Liberalen Zentrum in Köln gelegen hat, und welcher Ableger orthodoxer Kommunisten sind denn diejenigen, die das Liberale Zentrum betreiben?
Ich kann hier keine Auskunft zu Ihrer Behauptung geben. Ich weiß nur, daß diese Aussage, in welchem Ausmaß die DFU in den einzelnen Ländern beteiligt war, den Tatsachen entspricht, wie ich es vorgetragen habe.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 6 des Herrn Abgeordneten Dr. Laufs auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung die kürzlich erfolgten Äußerungen des Vorstandsmitglieds von VW, Professor Fiala, wonach der Absatz umweltfreundlicher Personenkraftwagen in Auswirkung der jüngsten Brüsseler Beschlüsse zum schadstoffarmen Auto angeblich „stark gelitten" habe?
Herr Kollege Dr. Laufs, die Äußerungen sind eindeutig falsch und durch Zahlen widerlegbar. Nach den Feststellungen des Kraftfahrt-Bundesamtes hat sich der Bestand neu zugelassener schadstoffarmer Pkw allein vom 1. März bis zum 1. April 1985 um 75,9% gesteigert. Davon entfallen allein auf VW 41,7 %, auf Daimler-Benz sogar 197,7 % und auf BMW 179,4 %. Diese Zahlen beziehen sich allein auf Katalysatorfahrzeuge. Hinzuzurechnen sind noch die Neufahrzeuge, die
für den späteren Einbau von Katalysatoren vorbereitet sind - sogenannte Beipacklösung -.
Vor diesem Hintergrund sind die Äußerungen von Professor Fiala völlig unverständlich, es sei denn, VW will die Verantwortung für eine mögliche Abwanderung potentieller Kunden wegen der bekannten langen Lieferfristen von VW für Katalysatorfahrzeuge schon jetzt rein vorsorglich auf die Bundesregierung abwälzen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob die Einschätzung von Professor Fiala auch von der übrigen deutschen Automobilindustrie geteilt wird?
Herr Kollege Dr. Laufs, nach unseren Erkenntnissen steht Herr Fiala mit dieser Bewertung nahezu allein da. Ich muß auch sagen, angesichts der Steigerungsraten ist dies kein Wunder.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie sprachen von bekannt langen Lieferfristen bei VW. Können Sie mir sagen, wie lang sie sind, auch im Vergleich mit Lieferfristen anderer Automobilhersteller?
Herr Kollege Dr. Laufs, aus Eingaben und auch Leserbriefen an Zeitungen ergibt sich, daß beispielsweise beim VW-Golf mit Katalysator eine Lieferfrist von etwa sechs Monaten besteht, während BMW ohne Widerspruch erklärt, daß sie die Modelle in sechs Wochen liefern können.
Keine weiteren Zusatzfragen. Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich möchte darauf hinweisen, da eine ganze Reihe von neuen Mitgliedern des Hauses hier sind, daß sie sich bitte einmal in einer ruhigen Stunde die Anlage 4 zur Geschäftsordnung ansehen, sie gründlich lesen, behalten und danach handeln sollten. Denn Sie bringen den jeweiligen amtierenden Präsidenten sonst natürlich in Schwierigkeiten. Er möchte hier nicht abrupt unterbrechen. Nur die unmittelbar mit der Frage verbundenen Zusatzfragen sind zulässig, also nicht die in nur mittelbarem Zusammenhang mit der Frage stehenden 90 % der eben gestellten Zusatzfragen standen nur mittelbar im Zusammenhang mit der Frage. Der Herr Staatssekretär hat sie trotzdem beantwortet. Ich wollte nur auf das hinweisen, was in der Geschäftsordnung steht.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 53 des Herrn Abgeordneten Waltemathe auf:
In welcher Form hat Bundesminister Dr. Warnke die Regierung von Guatemala auf die einhellige Empörung aufmerksam gemacht, die in der Bundesrepublik Deutschland herrscht über den Mord an Frau Rosario Godoy, ihrem Sohn und ihrem Bruder am 5. April 1985 in der Nähe von Guatemala City?
Herr Kollege Waltemathe, wie ich in der Aktuellen Stunde in der letzten Woche hier zugesichert habe, war die Frage der Menschenrechtsverletzungen bei allen Gesprächen, die Minister Dr. Warnke in Guatemala geführt hat, ein zentraler Punkt. Dabei hat er auch den Fall Godoy angesprochen, so insbesondere bei Staatschef Mejia Victores und den Präsidentschaftskandidaten, und er hat darauf hingewiesen, daß der Verdacht des Mordes die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik Deutschland bewegt. Namens der Bundesregierung hat Herr Minister Dr. Warnke die Erwartung einer genauen Untersuchung zum Ausdruck gebracht.
Vorgestern hat nun Staatschef Mejia Victores öffentlich bekanntgegeben, er habe eine Konferenz der Chefs aller Sicherheitskräfte des Landes einberufen und werde eine umfassende Untersuchung der Vorfälle, u. a. auch den Tod von Frau Godoy, anordnen. Der Staatschef erklärte gleichzeitig, hinter den Anschlägen stünden dunkle, verblendete Kräfte, die den von Guatemala eingeschlagenen Weg zur Demokratie verhindern wollten. Er werde die Aktionen zur Aufklärung der Serie von in letzter Zeit begangenen Verbrechen unverzüglich und entschieden in die Praxis umsetzen.
Nach meinen Informationen besteht keinerlei Zweifel daran, daß sich Präsident Mejia Victores in erster Linie durch die Vorstellungen von Herrn Bundesminister Dr. Warnke zu diesem Schritt entschlossen hat.
Bitte schön, eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, indem ich Ihnen für die soeben gegebene Antwort ausdrücklich danken möchte, weil ich aus ihr entnehme, daß Herr Bundesminister Warnke den Fall, den ich in meiner Frage ansprach, zur Sprache gebracht hat, möchte ich Sie zusätzlich fragen, ob Herr Minister Warnke bei seinen Gesprächen mit der guatemaltekischen Regierung auch klargemacht hat, daß es so lange keine wirtschaftliche Hilfe der Bundesrepublik Deutschland für Guatemala geben wird, wie die Menschenrechtsverletzungen in der bisherigen Form anhalten.
Herr Minister Dr. Warnke hat in Guatemala, u. a. auch auf seiner Pressekonferenz, betont, daß die Menschenrechte und ihre Behandlung durch Partnerregierungen ein wesentliches Beurteilungsmerkmal auch für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit sei.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, ob die Bundesregierung bzw. unsere Botschaft in Guatemala auch die Botschafter der übriWaltemathe
gen EG-Staaten zu einem gemeinsamen Vorgehen in diesem Fall veranlaßt hat?
Herr Kollege Waltemathe, ich habe darüber keine Informationen, bin aber gern bereit, Ihnen eine entsprechende Auskunft zuzuleiten, nachdem ich unsere Botschaft konsultiert habe. Nach meiner Erfahrung besteht zwischen den Botschaftern unserer Verbündeten und unserer Botschaft ein permanenter Kontakt in allen Fragen, so daß ich zu der Vermutung neige, daß Ihrer Vorstellung entsprochen ist. Ich möchte das aber noch einmal erhärten.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Duve.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben den Staatspräsidenten zitiert, der zu Herrn Minister Warnke gesagt haben soll, es handele sich bei den Mördern, die dort ein zweijähriges Kind und eine junge, 24jährige Frau umgebracht haben, um dunkle, verblendete Kräfte. Ist Ihnen bekannt, Herr Staatssekretär, daß Staatspräsident Mejia Victores selber am 15. März in einer Kaserne gesagt hat:
Wer in diesem Lande die Verschwundenen lebend zurückhaben will, begeht einen subversiven Akt, und wir werden Mittel und Wege finden, um das zu beenden.
Und wissen Sie, daß dies nach übereinstimmender Auffassung auch kirchlicher Kreise das Halali zur Jagd auf die Angehörigen der Verschwundenen gewesen ist und insofern diese Behauptung jetzt, es handele sich um dunkle Kräfte, eigentlich den Gipfel der Heuchelei darstellt?
Herr Kollege Duve, was Sie soeben in dem zweiten Teil Ihrer ausführlichen Frage geschildert haben, entspricht dem, was Sie in der Aktuellen Stunde der letzten Woche dargelegt haben. Da ich an der Aktuellen Stunde teilgenommen und auch zugehört habe, wird es Sie nicht überraschen, daß mir infolgedessen das, was Sie hier wiederholen, bekannt war. Hier ist aber offenbar ein Mißverständnis entstanden. Ich habe eine öffentliche Erklärung von Staatspräsident Mejia Victores zitiert, und zwar auf Grund eines mir vorliegenden Berichts unserer Botschaft. Diese Außerungen sind nicht, wie Sie offenbar angenommen haben, Äußerungen in einem Gespräch mit Herrn Minister Warnke, sondern es sind öffentliche Erklärungen des Staatspräsidenten, denen in diesem Zusammenhang ja wohl auch eine bestimmte Autorität beizumessen ist.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Herr Staatssekretär, hat denn angesichts der Informationen, daß grobe Menschenrechtsverletzungen auch von staatlichen Institutionen in Guatemala begangen werden, die Bundesregierung Guatemala neue entwicklungspolitische Hilfszusagen gemacht?
Herr Kollege Bindig, genauso, wie ich in der Aktuellen Stunde dem Bundestag hier zugesagt habe, hat Herr Bundesminister Dr. Warnke während seines Besuchs in Guatemala keine Zusagen der Bundesregierung für neue bilaterale Hilfe gegeben.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 54 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
In welcher Weise hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit der von allen Parteien vorgetragenen Bitte eines direkten humanitären Kontaktes mit der Gruppe Apoyo Mutuo ({0}) bei seinem Aufenthalt in Guatemala entsprochen?
Herr Präsident, ich wäre dankbar, wenn ich die Fragen 54 und 55 wegen des engen Zusammenhangs zusammenfassend beantworten dürfte.
Herr Abgeordneter Duve, sind Sie damit einverstanden? - Dann rufe ich auch die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Duve auf:
Ist der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Repräsentanten dieser Gruppe in einer Weise zusammengetroffen, die der guatemaltekischen Öffentlichkeit dokumentieren konnte, daß die demokratischen Kräfte der Bundesrepublik Deutschland sich schützend vor diese bedrohten Familien stellen?
Während seines Besuchs in Guatemala hat Herr Bundesminister Dr. Warnke zwei maßgebliche Vertreter der Gruppe ,,Apoyo Mutuo" am 22. April 1985 zu einem persönlichen Gespräch empfangen. Die guatemaltekische Presse hatte das Zusammentreffen am Tag zuvor bekanntgegeben. Minister Dr. Warnke hat ferner auf einer Pressekonferenz am 22. April 1985 in Guatemala-City über das Treffen berichtet.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß uns bekannt ist, daß Herr Minister Warnke genau fünf Minuten - so wurde es uns telefonisch durchgegeben - mit der Vorsitzenden gesprochen hat?
Ich will hier auch zum Ausdruck bringen, daß wohl die Aktuelle Stunde und das Engagement des Bundestags zu diesen Schritten geführt haben.
Herr Kollege Duve, nach meinen Informationen war das Gespräch länger als fünf Minuten. Es stand aus Gründen, die sehr verständlich sind, unter Zeitdruck. Das Gespräch wurde dann von unserem Botschafter und anderen Mitgliedern der Delegation weitergeführt.
Eine weitere Zusatzfrage.
Mit welchen Anregungen und Direktiven an das Botschaftspersonal zum Schutz dieser Frauen hat der Minister das Land verlassen?
Herr Kollege Duve, ich glaube, die erste Aufgabe war, daß der Minister in den Gesprächen, die er mit den verschiedensten guatemaltekischen Autoritäten geführt hat, ausdrücklich und nachdrücklich für diese Personen eingetreten ist. So hat er dies gegenüber dem Staatschef, dem Außenminister Andrade und den Präsidentschaftskandidaten getan, und es hat auch in dem Gespräch mit der katholischen Kirche eine Rolle gespielt.
Daß die deutsche Botschaft die Anweisung hat, im Sinne der hier geäußerten Absicht, die Aufklärung dieser Untaten zu beobachten, ständig darum bemüht zu sein, ist eine selbstverständliche Voraussetzung.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Sie erwähnten eben die Presseerklärung von Bundesminister Warnke. Wie erklären Sie den Widerspruch zwischen den Äußerungen des Erzbischofs und vieler unserer Gesprächspartner 14 Tage vor dem Besuch des Ministers, daß die Menschenrechtsverletzungen in Guatemala in den letzten Monaten entscheidend zugenommen haben, auf der einen Seite und der Erklärung des Ministers auf seiner heutigen Pressekonferenz, er habe Anzeichen und Beweise dafür, daß die Zahl der Menschenrechtsverletzungen abgenommen hat, auf der anderen Seite?
Herr Kollege Duve, ich habe in einer meiner beiden Reden während der Aktuellen Stunde in der letzten Woche bereits darauf hingewiesen, daß die Zahl der Menschenrechtsverletzungen, die Anfang der 80er Jahre einen besonderen Höhepunkt erreicht hatte, später zurückgegangen ist, daß sie in letzter Zeit aber wieder größer geworden ist. Ich habe beispielsweise - dies nur als zahlenmäßiger Beleg - den Hinweis, daß von den christ-demokratischen Freunden, mit denen wir eng verbunden sind, 1981/82 320 umgebracht wurden, 1983/84 dagegen - verzeihen Sie - „nur" noch acht. Im Sinne meiner Ausführungen wissen Sie, daß ich diese Zahl genauso schrecklich bewerte wie jede andere Zahl.
Ich habe genauso darauf hingewiesen, daß in letzter Zeit - möglicherweise im Vorfeld des Wahlkampfes - die Zahlen wieder erschreckend zugenommen haben. Dies ist eine durchgängige Erklärung. Ich kann mir nicht vorstellen, daß hier irgendeine andere Einschätzung Platz gegriffen hat. Das kann nur ein verbales Mißverständnis sein.
Noch eine Zusatzfrage.
Nachdem es zwischen uns keinen Meinungsunterschied darüber gibt, daß es auch nach den Aussagen der Botschaft selbst zumindest der Regierung nahestehende Kräfte sind, die diesen Mord, der als Verkehrsunfall ausgegeben wurde, verübt haben: Hat der Minister bei seinem Besuch in Guatemala klargemacht, daß es irgendwann auch ein absolutes Ende von entwicklungspolitischen Beziehungen geben könnte, wenn solche Menschenrechtsverletzungen, wenn solche Morde
an den Angehörigen Verschwundener nicht aufhören?
Nachdem die Autoritäten Guatemalas auf die Besorgnisse und auf die entsprechenden nachdrücklichen Fragen und Bemerkungen des Bundesministers in einer sehr konstruktiven Weise geantwortet haben, Herr Duve, bestand kein Anlaß, nun auch noch mit der äußersten Konsequenz zu drohen, zumal ja in aller Klarheit gesagt worden war, daß die Frage der Menschenrechte ein wesentliches Beurteilungsmerkmal für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit war.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele.
Können Sie sagen, wann und wo das Gespräch mit den Angehörigen der Verschwundenen stattgefunden hat und wie sichergestellt war, daß zu diesem Gespräch Leute kommen konnten, ohne daß ihnen nachher Mord oder Entführung drohte?
Herr Ströbele, Sie verstehen, daß ich mich soeben noch einmal vergewissert habe. Ich habe bereits das Datum genannt: am 22. April 1985 in dem Zimmer, in dem der Minister wohnte. Der Minister hat es für richtig gehalten, den Schutz dieser Personen gerade dadurch sicherzustellen, daß er dieses Gespräch vorab und hinterher in aller Öffentlichkeit erwähnt hat.
({0})
Herr Abgeordneter Ströbele, eine zweite Zusatzfrage.
Hat der Minister in Guatemala mit anderen oppositionellen Gruppen, insbesondere Gewerkschaftlern oder Vertretern ähnlicher Gruppen, gesprochen?
Ich habe bereits erwähnt, daß der Minister mit drei Kandidaten der politischen Gruppierungen gesprochen hat, die ja durchaus in oppositioneller Haltung zur gegenwärtigen Regierung stehen und sie abzulösen trachten. Ich verweise also auf die Bemerkung.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Waltemathe.
Herr Staatssekretär, wenn der Minister Warnke und andere, nachdem er das Gespräch beendet hatte, solche Gespräche mit Vertretern der Apoyo Mutuo geführt haben, frage ich: Gibt es ein Protokoll darüber, das in geeigneter Weise Mitgliedern des Bundestages zugänglich gemacht werden könnte, also ein Gesprächsprotokoll oder eine Aktennotiz über das, was da besprochen worden ist?
Herr Kollege Waltemathe, ich habe schon in der Aktuellen Stunde in der letzten Woche darauf hingewiesen, wie gut es gewesen wäre, wenn wir das nicht nur hier in der
Öffentlichkeit des Bundestages verhandelt hätten, sondern wenn die Gelegenheit bestanden hätte - ich unterstelle, daß es aus Zeitgründen damals nicht möglich war -, darüber ein direktes Gespräch zu führen. In der Zwischenzeit haben Sie es vorgezogen, dies zum Gegenstand der Fragestunde zu machen. Dies ist Ihr gutes Recht. Ich bitte aber, auch zu verstehen, daß ich - in voller Übereinstimmung mit Minister Warnke - einige Dinge in der Öffentlichkeit aus Schutzgründen gegenüber den Beteiligten nicht nennen würde. Ich möchte Ihnen deswegen ausdrücklich noch einmal das Angebot des persönlichen Gesprächs mit dem Minister machen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Halten Sie es denn gleichwohl für denkbar, daß die Bundesregierung oder die demokratischen Kräfte der Bundesrepublik Deutschland, wie es in der Frage 55 des Abgeordneten Duve heißt, sich in der Weise schützend vor die bedrohten Familien, die ihre Familienangehörigen suchen, stellen, daß wir dieser Organisation sozusagen eine öffentlich sichtbare Hilfe zuteil werden lassen?
Ich weiß nicht, was Sie im Moment unter „öffentlich sichtbarer Hilfe" verstehen. Ich glaube, das, was wir letzte Woche getan haben und hier im Moment tun, ist ganz zweifellos in Verbindung mit dem, was Minister Warnke am Ort getan hat, eine öffentlich sichtbare Hilfe, daß diese Gruppe von ihren einfachsten Rechten ohne dieses schreckliche Ausmaß der Bedrohung Gebrauch machen kann. Das ist sicherlich der erste wichtige Schritt. Das andere Thema, das in Ihren Fragen steckt, wenn ich Sie recht verstehe, Herr Kollege Waltemathe, ist letzten Endes die Frage, wie wir die Entwicklung zur Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in dem Land vorantreiben können, damit solch eine bedrohliche Situation in Zukunft weniger gegeben ist. Darüber haben wir in der Aktuellen Stunde hier in großer Ausführlichkeit gesprochen. Das ist ja auch der Grund dafür, daß wir zwar mit Drängen, aber ohne dramatische Vorgänge, die unwiederholbare Situationen schaffen, auf die Situation in Guatemala einzuwirken versuchen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 56 der Abgeordneten Frau Schmedt ({0}) ist von der Fragestellerin zurückgezogen worden.
Ich rufe die Frage 57 des Abgeordneten Carstensen ({1}) auf:
Aus welchen Gründen ist der deutsche Regulärbeitrag zum Welternährungsprogramm, aus dem ja wohl auch z. B. Trokkenmilch und Fische aus heimischer Produktion aufgekauft werden, in diesem Jahr so drastisch gesenkt worden, und besteht die Möglichkeit einer Wiederaufstockung des Beitrags in den nächsten Haushaltsjahren?
Herr Kollege Carstensen, die Absenkung des deutschen Regulärbeitrags zum Welternährungsprogramm war auf Grund der haushaltspolitischen Konsolidierungsbemühungen auch im Einzelplan 23 unausweichlich und notwendig geworden.
Für den Bereich der bilateralen staatlichen Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern werden - ich darf das wiederholen, da Sie dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit nicht angehören - 1983/84 die Verpflichtungsermächtigungen im Vergleich zu 1982 bei der finanziellen Zusammenarbeit um 33,5 % und bei der technischen Zusammenarbeit um 28,5% abgesenkt. Die Reduzierung des Beitrags zum Welternährungsprogramm mit rund 30% hält sich in diesem Rahmen.
Bei den erforderlichen Kürzungen, die nun einmal auf Grund der Haushaltslage unausweichlich waren, konnte eben auch der multilaterale Bereich nicht ausgenommen werden, nachdem in den bilateralen Bereich so eingegriffen werden mußte.
Im Bereich der bilateralen Nahrungsmittelhilfe, d. h. bei den Ernährungssicherungsprogrammen und den Nahrungsmittelhilfelieferungen auf Grund des Nahrungsmittelhilfeübereinkommens hat aber die Bundesregierung die Haushaltsansätze nicht verringert, sondern gegenüber 1982 insgesamt gesteigert. Im Rahmen dieser Hilfsmaßnahmen wurden 1984 auch Mittel für die in der Frage angesprochenen Nahrungsmittelarten verausgabt: rund 2 Millionen DM für Magermilchpulver und rund 2,4 Millionen DM für Fischprodukte.
Außerdem wurde mit dem Welternährungsprogramm bei den Warenkorbverhandlungen für 1985 vereinbart, die Mittelrückflüsse aus EG-Erstattungen in erster Linie für zusätzliche Lieferungen von Milchpulver und Fischprodukten einzusetzen, um die rückläufigen Mengen in etwa auszugleichen.
Eine Wiederaufstockung der Verpflichtung gegenüber dem Welternährungsprogramm für 1986 ist nicht vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, kann ich Ihrer Antwort entnehmen, daß die Aufkäufe aus deutscher Produktion im Bereich der Landwirtschaft und im Bereich der Fischerei in den nächsten Jahren in der alten Höhe fortgesetzt werden, wenn die beiden Bereiche gekoppelt werden?
Herr Kollege Carstensen, das möchte ich nicht in vollem Umfang bestätigen. Es wird sich möglicherweise annähernd so entwickeln. Man muß dabei bedenken, daß Fischprodukte, insbesondere Trockenfisch, von den Entwicklungsländern in relativ geringem Maße nachgefragt werden. Mit solchen Einschränkungen kann ich aber sagen: Wir nehmen an, daß sich das in etwa in der Größenordnung halten, sich jedenfalls nicht dramatisch verändern wird.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie - ich möchte fast sagen - mein Unwohlsein verstehen, wenn ich trotz der Notwendigkeit, den Haushalt zu konsolidieren 10026
Carstensen ({0})
ich akzeptiere das -, angesichts der bedrohlichen Lage, die sich durch die Hungersnöte in der Dritten Welt ergeben hat, sehen muß, daß bei uns auf diesem Gebiet so extrem stark gekürzt worden ist?
Herr Kollege Carstensen, ich muß Sie noch einmal bitten, den Zusammenhang zu sehen: Das Welternährungsprogramm ist ein Teil der Gesamtmaßnahmen. Auf der anderen Seite haben wir die ganz wesentlich verstärkten Maßnahmen der bilateralen Nahrungsmittelhilfe, so daß Sie nicht davon ausgehen können, daß insgesamt ein Zurückfahren der Hilfe erfolgt ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Tietjen.
Herr Staatssekretär, ich will mich auf den Bereich der Trockenmilch beschränken und frage Sie, weil ich weiß, daß Sie Niedersachse sind: Können Sie mir zustimmen, daß z. B. im Bereich des Molkereiverbandes Ostfriesland die verstärkte Wiedereinführung von Trockenmilchlieferungen durchaus zur Stabilisierung des total schlechten Arbeitsmarktes dort beitragen könnte? Sie wissen als Niedersachse wahrscheinlich, daß wir in Ostfriesland bei einer Arbeitslosigkeit von ungefähr 27 oder 28 % liegen.
Herr Kollege, ich fürchte, daß ich diese Erwartung von Ihnen aus zwei Gründen negativ beantworten muß, erstens weil es mir die Entwicklungspolitiker Ihrer Fraktion sehr übelnehmen würden, wenn ich die mir zugegebenermaßen bekannten großen Sorgen Ostfrieslands zu einem entscheidenden Ausgangspunkt für Akzente bei der Hilfe für die Dritte Welt machen würde, und zweitens weil sich alle Erfahrung darin zusammenfassen läßt, daß es gerade für Magermilchpulver in der Dritten Welt nur außerordentlich enge Absatzmöglichkeiten gibt. Ich bin gern bereit, Ihnen außerhalb der Fragestunde - der Herr Präsident hat nicht unbegrenzte Langmut - mehr darüber zu sagen. Die Lieferung von Magermilchpulver ohne entsprechende Unterweisung der Leute, ohne gesundes Wasser, ohne Beratung der Mütter, die es verwenden sollen, kann dazu führen, daß, wie wir es in Somalia erlebt haben, Tausende von Menschen daran sterben, und das kann ja nicht unser Wille sein.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter Eigen.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir zugeben, daß trotz all dieser Schwierigkeiten - ich sehe schon ein, daß man zur Auflösung von Magermilchpulver auch Wasser braucht - die Versorgung der Menschen mit tierischem Eiweiß eine ganz besondere Priorität hat, da sich neben den Hunderten von Millionen Menschen, die wirklich hungern, auch noch Hunderte von Millionen
Menschen in der Dritten Welt falsch, nämlich mit zuwenig tierischem Eiweiß, ernähren?
({0})
Herr Kollege Eigen, das ist eine vollkommen richtige Feststellung. In zahlreichen Projekten und auch in der Auslegung der Nahrungsmittelhilfe sind wir bemüht, diesen oft erschreckenden Proteinmangel zu vermindern und zu bekämpfen. Es gibt dafür immer wieder Grenzen, einmal in der großen Schwierigkeit der Veränderung der Eßgewohnheiten der Menschen, und zum anderen sind es die Grenzen, die ich soeben schon bei der Beantwortung der anderen Frage genannt habe.
Keine weitere Zusatzfrage. Dann darf ich diesen Geschäftsbereich als abgeschlossen betrachten.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Ist der Bundeskanzler zu seiner 1984 mehrfach geäußerten Auffassung, die unter Inanspruchnahme von Steuervorteilen über „Spendenwaschanlagen" geleisteten Parteispenden seien in einer rechtlich nicht hinreichend geklärten Situation gezahlt worden, bei seiner eigenen, vom „stern" und vom Norddeutschen Rundfunk kürzlich geschilderten Praxis gekommen, sich wiederholt solche Spenden in Höhe von 50 000 DM und 60 000 DM zuleiten zu lassen?
Herr Kollege Dr. Schmude, der Bundeskanzler hat nie bestritten, Spenden für seine Partei entgegengenommen zu haben. Wir haben hier im Hohen Haus am 24. Mai und am 16. November 1984 selbst festgestellt, daß Spenden an politische Parteien weder verboten noch moralisch bedenklich sind. Sie sind vielmehr verfassungspolitisch erwünscht und unentbehrlich, wenn die Parteien vom Staat unabhängig bleiben sollen.
Die in Ihrer Frage erwähnten Spenden sollen nach dem Artikel im Magazin „Stern", auf den Sie sich ausdrücklich beziehen, in den Jahren 1964 und 1971 geleistet worden sein. Die Bundesregierung kann aus eigener Erkenntnis zu den Behauptungen im „Stern" nicht Stellung nehmen. Ich muß Sie im übrigen um Verständnis dafür bitten, daß es bei bereits so lange zurückliegenden Vorgängen schwerfällt, nachträglich den genauen Sachverhalt zu rekonstruieren.
Ich möchte hinzufügen daß die Angaben im „Stern" weitgehend auf, wie es auch dort zum Ausdruck gebracht wird, Vermutungen beruhen.
({0})
In einem Fall wird von „soll" gsprochen, und in dem anderen Fall wird spekulativ das Wort „offenbar" benutzt.
({1})
Diese Art der Beweisführung spricht für sich und entlarvt die vordergründige Absicht dieser im „Stern" enthaltenen Mutmaßungen.
({2})
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, da ich Sie nicht nach dem Beweiswert der „Stern"-Meldung, sondern nach dem der Bundesregierung bekannten Hintergrund des Verhaltens des Bundeskanzlers im vergangenen Jahr gefragt habe, stelle ich noch einmal deutlich die Frage, ob Sie seit den ersten Meldungen in „Monitor" im März dieses Jahres und seit der Fragestunde des Bundestages am 28. März, bei der Sie nach dem Sachverhalt befragt wurden, nicht Gelegenheit und Anlaß gesehen haben, diese Dinge, die im Wissen des Bundeskanzlers stehen müssen, aufzuklären.
Herr Kollege Dr. Schmude, ich möchte zunächst einmal klarstellen, daß Sie in Ihrer Frage einen Zusammenhang herzustellen versuchen zwischen Vorgängen, die in den Jahren 1964 und 1971 gelegen haben sollen, und einer Auffassung, die der Herr Bundeskanzler in aller Öffentlichkeit hier im Hohen Hause und auch sonst in der Öffentlichkeit vertreten hat. Ich darf noch einmal sagen, was ich auch damals gesagt habe: daß keine Veranlassung besteht, Behauptungen nachzugehen, die rein spekulativ und aus ganz bestimmten vordergründigen Absichten in einem solchen Magazin wie dem „Stern" enthalten gewesen sind.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, hält die Bundesregierung es für belanglos und nicht weiter klärungsbedürftig, ob der Bundeskanzler früher in einer Weise Parteispenden beschafft hat, die in mehr als tausend anderen Fällen zur Strafverfolgung durch Gerichte und Staatsanwälte wegen Steuerhinterziehung geführt hat?
Herr Kollege Dr. Schmude, die Bundesregierung ist ja keine Ermittlungsbehörde. Dies möchte ich hier auch einmal klarstellen. Ich glaube, daß es nicht gut wäre und sicher von Ihnen beanstandet werden müßte - Sie waren ja immerhin Bundesjustizminister -, wenn sich die Bundesregierung in einem solchen Fall wie eine Ermittlungsbehörde verhalten würde, d. h. wenn sie sich einfach eines Falles annehmen würde, der im „Stern" gestanden hat. Wenn er Anlaß geben sollte zu irgendwelchen Ermittlungen, wären die dafür berufenen Stellen in unserem Staate dazu berufen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele.
Sie haben vorhin betont, daß der Herr Bundeskanzler Spenden entgegengenommen hat und daß das durchaus üblich sei. Können Sie sagen, in welcher Höhe und vor allen Dingen - das steht ja auch in der Frage; das haben Sie meiner Meinung nach bisher nicht beantwortet - von wem er Spenden in Empfang genommen hat?
Herr Kollege Ströbele, der Herr Bundestagspräsident hat bereits vorhin bei einer anderen Frage darauf hingewiesen, daß nur Zusatzfragen zulässig sind, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer gestellten Frage stehen. Hier ist nach einem bestimmten Zusammenhang gefragt, nämlich dem Zusammenhang zwischen einer vom Bundeskanzler vertretenen Auffassung und behaupteten Vorgängen in den Jahren 1964 und 1971. Ich vermag nicht zu erkennen, welchen unmittelbaren Zusammenhang Ihre jetzt gestellte Frage zu dieser Frage hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatsminister, könnte es sein, daß die Antwort auf die Frage des Kollegen Dr. Schmude heute etwas konkreter ausgefallen wäre, wenn der Bundeskanzler uns zu dieser doch interessanten Frage in der Fragestunde selbst Rede und Antwort stehen würde?
Herr Kollege Schily, in Ihrer Frage liegt versteckt eine Unterstellung. Diese Unterstellung möchte ich nachdrücklich zurückweisen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Hüsch.
Herr Staatsminister, haben Sie bei der Abfassung Ihrer Antwort auch in Betracht gezogen, daß der Fragesteller Schmude in der Zeit, in der er selbst Justizminister war, keine Veranlassung gesehen hatte, Vorgänge etwa des Spendenflusses über die Arbeiterwohlfahrt an die SPD aufzuklären?
Herr Kollege Hüsch, es wäre vielleicht möglich, daß die Beantwortung solcher Fragen einfacher wäre, wenn das zur damaligen Zeit erfolgt wäre. Aber ich habe so etwas nicht feststellen können.
Darf ich noch einmal einen Appell an Sie richten - gerade bei diesen Fragen, die vielleicht mehr Brisanz beinhalten als andere Fragen -, diesen unmittelbaren Bezug herzustellen. Er war hier auch nicht hergestellt. Es war ein mittelbarer Bezug, aber kein unmittelbarer. Aber gut, es ist erledigt. Wenn es erst einmal heraus ist, ist es sehr schwer für den amtierenden Präsidenten, das alles wieder zurückzuholen.
Vizepräsident Stücklen
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.
Habe ich bei der bisherigen Antwort auf Fragen richtig gehört, daß Sie auch nicht dementiert haben, daß der Bundeskanzler an Finanztransaktionen beteiligt gewesen ist, die über Spendenwaschanlagen erfolgt sind?
Herr Kollege Bindig, ich habe eine eindeutige und klare Antwort gegeben. Ich habe dem gar nichts hinzuzufügen. Was Sie spekulativ daran knüpfen, ist Ihre eigene Angelegenheit.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lambinus.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß der Bundeskanzler in der Zeit von 1974 bis einschließlich 1976 insgesamt - etwas außerhalb der Legalität, was die Spendenpraxis, die Veröffentlichungspflicht und die Steuerpflicht angeht - Spenden in Höhe von 565 000 DM allein vom Flick-Konzern akquiriert hat?
Vogel, Staatsminster: Herr Kollege, ich muß mich auch hier formal auf das zurückziehen, was ich vorhin gesagt habe, daß ich nur Fragen beantworten kann, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der gestellten Frage stehen. Ich kann mir vorstellen, welche Absichten verfolgt sind, wenn solche mittelbar in einen Zusammenhang gebrachten Fragen zusätzlich in der Fragestunde gestellt werden. Dennoch muß ich mich auf den formalen Standpunkt stellen, daß ich nur Fragen in unmittelbarem Zusammenhang beantworten kann.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Meinung, daß es nur folgende Alternative gibt, daß nämlich der Bundeskanzler entweder eine Aussage über eine angebliche ständige Praxis gemacht hat, ohne eine Ahnung von einer solchen angeblichen Praxis zu haben, oder daß er eine Ahnung von solcher ständigen Praxis gehabt hat, aber über den Inhalt dieser Ahnung und seine Gründe und Argumentation nichts öffentlich sagen möchte?
Herr Kollege, ich weiß nicht, welche Alternativen denkbar sind. Aber hier geht es nicht darum, alle theoretisch oder praktisch denkbaren Alternativen aufzuzählen, sondern um die Beantwortung einer konkret gestellten Frage.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatsminister, ist der Bundeskanzler zu der Auffassung, die Situation sei rechtlich unklar, deswegen gekommen, weil er bei der Entgegennahme von Spenden eine Art ungutes Gefühl hatte?
Herr Kollege Sperling, ich kann Ihnen im Augenblick nichts über Gefühle sagen. Aber ich kann mir vorstellen, daß Sie bestimmte Gefühle und Vorstellungen damit verbinden, wenn Sie so fragen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bohl.
Herr Staatsminister, könnte es sein, daß der Herr Bundeskanzler zu seiner Auffassung, es handele sich um einen seinerzeit rechtlich unklar geregelten Zustand, auf Grund der Tatsache gekommen ist, daß im Jahre 1975 der ehemalige SPD-Schatzmeister Nau die Entgegennahme von 100 000 DM vom Flick-Konzern quittiert hat, ohne daß das aus den Veröffentlichungen der SPD hervorgeht?
({0})
Herr Abgeordneter Bohl, ich müßte mich permanent wiederholen. Wenn wir scharf nach der Geschäftsordnung, Anlage 4, diese Fragestunde durchführen, dann heißt das, unmittelbare Fragen zu stellen.
Herr Staatsminister, sind Sie dieser Auffassung?
Herr Präsident, ich wage gar nicht, Ihnen zu widersprechen, obwohl es mich reizen würde, in diesem Falle auf die Frage zu antworten.
Gehen Sie keine Konzessionen ein, dann sind Sie gefangen!
Eine weitere Zusatzfrage, Abgeordneter Langner.
Herr Staatsminister, könnte der Bundeskanzler zu der Auffassung einer unklaren Rechtslage bei Parteispenden auch auf Grund von Berichten gekommen sein, wonach im Wahkampf 1980 von Herrn Nau für Altkanzler Schmidt 7 Millionen DM gesammelt worden sein sollen, die dann erst 1983 von der SPD veröffentlicht worden sind?
({0})
Herr Kollege Langner, Sie bringen mich in die gleiche Verlegenheit. Ich möchte gerne antworten, möchte aber dennoch bei der Linie, die ich vorgezeichnet habe, bleiben.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Mann.
Wir beschäftigen uns an diesem Tage ja intensiv mit der Vergangenheit. Deswegen darf ich noch einmal zu der Frage zurückkommen, auf die Sie eben - was ich nur bestätigen kann - antworteten, die Bundesregierung sei keine Ermittlungsbehörde. Sie haben darauf hingewiesen, daß im „Stern" von Spekulationen die Rede sei. Ich darf Ihnen aber vorhalten, daß der „Stern" -
Herr Abgeordneter, bitte, eine Frage soll es sein.
Nehmen Sie zur Kenntnis, Herr Staatsminister, daß der „Stern" schreibt:
Am 11. Dezember 1964 schrieb der Vorstandsvorsitzende von Brown Boveri, Kurt Lotz, an Professor Stein, den Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und zweiten Vorsitzenden der Staatsbürgerlichen Vereinigung:
- dann Zitat aus dem Brief „In den nächsten Tagen werden wir nochmals 50 000 DM überweisen, und ich habe die Bitte, diese Herrn Kohl zur Verfügung zu stellen, wenn er an Sie herantritt."
Das ist keine Spekulation, sondern eine glasklare Tatsachenbehauptung.
Herr Kollege Mann, Sie haben wahrscheinlich übersehen, daß kurz vorher das von mir so apostrophierte spekulativ gebrauchte Wort „offenbar" steht.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Urbaniak.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, da Sie ja zugegeben haben, der Bundeskanzler habe diese Spenden angenommen, daß sie von Zeit zu Zeit in dieser Höhe von 50 000 bis 60 000 DM auch gezahlt worden sind?
Herr Kollege, ich kann nur wiederholen was ich in der Beantwortung der Frage des Kollegen Schmude gesagt habe, daß der Bundeskanzler nie bestritten hat, Spenden für seine Partei entgegengenommen zu haben. Im übrigen kann ich mich auf die Antwort beziehen, die ich zu den konkret von Herrn Kollegen Schmude in Bezug genommenen behaupteten Vorgängen gegeben habe. Dem habe ich nichts hinzuzufügen.
Eine weitere Zusatzfrage Herr Abgeordneter Struck.
Herr Staatsminister, trifft es zu, daß dem heutigen Bundeskanzler in seiner Eigenschaft als damaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz 60 000 DM im Jahre 1971 von dem Zigarettenkonzern Brinkmann in Bremen über die Gesellschaft zur Förderung der europäischen Wirtschaftspolitik, Sitz Neuwied, zugeflossen sind?
Herr Kollege, ich habe diese Frage bereits beantwortet und sehe nicht, was in Ihrer Frage jetzt neu enthalten sein soll.
({0})
Sie übersehen, daß hier jener Satz vorgeschaltet ist, in dem das spekulativ gebrauchte Wort „offenbar" - das ist ja auch Methode, wie sowas gemacht wird - verwendet worden ist. Hier werden ganz einfach Tatsachen und Mutmaßungen durcheinandergemischt, um bestimmte Zusammenhänge herzustellen, um bestimmte Personen damit zu treffen.
Keine weiteren Zusatzfragen zur Frage 58.
Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Beruht die vom Bundeskanzler im Herbst 1984 vertretene Auffassung, die Praxis verdeckter Parteienfinanzierung sei gängig und der Finanzverwaltung bekannt gewesen, auf Kenntnissen, die er bei der kürzlich vom „Stern" und vom Norddeutschen Rundfunk geschilderten Einwirkung auf die rheinland-pfälzische Finanzverwaltung zugunsten der „Spendenwaschanlage" Vereinigung zur Förderung der privaten Entwicklungshilfe e. V. in Linz erlangt hat?
Herr Kollege Dr. Schmude, zu dem in Ihrer Frage angesprochenen Sachverhalt habe ich mich bereits in der Fragestunde vom 28. März 1985 auf eine Frage des Abgeordneten Dr. Schierholz geäußert, der eine Meldung des Fernsehmagazins „Monitor" vom 19. März 1985 zugrunde lag. Meiner damaligen Antwort habe ich nichts hinzuzufügen.
Zu berücksichtigen ist, daß es sich bei dem behaupteten Sachverhalt, den jetzt auch das Magazin „Stern" gleichsam in einer Konzertierten Aktion, wie es in solchen Fällen üblich geworden ist, aufgegriffen hat, um einen Vorgang innerhalb der Finanzverwaltung des Landes Rheinland-Pfalz in den 60er Jahren handelt. Die Bundesregierung kann daher auch hier aus eigener Erkenntnis zu den Behauptungen nicht Stellung nehmen. Es kann im übrigen vom Bundeskanzler nicht erwartet werden, daß er sich ohne Kenntnis der näheren Umstände oder der Akten zu dem 17 Jahre zurückliegenden Vorgang eines angeblichen Telefonats mit dem rheinland-pfälzischen Finanzministerium äußert.
Die in Ihrer Frage unterstellte Schlußfolgerung, die vom Bundeskanzler vertretene Auffassung über unbestreitbar bestehende Rechtsunsicherheiten bei der Anwendung des früheren Rechts könne mit den vom „Stern" behaupteten Vorgängen im Jahre 1968 in Verbindung gebracht werden, ist deshalb auch angesichts dessen, was ich zu Ihrer ersten Frage hier gesagt habe, rechtlich und tatsächlich unbegründet.
Eine Zusatzfrage, bitte!
Herr Staatsminister, ist es denn wirklich unzumutbar, vom Bundeskanzler zu erwarten, daß er sich innerhalb eines Zeitraums von drei bis vier Wochen nach Veröffentlichung um einen Vorgang kümmert, an dem er selbst beteiligt gewesen sein soll und anschließend uns sagen kann, ob er beteiligt gewesen ist oder nicht?
Es ist dem Bundeskanzler zumutbar, sich gegenüber einer Aktion, die durchsichtig und deren Zielsetzung unverkennbar ist, sich so zu verhalten, wie er sich verhält.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage!
Nachdem, Herr Staatsminister, schon in der Fragestunde am 28. März kein Aufschluß von Ihnen zu erlangen war und seither offenbar auch keine Klärung erfolgt ist, frage ich Sie: Ist es vielleicht ein Kennzeichen der politischmoralischen Erneuerung, über schwerwiegende
Vorwürfe gegen den Bundeskanzler achselzuckend und ausweichend hinwegzugehen?
Herr Kollege Dr. Schmude, ich weiß nicht, was Sie jetzt mit diesen etwas schwergewichtigen Vokabeln innerhalb Ihrer Frage bezwecken; das heißt, man kann es vermuten. Aber ich darf darauf hinweisen und wiederholen, was ich in der damaligen Fragestunde gesagt habe, daß j a das, wonach Sie fragen, Gegenstand eines Untersuchungsverfahrens in einem Untersuchungsausschuß des Landtages von Rheinland-Pfalz ist und daß dort sicherlich Ihrem Erkenntnisbedürfnis in ausreichender Weise Rechnung getragen werden kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hüsch.
Herr Staatsminister, können Sie bestätigen, daß die vom Bundeskanzler im Herbst 1984 vertretene Auffassung auch von anderen Politikern, auch der SPD zugehörigen, geteilt wird, wie sich z. B. erhärtet hat aus einer Spendenbitte, die sein Vorgänger, der frühere Bundeskanzler Schmidt, an ein norddeutsches Unternehmen gerichtet hatte, oder aus der Spendenbitte, die der mit der Steuersache befaßte Staatssekretär Offergeld an den Flick-Konzern richtete?
Herr Kollege Dr. Hüsch, Sie bringen mich erneut in Verlegenheit. Ich darf noch einmal sagen, daß gefragt worden ist nach
) sehr konkretem Zusammenhang zwischen behaupteten, konkret bezeichneten Vorgängen und einer Auffassung, die der Bundeskanzler gehabt hat. Im übrigen darf ich aber sagen, ohne daß ich mich deshalb einlasse auf mittelbar in Zusammenhang stehende Fragen, daß sich der Bundeskanzler mit seiner Auffassung, und zwar unabhängig von solchen behaupteten Vorgängen, in guter Gesellschaft befunden hat. Hier fallen mir eine ganze Reihe von Namen ein, auch solche, die Sie genannt haben.
Meine Damen und Herren, ich mache darauf aufmerksam: noch eine Minute und 26 Sekunden.
Zu einer Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Bohl.
Herr Staatsminister, ist der Herr Bundeskanzler zu den Erkenntnissen über die verdeckte Parteienfinanzierung vielleicht auf Grund der Tatsache gekommen, daß in den Jahren 1961 bis 1981 vom Flick-Konzern insgesamt eine Million DM in Form von Scheinabonnements an SPD-Publikationsorgane wie den „Vorwärts" und die „Demokratische Gemeinde" geflossen sind?
({0})
Herr Kollege Bohl, Sie bringen mich wiederum in die gleiche Verlegenheit, obwohl es mich auch hier reizen würde, Ihre Frage zu beantworten; aber ich glaube, daß eine ganze Reihe von Zusatzfragen, die hier gestellt worden
sind, deutlich anzeigt, daß es sich hier um eine sehr komplexe Materie handelt
({0})
und daß es eine Materie ist, die sich sicherlich anders entwickelt haben würde, wenn die SPD und die frühere Bundesregierung und die frühere Koalition zu einem wesentlich früheren Zeitpunkt die Initiativen ergriffen hätten, die unmittelbar nach dem Regierungswechsel im Oktober 1982 diese Bundesregierung ergriffen hat, die dazu geführt haben, daß wir nunmehr rechtlich klare Grundlagen auch für die Spendenpraxis an Parteien haben.
({1})
Da ich einen Teil der Fragestunde durch Bemerkungen verbraucht habe, gebe ich noch die drei Zusatzfragen frei. Bitte, aber ganz kurz. - Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatsminister, wenn der Bundeskanzler vor der eigenen Tür kehren würde, würde er dann entdecken, daß es sein eigenes Verhalten oder das seiner Kabinettsmitglieder war, das das angeblich entlastende Wissen der Finanzverwaltung mit herbeigeführt hat?
Herr Kollege Sperling, ich bitte um Verzeihung, ich habe Ihre Frage akustisch nicht richtig mitbekommen.
Sie steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Frage. Sie können sich darauf berufen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Struck.
Herr Staatsminister, könnte es sein, daß der Herr Bundeskanzler zu der hier schon diskutierten Auffassung deshalb gekommen ist, weil die bekannte „Spendenwaschanlage" der CDU „Staatsbürgerliche Vereinigung Köln von 1954 e. V." insgesamt in den Jahren 1969 bis 1980 240 Millionen DM an Spenden, vor allen Dingen an die CDU, verteilt hat?
Herr Kollege, ich sehe auch hier nicht den unmittelbaren Zusammenhang, um das deutlich zu sagen. Aber ich möchte Ihnen nur eines sagen, daß es sich hier um einen Komplex handelt, in dem es auch noch rechtlich nicht geklärte Fragen gibt.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.
Herr Staatsminister, können Sie eine Aussage darüber treffen, ob der Bundeskanzler auf Ermittlungsverfahren oder steuerliche Überprüfungsverfahren wegen des Verdachts von illegalen Spendenzuwendungen Einfluß genommen hat?
Herr Kollege Schily, ich habe hier zu konkreten Fragen des Kollegen Dr.
Schmude und zu Zusatzfragen, die in unmittelbarem Zusammenhang damit stehen, Stellung genommen. Soweit Ihre generelle Frage in unmittelbarem Zusammenhang mit den vom Kollegen Schmude gestellten Fragen steht, habe ich die Frage beantwortet, soweit sie damit nicht in unmittelbarem Zusammenhang steht, sondern einem Ausforschungsbedürfnis Rechnung tragen soll, kann ich sie nicht beantworten.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der Fragestunde.
Bevor wir mit der Beratung der Tagesordnung fortfahren, bitte ich um Aufmerksamkeit, Herr Kollege Apel. Es ist zwar nicht erfreulich, aber es muß sein: Herr Abgeordneter Apel, Sie haben einem Mitglied des Hauses, Mitglied der Regierung, „Sie sind ein Verleumder" zugerufen.
({0})
Dieser Zuruf unterliegt der Ordnungsbefugnis des Präsidenten. Ich rufe Sie zur Ordnung.
