Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Fragestunde
- Drucksache 10/2762 Wir beginnen mit den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen. Für die Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Rawe zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Frau Reetz auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung juristische Bedenken gegen den neuen Service der Deutschen Bundespost, Rabattkarten an den Postschaltern gegen bar einzutauschen, und wie beurteilt sie Befürchtungen, dieser Dienst könne die Ansprüche der Postkunden auf gleichberechtigte, schnelle Abfertigung ihrer eigentlichen postalischen Wünsche beeinträchtigen?
Herr Präsident, wenn die Frau Kollegin Reetz einverstanden ist, würde ich wegen des Sachzusammenhangs um die Erlaubnis bitten, die nachfolgende Frage gleich mitzubeantworten.
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Einverstanden. Dann rufe ich auch Frage 2 der Abgeordneten Frau Reetz auf:
Für welche Kunden außer dem Waschmittelkonzern Procter & Gamble wird dieser Service zu welchem Preis übernommen?
Frau Kollegin Reetz, die Dienstleistung der Deutschen Bundespost „Einlösung von Treuerabattkarten" ist ein auf ein Jahr begrenzter Betriebsversuch. Für diesen Betriebsversuch sieht die Deutsche Bundespost keine rechtlichen Bedenken. Der Versuch ist als vornutzungsrechtliche Regelung für eine Einbeziehung in die Postgiroordnung anzusehen, da er, den Marktbedürfnissen folgend, ein Teil des Postgirodienstes ist.
Befürchtungen, die neue Dienstleistung könne andere Postdienstleistungen negativ beeinflussen, sind unbegründet. Der Betriebsversuch wird nur in Zusammenarbeit mit der Firma Procter & Gamble durchgeführt. Beabsichtigt ist, diese Dienstleistung nach positivem Versuchsverlauf nutzungsrechtlich zu regeln und damit allen Interessenten zu gleichen Bedingungen zugänglich zu machen.
Erkenntnisse über die Höhe der dann für die Dienstleistung festzusetzenden Gebühren soll der laufende Betriebsversuch vermitteln. Während des Betriebsversuchs erhält die Deutsche Bundespost ein Entgelt in Höhe von 2 DM für jede eingelöste Karte.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, ist es nicht eine ungerechtfertigte Bevorzugung dieses Waschmittelkonzerns, wenn Sie in diesen Betriebsversuch nur einen Konzern einbeziehen?
Verehrte Frau Kollegin, die Deutsche Bundespost sieht das nicht so; denn wir sind j a auch bislang schon mit der Abwicklung solcher Rabattkarten betraut gewesen. Sie wissen, daß sie als Post mit uns zu der Firma versandt worden sind, und meistens ist die Rückvergütung dann auch über uns, entweder über Postgiro oder bar, gelaufen, je nachdem, wie die Kunden ihre Adressen angegeben haben. Dies ist, wenn Sie so wollen, ein vereinfachtes Verfahren, das wir aber natürlich erst erproben müssen. Zunächst hatte sich nur diese eine Firma um ein solches vereinfachtes Verfahren bemüht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, ist es eine Ausnutzung der Monopolstellung, oder dürfen diese Rabattkarten auch an anderen Orten, z. B. Läden, eingetauscht werden? Ist dies nur bei der Bundespost oder allgemein möglich?
Die Deutsche Bundespost sieht darin keine Ausnutzung der Monopolstellung. Ich sagte, sie wird diesen Dienst dann als
einen Teil des Postgirodienstes regeln, wenn der Betriebsversuch erfolgreich abgeschlossen ist. Dies ist ein Versuch, ich will das deutlich wiederholen.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft. Der Fragesteller der Frage 3, der Abgeordnete Stiegler, hat um schriftliche Beantwortung seiner Frage gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Wir kommen jetzt zu der Frage aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Köhler zur Verfügung. Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Jagoda auf:
Wie hat die Bundesregierung das Ankara-Abkommen von 1972 eingehalten?
Herr Kollege Jagoda, die Bundesregierung und die Regierung der Republik Türkei haben 1972 zur Förderung der Wiedereingliederung türkischer Arbeitnehmer zwei Abkommen geschlossen - ich darf Ihre Frage so beantworten, daß ich über beide Abkommen Auskunft gebe -, und zwar erstens das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Türkei über die Förderung der beruflichen Wiedereingliederung von in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten türkischen Arbeitnehmern in die türkische Wirtschaft und das Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Türkei über die finanziellen Maßnahmen zur Einrichtung eines Kreditsonderfonds im Zusammenhang mit der Förderung der beruflichen Wiedereingliederung von in der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten türkischen Arbeitnehmern in die türkische Wirtschaft.
Die Bundesregierung hat in den Jahren 1972 bis Ende 1984 für dieses Programm rund 100 Millionen DM bereitgestellt, davon 69 Millionen DM für den Kreditsonderfonds. Die türkische Seite hat für den Kreditsonderfonds Mittel in gleicher Höhe zur Verfügung gestellt. Sie beteiligt sich auch an den Kosten für Planungs- und Beratungsmaßnahmen.
Folgende entwicklungspolitisch wesentliche Ergebnisse wurden erreicht:
Erstens. Schaffung von zirka 15 000 Arbeitsplätzen durch Arbeitnehmergesellschaften. Arbeitnehmergesellschaften sind am Zuwachs von Arbeitsplätzen in Mittel- und Großbetrieben der Türkei mit über 15 % beteiligt.
Zweitens. Arbeitnehmergesellschaften haben zirka 48 % ihrer Arbeitsplätze in Provinzen geschaffen, in denen bislang nur 12,2 % aller Industriebeschäftigten tätig sind und die jetzt noch als unentwickelt gelten oder vorher diesen Status hatten.
Drittens. Einschließlich der Sekundäreffekte kann man davon ausgehen, daß zirka 27 000 Arbeitsplätze in der Türkei neu geschaffen wurden.
Danke schön. Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jagoda.
Herr Staatssekretär, liegen der Bundesregierung auch Zahlen vor, wieviel Personen eingegliedert worden sind, auch in Form von Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen der Bundesrepublik Deutschland?
Herr Kollege Jagoda, ich werde Ihre Frage sicher nicht voll zufriedenstellend beantworten können, weil ich Angaben über die Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Moment nicht quantifiziert zur Hand habe.
Es wird für Sie aber von Interesse sein, wenn ich darauf hinweise, daß eine Auswertung von deutscher und türkischer Seite nach zehn Jahren dieses Programms gerade die Frage untersucht hat, wie sehr es zur Wiedereingliederung türkischer Arbeitnehmer gekommen ist. Im Ergebnis ist dabei festgestellt worden, daß trotz großer wirtschaftlicher Schwierigkeiten die Arbeitnehmergesellschaften erhebliche Wachstumsimpulse in überwiegend schwach entwickelten Regionen ausgelöst haben. Aber es ist auch deutlich geworden, daß zu hohe Erwartungen an den Wiedereingliederungseffekt bei den Arbeitnehmergesellschaften nicht gestellt werden können. Nur etwa 3 % der insgesamt geschaffenen Arbeitsplätze werden von Rückkehrern eingenommen. Der Erfolg der Arbeitnehmergesellschaften liegt also mehr in der Schaffung von Arbeitsplätzen und weniger in der direkten Rückführung türkischer Arbeitnehmer.
Danke schön. Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Voss zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß das in Grundeigentum angelegte Vermögen in der Bundesrepublik Deutschland nicht angemessen besteuert wird, und wenn ja, welche Folgerungen zieht sie daraus?
Herr Kollege Dr. Sperling, erlauben Sie, daß ich Ihre Fragen 5 und 6 wegen des Sachzusammenhangs im Zusammenhang beantworte?
Gern.
Ich rufe daher zugleich die Frage 6 des Abgeordneten Dr. Sperling auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung in dieser Legislaturperiode ergreifen, um die Besteuerung von Immobilien und Grund und Boden zu ändern bzw. stärker an die Verkehrswerte anzupassen?
Bei den einheitswertabhängigen Steuern gelten - zum Teil mit einem Zuschlag von 40 % - die nach den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1964 ermittelten Einheitswerte.
Der Bundesminister der Finanzen hat am 30. September 1983 die Finanzminister der Länder um Stellungnahme gebeten, ob ein Gesetzesvorhaben zur Neubewertung des Grundbesitzes im Hinblick auf den für die Länderfinanzverwaltungen und für die Steuerpflichtigen damit verbundenen erheblichen sachlichen und personellen Aufwand von der Bundesregierung eingeleitet werden solle.
