Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf: Aktuelle Stunde
Die Haltung der Bundesregierung zum alarmierenden Kostenanstieg im Gesundheitswesen nach der Konzertierten Aktion
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat gemäß Nr. 1 c der Anlage 5 unserer Geschäftsordnung diese Aktuelle Stunde verlangt.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Egert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Grund für die Aktuelle Stunde, die wir hier für heute morgen beantragt haben, liegt in der dramatischen Kostenentwicklung im Gesundheitswesen. Wir müssen befürchten, daß sich die Kostenentwicklung des vergangenen Jahres mit einer Ausgabensteigerung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen und des Portemonnaies der Versicherten von 3 Milliarden DM im Jahre 1985 in gleicher Weise fortsetzt. Dies würde bedeuten, daß aus den Portemonnaies der Versicherten erneut ein halber Beitragssatzprozentpunkt herausgenommen werden müßte, während die Leistungserbringer im Gesundheitswesen weiter von Maßnahmen verschont werden.
Ein zweiter Grund für diese Aktuelle Stunde ist die Untätigkeit des verantwortlichen Ressortministers. Herr Bundesarbeitsminister, Sie haben uns von Halbjahr zu Halbjahr mit Appellen vertröstet; Ihr Nichtstun ist nicht länger erträglich.
({0})
Wir fordern Sie auf, der dramatischen Kostenentwicklung endlich mit gesetzgeberischen Maßnahmen Herr zu werden.
Es wäre eine gute Übung für diese Regierung gewesen, nicht darauf zu warten, daß die Opposition Sie hier an der Zunge zieht, sondern die dramatische Entwicklung im Gesundheitswesen wäre Anlaß gewesen, daß hier eine Regierungserklärung zu
der dramatischen Entwicklung im Gesundheitswesen stattfindet.
({1})
- Nicht „Zunge zügeln", sondern dieser Minister hat versagt, Herr George. Dies ist der Punkt, der auch heute früh festzustellen ist. Er hat versagt bei der Arbeitslosigkeit, beim Thema Rente und nun auch im Gesundheitswesen.
({2})
Wie ist die Situation? Wir geben in der gesetzlichen Krankenversicherung in einem Jahr über 100 Milliarden DM aus; dies sind fast 40 % des Gesamthaushaltes des Staates. Dieser Bundesarbeitsminister reist von einem Appell zum anderen Appell. Wenn er sich die Presse anguckt, Herr George, dann sieht er, daß diese für ihn vernichtend ist. Da steht „Scherbenhaufen", bei den vornehmen, konservativen Blättern steht „mageres Ergebnis", und das ist dort die Umschreibung für Versagen. Sie sollten das nicht beschönigen, weil wir uns nicht darin gefallen werden, diese Entwicklung zu kämen. Wir sind besorgt darum, daß die Versicherten dieses Versagen des Bundesarbeitsministers bezahlen müssen. Aus ihren Portemonnaies wird man sich bedienen, und das wird den Spitzeneinkommen von freien Berufen zugute kommen, die es als unanständig empfinden, daß sie zu denen in Beziehung gesetzt werden, die die Beiträge für diese Spitzeneinkommen bezahlen müssen.
({3})
- Herr Kollege Seiters, ich gehöre zur Berliner SPD, aber über diesen Punkt debattieren wir heute nicht, sondern wir debattieren über das Versagen dieses Mannes dort. Dieser Mann hat versagt.
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- Das können Sie auch durch Zwischenrufe nicht wegreden, sondern Sie werden uns beantworten müssen, ob Sie die Gesetzgebungsinitiativen, die wir in diesem Bundestag vorgelegt haben, endlich mit unterstützen, damit wir dieser Kostenentwick9598
lung Herr werden. Ich will Sie fragen, ob Sie bereit sind, z. B. der Pharmaindustrie bei den Preisverhandlungen mit den Kassen Zügel anzulegen. Die Kassen sind bereit, den Weg mit uns zu gehen. Wir müssen das deshalb tun, weil drei Viertel der gesamten Pharmaproduktion zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verkauft wird. Stellen Sie sich doch so eine Situation einmal bei Mercedes Benz oder bei Siemens vor, Herr Kollege George! Wenn Sie sich dieses vorstellen wollten, dann würden Sie sagen: Sie sind bereit, Rabatte zu gewähren. Hier gibt es nicht einen einzigen Preisnachlaß zugunsten der Krankenkassen. Wir müssen nicht nur über Preise in der Pharmaindustrie, sondern auch darüber reden, wie man mit den Ärzteeinkommen und der zunehmenden Zahl von Ärzten zurechtkommt.
({5})
Da gibt es keine Vorschläge, kein Handeln, da gibt es nur Appelle. Der einzige Ausweg besteht darin, daß man auf die Portemonnaies der Versicherten schielt. Diesen unsozialen Weg allerdings werden wir nicht mitgehen, Herr George.
({6})
Herr Blüm ist es uns schuldig, daß er sein Desaster offenbart, damit wir ihm helfen können. Seine Gesundheitspolitik ist gescheitert.
({7})
Dieses Desaster, das Herr Blüm offenbaren muß, kann die Grundlage dafür sein, daß wir ihm aus der Patsche heraushelfen. Sie brauchen doch unsere Hilfe. Sie sind selbst unfähig zu handeln.
Wenn ich mir angucke, was die Sozialausschüsse der CDU diesem Minister, der ihr Vorsitzender ist, ins Stammbuch geschrieben haben, würde ich sagen: Ich wäre an Ihrer Stelle schamrot.
({8})
Dann stellen wir uns natürlich die Frage, ob Herr Blüm sein Mitgliedsbuch der Sozialausschüsse gedanklich schon bei Herrn George, beim CDU-Wirtschaftsrat abgegeben hat.
Das ist die Peinlichkeit, vor der wir stehen: daß Sie nicht in der Lage sind, die Interessen der Versicherten, der Patienten und Beitragszahler wahrzunehmen. Sie sind einseitig zu Lasten der Leistungserbringer im Gesundheitswesen tätig. Eine solche Politik werden die Sozialdemokraten allerdings nicht unterstützen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Wir wollen, daß die Portemonnaies der Versicherten geschont werden. Dafür werden wir unsere Vorschläge machen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Faltlhauser.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das war j a filmreif! Da kommt Herr Egert hier herauf, spielt Django im Medizinersaloon und ballert um sich herum. Ergebnis: Patient Gesundheitspolitik tot.
({0})
Mit welchem Recht kommen Sie hier herauf, Herr Egert, und mahnen Taten im Gesundheitswesen an?
({1})
Heute haben wir 11,44 % GKV-Beitrag. Das ist genau das Niveau von 1980. Sie haben mit 12 % übergeben!
({2})
Wir haben die Beiträge gesenkt, und deshalb haben wir jetzt Probleme. Wir haben, im Gegensatz zu Ihnen, die Beiträge an die Versicherten wieder zurückgegeben.
In Ihrer Regierungszeit sind die Beiträge von 8 auf 12% gestiegen. Wir machen uns Sorge um eine mögliche Steigerung von 0,3 bis 0,5 %. Man hat Ihnen den Führerschein im Gesundheitswesen genommen, und nun spielen Sie sich als Fahrlehrer auf.
({3})
Ihre Forderung nach entschlossenem, schnellem Handeln dieses Ministers spiegelt doch die Sehnsucht nach und die Vorliebe für bürokratische Regelungen wider.
({4})
Der SPD-Django ist ein Bürokrat, wie ich meine.
105 Milliarden DM Einnahmen und 108 Milliarden DM Ausgaben berechtigen zur Sorge, aber nicht zur Hysterie und zu Katastrophengeschrei.
({5})
Gerade jetzt dürfen wir uns den Blick dafür nicht vernebeln lassen, daß wir ein sehr intaktes Gesundheitswesen haben, in dessen Rahmen wir mehr als 100 Milliarden DM in der GKV und weitere 100 Milliarden DM über andere Finanzierungen ausgeben: für ein qualifiziertes, dichtes und soziales Gesundheitsnetz. Das lassen wir uns durch Ihre Hysterie mit Sicherheit nicht kaputtmachen.
({6})
Das sage ich zumal am Weltgesundheitstag, den wir heute begehen.
Die Konzertierte Aktion war sicherlich kein Jubelfest der Gesundheitspolitik, aber auch kein Tag der totalen Entmutigung.
({7})
Die zehn Leitlinien des Ministers sind ermutigend.
({8})
Er hat konstruktive Pflöcke eingesetzt. Vor allem hat er deutlich gemacht, daß es zur Stabilisierung der Beiträge keine einseitigen Lösungen geben kann. Sonderopfer kann es nicht geben; alle müssen zur Stabilisierung in positiver Weise beitragen.
Ich finde auch, daß die entsprechende Vereinbarung der Zahnärzte positiv zu bewerten ist. Die Sache mit dem Zahnersatz geht in diesem Jahr genau in die Richtung, in die wir gemeinsam wollen. Daß sich die Zahnärzte zu einer Verlängerung der Honorarvereinbarung bis Ende des Jahres bereit erklärt haben, ist auch positiv. Wenn wir das nicht anerkennen, wird es in Zukunft keinen freiwilligen Verzicht mehr geben, weil Freiwilligkeit in der Öffentlichkeit und von diesem Parlament nicht mehr anerkannt wird.
({9})
Positiv ist auch die von der Selbstverwaltung in Angriff genommene Regelung für die Großgeräte. Herr Egert, Ihr Gesetz brauchen wir nicht mehr. Genau das haben wir im Ausschuß vorausgesagt.
({10})
In dem Entwurf der Empfehlungen für die Ärzte heißt es wörtlich: „Kostendämpfungspolitik muß vorwiegend auf Mengenbeschränkungen ausgerichtet werden." Konsequenterweise ist dann auch deutlich gemacht worden, daß bis zum 30. Juni 1986 im Einklang mit dem Zuwachs der Grundlohnsumme die Summe von Preis- und Mengenentwicklung herangezogen werden muß. Das wäre ein entscheidender Durchbruch gewesen, das wäre auch für die anderen Leistungsbereiche ein Modell gewesen. Das ist leider - und das beklage ich hier mit Ihnen gemeinsam - nicht zustande gekommen.
Daß dies nicht zustande gekommen ist, bedaure ich besonders deshalb, weil hier ein Junktim zwischen dieser Regelung und der Zugangsmöglichkeit der Ärzte hergestellt worden ist. Ich halte ein solches Junktim zwischen Honorardisziplin einerseits und Zugangsbremse andererseits nicht für gut. Ich halte es nicht für glücklich, daß sich diejenigen mit ihren Einkommensvorstellungen nur dann zurückhalten wollen, wenn diejenigen, die draußen vor der Tür stehen, abgehalten werden. Dieses Junktim ist nicht glücklich gewesen; da sollten wir mit den Ärzten reden.
({11})
Nach dieser Konzertierten Aktion, meine Damen und Herren, ist die Selbstverwaltung nach wie vor gefordert; das sollten wir hier deutlich machen.
({12})
Der Gesetzgeber wird handeln müssen und handeln. Sie werden sich darauf verlassen können, daß
dies in diesem Jahr passiert. Nur: die Selbstverwaltung ist aus ihrer Verantwortung nicht entlassen. Ich glaube, die Konzertierte Aktion war ein guter Start für eine intensive und notwendige Diskussion.
({13})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Presseeklärungen, die die SPD zur Konzertierten Aktion abgegeben hat, zeigen, daß die Sozialdemokraten nicht bereit und in der Lage sind, aus Mißerfolgen der Vergangenheit zu lernen.
({0})
Die Kostendämpfungsgesetze der Vergangenheit haben angesichts der derzeitigen Kostenentwicklung ganz eindeutig gezeigt, daß sie nicht in der Lage gewesen sind, die Strukturen langfristig so zu verändern, daß Leistungsangebot und Leistungsnachfrage in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen können.
({1})
Deshalb, meine Damen und Herren, werden die Freien Demokraten als Partei der wirtschaftlichen Vernunft
({2})
nicht dabei mitmachen, eine solche kurzatmige Politik fortzusetzen.
({3})
Sie fördern mit Ihrem Ruf nach dem Gesetzgeber weiterhin die Haltung auch weiter Kreise in der Selbstverwaltung, die ihre eigenen Probleme nicht lösen wollen, sondern versuchen, sie auf den Gesetzgeber abzuschieben.
({4})
Natürlich ist das einfacher, aber es ist unverantwortlich. - Wenn Sie „Unverschämtheit" rufen, dann sollten Sie wirklich einmal darüber nachdenken, wohin Sie mit Ihrer eigenen Politik kommen.
({5})
Weder in Schweden noch in Großbritannien, was Ihnen offensichtlich als Vorbild dient, ist die Versorgung besser als bei uns, vor allen Dingen ist sie dort nicht billiger.
Wir bedauern es außerordentlich, daß die Vereinbarung für den ärztlichen Bereich nicht zustande gekommen ist. Denn hier war ein positiver Ansatz enthalten, der von der Selbstverwaltung selber hineingeschrieben worden ist, und dieser Ansatz zielte auf eine Mengenbegrenzung. Dies muß für die zukünftigen Verträge in der Tat wichtig sein.
Allerdings war das, was die Ärzte verlangten, unakzeptabel, nämlich ein Junktim mit gesetzlichen Maßnahmen zur Begrenzung der Ärzteschwemme.
Wir sind ja bereit, mit uns darüber reden zu lassen, ein Bedarfsplanungsinstrumentarium zur Verhinderung einer Überversorgung in der Reichsversicherungsordnung niederzuschreiben. Auch das Hausarztmodell der Kassenärztlichen Bundesvereinigung trägt für uns durchaus bedenkenswerte Züge. Wir sind bereit, mit uns da reden zu lassen, wo es gesetzlicher Maßnahmen bedarf.
Wir begrüßen es außerordentlich, daß die zahnärztlichen Verträge verlängert werden. Wir denken, daß dies ein Beispiel auch für andere sein könnte. Wir können nicht verstehen, daß sich die Krankenhäuser ihrer Verantwortung wieder einmal entzogen und so deutlich gemacht haben, daß sie es mit ihrer eigenen Verantwortung gegenüber der Beitragssatzstabilität in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht ernst meinen.
Auch die Preisvergleichsliste, meine Damen und Herren, ist ein Bereich, in dem weiterverhandelt werden soll, werden muß. Wir würden es begrüßen, wenn die Apotheker ihren Sachverstand hier mit einbringen können.
({6})
Insgesamt: Die Selbstverwaltung hat ihre Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. Sie wird weiterverhandeln, sie muß weiterverhandeln. Wir fordern die Selbstverwaltung auf, ihre Verantwortung für die Stabilität der Lohnnebenkosten ernst zu nehmen. Sie hat uns zugesagt, daß sie das tun will. Wir wollen, daß die Instrumente ausgeschöpft werden.
Aber daneben muß es im Gesundheitswesen eine Strukturdiskussion langfristiger Art geben. Wir begrüßen deshalb den Zehnpunktekatalog des Bundesarbeitsministers. Wir stellen fest, daß es hier mehr Übereinstimmung zwischen CDU und FDP gibt, als es je mit den Sozialdemokraten gegeben hat.
({7})
Wir wollen - das kommt in diesem Katalog sehr deutlich zum Ausdruck - die Selbstverantwortung sowohl der Leistungserbringer wie der Patienten durch eine langfristige Strukturreform fördern.
Solidarität und Subsidiarität, das bedeutet, daß der Leistungskatalog überprüft werden muß. Das bedeutet auch: Vorrang für Gesundheitserziehung und Gesundheitsaufklärung. Hier sind Familie, Schule und Selbstverwaltung gefordert.
Wir wollen der Selbstverwaltung zusätzliche Instrumente an die Hand geben, auch um eine gleichmäßige Niederlassung der Kassenärzte zu bewirken.
Wir wollen den Gestaltungsspielraum der Kassen erweitern. Hier sollen Pflichtleistungen in Satzungsrecht überführt werden. Wir denken z. B. an Teile von Sehhilfen, Hörhilfen und Zahnersatz. Das stärkt den Wettbewerb um eine günstige Leistungserbringung und niedrige Beitragssätze auf der Seite der Kassen.
Wir wollen darüber hinaus aber auch die Wettbewerbsbedingungen zwischen den einzelnen Kassen
angleichen. Das betrifft den Beitragseinzug, eine Gleichstellung zwischen den Kassenarten, die Poliklinikverträge, aber auch die zugeteilten Risiken.
Dies sind Ansätze für bessere Strukturen im Gesundheitswesen. Wir wollen weg von einer kurzatmigen Politik, wie sie die Vergangenheit ausgezeichnet hat.
({8})
Ich denke, das werden wir schaffen.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Steinhauer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Herren und Damen! Schon im November des vorigen Jahres haben wir in der Debatte vor der Kostenexplosion im Gesundheitswesen gewarnt. Die Koalition hat durch ihre Sprecher seinerzeit erklären lassen, daß sie das bestreite; es gebe nur Kostensteigerungen. Ich zitiere: „Diese Regierung und die Koalition haben das ganze System in der Hand." Das sehen wir in den letzten Tagen.
Schon damals haben wir vor einer Verharmlosung gewarnt. Wir haben insbesondere vor Fahrlässigkeit, Hilflosigkeit und Konzeptionslosigkeit gewarnt. Leider haben sich unsere Befürchtungen bestätigt.
({0})
Diese Regierung hat kein Konzept zur Bewältigung der Kostenprobleme im Gesundheitswesen.
({1})
Eben haben wir wieder ein Beispiel bekommen. Die FDP ist typisch dafür. Sie blockiert in dieser Koalition die Konzepte, wenn sie sich überhaupt einmal andeuten. Sie blockieren sich gegenseitig.
({2})
Was an Lösungsvorschlägen überhaupt zu erkennen ist, ist Wirkungslosigkeit. Die FDP - dafür haben wir eben ein Beispiel bekommen - versteht sich nicht als Wahrer der Interessen der Beitragszahler, sondern als Wahrer der Interessen der Ärzte, der Zahnärzte und der Pharmaindustrie.
({3})
Die personelle Infrastruktur dieser Fraktion macht das deutlich.
({4})
Die FDP versteht sich als verlängerter Arm der Standes- und Interessenpolitik für diejenigen, die sich an unserem Gesundheitswesen auf Kosten der Beitragszahler eine goldene Nase verdienen.
({5})
Nicht umsonst haben einige Ihrer Freunde auf dem Saarbrücker Parteitag der Partei soziale Kälte vorgeworfen.
Die Gesundheitspolitik zeigt aber auch: Sie ist die Partei der sozialen Kälte
({6})
und des Klassenkampfes von oben nach unten.
({7})
Dazu gehört, den Ärzten, Zahnärzten und der Pharmaindustrie etwas ins Portemonnaie zu geben, den Beitragszahlern etwas aus dem Portemonnaie zu nehmen. Sagen Sie doch ehrlich, Sie wollen die Selbstbeteiligung. Ich habe eben nichts Konkretes gehört, nur verbrämt etwas. Dann kommt die Selbstbeteiligung.
({8})
Haben Sie, Herr Minister Blüm, eigentlich von den Beschlüssen der CDA - Vorsitz Norbert Blüm - Kenntnis genommen? Die CDU-Sozialausschüsse haben Forderungen an Sie gestellt. Ich weiß nicht, wie Sie es machen, daß Sie hier spalten: einmal der Minister, einmal der Vorsitzende der CDA. Die CDA fordert: keine Selbstbeteiligung.
({9})
Das Arbeitsministerium bereitet eben das vor; Arbeitsminister: Minister Blüm. Offensichtlich ist das das ganze Konzept, das Sie haben: nach wie vor Versicherte belasten.
({10})
Man kann die CDA nur unterstützen, wenn sie sagt: Die Selbstbeteiligung ist die Einführung des Zweiklassenrechts durch die Hintertür.
({11})
Das heißt doch: Weil du arm bist, mußt du früher sterben!
({12})
Die CDA - Vorsitz: Blüm - fordert eine Kontrolle der Preispolitik der Pharmaindustrie. Das Arbeitsministerium - Vorsitz: Blüm - lehnt dies ab. Die CDA - Vorsitz: Blüm - fordert eine wirksame Begrenzung der Ärzteeinkommen. Das Arbeitsministerium lehnt dies ab.
Es ist nicht damit getan, Herr Blüm, daß Sie, wie in den letzten Tagen geschehen, Appelle aussprechen. Damit haben Sie ja schon in den letzten Tagemn Schiffbruch erlitten. Die Feststellung der CDA, daß einige Anbieter die Hemmschwelle überschritten haben, indem sie einen Nachholbedarf geltend machen, kann man nur unterstreichen.
Der Katalog läßt sich fortsetzen. Wir Sozialdemokraten können die gesundheitspolitischen Forderungen der CDA mittragen. Der CDA-Vorsitzende Blüm tut so, als gäbe es sie nicht. Ich kann nur sagen: Kollege Norbert Blüm, wie tief bis du gesunken.
({13})
Es ist ganz eindeutig, auf wessen Seite die Koalition in der Gesundheitspolitik steht: auf der Seite des großen Geldes. Wenn es dazu noch eines Beweises bedurfte, so hat ihn der Bundeskanzler geliefert. Er hat den Spitzenverbänden der gesetzlichen Krankenversicherung, die im Gesundheitswesen die Interessen von über 90% der Bürger vertreten, dreimal ein Gespräch abgelehnt.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluß kommen.
In dieser Zeit hat er sich zweimal mit den Vertretern der Ärzte, die die Interessen von nur 40 000 Personen vertreten, getroffen.
Das ist eine Rückwärtswende. Das ist ein Abbau im Sozialrecht, ein Abbau in der Sozialversicherung - alles zu Lasten der sozial Schwächeren. Diejenigen, die anbieten, die sich eine goldene Nase verdienen, werden gestärkt.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte eigentlich nicht vor, heute morgen über die Vergangenheit zu sprechen; denn die Vergangenheitsbetrachtung leistet keinen Beitrag, die Zukunft zu bewältigen. Wir müssen die Zukunft bewältigen.
({0})
Nur: Nach den Reden der sozialdemokratischen Kollegen muß ich doch noch ein paar Sachen zur Geschichte sagen.
Sehr verehrter Herr Kollege Egert, Sie waren doch Parlamentarischer Staatssekretär.
({1})
Wenn die Ausgabensteigerung in der gesetzlichen Krankenversicherung eine Kostenexplosion ist, dann ist die SPD der Sprengmeister dieser Explosion gewesen.
({2})
- Ich will es in Zahlen nachweisen; Sie können ganz ruhig bleiben. Von 1970 bis 1982 stiegen die Leistungsausgaben von 23 Milliarden DM auf 103 Milliarden DM. Das ist eine Steigerung um das Vierfache. Von 1970 bis 1975
({3})
- hören Sie sich doch die Zahlen an; darüber können wir doch nicht streiten - gab es eine Ausgabensteigerung pro Mitglied von 17,4%.
Herr Egert, in dem letzten Jahr, in dem Sie Parlamentarischer Staatssekretär waren, hatten wir einen Beitragssatz von 12%. Derjenige, den wir jetzt haben, ist immer noch zu hoch, viel zu hoch, aber er ist niedriger als der Beitragssatz, mit dem Sie sich verabschiedet haben.
({4})
Frau Kollegin Steinhauer, wenn Sie fragten, wie tief ich gesunken sei, dann kann ich Ihnen sagen: nicht so tief, wie die SPD damals war. 12 % sind j a tiefer.
({5})
Meine Damen und Herren, wissen Sie, es gibt ein orientalisches Märchen. Da entzieht sich der Einbrecher der Verfolgung, indem er durch die Menge eilt und ruft: „Haltet den Dieb!", und alle glauben, er sei der Verfolger des Diebes. Dadurch lenkt er ab. Dieses Märchen sollten Sie sich zum parteiamtlichen Märchen der SPD erklären: Haltet den Dieb!
({6})
Wenn ich eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragen würde, dann würde ich eine Aktuelle Stunde zum Gedächtnisschwund der Sozialdemokraten beantragen.
({7})
- Die Medizin scheint zu wirken, wie ich sehe; der Blutkreislauf kommt in Bewegung.
Kommen wir zu den Themen! Bleiben wir einmal bei ein paar Themen!
Ärzteschwemme:
({8})
1978 - Herr Egert, ganz ruhig bleiben; das ist Ihre Zeit - hat das Wissenschaftliche Institut der Ortskrankenkassen
({9})
bereits auf die qualitativen und quantitativen Probleme der Ärztezahl hingewiesen. Im gleichen Jahr hat das Zentralinstitut der Zahnärzte ein Gutachten vorgelegt. Da waren Sie noch vier Jahre im Amt. Aber keine Konsequenz daraus! Aber Sie verlangen von mir, daß ich nach zwei Jahren sozusagen alle Probleme löse.
({10})
Also, weniger, als Sie gemacht haben, konnten wir gar nicht machen. Weniger als Null kann man nämlich nicht machen.
({11}) Aber wir haben gehandelt.
({12})
Wir legen das Modell „Ärzte im Praktikum" vor, die Verlängerung der Vorbereitungszeit für die Kassenärzte. Ich glaube, daß auch über Kapazitätsgrenzen gesprochen werden muß, und zwar nicht unter dem Gesichtspunkt, die Türen zu schließen, nicht unter dem Gesichtspunkt „Geschlossene Gesellschaft",
sondern um die Qualität der Ausbildung zu sichern.
({13})
Denken Sie an die Krankenhausgesetzgebung. Sie haben 1972 ein Jahrhundertgesetz vorgelegt. Wenn ich richtig rechnen kann, müßte das nächste Krankenhausgesetz von Ihnen erst im Jahr 2072 gefordert werden. Ihre Jahrhunderte waren immer sehr klein. Aber sehr zu Recht haben Sie mit uns gefordert, daß wir es verbessern. Und wir haben es verbessert.
({14})
Es gibt die vorauskalkulierten Selbstkosten und damit einen Gestaltungspielraum.
({15})
Die Krankenkassen und die Länder sind zu Einvernehmen aufgefordert. Wir haben Schiedsstellen. Sie hätten sich die Finger danach geleckt, wenn Sie jemals eine Schiedsstelle zustande gebracht hätten.
({16})
Sie reden gegen die Auflösung der Mischfinanzierung. Fragen Sie doch mal in den Landtagen Ihre Fraktionen und Ihre Finanzminister. Sie können doch hier nicht bekämpfen, was Sie in den Landtagen bejubeln. Sie müssen sich schon einig werden, was Sie jetzt eigentlich fordern.
({17})
Wir werden auch eine Pflegesatzverordnung bringen, schneller, als es die SPD je zustande gebracht hat. Denn wir müssen für mehr Wirtschaftlichkeit im Krankenhaus sorgen.
Lassen Sie mich noch ein paar Bemerkungen zur augenblicklichen Situation machen. Es geht aus meiner Sicht nicht nur um Kostendämpfung. Es geht nicht darum, so einfach buchhalterisch Kosten zurückzunehmen. Es geht um eine Neuorientierung des Gesundheitssystems, in der Wirtschaftlichkeit und Gesundheit keine Gegensätze sind. Es geht darum, den medizinischen Wandel aufzufangen, auch im Gesundheitssystem. Es ändert sich doch Tag für Tag; es ändern sich auch die Schwerpunkte.
({18})
Es geht auch um die gesamtwirtschaftlichen Bedingungen. Da spielen die Lohnnebenkosten eine entscheidende Rolle. Deshalb werden wir uns mit Beitragssteigerungen nicht abfinden.
({19})
Notwendig ist auch ein Bewußtseinswandel. Die Gesundheit ist nicht kaufbar. Sie ist nicht einfach von anderen lieferbar. Hier muß auch das Bewußtsein der Eigenverantwortung gestärkt werden, da Gesundheit auch das Ergebnis von Anstrengung ist.
({20})
Zweitens. Nicht alles, was teuer ist, ist auch gut. Auch dies ist ein Mißverständnis.
Drittens. Nicht alles, was gesundheitspolitisch machbar ist, muß von der gesetzlichen Krankenversicherung finanziert werden. Wissen Sie, meine Damen und Herren: Welchen Anteil seines Einkommens der einzelne für seine Gesundheit ausgibt, ist seine freie Entscheidung. Im Unterschied zu Ihnen habe ich nicht den Ehrgeiz, Vormund zu sein. Die Frage ist, was mit den Beiträgen einer Pflichtversicherung bezahlt wird. Das ist die entscheidende Frage. Da kann es nicht so sein, daß wir jede Bagatelle bezahlen. Da kann es nicht so sein, daß wir jeden Anspruch über das gesundheitspolitisch Notwendige hinaus bezahlen.
({21})
Sonst würde derjenige, der bescheidene Ansprüche hat, den Luxus des anderen mit seinen Pflichtbeiträgen mitbezahlen. Das wäre doch eine Umverteilung.
({22})
- Lassen Sie nur. Ich komme ja gleich darauf. Warum soll ein Pflichtversicherter mit seinem Beitrag einen Superzahnersatz bezahlen, den er gar nicht will?
({23})
- Ja, es geht um das Geld der Arbeitnehmer. Es
) geht wirklich um ihre Groschen. Deshalb brauchen wir eine Konzentration auf das gesundheitspolitisch Notwendige. Dabei ist außerhalb jeden Zweifels: Wer krank ist, muß geheilt werden. Da darf Einkommen keine Rolle spielen.
({24})
Es geht um zwei Programme: ein kurzfristiges und ein mittelfristiges. Jetzt muß gehandelt werden.
({25})
Jetzt steigen die Beiträge. Wir handeln aber doch nicht ohne auch ein mittel- und langfristiges Ziel. Manchmal habe ich bei den Sozialdemokraten den Eindruck: Wenn die „langfristig" sagen, meinen sie, die Sache müsse auch erst langfristig angegangen werden. Ich denke, wir brauchen die Kombination einer Doppelstrategie:
({26})
jetzt das Mögliche machen, aber die langfristigen Ziele nie aus den Augen verlieren, weil jeder Schritt ein Schritt auf diese langfristigen Ziele hin sein muß. Sonst ist eine Politik in Gefahr, sich im Kreis zu bewegen. Das scheint ja das Modell Ihrer Fortschrittsbewegung zu sein.
Ich finde es gut, daß die zehn Punkte, die wir in der Konzertierten Aktion vorgelegt haben, ein positives Echo bei allen Beteiligten, bei den Gewerkschaften, den Arbeitgebern, den Anbietern, gefunden haben. Das finde ich einen guten Ausgangspunkt.
({27}): Betrügen Sie sich doch nicht
selbst, Herr Minister!)
- Ich stehe hier gar nicht jubelnd mit einem Ergebnis der Konzertierten Aktion, das doch niemanden befriedigen kann, meine Damen und Herren.
({28})
Die Konzertierte Aktion ist doch nicht der Arbeitsminister, das sind alle Beteiligten.
({29})
Wir haben eine Vereinbarung im Hinblick auf die Großgeräte getroffen. Das halte ich bei allen Bedenken, bei aller Kritik für einen großen Erfolg. Die Preisvergleichsliste ist auf dem Weg. Sie hätten doch Beflaggung angeordnet, wenn ein Arbeitsminister von Ihnen ein solches Ergebnis zustande gebracht hätte.
({30})
Meine Damen und Herren, unzufrieden müssen wir auf dem Gebiet der Arzneimittel sein. Da kann es nicht so bleiben, wie es ist. In der Tat, die Selbstverwaltung hat Vorfahrt. Sie ist nicht gefahren. Dann muß der Staat die Rahmenbedingungen verbessern.
({31})
Wir können uns nicht damit abfinden, daß die Arzneimittelkosten davonlaufen.
Wir müssen auch fragen: Erlahmen die Kräfte des Kompromisses? Ich möchte diese Stunde auch dazu benutzen, nicht resignativ die Selbstverwaltung sozusagen zu verabschieden, sondern nach wie vor das Angebot einer Kooperation des Staates mit der Selbstverwaltung zu machen. Sie können sicher sein: Wir werden handeln.
({32})
Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Vorstellung des Bundesarbeitsministers war nicht mehr so selbstbewußt, wie wir es sonst von ihm gewohnt gewesen sind.
({0})
Ich finde, das, was wir heute morgen gehört haben, klang schon ziemlich weinerlich.
({1})
Im Grunde genommen kann er einen dauern, dieser Bundesarbeitsminister,
({2})
aber nicht etwa deshalb, weil er nur Feinde hätte - er hat auch viele Freunde -, sondern einfach deswegen, weil er unfähig ist,
({3}) mit den Schwierigkeiten fertig zu werden.
({4})
Dies ist er vor allem deswegen, meine Damen und Herren, weil er versucht, Politik mit Sprüchen zu machen. Es sind zwar markige Sprüche, aber auch das läßt merklich nach.
({5})
Aber immerhin. Man hat es doch sehr schwer, ihm zu glauben, daß er mit diesen Sprüchen die Zukunft wird bewältigen können.
Er hat hier von einer Doppelstrategie gesprochen. Das ist richtig. Die Doppelstrategie besteht darin, daß die CDU - vor allem die Sozialausschüsse der CDU - etwas anderes will als die CSU und daß CDU und CSU vielleicht etwas anderes wollen als die FDP.
({6})
Daß die FDP etwas anderes will, wissen wir aus gemeinsamen Zeiten der sozialliberalen Koalition. Dies will aber auch eine Mehrheit der CDU/CSU. Also schlicht: Es wird hier um den heißen Brei herumgeredet. Es steht nur ein großes Menetekel dahinter, und das heißt Selbstbeteiligung. Es haben bloß noch nicht alle den Mut, dies auch mit aller Deutlichkeit zu sagen.
({7})
Dies allein steckt dahinter. Das ist die Doppelstrategie.
({8})
- Aber hören Sie mal: Von den Kostendämpfungsmaßnahmen, die die sozialliberale Koalition geschaffen hat, haben Sie noch eine ganze Zeit gelebt.
({9})
Hätten Sie, statt Zehnpunkteprogramme aufzustellen, weil Sie sich nicht hinsichtlich der tatsächlich einzuschlagenden Maßnahmen einigen können, rechtzeitig Maßnahmen ergriffen,
({10})
mit einer Absicherung gesetzlicher Art für die Maßnahmen, die durch die Selbstverwaltung zu ergreifen gewesen wären,
({11})
sähe es heute auch im Gesundheitswesen, insbesondere hinsichtlich seiner Finanzierung, anders aus, als es tatsächlich aussieht.
({12})
Gerade Sie von der CSU, lieber Kollege Faltlhauser, haben doch nun auf Überlegungen, die von seiten des Bundesarbeitsministers und seiner Freunde so als zarte Pflanze emporsprießen, mit Kanonen geschossen. Gerade Sie sind es doch gewesen. Sie wollen doch nicht sagen, daß es hier eine Einigkeit zwischen CDU und CSU gäbe.
({13})
Die gibt es hier so wenig wie auf anderen Gebieten der Sozialpolitik. Wir wissen dies schon richtig zu deuten. Dies alles ist nichts anderes als ein Alibi fürs Nichtstun.
Am Schluß ergibt sich nur die Alternative: entweder Beitragssatzsteigerungen für die Versicherten oder Kostenbeteiligung oder aber beides. Wenn es darum geht, nun wirklich Maßnahmen gesetzlicher Art zu ergreifen, um die Macht der Anbieter von Gesundheitsleistungen zu beschneiden, dann fallen Sie auseinander, dann ist von Ihrer Seite nichts mehr hinsichtlich konkreter Maßnahmen zu hören. Ich sage einmal: Die Zahnärztepartei FDP hindert Sie sehr wahrscheinlich daran, das Notwendige zu tun, so wie sie es auch bei uns getan hat.
({14})
Es bleibt zum Schluß wiederum nur die Kostenbeteiligung.
Meine Damen und Herren, es fällt auf, daß die Rede des Bundesarbeitsministers zur Eröffnung der Konzertierten Aktion in vielen Punkten bemerkenswert vage gehalten war. Nur in einem Punkt - es kommt mir darauf an, das klarzumachen - wurde er - das ist ebenso bemerkenswert, aber nicht unerwartet - sehr konkret, nämlich da, wo es um die Selbstbeteiligung der Versicherten an ihren Krankheitskosten geht.
({15})
Lassen Sie mich dazu einige grundsätzliche Bemerkungen machen, weil ich meine, daß eine Aktuelle Stunde nicht nur dazu dienen kann, sich gegenseitig anzumachen, sondern auch etwas zur Sache zu sagen. Das Wort Selbstbeteiligung ist falsch und irreführend. Es soll suggerieren, daß es irgendeine Leistung in unserem Gesundheitswesen gibt, die die Beitragszahler nicht selbst bezahlen. Dies ist falsch. Jede Leistung des Gesundheitswesens - das gilt, im Gegensatz zu anderen Zweigen der Sozialversicherung, im Gesundheitswesen ausnahmslos - finanzieren die Beitragszahler ohnehin über ihre Beiträge selbst.
({16})
Sie kriegen keinen Pfennig von irgend jemandem dazu. Gibt es das vergleichsweise woanders? Gibt es das z. B. bei der Altershilfe für Landwirte oder bei der Krankenversicherung für Landwirte?
({17})
- Dies ist der erarbeitete Anteil der Arbeitnehmer.
Das heißt: Auch dies haben die Arbeitnehmer erarbeitet. Deswegen kann ich das so nicht gelten las
Herr Abgeordneter, Sie müssen Ihren Schlußsatz sprechen.
Es wird Selbstbeteiligung gefordert, um die Kostenentwicklung zu bremsen, also eine Beitragserhöhung zu vermeiden.
Herr Abgeordneter - Glombig ({0}): Meine Damen und Herren, Selbstbeteiligung ist aber eine Beitrags- bzw. Abgabenerhöhung allein zu Lasten der Arbeitnehmer ohne Erhöhung des Arbeitgeberanteils.
Dies war der letzte Satz, Herr Abgeordneter.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich las heute morgen im „Kölner Stadtanzeiger", daß der Kollege Glombig davon spricht, das gestrige Ergebnis sei ein Fiasko des Ministers Blüm.
({0})
Meine Damen und Herren, ich glaube, das ist das Fiasko der SPD,
({1})
denn jahrelanges Nichtstun hat das bewirkt, was wir heute vorfinden. Ich möchte Norbert Blüm ein ganz herzliches Wort des Dankes und der Anerkennung für das sagen, was er jetzt mutig tut.
({2})
Dieser Minister hat Mut bewiesen. Er packt die Probleme an, die Sie jahrelang liegengelassen haben, meine Damen und Herren von der SPD.
({3})
Wo ist denn Ihr Konzept? Ich habe hier heute morgen vom Kollegen Egert nur eine Beschimpfung des Ministers gehört. Ich habe von der Frau Kollegin Steinhauer nichts anderes gehört als das, was die CDA gesagt hat, und ich habe vom Kollegen Glombig auch nichts Neues gehört. Wo ist denn Ihr Konzept? Sie stellen sich hierhin, reden und schimpfen, aber Sie haben nichts zu bieten.
({4})
Ich meine, wir sollten uns hier einmal über folgendes einig werden: Die Lasten können nicht auf einige wenige Schultern, sondern sie müssen auf alle Schultern verteilt werden. Ich halte nichts davon, jetzt einen Sündenbock zu suchen und die Schuld einseitig den Ärzten, der Pharmaindustrie oder gar den Versicherten zu geben. Schuld haben alle, die sich nicht vernünftig verhalten, vor allem
aber die Politiker, die dieses System 13 Jahre lang so haben wuchern lassen. Da liegt nämlich die Schuld.