({1})
({2})
Ich rufe die Punkte 3 a bis 3 c der Tagesordnung auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Dr. Mitzscherling, Dr. Hauchler, Bindig, Brück, Schanz, Frau Schmedt ({0}), Schluckebier, Dr. Müller-Emmert, Frau Luuk, Rapp ({1}), Dr. Holtz, Dr. Jens, Klose, Dr. Kübler, Frau Matthäus-Maier, Poß, Roth, Dr. Wieczorek, Huonker, Stiegler, Wolfram ({2}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Weltwirtschaftsgipfel in Bonn
- Drucksachen 10/3078, 10/3229 -
b) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Vorlage eines jährlichen Berichts über die Kreditpolitik des Internationalen Währungsfonds ({3}) und der Weltbankgruppe durch die Bundesregierung
- Drucksache 10/2818 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({4})
Auswärtiger Ausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit Haushaltsausschuß
c) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Qualifizierte selbsthilfeorientierte Entschuldung der Länder Afrikas südlich der Sahara
- Drucksache 10/3160 Überweisungvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({5})
Haushaltsausschuß
Zu Punkt 3 a der Tagesordnung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3239 vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 3 a bis 3 c der Tagesordnung und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. Kein Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! In seiner Halbzeitbilanz hat der Herr Bundeskanzler heute morgen die Welt in rosaroten Farben gemalt. Wir Sozialdemokraten glauben nicht wie der Bundeskanzler, daß sich alle Probleme in Wohlgefallen auflösen werden, am allerwenigsten unsere gravierende Arbeitslosigkeit.
({0})
Für uns steht fest: Auf dem Weltwirtschaftsgipfel müssen klare Entscheidungen getroffen werden; denn die Weltwirtschaft steht vor zu großen Gefahren. Wir können uns nicht länger mit nichtssagenden Kommuniques und mit optimistischem Gerede abspeisen lassen.
({1})
Die in unserer Großen Anfrage dargestellten weltwirtschaftlichen Gefahren sehen zwar auch Sie, aber Sie versuchen, sie zu verharmlosen und herunterzuspielen.
({2})
Orientieren Sie sich doch endlich an den Realitäten. Und die Realität ist, daß die Konjunkturlokomotive USA seit zwei Jahren die Weltwirtschaft zieht. Die Bundesrepublik, ganz Europa, vor allem aber Japan haben davon profitiert. Wir erleben einen Exportboom, der vor allem zwei Umständen zu danken ist, nämlich - erstens - dem Konjunkturaufschwung in den USA und dem Importsog aus den USA und - zweitens - dem überhöhten Dollar, der den deutschen Unternehmen Wettbewerbsvorteile auf allen Märkten der Welt verschafft, wo sie gegen amerikanische Unternehmen konkurrieren. Es trifft nicht zu, was Herr Bangemann heute morgen sagte, daß hiervon ausschließlich der Güteraustausch mit den USA begünstigt worden sei. Ohne diese Exportsteigerung und ohne den drastischen Wertverfall der Deutschen Mark wäre aus Ihrem Aufschwung, den Sie den Wählern versprochen haben, nichts geworden. Sie hätten 1984 ein noch kläglicheres Wirtschaftswachstum erreicht als die reichlich 1 % von 1983.
({3})
Auch die 2 % bis 3 % Wachstum in diesem Jahr verdanken Sie ausschließlich dem Export, keinesfalls aber Ihrer Wirtschaftspolitik.
({4})
Für dieses Milliardenexportkonjunkturprogramm zahlen wir auch kräftig, und zwar mit massiven Verteuerungen unserer Einfuhren, mit zu hohen Zinsen und mit Kapitalabflüssen. Inzwischen klagen Sie selbst über die Exportlastigkeit des Aufschwungs, wie Sie seit mittlerweile zwei Jahren über die Haushaltsdefizite der USA und über die hohen Zinsen klagen. Aber den Mut, zuzugeben, daß die hohen Zinsen Folge der vorwiegend an nationalen Interessen orientierten Wirtschaftspolitik der USA sind, haben Sie nicht.
({5})
Im Gegenteil: Sie versteigen sich sogar zu der Feststellung, für ein inflationsfreies Wirtschaftswachsturn gäben die USA in mancher Hinsicht ein Beispiel für andere.
Machen Sie sich selbst und uns doch bitte nichts vor. Die Inflation in den USA konnte bis vor kurzem vor allem deshalb unter Kontrolle gehalten werden, weil der überhöhte Dollar die amerikanische Einfuhr enorm verbilligt hat. Die USA haben Stabilität aus dem Rest der Welt importiert. Sie haben sich ihren Aufschwung von uns mitfinanzieren lassen.
({6})
Doch uns interessiert heute weniger die Bewältigung der Vergangenheit, sondern wir wollen wissen, wie es weitergeht. Denn auch heute noch ist unsere Konjunktur gespalten. Der Export läuft und regt das Wachstum an. Die Binnennachfrage dagegen bleibt gedämpft. Die privaten Investitionen beleben sich allmählich. Die Kernfragen lauten daher: Wie lange können wir noch auf den Export als Konjunkturmotor setzen? Werden die Unternehmensinvestitionen rechtzeitig und kräftig genug anspringen, um ein Abflauen der Exporte ausgleichen zu können?
Offenbar hoffen Sie auf beides, auf anhaltenden Exporterfolg und auf kräftige Unternehmensinvestitionen. Sie hoffen auf eine weiche Landung des Dollars, d. h. auf einen langsamen Abbau seiner Überbewertung, damit unser Exportboom nicht so bald abbricht. Auch in den USA hoffen viele Verantwortliche auf eine solche weiche Landung. Der Grund dafür ist einfach. Jeder Rückgang des Dollars um 10 % steigert die amerikanische Inflationsrate um rund 1,5 Prozentpunkte. Im ersten Quartal 1985 lag die amerikanische Inflationsrate bei 5,6 %. Lassen Sie den Dollar nochmals um 20 % auf ein realistisches Niveau zurückfallen, dann nähert sich die US-Inflationsrate 10 %. Normalerweise müßte dann die Notenbank auf die Bremse treten, mit dem Erfolg noch höherer Zinsen. Der Aufschwung wäre dann vorbei, nicht nur für uns, sondern auch in den
USA, in Europa und in Japan. Für die Länder der Dritten Welt sähe es noch düsterer aus als heute.
({7})
Allerdings gibt es auch andere Interessen. Der amerikanische Handelsminister Baldridge wünscht sich einen 20%igen Rückgang des Dollars, weil er sonst einen Abbau des enormen Handelsbilanzdefizits nicht für möglich hält. Die Amerikaner sind also selbst in einer gefährlichen Zwickmühle.
Woher nehmen Sie eigentlich Ihren ungerechtfertigten Optimismus? Was soll Ihre Schönfärberei? Ich verstehe das nicht. Wie sich der Dollar entwikkelt, weiß doch auch heute niemand. Aber offenkundig läßt allmählich das Vertrauen in die Wirtschaftspolitik der USA und in die Versprechungen eines langanhaltenden Wirtschaftsaufschwungs nach.
Die scharfe Wachstumsabschwächung in den USA auf nur noch 1,3 % im ersten Quartal und die zunehmenden Klagen der amerikanischen Unternehmen über die Auslandskonkurrenz, die ihre Gewinne zusammendrückt, waren und sind für viele ein Schock. Dieser amerikanische Aufschwung auf Pump wird zunehmend mit Mißtrauen beobachtet. Niemand kann vorhersagen, wie sich dies auf die Bewertung des Dollars auswirkt. Aber eines ist sicher: ein rascher Rückfall des Dollars würde die Inflation in den USA anheizen, den Kapitalzufluß bremsen, beides würde die Zinsen nach oben drükken und die Konjunkturlokomotive USA abwürgen, mit üblen Folgen für die Vereinigten Staaten und für den Rest der Welt.
Dies, meine Damen und Herren von den Koalitionsparteien, ist keine Schwarzmalerei. Denn warum wohl, so frage ich Sie, warnt denn der Chef der amerikanischen Notenbank, Paul Volcker, seit mehr als zwei Jahren bei jeder sich bietenden Gelegenheit vor den Folgen der gigantischen amerikanischen Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite. Warum fordert er die Administration und die Legislative ständig und mit Nachdruck zum Abbau der Haushaltsdefizite auf? Und warum wohl fordert der amerikanische Außenminister Shultz ebenfalls, daß die Haushaltsdefizite abgebaut werden, daß Europas Binnenwachstum gestärkt wird und der Dollar auf ein realistisches Niveau zurückgeht? Volcker und Shultz, das ist es wohl, sehen die Probleme. Nur die Bundesregierung will sie offenbar nicht wahrhaben.
({8})
Herr Bangemann erklärt heute, er sei gegen den Protektionismus, erklärt andererseits, daß wir einen hervorragenden Exportüberschuß erzielt haben. Aber daß Exportüberschüsse bei uns an anderer Stelle Defizite sind und ein bestimmtes Verhalten hervorrufen, das beklagt er, wenn er sich gegen den Protektionismus wendet. Wo ist da die Ubersicht über die Zusammenhänge?
({9})
Die Amerikaner sagen, die Importflut habe sie bislang drei Millionen Arbeitsplätze gekostet. Sie haben das bisher hingenommen, weil der Aufschwung so kräftig war, daß sie per Saldo immer noch mehr Arbeitsplätze hatten. Wenn aber die drastische Wachstumsabschwächung, wie im ersten Quartal 1985 festzustellen, weiter anhält, dann, fürchte ich, wird die Bereitschaft, Arbeitsplatzverluste hinzunehmen, zunehmend geringer werden, und der protektionistische Druck wird wachsen.
({10})
Wer von Ihnen kann denn ausschließen, daß die im Kongreß erwogene 20%ige Importsteuer nicht doch kommt? Die Kongreßabgeordneten stehen unter massivem Druck ihrer heimischen Wähler und insbesondere unter dem Druck ihrer heimischen Wirtschaft, und sie könnten sich aus einer Importsteuer vordergründig sogar Vorteile ausrechnen, nämlich Stopp der Importflut und gleichzeitig Steuereinnahmen zur Stopfung der Haushaltslöcher. Ich bin deshalb vorsichtig gegenüber den Versprechungen der amerikanischen Regierung, daß sie weiteren Protektionismus verhindern wird. Die amerikanische Forderung nach einer neuen GATT-Handelsrunde sieht eher wie eine Flucht nach vorn aus. Mit dem Hinweis, die GATT-Runde würde sonst gefährdet, soll wohl auch der protektionistische Druck aus dem Kongreß gestoppt werden. Natürlich würden wir eine solche GATT-Runde begrüßen.
Nun, meine Damen und Herren, die Sackgasse, in die Präsident Reagan die amerikanische Wirtschaft und mit ihr die Weltwirtschaft mit seiner Politik, die Sie kritiklos bejubeln, geführt hat, ist offensichtlich. Wenn nichts geschieht, steht an ihrem Ende ein Stopp des Aufschwungs in den USA und bei allen Staaten, die vom Dollar profitiert haben, ein erneuter inflationärer Auftrieb in den USA oder auswuchernder Protektionismus oder eine Mischung aus allen diesen Übeln. Das wird auch die Bundesrepublik, vor allem wieder die Länder der Dritten Welt treffen. Dies dürfen Sie doch nicht einfach so hinnehmen.
({11})
Wenn wir alle einigermaßen heil aus dieser Sackgasse herauskommen wollen, dann müssen auf dem Weltwirtschaftsgipfel Weichen gestellt werden. Ihre heimliche Hoffnung ist offenbar, daß das Mißtrauen in den Dollar und die Wiederentdeckung der D-Mark der Deutschen Bundesbank Spielraum verschafft, unsere Zinsen so weit zu drücken, daß ein Investitionsboom in Gang kommt. Diese Hoffnung ist viel zu vage, um damit Optimismus zu rechtfertigen. Denn niemand weiß nach den verrückten Bocksprüngen des Dollar gerade auch in den letzten Tagen, ob, wie weit und wann der Dollar sinkt.
Zum anderen zählen zu Innovations- und Investitionsentscheidungen nicht nur Zinsen. Ebenso wichtig, wenn nicht gar noch wichtiger, sind einigermaßen stabile Entscheidungsgrundlagen, und die gibt es gegenwärtig nicht für den Außenhandel. Niemand kann angesichts der Wechselkursverzerrungen und -schwankungen sagen, wie die D-Mark und damit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft morgen eingestuft wird. Sie werden deshalb vor allem Rationalisierungsinvestitionen bekommen, denn Kostensenkungen sind in unsicheren Zeiten immer gut. Wo aber sind die Erweiterungsinvestitionen, die neue Kapazitäten und neue Arbeitsplätze schaffen? Die gibt es weder in der Bauwirtschaft und wohl auch nicht in den verbrauchsnahen Bereichen.
Solange die Zukunft mit so großen Ungewißheiten in bezug auf Wechselkurse, Zinsen und Exportchancen behaftet ist, gibt es keine Erweiterungsinvestitionen und keine Entlastungen auf dem Arbeitsmarkt. Um aus dieser Sackgasse herauszufinden, braucht es mehr als Zinssenkungen in der Bundesrepublik und in einigen anderen Ländern. Wir brauchen auch stabile Rahmenbedingungen für den Außenhandel, sprich: stabilere Währungsbeziehungen.
In unserem Entschließungsantrag zum Weltwirtschaftsgipfel haben wir deutlich gemacht, wie die Weichen in der kommenden Woche gestellt werden müssen. Wir müssen vor allem einer Wachstumsabschwächung in den USA durch größere Wachstumsanstrengungen bei uns begegnen.
({12})
Amerika kann sein Haushaltsdefizit nur reduzieren, ohne daß es zu einer weltweiten Abschwächung kommt, wenn die Binnenwirtschaft Europas und auch Japans stärker wächst. Die Frage ist, welche größeren Eigenanstrengungen Europa erbringen soll, und hier scheiden sich die Geister. US-Notenbankchef Volcker und Außenminister Shultz fordern von der Bundesregierung eine weniger restriktive Finanzpolitik. Auch der bayerische Ministerpräsident Strauß erklärt, Herr Stoltenberg habe jetzt genug konsolidiert, und er fordert eine drastische Anhebung der Investitionen des Bundes, und er fordert: klotzen, nicht kleckern bei den Steuerentlastungen! So dem Handelsblatt zu entnehmen.
Herr Staatssekretär Schlecht vom Bundeswirtschaftsminister teilt offenbar diese Ansicht. Er will bei einer Wachstumsabschwächung die Einkommensteuersenkungen in einem Schritt per 1. Januar 1986 und, falls das nicht mehr machbar sein sollte, wenigstens einen auf ein Jahr befristeten Steuerabschlag. Herr Stoltenberg dagegen sieht für den Bund keinen finanziellen Handlungsspielraum. Er schiebt den Schwarzen Peter den Gemeinden zu und fordert diese auf, wieder zu investieren.
({13})
Ich kann dazu nur feststellen: Die Bundesregierung weiß offenbar selbst nicht, was sie will.
Herr Stoltenberg bekommt ja jetzt Schützenhilfe aus Reagans engstem Kreis. Der amerikanische Notenbankchef, der Außenminister und der Finanzminister, der eine Währungskonferenz vorgeschlagen hatte, werden alle zurückgepfiffen. Alles seien Mißverständnisse, heißt es jetzt, die USA forderten keine fiskalischen Konjunkturanreize, sondern sie seien für die Beseitigung aller Wachstumsbarrieren und der Verkrustungen auf dem Arbeitsmarkt.
Nun, Herr Bangemann und Herr Haussmann werden sich freuen. Denn wo Präsident Reagan und seine Getreuen diese Barrieren und strukturellen Hemmnisse sehen, lassen sie durch Staatssekretär Wallis verbreiten, der für die USA den Weltwirtschaftsgipfel vorbereitet hat. Er erklärt, in Europa seien die Löhne zu hoch, die Leistungen an Arbeitslose, an Rentner, an Sozialhilfeempfänger seien zu üppig, der Kündigungsschutz sei zu umfassend, und Herr Wallis sieht mit einem ungenannten Europäer, den er zitiert, das Geheimnis des amerikanischen Erfolges in drei Worten: „Sie sind entlassen". Das also ist die amerikanische Rezeptur, und das sollen wir wohl in Europa nachmachen?
({14}) Das Rezept heißt Abbau des Sozialstaates.
({15})
- Ich zitiere, Herr Gattermann. - Wir sind gespannt, was wir im Gipfelkommuniqué dazu lesen werden. Damit es klar ist: Wir Sozialdemokraten erwarten von Ihnen, daß Sie derartige Einmischungen in unsere inneren Angelegenheiten entschieden zurückweisen.
Wir erwarten gleichzeitig von Ihnen, meine Herren von der Bundesregierung und von der CDU/ CSU, daß Sie mit derselben Entschiedenheit die Propaganda Ihres Koalitionspartners gegen den Sozialstaat stoppen.
({16})
Sie werden auf unseren härtesten Widerstand und den der Gewerkschaften stoßen, wenn die in einem Jahrhundert gewachsenen sozialen Strukturen und hart erkämpften Schutzrechte für die Arbeitnehmer von Ihnen zur Disposition gestellt werden.
({17})
Wir haben unseren Staat und unsere Gesellschaft gemeinsam erarbeitet, gemeinsam aufgebaut. Unser Weg war bisher die Kooperation, war der soziale Frieden, nicht der der gesellschaftlichen Konfrontation. Wir lassen uns von niemandem eine rücksichtslose Ellenbogengesellschaft aufzwingen.
({18})
Dieses ganze Gerede über den Abbau von Sozialleistungen, über Lohnänderungen, über eine Durchlöcherung des Kündigungsschutzes führt nicht nur zu sozialer Konfrontation, das ist auch ökonomischer Unsinn, Herr Gattermann.
({19})
Das müßten Sie doch wissen.
({20})
Ich zitiere hierzu - vielleicht glauben Sie dem mehr als mir - den früheren Berater des US-Präsidenten, Herrn Professor Feldstein, aus einem „Handelsblatt"-Gespräch, das er am 9. April 1985 gegeben hat. Er sagte:
Mangelnde Arbeitsmarktflexibilität oder vermeintliche Rückstände in der Hochtechnologie können das Phänomen der im Vergleich zu den USA extrem gestiegenen Arbeitslosenraten in Europa im Kern nicht erklären. Denn in den letzten Jahren, in denen sich die Arbeitslosigkeit in Europa derart verschlimmerte, ist es mit der Arbeitsmarktflexibilität wie dem internationalen Stand der Hochtechnologie in Europa eher besser als schlechter geworden. Vielmehr dürfte die ... restriktive Haushalts- und Geldpolitik der wichtigen europäischen Industrieländer ... eine plausible Erklärung für Europas hohe Arbeitslosigkeit sein.
So Feldstein.
Wir teilen diese Ansicht. Auch Herr Strauß gibt Feldstein recht. Warum sonst wohl fordert er Herrn Stoltenberg auf, seine restriktive Haushaltspolitik zu lockern? Warum sagte er im „Handelsblatt" am 22. April 1985, also vor wenigen Tagen, dies sei notwendig, weil Sparpolitik um ihrer selbst willen noch keine Tugend sei, sondern mit Maß und Vernunft, mit Instinkt für Prioritäten betrieben werden müsse? - Recht hat er.
({21})
Herr Strauß sagt auch, daß Ihre Leistungen und die der Koalition daran gemessen werden müssen, ob Sie der Lösung des Hauptproblems dieser Jahre, nämlich der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, nähergekommen sind. Sie sind dieser Lösung bisher keinen Deut nähergekommen.
Der Gipfel bietet Ihnen die Chance für neue Weichenstellungen. In unserem Entschließungsantrag haben wir den Weg gezeigt, um aus der weltwirtschaftlichen Sackgasse heil herauszufinden. Folgen Sie ihm. Denken Sie daran: Die Bundesrepublik hat in Europa die wirtschaftliche Bedeutung und damit die Verantwortung, die die USA für die Welt haben. Wenn Sie nichts zur Stärkung des Wachstums in Europa tun, dann tragen Sie die Mitschuld an künftigen weltwirtschaftlichen Krisen, an steigender Massenarbeitslosigkeit und an zunehmender Verelendung in der Dritten Welt.
Ich danke Ihnen.
({22})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Durch
den Ablauf der Tagesordnung beginnt diese wichtige Diskussion wesentlich später als geplant. Ich erwähne das deshalb, weil ich Sie um Verständnis dafür bitte, daß ich zu meinem großen Bedauern wegen eines unaufschiebbaren auswärtigen Termins vor dem Schluß der Debatte gehen muß.
Ich bedaure das um so mehr, als die zu erörternden Fragen von sehr großer Bedeutung sind. Wir haben ja in Washington vor wenigen Tagen die traditionellen Frühjahrstagungen des Interims- und des Entwicklungsausschusses sowie des Währungsfonds und der Weltbank durchgeführt. Und heute in einer Woche wird Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn die Staats- und Regierungschefs der sechs anderen großen Industrieländer der demokratischen Welt zum 11. Weltwirtschaftsgipfel begrüßten. Insofern gibt die heutige Diskussion, vor allem auf Grund der Großen Anfrage der Fraktion der SPD, Gelegenheit zu einem knappen Rückblick und zur Vorschau.
Ich will, Herr Kollege Mitzscherling, nicht auf den innenpolitischen Schlagabtausch eingehen, den Sie nach der Diskussion von heute morgen wiederaufgenommen haben. Ich glaube, es ist richtiger, daß wir den Blick auf die Weltwirtschaft und unsere Verantwortung, die wir dort tragen, und unsere Bemühungen lenken, gemeinsam mit anderen zu Ergebnissen zu kommen.
({0})
In Washington, wo mehr als 20 Minister für weit über 100 Staaten an einem Tisch saßen, ging es ja um jene Analyse und Bewertung der weltwirtschaftlichen Situation, besonders aber um die unverändert schwierige Lage der hoch verschuldeten und armen Länder der Dritten und Vierten Welt.
Wichtigstes Ergebnis dieser Treffen war für mich ein hohes Maß an Übereinstimmung in den wesentlichen Grundfragen - bei allen Unterschieden, die es natürlich in Einzelpunkten gab. Wir haben dort - die Kommuniqués machen es deutlich - gemeinsam festgestellt, daß eine dauerhafte Lösung der Schuldenprobleme nur durch ein stetiges Wachstum der Weltwirtschaft erreicht werden kann und daß dies konsequente Stabilitätspolitik und offenere Märkte voraussetzt. Auch auf dem Weltwirtschaftsgipfel, in dem es ja um einen ernsthaften vertieften Meinungsaustausch und, soweit möglich, um die Koordinierung der Politik der großen Industrieländer geht, werden die Bedingungen für Wachstum, Stabilität und freien Welthandel mit Sicherheit im Zentrum der Gespräche stehen.
Bestimmend für die Analyse in Washington war, daß 1984 für die Weltwirtschaft insgesamt das seit langem beste Jahr war. Man darf auch das nicht übersehen, wenn man - was legitim ist - über Risiken und Schwachpunkte spricht. In den Industrieländern betrug das Wachstum 43/4 %, und in den Entwicklungsländern lag es mit 41/2% nur knapp darunter. Wachstumsschwerpunkte waren, wie wir alle wissen, mit 7% die USA, gefolgt von Japan mit gut 5%. Schwächer war es in Europa mit rund 21/2%. Das Wachstum wurde begleitet von einer kräftigen Ausdehnung des Welthandels, der
real insgesamt um rund 9 % zugenommen hat. Davon haben besonders die Entwicklungsländer profitiert, die ihre Ausfuhren mengenmäßig sogar um 12% steigern konnten,
({1})
so daß sich deren Leistungsbilanzdefizite - das kommt vor den Gläubigern - gegenüber 1981 mehr als halbiert haben. Sie betrugen 1984 insgesamt nur noch 7% der Exporterlöse. Zwar hat sich dadurch auch das Verschuldungsproblem etwas entschärft. Gleichwohl darf man aber nicht übersehen, daß es in keiner Weise gelöst ist
({2})
und sich für manche Länder sogar noch zugespitzt hat.
({3})
- Ja, es ist so gut, wenn wir in gewissen Punkten der Analyse einig sind. Das ist doch besser, als wenn man hier immer nur den innenpolitischen Schlagabtausch fortsetzt. Das bringt uns in diesem Zusammenhang nicht sehr viel.
({4})
Ich möchte den konstruktiven, sachorientierten Verlauf der Beratung hervorheben. Aber ich will nicht verschweigen, daß es bei manchen Entwicklungsländern auch Betroffenheit und Kritik über die nach ihrer Auffassung ungenügende Berücksichtigung ihrer Nöte in der Politik der Industrieländer und der erdölerzeugenden Staaten der Dritten Welt gibt. Wenn man nämlich genauer hinsieht, erkennt man: Es gibt in der Dritten Welt dieselben Spannungen zwischen den Have-nots und den Haves, die wir im Nord-Süd-Dialog oder in der NordSüd-Auseinandersetzung registrieren.
In der Tat bleibt dies eine ganz große Herausforderung für uns. Die Industrieländer müssen noch nachhaltiger die Wirkungen ihrer nationalen Politik auf die notleidenden Völker in weiten Teilen Afrikas, Lateinamerikas und Asiens berücksichtigen.
Andererseits - hier unterscheiden wir uns von vielen Äußerungen der SPD und der GRÜNEN - kann kein souveräner Staat auf die erforderlichen eigenen Anstrengungen zur Anpassung verzichten.
({5})
Man kann sich nicht ständig auf Souveränität berufen und sich - zum Teil mit einem gewissen Affekt gegen die großen Industrieländer des Westens - jede Form der Einmischung verbieten, aber in der Frage der Bewältigung der eigenen Probleme die Verantwortung, die mit der Souveränität verbunden ist, negieren. Auch das ist eine schlichte Tatsache der Weltpolitik und der Weltwirtschaft.
({6})
- Nicht alles, was ich sage, ist in der Abgrenzung zu Ihnen gemeint. Herr Kollege Apel, Sie sehen das alles ganz falsch.
Ermutigend ist, daß sich der Aufschwung bei immer noch zunehmender Preisstabilität vollzieht. Mit
durchschnittlich 4 1/2% ist die Inflation in den Industrieländern so niedrig wie zuletzt in den 60er Jahren, wobei die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit Japan den Spitzenplatz in der Tabelle der Stabilität hält.
Dennoch gibt es eine Reihe kritischer Punkte. Dazu zählen der hohe Dollarkurs, das hohe US-Zinsniveau und das außenwirtschaftliche Defizit der USA genauso wie die extrem hohe japanische Leistungsbilanz, die Arbeitslosigkeit in Europa und die erwähnte, nach wie vor große Not vieler Entwicklungsländer.
Für die USA folgt daraus, daß sie ihr Haushaltsdefizit reduzieren müssen, um so das Gleichgewicht zwischen eigener Ersparnis einerseits und privater und öffentlicher Kreditnachfrage andererseits wiederherzustellen. Ihre Regierung bemüht sich jetzt - nachdem sie sich in den letzten zwei, drei Jahren gegenüber den Appellen und Aufforderungen restriktiv verhalten hat; auch Herr Matthöfer hat darüber schon dieselben Gespräche geführt wie wir - mit größtem Nachdruck und viel Mut zu harten Eingriffen um eine Verständigung mit dem Kongreß. Wir alle haben ein brennendes Interesse daran, daß sie zustande kommt.
Japan fällt die Aufgabe zu, durch weitere Öffnung seiner Märkte für Güter, Dienstleistungen und Kapital endlich zu ausgeglicheneren Welthandelsströmen beizutragen. Das von der japanischen Regierung vor zwei Wochen beschlossene Maßnahmenpaket zum Abbau von Handelsbeschränkungen und zur Förderung von Importen ist ein Schritt auf diesem Weg. Verbesserte Investitionschancen in Japan werden überdies dazu beitragen, die japanischen Kapitalexporte zu dämpfen, so daß auch hoffentlich der Yen die Stärke der japanischen Wirtschaft besser widerspiegelt. Es wird von großer Bedeutung sein, daß die japanische Regierung auf dem bevorstehenden Wirtschaftsgipfel zu eindeutigen Verpflichtungen bereit ist; sonst droht ein neuer Schub internationaler protektionistischer Maßnahmen.
({7})
In Europa muß es gelingen, die Voraussetzungen für mehr Investitionen so weit zu verbessern, daß die anhaltende und unannehmbar hohe Arbeitslosigkeit schrittweise zurückgeführt wird. Unsere Gesprächspartner haben uns erneut aufgefordert, durch größere Flexibilität und Mobilität in den Wirtschaftsstrukturen und auf den Arbeitsmärkten sowie durch Deregulierung dem Aufschwung stärkere Impulse zu geben. Jüngste Entscheidungen wie das Beschäftigungsförderungsgesetz entsprechen den dringenden Erwartungen unserer Partner, vor allem unserer Freunde, um das einmal zu sagen.
({8})
- Wir können ja nicht in allen Punkten einig sein. Das wäre ja fast schon beunruhigend, Herr Kollege.
Die Politik der Bundesregierung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für mehr Investitionen und Beschäftigung wurde anerkannt. Ich empfehle Ihnen - auch nach Ihrer Rede, Herr Mitzscherling -, noch einmal den schriftlichen Bericht des Managing Directors des Internationalen Währungsfonds de Larosière zu dieser unserer Politik zu lesen. Wir haben deutlich gemacht, daß die für die Jahre 1986 und 1988 beschlossene Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer ebenso ein Beitrag zu mehr Wachstumsdynamik ist wie unsere stark wachsenden finanziellen Leistungen für die EG-Partner. Es kommt mir in der nationalen und internationalen Finanzdiskussion immer noch zu kurz, was wir zusätzlich leisten, damit die schwächeren Partner in der EG auch die Chance haben, ihre Probleme besser zu lösen.
Wir haben auch keinen Zweifel daran gelassen, daß wir nicht bereit sind, die Fehler des letzten Bonner Wirtschaftsgipfels im Jahre 1978 zu wiederholen. Wir sind nicht bereit, mit kreditfinanzierten Ausgabenprogrammen konjunkturelle Strohfeuer zu entfachen und damit, wie im Frühjahr 1981 schmerzlich erlebt, die Gefahr einer Vertrauenskrise für unsere Währung in Kauf zu nehmen. Ich habe hier schon auf das Votum des Geschäftsführenden Direktors, des Generaldirektors des Internationalen Währungsfonds, hingewiesen.
Sie haben über Zinsen gesprochen, Herr Kollege Mitzscherling. Wenn in der kommenden Woche die Staats- und Regierungschefs, die Außen- und Finanzminister der sieben großen Industrienationen hier zusammenkommen, gibt es auf dem Gebiet der Zinsen folgende Bilanz. Japan hat bei langfristigen Anleihen einen Zins von 6,8 %, die Bundesrepublik Deutschland von 7,25 %. Alle anderen Industrienationen, die hier zusammenkommen, haben bei langfristigen Anleihen einen Zins zwischen 11 und 15 %. Das ist ein Gütezeichen für unsere Politik. Das ist ein Wettbewerbsvorsprung, den wir uns nicht nur im eigenen Interesse erhalten wollen.
({9})
Das ist der Grund, weshalb wir den Anfragen und vielleicht auch Aufforderungen des einen oder anderen auf eine Änderung unserer Finanzpolitik nicht folgen werden.
({10})
- So groß war der Abstand nicht jederzeit, Herr Kollege Matthöfer. Er ist in den letzten Jahren größer geworden.
({11})
Zweifellos haben die starke Dynamik der US-Wirtschaft und der entsprechende Importsog der Weltwirtschaft zunächst einen starken Impuls gegeben. Auch viele Entwicklungsländer haben diese Chance genutzt. Gerade die armen und ärmsten Länder - das hat die Washingtoner Tagung wieder eindringlich gezeigt - sind an mehr wirtschaftlichem Wachstum in der Welt ganz vital interessiert. Diese Länder haben absolut kein Verständnis für den bei uns und an anderen Orten gepflegten Wachstumspessimismus und Skeptizismus in gewissen Gruppen reicher Industrieländer. Wie sollen
denn diese Staaten bei Massenelend und zugleich zunehmenden Einwohnerzahlen eine Zukunftsperspektive gewinnen, wenn nicht durch wirtschaftliches Wachstum? Dabei ist es sicher, daß wir die Aufgabe haben, sie nach unseren Erfahrungen davon zu überzeugen, daß auch bei ihnen bei einem dynamischen Wachstum, das notwendig ist, ökologische Rahmenbedingungen stärker beachtet werden.
Aber ich sage das auch zu einigen Parolen der GRÜNEN: Es hat keinen Sinn, wieder von einem globalen Schuldenerlaß zu reden. Kein Teilnehmer der Konferenzen in Washington für die Gruppe der Schuldner- und Industrieländer hat diese Forderung erhoben. Was hier und da zum Hausgebrauch erklärt werden mag, hält den wirklichen Interessen dieser Länder nicht stand. Wer einen globalen Schuldenerlaß oder eine globale Schuldenkonferenz zur Lösung dieser Probleme fordert,
({12})
zerstört die Voraussetzungen für die notwendigen Finanzströme in die Länder der Dritten und Vierten Welt. Das ist eine schlichte Wahrheit, die endlich erkannt werden sollte.
({13})
In den Vereinigten Staaten lösen nun die hohen Einfuhren zunehmend protektionistischen Widerstand aus, der gefährlich werden kann, und eine Abschwächung des Dollarkurses ist deshalb besonders wichtig. Sie muß die teilweise vorangegangenen Übersteigerungen korrigieren, uns bei der Geldpolitik entlasten und die Aussicht auf geringere Importsteigerungen verbessern. Aber erst wenn wirkliche Fortschritte bei der Lösung dieses Budgetsproblems erzielt werden, werden wir realistischere Wechselkurse und gleichgewichtige Leistungsbilanzen erwarten können.
Große Sorge bereitet, wie gesagt, der in vielen Ländern zunehmende Druck, sich gegen Importe durch Handelsbeschränkungen abzuschirmen und das ist ein Problem für Industrie- wie für Entwicklungsländer. Wir müssen darauf achten, daß diese Tendenzen nicht zunehmend die freie Entfaltung des Welthandels bedrohen. Sie können den Prozeß der weiteren weltweiten strukturellen Anpassung erschweren und die Schuldenprobleme fast unlösbar machen. Deshalb geht es darum, nicht nur neue Handelsbeschränkungen zu vermeiden, sondern bestehende abzubauen.
Auch das Arbeitsprogramm des GATT aus dem Jahre 1982 ist noch nicht voll verwirklicht. Darüber hinaus unterstützt die Bundesregierung die Einleitung einer neuen Verhandlungsrunde im GATT mit dem Ziel, zu neuen Vereinbarungen zur Liberalisierung des Welthandels zu kommen. Wir haben maßgeblich durch Herrn Kollegen Bangemann zu den entsprechenden Voten des EG-Ministerrats und des OECD-Ministerrats beigetragen, und wir werden uns dafür einsetzen, daß hier eine klare Aussage des Gipfels erfolgt.
Meine Damen und Herren, um eine weltweite Wirkung zu erzielen, ist dabei die Teilnahme möglichst zahlreicher Länder erforderlich. Manche Entwicklungsländer - das wurde in Washington sichtbar - stehen einer neuen GATT-Runde noch mit gewissem Zögern gegenüber. Wir wollen uns auch im Gespräch mit ihnen für einen möglichst zügigen Beginn der Vorbereitungen und Verhandlungen einsetzen.
In den nunmehr fast drei Jahren, seitdem Mexiko im August 1982 um Zahlungsaufschub bitten mußte, ist es gelungen, eine offene Zahlungsunfähigkeit einzelner Länder und die damit verbundenen Gefahren für die internationalen Wirtschafts- und Finanzbeziehungen abzuwenden. Hierzu haben alle Beteiligten beträchtliche Anstrengungen unternommen: Die großen Schuldnerländer haben ihre Leistungsbilanzdefizite innerhalb von zwei Jahren zum Teil durch harte Maßnahmen, die ihren Bürgern viel zumuten, erheblich verringert und sich damit von zusätzlichen Auslandskrediten weitgehend unabhängig gemacht. Die Gläubigerländer haben durch wachsende Einfuhren aus den Entwicklungsländern, durch Umschuldungen, Überbrükkungskredite und neue Exportbürgschaften geholfen. Die Banken haben Forderungen zunehmend langfristiger umgeschuldet und einzelnen Ländern neue Kredite in erheblicher Größenordnung bewilligt. Die internationalen Organisationen - allen voran der Währungsfonds - haben ihre Kreditgewährung erheblich ausgeweitet.
Der Währungsfonds hat für die Washingtoner Sitzungen eine Modellrechnung vorgelegt, die durchaus positive Perspektiven eröffnet: Wenn die Industrieländer ihre Haushaltsgesundung weiter voranbringen, wenn sie eine vorsichtige Geldpolitik betreiben und wenn die Entwicklungsländer die in Angriff genommene Anpassungspolitik konsequent weiterverfolgen, dann können die Schulden und die Zinslasten der Entwicklungsländer in Relation zu den Exporterlösen bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf etwa zwei Drittel ihres heutigen Standes zurückgehen.
({14})
Das ist zwar noch keine Entschuldigung, aber in der Perspektive doch eine erhebliche Erleichterung der Schuldenlast.
Von den Industrieländern erwarten die Entwicklungsländer ein stabiles Wachstum und niedrigere Zinsen und, wie ich sagte, offenere Märkte.
Die Schuldnerländer akzeptieren, daß sie bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zunächst einmal bei sich selbst anzufangen haben. Viele Länder haben auf diesem Weg bemerkenswerte Fortschritte gemacht. Daß dies allerdings kein leichter Weg ist, haben heftige politische Reaktionen und innere Spannungen in manchen Staaten deutlich gemacht.
Die meisten Entwicklungsländer werden auch weiter auf Kapitalimporte angewiesen sein. Das setzt ein besseres Investitionsklima, insbesondere für ausländische Beteiligungsinvestitionen, voraus. So kommen nicht nur Devisen ins Land, sondern
auch technisches und unternehmerisches Wissen. Auf diese Weise kann die bedrohliche Kapitalflucht eingedämmt und Fluchtkapital zurückgewonnen werden.
Um in den nächsten Jahren übermäßige Tilgungslasten zu vermeiden, sind die Banken ebenso wie die Gläubigerländer ferner bereit, längere Umschuldungszeiträume ins Auge zu fassen. Die Banken haben das praktiziert - die Fristen laufen zum Teil bis Ende der 90er Jahre -, und die öffentlichen Gläubiger im sogenannten Pariser Club verhandeln zur Zeit über mehrjährige Umschuldungen. Vielleicht wird die erste Vereinbarung mit Ecuador in den nächsten Tagen zustande kommen.
Neben der Beherrschung und allmählichen Lösung des Schuldenproblems rückt nun die „klassische" Entwicklungspolitik wieder stärker in den Vordergrund. Sehr viele Entwicklungsländer bleiben auf die Hilfe und Unterstützung der Industrieländer angewiesen, die natürlich weiterhin vor allem Hilfe zur Selbsthilfe sein muß.
Die Bundesrepublik ist weiterhin grundsätzlich bereit, die Ausgaben für entwicklungspolitische Zusammenarbeit prozentual stärker als den Gesamthaushalt zu steigern. In Washington haben wir uns besonders für eine allgemeine Kapitalerhöhung der Weltbank ausgesprochen. Leider ist hierüber noch kein Einvernehmen erzielt worden; dem Entwicklungsausschuß soll jedoch für seine Herbstsitzung ein Bericht vorgelegt werden. Wir haben auch darauf hinweisen können, daß die Weltbank fast 20% ihrer Kreditmittel am deutschen Kapitalmarkt aufnimmt. Wir haben an andere Länder appelliert, ihre Märkte ebenfalls für die internationalen Entwicklungsorganisationen zu öffnen.
Meine Damen und Herren, Öffnung der Märkte, also eine offensive Strategie gegen die ernsten Gefahren des Protektionismus, Verringerung der überhöhten Defizite, Senkung der Zinsen für eine vertrauensbildende Finanz- und Währungspolitik, die bessere Einbeziehung der Entwicklungsländer in das Weltwirtschaftssystem - das sind zentrale Themen auch für den bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel der großen Industrienationen für eine rückhaltlos offene und zugleich freundschaftliche Diskussion. Vor allem aber auch mit dem Willen, zu gemeinsamen Formulierungen für das politische Handeln zu kommen, können die führenden Repräsentanten der großen Industrieländer Ergebnisse erreichen, die nicht nur ihren Staaten, sondern auch der Völkergemeinschaft dienen.
Zum ersten Mal seit vielen Jahren gibt es - ohne die Risiken zu übersehen - wieder begründete Hoffnung. Wir dürfen dabei die ungelösten Probleme nicht beiseite legen. Jeder muß fähig sein, über den begrenzten Horizont nationaler Interessenpolitik und bevorstehender Wahltermine hinaus die große Verantwortung für eine bessere Zukunft zu erkennen und durch gemeinsames Handeln zu den notwendigen Ergebnissen zu kommen.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Spilker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang Mai findet zum zweiten Mal ein Weltwirtschaftsgipfel in Bonn statt. Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen der freien Welt treffen sich zum elften Mal, vom 2. bis 4. Mai in der Bundeshauptstadt, um in den Grundfragen der Weltwirtschaftspolitik ein international abgestimmtes Verhalten weiterzuentwickeln.
Im Mittelpunkt der Beratungen wird die Sicherung und Verstärkung eines inflationsfreien Wirtschaftswachstums sowie einer nachhaltigen Verbesserung der Beschäftigung stehen. Die großen Zahlungsbilanzungleichgewichte in der Welt, aber auch die hohen Budgetdefizite verschiedener Länder, insbesondere auch der Vereinigten Staaten, werden zur Diskussion stehen.
Erinnern wir uns kurz an den Weltwirtschaftsgipfel 1978 in Bonn. Damals wurde ebenfalls ein abgestimmtes Programm für inflationsfreies Wachstum und mehr Beschäftigung vereinbart. Bei uns trat leider genau das Gegenteil ein. Unsere Arbeitslosigkeit verdoppelte sich von 1978 bis 1982, die Inflationsrate stieg ständig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Herr Präsident, ich habe mir eigentlich vorgenommen, mich mit der Großen Anfrage der Sozialdemokraten einmal im Zusammenhang zu befassen. Ich möchte hier so fortfahren.
({0})
Fast ein Jahr ist nun nach dem letzten Wirtschaftsgipfel in London vergangen. Es lohnt sich, in Erinnerung zu rufen, was dort vereinbart wurde und wie die Umsetzung der Beratungsergebnisse in unserem Land, aber auch in anderen Ländern erfolgte.
({1})
In London kam man u. a. überein, „Maßnahmen zur Verringerung von Inflation und Zinsen und zur Senkung der Haushaltsdefizite fortzusetzen und auf den Abbau von Hindernissen hinzuwirken, die der Schaffung von neuen Arbeitsplätzen entgegenstehen". Das war London. Wie sieht es heute aus? Was ist daraus geworden?
Seit dem Gipfel in London hat der weltwirtschaftliche Erholungsprozeß sicherlich einige Fortschritte gemacht. Weltweit ist eine Verringerung der Inflation feststellbar, wenn ich auch weiß, und das hier ausdrücklich sage, welche beträchtlichen Inflationsdifferenzen in der Welt noch bestehen.
Entscheidend ist, daß immer mehr Länder, vor allem in Europa, gleichgerichtete Politiken entwikSpilker
kein, praktizieren, und das bei Regierungen der verschiedensten Couleur.
Der Vorrang der Stabilitätspolitik ist unbestritten, ebenso die Förderung der Investitionstätigkeit, vor allem in der privaten Wirtschaft. Die Politik ist ausgerichtet auf Verringerung der Haushaltsdefizite und der Staatstätigkeit. Mehr Markt und Wettbewerb, mehr Flexibilität und Mobilität
({2})
und weniger staatliche Intervention sind überall in Europa und der übrigen freien Welt als Erfordernisse gegenwärtiger Politik anerkannt.
Nur die SPD bei uns hat die Zeichen der Zeit leider noch nicht erkannt. Meine Damen und Herren, Sie setzen sich weiterhin für mehr Staat und weniger persönliche Freiheit und Initiative ein.
({3})
- Herr Kollege Matthöfer, ich bin mindestens genauso oft hier wie Sie und weniger woanders, wo Sie gern hingehen, wofür ich Verständnis habe.
Ich wiederhole: Sie setzen weiterhin - das ist auch gar nichts Neues - auf mehr Staat und weniger persönliche Freiheit und Initiative, meine Damen und Herren von der SPD. Ich kenne auch Ihr Programm „Arbeit und Umwelt". Von Umweltpolitik habe ich früher bei Ihnen nichts festgestellt. Aber wenn man sich den Inhalt dieses Programms anschaut, dann erkennt man - und darf das wohl auch sagen -, daß Sie aus Ihren falschen Rezepten der 70er Jahre noch immer nicht die richtigen Konsequenzen gezogen haben.
({4})
Auch die Rede, die Ihr Kollege Roth vor Ihrer Fraktion - ich glaube am 26. März - über die Leitlinien sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik gehalten hat, bestärkt mich in dieser Einschätzung.
({5})
Ich darf einmal daraus lesen - denn ich habe nicht die Ehre gehabt zuzuhören -, und ich zitiere wörtlich:
Die SPD geht den dritten Weg zwischen einem Kapitalismus, der die Gesellschaft allein dem privaten Gewinnstreben unterordnet, und einer bürokratisierten Planwirtschaft, die sich selbst gegenüber Arbeitnehmern und Konsumenten verselbständigt hat.
Es heißt weiter:
So wie es gelungen ist, allen Menschen Staatsbürgerrechte zu geben, so wollen wir jetzt
allen die Rechte erkämpfen, daß aus Wirtschaftsuntertanen Wirtschaftsbürger werden.
({6})
Das ist der Kern des demokratischen Sozialismus auf dem Gebiet der Wirtschaft.
So weit Herr Roth. Das hört sich schlimm an, und wenn man es liest - ist es noch schlimmer. Das ist finsterste Ideologie und Demagogie. Das hat eigentlich mit kritischer Beurteilung von Wirtschaftspolitik überhaupt nichts zu tun.
({7})
Wer in der Bundesrepublik davon ausgeht, daß unsere Arbeitnehmer Wirtschaftsuntertanen sind, kann mit Sicherheit die Strukturen unserer Wirtschaft und deren Möglichkeiten nicht beurteilen.
({8})
Was bedeutet denn eigentlich dieser „dritte Weg"? Meine Damen und Herren, ich sage es Ihnen. Sie hören es nicht gern, und deshalb sage ich es besonders gern: mehr Staat, mehr Schulden, mehr Arbeitszeitverkürzung, weniger persönliche Freiheit, Investitionslenkung usw. Das scheint mir keine richtige Politik zu sein.
({9})
Herr Kollege Matthöfer, in diesem Zusammenhang erinnere ich mich an ein Buch von Oskar Lafontaine mit dem Thema „Der andere Fortschritt". Dafür bekommt er bestimmt keinen „Oscar", haben Sie keine Sorge. Seine Zukunftsformel heißt „Ökosozialismus". Er wendet sich gegen Wachstumsdenken und tritt für Frieden mit der Natur ein.
({10})
-- Herr Kollege Apel, ich habe manche Rede von Ihnen in Berlin gehört und habe mich immer gefragt, zu welchem Thema Sie eigentlich sprechen. Ich kenne auch manche Reden und Diskussionsbeiträge von Ihnen in diesem Hohen Hause, und ich muß ehrlich sagen, ich habe mich immer bemüht, wenigstens etwas daraus zu lernen, und so mögen Sie mich heute hier verstehen.
({11})
Ich komme noch einmal auf den Ökosozialismus zurück, auf diese Forderung, man müsse gegen Wachstumsdenken sein, für Frieden mit der Natur, für Selbstverantwortung in der Arbeit - ich glaube, so heißt es in diesem Buch.
({12})
Herr Matthöfer, wer soll denn diesen Frieden mit der Natur finanzieren, wenn nicht qualitatives Wachstum der Wirtschaft die Mittel dafür bereitstellt? Das wissen Sie doch ganz genau. Im übrigen, was ist denn das, Ökosozialismus? Soll ich es Ihnen
sagen? Das ist nichts anderes als eine inhaltsleere Wahlkampfformel und sonst gar nichts.
({13})
Im übrigen halte ich von einer Politik nicht viel, die sich ununterbrochen an den Instinkt, an das Gefühl und nicht an den Verstand wendet.
Ist es denn wirklich so, daß bei Ihnen die Fähigkeit zur realitätsbezogenen Betrachtung und Beurteilung von Zusammenhängen, insbesondere im politischen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Bereich - das habe ich auch heute früh festgestellt -, weiter abgenommen hat? Wenn ja, meine Damen und Herren, dann muß ich noch eines wiederholen, das vielleicht nicht gerne gehört wird: Ein geordnetes Staatswesen und eine freie Gesellschaft haben nach wie vor eine funktionsfähige und leistungsstarke Wirtschaft zur unabdingbaren Voraussetzung.