Die Konferenz der Länderfinanzminister hat hierauf - wie bereits in der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion der GRÜNEN dargelegt - am 1. März 1984 und erneut am 28. September 1984 die hiermit zusammenhängenden Fragen erörtert. Sie vertrat die Auffassung, daß eine allgemeine Neubewertung des Grundbesitzes in den nächsten Jahren nicht in Betracht kommen kann. Die Steuerverwaltung wäre in dem vorgenannten Zeitraum kaum in der Lage, eine sehr verwaltungsaufwendige Hauptfeststellung durchzuführen.
Bei dieser Sachlage ist die Bundesregierung - wie bereits auf die schriftliche Frage des Kollegen Ibrügger am 13. März 1984 ausgeführt - der Auffassung, daß eine gesetzgeberische Initiative für eine Neubewertung des Grundbesitzes nicht mehr in dieser Legislaturperiode ergriffen werden kann.
Eine Zusatzfrage?
Herr Staatssekretär, halten Sie denn für die Bundesregierung die gegenwärtige ungleiche Behandlung von Grundvermögen und anderem Vermögen für gerechtfertigt?
Herr Kollege, die Frage ist so kaum zu beantworten. Es gibt eine gewisse Diskrepanz zwischen den einzelnen Vermögenswerten und Vermögensarten. Aber diese Diskrepanz ist ja beispielsweise durch den 40%igen Zuschlag, den wir auf die Einheitswerte von 1964 im wesentlichen erheben, in gewisser Weise ausgeglichen.
Herr Staatssekretär, heißt dieses „in gewisser Weise", daß die Bundesregierung glaubt, der Wert, der der Besteuerung zugrunde gelegt wird, und der Verkehrswert seien einander nahe?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat alles getan, um die Länderfinanzminister, die für eine Neubewertung an sich zuständig sind, auf die sich hier stellenden Fragen aufmerksam zu machen. Aber die Länderfinanzminister haben mit Mehrheit erklärt - beispielsweise das Land Nordrhein-Westfalen hat gegen eine Neubewertung gestimmt -, eine Neubewertung zur Zeit nicht durchführen zu wollen.
Herr Staatssekretär, ist es dann richtig, daß die Länderfinanzminister, da ihre
Behörden Schwierigkeiten haben, die Bundesregierung dazu verführen, etwas für nicht ungerecht zu erklären oder für gerecht zu halten, weil eben diese Verwaltungsschwierigkeiten bestehen?
Herr Kollege Dr. Sperling, die Bundesregierung muß Schwierigkeiten bei der Durchführung eines derart aufwendigen Verfahrens, die die Länder betreffen würden, durchaus berücksichtigen.
Ist der Bundesregierung denn bisher nicht eingefallen, ob man das Ganze nicht auch unbürokratisch machen könnte und durch unbürokratische Verfahrensweisen der Gerechtigkeit freieren Lauf gewähren könnte?
Herr Kollege Sperling, Sie können davon ausgehen, daß die Bundesregierung in bezug auf notwendige Maßnahmen immer das unbürokratischste und das effektivste Verfahren wählt.
({0})
Weitere Zusatzfragen werden nicht begehrt.
Ich komme zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Gallus zur Verfügung.
Ich rufe Frage 71 des Herrn Abgeordneten Dr. Ehmke ({0}) auf:
Trifft es zu, daß in Europa ({1}) jedes Jahr ca. 50 v.H. der Nester des geschützten Wanderfalken vor allem von organisierten westdeutschen Nesträubern ausgenommen, die Eier ausgebrütet und ca. 3 000 dieser Art nachgezogene Wanderfalken in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland zum Kauf angeboten werden, und mit welchen Maßnahmen will die Bundesregierung der unbefriedigenden Rechtslage und dem Treiben solcher Nesträuber ein Ende bereiten?
({2})
- Dies ist in der Fragestunde nicht möglich.
({3})
- Offensichtlich besteht nicht nur politische Übereinstimmung, sondern auch eine gewisse äußere Ähnlichkeit, Herr Abgeordneter.
Ich bitte, die Beantwortung der Frage vorzunehmen.
Herr Kollege Ehmke, die Bundesregierung kann die Zahlen über den Nestraub bei Wanderfalken und deren Verkauf nicht bestätigen, obgleich auch ihr Fälle dieser Art in der Vergangenheit bekanntgeworden sind.
Zur Situation in der Bundesrepublik möchte ich auf folgendes hinweisen: Der Wanderfalke unter8592
liegt als ganzjährig geschonte Art dem Jagdrecht und ist zugleich über die Bundesartenschutzverordnung als Art des Anhangs I des Washingtoner Artenschutzübereinkommens den naturschutzrechtlichen Besitz- und Verkehrsverboten der Länder unterstellt. Daraus folgt, daß bereits nach geltendem Recht illegale Entnahmen aus der heimischen Natur unter Strafandrohung verboten sind und für den Besitz, Verkauf oder das Anbieten zum Verkauf eine besondere Berechtigung vorliegen muß, die von dem Betroffenen im Einzelfall nachzuweisen ist.
Darüber hinaus gibt es in einer Reihe von Bundesländern Vorschriften, die das Halten von Wanderfalken grundsätzlich verbieten oder einschränken und eine Kennzeichnungs- und Anzeigepflicht begründen.
Schließlich besteht, bezogen auf das Gebiet der Europäischen Gemeinschaft, seit dem 1. Januar 1984 ein unmittelbar geltendes gemeinschaftsrechtliches Verbot der kommerziellen Verwertung. Die illegale Ein- oder Ausfuhr von Wanderfalken oder Falkeneiern kann nach dem Durchführungsgesetz zur EG VO Nr. 3626/82 mit einer Geldbuße bis zu 100 000 DM geahndet werden.
Die Bundesregierung strebt an, das bereits bestehende rechtliche Instrumentarium zum Schutz der Greifvögel weiter zu verbessern und durch eine bundeseinheitliche Regelung insbesondere die Kontrolle der Haltung und der Zucht zu erleichtern. So ist vorgesehen, in der zur Zeit vorbereiteten Bundeswildschutzverordnung auf der Grundlage des Bundesjagdgesetzes das Halten heimischer Greife und Falken nur noch unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen zu erlauben und eine generelle Anzeige- und Kennzeichnungspflicht für gehaltene Tiere dieser Arten einzuführen. Diese Regelung soll, nach Schaffung der entsprechenden Verordnungsermächtigung im Bundesnaturschutzgesetz im Rahmen der Artenschutznovelle, im Sinne einer umfassenden Greifvogelhalterregelung erweitert werden.
Eine Zusatzfrage, bitte, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, ich bedanke mich für die ausführliche Antwort. Ich möchte Ihnen aber trotzdem noch einmal eine Frage stellen. Nachdem Sie meine Zahlen nicht bestätigen konnten, muß ich feststellen, daß die Zollfahnder hier offensichtlich besser orientiert sind. In der Zeitschrift „Wir und die Vögel" werden Zahlen genannt, die weit über das hinausgehen, was ich in meiner Frage zum Ausdruck gebracht habe; in dieser Zeitschrift wird von 8 000 Greifvögeln gesprochen, die jährlich als Ersatz bereitgestellt werden müssen. Ich komme zu der Frage, wieso es dann erstmalig im Jahre 1984 gelungen ist, einen Greifvogelschmuggler zu stellen und auch vor Gericht zu verurteilen, wenn die Rechtslage und der Vollzug so gut sind, wie Sie das eben darzustellen versucht haben. Wirft das nicht ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Defizite beim Vollzug und auch auf die rechtlichen Defizite beim Greifvogelschutz?
Herr Kollege, die rechtliche Situation habe ich Ihnen dargelegt. Bekanntlich gilt auch für diesen Bereich ein altes Sprichwort: „Die Nürnberger hängen keinen, sie hätten ihn denn." Wer die Situation in diesem Bereich und die Summen, um die es da geht, kennt, weiß auch, mit welchen Methoden dort vorgegangen wird. Es ist sehr schwer für die zuständigen Stellen, der entsprechenden Leute habhaft zu werden.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Ehmke.
Herr Staatssekretär, wann wird die Bundesregierung endlich solche illegalen Handlungen zu Straftatbeständen erheben?