({5})
Vor einem Weg möchte ich ganz besonders warnen, nämlich weiter an der Beitragsschraube zu drehen. Das ist der bequemste, aber auch der völlig falsche Weg. Es muß endlich aufhören, immer nur die Position der Leistungsempfänger zu sehen und weniger die Position des Beitragszahlers. Es gibt nämlich nicht nur Gerechtigkeit für den Leistungsempfänger, sondern es muß auch eine Gerechtigkeit für den geben, der die Leistungen aufbringen muß. Ständig steigende Beiträge sind von Übel. Sie behindern den wirtschaftlichen Aufschwung, gefährden die Sicherheit bestehender Arbeitsplätze und behindern auch die Schaffung neuer Arbeitsplätze.
Ein zweites. Wer wirksam die Kosten begrenzen will, muß für mehr Leistungs- und Kostentransparenz sorgen. Es kann nicht länger angehen, daß die Versicherten im unklaren über ihre Behandlungskosten gelassen werden. Daher sind pauschale Vergütungssätze und anonyme Abrechnungsverfahren, so wie wir sie bis heute kennen, nicht mehr zeitgemäß. Jeder Patient muß wissen, welche Kosten für welche Behandlung berechnet werden. Man kann nur dann von ihm ein kostenbewußtes und verantwortliches Handeln erwarten, wenn er auch weiß, was der Arzt in Rechnung stellt. Wir brauchen endlich den mündigen Patienten.
Wer verantwortlich mitwirken soll, muß auch besser über seine Gesundheit Bescheid wissen. Daher muß die Gesundheitserziehung in der Familie, in der Schule und auch am Arbeitsplatz verbessert werden. Auf den Gebieten der Vorbeugung und der Früherkennung stecken wir noch in den Kinderschuhen. Da kann und muß noch vieles getan werden. Ich denke, nur durch eine nachhaltige Aufklärung wird die Bereitschaft zum vernünftigen Umgang mit der Gesundheit gefördert.
Dazu gehört auch ein vernünftigerer Umgang mit den Medikamenten. Für viele Menschen ist das Arzneimittel heute leider zum Problemlöser für alles geworden.
({6})
Bei vielen Medikamenten ist die Wirkung aber höchst fragwürdig und schadet oft mehr, als sie nützt.
({7})
Jahr für Jahr landen Medikamente für über 1 Milliarde DM im Mülleimer. Immer noch werden viel zu teure Präparate und Großpackungen dort verschrieben, wo preiswertere zur Verfügung stehen, aber auch kleinere Packungen verschrieben werden können.
({8})
Hier könnte sehr viel gespart werden.
({9})
Müller ({10})
Warum brauchen wir 50- bis 70 000 Arzneimittel auf dem Markt, wenn wir mit 2000 auskämen?
({11})
Warum ist Deutschland eigentlich das einzige Land, wo die Träger der gesetzlichen Krankenversicherung keinen Einfluß
({12})
auf Menge und Qualität dessen haben, was sie bezahlen müssen.
({13})
- Das hätten Sie in Ihrer Zeit ja alles regeln können. Da haben Sie das aber alles laufen lassen.
({14})
Ein Letztes, meine Damen und Herren. Selbstbeteiligung kann nach unserem Verständnis nicht nur eine Sache für die Versicherten sein, Selbstbeteiligung muß für alle gelten. Eine Selbstbeteiligung ohne Steuerungseffekt lehnen wir ab, denn sie wäre nichts anderes als eine versteckte Beitragserhöhung.
Ich komme zum Schluß: Es muß uns gelingen, die Kosten im Gesundheitswesen so zu verringern, daß die Leistungsfähigkeit der Krankenversicherungen, der medizinische Standard und auch die medizinische Versorgung der Bevölkerung weiter gesichert bleiben.
({15})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Unangenehme in dieser Diskussion ist im Grunde genommen, daß, wenn es um Gesundheits- und Sozialpolitik geht, der CDU, Herrn Blüm und auch Ihnen, Frau Adam-Schwaetzer, offensichtlich immer der Begriff Selbstverwaltung einfällt. Selbstverwaltung fällt Ihnen immer dann ein, wenn es um sozial Schwache geht, und genau dann kommt der Appell an die Eigenverantwortung.
({0})
Wenn ich dann höre, daß Wirtschaftlichkeit und Gesundheit kein Gegensatz sein sollen, frage ich mich allerdings, warum es eigentlich in der Bundesrepublik keinen wirtschaftlichen Bereich - keine Branche - gibt, in dem in dem Ausmaß verdient wird wie im Gesundheitsbereich. Das muß doch seine Gründe haben! Die einen verdienen an der Krankheit, und das geht immer auf Kosten der anderen. Für diejenigen, die in einer Situation des zunehmenden Sozialabbaus krank werden und denen jetzt Bagatellkosten aufgedrückt werden sollen, ist das natürlich insofern ganz besonders fatal, als in Zukunft die Kosten des Gesundheitssystems noch weiter steigen werden, weil wir, wenn wir in diesem Bereich, bei den Bagatellkosten, einsparen,
in Zukunft mit größeren und härteren Krankheiten konfrontiert sein werden.
({1})
Eine Gesundheitspolitik, die wirklich eine Kostenreduzierung erreichen will und das ernst nimmt, kann nicht anders vonstatten gehen, als daß zumindest der Ansatz gemacht wird, an den Ursachen von Krankheit anzusetzen. Das Ausmaß von Umweltkrankheiten - Allergien, Pseudokrupp usw. - ist in den letzten Jahren erheblich gestiegen und ist mit eine entscheidende Ursache für das Steigen der Krankheitskosten.
({2})
Ich finde es fatal und auch zynisch, wenn man dann von Eigenverantwortung spricht. Ich habe dabei die an Pseudokrupp erkrankten Kinder vor Augen, denen man nun wirklich nicht - in keinster Weise! - ungesundes Leben oder dergleichen vorwerfen kann. Es ist Zynismus in Fragen der Gesundheitspolitik, wenn man angesichts von solchen Krankheitsbildern von Eigenverantwortung redet.
({3})
Wenn man überhaupt etwas machen will, um die Kosten von Krankheit einzuschränken, käme es mir darauf an, dafür zu sorgen, daß das, was hier an Profiten möglich ist, reduziert wird. Da kommt nichts anderes in Frage als ein radikaler Preisstopp für Medikamente und für Pharmamittel, die auf die jetzige Art und Weise wirklich das Gesundheitssystem belasten. Wenn Sie da nicht herangehen, wird es Ihnen nie gelingen, die Situation zu verändern, in der - das ist offensichtlich Marktwirtschaft - im internationalen Vergleich die Pharmaka besonders teuer sind, und der Verbrauch besonders hoch ist. Wenn Sie diese Schere nicht aufhalten, werden Ihnen - und zwar alle zwei Jahre wieder - die Gesundheitskosten davonlaufen.
Was noch ein Anliegen wäre, um die Exzesse zu verhindern, die auf dem Gesundheitsmarkt zu beobachten sind, wäre meiner Ansicht nach ein radikales Werbeverbot, nicht ein Informationsverbot, aber ein radikales Werbeverbot für Pharmaka.
({4})
Das, was in diesem Lande mit Ärztemustern passiert, ist meiner Ansicht nach ein Skandal.
({5})
Ich möchte zum Schluß kommen.
({6})
Ich habe nicht den Eindruck, daß von seiten der Regierung wirklich der Versuch unternommen wird, angesichts des Scheiterns dieser sogenannten Konzertierten Aktion für die Zukunft etwas zu tun. Denn das, was gemacht werden müßte, wäre in diesem Falle eindeutig eine Einschränkung dessen, was durch Marktfreiheit zu überhöhten Gewinnen der Pharmaindustrie führt.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Cronenberg ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Die Ergebnisse der Konzertierten Aktion geben in der Tat keinen Anlaß zum Jubeln. Wer deswegen aber gleich die Selbstverwaltung abschaffen oder in ihrer Substanz gefährden will, hat das System und seine Möglichkeiten nicht begriffen.
({0})
Staatlicher Dirigismus statt vernünftiger und praktikabler - auch marktwirtschaftlicher - Elemente hilft in der Sache überhaupt nicht.
({1})
Frau Kollegin Steinhauer, das Zweiklassensystem haben Sie perfekt in Schweden oder in Großbritannien: schlechte Versorgung, hohe Kosten und für diejenigen, die Geld haben, zusätzliche private Versorgung.
({2})
Herr Kollege Müller, Beitragsstopp und Preisstopp, genau damit würden Sie offensichtlich an den Symptomen herumkurieren, aber nicht die Ursachen beseitigen. Sie wollen offensichtlich das Kind mit dem Bade ausschütten.
Frau Kollegin Steinhauer, zum wiederholten Male und in aller Deutlichkeit: Wir sind keine Lobbyisten für Zahnärzte und Ärzte,
({3})
wir sind Lobbyisten für niedrige Beiträge und sinnvolle Gesundheitspolitik, und dafür werden wir uns auch einsetzen.
({4})
Wenn die Selbstverwaltung ihre Möglichkeiten noch nicht ausgeschöpft hat, dann bedaure ich das. Das kann aber für mich nur Veranlassung sein, dafür zu kämpfen, daß sie ihre Möglichkeiten ausschöpft, und der Selbstverwaltung, wenn ihre Instrumente nicht ausreichend sind, notfalls auch zusätzliche Instrumente in die Hand zu geben, damit sie mit der Problematik fertig wird.
Entgegen vielfachen Behauptungen sind wir sehr wohl für mehr Transparenz, auch Preistransparenz bei Medikamenten. Man muß aber deswegen nicht die Therapiefreiheit einschränken und als Gesetzgeber, was weiß ich, 857 Medikamente zwangsverordnen, um damit Preiswettbewerb zu erzeugen. Genau das Gegenteil wird erreicht: Sie fördern die Konzentration auf wenige Hersteller, um das Preisdiktat von übermorgen zu organisieren.
({5})
Ungewollt oder gewollt fördern die Vorkämpfer der Positivliste eine solche Konzentration. Sie werden ganz sicher verstehen, meine Damen und Herren, das kann und wird nicht die Politik der FDP sein.
Natürlich muß der Leistungskatalog korrigiert werden. Man unterschätze auch nicht den Spielraum, den die Kassen schon jetzt haben. Wenn sie sich auf Pflichtleistungen beschränken würden, also die freiwilligen zusätzlichen Leistungen streichen würden, sind Hunderte von Millionen DM einsparbar. Ich will da nur auf das Beispiel Sterbegeld hinweisen. Da sind ein paar hundert Millionen DM freiwillige Leistungen und keine Pflichtleistungen.
Kollege Glombig, meine Sympathien für Selbstbeteiligung sind hier richtig geschildert worden. Meine Sympathien für vernünftige Selbstbeteiligung sind ja bekannt. Aber offensichtlich werde ich hier immer wieder bewußt oder unbewußt mißverstanden.
({6})
Deswegen nochmals:
Erstens. Selbstbeteiligung ist kein Allheilmittel, ist ein Instrument neben vielen anderen. Frau Dr. Adam hat viele aufgezeigt.
Zweitens. Selbstbeteiligung muß einen Steuerungseffekt haben, sonst hat sie keinen Sinn.
Drittens. Selbstbeteiligung muß sozial zumutbar sein.
Viertens. Die Inanspruchnahme von Leistungen darf nicht in unerwünschte andere Bereiche abdrängen.
({7})
Und natürlich will ich nicht zusätzliches Inkasso für Leistungsträger betreiben, sondern ich will mit dieser Selbstbeteiligung dafür sorgen, daß die Beitragszahler nicht in ungeahnter Höhe belastet werden: Niedrige Beiträge, das ist das Ziel der Selbstbeteiligung, das ist Interessenvertretung für die Versicherten und nicht für die Zahnärzte, wie Sie - manchmal böswillig- behaupten.
({8})
Beitragsstabilität wird nur erreicht, wenn die Verhaltensweisen aller Beteiligten, auch der Leistungserbringer, verehrte Kollegen, verändert werden. Hierzu müssen Anreize, auch materielle Anreize zu wirtschaftlichen Verhaltensweisen geschaffen werden. Sparsame Inanspruchnahme muß belohnt werden. Das ist eine einfache, aber wirksame Philosophie. Dafür werben wir und bitten um Unterstützung. Durch materielle Anreize kann erreicht werden, daß sich die Erbringer von Leistungen wie die Versicherten vernünftig verhalten. Wenn wir diese Instrumente einsetzen und der Selbstverwaltung hierfür die notwendigen Instrumente geben, werden wir mehr Erfolg haben als mit Verordnungen, Gesetzen und allem übrigen Dirigismus.
({9})
Der Abgeordnete KrollSchlüter hat als nächster das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Gesundheitswesen in der Bundesrepublik Deutschland ist
nicht so krank, wie es manche Leute darstellen, aber auch nicht so gesund, wie wir es uns alle wünschen würden. Die Steigerung der Ausgaben z. B. macht dies deutlich. Mit der Devise jedoch „Schuld haben immer die anderen" kommen wir nicht weiter.
({0})
- Hören Sie doch erst einmal zu!
({1})
Alle müssen das Gesundheitswesen neu bedenken. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, und das heißt für uns, die entsprechende politische Verantwortung übernehmen. Es gehört zur Ehrlichkeit, auf folgendes hinzuweisen, Frau Steinhauer: Eine Selbstbeteiligung in Form einer Gebühr z. B. haben Sie eingeführt, nicht wir.
({2})
Zweitens. Das ausgeweitete Arzneimittelmusterwesen ist in Ihrer Regierungszeit - teilweise beängstigend - angewachsen. Wir sind jetzt dabei, auch im Sinne von mehr Arzneimittelsicherheit, wünschenswerte Korrekturen durchzusetzen. Sie haben alles im wahrsten Sinne des Wortes wirklich verschlafen, immer geschimpft, andere für schuldig erklärt,
({3})
treiben lassen, und die Ergebnisse liegen heute auf dem Tisch.
({4})
Aber es müssen auch andere Entwicklungen als Erklärung für das heutige Ergebnis angeführt werden, z. B. die inflationäre Entwicklung in den 70er Jahren, die Ausweitung der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung,
({5})
der Mißbrauch der Solidargemeinschaft, der technische Fortschritt.
({6})
- Mein Gott, können Sie Ihr Klassenkampfdenken denn nicht einmal abstellen, wenn es wirklich um notwendige, wünschenswerte Verbesserungen geht.
({7})
Sie müssen doch langsam gemerkt haben, daß man damit nicht weiterkommt.
({8})
Ich zähle doch sozusagen nur leidenschaftslos auf, was ist und was jetzt bedacht werden muß: gewachsene Ansprüche der Patienten - warum nicht? -,
({9})
Veränderungen der Mitgliederzahlen und -strukturen der Kassen, Veränderungen in den Gesundheitsberufen, Entwicklungen im stationären Bereich, beachtliche Steigerungen im Gesundheitswesen, beachtliche Fortschritte zum Wohle der Menschen, zuwenig Wettbewerb und zuwenig Anreiz, um zu sparen.
Ich glaube, es gibt kein vergleichbares Land, das seiner Bevölkerumg im Gesundheitswesen ähnliche Leistungen wie die Bundesrepublik Deutschland bieten kann. Wir sind aber auch zu der Einsicht gelangt, daß nicht alles, was wünschenswert und technisch machbar ist, auch bezahlt werden kann.
({10}) Die finanziellen Grenzen sind absehbar.
({11})
Frage: Was ist zu tun? Erforderlich ist eine Stärkung der Selbstverantwortung. Selbstverantwortung kann nur der übernehmen, der auch einen Freiraum hat. Freiraum heißt auch hier mehr Wettbewerb. Wenn die Selbstverwaltungsträger im Gesundheitswesen nicht in freier Vereinbarung mehr Markt schaffen können, so sind wir als Gesetzgeber dazu aufgefordert.
Selbstverantwortung gilt für alle, auch für uns, auch für die Patienten. Sie realisiert sich in gesundheitlicher Eigenverantwortung, die in einer gesunderhaltenden und gesundheitsfördernden Lebensweise zum Ausdruck kommt. Und jetzt noch einmal: Die wichtigste Form der Selbstbeteiligung und Eigenverantwortung ist zunächst Gesundheitserziehung in Familie und Schule. Dieser Bereich könnte noch sehr ausgebaut werden.
({12})
Die zweite wichtige Form der Selbstbeteiligung und Eigenverantwortung wäre mehr Gesundheitsinformation. Keiner sei des anderen Knecht, der sein eigener Herr sein kann, sagt Paracelsus. Dies gilt auch für die eigene Gesundheit.
Wir sollten uns auch darüber klar sein: Nicht nur Leistungen zu verteilen, sondern auch Leistungen einzusparen ist eine soziale Tat. Wenn wir darüber hinaus z. B. von prozentualer Selbstbeteiligung sprechen - wir möchten das noch einmal ausdrücklich sagen, Herr Glombig -, so meinen wir damit wirklich eine geringere und keine höhere Belastung der Beitragszahler. Nur wenn dies zu einer geringeren Belastung vor allem der Patienten und der Beitragszahler führt, kommt für uns eine solche Überlegung überhaupt in Frage.
({13})
Mit dem Dämpfen, Drohen und Deckeln der SPD der 70er Jahre ist keine gute Gesundheitspolitik für die 80er Jahre zu machen. Deswegen ist eine Kurskorrektur mit dieser neuen Regierung und dieser Koalition erforderlich.
Vielen Dank.
({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Peter ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Bundesarbeitsminister Blüm, Sie müssen sich hier bei dieser Debatte eiPeter ({0})
gentlich wie in der Konzertierten Aktion vorkommen. Von den eigenen Leuten, an die Sie Appelle richten, bekommen Sie als Antwort eigentlich Absagen.
({1})
Auch wenn die Appelle in der Konzertierten Aktion von Ihnen anders genannt worden sind - die Suche nach dem „dritten Weg" -, so bleiben sie schließlich doch Appelle. Herr Arbeitsminister, in der Konzertierten Aktion und vor allen Dingen hier können Sie lernen, welche Chancen Appelle und auch durchaus vernünftige Argumente haben, wenn die andere Seite das Prinzip des Aussitzens reitet.
({2})
Die Aussitzer sind ja unter uns. Da ist der Herr Kollege Faltlhauser, dessen Rede sich anhörte wie die schriftliche Auseinandersetzung mit den Vorschlägen der CDA und die vorweggenommene Auseinandersetzung mit den Vorschlägen des Kollegen Müller ({3}), da ist der Herr Cronenberg, und bei Frau Adam-Schwaetzer konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren: Sie hält als FDP-Schatzmeisterin hier eine Rede, um weitere Wählerstimmen bei den Zahnärzten zu gewinnen.
({4})
Ich frage mich, wieso mir bei den Aussitzern gerade auch noch der Name des Bundeskanzlers einfällt.
Herr Arbeitsminister, Ihre Suche nach dem dritten Weg gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn Sie sich in dem Bereich, in dem Sie selbst Handlungsbedarf für den Gesetzgeber zugeben, auch konkret an die Gesetzgebungsarbeit machen. Für vernünftige Ansätze haben Sie dabei die Unterstützung der SPD-Fraktion.
({5})
Ich erinnere daran, daß das keine leeren Worte sind; denn Sie hatten unsere Unterstützung bei Ihrem noch nicht verwässerten Entwurf zum Krankenhausfinanzierungsgesetz.
Solche Bereiche mit Handlungsbedarf will ich Ihnen nur kurz stichwortartig nennen. Da ist die Reform der Vertragsgebührenordnung für Ärzte und Zahnärzte. Die Einzelleistungsvergütung muß endlich durch die Einführung eines Leistungskomplexhonorars ersetzt werden, und dazu gibt es einen SPD-Entwurf.
({6})
Da ist die wirksame Bedarfsplanung beim Einsatz medizintechnischer Großgeräte statt Überversorgung, und dazu gibt es einen SPD-Entwurf.
({7})
Da gibt es die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit dem Problem der Ärzteschwemme. Im allgemeinen Arbeitsmarkt sind Sie ja immer sehr schnell zum Handeln bereit, wie Ihr Entlassungsförderungsgesetz zeigt, aber das geht nur mit einem Konzept, das mehrere Elemente verbindet: sinnvolle Zulassungssteuerung bei der Neuzulassung von Kassenärzten, um das Kostentreiben in der kassenärztlichen Versorgung zu vermeiden, Altersbegrenzung für kassenärztliche Versorgung und die Weiterbildungspflicht, um die Qualität der ärztlichen Versorgung zu verbessern, und auch dazu gibt es einen SPD-Entwurf. Weiter sind es verbindliche Preisvergleichslisten für die verordnungsfähigen Arzneimittel, direkte Preisverhandlungen zwischen Krankenkassen und Pharmaherstellern - auch dazu gibt es einen SPD-Entwurf - und wirksame Begrenzung des Werbe- und Marketingverhaltens der Pharmaindustrie, strikte Begrenzung der Abgabe von Arzneimittelmustern im Rahmen einer Novelle des Arzneimittelgesetzes. Auch dazu gibt es einen SPD-Entwurf,
({8})
und dieser SPD-Entwurf ist hier in Übereinstimmung mit den Vorschlägen der CDA. Sie als Interessenvertreter, Herr Faltlhauser, können da natürlich nicht zustimmen. Deshalb sind Sie Aussitzer.
Diese Vorschläge sind von den Gesundheitspolitikern der SPD gemeinsam mit Dr. Jochen Vogel, mit den Krankenkassen, dem Partner Ihres „dritten Weges", erörtert worden; Einverständnis und Bereitschaft zur Mitwirkung sind zugesagt worden. Herr Dr. Blüm, setzen Sie sich für Handeln des Gesetzgebers ein! Das ist besser, als sich beim Aussitzen der Probleme durchzusitzen. Herr Müller, ich gebe Ihnen, damit Sie es nachlesen können, dann gern unsere Vorschläge. Sie sind vorhanden.
Schönen Dank.
({9})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Becker ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren von der Sozialdemokratie, Sie haben weiß Gott keinen Grund, heute morgen ein großes Feldgeschrei zu inszenieren, Neid, Klassenkampfparolen und Dirigismus wieder aus der Mottenkiste zu holen;
({0})
denn Sie kommen nicht daran vorbei: Unter Ihrer Ägide fand die Kostenexplosion statt, unter Ihrer Ägide wurden die Beitragssätze von 8 auf 12 % gesteigert.
({1})
Sie werfen der Regierung Nichtstun vor.
({2})
1983, im ersten Jahr der Regierung von Helmut
Kohl, ist es gelungen, die Kosten zu dämpfen. Es
Dr. Becker ({3})
war ein Jahr mit Kostendämpfung und Beitragssatzsenkung; daran kommen Sie nicht vorbei.
({4})
- Das Anmachen hilft nichts, Herr Egert.
({5})
Gewiß sind die Ausgaben 1984 erheblich gestiegen. Die Ausgabenzuwächse sind doppelt so hoch wie die Einkommen der Arbeitnehmer. Daher war das Interesse an dieser Konzertierten Aktion im Frühj ahr besonders groß.
Wenn auch die Erwartungen nicht erfüllt worden sind, so lassen Sie mich doch einige positive Besonderheiten herausheben. Bei dieser Konzertierten Aktion haben alle Beteiligten gemerkt, daß die Zeit der unverbindlichen Ergebnisse vorüber ist.
({6})
Bei dieser Konzertierten Aktion wurden die Grenzen der Selbstverwaltung bei freiwilligen Lösungen erkannt und auch akzeptiert. Diese Konzertierte Aktion hat dem Gesetzgeber deutlich gemacht, wo er tätig werden muß. Der Staat wird gut beraten sein, in Kooperation mit den Partnern - nicht gegen sie - gesetzliche Regelungen zu suchen, die sie in freier Vereinbarung nicht finden konnten.
({7})
Die Zeit punktueller Flicklappenlösungen Ehrenbergscher Lösungen ist vorüber.
({8})
Jetzt sind drängende Strukturfragen anzugehen. Daher ist die Vorgabe der Bundesregierung mit ihrem Zehnpunkteprogramm besonders zu begrüßen; denn darin sind die strukturellen Grundzüge dargelegt, die es ermöglichen, ein gesundheitspolitisches Gesamtkonzept mit breitem Konsens zu erarbeiten.
({9})
Lassen Sie mich aus den vielen anstehenden Strukturfragen zwei herausheben, die von besonderer Bedeutung für die Kostenentwicklung im Gesundheitswesen waren. Das eine ist die Entwicklung der KVdR, der Krankenversicherung der Rentner. 1976, während Ihrer Regierungszeit, haben die Einnahmen noch 76 % der Ausgaben gedeckt. 1984 nur noch 46 %.
({10})
Der Beitragsabzug der Rentner kommt nicht der Krankenversicherung, sondern der Rentenversicherung zugute. Es bleiben ihr nur die relativ geringen Beiträge aus den Versorgungsbezügen. Diese Schere öffnet sich in Zukunft weiter. Daher muß eine Lösung gesucht werden unter Beachtung des
Solidarprinzips, unter Einbeziehung des Subsidiaritätsgedankens, nicht aber durch eine Ausklammerung.
Ein zweiter Punkt: Die Ärzteschwemme belastet zunehmend die gesetzliche Krankenversicherung. Das Problem war schon 1978 erkannt worden - Sie haben es vorhin gehört -, aber in seiner Wirkung von den Sozialdemokraten falsch eingeschätzt worden. Ehe die Ärzte über das Portemonnaie kleinzukriegen sind, wird die gesetzliche Krankenversicherung am Boden liegen.
({11})
So wie bisher kann es mit dem Neuzugang von Kassenärzten nicht weitergehen. Bund und Länder sind hier zu einer notwendigen Regelung aufgerufen.
Meine Damen und Herren, wir werden in der nächsten Zeit den Versichertenkreis, aber insbesondere auch den Leistungskatalog insgesamt neu definieren müssen, um das System finanzierbar zu erhalten. Durch die Straffung haben wir die Chance, zu niedrigeren Beitragssätzen zu kommen. Das ist Voraussetzung, um einen Spielraum zu haben für die mittelfristige Lösung der Arbeitsplatzprobleme und der langfristigen Lösung der Alterssicherung.
Schönen Dank.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Louven.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kollegen von der SPD, wir hatten gehofft, daß Sie diese frühe Stunde nutzen würden, uns Ihre Vorschläge zu unterbreiten.
({0})
Statt dessen hat Herr Altstaatssekretär Egert nichts als Polemik gebracht, um vom eigenen Versagen abzulenken.
({1})
Insofern, Herr Egert, ist diese frühe Sitzung genauso eine Show wie die seinerzeitige Sitzung des Arbeits- und Sozialausschusses, zu der Sie uns für 4 Uhr eingeladen hatten.
({2}) Herr Egert,
({3})
lassen Sie sich von dieser Stelle aus sagen: Es wird Ihnen nicht gelingen, die Kollegen von CDA, Mittelstand und Wirtschaft auseinanderzudividieren.
({4})
Und wenn Sie dem Minister in der Frage der Ärzteschwemme Untätigkeit vorwerfen, dann muß ich Ihnen sagen: Noch 1978 war es im BMA offizielle These, daß sich mehr Ärzte den Kuchen teilen und dieser dann billiger wird. Damals wußten Sie doch schon, daß wir ein Plus von jährlich 4 500 Ärzten haben würden.
Das Zehn-Punkte-Ergebnis, meine Damen und Herren, ist ein Erfolg und schafft Klarheit, Klarheit darüber, daß Handlungsbedarf für den Gesetzgeber besteht. Ich persönlich bin von der Selbstverwaltung enttäuscht, enttäuscht darüber, daß diese ein Instrument aus ihren Händen gibt. Allerdings bestätigen sich damit nur meine eigenen Erfahrungen mit einer Vertreterversammlung.
Wir werden nicht zulassen, daß Selbstverantwortung mit Selbstbedienung zu Lasten der Lohnnebenkosten verwechselt wird.
({5})
Bei der Lösung der Probleme gibt es keine SoloNummer, keine einseitigen dirigistischen Maßnahmen, wie es sie beispielsweise bei Herrn Ehrenberg für die Heilhandwerker gab. Selbstbeteiligung als Allheilmittel - nein, als Steuerungsmittel, meine ich jedoch - ja, wenn diese Selbstbeteiligung gesundheitspolitisch unbedenklich ist.
Ich meine, man müßte von dieser Stelle aus auch einen Appell an die Länder richten, den Bettenabbau zügig weiterzubetreiben,
({6})
und zwar so, daß kostendämpfende Wirkungen erzielt werden. Wenn es uns gelingt, die Überversorgung in allen Bereichen abzubauen, dann bin ich sicher, daß wir zu Beitragssätzen kommen, die verantwortbar sind.
Meine Damen und Herren von der SPD, nehmen Sie zur Kenntnis: Wir handeln, während Sie Klassenkampf betreiben.
({7})
Meine Damen und Herren, die Aktuelle Stunde ist beendet.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 e auf:
a) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten Repnik, Dr. Pinger, Dr. Laufs, Rühe, Dr. Hüsch, Schreiber, Graf von WaldenburgZeil, Sauter ({0}), Feilcke, Frau Fischer, Hedrich, Höffkes, Dr. Kunz ({1}), Lamers, Dr. Pohlmeier, Herkenrath, Echternach, Kraus, Bayha, Hanz ({2}), Frau Augustin, Borchert, Dr. Lammert, Sauter ({3}), Schmidbauer, Dr. Olderog, Hornung, Schartz ({4}), Schulze ({5}), Weiß, Schwarz, Eylmann, Werner, Susset, Bohl, Schneider ({6}), Brunner, Dr.-Ing. Kansy, Clemens, Magin, Dr. Schwörer, Sauer ({7}), Dr. Stercken, Pfeffermann, Frau Rönsch, Dr. Schroeder ({8}), Seehofer, Niegel, Dr. Bugl, Michels, Boroffka, Frau Geiger, Frau Hoffmann ({9}), Carstensen ({10}), Dr. Hoffacker, Frau Dempwolf, Seesing, Deres, Müller ({11}), von Hammerstein, Eigen, Wilz, Rossmanith, Dr. Faltlhauser, Lintner, Frau Dr. Wisniewski, von Schmude, Ehrbar, Louven, Keller, Dr. Czaja, Wissmann, Hinrichs, Hauser ({12}), Spilker und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Dr. Rumpf, Schäfer ({13}) und der Fraktion der FDP
Die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt
- Drucksachen 10/1824, 10/2405 -
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Vosen, Frau Dr. Hartenstein, Verheugen, Frau Blunck, Frau Dr. Martiny-Glotz, Frau Schmedt ({14}), Sielaff, Catenhusen, Fischer ({15}), Grunenberg, Hansen ({16}), Dr. Kübler, Nagel, Stahl ({17}), Stockleben, Vahlberg, Brück, Duve, Dr. Ehmke ({18}), Frau Fuchs ({19}), Herterich, Jaunich, Dr. Jens, Jung ({20}), Meininghaus, Müller ({21}), Oostergetelo, Roth, Schäfer ({22}), Schluckebier, Frau Schmidt ({23}), Dr. Schmude, Tietjen, Voigt ({24}), Wolfram ({25}), Dr. Vogel und der Fraktion der SPD Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000"
- Drucksache 10/2359 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Forschung und Technologie ({26}) Auswärtiger Ausschuß
Innenausschuß
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
c) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Innenausschusses ({27}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Friede mit der Natur - Für eine umweltverträgliche Industriegesellschaft
- Drucksachen 10/974, 10/2526 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Fellner Duve
d) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({28}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000"
- Drucksachen 10/362, 10/2377 -
Berichterstatter:
Abgeordnete Boroffka Vosen
Frau Dr. Hickel
e) Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit ({29}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Vorschlag einer Verordnung ({30}) des Rates zur Festlegung von Durchführungsbestimmungen zu der Verordnung ({31}) Nr. 3331/82 über die Nahrungsmittelhilfepolitik und -verwaltung für Nahrungsmittelhilfe
- Drucksachen 10/2076 Nr. 11, 10/2742 9612
Abgeordnete Brück Dr. Pohlmeier
Hierzu liegen auf Drucksache 10/3089 ein Entschließungsantrag der Fraktion der SPD und auf Drucksache 10/3106 ein Änderungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 e und eine Aussprache von drei Stunden vorgesehen. - Es erhebt sich dagegen kein Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Diese heutige Plenarsitzung ist kein Seminar über Umweltproblematik. Welches Ausmaß die Umweltzerstörung insgesamt bereits angenommen hat, ist in vielen Berichten nachzulesen. In welche ökologische Dauerkrise immer mehr Länder der Dritten Welt bereits geraten sind, haben gerade die letzten Monate, haben diese unsäglichen Hungerkatastrophen in Afrika gezeigt. Was geschehen muß und geschehen kann, ist inzwischen ausgiebig erforscht und beschrieben worden. Wir brauchen daher keine Fakten mehr aufzuzählen. Wir haben uns vielmehr mit der Frage zu beschäftigen, wie die ökologische Wende weltweit schneller und massiver einsetzen kann.
Trotz vieler Probleme - auch bei uns in der Bundesrepublik Deutschland - die entscheidende Herausforderung kommt aus der Dritten Welt auf uns zu. Warum?
Bald wohnen vier Fünftel der Menschen in der Dritten Welt. - Die Dritte Welt macht den größten Teil der bewohnten Erde aus. - Die ökologisch labilsten Zonen liegen in der Dritten Welt.
Unter den vielen Umweltzerstörungen in diesen Ländern fallen die Entwaldung, die Verschlechterung und der totale Verlust von Anbauflächen, die Verwüstung, der Verbrauch und die Verschmutzung des Trinkwassers am meisten ins Gewicht. Hier bahnt sich eine Kette von Katastrophen an. Wenn wir nicht schnell eingreifen, ist der größte Teil unserer Entwicklungshilfe sinnlos; er ist umsonst.
({0})
Gestatten Sie mir, daß ich Teile einer Umweltstrategie vortrage. Ich wage den Versuch einer Analyse.
Die Schäden am Ökosystem der Tropen und Subtropen sind von Menschen verursacht worden. Hauptursache ist das Bevölkerungswachstum. Es bildet einen entscheidenden Faktor für die zunehmende Vernichtung natürlicher Ressourcen. Der Mensch eignet sich die erforderlichen zusätzlichen Land-, Energie- und Rohstoffmengen meist in einer Form an, die zu weiteren Zerstörungen der Umwelt führt.
Die zentrale Frage lautet daher: Wie kann das Bevölkerungswachstum gestoppt werden, wie beteilige ich den Menschen an einer ökologischen Verbesserung, wie verankere ich die Umweltproblematik in der Bevölkerung und in ihren Trägerstrukturen?
Umwelterhaltung ist derjenige Bereich, wo am deutlichsten wird, daß traditionelle Verhaltensweisen und Rechte zugunsten des Überlebens eingeschränkt und verändert werden müssen. Wie ist es möglich, Verhaltens- und Nutzungsweisen der im landwirtschaftlichen Bereich tätigen Bevölkerungsgruppen zu ändern, und zwar freiwillig und rechtzeitig? Denn wenn die Ressourcen zerstört sind, bleiben ohnehin nur die Flucht oder der Tod. Auch dafür haben wir konkrete Beispiele vor Augen.
Der Zeithorizont der Menschen ist zu eng. Oft ist das auch durch das Rechtssystem bedingt. Kurzfristige Pacht- und Bebauungsrechte an einem Stück Land führen nun einmal nicht dazu, in den Boden zu investieren, sondern legen die bloße Ausbeutung nahe. So muß die Bodenfruchtbarkeit abnehmen. Vielfach fehlt auch einfach die Wahrnehmung. Auch bei uns ist das bewahrende Interesse, also eine konservative Grundhaltung im eigentlichen Wortsinne, eine Zeitlang geringgeschätzt worden.
Kriege binden wertvolle Ressourcen und zerstören die Umwelt, sowie den Selbsthilfewillen der Menschen. Es ist geradezu gespenstisch, daß inmitten von Hungerkatastrophen - wie in Äthiopien, im Tschad, in Mosambik - Bürgerkrieg herrscht und Kriegshandlungen der kämpfenden Parteien absolute Priorität vor allen Hilfsmaßnahmen haben. Lösungen sind nur mittels Änderung des Verhaltens der Menschen denkbar und erreichbar.
Meine Damen und Herren, Umwelt ist kein freies Gut mehr. Umwelt ist knapp geworden, und zwar weltweit. Knappe Güter, für die sich niemand verantwortlich fühlt, werden übermäßig beansprucht. Ein Individuum, das sich bei der Nutzung des Gemeineigentums persönlich zurückhält, während die anderen diese Lücke für sich wahrnehmen, erleidet Nachteile. Es ist paradox: Was der Gemeinschaft nützt, schadet ihm persönlich. Unter dieser Voraussetzung kann keine Verhaltensänderung erzielt werden.
({1})
Wenn also Gemeineigentum den Raubbau provoziert, muß eine kontrollierte Flächennutzung eingeführt werden. Der gemeinsame Verbrauch bis zur Wertlosigkeit des Gutes zerstört Lebensgrundlagen. Ziel ist nun der geschützte, das Gut erhaltende Gebrauch.
Ich sage das hier so deutlich, weil das Gemeineigentum auch bei uns vielerorts noch als der paradiesische Idealzustand vor dem Sündenfall des kapitalistischen Privateigentums gelobt wird. Unter Umweltgesichtspunkten sieht das Ganze anders aus.
Umwelterhaltung ist eine Zukunftsinvestition. Was bedeutet das für den einzelnen Menschen? Die Anstrengung für diese Investition muß sich für ihn lohnen. Der Nutzen muß sichtbar werden, und zwar
in relativ kurzer Zeit. Der Nutzen muß persönlich zurechenbar sein. Den Menschen, der seine Kräfte zugunsten der anonymen Masse verschleißt, gibt es kaum, weder bei uns, noch in der Dritten Welt.
({2})
Die Anstrengung muß sich für einen selbst lohnen. Umweltschutz muß also produktiv sein.
({3})
Die Investition muß in der Regel aus eigenen Überschüssen finanziert werden. Diese sind bei der Armutsbevölkerung aber nicht vorhanden; im Gegenteil, sie lebt von der Substanz. Daher muß hier Hilfe von außen geleistet werden, bis die Selbsthilfe völlig auf eigenen Füßen stehen kann, z. B. durch Programme, die für Nahrungsmittel Arbeitsleistung fordern: food for work.
Wer von einem Tag auf den anderen gerade überlebt, wer aus Not sein eigenes Saatgut verzehren muß, kann meist nicht über den Tag hinaus denken. Erst die Befriedigung der materiellen Ansprüche der Bevölkerung schafft die Voraussetzungen dafür, daß sie die Umwelt als schätzenswert empfindet. Das heißt, erst ist ein Mindestlebensstandard zu erreichen, dann folgt die Unterstützung des Umweltschutzgedankens.
Die Befriedigung der Bedürfnisse kann nur durch höhere Produktivität erfolgen. Daher muß Umweltschutz mit Arbeitsbeschaffung und Grundbedürfnisbefriedigung gekoppelt werden. Die Maßnahmen sollen in einem direkten Bezug zur Landwirtschaft stehen. Erst wenn die Umwelterhaltung voll in die Selbsthilfe eingegangen ist, werden alle entsprechenden Maßnahmen Erfolg haben.
