Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde
- Drucksache 10/2826 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Der Fragesteller der Frage 1, Herr Abgeordneter Eigen, bittet um schriftliche Beantwortung. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich bereits abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 2 der Frau Abgeordneten Reetz auf:
Welche datenschutzrechtlichen Beanstandungen hatte der Bundesbeauftragte für den Datenschutz auf Grund seiner Prüfkompetenz im BTX-Rechenzentrum in Ulm, und was wurde seitens der Bundesregierung veranlaßt, um diese Mängel zu beseitigen?
Frau Kollegin Reetz, der Bundesbeauftragte für den Datenschutz hat auf Grund von § 19 Abs. 1 Satz 1 des Bundesdatenschutzgesetzes eine datenschutzrechtliche Kontrolle vom 1. Oktober 1984 bis zum 5. Oktober 1984 in der BTX-Leitzentrale durchgeführt. In Übereinstimmung mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten sind nach Auffassung der Bundesregierung dabei keine Beanstandungen im Sinne des § 20 des Bundesdatenschutzgesetzes erfolgt. Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat der Deutschen Bundespost aber eine Reihe von Empfehlungen und Anregungen gegeben. Wir sind mit dem Datenschutzbeauftragten in einer Diskussion darüber, diese Empfehlungen und Anregungen möglichst schnell zu verwirklichen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Betreffen diese Empfehlungen Mängel, und wie wurden diese Mängel beseitigt?
Frau Kollegin Reetz, ich sagte Ihnen gerade: Wir sind in der Diskussion. Sie sind noch nicht alle beseitigt. Sie werden sich an unsere gemeinsame Diskussion im Ausschuß für das Post- und Fernmeldewesen erinnern, wo wir ja einzelne Detailfragen schon diskutiert haben. Es gibt in der einen oder anderen Frage auch noch unterschiedliche Rechtsauffassungen zwischen dem Bundesdatenschutzbeauftragten und uns.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Können Sie mir noch etwas dazu sagen, wieso das Bundespostministerium allein den rechtlichen Anspruch erhebt, die BTX-Zentrale in Ulm zu kontrollieren, und inwieweit die Datenschutzbeauftragte des Landes, Frau Leuze, von diesem Objekt BTX Ulm nicht betroffen ist?
Frau Kollegin Reetz, die Bundesregierung unterscheidet zwischen Stellen, die in der Beaufsichtigung des Bundes sind und für die der Bundesdatenschutzbeauftragte zuständig ist, und solchen Stellen, die der Aufsicht des Landes unterliegen. Wenn z. B. externe Rechner aus einem Betrieb angeschlossen werden, ist die Zuständigkeit des Landesdatenschutzbeauftragten gegeben, nicht aber dann, wenn es sich um Dienststellen der Deutschen Bundespost handelt.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Die Frage 3 soll auf Wunsch des Fragestellers, des Herrn Abgeordneten Zander, schriftlich beantwortet werden. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich abgeschlossen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Jahn zur Verfügung.
Vizepräsident Stücklen
Ich rufe die Frage 4 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Beabsichtigt die Bundesregierung, entsprechend der Forderung von Bundesminister Dr. Schneider ein „stadtökologisches Gesamtkonzept" vorzulegen?
Herr Präsident, ich würde beide Fragen gern gemeinsam beantworten.
Einverstanden? - Dann rufe ich noch die Frage 5 des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Welche Auswirkungen wird dieses Konzept auf die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung und auf das Baugesetzbuch haben?
Herr Kollege Sperling, Bundesbauminister Dr. Schneider hat die Notwendigkeit eines „stadtökologischen Gesamtkonzepts" in einer Rede betont, die er am 25. Oktober 1984 in Bonn vor dem Forschungskolloquium „Stadt und Umwelt - Umweltstrategien im Städtebau" der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen gehalten hat. Bundesminister Dr. Schneider hat nicht, wie in der Frage angenommen wird, ein stadtökologisches Gesamtkonzept der Bundesregierung gefordert, sondern darauf hingewiesen, daß die Erarbeitung eines solchen Konzepts „an erster Stelle eine Aufgabe" ist, „die im Entscheidungsbereich der Gemeinden liegt". Die Bundesregierung wird durch ihre Bodenschutzkonzeption, die sie heute im Bundeskabinett verabschiedet hat, ihren in Arbeit befindlichen Entwurf eines Baugesetzbuchs und durch Intensivierung der stadtökologischen Forschung und der Modellvorhaben den Gemeinden bei der Erstellung stadtökologischer Gesamtkonzepte so viel Unterstützung wie eben möglich zukommen lassen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, habe ich das richtig verstanden, daß Herr Bauminister Schneider, wenn er von einem „stadtökologischen Konzept" spricht, immer die Arbeit anderer meint?
Der Bundesbauminister respektiert die in der Verfassung vorgegebenen Zuständigkeiten, Herr Kollege Sperling. Ich darf noch einmal den Wortlaut wiederholen, ausweislich des „Bulletin" der Bundesregierung vom 27. Oktober 1984 hat er gesagt:
Stadtökologie ist an erster Stelle eine Aufgabe, die im Entscheidungsbereich der Gemeinden liegt.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Noch drei, Herr Präsident, wenn ich bitten darf.
Ich gebe sie Ihnen ja gerne. Sie müssen mir nur zu erkennen geben, daß Sie noch wollen. - Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, da diese Konzeptionen der Gemeinden j a dann wohl mit dem geltenden Baugesetzbuch oder dessen Veränderungen arbeiten müssen: Gibt es bei der Bundesregierung abgestimmte Vorstellungen, wie den Gemeinden über das neue Baurecht solche Gesamtkonzepte erleichtert werden können?
Herr Kollege Sperling, Bundesbauminister Dr. Schneider ist bei der Vorbereitung eines einheitlichen Baugesetzbuches den Weg gegangen, daß er nicht nur die Länder, sondern auch die Kommunen im Vorfeld am Meinungsbildungsprozeß beteiligt hat. Wir haben inzwischen mit den Ländern und den Gemeinden gute Ergebnisse erzielt, wie man für eine Vereinheitlichung des Baugeschehens Sorge tragen kann.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, können Sie mir denn dann ein paar Beispiele dafür nennen, daß Gemeinden solche stadtökologischen Gesamtkonzepte haben und diese mit den neuen Vorstellungen für das Baugesetzbuch bereits verglichen haben?
Mit dem neuen Baugesetzbuch werden die Gemeinden noch nicht arbeiten können, da es noch nicht verabschiedet ist. Es ist aber richtig, daß die einzelnen Gemeinden die Fragen der Ökologie und der Ökonomie sorgfältig prüfen. Herr Kollege Sperling - das wissen Sie so gut wie ich -, eine sachgerechte Entscheidung ist jeweils nur durch eine Abwägung im Einzelfall möglich.
Noch eine Zusatzfrage.
Dann darf ich der Antwort entnehmen, daß Sie keine Beispiele kennen und folglich die neuen Baugesetzbuchregeln auch nicht an diesen Beispielen messen können, und möchte infolgedessen wissen, ob der Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz zur Veränderung der Zuständigkeiten im Bau- und Städtebaurecht nicht möglicherweise alles, was Herr Bundesminister Schneider sagt, hinfällig macht.
Herr Kollege Sperling, Sie sprechen die Mischfinanzierung an. Es gibt seitens der Ministerpräsidenten der Länder einen Grundsatzbeschluß, daß Mischfinanzierung abgebaut werden soll. Die Frage des Zeitpunktes wird unter den Ministerpräsidenten noch abgeklärt.
Wenn Sie aber fragen, welche konkreten Fälle der Stadtökologie möglich sind, dann verweise ich Sie auf die heute im Bundeskabinett verabschiedete Bodenschutzkonzeption. In dieser Konzeption sind bedeutende Einwirkungen auf den Boden geschildert. Ich nenne nur vier Beispiele: Eintragung und Anreicherung von Schadstoffen, Landverbrauch und Zerschneidung von Freiräumen durch
Bebauung, Zersiedelung, Verkehrstrassen und Rohstoffabbau, Belastung des Grundwassers, fortschreitender Verlust heimischer Tier- und Pflanzenarten von Wäldern und Biotopen. Sie sehen, es ist ein umfangreiches Feld, das auch sehr wichtig ist für die raumordnerische Gestaltung in der Bundesrepublik Deutschland.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, ausgehend von der Tatsache, daß sich hinter dem Begriff Stadtökologie möglicherweise etwas fast Geheimnisvolles verbirgt, und wenn ich gleichzeitig von Ihnen höre, daß jede Gemeinde dieses für sich leisten kann, und wenn man weiß, daß zur Ökologie Luft, Wasser und Boden gehören, und wenn Sie gleichzeitig sagen, das trifft auf eine Stadt zu, frage ich Sie: Vertreten Sie wirklich ernsthaft die Auffassung, daß dieses eine Gemeinde mit der eigenen Zuständigkeit für Ihren bestimmten Bereich leisten kann?
Herr Kollege, die Gemeinden haben zunächst die Planungshoheit, und es ist gut, wenn Bund und Land die Planungshoheit der einzelnen Gemeinden respektieren. Bund und Land setzen Rahmendaten. Ich habe eben gesagt, daß die Bundesregierung alle ihre Möglichkeiten nutzen wird, den Städten bei der Gestaltung ihrer Stadt, auch auf dem Gebiete der Stadtökologie, zu helfen.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Conradi.
Herr Staatssekretär, stehen die löblichen Absichten der Bundesregierung hinsichtlich des Bodenschutzes nicht in einem offenen Widerspruch zu den heutigen Erklärungen des Bundesbauministers, in diesem Land müsse es wieder mehr Baufreiheit geben?
Herr Kollege, die Baufreiheit haben wir bereits. Das Bundesbaugesetz ist von dem Gedanken der Baufreiheit durchdrungen. Es heißt im Bundesbaugesetz: Bauen ist erlaubt, es sei denn, es ist ausdrücklich verboten.
Es ist eine andere Frage, ob man diesen Gedanken - weil es in der Praxis häufig anders gesehen wird - jetzt in ein neues Baugesetzbuch aufnimmt. Das wäre aber nicht konstitutiver Art, sondern nur deklaratorischer Natur.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Der Fragesteller, der Abgeordnete Daweke, bittet, die Frage 6 schriftlich zu beantworten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Damit ist dieser Geschäftsbereich bereits erledigt.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Köhler zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Toetemeyer auf:
Teilt die Bundesregierung die im letzten Weltentwicklungsbericht der Weltbank getroffene Feststellung: „Die Wälder sind für das Wirtschaftsleben und die natürlichen Lebensbedingungen vieler Entwicklungsländer von zentraler Bedeutung", und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege Toetemeyer, die Bundesregierung teilt die Einschätzung der Weltbank über die Bedeutung der Wälder für die Entwicklungsländer. In ihrer Erklärung vom 15. September 1983 zum Thema „Unsere Verantwortung für die Umwelt" hat sie ihre Sorge über die zunehmende Vernichtung tropischer und subtropischer Wälder und die damit verbundenen Folgen zum Ausdruck gebracht.
Sie hat an gleicher Stelle erklärt, daß sie es als ihre Aufgabe ansieht, mit ihrer Entwicklungspolitik, insbesondere durch Verstärkung der bilateralen Zusammenarbeit im Forst- und Umweltbereich, diesen Gefährdungen entgegenzuwirken. Im Rahmen des entwicklungspolitischen Forstprogramms hat sie daher in einer Reihe von Ländern die Förderung neuer Vorhaben aufgenommen bzw. durch Projektprüfung eingeleitet oder vorgesehen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Meine konkrete Frage, Herr Staatssekretär, zielt darauf: In welcher Weise wird die Bundesregierung über ihre Mitwirkungsmöglichkeiten in der Weltbank dafür Sorge tragen, daß diesem theoretischen Anspruch der Weltbank auch tatsächlich Rechnung getragen wird?
Herr Präsident, ich bin mir nicht ganz im klaren, ob es nicht zweckmäßiger wäre, jetzt die zweite Frage des Kollegen Toetemeyer zu beantworten, die ja konkret auf die Weltbank zielt.
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Ihnen steht das Recht zu, zu sagen: Darauf werde ich in der Antwort auf die zweite Frage eingehen.
Dann möchte ich das gerne tun, Herr Präsident.
Wenn ich dann noch insgesamt drei Fragen habe, bin ich damit einverstanden.
In diesem Zusammenhang stimme ich dem zu. Dann rufe ich auch die Frage 8 des Herrn Abgeordneten Toetemeyer auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung das Großprojekt Gishwati-Urwald durch die Weltbank im Norden Ruandas, das die Umwandlung dieses Waldes in Viehweiden und Kiefernwälder für die Holzproduktion vorsieht?
Herr Kollege Toetemeyer, die Bundesregierung hätte gegen eine Umwandlung von tropischem Regenwald in Viehweiden und Kiefernwälder für die Holzproduktion durch die Weltbank in Ruanda erhebliche Bedenken und würde sie im Rahmen ihrer Mitwirkung in den Weltbankgremien auch deutlich zum Ausdruck bringen.
Tatsächlich soll im Rahmen des integrierten Forst- und Viehzuchtprojektes aber der noch bestehende natürliche Urwald im Südwesten der Region erhalten bleiben. Nur die Bereiche, in denen der Urwald bereits weitgehend zerstört ist, sollen mit schnell wachsendem Eukalyptus und Kiefern wieder aufgeforstet werden. Gleichzeitig werden in diesem Gebiet neue Weideflächen angelegt. Die Brennholzgewinnung und die Ausweitung der Viehzucht sind in Ruanda, wo sich die Bevölkerung in den nächsten 15 Jahren verdoppeln dürfte, dringend erforderlich.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Ist der Bundesregierung - bezogen auf die Spezialsituation in Ruanda - das von derselben Weltbank erstellte Memorandum bekannt, in dem es heißt - ich zitiere -: „Die letzten natürlichen Urwaldreserven des Landes sind in Gefahr, durch den wachsenden Druck nach Ackerland und den Mangel eines adäquaten Schutzes zu verschwinden"?
Herr Kollege Toetemeyer, das ist uns in der Tat bekannt. Nur, Ihre Fragestellung hat mich zu dem Ergebnis geführt, daß Sie bei der Beurteilung dieses konkreten Projektes von einer irreführenden Information ausgehen. Es sollen dort nicht 15 000 ha Regenwald gefällt werden. Diese Aussage ist falsch. Es sollen 5 000 ha erhalten und durch das Projekt geschützt werden. 20 000 ha sollen teilweise für Holzgewinnung und Weideland genutzt werden. In der ersten Phase sind es 4 000 ha.
Diese Flächen sind bereits jetzt durch Raubbau und vordringende Viehzüchter weitgehend zerstört. Sie würden ohne die vorgesehene Nutzbarmachung allmählich versteppen. Es handelt sich also um die Sanierung einer bereits eingetretenen Zerstörung. Insofern zielt Ihre Frage, glaube ich, in die falsche Richtung.
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wie können Sie dann verstehen - ich unterstelle die Richtigkeit Ihrer Feststellung und bin gern bereit, meine Information zu korrigieren -, daß die intensiven Bemühungen des Entwicklungsexperten Nolte aus Kronenberg im Taunus gegen die Weltbank, die genau darauf abzielten, etwa einzelne Inseln stehen zu lassen, von der Weltbank abgelehnt worden sind?
Kollege Toetemeyer, dies müßte ich in der Tat noch einmal prüfen. Es hat bei der Entwicklung dieses Projektes mehrere Phasen der Planung gegeben. Zum Beispiel hat es zunächst die Absicht der Regierung von Ruanda gegeben, den Urwald im Interesse der Landnutzung insgesamt abholzen zu lassen. Es ist dann in Gesprächen mit der Weltbank eine andere und nach unserer Ansicht vernünftigere Gesamtkonzeption entwickelt worden, nämlich die Rettung des noch intakten Waldes und die Nutzbarmachung der bereits stark geschädigten Flächen auch durch Wiederaufforstung. Ich bin gern bereit, Ihnen zu der gezielten Frage, die Sie soeben gestellt haben, meine Information zu übermitteln. Ich habe sie in diesem Moment nicht zur Verfügung.
Letzte Zusatzfrage, bitte.
Ich darf dann die letzte Frage stellen: Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zuzugestehen, daß ab und zu auch mal ein Abgeordneter im Besitz besserer Informationen als die Bundesregierung sein kann?
Herr Kollege Toetemeyer, dieses ist mir in den Jahren, als ich als Abgeordneter in diesem Saal vom Fragerecht Gebrauch machte, in der Tat mehrfach bestätigt worden.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatssekretär, sehen Sie sich in der Lage, dem Eindruck entgegenzuwirken, daß, wenn erst mal ein Stück Urwaldzerstörung gelungen ist, die hehren Grundsätze die die Weltbank ansonsten ausspricht, nichts mehr gelten?
Dazu bin ich durchaus in der Lage; denn in diesem Zusammenhang wird Wiederaufforstung getrieben. Aber es ist ein Zustand eingetreten, Herr Kollege, in dem dort Leute bereits Ackerbau betreiben, und es gibt nicht mehr den ursprünglichen Waldzustand sondern es ist Versteppung eingetreten. Daraus ergibt sich ein Mischkonzept, das darauf abzielt, zum Teil den vorhandenen Wald noch zu erhalten, andere Teile neu anzupflanzen und andere Teile für die dringend nötige Holzversorgung und den Ackerbau zu nutzen.
Noch eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, läuft das nicht darauf hinaus, daß in Zukunft Viehzüchter und andere in anderen Gebieten geradezu ermutigt werden, zunächst mal den Wald ein Stück weit zu zerstören, um dann ihre Interessen durchzusetzen, statt daß das Gewicht darauf gelegt wird, den alten Zustand wieder herzustellen?
Bedauerlicherweise, Herr Kollege, bedürfen Viehzüchter und Brennholz suchende Leute in der Dritten Welt keiner solchen Ermutigung mehr. Rund um die Welt
haben wir das Problem, daß die Menschen aus der nackten Not heraus abholzen oder Ackerflächen suchen, um überleben zu können. Wir bedürfen also nicht mehr dieses Projektes, um diese weitgehende Verwüstung der Waldbestände in der Welt noch einzuleiten. Sie sind eine Gegebenheit, auf die mit solchen Maßnahmen geantwortet wird.
Keine weitere Zusatzfrage.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Vogel zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 60 des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}) auf:
Wie wirkt der Bundeskanzler dem innen- und außenpolitisch schädlichen Eindruck entgegen, daß mündliche Äußerungen von Vertriebenen-Funktionären aus jüngster Zeit und schriftliche Äußerungen in Artikeln in von der Bundesregierung subventionierten Organen von Landsmannschaften im In- und Ausland lautgewordenen Vorwürfen von westdeutschem Revanchismus und Pan-Germanismus Vorschub leisten?
Herr Kollege Ehmke, der Bundeskanzler hat in seinem Schreiben an das Mitglied des Bundestages Herrn Dr. Hupka vom 23. Januar 1985, das im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung vom 25. Januar 1985 veröffentlich wurde, die Position der Bundesregierung unmißverständlich dargestellt. Diese Position der Bundesregierung ist bereits vorher vielfach dargelegt worden, in den Regierungserklärungen des Bundeskanzlers vom 13. Oktober 1982 und vom 4. Mai 1983, in mehreren Erklärungen des Bundesministers des Auswärtigen und in Verlautbarungen des Regierungssprechers. Hiernach entbehren alle Vorwürfe der in der Frage genannten Art jeglicher Grundlage.
Die Bundesregierung erinnert in diesem Zusammenhang an die Aufgabe der politisch Verantwortlichen aller Parteien, die innenpolitische Diskussion nicht in einer Weise zu führen, daß Schaden entsteht oder entstandener Schaden noch vergrößert wird.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, stimmen Sie mir zu, daß der Eindruck im Ausland, auch im befreundeten westlichen Ausland nicht der ist, daß der Bundesrepublik Schaden entsteht durch die kritischen Fragen der Opposition, sondern dadurch, daß der Bundeskanzler im Gegensatz zum Bundestagspräsidenten und zum Herrn Bundespräsidenten bis jetzt nicht die nötige Klarheit geschaffen hat und daß er, falls er in der Rede vor dem Schlesiertreffen diese Klarheit schaffen wird, noch vier Monate der Unruhe im Ausland über unsere Position zulassen würde, und sollten Sie nicht diese Kritik, die auch von Freunden aus den westlichen Nachbarländern kommt, so ernst nehmen, daß der
Bundeskanzler am besten hier heute in der Aktuellen Stunde nun endlich für sich selbst Klarheit schafft?
({0})
Herr Kollege Ehmke, wenn Sie die Freundlichkeit haben würden, den Brief, den ich vorhin zitiert habe, den er an den Kollegen Dr. Hupka gerichtet hat, unvoreingenommen zu lesen, würden Sie diesem Brief unschwer entnehmen können, daß der Bundeskanzler hier klare Position bezogen hat.