Herr Kollege, das ist jetzt schon im Rahmen der jagdrechtlichen Möglichkeiten gegeben, die bei uns Wirkung haben. Das andere wird, wie ich gesagt habe, in der Wildschutzverordnung und der Artenschutznovelle im Zusammenhang mit der Neuregelung des Bundesnaturschutzgesetzes in beiden Bereichen geregelt werden.
({0})
- Der Entwurf zur Änderung des Naturschutzgesetzes wird in den nächsten Monaten eingebracht werden. Im Zusammenhang damit wird gleichzeitig die Wildschutzverordnung eingebracht.
Danke schön. Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Reetz.
Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Zuständigkeiten für den Artenschutz zwei verschiedenen Oberbehörden zu übertragen sind? Warum können diese Zuständigkeiten nicht ausschließlich dem Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft unter Verstärkung des Fachpersonals zugewiesen werden?
Frau Kollegin, auch das wird geregelt.
Ich darf zu der vorherigen Frage Herrn Ehmke noch sagen, daß die Artenschutznovelle voraussichtlich im März dem Bundesrat zugeleitet wird.
Danke schön. Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung bekannt, daß die organisierten Nesträuber bestens ausgestattet sind, z. B. mit Pkw- transportablen 12-Volt-Brutmaschinen, und so ihre Raubzüge im Ausland unternehmen?
Herr Kollege, die Bundesregierung ist in dieser Hinsicht für das Ausland nicht zuständig. Wir wissen, daß in Island z. B. gegen Deutsche auch Strafverfahren eingeleitet werden. Dieser Fall ist mir selber vorgetragen worden, als ich vor einigen Monaten in Island war.
Danke schön. Damit sind die Fragen beantwortet.
Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Dr. Ehmke auf:
Ist die Bundesregierung der Meinung, daß ihr Entwurf einer Artenschutznovelle ein geeignetes Instrument darstellt, um das bei den Ländern herrschende Rechts- und Vollzugsdefizit in Sachen Greifvogelschutz wirksam abzubauen, und wie begründet sie dies?
Herr Kollege, die Novellierung des Artenschutzrechts verfolgt generell das Ziel, den Schutz bestandsbedrohter Arten wie des Wanderfalken durch strikte, bundeseinheitliche Besitz- und Vermarktungsverbote abzusichern. Hierzu ist im Referentenentwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes u. a. vorgesehen, besonders schwerwiegende Verstöße gegen die Ein- und Ausfuhrvorschriften beim Handel mit Wanderfalken künftig mit Freiheitsstrafe zu ahnden. Ferner sollen die Beschlagnahme- und Einziehungsmöglichkeiten in den Fällen des illegalen Besitzes verbessert werden. Nach Auffassung der Bundesregierung stellen die vorgeschlagenen Neuregelungen ein geeignetes Instrument dar, auch den Greifvogelschutz auszubauen und Mißbrauchsfälle der beschriebenen Art weiter einzuschränken.
Danke schön. Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, Sie erwähnten eben eine geplante Wildschutzverordnung. Die geht j a auf das Bundesjagdrecht zurück. Trifft es zu, daß ein großer Teil des Rechts- und Vollzugsdefizits, das ich vorhin schon ansprach, wesentlich dadurch verursacht wird, daß die Zuständigkeiten für den Greifvogelschutz auf Jagdbehörden und Naturschutzbehörden auf gesplittert sind und daß sich diese Behörden auf Kreisebene - bei der unteren Jagdbehörde, der unteren Naturschutzbehörde - oft gegenseitig blokkieren? Welche Maßnahmen will die Bundesregierung ergreifen, um diese schädliche Rechtsaufsplitterung wirksam zu beseitigen,
Herr Kollege, die Wanderfalken unterstehen dem Jagdrecht. Das ist richtig. Aber schon dort sind wesentlich härtere Maßnahmen möglich als z. B. heute nach dem Bundesnaturschutzgesetz. Es ist nicht ohne weiteres möglich, das, was im Jagdgesetz geregelt ist, nun in die Artenschutznovelle zum Naturschutzgesetz zu überführen. Bei solch wichtigen Bereichen wie gerade hier werden nach beiden Gesetzen die entsprechenden Maßnahmen ergriffen.
Deshalb bringt die Bundesregierung auch die Bundeswildschutzverordnung zusammen mit der Artenschutznovelle ein. Nach Lage der Dinge wird es jedenfalls so sein, daß die Bundeswildschutzverordnung in Kraft treten wird, bevor die Artenschutznovelle im Rahmen des Naturschutzgesetzes vollzogen wird. In bezug auf den Schutz der Greifvögel werden sich keineswegs Nachteile ergeben. In bezug auf den Vollzug bei den unteren Behörden kann ich keine Auskunft geben.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Ehmke.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß die Bundesregierung bisher keine Maßnahmen geplant hat, um den illegalen Greifvogelhandel durch individuelle und sichere Kennzeichnung, also Beringung von Greifvögeln in Gefangenschaft, zu verhindern?
Herr Kollege, wir wissen, daß gerade Kennzeichnung eine wichtige Rolle spielt. Sie ist j a, wie ich gesagt habe, mit der Novellierung vorgesehen, auch dort, WO Greifvögel mit Genehmigung gehalten werden. Hier ist sicher eine Lücke zu schließen. Das bedeutet aber nicht, daß nach der bestehenden Rechtslage von den Ländern nicht heute schon alles unternommen werden kann, um Fehltritte auf diesem Gebiet zu verfolgen.
Danke schön. Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich der Abgeordnete Klejdzinski gemeldet. Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, welche Möglichkeiten sehen Sie, bei der Novellierung der Artenschutznovelle beispielsweise darauf hinzuwirken, daß Singvögel nicht mehr im Ausland gefangen und in die Bundesrepublik Deutschland geschmuggelt werden, um hier abgesetzt zu werden?
Herr Kollege, auch hier gilt für die Singvögel, soweit sie dem Anhang I des Washingtoner Artenschutzabkommens unterliegen, daß es verboten ist, mit ihnen zu handeln. Soweit sie dem Anhang II unterliegen, müssen Bescheinigungen vorgelegt werden. Auf dieser Basis ist es heute schon möglich, entsprechende Verstöße gegen das Washingtoner Artenschutzabkommen zu ahnden. Natürlich wird das in bezug auf unseren nationalen Rechtsbereich in der kommenden Artenschutznovelle alles noch einmal im Detail geregelt werden. Ich kann jetzt keine Auskunft über die einzelnen Passagen des Referentenentwurfs geben, bin aber, wenn die Beratungen in den Ressorts von uns abgeschlossen sind, gern bereit, Ihnen entsprechend Auskunft zuteil werden zu lassen.
Zu einer weiteren Zusatzfrage hat sich Frau Abgeordnete Reetz gemeldet.
Herr Staatssekretär, soll in Zukunft die Praxis beibehalten werden, daß illegal importierte Wanderfalken über Gefangenschaftszuchten in Auswilderungsprogramme eingeschleust oder zum Ersatz von Beizjagdverlusten der bodenständigen Wildpopulation zugeführt werden?
Frau Kollegin, Sie sprechen ein für uns sehr schwieriges Problem an: nicht nur bezüglich der Greifvögel, sondern für alle Tiere, die wir beschlagnahmen müssen, dafür zu sorgen, daß sie entweder wieder in ihre Heimat zurückkommen oder in Freiheit gesetzt werden oder in Zoos kommen oder daß andere, bessere
Wege gefunden werden, um mit dem Problem fertig zu werden. Ich kann Einzelheiten dessen, was alles vorgesehen ist, um das in der besten Weise zu vollziehen, im Augenblick nicht darlegen.
Danke schön.
Wir kommen zu der Frage 73 des Abgeordneten Kißlinger:
Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, nach denen sie die Bestrebungen einiger EG-Mitgliedstaaten ablehnt, den Ausgleich für den Abbau des Währungsausgleiches nicht als Vorsteuerpauschale, sondern als getrennte Beihilfe zu behandeln, um damit zu verhindern, daß auch landwirtschaftliche Produzenten Beihilfen erhalten, deren Produkte gar nicht unter den Währungsausgleich fallen, und warum wird dies von der Bundesregierung abgelehnt?
