Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/18/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich folgendes mitteilen: Am 3. April hat der Abgeordnete Hanz ({0}) seinen 60. Geburtstag gefeiert, am 11. April hat der Abgeordnete Franke ({1}) seinen 72. Geburtstag gefeiert, und heute, am 18. April, feiert der Abgeordnete Schmidt ({2}) seinen 60. Geburtstag. Ich darf den Kollegen namens des Hauses meine besten Glückwünsche übermitteln. ({3}) Am 17. April 1985 haben die Herren Lange und Auhagen die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neuen Kollegen und wünsche gute Zusammenarbeit. ({4}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll der Entwurf eines Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetzes auf der Drucksache 10/2677 nachträglich auch dem Rechtsausschuß zur Mitberatung überwiesen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Meine Damen und Herren, auf der Ehrentribüne hat eine Delegation des Obersten Sowjets der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken unter dem Vorsitz des Sekretärs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion, Herrn Michail Wassiljewitsch Simjanin, Platz genommen. Herr Vorsitzender, verehrte Delegation, ich habe die Ehre, Sie im Deutschen Bundestag herzlich willkommen zu heißen. ({5}) Mit Ihrem Besuch in der Bundesrepublik Deutschland erfahren die parlamentarischen Beziehungen unserer Länder ihre langerwartete Wiederbelebung. Ich begrüße dies nachdrücklich und werte es - ebenso wie Ihre Einladung zu einem Besuch in der Sowjetunion, die ich gerne angenommen habe - als ein gutes Zeichen nicht nur für die parlamentarischen Beziehungen zwischen unseren Ländern, sondern auch für die Entwicklung der deutsch-sowjetischen Beziehungen insgesamt. Mit besonderer Dankbarkeit habe ich vermerkt, daß auch ein Mitglied Ihrer Delegation heute morgen an der Trauerfeier für unseren verstorbenen ehemaligen Kollegen Dr. Werner Mertes teilnimmt, der sich als langjähriger Vorsitzender der deutschsowjetischen Parlamentariergruppe um die Verständigung zwischen unseren Parlamenten und Völkern verdient gemacht hat. Ich wünsche Ihrer Delegation im Namen des ganzen Hauses noch einen angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland. ({6}) Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung Strategische Verteidigungsinitiative der Vereinigten Staaten von Amerika Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Beratung drei Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist so beschlossen. Ich erteile das Wort dem Herrn Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Strategische Verteidigungsinitiative - SDI - von Präsident Reagan wird das beherrschende sicherheitspolitische Problem der vor uns liegenden Jahre sein und wird ganz maßgeblich das Ost-West-Verhältnis, aber auch in einer besonderen Weise das Verhältnis der Vereinigten Staaten von Amerika zu Europa beeinflussen. In seiner Rede vom 23. März 1983 hat der amerikanische Präsident dazu aufgerufen, zu erforschen, ob es mit Hilfe moderner Technologien möglich sein könnte, von nuklearen Offensivwaffen unabhängiger zu werden, ohne die Sicherheit zu gefährden. In einer weit in die Zukunft gerichteten Vision hat er der jetzt gültigen Strategie der Abschrekkung durch gegenseitige Zerstörungsfähigkeit mit Nuklearwaffen das Modell der gesicherten Verteidigungsfähigkeit mit nichtnuklearen Waffen entgegengestellt. Jeder, meine Damen und Herren, der ernsthaft eine umfassende Verringerung der Nuklearwaffenpotentiale in der Welt will, und jeder, der Vorbehalte gegen die nukleare Abschreckungsstrategie hat, die für uns heute und in absehbarer Zeit noch unverzichtbar ist, sollte über alle angebotenen alternativen Möglichkeiten der Friedenssicherung und der Kriegsverhinderung aufs sorgfältigste nachdenken. ({0}) Jede Möglichkeit, sich vom düsteren Drohbild eines nuklearen Holocaust als letztem Mittel der Kriegsverhinderung zu entfernen, verdient gewissenhafte Prüfung. ({1}) Heute kann noch niemand mit Sicherheit beurteilen, ob sich die Strategische Verteidigungsinitiative des amerikanischen Präsidenten als Weg zur drastischen Verringerung und letztendlichen Verbannung der Nuklearwaffen erweisen wird. Sollte sich, meine Damen und Herren, dieser Weg jedoch als gangbar herausstellen, so wäre Ronald Reagan ein historisches Verdienst zuzuschreiben. ({2}) Wir sollten uns alle trotz aller tagespolitischer Auseinandersetzungen und verständlicher, zum Wesen der Demokratie gehörender Auffassungsunterschiede die Fähigkeit erhalten, uns mit politischen Visionen ernsthaft und weitsichtig auseinanderzusetzen, wenn uns diese Visionen den lebenswichtigen Zielen unserer Politik näherbringen können. Meine Damen und Herren, es zeugt nicht gerade von großer Weitsicht, sondern es zeugt für mich auch von fehlendem Verantwortungsbewußtsein der Opposition, wenn die Sozialdemokratische Partei die amerikanische Initiative ganz pauschal ablehnt, bevor überhaupt die notwendigen Grundlagen für eine Entscheidung vorliegen und bevor die amerikanische Regierung ihre eigenen Überlegungen zum Forschungsprogramm abgeschlossen hat. ({3}) Dagegen war es für mich, für die Bundesregierung und für das Bündnis nicht überraschend, daß die Sowjetunion die amerikanische Verteidigungsinitiative von Anbeginn angegriffen und verteufelt hat. ({4}) In welchem Ausmaß diese sowjetischen Angriffe der Glaubwürdigkeit und der moralischen Rechtfertigung entbehren, zeigt sich in der Tatsache, daß die Sowjetunion selbst bereits seit über einem Jahrzehnt ({5}) mit erheblichem Aufwand vergleichbare Forschungen betreibt, die zur Entwicklung eines weiträumigen Raketenabwehrsystems führen können. Das zeigt sich auch in der Tatsache, daß sie als einzige der beiden Großmächte ein funktionsfähiges Raketenabwehrsystem um ihre Hauptstadt Moskau aufgebaut hat und es laufend modernisiert. ({6}) Darüber hinaus verfügt die Sowjetunion als einziges Land der Welt über einsetzbare Antisatellitenwaffen, d. h. sogenannte Killersatelliten. Wir wissen - ich rufe das noch einmal in Erinnerung -, daß die Sowjetunion im Sommer 1983 im Raum über München eine Erprobung solcher Systeme durchgeführt hat. ({7}) Mit dem Aufbau einer Großradaranlage bei Krasnojarsk stellt sie - möglicherweise unter Verletzung des ABM-Vertrags - ihren Willen unter Beweis, sich die Option einer strategischen Verteidigung offenzuhalten. Die Fortsetzung einseitiger sowjetischer militärischer Weltraumrüstung hätte nicht nur die Aushöhlung des ABM-Vertrags, sondern auch die Entstehung gefährlicher Instabilitäten zur Folge. Meine Damen und Herren, auch das gehört in diese Debatte: Die sowjetische Führung selbst hat solche Forschungen und Entwicklungen nie bestritten. Dennoch habe ich hierzulande zu dieser Art von Forschung kaum kritische Worte von seiten der Opponenten gehört. ({8}) Es ist schon sehr bemerkenswert - das entspricht sicherlich nicht nur meinen Beobachtungen in den letzten Wochen -, daß diejenigen, die sich heute zu Wort melden, im wesentlichen die gleichen Kräfte sind, die 1983 gegen die Durchführung des Doppelbeschlusses Sturm gelaufen sind, und daß sie sich heute wieder in einer überzeugenden Weise in vollem Einklang mit der sowjetischen Propaganda befinden. ({9}) Es handelt sich bei der amerikanischen Strategischen Verteidigungsinitiative um ein längerfristig angelegtes Forschungsprogramm, das weit in die 90er Jahre hineinreichen wird. Mögliche Entscheidungen über Entwicklung und Stationierung werden auch von amerikanischer Seite - ich unterstreiche das noch einmal - nicht vor Beginn des nächsten Jahrzehnts erwartet. Forschung im Bereich der Weltraumsysteme ist mit dem ABM-Vertrag vereinbar. Eine automatische Folge von Forschung, Entwicklung und Stationierung bei den strategischen Defensivsystemen wird und darf es nicht geben. Alle über das Forschungsprogramm hinausgehenden Entscheidungen werden erst auf der Grundlage gesicherter For schungsergebnisse getroffen werden können. ({10}) Meine Damen und Herren, für mich steht die Entschlossenheit und der moralische Anspruch des amerikanischen Präsidenten in dieser Frage außer jedem Zweifel. Das amerikanische Forschungsprogramm ist daher aus unserer Sicht gerechtfertigt, politisch notwendig und liegt im Sicherheitsinteresse des Westens insgesamt. ({11}) Folglich unterstützen wir in der Bundesregierung im Grundsatz das amerikanische Programm zur strategischen Verteidigung. Am 9. Februar 1985 habe ich auf der WehrkundeTagung in München erstmals die wesentlichen Elemente unserer Position zu dem amerikanischen Projekt entwickelt. Ich habe damals bereits unmißverständlich deutlich gemacht, daß das entscheidende Kriterium unserer Bewertung der amerikanischen Verteidigungsinitiative die Frage ist: Kann diese Initiative den Frieden in Freiheit für uns sicherer machen? Ungeachtet aller - teilweise sehr komplizierten - Einzelfragen politischer, strategischer, technologischer Natur wird die Antwort darauf auch in Zukunft unser Urteil und unser Handeln bestimmen. Der Bundessicherheitsrat hat in seinem Beschluß vom 27. März dieses Jahres diesen zentralen Punkt besonders verdeutlicht, indem er die Strategische Verteidigungsinitiative der USA in den Gesamtzusammenhang des West-Ost-Verhältnisses einschließlich des Rüstungskontrolldialogs stellt. Unser Ziel, Frieden zu schaffen mit immer weniger Waffen und mehr Stabilität in den Beziehungen zwischen Ost und West herzustellen, gilt selbstverständlich unverändert fort. Es ist Richtschnur unserer Politik, auch gegenüber dem Projekt der amerikanischen Strategischen Verteidigungsinitiative. ({12}) Die Interessen der Bundesrepublik Deutschland und der westeuropäischen Verbündeten sind durch die amerikanische Strategische Verteidigungsinitiative in mehrfacher uns sehr komplexer Hinsicht betroffen. Am stärksten müssen uns die möglichen politisch-strategischen Wirkungen berühren. Sie haben direkte Folgen für unser vitalstes politisches Interesse, unsere äußere Sicherheit. Wir müssen von Anfang an eine Reihe strategischer Forderungen erheben, die sich nicht zuletzt aus unserer geostrategischen Lage ergeben. Ich habe in meiner Münchener Rede sehr eingehend auf diesen Punkt hingewiesen. Die Sicherheit Europas darf nicht von der Sicherheit der USA abgekoppelt werden. Es darf keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit im NATO-Bereich geben. ({13}) Die NATO-Strategie der flexiblen Antwort muß unverändert gültig bleiben, solange keine für die Kriegsverhinderung erfolgversprechendere Alternative gefunden ist. Instabilitäten in einer möglichen Phase des Übergangs von der reinen Abschreckungsstrategie zu einer neuen Form strategischer Stabilität, die sich stärker auf Defensivsysteme stützt, müssen vermieden werden. Disparitäten müssen abgebaut und die Entstehung neuer Bedrohungsfelder unterhalb der nuklearen Ebene vermieden werden. Ich kann mit Befriedigung feststellen, daß sich unsere amerikanischen Verbündeten in zunehmendem Maße dieser vitalen deutschen und europäischen strategischen Forderungen bewußt sind und ihnen Rechnung tragen. Für uns, meine Damen und Herren, ist der Zusammenhang zwischen politisch-strategischen und rüstungskontrollpolitischen Gesichtspunkten bei der Beurteilung der Strategischen Verteidigungsinitiative von ganz besonderer Bedeutung. Kurz- und mittelfristig hat die Beachtung des ABM-Vertrages Vorrang. Es ist nach Auffassung der Bundesregierung unerläßlich, daß vor Entscheidungen, die über die Forschung hinausgehen, kooperative Lösungen gesucht werden, die gewährleisten, daß die strategische Stabilität erhalten und nach Möglichkeit verbessert wird, die nuklearen Offensivpotentiale drastisch reduziert werden und das Verhältnis von Offensiv- zu Defensivsystemen einvernehmlich definiert wird, um ein Höchstmaß an Stabilität auf kleinstmöglichem Rüstungsniveau zu gewährleisten. Meine Damen und Herren, wir sind der Überzeugung, daß die Strategische Verteidigungsinitiative der USA dem Rüstungskontrolldialog bereits heute einen wichtigen Impuls gegeben hat. Sie hat ganz eindeutig auch die Aufnahme der Genfer Gespräche gefördert. Sie kann auch weiterhin die Entwicklung der Verhandlungen günstig beeinflussen. Es liegt in unserem Interesse, daß die Großmächte in Genf über strategische Verteidigungssysteme im Zusammenhang mit den offensiven Nuklearwaffen verhandeln, ohne dabei durch einseitige oder gar sachfremde Junktims erfolgversprechende Lösungsansätze zu blockieren oder zu behindern. Bei der notwendigen Konkretisierung des Verhältnisses zwischen Offensiv- und Defensivwaffen, das größte Stabilität auf geringstem Rüstungsniveau gewährleistet, müssen ohne jeden Vorbehalt alle Lösungsmöglichkeiten untersucht werden. Ich habe in meiner Rede vor einigen Wochen vor dem CDU-Parteitag in Essen auf diesen Zusammenhang bereits eindeutig hingewiesen, als ich ausführte, daß eine drastische Verringerung von nuklearen Offensivwaffen Notwendigkeit und Umfang erforderlicher Defensivsysteme im Weltraum beeinflussen könnte. Ich appelliere in diesem Zusammenhang an die Sowjetunion, die Genfer Verhandlungen in diesem Sinne in konstruktiver Weise zu nutzen und die amerikanische Strategische Verteidigungsinitiative nicht zum Vorwand für mangelnde Flexibilität bei der Reduzierung der nuklearen Offensivwaffen zu nehmen. Die Strategische Verteidigungsinitiative der USA bietet für das Nordatlantische Bündnis unzweifelhaft Chance und Risiko zugleich. ({14}) Durch Geschlossenheit und Solidarität der Verbündeten muß der Sowjetunion von Anfang an jede Möglichkeit genommen werden, SDI zu benutzen, um die Allianz zu spalten und in der westlichen Öffentlichkeit Mißtrauen zu säen. ({15}) Die Vereinigten Staaten haben damit begonnen, ihre Verbündeten über dieses neue Projekt zu konsultieren. Wir begrüßen das Angebot zu fortlaufenden Konsultationen, bilateral und in der Allianz. Wir werden diese Chance intensiv nutzen. ({16}) Diese Konsultationen sind für uns unverzichtbar. Sie sind besonders notwendig, weil die mögliche langfristige Anpassung der geltenden Verteidigungsstrategie des Bündnisses an neue Gegebenheiten einen kontinuierlichen Dialog gerade auf diesem Gebiet zwingend erfordert. In der solidarischen Auseinandersetzung der Bündnispartner mit dem amerikanischen Vorschlag liegt auch gleichzeitig eine Chance, die Geschlossenheit der Allianz zu stärken und den transatlantischen Dialog zu fördern. ({17}) Die Bundesregierung wird sich mit Nachdruck dafür einsetzen, mit ihren engsten europäischen Verbündeten eine gemeinsame Haltung zur Strategischen Verteidigungsinitiative der USA zu entwickeln. ({18}) Dafür spricht auch, daß wir gemeinsam mit europäischen Partnern unsere spezifisch europäischen Interessen gegenüber den USA mit viel größerem Gewicht zur Geltung bringen können. In diesem Zusammenhang, meine Damen und Herren, begrüßt die Bundesregierung den französischen Vorschlag, den Außenminister Dumas in einem Schreiben Anfang dieser Woche an Bundesminister Genscher übermittelt hat, umgehend eine engere europäische Zusammenarbeit im Bereich der Zukunftstechnologien einzuleiten. ({19}) Ich teile die Einschätzung der französischen Regierung, daß die Antwort Europas auf die amerikanische Initiative zur strategischen Verteidigung nicht in einer Politik der Resignation und nicht in unkoordinierter Ablehnung bestehen kann. Ich bin auch sehr erfreut darüber, daß wir uns in der grundsätzlichen Einschätzung der amerikanischen Verteidigungsinitiative einig sind mit dem italienischen Ministerpräsidenten Craxi, ebenfalls mit der britischen Kollegin, Frau Thatcher, ({20}) und anderen europäischen Partnern. ({21}) Wir stehen der amerikanischen Anregung, gemeinsam Möglichkeiten einer Beteiligung an dem Forschungsprojekt zu prüfen, aufgeschlossen gegenüber. Eine Beteiligung europäischer Länder böte die historische Gelegenheit für Europa, seine politischen, strategischen und technologischen Interessen im geschlossenen Verband zur Geltung zu bringen. ({22}) - Das soll das heißen, was eigentlich einmal das Ziel Ihrer Politik war: europäische politische Integration. Aber Sie sind auch auf diesem Wege ins Abseits geraten. ({23}) Auf diese Weise, meine Damen und Herren, könnte die Strategische Verteidigungsinitiative der Vereinigten Staaten für das NATO-Bündnis und für Europa tatsächlich eine reelle Chance bedeuten und zur Stärkung und Integration beider wesentlich beitragen. Angesichts der finanziellen Größenordnung von rund 80 Milliarden DM, mit der die amerikanische Regierung ihr Forschungsprogramm aufgelegt hat, ist schon heute für jedermann klar ersichtlich, daß es wichtige und weitreichende Ergebnisse hervorbringen wird, die in ihrer Bedeutung, auch in ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, weit über den Anwendungsbereich der strategischen Verteidigung hinausgehen werden. Das Wort vom technologischen Innovationsschub auf breiter Basis ist in diesem Zusammenhang ganz gewiß keine Übertreibung. Wir werden, meine Damen und Herren, und wir müssen daran interessiert sein, Forschungsergebnisse, die umwälzende Auswirkungen in der zivilen Anwendung haben werden, auch für unsere Wirtschaft nutzbar zu machen. Ich füge hinzu: Dieses wirtschaftlich-technologische Interesse allein wird unsere Entscheidung über eine eventuelle Teilnahme am Forschungsprogramm jedoch nicht bestimmen. Aber wir müssen dafür Sorge tragen, daß die Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa technologisch nicht abgehängt und damit zweitklassig werden. ({24}) Die gemeinsame Sicherheit zwischen USA und Europa, wie sie in den Bündnisverpflichtungen zum Ausdruck kommt, bedingt auch einen vergleichbaren Stand in der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung der USA und Europas. Unser Wirtschaftssystem der freien und sozialen Marktwirtschaft ermöglicht und begünstigt eine Unternehmenskooperation auch über nationale Grenzen hinweg. Deutsche und europäische Unternehmungen und Forschungseinrichtungen sind auf wichtigen Gebieten führend. Vor diesem Hintergrund ist es um so notwendiger, daß wir die Kriterien und Bedingungen eventueller Forschungszusammenarbeit mit der amerikanischen Seite erörtern, um so den Rahmen für eine mögliche Kooperation auszuloten. Wir werden dabei insbesondere Wert darauf legen, daß eine mögliche zukünftige Zusammenarbeit faire PartBundeskanzler Dr. Kohl nerschaft und freien Austausch der Erkenntnisse gewährleistet, ({25}) keine technologische Einbahnstraße bleibt, uns, soweit dies möglich ist, ein in sich abgeschlossenes Forschungsgebiet sichert und uns damit auch Einfluß auf das Gesamtprojekt erlaubt. Technologische Mitwirkung an dem amerikanischen Forschungsprojekt würde es der Bundesrepublik Deutschland und unseren europäischen Verbündeten erleichtern, auch in den wichtigen Fragen einer eventuellen Fortentwicklung der Bündnisstrategie Einfluß und Gewicht zu behalten, ja zu vermehren. Die Bundesregierung wird über eine Teilnahme am US-Forschungsprojekt in absehbarer Zeit zu entscheiden haben. Sie wird sich bei dieser Entscheidung von niemandem unter Zeitdruck setzen lassen, sondern sich alle erforderlichen Entscheidungsgrundlagen verschaffen. Hierzu sind gegenwärtig im wesentlichen drei Schritte vorgesehen: Die Bundesregierung wird das Interesse und die Möglichkeiten einer Forschungsbeteiligung mit der deutschen Wirtschaft erörtern und dabei insbesondere auch kooperative europäische Ansätze der Zusammenarbeit, auch der Unternehmungen, prüfen. ({26}) Sie wird mit interessierten europäischen Verbündeten - das sind vor allem Frankreich, Großbritannien und Italien, aber auch andere interessierte europäische Partner - in Konsultationen über eine gemeinsame Stellungnahme und - gegebenenfalls - Beteiligung eintreten. Sie wird eine Expertengruppe in die USA entsenden, um die Bedingungen und die Bereiche einer Forschungsbeteiligung vor Ort zu erkunden. ({27}) Selbstverständlich werde ich dieses Thema in einigen Tagen aus Anlaß des Besuches von Präsident Reagan bei uns in der Bundesrepublik Deutschland mit ihm ebenfalls erörtern. Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Das mit der Strategischen Verteidigungsinitiative in Gang gesetzte Forschungsprogramm der Vereinigten Staaten ist gerechtfertigt und liegt im gesamtwestlichen Interesse. Die Strategische Verteidigungsinitiative der USA stellt eine Chance dar, die heute unverzichtbare Abschreckung durch Androhung der gegenseitigen Vernichtung längerfristig durch eine stärker auf defensive Elemente abgestützte Strategie fortzuentwickeln, die eine weitgehende Abrüstung der Nuklearwaffen zuließe. Ob sich diese Hoffnung erfüllen kann, weiß heute niemand. Ein Nein aber zu diesem Projekt zu diesem Zeitpunkt - das sage ich nicht zuletzt zu Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD - würde der Verantwortung, die wir auch für die Zukunft unseres Landes zu tragen haben, nicht gerecht werden. ({28}) Die strategische Stabilität zwischen Ost und West und die Einheit des Bündnisses in politischer und strategischer Hinsicht müssen gewährleistet sein. Die NATO-Strategie der flexiblen Reaktion bleibt unverändert gültig, solange es keine dem Ziel der Kriegsverhinderung besser dienende Alternative gibt. Die rüstungskontrollpolitische Funktion der Strategischen Verteidigungsinitiative ist für uns von zentraler Bedeutung. Wir werden dieses Verständnis gegenüber unseren amerikanischen Verbündeten beharrlich vertreten. Eine drastische Verringerung der nuklearen Offensivsysteme auf beiden Seiten bleibt unser vorrangiges Ziel. ({29}) In der bündnispolitischen Bewertung der amerikanischen Initiative zeigt sich die Aufgabe, Risiken abzuwehren und die gegebenen Chancen durch Geschlossenheit der Allianz und durch verstärkte Einflußnahme der europäischen Verbündeten zielstrebig zu nutzen. Wer heute nein sagt, wird das Risiko für das Bündnis nicht abwenden und die gegebenen Chancen nicht nutzen können. ({30}) Wir werden der amerikanischen Anregung folgen und Möglichkeiten einer Zusammenarbeit beim Forschungsprogramm untersuchen. ({31}) Wir werden dabei eng mit unserer Wirtschaft und eng mit unseren europäischen Freunden zusammenwirken. Ich bedauere, daß sich die Sozialdemokratische Partei noch vor dieser Prüfung in ihrer Ablehnung festgelegt hat. Ich frage Sie, wie Sie eine solche Haltung mit den Interessen einer der führenden Industrienationen der Welt in Übereinstimmung bringen wollen. ({32}) Unsere Überlegungen zur Strategischen Verteidigungsinitiative fügen sich in das Gesamtkonzept unserer Friedenspolitik ein. ({33}) Wir sind unverändert an einer Verbesserung des West-Ost-Verhältnisses interessiert und versprechen uns von den Rüstungskontrollverhandlungen in Genf einen spürbaren Impuls für einen allgemeinen West-Ost-Dialog. Es darf nach meinem Dafürhalten nicht geschehen, daß das West-Ost-Verhältnis auf verteidigungsund rüstungskontrollpolitische Fragen oder gar auf eine Einzelfrage wie das Für und Wider der Strategischen Verteidigung verengt wird. ({34}) Nur eine Verbesserung des Verhältnisses zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten sowie zwischen den Staaten der NATO und des Warschauer Pakts auf einer breiten Grundlage kann auch zu wirksamen Fortschritten in der Abrüstung und Rüstungskontrolle führen. Die Bundesregierung wird unbeirrt ihre Politik der Verständigung und des Ausgleichs bei gleichzeitiger voller Wahrung der Interessen der Bundesrepublik Deutschland fortsetzen. ({35})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat diese erste Aussprache über die Strategische Verteidigungsinitiative

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Es wird nicht die letzte sein. Dieses Weltraumrüstungsprogramm und die in ihm zum Ausdruck kommende Änderung des amerikanischen strategischen Denkens berührt die Position Europas zentral. Westeuropa muß die möglichen Folgen dieser Initiative eingehend diskutieren, um dann gemeinsam Stellung zu beziehen. Wenn Europa sich in dieser für den Frieden, für das westliche Bündnis und für die Ost-West-Beziehungen zentralen Frage auseinanderdividiert oder auseinanderdividieren läßt, brauchen wir in Zukunft von der Selbstbehauptung Europas nicht mehr zu sprechen. ({0}) Denn jenseits aller institutionellen und politischen Verbesserungen, die wir für die EG anstreben, wird die Selbstaufgabe oder aber Selbstbehauptung Westeuropas davon abhängen, ob es in der Lage ist, seine Interessen in diesen zentralen Fragen gemeinsam zu artikulieren und zur Geltung zu bringen. Da wir auf eine grundsätzliche Aussprache Wert legen, stellen wir für die heutige Debatte noch keinen Antrag. Unsere Grundposition ist auch so deutlich genug. ({1}) Die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers war durch Unsicherheit in der Sache gekennzeichnet. ({2}) Herr Kollege Kohl, da ich den Ton der Erklärung gehört habe, nehme ich an, es wird auch in diesem Fall so zugehen wie bisher immer im Verhältnis zwischen Präsident Reagan und Ihnen. ({3}) Am Ende wird es heißen: Halb zog er ihn, halb sank er hin. ({4}) Sie, Herr Bundeskanzler, haben versucht, diese sachlichen Unsicherheiten durch parteipolitische Polemik gegen die Sozialdemokraten zu verdecken. Herr Bundeskanzler, ich muß Ihnen sagen: Das ist erstens eines Bundeskanzlers unwürdig, ({5}) und es wird zweitens der vitalen Bedeutung dieser Fragen für unser Volk nicht gerecht. Ich werde Ihnen daher auf diesem polemischen Wege nicht folgen. ({6}) Wir haben im März 1983 die Feststellung von Präsident Reagan, die Strategie der Abschreckung durch gesicherte gegenseitige Vernichtung sei unmoralisch, nicht nur mit Zustimmung, sondern auch mit Sympathie gelesen; denn wir haben nicht nur immer wieder auf die Gefahren des nuklearen Wettrüstens hingewiesen, wir haben uns auch gefragt, wie es eigentlich in einem Manne aussehen muß, der, wenn ihm eines Tages gemeldet würde, gegnerische Raketen seien auf sein Land im Anflug, nichts zu deren Abwehr tun, sondern nur einen vernichtenden Vergeltungsschlag auslösen könnte. Wir haben nach dem Studium jener ersten Rede Präsident Reagans nicht gemeint, der Präsident sei dabei, der europäischen Friedensbewegung beizutreten mit der Bezeichnung der jetzt geltenden strategischen Doktrin als unmoralisch. Aber wir haben in seiner Äußerung, eine Strategie der garantierten gegenseitigen Vernichtung müsse durch eine gegenseitig garantierte Sicherheit ersetzt werden, in der Tat eine Annährung an die Forderung der Sozialdemokraten gesehen, im Interesse des Friedens das heutige Gleichgewicht des nuklearen Schrekkens durch eine Sicherheitspartnerschaft zwischen Ost und West, eine Partnerschaft des Überlebens zu ersetzen. Das zentrale Problem aber, Herr Bundeskanzler, dem Sie ausgewichen sind, ist, daß die Herstellung einer Sicherheitspartnerschaft, einer beiderseitig garantierten Sicherheit ein politisches Problem und kein technisches oder technologisches Problem ist. ({7}) Die Militärs können über ein 3-C-Programm reden: Communication, Command und Control. Was wir Politiker brauchen - statt den Militärs nachzulauDr. Ehmke ({8}) fen -, ist ein 3-V-Programm: Vertrauensbildung, Verträge und Verifikation. ({9}) Der amerikanische Präsident hat nicht einen politischen, sondern einen militärisch-technologischen Vorschlag gemacht, wobei übrigens das Verhältnis dieses Vorschlags zu den Verhandlungen in Genf nach wie vor in der amerikanischen Administration völlig unklar ist. So kann es denn wenig verwundern, Herr Bundeskanzler - darüber haben wir von Ihnen nicht ein Wort gehört -, daß von der ursprünglichen Philosophie - Ersetzung einer Strategie der gesicherten gegenseitigen Vernichtung durch beiderseitig garantierte Sicherheit - in den letzten zwei Jahren nichts mehr übriggeblieben ist. Heute versichert die amerikanische Regierung, es gehe nicht darum, die alte Strategie der Abschreckung abzulösen, es gehe vielmehr darum, sie wirksamer zu machen. Einem potentiellen Angreifer soll eine militärische Option gegen die Vereinigten Staaten genommen werden, indem seine offensiven Nuklearwaffen durch nichtnukleare Defensivwaffen neutralisiert werden. Diese strategische Überlegung stellt uns zunächst vor ein Paradox; denn, meine Damen und Herren von der CDU/CSU, die Sie auch in dieser Frage dem Bundeskanzler offenbar folgen und nur lachen können: Wenn es tatsächlich gelänge, offensive durch defensive Waffen zu ersetzen, brauchte man am Ende auch die defensiven Waffen nicht. Darum müssen wir uns fragen: Wäre es dann nicht sehr viel logischer und überdies schneller und billiger, wenn man die offensiven Overkill-Kapazitäten beider Seiten direkt reduzieren würde? ({10}) Im übrigen ist es nun so - auch dazu haben wir kein Wort vom Bundeskanzler gehört -, daß auch die entschiedensten Befürworter dieses Programms heute nicht behaupten, man könnte mit diesen neuen Technologien ein auch nur annähernd perfekt wirksames Abwehrsystem schaffen. Die Mehrzahl der amerikanischen Wissenschaftler hält das ganze Programm technologisch nicht für möglich, von den finanziellen und politischen Problemen noch ganz abgesehen. ({11}) Schon heute ist aber klar, Herr Kollege Dregger - und darüber muß gesprochen werden -, daß dieses Programm nicht dazu führen wird, daß offensive durch defensive Weltraumwaffen ersetzt werden. Vielmehr werden offensive mit defensiven Waffen gemischt. Das ist der Ausgangspunkt, über den heute diskutiert werden muß. ({12}) Genau das aber, diese Mischung von offensiven und defensiven Systemen, wollte der sogenannte ABMVertrag vermeiden, der gerade die Aufstellung defensiver Systeme ausgeschlossen hat, weil man zu Recht davon eine Destabilisierung des heute bestehenden ungefähren Gleichgewichts in Offensivwaffen befürchten muß. Herr Bundeskanzler, Sie haben Merkwürdiges darüber gesagt, daß die Sozialdemokratie angeblich nichts zur sowjetischen Forschung gesagt hätte. Sie sind auch da wieder einmal schlecht unterrichtet. Gerade weil die Sowjetunion seit Jahren auf diesem Gebiet forscht, sind wir der Meinung: Die Sowjetunion wird nicht warten, bis das Ergebnis des amerikanischen Programms vorliegt. ({13}) Sie hat ja bereits angekündigt, sie werde zunächst ihre Offensivkapazität stärken und dann eigene Defensivkapazitäten aufbauen. Herr Bundeskanzler, wir haben von Ihnen auch dazu kein Wort gehört: Ob die Sowjets für ihre Defensivsysteme dann nukleare Waffen gegen die neuen amerikanischen Defensivsysteme wie gegen die amerikanischen Raketen einsetzen, das entscheidet nicht die westliche Allianz, sondern allein die Sowjetunion. Reden Sie hier also nicht so leichtfertig über eine Denuklearisierung des Weltraums! Das Gegenteil kann der Fall sein; das liegt nicht allein in unserer Entscheidung. ({14}) Wir aber, Herr Bundeskanzler, wollen keine amerikanische Weltraumrüstung und erst recht keine sowjetische. Bereits jetzt aber - zu diesem wichtigen Thema war kein Wort vom deutschen Bundeskanzler zu hören - droht ein Wettrüsten in offensiven und defensiven Weltraumwaffen, wobei übrigens auch die Defensivwaffen unbestrittenermaßen offensiv eingesetzt werden können. Es besteht die Gefahr, Herr Bundeskanzler, die Sie nicht durch Verschweigen ausschließen können, daß die Militarisierung des Weltraums nicht verhindert, sondern durch dieses Programm im Gegenteil forciert wird. Da die Einführung neuartiger Waffen zugleich die Rüstungskontrollverhandlungen erschwert, besteht auch jetzt schon die Gefahr, daß die Genfer Verhandlungen nicht zu einer Beendigung des Wettrüstens führen werden, die im Interesse des Überlebens der Menschheit erforderlich ist, sondern daß am Ende die Genfer Verhandlungen vielleicht überhaupt nur als Rechtfertigung gedient haben werden, jeder Seite zu ermöglichen, zur Stärkung ihrer eigenen Verhandlungsposition immer neue Offensivwaffen zu bauen, wie jetzt z. B. die amerikanische Seite die MX-Rakete. Das einzige, was bisher aus diesem Ansatz herausgekommen ist, ist die Berufung: Wir müssen weitere offensive Systeme bauen, um in den Verhandlungen stark zu sein. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Ehmke, gestatten Sie, daß ich Sie kurz unterbreche. Ich bitte, die Gespräche - auch auf der Regierungsbank - einzustellen. ({0})

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundeskanzler, ich weiß nicht, ob Sie es selbst noch glauben, wenn Sie Ihren Spruch „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" wiederholen und dann auch noch an die Raketendebatte erinnern. Das Ergebnis der Verhandlungen um die Raketen - daran sollten wir bei den jetzigen Genfer Verhandlungen denken - war nicht etwa, daß wir weniger, sondern daß wir mehr Waffen hatten und nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Richten Sie sich doch bitte mal, Herr Bundeskanzler, an der Realität und nicht an den Werbesprüchen der CDU aus! ({0}) - Herr Kollege Wimmer, Sie haben völlig recht. Natürlich haben die Sowjets weiter zusätzliche Raketen hingestellt, und beide Seiten werden das weiter tun. ({1}) Ich wundere mich nur über Ihre Begeisterung, mit der Sie das offenbar hinnehmen. ({2}) Die sowjetische Forschung, die seit Jahren wie auch die amerikanische betrieben wird, läßt es als ungerechtfertigt erscheinen - bei jeder Gelegenheit haben wir das gesagt -, daß nun die Sowjets verlangen, die Amerikaner sollten mit ihrer Weltraum-Forschung aufhören. Der ABM-Vertrag hat das genau unterschieden: Weil Forschung nicht verifizierbar und nicht kontrollierbar ist, unterscheidet der Vertrag zwischen Forschung einerseits und Testen, Entwicklung, Aufstellen auf der anderen Seite. Ich bin der Meinung, worauf wir drängen müssen, Herr Bundeskanzler, ist die Beantwortung der Frage, was die Vereinigten Staaten eigentlich machen werden, wenn sie mit ihrem SDI-Programm, das nicht fünf Jahre braucht, um in den ersten Projekten in Entwicklung überzugehen, die Grenzen des ABM-Vertrages erreichen. ({3}) Werden die Amerikaner dann, wie einige sagen - darunter Paul Nitze -, versuchen, eine kooperative Lösung mit der Sowjetunion zu finden, oder werden sie wie der Präsident und Herr Weinberger gesagt haben, auch dann das SDI-Programm nicht zu einem Verhandlungsgegenstand machen? Herr Bundeskanzler, Sie haben - nicht heute, aber bei früherer Gelegenheit - unter Hinweis auf die Erklärung, die die beiden Außenminister am 8. Januar zu Genf abgegeben haben, daß es nämlich das Ziel der Genfer Verhandlungen sei, ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern, der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß die Verhandlungen in Genf die Aufstellung eines Weltraumabwehrsystems überflüssig machen werden. Wir stimmen Ihnen darin zu, Herr Bundeskanzler. Sie müssen sich allerdings darüber klar sein, daß dies keineswegs die Position der amerikanischen Regierung ist. Darüber hätten Sie hier heute auch ein Wort sagen sollen. ({4}) Die Strategische Verteidigungsinitiative Präsident Reagans birgt also die Gefahr in sich, den Weg zu einer politischen Verhandlungslösung zu verbauen und eine neue Runde des Wettrüstens zu eröffnen. Das würde für Westeuropa einmal mehr nicht mehr, sondern weniger Sicherheit bedeuten. ({5}) Herr Bundeskanzler, darüber hinaus - das Denken braucht man nicht aufzuschieben, bis die Amerikaner geforscht haben - stellen sich für Westeuropa folgende Probleme: Selbst wenn entgegen der überwiegenden Meinung der Wissenschaftler strategische Verteidigungssysteme in relevantem Maße beiderseitig wirksam sein könnten, würde das den Schutz Europas voraussichtlich nicht verbessern. Die mobile Stationierung und die weit kürzeren Flugzeiten von Kurzstrecken- und Mittelstreckenraketen - das ist doch unbestritten - schließen das mehrfach gestufte Abwehrsystem, wie es die Amerikaner für ihren Schutz vorsehen, in Europa aus. Das kann hier gar nicht funktionieren. Das ist unbestritten, Herr Kollege Wimmer. Die Frage von anderen taktischen Abwehrsystemen gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen - wie etwa eine weiterentwickelte „Patriot" - hat mit dem SDI-System direkt nichts zu tun. ({6}) Aber nicht nur das. Die Sicherheit Westeuropas würde, wenn wir von der geltenden NATO-Strategie ausgehen, voraussichtlich sogar geschmälert werden. Herr Bundeskanzler, darüber müßten Sie ein Wort sagen, statt sich hier mit allgemeinen Sprüchen zu bescheiden. ({7}) Solche Abwehrsysteme würden ja, je wirksamer sie wären - meine Damen und Herren, es lohnt sich wirklich, darüber nachzudenken; es wird unser Schicksal und das Schicksal Europas auf Jahrzehnte bestimmen, wie wir uns hier entscheiden -, die oberste Ebene der „Eskalationsleiter" auf beiden Seiten neutralisieren und damit die Gefahr erhöhen, daß Europa zu einer Zone minderer Sicherheit wird und die Gefahr eines auf Europa beschränkten Krieges wächst. Das ist etwas, worüber ich nicht lachen würde, sondern worüber ich einmal diskutieren würde, ohne mich von amerikanischen Vorgaben abhängig zu machen. ({8}) Einen letzten Punkt hat schließlich der SACEURGeneral Rogers in die Debatte gebracht, der öffentlich gesagt hat: Wenn die Mittel, die wir für die konventionelle Verteidigung Westeuropas brauchen, ins SDI-Programm gingen, würde man sich einer Situation nähern, in der er seiner Regierung sagen müßte, daß sie ihre den Westeuropäern gegebenen Schutzgarantien nicht mehr erfüllen könne. ({9}) Gegen alle diese Bedenken - von denen in der Regierungserklärung des Herrn Kanzlers nicht mit einem Wort die Rede war, er hat sich auf der OberDr. Ehmke ({10}) fläche von Werbesprüchen bewegt: das muß ich leider sagen, Herr Bundeskanzler -, ({11}) wird nun eingewandt, wir sollten uns doch nicht so viel Gedanken machen. Zu diesen Fragen kämen wir noch. Jetzt handle es sich ja nur um ein fünfjähriges Forschungsprogramm. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, da muß ich zunächst einmal sagen: Diese Werbesprüche stehen in direktem Gegensatz zu den klaren Aussagen Präsident Reagans, der sogar von einem neuen Zeitalter gesprochen hat, ({12}) und den ebenso klaren Aussagen des Pentagons, das von einer grundsätzlichen Änderung der amerikanischen Strategie spricht. Im übrigen geht es in Washington auch gar nicht - das wissen Sie, Herr Bundeskanzler - um ein fünfjähriges Forschungsprogramm mit einem Aufwand von etwa 26 Milliarden Dollar, sondern es geht um ein Zehnjahresprogramm, das Testen und die Entwicklung solcher Waffen umfaßt und einen Kostenansatz von insgesamt etwa 70 Milliarden Dollar hat. Dieser Feststellung ist auch auf der 13. deutsch-amerikanischen Konferenz in Dallas nicht widersprochen worden. Aber der Bundesregierung ist vielleicht entgangen, was dort passiert ist, weil sie in Dallas damit beschäftigt war, daß die Herren Vertreter der Regierung von Herrn Wörner bis zu Herrn Möllemann völlig unterschiedliche Meinungen vertraten. Es war eindrucksvoll, Herr Bundeskanzler, die deutsche Regierung in so voller Bandbreite der Meinungen im Ausland auftreten zu sehen. ({13}) Einige amerikanische Freunde haben sich zwar darauf beschränkt, über diese erste Phase von etwa fünf Jahren zu reden, aber andere Amerikaner sind uns die Wahrheit und Klarheit nicht schuldig geblieben. Der frühere Under Secretary of State, Lawrence Eagleburger, hat z. B. mit Nachdruck erklärt, daß sich die Westeuropäer nicht nur über ihre Mitwirkung an der Forschung, sondern auch über ihre politische Mitverantwortung an Entwicklung und Stationierung klar werden müssen. ({14}) Der neue Vorsitzende des Senatsausschusses für auswärtige Angelegenheiten, Senator Lugar, hat sogar erklärt, die Westeuropäer dürften nicht glauben, an den Früchten eines Technologieprogramms teilzuhaben, ohne auch politische Mitverantwortung für das Gesamtprogramm zu übernehmen. ({15}) Die amerikanische Position ist also klar. Wimmeln Sie das hier nicht ab mit dem Motto: Wir werden jetzt erst einmal fünf Jahre forschen, und dann kommen wir zu den eigentlichen Fragen. - Vor den eigentlichen Fragen stehen wir bereits jetzt in diesem Jahr. ({16}) Es gibt für die Bundesrepublik und für Westeuropa, verehrte Kollegen, eine Reihe gewichtiger Gründe, die uns dazu bewegen sollten, das amerikanische Angebot, forschungsmäßig am SDI-Programm teilzunehmen, nicht anzunehmen. Herr Bundeskanzler, das hat mit Nein-Sagen nichts zu tun. Sie können es sich natürlich zur Politik machen, zu jedem Wunsch der Amerikaner ja zu sagen. So sieht das bei Ihnen aus. Ich halte das nur nicht für deutsche Politik. ({17}) Wir beschränken uns auch nicht aufs Nein-Sagen, sondern wir sind der Meinung, die Europäer sollen einen Gegenvorschlag machen, und das will ich jetzt begründen. Wir sollten uns nicht mit politischer Mitverantwortung für das in seinen grundsätzlichen Aspekten durchaus fragwürdige Weltraumrüstungsprogramm behaften lassen. Ich frage mich, Herr Bundeskanzler, wann eigentlich einmal Ihr Selbstgefühl und das der Westeuropäer berührt ist, da doch der amerikanische Präsident sein Programm verkündet hat, ohne auch nur ein Wort mit den westlichen Verbündeten darüber zu sprechen, und es dann zwei Jahre weiterentwickelt hat, ohne in diesen zwei Jahren eine Minute mit uns zu konsultieren. Ich möchte das einmal festhalten. ({18}) Sie lassen sich so behandeln und sagen dann hier begeistert halb j a, halb nein, weil Sie es noch nicht ganz genau wissen. ({19}) - Wissen Sie, Herr Wimmer, ich weiß ja, wenn Sie in der Sache am Ende sind, dann greifen Sie auf die alten Diffamierungsformeln der deutschen Rechten zurück, die jede Kritik in die Nähe der Kommunisten zu rücken sucht. ({20}) Wenn Sie nichts anderes zu bieten haben, dann lassen Sie das Regierungsgeschäft sein! Sie können nicht mit billigem Antikommunismus, den Sie der NPD überlassen sollten, Schicksalsfragen unserer Nation entscheiden. ({21}) Wenn wir aber die Gefahren dieses Programms sehen - es wäre gut, Sie würden sie auch sehen, Sie werden ja auch Verantwortung dafür tragen, Dr. Ehmke ({22}) statt hier mit lockeren Reden über solche Probleme hinwegzugehen - ({23}) - Dann vergleichen Sie einmal die beiden Reden daraufhin, wo Werbesprüche drin sind und wo Sachargumente drin sind. Ich überlaß es gerne den Menschen draußen, das zu beurteilen. ({24}) Wenn das so ist, dann dürfen wir uns auch nicht durch den Köder der Forschung in dieses Programm hineinziehen lassen. Und, Herr Bundeskanzler und vor allen Dingen Herr Bundesaußenminister, Sie machen sich ja hoffentlich nichts vor: Wenn wir hier ja sagen - und das ist doch auch der Sinn der amerikanischen Übung -, ({25}) dann wird niemand in der Welt unterscheiden - nicht der amerikanische Kongreß, nicht die neutralen Staaten, nicht der Ostblock -, ob wir ja zu dem kleinen Forschungsteil des Programms gesagt haben oder zu dem nächsten Teil, der Entwicklung, oder aber zu dem ganzen Programm. Wer jetzt ja sagt zu diesem Programm oder zur Teilnahme an ihm, der sagt in den Augen der Welt ja zu diesem amerikanischen Weltraumrüstungsprogramm und damit zu einer Militarisierung des Weltraums. ({26}) - Meine Herren, ich bin gespannt auf Ihre Gegenargumente. Ich hoffe, es kommen dann nicht auch nur Werbesprüche. ({27}) Einer der Sprüche des Kanzlers lautete: Der ABM-Vertrag muß natürlich durchgehalten werden. Ich teile seine Meinung. Nur, Herr Bundeskanzler, da fängt das Problem ja gerade an. Da das SDI-Programm nicht nur Forschung, sondern auch Testen und Entwicklung umfaßt, wirft es natürlich sofort die Frage nach dem Verhältnis zum ABM-Vertrag auf. Die Forschungen werden - manche ganz schnell, manche in größeren Zeitabständen - an den Punkt kommen, wo sie in Entwicklung übergehen. Bereits heute, Herr Bundeskanzler, gibt es ja Vorwürfe zwischen den Großmächten, daß der ABM-Vertrag verletzt worden sei. Herr Bundeskanzler, Sie haben sich einige dieser Vorwürfe gegen die Sowjetunion zu eigen gemacht. Ich würde da erstens zur Vorsicht mahnen, wenn ich höre, was jetzt wegen Krasnojarsk zwischen Amerikanern und Russen besprochen wird. Wir sollten uns hier nicht eine Sache, die die Amerikaner selbst noch gar nicht fest behaupten, werbemäßig zu eigen machen. Das würde nachher nur mit Rückziehern bezahlt. Zweitens halte ich es nicht für eine kluge deutsche Politik, uns in diese Auseinandersetzung um die Auslegung des ABM-Vertrages hineinziehen zu lassen. Da halte ich es mit dem britischen Außenminister Howe, auch einem Konservativen, der gesagt hat: Europa darf sich auf keinen Fall an einer Aushöhlung des ABM-Vertrages beteiligen. ({28}) Und, Herr Bundeskanzler, Herr Außenminister, die Meinung, die wir von einigen amerikanischen Kollegen in Dallas und Washington ganz unverblümt gehört haben: Falls eine Fortentwicklung des Vertrages zusammen mit den Sowjets nicht möglich sei, müsse Amerika den ABM-Vertrag eben kündigen, die kann doch nicht die Position der_ Westeuropäer sein. Denn eine Kündigung des ABM-Vertrages durch Amerika würde, vermutlich für lange Zeit, das Ende jeder Rüstungskontrollverhandlung bedeuten. Soweit es nun aber wirklich um Forschung geht - man versucht ja, uns das Projekt über die Forschungsseite schmackhaft zu machen -, muß ich sagen: Es besteht für die Westeuropäer keinerlei Anlaß, unsere Grundlagenforschung dadurch zu militarisieren, die Freiheit der Wissenschaft dadurch zu beschränken, daß wir einen erheblichen Teil unserer Forschung ohne Not in den Rahmen eines militärischen Programms einbringen. Ich fordere die deutschen Wissenschaftsorganisationen und die deutsche Industrie auf, zu dieser Gefahr endlich auch öffentlich Stellung zu nehmen. ({29}) Ich mache den Amerikanern gar keinen Vorwurf, daß sie hier ihre Interessen vertreten. Was mich stört, ist, daß sie vom Geschäft sprechen und wir von den Werten. Das kann keinen guten Dialog geben. ({30}) Denn das amerikanische Angebot, verehrte Kollegen - da hören Sie mal ein bißchen in die deutsche Industrie hinein -, entspringt j a nicht etwa der Absicht, unsere Wettbewerbsfähigkeit im Bereich moderner Technologie zu steigern. In den letzten zwei Jahren haben wir von den Amerikanern in bezug auf Technologietransfer eher das Gegenteil erlebt. ({31}) Herr Bundeskanzler, ein weiterer Spruch heute war: Es darf keine technologische Einbahnstraße geben. Also, ich muß sagen: Natürlich war es auch der Dilettantismus von Herrn Wörner, der in den letzten Tagen diese Einbahnstraße beim Lufterkennungssystem so eindrucksvoll gemacht hat. ({32}) Aber es ist schon grotesk, sich von den Amerikanern in einem solchen Fall - ein besseres deutsches System, und trotzdem geben wir den Amerikanern nach: die Einbahnstraße wird noch einseitiger - am Anfang der Woche über den Tisch ziehen zu lassen, um dann hier am Donnertsg aus dem Dr. Ehmke ({33}) Kanzlermunde zu hören, daß natürlich eine Einbahnstraße überhaupt nicht in Frage komme. ({34}) Sie sind doch von der Einbahnstraße in den letzten zwei Jahren gar nicht mehr heruntergekommen! ({35}) Ich sage Ihnen noch einmal: Ich kritisiere die Amerikaner nicht, denn die vertreten ihre verständlichen Interessen. Es ist das verständliche Interesse unserer amerikanischen Freunde, unser Wissen und unsere Fähigkeiten - die deutschen und die westeuropäischen - in ihr Programm einzubringen, in diesem Programm einzubinden und dafür in Europa möglichst auch noch Finanzmittel lockerzumachen. Das ist von der amerikanischen Seite her völlig in Ordnung. Aber, meine Herren, es kann doch kein Zweifel daran bestehen, daß dieses Programm Geheimhaltungsvorschriften unterliegen wird, und zwar amerikanischen Geheimhaltungsvorschriften, militärischen Geheimhaltungsvorschriften. Die Amerikaner haben auch nicht den geringsten Zweifel daran gelassen, daß sie die Kontrolle über das Gesamtprogramm behalten wollen. ({36}) Bedenkt man nun, Herr Bundeskanzler und Herr Wirtschaftsminister, welche Erfahrungen die Westeuropäer in den letzten Jahren mit Behinderungen des Technologietransfers gemacht haben - Stichwort: COCOM -, und bedenkt man weiter, daß militärische Aufträge an amerikanische Unternehmen und Institute inzwischen in Amerika sogar zu einer Beschränkung des freien wissenschaftlichen Meinungsaustauschs führen - ich werde darüber demnächst eine Ausarbeitung vorlegen -, ({37}) so kann man doch nur - ({38}) - Ja, ich weiß, Sie nehmen die Gefahren nicht ernst, die durch diese Sache in der Sicherheitspolitik für unser Volk drohen, und mit Grinsen und mit Handbewegungen wischen Sie die Gefahren weg, die durch einen falschen Schritt auf diesem Gebiet der deutschen Industrie und der deutschen Wissenschaft drohen. ({39}) Lässige Handbewegungen und Lächeln an Stelle von Erörterungen in der Sache, das halten Sie offenbar für eine Politik aus christlich-demokratischer Verantwortung! ({40}) Ich sage noch einmal: Wir müssen konstatieren, daß eine Mitwirkung an diesem amerikanisch kontrollierten, der Geheimhaltung unterliegenden Programm der schlechteste Rahmen, der denkbar schlechteste Rahmen für eine Zusammenarbeit der europäischen Industrie und der europäischen Wissenschaft mit den Amerikanern ist. Sie haben doch gesehen - Herr Riesenhuber ist ja gerade zurückgekommen -: Selbst im zivilen Bereich ist es nur schwer möglich, von den Amerikanern faire Bedingungen zugestanden zu bekommen. Was meinen Sie, was dann in einem militärischen Rahmen passieren würde! Im übrigen ist es ein großer Irrtum - Herr Bundeskanzler, Sie haben das wieder gesagt, aber es wird dadurch nicht richtiger -, zu meinen, die zivilen Abfallprodukte militärischer Forschung seien von größerer Bedeutung als der direkte Nutzen ziviler Forschung. Das Beispiel Japan widerlegt dieses Vorurteil täglich; Sie sollten das endlich einmal zur Kenntnis nehmen. ({41}) Aber, verehrte Kollegen, das ist noch nicht alles. ({42}) Wenn wir im SDI-Programm bleiben, besteht auch - weil strittig ist, wo das Forschen aufhört, wo das Testen beginnt, wo die Entwicklung beginnt - die Gefahr, daß wir selbst, die Drittländer, in Konflikt mit dem ABM-Vertrag kommen. Der ABM-Vertrag verbietet in Art. 9 die Übertragung der Komponenten von ABM-Systemen an Drittländer, und im „Agreed Statement G" zum Vertrag wird erklärt, daß das auch für Blaupausen und für technische Beschreibungen gilt. ({43}) Das heißt, in dem Moment, in dem wir aus der Forschung auch nur etwas in den Bereich kommen, der Entwicklung sein könnte, stellt sich sofort die Frage, ob die Amerikaner dies überhaupt an Drittländer übertragen können. Das ist ein Thema, das wir außerhalb des SDI-Bereichs nicht so auf uns zukommen sehen würden. Ich sage noch einmal: Da wir sagen, die Großmächte sollen den ABM-Vertrag einhalten, muß das j a wohl erst recht für uns selbst gelten. Angesichts dieser Sachlage muß - Herr Bundeskanzler, darin besteht nun offenbar wieder Übereinstimmung - Westeuropa zunächst seine eigenen Interessen in diesen Forschungsbereichen definieren. Sie haben, dem Außenminister folgend, heute in Ihrer Rede die Initiative des französischen Außenministers Dumas begrüßt. Ich sehe darin eine erfreuliche Änderung der bisherigen Haltung der Bundesregierung, die ja bei ihrem Kabinettsbeschluß über die Weltraumprojekte ein ähnliches französisches Angebot, das einen Aufklärungssatelliten sowie einen europäischen Raumtransporter „Hermes" umfaßte, weit in die Zukunft geschoben hat. Wir müssen eine gemeinsame europäische Gegenposition entwickeln, aber außerhalb des militärischen Bereichs. Westeuropa muß sie entwickeln. Es kann sein, daß die Amerikaner sagen - es gibt solche Äußerungen -: Wir haben nicht Westeuropa gefragt, sondern wir haben nur die einzelnen westeuropäischen Länder um eine Teilnahme gebeten. Jedes westeuropäische Land muß für sich auf der Dr. Ehmke ({44}) Hut sein, nicht durch einen Alleingang zu einem Anhängsel des militärisch-industriellen Komplexes der Vereinigten Staaten zu werden, um dieses Wort von General Eisenhower aufzugreifen. ({45}) Westeuropa muß sich auch gegenüber der technologischen Herausforderung Amerikas selbst behaupten. Das schließt eine Kooperation mit den Vereinigten Staaten keineswegs aus. Es sollte aber, Herr Bundeskanzler, eine Zusammenarbeit unter Bedingungen ausschließen, die Europa ins politische Zwielicht bringen und/oder im Innenverhältnis benachteiligen würden. Westeuropa muß darauf bestehen, daß eine für beide Seiten sinnvolle Zusammenarbeit im Forschungsbereich außerhalb des militärischen Rahmens entwickelt wird. Das kann durch Erweiterung bereits bestehender Programme geschehen. In allen diesen Forschungsbereichen gibt es doch längst Programme. Das gilt für die eigentliche Weltraumforschung - z. B. Automation, Robotik, Lenkungssysteme, Werkstoffe - ebenso wie für die nicht der eigentlichen Weltraumforschung zugehörigen Bereiche: Partikelstrahlen, Laser, überschnelle Schaltkreise, Optik, Sensoren usw. Alles das ist doch nichts Neues. Auf einigen dieser Gebiete sind wir sogar führend, vor den Amerikanern. Lassen wir uns doch bloß nicht von den Amerikanern einreden, wir seien gewissermaßen die Fußkranken der gesamten Technologieentwicklung. Das Bild ist sehr viel differenzierter. ({46}) Alle diese Forschungsarbeiten können in europäischer oder in europäisch-amerikanischer Zusammenarbeit außerhalb eines militärischen Rahmens betrieben werden. Es ist selbst im zivilen Bereich schwer genug, anständige Bedingungen zu erlangen. Herr Riesenhuber kann davon ein Lied singen. Im militärischen Rahmen würde es fast aussichtslos. Herr Bundeskanzler, Sie haben gesagt, Sie werden jetzt erst mit dem amerikanischen Präsidenten sprechen und dann mit den Westeuropäern. Vielleicht wäre es umgekehrt richtig. ({47}) - Wenn ich das falsch verstanden habe, kann es korrigiert werden. Es sind ja alle auf dem Wirtschaftsgipfel anwesend. Es wäre sehr gut, wenn Sie zunächst eine Westeuropäische Position abstimmen und dann diese Position in einem ersten Gespräch mit Präsident Reagan zur Geltung bringen würden. Jedenfalls wäre es verheerend, wenn wir uns auf dem Weltwirtschaftsgipfel auseinanderoperieren ließen. Ich bin allerdings auch der Meinung, daß es sehr kurzsichtig von den Amerikanern wäre, wenn sie dies versuchen würden. Ich gehöre zu denen, die verstehen, daß Amerika - nicht zuletzt auch auf Grund von innenpolitischen Entwicklungen - sein außenpolitisches Interesse nicht mehr allein auf Europa konzentrieren kann, sondern es aufteilen muß zwischen Westeuropa, Zentralamerika/Karibik und dem Pazifik. Aber gerade wenn das so ist, sollte Amerika an einer größeren Selbständigkeit Westeuropas als einer der Säulen des westlichen Bündnisses interessiert und nicht der Meinung sein, es fahre besser, wenn es uns in diesen Fragen aufsplittert. Die Westeuropäer, Herr Bundeskanzler, sollten sich daran erinnern, daß sie vor Aufstellung der Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper diese Frage nie - ich wiederhole: nie - untereinander beraten haben. Es gab den Vorschlag von Giscard, dem Präsidenten der französischen Republik, eine solche europäische Beratung durchzuführen, und zwar zuerst unter den Stationierungsländern, dann im Europäischen Rat. Das wurde abgelehnt. So absurd es ist: Europa hat über die Aufstellung der Raketen nie beraten, immer nur in der Consulting Group mit den Amerikanern zusammen. Diesen Fehler sollten wir bei SDI nicht wiederholen. ({48}) Wir müssen eine gemeinsame Position entwikkeln, die nach meiner Meinung und der Meinung meiner politischen Freunde heißen muß: Ablehnung einer Mitwirkung am militärischen Programm. Aber keine Beschränkung auf dieses Nein, sondern Unterbreiten eines positiven Gegenvorschlags. Entwicklung eines europäischen Forschungsprogramms über bestehende Programme hinaus und Kooperationsbereitschaft mit den Vereinigten Staaten auf genau umschriebenen Gebieten. Aber alles im zivilen Bereich. Herr Bundeskanzler und Herr Kollege Riesenhuber, derart erweiterte Programme kosten natürlich Geld. Aber eine Mitwirkung an dem militärischen Programm würde noch weit mehr Geld kosten. Leider haben wir vom Bundeskanzler nichts über diese finanzielle Frage gehört, an der ja die Frage der Zusammenarbeit erst praktisch wird. Ich stelle fest: Im Haushalt des Forschungsministers ist bis jetzt noch nicht einmal Geld genug vorhanden, um das zivile Columbus-Projekt zu finanzieren - er müßte anderes dafür streichen -, von den französischen Projekten, die Sie bisher aufgeschoben haben, gar nicht zu reden. Im Haushalt des Verteidigungsministers wird jeder Pfennig für die Stärkung der konventionellen Streitkräfte gebraucht, von den Erwartungen, die General Rogers insofern an uns stellt, noch gar nicht zu reden. Es kommt mir etwas gespenstisch vor, daß dieses Projekt diskutiert wird, die Frage jedoch, wer das eigentlich bezahlen soll, hier noch nicht einmal in Form einer Spruchweisheit angeschnitten wird. ({49}) Damit komme ich zu den Grundfragen von Politik und Rüstungstechnologie zurück. Herr Bundeskanzler, wir Sozialdemokraten, die wir schon so lange für eine Sicherheitspartnerschaft eintreten, teilen die von Präsident Reagan vor zwei Jahren vorgetragene Ansicht, daß ein stabiler Frieden auf die Dauer nicht durch ein Gleichgewicht des nuklearen Schreckens erreicht werden kann. Wir haben ja jahrelang versucht, Sie davon zu überzeugen, allerdings vergeblich. Ich würde mich freuen, wenn Dr. Ehmke ({50}) es jetzt dem amerikanischen Präsidenten gelänge, Sie davon zu überzeugen, daß die SPD in dieser Sache schon seit Jahren recht hat. ({51}) Wir teilen auch den Wunsch des amerikanischen Präsidenten nach mehr politischer Stabilität in der Welt, nach einer Welt voller Hoffnung, statt voller Furcht. Wir sind aber davon überzeugt - das sagen wir auch unseren amerikanischen Freunden -, daß wir unsere Hoffnungen nicht auf Militärtechnologien und Rüstungsprogramme setzen dürfen, sondern politische Lösungen suchen müssen. Dieser politischen Friedensaufgabe müssen Rüstungen und Technologien untergeordnet werden. ({52}) Insofern, Herr Bundeskanzler - ich zitiere diese Ihre Äußerung noch einmal; wir nehmen Sie beim Wort -, stimmen wir Ihnen darin zu, daß die Verhandlungen in Genf so geführt werden müssen, daß ein Verhandlungserfolg die Weltraumrüstung überflüssig macht. Herr Bundeskanzler, das werden wir allerdings nicht dadurch erreichen, daß wir in den Chor derer einfallen, die uns ständig versichern, die Verhandlungen seien ungeheuer kompliziert und würden daher viele Jahre dauern. Herr Bundeskanzler, so viel Zeit haben wir nicht. Als erstes brauchen wir vielmehr eine eindeutige Bestätigung der amerikanischen Administration wie der sowjetischen Führung, daß zwar nicht die Forschung im ABM-Bereich, wohl aber die Entwicklung, das Testen und die Stationierung von strategischen Weltraumsystemen Gegenstand der Verhandlungen in Genf sind mit dem Ziel, durch eine kooperative Lösung „ein Wettrüsten im Weltraum zu verhindern", wie es die Außenminister Shultz und Gromyko am 8. Januar in Genf nicht nur sich gegenseitig, sondern auch der Welt versprochen haben. Lassen Sie mich eines an die Adresse der amerikanischen Verhandler hinzufügen: Eingedenk unserer Erfahrungen mit den INF-Verhandlungen, bei denen die Reagan-Administration in bezug auf das Ziel der Verhandlungen tief in sich gespalten war - die, ich kann nur sagen, bedrückenden Einzelheiten kann man in dem Buch von Talbot „Raketenschach" nachlesen -, geben wir der Hoffnung Ausdruck, daß die amerikanische Administration bei den neuen Genfer Verhandlungen mit einer Stimme sprechen wird, und zwar in dem Sinne, daß tatsächlich eine kooperative Verhinderung von Weltraumrüstung das Ziel der Verhandlungen ist. ({53}) Herr Bundeskanzler, als zweites brauchen wir in Genf - auch das kam in Ihrer Regierungserklärung nicht vor, hinsichtlich des Verhältnisses zu den Verhandlungen war Fehlanzeige zu vermelden - ein baldiges Interims-Abkommen, das drei Elemente umfassen muß. Erstens: Ein Verbot jeglichen Testens von Weltraumwaffen unter Einschluß von Anti-SatellitenWaffen. Ein solches Verbot ist Voraussetzung dafür, daß überhaupt eine Chance besteht, eines Tages über die Nicht-Entwicklung und Nicht-Dislozierung von Weltraumwaffen eine substantielle Einigung zu erzielen. Zweitens brauchen wir - eine Erklärung der beiden Großmächte, daß das bisher de facto eingehaltene SALT-II-Abkommen, dessen Laufzeit, wenn es in Kraft getreten wäre, Ende dieses Jahres auslaufen würde, auch über diesen Zeitpunkt hinaus von beiden Großmächten weiter beachtet werden wird. Gelänge es, eine solche Vereinbarung mit einer Herabsetzung der im Abkommen vorgesehenen Höchstgrenzen für Offensivwaffen zu verbinden, so wäre das ein wichtiger Impetus für einen Erfolg in der Sache an diesem Verhandlungstisch in Genf. Drittens brauchen wir - hier kann ich nur noch einmal die oberflächliche und polemische Zurückweisung des sicher nicht ausreichenden Vorschlags des sowjetischen Generalsekretärs bedauern - ein Abkommen über einen befristeten Stopp der Stationierung eurostrategischer Raketen, allerdings verbunden mit einer Einigung über die Grundlinien eines substantiellen Abbaus dieser Waffen. Daß da die sowjetische Seite drastisch reduzieren muß, war und ist nach wie vor unsere Meinung. ({54}) Insoweit kann an die Vorschläge aus den INF-Verhandlungen angeknüpft werden. Schon in einem solchen Zwischenabkommen muß also der Zusammenhang der drei Verhandlungsbereiche Strategische Verteidigung, Interkontinentalraketen und eurostrategische Raketen gewahrt werden. Ich stimme dem Bundeskanzler darin zu: Wir dürfen nicht zulassen, daß der Verbund der drei Themen durch ein Starren nur auf das SDI-Programm aufgelöst wird. Uns liegt das eurostrategische Thema noch näher. Ein solches Interims-Abkommen, meine Damen und Herren, könnte zugleich eine zusätzliche politische Legitimierung für ein Gipfeltreffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow sein, das in den Bereich des Möglichen zu rücken scheint. Ich wage nicht zu hoffen, daß die Bundesregierung auf diesem Gebiet ausnahmsweise einmal die Initiative ergreift. Von der Aufgabe, treibende Kraft in der Entspannungspolitik zu sein, scheint sie sich verabschiedet zu haben. ({55}) Sollte sich aber Präsident Reagan zu einem solchen Angebot entschließen, werden wir deutschen Sozialdemokraten die ersten sein, ihn dafür zu preisen. Sollte ein solches Abkommen in Genf erreichbar sein, würde es für die politische Stabilität in der Welt sehr viel bedeuten, im Gegensatz zum SDIProgramm mit seinen technologischen, finanziellen, strategischen und politischen Ungewißheiten und Risiken. Schönen Dank. ({56})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Dregger.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst eine Vorbemerkung zu der Diskussion über das Freund-Feind-Erkennungssystem. In unseren Medien und auch in der Rede des Abgeordneten Ehmke wurde es berührt. Zunächst, Herr Kollege Ehmke, geht es hier nicht um die Frage Zweibahnstraße oder Einbahnstraße im Technologietransfer, ({0}) die für SDI von großer Bedeutung ist. ({1}) Hier geht es vielmehr um die Frage, ob ein bestimmtes deutsches System, das wir für besser halten, ({2}) das auch einige Amerikaner für besser halten, oder ein amerikanisches System ({3}) innerhalb der Allianz verwirklicht wird. Meine Damen und Herren, in einer Allianz kann sich keiner allein gegen alle anderen durchsetzen, auch wir nicht. ({4}) Im übrigen handelt es sich hier um einen alten Hut, der schon zehn Jahre alt ist und der schon von den Vorgängern von Manfred Wörner hätte abgelegt werden können. ({5}) Es ist Manfred Wörner zu danken, daß er einen letzten Versuch gemacht hat, unser deutsches System durchzusetzen. Die Erfolgschancen waren von vornherein gering, ({6}) weil die Übernahme des deutschen Systems zu ungeheuren Kosten geführt hätte, insbesondere bei unseren amerikanischen Verbündeten. ({7}) Meine Damen und Herren, die Vorwürfe an die Adresse des Verteidigungsministers ({8}) sind in der Sache unbegründet. Ich weise sie zurück. ({9})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Dregger, gestatten Sie, daß ich Sie unterbreche. - Ich bitte die Damen und Herren Abgeordneten, die stehen, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen.

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich weise, meine Damen und Herren, vor allem aber die unsachlichen, ({0}) die in der Form unwürdigen - das gilt insbesondere für den ersten Teil der Rede des Kollegen Ehmke - und die die Tatsachen zum nicht geringen Teil verfälschenden Angriffe gegen die Friedenspolitik der Bundesregierung, gegen die Friedenspolitik der Allianz und gegen die Weltrauminitiative des amerikanischen Präsidenten zurück, und zwar mit Nachdruck. ({1}) Die Regierungserklärung des Bundeskanzlers war kristallklar, ({2}) sie war differenziert, ({3}) sie hat keine Entscheidung vorweggenommen, ({4}) die nach dem Stand der Entwicklung heute noch nicht getroffen werden kann. ({5}) Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion unterstützt diese Regierungserklärung in all ihren Passagen. Wir machen sie uns zu eigen. ({6}) Herr Präsident, diejenigen, die heute gegen SDI protestieren, sind dieselben, die vorher gegen das Konzept der atomaren Abschreckung protestiert haben. Was wollen die Ostermarschierer, die GRÜNEN und ihr roter Anhang, zu dem auch Sozialdemokraten gehören, eigentlich? ({7}) Wer beides ablehnt, die atomare Abschreckung und die Suche nach einer Alternative, nach einem reinen Abwehrsystem, wählt die Unterwerfung. Und die wollen wir nicht. ({8}) Wir wollen Frieden und Sicherheit für beide Seiten, auch für uns, auch für Deutschland und Europa. ({9}) Meine Damen und Herren, Kriegsverhinderung, ({10}) Friedenssicherung, Freiheitssicherung sind unsere Aufgabe. Die Europäer haben nicht nur den Atomkrieg zu fürchten, nicht nur den Raketenkrieg. Wir haben hier inmitten Europas jeden Krieg zu fürchten. ({11}) Auf Dresden ist keine Atombombe gefallen. Diese herrliche Stadt großer alter Kultur ist durch herkömmliche Fliegerbomben vernichtet worden. Ihr Untergang war genauso schauerlich wie der Untergang von Hiroshima. ({12}) „Lieber rot als tot"? André Glucksmann, brillanter Kopf Frankreichs, Sohn deutscher Juden, richtet an die deutsche Friedensbewegung die Frage: „Was heißt das: Lieber rot als tot? Lieber Auschwitz als Hiroshima? ({13}) War Hiroshima schlimmer als Auschwitz?" ({14}) - Ich zitiere André Glucksmann, den Sie lesen sollten. Es ist sehr wichtig für Sie, daß Sie Ihr Wissen verbreitern. ({15}) Meine Damen und Herren, wir müssen Auschwitz verhindern, Hiroshima verhindern und Dresden verhindern. ({16}) Die atomare Abschreckung gegen einen wie auch immer gearteten kriegerischen Angriff auf die Bundesrepublik Deutschland und Westeuropa ist zur Zeit unverzichtbar. Die atomare Abschreckung ist zur Zeit unverzichtbar, da es dafür keine Alternative gibt. Solange das so ist, ist die atomare Abschreckung nicht nur politisch geboten, sondern auch moralisch gerechtfertigt, weil es nichts Moralischeres gibt, als den Frieden zu erhalten. ({17}) Aber es ist gewiß nicht weniger gerechtfertigt, nach einer Alternative zur atomaren Abschreckung zu suchen. Wie ist es jetzt? Die Strategie der atomaren Abschreckung verzichtet auf jede Abwehr von Angriffsraketen. Sie macht die Bevölkerung zur schutzlosen Geisel. Sie verläßt sich allein auf die Drohung mit dem Vergeltungsschlag nach der Maxime: Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter. ({18}) Wenn es gelänge, die Friedenssicherung nicht - wie zur Zeit - auf die Fähigkeit zur gegenseitigen Vernichtung zu gründen, sondern auf die beiderseitige Fähigkeit, sich vor Vernichtung zu schützen, dann wäre das doch ein großartiger Fortschritt für die ganze Menschheit. ({19}) Meine Damen und Herren der SPD, warum lehnen Sie das ab? ({20}) Sie finden dabei allein Unterstützung in Moskau, ({21}) nicht bei Ihren Wählern. ({22}) Wenn Sie eine Umfrage veranstalten mit der Frage „Was zieht ihr vor: atomare Angriffsraketen, die sich gegen Menschen richten, oder Abwehrraketen, die die Angriffsraketen auffangen?", dann wird sich auch die Masse Ihrer Anhänger für die Suche des amerikanischen Präsidenten nach einem Abwehrsystem entscheiden. ({23}) Herr Kollege Ehmke, erkennen Sie das nicht? Sind Sie schon so befangen, daß Sie sich nur noch an den Wünschen Moskaus orientieren? ({24}) Meine Damen und Herren, Sie sind völlig isoliert, schon heute. ({25}) Weder die französischen Sozialisten noch die italienischen Sozialisten, noch die konservativen Regierungen sind bereit, Ihre Position zu übernehmen. Sie können sich nur noch an Moskau und den GRÜNEN wärmen. Sie sollten sich daran nicht erkälten! ({26}) - Das regt Sie auf. Aber Sie sollten lieber nachdenken; das ist dringend notwendig. Sie denken zuwenig. ({27}) Meine Damen und Herren, ein Abwehrsystem gegen Angriffsraketen zu erforschen ist aber nicht nur moralisch gerechtfertigt, es ist auch politisch geboten. Es ist ihnen, auch den Damen und Herren der Opposition, in diesem Hause doch kürzlich nachgewiesen worden, daß die Sowjetunion vergleichbare Forschungen von Waffentechnologien zur Entwicklung eines umfassenden Raketenab9730 wehrsystems, boden- wie weltraumgestützt, seit mehr als einem Jahrzehnt betreibt. Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung auf die Tatsache hingewiesen, daß die Sowjetunion als einziges Land der Erde seit mehr als zehn Jahren über einsatzfähige Killersatelliten verfügt. Er hat ferner auf die Großradaranlage bei Krasnojarsk hingewiesen, die schon allein wegen der Wahl ihres Standorts gegen den ABM-Vertrag verstößt, meine Damen und Herren. Ich frage Sie: Warum protestieren Sie eigentlich immer nur gegen unseren Verbündeten, der uns schützt, und nicht gegen Vertragsverletzungen der Sowjetunion, die uns bedroht? ({28}) Stellen wir uns einmal vor, der Westen würde darauf verzichten, nach einem Raketenabwehrsystem zu suchen, die Sowjetunion aber, die noch nie auf etwas verzichtet hat, was ihre militärische Stärke erhöhen könnte, würde ein solches Raketenabwehrsystem allein erforschen und entwickeln. Die Sowjetunion hat uns noch nie vorher mitgeteilt, welche militärischen Systeme sie erforscht und entwickelt. Erinnern Sie sich doch an die SS-20. Von der erfuhren wir nicht, als die Forschungen in der Sowjetunion begannen, sondern erst, als sie aufgestellt wurden. ({29}) Stellen Sie sich einmal vor, die Sowjetunion würde uns genauso wie damals mit den SS-20 mit einem funktionierenden Raketenabwehrsystem überraschen. Was würde das für uns bedeuten? Zu der ungeheuren Überlegenheit der Sowjetunion an konventionellen Systemen, Panzern und Flugzeugen, zu der ungeheuren Überlegenheit der Sowjetunion an Angriffs-U-Booten, die im Konfliktfall die Verbindung zwischen den USA und Europa unterbrechen sollen, zu der ungeheuren Überlegenheit der Sowjetunion an Mittelstreckenangriffsraketen in Europa, zu ihrem zumindest vorhandenen Gleichgewicht an Interkontinentalraketen käme dann noch ein hohes Maß von Unverwundbarkeit für die Sowjetunion hinzu. Welche Folgen hätte das? Das müßte nicht zum Krieg führen. Aber es würde sicher zur militärischen Erpressung führen. Und die, die zuerst betroffen wären, wären die Europäer, insbesondere wir, die Deutschen, die an der Grenze von Ost und West zu leben haben. ({30}) Meine Damen und Herren der SPD, ich verfolge Ihr Abrücken von der Sicherheitspolitik Ihres früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt mit großer Sorge. ({31}) Ich bin bestürzt, daß Helmut Schmidt heute nur noch Vertreter einer Randgruppe in der SPD ist, ({32}) daß er im Parteiblatt seiner eigenen Partei geradezu höhnisch kommentiert wird. ({33}) Ich sage Ihnen, diese Diskussion werden Sie nicht durchhalten, weder im nationalen noch im internationalen Rahmen. Ihre Wähler werden Ihnen davonlaufen, wenn Sie gegen ein System angehen, das defensiv, das nichtatomar, das nicht gegen Menschen, sondern gegen Sachen, gegen anfliegende Angriffsraketen, gerichtet ist. ({34}) Die werden Ihnen davonlaufen. Und keine europäische Regierung wird Ihnen folgen. Sie sind isoliert, Herr Ehmke. Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. ({35}) Meine Damen und Herren der SPD, noch ist Zeit zur Umkehr. Ich frage Sie deshalb: Gibt es Werte, die für uns alle unverzichtbar sind? Glauben wir gemeinsam an das Recht des Menschen, frei zu sein? Und glauben wir an das Recht der Völker, über sich selbst zu bestimmen? Wenn wir diese Fragen gemeinsam bejahen - wovon ich ausgehe -, knüpft sich doch daran die zweite Frage: Wer bedroht eigentlich die Menschen-und Freiheitsrechte in Europa: die USA oder die Sowjetunion? ({36}) Daran knüpft sich die nächste Frage: Wer schützt denn die Grund- und Freiheitsrechte mit uns gemeinsam im Bündnis: die USA oder die Sowjetunion? ({37}) Diese Fragen beantworten sich doch selbst. Wenn es etwas gibt, wozu es in der gegenwärtigen Lage in Europa keine Alternative gibt - diese Formel wird viel zu häufig gebraucht, aber hier ist sie in der Tat gerechtfertigt -, dann ist es das deutsch-amerikanische Bündnis. ({38}) Wir bejahen dieses Bündnis nicht im Interesse der USA, sondern im Interesse Deutschlands und der Demokratie. ({39}) Wir lehnen es entschieden ab, so zu tun, als ob die USA und die Sowjetunion für uns austauschbare Größen wären. Diktatur und Demokratie sind nicht austauschbar. ({40}) Die USA sind wie wir eine Demokratie. Die Sowjetunion ist ein totalitärer Staat, eine Diktatur, der die Menschenrechte nicht dasselbe wie uns beDr. Dregger deuten; weder nach innen gegenüber den eigenen Bürgern - denken Sie an den Archipel GULag - noch nach außen - denken Sie an das Schicksal Afghanistans -. Wir werden es nicht mehr zulassen, daß die Sowjetunion in der öffentlichen Meinung unserer Republik verharmlost und die USA zunehmend kriminalisiert werden. ({41}) Ich fordere unsere freien Medien auf, die Wahrheit zu verbreiten und sich für die Erhaltung der Freiheit im freien Teil Deutschlands und Europas verantwortlich zu fühlen. ({42}) Ich wiederhole: Die Amerikaner suchen nach einer Alternative zur atomaren Abschreckung. Ob diese Alternative gefunden wird - der Bundeskanzler hat es eben betont -, kann heute noch niemand sagen. Das wird sich vielleicht nach fünf, vielleicht auch erst nach zehn Jahren angestrengter Forschungsarbeit herausstellen. Wird diese Alternative gefunden - was offen ist -, dann wird kein amerikanischer Präsident darauf verzichten, sie zu verwirklichen. Davon müssen wir ausgehen. Die Amerikaner werden damit einen technischen Schub einleiten, der nur mit dem Schub vergleichbar ist, der sich damals ereignete, als die NASA das Mondflugprogramm entwickelte. (Conradi ({43}) Davon werden Entwicklungen ausgehen, die die zivile Güterproduktion, die die Märkte der Zukunft revolutionieren werden. ({44}) Wir können nicht daran interessiert sein, daß wir nicht nur militärisch, sondern auch technisch voll von den USA abhängig werden. ({45}) Wir wollen gleichwertige Industrienationen bleiben. Ich habe gestern Herrn Simjanin erklärt, es könne auch nicht im Interesse der Sowjetunion liegen, daß eine solch einseitige Entwicklung stattfinde. ({46}) Die Amerikaner haben ihre Verbündeten eingeladen, sich an diesen Forschungsarbeiten zu beteiligen. Wollen wir uns davon selbst ausgrenzen? Ich sage aus zwei Gründen nein. Einmal: Die besonderen Interessen Europas, die sich aus seiner geographischen Nähe zur Sowjetunion ergeben, erzwingen unsere Teilnahme, damit diese besonderen europäischen, deutschen Interessen schon während der Forschung berücksichtigt werden. ({47}) Wir als Deutsche müssen vor allem Wert darauf legen, daß es Abwehrsysteme - weltraum- oder landgestützte - vor allem gegen Mittelstrecken- und Kurzstreckenraketen gibt. ({48}) Wenn wir diese Entwicklung beeinflussen wollen, müssen wir uns an der Forschung beteiligen. ({49}) Diese Interessen teilen wir mit den anderen europäischen Industrienationen. Ich bin sehr glücklich, Herr Bundeskanzler und Herr Bundesaußenminister, daß der französische Außenminister Dumas in einem Brief an Sie angeregt hat, die europäischen Nationen mögen sich nicht so verhalten wie die SPD - das hat er nicht ausdrücklich gesagt, aber das ergibt sich aus den abweichenden Haltungen -, sie mögen nicht in Resignation verfallen, sondern diese europäischen Interessen gemeinsam in ein Forschungsprogramm einbringen, das als Ideallösung ein transatlantisches Programm wäre. Ich will mir diese Formel aber noch nicht zu eigen machen, ({50}) weil es neben den technischen und Forschungsproblemen natürlich auch finanzielle Probleme gibt. Wenn man überlegt, daß die USA jetzt schon 80 Milliarden DM in diese Forschung investieren, muß man sagen, daß eine Beteiligung der Europäer selbst mit 10 % eine erhebliche Inanspruchnahme wäre. Es darf jedenfalls nicht passieren, daß sich nur einzelne Firmen aus Europa in Amerika beteiligen und daß es einen einseitigen Technologietransfer gibt. Da hat Herr Ehmke völlig recht: Wir stoßen da auf merkantile Interessen in den USA. Deswegen ist es gut, daß die Bundesregierung diese Frage nicht den Firmen überläßt, sondern sich ihrerseits in Gesprächen einschaltet. Meine Damen und Herren, ob und inwieweit wir Europäer, insbesondere wir Deutschen, uns an der militärischen Nutzung beteiligen, das kann erst entschieden werden, wenn die Forschungsergebnisse vorliegen. Solange nicht klar ist, ob und wie es geht, solange können wir nicht entscheiden, ob und wie wir uns beteiligen. Nicht alles ist vorweg zu klären. Die Nachkriegsjahrzehnte haben gezeigt, daß der revolutionäre Fortschritt in Wissenschaft und Forschung Entwicklungen ermöglicht, die alle Prognosen über den Haufen werfen. Was technisch möglich ist, werden die Forschungen zeigen, was politisch möglich ist, wird sich in Genf zeigen. Der Bundeskanzler hat mit Recht die Notwendigkeit hervorgehoben, daß die etwaige Umstellung von einem System von Angriffsraketen, wie wir es jetzt haben, auf Abwehrraketen zwischen den Weltmächten abgesprochen wird, und wir sind unseren amerikanischen Freun9732 den dankbar, daß sie sich dazu bereit erklärt haben. ({51}) Alle Gefahren der Instabilität müssen vermieden werden, und deswegen muß das in Absprache zwischen den Weltmächten geschehen. Meine Damen und Herren, SDI ist nur eine Vision, keine Realität, und niemand weiß, ob sie zur Realität wird. Realität sind die Offensivraketen. Die Weltmächte haben daher allen Anlaß, ihre Gespräche in Genf nicht auf SDI zu beschränken oder zu konzentrieren. Sie haben allen Anlaß, gemeinsam danach zu streben, die Zahl der Mittelstreckenraketen, die Zahl der Langstreckenraketen, die Zahl der Sprengköpfe auf der Grundlage des Gleichgewichts drastisch zu vermindern. In dieser Überzeugung und mit dieser Zielsetzung, Frieden und Sicherheit für alle, auch für uns Deutsche und Europäer, unterstützt die CDU/CSUBundestagsfraktion die Regierungserklärung des Bundeskanzlers und im Rahmen dieser Regierungserklärung auch die Weltrauminitiative des amerikanischen Präsidenten, für die wir insoweit die politische Mitverantwortung übernehmen, Herr Kollege Ehmke, mit dem amerikanischen Präsidenten, mit dem wir uns in der Wertegemeinschaft der freien Völker verbunden fühlen. ({52})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.

