Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
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Meine Damen und Herren, am 10. März dieses Jahres verstarb nach schwerer Krankheit im Alter von 73 Jahren der sowjetische Staats- und Parteichef, Konstantin Ustinowitsch Tschernenko. Er war erst am 13. Februar 1984 als Nachfolger Jurij Andropows zum Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei und am 4. März 1984 als Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet auch zum Staatsoberhaupt der Sowjetunion gewählt worden. Noch in den letzten Wochen vor seinem Tode wuchsen neue, mit seinem Namen verbundene Hoffnungen im Blick auf den bevorstehenden Beginn von Rüstungskontrollgesprächen, die zwischen der Sowjetunion und den USA vereinbart wurden.
Im Namen des Deutschen Bundestages habe ich dem Präsidium und den Mitgliedern des Unionsrates und des Nationalitätenrates des Obersten Sowjet sowie dem Volke der Sowjetunion Beileid und Anteilnahme ausgesprochen.
Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
Meine Damen und Herren, am 7. März hat der Abgeordnete Josef Ertl seinen 60. Geburtstag, und am 10. März hat der Abgeordnete Liedtke ebenfalls seinen 60. Geburtstag gefeiert. Ich darf beiden Kollegen namens des Hauses meine besten Glückwünsche übermitteln.
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Am 2. März hat der Abgeordnete Dr. Gert Jannsen auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als seine Nachfolgerin hat am gleichen Tage die Abgeordnete Frau Dann die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich begrüße die neue Kollegin in unserem Hause und wünsche gute Zusammenarbeit.
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Ferner darf ich mitteilen, daß die Fraktion DIE GRÜNEN ihr Verlangen auf Beratung des Berichts gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zur Umweltgefährdung durch polychlorierte Biphenyle Punkt 11 der Tagesordnung - zurückgezogen hat. Damit entfällt Punkt 11 der Tagesordnung.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung um die Beratung des Antrages der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP betreffend die Weltfrauenkonferenz in Nairobi auf der Drucksache 10/3021 erweitert werden. Dieser Zusatzpunkt soll zusammen mit Punkt 12 der Tagesordnung aufgerufen werden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; dann ist es so beschlossen.
Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften ({3})
- Drucksache 10/2888 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Rechtsausschuß ({4})
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß gemäß § 96 GO
Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind für die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache und erteile dem Herrn Bundesminister der Justiz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der heute in erster Lesung zu behandelnde Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften behandelt einen sowohl rechtlich als auch menschlich schwierigen Bereich. Verständlich ist deswegen das hohe Engagement in der Sache; unverständlich und dem Anliegen nur schadend sind falsche Emotionen, unrichtige Darstellungen und bloße Polemik. Dieser Gesetzentwurf verdient und braucht eine ruhige und sachgerechte Betrachtung.
Worum geht es? Die Reform von 1977 hat grundlegende Änderungen im Scheidungs- und Schei9242
dungsfolgenrecht bewirkt: weg vom Verschuldensprinzip, hin zum Zerrüttungsprinzip. Das war gut so und hat sich im Grundsatz bewährt. Daran wird auch in Zukunft nichts geändert.
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Trotzdem dürfen wir die Augen vor einer für manche sicher unbequemen Erkenntnis nicht verschließen: Die Reform von 1977 hat in Einzelfällen keine befriedigenden Ergebnisse gebracht,
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weil das Zerrüttungsprinzip zu starr und zu schematisch in den Bereich des Unterhaltsrechts nach der Scheidung übertragen wurde. Das hat zu Unterhaltsentscheidungen geführt, die dem Gerechtigkeitsempfinden vieler Betroffener widersprachen und die selbst Einsichtige nicht mehr verstanden. Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Zeidler, hat dazu festgestellt, das Scheidungsfolgenrecht habe weithin das Rechtsgefühl in der Bevölkerung nicht befriedigt.
Zwei Bestimmungen des materiellen Rechts hat das Bundesverfassungsgericht als nicht verfassungskonform beanstandet. Die Koalitionsvereinbarung hat sich deshalb neben der Erfüllung dieser Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vor allem mehr Einzelfallgerechtigkeit zum Ziel gesetzt, und darum geht es bei den vorgeschlagenen Regelungen.
Dem Verantwortungsprinzip soll die ihm zukommende Geltung verschafft werden. Durch Auflockerung der bisherigen starren Grenzen soll eine angemessene Berücksichtigung der Besonderheiten des Einzelfalles ermöglicht werden. Es sollen vor allem Auswüchse abgebaut werden, Auswüchse in der Form von eindeutig ungerechtfertigten Vorteilen und Privilegien, die das geltende Recht dem unterhaltsberechtigten Teil bietet.
Die Verwirklichung dieser Ziele ist notwendig, sie ist maßvoll, und sie ist auch gerecht.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Schoppe?
Ich bedaure, Herr Präsident. Ich muß mit meinen acht Minuten sorgsam verfahren.
An dem Entwurf ist Kritik geübt worden. Mir ist natürlich bekannt, daß es bei Frauen, auch bei Frauen innerhalb meiner eigenen Partei, zum Teil Vorbehalte gegen die im Gesetzentwurf vorgeschlagenen Regelungen insbesondere beim Arbeitslosenunterhalt und bei der Bemessung des Unterhaltes gibt.
Ich glaube allerdings, daß hier vielfach Forderungen erhoben werden, die der Gesetzentwurf bereits erfüllt. Manches wird man noch deutlicher formulieren können. Ich sage hier mit großer Klarheit: Wenn sich bei den Beratungen ergeben sollte, daß das, was wir genau nicht wollten, auch nur die Gefahr beinhaltet, dort aufzuscheinen, wird die Koalition und wird die Bundesregierung sofort darangehen, dies mit der notwendigen Klarheit im Gesetz zum Ausdruck zu bringen.
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Wir meinen, daß dort alles klar steht, aber das übrige werden die weiteren Beratungen zeigen.
Ich stelle mich der Kritik. Konstruktive Kritik ist nützlich, die Demagogie allerdings ist nur destruktiv.
Eine in diesem Sinne konstruktive Kritik habe ich allerdings nicht bei allen Gegnern des Vorhabens feststellen können. Das gilt insbesondere für den von der Opposition lautstark verbreiteten Vorwurf, hier finde eine Rückkehr zum Verschuldensprinzip statt,
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die vorgeschlagenen Änderungen seien frauen-, familien- und kinderfeindlich.
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Wenn man die Dinge entgegen dem Gesetzestext auf den Kopf stellt und entgegen eigener Erkenntnis das Gegenteil dessen, was man selbst lesen kann, behauptet, so nenne ich das eine gezielte Verunsicherung breitester Bevölkerungskreise und bodenlos destruktive Kritik.
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Die Behauptung, die Änderungen seinen frauen-, familien- und kinderfeindlich, ist unrichtig. Keine Frau, die wegen der Ehe ihren Beruf aufgegeben hat, um sich voll dem Haushalt und der Kindererziehung zu widmen, muß um ihren Unterhaltsanspruch bangen.
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Mit den Vorschriften über eine Anrechenbarkeit von Kinderbetreuungszeiten hat die Bundesregierung die Gewähr dafür geschaffen, daß gerade Frauen, die jahrelang den Haushalt geführt haben, von den Neuregelungen überhaupt nicht betroffen werden.
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Ebensowenig wird der Ausgleich sonstiger ehebedingter Nachteile im Vergleich zum geltenden Recht verändert.
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Eine völlige Ausklammerung jedes noch so schwerwiegenden Fehlverhaltens beim Unterhaltsrecht sieht aber auch schon das geltende Recht nicht vor. Sie wäre im übrigen sogar verfassungswidrig. Dies hat das Bundesverfassungsgericht klar entschieden.
Es gibt neben der Kritik auch positive Stellungnahmen. So darf ich etwa an die Stellungnahme des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland erinnern. Der Rat der Evangelischen Kirche betont, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung keine Rückkehr zum Schuldprinzip beinhalte. Er erhebt unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls keine Bedenken gegen den Entwurf, und er begrüßt den Ansatz, das Risiko des Arbeitsplatzmangels in der Gesellschaft nicht einseitig beim Unterhaltsverpflichteten zu belassen.
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Jeder, der nicht nur in akademischen Zirkeln debattiert, sondern die Diskussion unmittelbar vor Ort verfolgt, weiß im übrigen, daß die überwältigende Zahl unserer Mitbürger den Entwurf und seine Ziele positiv beurteilen.
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Ich bin - das will ich noch einmal betonen - selbstverständlich bereit, an einer weiteren Verbesserung des Gesetzentwurfs, wo es sich als notwendig erweisen sollte, mitzuwirken, die seine Ziele noch deutlicher zur Geltung bringen.
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Dazu wird ein in Vorbereitung befindliches Hearing im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages reichlich Gelegenheit geben.
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Die Bundesregierung hat im übrigen bereits deutlich gemacht, daß sie bei der Übergangsregelung im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens selber noch eine stärkere Konkretisierung des Vertrauensschutzes des Unterhaltsberechtigten anstrebt.
Ich lasse aber keinerlei Zweifel daran aufkommen, daß die Bundesregierung
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das Anliegen der Neuregelung unbeirrt weiter verfolgen und in den Beratungen und in der anschließenden Abstimmung zu einem guten und richtigen Ende bringen wird, um das Ziel zu verwirklichen, Mißbräuchen zu wehren und im Einzelfall wieder mehr Gerechtigkeit zu schaffen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Stiegler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesjustizminister hat gleich am frühen Morgen mit einer Legende begonnen und erzählt, daß es einen breiten Konsens darüber gebe, daß an dem von der sozialliberalen Koalition geschaffenen Scheidungsfolgenrecht etwas geändert werden müsse. In Wirklichkeit ist es so, daß die
FDP bis zur Wende exakt der Auffassung war, daß nichts zu ändern ist, und daß man dann der Altherrenriege der CDU zum Opfer gefallen ist und sich gestreckt hat.
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Das ist die historische Wahrheit. Die Wahrheit ist auch, daß der Herr Justizminister versucht, jetzt in Abwehr der Kritik aus seiner eigenen Partei aus diesem giftigen Gesetz ein Placebo zu machen. Es wäre schön, wenn es ein Placebo wäre, aber in Wirklichkeit ist dieses Gesetz ein weiter Salto rückwärts, und wir Sozialdemokraten sind uns hier in der Beurteilung mit den Frauen in der Freien Demokratischen Partei ebenso einig wie mit Äußerungen, die aus der Frauenriege der Union kommen.
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- Da täusche ich mich nicht. Herr Minister, es ist Ihr Wunschdenken, daß es anders wäre. In Wirklichkeit haben sich hier diejenigen durchgesetzt, die ihre rechtspolitischen Tatsachenerkenntnisse am Stammtisch und nicht im Rahmen der Rechtstatsachenforschung holen.
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Meine Damen und Herren, der Justizminister sagt, ihm gehe es um Einzelfallgerechtigkeit. Wer die bisherige Rechtsprechung verfolgt, der weiß, daß vom Familiengericht über die Oberlandesgerichte, den BGH und das Bundesverfassungsgericht bisher alle Fälle im Rahmen des geltenden Rechts geregelt werden konnten. Die zwei kleinen Petitessen, die hier als Nachbesserungsauftrag gegeben worden sind, rechtfertigen in keiner Weise, das gesamte Gebäude umzubauen. Wenn ich mich, Herr Minister, an die Antwort der Bundesregierung auf unsere Anfrage zu den Rechtstatsachenforschungen, auf welche Sie sich stützen, erinnere, dann muß ich feststellen: Fehlanzeige; Sie haben keine Akten ausgewertet, Sie haben vielleicht ein paar Illustriertenberichte, die irgendwie aufgemotzt worden sind, als Grundlage für rechtspolitische Entscheidungen genommen.
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Gerade da ich von Ihrer Seite in anderen Bereichen immer wieder höre, daß jedes Gesetz auf den Prüfstand muß, ob man es braucht, müssen Sie sich fragen lassen, warum Sie dieses Prinzip, das Sie in anderen Fällen, vor allem in Sozialgesetzen, immer wieder lautstark verkünden, hier mißachtet haben.
Meine Damen und Herren, dieses Recht, das Sie den Frauen und den wirtschaftlich Schwächeren aufoktroyieren wollen, ist nichts anderes als die Rückkehr zum Vorrecht des wirtschaftlich Stärkeren,
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das vor dem Inkrafttreten des Scheidungsfolgenrechts gegolten hat. - Herr Sauter, jetzt streiten
Sie nicht mit den Frauen, sondern hören Sie zu,
damit Sie vielleicht auch noch die Chance zur Bekehrung haben!
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Wir hatten beim alten Recht ein klares Vorrecht des wirtschaftlich Stärkeren; die Männer konnten sich leisten, was sie wollten, und die Frauen konnten sich als wirtschaftlich Schwächere im Grunde nur anpassen. Dieses Vorrecht des wirtschaftlich Stärkeren ist durch die Reform korrigiert worden, und Sie kehren jetzt zum alten Zustand zurück. Sie legen den Frauen das Arbeitsmarktrisiko auf - die Frauen sind ganz überwiegend die wirtschaftlich Schwächeren -, Sie legen den Frauen das Lebensstandardrisiko auf, und zwar ohne daß hier Verhaltenselemente eine Rolle spielen, sondern das geschieht mit der vagen Klausel der Billigkeit, in die man alles hineinlegen und aus der man alles herausholen kann. Es wird sich schließlich erweisen, daß vor allem wieder die Frauen das volle Risiko dieser Auseinandersetzung zu tragen haben. Offensichtlich leitet die Herrenriege der Union ihre Ehevorstellungen von Khomeini und anderen ab.
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Sie wollen wieder Zustände haben, bei denen klar ist, wer Herr im Hause ist.
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Ferner weiten Sie, Herr Minister, die Härteklausel vollständig unnötig aus. Das, was Sie erreichen werden, ist nicht die Möglichkeit zu größerer Gerechtigkeit. Vielmehr werden Berge schmutziger Wäsche gewaschen. Die Chance für eine kreative Scheidung wird vertan.
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- Für eine kreative Scheidung. - Da sieht man direkt den Stammtischschaum aus Ihrem Munde kommen.
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Es wird wieder gestritten werden, und hinterher werden die Kinder die Leidtragenden sein, weil die früheren Ehepartner im Streit, und zwar im schmutzigen Streit, auseinandergehen. Ich kann mich noch gut an meine Referendarzeit erinnern, an solche Schmutzakten - so muß man schon sagen -, wie sie es früher gegeben hat. Dort wollen Sie wieder hin.
Nein, dieses Unterhaltsrecht ist kein Gnadenerweis. Der wirtschaftlich Schwächere bekommt den Unterhalt nicht als Gnade, sondern deshalb, weil er im Interesse der ehelichen Lebensgemeinschaft die Chance zur wirtschaftlichen Selbständigkeit ausgeschlagen hat. Das darf ihm nicht so entlohnt werden, wie es die Koalition will.
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Es stimmt auch nicht, daß keine Rückkehr zum Verschuldensprinzip geplant ist. Wer zwar formal das Zerrüttungsprinzip bei der Scheidung aufrechterhält, den wirtschaftlich Schwächeren nach der Scheidung aber materiell weit hinter das früher geltende Recht zurückwirft, führt über den Umweg der materiellen Schlechterstellung wieder das Verschuldensprinzip in das Scheidungsrecht ein. Der wirtschaftliche Stärkere wird sich scheiden, wird sich alles erlauben können, während sich der wirtschaftlich Schwächere wieder anpassen und das Ganze tragen muß.
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Meine Damen und Herren, Sie setzen bei der Reform völlig falsch an. Die wahren Probleme im Scheidungsrecht liegen nicht auf dem Gebiet, das die Koalition jetzt neu regeln will, sondern sie sind darin begründet, daß es keine Arbeitsmarktpolitik für Frauen gibt.
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Die wahren Probleme sind darin begründet, daß im Steuerrecht nichts getan wird, um denen, die Unterhalt zahlen müssen, die Lasten zu erleichtern. Sie machen jetzt ein Steuerreformprogramm, denken an alle möglichen Großverdiener, aber an diejenigen Klein- und Mittelverdiener, die die Masse der Scheidungsfälle ausmachen und die dringend eine steuerliche Entlastung bräuchten, denkt auf Ihrer Seite keiner. Hier läge der Ansatzpunkt einer Reform.
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- Wir haben früher daran gedacht und haben das Realsplitting eingeführt. Es ist höchste Zeit, dieses Realsplitting auszuweiten
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und den Zustand zu beenden, der darin besteht, daß der Staat bei Scheidungen, wo das Familieneinkommen eh zurückgeht, auch noch am stärksten zugreift bei denen, die ohnehin nicht wissen, wie sie die Lasten tragen sollen.
Nein, mit dieser Reform wird an der verkehrten Stelle angesetzt. Diese Reform ist frauenfeindlich, sie ist kinderfeindlich, sie ist familienfeindlich. Es kommt ja nicht von ungefähr, daß der Bundesjustizminister vom Richterbund über den Anwaltverein bis hin zu den Kirchen nur schlechte Noten oder, wie unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender immer sagt, Ohrfeigen bekommen hat. Da klingen ihm die Ohren so, daß er Argumente überhaupt nicht mehr hören will.
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Wir hoffen, daß der FDP-Parteitag einiges an Umdenken gebracht hat. Wir hoffen darauf, daß Sie sich den wirklichen Problemen zuwenden. Wir hoffen, daß Sie nicht deshalb auf dem Justamentstandpunkt beharren, weil Sie dem Koalitionspartner, d. h. der Altherrenriege der CDU/CSU etwas versprochen haben. Sie haben sich zwar lange gewehrt, sind aber letztlich doch umgefallen. Wir hoffen aber, daß Sie im Bereich des Ehe- und Familienrechts einer vernünftigen Politik verpflichtet bleiben.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Sauter ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde an sich gern auf das eingehen, was der Herr Kollege Stiegler soeben von sich gegeben hat.
({0})
Da er aber zu einem Gesetzentwurf gesprochen hat, der dem Deutschen Bundestag zur Beratung nicht vorliegt, und ich den Text nicht kenne, an den er sich bei der Vorbereitung seiner Rede gehalten hat, kann ich dies leider nicht tun.
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Noch einmal: Das, was Sie hier vorgetragen haben, steht zur Beratung im Parlament nicht an.
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Eine Änderung des derzeitigen Ehescheidungsfolgenrechts, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist in einzelnen Punkten deshalb notwendig geworden, weil die im Jahre 1977 verabschiedete Regelung zu einigen Ungerechtigkeiten geführt hat, die wir nicht länger hinnehmen wollen. Zum wiederholten Male zeigt es sich, daß das meiste von dem, was in SPD-Zeiten verabschiedet worden und Gesetz geworden ist, auf die Dauer nicht tragfähig ist und die im Jahre 1982 vollzogene Ablösung der SPD-geführten Bundesregierung deshalb notwendig und zuletzt auch überfällig war.
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Wir sind im Moment dabei, Korrekturen an unsinnigen Gesetzen anzubringen und damit den Rechtsfrieden innerhalb der Bevölkerung wiederherzustellen und der Bevölkerung neues Vertrauen in diesen Staat, in seine Regierung und in dessen verantwortliche Politiker zu geben. Es bleibt zu hoffen, daß eine vernünftige und vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit den von der Bundesregierung eingebrachten und von den Koalitionsfraktionen gebilligten Vorschlägen möglich sein wird. Ungeachtet dessen, was der Kollege Stiegler soeben von sich gegeben hat, habe ich die Hoffnung, daß sich hier doch noch einiges tun wird. Es wäre in diesem Zusammenhang allerdings erforderlich, daß manches von dem, was in den letzten Wochen an Hysterie geschürt und an Demagogie inszeniert worden ist, nunmehr eingestellt wird und wir zu einer vernünftigen Auseinandersetzung untereinander zurückkehren.
In diesem Zusammenhang sage ich noch einmal: Es ist unverantwortlich, innerhalb der Bevölkerung mit Horrormeldungen aus interessierten Kreisen Verunsicherung zu schaffen und insbesondere auf Dinge zurückzugreifen, die mit dem tatsächlichen Inhalt des hier zu beratenden Gesetzes nichts, aber auch gar nichts zu tun haben. Diejenigen, die das tun, meine sehr verehrten Damen und Herren, müssen sich vorwerfen lassen, daß Sie die Auseinandersetzung heuchlerisch und unwahrhaftig führen. Diesen Vorwurf kann ich denjenigen leider nicht ersparen.
Um das zu beurteilen, was jetzt an Änderungen ansteht - in diesem Zusammenhang muß auch auf die von Kollegen der SPD behauptete angebliche Frauenfreundlichkeit des Entwurfs eingegangen werden -, muß daran erinnert werden, daß Sie von der SPD es waren, die im Jahre 1977 im Rahmen des Scheidungsfolgenrechts als Grundregel einführen wollten, daß nach der Scheidung jeder für sich selbst zu sorgen hat.
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Das ist von Ihnen damals in den Raum gestellt worden. Das war die SPD; das war der damalige Justizminister der SPD, meine sehr verehrten Damen und Herren, der das betrieben hat.
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Wir von der Union haben damals verlangt, daß insbesondere die Frauen vor einem ideologisch überhöhten und einem rigoros angewandten Zerrüttungsprinzip geschützt werden.
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Wir von der Union, meine sehr verehrten Damen und Herren - und nicht die SPD -, waren es, die damals durchgesetzt haben, daß gerade die nichterwerbstätigen Frauen und Mütter von Kindern durch ein dichtes Netz von Unterhaltsansprüchen abgesichert werden.
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Das haben die Mütter, von denen Sie reden, nun auch nicht im geringsten der SPD zu verdanken, die damals in ganz anderen Sphären geschwebt hat und dies heute offensichtlich nicht mehr wahrhaben möchte.
Wir, meine sehr verehrten Damen und Herren, können nicht hinnehmen, daß die SPD heute scheinheilig beklagt, daß für Ausnahmefälle - ich betone hier nochmals: für Ausnahmefälle - Änderungen des derzeitig geltenden Rechts im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit vorgeschlagen werden. Ich kann Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, nur bitten, mit etwas mehr Sachkunde an unsere Vorschläge heranzugehen und nicht weiter in die beliebte demagogische Trickkiste zu greifen.
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- Herr Emmerlich, wir können das im Ausschuß noch miteinander ausmachen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, dazu gehört auch, daß endlich das törichte Gerede von der angeblichen Frauenfeindlichkeit unseres Vorschlags aufhört.
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Sauter ({11})
Auch die falsche Behauptung, wonach durch das neue Ehescheidungsfolgenrecht das Schuldprinzip durch die Hintertür wieder eingeführt wird, gewinnt durch ständige Wiederholungen nichts an Wahrheitsgehalt. Deshalb ist es an der Zeit, auch dies dem Papierkorb zu übergeben.
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Von einer Diskriminierung der Frau durch das neue Gesetz kann unter keinen Umständen die Rede sein. Leistungen werden in Zukunft dann begrenzt werden können, wenn sie grob unbillig, also ungerecht wären. Es ist nicht einzusehen, warum dem Berechtigten eine Leistung zuteil werden soll, die ihm nach unser aller Überzeugung nicht zusteht.
So gesehen führt die mögliche Begrenzung von Unterhaltsleistungen nicht zu einer Diskriminierung des Berechtigten, sondern hebt vielmehr die bisherige Diskrimierung der Verpflichteten auf. Vielleicht sind Sie bereit, auch einmal daran zu denken.
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- Frau Kollegin Däubler-Gmelin, wenn Sie das einmal rechtsdogmatisch und auch verfassungsrechtlich betrachten, werden Sie dem Satz zustimmen, den ich Ihnen jetzt sage: Eine konsequente Übertragung des Zerrüttungsprinzips auf das Unterhaltsrecht würde im übrigen dazu führen, daß in Zukunft jeder Ehegatte nach der Scheidung für sich selbst zu sorgen hätte. Da schließt sich der Kreis dessen, was Sie vorher glaubten, so wild bestreiten zu sollen.
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- Es brächte mit sich, daß Unterhaltsansprüche nur noch ausnahmsweise und zeitlich begrenzt gewährt werden könnten. Sie wissen alle, daß gerade wir von der Union das nicht wollen.
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Aus diesem Grund sind alle Unterstellungen, die im Zusammenhang damit gemacht werden, übelste Stimmungsmache, unfair und unseriös.
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Lassen Sie uns also den Nebel von Vorurteilen, Schlagworten und Unwissenheit lüften und einen unvoreingenommenen Blick auf die wichtigsten Bestimmungen des Regierungsvorschlags werfen.
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- Frau Kollegin, wenn Sie so weitermachen, dann geht Ihnen gleich die Stimme aus, dann haben Sie nachher keine Stimme mehr.
Ich komme zunächst zur Begrenzung von Unterhaltsansprüchen. Eine zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs wird in Zukunft bei Nichterlangung einer angemessenen - ({18})
- Herr Präsident, bekomme ich ein bißchen mehr Redezeit? Ich tue mich schwer, weil ständig die Kollegen wenigsten von der Stimme her etwas -
Herr Kollege, Sie haben eine so kräftige Stimme, daß Sie das selbst übertönen werden.
Ich stelle fest: Der Herr Präsident gibt mir nicht mehr Redezeit.
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- Ich kann noch lauter, wenn es sein muß. Ich gebe euch keine Chance auf diesem Gebiet.
Ich erwähne erstens die Begrenzung von Unterhaltsansprüchen.
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- Herr Stiegler, auch die Falschheit macht es nicht - damit wir uns da richtig verstehen.
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Eine zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs wird in Zukunft bei Nichterlangung einer angemessenen Erwerbstätigkeit und beim sogenannten Aufstockungsunterhalt möglich sein. Ich sage noch einmal, und zwar in Stichworten, weil mir auf Grund unserer stattfindenden internen Gespräche die Zeit davonläuft: Dies wird in Zukunft in Ausnahmefällen so sein.
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- Ihr habt die Zeit schon hinter euch; das unterscheidet uns.
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Dies wird in Zukunft nur in Ausnahmefällen so sein. Ich betone: Es wird nicht der Fall sein bei Unterhaltsleistungen wegen Kindesbetreuung.
Ich darf in diesem Zusammenhang an die §§ 1573 und 1578 BGB in der jetzt vorgeschlagenen Fassung erinnern. Dort ist vorgesehen, daß die Zeiten der Kindeserziehung auch nach der Scheidung der Zeit der Dauer der Ehe gleichgestellt werden. Das bedeutet, daß beispielsweise bei einer zweijährigen Ehe, wenn nachher noch zehn Jahre lang Kinder erzogen wurden, von einer Ehedauer von 12 und nicht von zwei Jahren ausgegangen werden muß.
Keine Frau muß fürchten, meine sehr verehrten Damen und Herren, wegen der Zeiten der Kindeserziehung Nachteile im Scheidungsfolgenrecht zu erleiden. Deshalb sage ich: Dieser Entwurf schützt die Rechte der Frauen.
Es wird in Zukunft lediglich so sein, daß bei verhältnismäßig kurzen und, ich betone, kinderlosen
Sauter ({5})
Ehen sich unmittelbar nach der Scheidung der Verpflichtete und der Berechtigte Gedanken darüber machen müssen, wie es weitergeht.
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- Frau Matthäus-Maier, ich weiß nicht, ob Sie das so richtig sehen. Sie sollten vielleicht etwas mehr Tatsachenforschung betreiben.
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Es wird in einer solchen Situation in der Tat so sein, daß dann, wenn eine Ehe verhältnismäßig kurz gedauert hat, unmittelbar danach wohl jeder für sich selbst zu sorgen hat. Das halte ich, mit Verlaub gesagt, für sinnvoll, richtig und gerecht.
Wir werden in Zukunft die Möglichkeit der Unterhaltsversagung bei grober Unbilligkeit haben. Bei der groben Unbilligkeit haben wir etwas getan, was uns das Bundesverfassungsgericht zunächst abverlangt hat. Wir haben nämlich den § 1579 Abs. 2 BGB gestrichen, weil er für verfassungswidrig erklärt worden war.
Wir haben des weiteren in dem neuen § 1579 BGB dafür Sorge getragen, daß die Belange eines dem Berechtigten anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes auch in Zukunft bei der Abwägung berücksichtigt werden müssen.
Um noch auf den Wortlaut des § 1579 BGB, wie jetzt von uns vorgeschlagen, abzustellen, erinnere ich daran, daß das, was sich in der neuen Nr. 1 findet, die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist, und zwar wörtlich übereinstimmend,
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weil wir die Intention des BGH hier richtig erkannt haben - darin zeichnen Sie sich nicht aus, daß Sie die Zeichen der Zeit erkennen, Herr Stiegler -; deshalb haben wir von unserer Seite aus das schon hineingeschrieben, wovon wir glaubten, daß der Bundesgerichtshof es so ausgedrückt wissen wollte, und inzwischen hat er dies auch so ausgedrückt.
Ich weise in diesem Zusammenhang nochmals darauf hin, daß die Rechtsprechung des BGH zum Fehlverhalten, die nun in das Gesetz Eingang finden soll und finden wird, das Scheidungsfolgenrecht von 1977 ({9}) davor bewahrt hat, vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt zu werden. Eine Partei wie die SPD, während deren Regierungsverantwortung das Bundesverfassungsgericht über vierzigmal Normen für verfassungswidrig oder nichtig erklärt hat, sollte sich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genauer anschauen, als sie es bisher getan hat. Wenn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, ein ausschließlich am Zerrüttungsprinzip orientiertes Scheidungsfolgenrecht wollen, müssen Sie sich darüber im klaren sein, daß Sie dann ein verfassungswidriges Scheidungsfolgenrecht fordern.
Auf die übrigen Punkte des Regierungsentwurfs wird mein Kollege Buschbom eingehen.
Lassen Sie mich trotz der sich jetzt schon abzeichnenden hitzigen Debatte bitten, daß wir uns bemühen, die Beratungen, die nun zu erfolgen haben, sachlich und kooperativ zu führen.
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- Man muß immer fragen, wer eröffnet. Heute war der Herr Kollege Stiegler j a nicht von der zahmsten Sorte. Aber wir sind es bei ihm gewohnt.
Es ist für mich eine Selbstverständlichkeit, daß alle Änderungs- und Ergänzungsvorschläge von uns nochmals einer sorgfältigen Überprüfung unterzogen werden.
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Dies gilt auch für die Vorschläge, die aus der Gruppe der Frauen in der CDU/CSU kommen.
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Dies gilt auch für die Anhörung, die im Juni dieses Jahres stattfinden wird.
Oberste Richtschnur muß sein, daß künftig im Bereich des Scheidungsfolgenrechts mehr Einzelfallgerechtigkeit herbeigeführt wird, damit Scheidungen so abgewickelt werden können, daß möglichst wenig an Verbitterung zurückbleibt und daß von den Geschiedenen nicht ständig einer das Gefühl hat, ausgenutzt oder ausgebeutet zu werden.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat die Abgeordnete Frau Schoppe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, ich wollte Sie vorhin etwas fragen. Aber Sie brauchten die Zeit für Ihre Ausführungen. Jetzt mache ich einen neuen Versuch. Sie haben ja immer noch die Möglichkeit, Stellung zu nehmen. Es wird hier immer so viel von Einzelfällen und Einzelfallgerechtigkeit geredet. Nun haben nicht nur die GRÜNEN und die SPD, sondern auch viele andere Verbände sich immer bemüht, diese Einzelfälle, die man auch als Auswüchse bezeichnet, ans Tageslicht zu zerren. Es ist nichts dabei herausgekommen.
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Eine Bonner Journalistin hat einen Preis von 500 DM für denjenigen ausgesetzt, der nun diesen bedeutenden Einzelfall einmal vortrüge. Es geisterte immer eine Geschichte von einer Krankenschwester herum, die von einem Chefarzt geehelicht wurde und nach kurzer Ehe offenbar mit dem Geld ihres Verflossenen in großem Reichtum den Rest ihres Lebens fristen solle. Das ist aber auch die einzige Geschichte gewesen.
Nun will ich nicht behaupten, daß es nicht zum Teil solche Einzelfälle gibt, von denen man sagen kann: Das ist nicht in Ordnung. Aber das ist doch gar nicht das Problem bei Scheidung. Man muß sehen, daß man mit Gesetzen eigentlich wenig in das eingreifen kann, was nach der Scheidung wirklich passiert. Wenn wir uns nur angucken, daß das
Durchschnittseinkommen bei uns in der Bundesrepublik so bei 2 000 DM netto liegt, kann man sich vorstellen, was nach der Scheidung passiert. Da wird nämlich nur der Mangel aufgeteilt, und beide Seiten leben in einem Mangel. Natürlich fällt es einem Mann schwer, der seine Frau und die Liebe verloren hat, hinterher noch zahlen zu müssen. Das ist natürlich eine schwierige Situation. Das sehen wir ein.
Aber man muß doch auch sehen, was sich bei den Frauen abspielt. Geschiedene Frauen mit Kindern sind diejenigen, die wirklich in Armut und an der Armutsgrenze leben. Das sind die Tausende von Einzelfällen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Über diese Einzelfälle ist hier bisher noch nicht geredet worden.
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Es gibt eine ältere Untersuchung des MaxPlanck-Instituts - die ist von 1978/79 -, die besagt, daß ungefähr nur 29 % der Frauen, die sich scheiden lassen, auch unterhaltsberechtigt sind, und zu dem Ergebnis kommt, daß der Durchschnittsunterhalt dieser Frauen bei 420 DM liegt und für die Kinder der Unterhalt durchschnittlich 185 DM beträgt. Das sind nun tatsächlich Zahlen, die aussagen, wie es diesen Frauen wirklich geht.
Dann möchte ich auch einmal wissen, mit welchen Praktikern Sie sich auseinandergesetzt haben, bei wem Sie eigentlich nachgefragt haben, wie sich das jetzt bestehende Eherecht bewährt hat. Die Praktiker, mit denen wir in Kontakt getreten sind, und alle die Verbände, über die man auch durch die bemerkenswerte Serie „Alle zwei Stunden eine Ohrfeige für Herrn Engelhard", die der Herr Emmerlich herausgegeben hat, hörte, haben etwas ganz anderes gesagt. Also, Praktiker sagen: Das Eherecht hat sich bewährt.
Kommen wir nun zum Zerrüttungsprinzip: Das Zerrüttungsprinzip hat, als es damals eingeführt wurde, ein bißchen das Tor auch für das Verschuldensprinzip geöffnet. Das muß man sehen, und das weiß man auch von den Praktikern. Was jetzt allerdings gemacht wird, läßt das Schuldprinzip voll wieder eingreifen. Da muß man sich nun vorstellen: Die Frauen, die überhaupt noch Unterhalt haben wollen, müssen nicht nur Wohlverhalten während der Ehe an den Tag legen, die müssen sich auch noch nach der Ehe wohlverhalten. Das heißt, an sich muß eine Frau, die aus der Ehe herausgeht, den Keuschheitsgürtel anlegen und irgendwo in der Ecke verschwinden, damit bloß nichts passiert. Sonst verliert sie den Unterhalt. Und die Gelackmeierten sind die Kinder.
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Ich frage Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU: Wie kommen Sie eigentlich dazu, Leitlinien für die Gleichberechtigung der Frau herauszugeben?
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Verbalradikalismus allein reicht doch nicht. Ich
empfehle Ihnen, zu den Leitlinien, die Sie herausgeben, einen kleinen Anhang zu machen. Vorne haben Sie geschrieben, bis zum Jahre 2000 solle es mit der Gleichstellung von Mann und Frau so ungefähr hinhauen. Ich empfehle Ihnen also, einen kleinen Anhang zu machen und dort alle Fälle aufzuzählen, wo Sie die Gleichberechtigung nicht einführen wollen:
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beim Rentenrecht nicht, hier bei der Scheidung auch nicht, im Erwerbsleben, wo die Frauen keine Chance haben, soll es auch nicht passieren. Wo soll es denn passieren?
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Ich lese hier: Im Lebensalltag soll es passieren. Was ist denn bei Ihnen der Lebensalltag?
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Nach den, wie ich meine, von rechtspolitischen Erkenntnissen kaum geprägten Ausführungen der Frau Vorrednerin möchte ich wieder zur Sache kommen.
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Ich glaube, Frau Kollegin Schoppe, was Sie hier gebracht haben, war reine Frauenhausideologie
({1})
und hatte mit den Dingen, mit denen wir uns seit vielen Jahren hier beschäftigen, überhaupt gar nichts zu tun. Das ist ja eine grundsätzliche politische Haltung Ihrer politischen Formation, so stramm an den Dingen vorbeizureden, daß die Leute gar nicht mehr erkennen, um was es wirklich geht.
({2})
Meine Damen und Herren, der vorliegende Gesetzentwurf - das hat ja die Reaktion der Beteiligten noch deutlicher gezeigt - ist mit Emotionen, Erwartungen und Vorurteilen befrachtet worden, die die Diskussion über die hier anstehenden Fragen wirklich zu überschatten drohen. Ich bin der Meinung, daß diese Entwicklung zu einer Verhärtung der Fronten geführt hat, die sich für beide Seiten - für die Unterhaltsverpflichteten, wie auch für die Unterhaltsberechtigten - letztlich nur negativ auswirken kann. Wir sollten wieder versuchen, zu einem sachlichen Dialog zurückzukommen und alle emotionalen Aspekte, die hier die Ausführungen der beiden Oppositionsredner geprägt haben, außen vor zu lassen.
Wir Liberalen jedenfalls sind nicht bereit, uns in die Reihe derjenigen einzuordnen, die aus wahltaktischen Erwägungen die eine oder andere Seite der Betroffenen auf ihren Schild heben wollen. Wir sind insbesondere auch nicht bereit, den von der SPD inszenierten Fortsetzungsroman über die angebliBeckmann
che Abschaffung des Zerrüttungsprinzips als sachlichen Diskussionsbeitrag anzusehen.
({3})
Herr Kollege Stiegler, was Sie uns hier erzählt haben - Frau Schoppe hat sich da, allerdings auf niedrigerem Niveau, angeschlossen -,
({4})
erinnert sehr stark an die berühmt-berüchtigten Fortsetzungsromane der Hedwig Courths-Mahler, die ja frühere Generationen zu Tränen gerührt haben.
({5})
Meine Damen und Herren, die verantwortlichen Rechtspolitiker - ich sage bewußt: die verantwortlichen! - der Koalition haben sich bemüht, die Forderungen nach mehr Einzelfallgerechtigkeit im Ehescheidungsfolgenrecht durch diesen Entwurf auszufüllen. Wir waren uns von vornherein darüber im klaren, daß die vorzunehmenden Änderungen nicht allein Wunschvorstellungen und nicht jedem denkbaren Einzelfall gerecht werden können. Es wird sowohl auf der Seite der Unterhaltsverpflichteten als auch auf der Seite der Unterhaltsberechtigten Enttäuschungen geben, ja geben müssen; denn der Gesetzgeber ist gerade in diesem Bereich nicht in der Lage, allen Windungen und Verwicklungen der verschiedensten menschlichen Einzelschicksale seinen Gesetzesstempel aufzudrücken. Das wollen wir Liberalen auch nicht. Letztlich gilt auch hier, daß wir neue rechtliche Regelungen nur am äußersten Notwendigen orientieren und den Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit der Bürger, der auch im Ehescheidungsfolgenrecht seine Bedeutung hat, wieder in den Vordergrund rücken wollen.
({6})
Diese Gewichtung entspricht auch genau den Grundsätzen, wie sie der Gesetzgeber im Jahre 1977 vor Augen hatte. Eine der Zielvorstellungen war ja gerade, daß jeder Ehepartner nach einer Scheidung für die weitere Gestaltung seiner Lebensverhältnisse grundsätzlich selbst verantwortlich sein sollte. Selbstbestimmung und Selbstverantwortung waren zwei grundsätzliche Ziele der damaligen Reform. Denjenigen - das sage ich an die Adresse der SPD-Kollegen -, die dies nicht mehr wahrhaben wollen, empfehle ich, sich einmal die alten Drucksachen und auch die alten Debattenprotokolle anzusehen. Dort ist nämlich übereinstimmend festgehalten, daß mit der damaligen Neuordnung nicht allgemein jede schicksalsbedingte Bedürftigkeit stets und auf Lebensdauer Grund dafür sein sollte, die Mitverantwortung des früheren Ehegatten auszulösen. Man war sich damals darüber einig, daß nur die aus der Ehe resultierende Bedürfnislage einen nachehelichen Solidaritätsbeitrag - und dies nur für die Zeit bis zur Aufnahme einer angemessenen Tätigkeit - hervorrufen sollte. Dabei ging man davon aus, daß der Ehepartner in den meisten Fällen eine Arbeit würde finden können. In den vergangenen Jahren ist jedoch deutlich geworden - das sage ich mit Bedauern -, daß sowohl die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt als auch die damit verbundene Verschlechterung der Einkommenssituation der Unterhaltsverpflichteten dazu geführt haben, daß sich diese Erwartungen des Gesetzgebers nicht voll erfüllt haben.
Diese Entwicklung hat zu einer Reihe von Unzulänglichkeiten und Härten geführt, die der Gesetzgeber so nicht gewollt hat. Der vorliegende Entwurf soll dazu beitragen, diese Härten abzubauen und eine dem Einzelfall gerecht werdende Entscheidung zu ermöglichen. Hierzu gehört auch, daß man den Gerichten die Möglichkeit einräumt, Unterhaltsansprüche zeitlich zu befristen. Dies heißt aber nicht, daß eine zeitliche Befristung von Unterhaltsansprüchen der Regelfall sein wird. Eine solche Entscheidung kann immer nur dann erfolgen, wenn die Befristung unter Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen konkreten Einzelfalles der Billigkeit entspricht. Erst wenn diese Hürde genommen ist, ist dem Richter die Möglichkeit eröffnet, eine zeitliche Befristung auszusprechen. Dies wird leider allzuoft bei der Bewertung dieses Gesetzesvorhabens übersehen.
Meine Damen und Herren, wir wollen mit der zeitlichen Befristung von Unterhaltsansprüchen den Gerichten eine dritte Möglichkeit eröffnen, die Ehescheidungsfolgen am Einzelfall zu orientieren. Bisher hatten die Gerichte lediglich die Möglichkeit, nach dem Prinzip „alles oder nichts" entweder den Unterhaltsanspruch ganz oder zum Teil auszuschließen oder aber den Verpflichteten zu lebenslangen Zahlungen zu verurteilen. Wir glauben, daß diese zusätzliche Möglichkeit ganz wesentlich dazu beitragen wird, den Unterhaltsverpflichteten wieder eine neue Zukunftsperspektive für die weitere Gestaltung ihres Lebens zu geben.
({7})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Matthäus-Maier.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt ein Sprichwort: „Viel Feind', viel Ehr"`, Herr Engelhard. Offensichtlich meinte der Herr Justizminister, ihm müsse wieder mehr Ehre zuteil werden und deswegen müsse er sich eine Menge Gegner schaffen; denn ansonsten ist vernünftig gar nicht zu erklären, warum er einen Entwurf vorlegt, der in den Fachkreisen querdurch verrissen wird.
({0})
Ob Kinderschutzbund, Juristinnenbund, Richter, Kirchen, Gewerkschaften, Frauenrat, Wohlfahrtsverbände - sie lehnen fast übereinstimmend diesen Entwurf ab. Ich glaube, man kann die Kritik folgendermaßen zusammenfassen: Der Gesetzentwurf ist überflüssig. Der Gesetzentwurf ist frauenfeindlich, er ist familienfeindlich, er verunsichert Richter und Betroffene, und er führt zur Wiedereinführung des Schuldprinzips. Nein, Herr Sauter, es handelt
sich nicht, um, wie Sie sagten, Korrekturen. Hier vollzieht sich die „Wende" auch im Unterhaltsfolgenrecht.
({1})
Was sind Ihre Gegenargumente? Erstens. Das Bundesverfassungsgericht verlange diese Änderung. - Sie wissen genau, daß es nicht richtig ist. Es handelt sich um zwei kleine Korrekturen, die wir mit Ihnen zu machen bereit sind. 95 % Ihres Gesetzentwurfes hat mit dem Bundesverfassungsgerichtsvotum überhaupt nichts zu tun.
({2})
Zweites Argument. Das Gesetz sei erforderlich, um zu mehr Einzelfallgerechtigkeit zu kommen; das haben wir gehört. Das unterstellt doch, als ob bisher nur Ungerechtigkeiten durch dieses Gesetz produziert worden sind. Sie kennen doch die Rechtstatsachen. Nur 3,5 % aller Entscheidungen gehen in die Berufung. Über 90 % aller Ehescheidungen sind sogar einverständlich abgewickelt worden. Eine gerichtliche Entscheidung über den Unterhaltsanspruch der Ehegatten erfolgt nur in etwa 3 % aller Ehescheidungsverfahren. Das heißt, die Masse dieser nach dem Gesetz getroffenen Entscheidungen geschieht, ohne daß es zu irgendwelchen größeren Problemen kommt.
({3})
Es gibt in der Tat Klagen einzelner - die kenne ich auch -, Klagen insbesondere gut verdienender Männer, die ihre Klage übrigens sehr viel lautstärker vorbringen können als die Masse der Frauen, die Probleme hat.
({4})
Die sagen, sie müßten zahlen, obwohl ihnen die Frau weggelaufen sei, die Kinder habe sie mitgenommen, faul sei sie auch, sie wolle nicht arbeiten, obwohl sie genug Arbeitsplätze auf dem freien Markt hätte.
Meine Damen und Herren, ich halte es für verständlich, daß niemand gern für jemanden zahlt, den er nicht mehr liebt oder von dem er nicht mehr geliebt wird. Das ist klar, das können wir auch hier nicht lösen. Nur, haben Sie in diesen Fällen mal den anderen Teil gefragt? Hatten Sie die Chance, mit der Frau zu sprechen, die angeblich weggelaufen ist? Warum ist sie weggelaufen, wenn sie überhaupt „weggelaufen" ist?
({5})
Wie war das mit der Kindererziehung? Ist sie wirklich faul? Findet sie denn überhaupt einen Arbeitsplatz? Diese Fragen spielen für Sie alle keine Rolle. Nein, meine Damen und Herren, für die schwierigen Fälle gibt es längst Ausweichmöglichkeiten. Der Bundesgerichtshof hat bei offensichtlichem einseitigem Fehlverhalten die Möglichkeiten entwickelt, Einschränkungen vorzunehmen. Wir brauchen das Gesetz nicht.
Nehmen wir auch an, daß es Einzelfälle gibt, in denen Familienrichter falsch entschieden haben. Es gibt Fälle, die auch mir vorgetragen werden, wo ich dieses Gefühl habe. Wir können doch aber nicht, weil einzelne Entscheidungen falsch sind, ganze Gesetze ändern. Das tun wir doch in anderen Rechtsbereichen auch nicht.
Nein, meine Damen und Herren, was uns hieran ärgert, ist, daß Sie allein abstellen auf die einigen wenigen tatsächlich vorhandenen Klagen, lautstark von in der Regel gut verdienenden Ehemännern vorgetragen, aber überhaupt nicht abstellen auf die Masse des Unrechts und des Elends gerade von geschiedenen Familienfrauen. Barbelies Wiegmann hat für den Verband der alleinstehenden Mütter dieses dargelegt. Die Mehrzahl der geschiedenen Familienfrauen kann aus wirtschaftlichen Gründen Unterhaltsansprüche überhaupt nicht realisieren. 74 % aller geschiedenen Mütter sind doch bereits wieder erwerbstätig. Der durchschnittliche Unterhalt beträgt 420 DM. Ein Drittel dieser Mütter erhält Sozialhilfe. Nein, wir meinen, es mag sein, daß der eine oder andere Fall aus der Sicht des Betroffenen ungerecht erscheint. Doch mit dem, was Sie hier vorschlagen, reißen Sie Ungerechtigkeiten an anderen Stellen auf, und zwar in der Regel zu Lasten der Frauen.
Ein drittes Argument: zu Zeiten hoher Arbeitslosigkeit könne man dem einen Partner nicht zumuten, den anderen unter Umständen lebenslang zu unterstützen; daher müsse der Unterhalt wegen Arbeitslosigkeit zeitlich begrenzt werden. Für mich persönlich ist das der Dreh- und Angelpunkt dieser Novelle, und der ist nun wirklich frauenfeindlich, Herr Engelhard. Sie haben in der Tat den jetzigen Entwurf gegenüber dem ursprünglichen Referentenentwurf abgemildert, gar kein Zweifel.
({6})
Nur, auch nach dem jetzigen Entwurf - Frau Wex und Frau Hellwig, Sie wissen es doch genauso gut wie ich - kann eine Mutter, die ihren Beruf aufgegeben hat und die Kinder erzogen hat, nach einer gewissen Zeit auf den Arbeitsmarkt verwiesen werden. Das mag vielleicht nicht so häufig sein, und Sie wollen das vielleicht auch gar nicht, das Gesetz läßt es aber nach seinem Wortlaut zu. Wir sagen, es geht nicht an, daß der wirtschaftlich Schwächere, nämlich die Frau, die ihre Berufstätigkeit zugunsten der Kinder aufgegeben hat, in die Arbeitslosigkeit und dann auf die Sozialhilfe gedrängt wird. Sie führen doch das Wort vom Wahlrecht der Frau im Munde, die sich auch den Kindern widmen soll. Ich kann Ihnen nur sagen, für die Frauen geht es seit der Wende stramm bergab. Sie haben doch schon die nichterwerbstätige Frau bei der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit benachteiligt. Das gleiche tun Sie hier.
Herr Engelhard, vielleicht denken Sie sich einmal nicht in den Kopf einer Frau, sondern den eines Mannes. Ich sage Ihnen das hier ganz persönlich, weil mich das, was Sie hier vortragen, sehr betroffen macht. Schauen Sie, ich bin 1976 in den Bundestag gekommen. 1978 kriegten wir unser erstes Baby und 1980 das zweite. 1979 hat mein Mann gesagt: „Das schaffen wir nicht, Mathematiker an der UniFrau Matthäus-Maier
versität und Abgeordnete und zwei kleine Kinder." Dann haben wir gemeinsam beschlossen, daß er eine sichere Stelle in der mathematischen Forschung kündigt. Nach Ihrem Grundgesetzentwurf ist es möglich, daß irgendwann einmal dieser Mann, der mir überhaupt erst die Abgeordnetentätigkeit ermöglicht, auf die Sozialhilfe verwiesen wird, denn bei dieser Arbeitsmarktlage könnte es sein, daß er, wenn wir uns trennen sollten, natürlich diesen Job nicht mehr wiederfindet, höchstens einen schlechter bezahlten.
Ich kann Ihnen sagen, als Liberale bin ich dafür, daß Menschen nicht von Staats wegen zusammengezwungen bleiben, wenn sie auseinander wollen.
({7})
Aber als Liberale bin ich auch dafür, daß nacheheliche Solidarität gilt, und das heißt, wenn jemand seine gesamte Lebensplanung verändert hat, und er hat sie als Mathematiker nicht für drei oder vier Jahre geändert, sondern für sein ganzes Leben - er könnte nie mehr Professor an der Uni werden -, dann habe ich als diejenige, die das Geld verdient, unter Umständen auch lebenslang die Pflicht, dafür zu sorgen, daß solche Partner nicht bei der Sozialhilfe landen.
({8})
Daß Sie das sehr wohl wissen, sieht man ja daran, daß Ihr Gesetzentwurf auf Seite 2 der Drucksache unten - unter „Kosten" - sagt:
Die vorgesehene Begrenzung der Unterhaltspflicht wird Mehrkosten bei der Sozialhilfe und bei der Arbeitslosenhilfe zur Folge haben.
Ich sage Ihnen: Bekämpfen Sie nicht die arbeitslosen Frauen, sondern bekämpfen Sie endlich die Arbeitslosigkeit, dann entstehen nicht diese Probleme!
Zusammenfassend will ich Ihnen sagen, wozu die SPD Sie auffordert:
Erstens. Ziehen Sie Ihren Entwurf zurück!
Zweitens. Lassen Sie uns zusammen die zwei nach dem Bundesverfassungsgericht notwendigen Korrekturen vornehmen!
Drittens. Verbessern Sie endlich die steuerliche Behandlung der Geschiedenen! Es war die alte Koalition, die das sogenannte Realsplitting eingeführt hat. Realsplitting heißt, daß der Unterhaltsverpflichtete bis zu dem Höchstbetrag von bisher 9 000 DM seine Unterhaltszahlungen absetzen kann und der andere sie versteuert. Warum bauen Sie in Ihre grandiose Steuerreform nicht ein, daß dieses Realsplitting angehoben wird? Dann haben Sie uns auf Ihrer Seite.
Viertens. Bekämpfen Sie endlich die Arbeitslosigkeit! Auch da haben Sie uns an Ihrer Seite. Denn je weniger Arbeitslose es gibt, um so geringer ist das Problem, daß der eine für den anderen sorgen muß, wenn er arbeitslos wird.
Fünftens. Lassen Sie endlich die Frauen zu ihrem Recht kommen! Hören Sie mit dem auf, was Sie seit der Wende zentimeterweise tun: Abbau von Frauenrechten, Einschränkung des Mutterschaftsurlaubsgeldes usw. usf.! Beginnen Sie, statt Frauentage auf Parteitagen einzurichten, Frau Wex
({9})
- das ist sicher ein Fortschritt ({10})
endlich mit Frauentagen in diesem Parlament, sorgen Sie dafür, daß Herr Engelhard diesen Gesetzentwurf zurückzieht, wenden Sie die Wende!
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Redezeit haben die anderen in Anspruch genommen; den letzten beißen die Hunde. Ich bitte um Verständnis dafür, daß ich nur über die Übergangsvorschriften hinweghetzen kann. Wir haben die Übergangsvorschriften in Art. 6; besondes wichtig sind die Nr. 1 und 2. Sie haben öffentliche Kritik erfahren.
Zum Regelungsbedarf: Im Blick auf die Anwendung neuer Rechtsvorschriften bedarf es einer Aussage dazu, wie sich das beabsichtigte neue Recht auf die bereits bestehenden Rechtsverhältnisse auswirkt. Die entsprechenden Regelungen finden sich in den zitierten Nr. 1 und 2 des vorgeschlagenen Art. 6.
Es ist die Absicht der CDU/CSU-Fraktion, in allen Unterhaltsfällen aus der Zeit nach dem 1. Juli 1977, dem Termin des Inkrafttretens des 1. Eherechtsreformgesetzes, die entweder auf verfassungswidriger Rechtsanwendung beruhen bzw. davon betroffen sind oder auf die die inzwischen entwickelte Scheidungsunterhaltsrechtsprechung des BGH angewendet werden könnte, eine Anpassung an das neue Scheidungsfolgenrecht zu ermöglichen, sofern das neue Recht zu einer wesentlichen Änderung bisheriger Unterhaltsansprüche führt. Unbillige und daher ungerechte Unterhaltsregelungen, die vorliegen, können in den hier bestehenden Unterhaltsdauerschuldverhältnissen nicht bestehenbleiben. Die Anpassung dieser Dauerschuldverhältnisse erstreckt sich nur auf zukünftige Leistungen; sie wirkt nicht zurück in die Zeit, die vor dem Inkrafttreten des neuen Rechtes liegt.
Diese Absicht gründet sich auf zwei höchstrichterliche Erkenntnisse, die ich mit Genehmigung des Präsidenten zitieren möchte. Das Bundesverfassungsgericht hat am 14. Juli 1981 festgestellt: Es ist weder sinnvoll noch wünschenswert, zwei unterschiedliche gesetzliche Regelungen anzuwenden. Es bedeutet keinen Verfassungsverstoß, wenn ein Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und bestehende Rechtspositionen nachträglich be9252
einträchtigt. Das sind die Fälle der sogenannten unechten Rückwirkung hin auf Altehen im Zusammenhang mit der Einführung des Zerrüttungsprinzips.
Die zweite Entscheidung betrifft die Abänderung einer Unterhaltsvereinbarung und ist am 26. Januar 1983 vom Bundesgerichtshof getroffen worden:
Es ist anerkannt, daß nicht nur Gesetzesänderungen, sondern auch Änderungen einer gefestigten Rechtsprechung zu Störungen vertraglicher Vereinbarungen führen können, die nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage im Wege der Anpassung zu bereinigen sind. Das gilt jedenfalls, soweit die Vereinbarungen noch nicht abgewickelt sind - insbesondere bei Dauerschuldverhältnissen.
Wenn hiernach schon die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Anpassung einer Unterhaltsvereinbarung ermöglichen kann, so gilt das erst recht für eine Änderung der Rechtslage, die durch die Nichtigkeits- oder Unvereinbarkeitserklärung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht eintritt. Der Grundsatz, daß dem Gedanken der Rechtssicherheit der Vorrang vor der Berücksichtigung der Einzelfallgerechtigkeit gebührt, bezieht sich auf „bereits vollständig abgewickelte" bürgerlich-rechtliche Vertragsbeziehungen und kann für eine Vereinbarung über die Entrichtung einer laufenden Unterhaltsrente keine Gültigkeit haben.
Die so gewollte Anpassung betroffener Unterhaltsdauerschuldverhältnisse wird durch Art. 6 Nr. 1 Satz 2 und Nr. 2 der Vorlage bewirkt, durch den ersten Satz jedoch wieder eingeschränkt. Wir werden uns darüber im Ausschuß zu unterhalten haben.
Es war weiterhin die Absicht der CDU/CSU-Fraktion, das nach den Umständen gerechtfertigte Vertrauen des Unterhaltsberechtigten auf eine rechtskräftige Unterhaltsentscheidung oder eine zustande gekommene Unterhaltsvereinbarung zu berücksichtigen, um auch die Forderung nach Bestandsschutz ausreichend zu beachten. Auch dies ist in die Vorlage gekommen.
Ein Wort zu dem Vorfeld. Die hier geschilderten Übergangsvorschriften haben schon im Vorfeld der parlamentarischen Beratungen weitreichende Kritik erfahren - außer von den reinen Fachleuten. Es war für mich schon bemerkenswert, zu erleben, wie früh und intensiv der Lobbyismus hier versucht hat, auf Entscheidungen der Exekutive und Legislative Einfluß zu nehmen. Bei manchen Wortführern, insbesondere denen, die eher im emanzipatorischen Vorfeld beheimatet sind, hatte ich den Eindruck, als ginge es ihnen wie jenem Monarchisten, dem nach 1919 die gesamte Richtung nicht paßte.
Nun, im Rechtsausschuß wird es Anhörungen geben, und jeder Interessenvertreter wird ausreichend Gelegenheit haben, sein Anliegen vorzutragen.
Zum Schluß eine Bemerkung, die mir nicht mehr gestattet ist, weil die rote Lampe leuchtet. Der Anwaltsverein und der Richterbund werden von mir persönlich meine Kritik an ihren Veröffentlichungen erfahren.
Ich bedanke mich für Ihre Nachsicht und beantrage Überweisung wie vorgesehen.
({0})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/2888 zur federführenden Beratung an den Rechtsausschuß, zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit sowie zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung haftungsrechtlicher Vorschriften des Atomgesetzes ({0})
- Drucksachen 10/2200, 10/2231 Beschlußempfehlung und Bericht des Innenausschusses ({1})
- Drucksache 10/2950 Berichterstatter:
Abgeordnete Reuter Dr. Warrikoff
Dr. Hirsch
({2})
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung. Ich rufe die Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist bei zahlreichen Enthaltungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf:
Zweite Beratung und Schlußabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 27. Juni 1980 zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe
- Drucksache 10/1535 -
Präsident Dr. Jenninger
a) Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft ({3})
- Drucksache 10/2867 -
Berichterstatter: Abgeordneter Kittelmann
b) Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/3020 Berichterstatter:
Abgeordnete Glos
Dr. Weng ({5}) Frau Simonis
Verheyen ({6})
({7})
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 10/2994 vor.
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind für die Aussprache zwei Beiträge bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Höffkes.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt trotz unveränderter Bedenken gegen die Konstruktion zentraler Fonds dem Übereinkommen über den Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe im Interesse der Fortentwicklung der konstruktiven und partnerschaftlichen Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit den Enwicklungsländern zu.
Die Forderung nach einer Stabilisierung der Rohstoffpreise ist durchaus im Sinne sowohl der Industrie als auch der Entwicklungsländer. Viele Entwicklungsländer sind vom Export einiger weniger Rohstoffe abhängig und werden in ihrer nationalen Wirtschaftsplanung empfindlich von Rohstoffpreisschwankungen getroffen. Auch ist es unbestritten, daß für die Bundesrepublik Deutschland als einem der größten Rohstoffverbraucher eine stabile Entwicklung der internationalen Rohstoffmärkte von großer Bedeutung ist.
Nur ist es eine offene Frage, ob die Mittel und Wege zur Erreichung stabiler Rohstoffpreise brauchbar und ordnungspolitisch unbedenklich sind. Hier bestehen aus folgenden Gründen Bedenken.
Erstens. Die UNCTAD-Schätzungen über das erforderliche Volumen sind unrealistisch. Wahrscheinlich sind sehr viel größere Mengen notwendig.
Zweitens. Die Interventionsmechanismen im Rahmen des Buffer-Stock-Systems und die für tolerierbar gehaltenen Preisschwankungen wurden nicht präzisiert.
Drittens. Ungelöst sind praktische Aufbringung und Verteilung der hohen Finanzierungsmittel für den Gemeinsamen Fonds.
Viertens. Auch bei der laufenden Finanzierung des Fonds muß entgegen den Berechnungsbeispielen im UNO-Plan mit erheblichen Kosten gerechnet werden. Die Stützungspolitik auf den europäischen Agrarmärkten demonstriert dies sehr deutlich.
Der zweite zentrale Punkt der Kontroverse ist die Frage nach Sinn und Nutzen der Stabilisierung. So steht zu befürchten, daß die Preise auf einem überhöhten Preisniveau stabilisiert werden. Eine beschleunigte Produktionsausweitung ist die Folge, und es kommt zu Überschüssen wie auf dem europäischen Agrarmarkt. Eine weitere Konsequenz hoher Preise wäre, daß die rohstoffarmen Entwicklungsländer entsprechend größere Aufwendungen für die Importe aufbringen müßten, was ihnen bei der schlechten Devisenlage nicht möglich ist. Daraus, meine Damen und Herren, können sich neue Zielkonflikte für die Dritte-Welt-Länder ergeben.
Zumindest drei Gründe sprechen dafür, daß Rohstoffabkommen im allgemeinen nicht funktionieren können.
Der erste und, wie die Erfahrung lehrt, wichtigste Grund ist, daß solche Abkommen sowohl den Interessen der Produzenten als auch denen der Verbraucher dienen sollen. Dies ist aber nicht möglich. Die Produzenten haben ein Interesse an hohen Preisen, die Verbraucher wollen niedrige Preise.
Zweitens erfordern Eingriffe in den Markt durch die Beauftragten der Rohstoffabkommen die Fähigkeit, künftige Preistrends, die in einem marktwirtschaftlichen System stattfinden würden, zu erahnen. Auch das ist nicht möglich.
Drittens kann dem Funktionieren eines internationalen Rohstoffabkommens die Eigenschaft der Rohstoffe entgegenstehen. Bei Ausgleichslagern muß der Rohstoff nicht nur technisch lagerfähig sein, sondern die Lagerhaltung darf auch nicht teuer sein. Hinzu kommen bei vielen Rohstoffen die sehr verschiedenen Qualitäten. Preisstrukturen können sich schnell ändern, wenn sich die Technologie ändert. Darüber hinaus ergibt sich ein Substitutionsproblem.
Ich habe vorgetragen, daß noch erhebliche Bedenken gegen die Konstruktion des zentralen Fonds bestehen, die dazu zwingen, in gewissen Zeitabständen eine Überprüfung der Wirksamkeit des Übereinkommens vorzunehmen. Trotzdem wollen wir der Dritten Welt eine Chance einräumen und unseren guten Willen bezeugen. Wir stimmen der Übereinkunft zu, weil zwischen allen Beteiligten ein Kompromiß erzielt werden konnte, welcher wichtigen rohstoffpolitischen Grundpositionen der Bundesrepublik Deutschland Rechnung trägt. Denn die Autonomie der Einzelrohstoffübereinkommen bleibt erhalten. Der Gemeinsame Fonds kann von sich aus nicht unmittelbar in den Marktablauf eingreifen, sondern hat die Funktion einer Clearingstelle. Das ursprüngliche Ziel der Entwicklungsländer, die Schaffung einer globalen Rohstoffbehörde mit der Möglichkeit des direkten Eingriffs in die
Märkte, ist damit einem realistischeren Konzept der Marktstabilisierung gewichen.
Wir bitten die Bundesregierung, die Gesamtentwicklung im Fondsbereich stetig im Auge zu behalten und sich aktiv an allen Treffen und Verhandlungen zu beteiligen. Für die CDU/CSU-Bundestagsfraktion bitte ich um Zustimmung zum vorgelegten Entschließungsantrag auf Drucksache 10/2994.
Ich bedanke mich.
({0})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, darf ich Sie darauf hinweisen, daß auf der Ehrentribüne des Hauses eine Delegation der kubanischen Nationalversammlung Platz genommen hat.
({0})
Ich habe die Ehre, meine Damen und Herren, Sie im Deutschen Bundestag zu begrüßen. Wir wünschen Ihnen einen erfolgreichen und angenehmen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Mitzscherling.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen über den Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe wird von uns für einen wichtigen Schritt zur Verbesserung der Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern auf dem Rohstoffsektor gehalten. Er ist auch ein wichtiger Beitrag zur Verbesserung des Nord-Süd-Verhältnisses. Wir Sozialdemokraten haben der Schaffung eines Gemeinsamen Fonds im Kern immer positiv gegenübergestanden und den Beitritt der Bundesrepublik gefordert. Die Regierung Helmut Schmidt hat den Beitritt eingeleitet, gegen den Widerstand der damaligen Opposition.
({0})
Ich freue mich, daß Sie, meine Damen und Herren von der CDU/SCU-Fraktion, Ihren Widerstand aufgegeben haben, weil Ihnen unsere Verantwortung für die Entwicklung der Länder der Dritten Welt inzwischen offenbar stärker bewußt geworden ist.
In der gemeinsamen Pressemitteilung der Kollegen Kittelmann und Haussmann vom 7. März 1985 werden nochmals grundsätzliche Bedenken gegen Rohstoffabkommen geäußert und protektionistische und dirigistische Gefahren beschworen. Auch Herr Höffkes hat sich mit anderen Bedenken erneut geäußert. Dies erinnert uns an 1980 und an den damaligen entwicklungspolitischen Sprecher der Union, Herrn Todenhöfer, der damals sagte und im Pressedienst schrieb: Alle Erfahrungen mit Rohstoffabkommen zeigen, daß durch sogenannte Buffer Stocks eine Preisstabilisierung nach oben nicht zu erreichen ist, solange der Markt höhere Preise hergibt. Er sagte: Der Fonds kann allenfalls über einen begrenzten Zeitraum Mindestpreise für nicht absetzbare Rohstoffe sichern. Das bedeutet klipp und klar: Preisgrenzen nach oben wären für uns als Rohstoffimporteure ein Vorteil, sind aber praktisch nicht machbar. Mindestpreise wiederum verteuern bei Überangebot unsere Importe gleichsam künstlich und sind also für uns von Nachteil. Deshalb erklärte Ihr Sprecher damals auch, die Zustimmung zum Gemeinsamen Fonds bedeute eine weitere Niederlage wirtschaftlicher Vernunft in den Beziehungen zwischen Nord und Süd.
Heute stimmen Sie zu. Ich freue mich, daß Sie inzwischen Ihre Meinung geändert haben. Wenn Regierungsverantwortung zu intensiverem Nachdenken zwingt und schließlich zu einer Korrektur früher vertretener Auffassungen führt, so sollte man das begrüßen, und wir tun das ausdrücklich.
({1})
Meine Damen und Herren, soziale Verantwortung, internationale Solidarität und auch wirtschaftliche Vernunft machen unseren Beitritt zum Gemeinsamen Fonds einfach unerläßlich. Nicht nur wir, auch die Rohstoffe exportierenden Entwicklungsländer brauchen dringend stabile wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Der überteuerte Dollar und die Höchstzinsen, die zunehmende Verschuldung und Exporterlösschmälerungen machen den armen Ländern schwer zu schaffen. Sie vergrößern die Armut und stehen einer wirtschaftlichen Stabilisierung entgegen. Diese Länder können keine vernünftige wirtschaftliche Planung betreiben, wenn die Preise für Rohstoffe, die in vielen Entwicklungsländern Hauptexportprodukte sind, massiven Schwankungen unterliegen und dementsprechend die Entwicklung der Exporterlöse und damit der Zahlungsbilanz nicht mehr abschätzbar ist. Solche völlig instabilen Rahmenbedingungen sind ein ernstes Hemmnis für die Entwicklung dieser Länder. Die Armut, die sozialen Bedingungen in vielen Ländern der Dritten Welt erfordern unsere Solidarität, verlangen nach unserer Unterstützung aus unserer sozialen Verantwortung als eines der reichsten Länder heraus.
({2})
Stabile Rahmenbedingungen in diesen Ländern sind letztlich auch eine Voraussetzung für die Entwicklung unseres eigenen Außenhandels mit diesen Rohstoffexporteuren. Daher liegt es auch in unserem wirtschaftlichen Interesse, mehr Stabilität in die Rohstoffmärkte hineinzubringen.
Ihren Entschließungsantrag, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, können wir mittragen, wenn er auch einige deutlichere Worte zum zweiten Schalter hätte enthalten können. Aber das Positive überwiegt. Deshalb stimmen wir dem Antrag und auch dem Gesetz zu.
Ich bedanke mich.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Haussmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das Übereinkommen zur Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe erfüllt einen Marktwirtschaftler nicht gerade mit Begeisterung. Die westlichen Industriestaaten kommen hiermit, teilweise wider
besseres Wissen, den Entwicklungsländern weit entgegen. Wir bekennen uns dazu; denn schon vor mehr als zehn Jahren haben die Entwicklungsländer die Finanzierung eines Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe gefordert.
Das Abkommen, das nach vieljährigen Verhandlungen im Jahr 1980 unterzeichnet wurde, ist auch aus unserer Sicht ein wichtiger Fortschritt. Damit wurde ein Stück Konfrontation im Nord-Süd-Verhältnis abgebaut und durch Formen internationaler Kooperation ersetzt.
Viele Entwicklungsländer sind extrem von Rohstoffausfuhren abhängig. Die Maßnahmen zur Preisstabilisierung und auch anderweitige Fördermaßnahmen stützen den Rohstoffexport und tragen damit zu der gewünschten Gesundung der Entwicklungsländer durch Eigenleistung bei. Gerade die Bundesrepublik als eines der wichtigsten und größten Verbraucherländer hat natürlich ein eigenes Interesse an einer stabilen Entwicklung dieser Märkte. Rohstoffpreise müssen für ein Industrieland berechenbar bleiben.
Wir zählen zu den positiven Faktoren auch, daß der Vertragstext gegenüber früheren Entwürfen erheblich verbessert wurde. Die Autonomie der internationalen Rohstoffübereinkommen bleibt erhalten. Eine Majorisierung der Industrieländer in wichtigen Fragen wurde ausgeschlossen.
Neben diesen positiven Aspekten gibt es aber auch eine ganze Reihe negativer Aspekte. Wir müssen heute nochmals darauf hinweisen, daß dirigistische, preislenkende Elemente der Rohstoffübereinkommen durch den Gemeinsamen Fonds verstärkt werden. Die angestrebte Stabilisierung der Preise wird durch massive Eingriffe in das Marktgeschehen erkauft. Künstliche Preiserhöhungen bergen die Gefahr in sich, daß die Substituierung von Rohstoffen gefördert und damit die Gefahr von Monokulturen in den Entwicklungsländern erhöht wird. Auf die Dauer führt das auch zu Nachteilen der Entwicklungsländer. Es ist deshalb notwendig, daß in dem Dialog zwischen Industrie- und Entwicklungsländern dafür gesorgt wird, daß diese Nachteile immer wieder zur Sprache gebracht werden.
Angesichts dieser Vor- und Nachteile lautet unsere Antwort weder uneingeschränkt ja noch uneingeschränkt nein, sondern: ja, aber. Wir freuen uns, daß die Sozialdemokraten - wie es eben mein verehrter Kollege festgestellt hat - dem Entschließungsantrag zustimmen. Wir wollen damit unsere Bedenken gegen Rohstoffübereinkommen, ihre Finanzierung durch zentrale Fonds zum Ausdruck bringen, und zwar in drei Punkten.
Erstens. Wir erwarten von der Bundesregierung einen detaillierten Bericht über die Tätigkeit des Gemeinsamen Fonds.
Zweitens. Spätestens fünf Jahre nach Inkrafttreten dieses wichtigen Übereinkommens soll ein unabhängiges Wirtschaftsforschungsinstitut eine detaillierte Nutzen-Kosten-Analyse erstellen, die Auskunft darüber gibt, wie erfolgreich dieser Gemeinsame Fonds und die Abkommen hinsichtlich der angestrebten Preisstabilisierung waren.
Drittens. Wir erwarten, daß der Bundestag vor neuen Rohstoffabkommen rechtzeitig und umfassend informiert wird, auch wenn nicht immer eine parlamentarische Zustimmung erforderlich sein sollte.
Mit dieser Maßgabe stimmen wir dem Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe zu. Wie gesagt, unsere Begeisterung hält sich in Grenzen. Aber wir halten das für einen wichtigen Beitrag im Rahmen der internationalen Diskussion im Vorfeld einer neuen Weltwirtschaftsordnung.
Viel wichtiger als diese Rohstoffstabilisierung - darauf will ich abschließend hinweisen - ist jedoch die weitere Integration der Entwicklungsländer in ein offenes, freies Welthandelssystem. Hier liegt unseres Erachtens die entscheidende Chance für Entwicklungsländer. Zwei Drittel aller Exporte der Entwicklungsländer gehen in die Industrieländer. Ihr Anteil am Welthandel steigt seit den 70er Jahren an. Nur auf diesem Wege sind weitere Fortschritte zu erreichen. Die Kollegen von der Fraktion DIE GRÜNEN sollten sich überlegen, ob die Idee einer weiteren Autarkie nationaler Wirtschaftspolitik den Entwicklungsländern nicht die Chance nimmt, die wir als eines der größten Einfuhrländer vielen von ihnen bieten.
Vielen Dank.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Verheyen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man könnte den heutigen Tag, wenn man nicht genau hinsieht, als ein historisches Datum bezeichnen, als ein Datum, an dem die Bundesrepublik Deutschland endlich bereit ist, einer langjährigen Forderung der Entwicklungsländer Rechnung zu tragen, nämlich der Forderung nach Gründung des Gemeinsamen Fonds für Rohstoffe, den die Entwicklungsländer als eine Voraussetzung für die Errichtung einer neuen und gerechteren Weltwirtschaftsordnung ansehen.