({14})
Es gibt heute viele Probleme. Wir haben sie politisch gesehen zum großen Teil Ihnen zu verdanken. Wir kennen das Problem der Arbeitslosigkeit, der Verunsicherung wegen der Leistungsfähigkeit der Sozialversicherung, der Schäden an Natur und Landschaft. Aber, meine Damen und Herren von der SPD, das alles sind Probleme, die Sie durch die Flucht aus der Wirklichkeit und mit Klassenkampfparolen weiß Gott nicht lösen können.
({15})
Ich glaube, hier steht Ihnen, wenn Sie es wollen, nur das Sozialprodukt zur Verfügung, um das Problem zu lösen und die Lösungen auch zu finanzieren.
Wir, die CDU/CSU-Fraktion, werden unbeirrbar unseren erfolgreichen Kurs für weitere wirtschaftliche Dynamik, Beschäftigung und soziale Sicherheit zum Wohle unserer Bürger konsequent fortsetzen. Dabei stehen die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik in einem untrennbaren Zusammenhang. Nur eine solide Finanzpolitik ermöglicht eine gute Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie eine Politik der Beschäftigung.
Meine Damen und Herren, eine Politik, die auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unserer Volkswirtschaft keine Rücksicht nimmt, ist zum Scheitern verurteilt. Ob Sie es gerne hören oder nicht: Dies sind die bitteren Lehren der 70er Jahre.
({16})
Wir kennen die hohe internationale Einbindung unserer Volkswirtschaft. Es ist wenig hilfreich, andere Länder, namentlich die USA, dauernd für Schwierigkeiten verantwortlich zu machen. Ich spreche mich hier auch wie heute früh - - schönen Dank, Herr Vorredner, ich habe das mit einem Ohr gehört. Es mag Sie ehren, daß Sie sich mit Ihren Nachbarn unterhalten. Das tut ich auch hin und wieder. Aber sprechen Sie freundlicherweise
nicht so laut und vor allen Dingen nicht so hinterhältig, daß ich es hier hören kann.
({17})
- Herr Matthöfer, was glauben Sie, wie glücklich ich bin, daß Sie in meinem Leben nie die Möglichkeit hatten, zu mir so etwas zu sagen! Ich, der ich eine 28jährige Betriebszugehörigkeit hinter mir habe, habe so etwas von meinem Chef noch nie gehört. Damit spreche ich über den Wirtschaftsuntertanen; denn auch ich habe ja angefangen wie Sie, Herr Matthöfer: ganz unten. Ich bin nicht wie eine gebratene Taube vom Himmel gefallen wie manch andere. Das müssen Sie sich schon einmal sagen lassen.
({18})
Wenn ich mir Ihren Antiamerikanismus vorstelle, - -({19})
- Herr Matthöfer, schauen Sie sich doch einmal die Große Anfrage an! Da reden Sie von kleinem oder geringem Wachstum. Was haben Sie denn in Ihrer Zeit gebracht? Sie haben doch gar kein Wachstum gebracht.
({20})
Ich empfinde es nicht als hilfreich und schon gar nicht als besonders taktvoll, wenn ausgerechnet Sie sich diesem Thema widmen.
({21})
- Das mit dem Antiamerikanismus kam hier heute früh schon einmal zur Sprache. Ich muß Ihnen gestehen: Wenn ich diese Flugblätter für Neustadt an der Weinstraße gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten lese, dann finde ich das alles so geschmacklos, daß ich sogar von Ihnen oder von Herrn Vogel eine Distanzierung erwartet hätte.
({22})
- Ich berufe Sie noch in einen Chor, damit Sie Ihre Stimme ein bißchen mehr beschäftigen. Dann haben Sie nicht die Chance, hier dauernd herumzurufen.
({23})
Zunächst einmal, Herr Matthöfer, darf ich Ihnen, weil Sie versuchen, mich hier immer wieder zu provozieren und zu unterbrechen, sagen: Das haben wir alles gelernt, das nehmen wir alles hin, und darauf können wir auch reagieren. Bloß will ich mich damit nicht sehr lange beschäftigen, weil mir sonst die Redezeit wegläuft. Das ist das einzige Problem. Es gibt noch einige Freunde und Kollegen, die Ihnen auch noch einiges zu sagen haben, und denen möchte ich die Zeit sicherlich nicht verkürzen.
Zum Gipfel, meine Damen und Herren: Auch wir wollen faire Partnerschaft, und dies heißt für uns, daß in aller Offenheit auch Probleme angesprochen werden, die für die Menschen, für die Bürger national und international wichtig sind. Der beste Beitrag, den wir für eine gedeihliche wirtschaftliche Entwicklung in der Welt leisten können, ist allerdings, unser eigenes Haus wieder in Ordnung zu bringen und weiter zu modernisieren. Sie wollen es zwar nicht hören, aber ich bestätige es Ihnen: Auf diesem Wege sind wir nun einmal ein gutes Stück weitergekommen, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht.
Der Bundesverband deutscher Banken hat kürzlich, vor etwa 14 Tagen, festgestellt, daß die Voraussetzungen für eine länger anhaltende Aufwärtsentwicklung bei stabilen Preisen bei uns gegeben sind. Das Ifo-Institut hat in seiner „Prognose 100" hervorgehoben, daß sich die Investitionsaussichten in der Bundesrepublik drastisch verbessert haben. - Zu Ihrer Zeit habe ich so etwas nie gehört. Das soll nur eine kleine Zwischenbemerkung sein.
({24})
Immer mehr Unternehmen sind bereit, ihre Investitionen zu erhöhen. Das ist ermutigend, meine Damen und Herren, vielleicht nicht für Sie, aber jedenfalls für uns und für die Bürger draußen. Ich finde es eigentlich fabelhaft, daß die Konjunktur nicht nur wieder angesprungen ist, sondern vor allen Dingen auch an Fahrt gewinnt.
Wachstum hatten wir in den letzten Jahren. Gewiß, es war nicht hoch; aber ich muß noch einmal sagen: Es steht Ihnen nicht an, hier von einem geringen oder einem kleinen Wachstum zu sprechen.
({25})
- Nein, meine Damen und Herren, Sie können hier über Entwicklung nur reden, wenn Sie sich selber als Vorbild nehmen. Die Entwicklung ging doch rückwärts. Das ist doch das Traurige. Das Drama ist doch, daß wir Dinge, die sich negativ entwickelt haben, nicht von heute auf morgen und auch nicht innerhalb von zwei Jahren rückgängig machen können.
Im übrigen - das fällt mir gerade ein - möchte ich Sie daran erinnern: Es war doch Ihr früherer Bundeskanzler Helmut Schmidt, der hier vor Jahren - ich weiß nicht genau, wann es war - die ökonomische Grundregel bestätigte: Angemessene Erträge sind Voraussetzung für erforderliche Investitionen,
({26})
ohne Investitionen kein Wachstum, ohne Wachstum keine Arbeitsplatzsicherheit, keine höheren Löhne und auch kein sozialer Fortschritt. Diese Worte sind hier gefallen.
({27})
Diese richtigen Erkenntnisse sind jedoch leider in
die praktische Politik nicht umgesetzt worden.
Praktische Politik war vielmehr, daß Sie durch das
Testen der Belastbarkeit von Wirtschaft und Bürgern das Vertrauen bei uns zerstört haben. Das war doch die Folge. Wenn das nicht geschehen wäre, wären Sie heute noch an der Regierung und wären nicht abgewählt worden.
({28})
Meine Damen und Herren, ich verhehle nicht, daß uns die immer noch viel zu hohe Arbeitslosigkeit - hier wurde schon darüber gesprochen - Sorge bereitet. Die politische Verantwortung für eine Millionenzahl von Arbeitslosen haben Sie ohne jeden Zweifel, und wir lassen es nicht zu, daß Sie sich aus dieser Verantwortung wegstehlen.
({29})
Ich erinnere daran, daß es 1979 ganze hunderttausend Arbeitslose gab.
({30})
Es ist Ihnen durch eine „fabelhafte" Politik gelungen, diese Zahl allein bis 1982 auf über 2 Millionen zu erhöhen.
({31})
Das können Sie nicht aus der Welt schaffen.
({32})
Im vorigen Jahr ist es gelungen, zu einem Stillstand dieser Entwicklung zu kommen. Dieser Trend ist - darüber gibt es keinen Zweifel - durch einen harten Winter unterbrochen worden. Für 1985 sieht es anders aus. Warten wir die nächsten Zahlen ab, warten wir die Zahlen im Sommer ab, warten wir die Zahlen für das ganze Jahr ab! Dann werden wir hier von neuem darüber diskutieren, ob eine Politik wie die unsere auch auf diesem Gebiet langsam, aber sicher erfolgreich ist.
({33})
- Ich weiß nicht, wo Sie die Moral hernehmen, meine Damen und Herren, hier immer wieder zu rufen, zu unterbrechen, sich darzustellen, als wenn Sie eine erfolgreiche Politik vorzuzeigen hätten. Ich sage noch einmal: Sie wären doch noch im Amt, hätten Sie nicht fast auf allen Gebieten dieser Politik versagt.
({34})
Im weltwirtschaftlichen Kontext beklagen wir, daß das Haushaltsdefizit in den Vereinigten Staaten zu hoch ist. Wir fordern unsere amerikanischen Partner auf, weitere Initiativen zu ergreifen, um die hohen Fehlbeträge zu vermindern. Von diesem Defizit, das 1986 durch die kürzlich erzielte Einigung mit dem Senat auf 175 Milliarden Dollar in einem ersten Schritt begrenzt wird, gehen natürlich starke Sogwirkungen auf die Kapitalmärkte und damit auf die Zinsen anderer Länder aus. Nur machen wir im Unterschied zu Ihnen von der SPD die Vereinigten Staaten nicht zum Prügelknaben der Welt und ver10042
antwortlich für unsere eigenen Probleme oder verantwortlich für fast alle internationalen Schwierigkeiten.
({35})
Im übrigen freue ich mich nicht nur, daß der Gipfel in Bonn ist; der war woanders auch, ob das in London war, in Williamsburgh oder wo. Ich erwarte gerade von diesem Gebiet, daß wir nicht nur weitere Fortschritte erzielen, sondern zu Vereinbarungen internationaler Art kommen, die dann aber auch umgesetzt werden, wie das 1978 leider nicht der Fall war.
({36})
Darum habe ich mir erlaubt, diese Bemerkung, Herr Bundesminister a. D., an den Anfang zu stellen. Das gefällt Ihnen nicht.
({37})
- Ich habe das heute früh neu gelernt und von Ihrem Fraktionsvorsitzenden bestätigt bekommen, der nicht mit Ihnen in der Universität war, sondern mit mir, der nicht zu Ihrer Zeit Examen gemacht hat, sondern zu meiner Zeit, der nicht in Ihrer Stadt Oberbürgermeister war, sondern in München. Lieber Herr Matthöfer, Sie können von mir nicht erwarten, daß ich ununterbrochen meinen Kopf hinhalte, damit Sie darauf einschlagen. Ich gehöre zu denen, die sich zu wehren imstande sind. Ich gehöre zu denen, die den Mund nicht schließen, wenn sie beleidigt werden, sondern ich werde mich in jeder Form, bei jeder passenden oder auch nicht passenden Gelegenheit revanchieren, darauf können Sie sich verlassen!
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich respektiere das, Herr Präsident.
Ich komme
({0}) auf die Große Anfrage zurück.
({1})
Das war ja doch eine Klageschrift gegen die Vereinigten Staaten, die Sie da abgegeben haben, wenn Sie sich bei 24 Punkten in zehn oder elf Punkten ausschließlich mit Amerika beschäftigen. Aber gut, Sie mögen da eine besondere „Legitimation" haben.
({2})
Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt auf jeden Fall die Bundesregierung in ihrem Bemühen, sich auf dem bevorstehenden Wirtschaftsgipfel dafür einzusetzen, daß der begonnene Kurs, wie auf vielen Gipfeln vorher, einer wachstumsorientierten und inflationsfreien Wirtschaftspolitik konsequent fortgesetzt wird. Das liegt durchaus in unserem Interesse,
im Interesse der Industrieländer, aber auch im Interesse der Entwicklungsländer.
Wir freuen uns, daß die Bundesregierung eine klare Position bei der Beantwortung der Großen Anfrage der SPD bezogen hat. Gleichzeitig darf ich im Namen der CDU/CSU-Fraktion erklären, daß wir Ihren Entschließungsantrag zum Weltwirtschaftsgipfel in Bonn ablehnen, der im übrigen nichts anderes ist als die Wiederholung Ihrer Großen Anfrage.
({3})
Bevor ich weiter das Wort erteile, habe ich eine amtliche Mitteilung zu machen.
Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um den Zusatzpunkt: Beratung der Sammelübersicht 77 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/3264 - erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll zusammen mit den Punkten 11 a und 11 b der Tagesordnung aufgerufen werden.
Sind Sie damit einverstanden? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Eine Debattenverlängerung in der Nacht bedeutet das nicht.
In unserer Debatte hat der Abgeordnete Volmer das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anfang Mai treffen sich in Bonn die Staatschefs der sieben reichsten Nationen und nennen sich Weltwirtschaftsgipfel. Welch ein vermessener und arroganter Anspruch!
({0})
Worauf gründen sie ihre Anmaßung, die Welt zu repräsentieren? Sie gründen ihn auf nichts anderes als auf ihre wirtschaftliche Überlegenheit und ihre militärische Vormachtstellung. Es geht ihnen in Bonn um nichts weiter, als ihre Weltwirtschaftsordnung der jährlichen Inspektion zu unterziehen und ihren Militärapparat, der sie absichert, den neuesten technologischen Möglichkeiten anzupassen. Ihre Handels- und Kreditpolitik kann nicht leben ohne ihre Kanonen-, Raketen- und Satellitenpolitik.
Die Dritte Welt, die Bevölkerungsmehrheit der Erde, steht als Zaungast draußen vor der Tür und hat klaglos in Empfang zu nehmen, was die Industriestaaten ihr bescheren werden. Antiprotektionismus, freie Märkte, das sind die Themen, die in Bonn verhandelt werden. Den Drittweltländern wird seit Jahren weisgemacht, hier lägen die Lösungen für ihre Schuldenprobleme. Freier Welthandel, die Öffnung der Märkte in Europa und den USA würden ihre Exportchancen derart steigern, daß sie mit den erwirtschafteten Devisen ihre Schulden ablösen könnten.
Nichts von dem ist richtig. Wer glaubt denn schon im Ernst, daß ein Exportland wie die Bundesrepublik strukturell ein Handelsbilanzdefizit gegenüber den Drittweltländern in Kauf nehmen würde, was
die notwendige Folge höherer Importe aus diesen Ländern bedeuten würde? Ganz im Gegenteil, die Bundesregierung versucht, durch das protektionistische Mittel der Mischfinanzierung und Lieferbindung mit ihrer sogenannten Entwicklungspolitik die Absatzchancen der deutschen Industrie in der Dritten Welt zu steigern.
({1})
Die Entwicklungsländer haben jüngst auf der Interimstagung des Internationalen Währungsfonds klargestellt, daß sie sich von den leeren Versprechungen offener Märkte nichts mehr erwarten. Deshalb haben sie eine neue GATT-Runde abgelehnt. Und selbst wenn die Märkte tatsächlich geöffnet würden, der Masse der armen Bevölkerung in der Dritten Welt käme es nicht zugute. Schon heute sterben Hunderttausende, weil alle produktiven Kräfte in den Export gesteckt werden und für die Binnenmärkte nicht einmal das Lebensnotwendige übrigbleibt.
({2})
- Das betrifft besonders die Landwirtschaft, Herr Hüsch. Wo Schnittblumen statt Hirse, Baumwolle statt Sorghum angebaut werden, dort stimmen vielleicht die Exportquoten, doch die Bevölkerung verreckt, weil die Nahrungsmittel fehlen.
({3})
Jeder weiß - und auch Sie wissen das, Herr Hüsch -, ein Land, das sich nicht selbst ernähren kann, ist politisch tot, weil jederzeit erpreßbar. Von daher steckt sogar eine höhere humanitäre Logik darin, wenn die brutale Auflagenpolitik des IWF, die den Exportzwang in den Entwicklungsländern exekutiert, hoffentlich scheitert. Die GRÜNEN werden deshalb verschiedene Kampagnen gegen den IWF mit unterstützen, z. B. das Tribunal und die Demonstationen am 3. und 4. Mai in Bonn gegen diesen Gipfel.
({4})
Jeder wird verstehen, daß wir wissen möchten - parlamentarisch sind wir auch aktiv -, wie die Bundesregierung sich in dieser Frage exakt verhält. Daß sie zu den Hardlinern der Ausbeutung gehört, ist bekannt. Einer unserer Anträge läuft darauf hinaus, daß die Regierung regelmäßig vor diesem Bundestag Rechenschaft über ihre Politik im IWF und in den Institutionen der Weltbankgruppe ablegen soll.
({5})
Antiprotektionismus, so wie der Wirtschaftsgipfel ihn versteht, bietet nicht die Lösung für die Probleme der Dritten Welt. Es steht vielmehr zu befürchten, daß er als weitere Waffe gegen sie gerichtet wird. Die letzten Investitionshemmnisse in der Dritten Welt sollen niedergerissen werden, die heute noch große Teile der Bevölkerung gegen den Zugriff der multinationalen Konzerne, wenn auch unzulänglich, schützen. Der Weg soll bereitet werden nicht nur für die Verlagerung von Produktionsstätten aus den Industrieländern in die Dritte Welt, auch Dienstleistungen sollen auf dem Wege der Direktinvestitionen ausgelagert werden. Bald werden in den karibischen Staaten Tausende von angelernten Frauen zu Hungerlöhnen Texte abtippen, die über Standleitungen in die Zentralen der Konzerne zurücktransferiert werden. Die billigen Arbeitskräfte der Dritten Welt werden auch im tertiären Sektor ausgebeutet, während die Lohnarbeitslosigkeit in den Industriestaaten weiter steigen wird.
Die SPD hat durch ihre Große Anfrage diese Debatte dankenswerterweise mit zustandegebracht. Inhaltlich fallen Ihre Fragen aber weit hinter den Stand zurück, der im letzten Herbst durch unsere drei Anfragen erreicht worden war. Die Lösungsansätze, die sich hinter Ihren Fragen verbergen, bringen für die Drittweltländer keine qualitativen Veränderungen.
Gewiß, der hohe Dollarkurs spielt eine wichtige Rolle in der Verschuldungsproblematik. Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben unsere volle Zustimmung bei der Kritik der amerikanischen Haushaltspolitik, die so hemmungslos auf die fürchterliche Hochrüstung abgestellt ist. Aber hier liegt, was die Dritte Welt angeht, nicht der Kern des Problems. Der liegt in ihrer erzwungenen Ausrichtung auf den Export; und den wollen auch Sie grundsätzlich nicht beseitigen.
Ihr Konzept zur Schuldenkrise baut auf Umschuldungsverhandlungen, Herr Hauchler, die Sie, was die finanziellen Bedingungen angeht, etwas weicher gestalten wollen als die Bundesregierung. Doch das Prinzip bleibt dasselbe; das haben Sie ja auch heute öfters betont. Es werden im Grunde völlig faule Forderungen auf Kreditzurückzahlungen aufrechterhalten. Statt die uneinbringbaren Schulden zu streichen, was unser Plädoyer wäre, werden in Umschuldungsverhandlungen Auflagen durchgesetzt, die die Volkswirtschaften der Entwicklungsländer zwangsweise auf den Weltmarkt ausrichten. Die bundesdeutschen Industrien bekommen durch diese Politik billige Rohstoffe, die Multis billige Arbeitskräfte und die Bundesregierung billige Argumente. Denn die Bundesregierung weiß sich im Grunde einig mit der größten Oppositionspartei.
({6})
Auch Ihre Politik, werte Kolleginnen und Kollegen von der Sozialdemokratie, und wenn Sie sie noch so human abzumildern versuchen, verfestigt diese Weltwirtschaftsordnung, die die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer macht. Deshalb können wir Ihren Antrag leider nicht mittragen.
Wir, die GRÜNEN, sehen die Lösung nur in einem glatten Schnitt.
({7})
Das Verschuldungsproblem ist nicht das einzige,
aber das zur Zeit dringendste. Wir fordern nach der
Zwischenphase eines Schuldenmoratoriums den
völligen Schuldenerlaß, wobei die erlassenen Beträge von den Schuldnerländern in einheimischer
Währung in nationale Entwicklungsfonds eingezahlt werden sollen.
({8})
- Sie bei uns.
({9})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich würde gern in einem Zug durchreden.
Das liegt in Ihrer Entscheidung.
Sie sollen der Eigenfinanzierung von binnenorientierten Entwicklungswegen dienen, die auf die Grundbedürfnisse der armen Bevölkerungsschichten ausgerichtet sind. Dies ist unser Globalkonzept.
({0})
Wir haben dieses Konzept nun als Einstieg in Antragsform spezifiziert. Wir haben es konkretisiert für eine Region und eine Kreditform. Wir wollen, daß der ärmsten Weltregion überhaupt, den afrikanischen Ländern südlich der Sahara, alle Schulden aus öffentlichen Entwicklungshilfezahlungen erlassen werden.
Ich habe gelesen, daß der Kollege Holtz die GRÜNEN dadurch übertreffen möchte, daß er die Streichung aller Entwicklungshilfeschulden für alle Länder fordert. Einen solchen Wettstreit kann ich nur begrüßen. Ich fürchte nur, daß Herr Holtz sich in seiner Partei nicht durchsetzen kann. Unsere Zustimmung hätte er, so wie ich hoffe, daß er unseren Antrag unterstützen wird.
Was die Koalitionsparteien angeht, möchte ich sagen: Herr Warnke, Herr Stoltenberg, Herr Bangemann, Sie betonen ein ums andere Mal, daß die Drittweltländer noch größere Opfer auf sich nehmen müßten. Wie hoch, frage ich Sie, soll denn die Zahl der Opfer noch werden? Müssen noch mehr unproduktive Esser sterben, weil die Inlandsnachfrage gesenkt werden muß, damit noch mehr landwirtschaftliche Produkte in die ach so arme Europäische Gemeinschaft fließen können? Ich behaupte nicht, daß Sie Millionen Hungertote anstreben, doch Hungersnöte können nicht leichtfertig mit der Dürre erklärt werden. Dürren gab es in Afrika immer, aber die Menschen hatten die Mittel, sie zu bewältigen. Erst die Zerstörung der Landwirtschaften wegen ihrer Exportausrichtung bringt diese unglaublichen Katastrophen mit sich.
({1})
Der Hunger wird von Menschen gemacht. Die Bundesregierung ist mitverantwortlich.
Herr Warnke und die anderen Herren von der Regierung, Entschuldungsprogramme sind ein erster wirksamer Schritt im Sinne der Entwicklungsländer, weil sie den Exportzwang beseitigen. Die
Entschuldung Afrikas von Entwicklungskrediten ist machbar. Die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen sind gegeben; die haben sie selbst mitbeschlossen. Einigen afrikanischen Staaten wurden die Schulden bereits erlassen. Auch den anderen können sie erlassen werden; es kommt nur noch auf den politischen Willen an. Es dürfte denjenigen - das möchte ich dem Bundeskanzler sagen, wenn er hier wäre -, die an dem fragwürdigen „Tag für Afrika", medienwirksam drei Scheine in die Klingelbüchse geworfen haben, schwerfallen, sich nun aus der Verantwortung zu stehlen.
({2})
- Eben.
({3})
Sie werden nachweisen müssen, daß diese Geste nicht nur Teil eines Propagandarummels war. Afrika und die entwicklungspolitische Öffentlichkeit erwarten Ihre Antwort. Wir sind gespannt.
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es ist, glaube ich, guter Brauch, eine Jungfernrede nicht zu kommentieren. So will ich es auch halten. Aber die Ausführungen in Richtung eines neuen nationalen wirtschaftlichen Konservativismus sind interessant. Ich glaube, verehrter Herr Kollege Volmer, viele Entwicklungsländer werden sich dafür bedanken, daß Sie die Grenzen der Industrieländer verschließen wollen.
({0})
Für die Arbeitnehmer in der Exportindustrie in Nordrhein-Westfalen ist es interessant, daß Sie ein Konzept der neuen nationalistischen Autarkie hier verkünden.
({1})
Es wird interessant sein, zu sehen, wie ein solcher Mischmasch zwischen Grün und Rot aussieht.
({2})
Meine Damen und Herren, das Parlament bereitet sich intensiv auf den Wirtschaftgipfel vor. Wenn es so ist, wie ein Kollege meinte, daß alle Reden hier übersetzt werden und die führenden Präsidenten der Wirtschaftsländer in Vorbereitung dieser Debatte unsere Reden lesen, so müssen wir uns etwas anstrengen, daß wir ernstgenommen werden.
({3})
Es findet ein Weltwirtschaftsgipfel statt. Ich bedaure außerordentlich, daß die Sozialdemokraten ihre Große Anfrage im Prinzip lediglich auf das Thema Währungspolitik verkürzt haben und zu dem entscheidenden Thema einer offenen HanDr. Haussmann
delspolitik und damit der Abhängigkeit unserer vielen Arbeitsplätze so wenig gesagt wurde.
({4})
Das wird, Herr Mitzscherling, ein entscheidender Punkt bei dieser Debatte sein.
Wir, die Freien Demokraten, finden es gut, daß hier bei uns in der Bundesrepublik dieser Gipfel stattfindet; denn wir sind wie kein anderes Land extrem von weltwirtschaftlichen Entwicklungen abhängig. Jeder dritte Arbeitsplatz ist von der Weltwirtschaft abhängig. Es wird wichtig sein, auf welche Art und Weise die Bundesrepublik den Boden für wichtige internationale Wirtschaftsverhandlungen abgibt.
({5})
Wenn man den Amerikanern kritische Worte sagen will, dann muß man ein Verhältnis zu den Amerikanern finden, das vertrauenvoll ist; denn nur in einem vertrauensvollen Verhältnis kann man etwas Kritisches sagen, meine Damen und Herren.
({6})
Die Häufung von antiamerikanischen Äußerungen führender sozialdemokratischer Politiker ist bemerkenswert. Ich erwähne die Äußerungen von Herrn Brandt in New York.
({7})
Diese Anfrage ist ebenfalls im Soupçon ausschließlich gegen die Vereinigten Staaten von Amerika gerichtet.
({8})
Bei aller berechtigten Kritik an der Haushaltsentwicklung der Vereinigten Staaten von Amerika sollte die SPD nicht Fehler in den USA anprangern, die sie selbst zu Hause nicht mehr in den Griff bekam und derentwegen sie bei den letzten Wahlen abgewählt wurde. Ich meine die Staatsverschuldung.
({9})
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, der deutsche Bundeskanzler hat auf diesem Wirtschaftsgipfel eine stärkere Position als frühere Kanzler.
({10})
Wir haben Wirtschaftswachstum, wir haben Stabilitätserfolge, was währungspolitisch enorm wichtig ist, Herr Kollege. Wir liegen mit Japan weltweit an der Spitze.
({11})
Wir haben beachtliche Fortschritte in der Entschuldung erreicht.
({12})
Der letzte Haushalt eines sozialdemokratischen Finanzministers
({13})
hatte eine Neuverschuldung von über 50 Milliarden DM eingeplant. Wir sind heute unter 30 Milliarden DM angekommen.
({14})
Das Zinsniveau hat sich verbessert. Unsere Außenhandelsposition
({15})
ist deutlich besser.
Ich beantrage, Herr Präsident, daß anschließend Herrn Matthöfer Redezeit eingeräumt wird. Es ist schade, daß wir das hier nicht im Zusammenhang hören können, Herr Kollege.
({16})
Allerdings, trotz Wirtschaftswachstum, trotz Haushaltsentschuldung ist das drückendste Problem die Arbeitslosigkeit in Europa. Wir werden von Japanern und Amerikanern auf dieses Problem angesprochen werden. In den Jahren 1973 bis 1983 sind in der Europäischen Gemeinschaft 1,6 Millionen Arbeitsplätze verlorengegangen.
({17})
In der gleichen Zeit wurden in den Vereinigten Staaten von Amerika 10 Millionen und in Japan 5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen.
({18})
Das sind Fakten. Deshalb werden wir bei diesem Wirtschaftsgipfel auch sagen müssen, welche längerfristige arbeitsmarktpolitische Strategie wir in Europa und in der Bundesrepublik. haben, damit aus Wirtschaftswachstum auch Beschäftigungswachstum wird.
({19})
Die dauerhafte Abkopplung von Wachstum und Beschäftigung kann nicht mehr hingenommen werden.
({20})
Wir haben im dritten Jahr Wirtschaftswachstum, das zu mehr Schattenwirtschaft führt, das zu mehr Überstunden führt und das zu mehr Rationalisierung führt. Und wer die soziale Hauptfrage in Europa und in der Bundesrepublik lösen möchte, muß etwas tun, damit aus Schattenwirtschaft wieder Arbeitsplätze werden, damit aus Überstunden neue Arbeitsplätze werden und damit der Rationalisie10046
rungsdruck wegkommt, damit menschliche Arbeit gegenüber Maschinenarbeit wieder günstiger wird.
Dann werden wir um mehr Beweglichkeit in unserer Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik nicht herumkommen, verehrte Kollegen von der Sozialdemokratie.
({21})
- Das, verehrter Herr Matthöfer, wird im Rahmen der Tarifautonomie passieren.
({22})
Tarifautonomie wird sich auf Dauer behaupten, wenn sie beweglicher und damit beschäftigungsfreundlicher wird.
({23})
Tarifpolitik muß auf die besondere Lage schwieriger Branchen und auf die besonderen Bedingungen von kleinen und mittleren Betrieben stärker als bisher Rücksicht nehmen.
({24})
Lohnnebenkosten müssen auf die Beschäftigungslage Rücksicht nehmen.
({25})
Wir werden sonst eine weitere Zunahme der Schwarzarbeit in der Bundesrepublik erleben. Und kein Kollege wird darum herumkommen, Vorschläge zu machen, wie aus Schwarzarbeit wieder offizielle Arbeit wird.
({26})
Und dies wird im Rahmen der Tarifautonomie geschehen, zu der sich die FDP bekennt.
Aber die Tarifpartner werden bei Verhandlungen größere Bandbreiten einräumen müssen, damit schwierigen Branchen sowie kleinen und mittleren Betrieben wieder eine Chance eröffnet wird, Arbeitsplätze zu erhalten bzw. weniger qualifizierte Menschen einzustellen.
({27})
- Die Tarifpolitik muß auf die Beschäftigungslage von weniger Qualifizierten, von Kleinbetrieben und schwierigen Branchen Rücksicht nehmen. Und dies ist im Rahmen der Tarifautonomie möglich.
Wir brauchen Wirtschaftswachstum, das mehr Beschäftigung erbringt. Wir brauchen neue Arbeitsplâtze. Wir brauchen eine beweglichere Tarifpolitik. Das Beschäftigungsförderungsgesetz ist ein erster Schritt auf diesem Weg.
Auch die Unternehmer müssen hinsichtlich ihres Verhaltens ihrem Namen gerecht werden, indem
sie nicht nur rationalisieren oder Gewinne in Festanlagen anlegen, sondern indem sie in Forschung und Entwicklung für neue Arbeitsplätze investieren.
({28})
Ein weiteres entscheidendes Thema für unsere Arbeitsplätze in der Bundesrepublik wird die künftige Handelspolitik sein. Die FDP hat eine lange Tradition in der Verteidigung eines Freihandelssystems. Wie Graf Lambsdorff wird sein Nachfolger Martin Bangemann die traditionell liberale Handelspolitik fortsetzen, die nicht nur uns, sondern auch den Entwicklungsländern Vorteile bringt. Da befinden wir uns im Gegensatz zur grünen Partei.
Wir brauchen eine neue GATT-Runde. Wir müssen dafür sorgen, daß sich der Dollar normalisiert, damit sich weitere protektionistische Tendenzen in den USA nicht fortsetzen. Wir brauchen den Druck auf Japan. Die Japaner haben in den ersten Handelsrunden traditionelle Handelshemmnisse, Zölle, abgeschafft. Heute haben wir es in Japan mit dem schwierigen Problem der Handelshemmnisse der dritten Generation zu tun, d. h. mit Handelshemmnissen, die vor allem auch kultureller Art sind. Das ist ein sehr schwieriges Problem, weil diese Handelshemmnisse mit Einkaufsverhalten, mit gewachsenen Handelsstrukturen zu tun haben. Alle diese Fragen müssen in einer künftigen Handelskonferenz auf den Tisch, weil Handel keine Einbahnstraße ist, weil wir nicht zulassen können, daß die Japaner die Weltmärkte überschwemmen und daß sie ihre Grenzen für uns schließen. Deshalb sollten wir in der Handelspolitik mehr Offenheit verlangen. Wir unterstützen die Forderung unseres Wirtschaftsministers Bangemann, eine neue GATT-Runde zu eröffnen, die nicht nur Güter, sondern auch den wichtigen Markt der Dienstleistungen umfassen sollte.
({29})
Ich komme zum Schluß, damit weiteren Rednern der Opposition mehr Redezeit verbleibt. Ich glaube, auf diesem Wirtschaftsgipfel kann es nicht nur um rein wirtschaftliche Fakten gehen. Es darf nicht um ein Feilschen von Krämern gehen. Vielmehr muß auf diesem Weltwirtschaftsgipfel über den künftigen Einfluß von Wirtschaftspolitik und Außenpolitik entschieden werden; denn letztlich sind nur aktive, wirtschaftlich und technologisch potente Nationen in der Lage, echte Verhandlungspartner bei internationalen Verhandlungen zu sein.
({30})
Immer mehr bestimmt heute die ökologische, die ökonomische und technologische Verfassung eines Landes auch über ihren außenpolitischen Einfluß. Es mag einem passen oder nicht, aber die GRÜNEN und auch Sozialdemokraten sollten bedenken, daß weder Amerikanern noch Russen eine Gesellschaft Eindruck macht, die sich pessimistisch und technologiefeindlich mit sich selbst beschäftigt.
({31})
Die FDP möchte, Herr Schily, daß unsere Nation auf diesem Gipfel vom Bundeskanzler, vom Wirtschaftsminister so vertreten wird, daß in der Bundesrepublik langfristig Arbeitsplätze gesichert werden und daß unser außenpolitischer Einfluß steigt. Das geht nicht durch USA-Feindlichkeit.
({32})
- Vielleicht ist es besser, daß wir einen Kanzler haben, der bessere Daten vorzuweisen hat als frühere Kanzler.
({33})
Wir sollten auch nicht in den Fehler verfallen, zu sagen, daß Wirtschaftsgipfel nur so lange bedeutend waren, wie Helmut Schmidt die Bundesrepublik vertreten hat. Vielmehr sind Wirtschaftsgipfel auch heute wichtig.
({34})
Ich fasse zusammen: Mehr außenpolitischer Einfluß ist nicht zu erreichen -
Herr Abgeordneter, bevor Sie zusammenfassen: Bei der Abgeordneten Frau Matthäus-Maier besteht der Wunsch nach einer Zwischenfrage.
Gern. Ich begrüße das.
Ich habe die Frage, ob nicht bekannt ist, daß die Daten, die eben genannt wurden, nicht vom Finanzminister, sondern immer vom Wirtschaftsminister geliefert werden und daß dieser damals Graf Lambsdorff hieß.
Ja, meine Damen und Herren, eine Wirtschaftspolitik wird von zwei Regierungspartnern gemacht, und wir sind heute mit der Union in der Lage, bessere Wirtschaftsdaten als in einer Koalition mit Sozialdemokraten vorzulegen.
({0})
Die Inflation ist in den letzten zwei Jahren halbiert worden, die Verschuldung hat dramatisch abgenommen, das Zinsniveau ist besser geworden, unsere Außenhandelsposition ist besser geworden. Damit sind die entscheidenden Voraussetzungen für mehr Beschäftigung inzwischen gegeben, meine Damen und Herren.
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Wir werden in den nächsten zwei Jahren erleben, daß dies auch zu mehr Beschäftigung führt.
Herr Abgeordneter, lassen Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Brück zu?
Selbstverständlich.
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Kollege Haussmann, würden Sie sich bitte daran erinnern, daß der Bundesfinanzminister vor etwa einer Stunde gesagt hat, weltweit seien die Daten besser geworden, und würden Sie daraus nicht schließen, daß das dann nicht das Verdienst dieser Bundesregierung ist?
Vielen Dank für die Frage. Ich bin gern bereit, zu sagen, daß die verbesserte Wirtschaftssituation nicht nur auf die nationale Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist, sondern daß auch bestimmte konjunkturelle Entwicklungen im von Ihnen kritisch gesehenen Land der USA mit dazu beigetragen haben, daß wir in Deutschland mehr Wirtschaftswachstum und bessere Exporterfolge haben.
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Ich fasse zusammen. Wer bei diesem Weltwirtschaftsgipfel gleichzeitig auch außenpolitischen Einfluß verstärken will, kann dies nicht durch USA-Feindlichkeit, durch neue Autarkiekonzepte oder durch Technologiefeindlichkeit, sondern nur durch eine eindrucksvolle Darstellung der Kraft unserer Wirtschaft, der Leistungsfähigkeit unserer Arbeitnehmer und der technologischen Begabung unserer Ingenieure erreichen. Die Regierung aus Unionsparteien und Freien Demokraten wird jedenfalls die deutschen Interessen bei diesem Gipfel offensiv wahrnehmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wieczorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Kollege Haussmann offensichtlich die höchste Arbeitslosigkeit der Bundesrepublik auch als besonderen Erfolg bucht, tut es direkt wohl, sich daran zu erinnern, wie die Bundesregierung auf unsere Anfrage geantwortet hat und wie Herr Kollege Stoltenberg vorhin hier gesprochen hat. Es ist gut, daß da zumindest Problembewußtsein zu erkennen war. Allerdings war nicht zu erkennen, wie gehandelt werden soll, nach dem Motto: Recht haben tut ihr schon, aber machen können dürfen wir nichts.
Wenn ich mir aber angucke, wie die tatsächliche Situation ist, wenn wir betrachten, wie schwer die Störungen an den Devisenmärkten sind, daß sich die Verschuldungssituation erneut verschärft, daß in Amerika die Bonitätsprobleme des Finanzsektors so wachsen, daß wir wirklich Furcht haben müssen, und daß die Schwächeneigung in der amerikanischen Konjunktur sehr deutlich wird, trotz der Aufputschdroge von mehr als 200 Milliarden Dollar Haushaltsdefizit, meine ich, daß man nicht länger auf ein Wunder und vor allem auch nicht auf die unsichtbar regelnde Hand warten darf.
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Lassen Sie mich etwas dazu sagen. Herr Stoltenberg hat den Eindruck erweckt, es ginge überall
besser. Die Entwicklungsländer haben allein im ersten halben Jahr des vorigen Jahres 19,6 Milliarden Dollar netto in die Industrieländer zurücktransferiert, und das sehe ich nicht gerade als eine Besserung an. Auch in Brasilien, das in diesem Jahr nur noch einen Außenhandelsüberschuß von 9 Milliarden Dollar gegenüber 13,1 Milliarden Dollar im vorigen Jahr haben wird, ist keine Besserung zu verzeichnen, insbesondere wenn man sieht, wie brutal die brasilianische Regierung ihrer eigenen Bevölkerung unter den Auflagen des IWF schon entgegentreten mußte.
Meine Damen und Herren, ich will jetzt nicht weiter über diese Entwicklungsprobleme, sondern über die Währungsfragen reden. Da halte ich es mit Paul Volcker, der gesagt hat: „Der Wechselkurs ist heute eine zu wichtige ökonomische Variable, als daß man ihn in unserer Politik ignorieren dürfte." Ich bin erstaunt, wie leichtfertig in der Beantwortung unserer Anfrage gesagt wird, da könne man nichts tun, und daß überhaupt kein Widerspruch zu dem kommt, was die USA nur als Lippenbekenntnisse für eine Neuordnung der Weltwährungssysteme bringen. Ich finde das deshalb so schlimm, weil die EG auf Grund der Forderung Frankreichs beschlossen hat, daß das Wechselkurssystem ein genuiner Bestandteil der künftigen GATT-Runde sein soll. Wenn man das auf die leichte Schulter nimmt, darf man sich nicht wundern, wenn andere die nächste GATT-Runde auf die leichte Schulter nehmen. Ich wage füglich zu bezweifeln, ob das in unserem Interesse ist.
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Meine Damen und Herren, dieses Thema spielte auch schon in Williamsburg eine Rolle. Es ist eine Studiengruppe eingesetzt worden, die zwei Jahre lang offenbar die Aufgabe hatte, Bedenken zu formulieren. Das können wir uns nicht mehr leisten, denn es besteht schon seit 1972 die Illusion, das System flexibler Wechselkurse führe von sich aus zu einer Stabilisierung der Kurse auf der Basis von Kaufkraftparitäten. Ebenso eine Illusion ist, anzunehmen, unsere nationale Wirtschaftspolitik würde durch die flexiblen Wechselkurse unabhängiger. Tatsächlich ist unsere Abhängigkeit von den USA gestiegen.
Was die USA machen, ist unverantwortlich. Dazu nur eine Ziffer. Wenn die USA in diesem Jahr über ihr Defizit in der Außenbilanz 15% der Ersparnisse der anderen westlichen Länder für sich in Anspruch nehmen - 1982 war das noch 1,1 % -, dann ist dies eine unverantwortliche Politik, weil sie die Realzinsen hochtreiben.
Noch ein Wort zu Herrn Stoltenberg. Es ist j a richtig, daß wir hinsichtlich der Nominalzinsen weit unter den USA liegen, nur: Bei den Realzinsen ist diese Differenz sehr viel geringer. Uns geht es vor allen Dingen um die reale Wirtschaft, denn es ist ja die reale Wirtschaft, die leidet, und nicht die monetäre Seite.
Wenn die Industrie in den USA seit 1980 einem Wettbewerbsdruck ausgesetzt wird, der daher rührt, daß der Dollar gegenüber den wichtigsten Währungen eine Aufwertung um 45% erfahren hat, dann ist doch die natürliche Folge, daß die Unternehmen in den USA nicht nur unwillig sind, in Industrieanlagen zu investieren, sondern daß die Industrieunternehmen es finanziell z. T. langsam überhaupt nicht mehr können.
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Angesichts der Tatsache, daß der Marktanteil industrieller Produkte bei Importen im Jahre 1984 22,8 betrug - 1970 waren es 9,3 % -, darf sich doch niemand über Forderungen nach Protektionismus in den USA wundern. Das ist doch dann Selbstverteidigung. Das müssen wir dann auch in Rechnung stellen.
Ich warne davor, zu glauben, das könne man nur den Japanern anlasten. Ich prophezeie Ihnen: Wenn die Amerikaner etwas gegen Japan machen, dann werden sie Europa einschließen. Dann wird es keine Differenzierung geben. Deswegen sollten wir überlegen, was wir insgesamt machen können. Hier sind nun einmal die Wechselkurse entscheidend.
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Jedoch sind nicht nur in den USA reale negative Auswirkungen der Wechselkurssituation zu beobachten. Bei uns ist es doch ähnlich. Auf Grund der „süßen Droge" des leichten Exports werden bei uns Investitionsstrukturen auf Exporte orientiert, die nur vom hohen Dollarkurs leben.
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Meine Damen und Herren, was wir brauchen, ist nun wirklich eine Stabilisierung der Binnenkonjunktur. Das Ifo-Institut hat doch der Regierung gerade etwas Schönes gesagt; warum machen Sie das nicht wahr?
Wenn überhaupt noch Zeit vorhanden ist, dann ist jetzt die Zeit, auf dem Währungssektor etwas zu tun. Es ist richtig: Die Wirtschaftspolitiken haben sich soweit harmonisiert, daß ich nicht mehr sehe, was da eigentlich noch passieren soll. Angesichts der Ausgangslage - wir haben eine hohe Arbeitslosigkeit; es gibt freie Ressourcen; es herrscht keine Furcht vor einer Inflation, sondern vor einer Deflation - ist es jetzt an der Zeit, etwas zu tun.
Gerade wir Europäer haben doch ein gutes Beispiel, wie es gehen kann. Ich meine das europäische Währungssystem. Es hat sich bewährt. Es hat den Unternehmen - nicht weil es ein System mit starren Wechselkursen ist, ich betone das, sondern weil es ein System mit stabilen Wechselkursen ist - die Planungssicherheit gegeben, um im Wettbewerb bestehen zu können und den Außenhandel innerhalb der EG zu entwickeln. Ich darf Sie daran erinnern, daß mehr als 50% unseres Außenhandels durch die Erweiterung der EG mit Mitgliedsländern der EG abgewickelt wird.
Angesichts dessen verstehe ich den Hinweis der Bundesregierung, die täglichen Devisenbewegungen an den Devisenmärkten seien viel zu groß, als daß man sie kontrollieren könne, in der Antwort auf unsere Anfrage nicht. Das ist nicht nur eine peinliche Verbeugung der Politik vor der Spekulation, sondern das ist auch falsch. Es stimmt, daß der
amerikanische Federal Reserve Board sagt, daß für jeden Dollar, der für Handelstransaktionen an den Devisenmärkten gehandelt wird, zehn weitere für Spekulationen gehandelt werden. Es gibt auch neue Untersuchungen, wonach nur 3 % der Zahlungsvorgänge in Dollar im Clearing in New York überhaupt mit Handelstransaktionen verbunden sind. Aber das ist doch eine Aufforderung, etwas zu tun und nicht nur hinzugucken, wie das weiter durcheinandergeht.
Wenn wir im Herbst letzten Jahres in der Lage waren, internationale Kreditpyramiden durch unser Kreditwesengesetz unter Kontrole zu bringen - das haben wir getan -, dann muß es verdammt noch einmal auch möglich sein, Devisenbewegungen unter Kontrolle zu bringen.
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Meine Damen und Herren, es ist doch nicht so, als fände das irgendwo anonym statt. Die ganzen Devisentransaktionen gehen über die Banken, und die werden von Bankenaufsichtsbehörden kontrolliert. Warum tut man da nichts? Jeder Dollar wird letzten Endes in New York gehandelt und jede D-Mark letzten Endes in Frankfurt. Wir brauchen nur hinzugucken und zu überlegen, wie wir da herangehen können. Ich stelle hier kein System vor, ich weise nur darauf hin, daß es sehr wohl Ansatzpunkte gibt, etwas zu machen. Wer dann sagt, das ginge alles nicht, der will eben nicht; das muß er sich vorhalten lassen. Wir müssen etwas tun, sonst können wir den Protektionismus nicht im Zaum halten und werden weiter solche amerikanischen Forderungen bekommen, wie sie der amerikanische Staatssekretär Wallis - Kollege Mitzscherling hat schon darauf hingewiesen - erhoben hat, nämlich unser bewährtes Sozial- und Arbeitssystem - was für uns immer auch ein wichtiger Wachstumsfaktor war - über Bord zu werfen.
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Es kann dann so kommen wie jetzt in meiner Heimatstadt. Ein Tochterunternehmen von GM, die Firma EDS kommt und stellt sich am Anfang hin und sagt: Die deutschen Arbeits- und Gewerkschaftsgesetze interessieren mich nicht. Wenn das der Stil ist - nein danke. Ich bin dafür, daß hier investiert wird, aber bitte schön zu unseren Bedingungen.
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Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie haben einen bösen Sündenfall begangen. Ihr Arbeitsförderungsgesetz ist doch schon in diese Richtung gegangen und hat die falschen Signale gesetzt.
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Daß die FDP mit Herrn Haussmann jetzt unbedingt bei einer kleinen Gruppe damit Wählerstimmen sammeln will, indem sie alle möglichen Sachen in der Arbeitsgesetzgebung abschaffen will, kann ich bei dem desolaten Zustand dieser Partei fast verstehen - nur, für uns als Bundesrepublik ist das keine verantwortliche Politik;
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es sei denn, man will die Armut steigern und die Arbeiter und Angestellten wieder voll zur willkürlichen Ausbeutung freigeben. Das wäre dann aber wirklich eine andere Republik. Herr Spilker, Sie haben heute zwar nicht unbedingt zum Weltwirtschaftsgipfel, aber über alle möglichen Ideologien geredet. Das wäre dann die andere Republik, aber in einem Sinne, wie Sie sie hoffentlich auch nicht wollen.
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Man soll auch nicht meinen, daß wir damit dann in der Wettbewerbspolitik stärker werden. Das ist ein Irrtum. Wir würden die Binnenkonjunktur durch Kürzungen der Kaufkraft noch mehr in den Teich fahren. Das wäre ein Bärendienst.