Torsten Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der auf dieser Seite des Hauses sicherlich allseits geschätzte Franz Josef Strauß hat gestern in der „Süddeutschen Zeitung" im Blick auf die heutige Diskussion hier im Parlament verlauten lassen, man möge doch, anstatt über ungelegte Eier zu gackern, lieber Nägel mit Köpfen machen. Der Bundeskanzler habe das Wort, hat er gesagt. ({0}) Der Herr Bundeskanzler hat in der Tat das Wort gehabt, aber es ist ihm offensichtlich auch das Gakkern schwergefallen. Nägel mit Köpfen haben andere gemacht, nämlich Norwegen, gestern, am gleichen Tag, an dem sich Herr Strauß in der „Süddeutschen Zeitung" geäußert hat. Norwegen hat nämlich als erstes europäisches NATO-Land ein klares Nein gesagt. ({1}) Offensichtlich geht der Trend in die Richtung, daß die Bundesrepublik Deutschland mit einem Ja zu SDI einen Weg geht, der nur verhängnisvoll sein kann. Der Herr Bundeskanzler hat vorhin über die Haltung der Bundesregierung gegenüber den amerikanischen Plänen zur Weltraumrüstung Bericht erstattet und dabei in einer Mischung von Unsicherheit, Illusionsaufbau und Leerformeln deutlich gemacht, daß er sich - wie schon auf der Wehrkundetagung in München - grundsätzlich dafür ausgesprochen hat, diesen Weg mitzugehen. Es geht der Bundesregierung also offenbar nur noch um das Wie und nicht mehr um das Ob einer Mitwirkung. Wenn dem nicht so wäre, hätte der Bundeskanzler zumindest einige Gefahren- und Problembereiche auf den Tisch legen müssen, die in der SDI für Europa im allgemeinen und für die Bundesrepublik im besonderen liegen könnten. Aber nicht einmal dieses ist geschehen. Statt dessen spricht er von verdienter gewissenhafter Prüfung dieses Projekts, von einer aufgeschlossenen Haltung, die wir ihm gegenüber an den Tag legen sollten, daß noch niemand beurteilen könne, wie die ganze Entwicklung weitergehe, daß, wenn es klappen würde, Reagan ein historischer Verdienst zugemessen werden könnte, ({2}) daß die SPD diese Sache pauschal ablehnen würde und daß man die ganze Sache doch nicht verteufeln solle. Herr Bundeskanzler, ich meine, wenn in einer solch wichtigen Frage Ihre innere Entscheidung schon gefallen ist, können Sie das doch klar und offen sagen und brauchen nicht auf Zeit zu spielen. ({3}) Dann können wir uns hier z. B. in diesem Hause konkreter mit einem Projekt auseinandersetzen, das für die Zukunft der Bundesrepublik und Europas richtungweisend ist, allerdings in eine Richtung, die für uns verhängnisvoll sein wird. So aber werden Illusionen und Hoffnungen gehegt und substantielle Fragen einfach aus der Diskussion draußengelassen. ({4}) Zur Frage der Verteufelung oder gar der Moralität, von der Herr Dregger gesprochen hat, muß ich folgendes sagen: Wenn hier heute der künftige Verteidigungsminister gesprochen hat, haben Sie damit bewiesen, daß Sie das geistige und weltanschauliche Rüstzeug mitbringen, um die Politik zu militarisieren. ({5}) Um bei der Moral zu bleiben: Gibt Ihnen denn die Moral eines Edward Teller, des Vaters der Wasserstoffbombe - wie man sagt - und eines der Hauptinitiatoren des Raketenabwehrprogramms, etwa nicht zu denken? Angesprochen ist die Frage, wie es denn einer westlichen Öffentlichkeit zu vermitteln sei, anfliegende gegnerische Sprengköpfe durch eine atomare Explosion kleinen Ausmaßes in ErdLange nähe auszuschalten, sagt Teller - ich darf ihn zitieren -: Was bedeutet ein minimaler und im übrigen unschädlicher Abfall im Vergleich zu dem vielhundertfachen, der die Folge eines Angriffs sein müßte? Er gibt zu, daß es enorm schwierig werden würde - ich zitiere ihn erneut - „der öffentlichen Meinung in Amerika, Europa und Japan die Anwendung von Atomsprengkraft zu Verteidigungszwecken beizubringen". Nun mögen Sie sagen, Teller sei kein politisch Verantwortlicher; aber er ist einer von jenen entscheidenden Leuten, die SDI entwickelt und auf Grund deren Beratung Präsident Reagan am 23. März 1983 in seiner berühmten Star-War-Rede den Zug in Richtung Weltraumrüstung hat abfahren lassen. Wenn Sie, Herr Bundeskanzler, kraft Amtes oder wegen einer inneren Nichtbeteiligung teuflisches Denken nicht teuflisch nennen mögen, dann bitte ich Sie, doch jene, die den Irrsinn beim Namen nennen, nicht abzuwerten. ({6}) Vielleicht " ist es aber auch so, daß Sie tatsächlich an die Illusion einer Höherwertigkeit der Moral von SDI glauben, weil sie den Anschein erweckt, man könne auf diese Weise eine nuklearfreie Welt schaffen, weil die Blocksysteme in der Lage wären, sich einen perfekten Schutzschirm zuzueignen. Herr Bundeskanzler, ob eine Rüstungsmaßnahme teuflisch ist oder nicht, moralisch gerechtfertigt ist oder nicht - darüber sollten alle im Haus sich eigentlich einig sein -, entscheidet sich einzig und allein an einem Kriterium: Machen wir damit einen Krieg wahrscheinlicher oder nicht, schaffen wir mehr Bedrohung und Instabilität oder nicht? Über diese Fragen gilt es sich zu unterhalten und nicht über gemessen an der Problematik Sekundäres wie technologischen Transfer, spin-offs und das irreführende Beharren darauf, es gehe ja nur um ein befristetes Forschungsprojekt. Im übrigen möchte ich in diesem Zusammenhang einmal die Frage stellen, ob man denn auf seiten der Regierungsparteien von Technologiefolgeabschätzung überhaupt noch nichts gehört hat. Wir wissen sehr wohl: Die USA haben die Forschung in Gang gesetzt, sie werden entwickeln und werden im Weltraum stationieren - unbeirrt und gemäß ihrer kaum verhohlenen Interessenlage. Wir erleben in Gestalt von SDI den stetig fortschreitenden Abschied von der Strategie der flexible response. ({7}) Ich möchte in diesem Zusammenhang einen der wohl interessantesten Denker und Strategen der US-Administration zitieren, nämlich Fred Charles Ikle, von 1973 bis 1976 unter Nixon und Ford Direktor des Rüstungskontroll- und Abrüstungsamtes, heute Staatssekretär unter Präsident Reagan. Ikle rückt mit seiner Kritik an der gültigen NATO-Strategie sogar in die Nähe der Argumentation der Friedensbewegung hier in Europa, wenn er meint, daß es peinlich würde, „die Konzepte für den Gebrauch nuklearer Waffen, falls die Abschreckung ihre Wirkung verfehlen sollte, auszusprechen ... Da stoßen wir auf das alte Problem, das die Theorie der Abschreckung so verteufelt: die Glaubwürdigkeit der Androhung eines irrationalen Aktes." Er folgert daraus, daß eine Nuklearstrategie für das 21. Jahrhundert entwickelt werden müsse, denn zur Entwicklung von Weltraumwaffen benötige man zehn Jahre. Seien sie aber einmal aufgestellt, so bestimmten sie auch die Lage und die Strategie für ein Vierteljahrhundert. Ich habe, was Sie nicht verwundern dürfte, überhaupt nichts dagegen, daß die angeblich so bewährte flexible response, die unsere eigene Vernichtung ja immer strategisch einkalkuliert hatte, so schnell wie möglich verabschiedet wird. Kommt an ihre Stelle aber eine Alternative, die Kriseninstabilität und Bedrohungssituationen schürt, so kann unsere Antwort hier nur ein klares Nein sein. Damit, meine Damen und Herren, komme ich zum Kern unserer Kritik an SDI. SDI ist keine Defensivmaßnahme, sie ist auch nicht primär als Antwort auf Weltraumaktivitäten der UdSSR gedacht. Nein, SDI steht in einem ganz anderen Zusammenhang, den ich - im Bewußtsein, daß auch die Planungen und Aktivitäten der Sowjetunion in eine ähnliche Richtung gehen - so umschreiben möchte: Die USA als Blockvormacht des Westens sind derzeit dabei, sich bis zum Ende der 90er Jahre die Fähigkeit zur nuklearen Kriegführung zuzueignen. Dies geschieht dadurch, daß parallel zu immer mehr Offensivsystemen auf der Erde nunmehr der Weltraum die Möglichkeit eröffnet, dem anderen die Vergeltungs- oder Zweitschlagsfähigkeit wegzunehmen. Diese Entwicklung entspricht genuin dem Stand der technologischen Entwicklung, der ökonomischen Interessenlage und dem ideologischen Denkansatz der derzeitigen US-Administration. ({8}) Lesen Sie bitte die Trendanalyse von Air/LandBattle 2000, einem Zukunftskonzept, das, wenn es nach den USA ginge, jetzt schon offizielle NATOStrategie wäre. Dort steht klar geschrieben, mit welcher Offensivstrategie man gedenkt, die weltweiten Interessengebiete der NATO zu erhalten beziehungsweise auszudehnen. Im Klartext: Wir erleben eine gigantische Militarisierung der Politik. Mit der Fähigkeit zum nuklearen Erstschlag soll der andere zum politischen Wohlverhalten gezwungen werden. Im Lichte dieser strategischen Veränderungen ist SDI zu sehen. ({9}) Ein weiterer Punkt sind die verheerenden Konsequenzen für die Rüstungskontrollpolitik. Aus unserer Sicht hat Genf ausschließlich Legitimationsund Befriedungsfunktion. Für die Strategie der entwaffnenden Erstschlagsfähigkeit benötigen die Vereinigten Staaten die Raketenabwehr, und deshalb wird SDI am Verhandlungstisch nicht zur Disposition gestellt werden. Nicht nur, daß dann das Wettrüsten im All begönne, sondern die Sowjetunion wird durch eine Erhöhung ihrer Raketenzahl versuchen, das amerikanische Raketenabwehrsystem zu „übersättigen". Damit fallen die in SALT I vereinbarten Höchstgrenzen für Trägersysteme ebenso wie die für die Sprengkopfzahl pro Rakete in SALT II. Weil SDI ohne Bruch des ABM-Vertrages nicht möglich ist, werden die Vereinigten Staaten auf der dritten Überprüfungskonferenz des ABM-Vertrages 1987 mit Hinweis auf nachzügliche sowjetische Entwicklungen den Vertrag modifizieren wollen, wenn nicht gar aussteigen. Über diese Konsequenzen sollte sich jeder hier im Saal im klaren sein. ({10}) Meine Damen und Herren, Technologie kann niemals Politik ersetzen. Wer für SDI ist und sie fördert, erliegt dem Wahn, Frieden ließe sich technisch herbeizaubern und man müsse sich erst gar nicht auf das unbequeme Geschäft einlassen, ihn politisch zu entwickeln. Technologie kann, darf nur Hilfsmittel sein, nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Gerade in dieser Zeit der von den USA betriebenen Konfrontationspolitik muß die Bundesrepublik einen Beitrag leisten, der nicht weitere Aufrüstung im Weltraum, sondern Abrüstung und Rüstungskontrolle auf der Erde ermöglicht. Zur Abrüstung könnten wir, wenn wir es einmal fertig brächten, nicht NATO-orientiert zu verharren, ebenso beitragen wie zur Rüstungskontrolle. In diesem Kontext machen wir uns den konstruktiven Vorschlag des schwedischen Forschungsinstituts SIPRI zu eigen und halten gleichzeitig an der Position fest, daß friedenspolitische Alternativen von unten, aus der Friedensbewegung wachsen müssen. ({11}) Die einzig wünschenswerte militärische Nutzung des Weltraums - so SIPRI - besteht in der Schaffung einer internationalen Satellitenorganisation zur Registrierung, Überprüfung und Veröffentlichung von Aktivitäten im Bereich von Rüstung und Abrüstung. Dadurch könnte das Daten- und Informationsmonopol der Supermächte und der Mißbrauch von Daten und Informationen zur Rechtfertigung von Aufrüstung gebrochen werden. Dieser Vorschlag ist bereits 1978 in Frankreich gemacht worden, jedoch am Einspruch vor allem der Supermächte aus politischen, ökologischen und technologischen Gründen bislang nicht durchsetzbar gewesen. ({12}) Deshalb schlagen wir vor: Wenn Abrüstung uns allen am Herzen liegt, ist es unbedingt erforderlich, daß die Diskussion über die Errichtung einer internationalen Behörde zur Satellitenüberwachung am Leben erhalten wird. Meine Damen und Herren, wir fordern die Bundesregierung wie auch die SPD-Opposition auf, über die Parteiengegensätze hinweg sofort entsprechend dem Vorbild Australiens und seit gestern Norwegens, die ebenfalls der amerikanischen SDI-Einladung ausgesetzt waren, ein klares Nein zu diesem Programm auszusprechen. Wir fordern sie weiter auf, unverzüglich auf allen politischen Ebenen im Sinne des SIPRI-Vorschlags einer blockübergreifenden Satellitenüberwachung aktiv zu werden. Auch die Naturwissenschaftler, die Friedensforschung und vor allem die Friedensbewegungen in Ost- und Westeuropa sind aufgefordert, die Konkretisierung dieses Vorschlags im Rahmen der Suche nach friedens- und abrüstungspolitischen Alternativen voranzutreiben. Herr Bundeskanzler, Sie haben zum Ende Ihrer Ausführungen gesagt: Wer heute nein sagt, wird das Risiko für das Bündnis nicht abwenden und die gegebenen Chancen nicht nutzen können. Wir sagen dagegen: Wer heute ja sagt, wird das Risiko für das Bündnis drastisch steigern und die gegebenen Chancen für echte Abrüstung nicht nutzen können. ({13}) Haben Sie, Herr Bundeskanzler, in einer solch entscheidenden Frage wie der der SDI die Kraft und endlich auch einmal den Mut, im Bündnis nein zu sagen! Wir jedenfalls haben die Hoffnung darauf nicht aufgegeben. ({14}) Danke schön. ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Forschungen der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetunion für weltraum- oder bodengestützte neue Defensivsysteme werfen Zukunftsfragen von grundlegender Bedeutung auf. ({0}) Die politischen und strategischen Fragen, um die es bei SDI und bei entsprechenden Anstrengungen der Sowjetunion geht, müssen in ihrem Zusammenhang betrachtet und in den Rahmen der West-OstBeziehungen und unserer Sicherheits- und Rüstungskontrollpolitik gestellt werden. Davon geht die Bundesregierung bei ihrer grundlegenden Stellungnahme aus, die der Bundessicherheitsrat am 27. März 1985 verabschiedet hat. Die Aufnahme der amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen in Genf am 12. März dieses Jahres schafft für das West-Ost-Verhältnis neue Möglichkeiten. Diese Verhandlungen eröffnen die Aussicht auf Verbesserung der Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion, so daß sich auch in Europa stabilere und dauerhaftere Beziehungen von großer Breite entwickeln können. Mit den Verhandlungen über die strategischen Waffen, über die Mittelstreckenwaffen und die Weltraumsysteme werden wesentliche Bereiche des Kräfteverhältnisses der Großmächte. der Sicherheitslage in Europa und künftiger übergreifender Entwicklungen miteinander verbunden. Das alles betrifft uns Europäer unmittelbar. Die Weltraumfragen, die Untersuchungen, ob neue technologische Entwicklungen defensiv genutzt werden können, bringen eine neue Dimension in das West-Ost-Verhältnis, in die Sicherheitspolitik und in die Abrüstungspolitik. Viele Fragen, die hierdurch aufgeworfen werden, sind heute noch nicht zu beantworten. Wir sollten uns deshalb vor vereinfachten und voreiligen Urteilen hüten. ({1}) Wir würden aber unsere Pflicht versäumen, wenn Europa sich selbst ein Verbot auferlegte, über neue Wege zu mehr strategischer Stabilität und zu besserer Kriegsverhinderung nachzudenken. Die Wirkung eines solchen Denkverbots müßte uns ins sicherheitspolitische Abseits führen. Wir müssen mit unseren Verbündeten Gedanken darüber entwikkeln, ob und wie neue technologische Entwicklungen zu größerer Sicherheit auch für uns beitragen können. ({2}) Die auf Kriegsverhinderung gerichtete Strategie des Bündnisses darf dabei auf keinen Fall in Frage gestellt werden. Solange es keine bessere Möglichkeit zur Kriegsverhinderung gibt als die Strategie der flexiblen Reaktion, so lange muß diese Strategie unverändert Gültigkeit behalten. Auch wenn man diese Strategie nicht als letzte Antwort auf die Frage nach dauerhafter Friedenssicherung betrachtet, hat sie sich jedenfalls als Instrument der Kriegsverhinderung bewährt. Meine Damen und Herren, eine Strategie, die Krieg verhindert, ist weder überholt noch unmoralisch. ({3}) Die Vereinbarung der USA und der Sowjetunion vom 8. Januar 1985, mit der die Aufnahme der Genfer Verhandlungen beschlossen wurde, ist ein Dokument von herausragender politischer Bedeutung. ({4}) Ein baldiges Treffen zwischen Präsident Reagan und Generalsekretär Gorbatschow ({5}) könnte zur Konkretisierung der vereinbarten Zielsetzung ebenso wie zur Förderung der politischen Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion beitragen. - Herr Kollege von den GRÜNEN - ich kenne Ihren Namen noch nicht -, wenn Sie zu einem Treffen Reagan/Gorbatschow sagen „Das hilft auch nicht", setzen wir dagegen die Erklärung: Wer nicht schießen will, muß verhandeln. ({6}) Ich denke, daß das das entscheidende Argument ist. Es besteht ein weitreichendes Einvernehmen nicht nur über das Thema, sondern auch über Substanz und Ziele der Verhandlungen: erstens die Begrenzung und Reduzierung der Atomwaffen, und zwar der strategischen und der Mittelstreckenwaffen. Wie lange haben wir darauf gewartet, daß es zu Verhandlungen über die Reduzierung der Mittelstreckenwaffen kommt! Jetzt sind sie in Gang gekommen. ({7}) Zweitens: die Verhinderung eines Wettrüstens im Weltraum und seine Beendigung auf der Erde; drittens: die Stärkung der strategischen Stabilität. Alle drei Verhandlungsziele entsprechen unseren eigenen deutschen und europäischen Sicherheitsinteressen. ({8}) Es wäre ein wichtiges Ergebnis der heutigen Debatte, wenn alle Fraktionen des Deutschen Bundestages ohne Einschränkung ja zu diesen Zielen der Genfer Verhandlungen sagen würden. ({9}) Meine Damen und Herren, strategische Stabilität ist der Schlüsselbegriff der amerikanisch-sowjetischen Vereinbarung vom 8. Januar. ({10}) Dieses Ziel macht die Verhandlungen nicht nur zu neuen, sondern auch zu neuartigen Verhandlungen. Es wird nicht nur über bestimmte Waffensysteme verhandelt, sondern auch - und hier liegt die große Chance in Genf - über ein Konzept dauerhafter Friedenssicherung. Das entspricht der Einsicht, daß verläßliche Sicherheit im Zeitalter der Nuklearwaffen nicht nur auf autonomen Entscheidungen der einen oder der anderen Seite beruhen kann, sondern daß auch sicherheitspolitische Kooperation notwendig ist. Das ist ein realistisches Konzept. Es ordnet sich in die Harmel-Konzeption des Bündnisses ein, die Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit mit der Bereitschaft zu Dialog und Zusammenarbeit verbindet. Dieses Konzept leugnet nicht die politischen Gegensätze zwischen West und Ost, es leugnet nicht die unterschiedlichen Wertordnungen, aber es basiert auf dem übereinstimmenden Interesse, daß wir gemeinsam das Risiko eines Krieges, und zwar eines jeden Krieges, eines atomaren und eines konventionellen Krieges, so weit wie möglich bannen müssen. Das setzt die Bereitschaft voraus, die legitimen Sicherheitsinteressen aller Beteiligten zu berücksichtigen. Aus der amerikanisch-sowjetischen Vereinbarung ergeben sich wichtige Schlußfolgerungen. In Genf muß gemeinsam definiert und konkretisiert werden, was strategische Stabilität ausmacht. Über die Rüstungskontrolle hinaus liegt hier die Chance, eine neue Grundlage für das West-Ost-Verhältnis als Ganzes zu finden. Die Europäer müssen dazu ihren Beitrag leisten, damit diese Chance genutzt wird. Diese verstärkte strategische Stabilität soll mit weniger Atomwaffen erreicht werden. Prioritäres Ziel der Genfer Verhandlungen muß die drastische Verminderung vorhandener Nuklearwaffen sein. Es geht um weniger interkontinentale und es geht um weniger Mittelstreckenwaffen. ({11}) Meine Damen und Herren, auch über die nuklearen Waffen geringerer Reichweite muß verhandelt werden. Auch sie, nicht nur die strategischen und nicht nur die Mittelstreckenwaffen, lassen den Völkern keine Überlebenschance. Es dürfen hier keine neuen Grauzonen entstehen. Hier sind elementare Fragen europäischer Sicherheit aufgeworfen. ({12}) Strategische Stabilität verlangt, daß alle Fragen, die die in Genf verhandelten Waffensysteme betreffen, in ihrem wechselseitigen Verhältnis erwogen und gelöst werden, so wie es die Erklärung vom 8. Januar 1985 vorsieht. Der sachliche Zusammenhang zwischen Offensiv- und Defensivwaffen wird ein Kernthema dieser Verhandlungen sein. Das kann aber nicht bedeuten, daß Teilvereinbarungen über die Begrenzung und Reduzierung von Nuklearwaffen aufgeschoben werden dürfen, bis eine umfassende Einigung möglich ist. ({13}) Strategische Stabilität kann es nur geben, wenn auch die Sicherheit der Bündnispartner der Vereinigten Staaten einbezogen wird. Die Sicherheit Europas ist kein regionales Problem. Das Bündnis ist eine politische und strategische Einheit, und das muß auch in Zukunft so bleiben. ({14}) Strategische Stabilität, meine Damen und Herren, setzt auch voraus, daß es ebenfalls zu einem Abbau der sowjetischen Überlegenheit im konventionellen Bereich kommt. Kriegsverhinderung bedeutet Verhinderung eines jeden Krieges, auch eines konventionellen. Ein Krieg in Europa, auch ohne Atomwaffen geführt, wäre heute tausendmal schrecklicher, als der Zweite Weltkrieg es gewesen ist. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schierholz?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Nein, ich möchte meinen Gedankengang fortführen, Herr Kollege. Strategische Stabilität ist nur auf der Grundlage der Gleichberechtigung möglich. Das bedeutet Gleichberechtigung zwischen beiden Großmächten, wie sie in der amerikanisch-sowjetischen Erklärung von 1972 vereinbart wurde, zusammen mit den Grundsätzen der Mäßigung, des Gewaltverzichts und der gegenseitigen Anerkennung der legitimen Sicherheitsinteressen. Das bedeutet aber auch gleiches Recht auf Sicherheit für alle mittleren und kleineren Staaten in Europa. Nur der Verzicht auf Überlegenheit auf beiden Seiten kann zu Stabilität und dauerhafter Festigung des Friedens führen. Das ist ein notwendiger Beitrag zur Vertrauensbildung, auf die sich die politische Verständigung zwischen West und Ost stützen muß. Die Lösung der Sicherheitsfragen muß in eine breite Strategie der Zusammenarbeit eingebettet werden, an der alle teilnehmen müssen, von der niemand ausgeschlossen werden darf. Alle, die Großen wie die Mittleren und die Kleinen, müssen sich um eine Verbesserung der West-Ost-Beziehungen bemühen. Damit können wir die Lösung der in Genf anstehenden Probleme erleichtern. Hier liegt die besondere Bedeutung des KSZE-Prozesses, der ein zentrales Instrument der West-Ost-Beziehungen bleiben muß. Auch die mittleren und kleineren Staaten, die in schwierigen Zeiten geholfen haben, das Netzwerk der internationalen Beziehungen aufrechtzuerhalten, müssen hier ihren Beitrag leisten. Das gilt für den Ausbau der politischen Beziehungen, das gilt für die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit sowie bei der Lösung der humanitären Fragen. Den beiden deutschen Staaten fällt dabei eine besondere Verantwortung zu, zu der sich Bundeskanzler Kohl und Generalsekretär Honecker am 12. März 1985 in Moskau erneut bekannt haben. Meine Damen und Herren, wir müssen uns in dieser schwierigen Diskussion über Weltraumfragen und neue Defensivsysteme davor hüten, emotional zu diskutieren. Es ist unbestreitbar - auch das muß gesagt werden, wenn von der Militarisierung des Weltraums gesprochen wird -, daß der Weltraum schon heute militärisch genutzt wird. Beobachtungssatelliten der einen wie der anderen Seite, die beiden Seiten Informationen über das verschaffen, was auf der anderen Seite vorgeht, dienen der strategischen Stabilität. Sie sind unentbehrlich für die Nachprüfbarkeit von Rüstungskontrollvereinbarungen. Ihr Schutz liegt im allseitigen Interesse. Es ist auch eine Realitiät, daß beide Großmächte Forschungen über neuartige Defensivsysteme durchführen. Die amerikanischen Forschungen sind nach dem ABM-Vertrag zulässig und angesichts der seit Jahren laufenden sowjetischen Anstrengungen auch gerechtfertigt. Es wird noch lange Zeit dauern, bis verläßliche Antworten auf die zahlreichen und schwierigen strategischen und technologischen Fragen, die das amerikanische Programm aufwirft, verfügbar sind. Frankreich und die anderen europäischen Staaten sehen das nicht anders als wir. Der britische Außenminister hat in seiner bemerkenswerten Rede vom 15. März 1985 Fragen aufgeworfen, die für uns alle in Europa gleiche Bedeutung haben und die besonnener Erörterung und verantwortungsvolBundesminister Genscher ler Beantwortung bedürfen. Auch die Diskussion in den Vereinigten Staaten beweist, daß Möglichkeiten und Wirkungen neuer Defensivsysteme heute noch nicht eindeutig beurteilt werden können. ({0}) Auch deshalb besteht zum jetzigen Zeitpunkt weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeit zu einer abschließenden Antwort zu neuen Defensivsystemen. Geboten ist unsere Antwort zu dem technologischen Aspekt. Dabei müssen wir uns vor der Fehleinschätzung hüten, daß der technologische Aspekt das zentrale Problem sei, daß sich für uns aus SDI ergibt. ({1}) Dennoch bleibt richtig, daß schon angesichts der Höhe der von den USA vorgesehenen Haushaltsmittel die Forschungsphase von SDI ohne Rücksicht auf die Ergebnisse zu einem bedeutenden Technologieschub führen wird. Die für SDI relevanten Technologien haben Schlüsselbedeutung für alle Zukunftsentwicklungen. Die Notwendigkeit einer engen, entschlossenen und kraftvollen europäischen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Technologie ist nie dringlicher gewesen als jetzt. Deshalb müssen die Europäer auf technologischem Gebiet ihre Kräfte bündeln, insbesondere auch durch eine wirkungsvolle Koordinierung ihrer staatlichen und privaten Forschungspotentiale. Wir sind uns mit Frankreich darüber einig, daß der deutsch-französischen Zusammenarbeit auch dabei eine richtungweisende Aufgabe zukommt. ({2}) Die französische Regierung hat uns in diesen Tagen eine gemeinsame Initiative für die Zusammenarbeit in den hochtechnologischen Bereichen auf europäischer Ebene vorgeschlagen, die allen interessierten Staaten offen sein soll. Wir wollen diese große europäische Chance gemeinsam mit Frankreich Wirklichkeit werden lassen. Wir wollen ein Europa der Technologie, das mehr ist als Subunternehmer oder Lizenznehmer; ({3}) kurz: Wir wollen ein Europa, das gleichberechtigt und gleichwertig mit den Vereinigten Staaten und Japan zusammenarbeiten kann. Die technologischen Konsequenzen des SDI-Programms haben offensichtlich vielen bei uns erst zum Bewußtsein gebracht, was längst vorher existierte, nämlich die technologische Herausforderung, vor der Europa steht, mit oder ohne SDI, meine Damen und Herren. ({4}) Eine dauerhafte fruchtbare Zusammenarbeit zwischen ungleichen Partnern ist kaum möglich. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte bis in die jüngsten Tage hinein haben die Schwierigkeiten eines gleichgewichtigen technologischen Austauschs über den Atlantik hinweg deutlich gemacht. ({5}) Meine Damen und Herren, auch die Einladung zur Teilnahme an der SDI-Forschung verlangt eine Antwort, die wir mit unseren wichtigsten europäischen Verbündeten gemeinsam geben müssen. ({6}) Hast, Panik oder Resignation sind ebenso unangebracht wie unkoordinierte Reaktionen der Europäer. Die Europäer müssen ihre Interessen, Bedürfnisse und Ziele definieren und dann gemeinsam sprechen und handeln. Die Voraussetzungen für eine Mitwirkung an dem Forschungsprogramm hat der Bundeskanzler heute noch einmal genannt. Wir Europäer müssen darauf achten, daß wir nicht verlieren, was wir selbst brauchen, oder - um es deutlicher auszudrücken -: Es würde europäischen Interessen schaden, wenn europäische Forscher und Forschungsergebnisse, wenn Kapital und Unternehmen von dem amerikanischen Programm direkt angezogen würden, ohne daß die Regierungen Technologietransfer und Einwirkungsmöglichkeiten sichergestellt haben. ({7}) Die Bedeutung des europäischen Pfeilers im Bündnis, die Auswirkungen auf das West-Ost-Verhältnis und auf die Rüstungskontrolle und die technologische Kooperation der Europäer machen für uns engstes Zusammenwirken mit Frankreich und anderen europäischen Partnern zu einer politischen Notwendigkeit. Ein Alleingang, in welche Richtung immer, müßte schwerwiegende Folgen für unsere eigenen Interessen haben. Das gilt natürlich auch, meine Damen und Herren, für einen Alleingang beim Nein. ({8}) Meine Damen und Herren, die Einladung zur Teilnahme am SDI-Programm bezieht sich auf die Forschung. Nach dem ABM-Vertrag ist zwischen der Erforschung und der Entwicklung neuer Technologien zu diesem Thema zu unterscheiden. ({9}) - Zur „Theorie" möchte ich Ihnen sagen: NATOGeneralsekretär Lord Carrington hat zu Recht betont, daß zwischen SDI-Forschung und -Entwicklung eine Brandmauer - wie er es genannt hat - errichtet werden müsse. ({10}) In der Tat: Es darf weder eine Automatik geben noch fließende Übergänge, die zu Phasen der Instabilität führen könnten. Zu Recht hat die britische Regierung darauf hingewiesen, daß weder die technische Entwicklung noch voreilige Versuche, diese technologische Entwicklung vorherzusagen, politische Entscheidungen ausschließen dürfen. Die Vereinigten Staaten haben erklärt, daß sie einen eventuellen Übergang zu neuen defensiven Systemen in kooperativen Lösungen mit der Sowjetunion durch9738 zuführen wünschen, wie es dem ABM-Vertrag entspricht. Solange solche Übereinkünfte nicht erzielt sind, ist es als ein Stabilitätsbeitrag in der vor uns liegenden Phase notwendig, den ABM-Vertrag zu bekräftigen und strikt einzuhalten. Ortsinspektionen zur Beseitigung von Zweifeln an der Einhaltung des ABM-Vertrags wären ein großer Fortschritt. ({11}) Genauso wichtig ist es, daß wir zur Vermeidung von Instabilität die sowjetische Führung davon überzeugen, daß es uns mit dem Ziel ernst ist, strategische Stabilität mit wesentlich weniger Atomwaffen zu schaffen. ({12}) - Wenn Sié Abrüstung für einen Beitrag zur Instabilität halten, dann trennen uns Welten. ({13}) Wir sind der Meinung, daß Abrüstung bei den Offensivwaffen ein wichtiger Beitrag zur Stabilität ist. ({14}) Meine Damen und Herren, es sind verschiedene Möglichkeiten künftiger kooperativer Lösungen denkbar, Lösungen, die dem Wechselverhältnis zwischen offensiven und defensiven Waffensystemen und den Erfordernissen strategischer Stabilität Rechnung tragen. ({15}) Die Feststellung des Bundeskanzlers, daß eine drastische Verringerung von nuklearen Offensivwaffen Notwendigkeit und Umfang erforderlicher Defensivsysteme im Weltraum beeinflussen könnte, unterstreicht die Wechselbeziehung zwischen Offensiv- und Defensivwaffen. Wer diesen Zusammenhang bestreiten will, verkennt Inhalt und Bedeutung dessen, was die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion am 8. Januar vereinbart haben. Meine Damen und Herren, wenn es richtig ist - ich bin davon überzeugt -, daß die Strategische Verteidigungsinitiative das Interesse der Sowjetunion an der Rückkehr zum Verhandlungstisch erhöht hat, dann ist es auch richtig, daß wir SDI rüstungskontrollpolitisch nutzen müssen. Zu Recht hat auch die amerikanische Regierung im Zusammenhang mit diesem Programm von kooperativer, gerechter und nachprüfbarer Rüstungskontrolle gesprochen. Sie hat deshalb einschneidende Reduzierungen der strategischen Waffen vorgeschlagen. Wegen der Wechselbeziehung wäre die Bereitschaft der Sowjetunion, sich schnell über eine Reduzierung der Nuklearraketen zu verständigen, ein wichtiger Beitrag zum Erfolg der Genfer Verhandlungen insgesamt. Wir erwarten bei den Genfer Verhandlungen die ernsthafte Suche nach gemeinsamen Lösungen, Lösungen, die durch umfassende Zusammenarbeit zu dauerhafter Friedenssicherung mit weniger Waffen führen. Wir wissen, wie schwierig das ist, und wir warnen deshalb auch vor überzogenen Erwartungen auf rasche Erfolge. Aber es ist unbestreitbar: Wir müssen die Chance nutzen zu wirklicher Abrüstung und zu noch wirksamerer Kriegsverhinderung. Wir müssen die Chance nutzen zu umfassender Zusammenarbeit zwischen West und Ost. Darum geht es, meine Damen und Herren, und nicht um vorschnelle Urteile. Es geht letztlich darum, mit einem neuen, umfassenden Entwurf für die kooperative Gestaltung des West-Ost-Verhältnisses stabilen und dauerhaften Frieden zu schaffen. ({16}) Das kann man nur durch Verhandlungen. Das kann man nicht durch Verweigerung von Verhandlungen. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt.

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Dregger hat klar und eindeutig ja zum SDI-Programm gesagt. Wenn Bundesaußenminister Genscher seine eigenen Prinzipien für die Genfer Verhandlungen und seine Bedenken ernst nimmt, dann muß er nein zur Einführung von SDI-Systemen sagen. ({0}) Das ist nicht der einzige Widerspruch, der innerhalb der Regierungskoalition zu diesem Thema in den letzten Wochen zu hören war. ({1}) Aber es ist spürbar für jeden, der zuhört, daß Bundesaußenminister Genscher mit seinen Bedenken näher bei den Sorgen der Opposition ist als beim Hurra-Patriotismus von Alfred Dregger. ({2}) Allerdings möchte ich Ihnen, Herr Genscher, auch sagen, daß Sie sich selber etwas vormachen und der deutschen Bevölkerung Sand in die Augen streuen, wenn Sie die Illusion verbreiten, als könnte heute und in den nächsten Wochen über die Beteiligung an einem Forschungsprogramm entschieden werden, und als sei die Frage der Entscheidung über Entwicklung und Tests völlig davon abzukoppeln. ({3}) Diese Brandmauer zwischen beiden ({4}) Voigt ({5}) besteht tatsächlich nicht. Die Geschichte aller Rüstungsprogramme lehrt, daß nach dem erfolgreichen Abschluß eines Forschungsprogramms Tests und Einführung selten zu verhindern waren. ({6}) Die Position Präsident Reagans, das SDI-Konzept nicht wegverhandeln zu lassen, muß im übrigen auf Grund seiner bisherigen Äußerungen außer Zweifel stehen. ({7}) Wenn Helmut Kohl und auch Sie, Herr Genscher, deshalb sagen, Sie wollten ein Wettrüsten im Weltall verhindern, dann können Sie nicht gleichzeitig zum Konzept des amerikanischen Präsidenten ja sagen. ({8}) Ich habe hier den Eindruck, daß insbesondere der Bundeskanzler, wie beim Schlesier-Treffen so auch beim SDI-Konzept erst zur Teilnahme ja sagt und sich anschließend erkundigt, unter welchem Motto er eingeladen wurde. ({9}) Präsident Reagan verwendet zur Begründung für sein Weltraumrüstungsprogramm, für sein SDIProgramm, Begriffe, die der Friedensbewegung entliehen sind. Die Forderung nach einem zwischen Ost und West zu vereinbarenden Übergang zu einer neuen Militärstrategie des wechselseitigen gesicherten Überlebens an Stelle des bisher geltenden Begriffs von der wechselseitigen Zerstörung lehnt sich an die Terminologie der Sicherheitspartnerschaft und an den Begriff der gemeinsamen Sicherheit an. Wir aber stellen die Frage: Ist das nur ein neues Etikett auf alten Flaschen, oder hat die Reagan-Administration hier in völliger Abkehr von ihrer bisherigen Politik eine Wende vollzogen, eine Wende in bezug auf ihre Ostpolitik und in bezug auf ihre Politik gegenüber der Sowjetunion? ({10}) Die Erklärung Paul Nitzes, daß er dafür sei, die Einführung neuer Waffentechnologien vom Ergebnis von Rüstungskontrollverhandlungen abhängig zu machen, bewerte ich positiv. Diese Erklärung widerspricht aber nicht nur diametral dem rüstungskontrollpolitischen Konzept, mit dem Reagan 1980 angetreten ist, sondern sie widerspricht auch der erklärten Absicht des amerikanischen Präsidenten, auf keinen Fall auf die Einführung von SDISystemen zu verzichten. Ich möchte die deklarierten Zielsetzungen der SDI-Initiative mit den voraussehbaren abweichenden und zum Teil gegenteiligen praktischen Wirkungen konfrontieren. Dies ist um so mehr geboten, als die moralischen, militär-strategischen und rüstungskontrollpolitischen Ziele und Begriffe, mit denen Reagan sein SDI-Konzept begründet, prinzipiell den Argumenten widersprechen, mit denen für die Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenwaffen in Europa geworben wurde. ({11}) Das SDI-Konzept stellt die flexible response, die flexible Reaktion, in Frage. Auch wenn Bundesaußenminister und Bundeskanzler sagen, sie solle weiter gelten, ist sie mit dem SDI-Konzept nicht zu vereinbaren. Man sollte sich hier doch nicht etwas vorlügen. ({12}) Das SDI-Konzept stellt sowohl die militärische Durchführbarkeit als auch die moralische Legitimation eines selektiven Einsatzes von Nuklearwaffen in Frage. Die SPD ist nun selber für eine Reform der flexiblen Reaktion, allerdings in einem ganz anderen Sinne, als Präsident Reagan sie vorschlägt. Ich frage aber die Bundesregierung, wie sie den Fortgang der Stationierung neuer amerikanischer Mittelstreckenwaffen legitimieren und begründen will, wenn sie gleichzeitig für ein Konzept eintritt, ({13}) daß logisch genau das Gegenteil dessen zum Inhalt hat. ({14}) Es bleibt das Ziel der SPD, die Abschreckung zwischen Ost und West in einem langfristigen Prozeß durch eine qualitative Änderung des Macht- und Systemkonflikts zu überwinden. Das Konzept der Sicherheitspartnerschaft kann - im Gegensatz zum SDI-Programm - auf dieses Ziel auch tatsächlich hinführen, weil es versucht, die militärische Abschreckung durch sicherheits- und abrüstungspolitische Vereinbarungen schrittweise zu ergänzen und schließlich zu ersetzen. Die gegenwärtige Abschreckung kann durch Reform der Militärstrategie und neue Waffentechnologien stabilisiert oder destabilisiert, kostspieliger oder billiger, vorrangig mit konventionellen oder mit nuklearen Waffen reformiert, aber sie kann durch eine Reform von Militärstrategien nie überwunden werden. Sie kann nur politisch, nicht durch die Einführung neuer Waffentechnologien überwunden werden. ({15}) Das ist unser zentraler Konflikt mit dem Grundansatz des SDI-Konzepts. Wer das System der Abschreckung überwinden will, braucht den politischen Gegner zwar nicht zu lieben - das tun wir auch nicht -, aber er muß zumindest versuchen, ihn in seinen Motiven zu verstehen. Wir Sozialdemokraten sind Gegner des Marxismus-Leninismus. Aber wer in der Sowjet9740 Voigt ({16}) union das Reich des Bösen sieht, ist zur Überwindung der Abschreckung politisch nicht in der Lage. ({17}) Die Vorstellung, man könne das System wechselseitiger Abschreckung durch die Einführung neuer Waffentechnologien überwinden, ist ({18}) eine technizistische Illusion. Versöhnung kann nicht durch Technik erzwungen, Feindschaft nicht durch Technik überwunden werden. ({19}) Mephisto verlieh Faust übermenschliche Fähigkeiten, aber er verlor seine Seele, seine Humanitas. Nur wenn der Mensch seine eigenen technologischen Fähigkeiten begrenzt, wird er auf Dauer überleben können. Die amerikanische „New Frontier"-Ideologie des 18. und 19. Jahrhunderts ist keine Lösung für das Problem des Wettrüstens, sondern sie führt uns geradezu in zusätzliche Probleme, ja, in neue Risiken hinein. Wir halten am Ziel der Abschaffung von Nuklearwaffen fest. Aber wir halten es für einen Irrglauben, diesem Ziel durch die Einführung neuer Waffentechnologien näherzukommen. ({20}) Ich sage voraus: Die Verwirklichung des SDI-Programms wird nicht zur Abschaffung der Nuklearwaffen, wohl aber zur Einführung qualitativ neuer Waffensysteme führen. ({21}) Bundeskanzler Kohl hat versprochen, den Frieden mit immer weniger Waffen zu wahren. Gehalten hat er sein Versprechen bisher nicht. Aber nur wer zynisch oder naiv ist, kann gleichzeitig ja zur Entwicklung dieser neuen Waffentechnologien sagen und behaupten, er brächte uns dem Frieden mit immer weniger Waffen näher. Sowohl zynische als auch naive Politiker schaden dem deutschen Volk. ({22}) Ich achte diejenigen, die ein anderes Konzept als ich vertreten. Aber ich verachte diejenigen, deren Verhalten in Überlebensfragen unseres Volkes sich vorwiegend von taktischen Überlegungen bestimmen läßt. ({23}) In Überlebensfragen darf man sich nicht durchmauscheln. ({24}) Sosehr ich mich in dieser Frage in der Sache von der Äußerung des Herrn Dregger unterscheide, muß ich sagen: Er hat klar Stellung bezogen. Herr Bundesaußenminister, Sie stehen in Ihren Bedenken uns näher als Herrn Dregger. Aber sagen Sie es auch deutlich und versuchen Sie nicht, sich durchzumauscheln. ({25}) Die Differenz zwischen Ihnen und uns ist nicht die Beurteilung der bisherigen sowjetischen Forschungsprogramme oder die Kritik an bestimmten sowjetischen Argumentationen. Wir haben selber immer gesagt, daß die Vereinbarung von Moratorien bei der Forschung nicht zu verifizieren ist. Übrigens hat die Sowjetunion so etwas früher selber abgelehnt. Deshalb sind wir auch gegen den sowjetischen Vorschlag, soweit er ein Forschungsmoratorium betrifft. Wir sind es nicht, weil wir nicht der Meinung sind, daß Forschung vom Westen einseitig gestoppt werden sollte oder verlangsamt werden könnte. Aber es läßt sich kein Abkommen darüber schließen. Das ist rüstungskontrollpolitisch logisch. Aber die USA und die Sowjetunion sollten so bald wie möglich in den Genfer Verhandlungen ein Moratorium für den Test und die Einführung von Antisatellitenwaffen vereinbaren. Und sie sollten vereinbaren, daß sie auf jeden Fall am ABM-Vertrag festhalten - wie in der Logik eigentlich auch Herr Genscher gesagt hat. Falls die Sowjetunion moralisch gegen Defensivwaffen argumentiert, wäre das angesichts ihrer bisherigen Rüstungsprogramme ebenfalls unglaubwürdig. Auch das ist etwas, womit wir uns auseinandersetzen. Wir haben uns mit dem SDI-Programm bereits auseinandergesetzt, als es dieses unter dieser Bezeichnung noch nicht gab, nämlich 1979 auf unserem Berliner Parteitag. Wir haben die frühzeitige Verhandlung über diese Waffen und deren Ächtung gefordert, lange bevor dies von einer der beiden nuklearen Weltmächte in die Diskussion gebracht worden ist. ({26}) Wir halten an unserer damals bezogenen Position fest. Bundeskanzler Kohl, wenn Sie den Begriff der vorbeugenden Rüstungskontrolle nicht als Instrument der vorbeugenden Augenwischerei mißbrauchen, ({27}) dann müssen Sie sagen, daß Sie daran festhalten, daß ein Ziel der Genfer Verhandlungen sein muß, auf jeden Fall auf die Einführung von SDI-Systemen zu verzichten. Wenn das Ihre Analyse der westeuropäischen Interessen ist, dann müssen Sie zumindest in diesem Punkt dem amerikanischen Präsidenten widersprechen. Wenn man sich überhaupt gegenüber dem amerikanischen Bündnispartner im Rahmen des westlichen Bündnisses mit seinen Argumenten behaupten kann, dann nehmen Sie sich in diesem Fall ein Beispiel an Helmut Schmidt ({28}) Voigt ({29}) und sagen Sie frühzeitig, was Sache ist, und sagen Sie, was Ihre Wahrnehmung deutscher Interessen ist und was Ihre Wahrnehmung europäischer Interessen ist. Aber fahren Sie nicht nach Frankreich und sagen Sie nicht den Franzosen, daß Sie mit ihnen übereinstimmen. Sagen Sie nicht zum Außenminister Howe, daß Sie mit ihm übereinstimmen. Und sagen Sie nicht anschließend Präsident Reagan, daß Sie auch mit ihm übereinstimmen. Und benutzen Sie nicht auch noch Argumente oder Begriffe der deutschen Friedensbewegung. Alles zugleich geht nicht. Das ist unglaubwürdig. Das ist entweder naiv oder lügnerisch. Und beides ist nicht zu verantworten. Vielen Dank. ({30})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}).

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Voigt, ich darf zunächst eine Klarstellung vornehmen. Sie haben davon gesprochen, der Bundesaußenminister stehe der Opposition näher als Herrn Dregger. Ich darf feststellen: Der Herr Bundesaußenminister steht mit dem Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland der Position unserer europäischen Verbündeten näher als Sie. Ich möchte das vorwegschicken. ({0}) - Lieber Herr Ehmke, wir wollen jetzt nicht in die Untersuchung eintreten, wer wem näher steht und wer sich möglicherweise weiter entfernt hat. Ich glaube, das Thema ist dazu zu ernst. ({1}) Wir sollten solche Polemik nach Möglichkeit vermeiden. ({2}) - Sie werden sicher mit Spannung auf meine Rede warten. Sie werden mein Nachschieben gleich noch hören können. ({3}) - Bevor Sie, meine neuen Herren von den GRÜNEN, hier überhaupt Fuß gefaßt haben, sollten Sie mit Vorurteilen außerordentlich vorsichtig sein. Wir haben ja heute morgen von Ihnen schon einige Vorurteile geboten bekommen. Was Palaver betrifft, da habe ich von Ihrer Seite ja in den letzten Monaten einiges gehört. Vor allen Dingen ist der Mangel an Sachkenntnis, der uns auffällt, wenn Sie zu solchen Themen der Außenpolitik sprechen, ja auch schon bei Ihnen hinlänglich kritisiert worden. Die Diskussion über das anstehende Thema, die heute morgen geführt worden ist, hat in der Bundesrepublik bisher, das hat Herr Dregger zu Beginn seiner Rede gesagt - unter einer Fülle von Widersprüchen und Unklarheiten gelitten. Der Eindruck, daß sehr viele Leute über Dinge reden, von denen sie wenig verstehen, hat sich in der letzten Zeit gerade mit Blick auf diejenigen, die bedingungslos für dieses neue Waffensystem oder die bedingungslos gegen dieses System eingetreten sind, verstärkt. Ich habe allerdings den Eindruck, daß das nicht daran liegt, daß wir uns nicht informieren wollten. Vielmehr sind wir leider Gottes - das ist natürlich ein Vorwurf, den ich auch an die transatlantische Seite richte - bisher eben nicht in dem Umfang informiert worden, der es uns möglich gemacht hätte, Entscheidungen zu treffen. Wenn Herr Bertram uns in der heutigen „Zeit" den Vorwurf macht, wir hätten viel zu lange gewartet, wir müßten endlich zu einer Entscheidung kommen - die nach Bertram nein heißen muß -, dann übersieht Herr Bertram, daß zwar der Präsident der Vereinigten Staaten vor zwei Jahren eine Rede gehalten hat, in der er Ankündigungen gemacht hat, daß aber die Entwicklung, die zu dieser Debatte heute geführt hat, erst sehr jung ist, daß wir überhaupt noch keine Möglichkeit hatten - auch nicht in Dallas, wo wir zusammen waren, Herr Ehmke und Herr Rühe, auch nicht in Washington -, uns ausreichend zu informieren. Es fehlt eine Fülle von Informationen. Insofern, glaube ich, wäre es ganz schlecht, wenn wir heute bereits Entscheidungen träfen - sei es Nein oder Ja -, ohne überhaupt Einzelheiten zu kennen, Bedingungen geklärt zu haben und auch mit unseren Bündnispartnern in Europa abgesprochen zu haben. Das ist keine Entscheidungsfähigkeit, sondern das ist angesichts dieser unter Umständen revolutionären neuen technischen Entwicklung dringend geboten. ({4}) Wir lassen uns bei unserer Entscheidung im Deutschen Bundestag weder von schwäbischen noch bayerischen Technologiefreaks drängen, die glauben, ohne eine deutsche Beteiligung erleide unsere Grundlagenforschung einen Rückschlag - bei aller Erkenntnis, daß hier sehr wesentliche technologische Entwicklungen im Raum stehen, die wir zu beachten haben. Wir lassen uns aber auch nicht von den Parolen solcher Verweigerer beeindrucken, denen jedes Argument recht ist, die Politik der Vereinigten Staaten zu denunzieren und Katastrophenalarm zu erzeugen. ({5}) Wir lassen uns auch nicht von der massiven Propaganda der östlichen Seite einschüchtern, die auf eine neue Störung des Verhältnisses zwischen Europa und den Vereinigten Staaten abzielt. Dabei wissen wir - das hat selbst Herr Voigt in seinen zwölf Thesen herausgestellt, die ich gestern mit großem Interesse gelesen habe -, daß die Sowjets dabei sind, solche Forschungen zu betreiben. Das können wir nicht einfach vom Tisch wischen, indem wir den Amerikanern verwehren wollen, gleiche Forschungen zu betreiben. Wer in dieser Frage blindlings zu einem übereilten Ja oder Nein rät, handelt verantwortungslos. Niemand sonst.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Schäfer, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bei der kurzen Zeit, die mir die Regierung gelassen hat, ist es eigentlich unverantwortlich. Aber ich tue es trotzdem. Bitte schön.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Kollege Schäfer, Sie sagen selbst, daß in Dallas für Sie einiges noch neu gewesen ist. Wie ist denn dann Ihrer Meinung nach die Bevölkerung über diese revolutionäre Entwicklung, die Sie möglicherweise sehen, bisher aufgeklärt? Meinen Sie nicht, daß es etwas leichtfertig ist, in diesem Zusammenhang von Verweigerern zu sprechen?

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich spreche nicht von der Bevölkerung als den Verweigerern, sondern ich spreche von bestimmten Elementen in unserer Bevölkerung, die sich grundsätzlich allem verweigern, was jenseits des Atlantiks geschieht. ({0}) Ich meine, es ist die Aufgabe des Deutschen Bundestages, dazu beizutragen, daß unsere Bevölkerung überhaupt Urteile fällen kann, bevor sie von bestimmten Meinungsmachern gesagt bekommt, was gut und was falsch ist. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir alle noch einen ganz großen Nachholbedarf zu der Frage haben, was eigentlich unter deutscher Beteiligung zu verstehen ist. Ich meine, solange uns hier nicht klar gesagt wird, was darunter zu verstehen ist, können wir hier gar keine Entscheidungen treffen. Ich bitte, das auch den ungeduldigen Herren in Bayern immer wieder ganz deutlich zu machen. Bei allen Gesprächen, die wir in den Vereinigten Staaten geführt haben, ist es nicht klar geworden, was - im Augenblick zumindest - unter Beteiligung zu verstehen ist. Das können sehr verschiedene Dinge sein. Mir und auch meinen Kollegen von der SPD und der CDU ist, als wir jetzt drüben waren, in Gesprächen ausdrücklich gesagt worden, Kosten kämen nicht auf uns zu; aber es gab natürlich auch Anmerkungen in den Diskussionen in Dallas, die darauf hinausliefen zu sagen: Die Europäer tun nicht genug im konventionellen Bereich. Das könnte der Umweg zu späteren Kostenforderungen sein. Das muß man natürlich erwägen. Man muß auch wissen, ob sich General Abrahamson damit einverstanden erklärt zu sagen: Ich möchte nur europäischen Sachverstand mit einbeziehen, europäische Wissenschaftler-Teams haben -, oder ob Beteiligung mehr heißt. Ich glaube, alle diese Fragen müssen mit den Vereinigten Staaten noch besprochen werden, und hier sind wir längst noch nicht am Ende. Mir erscheint ganz wesentlich, was Bundesaußenminister Genscher nochmals klar gesagt hat: Wir sollten nicht auf eine rein bilaterale Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten in einer so wichtigen Entwicklung setzen, sondern wir müssen diese Entscheidung gemeinsam mit den europäischen Partnern treffen, die auch technologisch gerüstet sind und die mit uns ein Interesse haben müssen, daß wir neue technische Entwicklungen nicht allein den Amerikanern überlassen können. Herr Voigt, bei allem Verständnis für die eine oder andere Ihrer Thesen, mit denen ich teilweise sogar übereinstimme - vieles ist da sehr klug und logisch formuliert, und ich würde sie nicht als verantwortungslos bezeichnen, wobei ich mich von einigen Kollegen hier unterscheide -, muß ich Ihnen sagen: Sie begehen einen Fehler - auch der Redner der GRÜNEN hat das getan -, Sie glauben, durch ein deutsches Nein könnten Sie Wesentliches verändern. Ich glaube, das ist der entscheidende Denkfehler. Uns ist klar geworden, daß die Vereinigten Staaten dieses Forschungsprogramm nicht zuletzt mit der Begründung machen werden: Die Sowjetunion tut es, und wir können nicht abwarten, bis die zu Ergebnissen kommen und wir solche Ergebnisse dann nicht haben werden. Das wäre ja dann supremacy auf Seiten der Sowjetunion. Es ist uns auch klar geworden, daß im Kongreß wahrscheinlich eine viel größere Bereitschaft besteht, zu diesem Forschungsprogramm als etwa zu weiteren MX-Raketen ja zu sagen. Das müssen wir in unsere Betrachtungen einbeziehen. Da nützt es nichts, wenn wir uns heute zu einem Nein entschließen, das uns jedwede Möglichkeit eines Einflusses nimmt und das meiner Ansicht nach für Europa in jeder Hinsicht ganz gefährliche Konsequenzen hätte. Das heißt nicht, daß, wenn wir zu einem konditionierten Ja kommen werden, nach Absprache mit den Verbündeten, zwangsläufig die Folge sein wird, daß dieses Forschungssystem - auch das wird von Ihnen nur behauptet, aber nicht bewiesen - zwangsläufig auch zu Tests und zu der Aufstellung dieses Systems und damit praktisch zur Aufhebung des ABM-Vertrages führen muß, was die Folge wäre. Wir müssen auch wissen, ob Herr Iklé recht hat, daß hiermit eine neue Epoche der Strategie mit möglicherweise ganz gewaltigen politischen Veränderungen beginnt, oder ob General Abrahamson recht hat, der sagt: Im Grunde genommen geht es hier nur um die Forsetzung bereits begonnener Forschungen. Hier kommen Entwicklungen auf uns zu, die so schwierig und für die europäische Sicherheit von so fundamentaler Bedeutung sind, daß wir nicht heute schon sagen können: Wir sind bereit, uneingeschränkt mitzuwirken. Erst recht können wir nicht sagen: Wenn wir mit den europäischen Verbündeten zum Forschungsprogramm und zu einer wie auch immer aussehenden Beteiligung ja sagen werden, sagen wir auch zur Stationierung eines solchen Systems ja. Hier sind große Zweifel erlaubt. Wer heute morgen den Präsidenten der Heisenberg-Gesellschaft, Professor Dürr, im Deutschlandfunk gehört oder wer heute Bertram gelesen hat, weiß, daß gerade für die europäische Sicherheit ganz erhebliche Bedenken bleiben werden. Wir werden mit diesem System keine Marschflugkörper beseitigen können, wir werden nukleare Gefechtsfeldwaffen nicht beseitigen können. Das sind fundamentale Fragen für uns, und die müssen wir unseren Partnern über dem Atlantik stellen. Komme mir keiner, der sagt, unsere Zweifel Schäfer ({2}) führten zu einer fürchterlichen Entwicklung, zu einer neuen Krise im Bündnis! ({3}) Ich meine, wir haben das Recht und die Pflicht, für Klarheit zu sorgen, mit unseren Verbündeten den Dialog noch weiterzuführen. Wir sind hier nicht im Deutschen Bundestag angetreten, um alles, was uns von heute auf morgen an Neuem vorgeschlagen wird, zu akzeptieren. Ich glaube, das ist unsere Verpflichtung als Deutscher Bundestag. Auch die Bundesregierung wird in dieser Weise ihre Politik fortsetzen, die wir unterstützen. Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Graf Huyn.

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schäfer, ich habe manche Ihrer Worte doch mit einiger Überraschung gehört. Ich möchte Sie daran erinnern, daf3 Sie mit uns eine Resolution eingebracht haben, in der es heißt: „eine grundsätzlich wünschenswerte deutsche Forschungsbeteiligung". - Von dem habe ich zu meiner Überraschung hier nichts mehr gehört. Wir jedenfalls teilen die Haltung, wie sie der Bundeskanzler und unser Fraktionsvorsitzender hier deutlich gemacht haben, nämlich daß die Ziele der Strategischen Verteidigungsinitiative unseren Vorstellungen entsprechen, die ausschließlich auf dem Prinzip der Verteidigung beruhen. Ich bejahe daher aus politischen Gründen grundsätzlich und uneingeschränkt das Forschungsprogramm und unsere Beteiligung hieran. ({0}) Dieses Forschungsvorhaben ist legitim und strategisch notwendig. Es ist die Reaktion auf den Mißbrauch, den die Sowjetunion in der Vergangenheit mit dem Willen des Westens getrieben hat, zur Entspannung zu gelangen. Der amerikanische Verteidigungsstaatssekretär Iklé, den Sie zitiert haben, hat in diesen Tagen in „Foreign Affairs" noch einmal überzeugend dargetan: Die Sowjetunion hat sich nicht an die Gleichgewichtsvorstellungen gehalten, die Voraussetzung einer wirklichen Entspannung, die diesen Namen verdient, sind. Die Sowjetunion hat diese Vorstellungen nie akzeptiert. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat in einem am 1. Februar dieses Jahres veröffentlichten Bericht an den amerikanischen Kongreß eindrucksvoll die Gründe dargelegt, aus denen sich die Vertragsuntreue der Sowjetunion ergibt. Das reicht von der Einrichtung der Radaranlage in Krasnojarsk bis zu destabilisierenden Arbeiten an ABM-Systemen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?

Hans Huyn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000987, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, angesichts der kurzen Zeit leider nicht. Die Strategische Verteidigungsinitiative ist der Versuch einer amerikanischen Antwort darauf, nämlich eine strategische Verteidigungsantwort. Reagan hat am 23. Februar 1983 - es ist eigentlich bestürzend, daß wir Europäer hier erst nach zwei Jahren eine einigermaßen klare Antwort geben - erklärt, es sei besser, Menschenleben zu retten, als Menschenleben zu rächen. Dies war eine säkulare Rede, die den Sprung in ein neues Zeitalter deutlich gemacht hat. ({0}) In den Vereinigten Staaten gibt es eine Aufbruchsstimmung, während wir in Europa leider Wenn und Aber und auch Gezänk zu verzeichnen haben. ({1}) Die Strategische Verteidigungsinitiative wird auch gerade mit dieser neuen Dimension den Bestrebungen unserer christlichen Kirchen gerecht. Papst Johannes Paul II. hat 1982 gesagt - ich zitiere wörtlich -: ({2}) Unter den gegenwärtigen Bedingungen kann eine auf dem Gleichgewicht beruhende Abschreckung natürlich nicht als ein Ziel an sich, sondern als ein Abschnitt auf dem Weg einer fortschreitenden Abrüstung noch für moralisch annehmbar gehalten werden. Im Herbst 1983 hat der Rat der EKD erklärt: Das System nuklearer Abschreckung und die Steigerung der Rüstungspotentiale dürfen nicht unser aller Zukunft beherrschen. ({3}) Es gilt den Stellenwert der nuklearen Abschreckung schrittweise zu mindern. So weit der Rat der EKD. Genau dies ist es, was die Strategische Verteidigungsinitiative des amerikanischen Präsidenten versucht: diesen christlichen Postulaten näherzukommen. Daher ist es mir völlig unverständlich, Herr Ehmke, wie inkonsequent und destruktiv die Haltung Ihrer Partei hier ist. ({4}) Sie haben erstens sich gegen den NATO-Doppelbeschluß gewandt und damit gegen die nukleare Strategie. Sie haben zweitens auf Ihrem letzten Parteitag gefordert, die Verteidigungsausgaben einzufrieren. Damit sind Sie gegen eine konventionelle Verteidigungsfähigkeit. Nun machen Sie auch noch gegen den antinuklearen Schutzschirm Front. ({5}) Welche Verteidigung billigen Sie denn unserem Land und dem freien Westen überhaupt noch zu? ({6}) Sie haben den Rogers-Plan abgelehnt; die Friedensstärke der Bundeswehr ist Ihnen zu hoch. ({7}) All dies, meine Damen und Herren, sind die gleichen Forderungen, die Sie aus Moskau hören, ({8}) und Ihr wütender Antiamerikanismus ist das allerdeutlichste hieran. ({9}) Die „Neue Zürcher Zeitung" hat gerade vor wenigen Tagen geschrieben, daß Sie über den „red star wars", den roten Krieg der Sterne, überhaupt nichts sagen. ({10}) Herr von Bülow, Sie haben erklärt, das Unternehmen der Amerikaner sei Wahnsinn, und der Vorsitzende der SPD-Fraktion verdächtigt die Amerikaner, sie behandelten uns wie Vasallen. ({11}) Meine Damen und Herren, hier sind Sie überhaupt nicht mehr bündnisfähig. In der Sowjetunion arbeiten 10 000 Wissenschaftler an über sechs Systemen. Angesichts dieser Tatsache bedeutet das natürlich, daß das amerikanische Forschungsprogramm in Genf überhaupt nicht verhandlungsfähig ist. Herr Ehmke, wenn Sie hier den Bundeskanzler zitiert haben, er habe erklärt, eine Verringerung könne diese Systeme „überflüssig machen", so kann ich nur sagen: In der Rede des Bundeskanzlers steht, eine drastische Verringerung von Offensivwaffen könnte Notwendigkeit und Umfang der SDI „beeinflussen". Das ist ein Unterschied, denn überflüssig machen, Herr Ehmke, könnte es selbstverständlich nur im Fall einer absoluten Null-Lösung bei Interkontinental- und Mittelstreckenraketen. ({12}) Daß die nicht gerade sehr wahrscheinlich ist, das wissen wir leider alle. ({13}) Es ist notwendig, die sowjetische Bedrohung genau darzustellen. Wir hoffen, daß dies auch im neuen Weißbuch der Bundesregierung geschieht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, in Genf geht es, so hat es auch Iklé festgestellt, in erster Linie um den Abbau der Angriffswaffen. Dies ist die entscheidende Voraussetzung dafür, zu einer gemeinsamen Änderung der Strategie zu gelangen. Verweigert sich allerdings die Sowjetunion diesem Abbau der Angriffspotentiale, so muß sie mit der Aussicht konfrontiert bleiben, daß ihre Offensivraketen im Weltraum stumpf werden. Bisher gibt es jedenfalls keinerlei Anzeichen für eine Kooperationsbereitschaft Moskaus, denn die Sowjetunion versucht mit allen Mitteln der Desinformation und der Beeinflussung, diese Verteidigungsinitiative, diesen Schutzschirm als einen „Krieg der Sterne" oder „Militarisierung des Weltraumes" zu diffamieren. ({14}) Dies sind die Desinformationsbegriffe aus dem Wörterbuch Moskaus, und sie zielen darauf, uns in Europa von den Vereinigten Staaten abzukoppeln. Deshalb darf es nicht weiter geschehen, daß wir hier eine Vielstimmigkeit in unserem Lager haben, sondern jetzt muß das klare politische Ja mit Leben erfüllt werden. ({15}) Natürlich muß die Einheit des Bündnisses gewahrt werden. Wir wollen natürlich auch den Technologietransfer. Allerdings muß auch sichergestellt werden, daß dieser Transfer dann nicht weitergeht, d. h. die COCOM-Vorschriften müssen entsprechend streng angewandt und notfalls verschärft werden. Meine Damen und Herren, natürlich bin ich auch für europäische Gemeinsamkeit und europäische Zusammenarbeit. Dies darf aber nicht zu einer Bremse oder gar einer Verhinderung der notwendigen Zusammenarbeit werden. Die ,,Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat gestern erklärt, bei dem Tempo, das Europa in solche Fällen vorzulegen pflege, sei dies „wenig mehr als eine zum Zeitgewinn bestimmte Leerformel". Dies darf es nicht sein. Ich fasse daher zusammen. Die Leitsätze unseres Handelns müssen sein: Unsere Beteiligung am Forschungsprogramm SDI ({16}) bietet Aussichten für eine Alternative zur nuklearen Abschreckung, ist Voraussetzung für die Wahrung der politischen und strategischen Einheit des Bündnisses, ist last not least eine unverzichtbare Voraussetzung, um an entscheidenden technischwissenschaftlichen Entwicklungen teilzuhaben, von denen die Bundesrepublik Deutschland abhängt. Mit dem Ja zu dieser Verteidigungsinitiative tun wir daher einen bedeutenden Schritt für das künftige Wohlergehen unseres Volkes und zur Sicherung unserer Freiheit in Frieden. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wimmer. ({0})

Willy Wimmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Klejdzinski, Sie werden das noch alles zu hören kriegen. Wimmer ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben ja aus den bisherigen Darstellungen und Erklärungen der Opposition hier entnehmen können, daß Begriffe wie „Militarisierung des Weltraums", „Rüstungswettlauf im Weltraum", „Krieg der Sterne" nur darüber hinwegtäuschen, daß Forschung zur Weltraumverteidigung und die deutsche politische Unterstützung derselben, die sich nach dem Stand der Dinge noch nicht in Beteiligung äußern kann, ein politisches, ein moralisches und ein militärstrategisches Gebot der Stunde sind. ({1}) Unsere Strategie der Abschreckung ist moralisch legitimiert, weil sie den Frieden bewahrt. Und wir müssen alles tun, was sicherstellt, daß nicht aus Anstrengungen unserer Gegner oder aus eigener Schwäche Nachteile für die Politik der Abschrekkung entstehen, weil dann in der Tat Probleme der moralischen Legitimation entstehen würden. Wir müssen deshalb alles tun, um die Politik der Abschreckung auch effektiv zu stärken, damit wir in die Lage versetzt werden, mit der gleichen Legitimation auch Überlegungen anzustellen, zu anderen Formen der strategischen und konventionellen Verteidigung zu kommen, die ebenfalls moralisch legitimiert sind. Deshalb ist die Politik der Bundesregierung in hohem Maße moralisch legitimiert. ({2}) Es ist des weiteren ein politisches Gebot der Stunde, weil unser Hauptverbündeter aus unserem Interesse heraus bereit ist, gerade diese moralischen Aspekte in den Mittelpunkt seiner Sicherheitspolitik zu stellen. ({3}) Es ist drittens ein militärstrategisches Gebot, weil die Sicherheit der NATO, der USA und beider deutscher Staaten von dem Ausgleich gegenüber der wachsenden militärischen und sicherheitspolitischen Bedrohung durch die UdSSR abhängt. Die Realpolitik der Verhandlungen und des gegenseitigen Interessenausgleichs mit der Sowjetunion wird gerade von dieser Bundesregierung nicht in Zweifel gezogen. Die Bereitschaft, über die Fährverbindung Memel-Lübeck zu verhandeln, stellt dies aktuell unter Beweis. Der militärische Druck der Sowjetunion gerade durch deren Weltraumprogramme aus überlegener Position gegenüber der USA bedeutet aber das Ende als freier und echter Verhandlungspartner. Das muß mit allem Nachdruck festgestellt werden. Unsere Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten bedeutet daher Unterstützung der Weltraumforschungsinitiative, damit auf dem militärischen Gebiet der östliche Vorsprung nicht noch größer wird ({4}) und der Osten keine Erstschlagskapazität erreichen kann. ({5}) Nur wenn dies der Sowjetunion gegenüber deutlich gemacht wird, hat Abrüstung der Nuklearwaffen in Genf und darüber hinaus eine Chance. Aber worin liegt die sowjetische Überlegenheit in der Weltraumforschung und -verteidigung? Erstens. Nur die Sowjetunion verfügt über einsatzfähige und häufig getestete Angriffssatelliten. Das Satellitenbekämpfungsprogramm wurde häufig auch im Weltraum über der Bundesrepublik Deutschland getestet. Zweitens. Nur die Sowjetunion hat eine Satellitenabwehr zum Schutz der Zivilbevölkerung um Moskau. Dieses System ist ausbaufähig und wird weiter ausgebaut. ({6}) Drittens. Nur die Sowjetunion hat mindestens zwei große phasengesteuerte Radaranlagen auf ihrem Territorium aufgebaut, die die wichtigste Voraussetzung für ein flächendeckendes Raketenabwehrsystem darstellen. Dieses System kann viele kleinste Ziele gleichzeitig erkennen und automatisch verfolgen. ({7}) Viertens. Nur die Sowjetunion verfügt über 18 gewaltige Versuchsfelder für Strahlenwaffen, ({8}) deren Kapazität heute bereits ({9}) als für eine Verteidigung gegen Raketen im Weltraum ausreichend eingeschätzt wird. - Wenn Sie sagen, daß wir die alle gezählt haben, dann stimmt das für den Verteidigungsausschuß. Ich würde mich sehr freuen, wenn die UdSSR die Welt über ihre eigenen Aktivitäten so unterrichten würde, wie die Vereinigten Staaten es für ihre eigenen und eingestandenermaßen hinsichtlich der Aktivitäten der UdSSR tun. ({10}) - Die kriegen wir von denen auch! Sie sollten einmal in den Verteidigungsausschuß kommen. ({11}) Fünftens. Nur die Sowjetunion hat kontinuierlich daran gearbeitet, das Prinzip der gegenseitigen Verwundbarkeit durch ein intensives Schutzbauprogramm für Führungspersonal, für die sogenannte Nomenklatura, zu unterlaufen. Für rund 180 000 Personen dieser „Nomenklatura" sind atombombensichere Bunker um Moskau und andere Städte der UdSSR gebaut worden. ({12}) Über die Programme mit militärischen Sonderbedrohungen hinaus hat die Sowjetunion die westliche Sicherheit durch immense Sonderrüstungen im Sinne eines Anschlages auf den Wert der Westlichen Verteidigungssysteme überhaupt unterminiert. Eine zentrale Entscheidung, dies zu stoppen, Wimmer ({13}) hat der Deutsche Bundestag vor anderthalb Jahren vollzogen. ({14}) Zu diesen sowjetischen Anstrengungen gehören: erstens die Vermehrung der strategischen Raketen und die Härtung der einzelnen Angriffsraketensilos gegen westliche Angriffe. Hier muß festgehalten werden, daß die Gesamtzahl der sowjetischen strategischen Raketen 2 700 - gegenüber 1 900 westlichen - beträgt. Zweitens: Der Aufbau eines Systems der Ortung strategischer U-Boote des Westens aus dem Weltraum heraus. Die USA können sich der Unverwundbarkeit ihres und unseres wichtigsten Teils der Triade der Abschreckung nicht mehr sicher sein. Geortete U-Boote können überraschend zerstört werden. Drittens: Das Testen neuer Raketen - und wir unterhalten uns heute über die SS-24 und -25 hoffentlich mit einer nachhaltigeren Intensität als über die SS-20 - entgegen den Beschränkungen in SALT II. Die Reihe der militärischen Anstrengungen der UdSSR ließe sich durch die Seerüstungs- und Stützpunktpolitik in Asien, Afrika und Mittelamerika fortsetzen. Angesichts dieser Bedrohungslage ist es dringend geboten, daß die USA ein Signal setzen, das das Bedrohungssystem der UdSSR als aussichtslos qualifiziert. Dieses Signal für den gesamten Westen ist das Forschungsprogramm zur Weltraumverteidigung. Es liegt auch im deutschen nationalen Interesse. Eine Beteiligung daran unter den Bedingungen, die heute morgen der Herr Bundeskanzler, der Bundesaußenminister und in hervorragender Weise unser Fraktionsvorsitzender formuliert haben, trägt einer großen Tradition gerade der Deutschen, die mit Namen von Weltrang, mit Weltraumforschern wie Junkers, Eugen Sänger und Wernher von Braun verbunden ist, Rechnung. Die deutschen Wissenschaftler sind weiterhin zu Spitzenleistungen konzeptioneller und technischer Art fähig. Die Chance dazu darf im Interesse unserer Freiheit und Sicherheit nicht vertan werden. Ich bedanke mich. ({15})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Am Schluß der heutigen Debatte möchte ich feststellen, daß es grundlegende Differenzen zwischen Herrn Dregger und Herrn Genscher gab und daß Welten zwischen den Äußerungen von Herrn Schäfer und von Herrn Huyn lagen. ({0}) Der Kanzler hat versucht, die Meinungsunterschiede innerhalb seiner Koalition durch mehrdeutige Erklärungen zu überbrücken; er hat Rauchsignale in verschiedene Richtungen abgegeben. Verschiedene Meinungen in dieser Frage sind legitim. Diese Art von Unterschiedlichkeit innerhalb der Koalition ist aber Ausdruck von Handlungsunfähigkeit und wird es unmöglich machen, konsequent und eindeutig unsere Interessen innerhalb Westeuropas und gegenüber den USA zu vertreten. ({1}) Dies stelle ich am Schluß der heutigen Debatte als erstes fest. Zweitens möchte ich feststellen, daß Vertreter der CDU/CSU unter Verwendung von Begriffen aus der Friedensbewegung, ({2}) z. B. der Unterscheidung zwischen defensiven und offensiven Waffen, versuchen, eine neue Rüstungsrunde im Bereich des Weltraums, beim SDI-Programm, zu legitimieren. Ich halte eine solche moralische Unterscheidung zwischen defensiven und offensiven Waffen, wenn sie nicht eingebettet ist in die Analyse eines Gesamtkonzepts der Verteidigungspolitik, der Doktrinen, der Strategien und der politischen Intentionen, für unsauber und unsachlich. Ich meine, daß wir in den vergangenen Jahren eine solche Art der Unterscheidung gemeinsam zurückgewiesen haben. Es scheint jetzt einigen Leuten in den Kram zu passen, hier die Begriffe der Friedensbewegung zu verwenden, allerdings zu einem völlig anderen Zweck. Ich halte das für moralisch verwerflich. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben heute vormittag eine im wesentlichen sachliche Debatte geführt. Wir sind uns alle bewußt, daß wir uns auf einem Feld bewegen, auf dem noch viele - wie ich hoffe: sachliche - Debatten folgen werden. Wer jetzt, Herr Kollege Voigt, den Versuch unternimmt, in einer vereinfachenden Zusammenfassung schwerwiegende Fragen auf einen simplifizierenden Nenner zu bringen, der wird der Bedeutung dieser Debatte nicht gerecht. ({0}) Wir haben heute auf jede Polemik verzichtet. Das Thema ist zu ernst, als daß wir es in Polemik zerfleddern lassen. Wir könnten eine Menge zu den unterschiedlichen Auffassungen in der Sozialdemokratischen Partei sagen. Ich muß Ihnen sagen: Es ist schon eine verwunderliche Erscheinung, wenn ich etwa feststellen muß, daß diejenigen, die in der Nachrüstungsdebatte mit der Ablehnung der Strategie der Abschreckung auch die Nachrüstung ablehnten, heute geradezu zu Gralshütern der StrateBundesminister Genscher gie der Abschreckung werden wollen, um damit Argumente gegen SDI zu finden. ({1}) So einfach dürfen wir es uns in dieser Debatte nicht machen. Der Bundeskanzler hat eine Regierungserklärung abgegeben, und ich habe meine Ausführungen dazu gemacht. Die Regierung vertritt eine verantwortliche Politik, und sie stützt sich dabei auf die Fraktionen der Regierungskoalition. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Professor Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich verstehe natürlich das Bemühen des Bundesaußenministers, nicht in einen zu direkten Widerspruch - jedenfalls hier in der Debatte - zur CSU zu kommen. Herr Kollege Genscher, gestatten Sie mir drei Feststellungen. Erstens bin ich mit Ihnen der Meinung, daß das Thema zu ernst ist, um zu polemisieren. Leider hat sich der Bundeskanzler an diesen Ratschlag heute morgen nicht gehalten. ({0}) Zweitens will ich sagen: Wenn hier ein CSU-Vertreter wie Graf Huyn zu einem FDP-Vertreter wie Herrn Schäfer sagt, das, was er sage, sei unvereinbar mit der beschlossenen Politik, dann machen Sie eine komische Figur, Herr Genscher, wenn Sie hinterher hingehen und behaupten, die beiden hätten dasselbe gesagt. Das ist nicht Diplomatie, das ist - um keinen unparlamentarischen Ausdruck zu gebrauchen - Rumkriecherei. Das hat keinen Zweck. ({1}) Herr Dregger hat wieder die rechte Fahne getragen; darauf ist er ja auch geeicht. Er hat gesagt: Wir tragen das ganze SDI-Programm mit. ({2}) Der Bundeskanzler hat gesagt - darin war er sehr viel klüger als Sie, aber er muß j a in diesem Gemischtwarenladen der Koalition vermitteln -: Wir lassen alles offen, wir müssen noch prüfen. Sie sollten also nicht kommen und sagen, Sie hätten eine Meinung. Nun weiß ich ja: Das gibt es in Koalitionen. Ich bin da nicht so empfindlich. Ich sage nur: Meine Sorge ist - ich habe das in Dallas erlebt; das ist heute dasselbe Spiel -, daß Sie in Westeuropa überhaupt nichts beeinflussen werden, wenn sie diese billige Tour machen, die einen machen es für die Rechten, die anderen für die Linken, und die anderen versuchen, in der Mitte herumzuschweben, wie es dem Kanzler besonders liegt. ({3}) Lassen Sie mich noch eines sagen. Herr Außenminister, ich habe natürlich dieses Argument schon auf dem Lande gehört, daß man sagt: Erst waren sie gegen Offensivwaffen, und jetzt sind sie gegen Defensivwaffen. ({4}) Draußen erlaube ich das, Herr Außenminister, Ihnen aber nicht, da ich j a an Ihrer unpolemischen Art gemerkt habe, wie sehr Sie unsere Sorgen teilen. Nein, das eigentliche Problem ist, daß die Amerikaner selbst nicht mehr behaupten, es würden Offensivwaffen durch Defensivwaffen ersetzt. Das behauptet keiner in Amerika. Es soll vielmehr eine Mischung geben. Unsere Meinung ist: Das führt zum Wettrüsten und macht die Verhandlungschancen kaputt. Es entspricht doch auch Ihrer Überzeugung, daß es diese Gefahr gibt. ({5}) Von daher würde ich bitten, dies nicht mit einer so billigen Polemik abzutun: „Die sind gegen alles!" Wir sind nicht gegen alles, ({6}) aber wir sind gegen ein Mitlaufen mit einem amerikanischen Programm, wenn schon eine erste Prüfung große Zweifel aufwerfen muß. Ich zitiere hier den britischen konservativen Außenminister, der die Frage gestellt hat, ob dieses Programm wirklich im westeuropäischen Interesse liegt. Lassen Sie die Sprüche, und lassen Sie die Meinung, Sie müßten immer mit dem Hut in der Hand im Weißen Haus herumstehen, um ein Werbefoto zu kriegen. Sagen Sie endlich einmal, was unsere eigenen Interessen sind! Das wird dann auch dem Bündnis dienen! ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lange.

Torsten Lange (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001284, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, diese Debatte hat gezeigt, daß die Situation völlig klar ist. Die CSU sagt: Ja, sofort; so schnell es geht. - Die CDU sagt: Ja. - Die FDP sagt: Ja, aber ... - Die Opposition sagt: Nein. - Das ist eine völlig klare Situation. ({0}) Da wir erst am Anfang einer Diskussion stehen, sollten wir meiner Ansicht nach unsere Position, die den Weg klar und deutlich werden läßt, den wir gehen, wenn wir uns SDI anschließen, im Hinblick auf ihre Richtigkeit neu überdenken. ({1}) Aber ich habe aus dieser Diskussion noch etwas anderes gelernt. Wir werden uns - besonders auf Grund dessen, was der Vertreter der CDU gesagt hat - mehr denn je gegen jeden Versuch des Kalten Krieges wehren, d. h. der Militarisierung der Politik durch Worte. ({2}) Wir werden darüber hinaus jedem Versuch entgegentreten, auch nur einem Ansatz zuzustimmen, der die Möglichkeit und die Fähigkeit einer nuklearen Erstschlagsoption eröffnet. Dieser Aspekt ist in der heutigen Diskussion viel zu kurz gekommen. Es wurde viel zu wenig überprüft, inwieweit die Bedrohung der anderen Seite verschärft oder vermindert wurde. Wir haben niemals geleugnet - vielleicht ist Ihnen das aufgefallen -, daß auch die Aktivitäten auf der östlichen Seite in diese Richtung gehen, aber die Lösung kann nicht darin liegen, daß wir nun, da wir glauben, von der anderen Seite verschärft bedroht zu werden, dieselbe Erstschlagpotentiale aufbauen. Das kann nur der Weg in die falsche Richtung sein. Der einzige logische Weg ist eine konsequente Abrüstung hier auf der Erde und keine Aufrüstung im Weltraum. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.