Trotz dieses Datums will aber, so scheint mir, weder bei den Entwicklungsländern noch hier im Haus echte Freude aufkommen. Das liegt erstens daran, daß die Entwicklungsländer nach den langen Verzögerungen zu ihren Lasten, nach Verzögerungen, die jetzt mehr als fünf Jahre andauern, den Industrieländern, auch der Bundesrepublik Deutschland, nicht mehr über den Weg trauen. Das liegt zweitens daran, daß diese Bundesregierung - einer unseligen Tradition folgend, wie dies auch schon ihre Vorgängerinnen getan haben - alle Forderungen der Entwicklungsländer nach einer wirklich substantiellen Veränderung der Weltwirtschaft rigoros „abbügelt". Das ist auch bei dieser Zustimmung nicht anders. Ob Schmidt oder Kohl, Lambsdorff oder Bangemann - alle haben die sogenannte freie Weltwirtschaft mit Zähnen und Klauen verteidigt, wenn die Länder der Dritten Welt auf eine Stabilisierung der Rohstoffpreise hinarbeiten wollten.
Verheyen ({0})
Selten war das Zähneknirschen dieser Koalition deutlicher hörbarer als bei dieser Entscheidung heute. Ihr Entschließungsantrag versucht gar nicht, zu verbergen, daß Sie dieses Abkommen für einen marktwidrigen Sündenfall halten, den Sie mit den Schlagworten „protektionistisch" und „dirigistisch" belegen. Ihre Zustimmung ist nichts anderes als ein machtpolitisches, außenpolitisch orientiertes Kalkül. Weil Sie befürchten, daß der außenpolitische Schaden in der Dritten Welt zu groß werden könnte, sagen Sie Ja zu etwas, was Sie im Grunde verhindern wollen. Mit einem bloßen Ja aber - das muß man leider sagen - ist hier nicht viel geholfen.
Ihre gesamte Argumentation deutet darauf hin, daß Sie jede weitere Gelegenheit nutzen werden, um zu verhindern, daß durch dieses Abkommen tatsächlich eine substantielle Veränderung wirtschaftlicher Verhältnisse stattfindet. Leider haben Sie hierzu in der Zukunft noch viele Möglichkeiten. Die notwendigen Abkommen über die einzelnen Rohstoffe, soweit sie noch geschlossen oder erneuert werden müssen, geben Ihnen diese Gelegenheit. Deshalb ist Ihr heutiges Ja auch nichts anderes als ein billiges Alibi, nur das scheinbare Signal einer neuen weltwirtschaftlichen Weichenstellung.
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Das, was ich den Koalitionsparteien vorwerfe, ist die zynische Haltung der Besitzenden, die mit gebetsmühlenhafter Wiederholung auf die Gefährdungen des Welthandels durch Dirigismus und Protektionismus hinweisen, selbst aber von dieser Weltwirtschaftsordnung, die jeder unvoreingenommene Beobachter nur als ungerecht bezeichnen kann, sehr wohl profitieren. Das, was ich Ihnen vorwerfe, ist dieser kurzsichtige Eigennutz, der ängstlich nach der Kosten-Nutzen-Relation für einen Minifonds fragt, der für den Gegenwert eines einzigen Tornados zu finanzieren wäre, statt entwicklungspolitische Belange oder - noch deutlicher - das Überleben von Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika in den Mittelpunkt der Überlegungen zu stellen.
Wenn es Ihnen wirklich um die Menschen in der Dritten Welt ginge, könnten Sie diese zentral wichtige und berechtigte Forderung der Dritten Welt nach einer Neuordnung der Weltwirtschaft nicht mit diesen allgemeinen ordnungspolitischen Glaubenssätzen vom Tisch wischen. Da Sie ständig von Marktwirtschaft reden: Was ist denn in der Dritten Welt, so frage ich Sie, an Marktwirtschaft vorhanden, wenn mächtige, internationale Konzerne und mächtige Industrienationen armen Entwicklungsländern gegenüberstehen, die um jeden Preis verkaufen müssen? Sind Sie sich bewußt, daß ein Land wie Sambia heute den Kupfer exportieren muß, obwohl dieser Kupfer unter dem Selbstkostenpreis verkauft werden muß? Sind Sie sich bewußt, daß diese Länder exportieren müssen, weil sie um das nackte Überleben ihrer Bevölkerung kämpfen?
Wenn Sie dann davon reden, daß die heilige Kuh der Marktwirtschaft hier besonders wichtig sei, dann finde ich dies schlichtweg grotesk.
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Es gibt in unserem Land leider zu wenige, die diese Regierung dafür zur Rechenschaft ziehen. Es gibt zu wenige, die dieses momentane System als zutiefst ungerecht empfinden und zu einer neuen Weltwirtschaftsordnung drängen. Es geht nicht - auch uns nicht - um eine Entwicklungspolitik des schlechten Gewissens. Es geht um eine langfristige gemeinsame Zukunftssicherung mit den Entwicklungsländern.
Wer dies bejaht, der muß dafür sorgen, daß das heutige Ja zum Integrierten Rohstoffonds kein Alibi für die zukünftige Politik bleibt.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Kittelmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU hat zur Kenntnis genommen - Herr Mitzscherling, das beantwortet zum Teil Ihre eingehenden Fragen -, daß der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Gemeinsamen Fonds in erster Linie ein Zeichen des politischen Willens ist, die internationale Zusammenarbeit auf dem Rohstoffsektor insbesondere mit den Entwicklungsländern zu verbessern. Der Beitritt soll der Klimaverbesserung im Nord-Süd-Dialog dienen. Die CDU/CSU hofft, daß zumindest dieses Ziel erreicht wird. Deshalb stimmen wir der Ratifikation zu.
Der vorliegende Antrag bringt unsere Bedenken im Hinblick auf die Wirksamkeit der Vereinbarungen - nur das sind die Bedenken - zum Ausdruck. Wenn hier eben von Alibifunktionen und vielem anderen mehr gesprochen wurde, so ist das mehr der Wille der GRÜNEN, es so zu sehen, als daß es mit der Realität übereinstimmt. Ihnen Voreingenommenheit auszureden, haben wir in den letzten Jahren aufgegeben.
Dem zur Ratifikation anstehenden Kompromiß kann deshalb nur mit Bedenken zugestimmt werden, weil ein Blick auch auf die laufenden Rohstofffondsabkommen zeigt, was nicht funktioniert. Das Zinnabkommen ist weiterhin nicht funktionsfähig. Das Naturkautschukabkommen hat lediglich aus Verbrauchersicht im großen und ganzen funktioniert. Im Rahmen des Kaffeeabkommens werden seit 1980 für Ausfuhren in die Verbraucherländer Exportquoten angewendet, die zu einer Stabilität des Kaffeemarkts auf einem zu hohen Kostenniveau geführt haben. Das Kakaoabkommen hat infolge eines zu hoch angesetzten, unrealistischen Stützungsniveaus und des Fernbleibens der USA und der Elfenbeinküste seine preisstabilisierende Funktion von Anfang an nicht erfüllen können. Ich könnte die Liste hier fortsetzen. Viele Abkommen funktionieren nicht.
Der theoretische Ansatz versagt in der Praxis. Die Gründe sind vielseitig. Aber eines ist sicher: Wo der Markt ausgeschaltet ist, dort wird es teurer, uneffektiver und letztlich undurchführbar. Deswegen begrüßen wir das zweite Fenster, in dessen Rahmen Neues praktiziert wird.
Ich bitte darum, daß wir uns nicht immer gegenseitig vorzuwerfen versuchen, wir wollten für die Entwicklungsländer nicht dasselbe Positive. Wir sind uns sehr häufig nicht einig über den Weg dahin. Die GRÜNEN, wenn sie überhaupt einmal nachdenken, sollten erkennen: Für die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland ist eine Entwicklung der Entwicklungsländer von maßgebender Bedeutung. Wir leben davon, daß es in der Dritten Welt wirtschaftlich aufwärts geht. Es stimmt nicht, wenn immer wieder gesagt wird, wir hätten Interesse daran, daß es nicht so ist.
Meine Damen und Herren, deshalb haben wir trotz der Verstöße gegen die Quotenregelung, trotz massiver Stützungseinkäufe, die zur Erschöpfung der verfügbaren Finanzquellen, zur Destabilisierung der Märkte bis hin zur Marktspaltung führen, die häufig mit Rohstoffabkommen verbunden sind, hier unser grundsätzliches Ja gesagt. Wir wollen aber grauen Märkten nicht Vorschub leisten.
Ich bedauere, daß bisher - man muß sich mal vorstellen, wann UNCTAD in Belgrad war - der ganze Ostblock nicht beigetreten ist und daß die Sowjets gar nicht daran denken, beizutreten. Auch dort sollte mal ein Finger auf die Wunde gelegt werden. Das interessiert Sie, die GRÜNEN, aber gar nicht. Der Osten existiert für Sie nicht, wenn es negativ ist.
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Ich bedauere auch, daß die USA nicht beitreten. Ich bedauere, daß viele Länder nicht ratifiziert haben, so daß bisher nur ein Rumpf vorhanden ist.
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- Der Rumpf nicht! Der spricht hinterher. - In der Frage der Qualifizierung der Rohstoffonds haben wir also noch sehr viel vor uns.
Wir stimmen also zu. Wir haben - ich kann mich kurz fassen, weil Herr Haussmann schon qualifiziert darauf eingegangen ist - Berichte von der Bundesregierung gewünscht. Wir wollen - zumindest dies sollte die GRÜNEN begeistern, wenn sie den Antrag überhaupt durchgelesen haben - hier einen genauen Bericht der Bundesregierung haben, wie den Ländern der Dritten Welt durch diese Rohstoffabkommen geholfen werden kann. Wir wollen dies zum Dauerthema auch des Deutschen Bundestags machen, damit wir Stück für Stück verfolgen können, wo die positiven Seiten sind, wo wir helfen können, und wo die negativen Seiten sind.
Bitte gehen Sie davon aus, daß wir hier gemeinsam auch als Kontrollorgan der Regierung etwas tun sollen. Deshalb fordern wir in Punkt 3, daß die Bundesregierung dem Plenum auch über etwas berichtet, wozu sie nicht verpflichtet ist. Wir werden im Wirtschaftsausschuß, im Handelspolitischen Beirat und darüber hinaus im Entwicklungsausschuß und in allen maßgebenden Ausschüssen dafür sorgen, daß hier im Interesse der Dritten Welt, im gemeinsamen Interesse der wirtschaftlichen Entwicklung diese Rohstoffonds einer stärkeren parlamentarischen Kontrolle unterliegen, damit es aufwärts geht.
Bei allen Bedenken, die wir haben: Die Hoffnung haben wir nicht aufgegeben.
Schönen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hauchler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPD hat seit Jahren die Ratifizierung des Übereinkommens über den Gemeinsamen Fonds gefordert. Wir freuen uns, daß wir heute in der Lage sind, eine positive gemeinsame Entscheidung für den Fonds zu treffen. Die Ratifizierung ist in dreifacher Hinsicht von großer Bedeutung. Ich nenne drei Punkte.
Erstens. Die Ratifizierung weckt die Hoffnung, daß auch in einer Zeit, in der die Beziehungen zwischen den Industrieländern und den Entwicklungsländern schwieriger geworden und verhärtet sind, doch noch globale Antworten auf globale Probleme und Fragen gefunden werden können.
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Ich meine, dies ist ein positives Signal und besonders wichtig in einer Zeit, die von wachsendem Bilateralismus,
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einer starken geopolitischen und ideologischen Orientierung der Entwicklungspolitik - auch in unserem Land und durch Sie, meine Damen und Herren von der CDU/CSU - und von einer Zerrüttung internationaler Institutionen gekennzeichnet ist. Insofern ist dies ein positives Signal. Wir begrüßen es, daß Sie als CDU/CSU diesen Schritt getan haben.
Zweitens. Der Gemeinsame Fonds ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber er ist natürlich keine hinreichende Bedingung für eine weltweite Verbesserung der Rohstoffsituation. Wir machen uns keine übertriebenen Hoffnungen. Dazu ist die Quantität der Fondsmittel zu gering, um wirklich wirksam verschiedene Rohstoffmärkte stabilisieren zu können. Dazu ist auch der Ansatz des Fonds, der j a überhaupt keine neuen Bedingungen hinsichtlich der terms of trade schafft, strukturell zu eng. Immerhin glauben wir, daß er seine Bedeutung haben wird. Ich weise darauf hin, daß viele Entwicklungsländer von der Instabilität oder Stabilität der Rohstoffmärkte sehr abhängig sind. Ich nenne ein paar Zahlen. Sambia ist zu 80% allein von Kupferexporten abhängig,
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Kuba zu 83 % allein von Zuckerexporten,
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Bangladesch zu 70% allein von Juteexporten
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und Uganda zu 95% allein vom Kaffee-Export. Dies zeigt, daß solche Abkommen eine sehr große Bedeutung für die Entwicklungsländer haben. Ich weise aber darauf hin, Herr Höffkes und Herr Haussmann, daß dies auch eine Bedeutung für die Indu9258
strieländer hat. Sie können nicht mit Formeln arbeiten wie: „Wir räumen den Entwicklungsländern eine Chance ein" oder, Herr Haussmann: „Wir gewähren den Entwicklungsländern etwas". Es ist doch so, daß auf die Dauer der Handel der Industrieländer mit Entwicklungsländern nur dann stabil und fruchtbar bleibt, wenn wir auch in den Entwicklungsländern stabile wirtschaftliche Verhältnisse haben.
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Dies bedeutet aber, daß solche Fonds und die Stabilisierung von Rohstoffmärkten auch für unsere eigenen Interessen Sinn machen.
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Und dann können Sie nicht hergehen und hier sagen, wir verteilten nur Geschenke. Eine solche Haltung lehnen wir ab.
Drittens. Das Wichtigste am Gemeinsamen Fonds scheint uns der „Zweite Schalter" zu sein; denn hier geht es um strukturelle Verbesserungen der Produktionsbasis und der Exportstrukturen in den Entwicklungsländern durch Diversifikation von Exporten und Produktion, durch die Schaffung einer stärkeren Chance für die Verarbeitung von Rohstoffen und für die Vermarktung von Rohstoffen. Aber dies wird nicht ausreichen, wenn nicht flankiernde Maßnahmen im Rahmen einer revidierten Weltwirtschaftsordnung dazukommen, zu der wir uns ausdrücklich bekennen.
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Diese Flankierung muß auf zwei Ebenen ansetzen: Erstens, beim Abbau des Protektionismus im Agrarbereich und im Industriegüterbereich. Was nutzt es, wenn die Entwicklungsländer ihre Exporte diversifizieren können, andererseits aber mehr und immer höhere Handelsschranken aufgerichtet werden?
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Dann wäre das Geld verpulvert.
Und eine zweite grundsätzliche Frage: Auch die Diversifikation und die Stabilisierung von Rohstoffpreisen werden natürlich den Entwicklungsländern auf die Dauer nicht helfen, wenn es nicht langfristig zu einer Verbesserung der terms of trade im Sinne der Entwicklungsländer kommt.
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Abschließend: Wir begrüßen den Wandel, den die CDU durchgemacht hat.
({10})
Jeder Lernprozeß in diese Richtung ist willkommen. Wir begrüßen auch, daß Sie zustimmen, weil wir meinen, daß gerade die Entwicklungspolitik nicht das geeignetste Thema ist, zu dem wir als Parteien im Bundestag uns besonders streiten sollten.
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Fragen der Dritten Welt, Fragen der Neuordnung der Weltwirtschaft eignen sich nicht zum Auseinanderdividieren, sondern wir müssen hier einen gemeinsamen Weg gehen, im eigenen Interesse und dem der Entwicklungsländer.
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Wir fordern Sie allerdings auf, zu überdenken, ob die Bundesrepublik nicht für den „Zweiten Schalter" die Zustimmung zur Anpassung der zugesagten 50 Milliarden DM geben kann
({13}) - Millionen - verzeihen Sie -,
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um dem Anstieg des Dollarkurses Rechnung zu tragen. Real bekommen die Entwicklungsländer auf Grund der alten Zusage von 50 Millionen DM weniger Hilfe als vorgesehen.
Eine zweite Aufforderung möchte ich an Sie richten: Drängen Sie die USA, drängen Sie aber auch die Sowjetunion, den RGW, dazu, daß sie an diesem Gemeinsamen Fonds mitwirken.
Dies darf keine Alibi-Veranstaltung werden. Es geht darum, daß die Mittel tatsächlich im Gemeinsamen Fonds zusammenkommen; denn nur wenn wir ein Volumen haben, das ausreicht, um die Maßnahmen durchzuführen, handelt es sich nicht um eine Alibi-Veranstaltung, eine bloße Klimaverbesserung, sondern um eine echte Hilfe.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich komme zum Schluß. Der Gemeinsame Fonds ist der klassische Fall, daß man nur über eine gewisse Quantität der Mittel eine qualitative Verbesserung der Situation erreichen kann.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Mein Kollege Haussmann hat schon gesagt, daß es einem Liberalen nicht ganz leicht fällt, einem solchen dirigistischen Eingriff in das Marktgeschehen, wie ihn das Rohstoffabkommen darstellt, zuzustimmen. Der gedämpfte Optimismus war eigentlich bei allen Fraktionen hier zu spüren.
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen den Realitäten ins Auge sehen. Gerade im internationalen Bereich kann man zwar Ideale haben; aber sie in die Wirklichkeit umzusetzen, ist immer sehr schwierig. Realistisch bleiben ist hier die Devise.
Das Abkommen über den Gemeinsamen Fonds ist eines der wenigen konkreten Ergebnisse des mit so vielen, vielen Hoffnungen verbundenen und beDr. Rumpf
gonnenen Nord-Süd-Dialogs. Da ist der Punkt. Leider hat sich dieser Dialog zunehmend auf dieses Thema des Rohstoffabkommens konzentriert,
({0})
so daß das Thema heute eine symbolische Bedeutung bekommen hat, zumindest für die Entwicklungsländer.
Angesichts dieser Bedeutung, die der Gemeinsame Fonds für die weltweite Entwicklungspolitik und auch gerade für die ärmeren Entwicklungsländer hat, hält es die FDP-Bundestagsfraktion für notwendig, dieses Abkommen, das schon im Jahre 1981 gezeichnet wurde, nun zu ratifizieren. Im übrigen wurde eine entsprechende Zusage bei der UNCTAD-Konferenz in Belgrad 1983 gegeben. Unsere EG-Partner haben zum großen Teil schon ratifiziert oder sind gerade dabei. Es hat für einen Europa-Politiker j a auch Bedeutung, wenn die europäischen Partner dies tun, zumal wir im europäischen Rahmen ähnliche Rohstoffabkommen haben, wie das sogenannte Stabex-Abkommen im Lomé-Vertrag.
({1})
Was den Inhalt des Abkommens betrifft, so möchte ich hervorheben, daß im Gegensatz zu ursprünglichen Überlegungen der Gemeinsame Fonds nicht mehr eine übernationale Bürokratie sein wird, die in das Marktgeschehen eingreifen will. Es ist gelungen, den Gemeinsamen Fonds zu einem bankähnlichen Finanzierungssystem zu machen, das nicht selbst in den Marktablauf eingreift, sondern lediglich den Rohstoffabkommen die Finanzierung von Ausgleichslagern erleichtert. Ähnliche Mechanismen kennen wir übrigens, wie ich schon sagte, aus anderen Abkommen.
Auch die Befürchtung, der Gemeinsame Fonds könnte entsprechend den ursprünglichen Vorstellungen vieler Entwicklungsländer der Keim zu einer umfassenden, dirigistischen Weltrohstoffbehörde werden, hat sich nicht bewahrheitet. Allerdings bleibt zweifelhaft, wie wirksam der Gemeinsame Fonds sein wird, zumal noch nicht abzusehen ist, wann die Vereinigten Staaten beitreten oder ob sie überhaupt beitreten, und zumal die Sowjetunion - das wurde bereits erwähnt - ja wohl nicht beitreten wird.
Dieses Abkommen ist so etwas wie die Korsettstange für die Entwicklung in den Entwicklungsländern. Es ist nur ein Teil. Ich kann Sie beruhigen, Herr Hauchler. Liberale Wirtschaftsminister wie Graf Lambsdorff früher und Bangemann heute werden dafür sorgen, daß die Bundesrepublik Deutschland im Bereich der Handelsbeschränkungen auf jeden Fall die geringste Rolle spielen wird und immerfort an der Spitze der Bewegung sein wird, um Handelsbeschränkungen abzubauen.
({2})
Meine Damen und Herren, wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, daß eine große Zahl von Entwicklungsländern auf absehbare Zeit keine Alternative zur Ausfuhr von Rohstoffen hat.
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Hier müssen Sie von den GRÜNEN mir erst einmal sagen, wie Sie den Widerspruch zwischen der Exportabhängigkeit der Entwicklungsländer und unserer Exportabhängigkeit auflösen wollen. Wenn wir Rohstoffe aus den Entwicklungsländern brauchen, können wir sie j a nur mit unseren Produkten bezahlen. Die Entwicklungsländer selbst sind angewiesen auf ihre Rohstoffe.
Dies sollte uns aber nicht davon abhalten, alles in unserer Macht Stehende zu tun - sei es in der Bundesrepublik oder in der Europäischen Gemeinschaft oder sogar in internationalen Organisationen -, Entwicklungsprozesse in der Dritten Welt einzuleiten, die diese oft fatale einseitige Exportabhängigkeit vermindern zugunsten einer Verarbeitung von Rohstoffen vor Ort, zugunsten einer Stärkung der Binnenmärkte in den Entwicklungsländern, insbesondere zugunsten der Entwicklung des ländlichen Raumes und der Förderung kleinerer, mittlerer Betriebe. Wir haben im Entwicklungsausschuß, meine Damen und Herren, in Zusammenarbeit die ersten Unterlagen auf den Tisch gelegt. Sie müssen Priorität behalten.
Trotzdem würde ich mir wünschen, daß dieses Rohstoffabkommen die Zustimmung des gesamten Hauses finden würde.
Vielen Dank.
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Ich erteile das Wort dem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär beim Bundesminister für wirtschafliche Zusammenarbeit.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ich in den vergangenen Jahren die Vorstellungen über einen solchen Rohstoffonds hier von dieser Stelle aus oft scharf kritisiert habe, ist es für mich einfach ein Gebot der Redlichkeit, noch einmal zu begründen, weshalb wir heute das Parlament um Zustimmung zu dieser Ratifizierung bitten. Ich möchte aber zuvor dem Kollegen Hauchler für seine Worte gegen Protektionismus und Handelsbeschränkungen danken. Diese Bestärkung betrachte ich als wertvoll.
Wir sehen den Gemeinsamen Fonds als einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung des Nord-SüdVerhältnisses in einem für viele, gerade die ärmsten Entwicklungsländer, wichtigen Bereich an. Aber nicht nur die rohstoffexportierenden Entwicklungsländer, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland als eines der wichtigsten Verbraucherländer ist an einer stabilen Entwicklung der Marktstrukturen im internationalen Rohstoffhandel interessiert. Ich stimme damit ausdrücklich den Ausführungen des Kollegen Höffkes zu.
Zu diesem Stabilisierungsziel soll der Gemeinsame Fonds einmal durch den ersten Schalter bei9260
tragen, d. h. durch die Bereitstellung von Kapital zur Finanzierung von Ausgleichslagern. Zum anderen soll der zweite Schalter die Marktchancen der Entwicklungsländer, z. B. durch Förderung der Produktivität, durch Erforschung neuer Verwendungsmöglichkeiten für die Rohstoffe sowie durch stärkere Weiterverarbeitung der Rohstoffe verbessern.
Wir haben früher - das habe ich eben schon gesagt - gegen den Gemeinsamen Fonds in der damals geplanten Art starke Bedenken geäußert, und sie waren in der damaligen Situation auch voll berechtigt. Aber in der Zwischenzeit sind Ereignisse eingetreten, die uns heute den Beitritt als ratsam erscheinen lassen, vor allem deshalb, weil unseren früher geäußerten ordnungspolitischen Bedenken Rechnung getragen worden ist. Nach langen und von maßgeblicher deutscher Beteiligung beeinflußten Verhandlungen steht heute fest: Die Autonomie der Einzelrohstoffabkommen bleibt erhalten. Der Gemeinsame Fonds kann selbst nicht unmittelbar in den Markt eingreifen, sondern ist auf die Funktion eines subsidiären Finanzierungsinstruments beschränkt. Das ursprüngliche Ziel der Entwicklungsländer, ein Ressourcentransfer mit Hilfe einer globalen Rohstoffbehörde, ist damit einem realistischeren Konzept der Verringerung der Preisschwankungen gewichen, und ein solches Konzept haben wir stets bejaht.
Auch die Stimmrechtsverteilung ist jetzt unbedenklich. Die Entwicklungsländer haben zwar mit 46 % die Mehrheit der Stimmen. Aber die wichtigen Entscheidungen sind mit derart hohen qualifizierten Mehrheiten zu treffen - Dreiviertelmehrheit oder Zweidrittelmehrheit -, daß die Industrieländer mit ihren Stimmanteilen von 41 % nicht überstimmt werden können. Das Modell ist auf Konsens angelegt, und das halte ich für positiv. Ferner ist zu beachten, daß die, wie erwähnt, autonomen Rohstoffabkommen eine ausgewogene Stimmverteilung zwischen Verbrauchern und Produzenten aufweisen.
Im übrigen haben jetzt fast alle EG-Mitgliedstaaten die Ratifizierungsverfahren zum Gemeinsamen Fonds beendet. Belgien und Luxemburg stehen kurz vor dem Abschluß. Auch im Interesse der von uns immer unterstützten engen Nord-Süd-Zusammenarbeit in Europa plädieren wir für die Zustimmung zum Gemeinsamen Fonds.
Die Bundesregierung bejaht weiterhin einen offenen Welthandel, der durch die Zustimmung zum Gemeinsamen Fonds auf Grund der genannten Tatsachen nicht gefährdet wird. Die Bundesrepublik Deutschland zeigt durch ihren Beitritt zum Gemeinsamen Fonds ihre anhaltende Bereitschaft, die internationale Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern insbesondere auf dem Rohstoffsektor zu verbessern.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Zustimmung zur Teilnahme am Gemeinsamen Fonds erhält und stärkt unsere Glaubwürdigkeit gegenüber den Entwicklungsländern und hebt die für uns besonders wichtige Dialogfähigkeit mit den
Entwicklungsländern durch eine konkrete Tat hervor. Ich bitte um die Zustimmung des Hauses.
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Das Wort hat der Abgeordnete Verheyen.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich frage Sie, wenn Sie hier so auf die Marktwirtschaft pochen: Wer von Ihnen ist denn dafür, daß in der Landwirtschaft in Europa die freie Marktwirtschaft eingeführt wird? Sie wissen genau, wenn Sie das machten, daß die meisten Landwirte ihren Beruf verlören, daß es eine furchtbare Not in der Landwirtschaft geben würde. Es gibt eine gemeinsame Entscheidung aller politischen Parteien in der Nachkriegszeit, die klar besagt: Marktwirtschaft in der Landwirtschaft kann aus marktwirtschaftlichen Gründen nicht funktionieren. Dafür gibt es in der marktwirtschaftlichen Theorie klare Argumente.
Eine ähnliche Situation gibt es auch im internationalen Handel. Hier stehen sich völlig ungleiche Partner unter völlig ungleichen Bedingungen gegenüber. Der bekannte Theologe Karl Rahner hat einmal gesagt, daß die Weltwirtschaftsordnung ein System des internationalen Diebstahls sei, in dem nicht wir persönlich stehlen, sondern unsere Gesellschaft für uns stiehlt. Dieses System des internationalen Diebstahls wird von Ihnen als freie und gelobte Marktwirtschaft bezeichnet.
({0})
- Angesichts dieser Situation ist es auch kein Wunder, Herr Kittelmann, daß Sie zwar immer wieder behaupten, Sie würden eine effektive Entwicklungspolitik machen, daß es aber den Entwicklungsländern in jedem Jahr schlechter geht. Sie wissen, daß die Not jedes Jahr wächst. Sie wissen, daß die Zahl der Verhungernden auch jedes Jahr wächst. Wenn Sie dann erklären, daß wir in der Entwicklungspolitik zu einer freien Marktwirtschaft kommen müssen, dann ist das ein Hohn auf diejenigen in der Dritten Welt, die es betrifft.
({1})
Ich will allerdings auch klarmachen, daß wir bei diesem Rohstoffabkommen durchaus auch Bedenken haben.
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- Wir gehen dabei davon aus, Herr Kittelmann, daß die Situation der Entwicklungsländer dringend einer Korrektur bedarf. Die realen Preise für agrarische und mineralische Rohstoffe waren 1982 auf einem Nachkriegstiefstand. Bei den zentralen Rohstoffen, z. B. Kupfer, Nickel und Zinn, hat sich diese Tendenz laut Ifo-Institut auch bis heute fortgesetzt. Ein solcher drastischer Rückgang der Deviseneinnahmen könnte selbst von einer Volkswirtschaft wie der der Bundesrepublik nicht verkraftet werden. Selbst solch eine reiche Volkswirtschaft wie
Verheyen ({3})
die der Bundesrepublik könnte solche Verluste nicht verkraften, geschweige denn ein Land, welches durch das koloniale Erbe auf den Export eines oder weniger Rohstoffe angewiesen ist. Preisstabilisierungen und Rohstoffpreiserhöhungen sind also notwendig. Das Rohstoffabkommen ist aber nur ein begrenzt wirksames Instrument. Immerhin haben laut UNCTAD aber die Länder der Dritten Welt durch die bestehenden Abkommen 4,5 Milliarden Dollar gespart. Deswegen ist es nicht völlig unwirksam.
Wir gehen zweitens als GRÜNE davon aus, daß eine Ausrichtung der Entwicklungsländer - und da liegen auch unsere Bedenken -, der Ökonomien der Entwicklungsländer, auf Binnenmarktbedürfnisse notwendig ist und daß eine weitere Förderung der Rohstoff- und damit auch Exportorientierung der Entwicklungsländer erhebliche negative Folgen für die Wirtschaftspolitik und für die ökonomische Situation in der Dritten Welt haben.
Deshalb muß der Gefahr begegnet werden, daß die Rohstoffabkommen zu einer weiteren Verschlechterung der grundsätzlichen Situation der Entwicklungsländer führen. Wir begrüßen deshalb eine Unterstützung der Maßnahmen zur Umstellung der Ökonomie der Entwicklungsländer, der Diversifizierungsbemühungen, die zum Teil auch im sogenannten zweiten Fenster vorgesehen sind.
Im Bewußtsein der begrenzten Reichweite dessen, was wir heute hier verhandeln, aber auch im Wissen darum, daß Mehrerlöse aus Rohstoffpreiserhöhungen angesichts der gesellschaftlichen Verhältnisse nicht unbedingt den bedürftigen Menschen der Dritten Welt - da liegt ein weiteres Bedenken - zugute kommen, fällt den GRÜNEN ein Ja zum Übereinkommen zu dem Gemeinsamen Rohstoffonds nicht leicht. Wir sagen dennoch ja, weil wir meinen, daß wir gegenüber den Ländern der Dritten Welt ein Zeichen setzen müssen, daß wir uns unserer Verantwortung auch dann nicht entziehen, wenn sie etwas kostet.
Lassen Sie mich zum Schluß noch etwas zu Ihrem Entschließungsantrag sagen. Gestern wurde uns im Ausschuß gesagt, daß die Prüfung, ob das Instrumentarium wirksam ist, unter Umständen auch dem Weltwirtschaftlichen Institut in Kiel überantwortet werden soll. Jeder von uns weiß, daß dieses Institut nun wahrhaftig an der Spitze der ideologischen Vertreter der Marktwirtschaft steht. Wir haben zu einem solchen Institut natürlich überhaupt kein Vertrauen, und wir werden uns deshalb bei dem Entschließungsantrag der Stimme enthalten.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Ich rufe das Gesetz mit seinen Art. 1 bis 4, Einleitung und Überschrift mit der vom Ausschuß empfohlenen Änderung auf. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist einstimmig angenommen.
Wir stimmen nunmehr über den Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/2994 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei einigen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, ich rufe nunmehr Punkt 5 der Tagesordnung auf:
Beratung der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten
Jahresbericht 1984
- Drucksache 10/2946 Überweisungsvorschlag: Verteidigungsausschuß
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Meine Damen und Herren, bevor ich die Aussprache über diesen Tagesordnungspunkt eröffne, lassen Sie mich einige Worte aus Anlaß des bevorstehenden Wechsels im Amt des Wehrbeauftragten sagen.
Mit der Vorlage Ihres 10. Jahresberichts nehmen Sie, sehr geehrter Herr Berkhan, heute Abschied vom Amt des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Zweimal, 1975 und 1980, hat der Deutsche Bundestag Sie zu seinem Wehrbeauftragten gewählt. Sie haben in dieser Ihrer Amtszeit wichtige Marksteine gesetzt. Lassen Sie mich nur zwei hervorheben:
Es ist im wesentlichen Ihrer Arbeit zu verdanken, daß sich heute das Verständnis von Wesen und Funktion der „Inneren Führung" vertieft hat. Als großer Erfolg für das Gewicht parlamentarischer Kontrolle ist zu werten, daß es Ihnen gelungen ist, auch bei der Exekutive dafür Anerkennung zu finden, daß sich Innere Führung nicht auf Recht und Rechtsanwendung beschränkt.
Während Ihrer Amtszeit wurde das Wehrbeauftragtengesetz novelliert. Damit wurden die verfassungsrechtliche Stellung des Wehrbeauftragten präzisiert, seine Befugnisse bei der Ausübung parlamentarischer Kontrolle klargestellt und die organisationsrechtliche Einbindung der dem Wehrbeauftragten beigegebenen Beschäftigten in die Verwaltung des Deutschen Budestages auf eine tragfähige Grundlage gestellt. Sie hatten die Lösung dieser Fragen zu einer für unser Parlament wichtigen Aufgabe gemacht.
Sie, Herr Wehrbeauftragter Berkhan, haben durch Ihre Autorität als Person, aber auch durch Ihre Kompetenz in der Sache, durch Ihre langjährige Parlaments- und Regierungserfahrung sowie vor allem durch Ihre Integrationskraft dem Amt des Wehrbeauftragten besonderes Profil gegeben.
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Präsident Dr. Jenninger
Sie haben damit zugleich Maßstäbe für die Zukunft gesetzt.
Im Namen des Deutschen Bundestages bezeuge ich Ihnen Dank und Respekt für die von Ihnen geleistete Arbeit.
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Ich freue mich, daß wir heute abend Gelegenheit haben, Sie mit einem Empfang zu ehren. Ihnen, verehrter lieber Herr Berkhan, gelten meine und des Hauses besten Wünsche für Ihr persönliches Wohlergehen. Wir werden Sie hier im Deutschen Bundestag vermissen.
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Ich eröffne nunmehr die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Biehle.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Fast auf den Tag genau vor zehn Jahren, nämlich am 19. März 1975, wurde Herr Berkhan in diesem Hause mit 418 gegen nur 21 Stimmen bei zwei Enthaltungen zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt.
({0})
Wir, die Union, hatten damals als Opposition Willi Berkhan mitgetragen, um das wichtige Amt mit einer starken Persönlichkeit auszufüllen.
Heute sind wir zusammengekommen, um Herrn Berkhan im Rahmen der Einbringung seines zehnten Jahresberichtes als fünften Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages zu verabschieden. Wir verabschieden einen Angehörigen der Kriegsgeneration, der von 1957 bis 1975 als Mitglied dieses Hauses zum Wohle unseres Vaterlandes mitgewirkt und in den letzten zehn Jahren für uns alle und zum Wohle unserer Bundeswehr die schwierigen Aufgaben eines Wehrbeauftragten wahrgenommen hat.
Welche Bedeutung und welchen Wert dieses Amt für unseren Staat und die Bundeswehr hat, ist erst vor einem Jahr bei dem 25jährigen Jubiläum dieses Amtes hinreichend gewürdigt worden.
Ich bin sicher, daß Sie alle mit mir einverstanden sind, wenn ich für die Unionsbundestagsfraktion, da es sich nur um eine Einbringung des Jahresberichtes des Wehrbeauftragten und nicht, wie heute morgen in den Medien verbreitet wurde, um die Debatte des Wehrbeauftragtenberichtes handelt, sondern die Beratungen im Verteidigungsausschuß und im Parlament erst später erfolgen, nur kurz auf diesen 26. Jahresbericht des Wehrbeauftragten eingehen und mich mehr auch der Person des scheidenden Wehrbeauftragten zuwende.
Wie auch in den vergangenen Jahren haben Sie, Herr Berkhan, im Jahresbericht 1984 wieder Schwerpunkte gesetzt, die von uns allen ernsthaft bedacht werden müssen. Sie legten Finger in Wunden, die Mängel, Beschwernisse und Entgleisungen aufzeigen. Immer und überall standen die Grundrechte unserer Verfassung bei Ihrer Arbeit Pate. Der Art. 1 des Grundgesetzes, wonach die Würde des Menschen unantastbar ist, bildete jeweils die tragende Säule. So bauten Sie nicht nur eine tragfähige Brücke, wie ich meine, zwischen dem Parlament und den Soldaten der Bundeswehr, sondern auch zu allen gesellschaftlichen Gruppierungen unseres Staates.
Wenn es je eines Beweises bedurft hätte, daß die Institution der parlamentarischen Kontrolle in Amt und Person des Wehrbeauftragten keine abstrakte bürokratische Einrichtung ist, so haben Sie diesen voll und ganz erbracht.
({1})
Ihr Betätigungsfeld war nicht der Schreibtisch, sondern reichte von der Kaserne bis zum Truppenübungsplatz. Zum Schutz der Grundrechte und der Grundsätze der Inneren Führung haben Sie auch 1984 eine Fülle von Einzelverstößen registriert, die oftmals mitmenschliches Unverständnis für die Sorgen und persönlichen Anliegen von Untergebenen als eklatantes Fehlverhalten gegen die Grundsätze der Inneren Führung darstellten. Gott sei Dank handelte es sich um Einzelfälle, die nicht typisch für die gelebte innere Führung in den Streitkräften sind.
Sie machen aber auch deutlich, daß die Kontrollfunktion des Wehrbeauftragten auch im Jahre 1984 zwingend notwendig war, daß gegen jeden Ungeist beim ersten Auftreten vorgegangen werden muß und daß bei der Persönlichkeitsbildung und der richtigen Auswahl der Vorgesetzten sicher weitere Verbesserungen notwendig sind.
Dennoch und trotz allem lassen Sie mich auch hier feststellen: Die große Gemeinschaft der Soldaten ist nicht schlechter als viele andere gesellschaftliche Gruppierungen im Lande,
({2}) die jedoch keinen Ombudsmann haben.
({3})
Sicher ist diese Bundeswehr ein fest integrierter Bestandteil unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats; über 800 Patenschaften mit Städten und Gemeinden mögen ein Gradmesser dafür sein.
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Bei allen sicher berechtigten kritischen Bemerkungen zu Mängeln in der politischen Bildung muß auch gesagt werden, daß die Bundeswehr nicht all das nachholen kann, was eventuell Elternhaus, Schule und Gesellschaft vorher vernachlässigt oder versäumt haben.
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Dieser 26. Bericht war der zehnte und gleichzeitig letzte Bericht des Wehrbeauftragten Berkhan. Gestatten Sie mir daher, daß ich mich im Namen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, aber auch als Vorsitzender des Verteidigungsausschusses nun auch der Person des scheidenden Wehrbeauftragten zuwende.
Da sind zunächst zwei Besonderheiten festzustellen, die mit der Persönlichkeit Berkhans zu tun haben. Sie, Herr Berkhan, sind der erste Wehrbeauftragte, der von diesem Hause für eine zweite Amtsperiode gewählt worden ist, und das mit einer gleich großen überwältigenden Mehrheit aller Fraktionen wie bei der ersten Wahl. Außerdem sind Sie der erste Wehrbeauftragte, der von den Kontrollierten, nämlich von den Streitkräften, mit militärischen Ehren verabschiedet wurde.
Diese beiden Besonderheiten lassen, so meine ich, deutlich werden, daß bereits die erste Wahl vor zehn Jahren ein Glücksfall für dieses Haus und die Bundeswehr war und die Wiederwahl vor fünf Jahren eigentlich nur die Bestätigung und Anerkennung der schon bis dahin erworbenen Verdienste bei der Wahrnehmung dieser schwierigen Aufgabe darstellte.
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Wenn das Amt des Wehrbeauftragten im Bereich der Streitkräfte mittlerweile zu einer Normalität geworden ist und uneingeschränkte Anerkennung findet, wenn es heute zum Allgemeinverständnis unserer Soldaten gehört, daß sie sich mit ihren Sorgen und Nöten ohne bürokratische Hemmnisse direkt an den Wehrbeauftragten wenden können und dieses Recht jährlich auch von rund 5 000 Soldaten in Anspruch genommen wird, wenn der Wehrbeauftragte heute nicht mehr als eine reine parlamentarische Kontrollinstitution zum Schutze der Grundrechte der Soldaten, sondern auch als Sachwalter der Bundeswehr und als Sprachrohr für begründete Forderungen und Sorgen der Soldaten gilt und wenn das Amt in den vergangenen Jahren einen immer höheren Stellenwert erreicht hat, dann ist das im wesentlichen auf die Persönlichkeit und die Amtsführung des jetzt scheidenden Wehrbeauftragten zurückzuführen.
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Sie, Herr Berkhan, haben Ihr Amt mit Herz geführt und die Mitsorge um das Wohl der Soldaten zu einem zentralen Anliegen Ihrer Amtsführung gemacht. Bei vielen Truppenbesuchen und Gesprächen mit Soldaten aller Dienstgrade konnten wir immer wieder bestätigt finden, daß die Soldaten in Ihnen weniger einen Kontrolleur als vielmehr den vertrauensvollen Berater und vierzehnten Nothelfer gesehen haben. Das galt sogar dann, wenn Sie gelegentlich unangemessene Wünsche und Forderungen sachlich zurückweisen mußten.
Für das Parlament und den Verteidigungsausschuß waren Sie, militärisch ausgedrückt, ein Frühwarnsystem. Mit Auge und Ohr waren Sie immer bei und unter den Soldaten. Als Mahner und Warner traten Sie immer dann auf, wenn Sand im Getriebe war.
Sie haben Maßstäbe gesetzt, die auch jeden Nachfolger hart fordern werden. Dabei wünschen wir schon jetzt dem designierten Nachfolger, unserem
Kollegen Willi Weiskirch, Glück und Erfolg bei der
Übernahme eines, wie ich meine, wertvollen Erbes.
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Wir alle hier, lieber Herr Berkhan, haben in der Zusammenarbeit mit Ihnen Ihre integre Persönlichkeit, Ihre ungeheuchelte Menschlichkeit, Ihren Humor, Ihre sachlich fundierten Aussagen, aber auch Ihren Mut bei der Darstellung unpopulärer Dinge und schließlich auch Ihre hanseatische Nüchternheit schätzen gelernt.
Auch wenn Sie sich im Vergleich zu dem früheren Bundeskanzler Adenauer und zu dem amerikanischen Präsidenten Reagan noch in einem relativ jugendlichen Alter befinden, haben wir doch Verständnis dafür, wenn Sie nun nach zwei Amtsperioden und kurz vor dem 70. Geburtstag sagen: Jetzt reicht's.
Wenn Sie nun, Herr Berkhan, nach 28 Jahren politischen Wirkens in Bonn, davon zehn Jahre als Beauftragter dieses Hauses für die Belange der Bundeswehr, Ihr Amt in andere Hände abgeben, um die kommenden Jahre im heimatlichen Hamburg verleben und genießen zu können, dann danken wir Ihnen für selbstloses Engagement mit einem aufrichtigen „Vergelt's Gott".
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Der Dank gilt gleichzeitig Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Amt, die dazu beigetragen haben, daß diese Zusammenarbeit und die Arbeit insgesamt erfolgreich waren.
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Gleichzeitig wünschen wir als Unionsfraktion Ihnen und Ihrer Familie die Erfüllung Ihrer eigenen Wünsche, viel Glück, Gesundheit und Gottes Segen. Da Sie als begeisterter Segler bekannt sind, wünschen wir Ihnen ferner Mast- und Schotbruch und immer eine Handbreit Wasser unter dem Schwert - nicht dem Kiel; unter dem Schwert deshalb, weil Sie gestern im Verteidigungsausschuß gesagt haben, daß Sie sich ein so teures Boot, welches einen Kiel hat, nicht leisten können.
Für meine Fraktion beantrage ich, daß im Anschluß an diese Runde dem Wehrbeauftragten, Willi Berkhan, in diesem Hause noch einmal das Wort erteilt wird.
Ich bedanke mich sehr herzlich.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Karl-Wilhelm Berkhan war der erste Wehrbeauftragte, den der Bundestag zweimal in dieses Amt berufen hat, beide Male übrigens mit einer sehr großen Mehrheit, und er wird in den nächsten Tagen 70 Jahre alt. Es ist also schon
Schmidt ({0})
ein besonderer Abschied, den wir hier heute feiern. Er gilt einem Mann, dessen zehnjährige Amtszeit in meinen Augen ein Glücksfall der parlamentarischen Willensbildung gewesen ist.
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Er war ein Wehrbeauftragter par excellence, er hat in seiner Person verkörpert, was sich die Väter dieser parlamentarischen Institution Wehrbeauftragter damals in den 50er Jahren vorgestellt hatten. Damals war es der Sozialdemokrat Ernst Paul, der Anfang der 50er Jahre uns alle auf den Militärombudsmann aufmerksam gemacht hat, der in Schweden schon 1909 eingeführt worden war. Wir befanden uns damals, Mitte der 50er Jahre, alle in einer gemeinsamen Debatte und suchten nach der Substanz und nach der Form einer ausreichenden parlamentarischen Kontrolle über die damals erst neu zu schaffenden Streitkräfte.
Die Debatte über die künftige Wehrverfassung, d. h. über die Einordnung der bewaffneten Macht in das Grundgesetz, hat unsere Gemüter damals außerordentlich bewegt und unseren Verstand lange, lange Zeit beschäftigt. Der Primat der Politik über die Streitkräfte und die Garantie der Grundrechte des einzelnen Mannes innerhalb der Streitkräfte erschienen uns damals sowohl als ein verfassungspolitisches als auch ein verteidigungspolitisches Kardinalproblem. Wenn ich von „uns" und von „wir" spreche, so meine ich damit eine Gruppe von Abgeordneten aus drei Fraktionen, die gemeinsam in langer Arbeit eine parlamentarische Initiative entfalteten, die dann schließlich in eine Grundgesetzänderung einmündete, die sich am 19. März 1956 und übrigens auch in einer Reihe von einfachen Gesetzen niedergeschlagen hat. Unter diesen einfachen Gesetzen war auch das Gesetz über den Wehrbeauftragten des Bundestages, das ein Jahr später kam, am 26. Juni 1957.
Die soeben von mir erwähnte Grundgesetzänderung ein Jahr vorher hatte in dem neu geschaffenen Art. 45b des Grundgesetzes den Wehrbeauftragten verfassungsrechtlich institutionalisiert. Dem Ausführungsgesetz, ein Jahr später, lagen je ein Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion und der SPD-Fraktion zugrunde. Mit Recht hat der damalige CSU-Kollege Dr. Richard Jaeger in der ersten Lesung dieser beiden Gesetzentwürfe festgestellt, es handele sich um gemeinsames Gedankengut.
Als einer, der an den damaligen langen Erörterungen in dem damals noch als Ausschuß für Fragen der europäischen Sicherheit bezeichneten späteren Verteidigungsausschuß dieses Parlaments aktiv beteiligt gewesen ist, liegt es mir am Herzen, den heutigen Mitgliedern des Parlaments mit ein paar wenigen großen Strichen unsere damaligen gemeinsamen Besorgnisse zu schildern, damit man ermessen kann, wie groß der erreichte Grad der Selbstverständlichkeit und der Zuverlässigkeit ist, den die verfassungsrechtliche Einordnung der Streitkräfte inzwischen längst erreicht hat.
Die damalige Bundesregierung unter Dr. Adenauer war an den Problemen nicht sonderlich interessiert. Wohl aber waren sehr interessiert die Abgeordneten Dr. Jaeger, Dr. Kliesing, Hellmuth Heye, Kemmer, Josten, Stingl, Stücklen, Höcherl, Majonica oder Fritz Erler, Ernst Paul, Frau Schanzenbach, Adolf Arndt, Merten, Bazille, Schmidt ({2}), Mende und manche andere Kollegen. Ich erinnere mich mit Genugtuung an die konstruktiven Kontroversen jener Monate, jener Jahre, an denen auch die Landesregierungen qua Bundesrat mitwirkten, z. B. in der Person des jungen Düsseldorfer Ministerialrats Dr. Barzel.
Natürlich muß bei einem solchen Rückblick auch der großen Rolle des Generals - nach meiner Erinnerung war er damals noch Oberst - Graf Baudissin gedacht werden. Ihm zur Hauptsache verdanken wir das Konzept und den Begriff der Inneren Führung.
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Der Begriffsinhalt der Inneren Führung ist erst sehr viel später genauer normiert worden, nämlich fast 20 Jahre später, 1972, durch den damaligen Verteidigungsminister in der Zentralen Dienstvorschrift 10/1. Der damalige Parlamentarische Staatssekretär Berkhan war an dieser Normierung wesentlich beteiligt. Aber der gedankliche Kern, der Inhalt des Begriffs, war uns schon 1955 auf allen Seiten deutlich vor Augen gestanden.
Alle die, die ich vorhin genannt habe - und manche, die dazugehören und die man nicht alle nennen kann - gehörten 1955 denjenigen Generationen an, welche die Nazi-Diktatur und welche die Jahre des Zweiten Weltkrieges am eigenen Leibe als Erwachsene oder als Heranwachsende miterlebt hatten - sei es als Verfolgte zum Teil in den Zuchthäusern oder in den KZs und Lägern wie Fritz Erler, sei es, daß sie zum Teil in die äußere oder innere Emigration gezwungen gewesen waren, oder sei es, daß sie diese Jahre als Soldaten miterlebt hatten. Wir hatten alle die von Hitler zunächst unter dem Deckmantel vorgetäuschter Legalität erschlichene Eidesbindung vieler Soldaten erlebt, die ihrerseits keineswegs nationalsozialistisch dachten, die aber innerlich durchaus überzeugt waren, daß sie ihre soldatischen Pflichten trotz der Nazi-Führung dem Vaterland gegenüber zu erfüllen hatten. Wer jüngst im Fernsehen den Film „Das Boot" verfolgt hat, wird verstehen, was ich damit meine.
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Sie waren überzeugt, ihre soldatischen Pflichten gegenüber dem Vaterland erfüllen zu müssen, obwohl sie weiß Gott zu Millionen und Abermillionen nichts mit den Nazis zu tun hatten.
Auf die eine oder andere Weise hat meine Generation diesen Konflikt erlebt und durchlebt, soweit wir am Leben geblieben sind. Wir haben auch tausendfältig den Mißbrauch und die Herabwürdigung von Menschen in Uniform erlebt.
Nach 1945, als wir anfingen, in der eigenen Geschichte zu graben, war uns inzwischen klargeworden, wie sehr militaristische Entartungen erleichSchmidt ({5})
tert worden waren durch die vor der Nazi-Zeit liegende Entwicklung der preußisch-deutschen Militärverfassung im 19. Jahrhundert. Wir wollten in den 50er Jahren verhindern, daß der große aufklärerische Ansatz der preußischen Reformer Scharnhorst und Gneisenau ein zweites Mal zum Teufel ging. Wir wollten verhindern, daß eine Oberste Heeresleitung abermals über die Politik des Staates bestimmen könnte. Wir wollten verhindern, daß die Streitkräfte abermals zu einem Staat im Staate degenerieren könnten. Wir wollten verhindern, daß die Soldaten abermals zum Menschenmaterial ohne eigenes Grundrecht degradiert werden könnten. Wir wollten vielmehr freie Bürger als Soldaten, die in ihrer Pflichterfüllung zur äußeren Sicherung des Gemeinwesens nicht mit ihren eigenen sittlichen Grundüberzeugungen und mit ihrem eigenen Gewissen in Konflikt kommen. Wir wollten Soldaten, deren personale Würde von keinem Vorgesetzten angetastet wird. Wenn man dies alles so erinnert, kann man ermessen, was wir tatsächlich erreicht haben.
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Aus jenen damaligen Zielsetzungen, gegründet auf aufgearbeiteter geschichtlicher Erfahrung sind damals die heute geltenden grundgesetzlichen Regelungen der Befehls- und Kommandogewalt, der Stellung des Verteidigungsausschusses in der Verfassung und des Wehrbeauftragten als Hilfsorganes des Bundestages, gleichfalls in der Verfassung, erwachsen. Dank der geistigen Disziplin, dank der politischen Disziplin aller Beteiligten, nicht zuletzt der Soldaten der Bundeswehr selbst, haben sich alle diese Institutionen im Laufe der letzten drei Jahrzehnte zunehmend - und für mich selbst muß ich sagen: überraschend gut - bewährt. Der Bundestag darf stolz darauf sein. Denn es ist dem Parlament etwas geglückt, was es vorher nur in anderen Ländern, niemals aber in Deutschland gegeben hat: Uns ist die Schaffung einer demokratisch gesonnenen Armee geglückt.
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Dieses glückliche - inzwischen selbstverständlich gewordene - Ergebnis ist zu einem wichtigen Anteil auch Verdienst der Institution Wehrbeauftragter und der Amtsinhaber. Der ehemalige Generalinspekteur de Maizière hatte recht, als er voriges Jahr gesagt hat: Das Verfassungsexperiment ist geglückt. Ebenso hatte der Wehrbeauftragte Berkhan recht, als er in seinem vorigen Jahresbericht - nicht in dem, der heute verhandelt wird - geschrieben hat: „Unsere Bundeswehr verdient es nicht, mit der Elle des Militarismus gemessen zu werden." Dies ist in der Tat wahr.
Diese Wahrheit sollten auch die Führer solcher Initiativen von Bürgern bedenken, die meinen, gegen rechtmäßige Entscheidungen der Bundesregierung oder des Bundestages in einer Form demonstrieren zu sollen, die in erster Linie an unsere Soldaten adressiert wird, in einer Form, die vor der
Haustür ihrer Kasernen oder Unterkünfte oder Schulen stattfindet. Die Soldaten, vom Wehrpflichtigen bis zum Generalinspekteur, sind nicht diejenigen, die die bekämpften Entscheidungen getroffen haben, sondern die Soldaten führen verfassungstreu politische Weisungen aus, welche von den Verfassungsorganen und nicht von der Bundeswehr ausgegangen sind.
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Sofern man es denn mit unserem demokratischen Staat gut meint, darf man die Soldaten keineswegs in eine Rolle der Verantwortung für politische Entscheidungen der Verfassungsorgane hineindrängen.
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Man stelle sich einmal den empörten Aufschrei im Lande vor, der dann erfolgen würde, wenn etwa umgekehrt Soldaten in ihrer zivilen Freizeit in großer Zahl vor den Büros politischer Bewegungen demonstrieren würden oder wenn sich Soldaten das Schlagwort vom zivilen Ungehorsam zu eigen machen sollten.
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- Sie werden einen alten Mann nicht mehr aus seiner Ruhe bringen.
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Ich habe diese Woche zugehört, als Herr Berkhan sagte, dieser Staat sei unser aller Staat, nicht nur derjenige der Regierung, sondern auch derjenige der Opposition. Daraus folge - jetzt zitiere ich Herrn Berkhan wörtlich -: „Die Armee, die diesem Staat zu dienen hat, ist auch unser aller Armee, auch die Armee der Opposition, und so sollte es bleiben."
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Der Wehrbeauftragte hatte recht. Wenn seine Mahnung überhaupt notwendig gewesen sein sollte, so gilt sie für alle vier Fraktionen des Deutschen Bundestages.
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Der Wehrbeauftragte ist eine parlamentarische Institution, aber eine unparteiische Institution. Bundesminister Wörner hatte übrigens recht, als er vor wenigen Tagen darum gebeten hat, zu erkennen, daß die Jahresberichte des Wehrbeauftragten nicht etwa den Gesamtzustand der Bundeswehr oder die Leistungsfähigkeit der Bundeswehr zu beschreiben haben, daß sie das auch gar nicht können, sondern daß sie auf Grund des Gesetzes über den
Schmidt ({14})
Wehrbeauftragten vor allem negative Erscheinungen der Bundeswehr zu beschreiben und öffentlich erkennbar zu machen haben.
Herr Berkhan hat selbst mehrfach gesagt:
Die Bundeswehr braucht für eine gesunde Weiterentwicklung die fortwährende Begleitung wachsamer Beobachtung, konstruktiver Kritik. Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten kann nicht die Chronik der Leistungen übernehmen. Vielmehr macht es die gesetzlich gewollte Verengung meines Auftrags nötig, daß ich mich vornehmlich mit negativen Erscheinungen in den Bereichen Einhaltung der Grundrechte und der Grundsätze der Inneren Führung zu beschäftigen habe.
Ende des zutreffenden Zitats.
Die unparteiische Wahrnehmung seines Amtes, die Korrektheit im Amte, das allseitige Vertrauen, das der scheidende Wehrbeauftragte gewonnen hat, die reibungslose, auf langjähriger Kollegialität beruhende Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsausschuß und seinen Mitgliedern - alles dies ist meinem Freunde Willi Berkhan in den letzten Wochen als dickes Lob „angekreidet" worden. Der Verteidigungsminister hat sich dezidiert an diesem Lob beteiligt, worüber ich mich gefreut habe.
Wenn ich das sagen darf, Frau Präsidentin: Ich habe mich auch über die Worte des Präsidenten vorhin und über die Worte des Herrn Kollegen Biehle sehr gefreut und habe ihnen beiden herzlichen Beifall gezollt.
Es wird niemanden wundern, daß wir Sozialdemokraten besonders stolz auf diesen Wehrbeauftragten sind. Wir sind stolz auf seine Väterlichkeit im Umgang mit jungen Soldaten wie auch im Umgang mit deren Vorgesetzten, auf sein Einfühlungsvermögen in die Seele des Soldaten im allgemeinen und der jungen Wehrpflichtsoldaten im besonderen. Wir sind auch stolz auf seinen nie versiegenden Humor.
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Nachdem der Präsident des Parlaments den Dank des Bundestages ausgesprochen hat, habe ich die Freude, für meine sozialdemokratische Fraktion Dir, lieber Willi, unseren sehr persönlichen Dank zu sagen.
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Frau Präsidentin, der Umstand, daß ich soeben gegenüber meinem Freunde aus 40 Jahren in das vertraute „Du" gefallen bin, läßt mich stutzen, jedenfalls einen Augenblick. Ich bin mir nicht sicher, ob es in der Geschäftsordnung des Parlaments eine Anredevorschrift gibt.
Alle liebenswürdigen Anreden sind erlaubt.
Ich vermute aber, es gibt eine allgemeine Übung, gegen die ich eben verstoßen habe. Ich bitte um Nachsicht.
Aber ich darf vielleicht sagen: Willi Berkhan und ich haben den weitaus größten Teil unseres Lebens als engste Freunde erlebt. Wir haben uns nach der Rückkehr aus dem Krieg in unserer Partei getroffen. Wir haben jahrzehntelang gemeinsam Bäume gepflanzt, Knicks abgeknickt, gesegelt, Skat gespielt, haben seit 1957 in diesem Hause zusammen gearbeitet, zusammen gegessen; unsere Frauen sind Freunde wie wir beide, sozusagen eine Familie.
Und wir haben meistens sehr ähnliche politische Anschauungen gehabt, darunter die feste Überzeugung von der Unabdingbarkeit, unsere Bundeswehr, unsere Streitkräfte in das demokratische Gefüge der Gesellschaft und in die grundgesetzliche Ordnung einzubetten. Dieser Überzeugung haben wir mit Leidenschaft gedient. Wir haben 1958 aus dieser Leidenschaft gemeinsam mit dem verstorbenen Kollegen Will Rasner und gemeinsam mit Ernst Müller-Hermann, gleichfalls CDU, eine Wehrübung bei der Bundeswehr gemacht. Das war damals gar nicht so wohlgelitten auf allen Seiten. Wir haben das nicht getan, weil es uns Spaß gemacht hätte, nach eigenen mehr als acht Soldatenjahren in Frieden und Krieg und Gefangenschaft noch einmal eine Uniform anzuziehen, sondern wir haben es getan, um uns sichtbar neben und in die Bundeswehr zu stellen.
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Wir sind ein Dutzend Jahre später zusammen auf die Hardthöhe gegangen. Die enge, fast tägliche gemeinsame Erörterung und Beschlußfassung über fast alle wichtigen Vorgänge und Absichten gemeinsam mit den beiden Staatssekretären Hans Birckholtz und Ernst Wolf Mommsen sowie nacheinander den Generalinspekteuren Ulrich de Maizière und Armin Zimmermann gehören für mich zu meinen beglückendsten Erfahrungen in meinem langen politischen Leben.
Du hast jüngst gesagt, Willi, die Bundeswehr sei Dir ans Herz gewachsen - und das ist wohl wahr. Es galt schon damals. Es galt für uns alle in dem damaligen Kollegium auf der Hardthöhe. Wir hatten sehr verschiedene Erfahrungen und Horizonte einzubringen; Ernst Wolf Mommsen ganz besonders: er kam aus der großen Industrie. Aber so wie Hans Birckholtz jede Woche viele Male auf verwaltungsmäßiger Rationalität und auf verwaltungsmäßiger Korrektheit beharrte und sich durchsetzte, so hat Willi Berkhan immer auf mitmenschlichem Verständnis beharrt, und er hat sich damit durchgesetzt. Später hat er dann in gleicher Art und im gleichen Amt dem Verteidigungsminister Georg Leber drei weitere Jahre gedient.
Der Abschied des Parlamentarischen Staatssekretärs von jenem Amt und der Abschied aus dem Abgeordnetenmandat sind Dir damals, 1975, nicht leichtgefallen. Aber Du hast dann in den zehn Jahren als Wehrbeauftragter nicht nur Deinem eigenen politischen Leben die endgültige Form geben können, sondern Du hast der Demokratie in Deutschland in einer einzigartigen amtlichen Aufgabe einen unverwechselbaren Dienst erwiesen.
Schmidt ({1})
Wenn Du jetzt aus dem öffentlichen Dienst an unserem Staat ausscheidest, so empfinde ich darüber ein ganz klein wenig Wehmut, sehr viel Dankbarkeit und noch mehr Stolz auf die Leistung meines Freundes.
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Zugleich darf ich in der Hoffnung, er möge nicht abergläubisch sein und es nicht für ein falsches Omen halten, dem nachher erst zu wählenden neuen Wehrbeauftragten, dem Kollegen Willi Weiskirch, wünschen, er möge in ähnlicher Weise dienend erfolgreich werden. Meine sozialdemokratischen Freunde und ich versprechen ihm unsere loyale Hilfsbereitschaft.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als der Wehrbeauftragte am Dienstag dieser Woche seinen jetzt vorliegenden Jahresbericht dem Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, den Berichterstattern und den Obleuten übergab, hat er ausdrücklich darauf hingewiesen, daß dieser Jahresbericht nicht etwa ein Resümee aus einer zehnjährigen Tätigkeit, so eine Art politisches Testament, darstelle, sondern daß er, der Wehrbeauftragte, sich exakt an seinen gesetzlichen Auftrag halte, diesen Bericht auf das Berichtsjahr und seine Ereignisse zu beschränken. Und doch, lieber Herr Berkhan: Dieser Jahresbericht 1984 ist nicht nur in seinen Vor- und Schlußbemerkungen Frucht der Erfahrungen von zehn Jahren Tätigkeit als Wehrbeauftragter, von sechs Jahren als Staatssekretär und 171/2 Jahren als Abgeordneter. Dieser Jahresbericht des Wehrbeauftragten für das Berichtsjahr 1984 trägt unverkennbar die Handschrift desjenigen, der in diesem Amt zehn Jahre die Feder geführt hat. Es ist der Bericht eines Wehrbeauftragten, von dem wir alle wissen, daß er jeder hohlen Ideologie und Phrasendrescherei abhold ist und daß er grundsätzliche Feststellungen immer nur dann trifft, wenn sie durch Erfahrungen hinreichend gesichert sind.
Deswegen, meine Damen und Herren, sind bestimmte prinzipielle Aussagen in diesem Bericht zur Inneren Führung für uns - nicht nur heute, sondern auch für die Zukunft - von besonderer Bedeutung, so vor allem, wenn Sie, Herr Wehrbeauftragter, aussagen, daß Streitkräfte und Gesellschaft in einer starken Wechselbeziehung zueinander stehen, weil Integrationsdefizit und mangelnde Motivation der Soldaten sich gegenseitig bedingen und, umgekehrt, weil Mängel in der Menschenführung Vertrauen und damit Integration der Bundeswehr in die Gesellschaft beeinträchtigen. Sie sagen weiter, daß die Verwirklichung der Aufgaben der Inneren Führung nicht nur die Bundeswehr angehe, sondern daß es entscheidend auf die Mithilfe der Gesellschaft ankomme, daß Innere Führung sich nicht nur als Chefunterricht im Raum, sondern in der Praxis vollziehe, nämlich - so wörtlich - „bei jedem Dienst, an jedem Ort und zu jeder Zeit", und daß Innere Führung sich auch an einer sich ändernden Umwelt ständig neu orientieren müsse und daß Innere Führung nicht zuletzt wichtigste Erziehungsaufgabe sei, vor allem im Hinblick auf junge militärische Führer, die - wiederum wörtlich - „als wichtigste Bezugspersonen der Mannschaften das Prinzip der Inneren Führung im Truppenalltag anzuwenden haben und daher insbesondere ihnen der Inhalt des Begriffs Staatsbürger in Uniform verständlich gemacht werden muß".
Eine Bemerkung - obwohl wir diesen Bericht heute noch nicht diskutieren und auswerten - sei hier noch besonders hervorgehoben, nämlich die, daß ein politisch gebildeter Vorgesetzter dem politisch Andersdenkenden, soweit sich dessen politische Meinung im Rahmen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung hält und die ihm als Soldat auferlegten besonderen Pflichten des Soldatengesetzes beachtet, toleranter, vor allem aber auch gelassener und selbstbewußter gegenüberstehen sollte, als dies zuweilen heute noch der Fall ist.
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Ich will jetzt im Augenblick nicht in Einzelheiten auf diesen Bericht eingehen, sondern nur aus der gestrigen Pressekonferenz des Wehrbeauftragten noch ein Bemerkung anfügen: Nachdem Sie gesagt haben, daß Sie Ihre Aufgabe als Schutzfunktion gegen rechtliche Übergriffe verstanden haben, gehen Sie in dem Jahresbericht dann allerdings einen entscheidenden Schritt weiter, wenn Sie sagen: Der Anspruch des Staatsbürgers in Uniform auf rechtmäßige und gerechte Behandlung durch die Vorgesetzten schließt seinen Anspruch auf menschliche Behandlung mit ein. Menschliche Behandlung bedeutet für mich Freundlichkeit und Zuwendung, Verständnis und Hilfsbereitschaft. - Genau das ist es, was unser Wehrbeauftragter - wenn ich „unser" sage, dann meine ich sowohl die Bundeswehr, die das durch den Generalinspekteur so ausgedrückt hat, aber auch den Bundestag in seiner Gesamtheit - in diesen zehn Jahren, die jetzt hinter ihm und uns liegen, vorgelebt und bewirkt hat.
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Wenn er in den Vorbemerkungen zu seinem Jahresbericht feststellt, immerhin werte er es als Fortschritt, daß die meisten Soldaten inzwischen schon etwas vom Wehrbeauftragten gehört haben, so verbirgt sich dahinter sowohl die Nüchternheit der Aussage wie auch ein gewisses - was ich als Nachbar und Schleswig-Holsteiner feststellen darf - hanseatisches Understatement, das zwar gut klingt, aber in dieser Form sicherlich nicht berechtigt ist; denn ich glaube, daß das, was Ihnen in diesen Tagen gesagt worden ist und noch gesagt werden wird, weit über das hinausgeht, was Sie damit selbst ausdrücken.
Sie haben nicht nur Achtung - so sagte der Generalinspekteur auf der Festung Ehrenbreitstein -,
Sie haben Sympathie bei uns genossen. Ich sage es noch einmal: Sie sind unser Wehrbeauftragter.
Das gilt sicherlich auch für uns alle, die wir heute hier in diesem Parlament beisammen sind. Wir hoffen auf eine gleich gute Zusammenarbeit mit dem designierten Nachfolger, wie wir sie in den zehn Jahren gehabt haben. Auch gerade an dieser Stelle füge ich hinzu, daß wir Ihnen, Herr Kollege Weiskirch, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Wunsch nach einem gemeinsamen Erfolg zusagen.
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Kein Wunder, daß in diesen zehn Jahren die Person des Amtsinhabers das Amt selbst, aber auch das öffentliche Bild von ihm geprägt hat. Kein Wunder bei dieser Person, daß sein Amt das Vorbild des schon vom Kollegen Schmidt ({3}) erwähnten schwedischen Militär-Ombudsmanns in den Alltag der Bundesrepublik umgesetzt hat.
Ich will die Stationen Ihres Lebensweges nicht noch einmal wiederholen. Sie sind vielfach genannt worden und haben die Voraussetzungen für das geschaffen, was Sie geleistet haben und was Sie ins Amt eingebracht haben - als eine Persönlichkeit, die die Mitarbeiter, denen an diesem Tage auch unser Dank gilt, die Soldaten und wir als Mensch mit menschlichem Wesen, Herzlichkeit, Humor und beharrlicher Behutsamkeit kennen, wobei das Schwergewicht der Aussage sowohl auf beharrlich wie auf behutsam gelegt werden muß; eine ungewöhnlich glückliche Kombination zum Nutzen des Parlaments, zum Nutzen der Bundeswehr, letztlich zum Nutzen unserer Gesellschaft.
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In der Amtszeit von Herrn Berkhan wurden Anspruch und Wirklichkeit der Grundsätze der Inneren Führung in der Bundeswehr in Übereinstimmung gebracht. Ich füge an dieser Stelle nur hinzu: Besser als Sie selbst, Herr Berkhan, es in Ihrer Rede in Koblenz, in der Ansprache an die Vorgesetzten und die Untergebenen in der Bundeswehr gesagt haben, vermag das eigentlich keiner von uns zu wiederholen. Ich empfehle jedermann, diese Rede einmal nachzulesen, der wirklich an den Problemen der Bundeswehr und an den Problemen des von Ihnen wahrgenommenen Amtes interessiert ist.
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Eines sei mir an dieser Stelle gestattet, nämlich mit einem Zitat versuchsweise auszudrücken, was nach meiner Sicht der Dinge über Ihrem Wirken, und dies nicht nur im Amt des Wehrbeauftragten, gestanden hat. Es ist ein Zitat von Montesquieu, in dem er über das Prinzip der Demokratie spricht. Dort heißt es:
Eine monarchische oder despotische Regierung bedarf zu ihrer Erhaltung oder Stütze keiner sonderlichen Rechtschaffenheit. Bei der einen ist es die Macht der Gesetze, bei der anderen der stets erhobene Arm des Fürsten, der alles in Ordnung und im Zaume hält. In einem
Volksstaat aber bedarf es noch einer weiteren Triebkraft, nämlich der Tugend. Meine Behauptung wird durch den ganzen Verlauf der Geschichte bestätigt und entspricht auch völlig dem Wesen der Dinge. Denn es ist klar, daß in einer Monarchie, wo der, welcher die Gesetze vollzieht, sich über sie erhaben dünkt, weniger Tugend erforderlich ist als in einer Volksregierung, wo der, der die Gesetze vollziehen läßt, sich selbst ihnen unterworfen fühlt und ihre Last mittragen muß.
Sie, Herr Wehrbeauftragter, haben Maßstäbe gesetzt, in der Bundeswehr, für die Bundeswehr, für das Verhältnis von Bundeswehr und Parlament und Gesellschaft. Aber Sie haben sich immer diesen Maßstäben selbst unterworfen und unterworfen gefühlt, und Sie haben sie gelebt in ihrem Wirken. Das ist das, was ich Ihnen als Dank und Anerkennung in diesem Augenblick mit auf den Weg geben möchte.
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Mir sei eine abschließende Bemerkung gestattet, die sich auf ein Geschenk bezieht, das Ihnen gestern der Verteidigungsausschuß u. a. gemacht hat: eine Bootsmannspfeife, ein Instrument, das in der Marine dazu verwandt wird, um Alle-Mann-Manöver und Befehle in den Decks auszupfeifen und auszusingen. Es ist klar, daß sich die Anekdote der damit angedeuteten Übung bemächtigt hat. So wird berichtet, am 24. Dezember jeden Jahres werde auf den Schiffen der Bundesmarine - und auch früher - ausgepfiffen und ausgesungen: „Alle Mann sich freuen! Ist Weihnachten!"
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Vielleicht könnten und sollten wir heute, Herr Berkhan, auspfeifen und aussingen lassen: „Alle Mann sich grämen! Der Wehrbeauftragte scheidet aus!"
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Ich weiß, daß „alle Mann sich grämen" nicht Ihrer Vorstellung von diesem Tag und auch nicht Ihrem Temperament entspricht. Und doch sei damit etwas von dem ausgedrückt, was uns heute bewegt; denn es geht heute nicht nur um den Abschied eines Amtsinhabers, sondern für uns auch in den anderen Fraktionen - und ich sage dies für meine Fraktion und für mich persönlich ganz ausdrücklich - ebenso um den Abschied von dem unmittelbaren Kontakt mit einem guten Freund, mit dem wir uns heute und in Zukunft verbunden wissen.
Herzlichen Dank.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Vogt ({0}).
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Berkhan! Ich will nicht sagen, daß ich mich gräme, aber schwer fällt es mir auch, von Ihnen in Ihrer
Vogt ({0})
Funktion als Wehrbeauftragter Abschied zu nehmen. Ich habe Sie hier als eine warmherzige, als eine lebenskluge Persönlichkeit kennengelernt. Ich will nicht von Altersweisheit reden, denn dafür wirken Sie auf mich noch zu jung, aber ich meine, daß wir Ihnen auch vermitteln müssen - ich glaube, Sie würden sich wundern, wenn wir das nicht täten -, daß wir aus einer Position der Gewaltfreiheit durchaus zu unterscheiden wissen zwischen der Wertschätzung für eine Persönlichkeit und für die persönliche Note, die dieser Mensch eingebracht hat, und der Kritik an der Institution, die unabhängig davon bleibt. Indem wir diese Kritik aussprechen und Sie um den Dialog zu dieser Kritik bitten, ehren wir gleichzeitig Ihre Arbeit.
Wir meinen, daß es in einer Beratung zum Bericht des Wehrbeauftragten nicht ausschließlich Aufgabe des Parlaments sein kann, Ehrenkränze zu flechten und Vorschußlorbeeren für den künftigen Wehrbeauftragten zu verteilen. Unsere Aufgabe ist es, mit Hilfe des Wehrbeauftragten den Zustand der Bundeswehr zu beurteilen, auf Probleme aufmerksam zu machen sowie Kriterien für die Arbeit des Wehrbeauftragten zu überprüfen und fortzuentwikkeln.