Herr Kollege, Berichte von den Beratungen über die 20. EG-Richtlinie zur Harmonisierung der Umsatzsteuern, wie sie in Ihrer Frage dargestellt werden, geben den Sachverhalt nicht zutreffend wieder. Der Richtlinienvorschlag der Kommission sieht vor, den Einkommensausgleich über die Umsatzsteuer für die deutschen Landwirte EG-rechtlich abzusichern. Das entspricht den in der ersten Hälfte des Jahres 1984 getroffenen Vereinbarungen und ist zu begrüßen.
Abweichend von der gesetzlichen Regelung der Bundesrepublik Deutschland sollte aber nach dem Vorschlag der Kommission, der von Mitgliedstaaten unterstützt wird, die Sonderbeihilfe in den Rechnungen der Pauschallandwirte und den Steuererklärungen ihrer Abnehmer neben der Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen werden. Dies wird vor allem mit einer zutreffenden Berechnung der EG-Eigenmittel begründet.
Die Bundesregierung lehnt eine Trennung von Steuer und Beihilfen ab, weil sie zu verwaltungsmäßigen Erschwernissen bei den Pauschallandwirten, ihren Abnehmern und der Finanzverwaltung führen würde, die nicht gerechtfertigt erscheinen. Außerdem würde damit die Anwendung des allgemeinen Abgabenrechts auf die Beihilfebeträge in Frage gestellt. Nach Auffassung der Bundesregierung können die beihilfebedingten Umsatzsteuermindereinnahmen bei der Ermittlung der EG-Eigenmittel hinreichend genau mit Hilfe der Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung berücksichtigt werden. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß sich auch Bundestag und Bundesrat in Entschließungen gegen den getrennten Ausweis ausgesprochen haben.
Neben der Forderung einer Trennung von Steuer und Beihilfe ist von einzelnen Mitgliedstaaten - nicht jedoch von der Kommission - eine Einschränkung des Anwendungsbereichs der Sonderbeihilfe zur Sprache gebracht worden. Dies hat jedoch mit der Trennung von Steuer und Beihilfe nichts zu tun.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, glaubt die Bundesregierung nicht, daß bei Einsparung dieser ungerechtfertigt ausgegebenen Mittel wirklich hart betroffenen landwirtschaftlichen Betrieben, insbesondere in Bergregionen, wirklich mehr geholfen werden könnte? Wenn sie, die Vorsteuerpauschale nicht in der Form abgeben würden, dann würden die Betriebe, die wirklich betroffen sind, das bekommen, was sie brauchten; die haben nämlich von der Sache gar nichts.
Herr Kollege, Sie wissen, daß durch den Abbau des positiven Grenzausgleichs zum 1. Januar 1985 die Preise praktisch um 5% sinken, und dafür ist dieser Vorsteuerabzug schon ab 1. Juli 1984 gewährt worden.
Die Preise sinken umsatzbezogen, und die Vorsteuer wirkt sich umsatzbezogen aus. Insofern kann man nicht sagen, sie wirkten in gewissen Bereichen nicht. Sie wirken bei dem, der weniger Umsatz hat, weniger als bei dem, der mehr Umsatz hat; das stimmt. Weil die Betriebe in den benachteiligten Gebieten in der Regel weniger Umsatz haben - Schwierigkeiten der Bewirtschaftung kleinerer Betriebe -, hat sich die Bundesregierung dazu durchgerungen, im Haushalt 1985 zusätzlich 125 Millionen DM für die Unterstützung der Betriebe in den benachteiligten Gebieten zur Verfügung zu stellen.
Wünschen Sie eine weitere Zusatzfrage? - Das ist nicht der Fall.
Dann rufe ich die Frage 74 des Abgeordneten Kißlinger auf:
Trifft es gleichfalls zu, daß von einigen Mitgliedstaaten gefordert wurde, den Ausgleich nicht umsatz-, sondern flächenbezogen zu gewähren, und warum wird diese Forderung ebenfalls von der Bundesregierung abgelehnt?
Herr Kollege, es trifft nicht zu. Kein Mitgliedstaat hat einen flächenbezogenen Ausgleich gefordert.
({0})
Keine Zusatzfrage.
Die Fragen 75 und 76 des Abgeordneten Eigen und die Frage 77 des Abgeordneten Hinsken sollen schriftlich beantwortet werden. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
Die Frage 78 des Abgeordneten Hinsken ist zurückgezogen worden.
Herr Staatssekretär, ich möchte mich für die Beantwortung bedanken.
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Hennig zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Hiller ({0}) auf:
Wann wurde die Bundesregierung von der DDR über die durch die Erweiterung des Küstenmeeres der DDR verursachte neue Regelung des „Aufenthaltes ausländischer Wasserfahrzeuge" informiert, und wann hat sie ihrerseits die Betroffenen in der Bundesrepublik Deutschland ({1}) davon in Kenntnis gesetzt?
Herr Kollege Hiller, erste Kenntnis von der Ausweitung des Küstenmeeres der DDR erhielt die Bundesregierung am 2. Januar 1985 durch eine Meldung der Nachrichtenagentur ADN. Das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR stellte der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland am 2. Januar 1985, also etwas später, eine Note zu, die die Koordinaten der seewärtigen Begrenzung des Küstenmeeres der DDR enthielt. Für den vollen Wortlaut der Zweiten Durchführungsverordnung vom 20. Dezember 1984 zum Grenzgesetz der DDR wurde auf das Gesetzblatt der DDR verwiesen. Dieses war erst im Laufe des 3. Januar 1985 zugänglich. Die zuständigen Stellen der Bundesregierung und die Landesregierung von Schleswig-Holstein sind jeweils sofort über vorliegende Informationen unterrichtet worden. Diese haben auf dieser Grundlage Presseanfragen beantwortet. Zoll und Bundesgrenzschutz wurden von den Fachressorts jeweils unverzüglich entsprechend dem Informationsstand der Bundesregierung unterrichtet. Ebenso hat der Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Anfragen aus Fischereikreisen beantwortet. Am 11. Januar 1985 hat die Bundesregierung darüber hinaus eine ausführliche Bewertung der Gesamtproblematik mitgeteilt.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.
Herr Staatssekretär, hat die DDR, als die Bundesrepublik ihre Territorialgewässer in der Deutschen Bucht erweiterte, zu erkennen gegeben, daß sie dadurch ihre Interessen oder die der DDR-Fischer berührt gesehen hat?
Herr Kollege Hiller, ich will zunächst sagen, daß die Bundesregierung es sehr begrüßt hätte, wenn die DDR vor der Erweiterung ihres Küstenmeeres das Gespräch mit der Bundesregierung gesucht hätte. Dies hätte auch Gelegenheit geboten, Unklarheiten aufzuklären und Meinungsverschiedenheiten vorab beizulegen. Konsultationen hätten vor allem auch der Verpflichtung zur Entwicklung gutnachbarlicher Zusammenarbeit entsprochen.
Die Bundesregierung - darauf heben Sie ab - hat sich seinerzeit anders verhalten, als sie in der Nordsee aus Gründen der Sicherheit, vor allem zur Vermeidung von Tankerunfällen, ihr Küstenmeer im Bereich der Einfahrt nach Wilhelmshaven erweitert hat. Das Problem ist Ihnen unter dem Stichwort „Boxenlösung" bekannt. Wir haben die DDR damals rechtzeitig, umfassend und detailliert unterrichtet. Sie hat damals allerdings keine gravierenden eigenen Bedenken vorgetragen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wie erklären Sie sich, daß Regierungsvertreter ständig erklären, daß die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR auf vielen Gebieten erfolgversprechend verlaufen, während die DDR jetzt ihrerseits in dieser einseitigen Form ohne vorherige Unterrichtung vorgegangen ist, und wie würden Sie dieses bewerten?
Herr Kollege Hiller, es ist leider eine Tatsache, daß es in einzelnen Bereichen mit der DDR auf verschiedenen Ebenen besser läuft als in anderen. Die Bundesregierung wertet dieses Verhalten als befremdlich. So hat es der Regierungssprecher Boenisch am 11. Januar ausdrücklich gewertet.
Danke schön.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, bei Ihrem Wortbeitrag bin ich zu der Überzeugung gekommen, daß Sie hier ein Überraschungsmoment vermitteln wollen. Ich frage Sie deshalb: Hätte Ihnen oder der Bundesregierung nicht bekannt sein müssen, daß man auf Grund der UN-Seerechtskonvention mit der Ausdehnung der Hoheitsgewässer - zumindest wenn man beitritt oder seine Zustimmung dazu gibt - hätte rechnen müssen?