Volker Rühe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001897, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich noch einige Feststellungen zu der gemeinsamen Politik der gesamten Regierungskoalition treffen. Wir sind uns alle in folgendem einig. Wir stimmen darin überein, daß die Forschungsanstrengungen der Amerikaner, ein Weltraum-Verteidigungssystem zu erforschen, legitim, j a sogar geboten sind, und zwar aus zwei Gründen. Diese Anstrengungen sind erstens schon deswegen legitim, weil die Sowjets in diesem Bereich eher einen Vorsprung haben und weiterhin umfangreiche Forschungsanstrengungen unternehmen. Es muß auch ein Gleichgewicht in der Forschung geben. Alles andere wäre destabilisierend. ({0}) Es ist sehr merkwürdig, wenn die deutschen Sozialdemokraten nicht erwähnen, daß die Sowjets diese Forschung betreiben. ({1}) - Gut, Sie haben es heute unter dem Zwang der Debatte ansprechen müssen. - Sie können die Sowjets nicht daran hindern. Aber Sie wollen unseren Bündnispartner daran hindern, zu forschen. ({2}) Dies schafft Ungleichgewicht, und es würde den Frieden gefährden. ({3}) Trotz der zahlreichen Gespräche mit der KPdSU kann die mächtige deutsche Sozialdemokratie die Sowjets natürlich nicht daran hindern, Verteidigungssysteme zu erforschen. Dann unterlassen Sie bitte auch den Versuch, unseren Bündnispartner, die Vereinigten Staaten, daran zu hindern. ({4}) Es muß ein Gleichgewicht geben. Deswegen ist es geboten, zu forschen. Aber es ist auch legitim - es ist hier gesagt worden -, weil wir mit der Strategie der Abschreckung den Frieden erhalten haben - das werden wir auch in Zukunft tun - und weil es unsere Pflicht ist, alles zu tun, um herauszufinden, ob es eine Alternative dazu gibt. Es muß mit aller Deutlichkeit gesagt werden: Herr Ehmke, Sie können nicht gegen alles sein: gegen die Strategie der Abschreckung und gegen die Strategie der Verteidigung. ({5}) Das ist eine Strategie, die nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland liegt. ({6}) Wir sind uns auch einig, daß die Forschungen der Amerikaner im Rahmen der gültigen Ost-West-Verträge stattfinden müssen, im Rahmen des ABMVertrages, und daß alles, was darüber hinausführt, im Bündnis und zwischen dem Bündnis und der Sowjetunion verhandelt werden muß, bevor weitere Schritte unternommen werden. Wie steht es mit einer Beteiligung? Wenn wir auf die Forschung Einfluß nehmen wollen, wenn uns die Frage am Herzen liegt: „Wie steht es mit dem Schutz Europas vor der spezifischen Bedrohung, z. B. im konventionellen Bereich, z. B. im Bereich der Kurz- und Mittelsteckenraketen?", dann dürfen wir nicht abseits stehen, sondern dann müssen wir diese europäischen Sorgen und Probleme in die Forschung einbringen. ({7}) Sie stehen abseits und vernachlässigen damit deutsche und europäische Interessen. Wir wollen mitwirken, um deutsche und europäische Interessen bei den amerikanischen Forschungsbemühungen einzubringen. ({8}) Das ist der Unterschied. Wir sind nun der Meinung, das ist kein deutsch-amerikanisches Gespräch, sondern das ist ein europäisch-amerikanisches Gespräch. ({9}) Mir wäre es am liebsten, wenn wir deutlich machen würden, daß es hier nicht um ein amerikanisches Programm mit europäischer Beteiligung oder Zulieferung geht, sondern um ein transatlantisches Programm ({10}) - „transatlantisches Programm", das ist die richtige Überschrift -, um herauszufinden, ({11}) ob es für alle Bürger der Gemeinschaft, für Europäer wie für Amerikaner, eine Alternative zur Strategie der Abschreckung gibt. Deswegen müssen wir Europäer uns zusammensetzen. Wir sollten uns dafür die Zeit nehmen. Es besteht kein Grund zur Eile oder zur Eilfertigkeit. Darin kann ich die Regierung nur unterstützen. Dann werden wir das europäische Gewicht einbringen, um herauszufinden, ob es neben der bisherigen erfolgreichen Politik einen zusätzlichen Weg gibt, Sicherheit für alle Bürger der transatlantischen Gemeinschaft zu schaffen. Das ist unsere Politik, und die liegt im Interesse der Deutschen, der Europäer, aller Mitglieder der atlantischen Gemeinschaft. Danke schön. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Ich rufe die Punkte 3 a bis 3 c der Tagesordnung auf: 3. a) Beratung der Grollen Anfrage der Abgeordneten Dr. Lammert, Wissmann, Dr. Unland, Dr. Freiherr Spies von Büllesheim, Müller ({0}), Kittelmann, Hinrichs, Schulze ({1}), Borchert, Frau Fischer, Pesch, Frau Roitzsch ({2}), Dr. von Wartenberg, Dr. Jobst, Dr. Hornhues, Dr. Hüsch, Dr. Olderog, Herkenrath, Daweke, Dr. Möller und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Haussmann, Grünbeck, Beckmann, Dr.-Ing. Laermann, Gattermann, Hoffie, Cronenberg ({3}), Dr. Solms und der Fraktion der FDP Wirtschaftliche Bedeutung und Entwicklung strukturschwacher Regionen - Drucksachen 10/1637, 10/2629 - b) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Roth, Dr. Jens, Frau Blunck, Dr. von Bülow, Catenhusen, Collet, Dreßler, Dr. Ehrenberg, Fischer ({4}), Grunenberg, Ibrügger, Jung ({5}), Junghans, Frau Dr. Martiny-Glotz, Meininghaus, Menzel, Dr. Mitzscherling, Nagel, Poß, Rapp ({6}), Reuschenbach, Rohde ({7}), Frau Simonis, Frau Dr. Skarpelis-Sperk, Stahl ({8}), Stockleben, Urbaniak, Vahlberg, Vosen, Wolfram ({9}), Zeitler, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Sicherung vorhandener und Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine aktive Industriepolitik - Drucksachen 10/1787, 10/2630 - c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1985 ({10}) - Drucksache 10/2708 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({11}) - Drucksache 10/3145 Berichterstatter: Abgeordnete Niegel Jung ({12}) ({13}) Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 3 a bis 3 c der Tagesordnung und eine Aussprache von fünfeinhalb Stunden vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist damit so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann erteile ich das Wort dem Herrn Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Große Anfrage der SPD-Fraktion zu einer aktiven Industriepolitik und die der Koalitionsfraktionen zu den strukturschwachen Regionen werden aus gutem Grund gemeinsam behandelt. Industrie- und Regionalpolitik führen kein Eigenleben, sie sind ein integraler Bestandteil unserer auf Förderung von Wachstum und Beschäftigung ausgerichteten Wirtschaftspolitik. Wir haben bereits im Jahreswirtschaftsbericht 1985 unsere grundsätzlichen wirtschaftspolitischen Vorstellungen deutlich gemacht. Ich will sie hier nicht im einzelnen noch einmal ausführen, sondern im Zusammenhang darauf zurückkommen, wenn sich die besonderen Probleme der Industrie- und Regionalpolitik stellen. Ich möchte einen wichtigen Punkt herausgreifen, der in der Vergangenheit, in der aktuellen Debatte der vergangenen Wochen, unter einem anderen Gesichtspunkt eine Rolle gespielt hat, dem der Flexibilisierung der Lohnpolitik und der Auswirkungen dieser Flexibilisierung auf die Arbeitsmarktsituation, weil dieser Aspekt auch im Rahmen der Regionalpolitik von Bedeutung ist. Zu lange hat die Lohnpolitik unter dem Vorrang der Einkommensverteilung gestanden. Und sie hat das Ziel der Sicherung von wettbewerbsfähigen Arbeitsplätzen vernachlässigt. Ich sage das nicht im Sinne von Vorwurf. Wer in einer Zeit mit Wachstumsraten von 3,5 oder 7 % lebt, wer das für unbegrenzt verlängerungsfähig hält und auch, geschützt vor internationaler Konkurrenz, die sich zu diesem Zeitpunkt nicht als fähig erwiesen hatte, uns wirklich nachhaltig zu bedrängen, solche Lohnforderun9750 gen gestellt hat, konnte damals auf breite Zustimmung rechnen. ({0}) Heute ist das anders geworden. Ich weiß, daß das ein Bereich ist, der sich, wenn man einmal von dem öffentlichen Dienst absieht, wo sich der Staat als Tarifvertragspartei ebenfalls bewähren muß und, glaube ich, in den vergangenen zwei Jahren bewährt hat, staatlicher Einwirkung entzieht. Wer das als eine Aufgabe der Tarifvertragsparteien sieht - und das muß man so sehen - kommt sicher nicht um zwei Feststellungen herum. Erstens. Die Tarifautonomie ist ein unverzichtbarer Bestandteil der Gesellschaftspolitik und der Verfassung unseres Landes. ({1}) Zweitens. Diese Tarifautonomie legt den Tarifpartnern eine besondere Verantwortung auf. Wenn wir als Staat, wenn auch die Länder wenig Möglichkeiten haben, diese Ergebnisse zu beeinflussen, weil sie im Rahmen der Tarifautonomie autonom von den Tarifvertragsparteien gefunden werden, dürfen wir, müssen wir darauf aufmerksam machen, daß im Rahmen dieser Autonomie auch Verantwortung mit begründet wird. ({2}) Deswegen, glaube ich, sollte man diese Bemerkungen so verstehen, wie das der Bericht der OECD über positive Anpassungspolitik mit Recht sagt - ich zitiere -: Anstrengungen mit dem Ziel, Konsultationen zwischen den Sozialpartnern zustande zu bringen, werden verantwortungsbewußte, zukunftsgerichtete Verhandlungen der Tarifpartner erfordern. In diesem Zusammenhang kann dem Staat eine wichtige Rolle zufallen, nämlich die Einsicht in die Notwendigkeit zu fördern, daß die Reallohnentwicklung mit den Zielen der makroökonomischen Politik und der Strukturpolitik stärker in Übereinstimmung zu bringen sind. Meine Damen und Herren, wenn Sie das einmal auf gut Deutsch übersetzen ({3}) - ich weiß, daß das für Sie notwendig ist, deswegen tue ich das jetzt -, ({4}) möchte ich auf folgendes hinweisen: Mit dieser Flexibilisierungspolitik wird dreierlei verfolgt, und diese drei Dinge müssen die Tarifpartner in ihre Verhandlungen aufnehmen. Einmal, wir brauchen eine stärkere Regionalisierung der Auswirkungen von Tarifabschlüssen. Wenn Sie die unterschiedlichen Arbeitslosenraten ansehen, können Sie, wenn Sie z. B. den Arbeitsamtsbezirk Leer betrachten, feststellen, daß dort die Arbeitslosenrate über 30% liegt. Wenn Sie die Zahlen für den Arbeitsamtsbezirk Reutlingen, in dem ich lebe, anschauen, werden Sie erkennen: Dort liegt sie unter 5%. Das heißt, wir haben in den Regionen gewaltige Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt, die natürlich anzeigen, daß die Wirtschaftskraft, die Innovationskraft dieser Regionen unterschiedlich ist. Wenn das nicht Eingang in die Tarifverträge findet, wenn man nicht diesen benachteiligten Regionen wenigstens den Vorteil gewährt, aus Tarifvertragsabschlüssen einen Vorteil in der Wettbewerbssituation zu bekommen, tut man diesen benachteiligten Regionen keinen Gefallen. ({5}) Deswegen ist eine Flexibilisierung bei regionalen Abschlüssen ein wichtiges Element zukunftsgerichteter, positiver Strukturpolitik, die wir hier verteidigen. ({6}) - Nun hören Sie mir erst einmal in Ruhe zu. ({7}) Sie haben ja fünfeinhalb Stunden Zeit, Ihre Vorstellungen hier darzulegen. Sie wissen ganz genau: Durch solche Zwischenrufe wird eine Debatte auch nicht besser. ({8}) - Im Unterschied zu der Zwischenruferin machen Sie einen weniger charmanten Eindruck, und auch Ihre Zwischenrufe sind weniger charmant als die der Zwischenruferin. Also, lassen Sie mich erst einmal im Zusammenhang meine Vorstellungen darlegen. Sie können dann ja in der Diskussion Ihre Gedanken hier vortragen. ({9}) Das zweite ist: Flexibilisierung bedeutet auch, daß zwischen einzelnen Betrieben ein größerer Unterschied möglich sein muß, daß Tarifverträge also eine Möglichkeit eröffnen müssen, im Rahmen einer vereinbarten Bandbreite über Betriebsvereinbarungen zu unterschiedlichen Lohnabschlüssen zu kommen oder zumindest Lohnnebenkosten unterschiedlich zu behandeln. ({10}) Ich bringe dieses Beispiel noch einmal: Wenn die Unternehmer und die Belegschaft bei Arbed-Saarstahl darauf drängen, genau die gleichen Steigerungssätze bei den Löhnen, genau den gleichen sozialen Rahmen bei den Lohnnebenkosten zu erhalten, wie das bei Thyssen der Fall ist, dann geht das an den tatsächlichen Gegebenheiten beider Unternehmungen völlig vorbei. Es ist bei Thyssen zwar angemessen, aber es gefährdet die Arbeitsplätze bei Arbed-Saarstahl. Das, was bei Thyssen angemessen ist, ist bei Arbed-Saarstahl nun einmal nicht angemessen. Wer das verneint, wer daran vorbeigeht, geht an Grundtatsachen von Wirtschaften vorbei. Und das ist nach meinem Dafürhalten der eigentliche Grund, warum unser Arbeitsmarkt so verkrustet ist, warum wir in diesem Bereich so wenig Fortschritte machen. Es kommt ein Drittes hinzu: Auch die Differenzierung zwischen den einzelnen Lohngruppen kann man nicht auf Null bringen. Das beeinträchtigt die Leistungsbereitschaft, das beeinträchtigt übrigens auch Arbeitsmarktchancen von weniger qualifizierten Arbeitslosen. Wir haben in der Tat eine sehr starke Zunahme der Automatisation, weil in der Vergangenheit in den unteren Lohngruppen durch Sockelbeträge und ähnliches eine überproportionale Steigerung vorgenommen worden ist. Wenn man Tarifautonomie will - ich will sie -, dann muß man an die Tarifpartner die Frage richten, ob sie bereit sind, das auf sich zu nehmen. Differenzierung und Flexibilisierung in Tarifverträgen schaffen neue Beschäftigungsmöglichkeiten; daß ist unbestreitbar. Auch stimme ich Georg Leber zu, der - das wird Sie vielleicht etwas nachdenklicher machen - in einem „Zeit"-Interview gesagt hat, daß die Tarifvertragsparteien häufig nicht alles bis ins Detail regeln können, und hinzugefügt hat: Das gilt bis zu einem gewissen Grad sogar für Löhne und Gehälter. ({11}) Meine Damen und Herren, dies ist eine Aussage, die ich ernstzunehmen bitte. Es geht nicht an, daß wir immer wieder die Klagen über die hohe Arbeitslosigkeit hören, daß aber die Maßnahmen, die sie wirklich verringern könnten, mit heuchlerischen Begründungen ständig zurückgewiesen werden. Das ist das eigentliche Problem. ({12}) Differenzierung und Flexibilisierung sind notwendig. Deswegen müssen wir das hier in dieser Debatte ebenfalls ansprechen. Wir wollen, daß durch eine entsprechende Gestaltung von Tarifverträgen in Zukunft mehr Chancen bestehen, Arbeitslose einzustellen. Das ist auch das, was mein Freund Helmut Haussmann in seinen verschiedenen Äußerungen sehr klar zum Ausdruck gebracht hat. Wer freilich Flexibilität und Differenzierung in Tarifverträgen ablehnt, muß damit rechnen, daß andere Wege erörtert werden - schon um das Problem deutlich ins öffentliche Bewußtsein zu rücken. Die Tarifautonomie gibt den Beteiligten Sicherheit hinsichtlich ihrer Dispositionen. Wenn Tarifverträge aber Bedingungen setzen, die Arbeitslosen keine Chancen lassen, dann wird es in der Tat Einzelvereinbarungen in der Grauzone geben - ohne zureichenden Schutz für die Beteiligten. Allerdings: In dem Maße, in dem Tarifvertragspartner bereit sind, diese Gedanken in ihre Tarifvertragspolitik aufzunehmen, wird alles weitere, was außerhalb der Tarifverträge geschehen könnte, unnötig. In dem Maße aber, in dem sich die Tarifvertragsparteien nicht flexibel zeigen, Flexibilität ablehnen, wird es Grauzonen geben, weil man auch in diesem Bereich an den Marktzwängen nicht vorbei kann. Wer also etwas im Interesse von Arbeitnehmern will, der sollte diese Gedanken hier unterstützen. Ich darf Sie sehr herzlich bitten, die Zeit bis 13.00 Uhr, die ich noch rede, dazu zu nutzen, darüber nachzudenken, ob Sie nicht manche kritische Bemerkung aus Ihren Redemanuskripten streichen können. ({13}) In den Anfragen gibt es eine Reihe von Bernerkungen zu Fehlentwicklungen, die sich in der Tat in den vergangenen Jahren aufgestaut haben. Man kann das nicht bestreiten. Deswegen begrüße ich es, daß diese Anfragen uns Gelegenheit geben, darüber zu reden. Wir haben es zu lange vermieden, aus den weltwirtschaftlichen Veränderungen, den gestiegenen Energiepreisen und auch der verstärkten Industrialisierung von Entwicklungsländern die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Zu lange auch haben wir auf eine Staatstätigkeit vertraut, die im Grund die Entfaltung privater Initiative nur behindert hat. Es ist kein Zufall, daß Interventionen und dirigistische Eingriffe des Staates in den Wirtschaftsablauf in den vergangenen Jahren immer stärker geworden sind. ({14}) - Herr Ehrenberg, Sie kennen ja den verzweifelten Kampf des Kollegen Lambsdorff, dem Sie Ihre Unterstützung in der vergangenen Koalition versagt haben! ({15}) Deswegen wäre ich mit solchen Äußerungen etwas zurückhaltend. Wir haben eine Zunahme von Staatsdefiziten gehabt. Das läßt sich wohl kaum bestreiten. Wir haben eine Zunahme des Staatsanteils am Sozialprodukt gehabt. Schließlich hat das zu einer tiefgreifenden Vertrauenskrise in der Wirtschaft geführt. Um diesen Teufelskreis von aufgestautem Strukturwandel, zu geringer Investitionstätigkeit und hoher Arbeitslosigkeit zu durchbrechen, ({16}) müssen wir in der Tat zu neuen Aktivitäten kommen. Das ist der Grund, warum diese Regierung gebildet worden ist. Wenn es uns jetzt besser geht, als es uns vor drei oder vier Jahren gegangen ist, ({17}) dann ist das ein Ergebnis dieser Regierung, die sich dazu durchgerungen hat, ({18}) eine Politik zu betreiben, die wirtschaftlichen Aufschwung möglich macht. ({19})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Nein. Ich möchte erst im Zusammenhang meine Darlegungen machen, damit Herr Kollege Ehrenberg darüber nachdenken kann, was er nachher sagt. Wir haben im Jahreswirtschaftsbericht die entscheidenden Zahlen noch einmal dargelegt. Die Entwicklungen der ersten drei Monate in diesem Jahr bestätigen das. Wir werden ein Wirtschaftswachstum von 2,5% und mehr in diesem Jahr erreichen. Wir werden eine Währungsstabilität behalten können, die wir im vorigen Jahr schon mit 2, ... gehabt haben. Das war vorher 1969 zum letzten Mal der Fall gewesen. Wir haben einen Außenhandelsüberschuß von 53 Milliarden DM gehabt, den wir in diesem Jahr übertreffen werden. Wer bestreitet, daß das drei grundlegende Daten sind, die einen Wirtschaftserfolg dieser Regierung beweisen, der muß blind sein. ({0}) Wir alle wissen, daß es ein viertes Datum gibt, über das wir uns nicht beruhigen werden und Sie sicherlich auch nicht. Das ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist ein Teil dessen, was wir uns heute hier unter dem Stichwort „Industriepolitik und Strukturpolitik und ERP-Programm" vorgenommen haben. Dazu habe ich Ihnen gesagt - ich komme noch zu den anderen Problemen -: Wer diese Rahmenbedingungen, die in den drei Daten, die ich genannt habe - Wirtschaftswachstum, Preisstabilität und ausgeglichene Handelsbilanz -, zum Ausdruck kommen, nicht so herstellen kann, wie wir sie hergestellt haben, wird auch keine Erfolge auf dem Arbeitsmarkt erzielen können. ({1}) Das ist die Grundlage, von der wir ausgehen. Wer 40 Milliarden Defizit auf 23 Milliarden Defizit zurückführen kann, schafft eine Freiheit für private Investitionen auf dem Kapitalmarkt, die man erst mal haben muß. ({2}) Die Politik, die Sie zu verantworten hatten und die wir am Schluß nur noch dadurch bekämpfen konnten, daß die Koalition geändert worden ist, hätte in einen Staatsbankrott geführt, der dem Arbeitsmarkt nicht genutzt hätte. ({3}) Was hören wir im Bereich der Industrie- und Regionalpolitik an Rezepten von der Opposition? ({4}) Immer wieder die alten Hüte; immer wieder das, was andere mit wenig Erfolg bereits ausprobiert haben. Es ist wirklich erstaunlich, daß dieselben Rezepte, die in der Praxis versagt haben, nicht die, die man theoretisch noch behandeln könnte, immer wieder vorgeschlagen werden. Dazu gehört zum Beispiel das industrial targeting der Japaner, diese uralte Methode, sich einen bestimmten Industriebereich herauszunehmen und da durch staatliche Interventionen einen Aufschwung zu erzeugen, der nur eine Scheinblüte ist. Deswegen hat Professor Staudt zu Recht davor gewarnt, durch eine solche Politik ganze Branchen - wie das auch in Japan geschehen ist - wie die Lemminge auf überbesetzte Marktfelder zu locken und dadurch Überkapazitäten des Typs Trockenmilch, Werften oder Stahl anzulegen. ({5}) Das ist genau das, was die Japaner mit einem zweifelhaften Erfolg im Zusammenhang mit ihrer Werft- und Stahlindustrie getan haben. Das ist aber auch genau das, was die japanische Automobilindustrie nicht gemacht hat. Sie hat den Wettbewerb im Sinne von privater Initiative aufgegriffen und deswegen größere Erfolge gehabt als diese durch industrial targeting herausgegriffenen Industriebereiche. Deswegen sind in der japanischen Wirtschaftsstruktur diese Fehlentwicklungen nicht ausgeblieben. Wir sollten daher bei uns jetzt nicht fortsetzen, was die Japaner inzwischen aufgegeben haben. Das japanische Beispiel widerlegt also nicht die alte Erfahrung, daß der Markt den Such- und Innovationsprozeß besser bewältigt als staatliche Verwaltungen oder irgendwelche Konzertierungsgremien. Wir wollen keinen Sektordirigismus. Deswegen sind auch Überlegungen, Stahlräte und Stahlausschüsse zu schaffen, kein Mittel, um die Strukturkrise der Stahlindustrie zu bewältigen. ({6}) Auch die Verstaatlichung, die immer wieder vorgeschlagen wird, ist kein Mittel, um die Krise der Stahlindustrie zu überwinden. Man braucht bloß nach Frankreich oder Italien zu sehen, um zu erkennen, daß die Krise der Stahlindustrien dort deswegen viel tiefer als die unsere ist, weil sie sich über lange Jahre hinweg mit staatlichem Interventionismus den notwendigen Innovationen entzogen haben, weil sie das Gefühl hatten, der große Bruder sei da, der schon helfen werde. ({7}) Warum sind denn unsere Unternehmen im Durchschnitt besser als die anderen dran, insbesondere die verstaatlichten Industrien in Frankreich und Italien? ({8}) Weil sie sich im privatwirtschaftlichen Rahmen bemüht haben, wettbewerbsfähig zu werden. Deswegen sind wir auch der Meinung, daß unsere Entscheidung - auf die wir gedrängt haben -, den Beihilfekodex Ende 1985 auslaufen zu lassen, richtig war. Lassen Sie mich im Zusammenhang mit der Strukturpolitik einige Ausführungen machen - das ist ja auch ein wichtiges Problem für Nordrhein-Westfalen und das Saarland -, weil ich das Gefühl habe, daß das, was wir dort als Ergebnis erzielt haben, nicht richtig verstanden worden ist. Zunächst einmal ist das Verhandlungsziel der Bundesregierung voll erreicht worden, nach dem 31. Dezember 1985 keine weiteren Beihilfen mehr, gleich welcher Art, zu beschließen oder zu genehmigen. Das heißt, ab 1986 wird in der Europäischen Gemeinschaft keine weitere Subventionierung der Stahlindustrie zulässig sein. Ich bin etwas erstaunt darüber, daß dieses Ergebnis der Verhandlungen so wenig Widerhall gefunden hat; denn über lange Strecken war es durchaus nicht sicher, daß wir das erreichen. Wir haben hart dafür arbeiten müssen. Wir haben zunächst einmal für Klarheit gesorgt, daß das einstimmig beschlossen werden müßte. Wir haben dann dafür gesorgt, daß wir eine Mehrheit hatten. Am Schluß ist es sogar gelungen, diesen Beschluß im Ministerrat einstimmig zu fassen. Wir haben dann, was wir ebenfalls schon angekündigt hatten, den Bedarf der anderen Länder und unseren eigenen Bedarf zur Grundlage der weiteren Überlegungen gemacht; denn setzen Sie sich bitte nicht einfach über das Schicksal von Arbed Saarstahl in dieser Diskussion hinweg. Ich tue das nicht. Ich werde mich nicht davon beeinflussen lassen, daß es dagegen aus der Opposition Kritik gibt, die sich direkt gegen die Zukunft von Arbed Saarstahl richtet. Das muß man auch einmal sagen. Wir werden dafür sorgen, daß den neuen Bedürfnissen nur im Rahmen von drei Bedingungen Rechnung getragen werden darf. Erstens gilt der Rahmen der bisherigen Voraussetzungen des Stahlkodex, d. h. wer zusätzliche Mittel haben will, muß dafür zusätzliche Kapazitäten stillegen. Zweitens. Diese zusätzlichen Mittel dürfen lediglich für eine Entschuldung der Unternehmen verwendet werden. Drittens. Diese Mittel dürfen nur für eine Finanzierung von Sozialplänen verwendet werden. Das sind die Positionen, deren Durchsetzung wir uns im übrigen auch im Einvernehmen mit der Stahlindustrie vorgenommen hatten. Daß wir das erreicht haben, sollte heute niemand kritisieren. Vielmehr glaube ich, daß das eine Maßnahme ist, die uns die Chance bietet, auch die eigenen Probleme zu lösen. Eines sage ich aber auch ganz deutlich: Die Bundesregierung ist nicht dazu da, unternehmerische Konzeptionen zu erarbeiten. ({9}) - Wenn Sie sich anschauen, was bei Arbed Saarstahl aus der Nichtbeteiligung der Bundesregierung an unternehmerischen Konzeptionen herausgekommen ist, dann sollten Sie Ihren Zwischenruf ein bißchen korrigieren. ({10}) Wir werden uns an diesen Konzeptionen nicht beteiligen. Deswegen muß Arbed Saarstahl und jedes Unternehmen, das eine andere Konzeption verfolgt, beispielsweise im Sinne eines Zusammenschlusses, zunächst einmal diese Entscheidung in eigener Verantwortung treffen, und zwar nicht nur von den Unternehmensorganen, die im Bereich der Unternehmensführung tätig sind, sondern auch von den Aufsichtsräten. Ich sage das hier in Deutlichkeit und in aller Öffentlichkeit: Wer die MontanMitbestimmung gewollt hat und wer jetzt die Möglichkeiten der Montan-Mitbestimmung hat, der darf sich dieser Verantwortung nicht entziehen, wenn es gilt, schwerwiegende und manchmal auch schmerzliche Entscheidungen zu treffen. Die Aufsichtsräte der montan-mitbestimmten Stahlunternehmen müssen alle Unternehmungen, mit denen sie neue Anträge, neue Hilfen wollen, mit dem Ja der jeweiligen Aufsichtsräte verbinden. Ich bin nicht bereit, die Montan-Mitbestimmung als eine Schönwettereinrichtung zu betrachten. Das ist eine Einrichtung, die sich jetzt, wo diese Unternehmungen schmerzliche Entscheidungen treffen müssen, auch bestätigen muß. ({11}) - Na, wir wollen mal sehen, wie das dann ist. Ich warte immer noch auf die Beschlüsse der Aufsichtsräte dieser Unternehmen, was zu geschehen hat, wie die unternehmerische Konzeption, von den Vertretern der IG Metall abgesegnet aussieht. ({12}) Die IG Metall will ja wohl diese Mitbestimmung ernstnehmen, nehme ich an. Oder glauben Sie das nicht? ({13}) - Man braucht nicht den Vorsitz im Aufsichtsrat zu haben, Herr Ehrenberg, um eine Entscheidung des Aufsichtsrats herbeizuführen und in dieser Entscheidung deutlich zu machen, was man will. ({14}) Was haben Sie für Vorstellungen, wie ein solcher Aufsichtsrat entscheidet und wie die Rolle der IG Metall in deutschen Aufsichtsräten ist? ({15}) Die Ablehnung, meine Damen und Herren, einer selektiven, strukturlenkenden und branchenbezogenen Industriepolitik bedeutet nicht industriepolitische Abstinenz. Vielmehr verfolgt die Bundesregierung, wie sie auch in ihrer Antwort auf die Große Anfrage ausgeführt hat, eine marktwirtschaftlich orientierte Industriepolitik oder, wie das in der OECD-Untersuchung mit Recht so genannt wird, eine positive Anpassungspolitik. ({16}) Diese Politik ist aktiv, indem sie für bessere, verläßliche Grundlagen privater Entscheidungen sorgt, ein günstiges Klima für Investitionen und Innovationen schafft und die Freiräume für privatwirtschaftliches Handeln erweitert. Die Investitionsfähigkeit und Investitionsbereitschaft der Unternehmen werden wir nur dann erweitern und stärken, wenn wir die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verbessern. Dieser Grundsatz ist unbestreitbar richtig, und niemand sollte ihn bestreiten. Gesteigerte Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft - das ist entscheidend -, eine verbesserte Beschäftigungsmöglichkeit setzen eine neue Investitionsdynamik voraus. Dafür haben wir unsere Strategie dargelegt. Ich will das hier noch einmal kurz umreißen. Eine solide Haushalts- und Geldpolitik, die Politik der Haushaltskonsolidierung, schafft Freiräume für private Investitionen und deren Finanzierungen auf den Märkten, und die jüngste Ifo-Befragung der Prognose 100 zeigt auch, daß die Unternehmen ihre Investitionsbereitschaft verstärkt und ihre entsprechenden Pläne inzwischen deutlich nach oben korrigiert haben. Die 100 größten deutschen Unternehmen wollen ihre Investitionen in diesem Jahr um 17 % steigern. Ich glaube, daß dieser Satz für sich spricht. Die öffentliche Hand, auch die Kommunen, haben durch diese Haushaltskonsolidierungspolitik mehr Spielraum für Investitionen bekommen, und von den Verbänden, insbesondere den Gemeinden, hören wir, daß sie in diesem Jahr mehr als 1984 investieren wollen, so daß die öffentliche Hand insbesondere auch in dem Bereich der Bauwirtschaft in einer Zeit als Nachfrager auftritt, in der der Anpassungsprozeß sicherlich besondere Schwierigkeiten macht. Wir haben dann die Weichen für ein leistungs-und wachstumsfreundliches Steuerrecht gestellt. Ich weiß, daß da in den nächsten Jahren noch nicht alle Erwartungen erfüllt werden können, aber in der kommenden Legislaturperiode werden wir bei entsprechender weiterer Gesundung der Staatsfinanzen zusätzliche Entlastungen bei der Lohn- und Einkommensteuer und vor allen Dingen bei der Unternehmensbesteuerung vornehmen können. Meine Damen und Herren, man muß sich das mal vor Augen halten. Wenn Sie sich die unterschiedliche Steuerbelastung von Geldverwendung ansehen, dann stellen Sie fest, daß es eine Geldverwendung gibt, die überdurchschnittlich, im Durchschnitt mit über 70 %, besteuert wird, und das ist die Anlage in Sachkapital. Das heißt, jemand, der in Sachkapital investieren will, der auf diese Weise Arbeitsplätze schaffen will, wird steuerlich stärker belastet als jemand, der sein Geld auf Kapitalkonten oder in anderen Geldverwendungsformen anlegt, die nicht zu Sachinvestitionen führen. Dies ist ein völlig unsinniges Ergebnis der steuerlichen Entscheidungen der vergangenen Jahre. Es hat zu einer Verkehrung dessen geführt, was ein Steuersystem leisten muß. Ein Steuersystem muß Investitionen fördern. Deshalb müssen wir etwas ändern, indem wir die Kumulation verschiedener Steuerarten abschaffen, vernünftige Steuersätze einführen und die unternehmerisch eingesetzten Kapitalien weniger besteuern als jede andere Geldverwendung. Das ist das Ziel der Bundesregierung für die nächste Legislaturperiode. ({17}) Deswegen glauben wir, daß wir uns auch mit dem Problem der Lohnnebenkosten beschäftigen müssen. Es ist ohne jeden Zweifel so: Wenn etwa, grob gerechnet, dieselbe Summe für Lohnnebenkosten zu veranschlagen ist wie für die Löhne selbst, dann muß man sich in der Tat fragen, ob das nicht ein Faktor geworden ist, der ebenfalls zur Wettbewerbsunfähigkeit führt. Auch da ist übrigens die Verantwortung der Tarifpartner groß. Etwa 60 % der Lohnnebenkosten entstehen durch tarifvertragliche und Betriebsvereinbarungen, also nicht auf Grund gesetzlicher Maßnahmen. Der Rest ist allerdings durch den Gesetzgeber veranlaßt. Aus diesem Grunde glauben wir, daß wir diese Lohnnebenkosten ebenfalls überprüfen müssen und dazu beitragen müssen, daß sie nicht mehr so wie bisher ansteigen. Das ist übrigens auch der Grund, warum die Schwarzarbeit so zugenommen hat. Ich glaube nicht, daß man Schwarzarbeit durch administrative oder strafrechtliche Maßnahmen wirkungsvoll bekämpfen kann. Die eigentlich wirkungsvolle Bekämpfungsstrategie ist vielmehr die Senkung von Lohnnebenkosten. ({18}) Ich komme zu der Frage neuer Unternehmen. Ich habe schon verschiedentlich gehört: Man kann nicht alles nachmachen, was die Vereinigten Staaten uns vorgemacht haben. Das wäre erstens viel zu einfach, und zweitens ist das auch nicht richtig, wenn man die unterschiedlichen Sozialsysteme und gesellschaftlichen Vorstellungen in beiden Ländern betrachtet. Aber eines muß uns doch nachdenklich machen: In den Vereinigten Staaten sind in zehn Jahren rund 16 Millionen neue Arbeitsplätze entstanden, während wir rund zwei Millionen ArbeitsBundesminister Dr. Bangemann plätze verloren haben. Die 16 Millionen Arbeitsplätze, die neu entstanden sind, sind im wesentlichen bei neuen kleinen Unternehmungen im Bereich der Selbständigen, des Handwerks entstanden. ({19}) Warum ist das dort in Amerika eher möglich als bei uns? Weil die tarifvertraglichen Regelungen, weil die allgemeinen Bedingungen, unter denen diese Unternehmungen arbeiten, dynamischer und flexibler sind, mehr Spielraum für die persönliche Initiative und das Risiko schaffen, das der einzelne auf sich nehmen will. Alles das vermissen wir bei uns. Zudem findet bei uns alles noch in einem ungünstigen politischen Klima statt. Wir diskutieren hier in Bonn in einer Stadt, die in einem Lande liegt, das sich zu Recht immer darüber beklagt, daß es den Strukturwandel schwerer als andere Länder bewältigt. Es gibt dafür objektive Gründe. Die Konzentration von Kohle und Stahl in Nordrhein-Westfalen ist ein objektiver Grund dafür, daß der Strukturwandel besondere Schwierigkeiten gemacht hat. Meine Damen und Herren, die politischen Bedingungen, die eine Landesregierung setzt, sind für die Ansiedlung von neuen Unternehmungen aber ein ebenso entscheidendes, ein ebenso gravierendes Element. ({20}) Wir werden dazu den Kollegen Jochimsen ja noch hören. Ich muß Ihnen ganz offen sagen - das wird in dieser Debatte eine Rolle spielen -: Wenn man eine Sozialverträglichkeit für neue Technologien einführt, wenn man vorsieht, daß ein Unternehmer, der eine Erfindung wirtschaftlich verwerten will, zunächst einmal durch eine Bürokratie gehen muß, um festzustellen, ob seine Erfindung auch tatsächlich akzeptiert wird, ({21}) braucht man sich nicht zu wundern, wenn die Unternehmer zunehmend in andere Länder gehen, in denen man die Dinge anders sieht. ({22}) - Verehrter Herr Kollege Roth, die Entscheidung richtet sich zur Hälfte doch immer nach wirtschaftlichen Überlegungen, bei denen Rechnungen angestellt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, einen Augenblick bitte! - Meine Damen und Herren, darf ich bitten, mit den Zwischenrufen doch ein bißchen zurückhaltender zu sein. Bei einer Aussprache von fünfeinhalb Stunden haben alle Fraktionen die Möglichkeit, alles das zu sagen, was sie auf dem Herzen haben. ({0})

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Ich werde Ihnen, Herr Roth, eine Zahl vorlegen, die Sie selber nachlesen können. Der Anteil des Landes Nordrhein-Westfalen am Gesamtexport der Bundesrepublik hat vor zehn Jahren etwa ein Drittel betragen, und er beträgt heute noch 25%. Das kann man nicht auf die Strukturkrise bei Stahl und Kohle zurückführen; denn diese Industrien haben keinen wesentlichen Anteil an diesen Exportgütern gehabt. Vielmehr ist das ein Zeichen dafür, daß diese Strukturkrise deswegen tiefer ist als in anderen Ländern, weil es nicht gelungen ist, neue Industrien, kleine, mittlere Unternehmungen und neue Technologie dort anzusiedeln. ({0}) Wir haben versucht, über das Eigenkapitalhilfeprogramm, das ERP-Existenzgründungsprogramm - ich sage hier gleichzeitig auch etwas zum ERP-Vermögen und zum ERP-Wirtschaftsplan - insbesondere die Gründung von neuen kleinen und mittleren Unternehmungen zu begünstigen. ({1})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Nein, ich möchte das jetzt wirklich zusammenhängend vortragen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das gilt für den Zeitraum Ihrer Rede?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Das ist uns auch gelungen, denn wir haben über wenig bürokratische Programme die Gründung solcher Unternehmen fördern können. Die Ansparförderung, die wir noch in diesem Jahr einführen, wird diesen Trend verstärken. Deswegen glauben wir, daß wir von der Bundesregierung aus das getan haben, was wir tun können. Wir setzen nun darauf, daß diejenigen, die daran mitarbeiten müssen, wie die Tarifpartner das Ihrige tun, um das System des Arbeitsmarktes flexibler zu machen. Wir werden auch weiter die Übertragung staatlicher Dienstleistungen und staatlicher Beteiligung an Unternehmen auf Private fortsetzen. Auch darin sehen wir einen Beitrag zu einer guten Regionalpolitik. Ich bin auch der Meinung, daß staatliche Monopole, wo immer sie auftreten, eher eine Flexibili9756 sierung und eine Dynamisierung verlangen als eine Verteidigung. ({0}) Eine Politik für mehr Wettbewerb und mehr Marktwirtschaft darf nicht an staatlichen Monopolen haltmachen. Ich weiß, daß in dieser Debatte auch eine Rolle spielt, in welchem Umfang uns die Möglichkeit weiter bewahrt bleiben wird, über den Export Wirtschaftswachstum möglich zu machen. Ich weiß, daß eine steigende Exportquote uns auch verletzlicher macht, denn Export ist immer gleichzeitig eine wirtschaftliche Tätigkeit, die sich nicht immer nationalen Maßnahmen unterwerfen läßt. Ich möchte aber zunächst einmal darauf hinweisen, daß sich in der Liste der zehn größten Handelspartner der Bundesrepublik sieben Länder der Europäischen Gemeinschaft befinden. ({1}) Man kann nicht mehr davon sprechen, daß der Export in Länder der Europäischen Gemeinschaft in der gleichen Weise klassischer Export ist und den gleichen Gefährdungen unterliegt wie Export im übrigen. In Wahrheit zeigt sich da das Entstehen eines Binnenmarktes, der in der Tat eine größere Festigkeit, eine größere Zuverlässigkeit auch auf diesen Bereichen bedeutet. Die Europäische Gemeinschaft wird oft zu negativ betrachtet. Deswegen sage ich hier ganz deutlich: Wenn Sie das von der Exportquote einmal abziehen, die wir heute statistisch noch ohne Differenzierung berechnen, ob es sich um Handel innerhalb der Europäischen Gemeinschaft oder außerhalb handelt, dann stellen Sie fest: Wir haben durch die Gründung und durch den weiteren Ausbau der Europäischen Gemeinschaft auch die Exportintensität unserer Wirtschaft verstärken können, zugleich aber auch sicherer machen können und auf diese Weise ein Element von Stabilität eingeführt. Die Bundesregierung hat sich im übrigen sehr ernsthaft darum bemüht, die wachsende Tendenz zum Protektionismus einzudämmen. Wir haben jetzt in der Europäischen Gemeinschaft eine gemeinsame Position für eine neue GATT-Runde, und es ist uns auch gelungen, in der letzten OECD-Sitzung in Paris unsere Partner insgesamt zur Bejahung dieser Frage zu bringen. Es bleibt noch übrig, ein Datum zu bestimmen. Das kann man aber sicherlich vernünftigerweise in zureichender Zeit tun, vor allen Dingen auch dann, wenn vor dem Ende des Sommers - auf das Datum haben wir uns verständigt - die Vorbereitung für eine solche neue Runde beginnt. Das ist auch deswegen notwendig, weil ohne jeden Zweifel die Situation der Vereinigten Staaten, insbesondere das große Handelsbilanzdefizit, protektionistische Neigungen in den USA gefördert hat. Es ist ganz klar: Im Kongreß würden diese Neigungen weniger stark vertreten sein, wenn es uns gelänge, über eine neue GATT-Runde die Möglichkeiten zu mehr Handel und zu mehr Freihandel aufrechtzuerhalten, die wir heute haben. Deswegen haben wir uns mit dieser Außenwirtschaftspolitik sehr ernsthaft befaßt, und wir haben alles das, was wir tun konnten, getan - mit sehr positiven Ergebnissen. Dreimal haben sich die Handelsminister inoffiziell getroffen. Wir haben mehrere Ministerräte in der Europäischen Gemeinschaft und bilaterale Konsultationen, insbesondere mit Frankreich und Großbritannien, dazu genutzt, unsere Handelspartner von der Notwendigkeit des Freihandels zu überzeugen. Das ist uns gelungen. Und wir sind sicher, daß wir damit auch zu einer neuen GATT-Runde kommen können. Lassen Sie mich noch ein Wort zu dem Thema Umwelt und Wirtschaft sagen, weil auch das in den Anfragen eine Rolle spielt. Wir werden mit Sicherheit durch eine an Umwelterfordernissen orientierte Marktwirtschaft mehr Erfolge für die Umwelt erzielen und gleichzeitig auch mehr Wachstumsimpulse auslösen, als wenn wir Umweltpolitik dirigistisch betreiben. Deswegen ist eine ökologisch verpflichtete Marktwirtschaft ein besserer Zugang sowohl zur Lösung der Probleme der Umwelt als auch zu weiteren Wachstumsimpulsen für unsere Wirtschaft. Man stellt das am Export der Bundesrepublik fest. Wenn Sie sich die Zusammensetzung und die Veränderungen bei den einzelnen exportierten Gütern ansehen, dann werden Sie feststellen, daß der Anteil an moderner Umwelttechnologie ständig wächst. Das heißt, in dem Umfang, in dem wir bei uns zu Hause diese Anforderungen durch die Marktwirtschaft bewältigen, wächst auch ein neues Exportpotential, das wir sonst nicht hätten. Das ist eine ganz wichtige Wachstumsquelle der Zukunft. Wir sind - so kann man vielleicht sagen - in der Welt in einer einzigartigen Wettbewerbsposition, weil wir in der Vergangenheit die Anforderungen niemals abgemildert haben. Ich kann mich erinnern, wie nach dem ersten Ölpreisschock Rufe laut geworden sind, die gestiegenen Energiepreise doch abzudämpfen, abzufedern durch Subventionen. Man kann sich dann nicht genug tun, immer neue sozialpolitische Forderungen aufzustellen. Daß wir dem nicht gefolgt sind, hat bei uns zu einer sparsamen Verwendung von Energie geführt, zu einer Entwicklung neuer Energietechnologien, die wir jetzt verkaufen können, die uns neue Arbeitsplätze geschaffen haben. Das, meine Damen und Herren, sind immer die guten Auswirkungen von Marktwirtschaft: wenn man den Mut und den langen Atem hat, durchzuhalten gegen vordergründig scheinbar soziale Forderungen, die immer wieder erhoben werden. ({2}) Diese Politik wollen wir fortsetzen. Wir haben durch unser systematisches Handeln die Wirtschaft in kurzer Zeit wieder in Schwung gebracht. ({3}) Das wird uns übrigens auch von unabhängigen Sachverständigen bestätigt. Überall in der Welt, in allen internationalen Wirtschaftsorganisationen, in der OECD, beim Währungsfonds, in der Weltbank, bei den großen internationalen Wirtschaftszusammenkünften, in den Zeitungen, die darüber mit Sachkunde berichten, heißt es: Die deutsche Wirtschaft ist auf einem Wachstumspfad, der möglicherweise ein zweites deutsches Wirtschaftswunder herbeiführt. Wenn man das vergleicht mit dem ständigen Pessimismus, der bei uns in Form einer Gebetsmühle heruntergeleiert wird, wenn man diesen Pessimismus mit dem vergleicht, was auf der Messe in Hannover erzielt wird, dann, meine Damen und Herren, muß man sagen: Wir leben offenbar in einer Welt, die ganz unterschiedlich betrachtet wird. ({4}) Es sind einige Leute dabei, die mit nüchternem Realismus die Wirtschaft voranbringen. Und es sind andere dabei, die die Wahrheit, die Realitäten nicht sehen wollen, die mit Pessimismus immer nur das herbeireden wollen, was wir in den letzten zwei Jahren verhindert haben und auch in den nächsten Jahren verhindern werden. Mit dieser Regierung werden wir Wirtschaftswachstum haben, werden wir eine Zukunft haben für die Deutschen und auch eine Zukunft für jeden, der in unserer Bundesrepublik arbeiten will. Das ist die Aufgabe. ({5}) Das ist das, was wir in unserer Wirtschaftspolitik erreichen können. Jede andere Wirtschaftspolitik kann das nicht leisten, meine Damen und Herren. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 10/3175 - Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung: Ich rufe Frage 1 der Abgeordneten Frau Dann auf: Wie beurteilt die Bundesregierung die von DDR-Zeitungen mit Bezug auf Quellen in der Bundesrepublik Deutschland gegebene Information, wonach der Bundesnachrichtendienst den Telefonverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der I)DR auf Computerbasis lückenlos kontrolliere und rund 1,6 Millionen Briefe pro Jahr auswerte, mindestens 5 000 pro Tag'? Ist die Dame im Saal? ({0}) - Gehen Sie bitte an ein Mikrophon. Suchen Sie sich eines aus; hier vorn ist es am besten.

Not found (Gast)

Frau Abgeordnete, es handelt sich um eine Anfrage, die einen nachrichtendienstlich relevanten Sachverhalt betrifft. Aus grundsätzlichen Erwägungen werden Sachverhalte nachrichtendienstlicher Art im Plenum des Deutschen Bundestages nicht beantwortet; dafür stehen die gesetzlich vorgesehenen Kontrollinstanzen zur Verfügung. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wünschen Sie eine Zusatzfrage zu stellen? Sie brauchen mir das nur durch ein Handzeichen kenntlich zu machen. - Bitte sehr.

Heidemarie Dann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000354, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte fragen, wie es sich die Bundesregierung dann erklärt, daß diese Nachricht in der DDR in der „Sächsischen Zeitung" mitgeteilt wurde. Und ist sie daran interessiert, das Zustandekommen dieser Information aufzuklären?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, ich habe hier auf die gesetzlich vorgesehenen Kontrollinstanzen hingewiesen. Die Sachverhalte, um die es geht, eignen sich nicht für eine Erörterung im Plenum des Deutschen Bundestages. Sie können aber sicher sein, daß die rechtlichen Grundsätze, die hier zu beachten sind, beachtet werden und daß die gesetzlich eingerichteten Kontrollinstanzen darüber auch wachen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Danke schön. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung. Ich rufe Frage 40 des Herrn Abgeordneten Reimann auf: Kann die Bundesregierung angeben, welche Ursachen bzw. Mängel am häufigsten waren bei Unfällen mit dem Transport chemischer Güter in den Chemiestädten Ludwigshafen, Frankfurt/Main und Leverkusen'?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, die Überwachung von Gefahrguttransporten im Straßenverkehr sowie die Bekämpfung von Unfällen mit gefährlichen Gütern fallen in die Kompetenz der Bundesländer. Der Bundesregierung liegen keine Hinweise darauf vor, daß sich in den letzten beiden Jahren Unfälle beim Transport von gefährlichen Gütern in den Städten Ludwigshafen, Frankfurt am Main und Leverkusen ereignet haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage? - Bitte.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage jetzt für zwei Jahre beantwortet, was 9758 Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Reimann Unfälle betrifft. Ich würde die Frage gern präzisieren und erneut stellen: Haben Sie Erkenntnisse darüber, ob überhaupt und in welcher Form Mängel an Fahrzeugen in diesen Städten in den letzten zwei Jahren festgestellt wurden?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich muß davon ausgehen, daß allein bei einer der von Ihnen angesprochenen Städte, nämlich Frankfurt, über 12 000 Unfälle ausgewertet werden müßten, damit man in diesem Themenbereich fündig werden kann. Wir haben bei den betreffenden Bundesländern nachgefragt, ob es besondere Erkenntnisse gebe, die uns zum Handeln zwingen würden. Die Antwort war bisher: nein. Sie wissen aber wahrscheinlich, daß der Bundesminister für Verkehr eine Untersuchung der jüngsten Unfälle angeordnet hat. Es gibt einen Ständigen Beirat für Gefahrguttransporte beim Bundesminister für Verkehr, der, sollten diese Untersuchungen etwas anderes erbringen, gegebenenfalls handeln müßte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Manfred Reimann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001805, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Häufigkeit der Unfälle auf den Autobahnen und auf den Straßen bei Transporten mit chemischen Gütern möchte ich Sie jetzt, nachdem Sie mir so geantwortet haben, fragen, ob denn die Bundesregierung überhaupt Handlungsbedarf sieht, das festzustellen, was ich Sie gefragt habe.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich habe gerade gesagt, daß der Bundesminister für Verkehr eine Untersuchung der Unfälle angeordnet hat. Im übrigen darf ich darauf verweisen, daß es sehr strenge Regelungen für die Beförderung gefährlicher Güter gibt. Es gibt internationale Regelungen, die aber für den Transport in der Bundesrepublik Deutschland noch verschärft worden sind. Sie wissen wahrscheinlich, daß es Regelungen von der Ausbildung der Kraftfahrer bis hin zu der Frage gibt, ob auf der Straße bestimmte Güter überhaupt noch befördert werden dürfen. Sie werden unschwer feststellen können, daß der Transport auf der Straße im Güterfernverkehr nur an dritter Stelle steht; Schiene und Wasserstraßen stehen vorn, um die Gefährlichkeit der Güter nicht auf den Straßenverkehr zu übertragen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 41 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf: Welche Konsequenzen gedenkt die Bundesregierung aus der Häufung von Lastkraftwagen-Unfällen, insbesondere bei Nebel und Glatteis, auf den Bundesautobahnen zu ziehen, um damit die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu erhöhen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, der Ausschuß für Verkehr des Deutschen Bundestags hat sich ausführlich mit Unfällen auf den Autobahnen beschäftigt, an denen Lkw und Busse beteiligt waren. Er hat in die Diskussion auch diejenigen Unfälle einbezogen, bei denen die Witterungsverhältnisse und der Straßenzustand, also Nebel und Glatteis, maßgeblichen Anteil an den Unfallursachen hatten. Der vom Ausschuß von der Bundesregierung bis zum Ende dieses Jahres erbetene Folgebericht soll Vorschläge und Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit für die in dieser Hinsicht besonders gefährdeten Streckenabschnitte des Autobahnnetzes enthalten. Er wird sich auch mit den Problemen beschäftigen, die im Hinblick auf eine Verbesserung der Verbindung zwischen Verkehrspolizei und Verkehrsfunk bedeutsam sind. Hinsichtlich der Verhaltensvorschriften der Straßenverkehrsordnung ist die Bundesregierung der Auffassung, daß diese ausreichen. Hier ist insbesondere auf die §§ 3, 4, 5 und 18 zu verweisen, die hinsichtlich des Geschwindigkeits-, des Abstands- und des Überholverhaltens eindeutige Regelungen enthalten. Gleichwohl läuft im Augenblick die Untersuchung, von der ich bei der Antwort auf die vorhergehende Frage gesprochen habe. Die Bundesregierung wird mit den Bundesländern auch den Vorschlag der Bayerischen Staatsregierung erörtern, daß Lkw und Busse auf Autobahnen jeweils einen Mindestabstand von 50 m zum vorausfahrenden Fahrzeug einhalten müssen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Sie hier mit Inbrunst Ihre Überzeugung kundtun, daß das, was bisher gemacht worden ist oder was an Vorschriften besteht, ausreicht, wie können Sie sich dann erklären, daß die Auswirkungen dessen, was Sie als ausreichend bezeichnet haben, doch nicht genügen, weil es des öfteren zu diesen sicherlich auch aus Ihrer Sicht sehr beachtenswerten Vorkommnissen kommt?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich glaube, wir beide bedauern die Häufung dieser Unfälle. Wir bedauern jeden einzelnen Unfall. Aber wir waren bis vor kurzem alle in diesem Hause darüber einig, daß die Zahl der Vorschriften ausreicht. Allerdings genügen Vorschriften dann nicht mehr, wenn es menschliches Fehlverhalten gibt, das dann zu solchen Unfällen führen kann. Also müssen wir uns z. B. auch der Frage zuwenden - um nur ein Beispiel zu nennen -, wie es mit der Ausbildung der Kraftfahrer steht. Jedoch ist die Bundesregierung der Ansicht, daß, wenn es irgendwelche neuen Erkenntnisse gibt, die zu einem anderen Handeln zwingen, diese Erkenntnisse dann auch übertragen werden müssen. Wir haben hierzu ein vorzügliches Instrument, nämlich den Ständigen Beirat beim Bundesminister für Verkehr, bei dem alle Fachleute angesiedelt sind, die in diesem Zusammenhang überhaupt nur denkbar sind.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn Sie davon ausgehen, daß ein vorzügliches Instrument beim Bundesminister für Verkehr angesiedelt ist: Stimmen Sie mir denn in dem Punkt zu, daß dieses - nach Ihrer Bezeichnung - vorzügliche Instrument doch nicht ausgereicht hat, um das zu verhindern, was eingetreten ist?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, gegen menschliches Fehlverhalten kann der Bundesminister für Verkehr nur bedingt und begrenzt handeln. Wenn Sie so wollen, würde § 1 der Straßenverkehrsordnung ausreichen. Nur: Wir haben immer weiter spezifiziert. Wir haben gerade in diesem Bereich des Transports gefährlicher Güter einen Wust von Vorschriften, einen Wust von Reglementierungen. Wenn Sie das alles lesen wollten, bräuchten Sie dazu wahrscheinlich mehrere Monate.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. Klejdzinski auf: Sieht die Bundesregierung die Notwendigkeit, Lastkraftwagen mit dem sogenannten Antiblockiersystem auszurüsten, da damit das Querstellen der Anhänger bei plötzlichem und scharfem Bremsen wirkungsvoll vermieden werden kann und der Bremsweg - laut Information des ADAC - erheblich verkürzt wird, und hält die Bundesregierung es auf Grund dieser Tatsache nicht für zwingend erforderlich, diese Antiblockiersystem-Ausrüstung für Zugmaschinen mit Anhängern vorzuschreiben'?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, die Bundesregierung ist sich der Vorteile von automatischen Blockierverhinderern bewußt. Sie hat daher den folgenden Punkt in das Verkehrssicherheitsprogramm aufgenommen: Automatische Blockierverhinderer stellen einen außerordentlich wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit dar. In kritischen Bremssituationen kann ein damit ausgerüstetes Fahrzeug bzw. ein damit ausgerüsteter Zug fahrstabil und bremsfähig bleiben. Die Bundesregierung strebt daher an, automatische Blockierverhinderer in einem ersten Schritt für schwere Lastkraftwagen und ihre Anhänger, für Sattelkraftfahrzeuge und für Reiseomnibusse vorzuschreiben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich bin dankbar, daß Sie das durchaus positiv werten. Sie sprachen davon, die Bundesregierung strebe an, das „in einem ersten Schritt" vorzuschreiben. Wann gedenkt die Bundesregierung dies wirklich in die Tat umzusetzen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, wenn ich Ihnen heute einen Termin nennen könnte, dann hätte ich das bereits getan. Hier geht es um Fragen, die auch innerhalb der EG abgeklärt werden müssen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben mit einem Hinweis auf die EG geantwortet. Wenn es dann nicht funktioniert, dann verweisen Sie möglicherweise auf die gesamte Welt. Wäre es nicht durchaus angemessen, nicht den Bezug zur EG zu wählen, sondern grundsätzlich zu sagen: Auf unseren Autobahnen bietet sich diese Maßnahme an? Ich kann mir beispielsweise nicht vorstellen, daß die Vereinigten Staaten eine Geschwindigkeitsbegrenzung deswegen nicht eingeführt haben, weil wir in der EG möglicherweise nicht mitgemacht hätten.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, Sie wissen, daß die Vereinigten Staaten nicht Mitglied der EG sind.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 43 des Herrn Abgeordneten Hettling auf: Warum mißachtet die Bundesregierung den einmütigen Beschluß des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1982 zum Problem „Führen fremder Flaggen" ({0}), indem sie ihre Verhandlungsdelegation bei der UN-Konferenz über die Registrierung von Seeschiffen anweist, im Rahmen der OECD-Länder zu verhandeln, die die wirtschaftliche Verbindung zwischen Schiff und Flaggenstaat verhindern wollen und damit dem „Trend" zur Billigflagge, wie es der Auftrag des Deutschen Bundestages an die Bundesregierung ist, ({1}) nicht begegnet'?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Die Bundesregierung wirkt dem Trend zur Führung fremder Flaggen durch Maßnahmen entgegen, die das Kostengefälle zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den konkurrierenden Schiffahrtsnationen abbauen. Dazu gehören Finanzbeiträge, Neubauhilfen, Steuererleichterungen, die Anpassung der Schiffsbesetzungsordnung an die moderne Schiffstechnik und die Ladungssicherung im Verkehr mit Entwicklungs- und Staatshandelsländern. In der UN-Konferenz über die Registrierung von Seeschiffen setzt sich die Bundesregierung gemeinsam mit allen westlichen Industriestaaten für höhere Standards in der Schiffssicherheit, bessere Arbeitsbedingungen für die Besatzungen und einen wirkungsvolleren maritimen Umweltschutz ein. Hierdurch werden ebenfalls die Kosten des Schiffsbetriebs unter allen Flaggen einander angenähert. Mit dieser Verhandlungslinie befindet sich die Bundesregierung in vollem Einklang mit dem Bundestagsbeschluß vom 15. Dezember 1982.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Ludwig Hettling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000890, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, da die Bundesregierung mit den OECD-Staaten zusammenarbeitet, die das Gegenteil von dem tun, was Sie als Ziel der Entschließung genannt haben, nämlich der Ausflaggung entgegenzuwirken, statt mit den Ländern, die - wie Frankreich, Australien und Italien - einen Kompromiß suchen, frage ich Sie, ob die Bundesregierung überhaupt an einem erfolgreichen Abschluß der UN-Konferenz im Sinne der Bundestagsentschließung interessiert ist.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, die OECD-Staaten haben bisher - so die eine Front; die andere Front waren die Entwicklungsländer 9760 versucht, die Schließung der offenen Register zu verhindern. Sie haben statt dessen aber über die Einführung besserer Sicherheits- und Sozialvorschriften und auch besserer Umweltstandards versucht, die Kosten der Schiffe aus Billigländern denen der Industriestaaten anzunähern. Die deutsche Delegation - das wissen Sie aus eigener Anschauung - verfolgt diese Linie seit längerem gemeinsam mit anderen westlichen Staaten im Rahmen der sogenannten Gruppe B. Eine Unterteilung, wie Sie sie gemacht haben, möchte ich dabei nicht vornehmen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Ludwig Hettling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000890, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie wissen, daß ich Beobachter der Delegation war. Da trauen Sie mir bestimmt zu, eine eigene Wertung vorzunehmen. Deshalb werte ich das Verhalten der deutschen Delegation an Hand der Entschließung. Darum meine Frage: Sind Sie überhaupt an einem erfolgreichen Abschluß dieser Verhandlungen interessiert, wenn Sie sich mit den Hardlinerstaaten wie den USA zusammentun, die in der Plenumsdiskussion der UN-Konferenz aus haushaltspolitischen Gründen verhindern wollten, daß überhaupt eine Fortsetzung dieser UN-Konferenz stattfindet?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Den ersten Teil der Frage lasse ich nicht zu; denn auch ein Staatssekretär hat nicht das Recht, eine Bewertung über einen Abgeordneten abzugeben. Der zweite Teil der Zusatzfrage steht zur Beantwortung frei.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Präsident, der Parlamentarische Staatssekretär aus dem Bundesverkehrsministerium antwortet dem Kollegen gerne, indem er sagt, daß wir uns in Einklang mit der Entschließung des Bundestages befinden, die im übrigen im Kopf auch meinen Namen trägt, daß überdies die Fronten auf dieser Konferenz wahrscheinlich nicht richtig gesehen werden. Die Entwicklungsländer wollen die offenen Register insgesamt abschaffen und die Tonnage in ihre eigenen Schiffe umlenken. Sie wollen dadurch auch Möglichkeiten zur Einwirkung auf den Einsatz der Schiffe erhalten. Von daher gibt es ganz natürliche Interessengegensätze, die beachtet werden müssen. Ich glaube, daß unsere Verhandlungslinie auch dadurch vorgegeben ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie vorher Ihre Fähigkeit bewiesen haben, auf eine gestellte Frage nicht zu antworten, darf ich Sie jetzt in diesem Zusammenhang fragen, ob es in diesem Punkt nicht durchaus interessant ist, nicht nur eine Antwort des Bundesministers des Verkehrs zu suchen, sondern gleichzeitig auch den Bundesminister für Verteidigung in dieser sehr wichtigen Frage zu konsultieren.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß Ihnen das, was bisher erklärte Politik der Bundesregierung ist, bekannt ist und Sie keinen Anlaß haben, anzunehmen, daß es Interessengegensätze zwischen den Ressorts gäbe.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten Hettling auf: Mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung erreichen, daß die ca. 300 Schiffe deutscher Reeder, die unter fremder Flagge ({0}) fahren, wieder die deutsche Flagge führen?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, die Bundesregierung hat keine rechtliche Handhabe, deutsche Reeder zum Rückflaggen ihrer Schiffe unter die deutsche Flagge zu zwingen. Eine Rückflaggung ist nur auf freiwilliger Basis möglich und nur dann zu erwarten, wenn diese Schiffe nach der Einschätzung ihrer Eigner auch unter deutscher Flagge wirtschaftlich erfolgreich betrieben werden können. Zu diesem Zweck hat die Bundesregierung die in der Antwort zur vorherigen Frage genannten Maßnahmen ergriffen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage.

Ludwig Hettling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000890, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, daß Ihnen die Entschließung des Bundestages bekannt ist, in der die Bundesregierung aufgefordert wird, diesem Trend zu begegnen. Meine Frage lautet konkret, mit welchen Maßnahmen die Bundesregierung dem andauernden Trend zur Ausflaggung begegnen will, insbesondere unter dem Gesichtspunkt, daß durch die Zunahme der Containerkapazitäten durch den Round-the-world-Verkehr eine weitere Überkapazität von bis zu 40% Containertonnage erfolgt und damit ein Verdrängungswettbewerb zu Lasten unserer Flotte eingeleitet wird.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich glaube, die Abteilung Container müssen wir extra behandeln. Das wissen Sie aus Ihrer Kenntnis und Erfahrung ebenfalls. Was das Ausflaggen insgesamt angeht, verweise ich auf die geleisteten und noch zu leistenden Finanzbeiträge, auf Neubauhilfen, auf Steuererleichterungen und auf die Anpassung der Schiffsbesetzungsordnung an die moderne Schiffstechnik und an die Vorschriften über die Ladungssicherung. Ich glaube, daß das ein ganzes Bündel von Maßnahmen ist, das auch von den Betroffenen anerkannt wird. Im übrigen waren wir uns in diesen Fragen im Deutschen Bundestag immer einig. Es gab ja eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr, die hier im Plenum im Jahre 1982 angenommen worden ist. Wir reden gerade über diese Maßnahmen. Der Antrag stammte von der CDU/CSU. Er wurde einmütig angenommen. Ich sehe also keinen Anlaß, hier uns auseinanderzudividieren.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, obwohl Sie mir vorhin freundlicherweise unterstellt haben, daß ich die erklärte Politik dieser Bundesregierung in Abstimmung von Verkehr und Verteidigung kenne, muß ich Ihnen leider gestehen, daß ich dies nicht weiß - und dies ist für einen normalen Abgeordneten auch gar nicht schlimm. Insofern frage ich Sie, ob Sie in der Lage sind, mir in dieser Fragestunde zu erläutern, wie Sie das Problem der Ausflaggung in Abstimmung zwischen Bundesminister der Verteidigung und Bundesminister für Verkehr regeln wollen.

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, daß wir es nicht gerne sehen, daß Schiffe ausflaggen, mögen Sie daran erkennen, daß wir eine ganze Reihe von teuren Maßnahmen ergriffen haben. Dies gilt auch für den Bereich der Verteidigungspolitik. Im übrigen schlage ich, falls Sie zusätzliche Probleme über das hinaus sehen, was ich angesprochen habe, Ihnen vor, in der nächsten Fragestunde so zu fragen, daß der Bundesminister der Verteidigung antworten kann. Ich habe nicht die Absicht, sein Geschäft mit zu übernehmen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Klejdzinski, eine Bemerkung wie die leise gemachte können Sie unterlassen! ({0}) Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hettling.

Ludwig Hettling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000890, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen eben das aus Ihrer Sicht noch nicht relevante Thema Containerschiffausflaggung an. Ich frage Sie unter dem Gesichtspunkt der Ausflaggung im Massengutverkehr und bei der Tankschiffahrt, wo wir schon viele Erfahrungen haben, und unter dem Gesichtspunkt der nicht wirksamen Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat, um dem Trend zu begegnen: Ist es nicht an der Zeit, daß sich die Bundesregierung überlegt, welche ordnungspolitischen Maßnahmen zu den beschlossenen hinzukommen müssen, um dem Trend der weiteren Ausflaggung zu begegnen, bevor es zu spät ist und wir keine Handelsflotte mehr haben?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Also, Herr Kollege, wir können jetzt gerne eine große schiffahrtspolitische Debatte führen. Wir können auch die Beratungen des Ausschusses fortsetzen. - Vielleicht ist es möglich, daß wir uns einmal darauf verständigen, wieviel Schiffe ausgeflaggt haben, aus welchen Gründen die deutsche Flotte, die deutsche Flagge, zurückgegangen ist. Da gibt es ganz besondere Erscheinungen, über die wir im Verkehrsausschuß miteinander diskutiert haben. Sie werden sicherlich in Ihrer Heimatstadt in Erfahrung bringen können, daß die Maßnahmen, die ergriffen worden sind, wirken und ziehen. Man kann unschwer hochrechnen, was passiert wäre, würde es diese Maßnahmen nicht geben. Von daher wehre ich mich ganz entschieden gegen Ihre Wertung, diese Maßnahmen würden nicht greifen. Was Sie allerdings in Ihren Fragen andeuten, daß man die offenen Register verbieten solle, würde wahrscheinlich der deutschen Flagge, deutschen Reedereien und deutschen Seeleuten wenig helfen, weil die Gefahr besteht, daß auf Grund des Kostengefälles - ich blicke auf die abgehaltene Konferenz - die Schiffe in die Hand von Entwicklungsländern getrieben würden, so daß Sie mit Ihren Wünschen und Zielen überhaupt nichts erreicht hätten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir mitteilen, welche Maßnahmen die Bundesregierung von 1969 bis 1982 getroffen hat, um das Ausflaggen zu verhindern und sicherzustellen, daß genügend Schiffe unter deutscher Flagge fahren, und mit welchem Erfolg diese mit aller Energie betriebenen Maßnahmen dann gesegnet waren?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege Eigen, es gibt die Förderung der deutschen Schifffahrt schon seit langem. Es gibt viele, die diesen Bereich unter die Rubrik Subventionen einreihen und mit dieser Einreihung gleich versuchen wollen, diese Hilfen zu verhindern oder abzubauen. Auch dies muß ich in diesem Zusammenhang einmal sagen. Eine ganze Reihe von Maßnahmen ist erst in jüngster Zeit dazugekommen. Zum Beispiel ist die Anpassung der Schiffsbesetzungsordnung erst jüngst erfolgt. Es gab früher einmal Finanzbeiträge. Die sind jetzt wieder eingeführt worden. Und es gibt eine ganze Reihe von internationalen Verhandlungen, von denen wir uns ebenfalls Erfolg für unsere Flagge versprechen. Wenn ich all dies zusammennehme, komme ich zu der Wertung, daß die Bemühungen, der deutschen Flagge zu helfen, in jüngster Zeit erheblich zugenommen haben. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir etwas darüber sagen, wieviel dieser 300 Schiffe, von denen der Herr Kollege Hettling hier spricht, die fremde Flagge in der Zeit der früheren sozialliberalen Koalition übernommen haben und warum das damals nicht verhindert worden ist oder verhindert werden konnte?

Manfred Schulte (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002101

Herr Kollege, ich habe im einzelnen keine Aufstellung über diese Schiffe. Ich weiß im übrigen auch nicht, ob all die Schiffe, die einst ausgeflaggt worden sind, heute noch auf den Meeren fahren. Ich will mich einmal bemühen, diese Daten, sofern das technisch möglich ist, zu bekommen. Sollte es möglich sein, stelle ich sie Ihnen gern zu. Im übrigen: Das Wirtschaftsgefälle, insbesondere das Kostengefälle, bestand auch in der Vergangenheit. Es gab eigentlich immer Einigkeit zwischen den Fraktionen über die Maßnahmen, die zu ergreifen wären. Die Maßnahmen wurden, wie ich vorhin ausgeführt habe, in jüngster Zeit verstärkt. So haben wir z. B. im Jahre 1982 über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion abgestimmt und dabei Einstimmigkeit erzielt. Daher gehe ich davon aus, daß diese Frage keinen Anlaß zum Streit bietet. Allerdings: Die Bemühungen sind verstärkt worden; dies wird an der Küste anerkannt. Das geht so weit, daß maßgebliche Vertreter sogar öffentlich gesagt haben: Lieber einen bayerischen Verkehrsminister als einen Staatssekretär von der Küste. Ich glaube, daß man dies zur Kenntnis nehmen kann.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs angelangt. Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundesminister des Auswärtigen. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Möllemann zur Verfügung. Die Frage 47 des Abgeordneten Dr. Weng ({0}) und die Frage 48 des Abgeordneten Hedrich sollen auf Wunsch der Fragesteller schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 45 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf: Auf welchem Wege und gegebenenfalls von wem ist der Bundesregierung mitgeteilt worden, daß die neun entsandten deutschen Lehrer an der Ahmani-Oberschule in Kabul nicht mehr tätig sein dürfen?

Not found (Gast)

Herr Präsident, wenn der Kollege Schlaga einverstanden ist, würde ich seine beiden Fragen gern zusammen beantworten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Er ist es. - Ich rufe dann auch die Frage 46 des Herrn Abgeordneten Schlaga auf: Mit welcher Begründung ist der Bundesregierung dies mitgeteilt worden, und was hat sie gegen dieses Tätigkeitsverbot, das offensichtlich einer Ausweisung und der Schließung der Schule gleichkommt, getan?

Not found (Gast)

Herr Kollege Schlaga, der Direktor des Sekundarschulwesens im afghanischen Erziehungsministerium, Karim Mirzada, hat unseren Geschäftsträger in Kabul am 17. Februar 1985 über den Entschluß seiner Regierung mündlich unterrichtet, daß deutsche Lehrer an der Ahmani-Oberschule nicht mehr benötigt würden. Das gleiche gelte für die französischen Lehrer, die am Lycée Istequal, einer anderen Sekundarschule in Kabul, tätig seien. Zur Begründung für die Entlassung der deutschen Lehrer wurde von Herrn Mirzada angegeben, die seit langem angestrebte afghanische Autarkie in der Lehrerausbildung und -versorgung sei erreicht worden, nicht zuletzt mit Hilfe der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs und anderer Länder; außerdem werde das gesamte afghanische Erziehungssystem vereinheitlicht. Die Ahmani-Oberrealschule ist seit ihrer Gründung im Jahre 1924 eine staatliche afghanische Einrichtung. An ihr unterrichten ganz überwiegend afghanische Lehrer. Die Entlassung der neun deutschen Lehrer hat deshalb nicht die Schließung der Schule bewirkt. Die Entlassung hat allerdings in der Tat zur Folge, daß die deutschen Lehrer Afghanistan verlassen mußten. Auf Weisung des Auswärtigen Amtes hat unser Geschäftsträger in einer Demarche bei Herrn Mirzada am 25. Februar dieses Jahres unser Bedauern über die einseitige Beendigung der 60jährigen Kooperation ausgedrückt, die nach unserer Auffassung mit dem Geist des Kulturabkommens nicht vereinbart ist, und ein entsprechendes Aide-mémoire übergeben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage? - Bitte sehr.

Georg Schlaga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001974, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, gab es, was die Entsendung deutscher Lehrer an diese Schule betrifft, einen befristeten Vertrag?

Not found (Gast)

Nein, eine Befristung, insbesondere eine Frist bis zu diesem Zeitpunkt, hat es nicht gegeben. Ich glaube, Herr Kollege Schlaga, man geht nicht fehl, wenn man annimmt, daß es hier einen Zusammenhang zwischen der konkreten Situation Afghanistans mit der Einflußnahme der Sowjetunion in vielfältigster Form auf die innere Entwicklung dieses Landes und diesem Vorgang gibt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Georg Schlaga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001974, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Rechnen Sie damit, daß gegebenenfalls weitere Institutionen geschlossen oder dort noch tätige Einzelpersonen abgeschoben werden, weil sie nicht mehr gebraucht werden?

Not found (Gast)

Darüber ist schwer zu spekulieren. Das möchte ich auch nicht tun. Aber der von mir angesprochene Prozeß der Einflußnahme von seiten der Sowjetunion auf eine, wie die afghanische Seite selber nennt, Vereinheitlichung des inneren Lebens ist unbestreitbar. Wahrscheinlich geht man nicht fehl in die Befürchtung, daß er weitere Konsequenzen haben wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Georg Schlaga (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001974, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die letzte. Herr Staatsminister, halten Sie es für möglich und gibt es Anzeichen dafür, daß die Stellen der aus der Bundesrepublik entsandten Lehrer von Lehrern aus der DDR eingenommen werden könnten?

Not found (Gast)

Darüber ist uns nichts bekannt. Aber ausschließen kann man das nicht. Ich möchte an der Stelle, Herr Kollege, noch einmal sagen: Der Hintergrund bei diesem Vorgang ist eindeutig, und er läßt natürlich vermuten, daß Ihre Befürchtung nicht unbegründet sein könnte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Haase.

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, ist Ihnen bekannt, ob die französische Schule in Kabul gleiches erfahren hat?

Not found (Gast)

Ja. Ich habe in meiner Antwort erwähnt, daß die gleiche Maßnahme auch die französische Einrichtung betroffen hat. Das heißt, man könnte vermutlich sagen, daß westliche Einrichtungen in gleicher Weise behandelt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, bitte schön.

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist Ihnen auch bekannt, wie die französische Regierung darauf reagiert hat, und können Sie das hier darstellen?

Not found (Gast)

Genauso wie wir. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weitere Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 49 des Abgeordneten Jäger ({0}) auf: Steht die Ablehnung der Registrierung und damit Zulassung eines .,Verbandes der Deutschen" als eines privatrechtlichen Vereins durch die polnischen Behörden ({1}) nach Auffassung der Bundesregierung im Einklang mit dem auch in Polen in Kraft befindlichen Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte ({2}) sowie mit den Vereinbarungen in der KSZE-Schlul3akte von Helsinki und dem abschliel3enden Dokument des KSZEFolgetreffens von Madrid, und was wird die Bundesregierung bilateral sowie im Rahmen des KSZE-Prozesses unternehmen, um den Menschenrechten der betroffenen Deutschen gegenüber den polnischen Behörden zur Durchsetzung zu verhelfen?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, in dem von Ihnen angeführten Fall hatte der Hauptinitiator, Herr Norbert Gaida, parallel zum Antrag auf Registrierung seines „Verbandes der Deutschen" auch - und zwar zeitlich früher - seine Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland betrieben. Die Bundesregierung hat sich auf Wunsch von Herrn Gaida nachdrücklich und beharrlich bei der polnischen Regierung für die Bewilligung dieses Ausreisebegehrens eingesetzt. Diese Bewilligung ist dem Antragsteller und seiner Familie inzwischen erteilt worden. Es ist uns nicht bekannt, ob und gegebenenfalls von wem der Antrag von Herrn Gaida weiterverfolgt wird. Im übrigen ist Politik der Bundesregierung, sich bei der polnischen Regierung beharrlich dafür einzusetzen, daß jeder einzelne Bürger in der Volksrepublik Polen sein Recht auf Wahrung seiner kulturellen Identität ausüben kann. Der Bundesminister des Auswärtigen hat dies - wie schon früher - auch bei seinem Zwischenaufenthalt in Warschau am 6. März 1985 gegenüber seinen polnischen Gesprächspartnern nachdrücklich unterstrichen. Fortschritte in dieser Frage können nur durch eine Politik des beharrlichen Dialogs und der vertrauensvollen Zusammenarbeit im Rahmen der bestehenden bilateralen und multilateralen Verträge und Abkommen erzielt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage; bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, ist der Bundesregierung bekannt, und welche Schlüsse zieht sie jedenfalls daraus, daß die polnischen Behörden interessanterweise abweichend von ihrer bisherigen Argumentationslinie die Registrierung dieses „Verbandes der Deutschen" nicht mit der Begründung abgelehnt haben, es gebe gar keine Deutschen in Polen oder jedenfalls keine, die das Recht hätten, einen „Verband der Deutschen" zu gründen, sondern ausschließlich damit, dieser Verband verfolge eine Agitation gegen den polnischen Staat und seine Gesetze? Wie gesagt, welche Folgerungen ziehen Sie daraus, daß hier möglicherweise eine neue Argumentationslinie entsteht, die unseren Argumenten eigentlich eher entgegenkommen könnte?

Not found (Gast)

Herr Kollege Jäger, ich erwähnte bereits, daß uns nicht bekannt ist, wie sich das weitere Geschehen um diesen Antrag um Zulassung des Verbands entwickelt hat. Dementsprechend ist uns auch die Argumentation der polnischen Seite nicht bekannt. Deswegen kann ich eine Bewertung hier nicht vornehmen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, da mir bekannt ist, daß die Antragssteller, abgesehen von der Familie, die Sie genannt haben, die ja in die Bundesrepublik darf, sich auch an die deutsche Botschaft gewandt haben, frage ich: Sind Sie bereit, Nachforschungen anzustellen, wie es mit diesem „Verband der Deutschen" weitergeht, von dem ich vermute, daß er alsbald um eine entsprechende Personenzahl solcher, die nicht ausreisen dürfen, aufgefüllt wird, und ist die Bundesregierung bereit, Schritte zu unternehmen, um diesem Verband zur Durchsetzung seines in den von mir genannten Menschenrechtspakten garantierten Rechts auf Existenz zu verhelfen?

Not found (Gast)

Herr Kollege, ich möchte zum ersten Teil Ihrer Frage sagen, daß wir selbstverständlich bereit sind, uns mit dem Sachverhalt erneut und näher zu befassen. Zweitens sind wir bereit, Sie dann darüber zu informieren. Aber eine Schlußfolgerung kann ich nicht vornehmen, bevor nicht das Ergebnis vorliegt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Frage 50 des Abgeordneten Jäger ({0}) wird vom Bundesministerium des Innern beantwortet. Wir sind damit am Ende Ihres Geschäftsbereichs angelangt, Herr Staatsminister. Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Spranger zur Verfügung. Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Jäger ({1}) auf: Wie viele Asylbewerber erwartet die Bundesregierung im Jahr 1985 neu in der Bundesrepublik Deutschland - darunter wie viele für Baden-Württemberg -, und welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, damit die zu erwartende neue Asylanten-Flut von den Ländern und Gemeinden bewältigt werden kann?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Jäger, im Jahre 1985 werden voraussichtlich 60 000 Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland politisches Asyl beantragen. Das ergeben eine Hochrechnung der Zugangszahlen der ersten drei Monate dieses Jahres sowie die Erfahrungen, daß die Zahl der Asylbewerber in den letzten Jahren regelmäßig von Quartal zu Quartal gestiegen ist. Nach dem Schlüssel über die Verteilung der Asylbewerber, auf den sich die Bundesländer am 2. Juli 1982 geeinigt haben, entfallen auf das Land Baden-Württemberg 15,2 % aller Asylbewerber. Bezogen auf die erwarteten 60 000 Asylbewerber hätte Baden-Württemberg davon 9 120 aufzunehmen. Das Bundeskabinett hat am 13. Februar 1985 eine interministerielle Arbeitsgruppe aus den Ressorts Auswärtiges Amt, Bundesministerium des Innern, Bundesministerium der Justiz, Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung, Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit sowie Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen unter dem Vorsitz des Chefs des Bundeskanzleramtes damit beauftragt, die gesamte Problematik im Bereich Asyl für eine eingehende Diskussion im Bundeskabinett aufzubereiten. In die Überlegungen werden auch die verschiedenen Anträge aus dem Bundesrat eiñbezogen. Die Ergebnisse der Beratungen sollen noch vor der Sommerpause vorliegen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da eine der Hauptquellen des Zugangs von Asylbewerbern der Flugplatz Schönefeld in Ost-Berlin ist und da man in den letzten Tagen darüber gehört hat, daß es hierüber Verhandlungen gibt: Können Sie uns über den Stand dieser Gespräche schon etwas sagen, oder ist da noch nichts Konkretes mitteilbar?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Der Gegenstand der Gespräche legt es nahe, über das Thema, vor allem im jetzigen Stadium des Verfahrens, nicht öffentlich zu sprechen. Ich bitte sehr um Verständnis.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, da sich die meiner Frage zugrunde liegende Sorge nicht auf diejenigen Asylbewerber richtet, die zu Recht als politisch Verfolgte einzustufen sind, sondern auf die wohl nach wie vor überwiegende Zahl derjenigen, die das Asylrecht zu Unrecht in Anspruch nehmen, möchte ich Sie fragen: Wie hoch bemißt sich nach den neuesten Erfahrungen Ihres Hauses der Anteil derer, die letztendlich zu Unrecht den Asylantrag stellen, weil sie von den Gerichten nicht anerkannt werden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Jäger, nach wie vor ist es so, daß der Anteil derjenigen, die zu Unrecht Antrag auf politisches Asyl stellen, sehr hoch ist. Es gibt erhebliche Unterschiede zwischen den Personenkreisen aus den verschiedenen Herkunftsländern. Das läßt sich nur entsprechend der Herkunftsländer quantifizieren. Ich bin gern bereit, Ihnen das im einzelnen differenziert schriftlich zu übermitteln. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. de With.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie in Ihrer Antwort soeben erwähnten, daß die Zahl der Asylbewerber in den letzten Jahren von Quartal zu Quartal gestiegen sei: Können Sie bitte exakt mitteilen, von welchem Quartal welchen Jahres an das Ansteigen zu beobachten ist? Denn meiner Erinnerung nach war in den letzten Jahren auch einmal ein Rückgang zu verzeichnen.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Es ist richtig, daß Anfang der 80er Jahre hinsichtlich der Gesamtsumme ein Rückgang feststellbar war. Das ändert aber nichts daran, daß sich in den letzten Quartalen - nehmen wir die letzten zwei - die Zahlen erhöht haben. Auch hier bin ich bereit, Ihnen das im Detail schriftlich zu übermitteln. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. - Dann rufe ich die Frage 51 des Herrn Abgeordneten Haase ({0}) auf: Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung klarzustellen, daß es keine Entschädigungszahlungen an Landwirte durch Wasserversorgungsunternehmen geben kann, wenn Landwirten bei Gefahr der Beeinträchtigung des Grundwassers die Verwendung von schädlichen Dünge- und Pflanzenschutzmitteln untersagt wird?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Haase, die Bundesregierung sieht keinen Bedarf für eine Klarstellung im Sinne Ihrer Fragestellung. § 19 Wasserhaushaltsgesetz schreibt vor, daß eine Entschädigung zu leisten ist, wenn in Wasserschutzgebieten bestimmte Handlungen für verboten oder nur für beschränkt zulässig erklärt werden, die für die Betroffenen eine Enteignung darstellen. Unter diese Regelung können auch Landwirte fallen, wenn diesen aus Gründen des Gewässerschutzes derart strenge Auflagen gemacht werden, daß der Enteignungstatbestand erfüllt ist. Die Bestimmung des § 19 Wasserhaushaltsgesetz entspricht dem verfassungsrechtlichen Gebot des Art. 14 Grundgesetz, wonach bei einer Enteignung eine Entschädigung zu leisten ist. Im Hinblick auf die Regelung des Art. 14 Grundgesetz ist eine Einschränkung des in § 19 vorgesehenen Entschädigungsanspruches nicht möglich. Die Frage, wer die Entschädigung aufzubringen hat und wie die Entschädigung im einzelnen zu bemessen ist, ergibt sich aus den Landeswassergesetzen und aus der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Enteignungstatbestand. Klarstellungen sind insoweit nicht notwendig.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht auch mit mir der Meinung, daß man, wenn gegen einen Grundwasserschutz, der generell durch das Wasserhaushaltsgesetz und die Wassergesetze der Länder besteht, verstoßen wird, dadurch, daß Dünger oder Reste von Dünger ins Grundwasser eindringen, nicht zu einem Ersatz entsprechend Ihrem Vortrag berechtigt ist, nämlich wegen eines enteignungsgleichen Eingriffes, sondern daß eher diejenigen, die diese Taten begangen haben, zum Schadenersatz herausgefordert werden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Haase, ich habe die Rechtslage, wie sie zur Zeit besteht, dargelegt. Ich bin der Meinung, daß die Rechtslage ausreichend ist und daß es keiner Änderungen bedarf.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, bitte.

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, das war natürlich keine Antwort auf meine Frage. Die Frage darf ich noch einmal variiert stellen. Wenn ein Grundwasserschutz durch das Wasserhaushaltsgesetz - wie Sie selbst dargestellt haben - besteht macht sich nicht jemand, der durch Düngung oder durch sonstige Einleitung das Grundwasser verschmutzt, schadenersatzpflichtig und muß er nicht in Anspruch genommen werden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Haase, ich glaube schon, daß ich in der Antwort auf Ihre erste Zusatzfrage angemessen und Ihrer Frage entsprechend geantwortet habe. Weil Sie Ihre Frage wiederholen, muß ich wiederholen, daß die Rechtslage klare Regelungen gibt und daß für diesen von Ihnen genannten Fall die Bundesregierung gesetzliche Änderungen nicht als erforderlich ansieht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir einer Meinung, daß in diesen Fällen in der Regel prophylaktisch Vorsorge getroffen wird durch Vorschriften, die dem Landwirt in seiner Bewirtschaftung auferlegt werden, und daß er, wenn dies zu minderer Rentabilität führt, selbstverständlich entschädigt werden muß, wie jeder Bürger entschädigt wird, wenn durch Gesetze in sein Eigenturn eingegriffen wird?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Eigen, ich kann Ihnen bestätigen, daß in dem in den von mir genannten Bestimmungen gesetzten Rahmen Entschädigungsleistungen zu entrichten sind.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, halten Sie es für wahrscheinlich, daß in diesem Bereich ein gewisser Nachholbedarf an gesetzlichen Regelungen besteht, weil erst in den letzten Jahren dieses Problem aufgetaucht oder bewußt geworden ist?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Frau Kollegin Weyel, ich glaube, es kommt weniger darauf an, ob ich es für wahrscheinlich halte, sondern ob tatsächlich ein Handlungsbedarf besteht. Wie ich schon sagte, besteht ein solcher nach Auffassung der Bundesregierung nicht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie denn dann wenigstens meine Meinung, daß mit dem Recht auf Grund und Boden und seiner Nutzung nicht zugleich ein Recht auf die Verschmutzung oder Vergiftung des in dem Grund und Boden bedindlichen Wassers besteht?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Diese Auffassung ist sicherlich rückhaltlos zu bejahen. Ich sehe hier bloß keinen Zusammenhang zu der ursprünglichen Frage des Herrn Kollegen Haase. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 52 des Abgeordneten Haase ({0}) auf: Ist die Bundesregierung bereit, dem verstärkten Druck der Landwirtschaft dahin gehend Rechnung zu tragen, das 5. Gesetz zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes so zu ändern, daß damit bei Verboten für die Verwendung von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln, die zur Grundwassergefährdung führen können, ein Entschädigungsanspruch zu Lasten der Wasserversorgungsunternehmen und damit des Wasserpreises festgestellt wird?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Haase, die Bundesregierung hat den Entwurf des 5. Gesetzes zur Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes am 16. April 1985 beschlossen. Sie wird den Entwurf nunmehr dem Bundesrat zur Stellungnahme zugeleitet. Der Entwurf enthält keine Regelungen über die Gewährung von Entschädigungs- bzw. Ausgleichszahlungen an die Landwirtschaft. Mit Erhöhungen des Wasserpreises auf Grund von zusätzlichen Belastungen der Wasserversorgungsunternehmen ist aus diesem Grunde nicht zu rechnen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Ihnen ist sicher bekannt, daß die Landesregierung Baden-Württemberg erwägt, einen Wasserpfennig zu erheben. Halten Sie es denn für vertretbar, daß unter Berücksichtigung der Novellierung des Wasserhaushaltsgesetzes seitens einer Landesregierung eine solche Maßnahme in Erwägung gezogen wird?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Es geht hier um landesrechtliche Regelungen. Die Zuständigkeiten im Verhältnis zum Bund sind kraft Verfassung geregelt. Der Bund sieht keinen Anlaß, solche aus landesrechtlicher Kompetenz heraus möglicherweise vertretbaren oder denkbaren Lösungen automatisch auf den Bund zu übertragen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage.

Horst Haase (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000764, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehen Sie denn nicht die Gefahr, daß es dadurch zu einer völligen Zersplitterung von Bundesrecht kommen kann, daß in einzelnen Ländern zusätzlich Wasserpfennige erhoben werden, die zur Subventionierung der Landwirtschaft in diesem Bereich dienen sollen, und in ande9766 Haase ({0}) ren Ländern nicht? Wäre angesichts dessen nicht eine bundeseinheitliche Regelung vonnöten? Spranger, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege Haase, diese Gefahr sehe ich deswegen noch nicht, weil die baden-württembergische Regierung, insbesondere das für Landwirtschaft und Umwelt zuständige Ministerium, die Einzelheiten dieser Regelung noch aufzubereiten hat. Erst wenn diese vorliegen, hat der Bund auch die Möglichkeit, entsprechende Beurteilungen vorzunehmen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hat sich die Bundesregierung bereits ein Urteil über die Vorschläge des Sachverständigenrates für Umweltfragen gebildet, die ja in diesem Punkte ganz eindeutige Empfehlungen enthalten?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich weiß nicht, auf welche Empfehlungen Sie jetzt Bezug nehmen. Tatsache ist, daß die Bundesregierung zu der Frage von Umweltpfennigen - es gab beispielsweise auch in Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit Waldschäden einmal entsprechende Pläne - eine ganz eindeutige und klare Haltung bezogen hat.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sehen Sie denn wenigstens das Problem, daß es landwirtschaftliche Nutzungsbeschränkungen für landwirtschaftlich genutzten Grund und Boden im Interesse des Grundwasserschutzes, zumindest im Interesse der Qualität des Grundwassers geben muß?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich bitte Sie, Herr Kollege Sperling, Sie sollten doch § 19 des Wasserhaushaltsgesetzes kennen, der in den Ländern vollzogen wird und der eindeutig solche Vorschriften und Beschränkungen im Interesse der Reinhaltung des Wassers vorsieht.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ergibt sich aus Ihrer Antwort an den Kollegen Haase, daß es keinen unberechtigten und unsachgemäßen Druck der Landwirtschaft auf die Bundesregierung mit Bezug auf die neue Regelung gegeben hat, und tritt die Bundesregierung demgemäß energisch gegen die Diffamierungsversuche gegenüber der deutschen Landwirtschaft auf, die als Bodenverschmutzer und Umweltverschmutzer dargestellt wird, während sie in Wirklichkeit die Landschaft schützt, pflegt und erhält?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Jäger, der Begriff „unangemessener Druck auf die Bundesregierung" ist natürlich interpretierbar. Es wäre auch kein Kompliment für unsere Vertreter im Landwirtschaftsausschuß, wenn sie dort nicht auch die Interessen der Landwirtschaft vortragen würden. Sie haben dies aber in einer Weise getan, die zu keiner anderen Entscheidung als der geführt hat, die ich hier eben vorgetragen habe und die nach unserer Auffassung sachgerecht ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Eigen.

Karl Eigen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000455, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, wäre es im Sinne einer sicheren Versorgung unserer Bevölkerung mit gesundem Wasser nicht geradezu geboten, daß sich in solchen Gebieten Vertreter der Landwirtschaft und der Wasserversorgungsunternehmen zusammensetzen, um darüber zu beraten, in welcher Weise man die Gesundheit des Wassers sicherstellt, wobei dann natürlich darüber diskutiert werden kann, ob ein Landwirt für nicht durchgeführte Düngung entschädigt werden könnte? Spranger, Pari. Staatssekretär: Herr Kollege, nachdem der Begriff des „Dialogs" in anderen politischen Bereichen eine nahezu existentielle Bedeutung erlangt hat, würde ich meinen, daß ein „Dialog" der Betroffenen auch in diesem Bereich als sehr sinnvoll anzusehen ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Ihnen ist doch gewiß bekannt, daß das Ressort BMFT eine Studie erarbeiten ließ, in der eindeutig festgestellt worden ist, daß die Landwirtschaft nicht unbedingt ein Umweltschützer ist. Ich frage Sie, inwieweit zwischen den Ressorts BMI, BML und BMFT - also in der Regierung - eine gemeinschaftliche Auffassung darüber entwickelt wird, was denn nun eigentlich gilt: ob Landwirtschaft, wie Herr Jäger sagt, der beste Umweltschützer ist -

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Immer, hier muß eine konkrete Frage gestellt werden. Wir können hier nicht weltanschauliche Fragen erörtern.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. - Das BMFT hat feststellen lassen, daß in bezug auf das Wasser die Nitrateinbringung durch die Landwirtschaft hervorgerufen wird und daß dies zu Konzentrationen führt, daß man in manchen Gebieten das Grundwasser nicht mehr verwenden kann, ({0}) sondern sogar Tankwagen einsetzen muß - etwa an der Mosel usw. -, um den Menschen ein Wasser zu ermöglichen, das eben ohne Nitrat ist. Ich möchte Sie fragen, inwieweit hier endlich ein Abgleich der Meinungen erfolgt, so daß man weiß, ob BML oder Innenministerium oder BMFT recht hat.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Immer, ich sehe mich natürlich keineswegs veranlaßt, zu bestimmten Gutachten des BMFT wertend Stellung zu nehmen, ich tue das auch nicht; aber im Bereich der Bodenschutzkonzeption, die von der gesamten Bundesregierung - einschließlich dieses und anderer Ressorts und einschließlich des Landwirtschaftsministeriums - vor kurzem verabschiedet wurde, ist dieses Problem als solches erkannt, und die entsprechende Aufarbeitung des Problems beginnt. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, bitte.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß durch Verordnungen in Ländern wie z. B. Nordrhein-Westfalen ein Druck auf die Landwirtschaft ausgeübt wird, der die Landwirte dazu zwingt, Gülle z. B. an einem Tag, dem 16. Februar, auszufahren, weil sie bis zum 15. Februar nicht ausfahren dürfen, und die Landwirtschaft dadurch gezwungen ist, massiv auf den Boden einzuwirken, und daß solche sachunkundigen Verordnungen viel größere Gefahren in sich bergen als die Arbeit, die sonst von Landwirten gemacht wird?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Auch Ihnen, Herr Abgeordneter, muß ich sagen, daß eine rechtliche Frage zugrunde liegt und daher der Parlamentarische Staatssekretär des Innern zuständig ist. Die Frage, die Sie stellen, gehört, glaube ich, mehr in den Ressortbereich des Herrn Landwirtschaftsministers, und der ist im Augenblick nicht dran. Wollen Sie darauf antworten, Herr Staatssekretär?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Präsident, das gehört vor allen Dingen auch in den Zuständigkeitsbereich der Länder. Die von Ihnen genannte Praxis in Nordrhein-Westfalen unterscheidet sich, wenn sie so zutrifft, wie Sie sagen - ich habe keinen Anlaß, das zu bezweifeln -, ganz erheblich von der Praxis, die beispielsweise im Freistaat Bayern bei diesem Problem geübt wird.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage. Herr Abgeordneter Stahl, Sie haben meine Ermahnungen mitbekommen?

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Habe ich, Herr Präsident. - Herr Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob die Aussage des Kollegen Jäger ({0}), der die Landwirtschaft als den absolut größten Umweltschützer hier eben dargestellt hat, nach der Studie beziehungsweise dem Gutachten, das der Herr Kollege Immer eben bezüglich Landwirtschaft und Umwelt angesprochen hat, so berechtigt ist und ob diese Auffassung in dem Gutachten geteilt wird.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Stahl, ich glaube, wenn wir uns hier unterhalten, sollte man die Darlegungen des zitierten Kollegen auch richtig wiedergeben. Wenn ich es richtig im Kopf behalten habe, hat er nicht von den „größten Umweltschützern" gesprochen, sondern die herausragende Rolle der Landwirtschaft bei der Landschaftspflege betont. ({0}) Das ist ja nun in weiten Teilen unbestritten. Das ändert nichts daran, daß natürlich auch Belastungen entstehen, auch das wird von der Landwirtschaft nicht bestritten. Das muß man kooperativ und unter Abwägung der verschiedenen Interessenlagen aufarbeiten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 53 der Frau Abgeordneten Weyel auf: Welche Personen oder Institutionen können dem Sachverständigenrat für Umweltfragen Arbeitsaufträge erteilen'?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Frau Kollegin Weyel, ich wäre dankbar, wenn ich des Sachzusammenhangs wegen beide Fragen gemeinsam beantworten könnte. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Dann rufe ich auch die Frage 54 der Abgeordneten Frau WeYel auf: Ilat die Bundesregierung dem Sachverständigenrat ihrerseits schon Arbeitsaufträge erteilt, und welche waren das?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen ist von der Bundesregierung eingerichtet worden, um die Umweltsituation und die Umweltbedingungen in der Bundesrepublik Deutschland zu begutachten. Nach § 2 Abs. 2 des Errichtungserlasses vom 28. Dezember 1971 kann der Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem im Kabinettsausschuß für Umwelt und Gesundheit vertretenen Ressorts Gutachten zu bestimmten Themen erbitten. Daneben hat der Rat das Recht, seinerseits der Bundesregierung auf Grund seines eigenen Urteils Gutachten zu einzelnen Problemen zu erstellen. Die Abstimmung zwischen den Ressorts erfolgt regelmäßig im Ständigen Abteilungsleiterausschuß für Umweltfragen. Vor der Entscheidung über die Inanspruchnahme von Gutachten finden in jedem Fall Gespräche zwischen dem Bundesminister des Innern und dem Rat statt, in denen auch die Kapazitäten und die Aufgabenbelastung des Rates mit bereits in Vorbereitung befindlichen anderen Gutachten eine Rolle spielen. Meinungsverschiedenheiten konnten so vermieden werden. Alle Themen wurden einvernehmlich festgelegt. Zur Zeit arbeitet der Rat auf Wunsch der Bundesregierung an einem neuen Gesamtgutachten und, auf eigene Anregung, an einem Sondergutachten über Umweltbelastungen in Innenräumen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Dürfte ich zunächst einmal erfahren, was Sie unter „Gesamtgutachten" verstehen.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ein Gesamtgutachten ist ein Gutachten, das sich mit der Lage der Umwelt insgesamt beschäftigt. Solche Gesamtgutachten sind im Jahre 1974 unter dem Titel „Umweltgutachten 1974" und im Jahre 1978 unter dem Titel „Umweltgutachten 1978" erstellt worden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist das jetzt veröffentlichte Gutachten über Umweltfragen bei der Landwirtschaft als Teil dieses Gesamtgutachtens zu betrachten und als solches von der Bundesregierung in Auftrag gegeben worden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich habe hier zwar den Vermerk, daß das Sondergutachten von März 1985 noch nicht veröffentlicht ist, aber man kann unabhängig davon feststellen, daß es im Zusammenwirken auch mit der Bundesregierung erstellt worden ist. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, bitte sehr.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Da Herr Kollege Eigen bereits ein Urteil über dieses nichtveröffentlichte Gutachten abgeben kann, darf ich fragen, wie die Berufung der Sachverständigen in diesen Rat erfolgt und in welchen Abständen Erneuerungen erfolgen.