Wir haben bereits am 4. Oktober zum Jahresbericht 1983 unsere Position dargelegt, daß der Wehrbeauftragte in seiner Arbeit auch auf die Veränderung der sicherheitspolitischen Lage, auf die wachsende Kriegsgefahr, die Unfähigkeit zur Abrüstung und den moralischen Zerfall der militärischen Sicherheitspolitik eingehen sollte. Ich muß das heute ergänzen: Er muß auch auf die politischen Gefahren reagieren, die von diesen Tatbeständen ausgehen.
Ich habe damals vier Forderungen gestellt, und diese Forderungen machen sich die GRÜNEN zum Leitfaden für die Beurteilung der Arbeit auch eines künftigen Wehrbeauftragten. Der Wehrbeauftragte soll erstens dem wachsenden Gewissenskonflikt von Soldaten besondere Aufmerksamkeit widmen, zweitens prüfen, ob Soldaten als Menschen in Verantwortung und nicht als Befehlsempfänger betrachtet werden, drittens die Auswirkungen sozialer Not und Jugendarbeitslosigkeit beachten und diesem Problem große Aufmerksamkeit schenken und viertens die Zumutbarkeit des Wehrdienstes insgesamt prüfen.
Herr Abgeordneter, einen Moment.
Es ist sehr unruhig im Saal. Ich bitte, dem Redner etwas mehr zuzuhören.
Es handelt sich hier um Kriterien, an denen wir die Institution des Wehrbeauftragten prüfen werden. Ich beginne mit den Gewissenskonflikten von Soldaten. Sie beklagen in Ihrem Bericht, Herr Wehrbeauftragter, daß der eigentliche Verfassungsauftrag des Wehrbeauftragten, nämlich die Unterstützung des Parlaments bei der Ausübung der Kontrolle über die Streitkräfte auf den Feldern des Schutzes der Grundrechte und der Grundsätze der Inneren Führung seinem Wesensgehalt nach unbekannt sei. Ich frage mich, welches Verständnis der Wehrbeauftragte vom Schutz der Grundrechte hat und ob er wirklich alle Grundrechte meint, wenn sein Bericht nicht einen Hinweis auf diejenigen enthält, die sich während ihrer Dienstzeit in der Bundeswehr auf Grund der Konfrontation mit der militärischen Realität oder, wie manche auch sagen würden, mit dem militärischen Wahnsinn, dafür entscheiden, den Wehrdienst zu verweigern. Es ist doch wohl das mindeste, was man von einem Bericht der Institution „Wehrbeauftragter" erwarten kann, daß sie Auskunft darüber gibt, ob und welche Schwierigkeiten Soldaten haben, wenn sie von ihrem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung Gebrauch machen.
Dies gilt insbesondere, weil es sich doch um eine beachtliche Gruppe handelt. Ich weiß, die Statistiken sind langsam, aber 1983 haben immerhin fast 2 000 - es waren genau 1 948 - Soldaten einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt. Wir als GRÜNE hören immer noch von dem Problem der Doppelbestrafung. Warum kann ein Wehrbeauftragter zum Sinn und Unsinn aller möglichen Gesetze Stellung nehmen, nicht aber zur gesetzlichen Schlechterstellung der Kriegsdienstverweigerer den Soldaten gegenüber, nämlich durch die Verlängerung ihres Dienstes, durch Nachsitzen auf Grund ihrer Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung bzw. durch gesonderte Prüfungsverfahren?
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Werden Kriegsdienstverweigerer in der Truppe wirklich menschlich behandelt? Vielleicht haben dem Wehrbeauftragten hierzu keine Eingaben vorgelegen. Woran liegt das dann?
Ein anderer Punkt. Es gibt auch den sogenannten Totalverweigerer. Im Bericht des Jahres 1982 haben Sie das unter dem etwas putzigen Begriff der Dienstleistungsverweigerung durchaus noch behandelt. Diesmal und auch schon im letzten Bericht ist das nicht erwähnt. Meine Frage ist: Warum ist das so? Haben Sie sich nicht als Ombudsmann auch für diese Personen betrachtet? Wenn das nicht so wäre, müßte man den künftigen Wehrbeauftragten kritisch fragen, wie er es damit halten wird, und man müßte dann, wenn er das durch seine Tätigkeit verneint, zu dem Ergebnis kommen, daß diese Totalverweigerer einen besonderen Ombudsmann - wir nennen ihn „Ombudsmann für Friedensarbeit" - brauchen. Wir regen an, dies auch parlamentarisch in Angriff zu nehmen; wenn es nicht parlamentarisch geschieht, so schlagen wir diese gesellschaftliche Institution außerparlamentarisch vor.
Was ist mit den Soldaten, die von ihrem Recht Gebrauch machen, sich zumindest in der Freizeit im Rahmen der Friedensbewegung zu engagieren und auch den Regierungskurs zu kritisieren? Sind dem Wehrbeauftragten die Fälle, in denen den Soldaten daraus Nachteile erwachsen, nicht zu Ohren gekommen, oder interessieren sie nicht?
Ich möchte nur den jüngst bekanntgewordenen Fall eines Hauptmanns erwähnen, der als einer der
Vogt ({1})
fünf Sprecher des „Darmstädter Signals" die Beendigung und die Rücknahme der Stationierung US-amerikanischer Atomraketen in der Bundesrepublik, die Zurückweisung der US-Doktrin Air-LandBattle und die Schaffung ABC-Waffen-freier Zonen in Europa gefordert hatte, dessen friedenspolitisches Engagement als Unterrichtsbeispiel in einem Lehrgang gegen Spionage, Sabotage, Terror und Zersetzung benutzt wurde, der wegen seines Auftretens in der Friedensbewegung, d. h. wegen seiner Beteiligung an der friedenspolitischen Diskussion mit Vorgesetzten, bedroht wurde und der sich nun, nachdem die Versetzung im Dezember 1984 tatsächlich ausgesprochen wurde, an den Wehrbeauftragten gewandt hat.
Aus einem Bericht des Wehrbeauftragten muß künftig hervorgehen, wie es um die Möglichkeit der Grundrechtswahrnehmung und des gesellschaftlich-politischen Engagements von Soldaten auch gegen den Regierungskurs bestellt ist. Andernfalls wäre der Schluß zu ziehen, hier wird etwas verschwiegen, oder es ist schlecht darum bestellt.
Unsere zweite Forderung ist, daß Soldaten als Menschen in Verantwortung, nicht als Befehlsempfänger behandelt werden. Ich brauche das nicht im einzelnen auszuführen, denn Sie sind erfreulicherweise darauf eingegangen.
Was ich aber sagen muß - und zwar an die Adresse des Bundesverteidigungsministers -, ist, daß es nicht allein Klagen über Vorgesetzte in der Bundeswehr gibt, sondern auch solche über den Verteidigungsminister. Ich spiele hier auf die Studie des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr an. Da gab es eine umfangreiche Untersuchung über die Motivation. Folgt man Presseberichten über diese Studie, die der Bundesminister unter Verschluß hält, besagt sie, daß über die Hälfte der Offiziere, zwei Drittel der Unteroffiziere und gut 80 % der Wehrpflichtigen es rundweg ablehnen, die Bundesrepublik notfalls auch mit Atomwaffen zu verteidigen. Diese Studie sollte - auch wegen ihrer weiteren Aussagen - der Öffentlichkeit vorgelegt werden.
Unsere dritte Forderung ist, daß sich Parlament und Wehrbeauftragter kritisch damit auseinandersetzen, was es für diese Gesellschaft bedeutet, wenn junge Menschen es sich nicht mehr leisten können, ihr Gewissen zu prüfen und ihm zu folgen, sondern aus sozialer Not und Angst vor Arbeitslosigkeit blindlings die Flucht zu den Fahnen ergreifen.
({2})
Meine Damen und Herren, die Probleme konnten hier nur angerissen werden. Wir bitten aber, da wir gehört haben, daß der Wehrbeauftragte hier noch Stellung nehmen wird, darum, daß er - wenn auch als scheidender Wehrbeauftragter - auch diese Probleme hier mit anspricht, und wir bitten den künftigen Wehrbeauftragten, sich darum zu kümmern.
Sie, Herr Berkhan, haben in Ihrem Bericht ausgeführt:
Der Abschied von unseren Soldaten, vom einfachen Mann bis zum hohen General, fällt mir nicht leicht. Möge kluge Politik und ein gütiges Schicksal sie davor bewahren, jemals das Gelernte anwenden zu müssen.
Wir stimmen dem zu. Wir meinen aber, daß diese kluge Politik von verschiedenen Ufern aus vorbereitet werden muß. An Sie persönlich habe ich den Wunsch, daß Sie für den Dialog, für den großen Dialog, der in unserem Volk über Fragen des Friedens stattfindet, auch nach Ihrem Ausscheiden zur Verfügung stehen, daß Sie dafür vielleicht auch, befreit von der Bürde des Amtes, in einer sehr freizügigen Weise zur Verfügung stehen und daß Sie helfen können, Mißverständnisse, Gräben des Mißverständnisses, die in diesem Dialog noch bestehen, mit zu überwinden.
Ich danke Ihnen.
({3})
Das Wort hat der Herr Wehrbeauftragte.
Berkhan, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages: Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Ich danke, bevor ich zu meinen eigentlichen Ausführungen komme, den Sprechern der Fraktionen, den Herren Biehle, Ronneburger und Vogt. Herr Vogt, ich habe mehrmals von diesem Mikrofon aus erklärt, daß meine Methode war, Schwerpunkte in den Jahresberichten zu setzen. In diesem Jahresbericht ist ein Schwerpunkt das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Bundeswehr.
Wenn ich alles aufnehmen wollte, was in meinem Arbeitsfeld zu bestreichen ist, würden Sie einen so dicken Bericht vorgelegt bekommen, daß ich - nach siebzehneinhalbjähriger Tätigkeit als Abgeordneter - befürchte, daß nur wenige Abgeordnete diesen Bericht ganz lesen würden,
({0})
aber nur ein ganzer Bericht gibt einen wirklichen Einblick.
Sie haben hier einen konkreten Fall angesprochen. Hoffentlich meinen wir denselben. Ich kann Ihnen sagen, daß sich der Soldat noch nicht an mich gewandt hat, sondern es war seine Ehefrau, und wir erst nachgefragt haben, ob er sich denn mit der Eingabe seiner Ehefrau identifiziert. Zum anderen geschah es in diesem Jahr. Wenn dabei etwas Berichtenswertes herauskommt, wird es im nächsten Bericht stehen. Dies ist der Bericht über das vergangene Jahr. Dennoch, Herr Vogt - wir haben uns in einigen intensiven Gesprächen kennengelernt, und ich weiß ja, was Sie bewegt -, in dem Sachverhalt steckt wirklich ein Kern, der aufgenommen werden muß.
Sehen Sie, ich habe bei einem Truppenbesuch einen Totalverweigerer vorgefunden, der im disziplinaren Arrest saß. Ich habe den jungen Mann aufWehrbeauftragter Berkhan
gesucht und habe mit ihm eine Stunde und länger unter vier Augen gesprochen. Dieser junge Mann, der sich da sicher nicht glücklich fühlte, hat mir wieder und wieder bestätigt, daß er die Rechtsordnung, die ihn dahin führte, für falsch halte, aber daß die Behandlung durch den Kompaniechef und durch den Bataillonskommandeur und durch den Seelsorger sehr menschlich war.
({1}) Er fühlte sich dort nicht vereinsamt.
Ich bitte Sie nur, Herr Vogt, wenn Sie für diese Gruppe der Soldaten eintreten, auch zu berücksichtigen, daß es der Kompaniefeldwebel, der Unteroffizier und der Kompaniechef in dieser Situation recht schwer haben. Auf der einen Seite sollen sie ihren Befehl mit angemessenen Mitteln durchsetzen, und auf der anderen Seite begegnet ihnen ein Soldat, der sich weigert, die Uniform anzuziehen und einen Befehl auszuführen. Sie sind ja nicht Psychologen und Psychotherapeuten, Juristen und Pädagogen und was man da alles sein muß. Dieser Kompaniechef und der Kompaniefeldwebel sind ja auch keine Politiker, sie müssen dann mit ihren Mitteln und ihren geistigen Gaben dieser Situation Herr werden.
Sie können sicher sein, Herr Vogt: Meine Mitarbeiter und ich sind auf dem Auge nicht blind. Ich bin ganz sicher, auch ein neuer Wehrbeauftragter wird das nicht nur subjektiv versuchen zu bewältigen, sondern auch objektiv in seine Arbeit aufnehmen.
Ich danke natürlich auch meinem Freunde Helmut Schmidt. Helmut, Du solltest Dir diese Rede verwahren, denn ich bin ja drei Jahre älter als Du. So eine Rede hält man eigentlich nur am Grab.
({2})
So gut, wie ich hier geschildert wurde, kann ein Mensch gar nicht sein, und mir ist es ganz kalt über den Rücken gelaufen. Meine Damen und Herren, ich habe sicher auch Fehler gemacht. Wenn ich während meiner Zeit als Abgeordneter, als Parlamentarischer Staatssekretär oder während der zehn Jahre als Wehrbeauftragter einem Mitglied dieses Hauses Unrecht getan habe, so bitte ich in dieser Stunde um Verzeihung. Es geschah nicht in böser Absicht, aber es „menschelt" überall.
({3})
Lassen Sie mich herzlich für die Gelegenheit danken, letztmalig von diesem Mikrofon aus zu Ihnen sprechen zu dürfen. Ich nutze diese Gelegenheit gern, um Ihnen allen für das Vertrauen zu danken, das Sie in all den Jahren meinem Amt und auch mir entgegengebracht haben. Ohne dieses Vertrauen und ohne Ihre Hilfe wäre das Wirken des Wehrbeauftragten Saft- und kraftlos.
Der Dank der Bundeswehr, der mir zum Abschied auf der Feste Ehrenbreitstein durch die Soldaten ausgesprochen wurde, galt nicht nur mir, Ihrem Gehilfen, sondern in gleicher Weise dem Herrn, dem Deutschen Bundestag. Ich bitte Sie, diesen Dank der Soldaten anzunehmen, und gleichzeitig dem Wehrbeauftragten - Ihrem Wehrbeauftragten - in Zukunft Ihr Vertrauen gleichermaßen zu schenken wie mir.
({4})
Zum Abschluß meines letzten Jahresberichts habe ich der Truppe noch einmal die politische Bildung ans Herz gelegt. Lassen Sie mich hier heute nur bei diesem Thema bleiben - Herr Vogt, da bin ich dann wieder unvollständig -, und lassen Sie mich an das, was ich im Jahresbericht geschrieben habe, noch ein paar Worte anknüpfen.
Der Zweite Weltkrieg liegt bald 40 Jahre zurück. Nur noch ganz wenige derzeit aktive Offiziere und, glaube ich, kaum noch ein Unteroffizier in der Bundeswehr haben ihn als Soldat erlebt. Vielleicht ist der zeitliche Abstand zu dem Schreckensregiment der Nazis, der zeitliche Abstand zu der alten Armee, Wehrmacht genannt, vielleicht aber auch die Gewöhnung an unsere Demokratie und an unseren relativen Wohlstand eine Ursache dafür, daß politische Bildung ihre Bedeutung als zentrales Element der Inneren Führung offensichtlich in der Praxis des Truppenalltags etwas verloren hat. Viele Vorgesetzte sehen in der politischen Bildung nur noch die Sinnvermittlung des Wehrdienstes für unsere Grundwehrdienstleistenden. Das ist sicher ein wichtiges Ziel. Aber auch hier wird sie mehr als Zumutung denn als besonderes Ausbildungselement betrachtet. Dies hört man schon aus den Worten mancher Vorgesetzten heraus, wenn sie sagen: Wir sind nicht die Schule oder nicht die Volkshochschule der Nation. Es heißt dann, Nachhilfestunden in politischer Bildung gehörten nicht zum Auftrag der Streitkräfte.
Diese Entwicklung stimmt mich besorgt; denn Innere Führung kann ohne politische Bildung nicht verwirklicht werden. Ohne politische Bildung kann kein Einheitsführer seine Untergebenen zu vorbildlichem Verhalten als Staatsbürger in Uniform anleiten.
({5})
Ohne politische Bildung kann z. B. nicht an die schwierige Frage der Tradition herangegangen werden; denn zuerst muß sich der Soldat die Qualität dessen bewußt machen, was unsere Geschichte im Guten wie im Bösen ausmacht. Erst danach kann als nächster Schritt Traditionspflege beginnen. Ohne politische Bildung kann kein Vorgesetzter den Auftrag der Streitkräfte einordnen und steht hilflos abseits, wenn wie in dieser Zeit der Auftrag öffentlich diskutiert wird.
Deshalb geht politische Bildung alle Soldaten an, auch die längerdienenden Soldaten. Deshalb muß sie, wie vorgeschrieben, in den gesamten militärischen Dienst integriert werden.
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Lassen Sie mich noch einen Schritt weiter zurückgehen zu den Ursprüngen, zu der Frage, warum gerade in unseren, den deutschen Streitkräften die politische Bildung so wichtig ist. Meine Antwort
Wehrbeauftragter Berkhan
darauf lautet: weil man nicht anküpfen konnte an die radikale Absage von Reichswehr und Wehrmacht an alle demokratischen, parlamentarischen und sozialen Selbstverständlichkeiten, weil man nicht anknüpfen konnte an die Verstrickung der Wehrmacht in die Verbrechen des NS-Staates bei der Deportation und Exekution von Zigtausenden unschuldiger Menschen, Juden und Nicht-Juden, Deutschen und Nicht-Deutschen, Kriegsgefangenen und politischen Häftlingen - ich vermag die Liste nicht aufzuzählen -, weil man nicht anknüpfen konnte an ihr totales Versagen auf dem Gebiete des Kriegsvölkerrechts.
Alle die lange Zeit viel beschworenen deutschen Soldatentugenden erwiesen sich als brüchig, als untauglich. Sie zerschmolzen zu Distanzlosigkeit und Apathie in der Feuersbrunst des Nationalsozialismus und seinem ganzen Unrecht.
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Was uns, den Frauen und Männern meiner Jahrgänge widerfahren ist, wo wir mitgemacht haben, mitmachen mußten, das durfte sich in Deutschland nicht wiederholen. Die Soldaten unserer Bundeswehr mußten ein anderes geistiges Handwerkszeug bekommen als das, was so kläglich versagt hatte.
({8})
Ich will keinen kränken, aber ich muß es Ihnen sagen: Auf diese alten soldatischen Tugenden haben sich z. B. auch Männer wie Keitel und Jodl berufen.
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Der angepaßte, jederzeit disponible Soldat, der „Untertan in Uniform" darf in der Armee eines freiheitlichen sozialen Rechtsstaates keinen Platz finden.
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In der Armee dieses Staates werden Menschen als Soldaten benötigt, die fähig sind, mit politischen Fakten umzugehen, Menschen, die Verhaltensweisen und Ereignisse einordnen, sorgsam abwägen und beurteilen können, Menschen, die in der Lage sind, begründete und verantwortete Entscheidungen zu treffen. Hierzu bedarf es der Fähigkeit zur Kritik, und zwar nicht nur zur positiven Kritik auf alles, was von oben kommt - das wäre der alte Untertanengeist -, sondern ich meine jene konstruktive offene Kritik, die die Entwicklung der Streitkräfte als Teil unserer offenen Gesellschaft fördert.
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Diese Kritik meine ich, und ich meine die offene und sachliche Diskussion, und damit habe ich ein Stück Antwort auf die Ausführungen meines Vorredners gegeben. Denn die offene und sachliche Diskussion, die Pluralität der Meinungen dienen nicht nur der eigenen Meinungsbildung und fördern die Kritikfähigkeit, sie fördern gleichzeitig das
Vertrauen der öffentlichen Meinung in diese Streitkräfte.
Die Bürger unseres Staates wünschen in großer Zahl, daß der, der Berufssoldat oder Soldat auf Zeit wird, aber auch der Wehrpflichtige seine Entscheidung aus Verantwortung gegenüber seinem Vaterland und der Sicherheit und Freiheit seines Volkes trifft. Hierzu muß ihm politische Bildung verhelfen; denn diese verantwortete Entscheidung kann nur der Bürger treffen, der die Lebensordnungen und Grundbedingungen unseres freiheitlichen sozialen Rechtsstaates kennt und sie mitgestalten will. Dazu benötigen wir eine Bildung, die hin zum Staat und hin zum Mitgestalten unserer Gesellschaft führt.
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Aber ich meine nicht jene Art individueller Bildung, die uns während der Nazizeit den Weg in die Emigration unserer Wohnstuben wies.
Politische Bildung in der Bundeswehr will noch ein anderes: Sie will zu Verständnis und Rücksichtnahme im Umgang miteinander erziehen, zu Fairneß und Toleranz. Sie will Brücken schlagen, zur Kameradschaftspflicht ermahnen, und sie will mit neuen Inhalten füllen, was vielleicht verschüttet worden ist. Wenn der Kamerad geachtet und in seinem Anderssein akzeptiert wird, auch im Sinne christlicher Brüderlichkeit, wenn die Bedürfnisse des anderen zu eigenen Bedürfnissen werden, dann hat politische Bildung Wirkung gezeigt.
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Frau Präsidentin, ich danke Ihnen noch einmal, daß ich Gelegenheit hatte, hier zu sprechen.
Ich danke allen Mitgliedern dieses Hauses, die mich in meiner Arbeit unterstützt haben. Ich schließe in meinen Dank die Vorgänger ein, die hier gesessen haben. Ich bedanke mich auch beim Bundesminister der Verteidigung, Herrn Dr. Wörner, und seinen Vorgängern, aber natürlich auch bei den Angehörigen Ihres Hauses. Selbstverständlich bedanke ich mich auch bei den Soldaten unserer Bundeswehr.
Aber zum Schluß danke ich meinen jetzigen und meinen früheren Mitarbeitern, ohne die ich mein Amt nicht hätte führen können.
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Ich sehe nicht die gestrengen Damen und Herren des Haushaltsausschusses, aber ich sehe den Finanzminister, Herrn Dr. Stoltenberg. Ich bitte das Haus, zu überlegen, ob man, wenn die Zeiten einmal besser werden, dem Amt des Wehrbeauftragten nicht eine ganz kleine Komponente wissenschaftlicher Mitarbeiter hinzufügen sollte. Ich denke an zwei, drei Personen, die mitkoppeln, was draußen über moderne Menschenführung gedacht und geschrieben wird, wo die Wissenschaft steht, die aber gleichzeitig in diese Diskussion das einspeisen könWehrbeauftragter Berkhan
nen, was in den Streikräften geschieht und was dort für notwendig erachtet wird.
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Ich habe mir das zehn Jahre gewünscht. Ich habe es aber vor dem Präsidenten, vor dem Haushaltsausschuß und vor Ihnen verschwiegen, weil ich nicht unbescheiden sein wollte. Jetzt gilt dieser Wunsch nicht mehr mir, sondern er gilt dem Amt und meinem Nachfolger. Vielleicht denken Sie darüber nach.
Ich will etwas versöhnlich schließen; vielleicht war das zu ernst, was ich zuletzt gesagt habe. Unsere Arbeitsgemeinschaft katholischer Soldaten habe ich als Lutheraner einmal auf dem Weg nach Lourdes begleitet. Jeder von Ihnen weiß, daß an den heiligen Stätten, wo so viele Menschen zusammenkommen, auch der Rummel blüht. Als ich am späten Abend durch die Gassen ging - der gute französische Wein hatte schon seine Wirkung getan -, traf ich als erstes einen deutschen Gefreiten mit einer französischen Marinemütze. Völlig verstört ging ich auf ihn zu und sagte: „Junge, Junge, wenn Dein Spieß Dich so sehen würde, was würde der mit Dir machen?" Da sagte er zu mir - Herr Altenburg hört jetzt einmal weg -: „Kluge Gefreite haben immer mehrere Barrets."
({16})
Der nächste, der mich traf, sprach mich direkter an und fragte: „Sag' mal, bist Du nicht der Wehrbeauftragte?" „Ja", sagte ich, „der bin ich." Da gab er mir die Hand und sagte: „Der Friede sei mit Dir."
({17})
Diese beiden kleinen Beispiele zeigen mit ihren Äußerlichkeiten Ihnen allen, daß in unseren Streitkräften ein anderer Geist weht, als wir ihn in der Wehrmacht erlebt haben.
Allen Ernstes will ich den Gruß dieses Gefreiten aufnehmen. Ich wünsche unserem Volk, ich wünsche Ihnen, daß der Friede stets mit ihm und mit Ihnen sei. Auf Wiedersehen.
({18})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Sehr verehrter Herr Wehrbeauftragter! Und heute darf ich sagen: Lieber Herr Berkhan! Ganz spontan möchte ich Ihnen sagen: Ich danke Ihnen für das, was Sie soeben gesagt haben. Ich danke auch dafür, wie Sie das gesagt haben.
Der Respekt vor Ihrem Amt gebietet es, daß der Bundesminister der Verteidigung in einer solchen Runde wenigstens kurz Stellung nimmt. Sie brauchen keine Sorge zu haben: Ich weiß, daß dies nicht die Zeit ist, eine abschließende Stellungnahme vorzutragen. Aber ich meine doch, daß ich zu dem einen oder anderen ganz kurz etwas zu sagen habe und auch sagen muß.
Dieser Bericht - wie alle Ihre Berichte - enthält nicht nur Kritik und die Feststellung von Mängeln, sondern er enthält auch eine Menge Anregungen zur besseren Bewältigung zukünftiger Aufgaben. Für beides bin ich dankbar. Dies kennzeichnet eine gute und eine glückliche Entwicklung des Amtes des Wehrbeauftragten. Zum Kontrolleur und Wächter tritt der Anwalt des Soldaten.
Ich habe mit großem Respekt - das hat auch Ihre Zustimmung gefunden - gehört, was der frühere Bundeskanzler Schmidt hier zur Institution des Wehrbeauftragten und zur Inneren Führung zu sagen hatte. Ich möchte nur eine einzige Ergänzung anbringen, der er mit großer Wahrscheinlichkeit zustimmen wird. Sie nannten als Vater der Inneren Führung Graf Baudissin. Ich möchte um der Gerechtigkeit willen zwei andere Namen hinzufügen - es war eine Gruppe -, und diese beiden anderen Namen sind Graf Kielmannsegg und de Maizière. Sie zusammen haben diesen Gedanken geboren und wohl auch umgesetzt.
Herr Wehrbeauftragter, Sie sollen wissen, daß wir - nicht nur der Bundesminister der Verteidigung, sondern auch die Streitkräfte - Ihren Bericht sehr ernst nehmen, und zwar nicht nur aus Pflicht, sondern aus Überzeugung. Sie dürfen davon ausgehen, daß wir alles daransetzen werden, die Mängel abzustellen und Ihre Anregungen aufzugreifen.
Ich möchte, so wie Sie es getan haben, einen einzigen Punkt herausgreifen, und zwar den der sachgerechten, motivierenden Menschenführung. Wir alle wissen, zumal die, die sich in dieser Armee aufhalten und sie gelegentlich auch besuchen, wie entscheidend die Eindrücke des Soldaten, des wehrpflichtigen Soldaten für seine Einstellung zur Bundeswehr sind, wie stark das Erleben, das Erleben des Umgangs seines Vorgesetzten oder seiner Vorgesetzten mit ihm sein Urteil über diese Bundeswehr schlußendlich bestimmt. Dieses wird vor allem - ich denke, zu Recht - dadurch geprägt, ob er sich menschlich behandelt fühlt, ob er sich ernstgenommen fühlt oder ob er den Eindruck hat, er sei hier nur eine Nummer. Wenn er sich ernstgenommen fühlt, wenn er sich als Mensch so genommen sieht, wie er das beanspruchen darf, wenn er sich menschlich behandelt fühlt, dann ist er bereit, sich einzusetzen und etwas zu leisten. Wir haben in der Bundeswehr im Augenblick mit einer Generation junger Wehrpflichtiger zu tun, die außerordentlich leistungsbereit und leistungswillig sind. Eine solche Generation hat es verdient, daß man sich besonders um sie kümmert, daß man ihr Maßstäbe setzt und daß man sie richtig fordert. Ich kann jedenfalls die Kritik, die an jungen Menschen vielerorts geübt wird, nicht teilen.
({0})
Nun haben Sie einige Fälle von Beleidigung, von Mißachtung und Geringschätzung genannt. Diese Fälle sind schlichtweg Gift. Sicher, es sind Einzelfälle. Ich möchte an dieser Stelle sehr deutlich her9774
ausheben, nachdem Sie es selbst so gekennzeichnet haben: Sie sind nicht typisch für die Truppe schlechthin.
Ich danke Ihnen besonders dafür, daß Sie auch viele Fälle festgehalten haben, in denen sich Vorgesetzte in herausragender, in rührender Form um ihre Soldaten kümmern.
Aber ich sage wie Sie auch: Jeder der anderen Fälle ist ein Fall zuviel. Daher werden wir den eingeschlagenen Weg zur Verbesserung der Menschenführung fortsetzen, und zwar mit aller Entschlossenheit. Ich nenne vier Maßnahmen - Herr Wehrbeauftragter, ich denke, Sie stimmen mit mir hier überein -, und zwar zum einen die Erhöhung der Führerdichte, d. h. die Entlastung der Vorgesetzten. Zum zweiten nenne ich die inhaltliche Verbesserung, die zeitliche Verlängerung der Ausbildung der Vorgesetzten gerade in der praktizierten Menschenführung. Ich nenne drittens ein anderes Beurteilungssystem. Wir sind daran, dieses andere Beurteilungssystem zu verabschieden, in dem die Bewertung der Menschenführung als eine der wichtigsten Eigenschaften des Vorgesetzten einen höheren Rang erhält.
({1})
Viertens nenne ich die Verstärkung der Dienstaufsicht, die Sie mit Recht herausgehoben haben. Ich hoffe, daß wir die Wirkung dieser Maßnahmen in den nächsten Berichten des nächsten Wehrbeauftragten spüren werden.
Nicht unproblematisch ist es - damit möchte ich schließen -, wenn der Kontrollierte dem Kontrollierenden dankt. Wir haben uns das beide überlegt, Sie wie ich. Wir haben es getan, in Koblenz vor der Truppe. Ich möchte heute meinen Dank wiederholen. Ich brauche dem, was ich dort gesagt habe, nichts hinzuzufügen: Lieber Herr Berkhan, Sie haben sich durch die vorbildliche Amtsführung um die Soldaten der Bundeswehr und um die Streitkräfte schlechthin verdient gemacht.
({2})
Meine Damen und Herren, ich schließe diese Debatte.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung des Jahresberichts 1984 auf Drucksache 10/2946 an den Verteidigungsausschuß vor. - Das Haus ist mit dieser Überweisung einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe den Punkt 6 der Tagesordnung auf:
Wahl des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages
Meine Damen und Herren, nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages können der Verteidigungsausschuß, die Fraktionen und Abgeordneten in Fraktionsmindeststärke Wahlvorschläge einbringen.
({0})
- Einen Augenblick! Sie sind noch lange nicht so weit, daß Sie die Stimmzettel einwerfen können. Ich muß Ihnen noch eine Menge vorlesen. Nehmen Sie noch einen Moment Platz.
Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben mit Schreiben vom 12. März 1985 den Abgeordneten Willi Weiskirch ({1}) zur Wahl vorgeschlagen.
({2})
Meine Damen und Herren, werden weitere Vorschläge gemacht? - Das ist nicht der Fall. Dann steht allein dieser Vorschlag zur Abstimmung.
Ich darf Ihnen mitteilen: Der Vorgeschlagene erfüllt die in § 14 Abs. 1 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages genannten Voraussetzungen für die Wahl.
Ich darf Sie weiter um Aufmerksamkeit für einige Hinweise zum Wahlverfahren bitten. Es ist leider notwendig.
Nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages in Verbindung mit den §§ 113 und 49 unserer Geschäftsordnung wird mit verdeckten Stimmzetteln, d. h. geheim, gewählt. Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages erhält.
An Stelle des Namensaufrufs soll im Interesse eines zügigen Ablaufs mittels Wahlausweises gewählt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall. Es ist beschlossen.
Die Wahlausweise befinden sich auf Ihren Pulten.
Bevor Sie den Stimmzettel in die hier aufgestellten Wahlurnen legen, müssen Sie den Wahlausweis dem Schriftführer an der Wahlurne übergeben. Ich darf Sie darauf hinweisen, daß allein die Abgabe des Wahlausweises als Nachweis der Teilnahme an dieser Wahl gilt.
Den für die Wahl gültigen Stimmzettel erhalten Sie von den Schriftführern vor Betreten der hier aufgestellten Wahlzellen.
Sie dürfen Ihren Stimmzettel nur in der Wahlzelle ankreuzen und müssen ebenfalls noch in der Wahlzelle den Stimmzettel in den Umschlag legen. Die Schriftführer müssen jeden zurückweisen, der seinen Stimmzettel außerhalb der Wahlzelle gekennzeichnet oder in den Umschlag gelegt hat. Die Wahl kann in diesem Fall jedoch vorschriftsmäßig wiederholt werden. Wenn Sie aufpassen, ist das aber nicht nötig.
Ungültig sind Stimmen auf nichtamtlichen Stimmzetteln sowie Stimmzettel, die mehr als ein Kreuz, Namen nicht vorgeschlagener Kandidaten oder Zusätze enthalten.
Ich bitte jetzt die Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
Ich eröffne die Wahl und bitte, die Stimmzettel auszugeben. Ich darf Ihnen noch sagen: Nach der Schließung der Wahl unterbrechen wir die Sitzung bis 14 Uhr. Das Wahlergebnis wird um 14 Uhr bekanntgegeben.
Vizepräsident Frau Renger
Ich bitte die Damen und Herren Schriftführer, zum Auszählen der Stimmen im Raume zu bleiben.
Meine Damen und Herren, haben alle Abgeordneten ihre Stimmkarte abgegeben? - Können mir die Damen und Herren Geschäftsführer sagen, ob ich die Wahl schließen kann? - Wie sieht das aus? - Ich schließe die Wahl und bitte um Auszählung.
Die Sitzung ist jetzt unterbrochen bis 14 Uhr.
({3})
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Wie vorhin zugesagt, geben wir zunächst das Ergebnis der Wahl des Wehrbeauftragten bekannt. Stimmberechtigt waren 520 Mitglieder des Hauses. Abgegebene Stimmen: 433, davon gültig: 432. Mit Ja haben 366 Mitglieder, mit Nein 42 Mitglieder gestimmt. Stimmenthaltungen: 24. Eine Stimme war ungültig.
Ich stelle fest, daß damit der Abgeordnete Willi Weiskirch die nach § 13 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages erforderliche Mehrheit der Stimmen der Mitglieder des Hauses erhalten hat. Er ist damit zum Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages gewählt worden.
Ich frage Sie, Herr Weiskirch: Nehmen Sie die Wahl an?
Herr Präsident, ich nehme die Wahl an.
({0})
Ich darf Ihnen, Herr Weiskirch, die Glückwünsche des Hauses übermitteln und Ihnen für das in wenigen Tagen zu übernehmende Amt eine erfolgreiche Amtsführung wünschen.
({0})
Aus persönlicher Freundschaft darf ich, da ich weiß, wie Sie sich um dieses Amt schon in jungen Jahren - als wir beide Anfang der 50er Jahre noch in der Jugendarbeit dieses Landes tätig waren - durch ein Bemühen um die Fragen, um die es jetzt geht, wenn Sie Wehrbeauftragter sein werden, verdient gemacht haben, hinzufügen, daß ich Ihnen, Herr Weiskirch, für Ihre Arbeit alles Gute wünsche.
({1})
Meine Damen und Herren, die Eidesleistung durch den Wehrbeauftragten ist für den 28. März 1985 vorgesehen.
Wir beginnen nun mit der Behandlung von Punkt 1 der Tagesordnung, mit der
Fragestunde
- Drucksache 10/2987 Der Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung braucht nicht noch einmal aufgerufen zu werden, weil die Fragen 35 des Abgeordneten Buschfort, 36 des Abgeordneten Schreiner, 37 des Abgeordneten Reimann und 38 des Abgeordneten Urbaniak auf Grund von I.2. Abs. 2 der Richtlinien schriftlich beantwortet werden. Bei der Frage 39 hat der Fragesteller, der Abgeordnete Stockleben, um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir können daher den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes aufrufen. Zur Beantwortung der Fragen steht Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Ich rufe Frage 8 der Abgeordneten Frau Dr. Bard auf:
Ist der Bundeskanzler bereit, sich den Problemen des Waldsterbens im alpinen Raum zu widmen und bei seinem nächsten, bereits angekündigten Besuch an einer Begehung der bereits erheblich geschädigten Region in Begleitung einheimischer Naturschützer und Biologen teilzunehmen?
Frau Abgeordnete, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Der Bundeskanzler ist sehr oft im alpinen Raum und kennt die natürlichen Verhältnisse und auch die Umweltbelastungen dort. Speziell Waldschäden will sich der Bundeskanzler erneut bei seinem Besuch im Schwarzwald ansehen und will vor Ort mit den Fachleuten die Gesamtproblematik erörtern.
Eine Zusatzfrage von Frau Dr. Bard.
Ich glaube, dieser Antwort kann ich entnehmen, daß nicht bekannt ist, daß es eine besondere Gefährdung im alpinen Bereich gibt. Meine Frage zielte nicht allgemein auf das Waldsterben ab, sondern auf die Besonderheiten, die sich in unseren Schutzwäldern im alpinen Raum zeigen. Ich denke, daß der Bundeskanzler vielleicht einmal die Möglichkeit nutzen könnte, da weiterzumachen, und ich möchte Sie fragen: Wäre es nicht sinnvoll, wenn sich der Kanzler, da er doch Interesse an der Erhaltung dieser Erholungslandschaft hat, bei seinem nächsten Besuch einmal die speziellen Bedingungen dort anschauen und dort auch mit Biologen solche erdrutschgefährdeten Orte wie z. B. das Dorf Wagneritz besuchen würde?
Frau Dr. Bard, das Fragezeichen muß erkennbar, muß hörbar sein.
Frau Abgeordnete, ich habe j a im ersten Teil meiner Antwort darauf hingewiesen, daß sich der Bundeskanzler sehr oft im alpinen Raum befindet, daß er die natürlichen Verhältnisse in diesem Raum aus eigener Anschauung kennt und daß er insbesondere auch - ich lege Wert darauf, dies noch einmal festzustellen - die dort vorhandenen Umweltbelastungen kennt.
Ich darf im übrigen darauf hinweisen, daß die Bundesregierung mehr als jede ihrer Vorgängerinnen intensiv bemüht ist, sich um die Behebung der Waldschäden zu kümmern.
Sie haben eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Bard.
Welches spezielle Programm zur Errettung dieser Bergwälder hat der Kanzler nun eigentlich im Sinn?
Ich darf auf die auch Ihnen, Frau Kollegin, bekannten Programme, Entscheidungen der Bundesregierung und der des Bundestages in diesem Zusammenhang verweisen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, Sie haben gesagt, Sie würden sich als Bundesregierung mehr als alle früheren Bundesregierungen um die Behebung von Waldschäden kümmern. Darf ich einmal fragen, was Sie denn wirklich tun?
Herr Kollege, Ihnen ist aus den Beratungen des Bundestages bekannt, was die Bundesregierung tut. Ich kann Ihre Frage eigentlich nur als eine rhetorische Frage betrachten.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes. Ich bedanke mich bei Herrn Staatsminister Vogel für die Beantwortung der einen Frage.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung. Zur Verfügung steht der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach.
Ich rufe die Frage 40 des Abgeordneten Würtz auf, der uns aber noch nicht die Ehre gibt. Dann wird das der Geschäftsordnung entsprechend behandelt.
Ich rufe die Frage 41 des Abgeordneten Heyenn auf:
Wie viele Flüge im Überschallbereich über dem norddeutschen Festland ({0}) in den Monaten September 1984 bis Februar 1985 sind der Bundesregierung bekannt, und wie viele waren es in den Jahren 1981, 1982 und 1983?
Herr Präsident! Im fraglichen Zeitraum, nämlich September 1984 bis Februar 1985, sind keine Überschallflüge im Bereich Hamburg oder Norderstedt der Staffel Schleswig-Holstein durchgeführt worden. Aussagen über die zurückliegenden Jahre sind nicht möglich, da die Meldeunterlagen nur für einen Zeitraum von einem halben Jahr aufbewahrt werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Heyenn.
Herr Staatssekretär, wie verhält es sich denn mit Überschallflügen über Ost- oder Nordsee, deren Knall beim Eintritt in den Überschallbereich im gesamten norddeutschen Raum bis hin nach Hamburg zu hören ist? Gibt es darüber Zahlen?
Sie wissen aus früheren Anfragen zum gleichen Thema, zur gleichen Region, daß ich darauf hingewiesen habe, daß wir uns bemühen, möglichst viele dieser Flüge über die See zu verlagern. Ich habe damals darauf hingewiesen, daß je nach Flughöhe - die Mindestflughöhe müssen hier 11 000 m sein - und nach der jeweiligen Zusammensetzung der Luft und der Windverhältnisse eine Schleife von bis zu 60 oder 70 Kilometer hinter einem solchen Schalldurchbruch auftreten kann. Dies können deutsche, dies können alliierte, für den Raum, nach dem Sie fragen, können dies aber auch Flugzeuge des Ostens, des Warschauer Pakts sein. Dies läßt sich aus pysikalischen Gründen nicht vermeiden.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Heyenn.
Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, mir die Zahlen für diesen Bereich zu nennen oder, wenn das im Moment nicht möglich ist, die Zahlen für die genannten Zeiträume schriftlich nachzureichen, soweit es sich um Flugzeuge der Bundeswehr oder aus dem alliierten Bereich handelt?
Sie haben in Ihrer Frage, die heute Gegenstand ist, nach Hamburg und Norderstedt gefragt. Die Zahlen dazu habe ich Ihnen konkret genannt.
Ich rufe die Frage 42 des Abgeordneten Heyenn auf:
Welche Informationen hat die Bundesregierung darüber, daß die extreme Lärmbelästigung durch den Eintritt in den Überschallbereich über dem norddeutschen Festland auch durch andere als Flugzeuge der Bundeswehr verursacht wird, und welche Möglichkeiten sieht sie, darauf einzuwirken, daß der Eintritt in den Überschallbereich künftig generell so weit über dem Meer stattfindet, daß eine Beeinträchtigung der Bevölkerung auszuschließen ist?
Bitte schön, Herr Staatssekretär:
Über dem norddeutschen Festland üben wie über dem gesamten Bundesgebiet Luftfahrzeuge der Bundeswehr und der alliierten Luftstreitkräfte. Die für Überschallflüge erlassenen deutschen Vorschriften gelten in gleichem Maße auch für die Luftwaffen unserer Alliierten hier. Dabei werden, wenn immer möglich, Überschallflüge in die Räume - wie eben besprochen - über See verlagert.
Zusatzfrage, Herr Heyenn.
Herr Staatssekretär, ist es nicht möglich, die Überschallflüge so weit über See zu verlagern, daß die Bewohner des norddeutschen Festlandes von Lärmbelästigungen nicht mehr betroffen werden?
So weit wie möglich, Herr Kollege, tun wir dies. Aber Sie können Flugzeuge von Verbänden, die in Süddeutschland stationiert sind - es gibt solche in erheblicher Anzahl -, nicht ständig über die gesamte Länge der Bundesrepublik zur Nordsee oder zur Ostsee
schicken. Dann würden solche Kollegen, die nicht wie Sie oder ich als Politiker im norddeutschen Bereich tätig sind, hier mit Recht Einspruch dagegen einlegen, daß wir, allein um da oben zu üben, über die gesamte Länge der Bundesrepublik - zusätzlich zu den Bewegungen, die ohnehin sein müssen - fliegen. Sie wissen, daß wir dies nur an Wochentagen tun, und zwar in einer Zeit, die festgelegt ist. Sie geht von 8 bis 20 Uhr, wobei die Mittagszeit ausgenommen ist. Über die Höhe habe ich gesprochen. Hier sind also alle Maßnahmen, die eingeleitet werden können, getroffen, und sie werden überwacht.
Im übrigen ist das Durchbrechen der Schallmauer ohnehin auf ein Mindestmaß begrenzt, welches aber erforderlich ist, um für Abfangübung und für die Luftverteidigung in Übung zu bleiben. Weitere Eingrenzungen sehe ich als nicht praktikabel an.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Heyenn.
Herr Staatssekretär, Ihre Antwort ging an meiner Frage vorbei. Ich hatte nicht darum gebeten, die Überschallflüge verstärkt auf das Bundesgebiet zu verlagern, sondern ich hatte gefragt - ich wiederhole es -, ob es nicht möglich sei, für den Bereich der Bundeswehrflugzeuge den Eintritt in den Überschallbereich so weit auf Nord- und Ostsee hinauszuverlagern, daß eine Lärmbeeinträchtigung der Bevölkerung Norddeutschlands nicht mehr erfolgt.
Herr Kollege, ich habe Ihre Frage sehr wohl verstanden. Wenn Sie das Protokoll nachlesen, werden Sie sehen, daß ich darauf exakt geantwortet habe.
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, in Ihrer Antwort, zu der Sie jetzt auf das Protokoll hingewiesen haben, haben Sie inhaltlich ausgeführt, aus Süddeutschland müßten die Flugzeuge hochfliegen. Können Sie sich als Staatssekretär vorstellen, daß man, wenn eben im Rahmen des Ausbildungsprogramms vorgeschrieben ist, die Schallmauer zu durchfliegen, einen Zwischenstopp auf irgendeinem Flugplatz in Norddeutschland im Rahmen von Cross Servicing macht und dann von dort aus startet, um weit auf der See draußen diese Überschallflüge durchzuführen?
Ich kann mir eine Menge vorstellen. Nur kann ich mir nicht vorstellen, daß sämtliche Flüge aus allen Teilen der Bundesrepublik - ich habe hier besonders auf den Süden abgehoben, der am weitesten weg ist - auf Nord- und Ostsee verlegt werden. Es ist an einen möglichst großen Anteil gedacht; vollständig werden wir es nicht schaffen.
Ich rufe die Frage 43 des Abgeordenten Klein ({0}) auf:
Welche Luftwaffeneinheiten welcher Nationalität waren an den Übungsangriffen beteiligt, die am Vormittag des 5. März 1985 im Luftraum zwischen Heilbronn und Miltenberg mit dem Schwerpunkt Erbach-Michelstadt ausgetragen wurden, und welche Vorgaben und Ziele hatte diese militärische Übung?
Herr Kollege, die Übungsflüge am 5. März dieses Jahres in dem von Ihnen genannten Gebiet wurden von unseren amerikanischen Verbündeten durchgeführt. Sie dienten allein der Übung von Luftverteidigungsflügen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Klein.
Trifft es zu, daß diese Übung, die sehr belästigend gewesen ist, nicht mit der Hardthöhe oder anderen Stellen der Bundeswehr abgestimmt gewesen ist?
Leider ja.
Zu einer weiteren Zusatzfrage Herr Klein.
Kann die Übung an diesem Tag damit zusammenhängen, daß das Luftüberwachungssystem Skyguard seit einigen Wochen außer Betrieb war und diese Tatsache genutzt worden ist, um hier sehr rüde Flugübungen zu machen?
Eindeutig nein, Herr Kollege. Es gibt drei Offiziere in der Luftwaffe, die wissen, wann die Skyguard-Geräte wo sind; es sind drei und nicht mehr. Daher können sich Verbände der deutschen wie der alliierten Luftwaffen auf solche Dinge nicht einstellen.
Ich rufe die Frage 44 des Abgeordneten Klein ({0}) auf:
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt, daß ein großes Krankenhaus als Ziel- oder Orientierungspunkt für Luftkämpfe gewählt wird und daß stundenlange Anflüge teilweise zu panikartigen Reaktionen bei Patienten geführt haben?
Die Bundesregierung ist sich des Problems der Belästigung der Bevölkerung - dies haben wir wiederholt auch in den Fragestunden deutlich gemacht - durch Fluglärm sehr bewußt. Sie ist daher bemüht, das Ausmaß dieses Fluglärms möglichst geringzuhalten. Städte, Ortschaften, insbesondere jedoch Krankenhäuser werden und wurden weder als Ziele noch als Orientierungspunkte gewählt. Allerdings lassen sich Überflüge über Ortschaften auf Grund der Siedlungsstruktur bei uns in Deutschland nicht vermeiden.
Zu einer Zusatzfrage Herr Klein.
Gestatten Sie mir, zu bemerken, Herr Staatssekretär, daß die Praxis des 5. März genau das Gegenteil von dem war, was Sie gerade gesagt haben?
Sie müssen fragen, Herr Abgeordneter Klein.
({0})
Herr Präsident, ich nehme dies als Frage.
Herr Kollege, ich habe eingeräumt, daß die Übung nicht angemeldet war, und füge gern hinzu: Es handelt sich um eine Ausnahme. Ich hoffe, es bleibt für das ganze Jahr die einzige. Als uns dies beim Führungsstab der Luftwaffe bekannt wurde, haben wir diese amerikanische Übung um 10.30 Uhr abbrechen lassen.
Zu einer Zusatzfrage Herr Klein.
Denkt die Bundesregierung möglicherweise daran, Krankenhäuser von Flugrouten auszusparen, wie man in den letzten Jahren ja auch Atomkraftwerke und andere sensible Einrichtungen nicht mehr in die Flugtrasse einbezogen hat?
Die Bundesregierung hat gründlich darüber nachgedacht. Wir haben uns dabei auch von unterschiedlichen Studien aus dem wissenschaftlichen Bereich beraten lassen und sind zu dem Ergebnis gekommen, daß wir Krankenhäuser, Krankenanstalten und ähnliche Einrichtungen, Altenheime, Kurorte, leider nicht ausnehmen können, daß wir dabei bleiben sollen, wie das in den letzten Jahren Praxis geworden ist, die Piloten anzuhalten, diese Gebiete möglichst zu umfliegen, aber keine Verbotszonen zu erlassen. Legen Sie um ein Krankenhaus eine Verbotszone, muß diese etwa einen Radius von 2 bis 3 km haben. Wenn Sie dies über Deutschland bezüglich all der in Frage kommenden Orte tun, dann kanalisieren Sie den Flugbetrieb auf wenige Gassen, und wir möchten der Bevölkerung, die dort wohnt, nicht zumuten, daß sie in diesem gewaltigen Maße, noch mehr als heute, strapaziert wird.
Die Fragen 45 und 46 des Abgeordneten Uldall sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers der Verteidigung. Danke schön, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Schulte zur Verfügung.
Da die Frau Kollegin Steinhauer wahrscheinlich noch im Ältestenrat ist, können ihre Fragen 47 und 48 noch nicht aufgerufen werden.
Ich rufe die Frage 49 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Gilt die Neufestsetzung von Vergütungssätzen „für die Bergung vertriebener bundeseigener Seezeichen einschließlich Zubehör und Anlageteilen sowie meereskundlicher
Meßgeräte" auf Grund der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 durch den Bundesminister für Verkehr und den Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen vom 20. Dezember 1984 auch für bundeseigene Seezeichen in Binnengewässern, zum Beispiel in Seezeichen-Versuchsfeldern?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, ich kann die Antwort ganz kurz machen: nein.
Danach kommt eine Zusatzfrage, nehme ich an. Bitte.
Dann würde ich gern wissen, Herr Staatssekretär: warum nicht?
In dieser Kürze macht es Spaß.
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Die Vergütungssätze für die Bergung von vertriebenen bundeseigenen Seezeichen gelten nicht im Bereich der Binnenschiffahrtsstraßen. Die Schiffahrtszeichen werden dort ausschließlich von den Wasser- und Schiffahrtsämtern betreut.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Darf ich dann unterstellen, daß ein Paddler, der auf der Mosel ein vertriebenes Seezeichen findet, keine Vergütung bekommt, wenn er es auf einem der Schiffahrtsdirektion zugehörigen Tonnenhof abliefert?
Auf der Mosel gibt es nach meinem Kenntnisstand keine Seezeichen. Ich gehe aber trotzdem davon aus, daß der Paddler das gefundene Gut abliefern wird, indem er es dorthin paddelt, wo es ursprünglich war.
Ich rufe die Frage 50 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß die Bekanntmachung der oben genannten Änderung der Vergütungssätze auf Grund der Strandungsordnung vom 17. Mai 1874 einen Monat nach ihrem Inkrafttreten nicht dazu beiträgt, die Bergung und Ablieferung von vertriebenen bundeseigenen Seezeichen bei den entsprechenden Tonnenhöfen zu stimulieren, und welche Konsequenzen zieht sie daraus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, es war zu befürchten, daß infolge nicht mehr kostendeckender Vergütungssätze die Bergung der für den Bund wertvollen Seezeichen und Geräte durch Dritte unterblieb. Der Erlaß über die Erhöhung der Vergütungssätze konnte aus technischen Gründen nicht vor dem Erscheinen des „Verkehrsblattes" vom 31. Januar 1985 veröffentlicht werden. Welcher Art diese technischen Gründe sind, werde ich Ihnen schriftlich mitteilen.
Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, wäre es angesichts der Problematik von Seezeichen, Versuchsfeldern, ohne Seezeichen auf der Mosel, und manchem anderen mehr nicht sinnvoll, das kaiserliche Recht von 1874 so zu erneuern, daß solche technischen Schwierigkeiten und anderes Verständnislose mehr nicht mehr auftreten?
Herr Kollege, ich glaube, daß wir uns verständigen müssen, ob wir jetzt das verlorengegangene Seezeichen gleichbehandeln wollen wie die verlorengegangene Tonne auf der Mosel - das war Ihre erste Zusatzfrage -, oder ob wir sagen: Wir sind gegen beides. Ich habe mich sachkundig gemacht: Im letzten Jahr wurden 50 bis 60 Seezeichen zurückgegeben; dies gab für die Fischer eine Mehreinnahme zwischen 25 000 und 30 000 DM. Ich gehe allerdings nicht davon aus, daß die Fischer ihren Haupterwerb jetzt im Sammeln von Seezeichen sehen, nachdem die Zahl der Fische teilweise zurückgegangen ist.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, jetzt bringen Sie mich drauf: Würde nicht eine weitere Auslegung von vertreibungsfreudigen Seezeichen den Fischern wenigstens eine Nebeneinnahmequelle vergrößerten Umfangs bieten?
({0})
Herr Kollege, dies wäre ein staatliches Konjunkturprogramm, gegen das sich diese Bundesregierung mehrfach ausgesprochen hat.
Da die Kollegin Steinhauer soeben aus dem Ältestenrat kommt, sind wir uns einig, daß wir Ihre Fragen noch aufrufen. Ich rufe also die Frage 47 auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß beim Bahnbetriebswerk Siegen im Jahr 1985 nur vier Ausbildungsplätze besetzt werden sollen, während die Ausbildungskapazität im gewerblichen Bereich für 24 Auszubildende vorhanden ist, und handelt es sich bei dieser Nichtausnutzung von Ausbildungsmöglichkeiten um einen Einzelfall?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Kollegin, beim Betriebswerk Siegen der Deutschen Bundesbahn werden zum 1. September 1985 alle 24 Ausbildungsplätze durch Neueinstellungen besetzt werden.
Eine Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, darf ich nach dieser Antwort davon ausgehen, daß inzwischen die Anweisung aus dem November 1984, wonach in der BD Essen erheblich weniger Auszubildende eingestellt werden sollten, als Ausbildungsplätze vorhanden seien, überholt ist und alle Ausbildungsplatzkapazitäten genutzt werden?
Frau Kollegin, Sie wissen - auch aus der Fragestunde -, daß in den letzten Jahren alle Ausbildungsplätze bei der Deutschen Bundesbahn besetzt wurden; das zu einem großen Teil auf Kosten des Bundes. Was den jetzigen Jahrgang angeht, so wurde die Deutsche Bundesbahn am 8. Februar 1985, also vor wenigen Wochen, gebeten, alle freibleibenden Ausbildungsplätze im Unternehmen auch in diesem Jahr zu Lasten der Bundeskasse zu besetzen.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Wann werden die Bewerber eine Nachricht bekommen? Denn bisher hat sich örtlich noch nichts getan.
Frau Kollegin, die Hauptverwaltung der DB wird in Kürze - das genaue Datum kann ich noch nicht sagen, aber es wird Anfang Frühjahr sein - die einzelnen Bundesbahndirektionen anweisen, die Stellen zu vergeben, die über den Eigenbedarf hinausgehen.
Wir kommen zur Frage 48 der Abgeordneten Frau Steinhauer:
Wo und in welcher Anzahl trifft dies ggf. auch für andere Bundesbahndienststellen zu?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Frau Steinhauer, die Deutsche Bundesbahn verfügt im gewerblichtechnischen Bereich über 3 700 Ausbildungsplätze. Zum 1. September 1985 werden von der DB auf Grund des Eigenbedarfs im Unternehmen 1 400 und zu Lasten des Bundeshaushalts weitere 2 300 Auszubildende eingestellt werden. Die 2 300 freien Ausbildungsplätze verteilen sich auf rund 110 verschiedene Ausbildungsstellen im Bundesgebiet.
Eine Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, darf ich unter Bezug auf Ihre Antworten, die Sie eben gegeben haben, davon ausgehen, daß diese Stellen in Kürze alle besetzt werden bzw. die Auszubildenden Nachricht bekommen?
Wir wollen zusammen mit der Bundesbahn dafür sorgen, daß die einzelnen Bewerber in Kürze - so habe ich es vorher formuliert - benachrichtigt werden. Ich gehe davon aus, daß das rechtzeitig sein wird und daß wir das bewährte Verfahren aus dem letzten Jahr auch in diesem Jahr wieder anwenden können.
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie können sich natürlich vorstellen, daß bei den Jugendlichen eine erhebliche Unsicherheit vorhanden ist. Sind Sie bereit, alles zu tun, damit alsbald die Zusagen gegeben werden?
Noch eins, wenn Sie eben sagten, am 8. Februar 1985 sei die Entscheidung schon gefallen: Wir haben
heute den 14. März. Ist es üblich, daß Entscheidungen bei der Bundesbahn so lange dauern?
Frau Kollegin, ich will jetzt nicht über die Mühlen der Bürokratie philosophieren. Aber die Deutsche Bundesbahn muß j a die verschiedenen Plätze auf die einzelnen Direktionsbereiche und auf die übrigen einzelnen Betriebsstellen verteilen. Ich glaube, daß vor diesem Hintergrund eine Zeit von vier oder fünf Wochen, die inzwischen vergangen ist, nicht zuviel ist.
Jetzt rufe ich die Frage 51 des Abgeordneten Pfuhl auf:
Seit wann liegt der Katalog mit Mindestanforderungen für einen sicheren Schülertransport im Bundesministerium für Verkehr vor ({0})?
Bitte schön, Herr Staatssekretär:
Herr Kollege, der „Anforderungskatalog für Kraftomnibusse und Kleinbusse, die zur Schülerbeförderung besonders eingesetzt werden" sowie ein dazugehöriges „Merkblatt für die Schulung von Fahrzeugführern bei der Beförderung von Schulkindern" wurden am 21. Februar 1984 fertiggestellt. Der Katalog und das Merkblatt werden in Heft Nr. 5 des „Verkehrsblattes" mit dem Ausgabedatum 15. März 1985 veröffentlicht.
Eine Zusatzfrage, Herr Pfuhl.
Herr Staatssekretär, wußten Sie, als Sie mir die Antwort am 22. Januar 1985 schickten, noch nicht, was im Februar 1985 in Ihrem Katalog in etwa stehen würde?
Herr Kollege, wir haben den Bundesländern - übrigens auch allen anderen beteiligten Stellen, die in der Arbeit der Verkehrssicherheit tätig sind - am 12. Dezember des vergangenen Jahres die Entwürfe zugesandt, wie wir uns die Lösung des Problems vorstellen. Nachdem das Anhörverfahren abgeschlossen war, haben wir im Ministerium die verschiedenen Vorschläge überarbeitet. Wir waren dann am 21. Februar so weit, daß wir letztendlich unterschreiben konnten.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Pfuhl.
Herr Staatssekretär, wie kommt es dann, daß Sie mir Ende Januar mitteilen, daß Sie auf Grund des Unfallgeschehens und der bisher gewonnenen Erkenntnisse „zur Zeit" keine Notwendigkeit sehen, in Kraftomnibussen, die Schulkinder befördern, Sicherheitsgurte oder spezielle Kinderrückhaltesysteme - ich hatte ja danach gefragt, ob spezielle Sicherungseinrichtungen geschaffen werden sollten - anzubringen?
Herr Kollege, ich glaube, da bringen Sie zwei Dinge durcheinander. Wenn Sie Ihre Fragen noch einmal genau anschauen, dann werden Sie feststellen - ich habe das jedenfalls getan -, daß Sie einen Unterschied zwischen Kleinbussen und Kraftomnibussen machen. Das eine ist ein Achtsitzer, den Sie mit Ihrem Führerschein der Klasse III fahren können, das andere ist ein großer Kraftomnibus. Hinsichtlich des großen Kraftomnibusses waren wir auf Grund der Unfallzahlen, die es bei uns im Lande, aber auch im benachbarten Ausland gibt, der Ansicht, daß Sicherheitsgurte nicht notwendig seien. Im Verkehrssicherheitsprogramm haben wir auf Grund der Erfahrungen umgekehrt festgestellt, daß ein Kleinbus mit solchen Sicherheitsgurten ausgestattet werden sollte.
Wir kommen zur Frage 52 des Abgeordneten Pfuhl:
Auf Grund welcher Tatsachen unterscheidet die Bundesregierung in ihrer Beantwortung meiner Frage ({0}) Kraftomnibusse und sogenannte Kleinbusse?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, Kleinbusse sind nach dem Verkehrsrecht Fahrzeuge zur Personenbeförderung mit nicht mehr als acht Fahrgastplätzen. In ihnen werden - anders als in Kraftomnibussen - Fahrgäste in aller Regel nur sitzend befördert; sie müssen - mit Ausnahme der vor dem 1. Mai 1979 erstmals in den Verkehr gekommenen - auf allen Sitzen mit Sicherheitsgurten ausgerüstet sein. Das habe ich in einer Antwort auf eine Zusatzfrage von Ihnen bereits gesagt. Bei ihnen ist die Anbringung von Kinderhalteeinrichtungen von daher sinnvoll und möglich und auf Grund des Unfallgeschehens auch gerechtfertigt. Das Unfallgeschehen bei Kraftomnibussen ist wesentlich geringer als das von Pkw, einschließlich der Kleinbusse.
Zusatzfrage, Herr Pfuhl.
Es ist immer gut, wenn man zwei Fragen stellt, weil man dann noch hinsichtlich der ersten Frage nachfragen kann. Ich muß Sie, Herr Staatssekretär, fragen: Haben Sie meine erste Frage vom Dezember nicht gelesen, in der ich gar keine Unterscheidung zwischen Kraftomnibussen und Kleinbussen gemacht habe?
Ich habe aber, Herr Kollege, wenn ich mich richtig erinnere, in meiner Antwort eine Unterscheidung gemacht. Deswegen kann ich mich heute darauf berufen.
({0})
Zusatzfrage, Herr Pfuhl.
Herr Staatssekretär, wenn Sie sich darauf berufen, muß ich Sie an das erinnern, was Sie in Ihrem Katalog, den Sie ja im Februar vorgestellt haben - die Presse hat darüber berichtet -, ganz allgemein zur Sicherung von Schülertransporten gesagt haben. Sie haben sich da nicht allein auf Kleinbusse, sondern ganz allgemein auf den Busverkehr für Schüler bezogen.
Also, Herr Kollege, das, was wir vom Verkehrsministerium in den letzten Wochen veröffentlicht haben, betraf die Sicherheit des Schulwegs, betraf die Sicherheit in Linienomnibussen und betraf die Sicherheit im freigestellten Schülerverkehr, sprich: im Schulbus, zu dem ein anderer Fahrgast nicht zugelassen wird.
Der Schulbus z. B. wird von der Gemeinde oder vom Schulträger gechartert. Da gab es viele Klagen von Schulen, insbesondere aber von Eltern, daß da oftmals der billigste Bus genommen worden sei. Aus diesem Grunde haben wir - zusammen mit den Ländern - einen Mindestkatalog erarbeitet, der dem entspricht, was in anderen modernen Bussen auch gefordert wird. Die Länder haben zugesagt, daß sie in ihrem Verantwortungsbereich dafür sorgen wollen, daß diese Mindestanforderungen zum Schutz der Schüler, zum Schutz der Kinder eingehalten werden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, sind Sie unter Zugrundelegung Ihrer Richtlinien auch bereit, dies durchzuführen, soweit die Bundesbahn hier anzusprechen ist, also auch die nötigen Mittel für die entsprechenden Investitionen in diesem Bereich bereitzustellen?
Herr Kollege, wir haben keinen Unterschied danach gemacht, ob ein Omnibus grün, gelb oder schwarz angestrichen ist.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sind Sie eigentlich mit der Wertung noch richtig im Bilde, wenn Sie meinen, der Kollege Pfuhl habe Dinge durcheinandergebracht, da doch offenkundig wird, daß Sie Dinge entweder nicht auseinandergehalten oder falsch zusammengewürfelt haben?
Herr Kollege, ich bin gern bereit, Ihnen die Fragen und die Antworten aus der Vergangenheit zuzustellen. Ich bin auch bereit, das, was wir heute miteinander bereden, zu fotokopieren und Ihnen frei Haus zu liefern.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Steinhauer.
Herr Staatssekretär, Sie haben soeben gesagt, daß es oft Klagen der Eltern gegeben habe, daß der billigste Busanbieter genommen worden sei. Ich denke, Sie sind sich darüber im klaren, daß die Vergabeordnung vorsieht, daß der preisgünstigste Anbieter genommen werden muß. Bedeutet Ihre Antwort, daß Sie in Zukunft andere Voraussetzungen für die Vergabe von Aufträgen wie in diesem Fall schaffen wollen?
Frau Kollegin, wir haben nicht die Absicht, von unserer bewährten Wirtschaftsordnung abzurücken. Wir haben aber die Absicht, dafür zu sorgen, daß nicht mehr jeder alte Schlitten angeboten werden kann.
Wir kommen zur Frage 53 des Abgeordneten Lambinus:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um im Rahmen des Ausbaus des Mains zur Großwasserstraße Sorge dafür zu tragen, daß den Belangen des Natur- und Umweltschutzes Rechnung getragen wird?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, der Main ist bereits seit langem zur Großschifffahrtsstraße ausgebaut. Bei den geplanten Maßnahmen handelt es sich um ergänzende Vertiefungsarbeiten, welche sich im wesentlichen auf das vorhandene Flußbett beschränken und daher kaum den ökologischen Zustand der Region tangieren. Lediglich in einigen Abschnitten muß das Ufer einseitig zur Verbesserung der Kurvendurchfahrt um einige Meter zurückverlegt und neu befestigt werden.
Im Rahmen des Planungs- und Verfahrensablaufs wird sichergestellt, daß Einbußen für Natur und Landschaft so gering wie möglich gehalten werden. Die Wasser- und Schiffahrtsverwaltung des Bundes arbeitet deshalb eng mit den für Naturschutz und Landschaftspflege zuständigen Behörden der Länder zusammen. Gemäß den gesetzlichen Regelungen werden Ausgleichsmaßnahmen und - sofern es Art und Umfang der Eingriffe in Natur und Landschaft erfordern - entsprechende Ersatzmaßnahmen vorgesehen.
Die zum Schutz der Umwelt erforderlichen Maßnahmen werden als Auflagen in den zu erlassenden Planfeststellungsbescheid aufgenommen. Ihre Durchführung wird sorgfältig überwacht.
Zusatzfrage, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß zur Zeit hinsichtlich des Ausbaus des Mains zwischen Aschaffenburg und Würzburg teilweise Planfeststellungsverfahren laufen und daß im Rahmen der Diskussion um die Planfeststellungsverfahren in den Kommunen und in den Landkreisen erheblicher Streit darüber entstanden ist, wer Kostenträger für etwaige Maßnahmen ist, mit denen die Ufer wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden? Wissen Sie, daß auf der einen Seite der Freistaat sagt, der Bund sei zuständig, während auf der anderen Seite der Bund sagt, das Land sei zuständig? Stimmen Sie mit mir überein, daß diese Ungewißheit endlich beendet werden muß?
Herr Kollege, nachdem es bei dieser Frage wahrscheinlich um sehr viel Geld geht, möchte ich Sie bitten, mir im einzelnen zu schildern, um welche Orte und um welche Flußabschnitte es geht. Ich bin dann gern bereit, die Auffassung des Bundesministers für Verkehr schriftlich mitzuteilen.
Schildern geht jetzt hier nicht. Eine Zusatzfrage ist möglich, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, es wundert mich - aber ich darf das nicht sagen -, daß Sie nicht wissen, wo Planfeststellungsverfahren laufen. Herr Staatssekretär, erkennen Sie zumindest den Grundsatz an, daß beim Ausbau des Mains das Verursacherprinzip gelten muß? Das Verursacherprinzip bedeutet nach meiner Auffassung: Wenn im Rahmen des Ausbaus ökologische Schäden entstehen, muß derjenige, welcher der Betreiber des Ausbaus ist, diese ökologischen Schäden auch beseitigen.
Herr Kollege, ich will auf meine zuerst gegebene wohlvorbereitete Antwort verweisen, in der es z. B. heißt, daß man Ausgleichsmaßnahmen anstrebt und daß diese Ausgleichsmaßnahmen sogar in die Planfeststellungsverfahren aufgenommen sind.
Da es hier aber offensichtlich um einen Streit zwischen Trägern öffentlicher Belange geht, muß ich annehmen, daß noch mehr dahintersteckt. Deswegen bin ich nicht bereit, ohne Detailkenntnis hier in der Fragestunde des Deutschen Bundestags Geld zu verteilen. Dies ist eine Fragestunde und keine Krämerstunde.
({0})
Wir kommen zu einer Zusatzfrage von Frau Dr. Bard.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie fragen: Welche Fachkräfte beraten Sie eigentlich, wenn Sie hier einfach behaupten, Vertiefungen der Fahrrinne hätten keinerlei ökologische Auswirkungen, obwohl sich doch beispielsweise die Fließgeschwindigkeiten ändern und auch Grundwasserabsenkungen ergeben?
Frau Kollegin, wenn ein Fluß reguliert ist, wenn ein Stau reguliert ist - wie die Damen und Herren von der Wasser-und Schiffahrtsverwaltung sagen -, dann verhält es sich mit der Fließgeschwindigkeit doch wohl etwas anders, als Sie es in Ihrer Frage unterstellt haben.
Wir kommen zu der Frage 54 des Abgeordneten Lambinus:
Ist die Bundesregierung insbesondere bereit, alle in Wegfall geratenen Buhnenfelder neu anzulegen und dafür zu sorgen, daß eine sachgerechte Entschlammung der verbliebenen Buhnenfelder erfolgt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege, nach dem derzeitigen Stand der Planung wird kein Buhnenfeld wegfallen.
Zusatzfrage, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, ich muß Sie fragen, ob Ihnen die Unterlagen bekannt sind, die den Kommunen, also den Trägern öffentlicher Belange, für die Beratung im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zugegangen sind.
Herr Kollege, ich habe im Haus des Bundesministers für Verkehr bei der Abteilung Binnenschiffahrt nachgefragt, die in engem Kontakt mit der örtlichen Wasser- und Schiffahrtsverwaltung steht. Diese hat mir die Antwort gegeben, die Sie gerade gehört haben.
Weitere Zusatzfrage, Herr Lambinus.
Herr Staatssekretär, darf ich in meinem Wahlkreis behaupten, die Bundesregierung habe mir zur Antwort gegeben: Es fällt kein einziges Buhnenfeld weg?
Ich habe Ihnen gesagt - und da bitte ich, sehr exakt auf jedes Wort zu achten -, daß nach dem derzeitigen Stand der Planung kein Buhnenfeld wegfallen wird. Sie haben in Ihrem Vorschlag, den Sie in die Form einer Frage gekleidet haben, ein Stückchen mehr daraus gemacht.
Wir sind am Ende der Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Wir kommen zuerst zur Frage 55 des Abgeordneten Dr. Schmude:
Müßte nicht nach der Zielsetzung der Bundesregierung, Zuständigkeiten und Verantwortung zu dezentralisieren, der Zusammenfassung technischer Dienststellen bei Postämtern der Vorzug vor der Zuordnung zu technischen Dienststellen in Nachbarstädten gegeben werden, und wird die Deutsche Bundespost in Beachtung dieser Zielsetzung die maschinentechnische Stelle beim Postamt Moers mit den anderen technischen Stellen dieses Amtes zusammenfassen, statt sie den Stellen in Duisburg oder Wesel zuzuordnen?
R awe, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege Dr. Schmude, die Deutsche Bundespost unterstützt die Zielsetzung der Bundesregierung, Zuständigkeiten und Verantwortung zu dezentralisieren. Das Ausmaß der Dezentralisierung wird natürlich dadurch begrenzt, daß die Einrichtungen wirtschaftlich und die eingerichteten Stellen funktionsfähig bleiben müssen. Dies hat insbesondere Schwierigkeiten bei der großen technischen Bandbreite betriebs- und haustechnischer Einrichtungen. Für den Fall Moers bedeutet das konkret, daß die Zentralisierung der Instandhaltungsaufgaben auf den unumgänglich notwendigen fachlichen Umfang und auf enge regionale Grenzen beschränkt bleibt und der von mir angeführten Zielsetzung entspricht.
Da im Postamt Moers mit einer neuen Personalbemessung nur ein Bedarf von sechs Instandhaltungskräften festgestellt wurde, ist die FunktionsfäParl. Staatssekretär Rawe
higkeit einer Dienststelle Maschinentechnik infolge mangelnder personeller Voraussetzungen nicht gegeben. Denn nach unseren Erfahrungen müssen wir davon ausgehen, daß man eine Stelle erst mit etwa zehn bis elf Mitarbeitern funktionsgerecht einrichten kann. Eine Zusammenfassung der Instandhaltungsaufgaben für betriebs- und haustechnische Einrichtungen mit den Aufgaben des anderen im Postamt Moers vorhandenen Fachbereichs, nämlich der Fahrzeugtechnik, ändert diesen Sachverhalt nicht, weil dessen Instandhaltungskräfte für die Dienststelle Maschinentechnik fachfremde handwerkliche Qualifikation besitzen. Wir müßten die Mitarbeiter also erneut ausbilden. Dies ist nach unseren Erfahrungen unwirtschaftlich.
Zusatzfrage, Herr Dr. Schmude.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß die von Ihnen geschilderte Steigerung der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit durch die Zusammenfassung dadurch aufgehoben wird, daß die so zusammengefaßten Stellen dann in verschiedenen Postamtsbereichen tätig sein müssen, also regional wieder verteilt werden?
Nein. Wir versuchen, das möglichst zu vermeiden, Herr Kollege Schmude. Denn wir setzen diese zwar zu Dienststellengruppen zusammengesetzten Fachleute durchaus vor Ort ein. Das muß nicht unbedingt bedeuten, daß jeder deswegen eine Versetzung in Kauf nehmen muß.