Dies bedeutet: Umweltmaßnahmen sind im Mikrobereich zu verankern, dezentral, flächendekkend. Also auch hier Abschied von der Gigantomanie.
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- Herr Bindig und Herr Kollege Roth, wir tragen auch hier eine ungeheure Erblast, die wir nach der Wende im Oktober 1982 übernommen haben. Wenn Sie, Herr Kollege Roth, sich etwas intensiver mit der Umweltproblematik in der Dritten Welt auseinandersetzten, würden Sie sehen, welche erheblichen finanziellen Kapazitäten durch riesige Projekte heute noch gebunden sind, die unter Ihrer Herrschaft, unter der Herrschaft von SPD-Ministern, angezettelt und durchgeführt wurden, die über Jahre hinweg in ganz erheblichem Umfang unseren Spielraum belasten.
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Hätten wir, Herr Kollege Roth, nicht diese ungeheure finanzielle Belastung, könnten wir unsere Mittel sinnvoller in andere Bereiche lenken.
Wir müssen der Umweltzerstörung entgegenwirken, um im wahrsten Sinne des Wortes wieder Land zu gewinnen. Die Umweltverträglichkeitsprüfungen, die dankenswerterweise zwischenzeitlich eingeführt werden, die im Zusammenhang mit vorgegebenen Projekten angestellt werden, sind zwar notwendig, sie sind sinnvoll, bleiben aber letztlich nur ein Begleitinstrument. Die bloße Konzentration auf die Umweltverträglichkeit wäre passiver Umweltschutz. Wir brauchen ein stärkeres aktives Element in unserer Entwicklungspolitik, das präventiv wirkt.
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Es gibt verdienstvolle Projekte und Einzelansätze zur Verbesserung der Umweltsituation. Dies reicht aber offenbar nicht aus, um der Verschärfung des Problems Einhalt zu gebieten. Noch immer wird ein Vielfaches dessen zerstört, was zurückgewonnen wird. Also muß in größerem Maßstab gehandelt werden. Wie lange wollen wir mit Pilotphasen im Umweltsektor weiterarbeiten? Wir müssen die Forschungs- und Erprobungszeiten abkürzen, sonst besteht die Gefahr, daß uns die Umweltzerstörung überrollt.
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Es ist, wie ich meine, gerechtfertigt, den Schwerpunkt der Umwelterhaltung heute eindeutig im ländlichen Bereich zu setzen. Deshalb beschränke ich mich heute morgen ausschließlich hierauf. Die Probleme der Stadt entstehen doch vor allem deshalb, weil die Umweltzerstörung im ländlichen Bereich ungehindert voranschreitet. Die Verschlechterung der Lebensbedingungen auf dem Land und die völlige Perspektivlosigkeit für die dort lebende Bevölkerung bewirken eine steigende Landflucht. Viele Siedler in den städtischen Slums sind Umweltflüchtlinge. Wer die Überlebenschancen in den ländlichen Gebieten verbessert, hilft somit gleichzeitig den Ballungszentren.
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So schrecklich die Ereignisse von Bhopal sind und so sehr wir die vielen Opfer dieser Katastrophe beklagen, so sehr muß doch darauf hingewiesen werden, daß wir durch den täglichen Verlust von Kulturflächen und dessen Folge ständig Auswirkungen von einer viel größeren Dimension erleben müssen.
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Anfangen mit Umwelterhaltung im ländlichen Bereich ist auch dadurch gerechtfertigt, daß auf dem Land - noch zumindest - die meisten Menschen der Dritten Welt leben und die Landbevölkerung am meisten gefährdet ist.
Ein weiteres Hauptaugenmerk muß auf die Erhaltung und den Schutz der Trinkwasserreserven gerichtet werden. Unreines Wasser und mangelnde Hygiene bei Abwasser und Abfall sind Ursache von 80 % aller Krankheiten in der Dritten Welt. Die Wasservorräte in den Trockengebieten werden bereits jetzt übernutzt. Rohstoffabbau, Industrie und Verstädterung verschmutzen und verseuchen Grund- und Oberflächenwasser.
Was brauchen wir in dieser Situation nicht?
Wir brauchen keinen weiteren Umweltgipfel und keine Mammutkonferenzen. Es sind in den Ent9614
wicklungsländern noch nicht einmal die wichtigsten Versprechungen von der letzten Umweltkonferenz berücksichtigt worden. Daher auch keine neuen UN-Organisationen! Sicher sind verbesserte UN-Codices eine sinnvolle Maßnahme.
Nicht immer nur an neue Bürokratien denken! Bereits jetzt besteht in vielen Entwicklungsländern zwischen den programmatischen Aussagen und gesetzlichen Bestimmungen einerseits und der Praxis andererseits eine erhebliche Diskrepanz.
Umweltpolitik steht und fällt mit der Mitarbeit der Bevölkerung. Die staatliche Bürokratie ist das schwächste Glied in der Umwelt-Zusammenarbeit. Umweltschutz betreiben heißt vielmehr, den Zielgruppen möglichst nahe zu sein. Das bedeutet: Partizipation und Selbstverantwortung der Bevölkerung. Die Regierung des Entwicklungslandes leistet schon Hervorragendes, wenn sie dafür den rechtlichen Rahmen absteckt.
Der Versuch, aus den bestehenden multilateralen Organisationen kurzfristig mehr Qualität herauszuquetschen, ist sinnlos. Das Handlungsdefizit muß vielmehr konsequent langfristig abgebaut werden.
Vorhandene Schwächen:
Auch im Sektor der Umwelterhaltung sind akademischer Bereich und Praxisbereich auseinander-gedriftet. Beide müssen wieder zusammengeführt werden und sich stärker gegenseitig fördern.
Die Umsetzungsphase von der Idee, dem Prototyp zur Anwendung ist auch in der Umwelttechnologie
unzureichend überbrückt. Was haben wir insgesamt an Umwelttechnologie für die Dritte Welt anzubieten? Als Beweis, daß diese Technologie insgesamt nichts Kompliziertes sein muß, habe ich hier eine Erosionsschutzmatte, wenn Sie so wollen: eine Erosionsschutzwaffe mitgebracht, einfach aus Abfällen und eingewirktem Samen überall erhältlich in der Dritten Welt, herstellbar in der Dritten Welt, kaum Kosten verursachend, aber mit einer ungeheuren Wirkung. Warum versuchen wir nicht verstärkt, gerade mit solchen einfachsten technologischen Mitteln, die am Ort hergestellt werden können, diese Situation zu beheben?
({10})
Welche Programme zur besseren fachlichen Qualifizierung von Funktions- und Entscheidungsträgern in Politik, Verwaltung, Medien, Industrie und Lehre bieten wir inzwischen an? Ich meine: noch zu wenig.
Wie steht es mit unserer Forschung? Bekanntlich haben in den chronischen Hungergebieten der 60er Jahre in Asien entscheidend zur Bewältigung des Hungers die rasanten Fortschritte bei der Entwicklung von hochertragreichen, widerstandsfähigen Pflanzensorten beigetragen. Relativ wenig Untersuchungen wurden jedoch an afrikanischen Sorten wie Sorghum, Hirse, Yams oder Casava vorgenommen. Dieser Umstand wird übrigens dadurch drastisch verschlimmert, daß nun in Teilen des Sahel die ländliche Bevölkerung teilweise ihr eigenes Saatgut konsumiert. Dies bedeutet einen unersetzlichen Verlust an genetisch angepaßtem Saatgut.
Es gibt in den meisten Entwicklungsländern andere Prioritäten als Umweltschutz.
Die Mobilisierung der Bevölkerung für den Umweltgedanken erfolgt nicht durch großangelegte kurzfristige Kampagnen, sondern durch die tägliche Beteiligung der lokalen Einheiten und selbstbestimmte Maßnahmen.
Umwelterhaltung ist ohne tiefgreifende Reformen nicht möglich. Da Teilpacht z. B. keinen Anreiz zur Bodenverbesserung bietet und Kollektiveigentum nicht produktiv genug ist, hat die Agrarverfassung viel mit der Umweltproblematik zu tun.
Was ist zu tun?
Der Mensch muß in alle Maßnahmen einbezogen werden.
({11})
Sonst ist keine Mitwirkung der Bevölkerung möglich. Devise: Lieber klein als gigantisch! Kein Projekt ohne ökologische Komponente! Umfassende Strategien statt Einzelprojektansatz! Von Fall zu Fall vorgehen! Keine globalen Ansätze! Die Realitäten sind zu unterschiedlich.
Angesichts des sich dramatisch abspielenden täglichen Überlebenskampfes der ländlichen Bevölkerung in vielen Regionen kann Umweltbewußtsein nicht vorausgesetzt werden. Akute physische Entbehrungen drängen Bereiche wie Aufforstung, Vegetationsschutz, Erosionsschutz in einen abstrakten Hintergrund, da sie nicht mit den unmittelbar empfundenen Bedürfnissen übereinstimmen. Erfolgreich sind demnach nur die Umweltschutzmaßnahmen, bei denen es gelingt, besonders dringend empfundene Probleme des Alltags mit längerfristigen Maßnahmen zu verknüpfen. Die komplexe Problematik erfordert multisektorale integrierte Ansätze, die durch entwicklungspolitische Maßnahmen mit regionaler Auswirkung unterstützt werden müssen.
({12})
Aktionsnotstandsgebiete definieren. Abgehen von kurzfristigem Kosten-Nutzen-Denken, z. B. der These: Aufforstungen rechnen sich nicht. Keine nutzlose Suche nach allgemeingültigen Kriterienrastern. Die Lösungen sind immer standortspezifisch. Denken in Systemen, d. h. sowohl interdisziplinär wie alle handelnden Gruppen einbeziehend.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren. Die Investition in die Erhaltung der Umwelt lohnt sich. Ökologie ist längerfristig gerade auch für die Länder in der Dritten Welt Ökonomie.
Herzlichen Dank.
({13})
Das Wort hat der Abgeordnete Schanz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zur Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt hatte offenSchanz
sichtlich hauptsächlich den Zweck, der Bundesregierung eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung zu geben. Deshalb wabert auch durch ihre Antwort reichlich Weihrauch, und man muß die Augen schon weit aufreißen, um ihn zu durchdringen. Hat er sich einmal verzogen, treten zwei Dinge klar hervor.
Die Bundesregierung schmückt sich mit den Federn ihrer sozialdemokratisch geführten Vorgängerin. Auch der falsch ausgelegte semantische Ariadne-Faden von den entwicklungspolitischen Grundsätzen der Bundesregierung kann nicht verbergen, daß es sich dabei um die entwicklungspolitischen Grundlinien der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung vom Juli 1980 handelt. Natürlich begrüßen wir, daß sich die jetzige Bundesregierung dieser Grundlagen bedient, zeigt sich doch, daß die politische Praxis auch den Konservativen im Bundestag die Qualität, Wirklichkeitsnähe und Effektivität der Grundlinien erschlossen hat und daß die derzeitige Koalition entgegen dem Getöse aus der Zeit vor Oktober 1982 und entgegen dem Gelärme von der Erblast nichts Gleichwertiges oder gar Besseres zustande zu bringen in der Lage war. Stichproben haben ergeben, daß auch die Projekte, die die Bundesregierung zum Beweis ihrer auf Schutz der natürlichen Ressourcen angelegten Entwicklungspolitik anführt, in ihrer großen Mehrzahl noch aus der Zeit stammen, als Rainer Offergeld das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit geleitet hat. Auch hier begrüßen wir, daß diese Projekte fortgeführt worden sind. Neue sind ohnehin selten genug dazugekommen.
Die Anwort zeigt auch, wie leicht durch Zahlenspielereien ein falsches Bild gezeichnet werden kann. Auch der Sechste Entwicklungspolitische Bericht, den die Bundesregierung kürzlich vorgelegt hat, bringt nicht mehr Klarheit.
Der Bundestag hat zwar schon in seinem Beschluß vom 5. März 1982 ansatzweise Forderungen nach mehr Aufschluß in diesem Bereich erhoben, aber offensichtlich konnten die beiden ihm folgenden Berichte darauf nicht so eingehen, als daß die Große Anfrage der Koalition überflüssig geworden wäre.
Schöne Worte genügen nicht, meine Damen und Herren. Was not tut, ist beispielsweise eine erheblich bessere finanzielle Ausstattung des für Umweltschutz zuständigen Referates im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das zwar von Minister Warnke neu eingerichtet worden ist, aber dieses Jahr mit erbärmlichen knappen 4 Millionen DM auskommen muß.
Was not tut, meine Damen und Herren, ist Umweltschutzpraxis in allen Bereichen der Entwicklungspolitik. Was wir brauchen, sind auch Aktivitäten zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt, die über die Entwicklungszusammenarbeit hinausgreifen. Die Bundesregierung lenkt von der Tatsache ab, daß zwischen den von der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung übernommenen Grundlinien und der entwicklungspolitischen Praxis eine immer größere Lücke klafft. Eine rigoros gehandhabte Lieferbindung und eine erschreckende Zunahme der Mischfinanzierung,
die sogar das Mißfallen der OECD erregt hat, führen zur Auswahl von Projekten, die nichts mehr mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen zu tun haben.
({0})
Allein die Lektüre des Soll-Ist-Vergleiches der Jahre 1980 bis 1983 zeigt, was ursprünglich geplant war und was tatsächlich verwirklicht worden ist. Das weist auf einen Trend hin, der genau gegenläufig zu dem verläuft, was die Bundesregierung in ihrer Antwort auf die Große Anfrage behauptet.
Vor Wochen, meine Damen und Herren, haben alle Fraktionen in diesem Hause wegen des Giftgasunglücks in Bhopal ihre Sorgen, Ängste und Bedenken vor der Zukunft zum Ausdruck gebracht. Schon das Unglück in Seveso hätte uns alle zum Nachdenken bringen müssen. Das Lamentieren, das Beweinen eines Unglücks in Indien hat noch nichts bewirkt. Wenn es konkret wird, drücken Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition. Die Regierung weicht ins Unverbindliche aus. Noch am Mittwoch dieser Woche haben Sie einen Antrag meiner Fraktion im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit genau in seinem konkreten Teil abgelehnt.
Die Zeit für Schaukämpfe und Scheinargumente ist vorbei. Es ist fünf vor zwölf. Auch unsere Zukunft hängt wie jeder weiß - von der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen ab, nicht nur von denen in der Dritten Welt. Hüten wir uns also, mit dem erhobenen Zeigefinger die armen Länder zu ermahnen. Die eigene Vergangenheit sollte uns bewußt machen: 150 Jahre Industrialisierung sind auch 150 Jahre Raubbau an der Natur gewesen. Auch dies ist Verwüstung. Wir sollten aus diesem Grunde mit gutem Beispiel vorangehen. Mein Kollege Brück hat am 13. Dezember 1984 ausgeführt, daß es nicht reicht, wenn wir hier nur Betroffenheit und Mitgefühl ausdrücken. Er sagte wörtlich:
Wir tragen hier Verantwortung. Wir sind verpflichtet, die Erfahrungen, die wir in unserer industriellen Entwicklung gemacht haben, weiterzugeben.
Wir haben mit unserem Programm „Arbeit und Umwelt" den Weg zu einer Alternative gewiesen. Unseren Antrag „Friede mit der Natur Für eine umweltverträgliche Industriegesellschaft" haben Sie im Ausschuß abgelehnt. Das ist Ihre Politik. Die Verwüstung - ich sage nicht mehr: Desertifikation, weil das kein Mensch auf der Straße versteht - immer größerer Zonen Afrikas, Südamerikas und Asiens, Folge von Überbevölkerung, Überweidung und falscher Politikansätze, nimmt bedrohliche Ausmaße an.
({1})
Die gelegentlichen Hungerbilder sind nur Augenblicksaufnahmen und erinnern uns nur sporadisch.
Vorbeugende und konkrete Politik ist gefordert. Wir müssen den Menschen in der Dritten Welt mit gutem Beispiel vorangehen, ihnen aber auch sagen, daß sie aus unseren Fehlern lernen können. Wir
können helfen, die Wüsten zurückzudrängen, den Menschen eine Existenz zu geben und unseren Kindern eine Zukunft zu garantieren. Statt Milliarden und Millionen in die Rüstung zu stecken,
({2})
- j a sicher -, den Sternenkrieg denkbar zu machen, sollten diese Unsummen zur Entwicklung der armen Länder, zum Zurückdrängen der Wüsten zur Verfügung gestellt werden. Statt den Bauern über zweifelhafte Marktgesetzmäßigkeiten zu zwingen, den Boden erst zu vergiften, um ihn dann auszupowern, Überschüsse zu produzieren, welche dann zur Vernichtung der bäuerlichen Kleinstrukturen in der Dritten Welteingesetzt werden, wäre es sinnvoller, die Bauern und Landwirte weltweit als Ökologen existensfähig zu machen.
Meine Damen und Herren, wir haben mit dem Zukunftsprogramm „Dritte Welt - Weltentwicklung statt Weltrüstung" aufgezeigt, wie es anders gehen könnte. Da sind die finanziellen Ressourcen, die nötig wären, das ist konkrete Politik. Meine Damen und Herren, Sie brauchen dem nur zu folgen.
Ohne weltweite Abrüstung gibt es keine Entwicklung, keine Wende des Hungers und kein Ende des Raubbaus an der Natur. Ohne Ende des Hungers und des Raubbaus an der Natur gibt es keinen Frieden. Ohne Frieden zwischen den Völkern droht die Vernichtung unserer Erde. Der hohe Verbrauch der Industrieländer, ein durch Armut bedingter Raubbau an der Natur und die aus den Industrieländern für den Pflanzenschutz importierten Chemikalien haben unübersehbare Umweltschäden hervorgerufen, heißt es in unserem Programm.
Meine Damen und Herren, wir haben heute einen Antrag eingebracht, der Ihnen vorliegt. Dieser Antrag ist konkret. Er nimmt Bezug auf gemeinsame Beschlüsse dieses Hauses vom 5. März 1982, 19. Januar 1984 und 18. Oktober 1984. Dieser Antrag fordert umweltpolitische Kriterien für alle Bereiche der Entwicklungszusammenarbeit bis spätestens Ende 1985. Der Handlungsbedarf ist gegeben. Mit der Annahme dieses Antrages würde die Regierung einen Handlungsauftrag erhalten: Statt weniger Geld für das Umweltreferat im BMZ mehr Geld, Taten statt Worte. Wir brauchen eine Politik, die bei allen wichtigen politischen Entscheidungen mitbestimmt und nicht auf die Rolle einer isolierten und reagierenden Politik verkürzt wird.
Umweltverträglichkeitsprüfungen sind für alle staatlichen und nichtstaatlichen Vorhaben durchzuführen. Bei der Bewertung und Entscheidung über
die betreffenden Vorhaben bzw. Projekte muß den ökologischen Gesichtspunkten der gleiche Rang eingeräumt werden wie den ökonomischen.
Wir fordern Sie auf, zuzustimmen, daß die Bundesregierung auf die Notwendigkeit der Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt auch bei jenen Aktivitäten Rücksicht zu nehmen hat, die über die Entwicklungszusammenarbeit hinausgehen. Ich meine dabei deutsche Privatinvestitionen und den Handel mit Pharmaka und Pflanzenschutzmitteln, und ich meine die Züchtung von und den Handel mit Saatgut.
Wir bitten Sie, sich unseren Antrag genau anzusehen, ihn nicht pauschal abzulehnen, sondern mit uns darüber zu diskutieren. Wir würden einer Oberweisung an den Ausschuß natürlich auch zustimmen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommend zusammenfassen: Wir Parlamentarier in diesem Hause müssen zusammenarbeiten und nicht nur mit dem Finger auf die Dritte Welt zeigen; wir müssen bei uns anfangen. Wir müssen dieser Regierung so viel Konkretes vorgeben, daß sie gezwungen wird, zu handeln.
Herzlichen Dank.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Professor Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit der Bericht zu GLOBAL 2 000 vorgelegt wurde, nämlich seit 1980, sind auf der Welt nahezu 100 Millionen Hektar Urwald abgeholzt worden. Seit wir also diesen Bericht kennen und darüber diskutieren, ist weltweit eine Waldfläche vernichtet worden, die etwa der gesamten Fläche von Westeuropa entspricht.
Diese Waldfläche als natürliches und intaktes Ökosystem ist unwiederbringlich verloren. Man kann es nur durch künstliche Waldkulturen ersetzen, die zwar die Erosion des Bodens verhindern, nicht aber annähernd dieselben ökologischen Wirkungen bringen können, wie der Urwald sie liefert. Der Urwald mit seiner riesigen inneren und äußeren Oberfläche ist in der Lage, eine große Menge von Kohlendioxid zu verarbeiten, indem er den Kohlenstoff bindet und Sauerstoff dafür abgibt. Ein einziger Baum kann auf diese Weise durch seine innere Oberfläche etwa für 60 Menschen Sauerstoff liefern.
Diese Sauerstoffabriken werden nun, wie ich eingangs sagte, nicht nur einzeln, sondern auf Millionen von Hektar vernichtet. Dadurch wird die Sauerstoff-Kohlendioxid-Bilanz der Erde empfindlich gestört. Infolge der vielen Verbrennungsprozesse auf der Welt - Fabriken, Haushalte, Verkehr und nicht zuletzt auch die Holzverbrennung der Dritten Welt - wird zusätzlich viel mehr Sauerstoff verbraucht, als nachproduziert werden kann. Dadurch wächst die Gefahr der Käseglockenwirkung in der Atmosphäre, die auch klimatische Auswirkungen hat wie langdauernde Dürreperioden. So ist die Wüste in den letzten fünf Jahren, seit GLOBAL 2 000 vorliegt, mindestens in doppelter Fläche gewachsen wie die Waldvernichtung.
Für die FDP-Fraktion darf ich feststellen, daß es gegen diesen Trend nur ein einziges Mittel gibt, das helfen kann: Es ist die integrierte ländliche Entwicklung, die sowohl in der nationalen EntwickDr. Rumpf
lungspolitik als auch in den internationalen Programmen - etwa in den von der Weltbank, von der UN-Umweltbehörde oder von der FAO geförderten Programmen - absolute Priorität erhalten muß. Ich glaube, darin bind sich die Fraktionen einig.
Zu dem, was Herr Repnik, der sich jetzt gerade sehr eingehend mit dem Staatssekretär unterhält - was j a auch wichtig ist -, gesagt hat:
({0})
Herr Repnik, ich wollte Ihnen sagen: Es befriedigt mich innerlich sehr, daß durch die vielen Gespräche, die wir hatten - bei gemeinsamen Konferenzen und auch auf Reisen -, die Überzeugung, daß die ländliche Entwicklung für die Entwicklungspolitik das A und das O ist, bei Ihrem Vortrag so deutlich herausgekommen ist.
Herr Schanz wollte mit den Tönen, die er hier einbrachte, offensichtlich die Gegensätze herausarbeiten. Aber die gibt es j a eigentlich gar nicht, denn auch Ihre Fraktion, Herr Schanz, ist der Meinung, daß diese Vernichtung der ökologischen Grundlagen verhindert werden muß.
Nun zu den GRÜNEN: Meine liebe Frau Gottwald und mein lieber Herr Schwenninger, Sie sind ja heute zum letztenmal da. Ich werde nachher sagen: Adieu, Frau Gottwald, adieu, Herr Schwenninger. Aber vorher sage ich noch: Sie haben ja sehr oft die richtigen Fragen gestellt, aber immer die falschen Antworten gegeben.
({1})
Meine Damen und Herren, was ist nun zu tun, wenn wir die Herausforderungen, die uns der Bericht „GLOBAL 2 000" aufzeigt, ernst nehmen, wenn wir sie annehmen und handeln wollen? Für die FDP-Fraktion darf ich drei Schwerpunkte herausarbeiten:
Erstens. Wir müssen noch viel mehr und noch viel konsequenter von dem Prinzip, von Anträgen der betroffenen Entwicklungsländer auszugehen, wegkommen und müssen zu einem Programmprinzip kommen,
({2})
d. h. zur Unterstützung von integrierten Programmen z. B. der ländlichen Entwicklung, die nach übergeordneter wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Erkenntnis richtig und notwendig ist.
Zweitens. Wir müssen, Herr Staatssekretär, noch viel mehr und noch viel konsequenter als bisher von sektoralen oder Einzelprojekten wegkommen und müssen zu überregionalen Programmen kommen, die zur Entwicklung ganzer Regionen und Erdteile wie z. B. der Sahelzone notwendig sind.
Drittens. Die Programme müssen in gleichgerichtete Eigenanstrengungen der Partnerländer eingefügt sein oder eingepaßt werden. Es geht nicht an, daß in bestimmten Ländern ganz entgegengesetzte Politiken betrieben werden, die völlig kontraproduktiv wirken. Ja, ich gehe sogar so weit, zu verlangen, daß bilaterale und multilaterale Programmhilfen die entsprechenden Eigenanstrengungen zur Voraussetzung und Bedingung haben müssen. Dies war doch der eigentliche Sinn des Politikdialoges, den der EG-Kommissar Edgar Pisani im Vorfeld der Verhandlungen zum Lomé-Abkommen gefordert hat. Solche Politikdialoge müssen fortgesetzt werden.
Meine Damen und Herren, viele Ursachen der weltweiten Krise erscheinen mehr oder weniger naturgegeben, z. B. die Explosion der Erdölpreise 1973 und 1979, langanhaltende Dürrekatastrophen, dadurch verstärkter Raubbau an der Natur, hohe Zinsen, rezessionsbedingter Rückgang der Rohstoffpreise und vor allem das dramatische Wachstum der Bevölkerung. Aber zur Resignation vor der Not besteht kein Anlaß und auch kein Recht.
({3})
Zu viele Ursachen sind durch wirtschaftspolitische Fehlleistungen ausgelöst worden und könnten durch entschlossene Korrekturen vermieden oder doch gemildert werden. Ich nenne die Überbelastung vieler Staatshaushalte in der Dritten Welt durch unrentable öffentliche Unternehmen,
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die Benachteiligung der heimischen Wirtschaft durch überhöhte Wechselkurse, eine verfehlte Handelspolitik, den Ruin der heimischen Landwirtschaft durch künstlich niedrig gehaltene und staatlich verordnete Agrarpreise
({5})
und eine zu große Anzahl entwicklungspolitisch zweifelhafter Prestigeobjekte; schlimmstes Beispiel ist der in jüngster Zeit vorerst stillgelegte Manantali-Staudamm. Damals hat schon die Vorprüfung der Hermes-Bürgschaft davon abgeraten, daß man sich an diesem Staudamm beteiligt.
({6})
- In Mali; er soll den Senegal aufstauen. Dieser Manantali-Staudamm wäre nicht gebaut worden, wenn echte Umweltverträglichkeitsprüfungen durchgeführt worden wären. Jetzt müssen wir sehen, wie wir aus dieser Situation herauskommen.
Meine Damen und Herren, die positive Entwicklung zweier noch vor 20 Jahren als hoffnungslos geltender Fälle, nämlich Indiens und Bangladeshs, zeigt, daß kein Anlaß besteht, den Mut zu verlieren, und daß sich entschlossenes Handeln immer auszahlt. Dazu muß aber die Eigenverantwortlichkeit der Empfängerländer gestärkt werden. Unsere Hilfe muß immer zur Selbsthilfe führen.
({7})
Die Regierungen sind für bestimmte Reformen, für Strukturanpassungen, für Familienplanung usw. selbst verantwortlich. Die eigene Landwirtschaft, die häufig genug auf hervorragende Böden zurückgreifen kann und ein phantastisches Klima vorfindet, muß durch angemessene Erzeugerpreise gestützt werden.
Ich möchte noch einen Aspekt der Hoffnung einführen. Meine Damen und Herren, wir müssen wegkommen von dieser Weltuntergangsstimmung und von der Schwarzmalerei. Wir können das Raumschiff Welt nicht weiter ökologisch zerstören. Wir haben doch aber auch, wie Herr Repnik in einem kleinen Beispiel mit dieser Samen-Matte gezeigt hat, die Möglichkeiten, über Biotechnologie etwas zu erreichen. Mein Kollege Kohn wird darauf noch eingehen. Man kann durch biotechnologische Verfahren Pflanzen zur Ernährung züchten, die trokkenresistent sind, die weniger Düngung oder überhaupt keine Düngung brauchen, die besser lagerungsfähig sind und die ertragreicher sind.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schwenninger?
Ja, selbstverständlich.
Das ist sehr nett, danke schön.
Lieber Herr Rumpf, könnten Sie nicht auch einmal etwas sagen, was wir im Hinblick auf den Aufbau in der Dritten Welt tun müssen? Sie haben bis jetzt noch kein Wort über das gesagt, was wir an Tropenhölzern aus der Dritten Welt bei uns verbrauchen, und Sie haben noch kein Wort dazu gesagt, was wir tun können, damit Konzerne von uns, mit denen wir zu tun haben - ich sage nur stichwortartig MacDonalds, Rodungen im Amazonasbereich -, diesen Raubbau nicht mehr betreiben.
Herr Schwenninger, ich bin gerade dabei zu sagen, daß die Umweltverträglichkeitsprüfungen wesentlich verstärkt werden müssen. Ich bin dabei zu sagen, daß diese Konzerne, von denen Sie reden, auch der Kontrolle bedürfen, etwa beim Manantali-Staudamm. Sie müssen sich das anhören. Die Biotechnologie, die ich jetzt gerade anführen wollte, ist doch auch eine Chance, in dieser Angelegenheit weiterzukommen.
({0})
- Herr Schwenninger, der Export von Tropenhölzern an sich ist doch noch nichts Schlechtes. Es kommt doch nur darauf an, wie es dort gemanagt wird. Da können wir nichts anderes tun, als forstwissenschaftliche Grundlagen zu liefern. Auch hier gibt uns die Biotechnologie und die Mikroelektronik die Möglichkeit, durch Fernerkundung wesentlich bessere Urwaldforschung zu betreiben.
({1})
Mikroelektronik und Satellitenkommunikation eröffnen außerdem die Möglichkeiten, Katastrophen eher vorauszusehen und Kontakte zu Bevölkerungsgruppen weitab in entlegenen Gebieten zu finden und, wie gesagt, Ökosysteme wie Urwälder durch Fernerkundung besser zu erfassen und richtig zu bewirtschaften.
Ein letztes Wort möchte ich noch zu dem sagen, was die ehemalige SPD-Abgeordnete Brigitte Erler unter der Überschrift „Tödliche Hilfe" in vielen Medien verbreitet hat. Da muß ich nun wirklich einmal fragen, ob von der SPD nachher noch jemand in der Lage ist, dazu etwas zu sagen, eine Antwort zu geben. Warum hat die ehemalige Mitarbeiterin des Entwicklungsministers Eppler die Flinte ins Korn geworfen? Warum tut sie das so laut? Welche Alternative bietet sie an? Welche Hoffnungen spricht sie aus?
({2})
Meine Damen und Herren, mein Prinzip lautet da anders: Im Zweifel ziehe ich es vor, etwas getan und mich - rückblickend - geirrt zu haben, jedoch nicht geschadet zu haben, als daß ich abwarte und gar nichts tue oder resigniere und damit etwas Wesentliches verpasse.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir vorab ein Wort zu dem, was Herr Rumpf zum Schluß gesagt hat. - Herr Rumpf, Sie können eines Frau Erler nicht vorwerfen, nämlich daß sie nicht immer aktiv persönlich das bekämpft hat, was sie an der Entwicklungshilfe kritisiert hat. Herr Rumpf, wenn in Ihrer Fraktion oder in diesen Reihen so viel Engagement vorhanden wäre, wie Frau Erler es aufbringt, dann sähe die Entwicklungshilfe heute anders aus. Das nur vorweg.
({0})
Die Große Anfrage der Koalitionsfraktionen zum Thema „Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt" ist ein Beispiel dafür, wie man das richtige Thema falsch anpacken kann. Die Bundesregierung wird sich gefreut haben, denn wenn nach Initiativen zur Sicherung der Umwelt lediglich im Rahmen der Entwicklungshilfe gefragt wird, so kann sie einen Warenhauskatalog von einschlägigen Modellprojekten, Fachseminaren, objektbegleitenden Forschungsinitiativen usw. vorlegen, über deren Wirksamkeit man dann hier streiten kann.
Herr Repnik, Sie haben zum Teil sehr gute Vorschläge gemacht. Ich glaube, das ist nicht der eigentliche Streitpunkt. Die Frage ist, ob die wesentliche Fragestellung, wie Sie sie z. B. in Ihrer Anfrage haben, sich darauf bezieht, wie man eine ökologisch orientierte Entwicklungshilfe macht, oder ob die eigentliche Frage nicht ist, inwieweit die Bundesregierung dafür Sorge tragen kann, daß die Umweltzerstörung gar nicht erst stattfindet. Ich denke, man kann nicht den zweiten Schritt vor dem ersten
tun, den ersten Schritt nicht tun und sich dann mit dem zweiten profilieren.
({1})
Wenn man sich mit dem Verursacherproblem hinsichtlich der Umweltzerstörung einmal näher befassen würde, was die CDU/CSU sinnigerweise kaum getan hat - sie hat auch in ihrer Anfrage nicht danach gefragt -, so stellt sich folgendes Problem.
({2})
Was sollen Projekte zur Verbesserung von Rahmenbedingungen für die Forstwirtschaft und die Schulung von Forstpersonal, wenn beispielsweise der immerhin zu 40 % in öffentlicher Hand befindliche VW-Konzern in Brasilien einfach eine ganze Region von 300 000 Hektar erwirbt, eine Fläche, die erheblich größer als das Saarland ist, und sich daranmacht, den Urwald zu roden und sinnigerweise eine Rinderfarm anzulegen? Was werden die VW-Herren den betroffenen Indianern gesagt haben? Daß die Regierung in der Bundesrepublik schon dafür sorgt, daß genügend Forstbeamte ausgebildet und bessere, fortschrittliche Rahmenbedingungen in der Entwicklungshilfe geschaffen werden?
({3})
Bleiben wir bei Brasilien, bleiben wir bei VW. Dieser Konzern zeichnet auch dafür verantwortlich, daß das Wahnsinnsprogramm durchgeführt wird, in einem Hungerland riesige Agrarflächen für die Produktion von Automobilsprit zur Aufrechterhaltung der freien Mobilität der Begüterten und der hohen Rentabilität der beteiligten Konzerne zu nutzen. Dafür baut VW spezielle Autos in Brasilien. Dafür wurde allein im Süden des Bundesstaates Mato Grosso eine Fläche von 170 000 Hektar wertvollen Savannenwaldes vernichtet, die immerhin drei- bis viermal so groß wie West-Berlin ist.
({4})
Das sind die Größenordnungen, bei denen die Axt an die Umwelt in den Entwicklungsländern gelegt wird, und zwar durch bundesdeutsche Konzerne. Das ist das, was Sie im Rahmen Ihrer Entwicklungshilfe dann angeblich wieder rückgängig machen wollen. Dabei ist die Vernichtung des Waldes nur der erste Schritt in der Kette von Verbrechen an der Umwelt.
Wir fragen die Bundesregierung - ich meine, es geht bei der Erhaltung der natürlichen Lebensräume um andere Dimensionen als bei Fragen von Bodenbearbeitungs- und Sanitätsentsorgungsverfahren im Rahmen der Entwicklungshilfe -: Was gedenkt die Bundesregierung zu unternehmen, damit bundesdeutsche Firmen keine Exportgeschäfte oder Direktinvestitionen mehr tätigen, die auf absehbare Zeit ganze Regionen unbewohnbar machen?
({5})
Was gedenkt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Mitwirkung im Weltwährungsfonds und bei der Weltbank zu unternehmen, damit diese Institutionen die verschuldeten Länder der Dritten Welt nicht immer stärker zum Export landwirtschaftlicher Rohstoffe zwingen, was zur Bewirtschaftung immer größerer monokultureller Flächen führt? Warum hat die Bundesregierung bislang noch keine Verhaltensmaßregeln für ihre Vertreter in den Aufsichtsräten verabschiedet, damit solche Fälle wie bei VW do Brasil ausgeschlossen werden?
({6})
- Ich kann, wie man mir eben bestätigt hat, wenigstens die Fragen stellen. Sie haben diese Fragen in Ihrer Großen Anfrage vermieden.
({7})
- Ich möchte Ihnen nur folgendes vorlesen.
({8})
Sie können dann sagen, was Sie davon halten.
Im Antrag der SPD heißt es, das Instrumentarium zur Förderung deutscher Privatinvestitionen in der Dritten Welt sei dadurch zu ergänzen und zu verbessern, daß es Mindestanforderungen an entwicklungspolitische und umweltschutzpolitische Maßstäbe sowie an die Sicherheit der Arbeitsplätze enthält. - Jetzt möchte ich von Ihrer Seite gern einmal wissen, was gegen eine solche Forderung einzuwenden ist. Man sollte vielleicht anmerken, daß damit nur der Antrag der GRÜNEN betreffend Bhopal abgeändert wurde. Das ist der Hintergrund. Diese Idee kommt also ursprünglich nicht von der SPD. Trotzdem: Dieser Satz kann so unterstützt werden. Jetzt möchte ich einmal wissen, warum die CDU/CSU diesen Satz abgelehnt hat. Ich möchte von Ihnen einmal hören, warum Sie sich dagegengestellt haben, daß umweltpolitische und entwicklungspolitische Auflagen gemacht werden. Auf der anderen Seite stellen Sie sich hier hin und sagen: Wir müssen bei unserer Entwicklungshilfe die Ökologie usw. vielmehr berücksichtigen.
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Es geht um das Verursacherproblem, Herr Repnik. Das wissen Sie natürlich auch genau. Das Problem ist, daß Sie als Fraktion der CDU/CSU mehr oder weniger dazu angehalten sind, ganz konkret und gezielt Lobbypolitik zu machen. Das ist das Problem.
({10})
Das hat man auch bei der Diskussion über Bhopal - dies wurde hier schon erwähnt - gesehen: Sie sind nicht in der Lage, die Menschen in der Dritten Welt vor einem Export von Produkten zu schützen, die tödlich sind, die sozusagen todsicher irgendwann in die Luft fliegen. Sie sind nicht dazu in der Lage, weil Sie es nicht wollen, weil Sie es sich poli9620
tisch nicht leisten können, weil Sie Lobbypolitik machen müssen.
({11})
Dieses Problem ist in Ihrer Anfrage leider überhaupt nicht aufgetaucht. Sie machen ein Scheingefecht, wo es bei uns wahrscheinlich wenig Kontroversen gibt, aber zu dem eigentlichen Problem, wo die Kontroverse auftaucht, haben Sie überhaupt nicht Stellung genommen. Ich finde das sehr schade.
({12})
Ich habe natürlich von den Koalitionsfraktionen nicht erwartet, daß sie eine Große Anfrage mit dieser Frage an die Bundesregierung stellen; das ist völlig klar.
Danke.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Herkenrath.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Verehrte Frau Gottwald, ich glaube, eigentlich hat der Kollege Repnik in seinen Ausführungen schon sehr eindrucksvoll dargelegt, daß die Lobbypolitik, die wir machen, die Politik für den Menschen in der Dritten Welt ist.