Noch ein Wort zu Ihnen, Herr Haussmann. Sie sollten einmal überlegen, warum die Amerikaner das von uns fordern; doch nicht, damit wir noch wettbewerbsfähiger werden und noch mehr nach Amerika exportieren können, sondern weil sie hoffen, daß es Trouble bei uns gibt und wir darunter leiden. Das ist doch der Punkt, warum sie es von uns fordern. Denken Sie doch darüber einmal nach.
Aus all diesen Gründen, meine Damen und Herren, fordern wir, daß der Bonner Gipfel endlich reale Lösungen angeht, daß er nicht wieder ein Schauspiel zur Selbstdarstellung der Regierungsspieler wird. Die Weltwährungs- und -wirtschaftsstrukturen sind so unter Anspannung, daß nicht länger nur geredet und bedächtig genickt und fröhlich repräsentiert werden darf. Es muß endlich gehandelt werden!
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Wartenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe mit großem Interesse Ihren Entschließungsantrag heute gelesen, meine Damen und Herren von der SPD, und auch Herrn Wieczorek eben aufmerksam zugehört. Ich habe den Eindruck, als ob die Verfasser und Sie, Herr Wieczorek, die Entwicklung in den letzten zwei Jahren einfach verschlafen haben. So schlecht stünden wir national nur da, wenn Sie uns weiter regiert hätten, oder international nur da, wenn Sie überall regiert hätten.
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Herr Wieczorek, Sie wissen, ich komme aus Hannover. In Hannover hatten wir gerade die Hannover-Messe. Wenn man dort einmal die Stimmung und die Auftragslage und die Ergebnisse betrachtet - mit gut 900 000 Besuchern, mit über 7 000 Ausstellern - so muß man feststellen: Die Investitions10050
neigung, die Zuversicht, die Nachfrage im Investitionsgüterbereich weist eindeutig nach oben. Das heißt, die inländischen Investitionen und die inländische Investitionsgüternachfrage wird somit zum zweiten Standbein der Konjunktur neben den großartigen Exporterfolgen.
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Eine Annäherung an die Vollauslastung der Kapazitäten würde dann, wenn sich die Investitionsgüternachfrage so weiter entwickelt, eine Erweiterung der Kapazitäten mit sich bringen und damit auch auf dem Arbeitsmarkt positive Effekte zeitigen.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Wieczorek?
Herr Wieczorek, wenn mir Ihr Temperament meine fünf Minuten nicht allzu sehr kürzt, bitte.
Ich rechne Ihnen das nicht auf Ihre Redezeit an.
Danke.
Ich werde es kurz machen.
Herr von Wartenberg, würden Sie mir zustimmen, daß es sicherlich erfreulich ist, wenn die Investitionsgüterkonjunktur anspringt, daß es aber für uns strukturell sehr gefährlich wäre, wenn dies Investitionen vor allen Dingen für Exporte wären, die nur auf der Basis des heutigen überhöhten Dollarkurses zustande kommen?
Ich stimme Ihnen zu, wenn die Investitionsgüternachfrage ausschließlich in der Exportgüterindustrie erfolgt. Aber die Hannover-Messe zeigt ferner, daß wir gerade in den Bereichen der Hochtechnologie nicht darauf angewiesen sind, hier für uns zu importieren, sondern in der Lage sind, Hochtechnologie, Mikroanlagen, selbst herzustellen. Wir können diese also selbst herstellen und sind international wettbewerbsfähig.
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Herr Wieczorek, noch etwas kommt dabei heraus: Wir dürfen die Exporterfolge nicht mehr nur auf den starken Dollar zurückführen, sondern die technologische Entwicklung - das zeigt die HannoverMesse - macht eindeutig klar, daß wir inzwischen auf Grund eigenen Know-hows wieder eigene Exportchancen erwirtschaften.
({1})
Es gibt einen zweiten Punkt, weshalb wir Ihren Antrag ablehnen, und das sind Ihre interessanten Bemerkungen, Herr Wieczorek, zum Dollarkurs und zum Wechselkurssystem. Wir müssen akzeptieren, daß der Dollarkurs eben nicht nur von ökonomischen Zusammenhängen abhängig ist, sondern auch von nichtökonomischen Zusammenhängen. Neben den zur Zeit noch vorhandenen, klaren komparativen Investitionsvorteilen in den USA im Vergleich zu Europa kraft unserer Steuerpolitik, die wir fortzuentwickeln versuchen, gibt es auch Elemente der politischen Entscheidung, der politischen Stabilität, die eine Nachfrage nach einer Währung begünstigen und insoweit mit zur Stärkung des Dollars beitragen.
({2})
Die Vorschläge, die Sie machen, mit dirigistischen Ansätzen - im Prinzip, wenn man es konsequent zu Ende denkt, mit Kapitalverkehrskontrollen am Ende -,
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sind ein völlig falscher Weg. Ich meine, daß es zum System der flexiblen Wechselkurse zur Zeit überhaupt keine ausdiskutierte Alternative gibt. Wenn man Schwierigkeiten erkennt, dann ist es immer besser, nicht den Finger zu heben und andere zu belehren, sondern im eigenen Haus Ordnung zu schaffen. Das heißt, die solide Finanzpolitik der Bundesregierung in den vergangenen zwei Jahren hat für den D-Mark-Kurs mehr getan als manche Intervention.
({4})
Die Diskussion in der internationalen Weltpresse um ein eventuelles rot-grünes Bündnis in wichtigen technologischen Zentren der Bundesrepublik hat eher dem D-Mark-Kurs geschadet als eine Zinsdifferenz von einem halben oder einem Prozent.
({5})
Ein zweiter Punkt, meine Herren von der SPD. Sie fordern in Ihrem Entschließungsantrag eine internationale Schuldenkonfernz. Glauben Sie wirklich, daß in dieser internationalen Schuldenkonferenz mehr geschieht als ein gegenseitiges Sich-Anklagen, als das Bekennen von Maximalpositionen, diese möglichst medienwirksam dargestellt, und damit neue Unsicherheit in den Entwicklungsländern? Der sicherste Weg, Herr Volmer von den GRÜNEN, die Schulden zu minimieren und einen Schuldner zu diskriminieren, ist, ihm die Schulden zu streichen; damit nehmen Sie ihm die Kreditwürdigkeit.
({6})
Die Lösung ist ein weltoffener Handel. Deshalb unterstützen wir es, daß es eine Runde im GATT gibt, die diese angesprochenen Probleme selbst zu lösen versucht. Wir wünschen der Bundesregierung bei dem Weltwirtschaftsgipfel eine glückliche Hand und Vorstellungen, die sich pragmatisch umsetzen lassen und nicht irgendeiner Ideologie folgen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hauchler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem ich die Rede von Herrn Haussmann gehört habe, bin ich nun endgültig
überzeugt, daß die FDP in die Niederungen einer reaktionären Wirtschaftspartei abgeglitten ist. Er hat über Leistung geredet, er hat über Märkte geredet, über Freihandel. Aber er hat im Hinblick auf den Weltwirtschaftsgipfel kein einziges Wort über Fragen der Verschuldung verloren, nichts gesagt zu dem Elend in der Dritten Welt. Wenn man im Vorfeld des Wirtschaftsgipfels im Parlament diskutiert, kann man einfach nicht umhin, sich als eine Fraktion hier im Hause auch mit diesem Problem zu beschäftigen.
({0})
Die Kirchen haben im Vorfeld des Weltwirtschaftsgipfels unüberhöhrbar Kritik an der Entwicklungspolitik der Bundesregierung geübt. Es werde perspektivloser Eigennutz sichtbar, indem Exportförderung, Lieferbindung und Arbeitsplatzsicherung in den Vordergrund der Entwicklungshilfe gerückt würden. Es sei zu fragen, sagen die Kirchen, was an einer solchen Entwicklungspolitik, also an der Entwicklungspolitik der Bundesregierung, eigentlich noch spezifisch christlich sei.
({1})
Meine Fraktion teilt diese Einschätzung der Kirchen. Gleichzeitig begrüßen wir es, daß der Bundeskanzler erklärte, er werde auf dem bevorstehenden Weltwirtschaftsgipfel für die Dritte Welt sprechen und unmißverständlich für eine Weltwirtschaft eintreten, durch die sich die Bedingungen für die Entwicklungsländer verbessern. Wir hören mit großem Vergnügen, daß sich der Bundeskanzler für eine Reform der Weltwirtschaftsordnung auch im Interesse der Entwicklungsländer einsetzen will. Wir werden genau prüfen, welche Ergebnisse dieser Einsatz des Bundeskanzlers zeitigt. Der Bundeskanzler findet die Sozialdemokraten also an seiner Seite, wenn er tatsächlich den Weltwirtschaftsgipfel nutzt, um die Probleme der Dritten Welt mit in den Mittelpunkt dieses Gipfels zu rücken; denn die Probleme der Dritten Welt sind langfristig auch unsere eigenen.
({2})
Aber wir verhehlen nicht den Verdacht, daß hinter dieser frommen Fassade der Worte des Bundeskanzlers keine Substanz steckt. Dieser Verdacht wird genährt durch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD zum Wirtschaftsgipfel. Was sie zur Verschuldungskrise, zum Nord-Süd-Dialog, zur Auflagenpolitik des Währungsfonds und zur Freisetzung von Mitteln durch Abrüstung für die Dritte Welt sagt, läßt wenig Einsicht in die eigentlichen Ursachen von Hunger und Elend in der Dritten Welt, von Ausbeutung und Abhängigkeit dort erkennen.
Wie borniert sich diese Bundesregierung verhält, wird aber am schlagendsten dadurch bewiesen, daß sie sich in der Antwort auf unsere Anfrage rühmt, sie habe doch eine restriktive Rüstungsexportpolitik - durch eine restriktive Rüstungsexportpolitik! - einen konkreten Beitrag dazu geleistet, die weltweite Rüstung so gering wie möglich zu halten. Meine Damen und Herren, dies ist menschenverachtender Zynismus angesichts der Tatsache, daß die Rüstungsgeschäfte der deutschen Industrie mit Entwicklungsländern seit der Wende florieren wie nie zuvor.
({3})
Wir fordern vom Gipfeltreffen in Bonn, daß die Regierungschefs der westlichen Industrieländer endlich substantielle Zugeständnisse an die Dritte Welt machen und konkrete Entschlüsse fassen, um die weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklungsländer zu verbessern.
Dies heißt, erstens, die Anpassung des Schuldendienstes auf ein Maß, das der nachhaltigen Leistungsfähigkeit der Entwicklungsländer entspricht und ihnen den dringend benötigten Spielraum gibt, um Investitionen in die Binnenwirtschaft, in die Selbstversorgung und eine sich selbst tragende Entwicklung zu ermöglichen.
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Eine wirksame Lösung des Schuldendrucks, der auf den Entwicklungsländern lastet und einer Zinsknechtschaft gleicht, kann nicht der eindimensionalen Finanzlogik von Technokraten und Bankiers überlassen bleiben. Sie erfordert politische Entscheidungen über die Verteilung der Lasten zwischen dem Süden und dem Norden. Wir Sozialdemokraten fordern deshalb - anders als die Regierungskoalition von CDU/FDP - die sofortige Einberufung einer internationalen Schuldenkonferenz unter Einbeziehung der Entwicklungsländer.
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Diese Schuldenkonferenz muß Vereinbarungen treffen, um langfristig stabile Zinssätze auf niedrigerem Niveau zu fixieren, öffentliche Schulden zu erlassen - da folgen wir Ihnen gerne, Herr Volmer - und die Banken zur Umschuldung privater Kredite über wesentlich längerfristige Zeiträume und zu realistischen Zinssätzen zu drängen. Es genügt nicht, die Banken zu ermuntern. Die Politik ist dazu da, auch Einfluß auf die Rahmenbedingungen der Wirtschaft zu nehmen und die Privatwirtschaft zu drängen, zur Entschuldung der Dritten Welt einen wirklichen Schritt nach vorne zu tun.
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Indem die Bundesregierung solche politischen Lösungen, die Sie, auch Sie von CDU/FDP, verweigern, erneut ablehnt, beweist sie, daß ihr Bekenntnis zu globaler Verantwortung nichts ist als schiere Propaganda.
Von besonderer Einfalt zeugt es, wenn der deutsche Finanzminister - er ist nicht mehr da - sagt, die Schuldenstrategie der letzten Jahre habe ihre Bewährungsprobe bestanden. Wie ist dies mit der Tatsache zu vereinbaren, daß die Schulden in diesem Zeitraum weiter explodiert sind, nämlich von 700 Milliarden Dollar 1983 über 900 Milliarden Dollar in 1984 auf fast 1 000 Milliarden Dollar in diesem Jahr? Und niemand weiß, wie diese Schulden jemals getilgt und verzinst werden sollen.
Wir fordern, zweitens, die Abkehr von der bisherigen Auflagenpolitik des Internationalen Währungsfonds, die in vielen Entwicklungsländern zu verschärfter sozialer Verelendung, politischer Destabilisierung und Schwächung der binnenwirtschaftlichen Entwicklung geführt hat. Die durchschnittliche Verbesserung der Leistungsbilanzen der Entwicklungsländer in den vergangenen zwei Jahren ist ein zweifelhafter Erfolg. Er beruht auf vermehrten Exporten der Entwicklungsländer, aber auch vor allem auf verminderten Importen. Dies hat zwar zu einer besseren Zahlungsfähigkeit im Interesse der Gläubigerbanken geführt, die Frage ist jedoch, zu welchem Preis und zu wessen Lasten dies geschieht und wie lange dieses kurzfristige Krisenmanagement hält.
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Die Lasten tragen die Armen durch höhere Brotpreise, geringere Einkommen und steigende Hoffnungslosigkeit in ihrem Streben nach Bildung und sozialer Sicherung. Der Preis besteht darin, daß sich die Abhängigkeit der Entwicklungsländer vom Wachstum und vom Finanzdiktat der Industrieländer verschärft und das ohnehin geringe eigene wie das spärlicher fließende fremde Kapital vom Binnenmarkt abgezogen wird, so daß die Basis für die eigene Deckung der Grundbedürfnisse weiter schrumpft. Eine Politik, die sich in kurzfristigem Krisenmanagement erschöpft und die Dritte Welt zu Lasten der inländischen Versorgung zum Export zwingt, kann die Katastrophe hinausschieben, wird sie aber eines Tages um so sicherer herbeiführen.
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Drittens. Wir fordern die Bundesregierung auf, das Gipfeltreffen zu nutzen, um eine neue Abrüstungsinitiative der westlichen Industrieländer einzuleiten und sich darauf zu verpflichten, gemeinsam mit dem Osten durch Abrüstung frei werdende Mittel in einen Sonderfonds für die Entwicklung der ärmsten Länder einzubringen. Ein solches von der SPD vorgeschlagenes Zukunftsprogramm Dritte Welt soll zur Finanzierung von Entschuldungen und Zinsanpassungen, zur Verbesserung der Handelsbedingungen und zur strukturellen Stärkung der Eigenversorgung der Entwicklungsländer eingesetzt werden. Man stelle sich vor: Ein nur 5 %iger Abbau der weltweiten Rüstung würde das Volumen der Entwicklungshilfe um mehr als das Doppelte steigern können.
Meine Damen und Herren, solange sich die Bundesregierung hinter der Reagan-Administration versteckt, um die eigenen Zusagen für die Internationale Entwicklungsorganisation, IDA, nicht einhalten zu müssen - wie geschehen -; solange sie keinen eigenen Beitrag zur Kapitalerhöhung der Weltbank leistet, bis der amerikanische Präsident mit dem Kopf genickt hat, so lange tönt es, wenn der Bundeskanzler sagt, er spreche für die Dritte Welt, wie eine hohle Phrase.
Neue und größere Hungerkatastrophen, verschärfte Umweltzerstörung und soziale und politische Destabilisierung in den Entwicklungsländern durch überzogenen wirtschaftlichen Anpassungsdruck können zu einer immer explosiveren Spannung zwischen dem Süden und dem Norden führen. Wenn es nicht zu einer grundlegenden Umorientierung der Dritte-Welt-Politik kommt, drohen Schulden- und Rohstoffkartelle - machen wir uns da nichts vor -, härtere militärische und revolutionäre Konflikte und letztlich dann auch die Desintegration der Weltwirtschaft.
Herr Abgeordneter Hauchler, die für Sie gemeldete Redezeit ist abgelaufen. Bitte, kommen Sie zum Schluß.
Ich komme zum Schluß.
Wer heute diese Zeichen an der Wand nicht sieht, starr auf alte Rezepte in einer neuen Lage setzt, wer die drohende Katastrophe verharmlost, FinanzBusiness as usual betreibt und sich vor durchgreifenden politischen Lösungen drückt - wie Sie, meine Damen und Herren von der CDU -, der handelt nicht nur verantwortungslos gegenüber den Hungernden in der Welt, sondern auch töricht, weil er im engstirnigen Festhalten an vorgefaßten Anschauungen blind ist für neue Bedingungen und so letzten Endes langfristig gegen die eigenen Interessen verstößt.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hüsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am vorigen Freitag hat zum erstenmal ein regierender deutscher Bundeskanzler außerhalb einer Regierungserklärung in einer eigens dafür zusammengerufenen Veranstaltung ein deutliches Bekenntnis zu unserer Verpflichtung im Nord-Süd-Verhältnis abgegeben. Helmut Kohl hat betont, daß wir weitere Hilfe für die schwierige strukturelle Anpassung der Dritte-Welt-Länder leisten werden, und zwar verstärkt. Er hat sich zur sozialen Verpflichtung in der Weltwirtschaft und in der Weltwirtschaftsordnung bekannt, und er hat seine Bereitschaft erneuert, die Verschuldensprobleme auf der Tagesordnung des Weltwirtschaftsgipfels zu halten.
Die Bundesregierung handelt entsprechend. Alle Kritik, die hier verbunden mit Mißtrauen geäußert ist, entbehrt jeder Grundlage. Wir haben allen Anlaß, den Ministern Stoltenberg und Warnke für ihr Auftreten bei der IWF-Konferenz in Washington, aber auch dem Finanzminister für seine Worte in der heutigen Debatte zu danken. Ich möchte ausdrücklich auch den Wirtschaftsminister einbeziehen. Denn es ist in der Tat eine durchaus zufriedenstellende Sicht, wenn drei Minister aus unterschiedlichen Verantwortungsbereichen eine gemeinsame Haltung vertreten, die auch den moralischen und ethischen Ansprüchen gerecht wird.
({0})
Es ist - das kommt in den Worten von Herrn Kollegen Hauchler zum Ausdruck - ein alter Irrglaube der SPD, man könne durch KapitalübertraDr. Hüsch
gungen die Probleme der Entwicklungsländer lösen. Gerade das Verschuldungsproblem beweist, daß dies so allein nicht gelingen kann. Das beredte Schweigen des Altbundeskanzlers Schmidt auf die damals von seinem Parteivorsitzenden Brandt vorgetragenen Vorschläge, die im Schwergewicht finanzpolitische Vorschläge waren, zeigt deutlich, daß, soweit die SPD in der Regierungsverantwortung ist, sie dies ebenso sieht. Warum tragen uns Sie, Herr Hauchler, heute etwas vor, zu dem Sie 13 Jahre lang geschwiegen hatten, wozu Sie nicht die Kraft hatten, es in Ihrer Regierungszeit aufzugreifen?
Der Antrag der GRÜNEN, zu dem ich kurz zu sprechen habe, geht an der Realität vorbei. Er muß auch an der Realität in den Entwicklungsländern scheitern. Nicht alles, was menschlich klingt - das muß man bei allem Respekt vor dem inneren Engagement des Redners der GRÜNEN sagen -, wirkt sich am Ende auch zugunsten der benachteiligten Menschen aus, um die es hier geht. Die Verschuldenssituation der jeweiligen Entwicklungsländer erfordert ein abgestimmtes Vorgehen von Fall zu Fall. Diesen Weg hat die Bundesregierung schon zur Zeit der sozialliberalen Koalition beschritten. Ich möchte hier ausdrücklich den Kollegen Matthöfer einbeziehen. Er hat nur nicht die Kraft gehabt, seine Vorstellungen durchzusetzen.
Wer sich aber unter den Entwicklungsländern unseren nationalen Interessen widersetzt, indem er die Berlin-Klausel nicht anerkennt, der kann von uns nicht erwarten, daß wir seinen Interessen entgegenkommen.
Wir sind nach wie vor der Auffassung, flexible Einzelfallösungen sind wirkungsvoller als genereller Schuldenerlaß oder pauschales Moratorium. Selbsthilfeförderung ist oberstes Ziel. Das läßt sich durch Fonds nicht erkaufen. Ein einseitiges Vorgehen als Geberland wäre sinnlos. Es bliebe wirkungslos. Es würde die Versuchung zum Mißbrauch der durch den Schuldenerlaß pauschal oder global eingetretenen Entlastung nur fördern. Ein makabres Ergebnis wäre es, wenn beispielsweise der Schuldenerlaß für Äthiopien dieses Land in die Lage versetzen könnte, seine Waffenkredite etwa in der Sowjetunion abzulösen. Wir werden nicht zu den nützlichen Idioten gehören, die das tun. Wir wollen zu denen gehören, die den Entwicklungsländern in der Tat und real helfen. Dazu wird sicherlich der Weltwirtschaftsgipfel angemessen beitragen.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3239. Wer dem Entschließungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist abgelehnt.
Zu den Punkten 3 b und 3 c der Tagesordnung schlägt der Ältestenrat Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 10/2818 und 10/3160 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d auf:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes
- Drucksache 10/3162 -
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesregierung Wohngeld- und Mietenbericht 1985
- Drucksache 10/3222 -
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften ({0})
- Drucksache 10/2913 -
d) Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen und weiterer wohnungsrechtlicher Bestimmungen ({1})
- Drucksache 10/3203 Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung des Ältestenrats sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 d und eine Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? ({2})
Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache.
Ich erteile dem Herrn Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Herrn Dr. Schneider, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser Debatte befaßt sich das Hohe Haus gleichzeitig mit vier Vorlagen aus dem Bereich des Wohnungswesens: dem Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wohngeldgesetzes, dem Wohngeld- und Mietenbericht 1985, dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen und weiterer wohnungsrechtlicher Bestimmungen und schließlich mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften. Die einzelnen Vorlagen lassen sich nur angemessen beurteilen, wenn man sie in eine Gesamtbetrachtung des wohnungspolitischen Umfeldes einbezieht.
Die Wohnungspolitik der Bundesregierung geht von der Sozialen Marktwirtschaft aus. Sie ist nachfrage- und bestandsorientiert. Sie orientiert sich an folgenden Grundsätzen.
Erstens. Die Marktwirtschaft wird als leistungsfähiges Organisations- und Informationssystem genutzt. Der Bau und die Verteilung der Wohnungen werden grundsätzlich den Anbietern und Nachfragern überlassen. Wir setzen auf die Eigeninitiative des selbstverantwortlichen Bürgers und nicht auf eine bevormundende Bürokratie.
({0})
Zweitens. Die Personen, die aus eigener Kraft kein ausreichendes Einkommen erzielen können, müssen eine wirkungsvolle individuelle Hilfe erhalten. Die soziale Absicherung ist unerläßlich. Wohngeld und sozialer Wohnungsbau sind nach der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers vom 4. Mai 1983 Kennzeichen einer in diesem Sinne verstandenen sozialen Wohnungsmarktwirtschaft.
Meine Damen und Herren, den ersten wichtigen Schritt hat die Bundesregierung bereits kurz nach dem Regierungswechsel mit dem Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen vom 20. Dezember 1982 getan.
({1})
Sie alle werden sich lebhaft an die Auseinandersetzungen um dieses Gesetz im Wahlkampf 1982/83 erinnern. Opposition und Mieterverbände haben damals in einer maßlosen Polemik Mietsteigerungen von 30 %, 50 % und mehr Prozent vorausgesagt.
({2})
Im heute vorliegenden Wohngeld- und Mietenbericht hat die Bundesregierung die nüchternen und hoffentlich ernüchternden Zahlen zur tatsächlichen Mietenentwicklung dargelegt. Danach hat sich die Mietsteigerung nicht beschleunigt, sondern erheblich verlangsamt.
({3})
Nimmt man den Gesamtindex, so verringerte sich die Mietsteigerung von 5,1 % im Jahre 1982 bzw. 5,4 % im Jahre 1983 auf 3,8 % im Jahre 1984. Die Liberalisierung des Mietrechts konnte sich allerdings nur auf die frei finanzierten Wohnungen auswirken; denn nur auf sie hat sich die Mietrechtsnovelle überhaupt erstreckt.
({4})
Die Mietsteigerung für frei finanzierte Wohnungen liegt mit 3,2 % im Jahre 1984 deutlich unter dem Anstieg der Vorjahre. Im März 1985 hat sich der Anstieg sogar auf nur 2,5 % verringert und liegt damit nicht mehr höher als der Anstieg der Lebenshaltungskosten.
({5})
Meine Damen und Herren, ich möchte darauf hinweisen,
({6})
daß in den Indexzahlen, die ich genannt habe, nicht nur die Mieten enthalten sind, die der Mieter an den Vermieter zu zahlen hat, sondern darin inbegriffen sind auch die kommunalen Gebühren und Abgaben. Auch hier gibt es im Verhältnis 1982/84 eine beträchtliche und, wie ich glaube, höchst erfreuliche Entwicklung. Beim Wassertarif - bei monatlichen Abnahmemengen von z. B. bis zu 20 Kubikmeter - betrug die Veränderung 1982 zum Vorjahr 7,1 %, von Januar bis Oktober 1984 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nur noch 2,7 %. Bei der Abwasserbeseitigung fiel die Belastung von rund 14,3 % auf 6 %, bei der Müllabfuhr von 7,9 % auf 2,6 %.
({7})
- Das ist ein Reflex der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung,
({8})
ein Ergebnis der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, ein Ergebnis der allgemeinen Preisberuhigung.
({9})
Herr Exoberbürgermeister, Sie wissen, wie solche Zahlen zustande kommen, und Sie freuen sich sicherlich mit mir darüber.
Meine Damen und Herren, Sie können in den Annalen der Mietenentwicklung lange zurückblättern, ehe Sie einen derart geringen Mietenanstieg trotz der Versuche, die Mietsteigerungen mit gesetzlichen Eingriffen zu dämpfen, feststellen können. Die Mieten im sozialen Wohnungsbau sind dagegen überdurchschnittlich gestiegen. Im März lag der Mietanstieg dort bei 5,1 %. Diese hohe Steigerungsrate verdanken die Sozialmieter einem Danaergeschenk der Regierungen Brandt und Schmidt.
({10})
Sie haben in den 70er Jahren auf Inflation und Spekulation gebaut und sie haben den sozialen Wohnungsbau während ihrer Zeit unsolide finanziert.
({11})
Die Sozialwohnungen der 70er Jahre sind mit vorprogrammierter Mietsteigerung gebaut worden. Niemand kann das bestreiten. Das haben Sie bewußt in Kauf genommen und kann Sie deshalb heute auch nicht überraschen.
Inzwischen haben die Sozialmieten für diese Wohnungen die Vergleichsmiete eingeholt und leider vielfach weit überholt. Die krassen Unterschiede in der Mietentwicklung für frei finanzierte und staatlich reglementierte Wohnungen zeigen nicht nur die eindeutig größere Leistungsfähigkeit eines marktwirtschaftlich organisierten Wohnungsmarktes, sondern auch den hohen sozialpolitischen Beitrag der Marktkräfte zur Dämpfung der Mieten.
Nachdem also der Mietenbericht 1985 die Behauptung klar widerlegt hat, daß mehr Markt zu höheren Mieten führt, werden Sie nach der ErhöBundesminister Dr. Schneider
hung des Angebots fragen. Darauf eine klare Antwort: Gemessen an der Nachfrage - und nur diese kann vernünftigerweise als Vergleichsmaßstab herangezogen werden - hat es in der Bundesrepublik Deutschland noch nie ein so hohes Angebot an Wohnungen gegeben.
({12})
Mit unserer marktwirtschaftlichen Politik haben wir eine Wohnungssituation erreicht, die noch Anfang der 80er Jahre für utopisch gehalten wurde, als landauf, landab der Ruf von der neuen Wohnungsnot zu hören war. Statt der damals beschworenen neuen Wohnungsnot haben wir heute einen global entspannten Wohnungsmarkt.
({13})
Den Mietern und Eigentümern stand noch nie ein so breites Angebot an Wohnungen zur Auswahl. Meine Damen und Herren, die Leerstandsreserve erleichtert den Wechsel in eine bessere oder günstigere Wohnung. Freilich, die Leerstandsreserve signalisiert aber auch eine tiefe Zäsur in der wohnungswirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes. Die Bundesregierung wird auf diese Entwicklung angemessen reagieren.
({14})
Der Gesamtverband Gemeinnütziger Wohnungsunternehmen hat heute vor einer Woche berichtet - ich hoffe, Sie haben das zur Kenntnis genommen -, daß die Zahl der leerstehenden Mietwohnungen aller Mitgliedsunternehmen innerhalb eines Jahres um 40 % auf 31 000 Wohnungen gestiegen ist.
({15})
Die durchschnittlich verfügbare Wohnfläche und die Qualität der Wohnungen liegen im internationalen Vergleich an der Spitze. Dabei sind die Immobilienpreise und, wie wir aus dem Mietspiegel mancher Städte wissen, teilweise auch die Mieten in den letzten Jahren erstmals gesunken. Auch die Baulandpreise sinken, und zwar bei einem marktwirtschaftlichen Bodenrecht. So sind z. B. im letzten Quartal im Freistaat Bayern, wo bekanntlich wegen der Attraktivität des Landes die Bodenpreise besonders gestiegen sind, die Baulandpreise um 12 % zurückgegangen.
Nun, meine Damen und Herren, räume ich gern ein, daß der Marktausgleich und das hohe Angebot nicht allein auf das Gesetz zur Erhöhung des Angebots an Mietwohnungen zurückzuführen sind. Auch das wohnungspolitische Sofortprogramm der Bundesregierung vom Oktober 1982 hat das Angebot noch einmal kräftig verstärkt. Dieses Programm ist nicht nur konjunkturpolitisch, sondern auch wohnungspolitisch ein großer Erfolg. Den Skeptikern sei gesagt: Auch für die Bauwirtschaft ist das Sonderprogramm, das erst Ende 1986 ausläuft, ein Erfolg. Im Jahre 1984 wurden rund 400 000 Wohnungen neu gebaut und fertiggestellt. Ohne das Sonderprogramm wäre der Rückgang in der Bauwirtschaft früher eingetreten und auch weitaus härter verlaufen.
({16})
Die unvermeidliche Strukturanpassung wäre in eine Phase gefallen, in der die allgemeine Konjunktur noch keine Entlastung bot und in der die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte noch zu Kürzungen bei den öffentlichen Investitionen führte.
Natürlich hat auch die gedämpfte Nachfrageentwicklung in den Jahren von 1981 bis 1983 den Wohnungsmarkt entlastet. Aber es bleibt die Tatsache, daß die günstige Entwicklung der Mieten und des Angebots auch eine Folge des zurückgewonnenen Vertrauens in verläßliche marktwirtschaftliche Bedingungen ist.
({17})
Die Investoren können sich darauf verlassen, daß der Staat nicht beliebig und willkürlich in die Mietenentwicklung eingreifen wird. Das ist eine entscheidende Voraussetzung für ein hohes und preiswertes Angebot zugunsten der Mieter.
Lassen Sie mich noch einige Folgerungen aus diesen Erfahrungen für die künftige Wohnungspolitik ziehen.
Die gegenwärtige günstige Wohnungsmarktsituation belegt eindrucksvoll die These, daß ein hohes Angebot der beste Schutz des Mieters vor einer ungerechtfertigten Mieterhöhung oder Kündigung ist. Aus Gesetzesverstößen und Mißbräuchen in Einzelfällen wird immer wieder die Forderung abgeleitet nach einem verschärften Zweckentfremdungsverbot, nach einem Verbot der Luxusmodernisierung, nach einem Umwandlungsverbot, nach einer Ausweitung der Erhaltungssatzung usw.
Ich verkenne natürlich nicht, daß es Gesetzesverstöße und Mißbrauchsfälle gibt. Solchen Fällen muß mit den vorhandenen, völlig ausreichenden gesetzlichen Mitteln entschieden entgegengetreten werden. Gerade weil es Alternativen gibt, können die Mieter ihre Rechte besser als in der Vergangenheit geltend machen.
Ich hielte es für einen Irrweg, unsoziale und rechtswidrige Verhaltensweisen durch zusätzliche allgemein wirkende Verbote und Beschränkungen verhindern zu wollen.
({18})
Viel wirksamer als durch Verbote kann das extreme Ausschöpfen von Marktengpässen durch einen harten Wettbewerb der Anbieter verhindert werden. Der sogenannten Luxusmodernisierung ist nicht durch Verbote die Spitze gebrochen worden, sondern vor allem durch das Zusatzangebot von Luxuswohnungen, auch im Rahmen des Bauherrenmodells. Das vielgescholtene Bauherrenmodell hat immerhin bewirkt, daß noch voriges Jahr auf diesem Weg 30 000 Wohnungen gebaut worden sind, Wohnungen, die im gewerblichen Auftragswesen erstellt worden sind, Wohnungen, die mehr als
60 000 Maurern Arbeit gegeben haben. Man hat allzu oft allzu leichtfertig und unbedarft darüber gesprochen.
Die Bundesregierung wird die Bedingungen für Investitionen im Wohnungsbestand nicht gefährden, sondern verbessern. Damit werden die gesetzlichen Schutzrechte der Mieter mit dem wirtschaftlichen Schutz durch ein hohes Wohnungsangebot und entsprechende Wahlmöglichkeiten wirksam ergänzt.
In diesem Konzept der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft kommt dem Wohngeld - und dazu haben wir eine Vorlage eingebracht - ein hoher Stellenwert zu. Ich habe immer wieder betont, daß eine treffsichere individuelle Hilfe Bestandteil der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft sein muß. Da wir global einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt, auf Teilmärkten sogar ein Überangebot haben, tritt die Bedeutung des sozialen Mietwohnungsneubaus immer mehr in den Hintergrund. Umgekehrt muß das Wohngeld verstärkt die soziale Ausgleichsfunktion übernehmen. Dies bedeutet andererseits aber nicht, daß man gänzlich auf eine sozial gebundene Verfügungsreserve an Mietwohnungen wird verzichten können.
Mit dem vorliegenden Entwurf der 6. Wohngeldnovelle sollen die Wohngeldleistungen des Bundes und der Länder um 900 Millionen DM ab 1. Januar 1986 erhöht werden. Damit werden die Wohngeldleistungen erstmals über 3 Milliarden DM liegen. Die Steigerung beträgt fast 40% gegenüber der Situation ohne diese Novelle. Die wohngeldberechtigten Haushalte erhalten im Durchschnitt eine Wohngelderhöhung von 42 DM monatlich. Die wohngeldfähigen Miethöchstbeträge steigen durchschnittlich um 20 % und sollen nicht mehr nach der Gemeindegröße, sondern nach dem Mietniveau differenziert werden.
({19})
Die vorgelegte 6. Wohngeldnovelle macht deutlich, daß die Bundesregierung das Wohngeld zu einem verläßlichen sozialen Instrument der Wohnungspolitik ausbaut. Das Wohngeld ist in seiner 20jährigen Geschichte - Sie erinnern sich: das erste Wohngeldgesetz wurde am 23. März 1965 erlassen und trat am 1. April 1965 in Kraft - zu einem festen Bestandteil der sozialen Sicherung geworden. Die individuelle Hilfe kann von Mietern und Eigentümern beansprucht werden und läßt sich mindestens jährlich an veränderte persönliche Verhältnisse anpassen. Sie ist der Objektförderung weit überlegen.
Es ist häufig behauptet worden, durch Wohngeldleistungen würde das Wohnungsangebot nicht erhöht. Ich halte diese Ansicht für falsch.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Bitte, Herr Kollege.
Herr Minister, Sie haben soeben gesagt, das Wohngeld sei ein verläßliches soziales Korrektiv. Wie erklären Sie sich, daß die Zahl der Wohngeldempfänger von 1982 auf 1984 unter den Rentnern, besonders in den Ballungsgebieten, um rund 12% gefallen und vor allem unter den Sozialhilfeempfängern und Arbeitslosen um ca. 9 % gestiegen ist? Liegt das am Einkommen der Rentner oder an der Struktur des Wohngeldes?
Das Wohngeld hebt auf das jeweilige Einkommen ab. In dem Maße, in dem das Einkommen steigt, verringert sich die Anzahl der Wohngeldempfänger. Natürlich spiegelt die Entwicklung auf dem Felde des Wohngeldes die zunehmende Arbeitslosigkeit wider, die wir in dieser Zeit zu beklagen hatten. Das kann überhaupt nicht bestritten werden. Die Wohngelderhöhung hat ja auch den Sinn, gerade denen zu helfen, die auf Grund ihrer sozialen Situation auf das Wohngeld in besonderer Weise angewiesen sind.
({0})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Bitte, Herr Reschke.
Noch eine Frage, weil sie wichtig ist: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß das auf die Streichung vom 1. März 1983, insbesondere bei den Rentnern, und nicht auf Einkommenserhöhungen zurückzuführen ist?
Herr Kollege Reschke, das war damals eine leider notwendige, aber sozial immerhin noch vertretbare Korrektur. Hätten Sie uns weniger Schulden hinterlassen, hätten Sie einen ausgeglichenen Haushalt gehabt, wären wir dazu nicht gezwungen gewesen. Wir wollen also auch hier politische Ursache und Wirkung nicht verwechseln.
({0})
Wir können in der Wohnungswirtschaft wie in anderen Wirtschaftsbereichen davon ausgehen, Herr Kollege Reschke, daß eine höhere Kaufkraft ein größeres Angebot nach sich ziehen wird. Wohnungspolitisch hat das Wohngeld den unschätzbaren Vorteil, daß die Familien mit ihrer Nachfrage bestimmen können, ob und inwieweit die Wohnfläche ausgeweitet oder die Qualität verbessert werden soll. Die Anbieter müssen sich diesen von der Wohnkaufkraft abhängigen Wünschen anpassen.
Im Blick auf die künftige Wohnungspolitik möchte ich keinen Zweifel daran lassen, daß die sozialpolitischen und wohnungspolitischen Funktionen des Wohngeldes gesichert werden.
Wer auf die Selbstverantwortung und Eigeninitiative des mündigen Bürgers setzt - das ist ein anderer Schwerpunkt der Arbeit der Bundesregierung -, muß die Normenflut und die Bürokratie
eindämmen. Diese Bundesregierung arbeitet zum erstenmal systematisch und methodisch an einer Rechts- und Verwaltungsvereinfachung. Freilich, diese gewaltige Aufgabe kann nicht in einem Kraftakt gelöst werden. Der Entwurf des Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetzes stellt allerdings einen weiteren wichtigen Schritt auf dem Weg zu dem gesetzten Ziel dar. In mehr als 50 Änderungen werden wohnungsrechtliche Paragraphen gestrichen oder vereinfacht. Dazu nur einige Beispiele.
Für mehr als 500 000 Wohnungseigentümer, die ihre Wohnung selbst nutzen und die öffentlichen Mittel zurückgezahlt haben, sollen die gesetzlichen Beschränkungen sofort entfallen. Damit können über 500 000 Akten bei den Wohnungsbauförderungsämtern ein für allemal geschlossen werden.
({1})
Die umfangreichen Vorschriften über Wohnbesitzwohnungen, einer jener - ich möchte es gelinde sagen ({2})
geplatzten Ballone der alten Wohnungspolitik - ({3})
- Ich spreche von Wohnbesitzwohnungen. Das war dieser Hoffnungszeppelin für die „Neue Heimat". Der hat zwar nicht geholfen; durch widrige Winde wurde - ({4})
- Da ist sogar das Gas ausgegangen, so daß er gar nicht platzen konnte. Er war von Anfang an nicht flugfähig. Ihm fehlte die Steigkraft.
Die umfangreichen Vorschriften über Wohnbesitzwohnungen, die 1976 eingeführt worden sind, aber nie eine Bedeutung erlangt haben, werden wir ersatzlos streichen. Detaillierte Fördervorschriften, die dem Bürger beispielsweise vorschreiben, wie viele Steckdosen jedes Zimmer haben muß und daß in der Küche eine Wasserzapfstelle sein soll, können ersatzlos wegfallen.
({5})
Mit diesem bürokratischen Unsinn machen wir ein Ende. Vielleicht könnte das Land Nordrhein-Westfalen auch noch einen Beitrag zur Verwaltungsvereinfachung, zur Entbürokratisierung leisten, wenn es die Rechtsverordnung über die Errichtung einer Hundehütte aufhöbe. Denn die Zimmerleute in Nordrhein-Westfalen sind auch ohne diese Rechtsverordnung in der Lage, eine Hundehütte angemessen zu bauen.
({6})
Jeder gute Zimmermann weiß, daß die Dimension einer Hundehütte für einen Dackel und für einen Bernhardiner unterschiedlich groß sein muß - ohne Rechtsverordnung.
Außer im Wohnungsrecht wird die Bundesregierung die Rechts- und Verwaltungsvereinfachung
auch im Baurecht, im Baunebenrecht und bei den DIN-Normen vorantreiben.
Meine Damen und Herren, der Bundesrat hat im Zusammenhang mit dem Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz gefordert, die Benachteiligung der Erwerbstätigen-Haushalte bei der Ermittlung der Einkommensgrenze im § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes zu beseitigen. Darüber hinaus hat der Bundesrat auf Initiative von Berlin den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen vorgelegt. Dieser Gesetzentwurf ist heute ebenfalls Gegenstand der Beratungen. Das sogenannte Fehlbelegungsgesetz, das von der vorherigen Bundesregierung initiiert worden ist, hat sich zunehmend als unsozial erwiesen. Deshalb wird das Anliegen des Bundesrates von der Bundesregierung nachdrücklich unterstützt. Es kann aber nicht darum gehen, das dirigistische und marktwidrige Fehlbelegungsgesetz zu perfektionieren und damit noch mehr Bürokraten zu beschäftigen und noch mehr Mieter zu verärgern. Die Bundesregierung schlägt deshalb eine sehr einfache Lösung vor, nämlich einen pauschalen Abzug in Höhe von 15 % von den Bruttoeinkommen der Erwerbstätigen. Gewiß wird in den Ausschußberatungen darüber noch im einzelnen zu reden sein; vielleicht kann es auch eine höhere Pauschale geben.
Die Bundesregierung zieht eine solche Lösung über die Verbesserung der Einkommensgrenzen nach § 25 des Zweiten Wohnungsbaugesetzes nicht zuletzt deshalb vor, weil sie zum einen allen Sozialmietern in gleicher Weise hilft und gleichzeitig die im Verhältnis der Erwerbstätigen- zu den Nichterwerbstätigen- Haushalten aufgetretenen Ungerechtigkeiten wirksamer mildert. Gleichzeitig wird verhindert, daß der Sozialwohnungsbestand allmählich zum Ghetto für die wirtschaftlich und sozial schwächsten Haushalte wird. Für weitere sachgerecht und vertretbare Verbesserungsvorschläge im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens ist die Bundesregierung natürlich offen.
Meine Damen und Herren, wir müssen bedenken, daß sich der Abstand zwischen Sozialmieten und Vergleichsmieten künftig weiter verringert. Außerdem werden auch weiterhin Mieter in die Fehlbelegungsabgabe hineinwachsen, wenn die Nominaleinkommen steigen. Es ist deshalb nicht auszuschließen, daß die vorgesehene Entlastung nicht bis zum Ablauf des Fehlbelegungsgesetzes am 31. Dezember 1994 reichen wird.
Meine Damen und Herren, eine letzte Frage: Wie geht es weiter?
({7})
Das Wohnungsangebot wird quantitativ nicht mehr stark ausgeweitet, aber qualitativ ständig verbessert werden. Die Nachfrage nach qualitativ besseren Wohnungen wird mit dem wirtschaftlichen Wachstum steigen. Die Preise für Immobilien werden sich stabilisieren. Auch künftig gibt es eine solide Grundlage für Investitionen im Bestand, für Ersatzinvestitionen und für Eigentumsmaßnahmen.
Die Bundesregierung hat alle steuerrechtlichen Voraussetzungen dafür geschaffen. Sie bietet besonders den Familien mit Kindern eine neue Chance, Eigentümer zu werden. Erstmals ist das Steuerrecht für das selbst genutzte Wohneigentum systematisch geordnet und schlüssig in eine einheitliche Kodifikation gebracht worden.
Meine Damen und Herren, Bauinvestitionen in der Wohnungswirtschaft werden also auch in der Zukunft notwendig sein; sie werden sich auf einem geringeren Niveau stabilisieren. Wir haben nach dem Zweiten Weltkrieg über 18 Millionen Wohnungen neu gebaut, wir haben Millionen Wohnungen neuwertig modernisiert. Wir haben eine Bevölkerung, deren Zahl nicht weiter wächst, vielmehr eher zurückgeht. Wir haben nach 120 Jahren Wohnungsnot in der industriellen Revolution erstmals einen Zustand erreicht, daß wir mehr Wohnungen als nachfragende Haushaltungen haben. Dies ist eine wohnungswirtschaftliche Leistung, erzielt unter den Vorzeichen der sozialen Wohnungsmarktwirtschaft. Beim sozialen Wohnungsbau haben wir nur Sorgen mit Wohnungen, die nach 1970 gebaut worden sind. Die Träger preisgünstiger Wohnungen sind die Baujahre bis 1970. Das heißt, die Wohnungspolitik der unionsgeführten Regierungen erweist sich heute als soziale Wohltat, während die von Ihnen verantworteten Sozialmietwohnungen einer Nachsubventionierung bedürfen und im Preis das sozial zuträgliche Maß längst überschritten haben. Wir halten also jeden Vergleich zwischen unserer und Ihrer Wohnungspolitik aus.
Der Wirtschaftsbau wird eine der Hauptstützen der Baunachfrage auf mittlerer Sicht sein; er wird in dem Maße wieder wachsen, in dem die Wirtschaft wächst. Auch die öffentlichen Investitionen werden in diesem Jahr deutlich höher sein als im vergangenen Jahr.
Faßt man die einzelnen Faktoren zusammen, so bleibt festzuhalten: Die Bauwirtschaft hat schon einen Großteil der Strukturanpassung hinter sich gebracht. Das wohnungswirtschaftliche Sofortprogramm ist in dieser schwierigen Phase eine wichtige Stütze gewesen. Ich sehe nicht nur für die Wohnungswirtschaft, sondern auch in der Bauwirtschaft zuversichtlich in die Zukunft.
Ich danke sehr.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wer die Rede soeben gehört hat, der wird zur CDU/CSU sagen müssen: Mit diesem Minister kommen Sie nie aus dem Schneider.
({0})
Sein offizieller Titel heißt ja Minister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau. Er hat aber heute
erstmalig eine neue Variante hinzugefügt: Er ist der Minister für das Ab-Normen. Nach seinem Amtsantritt im Oktober 1982 hat er zwei Definitionen verkündet, wie er eigentlich gesehen werden möchte: Er sei zum einen eine Art Wirtschaftsminister für spezifische Aufgaben. Das sollte heißen, er werde die Bauwirtschaft in Schwung bringen. In der Tat, er entfachte für viele Milliarden DM ein Strohfeuer, das aus einer Zwangsanleihe gespeist werden sollte.
({1})
- Herr Kollege Kansy, nicht nur die Geldquelle ist verstopft worden, weil das verfassungswidrig ist, auch das Feuer ist erloschen. Eine größere Talfahrt in die Krise hat die deutsche Bauwirtschaft noch nicht erlebt, meine Damen und Herren.
({2})
Der Wirtschaftsminister für spezifische Aufgaben hat also ganz spezifisch versagt.
({3}) [SPD]: Er hat die
Konkurse in Schwung gebracht!)
Zum anderen hat Herr Dr. Schneider behauptet, er sei ein Anwalt der Mieter. Das haben die Mieter auch gemerkt, denn mit dem Etikettenschwindel, das Angebot an Mietwohnungen zu erhöhen, wurden die Rechte der Mieter erst einmal abgebaut. Im Wohngeld- und Mietenbericht, den diese Bundesregierung vorgelegt hat, den Herr Dr. Schneider aber offensichtlich gar nicht kennt - aber ich habe ihn gelesen -, brüstet sich die Regierung damit, der Anstieg der Mieten sei in Grenzen geblieben. Schaut man nun etwas genauer hin, dann stellt man fest, daß die Mieten für Altbauwohnungen in den Jahren 1983 und 1984 zusammen um annähernd 11 % und die Mieten im sozialen Wohnungsbau in der Tat um 10 % angestiegen sind, und das bei allgemeinen Preissteigerungsraten - in diesen beiden Jahren zusammengenommen - von weniger als 6 % und bei stagnierenden bzw. gesunkenen Realeinkommen. Der Minister verschweigt natürlich auch, das bei Mieterwechsel neu vereinbarte Mieten gegenüber der Miete des Vorgängers schon im Durchschnitt um mehr als 10 erhöht werden.