Weitere Zusatzfrage, Dr. Schmude.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, den j a auch von Ihnen aufgegriffenen Einzelfall unter den Gesichtspunkten Effizienz und größere Wirtschaftlichkeit im Hinblick auf alternative organisatorische Lösungen, z. B. Zusammenfassung am Ort, noch mal überprüfen zu lassen?
Herr Kollege Schmude, ich bin gerne dazu bereit, das überprüfen zu lassen. Nach meiner Erinnerung haben wir die Zusammenfassung im August 1984 mit einer Übergangszeit von einem Jahr verfügt. Wenn ganz konkret die Anregung gegeben werden kann und gesagt wird, daß das zu einem wirtschaftlich besseren Ergebnis führen kann, sind wir selbstverständlich bereit, dem zu folgen. - Ich komme also Ihrer Bitte, das überprüfen zu lassen, sehr gern nach.
Die Fragen 56 und 57 des Herrn Abgeordneten Pfeffermann werden auf Bitten des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 58 des Abgeordneten Dr. Soell auf:
Ist die Deutsche Bundespost bereit, bei ihrem „Service 130" für gemeinnützige Unternehmen, wie z. B. für den in Heidelberg geplanten Krebsinformationsdienst ({0}), die Grundgebühr von 1 000 DM zu erlassen bzw. zu reduzieren sowie statt der bisher verlangten doppelten Gesprächsgebühr nur die normalen Telefongebühren zu verlangen?
An die Deutsche Bundespost, Herr Kollege Dr. Soell, wird sehr häufig die Bitte herangetragen, für bestimmte Dienste gemeinütziger Unternehmungen eine Gebührenvergünstigung im Fernsprechdienst einzuräumen. Bei derartigen Wünschen auf Gebührenvergünstigungen, auch für den „Service-130-Anschluß", ist jedoch zu berücksichtigen, daß leider die finanziellen Möglichkeiten der Deutschen Bundespost, gegenüber gemeinnützigen Unternehmen helfend tätig zu werden, durch gesetzliche Regelungen begrenzt sind. Da das dem Post- und Fernmeldewesen gewidmete Bundesvermögen als Sondervermögen mit eigener Haushalts- und Rechnungsführung von den übrigen Vermögen des Bundes getrennt zu halten ist, müssen die notwendigen Ausgaben der Deutschen Bundespost aus eigenen Einnahmen bestritten werden. Zuschüsse aus der Bundeskasse erhält die Post nicht.
Hierbei ist auch zu beachten, daß die Betreuung kranker, hilfsbedürftiger und behinderter Menschen, wie sie u. a. auch von den gemeinnützigen Unternehmen wahrgenommen wird, durch die Gesetzgebung im Sozialrecht geregelt ist und der Deutschen Bundespost somit keine Kompetenzen auf diesem Gebiet zufallen. Die Deutsche Bundespost bittet deshalb um Verständnis, daß sie Ihrem Anliegen leider nicht entsprechen kann.
Zusatzfrage, Dr. Soell.
Gibt es nicht Möglichkeiten, auf dem Wege von Anträgen über den Sozialetat solchen Bitten gemeinnütziger Unternehmungen zu entsprechen?
Herr Kollege Soell, wir müßten uns dann wahrscheinlich im Einzelfall über die Kosten, die für einen „Service-130-Anschluß" ganz erheblich hoch sind, unterhalten. Aber wenn eine Gemeinde oder eine Stadt bereit wäre, für eine solche gemeinnützige Einrichtung die Kosten im Rahmen unserer Tarife zu übernehmen, wären wir selbstverständlich bereit, ein solches Agreement zu treffen. Nur können wir als Deutsche Bundespost nicht die Kosten für die Einrichtung übernehmen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Dr. Soell.
Herr Staatssekretär, da Sie von sehr vielen Bitten, die an Sie herangetragen worden seien, sprachen, möchte ich Sie fragen, ob Sie auch von der finanziellen Größenordnung her ungefähr einen Überblick haben und ob sich daraus eventuell die Möglichkeit eines Vorstoßes auf dem Weg der Gesetzgebung ergeben könnte, hier eine Regelung zu finden?
Ich habe im gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Überblick über die Grö9284
ßenordnung. - Nur ist dies ein generelles Problem. Deswegen, meine ich, kann man es auch nicht von Größenordnungen her sehen. Ich sagte, diese Seite sei im Sozialrecht geregelt und ressortiere nicht beim Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen. Deswegen kann dieses Sondervermögen Deutsche Bundespost dafür auch nicht in Anspruch genommen werden. Wenn eine andere gesetzliche Regelung getroffen wird, nun, dann werden wir dem folgen müssen.
Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Hinsken auf:
Ab wann und wie haben die einzelnen Oberpostdirektionen die Städte, Landkreise und Gemeinden in ihren Bereichen über das Verkabelungswesen informiert?
Herr Präsident, ich bitte, wenn der Kollege Hinsken einverstanden ist, daß ich wegen des Sachzusammenhangs die beiden Fragen gemeinsam beantworten darf.
({0})
Aus seinem Nicken sehe ich, daß er einverstanden ist. Denn rufe ich auch die Frage 60 des Abgeordneten Hinsken auf:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um in der Fläche, der gleichen Lebensbedingungen wegen, die Verkabelung genauso schnell wie in den Ballungsräumen durchzuführen?
Herr Kollege Hinsken, am 19. Juli 1983 ist die Rahmenvereinbarung zwischen der Deutschen Bundespost und der Bundesvereinigung der Kommunalen Spitzenverbände abgeschlossen worden. In der Rahmenvereinbarung ist ein umfassender Informationsaustausch geregelt. Die Oberpostdirektionen sind nach Abschluß der Abstimmungsgespräche über die Erläuterungen zu dieser Rahmenvereinbarung am 17. Januar 1984 angewiesen worden, die Regelungen der Rahmenvereinbarung unter Beachtung der in den Erläuterungen enthaltenen Ausführungsregelungen zu praktizieren. Seit dieser Zeit werden die Gemeinden in Einzelgesprächen von dem jeweils zuständigen Fernmeldeamt über die Breitbandverkabelung unterrichtet.
Es gehört zu den Zielen der Bundesregierung, darauf hinzuwirken, daß keine einseitige zeitliche Bevorzugung der Städte und Gemeinden in Verdichtungsräumen gegenüber denjenigen in ländlichen Räumen erfolgt. Dabei ist es jedoch erforderlich, daß zur Erreichung der Rentabilität der Ausbau der Netze von den dicht bebauten in die locker bebauten Gebiete hinein vorangetrieben wird. Dabei muß dann laufend überprüft werden, inwieweit die Versorgung noch nicht erfaßter Gebiete durch die Anpassung der Randbedingungen ebenfalls rentabilitätsorientiert fortgesetzt werden kann.
Für die locker bebauten Gebiete werden wir sicherlich auch noch andere Lösungen finden müssen, die deutlich kostengünstiger sind, die aber gleichwohl Programm- und damit Informationsvielfalt bieten. Zur Versorgung dieser Bereiche wird sicherlich auch noch die weiter zu entwickelnde Technik direkt empfangbarer Rundfunksatelliten beitragen können.
Zusatzfrage, Herr Hinsken.
Herr Staatssekretär, meine Frage: Ist der Informationsgrad in den einzelnen Bundesoberpostdirektionen gleich; und wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Informationsgrad im Oberpostdirektionsbereich Regensburg denkbar schlecht ist?
Ich entnehme zunächst einmal Ihrer Frage, Herr Kollege Hinsken, daß Sie einen Einzelfall im Auge haben, wo vielleicht etwas nicht so gelaufen ist, wie das eigentlich von der Unternehmensführung der Deutschen Bundespost gewünscht wird. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir einen solchen Fall vortragen würden. Dann werde ich selbstverständlich dafür sorgen, daß das schnellstens in Ordnung gebracht wird.
Weitere Zusatzfrage, Herr Hinsken.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich zunächst und gehe davon aus, daß Weisung erteilt wird, daß man vermehrt Aufklärungsarbeit betreibt.
Meine zweite Frage: Können Sie darum besorgt sein, daß die Anschlußgebühren in Zukunft nicht erhöht werden?
Herr Kollege Hinsken, dies ist eine ungewöhnlich schwere Frage.
({0})
- Ja, einer machte den Zwischenruf „Schwierige Frage!" Wie die Kostenentwicklung in dem Sektor ist, wird, so glaube ich, in diesem Zeitpunkt keiner von uns voraussehen können.
Herr Hinsken, Sie haben zwei weitere Zusatzfragen, wenn Sie wollen.
Man muß ja davon ausgehen, daß die betroffene Bevölkerung nichts dafür kann, wenn sie jetzt noch nicht verkabelt wird. Wenn sie erst später dran kommt, darf sie dafür doch nicht finanziell bestraft werden.
Daran muß noch ein Fragezeichen.
Herr Kollege Hinsken, das ist sicherlich richtig. Aber wenn Sie jetzt noch kein Auto kaufen können und es erst später kaufen, ist möglicherweise der Preis in der Zwischenzeit auch höher geworden.
Herr Staatssekretär, darf ich aus Ihrer Antwort zumindest schließen, daß die Bundesregierung bestrebt ist, daß in der Fläche die Anschlußgebühren nicht höher als in Ballungsräumen sind?
Herr Kollege Hinsken, aus meiner ersten Antwort ist schon deutlich geworden, daß wir wollen d. h. daß die Bundesregierung will -, daß der ländliche Raum nicht benachteiligt wird. Aber ich darf auf die Diskussion in diesem Hause verweisen. Uns wird ständig die Auflage gemacht, dies solle schon in der Einführungsphase rentabilitätsorientiert sein, obwohl jeder weiß, daß man Netze in der Einschwenkphase einfach nicht rentabel gestalten kann, sondern daß es dazu eines entsprechenden Vorlaufs bedarf. Wenn dieses Hohe Haus beschließen sollte, daß wir unsere Etatansätze gerade für diesen Bereich erheblich erhöhen dürfen, dann wäre ich dafür sehr dankbar, und ich bin ganz sicher, dann wäre die Deutsche Bundespost dafür sehr dankbar.
({0})
Jetzt waren es vier Zusatzfragen. Sie haben einmal das Fragezeichen ausgelassen.
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- Nein, ich glaube, ich habe mich nicht geirrt.
Zusatzfrage des Abgeordneten Bernrath.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung an Ihrer in der Rahmenvereinbarung erklärten Informationsbereitschaft gegenüber den Kommunen auch nach dem Urteil des OVG Münster, in dem eine Verpflichtung dazu nicht festgestellt worden ist, festhalten?
Herr Kollege Bernrath, wir haben - ich glaube, das wissen Sie - von Anfang an gesagt, unabhängig davon, wie dieser Rechtsstreit ausgeht, ist uns an einer ganz engen Zusammenarbeit mit den Kommunen gelegen; denn das fördert ja auch die Wirtschaftlichkeit unserer Unternehmungen. Wenn wir das nämlich vernünftig miteinander absprechen, können wir meistens wirtschaftlicher arbeiten, als wenn wir nacheinander Straßen aufreißen.
Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter de With.
Herr Staatssekretär, räumen Sie in Ihrer Antwort ein, daß es ein finanzielles Abenteuer ist, sich auf dem Land verkabeln zu lassen, wohingegen der Autokauf ein kalkulierbares und berechenbares Risiko ist, nachdem der empfohlene Richtpreis feststeht und jedermann auf Grund der letzten 30 Jahre weiß, daß in den Jahren nur gewisse knappe prozentuale Erhöhungssätze dazukommen?
Herr Kollege Dr. de With, ich räume das überhaupt nicht ein; denn das, was Sie so smart unterstellt haben, habe ich gar nicht ausgeführt, sondern ich habe gesagt, die Entwicklung der Kosten in diesem Bereich kann keiner übersehen; ich auch nicht.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Ich danke dem Herrn Staatssekretär für die Beantwortung der Fragen.
Wir sind deshalb am Ende, weil die beiden weiteren Fragen des Abgeordneten Paterna schriftlich beantwortet werden sollen. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Die Frage 63 der Frau Abgeordneten Reetz ist zurückgezogen worden.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie. Herr Staatssekretär Dr. Probst steht zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Fragen 64 und 65 des Abgeordneten Reuter sollen auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Wir kommen zur Frage 66 des Abgeordneten Dr. Klejdzinski.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß in Wien und Tokio öffentliche Verkehrsmittel mit alternativen Kraftstoffen gefahren werden, und wenn ja, welche Erfahrungen haben diese Städte mit dem Einsatz von Alternativkraftstoffen gemacht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Dr. Klejdzinski, Ihre Frage beantworte ich wie folgt.
Versuchsprogramme mit Alternativkraftstoffen in Wien und Tokio sind der Bundesregierung bekannt.
In Wien wird eine Erprobung mit Bussen durchgeführt, von denen 200 im Mischbetrieb und Zweistoffbetrieb von Dieselkraftstoff und Flüssiggas betrieben werden und 170 auf reinen Flüssiggasbetrieb umgerüstet wurden. Wesentliches Ergebnis sind die gegenüber dem Dieselkraftstoffbetrieb deutlich reduzierten Rußemissionen im Misch- und Zweistoffbetrieb und die rußfreie Verbrennung im reinen Flüssiggasbetrieb. Der Anreiz für das Versuchsprogramm bestand im wesentlichen in dem steuerfreien Angebot an Flüssiggas.
Daneben wurden in Österreich Versuche mit Äthanolbeimischungen von 5 und 10 % zum Vergaserkraftstoff in Personenkraftwagen durchgeführt. Nur bei der 5 % Zumischrate war ein problemloser Betrieb möglich, so daß eine marktmäßige Umsetzung hierfür erwogen wird. Die von der Bundesregierung angestrebten Grenzwerte für Abgase können allerdings mit dieser Lösung allein nicht eingehalten werden.
In Tokio ist für Taxen die Verwendung von Flüssiggas vorgeschrieben. Im Zuge der Verschärfung der Abgasgrenzwerte unterstützte diese Entscheidung die Maßnahmen zur Emissionsminderung. Mit der späteren Einführung des Katalysatorkonzepts ergeben sich heute keine spezifischen Umweltvorteile mehr.
In einem von 1985 bis 1987 geplanten Versuchsprogramm mit 100 Nutzfahrzeugen und 10 Bussen
sollen außerdem Erfahrungen bei der Anwendung des Methanolkraftstoffes M 100 gewonnen werden. Maßgebend für diesen Versuch sind Energie- und Umweltaspekte.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, wenn Sie als Folgerung anführen, daß die Umstellung auf Katalysator im Gegensatz zu diesen Kraftstoffen keine erheblichen Vorteile bringt, darf ich Sie dann fragen, wie die Zusammensetzung der Abgase im Vergleich zu denen bei Flüssiggas ist, inwieweit dann doch noch eine Belastung in einzelnen Punkten auftritt, die gegenwärtig von der Katalysatorproblematik nicht gelöst wird?
Herr Kollege, ich habe die genauen Zahlen jetzt nicht vorliegen, aber ich bin gern bereit, sie Ihnen nachzuliefern.
Darf ich Sie weiter fragen, Herr Staatssekretär, ob es sich bei diesen Erkenntnissen, insbesondere wenn man weiß, daß langfristig auch noch Probleme in der EG bestehen, nicht doch anbietet, in bestimmten dichtbesiedelten Stadtregionen auf diese Erfahrungen zurückzugreifen?
Letztlich ist es natürlich ein Finanzproblem, denn es ist eine Frage der Infrastruktur in so einem Bereich. Es ist natürlich auch eine Abwägungsfrage, ob man mit dem Katalysator schneller zu Rande kommen wird als mit anderen technischen Möglichkeiten, wobei diese technischen Möglichkeiten nicht perfekt sind. Die Bundesregierung ist in dieser Frage offen. Der bessere Weg, sofern er wirtschaftlich gangbar ist, ist selbstverständlich der gewünschte Weg.
Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Laermann.
Herr Staatssekretär, ist es richtig, daß beim Betrieb von Kraftfahrzeugen mit Alternativkraftstoffen auch eine Katalysatortechnik, nämlich der Aldehydkatalysator, eingesetzt werden muß?
Ja.
Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung aus dem soeben von Ihnen Dargestellten auch zusätzliche Versuche in der Bundesrepublik fahren, um die Umwelt zu entlasten?
Die Bundesregierung hat zu diesem Thema bereits eine Reihe von Versuchen gefahren, und sie fährt diese Versuche auch weiterhin. Teilweise liegen Ergebnisse vor. Die Grundaussagen unterscheiden sich allerdings auch nicht von denen, die in Österreich oder in Tokio gemacht wurden.
Zusatzfrage des Abgeordneten Toetemeyer.
Herr Staatssekretär, da Sie jetzt den Sack ein bißchen geöffnet haben, darf ich fragen, wo Versuche durchgeführt werden und in welchem Umfange?
Im Bereiche des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Beimischung von Äthanol zu Pkw-Kraftstoffen. Es hat einen großen Methanol-Versuch gegeben. Die Studie liegt derzeit vor. 15% Beimischung sind praktisch kein Problem. Höhere Beimischungen sind beim Betrieb nicht problemfrei.
Meine Damen und Herren, wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesministers für Forschung und Technologie. Danke schön, Herr Staatssekretär, für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Herr Parlamentarischer Staatssekretär Pfeifer steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung.
Ich rufe Frage 67 des Abgeordneten Vogelsang auf:
Welche Gründe haben die Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft veranlaßt, bei der Eröffnung der „didacta '85" davor zu warnen, bei der Einführung neuer Techniken die Verantwortung gegenüber den Schülern „nicht kurzfristigen Marktinteressen" zu opfern?
Herr Kollege Vogelsang, Frau Bundesminister Dr. Wilms hat bereits anläßlich ihres Aufrufs zu einer Gemeinschaftsaktion „Computer und Bildung" gesagt, daß es angesichts der informationstechnischen Entwicklung und ihrer Folgen mit der schlichten Forderung „Computer in die Schulen!" nicht getan ist. Dies hat sie auf der „didacta '85" wiederholt.
Bei der notwendigen Einführung der neuen Techniken in die Schulen müssen die Konsequenzen, die sich daraus für die Persönlichkeitsbildung der Schüler sowie für die Bildungsinhalte und Bildungsziele insgesamt ergeben, bedacht werden. Deshalb können sich die Entscheidungen für die großen und wichtigen Investitionen zur Entwicklung von Unterrichtskonzepten und Unterrichtsmaterialien für die Fortbildung der Lehrer und für eine didaktisch geeignete Geräteausstattung nicht an kurzfristigen Marktinteressen orientieren.
Zusatzfrage von Herrn Vogelsang.
Herr Staatssekretär, kann ich davon ausgehen, daß Frau Dr. Wilms als verantwortliche Ressortministerin hier die Meinung der Bundesregierung wiedergegeben hat, oder handelt es sich mehr um eine Meinung der Ministerin?
Das ist die Meinung der Bundesregierung.
Zusatzfrage, Herr Vogelsang.
Herr Staatssekretär, was will denn die Bundesregierung tun, damit diese Aspekte, die Sie soeben vorgetragen haben, bei der Einführung der Computer in die Schule auch wirklich berücksichtigt werden?
Herr Kollege Vogelsang, ich darf hierzu auf das vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und allen Kultusministern der Länder im Dezember 1984 in der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung verabschiedete Rahmenkonzept für die informationstechnische Bildung in Schule und Ausbildung verweisen. Ich möchte daraus zwei kurze Passagen zitieren. Die eine lautet:
Die neuen Techniken und Medien stellen auch für das Bildungswesen eine Herausforderung dar.
Dann wird an einer anderen Stelle fortgefahren:
Ziel aller Bemühungen muß es sein, durch die Einführung einer informationstechnischen Bildung den Jugendlichen die Chancen der neuen Techniken und Medien zu eröffnen und sie zugleich vor den Risiken zu bewahren, die durch unangemessenen Gebrauch entstehen könnten.
Deshalb soll eine differenzierte informationstechnische Bildung zugleich einen Beitrag zur Erziehung der Jugendlichen leisten.
Sie ersehen daraus, daß das, was ich in meiner einleitenden Antwort gesagt habe, inzwischen eine in der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung nicht mehr umstrittene und auch von der Bundesregierung mitgetragene Politik ist.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Staatssekretär, da die Frau Minister ausdrücklich von „kurzfristigen Marktinteressen" gesprochen hat, frage ich: Sehen Sie einen Unterschied zwischen kurz- und langfristigen Marktinteressen, und wie werten Sie letztere in diesem Zusammenhang?
So dürfen Sie das Zitat der Frau Minister - ({0})
- Aber so dürfen Sie das Zitat nicht interpretieren. Es geht vielmehr um folgendes: Die Herstellerindustrie hat j a wohl ein verständliches Interesse daran, daß die Schulen möglichst rasch und möglichst anspruchsvoll mit Computern ausgestattet werden. Das sind legitime Interessen, aber sie können nicht Maßstab für bildungspolitische oder für pädagogische Entscheidungen sein, und das hat Frau Minister Wilms gemeint.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Stahl.
Herr Staatssekretär, unabhängig von der Weiterschulung und Weiterbildung der Lehrkräfte zu technologischen Bereichen stellt sich aber doch die Frage, ob es nicht sinnvoll ist, daß die Bundesregierung, sprich: der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft, vielleicht gemeinsam mit dem Forschungsminister, auch die Schulen in die Lage versetzen, überhaupt derartige neue Technologien zu erwerben, und ist es unter diesem Gesichtspunkt nicht zweckmäßig, den für die Schulen Verantwortlichen etwa einen Zuschuß des Bundes in Höhe von 50 % zu geben, damit der Erkenntnisstand und alles, was dazugehört, verbessert wird?
Herr Kollege Stahl, der Zweck der Gemeinschaftsaktion „Computer und Bildung", die j a von der Bundesregierung maßgeblich initiiert worden ist, besteht genau darin, die Computerausstattung der Schulen zu verbessern. Im Rahmen von Modellversuchen ist die Bundesregierung auch in der Lage, zu diesem Zweck finanziell das eine oder andere beizutragen, aber eine generelle Finanzierung durch die Bundesregierung ist wohl auch auf Grund der verfassungsrechtlichen Lage nicht möglich.
Wir kommen zu Frage 68 des Abgeordneten Kastning:
Lassen die Äußerungen der Bundesministerin für Bildung und Wissenschaft bei der Eröffnung der „didacta '85", sie sei gegen die unkritische Haltung bei Einführung neuer Techniken in der Schule, darauf schließen, daß eine Kursänderung gegenüber der bisherigen vorbehaltlosen Zusammenarbeit mit der Fördergemeinschaft zur Unterstützung der Aktion Computer und Bildung eingetreten ist?
Herr Kollege Kastning, nach dem Aufruf von Frau Bundesminister Dr. Wilms zu einer Gemeinschaftsaktion von Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft im März 1984 haben zwei große Wirtschaftsverbände eine Fördergemeinschaft „Computer und Bildung" gegründet. Bei der Zusammenarbeit mit dem Bundesminister für Bildung und Wissenschaft und den Kultusministern der Länder hat diese Fördergemeinschaft stets den Vorrang der pädagogischen Kriterien vor allen anderen Interessen anerkannt. Dies entspricht exakt der Position des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Es gibt daher keinen Grund für die Annahme, daß in der Haltung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft gegenüber der Fördergemeinschaft eine Kursänderung eingetreten wäre.
Eine Zusatzfrage, Herr Kastning.
Wenn keine Kursänderung eingetreten ist, muß ich erst recht fragen, Herr Staatssekretär: Wie verträgt sich eigentlich die Folge der Bildung dieser Gemeinschaft, nämlich eine rasch fortschreitende Computerisierung der Schulen, mit dem Ziel, das Sie vorhin nannten, nämlich in Modellversuchen zu erproben, was eigentlich wirklich gebraucht wird und was sinnvoll ist?
Herr Kollege Kastning, die Fördergemeinschaft hat in § 2 ihrer Satzung ausdrücklich festgelegt - ich zitiere -:
Zweck der Fördergemeinschaft ist die Unterstützung der zuständigen Stellen bei der Förderung der Ausbildung von Schülern und Lehrern in Schulen, Fachhochschulen, Universitäten, Einrichtungen der Erwachsenenbildung und anderen Ausbildungsstätten auf dem Gebiet der Informationstechnik.
Es heißt hier also ausdrücklich: Die Fördergemeinschaft unterstützt Maßnahmen der zuständigen Stellen, insbesondere der Länder. Damit ist genau der pädagogische Vorrang, von dem ich gesprochen habe, auch durch die Fördergemeinschaft gewahrt, und dies ist auch der Grund dafür, daß die Zusammenarbeit möglich ist, ohne daß irgendwelche Probleme, wie Sie sie in Ihrer Frage angedeutet haben, entstanden sind.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kastning.
Herr Staatssekretär, könnte es nicht so sein, daß, wenn ich mich in der Schullandschaft umsehe, durch das Wirken dieser Gemeinschaft „Computer/Schule" einzelne Firmen, Schulen und Elternfördervereine dennoch bereits einen Schritt weiter gegangen sind, als es die pädagogischen Erkenntnisse überhaupt zulassen?
Es kann durchaus sein, daß regionale Fördergemeinschaften hier einen Schritt weitergegangen sind, aber Ihre Frage bezog sich auf die Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und der von ihr initiierten oder jedenfalls unterstützten Fördergemeinschaft. Da ist die Zusammenarbeit in der von mir geschilderten Weise bisher problemlos gewesen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Vogelsang.
Herr Staatssekretär - man könnte das jetzt natürlich auch in eine Frage kleiden -, wir sind j a meinungsmäßig nicht auseinander. Nur die Frage, die ich wiederholen muß, ist doch eigentlich: Wie stellt die Bundesregierung sicher, daß das, was sie eben mit dem Zitat aus der Bund-Länder-Kommission oder aus der Satzung postuliert haben, auch wirklich passiert und daß eben nicht kurzfristige Marktinteressen die Oberhand bekommen?
Nun fällt die Durchführung der Beschlüsse der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung ja wohl in die Kompetenz derjenigen, die in Bund und Ländern - hier geht es vor allem um die Länder - Verantwortung haben. Was die Bundesregierung dazu beitragen kann, ist, daß man sich über die konzeptionelle Grundlage in der Form verständigt, wie ich es Ihnen hier dargestellt habe.
Herr Dr. Laermann hat eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind Sie der Auffassung, daß die nordrhein-westfälische Landesregierung die Bundesregierung fragen müßte, ob sie die Computerspende einer namhaften Firma zur Ausstattung der Berufsschulen und der Hauptschulen in Nordrhein-Westfalen annehmen darf oder nicht?
Sie müßte es nicht, und sie tut es auch nicht.
({0})
Ich rufe die Frage 69 des Abgeordneten Kastning auf:
Was versteht die Bundesregierung unter einer kritischen Haltung bei der Einführung neuer Techniken in der Schule?
Herr Kollege Kastning, Frau Bundesminister Dr. Wilms hat bei der Eröffnung der „didacta '85" erneut zum Ausdruck gebracht, daß die pädagogische Herausforderung bei der Einführung neuer Techniken in der Schule weniger in den rein organisatorischen Fragen, also in der Ausstattung mit den Computern besteht. Dies ist keine grundsätzlich kritische Haltung gegenüber der Einführung neuer Techniken in der Schule, sondern Ausdruck der Überzeugung, daß bei der notwendigen Einführung von neuen Techniken in die Bildungseinrichtungen die Verarbeitung der Konsequenzen, die sich z. B. aus den neuen Informations- und Kommunikationstechniken für die Bildungsziele insgesamt ergeben, die entscheidende pädagogische Herausforderung ist.
Es gibt also keine kritische Position gegenüber den Computern in der Schule, sondern es gibt von seiten der Bundesregierung das Bemühen, hier die pädagogischen Anliegen in den Vordergrund zu rücken.
Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Herr Staatssekretär, jetzt muß ich Sie einmal ganz schlicht und einfach fragen: Heißt das, daß die Bundesregierung oder Frau Bildungsminister Wilms die Folgen aus der Einführung neuer Technologien dem Bildungswesen aufhalsen will - ich sage es einmal bewußt so -, daß aber in der Bildung Entscheidungen, die im vorschulischen Raum liegen, nicht behandelt werden dürfen, also negative Auswirkungen der neuen Technologien in der Wirtschaft, in der Gesellschaft?
Nein, Herr Kollege Kastning. Wir haben uns in der Fragestunde, auch durch Ihre Fragen bedingt, in erster Linie mit Schulen und Berufsbildungseinrichtungen befaßt.
Weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Kastning.
Ich will das noch einmal verdeutlichen, weil immer noch nicht klar geworden ist, wonach ich frage. Kann es nach Auffassung der
Bundesregierung Aufgabe der Schule sein, den Einsatz neuer Technologien auch außerhalb der Schule kritisch zu hinterfragen?
Es ist die pädagogische Aufgabe, den Schülern auf der einen Seite die Chancen, die mit dem Computer verbunden sind, bewußt zu machen, aber auf der anderen Seite den Schülern auch zu vermitteln, daß man sich von einer solchen Technologie nicht beherrschen lassen darf, sondern daß man lernen soll, sie selbst zu beherrschen.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs für Bildung und Wissenschaft. Ich danke Herrn Staatssekretär Pfeifer für die Beantwortung der Fragen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Möllemann steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Die Frage 70 der Abgeordneten Frau Schmedt ({0}) wird auf Wunsch der Fragestellerin schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen zu Frage 71 des Abgeordneten Dr. Hauchler:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Resistencia Nacional Mocambiquana ({1}) 1976 unter Mithilfe der damaligen weißen Minderheitsregierung Rhodesiens gegründet und nach dem Sturz der Regierung Smith von der Republik Südafrika weiter massiv unterstützt worden ist, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege Dr. Hauchler, aus Informationen, die der Bundesregierung vorliegen, geht hervor, daß die RNM aus einer vom damaligen rhodesischen Geheimdienst 1976 gegründeten Kampftruppe hervorgegangen ist, deren primäre Aufgabe es war, die damals von Mosambik aus operierende ZANU unter der Führung Mugabes zu beobachten. Kurz vor der Unabhängigkeit Simbabwes im April 1980 wurde das Hauptquartier der RNM nach Südafrika verlegt, von wo aus diese Organisation gegen Mosambik zu operieren begann mit dem Ziel, die FrelimoRegierung zu stürzen. Die RNM wurde bis zum Abschluß des Nkomati-Abkommens zwischen Südafrika und Mosambik am 16. März 1984 von Südafrika in erheblichem Umfang unterstüzt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Hauchler.
Herr Staatssekretär, haben Sie Informationen darüber, daß Südafrika nach Abschluß des Vertrages von Nkomati die Widerstandsbewegung RNM nach wie vor unterstützt und in welcher Weise?
Herr Kollege, wir haben diese Vereinbarung, die im März 1984 zwischen Südafrika und Mosambik getroffen wurde, begrüßt, und zwar unter der Voraussetzung, daß diese Vereinbarung für beide Seiten die Grundlage für eine friedliche Nachbarschaft bei gegenseitiger Anerkennung der Unabhängigkeit wird. Heute beobachten wir mit Sorge, daß die Aktivitäten der RNM nach dieser Vereinbarung weiter zugenommen haben. Wir haben von daher gemeinsam mit unseren europäischen Partnern auf der letzten Ratstagung beim Außenministertreffen in Rom im Februar 1985 eine gemeinsame Erklärung abgegeben, in der wir alle Beteiligten aufgefordert haben, die getroffenen Vereinbarungen zu respektieren.
Wir bedauern ausdrücklich, daß es ein Jahr nach diesen Verständigungsbemühungen zwischen Mosambik und Südafrika fortgesetzte auswärtige Einmischungsversuche gibt, die Mosambik an der erhofften wirtschaftlichen und politischen Konsolidierung hindern.
Die südafrikanische Regierung, die wir darauf angesprochen haben, hat uns seither immer wieder versichert, daß sie der RNM seit Abschluß des Abkommens keine Unterstützung mehr leistet. Uns liegen keine Beweise dafür vor, daß diese Aussage unzutreffend sei.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Hauchler.
Herr Staatsminister, für wie glaubwürdig schätzen Sie diese Erklärung der südafrikanischen Regierung ein angesichts der Tatsache, daß die RNM nach dem Vertragsabschluß tatsächlich stärker geworden ist? Und können Sie sich vorstellen, daß andere Staaten die RNM unterstützen, oder haben Sie Informationen in dieser Richtung?
Herr Kollege, vorstellen können wir beide uns wahrscheinlich ziemlich vieles. Aber ich bin nach Informationen gefragt worden, die vorliegen. Uns liegen keine vor. Ich möchte damit den dringenden Appell verbinden, daß sich jedermann an diesen Vertrag hält und niemand von außerhalb den Geist dieses Vertrages etwa durch solche Aktionen stört.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Dr. Hauchler auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Resistencia Nacional Mocambiquana ({0}) ihre gewaltsamen Anschläge vor allem gegen die Zivilbevölkerung richtet, während der Dürre Hilfstransporte ins Landesinnere abgefangen hat, Ernten vernichtet und Saatgut raubt?
Herr Kollege, nach den Erkenntnissen der Bundesregierung richten sich die Aktivitäten der RNM in erster Linie gegen die Zivilbevölkerung, gegen die sie in besonders brutaler Weise vorgeht. Es gibt überzeugende Hinweise dafür, daß die RNM durch ihre Politik der verbrannten Erde für die gegenwärtige schwere Versorgungskrise in weiten Teilen des Landes eine maßgebliche Verantwortung trägt. Die RNM hat im Laufe der letzten Jahre eine erhebliche Destabilisierung der administrativen und wirtschaftlichen Strukturen in Mosambik bewirkt.
Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Hauchler.
Plant die Bundesregierung eine Unterstützung der Menschen in Mosambik angesichts der Dürrekatastrophe und der Störung der Verkehrswege und der Energieversorgung in Mosambik und in welcher Form?
Möllemann, Staatsminster: Herr Kollege, die Bundesregierung ist seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Mosambik im Jahre 1975 bemüht, die Zusammenarbeit mit diesem Land unter der Führung seines Präsidenten Machel auszubauen und insbesondere durch die 1982 aufgenommene Zusammenarbeit im Bereich der Entwicklungspolitik einen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufbau des Landes zu leisten.
In der Sicherheit und Stabilität Mosambiks sehen wir, wie übrigens auch unsere Partner in der EG, eine wichtige Voraussetzung für eine gedeihliche Entwicklung der gesamten Region. Wir arbeiten also wirtschaftlich mit dem Land zusammen, und es wird im Einzelfall zu prüfen und zu entscheiden sein, ob über das Konzept der langfristigen wirtschaftlichen Zusammenarbeit hinaus im Rahmen der humanitären Hilfe, etwa im Bereich der Hungerhilfe, Unterstützung zu geben ist. Ich müßte mich dort über den letzten Stand sachkundig machen. Aus Ihrer Frage ging für mich nicht hervor, daß das ein Thema sein könnte.
Im übrigen lehnen wir aus der gleichen Haltung heraus Kontakte zur RNM ab und verleihen ihr bei uns keinerlei Status, was ein schlüssiges Ergebnis unserer Politik ist.
Herr Abgeordneter Verheugen möchte eine Zusatzfrage stellen.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß die Aktivitäten der RNM in Mosambik, die Sie soeben beschrieben haben, ein weiterer sehr wichtiger Hinweis darauf sind, daß die Hungerkatastrophe, mit der wir es in weiten Teilen Afrikas zu tun haben, nicht nur ökologische oder klimatische Ursachen hat, sondern daß dieser Hungerkatastrophe sehr häufig politische Ursachen zugrunde liegen?
Das ist unbestreitbar. Auch die Tatsache, daß unsere humanitären Hilfsaktionen gelegentlich nicht das Ziel erreichen, dem sie sich verpflichtet fühlen, hängt häufig mit solchen politischen Gründen zusammen. Wenn Sie etwa an die Versorgung in Gebieten denken, die von bürgerkriegsähnlichen Zuständen geplagt sind, ist das ein weiteres Indiz für die Richtigkeit Ihrer Annahme.
Ich rufe die Frage 73 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß im März 1983 eine Zusammenkunft des Nationalrates der „Resistencia Nacional Mocambiquana" ({0}), die der Vorbereitung von Terroranschlägen in Mosambik diente, in der Bundesrepublik
Deutschland stattgefunden hat, und wenn ja, was gedenkt sie zu unternehmen, um derartige Zusammenkünfte in der Bundesrepublik Deutschland künftig zu verhindern?
Herr Kollege Toetemeyer, der Bundesregierung ist nicht bekannt, daß im März 1983 eine Zusammenkunft des Nationalrats der RNM oder MNR in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden hat. Es ist allerdings nicht auszuschließen, daß sich RNM-Angehörige privat in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben. Sie verfügen in der Bundesrepublik Deutschland über keinen Status, und wir unterhalten auch keine Kontakte zur RNM.
Eine Zusatzfrage, Herr Toetemeyer.
Herr Staatsminister, würde das bedeuten, daß die Quelle, auf die ich meine Frage gestützt habe, nämlich „Domingo" vom 16. Dezember 1984, unseriös ist?
In Ihrer Frage ist diese Quelle nicht enthalten.
({0})
Ich möchte eine Bewertung dieser Quelle jetzt nicht vornehmen.
({1})
- Selbstverständlich.
Ich rufe die Frage 74 des Abgeordneten Toetemeyer auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, daß im November 1983 bzw. im November 1984 Treffen zwischen RNM-Vertretern, u. a. dem Generalsekretär Evo Fernandes, und Vertretern der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie der Hanns-SeidelStiftung in der Bundesrepublik Deutschland stattgefunden haben?
Herr Kollege Toetemeyer, der Bundesregierung ist von den beiden erwähnten Treffen in November 1983 bzw. November 1984 zwischen RNM-Vertretern und Vertretern der Konrad -Adenauer- Stiftung sowie der Hanns- Seidel-Stiftung nichts bekannt.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich auch hier die Frage stellen, ob die Meldung der „Frankfurter Rundschau" vom 22. Oktober 1984 von daher als unkorrekt anzusehen ist?
Nein, nicht alles, was wir nicht wissen, muß deswegen auch nicht gegeben sein.
({0})
- Herr Kollege Klejdzinski, Sie haben völlig recht,
manchmal wissen wir alle sehr wenig. Das verbinStaatsminister Möllemann
det übrigens die Fraktionen dieses Hauses miteinander.
Eine weitere Zusatzfrage.
Darf ich auch hier die zweite Frage anschließen, ob Sie bereit sind, bei der von mir genannten Quelle zu recherchieren und mich über das Ergebnis Ihrer Untersuchungen zu unterrichten?
Ich kann mir eigentlich nicht gut vorstellen, Herr Kollege Toetemeyer, daß die Bundesregierung beginnt, bei Zeitungen den Wahrheitsgehalt von Meldungen zu recherchieren. Wahrscheinlich wäre es zweckmäßiger, wenn Sie, Herr Kollege, gelegentlich diese Zeitung, die Ihnen nicht ganz fern stehen dürfte, einmal anrufen und fragen, ob es zutrifft, und uns dann mit entsprechenden Informationen versorgen.
Also ein Gegengeschäft.
Ich rufe die Frage 75 des Abgeordneten Weinhofer auf:
Welche Gründe waren für die Bundesregierung maßgebend, wie Pressemitteilungen kürzlich zu entnehmen war, mit einer Note an den Schweizer Bundesrat zugunsten des bayerischen Bauunternehmers Hanns Maier und seiner Schweizer Firma „Bau und Touristik AG" Einfluß zu nehmen, obwohl der Bundesregierung die Fakten, die zur Ausweisung des oben Genannten aus der Schweiz und zur Liquidationsklage gegen seine Firma führten, bekannt sein mußten?
Herr Kollege Weinhofer, die Bundesregierung setzt sich für die Belange deutscher Staatsangehöriger im Ausland ohne Ansehen der Person ein. Dr. Maier hat die Bundesregierung 1981 um diplomatischen Schutz gegen die Enteignung von Grundbesitz in der Schweiz gebeten. Dieses Ersuchen war durch ein Gutachten des Münchener Völkerrechtslehrers Professor Dr. Bruno Simma untermauert, der die Ansicht vertrat, die Maßnahmen der Schweizer Behörden verstießen gegen den deutsch-schweizerischen Vertrag vom 31. Oktober 1910 betreffend die Regelung von Rechtsverhältnissen der beiderseitigen Staatsangehörigen im Gebiet der anderen vertragschließenden Partei.
Das Auswärtige Amt hat wegen dieser Grundsatzfrage am 4. Juni 1982 durch die Botschaft Bern ein Aide-mémoire im eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten überreichen lassen. Die Schweizer Regierung hat in ihrer Antwortnote vom 25. März 1983 die behauptete Völkerrechtsverletzung dezidiert zurückgewiesen und behauptet, Dr. Maier habe gegen geltendes Schweizer Grundstückserwerbsrecht verstoßen.
Bei dieser Sachlage wurden weitere Bemühungen zugunsten von Herrn Dr. Maier nicht mehr unternommen. Dr. Maier hat am 24. August 1984 die Bundesregierung deshalb vor dem Verwaltungsgericht wegen Versagung diplomatischen Schutzes verklagt.
Eine Zusatzfrage, Herr Weinhofer.
War sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß sie sich für einen berüchtigten Bauspekulanten einsetzte, der bereits in den 60er Jahren durch eine Grundstücksaffäre in Ingolstadt für negative Schlagzeilen sorgte und auch für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses im Bayerischen Landtag?
Herr Kollege, ich sagte j a bereits, daß sich die Bundesregierung für die Belange deutscher Staatsangehöriger im Ausland ohne Ansehen der Person einsetzt und das auch zu tun hat; jedenfalls dann, wenn man den Eindruck hat, daß ein deutscher Staatsangehöriger in seinen Rechtsansprüchen beschädigt wird. Dafür kann nicht erheblich sein, ob 20 Jahre zuvor jemand behauptet hat, er sei in irgendeine Grundstücksaffäre verwickelt oder nicht verwickelt gewesen. Es ist nicht Aufgabe der Bundesregierung, das zu bewerten.
Bevor ich die nächste Frage aufrufe, möchte ich Sie, damit wir es auch im Haus durchgeben können, davon unterrichten, daß wir nach Ende der Fragestunde, also etwa um 15.30 Uhr, die Sitzung unterbrechen werden, weil die Fraktionen der CDU/CSU und der FDP darum gebeten haben, um Fraktionssitzungen durchführen zu können. Das soll bis 16 Uhr dauern. Dann wird die Sitzung des Bundestages fortgesetzt.
Wir fahren jetzt in der Fragestunde fort. Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Weinhofer auf:
Wer veranlaßte die Bundesregierung zu dieser Note, und wie lautet der Inhalt?
Herr Kollege Weinhofer, die Bundesregierung hat im vorliegenden Fall keine Note, sondern ein Aide-mémoire übergeben, das nach diplomatischen Gepflogenheiten den Inhalt eines mündlichen Vortrags schriftlich festhält. Das weiß ich übrigens auch erst, seitdem ich diese Funktion ausübe.
Inhaltlich befaßte sich dieses Aide-mémoire mit der grundsätzlichen Frage, ob der Schweizer Bundesbeschluß vom 30. September 1965 - die sogenannte Lex Furgler - über den Erwerb von Grundstücken in der Schweiz durch Personen im Ausland mit der aus dem deutsch-schweizerischen Vertrag vom 31. Oktober 1910 resultierenden Pflicht zur Gleichbehandlung deutscher Staatsangehöriger vereinbar sei, sowie den konkreten Maßnahmen der schweizer Behörden, z. B. Nichtigkeitserklärung von Grundpfandrechten, Betreibung der Liquidation einer Dr. Maier gehörenden Firma, also mit den Maßnahmen, mit denen Dr. Maier überzogen wurde.
Eine Zusatzfrage, Herr Weinhofer.
Herr Staatssekretär, hat denn die Bundesregierung mit diesem Aide-mémoire in
9292 Deutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Weinhofer
der Schweiz interveniert, obwohl sie wußte, daß der deutsche Staatsbürger Hanns Maier keine sauberen und ehrlichen Geschäfte in der Schweiz machte?
Über den Charakter und die Funktion der Geschäfte des Dr. Maier in der Schweiz war der Bundesregierung zum damaligen Zeitpunkt nichts bekannt, jedenfalls nichts, was Ihre Schlußfolgerung zuläßt.
Eine Zusatzfrage, Herr Weinhofer.
Wann hat die Bundesregierung mit diesem Aide-mémoire interveniert: vor oder nach der Schweizer Anklageerhebung?
Wir haben am 4. Juni 1982 dieses Aide-mémoire überreichen lassen. Mir ist nicht bekannt, wann die Anklageerhebung stattgefunden hat.
Wir kommen zur Frage 77 des Abgeordneten Wischnewski:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um den Bundesbediensteten in den USA und gegebenenfalls auch in anderen Staaten behilflich zu sein, die durch den Kurs des US-Dollars einen erheblichen Teil ihres Einkommens verloren haben und dadurch zum Teil in schwere Notlagen geraten sind?
Herr Kollege Wischnewski, die Bundesregierung hat den Bediensteten in den USA durch folgende Maßnahmen geholfen. Der Kaufkraftausgleich, der den Unterschied zwischen der Kaufkraft der Deutschen Mark und des amerikanischen Dollars auffangen soll, wird beschleunigt festgesetzt. An die Stelle der sonst üblichen Preisprüfungen, die einen gewissen Zeitaufwand erfordern, sind Schätzzahlen getreten, die unverzüglich in Neufestsetzungen umgesetzt werden. Um eine sofortige Auszahlung der Löhne und Gehälter sicherzustellen, wurde für die USA das Gehaltsscheckverfahren eingeführt. Dies bedeutet, daß die durch den Giroverkehr auftretenden Zeitverluste nicht mehr zu unnötigen Kursverlusten führen.
Auch bei der Berechnung der Mietzuschüsse wird auf den unterschiedlichen Dollarkurs an den einzelnen Dienstorten Rücksicht genommen und von der Festsetzung eines einheitlichen Kurses abgesehen. Die entsandten Angehörigen des einfachen und mittleren Dienstes in den USA erhalten ab 1. November 1984 als Sofortmaßnahme einen zeitlich befristeten Zuschlag gemäß § 55 Abs. 6 des Bundesbesoldungsgesetzes. Dieser beträgt in den Besoldungsgruppen A 1 bis A 4 300 DM, in den Besoldungsgruppen A 5 bis A 8 250 DM und in den Besoldungsgruppen A 9 und A 9 plus Zulage 150 DM monatlich. Diese Zahlungen werden vorerst bis zum 30. Juni 1985 geleistet.
Die in den USA besonders hohen Schulkosten sollen dadurch gemildert werden, daß der Höchstbetrag für Beihilfen, der sich bisher auf 600 DM belief, nach den neuen Richtlinien für Schulgeld entfällt und die Eigenbeteiligung von Bediensteten des mittleren und einfachen Dienstes mit mehreren Kindern von bisher 20 % auf 10 % reduziert wird.
Verbesserungen in anderen Bereichen, z. B. der Bemessungsgrundlage für den Kaufkraftausgleich, zur Zeit 60 % der Bezüge, beim Mietzuschuß und beim Auslandszuschlag, erfordern Änderungen des Bundesbesoldungsgesetzes. Die Erörterungen innerhalb der Bundesregierung hierzu sind noch nicht abgeschlossen. Sie werden sicherlich auch im Lichte der Anhörungen geführt werden, die der Auswärtige Ausschuß zu diesem Thema in den vergangenen Wochen durchgeführt hat. Die Bundesregierung ist jedoch bemüht, eine gerechte und angemessene Besoldung der Auslandsbediensteten sicherzustellen, und beabsichtigt, das Ergebnis der Ressortgespräche in die 4. Novelle zum Bundesbesoldungsgesetz einzubringen.
Zusatzfrage des Abgeordneten Wischnewski.
Herr Staatsminister, ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß diese völlig mangelhaften Maßnahmen nicht verhindert haben, daß Bundesbedienstete in ausgesprochene Notlagen geraten sind, daß Bundesbedienstete z. B. unter die Sätze des Bundessozialhilfegesetzes geraten sind?
Ja, Herr Kollege Wischnewski, darüber sind wir uns im klaren. Dieser ausgesprochen unerfreuliche Zustand ist auch der Grund dafür, weshalb die entsprechenden gesetzlichen Bestimmungen nach unserer Überzeugung geändert werden müssen. Die Bundesregierung befaßt sich derzeit damit.
Weitere Zusatzfrage, Herr Wischnewski.
Herr Staatsminister, wenn Menschen in persönliche Not geraten - in diesem Fall durch das Nichthandeln der Bundesregierung -, können auch Sicherheitsrisiken entstehen. Ist die Bundesregierung bereit, die volle Verantwortung für ihr Nichthandeln zu übernehmen?
Herr Kollege Wischnewski, ich habe versucht, darzustellen, in welchen Bereichen und in welchem Umfang die Bundesregierung konkret gehandelt hat. Aber ich habe auch dargestellt, daß die Bundesregierung verpflichtet ist, auf der Grundlage der geltenden rechtlichen, gesetzlichen Bestimmungen zu handeln. Niemand in diesem Haus ist daran gehindert - natürlich auch die Bundesregierung nicht -, Anträge, Vorlagen, Entwürfe zur Änderung der gesetzlichen Bestimmungen einzubringen. Ich würde es für gut halten, wenn es in diesem Hause nach den Anhörungen im Auswärtigen Ausschuß und den jetzt laufenden Ressortgesprächen eine möglichst breite Unterstützung für die Abstellung der von Ihnen angesprochenen Mißstände geben könnte, auch deshalb,
damit die von Ihnen angesprochenen Wirkungen nicht eintreten.
Zusatzfrage der Abgeordneten Frau Huber.
Herr Staatsminister, angesichts des Umstandes, daß die Bundesregierung keinerlei Bedenken hegt, die zurückgeholten - weil unter die Armutsgrenze gefallenen - entsandten deutschen Dienstkräfte durch teurere Ortskräfte zu ersetzen: Sagen Sie uns doch bitte, um wieviel Prozent der Haushalt des Auswärtigen Amtes erhöht werden müßte, wenn das Innen- und Finanzministerium ihrer Fürsorgepflicht nachkämen und diese Dienstkräfte in den Stand setzten, den sie hätten, wenn sie im Inland tätig wären.
Das kann ich Ihnen jetzt beim besten Willen nicht in Prozentzahlen vortragen, Frau Kollegin Huber. Da sich dieses Problem nicht notwendigerweise auf ein Land begrenzt stellt, wiewohl es jetzt den aktuellen Fall auf Grund des Dollarkurses gibt, wären es jedenfalls spürbare Beträge. Deshalb bedarf es des Einvernehmens innerhalb der Bundesregierung.
Ich sage noch einmal: Der Bundesregierung liegt sehr daran, die aufgetretenen Probleme zu überwinden. Sie ist für eine Unterstützung dabei aus dem Hause dankbar.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Soell.
Herr Staatsminister, wenn die Ursache der Notlage der schnell steigende Dollarkurs ist, weshalb wurden die Zuschläge dann in D-Mark und nicht gleich in Dollar berechnet?
Das liegt an unserem Haushaltsrecht. Wir weisen unseren Haushalt insgesamt und die Einzelbeträge in D-Mark und nicht in Dollar aus. Ich lege auch Wert darauf, daß es so bleibt.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Gansel.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß z. B. ein Mitarbeiter des einfachen Dienstes an unserer Vertretung bei den Vereinten Nationen in New York 30 % weniger - in Kaufkraft - erhält als das, was nach den offiziellen Richtlinien des Bundesinnenministers bei der Beratung deutscher Auswanderer nach New York als das dortige Existenzminimum dargestellt wird?
Haben Sie Verständnis dafür, so frage ich Sie, daß Ihr Hinweis auf Konsequenzen aus dem Anhörverfahren des Auswärtigen Ausschusses, das gestern abgeschlossen worden ist, für das Parlament glaubwürdiger wäre, wenn ein Vertreter der Leitung des Hauses - der Minister, die Staatsminister oder die Staatssekretäre - dabei ständig anwesend gewesen wäre?
Zunächst: Der Sachverhalt, von dem Sie spechen, ist uns jedenfalls im
Grundsatz bekannt. Ich kann die Prozentzahl wiederum nicht konkret bewerten; aber das Problem ist so.
Darüber hinaus habe ich selbst wie übrigens auch mein Kollege Dr. Mertes und der Bundesminister bedauert, daß wir nicht anwesend sein konnten. Sie wissen, daß Dr. Mertes derzeit in Nicaragua, und zwar in Managua, ist, daß der Bundesminister die Bundesrepublik Deutschland bei der Amtseinführung des demokratisch gewählten brasilianischen Staatspräsidenten Neves vertritt, daß Staatssekretär Meyer-Landrut den Bundeskanzler zu den Trauerfeierlichkeiten nach Moskau begleitet hat und Staatssekretär Ruhfus uns zum gleichen Zeitpunkt in Brüssel bei der EG zu vertreten hatte.
({0})
Herr Kollege Gansel, ich hatte mich zu entscheiden zwischen der Teilnahme an einer Sitzung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit, dessen Vorsitzender Uwe Holtz mich eingeladen hatte, dort über meine Zentralamerikareise zu berichten, und der Teilnahme an der Sitzung des von Ihnen genannten Ausschusses. Die Gabe der Bilokation ist mir immer noch nicht eigen.
Meine Damen und Herren, ich habe zwar noch mehrere Wortmeldungen, aber unsere Zeit ist, wie Sie erkennen können, abgelaufen. Insofern muß ich die weiteren Nachfragen zu diesem Thema doch in die Ausschußberatungen verweisen.
Bevor ich unsere Sitzung unterbreche, möchte ich noch eine amtliche Mitteilung machen. Mit Wirkung vom 10. März 1985 hat die Abgeordnete Frau Dr. Hickel auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Am 13. März 1985 hat als ihr Nachfolger Herr Dr. Müller ({0}) die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Mit Wirkung vom 14. März 1985 hat der Abgeordnete Krizsan auf seine Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat Herr Dr. Schierholz heute die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben.
Ich begrüße die beiden neuen Kollegen in unserem Hause und wünsche gute Zusammenarbeit.
Nun unterbreche ich die Sitzung bis 16 Uhr auf Grund des Wunsches der beiden Fraktionen von CDU/CSU und FDP, die jetzt eine Fraktionssitzung durchführen.
({1})
Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Ich rufe auf die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b:
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens
- aus Drucksache 10/2523 -
Vizepräsident Stücklen
aa) Erste Beschlußempfehlung und Erster Bericht des Finanzausschusses ({0})
- Drucksache 10/2942 -
Berichterstatter: Abgeordneter Lennartz
bb) Erster Bericht des Haushaltsausschusses ({1}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/2949 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({2}) Hoppe
Wieczorek ({3})
Kleinert ({4})
({5})
b) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes ({6})
- Drucksache 10/339 -
aa) Beschlußempfehlung und Bericht des Finanzausschusses ({7})
- Drucksache 10/2942 -
Berichterstatter: Abgeordneter Lennartz
bb) Bericht des Haushaltsausschusses ({8}) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
- Drucksache 10/2949 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({9}) Hoppe
Wieczorek ({10})
Kleinert ({11})
({12})
Im Ältestenrat ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 7 a und b und ein Beitrag bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
- Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Wer hat sich gemeldet? - Ich wäre sehr dankbar, wenn ich eine Wortmeldung hätte. Dann könnten wir tatsächlich mit der Aussprache beginnen.
({13})
- Ich wäre schon froh gewesen, wenn ich eine Wortmeldung gehabt hätte. Jetzt bekomme ich plötzlich zwei. Sind Sie zuerst dran? ({14}) Bitte, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal sind auch einfache Dinge etwas schwierig.
Nun zum vorliegenden Beratungsgegenstand. Wir wollen alle gemeinsam das umweltfreundliche Auto. Damit leisten wir einen Beitrag zur Luftreinhaltung. Wir tun dies nicht nur zur Rettung unserer Wälder, sondern wir tun dies auch, damit die Gesundheit der Menschen in diesem Lande geschützt wird.
Mit dem 3. Mineralölsteuer-Änderungsgesetz, das wir heute beschließen, machen wir den Einstieg in eine der größten industriepolitischen Entscheidungen der Nachkriegszeit. Es ist der erste Teil eines Maßnahmenpaketes, das in weiteren Schritten die Einführung des schadstoffarmen Autos und dann die verpflichtende Einführung des schadstoffarmen Autos vorsieht. Mit dieser Entscheidung heute unterstreichen wir erneut und ein weiteres Mal den Vorrang unserer Umweltschutzpolitik in Europa und insbesondere im Raum der EG-Länder.
({0})
- Wir kommen gleich noch zu Ihren Alternativvorschlägen. Dann ist das Wort „Durcheinander" angebracht.
Wir entscheiden uns für die steuerliche Begünstigung von Benzin, das weder das schädliche Blei noch andere gesundheitsschädliche Zusatzstoffe enthält. Bleifreies Benzin soll steuerlich um 2 Pfennig entlastet, verbleites mit 2 Pfennig je Liter belastet werden. Damit wollen wir erreichen, daß diejenigen, die das umweltfreundliche Fahrzeug fahren, geringer belastet werden als diejenigen, die es nicht tun. Wir wollen damit vor allen Dingen erreichen, daß der Katalysator eingebaut werden und funktionieren kann, der ohne bleifreies Benzin nicht funktionieren würde. Der Katalysator ist aber die Voraussetzung dafür, daß die Schadstoffe aus den Abgasen herausgeholt werden; ohne ihn wäre dies nicht möglich.
({1})
Wir werden diese Entscheidung hier und heute treffen, weil die Mineralölwirtschaft den notwendigen Umstellungsprozeß vorantreiben muß. Wir halten dies für unabdingbar notwendig, und wir werden deshalb heute bereits eine vorgezogene Entscheidung treffen. Die Opposition hat diese Vorgehensweise kritisiert. Wir sind der Meinung, daß der Entscheid heute hier gerechtfertigt ist, weil wir sehen müssen, daß der Umstellungsprozeß sofort initiiert werden kann. Im übrigen entspricht dies auch den Vorstellungen der SPD-Länder im Bundesrat, die deutlich gemacht haben, daß die Einführung einer steuerlichen Begünstigung zeitlich vor der Einführung der verschärften Grenzwerte für die Schadstoffemissionen liegen soll. Insofern ist Ihr Verhalten in den Ausschußsitzungen nicht ganz verständlich.
({2})
- Wir demonstrieren, Herr Stahl, mit dieser Vorabentscheidung unsere Entschlossenheit zur Durchsetzung niedrigerer Abgasemissionen, und wir wolDr. Lippold
len allen Beteiligten jetzt die notwendigen Handlungspositionen für die weiteren Maßnahmen an die Hand geben.
Die steuerliche Begünstigung des bleifreien Benzins ist unstrittig, nicht unstrittig ist die Höhe der Spreizung. Wir sind der Meinung, daß die vorgesehene und von der Bundesregierung vorgeschlagene Spreizung in Höhe von vier Pfennig ausreichend ist, denn sie deckt den Unterschied zwischen den Produktions- und Vertriebsmehrkosten ab, die durch Bleifreiheit entstehen. Eine Verbilligung des Marktpreises ist eh nicht garantierbar. Wir müssen ganz einfach sehen, daß wir den Marktpreis nicht festlegen, daß wir ihn nicht fixieren können. Auch eine größere Spreizung hätte dieses Ergebnis nicht zur Folge. Sicherlich wäre dabei nicht garantiert, daß es zu billigerem Benzin käme. Wir hätten darüber hinaus bei einer größeren Spreizung schwerwiegende Bedenken, weil es auf der einen Seite zu Fehlbetankungen kommen könnte, weil es auf der anderen Seite zu Umgehungsvorgängen kommen könnte, und weil drittens ein ungeheuer großer Kontrollapparat notwendig wäre, damit unverbleites, aber steuerlich begünstigtes Benzin nicht nachträglich verbleit werden würde. All dieses spricht - das haben auch die Verbände der Wirtschaft deutlich gemacht - für den von der Bundesregierung vorgesehenen Vorschlag, den wir in vollem Umfang unterstützen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es gibt einen weiteren Punkt, den wir hier noch einmal sehen müssen. In der Form, wie hier die Spreizung vorgenommen worden ist, ist sie sicherlich EG-verträglich. Alles, was darüber hinausgeht, hätte EGrechtliche Probleme zur Folge, insbesondere was die Beihilfeproblematik angeht. Auch insofern ist dieser Vorschlag der Bundesregierung völlig abgesichert.
Wir gehen darüber hinaus davon aus, daß dieser Vorschlag so, wie er vorliegt, auf Dauer gesehen aufkommensneutral sein wird. Wir wissen, daß man über die zugrunde liegenden Annahmen streiten kann. Wir folgen aber der Einschätzung der Bundesregierung und glauben, daß diese Einschätzung auf der Annahme basiert, daß wir einen zügigen Prozeß der Umstellung auf das schadstoffarme Auto haben werden. Diese Annahme ist realistisch. Wir sind da nicht euphorisch, aber die Umstellung wird zügig erfolgen.
({3})
Wir vertrauen, meine Damen und Herren von der Opposition, in sehr starkem Maße auf die Einsicht der Bürger, die das umweltfreundliche Auto wollen. Sie selbst haben doch immer gesagt, daß diese Bürger zu Opfern bereit sind. Wir trauen den Bürgern zu, daß sie ihr Wort halten. Das steht im Gegensatz zu dem, was Sie immer tun. Wir sind der Meinung, daß dies realistisch ist und so gehandhabt werden kann. Wir setzen also auf das umweltfreundliche Verhalten unserer Bürger.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Begünstigung der Einführung bleifreien Benzins ist der erste Teil. Als zweiten Teil brauchen wir ein Maßnahmenpaket, damit das umweltfreundliche Kraftfahrzeug kommt. Die Bundesregierung hat hierzu Vorstellungen eingebracht. Darüber wird in Brüssel verhandelt, und wir können feststellen, daß sich trotz aller Widerstände in Brüssel vieles auf diese Vorstellungen der Bundesregierung zubewegt. Die Verhandlungsfortschritte sind unverkennbar, meine Damen und Herren von der SPD. Ihre Verlautbarungen nach der letzten Finanzausschußsitzung, daß sich offensichtlich bei Autos unter 1,4 Liter Hubraum nichts bewegen würde, verkehren die sachlichen Darstellungen des Parlamentarischen Staatssekretärs Häfele völlig.
({4})
- Sie verkehren die Aussagen des Parlamentarischen Staatssekretärs völlig!
Auch hier sind wir dabei, Bewegung zu erzielen und erste Maßnahmen in die richtige Richtung zu ergreifen.
({5})
Das Konzept der Bundesregierung,
({6})
das vorgelegt worden ist, wird von den Verbänden der Wirtschaft, wird von anderen Institutionen wie den Automobilverbänden grundsätzlich getragen.
({7})
Es ist in der Anlage richtig. Es ist übrigens das einzige Konzept, das in der EG durchgesetzt werden kann und auch durchgesetzt werden wird.
({8})
Herr Hauff, nachdem wir Sie doch hierbehalten, genauso wie ich es seinerzeit vorhergesehen habe, können Sie diese Zwischenrufe sicher noch fortsetzen. Ich bin auch gerne bereit, auf Zwischenfragen entsprechend einzugehen.
Sie haben jetzt eine Reihe von Vorstellungen in einem Papier entwickelt, daß Sie uns kurzfristig vorgelegt haben. Der erste Punkt dieses Papiers sieht vor, daß nicht durch steuerliche Anreize, sondern durch eine Kaufhilfe die Umstellung auf umweltfreundliche Autos gefördert werden soll. Meine Damen und Herren, Sie haben als Regierung zehn Jahre Zeit gehabt, seitdem die Amerikaner die Diskussion begonnen haben, ein solches Konzept zu entwickeln. Sie beteiligen sich seit zweieinhalb Jahren an dieser Diskussion, und Sie sagen, diese Diskussion dauere zu lange. Jetzt unterbreiten Sie mit der Kaufhilfe einen Vorschlag, der völlig unrealistisch ist, der bei der EG-Kommission sofort scheitern würde. Sie selbst wissen das. Warum schlagen Sie eigentlich so etwas vor, obwohl Sie wissen, daß es im vorhinein zum Scheitern verurteilt ist? Das ist doch das erste. Sie machen nach zwölfeinhalb Jahren einen Vorschlag, der völlig falsch angelegt ist.
({9})
Punkt 2: Sie sagen, für neu zugelassene Pkw, die nach Einführung der obligatorischen Regelung nicht den neuen Abgasnormen entsprechen, wird
die Kraftfahrzeugsteuer deutlich erhöht. Meine Damen und Herren, das geht nicht! Wenn die Einführung obligatorisch war, können danach keine anderen Pkw mehr zugelassen werden. Wenn Sie etwas anderes meinen, sollten Sie Ihre Vorlage so sorgfältig ausarbeiten, daß sie hinterher auch einen Sinn ergibt, hier also nicht etwas steht, was vom Wortlaut her nicht realistisch und nicht umsetzbar ist.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, zur Spreizung hatte ich bereits gesprochen; darauf brauche ich nicht weiter einzugehen.
Ein weiterer Punkt: Sie haben dann gesagt, davon unbenommen werde zur Finanzierung der zeitlich begrenzten Kaufhilfe und der Umrüstungsprämie die Mineralölsteuer entsprechend erhöht. Wenn ich einen Moment gedanklich bei Ihrem Vorsatz bleibe, so geben Sie den Leuten zunächst eine Kaufhilfe. Um diese zu finanzieren, erhöhen Sie hinterher den Mineralölpreis. Damit ziehen Sie den Leuten das Geld, das Sie ihnen vorher als Kaufhilfe in die Tasche gesteckt haben, auf der anderen Seite der Tasche wieder heraus. Wie denken Sie sich das eigentlich? Das sind doch Verschleierungen! Das gibt es doch gar nicht!
({11})
- Herr Spöri, lassen Sie mich den Gedanken zu Ende führen - Sie sagen weiter, daß das unverbleite Benzin dieser Erhöhung nicht unterliegt; dann aber, Herr Spöri, stehen Sie vor dem Sachverhalt, daß Sie den Benzinpreis nach vorsichtigen Schätzungen um mindestens 10 bis 12 Pfennige erhöhen müßten, und zwar zusätzlich zu dem, was Sie im vorhinein durch weitere Spreizung aufschlagen. Das ist, Herr Spöri, vom Grunde des Ansatzes her eine völlig unsoziale Vorstellung, und ich kann nicht verstehen, wie ausgerechnet Sie das vertreten können.
Herr Abgeordneter Lippold, gestatten Sie jetzt die Zwischenfrage?
Nach dem letzten Satz!
({0})
Deshalb stehen wir zum Konzept der Bundesregierung. Wir fordern sie auf, dies in den Brüsseler Verhandlungen zügig zu unterstreichen, und wir appellieren an die Wirtschaft, alle Maßnahmen zu ergreifen, um auf freiwilligem Wege weiterzukommen.
Herr Abgeordneter Lippold, Ihre Gedanken waren so ausführlich, daß die Zeit inzwischen abgelaufen ist.
({0})
Herr Präsident, Gnade vor Recht! Eine Frage!
Ja, bitte schön.
Herr Kollege, ich habe gerade Ihre beeindruckenden Ausführungen darüber gehört, daß Sie uns mit großer Empörung vorwerfen, wir hätten bei unseren Anreizen ein aufkommensneutrales Konzept vorgeschlagen. Ist Ihnen eigentlich nicht bewußt, daß das von Ihnen vertretene Konzept genauso aufkommensneutral formuliert ist?
({0})
Herr Kollege Spöri, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, daß Sie ein aufkommensneutrales Konzept vertreten;
({0})
ich habe Ihnen lediglich die Auswirkungen eines nicht sorgfältig durchdachten Konzepts
({1})
mit allen daraus resultierenden Fehlentwicklungen vorgehalten.
({2})
Herr Abgeordneter Lippold, damit ist Ihr Redebeitrag abgeschlossen.
({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Lennartz.
({1})
Was meinen Sie, Herr Schmidbauer? Jetzt wird's interessant? - Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Lippold, auf Ihre Einwendungen werde ich mich nachher noch kurz konzentrieren; erst muß ich mich aber etwas mit dem Herrn Innenminister beschäftigen. Er ist zur Zeit nicht hier. Ich nehme an, er kündigt schon wieder eine Ankündigung an.
({0})
Herr Innenminister, Sie haben es wirklich geschafft, die deutsche Automobilwirtschaft, einen blühenden Wirtschaftszweig und Motor für den konjunkturellen Aufschwung, zu erschüttern.
({1})
10 % der Betriebe, die im Fahrzeugbau planen, sind heute von Entlassungen bedroht; Kurzarbeit und Entlassungen stehen an. Die Zahl der Neuzulassungen sank 1984 um 11 % bei Ford, um 17 % bei VW, um 47 % bei BMW; beim VW Passat waren es 48 %, beim Opel Ascona 53 %.
({2})
Sie, Herr Innenminister, haben es geschafft, die Autokäufer mit Ihrem Laienspiel in Sachen Katalysator so grundlegend zu verunsichern, wie es nie zuvor in der Bundesrepublik geschehen ist.
({3})
Weder in Ölkrisen noch beim ersten Benzinbleigesetz hat sich ein politischer Umbruch so katastrophal auf den Kfz-Absatz ausgewirkt.
({4})
Meine Damen und Herren, der Dilettantismus Ihres Ministers vernichtet Arbeitsplätze. Noch verschleiert der Export die drohenden Entlassungen; die Frage ist nur: wie lange noch?
Seit zweieinhalb Jahren basteln Sie, Herr Ankündigungsminister, am Katalysatorauto herum. Ihr Verwirrspiel hat seinen Höhepunkt jetzt darin erreicht, daß sie heute mit einer freischwebenden, losgelösten Verabschiedung des Mineralölsteuer-Änderungsgesetzes das letzte Stück Handlungsfreiheit für eine geschlossene Konzeption aufgeben.
({5})
Sie haben Ihr Konzept - Entschuldigung, sofern Sie ja eines hatten - verlassen. Was legen Sie heute vor? Ein Mineralölsteuergesetz mit mangelhafter Spreizung. Es reicht nicht aus, Herr Kollege Lippold, die Mineralölsteuer für verbleites Benzin um 2 Pfennig pro Liter zu erhöhen und für unverbleites um 2 Pfennig pro Liter zu senken, wie Sie heute hier beschließen wollen. Zur Zeit ist bleifreies Benzin 7 bis 8 Pfennig teurer als bleihaltiges. Täglich wird den Autofahrern vorgeführt, daß es teurer ist, etwas für den Umweltschutz zu tun. Soll das der vielbeschworene Schaufenstereffekt des Herrn Zimmermann sein, daß man täglich sieht, wie blöde man ist, wenn man bleifrei tankt? Wir haben Ihnen vorgeschlagen, Herr Lippold, statt eines Unterschiedes von 4 Pfennig 7 Pfennig festzulegen, um wenigstens Preisparität zu erreichen.
Sie wollen mit Ihrer geringen Spreizung aber etwas ganz anderes. Die 2 Pfennig Steuervergünstigung für bleifreies Benzin werden Ihnen keine nennenswerten Einnahmeausfälle bringen. Die allermeisten der 25 Millionen Autofahrer müssen bleihaltig tanken. Das ist die Voraussetzung. Die 2 Pfennig Aufschlag für bleihaltiges Benzin kommen damit nicht dem deutschen Wald zugute, sondern Herrn Stoltenberg und seiner Bundeskasse. Ein Pfennig Mineralölsteuererhöhung bringt 460 Millionen DM Mehreinnahmen, 2 Pfennig 920 Millionen DM Mehreinnahmen pro Jahr. Wie man sieht, wird hier aus Kleinvieh Mist gemacht, denn Herr Stoltenberg verdient an jeder Tankfüllung.
Ich habe hier noch einige Zahlen, die nicht von uns stammen. Das Ifo-Institut sagt, der Bund wird Mehreinnahmen bis zum Jahr 1989 von 3,3 Milliarden DM haben. Das Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler spricht sogar von 4 Milliarden DM. Meine Damen und Herren, das ist nicht nur schäbig, nicht nur ein Gaunerstück sondergleichen, sondern schädlich für den Umweltschutz und für die Bereitschaft der Bürger, mehr zu tun.
({6})
Können Sie denn, meine Damen und Herren, tatsächlich, ohne rot, oder besser gesagt: schwarz zu werden, noch an den freiwilligen Einsatz, den guten Willen der 25 Millionen Autofahrer appellieren, wenn Sie hier gleichzeitig vorexerzieren, wie man sich zum Wohle des deutschen Waldes mal eben ein paar Milliarden in die Tasche steckt? Halten Sie den deutschen Autofahrer denn für so duselig, daß er sich von Ihnen an der Zapfsäule prellen läßt, um anschließend noch freiwillig den vollmundigen Regierungsparolen zu folgen? Hier ist aus Umweltpolitik Finanzpolitik geworden.
Kommen wir einmal zum Herrn Zimmermann. In der Ausgabe der „Zeit" vom 8. März dieses Jahres formuliert er:
Ein Unternehmen wird seine Anlagen nur dann modernisieren, wenn es Kosten sparen kann.
Das ist richtig. Gilt das denn nicht auch für Ottomotor-Normalverbraucher?
Ihr Konzept aber, meine Damen und Herren, ist nicht nur unausgewogen, uneffektiv und unverschämt, sondern begünstigt auch noch die Anschaffung von herkömmlichen Pkws, nämlich von sogenannten Dreckautos. Wer sich ein Auto anschaffen will, das absolut keine Schadstoffminderung hat, Herr Kollege, der tut das am besten im Jahre 1985, jetzt und heute, das ist nämlich Ihr Konzept. Wer so gut rechnet wie der Finanzminister und am Umweltschutz verdienen will, der kauft sich 1985 ein ganz normales Auto mit dem ganzen Dreck hinten heraus. Dann hat er keine Anschaffungskosten für den Katalysator, kein Wartungskostenrisiko - die Frage ist: Was ist dagegen schon die höhere Kfz-Steuer? - und kann unter Umständen noch bleifrei tanken, da er ja ein neues Modell gekauft hat.
Die Zahlen vom Ifo-Institut liegen mir vor. Ich bin gerne bereit, sie Ihnen nach der Sitzung einmal zu überreichen. Sehen Sie sich das bitte einmal an.
Dann hat natürlich auch der Wirtschaftsminister recht, wenn er sagt: Deutsche Autofahrer brauchen keine Zurückhaltung mehr zu üben. - Das ist zutreffend.
Nicht nur Ihr Konzept ist verworren, auch Ihre Strategie für die EG-Verhandlungen hat sich als dilettantisch erwiesen.
({7})
Es sieht ja fast so aus, als wäre Herr Schreckenberger für die EG-Fragen zuständig. So weit sind wir mittlerweile schon.
({8})
Meine Damen und Herren, Sie haben hier drei entscheidende Fehler gemacht. Aus Sicht der EG-Partner fehlt Ihnen für die Vorreiterrolle im Kfz-Umweltschutz eine entscheidende Qualifikation. Das ist das Tempolimit. Wären wir Franzosen oder Engländer, würden wir doch auch sagen: Die Deutschen sollen sich nicht so aufplustern, die haben noch nicht einmal ein Tempolimit und wollen uns etwas über den sauren Auspuff erzählen. ({9})
Diese Haltung ist doch verständlich. Nur, Sie haben sie nicht bedacht. Machen Sie doch ein Tempolimit!