({0})
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, läßt die Tatsache, daß sich der Bundeskanzler über das Vorgehen von Herrn Hupka unzufrieden ausgesprochen hat, was aber noch keine Klarstellung ist, hoffen, daß die Bundesregierung generell ihre Förderung von Zeitungen und Verlautbarungen überprüfen wird, in denen so unmögliche Dinge standen, wie sie jetzt im „Schlesier" gestanden haben und übrigens noch weiter stehen?
Herr Kollege Ehmke, ich werde ja wahrscheinlich im Zusammenhang mit einer anderen Frage auf diesen von Ihnen jetzt angesprochenen Fragenbereich zurückkommen können. Ich möchte in diesem Zusammenhang Ihrer Frage nur darauf verweisen, daß der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen j a unmittelbar und sofort reagiert hat.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, nachdem Sie Klarstellungsbedarf anerkannt haben, wäre es da nicht die eindeutigste Klarstellung, zwar nicht gegenüber allen Parteien, aber gegenüber denjenigen, die den Klarstellungsbedarf hervorgerufen haben, wenn der Herr Bundeskanzler Herrn Hupka schreiben würde, er komme nicht zum Schlesiertreffen?
Nein, ich bin genau anderer Auffassung. Der Bundeskanzler hat dies ja auch erläutert. Ich glaube, daß die Entscheidung des Bundeskanzlers, zum Schlesiertreffen zu gehen, richtig ist.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sielaff.
Herr Staatsminister, darf ich Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie z. B. diese Überschrift des „Schlesier" vom 11. Januar „Noch ist Schlesien nicht verloren" des Herrn Dr. Hupka, seines Zeichens CDU-Abgeordneter hier, für schädlich und unsinnig halten?
Herr Abgeordneter Sielaff, Sie wissen genau, daß auch der Bundeskanzler oder der Vertreter des Bundeskanzleramtes nicht das Recht hat, eine Äußerung eines Abgeordneten hier zu kritisieren.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schneider ({0}).
Herr Staatsminister, Sie haben in Ihrer Antwort auf die Frage von Herrn Ehmke auf Äußerungen von Bundesaußenminister Genscher verwiesen und diese sozusagen als Klarstellung herbeigezogen. Gerade diese Äußerungen von Herrn Genscher sind von bestimmten Politikern der CDU und der Vertriebenen kritisiert worden. Können Sie mir Stellungnahmen des Bundeskanzlers aus der jüngsten Zeit nennen, in denen sich der Bundeskanzler explizit hinter die Äußerungen von Herrn Genscher gestellt hat?
Zunächst einmal: Ich habe hier nur für den Herrn Bundeskanzler zu sprechen. Ich habe deshalb auch auf die Äußerungen des Bundesaußenministers hingewiesen, weil ich keinen Unterschied zwischen den Äußerungen des Bundeskanzlers und den Äußerungen des Bundesaußenministers in dieser Frage erkennen kann. Dieser Unterschied kann wahrscheinlich auch nur dann erkannt werden, wenn man ihn unbedingt finden will.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Herr Staatsminister, nachdem Sie uns eben dargelegt haben, in wie vielen Äußerungen Bundeskanzler und Bundesregierung klar und eindeutig Position bezogen haben, frage ich Sie: Wie erklärt es sich denn die Bundesregierung, daß trotz oder wegen dieser Äußerungen im In- und Ausland die öffentliche Meinung in eine sehr kritische Haltung verfallen ist und über das beunruhigt ist, was die Bundesregierung in diesem Zusammenhang tut?
Ich vermag nicht zu erkennen, Herr Kollege Schmude, daß solche Irritationen im Ausland auf Grund von Äußerungen des Bundeskanzlers
({0})
oder des Bundesaußenministers oder der Bundesregierung
({1})
entstanden sind.
({2})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, wird die Bundesregierung dem falschen Eindruck, Äußerungen aus Vertriebenenkreisen förderten den Revanchismus-Vorwurf, unter anderem dadurch entgegentreten, daß sie darauf hinweist, daß das
Eintreten für deutsche Rechtspositionen und deren Durchsetzung mit ausschließlich friedlichen Mitteln nicht in Widerspruch zu irgendeiner Zielsetzung der deutschen Außenpolitik stehen können?
Herr Kollege Jäger, was zunächst einmal die Rechtssituation angeht: Diese ist wiederholt unter Hinweis auf das Vertragswerk im Zusammenhang mit dem Warschauer Vertrag, auf die Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972 und auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts klargestellt worden. Ich glaube, hier ist so häufig über diese Rechtsfragen gesprochen worden und es sind so oft dementsprechende Aussagen gemacht worden, daß darüber eigentlich keine Irritation, keine Unklarheit bestehen kann.
Was zum zweiten den Vorwurf des Revanchismus angeht: Ich glaube, daß dies eine willkommene Gelegenheit ist, doch noch einmal darauf hinzuweisen, daß es gerade die Heimatvertriebenen gewesen sind, die schon sehr frühzeitig jeder Art von Revanchismus eine deutliche Absage erteilt haben. Vielleicht ist es doch gut, in diesem Zusammenhang noch einmal einige Sätze aus der Charta der Deutschen Heimatvertriebenen vom 5. August 1950 zu zitieren. Dort heißt es:
Im Bewußtsein ihrer Verantwortung vor Gott und den Menschen, im Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit zum christlich-abendländischen Kulturkreis, im Bewußtsein ihres deutschen Volkstums, in der Erkenntnis der gemeinsamen Aufgabe aller europäischen Völker haben die erwählten Vertreter von Millionen Heimatvertriebenen nach reiflicher Überlegung und nach Prüfung ihres Gewissens beschlossen, dem deutschen Volk und der Weltöffentlichkeit gegenüber eine feierliche Erklärung abzugeben, die die Pflichten und Rechte festlegt, welche die deutschen Heimatvertriebenen als ihr Grundgesetz und als unumgängliche Voraussetzung für die Herbeiführung eines freien und geeinten Europas ansehen:
Erstens. Wir Heimatvertriebenen verzichten auf Rache und Vergeltung.
({0})
Dieser Entschluß ist uns ernst und heilig im Gedenken an das unendliche Leid, welches im besonderen das letzte Jahrzehnt über die Menschheit gebracht hat.
Zweitens. Wir werden jedes Beginnen mit allen Kräften unterstützen, das auf die Schaffung eines geeinten Europas gerichtet ist, in dem die Völker ohne Furcht und Zwang leben können.
Drittens. Wir werden durch harte, unermüdliche Arbeit teilnehmen am Wiederaufbau Deutschlands und Europas.
Ich will nur insoweit zitieren. Ich glaube, daß dies sehr deutlich macht, daß gerade gegenüber dem Verhalten der Heimatvertriebenen der Vorwurf des Revanchismus nicht erhoben werden kann.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatsminister, nachdem Sie vorhin erklärt haben, Sie hielten es weiterhin für richtig und befänden es für gut, daß der Bundeskanzler auf dem Schlesier-Treffen spricht: Kann ich davon ausgehen, daß der Bundeskanzler das neue Leitmotiv dieses Schlesiertreffens, „40 Jahre Vertreibung - Schlesien bleibt unsere Zukunft - im Europa freier Völker", vollinhaltlich trägt?
Herr Kollege, ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß ich Ihre Frage im Zusammenhang mit der nächsten Frage, einer Frage des Kollegen Dr. Schmude, beantworte.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jungmann.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, die Passage aus der Charta der Vertriebenen, die Sie hier gerade vorgelesen haben, auch dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Schlesier - Nieder- und Oberschlesier -, Herrn Hupka, vorzulesen oder zuzusenden, und sind Sie mit mir der Auffassung, daß ein Artikel, erschienen am 11. Januar 1985 in der Verbandszeitung „Der Schlesier" unter der Überschrift „Noch ist Schlesien nicht verloren", geschrieben vom Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft Schlesien - Nieder- und Oberschlesien -, Herrn Hupka, zu .Irritationen im Ausland führen muß?
Zu dem ersten Teil Ihrer Frage: Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, daß dem Kollegen Dr. Hupka der Inhalt der Charta der Heimatvertriebenen vollinhaltlich bekannt ist. Ich habe auch überhaupt keinen Zweifel daran, anzunehmen, daß der Kollege Dr. Hupka hinter der Charta der Heimatvertriebenen steht.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Conradi.
Herr Staatsminister, wird der Herr Bundeskanzler das Schlesiertreffen verlassen, wenn dort, wie es in dem Aufruf - ich zitiere -„... werden wir den Satz auf dem Deutschlandtreffen vieltausendfach, hunderttausendfach bekräftigen: Schlesien bleibt unser" heißt, das eintritt, was jetzt in dem Aufruf angekündigt wird?
Ich kann nicht voraussehen, was auf dem Schlesiertreffen passieren wird. Ich gehe jedenfalls davon aus, daß sich der Bundeskanzler so verhalten wird, wie er es gegenüber den dort Anwesenden verantworten kann, wie er es gegenüber dem deutschen Volk verantworten kann.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Penner.
Herr Staatssekretär, der Kollege Genscher hat am 28. Januar 1985 folgende Äußerung getan - Zitat -:
In meiner Eigenschaft als Bundesminister des Auswärtigen und als Bundesvorsitzender der FDP erkläre ich:
Eine Handvoll Funktionäre treibt Schindluder mit der Friedenspolitik der Bundesrepublik Deutschland,
({0})
mit den Friedenserklärungen der Vertriebenen und mit dem guten Namen der Schlesier. Nach den Zumutungen der letzten Wochen gegenüber dem Bundeskanzler ist jetzt die Grenze des Erträglichen überschritten. Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik. Das bedeutet Gewaltverzicht und strikte Beachtung der geschlossenen Verträge. Wer unsere Friedenspolitk ins Zwielicht bringt, schadet unseren nationalen Interessen. Wir lassen die Früchte von Jahrzehnten deutscher Friedenspolitik nicht verspielen.
Ich frage Sie, Herr Staatsminister: Ist das die Auffassung auch des Bundeskanzlers?
Ich unterstelle zunächst einmal, daß Sie richtig zitiert haben, und kann Ihnen dann bestätigen, daß das das ist, was der Kollege Genscher ausgeführt hat. Was den Inhalt der Politik angeht, können Sie davon ausgehen - ich darf das noch einmal bekräftigen -, daß insoweit zwischen der Auffassung des Bundeskanzlers und der Auffassung des Bundesaußenministers keine Unterschiede bestehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Horacek.
Weil Sie vorhin die Charta der Heimatvertriebenen zitiert haben, frage ich: Können Sie mir in diesem Zusammenhang beantworten, was „von Gott geschenktes Grundrecht der Menschheit auf Heimat" bedeutet und wieviele Generationen von Menschen das betrifft?
Herr Kollege, wenn ich Ihre Frage so verstehen darf, ob es ein Recht auf Heimat für diejenigen gibt, die nach 1945 in dem heute von Polen verwalteten Gebiet geboren sind, dann würde ich Ihnen bestätigen, daß es in der Tat auch für diese ein Recht auf Heimat gibt.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Menzel.
Herr Staatsminister, wenn die Bundesregierung, wie Sie dargelegt haben, keine besorgte Haltung im befreundeten Ausland auf Grund der Vorkommnisse erkennen kann, wie erklären Sie sich dann die Ausführungen des Bundesaußenministers vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, wo er versucht hat, die dort aufkommenden Sorgen zu zerstreuen?
Es ist immer ganz gut, den Text dessen zur Hand zu nehmen, was der Bundes8800
außenminister dort ausgeführt hat. Ich darf mit Erlaubnis des Präsidenten aus der Rede des Bundesaußenministers vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats am 30. Januar 1985 zitieren. Es heißt dort:
Gerade diese Verträge, die uns auch schmerzliche Einsichten abverlangten, waren nur möglich, weil in unserem Land nach dem Zweiten Weltkrieg eine lebendige Demokratie entstanden ist und weil die Bürger unseres Landes die aktive Friedenspolitik der Bundesregierung unterstützen. Die Millionen von Vertriebenen und Flüchtlingen haben dazu bedeutsame Beiträge geleistet. Ihr Bekenntnis zu Frieden und zu Demokratie hat das Entstehen eines neuen Radikalismus unmöglich gemacht. Der Warschauer Vertrag hat den Teufelskreis von Unrecht und neuem Unrecht durchbrochen. Er gehört zu den kostbarsten Ergebnissen der europäischen Nachkriegspolitik. Er ist Ausdruck tiefer Friedensgesinnung. Der Vorwurf des Revanchismus gegen die Bürger meines Landes fällt auf seine Urheber zurück. Diese Friedensgesinnung bestimmt die Außenpolitik der Bundesregierung.
Ich könnte jetzt noch weiter zitieren. Ich glaube aber, daß das unmißverständlich ist, und dies ist selbstverständlich die Auffassung der Bundesregierung, die der Bundesaußenminister dort dargelegt hat.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, würden Sie zu der dankenswerten Feststellung über die Charta der deutschen Heimatvertriebenen und auch um die gemeinsame Verantwortung hervorzuheben, angesichts einer Erklärung des früheren Bundeskanzlers Willy Brandt, daß die Vertriebenen nicht als Gruppe zweiter Ordnung in der Gesellschaft zu behandeln sind, im Sinne der Kontinuität auch berücksichtigen oder zur Kenntnis nehmen, daß nicht nur in der Charta der deutschen Heimatvertriebenen, sondern auch sechs Monate vor dem Bahr-Papier, am 18. Januar 1970, die Bundesvertretung des Bundes der Vertriebenen u. a. folgendes beschlossen hat: „In einer gesicherten europäischen Friedensordnung ist Raum für einen dauerhaften und gerechten Ausgleich und eine enge Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen" und aufgerufen hat zu einer „menschlichen Wiederbegegnung zwischen den beiden Völkern, zum beiderseitigen freien Austausch von kulturellen Leistungen."
Und im Jahre 1982:
Wir wollen niemandes Unterdrückung, Bedrohung oder Vertreibung. Wir wollen die Menschenrechte für die Deutschen, und wir wollen sie in einem gerechten politischen Ausgleich mit unseren Nachbarn in einer freiheitlichen gesamteuropäischen Ordnung der Staaten, Völker und Volksgruppen.
({0})
Wir fordern, daß das verantwortliche politische Handeln
({1})
bei uns bestimmt sei durch ein freiheitlichdemokratisches, in den Formen maßvolles, aber klares, in der Sache entschiedenes, nach europäischer Einigung geöffnetes deutsches Volksbewußtsein.
({2})
Herr Kollege Czaja, ich bin gerne bereit, Ihrer Bitte zu entsprechen, das zur Kenntnis zu nehmen. Die Tatsache, daß sie das hier zitiert haben, wird sicher auch anderen Gelegenheit geben, das zur Kenntnis zu nehmen.
Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Peter.
Ich darf darauf hinweisen, daß die Zusatzfragen und die Antworten kurzgefaßt sein sollen.
Herr Staatsminister, darf ich Ihre allgemeine Antwort auf das vom Kollegen Penner wörtlich vorgelesene Zitat des Bundesaußenministers so interpretieren, daß sich der Bundeskanzler mit dem wörtlichen Zitat des Außenministers nicht identifiziert?
Ich habe gesagt, Herr Kollege, daß sich das, was vom Bundesaußenminister über die Politik der Bundesregierung gesagt worden ist, mit der Auffassung des Bundeskanzlers deckt. Ich habe dem gar nichts hinzuzufügen.
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Werner.
Herr Staatsminister, wie beurteilt die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Gesamtdiskussion folgende Aussagen der Herren Ollenhauer, Brandt und Wehner vom Jahre 1963, die da lauten:
Das Recht auf Heimat kann man nicht für ein Linsengericht verhökern.
Das Wort mit dem „Schindluder" will ich jetzt weglassen. Mir kommt es auf den folgenden Satz an:
Das Kreuz der Vertreibung muß das ganze Volk mittragen helfen: Vertriebene und geflüchtete Landsleute sind keine Bürger zweiter Klasse.
({0})
Herr Kollege Werner, ich kann das nur als richtig bestätigen
({0})
und möchte hinzufügen, daß deshalb jeder ungerechtfertigte Versuch, die Vertriebenen oder ihre Vertreter bei uns auszugrenzen, politisch schädlich ist.
({1})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jannsen.
Herr Staatsminister, würden Sie bitte erklären, was die von Ihnen gebrauchte Formel „heute polnisch verwaltetes Gebiet" politisch bedeutet?
Herr Kollege, ich stehe zum Inhalt des Warschauer Vertrages, der ordnungsgemäß ratifiziert worden ist, und insbesondere zu dessen Art. I und innerhalb des Art. I zu Abs. 3. Damit ist, glaube ich, die Position deutlich genug umschrieben.
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Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Soell. - Ich bitte damit einverstanden zu sein, daß wir diese Frage jetzt abschließen, nachdem ich die bereits notierten Wortmeldungen aufgerufen habe; denn wir haben noch sieben weitere Fragen zu demselben Komplex. Und es heißt in den Richtlinien für die Fragestunde, daß nicht eine Frage zu Lasten der anderen behandelt werden darf.
Herr Abgeordneter Soell, bitte sehr.
Herr Staatsminister, wenn Ihre Feststellung, daß es im westlichen Ausland keine Irritationen über die Diskussion hinsichtlich des Schlesier-Mottos gegeben habe, richtig ist: Weshalb hat dann der Bundesaußenminister in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats diese Passagen, die Sie gerade zitiert haben, mit besonderem Nachdruck hervorgehoben?
Herr Kollege, ich habe vorhin gesagt, daß es keine Irritationen über die Politik der Bundesregierung gegeben habe, und dabei bleibe ich.
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Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sauer.
Herr Kollege Vogel, kann sich die Bundesregierung das zu eigen machen, was einst der langjährige niedersächsische Ministerpräsident Georg Diederichs, ein Sozialdemokrat, den Schlesiern geschrieben hat:
Sein Recht zu fordern ist legitim. Es hat nichts mit Revanchismus zu tun, wenn Menschen, die gegen ihren Willen die Heimat verlassen mußten, gestützt auf die Menschenrechte und das Völkerrecht mit friedlichen Mitteln für ihre Rechtsansprüche eintreten.
Herr Kollege Sauer, ich glaube, daß es jedermanns Recht ist, für seine Rechtsansprüche einzutreten, und daß es Aufgabe der Politik ist, nach vorne zu sehen und nicht nach hinten.
({0})
Ich rufe die Frage 61 des Herrn Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Welcher Unterschied zwischen den Formulierungen ,,Schlesien bleibt unser" und ,,Schlesien bleibt unsere Zukunft" erlaubt dem Bundeskanzler, auch unter Berücksichtigung der Erläuterungen im Brief des Vorsitzenden der Schlesischen Landsmannschaft, Dr. Hupka, an den Bundeskanzler, nun die Teilnahme am Schlesier-Treffen im Sommer 1985 in Hannover?
Herr Kollege Dr. Schmude, die Wahl des Mottos für das Schlesier-Treffen im Sommer 1985 in Hannover ist Sache der Landsmannschaft. Die Bundesregierung geht auch in diesem Fall von dem Grundsatz aus, daß Verbände ihre Angelegenheiten in eigener Verantwortung regeln. Darauf habe ich schon in der Fragestunde am 17. Januar 1985 hingewiesen.
Die Teilnahme des Bundeskanzlers am Deutschlandtreffen wird es ermöglichen, die Politik der Bundesregierung und insbesondere die Haltung zu den Ost-Verträgen zu erläutern. Es geht darüber hinaus darum, die Verdienste und historischen Leistungen beim Wiederaufbau zu würdigen, die die Vertriebenen auf der Grundlage des Gewaltverzichts und des Bekenntnisses zum Frieden erbracht haben.
Der Bundeskanzler teilt in dieser Angelegenheit im übrigen ausnahmsweise die Meinung von „Radio Moskau" in seiner Sendung vom 24. Januar 1985. Dort ist erklärt worden, daß es zur Pflicht des Bundeskanzlers gehöre und ein kategorischer Imperativ sei, daß der Bundeskanzler auf dem Schlesier-Treffen rede.
({0})
Zusatzfrage, bitte.
Darf ich auf den Zwischenruf gleich sagen -
Nein, nein, Herr Staatsminister. Zwischenrufe werden hier in der Fragestunde nicht behandelt.
Bitte sehr, Herr Abgeordneter Dr. Schmude, eine Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, wenn Sie durch Ihren Hinweis darauf, daß die Festlegung des Mottos Sache des Verbandes sei, hier den Eindruck erwecken, als habe der Bundeskanzler gar nichts mit dem Motto zu tun, unter dem er auftritt, frage ich Sie: Weshalb hat der Bundeskanzler unter dem 23. Januar einen mit Mißbilligungen durchsetzten Brief an Herrn Hupka geschrieben, in dem er mißverständliche Äußerungen rügte, und weshalb hat er erst nach der Änderung des Mottos seine Zusage bekräftigt?