Der selbsternannte Anwalt der Mieter verschweigt auch, daß allein im Jahre 1983 der durchschnittliche Anteil der Wohnkosten am verfügbaren Einkommen gegenüber dem Jahre 1982 von 31 auf 34,2 %, also auf mehr als ein Drittel angestiegen ist. Selbst unter Berücksichtigung des Wohngeldes mußten Wohnungsmieter statt 18,7 % nunmehr 21 % aus ihrem Nettoeinkommen aufbringen. Das gilt selbstverständlich ohne Berücksichtigung der erheblichen Kosten für Heizung und Strom und ohne Berücksichtigung sonstiger Nebenkosten, die auch mit dem Wohnen zusammenhängen. Der Anwalt der Mieter ist also ein Mietenerhöhungsminister.
Eigentlich und ganz genau genommen wollte er ja auch, daß der Markt nach oben in Bewegung kommt.
({4})
Für den sozialen Ausgleich wollte er ja durch eine Verbesserung der Wohngeldgesetzgebung sorgen.
({5})
Also tönte er im Juni des Jahres 1983: Ab 1985 gibt es ein erhöhtes Wohngeld. Diese Rechnung hat er allerdings ohne den Finanzminister gemacht, denn dieser setzte sich nämlich durch. Die Folge ist: Diese Bundesregierung hat es fertiggebracht, daß die einzige Änderung innerhalb von fünf Jahren, die seit der letzten Wohngeldnovelle vergangen sind, darin bestand, gezielte Kürzungen im Jahre 1983 vorzunehmen.
({6})
- Herr Kollege Dr. Möller, aber nun wird vollmundig erklärt, ab 1. Januar 1986 gebe es einen großen Schluck aus der Pulle.
({7})
900 Millionen DM werden Bund und Länder beim Wohngeld zulegen. Schaut man ins „Kleingedruckte", stellt man fest, daß sich die 900 Millionen DM auf das Jahr 1987 beziehen. Dann sind schon sechs Jahre seit der letzten Wohngeldverbesserung herum. Wohngeldempfänger können also keineswegs damit rechnen, daß sie ab 1. Januar 1986 eine Verbesserung ihrer Wohnkaufkraft erhalten werden. Sie werden auf Ansprüche vertröstet werden, die im Verlauf des Jahres 1985 erst einmal zurückgehen werden und im Verlauf des Jahres 1986 - im Verlauf! - angehoben werden sollen.
Selbst die haushaltsmäßig unbedenkliche, weil im Haushaltstopf des Bundesbauministers vorhandene, und die gesetzestechnisch sehr einfache und unkomplizierte Sicherung von Wohngeldleistungen im Jahre 1985 wird von dieser Bundesregierung bzw. von dieser Koalition strikt abgelehnt.
In allen Jahren, meine Damen und Herren, seitdem das Wohngeld als treffsichere soziale Leistung des Staates eingeführt wurde, gab es zwischen der jeweiligen Opposition und der jeweiligen Regierung eine grundsätzliche Übereinstimmung über die Notwendigkeit, Kaufkraft für das Wohnen auch bei sozial schwächeren Haushalten zu erhalten.
Die Anpassung der Wohngeldleistungen geschah bislang immer nach drei, spätestens nach vier Jahren, weil sowohl die Entwicklung der Einkommen als auch die Entwicklung der Wohnkosten von Gesetzes wegen berücksichtigt werden müssen. Bei aller Auseinandersetzung um Details war am Schluß doch immer eine Übereinstimmung hier im Bundestag erzielt worden.
({8})
Wir Sozialdemokraten, Herr Kollege Dr. Möller, hoffen, daß sich eine solche Einigung auch jetzt erzielen läßt.
({9})
Wir möchten jedenfalls keinen Zweifel daran lassen, daß die Sozialdemokraten für eine gründliche Beratung der 6. Wohngeldnovelle sind. Diese gründliche Beratung wird sich mit allen Details beschäftigen, aber sie wird gleichzeitig so zeitgerecht abgeschlossen, daß das Gesetz Mitte des Jahres verkündet werden kann und wirklich am 1. Januar 1986 in Kraft gesetzt wird.
Nun sind dazu folgende Bemerkungen schon jetzt notwendig.
Erstens. Wir werden grundsätzlich zustimmen, daß an Stelle bisheriger unterschiedlicher Gemeindegrößen für die Wohngeldberechnung unterschiedliche Mietenniveaus zugrunde gelegt werden.
({10})
Wir werden aber prüfen, ob das neue System dazu verführt, daß Länder und Gemeinden belohnt werden, die keine Maßnahmen gegen ein Ausufern von Mietkosten ergreifen, während diejenigen Länder und Gemeinden, die sich sozial verhalten haben und beispielsweise im sozialen Wohnungsbau nur maßvolle Mietanpassungen, mit Obergrenzen, mit Nachbesserung, mit Nachsubventionierung und Härteklauseln, zugelassen haben, sozusagen bestraft werden. In diese Prüfung werden wir eintreten.
({11})
Zweitens. Meine Damen und Herren, wir halten es nicht für gerechtfertigt, Wohngeldansprüche gegenüber dem bisherigen Recht künftig dadurch zu verschlechtern, daß von einer Prognose des Einkommens in den kommenden zwölf Monaten ausgegangen wird statt von einer Feststellung der tatsächlichen Einnahmen aus den vorangegangenen zwölf Monaten. Sollen denn beispielsweise die Rentnerhaushalte, die von dieser Bundesregierung in diesem Jahr ohnehin nur eine Einkommensteigerung von 1,4 % erwarten können, auch noch einen zusätzlichen Verlust an Wohnkaufkraft hinnehmen müssen?
Drittens. Wir begrüßen es, daß die Regierung vorschlägt, das Zusammenwohnen mehrerer Generationen in einem Haushalt dadurch zu fördern, daß ein besonderer Elternfreibetrag eingeführt wird. Was wir aber nicht begreifen, ist dieses: weshalb nämlich der Einkommensfreibetrag für mitverdienende Kinder, im Klartext: für Azubis - früher hieß das Lehrlinge - ({12})
- Wir haben 1981 diesen Freibetrag eingeführt. Das ist richtig, Herr Kollege Bötsch.
({13})
Wir haben 1981 einen solchen Freibetrag für mitverdienende Kinder im elterlichen Haushalt eingeführt, aber diese Regierung hat den 1983 wieder gestrichen. Wir verstehen nicht, wenn man jetzt als Neuerung einen Elternfreibetrag einführt, warum nicht auch dieser Freibetrag für mitverdienende
Kinder im elterlichen Haushalt ebenfalls wieder hineinkommen soll.
({14})
Ist es denn nicht lebensfremd, daß die über 60 Jahre alten Eltern, die bei ihren Kindern wohnen, je 200 DM monatlich einbehalten dürfen, nicht zum Familieneinkommen beitragen, daß aber beispielsweise 16jährige Kinder, die bei ihren Eltern als Auszubildende wohnen, ihre gesamte Ausbildungsvergütung zum Familienhaushalt beisteuern? Oder ist es nicht doch richtiger, auch bei diesen Kindern davon auszugehen, daß sie mindestens 200 DM monatlich zur eigenen Verfügung behalten und daher nicht zur Wohnkaufkraft der Eltern beisteuern können? Wir werden jedenfalls beantragen, auch diesen Freibetrag wieder einzuführen, der 67 000 Haushalte betrifft und der auf der Ausgabenseite einen Betrag von weitaus weniger als 20 Millionen DM kosten würde, der in dem Gesamtvolumen der Wohngeldansätze, die dann über 3 Milliarden DM betragen werden, wohl vorhanden sein dürfte.
({15})
Viertens. Unser besonderes Augenmerk werden wir darauf richten, Ungerechtigkeiten zu beseitigen, die heute bei Ein- und Zwei-Personen-Haushalten im Wohngeldrecht vorhanden sind. Es kann nämlich nicht sein, daß Ein-Personen-Haushalte beispielsweise auf Wohnungen festgelegt werden, die es am Markt gar nicht gibt. Es gibt nicht die kleinen Wohnungen, die das Wohngeldrecht sich bei der bezusthussungsfähigen Miete denkt. Mindestens 40% der Ein-Personen-Haushalte wohnen deshalb in etwas größeren Wohnungen, weil es die kleineren Wohnungen gar nicht gibt. Wenn Sie schon von der Marktwirtschaft ausgehen, dann müßten Sie eigentlich diese Marktgegebenheiten mit berücksichtigen. Deshalb muß die tatsächlich aufzubringende Miete der Ausgangspunkt sein - falls sie nicht überhöht ist - und nicht eine fiktive Miete für eine Wohnung, die es überhaupt nicht gibt.
Fünftens. Unser Hauptantrag wird darin bestehen, die Bundesregierung zu zwingen, ihre vollmundigen Versprechungen wahrzumachen, daß das Wohngeld tatsächlich am 1. Januar 1986 - das ist ein Tag nach dem 31. 12. 1985 - von Anfang an verbessert wird.
({16})
Auf Tricks, diesen Zeitpunkt zu verschieben, werden wir Sozialdemokraten uns nicht einlassen.
Sechstens. Leider hat auch diese Regierung - ich sage „auch diese Regierung", weil es auch für die vorherigen, von uns gestellten Regierungen galt; aber es ist ein altes Thema, und nun sind ja seit der letzten wirklichen Novellierung fünf Jahre vergangen - es erneut nicht geschafft, die Normen und Bürokratien abzuschaffen, die darin bestehen, daß bei einem Viertel aller Wohngeldempfänger, die gleichzeitig Sozialhilfeempfänger sind, zwei Bürokratien Ansprüche ausrechnen, gegenseitig verrechnen und daß Wohngeldbescheide erlassen werden, daß der Wohngeldanspruch aber nicht bei demjenigen ankommt, der seine Wohnung über das Sozialamt bezahlt bekommt, sondern von einer Behörde zur anderen wandert. Es ist nun wirklich an der Zeit, eine pauschalierte Regelung einzuführen und auch in diesem Bereich Vorschriften abzuschaffen. Man sollte davon ausgehen, daß man mit Durchschnittsbeträgen die Verrechnung zwischen den Behörden vornehmen kann.
({17})
Denn von dieser Art des Normenunwesens halten wir gar nichts, die wir uns bisher nach wie vor geleistet haben.
({18})
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat neue Wohnarmut und Sozialabbau bewirkt. Der Bauminister hat keine einzige seiner Ankündigungen in die Tat umgesetzt. Beim Wohngeld kann er, wenn auch mit Verspätung, beweisen, ob er wenigstens die Kraft hat, für einen gewissen sozialen Ausgleich zu sorgen. Dazu bieten wir Sozialdemokraten ihm unsere Hilfe und unseren Sachverstand an, weil es um die berechtigten Ansprüche von dann wieder etwa zwei Millionen Wohnhaushalten in der Bundesrepublik Deutschland geht.
({19})
- Ich glaube, Herr Dr. Kansy, Sie werden zumindest einem ehemaligen Mitglied des Ausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau einen gewissen Sachverstand nicht absprechen und meinen Kolleginnen und Kollegen ebenfalls nicht.
({20})
Ich finde schon, daß Sie sich die Vorschläge, die ich vorgetragen habe, im einzelnen ansehen sollten. Ich hoffe, daß dann eine Novelle am Ende stehen wird, zu der nicht nur Sie, sondern auch wir Sozialdemokraten deshalb j a sagen können, weil es darum geht, den Menschen zu helfen, und dazu sind wir jederzeit bereit.
({21})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Rönsch.
Herr Präsident! Meine Herren! Meine Damen! Herr Kollege Walthemathe, ich bedauere eigentlich, daß Sie die Strategie der Verängstigung der Mieter immer weiter fortgesetzt haben,
({0})
obwohl Sie durch die Fakten aus dem vorliegenden Mietenbericht eindeutig eines Besseren hätten belehrt sein müssen.
Ich darf an dieser Stelle den Präsidenten des Deutschen Mieterbundes, Herrn Jahn, begrüßen. Ich freue mich, daß er dieses Jahr an der Beratung des Mietenberichts teilnimmt; denn dieser MieterFrau Rönsch
bundspräsident und seine Organisation haben erheblich zu dieser Verunsicherung beigetragen.
({1})
Mit unserem Wohnungsbauminister sind die Mieter aus dem Schneider gekommen. Sie, Herr Kollege Waltemathe, haben dankenswerterweise auch Zahlen genannt: 900 Millionen DM zusätzlich im Haushalt für Wohngeld, ein Betrag, der noch nie dagewesen ist.
({2})
- Sie fragen: Wann? Die Novelle tritt am 1. Januar 1986 in Kraft. Nun war es schon immer so, daß beim Inkrafttreten eines neuen Gesetzes wohl eine gewisse Übergangszeit da war. Das wissen Sie. Das war in Ihren Regierungszeiten so, und das ist jetzt auch bei uns so.
Die Mieter sind mit unserem Wohnungsbauminister aus dem Schneider gekommen, weil sie jetzt Wohngeld in einer ungeahnten Höhe erhalten,
({3})
und sie sind zum zweiten aus dem Schneider gekommen, weil dieser Wohnungsbauminister Gesetze auf den Weg gebracht hat, nämlich die Mietengesetze am 1. Januar 1983, die den Wohnungsmarkt belebt haben. Ich werde Ihnen an anderer Stelle noch nachweisen mit Zahlen, die Sie nicht wahrhaben wollen, wie es jetzt am Wohnungsmarkt aussieht.
({4})
Ich danke Ihnen, daß Sie Nordrhein-Westfalen angesprochen haben. Ich werde Ihnen gleich die neuesten Zahlen ganz detailliert vortragen. Wenn Sie gestern die Presse aufmerksam verfolgt hätten, hätten Sie die Zahlen auch der Presse entnehmen können.
({5})
Mit der Vorlage des Wohngeld- und Mietenberichts 1985 haben wir wieder einmal die Gelegenheit, über die Entwicklung der Wohnungsmieten zu diskutieren. Sie werden Verständnis dafür haben. Wir tun das sehr gerne, da diese Diskussionen dazu beitragen, Mieter, die durch falsche Voraussagen über eventuell zu erwartende Mieterhöhungen verängstigt waren, immer wieder über die tatsächlichen Zahlen aufzuklären. Im frei finanzierten Wohnungsbau betrug der Mietenanstieg 1984 nur noch 3,2 % gegenüber 4 % im Jahre 1983. Herr Kollege, ich darf Ihnen empfehlen, da einmal wirklich zuzuhören. Ich weiß nicht, ob Sie in den Mietenbericht hineingesehen haben. Aber das sind die Fakten. Ihre Fraktion erzählt draußen sehr oft den Mietern etwas anderes. Hören Sie sich doch ganz einfach mal in Ruhe die Fakten an.
({6})
Ab Jahresbeginn 1985 schwächt sich der Anstieg weiter ab auf 2,5 % Ende März.
Im sozialen Wohnungsbau - Sie wissen, der soziale Wohnungsbau war von der Gesetzgebung am 1. Januar 1983 nicht betroffen - war zwar vorübergehend eine Beruhigung in der Mietenentwicklung eingetreten. Allerdings lag 1984 der Anstieg noch bei 3,9 %, leider mit sehr ansteigender Tendenz. Die degressive Förderung in den 70er Jahren wirkt sich jetzt zum Nachteil der Berechtigten einer Sozialwohnung aus, und es kommt gerade in Siedlungen des sozialen Wohnungsbaus zu Wohnungsleerständen. Die doch ursprünglich gerade für die schwächer gestellten Mieter und Wohnungssuchenden geplanten Wohnungen können teilweise nur noch sehr schwer vermietet werden. Gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften müssen Mieteinbußen hinnehmen und haben sehr hohe Leerstandsquoten. Wenn Sie sich einmal den Bonner „GeneralAnzeiger" nehmen und dort auf die Seite „Wohnungsmarkt" gucken, dann sehen Sie, daß gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften ihre Wohnungen unter Mietpreis wie Sauerbier anbieten.
Nach Aussagen - Herr Reschke, jetzt komme ich zu Ihnen - der Verbände westfälischer und rheinischer Wohnungsunternehmen - immerhin gehören dieser Organisation 432 gemeinnützige Gesellschaften und Genossenschaften an - standen Ende 1984 in Nordrhein-Westfalen 14 423 Wohnungen leer. Der Verbandsvorsitzende Pohl erklärt: „Der Mietwohnungsbau ist praktisch tot". Wir haben diese Entwicklung schon lange befürchtet und vorausgeahnt und deshalb die Eigentumsförderung verstärkt. Diese Wohnungsunternehmen treffen auch weiter die Feststellung, daß sich der Wohnungsmarkt - und jetzt hören Sie ganz genau zu -, wörtlich jetzt der Herr Pohl, von einem Vermietermarkt zu einem Mietermarkt gewandelt habe.
({7})
Noch gestern in der Ausschußsitzung haben Sie den sozialen Wohnungsbau weiterhin fördern wollen und Millionen-, Milliardenbeträge dort hineinstekken wollen.
Das haben wir mit unserer Neuregelung der Gesetzgebung gewollt. Und jetzt kann sich der Mieter freuen. Der Mieter kann sich jetzt am Wohnungsmarkt umsehen. Und er bezieht lieber eine Wohnung im billigen freifinanzierten Wohnungsbau als eine Wohnung im teureren sozialen Wohnungsbau.
Die GRÜNEN, meine Damen und Herren, wollten sogar die freifinanzierten Wohnungen, die Wohnungen der Privatwirtschaft total in gemeinnützige Gesellschaften integrieren. Was dabei herauskommen würde, habe ich Ihnen gerade eben geschildert.
({8})
Wenn Sie, meine Herren und Damen von der Opposition, schon vor fast genau einem Jahr bei der Beratung des Wohngeld- und Mietenberichts 1983 die Mietenentwicklung am liebsten gar nicht zur Kenntnis genommen hätten, da sie nicht in Ihr politisches Konzept der Panikmache gepaßt hat und
Ihre Vorhersagen von 30 und mehr Prozent Mietsteigerungen widerlegt hat, sind Sie spätestens jetzt, nach Vorlage der neuesten Zahlen der Mietenentwicklung, bei den Mietern als falsche Propheten erkannt. Der Mieter merkt es doch auch monatlich am Portemonnaie, daß nicht stimmt, was Sie vorhergesagt haben.
({9})
Wir können auch in diesem Jahr wieder feststellen: Die Mietenentwicklung verläuft in zunehmend ruhigeren Bahnen. Aus dem Wohngeld- und Mietenbericht können wir entnehmen, daß 1983 ca. 1,6 Millionen Haushalte durchschnittlich 111 DM Wohngeld pro Monat erhalten haben. Bei Ein- bis DreiPersonen-Haushalten lag der Eigenanteil an den Mietkosten bei durchschnittlich 22 bis 23 %. Bei größeren Haushalten mit vier und mehr Personen war der Eigenanteil an der Miete sogar nur 17 %. Hier wird deutlich, daß gerade für die größeren Familien, für die Familien mit Kindern, durch das Wohngeld eine stärkere Entlastung erfolgt ist. Wir werden auch weiterhin durch vernünftige Haushaltspolitik sicherstellen, daß das Wohngeld für den Wohngeldempfänger ein fest einzuplanender Faktor bei seiner Mietenberechnung bleibt.
Wir begrüßen ausdrücklich, daß der Wohngeld- und Mietenbericht 1985 so frühzeitig vorlag, daß die Erkenntnisse und Daten schon in die Beratung der sechsten Novelle einfließen können.
Ganz besonders begrüßen wir, daß es dem Wohnungsbauminister Schneider zusammen mit dem Finanzminister gelungen ist, ab 1. Januar 1986 einen Betrag von 1,6 Milliarden DM für Wohngeldleistungen zur Verfügung zu stellen. Mit insgesamt ca. 3,2 Milliarden DM von Bund und Ländern ist dies der höchste Betrag, der in der Geschichte des Wohngeldes je bereitgestellt worden ist. Mit der sechsten Wohngeldnovelle werden die Höchstbeträge für die beim Wohngeld berücksichtigungsfähigen Mieten um ca. 20 % erhöht, um Mieterhöhungen, die z. B. durch Modernisierung im Althausbesitz eingetreten sind, aufzufangen. Weiterhin sieht das neue Wohngeldgesetz vor, daß sich die Miethöchstbeträge künftig nicht mehr an der Einwohnerzahl der Stadt oder der Gemeinde orientieren, sondern an dem tatsächlich am Ort zu zahlenden Mietpreis. Damit wollen wir vorhandene Ungleichbehandlungen abbauen.
Auch die Einkommensentwicklung der letzten Jahre wird berücksichtigt. Die Einkommensgrenzen werden um mehr als 20 % angehoben, so daß Wohngeldempfänger, die eventuell in den vergangenen Jahren durch gestiegene Löhne aus der Einkommensgrenze des Wohngeldes herausgewachsen waren, wieder in den Genuß von Wohngeldleistungen kommen können. Sollte z. B. ein Rentnerhaushalt in den letzten Jahren seinen Wohngeldanspruch verloren haben, wird er erneut wohngeldberechtigt werden.
Nach den neuen Einkommensgrenzen kann beispielsweise ein Ein-Personen-Rentner-Haushalt in
Frankfurt in einer nach 1978 fertiggestellten Neubauwohnung noch bis zu einem Einkommen von 1 400 DM Wohngeld in Anspruch nehmen. Zuvor lag hier die Einkommensgrenze bei 1 170 DM. Rentner leben ja überwiegend in Ein- und Zwei-PersonenHaushalten. Bei Ein-Personen-Haushalten erhöht sich das Wohngeld infolge der Novelle durchschnittlich um 32 DM, bei Zwei-Personen-Haushalten durchschnittlich um 26 DM. Die Mehrleistungen durch die Wohngeldnovelle liegen dabei für den einzelnen Rentner deutlich über der letzten Rentenerhöhung.
({10})
Im typischen Fall eines Ein-Personen-RentnerHaushalts mit einer Rente von angenommen 900 DM betrugen die letzten Rentenerhöhungen netto etwa 24 DM.
({11})
- Hier wurde „Kürzungen" gesagt. Wir waren noch in der Lage, die Renten überhaupt zu zahlen. Hätten wir damals nicht die Regierung übernommen, dann sähe es in der Rentenkasse jetzt ganz anders aus.
({12})
Ich nehme an, daß Sie die Entwicklungen damals auch schon verfolgt haben und das deshalb einsehen können.
({13})
- Herr Kollege Waltemathe, da haben Sie durchaus recht. Wir haben in der Kasse nichts mehr vorgefunden.
Unterstellt man, daß der Rentnerhaushalt, von dem ich vorhin gesprochen habe, in Frankfurt eine Altbauwohnung zum Preis von 310 DM hätte, erhöht sich für ihn im Jahre 1986 durch die Wohngeldnovelle das Wohngeld von 60 DM auf sage und schreibe 108 DM. Das ist eine Steigerung um 48 DM.
({14})
- Herr Kollege Reschke, Sie sagten gerade, in Essen gäbe es Schwierigkeiten auf dem Wohnungsamt. Ziehen Sie einmal nach Düsseldorf. Dort sind sehr viele Wohnungen frei. Dann brauchen Sie gar nicht nach Frankfurt, nach Hessen, zu kommen.
({15})
Ich will jetzt am Beispiel eines Fünf-PersonenArbeitnehmer-Haushalts mit einem monatlichen Bruttoarbeitsentgelt von 3 200 DM den Umfang der Wohngeldnovelle deutlich machen. Für eine Wohnung mit Sammelheizung und Bad, die zwischen 1972 und 1977 bezugsfertig wurde, bezahlte diese Familie in einer Gemeinde mit einem durchschnittlichen Mietenniveau 720 DM. Nach dem heutigen Stand beträgt das Wohngeld 123 DM. Nach InkraftFrau Rönsch
treten der Wohngeldnovelle werden es monatlich 213 DM sein. Der Anteil der selbst zu tragenden Wohnkosten am verfügbaren Einkommen sinkt somit von 23 % auf 19,5 %.
({16})
Es war schon immer unser Ziel, das Zusammenleben und Zusammenwohnen von mehreren Generationen einer Familie zu unterstützen und zu fördern.
({17})
Eltern, Herr Waltemathe, haben Verpflichtungen gegenüber ihren Kindern. Aber das gleiche gilt auch für Kinder gegenüber ihren Eltern und ganz besonders für erwachsene Kinder gegenüber ihren Eltern. Die Wohngeldnovelle trägt diesem Gedanken Rechnung. Einen Familienfreibetrag wird diejenige Familie erhalten, die ein Familienmitglied, das das Rentenalter erreicht hat, in den Familienverband in die Wohnung aufnimmt. Einem älteren Menschen kann dadurch Isolierung in der eigenen Wohnung, ein Angewiesensein auf fremde Hilfe oder gar eine Unterbringung im Heim erspart bleiben. Seine Familie hat durch das Zusammenleben nicht nur einen persönlichen Gewinn, sondern sie bekommt zusätzlich auch noch Wohngeld.
Mit der Erhöhung des 50%igen Bundesanteils auf 450 Millionen DM nach dieser sechsten Novelle werden die Wohngeldzahlungen eine bisher nie dagewesene Höhe erreichen. Durch die Neuregelung der Mietenberechnung nach dem tatsächlichen örtlichen Niveau sind bestehende Ungleichheiten abgebaut. Durch die Einführung von finanziellen Vergünstigungen für Familien, die ältere Familienmitglieder in ihren Haushalt aufnehmen, sind bedeutende familienpolitische Akzente gesetzt.
Diese Novelle schafft für den Wohngeldberechtigten die sichere Grundlage für eine finanzielle Unterstützung, damit er sich auf dem Wohnungsmarkt nach eigenem Ermessen eine angemessene Wohnung suchen kann.
({18})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Werner ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es war einmal eine Zeit, da war Kontinuität in den Wohngeldnovellen. Aber dann kam die Wende, die sogenannte, die Zeit der Ankündigungen. Wir befinden uns mitten in einer Ara der Versprechungen und Verschiebungen, auch heute wieder drastisch belegt durch die Sprechblasen des Kanzlers,
({0})
aus unserer Sicht eines Kanzlers der Großindustrie.
({1})
Keine noch so schwülstig vorgetragenen Leerformeln können darüber hinwegtäuschen, daß die soziale Lage der Menschen, vor allem der niedrigen Einkommensklassen und der 2,3 Millionen Beschäftigungslosen, sich unter dieser Regierung weiter verschlechtert hat.
Die sozial Schwachen sind keine Minderheit mehr in diesem unserem Lande. Daran hat auch die Diskontinuität der Wohngeldnovelle mitgewirkt.
({2})
Von daher hätte es Ihnen gut zu Gesicht gestanden, wenigstens den Korrekturversuch der Oppositionspartei hier in Form des Wohngeldsicherungsgesetzes zu befürworten. Aber: nichts dergleichen!
({3})
Statt dessen platzt der Wohngeldbedarf aus allen Nähten. Der eigentliche Wohnungsbauminister Gerhard Stoltenberg hat den Forderungen meines Vorgängers innerhalb unserer Fraktion
({4})
unter dem Druck der Verhältnisse nachgegeben und hat 900 Millionen DM für das Wohngeld locker gemacht, zwar erst für 1987. Die wesentlichen Entscheidungen in der Wohnungspolitik fallen nämlich in dieser Bundesregierung entweder im Haushaltsausschuß - siehe den vor kurzem vollzogenen endgültigen Ausstieg des Bundes aus dem sozialen Mietwohnungsbau - oder im Finanz- und Wirtschaftsressort, wie in diesem Falle, auf keinen Fall aber bei dem derzeitigen Bauminister.
({5})
Inzwischen steigen die Wohnkosten stärker als die Lebenshaltungskosten insgesamt, nämlich. die Lebenshaltungskosten um runde 3 %, die Wohnkosten um runde 4 %, und sie werden weiter steigen, bei weiter sinkendem Realeinkommen. Das, was der Minister, sich selbst lobend, zu registrieren glaubt, nämlich einen verlangsamten Anstieg der Mieten, kann man richtiger damit erklären, daß viele Mieter kurz vor ihrem finanziellen Zusammenbruch stehen oder bereits darinstecken.
Will diese Bundesregierung denn nicht die Alarmzeichen z. B. auch auf dem Immobilienmarkt zur Kenntnis nehmen, besonders die vielen Zwangsversteigerungen? Es ist schon ein gehöriges Stück Zynismus, wenn der Bauminister in einer Presseerklärung schreibt, die vorliegenden Daten seien ein Spiegelbild der inzwischen erreichten Normalisierung am Wohnungsmarkt und sie dokumentierten angeblich einen Wandel vom Vermietermarkt zum Mietermarkt.
({6})
Das ist eine Verhöhnung von Hunderttausenden sozial schwacher Mieter.
({7})
Nicht zufällig kann man in den Tabellen 1983 gegenüber 1982 des Wohngeld- und Mietenberichts
Werner ({8})
1985 einen Zuwachs bei der Zahl der Wohngeldempfänger unter den Arbeitslosen in Höhe von 22,5% feststellen.
Was die neuen Mietstufen betrifft, so ist damit wohl generell eine bessere Treffsicherheit des Wohngeldes als bisher möglich. Allerdings läßt für uns die Regionalisierung der Mietstufen befürchten, daß damit auch Grundlagen für eine großflächige Liberalisierung des Sozialwohnungsbestandes gelegt werden. In diesem Zusammenhang sei auch nochmals auf die Aussagen der GEWOS-Kommission 1984 verwiesen, wonach von 4 Millionen Sozialwohnungen nur 1 Million übrigbleiben werden.
Wir GRÜNEN haben in der Grüber-Studie zur Regenerierung der Wohnungsgemeinnützigkeit - das wurde hier angesprochen - einen Weg aus dieser Sackgasse gewiesen, der auch den Ausstieg aus dem Kapitalmarkt im Zusammenhang mit dem Wohnungswesen vorsieht. Ich schicke sie Ihnen gern; lesen Sie sie einmal gründlich.
({9})
Durch die Regierungsvorlage werden weiterhin über den Sozialen Wohnungsbau hinaus Schwerbehinderte, Teil der BAföG-Bezieher, Ausländer, Alleinerziehende, Kinderreiche und die verschiedenen Formen von Wohngemeinschaften benachteiligt.
Als soziale Demagogie muß man es erkennen, wenn uns suggeriert werden soll, es gebe im Rahmen des Problems Fehlsubventionierung überdurchschnittliche Einkommenserhöhungen. Viele Fehlbeleger sind nicht Rockefellers, sondern die Personenzahl im Haushalt ist vielfach zurückgegangen. Das muß anders bewertet werden.
({10})
Zum Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz: Das Ziel, die Vorschriften für den Sozialen Wohnungsbau zu vereinfachen, ist lobenswert. Man fragt sich allerdings aus zweierlei Gründen, was das denn nun ausgerechnet jetzt soll. Zum einen verfolgt die Bundesregierung j a bekanntermaßen das Ziel, den Sozialen Wohnungsbau bis auf eine Art Endmoräne abzuschmelzen: So ein kleines bißchen Sozialer Wohnungsbau als Feigenblatt einer unsozialen Wohnungspolitik. Wofür aber dann diese Spiegelfechterei?
({11})
Zum anderen nascht der Bundeswohnungsbauminister mit diesem Vereinfachungsgesetz an seinem eigenen Kuchen, an seinem Jahrhundertwerk, an seinem Baugesetzbuch. Sollte das Teilvereinfachungsgesetz etwa der Einstieg in den Ausstieg aus diesem Jahrhundertwerk sein, Herr Minister?
({12})
Oder braucht der Minister zur Zeit dringend ein
paar billige Erfolge, weil sein Podest unterspült ist?
- Das ist hier für uns die Frage.
Vielen Dank.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Grünbeck.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben den Kollegen Waltemathe gestern im Ausschuß für Wohnungswesen sehr freundlich verabschiedet. Aber nach Ihrer heutigen Rede, Herr Waltemathe, würde es mir schwerfallen, tiefe Trauer zu empfinden.
({0})
Ich muß hinzufügen, daß ich nach Ihrer heutigen Rede befürchte, daß Sie auch im Haushaltsausschuß, in den Sie freundlicherweise wechseln, das Rechnen und das solide Argumentieren nicht lernen werden. Haben Sie denn aufmerksam verfolgt, was sich hier abspielt? Hier wird ein Katalog zusätzlicher Forderungen aufgestellt ohne eine einzige Bemerkung dazu, wo Sie die Deckung für Ihre Vorschläge hernehmen wollen.
({1})
Sie sagen weder, wenn Sie mehr geben wollen, woher Sie das nehmen wollen, wie Sie das also etwa umschichten wollen, noch sagen Sie, wie Sie die Mehrausgaben decken werden.
({2})
- Ich bitte, keine Zwischenfragen zu stellen, weil meine Redezeit beschränkt ist.
({3})
- Doch, das geht. Ich habe Ihnen doch auch keine Zwischenfrage gestellt.
Herr Abgeordneter Grünbeck, ich gestatte Ihnen, eine Zwischenfrage zu beantworten, ohne das auf Ihre Redezeit anzurechnen,
({0}) wenn Sie wollen. Bitte, das liegt bei Ihnen. Grünbeck ({1}): Ja, bitte.
Herr Kollege Grünbeck, ich bin immer dafür zu haben, daß man sich auch scharf auseinandersetzt.
Herr Abgeordneter, stellen Sie bitte eine Zwischenfrage, aber halten Sie keine Rede!
Ich frage Sie: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß ich keine Erhöhung
des Gesamtvolumens gefordert habe, sondern daß ich gesagt habe, daß innerhalb dieses Pakets von 9 Millionen DM Verschiebungen möglich sind, und wenn Sie einen Elternfreibetrag von 16 Millionen DM einführen, wird wohl auch ein Freibetrag für mitverdienende Kinder von ebenfalls 16 Millionen DM vorhanden sein.
Es wäre gut, Herr Kollege Waltemathe, wenn Sie sich nicht nur selbst gern reden hörten, sondern auch anderen zuhören könnten. Genau das habe ich doch gesagt, Herr Kollege: Sie haben Verschiebungen angedeutet, aber nicht gesagt, woher Sie das nehmen. Das ist ja das Problem.
Ich sage Ihnen nur eines: Ich weiß, wohin Ihre Politik läuft. Ihre Politik läuft per saldo darauf hinaus, daß Sie mehr Verschuldung betreiben. Verschuldung wäre aber für die Bauwirtschaft die gefährlichste Entwicklung überhaupt, ebenso für die Gesamtwirtschaft. Das ist für uns in dieser Regierungskoalition nicht tragbar, weil mehr Verschuldung mehr Zinsen bedeutet. Und ein Zinsanstieg wäre für unsere gesamtwirtschaftliche Entwicklung wirklich eine ernsthafte Gefahr.
({0})
Meine Damen und Herren, die Bundestagsfraktion der FDP begrüßt es, daß wir heute im Rahmen dieser verbundenen Debatte unsere wohnungspolitischen Positionen noch einmal darlegen können.
Es hat sich gezeigt, daß mein Vorgänger als wohnungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Hans Gattermann vor vielen Jahren in Erkenntnis der Marktlage in der Wohnungswirtschaft, aber auch unter Berücksichtigung der sozial- und familienpolitischen Grundsätze in einer liberalen Gesellschaft die Entwicklung richtig gesehen hat, was damals in unseren Osnabrücker Thesen seinen Niederschlag gefunden hat. Das erleichtert mir die Arbeit als sein Nachfolger, die Perspektiven liberaler Wohnungspolitik fortzuentwickeln.
Es wäre in diesem Zusammenhang begrüßenswert, wenn wir in Anbetracht der bisherigen Entwicklungen und der künftigen Perspektiven der öffentlichen Argumentation den Wohnungsbau und die Wohnungssozialpolitik als zwei getrennte Begriffe behandelten, um so der Öffentlichkeit zu dokumentieren, daß Wohnungsbau- und Wohnungssozialpolitik zwei verschiedene Bereiche sind.
Wir unterstützen die Bundesregierung auf diesem richtigen Kurs einer den Marktentwicklungen gerecht werdenden Wohnungspolitik und sehen folgende wohnungspolitischen Ziele als vorrangig an.
Erstens. Es ist richtig, daß die Bundesregierung die Mittel für den sozialen Mietwohnungsbau beibehalten hat, aber die Verwendung den Ländern überlassen hat, weil sie nach unterschiedlicher Struktur einen optimalen Einsatz je nach Marktbedarf gewährleisten.
({1})
Zweitens. Es ist richtig, das Wohngeld zu verstärken und es weiterhin als Instrument für tatsächlich Bedürftige zu verwenden.
Drittens. Das Wohneigentum muß auch künftig gefördert werden, zumal hier noch ein Bedarf vorhanden ist, ganz gleich, ob als Eigenheim, Eigentumswohnung oder als Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen oder als Erwerb aus dem Bestand.
Zu den aufgerufenen Tagesordnungspunkten darf ich im einzelnen erklären: Wir begrüßen das Sechste Gesetz zur Änderung des Wohngeldgesetzes und sehen uns gemeinsam mit der Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion in der Ausgestaltung des Wohngeldgesetzes bestätigt durch die Vorlage des Wohngeld- und Mietenberichts 1985. Es ist doch erfreulich festzustellen, daß sich im Berichtszeitraum 1983/84 der Mietanstieg deutlich verlangsamt hat und daß alle Angstmacher durch diesen Mietenbericht eigentlich eines anderen belehrt worden sind.
({2})
Es zeigt sich auch immer deutlicher, daß das Wohngeld nicht nur ein flexibles Instrument zur sozialen Abfederung der Bedürftigen ist, sondern daß es auch eine kräftigere Hilfe ist als Gießkannenprogramme im sozialen Mietwohnungsbau, die dann durch allerlei Instrumente - ob Fehlbelegungsabgabe, Nachsubvention oder Kappungsmanöver - korrigiert werden müssen.
Der Wohngeldbericht weist deutlich aus, daß breite Schichten der sozial schwächeren Bevölkerung eine wirksame Hilfe erhalten. Insgesamt sind die Wohngeldausgaben von Bund und Ländern auf etwa 2,5 Milliarden DM gestiegen. Sie werden vorwiegend von Mieterhaushalten in Anspruch genommen. Nur 1 % aller Eigentümerhaushalte erhalten Wohngeld.
Wir werden die Änderung des Wohngeldgesetzes in den Ausschüssen sehr positiv begleiten, kündigen aber an, daß wir möglicherweise verwaltungstechnische Vereinfachungsvorschläge einbringen werden.
Die FDP-Fraktion begrüßt auch die Vorlage des Wohnrechtsvereinfachungsgesetzes, zumal gesetzliche Bindungen bei Eigenheimen für die die öffentlichen Mittel abgelöst wurden oder noch abgelöst werden, aufgehoben werden, was, meine Damen und Herren, nicht nur eine Verwaltungsvereinfachung, sondern auch mehr Verfügungsfreiheit bedeutet.
({3})
Wir begrüßen es auch, daß die Bestimmungen über die Ausstattung von Sozialwohnungen aufgegeben werden und daß die Bundesregierung Überlegungen anstellt, weitere Vorschriften des Wohnungsbaurechts für die Verwaltungspraxis zu vereinfachen und zu streichen. Wer immer von Entbürokratisierung nicht nur redet, sondern auch ent10066
sprechend handelt, findet den Beifall der FDP-Fraktion.
({4})
Ich glaube, daß ich im Zusammenhang mit der heutigen Debatte auch noch ein Wort zu den Möglichkeiten der Umwandlung von Mietwohnungen in Wohnungseigentum sagen sollte. Hier werden Schwierigkeiten aufskizziert, die in der Tat nicht bestehen.
Es wird immer wieder die Forderung erhoben, daß der Substanzwert nicht gemindert werden sollte. Für uns ist aber der Substanzwert nur eine rechnerische Größe. Für die Wohnungsbauunternehmen ist der Ertragswert von hoher Bedeutung.
Dabei ist es sicher richtig, auch der Bewertung der stillen Reserven einen Satz zu widmen. Sie werden natürlich bei der Veräußerung mobilisiert und können wieder in den Markt fließen. Im Grunde genommen helfen im Wohnungsbestand die stillen Reserven niemandem, aber bei der Mobilisierung können sie dem Wohnungsunternehmen für neue Aktivitäten einen gewissen Spielraum geben.
Interessant ist die Beurteilung der Frage durch die gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen, wer denn eigentlich erwerben will. Mich hat es befriedigt, als ich in einem Bericht gelesen habe, daß es vorwiegend Mieter sind, die sich in ihrer Wohnung wohlfühlen. Wenn sie Eigentümer geworden sind, fühlen sie sich noch wohler. Das heißt doch, daß man eigentlich dazu ermuntern sollte, die Umwandlung durchzuführen, wo immer es sinnvoll ist. Es ist nicht immer sinnvoll.
({5})
- Natürlich, nur an die Mieter; nicht, wie die Neue Heimat es tut, auch an andere. Das ist richtig.
Wir Freien Demokraten legen allerdings Wert darauf, daß die Entscheidungsfreiheit des Vermieters und des Mieters erhalten bleibt. Die Ermittlung des sogenannten Wiederbeschaffungswerts hat sich als nicht so schwierig erwiesen, zumal die Kriterien gesetzlich klar geregelt sind. Es empfiehlt sich allerdings, daß die Wohnungsbauunternehmen bei ihren Veräußerungsbemühungen auf ein bestimmtes Limit gehen. Fachleuchte halten 10 % für richtig.
Lassen Sie mich aber auch noch einige Ausführungen zur Vorlage des Bundesrates über eine Änderung des Gesetzes über den Abbau der Fehlsubventionierung im Wohnungswesen machen. Die FDP, um es vorwegzunehmen, kann sich mit dem Entwurf nicht anfreunden, wonach auf der einen Seite die Fehlbelegungsabgabe erhöht werden soll, auf der anderen Seite aber die Einkommensgrenzen angehoben werden sollen.
Im Grunde wäre die Fehlbelegungsabgabe natürlich zu begrüßen, weil sie ein Akt der sozialen Gerechtigkeit ist: Bezieher hoher Einkommen sollen nicht in jenen preiswerten Sozialwohnungen verbleiben, die im Grunde genommen nach dem Gesetz für sozial Schwache und kinderreiche Familien, Behinderte und Sozialhilfeempfänger gebaut wurden. Die Frage ist ja immer nur - wir müssen sie uns
doch ganz vernünftig stellen -, ob wir mit den Instrumenten, die in guter Absicht geschaffen wurden, tatsächlich das gesteckte Ziel erreichen.
({6})
Im Falle der Fehlbelegungsabgabe bietet hier aber das Land Nordrhein-Westfalen eigentlich Anschauungsunterricht, wie man staatliche Wohnungspolitik wirklich nicht betreiben kann. Ich erspare mir jetzt die angeblich humorvolle Bernerkung des nordrhein-westfälischen Wohnungsbauministers Zöpel, der die Lösung des Problems für leerstehende Wohnungen darin sah, daß man sie abreißt. Er hat die Fehlbelegungsabgabe in Nordrhein-Westfalen in einem Akt von Willkür in 93 Städten und Gemeinden des Landes erhoben und bekommt jetzt per Gerichtsbeschluß schon einige Korrekturen. Es kann doch nicht wahr sein, daß in Nordrhein-Westfalen etwa 40% der sozialen Mietwohnungen fehlbelegt sind und daß eine Korrektur nur mit der Fehlbelegungsabgabe möglich wäre.
({7})
Im Grunde genommen müßten die Einkommensgrenzen im sozialen Wohnungsbau gesenkt werden, denn wir haben jetzt schon viel mehr Berechtigte als zur Verfügung stehende Wohnungen. Wenn wir jetzt die Einkommensgrenzen noch weiter anheben, wird der Kreis der Berechtigten noch größer, ohne daß die leerstehenden Sozialmietwohnungen damit belegt sind.
Ich glaube, daß wir darüber nachdenken müssen, wie eine marktwirtschaftliche, konforme Lösung entsteht, die ja nur in einer stufenweisen Liberalisierung der Sozialwohnbestände liegen kann.
Mein verehrter Kollege und früherer Innenminister Dr. Burkhard Hirsch hat bereits 1978 Initiativen ergriffen, um Bindungen im sozialen Mietwohnungsbau aufzulösen und damit schrittweise eine Vereinheitlichung der örtlichen Wohnungsmärkte zu erzielen und den sozialen Härteausgleich über ein verbessertes Wohngeld zu gewährleisten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müntefering?
Herr Präsident, ich nehme an, daß Sie auch fernerhin so großzügig sind.
So ist es. - Bitte sehr.
Herr Kollege, sprechen Sie für sich oder verbindlich für die FDP-Fraktion, wenn Sie erklären, daß Sie einer Erhöhung der Einkommensgrenzen nicht zustimmen?
Wir haben das in unserer Fraktion beraten und so beschlossen. Ich spreche verbindlich für die FDP-Fraktion. Wenn Sie mir noch eine Weile zuhören, dann werde ich Ihnen das auch noch einmal begründen.
Leider hat der nordrhein-westfälische Minister Zöpel, der damalige Nachfolger von Herrn Hirsch, aus dieser verdienstvollen Initiative nichts gemacht
und hat als Ergebnis seiner bisherigen Wohnungspolitik einen Torso der Versorgung von sozial Bedürftigen in Nordrhein-Westfalen hinterlassen.
Im übrigen wurde mein Kollege Herr Hirsch als damaliger Innenminister über Jahre hinweg von allen sachverständigen Gutachten ausdrücklich bestätigt. Lesen Sie doch einmal nach, was im Sachverständigengutachten 1983 und 1984 zu lesen ist. Dann fühlen Sie Wort für Wort, daß wir mit diesen unseren jetzigen Vorstellungen eigentlich auf der richtigen Linie liegen. Sie belegen eindeutig, daß Burkhard Hirsch die richtigen Perspektiven erstellt hatte, in welche Richtung die Weiterentwicklung gehen sollte.
({0})
Man muß einmal überlegen, daß etwa 50 Milliarden DM an öffentlichen Mitteln im sozialen Wohnungsbau ausgeliehen sind. Bei einer vorzeitigen Rückzahlung von 5% pro Jahr würde eine erhebliche Finanzmasse zur Verfügung stehen. Damit könnte man die Leistungen des Wohngeldgesetzes noch weiter verstärken und zielgerecht den wirklich sozial Bedürftigen helfen; so könnte man die Veranstaltung eines Gießkannenprinzips der Subventionen im Mietwohnungsbau beenden.
Zugleich könnten auch soziale Härten vermieden werden, zumal der überwiegende Teil der öffentlich geförderten Wohnungen im Eigentum der gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen ist und selbst nach Auslaufen aller Bindungen der Bestand den wohnungsgemeinnützigkeitsrechtlichen Bindungen weiterhin unterliegt.
In diesem Zusammenhang sei mir noch ein Wort zu den gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften erlaubt. Wir erwarten ja im Juni das in Auftrag gegebene Gutachten zum gemeinnützigen Wohnungsbauwesen in der Bundesrepublik Deutschland. Ich will dem Gutachten nicht vorgreifen. Ich will nur die Gelegenheit benutzen, zu betonen, daß wir die Unsicherheit, die über den Fortbestand der gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen besteht, möglichst bald gemeinsam beenden sollten.
Mir haben verantwortliche Mitglieder des gemeinnützigen Wohnungsbauwesens diese Woche erklärt, daß sie durchaus bereit seien, marktgerechte und unternehmerische Konzepte zu entwikkeln, wenn wir ihnen die entsprechenden Rahmenbedingungen vorgäben. Wir sollten diese Chance nutzen; denn nichts ist für ein unternehmerisches Konzept schwieriger, als mit unklaren Bedingungen den Perspektiven der Zukunft entgegenzugehen.
Wir sind uns sicherlich über alle Grenzen der Parteien hinweg darin einig, daß die gemeinnützige Wohnungsbauwirtschaft in der Nachkriegszeit der Bundesrepublik Deutschland große Leistungen erbracht hat und unsere Anerkennung verdient. Daran ändern auch einige Ausrutscher nichts. Nunmehr gilt es, die Ergebnisse dieser Leistung in ein marktkonformes unternehmerisches und klar orientiertes Konzept zu überführen.
Ich bin beauftragt, im Namen der FDP-Fraktion alle diese Bedenken zum Gesetzentwurf über den Abbau der Fehlsubventionierung vorzutragen. Wir werden sie in den Ausschußberatungen einbringen und hoffen auf eine vernünftige Beratung.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend noch eines feststellen. Wir alle sind uns darüber im klaren - auch in Übereinstimmung mit den Fachleuten der Wohnungswirtschaft -, daß die Wohnungspolitik der Nachkriegszeit zu Ende ist und ein großer Teil unserer Bevölkerung - bis auf wenige Ausnahmen in den Ballungsräumen - mit Wohnraum versorgt ist. Die heutigen Gesetzesvorlagen sowie der Wohngeld- und Mietenbericht belegen, daß die Bundesregierung falsch beraten wäre, Marktentwicklungen zu übersehen und etwa am Markt vorbei eine staatliche Förderung zu strukturieren. Wir glauben, daß insbesondere im sozialen Mietwohnungsbau, aber auch im frei finanzierten Wohnungsbau sowie in der Erstellung und im Erwerb von Wohnungseigenturn die Abstimmung zwischen Bund und Ländern, aber auch mit den Kommunen verstärkt werden muß. Wir können gerade in der Zusammenarbeit mit den kommunalen Verbänden bei der gesamten Sozialstruktur in der Wohnungspolitik zielgerechter die Finanzmittel einsetzen.