({10})
75 % der Bundesbürger sind der Auffassung, daß auf deutschen Autobahnen zu schnell gefahren wird.
Zweitens. Sie haben verabsäumt, die Abgasfrage mit anderen europäischen Umweltfragen zu verbinden. Schließlich haben wir auf diesem Feld doch etwas zu bieten.
Drittens haben Sie - das ist der entscheidende Punkt - verabsäumt, Art. 36 des EWG-Vertrags, nämlich den Gesundheitsvorbehalt, einzubringen.
({11})
Art. 36 erlaubt nationale Maßnahmen dann, wenn es um den Schutz der menschlichen Gesundheit, den Schutz von Tieren und Pflanzen und den Schutz nationaler Kulturgüter geht.
({12})
Offenkundig sind hier doch alle drei Rechtsgüter verletzt worden. Wollen Sie bestreiten, daß eines dieser Kulturgüter nicht verletzt worden ist?
({13})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte diesen Gedankengang zu Ende führen.
Allerdings, Herr Lippold, das EG-Recht will, daß man erst alle sogenannten milderen Maßnahmen durchführt, die nicht den EG-Vorschriften entsprechen, ehe man sich auf den Gesundheitsvorbehalt berufen kann. Herr Lippold, hier geht es um das Stichwort Tempolimit. Hier beißt sich, da Sie das nicht eingebracht haben, die Katze mehr oder weniger in den Schwanz.
({0})
Sie, meine Damen und Herren, haben sich selber gefesselt, geknebelt, ausmanövriert und mattgesetzt. Unsere europäischen Nachbarn schauen amüsiert Ihren Befreiungsversuchen zu, wie Sie aus dieser Selbstknebelung herauskommen wollen, während die deutsche Automobilwirtschaft und der deutsche Wald sich im Leiden üben. Das ist die Tatsache, die wir hier heute zu verzeichnen haben.
Bitte, jetzt kann die Frage gestellt werden.
Meine Damen und Herren, generell darf ich sagen: Ich kann natürlich nicht erraten, wann ein Gedanke zu Ende ist. Wenn ich ein Zeichen bekomme, sobald der Gedanke zu Ende ist, dann kann ich dem Zwischenfrager das Wort erteilen.
({0})
Bitte schön, Herr Lippold.
Herr Kollege Lennartz, wären Sie bereit, die Ausführungen von Fachjuristen zu Art. 36 zur Kenntnis zu nehmen, daß es dem, der an vorhergehenden Regelungen mitgewirkt hat, verwehrt ist, hinterher die Einrede nach Art. 36 in Anspruch zu nehmen, unbeschadet aller anderen Überlegungen? Und stimmen Sie mir in einem zweiten Punkt zu, daß wir, wenn unter Ihrer Regierung seit 1972 in der EG Verhandlungen geführt worden wären, vielleicht schon auf diese Vorarbeiten zurückgreifen und diese Regelung längst haben könnten, wenn Sie das nicht verabsäumt hätten?
({0})
- Seid doch nicht so aufgeregt! Das ist doch nicht schlimm!
Herr Kollege Lippold, die Erblast ist eine Radioplatte, die schon abgelaufen ist. Darüber sprechen wir ein andermal.
Aber ich bin im Gegensatz zu Ihnen bereit, Politik zu machen und Politik nicht den Juristen zu überlassen. Darum geht es.
({0})
Herr Lippold, ich formuliere es auf Ihre Zwischenfrage sehr deutlich: Wenn sich dieser Innenminister so eingesetzt hätte wie Herr Kiechle, wenn es um Landwirtschaftsfragen gegangen wäre, dann hätten wir in diesen Fragen heute diese Gemeinsamkeiten. Das hätte ich von Ihnen erwartet.
({1})
Meine Damen und Herren, zur Zeit kann sich in der Bundesrepublik noch niemand vorstellen, welche Ergebnisse der nächste Umweltministerrat am 20. März bringen wird. Ich wage eine Prognose: Kfz über 2 Liter werden de facto erst 1989 erfaßt. Das sind nur zirka 15%. Mittelklassewagen werden erst ab 1990/91 erfaßt, dann aber nach den EG-Abgasnormen, die nur halb so scharf sind wie die US-Werte. Für Kleinwagen unter 1,4 Liter sind kein Datum und kein Grenzwert in Sicht; da handelt es sich um zirka 45% aller Fahrzeuge. Das sind die realistischen Prognosen für den EG-Umweltministerrat am 20. März 1989.
Ich verweise noch auf den Gipfel am 29. März 1989. Dann legen wir das ganze Paket wohlwollend in die bewährten Hände unseres Bundeskanzlers und warten dann alle auf das Ergebnis.
Bevor wir das Ergebnis haben, muß ich Sie, Herr Innenminister, einmal etwas fragen. Ich habe hier eine Broschüre zugeschickt bekommen. Darin steht, was Autofahrer jetzt alles wissen sollten. Ich beziehe mich da auf die letzte und die vorletzte Seite. Der Sprecher des Bundesfinanzministeriums erklärte gestern, die Werte der Kfz-Steuer stimmten nicht mehr. Was sagen Sie dann den Leuten jetzt auf Grund dieser Broschüre, meine Damen und Herren?
({2})
Sie haben zu einer Verunsicherung geführt. Keine
einzige Aussage, die Sie im Februar bzw. Mitte
März gemacht haben, können Sie aufrechterhalten; das ist seit gestern Makulatur. Darum geht es. - Ich komme sofort zum Schluß, Herr Präsident.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich folgendes dazu sagen. Diese Broschüre können Sie einstampfen, den deutschen Wald können Sie nicht einstampfen. Ich kann Ihnen nicht nur die Empfehlung mit auf den Weg geben, sondern ich bitte Sie förmlich darum, daß Sie den Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion folgen:
({3})
erstens direkte Kaufbeihilfe, zweitens deutlich mehr Kfz-Steuer für Altfahrzeuge nach Ablauf der Übergangsfristen, drittens direkte Umrüstprämie für Altfahrzeuge, viertens deutliche Spreizung der Mineralölsteuer. Dazu kommt dann noch ein Tempolimit. So helfen Sie dem deutschen Wald.
Ich bedanke mich bei Ihnen.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich meine zunächst einmal, daß überhaupt keinem einzigen Bürger, daß niemandem in der Automobilindustrie, in der Mineralölindustrie oder an irgendeiner anderen Stelle rund ums Auto damit geholfen ist, wenn sich auch die heutige Debatte zu diesem Thema wieder darauf beschränkt, daß man sich gegenseitig Versäumnisse und Schuld zuweist
({0})
und nur noch weiter mit neuen Konzepten, wie jetzt mit neuen Anträgen der SPD und der GRÜNEN, zur Verwirrung beiträgt. Sie werden bei der FDP nicht festgestellt haben, daß wir ständig neue Konzepte auf den Tisch gelegt hätten.
({1})
Ich will zunächst klarstellen, worum es geht bei dem, was wir heute zu verabschieden haben. Es geht um einen von vier wichtigen Schritten in der Gesamtkonzeption der Bundesregierung zur Einführung des schadstoffarmen Autos.
Der erste Schritt war eine gesetzlich vorgeschriebene jährliche Abgaskontrolle, die dazu beiträgt, daß die Abgase aller Autos sauberer, die Funktionsfähigkeit von Katalysatoren und anderen Reinigungstechniken überprüft und Manipuliationen eingegrenzt werden und durch saubere Motoreinstellung gleichzeitig auch weniger Sprit verbraucht wird.
Der zweite Schritt ist die Förderung der Umbaumaßnahmen an den Tankstellen, um möglichst schnell ein flächendeckendes Netz für bleifreies Benzin zu haben, und dafür stehen im Bundeshaushalt 1985 die Fördermittel zur Verfügung.
Der dritte Schritt wird heute hier unternommen. Er sorgt dafür, daß bleifreies Benzin verbilligt wird. Sie wissen, daß sich die FDP von Anfang an dafür eingesetzt hat, daß die Steuerdifferenz zwischen verbleitem und unverbleitem Benzin nicht nur, wie ursprünglich vorgesehen, zwei, sondern vier Pfennig beträgt, und das ist mit dem Gesetzentwurf, der heute verabschiedet wird und am 1. April 1985 in Kraft tritt, erreicht. Der Unterschied von mindestens vier Pfennig war notwendig, um sicherzustellen, daß die Bürger, die umweltfreundliche Autos fahren, an der Tankstelle nicht auch noch dafür bestraft werden und bleifrei genauso billig wie verbleites Benzin tanken können.
Eine vernünftige Regelung muß aufkommensneutral sein, d. h. der Staat darf am umweltfreundlichen Sprit nicht auch noch zusätzlich verdienen, was nicht nur von Steuerexperten behauptet wird und hier von der SPD gerade noch einmal wiederholt worden ist. Der Finanzausschuß hat allerdings festgestellt, daß es in einem Zeitraum von insgesamt sechseinhalb Jahren zu einem Ausgleich zwischen den anfänglichen Mehr- und den späteren Mindereinnahmen kommt. Welcher Zeitraum dann tatsächlich benötigt wird, hängt ausschließlich davon ab, wie schnell sich das umweltfreundliche Auto am Markt durchsetzt. Die FDP - das will ich hier ausdrücklich betonen - wird darauf achten, daß die Aufkommensneutralität tatsächlich gewährleistet bleibt. Das kann im Zweifel zu Korrekturen führen.
Viele Bürger fragen sich immer noch - die SPD hat es heute hier noch einmal getan -, warum wir den bleifreien Sprit nicht über die vier Pfennig hinaus erheblich mehr subventionieren. Ich glaube, all denjenigen, die das fragen, muß verdeutlicht werden, daß man damit vor allem diejenigen begünstigen würde, die das bleifreie Benzin problemlos tanken können, ohne Schaden für konventionelle Motoren, die aber gleichzeitig keinen nennenswerten Beitrag zum Umweltschutz leisten, weil sie Autos ohne Katalysatoren oder ohne andere Abgasreinigungstechniken fahren.
({2})
Das sind, Frau Dr. Timm, immerhin bis zu 20 % der Altwagenbesitzer, mindestens also 5 Millionen Autofahrer. Ich will nicht, daß diejenigen vorangehen, die keinen Umweltbeitrag leisten, weil sie gar keine Katalysatortechnik, keine Schadstoffentgiftung einsetzen und eben nur billig tanken. Das will ich nicht. Ich will vielmehr diejenigen fördern, die sich wirklich umweltfreundlich verhalten.
Genauso unsinnig wäre es auch, mit Blick auf Altfahrzeuge, die nur mit verbleitem Benzin fahren können, die Möglichkeit zu eröffnen, zu Billigpreisen bleifrei zu tanken und durch eine einfache Bleizusatzmischung, die man hineinpanschen könnte, dann zwar den billigen Preis mitzunehmen, aber für die Schadstoffbeseitigung nichts zu tun.
Noch einmal: Mit dem zweiten Schritt sollte das Bleifrei-Angebot und mit dem dritten die Nachfrage gestärkt werden. Wir haben immer gesagt: Beide Ziele wären noch schneller und leichter erreichbar gewesen, wenn sich bereits der seit langem vorgetragene Vorschlag der FDP durchgesetzt hätte, künftig auf den Verkauf von verbleitem Normal9300
benzin wie in Österreich und der Schweiz ganz zu verzichten.
({3})
- Ich bin froh, Herr Dr. Ehmke von den GRÜNEN, daß Sie das seit heute ausdrücklich unterstützen. Es wäre gut, wenn DIE GRÜNEN das auch einmal draußen laut und deutlich sagten;
({4})
denn damit wäre über Nacht an jeder Tankstelle eine Tankanlage für unverbleiten Sprit frei, wären Milliarden-Investitionen für Tankstellenumrüstung, für Tankstellenerweiterung eingespart worden, hätte man sich neue Subventionen sparen können und wäre ein noch größerer Anreiz geschaffen, schnell auf die schadstoffarme Autotechnik umzusteigen. Fast die Hälfte aller Tankstellen liefe dann nicht Gefahr, wegen Platz- oder wegen Geldmangel Wettbewerbsnachteile in Kauf nehmen zu müssen, weil sie eine Spritsorte gar nicht mehr anbieten können, oder sie liefen nicht Gefahr, dadurch sogar am Ende aus dem Markt ausscheiden zu müssen.
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- Wir haben es j a vorgeschlagen.
Wer deshalb mit seinem Altfahrzeug auf das verbleite Super ausweichen müßte - da kommt j a sofort die soziale Komponente ins Spiel -, hätte bei durchschnittlichen Fahrleistungen von 15 000 km pro Jahr Mehrkosten von gerade 5 DM im Monat. Damit ist er als Verursacher nun tatsächlich nicht überfordert.
Dieses Dreisäulenmodell ist allenfalls dann verzichtbar, wenn man sich in der Europäischen Gemeinschaft und in Abstimmung mit der europäischen Automobil- und Mineralölindustrie darauf verständigt, daß künftig in Europa nur noch eine Bleifrei-Qualität für alle Fahrzeuge mit Katalysatoren angeboten wird. Das würde die Probleme vorneweg lösen. Da gibt es Bemühungen. Wir würden es begrüßen, wenn es zu einem Erfolg käme. Kommt dieser Erfolg nicht, bleibt das Dreisäulenmodell vernünftig und richtig.
Der entscheidende vierte Schritt, nämlich die Verabschiedung der steuerlichen Begünstigungen beim Kauf und bei der Nachrüstung umweltfreundlicher Autos, bleibt leider den Ergebnissen der Sondersitzung der Umweltminister am 20. März oder letztlich dem Europagipfel am 30. März 1985 vorbehalten.
Es wird immer deutlicher: Wer eine gesamteuropäische Lösung erreichen will, wer Handelsblockaden für Autos innerhalb Europas und Arbeitsplatzgefahren auf breiter Front verhindern will, bewirkt ohne Kompromißbereitschaft überhaupt nichts. Auch die SPD hat in Wahrheit längst eingeräumt, daß ein nationaler Alleingang, den man auf dieser
Seite für den 1. Januar 1986 bereits gefordert hatte - und heute noch für richtig hält -,
({6})
geradewegs in eine Katastrophe führen müßte.
Ich füge auch hinzu, Herr Ehmke: DIE GRÜNEN haben immer noch nicht begriffen - wie ihr heut eingebrachter Entschließungsantrag zeigt -, sie verkennen, daß der europäische Widerstand nicht mit einem Tempolimit zu beseitigen ist. Das gilt ja auch für die Sozialdemokraten. Sie sagen, meine Damen und Herren: Laßt uns erst einmal ein Tempolimit machen; dann hätten wir es in Europa leichter, weil die übrigen Partner das haben.
Kein einziger europäischer Staat hat das Tempolimit übrigens aus Umweltgründen eingeführt. Alle haben das aus Sicherheits- oder Energiegründen gemacht. Aber hätten sie es denn schon aus Umweltgründen gemacht, würde doch die Anordnung eines neuen Tempolimits nicht dazu führen, daß Sie zum 1. Januar 1986 einen deutschen Alleingang machen könnten, den Sie wollen. Diese Argumentation müssen Sie einmal etwas näher überdenken.
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Im übrigen haben Sie das inzwischen auch tatsächlich dokumentiert. Denn im ParlamentarischPolitischen Pressedienst steht - ich unterstelle, daß er nichts Falsches behauptet hat -, daß ein nationaler Alleingang aus der Sicht der SPD jetzt endgültig scheitern müßte. Meine Damen und Herren, wer einen Kompromiß in Europa will, der muß heute nach den Verhandlungen erkennen, daß dies gegenüber unseren deutschen Maximalforderungen in der Tat ein Schritt zurück ist. Aber auf ganz Europa gesehen, wäre es ein gewaltiger Schritt nach vorn. Denn jedes Jahr früher eine gesamteuropäische Lösung bringt ein Mehrfaches an Umweltgewinn als jeder nationale Alleingang. Gesamteuropäische Lösung heißt: Arbeitsplatzsicherung, heißt auch: weg mit der Verunsicherung bei den Käufern. Jetzt muß der Zeitplan eingehalten werden, damit die Steuervergünstigungen tatsächlich zum 1. Juli in Kraft treten können und damit abschließende Klarheit über das Umweltauto besteht.
Letzte Bemerkung zur Verunsicherung des Käufers, meine Damen und Herren. Da wird nach unserer Überzeugung vieles künstlich aufgebauscht.
({8})
Es kann doch überhaupt keine Frage sein, daß jemand, der ein Dieselfahrzeug fährt oder neu kaufen will, auch künftig hinsichtlich der Versorgung keinerlei Probleme hat.
({9})
Dasselbe gilt für denjenigen, meine Damen und Herren, der ein Auto mit einem Beipack kauft, der sich den Katalysator also in den Kofferraum legt oder in der Werkstatt unbezahlt liegen läßt und seinen Wagen später nachrüstet. Jemand, der so verfährt, kann keine Verunsicherung beim Kauf haHof fie
ben, auch nicht hinsichtlich der Versorgung. Dasselbe gilt für den, der sich durch Umrüstung wahlweise zwischen verbleitem Normalbenzin und Flüssiggas entscheidet, meine Damen und Herren.
({10})
- Wenn ich Zeit habe, tue ich das gerne, Herr Stahl. - Deswegen sollten sich die Käufer, meine Damen und Herren, nicht immer nur bei denjenigen Händlern erkundigen, die die größten Halden nichtkatalysatorfähiger Autos auf den Höfen stehen haben. Vielmehr sollten sie nach der besten und umweltfreundlichsten Technik fragen und sich für diese entscheiden.
Herzlichen Dank.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Wir behandeln heute vorab die Änderung des Mineralölsteuergesetzes mit dem Ziel, bereits ab 1. April 1985 eine steuerliche Förderung bleifreien Benzins zu ermöglichen. Dennoch muß man sehen - das wird auch aus dem vorliegenden Bericht des Finanzausschusses deutlich, und das haben auch die Beiträge meiner Vorredner gezeigt -, daß man die Frage der Mineralölsteuer nicht völlig isoliert betrachten kann. Vor allem vor dem Hintergrund des umweltpolitischen Hickhacks in Brüssel und aktueller Berichte über die Ursachen des Waldsterbens seitens des Bundesforschungsministers müssen auch die Ziele, die Instrumente und die Alternativen zur Abgaspolitik der Bundesregierung noch einmal aufgegriffen werden.
Doch zunächst zur Mineralölsteuer: Ein steuerlicher Anreiz zur Verwendung bleifreien Benzins wird von den Initiativen gegen das Waldsterben und gegen Umweltkrankheiten seit langem gefordert. Insofern ist eine Änderung des Mineralölsteuergesetzes längst überfällig und begrüßenswert. Ob allerdings die vorgesehene Regelung mit einer Spreizung von 4 Pfennig dem bleifreien Benzin zum Durchbruch verhelfen wird, bezweifle ich.
Es geht uns GRÜNEN nicht um eine möglichst hohe Vergünstigung für bleifreies Benzin, sondern um die Frage, ob der Autoverkehr nicht auch dann eine große Belastung für Umwelt und Gesellschaft darstellen wird, wenn er nur noch bleifreies Benzin verwenden wird. Spätestens seitdem von der Bundesregierung offiziell bestätigt wurde - ich verweise auf die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage meines Kollegen Drabiniok -, daß der Kfz-Verkehr alljährlich Umweltschäden und andere volkswirtschaftliche Folgekosten, z. B. durch Unfälle, von mehr als 50 Milliarden DM verursacht, sollte sich eigentlich jede weitere steuerliche Maßnahme zugunsten des Autos verbieten; und die Verbilligung bleifreien Benzins stellt j a eine Vergünstigung dar.
Wir wissen genau, meine Damen und Herren, daß wir das Auto nicht von heute auf morgen abschaffen können,
({0})
ja, daß viele Menschen, vor allem im ländlichen Raum, wegen des schlechten Angebots im öffentlichen Personenverkehr auf ihr Auto noch lange Zeit angewiesen sein werden. Wahrscheinlich werden wir auf das Auto sogar niemals ganz verzichten können.
({1})
Dennoch - jetzt kommt das große Aber, Herr Kollege Broll - wird es aus ökologischer und gesamtökonomischer Sicht höchste Zeit, dem Straßenverkehr endlich jene Kosten anzulasten, die er selbst verursacht. Deshalb kann die Lösung unserer Meinung nach nur in die Richtung gehen, daß das von allen Parteien verbal geforderte Verursacherprinzip hier konsequent angewendet wird.
({2})
Deshalb müßte die Mineralölsteuer besonders für bleihaltiges Benzin drastisch erhöht werden. Wir werden dazu demnächst einen Antrag vorlegen. Mit dem Mehraufkommen sollten aber nicht etwa noch mehr Straßen gebaut werden. Wir haben ohnehin schon genug davon. Es ist in diesem Zusammenhang interessant, daß gerade auch aus der CDU von Baden-Württemberg von einzelnen Abgeordneten im Landtag die Forderung erhoben wird, sofort 20% der Straßen aufzuheben.
({3})
Wir haben ohnehin schon zuviel von diesen Straßen. Wir sollten das Steuermehraufkommen vielmehr zur massiven Förderung der umweltfreundlichen und volkswirtschaftlich sinnvolleren Verkehrsmittel im öffentlichen Personennahverkehr und bei der Bahn einsetzen. Dies wäre eine ressourcenschonende und umweltbewußte Finanz- und Verkehrspolitik.
Ein noch besserer Schritt auf diesem Wege ist ein Verbot der Verwendung bleihaltigen Benzins. Ich freue mich, daß Kollege Hoffie hier in dieselbe Kerbe schlägt. Sie könnten dann auch unserem Antrag zustimmen, Herr Hoffie. ({4})
Vielleicht werden die Kollegen von der Koalition einwenden, daß viele ältere Fahrzeuge aus motortechnischen Gründen auf den Bleizusatz im Benzin nicht verzichten können. Dazu sage ich: Einen Teil der Motoren kann man in der Werkstatt ohne großen Aufwand umstellen lassen. Die anderen Pkws müssen für die Dauer der Restlaufzeit auf weiterhin angebotenes bleihaltiges Superbenzin umsteigen.
Dr. Ehmke ({5})
Wir haben deshalb einen Entschließungsantrag eingebracht, der das Verbot bleihaltigen Normalbenzins ab 1986 vorsieht. Wenn Ihnen der Zeitpunkt verfrüht erscheint: Wenn eine vollmotorisierte Nation wie Österreich das Bleibenzin ab Oktober 1985 ohne jegliche Umstellungsprobleme verbieten kann, dann sollte das bei uns doch wohl auch mit einem Vierteljahr Verzögerung möglich sein.
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt auf das Trauerspiel insgesamt zu sprechen kommen, das hier im Parlament in einer langen Fortsetzungsreihe der Öffentlichkeit immer wieder präsentiert wurde. Bei diesem Verwirrspiel um die Einführung des abgasarmen Autos wird man dem leider nicht anwesenden Ankündigungsminister Zimmermann eine Meisterleistung bescheinigen müssen. Kaum jemals zuvor ist ein verantwortliches Mitglied der Bundesregierung schneller von Wortbruch zu Wortbruch geeilt als er. Noch vor einem Jahr ist er auf zahlreichen Veranstaltungen aufgetreten und hat mit vollmundigen Erklärungen das Märchen von der verbindlichen Einführung des Katalysators verkündet. Ich zitiere aus einer Erklärung, die er am 22. Februar 1984 beim TÜV-Rheinland in Essen abgegeben hat:
Die schädlichen Auswirkungen der Autoabgase auf unsere Wälder, auf Gebäude und Kunstwerke, aber auch auf die menschliche Gesundheit werden nicht länger hingenommen.
({6}) - Ich betone: ab 1986! Mit ihrer Entscheidung, die Schadstoffe ab 1986
- ich betone: ab 1986! um ca. 90 % zu senken, hat die Bundesregierung eine Jahrhundertentscheidung getroffen, die eine gesamtpolitische Dimension hat wie keine umweltpolitische Maßnahme zuvor.
Soweit, so gut. In einer Erklärung der CDU/CSU-Fraktion vom 19. April 1984 heißt es dementsprechend:
Wir appellieren eindringlich an die Kommission, ihrer Verantwortung für das Schicksal unserer Umwelt gerecht zu werden. Jede Verwässerung dieser Zielsetzung wäre ein Versagen der europäischen Umweltpolitik und damit ein Scheitern in einem der zentralen Themen der EG. Die Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland hätte kein Verständnis, wenn es hier nur zu halbherzigen und damit untauglichen Lösungen käme.
So weit die CDU/CSU-Fraktion.
Was haben wir jetzt anderes, meine Kolleginnen und Kollegen, als Verwässerungen und Halbherzigkeiten?
Meine Damen und Herren von der Koalition, wir werden Ihnen diese hohlen Sprüche wieder und wieder unter die Nase halten, damit auch dem letzten Bürger nach den EG-Verhandlungen am 20. März klar wird, daß die Bundesregierung in Sachen Katalysator umgefallen ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Einen Augenblick. Ich gestatte dann gern eine Zwischenfrage.
Bitte sehr.
Wir werden nicht aufhören, die wirklich effektiven und beschreitbaren Wege aufzuzeigen.
Jetzt Herr Kollege Schmidbauer.
Herr Abgeordneter Schmidbauer, bitte sehr.
Herr Kollege Ehmke, finden Sie es richtig, daß wir keine Zwischenrufe machen, auch wenn Sie eben Unrichtiges behauptet haben im Hinblick auf Ihr Ausscheiden in der übernächsten Woche?
Tut mir leid, Herr Schmidbauer, diesen Zwischenruf habe ich nicht gehört, weil ich mich in dieser Sache, wie Sie merken, genauso engagiert zeige, wie ich das bisher immer getan habe.
Ich fahre in meiner Rede fort. Deswegen wollen wir Ihnen etwas mit auf den Weg geben nach Brüssel am 20. März. Deshalb fordern wir in dem zweiten Entschließungsantrag die Bundesregierung noch einmal nachdrücklich auf, die EG-Verhandlungen für gescheitert zu erklären, falls sich die Partner nicht zu wirkungsvollen Maßnahmen bewegen lassen.
Dazu zähle ich erstens die verbindliche Einführung des abgasarmen Autos auf der Grundlage der strengen amerikanischen Vorschriften noch im Jahre 1986 und zweitens die sofortige Einführung eines Tempolimits von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen.
Gerade an der Einführung eines Tempolimits zeigt sich zudem, ob die Bundesregierung ihre Glaubwürdigkeit den anderen EG-Ländern gegenüber aufrechterhalten will; denn hier sind wir bekanntlich Schlußlicht in Europa. Das sofortige Tempolimit ist eine der Prämissen für einen nationalen Alleingang. Denn erst wenn man Ordnung im eigenen Haus geschaffen hat, kann man guten Gewissens vor die europäischen Partner hintreten und sie bitten, nun ihrerseits massive und auch schmerzliche Maßnahmen zu ergreifen.
Die zweite Prämisse für einen nationalen Alleingang muß der Wille der Bundesregierung sein, für diejenigen scharfen Abgasgrenzwerte in Höhe der amerikanischen Normen einzutreten, die technisch und auch wirtschaftlich möglich und vertretbar sind.
Dagegen will die Bundesregierung gemäß Pressemeldungen den nationalen Alleingang nur für ihr verkorkstes Kfz-Steuerkonzept zur Begünstigung des Katalysatorautos anwenden. Dies ist zuwenig, meine Damen und Herren. Dafür lohnt sich der Streit mit Europa nicht. Wenn schon Alleingang,
Dr. Ehmke ({0})
dann für eine ganze Sache und nicht für einen faulen Kompromiß!
Die Bundesregierung und die Europäische Gemeinschaft stehen auf dem ökologischen Prüfstand. Ich habe auch in den Gesprächen mit den europäischen Regierungen und mit Parlamentariern, zuletzt vor einer Stunde mit dem italienischen Botschafter, keinen Zweifel an unserer Meinung gelassen. Wenn die EG als Gemeinschaft ernst genommen werden will, muß sie sich von einer Wirtschafts- und Industriegemeinschaft zu einer Umweltgemeinschaft weiterentwickeln. Eine Gemeinschaft wird zum Anachronismus, wenn sie nicht die Zukunfts- und Überlebensinteressen aller Partner berücksichtigt und darauf eingeht.
Deshalb meine ich, die Bundesregierung sollte härter und entschiedener als bisher weiter verhandeln und notfalls auf der Basis unseres Entschließungsantrags einen nationalen Alleingang wagen. Das Waldsterben läßt keine faulen Kompromisse zu, meine Damen und Herren.
({1})
Das Wort hat der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Häfele.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst darf ich um Verständnis bitten, daß Herr Innenminister Dr. Zimmermann nicht hier sein kann. Er bedauert das sehr. Er hat heute ein Gespräch mit den Umweltministern von Osterreich und der Schweiz genau über die Fragen, die uns hier bewegen. Er ist durch seinen Parlamentarischen Staatssekretär Dr. Waffenschmidt vertreten.
Meine Damen und Herren, das Gesetz, das wir heute in diesem Hohen Hause verabschieden wollen, soll den Weg öffnen, ab 1. April dieses Jahres das bleifreie umweltfreundliche Benzin stärker zu verwenden. Es ist nicht nur die Voraussetzung, wie wir wissen, daß der bleifeste Dreiwegekatalysator eingesetzt werden kann, sondern dadurch leisten wir auch einen Beitrag - es ist an der Zeit dafür -, daß auch in den Ballungsgebieten die Luft bleifreier wird und das Eindringen von Blei in den Boden vermindert wird.
({0})
Die Steuerspreizung, die wir nach langem Überlegen vorgenommen haben - die berühmte gymnastische Übung, die immer mehr in aller Munde ist -, 2 Pf das eine teurer und 2 Pf das andere billiger, bewirkt, daß die durchschnittlichen Herstellungs- und Vertriebskosten ausgeglichen werden. Damit ist infolge des scharfen Wettbewerbs, der auf diesem Felde herrscht, gewährleistet, daß sich die Tankstellenpreise im Markt annähern können. Auf jeden Fall nimmt der Steuergesetzgeber jeden Vorwand weg, die Steuer sei die Ursache, daß hier eine Preisannäherung nicht stattfinden könne.
Diese Mineralölsteueranhebung ist auch aufkommensneutral, natürlich über einen längeren Zeitraum von rund sechs Jahren. Kein Mensch kann voraussagen, in welchen Schüben sich das im einzelnen vollzieht. Es ist übrigens bei der Kraftfahrzeugsteuer genauso: insgesamt aufkommensneutral. Wir wünschen auf jeden Fall, daß dieser Umstellungsprozeß möglichst schnell in Gang kommt.
Bezüglich des Aufkommens bestehen teilweise überzogene Erwartungen. Wir dürfen nicht übersehen, daß mindestens 20 % des Altbestandes ohne weiteres bleifrei tanken können und es wahrscheinlich auch tun werden, wenn diese Preisannäherung erfolgt. Vor allem die Fahrzeuge, die ab 1984 zugelassen worden sind, also die neuen, können durchweg unschädlich bleifrei tanken. Über 20 % des Altbestandes können schon heute bleifrei tanken und werden es auch tun, wenn sich etwa Preisgleichheit am Markt einstellt.
Es ist gesagt worden, man hätte noch mehr spreizen müssen. Ich glaube, daß das nicht ganz richtig ist und daß wir damit den Zweck auch nicht erreichen könnten. Der Preis bildet sich frei am Markt. Es hat sogar schon Kartellverfahren gegeben. Wir können den Preis nicht kommandieren, und niemand kann mit Sicherheit sagen, wie sich der Markt entwickelt. Bloß, eines ist sicher - ich ermuntere die Autofahrer, von dem Angebot bleifreien Benzins jetzt möglichst auch Gebrauch zu machen -: Je mehr davon Gebrauch gemacht wird, desto mehr pendelt sich der Preis infolge des scharfen Wettbewerbs auf der einen Seite und weil damit eine Kostendegression verknüpft ist auf der anderen Seite dann so ein, daß die Aufkommensneutralität wirklich gewährleistet ist. Eine stärkere Spreizung wäre auf jeden Fall eine Überförderung und würde auch zu Umgehungen und Mißbräuchen führen, die wir wohl alle nicht wünschen können. Das hat das Anhörungsverfahren im Finanzausschuß doch wohl sehr deutlich bewiesen.
Die Mineralölwirtschaft hat anerkennenswerterweise in den letzten Monaten hier gewaltige Vorleistungen erbracht. Es gibt heute in der Bundesrepublik Deutschland schon 1 000 Tankstellen, an denen bleifrei getankt werden kann, und dieser Prozeß wird sich in den nächsten Monaten fortsetzen.
Einen Punkt, Kollege Dr. Spöri - wenn Sie mir freundlicherweise zuhören würden -, muß ich jedoch richtigstellen. Ich drücke mich jetzt ganz vorsichtig aus. Ich könnte mich schärfer ausdrücken, und das wäre auch am Platze. Sie haben unzutreffend etwas verlautbart, was ich im Finanzausschuß gesagt haben soll. Ich sage, es war nicht richtig, was Sie erklärt haben.
({1})
Sie haben daraus eine Pressemeldung gemacht, die nicht stimmt.
({2})
Herr Kollege Spöri, einmal abgesehen von dem Unzutreffenden: Es gibt in Demokratien Oppositionen, die Regierungen unterstützen, solange diese in schwierigen internationalen Verhandlungen stehen, und die diese Verhandlungen nicht geradezu schadenfroh stören.
({3})
Die Opposition muß sich überlegen, was sie will.
({4})
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Spöri?
Solange Kollegen, die die Unwahrheit gesagt haben, sich dafür nicht entschuldigen, lasse ich Zwischenfragen - dies habe ich mir vorgenommen - nicht zu. Deswegen bedaure ich das auch bei Ihnen, Herr Spöri.
({0})
Berichtigen können Sie ja selbst.
({1})
Immerhin hat sich auf EG-Ebene - das kann man heute schon nachweisen - etwas Entscheidendes bewegt, und diesen Erfolg kann man nicht hoch genug veranschlagen.
({2})
Vor wenigen Monaten bestand bei der EG noch das Datum 1. Januar 1995. Inzwischen ist dieses Datum gefallen. Wir sind bezüglich der Pflichteinführung inzwischen sogar schon bei Jahreszahlen in den 80er Jahren angelangt. Das ist ein gewaltiger Erfolg.
({3})
Auch ein Zweites ist sicher, nämlich daß unsere Regierung auch hinsichtlich der Erleichterungen bei der Kraftfahrzeugsteuer - dies war das Falsche, was Sie gesagt haben, Herr Spöri - schon eine Annäherung der Standpunkte erzielt hat. Wir wünschen und hoffen, daß die weiteren Verhandlungen so schnell wie möglich vollends zu einem Ergebnis führen, damit auch der vierte Akt, von dem der Kollege Hoffie zu Recht gesprochen hat - drei haben wir damit abgehakt -, bei diesem schwierigen Vorhaben verwirklicht werden kann.
({4})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zuerst zur Einzelberatung und Abstimmung über den Tagesordnungspunkt 7 a: den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über steuerliche Maßnahmen zur Förderung des schadstoffarmen Personenkraftwagens auf Drucksache 10/2523.
Ich rufe die Art. 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Dieses Gesetz ist mit Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, für die Entschließungsanträge zu Tagesordnungspunkt 7 a ist von den Antragstellern Ausschußüberweisung beantragt worden. Der Entschließungsantrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3006 soll zur federführenden Beratung an den Innenausschuß, zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, den Ausschuß für Verkehr sowie den Ausschuß für Forschung und Technologie überwiesen werden. Für den Entschließungsantrag des Abgeordneten Drabiniok und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/3025 wird die federführende Beratung durch den Innenausschuß und die Mitberatung durch den Finanzausschuß sowie den Verkehrsausschuß vorgeschlagen. Ergibt sich zu diesen Vorschlägen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen und so überwiesen.
Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zur Einzelberatung und Abstimmung über Tagesordnungspunkt 7 b, den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Mineralölsteuergesetzes auf Drucksache 10/339. Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen.
({0})
- Die Abstimmung ist nicht klar? Ich verlese noch einmal: Es geht darum, daß der Ausschuß empfiehlt, den Gesetzentwurf als ganzen abzulehnen. Das war der Text, den ich bereits vorgelesen habe.
({1})
- Darüber stimmen wir jetzt ab, und zwar über die Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. Das heißt, wenn sie jetzt das Gesetz ablehnen wollen, müssen Sie die Art. 1 bis 3 ablehnen. Ist das klar? - Keine Meinungsverschiedenheiten mehr?
({2})
Wer für diese Artikel stimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieses Gesetz ist damit abgelehnt. Nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung unterbleibt somit jede weitere Beratung.
({3}) Das war ein schweres Stück, nicht wahr?
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Vizepräsident Stücklen
Aufrechterhaltung des Sportboykotts gegen Südafrika
- Drucksache 10/2341 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Sportausschuß ({4})
Auswärtiger Ausschuß
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Zeit von zehn Minuten je Fraktion vorgesehen worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall.
Wir das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Aussprache. Ich eröffne die Aussprache. Wo ist Herr Abgeordneter Büchner? Er hat sich gemeldet. - Abgeordneter Büchner!
({5})
- Frau Kollegin Dr. Timm, ich kann die antragstellende Fraktion nicht zwingen, daß sie ihren Antrag begründet. Wir sind in der Aussprache. Wenn aber die GRÜNEN den Wunsch hätten, die Aussprache zu eröffnen, dann kommen Sie nach vorn, Herr Abgeordneter Schwenninger; Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Freundinnen und Freunde Südafrikas!
({0})
Sport ist eine der schönsten Sachen in der Welt.
({1})
Als Sportlehrer erlebe ich immer wieder, wie schnell sich Menschen durch Sport auch über die Grenzen hinweg näherkommen können.
Hier im Bundestag waren einige meiner schönsten Erlebnisse die Spiele mit unserer Abgeordneten-Fußballmannschaft. Dabei haben mir gerade die unbeschwerten Kontakte zu den Kollegen aus den anderen Fraktionen recht gut gefallen.
Der sportliche Höhepunkt einer Delegationsreise der GRÜNEN ins südliche Afrika war für mich, als ich an einem Samstagnachmittag in Maputo in Mosambik spontan auf ein Fußballfeld zugesteuert bin und dort mit hechelnder Zunge mit den Jugendlichen dieses Stadtviertels gespielt habe.
Sport ist eigentlich viel zu schön, um mit Politik vermischt zu werden.
({2})
Aber wer glaubt, die Politik könne vom Sport ferngehalten werden, geht entweder an der Realität vorbei oder versucht, sich und seine Umwelt zu täuschen. Genauso wie der Sport in einer Gesellschaft nicht von den sozialen und politischen Verhältnissen losgelöst werden kann, so sind auch die internationalen Sportkontakte eines Landes Teil seiner außenpolitischen Beziehungen, ob es einem gefällt oder nicht.
Es gibt genügend Beispiele in Geschichte und Gegenwart, die das deutlich machen. Als Hitler die Olympischen Spiele 1936 nach Berlin holte, wollte er damit der ganzen Welt das Bild eines friedlichen Deutschland vorgaukeln. Drei Jahre später überfiel er Polen und der Zweite Weltkrieg begann. 1980 boykottierte der Westen die Olympischen Spiele in Moskau, um der Sowjetunion den internationalen Sympathiegewinn zu vermasseln. Auch die Bundesregierung hat sich übrigens damals dem US-amerikanischen Willen unterworfen und das Nationale Olympische Komitee auf diese Linie eingeschworen. Vier Jahre später kam dann die Retourkutsche. Die Sowjetunion blieb von Los Angeles fern, fand bei ihren Verbündeten allerdings weniger Rückhalt als damals die USA.
Auch für die Bundesregierung und die übergroße Mehrheit der Bevölkerung bei uns ist völlig klar, daß Sport und Politik nicht zu trennen sind. Was gab es für ein Geschrei, als der DFB die Fußballeuropameisterschaft für 1988 an Land zog, ohne West-Berlin als Spielort durchzusetzen! Jetzt hat sogar die Bundesregierung nach einem Beschluß des gesamten Kabinetts bei den westeuropäischen Regierungen interveniert, um die Einbeziehung WestBerlins doch noch durchzupowern.
({3})
Angezettelt hat diese politische Aktion übrigens der Innenminister Zimmermann, der beim Boykott gegen Südafrika sagt, der Sport habe nichts mit Politik zu tun. So ist das also! Wenn es um West-Berlin geht, ziehen die Politiker alle Register, um die Entscheidungen der Sportverbände zu beeinflussen bzw. zu korrigieren. Geht es aber um Südafrika, dann soll der Boykott verschwinden, weil dort die Politik nur stört.
Warum kommt eigentlich die ganze Aufregung über den Sportboykott gegen Südafrika gerade jetzt? Es stimmt doch einfach nicht, daß die Sportlerinnen und Sportler danach fiebern, in Südafrika an den Start zu gehen oder zu spielen. Wir GRÜNE haben den vorliegenden Antrag eingebracht, weil es eine politische Kampagne Südafrikas und der ProApartheid-Lobby in der Bundesrepublik gibt, den bisher relativ wirksamen Boykott zu durchlöchern.
Dabei geht es doch gar nicht um den Sport. Die Motive für die von langer Hand vorbereitete und mit viel Aufwand inszenierte Aktion sind ausschließlich politischer Natur. Ich habe Ende letzten Jahres eine Umfrage bei den bundesdeutschen Spitzenverbänden durchgeführt. Dabei kam heraus, daß sie bisher gut mit dem Boykott leben können, der ja von den internationalen Verbänden verhängt und kontrolliert wird. Es sind also nicht die bundesdeutschen Verbände, die drängen, sondern es sind Spitzenfunktionäre wie der DSB-Präsident Willi Weyer und sein Generalsekretär Gieseler sowie führende Politiker der CDU/CSU, die sich vor den Karren der Apartheid-Freunde spannen lassen. Da will ich den Kollegen Clemens erwähnen, der sich auf Kosten der Südafrikaner in Südafrika aufgehalten hat. Die Rugby-Sportler werden vorgeschickt, um das innenpolitische Klima zu testen. Der Bonner SC und der Deutsche Rugby-Verband spielen in diesem Zusam9306
menhang ja eine unrühmliche Rolle. Auch Borussia Mönchengladbach verstrickt sich im Apartheid-Netz. Wird die Mannschaft nun in dem südafrikanischen Bantustan Bophuthatswana spielen oder nicht?
Wie sieht es denn in Südafrika wirklich aus? Stimmt es denn eigentlich, daß die Rassentrennung im Sport beseitigt wurde, wie dies unermüdlich von den Freunden und Förderern der Apartheid wiederholt wird? Es stimmt in der Tat, daß der internationale Druck durch den Sportboykott etwas bewirkt hat. Südafrika hat drei der zahlreichen Apartheid-Gesetze verändert und verleiht schwarzen Sportlerinnen und Sportlern den Ehrenstatus von Weißen für die Dauer von offiziell genehmigten Sportveranstaltungen. Aber das ist doch nur als in Hohn zu bezeichnen, als ein Schlag in das Gesicht der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Ihr ganzes Leben wird von den strengen Apartheid-Gesetzen geregelt, aber im Sportclub dürfen sich die Schwarzen mal mit Weißen an die Bar setzen. Dann geht es wieder ab ins schwarze Getto, in die Wohngebiete, die nur nach Hautfarbe zugeteilt werden. Ich glaube, daß dieses Plakat diese Situation sehr wohl trifft:
({4})
„Apartheid isn't Sport" - Apartheid ist kein Spiel. Das ist, glaube ich, sehr treffend dargestellt.
({5})
Herr Abgeordneter Schwenninger, das genügt also jetzt. Bitte schön!
Aus südafrikanischen Tageszeitungen habe ich die folgenden Beispiele zusammengestellt: Ein weißer Student der Rhodes University steht vor Gericht, weil er ein schwarzes Township ohne Genehmigung zum Fußballspielen betreten hat. Ein Segelklub in Durban verwehrt einer Inderin die Aufnahme wegen ihrer Hautfarbe. Gleiches geschieht bei einem Golfklub in Pietersburg.
Am schwerwiegendsten zeigt sich aber im Schulsport, daß die Apartheidgesetze weiterhin ungebrochen herrschen. Im September 1983 hat der Erziehungsminister Südafrikas keinen Zweifel daran gelassen, daß die Regierung nicht die Integration im Schulsport anstrebt. In der neuen Verfassung wird die Trennung der Schulsysteme nach der Hautfarbe festgeschrieben. Der Unterschied zwischen den Ausgaben für weiße und schwarze Schulkinder im Sport ist unglaublich. Die Regierung gibt 2 400mal soviel für ein weißes wie für ein schwarzes Kind aus. Im Jahre 1982 waren es 9,9 Millionen Rand für eine Million weiße und ganze 14 700 Rand für 3,6 Millionen schwarze Kinder. Das ist also die vielgepriesene Überwindung der Rassentrennung im Sport.
Damit ist klar, die Veränderungen im Sport sind nur kosmetischer Natur. Die Substanz der Apartheid wird eben nicht angetastet. Die Aufstellung gemischtrassischer Teams für Auslandsreisen ist eben nur Propaganda. Dafür ein Beispiel: Die Rugbymannschaft, die im letzten Jahr die Bundesrepublik besucht hat, gibt es in dieser Zusammensetzung in Südafrika überhaupt nicht. Dort sind nämlich die Teams weiterhin nach Hautfarbe schön sauber voneinander getrennt; ob Sie es wissen wollen oder nicht, es ist so: eine Liga für die Weißen, eine für die Afrikaner und eine für die sogenannten Coloureds. Noch immer gilt der Satz des Südafrikanischen Nicht-Rassischen Olympischen Komitees - SANROC -: Kein normaler Sport in einer abnormen Gesellschaft!
Wer angesichts der internationalen Bedeutung des Sportboykotts in der Bundesrepublik vorpreschen will, gefährdet die internationalen Beziehungen aller bundesdeutschen Sportminister und Sportler. Der Oberste Rat für Sport in Afrika hat schon beim Bundeskanzler protestiert. Andere internationale Proteste werden folgen. Die Delegation des Sportausschusses hat es ja in der letzten Woche in Kenia und in Madagaskar erlebt, daß die Außenminister bzw. die Sportminister den Sportboykott gegen Südafrika weiterhin sehr stark unterstützen.
Ich sehe auch große Gefahren für die Bewerbungen bundesdeutscher Städte zur Austragung der Olympischen Spiele 1992. In Kürze wird der Bundestag über einen Antrag zur Unterstützung des Ruhrgebiets für die Sommerspiele 1992 zu entscheiden haben. Bei dieser Haltung wird es sehr schwierig sein, die Spiele zu bekommen, die übrigens auch vom ökologischen her sehr problematisch sind; denn in Berchtesgaden würde es sicher einen Eingriff in die Natur geben.
Wir GRÜNE fordern also eine totale internationale Isolierung des menschenverachtenden Apartheidsregimes.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist zu Ende.
Ich komme zum Ende.
Wir treten ein für umfassende Wirtschaftssanktionen, Kündigung des Kulturabkommens und die lückenlose Einhaltung des UNO-Rüstungsembargos. Nur durch Druck von außen können wir etwas erreichen.
Ich will hier zum Schluß Bischof Tutu zitieren, der gesagt hat, als er hier war: Ihr Deutschen habt es in der Hand, wie lange Apartheid noch bestehen wird, denn ihr seid die stärkste Stütze der Apartheid.
Ich danke Ihnen. Amandla ngawetu!
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Clemens.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es gibt in diesem Parlament keine Partei, die die Apartheidspolitik in Südafrika gutheißt. Auch die CDU/CSU tritt im Einklang mit der Bundesregierung für möglichst baldige weitere politische Veränderungen zugunsten der farbigen und der schwarzen Bevölkerung ein.
Zu Südafrika unterhält die Bundesrepublik aber erhebliche Wirtschaftsbeziehungen. Es gibt einen stattlichen Tourismus trotz dieser Entfernung, es gibt Kulturabkommen, es gibt Schüler- und Studentenaustausch, es gibt viele Kontakte zwischen Wissenschaft und Kunst. Das alles ist zu begrüßen. Man muß sich aber an dieser Stelle fragen, warum ausgerechnet der völkerverbindende Sport zu einem politischen Boykott mißbraucht wird.
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es seitens der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung erhebliche Vorbehalte gegenüber Ländern, in denen Menschenrechtsverletzungen vorkommen. Ich denke da z. B. - aber nicht ausschließlich - an den kommunistischen Block. Wir führen mit diesen Ländern trotzdem Sportverkehr, und ich halte das für gut. Ich muß mich aber fragen, warum wir nicht auch Sportverkehr mit Südafrika pflegen, obwohl wir die Apartheidspolitik ablehnen. Man muß sich wirklich - und speziell Sie, Herr Schwenninger - fragen, wie eigentlich diejenigen, die die politischen Verhältnisse in Südafrika verändern wollen, diese Änderungen zu vollziehen gedenken, wenn sie überhaupt keine Kontakte zu diesem Land haben wollen.
Die CDU/CSU weiß sich hier mit dem Deutschen Sportbund, aber auch mit europäischen Abgeordneten, z. B. mit dem britischen Abgeordneten Lord Chalfont, einig: Sportboykott ist ein untaugliches Mittel zur politischen Systemüberwindung in Südafrika, aber auch in anderen Bereichen.
({0})
Von vielen Repräsentanten in Sport und Politik und natürlich auch von den GRÜNEN wird - meistens unwidersprochen - behauptet - auch Herr Schwenninger hat das eben getan -, im Sport in Südafrika gebe es nach wie vor Rassentrennung. Nach meiner Reise nach Südafrika wage ich das Gegenteil zu behaupten.
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Bei vielen Gesprächen insbesondere mit schwarzen Sportfunktionären, aber auch bei Besuchen von zahlreichen Sportveranstaltungen habe ich die Integration der schwarzen Bevölkerung im Sport feststellen können. So gibt es z. B. im Rugby entgegen der Auffassung, die Sie, Herr Schwenninger, geäußert haben, zahlreiche gemischtrassige Mannschaften. Der Rugbysport ist eine Sportdomäne der Südafrikaner. Es gibt sogar Mannschaften, die untereinander bewußt gemischt werden, damit keine Aggressionen im Spiel „schwarz gegen weiß" vorkommen.
Darüber hinaus wird der Fußballsport überwiegend von Schwarzen betrieben. Auch da finden Sie viele gemischtrassige Mannschaften. Ich habe mich persönlich in Johannesburg offiziell informiert, aber auch ganz privat in Kapstadt an einem Sonnabendnachmittag, als ich auf Sportplätze gegangen bin und sehen konnte, wie untere Mannschaften und Jugendmannschaften gemischtrassig, schwarz und weiß, miteinander Sport getrieben haben.
Wozu also der Sportboykott? Ich zitiere hier ganz bewußt den Präsidenten des südafrikanischen Fußballverbandes, Mr. Thabe, der beklagt hat, daß gerade die Schwarzen, denen man eigentlich helfen will, durch den Sportboykott bestraft werden.
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Nun wäre es sicherlich unredlich, an dieser Stelle zu verschweigen, daß es wie in der Politik, so auch im Sport in Südafrika eine radikale Minderheit wie z. B. SACOS, South African Council of Sport, und sein Anhängsel in Übersee, nämlich in London, SANROC, South African Non-Racial Olympic Committee, gibt, die die Aufrechterhaltung des Sportboykotts verlangt und die durch eine radikale Politik politische Veränderungen erreichen will.
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Es ist bestimmt nicht zufällig, daß ausgerechnet die GRÜNEN heute mit einem Repräsentanten von SANROC eine Pressekonferenz gegeben haben.
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Aber eines muß man wissen: Das ist eine Minderheit, die in ihrer Wirkung auf den Sport in Südafrika prozentual
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mit den Wählern der GRÜNEN vergleichbar ist, aber mehr in Richtung auf das letzte Wahlergebnis im Saarland.
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Kurzum, die große Mehrheit von über 70% der schwarzen Bevölkerung und damit der schwarzen Sportler tritt für die Aufhebung des Sportboykotts ein. Schon allein, um diesem schwarzen Bevölkerungsteil zu helfen, aber nicht nur deswegen, sollten unsere autonomen Sportorganisationen in der Bundesrepublik ihre Mitglieder, nämlich Sportler und Vereine, freundschaftliche Kontakte zu südafrikanischen Sportlern aufnehmen lassen.
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Man kann nur begrüßen, daß eine Reihe von deutschen Sportlern - es waren 1984 immerhin 260 - einen Sportbesuch in Südafrika durchgeführt haben, und ich finde es auch gut, wenn eine gemischt-rassige Mannschaft, d. h. eine Mannschaft aus Schwarzen und Weißen wie die Bararians, als Rugbymannschaft einen Besuch in der Bundesrepublik startet und umgekehrt die deutsche Rugbynationalmannschaft die Einladung nach Südafrika annimmt.
Sie werden mir sicherlich darin zustimmen, daß es für deutsche Sportler und Vereine unwürdig ist, wenn, wie ich es dort erlebt habe, z. B. eine deutsche Handballbundesligamannschaft einfach namenlos, sozusagen als bessere Thekenmannschaft, dort auftritt.
Südafrika pflegt trotz Boykotts sportliche Beziehungen mit vielen Ländern; 49 waren es im letzten Jahr. Warum eigentlich nicht mit uns? Wer den völkerverbindenden Charakter des Sports betont und die olympische Idee des Baron de Coubertin anerkennt, kann nur für normale Sportbeziehungen auch mit Südafrika eintreten.
({8})
Der Präsident des IOC, Samaranch, kann nicht den zukünftigen Boykotteuren von Olympischen Spielen Sanktionen androhen, solange andere Nationen mit Billigung des IOC von der Teilnahme an Olympischen Spielen bewußt ferngehalten werden.
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Eine solche Sportpolitik erscheint mir weder gerecht noch logisch.
Immer wieder wird von Sportlern und Organisationen gefordert, daß sich die Politik so weit als möglich des Einflusses auf den Sport enthalten soll. Das ist ganz bestimmt richtig. Die Annahme des Antrages der GRÜNEN würde diese Forderung aber in ihr Gegenteil verkehren. Der Sport würde sich hier als Speerspitze für die Politik auswirken. Das kann und darf niemals die Aufgabe des Sports sein.
({10})
Die CDU/CSU muß den DSB aber fragen, warum er seinen Mitgliedsverbänden nach wie vor empfiehlt, bei sportlichen Kontakten mit Südafrika kurzzutreten. Das NOK der Bundesrepublik muß gefragt werden, warum es zuläßt, daß die auf dem Olympischen Kongreß 1981 in Baden-Baden beschlossene Studienkommission, die untersuchen soll, ob und inwieweit die Apartheid aus dem Sport in Südafrika verbannt ist, einfach nicht tätig wird. Wie lange will man eigentlich noch, und zwar allein aus politischen Gründen, den Widerstand einiger afrikanischer Staaten hinnehmen, die einfach verhindern, daß diese neutrale Untersuchungskommission tätig wird?
Dies seitens des DSB zu beklagen ist sicherlich erfreulich, es deutet vielleicht auch einen Sinneswandel an, reicht aber nicht aus. Ich frage den deutschen Sport und vielleicht auch den DSB, warum nicht eine Kommission nach Südafrika reist, um sich an Ort und Stelle zu überzeugen, daß die Schwarzen und Farbigen im Sport in Südafrika integriert sind.
({11})
Als der Sportboykott vor zwei Jahrzehnten verhängt wurde, hieß es, Südafrika werde in der internationalen Sportarena wieder zugelassen, sobald die Diskriminierung im Sport beendet sei. Wäre es nicht ein Gebot der sportlichen Fairneß den südafrikanischen Sportlern gegenüber, endlich festzustellen, ob die Diskriminierung im Sport beendet worden ist? Warum also führt man eine solche Untersuchung nicht durch? Befürchtet man im deutschen
Sport schon dann Nachteile in internationalen Sportgremien, wenn man nur feststellen will, ob die Haltung des deutschen Sports gegenüber den südafrikanischen Sportlern noch zu Recht besteht? Triumphiert nicht auch hier die Politik über den Sport?
Angesichts der sportlichen Diplomatie in den internationalen Sportgremien wird niemand sofort die Aufhebung des Sportboykotts gegenüber Südafrika verlangen können, aber eine schrittweise Normalisierung des Sportverkehrs durch Aufnahme freundschaftlicher Kontakte zu den südafrikanischen Sportlern darf man erwarten.
Wer aber wie die GRÜNEN den Sport nur dazu benutzt, Politik zu betreiben
({12})
und sein radikales Süppchen zu kochen, mißbraucht den Sport und schadet letzten Endes der sportlichen Idee.
Ich bedanke mich.
({13})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Büchner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Um es gleich deutlich zu sagen: Die SPD-Bundestagsfraktion empfiehlt keinem Verband Sportkontakte mit Südafrika, solange es dort eine Politik der Rassentrennung gibt.
({0})
Diese klare Haltung stimmt übrigens überein mit den sportpolitischen Entscheidungen, die von der weit überwiegenden Zahl der Sportverbände des internationalen und nationalen Bereichs getroffen wurden.
Der vorliegende Antrag allerdings geht von einer falschen Voraussetzung aus. Ein förmlicher Boykott ist nie beschlossen worden, weder durch das Internationale Olympische Komitee noch durch internationale Sportverbände, weder durch das Nationale Olympische Komitee für Deutschland noch durch nationale Fachverbände oder den Deutschen Sportbund, weder durch die Bundesregierung noch durch den Bundestag. Hier - das müssen Sie sich sagen lassen - wird wieder in Aktionismus gemacht, ohne Rücksicht auf die sportpolitischen Fakten.
Wie sehen diese Fakten aus, meine Damen und Herren? Auf Grund der menschenverachtenden Rassentrennungspolitik mit den entsprechenden Auswirkungen auf den Sport hat das Internationale Olympische Komitee bereits 1970 dem NOK von Südafrika die Anerkennung entzogen. In der ganz überwiegenden Zahl der internationalen Fachverbände - aber nicht in allen - ruht die Mitgliedschaft der südafrikanischen Verbände, oder sie sind sogar ausgeschlossen. Herr Kollege Clemens, diese Fachverbände und das Internationale Olympische
Büchner ({1})
Komitee haben nach Ihrer Ansicht wohl gar keine Ahnung über die Verhältnisse in Südafrika.
({2})
Südafrika konnte die Weltorganisationen und die Weltsportorganisationen bisher offenbar nicht davon überzeugen, daß sich in der Politik der Regierenden in Pretoria ein dauerhafter und positiver Wandel vollzogen habe, wonach im Sport und im sportlichen Miteinander Chancengleichheit und Nichtdiskriminierung garantiert seien.
Darauf weisen auch die zahlreichen Resolutionen von Gremien der Vereinten Nationen hin, die sich eindeutig gegen den Sportverkehr mit Südafrika richten.
Bei uns bestand eigentlich bisher zwischen dem Deutschen Sportbund und dem NOK für Deutschland, den Fachverbänden, einerseits und dem Deutschen Bundestag und den SPD-geführten Bundesregierungen andererseits Übereinstimmung in drei Punkten:
Erstens. Die Sportorganisationen der Bundesrepublik Deutschland dürfen weder direkt noch indirekt dazu beitragen, dem Apartheid-Regime in Südafrika Vorwände für eine Vertuschung der tatsächlichen brutalen Trennung der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu liefern.
({3})
Zweitens haben wir darin übereingestimmt: Die konsequente Haltung des Internationalen Olympischen Komitees und der meisten nationalen Fachverbände darf durch deutsche Aktivitäten nicht unterlaufen werden.
({4})
Drittens. Sportbegegnungen mit Südafrika, die dennoch stattfinden und die sich nicht verhindern lassen, werden mit öffentlichen Mitteln nicht gefördert.
({5})
Dies war bisher Konsens, meine Damen und Herren. Von dieser vernünftigen und eindeutigen Haltung rückt diese Bundesregierung - die nicht zuhört - jetzt offensichtlich ab. Mehr noch: Sie ermuntert die Sportorganisationen geradezu, ohne jede internationale Rücksichtnahme und Abstimmung die Sportbeziehungen zu Südafrika zu aktivieren. Anders sind die Äußerungen von Mitgliedern der Koalitionsfraktionen - auch Ihre Äußerungen, Herr Kollege Clemens - und die der Bundesregierung in der letzten Zeit nicht zu verstehen. Ja, sie sind von den Sportfunktionären, die für eine Intensivierung der Sportkontakte sind, auch so verstanden worden.
({6})
- Ich glaube, daß Sie das erregt.
Die konservative Bundesregierung hat auch auf diesem Gebiet einen politisch-moralischen Gesinnungswandel vollzogen. Deutlich wird dies, wenn ich aus der Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesinnenminister vom 13. Februar dieses Jahres zitiere. Dort heißt es:
Die Bundesregierung wird gegen den Deutschen Rugbyverband wegen dessen Entscheidung
- hier handelt es sich um den Kontakt zu der südafrikanischen Mannschaft keine Maßnahme ergreifen, insbesondere nicht die Zuschüsse an den Verband kürzen. Die Zuwendungen zur Förderung des Sports verknüpft die Bundesregierung nicht mit Auflagen politischen Wohlverhaltens.
Jetzt passen Sie einmal gut auf, was in dieser Antwort weiter enthalten ist. Es heißt, die Bundesregierung sei der Ansicht, daß die nationalen und internationalen Sportorganisationen ihre Angelegenheiten - man höre und staune - selbständig und in eigener Verantwortung entscheiden. Das erhält natürlich im Zusammenhang mit der außenpolitischen Demarche wegen der geplanten Ausrichtung der Fußball-Europameisterschaft in der Bundesrepublik Deutschland eine besonders pikante politische Note. Der Widerspruch kann überhaupt nicht eklatanter sein.
Herr Präsident, meine Damen und Herren, für den zerstörerischen Kampfbegriff „Boykott" darf es nach unserer Überzeugung im internationalen Miteinander des Sports keinen Platz mehr geben.
({7})
Spätestens nach den Olympischen Spielen in Moskau 1980 und in Los Angeles 1984 müßte das Boykottkapitel endgültig abgeschlossen sein. In den oft komplizierten Verhältnissen des internationalen Sports sind ideologische Einäugigkeit und politische Pressionen oft sehr schädlich. Sie werden politische Probleme nicht lösen können, sondern eher das Gegenteil bewirken. Deswegen verstehen wir natürlich, wenn Sportler und Sportfunktionäre, die für eine Ausweitung der Sportbeziehungen zu Südafrika zum gegenwärtigen Zeitpunkt eintreten, auf vielfältige Widersprüche hinweisen. Handel und Wandel, Kulturaustausch und Tourismus: ja, Sportbeziehungen: nein, Lieferung von Reaktoren: j a, Besuch eines Reitturniers: nein. Das alles ist wirklich schwer zu begründen. Auf Dauer werden solche Widersprüche den Sport überfordern; auf diese Gefahr muß man hinweisen.
({8})
Besonders wichtig scheint es uns, auch im Sport auf die berechtigten Interessen der Länder Afrikas Rücksicht zu nehmen. Die SPD-Bundestagsfraktion und die sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen hatten deshalb seit 1969 mit Unterstützung des Deutschen Bundestages die Sportförderungsmittel für die Entwicklung des Sports in den schwarzafrikanischen Ländern ständig erhöht. Durch die hervorragende Arbeit von deutschen Sportexperten und Sportlehrern konnte ein positiver Beitrag zur Entwicklung der nationalen Sport9310
Büchner ({9})
Strukturen in diesen Ländern geleistet werden. Dies wird auch in Afrika anerkannt, und die Bundesrepublik steht diesbezüglich in einem guten Ruf. Dadurch, daß diese Bundesregierung die bisher klare Linie in den Sportbeziehungen zu Südafrika zusehends verläßt, gefährdet sie das, was in jahrelangen Bemühungen aufgebaut wurde. Damit schadet sie den Interessen, die auf eine Weiterentwicklung der guten Zusammenarbeit auf diesem Gebiet auch in den Ländern Afrikas gerichtet sind.
({10})
Meine Damen und Herren, ganz offen soll auch angesprochen werden, daß gewisse wirtschaftliche Kontakte einiger afrikanischer Länder zu Südafrika geeignet sind, die Glaubwürdigkeit politischer Erklärungen dieser Länder zu erschüttern. Der Sport darf nicht zum „ideologischen Ausputzer" gemacht werden, der diesbezügliche Widersprüche bereinigen soll. Zu der Beurteilung von deutscher Seite gehört auch, daß die diplomatischen Beziehungen zu Südafrika keine Visaregelungen auf Gegenseitigkeit vorsehen. Pretoria verweigert den deutschen Staatsbürgern das, was Südafrikaner bei Reisen in die Bundesrepublik Deutschland genießen, nämlich die Visafreiheit.
Was nun den Inhalt des vorliegenden Antrags angeht, so sieht sich die SPD erst dann zu einer Überprüfung ihrer klaren und eindeutigen Haltung gegenüber der Politik Südafrikas veranlaßt, wenn erstens die Apartheidpolitik nach internationalen Erkenntnissen, vor allem der Vereinten Nationen, von den Regierenden in Südafrika rechtlich und tatsächlich beendet wird
({11})
und wenn zweitens die internationalen Sportorganisationen, insbesondere das Internationale Olympische Komitee, die Wiederaufnahme bzw. Anerkennung des NOK und der Sportfachverbände von Südafrika vollziehen.
Bei den Ausschußberatungen werden wir darauf achten, daß die Aussagen der Sportorganisation und der Regierung von Südafrika, die Apartheid im Sport sei praktisch abgeschafft, sorgfältig geprüft werden.
({12})
Dabei soll aber jeder wissen, daß wir auf die Einbeziehung des Sports in den Gesamtzusammenhang der Verhältnisse in Südafrika Wert legen.
({13})
Apartheid verletzt die Würde des Menschen, die wir für unantastbar halten.
({14})
Deshalb - dies sei mein letzter Satz - wird es nicht gelingen können, durch den Sport Verhältnisse im wahrsten Sinne des Wortes zu überspielen, während auf anderen Gebieten Ungerechtigkeit
und Diskriminierung fortbestehen. So werden wir nicht mitmachen; dies werden wir nicht zulassen.
({15})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In letzter Zeit gibt es intensive Bemühungen der südafrikanischen Regierung, den Sportverkehr mit Ländern der westlichen Welt zu verstärken oder wiederherzustellen: die von fast allen internationalen Sportdachverbänden und dem IOK eingenommene Haltung gegen eine Beteiligung südafrikanischer Mannschaften an internationalen Wettbewerben sollte revidiert werden bzw. die Regierungen westlicher Länder sollten ihre Haltung ändern. Das heißt, sie sollten den Sportverbänden nicht mehr empfehlen, von einem Sportaustausch mit Südafrika abzusehen.
In einem Schreiben, das der südafrikanische Botschafter van Heerden am 25. Januar 1985 an - wahrscheinlich nicht nur - Abgeordnete der FDP gerichtet hat, begründet er diese Tendenz seiner Regierung damit, daß er sagt, das Ziel des Sportboykotts sei erreicht, da der Sport heute in allen Bereichen bis zur Vereinsebene hinunter in Südafrika vollkommen integriert sei. Er sagt weiter, daß die internationale öffentliche Meinung inzwischen gegen eine Aufrechterhaltung des sogenannten Sportboykotts sei.
Nun gibt es Kollegen in diesem Hause, die diese Meinung teilen,
({0})
ja sich sogar in Südafrika um Sportkontakte mit deutschen Mannschaften bemühen sollen, wie ich höre. Andere in diesem Hause wiederum haben von Anfang an erklärt, jeder Sportboykott sei sowieso abzulehnen, weil er sinnlos sei und insofern auch ineffektiv. Ich darf für die FDP-Fraktion dazu folgendes feststellen: Gerade die Begründung, die der südafrikanische Botschafter gegeben hat - man könne jetzt wieder den Sportkontakt herstellen, nachdem gewisse Änderungen eingetreten seien -, beweist ja, daß der Sportboykott Wirkungen gehabt hat.
({1})
Es ist also keineswegs so, daß der Boykott seine Wirkung verfehlt hätte. Vielmehr gibt es tatsächlich - das haben heute alle Redner herausgestellt, Herr Clemens - einige Veränderungen rassisch diskriminierender Gesetze auf Grund dieses internationalen Boykotts. Das ist keine Frage. Wir erkennen das auch als einen Fortschritt an.
In diesem Zusammenhang mußte ich aber doch noch einmal in Erinnerung rufen, daß die Einschränkung des Sportverkehrs mit Südafrika ursprünglich zurückgegangen ist auf skandalöse diskriminierende Maßnahmen der Regierungen Verwoerd und Vorster, die beide beispielsweise verhindert hatten, daß internationale Sportmannschaften in Südafrika überhaupt auftreten durften, weil sie
Schäfer ({2})
in ihren Reihen in einem Fall etwa ein Mitglied der Maori-Rasse aus Neuseeland hatten. Das war der Anfang der ganzen Geschichte. Das haben wir manchmal ein bißchen vergessen.
Die Bundesregierung erhebt gegenüber dem Deutschen Sportbund oder anderen deutschen Sportfachverbänden keinen Genehmigungsvorbehalt gegen einen Sportverkehr mit Südafrika, da Sportverbände bekanntlich autonom sind, und zwar auch hinsichtlich ihrer internationalen Beziehungen. Die Verbände halten sich in aller Regel - auch das ist zum Ausdruck gekommen - an die Beschlüsse oder Empfehlungen ihrer jeweiligen internationalen Fachverbände. Deshalb haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft immer gegen internationale Vereinbarungen ausgesprochen, die die einzelnen Staaten verpflichten sollten, den Sportboykott durch gesetzliche Maßnahmen gegenüber den Sportverbänden durchzusetzen.
Andererseits hat die Bundesregierung - gemeinsam mit allen Regierungen der EG - den Sportverbänden bisher davon abgeraten, an Wettkämpfen mit südafrikanischen Sportlern und Mannschaften teilzunehmen, solange die Rassentrennung im Sport in Südafrika noch fortbesteht.
Hat sich nun diese Situation wirklich geändert, so wie uns der Botschafter von Südafrika glauben macht? Leider trifft die von mir bereits zitierte Behauptung des Botschafters nicht zu, der Sport sei in Südafrika inzwischen vollkommen integriert. Die in seinem Schreiben an uns zitierte Entschließung südafrikanischer Sportorganisationen war nur eine Absichtserklärung, d. h. das Ziel ist noch nicht erreicht.
Wir haben die Ansätze zu einer Änderung der Haltung Südafrikas registriert. Aber wir bedauern auch - ich glaube, das ist doch sehr wichtig, Herr Kollege Clemens -, daß z. B. der Breitensport in Südafrika nicht nur nicht integriert worden ist, sondern daß die Rassentrennung im Schulsport durch die neue Verfassung von 1984 sogar noch dadurch verankert worden ist, daß man beispielsweise getrennte Wohngebiete festschreibt, daß außerdem im Zuge der den regionalen und kommunalen Körperschaften vom Staat zugewiesenen Zuständigkeiten für Sportanlagen der gemischte Sport praktisch ausgeschlossen wird.
({3})
Es besteht kein Zweifel daran, daß zwischen der internationalen Präsentation des südafrikanischen Spitzensports und der täglichen Praxis des südafrikanischen Breitensports eine ganz entscheidende Diskrepanz besteht.
({4})
Ich zitiere in diesem Zusammenhang aus einer Rede meines liberalen südafrikanischen Parlamentskollegen Tarr, der in diesem Zusammenhang zu diesem Thema, auch nach Europa gewandt, gesagt hat:
Wir machen uns ständig der Doppelmoral schuldig. Die meisten Leute bei uns sind glücklich, wenn Eroll Tobias und Wilfrid Cupido
- zwei schwarze Spitzensportler im Western Province Team spielen. Die gleichen Leute, die das gerne sehen, sind jedoch nicht dazu bereit, daß diese Sportler in ihrer Nachbarschaft wohnen dürfen, ihre Kinder in ihre Schulen schicken dürfen oder gar mit ihnen am gleichen Strand baden.
({5})
Meine Damen und Herren, mir liegen so viele Einzelbeispiele dafür vor - auch von der deutschen Botschaft in Pretoria -, daß eben leider nicht die Rede davon sein kann, die Rassentrennung im südafrikanischen Sport sei schon überwunden. Insofern halte ich es für folgerichtig, daß die Bundesregierung und wir Parlamentarier jede Gelegenheit zu einem kritischen Dialog mit Südafrika nutzen sollten, um darauf hinzuwirken, daß die noch bestehenden Barrieren abgebaut werden. Wir respektieren zwar die Selbständigkeit der nationalen und internationalen Sportorganisationen in ihren Entscheidungen. Wir können aber unsere Politik gegen die fortbestehende Rassentrennung, die auch der olympischen Charta widerspricht, nicht durch ein Entgegenkommen gegenüber der südafrikanischen Regierung in dieser Angelegenheit aushöhlen.
({6})
Meine Damen und Herren, insofern muß die Bundesregierung nach unserer Auffassung dabei bleiben, den Sportorganisationen der Bundesrepublik Deutschland vom Sportverkehr mit Südafrika und Namibia so lange abzuraten, wie die rechtliche und tatsächliche Rassentrennung im Sport dieser Länder noch andauert.
({7})
Wer das nicht mehr will, meine Damen und Herren, muß sich einmal klarmachen, daß er sich nicht nur mit den neun anderen Mitgliedstaaten der EG auseinandersetzen muß, sondern auch Gefahr läuft - Herr Clemens, Sie haben das angedeutet -, dem deutschen Sport international zu schaden. Diese Auffassung vertreten auch Willi Weyer und Willi Daume. Darüber hinaus würde eine Änderung unserer Haltung die eingeleitete Entwicklung im Sport Südafrikas gefährden, da damit ein wichtiger Anreiz für weitere Schritte hin zur völligen Rassenintegration im Sport Südafrikas entfallen würde.
({8})
„Gegenwärtig sieht die Bundesregierung keine Veranlassung, ihre Haltung, die auch im Einklang mit der der Partner in der EG steht, zu ändern. Trotz der formalen Aufhebung gesetzlicher Verbote kann von einer Normalisierung nicht gesprochen werden." Ich zitierte soeben Herrn Staatsminister Mertes vom Auswärtigen Amt, der dies in einem Schreiben vom vergangenen Jahr an den Herrn Kollegen Clemens von der CDU/CSU-Fraktion so ausgedrückt hat.
Wir hoffen alle, Herr Kollege Clemens, daß die ersten Ansätze zur Überwindung der Rassentren9312
Schäfer ({9})
nung im Sport Südafrikas auf Grund des andauernden internationalen Drucks im Interesse der betroffenen Sportler - wir teilen die Auffassung, daß es vor allem um die Sportler geht - weiter ausgebaut werden, damit die sportlichen Beziehungen durch eine Rückkehr Südafrikas in die internationalen Sportorganisationen in nicht allzu ferner Zukunft endlich wieder normalisiert werden können. Wir sind gern bereit, in den Ausschußberatungen über den Antrag der GRÜNEN - auch im Auswärtigen Ausschuß, denn das ist eben nicht nur eine Angelegenheit des Sportausschusses; dazu ist sie viel zu politisch ({10})
sehr gründlich zu prüfen, was sich denn so Wesentliches dort geändert hat, und festzustellen, was sich noch ändern muß.