({0})
Das ist von Herrn Repnik eigentlich schon so eindrücklich klargelegt worden, daß er da keine Unterstützung mehr von mir braucht.
Ich möchte eines sagen. Uns wird immer unterstellt, daß wir eine Politik für Konzerne machen.
({1})
Dabei wird verschwiegen, daß wir überhaupt nicht bestreiten, daß in der Dritten Welt Konzerne auch manche Fehler machen. Ich könnte aber auch aus jeder Art von Staaten staatliche Projekte aufführen, die in der Welt auch fehlerhaft angelegt worden sind. Was nützt es, daß wir uns da gegenseitig Vorwürfe machen? Die wichtige Frage ist, welche Konsequenzen wir daraus ziehen.
({2})
Darauf möchte ich ein bißchen eingehen.
Wir haben eine verbundene Debatte zu einem weltweiten Thema. In drei Stunden kann man nur Streiflichter behandeln. Es ist meine Aufgabe, dies einmal aus der Sicht des Agrarausschusses zu beleuchten, und ich persönlich freue mich darüber, daß die Agrarier mir das übergeben haben. Ich tue das in einer Zeit, wo in der Presse heute diese Ausschnitte zu finden sind: „Baumhecken halten die
Wüste auf", es wird uns berichtet, daß die Hubschrauber zur Zeit die Schildkröten auf den Galápagosinseln retten, die dort zur Zeit durch eine Brandkatastrophe bedroht sind, und Herr Matthiesen hat verkündet, daß der Rhein besser als sein Ruf ist. Die heutige Presse zeigt also deutlich, was vorhin schon eindrucksvoll gesagt worden ist: daß dies keine Zeit ist und kein Anlaß besteht, um hier in Panik zu machen.
({3})
Wir werden diese Thematik in fünf verschiedenen Ausschüssen behandeln, und ich meine, man sollte der Öffentlichkeit in dieser Debatte auch mitteilen, daß sich der Deutsche Bundestag in den Ausschüssen sehr gründlich damit befaßt und daß es ein Mehrjahresprogramm darstellt, wenn wir uns heute wieder mit „GLOBAL 2000" befassen müssen. Um Ihnen das auch mal in Erinnerung zu bringen: Der Bericht „GLOBAL 2000", der noch von Präsident Carter im Jahre 1977 in Auftrag gegeben wurde und der 1980 erschienen ist, ist im Deutschen Bundestag bereits im Dezember 1981 auf Grund einer Großen Anfrage der CDU/CSU behandelt worden. Dann gab es einen Bericht der Bundesregierung im März 1982 dazu, dann gab es eine Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage am 23. April, und dann gab es Beschlußempfehlungen. Wenn ich die Zeit von 1981 bis heute verfolge, habe ich den Eindruck, daß wir diesen Bericht sehr ernst genommen haben. Wir können mit einer gewissen Befriedigung feststellen, daß die, die von Anfang an bereit waren, diesen Bericht sehr differenziert zu betrachten, bestätigt wurden; denn vieles ist schon aus der Fachwelt beantwortet. Überhaupt ist dieses ein Thema, das weniger politische Parteien auseinanderdividiert, sondern das von der Sach- und Fachwelt behandelt werden muß. Letztlich müssen von den Politikern Entscheidungen getroffen werden, die nur dann richtig sind, wenn alle Aspekte dabei betrachtet werden, die die Fachwelt uns liefert.
Deshalb möchte ich noch ein paar grundsätzliche Anmerkungen in dieser kurzen Zeit machen.
({4})
Der Glaube, meine verehrten Kollegen, an eine gute Zukunft ist ja nicht illusionär, sondern er steht auf dem Boden der Wirklichkeit. Aber illusionär ist z. B. die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es nie gegeben hat. Ich meine, Nostalgie - wir glauben, dies heute wieder festzustellen - ist die Trauer darüber, daß es heute nicht mehr so ist, wie es früher eigentlich nie gewesen ist.
({5})
Die Tendenz - unsere heutige Welt, die natürlich kein Paradies ist, aber auch keine Hölle -, schlechtzumachen.
({6})
als ob früher die Menschen vor lauter Freude mit
30 Jahren gestorben sind, während sie heute aus
Verärgerung offensichtlich im Durchschnitt über 70 Jahre alt werden, läßt mich doch manchmal an dem Verstand zweifeln, mit dem die Dinge hier behandelt werden.
({7})
Wenn wir jetzt in die Ausschußberatungen gehen, ist es, glaube ich, wichtig, daran zu denken, daß die Sehnsucht nach einer Zukunft, die es nie geben kann, illusionär ist, nämlich die Sehnsucht nach dem Zustand völliger Wunscherfüllung, also nach dem Schlaraffenland. Das wird es nie geben, und das sollten wir wissen.
({8})
Es ist sicher so, daß das Bild der Welt einfacher wird, wenn sie durch eine Brille betrachtet wird, die nur eine Farbe durchläßt. Aber dann wird das Bild eben immer falsch sein, egal welche Farbe es ist. Deshalb sollten wir die Probleme nicht nur durch die Brille der Wirtschaft, nicht nur durch die Brille des Kraftverkehrs, nicht nur durch die Brille der Industrie, aber auch nicht nur durch die Brille der Wunschvorstellungen für die Dritte Welt und auch nicht nur durch die Brille der sozialen Aufgaben und eben auch nicht nur durch die Brille der Natur sehen.
({9})
Denn beispielsweise nur durch die Brille der Natur betrachtet bleibt von den Städten - die haben wir in der Dritten Welt ja auch in erstaunlichem Maße - nichts Erfreuliches übrig, weil die Stadt geradezu der Widerspruch zur Natur ist, was nicht zu bestreiten ist.
Deshalb bin ich immer wieder erstaunt, wenn ich die Diskussionen verfolge. Wir von der Union - ich glaube, das darf ich für alle meine Kollegen sagen - wollen wenigstens daran festhalten, daß auch der Mensch zur Umwelt gehört. Wir wollen uns nicht der Einsicht verschließen, daß die Behauptung - das sage ich einmal als Agrarier -, die Natur sei stets freundlich zu den Menschen, manchmal auch eine sehr bedenkliche These ist; denn nicht nur Amsel, Drossel, Fink und Star, sondern auch die Erreger von Pest, Cholera, Malaria und Schlafkrankheit sind Naturprodukte,
({10})
die die Menschheit fast zwei Jahrtausende lang auf nur 300 Millionen Exemplare begrenzt haben; allerdings auf ökologisch einwandfreiem Wege.
({11})
Man kann sich nur wundern, in welchem Maße der moderne Mensch trotz seines hohen Bildungsgrades zu Unsinn fähig ist. Das beweist ja auch manchmal die Art - wir erleben das auch in den Ausschüssen -, wie über Umweltprobleme diskutiert wird.
Die Lebenserwartung der Menschen in den Industriebändern steigt nach wie vor - ein Beweis dafür, daß die modernen Verhältnisse in der Summe so ungesund nicht sein können. Und doch wird ein Geschrei ausgestoßen, als ob die Menschen täglich und stündlich mit dem Vergiftungstode rechnen müßten. Aus tausenden Stoffen, die in gewissen Mengen für den Menschen schädlich sein könnten - denn Gift ist bekanntlich immer eine Frage der Dosierung -,
({12})
wird weithin dem Zufallsprinzip folgend dieser oder jener herausgegriffen und zu einer tödlichen Gefahr für alle hochstilisiert. Dabei wird dann jeder Versuch, der Beunruhigung durch Hinweise auf noch nicht abgeschlossene Forschungen oder auf die geringen Mengen des Schadstoffvorkommens entgegenzuwirken, gleich als verantwortungslose Beschwichtigung und Bagatellisierung zurückgewiesen.
({13})
Deshalb sollten wir auch einmal feststellen, daß wir dank großer Fortschritte der Meßtechnik seit einigen Jahren über die Möglichkeit verfügen, in Luft und Wasser ganz geringe Mengen von Schadstoffen sicher und präzise zu ermitteln.
({14})
Das ist vor 20 Jahren eben noch nicht der Fall gewesen.
Dank der neuen Meßmethoden können wir nunmehr diese Schadstoffe angehen und Schritt für Schritt zurückdrängen. Das geschieht in der Bundesrepublik Deutschland in einem erheblichen Maße. Die Frage ist, wieweit es uns möglich gemacht werden kann, das auch international zu fördern. Deshalb ist für die Zukunft, also auch für „GLOBAL 2000", entscheidend, daß es genug Politiker gibt, die die oft hysterische Panikmache nicht mitmachen, sondern mit Beharrlichkeit auf das Ziel hinarbeiten, bei Sicherung eines hohen Lebensstandards, eines hohen Beschäftigungsgrades und des sozialen Besitzstandes Schritt für Schritt die Qualität von Luft und Wasser so zu verbessern, daß wieder die Qualität erreicht wird, die es vor der Industrialisierung gegeben hat.
({15})
Nur, wir kennen diese Daten aus der Zeit vor der Industrialisierung nicht genau. Denn wir hatten damals noch nicht die Methoden, solche Daten zu erfassen. Wer weiß eigentlich, ob die Menschen vor der Industrialisierung nicht mit mehr Gift und mit mehr Umweltgefahren gelebt haben als wir heute? Ich finde, daß man sich durchaus auch auf internationalen Konferenzen, z. B. sogar auf dem Weltwirt9622
schaftsgipfel, mit diesen Fragen befassen sollte, aber unter wertender Berücksichtigung der ökonomischen Fakten und nicht gegen die Technik. Nur Technik und Ökonomie sind die Mittel, mit denen wir unsere Ziele erreichen können.
Ich freue mich auf die Beratungen im Ausschuß.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Vosen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Vorredner, Herr Herkenrath,
({0})
hat davon gesprochen, Politiker sollten keine Panikmache in die Öffentlichkeit tragen und statt dessen auf Lösungen hinarbeiten. Aber ich meine, der Politiker darf auch nicht einschläfernd wirken und die Dinge so verharmlosen
({1})
- richtig -, daß uns die Probleme, die ja nun einmal real vorhanden sind, letztendlich über den Kopf wachsen.
({2})
- Seitdem der Regierungswechsel, Herr Staatssekretär, stattgefunden hat, müssen wir feststellen, daß bei wichtigen Themen keine Minister mehr auf der Ministerbank sitzen und daß Forschungspolitiker leider kaum anwesend sind, wenn es um „GLOBAL 2000" geht, obwohl das ein Thema wäre, bei dem Forschungspolitiker federführend sein sollten.
({3})
- Na, hören Sie mal. Mit unserem Antrag zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000" verfolgen wir Sozialdemokraten das Ziel, die Bundesregierung dazu zu bringen, ihre gesamte Politik als einen wichtigen Beitrag zu einer Weltinnenpolitik aufzufassen.
({4})
Wir haben in unserem Antrag dargelegt - dies ist eindeutig zu sehen -, daß es der Bundesregierung an diesem Verständnis in ihrer Rolle in einer immer kleiner und immer verwundbarer werdenden Welt mangelt. Es werden Weltraumabenteuer geplant, anstatt sich um die Dinge hier auf Erden zu kümmern. Also, wenn Sie so wollen: alles Geld in die Luft.
Für meine Fraktion greife ich die forschungs- und technologiepolitischen Aspekte dieser grundsätzlich falschen Haltung der Bundesregierung auf Der Bericht zu „GLOBAL 2000" ist namens der Bundesregierung vom Forschungsminister erstattet worden. Dieser täuscht - im Gegensatz zur Bundesregierung - in Sachen „GLOBAL 2000" eine besondere Kompetenz vor, und dementsprechend ist sein Beitrag in der übergreifenden Frage des Einsatzes von Forschung und Technologie zur Lösung globaler Probleme leider ganz außergewöhnlich ärmlich.
Ich frage: Was hat der Forschungsminister unternommen, um unser Wissen über die Zusammenhänge von industrieller Entwicklung, Hochrüstung, Umweltzerstörung und Hunger in der Dritten Welt durch gezielte und umfangreiche Forschungsarbeiten in den Instituten, die in seinem Geschäftsbereich hieran arbeiten könnten, zu verbessern? Die Antwort lautet: Nichts, aber auch gar nichts!
Ich frage: Was hat die Bundesregierung unternommen, um die interdisziplinäre und internationale Zusammenarbeit durch neue, konkrete und an die Fragestellung des Berichts „GLOBAL 2000" anschließende Projekte auf diesem Gebiet voranzubringen? Auch hier lautet die Antwort: Nichts!
({5})
Ich frage: Was hat der Bundesforschungsminister unternommen,
({6})
um angepaßte und spezifisch verwertbare Technologien für Entwicklungsländer in dem notwendigen Ausmaß voranzubringen? Die Antwort lautet: Er hat die lächerliche Summe - in einem Haushalt von 7 Milliarden DM - von 100 Millionen DM pro Jahr für Projekte zur Verfügung gestellt, die überwiegend im Interesse der deutschen Partner begonnen wurden. Das sind übrigens - ich habe es einmal nachgerechnet - 0,00014 Promille. Das ist also ein kaum meßbarer Betrag im Forschungshaushalt.
({7})
- Ich würde es an Ihrer Stelle einmal nachrechnen. Die Milliarden verwirren die Union schon mal. Deswegen verspricht die auch so viel. Hinterher muß sie dann feststellen, daß das Geld dafür nicht vorhanden ist.
({8})
Ich frage: Was hat der Forschungsminister unternommen, um den Aspekt der Umwelt- und Ressourcenbelastung in der Friedens- und Konfliktforschung verstärkt einzubringen? Wir wissen um Kriege in der Dritten Welt um Ressourcen. Was ist da geschehen? Die Antwort lautet: Die Deutsche Gesellschaft für Friedens- und Konfliktforschung mußte auf Druck der CDU/CSU aufgelöst werden. Auch Projektreste fristen ihr kümmerliches Dasein bei der allgemeinen Hochschulforschung. Friedens- und Konfliktforschung durch den Bund ist also fast verschwunden.
Ich frage: Hat der Forschungsminister auf seinem ureigensten Gebiet eine produktive Rolle für den Dialog mit der Dritten Welt geleistet? Auch hier lautet die Antwort: Nein, er hat kaum etwas geleistet.
Auf den technologiebezogenen Feldern der anderen Ressorts sieht es ebenfalls im wahrsten Sinne. des Wortes kohlenrabenschwarz aus. Der Forschungsminister ist Technikminister. Sein Beitrag ist leider, mathematisch ausgedrückt, als minus zu bezeichnen und damit negativ vor die Klammer zu ziehen. Den Klammerinhalt hat er zudem - um im mathematischen Bild zu bleiben - leider vergessen. Es ist also ein Minus vor einer leeren Klammer.
Durch die Nichtunterzeichnung der Seerechtskonvention hat die Bundesregierung der Dritten Welt eine Bekundung des Goodwill versagt. Wir Sozialdemokraten bedauern sehr, daß die ganze meerestechnische und Off-shore-Industrie, auf die ein riesiges Betätigungsfeld wartet, zum Schaden unserer norddeutschen Industriestruktur abgemeldet worden ist.
({9})
Durch die Anlegung eines Kupferbergwerks für die Fernsehverteilung in der Bundesrepublik schaden Forschungs- und Postminister wiederum uns und der übrigen, besonders der Dritten Welt, und zwar nicht nur durch einen übermäßigen Kupferverbrauch. Weder können sie die energiesparenden und wartungsarmen neuen Technologien auf Glasfaserbasis zur Hilfe in der internationalen Kommunikation einsetzen, noch kann der bei uns nötige technologische Schub hervorgerufen werden.
({10})
-- Herr Staatssekretär, ich gebe Ihnen gern Nachhilfeunterricht.
Durch das Unterlassen der Setzung von hohen Umweltnormen wie in den USA und Japan, zu denen der Forschungsminister durch seine Umweltforschungsergebnisse beitragen könnte, versäumt die Bundesregierung der internationalen Gemeinschaft zu zeigen, daß die Umwelt für sie besonders schätzenswert ist.
Diese wenigen Beispiele, die ich beliebig fortsetzen könnte, zeigen sowohl, daß es die Bundesregierung falsch macht, als auch, wie es geschehen müßte, wenn wir in der Völkergemeinschaft glaubwürdig erscheinen wollen.
Die Umweltpolitik und -problematik wird im wesentlichen durch die Energienutzung und -umwandlung bestimmt. Seit dem Ende der sozialliberalen Koalition
({11})
sind die Aufwendungen des Forschungsministers für die Forschung auf dem Gebiet der nichtnuklearen Energie drastisch gesunken. Auf den Gebieten der Gesundheitsforschung und der Umweltforschung könnte wesentlich mehr getan werden.
({12})
Daß das insbesondere auch auf dem Gebiet der
Technologie für Entwicklungsländer geschehen
müßte, habe ich bereits ausgeführt. Diese für den
Weg der Versöhnung mit der Dritten Welt notwendigen Bereiche der Forschungspolitik werden sträflich vernachlässigt.
Was macht statt dessen der Forschungsminister? Er verpulvert Milliarden in den Weltraum oder in eine ebenso suspekte Tiefbohrungsaktivität.
({13})
Diese Aktivitäten, die Milliarden verschlingen werden, werden dem Lande keine technologischen und sozialen Fortschritte bringen.
({14})
Vor allem werden sie dem Land bei dem Versuch, das ökologische Gleichgewicht wiederherzustellen, sogar noch schaden. Sie werden mit Sicherheit nicht dazu beitragen - wie es der Forschungsminister glaubt -, daß der ökologische Fortschritt eintreten wird.
Ich komme zum Schluß.
({15})
Wie soll man dem, der nichts für den sozialen Fortschritt durch die Technik in unserem Lande unternimmt, der, schon im eigenen Land die Sozialverträglichkeit des Fortschritts nicht ernst nimmt,
({16})
glauben, daß er etwas für das Verhältnis zur Dritten Welt tun wird? Die Unglaubwürdigkeit der Bemühungen der Bundesregierung in diesem Zusammenhang wird durch den unglaublichen Vorgang gekrönt, der in Presseorganen mit dem „Krieg der Sterne" beschrieben wird.
({17})
Wir Sozialdemokraten verurteilen aufs schärfste die von der amerikanischen Regierung ins Auge gefaßte Entwicklung von Weltraumwaffen.
({18})
Wir halten es für grotesk, daß die amerikanische Seite uns Europäer mit einer Frist von 60 Tagen in diese für solche Weltraumwaffen geplanten Forschungsanstrengungen hineinzwingen will.
({19})
- Das sind Angriffswaffen. Wir Sozialdemokraten halten es für eine Illusion, daß wir forschungspolitischen Nutzen ohne verteidigungspolitische Lasten erzielen können. Wir werden noch Milliarden dafür zu zahlen haben.
Wir Sozialdemokraten halten eine uneingeschränkte vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten auf dem Gebiet der For9624
schung und Entwicklung vor allem schon deshalb für ausgeschlossen,
({20})
weil die Bemühungen der USA, uns vom technologischen Transfer auszuschließen, ständig zunehmen und die Bundesregierung hiergegen völlig untätig bleibt. Wir haben ja ein Nickemännchen als Bundeskanzler, wie wir seit Jahren feststellen können, wenn es um Amerika geht.
Daß der Forschungshaushalt für diesen „Krieg der Sterne" solche Mittel in keiner Weise bereitstellen kann, nachdem er bereits von der Weltraumstation „Columbus" gesprengt wird, ist völlig logisch. Riesenhuber ist durch seine vielen vollmundigen Versprechungen ja längst Pleite. Er ist nicht mehr zahlungsfähig, um solche Projekte auf den Weg zu bringen.
({21})
Meine Damen und Herren, die Richtung einer Politik der Bundesregierung auf eine verantwortliche Weltinnenpolitik unter dem Gesichtspunkt von „GLOBAL 2000" stimmt nicht. Wir rufen die Bundesregierung auf, im Sinne unseres Antrags umzukehren.
Besten Dank.
({22})
Das Wort hat der Abgeordnete Kohn.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Absicht, zum Thema zu sprechen.
({0})
Der Bericht „GLOBAL 2000" aus dem Jahre 1980, auf dessen Vorgeschichte ich hier nicht eingehen muß, hat eine ganz wichtige Rolle für die öffentliche Diskussion in unserem Land gespielt. Er hat nämlich deutlich gemacht, welche zentralen Zukunftsprobleme bestehen. Ich nenne hier beispielsweise die Probleme der Bevölkerungsentwicklung, die Probleme der mangelhaften Nahrungsversorgung, die Probleme der Bodenerosion. Ich nenne die Probleme des Ressourcenmangels und der Ressourcenvergeudung, und ich nenne die Probleme der Umweltschädigung.
({1})
Alle diese Probleme haben natürlich globale, als weltweite Konsequenzen. Weil es sich um weltweite Konsequenzen handelt, glaube ich, daß der Begriff der Weltinnenpolitik, der vor einigen Jahren einmal geprägt wurde, den Sachverhalt, um den es hier geht, ganz präzise trifft.
Wir Liberalen sind der Überzeugung, daß es sich bei den Problemen, die in dem Bericht „GLOBAL 2000" beschrieben werden, um die größte Herausforderung der Politik der Gegenwart und in den nächsten Jahrzehnten handelt. Man muß ein bißchen daran zweifeln, ob alle Industriestaaten - die Betonung liegt hier auf „alle" - die volle Bedeutung dieser Problematik erkannt haben.
({2})
- Herr Kollege Stahl, danke für den Beifall. Ich darf in diesem Zusammenhang insbesondere an diejenigen Länder erinnern, die geographisch weiter östlich angesiedelt sind.
({3})
Ich möchte aus dem Bericht der Bundesregierung auf Drucksache 10/362 ein Zitat vorlesen, weil es im Grunde den Schlüssel zur Lösung der Probleme beinhaltet: Es heißt dort - ich zitiere -:
Dabei verfügen die entwickelten Länder über die erforderlichen Technologien, die in dem Maße, wie sie sachgerecht und verantwortungsbewußt eingesetzt werden, die Chance bieten, den in der Studie „GLOBAL 2000" aufgezeigten Trends entgegenzuwirken.
Soweit das Zitat.
Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in der Tat der zentrale Ansatz, mit dem wir Liberalen an das Problem herangehen. Wir glauben, daß die Probleme, die in „GLOBAL 2000" aufgezeigt wurden, nur lösbar sind durch einen sinnvollen, durch einen sachgerechten und verantwortungsbewußten Einsatz von Forschung und Technologie. Forschung und Entwicklung, Innovation, Technologie sind also die Problemlöser. Das heißt, nicht durch die simple Übertragung von technologischen Entwicklungslinien, die wir bei uns ausgebildet haben, auf die Länder der Dritten Welt, sondern nur durch die Entwicklung angepaßter Technologien, von Technologien, die auf die ganz spezifischen Bedingungen der Entwicklungsländer zugeschnitten sind, haben wir eine Chance, die Probleme zu lösen. Dabei sind Aspekte des Klimas zu berücksichtigen, die Probleme der Infrastruktur, des Ausbildungsstands, der vorhandenen natürlichen Ressourcen usw.
Lassen Sie mich an einigen Beispielen verdeutlichen, welchen Beitrag Forschung und Technologie zur Lösung dieser Probleme leisten können. Ein Anwendungsbereich ist der optimale Einsatz von Energien. Hier müssen wir einfache Solarsysteme unterstützen. Hier müssen wir Windenergieanlagen unterstützen.
({4})
Hier müssen wir Einfachstanlagen zur Vergasung von Biomasse unterstützen.
({5})
Hier müssen wir die Entwicklung und Ausgestaltung holzsparender Öfen und Herde unterstützen. Hier müssen wir die Herstellung von Holzkohle aus Holzabfällen unterstützen. Kurz, es geht um die inKohn
tegrierte Nutzung regenerativer Energiequellen in dezentralen Systemen.
({6})
Dabei ist besonders darauf zu achten, daß wir mit solchen Maßnahmen einen Beitrag zur Reduzierung der Abhängigkeit vom Einsatz von Holz - mit all den Konsequenzen in bezug auf die Abholzung in den Ländern der Dritten Welt für das globale System - leisten können.
Da Herr Kollege Vosen den Versuch gemacht hat, der Bundesregierung oder sogar der Bundesrepublik insgesamt ein gewisses Maß an Untätigkeit in diesen Bereichen vorzuhalten,
({7})
möchte ich in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Bundesrepublik Deutschland seit Anfang dieses Jahrzehnts also unabhängig von der koalitionspolitischen Konstellation in Bonn, ihre finanziellen Leistungen für die Entwicklungsländer auf dem Gebiet neuer und erneuerbarer Energiequellen verfünffacht hat.
({8})
Ich glaube, das ist ein Anzeichen dafür, daß über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg, die Bedeutung des Themas erkannt wurde.
({9})
Der zweite Bereich, den ich ansprechen möchte, ist die Umweltpolitik. Hier geht es um die natürlichen Lebensgrundlagen und ihre Erhaltung. Ich denke, hierbei müssen wir uns schwerpunktmäßig auf die Förderung abfallarmer Technologien, auf die Entwicklung ressourcen- und umweltschonender Produktionsweisen konzentrieren. Ich denke daran, daß wir beispielsweise zur Bekämpfung der Luftverschmutzung an der Quelle nach dem neuesten Stand der Technik - Entstaubungseinrichtungen bei Zementfabriken, Rauchgasentschwefelungs- und Ascheentsorgungsanlagen bei Kraftwerken - einen wirkungsvollen Beitrag leisten können.
Ich denke daran, daß wir uns mit den Problemen des ökologischen Gleichgewichts der Gewässer auseinandersetzen müssen. Ich nenne etwa die Vermeidung von kieselsäurehaltigen Ablaugen bei der Zellstoffherstellung aus Reisstroh, um nur ein Beispiel zu nennen. Auch geht es darum, daß wir sinnvoll eingepaßte Bewässungssysteme entwickeln.
Lassen Sie mich noch den Bereich der Ernährung, der besonders bedeutungsvoll ist, erwähnen. Hier nimmt die Bundesregierung j a an den Programmen der internationalen Agrarforschung teil. Erwähnt sei etwa das International Board for Plant Genetic Ressources, wo es um die Erhaltung von Wild-, Primitiv- und Landsorten der wichtigsten Kulturpflanzen geht, eine unverzichtbare Voraussetzung zur Pflanzenzüchtung und zur Verbesserung der Welternährung, aber auch zur Sicherung der Rohstoffversorgung auf pflanzlicher Grundlage.
Man müßte auch hervorheben - die Zeit läuft mir leider davon - die Einrichtung von Gen- und Samenbanken sowie Banken für tierische Embryonen zur Erhaltung des Genpools von Wildformen. Man müßte die Beiträge der grünen Gentechnologie - was aber nichts mit der GRÜNEN-Fraktion zu tun hat - erwähnen. Ich denke beispielsweise an die Entwicklung herbizidresistenter Kulturpflanzen, aber nicht, um mehr Pflanzenschutzmittel anwenden zu können, sondern umgekehrt, um durch bessere Kenntnisse und Erfahrungen der gezielten Anwendung, des gezielten Einsatzes zu einer Verringerung kommen zu können. Man müßte beispielsweise auf die Möglichkeiten der gentechnischen Herstellung eines Impfstoffes gegen die Maul- und Klauenseuche hinweisen - alles substantiell wichtige Problemlösungsbeiträge für die Länder der Dritten Welt.
Man müßte auch hervorheben, was Forschung und Technologie zur Erhaltung und Schonung von Ressourcen beitragen können, beispielsweise im Bereich mineralischer Rohstoffe, wo es möglich sein wird, durch eine Weiterentwicklung der Technologien der Exploration, beim Bergbau und bei der Aufbereitung zu verhindern, daß es hier zu einer Verknappung kommt. Und man müßte darauf hinweisen, daß die Forcierung von Explorationsprogrammen in Entwicklungsländern auch dazu beitragen kann, daß das Explorations-Know-how diesen Entwicklungsländern zur Verfügung steht.
Wenn wir alle diese Beiträge zusammenfassen, müssen wir sehen, daß es nicht mehr darum gehen kann, einzelne mosaiksteinartige Lösungen zu entwickeln, sondern daß wir integrierte Gesamtlösungen brauchen, die allein geeignet sein werden, zu einer Lösung der Probleme der Länder in der Dritten Welt und der Umweltprobleme, die damit zusammenhängen, beizutragen. Voraussetzung dafür ist aber natürlich auch, daß wir den Menschen in den Entwicklungsländern einen angemessenen naturwissenschaftlichen und technischen Ausbildungsstand verschaffen, damit sie in der Lage sind, die angepaßten Technologien, die wir ihnen zur Verfügung stellen, auch sinnvoll zu nutzen.
({10})
Meine Damen und Herren, ich habe eingangs darauf hingewiesen, daß die Probleme, die in dem Bericht „GLOBAL 2000" beschrieben werden, zu den größten Herausforderungen der Politik in unserer Zeit gehören. Ich denke, wir müssen verstehen, daß diese Probleme nur noch in historischer Perspektive zu betrachten sind. Ich darf hier ganz deutlich sagen: Meine Überzeugung ist, daß die Politiker unserer Generation nicht daran gemessen werden, ob sie bei Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahlen, die bevorstehen mögen, ein Prozent mehr oder weniger für ihre Parteien erzielen, sondern daran, ob sie in der Lage waren, einen Beitrag zur Lösung dieser Probleme zu leisten.
({11})
Wenn wir dies verstanden haben, meine Damen
und Herren, wird es vielleicht möglich sein, daß wir
uns über Partei- und Fraktionsgrenzen hinweg an
die tatsächliche Lösung dieser Aufgaben machen. Dazu möchte ich uns alle auffordern.
Vielen Dank.
({12})
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit dem im Juli 1980 erschienenen „GLOBAL 2000", dem Bericht an den Präsidenten der USA, wurde zum erstenmal eine regierungsamtliche Studie bekannt, die die Situation und die Zukunftsaussichten dieses Planeten beschreibt. „GLOBAL 2000" endete mit der beängstigenden Perspektive, daß bis zum Jahre 2000 ein Potential globaler Probleme von alarmierendem Ausmaß erreicht sein wird und eine Veränderung der Politik erforderlich ist, bevor sich die Probleme verschlimmern und die Möglichkeiten für wirkungsvolles Handeln immer stärker eingeschränkt werden.
Der Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000" ist ein Beleg dafür, daß die Bundesregierung nicht begriffen hat oder nicht begreifen wollte, was in Zukunft auf uns zukommen wird. Wärme und Optimismus verbreitende Worte in dem Bericht, meine Damen und Herren, reichen nicht aus, um langfristig ein menschenwürdiges Leben auf unserem Planeten zu sichern. Sie haben jahrelang den Eindruck zu vermitteln versucht, daß es so, wie wir leben, immer und ewig weitergehen könne. In Ihrem Bericht wird dies nur unwesentlich abgeschwächt. Es ist darin Ihr Bemühen festzustellen, die Problematik herunterzuspielen und lobend hervorzuheben, was Sie schon alles getan haben wollten.
Es ist für jedermann erkennbar, welche Hauptsorge die Bundesregierung bei ihrer Politik umtreibt. Es ist die Sorge, nicht durch unbequeme politische Entscheidungen ihre Wähler und die Wirtschaft zu verprellen. Es ist der Machtwille, der ein konsequentes Eintreten zur Sicherung der Lebensgrundlagen auch für künftige Generationen verhindert. Sie betreiben eine Politik, die sich am nächsten Wahltermin orientiert und an keinem Tag darüber hinaus.
({0})
Diese Art von Politik, die verantwortungslos dringende Maßnahmen den wirtschaftlichen Interessen unterordnet, ist nicht unsere Politik. Die Politik, die hier im Hause ebenso wie in Ländern, Kreisen und Gemeinden betrieben wird, ist der Wirtschaftswachstumslogik verfallen. Das gilt auch für die SPD.
Nicht Sparen, sondern Verbrauchen ist für das Wirtschaftswachstum notwendig und das, obwohl Sie eigentlich wissen müßten, daß in einem begrenzten System kein unbegrenztes Wachstum möglich ist. Der Verbrauch von unwiderbringlichen Rohstoffen, die nur in begrenztem Umfang vorhanden sind, und zwar nicht nur für uns, sondern auch - und dafür fühlen sich die GRÜNEN verantwortlich - für unsere Kinder und Kindeskinder, muß drastisch eingeschränkt werden.
Strengen Sie mal Ihre Phantasie an und stellen Sie sich vor, Sie würden erst in 50 oder 100 Jahren geboren werden. Sie würden dann, wenn dann überhaupt noch ein Leben möglich wäre, in Geschichtsbüchern lesen, daß 1985 schon 50 % des Waldes unrettbar verloren gewesen seien, der Boden, die Luft und das Wasser mit Giften belastet, 10 bis 20 Millionen Menschen jährlich auf der Erde verhungert seien, nicht Rohstoffsparen, sondern Rohstoffverbrauch und damit Umweltzerstörung die Devise von Wirtschaft und Politik gewesen seien. Sie müßten in der Zukunft ohne einen Großteil der Rohstoffe auskommen, die heute für uns selbstverständlich sind, und mit der zerstörten Umwelt, die wir geschaffen haben, leben.
Ich kann mir vorstellen, daß Sie die verantwortungslosen Wirtschaftsmarionetten von 1985 verfluchen werden. Aber Sie sind ja phantasielos. Was kümmert Sie, daß der Wald heute schon vom Tod bedroht ist und weite Teile schon abgestorben sind? Selbst in dieser Situation bieten Sie dem Wald keinen Schutz, sondern leisten ihm aktive Sterbehilfe durch Unterlassung von Sofortmaßnahmen.
({1})
Ihre Doppelzüngigkeit wird nahezu unerträglich, wenn Sie sich hier hinstellen und gleichzeitig zu dem Waldsterben hier das Abholzen der Tropenwälder anklagen.
Sie sind, nachdem Ihnen die EG beim Katalysator einen Strich durch die Rechnung gemacht hat, noch nicht einmal bereit, sofort das Tempolimit zu beschließen. Noch nicht einmal die vorbereitenden Arbeiten veranlassen Sie, um für den Fall, daß der Tempolimit-Großversuch die Ergebnisse des Umweltbundesamtes bestätigen sollte, dafür Sorge zu tragen, daß das Tempolimit sofort in Kraft treten kann. Aber so etwas kommt bei Ihnen j a nicht in Frage. Neben der Reduzierung der Stickoxidbelastung des Waldes durch das Tempolimit würden nämlich zusätzlich 3 Millionen Tonnen Kraftstoff gespart.
Die vielen Initiativen, die wir im Bundestag eingebracht haben, sind nur ein kleiner Teil dessen, was politisch geändert werden müßte. Die Giftklitsche auf der grünen Wiese in Buschhaus muß unbedingt gestoppt werden. Deshalb haben wir auch heute wieder einen entsprechenden Entschließungsantrag eingebracht.
Der Einsatz „sanfter", angepaßter Technologien ist menschengerechter und arbeitsintensiver als „harte" Großtechnologien wie Atomkraftwerke, deren Abfälle und Ruinen noch in Jahrtausenden tödliche Strahlen freisetzen können. Der Bau des Schnellen Brüters und des Hochtemperaturreaktors in Nordrhein-Westfalen wird die Beschäftigungslage im Bergbau und in der Bauindustrie noch weiter verschärfen. Die schon heute existierenden Stromüberkapazitäten - Hamburg ist das beste Beispiel dafür; Sie finden es heute in der FR
- werden noch weiter erhöht, wodurch die sinnvolle und arbeitsintensive Gebäudeisolierung für die Bauindustrie überflüssig wird.
({2})
- Das trifft zu.
Meine Damen und Herren, im niederrheinischen Braunkohlegebiet lassen Sie ein Loch buddeln, in das das ganze Saarland hineingelegt werden könnte. Die Folgen der Vernichtung von fruchtbarem Ackerboden und des Grundwassergebietes sind den Wirtschaftsinteressen nachgeordnet. Bei Ihrer landschaftsfressenden Politik ist die Frage erlaubt: Gehen Sie eigentlich davon aus, daß der Boden vermehrbar ist? Wir brauchen den Ackerboden anscheinend nicht, weil wir unsere Lebensmittel aus den Dritte-Welt-Ländern importieren, die diese Lebensmittel mit den hier verbotenen Pestiziden DDT und anderen behandeln. Unser Wasser wird durch immer neue Kläranlagen aufbereitet. Das schafft Arbeitsplätze, und die Chemieindustrie kann ihr Gift weiter einleiten.
Meine Damen und Herren, ich habe häufig gehört: Was wollen die GRÜNEN eigentlich, denn uns geht es doch gut? Letzteres stimmt ja auch, zumindest materiell und im Moment. Auf wessen Kosten das geht, kann man in der Dritten Welt ablesen. Ich bin der Überzeugung, daß der materielle Wohlstand und der Konsum, die für uns eine Selbstverständlichkeit ist, mit schuld daran sind, daß die Zukunft keine Chance hat, wenn wir so weitermachen. Die Schuld der einzelnen Bürger durch ihr Konsumverhalten ist dabei begrenzt. Hauptschuld tragen die Politik und die Wirtschaft, hier insbesondere die Werbung. Diese weckt in uns materielle Bedürfnisse und begründet die Notwendigkeit bestimmter Produkte durch einen enormen finanziellen Werbeaufwand, um die Dinge überhaupt verkaufen zu können. Wir brauchen keine elektrische Zahnbürste, und wir brauchen auch keinen Videorecorder.
({3})
- Das ist richtig, Walter. Du brauchst auch keinen.
({4})
Wir sind zu Konsumenten manipuliert worden, ohne daß wir nach dem Sinn fragen. Der alte Spruch „Hast Du was, dann bist Du was" zählt immer noch. Kaum jemand fragt nach dem Unterschied zwischen Haben und Sein. Der Konsum dient vielen als Ersatzbefriedigung für die eigene Unzufriedenheit am Arbeitsplatz oder in der Arbeitslosigkeit, in der Familie oder sogar schon in der Schule.
Sogar die Freizeit wird konsumiert. Daß sich mittlerweile eine gut florierende Freizeitindustrie entwickeln konnte, ist ein deutlicher Hinweis darauf, daß unsere Kreativität verkümmert.
({5})
Statt der Freude am Leben gibt es die Freude am
Konsum. Daß das nur eine oberflächliche Freude
ist, die die Menschen kaputtmachen kann, zeigt sich u. a. auch an der Zunahme der Zahl von Alkohol- und Drogenkranken, Selbstmördern und der Zunahme von Kriminalität.
Es müssen grundlegende Änderungen in dieser Gesellschaft stattfinden, um zu einem menschlicheren Miteinander und zu einem sinnvolleren Umgang mit den Rohstoffen und der Natur zu gelangen.
Meine Damen und Herren, nach der Dekadenz folgt der Untergang. Nehmen Sie „GLOBAL 2000" ernst, und handeln Sie. Noch haben Sie die Möglichkeit. Warten Sie nicht auf andere Staaten. Wir haben keine Erde in Reserve, auf die wir zurückgreifen könnten.
Ich möchte aus diesem Grunde dieses Exemplar von „GLOBAL 2000" dem Bundeskanzler übergeben. Das Buch hat eine Geschichte. Es wurde der Umweltbewegung von einem 80jährigen Bürger gestiftet, der an der Startbahn West Umweltzerstörung aus nächster Nähe miterleben mußte, verbunden mit der Bitte, daß der Kanzler dieses Buch zur Kenntnis nimmt, damit sein Lächeln vielleicht einmal ein bißchen gebrochen wird.