Zunächst einmal: Der Bundeskanzler hat auf Mißverständnisse reagiert, die hinsichtlich des früher formulierten Mottos aufgekommen waren. Er hat aber gleichzeitig keine Zweifel an der Redlichkeit der Motive der heimatvertriebenen Schlesier im Hinblick auf ihr Deutschlandtreffen gelassen. Ich glaube, daß wir diesen Zu8802
sammenhang sehen müssen und daß es ihm darauf ankam, die entstandenen Mißverständnisse, wobei ich jetzt nicht nachvollziehen will, worauf diese Mißverständnisse im einzelnen beruhten, nicht überzubewerten, nachdem sie ausgeräumt waren.
Weitere Zusatzfrage.
Bleiben Sie, Herr Staatsminister, bei Ihrer Auffassung, der Bundeskanzler habe mit der Festlegung des Mottos nichts zu tun und brauche sich darum praktisch auch nicht zu kümmern, wenn ich Ihnen vorhalte, daß Herr Hupka dieses neue Motto dem Bundeskanzler mit einem Brief vom 22. Januar mitgeteilt und etwa mit den Feststellungen erläutert hat, es bedeute: Schlesien gehöre politisch weiterhin zu Deutschland, Schlesien sei Eigentum aller Deutschen, die deutsche Frage beziehe sich auch auf die Aufhebung der polnischen Westgrenze? Hat das alles den Bundeskanzler gar nicht zu berühren?
Der Bundeskanzler hat ja wegen des Begleitbriefes des Kollegen Dr. Hupka seinen Brief an den Kollegen Dr. Hupka geschrieben, um seine Position noch einmal deutlich klarzulegen.
Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sielaff.
Herr Staatsminister, ist das wirklich nur Begleitmusik, und kann der Bundeskanzler wirklich an dem Treffen einer Landsmannschaft teilnehmen, deren Zentralorgan „Der Schlesier" am 25. Mai 1984 folgendes schrieb - ich zitiere -:
Die illegale Fremdbesiedlung Ostdeutschlands stellt absolut kein Faktum dar, an dem nicht mehr gerüttelt werden dürfe. Eine Repatriierung der dort nach 1945 angesiedelten Menschen wäre beileibe keine zweite Vertreibung. Es ist nicht unbillig, vom Unrechtsverursacher zu verlangen, die ihm durch die Wiederherstellung des Rechtszustandes entstehenden Härten in Kauf zu nehmen.
Meinen Sie wirklich, daß sich diese Äußerung noch mit der Charta der Vertriebenen von 1950 verträgt?
Darf ich, Herr Kollege, auf das hinweisen, was der Kollege Dr. Hupka zu seinem Verhältnis zu diesem Organ „Der Schlesier" selbst gesagt hat. Er hat deutlich darauf hingewiesen, daß „Der Schlesier" nicht in der Verantwortung der Landsmannschaft erscheint, sondern daß „Der Schlesier" ein kommerzielles Unternehmen ist und daß lediglich amtliche Verlautbarungen der Landsmannschaft im „Schlesier" veröffentlicht werden. Deshalb bin ich nicht bereit, den Kollegen Dr. Hupka ohne weiteres mit allem zu identifizieren, was im „Schlesier" steht.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}).
Herr Staatsminister, wie erklären Sie den Widerspruch, daß der Bundeskanzler das nur in der Formulierung geänderte Motto für ausreichend hält, zum Schlesier-Treffen zu gehen, während der Außenminister gerade in bezug auf die Zweitfassung des Mottos gesagt hat, eine Handvoll Vertriebenenfunktionäre treibe Schindluder mit der Friedenspolitik der Bundesrepublik Deutschland, mit den Friedenserklärungen der Vertriebenen und mit dem guten Namen der Schlesier? Das ist doch ein solcher Widerspruch zwischen Kanzler und Außenminister, daß man sich über das negative Echo im befreundeten Ausland nicht zu wundern braucht. Und sind die opportunistischen Überlegungen, ob es da Gegenstimmen in der Partei oder so etwas geben könnte, wirklich ausreichend, diesen Schaden für die Bundesrepublik eintreten und monatelang weiter gären zu lassen?
Herr Kollege Ehmke, ich glaube, das Wichtigste ist, daß der Bundeskanzler darauf hingewiesen hat, daß er auf dem Schlesier-Treffen sprechen, daß er die Position der Bundesregierung dort vor den Schlesiern klar und deutlich darlegen werde und daß dann, wenn er dies getan habe, an der Position der Bundesregierung kein Zweifel mehr bestehen könne.
Ich glaube, es ist gerade gut, daß der Bundeskanzler die Auffassung der Bundesregierung vor den Schlesiern darlegt. Dann wird nicht über sie, sondern vor ihnen gesprochen. Dabei kann auch deutlich gemacht werden, daß die große Mehrheit der Schlesier dieser Politik der Bundesregierung zustimmt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatsminister, war der in der Öffentlichkeit entstandene Eindruck falsch, daß das erste Motto den Bundeskanzler an der Teilnahme hinderte, während das zweite Motto seine Teilnahme ermöglichen soll, und ist infolgedessen dann der Eindruck richtig, daß der Bundeskanzler die Meinung des Herrn Hupka nicht teilt, die da lautet, das erste und das zweite Motto seien dem Inhalt nach identisch?
Herr Kollege Sperling, der Bundeskanzler hat sich ja zu dieser Frage mehrfach öffentlich geäußert. Sie können das alles nachlesen. Ich verstehe nicht, weshalb immer wieder erneut diese Frage aufgeworfen werden kann. Ich kann Sie auf die Sendung „Kontraste" am 28. Januar 1985 verweisen. In dem Interview von Herrn Nowottny sind dort alle diese Dinge vom Bundeskanzler klar und eindeutig beantwortet worden.
({0})
Weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schneider ({0}).
Herr Staatsminister, interpretiere ich Ihre Äußerungen richtig, daß nach der gewesenen Diskussion die Auffassung des Bundeskanzlers in der Behandlung der Schlesien-Frage und deren Motto jetzt nahtlos mit Herrn Hupka
Schneider ({0})
übereinstimmt, oder gibt es eventuell Widersprüche zwischen Herrn Hupka und Herrn Kohl?
Ich kann hier nur etwas über die Politik der Bundesregierung aussagen. Was den Inhalt der Politik der Bundesregierung angeht - ich kann das nur zum wiederholten Male sagen -, kann es in dieser Frage keinen Zweifel geben.
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Penner.
Herr Staatsminister, hat es zwischen Herrn Dr. Hupka und dem Bundeskanzler Verhandlungen über das Motto des Schlesiertreffens gegeben?
Ich kann Verhandlungen nicht bestätigen, Herr Kollege Penner.
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Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Auffassung, daß der Bundeskanzler, wenn man davon ausginge, daß er mit dem Motto und den Aussagen eines jeden Verbandstreffens, das er zu besuchen beabsichtigt, voll übereinstimmen muß, dann kaum noch Gelegenheit hätte, zu vielen großen Verbänden zu gehen, etwa zum Deutschen Gewerkschaftsbund mit dessen Aussagen zur 35-Stunden-Woche?
Herr Kollege Jäger, ich möchte wiederholen, was ich schon mehrfach gesagt habe, daß nämlich jeder Verband in seiner eigenen Verantwortung das Motto für seine Treffen festlegt und daß es eine andere Frage ist, wann und unter welchen Voraussetzungen sich der Bundeskanzler oder ein anderes Mitglied der Bundesregierung bereit erklärt, auf einem Verbandstreffen, auf einer Mitgliederversammlung oder auf einem Delegiertentreffen - was immer es ist - zu sprechen.
Weitere Zusatzfrage, Herr Peter ({0}).
Herr Staatsminister, in Anbetracht der Tatsache, daß bei dem Organ „Der Schlesier", im Untertitel steht „Offizielles Organ der Landsmannschaft Schlesien, Nieder- und Oberschlesien", deren Bundesvorsitzender der Bundestagsabgeordnete Dr. Hupka ist, frage ich: Halten Sie die Aussage, die Sie dem Kollegen Sielaff gegeben haben, weiter für berechtigt, oder ist die Bundesregierung vielmehr aus dem Charakter dieses Blattes bereit, politische Schlußfolgerungen zu ziehen?
Aus dem, was das Blatt und den Inhalt dessen angeht, was dort gedruckt worden ist, hat der Kollege Windelen, Minister für innerdeutsche Beziehungen, Konsequenzen gezogen.
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Er kann sie aber natürlich erst ziehen, wenn dort etwas erschienen ist. Dies ist sicher richtig.
Im übrigen kann ich mich, was die Bedeutung dieses Blattes und die Würdigung der Äußerungen des Kollegen Dr. Hupka dazu angeht, nur auf den bei mir vorhandenen Wissensstand berufen, und den habe ich Ihnen vorhin mitgeteilt.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Lowack.
Herr Staatsminister, hielten Sie es für ein Schindludertreiben mit der Friedenspolitik der Bundesregierung, wenn sich ein verantwortlicher Politiker auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Ost-Verträgen - insbesondere auch zu dem deutsch-polnischen Vertrag - berufen würde, in der ausdrücklich darauf hingewiesen wird, daß diese Verträge nur deshalb nicht als verfassungswidrig angesehen werden, weil die Bundesregierung - ich darf jetzt zitieren - in erkennbarer Weise für die Vertragspartner darauf hingewiesen hat, daß sie nicht befugt sei, eine für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit erhebliche Verfügung über den rechtlichen Status Deutschlands im Sinne einer friedensvertraglichen Regelung zu treffen?
Ich glaube, daß man niemandem den Vorwurf machen kann, daß er Schindluder treibt, wenn er sich auf verbriefte Rechtspositionen beruft.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann.
Herr Staatsminister, können Sie denn bestätigen, daß es anläßlich der Sitzung der CDU/CSU-Fraktion in Berlin Gespräche zwischen dem Bundeskanzler und Herrn Hupka über das Motto des Schlesiertags gegeben hat und nach den Gesprächen Herr Hupka mit dem jetzt bekannten Motto des Schlesiertreffens an die Öffentlichkeit getreten ist und daraus die Schlußfolgerung gezogen werden kann, daß das Motto nicht in Eigenverantwortung mit der Landsmannschaft, sondern in Abstimmung mit dem Bundeskanzler zustande gekommen ist?
Ich kann Ihnen nur bestätigen, Herr Kollege, daß die Landsmannschaft Schlesien ihr Motto in eigener Zuständigkeit formuliert hat.
Letzte Zusatzfrage zu dieser Frage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.
Herr Staatsminister, teilen Sie die Auffassung, die in einem Namensartikel der Zeitschrift „Der Schlesier" steht, der von Herrn Hupka gezeichnet ist, wo er inhaltlich folgendes ausführt: Schlesiens Zukunft beginnt heute, und es
ist wichtig, daß dieser Wirbel das Großartige zur Folge hat, daß Schlesien wieder in der Öffentlichkeit im Scheinwerferlicht steht.
Sie haben ausgeführt, Herr Kollege, daß Sie den Artikel inhaltlich wiedergeben. Ich habe den Wortlaut nicht zur Hand. Ich müßte mich zu einem Wortlaut äußern, den ich im Augenblick nicht zur Hand habe.
Ich rufe die Frage 62 des Abgeordneten Dr. Schmude auf:
Teilt der Bundeskanzler die Auffassung seines Bundesaußenministers, daß der Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen, dem zufolge die Bundesrepublik Deutschland jetzt und in Zukunft keine Gebietsansprüche gegen Polen hat, eine „Kostbarkeit" im Ost-West-Verhältnis ist, oder ist er der Meinung, daß dieser Vertrag lediglich eine vorläufige Vereinbarung darstellt?
Herr Kollege Dr. Schmude, auf Ihre Frage antworte ich folgendes. In der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 hat der Bundeskanzler festgestellt, daß Grundlage unserer Friedenspolitik die geschlossenen Verträge sind, nach deren Buchstaben und Geist wir unsere Politik mit dem Osten gestalten wollen. Auch in dem bereits zitierten Brief an Herrn Dr. Hupka vom 23. Januar 1985 wird dies bekräftigt.
Im übrigen, meine ich, sollte das Zitat von Bundesminister Genscher richtig wiedergegeben werden. Bundesminister Genscher hat in der Fragestunde am 7. Juni 1984 vor dem Deutschen Bundestag erklärt - ich zitiere wörtlich -:
Ich sage das bewußt in beide Richtungen, weil ich der Meinung bin, daß das, was sich nach dem Zweiten Weltkrieg zwischen Deutschen und Polen entwickelt hat, daß der Prozeß der Aussöhnung zwischen Deutschen und Polen zu den kostbarsten Gütern der deutschen Nachkriegspolitik gehört. Diese Kostbarkeit sollte von keiner Seite gefährdet werden, nicht von unserer Seite, aber auch nicht von der polnischen Seite.
In einer Pressekonferenz am 9. August 1984 erklärte der Bundesminister des Auswärtigen - ich zitiere wieder wörtlich -:
Hüben wie drüben sollte man nicht moralisch und politisch das aufs Spiel setzen, was wir geschaffen haben im Verhältnis zwischen Deutschen und Polen. Ich halte es wirklich für etwas Wertvolles und Kostbares mit einer großen moralischen Dimension, nicht nur einer politischen.
In beiden Fällen hat der Bundesminister des Auswärtigen für die Bundesregierung gesprochen. Zwischen dem Bundeskanzler und dem Bundesminister des Auswärtigen gibt es hierzu keinerlei Auffassungsunterschiede.
({0})
Zusatzfrage bitte.
Herr Staatsminister, nachdem aus dem eben wiederholt verlesenen Zitat von
Herrn Genscher deutlich geworden ist, daß er diese Kostbarkeit jetzt durch die Diskussion um das Schlesiertreffen für gefährdet hält, frage ich Sie: Hält der Bundeskanzler diese Kostbarkeit durch die Diskussion über das Schlesiertreffen ebenfalls für gefährdet?
Herr Kollege Schmude, ich will jetzt nicht in eine Bewertung eintreten, sondern möchte auf folgendes doch noch einmal hinweisen, daß der Bundeskanzler, um jede Unklarheit, die hier oder da jemand, aus welchen Gründen auch immer, haben könnte, von vornherein auszuschließen, die Absicht bekundet hat, nicht nur in den vielen Erklärungen, die er bereits abgegeben hat, sondern auch und gerade auf dem Schlesiertreffen die Politik der Bundesregierung noch einmal in aller Deutlichkeit darzulegen. Ich glaube, daß es dafür nach der Diskussion, die wir im Augenblick haben, kaum einen geeigneteren Ort geben kann.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Schmude.
Herr Staatsminister, nachdem der Bundeskanzler in dem von Ihnen zitierten Brief vom 23. Januar 1985 an Herrn Hupka nicht nur auf den deutsch-polnischen Vertrag im allgemeinen, sondern auch auf die Geltung anderweitig geschlossener Verträge und damit auf den Vorbehalt einer endgültigen Grenzziehung
({0})
im Friedensvertrag hingewiesen hat, frage ich Sie: Wie versteht die Bundesregierung diesen Vorbehalt? Bedeutet er, daß eine Bestätigung der Grenzen stattfinden wird, oder bedeutet er, daß die Grenzen als ganze dann wieder in Frage stehen?
Herr Kollege Schmude, ich erinnere mich sehr gut an die Diskussion über die Ostverträge, insbesondere über den Warschauer Vertrag, an die stundenlangen Beratungen, die wir darüber im Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages geführt haben. Ich war damals Berichterstatter zum Warschauer Vertrag. Ich weiß, daß die Bundesregierung für die Bundesrepublik Deutschland, im Namen der Bundesrepublik Deutschland die Verpflichtungen eingegangen ist, die im operativen Teil des Warschauer Vertrages stehen. Ich darf hier insbesondere noch einmal auf Art. I hinweisen. Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß dazu auch der Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und den drei Westmächten und die Notifizierung dieses Notenwechsels gegenüber der polnischen Regierung gehören. Ich glaube, daß die rechtliche Situation damit deutlich genug umschrieben ist.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schneider ({0}).
Herr Staatsminister, da die Auffassung des Bundeskanzlers mit der des Bundesaußenministers nach Ihren Worten dekkungsgleich ist, frage ich Sie, warum dieser Vertrag
Schneider ({0})
für Sie so kostbar ist, ob er für Sie wirklich so kostbar ist, wenn Sie persönlich hier für den Bundeskanzler antworten können, daß Polen noch nicht einmal eine territoriale Souveränität hat; das kommt aus Ihren Worten zum Ausdruck, daß die Gebiete dort unter polnischer Verwaltung stehen, also keine polnischen Gebiete sind.
Ich bitte jetzt nicht etwas in meine Ausführungen hineinzuinterpretieren, was ich weder gesagt habe noch daraus herausgehört werden könnte. Ich möchte das doch noch einmal sehr deutlich sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Jäger ({0}).
Herr Staatsminister, gehört nach Auffassung der Bundesregierung zu den Kostbarkeiten im Zusammenhang mit dem Vertrag mit der Volksrepublik Polen, von denen hier die Rede ist, nicht auch jene für alle Organe der Bundesrepublik Deutschland verbindliche Interpretation des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 7. Juli 1975, in dem es gesagt hat, daß auch nach diesem Vertrag die Gebiete östlich von Oder und Neiße aus der Zugehörigkeit zu Deutschland nicht entlassen und fremder Souveränität nicht unterstellt sind?
Herr Kollege Jäger, ich habe ja vorhin auf die rechtliche Situation, die durch das Vertragswerk entstanden ist, mehrfach hingewiesen. Ich darf aber auch darauf hinweisen, daß das politisch Wichtige an diesem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen ist, daß er die Grundlagen für einen politischen Prozeß bildet, der das Versöhnungswerk zwischen Deutschen und Polen in gleicher Weise in Gang bringt und zur Vollendung bringt wie zwischen Deutschland und Frankreich, um nur dieses Beispiel zu nennen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Sielaff.
Herr Staatsminister, sind Sie bereit, sich zu korrigieren und nicht mehr, wie Sie es anfangs taten, den Begriff „von Polen verwaltete Gebiete" zu gebrauchen, zumal dieser Begriff in keinem Vertrag übernommen worden ist?
Herr Kollege, ich bin bereit, die Verpflichtungen, die sich aus dem deutschpolnischen Vertrag ergeben, auch im Sprachgebrauch zu erfüllen. Dazu gehören insbesondere die Verpflichtungen aus Art. I Abs. 3 - um das noch einmal deutlich zu sagen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Lowack.
Herr Staatsminister, sind Sie der Auffassung, daß gerade die Tatsache, daß eine endgültige Regelung nicht vorliegt, eine große
Chance für die deutsche Politik darstellt und daß keine deutsche Regierung diese Chance verkürzen sollte?
({0})
Herr Kollege Lowack, die Chance, die sich der Politik der Bundesrepublik Deutschland bietet, ist die, an einem freien Europa mitzuwirken, das nicht nur den jetzigen freien Teil Europas umfaßt und das uns in eine Situation, in einen Zustand bringt, in dem Grenzen nicht die Bedeutung haben, die sie heute haben.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatsminister, ist Ihr Versuch zu ausweichender sprachlicher Behutsamkeit, der wohl mit dem Bundeskanzler abgestimmt ist, auch als ein Versuch zur geistig-moralischen Führung zu verstehen, die der Bundeskanzler als CDU-Vorsitzender gegenüber Landsmannschaften und CDU-Vereinigungen 13 Jahre lang versäumt hat?
Herr Kollege Sperling, ich gehe davon aus, daß der polemische Inhalt Ihrer Frage keine Antwort erwartet.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jaunich.
Herr Staatsminister, halten sie ernsthaft Ihre soeben getroffene Aussage aufrecht, nach der es keinen geeigneteren Ort gebe, die aufgetretenen Mißverständnisse zu verdeutlichen, als das Schlesiertreffen, oder sind Sie nicht vielmehr mit mir der Auffassung, daß der einzige hierfür angezeigte Ort das Plenum des Deutschen Bundestages wäre?
({0})
Herr Kollege Jaunich, ich kann nur darauf verweisen, daß der Bundeskanzler dies wiederholte Male im Deutschen Bundestag getan hat und daß dies Ihnen offenbar nicht genügt.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sauer.
Herr Staatsminister, sind Sie nicht auch der Meinung, daß man, da das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. Juli 1975 festgestellt hat, daß die Gebiete östlich von Oder und Neiße mit dem Inkrafttreten der Ostverträge aus der rechtlichen Zugehörigkeit zu Deutschland nicht entlassen und der Souveränität - also sowohl der territorialen wie der personalen Hoheitsgewalt - der Sowjetunion und Polen nicht endgültig unterstellt worden seien, von daher wei8806
Sauer ({0})
terhin von den „polnisch verwalteten deutschen Ostgebieten" sprechen darf?
Herr Kollege Sauer, ich würde bitten, daß wir uns darauf verständigen - ({0})
Wir haben eine Fragestunde und keine Debatte.
Ich möchte sehr deutlich sagen, daß für die Bundesrepublik Deutschland nach Abschluß des deutsch-polnischen Vertrages diese Gebiete für die Bundesrepublik Deutschland Ausland sind.
({0})
Dies ist ganz genau die Rechtssituation, die durch diesen Vertrag für die Bundesrepublik Deutschland entstanden ist.