Vielen Dank.
({11})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2341 zur federführenden Beratung an den Sportausschuß und zur Mitberatung an den Auswärtigen Ausschuß zu überweisen. Gibt es andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses ({0}) zu dem Antrag der Fraktion der SPD
Entschädigung für Zeugen und Sachverständige
- Drucksachen 10/1919, 10/2958 Berichterstatter:
Abgeordnete Buschbom Lambinus
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt für die Aussprache zehn Minuten je Fraktion vor. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist somit so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordneten Lambinus.
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann heute zu einer Initiative der SPD-Bundestagsfraktion sprechen, die, wie aus der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, die Ihnen vorliegt, hervorgeht, einstimmig zur Annahme empfohlen wird. Wir Sozialdemokraten haben die Hoffnung, daß diese Einstimmigkeit, die im Rechtsausschuß herrschte, auch hier im Plenum des Deutschen Bundestags nachher bei der Abstimmung zum Ausdruck kommt.
Mit unserem Antrag wird die Bundesregierung aufgefordert, diesem Hohen Hause einen Gesetzentwurf zur Anpassung der Entschädigung für Zeugen, Sachverständige und ehrenamtliche Richter vorzulegen. Die Entschädigungssätze für Zeugen und Sachverständige sowie für ehrenamtliche Richter wurden zuletzt durch Gesetz vom 22. November 1976 angehoben. Seitdem sind beispielsweise die Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik um über 35 % angestiegen.
Die Bundesregierung vertrat bereits 1983 die Auffassung, daß sich der bisherige Entschädigungsrahmen für hauptamtliche Sachverständige als nicht zeitgemäß erwiesen habe. Dennoch sah sich die Bundesregierung nicht in der Lage, einen Gesetzentwurf zur Erhöhung der Entschädigungssätze vorzulegen, und zwar in erster Linie deshalb, weil es offensichtlich Widerstände aus den Reihen des Bundesrats gab.
Inzwischen sind weitere zwei Jahre ins Land gegangen, ohne daß sich an dieser Situation etwas geändert hat. Deshalb haben wir unseren Antrag vorgelegt. Ich glaube, seine Richtigkeit wird ernsthaft von niemandem in diesem Hause bestritten.
Unsere Gerichte benötigen zur Rechtsfindung in vielen Fällen Sachverständige, um Sachverhalte oder Tatumstände aufzuklären. Ich denke dabei insbesondere an Bauprozesse, die in aller Regel ohne die Einschaltung eines Gutachters kaum zu führen sind. Ich denke weiter an die unzähligen gerichtlichen Verfahren über Verkehrsunfälle, in denen die Aufklärung des genauen Unfallablaufs ohne die Einschaltung von Gutachtern so gut wie unmöglich ist. In Strafprozessen werden medizinische Gutachten benötigt, um beispielsweise den genauen Todeszeitpunkt eines Opfers zu ermitteln oder um die Schuldfähigkeit eines Täters zu beurteilen.
Die öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen sind für die Rechtsprechung unentbehrlich geworden. Von der Qualität ihrer Gutachten hängt oft die Entscheidung der Gerichte und damit auch das Schicksal der Betroffenen, der Kläger und Beklagten, der Täter und der Opfer, ab.
Wenn sich aber wegen der unzureichenden Vergütung immer weniger Sachverständige bereiterklären, die Aufgaben eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen wahrzunehmen, muß dies zwangsläufig Auswirkungen auf die Qualität der Gutachten und der Gutachter haben. Schlechte Gutachter können Fehlurteile herbeiführen, die dazu führen, daß in nächsthöheren Instanzen Gegengutachten und Obergutachten bestellt werden müssen, die einen Prozeß erheblich verteuern können. Qualifizierte Sachverständige lassen sich aber nur dann finden, wenn sie für ihre verantwortungsvolle Tätigkeit auch angemessen vergütet werden.
Bei einer Kosten-Nutzen-Analyse muß also berücksichtigt werden, daß qualifizierte Sachverständige Fehlurteile und teure Prozesse durch die Instanzen vermeiden helfen. Die Argumentation, die Erhöhung der Entschädigungssätze belaste einseitig die öffentlichen Haushalte, trifft also nicht zu, da die Entlastungseffekte nicht berücksichtigt werden.
Es ist auch eine Frage des Selbstverständnisses unseres Rechtsstaats, ob wir es zulassen wollen,
daß in Prozessen die Urteilsfindung von einer unzureichenden Tatsachenaufklärung beeinflußt wird, die auf nicht optimal qualifizierte Sachverständigengutachten zurückzuführen ist. Es darf nicht dazu kommen, daß diejenigen, die über die nötigen Mittel verfügen, sich erstklassige Privatgutachter leisten können, während andere Prozeßbeteiligte womöglich nur auf schlechtere Gutachter angewiesen sind, die den Gerichten zur Verfügung stehen.
Die Bundesregierung hat sich zu Recht in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage der Koalitionsfraktionen zur „Lage der freien Berufe" dafür ausgesprochen, die Gebührenordnung der freien Berufe periodisch zu überprüfen und sie gegebenenfalls an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen. Dieser Zeitpunkt ist jetzt für die Entschädigung der Sachverständigen, wie wir meinen, überfällig.
Auch die Entschädigungen für Zeugen und ehrenamtliche Richter dürfen von einer Anpassung nicht ausgenommen werden. Ihre Entschädigungssätze, mit denen nur ihr Verdienstausfall ausgeglichen werden soll, wurden ebenfalls seit 1976 nicht angehoben.
Zeugen haben eine notwendige Funktion im gerichtlichen Verfahren. Sie tragen zur Aufklärung und Wahrheitsfindung bei. Sie dürfen dafür nicht durch eine völlig überholte und unzureichende Entschädigungsregelung bestraft werden.
Gleiches gilt für die ehrenamtlichen Richter, die in dieser Funktion unserem Rechtsstaat einen wichtigen Dienst erweisen, der nicht hoch genug einzuschätzen ist. Sie nehmen berufliche Nachteile und oft auch finanzielle Einbußen in Kauf, wenn sie der Berufung zum ehrenamtlichen Richter folgen. Deshalb müssen uns auch Nachrichten mit Sorge erfüllen, daß sich manche Schöffen und Geschworene inzwischen weigern, in Prozessen mitzuwirken, die voraussichtlich längere Zeit dauern, weil sie als Freiberufler um ihre wirtschaftliche Existenz bangen - so geschehen in den letzten Tagen -.
Ich möchte diese Gelegenheit daher auch nutzen, unseren ehrenamtlichen Richtern - Frauen wie Männern -, die an den Gerichten in den verschiedensten Funktionen dem Recht dienen, Dank zu sagen
({0})
für ihre verantwortungsvolle und oft nicht leichte, vor allen Dingen oft undankbare Tätigkeit.
Unser Rechtsstaat darf uns nicht nur lieb, er muß uns manchmal auch teuer sein, anders ausgedrückt: Für die Gewährleistung eines fairen, an den Prinzipien unseres Rechtsstaates ausgerichteten gerichtlichen Verfahrens sollte uns nichts zu teuer sein.
Ich weiß, daß diese Gedanken möglicherweise unpopulär sind, wird doch gerade jetzt über die Novellierung verschiedener Verfahrensvorschriften, z. B. der Zivilprozeßordnung oder der Strafprozeßordnung, versucht, gerichtliche Verfahrensabläufe zu straffen, um gleichzeitig Kosten zu mindern. Ein kurzer Prozeß ist aber nicht immer ein guter Prozeß.
({1})
- Ich habe gesagt „nicht immer"! Herr Kollege, zuhören! Und ein billiger Prozeß kann sich negativ auf die Qualität unserer Rechtsprechung auswirken.
Gerade dies zu verhindern, ist unsere Aufgabe. Ich glaube, daß wir mit unserem Antrag dazu einen Beitrag geleistet haben. Wir erwarten, daß die Bundesregierung unserer Aufforderung schnell folgt und wir - hoffentlich ebenso einmütig, wie dies im Rechtsausschuß geschah - demnächst ein entsprechendes Gesetz zur Erhöhung der genannten Entschädigungssätze verabschieden können.
Recht herzlichen Dank für Ihre Geduld. ({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Buschbom.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es handelt sich um eine einstimmige Empfehlung des Rechtsausschusses, der zuzustimmen ich Sie im Namen meiner Fraktion bitte.
Der Sachverhalt und die Intention sind vom Kollegen Lambinus richtig und ausführlich dargelegt worden. Ich möchte mich auf ein paar kurze Bemerkungen beschränken.
Die mit der Bitte befaßten Behörden und Beamten weise ich darauf hin, daß bei der Entschädigung der Zeugen in § 2 bisher eine für mich unbegreifliche Schlechterstellung der Hausfrauenarbeit erkennbar ist. Ich bitte, sich dieses Problems anzunehmen und für Abhilfe zu sorgen.
({0})
Ich weise ferner darauf hin, daß wir, der Deutsche Bundestag, in dieser Legislaturperiode am 8. März ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Kosten der Gerichtsvollzieher verabschiedet haben, in dem wir die Gerichtsvollzieherkosten erhöht haben. Zweck dieses Gesetzes war es, den durch die steigenden Lebenshaltungskosten erhöhten Alimentierungsaufwand für den Gerichtsvollzieher vom Steuerzahler auf den unmittelbar betroffenen Bürger abzuwälzen. Der Argumentation, daß bei den Gerichtsvollziehern nicht der Steuerzahler, sondern der betroffene Bürger die steigenden Lebenshaltungskosten tragen solle, entspricht die Forderung der Sachverständigen, ihre erhöhten Kosten sollten nicht sie, sondern ebenfalls der betroffene Bürger durch eine Erhöhung der von ihm zu erstattenden Entschädigungssätze tragen. Diese Argumentation, die unmittelbar nach dem Erlaß des Gesetzes eingesetzt hat, ist in sich logisch und nicht widerlegbar.
Für die Entschädigung der ehrenamtlich tätigen Richter gilt das nicht, weil diese Entschädigung
nicht auf den vom aktuellen Rechtsstreit betroffenen Bürger abgewälzt wird. Dennoch wird dem geforderten Steuerzahler - gleich Fiskus - vorgehalten werden können, daß er sich bei den Gerichtsvollziehern den süßen Apfel geholt habe und daher bei den ehrenamtlichen Richtern auch einmal in den sauren beißen müsse. - So weit meine Anmerkungen.
Wie gesagt, ich empfehle im Namen der CDU/ CSU-Fraktion die Annahme.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert. - Er ist offensichtlich nicht im Saal. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
({0})
- Entschuldigung, der Minister hat sich noch gemeldet. Dann gebe ich dem Bundesminister der Justiz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, über die wir heute sprechen, zielt in die richtige Richtung; denn die ehrenamtlichen Richter, die Zeugen und die Sachverständigen leisten einen wichtigen Beitrag für die Rechtspflege in unserem demokratischen Staat. Und für diese Mitwirkung - ich glaube, da sind sich alle einig - sollte man ihnen grundsätzlich eine angemessene Entschädigung gewähren. Vor allen Dingen darf im Interesse der Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege gerade auch den Sachverständigen eine solche Mitwirkung nicht ständig zum finanziellen Nachteil gereichen. Da die Entschädigungssätze seit 1977, wie bereits erwähnt wurde, nicht mehr erhöht worden sind, besteht insbesondere bei den Sachverständigen ein ganz erheblicher Nachholbedarf.
({0})
Ich stelle die Sachverständigen aus einem bestimmten Grunde besonders heraus. Zwar sehe ich das Problem auch bei den ehrenamtlichen Richtern und bei den Zeugen. Man wird aber darauf hinweisen müssen, daß ein Zeuge in dieser Eigenschaft in spezieller Weise einer staatsbürgerlichen Pflicht nachzukommen hat. Wer aber wie die Sachverständigen eine erheblichen Teil seiner beruflichen Tätigkeit den Gutachten für Gerichte widmet, der ist in einer anderen Lage. Es ist sein Einkommen, von dem er sich und seine Familie zu ernähren hat.
({1})
Den Sachverständigen darf nicht länger zugemutete werden, die Justiz - etwas überspitzt formuliert - durch finanzielle Sonderopfer in beachtlichem Umfange zu subventionieren.
Deswegen bemühen sich die Justizminister und -senatoren des Bundes und der Länder seit längerer Zeit gemeinsam und völlig in Übereinstimmung, hier eine Verbesserung durchzusetzen. Noch im Dezember des vorigen Jahres habe ich hierüber mit meinen Kollegen aus den Ländern auf einer gemeinsamen Zusammenkunft ausführlich gesprochen. Wir waren uns einig, wir sind uns einig, daß dieses Vorhaben mit größtmöglicher Beschleunigung zu betreiben ist.
Allerdings - ich will dies nicht unerwähnt lassen - wäre mit einer Erhöhung der Sätze eine nicht unbeträchtliche Belastung der öffentlichen Haushalte verbunden. Eine Erhöhung der Entschädigung für ehrenamtliche Richter muß voll aus den öffentlichen Mitteln getragen werden, eine Erhöhung der Entschädigung für Zeugen und Sachverständige zu einem großen Teil. Die aus der Staatskasse an Zeugen und Sachverständige gezahlten Beträge fließen nur etwa zur Hälfte zurück, und z. B. dann nicht, wenn der Kostenschuldner vermögenslos ist, und ebensowenig in den Fällen, in denen Prozeßkostenhilfe gewährt worden ist.
Unter Berücksichtigung dieser Sachlage würde eine Erhöhung der Entschädigungssätze entsprechend der Entwicklung der Lebenshaltungskosten in den beiden Gesetzen nach einer groben Schätzung zu einer Mehrbelastung in einer Größenordnung von etwa 100 Millionen DM führen. Auf die Erhöhung der Sachverständigenentschädigung würden etwa drei Viertel dieses Betrages entfallen.
Dies nicht zur Entschuldigung. Nein, diese Zahlen sollten angeführt werden, damit wir uns über die Größenordnung und auch über die Widerstände klar werden; denn - wie bereits erwähnt - wir haben uns seit langem bemüht, bei den Finanzministern die notwendigen Mittel locker zu machen. Diese sind aber hier sehr hartleibig.
Ich weiß, daß der Verhandlungsdruck groß ist. Wir müssen uns auch davor hüten, schließlich in eine Lage zu geraten, in der die Dinge beginnen, verfassungsrechtlich relevant zu werden. Ich hoffe, mich deutlich genug ausgedrückt zu haben. Wir werden auch im weiteren Verlauf den Finanzministern sagen müssen, daß diese Situation nicht eintreten darf. Nein, ich bin auch umgekehrt der Meinung, daß dies natürlich der äußerste Zeitpunkt ist. So weit sollte man es nicht kommen lassen. Unsere Fürsorgepflicht für den beteiligten Personenkreis zwingt uns, etwas zu unternehmen.
Was tut man in dieser Situation? Wir haben nicht resigniert. Nein, wir haben uns jetzt einmal um eine Lösung bemüht, die parallel mehrere kostenrechtliche Fragen zu bündeln sucht, die etwa auch eine mögliche Erhöhung bestimmter Gerichtskosten in die Betrachtung mit einbezieht. Wir locken die Finanzminister mit einem Zuckerchen aus der Reserve, wie Sie sehen. Ich hoffe sehr, daß wir zu einem Ergebnis kommen. Mir ist klar, daß eine weitere Verzögerung nicht eintreten darf. Ich bitte Sie alle - dazu ist dieser Beschluß ganz sicherlich nützlich und gut -, uns bei unseren Bemühungen im finanziellen Bereich zur Durchsetzung des Ziels behilflich zu sein, das zu erreichen wir alle uns wünschen.
({2})
Ich gebe nunmehr dem Abgeordneten Kleinert das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bin natürlich nicht darauf gekommen, daß sich die GRÜNEN ausgerechnet bei einer Frage, in der es ausdrücklich um Sachverstand geht, überhaupt nicht zu Wort melden würden, und glaubte vorhin, noch eine Minute den Saal verlassen zu können.
({0})
Aber Sie haben sich beim Thema Sachverstand eben nicht gemeldet.
({1})
Ich will es ganz kurz machen. Herr Kollege Lambinus, Herr Kollege Buschbom haben beide dargelegt, was zu sagen ist. Allerdings, Herr Lambinus, muß ich Sie darauf hinweisen, daß Sie je nachdem, wie langfristig die Abstände für gewisse Entscheidungswiederholungen sind, in einigen Fällen aus der früheren Zeit noch mit im Obligo sind. Das gilt bei der enormen Zeit, die seit der mehrfach erwähnten letzten Erhöhung der Gebühren vergangen ist, mit Sicherheit.
Ich meine mich auch zu erinnern, daß wir im Rechtsausschuß 1977 schließlich Ihren Vorstellungen gefolgt sind, die Hausfrauen und die Polizeibeamten zunächst einmal vorzuziehen und das wie immer zu kurze Deckchen, das uns die Finanzminister für den Gesamtbedarf zur Verfügung stellen wollen, deshalb nicht mit über die Sachverständigen ausbreiten konnten. Das wäre wohl auch nicht gegangen. Aber das, was wir damals versäumt haben, müßte nun wirklich nachgeholt werden.
Ich möchte noch ein Argument in aller Offenheit, so unhöflich das klingen mag, hinzufügen: Es kann natürlich nicht gut sein, daß Sachverständige, die als „Vereidigte" auf ihrem schönen runden Stempel ausgewiesen werden und ganz wesentlich zur Wahrheitsfindung in den Prozessen beitragen sollen, hergehen und durch die immer prekärer werdende Situation, eine einigermaßen angemessene Vergütung für ihre Tätigkeit zu erlangen, in die Versuchung geführt werden - mehr sage ich ja gar nicht -, bei ihren Abrechnungen vielleicht doch ein wenig den Zeitbedarf, der da ausgewiesen wird, zu überschätzen oder auf andere Weise dem Endergebnis etwas nachzuhelfen. Das steht in einem solchen Mißverhältnis zu der Aufgabe, in der sich gerade diese Sachverständigen in unseren Prozessen befinden, daß man derartige Versuchungen möglichst ausräumen, mindestens aber sehr klein halten sollte. Dem dient ja der hier einstimmig vorgelegte Antrag auch.
Ich meine auch, man sollte einmal ausnahmsweise - der Bundesjustizminister hat ebenfalls schon in der Richtung eine Andeutung gemacht - ruhig über ein taktisches Moment reden. Die hier anwesenden Abgeordneten wissen aus eigener schmerzlicher Erfahrung, daß es taktisch ganz falsch ist, wenn man ein Anliegen, das an sich berechtigt wäre, von Jahr zu Jahr aufschiebt, weil man sagt: Dieses ist gerade das Jahr, wo wir es noch nicht wagen können, mit dem Bestreben nach einer Diätenerhöhung vor die Öffentlichkeit zu treten, aber im nächsten Jahr werden wir uns vielleicht trauen. Wenn man sich dann die Sache nach sieben Jahren besieht, dann stellt man fest, daß ein aufgeschobener Bedarf vorhanden ist, der sich überhaupt nicht mehr abbauen läßt, ohne daß dabei eine allgemeine Empörung ausbricht.
Deshalb rate ich dazu, auch in den Fragen, mit denen wir heute zu tun haben, lieber öfter einmal etwas weniger in ganz regelmäßigen Abständen hinzuzufügen, als Rückstände aufsummen zu lassen, deren Beseitigung dann erfahrungsgemäß sehr schwer ist.
Ich habe mich gefreut über den Hinweis von Herrn Lambinus, daß man auch hier einmal eine Kosten-Nutzen-Rechnung vernünftigerweise anstellen kann. Wenn geeignete Sachverständige pünktlich und rechtzeitig mit ihrem Gutachten zur Stelle sind, weil ein genügendes Angebot an geeigneten Personen existiert, dann wird das die Prozesse beschleunigen, und dann kann sehr gut unter dem Strich ein Nutzen dabei herauskommen, der sich auch in den Haushaltsmitteln, die für die Rechtsprechung benötigt werden, niederschlägt. Man darf also gar nicht davon ausgehen, wir würden hier nur die Finanzminister um eine Gefälligkeit bitten. Bei vernünftiger Betrachtung kann sich das sogar sehr wohl rechnen. - Auf einen anderen Punkt in diesem Zusammenhang habe ich vorhin schon hingewiesen.
Bei diesen Bemerkungen möchte ich es dann auch belassen in der Hoffnung, daß unsere gemeinsamen Bemühungen auch zu dem für unsere Prozesse dringend nötigen Erfolg führen.
({2})
Nachdem nun keine Wortmeldungen mehr vorliegen, kann ich die Aussprache schließen.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses auf Drucksache 10/2958 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Danke schön. Wer ist dagegen? - Dann kann ich feststellen, daß der Beschlußempfehlung einstimmig zugestimmt worden ist.
Meine Damen und Herren, ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:
Beratung des Bericht des Rechtsausschusses ({0}) gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung
zu dem von den Abgeordneten Schmidt ({1}), Bachmaier, Dr. Emmerlich, Fischer ({2}), Klein ({3}), Dr. Kübler, Lambinus, Frau Renger, Schröder ({4}), Dr. Schöfberger, Dr. Schwenk ({5}), Stiegler, Dr. de With, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Einundzwanzigsten Strafrechtsänderungsgesetzes ({6})
- Drucksache 10/891 9316
Vizepräsident Cronenberg
Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist dies so beschlossen.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann kann ich die Aussprache eröffnen. Bevor ich dieses tue, weise ich zu dem Ihnen vorliegenden Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der SPD darauf hin, daß die Ziffer 2 von den Antragstellern zurückgezogen worden ist.
Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Schmidt ({7}) von der Fraktion der SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Debatte anläßlich eines Berichts über den Stand von Ausschußberatungen, die länger als zehn Wochen gedauert haben, hat es in diesem Hause so selten gegeben, daß man derartige Fälle an den fünf Fingern abzählen kann. Der Kommentar zur Geschäftsordnung führt alle diese Fälle auf. Die SPD-Fraktion sah sich jedoch dazu gezwungen, von diesem Recht, das in erster Linie ein Recht der Minderheit ist, deswegen Gebrauch zu machen, weil das Einundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz vor beinahe zwei Jahren eingebracht worden ist, seit einem Jahr die erste Lesung hinter sich hat, aber immer noch nicht mit einem Ausschußvotum versehen ist. Das liegt natürlich keinesfalls am Umfang dieses Gesetzes; denn es enthält nur ganz wenige Paragraphen und soll drei Dinge im besonderen regeln.
Erstens: Es soll die Einfuhr neonazistischen Propagandamaterials aus dem Ausland strafrechtlich erfassen. Zweitens: Es soll die Möglichkeit schaffen, neonazistisches Material nach der kurzen presserechtlichen Verjährung von drei Monaten noch über diese Frist hinaus zu beschlagnahmen. Nach dem bisherigen Recht kommt es nämlich vor, daß solche Dinge nach drei Monaten sogar wieder zurückgegeben werden müssen, was in diesem Hause sicherlich niemand will. Drittens: Es sollen das Belohnen, Billigen, Leugnen und Verharmlosen des Völkermordes - gemeinhin jetzt als „Auschwitz-Lüge" bekannt -, das bisher auf Antrag jüdischer Mitbürger über den Umweg einer Beleidigungsklage bestraft werden konnte, zu einem von Amts wegen zu verfolgenden Delikt gemacht werden.
Selten schien für ein Gesetz eine so breite Zustimmung vorhanden zu sein. Eingebracht wurde es unter der Minderheitsregierung Helmut Schmidt. Es wurde dann von Justizminister Engelhard und der Regierung, die nach der „Wende" zustande kam, übernommen. Die SPD-Fraktion hat einen beinahe gleichlautenden Antrag eingebracht, so daß man eigentlich davon ausgehen konnte, daß in diesem Hause zu diesem Gesetz ein breiter Konsens vorhanden wäre. Ich sage ausdrücklich: auf diesen breiten Konsens waren wir immer aus.
Ich habe es nachdrücklich begrüßt, daß der Deutsche Bundestag mit überwältigender Mehrheit oder sogar einstimmig festgestellt hat, daß die Urteile des Volksgerichtshofs null und nichtig seien, weil er den Volksgerichtshof nicht für ein Gericht hält. Ich hätte mir gewünscht, daß wir in diesem Fall ebenfalls zu einer Übereinstimmung gekommen wären; denn die juristische Wirkung tritt hinter der politischen Wirkung zurück.
({0})
Das Gesetz hat eine juristische, aber auch eine ungeheuer große politische Wirkung.
Aber warum ist dieses Gesetz, das einen so breiten Konsens zu finden schien, jetzt nicht mit einer breiten Zustimmung verabschiedet worden? Seit einem Jahr wurden wir hingehalten, es wurde vertagt, es wurde anberaten, und schließlich wurde bei der letzten Sitzung des Rechtsausschusses angedeutet, daß man das Gestz völlig fallenlassen wolle.
Der Grund für dieses Verhalten liegt eindeutig darin, daß in den Reihen der CDU/CSU von Anfang an ein enormer Widerstand vorhanden war. Die Gegner wollten zwar nicht von Anfang an sagen, daß sie das Gesetz generell ablehnen. Wenn sie dies getan hätten, wäre es mutig gewesen und hätte, mit der richtigen Begründung versehen, auch unseren Respekt verdient; aber man hat den Eindruck erweckt, daß man das Gesetz haben will, hat in der Öffentlichkeit im In- und Ausland den Eindruck erweckt, daß man dieses Gesetz verabschieden will, und dann hat man uns in der praktischen Beratung dauernd hingehalten - so lange, bis uns der Kragen geplatzt ist.
({1})
Das ist nicht nur nach den Ausschußberatungen passiert. Das Gesetz wurde von Bundeskanzler Helmut Kohl eingebracht,
({2})
dem Bundesrat zugeleitet und war dann endlos verschwunden. Nur dadurch, daß wir unseren Gesetzentwurf auf die Tagesordnung setzen ließen, tauchte es plötzlich wieder auf.
Jetzt schien es schon so zu sein, als ob Sie das nach einem bekannten Vorbild aussitzen wollten. Nachdem wir nun zu diesem Mittel gegriffen haben, setzt plötzlich unter den Koalitionsfraktionen eine furchtbare Hektik ein. Es wird uns heute eine Absichtserklärung präsentiert, zu der ich inhaltlich im einzelnen noch nicht Stellung nehmen will, weil ich meine, daß auch das, was Sie jetzt vorlegen, einen Anspruch darauf hat, von uns ernsthaft geprüft zu werden.
Ich möchte Ihnen aber eines sagen: Nachdem Sie uns in dieser Frage so lange immer wieder getäuscht haben, gesagt haben, in der nächsten Woche könne die Beratung abgeschlossen werden, haben wir einen Entschließungsantrag eingebracht, bei dem wir wollen, daß dieses Plenum - wozu es berechtigt ist - dem Rechtsausschuß ein endgültiges Datum setzt. Das allerletzte Datum, das wir akzeptieren könnten, wäre aus unserer Sicht der 8. Mai. In diesem Antrag steht der 18. April. Wir sind disponibel bis hin zum 8. Mai und bitten Sie, wenn Sie jetzt die Absicht haben, das Gesetz auch
Schmidt ({3})
zu verabschieden, daß Sie diesem Antrag zustimmen.
Herr Präsident, der zweite Teil wendet sich dagegen, daß Auschwitz mit anderen Verbrechen verknüpft wird. Wenn wir diesen Teil zurückziehen, dann keineswegs deshalb, weil wir hier unsere inhaltliche Position aufgeben, sondern nur aus einem einzigen Grund: Es ist verfahrensrechtlich umstritten, ob dieser Antrag zulässig ist. Wir wollen aber auf keinen Fall, daß die heutige Debatte von einer Verfahrensdebatte erschlagen wird, sondern wir wollen eine inhaltliche Debatte.
({4})
Für den weiteren Verlauf der Beratungen bleiben wir bei unserer politisch-inhaltlichen Linie. Das Thema ist viel zu sensibel, als daß es Opfer von Parteiengezänk werden sollte. Wir sind deshalb weiterhin daran interessiert, daß es zu einer Lösung kommt, die von einer möglichst breiten Mehrheit in diesem Hause getragen wird.
Ihren jetzt bekanntgewordenen Vorschlag - der allerdings noch keine Formulierung enthält, über die man beraten könnte -, das Antragserfordernis bei Beleidigungen fallenzulassen, wenn die Beleidigung im Zusammenhang mit dem Leugnen nationalsozialistischen Völkermordes oder eines anderen Verbrechens steht, werden wir sorgfältig prüfen. Wir werden uns dabei aber von folgenden Grundsätzen leiten lassen:
Erstens. Es muß Schluß sein mit der straffreien Verunglimpfung unserer jüdischen Mitbürger, die darin besteht, daß der gezielte Massenmord der Nazis an den Juden geleugnet wird.
({5})
Die Verfolgung solcher Verbrechen und solcher Straftaten muß von Amts wegen erfolgen. Unsere jüdischen Mitbürger müssen vor der Zumutung bewahrt werden, sich als Antragsteller in Beleidigungsprozessen auch noch anhören zu müssen, daß ihre Leiden frei erfunden seien, daß nicht die Nazis für die Verbrechen von Auschwitz und Treblinka verantwortlich seien, sondern beispielsweise die Alliierten, die die Zugangswege bombardiert hätten, wodurch Seuchen ausgebrochen seien, die Leute gestorben und dann verbrannt worden seien. So steht es in einer gedruckten Schrift, die mir erst vor wenigen Tagen - natürlich, wie häufig von diesen Leuten, anonym - zugesandt wurde.
Ich glaube, wir sollten in diesem Hause einig sein: Dagegen vorzugehen ist nicht Aufgabe unserer jüdischen Mitbürger, sondern es ist Aufgabe von uns allen, uns dagegen zur Wehr zu setzen.
({6})
Der Staat muß sich hier vor unsere Mitbürger stellen, und das muß von Amts wegen erfolgen.
Zweitens. Die historische Einmaligkeit des nationalsozialistischen Völkermordes darf nicht in Frage gestellt werden. Deshalb lehnen wir jeden Versuch ab, andere Verbrechen strafrechtlich auf eine Ebene mit dem nationalsozialistischen Völkermord zu stellen. Dies würde der besonderen moralischen Qualität dieses Völkermordes nicht gerecht. Der Deutsche Richterbund hat dazu ausgeführt, es würde eine widerliche Aufrechnungsmentalität begünstigen. Hier beginnen, das sei eingeräumt, unsere Zweifel an Ihrem neuen Vorschlag.
Ich möchte hier noch etwas hinzusetzen. Es ist in erster Linie unsere Aufgabe, uns mit unserer eigenen Geschichte zu beschäftigen. Da haben wir weiß Gott genug zu tun. Niemand in diesem Lande leugnet, daß Verbrechen in einem schrecklichen Ausmaß von anderen an Deutschen und an anderen begangen wurden, aber der Bedarf, dagegen mit dem Strafrecht vorzugehen, ist deshalb so gering, weil kaum jemand bekannt ist, der so etwas leugnet. Wenn da ein Bedarf bestünde, könnte sich unsere Meinung ändern, aber dieser Bedarf zeichnet sich nicht ab.
Dritter Punkt. Die Gerichte dürfen nicht überfordert werden. Die Strafrechtsnorm darf nicht unpraktikabel werden. Die Gerichte können nicht vor unlösbare Beweisprobleme gestellt werden. Diese Gefahr besteht nicht beim nationalsozialistischen Völkermord. Da gibt es oberste Rechtsprechung, die sagt, daß dies eine historische Tatsache ist, die keines Beweises bedarf, und daß sich einer, der dies leugnet, auch nicht auf die Meinungsfreiheit des Grundgesetzes berufen kann.
Wenn aber über alle möglichen Verbrechen überall in der Welt ein Strafverfahren durchgeführt werden soll, falls jemand diese leugnet oder jemand in diesem Zusammenhang jemanden beleidigt, dann müßte ein Richter möglicherweise über Verbrechen, die in Kambodscha, die in Südamerika oder sonstwo auf der Welt geschehen, Beweisaufnahmen durchführen. Dies, glaube ich, wäre absolut unpraktikabel, und das darf die Intention dieses Gesetzes nicht verwischen. Wir können die Gerichte nicht vor solche Beweisschwierigkeiten stellen.
Für die SPD-Fraktion wiederhole ich, daß wir - wir haben noch keinen Text, nur Ihre Absichtserklärung - alles, was daraus folgt, sehr intensiv, sehr sorgfältig und mit großer Bereitschaft, zu einer übereinstimmenden Meinung zu kommen, prüfen werden. Wir bitten Sie aber auch - das Wort „Gegenleistung" wäre hier fehl am Platze -, einer Selbstbeschränkung, die wir uns dadurch auferlegen, daß wir das Ganze zeitlich limitieren, zuzustimmen. Wie gesagt, wir bestehen nicht auf dem in diesem Antrag genannten 18. April dieses Jahres, aber wir stellen uns vor, daß das allerletzte Datum der 8. Mai dieses Jahres sein könnte.
({7})
Wir bitten Sie, unserem Antrag zuzustimmen. Angesichts der Verunsicherungen, die es hier gegeben hat
({8})
- bis heute abend, sehr richtig, Kollege Jahn -, halten wir es für richtig, zu dem ersten Teil unseres Antrags, der nur noch zur Debatte steht, eine namentliche Abstimmung durchzuführen, die ich hiermit für meine Fraktion beantrage.
Schmidt ({9}) Herzlichen Dank.
({10})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Miltner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Grund, weshalb wir heute diese Debatte führen, liegt ganz einfach in der Tatsache, daß es erhebliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf der SPD, aber auch gegen den der Bundesregierung gibt. Diese Bedenken haben sich in meiner Fraktion im Laufe der Beratungen verstärkt. Es ist auch nicht verwunderlich; denn es handelt sich hier, wie Herr Schmidt mit Recht gesagt hat, um eine sensible und nicht ganz einfache Materie.
Für uns stellen sich eine Reihe von Fragen: erstens, ob angesichts der Rechtsprechung der Strafgerichte, die schon jetzt das Leugnen der Judenvernichtung im Dritten Reich als Beleidigung oder als Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener werten, überhaupt ein Regelungsbedarf besteht, zweitens, ob die vorgeschlagene Regelung sinnvoll ist, d. h. ob sie die extremistische Propaganda verhindern oder eindämmen kann, und drittens, ob eine Regelung, die das Leugnen oder das Verharmlosen der historisch feststehenden Judenvernichtung unter dem Nationalsozialismus in einer eigens dafür geschaffenen Vorschrift unter Strafe stellt, verfassungsrechtlich und verfassungspolitisch tragbar ist.
Meine Damen und Herren, wir lassen uns bei unseren Überlegungen davon leiten, daß die Judenvernichtung im Dritten Reich ein in der Geschichte unvergleichbarer Vorgang ist, dessen Folgen heute noch Wirklichkeit sind. Es ist und bleibt eine staatspolitische Aufgabe aller Demokraten, allen Versuchen zur Leugnung oder Verharmlosung von NS-Verbrechen und damit zur Wiederbelebung des Rassismus entgegenzutreten.
({0})
Dies muß aber in erster Linie im Wege der geistigen und politischen Auseinandersetzung erfolgen.
Wir sind der Auffassung, daß es nicht Sinn des Strafrechts sein kann und Strafe auch nicht das Mittel sein kann, das Leugnen oder Verharmlosen eines objektiv unbestreitbaren historischen Faktums zu ahnden. Geschichtsfälschungen zu korrigieren kann nicht die Aufgabe des Strafrichters sein. Es ist die Aufgabe der Politik, der Geschichtswissenschaft, der Unterrichtung und Aufklärung in den Schulen, es ist praktisch die Aufgabe aller Verantwortlichen in Staat und Gesellschaft, die historische Wahrheit festzuhalten. So hat auch das Institut für Zeitgeschichte in München zu Recht den Sinn und den Wert einer solchen Vorschrift bezweifelt, wenn es auf den fatalen Eindruck hinweist, als gäbe es eine staatliche judikative Kompetenz auf dem Gebiet der historischen Tatsachenfeststellung.
Die Frankfurter Allgemeine fragt in ihrer Ausgabe vom 23. März 1984 - ich zitiere -:
Gibt es in der zivilisierten Welt auch nur ein einziges Beispiel für den Straftatbestand der Leugnung eines historischen Faktums? Wie begreift sich eigentlich ein Staat in seinen Aufgaben, wenn darin Überlegungen möglich sind, den Unfug eines bösartigen historischen Bildungsmangels mit Strafe zu bedrohen.
Niemand kann daran gelegen sein, auch nur den Anschein eines Gesinnungsstrafrechts zu erwekken, und niemand wird zulassen wollen, daß politische Extremisten ein Forum ihrer abstrusen Propaganda noch geliefert bekommen.
Der Kampf gegen die hier zur Debatte stehende offensichtliche Geschichtsfälschung ist in erster Linie also eine geistige, aber auch eine moralische Aufgabe. Die nationalsozialistischen Verbrechen am jüdischen Volk sind ja tausendfach belegt. Kein Vernünftiger kann sie leugnen, und niemand hat auch das moralische Recht dazu.
Darüber hinaus haben wir natürlich auch eine Reihe von technischen Bedenken, die ich Ihnen kurz aufzählen möchte. Es fehlt eine für die Gerichte praktikable Definition des Tatbestandes, es fehlt eine praktikable Abgrenzung von nicht strafwürdigem Verhalten, z. B. bei Stammtischgesprächen.
({1})
Es ergeben sich verfassungsrechtliche Probleme im Hinblick auf Art. 5 des Grundgesetzes, wie weit der Schutz der freien Meinungsäußerung auch bei offensichtlich unsinniger oder falscher Meinung überhaupt gilt.
({2})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schmidt?
Nein, ich möchte jetzt bei diesem Duktus bleiben.
({0})
Diese Mängel im Straftatbestand können zu ungerechtfertigten Freisprüchen oder auch zu kaum verständlich niedrigen Geldstrafen führen, was wiederum Empörung hervorrufen könnte oder auch Schaden für das Rechtsbewußtsein bringt.
Meine Damen und Herren, wenn wir einen gesonderten Straftatbestand für das Leugnen oder Verharmlosen der Judenvernichtung im Dritten Reich aus diesen Gründen nicht wollen, dann wissen wir - dies scheint mir in der Öffentlichkeit nicht hinreichend bekannt zu sein -, daß unsere Strafgerichte seit einer BGH-Entscheidung aus dem Jahre 1979 im Leugnen der nationalsozialistischen Judenvernichtung auch eine Beleidigung sehen. Der Bundesgerichtshof hat klargestellt, daß Menschen jüdischer Abstammung auf Grund ihres Persönlichkeitsrechts in der Bundesrepublik Deuschland Anspruch auf Anerkennung des Verfolgungsschicksals der Juden unter dem Nationalsozialismus haben, so
daß die Leugnung der Judenmorde im Dritten Reich jeden von ihnen beleidigt. Durch das bereits geltende Strafrecht ist also der Persönlichkeitsschutz der jüdischen Mitbürger bereits gewährleistet. Darüber hinaus ist im Strafgesetzbuch, wie Sie wissen, die Verharmlosung von Gewalt, die Aufstachelung zum Rassenhaß, die Billigung von schweren Gewalttaten unter Strafe gestellt.
Die CDU/CSU kam daher zu der Überzeugung, daß die vorliegenden Gesetzentwürfe so nicht verabschiedet werden können. Wir werden also einer Regelung, die das Leugnen oder Verharmlosen der Judenvernichtung im Dritten Reich in einer eigens dafür vorgesehenen Vorschrift unter Strafe stellt, insoweit nicht zustimmen können.
In den Fällen des Persönlichkeitsschutzes unserer jüdischen Mitbürger ist allerdings die Strafverfolgung nur möglich, wenn ein Überlebender, Betroffener oder Angehöriger des Getöteten einen Strafantrag gestellt hat. Erst jüngst hat es beim Oberlandesgericht in Celle ein Urteil gegeben, wo ein unwirksamer Strafantrag vorlag. Es gibt also in der Tat Fälle, in denen es den Überlebenden oder den Angehörigen nicht zugemutet werden kann und auch nicht zugemutet werden sollte, von sich aus die Initiative gegen einen Unverbesserlichen ergreifen zu müssen.
Die Koalition hat sich deshalb darauf geeinigt, künftig die Strafverfolgung von Amts wegen in den Fällen zuzulassen, in denen der Verstorbene sein Leben als Opfer der nationalsozialistischen oder einer anderen Gewalt- und Willkürherrschaf verloren hat und in diesem Zusammenhang beleidigt, verleumdet oder verunglimpft worden ist. Dabei weise ich darauf hin, daß sich dieser Schutz nicht nur auf die Opfer des Nationalsozialismus, sondern auch auf die Opfer anderer Gewalt- und Willkürherrschaft erstreckt.
({1})
Vom Regierungsentwurf wird die Einziehung rechtsextremistischer Schriften auch nach Eintritt der Strafverfolgungsverjährung, ebenso auch die Ausdehnung der Strafbarkeit des Verbreitens und der Verwendung von Gegenständen mit Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen auf Vorbereitungshandlungen übernommen. Wie schon gesagt, werden wir aus dem Regierungsentwurf weder die Neufassung des § 140 noch die in der Gegenäußerung der Bundesregierung enthaltene Neufassung des § 131 StGB weiter verfolgen.
Der Vorteil dieser Lösung liegt auf der Hand: Es gibt kein Gesinnungsstrafrecht, keine verfassungs- und strafrechtlich bedenkliche Lösung. Eine solche Regelung wird den Strafrechts- und Ehrschutz der Opfer von Gewalt- und Willkürherrschaft, gleich welcher Art, in unbedenklicher Weise und in dem gebotenen Maße ausbauen.
Ich möchte meine Ausführungen mit einem Wort an unsere jüdischen Mitbürger schließen. Wir werden vor der Verabschiedung unseres Gesetzes auch noch einmal ein Gespräch mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland führen. Wir haben um unsere
Entscheidung, jeder für sich, in unseren Reihen in Gesprächen und intensiven Diskussionen gerungen. Wir sind dann zu dem Schluß gekommen, daß die Einführung eines neuen Straftatbestandes, der sich nur auf das Schicksal einer Bevölkerungsgruppe bezieht, falsch verstanden werden könnte und damit letztlich nicht zum Rechtsfrieden und nicht zu einer weiteren Aussöhnung beitrüge.
Die CDU/CSU wird daher mit den genannten Lösungsvorschlägen den Gesetzentwurf der Regierung zügig zu Ende beraten. Mein Kollege Bötsch wird nachher zu dem Entschließungsantrag der SPD Stellung nehmen. Ich habe eben die Hoffnung gewonnen, daß wir vielleicht doch noch zusammen mit Ihnen, meine Kollegen von der SPD, eine Lösung finden können.
Danke schön.
({2})
Das Wort hat Bundesminister Engelhard.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind alle herausgefordert, nicht nur die hier Versammelten! Nein, alle Bürger sind natürlich aufgefordert, jene viel beschworene geistig-politische Auseinandersetzung auch tatsächlich zu führen in den Elternhäusern, in den Schulen und bis hin zu den einzelnen Stammtischen nicht zuzulassen, was dort stellenweise gesprochen zu werden pflegt. Aber wir sind hier als Gesetzgeber versammelt, und wir haben auch eine Aufgabe.
Ich weiß, daß das Strafrecht nicht der Verhinderung und nur in beschränktem Maße der Ahndung dienen kann. Wir wissen das, auch mit Blick auf alle anderen Bestimmungen. Dennoch bleibt ein Rest, den ich dahin gehend beantworte, daß wir auch strafrechtlich als Gesetzgeber aufgerufen sind.
Stellt sich die Frage 40 Jahre danach? Ja, ich kann vielleicht so fragen: immer noch, schon wieder oder erst recht? Ist immer noch nicht klar oder nicht mehr klar, was geschehen ist? Das, worüber wir sprechen, ist etwas, was in die Zukunft wirkt. Wer glaubt, daß mit Erreichung einer bestimmten Jahreszahl ein Vorhang niedergehe und der Erörterung, die notwendig ist, ein Ende setze, der irrt; denn nicht mehr viele Jahre werden ins Land gehen, bis niemand von denen, die aus eigenem Erleben, aus eigener Erinnerung mündlich werden berichten können, mehr unter uns ist.
Dann taucht das Problem auf, daß Schriften, die in Umlauf gesetzt werden und die das historisch Geschehene in einer verfälschenden, nein in einer ekelhaften Weise darzustellen und zu entstellen suchen, zunehmend Bedeutung gewinnen können.
Meine Damen und Herren, wenn ich im Ministerium am Abend die Post lese, dann stelle ich fest, daß ein großer Teil dieser Briefe Dinge enthält - angesichts der Fülle dieser Briefe ist das an jedem Tag der Fall -, die einen schaudern machen kön9320
nen. Jetzt taucht die Frage auf: strafrechtliche Auseinandersetzung mit der historischen Vergangenheit, Bestrafung der Dummen, die die Geschichte nicht wissen wollen oder sie wahrzunehmen zu töricht sind? Nein. Jeder kann mir alles schreiben; er wird nicht zur Rechenschaft gezogen. Mit viel Aufwand erhalten die meisten sogar noch einen Brief, ein Antwortschreiben, weil nichts unversucht bleiben soll,
({0})
die Dinge in die richtige Richtung zu rücken.
Wir sind es unseren jüdischen Mitbürgern schuldig, wir sind es unserem Ansehen in der Welt schuldig, aber wir sind es auch - darauf lege ich persönlich besonders großen Wert - uns selbst, uns als deutschem Volk schuldig,
({1})
hier offensiv zu sein, weil auch der medizinische Laie weiß, daß ein Mensch, der wichtige Etappen seines Lebens zu verdrängen sucht, nicht wahrhaben will, der mit einer Lebenslüge weiterlebt, ein kranker Mensch ist. Wir, die wir diesen Staat nach dem Kriege aus dem Blut und den Trümmern aufgebaut haben, müssen wissen, daß der gesunde Fortgang - im Selbstbewußtsein unserer jetzt friedlichen Existenz, unserer auf das Gute gerichteten Existenz - nur Bestand haben kann, wenn wir auch weiter in die Abgründe blicken und uns der Tiefen deutscher Geschichte - nicht an die Brust uns schlagend, nein, es zu nehmen, wie es gewesen war - immer bewußt sind.
({2})
Es ist das 21. Strafrechtsänderungsgesetz vorgelegt worden; ich habe es wieder eingebracht.
({3})
Ich habe dazu die Zustimmung des Kabinetts und die notwendige sonstige politische Zustimmung gefunden. Weil stellenweise gesagt wird: unter dem Druck von diesem und jenem, stelle ich hier klar: Nein, aus meiner Überzeugung habe ich es wieder eingebracht. Denn ich glaube, daß es bei dieser Auseinandersetzung nicht um die Frage geht, wer das Regierungsruder in Händen hält, noch um die Frage von Parlamentsmehrheiten.
({4})
Hier müssen wir uns insgesamt als Vertretung der Bürger der Bundesrepublik Deutschland angesprochen wissen.
Ein Weiteres: Es ist in der Diskussion völlig untergegangen, daß dieses Gesetz zwei Punkte enthält, die völlig unbestritten sind: daß der zunehmenden Einfuhr nationalsozialistischer Schriften und Kennzeichen aus dem Ausland auch strafrechtlich ein Riegel vorgeschoben werden muß und daß darüber hinaus die in der Praxis umstrittene Frage einer gesetzlichen Klärung zugeführt werden muß, daß heute Schriften, wenn die kurze presserechtliche Verjährung bereits abgelaufen ist oder ein Täter mangels Impressum gar nicht zu ermitteln ist, gar nicht eingezogen werden können. Das kann nicht richtig sein. Hier ist man in der Bejahung dieser beiden Fragen querbeet einer Meinung, und schon deswegen bedurfte es des Gesetzes neu.
Ein weiterer Punkt: Ich brauche die Schwierigkeiten, die aufgetreten sind, nicht nachzuzeichnen. Ich will aber besonders betonen, daß ich - dasselbe nehme ich auch für mich in Anspruch - größten Respekt vor jenen habe, die aus prinzipiellen rechtspolitischen Überlegungen heraus sagen: Trotzdem, ich will aus meinem Grundsatz heraus kein Strafgesetz. Das ist nicht mein Standpunkt. Aber ich verweigere dem lauteren Verfechter dieser Auffassung meinen Respekt nicht. Nur: Manchmal wäre es besser gewesen, beim Gang dieser Beratung wären solche Auffassungen, wie ja auch teilweise geschehen, früher und klarer geäußert worden.
({5})
Wir müssen jetzt in eine Richtung gehen, um die Fragen dieser Gesetzgebung einer Lösung und einem Abschluß zuzuführen. Ich sage ganz klar: Hier ist unverzichtbar, was immer man ansonsten tut, daß man die Sache beim Namen nennt. „Nationalsozialistisch", „Nationalsozialismus" sind heute bereits in unserem Strafgesetzbuch als Begriff zu finden. Deswegen sollten wir auch jetzt die Dinge beim Namen nennen.
({6})
Es darf nicht der Verdacht aufkommen, als gäbe es da irgendwelche Tabus. Sonst würden Leute auf den Plan treten, die einmal die Frage stellen würden, ob hier eine Art Negativfetischismus Platz gegriffen habe. Nein, den Nationalsozialismus muß man so, wie er das Problem ist, beim Namen nennen.
Ich habe, unterstützt von meinen politischen Freunden und meiner Fraktion, einen Kompromißvorschlag vorgelegt. Er ist bereits kurz angesprochen worden. Er war auch Ausgangspunkt für die Besprechungen, die wir heute in dieser Frage in so guter Weise hatten. Er hat den enormen Vorteil, daß am materiellen Recht nichts geändert wird. Die Beleidigung, die üble Nachrede, die Verleumdung und die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener sind Bestimmungen in unserem Strafgesetzbuch seit eh und je, konkretisiert durch die vom Kollegen Miltner erwähnte Rechtsprechung des 6. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 18. September 1979, der mittlerweile die Strafgerichte gefolgt sind. Was wir ändern, ist, daß der Strafantrag nicht mehr nötig ist.
Herr Kollege Miltner hat die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle angesprochen, nach der ein Angeklagter schließlich auch vom Vorwurf der Beleidigung freigesprochen werden mußte, weil man festgestellt hat, daß derjenige, der den Strafantrag gestellt hat, kein Jude war. Soll ich vielleicht sagen, was er war? - Er war kein Jude.
Dieses wirft im Zusammenhang mit unserem gegenwärtigen Recht die gespenstische Dimension
der Erinnerung auf, wie Zehntausende, die ansonsten ganz uninteressiert daran waren, während der Zeit des Nationalsozialismus darangegangen sind, Ahnenforschung zu betreiben, um den Nachweis zu führen, Arier zu sein, was, wenn es nicht gelang, mit dem Verlust des Lebens zu bezahlen war. So muß heute im Rahmen von Strafverfahren jemand, um als Berechtigter auf den Plan treten zu können, nachweisen, daß mindestens einer seiner vier Großeltern Jude war.
({7}) Dies kann nicht richtig sein.
({8})
Deswegen werde ich nach dem guten und kooperativen Gespräch, das auch heute innerhalb der Koalition geführt wurde, einen Vorschlag in seiner endgültigen Ausformulierung vorlegen. Das eröffnet, wie ich meine, die Chance, rechtzeitig - noch rechtzeitig - zu einer Entscheidung zu kommen, die, so hoffe ich, dann einmütig fällt und quer über die Fraktionen hinweg die Abgeordneten dieses Hauses in der Bereitschaft vereint, auch als Gesetzgeber alles zu tun, um diesen Fragen gerecht zu werden.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schily.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Vorfeld des 40. Jahrestags der Befreiung vom Faschismus - so muß das richtig heißen - hat die Debatte um das Einundzwanzigste Strafrechtsänderungsgesetz - und darin scheinen wir uns einig zu sein - ihre besondere Bedeutung.
Deshalb stimme ich dem Kollegen Schmidt von der SPD zu, daß die Beratungen im Rechtsausschuß beschleunigt zu Ende geführt werden müssen, und kündige an, daß wir dem Geschäftsordnungsantrag zustimmen werden.
Es sollte auch außer Streit bleiben, daß das Anliegen, das dem SPD-Gesetzentwurf zugrunde liegt, nämlich der verleumderischen Verharmlosung des nationalsozialistischen Völkermords an den Juden entgegenzutreten, grundsätzlich Anerkennung und Respekt verdient.
Eine beachtliche Minderheit unserer Fraktion unterstützt, um ein entsprechendes politisches Signal zu setzen, auch die in dem Gesetzentwurf vorgesehene Schaffung eines Sonderstraftatbestands in § 140 des Strafgesetzbuchs. Die Mehrheitsmeinung unserer Fraktion, der ich mich anschließe, hält die Schaffung eines Sonderstraftatbestands allerdings für einen ungeeigneten Weg. Geschichtsfälschung - darin stimme ich dem Kollegen Miltner zu - wird nicht mit Gerichtsverfahren verhindert.
({0})
Die historische Wahrheit muß durch eine geistige Auseinandersetzung, nicht in erster Linie mittels der Justiz durchgesetzt werden.
({1})
Gestern ist ein Kompromißvorschlag, den das Justizministerium erarbeitet hat und der bedauerlicherweise in der Zwischenzeit etwas verwässert worden ist - aber ich gehe zunächst auf die ursprüngliche Fassung ein -, bekanntgeworden, der an der materiellen Rechtslage nichts ändert, jedoch das Strafantragserfordernis bei Beleidigungsdelikten gegenüber Juden im Zusammenhang mit dem unter der Naziherrschaft begangenen Völkermord beseitigt. Das scheint mir eine vernünftige Lösung zu sein, wenn man nicht, wie gesagt, versucht, sie durch eine Verwässerung, eine Relativierung zu ändern.
Ich stimme dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Berlin, Herrn Heinz Galinski, zu, wenn er uns mahnt, daß es für einen jüdischen Mitbürger vor dem Hintergrund eines Verfolgungsschicksals unzumutbar ist, einen Strafantrag zu verlangen, ehe die Justiz gegen verhöhnende und ehrkränkende Äußerungen im Zusammenhang mit dem millionenfachen Mord an jüdischen Mitbürgern einschreitet.
({2})
Keinesfalls darf es jedoch zu einer Regelung kommen, die versucht, durch Einbeziehung - Herr Kollege Dregger, deshalb vielleicht nicht zu früh den Beifall! ({3})
der an deutschen Flüchtlingen begangenen Verbrechen oder durch andere Formeln den an Juden verübten Völkermord zu relativieren.
({4})
Das ist das, was auch Heinz Galinski mit Recht gesagt hat.
({5})
Darin kommt, Herr Kollege Dregger - und ich zitiere; dieses Zitat ist hier heute schon von dem Kollegen Schmidt genannt worden; es lohnt sich aber, es zu wiederholen -, eine „widerliche Aufrechnungsmentalität" zum Ausdruck,
({6})
wie es der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, Helmut Leonardy, in diesen Tagen in einem Rundfunkinterview zu Recht genannt hat.
({7})
Wer solche Relativierungen versucht, wer in dieser
Aufrechnungsmentalität, Herr Kollege Dregger, befangen ist, leistet selbst dem Leugnen und Ver9322
harmlosen des Völkermords an den Juden Vorschub.
({8})
Wenn deshalb gefragt wird, was denn gegen neonazistische Propaganda, neonazistische Aktivitäten getan werden solle, so antworte ich: Zuallererst müssen manche in der Politik Verantwortlichen zu einer neuen, zu einer klaren Sprache finden.
({9})
Welches Geschichtsbild, welches Weltbild wird wirksam, wenn der Kollege Jäger in einem Zwischenruf während meiner Rede am 12. April 1984 - ich habe das später im Protokoll nachgelesen -, in der ich mich kritisch mit dem Verhältnis von vielen Juristen zur Nazivergangenheit auseinandergesetzt habe, meinte, für mich seien offenbar Juristen das, was für die Nazis die Juden gewesen seien?
({10})
Welche Vorstellungen prägen sich aus, wenn sich der frühere Flick-Manager von Brauchitsch in einem Gespräch mit einem Abgeordneten darüber beklagte, daß man den Unternehmen eine Art Judenstern anhänge, gleichzeitig aber nichts dabei fand, daß die Firma Flick von einem früheren Mitglied des IG-Farben-Vorstandes, Dr. Ambros, beraten wurde, der an der Errichtung des KZ Auschwitz beteiligt war? Was soll ein Gesetz bewirken, wenn ich gestern durch eine Zuschrift von der Existenz eines Vereins erfahre, der sich „Arbeitskreis für Zeitgeschichte und Politik" nennt, dessen Vorstand Mitglieder mehrerer Bundestagsparteien sowie Vertreter von Vertriebenenverbänden angehören sollen und der mir eine Resolution übersandte, in der es zu dem SPD-Gesetzentwurf u. a. folgendermaßen heißt:
Die Antragsteller wollen eine Verabschiedung dieses Gesetzes durch den Bundestag, obwohl bis heute kein wissenschaftliches Werk vorgelegt werden konnte, in dem unter Auswertung aller zugänglichen Quellen und Dokumente schlüssig ein millionenfacher Mord an Juden in der NS-Zeit nachgewiesen wurde.
({11})
Wenn es stimmt, daß Mitglieder aus Bundestagsparteien solche Verlautbarungen unterstützen, dann ist es wohl an der Zeit, daß wir erst einmal hier vor der eigenen Türe kehren.
({12})
Meine Damen und Herren, was hat denn den damaligen Oppositionspolitiker Dr. Helmut Kohl in seiner Rede vom 9. September 1982 zu folgender Frage veranlaßt:
Sollten wir uns in der Bundesrepublik Deutschland damit abfinden, daß uns allein die finsteren, unbestreitbar schrecklichen Kapitel deutscher Geschichte - Auschwitz und Treblinka, Kriegsschulden und die Pflicht der Wiedergutmachung und vieles andere mehr - zugeschoben werden?
Abgesehen davon, meine Damen und Herren, daß die Kriegsschulden und die Pflicht zur Wiedergutmachung wohl nicht zu den unbestreitbar schrecklichen Kapiteln deutscher Geschichte gehören, sondern zu deren Aufarbeitung: Was ist uns von wem zugeschoben worden? Diese Vermutung einer Geschichtsschiebung ist leider bereits selbst eine Geschichtsverdunkelung.
({13})
Und war es nicht Geschichtsverdunkelung, als einst Franz Josef Strauß äußerte, ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen erbracht habe, habe ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr zu hören?
Verharmlosung nationalsozialistischer Untaten ist in unserer Gesellschaft - das ist ein schlimmer Sachverhalt - an vielen Stellen anzutreffen. Ist es nicht eine Verharmlosung von Mordtaten, wenn ein ehemaliger SS-Scharführer in einem Ende Januar dieses Jahres bekanntgewordenen Urteil lediglich zu drei Jahren Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Mord an 15 000 Menschen im KZ Chelmno bei Lodz in Polen verurteilt wurde? Ich glaube, daß es zuallererst notwendig ist, mit den Zweideutigkeiten aufzuräumen,
({14})
vor allem aber sich zur historischen Schuld und zur vollen geschichtlichen Aufklärung zu bekennen.
Was sollen neue Gesetze nützen, wenn sich die Stadt Passau weigert, zwei Studenten Einsicht in Dokumente des Stadtarchivs aus der Nazizeit zu gewähren, oder wenn sich die bayerische Staatsregierung wegen angeblicher Wahrung des Steuergeheimnisses außerstande sieht, herauszufinden, ob der KZ-Arzt Mengele finanzielle Zuwendungen aus einem Familienbetrieb in Günzburg erhält? Wie verhält sich die Bundesregierung hinsichtlich der Aufhebung der Vorschriften über Auskünfte aus dem US Document Center?
({15})
Wird sie die Dokumente über die Nazivergangenheit der Öffentlichkeit zugänglich machen, oder wird sie den Zugang mittels Vorschriften versperren, die dem Schutz ehemaliger Nazis dienen? Wie äußert sich die Bundesregierung gegenüber Vorwürfen des früheren SPD-Abgeordneten Karl-Heinz Hansen, der in einem Aufsatz, der im vergangenen Jahr in den „Blättern für deutsche und internationale Politik" veröffentlicht wurde, den Verdacht geäußert hatte, es seien vor Jahren unter Hilfestellung des damaligen BND-Chefs Gehlen Unterlagen beiseite geschafft worden, die den früheren Bundeskanzler Kiesinger belasteten?
In diesem Zusammenhang sollte die Bundesregierung auch darüber Auskunft geben, ob Berichte zutreffen, daß Personalakten von deutschen Wissenschaftlern, die möglicherweise - jüngst in PresSchily
seberichten nachzulesen - an Naziverbrechen beteiligt waren, gereinigt wurden, um Hindernisse für deren Tätigkeit in den USA beiseite zu räumen?
Wer Verharmlosung und Leugnung von NS-Verbrechen ernsthaft bekämpfen will, darf nicht zögern, die rund 100 Millionen Dokumente über die Naziherrschaft, die in dem US Document Center lagern, für die Geschichtsschreibung, für die politische und justizielle Aufarbeitung zur Verfügung zu stellen.
({16})
Das wäre ein echter Beitrag zur offensiven politischen und geistigen Auseinandersetzung mit neonazistischen Tendenzen, genauso wie es notwendig erscheint - lassen Sie mich das zum Schluß sagen -, daß man gerade unter dem Eindruck der Nachricht, daß man es fertiggebracht hat, der Witwe des früheren Präsidenten des Volksgerichtshofes, Freisler, eine Zusatzrente mit der Begründung zu geben, Freisler wäre ja dann in der Nachkriegszeit wohl ein hoher Beamter oder ein Anwalt geworden, auch einmal darüber nachdenkt - wir werden entsprechende Vorschläge einbringen -, daß Entschädigungsleistungen auch für andere Opfer der NS-Herrschaft wie Roma und Sinti, Homosexuelle und andere gewährt werden. Auch das ist ein wichtiger Beitrag, den wir im Andenken an die Opfer der NS-Zeit noch leisten können.
Ich danke Ihnen.
({17})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kleinert.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Die Vorredner haben, mit kleinen Ausnahmen ganz zum Schluß, sich bemüht, dem besonderen Charakter dieser Debatte gerecht zu werden. Der Bundesjustizminister hat deutlich gemacht, daß es in erster Linie darum geht, daß wir uns selbst unserer Vergangenheit stellen, und daß uns keine Mühe zu groß sein darf, dieses Ziel zu erreichen, ohne daß allerdings dabei neuer Schaden in dem besonders empfindlichen Bereich der Rechtspolitik angerichtet werden dürfte.
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß heute vor 25 Jahren in New York ein historisches Treffen zwischen Konrad Adenauer und David Ben Gurion stattgefunden hat. Damit hat zum erstenmal eine Begegnung stattgefunden, mit der versucht wurde, überhaupt den Anfang eines Gespräches zwischen den Opfern dieser einmaligen Ereignisse, die sich nach wie vor einer Beschreibung entziehen, und den Nachfolgern, den Erben - im mehrfachen Sinne des Wortes - der Täter, herzustellen. Das ist ein Hinweis auf die ungeheuren Schwierigkeiten, die bestehen, überhaupt die Dimension dessen, worüber wir hier sprechen, richtig einzuordnen, und zu würdigen, daß es die Erben der Opfer, daß es die Juden in unserem Lande in erster Linie, gleichermaßen aber auch die Bürger des Staates Israel über sich gebracht haben, mit uns Deutschen wieder in ein Gespräch einzutreten.
In dieser Situation führen wir eine gelegentlich etwas gespenstisch anmutende Diskussion über das, was rechtlich möglich oder nicht möglich ist, mit Teilaspekten dieser Vorgänge bei uns zurechtzukommen. Nach dem Verlauf der letzten Tage, insbesondere des heutigen Tages, mit den Gesprächen, auf die Bundesjustizminister Engelhard schon hingewiesen hat, habe ich die gute Hoffnung, daß wir innerhalb weniger Wochen hier, soweit es das Wenige, was rechtlich zu tun ist und getan werden kann, betrifft, zu einer abschließenden Würdigung und Betrachtung kommen werden. Deshalb möchte ich Ihnen in der im Vorfeld einer namentlichen Abstimmung sich ausbreitenden Unruhe heute nicht nach den Ausführungen der Vorredner eine weitere umfangreiche Ausführung zumuten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Jahn?
Bitte schön, Herr Jahn.
Herr Kollege Kleinert, Sie erzählen hier etwas von irgendwelchen Gesprächen, die heute irgendwo stattgefunden haben. Würden Sie die Güte haben, das Haus davon zu unterrichten, von welchen Gesprächen Sie reden, wer sie mit wem geführt hat, welchen Inhalt und welche Ergebnisse sie hatten?
({0})
Lieber Herr Kollege Jahn, weil wir gerade bei einem solchen Vorgang Wert auf gute Zusammenarbeit mit allen Fraktionen legen, habe ich das Ergebnis der Gespräche, so rasch es ging, in schriftlicher Form dem Kollegen Emmerlich vor nunmehr etwa vier Stunden überreicht.
({0})
Wir haben im Verlaufe der folgenden Stunden versucht zu klären, ob wir aus den Bemühungen der Koalition, von denen ich j a nicht einmal behaupten will, daß sie nicht reichlich spät unternommen worden wären - daß sie schwierig waren, will ich doch überhaupt nicht abstreiten -, und aus dem Ergebnis, was ich übergeben habe, nicht zu gewissen Schlüssen für den weiteren Gang der Verhandlungen kommen könnten, die wir gerade führen und auf die ich deshalb dann auch noch weiter eingehen werde. Das haben wir also alles schon vor Ihrer dankenswerten Anregung getan.
({1})
Ein Gesichtspunkt scheint mir ganz wesentlich, gerade bei dem meiner Ansicht nach verständlichen Drängen der Sozialdemokraten, hier zu Entscheidungen zu kommen, das dann zu dem Antrag geführt hat, der uns hier geschäftsordnungsmäßig
Kleinert ({2})
vorliegt. Es erscheint mir nämlich wichtig, darauf hinzuweisen, daß man bei gleichem Ernst und bei gleicher sehr klarer Sicht der ungewöhnlichen Verantwortung, die sich aus den nationalsozialistischen Verbrechen ergibt, dennoch im rechtspolitischen Bereich zu unterschiedlichen Erwägungen und Antworten kommen kann und daß die eine oder die andere Antwort nichts darüber aussagt, wie sich der einzelne zu diesen Fragen einstellt. Deshalb ist es so sehr schwierig gewesen, den vorgelegten Gesetzentwurf innerhalb der sonst üblichen und angemessenen Zeit so auszudiskutieren, daß wir mit dem Ergebnis zufrieden gewesen wären. Dafür müssen wir um ein gewisses Verständnis bitten.
({3})
- Wegen der zunehmenden Unruhe möchte ich die zusätzliche Unruhe, Herr Kollege Schmidt, die erfahrungsgemäß durch Frage und Antwort eintritt, nicht auch noch hier hineinbringen. Ich glaube, daß Sie dafür Verständnis haben, weil ich mich hier normalerweise wirklich gerne unterhalte, aber nicht, wenn alle anderen sich auch unterhalten.
({4})
Herr Abgeordneter, ich möchte Ihnen etwas Ruhe verschaffen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, entweder Platz zu nehmen oder das Haus zu räumen.
({0})
Herr Abgeordneter, ich habe nicht die Absicht, die Beratungen fortzusetzen, wenn die Kolleginnen und Kollegen des Deutschen Bundestages sich nicht setzen.
({1})
Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren!
Herr Abgeordneter, ich bitte um Unterbrechung, bis die Kolleginnen und Kollegen sich gesetzt haben. Herr Abgeordneter Kleinert, fahren Sie fort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Punkt ist von mehreren Vorrednern bereits angesprochen worden: Wie weit ist es möglich - wir haben uns in ganz anderen Sachzusammenhängen rechtspolitisch damit auch schon auseinanderzusetzen gehabt -, durch Rechtsetzung, insbesondere durch Rechtsetzung im Bereich des Strafrechts, bewußtseinsbildend, erzieherisch einzuwirken? Namhafte Kommentatoren, die beileibe nicht besonders konservativer Neigungen geziehen werden können, haben in den letzten Tagen dazu noch einmal Bedenkenswertes geschrieben. Es ist wirklich sehr schwer, sich für Eingriffe in unsere Strafrechtssystematik, unsere Strafrechtsdogmatik zu entscheiden, um diesem Ziel näherzukommen - auch im Zusammenhang mit diesem Anlaß.
Wir Freien Demokraten haben uns mehrheitlich - einige von uns aber mit noch größeren Bedenken als andere - dafür entschieden, hier ausnahmsweise den Weg strafrechtlicher Maßnahmen zu gehen, weil die historische Dimension dessen, was hier in Rede steht, uns eine Ausnahme von Regeln, die sonst für die Rechtspolitik gelten müssen, angebracht erscheinen läßt. Deshalb muß man aber, wenn man sich das sorgfältig überlegt hat, auch Verständnis für diejenigen haben, die bei genauso sorgfältiger Überlegung zu einem anderen Ergebnis kommen, und dieses Verständnis haben wir auch. Deswegen fällt es uns eben so schwer, hier den richtigen Weg zu finden.
Ich glaube, daß wir uns mit dem, was der Bundesjustizminister vor einigen Tagen vorgelegt hat und was heute innerhalb der Koalition in Form einer Änderung des § 194 des Strafgesetzbuches im Hinblick auf die uns hier interessierenden Fälle noch einmal vereinbart worden ist, auf einem guten, mittleren Weg befinden, auf einem Weg, auf dem wir nicht der Gefahr erliegen, eine strafrechtliche Regelung zu treffen, die nur zu neuen Schwierigkeiten führt, vor der wir auch von jüdischen Mitbürgern gewarnt worden sind, vor der wir auch von Israelis gewarnt worden sind, weil sie sagen: Wenn ihr das tut, werdet ihr Foren für Auseinandersetzungen unwürdiger Art schaffen, mit denen gerade das Gegenteil von dem erreicht wird, was ihr euch dankenswerterweise vorgenommen habt. - Diese Stimmen gibt es ja auch, und man muß sie mit in die Überlegungen einbeziehen.
Weil das so ist, glaube ich, daß hiermit wirklich ein Vorschlag gemacht worden ist, der genau das trifft, was eigentlich gemeint ist, nämlich die Beseitigung der Unzumutbarkeit, daß Nachkommen der Vernichteten, der Ermordeten auch noch unter zum Teil schwierigen Umständen selbst ein Verfahren anstrengen müssen, das in dieser Form für ganz andere, für überhaupt nicht vergleichbare Delikte vorgesehen ist. Diese Unzumutbarkeit wird dadurch ausgeschaltet, daß man hier die Tatsache der Verunglimpfung Verstorbener nicht von einem solchen Antragsverfahren abhängig macht, sondern zum Offizialdelikt erhebt. Das scheint uns ein guter Weg zu sein.
Wir hoffen auf eine gute Beratung im Ausschuß - sie ist uns von Ihrer Seite schon zugesichert worden - und werden sehen, wie wir dann möglichst zu dem gemeinsamen Ergebnis kommen, von dem Herr Schmidt vorhin gesprochen hat und das auch wir - ich hoffe, daß das für alle Seiten des Hauses deutlich geworden ist - ganz genauso wollen.
Damit es dazu kommen kann, sollten wir uns eigentlich nicht noch einige Stolperdrähte ins Vorfeld ziehen. Wir haben hier, soweit ich mich erinnern kann, seit vielen Jahren zum erstenmal, wenn nicht überhaupt zum erstenmal, einen Fall, in dem die Ausschußarbeit durch einen Antrag wie den vorliegenden beschleunigt werden soll.
({0})
- Herr Dr. de With, gerade die Mitglieder des
Rechtsausschusses wissen, daß wir alle uns noch
Kleinert ({1})
nie gedrückt haben, daß wir noch nie versucht haben, etwas auf die lange Bank zu schieben, weil wir keine Lust gehabt hätten, tätig zu werden, oder weil uns der Tag zu lang geworden wäre. Nur dann, wenn wirklich wichtige Gründe vorgelegen haben, mußten wir noch einmal Vertagung erbitten,
({2})
und deshalb ist es hier zu diesem Antrag gekommen.
Gerade deshalb ist meine Fraktion und bin ich mit ihr der Meinung, daß wir einen Antrag, mit dem wir uns selbst in dieser Form Fesseln anlegen und mit dem wir uns in dieser Form in ein doch etwas peinliches Zwangsverfahren mit einem Endtermin hineinbegeben, nicht nötig haben, weshalb wir Ihren Antrag mit einer solchen Befristung ablehnen werden.
Ich erkläre allerdings mit gleicher Klarheit, daß wir Ihre Terminvorstellungen sehr gut verstanden haben
({3})
und daß wir auf jeden Fall bis zum 25. April dieses Jahres die Diskussion anhand des abschließenden Ergebnisses der Beratungen des Rechtsausschusses in diesem Hause zu Ende führen wollen.
({4})
Das erkläre ich als etwas, was wir von uns aus freiwillig tun, und weil wir so etwas - liberalerweise - lieber freiwillig tun,
({5}) lehnen wir Ihren Antrag ab.
Auf den zweiten Teil Ihres Antrags brauche ich nicht einzugehen, weil Sie ihn zurückgenommen haben. Gäbe es nicht formale Bedenken, so hätte ich auch inhaltliche Bedenken hier im einzelnen erörtert, die daraus resultieren, daß man nicht durch einen Beschluß des Plenums des Bundestages den Ausschüssen Beratungen wegnehmen sollte, die ihnen mit unseren Geschäftsordnungsregeln aus wohlerwogenen Gründen überwiesen worden sind.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Zur Geschäftsordnung erteile ich dem Abgeordneten Dr. Bötsch das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion bedauert es, daß die SPD auf ihrem Weg zur Rücknahme ihres Antrags bei dem Punkt 1 stehengeblieben ist und sich insbesondere nach dem Verlauf der heutigen Debatte nicht dazu entschließen konnte oder kann, auch den Punkt 1 ihres Antrags zurückzuziehen.
({0})
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Schmidt, der Gesetzentwurf, der Gegenstand des heutigen Berichts aus dem Rechtsausschuß war, ist ohne zeitliche Begrenzung, wie es üblich ist, dem Parlament zur Beratung zugewiesen worden - ich muß zugeben, auf einem etwas ungewöhnlichen Verfahrenswege. Wir bedauern das von der Fraktion her und möchten die Bundesregierung bitten, diesen Verfahrensweg vielleicht nicht allzuoft in Beschlag zu nehmen. Ich möchte ausdrücklich sagen, daß sich dieser Vorwurf nicht gegen den Bundesjustizminister richtet, der sicherlich in guter Absicht gehandelt hat.