Danke.
({6})
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich fühle micht außerordentlich erfrischt dadurch, daß mir von Ihnen, verehrter Herr Kollege, die Witze erzählt werden, die zum erstenmal Egon Bahr 1979 auf dem entwicklungspolitischen Kongreß der Kirchen gemacht hat. Nach sechs Jahren kann man schon wieder darüber lachen.
({0})
- Da müssen Sie halt zuhören. Dann hätten Sie es mitgekriegt. Es ist nicht meine Aufgabe, zwischen der SPD-Fraktion und Ihnen die Relaisstation zu bilden. Das können Sie doch selber.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß sich kein Parlament, das ich kenne, so umfassend und ernsthaft mit der Thematik befaßt hat, die hier heute auf der Tagesordnung steht. Ich glaube, daß die Bundesregierung in allen Phasen mit großer Offenheit auf diese Thematik eingegangen ist. Im Laufe der Debatten, die wir zu diesem Thema hatten, hat jeder verantwortliche Minister, der mit diesen Fragen zu tun hat, hier in großem Umfang Rede und Antwort gestanden. Ich glaube, das war gut und richtig so.
Wenn heute Herr Vosen darüber enttäuscht ist, daß wir Ihnen mit ausdrücklicher Zustimmung seiner Fraktion nur Parlamentarische Staatssekretäre anzubieten haben, ist das, das muß ich sagen, einfach ein bißchen unfair.
Aber es muß Sie ja sehr betrübt haben; denn es ist Ihnen in diesem Zustand der Betrübnis gelungen, sich bei der Prozentangabe über den Aufwand von Forschungsmitteln für Entwicklungsländer um nicht weniger als fünf Nullen zu verrechnen und damit einen denkwürdigen Rekord auf dem Felde der Prozentrechnung aufzustellen. Wenn Sie freilich meinen, daß Nullen vernachlässigt werden können, haben Sie recht.
({2})
Ich möchte Sie nur bitten, das nicht auf Finanzfragen auszudehnen. Dann hätte ich wieder große Angst.
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- Ich werde mir erlauben, verehrter Herr Kollege, auch auf das einzugehen, was hier gesagt worden ist; denn es ist es zum Teil sehr wohl wert.
Um den Beweis zu führen, daß diese Erde ein Jammertal ist, wurde sogar Frau Erler zitiert. Ich hätte es sehr begrüßt, wenn ich ihre Sorgen einmal in ihrer Parlamentsarbeit von diesem Pult hier gehört hätte. Das wäre eine Tat gewesen.
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- Liebe Frau Kollegin, da kann man eine ganze Menge tun. Nur: Da Sie eine Welt des Schreckens zu malen belieben, bei der Ihnen gar nichts anderes übrigbleibt, als alle anderen Menschen zu Agenten finsterer Mächte zu erklären, gebe ich nach zwei Jahren der Bemühung, mit Ihnen argumentativ zu reden, den letzten fünf Minuten keine große Chance mehr.
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Dieses Thema, das wir hier heute haben, wäre weiß Gott unserer gemeinsamen Sorge und unseres gemeinsamen Nachdenkens wert. Das hätte recht gut zu Debatten über den parlamentarischen Stil gepaßt, die wir hier geführt haben. Aber ich habe heute morgen schon im sozialdemokratischen Pressedienst feststellen müssen, daß wir uns doch mehr im konfrontativen Reden würden üben müssen.
Dem Kollegen Schanz macht es ja nicht viel aus, daß es 21 Jahre lang kein Umweltreferat im Ministerium gegeben hat. Die Chance ist ja viel zu gut, seit es eines gibt, zu beklagen, daß es offenbar nicht genug Millionen zur Verfügung hat, was ihn in den Haushaltsberatungen übrigens nicht weiter gestört hat. Daß es seit zwei Jahren für jedes Projekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung gibt, ist offenbar nicht weiter wichtig und von Interesse. Es ist offenbar besser, wahrheitswidrige Behauptungen zur Lieferbindung aufzustellen.
Bei der Frage des Tadels der OECD an der Mischfinanzierung wird für mich die Sache endgültig eigentümlich. Jeder, der diese OECD-Debatte kennt, weiß, wie stark die amerikanischen Vertreter dieser Kritik an der Mischfinanzierung, die uns j a übrigens vom Bundestag in einem einstimmigen Beschluß empfohlen worden ist, mit amerikanischen Handelsinteressen begründen. Ich stelle also heute morgen mit dem größten Erstaunen fest, daß sich Herr Schanz hier offenbar in einem Kontext betätigt, den ich sonst von SPD-Kollegen nicht gewohnt bin.
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- Nun, ich hatte noch nie gehört, daß Sie amerikanische Handelsinteressen auf Kosten der deutschen Entwicklungspolitik vertreten; aber das ist heute geschehen.
Daß in diesem Zusammenhang auch noch gesagt wird, es gebe kaum noch Projekte im Bereich der Forstwirtschaft, bedeutet, daß man Projekte in nicht weniger als zehn Ländern aus 1983/84 einfach nicht zur Kenntnis nimmt und daß man die Planungen in weiteren acht Ländern der Dritten Welt ebenfalls nicht zur Kenntnis nimmt. Für ein Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, das alle entsprechenden Unterlagen zur Hand hat, ist das schlicht und einfach fahrlässig, wenn nicht sogar eine absichtsvolle Verdrehung der Tatsachen.
Wir können uns, wenn Sie das gerne wollen, darüber unterhalten, wie viel Riesenstaudämme noch im Stock sind, bei denen nicht einmal die Frage geklärt worden ist, ob die Wälder, die dort stehen, wo die Staudämme hinkommen, abgeholzt werden, wo nichts anderes übrigbleibt, als daß das Holz verfault, wo keine Maßregel getroffen ist, daß dieses Holz als Brennholz oder als Nutzholz verwendet werden kann. Wir haben dies bisher nicht gemacht, weil wir auch unseren Vorgängern den Irrtum und die Möglichkeit, im Laufe der Zeit klüger zu werden, zugestehen; aber dann seien bitte auch Sie ein bißchen vorsichtiger. Hier ließen sich einige Horrorgeschichten erzählen.
Ein weiterer Vorwurf wird erhoben, weil die Bundesregierung sagt, sie bemühe sich, sie wolle entgegenwirken, sie wolle ihren Anteil leisten. Diesen Vorwurf, den Frau Hartenstein heute im Pressedienst ihrer Partei erhoben hat, kann man natürlich dann erheben, wenn man auf der einen Seite sagt, die Länder der Dritten Welt seien souverän und hätten eine eigene Verantwortung, auf der anderen Seite aber meint, wir müßten sie in jeder Weise bevormunden. Nur finde ich, man muß sich jetzt einmal für eines entscheiden. Man kann nicht auf der einen Seite Antikolonialist sein und auf der anderen Seite dem Paternalismus das Wort reden. Eine Regierung, die sich hier hinstellte und behauptete, daß sie mehr tun könne als sich redlich bemühen, würde ein Machertum vorgeben, für das es keinerlei reale Grundlage gibt, und das werden wir nicht tun.
Wir haben drei große Themen: den Bericht „GLOBAL 2000", die Fragen des Umweltschutzes und die Sicherung der Ernährung in der Dritten Welt. Diese
Themen stehen in einem engen Zusammenhang. Die Studie „GLOBAL 2000" ist mittlerweile beinahe fünf Jahre alt, aber die Probleme haben an Aktualität nicht verloren, eher gewonnen. Umweltschutz, Bevölkerungsentwicklung, Energieversorgung und Ernährungssicherung sind mehr denn je Existenzfragen, und zwar insbesondere für die Menschen in der Dritten Welt. Der Wert der Studien liegt auch heute noch in ihrer Wirkung auf die politische Diskussion und in der Vertiefung des Problembewußtseins, das durch sie ausgelöst worden ist.
Die Bundesregierung hat in ihrem Bericht zu den Konsequenzen aus „GLOBAL 2000" im September 1983 dargelegt, welche Folgerungen sie zieht. Dazu liegen heute eine Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie und ein Antrag der SPD-Fraktion vor. In beiden Dokumenten wird interessanterweise die Frage des Nutzens globaler Prognosemodelle, wie sie im Bericht „GLOBAL 2000" verwendet werden, angesprochen. Solche Modelle erlauben keine genaue Vorhersage der Zukunft. Die vor uns liegenden Ereignisse lassen sich auch mit den modernsten Computern nicht vorherbestimmen.
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- Verehrter Herr Kollege, Sie müssen jemandem, der seit Jahren im „Club of Rome" an diesen Dingen mitarbeitet, nicht noch eine Vorlesung darüber halten wollen, wo die Grenzen der Prognosefähigkeit liegen. Da lade ich Sie gerne zu einem gesonderten Gespräch ein.
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- Oh, dann verzeihen Sie bitte;
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dann bin ich voller Reue, daß meine Ohren schlecht sind.
Diese Prognosemodelle können aber ein wesentliches Mittel zum rechtzeitigen Frühwarnen sein und können damit natürlich auch ein Stimulans für eine vorausschauende Politik sein. Wir werden deshalb entsprechend der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie diese Entwicklungen weiter verfolgen und den Bundestag darüber informieren.
Eines der großen Probleme, das in „GLOBAL 2000" zu Recht herausgestellt ist, ist die Bevölkerungsentwicklung. 1960 waren es noch 3 Milliarden Menschen, im Jahr 2000 werden es voraussichtlich 6,1 Milliarden Menschen auf der Welt sein. In den Entwicklungsländern wird es 40 Ballungsgebiete mit jeweils über 5 Millionen Bewohnern geben. Noch in unserer Lebenszeit werden die riesigen städtischen Agglomerationen nicht mehr vorrangig in den Industrieländern zu finden sein, sondern überwiegend in der Dritten Welt. Bevölkerungsentwicklung und Verstädterung werden zu fast unlösbaren Problemen, und die Folgen für Umwelterhaltung und die Fragen der Energieversorgung, die sich hier stellen, sind wahrhaft gigantisch.
Eine Begrenzung des Bevölkerungswachstums ist dringlich geboten. Erfolge können in diesem Bereich auf lange Sicht nur durch eine Verknüpfung von Familienplanungsprogrammen mit Maßnahmen erzielt werden, die zu einer Verbesserung des sozialen und wirtschaftlichen Umfeldes und besonders auch der Lage der Frauen führen.
Die Bundesregierung leistet ihren Beitrag zur Bevölkerungspolitik der Entwicklungsländer in erster Linie durch die Unterstützung der multilateralen Einrichtungen wie des Fonds der Vereinten Nationen für Bevölkerungsfragen. Sie bietet aber interessierten Entwicklungsländern auch bilaterale Zusammenarbeit auf diesem Gebiet an.
Ein wichtiger und oft der wichtigste Schritt zu einer Verbesserung der sozialen und wirtschaftlichen Lage ist in vielen Ländern der Dritten Welt die Bekämpfung der absoluten Armut. Dies sieht die Bundesregierung als die moralische Herausforderung unserer Zeit genauso an wie auch als ein Gebot politischer und wirtschaftlicher Weitsicht. Entsprechend der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie wird sie deshalb weiterhin alles tun, was sie tun kann, um den Menschen zu helfen, die bemüht sind, ein ihrer Würde gemäßes Leben zu entwickeln und zu führen. Die Ausbildung breiter Bevölkerungsschichten, wie sie im Antrag der SPD-Fraktion gefordert wird, hat dabei einen sehr hohen Rang. Darüber sind wir einig.
Eng verbunden mit der Bevölkerungszunahme in den Entwicklungsländern ist die kritische Ernährungslage in vielen Ländern der Dritten Welt. Über den Katastrophenmeldungen aus Afrika dürfen wir nicht vergessen, daß auf der ganzen Welt 400 bis 600 Millionen Menschen ständig unter- oder fehlernährt sind. Die Ursache liegt nur in den wenigsten Fällen in den natürlichen Gegebenheiten des jeweiligen Landes. Selbst in den meisten afrikanischen Dürregebieten gibt es Wasser für die Nahrungsmittelproduktion. Es gibt grundsätzlich genügend arbeitsfähige und arbeitswillige Menschen, um eine Ernährung aus eigener Kraft sicherzustellen. Das, woran es aber sehr oft gefehlt hat, sind die richtigen Rahmenbedingungen. Der äthiopische, überhaupt der afrikanische Bauer muß ebenso wie der deutsche oder der europäische ein Mindestmaß an materiellem Anreiz haben, wenn er nicht nur für die eigene Existenzerhaltung, sondern auch für den Rest der Bevölkerung Nahrungsmittel produzieren soll. Deshalb sprechen wir mit vielen Entwicklungsländern vor allem in Afrika über die Rahmenbedingungen ihrer Entwicklung.
Welche Wirkungen günstige Rahmenbedingungen haben, zeigt das Beispiel China sehr deutlich. In diesem Land wurden schon 1983 die Ziele der landwirtschaftlichen Produktion für 1985 erreicht, nachdem man den Bauern mehr wirtschaftlichen Freiraum gegeben hatte.
({10})
- Das ist schön.
Gestatten Sie mir nur noch ein paar Bemerkungen zum Antrag der SPD zum Bericht der Bundesregierung zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000". Dieser Antrag enthält interessante und konstruktive Elemente.
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- Ich bin verpflichtet, Ihnen wahrheitsgemäß zu antworten, Herr Kollege. Ob ich dabei Lust empfinde, ist eine zweite Frage.
Hervorzuheben ist z. B. das Gewicht, das der Ausbildung breiter Bevölkerungsschichten in den Entwicklungsländern beigemessen wird. Das ist in der Tat einer der Bereiche, in denen das Schlagwort von der Hilfe zur Selbsthilfe in praktische Politik umgesetzt werden muß.
Besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang die Technische Zusammenarbeit. Die Bundesregierung hat, seit sie von Helmut Kohl geführt wird, den Anteil der Technischen Zusammenarbeit deshalb von 32,4% im Jahre 1982 auf 37,4 % im Jahr 1985 gesteigert.
Leider enthält der SPD-Antrag neben einer Reihe von konstruktiven Vorschlägen, wie ich sagte, aber auch Vorschläge, mit deren Umsetzung den Entwicklungsländern ein schlechter Dienst erwiesen würde, und bei deren Formulierung scheinen mir nicht so sehr die Interessen der Entwicklungsländer, sondern ideologische Grundsatzpositionen im Vordergrund gestanden zu haben. Dies gilt z. B. für die Aufforderung, zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt Importbeschränkungen zu erwägen. Ich sagte schon: Es ist für mich sehr schwer verständlich, daß notorische Feinde des Paternalismus an diesen Stellen paternalistisch werden. In Ausnahmefällen - ich denke an das Washingtoner Artenschutzabkommen - kann so etwas übrigens der richtige Weg sein. Aber in der Regel stehen Importbeschränkungen zum Ressourcenschutz im Widerspruch zu der Forderung der Entwicklungsländer, die Einfuhr von Rohstoffen und tropischen Produkten zu erleichtern. Diese Forderung ist doch nur zu verständlich, wenn man sich vor Augen hält, daß nach wie vor für viele Entwicklungsländer der Erlös aus dem Verkauf von Rohstoffen die wichtigste Devisenquelle ist. Das läßt sich auch nicht über Nacht ändern, selbst wenn sie das gern wollten.
({12})
Nicht dirigistische Importbeschränkungen, sondern eine Umgestaltung der Produktionsstruktur in den Erzeugerländern ist deshalb der richtige Weg zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt.
Meine Damen und Herren, ich habe hier nun noch ein Wort zu dem Thema von Handel und Umwelt in Verbindung mit Entwicklungsländern zu sagen. Ich meine den Export von Pflanzenschutzmitteln in diese Länder, den Sie von der SPD in Ihrem Antrag mit dem sehr schönen Titel „Friede mit der Natur" ganz und gar unterbinden wollen, wenn darin bei uns verbotene Wirkstoffe enthalten sind. Alle Fachleute sind sich darin einig: Exportbeschränkungen für im tropischen Pflanzenbau dringend erforderliche Pflanzenbehandlungsmittel sind aus entwicklungspolitischen Gründen nicht vertretbar. Unter tropischen und subtropischen Umweltbedingungen reagieren chemische Substanzen teilweise anders als in Zonen gemäßigten Klimas. Die deutschen Vorschriften sind deshalb keineswegs für den Einsatzort geeignet. Wir sind uns der Gefahr einer unkontrollierten Anwendung dieser Mittel bewußt. Deswegen hat die Bundesregierung den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der Kulturpflanzen vorgelegt, dessen Kern ein wirksamer Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier sowie des Naturhaushalts vor den Gefahren einer unsachgemäßen Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel ist. Wir haben darüber in den Ausschüssen ausführlich gesprochen. Diese Bestimmungen werden die Anstrengungen der Agrarhilfe wirkungsvoll bei der Durchsetzung eines verantwortungsbewußten Pflanzenschutzes in den Partnerländern im Rahmen unserer Entwicklungszusammenarbeit unterstützen.
Ich bin damit zu dem Thema der Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen übergegangen. Das Waldsterben, das unsere Bürger stärker als die Menschen in anderen Ländern als Zeichen einer bedrohten Umwelt verstehen, hat auf den ersten Blick wenig mit der in zahlreichen Ländern Afrikas sich abspielenden Hungerkatastrophe gemein, die Millionen von Menschen trifft und um ihre Heimat und ihre Lebensgrundlagen bringt. Und doch zeigen beide Ereignisse eines ganz deutlich: Die Erhaltung einer gesunden Umwelt und die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen sind unabdingbare Voraussetzung für jegliche Form einer dauerhaften wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung.
({13})
In Extremsituationen wie in den afrikanischen Notstandsgebieten sind sie sogar unabdingbare Voraussetzung für das nackte Überleben.
Sicher sind die konkreten Erscheinungsformen und Auswirkungen dieses wechselseitigen Zusammenhanges in Industrieländern und in den Ländern der Dritten Welt unterschiedlich und oft nicht unmittelbar vergleichbar. Stehen bei uns die Belastungen von Luft, Wasser, Böden und Wäldern durch Rückstände und Abfallprodukte aus Industrie, Verkehr und Haushalten und deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit als Probleme im Vordergrund, so ist in weiten Teilen der Dritten Welt die Umwelt mehr durch den hohen Bevölkerungsdruck und damit zusammenhängende Entwicklungen wie Landverknappung, Raubbau und Urbanisierung bedroht. Daß auch in Entwicklungsländern von der Industrialisierung und Technisierung gravierende Umweltgefahren ausgehen können, hat uns besonders die Katastrophe von Bhopal drastisch vor Augen geführt.
Die Waldzerstörung in den Tropen und die Ausbreitung der Wüsten - zwei zentrale Umweltprobleme der Dritten Welt, denen jährlich rund 11 bzw. 6 Millionen Hektar, das entspricht zusammengenommen zwei Dritteln des Bundesgebietes, zum
Opfer fallen - sind hauptsächlich Folge des Versuchs, die benötigten Nahrungsmittel durch Erschließung immer neuer, vielfach jedoch ungeeigneter Nutzflächen für Ackerbau und Beweidung zu erzeugen. Die damit verbundene Bodenerosion, die Eingriffe in den Wasserhaushalt, das Klima und die natürliche Artenvielfalt schmälern die verbleibende Produktionsbasis und führen zu unwiederbringlichen Verlusten an Lebensraum. Desertifikation und Hunger - das zeigt sich heute in Afrika dramatischer denn je - sind zwei Seiten derselben Medaille. Auch wenn Klimaeinflüsse zweifellos eine Rolle spielen, ist der Mensch doch der entscheidende Ursachenfaktor.
Daraus ergibt sich für uns eine klare Schlußfolgerung: So entschlossen, wie der Umweltschutz als prioritäre Aufgabe der Politik der Bundesregierung im nationalen und europäischen Rahmen angegangen wird, so unzweideutig ist die Auffassung der Bundesregierung, daß auch in der Entwicklungspolitik dem Umweltschutz der Rang einer Schwerpunktaufgabe zukommt.
In der Antwort auf die Große Anfrage der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP zur Frage der „Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen in der Dritten Welt" haben wir näher dargelegt, was dies in der Praxis bedeutet. Umweltschäden nicht tolerierbaren Ausmaßes, wie sie bei einer systematischen Überprüfung aller laufenden Vorhaben der bilateralen Entwicklungszusammenarbeit bei rund 1 % der Projekte - das sind überwiegend alte Industrievorhaben - festgestellt wurden, wollen wir in Zukunft von vornherein verhindern.
({14})
Um dies zu gewährleisten, wird derzeit unter Federführung des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit von einer Sachverständigengruppe ein neues und systematisch auf alle Entwicklungsvorhaben der Technischen und der Finanziellen Zusammenarbeit anwendbares Instrumentarium der Umweltverträglichkeitsprüfung erarbeitet, das bis Ende dieses Jahres voraussichtlich fertiggestellt sein wird.
Das ist ein ambitiöses und schwieriges Unterfangen; es müssen Prüfkriterien und -standards für so unterschiedliche Sektorbereiche wie Land- und Forstwirtschaft, Industrie, Infrastruktur oder Energiewirtschaft festgelegt werden, wobei zu berücksichtigen ist, daß auf die hiesigen Erfahrungen anderer Geberländer oder internationaler Organisationen zurückgegriffen werden kann.
Über die Sicherstellung der Umweltverträglichkeit aller Entwicklungsvorhaben hinaus leistet die Bundesregierung einen direkten Beitrag zur Verhinderung bzw. Beseitigung von Umweltproblemen in der Dritten Welt, indem sie eine Vielzahl von Projekten fördert, die vorhandene Umweltschäden ausgleichen, ökologisch angepaßte Verfahren der Boden- und Ressourcennutzung sicherstellen sollen. Beispiele für solche Vorhaben, die rund 15 % aller bilateral geförderten Projekte umfassen, betreffen
z. B. die Bereiche Erosions- und Wüstenbekämpfung, Schutz von Wassereinzugsgebieten, Waldbewirtschaftung und Aufforstung, standortgerechte Landnutzung und biologischer Pflanzenschutz sowie die Abfall- und Abwasserentsorgung. Auch die Unterstützung im Bereich Umweltgesetzgebung und -verwaltung und die Ausbildung von Fachpersonal gehören dazu.
({15})
- Nach zwei Jahren, verehrter Herr Schwenninger, sollten Sie wissen, wieviel Zeit nötig ist, um vom Willen zur konkreten Planung und Durchführung von Projekten zu kommen. Nur in Ihrer Welt ist die Realität durch den Wunsch schon gegeben.
Besonders die Unterstützung der Schaffung von gesetzlichen, verwaltungs- und personalmäßigen Voraussetzungen einer aktiven Umweltschutzpolitik ist eine zunehmend wichtige entwicklungspolitische Aufgabe. Denn das muß hier klar gesagt werden, Herr Schwenninger: Ohne das notwendige ökologische Bewußtsein bei den Regierungen der Entwicklungsländer, ohne die Bereitschaft zur ressourcenschonenden Gestaltung ihrer Entwicklungsvorhaben, ohne aktive Mitwirkung bei entsprechenden Umweltverträglichkeitsprüfungen und besonders ohne den Willen und die Fähigkeit, die erforderlichen Vorkehrungen zur Vermeidung unvertretbarer Belastungen bei der Durchführung von Vorhaben konsequent in die Tat umzusetzen, ist unser ganzes Prüfungsinstrumentarium Papier.
({16})
Die Realität im Entwicklungsland haben wir nur begrenzt in den Händen.
({17})
Erst wenn die Empfängerregierung in diesem Geiste voll mitarbeitet, kann der angestrebte Erfolg erreicht werden.
Wir unterstützen den Prozeß des Umdenkens, der in der Dritten Welt begonnen hat, nach Kräften, und wir veranstalten dazu viele Fach- und Fortbildungsveranstaltungen für Führungskräfte aus Entwicklungsländern. Wir arbeiten aktiv mit regionalen und internationalen Umweltschutzeinrichtungen zusammen, z. B. mit UNEP, der Internationalen Naturschutzunion, dem Internationalen Bergregionenzentrum in Nepal und dem Zwischenstaatlichen Ausschuß zur Dürrebekämpfung im Sahel. Wir nutzen aber auch jede Möglichkeit des Politikdialogs zur Abstimmung mit den Partnerländern über diese Fragen, und wir beteiligen uns konstruktiv an den internationalen Bemühungen, für Industrie- und Entwicklungsländer gleichermaßen transparente Informationssysteme und Verhaltensgrundsätze zur Vermeidung von Umweltschäden aufzustellen. Ich nenne hier die im UN-Rahmen aufgestellte Ächtungsliste gefährlicher Güter und die bei der FAO laufenden Arbeiten zur Formulierung eines internationalen Verhaltenskodex für den Handel mit Pestiziden und die Anwendung von Pestiziden. Auch
an den im OECD-Rahmen eingerichteten Gremien zur Verbesserung des Instrumentariums der Umweltverträglichkeitsprüfung von Entwicklungs- und Investitionsvorhaben ist die Bundesregierung aktiv beteiligt.
Wir sehen in den Bereichen Umweltforschung und Umwelttechnologie konkrete Ansatzpunkte, um in den Entwicklungsländern bessere Voraussetzungen zur Erhaltung und Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen zu schaffen. Dem Deutschen Bundestag liegt das Programm „Umweltforschung und Umwelttechnologie 1984-1987" vor. Darin ist die Bedeutung der Einbeziehung der besonderen Probleme und Voraussetzungen von Entwicklungsländern in die Forschungsarbeiten betont, und es sind darin bilaterale Modellvorhaben, z. B. im Bereich der Abfall- und Abwasserwirtschaft, als Möglichkeiten genannt, um für Entwicklungsländer geeignete Umwelttechnologien zu entwickeln und zu erproben.
Das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit unterstützt darüber hinaus die umweltbezogene Forschung durch Vergabe entsprechender Aufträge und die Durchführung von Forschungs- und Pilotvorhaben im Rahmen der Technischen Zusammenarbeit. Wir gewähren finanzielle Förderung den für die tropischen Länder besonders wichtigen Agrarforschungsinstituten, die sich mit der züchterischen Verbesserung von Kulturpflanzen oder der Weiterentwicklung agrarischer Produktionssysteme befassen.
Umweltschutz ist auch im Rahmen der Entwicklungspolitik keine isolierte Aufgabe. Sie muß stets als vorbeugende und begleitende Maßnahme der auf den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt gerichteten Bemühungen der Länder der Dritten Welt verstanden werden.
({18})
Daher sehen wir auch in bezug auf die Entwicklungsländer einen richtig verstandenen Umweltschutz nicht als Gegensatz, sondern als notwendiges und integratives Element eines langfristig abgesicherten Entwicklungsprozesses an. Es wäre übrigens bei den Gegebenheiten der Entwicklungsländer einfach unrealistisch, von ihnen Aufwendungen für den Umweltschutz zu erwarten, wenn damit nicht zugleich ein konkreter Nutzen für die betroffene Bevölkerung sichtbar wird. Deswegen betrachten wir z. B. Maßnahmen des Erosionsschutzes und der Aufforstung stets als Bestandteil eines umfassenden Konzeptes der ländlichen Entwicklung. Diese Vorhaben haben deswegen nicht nur ökologische Zielsetzungen, sondern verfolgen zugleich den Zweck der Erzeugung von Brenn- und Nutzholz, von Produkten für die menschliche Ernährung oder von Viehfutter und auch das Ziel, einen konkreten, kurzfristig verfügbaren Beitrag zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, die im Projektgebiet leben, herbeizuführen.
Ein Konzept der ländlichen Entwicklung ist bei der gegenwärtigen Lage in vielen Ländern der Dritten Welt ohne den Einsatz von Nahrungsmittelhilfe nicht umsetzbar. Damit spreche ich den letzten
Aspekt des Bündels der heutigen Thematik noch einmal kurz an. Hier geht es um einen integrativen Ansatz bei der Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Raums, der in Wahrheit die Hauptaufgabe ist.
Ich möchte in diesem Zusammenhang einige grundsätzliche Bemerkungen zum Problembereich der Ernährungssicherung machen. Auf Grund der schrecklichen Ernährungssituation in vielen afrikanischen Ländern steht natürlich gegenwärtig die Katastrophenhilfe im Rampenlicht der Diskussion. Auch wir versuchen, wie die EG und andere Geber, durch massive Nahrungsmittelnothilfe das Überleben der vom Hunger geplagten Menschen zu sichern. Das wird 1985 ebenso - wenn nicht noch mehr - wie 1984 nötig sein. Diese Hilfe muß schnell und unbürokratisch gewährt werden.
Ich glaube, man darf hervorheben, daß es gelungen ist, trotz des immer noch fehlenden EG-Haushaltes die Durchführungsverordnung zur EG-Nahrungsmittelhilfe am 19. Februar 1985 zu verabschieden. Auch die Bundesregierung hat sich für eine möglichst zügige Verabschiedung durch den Rat eingesetzt, weil wir einfach jede Verzögerung von Nahrungsmittelhilfelieferungen angesichts der Not in Afrika für unverantwortlich halten.
({19})
Die langfristigen Aspekte der Ernährungssicherung dürfen aber neben der Nothilfe nicht in Vergessenheit geraten, wenn das Ziel der eigenständigen Nahrungsversorgung in den Entwicklungsländern erreicht werden soll. Dabei sind zwei Aspekte von entscheidender Bedeutung.
Die Nahrungsmittelnothilfe muß sobald wie möglich übergeführt werden in Nahrungsmittelhilfe, die zur nachhaltigen Verbesserung der Produktionsbasis eingesetzt wird und in eine nationale Versorgungsplanung eingebunden ist.
({20})
- Ich kann eine leidvolle Geschichte vom Mißlingen auf diesem Gebiet in vergangenen Jahren und Jahrzehnten erzählen. Ich werde heute nachmittag Somalia aufsuchen, das Land, das ein Musterbeispiel dafür ist, wie mit gutem Willen geleistete Hilfe ein Land in immerwährende und totale Abhängigkeit von ausländischer Hilfe geführt hat.
({21})
Wir sollten uns daranmachen, aus diesen Fehlern zu lernen und die Katastrophenhilfe und die längerfristige Entwicklungspolitik in einen brauchbaren Zusammenhang zu bringen. Dabei ist dann auch. Ihre Hilfe erforderlich. Dies ist nicht der Moment, in dem man den Pharisäer spielen kann.
({22})
Ich ermutige Sie dabei, so vortrefflichen Wandel an den Tag zu legen.
({23})
- Das ist - in anderen Worten und etwas verkürzt
- mein Reiseziel, verehrter Freund. - Die Erhaltung der natürlichen Ressourcen, das Eindämmen der Erosion und das Eindämmen der von Nord nach Süd fortschreitenden Verwüstung sind notwendige Voraussetzungen für die Erhöhung der Eigenproduktion.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Herr Präsident, ich bin bei den letzten Sätzen. Herr Brück, ich bitte um Nachsicht, aber ich möchte meine Rede jetzt zu Ende führen; ich habe schon sehr viel Zeit in Anspruch genommen. - Food-for-Work-Projekte sind in diesem Zusammenhang ein wertvoller Beitrag.
Wir ermutigen die Entwicklungsländer, umfassende nationale Ernährungsstrategien zu entwikkeln. Die Europäische Gemeinschaft unterstützt solche Strategien in Mali, Kenia, Ruanda und Sambia. Obwohl der Fortschritt bei der Umsetzung dieser Strategien langsamer als erwartet ist, sind wir doch fest entschlossen, den als richtig erkannten Weg der Ernährungsstrategien weiterzuverfolgen.
Wichtig ist, daß auch die Nahrungsmittelhilfe in dieses Konzept eingepaßt wird. Die wirksame Verwendung von Gegenwertmitteln bei Verkauf der Nahrungsmittelhilfe in Projekten der ländlichen Entwicklung ist ebenso wichtig wie die Möglichkeit, Nahrungsmittelhilfe durch Finanzhilfe abzulösen, falls kein Nahrungsmittelhilfe-Bedarf mehr besteht, um so die Förderung der entsprechenden Entwicklungsprojekte sicherzustellen.
Die EG-Ablösungsverordnung ist zwar seit ihrem Inkrafttreten im Juni 1984 noch nicht angewendet worden, weil eben die Not den Bedarf an Nahrungsmitteln nach wie vor im Vordergrund stehen läßt. Trotzdem halte ich diese Verordnung für ein wichtiges Instrument der Entwicklungszusammenarbeit, weil sie den Anreiz für die Entwicklung der Eigenproduktion enthält, ohne daß solche Anstrengungen sofort mit dem Entzug der Hilfe „bestraft" würden.
Eine nationale Ernährungsstrategie muß alle Aspekte des Problems von Produktion und Vermarktung bis hin zur Verteilungsproblematik einbeziehen. Das geht weit über den Aspekt der Nahrungsmittelhilfe hinaus und erfordert den Einsatz technischer und finanzieller Hilfe sowie die verstärkte Verknüpfung der Instrumente. In diesem Rahmen müssen die Landwirtschaft und die ländliche Entwicklung stärker als bisher gefördert werden.
Es ist deshalb konsequent, wenn sich die Bundesregierung der Forderung des Deutschen Bundestages in seinem Beschluß vom 6. Juni 1984 anschließt,
das Instrument der Nahrungsmittelhilfe stärker als bisher an entwicklungspolitischen Zielsetzungen auszurichten. Ich habe im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit am 21. September ausgeführt, daß wir diese Forderung im Rahmen der EG nicht mit vollem Erfolg durchsetzen konnten. Eine solche Verordnung ist ein Kompromiß von objektiv sehr verschiedenen Positionen der Mitgliedstaaten, und die Bundesrepublik ist nur einer dieser Staaten. Aber es muß hervorgehoben werden, daß sich die beiden EG-Direktionen für Landwirtschaft und Entwicklungshilfe erstmals auf einer stärker entwicklungspolitischen Linie geeinigt haben. Ich darf darauf hinweisen, daß die deutsche Präsidentschaft in dieser Zeit zu diesem Ergebnis nicht unwesentlich beigetragen hat.
Wir behalten die Durchsetzung dieser Forderung vor Augen und werden - wie vom Bundestag gewünscht wird - erneut berichten, sobald der Vorschlag der Europäischen Gemeinschaft für die Nahrungsmittelhilfe-Durchführungsverordnung 1986 vorgelegt ist.
Ich danke für Ihre Geduld.
({0})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Hartenstein.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Debatte über den Bericht „GLOBAL 2000" vor zweieinhalb Jahren waren sich alle Fraktionen dieses Hauses ausnahmslos einig, daß schnellstens etwas geschehen müsse, um den fatalen Raubbau an den Ressourcen dieser Erde zu stoppen. Heute müssen wir feststellen: Es ist nichts Entscheidendes geschehen. Die Industrieländer, auch die Bundesrepublik, haben es versäumt, ernsthafte Schritte zur Bewältigung der Krise zu tun. Offenbar hat die Bundesregierung bis heute noch nicht begriffen, was die Stunde geschlagen hat. Jedenfalls haben mich Ihre Ausführungen bis jetzt nicht überzeugt. Sie haben dazu ja noch Gelegenheit.
({0})
Inzwischen geht die Plünderung der Erde unentwegt weiter. Jede Minute werden 24 Hektar tropischen Regenwaldes vernichtet. Die Ausrottung zahlloser Tier- und Pflanzenarten schreitet rapide voran. Das sind nur zwei Beispiele.
({1})
Der Countdown läuft. Daran gibt es gar keinen Zweifel. Für Beschönigungen gibt es überhaupt keinen Anlaß. Das empfinde ich eher als zynisch.
({2})
Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, brauchen wir keine nichtssagenden Absichtserklärungen. Wir brauchen auch keine Rechtfertigungsreden. Gefragt ist einzig und allein ein politi9634
sches Handlungskonzept, und zwar national und international.
({3})
Dazu sind zwei Voraussetzungen nötig, erstens der politische Wille und zweitens das nötige Problembewußtsein. An beidem fehlt es Ihnen.
({4})
Der Bericht der Bundesregierung zu „GLOBAL 2000" ist ein erschreckendes Zeugnis dafür, wie man mit technokratischer Oberflächlichkeit Maßnahmen vorschlägt, die höchstens punktuell greifen können, die aber nichts Konzeptionelles bringen.
({5})
Er suggeriert, daß man die richtigen Ansätze schon gemacht habe, und er setzt im übrigen auf kräftiges Wachstum. So einfach werden die Lösungen nicht sein.
In Ihrer Antwort auf die Große Anfrage wird zwar eine stattliche Reihe von Entwicklungsprojekten aufgezählt, die der Umweltverbesserung dienen. Das ist anzuerkennen. Es wird auch nicht verschwiegen, daß viele davon noch von der sozialliberalen Regierung ins Werk gesetzt wurden. Aber wenn andererseits der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in bezug auf die Entwicklungsländer erklärt: „Welchen Stellenwert sie dem Umweltschutz beimessen und wie sie ihn im Rahmen ihrer Entwicklung berücksichtigen, müssen die Entwicklungsländer eigenverantwortlich entscheiden", dann wirkt ein solcher Satz auf mich beinahe schizophren, um nicht zu sagen: makaber. Denn schließlich waren es doch wir, die reichen Industrienationen, die den unterentwickelten Ländern ihr Wirtschaftsmodell als alleinseligmachendes Rezept angepriesen haben, die ihnen vorgaukelten, man könne durch den Bau von Großkraftwerken, von Stahlwerken, von Chemiefabriken rasch zu Wohlstand kommen, ohne im geringsten auf die jeweiligen ökologischen Vorbedingungen zu achten. Es waren und sind auch die multinationalen Großkonzerne, die heute die Rohstofflager der Dritten Welt ausbeuten. Es sind die gleichen Konzerne, die zunehmend Schmutzindustrien in die Entwicklungsländer verlagern,
({6})
in erster Linie deshalb, weil dort die Arbeitskräfte billiger sind, der Boden billiger ist und die Steuern niedriger sind. Das Schlagwort von der Eigenverantwortlichkeit darf nicht zum Alibi werden.
({7})
Wenn man dies nämlich zu Ende denkt, dann würde es letztlich bedeuten, daß z. B. die Giftgaskatastrophe in Bhopal ausschließlich den Indern selbst zur Last gelegt werden muß und nicht dem amerikanischen Konzern Union Carbide.
({8})
Selbstverständlich, Herr Staatssekretär, muß die Souveränität der Entwicklungsländer respektiert werden. Wenn Ihr Satz so zu verstehen ist, bin ich mit Ihnen einig.
({9})
Aber die reichen Länder dürfen nicht ihre Mitverantwortung an den drückenden Existenzproblemen der ärmeren Länder ableugnen. Hier sehe ich einen Dissens.
Sie müssen - zweitens - aufhören, ihre eigenen Denkfehler auf die Dritte Welt zu übertragen, nach dem Schema: zuerst Industrialisierung, dann Umweltschutz. Herr Repnik, Ihre These ist absolut falsch. Solange Umweltschutz nämlich als Dekorationsstück betrachtet wird, das man sich nur dann ans Jackett heftet, wenn ein gewisser Wohlstand erreicht ist,
({10})
so lange werden wir den Raubbau an den Ressourcen und das ökologische Desaster nicht stoppen können.