Ich darf für die FDP-Fraktion erklären, daß für uns Wohnungspolitik einen hohen Stellenwert in der Sozial- und Familienpolitik einnimmt
({1})
und daß wir unsere Mitarbeit in rechts-, steuer- und wohnungspolitischen Fragen Ihnen, Herr Minister, und Ihren Beamten, denen wir an dieser Stelle für die gute Zusammenarbeit danken, auch weiterhin zusichern.
Vielen Dank.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmitt ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesbauminister hat heute wieder eine Selbstzufriedenheit zur Schau getragen,
({0})
die im Gegensatz zu dem steht, was Mieter, Bauherren, Gemeinden, aber vor allem die Bauwirtschaft über diese Wohnungspolitik denken und sagen; denn dort herrscht alles andere als Selbstzufriedenheit. Dort herrscht Enttäuschung über das, was vor zwei Jahren angesichts der Wende groß verkündet wurde. Es blieben Absichten, Ankündigungen und 300 000 arbeitslose Bauarbeiter im März 1985, von denen der Minister heute mit keinem Wort gesprochen hat.
({1})
Was in der Wohnungspolitik bisher gekommen ist
- das gilt auch für das, was wir heute auf dem
Tisch haben -, waren im Grunde Vorgaben aus
dem Hause Stoltenberg in Sachen Wohngeld. Wegen des Termins in der Eigenheimförderung blieb der Minister mit seinen Vorschlägen auf der Strekke. Im sozialen Wohnungsbau sprach sich die CDU/ CSU-Fraktion im Gegensatz zum Minister für den Abbau der Förderung von sozialem Mietwohnungsbau aus.
Herr Minister, Herr Stoltenberg hat Ihnen, dem Schneider aus Nürnberg, die Schnittmuster für Ihre Gesetzesschneiderei vorgegeben. Wir Wohnungspolitiker stellen mit Bedauern fest, daß er Ihnen dabei nur eine knappe Stoffausstattung zugestanden hat.
({2})
Das, was Sie an Ausstattung vorweisen, reicht weder für die Bauwirtschaft noch für die Mieter zu einem schützenden Gewand.
Wir müssen heute feststellen, daß Sie als Bauminister der Wende nunmehr der Vereinfacher sind, der von weniger Normen spricht; weniger Paragraphen ist heute die Parole. Man muß schon sagen, wenn sich schon auf dem Bau nichts mehr oder sehr wenig bewegt, dann müssen wir uns eben mit Paragraphen beschäftigen. Wo eine gestaltende Wohnungspolitik ausbleibt - Herr Minister, das sagt nicht nur der Deutsche Mieterbund, sondern das sagen auch Organisationen, auf die Sie sich immer wieder berufen, wenn ich an die Stellungnahme des Haus- und Grundbesitzerverbandes vom heutigen Tag denke; es ist nicht unsere Stellungnahme -, wo also diese Wohnungspolitik fehlt, da bleibt eben Rechtsbereinigung übrig, da werden vergilbte Gesetzesseiten entfernt, und damit werden die tüchtigen Beamten in der Deichmannsau und wir im Städtebauausschuß wenigstens mit einer Originalvorlage aus dem Hause Schneider beschäftigt.
Aber, Herr Minister, ich meine, auch angesichts des gestrigen Fußballspiels, wir rufen nicht gleich „abseits" bei diesem Abschlag, der noch nicht einmal die Mittellinie erreicht. Wir dürfen Ihnen versichern, daß wir bei diesem Wohnungsvereinfachungsgesetz jeden Artikel Ihres Entwurfs sorgfältig prüfen und auf seine Wirkung hin überdenken.
({3})
Sie haben verkündet, Herr Minister, 500 000 Akten für Eigenheime, sozial gefördert, können im Schrank verbleiben. Wir müssen aber die kritische Frage stellen, welche Wirkungen sich daraus für die Eigenheimer ergeben, ob sich - ich stelle die Frage - nicht daraus plötzlich der Pferdefuß neuer Einheitswerte ergibt und diejenigen, die von Ihnen mit bürokratischen Entlastungen bedacht werden sollen, plötzlich höhere Steuern zahlen müssen.
Aber es ist auch eine Reihe von Dingen, Herr Minister, wo Sie ohne weiteres unsere Zustimmung bekommen: bei dem Lichtschalter und der Steckdose; abgehakt, eine relativ einfache Sache. Über etwas freuen wir uns, nämlich daß Sie nunmehr auch die vor Jahren von uns eingeführte Anrechnung von Verlusten bei der Einkommensermittlung nunmehr auch für die Wohnberechtigung heranziehen.
Das haben wir bereits vor drei Jahren beim BAföG getan. Wir sind nämlich der Meinung, warum soll ein Bauherr, nur weil er beim Bauherrnmodell erhebliche Verluste erlitten hat, auf Grund dieser Verluste berechtigt sein, im sozialen Wohnungsbau zu wohnen?
Aber nicht nur für uns, Herr Minister, auch für den Bundesrat ist Ihr Gesetzentwurf zur Wohnrechtsvereinfachung zu schmächtig. Er klammert aus und geht jedem Problem aus dem Wege. Damit meine ich die Frage der Einkommensgrenzen für die Wohnberechtigung, bei der wir von Ihnen heute nicht erfahren haben, was Sie eigentlich wollen. In ihrer Vorlage hat die Bundesregierung zum Vorschlag des Bundesrates wie folgt Stellung genommen:
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die vorgeschlagene grundlegende Änderung der Einkommensgrenzen nicht vorgenommen werden kann.
In München haben Sie erklärt, sie sind für 20 %. Herr Kollege Riedl war für eine Erhöhung der Einkommensgrenzen um 40 %. Man muß fragen: Was gilt hier? Herr Grünbeck hat auf Nachfrage erklärt, die Einkommensgrenzen sind für ihn tabu. Sie haben erklärt, dort muß etwas geschehen.
({4})
Gut, wir werden es im Ausschuß sehen. Wir werden jedenfalls bei den Beratungen zum Wohnrechtsvereinfachungsgesetz eine Erhöhung der Einkommensgrenzen für die - ich unterstreiche - Wohnberechtigung beantragen; denn diese Einkommensgrenzen sind seit 1980 unverändert.
Man muß sich einmal vorstellen, wie sie heute aussehen: Für einen Zweipersonenhaushalt ist eine Berechtigung für den Bezug der Sozialwohnung erst ab einem Familieneinkommen von 2 650 DM brutto im Monat vorgesehen. Das bedeutet in der Praxis, daß ein Facharbeiter, der mit einer Krankenschwester verheiratet ist, heute nicht mehr die Berechtigung hat, eine Sozialwohnung zu bekommen, weil sie nämlich ein Bruttoeinkommen haben, das weit darüber hinausgeht. Aber - das ist auch Ergebnis Ihrer Politik - bei einem Einkommen von 2 437 DM kommt ein Facharbeiter nur noch mit 1 714 DM netto nach Hause. Das andere nehmen ihm die Beiträge zur Sozialversicherung, Krankenkasse, Arbeitslosenversicherung und auch die Steuer ab.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Grünbeck?
Bitte sehr, Herr Grünbeck.
Herr Kollege Schmitt, teilen Sie meine Sorge, daß jetzt schon Tausende von Bürgern, die unter der Einkommensgrenze liegen, keine Wohnungen aus dem Bestand des sozialen Wohnungsbaues erhalten und daß, wenn wir die Einkommensgrenzen wesentlich anheben, der
Kreis der Anspruchsberechtigten zwar stark vergrößert wird, aber die Anspruchsberechtigten deshalb nicht besser bedient werden und die sozial Schwächsten dabei auf der Strecke bleiben?
Ich teile Ihre Sorge nicht, Herr Kollege Grünbeck, weil ich davon ausgehe, daß wir Sozialdemokraten dafür eintreten und es auch durchsetzen werden, daß zum einen der Bestand an Sozialwohnungen erhalten bleibt und daß zum anderen auf der örtlichen Ebene bei einer erheblichen Nachfrage nach Wohnungen in Initiative der Gemeinden und der gemeinnützigen Wohnungsbaugesellschaften auch ein ausreichendes Angebot an Mietwohnungen bereitgestellt wird. Ich werde weitere Argumente nachtragen.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben 1980 46,8% Wohnberechtigte im Bundesgebiet gehabt. 1985, Herr Grünbeck, sind es nur noch 36 %. Wenn wir die Einkommensgrenzen nicht ändern, dann werden es 1990 nur noch 25 % aller Haushalte sein, die für den sozialen Wohnungsbau berechtigt sind. Ich weise an dieser Stelle darauf hin, daß der soziale Wohnungsbau ja keine Einrichtung für Randgruppen oder nur eine bessere Form einer gehobenen Obdachlosenfürsorge sein soll, sondern den breiten Schichten des Volkes zugute kommen soll, den breiten Schichten des Volkes die Möglichkeit geben soll, in einer Sozialwohnung zu wohnen. Wir müssen die Einkommensgrenzen anpassen, damit auch die Normalverdiener, die Arbeitnehmer, auf Grund der allgemeinen Einkommensentwicklung im Laufe der Jahre nicht zu Fehlbelegern werden.
Meine Damen und Herren, auch diese Entscheidung ist für uns ein Prüfstein, wie ernst der Bauminister und der Staatssekretär ihre freundlichen Worte über den sozialen Wohnungsbau meinen. Es werden ja immer wieder Worte gefunden, aber in der praktischen Politik der Koalition wird der soziale Wohnungsbau auf dem Wege zur Marktwirtschaft, wie Sie sie verstehen, immer mehr zu einer Randgröße. Wir betonen im Gegensatz zu Ihnen, Herr Grünbeck, daß in den Ballungsgebieten auf den sozialen Wohnungsbau und - das sage ich - auch auf die Objektförderung nicht verzichtet werden kann.
({1})
Sie können die gesamten Wohnkosten nicht allein durch Wohngeld ausgleichen; denn das wären Summen, die weder der Bund noch die Länder in Zukunft aufbringen können.
({2})
Wir sind der Meinung, daß diese öffentlichen Mittel, wenn wir den sozialen Wohnungsbau weiterführen wollen - wir müssen es -, vor allem denen zugute kommen müssen, die staatliche Hilfen für ein menschenwürdiges Wohnen brauchen. Deshalb dürfen diese staatlichen Subventionen nicht an die falsche Adresse gezahlt werden. Aus diesem Grunde sind wir nach wie vor für den Abbau der
Fehlsubventionierung im Wohnungsbau durch eine Fehlbelegungsabgabe; denn es ist nicht einzusehen, daß Mietvorteile aus der Staatskasse denen zugute kommen, die auf Grund ihres Einkommens keine staatlichen Hilfen brauchen.
Meine Damen und Herren, ich wundere mich immer wieder, wenn ich von dieser Seite höre, es müsse ein Subventionsabbau vorgenommen werden. Wenn dieses Problem aber einmal angepackt wird - wir haben dies ja durch den Abbau der Fehlsubventionierung versucht -, dann heißt es, das sei zuviel Bürokratie, so habe man sich das nicht gedacht.
Gestatten Sie eine Zwischenf rage?
Wenn es nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.
Ja, machen wir.
Bitte sehr, Herr Kollege Jahn.
Herr Kollege Schmitt, da Sie die Fehlbelegungsabgabe mit Nachdruck unterstreichen, frage ich Sie: Wie erklären Sie es sich, daß das Land Hessen - Sie kommen aus Wiesbaden - die Fehlbelegungsabgabe bis heute nicht erhebt, und teilen Sie die Meinung Ihres Kollegen Reschke - er kommt aus Nordrhein-Westfalen -, der in diesen Tagen die Abschaffung des Fehlbelegungsgesetzes gefordert hat?
Ich werde noch im einzelnen darauf zurückkommen. Zu Frankfurt und Wiesbaden muß ich sagen: Es wäre in Hessen unvertretbar, daß Frankfurter nach dem Gesetz, das Sie seinerzeit in dieser Form durchgesetzt haben, Fehlbelegungsabgabe zahlen müßten,
({0})
während andererseits in den viel besseren Wohnlagen mit viel besserer Wohnausstattung in Wiesbaden keine Fehlbelegungsabgabe bezahlt werden müßte, weil Wiesbaden nur 280 000 Einwohner hat.
({1})
Aus dem richtigen Ansatz der seinerzeitigen Regierungsvorlage - das sollte man nicht vergessen - wurde dann in der Nacht- und Ermüdungsaktion des Vermittlungsausschusses im Dezember 1981 ein Kompromiß, der einmal - das war Ihr Vorschlag - zu einer allgemeinen Zinsanhebung für alle Sozialmieter geführt hat - Sie beklagen ja den Anstieg der Sozialmieten - und zum anderen die Fehlbelegungsabgabe nur für Großstädte mit über 300 000 Einwohnern vorsah. Da ist es einzusehen, daß viele der von der Abgabe Betroffenen nicht einsehen können, daß sie, nur weil sie in einer Stadt mit 300 000 Einwohnern wohnen, diese Abgabe zahlen müssen, während andere unter gleichen Bedingun10070
Schmitt ({2})
gen in anderen Städten auf Grund der Gesetze - ({3})
- Mit Ihrer auch, Herrn Jahn. Ich kritisiere ja auch, daß diese Zwangslage seinerzeit durch den Vermittlungsausschuß geschaffen wurde. - Da ist es einzusehen, daß hier die Akzeptanz dieser Abgabe in solchen Städten - deshalb verstehe ich auch den Kollegen Reschke, der ja aus NordrheinWestfalen, aus Essen, kommt - sehr gering ist.
Aber, meine Damen und Herren, wir haben dieses Gesetz mitgetragen. Dabei sollte man nicht übersehen - das gilt jetzt auch dem Herrn Bauminister --, daß dieses Gesetz von 1981 j a zu erheblichen Mehreinnahmen für den sozialen Wohnungsbau aus Zinsanhebungen, vorzeitiger Darlehensablösung und der Fehlbelegungsabgabe geführt hat.
({4})
Hier haben Mieter und Eigentümer zu einem wesentlichen Teil das groß verkündete Sonderprogramm des Bundesbauministers finanziert. Sie konnten zu Recht darüber verbittert sein, daß sie als Mieter und Eigentümer einen Solidarbeitrag für den Wohnungsbau geleistet haben, während die Gutverdienenden die für den Wohnungsbau gedachte Investitionshilfeabgabe zurückerhalten haben. Dies sind die Widersprüche, die die Akzeptanz dieser Fehlbelegungsabgabe so erschweren.
Mit anderen Worten: Sie haben durch diese Entscheidung ein Startkapital für das Sonderprogramm bekommen, als besondere Leistungen Ihrer Regierung verkauft.
Noch eine Anmerkung, meine Damen und Herren. Sie haben seinerzeit in der Diskussion den Verwaltungsaufwand beschworen und haben das Schreckgespenst der Bürokratie an die Wand gemalt.
({5})
Richtig ist aber - die Erfahrungen haben es ja bestätigt -, daß ausgerechnet Berlin und Bayern an der Fehlbelegungsabgabe festhalten wollen
({6})
und daß sie sagen: Wir konnten gut damit fahren. Da frage ich mich, was Herr Minister Schneider - er kommt aus Bayern - dort vor Ort hört und wie er das heute bewertet.
({7})
Aber, meine Damen und Herren, wir meinen: Wenn die Vorschläge des Bundesrates - das werden wir im Ausschuß genau zu überdenken haben - dazu führen, daß zwischen Verwaltungsaufwand und Einnahmen aus der Fehlbelegungsabgabe kein vernünftiges Verhältnis entsteht, dann sollten wir entweder dieses Bundesgesetz abschaffen und darauf verzichten
({8})
oder den Ländern die Möglichkeit geben, ein solches Gesetz in Form eines Rahmengesetzes auszuführen, bei dem wir nicht nur das Ob, sondern auch das Wie den Ländern überlassen.
({9})
Wir werden das im Ausschuß tun.
Ich hatte Ihnen schon ein Signal gegeben.
Wir meinen, daß die heutige Bilanz des Bauministers
({0})
zeigt: Hier ist viel versprochen worden, hier ist wenig gehalten worden.
Wir wünschen uns einen Bauminister, der nicht nur redet, sondern handelt und für unsere Städte, für unsere Mieter, für den Wohnungsbau Entscheidungen trifft, die wir dann für die Wohnungspolitik durchsetzen können.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Link ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Egal um welches Thema es sich handelt, man kann mit Sicherheit voraussagen, wenn ein SPD-Redner dieses Pult betritt, daß er ein Horrorgemälde aus Panikmache und Angstmache zeichnet, ein Zerrbild der Wirklichkeit.
({0})
So natürlich auch bei der Wohnungsbaupolitik. Dazu möchte ich Sie fragen: Wie ist denn die Lage?
({1})
Wir haben ausgeglichene Wohnungsmärkte, steigende Leerstände, mehr Wohnungen als Haushalte, wir haben geringere Mietsteigerungen als die SPD in ihren 13 Regierungsjahren.
({2})
Wir haben die beste Versorgung der Bevölkerung mit Wohnraum, die es je gab.
({3})
Wir haben enorme Steigerungen des Wohngeldes, um 900 Millionen DM ab 1. Januar 1986. Wir haben damit geringere Mietbelastungen für die Rentner und für die Arbeitnehmer. Das ist die tatsächliche Lage, und die SPD versucht als Opposition - so versteht sie nun einmal ihre Rolle -, in Horrorgemälden das herunterzuziehen, was sich nun einmal in einer positiven Entwicklung in den letzten zwei Jahren hier ergeben hat.
({4})
Aber ich möchte nicht länger auf diese Zerrbilder eingehen.
Lassen Sie mich Ihnen einiges zum Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz vortragen.
({5})
Herr Abgeordneter, bevor Sie dies tun - Link ({0}) ({1}): Nein, ich möchte meinen Vortrag geschlossen durchziehen.
({2})
Die Bundesregierung hat ein Gesetz zur Vereinfachung wohnungsrechtlicher Vorschriften mit dem klaren Ziel der Entbürokratisierung und der Entrümpelung von teilweise völlig überflüssigen Vorschriften und gesetzlichen Bestimmungen eingebracht. In den letzten Jahren Ihrer Regierungszeit wurden immer mehr Gesetze in einer Sache verabschiedet, bis zur Perfektionierung, und damit wurde ein riesiger Verwaltungsaufwand verursacht. Wohnungsbauminister Schneider zieht mit seinem Gesetzentwurf nicht nur einen Schlußstrich darunter, sondern er schneidet die alten Zöpfe ab und entrümpelt die Gesetze drastisch.
({3})
Endlich wird in der Gesetzgebung das Ziel „weniger Vorschriften und gleichzeitig vereinfachte Gesetze" politisch bewußt gewollt und durchgesetzt: zwei komplette Gesetze, sechs Regelungsermächtigungen, 50 Einzelbestimmungen und zwei Rechtsverordnungen werden völlig aufgehoben, und 70 Paragraphen werden drastisch vereinfacht und geändert.
({4})
Damit können bei den zuständigen Ämtern sofort 500 000 Akten geschlossen und die zuständigen Beamten wieder einer sinnvollen Tätigkeit zugeführt werden.
({5})
Die vorgesehenen Maßnahmen sind durch intensive Gespräche mit den Ländern, mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Verbänden der Wohnungswirtschaft vorbereitet worden. Die gemeinnützige Wohnungswirtschaft begrüßt die Bestrebungen der Bundesregierung um Streichung
überflüssiger Vorschriften, und sie begrüßt auch, daß sofort 500 000 Akten geschlossen werden können.
Lassen Sie mich nun zu einigen Schwerpunkten etwas sagen. Für Eigenheime und Eigentumswohnungen, bei denen die öffentlichen Mittel längst zurückgezahlt wurden und die nahezu ausschließlich vom Eigentümer und seinen Familienangehörigen genutzt werden, gelten noch acht Jahre nach Ablösung der öffentlichen Mittel Mietpreis- und Belegungsbindungen.
({6})
Es handelt sich dabei um 500 000 Eigenheime bzw. Eigentumswohnungen aus den Jahren 1955 und 1962. Das 2. Haushaltsstrukturgesetz 1981 und die damals beschlossene Höherverzinsung der öffentlichen Mittel haben dazu geführt, daß sehr viele Eigentümer die öffentlichen Mittel schnell zurückgezahlt haben. Allein 1981/82 haben bereits 430 000 Eigentümer die öffentlichen Mittel zurückgezahlt. Obwohl die Eigentümer die Eigenheime fast ausschließlich selbst nutzen und die öffentlichen Mittel zurückgezahlt haben, gelten noch immer die Mietpreis- und Belegungsbindungen. Deshalb muß die Verwaltung 500 000 Akten regelmäßig überprüfen. Das ist bürokratischer und gesetzlicher Schwachsinn.
({7})
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik.
Mieter in Einliegerwohnungen gibt es kaum; meistens sind es Familienangehörige. Wenn man von den wenigen vorhandenen Mietern die Familienangehörigen abzieht, die Nichtberechtigten mit höherer Miete, die Fehlbeleger und die Objektmieter abzieht und wenn man darüber hinaus bedenkt, daß ein ausgeglichener Wohnungsmarkt vorliegt und nur ein Teil dieser Eigenheime in Ballungsräumen liegt, dann rechtfertigt dies auf keinen Fall den bisherigen großen Verwaltungsaufwand. Es ist nicht zu verantworten, daß bis zum Jahre 1990 zahllose Beamte 500 000 Akten hin- und herschieben und etwas prüfen sollen, was nicht mehr vorhanden oder nicht mehr prüfenswert ist.
({8})
Ein weiterer politischer Schwerpunkt dieses Gesetzes sind familienpolitische Maßnahmen. Der Zuzug von Eltern zu ihren Kindern im öffentlich geförderten Familienheim soll hier ermöglicht werden. Seither wurde Eltern, die mit ihrem Einkommen über der Fördergrenze des sozialen Wohnungsbaus liegen, der Zuzug ins Familienheim ihrer Kinder durch Gesetz verweigert. Diese unsinnige und familienfeindliche Regelung verhinderte familäre Gemeinsamkeit und Betreuung und erzwang die Trennung. Sie trieb alte Menschen ins Alten- oder Pflegeheim und trennte nicht nur die Familie, sondern belastete außerdem zusätzlich finanziell Staat, Gemeinden und die Versichertengemeinschaft. Dieser soziale Widersinn wird durch Aufhebung der Einkommensbegrenzung und durch Streichung der prüfungsaufwendigen Genehmigungsverfahren
endlich beseitigt. Darüber hinaus wird die Bundesregierung durch den vorliegenden Gesetzentwurf ein weiteres gesetzliches Hindernis für das Zusammenleben von Eltern mit ihren Kindern im Familienheim beseitigen. Seither durfte ein Bauherr bei Verwendung von Familienzusatzdarlehen seine Eltern nur dann aufnehmen, wenn das Einkommen der Eltern nicht mehr als 5 000 DM jährlich betrug. Diese Einkommensbegrenzung wird aufgehoben. Wenn ein Bauherr nach seinem Gesamteinkommen förderungswürdig ist - und dazu zählt auch das Einkommen der Angehörigen -, dann soll er auch immer Anspruch auf ein Zusatzdarlehen haben, welches seine Eltern mit berücksichtigt.
({9})
Mit der Beseitigung dieser familienfeindlichen Regelung fördert die Bundesregierung das familiäre Zusammenleben im Familienheim und entlastet damit gleichzeitig Staat, Gemeinden und Versichertengemeinschaft. Sie haben sie belastet.
({10})
Ein dritter Punkt der Entbürokratisierung und Entrümpelung ist die Aufhebung aller detaillierten Standardregelungen im Wohnungsbauförderungsgesetz. Es sind dort Mindestanforderungen für den sozialen Wohnungsbau gestellt, die längst überholt sind, weil sie heute als selbstverständlich gelten und außerdem im Bauordnungsrecht der Länder generell geregelt sind. Diese Mehrfachregelung hat in der Vergangenheit das Genehmigungsverfahren unangemessen erschwert.
Es ist heute völlig überflüssig, daß auch noch durch Bundesgesetz Mindestanforderungen für den sozialen Wohnungsbau erhoben werden, z. B. daß in allen Räumen wie Küche, Wohn- und Schlafzimmer mindestens eine Steckdose sein soll oder daß neuzeitliche sanitäre Anlagen in der Wohnung sein müssen oder Bad oder Dusche sowie Waschbecken vorhanden sein müssen oder daß eine Zapfstelle im Kochraum vorhanden sein muß. Kein Mensch baut heute mehr eine Wohnung, die er vermieten will, ohne diese Mindestausstattung.
Ein weiterer Schwerpunkt des Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetzes ist die ersatzlose Streichung aller Vorschriften zur sogenannten Wohnbesitzwohnung. Ein „Meisterstück" sozialdemokratischer Wohnungsbaupolitik, sozusagen eine sozialdemokratische Ruine, was die ideologische Konzeption, den darin enthaltenen politischen Irrtum und die damit verbundenen falschen Hoffnungen angeht, wird nun endgültig auch gesetzgeberisch begraben.
({11})
- Ja, hören Sie nur zu, was für einen Unsinn Sie gemacht haben.
Der Wohnungsmarkt und die Bürger haben die Beerdigung erster Klasse schon längst selbst besorgt. Der Gesetzgeber beseitigt nur noch den gesetzlich angeordneten und in Paragraphen fixierten sozialdemokratischen wirtschaftlichen Unsinn und Irrtum.
({12})
Die SPD hatte Mitte der 70er Jahre den „Wohnbesitzbrief" im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus gesetzlich verankert.
({13})
Ein Gesetz zugunsten der Neuen Heimat, ein sogenanntes Filzokratiegesetz,
({14})
sollte dem in Schwierigkeiten befindlichen Konzern eine neue Finanzierungsquelle erschließen auf Kosten der sozial Schwachen.
({15})
Wer nämlich den Wohnbesitzbrief innerhalb des sozialen Wohnungsbaus erwerben wollte, mußte 15% der Bausumme einer Sozialwohnung aufbringen und bekam dafür lediglich ein Dauerwohnrecht, was er als Sozialmieter sowieso hatte.
({16})
Eigentümer wurde er nicht. Eigentümer blieb die Neue Heimat. Aber das finanzielle Risiko einschließlich des Mietausfallrisikos trug der sozial Schwache. Der Wohnbesitzbrief war nichts anderes als eine durch die SPD gesetzlich verordnete Finanzierungsquelle zugunsten der Neuen Heimat und zu Lasten der sozial schwachen Einkommensempfänger.
({17})
Vereinfacht dargestellt - ja, ich will es Ihnen deutlich sagen -, hatte der sozial Schwache einen Baukostenzuschuß von 15% der Baukosten zugunsten der Neuen Heimat aufzubringen und erhielt dafür ein Dauerwohnrecht, was er sowieso hatte, nur mit dem kleinen Unterschied: Wenn er gezahlt hatte, durfte er es nach 30 Jahren vererben. Seit 1976 ist dieses Gesetz in Kraft. Insgesamt - und da sehen wir jetzt das Ergebnis - wurden seit 1976 323 Wohnbesitzwohnungen gebaut, davon 287 bei der Neuen Heimat und die anderen 36 - na, bei wem wohl? - bei Herrn Schlich, beim Deutschen Mieterbund in Köln. Die Genossen blieben also sozusagen unter sich bei diesem Projekt. Das Ganze war sozusagen eine Genossen-schaffts-Wohnung.
Heute gibt es keine einzige Wohnbesitzwohnung mehr. Ich wiederhole: Sie sind inzwischen alle zu Eigentumswohnungen umgewandelt und verkauft worden.
Herr Abgeordneter - Link ({0}) ({1}): Ich komme zum Schluß.
Beerdigen wir also den unnützen ideologischen Rest im Gesetz durch ersatzlose Streichung, und beenden wir damit ein weiteres Stück sozialdemokratischen Irrglaubens.
Schönen Dank.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Müntefering.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Jahn, ich muß Sie ansprechen, weil der Minister nicht mehr hier ist, ich nehme an, nicht mehr hier sein kann.
({0})
Er hat sich entschuldigt. - Bitte schön.
Einverstanden.
Ich will hier nicht eine Rede durchziehen, sondern ich will versuchen, zumindest noch auf zwei Dinge einzugehen, die heute abend in dieser Debatte hier offensichtlich geworden sind. Der Minister hätte heute bei einem Wohngeldgesetzentwurf mit einem Volumen von 900 Millionen DM die Chance gehabt, einmal zu zeigen, daß er auch etwas leisten kann. Aber seine Rede heute hier war wie alle seine Reden in den letzten Wochen und Monaten
({0})
saft- und kraftlos, und er hat nicht deutlich gemacht, wie sich seine Politik in der nächsten Zeit entwickeln soll.
({1})
Was deutlich war und was ich Ihnen einmal zu bedenken gebe, war die Verharmlosung der Entwicklung der Wohnkosten im Lande. Wenn die Menschen, die uns hier zuhören, die als Mieter und Eigentümer tagtäglich von den Wohnkosten, die sie an jedem Monatsersten zu zahlen haben, stärker gedrückt werden, hören, wie hier um Prozente gestritten wird, darum, ob es nun 3, 4 oder 5% gewesen seien, die dazugekommen seien, wissen die nicht, über was wir Politiker eigentlich reden.
({2})
Was die Menschen wissen, ist: Die Wohnkosten, die der Mieter und die der Eigentümer, drücken immer mehr Menschen in die Knie und in den Konkurs. Konkurs heißt bei den Eigentümern Zwangsversteigerung. Das waren im letzten Jahr in der Bundesrepublik 6 000 bis 8 000. Immer mehr Mieter, liebe Kolleginnen und Kollegen aus der Koalition, wohnen deshalb nicht mehr in bedarfsgerechten, aber teuren Wohnungen, weil sie die Wohnungen nicht mehr bezahlen können. Die neue Armut, die es gibt,
({3})
ist der Grund, der die Nachfrage am schnellsten nach unten gedrückt hat. Sprechen Sie doch einmal mit den Menschen über die Wohnkosten, die sie zu tragen haben, und tun Sie hier nicht so, als ob da alles in Butter sei! Fragen Sie mal in Ihren Wahlkreisen, in Ihren Städten und Gemeinden, wie es denn wirklich aussieht!
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Erhard?
Bitte schön, ja.
Bitte schön.
Herr Kollege, ist Ihnen bewußt, daß die von Ihnen genannten Zwangsversteigerungen zu mehr als 60 % Scheidungsfolgen waren?
({0})
Herr Kollege, es geht mir darum, hier deutlich zu machen, daß in diesem Parlament kein Grund besteht, so zu tun, als ob in bezug auf Wohnkosten in diesem Lande alles in Ordnung sei.
({0})
Ich sage Ihnen: Das sind die Kosten, die die Menschen heute am tiefsten drücken - und viele bis in die Knie. Das ist die Wahrheit.
({1})
- Das war doch ein Ablenkungsmanöver, auf das ich natürlich nicht eingehe, verehrter Herr Kollege.
({2})
Weil es so ist, daß die Wohnkosten für viele Menschen so belastend sind, muß man ernsthafter darüber sprechen, als es der Bundesbauminister heute hier getan hat.
({3})
Er hat unseren Gesetzentwurf abgelehnt, der dazu geführt hätte, daß die Wohngeldansprüche im Jahre 1985 nicht beschnitten worden wären. Der Minister Dr. Schneider hat am 4. November 1982 gesagt: Das Wohngeld wird zum 1. Januar 1985 erhöht.
({4})
- Hat er gesagt.
({5})
Jetzt kommt die Erhöhung zum 1. Januar 1986, und zwar nur verzögert durch das ganze Jahr.
({6})
Es ist zu fragen, ob man den Menschen überhaupt noch empfehlen kann, im Oktober/November dieses Jahres zum Wohngeldamt zu geben, sich das Wohngeld ausrechnen zu lassen und anschließend 12 Monate zu warten, bis sie dann das neue Wohngeld in Anspruch nehmen können.
({7})
Nein, nein, es ist nicht so, wie ein Kollege hier gesagt hat. Der Mieterbund, der darauf hinweist, wie schlimm die Mieten die Menschen drücken, hat wohl recht, uns als Politiker darauf hinzuweisen und zu sagen: Ihr seid in der Verantwortung zu hel10074
fen. Das wollen wir. Deshalb machen wir bei dem Wohngeldgesetz mit. Aber zu dem Wohngeldgesetz wird noch einiges zu sagen sein.
({8})
Da ist z. B. die Frage nach den Mietenniveauklassen. Es ist zunächst einmal eine interessante und einleuchtende Idee, daß man nicht mehr nach der Größe der Städte, sondern nach Mietenniveauklassen das zukünftig regeln will. Das führt bei den fünf Klassen, die vorgeschlagen sind, zu Ergebnissen, bei denen wir uns fragen müssen, ob das denn gewollt ist. Dortmund, Bochum, Duisburg, Gelsenkirchen und viele andere Städte und Gemeinden sind in der Klasse III. München, Frankfurt, Garmisch-Partenkirchen sind in der Klasse V.
({9})
- Hamburg ist in der Klasse IV, Herr Kollege. - Nehmen wir nun an, eine Familie wohnt in Garmisch-Partenkirchen, eine andere in Dortmund. Beide haben gleiche Familienverhältnisse und gleiche Wohnausstattung. Die Miete beträgt 435 DM. Dann bekommt die Familie in Garmisch-Partenkirchen 435 DM als zulässige Höchstmiete anerkannt, die Familie in Dortmund 390 DM. Das ist ein Punkt, über den wir miteinander sprechen müssen. Vielleicht ist das raumordnerisch etwas, was wir in diesem Ausmaß nicht wollen können. Es gibt Unterschiede von 70, 80 DM bei gleichen Verhältnissen.
({10})
Darüber werden wir mit Ihnen noch zu richten haben.
Der zweite Punkt außer der Tatsache, daß Sie versucht haben, die Situation zu verharmlosen, ist die Frage, die der Minister dann selbst gestellt hat: Wie soll es eigentlich weitergehen? Er hat uns ein Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz vorgelegt und hat es als seine, des Ministers Dr. Schneiders, tolle Tat gepriesen. So viele hat er davon ja nicht aufzuweisen. In diesem Wohnungsrechtsvereinfachungsgesetz stehen Dinge wie:
In Buchstabe h wird der Klammerzusatz „({11})" ersetzt durch den Klammerzusatz „({12})".
({13})
In Buchstabe 1 wird der Klammerzusatz „({14})" ersetzt durch den Klammerzusatz „({15})".
So etwas Tolles steht da drin.
({16})
Wenn das Formulierungen sind, die überflüssig geworden sind, sind wir mit dabei, zu sagen: Das streichen wir. Aber das ist keine Tat, die man hier groß verkaufen sollte.
Was der Bundesbauminister in diesen Monaten zu leisten hätte, wäre, daß er hier einmal sagt, wie er sich denkt, die Bautätigkeit in diesem Lande zu
verstärken und zu verstetigen. Denn das ist das erste Problem, das der Bauminister anzugehen hat. Jeder zehnte Arbeitslose in diesem Land kommt inzwischen vom Bau. In diesem Jahr sind weitere hunderttausend Arbeitsplätze in Gefahr verlorenzugehen. Der Bauminister sagt: Das ist der normale Abschmelzungsprozeß; da kann man nichts tun. Er guckt zur Seite und geht nicht auf das ein, was die wirklichen Sorgen draußen sind.
Meine Damen und Herren, die Sozialdemokraten behaupten nicht, daß es möglich wäre, den Hoch-und Tiefbau in den Boom von 1974/75, vielleicht auch 1980 zurückzubringen. Das soll hier nicht gesagt werden. Aber es gibt für Bund, Länder und Gemeinden Möglichkeiten, flankierend mitzuhelfen, daß nicht noch mehr Kolleginnen und Kollegen aus dem Bereich Bau arbeitslos werden, daß nicht noch mehr Facharbeiter wegmarschieren, entlassen werden, die uns irgendwann als Fachleute im Baubereich fehlen. Bund, Länder und Gemeinden könnten mithelfen zu verstetigen, wo diese Kapazitäten im Baubereich zukünftig noch gebraucht werden. Es ist eine ganze Menge zu tun im Land, sowohl beim Hochbau als auch beim Tiefbau. Der Minister hat dazu heute nichts gesagt.
Er hat vielmehr im letzten Jahr, 1984, zugelassen, daß fast 300 Millionen DM, die vom Deutschen Bundestag beschlossen worden waren, nicht ausgegeben worden sind. Der Bauminister stellt sich hier hin und lobt sich, weil er die Mittel für die Städtebauförderung erhöht. Anschließend stellen wir Ende des Jahres fest, daß 62 Millionen DM überhaupt nicht ausgegeben worden sind. Müßte der Bauminister dazu nicht einmal sagen, wie er sich vorstellt, daß er das ändert?
({17})
Wenn der Bundesbauminister auf der DEUBAU 1985 sagt, er setzt sich dafür ein, daß die Neuregelung der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums zum 1. Januar 1986 in Kraft tritt, und wenn er heute kleinlaut sagt: Das geht jetzt nicht, dann frage ich: Wäre er nicht gut beraten als Bundesbauminister, hier einmal deutlich zu machen, welches seine Position ist und wofür er eigentlich gekämpft hat?
Und als letztes; ich komme zurück auf meine Eingangsbemerkung, dieser Minister habe resigniert. Wir haben in der letzten Woche erfahren müssen, daß die Ministerpräsidenten der Länder dabei sind, die Städtebauförderung für die Länder zu reklamieren und dem Bund wegzuschneiden; der Bund würde keine Zuständigkeit haben, wir als Parlament nicht und er als Minister nicht. Wir Sozialdemokraten sind der Meinung, daß die Wohnungs- und Städtebauentwicklung der nächsten Jahre eine erstrangige Aufgabe für alle politischen Ebenen bleibt, auch für den Bund. Weil das so ist, würden wir erwarten, daß der Bundesbauminister darum kämpft, daß wir weiter mitwirken können, daß der Wohnungs- und Städtebau bei uns im Lande floriert. Es gibt noch viel zu tun. Aber es gibt weiß Gott keine Aussicht, daß dieser Minister Dr. Schneider dies tut. Herr Dr. Jahn, überbringen Sie ihm mit menschlichen, freundlichen Grüßen diese Meinung,
aber auch die Erkenntnis, daß er, der als Hoffnungsträger Ihrer Koalition gestartet ist - das gebe ich Ihnen gern zu -, inzwischen einer der Versager dieses Kabinetts geworden ist.
({18})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu dieser Debatte nicht vor; ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 10/3162, 10/3222, 10/2913 und 10/3203 an die in der Tagesordnung angeführten Ausschüsse vor. Der Gesetzentwurf zum Tagesordnungspunkt 4 a soll darüber hinaus auch dem Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit zur Mitberatung überwiesen werden. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Meine Damen und Herren, die Beschlußempfehlung und der Bericht des Rechtsausschusses zu den Tagesordnungspunkten 5 a und 5 b sind gestern verteilt worden. Es ist beantragt worden, gemäß § 81 Abs. 1 unserer Geschäftsordnung von der Frist für den Beginn der Beratung abzuweichen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann ist dies mit der erforderlichen Mehrheit so beschlossen.
Ich rufe sodann die Tagesordnungspunkte 5 a und 5b auf:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ({0})
- Drucksache 10/1286 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({1})
- Drucksache 10/3242 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Hellwig Schmidt ({2})
({3})
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Schmidt ({4}), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer ({5}), Klein ({6}), Dr. Kübler, Lambinus, Frau Renger, Schröder ({7}), Dr. Schöfberger, Dr. Schwenk ({8}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ({9})
- Drucksache 10/891 Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses ({10})
- Drucksache 10/3242 Berichterstatter:
Abgeordnete Frau Dr. Hellwig Schmidt ({11})
({12})
Hierzu liegen Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3255 und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3256 vor. Ich kann dazu ankündigen, daß zu beiden Anträgen
hier der Antrag auf namentliche Abstimmung vorliegt.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 5 a und 5 b und eine Aussprache von 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hellwig.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das heute zu verabschiedende Einundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz, bekanntgeworden unter dem Stichwort der sogenannten Auschwitz-Lüge, verfolgt das Ziel, propagandistische Aktivitäten extremistischer, insbesondere neonazistischer Art auch mit strafrechtlichen Mitteln intensiver zu bekämpfen. Es umfaßt im wesentlichen drei Punkte. Zwei davon sind unumstritten.
Erstens konnten nach den geltenden. Landespressegesetzen bisher Schriften nicht mehr eingezogen werden, wenn nach den üblichen kurzen presserechtlichen Verjährungsfristen von einem Viertel-bis zu einem halben Jahr die Straftat ihrer Herstellung verjährt war.
Der Bundesgerichtshof hat am 26. Januar 1983 entschieden: Diese Verjährungsfrist gilt nicht für die Einziehung dieser Schriften. Sie können also auch nach Verjährung eingezogen werden. Dies wird jetzt in § 76 a auch gesetzlich geregelt.
Der zweite unumstrittene Punkt: Bisher konnte nur die Verbreitung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, also z. B. von Hakenkreuzen, bestraft werden. Nach neuem Recht macht sich auch strafbar, wer diese Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zum Zwecke der Verbreitung einführt, herstellt oder vorrätig hält. Damit soll der zunehmenden Praxis von Einfuhren aus dem Ausland wirksamer begegnet werden können. Insoweit sind sich alle Parteien einig.
Uneinigkeit besteht leider bezüglich der Regelung des dritten Punktes dieses Strafrechtsänderungsgesetzes. Hierbei geht es um die Frage, ob und wie strafrechtlich wirksam einer neuen Form neonazistischer Aktivitäten, dem Leugnen des nationalsozialistischen Völkermordes an Juden, begegnet werden kann.
Die Verbrechen der Hitler-Barbarei, die Verhöhnung, ja die Zerstörung aller sittlichen Normen, die systematische Unmenschlichkeit der NS-Diktatur, wir dürfen, wir wollen sie niemals vergessen. Wir werden nie zulassen, daß etwas verfälscht oder verharmlost wird. Gerade die Kenntnis der schuldhaften Verstrickung der Gewissenlosigkeit, auch der Feigheit und des Versagens kann uns in den Stand setzen, die Anfänge des Verderbens zu erkennen und ih10076
nen zu widerstehen. Der Totalitarismus, der sich in Deutschland nach dem 30. Januar 1933 durchsetzen konnte, das ist keine unwiederholbare Entgleisung, kein Unfall der Geschichte. Wachsamkeit und Sensibilität sind vor allem gegenüber jenen Einstellungen und Haltungen geboten, die totalitärer Herrschaft den Weg bereiten können, der Gläubigkeit gegenüber Ideologien, die vorgeben, das Ziel der Geschichte zu kennen, die das Paradies auf Erden versprechen.
Soweit das Zitat aus der Rede des Bundeskanzlers. Ich betone hier ausdrücklich, meine Damen und Herren, daß diese Wachsamkeit und Sensibilität für alle Demokraten in diesem Lande nicht nur den Rechts-, sondern genauso den Linksradikalen gelten muß.
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Wenn wir in der Regierungskoalition Bedenken haben, das Strafgesetz als Waffe gegen Radikale einzusetzen, so geschieht dies aus folgender Überlegung. Wir wissen, daß in einer Demokratie Radikale von rechts und links ertragen werden müssen. Es gibt keine von Radikalen gesäuberte Demokratie. Wer diesen Versuch unternimmt, schützt die Demokratie zu Tode. Jede freiheitliche Demokratie steht und fällt mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit,
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wie sie bei uns in Art. 5 des Grundgesetzes verankert ist. Im offenen politischen Meinungskampf müssen Unwahrheiten - auch mit dem Pseudoanspruch der Wahrheit - ertragen werden können. Dies macht das öffentliche Meinungsbild einer Demokratie einerseits so diffus und unruhig, andererseits bewahrt es sie auch vor der Grabesruhe einer Diktatur von rechts oder links, in der politisch Andersdenkende verfolgt, gefangengenommen, in Psychiatrien gesperrt, gefoltert und getötet werden - und das alles mit dem Anspruch, damit der einzig richtigen, der staatlich verordneten Wahrheit zu dienen.
Wir haben in unserem Lande seit 40 Jahren eine freiheitliche Demokratie. Wir Demokraten in der Bundesrepublik sind stolz darauf. Wir wissen, daß nicht ängstliche Aufgeregtheit des sich von Radikalen bedroht Fühlenden, sondern daß ein gewisses Maß von Gelassenheit den Demokraten auszeichnet.
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Jede Demokratie kommt um die Abwägung nicht herum, wieweit sie einerseits den Radikalismus bekämpfen muß, um sich selbst zu schützen, und wieweit sie ihn andererseits ertragen muß, um ihre Meinungsfreiheit nicht zu zerstören.
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Mit dieser Nachdenklichkeit, meine Damen und Herren, befinden wir uns in einer guten Tradition dieses Bundestags. Es gab schon einmal ein sich über acht Jahre hinziehendes Gesetzgebungsverfahren über die Strafvorschriften zur Bekämpfung der Volksverhetzung. Bundeskanzler Adenauer erklärte in der feierlichen Sitzung des Deutschen Bundestags vom 27. September 1951, in der es um den Erlaß der Wiedergutmachungsgesetze ging, zu den eingebrachten Strafrechtsänderungen:
... hat die Bundesregierung sich entschlossen, die Kreise, die noch immer antisemitische Hetze treiben, durch unnachsichtige Strafverfolgung zu bekämpfen. Dem Bundestag liegen Vorschläge zu einer Ergänzung des Strafgesetzes vor, auf Grund deren unter anderem auch rassenhetzerische Propaganda mit schwerer Strafe belegt wird.
Wer die Bundestagsprotokolle von damals studiert, wird feststellen, daß auch damals schon alle Parteien mit dem Problem gerungen haben, ob die Verschärfung von Strafvorschriften sinnvoll und geeignet ist, Radikalismus zu bekämpfen. Damals, als es um die Bestrafung der Volksverhetzung ging, also um den jetzt geltenden § 130 StGB, sagte der Sprecher der SPD - es war der frühere Kollege Wittrock aus einer traditionsreichen hessischen sozialdemokratischen Familie -:
Da kann die Überlegung einsetzen, ob der Gesetzentwurf das geeignete Mittel ist, ob es nicht bereits im Rahmen des geltenden Rechts Möglichkeiten gibt, den Antisemitismus abzuwehren, und zwar auch mit Mitteln der Strafjustiz.
Aber nicht nur bezüglich dieser wünschenswerten Nachdenklichkeit handelt es sich heute offenbar um eine andere SPD als damals. Nein, der Bruch zwischen ihrer früheren und ihrer heutigen Haltung wird an dem entscheidenden Streitpunkt zwischen uns heute noch viel deutlicher. Sie werfen uns bei dem heutigen Gesetzentwurf vor, wir hätten uns geweigert, ausdrücklich einen Sondertatbestand zur Bekämpfung des besonders ungeheuerlichen Leugnens des an Juden vergangenen Verbrechens der Nationalsozialisten zu schaffen, und werfen uns „Aufrechnungsmentalität" vor, wenn wir - wie jetzt in § 194 Abs. 1 und 2 StGB - neben der Hervorhebung nationalsozialistischer Gewalt- und Willkürherrschaft allgemein von den Opfern einer Gewalt- und Willkürherrschaft sprechen.
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Sind Sie, meine Damen und Herren von der SPD, in Ihrer eigenen Partei inzwischen so traditionslos, daß Sie nicht einmal Ihre frühere Haltung zu dieser Frage kennen? Diese allgemeine Bezeichnung „Gewalt- und Willkürherrschaft", nicht der Nationalsozialismus, wurde doch in diesem damaligen § 189 Abs. 3 StGB - das ist genau § 194 Abs. 2 StGB, um den es heute geht - auf Ihren ausdrücklichen Wunsch hin verwendet.
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Ich zitiere dazu - meine Damen und Herren, es lohnt sich für alle Parteien, aufmerksam zuzuhören - Herrn Wittrock, den Vertreter der SPD, aus der Debatte vom 3. Dezember 1959:
Wir Sozialdemokraten halten jedoch ein Gesetz
für verfehlt, das seinem Anlaß und seinem
Kern nach als ein strafrechtlicher SonderFrau Dr. Hellwig
Schutz für die Deutschen wirken könnte, die aus Rassenwahn als Juden angegriffen werden.