Herr Kollege, Sie kennen die Debatte in unserem Hause auch über dieses Kapitel der Seerechtskonvention. Sie ist bisher nicht in Kraft getreten, so daß diese Maßnahme der DDR zu diesem Zeitpunkt in jedem Falle überraschend kam.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Grunenberg.
Herr Staatssekretär, auf welche Rechtsgrundlage wird sich die Regierung in Verhandlungen mit der DDR stützen? Bekanntlich ist die Bundesrepublik nicht Vertragspartei der Küstenmeerkonvention von 1958 und hat auch das Seerechtsübereinkommen nicht unterzeichnet.
Herr Kollege, wie bereits von mir erwähnt, steht das Vorgehen der DDR nach Auffassung der Bundesregierung im Widerspruch zu der in Art. 1 des Grundlagenvertrages übernommenen Verpflichtung, normale gutnachbarliche Beziehungen zu entwickeln.
Im übrigen darf ich in diesem Zusammenhang auch an die mündliche Vereinbarung zwischen der Regierung der DDR und der Bundesregierung anläßlich der Unterzeichnung des Grundlagenvertrages erinnern, sich im Zuge der Normalisierung der Beziehungen über Fragen von beiderseitigem Interesse zu konsultieren.
Darüber hinaus verstößt das einseitige Vorgehen der DDR auch gegen den allgemeinen Billigkeitsgrundsatz, daß in unklaren Situationen kein Staat berechtigt ist, durch ein einseitiges Vorgehen den anderen betroffenen Staat in Zugzwang und in eine nachteilige Verhandlungsposition zu bringen. Im Widerspruch hierzu hat die DDR in jenem Küstenbereich der DDR, in dem offenbar ist, daß die gegenseitige Abgrenzung in Einzelheiten schwierig ist und die Abgrenzung der Interessen eine vorherige Absprache erfordert hätte, ihr Küstenmeer einsei8596
tig und ohne vorherige Information und Konsultation mit den benachbarten und auch gegenüberliegenden Staaten festgestellt.
Danke schön.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Schmude.
von Schmude ({0}): Herr Staatssekretär, bewegt sich die DDR mit der Neufestlegung ihrer Hoheitsgrenzen in der Ostsee innerhalb des Völkergewohnheitsrechts, und verstößt die Neuregelung gegebenenfalls gegen die in Aussicht genommenen Bestimmungen des neuen Seerechts?
Herr Kollege von Schmude, die übergroße Mehrheit der Staatenwelt vertritt heute die Auffassung, daß eine Ausdehnung des Küstenmeeres auf 12 Seemeilen zulässig ist.
Was die Anwendung des Mittellinienprinzips durch die DDR betrifft, so vertritt die Bundesregierung allerdings die Auffassung, daß bei der Abgrenzung in der Lübecker und in der Mecklenburger Bucht die dortigen besonderen Umstände berücksichtigt werden müssen. Immerhin hat die DDR bei der Erweiterung ihrers Küstenmeeres die internationalen Schiffahrtswege in der Lübecker und in der Mecklenburger Bucht nicht in ihr Küstenmeer einbezogen.
Danke schön.
Wir kommen nunmehr zu Frage 8 des Abgeordneten Hiller ({0}):
Welche Auswirkungen hat die Ausweitung der Territorialgewässer der DDR für die Fischer bei Tonne 4 in bezug auf ihre Fänge und ihre Sicherheit?
Herr Kollege Hiller, im Bereich der Tonne 4 des Lübeck-GedserWeges - die Tonne 4 des Kiel-Ostsee-Weges liegt nordwestlich von Fehmarn - verläuft die Grenze der Fischereizone der DDR, die die DDR mit Wirkung vom 1. Januar 1978 in Anspruch nimmt und die den Fischern bekannt ist, nordwestlich der seewärtigen Grenze des Küstenmeeres der DDR. Die Erweiterung des Küstenmeeres der DDR hat also auch in diesem Bereich keine Auswirkungen auf den Fischfang.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter? - Bitte schön.
Herr Staatssekretär, würden Sie mir darin zustimmen, daß die Situation an der Grenzlinie noch nicht genau geklärt ist und daß amtliche Stellen die Fischer aufgefordert haben, eine Grauzone nicht mehr zu befischen, in der in der Vergangenheit sehr ertragreiche Fischgründe vorhanden waren?
Herr Kollege Hiller, das mit Wirkung vom 1. Januar 1985 erweiterte Küstenmeer der DDR erreicht nicht die räumliche Ausdehnung der seit dem 1. Januar 1978 von der DDR in Anspruch genommenen Fischereizone. Es gibt allerdings - insofern stimme ich Ihnen zu - eine geringfügige Unklarheit in der Lübecker Bucht im Bereich des Lübeck-Gedser-Weges. Es geht dabei um ungefähr 3,5 km2. Diese Unklarheit wird die Bundesregierung in dem angestrebten Gespräch mit der DDR zu beseitigen suchen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
({0})
- Entschuldigung, Herr Abgeordneter. Selbstverständlich, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wäre die Bundesregierung, wenn die Gespräche mit der DDR nicht zu dem gewünschten Erfolg führen, bereit, die Fischer für ihre Einbußen zu entschädigen?
Herr Kollege Hiller, es kann sich hier j a nur um ein sehr kleines Gebiet, über das Unklarheiten bestehen, handeln; ich habe diese 3,5 km2 erwähnt. Bei allem anderen ist die bisherige Fischereizone, die seit 1978 gilt, nicht erreicht, so daß zumindest zusätzliche Schäden im Vergleich zu der damals getroffenen Maßnahme nicht festzustellen sind.
Jetzt hat der Abgeordnete Klejdzinski zu seiner Zusatzfrage das Wort.
Herr Staatssekretär, welche Auswirkungen hat dieser neue Grenzziehungsakt auf uns, beispielsweise auf die Bewegungen des Bundesgrenzschutzes und der Marine in diesem Bereich?
Herr Kollege, dies hat natürlich Auswirkungen auf die Bewegungsmöglichkeiten des Bundesgrenzschutzes und der Bundesmarine und im übrigen natürlich auch auf die faktische Distanz, die Flüchtlinge aus der DDR zurückzulegen haben.
Danke schön.
Der Abgeordnete Grunenberg hat sich zu einer Zwischenfrage gemeldet. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wird die Bundesregierung ihrerseits das Küstenmeer der Bundesrepublik in der Ostsee erweitern?
Herr Kollege, für die Beantwortung dieser Frage in dieser generellen Form bin ich nun wirklich nicht zuständig. Ich kann Ihnen nur sagen, daß wir seinerzeit in der Nordsee anders gehandelt und dort keine 12-Meilen-Zone verkündet oder festgesetzt haben, sondern eine sehr spezifische Zone zur Vermeidung von Tankerunfällen, die teilweise darunter bleibt und teilweise darüber hinausgeht.
Danke schön.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten Carstensen.
Herr Staatssekretär, sind von seiten der aktiven Fischer an Sie schon Beschwerden wegen einer eventuellen Einengung bzw. Forderungen nach finanziellem Ausgleich für die Einbußen herangetragen worden?
Das ist mir in dieser Form nicht bekannt, Herr Kollege. Ich kann dazu nur sagen, daß wir bereits am 9. Januar eine sehr umfassende Ressortbesprechung durchgeführt haben, bei der auch das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und das Land Schleswig-Holstein vertreten waren, und daß wir auf Grund dieser sachkundigen Vorarbeiten jetzt zunächst einmal auf die DDR zugehen wollen.
Der Fragesteller der Fragen 9 und 10, Abgeordneter Heimann, hat um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe die Frage 11 des Abgeordneten Schlaga auf:
Ist die Bundesregierung bereit, die Fischer für die Nachteile durch die neue Regelung in der Ostsee zu entschädigen?