({11})
Drittens: Die Industrieländer werden gegenüber den Entwicklungsländern nur dann glaubwürdig sein, wenn sie sich selbst als erste dazu entschließen, ökologisch angepaßte Technologien zu verwenden und umweltverträgliche Wirtschaftsformen zu praktizieren.
({12})
- Im eigenen Land. Ein schlagendes Beispiel dafür, daß ein Entwicklungsmodell auch ökonomisch scheitern muß, wenn es die ökologische Dimension mißachtet, ist Brasilien. Bis in die 70er Jahre hinein galt das Land als vorbildlich. Es hatte zweistellige Wachstumsraten aufzuweisen. Gigantische Projekte wurden in Angriff genommen: der Staudamm von Itaipú, mehrere Atomkraftwerke, die „Transamazonica", die Erschließung riesiger Erzvorkommen.
({13})
Diese Projekte verschlangen nicht nur gewaltiges Kapital, sondern sie hatten auch massive Eingriffe in die Ökosysteme des Landes zur Folge. Jährlich wird am Amazonas mehr Wald abgeholzt, als die Bundesrepublik überhaupt besitzt.
Der Verbrauch an Agrarchemikalien ist in zehn Jahren um 420% angestiegen, der Verbrauch an Dünger übrigens um das Zwölffache.
Heute steht das Land vor einer düsteren Bilanz. Die Auslandsverschuldung hat die Höhe von 100 Milliarden Dollar erreicht, die Inflationsrate die Marke von 200% überschritten. Zwei Drittel der Brasilianer leben in absoluter Armut. Jedes Prozent Zinserhöhung, meine Damen und Herren, zwingt die Brasilianer, 1 Milliarde Dollar mehr an die Kapitalgeber zurückzuzahlen.
Unter diesen Umständen, so fürchte ich, besteht kaum Hoffnung, auch nur einen geringen Teil der Sünden wiedergutzumachen, die im Gefolge des technokratischen Größenwahns der Generale angerichtet worden sind.
({14})
Meine Damen und Herren, ich möchte eines klarzumachen versuchen: Wir müssen begreifen, daß die Umweltkrise der Dritten Welt auch unsere eigene Krise ist.
({15})
Solange wir den Verbrauch von Naturgütern zum Nulltarif zulassen, solange wir selbst es nicht zuwege bringen, eine Produktion aufzubauen, die mit wenig Energieverbrauch auskommt, mit wenig Rohstoffverbrauch, die auf eine Minimierung des Abfalls, auf weniger Landschaftsverbrauch ausgerichtet ist, kurz: solange wir den Wald opfern, statt den Katalysator einzubauen, so lange werden wir auch andere nicht davon überzeugen können, daß Wohlstand und Lebensqualität nur mit der Natur zu haben sind und nicht gegen sie.
({16})
Insofern ist die ökologische Reform der Wirtschaft eine globale Aufgabe. Nord und Süd sind in ihren zukünftigen Lebenschancen unauflöslich aneinandergekoppelt. Die Fehler in der Dritten Welt schlagen früher oder später auch auf die Industrieländer zurück. Auch für Europa stirbt ein Stück Zukunft am Amazonas, wenn die Vernichtung der Wälder so anhält wie bisher; denn dort sind 40 % aller Tier- und Pflanzenarten beheimatet. Wenn diese riesigen Potentiale vernichtet werden, dann fehlen sie auch für die Entwicklung unserer Industrie, unserer Landwirtschaft, unserer Medizin. Dessen müssen wir uns bewußt sein.
Was folgt daraus für die Politik? Erstens: Die ökologische Dimension muß integraler Bestandteil nicht nur der Entwicklungspolitik, sondern auch der Außenpolitik und des Nord-Süd-Dialogs sein.
Zweitens: Entwicklungshilfe darf nicht als bloßes Vehikel zur Exportförderung mißbraucht werden.
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Drittens: Die Übernutzung der Ressourcen muß gestoppt werden. Der Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung ist absoluter Vorrang einzuräumen. .
Viertens: Umweltschädliche Technologien müssen schnellstmöglich durch intelligentere - damit meine ich: angepaßte, umweltfreundlichere - Technologien ersetzt werden.
Und fünftens: Finanzielle und technische Hilfe von seiten der reichen Länder muß auch da eingeplant werden, wo es um die Erhaltung von Ökosystemen geht, die für die ganze Völkergemeinschaft unverzichtbar und unersetzbar sind, z. B. die Weltmeere, z. B. die tropischen Wälder.
Je weiter eine Politik in die Zukunft blickt, meine Damen und Herren, desto klarer wird sie diese Zusammenhänge erkennen. Es bleibt keine Zeit mehr zu verlieren. Hier ist die wahre Wende gefordert.
Danke schön.
({18})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Göhner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Alle Vorredner haben betont, daß die Umweltprobleme in der Dritten Welt wie in den Industrieländern zugenommen haben. Ich denke, daß die historische umweltpolitische Entwicklung bei uns jedenfalls im Ansatz gewisse Parallelen zur Situation in den Entwicklungsländern aufweist. Wir haben heute eine generationsschwere Altlast an Versäumnissen in der Umweltpolitik, an bedenkenlosem Konsum von Natur und Rohstoffen, an Gleichgültigkeit und Schlamperei wettzumachen.
({0})
Mindestens eine ganze Generation hat sich, ohne sich der Gefahren bewußt zu sein, durch den Raubbau an der Natur auf Kosten der nachwachsenden Generation versündigt. Das ist die eigentliche umweltpolitische Erblast im wörtlichen Sinne, des Nachlasses einer Generation an die nachwachsende.
Niemand hat das Recht, die heutige ältere Generation etwa moralisch zu verurteilen, daß beim Wiederaufbau unseres Landes nach 1945 mit der Natur zum Teil in der Tat bedenkenlos umgegangen worden ist. Wer kein Dach über dem Kopf hat, kann nicht die Frage nach der Zubetonierung unserer Landschaft stellen. Dennoch: Manche Altlast im wörtlichen Sinne rührt heute aus dieser Zeit des Wiederaufbaus.
Schlimmer aber war die gesellschaftliche Gigantomanie der 60er und 70er Jahre. Es mag eine müßige Frage sein, aber wäre damals nicht manche Fehlentwicklung erkennbar gewesen? Die Landschaftszerstörung beispielsweise hat noch Anfang der 70er Jahre fröhliche Urständ und Höhepunkte gezeigt.
({1})
Ich erinnere nur an die Verkehrspolitik der Sozialdemokraten, an den wahnsinnigen Leber-Plan: alle 10 Minuten eine Autobahnauffahrt.
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Dann.gab es eine dritte Phase in der Nachkriegszeit - ich würde diese Phase in die Zeit von der Mitte der 70er Jahre bis 1982 einordnen -, in der es zwar die Erkenntnisse der existentiellen Notwendigkeit eines Umweltschutzes gab, in der aber kaum etwas geschah. Der SPD-Kongreß Arbeit und Umwelt in der vergangenen Woche hat als Grund für diesen umweltpolitischen Stillstand den damali9636
gen Irrtum angeführt, Arbeit und Umwelt seien Gegensätze. Der heutige SPD-Antrag, der Gegenstand dieser Debatte ist, mit dem Titel ,Friede mit der Natur` - ein Titel, der mir außerordentlich gut gefällt - zeigt allerdings einen anderen, neuen und viel gravierenderen Irrtum. Mit diesem Antrag und der darin enthaltenen Forderung nach einem Sondervermögen Arbeit und Umwelt fordern Sie konkret erstens eine Energiesteuer zur Finanzierung des Sondervermögens, zweitens einen Waldpfennig für die Umrüstung der Kohlekraftwerke, drittens eine Schwefeldioxidabgabe, viertens eine Stickoxidabgabe, fünftens eine Staubabgabe. Fünf neue Steuern und Abgaben legen Sie uns mit Ihrem, Antrag für die heutige Debatte vor.
({3})
Umweltabgaben können durchaus ein marktwirtschaftliches Instrument der Umweltpolitik sein, um einen wirtschaftlichen Anreiz zur Vermeidung von Umweltbelastungen zu schaffen.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Brück?
Nein, kann ich wegen der begrenzten Redezeit nicht tun.
({0})
Aber Ihre Abgaben und Steuervorschläge verlassen das Verursacherprinzip, denn Energiesteuer und Waldpfennig knüpfen nicht daran an,
({1})
ob die Energie umweltschonend oder umweltbelastend erzeugt wird, sondern besteuern eben schlechthin. Mit dem eingenommenen Geld wollen Sie Umweltschutz nach dem Konzept des Sondervermögens finanzieren, übrigens auch kontra Verursacherprinzip. Zumindest teilweise wollen Sie damit beispielsweise Luftreinhalteinvestitionen finanzieren. Da sagen wir: Das muß der Verursacher machen. Deshalb ist die Alternative zu diesem Konzept das, was Bennigsen-Foerder auf Ihrem Kongreß gefordert hat, nämlich daß der Staat Rahmenbedingungen vorgibt, was umweltpolitisch von der Wirtschaft beispielsweise zu beachten ist. Das ist z. B. die Politik der Großfeuerungsanlagen-Verordnung oder der TA Luft.
({2})
Es müssen Rahmen und Werte vorgegeben werden, die dann eingehalten werden müssen. Dieses Konzept schafft Arbeit und Umweltschutz. Allein durch die Großfeuerungsanlagen-Verordnung werden 15 Milliarden DM für Luftreinhaltungsinvestitionen hervorgerufen.
({3})
Das schafft Umweltschutz und Arbeit.
({4})
Ich halte es für bemerkenswert, daß Sie in Ihrem Antrag ,Friede mit der Natur`, den Sie uns heute vorlegen, ausdrücklich das Verursacherprinzip aufgeben, indem Sie feststellen, daß der Verursacher dann nicht die Kosten der Umweltlastenvermeidung tragen soll, wenn dies aus verteilungspolitischen Gründen erforderlich sei. Das sind die eigentlichen Gegensätze zwischen Ihrem Antrag und unserer Position. Verteilungspolitik statt marktwirtschaftlicher Umweltpolitik ist Ihre Devise. Für uns bedeutet Umweltpolitik, Rahmen vorzugeben, die Wirtschaft damit einzufordern, um Umweltschutz effektiv zu betreiben.
Vielen Dank.
({5})
Das Wort hat die Frau Abgeordnete Schmedt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie schon wiederholt heute morgen festgestellt wurde, hat die Beantwortung der Großen Anfrage der Koalitionsfraktionen über die Erhaltung und Sicherung der natürlichen Grundlagen in der Dritten Welt der Bundesregierung sehr großes Vergnügen bereitet; sonst wäre sie wohl kaum so schnell erfolgt. Ich kann das auch sehr gut verstehen. Wer ließe eine solche Gelegenheit ungenutzt, wohltönende Absichtserklärungen abzugeben?
Mein Kollege Dieter Schanz hat schon deutlich gemacht, daß nun auch konkrete Schritte folgen müssen. Meine Fraktion hat solche konkreten Schritte in ihrem Zukunftsprogramm Dritte Welt bereits vorgestellt.
In unserem Antrag fordern wir, daß auch über die Entwicklungspolitik im engeren Sinne hinaus die Interessen der Menschen in der Dritten Welt zum Zuge kommen müssen. Die Gelegenheit dazu haben die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsfraktionen gerade in der letzten Zeit mehrfach verpaßt. Erst vor kurzem haben wir im Ausschuß die nord-süd-politischen Aspekte des Pflanzenschutzes, des Sortenschutzes und des Exports von Arzneimitteln diskutiert.
({0})
In ihrer Antwort ist die Bundesregierung auf diesen Bereich in einer Kürze eingegangen, die dem entspricht, was sie zu bieten hat, nämlich so gut wie nichts.
({1})
Wir bedauern das sehr; denn dies sind Bereiche, in denen die Bundesrepublik Deutschland eine wichtige Rolle spielt. Wir dürfen doch nicht außer acht lassen, daß von den gesamten 150 000 t Pflanzenschutzmitteln, die jährlich bei uns hergestellt werden, 140 000 für den Export bestimmt sind. Das bedeutet: Nur ungefähr 7')/0 aller Pflanzenschutzmittel, die unsere Fabriken verlassen, unterliegen hinsichtlich ihrer Verträglichkeit mit Umwelt und
Frau Schmedt ({2})
menschlicher Gesundheit einer nationalen Kontrolle. Die Bundesregierung behauptet, dies sei harmlos. Sie zeigt das jetzt auch wieder mit ihrem Entwurf zum Pflanzenschutzgesetz. Der Export bei uns verbotener Pestizide wird weiterhin erlaubt. Lediglich dem Landwirtschaftsminister soll in sehr eingeschränkten Ausnahmefällen ein Eingriffsrecht übertragen werden. Meine Damen und Herren, wird hier nicht der Bock zum Gärtner gemacht?
Wir jedenfalls wollen es nicht zu jenem Punkt kommen lassen, wo die Geschichte zum Bummerang wird.
({3})
Wir wollen nicht, daß erst dann etwas unternommen wird, wenn wir nicht mehr bereit sind, die agrarischen Produkte der Entwicklungsländer zu kaufen, die mit unseren eigenen Pestiziden behandelt worden sind.
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Wir Sozialdemokraten sind der Überzeugung, daß beim Export von Pestiziden in die Dritte Welt folgende Grundsätze gelten müssen:
Erstens. Pflanzenschutzmittel, die bei uns verboten sind, dürfen nicht ausgeführt werden. Ausnahmen sind sehr eng zu begrenzen.
Zweitens. Die Importländer sollen eine Liste aller Pflanzenschutzmittel erhalten, die bei uns verboten sind.
Drittens. Die Gebrauchsanweisungen exportierter Pflanzenschutzmittel müssen in den Bestimmungsländern allgemein verständlich sein, auch für Analphabeten.
Unseren entsprechenden Antrag haben die Mitglieder der Koalitionsfraktionen im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit abgelehnt.
Frau Kollegin Schmedt, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gallus?
Nein danke.
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Die Zeit ist viel zu kurz. Ich möchte gern weitersprechen.
Ich muß das nur noch einmal für alle klarmachen: Wir verfolgen hier seit einigen Wochen eine Linie, die da heißt: Zwischenfragen bei Kurzbeiträgen werden nicht angerechnet. - Wenn Sie unter diesem Gesichtspunkt Ihre Entscheidung treffen wollen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen oder nicht? Es bleibt Ihre Entscheidung.
Ich möchte es jetzt aber nicht. Ich möchte gern weitersprechen.
Unseren entsprechenden Antrag haben also die Mitglieder der Koalitionsfraktionen im Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit abgelehnt. Mir scheint keine Erklärung einleuchtend, wie dies mit
der wohltönenden Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage in Einklang zu bringen ist.
Ein zweiter wichtiger Bereich ist der Export von Arzneimitteln in die Dritte Welt. Wir dürfen schließlich nicht vergessen, daß die Bundesrepublik der größte Arzneimittelexporteur der Welt ist. Man schaue sich doch einmal die Situation an. Die meisten Entwicklungsländer sind dem Export von Arzneimitteln aus den Industriestaaten praktisch wehrlos ausgeliefert. Sie können sich bis heute weder mit selbstproduzierten Grundarzneimitteln versorgen, noch haben sie die Ausstattung, um importierte Arzneimittel auf ihre Wirksamkeit hin zu prüfen.
Es fehlt im übrigen auch an der so wichtigen Kennzeichnung verschreibungspflichtiger Arzneimittel, die bei uns jedem Bürger vertraut ist. In den Entwicklungsländern kann häufig jedes hochwirksame Medikament in beliebiger Menge gekauft und auch eingenommen werden, ohne daß vorher ein Arzt konsultiert werden muß. Diese Möglichkeit, meine Damen und Herren, ist um so gefährlicher, wenn es sich um Medikamente handelt, deren Verträglichkeit bei uns in der Bundesrepublik Deutschland bezweifelt wird.
Unser Antrag, die wegen erwiesener Gefahr oder Gesundheitsschädigung bei uns nicht zugelassenen Arzneimittel auch einer strengen Exportkontrolle zu unterwerfen, ist von Ihnen, meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktionen, bisher verworfen worden. Wer hier jetzt noch von Verantwortungsbewußtsein spricht, kann meines Erachtens nur noch ein Zyniker sein. Wir sind aber - das möchte ich hier betonen - in dieser Frage auch in Zukunft gesprächsbereit.
Allerdings müßte auch sichergestellt werden, daß sich die Bundesregierung erst einmal genau informiert, wie es sich mit den Exportpraktiken verhält. Mehr als unbefriedigend ist das Ergebnis einer Anfrage beim Bundesgesundheitsamt. Ich habe jedenfalls im Mai letzten Jahres auf meine Bitte um Auskunft nach einem bei uns nicht zugelassenen Medikament, von dem es hieß, daß es unter anderem Namen in Ländern der Dritten Welt verkauft werde, die lapidare Antwort erhalten, dies entziehe sich der Kenntnis des Bundesgesundheitsamtes. Auch die für die Überwachung des Arzneimittelverkehrs zuständigen Überwachungsbehörden haben in aller Regel keine Kenntnis darüber, welche Präparate von deutschen Firmen ins Ausland exportiert werden.
Wenn schon der Europarat 1983 festgestellt hat, daß der Handel mit Pharmaka kein gewöhnlicher Handel sei und deshalb auch nicht allein den Kräften des Marktes überlassen bleiben dürfe, so wird an den hier aufgezeigten Beispielen doch deutlich, daß dieser Bereich dringend regelungsbedürftig ist. Über Form und Inhalt einer Handelsregelung kann j a durchaus weiter nachgedacht werden. Wir haben unsere Gesprächsbereitschaft dazu oft genug erklärt. Leider hat die Bundesregierung bisher auch hier noch nicht reagiert.
Frau Schmedt ({0})
Meine Damen und Herren, ich muß noch einen dritten Bereich ansprechen, wo einige Maßnahmen etwas zur Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen beitragen könnten. Das betrifft die Züchtung und den Handel mit Saatgut. Zur Zeit liegt die Züchtung von Saatgut fast ausschließlich in den Händen großer Unternehmen in den Industriestaaten. Gezüchtet werden vorwiegend wenig unterschiedliche, dafür aber sehr ertragreiche Sorten. Für die Entwicklungsländer erwachsen aus dieser Tatsache zwei Gefahren: Zum einen sind sie auf Saatgut angewiesen, das viel Wasser, teure Schädlingsbekämpfungsmittel und Dünger braucht. Das indische Beispiel der 60er Jahre hat gezeigt, daß sich vor allem die kleinen Bauern dies nicht leisten können. Viele müßten sich zu Wucherzinsen hoch verschulden, andere müssen ihr Land verlassen und als Tagelöhner auf dem Lande oder in den Städten ihren Unterhalt verdienen.
({1})
- Hören Sie doch einmal weiter zu. - Zum anderen besteht die Gefahr, daß die Vielfalt und der Artenreichtum der Flora in den Entwicklungsländern verlorengeht. Besonders gefährdet sind jene robusten einheimischen Pflanzen, die zwar weniger Erträge abwerfen, aber mit einfachen Mitteln billig anzubauen sind und - so meine ich jedenfalls - für den Eigenbedarf unentbehrlich sind.
({2})
- Das können Sie j a nachher erzählen. - Diese Probleme müssen in den Entwürfen des Saatgutverkehrsgesetzes und des Sortenschutzgesetzes berücksichtigt werden, die die Bundesregierung schon 1983 eingebracht hat. Sie müssen den Entwicklungsländern eigene, angepaßte Züchtungen ermöglichen. Auch dies ist ein Akt globaler Zusammenarbeit, wie wir Sozialdemokraten ihn im Zukunftsprogramm Dritte Welt fordern.
Meine Damen und Herren, aus allem, was aus der Antwort der Bundesregierung hervorgeht, ersieht man, daß der Moment der Wahrheit nicht gekommen ist, wenn man schöne entwicklungspolitische Absichten äußert. Der Moment der Wahrheit ist dann gekommen, wenn es um konkrete Schritte geht, um die Umsetzung in verbindliche Regelungen und die Überwachung ihrer Ausführung. Ich wünsche mir, daß der ganze Bundestag diese Pflicht wahrnimmt.
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Das Wort hat der Abgeordnete Baum.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige wenige Bemerkungen zu dem Antrag der SPD „Friede mit der Natur", den Sie hier noch einmal zur Abstimmung stellen, obwohl Sie zur Kenntnis nehmen könnten, daß die umfassende Entschließung, die wir am 9. Februar 1984 gemeinsam verabschiedet haben, alle Aspekte enthält. Ich verstehe nicht ganz Ihren Autoren- oder Urheberstolz. Konzentrieren wir uns doch auf das, was umfassender und konkreter ist und wozu sich die Bundesregierung auch schon geäußert hat.
Die gemeinsame Entschließung vom 9. Februar 1984 muß umgesetzt werden. Es ist dazu eine Menge von der Bundesregierung geschehen, einiges noch nicht. Ich vermisse z. B. die konsequente Anwendung der Umweltverträglichkeitsprüfung bei umweltrelevanten Vorhaben der öffentlichen Hand und auch bei Waren. Projekte wie VerpackungsTÜV, Energiepaß für Häuser, Kennzeichnung umweltfreundlicher Produkte sollten noch stärker gefördert und untersucht werden. Es fehlen auch Berichte der Bundesregierung und angekündigte Gesetzentwürfe. Wir warten auf die Entwürfe des Abwasserabgabengesetzes und des Wasserhaushaltsgesetzes. Aber dazu findet bereits eine Abstimmung mit den Ländern statt. Wir möchten auch ein Konzept über die Altmüllasten sehen, eines der schwierigsten Probleme, das wir zu lösen haben.
Das Bodenschutzkonzept liegt vor. Meine Fraktion erwartet, daß dies nun konkretisiert wird in den einschlägigen Gesetzen.
Das Parlament selbst, nicht nur die Bundesregierung, muß seine Arbeiten erledigen. Das BundesImmissionsschutzgesetz und die Abf allbeseitigungsnovelle müssen verabschiedet werden.
Zweite Bemerkung. Die Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei - das ist eben hier schon angeklungen - legen große Hoffnung in ihr Sondervermögen „Arbeit und Umwelt". Das klingt verlockend. Aber, meine Damen und Herren, Sie würden damit nicht den gewünschten Effekt erzielen, weder umweltpolitisch noch beschäftigungspolitisch. Das ist eine Umwegfinanzierung, die dem wirklich fundamentalen Prinzip, dem Verursacherprinzip widerspricht und den qualitativen Wachstumsprozeß nicht in der Weise fördern würde wie die strengen Rahmenbedingungen, die wir setzen.
Die Großfeuerungsanlagen-Verordnung bewirkt einen Investitionsschub von etwa 18 Milliarden DM, bei den Rheinischen Braunkohlewerken alleine 9 Milliarden. Das bewirkt eine Beschäftigungszahl von über 40 000. Die steuerliche Begünstigung nach § 7 d hat im Jahre 1983 2,3 Milliarden DM an Investitionen gebracht.
Ich möchte Sie also wirklich auffordern, meine Damen und Herren von der SPD: Wirken Sie mit uns zusammen, um die Rahmenbedingungen in den Gesetzen, die jetzt hier auf dem Tisch des Hauses liegen, fortzuentwickeln. Dann werden Sie einen zusätzlichen Investitionsschub erreichen. Bei den Verursachern!
({0})
Was nützt es denn, eine weitere Stromabgabe denen abzuverlangen, die jetzt durch die hohen Investitionen der Rheinischen Braunkohlewerke ohnehin einen Zuschlag zahlen müssen - nämlich uns, den Verbrauchern -, einen Zuschlag, der das Produkt in einen ehrlichen Preis bringt? Warum sollen
diese Bezieher von Strom denn noch zusätzliche Umweltmaßnahmen auf anderen Sektoren einer komplizierten Verteilungsbürokratie finanzieren?
Mit diesem Konzept können wir nichts anfangen. Wir setzen uns aber dafür ein, daß die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten nach § 7 d, wie dies die Umweltministerkonferenz beispielsweise vorgeschlagen hat, ausgebaut werden.
Eine dritte Bemerkung. Wir erwarten dringend Fortschritte auf dem Felde der umweltfreundlichen Energieversorgung: Anwendung regenerativer Energien, mehr Wettbewerb in der Elektrizitäts- und Gaswirtschaft, rationellere Energienutzung. Dazu werden wir Vorschläge machen. Das ist ein Feld, das bisher - jedenfalls aus unserer Sicht - nicht voll befriedigend bearbeitet worden ist.
Ich möchte eine Abschlußbemerkung machen. Letztens habe ich ein Zitat gefunden, das auch auf vieles zutrifft, was hier in bezug auf die Entwicklungsländer gesagt wird: „Wer die Natur beherrschen will, muß ihr gehorchen." Das hat jemand aus der Zeit der Aufklärung gesagt. Wir haben diesen Grundsatz über viele Jahrzehnte hin nicht praktiziert. Wir müssen, glaube ich, immer noch selbstkritisch feststellen: Die Zukunft ist noch nicht durchgehender Maßstab für unsere Politik. Der „Club of Rome" hat sich mit einem Zitat auseinandergesetzt, das ich abschließend bringen möchte: „Die Zukunft ist auch nicht mehr, was sie war. Sollten wir uns da nicht auch ändern?" - Wir müssen uns ändern, meine Damen und Herren!
({1})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Martiny-Glotz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich muß sagen, bei dieser Debatte ist mir ausgesprochen unwohl.
({0})
Denn zwar trifft das zu, was Sie, Herr Köhler, gesagt haben, daß sich wahrscheinlich kein Parlament und vielleicht auch keine Regierung der westlichen Welt so intensiv mit dem Bericht „GLOBAL 2000" an den Präsidenten auseinandergesetzt hat, wie es bei uns geschehen ist; aber wenn ich mir noch einmal vergegenwärtige, was heute im Laufe des Vormittags gesagt worden ist, dann wird zwar offenbar, daß hier alle Abgeordneten ungeheuer fleißig sind - es hat niemand etwas Dummes gesagt,
({1})
vieles war technologisch-technokratisch sehr gut überlegt und aufgesetzt -, aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Debatte spiegelt doch im Grunde genau wider, daß die Jugend und andere Gruppen in unserer Bevölkerung mit ihren Ängsten recht haben.
Der Evangelische Kirchentag, der im Juni in Düsseldorf stattfinden wird, hat das Motto: Die Erde ist
des Herrn. Dort werden sich Hunderttausende der jungen Menschen und anderer Gruppen unserer Bevölkerung versammeln, und es werden vielleicht auch einige von uns dort sein und werden diesen Hunderttausenden klarzumachen versuchen, daß ihre Anliegen bei uns in den besten Händen sind. Wenn wir uns aber vergegenwärtigen, was sich hier in den letzten zweieinhalb Stunden abgespielt hat, können wir das glaubwürdig nicht vertreten, liebe Kolleginnen und Kollegen!
({2})
- Ja, sehr richtig.
Weltmodelle zu entwickeln ist kostspielig, sie nicht zu entwickeln noch kostspieliger. Das schrieb Karl Deutsch, der 1977 im Internationalen Institut für vergleichende Gesellschaftsforschung im Wissenschaftszentrum Berlin mit der Entwicklung des dortigen Globus-Modells begonnen hat. Jetzt ist dieses Modell so weit entwickelt - Herr Köhler, das sollten Sie einmal nachlesen, und das tun Sie, sorgfältig wie Sie sind, sicherlich auch -, daß einige vorläufige Ergebnisse vorliegen, beispielsweise dazu, wie sich, unterschiedliche prozentuale Steigerungsraten der Rüstungskosten zugrunde gelegt, die nationalen Haushalte und die Bedrohungspotentiale in der Welt entwickeln, beispielsweise aber auch dazu, wie sich unterschiedliche Raten des Protektionismus bzw. seiner Eindämmung auf den Welthandel und damit auf die Probleme, vor denen wir alle stehen, auswirken. Deutlich zeigt sich auf Grund dieser Berechnungen, daß kurzfristige Problemlösungen immer längerfristig und manchmal auch ganz unvorhergesehene Folgen nach sich ziehen. Das trifft beispielsweise auf die dortige Analyse der Auswirkungen des Protektionismus zu.
Heute beschäftigen uns die Stichworte: Rohstoffversorgung, Belastung der natürlichen Lebensgrundlagen durch ausbeuterische Praktiken - davon war schon viel die Rede -, Verschuldung der Dritten Welt und, damit zusammenhängend, die Perversion, daß der Dollarkurs durch die Dollarnachfrage der Dritten Welt hochgehalten wird, daß also die höchstverschuldeten Länder ihr Unheil selber mitfinanzieren, Rüstungskosten und, damit zusammenhängend, die Perversion, daß aus Ländern, in denen Hunger herrscht, Nahrungsmittel exportiert werden, um damit Rüstungsgüter zu bezahlen.
({3})
Dies alles sind Dinge, mit denen wir uns intensiver beschäftigen müssen. Davon war auch schon die Rede.
Noch wichtiger aber als alle Analysen ist das, was der frühere niedersächsische Wissenschaftsminister Pestel, der auch am Club of Rome mitgearbeitet hat und der der CDU angehört, so ausdrückte: Es würde noch Jahrzehnte dauern, bis Politiker ihre Entscheidungen auf wissenschaftliche Erkennt9640
nisse gründen und bereit sind, Katastrophen, die bei entsprechendem Handeln oder Nichthandeln erst in ferner Zukunft drohen, schon jetzt in ihren Entscheidungen mit zu berücksichtigen.
({4})
- Herr Probst, wir haben heute abend noch Gelegenheit, uns in Freising miteinander zu streiten. Lassen wir es doch jetzt hier.
({5})
Nach der Methode „Aussitzen" jedenfalls wird man noch Jahrhunderte brauchen, und so viel Zeit haben wir erst recht nicht.
Eines allerdings sollte hier heute auch gesagt werden: Bescheidene Fortschritte werden auch bei uns gemacht. Beispielsweise halte ich die EnqueteKommission zur Technikfolgenabschätzung für einen entscheidenden Fortschritt. Aber damit ist noch kein Handeln erzeugt. Die zentrale Aussage in „GLOBAL 2000" lautet:
Wenn sich die gegenwärtigen Entwicklungstrends fortsetzen, wird die Welt im Jahr 2000 noch übervölkerter, verschmutzter, ökologisch noch weniger stabil und für Störungen anfälliger sein als die Welt, in der wir heute leben, es sei denn, die Nationen der Welt arbeiteten entschlossen darauf hin, die gegenwärtigen Entwicklungstrends zu verändern.
Genau daran fehlt es.
({6})
Das „Globus-Modell" stellt dem einen vorsichtigen Optimismus entgegen, indem es dort nämlich heißt: „Die Katastrophe läßt sich vermeiden. Es muß nicht unter allen Umständen so kommen, daß die Menschheit in den nächsten 40 bis 70 Jahren an Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum, an der Erschöpfung der Nahrungs-, Energie- und Rohstoffquellen, der Umweltverschmutzung zugrunde geht." Allerdings darf man nicht die Hände in den Schoß legen, Herr Pinger. Die Menschen müssen handeln, etwas verändern, verbessern. - Das ist das Fazit, das Deutsch und Bremer vom Wissenschaftszentrum erarbeitet haben. Sie berücksichtigen in ihrem Modell nämlich etwas, was die anderen Modelle bisher vernachlässigten, die politisch handelnden Menschen. Auf sie werden Hoffnungen gesetzt. Wir also, meine Damen und Herren, sind aufgerufen. Wir sind diejenigen, die die Erkenntnisse aufgreifen und in die Praxis umsetzen müssen. Wir Sozialdemokraten tun alles dazu, dieser Erwartung gerecht zu werden. Wir lernen um - spät zwar, wie manche meinen, aber doch stetig und mit Engagement in der Tradition unserer 120jährigen Geschichte.
({7})
Der Bericht „GLOBAL 2000" bietet für eine große Zahl von Politikfeldern Ausblick und Handlungsstränge. Ich will mich hier auf einige wirtschaftspolitische Aspekte beschränken.
Erstens. Wir fordern die Bundesregierung auf, die Informationsknäuel, die ständig mehr werden, aufzugreifen, zu bündeln und zu nutzen, dabei Rechnerkapazitäten zu nutzen, dieses „Globus-Modell" weiterentwickeln zu helfen und schleunigst in politisches Handeln umzusetzen. Was Herr Baum hier eben ausgeführt hat, war zwar alles sehr redlich, aber es reicht natürlich bei weitem nicht aus. Insbesondere auf dem internationalen Feld sieht man ja, wie schwierig das ist, etwa bei den Problemen, die uns der Katalysator neulich bereitet hat.
Zweitens. Wir fordern die Bundesregierung auf, den Handlungsspielraum bei der Aufsicht über multinationale Unternehmen auszuschöpfen und kreativ zu nutzen. Was sich im Wirtschaftsausschuß letzte Woche abgespielt hat, daß es nämlich nicht dazu gekommen ist, die Pflanzenbehandlungsmittel und deren Export restriktiver zu behandeln, stimmt mich nicht hoffnungsvoll. Ich meine, wir müssen hier ernstere Anstrengungen unternehmen. Herr Köhler hat das kurz angesprochen, aber er wird sich mit seinem kritischen Ansatz bei den Wirtschaftspolitikern nicht durchsetzen. Ich wünsche ihm alles Gute dabei.
Dritte Forderung: Bei dem Import von Rohstoffen müssen die Interessen des exportierenden Landes stärker berücksichtigt werden. Wir müssen eine Reihe von Gesetzen und Verordnungen daraufhin durchforsten, um hier deutlich zu machen: unsere Verantwortung hört nicht an unseren nationalen Grenzen auf.
Viertens. Wir müssen ein Gespür dafür entwikkeln, daß die Zeit für kurzfristige nationale Wettbewerbsvorteile endgültig vorbei sein muß. Wir müssen den Protektionismus bekämpfen. Der Wirtschaftsgipfel im Mai wird dem Herrn Bundeskanzler und seinen Mitstreitern hinreichend Gelegenheit geben, hier etwas deutlich zu machen. Ich hoffe, er geht etwas weiter als beim letzten Wirtschaftsgipfel, der so ausgegangen ist wie das meiste bei Ihnen: Außer Spesen nichts gewesen.
({8})
Fünftens fordern wir die Bundesregierung auf, darüber nachzudenken und zu berichten, wie der Zielkonflikt zwischen traditionellem Wachstum und Umweltschutz bereits heute die internationalen Beziehungen belastet und wie innerstaatlich und auch zwischenstaatlich die sich aus diesem Zielkonflikt ergebenden Spannungen abgebaut werden können. Daraus müssen aber Handlungen erwachsen, nicht bloß Reden.
Eine letzte Forderung. Wir fordern die Bundesregierung auf, erstmalig im Herbst 1986 und dann alle zwei Jahre einen Fortschreibungsbericht über ihre Handlungen vorzulegen. Darin soll über Erfolg und Mißerfolg bei der Umsetzung der Erkenntnisse aus „GLOBAL 2000" in die Praxis berichtet werden. Ich hoffe, dieser Bericht wird inhaltsstark und weiterweisend sein.
Vielen Dank.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Pohlmeier.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zeit ist jetzt sehr weit fortgeschritten. Mir stehen nur noch fünf Minuten zur Verfügung.
({0})
Ich wollte hier eigentlich zu dem letzten Teil des Bündels von Tagesordnungspunkten, nämlich zu der Nahrungsmittelhilfe der EG etwas sagen. Ich werde mich mit der Darstellung von ein paar markierten Punkten begnügen müssen.
Mit dem Katastrophengemälde, das SPD und GRÜNE hier heute morgen vereint weitgehend entwickelt haben, müßten wir uns intensiver auseinandersetzen.
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Ich möchte etwas aufgreifen, was Frau MartinyGlotz hier gesagt hat: daß es auf die Menschen ankommt, daß es auf politisches Handeln ankommt. Dem kann man nur zustimmen. Verehrte Frau Kollegin, diese Bundesregierung handelt aber seit zweieinhalb Jahren. Das Thema der Umweltpolitik, das Thema der Entwicklungspolitik und die Sorge um die Dritte Welt gehören zu den Schwerpunkten der Politik dieser Bundesregierung.
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Meine Damen und Herren, ich möchte auf ein paar Aspekte, die seitens der deutschen auswärtigen Politik und des Auswärtigen Ausschusses darzustellen sind, hier eingehen. Daß die Umweltpolitik ein wichtiger Gegenstand internationaler Politik geworden ist, haben wir, wie ich glaube, alle begriffen. Daß sie in Europa täglicher Verhandlungsgegenstand geworden ist, daß hier eine tägliche praktische Bewegung der Politik stattfindet - gewiß nicht immer sofort mit einem durchschlagenden Erfolg, aber doch mit festen Zielmarkierungen; es sind schon wichtige Schritte getan worden -, haben wir gerade in dieser Woche im Deutschen Bundestag zur Kenntnis nehmen können. Es gibt auch in den Verhandlungen mit unseren östlichen Nachbarn durchaus ermutigende Ansätze, was die gemeinsame Sorge und auch gemeinsame Maßnahmen hinsichtlich des Schutzes der Umwelt anlagt. Genau dies - das hat die Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Köhler hier, glaube ich, gezeigt - ist ein fundamentales Ziel und wesentlicher Inhalt unserer Dritte-Welt-Politik.
Darüber hinaus ist aber natürlich zu fordern, daß das Thema „Umwelt" - durchaus anknüpfend an „GLOBAL 2000" - vermehrt Gegenstand von Regierungsverhandlungen wird, daß es wichtigster Gegenstand des Politikdialoges insbesondere mit Ländern der Dritten Welt wird und daß es auch - darin ist Ihnen, Frau Martiny-Glotz, zuzustimmen;
Sie haben es gesagt - mehr und mehr in Gipfeldialoge und Gipfelkonferenzen Eingang findet.
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Meine Damen und Herren, nun noch ein paar Anmerkungen zur Nahrungsmittelhilfe der Europäischen Gemeinschaft und der Bundesrepublik. Die Bundesregierung führt die Beschlüsse des Deutschen Bundestages vom Juni des vergangenen Jahres mit Konsequenz aus.
({4})
- Gewiß haben wir das Ziel, verehrter Herr Kollege Brück, noch nicht voll erreicht.
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Die drei Bereiche bei der Ernährungssicherung in der Dritten Welt - nämlich die unmittelbare Katastrophenhilfe, die Nahrungsmittelhilfe im eigentlichen Sinne und die Bemühungen, die Eigenproduktion der Länder der Dritten Welt zu steigern - müssen miteinander verzahnt werden. Die Umsetzung des Beschlusses des Deutschen Bundestages, daß Mittel für die Nahrungsmittelhilfe in Mittel für die ländliche Entwicklung umgewandelt werden können, wird von dieser Bundesregierung mit Nachdruck betrieben. Wir fordern, daß dies Allgemeingut in der EG wird und daß die Kommission in Brüssel entsprechend handelt. Daß auf diesem Weg Erfolge zu erzielen sind, zeigen die vier Beispielländer, Modelländer, die die EG ausgewählt hat, um Ernährungsstrategien in die Tat umzusetzen. Daß Erfolge in der Ernährungssicherung zu erzielen sind, wird uns in diesen Tagen gerade durch Indien bewußt gemacht, eines der schwierigsten, der bevölkerungsstärksten Länder der Welt, das im letzten Erntejahr für seine 700 Millionen Menschen nicht nur die Getreideversorgung sicherstellen konnte, sondern das darüber hinaus auch Exporte tätigen konnte.