({1})
Ich habe noch drei Zusatzfragen, dann schließe ich diese Frage ab.
Frau Abgeordnete Reetz, bitte.
Herr Staatsminister, es wurde vorhin in der Frage von dem Kollegen Jäger und auch in Ihrem Zitat des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten der Begriff Rechtsanspruch verwendet. Können Sie mir jetzt bitte ganz eindeutig sagen, welchen Rechtsanspruch die Menschen haben, die seit 1945 aus Schlesien, Ostpreußen oder Pommern vertrieben worden sind?
Ich glaube, daß die Diskussion der letzten Jahre immer sehr deutlich um ein Recht geführt worden ist, nämlich um das Recht auf Heimat. Dieses Recht auf Heimat ist ein anerkanntes Menschenrecht.
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Voigt ({0}).
Herr Staatsminister, nachdem Sie begrüßenswerterweise gesagt haben, daß der Prozeß der deutsch-polnischen Versöhnung eine ähnliche Zielsetzung wie der Prozeß der deutsch-französischen Versöhnung hat, würden Sie dann mit mir darin übereinstimmen, daß dann für die Polen ebenso große Klarheit über die Endgültigkeit ihrer Westgrenze bestehen muß wie für die Franzosen in bezug auf ihre Ostgrenze, weil sonst der Prozeß der Versöhnung einer realen Grundlage entbehrt, und daß insofern Ihre begrüßenswerte Aussage, daß für die Bundesrepublik Deutschland diese Gebiete jenseits von Oder und Neiße Ausland sind, nur ein Teil einer klaren Aussage ist, wenn man nicht hinzufügt, daß die Bundesregierung und die im Bundestag vertretenen Parteien und alle deutschen Politiker nie wieder Gebietsansprüche in bezug auf diese Gebiete erheben werden und daß sie diese politische Absicht und Zielsetzung auch über den deutsch-polnischen Vertrag und seine Bindungswirkung hinaus deutlich machen?
Herr Kollege, die Bundesrepublik Deutschland hat sich durch den Vertrag verpflichtet, den territorialen Bestand der Volksrepublik Polen nicht in Frage zu stellen. Ich glaube, dies ist eine eindeutige rechtliche Verpflichtung, die im operativen Teil des Warschauer Vertrages eingegangen worden ist.
Letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Czaja.
Herr Staatsminister, würden Sie im Sinne der Kontinuität der deutschen Außen- und Deutschlandpolitik vielleicht auch entweder hier beantworten oder überprüfen, ob es zutrifft, daß die Regierung Brandt/Scheel den Forderungen des polnischen Ministerpräsidenten wiederholt widersprochen hat - im Anschluß an die Ratifikation des Warschauer Vertrages; abgedruckt im „Europa-Archiv" vom 16. Juni 1972 -, wonach die Bundesregierung alle Rechtsakte, die in der Bundesrepublik der Anerkennung entgegenstehen, zu ändern habe, insbesondere das Staatsangehörigkeitsrecht? Mit den Stimmen der SPD und CDU/ CSU ist j a im vorigen Bundestag eine Änderung abgelehnt worden, die eine Herausnahme dieser Gebiete zum Ziel hatte, wobei sich diese Parteien auf Art. 116 des Grundgesetzes stützten, der nicht geändert worden ist. Können Sie bestätigen, daß die früheren Regierungen sowohl öffentlich im Bundestag wie auch in bilateralen Gesprächen gegenüber Polen und in Karlsruhe vor dem Bundesverfassungsgericht ausgeführt haben, daß die Erfüllung dieser Forderungen völlig unmöglich ist, weil dem die Präambel des Grundgesetzes, das Wahrungsgebot und das Offenhaltegebot des Art. 23 entgegenstehen?
Herr Kollege Czaja, ich will jetzt versuchen, auf diese sehr umfassende Frage eine, wie ich hoffe, unmißverständliche Antwort zu geben. Das Vertragswerk zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen gilt in allen seinen Bestandteilen. Dazu zählt u. a. auch - Sie haben vorhin darauf hingewiesen - Art. IV. Dazu zählt insbesondere aber auch der der polnischen Regierung notifizierte Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und den drei Westmächten. Zum Vertragswerk gehört auch die seinerzeitige „Information" der polnischen Regierung.
Ich glaube, es ist korrekt, aus dem, was rechtlich daraus folgt, auch den Schluß zu ziehen, daß von daher keinerlei Veranlassung besteht, das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht zu ändern.
Keine weiteren Zusatzfragen zu dieser Frage.
Ich rufe die Frage 63 des Herrn Abgeordneten Becker ({0}) auf:
Vizepräsident Stücklen
Kann der Bundeskanzler Informationen bestätigen, denen zufolge von westlichen Regierungen Irritationen über die Diskussion um das Motto des Schlesier-Treffens zum Ausdruck gebracht worden sind, lind wie hat die Bundesregierung darauf reagiert?
Herr Kollege Becker, auf die Frage 63 antworte ich: Die Bundesregierung kann Informationen der in der Frage dargestellten Art nicht bestätigen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, jetzt bin ich etwas irritiert durch Ihre Antworten, die Sie zu diesem Komplex schon gegeben haben. Ich frage deswegen nur noch einmal nach: Können Sie denn bestätigen, daß der Bundesaußenminister in einer Sendung des ZDF zugegeben hat, er habe mit den westlichen Nachbarn Diskussionen wegen dieses Themas und der Haltung der Bundesregierung gehabt?
Herr Kollege Becker, Sie haben gefragt, ob bei westlichen Regierungen Irritationen über die Diskussion um das Motto des Schlesier-Treffens entstanden sind, die der deutschen Bundesregierung gegenüber zum Ausdruck gebracht worden sind. Solche Informationen - falls Sie solche haben - kann ich nicht bestätigen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, dann muß ich Sie aber doch noch einmal fragen: Warum diskutiert man denn dann, wenn es keine Irritationen gegeben hat?
Es gibt bei uns im Lande manche Diskussionen, von denen ich mich frage, warum sie stattfinden.
({0})
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.
Herr Staatsminister, um sprachlich ganz genau zu sein: Wenn es keine Irritationen über die Diskussion um das Motto gegeben hat, hat es vielleicht Irritationen über das Motto gegeben?
Ich kann auch insoweit - falls Sie solche Informationen haben sollten und das nicht nur eine reine Ausforschungsfrage ist - solche Informationen nicht bestätigen, Herr Kollege Sperling.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Czaja.
Herr Staatsminister, nachdem nach dem Gegenteil gefragt wurde: Können Sie bestätigen, daß Herr Kissinger in den letzten zwei Jahren zweimal, der amerikanische Präsident Reagan mehrmals und in den letzten Monaten der französische Staatspräsident Mitterrand, der Oppositionsführer in Frankreich Chirac sowie Frau Thatcher wiederholt erklärt haben, daß die Lösung der nationalen Frage der Deutschen auch ein Anliegen der westlichen Verbündeten ist
({0})
und daß das dem Deutschlandvertrag entspricht, insbesondere Art. 7 Abs. 1, in dem es ausdrücklich heißt - und der uns weiterhin verpflichtet -, daß Grenzregelungen für ganz Deutschland bis zur friedensvertraglichen Regelung verschoben werden müssen?
Herr Kollege Czaja, ich bin im Augenblick nicht in der Lage, festzustellen, ob alle von Ihnen zitierten Damen und Herren derartige Äußerungen getan haben. Ich kann nur noch einmal auf das verweisen, was ich zu dem Rechtszustand ausgeführt habe, der durch das deutsch-polnische Vertragswerk entstanden ist. Ich glaube, daß das allein maßgeblich ist.
Meine Damen und Herren, ich möchte auf folgendes hinweisen: In der Frage 63 handelt es sich um die Irritation, die entstanden ist. Ich kann nicht den ganzen Fragenkomplex jetzt mit dieser Frage neu in Gang bringen lassen.
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Bahr.
Herr Staatsminister, ist Ihnen irgendeine Äußerung irgendeines westlichen Staatsmannes bekannt, der die Forderung nach den Grenzen des Jahres 1937 unterstützt?
Herr Kollege Bahr, ich kann nur feststellen, daß die Rechtsposition der Bundesregierung auch die Unterstützung unserer Verbündeten findet. Was Sie jetzt expressis verbis fragen, kann ich nicht bestätigen.
Eine weitere Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Dr. Ehmke ({0}).
Herr Staatsminister Vogel, da Sie so wenig wissen, frage ich, ob Sie so freundlich sein würden, sich einmal sachverständig darüber zu machen - ({0})
Herr Abgeordneter Ehmke, bitte unterlassen Sie jede Wertung.
- - daß das, was hier soeben, von Ihnen unwidersprochen, Herr Czaja gesagt hat, eine bewußte Täuschung ist, daß kein
Dr. Ehmke ({0})
westlicher Alliierter je gesagt hat, daß die Grenzen von 1937 wieder hergestellt werden sollen,
({1})
daß im Gegenteil die französische Regierung vor Jahren erklärt hat, daß für sie die polnische Westgrenze endgültig ist, und daß die amerikanische Regierung vor vier Wochen wegen der Irritation, die diese Debatte in Deutschland ausgelöst hat, durch Vizepräsident Bush ausdrücklich erklärt hat, daß die Amerikaner nicht daran denken, etwas an den Nachkriegsgrenzen in Europa zu ändern. Herr Bush hat hinzugefügt: Wer an diesen Grenzen rüttelt, gefährdet den Status von Berlin. Können Sie mir sagen, ob Ihnen diese Äußerung der amerikanischen Regierung bekannt ist oder ob Sie bereit sind, sich mit ihr bekannt zu machen?
Herr Kollege Ehmke, erstens weise ich den Vorwurf zurück, daß ich hier bewußt etwas Falsches gesagt habe,
({0})
und zweitens versage ich es mir, Ihnen in der gleichen Unfreundlichkeit zu antworten, mit der Sie gefragt haben.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Voigt ({0}).
Herr Staatsminister, da es sich bei dieser Frage um die möglichen Irritationen bei unseren westlichen Verbündeten handelt, möchte ich Sie fragen, ob Sie mit mir darin übereinstimmen, daß solche Irritationen sicher wären, wenn die Zusage und Verpflichtung unserer westlichen Verbündeten, uns bei dem Ziel der Überwindung der deutschen Spaltung behilflich zu sein, in irgendeinen Zusammenhang mit einer Vorstellung nach Revision der polnischen Westgrenze, die an Oder und Neiße liegt, gebracht würde.
Herr Kollege, ich glaube, daß es wenig sinnvoll ist, über hypothetische Fragen etwas zu sagen.
({0})
Herr Abgeordneter Ehmke, bitte!
Ich habe den Eindruck, daß es hier den einen oder anderen gibt, der an Irritationen bei unseren westlichen Verbündeten interessiert ist,
({0})
aber ich möchte doch sehr deutlich darauf hinweisen, daß der Bundesregierung Irritationen über die Haltung der Bundesregierung nicht bekannt sind, sondern daß das Verhältnis zwischen der Bundesregierung und den Regierungen der westlichen Verbündeten ein vertrauensvolles Verhältnis ist, bei dem es keinerlei Unklarheiten über die Position der Bundesregierung in den hier behandelten Fragen gibt.
({1})
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Dr. Hamm-Brücher.
Herr Staatsminister, ich glaube, es wäre gut, wenn Sie hier noch einmal klar bestätigen würden, daß die Verantwortung der Westmächte für die Deutschlandfrage und natürlich für Berlin und die Konsultationen, die hierzu stattfinden, überhaupt nichts mit irgendwelchen Fragen der Oder-Neiße-Grenze zu tun haben.
Frau Kollegin, ich will in aller Ruhe zum wiederholten Male darauf hinweisen, daß Bestandteil des deutsch-polnischen Vertragswerkes auch jener Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und den drei Westmächten ist, der der polnischen Regierung notifiziert ist, und daß insoweit auch Art. IV des deutsch-polnischen Vertrages von Bedeutung ist. Ich glaube, daß damit die Verantwortlichkeit der Vier Mächte für ganz Deutschland noch einmal deutlich zum Ausdruck gebracht worden ist.
({0})
Weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Horacek.
Herr Staatsminister, habe ich das richtig verstanden, daß Sie jetzt ausschließen, daß irgendeiner der westlichen Alliierten - auch nicht ein Botschafter - irritiert war bzw. nachgefragt hat? Was bedeutet es, wenn Herr Hupka schreibt und im deutschen Fernsehen sagt: Wir können nicht von Oder-Neiße-Grenze sprechen, sondern von Oder-Neiße-Linie; das ist keine Grenze, das ist eine Linie? Hat kein westlicher Alliierter nachgefragt, was das soll?
Ich bin nach westlichen Regierungen gefragt worden, und diese Frage habe ich beantwortet. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 64 des Herrn Abgeordneten Becker ({0}) auf:
Ist der Bundeskanzler der Auffassung, daß den Vertriebenenverbänden weiterhin hohe Summen aus dem Bundeshaushalt zukommen sollen, und kann er angeben, wieviel Geld diese Verbände insgesamt aus Bundesmitteln in den Jahren 1983 und 1984 erhalten haben?
Herr Kollege Becker, die Vertriebenenverbände erhielten 1983 und 1984 aus
dem Haushalt des Bundesministers des Innern insgesamt 3 356 395 DM,
({0})
aus dem Haushalt des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen 4 172 975 DM, zusammen also 7 529 370 DM. Die Bundesregierung wird weiterhin in angemessener Weise die Bildungs-, Kultur- und Informationsarbeit der Vertriebenenverbände unterstützen.
({1})
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, welche Möglichkeiten der Kontrolle hat eigentlich die Bundesregierung darüber, was beispielsweise bei Bildungsveranstaltungen des Bundes der Vertriebenen, die aus diesen Steuermitteln unterstützt werden, geschieht?
Diese Mittel sind ja etatisiert. Sie unterliegen dem vollen Prüfungsrecht des Bundesrechnungshofes wie jeder andere Titel des Bundeshaushalts auch. Selbstverständlich ist es Aufgabe der die Titel jeweils verwaltenden Bundesminister, für die zweckentsprechende Verwendung dieser Mittel zu sorgen und darüber zu wachen, daß das erfolgt. Das ist ja auch der Grund, weshalb der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen die Förderung der Zeitung „Der Schlesier" eingestellt hat.
Weitere Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, würde es die Bundesregierung wohl für gerechtfertigt halten, daß eine Bildungsveranstaltung des Bundes der Vertriebenen finanziell mit Steuermitteln unterstützt wird, auf welcher der Seminarleiter - ich wiederhole: der Leiter des Seminars - erklärt: „Für mich geht die Wiedervereinigung sowieso über die DDR hinaus."? Er zählte noch die deutschen Ostgebiete, das Memelland und das Sudetenland dazu.
({0})
Herr Kollege Becker, der hier anwesende Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen wird Ihre Frage sicherlich zum Anlaß nehmen, dem nachzugehen, um gegebenenfalls die dann erforderlichen Konsequenzen zu ziehen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sperling.
Herr Staatsminister, wenn die Bundesregierung diesem Bereich der Vertriebenen, aus dem ja die Irritationen kommen, so großzügig und im Falle der Zeitschrift so wenig liberal Subventionen zukommen läßt, wäre es da nicht angemessen, wenn sie zu politischen Äußerungen aus diesem Bereich wesentlich klarere Worte fände, als Sie sie hier im Bundestag vortragen?
Es steht mir nicht zu, das zu würdigen, was ich hier zu den Fragen, die aufgeworfen worden sind, ausgeführt habe. Nur, ich bin der Auffassung, daß die politische Position der Bundesregierung in dem, was ich ausgeführt habe, deutlich genug zum Ausdruck gekommen ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Stockhausen.
Herr Staatsminister, würden Sie dem Fragesteller empfehlen, hinsichtlich der Verwendung von Bundesmitteln bei seinem Parteifreund Josef Leinen die gleichen Maßstäbe anzulegen und diesen Herrn Josef Leinen aufzufordern, dem Rechnungsprüfungsamt die Möglichkeit zu geben, die Verwendung der Mittel zu prüfen?
({0})
Herr Kollege, ich bin der Auffassung, daß es immer gut ist, nach allen Seiten gleiche Maßstäbe anzulegen.
({0})
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Sielaff.
Herr Staatsminister, können Sie mir sagen, wieviel Eigenmittel der Vertriebenenverbände diesen hohen Bundeszuschüssen gegenüberstehen?
Ich bin nicht in der Lage, Ihnen diese Frage zu beantworten. Ich möchte nur darauf hinweisen, daß es sich hier im wesentlichen um Mittel handelt, die einer gesetzlich festgelegten Verpflichtung entsprechen. Ich glaube, das ist in dem Zusammenhang wichtig.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 65 des Herrn Abgeordneten Jaunich auf:
Was gedenkt der Bundeskanzler zu tun, um dem allgemein negativen Echo in Ost und West auf die Diskussion über seine Teilnahme an dem Schlesier-Treffen entgegenzutreten?
Herr Kollege Jaunich, der Bundeskanzler hat die Gründe für seine Teilnahme an dem Deutschland-Treffen der Schlesier bereits in aller Öffentlichkeit dargelegt. Er wird seine Auffassung in der Rede, die er dort halten wird, bekräftigen. Der Bundeskanzler ist überzeugt, daß die Teilnehmer des Deutschland-Treffens seine Einstellung teilen werden.
Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatsminister, muß ich daraus schließen, daß der Herr Bundeskanzler nicht beabsichtigt, seine Haltung in dieser Frage - nachdem diese Beeinträchtigungen aufgetreten waren - vor dem Deutschen Bundestag klarzustellen?
Der deutsche Bundeskanzler hat seine Auffassung zu dieser Politik wieder8810
holt vor dem Deutschen Bundestag dargelegt. Herr Kollege Jaunich, ich weiß nicht, ob Sie jeweils anwesend gewesen sind.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatsminister, darf ich Sie dann bitten, mir das Datum zu benennen, wann der Bundeskanzler - nach dem Bekanntwerden des Mottos - hier klarstellend Stellung genommen hat.
Ich würde sagen, Sie greifen jetzt wahrscheinlich einige Minuten voraus, Herr Kollege Jaunich.
Keine weiteren Zusatzfragen.
Ich rufe die Frage 66 des Herrn Abgeordneten Polkehn auf:
Teilt der Bundeskanzler die Auffassung, daß unabhängig von bestimmten Rechtspositionen, die Bestandteil des europäischen Status quo sind, die ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches nicht durch Handlungen sogenannter „Verzichtspolitiker", sondern infolge des von Hitler am 1. September 1939 mit dem Angriff auf Polen begonnenen Zweiten Weltkrieges verlorengegangen sind?
Herr Präsident, ich würde gern die Fragen 66 und 67 des Kollegen Polkehn und die Frage 68 des Kollegen Professor Soell gemeinsam beantworten.
Das geht nicht. Sie können nicht alle drei Fragen zusammenfassen, aber die beiden Fragen von Herrn Abgeordneten Polkehn könnte man zusammenfassen. - Herr Abgeordneter, sind Sie damit einverstanden?
({0})
Dann rufe ich auch Frage 67 des Herrn Abgeordneten Polkehn auf:
Wie bewertet der Bundeskanzler die Tatsache, daß in von der Bundesregierung subventionierten Presseorganen ehrenrührige Begriffe wie „Verzichtspolitiker" propagiert werden?
Die Bundesregierung hält den Begriff „Verzichtspolitiker" im Zusammenhang mit den Ostverträgen oder der Ostpolitik für falsch, unsachlich und schädlich, gleichgültig durch wen und an welcher Stelle er benutzt wird.
({0})
Derartige Begriffe können nicht zur Klärung des politischen Klimas beitragen.
Die historischen Ursachen für die gegenwärtige Lage in Europa sind bekannt und liegen so klar zutage, daß sie nicht näher erläutert werden müssen.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Polkehn?
({0}) - Keine Zusatzfrage.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jäger ({1}).
Herr Staatsminister, zur Frage 66 habe ich die Zusatzfrage, ob die Bundesregierung mit davon ausgeht, daß die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika in dem Austausch der Zusatzprotokolle, die Sie vorhin schon erwähnt haben, auch das Londoner Abkommen von 1944 ausdrücklich genannt hat und daß in diesem Londoner Abkommen von 1944 das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 in Besatzungszonen eingeteilt wird, daß also die Westalliierten selber die Grenzen von 1937 ins Spiel gebracht haben und nicht die Bundesregierung.
Herr Kollege Jäger, ich kann den historischen Ablauf, wie seinerzeit welche Vereinbarung zustandegekommen ist, jetzt nicht im einzelnen nachvollziehen. Ich kann nur darauf hinweisen, daß in den Notenwechsel zwischen der Bundesregierung und den drei Westmächten, der der polnischen Regierung seinerzeit notifiziert worden ist, auch die Verträge und die Vereinbarungen mit einbezogen worden sind, die die Rechtsposition auch der drei Westalliierten hinsichtlich Deutschlands ausmachen.