Wir halten es für bedenklich, ja, vielleicht nicht einmal für zulässig, dem Rechtsausschuß oder irgendeinem anderen Ausschuß eine Frist zu setzen, bis zu deren Ablauf die Beratungen abgeschlossen sein müssen. Ich glaube, damit erweisen wir dem Parlamentarismus insgesamt keinen guten Dienst.
({1})
Es gehört selbstverständlich zu den Rechten eines freigewählten Parlaments, einen Gesetzentwurf ohne zeitlichen Druck zu beraten
({2})
und Überlegungen, Herr Dr. Vogel, im Laufe eines Gesetzgebungsverfahrens, die möglicherweise zu einer Änderung auch der Anfangshaltung führen, Raum zu geben. Ich bin sogar der Auffassung, daß am Ende einer Beratung in einem Ausschuß eben das Ergebnis stehen könnte, statt eines schlechten Gesetzes überhaupt kein Gesetz zu machen. Wir sollten uns von dem Zwang vielleicht loseisen, daß am Ende einer Beratung immer ein Gesetz stehen sollte.
({3})
Aber zu Ihrer Beruhigung, meine Damen und Herren von der SPD: Dies sind grundsätzliche Erwägungen; wir werden die Beratungen rechtzeitig so abschließen, daß niemand in der Öffentlichkeit - wo immer diese Öffentlichkeit angesiedelt ist - vom Termin her daran wird Anstoß nehmen können, auch wenn man das von Ihnen ins Auge gefaßte Datum, das drei Wochen nach dem 18. April liegt, in die Überlegungen einbezieht.
({4})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Jahn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Art, wie die Koalitionsfraktionen heute zu unserem Antrag Stellung genommen haben, zuletzt der Kollege Bötsch, macht deutlich, daß alle Zweifel an der Ernsthaftigkeit, in der Sache zu einer Entscheidung zu kommen, nach wie vor unverändert fortbestehen und fortbestehen müssen.
({0})
Jahn ({1})
Unser Antrag enthält eine Bitte, keine Fristsetzung, eine Bitte, die eine Antwort darauf darstellt, daß Sie seit Januar dieses Jahres die Entscheidung im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages ununterbrochen vor sich hergeschoben und vertagt haben.
({2})
Wie berechtigt diese Bitte ist, hat der Kollege Bötsch soeben noch einmal deutlich gemacht,
({3})
indem er nämlich schon wieder eine Hintertür mit seiner Bemerkung geöffnet hat, vielleicht komme gar keine Gesetzgebungsentscheidung heraus.
({4})
Meine Damen und Herren, diese Debatte hat hier so viele Widersprüche deutlich gemacht, daß wir jetzt einmal genau wissen wollen, was Sie eigentlich wollen. Der Kollege Kleinert hat mit großem Ernst und Nachdruck gesagt, am 25. April sollten die Beratungen beendet sein.
({5})
Wir wollen gern wissen, ob das ernstgemeint ist. Wir wollen es Ihnen deshalb leichter machen. Im Namen der SPD-Bundestagsfraktion ändere ich unseren Geschäftsordnungsantrag dahin, daß wir das Datum - die Frist, die wir für unsere Bitte genannt haben - vom 18. auf den 25. April setzen, auf genau den Tag, den der Kollege Kleinert hier genannt hat.
({6})
Meine Damen und Herren, wenn der Kollege Kleinert für die Koalition ernsthaft eine Aussage machen wollte, könnte für Sie nichts einfacher sein, als unter dieser Voraussetzung unserem so geänderten Antrag zuzustimmen. Sie würden damit den Kollegen Kleinert der Peinlichkeit entheben, unter Umständen von Ihnen selber - so wie der Bundesjustizminister in den letzten Wochen fortlaufend - düpiert zu werden.
Wir bitten Sie darum, hier eine klare Entscheidung zu treffen.
({7})
Stimmen Sie in Übereinstimmung mit der von Ihnen selber gegebenen Begründung! Bis zum 25. April wollen wir wissen, wie Sie sich entscheiden.
({8})
Meine Damen und Herren, um Unklarheiten zu beseitigen, möchte ich deutlich sagen, daß bei der Beratung eines Zwischenberichts zwar Sachanträge unzulässig sind; zulässig sind dagegen Verfahrensanträge. Der von der Fraktion der SPD vorgelegte Antrag ist ein solcher Verfahrensantrag.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich gehe davon aus, daß der von der SPD soeben geänderte Antrag zur Ziffer 1 zur Abstimmung steht. Die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung über ihren Geschäftsordnungsantrag.
Wer dem Geschäftsordnungsantrag der SPD - er betrifft die Ziffer 1 in der geänderten Fassung - zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit „Ja", wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung wird vorgeschlagen, daß wir mit der Beratung der anderen Tagesordnungspunkte fortfahren. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann werden wir so verfahren.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, Platz zu nehmen.
Wir fahren in der Tagesordnung fort. Tagesordnungspunkt 11 - Umweltgefährdung durch polychlorierte Biphenyle - entfällt, da das Verlangen auf Berichterstattung des Innenausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zurückgezogen worden ist.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf:
Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN Weltfrauenkonferenz 1985 in Nairobi/Kenia
- Drucksache 10/2810 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates:
Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit ({0})
Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und den Zusatzpunkt der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Weltfrauenkonferenz in Nairobi
- Drucksache 10/3021 Es sind eine gemeinsame Beratung der beiden Anträge und ein Beitrag bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fischer.
({1})
Präsident Dr. Jenninger
- Bevor ich ihr das Wort erteile, bitte ich jedoch die Damen und Herren Abgeordneten, entweder den Plenarsaal zu verlassen oder Platz zu nehmen. Frau Kollegin Fischer, ich werde so lange warten, bis dieser Anordnung des Präsidenten Folge geleistet worden ist.
({2})
Frau Abgeordnete Fischer, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die dritte UNO-Weltkonferenz der Frauen findet im Juli 1985 in Nairobi statt. Alle drei Konferenzen - in Mexiko 1975, in Kopenhagen 1980 - standen bzw. stehen unter dem Motto: Gleichheit, Gerechtigkeit, Frieden. Die Unterthemen sind: Beschäftigung, Gesundheit, Erziehung.
Da es sich bei UNO-Konferenzen um Regierungskonferenzen handelt, sind natürlich die Frauen, die dort in erster Linie die Diskussion führen, auch in erster Linie Sprachrohr ihrer jeweiligen Regierung. Somit - das wissen wir - ist politischer Dissens vorprogrammiert.
Bei den so verschiedenen Problemen der Frauen aus den Industrienationen und denen aus den Entwicklungsländern gibt es dann natürlich auch Formen staunender Verständnislosigkeit auf beiden Seiten. Das muß man wissen. Für Frauen aus Entwicklungsländern ist es wichtig, wenigstens einen Brunnen im Dorf zu haben und wenigstens einen Barfußdoktor erreichen zu können, der nicht weiter entfernt ist als einen Tagesmarsch. Und wichtig ist der Zugang zur Möglichkeit, Lesen, Schreiben und Rechnen zu lernen und durch Entwicklungshilfeprogramme Hilfe zur Selbsthilfe zu erhalten und nicht Nachteile zu erleiden.
Die Regierungsvertreterinnen sozialistischer Länder pflegen festzustellen, der Sozialismus habe die Rechte der Frauen bereits verwirklicht, ohne das jemals bewiesen zu haben. Über die Auswirkungen dieser Art von, ich nenne das einmal: ,,Gleichschaltung" wird natürlich nicht gesprochen und über die physische und psychische Mehrfachbelastung der Frauen auch nicht.
Die Frauen des Nordens haben natürlich andere Probleme als die Frauen des Südens. Und so sagte es eine Delegierte aus einem Entwicklungsland sinngemäß: Eure Sorgen möchten wir haben.
Aber für uns alle bleibt festzustellen, daß wir noch große Aufgaben zu lösen haben. Sicher ist, daß es auch im nächsten Jahrtausend Dekaden für die gleichberechtigte Teilhabe der Frauen am Entwicklungsprozeß wird geben müssen. Auch wird in Industrienationen die völlige Gleichberechtigung der Frau, die völlige Gleichberechtigung von Mann und Frau in der Lebenswirklichkeit noch nicht erreicht sein.
Parallel zur Regierungskonferenz werden die regierungsunabhängigen Frauenorganisationen aus aller Welt zum gleichen Themenbereich tagen. Interessant ist, daß man in Kopenhagen 1980 festgestellt hat, daß dort die Möglichkeiten der Verständigung weitaus größer waren als bei der Konferenz der Regierungsvertreterinnen, auf der der OstWest-Gegensatz die sachgerechte Diskussion häufig genug überlagerte bzw. unmöglich machte.
Die Bundesregierung - federführend ist der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit - hat eine große Kommission zur vorbereitenden Beratung berufen, deren Abschlußbericht der Regierung - ich hoffe, auch uns - sicherlich bald vorliegen wird. Wir erwarten, daß die verschiedenen Ressorts, deren Arbeitsbereiche mitbetroffen sind - u. a. Arbeit und Soziales, Bildung und Wissenschaft, Auswärtiges und wirtschaftliche Zusammenarbeit -, ihren Part mit einbringen werden, sofern sie ihn noch nicht eingebracht haben.
Bedauerlich finden wir, daß noch nicht genügend Öffentlichkeit hergestellt worden ist. Ich nehme an, daß z. B. der CDU-Parteitag und der Frauentag die Öffnung vom nationalen Bereich hin zum internationalen Bereich vornehmen und für mehr Verständnis werben werden.
({0})
- Ich bin sicherlich nie im Verdacht gewesen, Sonntagsreden zu halten. Ich wehre mich z. B. - da dürften wir uns völlig einig sein - gegen den Anspruch der GRÜNEN, als ob die Politik für Frauen erst mit Grünen-Frauen oder ähnlichen Bewegungen angefangen habe.
({1})
Da hatten und haben die anderen im Bundestag vertretenen Parteien in ihren Reihen viele bewundernswerte Frauen, die Rechte für Frauen in einer sehr viel mühsameren Zeit erkämpft haben. Es war mir wichtig, auch das hier einmal zu sagen.
({2})
Wir von der Koalition haben einen Antrag eingebracht, der Ihnen hier vorliegt. Einige herausragende Punkte möchte ich Ihnen nennen. Es heißt in diesem Antrag:
Die Bundesregierung wird aufgefordert, ... zur Vorbereitung der Weltfrauen-Konferenz 1985 in Nairobi einer breiten Öffentlichkeit die Anliegen und Themen dieser Konferenz sowie die bisherigen Ergebnisse und Arbeiten bekanntzumachen, ... dafür Sorge zu tragen, daß konkrete Vorschläge sowohl für die Leitthemen als auch für die Unterthemen gemacht werden ...
Die Koalitionsfraktionen fordern die Bundesregierung in diesem Antrag weiter auf,
dem Deutschen Bundestag über die Ergebnisse der Weltfrauen-Konferenz ... und die Schlußfolgerungen, die die Bundesregierung zur Verbesserung der Situation von Frauen in der Bundesrepublik Deutschland und von Frauen in Entwicklungsländern zieht, zu berichten. Dabei sollten die Erfolge, aber auch die Mängel in bezug auf die Leitthemen und die Unterthemen dargestellt werden.
Ich denke, daß wir sowohl für die Frauen in der Bundesrepublik als auch für die Frauen in der Dritten Welt einiges werden erreichen können. Ich bitte um Zustimmung zur Überweisung des Antrages.
Frau Fischer Herzlichen Dank.
({3})
Meine Damen und Herren, bevor ich das Wort weitergebe, gebe ich das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Geschäftsordnungsantrag der Fraktion der SPD bekannt.
Abgegebene Stimmen: 449; davon ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben 192 Abgeordnete, mit Nein haben 255 Abgeordnete gestimmt; Enthaltungen: 2.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 449; davon
ja: 192
nein: 255
enthalten: 2
Ja
SPD
Amling Dr. Apel
Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({0}) Bernrath
Bindig
Frau Blunck
Brandt Brück Buckpesch
Büchler ({1})
Dr. von Bülow
Buschfort
Catenhusen
Collet Conradi Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Delorme
Dreßler Egert
Dr. Ehmke ({2})
Dr. Ehrenberg
Dr. Emmerlich
Dr. Enders
Esters Ewen Fiebig
Fischer ({3}) Fischer ({4}) Franke ({5})
Frau Fuchs ({6})
Frau Fuchs ({7}) Gansel
Gerstl ({8})
Gilges Glombig
Grunenberg
Dr. Haack
Haar
Hansen ({9})
Frau Dr. Hartenstein
Hauck
Dr. Hauff
Herterich
Hiller ({10}) Hoffmann ({11}) Dr. Holtz
Frau Huber Huonker Ibrügger
Immer ({12}) Jahn ({13})
Jansen
Dr. Jens
Jung ({14}) Junghans Jungmann Kastning
Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({15})
Klose
Kolbow
Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Leonhart
Frau Dr. Lepsius Liedtke
Löffler
Lohmann ({16})
Lutz
Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer
Meininghaus
Menzel
Dr. Mertens ({17}) Müller ({18}) Müller ({19})
Dr. Müller-Emmert Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({20}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna
Pauli
Dr. Penner Peter ({21})
Poß
Purps
Rapp ({22})
Rappe ({23}) Reimann
Reschke Reuter Rohde ({24})
Roth
Sander
Schäfer ({25}) Schanz
Dr. Scheer
Schlaga Schlatter Schluckebier
Dr. Schmidt ({26}) Schmidt ({27})
Frau Schmidt ({28}) Schmitt ({29})
Schulte ({30})
Dr. Schwenk ({31}) Sielaff
Sieler
Frau Simonis
Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell
Dr. Spöri
Stahl ({32})
Steiner
Stiegler Stobbe Stockleben
Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Urbaniak
Vahlberg
Dr. Vogel
Voigt ({33}) Waltemathe
Walther
Wartenberg ({34}) Weinhofer
Weisskirchen ({35}) Dr. Wernitz
Frau Weyel
Dr. Wieczorek
Wiefel
Wimmer ({36}) Wischnewski
Witek
Würtz Zander Zeitler Frau Zutt
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard Burgmann
Frau Dann
Drabiniok
Dr. Ehmke ({37}) Frau Gottwald Horacek
Hoss
Kleinert ({38})
Dr. Müller ({39}) Frau Nickels
Reents
Sauermilch
Dr. Schierholz Schily
Schneider ({40})
Frau Schoppe Schwenninger
Vogt ({41}) Frau Dr. Vollmer
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein
Dr. Althammer
Frau Augustin Austermann
Bayha
Dr. Becker ({42}) Berger
Frau Berger ({43}) Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({44})
Dr. Bötsch Bohl
Bohlsen Borchert Boroffka Braun
Broll
Brunner
Bühler ({45})
Dr. Bugl Buschbom Carstens ({46})
Carstensen ({47}) Clemens
Conrad ({48}) Dr. Czaja
Dr. Daniels
Daweke
Frau Dempwolf
Deres
Dörflinger Dolata
Doss
Dr. Dregger
Echternach
Ehrbar Eigen
Engelsberger
Erhard
({49})
Dr. Faltlhauser
Feilcke Fellner Frau Fischer
Fischer ({50}) Francke ({51})
Dr. Friedmann
Ganz ({52})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George
Gerlach ({53}) Gerstein
Gerster ({54})
Glos
Götzer
Günther Dr. Hackel
von Hammerstein
Hanz ({55})
Haungs
Hauser ({56}) Hauser ({57})
Präsident Dr. Jenninger Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Dr. Hoffacker
Frau Hoffmann ({58}) Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland
Dr. Hüsch
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jäger ({59})
Jagoda
Dr. Jahn ({60})
Dr. Jobst
Jung ({61})
Kalisch Dr.-Ing. Kansy
Keller
Kiechle Kittelmann
Klein ({62})
Dr. Köhler ({63}) Dr. Köhler ({64}) Kolb
Kraus
Dr. Kreile
Krey
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({65}) Lamers
Landré
Dr. Langner
Lattmann
Dr. Laufs
Link ({66})
Link ({67}) Linsmeier
Lintner
Löher
Lohmann ({68}) Dr. h. c. Lorenz
Louven Lowack Maaß
Frau Männle
Magin Dr. Marx Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Milz
Dr. Möller
Müller ({69}) Müller ({70})
Müller ({71})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog
Pesch
Petersen Pfeffermann
Dr. Pinger
Pohlmann Dr. Pohlmeier Dr. Probst Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({72})
Dr. Riesenhuber
Rode ({73})
Frau Rönsch Dr. Rose
Rossmanith Roth ({74}) Rühe
Ruf
Sauer ({75})
Saurin
Sauter ({76}) Sauter ({77})
Dr. Schäuble Schemken Scheu
Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({78})
von Schmude Schneider ({79})
Dr. Schneider ({80}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({81}) Schulhoff
({82}) Schulze ({83}) Schwarz
Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Dr. Sprung
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Dr. Stoltenberg Straßmeir Strube
Stutzer
Susset
Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogt ({84})
Dr. Voigt ({85})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff
Dr. von Wartenberg Weirich
Weiskirch ({86})
Weiß
Frau Dr. Wex Frau Will-Feld
Frau Dr. Wilms
Wimmer ({87}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({88}) Dr. Wörner
Würzbach Dr. Wulff
Zink
FDP
Frau Dr. Adam-Schwaetzer Baum
Bredehorn
Cronenberg ({89}) Eimer ({90}) Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann Gallus
Gattermann Grünbeck
Grüner
Dr. Haussmann Hoffie
Hoppe
Kleinert ({91}) Kohn
Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Neuhausen
Paintner
Dr. Rumpf
Schäfer ({92})
Frau Dr. Segall
Frau Seiler-Albring
Dr. Weng ({93}) Wolfgramm ({94})
Enthalten
FDP
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch
Der Antrag ist damit abgelehnt.
({95})
Wir fahren in der Aussprache fort. Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Zutt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf der Weltfrauenkonferenz in Nairobi soll, wie meine Vorrednerin richtig gesagt hat, Bilanz über die Frauendekade gezogen werden, die im Jahre 1975 in Mexiko mit hohen Erwartungen eröffnet wurde. Unter dem Motto „Gleichheit, Entwicklung, Frieden" sollen konkret die Fortschritte aufgezeigt werden, die in diesem Jahrzehnt auf den Gebieten Bildung, Beschäftigung und Gesundheit für Frauen erreicht worden sind.
Die Bundesregierung legte bei der Themenstellung für die Konferenz Wert darauf, sich bei der Schlußbilanz auf diese Bereiche zu konzentrieren. Die inzwischen zu verzeichnende zögerliche Haltung der Bundesregierung bei der Vorbereitung ist Ausdruck ihres schlechten Gewissens.
({0})
Sie redet zwar so, als hätte sie etwas für Frauen getan. Mißt man sie an ihren Taten, so stellt man fest, daß seit dem 1. Oktober 1982 in allen Feldern der Frauenpolitik, gerade bei Bildung, Beschäftigung und Gesundheit, nur Rückschritte zu verzeichnen sind.
({1})
Die BAföG-Streichungen schließen erneut mehr Frauen von der Bildung aus. Die Kürzungen des Mutterschaftsurlaubsgeldes und das Gerangel um den § 218 bringen Frauen erneut Unsicherheiten und erhöhen gesundheitliche Risiken.
({2})
Schließlich haben die Streichungen bei der Einstellung von Frauen in den öffentlichen Dienst - 12 %
in zwei Jahren; das sagt alles - zu weniger Be9330
schäftigung für Frauen geführt. Die Möglichkeit, Zeitverträge generell abzuschließen,
({3})
wird auf dem Rücken der Frauen ausgetragen. Das wissen Sie selbst.
({4})
Die Bundesregierung hat die Last der Wende vor allem den Frauen aufgebürdet. Darüber können Hochglanzbroschüren nicht hinwegtäuschen.
({5})
Die frauenfeindliche Politik der Regierung ist täglich spürbar. Die Regierung sollte wenigstens so ehrlich sein, die Verschlechterungen in einer Bilanz darzustellen. Wenn die Regierung ein Minimum an Fortschritten für die Frauen in Nairobi darstellen will, dann muß sie als erste Maßnahme alles das wiedereinführen, was sie seit dem 1. Oktober 1982 zu Lasten der Frauen gestrichen und gekürzt hat; d. h. sie muß alle frauenfeindlichen Gesetze und Verordnungen rückgängig machen.
({6})
Wir fordern die Bundesregierung dazu auf. Ich füge hier ausdrücklich hinzu, daß wir, die SPD-Fraktion, auch eine Geißler-Nachfolgerin nicht aus der Verantwortung entlassen werden.
({7})
Nairobi, meine Damen und Herren, soll aufzeigen, was für Frauen in zehn Jahren hier und in der Welt erreicht wurde. Wenn in einem industrialisierten, reichen und sozial entwickelten Land wie der Bundesrepublik die Bilanz für Frauen Rückschritte ausweist, dann wird dies nicht ohne Folgen auch auf die Entwicklung in anderen Ländern bleiben.
({8})
Viele blicken auf uns und erwarten von uns eine Vorreiterrolle. Davon kann keine Rede mehr sein.
({9})
Dies wird eine verheerende Wirkung auch auf die Entwicklung der Lebenssituation von Frauen in anderen Ländern haben.
({10})
Sie haben es in der Hand, das noch zu ändern. Andernfalls werden wir Sozialdemokratinnen in Nairobi auch auf diese Tatsache hinweisen.
({11})
Im übrigen stimmen wir der Überweisung der Anträge zu, die zumindest eines gemeinsam haben, nämlich zum Bekanntwerden der Weltfrauenkonferenz in der Öffentlichkeit beizutragen - eine Aufgabe, die die Bundesregierung ebenfalls versäumt hat.
({12})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Adam-Schwaetzer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Zutt, als ich Sie gerade reden hörte, habe ich mich gefragt: Ist das eigentlich der richtige Tagesordnungspunkt, zu dem wir hier debattieren?
({0})
Ich muß Ihnen sagen: Das, was Sie hier geboten haben, empfinde ich gerade im Hinblick auf das, was auf dieser Weltfrauenkonferenz - genauso wie 1975 in Mexiko und 1980 in Kopenhagen - diskutiert werden wird, als eine unglaubliche Arroganz gegenüber der Situation der Frauen in der Dritten Welt.
({1})
Wenn Sie sich einmal vor Augen führen, welch unglaublichen Vorsprung wir Frauen hier in den Industrieländern schon erreicht haben, dann wird es, glaube ich, wirklich Zeit, sich Gedanken darüber zu machen, wie die Situation der Frauen in den Ländern der Dritten Welt verbessert werden kann. Das erreicht man in der Regel nur in vielen ganz kleinen, langsamen Schritten. Ich hoffe sehr, daß die 3. Weltfrauenkonferenz dazu einen weiteren Schritt nach vorn liefern wird. Wir wissen doch, daß die Menschenrechte in unglaublich vielen Ländern der Dritten Welt heute Tag für Tag verletzt werden. Opfer dieser Menschenrechtsverletzungen sind in ganz vielen Staaten überproportional viele Frauen.
({2})
Wir Frauen aus den Industriestaaten, aus den Ländern der Demokratie mit den unglaublich hohen Freiheitsrechten, die wir genießen, müssen dafür sorgen, daß diese Themen auf der Konferenz ausreichend angesprochen werden und nach und nach gelöst werden können.
({3})
Die Konferenz in Kopenhagen hat ja schon gezeigt, daß es allein durch die Tatsache des Übergewichts der Länder der Dritten Welt sehr, sehr schwer sein wird, solche Themen überhaupt zu diskutieren, geschweige denn auch in Resolutionen auf der Vorkonferenz der nicht regierungsgebundenen Organisationen zum Tragen zu bringen.
Ich bin im übrigen davon überzeugt, daß z. B. das Thema Frieden genau wie in Kopenhagen dazu dienen wird, deklamatorische Inhalte zu vermitteln,
aber keinen konkreten Schritt liefern wird. Dazu sind die Ost-West-Problematik und der Nord-SüdKonflikt einfach viel zu kompliziert, als daß sie auf einer solchen Konferenz ein Stück weitergebracht werden könnten.
({4})
- Ich versuche, Schlüsse aus Kopenhagen zu ziehen. Wir wollen dann gemeinsam mit der Beratung der Anträge in den Ausschüssen versuchen, ein paar dieser Punkte etwas anders zu machen, als es in Kopenhagen gelaufen ist.
Deshalb glaube ich, daß es vernünftig ist, auf Grund der vorliegenden Anträge dann in den Ausschüssen zu beraten, wie Entschließungsanträge aussehen könnten, die maßgeblich von den Frauen der Bundesrepublik Deutschland in Nairobi vertreten werden können. Ich würde mir wünschen, daß wir zu solchen Anträgen kommen, die von allen Fraktionen dieses Hauses getragen werden.
Es scheint mir wichtig zu sein, daß wir in der Öffentlichkeit über diese Problematik in den nächsten Wochen mehr diskutieren. Hier haben wir sicherlich einen Nachholbedarf.
({5})
Es scheint mir nicht gerechtfertigt zu sein, der autonomen Frauenbewegung, wie es in dem Antrag der GRÜNEN zum Ausdruck kommt, eine Sonderrolle und einen Sonderstatus gegenüber anderen Frauenorganisationen einzuräumen.
({6})
Natürlich muß die Delegation der nicht regierungsgebundenen Organisationen angemessene Möglichkeiten für alle Frauenorganisationen, die in der Bundesrepublik vertreten sind und arbeiten, bieten. Dazu war bei den Vorbesprechungen zur Vorbereitung auf die Konferenz in Nairobi ja eine ganze Menge Gelegenheit. Es erscheint uns - das betone ich noch einmal - nicht gerechtfertigt, hier irgendeiner Frauengruppe Sonderrechte und einen Sonderstatus einzuräumen. Über all das wird bei den Ausschußberatungen über die Anträge noch zu befinden sein.
({7})
Ich hoffe, daß wir abschließend dann doch zu gemeinsamen Voten gelangen können.
({8})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Adam-Schwaetzer, ich gebe Ihnen recht, daß die Situation der Frauen in der Dritten Welt mit unserer Situation als Frauen hier nur sehr schwer zu vergleichen ist.
({0})
Aber diese Situation der Frauen in der Dritten Welt hat nicht nur mit einer Verletzung von Menschenrechten etwas zu tun, sondern auch mit einer Wirtschaftspolitik, für die Sie verantwortlich zeichnen.
({1})
Die diesjährige Weltfrauenkonferenz in Nairobi schließt das Frauenjahrzehnt der UNO ab. Die Bundesregierung hat beschlossen, eine Delegation nach Nairobi zu entsenden. Da es sich um eine Weltfrauenkonferenz handelt und niemand besser als die Betroffenen ihre Probleme anschaulich machen können, fordern wir, daß diejenigen, die sich seit Jahren als Frauen mit Frauen für Frauen einsetzen - und das sind nun mal die Frauen aus der autonomen Frauenbewegung -, in die Regierungsdelegation aufgenommen werden, und zwar als Expertinnen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage von Frau Dr. DäublerGmelin?
Ja.
Bitte sehr.
Frau Kollegin Potthast, darf ich einen Schritt zurückgehen - es tut mir leid -? Sind nicht auch Sie der Meinung - Frau Potthast ({0}): Entschuldigung! Einen kleinen Moment! Meine Zeit wird angerechnet. Da kann ich ja die Zwischenfrage nicht zulassen.
Wenn die Frage kurz ist und die Antwort kurz ist, wird es nicht angerechnet.
Ich dachte, Herr Präsident, das gelte generell. Ich darf noch einmal anfangen.
Ich darf noch einen Schritt zurückgehen: Frau Kollegin Potthast, sind nicht auch Sie der Meinung, daß die wirklich viel schlechtere Lage der Frauen in den Entwicklungsländern nicht dazu benutzt werden darf, um hier bei uns in der Bundesrepublik Rechte von Frauen abzubauen?
({0})
Ich gebe Ihnen selbstverständlich recht.
({0})
Ich muß noch einmal insistieren, Herr Präsident. Mir ist eine Minute abgezogen worden. Ich hatte vorhin noch vier Minuten.
Nein, nein, es ist alles ganz korrekt. Ich habe gestoppt, als die Frage begonnen hat, und habe abgestoppt, als sie zu Ende war. Und jetzt gebe ich Ihnen noch einmal zehn Sekunden dazu.
Danke.
Wenn Sie, Vertreter der CDU/CSU/FDP, schon Vertreterinnen des Deutschen Frauenrates, der katholischen und der evangelischen Frauenarbeit als beratende Mitglieder aufnehmen, wäre es für uns kein Sonderstatus, den Sie den Frauen aus der autonomen Frauenbewegung bei einer Aufnahme zukommen lassen würden, sondern es wäre ein Sonderstatus, nämlich der Sonderstatus des Ausschlusses, wenn Sie sie nicht aufnähmen.
({0})
Den autonomen Frauen kommt - und so erkennt es selbst der Familienminister an - das Verdienst zu, strukturelle und konkrete Gewalt gegen Frauen öffentlich gemacht zu haben. Diese Frauen leisten tagtäglich praktische Arbeit gegen Frauenunterdrückung.
({1})
Der strukturellen Diskriminierung von Frauen haben Regierungsvertreter, und zwar sämtlicher Couleur, bislang nichts Entscheidendes entgegengesetzt außer verbalen Beteuerungen, mit denen Wählerinnenstimmen gefangen werden sollen.
({2})
Warum sollten sie auch? Genau diese Unterdrükkung von Frauen dient doch ihrer eigenen Machterhaltung, ihren eigenen Interessen.
({3})
Überall dort, wo Männer glauben, sieh zu Stellvertretern von Fraueninteressen machen zu können, sind sie unglaubwürdig und lächerlich. Stellvertretung für unsere Interessen als Frauen, das maßen sich Männer leider schon seit Jahrtausenden zu unser aller Leidwesen an. Und diese Herrschaft wird nie zum Selbstbestimmungsrecht für Frauen, für Menschen, für Völker führen.
Deshalb können wir angesichts der bislang unwidersprochenen Stellungnahme seitens des Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit, die Delegation werde durch den zuständigen Minister angeführt, nur hoffen, daß es sich dabei nicht um Reiner Geißler handeln wird, sondern daß er bis dahin aus der Regierung in das Parteiamt zurückrotiert sein wird. Um aber auszuschließen, daß die Delegation durch einen Mann angeführt werden könnte, was in unser aller Augen eine Beleidigung für alle im Ministerium in leitender Funktion sitzenden Frauen wäre,
({4})
beantragen wir, daß definitiv eine Frau zur Leiterin bestimmt wird.
({5})
Wir nehmen nämlich Herrn Geißlers Aufforderung, die Männer sollten von ihrem Paschathron heruntersteigen, ernst. Er sollte sie sich auch selbst zu Herzen nehmen.
({6})
Es ist für uns eine Selbstverständlichkeit, daß die Regierungsdelegation ausschließlich von Frauen besetzt wird.
Für den Fall, daß die Bundesregierung vorhat, auch Männer mitzuschicken, schlagen wir vor, diese statt dessen in den familiären Sonderurlaub zu schicken, damit sie den innerfamiliären Lastenausgleich leisten könnten, während ihre Ehefrauen, von Hausarbeit und Kindererziehung entlastet, zur Weltfrauenkonferenz fahren könnten. Es reicht nämlich nicht aus, wie es im Antrag der CDU/CSU/ FDP steht, nur einen Bericht über die Weltfrauenkonferenz 1985 zu machen. Ein Bericht über die Beschlüsse aller Weltfrauenkonferenzen muß Grundlage für eine Bundestagsdebatte sein, um die verbalen Versprechungen und die gefaßten Beschlüsse an der Realität in der BRD messen zu können.
({7})
Das heißt, es kann uns nicht mehr darum gehen, noch mehr Analysen zu machen, noch mehr Empfehlungen zu verabschieden, noch mehr Beschlüsse zu fassen, wie Sie es bislang in Ihrem Antrag fordern; denn das alles gibt es schon sehr lange wie Sand am Meer. Die Aufhebung der Unterdrückung von Frauen fängt hier und heute an.
Deshalb beantrage ich sofortige Überweisung an die zuständigen Ausschüsse und fristgemäße, schnelle Beratung.
Danke sehr.
({8})
Das Wort hat Frau Parlamentarische Staatssekretärin Karwatzki.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich möchte mich auf den Antrag der GRÜNEN beschränken und nicht auf die polemischen Ausführungen der Kollegin Zutt eingehen, weil dies nichts bringt. Wir reden über Nairobi und nicht über Frauenpolitik hier.
Frau Kollegin Potthast, bevor ich auf Ihre erste Frage eingehe, möchte ich eine Anmerkung machen: So schlimm, wie Sie sie gerade skizziert haben, sind die Männer aber nicht.
({0})
Ich bin auch der Meinung, daß es ohne Männer nicht geht. Also, ein bißchen differenzierter ist die Sache doch schon.
({1})
Frau Potthast, um aber Ihre Fragen zu beantworten: Wenn Sie bei den Vorbereitungssitzungen imParl. Staatssekretär Frau Karwatzki
mer anwesend gewesen wären, wüßten Sie, daß die Leiterin dieser Delegation eine Frau ist, und diese Frau bin ich.
({2})
So gesehen, ist diesem Problem abgeholfen worden.
Das zweite, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ist die Frage nach der Regierungsdelegation, Nun, wir haben uns die Zusammensetzung dieser Delegation nicht einfach gemacht. Sie kann naturgemäß nur eine begrenzte Zahl umfassen; denn da kommen j a viele, viele Länder hin. Alle haben sich ernsthaft überlegt: Wie können die Beraterinnen, wie können die Sachverständigen ausgesucht werden, und welche Bereiche müssen berücksichtigt werden? Dann haben Sie recht: Im Gegensatz zu früher haben wir entschieden, daß z. B. - das ist gerade für die Dritte Welt ganz wichtig - je ein Vertreter der beiden Tarifparteien mitgeht. Wir haben dann überlegt: Wer hat denn die meisten Projekte in der Dritten Welt? Wer tut denn am meisten für die Frauen dort? Da müssen wir doch anerkennend sagen, daß das die beiden christlichen Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland sind.
({3})
Darum habe ich die Frauenarbeit dieser beiden Bereiche berücksichtigt. Dann habe ich selbstverständlich und natürlich den Deutschen Frauenrat berücksichtigt, in dem 10 Millionen Frauen zusammengeschlossen sind. Wenn Sie dann fordern, daß auch die wissenschaftliche Frauenforschung berücksichtigt werden müßte: Dies ist keine gesellschaftliche Gruppe, so daß ich darauf verzichtet habe.
Zu Ihrer dritten Frage, Vertreterinnen der autonomen Frauenbewegung einzubeziehen. Ich antworte darauf. Ich habe mir schon Mühe gegeben, auch diese Fragen der GRÜNEN ernsthaft zu prüfen und ihnen nachzugehen: Was können wir da tun?
({4})
- Doch, Herr Kollege. Ich meine schon: Fragen, die im Parlament und an die Regierung gestellt werden, sollten geprüft und auch beantwortet werden. Ich habe dies getan.
({5})
Ich möchte betonen: Zur Weltfrauenkonferenz können durchaus jederzeit weitere Frauen - ohne Status - fahren. Natürlich müssen sie diese Kosten selbst übernehmen. Für Teilnehmerinnen der Frauenverbände und Frauengruppen am Forum der nichtstaatlichen Organisationen stellt die Bundesregierung Mittel zur Verfügung. Das Auswärtige Amt ist hier der Partner. Soweit ich weiß, hat auch der Deutsche Frauenrat das entsprechende Geld seitens des Auswärtigen Amtes erhalten.
Ihre vierte Frage, die darauf abzielt, die Beschlüsse der Weltfrauenkonferenzen 1975 und 1980 bekanntzugeben: Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit ist frühzeitig tätig geworden, um auf die Bedeutung der Weltfrauenkonferenzen aufmerksam zu machen.
So wurde z. B. im Sommer 1984 ein Bericht unter dem Titel „Frauen in der Bundesrepublik Deutschland" vorgestellt. Dieser Bericht, der anläßlich der Weltfrauenkonferenz auch in englischer und französischer Sprache übersetzt vorliegen wird, wird einen umfassenden Überblick über die Arbeit der Frauen, Frau Kollegin Däubler, aller Regierungen geben. Wir maßen uns doch nicht an, so zu tun, als hätten Sie nicht 13 Jahre regiert und da wäre nichts geschehen. Es ist doch nicht so, als würden wir ein Bild zaubern, das nicht der Wirklichkeit entspricht. Ich wäre doch auch Ihrerseits so fair, anzuerkennen, daß wir etliches im sozialpolitischen Feld auf den Weg gebracht haben, was den Frauen dient und nützt.
({6})
Frau Kollegin Zutt, ich will an diesem Punkt für die Bundesregierung einmal deutlich erklären: Wenn Sie die Bundesregierung in bezug auf die Diskussion zu § 218 StGB angreifen, überlegen Sie gut, ob Sie uns angreifen müssen oder ob Sie einzelne Kollegen der Koalitionsfraktionen meinen. Sie können hier aber nicht Blumen mit Birnen verwechseln und daraus Mus machen. Ich denke, das gehört auch im Interesse der Wahrheit hierher.
Frau Parlamentarische Staatssekretärin, gestatten Sie zwei Zwischenfragen von zwei verschiedenen Damen, Frau Däubler-Gmelin und Frau Blunck?
Herr Präsident, ich bin sonst sehr großzügig, aber mein Kollege Wörner hat nachher noch einen Termin und muß noch einen Teilbereich abhandeln. Von daher bitte ich die Kolleginnen um Verständnis, daß ich meinen Bereich jetzt zu Ende bringe.
({0})
- Nein, das ist kollegial. Das hat auch etwas mit Kollegialität zu tun.
({1})
Eines der wichtigsten Ziele des „Jahrzehnts der Frau", das 1975 von den Vereinten Nationen proklamiert wurde und durch die dritte Weltfrauenkonferenz in Nairobi vom 15. Juli bis 25. Juli abgeschlossen wird, ist die Ratifizierung des UN-Übereinkommens in möglichst vielen Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen. Die Bundesrepublik Deutschland hat das Übereinkommen am 17. Juli 1980 unterzeichnet. Die Bundesregierung hat den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau am 13. Juli 1983 beschlossen. Ferner hat das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine Denkschrift zu dem Übereinkommen erstellt. Der Deutsche Bundestag hat das UN-Ratifizierungsgesetz am 28. Februar 1985 verabschiedet, und der Bundesrat wird das Gesetz am 22. März 1985 abschließend beraten. Damit ist die Ratifizierung
noch vor der Weltfrauenkonferenz in Nairobi gewährleistet.
Auf Grund eines Beschlusses des zuständigen Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit am 16. Januar 1985 wird das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit eine ausführliche Stellungnahme zum Bericht der Enquete-Kommission „Frau und Gesellschaft" bis Ende dieses Monats vorlegen.
Zu Ihrer fünften Frage betreffend die Arbeit der autonomen Frauenbewegung: Die Arbeit der autonomen Frauenbewegung ist in der Broschüre „Frauen in der Bundesrepublik Deutschland" berücksichtigt; sie wird also vorgestellt. Insbesondere ist ein eigener Abschnitt über die autonome Frauenbewegung enthalten; ich verweise schon jetzt auf die Seite 45.
Zu Ihrer sechsten Frage nach öffentlicher Bekanntgabe der entsprechenden Themen der Weltfrauenkonferenz möchte ich anmerken: Der Unterrichtung der Öffentlichkeit über die Konferenz dienen Informationsgespräche mit Journalistinnen und Journalisten, mit dem Deutschen Frauenrat und einer Reihe von Verbänden. Die Bundesregierung wird die Ergebnisse der bevorstehenden Weltfrauenkonferenz selbstverständlich veröffentlichen und mit Ländern, Frauenverbänden, Frauengruppen, Tarifpartnern und allen übrigen gesellschaftlichen Gruppen, die Interesse haben, diskutieren und auswerten.
Zu Ihrer siebten Frage, die Forderung des Welt-aktionsplanes betreffend: Der Erfolg der Politik für die Frauen hängt nicht davon ab, ob ein rechtlich unabhängiges Frauenbüro auf Regierungsebene existiert oder nicht.
Innerhalb der Bundesregierung ist der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit für die Koordinierung der Frauenpolitik zuständig. Ein Ministerium ist stärker als nur ein „Frauenbüro". Für die damit verbundenen Aufgaben der Koordinierung der Frauenpolitik wurde der Arbeitsstab Frauenpolitik eingerichtet. Der Titel dafür ist mit 3,7 Millionen DM angesetzt. Die Einrichtung des Arbeitsstabes Frauenpolitik geht auf einen Kabinettsbeschluß im Jahre 1979 zurück. Danach hat der Arbeitsstab Frauenpolitik „insbesondere auf die Schließung rechtlicher Lücken zur Erlangung der vollen im Grundgesetz verankerten Gleichberechtigung und auf die Beseitigung praktischer Benachteiligungen hinzuwirken". Der Arbeitsstab Frauenpolitik ist im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit unmittelbar dem Minister und den beiden Staatssekretären unterstellt. Die Zuständigkeit ist geschäftsordnungsmäßig abgesichert und beinhaltet auch ein rechtzeitiges und vollständiges Mitspracherecht. Nach der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien ist der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit bei der Bearbeitung von Gesetzentwürfen schon zu den Vorarbeiten heranzuziehen.
({2})
- Herr Kollege, ich bin jetzt am Ende. Ich würde aber in ein Gespräch eintreten, vielleicht im Ausschuß. Ich lade Sie herzlich ein, damit wir dann die noch anstehenden Fragen miteinander klären können.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Für die beiden Anträge auf den Drucksachen 10/2810 und 10/3021 ist Ausschußüberweisung vorgeschlagen, und zwar zur federführenden Beratung an den Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und zur Mitberatung an den Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Ist das Haus mit den Vorschlägen einverstanden? - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der Personalstruktur in den Streitkräften ({0})
- Drucksache 10/2887 Im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch; es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Verteidigung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! Die außergewöhnliche und einmalige Maßnahme der freiwilligen vorzeitigen Zurruhesetzung von 1 500 Truppenoffizieren im Zeitraum von sechs Jahren dient der Bereinigung einer ebenso außergewöhnlichen wie einmaligen Situation in den Streitkräften. Offiziere in den entscheidenden Führungspositionen Kompaniechef und Bataillonskommandeur - und um die geht es hier - und in den entsprechenden Verwendungen bei Luftwaffe und Marine überaltern. Offiziersnachwuchs kann nicht in ausreichender Zahl eingestellt werden. Geschieht nichts, dann wird die Bundeswehr ihren Abschreckungs- und Verteidigungsauftrag binnen kurzem nicht mehr erfüllen können.
({0})
Hier handelt es sich also nicht um eine soziale Wohltat, geschweige denn um eine Privilegierung der Offiziere, der einzige Zweck dieses Gesetzes ist es, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr aufrechtzuerhalten und sie damit zu befähigen, ihren Auftrag auch in den 90er Jahren zu erfüllen.
({1})
Diese Überalterung des Offizierskorps der Bundeswehr ist eine Folge des schnellen Aufbaus unserer Streitkräfte. Da Ende der 50er und zu Beginn der 60er Jahre nicht genügend Offizierbewerber der Jahrgänge 1925 bis 1934 zur Verfügung standen, beBundesminister Dr. Wörner
nötigte die Bundeswehr verstärkt Berufsoffiziere der geburtenstarken Jahrgänge 1935 bis 1944.
({2})
In diesen Jahrgängen haben wir heute einen Überhang von rund 5 000 Offizieren gegenüber dem Soll. Sie besetzen Dienstposten, die bei strukturgerechtem Altersaufbau mit lebensälteren Offizieren besetzt sein müßten, und blockieren sie damit zwangsläufig auf verhältnismäßig lange Zeit für nachrükkende jüngere Offiziere.
({3})
Weil kaum Stabsverwendungen mehr frei werden, können Bataillonskommandeure und Kompaniechefs nicht rechtzeitg aus der Truppe herausgelöst werden. Sie überaltern in ihren Verwendungen. Schon heute hat die Bundeswehr die ältesten Kompaniechefs und Bataillonskommandeure, nicht nur verglichen mit den Verbündeten in der NATO, sondern auch verglichen mit den Streitkräften des Warschauer Paktes. Bis 1991 haben 54 % unserer Bataillonskommandeure das nach wissenschaftlichen Maßstäben festgelegte Grenzalter von 45 Jahren und 79 % der Kompaniechefs das Grenzalter ihrer Verwendung von 35 Jahren überschritten.
({4})
- Frau Kollegin, die Intelligenz Ihres Zwischenrufs erspart mir eine Antwort.
({5})
Ich gebe Ihnen zum Nachdenken einige Zahlen, Vergleichszahlen anderer Streitkräfte: In den Vereinigten Staaten ist das Durchschnittsalter der Kommandeure 35 Jahre, der Chefs 25 Jahre; in Israel 31 bzw. 24 Jahre. In der Sowjetunion sind die Bataillonskommandeure durchschnittlich 36 und die Kompaniechefs durchschnittlich 27 Jahre.
({6})
Andere Staaten haben sich Sonderregelungen für ihre Streitkräfte geschaffen, um einen organischen Altersaufbau zu sichern, um den Verwendungsfluß zu gewährleisten, und dies, obwohl sie bei weitem nicht das Problem des überstürzten Aufbaus der Bundeswehr kennen und daher auch nicht vor einem Verwendungsstau ähnlichen Ausmaßes stehen.
So können, um einige Beispiele anzuführen, die übrigens beliebig angereichert werden können, in Frankreich Oberstleutnante, die mehr als vier Jahre vor Erreichen der besonderen Altersgrenze stehen, auf eigenen Antrag mit der Pension eines Obersten aus dem aktiven Dienst ausscheiden.
Amerikanische Offiziere können die Streitkräfte jederzeit verlassen. Ihr Pensionsanspruch beträgt nach 20 Jahren 50 %, nach 30 Jahren 75 % des letzten Grundgehalts. Außerdem ist - das ist wichtig - die vorzeitige Zurruhesetzung durch den Gesetzgeber möglich.
Auch in der britischen Armee kann jeder Offizier zu jeder Zeit vorzeitig aus dem Dienst scheiden. Anspruch auf Pension wird dort bei einem Mindestalter von 37 Jahren und einer Mindestdienstzeit von 16 Jahren erworben. Darüber hinaus kann auch in Großbritannien - im Unterschied zur Bundesrepublik Deutschland - der Dienstherr das Dienstverhältnis jederzeit aufkündigen. So mußten von April 1983 bis März 1984 in Großbritannien rund 200 Offiziere vorzeitig aus den Streitkräften ausscheiden.
({7})
Das sind die Regelungen in vergleichbaren Staaten unserer Verbündeten, die - ich wiederhole das - das Problem, das wir haben, bei weitem nicht in der gleichen Schärfe kennen. Bei uns ist eine solche Möglichkeit nicht gegeben.
Die Folge: Im Jahre 1986 werden wir statt der notwendigen 484 nur 122 Zurruhesetzungen von Offizieren des Truppendienstes haben. Das heißt auch, daß statt rund 500 jungen Offiziersanwärtern, die eingestellt werden müßten, nur 120 eingestellt werden können. Diese Entwicklung setzt sich fort.
({8})
Deshalb muß 1986 die vorgesehene gesetzliche Regelung greifen. Tun wir nichts, sind - das sei allen Kollegen zum Nachdenken mitgegeben, wobei ich mich nicht an Sie von den GRÜNEN wende, sondern an die Kollegen von der, wie ich heute noch sage, eigentlichen Opposition - Anfang der 90er Jahre 42 %, also fast die Hälfte, aller Berufsoffiziere des Truppendienstes älter als 50 Jahre.
({9})
Die schon jetzt deutlichen Folgen für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte würden unerträglich. Überalterte Kompaniechefs und Bataillonskommandeure wären physisch und wohl auch psychisch kaum noch imstande, ihre Einheiten und Verbände unter den harten Bedingungen des Gefechts wirkungsvoll zu führen und die ihnen unterstellten Soldaten - das sind zu 50 % Wehrpflichtige - bei der notwendigen einsatzorientierten Ausbildung zu motivieren.
({10})
Die zweite Folge: Die nötigen Verwendungswechsel und eine systematische langfristige Ausbildung der nachfolgenden Offiziere wäre nicht mehr möglich. Schon gibt es Hauptleute, die 16 Jahre Dienst als Kompaniechef tun.
({11})
Junge Oberleutnante haben keine Chance, rechtzeitig Kompaniechef zu werden. Ende der 80er Jahre müßten junge Zeitoffiziere nach einem Hochschulstudium und zwölfjähriger Dientzeit im selben Dienstgrad „Oberleutnant" aus der Truppe aus9336
scheiden, mit dem sie von der Hochschule kommen.
({12})
Sie müßten als Oberleutnante ausscheiden, ohne je die Chance gehabt zu haben, Kompaniechef gewesen zu sein. Die Folgen für die Nachwuchswerbung wären katastrophal.
({13})
Der Offizierberuf würde unattraktiv.
Mitte der 90er Jahre schließlich würden überproportional viele Offiziere auf einen Schlag ausscheiden. Entsprechender Nachwuchs wäre dann nicht vorhanden, könnte andererseits aber unter den veränderten Verhältnissen der 90er Jahre in Konkurrenz mit der zivilen Wirtschaft kaum gewonnen werden. Damit wäre ein erneuter unorganischer Aufbau des Offizierskorps bereits jetzt vorprogrammiert.
All dies macht deutlich: Eine weitere Verschleppung dieses Problems wäre nicht zu verantworten. Wenn ich an ihre Festellungen in all den Jahren zuvor denke, bin ich davon überzeugt, daß mindestens die Kollegen von der SPD das sehr wohl wissen.
Die Bundesregierung hat sich die Suche nach der Lösung dieses Problems nicht leichtgemacht.
({14})
Wir haben sorgfältig alle Lösungsmöglichkeiten untersucht. Die jetzt vorgeschlagene Lösung hat sich nach Prüfung aller Alternativen als die einzig realisierbare und zugleich als die kostengünstigste herausgestellt. So haben wir als erstes geprüft, ob es nicht möglich wäre, die Offiziere in die Verwaltung des öffentlichen Dienstes zu übernehmen, wobei auch hier nach der Rechtslage nur ein freiwilliges Überwechseln in Frage käme.
({15})
- Ich komme jetzt gerade darauf; wenn Sie mir einen Moment Zeit geben. - Am Beispiel der Bundeswehrverwaltung läßt sich sehr schnell erkennen, warum dies nur im Ausnahmefall möglich ist und als generelle Lösung ausscheidet.
Im höheren Dienst der Bundeswehrverwaltung sind die Jahrgänge 1932 bis 1944 ebenfalls überbesetzt, aus den gleichen Gründen übrigens.
({16})
- Nein, wir haben dort einen Beförderungsstau. Das müßten Sie wissen. Das ist der entscheidende Unterschied. - 54 % der Beamten gehören ihm an. In der Bundeswehrverwaltung sind im höheren Dienst im wesentlichen Juristen, Techniker sowie andere Natur- und Geisteswissenschaftler in Verwaltung, Lehre und Forschung beschäftigt. Die in Frage kommenden Offiziere sind in der Regel dafür fachlich nicht entsprechend vorgebildet.
Nun haben wir einmal zusammengezählt. Von 1986 bis 1991 scheiden aus der Bundeswehrverwaltung insgesamt 557 Beamte aus, davon sind 221 Juristen, 124 Diplomingenieure und 212 Ärzte, Psychologen, Metereologen usw. Die Übernahme der fraglichen Offiziere in die Bundeswehrverwaltung würde, ganz abgesehen davon, daß aus diesen Gründen das nicht möglich ist, deren Beamte und Angestellte bis zur Jahrhundertwende von einer normalen Laufbahnentwicklung abschneiden und ebenfalls die Einstellung junger Nachwuchskräfte verhindern.
Diese Gesichtspunkte, die für die Bundeswehrverwaltung gelten, treffen im wesentlichen für alle Zweige der Bundesverwaltung zu. Wünschen aus dem parlamentarischen Raum und der Öffentlichkeit entsprechend habe ich mich gleichwohl an die Regierungschefs der Bundesländer und die Spitzen der Kommunalverbände mit der Bitte gewandt, zu überprüfen, ob dort Stellen zur Verfügung gestellt werden können. Sollte das der Fall sein, würden wir von den Möglichkeiten der freiwilligen Zurruhesetzung entsprechend weniger Gebrauch machen.
Nun haben wir eine zweite Alternative untersucht, nämlich die Einrichtung zusätzlicher Anschlußverwendungen. Dazu müßten ab 1986 1 500 Dienstposten, im wesentlichen Major bis Oberst, eingerichtet werden. Sie wären, das muß man als erstes sehen, nicht unbedingt für die Erfüllung des Einsatzauftrages der Bundeswehr notwendig, zumal sie ab 1992 wieder abgebaut werden müßten. Der Bundesfinanzminister müßte von 1986 bis 1991 zusätzlich 1 500 Planstellen im höheren Dienst bewilligen.
({17})
Allein die Kosten dafür wären um 210 Millionen DM höher als bei der von uns gewählten Lösung, nicht gerechnet die zusätzlichen Kosten für Unterbringung und sonstige Infrastruktur.
({18})
Die Wirkung solcher Zusatzdienstposten auf die Öffentlichkeit und andere Ressorts will ich hier gar nicht diskutieren. Bereits unsere Vorgängerregierung hat diese Lösung untersucht und zu Recht verworfen.
({19})
Als dritte Alternative haben wir die zeitweise Herabsetzung der besonderen Altersgrenze um drei Jahre untersucht. Sie brächte zwar im Jahr 1986 einen Anfangserfolg von 599 statt 122 Pensionierungen, hätte aber bei Rückkehr zur heutigen Altersgrenze drei Jahre lang überhaupt keine Pensionierung zur Folge. Eine rückwirkende Anwendung wäre nur mit Zustimmung der Betroffenen möglich. Die Regelung wäre überdies nicht auf Offiziere zu beschränken. Die Kosten betrügen mit 1,65 Milliarden DM nahezu das Dreifache unserer Lösung.
Das waren die drei Alternativen, die wir untersucht haben, drei Alternativen, die in der Öffentlichkeit immer wieder vorgeschlagen werden und die ich auch im Bundesrat von zwei verschiedenen Bundesländern gehört habe.
Besonders interessant war nebst der Stellungnahme der bayerischen Staatsregierung für mich die Stellungnahme des Senators Pawelczyk, der gesagt hat, es wäre ein leichtes - wörtlich -, das Problem auf die eben beschriebene Weise zu lösen. Die Frage, die ich dabei hatte, die mir durch den Kopf schoß und mir auf der Zunge lag, als ich das hörte, war: Wenn es ein leichtes war und wenn, was die SPD weiß, dieses Problem das entscheidende Problem des inneren Gefüges der Streitkräfte ist, warum haben Sie es dann uns ungelöst auf den Tisch gelegt'?
({20})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Traupe?
Bitte, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Minister, ich frage mit Bedauern: Warum haben Sie jetzt diesen polemischen Klang hineingebracht? Wir haben die Offiziere nicht eingestellt. Wir waren aber zu einer Lösung bereit, die Sie vorher mit uns gemeinsam sorgfältiger hätten diskutieren müssen.
({0})
- Wir waren nicht in einem Alter, lieber Herr Kollege Wimmer. - Ich möchte Sie fragen, warum diese Polemik notwendig war, statt gemeinsam vorher nach Lösungen zu suchen.
Frau Kollegin Traupe, zum einen kann ich nicht entdecken, daß das, was als Auseinandersetzung des Senators Pawelczyk mit der Position der Bundesregierung im Bundesrat vorgetragen wurde, Polemik darstellt. Weil ich das nicht als Polemik, sondern als einen normalen, in einer parlamentarischen Demokratie üblichen sachlichen Angriff werte, habe ich ebenso sachlich eben auf dem Platz, an dem ich antworten kann, nämlich im Deutschen Bundestag, die Antwort darauf gegeben. Ich halte das für eine ganz normale parlamentarische Prozedur.
({0})
Sie wissen ganz genau, daß das, was Herr Pawelczyk gesagt hat, nicht zutrifft.
Zweitens. Sie fragen, warum wir diese Lösung nicht mit Ihnen besprochen hätten. Zunächst einmal ist zu sagen: Viele von Ihnen wußten, daß wir nach Lösungen suchen. Dieses Vorhaben wird nun ein halbes Jahr leidenschaftlich diskutiert, schon bevor wir es im Kabinett beschlossen haben. Wir suchen nach Lösungen jetzt über Jahre. Die Zeit der Diskussion ist vorbei. Es muß endlich etwas geschehen. Es muß etwas umgesetzt werden.
({1})
Das Problem muß gelöst werden. Das wissen Sie so gut wie ich.
Frau Kollegin Traupe, wir sind jetzt in einer parlamentarischen Beratung. Wir haben gerade die erste Lesung. Wir haben Zeit, auch mit Ihnen eingehend zu diskutieren. Ich bin gern bereit - und wir werden es anschließend hören -, Alternativen zu überlegen, wenn Sie uns solche in realisierbarer Form präsentieren. Nur eines wird dieser Bundesminister der Verteidigung nicht tun: Er wird das Problem nicht weiter vor sich herschieben. Das bin ich den Offizieren und der Einsatzbereitschaft unserer Truppe einfach schuldig.
({2})
- Auf die komme ich noch. Herr Kolbow, ich kann aber nicht alles auf einmal sagen. Schritt für Schritt kommt das schon noch.
Betroffene sind 1 500 Offiziere der Jahrgänge 1935 bis 1944. Für eine kurze Übergangszeit haben wir die Jahrgänge 1932 bis 1934 einbezogen, und zwar diejenigen, die bereit sind, einer vorzeitigen Entlassung aus dem gewählten Lebensberuf zuzustimmen.
Der Offizier - das möchte ich einmal im Blick auf eine öffentliche Debatte sagen, die häufig mit falschen Fronten und falschen Akzenten geführt wird -, der dazu bereit ist, diesen Weg zu gehen, gibt in einer kritischen Arbeitsmarktsituation einen Lebensberuf auf. Er verzichtet wenigstens für eine Übergangszeit auf ein Drittel seiner Bezüge und nimmt eine deutlich geringere Altersversorgung in Kauf. In der Regel wird er umziehen müssen. Häufig hat er Kinder in der Ausbildung.
Berücksichtigt man all diese Umstände, dann ist die Kombination von Pensionszuschlag und Einmalzahlung weiß Gott nicht überzogen. Da wir auf Freiwilligkeit angewiesen sind, keine zwangsweise Lösung möglich ist, mußte die Regelung so attraktiv sein, daß sich mit einiger Wahrscheinlichkeit 1 500 Offiziere zum freiwilligen Ausscheiden bereit finden.
({3})
- Ich bin für diesen Zwischenruf dankbar. Niemand kann mit Sicherheit voraussagen, ob sich 1 500 Offiziere bereit finden werden. Wir haben versucht, so gut es ging, die Bereitschaft mit einer Intensivbefragung und einer Repräsentativbefragung abzutasten. Es sieht so aus, als ob mit dieser Regelung die nötige Zahl gefunden werden könne. Garantieren kann es Ihnen keiner.
Nun noch ein Blick auf die Diskussion in der Öffentlichkeit. Dort wird fast ausschließlich mit dem Grenzfall des 45jährigen Oberstleutnants argumentiert und der Höchstbetrag von 42 000 DM genannt, als ob das die Regel wäre. Dabei wird völlig übersehen, daß diese Gruppe beispielsweise im
Jahre 1986 nur 6,6% der überhaupt in Frage kommenden Offiziere ausmacht. Ein 50jähriger Hauptmann beispielsweise, der von der Möglichkeit dieses Gesetzes Gebrauch machen würde, erhielte lediglich 12 000 DM; 8 000 DM kriegt er in jedem Fall. Das heißt, wenn man mit diesen Grenzwerten argumentiert, argumentiert man an der Sache vorbei.
({4})
Lassen Sie mich bei der Gelegenheit auch auf die in der Öffentlichkeit lautgewordene Besorgnis eingehen, die ich sehr ernst nehme, der Arbeitsmarkt werde mit dieser Lösung überlastet. Zunächst einmal werden es im Schnitt 250 Offiziere im Jahr sein, also etwa 25 pro Bundesland und Jahr. Schon dies macht deutlich, daß nicht ernsthaft von einer unvertretbaren Belastung des Arbeitsmarkts gesprochen werden kann. Dann wird dabei völlig übersehen - ich sage neuerdings: bewußt, weil ich das schon sehr häufig in der Öffentlichkeit gesagt habe -, daß in dem Ausmaß, in dem ältere Offiziere ausscheiden, jüngere eingestellt werden können, so daß der Arbeitsmarkt in gleichem Umfang entlastet wird. Das ist ja geradezu der Sinn dieses Gesetzes, daß wir in der Lage sind, Nachwuchs wieder in dem Ausmaß einzustellen, wie wir das brauchen, um die Streitkräfte auch in den 90er Jahren einsatzbereit zu halten.
({5})
Dann wird vielfach befürchtet - auch darauf will ich noch kurz eingehen -, dieses Gesetz führe zu Nachfolgeforderungen aus anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Forderungen dieser Art mögen erhoben werden, und sie werden auch erhoben. Sie sind aus der Sicht der Betroffenen sicher verständlich, jedoch bei genauerem Hinsehen nicht begründet. Bei diesen Forderungen wird übersehen, daß die Lage der Kompaniechefs und Bataillonskommandeure der Streitkräfte aus vielen Gründen nicht mit anderen Zweigen des öffentlichen Dienstes vergleichbar ist. Das Lebensalter der militärischen Führer - das ist der entscheidende Grund - ist an den Belangen des Friedensbetriebes einerseits, vor allem aber an denen des Verteidigungsfalles auszurichten. Der frühere Bundeskanzler Schmidt hat einmal mit Recht gesagt: Je besser eine Armee kämpfen kann, desto weniger wird sie kämpfen müssen. Das heißt, wir müssen eine Armee haben, die kämpfen könnte, wenn sie die Aufgabe der Abschreckung bewältigen und damit den Frieden für dieses Volk sichern soll. Also muß sich das Lebensalter der militärischen Führer an den Anforderungen des Ernstfalles ausrichten. In diesem Ernstfall müßten sie ihre Kompanien und Bataillone in einem mit großer Vehemenz geführten Gefecht, und zwar rund um die Uhr, unter permanenter Feindeinwirkung und in ständiger Gefahr für das eigene Leben führen. Jeder kann sich vorstellen, was das an physischer und an psychischer Belastung, an Verantwortung für Leib und Leben der unterstellten Soldaten, an Nerven und an Spannkraft voraussetzt.
({6})
- Herr Kleijdzinski, Sie wissen das doch ganz genau. Genau das ist ja der Grund - ich habe die Zahlen genannt -, daß in anderen Streitkräften sowohl unserer Verbündeten wie des Warschauer Pakts das Grenzalter niedriger gehalten wird, als es jetzt schon in den deutschen Streitkräften der Fall ist.
({7})
Auch im Frieden stellt der Dienst an diese militärischen Führer hohe Anforderungen. Die Bundeswehr ist eine Wehrpflichtarmee. Auch das ist einer der Unterschiede zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Vierteljahr für Vierteljahr muß der Kompaniechef neue, junge Wehrpflichtige führen, erziehen und ausbilden. Nur der junge, spannkräftige Offizier, der den Wehrpflichtigen noch etwas vormachen kann, der ihnen auch altersmäßig nahesteht, wird dies im Regelfall leisten können. Ich bestreite ja nicht, daß es in Ausnahmefällen möglicherweise auch einmal einen 45- oder 50jährigen gibt, der als Kompaniechef in dieser Hinsicht noch etwas leisten kann. Im Einsatzfall wäre er mit Sicherheit zu alt.
({8})
Im Friedensbetrieb kann ich mir vorstellen, daß das in Ausnahmefällen möglich ist. Aber jedenfalls der Regelfall ist es nicht.
Vom Kompaniechef - auch das wird in der öffentlichen Diskussion völlig unterschlagen - wie vom Bataillonskommandeur erwarten wir, daß er eben nicht am Schreibtisch sitzt, sondern seine Truppe im Gelände führt und das bei jeder Witterung, in Übungen und Manövern. Er verbringt ja ein Viertel bis in manchen Fällen ein Drittel seiner Dienstzeit draußen in Übungen, in Manövern - Wochenenden eingeschlossen.
Schon in Friedenszeiten - auch das sei hier einmal in Erinnerung gerufen, weil das in der Diskussion in der Öffentlichkeit weitgehend unterschlagen wird - gibt es für den Soldaten, anders als im übrigen öffentlichen Dienst, keine geregelte Dienstzeit,
({9})
schon gar keine 40-Stunden-Woche. Viele Soldaten kommen auf 60 bis 70 Stunden die Woche.
({10})
- Und mehr! - Überstundenausgleich gibt es im Unterschied zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes erst ab 56 Wochenstunden, und dies nur in Form einer Pauschale von 90 DM pro Monat.
Ich möchte die Bundeswehr nicht gegen andere Zweige ausspielen. Ich sage das nur im Blick auf eine Diskussion, die uns aufgezwungen wird, wo andere die Vergleichbarkeit für sich in Anspruch nehmen. Dann muß es erlaubt sein, auch auf diese Nachteile hinzuweisen,
({11})
die der Bundeswehr, und zwar seit sie geschaffen wurde, einfach als selbstverständlich zugemutet werden.
Von den häufigen Versetzungen will ich gar nicht erst reden. Das Beispiel eines Oberstleutnants, der in 25 Dienstjahren acht Versetzungen mit Standortwechsel erlebte, ist eher die Regel. Mein Adjutant hat inzwischen 13 Versetzungen hinter sich,
({12})
in einem Lebensalter, wo andere, wenn sie zwei oder drei Versetzungen erlebt haben, das bereits als außergewöhnlich bezeichnen.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Aber selbstverständlich, Herr Präsident.
Bitte sehr, Herr Heistermann.
Herr Bundesminister, würden Sie auch die Vorteile nennen, daß es für Soldaten gerade wegen der hohen Belastungen, die sie zu tragen haben, eine vorzeitige Pensionierung gibt, daß man damals bewußt die Pensionierungsgrenze für bestimmte Dienstgrade so weit heruntergelegt hat? Da muß man, wenn man das Negative aufzählt, zumindest das Positive hier erwähnen.
({0})
Herr Kollege Heistermann, die besondere Dienstaltersgrenze ist unabhängig von den Grenzaltern in verschiedenen Kommandofunktionen auch mit Blick auf die Einsatzfähigkeit festgelegt worden, nicht als Abgeltung für Nachteile.
({0})
Noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Horn. Bitte!
Herr Bundesminister, wie Sie wissen, teilen wir alle die Sorgen, die Sie hier dargestellt haben. Meine Frage geht dahin: Warum sind Sie nicht bereit, angesichts dieser bedrückenden Probleme, die die Soldaten der Bundeswehr allenthalben bewegen, die aber weithin isoliert nur in Ihrem Bereich bekannt sind, so etwas nach außen hin öffentlich zu machen, was Mobilitätsstudien und anderes beinhaltet? Dies, Herr Minister, wäre eine außerordentlich große Hilfe
({0})
- das war eine Frage, Herr Vorsitzender -, wenn Sie diese Frage positiv beantworten würden.
Lieber Kollege Horn, hierüber gibt es keinerlei Dissens zwischen uns. Ich bin völlig Ihrer Auffassung. Nur stehe ich hier vor einem Problem, vor dem wir, die sogenannten Spezialisten für Verteidigung, alle stehen: Die Aufnahmebereitschaft der Medien, der veröffentlichten Meinung und der öffentlichen Meinung für das, was nicht als sensationell betrachtet wird, ist eben nur begrenzt. Ich bin aber gerne bereit, die Aufklärung noch weiter zu verstärken. Ich zähle dabei auch auf Ihre Unterstützung; denn hier gibt es nichts, was uns trennen wird.
({0})
- Die Mobilitätsstudie kann der Öffentlichkeit, wenn sie ausgewertet ist, selbstverständlich ebenfalls zugänglich gemacht werden.
({1})
- Ja, nun, Sie müssen dem Bundesminister der Verteidigung schon zugestehen, daß er genauso wie alle seine Vorgänger, wenn er Studien anfertigen läßt, diese Studien selbst erst auswertet und bewertet, bevor er sie der Öffentlichkeit übergibt. Das ist eine schlichte Selbstverständlichkeit.
({2})
Dann darf ich noch auf einen Unterschied hinweisen. Die Berufsoffiziere des Truppendienstes durchlaufen eine Einheitslaufbahn in einer Vielzahl von Verwendungen, die aufeinander aufbauen. Der Offizier kann sich nur durch stufenweise Ausbildung und Verwendung für die Wahrnehmung jeweils höherwertiger Funktion qualifizieren. Wer nicht rechtzeitig Kompaniechef wird, den kann ich nicht rechtzeitig zum Bataillonskommandeur ernennen, der kann nicht rechtzeitig Brigadekommandeur werden. Daher brauche ich den Verwendungsfluß in den entscheidenden Kommandopositionen. Eines baut logisch auf dem anderen auf. Wenn ich den jungen Oberleutnant 16 Jahre lang nicht zum Kompaniechef machen kann, weil der Kompaniechef 16 Jahre auf dieser Stelle hockt, dann kann ich ihn nicht mehr seiner Laufbahn entsprechend zeitgerecht in eine höherwertige Verwendung bringen. Das ist einer der entscheidenden Unterschiede zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes. Ich meine deswegen, daß sich aus all diesen Gründen Parallelen zu anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes verbieten.
Die Bundesregierung - ich sage das auch im Blick auf viele Kollegen in allen Fraktionen - hat daher unmißverständlich klargemacht, daß diese Lösung kein Präjudiz darstellt, sondern eine einmalige Sonderregelung, die nach Zahl, Alter und Laufbahn eng begrenzt und zeitlich von 1986 bis 1991 befristet ist.
({3})
Es handelt sich noch nicht einmal um eine Regelung für alle Offiziere,
({4})
sondern nur für 8 % der Berufsoffiziere des Truppendienstes und für 2,8 % der Offiziere schlechthin.
Die Vorstellung also, auf die man gelegentlich in
der Öffentlichkeit trifft - obwohl das von Anfang an von uns klargestellt worden war -, hier gebe es eine. Sonderregelung für die Offiziere, ist nicht richtig. Es handelt sich um einen engbegrenzten Personenkreis und ausschließlich - ich sage es noch einmal - zur Wahrung der Einsatzbereitschaft.
Nun komme ich zu dem, was vorhin einer der Kollegen in einem Zwischenruf gesagt hat: zu den Problemen bei den Offizieren des militärischen Dienstes und bei den Unteroffizieren.
({5})
Beide Dienstgradgruppen haben ähnliche Probleme. Diese müssen gelöst werden, sie können gelöst werden, und sie werden von dieser Bundesregierung gelöst, allerdings auf andere Weise. Im Verteidigungsausschuß habe ich darüber schon vorgetragen. Die Zeit verbietet es mir, aus Anlaß der Diskussion über dieses Gesetz das im einzelnen hier darzustellen.
Eine Einbeziehung dieser beiden Gruppen in dieses Gesetz, in die Regelung der vorzeitigen freiwilligen Zurruhesetzung, verbietet sich schon auf Grund der Tatsache, daß sich die Zurruhesetzungsquoten ab 1987 normalisieren werden. Daher werden und müssen wir andere Wege beschreiten. Die Betroffenen jedenfalls können sicher sein, daß sie nicht vergessen sind.
({6})
- Herr Kollege Horn, mir liegt an den Unteroffizieren und an den Offizieren des militärfachlichen Dienstes genausoviel wie an den Offizieren des Truppendienstes. Ich bin gern bereit, ausführlich mit Ihnen und jedem anderen Kollegen im Verteidigungsausschuß oder anderswo über dieses Problem intensiv zu diskutieren.
({7})
Nun lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen: Die vorgesehene Regelung, die wir hier gewählt haben, ist sicher nicht populär. Es gibt niemanden, der das besser wüßte als ich selbst. Ich wußte das übrigens schon, als ich diese Regelung vorgeschlagen habe, als wir den Kabinettsbeschluß gefaßt haben, als ich es der Öffentlichkeit vorgestellt habe. Aber eine Regierung kann nicht nur nach Popularität fragen; eine Regierung, die ihre Verantwortung ernst nimmt, muß fragen, was notwendig ist, um ihre Aufgabe zu bewältigen, die ihr die Bürger gestellt haben und die ihr die Verfassung auferlegt.
Das ist übrigens meine Hoffnung mit einem Blick auf die Opposition. Ich weiß noch nicht, wie sie sich dazu einstellt; das ist auch nicht meine Sache. Gleichwohl habe ich die Hoffnung, daß viele von Ihnen - die ja wissen, daß dies das Kernproblem des inneren Gefüges unserer Streitkräfte ist, von dem für die Zukunft sehr viel abhängt - sich doch noch einmal überlegen, ob sie den Weg nicht mit uns gemeinsam gehen wollen.
Ich sagte Ihnen bereits: Ehe ich diesen Weg vorgeschlagen habe, habe ich, weil ich um die Unpopularität wußte, mit aller Sorgfalt alle anderen denkbaren Alternativen untersuchen lassen. Ich habe Ihnen gesagt, warum das nicht geht.
Ich bin auch gern bereit, neue Alternativen zu prüfen und, wenn sie besser und kostengünstiger sind, einen solchen anderen Weg mitzugehen. Ich sage Ihnen aber - und ich sage das wirklich mit Blick auf die Kolleginnen und Kollegen der SPD -: Ich wäre sehr gespannt, wie Sie es draußen dann, wenn Sie in die Truppe gehen, erläutern wollten, daß Sie sich der Lösung dieses Problems versagen - eines Problems, das diese Bundesregierung ungelöst vorgefunden hat, das sie aber nicht ungelöst lassen kann, wenn die Armee imstande bleiben soll, unseren Bürgern auch in Zukunft Frieden und Freiheit zu erhalten.
({8})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Jungmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Minister, Sie hätten Ihren Appell, dieser Lösung zuzustimmen, an Ihre eigenen Fraktionskollegen und an die Kollegen der FDP-Fraktion
({0})
sowie an das Bundesland Bayern und den Ministerpräsidenten Strauß richten sollen und nicht an die Opposition.
({1})
Ich glaube, Sie haben da noch viel Überzeugungsarbeit in Ihrer eigenen Fraktion nachzuholen. Und Ihre ausführliche, uns allen schon seit langem bekannte Darstellung läßt darauf schließen, daß Sie Nachholbedarf nicht nur gegenüber Ihrer Fraktion, sondern auch gegenüber der Öffentlichkeit haben.
Ich komme auf einen Zwischenruf zurück, der vorhin bei Ihrer Rede, Herr Minister, aus dem Parlament kam, wo denn das Grenzalter des Verteidigungsministers liege. Ich habe den Eindruck, Sie haben auf Grund der Veröffentlichung in der „Süddeutschen Zeitung" von gestern erkannt, daß dies eine entscheidende Frage für Ihr Überleben als Verteidigungsminister ist;
({2})
deshalb die ausführliche Darstellung des Problems hier vor dem Parlament!