({6})
Natürlich steht dem die katastrophale Entwicklung in Afrika entgegen; aber was in asiatischen Ländern möglich gewesen ist, muß uns auch für Afrika gelingen.
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Die Bundesregierung wird ihre Nahrungshilfepolitik und ihre Strategien zur Ernährungssicherung in der Dritten Welt in enger Abstimmung mit der Europäischen Gemeinschaft so auszurichten haben, daß wir natürlich die unmittelbaren Anforderung aus der Katastrophenhilfe erfüllen können, und dazu gehören natürlich auch Nahrungsmittelvorräte. Deswegen dürfen wir sicher nicht in den Fehler verfallen, die Überproduktion der EG und anderer Geberländer im Westen zu verurteilen und zu verdammen; aber wir müssen verstärkt dafür sorgen, daß die Eigenproduktion in den Ländern der Dritten Welt in Gang kommt. Die Bundesregierung ist auf diesem Weg, wir sollten ihr dafür dankbar sein, und Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, sollten es auch anerkennen.
Ich bedanke mich.
({8})
Das Wort hat der Abgeordnete Müller ({0}).
Meine Damen und Herren! Ich spreche zu dem Thema des SPD-Antrags „Friede mit der Natur". Ich glaube, daß die umweltpolitische Entwicklung der letzten Jahre bei einer unvoreingenommenen Betrachtung zumindest folgendes zeigt. Die Politik, auch die Umweltschutzpolitik war unfähig, bestimmte Entwicklungen frühzeitig genug zu erkennen - dies zeigte sich besonders beim Waldsterben -, und es ist zweifelhaft, ob sie mit der bisherigen Politik diese Entwicklung auch verhindert, und es ist ebenso zweifelhaft, ob in anderen Umweltbereichen nicht ebensolche Entwicklungen eintreten.
Wir sehen zum zweiten, daß zwar die Probleme des eher harmlosen Schmutzes und Dreckes abgenommen haben, daß wir sie besser in den Griff bekommen, daß aber andere, weit gefährlichere Stoffe, giftige, gesundheitsschädigende Stoffe und vor allem krebserzeugende Substanzen verschärft auftreten und Mensch und Umwelt gefährden.
Wir sehen drittens eine kaum wahrnehmbare schleichende Umweltzerstörung, die zugenommen hat, beispielsweise im Verlust der Pufferfunktion der Böden, in dem Verlust an Reinigungswirkung durch Überdüngung, Zubetonierung und Versiegelung. Wir sehen aber auch Gefahren, über deren Konsequenzen wir heute noch gar nicht alles wissen, durch die Veränderung der Ozonschicht, durch die Erwärmung der Erde oder durch die zunehmende Bodenerosion.
Meine Damen und Herren, wenn wir die Umweltentwicklung der letzten Jahre genau sehen, müssen wir heute begreifen, daß wir grundlegende wirtschaftspolitische und gesellschaftspolitische Weichenstellungen machen müssen,
({0})
und dies sowohl aus sozialen als auch aus ökologischen Gründen.
Wir stellen bei einer Bestandsaufnahme fest: Erstens. Die vorherrschende umweltpolitische Philosophie, eingetretene Schäden nachträglich, d. h. erst am Ende der Prozesse, durch technische Maßnahmen zu beseitigen bzw. durch Auflagen an Umweltverschmutzer und Festlegung von Belastungsgrenzwerten die Umweltzerstörung insgesamt in den Griff zu bekommen, reicht nicht aus.
({1})
- Wenn ich sage, wir stellen heute fest, heißt das auch, daß auch die SPD Lernprozesse gemacht hat. Nun fangen Sie doch hier nicht ständig mit Ihren Kindergartenspielen an!
({2})
- Das gilt auch für Sie. Ich kenne viele GRÜNE, die 1970 beispielsweise Umweltpolitik noch als Spinnerei angesehen haben. So einfach ist das nicht.
Wir müssen heute feststellen, daß wir trotz der Schwächen und trotz des Vollzugsdefizits der bisherigen Umweltschutzgesetzgebung nicht weiter Umweltpolitik nur nachsorgend begreifen dürfen,
({3})
sondern wir müssen begreifen: Wenn wir den Wettlauf mit der Umweltzerstörung nicht verlieren wollen, müssen wir zu einer vorsorgenden, einer vorausschauenden, einer in den Wirtschaftsprozeß einbezogenen Umweltpolitik kommen.
({4})
Zweitens. Wir stellen fest, daß wir Umwelt nicht mehr nur medial sehen können. Wir können die Umwelt nicht mehr in Wasser, Luft, Boden aufteilen, sondern wir müssen die Natur endlich als ein ökologisch vernetztes Regelwerk begreifen, ein Kreislaufsystem, in das man nicht einfach eingreifen kann oder, was wir heute sehr oft tun, in dem wir die Probleme nicht von heute auf die Zukunft verlagern können.
({5})
Das geht auch nicht.
Wir müssen drittens begreifen, daß wir mit der weitgehenden Fixierung auf quantitatives Wachsturn durch unsere Wirtschaftspolitik weder die Stabilisierung der Umwelt noch die Beseitigung der Arbeitslosigkeit erreichen.
({6})
Hier ist ein doppelter Ansatz: Sowohl aus sozialen als auch aus ökologischen Gründen sind wir gezwungen umzudenken. Wir wissen auch, daß wir das nicht nur mit technischen Mitteln in den Griff bekommen können. Wir wissen, daß wir insgesamt umweltgerechter wirtschaften müssen, daß wir bewußter leben müssen und daß wir vor allem solidarischer mit uns, aber auch mit der Zukunft umgehen müssen.
({7})
Das bedeutet: Umwelt darf eben nicht mehr wie bisher sozusagen ein Teil neben anderen Teilen in der Politik sein, vielmehr muß Umweltpolitik zu einem zentralen Bereich der Gestaltung bei unserem Handeln insgesamt werden.
({8})
Umweltpolitik muß für die Sozialdemokraten denselben Zielwert haben wie beispielsweise Beschäftigung, wie soziale Gerechtigkeit. Wenn man sich die heutige Politik der Bundesregierung anguckt, die auf dem Gebiet der sozialen Gerechtigkeit, auf dem Gebiet der Beschäftigungspolitik versagt, dann erscheint es auch logisch, daß sie auf dem Gebiet der
Müller ({9})
Umweltpolitik, der ökologischen Sicherung versagen wird.
({10})
Wir wollen eine ganze Reihe von grundlegenden Änderungen. Das betrifft die Landwirtschaft, die die umweltpolitischen Ziele nicht in den Griff bekommt. Das betrifft die Verkehrspolitik; denn eigentlich gehen wir immer noch nur von dem Gedanken aus, den Zuwachs etwas zu minimieren. Nein, wir wollen den Verkehr mehr auf die Schiene verlagern, wir wollen mehr für den ÖPNV tun, und wir wollen auch mehr für das Fahrrad tun, auch wenn das von Ihnen verlacht wird. Das sind wichtige Ansätze, um zur Stadtökologie zurückzufinden.
Wir wollen beispielsweise ein anderes Energiewirtschaftsgesetz. Es darf eben nicht mehr nur der Stromzuwachs prämiert werden. Wir wollen vielmehr umweltbewußtes Verhalten fördern. Wir wollen insgesamt Wirtschaft mehr unter Kreislaufgesichtspunkten begreifen.
Wenn wir umdrehen, wenn wir das Vorsorgeprinzip in der Zukunft in den Mittelpunkt stellen, bedeutet das auch, daß wir die Beweislast für die Umweltunschädlichkeit von Produkten in den Mittelpunkt stellen müssen. Das heißt dann auch, daß wir eine Abkehr vom Verdünnungsprinzip vornehmen müssen. Das bedeutet dann auch, daß wir die Endlichkeit in unser politisches Denken und Handeln einbeziehen müssen. Das bedeutet heute beispielsweise, daß es uns wichtiger ist, den Wald zu retten als das Hochgeschwindigkeitsauto.
({11})
Wir wollen eine systematische, schrittweise und klar nachvollziehbare Zurückdrängung der Schadstoffe. Dazu brauchen wir beispielsweise auch Formen ökologischer Buchhaltung. Es geht nicht mehr, daß wir unsere gesamten wirtschaftlichen Prozesse mehr oder weniger nur in quantitativen Preiszuwächsen sehen. Wir brauchen ökologische Buchhaltung auf Unternehmensebene. Wir brauchen vor allem eine Integration von Umweltaspekten in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung. Dazu gehören auch Umweltverträglichkeitsprüfungen. Dazu gehören auch Ökopässe und andere Vorschläge mehr, die in der letzten Zeit unterbreitet worden sind.
Meine Damen und Herren, die SPD hat ein „Sondervermögen Arbeit und Umwelt" vorgeschlagen. Es ist richtig, daß dieses Sondervermögen in erster Linie auf die Reparatur eingetretener Schäden ausgerichtet ist. Aber es ist falsch, zu behaupten, das sei eine Abkehr vom Verursacherprinzip; denn bei einem Großteil der eingetretenen Schäden ist in der Tat nicht mehr feststellbar, wer sie verursacht hat. Um so wichtiger ist es aber, nicht nur über Umweltschäden zu reden, sondern zu handeln. Dazu dient dieser Ansatzpunkt.
Wir wissen aber auch, daß wir zukünftig sehr viel mehr für die Qualifizierung des Wachstumsziels tun müssen. Das bedeutet die Einbeziehung der Umweltstabilität in den Zielkatalog der Wirtschaftspolitik. Das heißt aber auch, daß wir umweltgerechte Strukturen schaffen wollen. Wir stehen insoweit vor einer zentralen Jahrhundertaufgabe. Aber es wäre falsch, in Pessimismus zu verfallen.
({12})
Eine nüchterne Bestandsaufnahme ist keine Schwarzmalerei, sondern ist gerade die Voraussetzung, um die Kraft und die Kreativität zu entfalten, die erforderlich sind, um die Probleme lösen zu können. Alles andere ist Verharmlosung.
({13})
Ich will in dem Zusammenhang auch ein paar Sätze zu dem Antrag der GRÜNEN sagen und die Haltung der SPD dazu begründen.
Die GRÜNEN haben hier im Deutschen Bundestag immer wieder zu Recht darauf hingewiesen, daß wir umdenken müssen, daß wir so, wie wir bisher miteinander umgehen, nicht mehr weitermachen dürfen, daß wir bewußter miteinander leben müssen und in der Tat auch solidarischere Formen entwickeln müssen. Ich will Ihnen aber klar sagen, daß zwischen diesem Anspruch und mancher Ihrer politischen Praktiken ein Mißverhältnis besteht.
({14})
Um es ganz klar zu sagen: Ich halte es für unmöglich, einen solchen Antrag den Fraktionen nur 18 Stunden vorher zur Verfügung zu stellen. Dies ist ein unmöglicher politischer Stil, der wirklich nicht einreißen sollte. Denn er widerspricht genau dem Ziel eines sorgfältigeren und solidarischeren Umgangs miteinander.
({15})
Meine Damen und Herren, es scheint uns, daß in dem Antrag der GRÜNEN eine Reihe von Widersprüchen sind. Gleichwohl unterstreichen auch wir beispielsweise die Punkte München und Buschhaus. Was heißt es beispielsweise, wenn die Bundesregierung aufgefordert wird, bei den Saarbergwerken dafür zu sorgen, daß die Altkraftwerke Fenne II und Barbara I und II umgehend stillgelegt werden? Das bedeutet doch, daß sie dann auf Atomenergie aus Frankreich oder vom RWE angewiesen sind. Was bedeutet es sonst in der Konsequenz?
({16})
Hier ist Ihr Antrag schlicht nicht durchdacht. Sehr viel sinnvoller ist es, den Ansatz, den auch die SPD im Saarland hat und der auch im Regierungsprogramm von Oskar Lafontaine enthalten sein wird, zu übernehmen, nämlich diese Kraftwerke ökologisch so schnell wie möglich nachzurüsten und zu modernisieren.
({17})
Das, aber nicht Aussteigerpolitik ist in dem Punkt der richtige Ansatz.
Müller ({18})
Meine Damen und Herren, dieser Antrag ist sowohl vom Stil als auch von der darin enthaltenen Widersprüchlichkeit her für uns nicht behandlungsfähig. Daher werden wir uns bei der Abstimmung über diesen Antrag der Stimme enthalten.
Die SPD-Bundestagsfraktion gibt folgende Erklärung zur Abstimmung ab: Erstens. Die SPD-Bundestagsfraktion bekräftigt den vom Deutschen Bundestag zum Kraftwerk Buschhaus in der Entschließung vom 28. Juni 1984 einmütig eingenommenen Standpunkt.
Zweitens. Die SPD-Bundestagsfraktion bedauert, daß die Mehrheit des Deutschen Bundestages diese Entschließung in der Sondersitzung vom 31. Juli 1984 aufgehoben hat.
({19})
Drittens. Die SPD-Bundestagsfraktion muß mit Bedauern feststellen, daß die niedersächsische Landesregierung mit Unterstützung der Bundesregierung nach der Mehrheitsentscheidung der Koalition vom 31. Juli 1984 Tatsachen geschaffen hat, die durch eine neue Entschließung des Bundestages nicht mehr rückgängig gemacht werden können.
An parlamentarischen Initiativen, die dies mißachten, wirkt die SPD-Bundestagsfraktion nicht mit und gibt dem durch Stimmenthaltung Ausdruck.
({20})
Meine Damen und Herren, dieser politische Stil - das will ich noch hinzufügen - ist allerdings noch schlimmer als der der GRÜNEN.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Lammert.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben in dieser Debatte, der nicht weniger als zwölf verschiedene Drucksachen zugrunde lagen, eine Reihe von sehr komplexen Themen - wahrscheinlich unzulänglich - debattiert. Aber wir führen die Debatte über diese Themen heute ja nicht zum ersten Mal und mit großer Wahrscheinlichkeit auch nicht zum letzten Mal. Die Frau Kollegin Martiny hat bestätigt, daß Staatssekretär Köhler wohl recht hatte mit seinem Hinweis, daß es vermutlich kein Parlament - und vielleicht auch keine Regierung - gibt, das sich mit den hier zur Debatte stehenden Themen ähnlich gründlich und ähnlich regelmäßig auseinandersetzt wie dieses. Das beweist im übrigen natürlich nicht, daß wir die zur Debatte stehenden Probleme auch gelöst oder daß wir genug getan hätten, was die Bewältigung dieser Probleme angeht. Aber ich denke, es disqualifiziert immerhin den Vorwurf der Untätigkeit, den wir uns im Sinne konkreter Problembewältigung für die Zukunft wechselseitig ersparen sollten.
({0})
Der Kollege Schanz hat in seinem frühen Beitrag gegen halb zehn gemeint, die Zeit der Schaukämpfe sei nun vorbei. Zu diesem Zeitpunkt konnte
er den weiteren Debattenverlauf noch nicht kennen. Schön wär's ja gewesen! Aber vorbei ist inzwischen längst - erfreulicherweise - die Zeit der Problemverdrängung, die Zeit der Verharmlosung. Deswegen müßte auch, so denke ich, die Zeit der Panikmache, die Zeit der leidenschaftlichen Resignation vorbei sein.
({1})
Denn die durchaus begründete Leidenschaft für diese Probleme rechtfertigt eben nicht die gelegentlich erschreckende Resignation, mit der mit missionarischem Eifer manchmal zu Protokoll gegeben wird, daß daran wohl auch gar nichts zu machen sei.
Meine Damen und Herren, die von den GRÜNEN immer wieder vorgetragene Forderung nach Abkehr von den Strukturen dieser Gesellschaftsordnung, der romantische Abschied von der Industriegesellschaft, die dogmatische Absage an Wachstum und das grundsätzliche Mißtrauen gegen Wettbewerb lösen keines der noch ausstehenden und offenen Probleme.
({2})
Sie macht vielmehr diese Probleme vollends unlösbar.
({3})
Wenn wir den höchst großzügigen, leider aber eben auch höchst experimentellen Vorschlägen der GRÜNEN zur Reorganisation der Wirtschaft zunächst in unserer eigenen Volkswirtschaft folgen würden, dann wären wir schon in allerkürzester Zeit überhaupt nicht mehr in der Lage, Entwicklungshilfe zu leisten, weil wir selber in der Kategorie der Länder wären, über deren Problembewältigung wir heute reden.
({4})
Deswegen müssen Sie schon Verständnis für unsere zugegebenermaßen ausgeprägte Zurückhaltung aufbringen, das, was Sie für eine Konzeption halten, entwicklungsbedürftigen Ländern zum Import anzubieten.
({5})
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang noch eine Anmerkung unterbringen. Angesichts des fundamentalen Mißtrauens, das die GRÜNEN gegenüber jeder Art von Zahlen, Statistiken und Dokumenten, die aus den Vereinigten Staaten zu uns kommen, üblicherweise an den Tag legen, wo die Zahlen in der Regel schon bestritten werden, bevor sie überhaupt vorgetragen werden konnten, ist doch besonders bemerkenswert, daß ausgerechnet eine Studie wie „GLOBAL 2000" als offizielles Dokument einer amerikanischen Regierung mit im übrigen
durchaus auch nicht unumstrittenen wissenschaftlichen Annahmen, Projektionen und Simulationen von den GRÜNEN geradezu zum ökologischen Katechismus des ausgehenden 20. Jahrhunderts erklärt werden konnte.
({6})
Meine Damen und Herren, die CDU stimmt den Empfehlungen der federführenden Ausschüsse zu. Wir lehnen den Entschließungsantrag der GRÜNEN ab. Wir sind bereit, der Bitte der SPD zu folgen, ihren heute morgen vorgelegten neuen Entschließungsantrag an die Ausschüsse für eine weitere Beratung mit dem Ziel einer hoffentlich übereinstimmenden Entscheidung zu überweisen.
Herzlichen Dank.
({7})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zu einer Reihe von Überweisungen und Abstimmungen. Für den Entschließungsantrag der SPD auf Drucksache 10/3089 zum Punkt 20a der Tagesordnung wird Überweisung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Zum Punkt 20b der Tagesordnung schlägt der Ältestenrat vor, den Antrag auf Drucksache 10/2359 zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Forschung und Technologie und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß, den Innenausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit zu überweisen. Gibt es anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung über die Punkte 20c bis 20e der Tagesordnung.
Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2526 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist die Beschlußempfehlung des Ausschusses bei einer Reihe von Enthaltungen mit Mehrheit angenommen.
Zum Punkt 20d der Tagesordnung, der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie zu den Konsequenzen aus dem Bericht „GLOBAL 2000" liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/3106 vor. Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag abstimmen.
Die Fraktion der GRÜNEN wünscht eine getrennte Abstimmung über die Abschnitte A und B ihres Änderungsanstrages. Die Fraktion der SPD hat mir mitgeteilt, daß sie eine gesonderte Abstimmung im Sinne unserer Geschäftsordnung über den letzten Absatz des Abschnitts A der Drucksache 10/3106 wünscht, also über den Absatz, der beginnt
mit: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, im Rahmen ihrer Mehrheitsbeteiligung an der Saarberg Werke AG darauf hinzuwirken, ...". Ich stelle also zunächst den Abschnitt A des Änderungsantrags einschließlich des ersten Absatzes auf der Seite 3 oben zur Abstimmung, dann den zweiten Absatz auf Seite 3 „Die Bundesregierung wird aufgefordert, ...", dann den Abschnitt B. Wir haben also drei Abstimmungen.
Wer dem Abschnitt A bis Seite 3 oben, erster Absatz seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist dieser Teil des Antrags mit Mehrheit abgelehnt bei einer größeren Anzahl von Enthaltungen.
Wir kommen zum zweiten Absatz auf Seite 3 - Stichwort: Saarberg Werke AG -. Wer diesem Absatz des Änderungsantrags seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist dieser Absatz mit großer Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Abschnitt B des Änderungsantrags. Wer diesem Abschnitt seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Dann ist dieser Abschnitt B mit großer Mehrheit abgelehnt worden.
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/2377. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen'? - Enthaltungen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung des Ausschusses mit Mehrheit angenommen worden.
Wir kommen jetzt zu Tagesordnungspunkt 20e. Zur Abstimmung steht die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 10/2742. Wer ihr zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Dann ist diese Beschlußempfehlung einstimmig angenommen worden.
({0})
- Entschuldigung, ich habe nicht nach den Enthaltungen gefragt. Wer will sich enthalten? ({1})
- Meine Damen und Herren, es ist uns allen schon einmal passiert, daß man nicht genau aufgepaßt hat. Ich stelle fest, daß die Beschlußempfehlung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf Drucksache 10/2742 mit Mehrheit bei einer Anzahl von Enthaltungen angenommen worden ist.
Ich rufe Punkt 21 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung der steuerlichen Förderung selbstgenutzten Wohneigentums
- Drucksache 10/2404 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß ({2})
Ausschuß für Wirtschaft
Vizepräsident Westphal
Ausschuß fur Raumordnung, Bauwesen und Städtebau Haushaltsausschuß
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. Ich gestehe: Das ist ein bißchen lang, wenn ich den voraussichtlichen Schluß der Sitzung betrachte. Aber ich sehe bis jetzt keinen Widerspruch außer meinem eigenen, und der ist in dieser Frage leider nicht maßgebend. - Es ist also so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Huonker.
({3})
- Ich bitte diejenigen, die an dieser Debatte nicht teilzunehmen wünschen, den Raum in Ruhe zu verlassen.
Herr Huonker, bitte schön.
({4})
- Darf ich noch einmal bitten, daß diejenigen, die nicht an dieser Debatte teilzunehmen wünschen, nun den Saal in Ruhe verlassen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ziel des Gesetzentwurfs ist es, die Förderung selbstgenutzten Wohneigentums zugunsten jener Bevölkerungskreise zu verbessern, die ohne eine verstärkte Förderung auf Grund ihrer kleineren und mittleren Einkommen Wohneigentum nicht oder nur sehr schwer erwerben können.
Einen ersten Erfolg haben wir mit unserem Gesetzentwurf bereits erzielt. Denn unter dem Druck der heutigen ersten Lesung dieses Gesetzentwurfs hat die Bundesregierung schließlich ihre neunmonatige Entscheidungsunfähigkeit überwunden und am letzten Mittwoch einen entsprechenden Kabinettsbeschluß gefaßt.
({0})
Der Bundesbauminister hat recht, wenn er selber zu dem Kabinettsbeschluß erklärt, daß nunmehr endlich - ich zitiere - „Klarheit für die Bauwilligen" geschaffen worden ist. Das heißt, der Attentismus, den die Bundesregierung monatelang erzeugt hat, ist damit zu Ende. Dies ist positiv.
Die mit diesem Gesetzentwurf angestrebte grundlegende Verbesserung der staatlichen Förderung entspricht in ihren grundlegenden Teilen Forderungen, die wir Sozialdemokraten seit vielen Jahren erhoben haben, die aber in der sozialliberalen Koalition am FDP-Koalitionspartner gescheitert sind, von der Mehrheit der CDU/CSU im Bundesrat ganz zu schweigen.
Professor Tipke, ein gewiß gleichmacherischer Vorstellungen völlig unverdächtiger Finanzwissenschaftler, nennt das heutige Fördersystem des § 7b
- ich zitiere - eine „Perversion der Gerechtigkeit". Und natürlich hat er recht, weil derjenige viel bekommt, der viel verdient und deswegen steuerliche Förderung beim Erwerb von Wohneigentum gar
nicht bräuchte, und derjenige, der wenig verdient, also darauf angewiesen ist, wenig erhält.
Der Gesetzentwurf sieht im einzelnen vor:
Erstens: Die Nutzungswertbesteuerung wird abgeschafft. Wir sind also für die Privatgutlösung.
Zweitens: Die mit steigendem Einkommen stärker entlastende erhöhte Abschreibung nach § 7 b wird durch einen einkommensunabhängigen Eigenheimabzugsbetrag ersetzt. Dieser Eigenheimabzugsbetrag beträgt im Jahr der Herstellung 3 %, und zwar begrenzt auf Kosten, einschließlich Grundstückskosten, von 225 000 DM, in den nächsten vier Jahren 2,5 %, in den weiteren vier Jahren 2 %. Durch den 3%igen Abzugbetrag im Jahr der Herstellung oder Anschaffung wird der Tatsache Rechnung getragen, daß in dieser Phase die Aufwendungen des Bauherrn besonders hoch sind. Durch die Einbeziehung der Grundstückskosten in die Bemessungsgrundlage wird der Tatsache Rechnung getragen, daß die Bodenpreise vielfach ein entscheidendes Hindernis beim Erwerb von Wohneigentum sind. Da der Eigenheimabzugsbetrag jetzt natürlich kein Abschreibungstatbestand mehr ist, stehen der Einbeziehung der Grundstückskosten steuersystematische Gründe nicht entgegen. Das gilt im übrigen auch für die Lösung, die die Bundesregierung vorschlägt.
Beim Erwerb aus dem Bestand beträgt die Förderung zwei Drittel der Neubauförderung.
Das Baukindergeld wird auf das erste Kind ausgedehnt und auf 1 200 DM verdoppelt.
Übersteigt der Eigenheimabzugsbetrag zuzüglich des Baukindergelds die Steuerschuld, so wird der überschießende Betrag vom Finanzamt ausbezahlt. Übrigens: Ähnliches will die Bundesregierung jetzt mit ihrem Zusatzkindergeld im Rahmen der angestrebten Neuregelung des Familienlastenausgleichs machen. Die Polemik gegen unsere Lösung unter dem Stichwort „Negativsteuer" wird deshalb von der Bundesregierung durch ihr eigenes Vorhaben ad absurdum geführt.
({1})
Mehrere Personen, die gemeinsam Wohneigentum herstellen oder anschaffen und es selbst bewohnen, sollen in Zukunft ihre Eigenheimabzugsbeträge kumulieren können. Die berücksichtigungsfähigen Kosten werden bei Ausnutzung dieses Wahlrechts entsprechend der oben dargestellten Differenzierung der Förderung zwischen Neubau und Erwerb beim Neubau um 50 000 DM je Person und beim Bestandserwerb um 35 000 DM je Person ermäßigt.
Mit dieser Kumulationsmöglichkeit wird das Ziel erreicht, vor allem Ehepaare, die erstmals Wohneigentum erwerben, und Mehrgenerationenhaushalte gegenüber jenen Haushalten stärker zu fördern, die als sogenannte „Umsteiger" Wohneigentum schon haben und das zweite Wohneigentum in der Regel zumindest teilweise durch den Erlös aus dem Verkauf des ersten - staatlich geförderten - Wohneigentums finanzieren können oder die eine Zweitwohnung erwerben. Eine Übermaßförderung ist
ausgeschlossen, da die kumulierten begünstigungsfähigen Kosten die Gesamtkosten des Objekts natürlich nicht übersteigen dürfen.
Mitglieder von Wohnungsbaugenossenschaften, die eine Genossenschaftswohnung selber bewohnen und hierfür Finanzaufwendungen von mehr als 10 000 DM erbringen, sollen in die Förderung einbezogen werden.
Der Gesetzentwurf beruht auf der Erwägung, daß die Förderung selbstgenutzten Wohneigentums ganz unbestreitbar eine Subvention ist. Öffentliche Subventionen müssen sich ja bekanntlich daran messen lassen, ob sie das damit anvisierte Ziel erreichen. Ziel der Förderung selbstgenutzten Wohneigentums ist es, den Bürgern, die Wohneigentum auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse nicht oder nur sehr schwer erwerben können, zu helfen und damit zugleich die Wohneigentumsquote zu erhöhen. Hinzu kommt natürlich eine Verbesserung der Verteilungsgerechtigkeit auf diesem Gebiet.
Die Finanzierung dieses Gesetzentwurfs ist genau durchgerechnet. Ich nenne hier nur Stichworte: Kappung des besonders hohen Steuervorteils für Spitzenverdiener; Wegfall der Werbungskosten in der Bauphase, die ebenfalls die Bezieher hoher Einkommen besonders begünstigen; Differenzierung zwischen Neubau und Erwerb; Einschränkung der Förderung der selbstgenutzten Wohnungen in Zwei- und Mehrfamilienhäusern.
Natürlich werden alsbald die Redner der CDU/ CSU - und das haben die Diskussionen mit dem Bundesbauminister in den letzten Wochen ergeben - sagen, daß der Gesetzentwurf gegenüber dem geltenden Recht - mit und ohne Berücksichtigung des Sonderprogramms - Steuerausfälle in Milliardenhöhe zur Folge hätte. Hierzu jetzt nur so viel - die Debatte werden wir sehr sorgfältig in den Ausschußberatungen führen -: Ganz ohne Zweifel hat sich beim Entwurf der Bundesregierung der Bundesfinanzminister reich- und den Bauminister armgerechnet. Der Bauminister wurde übers Ohr halbiert.
({2})
Dies gilt z. B. für den gesamten Einsparungsbereich beim § 7 EStG.
Das gilt natürlich auch bei der von der Bundesregierung unterstellten Kostenhöhe, beim Neubau im Durchschnitt 240 000 DM, beim Erwerb aus dem Bestand 200 000 DM. Ich habe angesichts dieser Zahlen, Herr Staatssekretär Häfele, den Eindruck, daß die Bundesregierung nicht einmal in der Lage ist, die Immobilienanzeigen in den Tageszeitungen zu lesen. Selbst wenn Sie nur den Bonner „GeneralAnzeiger" läsen und keine andere Zeitung, müßten Sie feststellen, daß auch im Bereich von Großstädten die Durchschnittswerte, die Sie unterstellen, mit der Realität auf dem heutigen Immobilienmarkt nichts zu tun haben.
({3})
Die hohe Treffgenauigkeit unseres Gesetzentwurfs, gemessen an den zwischen den Parteien zumindest verbal unumstrittenen Zielen, wird deutlich, wenn man den Gesetzentwurf der Bundesregierung näher betrachtet.
Erstens. Ich sagte schon: Der heutige § 7 b ist eine Perversion der Gerechtigkeit. Dieses Prinzip der Perversion der Gerechtigkeit wird im Gesetzentwurf der Bundesregierung voll übernommen. - Aber, wie gesagt, über das Thema Verteilungsgerechtigkeit heute im Deutschen Bundestag mit der Bundesregierung und der Koalition zu diskutieren, lohnt sich nicht. Das werden wir bei anderen Gelegenheiten wirksamer nachholen.
Zweitens. Hauptpunkt des Regierungsentwurfs ist die Erhöhung der berücksichtigungsfähigen Kosten, nämlich eine Erhöhung des Höchstbetrages der reinen Bau- und Anschaffungskosten, also ohne die Kosten für Grund und Boden, auf 300 000 DM. Das heißt, das heute geltende System, wonach derjenige viel Subventionen bekommt, der viel verdient, sich also Wohneigentum ohne jedwede staatliche Förderung leisten kann, bleibt aufrechterhalten. Und durch die Ausdehnung der berücksichtigungsfähigen Kosten wird natürlich die Perversion der Gerechtigkeit noch verstärkt; die Fehlleitung von Subventionsmitteln wird damit ebenfalls verstärkt.
Ich will das in Zahlen sagen: Heute erzielt ein Spitzenverdiener über den § 7 b eine maximale Steuerersparnis von 44 800 DM. Nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung soll er künftig 67 200 DM erhalten, also 22 400 DM mehr. Die breite Schicht der Bezieher durchschnittlicher Einkommen - und rund 50 % aller Arbeitnehmer sind noch in der Proportionalzone mit einem Steuersatz von 22 °A) - erhält heute einen Steuervorteil von 17 600 DM. Künftig wäre das nach den Vorstellungen der Bundesregierung ein Vorteil von 26 400 DM, aber das nur dann, wenn sie die neuen Höchstbeträge, Herr Staatssekretär Häfele, überhaupt ausschöpfen könnten.
({4})
Aber dies können sie schon auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse nicht.
({5})
- Darauf komme ich zurück. Werden Sie nicht nervös. Diesen Trick werde ich gleich entlarven, geben Sie mir noch zwei Minuten Zeit, dann komme ich zu diesem Thema.
Hinter der regierungsamtlichen Semantik, die da so schön lautet: Heute kann man acht Jahre lang 10 000 DM bei der Steuer abschreiben, und in Zukunft kann man dann 8 Jahre 15 000 DM absetzen, verbirgt sich die Tatsache - ich sage das noch einmal -, daß nur derjenige von der Erhöhung der Höchstgrenze etwas hat, der an reinen Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten 300 000 DM finanzieren kann und dazu noch die Kosten für Grund und Boden und die weiteren Kosten im Zusammenhang mit dem Erwerb von Wohneigentum, die im Schnitt mit 30 000 DM zu berechnen sind.
Dies heißt im Klartext: Ausschöpfen kann also die im Regierungsentwurf vorgesehene Höchstgrenze von 300 000 DM nur derjenige, der ein Wohneigentumsobjekt im Werte von 400 000 DM finanzieren kann. Dies sind natürlich nicht jene Bevölkerungskreise, die sich heute aus finanziellen Gründen Wohneigentum nicht leisten können. Wer sich mit dem Erwerb von Wohneigentum aus finanziellen Gründen heute schwertut und deshalb gar nicht daran denken kann, für sein Wohneigentum mehr als 200 000 DM an reinen Baukosten aufzuwenden, der hat nicht eine müde Mark an zusätzlicher Steuerersparnis aus der Erhöhung der Höchstgrenze und damit von der gesamten sogenannten Reform der Bundesregierung. Das Baukindergeld will ich hierbei einmal außen vorlassen.
({6})
Der Verband der Deutschen Hypothekenbanken hat auf Grund einer Umfrage ausgeführt, daß die Anschaffungs- und Herstellungskosten in den meisten Fällen die Höchstgrenze von 300 000 DM nicht erreichen. Das ist - soweit ich weiß - die jüngste Umfrage, die es gibt. Abzüglich des in den ermittelten Zahlen enthaltenen Grundstückspreises bleiben - so der Verband - die Werte deutlich unter der neuen Höchstgrenze. Es heißt weiter - ich zitiere diesen Verband -:
Bauherren mit geringerem Einkommen und weniger aufwendigen Objekten wären also schlechtergestellt als heute. Dies widerspricht der Intention der Neuregelung.
Deshalb regt dieser Verband - genau wie wir Sozialdemokraten in unserem Gesetzentwurf - an, die Grundstückskosten in den Betrag der berücksichtigungsfähigen Kosten einzubeziehen.
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht eine Gleichbehandlung des Neubaues und des Erwerbs aus dem Bestand vor. Dabei ist ganz unbestritten, daß Gebrauchtimmobilien weit billiger sind als neugebautes Wohneigentum. Hinzu kommt, daß der Kaufpreisanteil für Grund und Boden bei Gebrauchtimmobilien in aller Regel höher ist als beim Neubau. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand.
Die Gleichbehandlung neugebauten und gebrauchten Wohneigentums begünstigt also jene zusätzlich, die auf Grund ihrer Einkommensverhältnisse besonders teures Wohneigentum erwerben können. Die vom Bundesbauminister so häufig bemühten Mieter, die durch die Gleichbehandlung von Neubau und Erwerb aus dem Bestand in die Lage versetzt werden sollen, ihre Mietwohnung zu erwerben, haben von der beabsichtigten Erhöhung der Höchstgrenze für die Anschaffungs- und Herstellungskosten - unter Ausschluß der Grundstückskosten - in aller Regel überhaupt nichts.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regierungserklärung vorn 4. Mai 1983 heißt es, daß in dem Bereich, über den wir heute reden, „familienfreundliche Lösungen" angestrebt werden sollen. In den „Leitlinien" vom 3. Juli wird vollmundig angekündigt, daß die steuerliche Entlastung von Bauherren und Erwerbern mit Kindern in besonderem
Maße verbessert werden soll. Es soll z. B. geprüft werden, ob das Baukindergeld nicht auf 1 200 DM erhöht und ob nicht ein Elternbaugeld eingeführt werden soll. Von diesen vollmundigen Ankündigungen und Prüfaufträgen ist - mit Ausnahme der Ausdehnung des Baukindergeldes auf das erste Kind - nichts übriggeblieben.
Im Klartext bedeutet der Gesetzentwurf der Bundesregierung: Der Erwerber mit Kindern, der sich künftig Wohneigentum verschaffen will, erhält gegenüber dem heutigen Recht durch die Ausdehnung des Baukindergeldes auf das erste Kind eine zusätzliche Förderung von 4 800 DM. Die Bezieher hoher Einkommen mit einem Steuersatz von 56% erhalten - ohne Rücksicht darauf, ob sie Kinder haben - eine zusätzliche Förderung von 22 400 DM. Das ist etwa fünfmal soviel wie die Verbesserung der Kinderkomponente, die die Bundesregierung der Öffentlichkeit als großen kinderfreundlichen Erfolg verkaufen will.
({7})
Der Bezieher eines durchschnittlichen Einkommens mit einem Steuersatz von 22 % hat durch das neue Recht - wenn es denn so kommt - einen theoretischen Vorteil von 8 800 DM. Nur: Diesen theoretischen Vorteil kann er aus den von mir vorhin genannten Gründen gar nicht realisieren, weil er ein aufwendiges Objekt gar nicht erwerben kann.
Daß sich der Bauminister nicht einmal bei der Erhöhung des Baukindergeldes durchsetzen konnte, ist für ihn und auch für den Familienminister eine schwere Niederlage.
({8})
Der Bauminister und Herr Dr. Geißler werden zu begründen haben, warum man die Subvention für Spitzenverdiener massiv verbessert, aber kein Geld haben soll, um das Baukindergeld zu erhöhen.
({9})
Der Bauminister hat offenbar inzwischen erkannt, daß mit Ausnahme der Ausdehnung des Baukindergeldes auf das erste Kind die Bezieher kleinerer und mittlerer Einkommen durch die Neuregelung leer ausgehen. Deshalb betont er neuerdings - jetzt, Herr Kansy, hören Sie mal bitte gut zu - das Thema Direktförderung im Bereich des sozialen Wohnungsbaus. Hier betreibt die Bundesregierung eine doppelte Irreführung. Mit den Finanzmitteln, die Bund und Länder gemeinsam in diesem Bereich zur Verfügung stellen, werden im ersten Förderweg etwa 5 % aller Objekte gefördert und im zweiten Förderungsweg 10%. Zweitens verschweigt der Bauminister, daß beim Erwerb von Gebrauchtimmobilien - das sind ja bekanntlich genau jene Objekte, die für die einkommensschwächeren Bevölkerungskreise besonders wichtig sind - eine Direktförderung überhaupt nur in ganz wenigen Ausnahmefällen gegeben ist. In NRW sind es etwa 1 bis 2% der Fälle. In den meisten der anderen Länder wird diese Förderung, soweit ich weiß, für Gebrauchtwohneigentum überhaupt nicht gewährt.
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist also wohnungs-, eigentums- und vermögenspolitisch unverantwortlich, weil er im wesentlichen nur die Mitnehmereffekte stärkt. Dies ist subventionspolitisch ein Skandal.
({10})
Angesichts der dramatischen Lage der Bauwirtschaft ist dieser Gesetzentwurf auch unter arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten unerträglich.