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Im eigenen Volke als Jude beschützt werden zu müssen, ist für den Verletzten ebenso kränkend wie die ihm widerfahrende Mißachtung.
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Es ist peinlich für uns alle.
Mit Recht hat man es einen antisemitischen Neutralismus genannt, wenn Mitbürger als Juden unter eine Art von Denkmalsschutz gestellt werden sollen. In der Fassung der Regierungsvorlage hätte ein solches Gesetz daher das Gegenteil seines Zieles erreicht, da es einen Zerfall des Volkes in Gruppen anerkannt hätte, die durch unfreiwillige Merkmale aus der Gemeinschaft aller auszusondern sind.
Soweit Wittrock, der ausdrücklich einen allgemeinen Tatbestand forderte, durch den natürlich auch die Juden geschützt sein sollten, der aber allgemein gehalten und nicht nur auf die jüdischen Mitbürger bezogen sein sollte.
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Wittrock geht dann darauf ein, daß durch Änderungen im Rechtsausschuß anerkennenswerterweise versucht worden sei, das sich auf Juden beziehende Besondere abzuschwächen, fährt dann aber fort:
Dennoch vermag diese Verbesserung unsere grundsätzlichen Bedenken nicht auszuräumen. Auch die Neufassung kann die Gefahr nicht vollständig bannen, daß eine solche Strafvorschrift den gesetzgeberischen Absichten zuwider auf die zurückschlägt, die geschützt werden sollen. Die für alle gleiche Rechtsordnung darf auch aus der Sicht eines Rechtsbrechers nicht zwischen vorstellbaren Gruppen, die besonders verletzlich und schutzwürdig sind, und solchen Gruppen, die es nicht sind, teilen. Die Rechtsgemeinschaft eines Volkes ist nicht teilbar.
So Wittrock.
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Wenn Ihnen, Herr Vogel, als ehemaligem Bundesjustizminister, als Mitträger der rechtspolitischen Tradition der SPD,
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das bekannt war,
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hätte ich es als Ihre moralische Pflicht angesehen, um der Wahrheit willen, um die es ja schließlich bei dem vorliegenden Gesetz geht
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- es geht ja um die Wahrheit von Äußerungen -, dem Bundestag heute zu erläutern, warum die SPD heute genau den gegenteiligen Standpunkt wie bei der Gesetzgebung im Jahre 1959 vertritt.
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Ein Wort zum § 130, der damals beschlossen worden ist und bewußt allgemein den Tatbestand der Volksverhetzung geschaffen hat. Er hat sich in den 25 Jahren seiner Geltung ausgesprochen bewährt. Es hat sich auch bewährt, daß nicht nur der Schutz für Juden festgelegt worden ist. Ich werde Ihnen sagen, warum es sich bewährt hat: nämlich weil in den 25 Jahren nicht nur diejenigen, die zum Haß gegen die Juden aufgerufen haben, nach diesem Paragraphen bestraft worden sind, sondern auch diejenigen, die z. B. zum Ausländerhaß aufgerufen haben.
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Auch - meine Damen und Herren, hören Sie genau zu - diejenigen, die den Buback-Mord öffentlich gebilligt haben, sind nach diesem Straftatbestand der Volksverhetzung bestraft worden.
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Ich bedaure sehr, daß dieser heute zu beschließende Gesetzentwurf nicht einstimmig verabschiedet wird. Ober die mit einer Strafrechtsänderung immer verbundene vorbeugende politische Signalwirkung sind wir uns heute in diesem Bundestag hoffentlich genauso einig, wie es 1959 alle Parteien im Bundestag waren. Dieses heute hier zu verabschiedende Gesetz soll eine Signalwirkung auch in Richtung Neonazis haben. Aber die Signalwirkung wird durch die Uneinigkeit der Demokraten hier im Bundestag ohne Not entwertet.
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Wir, die Koalitionsparteien, und Sie, als Opposition, sind uns in dem Anliegen einig, die Strafrechtslücke zu schließen, die dadurch sichtbar wurde, daß ein Jude nach geltendem Recht den Strafantrag wegen Beleidigung selber stellen muß, wenn er sich gegen die Ungeheuerlichkeit der Leugnung der Naziverbrechen an Juden zur Wehr setzen will.
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Wir waren uns im Ausschuß auch darüber einig, wie schwierig es ist, die Strafandrohung so gezielt zu fassen, daß nicht jedes Stammtischgeschwätz vom Staatsanwalt verfolgt werden muß. Ja, wir waren uns sogar einig, daß es ein einmaliger und in keiner anderen Demokratie praktizierter Unsinn wäre, jede falsche, aus Dummheit oder Bosheit geäußerte Behauptung über angeblich historische Tatsachen mit dem Strafrecht zu verfolgen. In alldem waren wir uns einig.
All das greift die neu vorgesehene Regelung auf.
Und was machen Sie, statt dem zuzustimmen?
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- Ich kann keine Fragen zulassen, Herr Präsident.
Frau Kollegin, ich muß Sie auf das Zeichen aufmerksam machen. Sie sind weit über die Zeit.
Sie klagen an, Sie machen diesen Gesetzentwurf schlecht, Sie werfen uns vor, daß das nicht genug sei, immer noch nicht genug.
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Ich bedaure zutiefst, daß Sie heute, in dieser Stunde abseits stehen.
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Auch die Ausrede, Sie hätten ja mitgemacht, wenn wir alles genauso geregelt hätten, wie Sie es sich vorstellen, hilft Ihnen nicht. Es ist nun einmal das harte Brot der Opposition, nicht alle eigenen Vorstellungen durchsetzen zu können.
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Aber über diese Hürde hinweg sagt eine Opposition eben doch gelegentlich, in historisch bedeutsamen, das ganze Volk bewegenden Stunden ja zum Regierungshandeln.
({3})
Die damalige Opposition, Ihre damalige SPD von 1959, hat es auch getan. Für Sie wäre es heute so eine Stunde gewesen. Sie haben sie leider versäumt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).
Herr Präsident! meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich hätte mir zum Auftakt der heutigen Beratung eine etwas würdigere Rede gewünscht. Auf die Einzelheiten werde ich noch eingehen.
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Wenige Tage vor dem 40. Jahrestag der Kapitulation holt uns unsere Geschichte in einer Art und
Weise ein, die eigentlich alle in diesem Hause betroffen machen müßte.
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- Ich werde es Ihnen gleich sagen. Sie sollten ein bißchen Geduld haben.
Bei unseren Verbündeten, insbesondere in den USA, bei befreundeten Nationen gibt es heute nicht nur eine Diskussion über unsere Vergangenheit, sondern auch eine Diskussion darüber, wie unser Verhältnis zu unserer Geschichte ist.
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Wie anders soll ich denn den Brief Ihres Fraktionsvorsitzenden an 53 US-Senatoren verstehen, in dem der bemerkenswerte und eigenartige Satz steht - ich zitiere Ihren Fraktionsvorsitzenden- :
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Ich frage Sie, ob Sie im deutschen Volk, das zwölf Jahre lang einer braunen Diktatur unterworfen war und das seit vierzig Jahren an der Seite des Westens steht, einen Verbündeten sehen?
Was soll diese Frage, wenn es da nicht Zweifel gäbe?
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Es ist auch ein einmaliger Vorgang in der Parlamentsgeschichte, daß ein Parlament an ein anderes Parlament einen Appell richtet, nämlich die Knesset an den Deutschen Bundestag.
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Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Rede in Bergen-Belsen gesagt:
Versöhnung mit den Hinterbliebenen und den Nachkommen der Opfer ist nur möglich, wenn wir unsere Geschichte annehmen, so wie sie wirklich war, wenn wir uns als Deutsche bekennen: zu unserer Scham, zu unserer Verantwortung vor der Geschichte, und wenn wir gemeinsam die Notwendigkeit erkennen, allen Bestrebungen entgegenzutreten, die die Freiheit und die Würde des Menschen mit Füßen treten.
Herr Bundeskanzler, wir stimmen mit diesem Satz voll überein. Aber wenn wir uns zu unserer Geschichte bekennen, dann müssen wir uns auch gefallen lassen, daß solche Jahrestage die Blicke, die auf uns gerichtet sind, noch etwas kritischer machen.
Obwohl es schon der 40. Jahrestag ist, ist die ganze Situation diesmal eine andere. Da muß man sich doch fragen, warum das so ist. Sicher spielen die Art und Weise, die mangelnde Sensibilität bei
Schmidt ({6})
der Vorbereitung des Besuchs des amerikanischen Präsidenten dabei eine Rolle.
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Ich möchte durchaus zugeben, Herr Bundeskanzler, daß Sie heute vormittag hier im Haus für die Wahl von Bitburg eine nachdenkenswerte Erklärung gegeben haben.
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Aber die Wahl von Bitburg hat natürlich die Waffen-SS wieder in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Ich sage ihnen deutlich: Wir sind weit davon entfernt, eine Entnazifizierung über die Gräber hinaus betreiben zu wollen.
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Das hat Herr Kollege Dr. Vogel heute in sehr eindrucksvoller Weise gesagt,
({10})
und Sie haben unseren früheren Fraktionsvorsitzenden Kurt Schumacher zitiert. Auch damit stimmen wir durchaus überein.
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Nun sage ich aber: Nicht die Tatsache, daß auf diesem Friedhof SS-Soldaten ruhen, aber die Tatsache, daß die Koalitionsfraktionen nicht bereit sind, sich heute zu einem Treffen zu äußern, das beispielsweise mit denen, die sich auch heute noch zur Waffen-SS, zu ihrer Verherrlichung bekennen, stattfinden kann, ohne daß Sie eine klare, ablehnende Äußerung geben, empört uns und wird auch vorn Ausland entsprechend gewürdigt.
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Natürlich spielt bei der Beurteilung durch das Ausland auch eine Rolle, wie Sie sich bei der Behandlung dieses Gesetzentwurfs verhalten haben.
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- Zu Recht, natürlich. Sie, Herr Bundeskanzler, haben mit Ihrer Unterschrift das Einundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz hier eingebracht, das Sie wortgleich von Ihrem Vorgänger Helmut Schmidt übernommen hatten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion hat einen gleichlautenden Entwurf eingebracht. Auf der Basis dieses Entwurfs, Herr Bundeskanzler, haben Sie in Israel Zusagen gemacht und hat Ihr Justizminister gegenüber den Vertretern der Juden in Deutschland Zusagen gemacht, und diese Zusagen halten Sie mit diesem Gesetzentwurf nicht ein.
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Sie versuchen, Ihren Verpflichtungen mit einer falschen Münze nachzukommen.
Daß die Koalitionsfraktionen über Jahre hinweg, auch unter Mißbrauch von Terminzusagen, die Beratung dieses Gesetzes verzögert haben und wir
praktisch nur unter Zuhilfenahme eines Minderheitenrechts, unter Androhung, es ständig zu wiederholen, erreicht haben, daß wir vor dem 8. Mai heute darüber beraten können, hat mit Sicherheit auch eine Rolle gespielt.
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- Zu Ihnen komme ich noch, Frau Kollegin Hellwig. Natürlich ist das auch im Ausland registriert worden, und es läßt die Bundesrepublik natürlich in einem etwas diffusen Licht erscheinen, an dem Sie die Hauptverantwortung tragen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, es dürfte ein ziemlich ungewöhnlicher Vorgang in einer parlamentarischen Demokratie sein, daß die Opposition in einem Änderungsantrag, für den wir namentliche Abstimmung beantragen, nichts anderes als die Wiederherstellung der Regierungsvorlage will,
({17})
einer Regierungsvorlage, mit der die Bundesregierung eine politische Marke gesetzt hat. Wenn Sie jetzt davon abweichen, setzen Sie natürlich wieder eine politische Marke.
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Frau Kollegin Hellwig, eigentlich hatte ich mir vorgenommen, auf Sie gar nicht einzugehen. Aber wenn Sie hier Krokodilstränen darüber vergießen, daß es hier in diesem Haus keine Einigkeit gibt, dann sage ich: Wir stimmen der Regierungsvorlage, die die von Ihnen getragene Bundesregierung eingebracht hat, voll zu.
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Wer hat denn hier die Gemeinsamkeit in diesem Hause verlassen?
Wir Sozialdemokraten wissen wie auch andere um die Problematik, mit Hilfe des Strafrechts einen Beitrag zur Bewältigung der Vergangenheit zu leisten.
({20})
Ich sage es sehr deutlich: Nichts, aber auch gar nichts wäre uns lieber, als wenn sich alle in diesem Lande zu der Scham und zu der Verantwortung, von der der Bundeskanzler gesprochen hat, bekennen würden und wir ein solches Gesetz hier nicht beraten müßten. Aber, meine Damen und Herren, das ist leider nicht der Fall. Zur Begründung zitiere ich wieder die Regierungsvorlage. Da steht:
Die Anzahl rechtsextremistischer, insbesondere neonazistischer Aktivitäten hat in jüngster Zeit deutlich zugenommen.
Vor allem kann der im Rahmen neonazistischer Propaganda zunehmend zu beobachten10080
Schmidt ({21})
den Leugnung und Verharmlosung schwerer nationalsozialistischer Gewaltmaßnahmen nicht ausreichend begegnet werden.
Wenn wir es daher für notwendig halten, auch das Strafrecht einzusetzen, dann nicht deshalb, weil wir eine falsche Tatsachenbehauptung unter Strafe stellen wollen. Wir halten dies für notwendig, weil mit diesen Behauptungen, mit der Verunglimpfung der Opfer auch eine erhebliche Störung des öffentlichen Friedens verbunden ist.
({22})
In den Konzentrationslagern wurden etwa 6 Millionen Juden, wurden Sinti und Roma, wurden Sozialdemokraten und Christen verschiedener Konfessionen ermordet, gefoltert, ihrer Gesundheit und Würde beraubt. Wer all dies leugnet, verunglimpft und beleidigt nicht nur die Opfer und ihre Angehörigen, sondern er löst Empörung bei all denen aus, die wissen, welchen Respekt diese Opfer verdienen.
({23})
Aus diesem Grunde ist eine Einordnung in den Bereich der privaten Beleidigung falsch, unzutreffend und dem Gegenstand unangemessen.
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Der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Leonard, hat mit Recht darauf hingewiesen, daß eine Einordnung bei der Beleidigung einer Einordnung bei dem Teil des Strafrechts mit dem geringsten Unrechtsgehalt bedeutet, nämlich bei den Privatklagedelikten. Ich möchte aus einem Brief, den die evangelische Kirche an den Präsidenten unseres Hauses geschrieben hat, zitieren, in dem sie uns auffordert, es nicht dort einzuordnen:
Darüber hinaus bittet die Kirchenleitung den Deutschen Bundestag, möglichst bald eine Entscheidung zu treffen, die Bedrohung, Verleumdung und Beleidigung unserer jüdischen Mitbürger als einen Angriff auf unser Gemeinwesen bloßstellt und an der Ungeheuerlichkeit nationalsozialistischer Verbrechen an den Juden keinen Zweifel läßt.
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Auch wenn Sie die Opfer von heute der Peinlichkeit der Strafantragsstellung entheben wollen, so steht das Ganze immer noch unter dem Vorbehalt der Bejahung des öffentlichen Interesses.
({26})
- Wenn der Staatsanwalt erst entscheiden muß, ob überhaupt ein öffentliches Interesse vorliegt, frage ich mich, wie Sie das Ganze einordnen. Wir meinen, das öffentliche Interesse ist generell gegeben.
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Im übrigen hat der Innenminister der Republik Österreich angekündigt, daß die Auschwitz-Lüge in seinem Lande unter Strafe gestellt werden soll. Natürlich denkt in Österreich niemand - auch nicht
die österreichische Volkspartei - daran, das in den Beleidigungsdelikten zu tun.
Frau Kollegin, wenn Sie von unseren früheren Diskussionen sprechen, müssen Sie offensichtlich etwas falsch verstanden haben.
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- Das ist richtig. Als wir die Bundesregierung nach dem Inhalt des Gesetzes befragt haben, war sie als Berichterstatterin nicht da.
Ich möchte Ihnen eines sagen: Der Kollege Arndt und der Kollege Wittrock haben einen Sondertatbestand für bestimmte Gruppen abgelehnt. Das, was wir wollen, lautet: Wer leugnet, verharmlost usw. wird bestraft. Das ist doch kein Sondertatbestand, sondern ein Tatbestand, der alle betrifft. Sonst müßten Sie die Straftatbestimmung wegen Diebstahls, wo steht „Wer eine fremde bewegliche Sache wegnimmt ...", als einen Sondertatbestand für die Diebe ansehen. So etwas kann es doch wohl nicht geben.
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Aber der Hauptgrund, warum wir Ihrem Vorschlag mit Entschiedenheit widersprechen und auf einer Wiederherstellung der Regierungsvorlage bestehen, liegt einzig und allein darin, daß eine Gleichstellung von nationalsozialistischem Völkermord mit Verbrechen, die unter einer Gewalt- oder Willkürherrschaft begangen wurden, vorgenommen wird.
Sie, Herr Bundeskanzler, haben in Bergen-Belsen meiner Meinung nach mit Recht - auch der Präsident dieses Hauses hat dies in seiner Antwort an die evangelische Kirche getan - die Einmaligkeit dieser Verbrechen unterstrichen. Und nun möchte ich Sie fragen: Was soll es dabei, wenn Sie einen Straftatbestand schaffen, bei dem nicht nur Vertreibungsverbrechen, sondern Verbrechen überall in der Welt mit denen des nationalsozialistischen Völkermordes gleichgestellt sind? Sie haben in Bergen-Belsen gesagt - ich zitiere Sie hier sehr gern, weil Sie dort eine Rede gehalten haben, die, meine ich, dem Sachstand angemessen ist -:
Die Mahnung dieses Ortes darf nicht verlorengehen, darf nicht vergessen werden. Sie fordert Konsequenzen für die geistigen Grundlagen unserer Politik. Sie ist ein Anruf und Aufruf an jeden einzelnen angesichts des hier erduldeten Leidens, sein eigenes Leben und sein eigenes Denken immer wieder zu überprüfen.
Ich stelle daher an Sie, Herr Bundeskanzler, die Frage, ob nicht auch Sie aus diesen Worten den Schluß ableiten müssen, daß Sie Ihre Haltung in dieser Frage überprüfen müssen. Jeder in diesem Hause wird nicht an seinen Reden, sondern an seinen Taten gemessen werden.
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Wenn alles so gemeint war, wie Sie es gesagt haben, Herr Bundeskanzler, dann gibt es nur eine Schlußfolgerung: Sie müssen diese Gleichstellung
Schmidt ({31})
ablehnen. Welchen Sinn soll das denn überhaupt haben? Darauf konnte mir der Vorgänger der Frau Berichterstatterin, der Herr Kollege Götz, hier schon keine Antwort geben. Er hat sich aber sehr anständig verhalten; er hat mit dem, was Sie hier machen, nicht übereingestimmt und seine Berichterstattung niedergelegt. Aber auch Sie als Nachfolger haben heute keinen einzigen Grund anführen können, warum diese Gleichstellung, warum diese Ausweitung auf Verbrechen überall in der Welt notwendig sein soll. Wahrscheinlich fällt niemandem etwas dazu ein.
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Welchen Sinn, so frage ich Sie, soll es haben, eine Bestimmung ins deutsche Strafgesetzbuch aufzunehmen, bei der die Gerichte gezwungen werden, beispielsweise Beweis über das zu erheben, was mit den Tamilen passiert, oder das, was in Kambodscha vorgeht? Eine solche Bestimmung ist für deutsche Gerichte unanwendbar.
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- Sie sollten ganz ruhig sein, weil Sie bei der Befragung derjenigen, die das formuliert haben, nämlich der Beamten des Justizministeriums, nicht anwesend waren.
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- Sie waren nicht dabei. Sie können alle meine Kollegen befragen.
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Wir wissen natürlich, daß in der CDU-Fraktion, insbesondere wegen des Widerstandes der Vertriebenen und wegen des Widerstandes des Kollegen Dregger eine Bestimmung, die sich allein auf den nationalsozialistischen Völkermord bezieht, nicht durchsetzbar war. Aber, Frau Kollegin, auch hier sieht man, daß Sie, wenn Sie sagen, man müsse sich mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen, in einer ganz zentralen Frage dieser Auseinandersetzung ausweichen, indem Sie sie ins Allgemeine hinein projizieren und den besonderen Tatbestand nicht klar ansprechen.
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Im übrigen darf ich Ihnen hierzu noch einen Satz sagen. Es berührt uns schon eigenartig, daß es jemand aus der CDU wagt, die einzige Partei, die ihre Tradition auch über die Zeit des Nationalsozialismus fortführen und die sich zu ihrem Namen bekennen konnte, wegen mangelnder Treue zur Tradition anzuklagen. Im übrigen war das, was Sie zu den Ausführungen der Kollegen Wittrock und Arndt gesagt haben, absolut falsch.
Nun möchte ich noch folgendes sagen. In diesem Bundestag wäre eine breite Mehrheit für die Wiederherstellung der Regierungsvorlage unter der Voraussetzung vorhanden, daß Sie nicht auf Ihr Koalitionsabkommen pochen, das eine Abstimmung
mit wechselnden Mehrheiten ausschließt. Welchen Stellenwert messen Sie denn einer solchen Abstimmung zu, wenn Ihnen Absprachen in einer Koalition wichtiger sind als die Sache? Im übrigen würde niemand einen Schaden davontragen, weil Sie mit dazu beitragen würden, eine Vorlage wiederherzustellen, die die von Ihnen getragene Bundesregierung in diesem Hause eingebracht hat.
Die weitere Frage ist: Was soll denn ein Strafgesetz, das von all denen abgelehnt wird, denen Sie dabei angeblich etwas Gutes tun wollen, das abgelehnt wird von den Verfolgtenverbänden, vom Zentralrat der Juden in Deutschland, das abgelehnt wird von den Kirchen und das den entschiedenen Widerspruch von der Knesset hervorgerufen hat? Ich zitiere aus dem Appell der Knesset an den Deutschen Bundestag: „Wir müssen von hier aus einen unmißverständlichen Aufruf an den Deutschen Bundestag richten, daß wir als Vertreter des jüdischen Volkes einen derartigen Vergleich verurteilen und den Deutschen Bundestag auffordern, uns das nicht anzutun."
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Aus diesem Grunde, meine Damen und Herren, richte ich an die Koalitionsfraktionen den eindringlichen Appell: Erstens geben Sie die Abstimmung frei. Zweitens stellen Sie die Regierungsvorlage wieder her oder haben Sie dann wenigstens den Mut, auf dieses Gesetz völlig zu verzichten. Jedes andere Verhalten wird der Scham und der Verantwortung vor unserer Geschichte nicht gerecht.
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Das Wort hat der Bundesminister der Justiz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am 14. März dieses Jahres habe ich dem Haus einen politischen Kompromiß vorgelegt, der eine vernünftige, abgewogene, praktikable Regelung der anstehenden Probleme in Aussicht stellte. Inzwischen ist von der Koalition unter meiner Mitwirkung der politische Kompromiß in klare, praktikable Formulierungen umgesetzt worden. Der Herr Bundeskanzler hat in der Gedenkstunde anläßlich des 40. Jahrestages der Befreiung der Konzentrationslager am 21. April in Bergen-Belsen unsere historische Haftung hervorgehoben. Er hat hinzugefügt, wir dürften das, was im deutschen Namen den Völkern angetan wurde, nicht verleugnen. Diesem politischen Auftrag wird der jetzt vorliegende Vorschlag der Bundesregierung gerecht.
({0})
Dieser Vorschlag enthält eine Lösung im Bereich des Strafantragsrechts für Beleidigungen, nicht eine Änderung des materiellen Rechts. Eine derartige Beleidigungslösung ist j a nicht neu, sondern sie ist unter meinen beiden sozialdemokratischen Vorgängern sehr eingehend schon vor Jahren im Ministerium geprüft und
({1})
Bundesminister Engelhard auch erwogen worden.
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Ich begebe mich, um das klarzustellen, meine Damen und Herren von der SPD, wie Sie gleich sehen werden, in dieser Stunde nicht auf die Plattform jener Polemik, die andere hier treiben möchten.
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Ich lehne angesichts dieses Themas dies ab. Ich will deswegen fortfahren und sagen -
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten de With?
Ich bedaure, Herr Präsident!
({0})
Ich habe volles Verständnis dafür, daß damals so gehandelt wurde; denn als der 6. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes am 18. September 1979 entschieden hatte, war ja in der nächsten Zeit nicht klar, ob diese Rechtsprechung von den Strafgerichten überhaupt angenommen wird. Wie damals gehandelt wurde, verstehe ich, akzeptiere ich; es ist einsichtig. Nur, mittlerweile ist diese Rechtsprechung gefestigt. Sie ist übernommen worden. An ihrem Fortbestand ist nicht zu zweifeln. Hieran anzuknüpfen, ist deswegen ein gangbarer, ein guter und vernünftiger Weg.
({1})
Wer nun, meine Damen und Herren, Anstoß nimmt an der Erwähnung unterschiedlicher Gewalt- und Willkürherrschaften, der muß - und dies ist ja bereits angeklungen - bedenken, daß bereits 1960 das Strafantragsrecht bei der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener geändert wurde und daß das Wort „nationalsozialistisch" hierin keinen Eingang gefunden hat, obwohl natürlich alle zunächst daran dachten. Aber zu Irritationen hat dies damals nicht geführt.
Um es nun ganz klarzustellen - und ich komme auf das zurück, was ich am 14. März gesagt habe, man muß die Dinge beim Namen nennen -, ist jetzt in der Gesetzesformulierung die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft ausdrücklich hervorgehoben und im Gesetzestext niedergelegt worden. Künftig wird es des Strafantrags nicht mehr bedürfen. Wir werden niemanden in diesem Lande in die Situation bringen, um vom geltenden Recht überhaupt Gebrauch machen zu können, zunächst den Nachweis zu führen, daß er Jude ist - ich habe das letzthin j a ausgeführt -, eine unerträgliche Situation,
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die zu beseitigen das vorrangigste, das allerwichtigste, das zentrale Anliegen sein muß.
Wer redlich ist, weiß und wird einräumen müssen, daß es hier bei unseren Bemühungen eben nicht nur um die Formulierung eines juristischen Paragraphen geht, sondern es geht vielmehr um die Geschichte der Deutschen und um Fragen, die bis
in die tiefen Schichten unseres Selbstverständnisses reichen.
({3})
Wen wird es da wundern, daß über den Weg, der vom Gesetzgeber beschritten werden sollte, jeder - auch ich, auch jeder andere - seine ganz persönlichen Vorstellungen hatte, persönliche Vorstellungen, ohne gleichzeitig den Anspruch zu haben, dann schließlich alles, aber auch alles, was man will und für richtig hält, in der Formulierung wiederzufinden. In dieser Schwierigkeit - und fast möchte ich sagen, in dieser Not - stehen wir doch alle. Der Versuch, daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen, ist schäbig; das ist unwürdig; ich lehne es ab.
({4})
Deswegen - aber jetzt nicht im Sinne eines Gegenangriffs, Herr Kollege Schmidt -: kann es hier richtig sein, bei einer solchen Situation den Eindruck erwecken zu wollen, als sei diese Bundesregierung, als sei speziell der Bundeskanzler bei seiner Israel-Reise, ich in Gesprächen mit Vertretern des Zentralrats der Juden, wortbrüchig geworden?
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Wir haben zugesagt, alles in unseren Kräften Stehende zu tun,
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Formulierungen zu finden und im Rahmen des Erreichbaren hier eine vernünftige Lösung zu bringen.
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Wissen Sie, wer im Tone des Denunzianten hier glaubt, in dieser Weise agieren zu können, mit dem sich auseinanderzusetzen
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ist allerdings schwierig.
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Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jahn ({0})?
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Ich bedaure, Herr Präsident.
Ich will ein Weiteres sagen: Wir sollten einmal darüber nachdenken, ob wir dem, was wir uns vorgenommen haben, gerecht werden. Es war die Rede davon, daß die Beleidigung jenes Delikt mit einem der geringsten Unrechtsgehalte sei. Nun gut. Aber werden wir eigentlich mit solchen Fragestellungen dem Problem gerecht?
({0})
Ist es nur eine Frage des Strafrahmens? Und müssen wir nicht wissen, daß hier bei dem Versuch,
unsererseits auch strafrechtlich das Notwendige beizutragen, alles vergeblich sein wird, wenn nicht die moralische Ablehnung bis ins Tiefste jenen entgegenschlägt, die glauben, mit der deutschen Geschichte in dieser Weise verfahren zu können und das, was geschehen ist, zu unser aller Nachteil und Schande in schädlichster Weise abstreiten zu können? Da macht es nicht der kleine Strafrahmen aus.
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Da ist jeder aufgerufen, zusätzlich sein moralisches Verdikt über solche Mitbürger zu sprechen und deutlich werden zu lassen.
({2})
Wer nur den Strafrahmen und nichts anderes im Auge hat, der könnte in die Situation geraten, ein Redlicher, ein Bemühter, aber nur ein Paragraphenschuster zu sein.
({3})
Meine Damen und Herren, es soll uns nicht vergönnt sein, so sieht es aus, zu einer einheitlichen Beurteilung, zu einem Zusammenfinden auf einer Plattform zu kommen. Ich sage: Das Einundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz in seinen drei Teilen ist ein notwendiges Gesetz. Daraus folgt aber nicht - und ich will dies unterstreichen -, daß wir uns von der moralischen Verpflichtung, uns unserer Geschichte zu stellen, nunmehr entbunden fühlen dürften.
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Ein Strafgesetz dient der Bekämpfung von Straftaten. Aber es kann eben nicht der Ersatz sein - und ich sage dies auch ganz bewußt nach draußen gerichtet - für die ernsthafte und nachdrückliche Auseinandersetzung mit unserer Geschichte. Theodor Heuss hat den 8. Mai 1945 „die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte" genannt
({5})
- wörtlich zitiert -, ,,... weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind".
Wenn klar würde, daß das, über das wir heute reden, auch in unsere Zukunft hineinwirkt und wir uns über unseren Beschluß hinaus dieser Verantwortung immer bewußt sein und ihr uns stellen müssen, wäre einiges für uns alle gewonnen.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Mann.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Bürgerinnen und Bürger!
({0})
Der Herr Bundeskanzler ist mit seiner bemerkenswerten Rede, die er in Bergen-Belsen am 21. April gehalten hat, hier heute schon mehrere Male zitiert worden. Herr Bundeskanzler, ich möchte das für mich in diesem Zusammenhang wichtigste Zitat an den Anfang stellen. Sie haben gesagt:
Aber wir hätten nichts, aber auch gar nichts aus der Geschichte gelernt, wenn wir Grausamkeiten gegeneinander aufrechnen wollten.
Für die Untaten der NS-Gewaltherrschaft trägt Deutschland die Verantwortung vor der Geschichte. Diese Verantwortung äußert sich auch in nie verjährender Scham.
Wir werden nicht zulassen, daß etwas verfälscht oder verharmlost wird.
Soweit nach dem „Bulletin" der Auszug aus Ihrer Rede in Bergen-Belsen.
Ich glaube, auch nach dem Verlauf der Debatte heute morgen, es ist berechtigt, daß wir die Frage, wie auch der Kollege Schmidt das getan hat, an Sie richten. Denn Sie haben die Richtlinienkompetenz in dieser Regierung. Sie tragen Verantwortung für die Entscheidungen der Koalitionsfraktionen. Wir messen Sie vier Tage nach diesen Worten an Ihren Taten.
({1})
„Besser kein Gesetz als dieses Gesetz" hat der Vorsitzende der jüdischen Gemeinde in Berlin, Heinz Galinski, zu dem von Ihnen vorgelegten Kompromißvorschlag, Herr Minister Engelhard, erklärt. Ich habe mich dieser Beurteilung in der gestrigen Sitzung des Rechtsausschusses angeschlossen.
Aus den beiden Reden des Kollegen Schily im April 1984 und im März 1985 ergibt sich die grundsätzliche Haltung unserer Fraktion. Da stimmen wir in einigem mit Ihnen, Frau Kollegin Hellwig, und der Position, die Ihre Fraktion vertritt, überein. Wir halten das Strafrecht für kein geeignetes Mittel der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unseres Volkes. Ein strafrechtlicher Naturschutzpark für Juden - so formulierte es der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in Deutschland Hendrik van Dam vor etwa 25 Jahren - entlastet uns nicht von der Verarbeitung dieses dunkelsten Kapitels deutscher Geschichte. Verarbeitung heißt Trauerarbeit. Diese kann nicht verordnet und mit der Androhung staatlicher Zwangsmaßnahmen sozusagen von oben erzwungen werden. Verarbeitung, Trauerarbeit oder Scham setzen vielmehr voraus, daß in Schule, Elternhaus, Erwachsenenbildung und, um diese Beispiele abzuschließen, vor allem auch in diesem Hause und in der öffentlichen politischen Diskussion, und zwar nicht nur aus Anlaß von Gedenktagen, mit Geschichte wahrhaftig umgegangen wird.
({2})
Herr Bundeskanzler, Eugen Kogon hat in dem Buch „Der NS-Staat" gefordert: Nichts als die Wahrheit kann uns freimachen. Was die Verbrechen und den Völkermord unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft betrifft, heißt das
z. B., in der Erinnerung und im Angesicht von 6 Millionen ermordeten Juden auch nicht die Opfer der Roma und Sinti - die haben Sie in Bergen-Belsen dankenswerterweise erwähnt -, die der Homosexuellen und der Zwangssterilisierten zu vergessen. Nach meinem Verständnis von Geschichte müssen wir aber vor allem aus der Vergangenheit für die heutige Situation und für die Zukunft lernen. Das heißt z. B. auch an Ihre Adresse, sich konsequent Stimmungen und Strömungen einer Ausländerfeindlichkeit, wie sie sich in Parolen wie „Türken raus" oder „Ausländer raus" äußern, zu widersetzen.
({3})
Bei der heutigen Entscheidung können und müssen wir aber auch aus unserer jüngeren Rechtsgeschichte lernen. In der Debatte um die Regelung des jetzigen § 130 des Strafgesetzbuches, der Volksverhetzung, sowie des noch gültigen § 194 Abs. 2 des Strafgesetzbuches aus dem Jahre 1959 finden sich bemerkenswerte Parallelen zu unserer Diskussion um das Einundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz. Da hat übrigens - Herr Dregger, vielleicht hören Sie einmal zu - die CDU/CSU-Fraktion damals in der zweiten Lesung geschlossen für einen Entwurf gestimmt. Herr Kollege Benda ist vor der dritten Lesung ans Mikrophon getreten und hat als Berichterstatter darum gebeten, die Schlußabstimmung auszusetzen. Das sollten Sie vielleicht einmal nachlesen. Ich fürchte, Sie sind zu einem solchen Verhalten heute nicht imstande. Sie wollen hier in der Tat Koalitionsdisziplin demonstrieren.
Ich darf noch einmal - wie gestern im Rechtsausschuß - Adolf Arndt zitieren. Er brachte die Skepsis gegenüber strafrechtlichen Sanktionen als Mittel der Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus mit der Formulierung „Es fehlen Richter, nicht Gesetze" auf den Punkt. Hier liegt nach unserer Überzeugung auch heute noch, wenn man sich der geschichtlichen Wahrheitsfindung mit den Mitteln des Strafrechts überhaupt annähern will, der Kern des Problems. Wir habe nicht nur 40 Jahre gebraucht, um den Volksgerichtshof als das zu bezeichnen, was er war, nämlich ein Terrorinstrument. Nein, unsere Justiz war und ist nicht in ausreichendem Maße in der Lage, mit den vorhandenen, nach unserer Auffassung ausreichenden strafrechtlichen Sanktionen, insbesondere der Vorschrift der Volksverhetzung, die gerade zur Verfolgung von Taten wie der Auschwitz-Lüge geschaffen worden ist, Angriffe auf die Menschenwürde unserer jüdischen Mitbürger strafrechtlich zu ahnden.
Ich komme zum Schluß. Herr Bundeskanzler und die Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, seien Sie sich Ihrer Verantwortung heute bewußt, geben Sie die Abstimmung frei. Lassen Sie die Abgeordneten nach Ihrem Gewissen in dieser Frage über die Parteigrenzen und den Parteistreit hinweg entscheiden.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kleinert ({0}).
Meine Damen und Herren, darf ich, bevor der nächste Redner das Wort ergreift, darum bitten, die Aufmerksamkeit voll herzustellen.
({1})
Das gilt insbesondere für die Kollegen am Ende des Saales. Wenn man nicht an der Debatte teilnehmen will, sollte man sich aus dem Saal begeben. Ich bitte um Aufmerksamkeit.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte eigentlich in der Reihenfolge mit der Darstellung dessen beginnen, was Ausgangspunkt unserer Diskussion sein muß, nämlich mit den ungeheuerlichen Verbrechen, bei denen im Namen des deutschen Volkes auf Wegen zum Teil auch juristisch erscheinender Art versucht worden ist, sie einigermaßen zu legalisieren. Aber ich möchte zuvor, da es jetzt sowohl vom Vertreter der Sozialdemokratie wie zum Schluß auch vom Vertreter der Partei DIE GRÜNEN dargestellt worden ist, einmal folgendes sagen. Das ist doch, nachdem Sie sich ja hier im Hause bewegen und alle Anwesenden kennen, am Anfang ganz einfach auszuräumen: Hier ist jeder in seiner Abstimmung frei.
({0})
Wir werden nicht fragen, mit welchen Mitteln etwa Sie zum Schluß eine einhellige Abstimmung der sozialdemokratischen Fraktion zustande bringen. Wir bitten deshalb, uns mit entsprechenden Hinweisen zu verschonen. Wenn man lange und hart genug in einer Gruppe diskutiert hat, die zur gemeinsamen Vertretung von Interessen eines Teils der Wähler in dieses Haus gewählt worden ist, dann gehört es natürlich dazu, daß man sich - abgesehen von besonderen und von uns sehr hoch geachteten Ausnahmen - am Ende einer solchen Diskussion als politisch handlungsfähig dadurch darstellt, daß jeder einzelne freiwillig seine Stimme so abgibt, wie er das will, und trotzdem durchscheinen läßt, daß die Gruppe zur Gemeinsamkeit fähig ist. Das ist eine ganz einfache, aber doch wirklich für das Verständnis unserer Demokratie sehr wichtige Sache. Das ist das eine.
Im gleichen Zusammenhang Koalitionsdisziplin! Wie soll das denn gehen? Meine sehr verehrten Damen, meine Herren von der SPD, wir haben ja nun eine Weile gemeinsam eine Koalition gehabt, und ich habe viel an Disziplin und an Undisziplin gleichermaßen gesehen, beides mal zum Ärger und mal zur Freude vieler Beteiligter, besonders derer, die im Ämtern und Würden waren. Aber schließlich und endlich wissen wir, daß sich dahinter nicht Knute und noch Schlimmeres verbirgt, sondern eben der gemeinsame demokratische Wille zur Zusammenarbeit. Also, was soll das hier?
({1})
Nunmehr möchte ich Ihnen folgendes sagen. Am Anfang aller Überlegungen hat gestanden, daß die
Kleinert ({2})
ungeheuren Verbrechen, die begangen worden sind, einige Mitglieder unserer Rechtsgemeinschaft, unseres Volkes dazu herausgefordert haben, in einer Weise, die diese Verbrechen nachträglich noch düsterer erscheinen zu lassen geeignet ist, diese Verbrechen zu leugnen. Wir haben, zu einem sehr frühen Zeitpunkt beginnend, unter dem Justizminister Jochen Vogel und danach unter dem Justizminister Jürgen Schmude überlegt, auch in Kreisen der damaligen Koalition, was man diesen für uns alle in diesem Hause gleichermaßen unerträglichen zusätzlichen Angriffen - nach den Verbrechen die seinerzeit geschehen sind - entgegensetzen könnte und sollte. Diese Beratungen haben wir uns nicht leicht gemacht, wie es dem Gegenstand angemessen ist. Es ist schließlich die Regierungsvorlage eingebracht worden, die jetzt, nach den Beratungen des Rechtsausschusses, nicht aufrechterhalten wird. Das ist ein verhältnismäßig ungewöhnlicher Vorgang.
Es ist jetzt nicht mehr die Rede davon, einen gesonderten Straftatbestand zu schaffen, der das Leugnen und Verharmlosen unter Strafe stellt, sondern wir haben die Dinge reduziert auf das, was praktischen Regelungsbedarf hatte. Das war einmal das, worüber sich - das muß man hier wohl auch einmal deutlich unterstreichen - alle Fraktionen des Hauses einig gewesen sind. Es hat ja weit mehr Einigkeit in der Sache gegeben, als die heutige Debatte vermuten lassen könnte.
({3})
Wir haben uns darauf verständigt, daß die praktischen, wirklich gravierenden Mängel des geltenden Rechts nachgebessert werden, indem auch nach Verjährung Beschlagnahme zulässig ist, indem einige weitere praktisch wichtige Dinge geregelt sind. Darüber setzen wir uns jetzt aber nicht mehr auseinander; da sind wir einig. Wir sprechen jetzt über die verbliebene Uneinigkeit.
Dabei ist es allerdings doch wohl richtig, sich gerade in einer so wichtigen Frage der Geschichte bewußt zu bleiben, die heute mehrfach, aber, wie ich meine, nicht so ganz ausreichend besprochen worden ist.
Erstens handelt es sich überhaupt nicht darum, daß wir hier einen neuen Straftatbestand schaffen müßten, weil unsere Gerichte etwa nicht bereit wären, die von mir geschilderten, besonders verabscheuungswürdigen Taten zu verurteilen. Wir haben vielmehr eine Reihe von Gerichtsurteilen, die präzise das, was der ursprüngliche Entwurf der Bundesregierung vorgesehen hat, als strafwürdig erklären. Damit ist ein anderes Problem übriggeblieben, nämlich das Problem, das dieses Haus schon am Ende der 50er Jahre beschäftigt hat: ob es denn den Hinterbliebenen oder den sonst als Mitglied einer Gruppe Beleidigten zuzumuten sei, ihrerseits eine Strafverfolgung in Gang zu setzen und sich damit noch einmal in besonderem Maße mit diesem Sachverhalt persönlich vertraut zu machen, im Grunde die begangenen Verbrechen noch einmal durchzustehen. Das war das Problem schon in früherer Zeit. Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß, wie ich glaube, alle Kollegen, die mit der Sache
befaßt sind, den Bericht der Knesset vom 20. März 1985 sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen haben. Natürlich ist uns die Meinung des Parlaments des Staates, in dem die Erben der meisten Verfolgten leben, besonders wichtig.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit zu Ende ist. Sie wissen, daß ich sehr großzügig gewesen bin. Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Ich bin mir über die Bemessung der Redezeit heute abend auch nach Unterhaltung mit den Geschäftsführern nicht einig gewesen.
Herr Abgeordneter, es hat dazu Beschlüsse gegeben. Ich bin großzügiger gewesen, als es diese Beschlüsse eigentlich vorsehen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie zum Schluß kämen.
Herr Präsident, wenn ich dann vielleicht noch einen Satz sagen darf. Wir möchten den Mitgliedern der Knesset, deren Äußerungen wir sorgfältig zur Kenntnis genommen haben, mitteilen, daß uns diese Äußerungen besonders wichtig sind und daß ein Irrtum insofern zugrunde liegt, als da die Vermutung geäußert wird „which would make possible the punishment", daß also ein Straftatbestand erst geschaffen werden müsse. Wir haben ein geltendes Strafrecht, das die Bestrafung ermöglicht. Der Fehler liegt im Verfahren.
Herr Abgeordneter, ich muß Sie bitten, zum Schluß zu kommen. Sie können das auch in einem Brief schreiben.
Nachdem wir im Verfahren jetzt das getan haben, was der Zentralrat der Juden schon im Jahre 1959 von uns erwartete, nämlich ein Offizialdelikt zu schaffen, ist das Entscheidende getan, um die verbliebenen Schwierigkeiten auszuräumen.
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie jetzt, das Rednerpult zu verlassen. So kann man das nicht machen. Sie müssen auch auf andere achtgeben.
Wir tun uns alle wirklich nichts Gutes, wenn wir darüber den kleinlichen Streit weiterhin fortführen.
({0})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zur Debatte nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Zwei Kollegen haben noch um das Wort zu einer Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung - persönliche Erklärung - gebeten. Ich rufe zuerst den Abgeordneten Lowack auf.
({0})
Ich bitte um Aufmerksamkeit für den Redner.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich werde dem Gesetzesantrag entsprechend dem Vorschlag des Rechtsausschusses zustimmen, aber ich widerspreche der Begründung in der Drucksache, in der es heißt, daß die Anzahl rechtsextremistischer, insbesondere neonazistischer Aktivitäten in jüngster Zeit deutlich zugenommen habe und Gesetzeslücken sichtbar geworden seien.
Ich möchte dies nicht auf uns Deutschen, insbesondere nicht auf den jüngeren, die diesen Vorwurf sicher nicht verdient haben, sitzenlassen.
({0})
Ich möchte davor warnen, daß hier ein Popanz aufgebaut wird, mit dem von anderen größeren Problemen abgelenkt wird.
Die Distanz zum Nationalsozialismus war in Deutschland noch nie so groß wie heute.
({1})
Wir wissen, welche Bedeutung die Verbrechen an den Juden im Bewußtsein der Juden, in dem Geschichtsbild und Religion eine unglaublich enge Einheit bilden, spielen. Ich halte es gerade angesichts dessen für gerechtfertigt, zu erklären: Wenn ich dem Gesetzentwurf zustimme, dann nur deshalb, um angesichts des 40. Jahrestags des Endes des Krieges ein Symbol der Aussöhnung zu setzen, nicht aber ein Zeichen dafür, daß ich äußerem Druck nachgegeben oder mich äußerem Druck unterworfen hätte.
Danke.
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen! In den letzten Wochen habe ich wiederholt, letztlich leider vergebens, versucht, im Streit um die nun zur Entscheidung anstehende Gesetzgebung, die sogenannte Auschwitz-Lüge unter Strafe zu stellen, zu einer von allen Fraktionen gemeinsam getragenen Lösung beizutragen. Ich fühlte mich dazu auch auf Grund meiner eigenen politischen Biographie verpflichtet, die in den 40er Jahren in dem erweiterten studentischen und kirchlichen Widerstand begann und die heute eine fast 40jährige politische Erfahrung ausmacht.
Wie viele von uns treibt mich die Sorge um die glaubwürdige Gemeinsamkeit aller Demokraten, und dies gerade im Vorfeld des Datums 8. Mai.
Deshalb habe ich mich entschlossen, und zwar nicht leichten Herzens, am Rednerpult zu erklären, weshalb ich dem Koalitionskompromiß nicht zustimmen kann, sondern dem ursprünglichen Regierungsentwurf - trotz mancher Schwächen - zustimmen werde.
({0})
Im ursprünglichen, von Bundeskanzler Helmut Kohl unterzeichneten Regierungsentwurf, ging es klar und unmißverständlich um einen einzigen Straftatbestand: die Leugnung von Naziverbrechen
und die Beleidigung und Verunglimpfung ihrer Opfer. Allein davon - und von nichts anderem - ist auch in der Begründung dieses Entwurfs die Rede. Das sollten wir nachlesen.
Konkret geht es um einen staatlichen Schutz der Opfer des Nationalsozialismus oder ihrer Nachkommen und um die gebotene vorbeugende Wachsamkeit, neuerlichen Anfängen zu wehren.
Dies ist allerdings, Herr Kollege Lowack, angesichts der abstoßenden und alarmierenden Beispiele von Neonazismus dringend geboten.
({1})
Rechtspolitisch wäre es eine Manifestation des Gesetzgebers, sich zu jener nie verjährenden Scham und Mitverantwortung nun auch im Gesetz zu bekennen, an die Theodor Heuss uns bei der Einweihung des Mahnmals im ehemaligen KZ BergenBelsen 1952 gemahnt hat, was der Bundeskanzler am letzten Sonntag in Bergen-Belsen stellvertretend für uns alle eindrucksvoll wiederholt hat.
Das alles, liebe Kollegen und Kolleginnen, waren klare Worte, denen nun aber auch klare Taten folgen müssen.
({2})
Andernfalls bleiben sie Worthülsen. Das ist es ja gerade, was uns immer wieder bei jungen Menschen so unglaubwürdig macht.
({3})
Um so bedauerlicher und widersprüchlicher finde ich es, daß der ursprüngliche Regierungsentwurf innerhalb der CDU/CSU-Fraktion keine Mehrheit gefunden hat.
Statt dessen wird nun den Abgeordneten der Koalition - ich frage: auf Drängen welcher Kreise eigentlich? ({4})
ein mir unverständlich verklausulierter, mir in seiner Zielsetzung diffus erscheinender Kompromiß abverlangt.