Wegen Ablaufs der Zeit kann ich keine weiteren Zusatzfragen mehr zulassen, auch nicht eine. Da wären noch zwei vor Ihnen, Herr Czaja. Es ist leider nicht möglich. Die Fragestunde ist damit abgeschlossen.
Zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Becker ({0}) das Wort gewünscht.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach Auffassung der SPD-Fraktion sind die Fragen, die sich mit dem Schlesiertreffen und den daraus entstandenen Diskussionen befassen, nicht mit ausreichender Klarheit beantwortet worden. Deswegen beantragt die SPD-Bundestagsfraktion gemäß § 106 in Verbindung mit Anlage 5 Nr. I 1 b unserer Geschäftsordnung eine Aktuelle Stunde, um die Fragen, die unser Verhältnis zu Polen und die Fragen, die die Aktivitäten der Landsmannschaften und Vertriebenenverbände sowie die Haltung der Bundesregierung dazu gerade jetzt 40 Jahre nach Kriegsende betreffen, hier noch einmal näher zu besprechen.
({0})
Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD hat zu den Antworten der Bundesregierung im Zusammenhang mit dem Schlesiertreffen in Hannover eine
Aktuelle Stunde
verlangt. Das entspricht Nr. 1 b der Richtlinien für die Aktuelle Stunde. Die Aussprache muß nach Nr. 2 a der Richtlinien unmittelbar nach Schluß der Fragestunde durchgeführt werden. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmude.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Das geänderte Motto des für
den Juni 1985 beabsichtigten Schlesiertreffens bekräftigt mit den dem Bundeskanzler von Herrn Hupka gegebenen Erläuterungen den unrealistischen und in seinen Illusionen gefährlichen politischen Kurs, der bei diesem Treffen verfolgt werden soll.
({0})
Die verlorenen früheren deutschen Ostgebiete gehören politisch nicht mehr zu Deutschland, und es führt in die Irre, sie als Eigentum aller Deutschen zu bezeichnen. Der Vorbehalt der Grenzziehung in einem Friedensvertrag bedeutet heute nichts anderes mehr, als daß die Endgültigkeit zum Beispiel der Westgrenze Polens dann erneut bestätigt werden würde.
Angesichts der provozierenden, im Osten und im Westen Mißtrauen und Unruhe auslösenden Erklärungen namhafter CDU-Politiker, die zugleich führende Vertriebenenfunktionäre sind, wäre eine eindeutige Bekräftigung der Unverletzlichkeit und Endgültigkeit der im Osten bestehenden Grenzen durch die Bundesregierung unerläßlich gewesen.
({1})
Der Bundeskanzler hat sich dieser Verpflichtung nicht nur wortreich entzogen, sondern durch seine Zusage der Teilnahme am Schlesiertreffen den Anschein geschaffen, daß er den politischen Kurs der Verbandsführung für vertretbar und unterstützenswert hält.
({2})
Dieser überall entstandene schlimme Eindruck kann nur wirksam korrigiert werden, wenn der Bundeskanzler seine Teilnahme absagt und wie seine Amtsvorgänger in den letzten 20 Jahren dem Treffen fernbleibt.
({3})
Bundeskanzler und Bundesregierung müssen unmißverständlich klarmachen, daß die sogenannte deutsche Frage, soweit sie überhaupt noch offen ist,
({4})
jedenfalls nicht die verlorenen deutschen Ostgebiete umfaßt. Anderenfalls wird von nun an jeder Schritt in der Deutschlandpolitik von unseren Nachbarn mit dem Mißtrauen verfolgt werden, er könne sich als Teil einer Entwicklung erweisen, die schließlich auch den Bestand der Westgrenze Polens gefährden würde.
Wer die Grenzen im Osten nur gegenwärtig nicht in Frage stellt, gleichzeitig auf den Vorbehalt künftiger Regelungen verweist und nicht Klarheit darüber schafft, wie diese Regelungen aussehen sollen, überläßt anderen die Antworten. Es werden schlimme Antworten, ob sie nun aus den Sorgen der betroffenen Menschen im Osten oder aus unverantwortlichem Übermut von Phantasten in unserem
Land formuliert werden. Wir selbst müssen die notwendige Klarheit schaffen. Und dazu gehört: Jedwede Spekulation auf eine künftige überlegene Stärke des Westens, die dem unterlegenen Osten scheinbar friedlich abnötigt, was durch Krieg nicht zurückgewonnen werden soll, wäre für unser Land und für Europa lebensgefährlich, sie wäre auch zutiefst unmoralisch.
Vertriebene, meine Damen und Herren, grenzen wir nicht aus. Ihre Leistungen erkennen wir an. Auch viele von uns Sozialdemokraten sind Vertriebene.
({5})
Auch wir sind Vertriebene, die sich mit Millionen anderer durch scharfmacherische Spitzenfunktionäre seit langem nicht mehr vertreten fühlen.
({6})
Die aufgekommene Diskussion kann nicht ohne Schaden unterdrückt, sie kann nur befriedigend durch eindeutige Stellungnahmen des Bundeskanzlers und der Bundesregierung beendet werden.
({7})
Indem der Bundeskanzler dieser politischen Antwort ausweicht und statt dessen unter Hinweis auf Vertragsbestimmungen juristisch argumentiert, verfehlt er seine Aufgabe. Er verfehlt sie erst recht, wenn er sich selbst obendrein noch Klarheit und Eindeutigkeit bescheinigt, statt wirklich klar zu sagen: Die Westgrenze Polens ist endgültig, wir werden an ihr nicht rühren!
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rühe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Schmude, ich war vor wenigen Tagen mit Kollegen dieses Hauses in Warschau und habe dort Gespräche geführt. Ich muß sagen, daß manche Beiträge dort sehr viel differenzierter waren als Ihr undifferenzierter Angriff auf die Bundesregierung.
({0})
Ich kann aus eigener Anschauung dieser Gespräche sagen, daß die deutsch-polnischen Beziehungen besser sind als ihr öffentliches Erscheinungsbild. Das bedeutet natürlich nicht, daß man mit dem Stand zufrieden sein könnte. Aber es bedeutet doch, daß die verantwortlichen Politiker auf beiden Seiten zu unterscheiden wissen - wissen sollten - zwischen starken Worten und politischer Substanz, daß sie wissen, wer die Richtlinien der Politik bestimmt und wer sie nicht bestimmt. Gerade Sie sollten besser in der Lage sein, die innenpolitische Szene hier zu beurteilen.
({1})
Auf deutscher wie auf polnischer Seite gibt es den guten Willen, in den deutsch-polnischen Beziehungen weiterzukommen. Daß unsinnige Kampagnen und törichte Diskussionen hierfür schädlich sind, liegt auf der Hand.
({2})
Wer sich darin verbeißt, belastet die deutsch-polnischen Beziehungen, und wer mutwillig diese Debatte zum Gegenstand einer innenpolitischen Kontroverse macht, der schadet den Beziehungen zu Polen.
({3})
Wer es mit dem deutsch-polnischen Verhältnis gut meint, der verzichtet darauf, dieses Verhältnis zusätzlich zu dramatisieren. Es ist sensibel genug. Wer es gut meint, der verzichtet auch auf einen unfruchtbaren Grundsatzstreit, der keinen Zentimeter weiterführt,
({4})
aber den Dialog blockiert. Der Versuch, der jeweils anderen Seite den Standpunkt aufzuzwingen, ist unrealistisch und kontraproduktiv. Weiterführen kann nur gegenseitiges Verständnis, das auch die Bereitschaft umfaßt, kontroverse Auffassungen einzukapseln, damit sie nicht ein ständiges Störpotential bilden.
({5})
Wir haben Verständnis für den Wunsch des polnischen Volkes, in gesicherten Grenzen und in einem territorial lebensfähigen Staat zu leben. Diesem berechtigten Interesse des polnischen Volkes hat die Bundesrepublik Deutschland im Warschauer Vertrag Rechnung getragen. Sie konnte dabei rechtlich nur im eigenen Namen handeln und einem Friedensvertrag nicht vorgreifen. Das ist die rechtliche Lage.
Aber es gibt auch eine politische Lage. Wer nüchtern und illusionslos nachdenkt, der weiß, daß der Warschauer Vertrag mit Polen eine politische Bindungswirkung hat, die auch von einem wiedervereinigten Deutschland nicht ignoriert werden könnte.
({6})
Wer sich zum Gewaltverzicht bekennt, der muß sich darüber im klaren sein, daß etwaige territoriale Veränderungen in Mitteleuropa nur mit dem Einverständnis aller Beteiligten möglich wären. Dazu gehört natürlich auch Polen.
({7})
Wer eine europäische Friedensordnung will, in der Grenzen ihre Bedeutung verlieren - das wollen wir alle -, der muß aber auch wissen, daß nur politisch unumstrittene Grenzen bedeutungslos werden können.
({8})
Wer die Versöhnung mit dem polnischen Volk will, der darf nicht den Eindruck erwecken, daß er dessen Lebensraum in Frage stellt.
({9})
Ich wiederhole: Ich habe Verständnis für die nationalen Interessen des polnischen Volkes. Wir erwarten aber auch Verständnis für unser Anliegen, die deutsche Frage so lange offenzuhalten, bis sie durch das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes beantwortet ist. Das richtet sich gegen niemanden.
({10})
Daher mein Appell an beide Seiten: Laßt uns nicht nur über das Gestern oder über ein fiktives Übermorgen in den deutsch-polnischen Beziehungen reden, sondern endlich ein konstruktives Gespräch über das Heute und das Morgen der deutsch-polnischen Beziehungen führen, so, wie das der Bundeskanzler vorgeschlagen hat.
({11})
Wir setzen uns für eine europäische Friedensordnung ein, in der Deutsche und Polen als gute Nachbarn miteinander leben können. Deutsche wie polnische Politiker müssen den Blick nach vorne richten und gemeinsam an diesem Ziel arbeiten, auf der festen Grundlage des Warschauer Vertrages und der Dokumente der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
Schönen Dank.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind j a im Aussitzen und Vertuschen von Problemen von dieser Regierung einiges gewohnt. Auch in dieser Frage hat sie wieder einen Schritt hin auf die Weltmeisterschaft gemacht, nichts zu sagen, ungenau zu bleiben. Auch der heutige Tag hat durch die Antworten des Staatsministers Vogel für uns wieder einmal deutlich gemacht, daß sich die Regierung dreht und wendet. Auch Herr Rühe hat im Grunde wieder einmal das bewährte Rezept verfolgt, angebliche Klarheiten mit Unklarheiten so geschickt zu vermengen, daß sich jeder irgend etwas dabei raussuchen kann.
({0})
Die Sozialdemokratie klatscht bei einigen klaren Sätzen, obwohl sie ganz genau weiß, daß die Regierungskoalition an anderer Stelle diese Sätze wieder vollkommen unklar macht. Man lese z. B. das, was Herr Dregger schreibt.
Schneider ({1})
Die Regierung ist in dieser Frage - und da sind wir ungeheuer empfindlich - denkfaul und dickfellig. Das beklagen wir hier, weil das nicht nur eine rein akademische Frage ist, sondern es hier um eine Überlebensfrage nicht nur des deutschen Volkes, sondern, wie wir glauben, auch ganz Europas und der Welt geht. Warum sind wir so empfindlich bei dieser Grenzfrage? Warum verlangen wir, daß man in dieser Auseinandersetzung eindeutige und durch nichts in irgendeiner Weise modifzierbare Äußerungen bringt? - Weil wir es hier in Mitteleuropa schon zweimal erlebt haben, daß das deutsche Volk Grenzfragen zum Anlaß genommen hat, um Kriege vom Zaun zu brechen.
({2})
Es ging immer um Grenzfragen, es ging immer darum, daß das deutsche Volk hier in Mitteleuropa nicht mit seiner Lage zufrieden war.
Und jetzt passiert das gleiche wieder, wenn Herr Hupka, Herr Dregger, Herr Sauer und andere sagen, die Polen hätten keine Souveränität, die Polen hätten an uns territoriale Ansprüche - nicht etwa wir hätten territoriale Ansprüche, sondern die Polen an uns, z. B. Pommern und Schlesien.
Der Staatsminister hat heute wieder davon gesprochen, daß hinter Oder und Neiße nicht Polen sei, sondern daß es dort um von Polen verwaltete deutsche Ostgebiete gehe. Es gibt eine ganze Menge von intensiven Aussprüchen, die alle darauf hindeuten, daß die Deutschen - unterstützt, gefördert und mit einem Mäntelchen durch die Regierung der Bundesrepublik versehen, und das ist Schuld von Herrn Kanzler Kohl im Hinblick auf das Motto der Schlesier und die Aussagen von Herrn Hupka -, das Ausland, Mitteleuropa verunsichern, indem sie wieder einmal deutlich machen wollen: Die Deutschen sind zu kurz gekommen, sie sind nicht richtig behandelt worden, man ist schlecht mit ihnen nach dem Krieg umgesprungen, man hat sie drangsaliert und ihnen etwas weggenommen.
Ich komme darauf, weil der Fraktionsvorsitzende Dregger in seinen jüngsten Äußerungen diesen Kurs deutlich macht und zeigt, daß er daran arbeitet - und das geschieht mit Hilfe der Regierung und mit Hilfe der Regierungskoalition -, eine neue ungeheure Geschichtslüge zu produzieren, die die Verbrechen des Nationalsozialismus als solche qualifiziert, die 1945 zu Ende gewesen wären, an die wir jetzt nicht mehr denken sollten, daß es mit dem positiven, „guten" Westen auf unserer Seite aufwärts gegangen ist, während auf der anderen Seite das „Reich des Bösen" die ostdeutschen Gebiete drangsaliert und die DDR unter einer Diktatur hält.
({3})
Sie machen heute Sprüche von Versöhnung, Sie machen heute Sprüche von Verständigung und Ausgleich. Ich frage Sie, wie Herr Kohl dazu kommen will, mit Herrn Honecker über die Frage der Versöhnung zwischen den beiden Völkern
({4})
einen minutenlangen Händedruck auszutauschen, obwohl Herr Kohl noch nicht einmal in der Lage ist, mit Honecker überhaupt ein Wort zu sprechen. Die Worte von Versöhnung aus dem Munde der Regierung sind für uns nur Heuchelei. Es fehlen die klaren Aussagen - die erwarten wir von Ihnen -, damit diese Kampagne um das Schlesier-Motto nicht irgendwann einmal als der Anfang einer neuen Kampagne „Schlesien heim ins Reich" in die Geschichte eingeht.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Rühe hat in seinen Ausführungen in unmißverständlicher Weise klargemacht, was Kurs dieser Bundesregierung ist, und wir danken ihm dafür ausdrücklich.
({0})
Ich darf vielleicht mit einer kleinen kritischen Bemerkung hinzufügen: Das hätte man in dieser Form etwas früher genauso deutlich sagen können, und wir hätten etwas weniger Irritationen gehabt.
({1})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese Aktuelle Stunde zu einer notwendigen Klärung auch denen gegenüber beiträgt, denen es in diesem Hause damals schwergefallen ist, dem Warschauer Vertrag zuzustimmen. Ich kann diese plötzliche Diskussion um Rechtspositionen, wie sie hier aus heiterem Himmel ausgelöst worden ist, nur so verstehen, daß das ein Nachholgefecht war, das mit dem heutigen Tag endgültig beendet sein sollte.
({2})
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß dieses ständige Sich-Zurückziehen auf Rechtsstandpunkte, die ja überhaupt nicht bestritten werden - von niemandem hier bestritten werden -, etwas nicht hervorbringen darf, nämlich gefährliche Illusionen, die den Boden für Artikel bilden könnten, wie sie im „Schlesier" bedauerlicherweise erschienen sind.
({3})
Das wollen wir alle nicht. Deshalb sollten wir auch die verantwortlichen Vertreter der Vertriebenenverbände bitten, bei ihrer Diskussion auch ihre Verantwortung für die Jugend ihrer Verbände zu bedenken.
({4})
Ich glaube, hier muß noch einiges klargestellt werden.
Schäfer ({5})
Ich darf in dem Zusammenhang, Herr Hupka und Herr Czaja - ich muß das hier sehr deutlich sagen -, ganz energisch das zurückweisen, was in den letzten Tagen - auch heute wieder in der „Frankfurter Rundschau" - an Äußerungen zu Bundesaußenminister Genscher gemacht worden ist. So können Sie mit dem Bundesaußenminister nicht verfahren!
({6})
Wenn Sie einmal nachschauen, was der Bundesaußenminister in vielen Reden und Beiträgen zu den deutschen Vertriebenen gesagt hat, dann werden Sie feststellen, daß Sie ihm nicht ein einziges Wort nachsagen können, das die Verdienste der deutschen Vertriebenen schmälert. Das hat er nie getan.
({7})
Ich habe mir andererseits gestern die Mühe gemacht, auch einmal Ihre Organe, Ihre verschiedenen Presseorgane - nicht nur den „Schlesier" - zu lesen. Das war mir alles ganz neu; denn ich habe mich vorher nie so sehr damit beschäftigt. Da gefällt mir vieles nicht. Wir sollten bitte mit Bezichtigungen aufhören, und wir sollten in diesem Hause auch nicht den Eindruck erwecken, als gebe es eine Partei, die für die Vertriebenen sei, während alle anderen gegen die Vertriebenen seien. Das ist ja schlicht nicht wahr.
({8})
Die großen Leistungen der Vertriebenen werden doch von niemandem hier bestritten. Ich meine allerdings, daß wir nicht jedes Jahr zu wiederholen brauchen, daß es eine große Leistung war, daß die Vertriebenen 1950 ihre Charta verabschiedet haben. Wir brauchen nicht jedes Jahr zu wiederholen, daß es eine große Leistung war, was sie zur Integration in diesem Staat beigetragen haben. Das ist so feststehend, daß man es nicht jedes Jahr zu wiederholen braucht. Deshalb sollten Sie uns bitte, wenn wir an einem unsinnigen Motto Kritik geübt haben, das ja auch zurückgenommen worden ist, nicht den Vorwurf machen, daß das bereits eine Kritik an den Vertriebenen sei; das ist einfach nicht der Fall.
Meine Damen und Herren, zur Frage, ob der Bundeskanzler zum Treffen der Schlesier gehen soll oder nicht: Ich gebe ganz offen zu, auch bei uns hat es sehr intensive Diskussionen darüber gegeben, ob es klug war, diese Absicht zu bekunden, insbesondere nachdem das Motto bekanntgeworden war. Ich bin heute der Meinung: Der Bundeskanzler muß zu diesem Treffen gehen und muß genau die Klarheit herstellen, die Herr Rühe hergestellt hat.
({9})
Nur vielleicht ein Letztes noch. Ich hätte mir Ihr Motto so gewünscht: 40 Jahre nach Beendigung der Gewaltherrschaft und der Nazidiktatur und 46 Jahre nach Abschluß des Hitler-Stalin-Paktes gibt es für uns Vertriebene nur eine einzige Zielsetzung, und die heißt: Frieden, Frieden, Frieden.
Vielen Dank.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Soell.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zentrale Ursache der heutigen Debatte ist, daß die CDU/CSU in der Frage der Oder-NeißeGrenze völlig zerstritten ist
({0})
und die Auseinandersetzungen früherer Jahre noch einmal geführt werden müssen - eine wahrhaft gespenstische Situation.
({1})
Es kommt doch nicht von ungefähr, daß führende Kommentatoren im In- und Ausland von der jetzt regierenden Bonner Koalition als der Koalition Hupka/Kohl sprechen.
({2})
Viele Stellungnahmen - gerade aus den jüngsten Tagen - aus Ihren Reihen zeigen, wie geschichtslos Sie denken und sprechen. Haben Sie völlig vergessen, welche geistigen Verheerungen solche Formeln wie „Schlesien ist unser", „Schlesien ist unsere Zukunft" bei unseren osteuropäischen Nachbarn, insbesondere bei den Polen, auslösen müssen?
Hier geht es nicht um traditionelle Grenzlandprobleme, Volkstumskonflikte, Minderheitsfragen oder auch um formale Rechtspositionen wie etwa gegenüber dem Westen. Sie können sich auch nicht mit dem Hinweis herausreden, die Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten sei die Fortsetzung der nationalsozialistischen Verbrechen, wie dies der Kollege Hupka gerade vor wenigen Tagen getan hat. Haben Sie denn vergessen, daß der Zweite Weltkrieg kein Krieg war wie jeder andere, daß er von Hitler, seinen Spießgesellen und Tausenden von Helfershelfern
({3})
nach Osten hin als Rassenkrieg, als Krieg der deutschen Herrenrasse gegen slawische und jüdische sogenannte Untermenschen geführt worden ist? Ich frage dies gerade gegenüber solchen, die solche Schicksale in ihrer eigenen Familie haben.
Haben Sie vergessen, daß sich dadurch das Bild der Deutschen und dessen, was sie sagen und tun, in den Augen der Polen und anderer slawischer Völker seither fundamental verändert hat, daß dort nicht nur Millionen Opfer beklagt werden, sondern die Überlebenden die fortwährende seelische Demütigung, die versuchte Zerstörung ihrer Menschenwürde nicht vergessen können?