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Also, unabhängig von der allseits anerkannten prognostischen Kraft unseres Kollegen Eigen ({0}) erfolgt die Bestellung der zwölf Professoren und Sachverständigen in diesem Gremium nach der Satzung aus dem Jahre 1971 durch Berufung.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich fragte, in welchen Abständen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das war jetzt die letzte Zusatzfrage: In welchen Abständen? ({0})

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Nach § 5 dieses Erlasses von 1971 werden die Mitglieder des Rates vom Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Kabinettsausschuß für Umweltfragen für die Dauer von drei Jahren berufen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ihre letzte Zusatzfrage, bitte.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich daraus entnehmen, daß die jetzige Bundesregierung noch keinen Einfluß auf die Besetzung des derzeit tätigen Rates genommen hat, und darf ich daraus weiter entnehmen, daß entsprechend dem Regierungswechsel dann spätestens im Herbst dieses Jahres eine Umbesetzung erfolgen wird?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Frau Kollegin Weyel, wenn ich davon ausgehe, daß nicht alle Sachverständigen alle drei Jahre auf einen Schlag ersetzt werden, sondern kontinuierlich in Abständen immer wieder andere, weil ihre Zeit nach drei Jahren abgelaufen ist, so spricht ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit dafür, daß seit dem Oktober 1982 bereits entsprechende Berufungen durch den Bundesminister des Innern, der jetzt amtiert, erfolgt sind.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, könnten Sie sich vorstellen, daß sich die Bundesregierung vom Sachverständigenrat für Umweltfragen eine gutachtliche Stellungnahme wünscht, ob nach dem Wasserhaushaltsgesetz der Verwaltungsvollzug zum Schutz der Qualität des Grundwassers ausreicht?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich kann mir in diesem Zusammenhang sehr viel vorstellen. Das ist eine Frage der Kapazität und der Priorität, die die Sachverständigen als Maßstab setzen, wenn sie sich entscheiden, bestimmte Gutachten, die ja sehr arbeitsintensiv sind, zu erstellen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stahl.

Erwin Stahl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002212, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist in diesem Sachverständigenrat, den Sie angesprochen haben, auch ein Wasser- und Bodenkundler tätig?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich sehe, es ist dort z. B. Herr Botho Böhnke, Professor Dr.-Ing. aus Aachen, dessen Fach Siedlungswasserwirtschaft ist, tätig, und es ist eine Reihe von anderen Sachverständigen tätig, was zu der Schlußfolgerung führt, daß auch der Bereich der Reinhaltung des Wassers durch dieses Sachverständigengremium in vollem Umfange abgedeckt ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen mehr. Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten Kalisch auf: Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über linksextremistische Bestrebungen im Zusammenhang mit der Solidaritätskampagne für die sandinistische Regierung in Nicaragua?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Kalisch, seit November 1984 haben orthodoxe, d. h. Moskau-orientierte Kommunisten und Gruppen der „Neuen Linken", zum Teil in Bündnissen mit demokratischen Organisationen, ihre Nicaragua-Solidaritäts-Kampagne verstärkt. Den Auftakt zu einer Welle von Kundgebungen und Protestaktionen bildete die „Großdemonstration" am 3. November 1984 in Bonn, organisiert vom „Koordinationsausschuß der Friedensbewegung". Zu den etwa 16 000 Teilnehmern zählten Linksextremisten aller Richtungen, Mitglieder der DKP und ihrer Vorfeldorganisationen ebenso wie militante „Autonome" und Anhänger „antiimperialistischer" Gruppierungen aus dem terroristischen Umfeld. Auch an der organisatorischen Vorbereitung und Durchführung der Demonstration waren Linksextremisten beteiligt. Linksextremistische Organisationen betätigten sich als Initiatoren und Organisatoren einer Fülle weiterer Demonstrationen und Protestaktionen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine Zusatzfrage, bitte.

Joachim Kalisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001059, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen von weiteren Demonstrationen und Aktionen. Können Sie mir weitere Demonstrationen nennen, die die linksextremistischen Drahtzieher im Rahmen der Nicaragua-Solidaritäts-Kampagne mit beeinflußt oder gar initiiert und organisiert haben?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ja, Herr Kollege Kalisch. Der prosowjetische „Weltfriedensrat" hatte empfohlen, den 14. November als Tag der internationalen Solidarität für Nicaragua zu gestalten. Die Deutsche Kommunistische Partei hat dementsprechend am 14. November 1984 diesen Demonstrationstag mit einer Aktion vor der Botschaft der USA in Bonn und mit einer Serie von Protestaktionen vor amerikanischen Einrichtungen im ganzen Bundesgebiet eröffnet. Organisationen der extremistischen „Neuen Linken" folgten mit eigenen Aktionen. So organisierten die Marxistischen Gruppen bis Mitte Dezember in sieben größeren Städten Kundgebungen gegen einen angeblichen Krieg des freien Westens in Nicaragua. Linksextremisten unterstützten das sandinistische Regime in Nicaragua auch unmittelbar durch materielle und personelle Hilfeleistungen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfragen? - Bitte, Herr Abgeordneter Sielaff.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß auch christliche Gruppen und Gewerkschaften Solidaritätsveranstaltungen für Nicaragua durchführen, und gelten etwa auch diese Gruppen nach Ihrem Verständnis als linksextrem, oder wie beurteilen Sie diese Solidaritätsveranstaltungen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege, ich kann im Grunde nicht mehr nachzählen, wie oft wir hier im Deutschen Bundestag, auch in der Fragestunde, klargemacht haben, daß die Gruppen, die mit Linksextremisten zusammenarbeiten - was wir verurteilen -, nicht mit Linksextremisten gleichzusetzen sind. Wir müssen aber auch immer wieder darauf hinweisen, daß eine solche Zusammenarbeit eine sehr gefährliche Aktionsgemeinschaft darstellt, die der Bündnispolitik vor allem der orthodoxen Kommunisten entspricht und im Widerspruch zu den Interessen unseres Staates und unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Äußerung des Vorsitzenden der Jungen Union, der bekanntgegeben hat, daß die Junge Union Aktionsmaßnahmen zur finanziellen Unterstützung von Nicaragua und anderen von Bürgerkriegen heimgesuchten Ländern Mittelamerikas fordert und auch fördert? Sind Sie der Meinung, daß sich die Junge Union außerhalb der von Ihnen deklarierten Kampagne befindet, oder meinen Sie, daß die Junge Union einen Linksdrift erlebt, indem sie mit linksextremistischen Gruppen mindestens sympathisiert, wenn nicht sogar kollaboriert?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Immer, ich möchte Ihnen nichts unterstellen. Aber bestimmte Erfahrungen haben mich sehr vorsichtig gemacht, irgendwelche Zitate hier zu kommentieren. Ich bin gern bereit, das, was Sie hier behaupten, überprüfen zu lassen, um Ihnen dann eine entsprechende Stellungnahme zu irgendwelchen Äußerungen aus dem Bereich der Jungen Union, aber auch aus anderen Bereichen, zugänglich zu machen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie geklärt haben, was nach Ihrer Auffassung an Zusammenarbeit nicht im Interesse der freiheitlich-demokratischen Grundordnung liegt: Könnten Sie dann auch noch sagen, daß die Aktionen des amerikanischen Geheimdienstes in Nicaragua ebenfalls nicht im Interesse der Wertegemeinschaft des freien Westens liegen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich sehe hier keinen direkten Bezug zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, in der Bundesrepublik Deutschland.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 56 des Herrn Abgeordneten Kalisch auf: Worin bestehen die personellen und materiellen Hilfeleistungen deutscher Linksextremisten für das Regime in Nicaragua?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Kalisch, die DKP und ihre Vorfeldorganisationen haben seit Ende Juni 1984 im Rahmen einer von ihnen aufgestellten „Solidaritätsbrigade Carlos Fonseca" mehr als 60 Personen nach Nicaragua entsandt, die dort eine Druckerei für die „Sandinistische Jugend" errichtet haben. Nach Angaben des DKP-Zentralorgans „Unsere Zeit" vom 15. Januar 1985 wurden für das Projekt bereits bis zu diesem Zeitpunkt mehr als 1 Million DM gesammelt. An den „Arbeitsbrigaden" der sogenannten Nicaragua-Solidaritätsgruppen haben seit der Jahreswende 1983/84 mehr als 500 Personen teilgenommen, darunter zahlreiche Anhänger der „Neuen Linken". Manche von ihnen äußerten die Hoffnung, in Nicaragua „revolutionäre Erfahrungen" gewinnen zu können für den „Widerstand hier". Andere wiesen darauf hin, daß sie sich als Brigadisten auch am „Wachdienst mit der Waffe" beteiligt hätten. Teilnehmer einer „Brigade" solidarisierten sich in einem Schreiben an die „Tageszeitung" mit dem Hungerstreik der inhaftierten Mitglieder der „Roten Armee Fraktion", den sie als „Kampf der Genossinnen und Genossen in den Knästen" bezeichneten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann rufe ich die Frage 57 des Herrn Abgeordneten Sielaff auf: Welche Folgerungen zieht die Bundesregierung aus der Entscheidung der Landesregierung von Rheinland-Pfalz, entgegen der ursprünglichen Vorstellung zur Förderung der ostdeutschen Kulturarbeit ({0}) nun doch keinen Lehrstuhl für ostdeutsche Landesforschung an der Universität Mainz zu schaffen?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Herr Kollege Sielaff, die Bundesregierung hält die in ihrer Grundsatzkonzeption zur Weiterführung der ostdeutschen Kulturarbeit - Bundestagsdrucksache 9/1589 - dargelegten Vorschläge zur Errichtung von Lehrstühlen und Instituten für ostdeutsche Landeskunde an den Universitäten nach wie vor für richtig. Dabei ist sich die Bundesregierung im klaren, daß nach der verfassungsmäßigen Kompetenzverteilung von ihr zwar Anregungen ausgehen können, die Verwirklichung aber allein im Zuständigkeitsbereich der Länder liegt. Sie wird entsprechende konkrete Initiativen im Rahmen ihrer finanziellen und rechtlichen Möglichkeiten auch künftig unterstützen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich dann fragen, wie sich diese Entscheidung der Landesregierung Rheinland-Pfalz zu den jüngsten Aussagen des Parlamentarischen Staatssekretärs Waffenschmidt vom 16. März dieses Jahres verhält, in denen er erklärte „Die Grundsatzkonzeption setzt vier Schwerpunkte", wobei in einem der Punkte ausgeführt ist „Es sollen Lehrstühle und wissenschaftliche Institute für ostdeutsche Landesforschung und Landeskunde an den Universitäten eingerichtet werden"? Meine Frage: Wo werden diese Lehrstühle eingerichtet? Können Sie da ein bißchen konkreter werden?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ja, da kann ich sehr konkret werden, Herr Kollege. Solche Lehrstühle und entsprechende Initiativen mit dazugehöriger Konkretisierung sind zu verzeichnen an den Universitäten München, Würzburg, Stuttgart, Bonn, Düsseldorf und Münster. Wenn hier eine autonome Entscheidung der Universität Mainz vorliegt, in die weder die Bundesregierung noch die Landesregierung aus Gründen des Art. 5 des Grundgesetzes - Freiheit von Forschung und Lehre - eingegriffen haben, sollte man weder die Bundesregierung noch die Landesregierung tadeln.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 58 des Herrn Abgeordneten Sielaff auf: Ist die Aufgabe der geplanten Professur für ostdeutsche Landesforschung an der Universität Mainz mit der Bundesregierung abgestimmt worden, und hält die Bundesregierung es ebenfalls für sinnvoller, die vorhandenen Forschungsaktivitäten in diesem Bereich zu koordinieren und durch ein Förderungsprogramm zu unterstützen und zu verstärken?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Das Kultusministerium des Landes Rheinland-Pfalz hat, wie der Bundesregierung seit 1983 bekannt, seine Entscheidung in bezug auf die Einrichtung eines Lehrstuhls für ostdeutsche Landeskunde an der Universität Mainz von dem Votum der Hochschule abhängig gemacht. Die Bundesregierung hat vor allem im Hinblick auf die in Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes normierte Wissenschaftsfreiheit von einer Einflußnahme auf die Gremien der vorgenannten Hochschule Abstand genommen. Sie ist ebenfalls der Ansicht, daß die vorhandenen Forschungsaktivitäten in diesem Bereich zu koordinieren und zu unterstützen sind. Dessenungeachtet hält es die Bundesregierung angesichts der großen Lücken im Bereich der ostdeutschen landeskundlichen Forschung, wie bereits dargestellt. für vordringlich, Lehrstühle und Institute für ostdeutsche Landeskunde zu errichten.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich darf Sie fragen, wie weit 1983 die Vorbereitungen für die Einrichtung dieses Lehrstuhls an der Universität Mainz bereits fortgeschritten waren, und war der Bundesregierung 1984/85, als die Drucksache 10/2178 veröffentlicht wurde, diese Entwicklung in Mainz noch nicht bekannt?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich sagte Ihnen schon, daß die Entwicklung durchaus bekannt war. Es war bekannt, was seitens der Landesregierung beabsichtigt ist. Es war die Auffassung der Bundesregierung und auch der Landesregierung und sicherlich auch der Universität und den entsprechenden Gremien bekannt. Die Tatsache, daß die Anregungen und Vorschläge der Bundesregierung von anderen Universitäten aufgegriffen wurden, zeigt, daß sie auf Resonanz stößt. Wir hatten nicht vor, an der Verfassung vorbei irgendwelche Möglichkeiten auszuschöpfen, um die entscheidenden Gremien der Universität Mainz zu beeinflussen.

Horst Sielaff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002172, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihren Äußerungen entnehmen, daß Sie diese Entwicklung in Mainz bedauern?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich kann zum Ausdruck bringen, daß sie sich nicht mit den politischen Intentionen deckt, die Kollege Waffenschmidt - Sie haben das zitiert - entsprechend der Haltung der Bundesregierung hier vor dem Plenum dargelegt hat.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wäre mit solchen Lehrstühlen eine Forschung verbunden, die sich in Gebieten abspielen muß, die nach Auffassung der Bundesregierung für uns Ausland sind?

Carl Dieter Spranger (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002205

Ich weiß nicht, in welchen Zusammenhang Ihre Frage mit der Frage des Kollegen Sielaff zu bringen ist. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Justiz auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Erhard zur Verfügung. Ich rufe die Frage 59 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf: Teilt die Bundesregierung die in Pressemeldungen erwähnte Auffassung des Generalbundesanwaltes Rebmann, daß die vorzeitige Veröffentlichung der Verhaftung Kaczmareks durch die Tageszeitung „Die Welt" die erhoffte Ergreifung eines weiteren Agenten zunichte gemacht habe, und wenn ja, beabsichtigt die Bundesregierung Maßnahmen zu ergreifen, um zukünftig frühzeitige Veröffentlichungen vermeiden zu können, die Strafverfolgungsmaßnahmen hindern?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege de With, ich gebe die Antwort der Bundesregierung wie folgt: Die Bundesregierung teilt die in Ihrer Frage wiedergegebene Besorgnis des Generalbundesanwalts. Die Ermittlungen, insbesondere die Vernehmung des Beschuldigten, haben Anhaltspunkte dafür ergeben, daß ein Kurier- oder Instrukteurtreffen mit dem Beschuldigten zu einem bestimmten Zeitpunkt in Bremen stattfinden sollte. Es spricht eine begründete Vermutung dafür, daß dieser Treff hätte zustande kommen und dabei ein weiteres Mitglied des polnischen Nachrichtendienstes hätte festgenommen werden können, dies aber durch die Presseveröffentlichung endgültig vereitelt worden ist. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat sich die Bundesregierung bemüht, herauszufinden - mit dem Ziel, die Quelle zu verstopfen -, wieso es zu dieser Indiskretion gekommen ist?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege de With, das ist die Frage, die Sie in der Frage 60 konkret angesprochen haben. Darf ich dann die Frage 60 in diesem Zusammenhang beantworten? ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich rufe daher noch die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. de With auf: Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung gegebenenfalls zu ergreifen? Sie haben bereits eine Zusatzfrage gestellt; Sie können dann noch drei Zusatzfragen stellen.

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Zur zweiten Frage gebe ich folgende Antwort: Bemühungen, frühzeitige Presseveröffentlichungen im Interesse einer wirksamen Strafverfolgung zu vermeiden, finden naturgemäß ihre Schranken in der verfassungsmäßig garantierten Pressefreiheit einerseits und in der weitgehenden Auskunftspflicht der Behörden andererseits. Der Generalbundesanwalt hat im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz gleich nach dem Erscheinen der Berichte über die Festnahme des Beschuldigten Kaczmarek in einer Pressemitteilung sein Bedauern über die vorzeitige Veröffentlichung ausgesprochen, um Wiederholungsfälle der hier angesprochenen Art künftig möglichst zu vermeiden. Weitere Maßnahmen, z. B. strafrechtlicher Art gegen einen etwaigen Informanten der Presse, erscheinen der Bundesregierung in Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt wegen der nachrichtendienstlichen Hintergründe des Ermittlungsverfahrens nicht tunlich und auch entbehrlich. Es ist nicht bekannt und im Hinblick auf das Zeugnisverweigerungsrecht des § 53 Abs. 1 Nr. 5 der Strafprozeßordnung - Zeugnisverweigerungsrecht der Presse - voraussichtlich auch nicht festzustellen, ob die Journalisten auf Grund eigener Recherchen oder durch Indiskretionen Dritter die veröffentlichten Informationen in Erfahrung gebracht haben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Hat die Bundesregierung eine Untersuchung eingeleitet, oder hat sie von vornherein Abstand genommen mit Rücksicht auf das von Ihnen vorweggenommene Ergebnis?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Die Bundesregierung hat in engstem Einvernehmen mit dem Generalbundesanwalt keine eigenen Ermittlungen eingeleitet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Hans With (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002536, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Darf ich dann zusammengefaßt festhalten, daß auch Sie wie Herr Generalbundesanwalt Rebmann bedauern, daß durch eine Indiskretion und die folgende Veröffentlichung die Festnahme eines möglichen Agenten verhindert wurde?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Möglicherweise und nach menschlichem Ermessen: ja. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. - Entschuldigung, Herr Abgeordneter Sperling, bitte. - Sie sind so weit am linken Flügel, Herr Abgeordneter, obwohl wir in der Mitte so viele Mikrophone frei haben.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern stehe ich dort. Herr Staatssekretär, hat die Bundesregierung nicht den Eindruck, daß es ausgerechnet die Zeitungen des Springer-Konzerns sind, die häufig durch Geschäftsinteressen dazu beitragen, daß Terroristen der Verfolgung durch die Rechtsorgane und Staatsorgane entgehen können?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Die Bundesregierung kann solche Feststellungen nicht treffen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Dann darf ich die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Schwenk ({0}) aufrufen: Wie beurteilt die Bundesregierung die schnell wachsende Zahl von Rechtsanwaltsniederlassungen und die sich daraus ergebenden Folgen für die Rechtspflege?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege Dr. Schwenk, die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung der Zulassungen zur Rechtsanwaltschaft mit Sorge. Die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte stieg von 18 347 im Jahre 1960 auf 46 943 am 1. Januar 1985. Nach den derzeitigen Zahlen der Studenten der Rechtswissenschaft ist damit zu rechnen, daß die Entwicklung der Zulassungen zur Rechtsanwaltschaft ihren Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Da sich die Nachfrage nach anwaltlichen Dienstleistungen nicht entsprechend dem Ansteigen der Zulassungen vermehren dürfte, sind die wirtschaftlichen Aussichten für einen erheblichen Teil der Rechtsanwälte problematisch. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten können in einer nicht unerheblichen Zahl von Fällen Gefahren für die Wahrung der beruflichen Integrität, die für die Anwaltschaft wesensnotwendig ist, mit sich bringen. Insbesondere könnte die für die Rechtspflege sehr wichtige Siebfunktion der Rechtsanwaltschaft, durch die der Mandant von wenig aussichtsreichen oder unwirtschaftlichen Rechtsstreitigkeiten abgehalten werden soll, geschwächt werden.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Wolfgang Schwenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002133, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wer wird nach Auffassung der Bundesregierung zunächst dafür sorgen, daß die Integrität der Rechtsanwaltschaft angesichts der von Ihnen vorgetragenen Sachverhalte gewahrt wird?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege Dr. Schwenk, Sie wissen ebensogut wie ich, daß wir in das Grundrecht der freien Berufswahl nicht eingreifen können und daß wir im Bereich der Rechtsanwaltschaft auf Grund verschiedener höchstrichterlicher Entscheidungen auch nicht eingreifen dürfen. Die wichtige Aufgabe, das Berufsethos und die Einhaltung zu wahren, liegt in den Selbstverwaltungsorganen der Rechtsanwaltschaft. Andere Möglichkeiten konkreter Art kann man phantasievoll entwickeln. Dazu ist die Fragestunde aber sicher ungeeignet.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, bitte.

Dr. Wolfgang Schwenk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002133, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind nach Auffassung der Bundesregierung die Selbstverwaltungsorgane der Rechtsanwaltschaft auch dazu in der Lage, durchgreifend diese Funktion der Sicherung des Berufsethos zu überwachen und mit der nötigen Energie tätig zu werden?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Die Bundesregierung hat die Arbeit der Anwaltskammern und der Ehrengerichte sorgfältig beobachtet. Wir haben keinen Anlaß, an der Funktionstüchtigkeit zu zweifeln.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Immer.

Klaus Immer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000995, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, widerspricht es nach Auffassung der Bundesregierung dem Berufsethos der Rechtsanwälte, wenn eine Regelung getroffen würde, die es dem Rechtsuchenden ermöglichte, in dem Anwalt denjenigen zu entdecken, der über ganz bestimmte spezifische Kenntnisse in ganz bestimmten Rechtsfragen verfügt, um ihm zu erleichtern, den richtigen Rechtsanwalt zu finden?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Die Bemühungen sind im Gang, die sogenannten Fachanwaltschaften zu erweitern.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 62 des Herrn Abgeordneten Kirschner auf: Ist bei einer Ehescheidung zwischen einer/einem deutschen Staatsbürgerin/Staatsbürger und einer/einem ausländischen Bürgerin/Bürger der Versorgungsausgleich für den deutschen Ehepartner gesichert, wenn diese/dieser Ausländerin/Ausländer sich im Zuge von gesetzlichen Regelungen ({0}) den Rentenanteil von der Rentenversicherung ausbezahlen ließ, und wenn nein, denkt die Bundesregierung daran, eine Regelung vorzuschlagen?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: In den von Ihnen angesprochenen Fällen richten sich der Versorgungsausgleich und die güterrechtlichen Folgen nach deutschem Recht. Erfolgt eine Beitragserstattung im Rahmen der Rückkehrförderung, so hat dies im Bereich der Scheidungsfolgen keine anderen rechtlichen Konsequenzen als die Erstattung in anderen Fällen. Findet die Erstattung nach der Entscheidung des Familiengerichts über den Versorgungsausgleich statt, so hat dies keine Auswirkungen auf die im Versorgungsausgleich übertragenen Anwartschaften des Ausgleichsberechtigten. Erfolgt die Erstattung in der Ehezeit, so wird kein Versorgungsausgleich durchgeführt. Die Erstattung ist jedoch, sofern die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand leben, nach Maßgabe der Vorschriften über den Zugewinnausgleich zu berücksichtigen. Nicht eindeutig geklärt ist, wie die Erstattung in den seltenen Fällen zu behandeln ist, in denen sie nach dem Scheidungsantrag, aber vor der Entscheidung des Familiengerichts vorgenommen wird. Höchstrichterliche Rechtsprechung aus der Zeit nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung von Härten im Versorgungsausgleich - nach dem 1. April 1983 - zu der Frage, ob in diesen Fällen trotz der Erstattung der Versorgungsausgleich durchzuführen oder die Erstattung beim Zugewinnausgleich zu berücksichtigen ist, ist der Bundesregierung nicht bekanntgeworden. Sollte diese Frage im Einzelfall geklärt werden müssen, kann dies nach Meinung der Bundesregierung der Rechtsprechung überlasParl. Staatssekretär Erhard sen werden. Ein Tätigwerden des Gesetzgebers erscheint nicht erforderlich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich aus Ihrer Antwort schließen, daß es hierbei tatsächlich einige ungeklärte Dinge gibt, wie Sie das angedeutet haben, und ist die Bundesregierung nicht bereit, entsprechende Initiativen zu ergreifen, um beispielsweise materielle Nachteile für den geschiedenen deutschen Ehepartner in den von Ihnen geschilderten Fällen, in denen diese Hilfe vor der Ehescheidung ausgezahlt wurde, zu vermeiden?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege, es gibt eine ganze Menge von Problemfeldern im Bereich des Versorgungsausgleichs. Diese zu regeln erfordert ein hinreichendes Maß an praktischen Erfahrungen bei den Gerichten. Die Bundesregierung ist in der Lage, ein ganzes Bündel solcher Probleme nicht nur aufzuzeigen, sondern auch Vorschläge zu unterbreiten, wie diese geregelt werden könnten. Der Zeitpunkt aber, diese Vorschläge öffentlich vorzulegen, ist nicht gekommen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Klaus Kirschner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001102, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, war der Bundesregierung bei der Vorlage des Gesetzentwurfs zur Rückkehrforderung für Ausländer diese Problematik bekannt?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Ich kann nicht im einzelnen beantworten, welche konkreten Fragen die Bundesregierung möglicherweise nicht gesehen hat. Aber eines steht fest: Keine gesetzliche Regelung kann vorwegnehmen, daß sich irgendwelche Ehepartner mit Rücksicht auf eine Möglichkeit der Rückkehrhilfe nunmehr scheiden lassen. Das ist unmöglich.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Dr. Müller auf: Sieht die Bundesregierung das Vertrauen in die Rechtsprechung durch die steigende Verwendung von nicht entzifferbaren Bußgeldbescheiden gefährdet?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege Müller, darf ich Ihre beiden Fragen 63 und 64 zusammen beantworten?

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Der Fragesteller ist einverstanden. - Ich rufe dann auch die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Müller auf: Was kann die Bundesregierung gegebenenfalls im Rahmen ihres Verantwortungsbereichs dagegen unternehmen?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Die Annahme, daß in steigendem Umfang nicht entzifferbare Bußgeldbescheide verwendet werden, trifft nach Kenntnis der Bundesregierung nicht zu. Den gestellten Fragen liegt offenbar das veröffentlichte Urteil eines Amtsgerichts aus Bayern zugrunde, das in einer Verkehrssache die Sachverhaltsschilderung einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Bußgeldbescheid als nicht mehr lesbar angesehen hat. Mit dieser Auffassung hat das Gericht in der Öffentlichkeit viel Beifall, jedoch vor dem Bayrischen Obersten Landesgericht keine Bestätigung gefunden. Das Bayrische Oberste Landesgericht hat inzwischen in mehreren Rechtsbeschwerdeverfahren gegen Entscheidungen dieses einen Gerichts - vergleichbare Entscheidungen anderer Gerichte sind nicht bekannt - den Standpunkt vertreten, daß die Sachverhaltsdarstellung in solchen Fällen trotz der Verwendung von Abkürzungen und großen Druckbuchstaben von jedem der deutschen Sprache Kundigen mühelos gelesen und verstanden werden könne. Trotz dieser Rechtslage stimme ich mit Ihnen, Herr Kollege, darin überein, daß die Bemühungen verstärkt werden sollten, die Bescheide auch beim Einsatz von EDV-Anlagen noch besser lesbar zu gestalten, soweit dies noch nicht geschehen ist. Das Bundesministerium der Justiz hat sich deswegen auf Grund der angeführten Entscheidung des Amtsgerichts aus Bayern schon vor einiger Zeit mit den zuständigen Stellen der Länder in Verbindung gesetzt. Nach den dort vorliegenden Berichten soll bislang lediglich in einem Falle von einem Bürger unter Bezugnahme auf das veröffentlichte Urteil des Amtsgerichts in Bayern geltend gemacht worden sein, der Bußgeldbescheid sei nicht verständlich. In anderen Bundesländern sind übrigens hinsichtlich der Anfertigung von Bußgeldbescheiden unter Verwendung von EDV-Anlagen bislang keine Klagen darüber bekanntgeworden, daß die Bescheide nicht hinreichend lesbar seien.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, Herr Staatssekretär, könnte die mangelnde Kenntnis der Bundesregierung über die Nichtlesbarkeit solcher Bußgeldbescheide damit in Zusammenhang stehen, daß der Bundesregierung selbst keine Bußgeldbescheide zugestellt werden?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege, die Vermutung, daß unsere Kenntnis oder Unkenntnis darauf beruhen könnte, ist irrig. Wir haben die beanstandeten Bußgeldbescheide nämlich in Fotokopie vorliegen. Deren Lesbarkeit habe ich selbst festgestellt, wenngleich mit manchen Mühen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Zusatzfrage, bitte.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen die Zusammenstellung des ADAC über die Nichtlesbarkeit von Bußgeldbescheiden bekannt, und ist Ihnen bekannt, daß auch die Schweizer Regierung Zweifel daran äußert, ob die Einheit der Rechtsprechung bei EDV-erstellten Bußgeldbescheiden, die nicht klar lesbar sind, noch gewahrt werden kann?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege, mir sind die konkreten Stellungnahmen des ADAC und der Schweizer Regierung jetzt nicht präsent. Doch so viel kann ich sagen: Die Stellungnahme der Schweizer Behörden, daß ein Bußgeldbescheid, der nicht hinreichend lesbar ist, kein wirksamer belastender Verwaltungsakt sein darf, stimmt mit meiner Auffassung überein.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Weitere Zusatzfrage.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, in Anbetracht der Tatsache, daß ein früherer Bundeskanzler nicht in der Lage war, seine Gas- und Stromrechnung, die mit EDV hergestellt wurde, zu lesen, ({0}) frage ich: Was spricht eigentlich dagegen, in dem EDV-Verfahren nicht mit Abkürzungen, sondern mit vollem Text zu arbeiten?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege Müller, ich bin kein EDV-Fachmann. Aber man wird mit Abkürzungen arbeiten müssen. Daß läßt sich auch durchaus machen. Sie dürfen nur nicht unlesbar werden. Wir kürzen j a auch das Wort „Kilometer" mit zwei Buchstaben ab. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ihre letzte Zusatzfrage.

Dr. Günther Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001548, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Arbeit der Bundestagsabgeordneten in ihren Wahlkreisen zusehends dadurch belastet wird, daß Bürger, die Bußgeldbescheide bekommen haben, die sie nicht entziffern können, rat-suchend in die Sprechstunden kommen?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Herr Kollege, mir sind weniger solche fragenden und ratsuchenden Bürger bekannt, die ihre Bußgeldbescheide nicht lesen können, wohl aber solche, die sich dagegen wehren wollen. Und mir sind sehr wohl viele Menschen bekannt, die andere Arten von Abgabebescheiden wie der frühere Bundeskanzler Schmidt kaum lesen können.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilt denn die Bundesregierung die in der Frage des Herrn Müller zum Ausdruck kommende Meinung, daß bei wachsender Entzifferbarkeit der Bußgeldbescheide das Vertrauen in die Rechtsprechung wachsen würde?

Benno Erhard (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11000485

Ich vermag im Moment nicht einzusehen, was die Rechtsprechung mit diesen Bußgeldbescheiden zu tun haben soll. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wir sind am Ende der Fragestunde angelangt. Wir fahren mit der Beratung der Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c fort. Das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. ({0}) - Sie haben sich geeinigt? Gut. Also, Sie kommen erst später dran, Herr Minister. Es ist eine Vereinbarung getroffen worden, daß erst die Fraktions- runde abläuft und dann der Vertreter eines anderen Verfassungsorgans zu Wort kommt. ({1}) - Sehen Sie! Also, gemeldet war der Herr Minister rechtzeitig. Die Vereinbarung, die inzwischen getroffen worden ist, ist mir offiziell nicht mitgeteilt worden. Aber wenn man sich verständigen will, kann das immer auch außerhalb der formellen Tagesordnung geschehen. ({2}) - Also, damit sind alle einverstanden. ({3}) Das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. Bitte sehr. Minister Dr. Jochimsen ({4}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Keine Angst, ich bleibe während der Zeit der Debatte hier. Wir führen heute endlich in diesem Hohen Haus eine Debatte über die strukturelle Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, die längst überfällig ist. Ich habe nach dem Verlauf heute morgen und in den Monaten vorher schon fast nicht mehr daran geglaubt, daß die Koalition dies noch gewünscht hat. ({5}) Wir führen diese Debatte zu einem Zeitpunkt, in dem Japan die deutsche Wirtschaft auf den Weltmärkten wohl schon überholt und vom Platz 2 in der Rangliste der Handelsnationen auf Platz 3 verwiesen hat. Der deutsche Exportvorsprung zu Beginn der 60er Jahre von nahezu 100% ist zum Jahresschluß 1984 auf i % zusammengeschmolzen, eine in der Wirtschaftsgeschichte beispiellose und atemraubende Aufholjagd. Und was tun wir? Wir üben uns in Nord-Süd-Saalschlachten, beurteilen die Wachstumsaussichten regionaler Teile der Bundesrepublik aus parteipolitischer Optik und tun so, als ob die Standortgunst, das Klima für Investitionen und die Attraktivität für ausländische Investoren sich nur an der Frage entscheiden, welche Partei den Ministerpräsidenten stellt, und als ob unsere Fragen nicht primär darauf gerichtet sein müßten, wie die Bundesrepublik und Europa weltweit den Anschluß halten können. Mit einem Wort, wir führen mal wieder eine richtig deutsche Debatte, in der kaum über den Tellerrand geguckt wird und die vom engstirnigen ProMinister Dr. Jochimsen ({6}) vinzialismus bis zu ruinöser Selbstzerfleischung reicht. ({7}) Die aktuelle Spaltung der weltwirtschaftlichen Entwicklung und Dynamik zwischen den USA und Japan auf der einen und den europäischen Industrieländern auf der anderen Seite macht eines ganz klar: Der Wettbewerb zwischen Strukturen und Standorten ist heute weniger denn je eine binnenstaatlich-regionalpolitische Frage. Die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft und damit der Arbeitsplätze in unserem Land liegt primär in einer gesamtstaatlichen europa- und globalpolitischen Verantwortung. Denn Wettbewerb auf dem Weltmarkt ist heute ein Wettbewerb zwischen den wirtschaftspolitischen Konzepten zwischen den nationalen Staaten und Staatsgemeinschaften. Wenn die Bundesrepublik diesem Konkurrenzdruck standhalten und ihre Spitzenposition unter den entwickelten Volkswirtschaften behaupten will, darf sie sich nicht selbst zersplittern. Sie muß im Gegenteil alle ihre Kräfte bündeln und sich in ihrer regionalen Gliederung, die j a eine Stärke ist - die das wenigstens sein kann -, als gemeinsamer Verbund verstehen, dessen Wachstumspotentiale im Dienste der gesamten Bundesrepublik stehen. Die Bundesregierung zeigt allerdings mit den Antworten auf die beiden Großen Anfragen, daß sie zur Wahrnehmung ihrer nationalen gesamtwirtschaftlichen Verantwortung nicht fähig und auch nicht bereit ist. ({8}) Die Antworten sind nach dem Muster gestrickt: Soweit es um Globalpolitik, d. h. bei der Bundesregierung also um die sogenannten Rahmenbedingungen geht, ist in unserer Republik alles in bester Ordnung. Wenn es dennoch Probleme gibt, so sind das regionale Probleme, für die die Länder, insbesondere die sozialdemokratisch regierten Länder, selbst verantwortlich sind. ({9}) Der Bund jedenfalls habe seine Schuldigkeit getan. So ja heute morgen Herr Bangemann. ({10}) Beide Grundaussagen, die den Tenor der Antworten auf die Großen Anfragen bilden, sind falsch. ({11}) Erstens ist weder in der globalen Politik alles in Ordnung - sie ist vielmehr völlig unzureichend und verstärkt zusätzlich die strukturellen Verwerfungen, mit denen unsere Wirtschaft zu kämpfen hat - noch sind zweitens die wirklichen Strukturprobleme im Grunde regionale Probleme. Die großen Wirtschaftsprobleme unserer und anderer Volkswirtschaften sind vielmehr sektoraler und globaler Art. Diese konzentrieren sich allerdings regional, sie kumulieren zur Zeit vor allem in den Stahlregionen, an der Küste mit ihrer Werftindustrie, in den Steinkohlerevieren, aber auch in Textilregionen und auch in stark landwirtschaftlich geprägten Gebieten. Sektorale Strukturpolitik gehört aber wie die Globalpolitik nach unserer Verfassung eindeutig ausschließlich in den Zuständigkeitsbereich des Bundes. Wenn der Bundeswirtschaftsminister diese Probleme regionalisiert, so ist diese Strategie allzu durchsichtig. ({12}) Die Antworten der Bundesregierung sind so ein weiteres Dokument für eine Politik, die sich aus der Verantwortung zu stehlen ({13}) und Tatenlosigkeit für marktkonforme Wirtschaftspolitik auszugeben versucht. ({14}) Die Bundesregierung betreibt doch Selbstbetrug, wenn uns Herr Bangemann heute weismachen will, er habe alles getan, was er habe tun können. Das Wirtschaftswachstum, das wir alle begrüßen, ist doch nicht etwa das Ergebnis der angeblich so aktiven Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung. Dieses Wachstum ist der Bundesregierung doch praktisch in den Schoß gefallen, überwiegend als Folge des hohen Dollarkurses. ({15}) Wir dürfen doch nicht die Frage verdrängen, wie es um unsere eigenen Wachstumskräfte bestellt ist, wenn der Dollär weiter absackt. Dazu hat Herr Bangemann heute morgen auch nichts gesagt. Seine Auffassung und die der Bundesregierung ist j a vielmehr: Was noch zu tun bleibt, nachdem die, Bundesregierung das Haus angeblich gut bestellt hat, müssen jetzt die Tarifpartner richten. Das war j a der Tenor der Rede heute. Ihnen wird die Last zugeschoben, die Wende am Arbeitsmarkt herbeizuführen, und das insbesondere in den strukturschwachen Regionen. Das aber ist für die ganze Republik eine Regionalpolitik unter völlig neuen Vorzeichen. Das ist auch eine ganz andere Republik, die offenkundig angestrebt wird. ({16}) Vier Jahrzehnte lang haben Gewerkschaften und Arbeitgeber die Arbeitsbedingungen und ihren Wandel vereinbart. Sie waren Teilhaber, aber nicht Befehlsempfänger. Das entspricht unserer Vorstellung von Sozialordnung. Ich halte mit Genugtuung fest, daß sich sowohl Herr Esser wie Herr Langemann ausdrücklich hinter die Tarifautonomie und das System der tariflich vereinbarten Löhne gestellt haben. Aber jetzt scheut sich die Bundesregierung nicht, gerade hier Staatspolitik gegen die Sozialautonomie der Tarifpartner durchzusetzen: Beschäftigungsförderungsgesetz, Arbeitsschutz, Kündigungsschutz, Staatspolitik für begrenzte Beschäftigungsverhältnisse. Hier wird also Flexibilität mit Verordnen und Verfügen von oben verwechselt. Minister Dr. Jochimsen ({17}) Hier werden auch die Vorleistungen der Arbeitnehmer, die in einer schon seit fünf Jahren bestehenden Lohnzurückhaltung mit real gesunkenen Einkommen zum Ausdruck kommen, mit einer Handbewegung einfach vom Tisch gewischt. ({18}) Die Arbeitnehmer haben doch schon längst dazu beigetragen, ({19}) daß die Unternehmen entlastet und die Lohnstückkosten sogar gesenkt werden konnten, ganz im Gegensatz zu den USA und Japan, dort sind die Lohnstückkosten seit 1980 gestiegen und liegen heute höher als bei uns. Ein Wort zu den Lohnnebenkosten. ({20}) Ich verweise auf das Gutachten des Sachverständigenrates 1983/84. Dort können Sie nachlesen, daß die betrieblichen Personalzusatzkosten gesunken, aber die gesetzlichen beträchtlich gestiegen sind. Allein im Jahre 1985 haben wir eine Erhöhung bei den gesetzlichen Sozialabgaben von 0,2 % zu verzeichnen. ({21}) Wir brauchen also sowohl eine Revision der Globalpolitik der Bundesregierung als auch die Flankierung einer richtigen Globalstrategie durch eine aktive Strukturpolitik dieser Regierung. Nur so werden wir dem Hauptproblem der gegenwärtigen Wirtschaftspolitik, der Arbeitslosigkeit, sowie den besonderen Schwierigkeiten bestimmter Branchen erfolgreich begegnen können. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier doch fragen, inwieweit gerade die erwünschten und erhofften Investitionen und Arbeitsplätze bei uns nicht zustande gekommen sind, weil wir einen wirtschafts- und beschäftigungspolitisch bei uns wirkungslosen Kapitalabfluß in die USA in Höhe von 30 Milliarden DM erreicht haben. Da haben ja wohl die Rahmenbedingungen versagt. Hier ist die Globalpolitik eben nicht in Ordnung. ({22}) Es ist ein wirtschaftspolitisches Versäumnis erster Ordnung, daß sich die Bundesrepublik brachliegende Kapazitäten und ein Millionenheer von Arbeitslosen leistet angesichts gewaltiger Aufgaben, insbesondere etwa im Umweltbereich. ({23}) Die Bundesregierung kann nicht ständig nur von neuen Märkten reden, sie muß diese auch organisieren. Denken Sie nur an das Stichwort Katalysatorauto. Denken Sie daran, was für ein schlimmes Bild hier ist. Was wir also brauchen, ist eine vorausschauende Struktur- und Industriepolitik. Meine Damen und Herren, damit hier keine Mißverständnisse auftauchen, lassen Sie mich dazu sagen: Ich denke hier nicht an eine Industriepolitik im Sinne einer geschlossenen Sektoralkonzeption oder im Sinne von „Sektordirigismus", wie das Herr Bangemann eben zu nennen beliebt hat, im Sinne etwa autarken Wirtschaftens. Da unterscheiden wir uns wirklich ganz grundlegend von manchen sozialromantischen Vorstellungen. Wir brauchen vielmehr im Geiste einer neuen Dimension wirtschaftlicher Arbeitsteilung eine Konzentration auf kritische Massen, die wir benötigen, um in den Industrien, die für die Zukunft der Weltwirtschaft entscheidend sind, genügend Gewicht aufbringen zu können. ({24}) Wir müssen dabei erkennen, daß diese Handlungsweisen auf verschiedenen staatlichen Ebenen gleichzeitig angepackt werden müssen. Ich nenne als staatliche Ebenen hier das GATT, ich nenne die OECD, ich nenne die Europäische Gemeinschaft, ich nenne auch den Technologietransfer, d. h. COCOM und damit zusammenhängende Stichworte. ({25}) - Ich komme darauf gleich sehr wohl zu sprechen. Das heißt, daß wir industriepolitisch in eine Richtung gehen müssen zu mehr qualitativem Wachsturn und mehr Beschäftigung. Hier müssen bestimmte internationale Probleme gelöst werden. Wir müssen national und in den Ländern das tun, was wir dabei zu leisten verstehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, hier haben wir in Nordrhein-Westfalen an unseren Handlungsmöglichkeiten allerdings eine Vielzahl aufzubieten. Aber lassen Sie mich zum Stichwort Industriepolitik noch etwas sagen. Ich habe mich ja darüber gefreut, daß Herr Bangemann das Wort wenigstens in den Mund nahm. Der frühere langjährige Wirtschaftsminister dieser Republik hat das Wort selbst schon tabuisiert. Allerdings ist mir nicht klar geworden, was er denn damit meint. Ich stelle fest, wir haben von seiten der Bundesrepublik heute eine selektive Industriepolitik, die bestimmte Bereiche wie die Rüstungsindustrie und die Luft- und Raumfahrtindustrie favorisiert, ({26}) die nicht wirklich in eine Gesamtkonzeption eingeordnet ist, die überwiegend im Süden angesiedelt ist und damit in der Tat aktive Industriepolitik darstellt. Die Fragestellung in der Großen Anfrage der CDU sowie das in den Medien forcierte Nord-SüdSpektakel kann ich nur als den Versuch interpretieren, von diesen Verantwortlichkeiten abzulenken. ({27}) Die Erfindung des Begriffs Problemregionen an sich ist schon eine Irreführung. ({28}) Minister Dr. Jochimsen ({29}) Wenn die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage, Herr Kollege Lammert, die heute beraten wird, gleich in den Vorbemerkungen feststellt, pauschal lasse sich die These einer generell günstigeren Entwicklung im Süden der Bundesrepublik im Vergleich zum Norden nicht bestätigen, so muß dies doch der politische Ansatzpunkt dafür sein, endlich auch die gesamtpolitischen Kompetenzen in dieser Republik wahrzunehmen. ({30}) Ich meine, daß hier für Nordrhein-Westfalen festzuhalten ist, daß wir alle unsere Handlungsmöglichkeiten - das sind allerdings begrenzte Handlungsmöglichkeiten, die sich auf die global- und sektorpolitischen Rahmenbedingungen des Bundes verlassen müssen - wahrgenommen haben, um die Entwicklungschancen unserer Wirtschaft zu stärken. Seit Jahren haben wir eine positive Bilanz bei den Existenzgründungen. Nordrhein-Westalen ist mit 450 000 kleinen und mittleren Unternehmen das Mittelstandsland der Bundesrepublik. ({31}) Wir haben die zunehmende Außenwirtschaftsorientierung durch verstärkte außenwirtschaftliche Förderinstrumente begleitet. Was hier heute morgen von Herrn Bangemann zur Exportquote gesagt wurde, verleitet mich doch zu der Feststellung: von 1950 bis 1966 ist die Exportquote in Nordrhein-Westfalen von 50% auf 33 % zurückgegangen. Das ist offenbar ein Werk der CDU/FDP-Koalition in dieser Zeit. Seither ist die Exportquote weiter zurückgegangen. Sie liegt jetzt bei 28%. Sie liegt damit gleichauf mit dem, was in den Bereichen Bevölkerung, Sozialprodukt, Industrieproduktion gilt. Der entscheidende Punkt ist doch: Wir haben 1950 und in den folgenden Jahren in der Kohlegemeinschaft und der Stahlgemeinschaft eine Rationierung von Kohle und Stahl zugunsten Westeuropas gehabt. Dies haben wir heute nicht mehr. Die Verhältnisse haben sich hier doch völlig umgedreht. Gestern konnte ich auf der Hannover-Messe 1 400 Aussteller aus Nordrhein-Westfalen zu einem Empfang am kommenden Sonntag einladen. Nordrhein-Westfalen stellt damit nicht nur das größte Kontingent - das tut es seit Jahren -, sondern weit mehr als ein Drittel aller Aussteller auf deutscher Seite bei der Hannover-Messe. ({32}) In der Berufsausbildung haben wir in einem Land mehr geschaffen als der Bund insgesamt. Wir haben seit Jahren ein „Technologieprogramm Wirtschaft", das bei den kleinen und mittleren Unternehmen ein großer Renner ist. Wir fördern die sogenannten Umwelttechnologien, insbesondere in den Bereichen, die für Umweltforschung und -entwicklung da sind. Auf diesem Gebiet stellen wir fest - das Umweltbundesamt hat das gerade herausgebracht -, daß Nordrhein-Westfalen bundesweit bei allen Ziffern, die zu nennen sind, weit an der Spitze liegt. Sein Anteil beträgt über ein Drittel. Die Bilanzen unserer Aktivitäten sind in den Bereichen, in denen das Land handeln kann, positiv. Ich habe allen Mitgliedern dieses Hauses für diese Debatte Veröffentlichungen dazu zukommen lassen. Selbstverständlich gibt es in diesen Bereichen Wettbewerb zwischen den Ländern. Das bejahen wir. Wettbewerb schließt jedoch Kooperation nicht aus, sondern macht sie manchmal sogar erforderlich. Es hätte also keiner Nord-Süd-Debatte bedurft, um Nordrhein-Westfalen problembewußt zu machen. Wir haben als erstes Land im Rahmen einer eigenen Strukturberichterstattung die Wachstumsentwicklung untersucht. Lassen Sie mich nur wenige aktuelle Fakten nennen. Im Wachstum liegen Bund und Land gleichauf. ({33}) - Ja, 1984 und 1985. Im Produktivitätsanstieg liegt das Land klar vor dem Bund. In den letzten Jahren ist der Anteil technologiehaltiger Güter an der Gesamtproduktion im Land stärker gestiegen als im Bund. ({34}) - Ich bitte Sie! Sie leben doch in einer Welt, die Sie sich selber zusammenzimmern. Sie transportieren ein Klischee über Nordrhein-Westfalen in die Zukunft, weil Ihnen das aus wahltaktischen Gründen im Augenblick schmeckt. Es ist doch eine abgeschmackte Runde, die wir im Augenblick fahren. ({35}) Im Bereich der ökologischen Modernisierung hat das Land wichtige Fortschritte gemacht. ({36}) Die Investitionstätigkeit in der Produktion von Investitionsgütern und von Verbrauchsgütern liegt in Nordrhein-Westfalen seit 1983 über der bundesdurchschnittlichen Entwicklung. Daß es im Lande aufwärtsgeht, ist der umfassenden Entfaltung der Produkt- und Prozeßinnovation in allen Teilen der breit und tief gestaffelten Wirtschaftsstruktur im Lande zu danken. Daran partizipieren vor allem die kleinen und mittleren Unternehmen. Die Unternehmen im In- und Ausland wissen das, und sie verstärken gerade in diesen Jahren entsprechend ihre Aktivitäten in diesem großen Markt mit seinen qualifizierten Arbeitskräften, mit seinen Hochschulen und Forschungseinrichtungen und mit seiner exzellenten Zuliefererindustrie. Allein dieser Nachweis der Vitalität der nordrhein-westfälischen Wirtschaft zeigt, daß das Schlagwort vom wirtschaftlichen Nord-Süd-Gefälle falsch ist. Heute kann weder von einer wirtschaftlichen noch von einer technologischen Abkoppelung des Landes gesprochen werden. ({37}) Nach dem Kriege waren Kohle, Stahl, Chemie und Strom die Bausteine für den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft. Von Nordrhein-Westfalen Minister Dr. Jochimsen ({38}) gingen die Wachstumsschübe für den Aufbau der international erfolgreichen Wirtschaftsstruktur aus, von Nordrhein-Westfalen profitierten alle anderen Wirtschaftsregionen der Bundesrepublik. ({39}) Wir haben damals Solidarität geübt und viele Milliarden in den horizontalen Finanzausgleich geleistet. Heute treffen die Folgen des Strukturwandels kaum eine Region so hart wie das Ruhrgebiet. Ich halte es politisch für verantwortungslos, wenn man uns heute mit diesen Problemen allein läßt und uns sogar noch die Schuld dafür zuweist. ({40}) Wo ständen wir denn eigentlich, wenn wir, wie in Politik und Wissenschaft von konservativer Seite immer wieder empfohlen wird, unsere traditionellen Industrien in Nordrhein-Westfalen sozusagen im Vorbeigehen völlig über Bord, d. h. eigentlich zum alten Eisen geworfen hätten? Zur Modernität von Stahl sollten sich diese Experten einmal eine Nachhilfestunde von unseren Unternehmen geben lassen. Auch was den technologischen Stand des Bergbaus angeht, so läßt der nichts zu wünschen übrig. ({41}) Nordrhein-Westfalen will im übrigen in einer Debatte, in der es um die sogenannten Problemregionen gehen soll, für sich keine Sonderstellung reklamieren. Wir wollen hier nur, daß wir mit diesen unseren Problemen so behandelt werden, wie diese Bundesregierung es bei anderen Ländern und ihren Problemregionen tut. Daß dies bei Nordrhein-Westfalen nicht der Fall ist, zeigt der Länderfinanzausgleich und zeigen die Bundesergänzungszuweisungen und zeigen auch die unverändert ungerechtfertigten Anrechnungsbedingungen bei der Steuerverteilung, die Nordrhein-Westfalen systematisch benachteiligen. Hier trägt der Bund seit Jahren der veränderten Lage nicht Rechnung, genausowenig wie er die seit Jahren steigenden Einnahmen aus der Förderabgabe anderer nicht oder nicht voll berücksichtigt. ({42}) Meine Damen und Herren, Bayern, das uns immer als das leuchtende Beispiel für Wachstum, Innovation und Fortschritt vorgehalten wird, erhält heute noch gigantische Summen im Rahmen des Finanzausgleichs sowohl horizontal wie vertikal. Erklären Sie doch einmal jemandem, wie das eigentlich zusammenpaßt! Diese Benachteiligung gilt auch bei den zusätzlichen Lasten für die Entschwefelung und Entstikkung der Kohlekraftwerke. Ein weiteres Beispiel war die Bundesabsicht, die Länder mit 50% zu den Stahlhilfen heranzuziehen. Widerwillig und nach langem Zögern ist der Bund von dieser Forderung abgerückt, aber, meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen zahlt immer noch ein Drittel, und Nordrhein-Westfalen kostet diese ganze Stahlrunde von vor zwei Jahren rund 900 Millionen DM. Schließlich sehen wir uns auch bei der Zuteilung regionaler Hilfen in der Gemeinschaftsaufgabe nicht angemessen beteiligt. Ich begrüße es, daß Herr Bangemann hier gleich nach Amtsantritt die überfällige Reform dieses Instruments angepackt hat. Wir müssen abwarten, wie sie vollendet wird. Aber mit der bisherigen Förderung dritter Klasse für die Stahlstandorte Duisburg, Bochum und Dortmund werden wir uns nicht zufrieden geben. ({43}) Wir fordern, daß die Befristung der Förderung in diesen Regionen aufgehoben wird, daß die Zahl der Schwerpunktorte vergrößert wird, daß der Fördersatz auch auf 20 % angehoben werden kann und daß der Bund hier wie überall - nach dem Grundgesetz vorgeschrieben - die Hälfte aller Aufwendungen trägt. Wir fordern hier nichts Unbilliges, wir fordern nur Gleichbehandlung. Meine Damen und Herren, die Bevölkerung gerade in den Stahlstandorten, vom Siegerland angefangen über Hagen und das ganze Revier, ist zutiefst beunruhigt - zusätzlich jetzt in den letzten Wochen - über die Haltung der Bundesregierung zu lebenswichtigen Fragen beim Stahl. Sie fühlt sich in der Stahlpolitik im Stich gelassen, ({44}) wenn sie sehen muß, daß es beim Kapazitätsabbau offensichtlich nicht zu einer gerechten Lastenverteilung innerhalb der EG kommt, weil die Bundesregierung ohne Konzept agiert und es auch ablehnt, ein Konzept vorzulegen. Sie lehnt es sogar ab, den Stahlausschuß zu nutzen, ein Angebot der IG Metall, bundesweit gemeinsame Lösungen mitzutragen. ({45}) Meine Damen und Herren, ich habe heute morgen Herrn Bangemann mit diesen wachsweichen Erklärungen zu den neuen Beschlüssen des Stahlrates gehört. Ich kann hier nur sagen: Eine Tonne zusätzlicher Kapazitätsabbau für 1 Milliarde DM zusätzlicher Stahlhilfe wäre auch eine Anwendung von Art. 2 des Stahlsubventionskodex. Und da ist das alles völlig in die Hand nur der Kommission gegeben. Wir haben in der Vergangenheit mehrfach bei der Bundesregierung und auch beim Bundeskanzler selbst ein stahlpolitisches Konzept angemahnt. Der Bundeskanzler hat vor zwei Jahren der IG Metall erklärt, er finde das sehr überlegenswert, er werde darauf zurückkommen. Heute erklärt Herr Bangemann, daß das für ihn vollständig ausgeschlossen ist. Die neue Verunsicherung gilt auch in der Kohlepolitik. Wir fordern von der Bundesregierung die klare Fortsetzung der bisherigen Unterstützung der Kokslieferungen in die europäische Stahlindustrie, die Verlängerung des Hüttenvertrages zu klareren Bedingungen. Da sind jetzt Grundsatzentscheidungen fällig. Minister Dr. Jochimsen ({46}) Wenn ich mir ansehe, was die CDU auf ihrem Essener Bundesparteitag zu diesem Punkt an wachsweichen und nicht schlüssigen Worten gefunden hat, kann ich nur darum bitten, daß das heute klargezogen wird, was denn nun gilt. Und die FDP hält auf Landesebene ja die Hochtemperaturreaktortechnologie für den wichtigsten Beitrag zur Sicherung der Zukunft der Kohle überhaupt, ohne auf die Fragen der Kohleverflüssigung und der langfristigen mengenmäßigen Sicherung der Förderung einzugehen. ({47}) - Die Landesregierung ist zudem bestürzt, Herr Kollege Schlottmann, daß vom Kanzler unserer Republik kein klärendes Wort zu den bekanntgewordenen Brüsseler Überlegungen zu einer erneuten drastischen Reduzierung der Kohleförderung gesagt wird. ({48}) Wer jetzt eine neue Absenkung der Kohleförderung betreibt oder hinnimmt, der verläßt die Ergebnisse der Kohle-Runde von 1983, die j a noch bittere Zukunft sind, die noch nicht bewältigt sind. Ich darf hier nur sagen: Wir haben in unserem Montanrevier in den letzten 20 Jahren von zwei Stahlarbeitsplätzen einen verloren, von drei Bergarbeitsplätzen zwei. Diese Bilanz darf nicht überzogen werden. ({49}) Ich komme zum Schluß, indem ich sage: Die derzeitige Exportkonjunktur hat praktisch nur den Dollarkurs und den gewaltigen Importsog der Dollarländer zum Bundesgenossen, der uns sehr zugute kommt. Wir brauchen zusätzliche binnenwirtschaftliche Auftriebskräfte, weil mehr als 2,5 Millionen Menschen eine Beschäftigung suchen. Das wirkt sich dann in allen Regionen der Bundesrepublik aus. Dann kommen wir von dieser pathologischen Debatte, in der den Problemregionen die Lösung der Konjunkturprobleme und der Strukturprobleme aufgelastet wird, los. Hier sollte die Bundesregierung handeln. Ich fordere sie dazu auf. ({50})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lammert.

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin nicht ganz sicher, ob eine Debatte des Bundestages über Große Anfragen sowohl der Koalitionsfraktionen wie der Opposition unbedingt mit einer Erklärung des zuständigen Ministers eingeleitet werden muß. ({0}) Daß aber die Aussprache über die Antworten der Bundesregierung zu diesen Großen Anfragen für die Opposition nicht von einem Mitglied der Bundestagsfraktion eröffnet wird, sondern von einem Mitglied des Bundesrates, dem nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister, das ist in der Tat ein aufschlußreiches Indiz sowohl für den Zustand der Opposition wie für den Zustand des Landes, das dieser Minister zu vertreten hat. ({1}) Herr Jochimsen, der Wirtschaftsminister Professor Jochimsen, hat offensichtlich entdeckt, daß es gelegentlich viel schöner ist, Professor zu sein als Wirtschaftsminister. ({2}) Jedenfalls hat er sich entschlossen, statt zu den konkreten Zahlen, Fakten und Entwicklungen seines Landes hier verantwortlich Stellung zu nehmen, eine breite, lange, professorale Theorie über binnen- und weltwirtschaftliche Zusammenhänge unter besonderer Berücksichtigung aktiver Industriepolitik - was immer das sei - zu entwickeln. Wenn hinter dieser Darstellung die Vermutung zum Ausdruck kommt, daß sich Herr Jochimsen in wenigen Wochen wieder ganz und mit ganzer Leidenschaft den Aufgaben eines Professors in Forschung und Lehre widmen kann, ({3}) weil für ihn in seiner bisherigen Tätigkeit keine Verwendung mehr besteht, soll das hier nicht weiter kritisiert werden. ({4}) Der Versuch jedenfalls, der eigenen politischen Verantwortung auszuweichen, muß notwendigerweise scheitern. Meine Damen und Herren, es ist wohl wahr, daß in der Diskussion über das ungenaue Schlagwort vom „Süd-Nord-Gefälle" in den letzten Monaten manche Pirouetten geschlagen worden sind. Nirgendwo allerdings sind diese Pirouetten schneller gedreht worden als in Nordrhein-Westfalen - und von niemandem mit mehr Grazie als von dem Wirtschaftsminister, den wir hier gerade am Pult erlebt haben. Zunächst hat Herr Jochimsen monatelang mit Tremolo in der Stimme die strukturellen Defizite Nordrhein-Westfalens beklagt und massive Fördermaßnahmen von Bund und Europäischer Gemeinschaft eingefordert. Wir haben hier zeitweise täglich auf Anträge des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers an den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit gewartet, NordrheinWestfalen endlich als notleidendes Gebiet anzuerkennen und in die Förderprogramme für Notstandsgebiete einzubeziehen. ({5}) Dann hat er angesichts bevorstehender Landtagswahlen ohne jeden intellektuellen Skrupel das genaue Gegenteil seiner monatelangen Propaganda verkündet und erklärt, inzwischen befinde sich Nordrhein-Westfalen wieder an der Spitze der Entwicklung, und die Entwicklungsrückstände seien nun aufgeholt. Schließlich behauptet er - wiederum ohne zu zögern -, die nach wie vor vorhandenen strukturellen Anpassungsprobleme seien nur durch ein stärkeres Engagement des Bundes zu lösen, und dies, obwohl er doch gerade erst erklärt hatte, daß diese Entwicklungsprobleme inzwischen als gelöst gelten können. ({6}) „Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen muß seine Probleme so weit wie irgend möglich selber lösen." ({7}) Das ist Originalton Jochimsen vom 16. November 1984 im nordrhein-westfälischen Landtag. Vielseitig verwendbar ist nun allerdings eine andere Äußerung, nämlich die, daß Nordrhein-Westfalen seine Probleme nicht allein lösen könne. Sie stammt vom gleichen Wirtschaftsminister Jochimsen, zwölf Tage nach dem ersten Zitat im gleichen Kino, ebenfalls vor den Mitgliedern des nordrhein-westfälischen Landtages. ({8}) Hier wird mit großer Virtuosität heute diese und morgen jene Position vertreten, immer abwechselnd einmal nach dem Motto „Hannemann, geh du voran" und ein andermal nach dem Motto „Kein schöner Land in dieser Zeit". Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat in ihrer Antwort auf die Großen Anfragen ({9}) unsere Vermutung bestätigt, daß die These von einer generell günstigeren Entwicklung im Süden der Bundesrepublik im Vergleich zum Norden pauschal nicht belegt werden kann, daß gleichwohl aber deutliche Unterschiede in den Entwicklungstendenzen zwischen verschiedenen Bundesländern und insbesondere einzelnen Regionen festzustellen sind. ({10}) Von einem Süd-Nord-Gefälle konnte auch statistisch überhaupt nur deshalb die Rede sein, weil die Zuordnung Nordrhein-Westfalens zu den nördlichen Bundesländern wegen der miserablen wirtschaftlichen Entwicklung dieses größten Bundeslandes in den letzten 15 Jahren den statistischen Durchschnitt aller Länder entsprechend negativ beeinflußt und deutlich von der positiven Entwicklung anderer Bundesländer abhebt. ({11}) - Wir werden, verehrte Kollegin, darauf in aller wünschenswerten Ausführlichkeit zurückkommen und deutlich machen, daß hier überhaupt nicht das Problem eines Süd-Nord-Gefälles, möglicherweise aber das eines Mitte-Links-Gefälles in der Bundesrepublik besteht. Ich werde das Punkt für Punkt zu verdeutlichen versuchen. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ehrenberg?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte schön, Herr Ehrenberg.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, zu Ihrem vorletzten Satz mit dem Durchschnitt, der durch Nordrhein-Westfalen heruntergezogen wird: Haben Sie sich jemals die Mühe gemacht, sich die Arbeitsmarktzahlen von Niedersachsen anzusehen, die den allerletzten Platz unter allen Flächenstaaten außer dem Saarland belegen?

Prof. Dr. Norbert Lammert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001274, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl! Sie werden sich wundern, welche Mühe wir uns in der Vorbereitung dieser Debatte gemacht haben, und Sie werden überhaupt keinen Grund haben, über einen Mangel an präzisen Zahlenvergleichen in dieser Diskussion zu klagen - einschließlich der höchst unterschiedlichen Entwicklung, die wir auf den Arbeitsmärkten in verschiedenen Bundesländern in den vergangenen Jahren hatten. Ich werde deswegen auch Punkt für Punkt deutlich zu machen versuchen, warum wir glauben, daß sich die wirtschaftliche Entwicklung Nordrhein-Westfalens von der positiven Entwicklung des Bundes abgekoppelt hat: Erstens. Herr Jochimsen hat freimütig eingeräumt, daß Nordrhein-Westfalen jahrelang - weggelassen hat er: unter christdemokratischer Regierungsverantwortung - die Nummer Eins an Wachstum, an Investitionskraft, an Beschäftigung und auch an Einkommen gewesen ist und daß es dank seiner hohen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auch hohe Beiträge zum Länderfinanzausgleich geleistet hat. Unter sozialdemokratischer Führung ist das Land in seiner wirtschaftlichen Bedeutung von der Spitze an das Ende der Skala im Ländervergleich abgesunken. ({0}) Die Rezession, Herr Ehrenberg, war hier tiefer als im Bundesdurchschnitt. Die Wachstumsraten sind deutlich niedriger als im Bundesdurchschnitt. Die Arbeitslosenraten sind wesentlich stärker ausgeprägt als im Bundesdurchschnitt. Nirgendwo waren die Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt größer als in Nordrhein-Westfalen. Niemand hätte doch erwartet, daß unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung die Spitzenstellung Nordrhein-Westfalens noch weiter würde ausgebaut werden können. Aber hätten Sie wenigstens den Durchschnitt der Entwicklung aller Bundesländer in den etwa zwei Jahrzehnten Ihrer Regierungsverantwortung gehalten, dann hätte in dieser Zeit das Investitionsvolumen der nordrhein-westfälischen Wirtschaft 40 Milliarden DM mehr ausgemacht; dann wäre das Sozialprodukt in dieser Zeit um weit mehr als 100 Milliarden DM größer gewesen, als dies tatsächlich der Fall gewesen ist. ({1}) - Ich bitte um Nachsicht, daß ich nicht alle zwei Minuten Zwischenfragen mit erkennbarer Absicht zulassen möchte. Zweitens. Nordrhein-Westfalen hat die größten Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt hinnehmen müssen. Zwischen 1974 und 1984 sind hier 7,3 % aller Arbeitsplätze verlorengegangen. Im übrigen Bundesgebiet lag dieser Verlust nur bei 1,6 %. Drittens. Eine Spitzenstellung hat Nordrhein-Westfalen nur auf einem Gebiet: in der Entwicklung der Verschuldung des öffentlichen Haushalts. - Sie schütteln den Kopf, Herr Wolfram. Ich fände es ja auch besser, wenn es nicht so wäre, aber leider ist es so. ({2}) Diese Landesregierung hat es fertiggebracht, während ihrer Regierungszeit die Staatsverschuldung pro Einwohner zu verfünfzigfachen. Sie klagt heute über eine Zinslast von 5,3 Milliarden DM pro Jahr. Das ist ein Betrag, der präzise den Haushalten von acht Ruhrgebietsstädten zusammen entspricht. ({3}) Es kann demnach nach volkswirtschaftlichem Einmaleins niemanden verwundern, daß in demselben Zeitraum das Investitionsvolumen dieses Landes auf dem Stand stagnieren mußte, den es bereits 1970 erreicht hatte. ({4}) Vierter Punkt. Die Flurschäden sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik sind nirgendwo deutlicher zu besichtigen als im Ruhrgebiet als einer Testregion j ahrzehntelanger Verantwortung von Sozialdemokraten in Kommunen, Land und Bund gleichzeitig. Selbst die IG Metall hat von einer verfehlten Technologie- und Strukturpolitik als Ursache für den rapiden Anstieg der Massenarbeitslosigkeit im Ruhrgebiet gesprochen und mit ganz ungewöhnlicher Offenheit darauf hingewiesen - ich zitiere -: Im Revier ist eine Dunstglocke entstanden von verfestigten Machtstrukturen und mangelnder Innovationsbereitschaft bei Unternehmern und Politikern. ({5}) Meine Damen und Herren, Sie haben in zwei Jahrzehnten, in denen Sie die Chance hatten, Politik aus einem Guß zu machen, in Kommunen, Land und Bund mit gleichen Farben in gleicher Linie zu marschieren, das Ruhrgebiet zum traurigen Denkmal Ihrer wirtschaftspolitischen Inkompetenz gemacht. ({6}) Von den Arbeitsplatzverlusten unserer Volkswirtschaft sind 15 % allein im Ruhrgebiet angefallen, während von den neuen Arbeitsplätzen ganze 3 %, also ein Fünftel dieses Volumens, im Revier entstanden sind. ({7}) - Wenn Sie jetzt von Verschmutzung sprechen, dann muß ich sagen, verehrter Herr Wolfram ({8}) - nun hören Sie mir doch zu, Sie sind doch gleich auch dran; ich verspreche Ihnen, auch zuzuhören -: Mit der panikartigen Auslösung des Smogalarms Anfang dieses Jahres hat diese Landesregierung gleichsam als Abschiedsgeschenk zu den von ihr verschuldeten wirtschaftspolitischen Flurschäden gleich noch einen schwer reparablen Imageschaden obendrauf gesetzt. ({9}) Das zum Thema: „Wer bringt welche Region um ihre Entwicklungschancen?" ({10}) Fünfter Punkt. Die neuen Technologien und ihre Entwicklungsmöglichkeiten sind in Nordrhein-Westfalen eher behindert als gefördert worden. Insbesondere die Kommunikationstechnologie ist von der Regierung Rau mit einer oberlehrerhaften Attitüde auf die Frage verengt worden, wieviele Fernsehprogramme die Bürger dieses Landes sehen dürfen. Die ökonomische Bedeutung dieser Kommunikationstechnologie als Infrastruktur der Zukunft ist von der nordrhein-westfälischen Landesregierung weder erkannt noch umgesetzt worden. Punkt sechs: Die strukturellen Probleme der nordrhein-westfälischen Wirtschaft, Herr Jochimsen, bestehen in der Tatsache, daß hier zu viele konjunktur- und wechselkursanfällige Produkte für zu viele konjunkturanfällige Kunden hergestellt werden. Das ist wohl wahr. Aber man kann doch nicht die extreme Wechselkursanfälligkeit der Wirtschaft beklagen und gleichzeitig behaupten, daß die Struktur dieses Landes völlig in Ordnung sei. Dies schließt sich eben logisch wechselseitig aus. Wenn Sie sich die Zahlen ansehen, dann werden Sie feststellen, daß der Anteil der Problembranchen in der nordrhein-westfälischen Wirtschaft überdurchschnittlich hoch ist, während der Anteil der Wachstumsbranchen unterdurchschnittlich ausgeprägt ist. Der Anteil der technologieintensiven Produkte am nordrhein-westfälischen Umsatz beträgt knappe 9 %. Der Bundesdurchschnitt - ich rede, wie gesagt, vom Durchschnitt - ist mit 13,5 % um glatt die Hälfte höher als in Nordrhein-Westfalen. Siebter Punkt. Hier haben wir die Erklärung dafür, warum es eine Abkoppelung der nordrhein-westfälischen Wirtschaft von der Entwicklung unserer Volkswirtschaft gegeben hat und warum trotz der für die Exportwirtschaft günstigen Wechselkursentwicklung der Exportanteil Nordrhein-Westfalens am Gesamtexport unserer Wirtschaft nicht nur nicht gehalten werden konnte, sondern weiter zurückgegangen ist. Herr Jochimsen, wenn Sie sich die Berichte Ihrer eigenen Landeszentralbank ansehen, dann finden Sie dort das Bedauern darüber, daß selbst im Exportboomjahr 1984 die nun eigentlich von den Wechselkursen begünstigte nordrheinwestfälische Entwicklung nicht einmal im Export den Zuwachs im Durchschnitt des Bundes hat halten können, sondern auch im Jahre 1984 mit 12 gegenüber 15 % erneut dahinter zurückgeblieben ist. ({11}) - Ich bitte um Nachsicht, ich habe nur noch zwei Minuten Redezeit. ({12}) Achter Punkt. Unter sozialdemokratischer Verantwortung sind die nordrhein-westfälischen Schulen und Hochschulen zum Experimentierfeld ständig neuer Reformüberlegungen gemacht worden. Wenn es irgendwo Innovationen - im umstrittensten Sinn dieses Wortes - gegeben hat, dann auf diesem Gebiet. Keine Dummheit im Bereich der deutschen Schul- und Hochschulpolitik ist in nordrhein-westfälischen Schulen und Hochschulen nicht durchexerziert worden. Das rechtzeitige Auswechseln des dafür verantwortlichen Kultusministers war ja ein sinnfälliger, wenn auch später Ausdruck dafür. ({13}) Neunter Punkt. Meine Damen und Herren, inzwischen laufen dieser Landesregierung die eigenen Bürger doch längst in Scharen davon. ({14}) Die Bevölkerung Nordrhein-Westfalens reagiert mit massiven Abwanderungen auf die wirtschaftliche und politische Negativentwicklung der letzten Jahre. In keinem einzigen Bundesland sind die Abwanderungen in andere Regionen der Bundesrepublik in den letzten Jahren stärker gewesen als in Nordrhein-Westfalen. Verehrte Kollegen von der Opposition, die Abstimmung mit dem Möbelwagen haben Sie längst verloren, bevor die Wähler am 12. Mai überhaupt zur Wahlurne schreiten. ({15}) Letzter Punkt. Nordrhein-Westfalen hat nach meiner festen Überzeugung nach wie vor hervorragende Voraussetzungen, seine frühere Leistungsfähigkeit wiederherzustellen. Es leidet allerdings seit einer unerträglich langen Zeit von Jahren unter einer Wirtschaftspolitik, die durch Versäumnisse, durch Verdrängungen und durch Vertrauensverluste seine Zukunft gefährdet hat. ({16}) Nordrhein-Westfalen hat zuwenig Wachstum und zu viele Arbeitslose, zu wenige Investitionen und zu viele Schulden, zuwenig Technologie und zuviel Ideologie, zuwenig Phantasie und zuviel Bürokratie, zuwenig Innovation und zuviel Filz, zu wenige Existenzgründungen und zu viele Pleiten, zu wenige selbständige Handwerksmeister und Unternehmer und zu viele Beamte - auch eine Spitzenstellung im öffentlichen Dienst hat Nordrhein-Westfalen zugegebenermaßen längst erreicht -, zu wenige Mittelständler und zu viele Großkonzerne, zuwenig Forschung und zu viele Subventionen, zuwenig Markt und zuviel Staat. Dieses Land, meine Damen und Herren, braucht eine Wende, zu der Sozialdemokraten - mit oder ohne parlamentarische Unterstützung durch GRÜNE nach hessischem Muster - schon deswegen nicht in der Lage sind, weil sie bis heute weder die Notwendigkeit noch die Möglichkeiten einer konsequenten Kurskorrektur begriffen haben. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Jens. ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es klang alles sehr gut, was der Herr Lammert hier so losgelassen hat, ({0}) aber ich muß Ihnen sagen: es war nahezu alles falsch. ({1}) Man sollte das einmal sauber auseinandernehmen. Ich finde, wir sind hier im Deutschen Bundestag und nicht in einer Wahlveranstaltung in Bochum, Herr Lammert. ({2}) Ich glaube, Sie haben diesen Saal verwechselt. Sie sollten etwas korrekter vorgehen. ({3}) Sie tun so, als sei - was zum Teil richtig geschildert wurde - das Land dafür zuständig, aber Sie wissen ganz genau, daß es strukturelle Veränderungen gibt, für die die Landesregierung wirklich überhaupt keine Verantwortung trägt. Aber das wird alles ignoriert. Sie schmeißen alles in einen Topf, rühren es kräftig um und bilden sich ein, die Bürger sind so dumm und glauben Ihnen das auch noch. Ein großer Irrtum! ({4}) Aber Sie kriegen wahrscheinlich noch etwas über 30 % in Nordrhein-Westfalen. Davon gehe ich einDr. Jens mal aus. Die FDP - das haben wir heute morgen gesehen - kämpft um ihr Überleben. Das ist mir völlig klar. Denn der Bundeswirtschaftsminister Bangemann hat künstlich die Zeit gefüllt und dafür gesorgt, daß kein sozialdemokratischer Redner mehr vor der Mittagspause dran kam. ({5}) Er hat sehr seicht, sehr oberflächlich seine Position dargelegt. Ich wundere mich immer, daß die Journalisten das dem Herrn Bangemann überhaupt noch abnehmen. ({6}) Eines fand ich ganz gut, was der Herr Bangemann gesagt hat. Er hat deutlich gemacht, daß wir zur Zeit eine Wachstumsbranche haben, und zwar die Umweltschutzindustrie. Sie prosperiert und expandiert. Das ist eine positive Entwicklung. Aber denken Sie doch einmal darüber nach: Wie kommt das eigentlich? Es gibt keinen Bereich, wo wir in letzter Zeit soviel an staatlichen Maßnahmen ergriffen haben wie im Umweltschutzsektor: Gebote, Verbote, neue Auflagen, Zuschüsse und dergleichen mehr. Hier wurde massiv vom Staat Industriepolitik betrieben. Herr Bangemann hat das auch anerkannt. Aber er glaubt, das seien alles die Marktkräfte gewesen. Ein bodenloser Unsinn! ({7}) Meine Damen und Herren, die Strategie dieser Regierung geht nicht auf. Rahmenbedingungen ein bißchen verbessern - so heißt es auch in den Antworten zu unseren Anfragen -, was wir schon seit vier Jahren machen, hat dazu geführt, daß wir mittlerweile im März 2,6 Millionen Arbeitslose haben. Das ist einmal mehr ein neuer Nachkriegsrekord in diesem Lande. Das können Sie nicht einfach ignorieren. Die Arbeitslosen sind unser Problem. Darum hat sich diese Regierung zu kümmern. Aber sie tut überhaupt nichts. Die Anzahl der Arbeitslosen ist, seitdem diese Regierung dran ist, um 800 000 gestiegen. ({8}) 800 000 Arbeitslose mehr, aber nichts wird dagegen getan! ({9}) Meine Damen und Herren, ich möchte nicht nur scharfe Worte finden, sondern hier auch sozialdemokratische Vorstellungen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit vortragen. ({10}) Die Arbeitslosigkeit ist unseres Erachtens das wichtigste Problem. Wir haben jetzt in der Fraktion gehört, bis Mitte der 90er Jahre - so sagte die Vizepräsidentin der Bundesanstalt für Arbeit Frau Engelen-Kefer - werden wir, wenn seitens dieser Regierung nichts geschieht, mit dieser hohen Arbeitslosigkeit, die wir heute zu verzeichnen haben, noch leben müssen. Ich füge hinzu: Bis Mitte der 90er Jahre werden wir in diesem Lande auch noch weltwirtschaftliche Veränderungen erleben, die viele Industriezweige in Bedrängnis bringen. Das ist unser eigentliches Problem. Die Regierung legt die Hände in den Schoß und versucht durch Gesundbeten die Probleme zu lösen. Sehen wir uns die Stahlindustrie an. Da herrscht allgemeine Enttäuschung über den Bundeswirtschaftsminister Bangemann. Selbst der Chef der Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie hat das vor kurzem lautstark in der Öffentlichkeit zum Ausdruck gebracht. Subventionszahlungen in der Stahlindustrie können jetzt, nachdem Herr Bangemann umgefallen ist, bis Ende 1985 beantragt und bewilligt werden. Der Wirtschaftsminister war gewarnt. Er sollte sich nicht wundern, wenn jetzt neue Subventionsforderungen seitens der deutschen Stahlindustrie auf diese Regierung zukommen. In den deutschen Raffinerien bangt mittlerweile fast jeder Arbeitnehmer um seinen Arbeitsplatz. Daran ist nicht die Landesregierung schuld. Ein dummes Gerede! Der Wirtschaftsminister redet zwar von der notwendigen Versorgungssicherheit, aber er ist nicht bereit, auch nur ein bißchen zur Versorgungssicherheit in diesem Lande zu tun. ({11}) In Deutschland sterben die Raffinerien einmal mehr wesentlich schneller als in Frankreich und Italien. Wenn Sie mich fragen, Graf Lambsdorff: „Was denn?", dann bitte ich Sie doch, gucken Sie sich einmal an, was in Frankreich, was in Irland, was in anderen europäischen Ländern getan wird. Ich sehe nicht ein, daß dort die Arbeitsplätze erhalten bleiben und bei uns kaputtgemacht werden. Das geht nicht an. ({12}) Wir werden im Ausschuß konkret darüber reden. Aber Versorgungssicherheit, die von Herrn Bangemann gefordert wird, muß auch definiert werden. Und da ist dann die Regierung gefordert, zu sagen, wie sie diese Versorgungssicherheit gewährleisten will. Man hat schon fast das Gefühl - wenn ich bei den Raffinerien bin -, an diesem Raffineriesterben nehmen insbesondere, zur Zeit wenigstens, die Raffinerien in Nordrhein-Westfalen teil. Man hat schon das Gefühl, daß hier systematisch zu Lasten dieses Landes seitens einiger Unternehmer Politik gemacht wird. Dagegen wehren wir uns. Überdurchschnittlich viele Raffineriekapazitäten sind in Nordrhein-Westfalen abgebaut worden. Das läßt sich überhaupt nicht leugnen. Oder nehmen wir die Glasindustrie: In der Glasindustrie gibt es europaweit bereits erhebliche Überkapazitäten. Dennoch werden mit Hilfe von Subventionen in anderen europäischen Ländern weitere, neue Kapazitäten aufgebaut. Die Folge ist Verlust von Arbeitsplätzen in den nicht subventionierten Industrieunternehmen der Bundesrepublik Deutschland, wenn sich der Bundeswirtschaftsminister weiterhin weigert, auf diesem Felde irgend etwas zu unternehmen. Ich will gar nicht die ganzen Branchen durchgehen, aber auch die Werften sind von dieser weltwirtschaftlichen Veränderung betroffen, ebenso die Chemiefaserindustrie, die Elektronikindustrie. Und ich frage: Wie lange dauert es eigentlich noch, bis auch die deutsche Automobilindustrie mit in diesen Strudel beineingerissen wird. Das ist nur noch eine Frage der Zeit. ({13}) Ich sage: Den in Not geratenen Branchen zu helfen ist unvermeidlich. Aber wann werden wir endlich erkennen: Wir kommen nur von den Erhaltungssubventionen weg, die wir alle gemeinsam beklagen, wenn es uns gelingt, zukunftsträchtige neue Arbeitsplätze zu schaffen? Rechtzeitig und am richtigen Orte brauchen wir Arbeitsplätze, wenn wir den Strukturwandel bewerkstelligen wollen. ({14}) Das ist sicherlich in erster Linie Aufgabe der Unternehmen, aber es ist nicht ausschließlich Aufgabe der Unternehmen. Gegen einige Probleme, mit denen wir zu kämpfen haben, können die Unternehmen gar nichts machen. ({15}) Ich erinnere: Die weltwirtschaftlichen Strukturwandlungen haben das Investitionsrisiko derart erhöht, daß es sich in vielen Branchen überhaupt nicht mehr rentiert, zu investieren. Ein neu entstandener internationaler Kapitalmarkt hat einen Realzins hervorgebracht, der nahezu alle privatwirtschaftlichen Investitionen unrentabel macht. Frankreich, Großbritannien, USA und Japan verzerren auf unterschiedliche Art und Weise die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Unternehmen. Und diese Veränderungen können die Unternehmen nicht bewältigen. Nein, meine Damen und Herren, ich meine, wir brauchen wirklich konzertiert, gemeinsam, vielleicht zwischen Regierungsparteien und Opposition, eine neue Innovationsoffensive. Aber da darf der Staat nicht außen vorstehen, da muß er mit aktiv werden. Es bedarf einer Innovationsoffensive, insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen. Zuständig dafür ist allerdings nicht das Land Nordrhein-Westfalen, zuständig ist auch nicht Baden-Württemberg, sondern zuständig für eine derartige Innovationsoffensive wäre der Bund, wäre der Bundeswirtschaftsminister. ({16}) - Zum Teil gegen das Grundgesetz, Herr Wissmann. Bei dieser Innovationsoffensive geht es nicht so sehr um neue Rationalisierungsinvestitionen, sondern es geht um die Entwicklung von Produkten, die von den Unternehmen möglichst schnell in den Markt eingeführt werden müssen. Die Anregungen zu derartigen Innovationshilfen sollten nicht vom Staat, sondern von den Unternehmen ausgehen. Das Angebot zur Innovationshilfe ist schließlich allen Unternehmen, die miteinander im Wettbewerb stehen, zu unterbreiten. Das Subsidiaritätsprinzip sollte Anwendung finden. Der Wettbewerb als wesentliches Element einer dezentralen Ordnung bleibt auf diese Art und Weise nicht nur erhalten, sondern wird sogar noch gestärkt. Ich kann mir vorstellen, daß so etwas den Forschungsminister dieser Regierung interessiert. Aber der Bundeswirtschaftsminister wird von seinen hohen Beamten möglicherweise zurückgepfiffen werden. Und in einem Punkt verweigert der Wirtschaftsminister ganz offensichtlich die Mitarbeit: Wir brauchen, um Strukturen zukunftsträchtig gestalten zu können, Prognosen. ({17}) Wir brauchen Prognosen der wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute über die wirtschaftliche Entwicklung. Hier muß der Wirtschaftsminister Aufträge erteilen und die notwendigen Mittel für derartige Prognosen zur Verfügung stellen. Ich füge hinzu: Für uns Sozialdemokraten geht es bei Innovationen immer auch um Sozialinnovationen. Das heißt: Wir brauchen Umweltschutz, wir brauchen Humanisierung des Arbeitslebens, wir brauchen mehr Mitbestimmung als bisher. Meine Damen und Herren, ich gebe zu, diese in aller Kürze skizzierte Innovationsoffensive löst unsere Beschäftigungsprobleme mit Sicherheit nicht von heute auf morgen. Aber sie trägt zur Lösung bei. ({18}) Erforderlich wäre ferner die Schaffung von mehr gesamtwirtschaftlicher Nachfrage. Unser „Programm Arbeit und Umwelt" haben wir auf den Tisch gelegt. Im Dienstleistungsbereich könnten mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, und zwar sowohl im privaten als auch im öffentlichen Dienstleistungsbereich. Wenn allerdings die Länder und Gemeinden hier mehr tun sollen, dann darf der Bund sie nicht weiterhin am finanzpolitischen Gängelband halten. Wie gesagt, auch im privaten Dienstleistungsbereich könnten attraktivere Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine wichtige Voraussetzung ist die Senkung der Lohnnebenkosten. Wir haben den Vorschlag gemacht, die Lohnnebenkosten durch eine Wertschöpfungsabgabe zu senken. Greifen Sie das auf, damit mehr Arbeitsplätze im privaten Dienstleistungsbereich geschaffen werden. Erforderlich ist außerdem sicherlich eine Verbesserung der beruflichen und regionalen Mobilität - jedoch nicht nur der Arbeitnehmer, sondern auch des Kapitals. Darüber, wie das erreicht werden kann, wird Frau Skarpelis-Sperk für meine Fraktion gleich anschließend sprechen. Aber das, meine Damen und Herren, was von der FDP kommt, nämlich die direkten Löhne durch eine Änderung des Tarifvertragsrechts unter den Tariflohn abzusenken, ({19}) ist für uns allerdings völlig indiskutabel. ({20}) Herr Bundeswirtschaftsminister - er ist jetzt nicht da -, es gibt einige gesellschaftspolitische Eckpfeiler in dieser Demokratie. Zu diesen Eckpfeilern gehört für mich die Tarifautonomie, die Tarifhoheit. ({21}) An diesen Eckpfeilern darf von keiner Partei in diesem Parlament gerüttelt werden. ({22}) Mit seinem skurrilen Vorschlag zur Rentenreform hat Herr Bundeswirtschaftsminister Bangemann einmal mehr 2 Millionen Rentner verunsichert. Ich weiß zwar nicht, was er auf dem Feld der Rentengesetzgebung zu suchen hat, aber er nutzt offenbar jede Möglichkeit, um in die Öffentlichkeit zu kommen. Es gehört, meine Damen und Herren, meines Erachtens schon verflucht viel Talent dazu, das sonst so angesehene Wirtschaftsressort in so kurzer Frist so herunterzuwirtschaften. ({23}) Meine Damen und Herren, es ist höchste Zeit, daß die Weichen zur Verbesserung der Beschäftigung in diesem Lande neu gestellt werden. Zu viele Menschen, insbesondere auch junge Menschen, sind seit langem ohne Arbeit. Alle möglichen politischen Hebel müssen hier zur Schaffung neuer, zukunftsorientierter Arbeitsplätze herumgeworfen werden. Wir Sozialdemokraten wären dazu bereit. ({24})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Da Herr Minister Jochimsen ebenso wie Herr Jens auf die Diskussion eingegangen ist, die im Augenblick zu Fragen der Tarifautonomie und des Tarifrechts geführt wird, will ich unsere Position dazu noch einmal in ganz wenigen Sätzen darlegen. Herr Jens, es ist unbestritten, daß Tarifautonomie ein integraler Bestandteil einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist. Wir fordern deswegen auch keine Änderung des Tarifvertragsrechts, sondern wir geben den Tarifvertragsparteien zu bedenken, ob nicht tarifrechtliche Lösungen - genauer gesagt: tarifvertragliche Lösungen - gefunden werden sollten, die dem Produktionsfaktor Personal- und Arbeitskosten eine Bandbreite nach unten gestatten und ihn sich nicht immer nur nach oben entwickeln lassen. Wer das von vornherein sogar als Überlegung ablehnt, muß zwei Fragen beantworten. Erstens: Soll es wie bisher einem Arbeitslosen gesetzlich verwehrt bleiben, mit einem Arbeitgeber einen Vertrag unter den Tariflöhnen abzuschließen, und soll er dann arbeitslos bleiben müssen? Zweitens: Soll es dem Inhaber eines Betriebs und seiner Belegschaft erlaubt werden oder weiter verboten bleiben, daß sie eine gegen Mißbräuche geschützte Regelung treffen, die Unter-Tarif-Bezahlung für einen begrenzten Zeitraum ermöglicht, wenn dies die Konkursgefahr von dem Unternehmen abwendet, oder soll ihm das verboten bleiben; soll der Betrieb pleite gehen und sollen alle Arbeitsplätze verlorengehen? Die Fragen müssen beantwortet werden. ({0}) Wir stellen diese Fragen ernsthaft. Und nun will ich eines in aller Ruhe sagen. Ich lehne es mit aller Entschiedenheit ab - Herr Jens, ich gucke Sie nur an; ich meine Sie nicht; ich sehe den Herrn Lutz nicht -, wenn in diesem Zusammenhang davon gesprochen wird, daß jemand, der eine solche Diskussion beginnt und führt, als „Terrorist im Nadelstreifen" bezeichnet wird. Wenn das die Form der Auseinandersetzung ist, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Fraktion, die Sie führen wollen, in der Nähe übrigens dessen, was Herr Judith neulich mit seiner Sympathie, seinem Verständnis für Terroristen, gesagt hat, wenn das die Form der Diskussion ist, die wir über Fragen von existenzieller Bedeutung für die Arbeitnehmer im Land führen, dann kann ich nur sagen: Wir haben einen Tiefpunkt der parlamentarischen und politischen Auseinandersetzung mit Ihnen erreicht. ({1}) Wenn Sie es nachlesen wollen. Es steht im „Politisch-Parlamentarischen Pressedienst", der von Ihnen verantwortet wird. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie - Dr. Graf Lambsdorff ({0}): Nein. Herr Präsident. Wer sich sieben Jahre lang amtlich mit dem Thema „regionale Strukturpolitik" zu beschäftigen hatte, kommt zu dem Ergebnis, daß das weder das einfachste Arbeitsgebiet noch das Arbeitsgebiet ist, das sehr viel Erfolg und Befriedigung verschaffen kann und besonders viel Spaß macht - um es mal so auszudrücken -. Man könnte zu dem Fazit kommen, das der bedeutende deutsche Nationalökonom Theodor Wessels vor 50 Jahren schon gefunden hat: Was man nicht definieren kann, das sieht man als Struktur an, und darunter wird alles gepackt, was sich nicht lösen läßt. ({1}) Nach marktwirtschaftlichen Grundsätzen gibt es in einer Wettbewerbsordnung keine überzeugende ökonomische Begründung für eine regionale Strukturpolitik. Aber das kann und darf nicht heißen, daß wir in der Konsequenz eine Absage an regionale Strukturpolitik, an Regionalpolitik verkünden. Aber es sollte wohl doch zu der Erkenntnis führen - und dieses Thema ist ja Inhalt unserer Debatte - daß regionale Strukturpolitik ein in sich begrenztes Hilfsmittel ist, daß es immer nahe bei staatlicher Intervention liegt, immer nahe bei Wettbewerbsverzerrung, immer nahe bei mehr Bürokratie. Dazu kommen die Abstimmungsprobleme in einem föderalistischen Land wie der Bundesrepublik Deutschland; die Neuabgrenzung der Fördergebiete, die Neufestlegung der Kriterien. Herr Kollege Jochimsen, wie häufig haben wir im Planungsausschuß und im Unterausschuß zwischen Bund und Ländern mit ganz unterschiedlichen Frontstellungen Kämpfe ausgefochten, die nicht immer von der Einsicht zeugten, daß man gegenüber dem Schwächeren oder dem schwächer Gewordenen Solidarität zu zeigen hat. Das alles ist jedesmal eine Bewährungsprobe für die Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern. Keiner kann j a bekanntlich auf der Grundlage unserer Verfassungsordnung mit seinem Kopf, mit seiner Mehrheit durch die Wand gehen. Ich glaube, daß Nordrhein-Westfalen auf Grund der eingetretenen Entwicklung nicht ganz zu Unrecht die Form und den Umfang des horizontalen Finanzausgleichs, wie er immer noch besteht, kritisiert. Darin sind wir schon früher mit Ihnen einig gewesen. Wir sind mit Ihnen früher auch in der Frage einig gewesen, ob eigentlich die Lasten der Kohlenhilfe - ein Drittel - nur den beiden Kohleländern und nur den Stahlländern, wo es um Stahl geht, aufgebürdet werden können. Ich erinnere mich an die Schwierigkeiten, die wir z. B. bei der Neuabgrenzung der Förderkriterien hatten, wenn ein Land wie Baden-Württemberg meinte, der Indikator Arbeitslosigkeit brauche nicht sehr stark durchzuschlagen. Es war klar, warum. Weil die Arbeitslosigkeit dort erfreulich niedrig ist und weil man mit einem solchen Indikator ein wenig von den Fleischtöpfen Ägyptens entfernt wird. Die Änderung der Förderkulisse, die jedesmal - im übrigen auch in der Europäischen Gemeinschaft - Schwierigkeiten macht, der Austausch von Schwerpunktorten, der immer nur untereinander und gegenseitig vorgenommen werden kann und wo niemand über eine Landesgrenze hinweg etwas tut, und nicht zuletzt die Schwierigkeiten, die wir mit der Europäischen Kommission in der Frage der Förderung des Zonenrandgebietes haben, wo uns ja mit verstärktem Druck die Frage gestellt wird: immer noch Folgen der Teilung Deutschlands nach 40 Jahren? - alles das kann und darf die Bundesregierung und uns nicht hindern, diese Positionen gerade gegenüber der EG mit Nachdruck zu vertreten. Aber das darf die Bundesregierung und uns auch nicht daran hindern zu sehen, daß ein Präferenzgefälle innerhalb der Bundesrepublik Schwierigkeiten macht. Vorgestern abend habe ich das in meinem eigenen Wahlkreis zufällig festgestellt: drei Förderorte, jeder 20 Minuten vom anderen entfernt. Einer wird mit 10 %, einer wird mit 15 %, einer wird mit 20 % gefördert. Macht das insgesamt Sinn? Die Gebietsabgrenzungen führen zu Wettbewerbsverzerrungen. Der Wettlauf mit Fördersätzen, der Wettlauf mit Gewerbesteuerhebesätzen, der Wettlauf mit niedrigen Grundstückspreisen um Industrieansiedlung, die Frage der Kumulierung der Fördersätze und der Fördermöglichkeiten, die theoretisch ja auch einmal bis zu 100 % gehen könnten - das alles sind in der Tat Schwierigkeiten, die man sehen muß und die einen erkennen lassen müssen, daß wir es nur mit einem relativ erfolgreichen Instrument zu tun haben. Erinnern Sie sich doch daran, daß sich zwei gestandene Ministerpräsidenten von marktwirtschaftlicher Prägung darüber stritten, wer denn wohl höhere Fördersätze angeboten habe, um die Wiederaufarbeitungsanlage in sein Bundesland zu bekommen. Oder nehmen wir einmal zur Kenntnis, daß die niedersächsische Landesregierung meint, sie könne ihren Anteil am Volkswagenwerk aus regionalpolitischen Gründen nicht privatisieren. Mit der Begründung können wir die staatlichen Aktivitäten auf Produktion und industrielle Tätigkeit in der Bundesrepublik noch kräftig ausweiten. ({2}) Das alles führt aber trotz dieser Vorbehalte dennoch zu dem Ergebnis - das sage ich ausdrücklich, um nicht diejenigen zu entmutigen, die sich mit diesem dornigen Gebiet beschäftigen müssen -, daß Regionalpolitik notwendig ist, um die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik sicherzustellen. Wenn man überhaupt noch Zweifel haben müßte und wollte, daß auf politische Ereignisse mit wirtschaftlichen Folgen politisch-wirtschaftlich reagiert werden soll und muß, dann stellt sich das klar am Beispiel Berlin heraus. Aber wir sollten versuchen, Friktionen möglichst zu vermeiden. Wir sollten versuchen, Egoismen, in erster Linie Länderegoismen, zu überwinden. Wir sollten uns die Flexibilität und die Möglichkeit erhalten, auf Veränderungen in notwendiger Weise zu reagieren. Wir müssen uns auch dessen bewußt bleiben, daß nach aller Erfahrung in der Hochkonjunktur Fördermaßnahmen in strukturschwachen Gebieten meistens zu Neugründungen, zum Vorschieben von Brückenköpfen existierender Unternehmen aus den Ballungsgebieten führen und daß dann in der Rezession gerade diese geförderten Einrichtungen als erste geschlossen, zurückgezogen werden. Ein Stück Sisyphusarbeit ist in regionaler Gemeinschaftsaufgabe, regionaler Wirtschaftspolitik, immer enthalten. Vor allem aber warne ich vor dem Aberglauben, Fördersätze, Subventionen seien eine Wunderdroge und sie bedürften keiner gesamtpolitischen, keiner gesellschaftspolitischen Unterstützung. Ich glaube, es ist aus den Entwicklungen in der Bundesrepublik abzusehen: Sie können noch soviel Geld ausgeben, wenn Sie eine unternehmensunfreundliche Politik betreiben, ({3}) scheitern Sie mit der Aufgabe der Neuansiedlung, ({4}) scheitern Sie mit der Aufgabe, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Deswegen, Herr Jochimsen, sind Sie zu einem guten Teil in Nordrhein-Westfalen gescheitert. ({5}) Ich habe heute mit Interesse gehört, daß Sie Ausflüge in die Weltwirtschaft, nach Japan und in die Vereinigten Staaten, unternommen haben. ({6}) Ich denke, daß das eher ein Ablenkungsmanöver war, weil Sie Ihre Hausaufgaben in Düsseldorf nicht bewältigt haben. Es wäre uns lieber gewesen zu erfahren, wie Sie die nordrhein-westfälischen Probleme lösen, statt zu hören, wie Sie die Probleme in anderen Teilen der Welt zu lösen gedenken. ({7}) In fast allen relevanten wirtschaftlichen Bereichen - ich brauche das nicht zu wiederholen, denn der Herr Kollege Lammert hat es Stück für Stück, wie ich fand, sehr präzise dargelegt - hat sich die nordrhein-westfälische Wirtschaft und das Land Nordrhein-Westfalen beklagenswerterweise - niemand von uns, der in diesem Lande zu Hause ist, stellt das etwa mit Vergnügen fest, um diesem Mißverständnis vorzubeugen - unter dem Bundesdurchschnitt entwickelt. Meine Damen und Herren, es kommt ein Punkt hinzu, den, so glaube ich, Herr Lammert nicht erwähnt hat: der Schuldenzuwachs des Landes Nordrhein-Westfalen. Wir hatten damit gerechnet, Ihr Finanzminister werde heute auch hier sein, er ist es nicht. Der Schuldenzuwachs des Landes Nordrhein-Westfalen gehört zu dem Exorbitantesten, was sich ein Bundesland leistet. ({8}) - Ich komme zu Schleswig-Holstein gleich noch. Das führt dazu, meine Damen und Herren, daß sich ein Bundesland wie Nordrhein-Westfalen öffentlich hinstellt und erklärt: Wir wollen keine Steuersenkung, wir lehnen eine Steuersenkung insgesamt ab. Vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich der Anteil der Lohnsteuer am Gesamtsteueraufkommen inzwischen zu einer sozial unvertretbaren Höhe entwickelt hat, vertritt eine Regierung, die angeblich einer Arbeitnehmerinteressen verpflichteten Partei angehört, die Position, diese Ausplünderung der Lohnsteuerzahler weiter fortzusetzen, nur weil sie ihre Finanzen nicht in Ordnung halten kann. ({9}) Herr Kollege Jochimsen, auch bei den Exporterfolgen ist richtig, was Herr Lammert gesagt hat, daß Sie auch hier trotz der Exportstärke und der Exportabhängigkeit, die Sie zu Recht unterstrichen haben - daß es strukturelle Probleme in Nordrhein-Westfalen gibt, bestreitet ja niemand; ich sage dazu gleich noch ein Wort -, in der Entwicklung hinter dem Bund hinterherhinken. Nun muß ich eins mit aller Deutlichkeit sagen: Wenn Sie hier formulieren, die Exporterfolge seien der Bundesregierung - der Bundesregierung überhaupt nicht, sondern allenfalls der deutschen Volkswirtschaft - in den Schoß gefallen wegen des hohen Dollarkurses, dann ist das eine deutliche Herabsetzung der ungeheuren Bemühungen von Arbeitnehmern und Unternehmern, ihre Position auf den Weltmärkten zu halten, und eine ungeheure Herabsetzung der qualitativen Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen. ({10}) Nichts hat so deutlich gemacht wie der größte Handelsbilanzüberschuh, den wir in realen Ziffern je erreicht haben - das war im Jahre 1984 der Fall; real, nicht nominal -, daß die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig ist auf breiter Front: technologisch, in ihren Investitionsgütern, in der Breite der Produkte, in der Angebotspalette. Daß der Dollarkurs dabei geholfen hat, wird nicht bestritten. Aber er hat im wesentlichen geholfen, um die Erträge zu verbessern. Kein Mensch, Herr Jochimsen, hat doch wohl seine Exportaktivitäten auf einer Dollarbasis von DM 3,40 kalkuliert. Das liegt alles weit darunter. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ehrenberg?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, Ihre Aussagen zu der Dokumentation der Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft sind unbestritten; aber würden Sie zustimmen, daß es sehr viel wünschenswerter gewesen wäre, wenn diese deutsche Wirtschaft die hohen Erträge daraus zu Investitionen in der Bundesrepublik genutzt hätte, statt 29,5 Milliarden DM Kapitalexport zu betreiben? ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ehrenberg, wir sind uns einig darüber, daß in jedem konjunkturellen Aufschwung - insbesondere dann, wenn er mit strukturellen Problemen verbunden ist, wie wir das heute sehen - die privaten Investitionen und die Ausrüstungsinvestitionen später ansteigen. Es ist übrigens eine Gefahr, daß die konjunkturelle Besserentwicklung uns einlullt und uns einschlafen läßt, statt die zugrunde liegenden strukturellen Probleme zu beseitigen. Das darf uns nicht passieren, sonst sind wir in der nächsten Rezession übel dran. Wir rechnen damit - ich halte diese lieb und wert. Sie gründen bei mir Betriebe und schaffen mir Arbeitsplätze. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Präsident, die Zeit ist zu knapp. Es geht nicht um Aufschwung für Millionäre, sondern es geht um Arbeitsplätze für Millionen. Das ist das Problem, gerade auch im Lande NordrheinWestfalen. Der Kollege Jens meint, die Lohnnebenkosten müßten abgebaut werden. Wir sind ja völlig einig mit ihm. Haben Sie aber eigentlich in Nordrhein-Westfalen den Bildungsurlaub eingeführt, und ist es richtig, daß, wenn 4 % der Arbeitnehmer den Bildungsurlaub in Anspruch nehmen, sämtliche Fördermittel für die kleinen und mittleren Unternehmen damit aufgezehrt werden? ({0}) Ist es richtig, daß Programme, die für die Wahrnehmung des Bildungsurlaubs angeboten werden, zunächst einmal die „Einführung in das Gesellschaftsund Verfassungsrecht der DDR" zu Lasten der Unternehmen ermöglichen? Sie haben in Nordrhein-Westfalen das zehnte Pflichtschuljahr eingeführt, Sie haben die Wahlfreiheit zwischen berufsbildendem zehnten Schuljahr und allgemeinbildendem zehnten Schuljahr abgeschafft. Natürlich, Herr Jochimsen, Sie haben die Hochschulen in die Zentren der Wirtschaft gesetzt, das ist richtig. Haben Sie aber etwas getan, um den Transfer der Ergebnisse aus diesen Hochschulen in die Industrie zu besorgen? ({1}) Nichts haben Sie getan! Sie haben überbürokratisierte Drittmittelforschung vom Stapel gelassen, Sie haben die Hochschulen mit Bürokratie und Papierkrieg belastet. Ich muß Ihnen sagen: Eigentlich müßte der Ministerpräsident Ihres Landes hier sitzen und nicht die Nebengehilfen; der Hauptverantwortliche müßte hier sitzen. ({2}) Ich würde Herrn Rau empfehlen, einmal nach Aachen zu fahren und die Technische Hochschule, z. B. das Institut für Maschinenbau, aufzusuchen und sich über die Folgen und Auswirkungen der Drittmittelforschungsregelungen in NordrheinWestfalen zu informieren. Das wäre in Aachen besser angebracht, als daß er das Klinikum mit fröhlichem Gesicht einweiht, wo sie 2,4 Milliarden DM vergraben haben, ein Milliardengrab. ({3}) Übrigens, die lateinische Übersetzung für Milliardengrab lautet „Rausoleum". ({4}) Meine Damen und Herren, wenn Sie sich vor dieser Kulisse und vor diesem Hintergrund dann noch überlegen und wenn sich die potentiellen Investoren überlegen, daß da auch noch ein grünes Einsprengsel in diese rote Landschaft kommen könnte, so können Sie die Investitionserwartungen abschätzen, die diese Leute noch ernsthaft realisieren können. Herr Jens spricht von der Kohleverflüssigung. Ja, meine Damen und Herren, die Kohleverflüssigung war bis vor wenigen Wochen noch ein Streitthema mit dem Saarland. Dann kommt ein sozialdemokratischer Ministerpräsident, der sagt: Kohleverflüssigung, damit haben wir nichts im Sinn, wollen wir nicht. - Wie lange bleiben Sie denn noch bei Ihrer Position, die Kohleverflüssigung in NordrheinWestfalen zu wollen? Sie haben das halbe Land Nordrhein-Westfalen in den Bereichen Kultur, Schule und Soziales und Verkehr bereits durch den Landschaftsverband Rheinland einer rot-grünen Koalition ausgeliefert, mit Zustimmung des Herrn Rau, der landauf, landab erklärt, das gäbe es bei ihm nicht. Die Ergebnisse und Folgen sieht man heute schon. ({5}) Es gibt, meine Damen und Herren, im Ruhrgebiet seit einigen Generationen, ich glaube, seit den 20er Jahren, ein altes Ruhrgebietsmotto: Wenn die Bilanz nicht stimmt, wenn die Zahlen nicht stimmen, dann müssen sich die Gesichter ändern. - In Düsseldorf müssen sich die Gesichter ändern, möglichst bald. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Schmidt ({0}).