Die DDR hat mit Wirkung vom 1. Januar 1978 eine Fischereizone in Anspruch genommen. Die Grenzen dieser Fischereizone verlaufen seewärts des nunmehr von der DDR in Anspruch genommenen Küstenmeeres. Durch die Erweiterung des Küstenmeeres der DDR sind für den Fischfang in diesem Gebiet also keine Nachteile eingetreten. Ich verweise auf die kleine Ausnahme, die ich bereits vorhin festgestellt habe. Die Bundesregierung hat mit der DDR auf mehreren Ebenen Gespräche über Fangmöglichkeiten für schleswig-holsteinische Fischer in DDR-Gewässern geführt. Wir sind also ständig bemüht, die Situation unserer Ostseefischer zu verbessern. Die Einzelheiten sind den interessierten Kollegen bekannt. Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin bemühen, den Fischern in ihrer bedrängten Lage zu helfen. Ich möchte das heute hier nicht im einzelnen vertiefen.
Herr Abgeordneter Schlaga, wünschen Sie eine Zusatzfrage?
Ja.
Bitte schön.
Trotzdem, Herr Staatssekretär: Sieht denn die Bundesregierung eine Chance, die bereits begonnenen Verhandlungen mit der DDR über eine Ausdehnung der Fangrechte der Lübekker Stadtfischer, und zwar entlang der mecklenburgischen Küste, zu einem positiven Ergebnis zu bringen?
Herr Kollege, wir werden uns sehr darum bemühen. Über die Chancen möchte ich jetzt nicht spekulieren.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Schlaga? - Das ist nicht der Fall.
Abgeordneter von Schmude möchte eine Zusatzfrage stellen.
von Schmude ({0}): Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusammenhang den offensichtlich von der SPD übernommenen Standpunkt der DDR-Regierung, der einen Zusammenhang zwischen der völkerrechtlichen Regelung von Hoheitsgrenzen auf See und der Frage von Verfahrensregelungen auf der Elbe herstellt?
Herr Kollege von Schmude, es ist in der Bibel von einem Linsengericht die Rede. Ich möchte das nicht zu einer Fischsuppe verwässern.
Der Abgeordnete Hiller hatte sich zu einer Zusatzfrage gemeldet.
Herr Staatssekretär, ist sich denn die Bundesregierung darüber klar, daß sie mit der Haltung zu anderen Fragen im Bereich der DDR den Interessen der Fischer in der Lübekker Bucht mittelbar schadet?
Herr Kollege, ich kann nur noch einmal sagen: Wir werden uns nach Kräften bemühen, die Interessen der Betroffenen zu wahren, und suchen deswegen zu den aufgetretenen Unklarheiten und zur Wahrung der Interessen der Betroffenen das Gespräch mit der DDR. Aber wir müssen es ablehnen, einen Zusammenhang mit dieser Frage herzustellen.
Danke schön. - Weitere Zusatzfragen zu dieser Frage liegen nicht vor.
Dann bitte ich um Beantwortung der Frage 12 des Abgeordneten Schlaga:
Kann die Bundesregierung ausschließen, daß auf dem Lübeck-Gedser-Schiffahrtsweg, der sehr nahe an der neuen Grenze des DDR-Küstenmeeres vorbeiführt ({0}), Fähren und Reisende von DDR-Behörden kontrolliert werden?
Herr Kollege Schlaga, der Lübeck-Gedser-Weg ist Teil der Hohen See. Nach allgemeinem Seevölkerrecht stehen der DDR auf der Hohen See nicht die Befugnisse eines Küstenstaates gegenüber Schiffen mit der Flagge anderer Staaten zu.
Eine Zusatzfrage.
Wir haben unsere Erfahrungen, Sie auch, Herr Staatssekretär. Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr für kleinere und mittlere und veraltete Fährschiffe ein, die noch keine moderne Navigation, die sogenannte Deccanavigation haben, mit den neuen Seegrenzen bzw. mit den DDR-Wachbehörden in Konflikt zu geraten?
Herr Kollege, ich kann jetzt natürlich schlecht darauf spekulieren, was passiert, wenn Schiffe, wie weit auch immer,
von den festgelegten Linien abweichen. Aber die Frage, die Sie gestellt haben, geht j a dahin, ob auf Hoher See gegenüber einem Schiff mit der Flagge eines anderen Staates Hoheitsbefugnisse ausgeübt werden können. Hierzu kann ich nur sagen, daß das allgemeine Seevölkerrecht solche Möglichkeiten zum Eingriff auf der Hohen See nur unter zwei sehr eng umgrenzten Bedingungen kennt, nämlich unter dem Begriff der Nacheile und in Ausnahmefällen wie z. B. der Piraterie. Die Nacheile setzt voraus, daß sich das verfolgte Schiff vorher im Küstenmeer des verfolgenden Staates aufgehalten hat. Aber an diese Fälle haben Sie wahrscheinlich weniger gedacht.
Ich darf außerdem daran erinnern, daß die Ansteuerung Lübecks, die das Ende des Lübeck-Gedser-Weges bei Travemünde darstellt, dicht an der 1974 festgestellten Grenze zwischen den Küstenmeeren der Bundesrepublik Deutschland und der DDR entlang führt. Irgendwelche Schwierigkeiten sind der Bundesregierung in diesem Bereich allerdings nicht bekanntgeworden.
Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Schlaga.
Herr Kollege, ich habe mich mißverständlich ausgedrückt bzw. Sie haben es mißverstanden. Die Neuregelung vergrößert die Erschwernisse für nicht gut mit Navigationsmitteln bestückte Schiffe. Ich hatte gefragt, wie Sie diese Schwierigkeiten einschätzen, die dadurch entstehen, daß sich Schiffe auf fremdes Gebiet begeben, weil sie z. B. nur alle 20 Minuten Ortungen vornehmen.
Herr Kollege, ich möchte noch einmal darauf verweisen, daß uns Schwierigkeiten dieser Art bisher nicht bekanntgeworden sind. Wir hoffen, daß die - da gebe ich Ihnen recht - ein bißchen vergrößerten Probleme bei der Navigation nicht dazu führen, daß das eintritt, was Sie sagen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Grunenberg.
Herr Staatssekretär, als Bremerhavener muß ich sagen, daß ich eine bekömmliche Fischsuppe weit besser finde als ein schwer verdauliches Linsengericht.
({0})
Darüber hinaus steht schon in der Bibel, daß die 5 000 mit Brot, Wein und Fisch und nicht mit Linsen gespeist wurden.
Aber jetzt zur Frage: Auf welcher Grundlage beruht der Schiffahrtsweg 3 - dieser ist es ja wohl -, und wer hat ihn eingerichtet?
Herr Kollege, ich wäre dankbar, wenn ich diese Frage schriftlich beantworten dürfte. Es gehört normalerweise nicht zu den Obliegenheiten des Innerdeutschen Ministeriums, diese sehr spezifischen Fragen zu beantworten. Ich will das gerne nachholen.
Ich gehe davon aus, daß Sie damit einverstanden sind.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Schmude.
von Schmude ({0}): Herr Staatssekretär, hat es in der Vergangenheit Übergriffe der DDR- Behörden auf Schiffe oder Fähren der Bundesrepublik außerhalb der Hoheitsgewässer der DDR gegeben?
Das kann ich im Augenblick nicht bestätigen, Herr von Schmude. Mir ist dergleichen nicht bekannt. Aber auch das werde ich noch einmal nachprüfen.
Weitere Zusatzfragen werden nicht gewünscht.
Dann rufe ich die Frage 13 des Abgeordneten Büchler ({0}) auf:
Was bedeutet die neue Grenzlinie für den Bundesgrenzschutz?
Herr Kollege Büchler, Übungs- und Kontrollfahrten des Bundesgrenzschutzes innerhalb der neuen DDR-Hoheitsgewässer sind nicht mehr möglich.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, wenn ich Sie richtig verstanden habe - ich habe in dem Moment gerade den Plenarsaal betreten -, haben Sie auf die Zusatzfrage des Kollegen Klejdzinski geantwortet, es gebe Auswirkungen auf Fischereifahrzeuge und Sportboote. Sie haben das nicht weiter interpretiert. Können Sie näher ausführen, um welche Auswirkungen es sich dabei handelt?
Herr Kollege Büchler, was die Sportschiffahrt betrifft, so ist folgendes festzustellen: Ähnlich wie andere Staaten des Warschauer Paktes macht die DDR die Einfahrt von Sportschiffen in ihr Küstenmeer von einer vorherigen Erlaubnis abhängig. Durch die jetzige Erweiterung des Küstenmeeres der DDR wird die Sportschiffahrt in der Lübecker und in der Mecklenburger Bucht deswegen stark beeinträchtigt. Auch aus diesem Grunde strebt die Bundesregierung Gespräche mit der DDR an. Bis zur Klärung dieser Frage müssen die Betroffenen die von der DDR einseitig geschaffene Situation allerdings leider berücksichtigen.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, gibt es Termine für solche Gespräche bzw. sind Sie bereits in Gesprächen über diese Fragen?