({4})
Können Sie oder wollen Sie nicht begreifen, welche Assoziationen, welche bösen Erinnerungen an das Herrenmenschentum ein solches Motto bei den Menschen dort auslösen kann? Sie können sich nicht mit dem Hinweis entschuldigen, es sei alles
ganz anders gemeint und Sie seien ebenfalls an der friedlichen Zukunft Europas interessiert, wenn Sie diese elementaren Erfahrungen der Menschen in Polen ausblenden oder gar verdrängen. Deswegen sollte der Kanzler den Mut finden und von dieser Stelle aus deutlich machen, daß er aus seinen Erfahrungen in Israel gelernt hat und auf die Arroganz des Geburtsjahrganges diesmal verzichtet.
({5})
Es war kein Geringerer als Fritz Erler, der nach einer lebhaften Diskussion mit Wenzel Jaksch die schizophrene Haltung der Deutschen zur eigenen Vergangenheit und die damit verbundene Selbstgerechtigkeit kritisiert hat. Obwohl er wie Wenzel Jaksch den Nationalsozialismus bekämpft und dafür viele Jahre in den Lagern und Zuchthäusern des Dritten Reiches gelitten hat, bekannte er sich mit dem Satz „In der Haftung stehen wir doch alle" zur Verantwortung aller Deutschen für das, was in ihrem Namen angerichtet worden ist.
Nur diese Haltung kann uns in der Völkergemeinschaft in Ost und West die Achtung verschaffen, die eine der wichtigsten moralischen Grundlagen einer europäischen Friedensordnung ist.
({6})
Wer diesen Maßstab anlegt, muß angesichts des bisherigen Verhaltens des Bundeskanzlers zu dem Schluß kommen, daß Sie Kanzler einer Regierung und Vorsitzender einer Partei sind, die aus geschichtslosen Gesellen besteht,
({7})
weil weder Sie noch Ihre Kollegen die geschichtliche Tiefendimension dieser Frage zureichend erkannt haben.
({8}) - Weitere Zurufe von der
CDU/CSU)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Windelen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich spreche hier nicht als Bundesminister, sondern als Abgeordneter und als Schlesier. Ich mußte mit meinen Eltern, mit meinen Geschwistern, mit Millionen von Landsleuten meine Heimat aufgeben, meine Heimat, die ich liebe, meine Heimat, die ich nicht vergessen kann.
Das war die Folge eines verbrecherischen Kriegs, den Hitler begonnen hatte.
({0})
Die Ostdeutschen waren am Ausbruch dieses Kriegs nicht schuldiger als alle Deutschen. Aber sie mußten mit dem Verlust ihrer Heimat und über zwei Millionen Vertreibungstoten doppelt zahlen. Wer dies nicht bedenkt, sollte nicht leichtfertig über die Heimat anderer sprechen.
({1})
Trotz dieses Geschicks verfielen die Heimatvertriebenen nicht in Resignation, nicht in Radikalismus. Sie durchkreuzten damit den Plan Stalins, die Gesellschaftsordnung Westdeutschlands als sozialen Sprengstoff für den Kommunismus reif zu machen.
Im Gegenteil, diejenigen, die durch Unrecht und Gewalt am härtesten geschlagen waren, verzichteten als erste auf Rache und Gewalt. Sie gelobten in der bewegenden Charta von Stuttgart schon 1950, durch harte und unermüdliche Arbeit am Wiederaufbau Deutschlands und Europas teilzunehmen.
Und das haben sie wahrlich eingehalten. Die Bundesrepublik Deutschland wäre ohne den Beitrag jener nicht das, was sie heute ist. Das, meine ich, verdient Dank und Anerkennung.
({2})
Als Anfang der 70er Jahre Verträge mit Moskau und Warschau ausgehandelt wurden, Verträge, die auch die Heimat jener betrafen, verfolgten sie dies verständlicherweise mit Sorge. Die damalige Bundesregierung wies diese Besorgnisse zurück. In der Denkschrift der Bundesregierung vom 7. Dezember 1970 zur Begründung des Zustimmungsgesetzes zum Warschauer Vertrag heißt es wörtlich u. a.:
Die polnische Regierung hat den Vertrag in Kenntnis der rechtlichen Vorbehalte unterschrieben, die in den Vertragsverhandlungen von deutscher Seite im Hinblick auf die Grenzfrage immer wieder betont worden sind und die in Art. IV des Vertrages sowie in dem Notenwechsel mit den Drei Mächten zum Ausdruck kommt. In dem Notenwechsel wird klargestellt, daß die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier Mächte für Berlin und Deutschland als Ganzes durch den Vertrag nicht berührt werden und daß die Bundesregierung nur für die Bundesrepublik Deutschland handelt. ... Die Bundesregierung will und kann ein wiedervereinigtes Deutschland durch diesen Vertrag nicht binden.
Wer heute an diese Denkschrift erinnert, den darf man deswegen nicht als Friedensstörer diffamieren.
({3})
Aber ich füge hinzu: Die Berufung auf Rechtspositionen allein ist natürlich noch keine Politik. Die damalige Bundesregierung hat unter Zustimmung des ganzen Bundestages an dem politischen Ziel festgehalten, auf einen Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in dem das deutsche Volk in freier Selbstbestimmung seine Einheit wiederfindet. Dafür brauchen wir eine Politik der Verständigung, eine Politik des Ausgleichs mit unseren Nachbarn. Die Bundesregierung Kohl hat sich dieser Politik verschrieben.
„Wir vergeben, und wir bitten um Vergebung", dieses bewegende Wort der polnischen Bischöfe haben die deutschen Heimatvertriebenen nicht nur gehört, sondern angenommen. Sie stehen auch hinter der Bitte der deutschen Bischöfe, der Bitte um
Vergebung an das polnische Volk. Viele Heimatvertriebene haben ganz persönlich dazu beigetragen, Brücken über Gräben und Gräber zwischen Deutschen und Polen zu schlagen: durch karitative Hilfe, durch viele Aktionen zugunsten der bedrängten Kirche in ihrer alten Heimat. Nein, die deutschen Heimatvertriebenen sind keine Revanchisten.
({4})
Sie haben stellvertretend für uns alle die Hauptlast des Krieges getragen. Auf sie kommt es bei der notwendigen Verständigung zwischen Deutschen und Polen besonders an. Darum verdienen sie die Solidarität des ganzen Volkes.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Jungmann.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wie Sie dem Handbuch des Deutschen Bundestages unschwer entnehmen können, bin ich genauso wie mein Kollege Windelen in Oberschlesien geboren, nämlich am 24. September 1940 in Gräfenort, Kreis Oppeln.
({0})
- Ich bin in Gräfenort in Oberschlesien geboren.
Auch ich zähle demnach zu den Vertriebenen, deren Interessen zu vertreten sich Herr Hupka und Herr Czaja anmaßen. Sie wollen diese Interessenvertretung hier wählerwirksam in Szene setzen. Ich stimme dem zu, was mein Kollege Windelen hier gesagt hat, und ich bekenne mich zu der Charta der Vertriebenen, aber nicht zu der Politik der Funktionäre der Vertriebenenverbände.
({1})
Ich möchte hier in aller Deutlichkeit sagen, daß sie, die Funktionäre der Vertriebenenverbände, nicht die Vertreter der Vertriebenen sind.
({2})
Die Zahl der Vertriebenen ist sehr viel größer als die Zahl derjenigen, die in ihren Verbänden organisiert sind. Sie versuchen, mit dem Recht und dem Heimatgefühl der Vertriebenen Schindluder zu treiben.
({3})
Was sind denn die Interessen der Schlesier und der anderen Landsmannschaften? Die Mehrheit der Vertriebenen denkt nicht so wie Sie, Herr Hupka und Herr Czaja. Die Art, wie Sie mit Duldung des Bundeskanzlers vermeintliche Rechtsansprüche der Heimatvertriebenen öffentlich vertreten, widerspricht dem Gedanken von Frieden und Völkerverständigung.
({4})
Entgegen allen Beteuerungen feiert der Glaube an eine Heim-ins-Reich-Ideologie Urstände.
({5})
Die Ergebnisse der in den 70er Jahren von den SPD-geführten Bundesregierungen betriebenen Ost- und Entspannungspolitik werden von Ihnen in Zweifel gezogen. Sie gefährden damit die Anerkennung und Respektierung der Bundesrepublik Deutschland in der Völkergemeinschaft. Die Glaubwürdigkeit der Friedens- und Entspannungspolitik wird nachhaltig erschüttert.
Ihre Politik der Kraftmeierei ist es aber, die erst den Raum für Gedankenspiele der Art schafft, wie wir sie aus dem Artikel des 21jährigen erfahren mußten. Er soll jetzt zum Sündenbock gemacht werden.
({6})
Sie glauben, sich dieses Problems dadurch entledigen zu können, daß Sie Herrn Finke kurzerhand aus der CDU und aus seinen Funktionen in der Landsmannschaft in die Versenkung verschwinden lassen wollen. Aber nicht er ist der eigentliche Schuldige für das, was er schreibt. Verantwortlich sind vielmehr jene, die Hoffnungen wecken und ein Klima begünstigen, in dem solche Überlegungen wieder hoffähig werden.
({7})
Da verfehlen alle verbalen Anstrengungen ihre Wirkung, Geist und Buchstabe der erfolgreichen Friedens- und Entspannungspolitik der Bundesrepublik in schwierigen Zeiten zu bewahren und auszubauen. Der Zauberlehrling, Herr Bundeskanzler, wird die Geister nicht mehr los, die er gerufen hat. Entweder wollen Sie das nicht wahrhaben, oder Sie handeln Ihren eigenen Beteuerungen zuwider, wenn Sie durch Ihr Verhalten gegenüber Herrn Hupka und Herrn Czaja deren Politik objektiv unterstützen und damit dem Ansehen der Bundesrepublik Deutschland Schaden zufügen.
({8})
Sie machen sich selbst zunehmend unglaubwürdig. Die Möglichkeiten, sich deutlich von solchen Bestrebungen zu distanzieren, haben Sie auf der Kundgebung des Bundes der Vertriebenen am 2. September verpaßt. Sie haben sie verpaßt bei dem Gespräch mit Herrn Hupka in Berlin. Sie haben sie verpaßt, als Herr Hupka sein Motto in der Öffentlichkeit deutlich gemacht hat.
Es wird Zeit, es wird höchste Zeit, daß Sie ein klares Wort sprechen, daß Sie sich eindeutig zu den Verträgen bekennen, daß Sie sich heute hier im Deutschen Bundestag von den Forderungen dieser Herren distanzieren, statt weiter, monatelang, die schleichende Diskussion fortzuführen und damit Schaden für die Bundesrepublik Deutschland weiJungmann
ter anrichten zu lassen. Es wird im Sinne der Völkerverständigung und des Friedens in Europa Zeit,
({9})
daß Sie, Herr Bundeskanzler, sich hier den Worten Ihres Fraktionskollegen und Parteifreundes, Herrn Rühe, anschließen.
Schönen Dank.
({10})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist in meinem Sinne, daß mein Beitrag hier nicht zu einer Vertiefung der Polemik beiträgt, sondern daß ich versuche, in der Kürze der Zeit noch einmal meine und unsere Position, die Position der Bundesregierung und auch der Christlich-Demokratischen Union, in wenigen Sätzen zu umreißen.
Die Haltung der Bundesregierung in der in dieser Debatte anstehenden Frage ist völlig eindeutig. Nur wer mit einer ganz anderen Absicht ans Werk geht, kann an dieser Haltung Zweifel hegen.
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In meinen Regierungserklärungen vom 13. Oktober 1982 und vom 4. Mai 1983 habe ich diese Grundlagen unserer Politik - der FDP-CSU-CDU-Koalition, der Koalition der Mitte - klar und unmißverständlich dargelegt.
Meine Damen und Herren, wenn Sie nicht über meine Ansprachen vor den Vertriebenen einfach reden, sondern diese Texte einmal lesen würden, würden Sie feststellen: Das alles gilt auch für meine Reden am 2. September 1984 auf der Kundgebung des Bundes der Vertriebenen in Braunschweig und am 10. November 1984 beim Treffen der ostdeutschen Landsmannschaften und Vertriebenenverbände in Bonn.
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Ich wiederhole im Sinne der Texte, die ich eben schon zitierte, daß die Deutschlandpolitik und vor allem auch die Politik, die unser Verhältnis gegenüber den Staaten Mittel- und Osteuropas bestimmt, in der von mir geführten Bundesregierung bestimmt bleiben durch das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, den Deutschlandvertrag, die Ostverträge, den Brief zur deutschen Einheit, die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 1972, den Grundlagenvertrag mit der DDR und die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1973 und Juli 1975. Das ist die ganz unzweideutige rechtliche Grundlage unserer Politik.
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Natürlich, meine Damen und Herren, ist diese Rechtsgrundlage, die auch Verfassungsrang hat - denken Sie an die Präambel des Grundgesetzes - nicht irgendein Formelkram, sondern eine wichtige Voraussetzung deutscher Politik. Das ist ganz unstreitig - ich sage dies noch einmal - zwischen den Kollegen der FDP. der CSU und der CDU. Es ist auch gänzlich unstreitig zwischen dem Kollegen Hans-Dietrich Genscher und mir, um auch das mit aller Deutlichkeit noch einmal zu unterstreichen.
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Meine Freunde Heinrich Windelen und Volker Rühe haben in ihren kurzen Beiträgen meine Position noch einmal aus der Sicht der Union sehr klar unterstrichen. Sie haben beide etwas gesagt, was ich nur mit einem Satz aufgreifen will: daß neben der rechtlichen Situation und den rechtlichen Grundlagen das Leben natürlich 40 Jahre lang - das sind Generationen - weitergegangen ist und daß wir alle das zur Kenntnis nehmen, übrigens auch die Kollegen Hupka, Czaja und die Vertriebenen.
Einer der Kollegen der SPD hat es für nötig befunden, in diesem Zusammenhang zu sagen: „Vertriebenenfunktionäre".
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Was soll das eigentlich? Wenn einer von uns „DGB-Funktionäre" sagen würde, würden Sie sich empören. Das ist doch kein Umgangston, in dem wir in diesem Zusammenhang sprechen sollten.
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Angesichts dieses doch ganz unzweideutigen Sachverhalts habe ich einfach die Bitte an alle, denen es wirklich um das deutsch-polnische Verhältnis geht, daß wir der polemischen Diskussion ein Ende bereiten. Eine solche Diskussion geht nur auf die Mühlen jener, denen es nicht um die Aussöhnung geht, sondern um eine neue Auseinandersetzung, um Streit über angeblichen Revanchismus, Revisionismus und alles das, was wir gehört haben.
Gerade weil diese Vorwürfe so abwegig sind, gehe ich zu den Schlesiern und spreche dort.
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Ich täte mir leichter - auch in der öffentlichen Diskussion im Ausland -, wenn das Auftreten eines deutschen Bundeskanzlers vor diesem wichtigen Teil der Bevölkerung in den letzten Jahrzehnten genauso selbstverständlich gewesen wäre, wie das für mich selbstverständlich ist.
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- Hören Sie doch erst einmal meine Rede dort an, bevor Sie sie kritisieren.
Ich habe nur eine Bitte, denn es gibt ja bei uns mancherlei seltsame Entwicklung: Bevor Sie eine öffentliche Bestrafung des Täters fordern, müssen Sie ihm doch erst die Chance geben, die Tat zu begehen.
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Weil das so ist, habe ich nicht die Absicht, mit Ihnen
über eine Rede zu diskutieren, die ich zu halten
beabsichtige, die ich aber noch gar nicht gehalten habe.
Friede, Aussöhnung, Verständigung auch mit unseren Nachbarn in Mittel- und Osteuropa - das ist der Weg der Christlich Demokratischen Union, das ist der Weg der CDU/CSU-Bundestagsfraktion seit Anbeginn dieses Bundestags. Von dieser Stelle aus hat Konrad Adenauer am 20. September 1949 in seiner Regierungserklärung die Bereitschaft und die Hoffnung ausgedrückt, mit unseren östlichen Nachbarn, insbesondere auch mit Polen, in Frieden und guter Nachbarschaft zu leben. Dieser Wunsch und diese Hoffnung, in Frieden miteinander zu leben, die bitteren Erfahrungen der Vergangenheit zu überwinden, zur Verständigung zu kommen, das war immer das Programm der Union. Das ist das Programm dieser Bundesregierung. Und ich hoffe, das ist das Programm aller Mitglieder des Deutschen Bundestages.
Gerade weil der Satz pacta sunt servanda so wichtig ist und weil wir uns im Sinne der Präambel des Warschauer Vertrages bewußt sind - ich habe das vor wenigen Tagen noch einmal in dem Brief an den Kollegen Hupka auch deutlich gemacht -, daß die Unverletzlichkeit der Grenzen und die Achtung der territorialen Integrität und der Souveränität aller Staaten in Europa in ihren gegenwärtigen Grenzen eine grundlegende Bedingung für den Frieden sind,
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gerade deshalb stehen wir zu den in diesem Vertrag getroffenen Vereinbarungen, und zwar in vollem Umfang.
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Die Bundesregierung hat zur Kenntnis genommen - auch das sollte in dieser Debatte doch noch einmal als Hinweis aufgenommen werden -, daß die polnische Regierung auf diese Äußerung ausgesprochen positiv reagiert hat. Ich verbinde mit dieser Feststellung die Erwartung, daß unsere östlichen Gesprächspartner, insbesondere die polnische Regierung, auch in Zukunft alle offiziellen Mitteilungen und Erklärungen der Bundesregierung zu diesem Thema in ihrem vollen Umfang und nicht, wie sehr häufig geschehen, lediglich selektiv zur Kenntnis nehmen und sich auch ihre Politik danach ausrichtet.
Verständigung mit Polen, Aussöhnung und gute Nachbarschaft zwischen den Menschen und den Völkern - das ist das Ziel, dem wir uns auf Grund der Erfahrungen der Geschichte dieses Jahrhunderts gemeinsam mit großer Leidenschaft widmen. Diese Aussage gilt gerade in diesem Jahr, wenn an so vielen Schicksalstagen unsere Erinnerung zurückgeht, die, die dabei waren, sich fragen, wie das an jenem 8. Mai 1945 war. Herr Abgeordneter Professor Soell, ich frage mich, wie Sie eigentlich dazu kommen und woher Sie als einer von uns in diesem Haus das moralische Recht nehmen, eine Partei wie die Christlich Demokratische oder die Christlich-Soziale Union als eine Partei zu bezeichnen, die geschichtslos ist.
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Als Sie das sagten, dachte ich, es ist vielleicht doch nützlich, wenn ich Ihnen einmal vorlese, was am vergangenen Sonntag vor 40 Jahren im Angesicht des Galgens der dann durch viel Glück davongekommene, wenige Monate später, im Juli 1945 gewählte erste Vorsitzende des Reichsverbandes der Christlich Demokratischen Union Deutschlands, Andreas Hermes, niedergeschrieben hat. Er hat in dieser Botschaft - er rechnete stündlich mit seiner Hinrichtung - seiner Frau mitgegeben - ich zitiere -:
Nachdem wir uns aus eigener Kraft aus der teuflischen Verstrickung nicht haben befreien können, müssen wir die Befreiung aus der Hand unserer Kriegsgegner entgegennehmen. Aber wir tun es mit großer Bitterkeit und zwiespältigen Gefühlen in der Seele, da diese Befreiung nur durch den Preis einer beispiellosen Niederlage unseres Landes erkauft werden kann und nicht einmal wahre Befreiung ist. Gewiß, wir werden frei von der brutalen, niederträchtigen Knechtschaft durch satanische Verbrecher aus dem eigenen Volk, aber wir tauschen doch ein bitteres Joch der Abhängigkeit und Unterordnung auch unter fremde Völker.
Meine Damen und Herren, in diesem Zitat, im Angesicht des Galgens niedergeschrieben, spiegelt sich die ganze Not deutscher Geschichte, der Generation von damals und der Generation von heute wider. Wir sollten mit den Worten „geschichtslose Gesellen", bezogen auf andere, vorsichtig sein.
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Unser Ziel ist das Ziel des Friedens, der Beitrag zur Freiheit. Es ist das Ziel der Aussöhnung, das Ziel, daß es nie wieder zwischen Deutschen und Polen Krieg geben möge, daß nicht Rechnung gegen Rechnung gesetzt wird, Blut gegen Blut, Tränen gegen Tränen, Tod gegen Tod. Wir wollen aus der Geschichte lernen, und aus diesem Grund habe ich in diesem Jahr im Blick auf 40 Jahre zurück das Angebot gemacht - ich wiederhole es von dieser Stelle -, daß wir ähnlich wie beim großartigen Beitrag zur deutsch-französischen Aussöhnung in einem deutsch-französischen Jugendwerk zu einem deutsch- polnischen Jugendwerk kommen möchten. Das ist ein wichtiges Ziel unserer Politik.
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Meine Damen und Herren, weil dies so ist, sollten wir auch nicht zulassen, daß eine Gruppe unseres Volkes ausgegrenzt wird.