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002002, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren! Sie sehen, hier vorne hat sich einiges geändert. Kleine Strukturen sind verändert worden, auch das ist Strukturpolitik. Sie können jetzt sehen, es gibt in diesem Hause zwei Arten von Strukturen: die baulichen Strukturen für die Starken; das sieht dann so aus, daß das Fußvolk unten ist, etwas höher die Redner, ganz oben das Präsidium und hinter allem dann der Raubvogel da oben. ({0}) - Ein Adler ist ein Raubvogel.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich rufe Sie zur Ordnung. Dies ist ein Symbol des Deut9790 Vizepräsident Westphal schen Bundestages, von dem Sie gesprochen haben. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002002, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es bleibt dabei, daß ein Adler ein Raubvogel ist.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Nicht einmal das stimmt. Sie sollten sich einmal ein bißchen in der Natur erkundigen, bevor Sie solche Reden halten. ({0})

Christian Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002002, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also lassen wir das den Ornithologen zur Entscheidung. ({0}) Zur bisherigen Debatte muß ich sagen: Über die vorliegenden Drucksachen ist hier kaum geredet worden. Was hier im wesentlichen gemacht worden ist, ist Wahlkampf für NRW. Dazu ist hier eigentlich nicht der Platz. Das Wesentliche, worüber es zu reden gilt, ist in der Industriepolitik das, was sowohl in der Anfrage der SPD als auch in der Antwort der CDU-Regierung über die Zielsetzung geschrieben steht - und darin sind sich Regierung und SPD-Opposition völlig einig -, daß die wesentlichen Orientierungspunkte sind: Japan und USA, Telekommunikation, Atomtechnologie, Mikroelektronik und Gentechnologie. In ihrer Anfrage an die Bundesregierung schreibt die SPD: USA, Japan und einige europäische Länder unternehmen verstärkte Anstrengungen, weltweit neue Märkte zu erschließen. Die Bundesrepublik könne sich diesem Wettbewerb keineswegs entziehen. Deshalb fragt die SPD die Regierung - ich zitiere -: Wird die Bundesregierung in Zukunft stärker als bisher eine industriepolitische Schwerpunktförderung auch zur Erschließung neuer Wachstumsfelder ({1}) betreiben, um ... zu mehr qualitativem Wachstum zu kommen? Wenn wir uns gleichzeitig ansehen, was die Bundesregierung hier, was Herr Rau in NRW mit dem Schnellen Brüter oder Herr von Dohnanyi in Hamburg mit neuen Technologien betreiben, können wir feststellen: Regierung und SPD sind sich erstens darin einig, daß qualitatives Wachstum für sie heißt: Schneller Brüter, Kernfusion, Automatisierung und Verkabelung, ({2}) heißt Gentechnik und Weltraumforschung. Zweitens. Das deutsche Trauma, im Wettlauf um die Weltmärkte zu kurz zu kommen, ist wiederauferstanden - mit der Variante, daß es im klassischen Imperialismus vor 1914 darum ging, die Zukunft auf dem Wasser zu suchen; heute wird sie im Weltraum gesucht. Und eine weitere Variante: Früher war es der Alldeutsche Verband, der die Regierung aufforderte, kräftiger zuzupacken. Heute ist es die Sozialdemokratie, aber das macht die Sache nicht besser. ({3}) Zur Kritik dieser Politik ist erstens zu sagen: Wer heute Exportoffensiven deutscher Konzerne als Priorität unserer Industriepolitik fordert, muß wissen, daß er vielleicht den deutschen Wohlstand mehren wird - nicht für alle, weiß Gott nicht für alle -, mit Sicherheit aber wird er Hunger und Elend in der Dritten Welt weiterhin verschärfen. Und wer auf den Wettlauf mit den USA und mit Japan setzt, setzt indirekt auch auf den Wettlauf mit dem Hunger und dem Massensterben in der Dritten Welt. Und von dieser Schuld kann man sich nicht freikaufen mit 300 DM in die Sammelbüchse, zumal dann nicht, wenn dieser „Ablaß" aus Steuergeldern finanziert wird. ({4}) Zweitens. Was Sie als Zukunftstechnologien bezeichnen, sind stofflich wie sozial Zerstörungstechnologien. Es ist kein Zufall, daß das größte Technologieprojekt, über das heute morgen hier diskutiert wurde, zugleich das gigantischste Rüstungsprojekt aller Zeiten ist. Moderne Technologie ist in vielen Bereichen auf Zerstörung und Zusammensetzung in Frankensteinmanier angelegt. Das haben wir bei den chlorierten Kohlenwasserstoffen, bei denen als neuer Stoff Dioxin entsteht, das haben wir in der Atomtechnologie, wo als Zerfallsprodukt strahlende Materie entsteht, die zu Plutonium weiterverarbeitet wird, und das haben wir eben auch in rüstungspolitischer Hinsicht, wo das Ziel letztendlich darauf ausgerichtet ist, die Sowjetunion zu zerlegen und sie in anderen Bestandteilen, die dem Westen genehm sind, wieder zusammenzusetzen. ({5}) Diese Zusammenhänge bestehen im zivilen wie im militärischen Bereich, und es ist schwer zu entscheiden, von welchen Entwicklungen, den zivilen oder den militärischen, die Welt stärker bedroht ist. Der Einstieg in das Plutoniumzeitalter, der mit Kalkar droht, wäre in unseren Augen genauso katastrophal, wie die Mittelstreckenraketen-Stationierung vor wenigen Monaten. Und wenn es bei den NRW-Wahlen industriepolitisch gelänge, die neuen Reaktorlinien der Rau-SPD zu stoppen, wäre das für uns ein riesiger Erfolg, der die Wahl lohnen würde. ({6}) Drittens. Wir bestreiten nicht, daß Informatik, Atom- und Weltraumtechnologie Produkte wissenschaftlicher Spitzenleistungen sind. Wir bestreiten nur, daß sie intelligent sind; denn es ist zweifellos Weltspitze, einen Schnellen Brüter zu bauen, aber intelligenter ist es, Prozeßwärme zu nutzen, Gebäude zu isolieren, Sonnen- und Windenergien zu Schmidt ({7}) nutzen und dabei außerdem noch eine Menge Arbeitsplätze zu schaffen. ({8}) Zweifellos ist ebenso die Weltraumtechnik atemberaubend fortschrittlich. Nur: Wie intelligent ist es, wenn die Supermächte oben ihre Weltraumschiffe zusammenkoppeln und unten die Leute vor leeren Lebensmittelgeschäften Schlange stehen - wie in Moskau - oder ohne Sozialhilfe in Abrißhäusern hausen wie in New York oder Detroit -? ({9}) Deshalb sage ich viertens: Es ist einigermaßen pervers, wenn Regierung und SPD hier darüber streiten, wer geeigneter ist, die Eroberung der Weltmärkte oder gar - das haben wir von der Regierung heute gehört - den Krieg der Sterne zu managen. Wie blind für die Probleme und Mißstände im eigenen Land müssen Politiker eigentlich sein, ausgerechnet heute Exportförderungen zu diskutieren, wo dort Rekordumsätze gemacht werden und das Geschäft blüht! Oder wie betrunken vom technischen Fortschritt muß eine Arbeitnehmerpartei sein, die ausgerechnet jetzt die Computer-Förderung in ihren Antrag schreibt, wo schon Millionen Rationalisierungsopfer arbeitslos sind und viele andere durch Roboter und Büroautomation bedroht sind! ({10}) Zu Herrn Jochimsen und NRW: In Ihrem Bundesland mit den meisten Arbeitslosen - absolut, nicht prozentual - schlagen Sie ein Programm Zukunftstechnologien vor: Kohleveredelung, Mikroelektronik, Telekommunikation, Biotechnik - das alles finanziert mit dreistelligen Millionenbeträgen. Was glauben Sie, wieviel arbeitslose Püttmänner, Stahlkocher oder Büroarbeiterinnen in diesen Branchen unterzubringen sind? Sie glauben doch wohl selbst nicht, daß Sie damit die bestehenden Arbeitsplatzprobleme lösen. Oder auch: Welche sozialen Bedürfnisse haben Sie damit im Auge, wenn Sie auf diese Technologien setzen? Brauchen die Leute, die in NRW in Armut leben, die von der Sozialhilfe leben, gentechnische Produkte? Brauchen sie Glasfasern und eine entsprechende Telekommunikation? Oder ist es nicht so, daß sie ganz einfache, banale, alltägliche Konsumprodukte brauchen - wie gesunde Wohnungen, Einrichtungen, Kühlschränke, Verkehrsmittel? Wenn das so richtig ist, muß Politik gerade von Sozialdemokraten darin bestehen, denke ich, in diesen Bereichen Arbeitsplätze zu schaffen. ({11}) Gleichzeitig gibt es in NRW vielleicht die meisten Aufgaben, ein Riesenfeld von Aufgaben im Bereich der ökologischen Sanierung. Die GRÜNEN fordern deshalb dringend Investitionen für alternative Energieversorgung, Gebäudeisolierung, Brauchwassersysteme, saubere Müllverwertung, öffentlichen Personennahverkehr. Ich weiß, daß das auch von SPD-Seite immer wieder verbal bekundet wird. Nur: Dann muß sie auch die Millionen- und Milliardenbeträge, die sie in die Zukunftstechnologien wie Schnelle Brüter und so etwas steckt, für diese Belange flottmachen. ({12}) Bei der Frage der neuen Technologien kann man sich auch nicht, wie das vor allen Dingen die FDP immer wieder einbringt, auf die Risikobereitschaft und auf die Entscheidungen der Unternehmer verlassen. Die Krisenbranche Stahl zeigt tatsächlich, was dabei passiert. Die Branche wird überleben. Was kaputtgeht, sind die Arbeitsplätze - im Namen des Fortschritts. ({13}) Dort muß angesetzt werden. Dabei ist es schädlich, den Betroffenen zu sagen: Ihr müßt auf sozialen Konsens bauen. Richtig ist, was die IG Metall dagegengesetzt hat, indem sie gesagt hat: Für die Arbeitnehmer gibt es einen einzigen Ausweg, und das ist die Vergesellschaftung der Stahlbranche. Nicht, daß damit inhaltliche Probleme wie Überkapazitäten automatisch gelöst werden; ({14}) man kann planen, Wolfgang Roth. ({15}) Vor allem hat man dann von Arbeitnehmerseite die Möglichkeit, wirklich mitzubestimmen, was Fortschritt ist und was keinen Fortschritt für Arbeitnehmer darstellt. Darum geht es: Einfluß zu bekommen von Arbeitnehmerseite auf das, was es an Rationalisierung, an neuen Technologien natürlich auch innerhalb der Stahlunternehmen gibt. Es ist richtig, daß sich diejenigen, die einen alternativen Fortschritt, einen ökologischen und sozialen Fortschritt wollen, in der Defensive befinden. Sie befinden sich in einer Situation, in der sie im wesentlichen Abwehrkämpfe organisieren müssen. Das gilt für unsere ökologische Seite genauso für die Abwehrkämpfe gegen AKWs oder gegen die Chemie, wie die gewerkschaftliche Seite zur Zeit nur Abwehrkämpfe ({16}) gegen Büroautomation oder gegen Roboter organisieren können. Aber diese Aufgabe ist die wesentliche, die wir auch in dieser industriepolitischen Debatte formulieren können. Es geht momentan im wesentlichen darum, die neuen Technologien zu stoppen. Darum kämpfen wir. ({17}) Zum Schluß ein Wort zu Herrn Bangemann. Er hat heute morgen gesagt, daß die Probleme in den strukturschwachen Gebieten zu lösen seien, indem man weiter überlegt das Tarifrecht zu ändern, wenn die Tarifpartner nicht von selbst auf Besserungen kommen. Die Gefahr besteht, daß das Tarifrecht außer Kraft gesetzt wird. Schmidt ({18}) Er hat weiterhin gesagt, es müsse das Ziel sein, gerade in den unteren Lohngruppen Einsparungen vorzunehmen. Was heißt das denn konkret? Untere Lohngruppen sind die Leichtlohngruppen, sind im wesentlichen Frauen. Das Einkommen, Herr Bangemann, liegt in diesen Lohngruppen monatlich bei wenig über 1 000 Mark. Das antasten zu wollen, heißt, diese Einkommen unter Sozialhilfeniveau zu drücken, heißt, die Armutsgrenze zu unterschreiten. Das ist eine skandalöse Krisenlösung. Da sehen wir, was mit Ihren Rentenvorschlägen gemeint war: nicht die Grundrente, sondern die Rentenansprüche in Grund und Boden stampfen war Ihr Ziel. Eine Empfehlung zum Schluß, Herr Bangemann: Sollten Sie noch einmal einen sozialen Anfall bekommen, dann setzen Sie sich ruhig hin und warten Sie, bis er vorbei ist. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn der Kollege Schmidt sagt, es müsse im wesentlichen darum gehen, neue Technologien zu stoppen, wie er gerade eben formuliert hat, dann, Herr Kollege Schmidt, müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß wir als modernes Industrieland die umweltpolitischen Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht werden lösen können, wenn uns die technologischen Mittel, die wir sowohl beim Katalysator als auch bei modernen Filteranlagen dringend brauchen, nicht zur Verfügung haben werden, um unsere Umweltprobleme zu lösen. ({0}) Ich habe den Eindruck, auch mit der neuen Garnitur der GRÜNEN im Parlament hat sich das Problem der Wirtschaftspolitik nicht gelöst. Mehr oder weniger verfolgen Sie immer noch denselben Chlorophyllmarxismus, den wir von Ihren Vorgängern kennen. Ich hoffe, daß es doch noch Lernprozesse gibt und wir dann eine ernsthaftere Diskussion führen können. ({1}) Wir stehen in der heutigen Debatte über Wirtschafts- und Regionalpolitik doch in wesentlichen Teilen vor einer anderen Diskussion, als wir sie, wenn es um Regionalpolitik ging, lange Zeit geführt haben. Früher ging es im wesentlichen um die Differenz zwischen ländlich bestimmten und industriell bestimmten Regionen. Heute geht es immer mehr um die Differenzen und das Gefälle zwischen den Industrieregionen, die sich positiv entwickeln, und den sogenannten alten Industrieregionen. Am deutlichsten läßt sich das am Beispiel des Landes Nordrhein-Westfalen zeigen. Die Diskussion darüber hat j a vorhin bereits stattgefunden. ({2}) Aber man könnte den Eindruck bekommen, es sei eine parteipolitische Debatte. Es ist keine parteipolitische Debatte in irgendeinem vordergründigen Sinne, sondern es zeigt, wie stark die politischen Rahmenbedingungen, die in den Ländern gesetzt werden, Einfluß auf die Entwicklung der Regionen haben. Am besten kann man dies an Nordrhein-Westfalen auf der einen Seite ({3}) und an Berlin auf der anderen Seite zeigen. ({4}) Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen, ein Land mit einer vorzüglichen geographischen Lage, Nordrhein-Westfalen, ein Land mit einer exzellenten Infrastruktur, Nordrhein-Westfalen, ein Land mit sieben Universitäten in dem Wirtschaftszentrum, ({5}) dieses Land mit diesen Bedingungen ist gleichzeitig das Land, das im Ruhrgebiet ca. 15 % Arbeitslosigkeit aufweist, das Land, das vor 20 Jahren die Nummer eins im Bundesgebiet war und heute zum größten Subventionszentrum der Republik geworden ist. Relativ gute Ausgangsbedingungen und schlechte wirtschaftliche Ergebnisse - das hat nicht nur mit Strukturen zu tun, das hat auch etwas mit einer mangelnden innovativen Landespolitik zu tun. ({6}) Auch darüber müssen wir reden, wenn wir über regionale Strukturpolitik debattieren. Auf der anderen Seite das Land Berlin. Im Jahre 1981 hat dort die Regierungsverantwortung gewechselt. Was hat sich in der Zwischenzeit bewegt? Das Bild hat sich innerhalb von vier Jahren total verändert. ({7}) Trotz schlechterer Ausgangsbedingungen als beispielsweise in vielen Teilen Nordrhein-Westfalens ist dort im vergangenen Jahr die volkswirtschaftliche Leistung, gemessen am preisbereinigten Bruttoinlandsprodukt, um 2,9 % gewachsen. Höher als im ganzen Bundesgebiet war dort der Zuwachs. Die Industrieproduktion ist in Berlin um 7 % gewachsen. Die Zahl der Beschäftigten hat erstmals nach einem jahrelang rückläufigen Trend in Berlin zugenommen. Herr Jens hat vorhin von einer Innovationsoffensive gesprochen. Darauf kann ich nur entgegnen: Das, was in Berlin mit dem Innovations-fonds, mit dem Technologie- und Personaltransfer, mit dem Berliner Gründerzentrum, mit der Anschubfinanzierung für zukunftsorientierte Technologien gemacht wurde - ({8}) - Sie regen sich auf, weil Sie es in den Ländern, in denen Sie regiert haben, nicht fertiggebracht haben, eine solche Innovationsoffensive ins Werk zu setzen ({9}) wie in Berlin, wie in Baden-Württemberg, wie in Bayern, wie in Schleswig-Holstein und wie in Niedersachsen. ({10})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die Zeit ist so begrenzt, daß ich jetzt keine Zwischenfrage zulassen möchte. ({0}) Aber ich weiß, was Herr Ehrenberg fragen will, weil er es vorhin schon in Zwischenrufen angedeutet hat. Er will fragen: Ja, gilt dies denn nur für Berlin, Bayern und Baden-Württemberg, gibt es nicht auch CDU-regierte Länder, in denen die Verhältnisse noch viel schlechter sind? ({1}) Natürlich, Herr Kollege Ehrenberg, habe ich mich bei der Vorbereitung auf diese Debatte sehr intensiv gerade dieser Frage gewidmet. ({2}) Ich will Ihnen hier einmal nicht von der CDU erstellte, sondern überparteilich seriös erarbeitete ({3}) Zahlen vortragen, die wir als CDU deswegen besonders gut verwenden können, weil sie von überparteilichen Institutionen stammen. ({4}) Diese Zahlen, die Sie wahrscheinlich sehr nachdenklich werden lassen, zeigen, daß es im ganzen Bundesgebiet nicht ein pauschales Süd-Nord-Gefälle, sondern ein politisches Mitte-links-Gefälle gibt, ein Gefälle zwischen CDU/CSU-regierten und SPDregierten Ländern. ({5}) Meine Kollegen von der Opposition, ich trage Ihnen gern aus den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder in der Gemeinschaftsveröffentlichung der Statistischen Landesämter die Zahlen über den Zuwachs der Bruttoanlageinvestitionen zwischen 1970 und 1982 vor. Ich nenne zunächst die Zahlen für die SPD-regierten Länder: Hamburg minus 11,8 %, Hessen minus 10,8 %, Berlin, in dieser Zeit SPD-regiert, minus 5,2 % und, Herr Jochimsen, Nordrhein-Westfalen mit mageren Stagnationszahlen von plus 0,2 %. Das sind Zahlen SPD-regierter Länder nach überparteilich unumstrittenen statistischen Unterlagen. Jetzt nenne ich - man muß wissen, daß die Bruttoanlageinvestitionen über die Beschäftigung in den jeweiligen Regionen, über den Arbeitsmarkt mitentscheiden - die Zuwachsraten der CDU/CSUregierten Länder - ich darf Sie bitten, gelassen zuzuhören und es zu verarbeiten -: Schleswig-Holstein 32,1 %, Bayern 18,5 %, Saarland 17,8 %, Baden-Württemberg 16,2 %, Niedersachsen 13,1 % und Rheinland-Pfalz 10,7 %. Meine Damen und Herren, es gibt keinen überzeugenderen Beweis für den Einfluß, den die Wirtschaftspolitik der Länder auf die Entwicklung von Regionen haben kann, als diese Zahlen. Wir haben ein dramatischer werdendes politisches Mitte-linksGefälle. Dem sollten Sie sich als sozialdemokratische Bundestagsfraktion in Ihrer Politik stellen. ({6}) Überzeugend wird dieser Eindruck durch eine vor kurzem veröffentlichte Umfrage des EMNID-Instituts unter 300 Topmanagern deutscher Unternehmer über Ansiedlung, Investitionsabsichten und Einschätzung der Bundesländer und Regionen gedeckt. Ich zitiere aus dem Ergebnis dieser vor kurzem veröffentlichten Untersuchung: Was wir fanden, waren bemerkenswerte, in der Deutlichkeit beinahe abenteuerliche Trends, die in Zukunft für einige Bundesländer einiges erhoffen, für andere vieles befürchten lassen... Den SPD-regierten Ländern wird hingegen - von den Befragten im Schnitt eine „relativ schlechte politische Wirtschaftsförderung" attestiert, während den CDU/CSU-regierten Ländern „eine hohe Standortattraktivität" und eine beispielhafte Wirtschaftsförderung attestiert wird. Sie können das natürlich wegwischen und sagen: Gut, das waren Manager. Aber das sind diejenigen, die die Investitionsentscheidungen treffen. Ich kann nur sagen: Wenn es so weitergeht wie in Hessen mit rot/grün und wie in Nordrhein-Westfalen mit Rau/Jochimsen, dann werden Sie noch mehr Abwanderungen aus den Regionen haben, in denen die SPD bisher regiert hat. ({7}) Auch deswegen brauchen wir einen Wechsel. Meine Damen und Herren, wir brauchen den Wechsel in den Ländern und eine erneuerte Fortführung dessen, was wir im Bund mit der regionalen Wirtschaftspolitik vorhaben. Während in der Vergangenheit unter Ihrer entscheidenden Mitverantwortung die Haushaltsmittel für die regionale Wirtschaftspolitik gekürzt worden sind, hat diese Regierung sie deutlich erhöht. Aber wir wissen, daß geprüft werden muß, ob die Effizienz der Gemeinschaftsaufgabe nicht verbessert werden kann. Uns geht es dabei vor allem um zwei Punkte. Zum einen wollen wir stärkere Anreize für qualitativ hochwertige Arbeitsplätze und innovative Aktivitäten in der Gemeinschaftsaufgabe verankert haben. Zum zweiten wollen wir eine stärkere Einbeziehung von Dienstleistungs- und Handwerksbetrieben in die Regionalförderung besser als bisher sichergestellt haben. Aber was immer wir in der regionalen Wirtschaftspolitik des Bundes tun, wir werden nur Erfolg haben, wenn unsere Maßnahmen von einer Innovationsoffensive in den Ländern, von denen Herr Jens vorhin gesprochen hat, begleitet werden. ({8}) Davon können wir aber in den SPD-regierten Ländern so wenig erkennen. ({9}) Wir werden nur Erfolg haben, wenn auch im Bund die Störfaktoren, die einer Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft entgegenstehen, konsequent beseitigt werden. ({10}) Dazu zählt auch ein Bereich, in dem wir bisher nicht den gewünschten Erfolg gehabt haben, nämlich der Bereich des Abbaus von Subventionen. ({11}) Wenn Graf Lambsdorff mit Recht immer wieder ordnungspolitische Bekenntnisse ablegt, dann füge ich als Vertreter der CDU/CSU-Fraktion hinzu: uns geht es darum, daß beispielsweise diese ordnungspolitischen Bekenntnisse eingehalten werden, wenn es um den letzten Brüsseler Stahlkompromiß und seine Folgen geht und darum, daß wir peinlich genau darauf achten, daß dieser Stahlkompromiß nicht neu die Schleusen für ein Übermaß an Subventionen in anderen Ländern zu Lasten unserer eigenen Stahlwirtschaft öffnet. ({12}) Uns geht es darum, daß wir in der Bundesrepublik dazu beitragen, daß es nicht zu einem neuen Wettlauf kommt, beispielsweise beim Thema Stahl, und daß wir in der Bundesrepublik über die zugesagten Stahlhilfen hinaus keine weiteren Stahlhilfen mehr geben. ({13}) Meine Damen und Herren, liebe Kollegen, wir werden den Weg, den wir als Regierung der Mitte eingeschlagen haben, fortsetzen. ({14}) Wir werden den Weg fortsetzen, mehr als bisher kleinen und mittleren Betrieben eine Chance zu geben, gerade in den Regionen, in denen es Schwierigkeiten gibt. Baden-Württemberg oder Bayern sind nicht deswegen erfolgreich, weil es dort in erster Linie erfolgreiche Großunternehmen gäbe, sondern deswegen, ({15}) weil es dort eine gesunde mittelständische Struktur gibt. Und die nicht zu zerschlagen, sondern zu fördern müßte eigentlich eine gemeinsame Aufgabe aller Parteien des Deutschen Bundestages sein. ({16}) Meine Damen und Herren, jungen Leuten, die Existenzen gründen wollen, zu helfen, statt ihnen, Herr Stahl, mit Bürokratie im Wege zu stehen, gehört zum weiteren Teil einer vernünftigen Innovationspolitik. Ich kann die sozialdemokratischen Kollegen nur einladen, dort, wo sie Verantwortung haben, den erfolgreichen Weg der Erneuerung der sozialen Marktwirtschaft, den wir in Bonn gehen, durch aktive Ländermaßnahmen zu begleiten. In Nordrhein-Westfalen hoffen wir, daß dort bei den Wahlen die Voraussetzungen für eine bessere Wirtschaftspolitik geschaffen werden können. ({17})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Skarpelis-Sperk.

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach zwei Rederunden, in denen die Herren Wissmann, Lammert und Lambsdorff vorgeführt haben, wie sich ernste Wirtschaftsprobleme zu billigen Wahlkampftiraden herabwürdigen lassen, nach dem Motto: „Hat es Regen, hat es Schnee, war's die böse SPD; wenn die liebe Sonne lacht, hat's die CDU gemacht", ({0}) der Herr Schmidt von den GRÜNEN Flick-Sprüche als Volksmund des Ruhrgebiets ausgab und einem Auftakt von Herrn Bangemann, der für seine matte Entertainment-Leistung bestenfalls mit Frühjahrsmüdigkeit entschuldigt werden kann, möchte ich mich nun doch mit dem Thema, nämlich den Antworten der Bundesregierung auf die zwei Großen Anfragen zur Industrie- und Regionalpolitik, bef assen. Sieht man sich die Antworten der Bundesregierung auf die Große Anfrage der SPD-Fraktion durch, wähnt man sich auf den ersten Blick in einer heilen ökonomischen Welt. Die Bundesregierung, so liest man wörtlich, sei mit ihrer Politik auf dem rechten Weg, und dies zeige die positive Wirtschaftsentwicklung seit ihrem Amtsantritt. Ein neuer Wachstumsprozeß sei eingeleitet, Vertrauen und Zuversicht gestiegen. Nach dieser Analyse und weiteren schönen Worten über die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen verblüfft es nicht, wenn die Bundesregierung keinen Anlaß für zusätzliche Aktivitäten sieht, um den technologischen und industriellen Herausforderungen zu begegnen. Deutlich anders allerdings sieht dieselbe Bundesregierung die Lage im Zusammenhang mit der am selben Tag beantworteten Großen Anfrage der Regierungsfraktionen. Hier ist, durchaus zu Recht, von verstärkten strukturellen Herausforderungen an die deutsche Wirtschaft, von insgesamt abgeschwächtem Wirtschaftswachstum und einer unbefriedigenden Arbeitsmarktsituation mit teilweise erheblichen regionalen Unterschieden die Rede. In dieser Anfrage sieht die Bundesregierung sogar einen Handlungsbedarf zur Verbesserung der regionalen Wachstums- und Beschäftigungswirkungen und der Erleichterung des Strukturwandels, nicht ohne freilich gleich zu Beginn dezent, aber deutlich anzumerken, daß eine regionale Wirtschaftspolitik primär in die Zuständigkeit der Länder falle. Und damit wäre der Herr Bundesminister für Wirtschaft weitgehend aus der Verantwortung. Fürwahr eine großartige Analyse: Dort, wo sich die Bundesregierung als zuständig erklärt, in der Gesamtwirtschaft, läuft angeblich alles zum besten. Da braucht man nichts zu tun, außer sich selbst zu loben. Dort aber, wo nicht mehr zu verheimlichen ist, daß das „problembehaftete und sowieso bloß mäßige Wachstum" - so die „Süddeutsche Zeitung" vom vergangenen Wochenende -, die Zahl der Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt wohl kaum unter 2,3 Millionen gedrückt werden wird, wo die Zahl der Insolvenzen sprunghaft zunimmt, wo schmerzhaft sichtbar wird, daß mehr Investitionen nicht zu einem Mehr an Arbeitsplätzen führen, dort, draußen in den Regionen, werden - wenn auch stark verharmlosend - einige Probleme eingestanden. Fürwahr eine schöne Aufgabenverteilung für Herrn Bangemann: Sie schont die Nerven des Wirtschaftsministers und die Kasse des Bundesfinanzministers. Falls etwas schiefgeht, haben Länder und Kommunen den Schwarzen Peter. Nach solchen Zuständigkeitsvermerken darf man getrost annehmen, daß die Lage in wichtigen Regionen nicht eben erfreulich ist und weitere Verschlechterungen anstehen. Tatsache ist denn auch, wie eine Anhörung des Wirtschaftsausschusses zur Fortentwicklung der Regionalpolitik am 27. Februar 1985 ergeben hat - Herr Wissmann, dort hätten Sie andere Erkenntnisse als die gewinnen können, die Sie zu Ihren schönen Mitte-Links-Sprüchen veranlaßt haben; dort hätten Sie von den ernsthaften Problemen der Regionen hören können -, daß sich die Entwicklungsunterschiede zwischen den Regionen - entgegen dem Verfassungsauftrag - nicht vermindert, sondern eher verschärft haben. Wo sind denn - um auch einmal die andere Seite der Medaille in Erinnerung zu bringen - die Arbeitsmarktzahlen bei Ihnen geblieben, Herr Wissmann? ({1}) Da wäre ruhig die Arbeitslosenzahl von Göppingen zu nennen, die die niedrigste im Bundesgebiet ist. Aber bitte, nennen Sie dann auch die von Leer. Denn Sie wissen genau, daß dieser Ort nicht in Nordrhein-Westfalen, sondern in Niedersachsen liegt und mit 26 % die höchste Arbeitslosigkeit aller Arbeitsamtsbezirke hat. Tatsache ist, daß zu den traditionell strukturschwachen Gebieten - meist ländlichen Regionen mit unterdurchschnittlicher Wirtschaftskraft wie der Westküste Schleswig-Holsteins, CDU-regiert, Emsland-Ostfriesland, CDU-regiert, Eifel, CDU-regiert, Ostbayern, CSU-regiert, und anderen Teilen des überwiegend CDU/CSU-regierten Zonenrandgebietes neue gravierende Problemregionen dazugekommen sind. Da sind wir uns alle einig: Die altindustriell geprägten Regionen des Saarlandes, jahrzehntelang CDU-FDP-regiert, des Ruhrgebiets, in der Tat SPD-regiert, und an der Küste, größtenteils CDU-regiert, sind Regionen, in denen stark schrumpfende Branchen wie Kohle, Stahl, Schiffbau, aber auch Textil- und Bekleidungsindustrie angesiedelt sind. Tatsache ist, daß sich neben den bekannten Standortproblemen der peripheren Gebiete sektorale Strukturkrisen zu massiven regionalen Beschäftigungsproblemen verfestigt haben. Diese Entwicklungen können keineswegs nur als vorübergehend angesehen werden und lassen sich auch nicht, wie die Antworten der Bundesregierung zu suggerieren versuchen, durch eine bloße Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmen, etwa mehr „Wettbewerb nach innen und außen", lösen. Auch bei noch so deutlich zur Schau getragenem Optimismus: Sie, die Herren Wahlredner vom Dienst und Minister, werden, auch wenn Sie auf der Hannover-Messe davon ablenken, froh sein müssen, wenn Sie den miserablen Stand von 2,3 Millionen Arbeitslosen im Jahresdurchschnitt auch nur halten werden, ({2}) gehen Sie doch jetzt schon mit einem gegenüber dem Vorjahr um 80 000 Arbeitslosen erhöhten Sokkel an Arbeitslosigkeit in den Frühsommer. Der kalte Winter, der Ihnen zur Entschuldigung diente, ist auch schon ein bisserl vorbei; in Bonn blühen die Magnolien. Tatsache ist auch, daß den stark schrumpfenden Branchen und den an Massenarbeitslosigkeit leidenden Regionen praktisch keine Branchen und keine Länder gegenüberstehen, die in der Lage wären, auch nur die „freigesetzten" Arbeitskräfte aufzunehmen, geschweige denn die geburtenstarken Jahrgänge in die Arbeit zu integrieren. Unter allen 40 industriellen Branchen in allen Bundesländern gibt es, abgesehen vom Fahrzeugbau und Luftfahrzeugbau in Bayern - und auch der wird in Probleme kommen -, praktisch keine Branche, die heute mehr Arbeitsplätze als vor zehn Jahren beschäftigt. Kein einziges Land der Bundesrepublik, auch nicht das Land Bayern, ist in der Lage, per-saldo Arbeitskräfte aus anderen Regionen aufzunehmen. Tatsache ist auch, daß, schreibt man die bestehenden Arbeitsmarkttrends fort, durch das anhaltende Einströmen geburtenstarker Jahrgänge in den Arbeitsmarkt die regionalen Disparitäten in der Bundesrepublik nicht abnehmen, sondern zunehmen werden. Auch der Einsatz neuer Technologien, so sinnvoll und notwendig er auch wegen unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit sein mag, wird aller Voraussicht nach die Standortprobleme der peripheren Regionen und generell die regionalen Unterschiede weiter verschärfen. Sagen Sie nun bitte, meine Damen und Herren von der Regierungsfraktion, mir nicht, das seien Kassandrarufe, ich malte das Bild der künftigen regionalen Entwicklung zu schwarz. Uns Sozialdemokraten wäre es weiß Gott lieber, wir könnten mit Ihnen gemeinsam über andere Zukünfte und positive Entwicklungsszenarien für das Saarland, die Küstengebiete Schleswig-Holsteins und Niedersachsens, über die künftige Entwicklung des Ruhrgebiets, der Eifel und Ostbayerns reden. Nur, diese Möglichkeit, eine konkrete und vertiefte Debatte anhand von Zahlen und Fakten über wahrscheinliche Zukünfte zu führen, haben sie sich und uns genommen, weil der Herr Minister Bangemann und der Vorgänger Graf Lambsdorff sich stets geweigert haben, sektorale und regionale Prognosen und Szenarien über denkbare Gefährdungen in Auftrag zu geben. ({3}) - Sicher. Den habe ich sogar gelesen. ({4}) Sicher, Prognosen können falsch sein, Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sich ändern. Aber gleichzeitig verteilen Sie mit großzügiger Hand 100 Milliarden DM Subventionen, von denen die Bundesregierung sich bis heute nicht in der Lage sieht, auch nur grob die räumlichen Wirkungen abzuschätzen, Herr Kollege. ({5}) Nur so haben Sie die Chance, strukturelle und regionale Gefährungspotentiale zu erkennen, nicht erst dann, wenn eine Erhaltung von Arbeitsplätzen nur noch schwer möglich ist oder der zeiterfordernde Aufbau von Ersatzarbeitsplätzen zu spät kommt, um tiefergehende Krisen ganzer Regionen und hunderttausender Menschen, die dort leben, zu verhindern. Hat sich nämlich ein Wirtschaftseinbruch, eine Beschäftigungskrise einmal regional verfestigt, so ist es mit den uns derzeit zur Verfügung stehenden regionalpolitischen Instrumenten außerordentlich schwer, wieder hochzukommen. Dafür gibt es eine Fülle von Gründen. Einer der wichtigsten ist, daß die Schwierigkeiten nahezu aller Problemregionen, also nicht nur der sogenannten altindustriellen Regionen, sektoraler Art sind, d. h., daß sich in den strukturschwachen Regionen die strukturschwachen Branchen konzentrieren. Das will man aber aus ideologischen Gründen nicht wahrhaben. Schon Graf Lambsdorff hat sich beharrlich geweigert, Strukturpolitik oder noch viel mehr Industriepolitik machen zu wollen. ({6}) Wohlgemerkt „zu wollen", denn natürlich haben Hilfsmaßnahmen und vielfältige Subventionsprogramme bei Kohle, Stahl und Werften tatsächlich industriepolitische Wirkungen gehabt. Weil sie es nicht wollten und weil sie sich nicht koordiniert darum gekümmert haben, sind in dieses bundespolitische Vakuum die Länderwirtschaftsminister hineingestoßen, ({7}) nicht weil sie es unbedingt wollten, sondern weil ihnen angesichts der bundespolitischen Abstinenz gegenüber drängenden Wirtschaftsproblemen gar nichts anderes übrig blieb, übrigens weitgehend unabhängig vom Parteibuch. Bei manchen Ministern ist es schon fast amüsant zu betrachten, wie dem täglichen Morgengebet zur freien Marktwirtschaft ein knallharter interventionistischer wirtschaftspolitischer Arbeitstag folgt. ({8}) - Diese Länderwirtschaftsminister tun es leider nicht koordiniert miteinander und zum Teil sogar gegeneinander. Bei wichtigen industriepolitischen Themen, z. B. der Stahl- und der Werftenfrage, erweist sich die fehlende bundespolitische Koordination als überaus bedenklich, gerade wenn es um die Interessensvertretung gegenüber Brüssel geht. Dieser Ausfall des Bundes hat in den letzten Jahren auch zu einem verstärkten Subventionswettlauf der Länder und der Kommunen um Wirtschaftsförderung geführt. Was haben die OB und Minister nicht alles getan, um einige wenige High-Tech-Unternehmen an sich zu locken. Jede Region kümmert sich angesichts der Massenarbeitslosigkeit nur mehr um die eigenen Probleme. Das ist auch und nicht zuletzt Schuld des Bundes. Von Solidarität unter den Regionen ist kaum mehr etwas zu spüren. Bauaufträge werden mit List und Tücken nach Möglichkeit innerhalb der Region vergeben. Der Herr Minister Bangemann sollte neben seine weltweite Initiative zur Bekämpfung des Protektionismus bald eine zur Vermeidung des inneren Protektionismus starten, der sich heimlich und stetig wie ein Schimmelpilz ausbreitet und eine vernünftige Arbeitsteilung zwischen den Regionen allmählich zu bedrohen beginnt. Die lobenswerten Begriffe Dezentralisierung und Regionalisierung haben durch das gesamtwirtschaftliche Versagen des Bundes einen bitteren Beigeschmack bekommen; denn der Bund regionalisiert die Probleme erst dann, wenn sie gesamtwirtFrau Dr. Skarpelis-Sperk schaftlich oder sogar international entstanden und auch nur zu lösen sind. Er dezentralisiert die Verantwortung, ohne gleichzeitig auch die Lösungsmöglichkeiten und vor allem die benötigten Mittel zu dezentralisieren. Ganz im Gegenteil: Die Konsolidierung der Bundeskasse, dieser gigantische Verschiebebahnhof auf Kosten der unteren Ebenen, verbaut geradezu jede Möglichkeit, selbst aus Problemen herauszukommen, die örtlich und regional vielleicht noch zu lösen wären. Selbst wenn der Herr Minister Bangemann und die Bundesregierung mit ihren Zuständigkeitsverweisungen formal im Recht wären: Die Probleme dieses Landes, seine Massenarbeitslosigkeit, die wachsenden Schwierigkeiten wichtiger Branchen und zunehmend vieler Regionen lösen wir mit dem von der Bundesregierung und unseren Wahlkämpfern angewandten Buchbinder-Wanninger-Prinzip nicht: Jedesmal, wenn er angerufen wird, um etwas zu lösen, sagt er, da sei jemand anderes zuständig: „Moment, ich verbinde mit dem Landeswirtschaftsminister." Aufgabe jeder Politik ist es aber, Lösungsmöglichkeiten für festgestellte Probleme zu suchen und dann eine Lösung gemeinsam durchzusetzen, nicht aber, Probleme zu verharmlosen, Lösungen anzukündigen und sich, falls es schwierig wird, aus der Verantwortung wegzustehlen. Um zu ihren regionalpolitischen neuen Ansätzen zu kommen: Das, was von Ihnen als Lösung des anstehenden Problems vorgeschlagen wird, ist dann doch erstaunlich. An Stelle einer grundlegenden Reform des Systems der regionalen Wirtschaftspolitik, wie sie auch in der einschlägigen Fachwelt diskutiert wird, schlagen Sie Ziselierarbeiten an einem System der Regionalpolitik vor, das unter den veränderten Bedingungen der internationalen wie der nationalen Arbeitsteilung, der allgemeinen Wachstumsbedingungen und der Massenarbeitslosigkeit, weitgehend obsolet geworden ist. Wir alle, aber auch Sie haben zur Kenntnis nehmen müssen, daß es eine wesentliche Voraussetzung traditioneller Investitions- und Neuansiedlungsförderung, nämlich ein kräftiges gesamtwirtschaftliches Wachstum mit einem starken Arbeitskräftebedarf, schlicht nicht mehr gibt. Deswegen wirkt ein Finanzspritzchen hier und dort auch nicht mehr so, wie es einmal in den 70er Jahren gewirkt hat. Lieber Ritter Martin - er ist leider nicht da -, mit dem Blasrohr der Gemeinschaftsaufgabe kann man wohl einen Spatzen, nicht aber den Drachen der Massenarbeitslosigkeit bekämpfen. ({9}) - Greifvögel sind geschützt, aber der Drache Massenarbeitslosigkeit in diesem Parlament hoffentlich nicht. Die Schwachstellen der gegenwärtigen Regionalpolitik lassen sich im wesentlichen in sechs Punkten umschreiben. Sie liegen erstens in ihrem heute völlig unzureichenden Umfang; zweitens in dem verlorengegangenen Konsens darüber, was man mit der Gemeinschaftsaufgabe erreichen kann und soll; drittens in den geringen statistischen Kenntnissen über die Lage der Regionen und Menschen, die in ihnen wohnen; viertens in der fehlenden Koordination der Regionalpolitik mit einer vernünftigen Industriepolitik und überhaupt anderen Fachpolitiken; fünftens in der Untauglichkeit bzw. Unangemessenheit vieler Instrumente; und sechstens in der weitgehend fehlenden Einbeziehung von Ideen, Institutionen und Menschen aus den betroffenen Regionen selbst. Erste Schwachstelle: Umfang der Geldmittel: Mit einem jährlichen Volumen von 1,3 Milliarden DM umfaßt diese Gemeinschaftsaufgabe etwa 1,5% des Subventionsvolumens. Sie ist damit eine kleine Gemeinschaftsaufgabe und kaum in der Lage, selbst zufällige ungeplante regionalpolitische Effekte anderer Ausgabeprogramme auszugleichen. Wenn die Bundesregierung tatsächlich die regionalen Probleme ernst nähme und im Zeitalter der Massenarbeitslosigkeit wirklich lösen wollte, so müßte man, da Sie ja global gegen Massenarbeitslosigkeit nichts unternehmen und damit die Regionen im Stich lassen, die Mittel mindestens verzehnfachen. Unterhalb einer Verdoppelung, also der Anhebung auf das Niveau der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur", erweist sich regionale Wirtschaftsförderung des Bundes als reines Feigenblatt. Zweite Schwachstelle: Fehlender Konsens über Ziele. Wenn wir uns die Diskussionen ansehen, dann fragt man sich kaum mehr: Was sind die Kernprobleme der Regionen? Wo liegen eigentlich künftige Gefährdungsmöglichkeiten? Was kann man mit welchen Mitteln wo und wie erreichen? Man fragt im Grunde genommen nur mehr danach, wie ein vorgegebenes Volumen von 1,3 Milliarden DM am besten so verteilt werden kann, daß die Bürokraten zufrieden nach Hause gehen können. Das ist leider die Realität der Gemeinschaftsaufgabe. Dritte Schwachstelle: Fehlende statistische Kenntnisse. Ich glaube, da sind wir uns einig. Die Volkszählung, aber nicht nur die, sondern verbessertes statistisches Material, muß her. ({10}) Es geht nicht an, daß wir wissen, daß die Zahlen weitgehend falsch sind, und daß wir trotzdem mit ihnen weiterarbeiten nach dem Motto: Ich weiß zwar, daß die Uhr falsch geht, aber irgendeine Information ist besser als keine. Vierte Schwachstelle: Fehlende Koordination mit anderen Fachpolitiken, insbesondere der sektoralen Strukturpolitik. Die fehlende Koordination mit der sektoralen Strukturpolitik ist angesichts der ordoliberalen Haltung der FDP leider kein Wunder. Wer es ablehnt, Industriepolitik zu betreiben, wer Hilfe und Sanierung für angeschlagene Branchen für einen ordnungspolitischen Sündenfall ansieht, wer nicht begreifen kann, daß sektorale und regionale Strukturpolitik zwei Seiten einer Medaille sind, der kann auch nicht koordinieren, Herr Lambsdorff - nicht, weil es nicht geht, sondern weil er politisch nicht mag. So ist halt der politische Teil der Wirtschaftspolitik des Bundes ein strukturpolitischer Flickerlteppich, bei dem nur hie und da und quasi aus Zufall ein ordentliches Muster herauskommt. ({11}) Die dringend nötige regionale Koordination der öffentlichen Infrastrukturausgaben unterbleibt trotz aller Expertenklagen aus Wissenschaft und Industrie weiterhin. Der Rückzug der Bundesbahn aus der Fläche durch Streckenstillegungen, der Rückzug der Post aus dem flachen Land sind Maßnahmen, die Sie durch noch so große Infrastrukturinvestitionen über die Gemeinschaftsaufgabe kaum mehr konterkarieren können. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist. ({0})

Dr. Sigrid Skarpelis-Sperk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich kann damit leider zur Schwachstelle Instrumentenkasten und auch zur sechsten Schwachstelle fehlende regionale Entwicklungskonzepte leider nichts mehr sagen. Aber ich frage Sie - und das ist mein letzter Satz -: Wäre es nicht sinnvoller, statt von oben Instrumente zu verordnen und zu wenig Mittel auszugeben, Konzepte der inneren Entwicklung unten von den Regionen selbst entwickeln zu lassen, dann in übergeordneten staatlichen Stellen abzustimmen und zu koordinieren und den Regionen dann ausreichende Mittel zu übertragen, mit denen sie ihre Konzepte selbst durchführen und auch kontrollieren können? Die Bereitschaft der Betroffenen - häufig ist es auch der Mut der Verzweiflung -, selbst ihr Schicksal in die Hand zu nehmen, ihre eigene Zukunft selbstverantwortlich zu gestalten, statt resigniert den nächsten Schicksalsschlag abzuwarten, ist vorhanden. Es liegt an Ihnen, der Bundesregierung, sie zu ermuntern und den Menschen in den hart betroffenen Regionen statt schöner Worte eine faire Chance zu geben. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die von mir sonst sehr geschätzte und heute sehr engagierte Kollegin Skarpelis-Sperk hat mit einem schönen Reim begonnen: „Wenn die liebe Sonne lacht, hat's die CDU gemacht." - Das ist nicht ganz vollständig. Ich meine, aus nordrhein-westfälischer Sicht müsse hier hinzugefügt werden: „Diejenigen, die versagten, waren Sozialdemokraten." ({0}) Ich möchte speziell auf die Regionalpolitik eingehen und gern Vergleiche ziehen, aber nicht dieses düstere Bild malen wie meine Vorrednerin. Gemeinschaftsaufgabe, Zonenrandförderungsgesetz und Investitionszulagengesetz bilden heute das gemeinsame Fundament, auf dem die bundesweite Regional- und Zonenrandförderung beruht. Sie wurde von Anfang an als eine gemeinsame Verpflichtung von Bund und Ländern angesehen. Unter veränderten gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen - das Wachstum hat sich abgeschwächt, die Investitionsquote ist rückläufig, um nur einige Indikatoren zu nennen - stellt sich die Frage, ob das traditionelle, auf eine expandierende Wirtschaft ausgerichtete Instrumentarium der bisherigen Regionalpolitik noch ausreicht. Die Antworten der Bundesregierung auf die heute zu behandelnden beiden Großen Anfragen lassen ganz deutlich ein zentrales Ergebnis erkennen. Eine erfolgreiche regionale Strukturpolitik ist nur mit marktwirtschaftlicher Ausrichtung möglich. Jeder Versuch der direkten staatlichen Steuerung der Regionalentwicklung ist zum Scheitern verurteilt, da er die auf freiwilliger Basis getroffenen Entscheidungen der am Wirtschaftsprozeß Beteiligten nicht berücksichtigt. Die gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die für die Entwicklung in den einzelnen Regionen maßgeblich sind, wurden durch die Wirtschaftspolitik der früheren Bundesregierung so verzerrt, daß nun kostbare Zeit für notwendige Korrekturen vergeht. ({1}) Notwenige Anpassungsprozesse verlaufen dadurch schmerzlicher, als sie sonst verlaufen wären. Über die Effizienz der bisherigen Regionalpolitik ist in der Vergangenheit viel gesagt und sehr viel geschrieben worden. Allen Unkenrufen zum Trotz steht für mich fest: Das regionalpolitische Instrumentarium hat sich auch unter erschwerten Rahmenbedingungen grundsätzlich bewährt. Allerdings muß es fortentwickelt werden. So schreibt z. B. der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Jahresgutachten: „In den letzten drei Jahrzehnten hat die Regionalpolitik dazu beigetragen, das interregionale Wohlstandsgefälle zu verringern. Aber sie hat es selbstverständlich nicht beseitigen können ..." - Was die Regionalpolitik allerdings bewirkt hat, läßt sich am besten verdeutlichen, wenn man sich die Entwicklung in einer bestimmten Region ansieht. Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie deshalb, daß ich Ihnen hierzu als Beispiel einige Befunde über meine niederbayerische Heimat präsentiere. Niederbayern liegt bei den Zuwachsraten - wohlweislich: bei den Zuwachsraten - wichtiger Indikatoren wie etwa bei dem Bruttoinlandsprodukt je Person der Wohnbevölkerung, bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten oder beim Einkommensniveau im produzierenden Gewerbe an der Spitze aller bayerischen Regierungsbezirke. Es ist zwar noch ein Nachholbedarf gegeben, aber die Schere zum Landesdurchschnitt schließt sich schön langsam. Daß gerade das einst so strukturschwache Niederbayern große Erfolge erzielen konnte, werte ich nicht zuletzt auch als Bestätigung der Strukturpolitik in Bayern. Ich meine, die bayerische Staatsregierung hat hier Maßstäbe gesetzt. Allein im Bereich der regionalen Wirtschaftsförderung wurde z. B. in diesem Regierungsbezirk in den letzten zehn Jahren ein Investitionsvolumen von mehr als 3,3 Milliarden DM bezuschußt. Dadurch sind nach Angaben der geförderten Unternehmen rund 15 000 neue Arbeitsplätze entstanden. Zahlreiche weitere Arbeitsplätze konnten gesichert werden. So ist der Anteil der Arbeitslosen im Grenzland an den bayerischen Arbeitslosen von 40 % im Jahre 1970 auf rund 24% im Jahre 1984 gesunken. Verehrter Herr Minister Jochimsen, Sie haben vorhin angesprochen, daß Sie der Meinung seien, es sei vielleicht zu viel an Förderungsvolumen in den Freistaat Bayern gegangen. Ich möchte daran erinnern - vielleicht ist es Ihnen noch nicht aufgefallen -, daß gerade, was indirekte Projektförderung anbelangt, aus dem Bundesforschungsministerium pro Einwohner z. B. im Jahre 1983 allein auf das Land Nordrhein-Westfalen bezogen 344 DM gegeben wurden, auf das Land Bayern bezogen 266 DM. Das heißt, Sie haben allein aus diesem Topf um über 30 % mehr bekommen und trotzdem nicht das Vernünftige daraus gemacht. Ich meine, das deshalb sagen zu müssen, weil vorhin dieser Hinweis auf Bayern gekommen ist. Nun, meine Damen und Herren, daß Niederbayern gerade in Bereichen große Fortschritte erzielen konnte, in denen die Entwicklungsrückstände am größten waren, ist kein Einzel- und erst recht kein Zufallsergebnis. Hier war der Einfluß einer Regionalpolitik spürbar, die sich im Laufe der Zeit auch immer wieder strengen Erfolgskontrollen unterworfen hat. Hier war und ist auch eine CSU-Staatsregierung am Ruder, die immer bestrebt ist, vernünftige wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu schaffen. ({2}) Meine Damen und Herren, bei uns in Bayern ist halt die Welt noch in Ordnung. ({3}) Ich kann mir auch nur ein müdes Lächeln abgewinnen, wenn der Hamburger Bürgermeister von Dohnanyi feststellt, „er schaue voller Neid zu, wie seine südlichen Nachbarn blühen". Ich kann mir vorstellen, daß es mehreren sozialdemokratischen Regierungschefs so geht wie ihm; aber wie gesagt, seine Vorgänger waren Sozialdemokraten, er selbst ist einer. Vielleicht können sie, was Wirtschaftliches anlangt, damit nicht so gut umgehen, wie es speziell konservativ- und liberalgeführte Landesregierungen -, wie in Bayern - eben praktizieren. ({4}) Meine Damen und Herren, die bisher im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" durchgeführten Erfolgskontrollen haben den Beweis erbracht, daß die Regionalpolitik und insbesondere die Regionalförderung positive Wirkungen entfaltet. Daß diese Instrumente dabei nicht starr und schablonenhaft gehandhabt werden, zeigen die laufenden Instrumentendiskussionen in den Gremien der Gemeinschaftsaufgabe, aber auch die Neuabgrenzung der Fördergebiete 1981 und die geplante Neuabgrenzung der Fördergebiete 1986. Auch die vor kurzem vor dem Ausschuß für Wirtschaft durchgeführte Expertenanhörung über den Stand der Regionalpolitik bestätigt meine vorher erwähnte Einschätzung: Von den meisten dort vertretenen Instituten wurde keine Umorientierung der Regionalpolitik gefordert. Trotz äußerst heterogener Stellungnahmen ergab sich letztlich als Resümee, daß die Regionalpolitik dazu beigetragen hat, die Disparitäten zwischen den strukturschwachen Gebieten und dem Rest des Bundesgebietes zu verringern. Das bisherige System der Gemeinschaftsaufgabe mit den verschiedenen Indikatoren hat sich also in großen Teilen bewährt und, so meine ich, sollte daher im Grundsatz beibehalten werden. Gerade in dem von mir genannten Beispiel Bayern konnten die regionalen Disparitäten in der Vergangenheit teilweise abgebaut werden. Mein vorher erwähntes Beispiel Niederbayern verdeutlicht dies nachdrücklich. Bezüglich wichtiger wirtschaftsstruktureller Indikatoren haben sich die strukturschwachen und peripheren Gebiete Bayerns in der Vergangenheit immer weiter dem bayerischen Durchschnitt angenähert. Trotzdem gilt es noch viel zu tun. Das allseits gesetzte und gesteckte Ziel von gleichen Lebensbedingungen in allen Landesteilen ist noch lange nicht erreicht. Nach wie vor gibt es viele strukturschwache und periphere Gebiete, die noch zum Teil erhebliche Entwicklungsrückstände haben. Ich habe daher kein Verständnis, wenn behauptet wird, den Bayern gehe es im allgemeinen zu gut. ({5}) Im Zonenrandgebiet gibt es nach wie vor mit die höchsten Arbeitslosenquoten in Deutschland. Die vergleichsweise günstige Entwicklung in einigen südbayerischen Räumen, darunter der Region München, führt auf gesamtbayerischer Ebene zu Nivellierungseffekten, die in einer Globalbetrachtung leicht übersehen werden. ({6}) - Herr Kollege Wolfram, ich bin immer ein sachlicher Mensch gewesen und werde es auch bleiben, im Gegensatz zu verschiedenen anderen Kollegen hier in diesem Haus. ({7}) Diese positive Bewertung der wirtschaftlichen Entwicklung Süddeutschlands, vor allem Bayerns, beruht nicht auf einer umfassenden Analyse, sondern der Verwendung einiger weniger, für diese Räume positiver Daten. Ich wiederhole die Notwendigkeit der Regionalförderung für periphere und strukturschwache Räume, ob z. B. der Westküste Schleswig-Holsteins, dem Emsland, Ostfriesland, der Eifel, dem Bayerischen Wald und anderen Teilen des Zonenrandgebiets. Sie dürfen unter keinen Umständen mit in Frage gestellt werden. ({8}) Deshalb begrüße ich die klare und eindeutige Stellungnahme der Bundesregierung und möchte mich vor allen Dingen bei Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Sprung, bedanken, daß ein differenziertes Bild der räumlichen Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland gezeichnet worden ist. Gerade die Probleme in den peripheren und strukturschwachen Gebieten, insbesondere im Zonenrandgebiet, dürfen auf keinen Fall vernachlässigt werden. ({9}) Gerade in jüngster Zeit wird die Regionalpolitik gern als Vehikel zur Lösung eines vielfältigen Bündels wirtschaftlicher Probleme benutzt. Es mag daher nützlich sein, noch einmal die eigentlichen Ziele der Regionalpolitik in Erinnerung zu rufen. Erstens die ausgleichspolitische Zielsetzung. Sie versucht, die Lebensbedingungen der Bevölkerung in solchen Regionen generell anzuheben, denen bisher das geringste Wohlstandsniveau vorenthalten ist. Zweitens die wachstumspolitische Zielsetzung, nämlich das Bestreben, die wirtschaftlichen Kräfte im Raum so zu verteilen, daß das gesamtwirtschaftliche Wachstum möglichst hoch wird. Drittens die stabilitätspolitische Zielsetzung. Hier geht es vor allen Dingen darum, einseitige Branchenstrukturen abzubauen und damit die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft solcher Regionen zu erhöhen. Vielfach wird behauptet, die Regionalpolitik sei primär am Ausgleichsziel orientiert. Die wachstumspolitische Begründung für die Regionalpolitik ist in den Hintergrund gedrängt worden bzw. es wird behauptet, der Abbau der Wohlstandsunterschiede gehe letztlich auf Kosten des gesamtwirtschaftlichen Wachstums. Dies war auch bei der Anhörung zu vernehmen, die vor nicht allzulanger Zeit vom Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages durchgeführt worden ist. Weiterhin war für mich interessant und für viele Wortbeiträge symptomatisch, was sachverständige Experten dort gesagt haben. So führte u. a. der Hauptgeschäftsführer der Handelskammer Niederbayern-Oberpfalz, Hinterdobler, und der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Oberfranken, Angerer, Richtiges aus, als sie darauf hinwiesen, daß man sich bei der Auswahl der Indikatoren doch vergegenwärtigen solle, was die Regionalpolitik überhaupt zu leisten in der Lage sei. Sie stellten zu Recht die Frage, ob die Regionalpolitik überhaupt mehr leisten könne, als die Einkommensverhältnisse sowie die freie Verfügung über Mehreinkommen zu begünstigen. Denn dies ist doch letztendlich das Ziel. Um nicht mißverstanden zu werden, möchte ich klarstellen, daß ich den Einsatz regionalpolitischer Instrumente auch in zentral gelegenen Verdichtungsräumen nicht grundsätzlich ablehne. Nur, meine Damen und Herren, müssen in Zeiten beschränkter Mittel, in denen eine Ausweitung der Gebietskulisse nicht vorstellbar ist, Schwerpunkte gesetzt werden. Diese Prioritäten liegen aber nach wie vor bei den schwachstrukturierten ländlichen und peripheren Gebieten. Eine Aufnahme zentral gelegener Verdichtungsräume mit bester Infrastrukturausstattung und hohem Durchschnittseinkommen - so möchte ich feststellen - in die Fördergebietskulisse hätte für das System der deutschen Regionalförderung erhebliche Konsequenzen. Deshalb sind, so meine ich, Bestrebungen, auf dem Wege über eine Übergewichtung des Arbeitslosenindikators Verdichtungsräume, die mit bester Infrastruktur ausgestattet sind, aber hohe Arbeitslosenquoten aufweisen, in die bisherige Gebietskulisse der Gemeinschaftsaufgabe einzubeziehen, meiner Meinung nach abzulehnen. Die Arbeitsmarktsituation ist nur ein Teilaspekt für die Beurteilung regionaler Probleme. Denn ebenso bedeutsam sind Wirtschaftskraft und Einkommensniveau, Infrastrukturausstattung und überregionale Lage. Meine Damen und Herren, die Standorte müssen, so meine ich, um attraktiv zu sein, in erster Linie politisch berechenbar bleiben. Dort, wo Rote und Grüne bestimmen, ist das nicht der Fall. ({10}) Meine Damen und Herren von der Opposition, ich möchte Sie deshalb fragen, gerade Sie von der Opposition: Würden Sie in einem Erdbebengebiet ein Haus bauen? Ich auf keinen Fall, Sie vielleicht doch. Ich möchte zum Schluß kommen, weil ich nicht mehr allzuviel Zeit habe, und möchte noch folgendes bemerken. Die eigentlichen Problemgebiete Deutschlands, so sagte einmal Professor Klemmer von der Universität Bochum, sind - im Gegensatz zu den altindustrialisierten Gebieten - nicht für die dort entstandenen Engpässe verantwortlich, und diese Gebiete dürfen nicht deswegen weiter diskriminiert werden, weil andere Gebiete den Strukturwandel zu spät bemerkt und ziemlich schwerfällig darauf reagiert haben. Sie sind nicht für die Technikfeindlichkeit linker und grüner Ideologen, Tagträumer und Panikmacher verantwortlich zu machen. ({11}) Lassen Sie mich deshalb zusammenfassen: Die Anhörung, die kürzlich stattgefunden hat, war, so meine ich, für die meisten Kollegen, die anwesend waren, sehr aufschlußreich. Es wurde dort - und das möchte ich hier zum besten geben - festgestellt: Erstens. Das bisherige System mit den Förderschwerpunkten und -indikatoren hat sich bewährt; es muß nur den veränderten Wachstums- und Beschäftigungsbedingungen angepaßt werden. Zweitens. Die Voraussetzungen für wettbewerbsfähige, technologisch hochwertige Arbeitsplätze in strukturschwachen Gebieten sind nachhaltig zu verbessern. Hier denke ich vor allen Dingen daran, daß wir in den strukturschwachen Gebieten vom Bundespostminister Schwarz-Schilling bei der Verkabelung genauso berücksichtigt werden, ({12}) wie wir beim Bundesverkehrsminister Werner Dollinger Berücksichtigung gefunden haben, der gerade in strukturschwachen und peripheren Gebieten den Straßenausbau vorangetrieben hat.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, ich muß Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich komme gleich zum Schluß. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ja, Sie müssen zum Schluß kommen.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Drittens. Das Prinzip des Primäreffekts ist weiterhin aufrechtzuerhalten. Hier möchte ich mich dem anschließen, was der Kollege Wissmann gesagt hat. Viertens. Die bisher nicht erlaubte Kumulierbarkeit der Regional- und der Forschungszulage muß erlaubt werden. Fünftens. Der förderfähige Anteil der Investitionskosten besonders innovativer Projekte soll erweitert werden. Sechstens. Die Entwicklungschancen strukturschwacher Regionen sind zu wahren. Siebentens. Erforderlich ist die Einbeziehung in die Förderung der Infrastruktureinrichtungen für die neuen, wirtschaftsrelevanten Telekommunikationsdienste usw. ({0}) Achtens. Daran möchte ich Sie besonders erinnern, und ich hoffe, daß ich Verständnis finde: Es sollen Behördenverlagerungen in strukturschwache Gebiete vorgenommen werden. Hier darf es nicht beim Reden bleiben, sondern hier muß auch das Notwendige an Taten folgen. ({1}) Neuntens. Zu den Beihilfekontrollen der EGKommission möchte ich an die Bundesregierung den Wunsch richten, sich gegenüber der EG-Kommission dafür einzusetzen, daß sie nicht in totalen Bürokratismus münden und eine praktikable und effiziente Ausgestaltung sowie Handhabung des europäischen Regionalfonds erreicht wird. ({2}) Zehntens. Es war für mich eine völlig neue Erkenntnis - und ich darf mich, verehrter Herr Präsident, in diesem Zusammenhang bei Ihnen dafür bedanken, daß Sie mich haben überziehen lassen -, von einer sozialdemokratischen Bundestagsabgeordneten heute in Erfahrung bringen zu dürfen, daß sie dringendst eine Volkszählung fordert. Wenn ihre Genossen und ihre Kollegen in Zukunft genauso tönen und draußen die gleiche Meinung vertreten, haben sie künftig mehr Achtung von mir zu erwarten, als es bislang der Fall war. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Müller ({0}).