Herr Kollege Büchler, wie ich Ihnen vorhin sagte, haben wir das auf unserer Seite sehr sorgfältig vorbereitet. Wir haben am 9. dieses Monats die verschiedenen zu beteiligenden Ressorts nicht nur zusammengerufen, sondern auch die schleswig-holsteinische Landesregierung dazugebeten. Wir haben die zu dieser
Frage ja sehr komplizierten Sacherwägungen sehr sorgfältig vorgenommen. Daraufhin ist der Entwurf eines - wenn ich so sagen darf - Non-papers erarbeitet worden, das der DDR demnächst übergeben werden wird. Auf dieser Grundlage werden dann baldmöglichst die Gespräche mit der DDR geführt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, haben Sie Anzeichen oder Signale aus der DDR dafür, daß sie bereit ist, über diese Fragen zu reden?
Solche Signale haben wir bisher nicht auffangen können, Herr Kollege.
Danke schön. Zu einer Zusatzfrage hat sich der Abgeordnete Grunenberg gemeldet. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, erwägt die Bundesregierung, Schiffen, die die DDR-Flagge führen, im Küstenmeer der Bundesrepublik gleiche oder ähnliche Beschränkungen aufzuerlegen, wie sie die DDR unseren Schiffen auferlegt?
Herr Kollege, dies erwägt die Bundesregierung nicht. Wir halten nichts davon, wenn ein Staat in Deutschland Beschränkungen der Freizügigkeit durchführt, in gleicher Weise zu antworten. Wir wollen überzeugend dafür argumentieren, daß er seine Beschränkungen, soweit es irgend möglich ist, rückgängig macht.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, da es j a anerkanntes Völkerrecht ist, dieses zu tun: Wäre es nicht notwendig, daß die Bundesregierung nicht nur auf der Ebene DDR-BRD verhandelt, sondern zusätzlich das Gespräch mit allen Ostseeanrainerstaaten sucht, weil diese Problematik nicht nur auf diese Seite beschränkt ist?
Herr Kollege, ich zögere, Ihnen zuzugestehen, daß dieses bereits anerkanntes Völkerrecht ist, solange diese Seerechtskonvention nicht in Kraft getreten ist. Aber es ist richtig, daß dieses die überwiegende Staatenpraxis ist und auch wohl von der Mehrheit der Staaten als zu wünschendes Recht angesehen wird.
Es ist ebenso richtig, daß dieses dann Auswirkungen auch in anderen Bereichen haben wird und daß man dort ebenfalls rechtzeitig das Gespräch suchen muß. Dies hätte dann allerdings durch den Bundesminister des Auswärtigen in dieser umfassenden Weise zu geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.
Herr Staatssekretär, spricht die Bundesregierung mit der DDR auch darüber, ob bei offensichtlichen Seenotfällen in den neuen Gebieten der DDR Hilfsmaßnahmen seitens des BGS möglich sind?
Dies wird sicher in den zu besprechenden Komplex einzubeziehen sein, Herr Kollege Hiller.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Dann bitte ich um Beantwortung der Frage 14 des Abgeordneten Büchler:
Ist es völkerrechtlich möglich, daß die DDR zu einem späteren Zeitpunkt auch die sogenannte „Kadet-Rinne" zu ihrem Hoheitsgebiet erklärt und sie so für die Bundesmarine sperrt?
Herr Kollege Büchler, durch die „Kadet-Rinne" führt ein internationaler Schiffahrtsweg, der zwei Bereiche der Hohen See verbindet und in dem deshalb die Freiheit der Schiffahrt ohne jede Einschränkung gewährleistet sein muß. Die DDR hat bei der Erweiterung ihres Küstenmeeres dieser Rechtslage durch die Aussparung der „Kadet-Rinne" Rechnung getragen.
Eine Zusatzfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie schließen also aus, daß in naher Zukunft oder zu irgendeinem Zeitpunkt die DDR dies zum Hoheitsgebiet erklärt?
Herr Kollege Büchler, ich kann dies nicht für alle Zeiten ausschließen. Jedenfalls hat die DDR es bei dieser doch recht umfassenden Regelung nicht getan. Ich schließe daraus, daß sie es für die überschaubare Zeit auch nicht vorhat, wie das dem geltenden Seevölkerrecht entspricht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Hat die Bundesregierung vorgedacht, welche Schritte sie unternimmt, wenn ein solcher Fall eintritt?
Herr Kollege Büchler, die Bundesregierung hat vorgedacht, sie denkt, und sie hat auch nachgedacht. Sie wird dieses ganz sicher bei ihren Überlegungen berücksichtigen.
({0})
Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Ich will nicht in Zweifel ziehen, daß die Bundesregierung manchmal auch denkt; das sei festgestellt. Kann man etwas Konkretes erfahren, welche Schritte für die Bundesregierung in diesem Fall in Frage kommen?
Nein, Herr Kollege, das hielte ich in dieser Lage nicht für zweckmäßig, da wir gerade davon auszugehen haben, daß die DDR berücksichtigt hat, was international Rechtens ist, und den von Ihnen befürchteten Schritt ausdrücklich nicht getan hat. Jetzt darüber zu spekulieren, was wir täten, wenn sie es irgendwann doch täte, halten wir nicht für zweckmäßig.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Grunenberg.
Herr Staatssekretär, ich nehme an, man hat auch darüber nachgedacht: Ist nach Auffassung der Regierung die „Kadet-Rinne" eine internationale Meerenge, und welches Verkehrsregime sollte darin gelten, wenn die DDR ihr Küstenmeer in diesem Bereich auf 12 Meilen ausdehnt?
Herr Kollege Grunenberg, ich darf noch einmal auf meine Antwort verweisen, in der ich ausgeführt habe, daß durch diese „Kadet-Rinne" ein internationaler Schiffahrtsweg führt, der zwei Bereiche der Hohen See verbindet und in dem die Freiheit der Schifffahrt deshalb ohne jede Einschränkung gewährleistet sein muß. Der von Ihnen angedeutete Schritt der DDR wäre also nicht rechtmäßig.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, Sie haben vorhin in Zweifel gezogen, daß die Inanspruchnahme einer Hoheitszone von 12 Seemeilen geltendem Völkerrecht entspricht. Dabei haben Sie auf das UN-Seerechtsabkommen hingewiesen, das noch nicht in Kraft ist. Wenn Sie sich aber auf die „Kadet-Rinne", auf die freie Durchfahrt durch die „Kadet-Rinne" beziehen, dann nehmen Sie indirekt wieder auf das UN-Seerechtsabkommen Bezug, weil das dort garantiert ist.
Nein, Herr Kollege Klejdzinski, darauf habe ich mich nicht bezogen, weil das Recht der Freiheit der Meere und der Hohen See schon lange vor der Kodifizierung der Seerechtskonvention geltendes Völkergewohnheitsrecht gewesen ist.
Danke schön. - Keine weiteren Zusatzfragen.
Dann rufe ich die Frage 15 des Abgeordneten Löffler auf:
Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, daß die „inoffizielle, informelle Stellungnahme der DDR, ... daß die Ergebnisse, die die Grenzkommission für die Lübecker Bucht ausgearbeitet hat, von der Neuregelung nicht betroffen würden" ({0}), zu einer rechtsverbindlichen Vereinbarung wird, die für alle Betroffenen Rechtssicherheit herstellt?
Herr Kollege Löffler, ich beantworte Ihre Frage 15 wie folgt: Der in dem Regierungsprotokollvermerk vom 29. Juni 1974 festgestellte Verlauf der innerdeutschen Grenze wird durch die Erweiterung des Küstenmeeres der DDR nicht berührt. Die DDR hat dieser rechtsverbindlichen Feststellung bei der Festlegung der Grenzen ihres Küstenmeeres Rechnung getragen.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, daß auf Grund gewisser internationaler Praxis auch für die DDR die Möglichkeit bestand, eine Hinausschiebung ihrer Meeresgrenze, eine Erweiterung ihrer Hoheitsgewässer vorzunehmen, war der Bundesregierung sicherlich bekannt. Hat die Bundesregierung irgendwelche Vorsorge für den Fall getroffen?