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Hier ist vieles gesagt worden; die Sprache, die hier geübt wurde, war verräterisch.
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Hier ist vieles über die Leistung der Vertriebenen gesagt worden; ich will dem nichts hinzufügen. In einem Punkt möchte ich dem Kollegen Schäfer widersprechen. Es wissen zuwenige junge Leute in Deutschland, was das einmal war, die Charta der Vertriebenen 1950, fünf Jahre nach der Vertreibung, und der Ruf nicht nach Rache, sondern nach AusBundeskanzler Dr. Kohl
söhnung, das Prinzip, daß Krieg und Gewalt keine Mittel der Politik sein können.
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Meine Bitte an aile, die dabei mitwirken können, an alle, die guten Willens sind, ist, daß wir bei aller parteipolitischen Polemik nicht vergessen, daß es hier ein gemeinsames Ziel der Deutschen gibt. Die von mir geführte Bundesregierung, die Koalition der Mitte, wird ihren Beitrag leisten, und es wird ein Beitrag sein - dessen bin ich sicher -, der vor der Geschichte Bestand hat.
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Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat in dieser Aktuellen Stunde über 10 Minuten gesprochen. Die Fraktion der SPD hat nach den Richtlinien für die Aktuelle Stunde in Verbindung mit § 44 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung verlangt, daß über die Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers die Aussprache eröffnet wird.
Ich schließe die Aktuelle Stunde und eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Vogel.
Die Aussprache richtet sich jetzt, da keine Redezeitvereinbarung vorliegt, nach § 35 unserer Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Rühe hat in seiner bemerkenswerten Rede, die wir mit großer Aufmerksamkeit verfolgt haben, den Kern der Sache angesprochen. Kern der Sache ist die Frage, ob der deutsch-polnische Vertrag politische Sachverhalte geschaffen hat, die endgültig sind, oder ob die alliierten Vorbehalte, von denen die Rede ist, andere Möglichkeiten und andere Entwicklungen offenlassen.
Sie, Herr Rühe, haben hier wörtlich ausgeführt, die politischen Sachverhalte, die dieser Vertrag geschaffen hat, sind politisch endgültig. Dieser Aussage stimmen wir ausdrücklich zu.
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Wer im Widerspruch zu dieser Feststellung sagt, die alliierten Vorbehalte ließen andere Möglichkeiten offen, der beschädigt den Prozeß der deutschpolnischen Aussöhnung in seinem Kern, der läßt uns im Vorfeld des 8. Mai 1985 als Unruhestifter erscheinen und erschwert den Weg zu einer dauerhaften europäischen Friedensordnung.
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Wer sagt, die alliierten Vorbehalte lassen andere Möglichkeiten offen, der - und das sage ich mit großer Sorge - blockiert auch jeden Fortschritt im deutsch-deutschen Verhältnis
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und erschwert das, was uns durch die Präambel des Grundgesetzes aufgegeben ist.
Herr Hupka hat in seiner Funktion als Vorsitzender seiner Landsmannschaft diese Möglichkeiten nicht nur offengehalten, er hat ausdrücklich dazu aufgefordert, diese, wie er es formuliert, rechtliche Offenheit der Frage zur Änderung von Grenzen, zur Änderung der Oder-Neiße-Grenze, zu nutzen. Das ist der Kern unserer Kritik.
Wer sagt „Schlesien bleibt unser", wer in eine Diskussion über die Frage eintritt, ob Polen die Souveränität über die Grenze östlich der Oder-NeißeLinie hat, der will nicht die politische Endgültigkeit des geschaffenen Zustandes als Grundlage der Aussöhnung, der will Veränderung.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben hier gesagt, der Täter müsse eine Chance haben, seine Tat zu begehen. Ich hoffe, das war ein Lapsus linguae, das war ein ungewollter Versprecher. Wir Sozialdemokraten wollen nicht, daß Täter auf diesem Gebiet eine Chance zur Tat haben.
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Herr Bundeskanzler, Sie haben den Ausführungen und Aufforderungen des Herrn Hupka nicht von Anfang an klar und deutlich widersprochen.
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Sie haben eine quälende Diskussion in Gang gesetzt, die über Wochen hin für die Aufforderungen und Parolen des Herrn Hupka überhaupt erst den Resonanzboden geschaffen hat. Sie haben es schweigend hingenommen, daß die Junge Union auf ihrem Bundesdelegiertentag in Ihrer Gegenwart mit Mehrheit
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den Beschluß gefaßt hat, die Oder-Neiße-Grenze könne nicht als endgültig anerkannt, die Souveränität Polens über diese Gebiete könne nicht bejaht werden.
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Die quälende Diskussion, die Sie mit Herrn Hupka geführt haben, hat ihn erst in den Rang eines politischen Faktors erhoben, der außerhalb der Bundesrepublik wahrgenommen worden ist.
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Die wirren Auslassungen eines unreifen 21jährigen
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wären ohne diese Vorgeschichte, Herr Bundeskanzler, überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden,
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hätten überhaupt keine Beachtung gefunden.
Wir kritisieren nicht die Vertriebenen. Es war fehl am Platze, Aufforderungen in unsere oder in eine andere Richtung ergehen zu lassen, die Leistungen der Vertriebenen anzuerkennen. Wir haben diese Leistungen anerkannt; wir anerkennen sie. Wir danken den Vertriebenen für ihren entschei8820
denden Beitrag zum Aufbau eines friedlichen und eines demokratischen Gemeinwesens.
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Wir respektieren das Heimatgefühl der Vertriebenen genauso, wie wir unser eigenes Heimatgefühl respektiert wissen wollen. Wir kritisieren nicht die Vertriebenen, wir kritisieren - ich zitiere Ihren Vizekanzler, den Bundesaußenminister, wörtlich - „eine Handvoll von Vertriebenenfunktionären, die dieses Heimatgefühl mißbrauchen". Das ist der Kern unserer Kritik.
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Wir kritisieren diesen Mißbrauch, der diesen Herren eine politische Bedeutung verleihen soll, die sie sonst überhaupt nicht besäßen.
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Sie wären längst dem geschichtlichen Vergessen anheimgefallen.
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Wir nehmen die Vertriebenen in Schutz, weil wir wissen: Die weit überwältigende Mehrheit der Vertriebenen will keine Grenzänderungen und keine Diskussion über die Souveränität. Sie wollen - ebenso wie die überwältigende Mehrheit unseres Volkes - Frieden und gute Nachbarschaft nach allen Seiten, nach Osten, Westen, Süden und Norden.
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Herr Bundeskanzler, Ihre Rede heute war der Versuch, Unvereinbares zu vereinbaren.
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Es war der Versuch, den tiefen Meinungsunterschied und Konflikt zwischen den Koalitionspartnern - ausgedrückt in dem, was Herr Kollege Genscher gesagt hat - und den tiefen Riß, der durch Ihre eigene Partei in dieser Frage geht,
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mit allgemeinen Bemerkungen zuzudecken.
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Diese Diskussion und Ihre Rede hat - das ist ein Grund zur Sorge - erneut deutlich gemacht, daß Sie die grundlegende politische Entscheidung der Ostverträge und auch des deutsch-polnischen Vertrages in Ihrer Fraktion und Partei noch nicht zur Gänze vollzogen und akzeptiert haben.
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In dem, was Herr Rühe in seiner Rede ausgeführt hat, können wir auch unsere Auffassungen wiedererkennen. Ich stelle Übereinstimmung fest. Mit dem, Herr Bundeskanzler, was Sie gesagt haben, können wir mangels klarer Äußerungen diese Übereinstimmung nicht feststellen.
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Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland hat - wenige Wochen vor dem 40. Jahrestag des Kriegsendes - heute an diesem Pult die Chance gehabt, jedem Revanchismus-Vorwurf den Boden zu entziehen, Vorwürfen, denen Herr Hupka die Stichworte geliefert hat, und die, die ihn unterstützen.
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Ich bedaure, daß der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland diese Chance versäumt hat. Und so sage ich in die Öffentlichkeit unseres Volkes und Europas hinaus:
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Wir wollen keine Grenzänderungen. Wir wollen durchlässige Grenzen. Wir wollen Frieden und gute Nachbarschaft.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mischnick.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Freie Demokratische Partei hat in den 50er Jahren gemeinsam mit der Union die Westverträge konzipiert, sie voll mitgetragen und zu keinem Zeitpunkt verlassen. Wir haben gemeinsam mit den Sozialdemokraten die Ostverträge konzipiert, sie voll mitgetragen, sie zu keinem Zeitpunkt verlassen. Wir werden auch in Zukunft diese beiden Voraussetzungen für eine deutsche Außenpolitik als die Grundlage unserer weiteren politischen Arbeit in der Außenpolitik nicht nur betrachten, sondern in der praktischen Politik vertreten.
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Hier ist mehrfach darauf hingewiesen worden, daß die Verträge und der Brief zur deutschen Einheit Grundlage dieser Politik sind. Der Brief zur deutschen Einheit ist zitiert worden. Ich zitiere ausdrücklich aus dem deutsch-polnischen Vertrag Art. 1:
Sie
- die Vertragschließenden bekräftigen die Unverletzlichkeit ihrer bestehenden Grenzen jetzt und in der Zukunft und verpflichten sich gegenseitig zur uneingeschränkten Achtung ihrer territorialen Integrität.
Sie erklären, daß sie gegeneinander keinerlei Gebietsansprüche haben und solche auch in Zukunft nicht erheben werden.
Dieses ist der Vertragstext. Dieses ist für uns verbindlich, danach richtet sich unsere Politik, gestern, heute und morgen. Davon werden wir keinen Schritt abweichen.
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Dies hat auch diese Bundesregierung vertreten, und mancher, der hier die Bundesregierung angreift, sollte sich überlegen, ob mit diesem Angriff nicht erst die Zweifel gesät werden, die man selbst hier als schlimm für unsere Politik bezeichnet.
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Genauso stelle ich fest, wir haben immer wieder - ({3})
- Ach, wissen Sie, früher waren Sie nicht so billig. Es scheint eine Zeitentwicklung bei Ihnen zu sein, daß Sie plötzlich so billig mit Ihren Zwischenrufen sind. Sie haben gar nicht gemerkt, daß Ihre eigenen Kollegen mit mir übereinstimmten.
Genauso stelle ich fest: der Herr Kollege Windelen hat deutlich gesagt, die deutschen Heimatvertriebenen sind keine Revanchisten. Wir teilen diese Meinung. Sie haben es nicht verdient, durch wen auch immer in diesen Geruch gebracht zu werden. Das stelle ich auch in aller Deutlichkeit fest..
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Deshalb sollte jeder, der hier glaubt, im Interesse der Heimatvertriebenen bestimmte Rechtspositionen ohne die vertraglichen Verpflichtungen darstellen zu sollen, sich im klaren darüber sein, welche Gefahren daraus für die Gesamtdiskussion entstehen. Jeder, der die Vertragspositionen vertritt, sollte nicht vergessen, daß das, was an Rechtspositionen gegeben ist, so chancenreich oder so wenig chancenreich sie sind, Inhalt der Verträge ist und damit nicht einfach hinweggewischt werden kann. Allerdings kommt es darauf an, daß in der praktischen Politik nicht mit dem Hervorkehren der Rechtspositionen jede praktische Handlung unmöglich gemacht wird. Diese Gefahr ist natürlich immer wieder gegeben.
Es hat sich gezeigt, daß es in den letzten Jahren möglich war, auch unter Wahrung der jeweiligen unterschiedlichen Standpunkte im deutsch-polnischen Verhältnis viele Dinge weiterzuentwickeln. Wir stehen jetzt in der Gefahr, daß diese Weiterentwicklung blockiert wird, wenn wir Diskussionen, die 1970, 1971 richtig und notwendig waren, im Jahre 1985 noch einmal nachvollziehen wollen. Wenn dies geschieht, dann ist sehr viel Arbeit in den vergangenen Jahren - Jahrzehnten, kann ich sagen - umsonst gewesen.
Ich will hier nicht diesen Streit, ob es richtig ist, da hinzugehen oder nicht da hinzugehen, fortsetzen. Entscheidend ist, daß auch auf dem Schlesiertreffen - und ich bin überzeugt, daß das geschieht - die Grundlagen der Politik dieser Regierung so unmißverständlich, so klar dargelegt werden, wie das in der Regierungserklärung geschehen ist, wie es in vielen Debatten der Fall war und wie wir es zur Lage der Nation hier erneut bei der Debatte deutlich machen werden.
Wir sollten allerdings auch ein Weiteres tun. Hier
ist mehrfach ein Artikelschreiber, jung an Jahren, zitiert worden. Wir sollten nicht vergessen, daß es
zusätzlich Verantwortlichkeiten gegeben haben muß,
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die für die Entscheidung darüber zuständig waren, wann er veröffentlicht wurde, durch wen er veröffentlicht worden ist.
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Darüber sollte man sich Rechenschaft ablegen, wie es dazu kommen kann, daß ein junger Mensch, wenn er sich verirrt, plötzlich zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion wird, weil niemand merkt, welcher Sprengstoff da drinliegt und wie verheerend das im Jahre 1985 für die ganze deutsche Politik in der Öffentlichkeit wirken muß, wenn man sich nicht dagegen wendet und wehrt.
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Wir sollten aber auch nicht den Fehler machen, wie das leider in manchen Beiträgen geschehen ist, wenn die entsprechenden Klarstellungen durch die Regierung geschehen sind, sie immer wieder zu relativieren und in Frage zu stellen. Dies erschwert unsere Position zusätzlich.
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Mit Recht ist davon gesprochen worden, daß der Begriff „Verzichtpolitiker" eine Vokabel ist, die aus einer Zeit stammt, die das hervorgerufen hat, über das wir heute immer wieder diskutieren müssen.
({9})
Wer das Wort „Verzichtpolitiker" gebraucht, muß wissen, daß er damit Haß sät, der schon einmal in diesem Land zu Mehrheiten geführt hat, die uns dann in das Elend des 8. Mai 1945 geführt haben.
({10})
Aber diejenigen, die das Wort gebrauchen, sollten auch so ehrlich sein zu sagen, daß sie damit eigentlich Verzicht auf Politik zum Ausdruck bringen.
Das, was wir tun müssen, ist doch unter den gegebenen Umständen mit all dem - ich kann mich vielem auf Grund persönlicher Erlebnisse anschließen, denn auch ich kann nicht in meiner Heimat leben -, was an persönlichem Schicksal damit verbunden ist, trotzdem in die Zukunft zu sehen. Ich weiß aber auch, es nützt niemandem etwas, wenn an die Heimat erinnert wird, das Heimatrecht mit Recht verteidigt wird, aber es nur einseitig als das eigene Heimatrecht gesehen wird. Denn 40 Jahre nach Kriegsende gibt es eben auch ein neues Heimatrecht, so bitter, so beklagenswert, so schwer das für den einzelnen ist, dies nicht nur erkennen zu
müssen, sondern dies auch in seine eigene politische Entscheidung einbeziehen zu müssen.
({11})
Diese Aktuelle Stunde war im Gegensatz zu manch anderen - wenn ich das sagen darf - notwendig und richtig, damit Dinge klargestellt werden konnten.
({12})
Wir sollten uns alle darauf besinnen, gerade in diesem Jahre, hier das Gemeinsame mehr zu sehen als den kleinen parteipolitisch taktischen Vorteil, den man vielleicht einmal von einer Schlagzeile haben kann. Meine sehr verehrten Damen und Herren, 40 Jahre nach Kriegsende sollte die Gemeinsamkeit der Deutschen im Vordergrund stehen und nicht der Streit über Dinge, die wir heute nicht mehr lösen können, weil gestern und vorgestern die entscheidenden politischen Fehler gemacht worden sind.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bundeskanzler, Sie haben sich soeben in Ihrer Rede gegen den Vorwurf der Geschichtslosigkeit gewehrt. Ich mache Ihnen diesen Vorwurf nicht. Ich frage Sie nur: In welche Geschichte stellen Sie sich eigentlich? Sie haben auch von sich behauptet, daß Sie Geschichte machen. Ich bin davon überzeugt, daß Sie Geschichte machen. Ich bin auch davon überzeugt, daß sich die geschichtliche Landschaft der Bundesrepublik unter Ihrer Regierungsverantwortung erheblich verändert hat. Ich frage Sie: Was für eine Geschichte machen Sie eigentlich mit dieser Politik?
({0})
Ich komme zu meinem Eindruck von der Diskussion der letzten Wochen. Ich glaube, das Hochgefährliche an dieser Diskussion ist, daß Sie in den Reden und in dem, was Sie haben reden lassen, einen Raum freigegeben haben, der objektiv den Raum unserer Nachbarn, in dem sie leben und existieren können, verengt. Sie haben damit die Möglichkeit, zu denken, bis an die Grenzen von 1937 hinausgeschoben. Und genau diesen Raum hat eben dieser 21jährige Mann, der Herr Finke, in seinen Vorstellungen bis zum Ende ausgeschritten und damit nur ausgedrückt, was möglich geworden ist in den politischen Debatten in den letzten Wochen.
({1})
Wenn wir von Geschichte reden, dann, denke ich, gehört zu der besonderen deutschen Geschichte und auch zu der Vorgeschichte dieser Grenzen von 1937 die verheerende politische Wirkung, die dieses ständige Nach-Osten-Denken und Nach-Osten-Streben in der deutschen Geschichte immer gehabt hat. Und ich möchte, daß Sie sich zu dieser Geschichte irgendwie verhalten.
Der zweite Punkt. Sie haben nicht nur den Raum erweitert, sondern Sie haben auch Dinge gefährlich uminterpretiert. Es fällt mir diese merkwürdige Uminterpretierbarkeit der Ergebnisse des Zweiten Weltkrieges auf, als wären noch Ergebnisse dieses Krieges offen, über die man noch diskutieren könnte. Genauso haben wir es aus den Reden von Herrn Czaja und Herrn Hupka immer wieder gehört. Wenn das so ist, wenn für Sie das Ergebnis dieses Krieges noch so offen ist, wenn diese Offenheit noch so zu mißbrauchen ist, dann machen Sie endlich ein Ende, dann schreiben Sie das Ergebnis endlich fest. Das Sinnvollste wäre, daß es endlich einen Friedensvertrag gäbe, mit festen Grenzen für dieses Land, damit endlich einmal ein Ende wäre damit, daß jedermann als Ende dieses Krieges interpretieren kann, was er will und wie es ihm in sein politisches Konzept paßt.
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Sie wollen ebenso wie Ihr großes Vorbild in die Geschichte dieses Landes als Friedenskanzler eingehen.
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- Das ist keine Schande, überhaupt nicht. Man muß nur praktikable Vorschläge machen, die wirklich dem Frieden dienen.
Ich möchte Ihnen einen Vorschlag machen. Ich will einen Begriff aufgreifen, der hier so denunziert worden ist - auch Herr Mischnick hat es eben wieder gesagt. Ich meine, jemand, der wirklich ein Friedenskanzler sein will, muß heute Verzichtspolitiker sein - ausdrücklich.
({4})
Übrigens gibt es dafür auch eine gute christliche Tradition. Ich meine, er muß verzichten auf jegliche Gewaltanwendung, er muß verzichten auf politische Ansprüche und Machtansprüche, vor allen Dingen auf Grenzrevidierungen, die den Polen den Raum verengen, in dem sie leben können.
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Ich möchte dieses Verzichten auch ganz konkret auf die Politik der Vertriebenenverbände anwenden, wobei ich die Verbände insgesamt anspreche und nicht nur Herrn Czaja und Herrn Hupka. Ich meine, sie sollten sich überlegen, ob 40 Jahre nach Ende des Krieges der Ausdruck „Vertriebene" für die Arbeit dieser Verbände eigentlich noch der richtige ist.
({6})
Ich will das interpretieren. Der Ausdruck Vertriebene hält bewußt die Erinnerung an Gewalt, die einem getan ist, wach. Er ist kein Begriff der Versöhnung, sondern er ist, zumal 40 Jahre, über eine
Generation später als die Ereignisse, an die sie erinnern wollen, ein Begriff,
({7})
der Haß und Widersprüche zwischen den Völkern wachhalten soll und in gar keiner Weise mehr zur Versöhnung taugt. Wenn Sie Ernst machen wollen mit Ihrer Charta von 1950, dann fügen Sie der im Jahre 1985 etwas hinzu, indem Sie Ihre Verbände anders benennen.
Sie haben sehr wohl das Recht, Kulturen Ihrer Landsmannschaften, kulturelle Traditionen,
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Sprache und auch geschichtliche Widerstandstraditionen wachzuhalten.
({9})
Damit könnten Sie auch zur kulturellen Vielfalt dieses Landes etwas beitragen. Aber verzichten Sie auf Begriffe, die heutzutage niemandem mehr etwas Gutes bringen.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ehmke ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte den Kollegen Rühe und Schäfer ausdrücklich für das danken, was sie hier heute in der Aktuellen Stunde gesagt haben.