Dr. Joachim Müller (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001553, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das mit dem Vogel dort oben erst einmal klären. ({0}) Meyers Lexikon von 1924 beschreibt die Tätigkeit dieses Vogels so: Er lebt und jagt paarweise und wird namentlich dem Kleinvieh sehr gefährlich. Auch stößt er bisweilen auf Kinder und greift selbst Erwachsene an. ({1}) Die Brockhaus-Enzyklopädie von 1966 definiert den Adler als eine weitverbreitete Unterfamilie der Tagraubvögel. Es ist zu bedauern, daß dieses Tier nicht mehr sehr weit verbreitet ist. Ich meine, man sollte heute dazu übergehen, den Adler als Greifvogel zu bezeichnen, um auf diese Art und Weise deutlich zu machen, daß er nicht gefährlich ist und daß man ihn nicht jagen sollte. Ich war davon ausgegangen, daß wir heute eine Debatte zu der Problematik von strukturschwachen Gebieten haben. Was ich dabei aber am deutlichsten herausgehört habe, ist, daß alle Welt - jede Partei hier mit Ausnahme von uns ({2}) die These vertritt, daß moderne Technik das Heilmittel für strukturschwache Gebiete wäre. Sie müs9802 Dr. Müller ({3}) sen sich überlegen - und ich bitte Sie, sich das erst einmal klarzumachen -, daß mit Sicherheit nicht davon auszugehen ist, daß die Arbeitslosigkeit in strukturschwachen Gebieten mit Hilfe moderner Technik zu beheben sein wird. Der Konzern IBM Deutschland - und der zeichnet sich immerhin nicht nur durch die Produktion, sondern auch durch die Anwendung modernster Technik aus - hatte von 1982 bis 1983 ein Umsatzplus von immerhin 15,5 % zu verzeichnen. In der gleichen Zeit wurden innerhalb von IBM Arbeitsplätze in einer Größenordnung von 1,2% abgebaut. Damit möchte ich deutlich zu machen versuchen, daß man hier einen Mythos aufgeben muß. Man kann nicht mehr der These folgen, daß der Segen für die strukturschwachen Gebiete in der modernen Technik liegt. ({4}) Dies ist jetzt, meine Damen und Herren, per se kein technikfeindliches Argument, sondern es ist einfach ein Tatbestand. Es ist auch wichtig, klarzumachen, daß das, was wir heute an Arbeitslosigkeit zu verzeichnen haben - davon sind die strukturschwachen Gebiete am stärksten betroffen -, natürlich ein Ergebnis der Anwendung von Rationalisierungstechniken ist. Davon muß man ausgehen. Deswegen ist es nicht glaubwürdig, Hoffnungen in einer Situation zu verbreiten, in der die Arbeitslosigkeit weiter im Steigen begriffen ist, zumindest noch im Laufe dieses Jahres, in einer Situation, in der die strukturschwachen Gebiete besonders darunter zu leiden haben. Das heißt, die Arbeitslosigkeit ist nicht durch den Einsatz moderner Technik zu beseitigen. Was man allerdings mit Hilfe moderner Technik machen könnte - wir als GRÜNE wären sehr froh, wenn sie dort angewandt würde -, ist die Sanierung von Industriebranchen beispielsweise im Ruhrgebiet, anstatt neue Flächen zu erschließen, zuzubetonieren und auf diese Art und Weise weitere ökologische Schäden hervorzurufen. Wir wären froh, wenn es Programme in dieser Richtung gäbe; denn gerade in strukturschwachen Gebieten altindustrieller Art ist es so, daß jede weitere Zubetonierung den Reiz und - das ist für mich entscheidend - die Attraktivität solcher Gebiete auch für die Ansiedlung von Betrieben eindeutig schmälert. ({5}) Von Ihnen, Herr Bangemann, wurde erneut die regionale Lohndifferenzierung angeboten. Wenn man eine regionale Lohndifferenzierung fordert und gleichzeitig von moderner Technik redet, dann hat man eines nicht verstanden: Gerade bei den modernen hochtechnisierten Betrieben spielt ein Faktor eine sehr geringe Rolle, nämlich die Lohnkosten. Das heißt, wenn Sie der Meinung sind, daß mit moderner Technik bezüglich der Arbeitslosigkeit überhaupt etwas zu bewirken ist, dann kommen Sie bitte nicht mit dem Argument der Lohndifferenzierung. Das schließt sich gegenseitig aus. Ich würde es gern einmal hören, daß Sie der Klientel der Yuppies, die die FDP zur Zeit sehr umwirbt, sagen, daß ihre vergleichsweise hohen Löhne wachstumshemmend wirken. Ich glaube, die langweiligen Schals der Klientel der Yuppies würden Ihnen um die Ohren gehauen - und das übrigens zu Recht bei dieser Argumentation. Wenn ich bedenke, daß die Gemeinschaftsaufgabe - auch darum geht es in dieser Debatte - bislang bezüglich der unterschiedlichen regionalen Strukturen und bezüglich der unterschiedlichen regionalen Arbeitslosigkeit überhaupt nichts bewirkt hat und im Grunde genommen nur 1,5% des gesamten Subventionsvolumens ausmacht, dann muß ich davon ausgehen, daß die Hilfe für strukturschwache Gebiete - seien sie im Ruhrgebiet, seien sie im Weser-Ems-Raum, seien sie meinetwegen in Bayern - überhaupt nicht das Thema ist und gar nicht gewollt wird. Sonst müßten Sie nämlich Subventionen in wesentlich größerem Maße streichen und für diese Gemeinschaftsaufgabe zur Verfügung stellen. Die Bundesregierung sagt in der Antwort auf die Große Anfrage der SPD, sie sei mit ihrer Politik auf dem richtigen Weg. Ich habe den Eindruck, daß der Bundeskanzler dies völlig anders beurteilt. Ausgerechnet auf dem Deutschen Bankentag schüttete er kürzlich in seltener Offenheit sein Herz über die Lage der Nation aus und leugnete damit - endlich, kann ich nur sagen - erfreulicherweise das Gerede von Optimismus und dergleichen. Er sagte zu den Herren der Banken über die Wirtschaftslage in der Bundesrepublik und Europas - ich zitiere Herrn Kohl -: Ich kann allen Ärger verstehen, wenn Sie morgens die Zeitung aufschlagen. Ich kann verstehen, daß Sie sagen: Warum dauert das so lange? Warum ist das so mühsam? Warum ist das alles so schwierig? Glauben Sie mir, - sagte der Kanzler nachts um 3 geht es mir nicht anders. So mies ist also die Lage, daß der Kanzler sich nachts um 3 fragt, warum das alles so schwierig ist. ({6}) Es gibt ein weiteres Problem, auf das man hier vielleicht eingehen könnte, nämlich die Art und Weise, wie gerade strukturschwache Gebiete in der Bundesrepublik zusätzlich dadurch belastet werden, daß das Problem der Umweltverschmutzung verlagert wird. Wenn ich an den gesamten Dreck denke, der hier im Rhein vorbeifließt, wenn ich sämtliche Gifte hinzuzähle, die über die Elbe, die Weser, in die Nordsee direkt transportiert werden und diese zur Zeit bereits zum Umkippen bringen und damit zerstören, dann sage ich: Auf diese Art und Weise geht gerade in strukturschwachen Gebieten an der Küste ein entscheidender Strukturvorteil kaputt, nämlich die Nordsee. Sie können sich denken, daß die Erholungs- und Feriengebiete dort ihre Attraktivität verlieren, wenn man sich durch einen fast einen Meter hohen braunen Schaum in Dr. Müller ({7}) Richtung Nordsee kämpfen muß. Auf diese Art und Weise wird ein Gebiet, in dem die Arbeitslosigkeit ganz besonders hoch ist und wo es wenigstens saisonale Beschäftigungsmöglichkeiten gibt, zusätzlich kaputtgemacht. Auch wenn hier in NRW Wahlkampf ist, möchte ich noch etwas auf die Problemlage der Küste eingehen. Ich nenne z. B. den Weser-Ems-Raum. Dort sind teilweise modernste Chemie- und Verhüttungswerke an die Weser gestellt worden. Die Folgen davon sind schon sehr früh durch die Medien gegangen: Tote Kühe waren zu besichtigen. Entscheidend ist, daß durch diese Art der Industrialisierung kaum neue Arbeitsplätze geschaffen wurden. Was aber bewirkt wurde, war die endgültige Zerstörung ganz bestimmter Räume dort. ({8}) Diese Gebiete werden also durch eine wirklich hoffnungslose Politik der Nachindustrialisierung, auf die jetzt noch eine Politik der hohen Technologie gesetzt wird, gezwungen, alles zu akzeptieren, was dort auf irgendeine Art und Weise und Einkommen schafft. Ein drastisches Beispiel ist die Gülle. Wer wagt es denn heute noch, in einem strukturschwachen Gebiet gegen Massentierhaltung zu protestieren? Die Massentierhaltung ist zur Versorgung mit teilweise - man muß es einfach sagen - hormonverseuchtem Fleisch für die Ballungszentren notwendig. Bei einer Massentierhaltung fällt eine derartige Menge von Gülle - das sind Tierexkremente - an, daß es zum Himmel stinkt. Wenn diese unökologisch großen Mengen auf Äcker und Felder gebracht und dort verbuddelt werden - was dort geschieht -, dann wird auch noch das Trinkwasser mit Nitrat versaut. Es gibt in der Bundesrepublik so etwas wie eine Ausbeutung der strukturschwachen Gebiete auf der ökologischen Ebene. ({9}) Die Opfer sind insbesondere die strukturschwachen Gebiete an der Küste. Wenn die Nordsee als große Giftdeponie benutzt wird, weil fahrlässig mit den Abwässern industrialisierter Gebiete umgegangen wird, wenn Herr Bangemann hier zusätzlich regionale Lohndifferenzierungen vorschlägt, was für die Küstenländer doch eigentlich nichts anderes bedeutet, als daß sie zu Billiglohnländern gemacht werden sollen, dann müssen Sie doch einsehen, daß das, was hier im Rahmen der allgemeinen Wirtschaftspolitik diskutiert wird, den strukturschwachen Gebieten in der Bundesrepublik überhaupt nichts gebracht hat. Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich glaube schon, daß eine ökologische Modernisierung, die Rhein-, Weser- und Elbeanlieger entgiften würde, im Ruhrgebiet sehr viele Arbeitsplätze schaffen könnte. Dadurch könnten aber insbesondere auch strukturschwache Küstengebiete als Ferien- und Erholungszentren erhalten werden. Das ist kein Gegensatz. Es ist notwendig, weil nicht eine Region auf Kosten der anderen saniert werden sollte. ({10}) Noch ein Wort zur Sozialdemokratie und dazu, was hier zur modernen Technik als Hoffnungsträger gesagt worden ist. Die SPD sollte sich vielleicht doch einmal bei den Gewerkschaften umschauen, die teilweise mit sehr vielfältigen Initiativen für eine arbeitnehmerorientierte Regionalpolitik für die struktur- und wachstumsschwachen Regionen weitaus realistischere und sozialere Konzepte entwickelt haben als die sehr naive Technologieförderungspolitik, die hier als aktive Industriepolitik verkauft wird. So hat beispielsweise die IG Metall in Hamburg ein Konzept vorgelegt, das in anderen Ländern wie England, Schweden und Österreich Furore gemacht hat. Sie schlägt einen regionalen Entwicklungsfonds vor. Ich gehe heute davon aus, daß angesichts der Strukturbedingtheit der Arbeitslosigkeit gerade regionale, lokale Antworten die Art von Politik sind, die überhaupt noch eine Chance hat, Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Das entspricht den Bedürfnissen der Menschen und kommt nicht zentralistisch von oben. Denken Sie an Entwicklungsfonds wie beispielsweise das Londoner Enterprise-Modell! Das ist ein Beispiel für innovative Wirtschaftspolitik, die im Unterschied zu Technologieparks, Gründerzentren oder wie das moderne Zeugs so heißt, was ja jeder Bürgermeister zur Zeit haben will, gezielt soziale und ökologische Innovation fördert. Auf der einen Seite wird stets behauptet, eine Strukturpolitik, die das endogene Entwicklungspotential einer Region fördern wolle, sei utopisch, da keine endogenen Potentiale mehr vorhanden seien. Auf der anderen Seite gibt die Regierung vor, die von ihr betriebene Förderung setze verstärkt bei den vorhandenen ökonomischen Kräften in den strukturschwachen Regionen an. Der Widerspruch, der hier zum Tragen kommt, wird im Grunde genommen am deutlichsten an dem Skandal der Enteignung der Finanzen der Gemeinden. Was in den letzten drei Jahren passiert und was als eine Politik der Haushaltsanierung verkauft worden ist, ist im Grunde genommen eine Verlagerung der Haushaltsprobleme auf die Gemeinden. ({11}) Gerade die Gemeinden sind meiner Ansicht nach die einzigen, die noch in der Lage sind, die Probleme so zu lösen, daß nicht eine Mobilität gefordert wird, wie man es ja so häufig von der CDU hört. Es ist ein sehr schöner Widerspruch, den man sehr gern aufnimmt. Sie fordern mehr Mobilität. Sie sagen den Leuten in den strukturschwachen Gebieten: Geht doch nach Sindelfingen, nach Baden-Württemberg oder sonstwohin! Es ist völlig im Widerspruch erstens zu den Wünschen der Leute, die so etwas wie Lebenszusammenhänge - nennen wir es meinethalben Heimat - haben und halten wollen. Zweitens kommt hinzu, daß es das Problem nicht grundsätzlich lösen, sondern nur verlagern würde; denn grundsätzlich sind damit mehr Arbeitsplätze nicht zu schaffen. ({12}) Das heißt, die Sanierung des Bundeshaushaltes durch den Verzicht auf eine aktive Beschäftigungs9804 Dr. Müller ({13}) politik hat zur Zeit das Problem in die Gemeinden verlagert. Dort gehen die Haushalte kaputt, weil hohe Sozialhilfegelder gezahlt werden müssen. ({14}) Auf diese Art und Weise schließt sich doch der Teufelskreis, daß dort die Gelder fehlen, mit denen auf irgendeine Art und Weise noch regionale Strukturpolitik gemacht werden könnte. ({15}) Die Bundesregierung hat faktisch die Gemeinden enteignet und brüstet sich gleichzeitig mit der Sanierung des Haushalts. Das ist das Problem; das ist die Verlagerung, von der ich sprechen wollte. ({16}) Damit ist gleichzeitig ein regionalwirtschaftliches Konzept zerstört worden, das angesichts der strukturellen Bedingtheit der Arbeitslosigkeit die einzige Chance einer bedürfnisgerechten Wirtschaftspolitik von unten gewesen wäre. Nichts ist angesichts der Finanzsituation der Gemeinden heutzutage, und zwar insbesondere der Finanzsituation in den strukturschwachen Gebieten, zynischer als das ständige Gerede von der Haushaltssanierung des Bundes. Dort ist Politik verunmöglicht worden durch das Gerede hier. Dort ist Gestaltung verunmöglicht worden. Ich halte es für problematisch, sich mit einer Haushaltssanierung brüsten zu wollen, wenn man gleichzeitig weiß, wie schwer es die Gemeinden haben, Sozialhilfehaushalte aufzustellen. ({17}) Es ist allerdings genauso zynisch - um das deutlich an die Adresse der SPD zu sagen -, allein daran zu glauben, erneut auf der Grundlage von schuldenfinanzierten Investitionsprogrammen mit Hilfe von Investitionen in moderne Technik die Wirtschaftskrise und die Arbeitslosigkeit beheben zu können. Das wird nicht möglich sein. Doch eines sollte klar sein: Die Fehler der alten Regierung rechtfertigen es noch lange nicht, die jetzige Abwälzungspolitik der Probleme in Richtung Gemeinden auf irgendeine Art und Weise zu verteidigen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen. ({0}) Minister Dr. Jochimsen ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige wenige Bemerkungen zum jetzt erreichten Stand der Debatte. Graf Lambsdorff hat gesagt: Wir dürfen uns von der Konjunktur nicht einlullen lassen; sonst werden die verschlafenen Strukturprobleme Treibsatz für die neue Rezession. Er hat aber vergessen, die Arbeitslosigkeit als ein unbewältigtes Problem zu nennen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, über diese Probleme einer neuen Rezession, wenn die globalen und die strukturellen Probleme in der Bundesverantwortung nicht aufgearbeitet werden, habe ich gesprochen. Aber statt daß darauf von der Bundesregierung geantwortet wird - auch die Rede von Ihnen, Herr Bangemann, heute morgen hat dazu nichts Erleuchtendes enthalten -, anstatt daß die Koalitionsvertreter dazu Stellung nehmen, haben sie hier Wahlkampf betrieben. ({3}) - Nein, davon kann überhaupt keine Rede sein. Nach dieser Debatte hat man fast den Eindruck, daß bei den Koalitionsvertretern Nordrhein-Westfalen nicht mehr Teil der Bundesrepublik ist. ({4}) Besonders Herr Lammert hat hier eine Horrorstunde aufgemacht. ({5}) Man hat auch den Eindruck: Ihm passen die Menschen nicht, ihm passen die Politiker nicht, ihm passen die Stadtqualitäten nicht, ihm paßt die Wirtschaftsstruktur nicht. Nein, er will eine Einheitswirtschaftsstruktur über alle Länder legen. Skiabfahrten müssen sozusagen in allen Bundesländern gleich sein; dann herrscht regionale Ausgeglichenheit. ({6}) Es hätte nur noch gefehlt, daß Herr Lammert gesagt hätte: Daß Herr Rummenigge zu Inter Mailand gegangen ist, ist ebenfalls die Schuld der nordrhein-westfälischen Landesregierung. ({7}) So war der Stil, in dem hier gehandelt worden ist. Ich selber nehme diese Kopie, Herr Lammert, die Sie von Herrn Worms vorgenommen haben, und die angebliche Dokumentation sehr ernst, weil sie nämlich ein Niedermachen von Nordrhein-Westfalen und des Reviers beinhaltet, das Sie politisch so wenig verantworten können wie ich. ({8}) Ich habe bei Herrn Biedenkopf ganz andere Töne gehört. Wenn man das in Gütersloh Gesagte nachliest, wird man feststellen, daß wir statt eines NordSüd-Gefälles in Nordrhein-Westfalen ein Ost-WestGefälle oder ein West-Ost-Gefälle gekriegt haben, wie man das vielleicht auch nennen könnte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wissmann? Minister Dr. Jochimsen ({0}): Meine Damen und Herren, ich habe sehr wenig Zeit. Ich kann leider keine Zwischenfrage zulassen. Herr Lammert und Herr Wissmann haben von den Problemen des Landes als seinen Problemen gesprochen. Ich darf dabei nur sagen: Seine Probleme will und wird Nordrhein-Westfalen lösen. Aber zu den Problemen, die - wenn ich vom Bund rede - Nordrhein-Westfalen von draußen ins Land gekarrt kriegt, haben wir nichts gehört; das ist hohe Arbeitslosigkeit, das sind die Probleme bei Kohle, Stahl, Ölraffinerien, das ist die allgemeine Wirtschafts- und Sozialpolitik. (Dr. Lammert [CDU/CSU]: Warum sind die denn in Nordrhein-Westfalen höher als anderswo, wenn das importiert sein soll? - Haben Sie nicht Ihre eigene Anfrage gelesen, die sagt: Wir wollen mehr Kenntnisse darüber haben? Sie selber haben die Kenntnisse, die in der eigenen Antwort der Bundesregierung hierzu enthalten sind, daß es nämlich das Nord-Süd-Gefälle nicht gibt, daß es ein Geschwafel ist, was darüber geredet wird, nicht annehmen wollen. ({1}) Ich könnte Ihnen jetzt die jüngsten Zahlen der Investitionstätigkeit nennen, die - ich habe das schon erwähnt - bei uns wesentlich höher als etwa in Bayern und Baden-Württemberg liegen, was das Investitionsgütergewerbe und die Verbrauchsgüter-industrie angeht. Die zeigen nämlich, daß Strukturwandel und Innovationsfähigkeit angenommen worden sind. ({2}) Ich könnte natürlich auch noch andere Zitate aus der Wirtschaft anbringen, die das satt hat, wie die CDU in Nordrhein-Westfalen das Land herunterredet. Aber ich möchte zum Abschluß nur eine Feststellung treffen: Zu allem Gerede, das Sie heute an den Tag gelegt haben, und dem, was Herr Wissmann gesagt hat, und Zitaten von EMNID-Umfragen, bei denen die Manager ja noch nicht einmal wissen, daß die Steuerstruktur in der Bundesrepublik bundeseinheitlich gleich ist - da wird ja den SPD-Ländern eine viel höhere Steuerbelastung als den CDULändern zugeschrieben -, kann man doch nur sagen: Es ist doch nicht seriös, solche Umfragen in die Politik einzuführen. Daß sie im Wahlkampf nutzen, kann ich verstehen, aber doch nicht im Deutschen Bundestag! ({3}) Ich hatte das hier ein bißchen als eine seriöse Debatte verstanden im Sinne von Beiträgen, die uns weiter voranbringen sollen. ({4}) - Das geht doch überhaupt nicht weg. Ich habe hier darüber schon einmal gesprochen. Ich schreibe Ihnen dazu. Wo ein Wechsel notwendig ist, haben die Wähler im Saarland gezeigt. Dort war der Wechsel zur SPD überfällig, ({5}) und zwar gerade wegen der regionalen Kumulation der Probleme globaler und sektoraler Politik, die Sie nicht lösen. ({6}) In Nordrhein-Westfalen brauchen wir keinen Wechsel, sondern die Fortsetzung unserer erfolgreichen Politik, ({7}) die den sozialen Frieden nicht aufs Spiel setzt und damit auch der Wirtschaft nützt. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe in meiner Eingangsrede den Versuch gemacht, zu erläutern, wie die Politik der Bundesregierung in bezug auf die Strukturpolitik und die Industriepolitik aussieht. Es ist richtig, daß das nicht die Politik der Opposition ist. Insofern gibt es da einen Sachgegensatz. Aber das, was Herr Jochimsen gerade gesagt hat, stellt die Dinge nun wirklich auf den Kopf. Deswegen, Herr Jochimsen, werden Sie mir nachsehen, wenn ich das richtigstellen muß. Ich tue das deswegen, weil die Therapie, wenn die Diagnose schon falsch ist, auf gar keinen Fall gelingen kann. ({0}) Da gibt es nun Zahlen, an denen niemand in Nordrhein-Westfalen vorübergehen kann. Ich sage das nicht, um die Behauptung zu untermauern, daß in Nordrhein-Westfalen die Menschen weniger leistungsfähig, weniger leistungsbereit sind. Aber es ist sehr wohl die Frage erlaubt, warum das industrielle Herz der Bundesrepublik Rhythmusstörungen hat. ({1}) Und das ist eine unbestreitbare Tatsache, verehrter Herr Kollege Jochimsen: In Nordrhein-Westfalen liegt die Arbeitslosenquote deutlich über dem Bundesdurchschnitt. ({2}) Wir haben im Ruhrgebiet sogar 14 % Arbeitslosigkeit. Die Zahl der Erwerbstätigen hat stärker abgenommen als sonstwo. ({3}) Die Wachstumsdynamik ist geringer. Die Erwerbsbevölkerung ist durch die Binnenwanderung geschrumpft.. Ich vergleiche das jetzt gar nicht mit dem NordSüd-Konflikt; denn man kann sich durchaus darüber unterhalten. Herr Jochimsen, darin sind wir uns einig. Ich selber habe dazu beigetragen, daß dieses dumme Schlagwort „Nord-Süd-Gefälle", wenn es irgend geht, aus der Diskussion herausgebracht wird; denn die norddeutschen Länder tun sich den geringsten Gefallen damit, noch den Eindruck zu erwecken, als ob das so sei. Dieses Schlagwort muß man sicherlich aus der Diskussion herausnehmen. Aber es ist auch unbestreitbar, daß es für die relativ gesehen schlechtere Situation in Nordrhein-Westfalen strukturelle Ursachen gibt. Eine objektive Ursache habe ich selber genannt. Deshalb halte ich den Vorwurf, Wahlkampf zu betreiben, jedenfalls an meine Adresse gerichtet für falsch. Sie haben die strukturelle Ursache Kohle und Stahl und wissen ganz genau, Herr Jochimsen - deswegen muß ich das, was Sie heute nachmittag zu Beginn der Diskussion gesagt haben, zurückweisen -: Diese Bundesregierung hat im Einvernehmen mit Ihrem Land und zugunsten dieser beiden von der Krise betroffenen Industriebranchen eine klare Kohle- und Stahlpolitik betrieben.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Bitte sehr.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sind Sie so lieb, weil die früheren Wirtschaftsminister im Saarland Ihrer Partei angehören, ein paar Worte zur Arbeitslosenquote und zur strukturellen Lage des Saarlandes zum jetzigen Zeitpunkt zu sagen.

Dr. Martin Bangemann (Minister:in)

Politiker ID: 11000089

Herr Roth, das möchte ich jetzt nicht. Deswegen habe ich zu Anfang ausdrücklich gesagt, ich wolle das Thema nicht im Vergleich zu anderen Bundesländern erörtern. Wenn Herr Jochimsen als nordrhein-westfälischer Wirtschaftsminister hier Behauptungen aufstellt, die nachweislich nicht richtig sind, befasse ich mich damit. Sie haben die gleichen Strukturprobleme mit Kohle und Stahl auch im Saargebiet, wobei diese dort noch schärfer aufgetreten sind, erstens weil das Land kleiner ist und zweitens weil es später in den Gesamtverband der Bundesrepublik eingegliedert worden ist. Das bestreite ich gar nicht. Ich rede auch gar nicht, wie Herr Jochimsen meint, über die Versäumnisse der einen oder der anderen Regierung. Ich will vielmehr versuchen, ein klares, objektives Bild der Lage in Nordrhein-Westfalen zu zeichnen. Wenn wir dazu nicht mehr in der Lage sind, kann man auch den Bürgern in NordrheinWestfalen nicht helfen. Ein Landeswirtschaftsminister, der hier herkommt und so tut, als sei in seinem Lande alles in Ordnung, hilft seinem Land und seinen Bürgern nicht. ({0}) Warum - das ist doch die Frage - sind denn die Unternehmen mit technologisch hochwertigen Produkten, die inzwischen die Exportbemühungen und Exporterfolge der Bundesrepublik tragen, in Nordrhein-Westfalen unterrepräsentiert? Warum haben wir in Nordrhein-Westfalen ein Defizit im Dienstleistungsbereich? Herr Jochimsen, Sie haben ein Strukturprogramm mit 5 Milliarden DM für das Ruhrgebiet aufgelegt. Wofür ist das Geld ausgegeben worden? Welche Erfolge hat es gehabt? Es hat lediglich die bestehende überholte Struktur konserviert und hat keine einzige Wachstumsdynamik in Gang gesetzt. ({1}) Gestatten Sie mir, nachdem Sie, Herr Jochimsen, das auch schon so gesagt haben, diese eine kleine Bemerkung: Wer sein Geld für das Klinikum Aachen verpulvert, braucht sich nicht zu wundern, wenn er keines mehr für vernünftige Sachen hat. ({2}) Behördliche Auflagen sind in Nordrhein-Westfalen besonders strikt. Die Genehmigungsverfahren dauern dort am längsten in der ganzen Bundesrepublik. Da muß man sich nicht wundern, wenn die Leute abgeschreckt werden. Sie sollten das Image Ihres Landes verbessern, anstatt eine unzulängliche Smog-Verordnung durch einen Probelauf einmal auszuprobieren. Sie sollten sich wirklich darum bemühen, das Image Ihres Landes zu verbessern und dafür zu sorgen, daß die Unternehmen, die sich in Nordrhein-Westfalen ansiedeln wollen, das auch tatsächlich tun. Damit würden Sie ein Klima erzeugen, das die Bundesregierung für die gesamte Bundesrepublik erzeugt hat. ({3}) Wir haben 2,5% Wachstum erzeugt, wir haben 53 Milliarden DM Handelsbilanzüberschuß, ({4}) wir haben eine Stabilität von etwas mehr als 2 % erreicht. Wir haben das alles mit Nordrhein-Westfalen erreicht. ({5}) Nordrhein-Westfalen geht in diese statistischen Ziffern ein. Wir bemühen uns, das insgesamt im Interesse der Bundesrepublik zu sehen. Da haben wir, meine ich, ein gutes Recht darauf, daß der Landesminister von Nordrhein-Westfalen sich nicht hier hinstellt und unglaubliche Behauptungen aufstellt, sondern daß er sich bemüht, die Wirtschaft seines eigenen Landes in Ordnung zu bringen, damit die allgemeinen statistischen Durchschnittszahlen der Bundesrepublik besser aussehen, als sie heute schon sind. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehrenberg. ({0})

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie haben zu Beginn Ihrer Intervention jetzt ein sehr richtiges Wort gesagt, nämlich: Wenn schon die Diagnose falsch ist, kann die Therapie nicht richtig sein. ({0}) Das stimmt. Daran würde ich das, was Sie heute gesagt haben, und Ihre beiden strukturpolitischen Antworten gern messen. Dann wird sich bestätigen, daß das, was Sie gesagt haben, wie ein Bumerang auf diese Regierung zurückkommt. ({1}) Sie haben z. B. zu Beginn Ihrer Antwort damals - das war ja schon im Dezember 1984 - geschrieben und haben heute hier mehrfach den stolzen Satz wiederholt: Mit dem Dringlichkeitsprogramm vom Herbst 1982 und dem Steuerentlastungsgesetz 1984 wurden wichtige Voraussetzungen für eine Stärkung der Investitionskraft der Unternehmen geschaffen. Die Bundesregierung wird auch künftig dafür sorgen, daß sich Investitionen und Leistung lohnen. ({2}) Herr Bundeswirtschaftsminister, auch im zweiten Halbjahr 1984, wo der Streik keine Rolle mehr spielte, sind die Ausrüstungsinvestitionen lediglich um 4,5% gewachsen. Aber es sind, Herr Bundeswirtschaftsminister, im Jahr 1984 291/2 Milliarden DM deutsches Kapital ins Ausland transferiert worden, statt hier investiert zu werden. ({3}) Sie behaupten in beiden Antworten: ({4}) Vertrauen und Zuversicht sind gestiegen. 291/2 Milliarden DM Kapitalflucht sind wohl kein Beweis des Vertrauens in die Politik dieser Bundesregierung! ({5}) Bei besserer Politik, ohne 61/2 Milliarden jährlicher Steuergeschenke an die gewerbliche Wirtschaft, um das dann transferieren zu können, bei handfesten Investitionsanreizen, bei einer Steuerpolitik, die Investitionen hier und nicht anderswo bevorzugt, wären beschäftigungswirksame Investitionen möglich gewesen. Sie tun genau das Gegenteil. ({6}) Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn schon die Antworten vom 13. Dezember 1984 unzureichend waren, haben Sie heute - ich weiß nicht, ob ich es leichtfertig oder kühn nennen soll - die Kühnheit, sich hier hinzustellen und davon zu reden - zwar ausländische Stimmen zitierend; aber es war Ihnen anzusehen: es war auch Ihre eigene Meinung -, daß wir so am Rand des zweiten deutschen Wirtschaftswunders stehen. Verehrter Herr Bangemann, ich lade Sie ein, kommen Sie mit mir nach Leer. Dort sucht seit zwei Jahren jeder vierte Arbeitnehmer vergeblich einen Arbeitsplatz. Und denen wollen sie etwas vom Wirtschaftswunder erzählen! Wissen Sie überhaupt, was Sie da sagen? ({7}) - Vor drei Jahren waren in Leer auch Arbeitslose. ({8}) - Ja, meine Herrn, schauen Sie doch erst rein und hören Sie zu! Vor drei Jahren waren es in Leer im März 15%. Heute sind es 26%. ({9}) In der Bundesrepublik generell ist die Arbeitslosigkeit heute dreimal größer als 1980 und doppelt so hoch wie 1981. ({10}) Das werden Sie ja vielleicht jeden Monat neu aus der Statistik der Bundesanstalt zur Kenntnis nehmen. ({11}) Kommen Sie bitte nicht damit, daß das alles so lange dauere, weil das die Erblast sei. ({12}) - Dann lesen Sie doch einmal nach, was Ihr Bundeskanzler in seiner ersten Regierungserklärung gesagt hat. Am 13. Oktober 1982 hat er gesagt: Keine Politik ist in der Lage, diese Hypothek der Vergangenheit kurzfristig zu tilgen. Erste positive Wirkungen unseres Programms für Wirtschaftswachstum und Beschäftigung können wir in der zweiten Hälfte des Jahres 1983 erwarten. Das ist inzwischen eineinhalb Jahre her, und die Arbeitslosenzahlen sind von Monat zu Monat gestiegen und nicht zurückgegangen. ({13}) 2,5 Millionen Arbeitslose hat es in dieser Republik erst nach der Wende-Regierung gegeben, niemals vorher. Diese Zahl von 2,5 Millionen Arbeitslo9808 sen wird auch wieder zurückgehen, nämlich dann, wenn eine erneute Wende erfolgt, weg von Ihnen. ({14}) Die Arbeitnehmer im Saarland haben das begriffen. Sie werden das anderswo auch begreifen. ({15}) Die Arbeitnehmer in diesem Lande, Herr Bundeswirtschaftsminister, werden nur mit höchstem Staunen zur Kenntnis nehmen können, ({16}) was Ihr Generalsekretär, Sie - Ihnen beiden nehme ich es nicht ganz so übel -, aber auch der Kollege Lambsdorff, dessen ökonomischen Sachverstand ich als etwas größer eingeschätzt hatte, zu Zusammenhängen von Lohnpolitik und Beschäftigung gesagt haben. Das ist so absurd, daß das eigentlich in ein ökonomisches Theater des letzten Jahrhunderts gehört. ({17}) Vielleicht sollten, Sie, Herr Bundeswirtschaftsminister, das zur Kenntnis nehmen, was das Ihnen viel näher als uns stehende Institut der Deutschen Wirtschaft über die Entwicklung der Lohnkosten schreibt. Die haben dort in Köln festgestellt - Institut der Deutschen Wirtschaft, nicht irgendeine uns nahestehende Einrichtung -, daß in der Bundesrepublik die Lohnstückkosten 1982 um 3,5%, 1983 um 0,4 %, 1984 um 0 % gestiegen sind; in Japan 1982 um 3,2 % 1983 um 2,6 %, 1984 um 0,5%; und in den USA 1982 um 7,5%, 1983 um 2,7 % und 1984 um 2,5%. Bei allen anderen Wirtschaftsdaten bejubeln Sie täglich und stündlich die Erfolge in den USA und Japan; nur im Zusammenhang mit Beschäftigung und Löhnen nehmen Sie nicht zur Kenntnis, daß dort Wachstum und steigende Löhne gleichzeitig möglich sind. Daß Sie bei diesem Ergebnis den deutschen Unternehmern und den deutschen Gewerkschaften zumuten, Arbeitslose als Lohndrücker zu benutzen, ist kaum mehr nachzuvollziehen. Dies steckt doch in Ihrem Vorschlag: Wenn Arbeitslose unter Tarif eingestellt werden sollen, ist das doch geradezu die Aufforderung an die Unternehmer, die anderen zu entlassen, arbeitslos zu machen und sie zu billigerem Tarif wieder einzustellen. ({18}) Das ist die Quintessenz dessen, was Herr Haussmann vorgeschlagen hat und was Sie wiederholt haben. ({19}) - Ich habe das nachgelesen. Vielleicht hat er sich sehr unklar ausgedrückt, der Herr Generalsekretär. Ich dachte bisher, er sei des Schreibens kundig. Er scheint es dann nicht zu sein. Ich bitte Sie, einmal sehr ernsthaft darüber nachzudenken, welche Auswirkungen auch nur der Versuch einer solchen Politik auf das Produktivitätsklima, das Betriebsklima und den sozialen Konsens hat. Die Folgen sind genauso schlimm, wie sie es auch hinsichtlich der Vorschläge des Wirtschaftsministers zur Rentenversicherung - der Kollege Müller hat dem Wirtschaftsminister das ja bestätigt - wären. Aber das nicht alleine. Weder in den schriftlichen Antworten noch in den Beiträgen hier hat der Bundeswirtschaftsminister irgendwo gesagt, was denn nun tatsächlich geschehen soll, um die Arbeitslosigkeit herunterzubringen. ({20}) Oder glauben Sie im Ernst, mit den von Ihnen ja auch nicht höher prognostizierten Wachstumsraten von 2,5% zunehmende Beschäftigung zu bekommen? In Ihrem eigenen Jahreswirtschaftsbericht steht für 1984 eine Wachstumsrate von 2,6% und ein Rückgang der Beschäftigung von 90 000. Steht im Jahreswirtschaftsbericht, lesen Sie es nach! Wenn also 1984 ein Wachstum von 2,6 % einen Beschäftigungsrückgang von 90 000 gebracht hat, woher soll dann in diesem Jahr bei 2,5% Wachstum ein Beschäftigungszuwachs kommen? Das würde ich doch gern mal von Ihnen erläutert bekommen. ({21}) - Unsere Wirtschaft ist sehr viel weniger geschrumpft, als sie bei Ihnen schrumpfen wird. - Was nützt uns ein Wachstum, wenn die Leute arbeitslos bleiben und vor der Tür stehen bleiben? Das ist kein Wachstum, das den Arbeitnehmern nutzt. ({22}) Auf die Voraussetzungen warten die zweieinhalb Millionen Arbeitslose jetzt schon fast drei Jahre. ({23}) Herr Bundeswirtschaftsminister, am Schluß muß man leider feststellen: Die Bundesregierung hat kein Stahlkonzept. Es kam jedenfalls keins auf den Tisch, es steht auch keins in den schriftlichen Antworten. Die Bundesregierung hat kein Werftkonzept, ({24}) und die Bundesregierung hat kein Regionalkonzept. Keines von allen kam hier heute auf den Tisch. ({25}) Hören Sie sich bitte noch eine Detailzahl an. Herr Wissmann, ich empfehle Ihnen, das nachzulesen, wie auch die Arbeitslosenzahlen im Vergleich von Niedersachsen zu anderen Standorten, bevor Sie wieder so etwas erzählen wie bisher. ({26}) - Die Wahrheit ist so, daß sie in Bremen keineswegs besser sind, aber Niedersachsen und Bremen stehen an der Spitze der Arbeitslosenzahlen nach dem Saarland. ({27}) - Aber natürlich hatten sie das. Das Land Niedersachsen war bis Mitte 1970 in der Mitte im Vergleich der Bundesrepublik, und heute ist es bei der Arbeitslosigkeit ganz oben und sonst ganz unten. ({28}) Nach der Wissmannschen Theorie ist dafür allein der niedersächsische Ministerpräsident verantwortlich. ({29}) Aber hören Sie noch: Die Zahl der Beschäftigten in der Werftindustrie hat sich von 1981 bis 1984 von 56 900 auf 45 100 vermindert. Das ist der Verlust von einem Fünftel der Arbeitsplätze in nur drei Jahren! Was wird, Herr Bundeswirtschaftsminister, für die Werftstandorte, für den Ersatz von Arbeitsplätzen dort getan? In Ihrer Antwort gibt es einen einzigen Hinweis, nämlich den auf europäische Hilfen für die Arbeitsmarktregion Lübeck/Ostholstein. Die ist in die Schiffsbaugebiet-Hilfsaktion einbezogen. Sonst nichts! Warum nur Lübeck/Ostholstein, Lübeck mit einer Arbeitslosenquote von 15,2 %, und nicht Emden mit 21,8 %, Flensburg mit 17,6 %, Bremen/Bremerhaven mit 15 %? Warum eine einzige mühselig europäisch finanzierte Hilfe für Ersatzarbeitsplätze an Werftstandorten? Und sonst? Der Wirtschaftsminister schweigt. Die Küste interessiert ihn nicht. Regionalpolitik findet nicht statt. Das, meine Damen und Herren, ist das Ergebnis dessen, was am vorläufigen Ende dieser Debatte zu sehen ist; es wird noch eine Fortsetzung in einer Reihe von Beiträgen kommen. Aber nach der zweiten Intervention des Bundeswirtschaftsministers war es hier notwendig festzustellen: Was Sie heute zur Regionalpolitik geboten haben, war ein regionalpolitischer Offenbarungseid. Regionalpolitik findet nicht statt. Sie vertrauen weiterhin auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft. Nur, dieses Vertrauen besteht schon sehr lange, und nicht einmal die Kapitaleigner glauben ihnen, denn sie transferieren ihr Geld in die USA, statt es hier zu investieren. Bezogen auf die Werft- und Stahlstandorte erwarten die Arbeitnehmer an diesen Standorten mehr als Sprüche darüber, daß es irgendwann einmal, wenn noch mehr Steuererleichterungen für die gewerbliche Wirtschaft kommen, besser werden wird. Die Arbeitnehmer erwarten eine Politik, die sich ihrer Sorgen annimmt. Wenn diese Regierung das nicht tut, werden die Arbeitnehmer sich eine bessere Regierung zum nächsten Termin wählen. ({30})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Thema „Arbeitslosigkeit" hat bereits im bisherigen Verlauf der Debatte eine Rolle gespielt. Das kann nicht verwundern. Was verwundern muß, ist die Art und Weise, wie Herr Ehrenberg und andere Sozialdemokraten mit diesem Thema hier umgehen, also Vertreter der gleichen Partei, die den größten Anstieg der Massenarbeitslosigkeit in der Nachkriegszeit zu verantworten hat. ({0}) Sie regen sich auf, wenn die Zahl der Arbeitslosen heute von 2,4 auf 2,45 Millionen steigt. Sie hätten sich aufregen sollen, als die Zahl von null auf zwei Millionen gestiegen ist. Dann wären wir dort nicht hingekommen. ({1}) Wichtig für die Beurteilung der Arbeitslosigkeit sind nicht so sehr die absoluten Zahlen, sondern deren Zustandekommen. Der Arbeitsmarkt kennt - wie jeder Markt - zwei Einflußfaktoren. ({2}) - Seien Sie ganz ruhig, Herr Roth. Ich werde all das sagen, was nötig ist. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Lattmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein. Die zwei Einflußfaktoren sind auf der einen Seite die Nachfrage nach Arbeitsplätzen und auf der anderen Seite das Angebot an solchen. ({0}) - Sie wiederholen sich, Herr Roth. Die Nachfrage wird insbesondere durch die demographische Entwicklung bestimmt. Herr Ehrenberg, warum sagen Sie, wenn Sie über Niedersachsen sprechen, eigentlich nicht, daß die Zunahme der Nachfrage dort weit über dem Bundesdurchschnitt liegt? Stärker als anderswo drängen dort junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. ({1}) Dies ist erfreulich, wirft aber angesichts der gesamtwirtschaftlichen Schwierigkeiten große Probleme auf. Vorliegende Untersuchungen zeigen aber - Sie kennen sie, Herr Ehrenberg; warum sagen Sie nichts darüber? -, daß der überdurchschnittliche Anstieg der Arbeitslosigkeit in Nieder9810 sachsen im wesentlichen demographisch bedingt ist. ({2}) Eine umgekehrte Lage haben wir in den Stadtstaaten Hamburg und Bremen. ({3}) Hätte die Bevölkerungsentwicklung dort nicht deutlich unter dem Bundesdurchschnitt gelegen, wäre die Arbeitslosigkeit noch viel höher, als sie es ohnehin schon ist. Neben der Nachfrage nach Arbeitsplätzen, die dem politischen Einflußbereich weitestgehend entzogen ist, kommt allerdings dem Angebot als zweiter Einflußgröße für den Arbeitsmarkt entscheidende Bedeutung zu. Nun bitte ich die Sozialdemokraten, wirklich einmal aufmerksam zuzuhören und anschließend dann den Mund vielleicht nicht mehr so voll zu nehmen. Wenn man sich die Entwicklung der Zahlen der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ansieht, ergibt sich folgendes Bild. Insgesamt gingen von 1974 bis 1984 in der Bundesrepublik rund eine Million Arbeitsplätze verloren. Die einzelnen Bundesländer weisen dabei sehr unterschiedliche Entwicklungen aus. Absoluter Spitzenreiter im negativen Sinne ist Bremen - SPD - mit einem Minus von über 12 %. In der Hitliste folgen Hamburg und Nordrhein-Westfalen - ebenfalls SPD - ebenfalls mit dramatischen Verschlechterungen. ({4}) Auf dem siebenten Platz - und damit auf einem guten Platz - in dieser Skala liegt Niedersachsen, wo die absoluten Zahlen wegen der beschriebenen demographischen Entwicklung zwar hoch sind, der Trend in den letzten zehn Jahren aber besser ist als in allen SPD-regierten Ländern. ({5}) - Wie man Sie doch mit Fakten erheitern kann. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf Ihre Situation. ({6}) Besser als Niedersachsen sind nur noch Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz und Bayern. Die drei zuletzt genannten Länder konnten dabei trotz der bundesweit negativen Entwicklung sogar noch einen Zuwachs an Beschäftigten erzielen. Eine Besonderheit stellt Berlin dar, das zwar noch in der schlechteren Hälfte dieser Skala rangiert, aber seit drei Jahren eine Trendwende mit deutlich erkennbarem Anstieg zu verzeichnen hat. ({7}) Natürlich gibt es innerhalb der Länder Unterschiede. Herr Kollege Hinsken hat darauf schon hingewiesen. Es bleibt aber festzuhalten: Die SPD-regierten Länder befinden sich allesamt auf den vorderen, die CDU- bzw. CSU-regierten Länder auf den hinteren Plätzen dieser Negativskala. ({8}) Nun kommen Sie bitte nicht und reden sich mit der Bundesregierung heraus. Die Bundesregierungen waren für alle Länder die gleichen, sowohl die schlechte frühere als auch die gute jetzige. ({9}) Auch die Behauptung, die besonders negative Entwicklung in Nordrhein-Westfalen und in den Stadtstaaten sei auf die dortige Konzentration von Krisenbranchen zurückzuführen, verfängt nur zum Teil. Hinzuweisen ist vielmehr auf die Tatsache, daß die krisenhafte Entwicklung seit langem erkennbar war. Ich darf nun vielleicht einmal einen ganz unverdächtigen Zeugen zitieren. Da erklärte Herr Dr. Höhnen vom DGB 1984 bei einer Anhörung vor dem Haushaltsausschuß: Wir - nämlich der DGB sind der Auffassung, daß man nicht nur die weltwirtschaftlichen Zusammenhänge sehen muß, sondern gerade, wenn man daran denkt, daß die Stahlkrise nun schon seit 1975 andauert, muß man in Rechnung stellen, daß keine gezielte vorausschauende Strukturpolitik für diese Branche getrieben worden ist. Meine Damen und Herren, die schweren politischen Versäumnisse in diesem Bereich sind nicht zu bestreiten. Das gilt in jedem Fall für die Bundesländer, die lange genug mit Reichtum gesegnet waren und deshalb zu notwendigen Umstrukturierungen durchaus in der Lage gewesen wären. Demgegenüber hat es ein Land wie Niedersachsen, das in den langen Jahren unter sozialdemokratischer Regierungsverantwortung die Strukturschwäche nicht überwinden konnte, trotz einer gesamtwirtschaftlich guten Entwicklung in Zeiten einer gesamtwirtschaftlichen Rezession, die wiederum in die Regierungsverantwortung der Sozialdemokraten fällt, natürlich erheblich schwerer. Was die Regierung Albrecht aus diesen ungünstigen Bedingungen gemacht hat, ist bemerkenswert. ({10}) Ohne die Versäumnisse der Vergangenheit, Herr Ehrenberg, könnte das alles viel besser aussehen. So besagt beispielsweise eine Untersuchung des DIHT - hören Sie zu, Herr Ehrenberg -, daß die Strukturschwäche Ostfrieslands, wo die Arbeitslosigkeit, wie Sie zu Recht gesagt haben, besonders hoch ist, wesentlich in der viel zu späten Verkehrsanbindung dieses Raumes begründet liegt. Wer weiß, daß z. B. die Planung und die Bauzeit einer Autobahn 15 bis 20 Jahre beanspruchen, der weiß auch, wer für diese Versäumnisse verantwortlich ist. Ich darf einen weiteren unverdächtigen Zeugen zitieren, einen der SPD-nahestehenden Kommentator der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", der folgendes sagt: Niedersachsen bezahlt für die Sünden der Vergangenheit. Zu lange haben die Regierungen in Hannover sich nicht um die Anwerbung von neuen Industrien mit sicherer Zukunft bemüht. Was hierzulande frühestens 1970 begann, eine zielgerichtete Strukturpolitik, das haben die Bayern, die in einer genauso ungünstigen Ausgangslage steckten, schon Jahre vorher betrieben ... Der Vorwurf, Entwicklung verkannt, Chancen vertan, Zukunft verschlafen zu haben, geht zuerst an die Adresse der SPD, die über Jahrzehnte das Sagen hatte. ({11}) - Das gilt auch für Baden-Württemberg. - Wenn Sie sich diese Entwicklung ansehen und sehen, was andere Länder mit weitaus schlechteren Voraussetzungen gemacht haben, wie die einstmals wohlhabenden und blühenden Regionen wie Nordrhein-Westfalen, wie Hamburg und Bremen heruntergewirtschaftet wurden - sie bilden heute in vielen Bereichen das Schlußlicht, auch bei der dargestellten Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die insgesamt alles andere als erfreulich ist - wer will das bestreiten? -, so liegen alle SPD-Länder hinten. Dies beweist: Auch bei gesamtwirtschaftlichen Problemen zeigen sich dort, wo die CDU/CSU regiert, mindestens deutlich schwächere Einbrüche, teilweise sogar nicht unerhebliche Verbesserungen. Wo die SPD regiert gibt es demgegenüber auf der ganzen Linie eine dramatische Verschlechterung. Wenn es denn wirklich ein Gefälle gibt, so ist es keineswegs eines, das geographisch abzugrenzen ist und etwa mit Süd/Nord zu umschreiben ist. Der Norden ist eine leistungsfähige Region. Allein der dramatischen Wohlstandsverfall der Stadtstaaten verdüstert dieses Bild. Dennoch mußte man das ebenfalls abgewirtschaftete Nordrhein-Westfalen dem Norden zuschlagen, um die törichte Behauptung vom Nord-Süd-Gefälle überhaupt rechtfertigen zu können. Was es tatsächlich gibt, ist ein politisches Gefälle, ein Mitte-Links-Gefälle, ({12}) wie Herr Wissmann richtig gesagt hat, ein Gefälle zwischen den seit langem von der CDU-regierten und den seit langem von der SPD-regierten Ländern, wobei jene, in denen die CDU noch nicht so lange regiert, wie Niedersachsen und Berlin, eine Mittelposition einnehmen. Wenn man sieht, meine Damen und Herren, wie die gleiche SPD, deren Politik die Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik begründet hat, nun diese beklagenswerte Entwicklung als parteipolitische Keule mißbraucht, so muß man mit jenem schon zitierten Kommentar der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" fragen: Wie mögen sich die Arbeitslosen vorkommen, wenn sie nun überall von der SPD als bedauernswerte Randfiguren dieser Gesellschaft und als Opfer der ... ({13})-Politik vorgezeigt werden wie Tanzbären auf dem Jahrmarkt? Hören Sie, meine Damen und Herren, mit diesem Zynismus auf! Bekennen Sie sich endlich zu Ihrer Verantwortung! ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden in verbundener Debatte über die wirtschaftliche Bedeutung und Entwicklung strukturschwacher Regionen und über den Antrag und die Große Anfrage der SPD-Fraktion zur Sicherung vorhandener und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze durch eine aktive Industriepolitik. Was uns die Bundesregierung in der mageren Beantwortung geboten und was der Herr Bundeswirtschaftsminister in seinem mit Allgemeinplätzen gespickten, aber konkrete Aussagen vermissen lassenden Vortrag heute früh dokumentiert haben, ist eigentlich traurig. Ich muß ehrlich sagen: Ich verstehe überhaupt nicht, daß dieses Haus und die die Regierung tragende Rechtskoalition nicht willens und nicht fähig sind, mit uns ernst und sachlich über Probleme zu reden, die Millionen Menschen berühren, die ganze Regionen betreffen und die uns alle herausfordern. Wir müssen gemeinsam Antworten geben, Sie in der Regierungsverantwortung und wir aus unserer Verantwortung in der Opposition. Herr Kollege Lattmann, Sie haben hier wie alle Koalitionsredner großsprecherisch Schönfärberei betrieben. Seien Sie bitte korrekt! Sie haben recht: Das Land Baden-Württemberg hat eine Arbeitslosenquote von 5,7 % und liegt damit am niedrigsten. An zweiter Stelle folgt schon Hessen. Also bleiben Sie korrekt und machen Sie nicht so auf Schwarz und Rot. Das ist doch Quatsch. Bleiben Sie objektiv! Ich bedaure zutiefst, daß diese Regierung keine konkrete Antwort auf die Frage gegeben hat, wie sie mit uns gemeinsam die Arbeitslosigkeit bekämpfen will, wie sie vorhandene Arbeitsplätze sichern und neue Arbeitsplätze schaffen will. Kein einziger konkreter Vorschlag! ({0}) Zweiter Punkt: Diese Bundesregierung gefährdet Arbeitsplätze. Sie sorgt mit dafür, daß die Werftindustrie mit ihren Problemen nicht fertig wird. Diese Regierung läßt die Stahlindustrie hängen. Sie soll gar kein Stahlkonzept vorlegen. - Der Bundeswirtschaftsminister ist nicht mehr hier. Es lohnt sich für ihn um diese Zeit offensichtlich nicht mehr, hierzubleiben, nachdem er am Vormittag - ({1}) - Der hat bis jetzt hier gesessen. ({2}) Wolfram ({3}) Diese Bundesregierung soll kein Stahlkonzept vorlegen, aber sie soll die Stahlindustrie zwingen, endlich ein Konzept zu erarbeiten und vorzulegen. Und sie soll die IG Metall und die Manager der Stahlindustrie an einen Tisch holen, um mit ihnen nach sinnvollen Lösungen zu suchen. Das wäre ihre Aufgabe. Drittens: Diese Bundesregierung trägt zur Verunsicherung in den Bergbauregionen, im Saarland, im Aachener Revier und im Ruhrgebiet, dadurch bei, daß sie bis heute die Frage nicht konkret beantwortet hat, ob sie die Verlängerung des Hüttenvertrages durch flankierende Maßnahmen auf der Basis der Vollversorgung unterstützt. Diese Bundesregierung trägt zur Verunsicherung auch dadurch bei, daß sie bis heute keine Klarheit darüber geschaffen hat, ob sie weiterhin bereit ist, die Kokskohlebeihilfe für die Exporte in die Länder der EG zu finanzieren. Diese Bundesregierung trägt zur Verunsicherung dadurch bei, daß sie bis heute wahnwitzigen, aberwitzigen Plänen in Brüssel, die Kohleförderung in Europa drastisch zu reduzieren, nicht entgegengetreten ist. Das sind die Fakten! Wenn die Regierungskoalition heute beklagt, daß das Ruhrgebiet eine überdurchschnittliche Arbeitslosenquote hat, dann bestätige ich Ihnen, daß das stimmt. Das bedrückt uns. Aber worauf ist das zurückzuführen? Wenn der Herr Ex-Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff die Zeche Erin in Castrop-Rauxel stillegt oder entscheidend auf ihre Stillegung drängt, dann sind in dieser Stadt mit einem Schlag 4 000 Arbeitsplätze verloren, und dafür gibt es keine Ersatzarbeitsplätze. Wenn diese Bundesregierung darauf drängt, daß zur Zeit eine Kapazitätsvernichtung von 10 Millionen Tonnen erfolgt, dann vernichtet sie Arbeitsplätze und trägt zur Erhöhung der Arbeitslosigkeit in den Kohlerevieren bei. Wenn diese Bundesregierung unsere Stahlindustrie in diese internationale Situation schlittern läßt, dann trägt sie mit dazu bei, daß wir an den Stahlstandorten eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit haben. Wir, die wir vor Ort Verantwortung tragen, wir können uns noch so abstrampeln: Tausende von Arbeitsplätzen, in kurzer Zeit vernichtet, können durch die beste Wirtschaftsförderung und Industrieansiedlungspolitik nicht kurzfristig ersetzt werden. Das sind die Fakten. Herr Kollege Lammert, ich habe Sie immer sehr geschätzt. Dabei bleibt es. Nur war das, was Sie sich heute geleistet haben, weit unter Ihrem Niveau. ({4}) Wenn Sie die Bildungspolitik angreifen, verstehe ich das ja noch. Ich hoffe nur, daß Sie als Lehrbeauftragter an der Gesamthochschule Bochum bessere Arbeit leisten und zu besseren bildungspolitischen Ergebnissen beitragen. Ihnen und Ihren Kollegen von der Ruhr und aus dem Saarland werfe ich folgendes vor: Anstatt sich an unsere Seite zu stellen und mit uns gemeinsam auf die Bundesregierung einzuwirken, daß sie ihrer gesamtvolkswirtschaftlichen Verantwortung nachkommt, machen Sie das Revier und das Land Nordrhein-Westfalen mies. ({5}) Das ist schade, denn eines ist klar: - ({6}) - Das ist doch nicht wahr! ({7}) - Sie wissen wie ich, daß Bochum genauso gut wie Stuttgart ist, daß Recklinghausen genauso gut wie Nürnberg ist. ({8}) - Recklinghausen ist sogar die schönste Stadt im Ruhrgebiet. Unsere Menschen sind genauso intelligent, genauso fleißig, genauso tüchtig, ({9}) sie sind genauso innovativ wie die Bürger in den anderen Bundesländern, und unsere Politik ist besser als woanders, ({10}) weil sich der Staat, das Land, die NRW-Landesregierung nicht aus der Verantwortung stiehlt. ({11}) - Entschuldigen Sie bitte, wenn Sie die Fakten kennen würden, würden Sie nicht so unqualifizierte Zwischenrufe machen! Die NRW-Landesregierung ist bereit, die Stahlindustrie zu unterstützen. Die NRW-Landesregierung ist bereit, die Kohle- und Energiepolitik zu unterstützen. Sie sind aufgefordert, mitzumachen und uns nicht hängenzulassen. Tragen Sie doch dazu bei, daß wir auf eine vernünftige Art und Weise die Problembereiche angehen und konstruktive Lösungen suchen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Wolfram, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja, Graf Lambsdorff, aber dann würde ich vorher gern noch ein Wort zu Ihnen sagen. Es ist eigentlich ein schlimmer Niedergang, den wir mit Ihnen erleben, den Sie selbst demonstrieren. Sie waren immer ein von mir geschätzter sachlicher Mann. Das aber, was Sie sich heute gegenüber unserem NRW-Wirtschaftsminister geleistet haben, die Art, wie Sie gegen das Land Nordrhein-Westfalen polemisiert haben, war unter aller Würde. ({0}) Ich muß ehrlich sagen, ich schäme mich, daß ein Mann wie Sie uns so etwas zumutet. Bitte schön.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte, Herr Abgeordneter Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001272, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, würden Sie nach dieser bei einer Zwischenfrage ganz ungewöhnlichen Begrüßung freundlichst zur Kenntnis nehmen, daß ich überhaupt nichts gegen das Land Nordrhein-Westfalen, aber alles gegen die Politik der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einzuwenden habe, und würden Sie bei Ihrem Vergleich zwischen Nürnberg und Recklinghausen insoweit Verständnis empfinden, als wir zur Zeit Nürnberg vorziehen, weil dort der Oberbürgermeister schon aus der SPD ausgetreten ist? ({0})

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Graf Lambsdorff, ich gehe davon aus, daß Sie und die FDP ein weiterhin schrumpfendes Dasein führen werden. Spätestens am 12. Mai werden wir das ja in Nordrhein-Westfalen erleben. Ich billige Ihnen zu, daß Sie gegen unsere Landesregierung polemisieren, aber Sie sollten dann wenigstens das Maß an Objektivität und Sachlichkeit wahren, das Sie früher bei den schärfsten Debatten ausgezeichnet hat. Das sollten Sie bitte tun! Im übrigen, was die Oberbürgermeister und Bürgermeister betrifft, verlassen Sie sich darauf: Es gibt nur einen Urschlechter. ({0}) Meine Damen und Herren, diese Bundesregierung hat nichts getan, um ihren eigenen Anteil zur Erhöhung der Investitionsquote beizutragen. Das einzige, was ihr immer wieder einfällt, ist die Aufforderung an die Gemeinden, mehr zu investieren. Das Institut für Urbanistik hat in diesen Tagen nachgewiesen, daß die Städte schon 88 Milliarden für die Umwelt investiert haben, daß sie überproportional viel tun und daß der Bund auf diesem Gebiet viel zu wenig tut. Sie verschieben Sozialleistungen von der Bundesanstalt für Arbeit zu den Sozialämtern der Städte. Jede Million, die wir dafür mehr ausgeben müssen, fehlt für Investitionen. Helfen Sie doch mit, daß die Arbeitslosigkeit beseitigt wird; helfen Sie doch mit, daß wir nicht von Jahr zu Jahr mehr Sozialhilfeleistungen aufbringen müssen; dann sind das Gelder, die sicherlich auch sofort und postwendend investiert werden. Sie, Herr Staatssekretär, der Sie jetzt den Bundeswirtschaftsminister vertreten, haben in der letzten Debatte zur Lage der Bauwirtschaft im Wirtschaftsausschuß erklärt: „Es besteht kein Handlungsbedarf." Es besteht sehr wohl Handlungsbedarf, ({1}) denn wenn Private ihr Geld in Amerika anlegen und in der Bundesrepublik nicht investieren, können die Gemeinden diese Lücke nicht schließen; dann sind Sie gefordert, dann müssen Sie rüberkommen und investieren oder den Gemeinden helfen. ({2}) Debattieren Sie doch mit uns über unser Programm „Arbeit und Umwelt"! Der Wirtschaftsminister kritisiert Arbed-Saarstahl. Es fällt ihm nichts Besseres ein, als die Arbeitnehmer zum Lohnverzicht aufzufordern. Er redet nicht von den Managergehältern. Aber warum hat diese Bundesregierung noch nie gefragt, in welcher Verantwortung die Anteilseigner, in welcher Verantwortung die Banken, die Aktionäre oder diejenigen, die Aktien verwalten, gegenüber der Stahlindustrie stehen? Das wären doch die ersten Adressen, an die sich die Bundesregierung wenden müßte. Sie müßten in die Verantwortung genommen werden. Herr Bundeswirtschaftsminister, ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, daß Sie in der heutigen Debatte die Montan-Mitbestimmung so abqualifiziert haben. Die Montan-Mitbestimmung ist keine „Schönwetterveranstaltung". Sie hat längst ihre Bewährungsprobe bestanden. Was wäre aus der Kohle- und Stahlkrise geworden, hätte es nicht die Montan-Mitbestimmung und das Verantwortungsbewußtsein unserer Arbeitnehmer und unserer Gewerkschaften gegeben? Wenn Sie behaupten, Sie hätten in kurzer Zeit die Wirtschaft wieder in Gang gebracht, dann kann ich nur fragen: Wo haben Sie es denn geschafft? Bei den Werften nicht, beim Stahl nicht, bei der Kohle nicht, vielleicht in wenigen anderen Bereichen, und dort ist es nicht Ihr Verdienst. Wenn Sie heute so über das Land NordrheinWestfalen polemisieren, dann frage ich Sie: Was würde denn z. B. in Baden-Württemberg passieren, wenn die Automobilindustrie - was wir nicht wollen - in eine tiefe Krise schlittern würde? Was würde dann passieren? Was würde in anderen Bundesländern passieren, wenn diese so lange Krisen durchstehen müßten wie unverschuldet die Kohle-und Stahlregionen? Allein an diesem Beispiel sehen Sie, wie absurd es ist, einseitige und falsche Schuldzuweisungen auszusprechen, statt gemeinsam zu überlegen, wie Gemeinden, Länder und Bund den jeweils bedrängten Regionen, Sektoren und Branchen helfen können, wie sie vor allem durch eine aktive Regional-und Strukturpolitik und durch eine aktive Beschäftigungspolitik zur Lösung der aktuellen Probleme beitragen können. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Doss.

Dr. Hansjürgen Doss (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000411, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Analyse meines Freundes Dr. Lammert über die Politik in Nord9814 rhein-Westfalen hat Ihnen wehgetan. Das kann ich verstehen. Sie war brillant. ({0}) Wenn man den Finger in die Wunde legt, wie dies hier geschehen ist, und Sie darauf so aggressiv reagieren, wie Sie das getan haben, dann spricht das für die hervorragende Beurteilung, die Ihrer Politik hier zuteil geworden ist. Ich bin der Meinung, daß Sie diese Stelle hier im Deutschen Bundestag, die dazu geeignet ist, Konflikte auszutragen und unterschiedliche Meinungen vorzutragen, auch als solche respektieren sollten. Deswegen bin ich der Meinung, daß der sonst von mir so geschätzte Herr Wolfram hier nicht von Nestbeschmutzern reden sollte. ({1}) Auch der jetzt nicht mehr anwesende Wirtschaftsminister ({2}) - Ich meine den nordrhein-westfälischen Wirtschaftsminister - war der Meinung, daß sich die hier vorgetragene Kritik gegen die Bürger in Nordrhein-Westfalen richte. Ich kann dieses Demokratieverständnis überhaupt nicht teilen. Wenn wir über unterschiedliche Auffassungen in der Politik reden, wo denn sonst, wenn nicht hier? Ich habe von meinen Kollegen nichts gehört, was Ihre Kritik rechtfertigen würde, daß das eigene Land, daß die Bürger von Nordrhein-Westfalen durch die hier vorgetragene Kritik diskriminiert würden. Ich kann es nicht verstehen. Vielleicht hatten Sie darüber hinaus nichts zu sagen; ich muß das so vermuten. Der Mittelstand, meine sehr verehrten Damen und Herren, stellt 64 % aller Arbeitsplätze und rund 80 % der Ausbildungsplätze. Er ist der Wirtschaftsfaktor überhaupt. Ich war erstaunt, daß der nordrhein-westfälische Mittelstandsminister - er ist ja ein solcher - so gut wie kein Wort über diese Tatsache verloren hat. Ich meine die mittelständischen Unternehmen im produzierenden Gewerbe, die in erster Linie außerhalb der industriellen Ballungsräume angesiedelt sind, abseits der Zentren und damit abseits der dortigen Strukturvorteile. Daß Nordrhein-Westfalen im Verhältnis zu den unionsgeführten Bundesländern so weit zurückliegt, hat, wenn ich die Zahlen werte, mit Sicherheit damit zu tun. Wolfram Gruhler bemerkt in seinem Buch „Wirtschaftsfaktor Mittelstand" hierzu: Es handelt sich bei den Bundesländern, in denen die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen überwiegt, ausnahmslos um solche mit einer bürgerlichen Regierung, während die überwiegend großbetrieblich strukturierten vier Bundesländer von Sozialdemokraten regiert werden. Das ist, wie ich finde, ein Grund, um das Mittelinks-Gefälle zwischen sozialdemokratisch und unionsgeführten Bundesländern zu erklären. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vernachlässigung der Mittelstandspolitik in Nordrhein-Westfalen hat nach meinem Dafürhalten dazu geführt, daß die Arbeitslosenzahlen im Ruhrgebiet so überdurchschnittlich hoch geworden sind; im Ruhrgebiet sind es 14,3 %, in ganz Nordrhein-Westfalen 10,7 %, und im Bund sind es 9,1 %. Dies läßt sich einfach nicht bestreiten; das ist eine Tatsache. Was ist die Folge? Die neuen Ideen, insbesondere aus dem mittelständischen Bereich - zwei Drittel aller Erfindungen kommen aus diesem Bereich -, schaffen Arbeitsplätze, nur nicht in Nordrhein-Westfalen. Die umweltschädliche Uralttechnik und die Uraltprodukte haben Bestandsgarantie. Die qualifizierten Arbeitskräfte sind abgewandert. Das Ruhrgebiet ist ein Lehrbeispiel für die staatlich verordnete unternehmerische Unbeweglichkeit. Für diesen Raum und für das unter gleichen Vorzeichen regierte Bremen wird jetzt noch verstärkt Regionalförderung zu Lasten anderer Regionen gefordert. Sozialdemokraten, die sonst über Symptomtherapie schimpfen, begründen diese Forderung mit der hohen Arbeitslosigkeit. Statt sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen, wird an den Folgeerscheinungen herumkuriert. Der Kommunalverband Ruhrgebiet in Essen beklagt - ich zitiere -: Der Montanbereich verhindert wie ein negativ wirkender Katalysator das Entstehen eines von ihm unabhängigen zweiten wirtschaftlichen Standbeins. Damit meint der Kommunalverband den wirtschaftlichen Mittelstand. NRW hat im Grunde genommen - wie die alte Bundesregierung - auf eine postkeynesianische nachfrageorientierte Wirtschaftspolitik gesetzt mit dem Ziel, bestehende Strukturen wie Kohle und Stahl zu konservieren und unrentable Großunternehmen am Leben zu erhalten. Mein Land, Rheinland-Pfalz, dagegen steht im wesentlichen - ebenso wie die derzeitige Bundesregierung - zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik mit dem Ziel, günstige Strukturen wie Chemie, Kunststoff, Kraftfahrzeuge zu entwikkeln, überholte Strukturen abzubauen und den Mittelstand zu fördern. Im CDU-regierten Rheinland-Pfalz funktioniert die Soziale Marktwirtschaft, greifen deren Regelmechanismen, herrscht fairer Wettbewerb. Die erfolgreichen kleinen und mittleren Unternehmen im Süden und Südwesten sind die Nettozahler für die Subventionsumverteilung an die lahmen Enten der industriellen Verdichtungsräume des Westens. Die Chance von NordrheinWestfalen, meine Damen und Herren, liegt im Regierungswechsel und damit in einer dann folgenden offensiven Mittelstandspolitik. Der Minister für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr von Nordrhein-Westfalen, Professor Jochimsen, hat vorgestern eine Broschüre verteilt mit dem Titel „Exportland Nordrhein-Westfalen", in der er auf Seite 46 schreibt: Die mittelständischen Unternehmen im Lande Nordrhein-Westfalen haben ihre ExportmögDoss lichkeiten nicht erschöpft. Hier liegen noch erhebliche Wachstumschancen. Auf zwei von insgesamt 127 Seiten stellt er Betrachtungen über die Notwendigkeit, den Mittelstand zu fördern, an. Damit stellt er dankenswerterweise selbst fest: Die Chancen, den nordrhein-westfälischen Mittelstand zu erschließen, wurden versäumt; die Folgen sind bekannt. Das Institut für Raumplanung in Dortmund stellt in diesem Sinne fest - ich zitiere -: In den traditionellen Regionen mit ihrer Monostruktur wie dem Ruhrgebiet haben starke gesellschaftliche Kräfte einem Wandel entgegengestanden. Das fängt damit an, daß die von Großbetrieben kontrollierten Handelskammern einen überwiegenden Teil der Subventionen in deren Taschen leiteten. Durch die Kontrolle der Grundstücke und die Einflüsse auf die Industrieansiedlungspolitik haben die Konzerne an der Ruhr bisher erfolgreich das Aufkommen mittelständischer neuer Wirtschaftszweige verhindert. Hans Barth von der Prognos AG sagt: Wenn das wirtschaftliche Umfeld nicht stimmt, wenn die Kommunikation zwischen Wirtschaft und Wissenschaft nicht funktioniert, dann nutzt es auch nichts, wenn im Ruhrgebiet an jedem Bahnhof eine Universität steht. ({3}) Ich finde, die Sozialdemokraten haben in den von ihnen regierten Ländern den Mittelstand benachteiligt. ({4}) In den unionsgeführten Ländern wurde er erschlossen. Dieses mittelständische Entwicklungspotential ist immer noch nicht voll ausgeschöpft. Die Gründe liegen in einer zum Teil unzulänglichen Infrastrukturausstattung der ländlichen Regionen, die bis zum heutigen Tage noch nicht beseitigt ist. Ich will dies an meinem Land Rheinland-Pfalz noch einmal deutlich machen. Dieses von der Geschichte besonders belastete Land - zersplittert, heterogen, ohne Industrien, ohne nennenswerte natürliche Ressourcen, immer in einer Randlage - war einmal das Schlußlicht im Wachstumsvergleich der deutschen Länder. Durch einen beharrlichen Ausbau der Infrastruktur seitens des Landes durch Schaffung verkehrlicher Anbindung, aber auch den Bau zweier Universitäten, in Trier und Kaiserslautern - um nur einige Maßnahmen zu nennen -, konnten die Voraussetzungen für die Erschließung unternehmerischen Wachstumspotentials geschaffen werden. Trotzdem: Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur ist immer noch nicht abgeschlossen. Wir wehren uns deshalb vehement auch im Interesse des gesamtwirtschaftlichen Wachstums dagegen, daß selbstverschuldete kurzfristige Arbeitsmarktungleichgewichte stärker als Förderungskriterien in die Regionalpolitik eingehen sollen und die Infrastruktur weiter in ihrer Bedeutung zurückgedrängt wird. Damit würden die Funktionsunfähigkeit und die Inflexibilität des Arbeitsmarktes in industriellen Ballungsräumen unterstützt und marktinduzierte notwendige Wanderungen zwischen den Räumen verhindert werden. Wachstum in ländlichen Regionen würde damit zu Lasten der Gesamtwirtschaft und des Arbeitsmarktes abgewürgt. Wir lehnen aus diesem Grunde Überlegungen ab, die kurzfristig und ineffizient in Richtung der Stärkung von Arbeitsmarktkriterien in der Regionalförderung gehen. Neue Konzeptionen müssen in eine positive, marktwirtschaftlich saubere Richtung gehen. Deswegen meine ich, meine Damen und Herren: Der beste Weg, dies zu erreichen, ist für das Land Nordrhein-Westfalen ein neues Management unter der Führung von Bernhard Worms ({5}) mit einer zielgerichteten Mittelstandspolitik, ({6}) mit der wir es schaffen werden. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jung.

Volker Jung (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001040, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hohe Arbeitslosigkeit, die ja vor allem strukturell bedingt ist - darüber besteht hier weitgehend Einigkeit -, kann nur bewältigt werden, wenn die Globalpolitik durch eine zukunftsorientierte Industriepolitik ergänzt wird. Es geht nicht länger an, daß die Bundesregierung mit ihrer überzogenen Finanzpolitik den Haushalt ohne Rücksicht auf Arbeitsplatzverluste konsolidiert, mit ihrer Steuer- und Sozialpolitik den Gemeinden die Luft bei den Investitionen abschnürt, während sie - ich meine, das ist heute in der Debatte zum Ausdruck gekommen - auf der anderen Seite die sektoralen und regionalen Anpassungsprobleme zur Sache der privaten Wirtschaft und der Länder erklärt. Die Sache läuft immer auf dasselbe hinaus: Die letzten beißen die Hunde. Die Lasten der Fehlentwicklung und die Lasten der Anpassung, Arbeitslosigkeit, Einkommensverlust und damit auch Existenzangst, sozialen Abstieg und nicht zuletzt neue Armut, müssen die Arbeitnehmer und ihre Familien tragen. ({0}) Ich möchte auf den Vorschlag des FDP-Generalsekretärs zurückkommen, weil ja, auch wenn es in eine Frageform gekleidet war, Graf Lambsdorff diesen Vorschlag unterstützt hat. Ich meine, bei der Größe Ihrer Fraktion ist das schon ganz erheblich. Dieser Vorschlag, Arbeitslose unter Tarif zu beschäftigen, reiht sich lückenlos in eine Demontagepolitik auf arbeitsrechtlichem und sozialrechtlichem Gebiet ein. Nachdem der Jugendarbeitsschutz Jung ({1}) demontiert wurde und die Regierungsparteien morgen die Ausdehnung von Leiharbeit und ungeschützter Teilzeitarbeit, die Durchlöcherung des Kündigungsschutzes und die Einschränkung von Sozialplänen beschließen werden, kann es kaum noch verwundern, daß die FDP nun auch die Tarifautonomie aushöhlen will. ({2}) Wer nur etwas Phantasie hat, sich vorzustellen, daß ein Arbeitsloser im Grunde jede Arbeit anzunehmen bereit ist, sofern das Arbeitseinkommen nur die Arbeitslosenunterstützung oder die Sozialhilfe übersteigt, der wird sich auch leicht vorstellen können, daß es in Kürze schon allein aus Wettbewerbsgründen kaum noch einen Arbeitgeber geben wird, der bereit ist, einen Arbeitnehmer zum Tariflohn oder Tarifgehalt einzustellen oder zu halten. Das wäre in der Tat eine Zerstörung der Tarifautonomie. Und das ist Sache, meine Damen und Herren, und nicht eine differenzierte Tarifpolitik, wie sie Herr Bangemann bei der Darstellung der Vorschläge von Herrn Haussmann, wie ich meine, durchaus verschleiernd, darstellen wollte. ({3}) Wer das differenzierte Tarifgefüge in der Bundesrepublik - und die Tarifabschlüsse sind in der Tat differenziert, sowohl sektoral wie auch regional, und wenn man die Betriebsvereinbarungen hinzunimmt, sogar auch betrieblich - nur einigermaßen kennt, der weiß auch, daß alles Gerede von der Starrheit der Tarifpolitik schlichtweg Unfug ist. Ich meine, an diese Stelle gehört auch noch ein Zitat, das gerade frisch über den Ticker von „dpa" gelaufen ist, um einmal den Zustand der Koalition hier etwas näher zu charakterisieren. Ich zitiere: Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß hat die Vorschläge der FDP zum Abbau der Arbeitslosigkeit scharf zurückgewiesen. Eine Beschäftigung unter Tariflohn, wie sie FDP-Generalsekretär Helmut Haussmann für Arbeitslose empfahl, komme einer Legalisierung der Illegalität gleich, kritisierte Strauß am Donnerstag in München vor der Mitgliederversammlung des Bayerischen Bauindustrieverbandes. Strauß warf der FDP vor, aus wahltaktischen und opportunistischen Gründen soziale und wirtschaftspolitische Vernunft zu verletzen. ({4}) Soweit das Zitat. Dem ist an dieser Stelle nichts mehr hinzuzufügen. Meine Damen und Herren, mitunter kann man wirklich den Eindruck gewinnen, daß einige von Ihnen auf die bereits häufig zitierte Zwei-DrittelGesellschaft setzen, die einen Teil, nämlich ein Drittel der Arbeitnehmer, an den Rand des Arbeitsmarktes drängt oder ihn gar aussondert und dem anderen, den übrigen Erwerbstätigen, eine glänzende Zukunft verheißt, wenn sie sich nur leistungsbereit, leistungsstark, innovativ und risikofreudig zeigen. Wir Sozialdemokraten lehnen eine solche Entsolidarisierungspolitik ab. Wir können nur hoffen, daß dem Vorschlag von Herrn Haussmann ein ähnliches Schicksal beschieden sein wird wie dem kurzlebigen Vorschlag von Herrn Bangemann, die Grundpfeiler unseres Rentensystems umzustürzen. Meine Damen und Herren, eine vorausschauende Strukturpolitik muß vor allem ihren Beitrag zur Modernisierung der Wirtschaft leisten. Das ist hier schon vielfach betont worden. Wo der Markt dieser Aufgabe nicht gerecht wird, muß der Staat stützend eingreifen. Dabei geht es zuallererst um die Entwicklung neuer Produkte und auch - ich sage das mit Bedacht - neuer Produktionsverfahren durch eine breite Anwendung neuer Technologien. Aber genau an dieser Stelle ist politische Verantwortung gefragt; denn nach den Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren machen mußten, kann es kaum einem Zweifel unterliegen, daß der technologische Wandel, wenn er dem marktwirtschaftlichen Selbstlauf überlassen bleibt, mehr Arbeitsplätze vernichtet, als er schaffen kann. Das ist das eigentliche Problem, mit dem wir es zu tun haben und das mit Gesundbeterei nicht zu lösen ist. Die Anwendung neuer Technologien, gleichgültig, ob in der Produktion oder im Dienstleistungsbereich, eröffnet ein ungeheures Rationalisierungspotential, dessen arbeitsplatzvernichtende Effekte durch die gegebenen und zu erwartenden Wachstumsraten der Wirtschaft nicht kompensiert werden können. Solange der durchschnittliche Anstieg der Produktivität über dem Wachstum des Sozialprodukts liegt - in unserem Land liegt der Produktivitätsanstieg - anders als in den Vereinigten Staaten - seit Jahren über dem Wirtschaftswachsturn -, solange es diese Schere zwischen Produktivitätsentwicklung und Wachstumsraten gibt, werden mehr Arbeitsplätze vernichtet als geschaffen. ({5}) Gleichwohl - das möchte ich hier an dieser Stelle auch sagen, um zu differenzieren, Graf Lambsdorff - kann man in einer Volkswirtschaft, die so weitgehend in die internationale Arbeitsteilung eingebunden ist wie unsere, die so weitgehend von ihrer Exportkraft abhängt, nicht auf eine technologische - wir betonen insbesondere den Aspekt der ökologischen - Modernisierung verzichten. Wenn wir allerdings einen Consensus in dieser Frage finden wollen, dann muß man darauf hinweisen, daß die gleichen Kräfte, die einer forcierten Anwendung neuer Technologien und der damit verbundenen Rationalisierung das Wort reden, in diesem Lande zugleich die stärksten Gegner der Arbeitszeitverkürzung sind, und das paßt nicht zusammen. Die Modernisierung unserer Wirtschaft ist - ebensowenig wie Wachstum - nach unserer Auffassung kein Selbstzweck. Beides ist Mittel zum Zweck. Mit einem qualitativen Wachstum wollen wir Arbeitsplätze schaffen und sichern, die ArbeitsJung ({6}) bedingungen verbessern und natürliche Lebensgrundlagen erhalten und wiederherstellen. ({7}) Wenn wir von Modernisierung unserer Wirtschaft sprechen, dann meinen wir auch und vor allen Dingen einen ökologischen Umbau unserer Wirtschaft. Wie es in den letzten Jahren gelungen ist, Wirtschaftswachstum und Energieverbrauch durch Energieeinsparung und Energieverteuerung zu entkoppeln, so muß es uns in den nächsten Jahren auch gelingen, wirtschaftliche Entwicklung und Umweltzerstörung zu entkoppeln. ({8}) Dabei ist wichtig - ich widerhole das -, daß wir wirksame Instrumente entwickeln, um eine einigermaßen verläßliche Einschätzung der zukünftigen wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung bzw. Fehlentwicklung vornehmen zu können. Denn ohne eine hinreichend genaue Abschätzung dieser Entwicklung wird es auch keinen sinnvollen Dialog zwischen den Beteiligten und den Betroffenen, zwischen denen, die die Entscheidung treffen, und denen, die davon abhängig sind, geben können. Aber wenn man die Antworten der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage liest, dann gewinnt man den Eindruck, daß sie dies auch gar nicht will. Denn in ihrer Antwort vermeidet sie jede Festlegung in der Frage der Mitbestimmung. Wir Sozialdemokraten fordern eine Wiederaufnahme des technologiepolitischen Dialogs zwischen der Bundesregierung, den Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften. Gewiß, dies wäre nur ein erster Schritt, den Forderungen der Gewerkschaften nach Errichtung von Strukturräten entgegenzukommen. Aber dieser Schritt würde als Wille interpretiert werden, die Verbände, insbesondere die Gewerkschaften, nicht nur für die wirtschaftliche Entwicklung mitverantwortlich zu machen, sondern ihnen auch Mitspracherechte einzuräumen. ({9}) Dies, meine Damen und Herren, scheint mir der eigentliche Punkt in der industriepolitischen Auseinandersetzung zu sein, wenn es darum geht, einen Konsens herzustellen. Man darf den Gewerkschaften nicht nur Mitverantwortung übertragen wollen, sondern man muß ihnen auch Mitbestimmungsmöglichkeiten einräumen. Aber das steht nicht auf der Tagesordnung der Bundesregierung. Sie ist nicht daran interessiert, die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften an strukturbestimmenden Entscheidungen teilnehmen zu lassen. Im Gegenteil: die Bundesregierung läßt es zu, daß die Montan-Mitbestimmung ab 1987 schrittweise ausläuft: zunächst bei Mannesmann, dann bei Salzgitter, später bei Hoesch und Thyssen. Die FDP hat dies sogar zum Programm erhoben. Da ist es nach meiner Auffassung auch nicht mit dem vagen Hinweis getan, daß die Frage, ob die Mitbestimmung der Betriebsräte auf die Einführung neuer Technologien ausgedehnt werden soll, geprüft wird. Dies soll doch nur die Opposition innerhalb der CDU beruhigen, damit diese bei der beabsichtigten Durchlöcherung des Betriebsverfassungsgesetzes stillhält, die tatsächlich auf der Tagesordnung steht. Auch wenn der Entwurf zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes bis nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen zurückgehalten wird: Die Regierungsparteien haben hier keinen Zweifel daran gelassen, daß diese Absicht nach dem 12. Mai verwirklicht wird. Meine Damen und Herren, so kann Industriepolitik in diesem Lande nicht erfolgreich betrieben werden. So werden sich die Arbeitnehmer nicht an der Nase herumführen lassen. Wenn die Bundesregierung eine erfolgreiche Industriepolitik machen will, muß sie sich um sozial ausgewogene und ökologisch ausgerichtete Strukturkonzepte bemühen. Sie muß alle Betroffenen - nicht nur die Arbeitgeber, sondern auch die Arbeitnehmer - in die Entwicklung dieser Konzepte einbeziehen. Die Bundesregierung muß den sozialen Frieden, den manche als einen wichtigen Produktionsfaktor bezeichnen, erst noch entdecken und dann auch berücksichtigen. ({10}) Anders wird sie scheitern. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Lippold.

Dr. Klaus W. Lippold (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001353, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich möchte auf einiges eingehen, was von den Kollegen der SPD-Fraktion heute hier gesagt worden ist. ({0}) Es geht zunächst um die Ausführungen des Abgeordneten Jens. Herr Jens, Sie haben dem Kollegen Lammert vorgeworfen, er habe falsche Fakten aneinandergereiht. Ich habe das vernommen und darauf gewartet, daß der Kollege Jens als Wirtschaftsexperte der SPD es für nötig hält, das, was Herr Lammert alles falsch gesagt habe, mit Fakten zu widerlegen. Ich habe Ihre gesamte Redezeit abgewartet; Sie haben keine einzige Zahl genannt, um Herrn Lammert zu widerlegen. Es bleibt Ihre völlig unbewiesene Behauptung im Raum. Damit können wir davon ausgehen, daß das, was Herr Lammert gesagt hat, zwar Ihnen nicht gepaßt hat, aber richtig war; denn widerlegen konnten Sie es nicht. ({1}) Es gibt eine zweite Position. Herr Jens, Sie haben die Umweltindustrie angesprochen und gesagt, daß diese Bundesregierung Auflagen, Verordnungen und Gebote geschaffen und daß dieses mit dazu beigetragen habe, daß über eine funktionierende Umweltindustrie Arbeitsplätze geschaffen werden. Herr Jens, machen wir uns doch die Größenord9818 nung klar: Mir wäre es lieb, wenn Sie in dem Ausmaß, in dem Sie hier Erwartungen geweckt haben, recht hätten, daß wir im Umweltschutzbereich so viele Arbeitsplätze haben. Nur: Die zuverlässigste Untersuchung, die es gibt, weist nach, daß es insgesamt in der deutschen Umweltschutzindustrie nur 200 000 Arbeitsplätze gibt. Damit ist das Potential deutlich, was überhaupt geleistet werden kann. Von diesen 200 000 sind zwei Drittel bereits vor 1970 geschaffen gewesen. Das heißt also, daß der eigentliche Beitrag - bedauerlicherweise, sage ich - relativ gering ist. Ich darf Ihnen noch eines sagen: Sie haben im Gegensatz dazu, weil diese Politik durch staatliche Intervention geschaffen worden sei, gesagt, die Marktkräfte wirkten nicht. Gehen Sie mal in die Automobilindustrie! In diesem Zusammenhang kann ich mich gleichzeitig auf die vielen Technologiebeiträge von Herrn Schmidt und von Herrn Jung beziehen. In der Automobilindustrie sind in den vergangenen Jahren 180 000 Arbeitsplätze neu geschaffen worden - trotz der Rationalisierung, trotz der Robotertechnik. Diese Arbeitsplätze sind aufgrund der Marktkräfte geschaffen worden. Dort hat es keine interventionistischen Eingriffe gegeben. Gleichzeitig können wir feststellen, daß glücklicherweise auch in der Chemie, in der Elektroindustrie, in mittelständischen Bereichen des Handwerks weitere Arbeitsplätze bereitgestellt werden. Herr Jens, eine kurze Frage zur Prognostik. Es ist ganz einfach so: Wer bessere Prognosen fordert, muß natürlich auch besseres Datenmaterial haben. Aber wer Volkszählung verhindert und wer über den Datenschutz die Erhebung von Daten relativiert und erschwert, ({2}) der kann sich nicht hier hinstellen und bessere Prognosen fordern. ({3}) Wer aus der Touristikstatistik alles herausstreichen will, kann hinterher nicht sagen: Ich muß besser prognostizieren können. Nun zu den Vorwürfen von Herrn Jochimsen an Herrn Lammert. Herr Jochimsen, der heute zweimal an das Pult ging und es nicht mehr für nötig hält, sich der Debatte zu widmen, hat einen ersten Beitrag geleistet, bei dem ich darauf gewartet habe, daß er die Vorzüge der Wirtschaftspolitik seines Landes und die Leistungen, die die nordrhein-westfälische Wirtschaftspolitik erreicht hat, darstellt, daß er diesen Moment nutzt, um zu zeigen, was diese Regierung geleistet hat. Aber es kam dazu ganz einfach nichts; es ist nichts geblieben. ({4}) Danach hat Herr Lammert ihn widerlegt. Das hat Herrn Jochimsen gereizt, und er ist noch einmal zum Pult gegangen, um Herrn Lammert zu antworten. Was hat er dann gebracht? - Ich muß Ihnen sagen, für einen professoralen Minister habe ich das als nahezu peinlich empfunden, daß er geglaubt hat, mit Hinweis auf Schifahren in Nordrhein-Westfalen und mit Rummenigge nach Inter Mailand die sachkräftigen Argumente von Herrn Lammert entkräften zu können. So geht es doch einfach nicht. Ganz offensichtlich hat er kein Faktenmaterial gehabt, um auf das einzugehen, was Herr Lammert vorgetragen hat. Das ist traurig für den Wirtschaftsminister eines so großen Bundeslandes. ({5}) Herr Ehrenberg, Sie haben gefragt: Was nutzt Wachstum, wenn die Arbeitslosen draußenbleiben? Von einem ehemaligen Minister der Bundesregierung halte ich diese Frage eigentlich für unverantwortlich. Wir alle wissen, daß Wachstum Voraussetzung für die Schaffung von Arbeitsplätzen ist. Wir alle wissen, daß Wachstum Voraussetzung ist, um den dringend benötigten Strukturwandel, der unter Ihrer Regierung vernachlässigt wurde, ({6}) so abzufedern, daß Arbeitslosigkeit nicht entsteht. Wachstum, Herr Ehrenberg - das müßten Sie doch erst recht wissen -, ist alleine schon die Voraussetzung dafür, daß dieses System der sozialen Sicherung, wie wir es in der Bundesrepublik Deutschland haben, überhaupt geleistet und durchgehalten werden kann. Wenn Sie diese Frage dann so stellen, kann ich nur fragen: Soll es rhetorisch gemeint sein? Warum eigentlich? Herr Wolfram, Sie haben noch einmal ganz kurz eine Reihe von Positionen aufgegriffen und gesagt, die Position Hessens sei hier besonders herauszustellen. Wenn ich einmal daran denke, daß Hessen strukturpolitisch hervorragende Voraussetzungen als Mittelland dieser Bundesrepublik hat, daß ihm aber in einer Umfrage, die heute schon diskutiert worden ist, attestiert wird, daß diese hervorragenden Grundlagen zwar gegeben sind, daß es aber die schlechteste wirtschaftspolitische Ausgangslage hat und daß die Unternehmen die Standortbedingungen von der Wirtschaftspolitik her für miserabel halten, ({7}) zeigt das doch ganz deutlich, wo der Weg hingeht. In der Anhörung zur Regionalpolitik haben alle klargemacht bekommen, wie wichtig Verkehrspolitik ist. Wenn ich dann erleben muß, daß die Rolle der Verkehrspolitik, die Rolle der Anbindung der strukturschwachen Räume völlig negiert wird und daß man mit ideologischen Argumenten und aus Gründen des Machterhalts den Straßenbau in Hessen in den verkehrsschwachen Gebieten nicht weiterfördert, weil man den GRÜNEN entgegenkommen will, ist das verantwortungslos. ({8}) Wenn man auf dem Zukunftsmarkt der Kommunikations- und Informationstechniken - einer der größten Märkte, einer der wachstumsträchtigsten Märkte, die es überhaupt gibt - Verweigerungspolitik à la Hessen betreibt, ({9}) diesen neuen Entwicklungen auf Bundesebene zunächst im Kompromiß der Länder zustimmt - so Ministerpräsident Börner -, sich dann aber in der eigenen hessischen Fraktion wieder zurückpfeifen lassen muß und alle hessischen Minister und Landtagsabgeordneten der SPD gegen Herrn Börner stimmen, machen Sie doch die Voraussetzungen für eine funktionierende Zukunftsinfrastruktur kaputt, denn das Kommunikationswesen wird das Entscheidende sein, wenn wir in Zukunft mithalten wollen. Dank Ihrer miserablen Politik in dieser Frage waren wir schon dabei, wesentliche mögliche Märkte in den Entwicklungsländern und weltweit zu verlieren, weil die anderen, weil Japan und die USA handeln konnten, während Sie noch diskutiert haben. Die CDU hat diese Phase der nutzlosen Diskussion beendet und überhaupt erst die Voraussetzungen geschaffen, daß auch hier etwas geschehen kann. Ich glaube, es ist ganz wichtig, daß wir dies noch einmal herausstreichen. Deshalb, Herr Wolfram, ist es gar nicht so gut, wenn Sie die hessische Position ansprechen. Ein letzter Punkt. Herr Jung hat von der Last der Fehlentwicklungen gesprochen. Wo kommen diese Fehlentwicklungen her? - Die Fehlentwicklungen resultieren doch aus einer falschen Politik der 70er Jahre, als die Investitionslücke auftrat, als Sie Fehlentscheidungen trafen, die Investitionsabgabe machten, als die Investitionsentwicklung schon negativ war und deshalb die Strukturschwächen, die heute zu beklagen sind, alle hereinkamen. ({10}) - Jetzt weisen Sie nicht auf Herrn Lambsdorff hin. Die Verantwortung liegt doch jeweils - das wollen wir doch mal sagen - bei dem Bundeskanzler. Sie haben doch Ihre Bundeskanzler damals hochgelobt. Wenn die Verantwortung beim Bundeskanzler liegt, muß sie auch in diesem Fall Ihren damaligen Bundeskanzlern zugerechnet werden. Reden Sie sich nicht mit der FDP heraus. Sie suchen doch heute überall die Fehler: in der Weltwirtschaft, bei CDURegierungen, bei der FDP von damals. Fangen Sie doch endlich einmal an, diese Fehler auch bei sich zu suchen. Dann sind Sie an der richtigen Adresse. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Böhm ({0}).