({3})
Wenn Sie die Unterstützung der Opposition zum Überleben brauchen, dann kann ich Ihnen jetzt schon sagen, daß ich Ihnen die versage.
({4})
- Herr Kollege Wilz, wenn wir auf die Problematik kommen, die wir beide ganz genau kennen, dann würde ich Sie bitten, in den einen oder anderen Passagen Ihrer öffentlichen Äußerungen das Problem
so objektiv darzustellen, wie es entstanden ist, wie das der Verteidigungsminister hier gemacht hat
({5})
und nicht, wie Sie es vor einigen Wochen getan haben: so, als habe die sozialliberale Koalition das Problem des Verwendungsstaus erfunden.
({6})
- Das ist in der Zeit anderer Regierungen entstanden. Das hat der Verteidigungsminister hier ja - ({7})
- Ich verstehe gar nicht, warum Sie so aufgeregt sind.
({8})
- Bleiben Sie doch mal ganz ruhig, Herr Kollege Wimmer! Sie haben doch Schwierigkeiten, das Gesetz in Ihren eigenen Reihen durchzukriegen. Kümmern Sie sich darum!
Herr Minister, Sie haben -
Herr Abgeordneter Jungmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ronneburger?
Selbstverständlich, wenn mir das nicht auf die Zeit angerechnet wird.
Heute abend gibt es kein Entgegenkommen mehr. Also hier wird es angerechnet.
Na gut. Herr Ronneburger, bitte schön.
Herr Kollege Jungmann, eine ganz kurze Frage. Halten Sie es nach dem, was Sie eben gesagt haben, nicht auch für richtig, daß Sie von dem Versuch abgehen, die Angelegenheit so darzustellen, als sei dies ein Problem, das während der Amtszeit der gegenwärtigen Regierung entstanden sei?
Herr Kollege Ronneburger, ich weiß nicht, woher Sie die Unterstellung nehmen, ich hätte gesagt, das Problem sei in der Amtszeit dieses Verteidigungsministers entstanden. Wir wissen, daß es seit dem Aufbau der Bundeswehr existiert, daß es teilweise durch bestimmte Maßnahmen verschoben worden ist
({0})
- in der sozial-liberalen Koalition - und daß es immer noch vorhanden ist.
({1})
Das ist ein Fakt, den ich Ihnen einräume und den man ja nicht einfach wegleugnen kann, Herr Kollege.
({2})
Nun komme ich zu dem Argument, die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland sei tangiert, weil 1 500 Offiziere in der Bundeswehr im Stau stehen, und wenn dies gelöst sei, sei die Situation hinsichtlich der Verteidigungsfähigkeit und der Einsatzbereitschaft der Streitkräfte gelöst.
Sie haben vorhin selber gesagt, Herr Minister, daß 5 000 bis 6 000 Offiziere im Stau stehen. Wenn Sie 1 500 Offiziere der Jahrgänge 1935 bis 1944 in den nächsten sechs Jahren zur Ruhe setzen wollen, müssen Sie mir erst einmal erklären, wie Sie das auf der Basis der Freiwilligkeit jahrgangsgerecht machen wollen. Oder wollen Sie durch bestimmte Maßnahmen wieder Ungerechtigkeiten schaffen? Wenn zufällig im nächsten Jahr die Mehrzahl der Anträge aus einem Jahrgang kommt, wollen Sie alle zurückweisen und nicht in Ruhestand gehen lassen? Warum haben Sie die Jahrgänge 1932 bis 1935 dazugenommen? Ergibt die bei Ihnen in den Panzerschränken liegende Studie, daß sich eventuell doch nicht so viele Offiziere, wie Sie zuerst geglaubt haben, bereit erklären könnten, in den Ruhestand zu gehen?
Ich weiß, daß dies ein Problem ist, wie Sie es dargestellt haben. Aber wenn die Offiziere vor der Situation stehen, sich entscheiden zu müssen, ob sie mit 70 % und im Extremfall mit 42 000 DM mit 45 Jahren in den Ruhestand gehen - das reduziert sich, wie Sie gesagt haben, mit dem Zurruhesetzungsalter bis auf 12 000 -, dann werden sie doch nachrechnen, welche Möglichkeiten sie in der Wirtschaft haben, was sie hinzuverdienen können und ob sie mit dem, was sie an Pension bekommen, und dem, was sie hinzuverdienen können, ihre Familie, ihre Kinder, die vielleicht noch in der Ausbildung sind, den Lebensstandard, den sie vorher gehabt haben, gewährleisten können. Das wird dann schnell zu dem Ergebnis führen, daß nur die gehen werden, die schon vorher wissen, daß sie einen Posten in der Wirtschaft bekommen werden, die, die eine qualifizierte Ausbildung haben, die entweder Juristen oder Ingenieure sind oder sonst eine technische Ausbildung in der Bundeswehr bekommen haben. Die werden von der Möglichkeit wahrscheinlich Gebrauch machen. Aber das sind gerade die Spezialisten, die wir nicht gehen lassen wollen. Es geht ja hier um das Problem der Kampftruppen - wie Sie dargestellt haben -, der Kompaniechefs in den Kampftruppen und der Bataillonskommandeure in den Kampftruppen. Sie sollten nicht mit einer Bewegung der linken Hand das abtun, was das Bundesland Bayern und mein Kollege Pawelczyk im Bundesrat vorgeschlagen haben.
Sie haben heute das erstemal dargestellt, was die Modelle, die Sie vorgetragen haben, kosten werden. Im Verteidigungsausschuß sind Alternativmodelle zu dem, was im Kabinett vorgetragen und im Kabi9342
nett beschlossen wurde, gar nicht vorgetragen worden.
({3})
Wir hatten also bis heute noch keine Gelegenheit, zu überprüfen, ob die Zahlen, die Sie genannt haben, stimmen. Wir werden in der Einzelberatung im Verteidigungsausschuß die Möglichkeit dazu haben. Wir werden sehr genau nachrechnen.
Ich glaube, es wäre besser und sozial verträglicher in dieser Gesellschaft, eine Lösung zu suchen, die nicht den Eindruck erweckt, hier werde eine Gruppe in eine Situation gebracht, die sie gegenüber anderen in den Streitkräften, aber auch im übrigen öffentlichen Dienst, finanziell bevorteilte. So einfach können Sie die Belastung eines Polizisten im Streifeneinsatz oder die Belastung eines 58jährigen Zollbeamten an der Grenze nicht abtun.
({4})
Die ist genauso groß, wenn nicht in Einzelfällen größer.
({5})
- Gucken Sie sich in Schleswig-Holstein um.
Die müssen genauso körperlich fit sein wie der Offizier es sein muß, um seinen Aufgaben gerecht zu werden.
Ich sage Ihnen: Entgegen Ihrer Absicht schaffen Sie einen Präzedenzfall, auf den sich alle anderen berufen werden. Nicht umsonst sind doch die Berufsverbände im Moment so still. Der Steuerzahlerbund hat es doch schon deutlich angekündigt, auch heute wieder: Es wird eine Lawine losgetreten, die Forderungen nach sich ziehen wird, denen die Bundesregierung nicht gerecht werden kann.
Deshalb glaube ich, sollten Sie noch einmal genau prüfen, ob es eine andere Lösung durch Unterbringung innerhalb der Verwaltung, innerhalb der Bundeswehr und auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes gibt.
Ich sage Ihnen, Herr Minister: Die jungen Wehrpflichtigen kommen aus der Arbeitslosigkeit in die Bundeswehr, und sie werden aus der Bundeswehr wieder in die Arbeitslosigkeit entlassen, und vor diesem Hintergrund sehen sie keine Zukunftschancen und Zukunftsperspektiven für sich. Deshalb wird es in der Bundeswehr zu noch mehr Frust und größeren Schwierigkeiten führen, wenn Sie für 1 500 Offiziere 652 Millionen DM zusätzlich ausgeben, statt eine Regelung zu treffen, die eine Lösung der Probleme der jungen von Arbeitslosigkeit Bedrohten - nicht nur Wehrpflichtigen, sondern auch Zeitsoldaten - bringt. Sie haben im Finanzministerium bei den Verhandlungen über diesen Gesetzentwurf darauf verzichtet, für die Zeitsoldaten, die in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, eine Lösung zu suchen. Schon lange wird doch im Verteidigungsausschuß die Lösung diskutiert, das Entwicklungshelfermodell auf sie anzuwenden.
Sie wissen genau, daß nach dieser Maßnahme in dieser Legislaturperiode in der Bundeswehr keine weitere sozialpolitische Maßnahme durchgeführt werden könnte. Deswegen bekommen Sie zu dieser
Regelung, wie Sie sie vorgeschlagen haben, nicht die Zustimmung der SPD. Wir glauben, daß sie das Problem nicht löst, sondern nur wieder verschiebt und Nachteile für andere mit sich bringt, die heute noch gar nicht übersehen werden können.
Schönen Dank.
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wilz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auf die von Ihnen, Herr Kollege Jungmann, eingangs vorgetragene Pressethematik, linkslastig und offensichtlich bestellt, einzugehen lohnt sich nicht weiter.
({0})
Vor fast genau einem Jahr hat Bundeskanzler Helmut Kohl bei der Kommandeurtagung in Travemünde erklärt, daß der Verwendungsstau in der Bundeswehr dringend gelöst werden müsse. Und der Kanzler löst sein Wort schon nach diesem kurzen Zeitraum ein und unterstreicht damit nachdrücklich, welch hohe Priorität er unserer Verteidigungs- und Sicherheitspolitik einräumt. Hierfür sind wir ihm zu Dank verpflichtet, ebenso wie dem gesamten Kabinett, das dem vorliegenden Gesetzentwurf zur Verbesserung der Personalstruktur in den Streitkräften zugestimmt hat.
({1})
Wir wissen, daß Verteidigungsminister Wörner um den jetzt vorgelegten Lösungsvorschlag mit den beteiligten Ministerien sehr hart gerungen hat. Das Angebot einer freiwilligen frühzeitigen Pensionierung für insgesamt bis zu 1 500 Truppenoffiziere in den Jahren 1986 bis 1991 bei 70 % der - ich betone
- bis dahin erdienten ruhegehaltsfähigen Bezüge und einer relativ geringen Abfindungssumme ist das Minimum als Anreiz für die Betroffenen.
({2})
- Hören Sie erst einmal zu, Sie sollen ja etwas lernen.
Dabei handelt es sich um Berufsoffiziere, d. h. Offiziere mit einem unkündbaren Arbeitsplatz auf Lebenszeit,
({3})
Familienväter mit Kindern in den kostenintensivsten Ausbildungsphasen, Leute, die sich, wie viele andere unserer Bürger, ein Eigenheim geschaffen haben und es nun mit erheblichen Abzahlungsproblemen zu tun bekämen, Menschen, die ihren erwählten Beruf aufgeben sollen.
({4})
Von diesen Offizieren müssen wir erwarten, daß sie all das aufgeben und Risiken hinsichtlich ihrer Familien und ihres Privatlebens eingehen.
({5})
Fordern können wir das von keinem, weder rechtlich noch moralisch. Wir können sie nur bitten. Wenn unsere Bitte Erfolg haben soll, müssen wir versuchen, die Nachteile, die den Betroffenen entstünden, wenigstens teilweise zu neutralisieren.
Der gefundene Kompromiß ist zwingend notwendig zur Sicherung der Einsatzbereitschaft unserer Bundeswehr und beweist auch Mut zu zukunftsweisenden Entscheidungen. Das ganz überwiegend an die Jahrgänge 1935 bis 1944 gehende Angebot auf eine Pensionierung ab dem 46. Lebensjahr zum frühestmöglichen Zeitpunkt stellt keine soziale Maßnahme und schon gar kein Geschenk dar, und es wird von den Betroffenen aus sehr verständlichen Gründen nicht so empfunden. Bis zu 15 Jahre in der Verwendung stehende Battaillonskommandeure und Chefs sowie Verwendungssperren von zum Teil über zwölf Jahren für die meisten Truppenoffiziere auch bei hervorragenden Beurteilungen gefährden die Erfüllung des Auftrages der Bundeswehr.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?
Ich gestatte im Moment nicht. Ich empfehle Ihnen, erst zuzuhören.
({0})
Schließlich erfordert der Einsatz im Gelände, auf See und in der Luft vom Vorgesetzten hohes Wissen, schnelles Reaktionsvermögen, energisches Handeln
({1})
und höchste körperliche Belastbarkeit. Wir benötigen Offiziere, die nicht nur geistig und charakterlich, sondern auch körperlich in jedweder Hinsicht aktives Vorbild für unsere jungen Wehrpflichtigen sind.
({2})
Dazu ist es zwingend notwendig, eine umfassende Verwendungsbreite zu erhalten. Dies fordert die Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte.
Wird der Verwendungsstau jetzt nicht gelöst, so entstehen überdies für die 90er Jahre noch größere und weitaus kostenträchtigere Personalprobleme.
({3})
Die dann wegen der geburtenschwachen Jahrgänge fehlenden, aber dringend benötigten Offiziere können dann nicht in den Dienst übernommen werden, weil die vorhandenen Planstellen blockiert sind.
Eine überzeugende und - so meine ich - auch finanzierbare Alternative zum vorliegenden Lösungsvorschlag ist nicht in Sicht. Eine denkbare Ausdehnung des Personalumfanges der Bundeswehr wäre weitaus teurer. Die Möglichkeit, nach Ausscheiden aus der Bundeswehr eine zivilberufliche Verwendung durch eine Hinzuverdienstgrenze einengen zu wollen, halte ich für nicht sachgerecht. Von wem soll man eigentlich verlangen können, seine gesicherte Existenz aufzugeben, ohne ihm genügend Anreiz zu bieten? Im übrigen ist die Leistung, die der Betroffene in einem anderen Beruf erbringen will, leistungsgemäß zu entlohnen, wie das ja letztlich in unserem Lande von allen anerkannt wird.
Wer schließlich behauptet, vorzeitig ausscheidende Truppenoffiziere würden den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten, konstruiert ein Problem, das sich so nicht stellt.
({4})
Es handelt sich nämlich jährlich - und zwar sechs Jahre lang - nur um durchschnittlich höchstens 250 Offiziere, von denen nicht einmal bekannt ist, ob sie alle eine zivilberufliche Verwendung anstreben. Ich verweise darauf, daß wir bei den ausscheidenden Zeitsoldaten bisher sehr gute Erfahrungen haben machen können.
({5})
- Ja, Mittelstand! Sollten Sie lernen!
Die von einigen Bundesländern geäußerte Überlegung, nach Möglichkeit die betroffenen Offiziere in die Bundeswehrverwaltung oder sonstige öffentliche Dienste zu überführen, erscheint mir mehr als problematisch. Wer von Ihnen, meine Damen und Herren, wollte es denn verantworten, Beamten Offiziere vor die Nase zu setzen in Positionen, die allein für Beamte geschaffen, für die Beamte ausgebildet wurden und in die Beamte - zu Recht - hineinstreben? Im übrigen, 1 500 zusätzliche Stellen - und nichts anderes hieße das - würden Millionen und Abermillionen mehr kosten als das vorliegende Konzept.
Der weitere Einwand, mit der von der Bundesregierung vorgeschlagenen Lösung könne ein Präzedenzfall für andere Bereiche geschaffen werden, ist ebenfalls nicht stichhaltig. Für die Bundeswehr besteht nämlich eine Sondersituation. Die Angehörigen der Streitkräfte können nicht schlechthin mit dem öffentlichen Dienst verglichen werden, auch wenn besoldungsrechtliche Parallelen vorhanden sind. Dies folgt z. B. aus dem Auftrag der Bundeswehr, einer nicht vorhandenen allgemeinen gesetzlichen Dienstzeitregelung und der Tatsache, daß unsere Soldaten mit Leib und Leben Tag und Nacht gefordert sein können und es oft genug auch sind.
Bei allem Verständnis für die berechtigten Anliegen z. B. unserer Polizisten, Feuerwehrleute oder Lehrer sollte berücksichtigt werden, daß der Frieden in Freiheit von der Bundeswehr gesichert wird und erst mit dieser Sicherheit alle sonstigen Möglichkeiten zur freien Entwicklung in unserem Staat garantiert werden können.
({6})
Weiterhin ist festzustellen - und darauf hat auch der Bundesrat dankenswerterweise hingewiesen -, daß der rasche und - ich füge hinzu - andersartige Aufbau der Bundeswehr in den 50er und 60er Jahren im Gegensatz zu anderen kontinuierlich aufgebauten Bereichen des öffentlichen Dienstes zwangsläufig zu Verzerrungen in der Personalstruktur geführt hat.
({7})
Im übrigen verweise ich darauf, daß auch die Offiziere des militärfachlichen Dienstes und die Feldwebeldienstgrade nicht mit in die vorzeitige Pensionierungsmöglichkeit einbezogen worden sind. Der Grund ist darin zu sehen, daß es sich eben nicht um eine soziale Maßnahme handelt und eine andere strukturelle Lösungsmöglichkeit gegeben ist. Abgesehen davon, daß die Angehörigen beider Laufbahngruppen spätestens mit 53 Jahren aus dem aktiven Dienst ausscheiden können, beabsichtigt der Verteidigungsminister durch Umschichtungen zusätzlich 179 Hauptmann-({8})Stellen und 613 neue Planstellen für Haupt-, Stabs- und Oberstabsfeldwebel zu schaffen. Ich habe, Herr Minister, die große Bitte, daß diese Stellen noch schneller als beabsichtigt zur Verfügung gestellt werden.
Leider ist es gar nicht mehr verwunderlich, zur Kenntnis nehmen zu müssen, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie dieser Lösung nicht zustimmen wollen. Sie waren es doch gerade, die unter dem von Ihnen gestellten Verteidigungsminister in den Weißbüchern seit 1979 festgestellt haben, daß es ein solch gravierendes Problem in den Streitkräften gibt.
({9})
Sie hatten also zwölf Jahre Zeit, den Verwendungsstau zu lösen. Dies haben Sie nicht nur nicht getan,
({10})
sondern durch unverantwortliches Nichthandeln die Probleme noch größer werden lassen. Es war Ihr früherer Verteidigungsminister Schmidt, der durch seine opportunistische Weißbuch-Geschenkaktion den Verwendungsstau noch deutlich verschlimmert hat.
({11})
Nach der Übernahme der Regierungsverantwortung durch uns haben Sie eine rasche Lösung der Probleme gefordert und Ihre Unterstützung in Aussicht gestellt. Nun, da wir dabei sind, die Probleme zu lösen, verweigern Sie sich erneut zu Lasten und auf dem Rücken derjenigen, die auch Ihnen Frieden und Freiheit garantieren.
({12})
Eine solche Politik halte ich für abenteuerlich und unverantwortlich.
({13})
Ich fordere insbesondere Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von der SPD, auf, Ihr Verhalten zu überdenken. Vor wenigen Stunden - ich hoffe,
Sie können sich erinnern, Sie sind dazu in der Lage ({14})
haben auch Sie unseren Wehrbeauftragten Karl Wilhelm Berkhan mit höchstem Lob und Beifall bedacht. Kritik haben Sie bei ihm an keiner Stelle geübt, und doch war es gerade er, der heute - noch heute! - zum wiederholten Male die schnelle Lösung dieses alten Problems in der von der Bundesregierung vorgesehenen Weise angemahnt hat.
({15})
- Sie hätten besser zuhören müssen, dann wüßten Sie, daß es natürlich wahr ist.
Meine Damen und Herren von der SPD, tragen Sie zumindest in diesem Punkt ein Stück Verantwortung für unsere Sicherheit mit.
({16})
Die Offiziere der Bundeswehr, die Bundeswehr insgesamt und das deutsche Volk haben es verdient.
Ich bedanke mich.
({17})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schierholz.
({0})
Meine Damen und Herren, darf ich bitten! Ich war sehr geduldig im Zuhören bei den Zwischenrufen, aber wenn sie in dieser Häufigkeit weiter auftreten, werde ich künftig einschreiten.
({1})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es wird Sie sicher nicht verwundern, daß die GRÜNEN im Bundestag den neuen Plänen von Herrn Wörner nichts abgewinnen können. Wir lehnen den vorliegenden Gesetzentwurf ab, weil er die in der Bundeswehr vorhandenen Probleme nicht löst, eine ungerechtfertigte Privilegierung einer Berufsgruppe beinhaltet und schließlich von einer Leistungsideologie geprägt ist, die unter dem Mantel des Verwendungsstaus dem Karrieredenken frönt und letztlich von einer Feindlichkeit gegenüber dem Alter geprägt ist. Ich will dazu vier Themenkomplexe aus unserer Sicht Ihnen heute abend in dieser öffentlichen Sitzung des Verteidigungsausschusses darbieten.
({0})
- Ich werde das, Herr Wimmer oder Herr Wilz - ich weiß nicht, von wem der Zwischenruf kam -,
({1})
und ich hoffe, wir werden das gemeinsam.
Der erste Punkt. 398 Mitglieder des Deutschen Bundestages sind älter als 45 Jahre. Was würden Sie eigentlich dazu sagen, wenn Sie öffentlich und dazu noch von einem Bundesminister als die Omas und Opas der Nation bezeichnet würden?
({2})
Ist damit die Einsatzbereitschaft des Deutschen Bundestages gefährdet? Und dann dieses böse Wort von der „Knackigkeit", die die Truppe angeblich brauche
({3})
- eine Wortschöpfung, die von Chauvinismus und falschem Dienstverständnis zeugt. Wer propagiert, wie ich das in Zeitschriften der Militärlobby nachlesen konnte: „Die Truppe darf kein Altersheim sein", dessen geistige Frische müssen wir wirklich in Frage stellen.
({4})
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung ist von einer Leistungsideologie durchzogen,
({5})
die von der olympiareifen Gesellschaft ausgeht, in der die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer indirekt zum alten Eisen erklärt und für bestimmte Aufgaben nicht mehr als geeignet befunden werden. Sie stellen, Herr Wörner, wahrlich Ihren Soldaten ein denkbar schlechtes Zeugnis aus, wenn Sie einen 40jährigen Hauptmann nicht mehr zur Führung einer Kompanie und einen 50jährigen Major nicht mehr als Bataillonskommandeur für geignet befinden.
({6})
Doch was für eine Schizophrenie! Erstens wollen Sie einen großen Teil dieser Soldaten behalten und nur einen kleinen Teil wegloben, und zweitens sind Ihnen die 50- bis 60jährigen Soldaten, von denen es j a auch noch einige gibt - einige sind auch hier -, bislang überhaupt nicht zum Problem geworden. Wenn das eine Altersfrage ist, dann müßten Sie sich um die zuerst kümmern.
({7})
Zweiter Gedankengang. Sie reagieren mit dem jetzt vorliegenden Entwurf mit untauglichen Mitteln - jetzt hören Sie einmal genau zu,
({8})
vielleicht stimmen Sie dem sogar zu - auf eine verfehlte Personalpolitik, die in den 60er Jahren und Anfang der 70er Jahre noch mit eine klischeehaften und fragwürdigen Bundeswehrwerbung Menschen angelockt hat, denen mit einem ebenso
fragwürdigen Prämiensystem eine sichere Karriere in Aussicht gestellt wurde und die Sie jetzt mit einer saftigen Abfindung in den vorzeitigen Ruhestand schicken wollen.
Was hat eigentlich die Verteidigungsminister früherer Jahre dazu bewogen, nicht mehr Zeitstellen für Soldaten anzubieten, sondern ihnen sofort die Stellen von Lebenszeitbeamten zu offerieren?
({9})
Ich will es Ihnen sagen: Alle Bundewehrminister, die ich als der jüngste Redner in dieser Debatte
({10})
in Erinnerung habe, hießen sie nun Schmidt, Leber, Apel oder jetzt Wörner, waren oder sind doch Parteiberufssoldaten mit einer fest eingeprägten Beamtenmentalität im schlechten Sinne, die den Einflüssen der gesellschaftlich schon in den 70er Jahren weitgehend unkontrollierten Militärlobby nachgaben.
Schauen Sie sich doch einmal an, wie viele Oberstleutnante es 1965 gab. Es waren 2 493. Im Jahre 1977 waren es 6 310. 15% mehr Generäle, fast 30 % mehr Oberste oder Obristen - ich weiß nicht genau -,
({11})
diese Ziffern sprechen eine deutliche Sprache. Und Sie wollen eine Erweiterung des Stellenkegels in Richtung Wasserkopf doch nicht etwa schon wieder mit einer gestiegenen Bedrohung begründen!
Nein, es stimmt, was die „Zeit" jüngst schrieb: „Immer mehr Häuptlinge müssen sich um immer weniger Indianer scharen."
({12})
Sowohl die Personalplanung als auch die Rüstungsplanung der Bundeswehr waren von jenem fatalen Wachstumsdenken geprägt, das vornehmlich im ökologischen und im ökonomischen Bereich, aber auch darüber hinaus zu tiefen Krisenerscheinungen in der gesamten Gesellschaft geführt hat und das diese Gesellschaft zum Einstieg in Abrüstung immer unfähiger gemacht hat.
Damit hier keine Mißverständnisse entstehen: Wir sind nicht grundsätzlich gegen Beamte, die ja in vielen Bereichen wichtige gesellschaftliche Aufgaben erfüllen.
({13})
- Warten Sie erst einmal das Bundestagshandbuch ab, und informieren Sie sich dann!
({14})
Aber auch Beamte können begreifen und haben längst begriffen, daß soziale Sicherheit für alle und der offensichtlich unaufhaltsame Aufstieg im Rüstungshaushalt miteinander konkurrieren, daß es ohne Einstieg in die Abrüstung keine soziale Sicherheit wird geben können. Zusammen mit vielen Soldaten setzen wir uns mit aller Kraft dafür ein, daß die Lösung, die für die Probleme der Soldaten gefunden werden, abrüstungsfreundlich sind, daß sie zu einer Verringerung der Bundeswehr führen und daß sie nicht als Tarnung benutzt werden, um die Personalstärke zu erhöhen oder um die politisch und ökonomisch gebotene Verringerung der Personalstärke zu blockieren.
Mit einem „Gesetz für Opas", wie es im Jargon heißt, lösen Sie die immer und immer wieder aufgeschobenen Widersprüche und Ungereimtheiten Ihrer Personalkonzeption für die Bundeswehr nicht. Wir stimmen dem Kollegen Bülow von der SPD nachdrücklich zu: Die gegenwärtige Bundeswehrstruktur beruht auf einer platten Bedrohungsanalyse, die mit Verdrehungen, falschen Zahlen und sogenannten Streitkräftevergleichen arbeitet, die einer Nachprüfung beim besten Willen nicht standhalten.
({15})
Sie, Herr Wörner, müßten eigentlich den Nachweis führen, weswegen nicht sofort drastische Schritte zur Reduzierung der Bundeswehr in Richtung auf eine 300 000-Mann-Armee - Vorschlag Bülow - möglich sind. Fangen Sie doch einmal im eigenen Ministerium an!
({16})
Holen Sie doch einmal die McKinsey-Studie, die unter Herrn Apel gemacht worden ist, wieder heraus! Sie weist nach, daß 15 % der Stellen im Verteidigungsministerium überflüssig sind und abgebaut werden können. Fangen Sie doch einmal damit an! Das ist doch ein konkreter Vorschlag.
({17})
Dritter Punkt: Was sollen eigentlich die 2,6 Millionen registrierten Arbeitslosen sagen, wenn sie dieses Wort vom Verwendungs- oder Beförderungsstau hören? Doch ich befürchte, es ist offensichtlich das Prinzip der Regierung, die wir jetzt haben, denen, die besitzen, noch einmal zu geben
({18})
und den schwächeren und aus dem Arbeitsmarkt herausrationalisierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern auch noch die Leistungen zu streichen.
({19})
In dieser Gesellschaft existiert ein Verwendungs- und Beförderungsstau in einem Ausmaß, das von der Bundesregierung - das haben wir hier erst gestern wieder gehört - in geradezu penetranter
Weise bagatellisiert wird. Jetzt wird einer kleinen Gruppe von Soldaten, die ihr Dienstherr auch noch zu Opas erklärt, für insgesamt eine Zweidrittelmilliarde D-Mark der Abschied nahegelegt.
Der von Ihnen, Herr Wörner, vorgelegte Gesetzentwurf schafft nicht nur Privilegien, sondern hat darüber hinaus arbeitsmarktpolitisch eine falsche Auswirkung, auch wenn Sie das gerade bestritten haben; denn entweder bleiben die ausscheidenden Offiziere arbeitslos - dies können wir wirklich keinem von ihnen wünschen -, oder aber sie treten als Konkurrenten für andere, eben ältere Arbeitnehmer auf. Das ist doch das Problem.
({20})
- 1 500, ich habe die Zahl registriert,
({21})
ich bin des Lesens mächtig, Herr Wimmer. - Sie treten als Konkurrenten für ältere Arbeitnehmer auf, die sie damit ihrerseits in die Arbeitslosigkeit verdrängen.
Aber auch das ist wiederum die erklärte Absicht der Regierung. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz soll der Arbeitsmarkt flexibilisiert werden. Nicht die Menschen und ihre Bedürfnisse stehen bei Ihnen im Mittelpunkt, sondern jene abstrakten Größen wie die „Einsatzbereitschaft der Streitkräfte" oder die „Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft", die immer dann bemüht werden, wenn soziale Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern demontiert werden sollen.
Apropos Einsatzbereitschaft. Was für ein Armutszeugnis stellen Sie sich eigentlich aus, wenn Sie Soldaten mit 40 Jahren nicht mehr für fähig halten, einen militärischen Verband von der Größe einer Kompanie zu führen? Wenn dies eine Lehrerin oder ein Lehrer hört, der mit Ende 50 Tag für Tag fünf, sechs oder sieben Stunden anstrengenden Schulunterricht zu erteilen hat,
({22})
oder jemand aus anderen pädagogischen Berufen mit Verantwortung für Menschen, dann kann der doch nur an die Decke gehen.
({23})
Mit ihrem Gesetzentwurf verschleiert die Bundesregierung, damit bin ich beim vierten Punkt - Sie müssen sich schon um ein bißchen intelligentere Zwischenrufe bemühen, auch Sie, Herr Würzbach - die wahren Gründe für die Motivationskrise in der Bundeswehr. Die Unzufriedenheit vieler Soldaten macht sich doch nur oberflächlich an fehlenden Beförderungs- oder Verwendungsmöglichkeiten fest. Ihre eigenen Sozialforscher - davon war heute morgen schon die Rede - haben doch herausgefunden, daß immer mehr Soldaten am Sinn ihres Auftrages zweifeln und von der NATO-Strategie der flexiblen Antwort mit einem
nach wie vor bestehenden extrem niedrigen atomaren Stolperdraht nichts halten.
({24})
- Jawohl, jetzt sind wir am Punkt. Es ist Ihr Konzept von Geist, Logik und Politik der Abschreckung, das aus der Beibehaltung und Modernisierung der taktischen Atomwaffen, gepaart mit einem massiven konventionellen Aufrüstungsprogramm, besteht, das von denen, die es ausführen sollen, angezweifelt und in Frage gestellt wird. Wir freuen uns, daß sich immer mehr Soldaten in Gruppen wie dem „Darmstädter Signal" organisieren und damit zum Ausdruck bringen, daß Soldaten nicht nur Motivation, sondern aktives Engagement für Abrüstung und Entspannung erkennen lassen.
({25})
Gerade diese Soldaten sind es, die der BMVg in einen Verwendungsstau steckt, indem man sie disziplinarisch belangt, versetzt oder eben nicht befördert. Vielleicht ist es j a sogar - das scheint mir bislang wirklich untergegangen zu sein - das heimliche Ziel des Gesetzentwurfs, genau solche Soldaten loszuwerden. Doch gerade die Motivation dieser rüstungskritischen und abrüstungsbereiten Soldaten wünschen wir allen zivilen und militärischen Mitarbeitern der Bundeswehr. Ihnen gilt unsere Solidarität.
Wir fordern Sie daher auf: Gehen Sie der Motivationskrise wirklich auf den Grund, werden Sie offen für wirksame, auch einseitig kalkulierte Abrüstungsschritte und sorgen Sie dafür, daß hier keine Scheingefechte mit diskriminierenden Untertönen geführt werden! Es ist ein Widerspruch, wenn auf der einen Seite Soldaten erleichterte Entlassungsbedingungen angeboten werden und auf der anderen Seite nach wie vor junge Wehrpflichtige unter verschärften Bedingungen in den Arrestzellen, im „Cafe Viereck" der Kasernen sitzen, die als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen jeglichen Dienst mit der Waffe verweigern, die mehrfach bestraft und solange nicht aus der Bundeswehr entlassen werden, bis sie zwölf Monate Freiheitsstrafe kassiert haben.
({26})
Nach § 26 des Wehrpflichtgesetzes ist es doch ohne weiteres möglich, alle totalen Kriegsdienstverweigerer aus der Bundeswehr zu entlassen, und zwar sofort und nicht erst nach zwölfmonatiger Strafe. Dazu fordern wir sie noch einmal nachdrücklichst auf, wie das meine Kollegin Nickels hier schon getan hat. Ziehen Sie Ihren Erlaß vom 12. Dezember 1983, Herr Wörner und Herr Würzbach, endlich zurück!
Ich komme zum Schluß.
({27}) Ich will nicht verhehlen, daß wir bei dem Gesetzesvorhaben auch einen positiven Aspekt entdeckt haben.
({28})
- Na ja, angesichts meines ersten Tages könnten Sie wenigstens da einmal Beifall klatschen.
({29})
Das Rotationsprinzip hat nunmehr auch im Verteidigungsministerium Eingang gefunden. Das finde ich positiv. Aber wie es begründet wird, zeigt, daß Sie von uns GRÜNEN wirklich überhaupt nichts gelernt haben.
({30})
Wenn schon Rotation, dann doch bitte volle Rotation und nicht die so unausgereifte und arbeitsmarktpolitisch schädliche, sozialpolitisch und vor der Bevölkerung überhaupt nicht zu rechtfertigende und von einer abrüstungsfeindlichen Konzeption durchsetzte Gesetzesvorlage!
Seien Sie doch einmal mutig, stellen Sie allen Ihren Soldaten die Möglichkeit der Rotation frei - unbegrenzt ab dem 18. Lebensjahr -, dann können Sie vielleicht ausnahmsweise Beifall auch von den GRÜNEN verzeichnen.
Vielen Dank.
({31})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ronneburger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Rede unseres neuen Kollegen Dr. Schierholz,
({0})
die wir eben gehört haben, war nicht in der Lage, mich von den Vorzügen des Rotationsprinzips nachhaltig zu überzeugen.
({1})
Verehrter Herr Kollege, wir werden, wenn ich es richtig sehe, j a wohl auch im Verteidigungsausschuß miteinander zu tun haben. Da möchte ich von vornherein um Verständnis bitten: Im Verteidigungsausschuß wird es gelegentlich auch darum gehen, spezielle Probleme mit speziellen Mitteln zu behandeln. Ob es aber nun um Verpflegung, um Fußlappen oder was auch immer geht: Sie kommen immer wieder auf Bedrohungsanalyse, Abrüstung usw. usw. Dabei möchte ich Ihnen gern mit auf den Weg geben: Das Prinzip, nach Abrüstung zu streben, ist nicht erst mit Ihrer Fraktion und sicherlich auch nicht erst mit Ihnen in dieses Haus, in diesen Bundestag eingekehrt.
({2})
Ich will nicht im einzelnen auf bestimmte Formulierungen eingehen. Wir werden dazu im Verteidigungsausschuß und in den anderen Ausschüssen des Hohen Hauses noch ausreichend Gelegenheit haben. Aber eines ist mir denn doch aufgefallen. Herr Kollege Dr. Schierholz, wenn Sie von einer Stellenausweitung sprechen und diese kritisieren, im Zusammenhang mit einer Maßnahme, die nichts anderes bezweckt, als überflüssige Stellen abzubauen, dann verstehe ich die Logik Ihrer Darlegungen wirklich nicht mehr.
Herr Kollege Jungmann, ich wäre erfreut gewesen, wenn ich aus Ihren Darlegungen etwas mehr gehört hätte als die Ablehnung eines Lösungsversuchs für ein Problem, von dem Sie mir ja schon vorhin zugestanden haben, daß es seit langen Jahren, im Kern seit dem Beginn des Aufbaus der Bundeswehr, besteht; dies, glaube ich, läßt sich nachweisen. Ich bin gern bereit, dazu ein Zitat aus dem Weißbuch 1979 anzuführen. Nur, Herr Kollege Jungmann, es genügt jetzt nicht, zu sagen, diese Lösung wollten Sie nicht, ohne eine andere Lösung anzubieten.
({3})
- Ich weiß nicht, ob Sie, Herr Dr. Klejdzinski, Herrn Jungmann zugehört haben. Er hat das abgelehnt, aber keine neue Lösung angeboten.
Im Weißbuch 1979 kann man nachlesen, daß der Kollege Dr. Apel das Problem offenbar ebenso gesehen hat, wie es Herr Dr. Wörner heute sieht. Dazu zitiere ich jetzt.
({4})
- Sie gestatten, daß ich eben erst das Zitat verlese. Apel hat gesagt:
Damit überaltert das gesamte Offizierskorps in allen Verantwortungsstufen und Dienstgraden. 1978 waren 42 % aller Berufsoffiziere des Truppendienstes älter als 40 Jahre. 1985, falls nichts geändert wird, werden es 66 % sein und 1990 schließlich 75 %.
Ich darf noch ein Zitat anfügen. Es heißt hier:
Zur Lösung des Verwendungsstaus sind verschiedene Möglichkeiten untersucht worden. Das Problem verlangt im Interesse unserer Streitkräfte und des Erhalts der Verteidigungsfähigkeit unseres Landes eine Lösung.
So wörtlich.
Die Zeithorizonte sind durch die beschriebenen Tatbestände vorgegeben. Die notwendigen Vorarbeiten des Bundesministers der Verteidigung werden so abgeschlossen, daß Lösungen zeitgerecht möglich sind.
Herr Kollege Jungmann, meine Kollegen von der FDP-Fraktion, ich zitiere dies auch sehr wohl im Wissen, daß wir 1979 in einer gemeinsamen Koalition waren und dies gemeinsam zu verantworten haben.
Sie gestatten eine Zwischenfrage?
Ich gestatte eine Zwischenfrage.
Herr Kollege Ronneburger, sind Sie mit mir der Auffassung, daß der Verteidigungsminister in seiner Rede seinen Vorschlag hier dargestellt und alle bisher diskutierten Alternativen durch Nennung von Zahlen und Kosten einfach an die Seite gefegt hat, ohne daß wir die Möglichkeit haben, das zu prüfen? Ich habe gesagt: Wir werden im Verteidigungsausschuß prüfen, und dann werden wir sehen, welcher Lösung - nicht dieser Lösung - wir unsere Zustimmung geben. Sind Sie mit mir der Meinung, daß es so war?
Herr Kollege Jungmann, ich stimme Ihnen in folgendem zu. Die bevorstehenden Ausschußberatungen zu diesem Gesetzentwurf werden uns Gelegenheit geben, in vielfältiger Weise und nicht nur mit dem bisher Angeführten darüber nachzudenken, welche Vorbehalte man unter Umständen haben kann, welche Kritik angewandt werden müßte und wo ergänzt oder verbessert werden muß oder kann. Das ist gar keine Frage, und ich nehme an, daß wir hierbei in voller Übereinstimmung mit dem Bundesminister der Verteidigung handeln können. Wozu hätten wir eigentlich sonst überhaupt Ausschußberatungen, wenn das nicht geschehen soll?
Auch der Bundesverteidigungsminister hat hier heute abend eines sehr deutlich gesagt: Dieser Vorschlag ist gewiß nicht populär. Er ist es zweifellos nicht, und er findet in Bereichen Widerspruch, die der Bundeswehr nicht unmittelbar zuzuordnen sind. Wir sollten uns darüber im klaren sein und trotzdem nicht davon ablassen, jetzt eine Lösung für ein Problem zu finden, von dem Bundesverteidigungsminister Dr. Apel schon 1979 gesagt hat, daß es dringend einer Lösung bedarf. Ich sehe es so, daß der Bundesverteidigungsminister jetzt handeln muß. Er hat einen ersten Versuch während seiner Amtszeit bereits unternommen, der in die Richtung zusätzlicher Stellen ging. Wer einmal nachrechnet - ich glaube, dies wird uns auch in den Ausschußberatungen sehr schnell auffallen -, dem wird klarwerden, daß zusätzliche Stellen in diesem Umfang ganz andere Kosten als die jetzt vorgeschlagene Lösung verursachen werden.
Es handelt sich einfach darum, daß wir ein spezielles Problem der Offiziere des Truppendienstes, ein spezielles Problem der Bundeswehr haben, das wir in keinem anderen Bereich haben. Die Ausschußberatungen werden hoffentlich Gelegenheit dazu geben, daß auch die anderen Ressorts in ihren Fachausschüssen deutlich erklären können, daß es hier keinen Präzedenzfall für irgendeinen anderen Bereich des öffentlichen Dienstes gibt.
({0})
Herr Bundesverteidigungsminister, ich möchte aus der Sicht meiner Fraktion gleich an dieser Stelle eine zusätzliche Frage anknüpfen und sie Ihnen auch für die weiteren Beratungen mit auf den Weg geben. Sie haben heute in Ihren Ausführungen sehr nachdrücklich dargelegt, welche Möglichkeiten in den Streitkräften anderer Länder zur laufenRonneburger
den Behandlung solcher Strukturschwierigkeiten gegeben sind. Ich glaube, es ist dringend notwendig, daß wir jetzt nicht nur darangehen, ein Problem zu lösen, das aus dem Aufbau der Bundeswehr herrührt, sondern daß wir auch darüber nachdenken sollten, welche Vorsorge wir treffen müssen, damit ein solches Problem nicht irgendwann eines Tages erneut auftreten kann. Mir scheint es eine dringende Aufgabe zu sein, daß Opposition und Koalition darüber gemeinsam mit dem Bundesverteidigungsministerium nachdenken.
Ich stelle hier noch einmal fest: Keinem der - ich füge das ausdrücklich hinzu - ernst zu nehmenden Kritiker dieses Vorhabens ist es bisher gelungen, zur Lösung des Problems ein besseres oder billigeres oder gar ein beide Vorzüge enthaltendes Konzept vorzulegen. Das gilt sowohl für den Vorschlag der Verwendung im anderen öffentlichen Dienst als auch für die anderen Vorschläge. Ich kann hier nur auf das zurückgreifen, was der Kollege Wilz bereits gesagt hat: Für eine solche andere Verwendung bedarf es einer freiwilligen Entscheidung jedes einzelnen.
({1})
Herr Kollege Horn, einen Gedankengang noch: Ich möchte wirklich die Gemeindeverwaltung oder die andere öffentliche Verwaltung sehen, in die sich ein Oberstleutnant als Verwaltungslaie begibt - weg von seiner absolut sicheren Stellung, fachlich qualifiziert und kompetent für seinen jetzigen Beruf -, wo er dem vorhandenen Personal Aufstiegschancen verbaut und sich jedem Inspektorenanwärter unterlegen vorkommen muß, und das Ganze noch freiwillig.
({2})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr.
Herr Kollege Ronneburger, stimmen Sie mit mir darin überein, daß trotz eines enormen Vorsprunges, den Sie als Regierungspartei immerhin haben, Ihre eigene Fraktion ganz speziell in diesem Bereich sehr große Beschwerden und Bauchschmerzen gehabt hat, sich mindestens zu diesem Kabinettsbeschluß durchzuringen, und daß das Problem in den Details sehr sorgsam erörtert werden muß, nämlich sowohl hinsichtlich der Frage der Auswirkung in der Bundeswehr als auch hinsichtlich der Frage der Auswirkung auf die Gesellschaft, damit auf unsere Bundeswehr auch nicht der Schein eines positiven Ausnahmeverhältnisses gegenüber der Gesellschaft fällt, was sich dann rückwirkend wiederum negativ für sie auswirken würde?
Herr Kollege Horn, den Vorsprung, von dem Sie sprechen, hat in diesem Fall weniger die Koalition gegenüber der Opposition als vielmehr wir als Mitglieder des Verteidigungsausschusses gegenüber den übrigen Mitgliedern des Parlaments. Ist es eigentlich erstaunlich, wenn diese übrigen Mitglieder - auch in meiner Fraktion - etwa vom beamtenrechtlichen Bereich her mit Blick auf diesen Gesetzentwurf kritische Fragen stellen, wenn sie nachfragen: Gibt es hier nicht doch Präjudizien, gibt es hier nicht doch einen Präzedenzfall, der auf andere Bereiche ausstrahlt, etwa auf den gesamten öffentlichen Dienst? Ist es erstaunlich, wenn die Mitglieder meiner Fraktion aus dem Sozialbereich etwa fragen: Wie steht es denn mit. dem Arbeitsmarkt? Ist es erstaunlich, wenn gefragt wird: Gibt es eigentlich keine andere Lösung? Genau das ist geschehen. Diese Arbeit haben Sie in Ihrer Fraktion, haben die Kollegen aus der CDU/ CSU-Fraktion und haben Herr Feldmann und ich aus meiner Fraktion gemeinsam im Verteidigungsausschuß zu leisten. Das ist die Situation. Damit, meine ich, sollten wir uns auch gemeinsam abfinden.
Ich möchte noch einen einzigen Punkt ansprechen, meine Kolleginnen und Kollegen, weil vorhin bei den Ausführungen des Kollegen Wilz an einer Stelle aus der SPD-Fraktion der Zwischenruf kam, das stimme gar nicht. Gerade an diesem Tag, an dem wir Herrn Berkhan verabschiedet haben, möchte ich wiedergeben - ausdrücklich an Ihre Adresse gerichtet -, was zu diesem Problem im Bericht des Wehrbeauftragten steht:
In diesem Jahr - so heißt es wurde in den Streitkräften ein vom Bundesminister der Verteidigung erarbeiteter Regierungsentwurf zum Abbau des Verwendungsstaus diskutiert, wonach Offizieren des Truppendienstes bestimmter Jahrgänge die vorzeitige Zurruhesetzung ermöglicht werden soll. Damit lange Diskussionen die vom Verwendungsstau betroffenen Soldaten nicht weiter verunsichern und enttäuschen, sollte das Parlament möglichst schnell mit diesem Thema befaßt werden.
Und an anderer Stelle:
So wichtig es ist, den Bürgern klarzumachen, daß es sich bei der Lösung des Verwendungsstaus nicht um eine soziale Wohltat handelt, sondern es allein um den Erhalt der Einsatzfähigkeit geht, so wichtig ist es, ebenso deutlich zu machen, daß der Beruf des Soldaten in dem sozialen Gefüge unserer Gesellschaft ein Beruf ohne Anspruch auf Privilegien, aber auch ohne Verpflichtung zur Zurückhaltung ist.
Ich glaube, das ist ein gutes Motto, unter das wir unsere weiteren Beratungen nach der Ausschußüberweisung stellen könnten. Ich wäre dankbar, wenn wir in diesem Sinne gemeinsam für die Betroffenen, für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr und schließlich auch für die Erfüllung des Auftrages wirken könnten, den wir als Abgeordnete dieses Hohen Hauses auch aus Verantwortung gegenüber denjenigen haben, die mit ihrem Dienst in der Bundeswehr für uns gemeinsam arbeiten.
({0})
- Herr Kollege Heistermann, wenn Sie noch eine Frage haben, bitte.
({1})
- Okay. ({2})
Eine sehr gute Bemerkung, Herr Abgeordneter Heistermann: im Ausschuß.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Der Ältestenrat schlägt vor, den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 10/2887 zur federführenden Beratung an den Verteidigungsausschuß, zur Mitberatung an den Innenausschuß, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß zu überweisen.
Interfraktionell ist darüber hinaus vereinbart worden, die Vorlage auch dem Rechtsausschuß zur Mitberatung zu überweisen.
Gibt es dazu weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Forschung und Technologie ({0}) zu dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und der Fraktion DIE GRÜNEN
Technikfolgenabschätzung und -bewertung
zu dem Antrag der Abgeordneten Roth, Vosen, Lutz, Catenhusen, Fischer ({1}), Grunenberg, Hansen ({2}), Dr. Kübler, Nagel, Stahl ({3}), Stockleben, Vahlberg, Buschfort, Dreßler, Egert, Glombig, Heyenn, Kirschner, Peter ({4}), Reimann, Schreiner, Frau Steinhauer, Urbaniak, Weinhofer, von der Wiesche, Dr. Vogel und der Fraktion der SPD
Gestaltung der technischen Entwicklung; Technikfolgenabschätzung und -bewertung
- Drucksachen 10/2383, 10/2517, 10/2937 Berichterstatter:
Abgeordnete Lenzer Vahlberg
Dr.-Ing. Laermann Frau Dr. Bard
Auf Drucksache 10/3022 liegt hierzu ein interfraktioneller Änderungsantrag vor.
Meine Damen und Herren, interfraktionell sind für die Aussprache bis zu fünf Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort zur Berichterstattung wird nicht gewünscht.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bugl. Bitte sehr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwölf Jahre hat der Deutsche Bundestag darüber diskutiert, wie die Technikfolgenabschätzung institutionalisiert werden könnte. Ich habe mir in den letzten Tagen einmal die Mühe gemacht, die wichtigsten Passagen der einschlägigen Protokolle nachzulesen. Seien wir ehrlich: In diesen zwölf Jahren hat die jeweilige Opposition den Versuch unternommen, mittels des Instruments Technologiefolgenabschätzung eine effektivere parlamentarische Kontrolle über die Forschungs- und Technologiepolitik der jeweiligen Bundesregierung zu erreichen, während die Mehrheitsfraktion auf der anderen Seite, ausgestattet mit dem Sachverstand der Exekutive, dies zu vermeiden suchte. Schade! Dadurch hat das Parlament wertvolle Zeit verloren. Und, was nach meinem Dafürhalten noch schlimmer ist: Grundsätzliche technologiepolitische Auseinandersetzungen wurden außerhalb des Parlaments geführt.
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Keine Frage: Das Parlament hat auf den Gebieten der Forschungs- und Technologiepolitik und der gesellschaftlichen Auswirkungen des technologischen Wandels einen Informationsbedarf. Ich freue mich, daß mit der Enquete-Kommission Technikfolgenabschätzung und -bewertung jetzt endlich ein erster Schritt getan wurde. Damit haben alle Fraktionen des Deutschen Bundestages, Regierungsfraktionen und Opposition, die Notwendigkeit der Technologiefolgenabschätzung im politischen Entscheidungsprozeß anerkannt.
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Es liegt nun an uns, ob es uns gelingt, ein Instrument zu schaffen, das uns Abgeordneten möglichst umfassende Informationen über technologische Entwicklungen und deren Auswirkungen auf die Umwelt, auf die qualitativen und quantitativen Veränderungen der Arbeitsplätze und nicht zuletzt auf die demokratischen und sozialen Strukturen unseres Staates gibt.
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Nur mit solchen Analysen und Methoden läßt sich meines Erachtens heute eine Politik formulieren und auch durchführen, die den Anspruch erheben kann, mehr als nur reagieren zu wollen.
Den Kolleginnen und Kollegen, die zusammen mit den Sachverständigen in dieser Kommission arbeiten, wird eine schwierige Aufgabe gestellt. Auch dieses Hohe Haus selbst, das sich dann dem Bericht stellen muß, wird um die Bürde des heutigen Beschlusses nicht umhinkommen.
Uns bleibt wenig Zeit. Im Vergleich zur Exekutive stehen uns nur sehr begrenzt Personal- und Sachmittel zur Verfügung. Versuchen wir daher nicht, ein zu großes Arbeitsfeld zu wählen, verzetteln wir uns nicht auf viele Bereiche! Wir müssen erst einmal lernen, so meine ich, mit dem Instrument der Technologiefolgenabschätzung umzugehen. Zu
hohe Erwartungen sollten daher nicht geweckt werden.
Ich würde mir wünschen, daß wir möglichst rasch zu einem Konsens aller Fraktionen über den einzuschlagenden Weg kommen. Erste sondierende Gespräche stimmen mich sehr hoffnungsvoll. Vergessen wir nicht: Wir sind zum Erfolg verurteilt. Es hängt ein Stück Glaubwürdigkeit unseres Parlaments an der Erfüllung dieser Aufgabe. Es ist an uns, die Funktionsfähigkeit des Parlaments auch bei schwierigen technologischen Entscheidungen unter Beweis zu stellen. Es ist unsere Pflicht, der vielzitierten Kluft zwischen Verfassungsauftrag und parlamentarischer Wirklichkeit entgegenzuwirken.
Es gibt viel zu tun; helfen Sie alle mit, die Kommission zum Erfolg zu führen.
Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Matthöfer.
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herrn! Herr Dr. Bugl, mir fällt zu Ihrer Einführung einiges ein; aber ich will uns das allen gemeinsam heute abend ersparen.
In unserem Land ist in der Tat die Vorstellung weit verbreitet, es könnte eigentlich nur eine Technik geben, die sich nach Sachgesetzlichkeiten entwickelt, ohne daß man alternative Gestaltungsmöglichkeiten hat. Diese Vorstellung ist falsch. Richtig ist vielleicht, daß es in der Welt so etwas wie einen internationalen wissenschaftlichen und technischen Fortschritt gibt und daß man ihn nicht an unseren Grenzen aufhalten kann. Das ist ganz sicher richtig.
Aber wir können doch Entscheidungen darüber treffen, was wir fördern wollen oder nicht, welche. Kommunikationsstrukturen wir aufbauen wollen, wie wir mit Energien und Rohstoffen umgehen, ob wir ein besonderes Wissen von den Kreisläufen der Natur dazu nutzen, sie nur schneller auszubeuten oder ihre Erneuerungskraft zu bewahren.
Das sind nun einmal Entscheidungen politischer Art und Entscheidungen sozialer Gestaltung. Die Bewertung von Technologien und die Suche nach den besten sozialen und politischen Gestaltungsmöglichkeiten sind ein Prozeß, der auf vielen Ebenen täglich stattfindet. Unternehmer versuchen, ihre Produkte neu zu gestalten, neue Produkte, neue Verfahren zu entwickeln; Verbraucher bewerten den Nutzen angebotener Güter und Dienstleistungen. Der Staat versucht, Umweltfolgen der industriellen Produktion - auch der landwirtschaftlichen Produktion -, des Güter- und Personenverkehrs, von Energiesystemen, bei der Abfallbeseitigung usw. nach unterschiedlichen Möglichkeiten zu beurteilen.
Entgegen einer häufig zu hörenden Ansicht ist der Staat, ob er nun will oder nicht, auch dazu verurteilt, in die Zukunft zu schauen und Entscheidungen über technische Entwicklungen und öffentliche Infrastrukturen zu fällen, die noch in Jahrzehnten Folgen haben werden.
Es hat darum wenig Sinn, darüber zu streiten, ob es überhaupt möglich ist, eine Technologiefolgenabschätzung zu betreiben. Natürlich ist es nicht möglich, die Zukunft in allen ihren Verästelungen vorauszusehen, herauszufinden, wie sich künftige Entwicklungen und ihre Anwendung unter den Bedingungen der Zukunft auswirken und wie die Menschen in der Zukunft - vielleicht unter veränderten Wertvorstellungen - das beurteilen, was wir heute beschließen.
Die Frage lautet vielmehr, wie eine Gesellschaft jeweils den Prozeß organisiert, in dem immer wieder mit neuen Erkenntnissen und neuen methodischen Möglichkeiten überprüft wird, welche Entwicklung sie will und welche Entwicklung sie nicht will.
Wir haben große Zweifel, ob wir in der Bundesrepublik über die erforderlichen Strukturen verfügen, in denen die Informationen über die jeweiligen unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten, ihre Folgen und alternative Möglichkeiten aufgearbeitet und einem sozialen Auswahlprozeß und letztlich einer politischen Entscheidung zugeführt werden können. Wir haben Zweifel, ob die Mechanismen, die es bisher in bezug auf die Gestaltung unserer Energieversorgung oder unsere Verkehrssysteme, landwirtschaftliche Poduktionsweisen oder chemische Produktionsprozesse und auch weiter in die Zukunft führende Entwicklungen, wie z. B. neue Kommunikationssysteme, gibt, wirklich dem sozialen Wohl unserer Gesellschaft entsprechen.
Der Deutsche Bundestag hat als Gesetzgeber im Umweltschutz, im Verbraucherschutz, im Verkehrsbereich, im Baurecht, in der Energieversorgung, bei fast allen Haushaltsentscheidungen, bei Entscheidungen über internationale Verträge und nicht zuletzt bei sicherheitspolitischen Entscheidungen immer wieder auch über technologische Fragen und Alternativen zu beraten und zu entscheiden.
Der Bundestag verfügt heute noch nicht über institutionell organisierte Möglichkeiten, solche Fragen sachverständig aufarbeiten zu lassen und selbst alternative Gestaltungsmöglichkeiten in die Debatte zu bringen. Die institutionelle Schwäche des Parlaments gegenüber dem in den Ministerien organisierten Sachverstand ist ein Mangel unserer Demokratie, der nicht nur die jeweilige Opposition betrifft.
({0})
- Das ist nicht richtig, Herr Kollege. Dazu wäre viel zu sagen; insbesondere wäre auf meine eigenen Versuche hinzuweisen, im Ministerium so etwas überhaupt aufzubauen. Wenn Sie Herrn Kollegen Riesenhuber fragen würden, wüßten Sie, daß ich Ihren Bemühungen immer mehr Sympathie entgegengetreten bin. Zu meinem persönlichen großen Bedauern - ich will nicht für meine Fraktion spre9352
chen - haben Sie das nie mit allergrößter Energie betrieben.
({1})
Nun wollen wir die Jahre nicht glorifizieren, die Sie in der Opposition verbracht haben.
Die Entscheidung des Deutschen Bundestages, eine Enquete-Kommission „Technologiefolgenabschätzung" einzusetzen, ist nur dann kein Alibi, wenn sie von dem politischen Willen getragen ist, den Prozeß der Bewertung, der Auswahl und der Gestaltung technologischer Alternativen in unserer Gesellschaft öffentlich durchschaubarer zu machen.
Wenn der heutige Beschluß des Deutschen Bundestages aber keine anderen Folgen hätte, als daß ein weiteres mehr oder minder gedankenreiches Dokument in den Archiven vergilbt, dann wäre dies eine Niederlage auch für die Fortentwicklungsfähigkeit unserer demokratischen Strukturen und eine Niederlage für diejenigen, die sich von der bewußten Beeinflussung von Wissenschaft und Technik eine menschengerechtere Gestaltung der Zukunft versprechen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohn.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was lange währt, wird doch noch endlich gut werden ({0})
das könnte man eigentlich über den Tagesordnungspunkt, den wir jetzt zu fortgeschrittener Stunde beraten, schreiben. Die FDP-Fraktion begrüßt, daß seit der Diskussion 1973 nun endlich eine Entscheidung in diesem Parlament getroffen wird, sich dem Thema der Technikfolgenabschätzung sinnvoll zu widmen.
Worum geht es? Es geht z. B. darum, daß wir das Problem sehen, daß der technische Fortschritt eine ethische Ambivalenz in sich trägt, die von uns politisch verantwortet werden muß. Es geht z. B. darum, daß wir es mit zwei Entwicklungsgeschwindigkeiten zu tun haben: Auf der einen Seite wächst unser technisches Vermögen, wachsen unsere Erkenntnisse sehr schnell, auf der anderen Seite wächst unser Vermögen, als Gesellschaft auf diese Prozesse zu reagieren, nur sehr langsam, was bedeutet, daß das politische Subsystem natürlich immer mit einem erheblichen Verzögerungseffekt auf solche technischen Entwicklungen reagiert. Es geht schließlich darum, daß wir die Auswirkungen der technologischen Entwicklung in der ganzen Breite in den Staat, in die Gesellschaft hinein aufarbeiten müssen. Das betrifft die Wirtschaft, die Arbeitswelt; das betrifft die Umwelt, die Veränderung unserer Lebensgewohnheiten, und es betrifft natürlich auch die Frage unseres Selbstverständnisses, unseres Menschenbildes.
Technology Assessment oder, wie es etwas schwerfällig im Deutschen heißt, Technikfolgenabschätzung und -bewertung ist deshalb eine Aufgabe, der wir uns als Parlamentarier nicht entziehen dürfen. Es geht, so denke ich, erstens darum, Zukunftsgestaltung zu betreiben, d. h. die ethische Verantwortbarkeit von technischen Entwicklungen zu prüfen. Es geht darum, den Prozeß der gesellschaftlichen Akzeptanz aufzuarbeiten. Liberale haben da klare Positionen. Es geht zum zweiten darum, die öffentliche Diskussion zu führen, und zwar intensiv zu führen, ohne daß es dabei Tabus geben darf, und zwar in der Weise, daß die Chance zu einem gesellschaftlichen Konsens besteht. Es geht zum dritten schließlich darum, ein Instrument für den Gesetzgeber zu schaffen, um technologische Entwicklungen unter gesamtgesellschaftlichen Aspekten kritisch zu begleiten und auch eigene politische Vorstellungen zu entwickeln. Wir haben dies ja in dem sehr sensiblen Bereich der Gentechnologie bereits getan.
Die Aufgabe der Enquete-Kommission zur Technikfolgenabschätzung lautet j a, Informations- und Wissensstand des Deutschen Bundestages über wesentliche technische Entwicklungslinien zu verbessern, für die in Zukunft ein politischer Beratungs- und Entscheidungsbedarf besteht. Dies aber ist nicht die einzige und nicht die ausschließliche Aufgabe, sondern es geht auch darum - und das scheint mir mindestens genauso wichtig zu sein -, Vorschläge für die organisatorische Form der Weiterbehandlung dieses Themas auszuarbeiten, wenn die Enquete-Kommission ihren Arbeitsauftrag beendet hat.
Wir Liberalen und allen voran Professor Laermann haben ja immer deutlich gesagt, daß diese Aufgabe, wenn sie von einer Enquete-Kommission bewältigt werden soll, voraussetzt, daß die Abgeordnetenkollegen in dieser Kommission ein möglichst breites Spektrum von Politikfeldern abdecken. Ich hoffe, daß dies erreicht werden kann. Es bleibt eigentlich nur, den Kollegen, die sich dieser schwierigen Aufgabe zusammen mit den Sachverständigen unterziehen werden, viel Glück und viel Erfolg zu wünschen, vor allem natürlich auch dem designierten Vorsitzenden dieser Kommission; denn ich glaube, die Handlungsfähigkeit und die Glaubwürdigkeit des Parlaments in diesem Politikbereich werden sehr von dem Erfolg dieser Kommission abhängen. Vielleicht wird es ihr auch gelingen, ein Motto zur Geltung zu bringen, das noch nicht in das Schatzkästlein deutscher Spruchweisheit Eingang gefunden hat, nämlich: Sachkompetenz muß selbst in der Politik nicht schädlich sein. - Vielen Dank!
({1})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Bard.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß ob der salbungsvollen Worte hier ein bißchen Wasser in den Wein gießen. Ich glaube, daß sich trotz des gemeinsamen Entschlusses zur Einsetzung der Enquete-Kommission
doch sehr verschiedene politische Vorstellungen mit den Möglichkeiten dieser Kommission verbinden.
({0})
Ich glaube, daß sich das bei unserer Arbeit noch zeigen wird; denn in einem sind sich - außer uns - alle einig: Technischer Fortschritt muß sein.
({1})
Das ist ein zentraler Glaubenssatz geworden. Darüber täuscht auch nicht hinweg, daß es in der Geschichte der Anträge zur Einsetzung dieser Kommission andere Koalitionen gegeben hat, bei denen wir gemeinsam mit der CDU gestimmt haben und die SPD aus einer Profilneurose heraus anders votiert hat.
({2})
Der zentrale Fortschrittsglaube, der sich durch alle Ihre Reden hindurchzieht, steht jetzt im krassen Widerspruch dazu, daß wir eine Situation der Zerstörung der Natur und des Menschen als Nebenwirkung der gigantischen Maschinerie vorfinden, die die technische Entwicklung mit sich gebracht hat, mit der Folge, daß die Menschen mißtrauisch geworden sind. So ist es auch kein Wunder, daß der Wunsch besteht, die Folgen dieser Technik abzuschätzen, die Risiken zu minimieren und die sozialen Auswirkungen abzufedern mit dem Ziel der Wiederherstellung einer technikfreundlichen Gesellschaft oder, wie Herr Kohn sagte, einer „Technikakzeptanz". Wovon aber nicht geredet wird, ist die Frage, welche Technik wir überhaupt akzeptieren wollen. Hier stellt sich für uns allerdings die Frage der Technikbewertung.
({3})
Bei dieser Frage muß ein anderer Maßstab angelegt werden. Entwicklung von Technik hat immer nur geheißen: Wettbewerb und Markt, hat nie geheißen: Bedürfnisse des Menschen, hat nie geheißen: Bedürfnisse einer ökologischen Verträglichkeit.
({4})
Für uns kann diese Enquete-Kommission deswegen nur ein Minimum sein, die Ausgangsbasis dafür, eine gesellschaftliche Diskussion anzufangen, die wir weiterführen wollen. Herr Bugl, genau das haben wir eigentlich im Sinn. Unser Ziel ist es, aus dem Parlament herauszukommen.
({5})
Wir wollen die Diskussion über technische Entwicklung außerhalb des Parlaments haben, und zwar
bevor eine neue Technik in Industrieproduktion und damit Sachzwang übergeht.
({6})
Wir wollen vielmehr eine Vorbeugung und die Möglichkeit haben, die Alternativen sofort mitzudenken; da gebe ich Herrn Matthöfer vollständig recht.
({7})
- Genau deswegen, weil wir am Punkt Null anfangen, weil die Politiker diese Sachen versäumt haben, sind wir auch dafür gewesen, mit diesem Minimum der Enquete-Kommission erst einmal anzufangen, sich in dieser Enquete-Kommission aber durchaus Gedanken zu machen, um darüber hinauszukommen. Wir haben Vorstellungen: so etwas ähnliches wie eine Stiftung, außerhalb des Parlaments angesiedelt,
({8})
gesellschaftliche Diskussion über wichtige Fragen. - Wenn Sie die Entwicklung unserer Gesellschaft und die damit einhergehende Technik hier zum Gegenstand lächerlicher Witze meinen machen zu können, dann wissen Sie nicht, wie ernst unsere Zukunft ist und wie ernst wir diese Sachen wirklich nehmen sollten.
({9})
Sie werden dafür ganz sicher eines Tages dann auch die Quittung bekommen. In der Art, wie wir bisher verfahren, können wir nicht mehr weitermachen. Wir sollten deshalb versuchen, eine Technikbewertung vorzunehmen und Maßstäbe in die Technikentwicklung überhaupt schon im Vorfeld einzubauen. Dazu soll die Diskussion dienen. Wir hoffen, daß diese gesellschaftliche Diskussion im Vorfeld vielleicht in dieser Enquete-Kommission sichtbar werden kann, daß es Themenkataloge geben kann, die aufzeigen, welche Techniken eigentlich bewertet werden müssen, um für politische Alternativen auch die notwendigen Argumente zu haben.
({10})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem interfraktionellen Änderungsantrag auf Drucksache 10/3022 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
({0})
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Forschung und Technologie auf Drucksache 10/2937 mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzei9354
Vizepräsident Stücklen
chen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Einstimmige Annahme.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 auf:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Vieh- und Fleichgesetzes
- Drucksache 10/1641 Beschlußempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ({1})
- Drucksache 10/2944 Berichterstatter: Abgeordneter Bredehorn
({2})
Wird das Wort vom Berichterstatter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Auch sonst wird das Wort nicht gewünscht.
Wir kommen zur Einzelabstimmung. Ich rufe die Artikel 1 bis 3 sowie Einleitung und Überschrift mit den vom Ausschuß empfohlenen Änderungen auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einer Reihe von Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei der gleichen Anzahl von Enthaltungen ist dieses Gesetz mit großer Mehrheit in dritter Lesung angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 16 und 17 auf:
16. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Lastenausgleichsbank
- Drucksache 10/2873 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Innenausschuß ({3})
Finanzausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Haushaltsausschuß
17. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 10. September 1984 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada über die gegenseitige Unterstützung und die Zusammenarbeit ihrer Zollverwaltungen
- Drucksache 10/2862 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Finanzausschuß
Wird dazu das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der Ältestenrat schlägt die Überweisung der Gesetzentwürfe in Drucksache 10/2873 und Drucksache 10/2862 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vor. Gibt es weitere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 18 bis 20 auf:
18. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({4}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 23 02 Tit. 836 01 - Erhöhung des Kapitalanteils der Bundesrepublik Deutschland an der Internationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung ({5}) - Drucksachen 10/2650, 10/2852 Berichterstatter:
Abgeordnete Esters Borchert
Frau Seiler-Albring Verheyen ({6})
19. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({7}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgaben im Haushaltsjahr 1984 bei
a) Kap. 10 02 Tit. 656 53 - Landabgaberente - und
b) Kap. 10 02 Tit. 656 55 - Krankenversicherung der Landwirte - Drucksachen 10/2651, 10/2853 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({8}) Frau Zutt
Verheyen ({9})
20. Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({10}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 11 11 Tit. 682 01
- Erstattung von Fahrgeldausfällen - Drucksachen 10/2640, 10/2854 Berichterstatter: Abgeordnete Sieler Dr. Friedmann
Frau Seiler-Albring
Wird das Wort von den Berichterstattern gewünscht? - Das ist nicht der Fall. - Auch sonst liegen keine Wortmeldungen vor.
Der Ausschuß empfiehlt auf den Drucksachen 10/2852, 10/2853 und 10/2854, von den Unterrichtungen durch den Bundesminister der Finanzen auf den Drucksachen 10/2650, 10/2651 und 10/2640 Kenntnis zu nehmen. Erhebt sich dagegen Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des
Berichts des Innenausschusses ({11})
Vizepräsident Stücklen
zu der Unterrichtung durch das Europäische Parlament
Entschließung zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit
- Drucksachen 10/1406, 10/2859 Berichterstatter: Abgeordnete Krey Tietjen
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Auch sonst liegt kein Wunsch auf Aussprache vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Innenausschusses auf Drucksache 10/2859 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung ({12}) zur
Auslegung der Geschäftsordnung
hier: §§ 75 und 88 GO-BT ({13})
- Drucksache 10/2845 Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Lammert
Berichterstatter ist der Herr Abgeordnete Dr. Lammert. Er wünscht das Wort. Bitte, Herr Dr. Lammert. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kollegen! Ich bitte sehr um Nachsicht, wenn ich für kurze Zeit Ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nehme. Aber es kommt nicht oft vor, daß der Geschäftsordnungsausschuß, der sich seinerseits sehr häufig und viele Stunden sowohl durch Wünsche des Präsidiums wie der Ausschüsse dieses Hauses damit zu beschäftigen hat, wie Streitfragen in der Handhabung unserer Geschäftsordnung zu regeln sind, umgekehrt das Plenum in Anspruch nimmt. Es ist überhaupt das erstemal in dieser Legislaturperiode, daß der Geschäftsordnungsausschuß eine Frage, um deren Lösung er sich bemüht hat, ausdrücklich mit der Bitte um Bestätigung dem Plenum vorlegt. Deswegen will ich mit wenigen Sätzen erläutern, worum es überhaupt geht und warum wir hier auf eine Beschlußfassung des Plenums großen Wert legen.
Ausgangspunkt war die Sondersitzung des Bundestages im Sommer des vergangenen Jahres und die sich daran anschließende Frage, ob in diesem Zusammenhang Entschließungsanträge überhaupt zulässig seien, weil dies in dem Katalog der Vorlagen zu Verhandlungsgegenständen, zu denen Entschließungsanträge vorgesehen sind, in der Geschäftsordnung nicht ausdrücklich aufgenommen ist. Im Kern geht es um die Frage, ob man entweder bei der Behandlung der Zulässigkeit von Entschließungsanträgen restriktiv verfahren soll, also für bestimmte Verhandlungsgegenstände Entschließungsanträge für unzulässig erklären soll, oder ob man umgekehrt bei zulässigen Entschließungsanträgen zu einem vernünftigen Verfahren bei der Behandlung der Entschließungsanträge kommt, wobei es insbesondere darum geht, daß die Möglichkeit eröffnet werden muß, solche kurzfristig vorgelegten Entschließungsanträge zu Verhandlungsgegenständen, zu denen nicht bereits eine Vorlage vorliegt, auch gegen den Wunsch des Antragstellers an Ausschüsse überweisen zu können.
Wir haben uns mit dieser Frage sehr gründlich auseinandergesetzt und sind zu dem Ergebnis gekommen: Es muß möglich sein, zu jedem beliebigen Verhandlungsgegenstand auch die Meinungsbekundung des Bundestages zum Ausdruck zu bringen. Es gibt auch keine Bestimmung in der Geschäftsordnung, die das ausschließen würde. Wenn wir aber, was uns zweckmäßig erscheint, zu dem Ergebnis kommen, daß zu jedem beliebigen Verhandlungsgegenstand auch eine Meinungsbekundung des Hauses möglich sein muß, dann muß es auf der anderen Seite möglich sein, daß ein Entschließungsantrag, der kurzfristig vorgelegt wird, zunächst zur sorgfältigeren Beratung an Ausschüsse überwiesen werden kann und nicht das Plenum durch das Bestehen des Antragstellers auf seiner Meinung gezwungen werden kann, aus dem Stand eine endgültige Beschlußfassung herbeizuführen.
Deswegen empfehlen wir dem Plenum, diese Auslegung der Geschäftsordnung, die - wie gesagt - nicht zwingend, aber unserer Meinung nach erstens naheliegend und zweitens sehr zweckmäßig ist, durch Beschlußfassung ausdrücklich zu bestätigen. Ich bitte um Ihr Verständnis und hoffe auf Ihre Zustimmung.
({0})
Der Wunsch auf Aussprache besteht nicht. Wir kommen zur Abstimmung.
Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung auf Drucksache 10/2845 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zwei Enthaltungen mit großer Mehrheit angenommen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 23 a und b auf:
a) Beratung der Sammelübersicht 68 des Petitionsausschusses ({0}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/2938 -
b) Beratung der Sammelübersicht 69 des Petitionsausschusses ({1}) über Anträge zu Petitionen
- Drucksache 10/2939 Das Wort wird dazu nicht gewünscht.
Vizepräsident Stücklen
Wir kommen zur Abstimmung. Wer den Beschlußempfehlungen des Petitionsausschusses, die in den Sammelübersichten 68 und 69 enthaltenen Anträge anzunehmen, zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen sind die Beschlußempfehlungen angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Beratung der Beschlußempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft ({2}) zu der Verordnung der Bundesregierung
Aufhebbare Einundneunzigste Verordnung zur Änderung der Einfuhrliste - Anlage zum Außenwirtschaftsgesetz - Drucksachen 10/2721, 10/2969 Berichterstatter: Abgeordneter Burgmann
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Der Wunsch nach Aussprache besteht ebenfalls nicht.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer der Beschlußempfehlung des Ausschusses auf Drucksache 10/ 2969 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Ohne Gegenstimmen bei einigen Enthaltungen angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 15. März 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.