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Das hob sich wohltuend von dem Trauerspiel ab, das wir heute in der Fragestunde auf seiten von Herrn Staatsminister Vogel erlebt haben. Da kann man nur sagen: Wie der Herr, so's Gescherr.
({1})
Denn, Herr Bundeskanzler: Sie haben die Klarheit, mit der Herr Rühe hier gesprochen hat, auch heute nicht erreicht.
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Darum möchte ich die Gelegenheit noch einmal benutzen, ganz klar zu machen, wo der Streitpunkt mit den Kollegen Czaja, Hupka und denen, die da im „Schlesier" schreiben, liegt. Es besteht kein Streit über das, was in der Präambel des Grundgesetzes steht, über die Freiheit und Einheit Deutschlands. Aber das Verheerende, was die Kollegen Hupka und Czaja versuchen, ist, so zu tun, als ob im Grundgesetz stünde: Einheit und Freiheit Deutschlands in den Grenzen von 1937. Das heißt: Sie tun zwei Fragen zusammen, die in der ganzen Nachkriegsgeschichte getrennt worden sind. Herr Hupka und Herr Czaja, da Sie sich ja so gern auf das Grundlagenurteil des Bundesverfassungsgerichts berufen, wird Ihnen nicht entgangen sein, daß selbst das Verfassungsgericht sagt, daß aus dem
Grundgesetz nichts über die Frage der Grenzen abzuleiten ist.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja?
Nein, Herr Czaja, jetzt möchte ich einmal meine Rechtsposition darlegen. Sie legen sie ja oft und ausführlich dar. - Also, hinsichtlich des Grundgesetzes ist klar, was das Bundesverfassungsgericht gesagt hat: Einheit und Freiheit Deutschlands - das finde ich übrigens besser als Wiedervereinigung -, aber nichts von den Grenzen von 1937, wie Sie, Herr Czaja, das dauernd tun, und zwar - da Sie die Rechtsgrundlagen j a sehr gut kennen - wider besseres Wissen.
({0})
Dann haben Sie, Herr Kollege Czaja, Art. 7 des Deutschlandvertrages zitiert, in dem unsere westlichen Alliierten gesagt haben, sie würden uns in dem Streben nach Selbstbestimmungsrecht für das deutsche Volk unterstützen.
({1})
Wie Sie wissen, Herr Czaja, haben die westlichen Alliierten bei dieser Gelegenheit ausdrücklich erklärt: Das bezieht sich nicht auf die Wiederherstellung in den Grenzen von 1937.
({2})
Das haben sie ausdrücklich erklärt. Jemand, der an den Verhandlungen deutscherseits beteiligt war, nämlich der frühere Mitarbeiter des Auswärtigen Amts, Herr Professor Grewe, hat das nach den Verhandlungen gegenüber solchen Fälschungen, wie wir sie von Ihnen jetzt dauernd hören, ausdrücklich zu Papier gebracht.
({3})
Weiter, Herr Czaja: Die französische Regierung hat bereits vor Jahren erklärt, für sie sei - sosehr sie auf den Vorbehaltsrechten der Alliierten bestünde - klar, daß die Westgrenze Polens endgültig sei. Sie sind in Ihrer Kampagne - so haben Sie das j a auch heute dargestellt - von Äußerungen über die Infragestellung von Jalta inspiriert gewesen, die wir aus Amerika gehört haben. Als man aber in Amerika gesehen hat, wie das hier von Ihnen aufgenommen worden ist, hat Vizepräsident Bush,
({4})
Herr Kollege Klein, ausdrücklich erklärt, für die Reagan-Administration bedeute die Kritik an Jalta keine Infragestellung der Grenzen in Europa. Er hat hinzugefügt: Wer die - wie die Kollegen Czaja und Hupka das tun - in Frage stelle, gefährde den Status von Berlin. Übrigens: Herr Diepgen sollte sich dazu auch einmal äußern.
({5})
Dr. Ehmke ({6})
Wenn Sie so tun, als ob die Einheit und Freiheit Deutschlands, das Selbstbestimmungsrecht des deutschen Volkes mit der Wiederherstellung eines deutschen Staatswesens in den Grenzen von 1937 identisch sei, dann sagen Sie bewußt etwas Falsches. Sie wecken in den Vertriebenen, zu denen ich auch gehöre - und ich fühle mich von Ihnen in dieser Position nun wirklich nicht vertreten -,
({7})
Illusionen, denen Sie nie gerecht werden können.
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Das einzige, was ich Ihnen vielleicht zugute halten kann, ist, daß Sie nicht nur die Vertriebenen täuschen, sondern auch sich selbst. Trotzdem ist es so, daß wir Widerspruch leisten müssen.
({9})
Herr Bundeskanzler, sehen Sie, der Punkt, um den es geht, ist ganz klar. Der Kollege Genscher, der heute nicht hier sein kann, hat dazu ganz präzise Stellung genommen. Ich verstehe nicht, daß Sie sich wirklich nicht durchringen können zu sagen: Das ist ganz klar, das sind zwei verschiedene Fragen; für uns ist die Westgrenze Polens endgültig.
Herr Kollege Kohl, darf ich dazu einmal - mit der Bitte um Verständnis - sagen, wie das Sozialdemokraten empfinden. Wir Sozialdemokraten waren im September 1984 mit einer Delegation zu recht schwierigen Gesprächen in Moskau. Obgleich das gar nicht auf der Tagesordnung stand, hat Herr Ponomarjow diese Besprechung mit einer Rede eröffnet, in der er den Revanchismusvorwurf gegen Sie, Herr Bundeskanzler, gegen die Union und gegen die Vertriebenen erhob. Ich habe dort an Ort und Stelle in großer Ruhe Herrn Ponomarjow geantwortet, daß die deutschen Sozialdemokraten diesen Vorwurf für ungerecht halten, daß sie ihn zurückweisen und daß von einem Klima des Revanchismus in der Bundesrepublik Deutschland nicht die Rede sein kann.
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Das halte ich für eine selbstverständliche Solidarität unter Demokraten.
Aber, Herr Bundeskanzler, verstehen Sie denn nicht, wie komisch es uns dann vorkommen muß, in die Bundesrepublik zurückzukehren und zu sehen, daß Mitglieder Ihrer Partei und Ihrer Fraktion genau für die Kampagne, die wir in Moskau zurückgewiesen haben, mit ihren närrischen Bemerkungen Schützenhilfe leisten?
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Herr Hupka, für das, was Sie in den letzten Wochen angerichtet haben, müßten Sie in Moskau einen Orden kriegen. Das ist meine feste Überzeugung.
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Herr Bundeskanzler, wir verstehen ja Ihre innerparteilichen und innenpolitischen Rücksichtnahmen. Das ist uns ja klar. Aber sie müssen doch sehen, daß alles Lavieren, das Sie hier betreiben, was immer es Ihnen in der Partei oder wahlmäßig bringen mag, den Schaden nicht ausgleichen kann, der draußen eintritt.
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Sie nennen sich so gerne einen Enkel Adenauers. Adenauer kann man keinen Vorwurf machen für seine Enkel. Die hat er sich nicht aussuchen können. Wenn Sie sagen: Ich werde dazu bei den Schlesiern reden, dann gehen noch einmal drei Monate ins Land, in denen diese Debatte weitergeht, und zwar nicht nur von uns, sondern auch von außen. Fragen Sie doch das Auswärtige Amt, wie draußen diskutiert wird. Drei Monate wollen Sie das so weitergehen lassen? Was spricht eigentlich dagegen, daß Sie hier hochkommen und sagen: So ist es, die Frage der Einheit und Freiheit Deutschlands ist offen, die Frage der Grenzen von 1937 nicht. Das ist die endgültige Grenze Polens. Nur auf dieser Basis können wir Politik machen. Was hindert Sie eigentlich daran?
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- Das ist ein großer Irrtum, Herr Klein. Aber Sie sehen einmal mehr: Was Herr Rühe gesagt hat und war Herr Klein sagt, paßt schon wieder vorn und hinten nicht zusammen.
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In dem Vertrag steht ausdrücklich drin, daß wir jetzt die Grenze Polens als Westgrenze anerkennen und auch in Zukunft keine territorialen Forderungen stellen werden.
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Herr Bundeskanzler, ich bitte Sie noch einmal: Alles, was Sie innerparteilich und innenpolitisch mit diesem Taktieren gewinnen mögen, wiegt doch nicht den Schaden auf, der draußen eingetreten ist. Ihre bittersten Kritiker in unseren Reihen, zu denen ich mich zähle, Herr Bundeskanzler, hätten nie geglaubt, daß Sie in zwei Jahren so viel von dem außenpolitischen Vertrauen nach Ost und West verspielen, das Konrad Adenauer, Willy Brandt und Helmut Schmidt angesammelt haben.
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- Das paßt zu Ihnen: Erst große patriotische Reden halten und dann „Helau" schreien. Das paßt gut zu dem Eindruck, den ich heute von Ihnen gewonnen habe, meine Herren von der Unionsfraktion.
Darum noch einmal, Herr Bundeskanzler, unsere Bitte - die Debatte läuft ja noch -: Es lohnt sich, sich diesen Nachmittag Zeit dafür zu nehmen; kommen Sie hier herauf und erklären Sie das so klipp und klar, daß endlich mit der Debatte Schluß ist. So
Dr. Ehmke ({18})
wie Sie das heute erklärt haben, haben Sie die Debatte künstlich verlängert.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Klein.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Kollegen! In den letzten 20, 25 Minuten hatte ich den Eindruck, als gehe es hier bei aller gespielten Emphase, Herr Kollege Vogel, überhaupt nicht um das deutsch-polnische Verhältnis, sondern nur um die Frage: Wie kann man hier CDU und CSU und FDP auseinanderdividieren und billiges parteipolitisches Kapital daraus schlagen?
({0})
Ich verzeichne mit großem Respekt, um wieviel differenzierter und kundiger beträchtliche Teile der polnischen Öffentlichkeit auf die von Ihnen so hochgejubelten Vorgänge im Vergleich zu den Reaktionen der SPD reagiert haben.
Herr Kollege Ehmke, Sie wissen doch ganz genau, daß das, was sie hier alles gesagt haben, nicht stimmt.
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Es kann doch wohl nicht sein, daß Sie nach so vielen Jahren Zugehörigkeit zu diesem Hause als Völkerrechtsprofessor ernsthaft an ein solches krauses Zeug glauben.
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Und, Herr Kollege Vogel, ein Unterschied zwischen dem, was der Kollege Rühe gesagt hat, und dem, was der Bundeskanzler gesagt hat, ist für mich bei schärfster Untersuchung nicht erkennbar.
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- Entschuldigen Sie! Der Bundeskanzler hat ganz klare eindeutige Erklärungen abgegeben: in der Kontinuität seiner Politik,
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in der Kontinuität der deutschen Außenpolitik
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und in Übereinstimmung mit Text und Geist der Verträge.
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Und der Kollege Rühe hat genau das gleiche getan und hat zudem sozusagen eine in sich liegende
Selbstverständlichkeit dazu erklärt, nämlich - das steht ja in der Präambel - daß die Bundesrepublik Deutschland auch künftig keine Gebietsansprüche stellen werde. Wenn man das logisch weiterdenkt, liegt hier selbstverständlich eine gewisse Bindungswirkung, wie Rühe gesagt hat, für einen gesamtdeutschen Souverän. Daß das psychologisch vorauswirkt, ist doch klar. Nur, das hebt doch das Recht nicht auf. Hier gibt es doch keinen Gegensatz.
Manchmal stelle ich mir die Frage, ob die Hektik und die Selbstbezogenheit
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- ich möchte nicht, Herr Kollege; es sind hier keine Zwischenfragen zugelassen worden und auch ich möchte es nicht tun -, in die wir uns häufig selber manövrieren, nicht dazu führen, daß wir aus dem Auge verlieren, was dieses Parlament und seine Fraktionen seit Jahr und Tag zu gewissen Fragen sagen. Und ich muß Ihnen erklären, daß das, was die CDU/CSU-Fraktion am 4. Dezember 1970 erklärt hat, Punkt für Punkt
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der Auffassung der Fraktion von heute entspricht.
Und wissen Sie, meine Damen und Herren von der Linken: Ich habe mich extra noch einmal in Gesprächen mit den Kollegen Czaja und Hupka versichert: Hier gibt es auch kein papierdickes Stückchen, das zwischen deren Auffassung und unserer Auffassung zu bringen wäre.
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- Lieber Herr Vogel, ich spreche doch von dieser Erklärung. Hören Sie doch mal einen Moment zu!
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Ich darf Ihnen mal diese Erklärung in Erinnerung rufen, weil es sich wirklich lohnt, sich noch einmal anzuhören, was in diesem Haus beschlossen worden ist. Die Unterschrift lautet: Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion. Das Datum ist der 4. Dezember 1970.
Der Deutsche Bundestag bekräftigt, daß ein wichtiges Ziel der deutschen Politik die Verständigung und Aussöhnung mit Polen ist. Er sieht in der Erreichung dieses Zieles eine wesentliche Voraussetzung zur Sicherung eines dauerhaften Friedens in Europa. Verständigung und Aussöhnung müssen sich auf beiden Seiten moralisch, rechtlich und historisch auf Wahrheit und politischen Wirklichkeitssinn gründen.
In einer gesicherten und auf der Selbstbestimmung der Völker beruhenden europäischen Friedensordnung ist Raum für einen dauerhaften Ausgleich und enge Zusammenarbeit zwischen Deutschen und Polen bei freier Entfaltung beider Völker.
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Klein ({12})
Wer diesen Ausgleich wünscht, muß den Weg offenhalten für zukünftige europäische Lösungen.
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Er muß zugleich bereit sein, die schrecklichen Lasten abzutragen, die durch die Verbrechen des Hitler-Regimes und die Vertreibung der Deutschen beiden Völkern auferlegt wurden.
Der Deutsche Bundestag bittet das polnische Volk und alle europäischen Nachbarn um Verständnis für seine Pflicht und Entschlossenheit, uneingeschränkt an dem Recht des deutschen Volkes auf freie Selbstbestimmung und auf eine frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung für ganz Deutschland festzuhalten.
Die endgültige Festlegung der deutschen Grenzen kann nur im Zusammenhang mit dieser friedensvertraglichen Regelung geschehen. Ihre Grundlage muß das Recht der Polen auf gesicherte Grenzen und das Recht der Deutschen auf gesicherte Freiheit und Einheit sein.
Meine verehrten Damen und Herren, ich entschuldige mich, daß ich Ihnen einen 15 Jahre alten Antrag vorlese. Er hat aber heute wie damals Gültigkeit.
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Ich möchte jetzt den Versuch unternehmen, an Hand eines Punktes aus diesem Antrag ein bißchen zu erklären, warum diese Diskussion in den letzten Monaten so aufgeflammt ist. Es wäre ja eine Verkürzung, jetzt alles auf die Motto-Diskussion zurückzuführen. In dem Antrag steht noch: Diese Regelung darf das Rad der Geschichte weder zurückdrehen noch aufhalten. - Wir haben in den letzten Monaten leider zu häufig nur den einen Teil dieser Erklärung gehört. Die Regelung darf das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen, aber auch nicht aufhalten. Das Rad der Geschichte dreht sich weiter - durchaus im Sinne einer friedlichen Verständigung zwischen uns und den Polen. Seien Sie versichert: Die Polen, auch die verantwortlichen kommunistischen Polen, sind in diesen Fragen häufig viel gelassener und viel verständnisvoller als manche Sprecher der Sozialdemokratie von heute.
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Lassen Sie mich zum Schluß noch eine Bemerkung anfügen. Wir haben hier heute eine ganze Reihe von Sympathiebekundungen für die Vertriebenen gehört. Wir haben aber auch registriert, daß im gleichen Atemzuge der Versuch gemacht wurde, die Vertriebenen auseinanderzudividieren.
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Es ist einfach unredlich, so zu tun, als wären die gewählten Sprecher und Vorsitzenden der Verbände irgendwelche wildgewordenen Funktionäre, die mit der hervorragenden Arbeit und der Integration der Vertriebenen nichts zu tun haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das sind die
Leute, die jahrzehntelang für ihre Landsleute tätig waren.
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Wir sollten sie nicht auseinanderdividieren, und wir sollten sie bei den Bemühungen - manches ist in diesen Kreisen natürlich gar nicht so leicht durchzusetzen - um einen friedlichen Weg nach vorn in eine freie Zukunft dieses ganzen Kontinents unterstützen und sie nicht rügen.
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Ich danke Ihnen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bahr.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Klein, nicht die Sozialdemokraten haben den Versuch gemacht, Unterschiede in Ihrer Partei oder zwischen CDU und CSU oder zwischen FDP und den Unionsparteien zu erfinden, sondern das ist das Ergebnis dessen, was wir in der Zeitung lesen konnten.
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Es war doch Herr Hupka, der einen Unterschied zwischen Kohl und Genscher festgestellt hat. Es war doch Herr Hupka, der gesagt hat, die Festlegung von Herrn Genscher gefalle ihm nicht. Übrigens: Die Festlegung des Herrn Bundespräsidenten hat ihm auch nicht gefallen.
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- Wenn Sie die Festlegung des Herrn Bundespräsidenten bejahen, werden Sie auch keinen Unterschied zum deutschen Außenminister mehr sehen.
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Der Unterschied ist doch klar, auch durch die Feststellungen, die die Kollegen von der FDP gemacht haben.
Herr Kollege Klein, Sie erinnern sich doch noch an das, was Herr Tandler gesagt hat. Auch er hat doch die Unterschiede festgestellt. Es gibt sie doch.
Meine Damen und Herren, wir haben doch heute genau hingeguckt.
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- Nein, wir haben auch gesehen, Herr Kollege Hupka, daß Sie und Herr Kollege Czaja eben keinen Beifall gegeben haben auf das, was Herr Rühe gesagt hat,
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was aber den Beifall des Hauses gefunden hat.
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- Nein, aber natürlich nicht. Wir stellen ja nur fest. Wer würde wagen, Ihnen Vorschriften machen zu wollen?
Meine Damen und Herren, das erste Motto, das vorgeschlagen war, war ehrlich. Das zweite Motto hat diese Ehrlichkeit verändert. Erst das hat doch die Frage nach der Ehrlichkeit der deutschen Politik aufgeworfen.
Meine Damen und Herren, hier ist in Wirklichkeit natürlich die Frage nach der Kontinuität gestellt. Man kann alles das, was die sozialliberale Koalition in bezug auf Osteuropa - insbesondere auf Polen - gemacht hat, sehr vereinfacht unter das Motto stellen: „Wir haben die Grundlage dafür gelegt, daß -aus den Problemen der Vergangenheit keine Probleme mehr für die Zukunft entstehen sollen."
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Herr Abgeordneter Bahr, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Nein.
Meine Damen und Herren, dies ist der eigentliche Punkt: Wer heute die Frage nach der Oder-Neiße-Linie wiederbelebt, der sorgt in Wirklichkeit dafür, daß die Grundlage der Ostverträge verletzt wird.
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Wir Sozialdemokraten haben überhaupt keinen Anlaß, auch nur einen Millimeter oder den Bruchteil eines Millimeters von dem abzugehen, was politisch und nicht nur rechtlich mit den Verträgen erreicht worden ist.
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Ich muß hinzufügen: Wer so tut, als könne man die Frage der Oder-Neiße-Grenze noch einmal aufwerfen, der ist natürlich kein Revanchist; denn um Revanchist zu sein, muß man beißen können. Und die das tun, haben ja gar keine Zähne. Aber Revisionismus ist das. Wenn das kein Revisionismus ist, gibt es gar keinen mehr! Ich wüßte gar nicht, wie das dann wäre! Herr Bundeskanzler, dies ist etwas, was ich mit dem Kollegen Ehmke bedaure.
Ich glaube, daß die Diskussion des heutigen Nachmittags sehr gut war und auch sehr nützlich und auch sehr klärend und dazu beigetragen hat, daß in Grundfragen - insbesondere in der Frage des deutsch-polnischen Vertrages - ein Grundkonsens bei diesen Fraktionen hergestellt worden ist, der künftig - ich sage das jetzt einmal - die „Czaja-und-Hupka-Position" wirklich und erklärtermaßen zu einer Minderheitsmeinung macht.
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Das ist ja doch nur zu begrüßen.
Ich habe genau hingehört; ich werde es auch noch einmal genau nachlesen. Sie haben alles das, was gesagt worden ist, unterstrichen und Dokumente zitiert. Gegen alle diese Zitate ist ja gar nichts zu sagen. Ich gebe ja zu, daß es auch noch eine besondere Bedeutung und ein besonderes Gewicht hat, wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland von dieser Stelle aus diese Zitate macht. Aber was ich vermißt habe - und was ich bedaure -, ist: Ich hätte ein persönliches Wort erwartet: Ich, Helmut Kohl, bin dieser Auffassung.
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Wer das Bild vom Kniefall des deutschen Bundeskanzlers in Warschau durch die Diskussion um die Revision der Oder-Neiße-Linie ersetzt, der versündigt sich an unserem Volk, übrigens auch an den Vertriebenen und auch an Europa.
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Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 7. Februar 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.