Wilfried Böhm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000218, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In ihrer Antwort auf die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und FDP zur wirtschaftlichen Bedeutung und Entwicklung strukturschwacher Regionen, die heute zur Debatte steht, hat die Bundesregierung wörtlich erklärt: Im Rahmen der Regionalpolitik kommt der Stärkung der Wirtschaftskraft Berlins und des Zonenrandgebiets auf Grund der fortwirkenden besonderen Nachteile aus der Teilung Deutschlands unverändert vorrangige Bedeutung zu. Wir begrüßen diese Feststellung; denn die Bundesregierung bekennt sich damit ausdrücklich zu ihrer besonderen Verantwortung für das Zonenrandgebiet, wie es auch der Bundeskanzler in seinen beiden Regierungserklärungen getan hat. Im Zonenrandgebiet mit seinen 7,2 Millionen Menschen auf rund einem Fünftel der Fläche des Bundesgebietes zwischen Flensburg und Passau nimmt man daher auch dankbar zur Kenntnis, daß diese Bundesregierung ihr Versprechen gehalten und der Zonenrandförderung in den letzten zwei Jahren haushaltspolitisch wieder einen höheren Stellenwert zugemessen hat. Damit wurde der negative Trend gestoppt, der in den letzten Jahren der Regierung Schmidt zu großen Sorgen und Beunruhigungen im Zonenrandgebiet geführt hatte. ({0}) Betrug der auf das Zonenrandgebiet entfallende Anteil der Mittel der Gemeinschaftsaufgabe Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur, die von Bund und Ländern je zur Hälfte aufgebracht werden, 1980 noch 246 Millionen DM, so war er 1982 auf 204 Millionen DM geschrumpft. Mittlerweile beträgt er für das laufende Jahr wieder 251 Millionen DM. ({1}) Die gleiche positive Entwicklung ist bei den Mitteln zur Förderung der sozialen und kulturellen Einrichtungen im Haushalt des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen festzustellen, die in diesem Zusammenhang ebenfalls in die Betrachtungen einbezogen werden müssen. Standen für diese Zwecke im Jahre 1979 noch 141 Millionen DM zur Verfügung, so waren es im letzten Amtsjahr der Regierung Schmidt nur noch 110 Millionen DM. Für 1983 hatte die Regierung Schmidt ganze 100 Millionen DM für diese bedeutende Aufgabe vorgesehen. ({2}) 1985 sind es nun wieder 125 Millionen DM. Sie sehen: Wir sind auch in diesem Bereich dabei, Schritt für Schritt die Fehler und Versäumnisse wiedergutzumachen und zu überwinden, die unter der politischen Verantwortung der SPD in unserem Lande angerichtet worden sind. ({3}) Diese Leistung ist um so höher zu bewerten, als diese Förderung der Investitionspolitik im Zonenrandgebiet in einer Zeit erfolgte, in der größte Anstrengungen zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes unternommen werden mußten. Trotz dieser positiven und dankbar zur Kenntnis genommenen Entwicklung hat seit geraumer Zeit die negative Entwicklung in einzelnen wirtschaftlichen Sektoren, z. B. in den Bereichen Stahl, Kohle und Schiffbau, zu finanziell hochdotierten sektoralen Förderprogrammen geführt, die, bezogen auf die Zonenrandförderung, deren politisch gewollte Priorität schmälert. Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ich halte die soeben erwähnten Pro9820 Böhm ({4}) gramme für unumgänglich und notwendig, aber ihre negativen Auswirkungen auf die Priorität der Zonenrandförderung dürften ebenso unbestritten sein. Ein weiteres Beispiel, das diesen Trend deutlich macht, ist, daß beim Steuerentlastungsgesetz 1984 für Betriebe, die im Forschungs- und Entwicklungsbereich investieren, aber auch für kleinere und mittlere Unternehmen, erhebliche Abschreibungsvergünstigungen geschaffen wurden, die allerdings nicht mit den Sonderabschreibungen im Zonenrandförderungsgesetz kumuliert werden können, so daß damit praktisch unterstellt wird, daß es ausgerechnet im Zonenrandgebiet nicht nötig sei, zusätzliche Anreize für Forschung und Entwicklung oder für kleine und mittlere Unternehmen zu gewähren. Die Beispiele dafür, daß das Zonenrandgebiet ins Abseits der staatlichen Förderungspolitik zu geraten droht, ließen sich noch weiter vermehren. Bedeutungsvoll ist deshalb, daß bei der in den letzten Monaten geführten intensiven Diskussion über die Fortentwicklung der Regionalpolitik die Notwendigkeit der auf klarer gesetzlicher Grundlage stehenden Zonenrandförderung im Grundsatz nicht in Frage gestellt wird. Die vom Wirtschaftsausschuß des Deutschen Bundestages durchgeführte Anhörung hat das deutlich zum Ausdruck gebracht. Dennoch darf nicht übersehen werden, daß es hier und da kritische Stimmen gibt, die die Zonenrandförderung voll und ganz in die Regionalpolitik der Förderung strukturschwacher Gebiete einordnen wollen und den deutschlandpolitischen Charakter der Zonenrandförderung bestreiten. Diese Kritiker übersehen dabei geflissentlich, daß Zonenrandförderungspolitik zwar mit dem Instrumentarium und im Rahmen regionaler Strukturpolitik arbeitet, aber auf einer klaren deutschlandpolitischen Verpflichtung gegenüber dem Zonenrandgebiet beruht. Wir müssen alles tun, um zu verhindern, daß im Herzen Deutschlands ein typisches Grenzgebiet mit abnehmender Bevölkerungsdichte und anfälliger Wirtschaftsstruktur entsteht. Auch nach 30 Jahren hat die Grenze zur DDR und zur CSSR leider noch immer ihren abschreckenden und einer freien wirtschaftlichen Tätigkeit entgegenstehenden Charakter behalten. Die in Jahrzehnten entwickelte Förderungspolitik hat sicherlich das Schlimmste verhindert, aber sie hat, wie man bei einer nüchternen Betrachtung sagen muß, doch auch lediglich dazu beitragen können, daß sich das Entwicklungsgefälle zwischen dem Zonenrandgebiet und dem übrigen Bundesgebiet nicht noch vergrößert hat. Die wirksame Fortsetzung der Förderung des Zonenrandgebietes ist deshalb unerläßlich, um das bisher Erreichte nicht in Frage zu stellen. Ich sagte, die Grenze sei für einen freien Wirtschaftsverkehr nach wie vor dicht. Sie schränkt nach wie vor den Radius freier Wirtschaftstätigkeit erheblich ein. In den letzten Jahren ist überdies zu bemerken, daß gerade das Zonenrandgebiet im innerdeutschen Handel mit der DDR und im Außenhandel mit den Ostblockstaaten zum bevorzugten Ziel einer mit Dumpingpreisen operierenden Absatzpolitik zu werden droht, in erster Linie bei homogenen Massengütern. Der deutschlandpolitische Charakter der Zonenrandförderung kommt auch darin zum Ausdruck, daß der EWG-Vertrag in seinem Art. 92 eindeutig bestimmt, daß Beihilfen für die Wirtschaft zum Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile zulässig sind. Ich möchte daran erinnern, daß sich am 11. März 1982 alle Fraktionen des Deutschen Bundestages gegen Zweifel an der Notwendigkeit und dem Umfang der Zonenrandförderung gewandt haben, die von der EG-Kommission in Brüssel vorgebracht worden waren. Die Gemeinsamkeit der Fraktionen dieses Hauses bei der Politik für das Zonenrandgebiet, die sich in vielen Jahrzehnten bewährt hat und in der gemeinsamen Schaffung des Zonenrandförderungsgesetzes besonders deutlich wurde, sollte fortgesetzt werden und auch in Zukunft erhalten bleiben. Die jüngsten Beratungen im Zusammenhang mit der Rolle des Zonenrandgebietes im 14. Rahmenplan der Gemeinschaftsaufgabe berechtigen zu dieser Hoffnung. Eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben wird sein, zu einer stärkeren Koordinierung der Fachpolitiken zu kommen. Alle Politikbereiche stehen unter dem Auftrag des Zonenrandförderungsgesetzes, dessen § 1 bestimmt, daß die Leistungskraft des Zonenrandgebietes bevorzugt zu stärken ist und der Förderung des Zonenrandgebietes von allen Behörden des Bundes besonderer Vorrang einzuräumen ist. Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die Initiativen des Post- und Fernmeldeministers zugunsten des Zonenrandgebietes im Rahmen der Gestaltung der Nahbereiche im Fernsprechverkehr. Es muß sehr sorgsam geprüft werden, in welchem Maße das Anliegen des Zonenrandgebietes bei dem Angebot von neuen Netzen und Diensten im Bereich der Telematik angemessen berücksichtigt werden kann. Ebenso sorgsam müssen die regionalpolitischen Auswirkungen der Forschungs- und Technologiepolitik gesehen werden. Meine Damen und Herren, unter dem Gesichtspunkt der Zonenrandförderung ist im verkehrspolitischen Bereich die Rolle der Bundesbahn seit langem problematisch. Auch die Bundesbahn muß im Rahmen ihrer Wirtschaftsführungsgrundsätze bestrebt sein, den Bestimmungen des Zonenrandförderungsgesetzes Rechnung zu tragen. ({5}) Für die Zukunft muß sichergestellt werden können, daß im Zonenrandgebiet die für den öffentlichen Personennahverkehr zur Verfügung gestellten Mittel nicht in diametralem Gegensatz zu den Milliarden stehen, die in den Ballungszentren für den öffentlichen Personennahverkehr aufgewendet werden. ({6}) Bei der anstehenden Fortschreibung des Bundesverkehrswegeplanes 1985 wird sich überdies Gelegenheit bieten, den Nachholbedarf zu befriedigen, Böhm ({7}) der im Zonenrandgebiet unter dem Gesichtspunkt der Erschließungsfunktion im Gegensatz zu anderen Teilen der Bundesrepublik Deutschland immer noch besteht. Die Menschen im Zonenrandgebiet haben einen Anspruch auf die Politik des Nachteilsausgleichs, ({8}) als die ich die Zonenrandförderungspolitik verstehe. Diese Politik muß nicht nur fortgesetzt, sondern auch angepaßt und fortentwickelt werden, um ihrem deutschlandpolitischen Auftrag gerecht werden zu können. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Olderog.

Dr. Rolf Olderog (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001645, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst möchte ich mich für das Kompliment bedanken, das Graf Lambsdorff der schleswig-holsteinischen Wirtschaftspolitik gemacht hat. In der Tat, von einem Süd-Nord-Gefälle kann man nicht reden. ({0}) Richtig ist, im Norden haben wir Probleme mit Landwirtschaft, mit Fischerei, Hafenwirtschaft und Werften, aber die Entwicklung muß differenziert gesehen werden. Hamburg, die kranke Metropole, und Bremen haben an Kraft und Ausstrahlung eingebüßt; um so bemerkenswerter ist die positive Entwicklung in Niedersachsen, vor allem aber auch in Schleswig-Holstein. ({1}) In Schleswig-Holstein hat vor allen Dingen die Industrialisierungspolitik der schleswig-holsteinischen Landesregierung zu diesem Erfolg beigetragen. Unverzichtbar und von uns sehr dankbar bewertet wird auch die Leistung der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur", die dazu beigetragen hat, die Wirtschaftskraft und die Wettbewerbsfähigkeit Schleswig-Holsteins zu stärken. Meine Damen und Herren, als einziges Land im norddeutschen Küstenraum konnte Schleswig-Holstein seinen Anteil am realen Bruttoinlandsprodukt des Bundes erhöhen. Das Bruttoinlandsprodukt des Landes stieg von 1970 bis 1983 real um 38%. Das war nach Bayern mit 44 % und Hessen mit 40 % das drittstärkste Wachstum aller Bundesländer. ({2}) Das Wachstum in Schleswig-Holstein liegt heute im Bundestrend. Bei der Entwicklung der realen Bruttoanlageinvestitionen von 1970 bis 1982 liegt Schleswig-Holstein mit 32 % sogar an der Spitze aller Bundesländer. ({3}) Parallel dazu vollzog sich ein Wandel in der schleswig-holsteinischen Industrie. Während die aussichtsreichen Branchen - Maschinenbau, Chemie, Elektrotechnik - ihre Position ausbauten, gingen die Beschäftigten in der Textilindustrie und bei den Werften kontinuierlich zurück. Schleswig-Holstein hat insgesamt auch in den letzten Jahren die niedrigste Arbeitslosenquote der norddeutschen Küstenländer. Berücksichtigt man, daß der Arbeitsmarkt überdurchschnittlich viele junge Menschen aufnehmen mußte, so kann man sogar feststellen, daß Schleswig-Holstein günstiger dasteht als der Bundesdurchschnitt. Meine Damen und Herren, zur Stärkung des internen Entwicklungspotentials des gesamten norddeutschen Raumes ist es notwendig, Forschungs-und Entwicklungspolitik noch stärker in die regionale Strukturpolitik mit einzubinden. Wir müssen vor allen Dingen den Ausbau der Forschungs- und Entwicklungsinfrastruktur weiter vorantreiben. Die Forschungseinrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft oder der Fraunhofer-Gesellschaft sind im Norden leider unterrepräsentiert. ({4}) Die schleswig-holsteinische Landesregierung hat eine technologische Offensive auf allen Gebieten gestartet. Mit der Gründung neuer wissenschaftlicher Institute, der Errichtung technologieorientierter Zentren, der Förderung neuer Perspektiven in der universitären Entwicklung sowie eines verbesserten Informations- und Personalaustausches zwischen Forschung und Wirtschaft will die Landesregierung der wachsenden wirtschaftlichen Bedeutung Schleswig-Holsteins gerecht werden. Sie stärkt damit zugleich den Wirtschaftsplatz Schleswig-Holstein. Meine Damen und Herren, Norddeutschland muß bei der Vergabe der Forschungsgelder des Bundes stärker berücksichtigt werden. ({5}) Mit Recht erklärt die Bundesregierung: Auch die Forschungs- und Technologiepolitik darf regionalpolitische Aspekte nicht ausklammern. - Wir brauchen vor allem in Bonn mehr maritimes Bewußtsein. ({6}) Die Meereswirtschaft wird weiter an Bedeutung gewinnen. Der Bund muß helfen, die norddeutsche Region als attraktiven Standort für die Meereswirtschaft aufzubauen. Da geht es um Meerestechnik, um Meeresbergbau, um die damit verbundenen Dienstleistungen und insbesondere um angewandte Forschung. Meine Damen und Herren, wir stehen am Beginn der Industrialisierung der Meere. Ein gut Stück unserer Zukunft liegt auf oder, noch besser, unter dem Wasser. Und hier liegt die Chance für Norddeutschland und insbesondere auch für Schleswig-Holstein. Vielen Dank. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis. ({0})

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Olderog, Ihr Versuch einer wirtschaftspolitischen Herumruderung hier am Rednerpult kann zwar vielleicht als maritimes Denken betrachtet werden, es war aber eine Menge unter Wasser und wenig, was über Wasser übriggeblieben ist. ({0}) Und wenn Graf Lambsdorff die Wirtschaftspolitik Schleswig-Holsteins gelobt hat, dann muß er einen echten Blackout gehabt haben, oder er wollte jemandem eine Freude machen. Von Realitäten kann er wohl kaum gesprochen haben. Vielleicht nehmen Sie mal die nächste sitzungsfreie Woche und fahren in Schleswig-Holstein herum. Denn Ihr SchleswigHolstein deckt sich mit unserem Schleswig-Holstein der Realität überhaupt nicht. Sie scheinen wohl mehr zu Hause zu sein denn vor der Tür. Fangen Sie doch mal alleine mit der Arbeitslosigkeit an: 27 % in Nordfriesland, 30 % in Tönning. ({1}) - 30% aller Arbeitslosen in dem Wahlkreis, den der Finanzminister vertritt, sind unter 25 Jahre alt. ({2}) Die jungen Leute, die Zukunft des Landes, sind arbeitslos. ({3}) Im Arbeitsamtsbereich Rendsburg stehen genau drei offene Stellen mehr als 300 Teilzeitarbeit suchenden Frauen gegenüber. Wenn Sie sich z. B. die Strukturpolitik in diesem Land angucken, die Sie hier gerade so gelobt haben, so stellen Sie fest: Mit der stillschweigenden Zustimmung des Wirtschaftsministers ist alles stillgelegt worden, was auf Bundesbahnstrecken nicht gerade bis nach Dänemark fährt. Das heißt, Sie haben hier für die Bundesbahn geschrien, haben aber klammheimlich zugestanden, daß bei uns in Schleswig-Holstein Streckenstillegungen stattfinden, daß Sie bei uns in Schleswig-Holstein, wenn Sie von Osten nach Westen, von der Landeshauptstadt zur anderen Seite, fahren, zwei Übernachtungen einrechnen müssen, weil Sie nämlich normalerweise nicht am gleichen Tag wieder zurückkommen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Simonis, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein. Ich habe leider nur drei Minuten Zeit. ({0}) - Wird nicht angerechnet? - Dann ja. Entschuldigung! Wenn es nicht angerechnet wird, dann bitte.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön.

Peter H. Carstensen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000323, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Simonis, wenn Sie von Streckenstillegungen, eventuell auch von dem Abzug von Behörden aus diesen schwachstrukturierten Gebieten sprechen, nach denen Sie ja auch vor kurzem gefragt haben, sollten Sie dann nicht vielleich auch mal sagen, daß man Strukturpolitik in diesen Gebieten am besten in Zeiten guter Konjunktur machen kann, und sollten Sie dann nicht vielleicht auch mal sagen, daß gerade in den Jahren 1973 bis 1982 z. B. aus Dithmarschen 12,2 % Arbeitnehmer, Beamte, aus Bundesbehörden abgezogen worden sind, aus dem Landesteil Schleswig oder aus dem Kreis SchleswigFlensburg über 10 %? Das gehört doch sicherlich auch mit dazu. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete Simonis, diese Zwischenfrage muß ich auf die Redezeit der CDU/CSU anrechnen. ({0})

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Carstensen, da nach dem Grundgesetz für die Regionalpolitik die Länder zuständig sind, kann ich aus Ihrer Frage nur schließen, daß die CDU-Landesregierung, die ja seit 30 Jahren von Ihrer Partei gestellt wird, ({0}) selbst in Zeiten der Hochkonjunktur nicht in der Lage war, ihre Hausaufgaben zu machen. Sie haben also immer schon Flops produziert, offensichtlich auch in Zeiten der Hochkonjunktur. ({1}) Ohne die Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe, die die Landesregierung zur Hälfte Jahr für Jahr nicht abruft, weil sie die Komplementärmittel nicht zur Verfügung stellen kann, ohne die Zonenrandmittel würde es Ihnen doch überhaupt nicht gelingen, einen einzigen Betrieb nach Schleswig-Holstein zu bekommen. Die Wachstumszahlen, die der Kollege Olderog gerade genannt hat, beruhen doch lediglich darauf, daß Sie in Hamburg herumräubern und Piraterie betreiben, versuchen, dort Betriebe abzuwerben, indem Sie ihnen Mittel - ({2}) - Das kann ich Ihnen sagen, warum sie da weggehen: Weil sie Zonenrandmittel und Mittel aus der Gemeinschaftsaufgabe kriegen und uns nach drei Jahren dann eine lange Neese machen und wieder weggehen, weil sie woanders Mittel bekommen. ({3}) Ohne die 170 000 Arbeitsplätze, die die Hamburger Regierung und die Hamburger Wirtschaft sowohl den beiden CDU-Ländern Nordrhein-Westfalen - -({4}) - Oh Gott, Entschuldigung, das wäre ja entsetzlich! Schleswig-Holstein! Freut euch nur nicht zu früh! ({5}) Ohne diese Arbeitsplätze also, die Hamburg den beiden Ländern Niedersachsen und Schleswig-Holstein zur Verfügung stellt, wäre die Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein noch höher, als sie es heute ist. Ich bin davon überzeugt: Wenn Sie sich nicht dauernd auf Hamburg mit seinen Service-Leistungen berufen könnten, wenn Sie nicht die ganze Zeit darauf rechnen könnten, daß dort anständige Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden, wenn Sie nicht damit rechnen könnten, daß sich in Schleswig-Holstein Jugendliche darauf verlassen können, in Hamburg einen Ausbildungsplatz zu bekommen, Sie würden schamrot hier stehen und nicht mal wagen, sich für fünf Minuten zu Wort zu melden. Ich wundere mich wirklich, woher Sie diesen Mut haben. ({6}) Wenn Sie das reale Bruttoinlandprodukt, dessen Anstieg um 5,5 % Sie hier lobend erwähnt haben, einmal anschauen, so denken Sie daran, daß das eine statistische Größe ist, die allein darauf zurückzuführen ist, daß Krümmel ans Netz gegangen ist. ({7}) In Energie einschließlich Kernenergie ertrinkt Schleswig-Holstein in der Zwischenzeit; wir wissen gar nicht mehr, was wir damit anfangen sollen. Wahrscheinlich muß man langsam daran denken, damit die Ostsee zu erwärmen. ({8}) Alles in allem, Herr Olderog: Wenn Sie mit dieser Rede den Versuch gemacht haben sollten, in Schleswig-Holstein jemals einen Posten zu bekommen, so kann ich Ihnen sagen, Sie werden ihn nicht bekommen; eher bekomme ich ihn. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Niegel. ({0}) - Ich kann mich nur nach dem richten, was mir vorliegt. ({1}) Bitte.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Rahmen dieser strukturpolitischen Debatte zu den beiden Großen Anfragen ist zu Punkt 3 c der Tagesordnung über den ERP-Wirtschaftsplan 1985 in zweiter und dritter Lesung zu beraten und Beschluß zu fassen. Der Wirtschaftsausschuß hat einmütig beschlossen, die Annahme der Regierungsvorlage zu empfehlen. Mit dem ERP-Wirtschaftsplan als einem langfristig angelegten Finanzierungsinstrument und mit den ergänzend angebotenen Finanzierungsmitteln vor allem der Kreditanstalt für Wiederaufbau verfügt der Bund in den drei strukturellen Schwerpunkten, nämlich Mittelstand, Umweltschutz und gewerbliche Investitionen in Berlin, über ein umfassendes Instrumentarium zur Stabilisierung und Verbesserung des Investitionsklimas. Hier gibt es keine Strohfeuereffekte, und hier werden dem Bürger auch keine zusätzlichen Lasten aufgebürdet, wie dies bei hastigen Sonderprogrammen unweigerlich die Folge wäre. In diesem Sinne folgt der ERP-Wirtschaftsplan 1985 in seiner Struktur der bewährten Linie seiner Vorgänger. Das Wachstum der Ansätze von 3 % auf rund 4,3 Milliarden DM ist finanzwirtschaftlich verkraftbar; dasjenige der Nettoneuverschuldung - sie beträgt 728 Millionen DM - liegt um 93 Millionen DM niedriger als 1984. Auf diesem Weg müssen wir auch in Zukunft weitergehen, um die Aufwendungen für Fremdmittelzinsen - für 1985 sind dafür 614 Millionen DM vorgesehen - besser in Grenzen zu halten und damit mehr Förderspielraum zu bekommen. Abzüglich dieser Zinsaufwendungen sowie der Vorbelastungen aus früheren Verpflichtungsermächtigungen sieht der ERP-Wirtschaftsplan neue Kreditzusagemöglichkeiten von rund 3,4 Milliarden DM vor. Interessant ist, was man damit fördern kann: Es ist ein Investitionsvolumen von 11 Milliarden DM. Über 2 Milliarden DM oder 60 % des Fördervolumens entfallen auf kleine und mittlere Unternehmen, über 1 Milliarde DM mit Schwerpunkt für Existenzgründungen sowie für die Errichtung und Erweiterung von Unternehmen in Gewerbegebieten und weiterhin 1 Milliarde DM für gewerbliche Investitionen in den Gebieten der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur". Daneben laufen noch einige wenige Programme, die zwar nicht so ins Gewicht fallen, aber in ihrer Einzelbedeutung von enormer Wichtigkeit sind. Eine kurze Bilanz des letzten Jahres: 30 000 Kreditfälle mit Zusagen von 3,6 Milliarden DM - entsprechend 11 Milliarden DM Investitionen - wurden 1984 abgewickelt. Allein die Zahl der bewilligten Existenzgründungsdarlehen betrug 16 000; die Darlehenssumme lag bei über 800 Millionen DM. Nach Berechnungen der Lastenausgleichsbank werden pro Gründung im Durchschnitt 4 bis 5 Arbeitsplätze errichtet; es sind also zwischen 64 000 und 80 000 neue Arbeitsplätze, die so finanziert wurden. Die Mittelstandsansätze sind nach substantiellen Aufstockungen in den Vorjahren in etwa bedarfsgerecht ausgestattet. Etwaige Engpässe können über Zusatzkredite der Lastenausgleichsbank oder auch über die Kredite der KfW aufgefangen werden. Auf diese Weise kann jede wirtschaftlich vernünftige Investition mittelständischer Unternehmen entweder aus ERP-Mitteln oder aus dem Programm der Kreditanstalt langfristig und damit solide zu guten Konditionen mitfinanziert werden. Genauso liegt es bei den Finanzierungshilfen für den Umweltschutz. Hier sieht der ERP-Plan 490 Millionen DM Kreditzusagemöglichkeiten vor. Diese Mittel sollten - wie ich schon im Vorjahr bei der Beratung des ERP-Plans 1984 empfohlen hatte - vorrangig mittelständischen Unternehmen und in zweiter Linie den Kommunen für die Gewässerklärung und Abfallbeseitigung zugute kommen. Bei Großunternehmen, insbesondere solchen mit Monopolstellung, sollte das Subsidiaritätsprinzip strikt angewandt werden, d. h. vor allem Energieversorgungsunternehmen sollte man voll auf den regulären Kapitalmarkt verweisen. Um den Bedarf an Umweltschutzfinanzierungen noch besser zu decken, hätten wir es gern gesehen, wenn man die entsprechenden ERP-Ansätze noch stärker aufgestockt hätte. Das war 1985 jedoch leider nicht möglich. Ich bitte die Bundesregierung, für 1986 den ERP-Haushalt in angemessenem Rahmen zu erhöhen. Finanzierungsengpässe sind dennoch heute nicht zu erwarten; denn die Kreditanstalt für Wiederaufbau bietet aus ihren Eigenmitteln für Umweltschutzinvestitionen der Wirtschaft und den Gemeinden zusätzlich Darlehen im Gesamtbetrag von 3,5 Milliarden DM an, davon je 500 Millionen DM in Fünfjahrestranchen für kleine und mittlere Unternehmen. ({0}) In den vergangenen sechs Monaten sind daraus bereits 360 Millionen DM zugesagt worden. Zusammen mit den ERP-Mitteln und den KfW-Mitteln stehen in den nächsten fünf Jahren also mindestens 1,2 Milliarden DM gezielt für spezielle Umweltschutzinvestitionen zur Verfügung. Meine Damen und Herren, das ist mehr, als jemals zuvor der Wirtschaft und zur Komplementärfinanzierung den Kommunen angeboten wurde.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, da wir noch einen langen Abend vor uns haben, muß ich Sie daran erinnern, daß Ihre Redezeit zu Ende ist.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, da scheint ein Mißverständnis vorzuliegen; denn ich habe von meinem Fraktionsgeschäftsführer 13 Minuten zugesagt bekommen. Ich bin Berichterstatter. Mir steht nach § 28 der Geschäftsordnung jederzeit das Recht zu, als Berichterstatter das Wort zu ergreifen. Ich fahre jetzt als Berichterstatter fort.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege, dazu muß ich Ihnen das Wort geben. ({0}) Ich höre, Sie wollen sich jetzt als Berichterstatter zu Wort melden.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Jawohl.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Die Möglichkeit, dies zu tun, haben Sie. Ich werde ein bißchen aufpassen, daß es eine Berichterstatterrede wird.

Lorenz Niegel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001608, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich darf in diesem Zusammenhang sagen, daß eine Anregung an den Ausschuß gegeben wurde, den ERP-Plan für die nächsten Jahre um 10 Milliarden DM aufzustocken. Ich habe aber ausdrücklich gesagt, daß es nicht angeht, unter diesen Umständen neue ERP-Milliarden-Umweltschutzprogramme aus dem ERP-Sondervermögen zu finanzieren. Das ERP-Vermögen umfaßt nämlich nur 13,9 Milliarden DM. Man kann es dann auf einmal ausgeben, und dann ist kein revolvierender Fonds mehr vorhanden. Keinesfalls würde man mit solchen Programmen Investoren veranlassen, zusätzliche Investitionen sozusagen aus der Hüfte zu schießen. Es können leicht Hoffnungen geweckt werden, die allerdings nicht erfüllt werden können. ({0}) Von dem ERP-Kredit - das darf ich sagen - entfallen über 50 % auf die Bauwirtschaft. ({1}) Das sind mehr als 1,75 Milliarden DM. Umgerechnet auf Investitionen sind dies mindestens 5,5 bis 6 Milliarden DM. Ausdrücklich möchte ich betonen, daß der ERP-Wirtschaftsplan der Strukturförderung und nicht der Sektoral- bzw. Konjunkturförderung dient. Trotzdem sind diese fast 6 Milliarden DM Investitionen für die Bauwirtschaft und insgesamt gesehen rund 11 Milliarden DM Investitionen für die Volkswirtschaft auch konjunkturell nicht uninteressant. Abschließend ein Wort zu den Investitionen in Berlin. Die veranschlagten Mittel - 615 Millionen DM - sind im wesentlichen für die Investitionsförderung in Berlin bestimmt, wegen der besonderen Lage der Stadt also auch für Großunternehmen. Da im übrigen Bundesgebiet die Förderung auf 300 000 DM je Kredit beschränkt ist, stellt dies eine besondere Vergünstigung auch für die Großbetriebe in Berlin dar. Man wird über kurz oder lang diese Praxis nicht mehr aufrechterhalten können. Vielleicht wird sich dann die Kreditvergabe in Berlin an die gewerbliche Wirtschaft zwischen den Bedingungen des Regionalprogramms einerseits und der jetzigen Praxis andererseits einpendeln, etwa analog den in den M-Programmen der KfW vorgesehenen Grenzen. Abschließend noch ein Wort zur Dankesspende, die jetzt das elfte Mal mit 10 Millionen DM an den German-Marshall-Fund in Washington gegeben wird. Sie läuft vertraglich im nächsten Jahr offiziell aus. Ob sie weiter gewährt wird, ist noch nicht bekannt. Falls jedoch eine Verlängerung erfolgt, sollte sie möglichst limitiert und degressiv gestaltet sein. Ein gewisses Mitspracherecht auch des Parlaments und eine stärkere Hinwendung im Ablauf des Programms zur Verbesserung der wirtschaftspolitischen Verhältnisse zwischen den USA und der BunNiegel desrepublik Deutschland wären mein Anmerkposten dazu. Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, der Beschlußempfehlung des Wirtschaftsausschusses zu folgen und dem Gesetzentwurf Ihre Zustimmung zu geben. Vielen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Gibt es einen weiteren Berichterstatter, der das Wort wünscht? - Das ist offensichtlich nicht der Fall. Es steht noch ein Redner auf der Liste. Herr Dr. Kansy, Sie haben jetzt das Wort.

Dr. - Ing. Dietmar Kansy (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001064, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Fast auf den Tag genau vor 20 Jahren, am 8. April 1965, trat nach der Verabschiedung durch dieses Haus ein Gesetz in Kraft, das nur wenige Leute kennen, das Gesetz zur Raumordnung des Bundesgebietes. Vorausgegangen war eine jahrelange Diskussion über Fehlentwicklungen in der Bundesrepublik, die schließlich zu einem interfraktionellen Antrag aller Fraktionen führte. Der Auftrag dieses Gesetzes, gesunde und gleichwertige Lebensbedingungen in allen Teilräumen der Bundesrepublik zu schaffen und zu erhalten, wurde damals sehr weit gesteckt. Ich frage heute, nach 20 Jahren, am Ende dieser Debatte über die Entwicklung strukturschwacher Regionen: Was ist aus dem Auftrag zur Wahrung gleichwertiger Lebensverhältnisse im ganzen Bundesgebiet eigentlich geworden? Meine Damen und Herren, in den letzten 20 Jahren hatten wir fünf oder sechs Regierungen. Natürlich ist in diesen Jahren in den einzelnen Ländern unterschiedliche Politik gemacht worden. Nachdem die Wahlkämpfer zurück nach Düsseldorf gereist sind und angesichts der Tatsache, daß dieses Thema hier schon viel diskutiert wurde, möchte ich mir am Abschluß dieser Debatte und auch aus Zeitgründen und mit Rücksicht auf die wartenden Kollegen weiteres schenken. Meine Damen und Herren, wenn Sie z. B. - die Frau Kollegin Skarpelis-Sperk und auch der Kollege Hinsken sind vorhin ansatzweise darauf eingegangen - in den Raumordnungsbericht der Bundesregierung sehen, werden Sie feststellen, daß sich diese unterschiedlichen politischen Ansätze dort wiederfinden. Wir haben z. B. ländlich geprägte Problemregionen mit hoher Arbeitslosigkeit. Sie sind heute genannt worden, so z. B. Ostfriesland, Niedersachsen und auch das Emsland. Diese Gebiete haben jedoch nach dem Raumordnungsbericht in den vergangenen Jahren eine relativ günstige Entwicklung aufzuweisen. Ich weiß, daß das für die vielen Arbeitslosen dort bitter klingt. Wir haben auf der anderen Seite klassische Wachstumsregionen wie beispielsweise Hamburg und Mittelhessen - das können Sie dem Raumordnungsbericht entnehmen -, in denen eine weniger günstige Beschäftigungsentwicklung zu verzeichnen ist. Aber unabhängig von all diesen politisch verursachten Disparitäten möchte ich jetzt doch einmal feststellen - damit wir den Auftrag des Raumordnungsgesetzes in dieser Debatte nicht ganz vergessen -: Die Probleme der traditionell strukturschwachen Räume haben sich in diesen 20 Jahren eher vergrößert als verkleinert. ({0}) Ich will damit nicht unbedingt sagen, saß die ganze Raumordnungspolitik völlig erfolglos war. Sicherlich sind die Siedlungsstruktur und die Ausstattung mit Einrichtungen der Infrastruktur in den ehemaligen Problemregionen besser geworden, aber hinsichtlich der Arbeitsplätze, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen aus allen Fraktionen, die Sie heute dazu gesprochen haben, sind die vorhandenen Unterschiede eben nicht geringer geworden, sondern sie haben sich - ich sage es noch einmal - trotz des 20jährigen Bestehens des Raumordnungsgesetzes eher vergrößert. Angesichts des Anspruchs der Initiatoren - dieses Gesetz wurde damals von Mitgliedern aller Fraktionen initiiert -, Raumordnungspolitik als angewandte Gesellschaftspolitik zu betrachten - so steht es nämlich in der Berichterstattung zu diesem Gesetz -, muß ich feststellen: Die Abstimmung aller möglichen raumordnerischen Maßnahmen in strukturschwachen Räumen hat nicht so gegriffen, wie sich unsere altvorderen Kollegen das damals vorgestellt haben. Lassen Sie mich an zwei Beispielen klarmachen, daß wir immer noch in der Gefahr sind, diese Fehler zu wiederholen. Wir haben heute mehrfach gehört, daß die Standortstruktur schwacher Räume künftig auch von neuen Informations- und Kommunikationstechnologien beeinflußt wird. Die Bundesregierung mißt diesen Technologien - Herr Bangemann hat es ausgeführt - große Bedeutung zu. Sie können tatsächlich dazu beitragen, die seit langem bestehenden Standordnachteile der peripheren Regionen abzubauen. Aber auf der anderen Seite, meine Damen und Herren, hält es die Bundespost aus ökonomisch verständlichen Gründen für sinnvoll, daß neue Netze vorrangig in Städten, Gemeinden und Kreisen großflächig ausgebaut werden, in denen wegen entsprechender Dichte ein ausreichender Bedarf ermittelt wurde. Durch diese Vorgehensweise kann es dann natürlich dazu kommen, daß sich dort Schwerpunkte der Verkabelung und der Informationstechniken herausbilden und dort die Startchancen auch für moderne Technologien erneut besser sind als in den strukturschwachen Regionen. ({1}) Was früher der schnelle Eisenbahnanschluß oder der Bundesautobahnanschluß der Nachkriegszeit war, kann künftig vielleicht das schneller verlegte Breitbandkabel sein. Ein zweites Beispiel. Die Stadterneuerung - sie ist heute schon angesprochen worden - ist nicht nur hinsichtlich der Verbesserung der Wohnqualität, sondern auch im Hinblick auf die Bauwirtschaft von zunehmender Bedeutung. Die Bundesregierung hat deswegen die Städtebauförderungsmittel von 1982 bis 1985 um 50 % erhöht, da eine Mark Bundesmittel je eine weitere Mark Landes- und Gemeindemittel und viele Mark privates Geld mobilisiert. Die Länder möchten nun im Rahmen der Entflechtung von Gemeinschaftsausgaben - und zwar interessanterweise alle Länder, von Herrn Rau bis zu Herrn Strauß, von Herrn Albrecht bis zu Herrn Späth - künftig die Städtebauförderung selber machen. Ich habe aus der Sicht der Bundesländer mit geschrumpften Aufgaben in den letzten Jahren dafür ein gewisses Verständnis. Auf der anderen Seite besteht natürlich durch solches Wollen die große Gefahr, daß die etwas reicheren Bundesländer künftig mehr für die Stadterneuerung tun können, mit dem Ergebnis, daß die Attraktivität weiter steigt, und andere Regionen abfallen. Während wir unterschiedliche regionale Entwicklungen beklagen und alle Jahre hier dicke Raumordnungsberichte mit vielen Statistiken und bunten Karten entgegennehmen, in denen immer wieder die Fehlentwicklungen analysiert sind, entstehen vor unseren Augen neue Fehlentwicklungen und neue ungleiche Bedingungen. Es ist hier nicht der Tag - ich weiß es -, die programmatischen Schwerpunkte der Raumordnung zu diskutieren. Die Bundesregierung leitet gerade einen entsprechenden Bericht dem Parlament zu. Wir werden das Thema in diesem Jahr sicher noch ausführlich diskutieren müssen. Aber eines steht fest: Wenn Bundesraumordnungspolitik noch einen Sinn haben soll - ich wiederhole mich: in der Zeit, in der das Gesetz besteht, hatten wir die Regierungen Erhard, Kiesinger, Brandt, Schmidt und Kohl -, wenn also der Anspruch des Raumordnungsgesetzes noch besteht, müssen neue klare Prioritäten gesetzt werden, um den Herausforderungen zu begegnen, die sich aus den veränderten ökonomischen Bedingungen, insbesondere aus den Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, aber auch aus den Auswirkungen auf Grund ökologischer Probleme ergeben. ({2}) Das ist zwar nicht allgemein Aufgabe des Bundes, sondern in erheblichem Umfang Aufgabe der Länder. Aber ich meine, das ist Aufgabe auch des Bundes. Denn dort, wo er zuständig ist - im Bereich der Post, im Bereich der Bahn, im Bereich des Bundesfernstraßenbaus, bei Standortentscheidungen für Bundesbehörden; es ist vorhin schon angesprochen worden -, muß der Bund vorbildlich vorangehen. Meine Damen und Herren, all das, worüber wir sicherlich, so hoffe ich jedenfalls, nach wie vor in den Fraktionen dieses Deutschen Bundestages Einigkeit haben, wird natürlich nur dann gelingen, wenn die wirtschaftlichen und die politischen Rahmenbedingungen stimmen. Ich meine, wenn man sich der Problematik der Raumordnung stellt: Weder eine Politik, die die Belastbarkeit der Wirtschaft testet, noch eine Null-Bock-Mentalität oder eine Kombination von beiden werden uns hier weiterhelfen, sondern bei aller staatlichen Unterstützung und aller Raumordnung brauchen wir eine flexiblere marktwirtschaftlich orientierte Strukturpolitik, die auf Mobilität der Arbeit, die auf Mobilität des Kapitals setzt und auch mutig genug ist, dort, wo es notwendig ist, verkrustete Strukturen aufzubrechen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen zu dieser Debatte nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Punkt 3 c der Tagesordnung, den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Wirtschaftsplans des ERP-Sondervermögens für das Jahr 1985 auf Drucksache 10/2708. Ich rufe die §§ 1 bis 11 mit dem Gesamtplan des ERP-Sondervermögens 1985, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind bei Stimmenthaltung einer Fraktion angenommen. Wir treten in die dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Damit ist der Gesetzentwurf mit großer Mehrheit bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE GRÜNEN angenommen worden. Ich bin gebeten worden, eine amtliche Mitteilung zur Verlesung zu bringen. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die heutige Tagesordnung um zwei Zusatzpunkte erweitert werden. Diese Punkte sind in der Liste „Zusatzpunkte zur verbundenen Tagesordnung", die Ihnen vorliegt, unter Nr. 2 und 3 aufgeführt: 2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({1}) - Drucksachen 10/3002, 10/3198 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer 3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({3}) - Drucksachen 10/3003, 10/3199 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer Vizepräsident Westphal Die beiden Zusatzpunkte sollen nach Punkt 14 der Tagesordnung aufgerufen werden. Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich rufe nun Punkt 4 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Miltner, Dr. Laufs, Broll, Carstensen ({4}), Regenspurger, Biehle, Dr. Olderog, Clemens, Schmidbauer, Kalisch, Weiß, Dr. Blank, Dr. Blens, Fellner, Lenzer, Kolb, Dr. George, Schemken, Schulhoff, Dr. Götz, Krey, Schneider ({5}), Höffkes, Dr. Becker ({6}), Link ({7}), Dr. Hoffacker, Ganz ({8}), Brunner, Dr. Möller, Dr. Jobst, Hinsken, Dr. Riedl ({9}), Milz, Dr. Faltlhauser, Susset, Sauer ({10}), Seehofer, Lowack, Niegel, Pfeffermann, Jäger ({11}), Pohlmann, Sauter ({12}), Keller, Dr. Schroeder ({13}) und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Hirsch, Baum, Kleinert ({14}), Beckmann, Wolfgramm ({15}), Dr. Feldmann, Ronneburger und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des 2. Haushaltsstrukturgesetzes - Drucksache 10/2970 -Überweisungsvorschlag des Ältestensrates: Innenausschuß (federführend} Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Verteidigungsausschuß Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Kein Widerspruch. - Dann ist das so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Broll.

Werner Broll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Ziel dieses Gesetzentwurfes ist es, eine gewisse Härte, ja, eine Ungerechtigkeit wenigstens teilweise abzumildern, die einem Teil der Beamtenschaft durch die Regierung Schmidt mit dem 2. Haushaltsstrukturgesetz 1981 zugefügt worden ist. Seit 1966 nämlich gilt im Beamtenrecht der Grundsatz, daß einem Beamten, der einen Pensionsanspruch hat und gleichzeitig aus einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit einen Rentenanspruch, von der Pension genauso viel abgezogen wird, wie die Rente ausmacht. Er erhält also in Wirklichkeit nur die Summe, die er als Pensionär erhält. Die Rente verschwindet sozusagen in seiner Pension. Das ist 1966 beschlossen worden und gilt seitdem für alle Beamten, die seit dem 1. Januar 1966 in den öffentlichen Dienst eingetreten sind. Die Überlegung, die diesem damaligen Gesetz zugrunde lag, beruht auf der Annahme, daß zwei Altersruhegelder, nämlich Rente und Pension, jeweils auf einem Teil des Arbeitslebens beruhend, zusammen erheblich größer sein können, als es eine Rente oder eine Pension wäre, wenn jemand nur Tarifbediensteter - und dann Rentner - oder nur Beamter - und dann Pensionär - wäre. Man hat aber 1966 ausdrücklich all die Beamten von dieser Anrechnung ausgenommen, die bereits vor 1966 Beamte oder im Ruhestand waren. Es ist ja ein Rechtsgrundsatz, daß erworbene Rechte aus Gründen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes nicht zerstört werden dürfen. Erst 1981 kam dann die damalige Regierung Schmidt auf die Idee, auch für solche Beamte, die schon vor 1966 Beamte waren, diese Anrechnung rückwirkend einzuführen, um so zu Haushaltseinsparungen zu kommen. Seit 1981 kann es also passieren, daß z. B. einem 75jährigen Pensionär - es gibt konkrete Fälle, die mir jetzt vor Augen stehen -, der als ehemaliger Polizeibeamter einen Pensionsanspruch von 1 500 DM und gleichzeitig, weil er nach dem Kriege nicht mehr dienstfähig war, sondern Angestellter wurde, einen Rentenanspruch von 1 000 DM und somit ein Gesamtaltersruhegeld von 2 500 DM hat, nun Schritt für Schritt, Jahr für Jahr soviel von der Pension abgezogen wird, wie die Rente ausmacht. Am Ende hat dieser Mann ein Altersruhegeld nicht in Höhe von 2 500 DM, sondern in Höhe von 1 500 DM, ein Mann, der sich in seinem ganzen Leben, auch in seiner Lebenshoffnung auf die größere Summe hat einstellen können. Für solche älteren Beamten und Pensionäre brach 1981 eine Welt an Vertrauen und auch an Sicherheit für ihr persönliches Leben zusammen. ({0}) Wir haben seinerzeit, als wir die Regierung übernommen haben, gleich versprochen, uns für eine Härteregelung bezüglich des berühmten § 55 des Beamtenversorgungsgesetzes einzusetzen. Nach langen, intensiven Bemühungen mit dem Bundesfinanzminister und in unserer eigenen Koalition ({1}) - und den Haushaltspolitikern, lieber Herr Kollege Gerster; Ihnen in diesem Zusammenhang ein besonderer Dank - ist es uns gelungen, in der Koalition eine Härteregelung durchzusetzen, obwohl sie den Bund, die Länder und die Gemeinden bereits in der Mitte des nächsten Jahrzehnts sehr viel Geld kosten wird. Die Härteregelung sieht vor, daß nicht die gesamte Rente im Pensionsanspruch aufgeht, sondern daß 20 % einer Rente oberhalb der Höchstpension erhalten bleiben sollen. Das ist zugegebenermaßen eine sehr pauschale Regelung. Wir haben uns im Ausschuß - die beteiligten Abgeordneten haben dies auch privat getan - auch andere Mög9828 Broll lichkeiten überlegt. Sollte man - das wäre eine Variation gewesen - nicht lieber bei jedem Beamten, der nur zeitweilig Beamter gewesen ist, sozusagen seine Karriere individuell nachzeichnen? Welche Besoldungsstufe hätte er - ein normaler Verlauf seiner Karriere zugrunde gelegt - erreichen können? Müßte man seine Pensionsansprüche etwa danach bemessen? Solche und andere Überlegungen sind außerordentlich schwierig, wären in der Wirklichkeit unpraktikabel und würden zu unendlich vielen Prozessen und Streitigkeiten zwischen Dienstherrn und den einzelnen Ruhegehaltsempfängern führen. Wir sind zu der Überzeugung gekommen, daß die zwar pauschale, aber im großen und ganzen durchaus akzeptable Regelung, wonach 20 % einer Rente oberhalb der Höchstpension erhalten bleiben, die vernünftigste Regelung ist. Wir bitten die Pensionäre, die durch das Gesetz von 1981 betroffen waren, zu verstehen, daß mehr nicht möglich ist. Durch den von uns jetzt vorgelegten Gesetzentwurf machen wir deutlich, daß wir die Betroffenheit dieser Beamten, die sich vor allen Dingen in ihrem Rechtsgefühl verletzt vorkommen, ernst nehmen und unser Versprechen halten, das wir zu Beginn unserer Regierungszeit gegeben haben. Wir werden diesen Gesetzentwurf - da sind sich die Fraktionen des Hauses einig - im Innenausschuß sehr bald beraten. Wir werden ihn noch vor der Sommerpause beschließen. Das Gesetz wird dann ab 1. Januar 1986 gelten, und zwar neben jenem anderen Strukturgesetz, das wir angekündigt haben und das die Regierung vorbereitet, ein Gesetz, das dann - mit besonderen Vergünstigungen gerade für den einfachen und mittleren Dienst - ebenfalls ab 1. Januar 1986 gelten wird. Herzlichen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Bernrath.

Hans Gottfried Bernrath (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000161, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir stimmen sicher in einem überein, Herr Broll, daß die 1981 beschlossene Regelung Härten gezeigt hat, Härten, die erst sehr spät erkennbar wurden, weil der Verwaltungsvollzug sehr, sehr lange Zeit in Anspruch genommen hat. Nicht zuletzt war auch die Zahl der von der Regelung zum § 55 nach dem Haushaltsstrukturgesetz von 1981 Betroffenen sehr viel höher, als damals auch bei den zuständigen Ministerien vermutet wurde. Es sind fast 500 000 Rentner und Ruheständler, die auf diese Weise in Anspruch genommen worden sind. Wir stimmen wahrscheinlich nicht darin überein, daß es, wie Sie meinten - Sie haben es nicht wörtlich, aber doch dem Sinn nach gesagt -, eine eher willkürliche Regelung war, eine Regelung, die man vielleicht nur aus den Zwängen des Wirtschaftens im Haushalt begründen konnte. Wir haben damals ausdrücklich darauf hingewiesen, daß erwartet wird, daß parallel dazu im öffentlichen Dienst im Tarifvertragsbereich Überversorgungen, die sich aus den bisher günstigen Entwicklungen in der Zusatzversorgung ergeben haben, abgebaut werden. Inzwischen gibt es eine Reihe solcher Tarifverträge, die die Überversorgung, also eine Versorgung über 100 % hinaus, beseitigen - jedenfalls mit den auch aus rechtstaatlichen Gründen notwendigen Fristen. Es besteht kein Anlaß, heute zu beklagen, daß die 55er Regelung gemacht worden ist. Es besteht lediglich Anlaß - ich sage noch einmal: darin stimmen wir überein -, Härten, die jetzt erkennbar geworden sind, zu beseitigen. Wir meinen aber, daß die von Ihnen vorgeschlagene pauschale Regelung nicht die richtige ist. Sie wird den durch Härten betroffenen Rentnern keine Entlastung - und wenn, dann erst sehr spät - bringen. Die pauschale Anrechnung von 20% der Rente, die erhalten bleiben soll, wird frühestens dann wirksam werden, wenn der Ausgleichsbetrag, den wir damals ebenfalls vereinbart haben, aufgezehrt ist und unter die 20-%-Marke sinkt. Das wird erst in sehr vielen Jahren der Fall sein. Das werden manche gar nicht mehr erleben. Das wird insbesondere - ich erwähne das, weil Sie auch darauf Ihr Beispiel abgestellt haben - bei den Renten und Versorgungsbezügen, die sehr hohen Kürzungen ausgesetzt waren, erst sehr spät eintreten, weil hier der Ausgleichsbetrag sehr lang wirksam bleibt: bis in die frühen 90er Jahre hinein. Darum haben wir im Innenausschuß schon bei einem Vorgespräch, bei einer Erörterung, die wir im Zusammenhang mit dem § 5 hatten, darauf hingewiesen, daß es besser wäre, wir würden uns die Härten einmal darstellen lassen und dann vielleicht gezielte - auch zusammenfassende, aber doch gezielte - Regelungen verabreden und in eine Neuregelung einbringen. Ich meine, das sollte nach wie vor gelten. Wir bitten auch um diesen Härtenbericht. Was wir dazu bekommen haben, gibt keinen Einblick in die Bedingungen, die sich aus der damaligen Regelung ergeben haben. Ich glaube, hier spielt der Wahltermin ein bißchen eine Rolle, und Sie wollten das nun auf den Tisch bringen. ({0}) - Natürlich nicht! Darum: Statt der pauschalen, wahrscheinlich - ich sage es noch einmal - schlechten Regelung wäre - wir werden das ja im Innenausschuß erörtern - besser auf Gruppen von Einzelfällen abzustellen. Man könnte sie vielleicht in fünf, sechs Kategorien fassen, so daß man gezielt und schneller wirksam werdend ausgleichen könnte. Ich möchte abschließend sagen, daß wir den von Ihnen jetzt vorgeschlagenen Weg schon im Jahre 1983 diskutiert haben. Er ist damals auch von uns einmal ins Auge gefaßt worden. Er ist von der CDU/ CSU damals im Ausschuß abgelehnt worden. Wenn wir uns damals darauf verständigt hätten, hätte eine solche pauschale Regelung, als wir die einzelnen Härten noch nicht erkannten, durchaus sinnvoll sein können. Wir hätten drei Jahre früher den betroffenen Pensionären und Rentnern einige Erleichterungen vermitteln können. Insofern verstehe ich Ihren Hinweis auf erworbene Rechte nicht ganz. Das hätte sicher auch damals gegolten. Im übrigen: Wenn Sie das, was Sie sagen, wirklich durchsetzen wollen, nämlich erworbene Rechte sichern - Treu und Glauben spielt hier sicher eine sehr große Rolle -, könnte man das ganz einfach dadurch machen, daß man im alten Haushaltsstrukturgesetz den Art. 2 § 2 Abs. 4 streicht, der die Verringerung des Ausgleichs über die Jahre festlegt. Wenn man das abstoppt, hat man sofort den vollen Ausgleich für die Rentner, die hier betroffen sind. Das entspräche jedenfalls Ihren vielen Beteuerungen. Aber, wie gesagt, wir müssen uns jetzt über den vorliegenden Vorschlag unterhalten. Wir glauben nicht, daß das pauschale Ausgleichen sinnvoll ist und schnell etwas bringt. Wir möchten die gezielte, auf bestimmte Kategorien von Betroffenen abgestellte Einzelregelung. Darüber unterhalten wir uns mit Ihnen auch sehr gern im Haushaltsausschuß. Unsere Bitte an die Bundesregierung ist, möglichst schnell einen Härtebericht vorzulegen, der auch etwas aussagt und eine Verhandlungsgrundlage abgeben kann, so daß wenigstens vor der Sommerpause die von Ihnen gewünschte oder die von uns angestrebte Regelung gemeinsam beschlossen werden kann. Danke schön. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts der sehr eingehenden und überzeugenden Ausführungen meiner Kollegen Broll und Bernrath möchte ich eigentlich zum Schluß meiner Ausführungen kommen. ({0}) Herr Bernrath, wenn Sie das, was wir vorschlagen, schon 1983 überlegt haben, kann es j a eigentlich auch von Ihrem Standpunkt aus so schlecht nicht sein. ({1}) - Das ist auch heute nicht so schlecht. Jeder weiß nach diesen eingehenden Ausführungen genau, um was es geht. Der Punkt ist doch einfach der gewesen: Wenn man sowohl einen Pensionsanspruch wie einen Rentenanspruch hat - und zwar durch eigene Arbeit erarbeitet -, dann ist es ja unangenehm, wenn beide Ansprüche gegeneinander verrechnet werden sollen. Das haben wir in zwei Etappen beschlossen. Wir haben das einmal für die Zukunft beschlossen, nämlich für Beamtenverhältnisse, die nach 1966 begründet wurden, so daß sich jeder, der Beamter wurde, darauf einstellen konnte. Dann haben wir das mit dem zweiten Haushaltsstrukturgesetz - da hat Herr Broll recht - 1981 rückwirkend für alle Beamtenverhältnisse eingeführt. Das hat eben zu den Härten geführt, und zwar mit der unangenehmen und schwierigen Folge - die ja einsehbar ist -, daß sich diejenigen, die davon betroffen wurden, bei der Gestaltung ihrer Altersversicherung darauf nicht einstellen können. Wir haben dann in der Tat gemerkt, daß es eine Reihe von Härtefällen gibt - wenn ein Härtebericht gemacht wird - einverstanden; dagegen ist gar nichts einzuwenden -, in denen die Betroffenen in einer unangemessenen Weise tangiert sind. Es ist in der Tat richtig, diesen gesetzgeberischen Sündenfall in seiner Wirkung zu mildern, mit dem wir rückwirkend in Vertrauenstatbestände eingegriffen haben, so daß die Beteiligten darauf nicht mehr reagieren und nichts mehr verändern konnten. Wir haben lange darüber verhandelt, wie man das machen kann. Es ist auch richtig, daß die Wirkungen erst allmählich eintreten. Das erleichtert uns aber natürlich auch die haushaltsmäßige Bewältigung dieses Problems; denn wenn man das durchrechnet, kommt man nach einer gewissen Zeit zu ganz ordentlichen Beträgen. Es ist also schon eine Maßnahme, die wirkt; denn sonst wäre es ja nach einer gewissen Zeit haushaltsmäßig nicht spürbar. Insofern war es gar nicht einfach, die Zustimmung aller Beteiligten dazu zu bekommen. Ich bin sehr froh, daß es uns nun gelungen ist - nicht etwa mit Rücksicht auf den 12. Mai 1985; wir reden darüber ja seit über einem Jahr -, zu einem Abschluß zu kommen und zu sagen: Wir bringen dieses Gesetz ein, und wir wollen es in der Tat so schnell wie möglich vor der Sommerpause gemeinsam verabschieden - wir hoffen, daß uns das gelingt -, weil es ein praktikabler Weg ist. Zwar werden Härten in einer pauschalen Weise, aber praktikabel, für die Betroffenen spürbar abgemildert. Vielen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich danke allen Fraktionen für die sparsame Inanspruchnahme unserer wertvollen Redezeit. Ich stelle fest, daß weitere Wortmeldungen nicht vorliegen. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/2970 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Innenausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung und den Verteidigungsausschuß sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 der Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Beratung der Großen Anfrage des Abgeordneten Stratmann und der Fraktion Vizepräsident Westphal DIE GRÜNEN Risiken des Schnellen NichtBrüters in Kalkar - Drucksachen 10/2964, 10/3157 Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/3200 und 10/3201 Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem Abgeordneten Schulte ({0}).

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! ({0}) Mit dem Schnellen Brüter in Kalkar entsteht derzeit das teuerste, gefährlichste und zugleich das unsinnigste Großprojekt, was jemals auf dem Boden der Bundesrepublik errichtet worden ist. Diese seit Jahren von Bürgerinitiativen sowie unabhängigen Wissenschaftlern geäußerte Auffassung wird durch die Antwort der Bundesregierung auf unsere Große Anfrage zu den Risiken des Schnellen Brüters in Kalkar nochmals bestätigt. ({1}) Das 6,5 Milliarden DM teure Monstrum aus Stahl und Beton einschließlich Stacheldraht und Wassergraben steht symbolisch für einen Wachstums- und Fortschrittsglauben, dem ein lebensbedrohender Machbarkeitswahn als Triebfeder zugrunde liegt. ({2}) Wie stark die Bundesregierung diesem ungebrochenen Fortschrittsfanatismus verfallen ist, spiegelt sich ebenfalls in der Antwort auf die Große Anfrage wider. So glaubt die Bundesregierung weiterhin, daß das Märchen von der Erschließung einer praktisch unerschöpflichen Energiequelle durch die Brütertechnologie wahr ist. Statt dessen muß klargestellt werden, daß allein durch die zehn Jahre lange Bautätigkeit bisher eine gigantische Energiemenge verschleudert worden ist. Es ist fraglich, ob innerhalb einer Betriebsphase des Schnellen Brüters diese Energiemenge überhaupt jemals produziert werden kann. ({3}) Was die ständig propagierte Fähigkeit, das Erbräten zusätzlicher Kernbrennstoffe, angeht, so muß auch der Forschungsminister eingestehen, daß bei der vorgesehenen Kernversion eine Brutrate von über 1 nicht erreicht werden kann. Hätte man diese Tatsache, daß es sich hier eigentlich um einen Nichtbrüter handelt, schon vor Jahren publik gemacht, so wäre sicherlich die Finanzierung aus öffentlicher Hand noch eher und massiver in Frage gestellt worden. ({4}) Vielleicht hätte diese Erkenntnis schon bei der legendären Kalkarentscheidung im Jahre 1978, als der FDP-Chef Genscher sechs Kollegen seiner Fraktion knechtete, bis sie ebenfalls bereit waren, einen eindeutigen Parteitagsbeschluß gegen Kalkar zu mißachten, der einzigartigen Steuergeldverschwendung am Niederrhein ein Ende gesetzt. ({5}) Hätte man dann nur einen Teil der Bausumme in die Entwicklung regenerativer Energiequellen und für konsequente Energiesparmaßnahmen gesteckt, so würden wir heute weniger Arbeitslose und mehr saubere Luft haben. ({6}) Statt dessen aber brütete man jahrelang das technologische Windei am Niederrhein weiter aus, obwohl bis heute die wirtschaftliche Nutzung völlig unklar ist. Die Bundesregierung kommt mir vor wie eine Henne, die auf einem Giftei sitzt. ({7}) Zitat aus der Antwort der Bundesregierung: „Verläßliche Aussagen über die Zukunft des kommerziellen Einsatzes der Brütertechnologie sind gegenwärtig nicht möglich." Ein bezeichnendes Eingeständnis! Es wird allerhöchste Zeit, daß der Bundesrechnungshof sich mit dieser Fehlsubventionierung befaßt. ({8}) Unser Antrag dazu liegt Ihnen vor. Meine Damen und Herren, zu dem volkswirtschaftlichen Trauerspiel kämen bei der Inbetriebnahme des SNR 300 bisher nie dagewesene Gefahren für die Bevölkerung hinzu. Denn nur bei dem Schnellen Brüter können atombombenähnliche Explosionen mit unvorstellbarer Freisetzung von Radioaktivität entstehen. ({9}) Eine solche jederzeit mögliche Katastrophe hätte mehrere hunderttausend Tote und Strahlenverletzte zur Folge. ({10}) Angesichts dieser Fakten können wohl nur andere Gründe für den Weiterbau ausschlaggebend sein. ({11}) Schulte ({12}) - Nun hören Sie doch bitte erst einmal zu. ({13}) Der wesentlichste dürfte wohl auf militärischer Ebene zu suchen sein. ({14}) Ein Hinweis darauf, daß selbst Bundestagsabgeordnete bereits seit etlichen Jahren über die militärischen Aspekte Bescheid wissen, findet sich in einer 1980 fertiggestellten Studie des Battelle-Institutes Frankfurt. Bei der im Auftrag des Bundesinnenministeriums durchgeführten Untersuchung mit dem Titel „Das Projekt SNR 300 - politische Willensbildung und Entscheidung" wurden Interviews mit Experten aus den mit dem Schnellen Brüter direkt und indirekt befaßten Institutionen durchgeführt. Im Abschnitt „Untersuchungsbefunde" aus den Expertengesprächen findet sich folgende Passage: Die Nähe zum militärischen Bereich wird von einer Position der politischen Mitte im Bundestag heraus behauptet. Der Schwerpunkt der fortgeschrittenen Reaktortechnik habe auf dem Natriumbrüter gelegen, und die Brütertechnologie auch der Natriumlinie habe ihre Anreize aus dem militärischen Bereich gezogen. Sehr früh schon seien Brutreaktoren nicht als Leistungsreaktoren betrieben worden, sondern ausschließlich zur Produktion waffenfähigen Materials. ({15}) - Wer zur Mitte des Parlaments gehört, wissen Sie j a wohl besser als ich. ({16}) - Ja, Sie gehören auch dazu. Das sind rechte Sozialdemokraten, linke CDUler, und früher war das einmal die FDP. Aber die steht heute woanders. ({17}) Diese klare Äußerung eines Abgeordneten aus der politischen Mitte wird bekräftigt durch die Entwicklungen in anderen Ländern. Jedermann weiß, daß in den Nuklearstaaten wie der Sowjetunion und Frankreich seit Jahren die Brütertechnik mit dem militärischen Bereich eng verflochten ist. Meine Damen und Herren, bei der Inbetriebnahme des Kalkar-Brüters entstünden jährlich 50 kg waffenfähiges Plutonium. ({18}) - Genau. ({19}) Da aber die Regierung in ihrer Antwort dies erstmals bestätigt und gleichzeitig nicht ausschließt, Brüter-Plutonium in Atomwaffenstaaten exportieren, würde sich in diesem Fall die BRD erstmalig direkt am Bau von Atombomben beteiligen. Ein Ja zum Brüter heißt also auch ein Ja zum potentiellen Atomwaffenstaat BRD. ({20}) Somit ist für die Fraktion der GRÜNEN auch aus friedenspolitischer Sicht der Antrag zum Baustopp und zur Nichtinbetriebnahme des Schnellen Brüters in Kalkar dringend notwendig. ({21}) Es ist aber zugleich auch deshalb notwendig, weil die Wähler in NRW ein Recht haben, noch vor der Landtagswahl am 12. Mai zu wissen, wo die Jeinsage-Partei SPD diesmal steht. ({22}) Meint sie das Motto „Arbeit und Umwelt" wirklich ernst, so kann angesichts der drohenden - hören Sie gut zu - Arbeitsplatzvernichtung bei der Steinkohle durch die Förderung der Atomenergie und angesichts der immensen Umweltgefahren und Umweltzerstörungen durch den Brüter die Entscheidung nur ein klares Nein zu Kalkar sein. ({23}) Mehr noch: Wer Kalkar betreiben will, setzt langfristig auf Schnelle Brüter. Wer die Schnellen Brüter und den Marsch in die Plutoniumwirtschaft nicht will, muß den SNR 300 in Kalkar stoppen. Im März 1983 überraschte der ehemalige SPDForschungsminister von Bülow die Öffentlichkeit mit der Forderung, den Schnellen Brüter in Kalkar und den Hochtemperaturreaktor Hamm „trotz fortgeschrittener Baustadien einzumotten". Ihr möglicher Nutzen steht in keinem Verhältnis mehr zu den weiteren Kosten des Gesamtsystems. ({24}) Gegenüber der „Tageszeitung" erklärte der SPDExperte am 11. März 1983 auf die Frage, welchen Grund es noch für den Weiterbau des Projektes gebe: Es gibt keinen, es sei denn, die Stalingrad-Mentalität, die bei manchen Leuten vorherrscht, daß man auch angesichts der Aussichtslosigkeit, das gesetzte Ziel je zu erreichen, bis zum letzten Mann, bis zur letzten Mark kämpft. ({25}) Diesen Worten habe ich nichts hinzuzufügen. Beweisen Sie, daß Sie die Stalingrad-Mentalität ablegen. Mit Ihrer Zustimmung zu unserem Baustoppantrag kann der Bundestag die Entwicklung der BRD zu einem zivilen und militärischen Plutoniumstaat mit all seinen Gefahren stoppen. Schulte ({26}) Danke schön. ({27})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Seesing.

Heinrich Seesing (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002142, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Diese Ausführungen des neuen Kollegen der Fraktion DIE GRÜNEN haben mir die Stimme verschlagen. ({0}) Ich bitte um Verständnis, wenn ich nicht so klar und deutlich sprechen kann, wie ich es sonst gewöhnlich tue. Ich muß gestehen: So viel Unsinn, wie jetzt geredet worden ist, habe ich in diesem Hohen Hause in den zwei Jahren noch nicht gehört. ({1}) Ich möchte versuchen, die Dinge wieder auf einen sachlichen Rahmen zurückzuführen. Als man Anfang der 70er Jahre an die Feinplanung und schließlich an die Bauausführung eines Prototyps des SNR 300 ging, hatten die damals Mächtigen in diesem Lande - damit sind auch Sie gemeint - andere Vorstellungen von der zukünftigen Energieversorgung als Sie und wir heute. ({2}) Ich erinnere mich an eine der ersten Sitzungen des Kreistages Kleve, in der das Projekt Schneller Brüter vorgestellt wurde. Damals ging man davon aus, daß in diesem Jahrzehnt - also in den 80er Jahren - eine Anzahl von Schnellen Brütern, verbunden mit ein oder zwei Wiederaufbereitungsanlagen, für eine Vielzahl von anderen Kernkraftwerken Brennstoff erbrüten sollte. ({3}) Kaum hatte man allerdings den Grundstein zu diesem Prachtbau gelegt, änderten sich Einstellungen und Vorgaben rasant. 1972 glaubte am Niederrhein noch jeder, daß das Kraftwerk spätestens nach sechs Jahren fertiggestellt sei, daß man also einen schnellen Bau erleben würde. Eine Milliarde DM sollte das Ding kosten, bald waren es zwei, dann drei Milliarden DM. Danach fing es an, unübersichtlich zu werden. Es gab sogar einmal einen Politiker im Lande NordrheinWestfalen, der aus dem schönen Brüter eine Plutoniumvernichtungsanlage machen wollte. Die sogenannten Teilerrichtungsgenehmigungen konnten von dem zuständigen Minister nicht unterzeichnet werden, weil ein mit zur Unterzeichnung Berechtigter den Vorgang von der einen Seite des Schreibtisches zur anderen schob, bis es einfach nicht mehr ging. Die Leute am Niederrhein haben sich zuerst über diese Genauigkeit gefreut. Sie nahmen an, daß der Brüter so viel sicherer würde, wenn man nur genügend neue Auflagen erteilte. Je länger das Ganze aber dauerte, um so mehr merkte man aber auch, daß man ein sicheres Ding zwar verfeinern, aber nicht grundsätzlich umkrempeln sollte. Viele Auflagen wurden erfüllt. Aber Zeit- und Geldaufwand stehen in keinem Verhältnis zu dem Erreichten, wobei ich ausdrücklich jede Verbesserung und allerstrengste Genauigkeit in der Überprüfung der technischen Vorgaben begrüße. Ein paar Bemerkungen seien mir gestattet zum Lehrstück „Umgang mit Geld anderer Leute" am Beispiel des SNR 300. Wenn es um das Geld geht - präziser: um das eigene Geld -, ist die Umwelt vor Überraschungen nicht sicher. Die Überraschung boten im Falle des SNR 300 in Kalkar die Elektrizitätsversorgungsunternehmen und die bauende Industrie. Seit geraumer Zeit - genauer: seit Winter 1982/83 - konnte der staunende Beobachter feststellen, daß auf der Baustelle in Kalkar-Hönnepel ein nahezu atemberaubendes Tempo eingeschlagen wurde. Bauzeitenpläne wurden und werden nicht mehr eingehalten. Das war zwar vorher auch der Fall, nur gab es jetzt keine Bauverzögerungen mehr, im Gegenteil: plötzlich ging alles viel schneller als geplant. Man hört auch nichts mehr - wie so viele Jahre lang - von explodierenden Baukosten. Der Grund ist ganz einfach: EVU und Industrie sind beteiligt an dem Aufbringen der notwendigen Geldmittel, und zwar, wie ich meine, ganz kräftig, aber vernünftig. So wird das Ding doch noch fertig, auch weil die politischen Bedingungen stimmen. Der Finanzrahmen ist noch derselbe wie vor zwei oder drei Jahren: 6,5 Milliarden DM. Bis heute hat er sich nicht verändert, ein Zeichen dafür, daß man auch Großprojekte in einem vernünftigen Zeitrahmen und zu kalkulierbaren Preisen fertigstellen kann, wenn man dieses Ziel ernsthaft angeht. ({4}) Ich möchte dringend empfehlen, bei den anstehenden Großvorhaben im Forschungsbereich ganz strikt von Anfang an so zu verfahren, wie wir es beim SNR 300 nach und nach gelernt haben. Nun muß uns die technische Seite des Projektes genauso interessieren wie die ökonomische. In diesem Zusammenhang finde ich es betrüblich, daß selbst von Leuten, die es besser wissen, so getan wird, als habe man erst 1985 oder vielleicht 1984 begonnen, eine Änderung des Reaktorkernes vorzusehen. Ich erinnere mich, daß ich mich als Mitglied des Kreistages Kleve schon in den vielen Erörterungen der Jahre 1973 bis 1977 nach der Bedeutung der verschiedenen Kernversionen habe erkundigen müssen. Ich muß gestehen, daß ich lange gebraucht habe bis ich die vorgetragenen Erläuterungen der Genehmigungsbehörden und des Betreibers verstanden habe. Deswegen - das muß ich kritisch anfügen - auch immer meine Anmerkungen zu der nicht sehr berühmten und sehr guten Informationsarbeit des für den SNR 300 Verantwortlichen. Heute morgen erst las ich von einem Statement unseres Kollegen Matthöfer aus dem Jahre 1975, der bereits damals diesen neuen Kern Mark I A angesprochen hat. Ich gehe davon aus, daß die Kernversion Mark I A wie das gesamte Werk allen, aber auch allen Sicherheitsbedürfnissen gerecht wird. Auf die Fragen danach gibt die Antwort der Bundesregierung genügend Auskunft. Nun wird die Frage gestellt, ob das Projekt Schneller Brüter nicht entweder zu spät oder aber gar 25 Jahre zu früh komme. Warum spricht sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion dann für eine Inbetriebnahme des Brüters aus? Ich will einige Gründe dafür anführen. Erstens. Mit der Brütertechnologie wird eine Energiequelle erschlossen, die Teil einer langfristigen Zukunftsvorsorge ist. Der schnelle natriumgekühlte Brutreaktor macht Uran mit einem Minimum an Umweltbelastung zu einem praktisch unerschöpflichen Primärenergieträger. Zweitens. In aller Welt wird ohne ideologische Scheuklappen die Brütertechnologie vorangetrieben. Die bisher größten Brüter stehen in Frankreich, der Super-Phenix, und in der Sowjetunion mit dem schönen Zeichen BN - das heißt aber nicht Bonn - 600. ({5}) Wer auf dem Weltmarkt mitreden will, muß die Technik beherrschen und selbst anwenden können und wollen. ({6}) Wir sehen hier auch eine europäische Gemeinschaftsaufgabe. Drittens. Die derzeit ausreichende Versorgung des Marktes mit Uran kann keine Begründung dafür sein, daß sich die Bundesrepublik Deutschland auf die dauerhafte Verfügbarkeit von Uranlieferungen verläßt, ({7}) da Preise und Versorgung von anderen als rein marktwirtschaftlichen Bedingungen abhängig sein können. Die Entwicklung des Erdölmarktes hat uns hier wachgemacht. Viertens. Wenn wir heute auf die Brütertechnologie verzichten würden, könnten wir schon in absehbarer Zeit in größte Schwierigkeiten in der Energieversorgung kommen. Der dann eingetretene Verlust an Handlungsfreiheit wäre nicht korrigierbar. ({8}) Fünftens. Wir erwarten - und jetzt kommt das Entscheidende -, daß die Industrie und die Elektrizitätsunternehmen diese Weiterentwicklung betreiben werden, und gehen dabei davon aus, daß es gelingt, einen Brüter etwa zu Preisen eines Leichtwasserreaktors zu bauen. Die öffentliche Hand kann nur sicherstellen, daß ein solches Werk nicht nur geplant, sondern auch gebaut und betrieben werden kann. ({9}) Zurück zum Schnellen Brüter in Kalkar. Allen Unkenrufen zum Trotz, meine Damen und Herren: Erstens. Dieser Brüter wird schnell sein, denn die Neutronen bleiben schnell und können weder von Schwarz, Blau, Rot oder Grün langsamer gemacht werden, solange das Kühlmittel Natrium ist. ({10}) - Wenn Sie sich so lange damit befaßt haben wie wir, werden Sie es, wie ich glaube, auch etwas anders sehen. ({11}) Zweitens. Er ist ein Brüter, wenn er auch nur 96% des verbrauchten Spaltstoffs durch erbrüteten Spaltstoff ersetzt. Und drittens, meine Damen und Herren: Kalkar bleibt auch mit dem Schnellen Brüter ein schönes Städtchen. Danke! ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.

Josef Vosen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Die SPDBundestagsfraktion hält das heutige aufgeregte Manöver um den SNR 300 in Kalkar für überflüssig. ({0}) Zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es zu dem Projekt keinen neuen Gesichtspunkt, der eine weiterführende Debatte auslösen könnte. Lassen Sie mich, weil es die Tagesordnung heute gebietet, in beide Richtungen des Hohen Hauses noch einmal die bekannte Haltung der SPD-Fraktion zum SNR 300 erläutern. Zur Regierung sage ich: Ich habe Zweifel, ob es richtig sein wird, den SNR 300 demnächst in Betrieb zu nehmen. ({1}) - Ich erkläre es Ihnen, Herr Lenzer. ({2}) Ihr Kollege hat ja auch schon von „dem Ding" gesprochen; viel Liebe ist da wohl nicht im Spiel. Nach den Entwicklungen, die seit dem Baubeschluß Anfang der 70er Jahre auf dem Weltenergiemarkt, insbesondere auf dem Uranmarkt, eingetre9834 ten sind, kommt der SNR 300 etwa 30 bis 40 Jahre zu früh. ({3}) Wenn sich jemals eine wirtschaftliche Nutzung von Brutreaktoren ergeben könnte, kann das vielleicht um das Jahr 2030 der Fall sein. ({4}) Der Reaktor in Kalkar wird dann auf jeden Fall schon lange außer Betrieb sein. ({5}) Der SNR 300 ist auch kein Demonstrationsprojekt mehr, denn wenn es überhaupt einen Nachfolger nach erfolgreicher Demonstration geben sollte, ({6}) dann wäre es nach heutigem Wissen eine andere Linie, nämlich der französische Brutreaktor. ({7}) Der SNR 300 wäre also nur ({8}) ein sehr, sehr teurer und in jedem Falle völlig unwirtschaftlicher Stromerzeuger. Daß wir diesen im Augenblick brauchen, bezweifle ich auch. ({9}) Zur Regierung und zu den GRÜNEN sage ich: Eine SPD-Bundesregierung würde heute sicherlich einen Baubeschluß für einen Brüter nicht fassen. ({10}) Wir würden diese Lehre aus der Tatsache ziehen, daß Forschungs- und Technologiepolitik sehr risikoreich ist und daß sie stark veränderten Einflüssen aus dem Weltmarktgeschehen unterworfen ist. Wir sind der Überzeugung, daß auch die Regierung weiß, daß von den Brüter-Milliarden viele hätten gespart werden können, ({11}) wenn man das Projekt vor drei Jahren abgebrochen hätte. ({12}) Weitere hohe wirtschaftliche Risiken können folgen. ({13}) - Sie haben immer zugestimmt, Herr Staatssekretär! - Der Risikobeteiligungsvertrag soll, wie wir wissen, auf ca. 500 Millionen DM aufgestockt werden, eine große Summe! Ich glaube nicht, daß dies sinnvoll ist. Nun gut, wir haben das Projekt SNR 300 in Kalkar jetzt nahezu fertig, und rückwärtsgewandte Wenn-und-Aber-Betrachtungen helfen nicht weiter. ({14}) In dieser Situation sage ich nun insbesondere zu den GRÜNEN: Die SPD hat im Land NordrheinWestfalen die Verantwortung für ein rechtsstaatlich einwandfreies Genehmigungsverfahren für diesen Reaktor, und dieser Verantwortung wird die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen gerecht werden. ({15}) - Sie wird dieser Verantwortung gerecht werden! ({16}) Es besteht nun kein Anlaß für einen Baustopp für den fertigen Reaktor, ({17}) wenn ein nichtstaatlicher Antragsteller wie ein Elektrizitätsversorgungsunternehmen bei der Landesregierung die Genehmigung für die Inbetriebnahme des Reaktors beantragt. ({18}) Wir begrüßen es, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung ein solides, sorgfältiges Verfahren mit diesem Reaktor praktiziert. ({19}) Die Landesregierung hat ihre Souveränität sehr überzeugend auch im Falle des erst kürzlich stattgefundenen Natriumbrands auf dem Dach des Reaktorgebäudes bewiesen. ({20}) Hier haben der Bundesminister des Innern als weisungsbefugte Behörde, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch die GRÜNEN einen weitaus weniger souveränen Eindruck gemacht. ({21}) - Mit Übertreibungen allein ist es nicht getan. Daß die Landesregierung den SNR 300 nur in Betrieb gehen läßt, wenn die Sicherheit des Reaktors über jeden vernünftigen Zweifel erhaben ist, darüber besteht wohl Einigkeit im Hohen Hause. ({22}) Daß dieser Reaktor von seiner Konzeption her ein unwirtschaftlicher Reaktor sein mußte, war eigentlich von Anfang an klar. ({23}) Daß seine Unwirtschaftlichkeit jetzt ungeahnte Dimensionen erfährt, muß die Bundesregierung vorsichtig machen. Wir lehnen, wie Sie aus meinen Ausführungen entnommen haben, den Entschließungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/3200 ab. ({24}) Punkt 2 dieses Anstrags könnte man eventuell zustimmen. Aber da Sie das hier als Ganzes vortragen, sind wir zur Ablehnung gezwungen. ({25}) Den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3201 bitten wir an den dafür zuständigen Haushaltsausschuß zu überweisen. Anderenfalls sehen wir uns gezwungen, auch diesen Antrag der GRÜNEN abzulehnen, zumal der Bundestag dem Bundesrechungshof keine Aufträge erteilen kann, die er im übrigen schon gesetzlich hat. Ich weise darauf hin, daß der Bundesrechnungshof in den vergangenen Jahren wiederholt geprüft hat. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({26})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich kann die hier vorliegende Anfrage der GRÜNEN wirklich nur als billige Wahlkampfrhetorik bezeichnen. ({0}) Der Redner der GRÜNEN hat ja auch selbst den Bezug hierzu in seinen Ausführungen dargestellt und ihn in keiner Weise geleugnet. Alle in dieser Anfrage aufgeworfenen wesentlichen Fragen sind bereits im Deutschen Bundestag behandelt worden. ({1}) Meine Damen und Herren von den GRÜNEN, Sie hätten nur die Beratungsergebisse der Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" der 8. und 9. Legislaturperiode nachlesen müssen. ({2}) Ebenso stehen die Ausschußprotokolle des Ausschusses für Forschung und Technologie sowie die Debattenbeiträge im Parlament von über einem Jahrzehnt zu diesem Themenkomplex zur Verfügung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Mann?

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bedaure, nein. In diesen Unterlagen ist wirklich genügend Material zusammengetragen worden, um Risiken und Nutzen des Schnellen Brüters zu beurteilen. In ihrer Anfrage bezeichnen die GRÜNEN den Prototyp von Kalkar - polemisch, wie ich meine - als „Nicht-Brüter". Es ist bereits seit Jahren bekannt, meine Damen und Herren, daß die nunmehr eingebaute Kernversion eine Brutrate unter 1 haben wird. Bei diesem Prototyp geht es ja auch gar nicht um die Frage der Wirtschaftlichkeit. ({0}) Er war von Anfang an als Forschungsprojekt geplant, um Erfahrungen ausschließlich unter Sicherheitsgesichtspunkten zu gewinnen. ({1}) Darüber hinaus hat auch die Enquete-Kommission „Zukünftige Kernenergiepolitik" aus forschungs- und aus energiepolitischen Gründen den Weiterbau des SNR 300 empfohlen. Es ist für uns geradezu eine politische Verpflichtung, im Hinblick auf den langen Entwicklungszeitraum neuer Technologien insbesondere zur Zukunftssicherung der Energieversorgung dafür Sorge zu tragen, daß unabhängig von einer aktuellen Bedarfslage solche Techniken verfügbar gemacht werden können, um Risikopotentiale zu minimieren. ({2}) Das ist - ich wiederhole es - verantwortliche Daseinsvorsorge. ({3}) Das heißt aber auch, meine Damen und Herren, daß wir in unserem Land mit unserem wirtschaftlichen und technischen Potential auf der Grundlage unserer hohen und - international gesehen - höchsten Sicherheitsanforderungen die notwendigen Technologien und Verfahren selbst entwickeln, unsere eigenen Erfahrungen in Planung, Bau und Betrieb solcher Anlagen sammeln müssen. ({4}) Meine Damen und Herren, ich meine, es wäre geradezu töricht, zu einem späteren Zeitpunkt bei dann gegebenem Bedarf das zu kaufen, was auf dem Markt ist. Das würde Verzicht auf Sicherheit und auch Verzicht auf Unabhängigkeit bedeuten. Damit würde letztlich auch unsere Existenz aufs Spiel gesetzt. In diesem Punkt knüpft diese Debatte übrigens nahtlos an die Debatte über Strukturpolitik am heutigen Nachmittag an. Gerade Nordrhein-Westfalen, das unter der jetzigen Regierung in den vergangenen Jahren ({5}) nicht gerade durch Innovationsfreude glänzte, sollte nun nicht auch noch auf dem Gebiet künftiger Energietechnologien - damit meine ich sowohl den Schnellen Brüter als auch den Hochtemperaturreaktor - eine internationale Spitzenposition aufgeben. ({6}) In diesem Zusammenhang, verehrte Kolleginnen und Kollegen, muß ich auch auf die europäische Kooperation hinweisen. Sie wurde 1974 zunächst mit den Vereinbarungen von Nizza mit Frankreich begonnen. Daraus wurden in der Folgezeit zahlrei9836 che weitere Kooperationsverträge abgeleitet. Zum anderen sind an der Errichtung des Schnellen Brüters in Kalkar sowohl Belgien als auch die Niederlande beteiligt. Inzwischen haben die Regierungen von sechs europäischen Ländern eine gemeinsame Weiterarbeit an der Entwicklung des Schnellen Brüters vereinbart. Seit Jahren - ich unterstreiche das - hat der Deutsche Bundestag die Frage, ob eine Einstellung des Projekts SNR 300 unter Berücksichtigung der internationalen Vertragssituation überhaupt möglich ist, diskutiert. Dabei wurde auf die Verpflichtungen und Schwierigkeiten hingewiesen. Zu der Großen Anfrage haben uns die GRÜNEN heute einen Entschließungsantrag vorgelegt, auf die Inbetriebnahme des SNR 300 in Kalkar zu verzichten und die Bauarbeiten an diesem Projekt sofort zu stoppen sowie alle Forschungs- und Förderungsmittel für die Entwicklung des Schnellen Brüters zu streichen. Meine Damen und Herren, es kann hier gar nicht die Frage sein, ob diese Technik heute erforderlich ist. Die gegenwärtig entspannte Energieversorgungslage darf nicht den Blick darauf verstellen, daß künftig noch mit steigendem Energiebedarf auf unserer Erde zu rechnen ist. Ebenso ist auf die Begrenztheit fossiler und mineralischer Ressourcen hinzuweisen. ({7}) Deshalb ist es sinnvoll und vorausschauend, bereits zum jetzigen Zeitpunkt Überlegungen dahingehend anzustellen, wie der Einsatz der Kernenergie durch eine bessere Ausnutzung des Brennstoffs Uran in fortgeschrittenen Reaktorlinien als sichere Energiequelle erhalten werden kann. Auch wenn auf Grund überholter Hochrechnungen eine großtechnische Einführung von Brutreaktoren zur Substitution der heutigen Leichtwasserreaktortechnik nicht mehr zu Beginn des nächsten Jahrhunderts erfolgen wird, so ist es gleichwohl richtig, das bereits vorhandene Know-how im europäischen Verbund durch Planung und Bau weiterer Reaktorgenerationen zu erhalten und weiterzuentwickeln, damit zum Zeitpunkt des Bedarfs ein unter sicherheitstechnischen und wirtschaftlichen Aspekten optimiertes Stromerzeugungssystem auf Brüterbasis zur Verfügung steht. ({8}) Meine Damen und Herren, in dem Entschließungsantrag behaupten die GRÜNEN schließlich, daß der Einsatz der Kernenergie durch Verdrängung der Steinkohle Arbeitsplätze im Revier aufs Spiel setze. ({9}) Diese dumme Behauptung wird auch durch ständiges Wiederholen nicht richtiger. ({10}) Für meine Fraktion steht es außer Frage, daß der Einsatz der Kernenergie zur Stromerzeugung nicht zu Lasten der deutschen Steinkohle geht. Es besteht ja auch Einigkeit zwischen dem deutschen Steinkohlebergbau und der Elektrizitätswirtschaft über eine Arbeitsteilung zwischen Kohle und Kernenergie, wonach die Kernenergie die Stromerzeugung im Grundlastbereich und die Kohle die Stromerzeugung im Mittellastbereich übernehmen soll. Durch diese Kombination wird eine insgesamt preisgünstige Stromversorgung gewährleistet. Aus diesen Gründen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, lehnt die FDP-Fraktion die Entschließungsanträge der GRÜNEN ab. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Forschung und Technologie. ({0})

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat die Große Anfrage der Fraktion der GRÜNEN im einzelnen beantwortet. Daß die Antwort befriedigend und vollständig ist, hat diese Debatte bestätigt. ({0}) Die Anfrage ist an keiner Stelle aufgenommen worden. Die Thesen der Antwort der Bundesregierung sind an keiner Stelle im Zweifel gezogen worden. Die Auskünfte sind erschöpfend, zutreffend und befriedigend. Ich möchte an Hand der Anträge, die jetzt vorgestellt worden sind, einige wenige Punkte aufgreifen, die in der Diskussion noch eine gewisse Rolle gespielt haben. Die Fraktion der GRÜNEN verlangt auf Drucksache 10/3201 eine Prüfung durch den Bundesrechnungshof. Diese Prüfung - so wie der Antrag angelegt ist - soll sich auf die Zeit bis Oktober 1982 beziehen. In dem Antrag wird im wesentlichen vorgeworfen, daß frühere Regierungen bis zum Oktober 1982 mit öffentlichen Geldern nicht angemessen umgegangen seien. ({1}) Es ist nicht meine Sache, die Arbeit früherer Regierungen zu kommentieren. Ich will aber auf eines hinweisen. ({2}) Die Fraktion der GRÜNEN stellt selbst darauf ab, daß zu dieser Zeit nach allen bekannten Unterlagen angenommen werden mußte, daß die Uranreserven knapp werden würden. Die Fraktion der GRÜNEN sagt selber in ihren Anträgen, daß die Bundesregierung, weil eine Uranknappheit zu erwarten war, damals die Entscheidung getroffen hat, den Schnellen Brüter, der praktisch unerschöpfliche Energiereserven erschließen kann, einzuführen. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Augenblick, Herr Minister, ich möchte Ihnen gern ein bißchen mehr Ruhe und Aufmerksamkeit verschaffen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist jedem hier im Saal bekannt, wie schwierig es ist, in der Phase kurz vor einer namentlichen Abstimmung zu reden. Ich finde, es gehört eigentlich zu unseren normalen Verhaltensweisen, einem Redner aufmerksam zuzuhören. ({0}) Ich bitte, die Plätze einzunehmen. Das gilt nach allen Seiten. ({1}) - Warten Sie bitte noch einen Moment, Herr Minister. - Da es eine Reihe von Kollegen gibt, die offensichtlich nicht einmal ihrem Präsidenten zuhören, wenn er sie bittet, sich endlich zu setzen, damit hier die Debatte zu Ende geführt werden kann, ({2}) muß ich noch einmal sehr ausführlich darum bitten, diesem Rat zu folgen. ({3}) Das gilt auch für die Kollegen am Ende des Saales. ({4}) Das gilt nach allen Seiten. Ich bitte Platz zu nehmen. So, bitte schön, fahren Sie in Ihrer Rede fort, Herr Minister.

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Ich bedanke mich, Herr Präsident. Die Fraktion der GRÜNEN geht in ihren Anträgen selbst davon aus, daß seinerzeit die Entscheidung der Bundesregierung begründet war, den Schnellen Brüter als ein Demonstrationsprojekt durchzuführen. ({0}) Sie war es aus den Gründen, die Sie angeben. Der Schnelle Brüter ist - Kollege Beckmann und Kollege Seesing haben dies ausgeführt - als langfristige Vorsorge für eine Technologie begründet, die unerschöpfliche Energien erschließen kann. Das ist eine wesentliche Verantwortung des Staates. Nun wird darüber gesprochen, was nach dem Oktober 1982 war. Ich kann nur darauf hinweisen, daß wir im Oktober 1982 das Projekt mit veranschlagten Kosten von 6,5 Milliarden DM vorgefunden haben. Der heutige Kostenanschlag nach zweieinhalb Jahren ist unverändert 6,5 Milliarden DM. Das heißt, wir haben in einer geordneten Weise ein Projekt gefahren. Der Bundesrechnungshof, wenn er dies gemäß dem Antrag zu prüfen hätte, könnte nur bestätigen, daß hier in einer schwierigen Lage eine optimale Lösung gefunden worden ist, die staatliche Mittel aufs äußerste schont, die die Industrie in die Verantwortung miteinbezieht, die einen verantwortlichen Umgang mit öffentlichen Mitteln bedeutet und die einzige Voraussetzung ist, daß etwas vernünftig, in Übereinstimmung mit Recht und Gesetz, vorangeführt werden kann. ({1}) Ich möchte drittens auf den Antrag Drucksache 10/3200, der einen Abbruch des ganzen Projekts verlangt, eingehen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Eine lasse ich gerne zu. Aber dann möchte ich im Zusammenhang fortfahren.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön.

Stefan Schulte (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002102, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Minister, können Sie bestätigen, daß die Industrie an 85 % nicht beteiligt ist, d. h. Eigenvolumen zur Finanzierung nur in Höhe von 15 % aufbringen muß?