Wir regen an, meine Damen und Herren von der Koalition, daß wir auf der Grundlage unseres Gesetzentwurfs gemeinsam nach einer Lösung suchen, die wohneigentumspolitisch sinnvoll ist und die von einem einsichtigen Finanzminister auch mitgetragen werden kann.
({11})
Sollte der Gesetzentwurf der Bundesregierung so, wie er jetzt eingebracht worden ist, ins Gesetzblatt kommen, dann allerdings hat der Bauminister mit seinem Appell recht, wenn er sagt: Bürger, baut jetzt! Er hat dann recht, weil das neue Recht, wie die Bundesregierung sich das vorstellt, eine massive Verschlechterung für die Mehrzahl der Bürger ist gegenüber dem, was wir heute haben.
({12})
Damit ist niemandem gedient. Schönen Dank.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schulhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD, die 13 Jahre lang Zeit gehabt hätte
({0})
- ich rede jetzt nicht von der Erblast, sondern nur vom Timing; hören Sie doch erst einmal zu -, die Wohnungsbaubesteuerung zu reformieren, hat es jetzt plötzlich außerordentlich eilig.
({1})
Obwohl die Bundesregierung vor drei Tagen selber einen Gesetzentwurf zur Neuregelung der steuerlichen Förderung des selbstgenutzten Wohneigenheims beschlossen hat und obwohl die SPD weiß, daß wir uns deshalb ohnehin noch im Frühjahr mit der Materie zu beschäftigen haben, hat sie die Möglichkeiten unserer Geschäftsordnung ausgenutzt, um eine vorgezogene Plenardebatte hier durchzuführen.
({2})
Sie zeigen damit, meine Damen und Herren von der
Opposition, daß es Ihnen wahrscheinlich nicht in
erster Linie um die Sache, sondern um den Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen geht.
({3}) Das Land Nordrhein-Westfalen
({4})
- hören Sie doch einmal zu, vielleicht wissen Sie das noch gar nicht - war vernünftiger, was die Arbeitsökonomie anbetrifft. Nordrhein-Westfalen hat im Bundesrat einen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt. Der Vertreter des Landes hat bei der Beratung des Gesetzentwurfs im Finanzausschuß am 7. März 1985 die Erklärung abgegeben, daß der Antrag auf Behandlung des Gesetzesantrages überholt sei, nachdem die Bundesregierung inzwischen einen eigenen Referentenentwurf vorgelegt habe.
({5})
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind beide Anträge identisch. Ich will ja nicht sagen, daß Sie das abgeschrieben haben.
({6})
In der Sache selbst ist natürlich zu begrüßen - hören Sie doch zu; ich sage etwas Freundliches -, daß auch die SPD jetzt auf die Privatgutlösung umgeschwenkt ist. Sie haben, meine Damen und Herren von der Opposition, j a zunächst jahrelang an den Symptomen kuriert, als Sie versucht haben, die Ungereimtheiten zwischen der Besteuerung der eigengenutzten Einfamilienhäuser und Eigentumswohnungen und der teilweise eigengenutzten Zwei- und Mehrfamilienhäuser zu beseitigen. Sie haben versucht, die „bösen Eigentümer" von sogenannten unechten Zweifamilienhäusern in die Pauschalierung zu treiben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein, ich muß im Kontext bleiben;
({0})
ich habe wenig Zeit.
So ganz haben Sie sich von Ihren Vorurteilen, von Ihrem Freund-Feind-Denken, noch nicht gelöst. Zum Beispiel beklagen Sie in der Begründung Ihres Gesetzentwurfes auf Seite 9, die Nutzungswertbesteuerung sei nur formal als Steuerquelle ausgestaltet und führe wegen des Schuldzinsenabzugs und wegen der erhöhten Absetzungen nach § 7 zu negativen Einkünften. Das ist ein deutliches Zeichen für Ihr Unbehagen an der steuerlichen Förderung.
Die SPD geht - das sieht man an all diesen Beispielen - mit einer völlig anderen Grundhaltung an die Sache heran.
({1})
Herr Huonker, Sie haben das ja soeben auch deutlich gemacht.
({2})
Ich habe ein gewisses Unbehagen, wenn Sie sich jetzt so für die Förderung des Eigenheims einsetzen, und zwar nicht deshalb, weil ich das nicht begrüßen würde - ich begrüße es ausdrücklich -, sondern deswegen, weil mir hier noch etwas der Glaube fehlt. Ich erinnere mich nämlich noch an die Debatte, die wir hier vor einigen Tagen über unsere Privatisierungsbestrebungen geführt haben. Da haben Sie ja von diesem Pult aus ideologisch ganz anders votiert.
({3})
- Ich freue mich über Ihren Zuspruch! - Sie haben da wieder einige Parolen aus der Mottenkiste des Klassenkampfes hervorgeholt.
({4})
Jetzt haben Sie natürlich erkannt, daß Sie den Verzicht auf die Besteuerung des Nutzungswertes der eigengenutzten Wohnung, wie er von der Regierungskoalition vorbereitet wird, nicht aufhalten können. Deshalb sind Sie auf den bereits fahrenden Zug aufgesprungen; nur wollen Sie den Zug - was natürlich Ihr gutes Recht ist - in Ihre Richtung lenken.
({5})
Diese Richtung wurde schon 1971 auf dem berüchtigten Steuerparteitag der SPD in Bonn vorgegeben. Zur Erinnerung: Das war der Parteitag, auf dem der Altlinke Jochen Steffen die Parole ausgab, man müsse die Belastbarkeit der Wirtschaft testen. Dort wurde auch als einer der Eckwerte zur Steuerreform beschlossen, den § 7 des Einkommensteuergesetzes zu einer gleichmäßig wirkenden Begünstigungsmethode umzugestalten.
({6})
Jetzt kommen Sie wieder auf diesen alten Ladenhüter zurück. Hier wie in vielen anderen Bereichen sieht man immer wieder, daß Sie nichts, aber auch überhaupt nichts dazugelernt haben.
Was schon in den 70er Jahren innerhalb der Regierung nicht durchsetzbar war, versuchen Sie uns jetzt so anzudienen: den ausschließlichen Abzug von der Steuerschuld, sogar mit Negativsteuer. Sie wollen diejenigen Bürger, die eine eigene Wohnung bauen oder erwerben können, die Facharbeiter, die Familien, bei denen beide Ehegatten berufstätig sind, diejenigen, die durch Leistung und Anstrengung den beruflichen Aufstieg geschafft haben, diejenigen, die die finanzielle Belastung einer eigenen Wohnung auf sich nehmen können, durch Ihren gleichmacherischen Abzug von der Steuerschuld entmutigen,
({7})
ohne daß Sie denjenigen, deren Einkommen nicht ausreicht, um eine eigene Wohnung zu finanzieren, wirksam helfen könnten.
({8})
Ich sage bewußt „entmutigen", denn die Umstellung des Abzugs von der Bemessungsgrundlage auf einen gleichmacherischen Abzug von der Steuerschuld - und darauf will ich abheben - wäre ein Signal, wäre ein Signal dafür, daß man zwar einerseits die Steuerprogression bejaht und befürwortet, wenn es darum geht, höhere Einkommen stärker zu den finanziellen Lasten der Gemeinschaft heranzuziehen - was wir natürlich nicht ablehnen -, sich aber andererseits weigert, daraus die zwingenden Konsequenzen zu ziehen, wenn es um Belastungen geht, die die steuerliche Leistungsfähigkeit mindern.
({9})
Das werden wir nicht mitmachen; jedenfalls halte ich das für den falschen Weg.
({10})
- Herr Huonker, ich kann hier auch Herrn Tipke nicht folgen.
Neben dem im Grundsatz falschen Förderungskonzept des Abzugs von der Steuerschuld stecken im Gesetzentwurf der SPD zahlreiche weitere Detailvorschläge, die wir für falsch halten. In der Kürze der Zeit darf ich nur auf einige wenige zu sprechen kommen:
Erstens. Mit dem Förderkonzept sollen nach Ihren Vorstellungen die Ziele der Wohnungseigentumsbildung und der breiten Vermögensstreuung verfolgt werden. Bei dieser Zielsetzung ist es deshalb überhaupt nicht verständlich, daß jetzt die Förderung nach Neubauten und Erwerbsfällen differenziert werden soll.
Zweitens. Auf verwaltungstechnische Detailprobleme, die sich aus der von der SPD befürworteten Negativsteuer ergeben, will ich hier nicht eingehen. Das wäre zumindest etwas Neues im Einkommensteuerrecht; darüber können wir uns ja noch im Ausschuß unterhalten.
Drittens. Die Kinderkomponente ist sowohl im SPD-Entwurf als auch im Entwurf der Bundesregierung als Abzug von der Steuerschuld ausgestaltet. Die beiden Entwürfe unterscheiden sich
({11})
aber im Zeitraum der Gewährung und in der Höhe der Kinderkomponente.
({12})
- Hören Sie doch auf zu schreien. Argumentieren Sie doch lieber. Mir hat man gesagt, man soll Politik mit dem Kopf und nicht mit dem Kehlkopf machen.
Ich plaudere nicht aus dem Nähkästchen, wenn ich sage, daß die Steuerpolitiker der KoalitionsfrakSchulhoff
tionen auch die Kinderkomponente lieber als Abzug von der Steuerbemessungsgrundlage gesehen hätten - das wollen Sie doch hören -; aber es gibt diese Kinderkomponente schon im geltenden Recht als Abzug von der Steuerschuld Ich sehe hier cine andere Bewertung als bei der 7-b-Problematik. Bei der Höhe der Kinderkomponente muß man das Verhältnis zum Kinderfreibetrag sehen. Ein Abzugsbetrag von 600 DM entspricht in der Proportionalzone einem Freibetrag von fast 3 000 DM, während der gesamte Unterhalt eines Kindes nur mit 2 484 DM berücksichtigt wird. Bei dem Entwurf der SPD wird diese Diskrepanz noch wesentlich verstärkt.
Meine Damen und Herren, ich habe Verständnis dafür, daß Sie gerade für die Kinder etwas tun wollen. Das haben wir auch getan. Ich denke an das Steuerbereinigungsgesetz 1984, wo wir ja einen wesentlichen Schritt nach vorne gegangen sind, insbesondere was die Alleinverdienenden betrifft, und ich denke an das Steuersenkungsgesetz 1986, wo wir für die Familie und gerade für die Kinder etwas tun wollen und tun werden.
({13})
- Das werden wir Ihnen zeigen. Man muß das meiner Ansicht nach auch im Zusammenhang betrachten.
Viertens. Der Finanzrahmen, der soeben von Ihnen skizziert wurde, ist meiner Ansicht nach im Hinblick auf unsere gesamte Haushaltssituation nicht gerade als seriös anzusehen.
Jedoch stellt der Verzicht auf die Besteuerung des Nutzungswertes der eigenen Wohnung insgesamt gesehen eine begrüßenswerte Vereinfachung dar. Ich freue mich, Herr Huonker, daß wir bei diesem wichtigen Ziel an einem Strang ziehen. Es ist doch ein Schritt zur Entbürokratisierung.
Vielleicht ergibt sich bei den weiteren Beratungen die Chance, zu einer einvernehmlichen Lösung und zu einer weiteren Vereinfachung unseres Steuerrechts zukommen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({14})
Das Wort hat der Abgeordnete Sauermilch.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wo hier schon so viel von Zügen die Rede ist, erlauben Sie mir die persönliche Bemerkung, daß ich hier heute sozusagen als Schlußlicht der ersten Vorrückergeneration rede. Dieses vorab.
({0})
Meine Damen und Herren, eines der Zentren der herrschenden Wohnungspolitik ist die Förderung von Wohnungseigentum. Ausmaß und Wirkung der beträchtlichen Geldmenge, die bei solchen Förderungsmaßnahmen im Rahmen der im wesentlichen
indirekten steuerlichen Subventionen umverteilt wird, sind wenig transparent. Das ist bei dieser Politik auch beabsichtigt, wie wir wissen.
({1})
Uns ist bekannt, daß die Experten der Bundesbank, der Sachverständigenrat und die wissenschaftlichen Beiräte die Einstellung jeder öffentlichen Förderung des Wohnungssektors fordern. Damit wollen sie indirekt die Mietpreise erhöhen und den Wohnflächenverbrauch über das Regulativ der kleinen Geldbeutel reduzieren. Dagegen werden diejenigen gefördert, die ihre Wohnkosten am ehesten aus eigenen Einkommen bestreiten könnten. Die Einkommensschwächeren werden der sozial blinden Konkurrenz von Geschäftemachern überlassen.
({2})
Diese Politik löst das Wohnungsproblem nicht, sondern versucht mit Erfolg, die sogeannten Leistungsträger unserer Gesellschaft für sich zu gewinnen.
({3}) - Die Nachrücker werden schon lauter.
({4})
In Abwägung der langfristigen Folgen wie zusätzlicher Landschaftsverbrauch für den Eigenheimbau oder wie der Auswirkungen bei der Vererbung sehen wir eine grundsätzliche Abkehr von Eigentumsförderung als wichtige Diskussionsgrundlage an.
({5})
Uns ist allerdings bewußt, daß eine bloße Beseitigung der jetzigen Förderung für die Wohnungsversorgung und für den gesamten Wohnungsbereich bedenklich wäre.
Ich beschränke mich heute auf einige kritische Anmerkungen zu den vorliegenden Gesetzentwürfen. Zunächst zur Regierungsvorlage.
Seit mehr als zwei Jahren - das ist hier schon mehrfach festgestellt worden - kündigen die Minister Schneider und Stoltenberg die Neuregelung an. Was ist denn nun eigentlich davon übriggeblieben? Der Wegfall der Nutzungswertbesteuerung, die Erhöhung des Absetzungsbetrages nach § 7 b - unter anderem Namen -, die Kinderkomponente auch für das erste Kind - dafür, so fragt man sich, jahrelang der ganze Lärm? Lange haben die Bauherren auf dieses Wunderding gewartet. Nun kommt eigentlich eine etwas graue Maus dabei heraus. Maßgebend war wieder einmal Minister Stoltenberg und nicht Herr Schneider. Bei Herrn Schneiders Ministerium bröckelt weiter der Putz, wie die „Frankfurter Rundschau" neulich so treffend vermerkt hat.
({6})
Die CDU/CSU-Vorlage kann deshalb von uns schon im Grundansatz nicht akzeptiert werden.
({7})
Abgesehen von unserer grundsätzlichen Kritik am derzeitigen Eigentumsmodell scheint mir, in der Logik etablierter Politik betrachtet, der SPD-Entwurf gerechter zu sein. Immerhin enthält er auch einige Gedanken, die die GRÜNEN schon lange vorgetragen haben. Die SPD scheint also lernfähiger zu werden.
({8})
Grundstückskosten sollen einbezogen werden. Die von der Regierung vorgesehene neue Obergrenze für absetzbare Herstellungs- oder Anschaffungskosten von 300 000 DM kann von kleineren Bauherren nicht ausgeschöpft werden, weil ohne den Bodenanteil bei kleinen Reihenhäusern, die solche Leute allenfalls bauen oder kaufen können, Baukosten von 300 000 DM nicht erreicht werden. Gerade diesen Leuten, die es besonders nötig hätten, würde geholfen, wenn man in die abzugsfähigen Beträge den Bodenanteil einbezöge, so daß sie die Höchstbeträge ausschöpfen können.
({9})
Es ist natürlich auch gerechter, daß derjenige, der auf Grund geringen Einkommens und deshalb geringer Steuerzahlungen gar nicht alles ausschöpfen kann, dann vom Finanzamt etwas bezahlt bekommt. Im Regierungsvorschlag wird wieder nach dem alten Lied, wie immer bei Steuerfreibeträgen, verfahren: Wer am meisten verdient,
({10})
wird am meisten begünstigt.
Ich nenne weiter das Zusammenlegen der für Ehepaare und eventuell auch Eltern denkbaren Fördermöglichkeiten auf ein Projekt, was eine größere Entlastung bedeutet. Bisher kann § 7 b auch zweimal in Anspruch genommen werden, aber eben nur für zwei Objekte. Die erwähnte Lösung hilft besonders dann, wenn man vom Finanzamt gegebenenfalls etwas bezahlt bekommt. Ich nenne das Stichwort der Negativsteuer.
Bei der Bevorzugung des Eigentums wird meines Erachtens unlogisch argumentiert. Angeblich gibt es genügend Mietwohnungen; es stehen welche leer. Es ist doch aber so, daß natürlich die Massenwohnanlagen und die extrem teuren Wohnungen leerstehen. Vor allem aber gilt: Wer mehr Eigentum fördert, der schafft mehr leerstehende Wohnungen. Jeder Eigentümer macht eine Mietwohnung frei. Also kommt man zu noch mehr leerstehenden Mietwohnungen. Das Leerstandsgerede ist vorgeschoben und dient meines Erachtens nur dazu, sich um die Förderung der wirklich Schwachen zu drücken.
({11})
Hätte es nicht mehr Sinn, die Steuerausfälle auf Grund der Eigentumsförderung dazu zu verwenden, das Wohngeld noch mehr als geplant anzuheben oder in kürzeren Abständen anzupassen oder zu dynamisieren?
({12})
Auf jeden Fall käme dieses Geld so am ehesten denjenigen zugute, die es brauchen, solange man sich in dieser Art Wohnungspolitik bewegt. Wir werden in den Ausschüssen dazu jedenfalls kritisch Stellung nehmen.
Vielen Dank.
({13})
Auch eine letzte Rede geht zu Ende. Nun dürfen Sie nicht einmal mehr mit Beton bauen, Herr Sauermilch, wenn Sie wieder Architekt sind.
({0})
Der nächste Redner ist Herr Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wundert natürlich niemanden, daß Herr Sauermilch bei seinem Abgesang heute noch einmal deutlich macht, daß die GRÜNEN im Grundsatz gegen Eigentumspolitik und natürlich auch gegen Eigentumsförderung sind.
({0})
Damit machen sie die Unterschiede zwischen den politischen Haltungen noch einmal ganz deutlich.
Nach unserer Überzeugung ist Eigentum etwas, was in der Verfassung gewollt ist, was die persönliche Unabhängigkeit garantiert und einen großen Beitrag zur sozialen Sicherheit für den einzelnen leistet. Gerade das Wohneigentum bietet eine sehr gute Voraussetzung, die Sicherheit auch im Alter zu garantieren.
({1})
Das ist der Unterschied, und daran ändert auch Ihre Schreierei nichts. Wenn Sie das erste Mal hier im Parlament sind, müssen Sie sich natürlich durch Lautstärke hervortun.
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Hier soll argumentiert werden.
Herr Kollege Huonker, es ist natürlich nicht so, daß die FDP daran schuld ist, daß diese neue Gesetzgebung in den 70er Jahren nicht hat eingeführt werden können; denn unser Kollege Gattermann hat schon damals deutlich gefordert, daß wir von der Nutzungswertbesteuerung abgehen und daß wir uns zur Privatgutlösung bekennen. Wir freuen uns,
daß sich die Sozialdemokraten zu guter Letzt auch für die Privatgutlösung entschlossen haben;
({3})
denn Sie haben lange darüber diskutiert, ob Sie sich nicht im Bereich der Investitionsgutlösung bewegen sollten. Es ist gemeinsame Überzeugung, daß die Nutzungswertbesteuerung seit langem überholt ist und daß wir hier eine andere Besteuerung einführen müssen.
Mich wundert allerdings, daß dieser Gesetzentwurf der SPD heute beraten werden muß. In allen Fraktionen dieses Parlaments wird laut und offen darüber diskutiert, daß wir die Debatten lebhafter, interessanter gestalten sollten, und nun zwingen Sie uns mit dieser Diskussion heute, das gleiche Thema hier in wenigen Wochen mehrfach zu diskutieren, und das kann natürlich nicht das Interesse am Thema steigern.
({4})
Der Abzug von der Steuerschuld bzw. der Abzug von der Bemessungsgrundlage, das ist der wesentliche Unterschied in der Betrachtung zwischen den Sozialdemokraten und der Regierungskoalition. Ich möchte dazu nur sagen: Das systematisch Richtigere ist natürlich der Abzug von der Bemessungsgrundlage; denn wenn auf der einen Seite Einkommen progressiv besteuert wird, dann müssen Entlastungstatbestände natürlich auch degressiv entlastend wirken.
({5})
Im übrigen läuft Ihre Behauptung ins Leere, es würde für die Bezieher niedriger Einkommen nichts getan; denn natürlich soll die direkte Förderung im Bereich des sozialen Wohnungsbaus beibehalten und eventuell ausgebaut werden. Das ist die soziale Seite des gesamten Gesetzeswerkes.
({6})
Der SPD-Entwurf ist im übrigen - das haben Sie selbst bereits bestätigt - haushaltsmäßig nicht finanzierbar, und deshalb ist er nicht verantwortungsvoll.
({7})
- Sie haben selbst darauf hingewiesen, daß dieses Argument kommt,
({8})
und damit haben Sie quasi indirekt die Schwäche Ihres Entwurfs dargelegt. Ich glaube, daß wir die haushaltsmäßige Betrachtung nicht außer acht lassen dürfen. Wir können den Haushalt nicht stärker belasten, als dies aus gesamt-, finanzpolitischen Erwägungen zuzulassen ist.
Im übrigen ist der degressive Belastungsverlauf im SPD-Entwurf zu kritisieren. Sie schlagen vor, daß die Anschaffungs- und Herstellungskosten einschließlich der Grundstückskosten im ersten Jahr mit 3 %, dann mit 2,5 % in den nächsten vier Jahren und mit 2 % in den weiteren vier Jahren von der Steuerschuld abgezogen werden sollen. Dies entspricht nicht dem tatsächlichen Belastungsverlauf; die tatsächlichen Belastungen sind in den ersten Jahren im großen und ganzen konstant.
Die Präferenzierung der Neubauten gegenüber den Altbauten ist ebenfalls nicht gerechtfertigt. Wir brauchen nicht immer mehr Neubauten - das wird auch von Ihrer Seite im übrigen gefordert - mit ihrem Landschaftsverbrauch und ihrer preistreibenden Wirkung auf die Grundstückspreise, sondern es ist sinnvoll, den Altbestand besser zu nutzen, zu modernisieren und damit den Altbestand wieder wohnlich und für die Bevölkerung nutzbar zu machen.
({9})
In vollem Widerspruch zur früheren Haltung der SPD-Bundesfinanzminister und Landesfinanzminister - im übrigen auch der von der CDU gestellten Landesminister - steht der Vorschlag, Eigenheimabzugsbeträge und Baukindergeld, die die Steuerschuld übersteigen, durch die Finanzämter als Negativsteuer auszahlen zu lassen. Die FDP hat ja - das wissen Sie - seit langem ebenfalls die Finanzamtslösung gefordert, schon in den Diskussionen zur Einkommensteuerreform 1975. Das ist an den Widerständen der Länder gescheitert. Ich wäre froh, wenn wir gemeinsam, alle Fraktionen in diesem Haus, Druck ausüben und die Länder überzeugen könnten, daß die Finanzamtslösung auch bei der Berechnung und Auszahlung des Kindergeldes das bessere Modell ist, und wenn wir dort zu einer Einigung kämen.
Als Resümee will ich sagen: Der Regierungsentwurf ist klar besser als die SPD-Vorlage. Der Regierungsvorschlag ist finanzierbar. Er knüpft an die bewährte 7 b-Regelung an. Er ist nicht gleichmacherisch. Er entspricht auf Grund der Gleichbehandlung von Neu- und Altbauten den wirklichen Bedürfnissen auf dem Wohnungsmarkt. Er trägt dem tatsächlichen Belastungsverlauf Rechnung und ist verwaltungsmäßig zu beherrschen.
In unseren Augen bleibt ein letztes Problem, das wir in den Ausschüssen zu beraten haben. Das ist die Frage: Wie wollen wir die privaten Wohnungen oder Wohnhäuser landwirtschaftlicher Betriebe behandeln? Sie sind j a heute im Steuerrecht in das notwendige Betriebsvermögen eingeordnet, so daß nicht die Möglichkeit besteht, sie im Privatvermögen zu führen. Ich bin der Meinung, daß man den landwirtschaftlichen Betrieben einen steuerfreien Übergang vom Betriebsvermögen in das Privatvermögen während einer Übergangszeit ermöglichen muß. Wenn das als Ergebnis in den Ausschüssen herauskommen sollte, wäre auch dieses Problem zu lösen.
Ich bedanke mich.
({10})
Das Wort hat Herr Dr. Häfele, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt, daß der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion wesentliche Übereinstimmung mit dem zeigt, was die Bundesregierung in ihren Leitlinien am 3. Juli letzten Jahres und in ihrem Gesetzentwurf vom letzten Dienstag beschlossen hat.
({0})
Wir begrüßen vor allem, daß hinsichtlich des Kernpunktes der Neuregelungen Übereinstimmung besteht, nämlich hinsichtlich der Abschaffung der Besteuerung des Mietwertes des selbstgenutzten Wohneigentums. Wir haben 10 Millionen solcher Fälle. Das bedeutet bei 24 Millionen Haushaltsgemeinschaften, immerhin rund 42 %, die heute schon Eigentum haben. Diese Quote wollen wir erhöhen.
Hier hat es in der Vergangenheit oft große Schwierigkeiten verwaltungsmäßiger, bürokratischer Art gegeben, vor allem auch bei teilvermieteten Häusern. Da hat es große Auseinandersetzungen über die Frage gegeben, wie man das berechnen müsse. Das wird künftig alles entfallen. Das gilt vor allem auch hinsichtlich des Problems älterer Mitbürger, die vom Finanzamt nur wegen der Nutzungswertbesteuerung veranlagt wurden. Plötzlich schlug bei den Renten der Ertragsanteil durch, und sie kamen in der Summe in eine Besteuerung hinein. Sie verstanden die Welt nicht mehr: Sie hatten sich ihr Leben lang krummgelegt, gespart, und als sie schuldenfrei waren, mußten sie plötzlich für den Nutzungswert Steuern zahlen. Insofern ist es ein gewaltiger Fortschritt, den man nicht hoch genug einschätzen kann.
Hiermit wird gleichsam eine vierte Säule für die Alters- und Lebensvorsorge geschaffen. Das ist neben der Sozialrente, der Betriebsrente und dem allgemeinen privaten Sparen bzw. der allgemeinen privaten Versicherung die vierte Säule: eigenes Häusle, die Sicherheit für das Alter, für das Leben.
({1}) - In der Tat.
Natürlich gibt es auch Unterschiede. Ich will nur ein paar Beispiele herausgreifen. Sie verzichten auf das anreizwirksamste Mittel, das es überhaupt gibt, nämlich progressionsmildernd etwas zu fördern. Das ist für mich keine Frage der Ideologie. Natürlich ist das eine Subvention. Sie haben recht. Wenn wir einmal unseren Zukunftstarif hätten, Herr Huonker, der wirklich gleichmäßig, sanft ansteigt, könnten wir darüber reden. Aber solange wir diesen Tarif haben - das gilt auch unter Berücksichtigung der Verbesserungen, die wir in diesem Jahr durchführen -, gibt es nichts Anreizwirksameres, als die Progression bei der Steuer etwas abzumildern, wenn sich die Leute krummlegen, wenn sie sparen, wenn sie sich anstrengen. Das kann durch kein anderes Anreizsystem erfaßt werden. Deswegen ist unser System das beste.
({2})
Das zweite ist: Wir haben den Gleichklang zwischen Neuerwerb und Neubau, also zwischen dem Erwerb aus dem Bestand und dem Neubau. Denn bei uns steht die Eigentumsidee im Vordergrund. Wir wollen mit der Gleichbehandlung beider vor allem Eigentum fördern. Das soll kein Konjunkturförderungsprogramm sein, sondern auf Dauer die Förderung von Eigentum. Deswegen Gleichbehandlung des Erwerbs aus dem Bestand und des Neubaus.
Schließlich ist Ihr Entwurf - wir haben es im Finanzministerium durchgerechnet - auf einen Baujahrgang gerechnet um etwa 3 Milliarden DM teurer als unser Entwurf.
({3})
- Herr Huonker, Sie kennen die guten Leute im Finanzministerium aus eigener Anschauung. Die rechnen seriös. Ich habe sogar noch einen Abschlag gemacht. Die Beamten kommen zu einem höheren Betrag. Ich war Ihnen gegenüber galant. 3 Milliarden DM pro Baujahrgang mehr können wir einfach nicht finanzieren.
({4})
Schließlich möchte ich an diejenigen Bürger, die die Absicht haben, demnächst zu bauen, appellieren: In aller Regel lohnt es sich nicht zuzuwarten. Vielmehr sollten sie ihre Absichten planmäßig verwirklichen. Wir haben günstige Baupreise, wir haben günstige Bodenpreise, wir haben niedrige Zinsen, und in vielen Fällen ist das derzeitige Programm, das j a bewußt ein Anstoßprogramm für drei Jahre sein soll, günstiger. In anderen Fällen sind andere Regelungen günstiger. Es soll also jemand das, was er planmäßig vorhat, tun. Dann verhält er sich vernünftig. Und vor allem: Die Alt- und die Neufälle kommen in den Genuß des Wegfalls der Nutzungswertbesteuerung. Also, es besteht kein Grund, eine Abwartehaltung einzunehmen. Jetzt sollte man sein Häusle bauen. Dann tut man sich und der Allgemeinheit einen Gefallen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Reschke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hatte ich mich nicht mehr zu Wort melden wollen, um die Kollegen nicht noch länger daran zu hindern, ins Wochenende zu fahren und ihren privaten Angelegenheiten nachzugehen. Aber ich möchte doch noch eben anregen, sich einmal die letzte Seite unseres Gesetzentwurfs anzusehen. Dort steht: Inkrafttreten: 1. Januar 1986.
In diesem Zusammenhang sollte man, so meine ich, auf den kritischen Punkt hinweisen, daß die Zahl der Baugenehmigungen im Bereich der EigenReschke
heimförderung, des Eigenheimbaus doch dramatisch zurückgehen. Laut der Mitteilung des Finanzministeriums vom 27. März 1985 fiel „das Niveau der Wohnungsbaunachfrage auf den Tiefpunkt von Ende 1981 zurück". Weiter heißt es in dieser Mitteilung: „Die Hochbauaufträge im vierten Quartal 1984 lagen um 15% unter ihrem Stand vor Jahresfrist ..."
({0})
Die Baugenehmigungen für Eigenheime gingen im Jahre 1984 gegenüber dem Vorjahr um 17,7 zurück. Die Baugenehmigungen für Eigentumswohnungen verminderten sich um 18,4 %.
Dramatisch ist der Rückgang der Baugenehmigungen im Monat Januar im Vergleich zum Vorjahresmonat. Hieran war doch nicht nur das Wetter schuld. Bei Eigenheimen haben wir ein Minus von 20,8%, bei Eigentumswohnungen in Zwei- und Mehrfamilienhäusern haben wir ein Minus von sage und schreibe 61,4 %. Herr Staatssekretär, Sie können uns doch wirklich nicht sagen, progressionsmindernd zu fördern sei der beste Anreiz zum Bauen. Hier haben wir die größte spekulative Zurückhaltung. Deswegen: Stimmen Sie zu und lassen Sie dieses Gesetz am 1. Januar 1986 in Kraft treten.
({1})
Das, was Sie hier machen, ist Desökonomie im Wohnungsbau.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Daniels.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Reschke, es ist schon, so meine ich, ein gewisser Widerspruch, wenn Sie auf der einen Seite behaupten, daß die jetzt von der Bundesregierung vorgesehene neue Förderung schlechter sei als das, was bisher besteht, auf der anderen Seite aber beklagen, daß Sie nicht früh genug in Kraft trete und die Baukonjunktur dadurch nicht entsprechend gefördert werde.
({0})
- Ich will nicht wiederholen, was die Redner der Regierung und der Koalition schon gesagt haben. Ihr Entwurf ist eben einfach nicht finanzierbar. Aber die Opposition hat es ja immer leicht, einfach noch ein paar Milliarden draufzulegen, weil sie die Verantwortung für das Gesamte nicht zu tragen hat.
({1})
Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf der SPD-Fraktion zur Neuregelung der steuerlichen
Förderung selbstgenutzten Wohneigentums enthält viel Gutes und auch viel Neues. Aber das Gute ist nicht neu, und das Neue ist nicht gut.
Wir freuen uns natürlich, daß sich nun auch die SPD zu einigen wohnungspolitischen Grundentscheidungen der CDU/CSU bekennt, so etwa zur Förderung des Haus- und Wohnungseigentums sowie zur Förderung gerade auch kinderreicher Familien.
({2})
Also, ich erinnere mich noch, daß Sie uns wegen unserer „Kinder- und Hauseigentumsromantik" aufs heftigste angegriffen haben.
({3})
Ich kann hier nur einen vollständigen Sinneswandel von Ihnen konstatieren.
({4})
- Herr Kollege Huonker, ich habe in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs nicht ohne Rührung gelesen:
Der Wunsch nach Wohneigentum ist ungebrochen; die Wohneigentumsquote in der Bundesrepublik Deutschland liegt mit rund 40 v. H. unter derjenigen vergleichbarer Länder.
Das könnte einem Programm der CDU oder der CSU entnommen sein. Bei Ihnen las man es bisher anders. Haben Sie nicht einmal auf einem Bundesparteitag beschlossen, daß Sie gegen jeden Verkauf irgendwelchen Grund und Bodens aus dem Bereich der öffentlichen Hand an Privatleute sind, auch nicht zu Zwecken des Einfamilienhausbaus?
({5})
Ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Genossen, Herr Huonker, im Rat der Stadt Bonn stimmen heute noch gegen jeden Verkauf städtischen Grundbesitzes an Private, auch zum Zwecke des Einfamilienhausbaus.
({6})
Und jetzt wollen Sie die Grunderwerbskosten ausdrücklich in die Förderung einbeziehen.
({7})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Sauermilch?
Ich glaube, das ist von der Zeit her nicht möglich, Herr Kollege Sauermilch.
({0})
- Na gut, zum Abschied.
Herr Abgeordneter Daniels, Sie haben eben zum Flächenverbrauch beim Einfamilienhaus bedauerlicherweise nichts gesagt. Vielleicht nehmen Sie bitte dazu Stellung, daß bekannt ist, daß durch die weitere Förderung des Einfamilienhausbaus eine enorme ökologische Belastung gegeben ist.
Herr Kollege Sauermilch, nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung wird der Eigenheimbau nicht besonders gefördert, sondern es werden in völlig gleicher Weise der Eigenheimbau, der Bau von Eigentumswohnungen und der Erwerb aus dem Bestand gefördert. Insofern ist in diesem Punkt unser Entwurf sehr viel flächenverbrauchsfeindlicher und damit umweltfreundlicher als der der SPD.
({0})
Meine Damen und Herren, wir freuen uns also über diesen Sinneswandel der SPD, der in völligem Widerspruch zu ihrer bisherigen Auffassung steht.
({1})
Ich will den Deutschen Bundestag nicht mit dem Himmel vergleichen. Ich hoffe auch, daß es im Himmel mehr Bevölkerung gibt als im Augenblick im Deutschen Bundestag Abgeordnete. Aber eines gilt sicherlich auch hier: Es ist mehr Freude über einen Sünder, der Buße tut, als über 99 Gerechte, die - jedenfalls in diesem Punkte - der Buße nicht bedürfen.
({2})
In Zukunft soll nach unserer gemeinsamen Auffassung niemand mehr für das Bewohnen seiner ihm gehörenden Wohnung Steuern bezahlen müssen.
({3})
In Zukunft soll nach unserer gemeinsamen Auffassung die Förderung des Staates - das halte ich für ganz wichtig - auf die Wohnungen konzentriert werden, die der Eigentümer selbst bewohnt. Bloße Kapitalanlage soll in Zukunft mit Recht nicht mehr gefördert werden.
Ich meine, es ist gerade in der schwierigen Lage, in der sich die Bauwirtschaft im Augenblick befindet, ein zusätzlicher Vorteil, daß hierdurch mehr Kapital in den Bau- und Wohnungsbereich gelenkt wird. Die Erfahrung lehrt, daß Wohnungseigentümer einen erheblich höheren Prozentsatz ihres Einkommens in die von ihnen genutzte Wohnung stekken. Wenn wir also die Zahl der Eigentümer gegenüber der Zahl der Mieter erhöhen. dann führen wir damit indirekt eine Lenkung des Kapitals durch freiwillige Entscheidung der Betroffenen - freiwillig, nicht dadurch, daß wir den Leuten das Geld zunächst zwangsweise abnehmen und von uns aus verteilen - in den Bau- und Wohnungsbereich. Das,
so scheint mir, ist ein zusätzlicher Vorteil der Förderung des selbstgenutzten Wohneigentums.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, soviel zum Guten, bei dem sich die SPD-Fraktion den Vorstellungen der Bundesregierung und der CDU/CSU angeschlossen hat.
({5})
Lassen Sie mich zum Abschluß noch einige wenige Bemerkungen zum Neuen machen. Ich will mich dabei auf einen einzigen wichtigen Unterschied zwischen dem SPD-Entwurf und unseren Vorstellungen konzentrieren. Die SPD will den Erwerb von Eigentum an selbstgenutzten Wohnungen schlechter stellen als den Neubau. Gerade durch die Förderung des Erwerbs eines Hauses oder einer eigenen Wohnung wird wirklich breiten Schichten der Bevölkerung dieses Eigentum überhaupt erst ermöglicht.
({6})
Das zeigt die Vergangenheit. In dem noch unter der von Ihnen geführten Bundesregierung erstellten Wirkungsbericht und auch in einer Antwort auf eine Anfrage, die unsere Fraktion im neuen Deutschen Bundestag an die Bundesregierung gerichtet hat, ist zu erkennen, daß in der Vergangenheit gerade die Haushalte mit mittlerem und geringerem Einkommen ganz überwiegend nur noch dadurch haben Wohnungseigentum bilden können, daß sie aus zweiter Hand Eigentumswohnungen und Eigenheime gekauft haben.
({7})
Die Beschränkung der Förderung auf zwei Drittel der Neubauförderung und auf 150 000 DM wird gerade in den Ballungsgebieten dazu führen, daß die breiten Schichten der Bevölkerung in Zukunft überhaupt keine Chance mehr haben, Eigentum zu bilden.
({8})
Mir scheint, darin ist gerade Ihr Vorschlag in hohem Maße unsozial.
({9})
- Weil ich nur noch zwei Minuten Redezeit habe, kann ich leider keine Zwischenfrage mehr zulassen.
Meine Damen und Herren, hören Sie hier bitte gut zu: Aus diesem Grunde hat sich z. B. der Deutsche Städtetag mit den Stimmen der Vertreter aller Parteien ausdrücklich für die Gleichstellung der Förderung von Neubau und Erwerb ausgesprochen.
({10})
Wie schon gesagt: Das Gute an Ihrem Entwurf ist nicht neu, und das Neue ist nicht gut. Wir werden das Gute an Ihrem Entwurf und vor allem am Gesetzentwurf der Bundesregierung in den Ausschußberatungen fortentwickeln.
Herzlichen Dank.
({11})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2404 zu überweisen zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Ausschuß für Wirtschaft, an den
Ausschuß für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau sowie an den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Damit ist die Überweisung so beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 17. April 1985, 13 Uhr ein.
Ich wünsche Ihnen eine hoffentlich angenehme Osterpause.
Die Sitzung ist geschlossen.