({5})
- Herr Kollege, ich habe Sie auch angehört. Seien Sie doch so freundlich und hören Sie auch meine Erklärung an,
({6})
die ich hier wirklich nicht leichten Herzens abgebe.
({7})
Damit wird das eigentliche Anliegen relativiert und leider auch seiner Glaubwürdigkeit entkleidet.
({8}) Beides empfinde ich als schwer zumutbar.
Ich erkenne, Herr Kollege, auch als Verfechterin des Art. 38 Abs. 1 des Grundgesetzes, Koalitionserfordernisse durchaus an. Aber ich vermag unter Berufung auf diesen Artikel doch nicht zu akzeptieren,
({9})
von einem Regierungsentwurf, für den ich ja gestimmt habe, abrücken und statt dessen für eine Version stimmen soll, mit der nach meiner Ansicht dem Prinzip einer uns nicht erlaubten Aufrechnerei Tür und Tor geöffnet wird.
({10})
Es geht mir um den politischen und moralischen Kern dieser Änderung. Mit den Worten „oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaft" wird zumindest indirekt jene politische Intention deutlich, die Theodor Heuss als „schreckliche Aufrechnerei" gebrandmarkt und als das „Verhalten moralisch Anspruchsloser" schonungslos zurückgewiesen hat.
Ich muß leider schließen. Ich möchte in dem Geiste, wie er beispielhaft in den Flugblättern der „Weißen Rose" zum Ausdruck kommt und für den Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Willi Graf, Christian Probst und Kurt Huber 1943 aufs Schafott gingen, ein Zitat vorlesen, das für mich persönlich Vermächtnis und Auftrag bedeutet. Ich zitiere:
... als Beispiel
- für die Nazi-Greuel wollen wir die Tatsache anführen, daß seit der Eroberung Polens dreihunderttausend Juden in diesem Land auf bestialischste Art ermordet worden sind. Hier sehen wir das fürchterlichste Verbrechen an der Würde des Menschen, ein Verbrechen, dem sich kein ähnliches in der ganzen Menschengeschichte an die Seite stellen kann ...
Und später heißt es:
... aus Liebe zu kommenden Generationen muß
- deshalb nach Beendigung des Krieges ein Exempel statuiert werden, daß niemand auch nur die geringste Lust je verspüren sollte, Ähnliches aufs neue zu versuchen.
Dieses Exempel zu statuieren - daß nie wieder jemand die geringste Lust verspürt, etwas Ähnliches zu versuchen -, darauf kommt es in diesem Gesetz an! Deshalb meine ich, daß es eine große Stunde des Deutschen Bundestages wäre, wenn wir in diesem Geist der „Weißen Rose" das zur Entscheidung anstehende Gesetz ohne Wenn und Aber, ohne Sowohl-Als-auch annähmen. Deshalb stimme
ich für den ursprünglich vorgelegten Regierungsentwurf.
({11})
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 5 a, den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes auf Drucksache 10/1286. Ich rufe Art. 1 Nr. 1 bis 3 in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Damit sind die aufgerufenen Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun Art. 1 Nr. 4 auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/3255 und 10/3256 Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD vor. Ich lasse zuerst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3256 abstimmen.
Die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/3256 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Stimmkarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Stimmkarte in die aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal darauf aufmerksam machen, daß unmittelbar nach dieser Abstimmung - bzw. nachdem ich das Ergebnis mitgeteilt habe - eine weitere namentliche Abstimmung stattfinden wird.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat und dies zu tun wünscht? - Ich stelle fest, daß keine weiteren Stimmabgaben erfolgen sollen. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir müssen abwarten, bis ausgezählt ist.
Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit. Ich kann Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3256 bekanntgeben. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 391 ihre Stimme abgegeben. Davon war keine ungültig. Mit Ja haben 140, mit Nein haben 247 gestimmt. Es hat vier Enthaltungen gegeben. Von den Stimmen der 17 Berliner Abgeordneten, die sich an der Abstimmung beteiligt haben, war keine ungültig. Mit Ja haben 7, mit Nein 10 gestimmt. Es hat keine Enthaltung gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 390 und 17 der Berliner Abgeordneten; davon
ja: 140 und 7 der Berliner Abgeordneten
nein: 246 und 10 der Berliner Abgeordneten
enthalten: 4
Vizepräsident Westphal
Ja
SPD
Amling Dr. Apel
Bachmaier
Bahr Bamberg
Becker ({0}) Bindig
Frau Blunck
Brück Buckpesch
Büchler ({1})
Buschfort
Collet Conradi
Dr. Corterier
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Ewen Fiebig
Fischer ({2}) Fischer ({3})
Frau Fuchs ({4})
Frau Fuchs ({5}) Gansel
Gilges Glombig
Grunenberg
Haar Haehser
Hansen ({6})
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff
Herterich
Hettling
Heyenn
Hiller ({7})
Horn Huonker
Ibrügger
Immer ({8}) Jahn ({9})
Jansen Jaunich
Dr. Jens
Junghans
Jungmann
Kastning
Kiehm Kirschner
Kisslinger
Klein ({10})
Kolbow Kretkowski
Kühbacher
Kuhlwein
Lennartz
Leonhart
Frau Dr. Lepsius Liedtke
Lohmann ({11})
Lutz
Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Müller ({12})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel Nehm Dr. Nöbel
Frau Odendahl
Oostergetelo
Pauli
Peter ({13})
Pfuhl
Porzner Ranker Rapp ({14})
Rappe ({15}) Reimann
Reschke Reuter Rohde ({16})
Roth
Sander
Schäfer ({17}) Schanz
Schlaga
Dr. Schmidt ({18}) Schmidt ({19})
Frau Schmidt ({20}) Schmidt ({21}) Schmitt ({22})
Dr. Schöfberger
Dr. Schwenk ({23}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({24})
Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben
Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Vahlberg
Verheugen
Vogelsang
Voigt ({25}) Waltemathe
Walther Weinhofer
Dr. Wernitz
Frau Weyel
Wiefel
Wimmer ({26})
Dr. de With
Wolfram
({27}) Würtz
Zander Zeitler
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich ({28}) Egert
Löffler Frau Luuk
Stobbe Dr. Vogel
Wartenberg ({29})
FDP
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker ({30}) Berger
Biehle
Dr. Blens Dr. Blüm Dr. Bötsch
Bohlsen Borchert Braun
Broll
Brunner
Bühler ({31})
Dr. Bugl
Carstens ({32}) Carstensen ({33}) Clemens
Conrad ({34}) Dr. Czaja
Dr. Daniels
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar
Engelsberger
({35}) Eylmann
Fellner
Fischer ({36}) Francke ({37})
Dr. Friedmann
Ganz ({38})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. George
Gerlach ({39}) Gerster ({40})
Dr. Göhner
Götzer
Günther
von Hammerstein
Hanz ({41})
Haungs
Hauser ({42}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({43}) Dr. Hornhues
Frau Hürland
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jagoda
Dr. Jahn ({44})
Dr. Jobst
Jung ({45})
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Klein ({46})
Dr. Köhler ({47}) Dr. Kohl
Kolb
Kraus
Dr. Kreile
Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({48}) Lamers
Dr. Lammert Landré
Dr. Langner Lattmann
Link ({49}) Link ({50}) Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann ({51}) Louven
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski Dr. Marx
Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner
Milz
Dr. Möller
Müller ({52}) Müller ({53}) Müller ({54})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Regenspurger
Dr. Riedl ({55}) Rode ({56}) Frau Rönsch
Frau Roitzsch
({57}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({58}) Rühe
Ruf
Sauer ({59})
Sauer ({60}) Saurin
Sauter ({61}) Sauter ({62})
Dr. Schäuble Schartz ({63}) Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
({64})
Dr. Schneider ({65}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({66}) Schulhoff
Dr. Schulte
({67})
Vizepräsident Westphal
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({68}) Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stommel
Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer
Uldall
Frau Verhülsdonk Vogel ({69})
Vogt ({70})
Dr. Voigt ({71}) Dr. Voss
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiß
Werner ({72}) Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Wittmann ({73}) Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Kalisch
Dr. h. c. Lorenz
Schulze ({74}) Straßmeir
FDP
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({75}) Eimer ({76}) Engelhard
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher
Grüner
Dr. Haussmann Dr. Hirsch
Hoffie
Kleinert ({77}) Kohn
Möllemann
Neuhausen
Paintner
Ronneburger Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng ({78}) Wolfgramm ({79})
Berliner Abgeordneter Hoppe
DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Borgmann
Frau Hönes Horacek
Kleinert ({80}) Lange
Dr. Schierholz Schily
Schmidt ({81})
Senfft
Tischer
Vogel ({82}) Volmer
Frau Wagner Werner ({83}) Frau Zeitler
Berliner Abgeordneter Ströbele
Enthalten
FDP
Schäfer ({84})
DIE GRÜNEN
Frau Dann
Schulte ({85}) Vogt ({86})
Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3255. Wer diesem Änderungsantrag ebenfalls namentlich zuzustimmen wünscht, den bitte ich darum, die Stimmkarte mit Ja einzuwerfen. Wer dagegen stimmt bzw. wer sich enthalten will, ist aufgefordert, die entsprechende Karte in die Urnen zu legen.
Ich eröffne die Abstimmung.
Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer mit der Auszählung zu beginnen.
Darf ich vorschlagen, daß Sie Platz nehmen. Dann können wir in der Zwischenzeit während der Auszählung diesen Tagesordnungspunkt unterbrechen und eine Reihe von Abstimmungen zu Punkten vornehmen, die ohne Aussprache behandelt werden. Darf ich Ihr Einverständnis feststellen? - Ich sehe keinen Widerspruch.
Meine Damen und Herren, ich unterbreche die Beratung der Tagesordnungspunkte 5 a und b und rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über die gegenseitige Unterstützung und die Zusammenarbeit ihrer Zollverwaltungen
- Drucksache 10/2862 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({87})
- Drucksache 10/3112 Berichterstatter: Abgeordneter Jäger ({88})
({89})
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist dieses Gesetz mit großer Mehrheit bei Stimmenthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Protokoll vom 28. Juni 1984 zur Änderung des am 18. März 1959 in Neu Delhi unterzeichneten Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Indien zur Vermeidung der Doppelbesteuerung des Einkommens
- Drucksache 10/2668 Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({90})
- Drucksache 10/3098 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Kreile
({91})
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Danke schön. Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist das Gesetz mit Mehrheit angenommen.
Vizepräsident Westphal
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({92}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über den Blei- und Benzolgehalt des Benzins
Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 70/220/EWG über die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Maßnahmen gegen die Verunreinigung der Luft durch Abgase von Kraftfahrzeugmotoren
- Drucksachen 10/1946 Nr. 39, 10/3154 Berichterstatter: Abgeordnete Duve Schmidbauer
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses in Drucksache 10/3154 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Die Gegenprobe! - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und b und den Zusatzpunkt 2 auf:
Beratung der Sammelübersicht 74 des Petitionsausschusses ({93}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/3208 Beratung der Sammelübersicht 75 des Petitionsausschusses ({94}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/3209 Beratung der Sammelübersicht 77 des Petitionsausschusses ({95}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/3264 Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann sind die Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses bei zwei Stimmenthaltungen angenommen.
Ich unterbreche die Sitzung, bis das Ergebnis der Abstimmung zu den Tagesordnungspunkten 5 a und b vorliegt.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Anderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3255 mitteilen. Von den voll stimmberechtigen Mitgliedern des Hauses haben 389 ihre Stimme abgegeben. Davon war keine ungültig, mit Ja haben 156 gestimmt, mit Nein haben 230 gestimmt. Es hat 3 Enthaltungen gegeben. Von den 17 Berliner Abgeordneten, die ihre Stimme abgegeben haben, war keine ungültig. Mit Ja haben 8 gestimmt, mit Nein haben 9 Kollegen gestimmt. Enthaltungen hat es keine gegeben.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 388 und 17 der Berliner Abgeordneten; davon
ja: 156 und 8 der Berliner Abgeordneten
nein: 229 und 9 der Berliner Abgeordneten
enthalten: 3
Ja
SPD
Amling
Dr. Apel Bachmaier Bahr
Bamberg
Becker ({96}) Bindig
Frau Blunck
Buckpesch Büchler ({97})
Buschfort Collet
Conradi
Dr. Corterier
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Ewen
Fiebig
Fischer ({98}) Fischer ({99})
Frau Fuchs ({100})
Frau Fuchs ({101}) Gansel
Gilges
Glombig Grunenberg
Haar
Hansen ({102})
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Dr. Hauff Heistermann
Herterich Hettling Heyenn
Hiller ({103})
Horn
Huonker Ibrügger
Immer ({104}) Jahn ({105})
Jansen
Jaunich
Dr. Jens Junghans Jungmann Kastning Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({106})
Kolbow
Kretkowski Kühbacher Kuhlwein
Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Lohmann ({107})
Lutz
Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Müller ({108})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nehm
Frau Odendahl Oostergetelo
Pauli
Peter ({109})
Pfuhl
Porzner Ranker
Rapp ({110})
Rappe ({111}) Reimann
Reschke Reuter
Rohde ({112})
Roth
Sander
Schäfer ({113}) Schanz
Dr. Schmidt ({114}) Schmidt ({115})
Frau Schmidt ({116}) Schmidt ({117}) Schmitt ({118})
Dr. Schöfberger Schröder ({119})
Dr. Schwenk ({120}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Sperling
Dr. Spöri
Stahl ({121})
Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben Dr. Struck Frau Terborg
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Urbaniak Vahlberg Verheugen Vogelsang
Voigt ({122}) Waltemathe
Walther
Vizepräsident Westphal
Weinhofer Dr. Wernitz Westphal
Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel
Wimmer ({123})
Dr. de With Wolfram
({124}) Würtz
Zander
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich ({125}) Egert
Löffler Frau Luuk
Stobbe Dr. Vogel
Wartenberg ({126})
DIE GRÜNEN
Auhagen
Frau Borgmann
Frau Dann
Frau Hönes
Horacek
Kleinert ({127}) Lange
Dr. Schierholz
Schily Schmidt
({128}) Schulte ({129})
Senfft Tischer Vogel ({130})
Vogt ({131}) Volmer
Frau Wagner
Werner ({132}) Frau Zeitler
Berliner Abgeordneter Ströbele
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Frau Augustin Austermann
Dr. Barzel Bayha
Dr. Becker ({133}) Berger
Biehle
Dr. Blens Dr. Blüm Dr. Bötsch
Bohlsen Borchert Braun
Broll
Brunner
Bühler ({134})
Dr. Bugl
Carstens ({135}) Carstensen ({136}) Clemens
Conrad ({137}) Dr. Czaja
Dr. Daniels Daweke
Deres
Dörflinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Engelsberger Erhard
({138}) Eylmann
Fellner
Fischer ({139}) Francke ({140})
Dr. Friedmann
Ganz ({141})
Frau Geiger Dr. Geißler Dr. George
Gerlach ({142}) Gerster ({143})
Dr. Göhner Götzer
Günther
von Hammerstein
Hanz ({144})
Haungs
Hauser ({145}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs
Hinsken
Höffkes
Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({146}) Dr. Hornhues
Frau Hürland
Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jagoda
Dr. Jahn ({147})
Dr. Jenninger Dr. Jobst
Jung ({148})
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Klein ({149})
Dr. Köhler ({150}) Dr. Kohl
Kolb
Kraus
Dr. Kreile Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({151}) Lamers
Dr. Lammert Landré
Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs
Link ({152})
Link ({153}) Lintner
Dr. Lippold Löher
Lohmann ({154}) Louven
Maaß
Frau Männle Magin
Marschewski Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({155}) Müller ({156})
Müller ({157})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pöppl
Pohlmann
Dr. Pohlmeier Dr. Probst
Rawe
Regenspurger
Dr. Riedl ({158})
Dr. Riesenhuber
Rode ({159}) Frau Rönsch Frau Roitzsch
({160}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({161}) Rühe
Ruf
Sauer ({162})
Sauer ({163})
Saurin
Sauter ({164}) Sauter ({165})
Dr. Schäuble Schartz ({166}) Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider
({167})
Dr. Schneider ({168}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({169}) Schulhoff
Dr. Schulte
({170}) Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer
Seehofer
Seesing
Seiters
Spranger
Dr. Sprung
Dr. Stark ({171})
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stommel
Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer Uldall
Frau Verhülsdonk
Vogel ({172})
Vogt ({173})
Dr. Voigt ({174}) Dr. Voss
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff
Weirich
Weiß
Werner ({175})
Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Wittmann ({176}) Dr. Zimmermann
Zink
Berliner Abgeordnete
Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Kalisch
Dr. h. c. Lorenz
Schulze ({177})
Straßmeir
SPD
Haehser Nagel
FDP
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({178}) Eimer ({179})
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck
Dr. Hirsch Hoffie
Kleinert ({180})
Kohn
Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger
Schäfer ({181})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms
Dr. Weng ({182}) Wolfgramm ({183})
Berliner Abgeordneter Hoppe
Enthalten
SPD
Delorme Zeitler
FDP
Vizepräsident Westphal
Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.
Wer nun Art. 1 Nr. 4 in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist die aufgerufene Vorschrift in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann sind diese Vorschriften mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten nun in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich vom Platz zu erheben.
({184})
- Ich bitte einen Augenblick um Geduld: Art. 2 und 3, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung.
({185})
- Es gibt hier einen Irrtum. Ich bitte Sie um Entschuldigung und darum, noch einmal Ihren Platz einzunehmen. Wir sind noch nicht mit der zweiten Lesung zu Ende. Das ist offensichtlich ein Irrtum. Das muß man einmal entschuldigen bei der Fülle der Änderungen.
Wir haben also noch die Art. 4, 5 und 6. Jetzt wird der Antrag gestellt, über Art. 6 getrennt abzustimmen. Ich muß das mit der „Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung" noch einmal zurücknehmen, damit wir korrekt verfahren.
Ich rufe jetzt die Art. 4 und 5 auf. Wer diesen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen?
- Bei einigen wenigen Enthaltungen sind diese Vorschriften angenommen worden.
Wer dem Art. 6 seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist Art. 6 mit Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen worden.
Jetzt rufe ich Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer diesen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann sind Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung mit Mehrheit angenommen.
Jetzt treten wir in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem
Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte
ich, sich vom Platz zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Ich stelle fest, daß das Gesetz mit Mehrheit angenommen worden ist.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 und den Zusatzpunkt 1 auf:
6. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Apel, Frau Dr. Däubler-Gmelin, Dr. Ehmke ({186}), Dr. Emmerlich, Frau Fuchs ({187}), Dr. Hauff, Roth, Dr. Schmude, Becker ({188}), Ewen, Jahn ({189}), Porzner, Frau Dr. Timm, Bindig, Dr. Jens, Lambinus, Reuter, Frau Schmedt ({190}), Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Frau Steinhauer und der Fraktion der SPD
Mißbilligung von SS-Traditionstreffen
- Drucksache 10/3196 -1. Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Bekämpfung des politischen Extremismus
- Drucksache 10/3238 Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf der Drucksache 10/3237 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Wort, das ich in diesem kurzen Debattenbeitrag am meisten verwenden werde, lautet „eigentlich". Denn eigentlich bedarf der von der SPD-Bundestagsfraktion vorgelegte Antrag keiner Begründung; er spricht für sich. Eigentlich müßte nämlich jeder anständige Deutsche sich dagegen wehren, wenn nach wie vor möglich und beabsichtigt ist, daß sich „Kameraden" der von den Nazis zur Unterwerfung, Versklavung, Vernichtung von Menschen gegründeten SS-Division treffen und dabei nicht etwa tätige Reue und die Bekundung von Scham praktizieren, sondern sich ihrer Tradition rühmen und die SS-Verbrechen verharmlosen.
({0})
Eigentlich hat diese Bundesrepublik Deutschland nach der Niederringung des Nationalsozialismus eine bessere, eine demokratische, eine auf Menschenrechten basierende 40jährige Tradition, als daß wir es hinnehmen können, wenn die Tradition des Unmenschlichen, des Verachtenden, des Undemokratischen wachgerufen wird.
Eigentlich benötigen wir für unser Selbstbewußtsein nicht das Heldentum von Feiglingen, sondern die bescheidene, ja, die bewundernde Anerkennung, daß es 1933 bis 1945 eben auch, wenn es auch nicht stark genug war, das andere Deutschland gab mit
wirklichem Mut, mit Widerstand, mit Anstand und mit Moral.
({1})
Meine Damen und Herren, hier ist oft die Gemeinsamkeit von Demokraten beschworen worden. Heute wäre sie am Platze. Sie ist notwendig, wenn wir als demokratisch Gewählte und demokratisch Verantwortliche dazu beitragen wollen, daß nichts vergessen und nichts aufgerechnet wird, damit wirklich vergeben werden kann.
Theodor Heuss ist hier mehrfach zitiert worden. Er hat zu Recht davon gesprochen, daß Deutsche für die 12 Jahre der Hitler-Diktatur kollektive Scham empfinden müßten - unabhängig vom jeweiligen Geburtsdatum und vom parteipolitischen Standpunkt.
({2})
In diesem Zusammenhang möchte auch ich ausdrücklich folgende Worte des Herrn Bundeskanzlers unterstreichen, die er am vergangenen Sonntag, dem 21. April, auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Bergen-Belsen gesprochen hat. Er sagte:
Versöhnung mit den Hinterbliebenen und den Nachkommen der Opfer ist nur möglich, wenn wir unsere Geschichte annehmen, so wie sie wirklich war, wenn wir uns als Deutsche bekennen: zu unserer Scham, zu unserer Verantwortung vor der Geschichte.
Und an anderer Stelle:
Für die Untaten der NS-Gewaltherrschaft trägt Deutschland die Verantwortung vor der Geschichte. Diese Verantwortung äußert sich auch in nie verjährender Scham.
Meine Damen und Herren, von diesem Gedanken finde ich allerdings im Gegenantrag der Koalitionsfraktionen kein einziges Wort.
({3})
Schon die Überschrift Ihres Antrags tut so, als ginge es gar nicht um ein Treffen von Mitgliedern der SS-Totenkopfverbände, sondern der Antrag behauptet, dazu könne der Bundestag nicht einmal Stellung nehmen. Ja, sind wir denn entmündigt oder ist die Koalition lediglich sprachlos, wenn es um konkrete Aussagen geht?
({4})
Der Bundeskanzler hat von der Einmaligkeit der Nazi-Verbrechen gesprochen. Die Koalition aber verbreitet sich über Rechts- und Linksextremismus ganz allgemein. Sonntags schöne Reden, donnerstags Drückebergerei.
({5})
Gerade als jemand, der auch in bezug auf Bergen-Belsen den Tod eines engen Verwandten im März 1945 zu beklagen hat, der aber auch deutscher Staatsangehöriger ist, frage ich uns alle: Müßten wir uns denn nicht kollektiv schämen, wenn wir kommentarlos Treffen von SS-Traditionsverbänden zulassen, bei denen der Ungeist beschworen
wird, den zu überwinden wir aufgerufen und angetreten sind?
({6})
Das SS-Zeichen war und ist ein Symbol des Verbrecherstaates, der Ausrottung und Vernichtung, der Konzentrationslager und der Einsatztruppen. Die SS war ein wesentliches Gerüst des nationalsozialistischen Staates und seiner verbrecherischen Ideologie. Die SS als bewußt für die Durchführung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegründete nationalsozialistische Organisation war es, die den deutschen Namen mit Blut und Schande besudelte. Kameradschaftstreffen, die nur dazu dienen sollen, diese Tatsache zu leugnen, beleidigen nicht nur die Opfer, sondern das deutsche Volk.
({7})
Damals in der Zeit der Diktatur mögen Menschen geschwiegen haben. Viele haben geschwiegen, weil sie nichts wußten. Andere haben geschwiegen, die etwas wußten, aber weder Mut, noch Moral noch die Möglichkeit fanden, etwas zu sagen. Und schließlich schwiegen auch Menschen, obwohl sie wußten, weil Schweigen gefahrloser war. Es war eine Zeit, wo man am besten nicht so genau hinsah, lieber wegguckte. Dafür mag es vielerlei Erklärungen geben, manche menschlich sehr verständliche. Aber heute! Müssen wir heute schweigen, wenn andere uns beschämende und beleidigende falsche Traditionen beschwören? Müssen wir heute so tun, als wüßten wir von nichts und als würden wir überhaupt nichts sehen? Sind die Verbrechen von damals denn weniger schlimm, weil seither anderswo auch in staatlichem Auftrag Verbrechen begangen wurden und werden? Kommt es darauf an, zusammenzuzählen oder abzuziehen, um in Wahrheit nur abzulenken? Ober haben Demokraten, inzwischen doch mit gründlichem Wissen ausgestattet, nicht um so mehr die Pflicht, den Anhängern von staatlichem Terror das Handwerk zu legen?
({8})
Meine Damen und Herren, leider haben auch in vergangenen Jahren um die Pfingstzeit herum unter anderem in Arolsen, Oberaula oder im Herbst letzten Jahres in Marktheidenfeld oder in Fürstenfeldbruck Traditionstreffen ehemaliger SS-Angehöriger stattgefunden und das Bild unserer Demokratie beschädigt. Diese Demokratie, die sich in der Bundesrepublik Deutschland entwickelt hat, ist weitaus stärker und weitaus besser, als sie zur Weimarer Zeit vorhanden war. Wir haben Grund, unsere Traditionen zu pflegen und auszubauen, und wir haben das Vermächtnis, eine Wiederholung des faschistischen Terrorsystems zu verhindern. Nicht allein, weil wir dies den Opfern von damals schuldig sind, sondern weil wir uns selbst und denen, die nach uns kommen werden, beweisen wollen, daß wir aus der Geschichte gelernt haben, und weil wir
Schaden vom deutschen Volke und allen, die hier leben, fernhalten wollen.
({9})
Erneut haben sämtliche Abgeordneten des niederländischen Parlaments einen Brief an Herrn Bundeskanzler Kohl gerichtet mit der Bitte, die in diesem Jahr in Nesselwang geplanten SS-Treffen zu verbieten. Nun will ich hier keine juristische Debatte darüber, ob Verbote rechtlich möglich sind oder nicht. Mich interessiert politisch, ob und was der Herr Bundeskanzler dem niederländischen Parlament geantwortet hat oder antworten wird, gerade auch unter Bezugnahme auf seine Rede in Bergen-Belsen.
({10})
Es geht nicht so sehr darum, was andere über uns sagen und urteilen. Wichtiger ist, daß wir selbst aufrecht und selbstlos sagen können: Mit uns nicht noch einmal!
({11})
Die Treffen von SS-Traditionsverbänden mit den Namen „Totenkopf", „Leibstandarte Adolf Hitler" oder „Hitlerjugend" wecken bittere Gefühle bei allen, die in ihrer Familie von der Ausrottungspolitik des Dritten Reiches betroffen sind. Sie können schon nicht verstehen, weshalb Verantwortliche von damals nicht konsequenter zur Rechenschaft gezogen wurden. Sie können teilweise auch nicht begreifen, weshalb der paraguayische Diktator Stroessner demnächst hier als Staatsgast empfangen werden soll,
({12})
in dessen Machtbereich offensichtlich viele ehemalige Nazis und SS-Größen seit vier Jahrzehnten Unterschlupf gefunden haben. Schlimmer aber wäre es, wenn dieser Deutsche Bundestag als Vertretung des demokratischen Deutschlands schweigen würde zu geplanten Treffen im Allgäu, bei denen sich auch noch diejenigen in die Brust werfen, die nichts dazugelernt haben und allenfalls Trauer darüber empfinden, daß Hitler-Deutschland besiegt wurde und der nationalsozialistische Herrenmenschenstaat untergegangen ist.
Wir empfinden Trauer mit den Opfern und wollen dem Gedenken an die Ermordeten nicht auch noch Hohn und Beleidigung hinzufügen. Eigentlich also kann der Deutsche Bundestag doch wohl nur einstimmig die SS-Treffen im Allgäu verurteilen und alle Verantwortlichen auffordern, sie zu verhindern. Und ich hoffe, sie werden das tun.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vieles von dem, was der Kollege Waltemathe hier erklärt hat, findet meine und auch die Zustimmung unserer
Fraktion; vieles von dem, was Sie erklärt haben, nicht, wohl aber die Gesinnnung, aus der heraus Sie es erklärt haben.
40 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges flammen plötzlich wieder Begriffe der Unversöhnlichkeit - nicht in Ihrer Rede, Herr Waltemathe -, ja, des Hasses auf, als hätte es die friedenstiftenden, auf moralische und materielle Wiedergutmachung zielenden Anstrengungen der Bundesrepublik Deutschland nie gegeben, als hätte Theodor Heuss nie das Bekenntnis zur Kollektivscham abgelegt, als hätte Helmut Kohl die Zeit des Völkermordes nie als das dunkelste und schmerzlichste Kapitel in der deutschen Geschichte bezeichnet.
Vor fast dreieinhalb Jahrzehnten schon nannte es Kurt Schumacher bedrückend, wie man - ich zitiere - „den jungen Menschen, die entweder einer so weit verbreiteten Psychose erlagen oder gar in die Waffen-SS hineingezwungen wurden",
({0})
- ich zitiere Schumacher - „für Zeit und Ewigkeit den Kainsstempel aufbrennen wollte".
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lambinus?
Ich habe zuwenig Zeit, danke.
({0})
- Lieber Herr Kollege Schmidt, ich habe den großen Sozialdemokraten Kurt Schumacher wörtlich zitiert.
({1})
Diese jungen Menschen von damals sind heute 60, 65 und 70 Jahre alt. Und eine Anzahl von ihnen plant ein, wie sie es nennen, „Kameradschaftstreffen" in einem Allgäuer Fremdenverkehrsort. Das gilt den Initiatoren des SPD-Antrages bereits als „Verhöhnung der Opfer des Nazi-Regimes".
({2})
Auch zu diesen Zusammenkünften hat sich Kurt Schumacher schon 1951 geäußert: Er bezeichnet sie als Versuche zur Überwindung der persönlichen Isolierung, aus denen nicht der Wunsch nach Fortsetzung oder auch nur zeitgemäßer Entwicklung einer speziellen nationalsozialistischen NS- oder SS-Ideologie spreche.
({3})
Erlauben Sie mir noch ein Zitat:
Niemand kann in Abrede stellen, daß unter nationalsozialistischer Führung von Deutschen unfaßliche, die menschliche Vorstellungskraft überschreitende Verbrechen begangen worden sind.
({4})
Klein ({5})
Sie können nicht geleugnet, nicht bagatellisiert und nicht entschuldigt werden.
Diese Sätze stammen von dem ehemaligen Generaloberst der Waffen-SS, Paul Hausser, der für die Mitgliedschaft in ihren Nachkriegszusammenschlüssen auch die Bedingung formuliert hat: „Wo ein Verbrechen beginnt, hört die Kameradschaft auf."
Den Fraktionen der SPD, der FDP und der CDU/ CSU - dies festzustellen gebietet die historische Wahrheit - haben irgendwann auch frühere Soldaten der Waffen-SS angehört; so bei uns etwa der inzwischen verstorbene Kollege Hans Wissebach.
({6})
Wir alle wissen, daß dies Männer waren, die sich keines Verbrechens schuldig gemacht hatten und die sich aus der Erfahrung des durch den totalitären Staat mißbrauchten Idealismus mit ganzer Kraft für den Aufbau unserer freiheitlichen Demokratie eingesetzt haben.
Mit einem - gestatten Sie den Ausdruck - pharisäischen Phänomen aber sollten wir endlich Schluß machen:
({7})
als geläuterten Demokraten nur jemanden anzuerkennen, wenn er sich einer bestimmten Partei anschließt.
({8})
Die Gründerväter von CDU und CSU - ich nenne beispielhaft die Namen Konrad Adenauer und Josef Müller - haben genauso im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gestanden, haben genauso unter nationalsozialistischer Verfolgung gelitten wie der große Liberale Thomas Dehler oder jene sozialdemokratischen Führungspersönlichkeiten, mit denen zusammen sie diese freiheitliche Republik aufgebaut haben.
Im Blick auf die ehemaligen Waffen-SS-Soldaten, die sich in Nesselwang treffen wollen, wogegen Sie, meine Damen und Herren von der SPD, einen Antrag von erschreckender Undifferenziertheit vorgelegt haben, kommt mir eine Bemerkung von Franz Josef Strauß in den Sinn, die mich ob ihrer besonderen Ehrlichkeit sehr beeindruckt hat:
({9})
Es sei Glück, daß er in eine antinationalsozialistische Familie hineingeboren wurde, in der ihn die fromme Mutter und der in der Bayerischen Volkspartei engagierte Vater von Anfang an gegen den Einfluß der braunen Bewegung immunisiert hätten. Ein paar Straßenzüge weiter, als Sohn eines deutsch-nationalen Kaufmanns oder eines arbeitslosen Arbeiters zur Welt gekommen, wäre er - und hier fügte Strauß ein: zumindest anfänglich - möglicherweise auch von den Parolen der Nationalsozialisten beeinflußt worden.
Nur in einem totalitären Staat kann ein so großer Teil einer ganzen Generation auf dem Weg des Bösen gezwungen werden.
({10})
Und aus der persönlichen Verstrickung mit dem historischen Geschehen führt weder kollektive Schuldzuweisung noch pauschale Verurteilung.
Individuelle Schuld ist in diesem Staat, soweit sie erfaßbar war, gesühnt worden.
({11})
Und es ist ein demokratischer Staat, in dem das Recht wieder regiert,
({12})
in dem unterschiedliche Meinungen wieder erlaubt sind,
({13})
in dem einer den anderen - auch wenn es mitunter schwerfällt - gelten läßt.
({14})
Dazu gehört auch die verfassungmäßig garantierte Versammlungsfreiheit.
({15})
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, die Sie jetzt den Bund in einer Frage, für die er nicht zuständig ist, gewissermaßen in die Pflicht zu nehmen trachten, waren sich dieser Rechtssituation in all den Jahren auch bewußt,
({16})
als Sie selbst Regierungsverantwortung getragen haben.
({17})
Lassen Sie mich aus dem geistlichen Wort der Deutschen Bischofskonferenz zum 8. Mai 1985 zitieren:
Der Versöhnung mit Gott entspricht die Versöhnung miteinander. Wir danken den Gegnern von einst für alle Zeichen und Schritte, die den Weg dieser Versöhnung eröffneten, und wir fordern mit Nachdruck und Leidenschaft dazu auf, diesen Weg der Versöhnung weiter, ihn bis zu Ende zu gehen. Versöhnung aber ist, wie alles Sittliche, nicht teilbar.
({18})
Kurt Schumacher sagte, was zum Thema unserer Debatte ebenso paßt wie zu dem zitierten geistlichen Wort:
Es gibt auf die Dauer keine Demokratie mit zweierlei Staatsbürgern.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Bueb.
Meine Damen und Herren! Das Problem, mit dem wir uns hier zu befassen haben, ist weniger das Treffen von Angehörigen der ehemaligen Waffen-SS; das entscheidende Problem ist vielmehr die Reaktion der Bundesregierung auf dieses Treffen,
({0})
ist das gesellschaftliche Klima, in dem dieses Treffen stattfindet.
Bislang hat es die Bundesregierung in geradezu peinlicher Weise vermieden, zum Treffen der ehemaligen SS-Angehörigen politisch Stellung zu nehmen.
({1})
Die Bundesregierung verschanzt sich hinter Rechtsnormen und glaubt, damit einer politischen Frage ausweichen zu können. So hat etwa Staatssekretär Spranger auf entsprechende Fragen des SPD-Abgeordneten Lambinus zwar zur Frage der Zulässigkeit eines Verbots gegen SS-Traditionsverbände Stellung genommen, er hat jedoch kein Wort zur politischen Bewertung gesagt. Das Zurückziehen hinter juristische Kompetenzen ist eine politische Form der Inkompetenz.
({2})
Das Nichtbewertenwollen der SS-Traditionstreffen kann nur als Zustimmung zu diesem Treffen verstanden werden. Damit wird ein Klima geschaffen und verstärkt, das inhumanen Ideen in unserer Gesellschaft zur Geltung verhilft.
Der leider verstorbene liberale Journalist Karl-Hermann Flach hat einmal gesagt, „im Umgang mit Minderheiten messe sich die Liberalität einer Gesellschaft". Wie dieses Zitat heute mit Füßen getreten wird, zeigt eine Äußerung des Staatssekretärs Spranger laut „Frankfurter Rundschau" vom 28. April 1983 - Zitat -:
Frieden und Freiheit seien auch nach innen wichtig, aber in erster Linie für die normalen, nicht für perverse Minderheiten, Terroristen, Verbrecher und Randgruppen.
In dieser Linie liegen auch die Sympathiebezeugungen gegenüber einem Pinochet-Regime in Chile und die Schulterschlußbemühungen zum menschenverachtenden Apartheid-Regime in Südafrika.
({3})
Auf dieser Linie liegt auch, wie Herr Waltemathe es schon sagte, die Einladung an den Präsidenten von Paraguay, Alfredo Stroessner, der Tausende von Menschen foltern ließ und hinrichten läßt.
Ich muß nicht erwähnen, daß auch Franz Josef Strauß in dieser Traditionslinie steht.
({4})
Seine inhumanen Äußerungen gegenüber Andersdenkenden sind nämlich seit Jahrzehnten sattsam bekannt.
({5})
Es sind also nicht die SS-Treffen allein, die schlimm an dieser Sache sind, sondern das politische Klima und die politische Kultur, worin sie hier stattfinden sollen und stattfinden. Wir haben nicht ohne Grund kein Verbot solcher Treffen gefordert, weil wir meinen, daß das Strafrecht kein Mittel der politischen Auseinandersetzung ist. Fänden diese Treffen in einem Klima der Empörung gegen die Verherrlichung von SS und Militarismus statt, dann könnte man sagen: die Vergangenheit ist bewältigt. Die Erfahrung zeigt aber, daß nicht diejenigen, die sich noch heute zu nazistischen Banden bekennen, in der Defensive sind. Es sind die ehemaligen Opfer, die sich rechtfertigen müssen, die, statt rehabiliertiert und beachtet zu leben, heute immer noch Diskriminierungen ausgesetzt sind.
({6})
- Ja, ja; ich werde es gleich sagen.
Wie oft müssen jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die nach 1945 wieder zu uns gekommen sind, erleben, daß am Stammtisch hinter vorgehaltener Hand von „den Juden" geredet wird.
({7})
Noch immer werden bei der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung Roma und Sinti mit ihrem Schimpfnamen „Zigeuner" bezeichnet. Sie sind in ihrer Lebensweise bei uns nicht geachtet, sondern bestenfalls geduldet.
Viele Homosexuelle, die als Gruppe ebenfalls von der Verfolgung der Nazis schwer betroffen waren, wagen sich heute immer noch nicht offen zu ihrer sexuellen Orientierung zu bekennen. Sie sind wie Zwangssterilisierte, Kommunisten und Fremdarbeiter bis heute nicht entschädigungsberechtigt. Wir GRÜNEN werden dem Bundestag deshalb in Kürze einen Antrag auf Neuregelung und Wiedereröffnung des Bundesentschädigungsgesetzes vorlegen.
Es ist nicht zufällig, daß die Gruppen, die von den Nationalsozialisten verfolgt worden sind, auch in der Bundesrepublik diskriminiert werden, wobei ich selbstverständlich nicht die gravierenden Unterschiede in der Verfolgung durch den Nationalsozialismus und die Diskriminierung in der Bundesrepublik verkenne.
({8})
Nicht zu vergessen sind in diesem Zusammenhang die ausländischen Mitbürger und Mitbürgerinnen, die in vielfältiger Weise benachteiligt und diskriminiert werden. Ich zitiere aus einem Schreiben an das türkische Volkshaus:
Die Würde des Menschen ist unantastbar, ausgenommen sind Türken und Asylanten; diese
zu verachten und zu verjagen ist Verpflichtung aller guten Deutschen.
Das ist in der Frankfurter Rundschau am 12. August 1983 erschienen. Solche Sätze können gedeihen, weil keine politische Auseinandersetzung mit den dahinterstehenden Kräften stattfindet und weil die Bundesregierung durch ihre Ausländergesetzgebung verhindert, den ausländischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern einen gesicherten Status in dieser Gesellschaft zu verschaffen.
({9})
Wir fordern Sie auf, eindeutig zu dem SS-Kameradschaftstreffen nicht nur Distanz zu halten, sondern es eindeutig zu mißbilligen und zur SS die Worte zu finden und zu beschließen, mit denen ihre Untaten verurteilt werden müssen.
Obwohl wir im Grundsatz mit dem Antrag der SPD in vielen Punkten übereinstimmen, sind wir der Meinung, daß der Punkt 2 entsprechend unserem Antrag zu modifizieren ist. Es mag zwar zahlreiche Menschen geben, die mit ihrer Vergangenheit in der SS gebrochen haben und mithelfen wollen, daß sich die Geschichte keinesfalls wiederholt. Es geht bei unserem Änderungsantrag jedoch nicht um einzelne Personen, sondern um die Organisation der SS als solche, von der wir uns eindeutig zu distanzieren haben - auch Sie, meine Damen und Herren von der Koalition.
({10})
Das Wort hat der Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben heute schon mehrfach gemeinsam festgestellt, daß wir die Verbrechen des Nationalsozialismus, den Wahnsinn des Rassenhasses und das, was der Krieg uns beschert hat, verurteilen und daß wir die Lehren daraus ziehen wollen. Deshalb ist es für jeden, der darüber spricht, nachdenkt und das beurteilt, selbstverständlich, daß er feststellt: Diejenigen, die glauben, 40 Jahre nach Kriegsende mit Treffen welcher Art auch immer noch nationalsozialistische Zeit verherrlichen zu wollen, finden nicht nur unsere Mißbilligung, sondern sie schaden damit unserem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat. Darüber sind wir uns einig.
({0})
- Darüber sind wir uns einig.
({1})
Zweitens. Wir wissen aus vielerlei Erfahrungen mit Treffen dieser Art in der Vergangenheit, daß örtliche Verbote von Gerichten aufgehoben worden sind. Wir wissen auf Grund von Prüfungen, daß es generelle Lösungen da, wo wir sie für richtig hielten, bisher nicht gegeben hat. Wir sind ein freiheitlicher Rechtsstaat. Das unterscheidet uns von dem, was wir mit Recht auch beim Nationalsozialismus
beklagt haben: daß das eben kein Rechts-, sondern ein Unrechtsstaat war.
Daraus ergibt sich - das haben wir bei Diskussionen dieser Art immer wieder feststellen müssen -, daß wir als Gesetzgeber in bestimmten Punkten durch Entschließungen, durch Beschlüsse nicht in der Lage sind, konkrete Entscheidungen zu bewirken.
({2})
- Wird das nicht damit deutlich, daß ich die Verurteilung zum Ausdruck gebracht habe?
({3})
Wenn ich aber diese Möglichkeit nicht habe, muß ich auch prüfen, ob und inwieweit ich durch Beschlüsse - von denen ich weiß, daß sie keine verbindliche Wirkung haben können - den Eindruck erwecke, ich könnte einen Einfluß nehmen, und dann den Vorwurf bekomme, das nicht durchgesetzt zu haben.
({4})
Das ist der Grund, weshalb wir in unserer Entschließung darauf hinweisen, daß das Versammlungsrecht Recht der Länder ist und daß sie es wahrzunehmen haben.
({5})
Das ist ausdrücklich festgestellt.
Niemand hindert örtliche Institutionen daran, gegen solche Veranstaltungen vorzugehen, wenn mit ihnen Mißbrauch getrieben wird, wenn mit ihnen gegen geltende Gesetze verstoßen wird. Wir erwarten, daß dagegen so vorgegangen wird.
Wenn ich zur gesamtpolitischen Wertung komme, dann stelle ich fest, daß wir mit der Entschließung der Koalitionsfraktionen umfassend zu allem Stellung nehmen, was uns in diesem Bereich in der nächsten Zeit möglicherweise noch blühen könnte, und gemeinsam alles zurückweisen, was extremistischer Natur ist, was nationalsozialistische Verherrlichung darstellt. Wir beziehen das nicht auf den Einzelfall, weil wir überzeugt sind, mit dieser Entschließung umfassend gegen solche Art von Treffen Stellung zu nehmen. Damit stellen wir sicher, daß jedermann weiß: Der Deutsche Bundestag, wir alle, wie ich hoffe, bekämpfen gemeinsam jede Art extremistischer Bestrebungen in diesem Lande. Wir stehen gemeinsam dagegen, daß unser Volk je wieder in eine Lage gebracht wird, wie wir sie heute, 40 Jahre danach, noch bitter büßen müssen; denn die Vergangenheit aufzuarbeiten, ist heute noch schwer.
Aber gleichzeitig müssen wir uns bewußt sein, daß wir damit - wie ich es heute schon einmal sagte - nicht neue Gräben aufreißen.
Ich zitiere ein anderes Stück der Rede von Theodor Heuss bei der Einweihung des Denkmals in Bergen-Belsen. Er hat da gesagt:
Mir scheint, der Tugendtarif, mit dem die Völker sich selber ausstaffieren, ist eine verderbliche und banale Angelegenheit. Er gefährdet das klare, anständige Vaterlandsgefühl, das jeden, der bewußt in seiner Geschichte steht, tragen wird, das dem, der die großen Dinge sieht, Stolz und Sicherheit geben mag, ihn darum aber nicht in die Dumpfheit einer pharisäerhaften Selbstgewißheit verführen darf. Gewaltätigkeit und Unrecht sind keine Dinge, die man für eine wechselseitige Kompensation gebrauchen soll und darf. Denn sie tragen die böse Gefahr in sich, im seelischen Bewußtsein sich zu kumulieren. Ihr Gewicht wird zur schlimmsten Last im Einzelschicksal, ärger noch im Volks-und Völkerschicksal. Alle Völker haben ihre Rachebarden oder, wenn diese ermüdet sind, ihre Zweckpublizisten in Reserve.
Hüten wir uns davor, daß wir selber in die Fehler verfallen, vor denen uns Theodor Heuss gewarnt hat!
({6})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Porzner.
Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Ich beantrage getrennte Abstimmung zu den Ziffern 1 und 2, vor allem deswegen, damit jeder von uns die Möglichkeit hat, zu folgendem Satz ja oder nein zu sagen. Ich lese das vor:
1. Der Deutsche Bundestag verurteilt die in Nesselwang geplanten Treffen von Angehörigen der ehemaligen 3. SS-Panzerdivision „Totenkopf" ({0}) sowie der 1. SS-Panzerdivision „Leibstandarte Adolf Hitler" und der 12. Panzerdivision „HitlerJugend" ({1}).
({2})
Meine Damen und Herren, es ist beantragt worden, über die Ziffern 1 und 2 des Antrags der SPD auf Drucksache 10/3196 getrennt abstimmen zu lassen.
Ich rufe nunmehr die Ziffer 1 auf. Wer der Ziffer 1 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! ({0})
Enthaltungen? - Ich glaube, das zweite war die Mehrheit.
({1})
- Das ist die übereinstimmende Meinung.
({2})
- Der Sitzungsvorstand war sich über die Mehrheitsverhältnisse einig.
Ich rufe die Ziffer 2 auf. Hierzu wird auf Drucksache 10/3237 eine Änderung von der Fraktion DIE GRÜNEN beantragt. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({3})
- Der Sitzungsvorstand war sich einig. Wir sind in der Abstimmung.
Ich frage: Wer dem Änderungsantrag der GRÜNEN zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Ich lasse nunmehr über die Ziffer 2 des SPD-Antrags auf Drucksache 10/3196 abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Sitzungsvorstand ist der Meinung, daß das zweite die Mehrheit war. Ich bedanke mich.
Nunmehr kommen wir zur Abstimmung über die Ziffern 3, 4 und 5 des Antrags der SPD-Fraktion auf Drucksache 10/3196. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Zusatzpunkt 1 der Tagesordnung. Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/3238 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer ist dagegen? - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Damit ist der Antrag angenommen.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Bueb.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind der Meinung, daß bei der Abstimmung über Ziffer 1 des SPD-Antrages auf Drucksache 10/3196 die Mehrheitsverhältnisse nicht klar waren. Wir beantragen nochmalige Abstimmung.
Herr Abgeordneter, der Antrag ist unzulässig. Der Sitzungsvorstand war sich über die Mehrheitsverhältnisse einig.
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Nickels, Stratmann und der Fraktion DIE GRÜNEN
Umweltauswirkungen des Braunkohletagebaues
- Drucksachen 10/2743, 10/2921 Die Fraktionen haben mir mitgeteilt, daß dieser Tagesordnungspunkt ohne Debatte abgehandelt werden soll. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch aus dem Plenum. Dann ist so beschlossen.
Ich lasse über die Entschließungsanträge abstimmen.
Wer dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Roth, Wolfram ({0}), Berschkeit und weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/3258 zuzustimmen
Vizepräsident Cronenberg
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Damit ist der Entschließungsantrag abgelehnt.
Wer dem Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3266 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 26. April 1985, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.