Prof. Dr. Dr. Heinz Riesenhuber (Minister:in)

Politiker ID: 11001849

Herr Kollege, ich kann Ihnen sagen, was ist. Ich habe das Projekt mit einem offenen Betrag von 2,7 Milliarden DM vorgefunden. Alles andere war ausgegeben. An diesen 2,7 Milliarden DM hat sich die Industrie zu 56 % beteiligt, zu weit über der Hälfte. Die Industrie trägt von den letzten 200 Millionen DM - und das ist im wesentlichen das, was noch offensteht - 100 %. Wenn Sie jetzt abbrechen, schonen Sie nicht das Geld des Staates. Sie machen sich regreßpflichtig gegenüber der Industrie, nichts anderes. Der Staat hätte an die Industrie zu zahlen. So ist die Lage, von der wir auszugehen haben. ({0}) Ich darf hier in wenigen Punkten auf die Begründungen, auf den Inhalt der Argumente eingehen, die Sie hier vorgetragen haben. Erstens. Sie sprechen von energiepolitischen Argumenten. Hier ist die Position der Bundesregierung - und das ist immer ihre Position gewesen -: Nicht die Bundesregierung schreibt vor, welche Techniken für welche Zwecke einzusetzen sind. Die Industrie schreibt innerhalb der hoheitlichen Rahmensetzung des Staates für Umwelt und Sicherheit vor, welche Technik gebraucht wird. Insofern ist dieses Engagement der Industrie, das ich beschrieben habe, eine verantwortliche Entscheidung derer, die für die Energieversorgung die Verantwortung tragen, nicht eine Entscheidung, die der Staat zu treffen gehabt hätte. Insofern können die Argumente zur Energieversorgung nicht ziehen. Wir leben in einer Marktwirtschaft, und wir vertrauen auf die Verantwortlichkeit der Unternehmer - das ist die Arbeitsteilung -, und wir haben vom Staat her die Rahmenbedingungen zu setzen. ({1}) Der zweite Punkt. Es wird über die forschungspolitische Sinnfälligkeit des Projekts gesprochen. Ich kann nur darauf hinweisen, daß dadurch, daß wir dieses Projekt jetzt in einer geordneten Weise weiterführen und zu Ende bringen, garantiert ist, daß wir die Zusammenarbeit mit allen brüterbauenden Nationen, d. h. den Zugang zum fortgeschrittensten Wissen, das es auf der Welt gibt, erhalten. Die Zusammenarbeit mit Frankreich ist gefestigt. Die Zusammenarbeit mit Italien, Belgien und den Niederlanden steht. Großbritannien hat sich uns angefügt. Wir haben damit bei einer Technik den Zugang zur weltweiten Technik, und dies ist die Voraussetzung für ein verantwortliches Forschungsprojekt. Und so haben wir es angelegt. Drittens. Sie sprechen über die Risiken. Es gibt kein Projekt, das mit solcher Sorgsamkeit und Verantwortlichkeit vom Deutschen Bundestag durchgearbeitet worden ist. Das Ergebnis der Bewertung der Risiken durch die Kernenergie-Enquête-Kommission ist von Abgeordneten aller Parteien dieses Hauses getragen. Es ist von einer großen Mehrheit der ganzen Kommission getragen. Es bestätigt die sicherheitstechnische Verantwortbarkeit und die Genehmigungsfähigkeit dieses Projekts. Dahinter steht dieses Hohe Haus mit den Abgeordneten aus allen Fraktionen, die damals hier mit entschieden haben. ({2}) Viertens. Sie sprechen von den friedenspolitischen Aspekten. Ich bringe es auf den Grundsatz und gehe nicht in die Einzelheiten. Der Grundsatz ist die Entscheidung der Bundesregierung, die seit vielen Jahren unverändert besteht: Wir verzichten auf Kernwaffen. Wir sind auf die friedliche Nutzung der Kernenergie festgelegt. Das ist die Grundlage unserer Politik, und das ist entscheidender als jede Abstellung auf irgendwelche Techniken. Die Verläßlichkeit der Entscheidungen der Bundesregierung über alle Regierungen hinweg ist uneingeschränkt und die Grundlage der Entscheidungen. ({3}) Schließlich: Es wird hier davon gesprochen, dies sei ein Faß ohne Boden. Ich kann nur auf eines hinweisen: Kein Projekt ist fertig, bevor nicht die letzte Mark bezahlt ist. Aber ich gehe fest davon aus, daß das Land Nordrhein-Westfalen als Genehmigungsbehörde das Verfahren nach Recht und Gesetz geordnet zu Ende führt, daß das, was genehmigungsfähig ist, genehmigt werden wird und sich all das, was wir über die Genehmigungsfähigkeit bis jetzt wissen, bestätigt. Dann werden wir etwas haben, hinter dem die schärfsten Genehmigungsbedingungen stehen, die auf der Welt für Kerntechnik existieren. Dies scheint mir ebenfalls wieder eine Voraussetzung dafür zu sein, daß ein Projekt verantwortlich zu Ende gebracht werden kann. ({4}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kollegen, es wird darauf hingewiesen, daß sich der Staat verpflichtet hätte, die Folgereaktoren zu bezahlen, was mit unabsehbaren Kosten verbunden sei. Ich weise darauf hin, daß ich zu Beginn dieser Legislaturperiode erklärt habe, daß die Folgereaktoren Sache der Industrie sind. Wir haben hoheitliche Aufgaben bei der Sicherheit, der Entsorgung und der entsprechenden Forschung, und wir werden hier durchaus eine begleitende Forschung anlegen. Aber die Verantwortung für die Technik liegt bei der Industrie. Sie übernimmt sie, und sie organisiert das Projekt SNR 2 - nicht auf Kosten des Staates, sondern auf Kosten der Industrie; das ist die Grundlage. Auf dieser Grundlage - bei einer Teilung der Verantwortung zwischen Staat und Industrie, bei verläßlichen Rahmenbedingungen - wird das Projekt zu Ende gebracht. Der Staat hat die Aufgabe, Rahmenbedingungen zu setzen, und diese Rahmenbedingungen müssen verläßlich sein, der Staat muß verläßlich bleiben. Wir werden hier seitens des Staates die Voraussetzungen für verläßliche Arbeiten schaffen. Wir vertrauen darauf, daß dann die Industrie und die Technik die Aufgaben in ihrer Verantwortung erledigen. So bekommen wir eine erfolgreiche Wirtschaft, eine erfolgreiche Technik, die die Zukunft begründen kann. Ich danke Ihnen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Meine Damen und Herren, da das mit den Abstimmungen ein bißchen schwierig wird, bitte ich um volle Aufmerksamkeit. Wir kommen zur Abstimmung über die Entschließungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN. Ich rufe zuerst den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3201 auf, zu dem keine Anträge auf eine besondere Form der Abstimmung gestellt sind. Wer diesem Entschließungsantrag seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Gibt es Stimmenthaltungen? - Dann ist dieser Entschließungsantrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Meine Damen und Herren, zu dem Antrag Drucksache 10/3200 liegt eine Wortmeldung des Abgeordneten Schäfer ({0}) vor, der nach § 31 unserer Geschäftsordnung eine Erklärung zur Abstimmung abgeben möchte. Bitte schön.

Harald B. Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001931, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen! Meine Herren! Meine Fraktion beantragt getrennte Abstimmung über den Antrag auf Drucksache 10/3200 ({0}) zu Ziffer 1 und Ziffer 2. Zu Ziffer 1 ist unsere Position durch unseren Sprecher, Josef Vosen, deutlich gemacht worden. Wir sehen keinen Anlaß, an einer sachgerechten, rechtsstaatlich einwandfreien Entscheidung der Landesregierung Nordrhein-Westfalen hier im Bundestag auch nur die geringsten Zweifel anzumelden. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab. ({1}) Schäfer ({2}) Zu Ziffer 2, meine Damen und Herren - und nun wende ich mich direkt an die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN -: Selbst wenn man Verständnis, ja nachgerade Sympathie für Ihr Anliegen hat, ({3}) muß man in dieser Frage, meine Damen und Herren, festhalten, daß Ihr Antrag derart unpräzis, um nicht zu sagen: schlampig formuliert ist, ({4}) daß wir diesem Antrag in dieser Form nicht zustimmen können. Unsere Position ist eindeutig: Die Sozialdemokraten haben auf Ihrem Bundesparteitag ihr Nein zur Wiederaufarbeitung und ihr Nein zu einer möglichen kommerziellen Nutzung eines Folgeprojektes SNR 300 beschlossen. Deswegen können wir diesem Antrag nicht zustimmen. Da er schlampig formuliert ist, ({5}) da er Ihre Position nicht klar deutlich macht, werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren! Nun liegt sowohl seitens der Fraktion DIE GRÜNEN als auch seitens der SPD-Fraktion der Wunsch nach getrennter Abstimmung als Antrag vor. Das betrifft die Nr. 1 und 2 des Entschließungsantrags auf Drucksache 10/3200. Dies ist von beiden Fraktionen beantragt. Es wird darüber hinaus gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung seitens der Fraktion DIE GRÜNEN eine namentliche Abstimmung über die Nr. 2 des Entschließungsantrags verlangt. Ich rufe zunächst die Nr. 1 des Entschließungsantrags auf. Wer ihr zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? ({0}) Die Nr. 1 ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Wer nun der Nr. 2 in namentlicher Abstimmung zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in eine der hier vorn aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die Abstimmung. Meine Damen und Herren, ich gehe davon aus, daß kein Abgeordneter mehr anwesend ist, der seine Stimme abzugeben wünscht. - Ich schließe deshalb die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren! Ich nehme an, Sie sind damit einverstanden, daß während der Auszählung der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen wird. - Ich stelle Zustimmung fest. Ich rufe Tagesordnungspunkt 6 auf: Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Frau Kelly und der Fraktion DIE GRÜNEN Versorgung krebskranker Kinder in der Bundesrepublik Deutschland - Drucksachen 10/1762, 10/2824 Auf Drucksache 10/3193 liegt hierzu ein Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor. Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu 10 Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ich sehe dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Bevor ich die Aussprache eröffne, bitte ich herzlich darum, daß die Kollegen, die als Zuhörer oder als Redner an der Aussprache teilnehmen wollen, Ihre Plätze einnehmen. - Auch die Kollegen in der Mitte sind gebeten, ihre Plätze einzunehmen. - Herr Kollege Echternach, man kann nicht nur spät zur Abstimmung kommen, man darf sich dann auch schnell setzen. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kelly.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Eltern krebskranker Kinder! Liebe Kinderkrebsärzte! Liebe Freunde und Freundinnen! Ich bin sehr froh, daß heute abend das langersehnte Thema „Versorgung krebskranker Kinder in der Bundesrepublik" hier diskutiert werden kann ({0}) - ich möchte auch um Ruhe bitten -, und dies, während zahlreiche engagierte Eltern und auch Kinderkrebsärzte heute unter uns sind. Ich glaube, wenn sie die Zwischenrufe von Ihnen hören, werden die Ärzte und die Eltern, die mit uns diese Debatte anhören, nicht sehr beeindruckt sein. ({1}) Ich sage allen ein herzliches Willkommen verbunden mit der Hoffnung, daß Sie heute abend bezeugen können, daß ein so notwendiger Entschließungsantrag von allen Parteien unterstützt wird. ({2}) Wir sind schon einen langen Weg gemeinsam gegangen. Ich denke dabei an den Antrag zum Thema „Kinderplanet", ein Modell zur psychosozialen Versorgung krebs- und chronischkranker Kinder, den wir in den 70er Jahren mehrmals nach dem Tode meiner Schwester auf Bundes- und Länderebene vorgelegt hatten. Ich denke dabei auch an eine Podiumsdiskussion im Oktober 1984, an der unter anderem Frau Dr. Kübler-Ross und Vertreter des Bundes und der Länder Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen teilgenommen hatten. Diese öffentliche Diskussion damals war ein Wendepunkt und brachte Abhilfe für einige Kinderkliniken in Nordrhein-Westfalen. Rechtzeitig zum Jahresbeginn kam eine gute Botschaft über den nordrhein-westfälischen Minister für Wissenschaft und Forschung, der verkünden ließ, für die überlasteten Kinderkrebsabteilungen sei Personal in Aussicht. Die Ortskrankenkassen waren dann auch grundsätzlich bereit, für solche Einrichtungen einen Sonderpflegesatz zu zahlen. Damit soll nun mehr Personal finanziert werden. Doch in anderen Bundesländern wird weiterhin um diese Personalstellen gefeilscht. An den meisten Kinderkrebsabteilungen ist der Personalmangel weiterhin unvertretbar groß. Wir begrüßen - wie ich soeben durch die Bemerkungen und durch die Erklärung von Frau Karwatzki erfahren habe -, daß unter dem zunehmenden Druck von unten, von seiten der Eltern und der Ärzte, nun offenbar die Bundesregierung bereit ist, das Modellprogramm quantitativ und zeitlich von 10 auf 20 Kinderkliniken zu erweitern. Das ist eigentlich schon ein Erfolg für meinen Antrag, Frau Karwatzki. Ich möchte mich für diesen ersten Schritt bedanken. Doch reicht diese Bereitschaft noch lange nicht aus, um die von uns für erforderlich gehaltenen Verbesserungen in anderen Bereichen der Versorgung krebskranker Kinder entbehrlich zu machen. Wir fordern die Bundesregierung deshalb auf, nicht auf halbem Wege stehen zu bleiben, sondern auch die anderen Maßnahmen unseres Antrags, die Punkte 2 bis 10, zu unterstützen. ({3}) Es gibt weiterhin einen Notstand auf dem Gebiet der psychosozialen Betreuung, weil Ministerien auf Landes- und auf Bundesebene seit vielen Jahren einige Fakten schlicht übersehen oder ignoriert haben. Vor 20 Jahren war Kinderkrebs kaum heilbar. Fast alle Fälle verliefen tödlich. Doch konnten die Heilungschancen z. B. bei Kindern mit Leukämien seit den 70er Jahren verbessert werden. Über 60% können auf Dauer geheilt werden. Doch die aggressiven Behandlungsmaßnahmen wie Chemotherapie und Bestrahlung beeinträchtigen die Kinder über Monate und sind mit schwersten Risiken verbunden. Bei einem Besuch auf der Kinderkrebsstation in Mainz erklärte uns ein Onkologe diesen Dienstag: Zeitweise hat der kleine Körper der Kinder keine Abwehrkräfte mehr. Schwestern müssen mit der Stoppuhr neben dem Bett stehen, damit wir rechtzeitig ein Gegenmittel geben, weil die Mengen der Zellgifte so massiv sind. Dafür brauchen wir geschultes psychosoziales Personal. Das ist Intensivmedizin. Zu diesen Behandlungsmethoden paßt der veraltete Personalschlüssel von 1969 schon längst nicht mehr. Man muß hinzufügen, daß viele Kinderkrebsstationen im Verband mit Universitätskliniken existieren und dadurch in den Zuständigkeitsbereich der Kultusministerien der Länder fallen, und diese haben bekanntlich fast kein Geld. Es fängt dann die Misere des Kompetenzgerangels an. In einer Notlage schieben sich Bund und Länder weiterhin den Schwarzen Peter auf Kosten dieser Kinder und auf Kosten der ständig überforderten Familien, der Ärzte und des Pflegepersonals zu. ({4}) Ich will mich aber nicht auf diese Universitätskinderkliniken allein beschränken. Ich spreche auch über die städtischen Kinderkliniken, die eine Menge gute Arbeit leisten und die sich diesen Forderungen angeschlossen haben. Viele Kinderkrebsärzte haben uns in den letzten Monaten geschrieben, daß ein Zusammenbruch der Krankenversorgung bislang dadurch verhindert wurde, daß einige befristete Fremdmittelstellen zur Verfügung stehen und daß die Eltern dieser Kinder in einem Ausmaß in die Betreuung mit eingeschaltet werden, das weder ärztlich noch juristisch verantwortbar ist. Der Ärzte- und Personalmangel ist so eklatant, daß einzelne Gruppen mittlerweile dazu übergegangen sind, diese Planstellen selber zu finanzieren. Wenn es heute heißt, daß wir zehn Kinderkliniken dazubekommen - vielleicht für ein weiteres Jahr; Frau Karwatzki, Sie haben in Ihrer Erklärung nichts vom zeitlichen Rahmen gesagt -, so fordere ich Sie auf, für alle 25 Kinderkliniken weiterhin Stellen für psychosoziale Betreuung bereitzustellen. Die Hinweise auf die 26 Millionen DM, die der Bund für die Krebsbekämpfung ausgibt, sind kein Trost. Die Hinweise, daß die Deutsche Krebshilfe im Jahre 1983 knapp 40 Millionen DM Einnahmen hatte, doch nur eine Million DM für Kinderkliniken ausgegeben hat, sind auch kein Trost. Es kann kein Trost sein, daß in einem angeblich kinderfreundlichen Land die Bundesregierung das Engagement und die Selbsthilfe der Eltern begrüßt. In anderen Bereichen ist der Bundesregierung diese Selbsthilfe, diese Selbstbestimmung der Eltern und Bürger eigentlich nicht ganz geheuer, ganz unheimlich. Aber dann, wenn Eltern Stellen bezahlen, ist die Selbstbestimmung, die Selbsthilfe der Eltern in Ordnung. Das ist ein bißchen zynisch. ({5}) Die Elterngruppen haben ihr politisches Gewicht sehr stark in die Waagschale geworfen und haben deutlich gemacht, daß sie nicht länger zusehen werden, wie ihre Kinder zu Opfern der Sparpolitik des Bundes und des Landes werden. ({6}) Wie ist es eigentlich zu verstehen, wenn Vertreter des Deutschen Bundestages von der CDU, der CSU und zum Teil von der FDP, ohne mit der Wimper zu zucken, für einen Leopard-2-Panzer 4,2 Millionen DM, für ein Tornado-Kampfflugzeug 87 Millionen DM und für das War Time Host Nations Support Program 600 Millionen DM ausgeben? ({7}) Werden wir es weiterhin ertragen können, wenn der NATO-Oberbefehlshaber Rogers das Verhältnis von Militär- und Sozialausgaben in den NATO-Staaten von bisher 1 :7 auf 1 :3 verändert sehen möchte? Am Bundeshaushalt läßt es sich vorrechnen, was es heißt, eine Politik des Sozialabbaus, die menschenFrau Kelly unwürdig ist, und eine Politik der Aufrüstung zu betreiben. ({8}) Der Bundeskanzler erklärte am 13. Oktober 1982: Wir müssen alle beitragen, um wieder ein kinderfreundliches Land zu werden. - Damit kann man heute abend konkret anfangen. ({9}) Vielleicht müssen die Herren von der Regierungsbank erst einmal vor Ort die Situation der krebskranken Kinder kennenlernen. Ich würde gern Herrn Blüm und Herrn Geißler - und wie sie alle heißen - auffordern, doch um die Ecke in die Klinik in der Adenauerallee zu gehen oder vielleicht nach Essen oder nach Mainz zu fahren, wo die Eltern Teile der Schwestern- und Pflegearbeit übernommen haben, weil es weiterhin kein psychosoziales Personal gibt. Auch diese weiteren Stellen, Frau Karwatzki, lösen dieses Problem nicht. Die Kinderkrebsstationen müssen die Anerkennung als Intensivobservationsstation bekommen, und das Modellprogramm muß mit psychosozialen Stellen erweitert werden, bis es eine endgültige Dauerregelung für die Länderebene gibt. ({10}) Ein Ausgleich des Personaldefizits der Stationen durch Umsetzungen von Personal innerhalb dieser Kliniken ist absolut ausgeschlossen, da die Situation in zahlreichen anderen Abteilungen angespannt ist. Die fehlenden psychosozialen Stellen bringen mit sich, daß, laut einer amerikanischen Studie, 70 aller Familienmitglieder krebskranker Kinder akute Folgeprobleme haben, 75% der Geschwister haben Schulprobleme oder weisen Störungen auf, 70% der Eltern haben Partnerprobleme, 75% der Familienmitglieder müssen in irgendeiner Weise psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen. Eine engagierte Journalistin in diesem Bereich, Katharina Zimmer, schrieb vor kurzem in der „Zeit": Die erschreckende Situation auf den Stationen, wo Kinder unter äußersten Belastungen ums Überleben kämpfen, duldet keinen Aufschub, keine weiteren Bittgänge, keinen Hinweis auf Nichtzuständigkeit. Zum Schluß heißt es: Sie hat sich im Laufe der Jahre zu einer Katastrophe ausgewachsen, und nicht anders als bei irgendeiner Katastrophe ist die Bundesregierung selber aufgerufen, mit einem Notprogramm Soforthilfe bereitzustellen. Ich habe dem nichts hinzuzufügen. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, bevor ich weiter das Wort erteile, gebe ich zuerst das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über die Nr. 2 des Entschließungsantrags zu Tagesordnungspunkt 5 auf Drucksache 10/3200 bekannt. Das vorläufige Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Nr. 2 des Entschließungsantrages der GRÜNEN zur Großen Anfrage „Risiken des Schnellen Nicht-Brüters in Kalkar" auf Drucksache 10/3200 lautet: 429 abgegebene Stimmen, davon keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 32 Abgeordnete, mit Nein haben gestimmt 247 Abgeordnete, 150 Abgeordnete haben sich der Stimme enthalten. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 427; davon ja: 31 Abgeordnete nein: 246 Abgeordnete enthalten: 149 Abgeordnete ungültig: 1 Ja DIE GRÜNEN Auhagen Frau Borgmann Frau Dann Frau Eid Frau Hönes Horacek Frau Kelly Kleinert ({0}) Lange Dr. Müller ({1}) Schily ({2}) Schulte ({3}) Senfft Ströbele Suhr Tischer Vogel ({4}) Frau Wagner Werner ({5}) Werner ({6}) Frau Zeitler fraktionslos Bastian SPD Frau Blunck Catenhusen Conradi Jansen Klose Nein CDU/CSU Dr. Abelein Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker ({7}) Berger Biehle Dr. Blank Dr. Blüm Böhm ({8}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Broll Brunner Bühler ({9}) Buschbom Carstens ({10}) Carstensen ({11}) Clemens Conrad ({12}) Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dolata Dr. Dregger Echternach Ehrbar Engelsberger Erhard ({13}) Eylmann Dr. Faltlhauser Feilcke Fellner Fischer ({14}) Francke ({15}) Dr. Friedmann Ganz ({16}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. George Gerlach ({17}) Gerstein Gerster ({18}) Glos Dr. Göhner Götzer Günther Dr. Hackel Dr. Häfele von Hammerstein Vizepräsident Westphal Hanz ({19}) Haungs Hauser ({20}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({21}) Dr. Hornhues Hornung Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({22}) Jagoda Dr. Jahn ({23}) Dr. Jobst Jung ({24}) Dr.-Ing. Kansy Keller Kiechle Kittelmann Klein ({25}) Dr. Köhler ({26}) Kolb Kraus Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({27}) Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Link ({28}) Link ({29}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann ({30}) Louven Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Marx Dr. Mertes ({31}) Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({32}) Müller ({33}) Müller ({34}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr. Olderog Pesch Pfeffermann Pfeifer Pöppl Pohlmann Dr. Probst Rawe Repnik Dr. Riedl ({35}) Dr. Riesenhuber Rode ({36}) Frau Rönsch Dr. Rose Rossmanith Roth ({37}) Rühe Ruf Sauer ({38}) Sauer ({39}) Saurin Sauter ({40}) Sauter ({41}) Dr. Schäuble Schartz ({42}) Schemken Schlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider ({43}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({44}) Dr. Schulte ({45}) Dr. Schwörer Seehofer Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Dr. Sprung Dr. Stark ({46}) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel Straßmeir Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({47}) Vogt ({48}) Dr. Voigt ({49}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner ({50}) Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({51}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Wittmann ({52}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Dr. Zimmermann Zink SPD Dr. Haack Haase ({53}) Nagel Stahl ({54}) Wolfram ({55}) Würtz FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({56}) Eimer ({57}) Engelhard Ertl Dr. Feldmann Gallus Gattermann Frau Dr. Hamm-Brücher Hoffie Hoppe Kohn Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Neuhausen Paintner Dr. Rumpf Schäfer ({58}) Dr. Solms Dr. Weng ({59}) Wolfgramm ({60}) Enthalten SPD Amling Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Bindig Brandt Brück Buckpesch Büchler ({61}) Büchner ({62}) Dr. von Billow Buschfort Collet Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich ({63}) Dreßler Egert Dr. Emmerlich Ewen Fischer ({64}) Fischer ({65}) Frau Fuchs ({66}) Frau Fuchs ({67}) Gansel Gerstl ({68}) Gilges Glombig Grunenberg Haar Hansen ({69}) Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Immer ({70}) Jahn ({71}) Jung ({72}) Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({73}) Kolbow Kretkowski Dr. Kübler Kuhlwein Lambinus Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann ({74}) Lutz Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mitzscherling Müller ({75}) Müller ({76}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nehm Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Dr. Penner Peter ({77}) Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp ({78}) Reimann Reuter Rohde ({79}) Sander Schäfer ({80}) Schanz Schlaga Schlatter Schluckebier Dr. Schmidt ({81}) Frau Schmidt ({82}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schröder ({83}) Dr. Schwenk ({84}) Sielaff Sieler Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Spöri Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stockleben Dr. Struck Vizepräsident Westphal Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Vosen Waltemathe Walther Wartenberg ({85}) Weinhofer Weisskirchen ({86}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wiefel von der Wiesche Wimmer ({87}) Wischnewski Zander Zeitler Frau Zutt FDP Ungültig SPD Kühbacher Nr. 2 des Entschließungsantrages ist damit mit Mehrheit abgelehnt worden. Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit, Frau Karwatzki.

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Kelly, ich habe ganz viel Verständnis für Ihre Betroffenheit und insbesondere für Ihr Engagement in der Sache. Ich habe auch viel Verständnis für Ihren Wunsch nach Ausweitung des Stellenkegels, aber wir müssen dann auch sagen, wie dies alles finanzierbar ist. Mit der gleichen Betroffenheit und mit dem gleichen Engagement, mit der Sie sich hier für die krebskranken Kinder einsetzen, gibt es viele Kollegen im Hause, die sich für geistig behinderte Kinder einsetzen, gibt es andere Kollegen, die sich wieder für eine andere Gruppe betroffener Eltern oder Kinder einsetzen. Dies alles, so meine ich, müssen wir miteinander insgesamt betrachten und dann versuchen, auch die Finanzierungsquellen miteinander zu erschließen. ({0}) Frau Kollegin Kelly, ich möchte zumindest für die Bundesregierung sagen, daß ich nicht weiß, wie Sie zu der Ansicht kommen, wir hätten Elterninitiativen zynisch betrachtet. Mitnichten! Vielmehr möchte ich mit großer Dankbarkeit den vielen, vielen Eltern hier Dank sagen für das, was sie als selbstverständlichen Dienst für ihre Kinder, aber damit auch für die Gesellschaft geleistet haben. ({1}) Meine Damen und Herren, Krebs bei Kindern ist die zweithäufigste Todesursache im Kindesalter. Daran hat sich seit Jahren nichts geändert, jedoch sind die Heilungschancen insbesondere für bestimmte Krebserkrankungen im Kindesalter erheblich gestiegen, für manche Krebsarten bis zu 80 %. Die onkologische Pädiatrie der Bundesrepublik Deutschland nimmt damit einen internationalen Spitzenplatz ein. Mit den Voraussetzungen, die für solche Therapieerfolge notwendig sind, und mit den daraus zu ziehenden Konsequenzen befaßt sich die Große Anfrage. Bei ca. 1300 Neuerkrankungen pro Jahr muß eine Konzentration der zu behandelnden Kinder in einer nicht zu großen Zahl von Einrichtungen erfolgen. Nur so kann gewährleistet werden, daß ausreichende Erfahrungen bei der sehr aggressiven und nebenwirkungsreichen Therapie gesammelt und auch eingesetzt werden. Für diese Einrichtungen und damit für die Kinder ist ein enger Bezug zu Forschung und Lehre von erheblichem Vorteil. Das haben gerade die im letzten Jahrzehnt erreichten Heilerfolge gezeigt. Meine Damen und Herren, die Bundesregierung wird in diesem Jahr zehn weitere Kinderkliniken, die von der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische Onkologie benannt wurden, in das laufende Modellprogramm aufnehmen. Die Mittel in Höhe von 1 Million DM werden aus Umschichtungen des Bundeshaushalts 1985 gewonnen. Damit erhalten auch diese onkologisch-pädiatrischen Einheiten an Universitätskliniken eine personelle Verstärkung um eine bis drei Stellen. Folge der Behandlung an solchen hochspezialisierten Abteilungen ist jedoch oft eine erhebliche Entfernung vom Heimatort der jungen Patienten, ihre Eltern eingeschlossen. Noch vor zehn Jahren waren für den Großteil krebskranker Kinder wenig aussichtsreiche Therapiemöglichkeiten vorhanden. Kliniken bzw. Krankenhäuser konnten also auch nicht allzusehr in Anspruch genommen werden. Heute ist eine intensive Behandlung mit Aussicht auf Erfolg und Heilung vielfach möglich mit der Folge einer längeren Verweildauer und gegebenenfalls auch häufiger stationärer Behandlung unter personalintensiver Pflege. Hinzu kommt die psychische Belastung der schwerkranken Kinder und ihrer Eltern, die nicht so ohne weiteres aufgefangen werden kann. Dies bedeutet: Die enorm gestiegenen Heilungschancen und Oberlebenszeiten krebskranker Kinder haben die Behandlungseinrichtungen vor erhebliche Probleme gestellt, die gelöst werden müssen, sollen die Erfolge nicht wieder in Frage gestellt werden. Hierzu gehört auch die Frage der Ausbildung von onkologischen Fachkrankenschwestern, die im Rahmen des Gesamtprogramms der Krebsbekämpfung aufgegriffen wurde und sich noch in der Beratung befindet. Die Bundesregierung unterstützt die Erforschung von neuen Therapiemaßnahmen in der pädiatrischen Onkologie großzügig durch Förderung einer ganzen Anzahl von Studien, die meist überregional angelegt sind. Meine Damen und Herren, dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, daß die Aktivitäten des Bundes auf Modellmaßnahmen beschränkt sind, die nach einer begrenzten Zeitdauer ablaufen. Das Hauptproblem, die im Rahmen des Modellprogramms zusätzlich geschaffenen Stellen in die Regelfinanzierung einzubeziehen, versucht die Bun9844 desregierung einerseits dadurch einer Lösung näherzubringen, daß Gespräche mit den Krankenkassen sowohl auf Bundes- als auch in einzelnen Bundesländern auf Landesebene aufgenommen wurden. Eine generelle Zusage, das Programm fortzusetzen, bis andere Kostenträger gefunden werden, würde nicht nur dem Wesen von Modellprogrammen widersprechen, sondern auch eine Dauerlösung gegebenenfalls auf unabsehbare Zeit hinausschieben. Hierbei haben die Kassen, insbesondere in Nordrhein-Westfalen - dies haben Sie, Frau Kollegin Kelly, schon ausgeführt -, die Bereitschaft erkennen lassen, den erhöhten Personalbedarf bei der Behandlung krebskranker Kinder in gewissem Maße anzuerkennen. Andererseits hat die Bundesregierung im Referentenentwurf zur Änderung der Bundespflegesatzverordnung die Bildung eines besonderen Pflegesatzes für die Behandlung von Kindern mit Krebserkrankungen vorgeschlagen. Wir alle, die Bundesregierung, die Länder, die Sozialversicherungsträger und alle anderen, die einen Beitrag leisten können, haben uns zu einem Gesamtprogramm zur Krebsbekämpfung zusammengefunden und bemühen uns, hier Verbesserungen zu erreichen. Wir denken dabei an die krebskranken Kinder - jährlich 1300 Neuerkrankungen -, wir denken aber auch an die insgesamt ca. 250 000 neuen Krebsfälle pro Jahr. ({2}) Von einer mathematischen Mittelaufteilung auf Kinder und Erwachsene, von der die Fraktion DIE GRÜNEN sprach, kann bei derzeit zehn und demnächst 20 geförderten pädiatrisch-onkologischen Einrichtungen für krebskranke Kinder überhaupt keine Rede sein. Herzlichen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Gilges.

Konrad Gilges (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000680, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zu der Großen Anfrage und der Antwort der Bundesregierung sowie zum Entschließungsantrag der GRÜNEN mache ich für die SPD-Fraktion sechs Bemerkungen: Erstens. Es war bisher Tradition im Deutschen Bundestag, daß das Thema Krebs, Krebsbekämpfung und -behandlung nicht zum Gegenstand parteipolitischer Auseinandersetzungen werden soll oder gemacht wird. ({0}) - Nein. Ich sage das ausdrücklich. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin etwas traurig, ({1}) daß Redner hier an das Pult gehen und daraus parteipolitisches Kapital schlagen wollen. Die Sache ist zu ernst; sie ist zu wichtig. Wer das Leid, die seelische und körperliche Not, die vielfach mit dieser Krankheit verbunden sind, kennt, der weiß, daß dies auch nicht angemessen wäre. ({2}) Wer die Verantwortlichkeiten kennt, die Bund, Länder, Gemeinden und freien Verbänden gemeinsam sind, der weiß, daß wir zum Nutzen der Patienten auch nur gemeinsam etwas bewegen können. Dabei ist parteipolitische Auseinandersetzung nur schädlich. Wir sollten daher dieser Versuchung nicht erliegen. ({3}) Zweitens. Im Hause herrscht zwischen allen Fraktionen Einigkeit, daß die Versorgung krebskranker Kinder verbesserungswürdig und verbesserungsbedürftig ist. ({4}) Auch die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Fraktion der GRÜNEN hierzu räumt dies ein. Die gemeinsame Sicht der Dinge läßt also nur noch die Prüfung der Frage zu: Auf welchem Weg erreichen wir die notwendigen Verbesserungen? Drittens. Die Fraktion der GRÜNEN hat in dem uns vorliegenden Entschließungsantrag eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet, die wir inhaltlich mittragen. Wir werden dies in der Abstimmung durch unsere Zustimmung zum Entschließungsantrag deutlich machen. Wir werden auch in der namentlichen Abstimmung über den Punkt 2 mit Ja stimmen. ({5}) Viertens. In einem Sachpunkt muß ich für die SPD-Fraktion jedoch Vorbehalte zum Entschließungsantrag anmelden. In Punkt 6 wird eine Fachkrankenschwester für die pädiatrische Onkologie gefordert. Das heißt auf deutsch: für die Kinderkrebsheilkunde. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wollen wir Sozialdemokraten uns noch kein abschließendes Urteil über diese Forderung bilden. Das, was wie eine Detailfrage aussieht, ist eine Frage mit grundsätzlicher Bedeutung. Wollen wir wie im ärztlichen Bereich nun auch im Bereich Medizinalfachberufe, hier also der Krankenpflegeberufe, eine Aufsplitterung nach Fachgebieten? Bisher war das Haus einheitlich der Meinung, daß dies nicht erstrebenswert sei. Sie alle wissen, daß uns anläßlich der eben abgeschlossenen Beratung zur Neuordnung der Krankenpflegeausbildung ähnliche Forderungen für den Bereich der Psychiatrie oder auch der Intensivmedizin - um nur zwei Bereiche zu nennen - vorgetragen wurden. Wir haben uns dazu bisher nicht entschließen können, und zwar einheitlich alle Fraktionen in diesem Hause. Bevor wir uns nun in einem Einzelproblem anders entscheiden, sollten wir gemeinsam noch einmal die grundsätzliche Frage prüfen. Ich denke, dazu besteht im weiteren Verlauf unserer gesundheitspolitischen Arbeit hier im Hause ausreichend Möglichkeit. Fünfte Bemerkung: Wichtig für eine durchgreifende Verbesserung ist nicht nur die schnelle, sondern auch die dauerhafte Abhilfe in der bisher unzureichenden Situation. Die schnelle Abhilfe ist durch den Weg von Modellmaßnahmen - mögen es zehn oder zwanzig sein - eingeleitet und möglich. Eine dauerhafte Abhilfe bringen diese Modellmaßnahmen allerdings nicht. Modellprogramme, auch wenn sie verlängert werden, laufen zu einem bestimmten Zeitpunkt aus. Es stellt sich die Frage der dauerhaften Absicherung für diese Modelle. Nur wenn dies gelingt, ist eine wirkliche Verbesserung erreichbar. Es ist daher bereits zum jetzigen Zeitpunkt unser aller Aufgabe, die für die Krankenversorgung verantwortlichen Bundesländer dazu zu bewegen, zwischen Krankenkassen und Krankenhäusern Abkommen zustande zu bringen, die besondere Pflegesätze für Stationen für krebskranke Kinder einräumen. Nur Sonderpflegesätze oder Pflegesatzzuschläge auf allgemeine Pflegesätze machen es möglich, daß die erforderliche personelle und materielle Verbesserung der Ausstattung von Krankenhausstationen für krebskranke Kinder gesichert wird. Sechstens. In diesem Zusammenhang wird vielfach angemerkt, warum sich die Sonderregelung für Krebspatienten nur auf den Bereich der Kinderheilkunde beziehen soll. Wir halten dies für erforderlich, weil a) die Kinder in dieser Zeit einer besonderen psychologischen und psychosozialen Betreuung bedürfen, b) die Heilchancen für krebskranke Kinder in der Regel bedeutend höher liegen als bei krebskranken Erwachsenen. Dies macht nicht nur die intensivere und damit teurere Forschung möglich und notwendig, dies macht auch eine Krebskrankheit bei Kindern therapierbar, die bei Erwachsenen in dieser Form nicht mehr therapierbar ist, c) intensive Protokollierung und Dokumentierung der Krebstherapie und der Therapieerfolge erforderlich sind, nicht zuletzt deshalb, weil gesundheitliche Langzeitfolgen, die auch aus der Krebstherapie selbst entstehen können, eindeutig aufgeklärt werden müssen. Als Beispiel erinnere ich an die schwierigen Fragen, ob eine Chemo-Therapie mit krebshemmenden Medikamenten nicht langzeitig selbst krebsauslösend wirkt. Diesen sechs Bemerkungen möchte ich eine Schlußbemerkung anfügen. Ich möchte insbesondere dem Land Nordrhein-Westfalen für seine Bemühungen auf dem Gebiet der Bekämpfung von Kinderkrebs herzlich danken, so wie das auch schon die Parlamentarische Staatssekretärin und Frau Kelly getan haben. Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({6})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Werner.

Herbert Werner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002484, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befassen uns heute mit einem Teilbereich der Krebsversorgung, nämlich mit der pädiatrischen Onkologie. Diese Fragen der medizinischen Versorgung und Behandlung sind zunächst in der Zuständigkeit der Länder zu sehen, die auch in dem Bereich der Krebsbekämpfung eigene Aktionsprogramme durchführen, um aufs engste die Zusammenarbeit aller mit der Onkologie befaßten Einrichtungen zu gewährleisten. Der Bund kann stets nur ergänzend über bestimmte Modellvorhaben mitwirken und unter Zustimmung der Länder koordinierend handeln. In 21 Abteilungen für Kinderheilkunde werden krebskranke Kinder zur Zeit ambulant und stationär behandelt. Der Bund unterstützt elf pädiatrisch-onkologische Abteilungen und fördert darüber hinaus über den Bereich der Strahlentherapie weitere zehn Kliniken. Seit 1985 beteiligt er sich auch an der Förderung des Dokumentationszentrums in Mainz. Zwischen Bund, Ländern und Fachgesellschaften - das sind die Deutsche Krebshilfe, die Gesellschaft für pädiatrische Onkologie und die Gesellschaft für Kinderheilkunde - findet ein ständiger Fachdialog in den jeweiligen Arbeitsgruppen statt. Ausdrücklich möchte auch ich allen Mitarbeitern, allen Ärzten und Pflegepersonen in den Krankenanstalten für ihre aufopferungsvolle Arbeit für die Kinder danken, denn diese Arbeit geschieht oftmals unter schwierigen Verhältnissen, zumal Behandlung und auch Heilung bei Kindern in besonderem Maße komplex und recht langwierig verlaufen. Daß dennoch auf Grund der intensiven Forschungsvorhaben der vergangenen Jahre die Heilungserfolge bei frühzeitigem Therapiebeginn auf bis zu 70 % angestiegen sind, sollte man gleichfalls anerkennend anmerken. Jedes Kind hat, wenn es an Leukämie oder Krebs erkrankt ist, den Anspruch, die optimale Versorgung und Behandlung zu erhalten. Dies beinhaltet Behandlung durch entsprechend ausgebildete Ärzte in entsprechend eingerichteten medizinischen Zentren und in entsprechend räumlich ausgestalteten Abteilungen, bei denen unter anderem insbesondere die Frage der Isolation zur Abwendung von Infektionen berücksichtigt wird. Andererseits ist ein hohes Maß an Aufmerksamkeit dem sogenannten psycho-sozialen Umfeld zu schenken. Gerade deswegen ist es notwendig, daß ausgewogene Gruppen von Ärzten, Schwestern, Psychologen und Sozialarbeitern in den jeweiligen Abteilungen verantwortungsbewußt mit den Eltern zusammenarbeiten. Vorrangig im Hinblick auf die Therapie ist also die personelle Ausstattung. Nur muß ich hier deutlich sagen, daß die Verwendung von sogenannten Personalschlüsseln etwas problematisch ist; denn man kann in diesem Bereich nicht verallgemeinern, da die jeweiligen Einrichtungen unterschiedlich strukturiert sind. Da gibt es selbständige Abteilungen für Pädiatrische Onkologie, die über eigene Etats verfügen. Da Werner ({0}) gibt es für die pädiatrische Onkologie Arbeitsgruppen innerhalb der einzelnen Kliniken, die ihre Mittel aus dem Gesamttopf der Klinik schöpfen müssen. Da gibt es wiederum innerhalb der einzelnen Kinderkliniken, etwa im Rahmen der Universitäten, besondere Pädiatrische Abteilungen für Onkologie bzw. zur Krebsbekämpfung. Überall gibt es spezielle Probleme, die man nicht einfach in einen Topf werfen darf. Die Bundesregierung hat deswegen mit Recht darauf hingewiesen, daß die immer wieder festgestellten Personalschlüssel in starrer Form nicht Anwendung finden können. Sicherlich wäre es denkbar, einen Personalschlüssel 1:1 festzulegen. Aber der enorme Finanzaufwand für Pflegepersonal, Zusatzpersonal und Substruktur muß gleichfalls gesehen werden. Der Aufwand an Personal insgesamt ist sicherlich mit dem vergleichbar, was etwa bei der Intensivbehandlung und bei Intensivpflegestationen zu veranschlagen ist. Aber auch hier kann man nicht einfach gleichsetzen. Gesehen werden muß aber auch, daß eine sogenannte Überversorgung durch dauernden Wechsel von Ärzten, Pflegepersonal, Betreuungspersonal und Besuchern dem Heilungsprozeß gerade bei Kindern nicht immer förderlich ist. Gerade Kinder brauchen ständige Bezugspersonen, und sie brauchen auch die notwendige Ruhe. ({1}) Meine Damen und Herren, die Situation ist für das Kind vor allen Dingen in stationärer Behandlung besonders schwierig. Aber sie ist auch für das Kind schwierig, das ambulant behandelt wird oder sich in der Nachsorge befindet. Für all diese Bereiche brauchen wir Betreuer, brauchen wir Personal, das sich in besonderem Maße diesen Gruppen von kranken Kindern zuwenden kann, und zwar, wie ich betone, in unterschiedlicher Weise. Im Hinblick auf die Kosten ist deswegen dringend zu wünschen, daß die Pflegesätze in Zukunft besondere Entgelte vorsehen; denn man sollte auch darüber nachdenken, eben Spieltherapeuten, Psychologen und Pädagogen in den Gesamtrahmen der Behandlung von Krebskranken einzubeziehen. Jede Privatinitiative ist zu begrüßen, kann aber insgesamt immer nur ergänzend wirken. Zu sehen ist vor allen Dingen, daß immer wieder Probleme im Bereich der Nachsorge auftreten, etwa wenn es sich um Kuren handelt. Bisher haben die Kassen, je nach ärztlich bescheinigter Dringlichkeit, in solchen Fällen handeln können und entsprechend der Reichsversicherungsordnung und der Rentenversicherungsordnung freiwillig Leistungen übernommen. Es wurde schon gesagt, daß 1 300 Kinder pro Jahr behandelt werden. Diese Behandlung muß in regionalen Zentren stattfinden, in denen das geeignete Fachpersonal zur Verfügung steht, in denen auch keine Verzettelung von Kräften und Finanzmitteln stattfindet, in denen es auch zu keiner Blockierung von Forschungsarbeit und Weiterentwicklung und damit - unter Umständen - zu Gefährdungen von Patienten kommen kann. Deswegen ist es richtig, den bestehenden Einrichtungen nur noch wenige, z. B. in Berlin und Hannover, anzufügen. Dort befinden sich auch die Fachleute, die die entsprechende Weiterbildung des Personals, das in der Fachausbildung bereits vorbereitet wurde, durchführen können. Wichtig ist, daß das Problem der Raumsituation gesehen wird. Dieses Problem ist besonders bedrückend. Hier bestehen in der Tat Engpässe etwa im Bereich der Knochenmarktransplantation. Wir haben einfach zu wenige derartige Spezialabteilungen. Aber, meine Damen und Herren, sehr verehrte Frau Kollegin Kelly, diese vorhandenen Engpässe dürfen nicht dazu führen, daß man das Ganze in der Art eines düsteren Horrorgemäldes darstellt. ({2}) Deswegen, meine Damen und Herren, schießen die GRÜNEN mit ihrem Antrag über das Ziel hinaus. Sie wollen den Bund praktisch in allen Einrichtungen in eine finanzielle Dauerhaftung über Personalstellenvermehrung hineinbringen. Wenn überhaupt derartige Vermehrungen finanzierbar sind, dann sind zunächst die Länder gerufen. Die Novelle der Bundespflegesatzverordnung sieht für stationäre Behandlung in onkologischen Abteilungen in Zukunft Sonderpflegesätze vor. Schon heute - das wurde angesprochen - finanzieren die Versicherungsträger bei Reha-Fällen zusätzliche Leistungen bei besonderem ärztlichen Anraten. Die Versicherungsträger sind bereit, auch die Diskussion über die sogenannten Mischpflegesätze bei Kuren zu führen. Deswegen bedarf es auch da eines gesonderten Gesetzes nicht. Wir lehnen den Antrag der GRÜNEN ab, da er den Bund zusätzlich im Bereich der Länder verpflichtet und Regelungen vorschlägt, die in der zukünftigen Pflegesatzverordnung bereits weitgehend enthalten sind. Unzureichend ist die Raumsituation. Ich habe dies gesagt und möchte es noch einmal betonen. Gleichwohl möchte ich aber darauf hinweisen, daß Vergleiche mit den Vereinigten Staaten nicht angebracht sind, weil es sich jeweils um völlig unterschiedliche Voraussetzungen handelt. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bittet deshalb die Bundesregierung den eingeschlagenen Weg der engen Zusammenarbeit mit den Bundesländern, den Fachgesellschaften und den Elterninitiativen weiter zu beschreiten und - wie beschlossen - weitere Abteilungen in das laufende Programm aufzunehmen sowie auch in Zukunft im Rahmen der Krebsforschung gezielt Mittel für pädiatrische Onkologie, für die medizinische Versorgung krebskranker Kinder, zur Verfügung zu stellen. Ich danke Ihnen. ({3})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Segall.

Dr. Inge Segall (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002144, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei dem Problem der Versorgung krebskranker Kinder geht es im wesentlichen darum, daß eine sinnvolle Behandlung relativ aufwendig ist, ganz besonders in bezug auf die Personalkosten. Eine Station der pädiatrischen Onkologie benötigt in ausreichendem Maße erfahrenes Personal. Zweifellos ist es auch richtig, daß der psychosozialen Betreuung von Kindern ein außerordentlich großer Stellenwert zukommt. Aber auch krebskranke erwachsene Patienten durchleben schwere Krisen. Insofern können wir dem Entschließungsantrag der GRÜNEN nicht folgen, der eindeutig auf eine Konkurrenz bei der Verteilung von Geldmitteln zwischen krebskranken Kindern und krebskranken Erwachenen hinausläuft. ({0}) Richtig ist - ich hoffe, hier stimmen mir die GRÜNEN zu -, daß die besondere psychische Situation aller Krebskranken mehr als bisher gewürdigt werden muß. Hierzu ist selbstverständlich ein höherer Personalaufwand nötig. Trotz des Dilemmas, daß die Mittel für die Versorgung Krebskranker noch sehr begrenzt sind - das muß man auch einmal sagen -, und der Probleme, die wir mit dem System der Finanzierung unserer Krankenhäuser haben, sollten wir gemeinsam nach Möglichkeiten suchen, die Versorgung zu verbessern. Ich erhoffe mir hierbei übrigens eine wesentliche Verbesserung durch die neue Bundespflegesatzverordnung, die derzeit in Vorbereitung ist. So sollen zukünftig die Vertragspartner im Krankenhauswesen besondere Pflegesätze für besondere Einrichtungen vereinbaren können, soweit sie sich ausschließlich oder überwiegend mit der Behandlung von Kindern mit Krebserkrankungen beschäftigen. Auch der von den GRÜNEN angesprochene Bereich der Transplantation von Knochenmark findet seine Berücksichtigung. Diese Leistungen sollen demnächst gesondert vergütet werden können. Dadurch ist den Vertragspartnern die Möglichkeit gegeben, diesem Versorgungsbereich die Aufmerksamkeit zu geben, die ihm zukommt. Im Zusammenhang mit dem Programm der Bundesregierung zur Krebsbekämpfung gestatte ich mir den Hinweis, daß es der Initiative der Liberalen zu verdanken ist, daß das Programm um 25 Millionen DM aufgestockt wurde. Angesichts der derzeitigen Finanzlage der öffentlichen Kassen ist dies durchaus erwähnenswert. Die Liberalen haben die Notwendigkeit gesehen, daß in diesem wichtigen Leistungsbereich unseres Gesundheitswesens keine Verschlechterung der Versorgung hingenommen werden kann. Durch diese Mittelerhöhung wird es möglich sein, nicht nur Therapie und Nachsorge von Onkologiepatienten zu sichern, sondern auch zehn Einrichtungen zur Vorsorge krebskranker Kinder weiter zu fördern. Es muß allerdings auch gesehen werden, daß der Bund aus verfassungsrechtlichen Gründen nur auf einen begrenzten Zeitraum Modellvorhaben im Gesundheitswesen fördern darf. Es ist aber unbestreitbar, daß durch diese 25 Millionen DM alle Voraussetzungen geschaffen wurden, um nach Auslaufen des Programms eine nahtlose Überführung in andere Trägerschaften zu erreichen. Ich bin sicher, daß sich auch die Länder und andere Stellen dieses Problems annehmen werden. Dies gilt auch für die Krankenkassen. Vor kurzem haben die Ersatzkassen einen Modellversuch mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung über die vertragsärztliche Behandlung von Krebskranken vereinbart. Die Versorgungssituation krebskranker Kinder hat hierbei sicherlich auch im Hintergrund gestanden. Nach dieser Vereinbarung werden ab 1. Januar 1985 erhöhte Honorare für besonders qualifizierte Ärzte gezahlt, die sich der onkologischen Versorgung widmen und darüber hinaus eng mit Tumorzentren und onkologischen Fachabteilungen an Krankenhäusern zusammenarbeiten. Hiervon verspreche ich mir auch einen. guten Erfahrungs- und Meinungsaustausch im Bereich ambulanter und stationärer Versorgung. Im Bereich der RVO-Kassen werden nach meinen Erfahrungen entsprechende Regelungen in den meisten Landesbereichen bereits auf Grund von Vereinbarungen zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen und Landesverbänden der Krankenkassen praktiziert. Eine Auswertung der Erfahrungen steht noch aus. In diesem Zusammenhang zeigt sich übrigens einmal mehr, daß die Selbstverwaltungen durchaus in der Lage sind, vernünftige Regelungen zu finden. Ein wichtiger Bereich, insbesondere für die Versorgung krebskranker Kinder, ist eine bessere Fortbildung der niedergelassenen Ärzte, aber auch der Krankenhausärzte. Ich kann die zuständigen ärztlichen Körperschaften nur darin bestärken, ihre jetzt begonnenen Bemühungen um eine Verbesserung des Wissensstandes der Mediziner zu verstärken. Mir ist bekannt, daß es in der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen erfolgreiche Bestrebungen gibt, an der Verbesserung der ambulanten onkologischen Versorgung zu arbeiten. Dies kommt selbstverständlich auch der Betreuung krebskranker Kinder zugute. So ist in Niedersachsen Ende des vergangenen Jahres eine Arbeitsgemeinschaft der Tumorzentren und onkologischen Arbeitskreise gegründet worden. Sie wird u. a. ein onkologisches Basiscurriculum mit Unterstützung der Akademie für Ärztliche Fortbildung in Niedersachsen anbieten. Die Kassenärztliche Vereinigung unterstützt auch intensiv die Bildung und Aktivierung onkologischer Arbeitskreise niedergelassener Ärzte. Sie hat dazu in der Vertreterversammlung besondere Richtlinien zur finanziellen Förderung solcher Schwerpunktpraxen beschlossen. Ich hoffe sehr und wünsche mir, daß auch andere Kassenärztliche Vereinigungen diesem guten Beispiel folgen. Entsprechende Anstrengungen verdienen meines Erachtens unser aller Unterstützung. Selbstverständlich muß in diesem Zusammenhang auch an die Krankenkassen appelliert werden, ihren Beitrag zu einer besseren Versorgung Krebskranker und krebskranker Kinder zu leisten. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen bei der Diskussion um die Versorgung krebskranker Kinder an einem wichtigen Punkt. Heute werden die Weichen für die zukünftige Versorgungsstruktur gestellt. Wir müssen alle Institutionen, nicht nur den Staat und damit den Steuerzahler, aufrufen und bewegen, ihren Beitrag zu leisten. Alles andere würde zur Abdrängung dieses Problems führen. Genau dies darf aber nicht passieren. Danke. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Wortmeldung vorliegen. Die Frau Abgeordnete Kelly hat um das Wort gemäß § 31 unserer Geschäftsordnung gebeten. Frau Abgeordnete, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie nicht einen erneuten Sachbeitrag leisten, sondern nur eine Erklärung zur Abstimmung abgeben können. - Und ich möchte das Haus eindringlich bitten, der Abgeordneten die Möglichkeit zu geben zu sprechen. Das heißt nicht, daß Sie nun unbedingt reden müßten. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort. Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort gemäß § 28 der Geschäftsordnung, nachdem Ihr Geschäftsführer hier eine Ummeldung vorgenommen hat.

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich möchte unseren Antrag noch einmal kurz begründen und auch richtigstellen, daß ich die Aussagen der Bundesregierung in der Beantwortung unserer Großen Anfrage deswegen als ironisch bezeichnet habe, weil man das Engagement der Eltern, die Stellen bezahlen, begrüßt hat. Wenn die Bundesregierung es begrüßt, daß Eltern Stellen bezahlen, dann finde ich das einen Skandal und werde es weiterhin einen Skandal nennen. Hier ist gesagt worden, wir hätten ein Horrorgemälde gemalt. ({0}) - Ich kann bei dieser Unruhe nicht sprechen.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ersparen Sie es mir, die Sitzung unterbrechen zu müssen. Ich möchte Sie eindringlich bitten, die notwendige Ruhe im Hause zu halten. ({0})

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist gesagt worden, wir hätten ein düsteres Horrorgemälde gemalt. Ich möchte wirklich alle, jeden einzelnen, dazu auffordern, eine Kinderkrebsstation in der Bundesrepublik zu besuchen und einen Tag dort zu verbringen. Danach wird man mir dann wohl bestätigen müssen, daß dieses angebliche Horrorgemälde die Wirklichkeit dort nicht einmal erfaßt. Ich möchte auch betonen, daß ich immer versucht habe, diese Initiativen überparteilich zu gestalten. Die Mitglieder der Kinderkrebs-Vereinigung, die ich initiiert habe, sind Mitglieder aller Parteien, nicht allein Mitglieder der GRÜNEN. Wie gesagt, die Initiativen, die durchgeführt worden sind, zum Téil unterstützt von Franz Alt, der CDU-Mitglied ist, waren überparteiliche Initiativen. Ich möchte in der kurzen mir zur Verfügung stehenden Zeit einen Brief zitieren, den eine leitende Kinderkrebsärztin mir geschrieben hat. Ich möchte ihn zitieren, weil er eigentlich alles sagt. Es heißt dort: Dürfen wir unsere Sorgen an einem ganz konkreten Beispiel schildern: - Sie schickte mir das Photo eines Kindes mit. Auf dem Photo seht ihr Sabine, 14 Monate alt, an einem bösartigen Tumor erkrankt. Vater arbeitslos, Mutter behindert, ({0}) - ich glaube, ich dürfte schon ein bißchen um Ruhe bitten zwei kleine Geschwister im Haushalt.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, ich möchte Sie noch einmal sehr eindringlich bitten, die notwendige Ruhe herzustellen, damit die Abgeordnete ihre Zeit nutzen und zu Ende reden kann. ({0})

Petra Karin Kelly (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001081, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Die Männer führen sich hier auf dieser Seite des Saales wie in einem Kindergarten auf. Die Eltern können ihr Kind nur kurz besuchen. Fahrtkosten werden nur ersetzt, wenn ein „wichtiges ärztliches Gespräch" bescheinigt wird. Sabines Tumor konnte entfernt werden, die Metastasen durch hochdosierte Chemotherapie zurückgedrängt werden. Jedoch bestehen bei der Ausdehnung nur 10% Chancen auf Heilung. Deshalb haben wir uns zur Knochenmarkstransplantation entschlossen. Spender war der 3jährige Bruder, auch dieser mußte eine Woche hier allein bleiben. Ein so kleines Kind wurde jedoch bisher nicht dieser körperlichen Belastung ({0}) ausgesetzt. Dazu kommt die psychische Deprivation, allein im Isolierzelt. Die Schwestern tun, was sie tun können. - Aber sie können bald nicht mehr. Den ganzen Tag haben sie nicht Zeit. Welche Auswirkungen wird das alles auf die spätere Entwicklung von Sabine haben? Wir brauchen konkrete Hilfe im Fall Sabine, die Verlängerung unserer Betreuungsschwesternstelle ... über das Jahr 1986 hinaus. Bis dahin wird die Stelle von der Krebshilfe finanziert, aber was dann? Und wir brauchen dringend eine Beinraumeinheit für leukämiekranke Kinder und für Knochenmarkstransplantationen. Könnt ihr uns helfen? Dieser Brief ist stellvertretend für so viele Briefe - ich habe sie heute auch mitgebracht -, die deutlich machen, daß es bis jetzt kein dauerhaftes FiFrau Kelly nanzierungsmodell für den seit langem anerkannt größeren Personalbedarf der Kinderkrebsstationen gibt. Daß diese Arbeit nicht völlig zusammenbricht, daß sie ein menschenwürdiges Maß gerade noch mühsam halten kann, ist u. a. den begrenzten und jetzt glücklicherweise verlängerten Modellmaßnahmen der Bundesregierung zu verdanken, in erster Linie aber der finanziellen und personellen Unterstützung durch die Eltern. Ich möchte betonen: Wenn Krebs - ich appelliere hier an das Gewissen jedes einzelnen Abgeordneten - eine überparteiliche Frage ist, dann darf hier kein Fraktionszwang herrschen. Und so möchte ich an das Gewissen des einzelnen Abgeordneten appellieren, doch zu sehen, daß gegen Personalknappheit, mangelnde Ausbildung und auch Hilflosigkeit gegenüber der seelischen und sozialen Situation krebskranker Kinder und ihrer Familien, die das Bild bundesweit kennzeichnen, heute abend konkret etwas getan werden kann. ({1}) In unserem Antrag haben wir dazu aufgefordert, daß die Bundesregierung dieses erweiterte Modellprogramm, besonders für psychosoziale Stellen dringend erforderlich, jetzt durchführt, bis eine - ich betone: - in der Verantwortung der Länder liegende dauerhafte Lösung gefunden werden kann. Darum bitte ich Sie, diesem Antrag doch zuzustimmen. Jeden einzelnen bitte ich. ({2})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen nun zur Abstimmung über den Entschließungsantrag auf Drucksache 10/3193. ({0}) - Meine Damen und Herren, ich bitte Sie Platz zu nehmen. Wir kommen noch nicht zur namentlichen Abstimmung. Die Fraktion DIE GRÜNEN hat getrennte Abstimmungen über die Nr. 1, die Nr. 2 und die Nr. 3 bis 10 beantragt. Darüber hinaus verlangt sie eine namentliche Abstimmung über die Nr. 2 des Entschließungsantrags. Wir kommen nun zunächst zur Abstimmung über die Nr. 1 des Entschließungsantrags. Wer ihr zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Damit ist die Nr. 1 abgelehnt. Wir kommen nun zu Nr. 2 des Entschließungsantrags, und zwar in namentlicher Abstimmung. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich, mit „Ja" zu stimmen. Wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte abzugeben. Aber vorher habe ich dem Haus etwas bekanntzugeben. Es liegt eine Vereinbarung zwischen den Geschäftsführern der Fraktionen vor, daß wir während der Auszählung den Rest des Entschließungsantrags zur Abstimmung stellen und die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b mit Kurzrunden behandeln werden. Im Anschluß daran findet eine kontroverse Abstimmung statt, also in ca. 15 Minuten. Nun, meine Damen und Herren, können Sie Ihrer Pflicht, namentlich abzustimmen, Genüge tun. Ist noch ein Mitglied des Hauses im Saal, das seine Stimme nicht abgegeben hat? ({1}) Nun bin ich überzeugt, daß ich die Abstimmung endgültig schließen kann. - Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Ich bitte die Damen und Herren, wieder Platz zu nehmen, damit wir die weiteren Abstimmungen in Ruhe durchführen können. - Ich möchte nunmehr zur Abstimmung über die Nummern 3 bis 10 des Entschließungsantrags auf Drucksache 10/3193 kommen, möchte das Haus aber noch einmal bitten, etwas ruhiger zu werden. Ich bitte die Damen und Herren, Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen. ({2}) Meine Damen und Herren; wer nunmehr den Nummern 3 bis 10 des Entschließungsantrags auf Drucksache 10/3193 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Gegenprobe! - Danke schön. Enthaltungen? - Damit ist der Antrag abgelehnt. Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr, wie vereinbart, zum Tagesordnungspunkt 9: a) Beratung der Sammelübersicht 67 des Petitionsausschusses ({3}) über einen Antrag zu einer Petition - Drucksache 10/2841 - b) Beratung der Sammelübersicht 72 des Petitionsausschusses ({4}) über Anträge zu Petitionen - Drucksache 10/3099 Zu Punkt 9 a liegen auf den Drucksachen 10/3191 und 10/3192 Änderungsanträge der Fraktion DIE GRÜNEN und der Fraktion der SPD vor. Im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. ({5}) Ich möchte Sie noch einmal bitten, für die Fraktionssprecher nun die notwendige Ruhe herzustellen. Abgeordneter Horst Peter ({6}) hat das Wort.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist ja ganz schön, einen vollen Saal zu haben, aber ein voller Saal, der sich nicht auf die Diskussion konzentriert, wirkt natürlich immer störend. Deshalb bitte ich schon, das zweite zu versuchen. Die vorliegende Petition ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Peter ({0}) Erstens. Die Initiative „Bremer Abrüstungspetition" hat ein Petitionsverfahren von über einem Jahr in Gang gesetzt, in dem sich über 5 500 Petenten mit den Kernforderungen der Massenpetition auseinandersetzten und an den Bundestag wandten. Die Kernforderungen waren: Stopp und Rücknahme der Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles auf dem deutschen Boden; atomare Abrüstung in Ost und West; ABC-freie Zone in Europa; kontinuierliche Senkung des Verteidigungshaushalts; ({1}) Veränderung der NATO-Strategie; Schaffung eines Systems gemeinsamer Sicherheit in Europa. Diese Petenten haben mehr als 676 Zusatzforderungen zur Friedenspolitik und Abrüstung formuliert, die die gesamte Breite der friedenspolitischen Diskussion in der Bundesrepublik dokumentieren. Die Initiative „Bremer Abrüstungspetition" hat damit das Verdienst zu zeigen, daß die friedenspolitische Diskussion in der Bevölkerung nicht tot ist, daß das Thema den Fachleuten in den Institutionen nicht zurückgegeben worden ist, daß aber auch der Dialog mit dem Bundestag durch diese Petenten gesucht wird. Dafür verdient die Initiative „Bremer Abrüstungspetition" - meine ich - den Dank des ganzen Hauses, zumindest derjenigen, die zuhören. ({2}) Zweitens ist bemerkenswert: Die Initiative hat sich im Laufe des Petitionsverfahrens zunehmend mit dem Petitionsrecht als politischem Teilhaberecht der Bürger beschäftigt. Daraus entstanden Initiativen zum Petitionsverfahren, die im Ausschuß vom materiellen Inhalt der Petition abgekoppelt worden sind, die aber vom Petitionsausschuß weiterverfolgt werden. Ich meine, dieses Engagement wird weiter wirken bei der Einschätzung des Petitionsrechts als politischem Teilhaberecht im Deutschen Bundestag. Drittens hat die Initiative das Petitionsverfahren begleitend ausgewertet und damit den Berichterstattern die Möglichkeit gegeben zu beurteilen, welches der Diskussionsstand innerhalb der Friedensbewegung ist - eine Tatsache, die im Petitionsausschuß nachzuvollziehen von der CDU und der FDPFraktion abgelehnt wurde. Wir meinen, daß das nicht die richtige Art ist, mit Petitionen umzugehen. ({3}) Bemerkenswerter als die Petition ist allerdings noch der parlamentarische Umgang mit der Petition. Die Petenten erwarteten das Aufgreifen durch das Parlament. Logisch wäre hier die Überweisung an die Fraktionen gewesen, um zum Ausdruck zu bringen, daß der Petitionsausschuß die Anliegen für geeignet hält, daß die einzelnen Fraktionen des Hauses in den Bereichen, in denen sie den materiellen Inhalt teilen, eigene Initiativen starten. Das zu erfahren ist eben auch das Recht der Petenten. Die Petition wäre dann gewissermaßen zum Prüfstein für die Sensibilität der Fraktionen des Bundestages gegenüber Forderungen aus der Bevölkerung gemacht worden. Was passiert ist, ist allerdings genau das Gegenteil. Die Mehrheit des Ausschusses hat die Anträge, eine Analyse der 676 Zusatzforderungen mit entsprechenden Äußerungen in die Begründung aufzunehmen, die Eingabe den Fraktionen des Deutschen Bundestages zur Kenntnis zu geben, die Eingabe der Ad-hoc-Kommission „Parlamentsreform" oder dem Bundestagspräsidenten zur Kenntnis zu geben, die Haltung der Fraktionen in der Antwort an die Petenten zu erläutern, mit Mehrheit abgelehnt und die Petition insgesamt für erledigt erklärt, gleichgültig, ob der Petitionsinhalt noch in der Diskussion ist oder nicht. Dieses Verfahren wird von der SPD-Fraktion entschieden kritisiert. Die SPD-Fraktion wird die materiellen Inhalte der Petition im zuständigen Arbeitskreis weiter verfolgen, so wie das heute bei der Diskussion um die Strategische Verteidigungsinitiative bereits geschehen ist. Wir bitten die Regierungsfraktionen, den Bürgern zu zeigen, daß ihre Anliegen als ernsthafte Anliegen aufgegriffen werden, hier im Plenum des Bundestages eine entsprechende Korrektur vorzunehmen und unserem Änderungsantrag zuzustimmen. ({4}) Zum Antrag der GRÜNEN: Der eine Punkt stimmt mit unserem Antrag überein. Der andere Punkt findet nicht unsere Zustimmung, weil dort von einer anderen Zuständigkeit für die Weiterbehandlung der Petition ausgegangen wird. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. ({5})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe, möchte ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über Nr. 2 des Entschließungsantrages der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3193 bekanntgeben. Abgegebene Stimmen: 444. Mit Ja haben gestimmt: 195 Abgeordnete. Mit Nein haben gestimmt: 230 Abgeordnete. Enthaltungen 19. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 442 Abgeordnete; davon j a: 194 Abgeordnete nein: 228 Abgeordnete enthalten: 19 Abgeordnete ungültig: 1 Ja SPD Amling Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({0}) Bindig Frau Blunck Brandt Brück Buckpesch Büchler ({1}) Büchner ({2}) Vizepräsident Cronenberg Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dr. Diederich ({3}) Dreßler Egert Dr. Emmerlich Dr. Enders Ewen Fiebig Fischer ({4}) Frau Fuchs ({5}) Frau Fuchs ({6}) Gansel Gerstl ({7}) Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haase ({8}) Hansen ({9}) Frau Dr. Hartenstein Hauck Dr. Hauff Heimann Heistermann Herterich Hettling Heyenn Dr. Holtz Horn Frau Huber Huonker Immer ({10}) Jahn ({11}) Jansen Jung ({12}) Junghans .Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({13}) Klose Kolbow Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Löffler Lohmann ({14}) Lutz Frau Luuk Frau Dr. Martiny-Glotz Matthöfer Meininghaus Dr. Mitzscherling Müller ({15}) Muller ({16}) Dr. Müller-Emmert Müntefering Nagel Nehm Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Dr. Penner Peter ({17}) Pfuhl Porzner Purps Ranker Rapp ({18}) Reimann Reuter Rohde ({19}) Sander Schäfer ({20}) Schanz Dr. Scheer Schlaga Schlatter Schluckebier Frau Schmedt ({21}) Dr. Schmidt ({22}) Schmidt ({23}) Schmitt ({24}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schröder ({25}) Dr. Schwenk ({26}) Sielaff Sieler Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Spöri Stahl ({27}) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Stobbe Stockleben Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Urbaniak Vahlberg Verheugen Dr. Vogel Vogelsang Voigt ({28}) Waltemathe Walther Wartenberg ({29}) Weinhofer Weisskirchen ({30}) Dr. Wernitz Westphal Frau Weyel Dr. Wieczorek Wielfel von der Wiesche Wimmer ({31}) Wischnewski Wolfram ({32}) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt FDP Frau Dr. Hamm-Brücher DIE GRÜNEN Auhagen Frau Borgmann Frau Dann Frau Eid Frau Hönes Horacek Kleinert ({33}) Lange Dr. Müller ({34}) Schily Schmidt ({35}) Schulte ({36}) Senfft Ströbele Suhr Tischer Vogel ({37}) Frau Wagner Werner ({38}) Werner ({39}) Frau Zeitler fraktionslos Bastian Nein CDU/CSU Dr. Abelein Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker ({40}) Berger Biehle Dr. Blank Dr. Blüm Böhm ({41}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Boroffka Braun Broll Brunner Bühler ({42}) Dr. Bugl Buschbom Carstens ({43}) Carstensen ({44}) Conrad ({45}) Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Dörflinger Dolata Doss Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger ({46}) Eylmann Feilcke Fischer ({47}) Francke ({48}) Dr. Friedmann Ganz ({49}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. George Gerlach ({50}) Gerstein Gerster ({51}) Dr. Göhner Götzer Günther Dr. Hackel Dr. Häfele von Hammerstein Hanz ({52}) Haungs Hauser ({53}) Hedrich Freiherr Heereman von Zuydtwyck Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Dr. Hoffacker Frau Hoffmann ({54}) Dr. Hornhues Hornung Dr. Hüsch Dr. Hupka Jäger ({55}) Jagoda Dr. Jahn ({56}) Dr. Jobst Jung ({57}) Kalisch Dr.-Ing. Kansy Kiechle Kittelmann Klein ({58}) Dr. Köhler ({59}) Kolb Kraus Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({60}) Lamers Landré Dr. Langner Dr. Laufs Link ({61}) Link ({62}) Lintner Löher Lohmann ({63}) Louven Lowack Maaß Magin Marschewski Dr. Marx Dr. Mertes ({64}) Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Müller ({65}) Müller ({66}) Müller ({67}) Nelle Dr.-Ing. Oldenstädt Pesch Pfeffermann Vizepräsident Cronenberg Pfeifer Dr. Pinger Pöppl Pohlmann Dr. Probst Rawe Repnik Rode ({68}) Rossmanith Roth ({69}) Ruf Sauer ({70}) Sauer ({71}) Saurin Sauter ({72}) Sauter ({73}) Dr. Schäuble Schartz ({74}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer von Schmude Schneider ({75}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({76}) Dr. Schulte ({77}) Schulze ({78}) Schwarz Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Dr. Freiherr Spies von Büllesheim Spilker Spranger Dr. Sprung Dr. Stark ({79}) Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stommel Straßmeir Strube Stücklen Stutzer Susset Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({80}) Vogt ({81}) Dr. Voigt ({82}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weiß Werner ({83}) Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({84}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Wittmann ({85}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Dr. Zimmermann Zink FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Beckmann Bredehorn Cronenberg ({86}) Eimer ({87}) Engelhard Ertl Gallus Gattermann Genscher Hoffie Hoppe Kohn Mischnick Möllemann Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({88}) Dr. Solms Dr. Weng ({89}) Wolfgramm ({90}) Enthalten CDU/CSU Clemens Dr. Faltlhauser Fellner Glos Keller Linsmeier Frau Männle Frau Dr. Neumeister Regenspurger Dr. Riedl ({91}) Frau Rönsch Dr. Rose Tillmann Graf von Waldburg-Zeil FDP Baum Dr. Feldmann Dr. Graf Lambsdorff Neuhausen Ungültig SPD Frau Schmidt ({92}) Damit ist der Antrag abgelehnt. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Göhner. - Offensichtlich ist der Abgeordnete nicht im Saal. ({93}) Ich gebe dem Herrn Abgeordneten Ronneburger das Wort.

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie es den Antragstellern geht. Ich glaube für das Hohe Haus insgesamt, aber doch wohl auch für alle einzelnen Abgeordneten feststellen zu können, daß es in der Vergangenheit, in der Geschichte des Deutschen Bundestages kaum irgendeine Entscheidung gegeben hat, die in diesem Hohen Haus und auch außerhalb mit den Vertretern von Bürgerinitiativen, Friedensbewegungen usw. mit einer derartigen Intensität diskutiert worden ist. Es bedarf also keiner Aufforderung an den Deutschen Bundestag, das damals aufgetretene und entschiedene Problem erneut zu behandeln. Ich sage das mit allem Respekt vor jeder Bürgerbewegung und vor jeder Initiative, die sich um politische Entscheidungen bemüht. Es kann ja wohl kein Zweifel daran bestehen, daß die Entscheidung, die am 23. November 1983 getroffen worden ist, von denjenigen, die damals zugestimmt haben, nicht etwa leichten Herzens, Herr Kollege Peter, getroffen worden ist, sondern nach sorgfältiger, gewissenhafter und verantwortungsbewußter Prüfung aller Umstände, die im Vorfeld dieser Entscheidung erwogen worden sind. Dies sollten wir den Antragstellern in Bremen mit aller Deutlichkeit sagen und sollten es hier in diesem Hohen Hause auch einander nicht so darstellen, als hätten wir nicht mit genügender Sorgfalt erwogen, um was es bei dieser Entscheidung damals im Deutschen Bundestag gegangen ist. Die Zeit von fünf Minuten reicht sicherlich nicht aus, um die Hintergründe der damaligen Entscheidung hier erneut darzustellen und erneut zu belegen, warum wir eine bestimmte Entscheidung getroffen haben, bei der wir heute allerdings feststellen können, daß die damals negativen Voraussagen, die an unsere Entscheidung gebunden waren, sich nicht erfüllt haben, Herr Kollege Peter, und daß es nicht zu einem endgültigen Abbruch der Verhandlungen über eine Reduzierung von Mittelstreckenraketen gekommen ist, sondern daß diese Verhandlungen wieder in Gang sind und, wenn ich das richtig verstehe, j a wohl vom ganzen Deutschen Bundestag mit besten und intensivsten Wünschen nach Erfolg begleitet werden. Ich sage noch einmal: Die FDP-Fraktion dieses Hohen Hauses hat hohen Respekt vor jenem Bürger, der sich in seinem Verantwortungsbereich und in seiner Beteiligung an politischen Entscheidungen um seinen Einfluß bemüht, aber die letzte Entscheidung und Verantwortung kann verfassungsrechtlich und vom Verständnis unserer Aufgabe hier als Abgeordneter diesem Hohen Hause und keinem einzigen Abgeordneten, der hier in irgendeiner entscheidenen Frage mit Ja oder Nein stimmt, nicht abgenommen werden.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Sie gestatten eine Zwischenfrage des Abgeordneten Peter?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Bitte schön, Herr Präsident.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Ronneburger, sind Sie der Meinung, daß alle diese Ausführungen, die Sie gemacht haben, geeignet sind, die befriediPeter ({0}) gende Antwort auf 676 Einzelforderungen zu geben, die weit über die Diskussion der von Ihnen angesprochenen Fragen hinausgehen?

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege, ich bin allerdings der Meinung, daß eine Petition, die davon ausgeht, daß nach ihrem, der Petenten Eindruck hier im Bundestag eine Entscheidung gegen die Mehrheit der Bevölkerung getroffen worden sei, uns nicht aus der Verantwortung für unsere Entscheidung entläßt. ({0}) Ich glaube auch nicht, daß die zusätzliche Forderung, einen solchen Eindruck etwa durch eine Meinungsumfrage bei möglicherweise einigen tausend Bürgern zu erhärten, eine ähnliche oder vergleichbare Wirkung haben könnte. Bei allem Respekt vor denjenigen, die sich mit Ihrer Petition an uns gewandt haben, sei noch einmal gesagt: Ich bin bereit, meine Verantwortung zu meinem Teil zu tragen und bitte jeden in diesem Hohen Hause, das in gleicher Weise zu tun. ({1})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Mann.

Norbert Mann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001417, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Bürgerinnen und Bürger! Kolleginnen und Kollegen! Das Petitionsrecht, um das es im Moment geht, ist ein zentrales bürgerliches Grundrecht, das dem eigentlichen Souverän, dem Volk, die Mitwirkung erlaubt. ({0}) Ich darf aus der Petition, von der hier die Rede ist, zitieren: Die Entscheidung vom 22. November 1983 im Deutschen Bundestag ist nach unserer Einschätzung gegen den Mehrheitswillen des Volkes zustande gekommen. Zwischen der Mehrheit der Abgeordneten Ihres Hauses und uns besteht nach dem 22. November eine Vertrauenskrise. ({1}) Ich meine, es ist ein glücklicher Zufall, daß wir am heutigen Tage, wo wir heute morgen über die sogenannte Strategische Verteidigungsinitiative diskutiert haben, über diese sogenannte Massenpetition zu befinden haben. ({2}) wir werden sehen, wie CDU und CSU, die so oft den Bürgerwillen bemühen, in der Praxis mit dem Bürgerwillen umgehen. ({3}) Ich darf weiter aus der Petition unter der Überschrift „Repräsentativer Absolutismus", vor allen Dingen an diese Seite des Hauses gerichtet, zitieren: Selbst Massenproteste, von Millionen Bürgern getragen, prallen am repräsentativen System ab. Teilhabe, Kern jeder Demokratie, findet nicht statt. Kritiker des Bonner Regierungssystems sprechen von der Aushöhlung des Ethos der Repräsentation, von der Schwundstufe repräsentativer Demokratie, von repräsentativem Absolutismus. Die Freiheit des Mandats wird mißverstanden als Freiheit von Verpflichtungen gegenüber dem Volk. Und jetzt hören Sie weiter gut zu: Gutwillige Abgeordnete klagen, sie würden über wesentliche Fragen nicht oder aber zu spät informiert. Die schleichende Machtverlagerung von der Legislative zur Exekutive hat den Verfall des Ansehens des Parlaments beschleunigt. Zahlreiche Bürger erwarten vom Bundestag kaum etwas. Soweit das Zitat aus einer Petition, mit der sich Bürgerinnen und Bürger - der Kollege Peter hat es gesagt: über 5 000 - an uns, an ihre Volksvertreter, wenden. Und wie gehen wir mit dieser Petition um? Was schlagen Sie vor? - Sie als erledigt zu behandeln. Das hätten Sie gerne! Die Probleme sind mitnichten erledigt. Das ist heute morgen deutlich geworden. Diese Bundesregierung ist absolut unfähig, die Probleme, die mit der Strategischen Verteidigungsinitiative verbunden sind, realistisch, ehrlich zu benennen. ({4}) Die Widersprüche innerhalb dieser Koalition sind für mich heute morgen in einer dramatischen Weise deutlich geworden, ebenso die Unverantwortlichkeit, mit der Sie sich immer noch auf den 6. März 1983 berufen. ({5}) - Warten Sie mal lieber ab, wer uns dann wählt! ({6}) - Ich referiere hier, was Bürger sagen, nicht, was GRÜNE sagen. Ich referiere nur. ({7}) Die Petenten bezeichnen den Umgang, den der Petitionsausschuß vorgeschlagen hat, als eine Schwundstufenpetition. Herr Kollege Peter hat auf die über 600 Forderungen, die angeblich erledigt sind, hingewiesen. Ich will nur einige zitieren, die hier in dem sogenannten Beschwerdeschreiben stehen, das Sie vermutlich alle nicht gelesen haben; aber das ist ja nur typisch. ({8}) - Hören Sie gut zu! Das ist am 14. Februar geschrieben. Da sehen Sie mal, wie die Bürger aufpassen und wie wenig Sie davon mitbekommen. Wodurch halten Sie Beschwerden und Bitten zu der Frage der Stationierung von Weltraumwaffen, insbesondere auch eine Beteiligung der BundesreMann publik Deutschland an solchen Plänen, für erledigt? ({9}) - Ja, es ist unerhört, daß Sie das als erledigt betrachten. Oder, eine weitere nicht erledigte Forderung - das war 1977; da waren wir noch nicht da -: Wodurch halten Sie Beschwerden über die Hinausschiebung der Ratifizierung der Zusatzprotokolle zur Genfer Rot-Kreuz-Konvention seit 1977 und, hieraus resultierend, die Bitte um einen endlich am Völkerrecht orientierten Verzicht auf die Androhung des Ersteinsatzes atomarer Waffen für erledigt? Oder: Wodurch halten Sie Bitten und Beschwerden zu den geplanten neuen Zivilschutzgesetzen, Sicherstellungsgesetzen und zum Kriegsdienstverweigerungsverfahren für erledigt? Sind sie denn nicht direkt von den Gesetzgebungsverfahren betroffen? Ich kann diesem Petenten nur zustimmen: Diese Fragen sind mitnichten erledigt. Ich komme zum Schluß. Was ich jetzt sage, richte ich auch an die Adresse der SPD-Fraktion. Es handelt sich um die einzige im Moment anhängige sogenannte Massenpetition, und es geht um die Frage, wie wir in einem solchen Verfahren mit den Bürgern direkt Kontakt aufnehmen können. Im April befaßt sich die Ad-hoc-Kommission mit genau diesen Fragen. Wir halten es für einen untragbaren Umgang mit den Zielen der Bürger, die in dieser Petition zum Ausdruck kommen, vor diesem Aprildatum diese Petition für erledigt zu erklären. ({10})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Das Wort hat der Abgeordnete Pesch.

Hans Wilhelm Pesch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001691, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Entscheidung zur Durchführung des NATO-Doppelbeschlusses ist im Herbst 1983 hier im Deutschen Bundestag gefallen. Eine große Mehrheit der Abgeordneten hat sich damals aus den wohlbekannten Gründen und im Blick auf die Notwendigkeiten für den Nachrüstungsbeschluß ausgesprochen. Das Procedere dieser Entscheidung ist nicht zuletzt durch höchstrichterliche Entscheidung in Karlsruhe bestätigt worden. ({0}) Die Rückkehr der beiden Großmächte an den Verhandlungstisch in Genf zeigt die Richtigkeit der Annahme, daß durch den Nachrüstungsbeschluß die Abrüstungsgespräche keineswegs abgebrochen wurden, und zeigt, daß es nicht zutrifft, daß, wie SPD und GRÜNE damals behaupteten, eine neue Eiszeit anbrechen würde. SPD und GRÜNE und alle, die sich an der Kampagne gegen den NATODoppelbeschluß beteiligt haben, haben die damalige Diskussion um diesen Beschluß im Herbst 1983 verloren, und zwar nicht durch einen bloßen Abstimmungsmechanismus in diesem Hause ({1}) - diesen Abstimmungsmechanismus will der Kollege Peter von der SPD ja auch für den Petitionsausschuß geltend machen -, sondern durch die überzeugende Kraft der Argumente der Befürworter des Nachrüstungsbeschlusses. Meine Damen und Herren, diese Argumente wurden und werden von der Mehrheit des Volkes getragen. ({2}) Es kann nicht angehen, daß nach dieser verlorenen Diskussion nun der Petitionsausschuß zum Austragungsort parteipolitischer Auseinandersetzungen gemacht wird. ({3}) Meine Damen und Herren, ich halte es für sehr bedenklich, den Petitionsausschuß als Vehikel zu benutzen, ({4}) um eine erneute Behandlung des Nachrüstungsbeschlusses durch Regierung und Parlament zu erreichen. Die von den Petenten aufgeworfenen Fragen und aufgestellten Forderungen haben bis auf den heutigen Tag eindeutige und wohlbegründete Antworten erhalten. ({5}) Es ist bedauerlich, wenn Kollegen in diesem Hause die Haltung der CDU/CSU-Mitglieder so darstellen, als ob bei ihnen grundsätzlich kein Interesse daran bestünde, Fragen der Abrüstung und Friedenssicherung jetzt und in Zukunft zu diskutieren. Wir können nur immer wieder betonen, daß diese Diskussion nicht in den Petitionsausschuß gehört. ({6}) Im Petitionsausschuß ist nichts, ist gar nichts vom Tisch gefegt worden, ({7}) sondern der Ausschuß hat in einer umfassenden Begründung dargestellt, warum er die Bremer Abrüstungspetition mit Mehrheit als erledigt ansieht. Zu den von den Petenten erhobenen Forderungen ist noch einmal festzuhalten, daß sich an den zu gebenden Antworten nichts geändert hat. Das Beispiel der belgischen Regierungs- und Parlamentsentscheidung zugunsten der Nachrüstung eineinhalb Jahre nach unserem Beschluß zeigt, daß nach wie vor ein dramatischer Rüstungsvorsprung der Sowjetunion besteht. ({8}) Meine Damen und Herren, wenn, wie die Petenten behaupten, in der Bundestagsdebatte vom Herbst 1983 eine Reihe von Sachverhalten unbekannt gewesen wären, die, wenn sie bekannt gewesen wären, die Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles verhindert hätten, so hätten doch diese Sachverhalte, wenn sie tatsächlich existieren würden, die Überlegungen des NATO-Partners Belgien maßgeblich beeinflussen müssen. Die CDU/CSU-Fraktion ist der Auffassung, daß Regierung und Parlament in Fragen der Nachrüstung wie in Fragen der Abrüstung und der Friedenssicherung ganz allgemein in Vergangenheit und Gegenwart alles nur Denkbare zur Sachaufklärung beigetragen und eine korrekte Tatsachenfeststellung vorgenommen haben. Wir halten das Vorgehen des Petitionsausschusses in dieser Frage für korrekt und werden den Änderungsanträgen von SPD und GRÜNEN nicht zustimmen. ({9})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der GRÜNEN auf Drucksache 10/3191 abstimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Ich lasse nunmehr über den Änderungsantrag der SPD auf Drucksache 10/3192 abstimmen. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/2841 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Meine Damen und Herren, zu Punkt 9 b der Tagesordnung wird das Wort nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses auf Drucksache 10/3099 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung des Petitionsausschusses ist angenommen. Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundessozialhilfegesetzes - Drucksache 10/3079 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0}) Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Wünscht jemand das Wort zur Geschäftsordnung? - Herr Abgeordneter Porzner hat das Wort.

Konrad Porzner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001739, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, Sie haben eben gesagt, daß der Ältestenrat die Debattenzeit für eine Kurzdebatte vereinbart hat. Als der Altestenrat dies vor drei Wochen vereinbarte, wußten wir nicht, daß es heute eine zusätzliche dreistündige Aussprache gibt. Diese hatten wir heute vormittag. Nur deshalb und weil es auf Mitternacht zugeht und weil es sich bei den Tagesordnungspunkten 7 und 8 um erste Beratungen handelt, beantrage ich, ohne mich mit irgend jemandem verständigt zu haben, aus Gründen, die ich nicht weiter zu erläutern brauche, diese beiden Tagesordnungspunkte ohne Aussprache zu behandeln. Wir werden Gelegenheit haben, in den Ausschüssen und bei der zweiten und dritten Beratung im Plenum über diese Dinge zu reden. Mein Antrag hat also nichts mit der Bedeutung der Themen zu tun, die damit angesprochen sind. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Wünscht jemand, gegen den Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Porzner zu sprechen? - Der Abgeordnete Bueb hat das Wort.

Eberhard Bueb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000293, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Meine Damen und Herren, wir sind gegen den Geschäftsordnungsantrag der SPD, weil wir die beiden Punkte für so bedeutend halten, daß darüber beraten werden sollte. Mich wundert es eigentlich, daß die SPD einen solchen Antrag stellt, da sie doch immer betont, daß sie soziale Fragen ordnungsgemäß und vor allen Dingen sehr verantwortlich behandeln will. ({0})

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000342

Danke schön. Ich lasse darüber abstimmen. Wer dem Geschäftsordnungsantrag des Abgeordneten Porzner zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wir kommen also zur Abstimmung ohne Aussprache. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung zu Punkt 7 der Tagesordnung. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf auf Drucksache 10/3079 an den Auschuß für Jugend, Familie und Gesundheit - zur federführenden Beratung -, an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - zur Mitberatung - sowie an den Haushaltsausschuß - zur Mitberatung und gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung - zu überweisen. Wer diesen Überweisungsvorschlägen zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die Überweisung ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Müller ({0}), Wimmer ({1}), Frau Blunck, Dr. Enders, Immer ({2}), Kißlinger, Dr. Klejdzinski, Oostergetelo, Pfuhl, Sander, Dr. Schmidt ({3}), Frau Weyel, Wolfram ({4}) und der Fraktion der SPD Vizepräsident Cronenberg Sozial gerechte Verteilung der Bundeszuschüsse in der Altershilfe für Landwirte - Drucksache 10/2360 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({5}) Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Haushaltsausschuß Auch hierzu haben wir soeben beschlossen, ohne Aussprache zu verfahren. Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag auf Drucksache 10/2360 an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung - zur federführenden Beratung -, an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Haushaltsausschuß - zur Mitberatung - zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich um Zustimmung für diese Vorschläge bitten. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Es ist so beschlossen. Ich rufe die Punkte 10 und 11 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozeßordnung und anderer Gesetze - Drucksachel0/3054 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß Erste Beratung des von den Abgeordneten Vogelsang, Lutz, Kuhlwein, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Absicherung des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe für „einstufig" ausgebildete Lehrer und Juristen - Drucksache 10/3019 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Innenausschuß Rechtsausschuß Ausschuß für Bildung und Wissenschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Das Wort zu diesen Tagesordnungspunkten wird nicht gewünscht. Der Ältestenrat schlägt Ihnen die Überweisung der Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 10/3054 und 10/3019 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich davon ausgehen, daß das so beschlossen ist. Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Standort des Seeamtes Flensburg - Drucksache 10/2839 Das Wort wird nicht gewünscht. Die SPD-Fraktion hat die Überweisung des Antrags auf Drucksache 10/2839 an den Verkehrsausschuß beantragt. Gibt es Widerspruch gegen diesen Antrag? - Das ist nicht der Fall. Dann darf ich dies als beschlossen betrachten. Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Verkehr ({7}) zu dem Antrag der Abgeordneten Daubertshäuser, Duve, Dr. Apel, Glombig, Gobrecht, Klose, Paterna, Schmidt ({8}), Berschkeit, Buckpesch, Kretkowski, Hettling, Ibrügger, Kuhlwein und der Fraktion der SPD Abteilung Seeverkehr - Bundesministerium für Verkehr - Drucksachen 10/1884, 10/2848 Berichterstatter: Abgeordneter Bühler ({9}) Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Verkehr auf Drucksache 10/2848 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Somit ist der Antrag abgelehnt. Ich rufe Punkt 14 der Tagesordnung auf: Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Vorschlag für eine Verordnung ({11}) des Rates über den Abschluß eines Abkommens in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und Spanien über eine spezifische Finanzhilfe zur Erleichterung und Beschleunigung der Kapazitätsanpassung in der spanischen Fischerei - Drucksachen 10/2390 Nr. 5, 10/3061 Berichterstatter: Abgeordneter Eigen Das Wort wird offensichtlich nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten auf Drucksache 10/3061 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? ({12}) - Enthaltungen? - die Beschlußempfehlung des Ausschusses ist damit angenommen. Ich rufe die Zusatztagesordnungspunkte 2 und 3 auf: 2. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({13}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({14}) - Drucksachen 10/3002, 10/3198

Not found (Mitglied des Präsidiums)

Abgeordneter Dr. Schwörer 3. Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({0}) zu der Verordnung der Bundesregierung Aufhebbare Verordnung zur Änderung des Deutschen Teil-Zolltarifs ({1}) - Drucksachen 10/3003, 10/3199 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schwörer Der Ausschuß empfiehlt, die Aufhebung der Verordnung nicht zu verlangen. Ich lasse über die Vorlagen gemeinsam abstimmen. Wer den Beschlußempfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft auf den Drucksachen 10/ 3198 und 10/3199 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - ({2}) Wer stimmt dagegen? ({3}) Enthaltungen? - Die Beschlußempfehlung ist angenommen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Freitag, den 19. April 1985, für 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.