Herr Kollege Löffler, die Bundesregierung kannte natürlich den konkreten Inhalt dieser 2. Grenzverordnung erst am 4. Januar 1985. Wir haben daraufhin die acht zu beteiligenden Bundesressorts zusammengeholt, und gleichzeitig wurden Presse und Fischereiverbände unterrichtet.
Die acht zu beteiligenden Bundesressorts haben auch den Sachverstand der nachgeordneten Behörden unverzüglich genutzt und innerhalb weniger Tage eine umfassende Information ermöglicht, die der Regierungssprecher in der Pressekonferenz am 11. Januar sehr ausführlich mitgeteilt hat. Er hat es damit allen Betroffenen ermöglicht, sich auf die neue Situation einzustellen.
Herr Staatssekretär, ich habe nicht die Situation vom Januar 1985, sondern die vorausschauende, vorausahnende, wenn Sie so wollen, voraustastende Situation, das Vordenken der Bundesregierung hinsichtlich dessen gemeint, was auf Grund internationaler Praxis von seiten der DDR vorgenommen werden könnte. Deshalb noch einmal meine Frage: Hat die Regierung in dieser Hinsicht vorgedacht, und denkt sie weiter vor für den Fall, daß die DDR noch andere Veränderungen in diesem Bereich vornimmt?
Herr Kollege Löffler, ich würde nicht so weit gehen, die Bundesregierung als den Vordenker des Parlaments in Anspruch nehmen zu wollen. Aber ganz gewiß ist dieser Fall erwogen worden. Nur, Herr Kollege Löffler, wir haben es in der Nordsee seinerzeit ausdrücklich anders gehandhabt und halten dieses Beispiel für sehr viel besser: daß man nämlich nicht hingeht und sagt, ihr werdet doch wohl nicht etwa ..., sondern daß ein Staat, der so etwas vorhat, bei seinem Nachbarstaat, von dem er ganz genau weiß, daß es dann, wenn er das einseitig macht, zu Schwierigkeiten führt, vorher anfragt und eine solche Sache mit ihm - in diesem Fall mit uns - bespricht. Wir jedenfalls haben dieses bessere Beispiel im vergangenen Jahr gegeben.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Hiller.
Hat die Bundesregierung, als sie die DDR über die Veränderung der Küstengewässer in der Nordsee informierte, gefragt, ob die DDR ihrerseits ähnliche Maßnahmen beabsichtige?
Dieses Detail ist mir im Moment nicht bekannt. Ich vermute, nein, Herr Kollege Hiller. Aber ich will das gern verifizieren.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Grunenberg.
Herr Staatssekretär, ich gestatte mir, beim Vordenken zu dieser Frage ein bißchen behilflich zu sein: Wird die Bundesregierung die Benutzerstaaten des Weges 3 - das ist ja die Lübecker Bucht -, aber auch die der „Kadet-Rinne", des Fehmarn-Belts und schließlich und letztlich die der Nordsee konsultieren, bevor sie mit der DDR in Gespräche eintritt?
Herr Kollege, ich gehe davon aus, daß wir mit der DDR unabhängig davon in Gespräche eintreten werden, daß aber gleichzeitig vom Auswärtigen Amt die in dieser Richtung erforderlichen Maßnahmen ergriffen werden.
Es liegen keine weiteren Zusatzfragen zur Frage 15 vor.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Löffler auf:
Hat die Bundesregierung versäumt, in ihren bisherigen Gesprächen mit der DDR die Frage der Hoheitsgewässer der DDR ihrerseits anzusprechen, und war sie dabei bereit, auf den von der DDR so gesehenen Zusammenhang dieser Frage mit der Elbe-Grenze einzugehen?
Herr Kollege Löffler, dazu bestand bisher keine Notwendigkeit. Die Bundesregierung sieht auch keinen Zusammenhang zwischen der Frage der Hoheitsgewässer in der Ostsee und der Feststellung der Grenze im Elbebereich. Wir haben das j a vorhin schon angesprochen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler.
Herr Staatssekretär, wäre es nicht erwägenswert, von unserer Seite einmal alle Vorstellungen niederzulegen und in einem Paket einzubringen, die die Wassergrenzen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR betreffen, eventuell sogar unter Einbeziehung der Wassergrenzen in West-Berlin, und der DDR ein geschlossenes Verhandlungspaket vorzuschlagen?
Herr Kollege Löffler, wir wollen das gerne erwägen. Aber ich muß auch darauf hinweisen, daß bei der Feststellung der Elbgrenzlinie auf Grund der bestehenden Rechtslage für die Bundesregierung keinerlei Dispositionsbefugnis besteht.
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Löffler, bitte schön.
Herr Staatssekretär, wir haben in diesem Zusammenhang sehr lange - Löffler ({0}): Herr Präsident, Sie müssen sich nun entscheiden, wer die Zusatzfrage stellen darf.
({1})
Ja, ich hatte festgestellt, daß der Abgeordnete Löffler eine weitere Zusatzfrage stellen kann. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Das hat der Abgeordnete Schneider, der ganz vorne sitzt, offensichtlich nicht gehört.
Ich bitte um Nachsicht.
Herr Staatssekretär, ich nehme doch an, daß Sie meine Anregung so verstanden haben, daß bei meinem Vorschlag die Bundesregierung selbstverständlich nur im Rahmen des geltenden Rechts und im Rahmen ihrer Verantwortlichkeit handeln soll.
Selbstverständlich, Herr Kollege Löffler.
({0})
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schneider, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, in dem gesamten Zusammenhang des Themenkomplexes, der hier besprochen wurde, wollen Sie der DDR-Regierung ein Non-Papier übermitteln. Sehen Sie in diesem Zusammenhang der neuen Grenzziehung durch die DDR und der Festlegung ihres Grenzmeeres irgendeinen Bedarf für konkrete Verhandlungen - für Verhandlungen! - zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR?
Herr Kollege Schneider, ob Sie das Verhandlungen im spezifischen Sinne oder Gespräche oder Konsultationen nennen: Wir werden mit der DDR sehr detailliert und nachdrücklich über den Gesamtzusammenhang sprechen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten von Schmude.
von Schmude ({0}): Herr Staatssekretär, wie beurteilt die Bundesregierung die neuesten Vorschläge der schleswig-holsteinischen SPD, die Elbe-Grenze zum Tauschobjekt gegen Fischereifangrechte im Mechower und im Langkower See zu machen?
Darauf bezog sich das, Herr Kollege, was ich vorhin in dem Zusammenhang mit Fischsuppe gesagt habe. Vielleicht hätte ich es gewählter ausdrücken und von Bouillabaisse sprechen sollen.
({0})
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Büchler.
Herr Staatssekretär, nachdem die DDR diese Ausweitung vorgenommen hat
Büchler ({0})
und natürlich auch immer wieder im Zusammenhang mit offenen Fragen darstellt, frage ich Sie nun wirklich, ob Sie in der Zwischenzeit nicht mit den Alliierten darüber gesprochen haben, ob man über die Elbgrenze nicht zu einem für beide Seiten, für Ost und West, also für die Bundesrepublik Deutschland und die DDR, befriedigenden Ergebnis bei der Bereinigung aller anstehenden Fragen kommen könnte.
Herr Kollege Büchler, wir werden das in der Grenzkommission versuchen, nachdem in der Tat unsere Prüfungen des Gesamtzusammenhangs zu einem Abschluß gekommen sind.
Herr Abgeordneter Grunenberg, Sie wünschen eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wenn Sie vom geltenden Recht sprechen: Gilt das auch für die Teile des Seerechtsübereinkommens, die Sie als Meeresvölkergewohnheitsrecht betitelt haben?
Ich habe bei dieser Frage, ehrlich gesagt, nicht ganz verstanden, was Sie in diesem Zusammenhang von mir wissen wollen. Es gibt Bereiche der Seerechtskonvention, die sicher bisher auch schon geltendes Völkergewohnheitsrecht gewesen sind.
Bitte schön, Herr Kollege Büchler.
Herr Staatssekretär, ich muß noch mal nachfragen. Sie haben auf die Frage von Herrn Löffler geantwortet, daß über die ElbeGrenze nicht geredet werden kann. Zu mir haben Sie gesagt, daß es in dem Gesamtzusammenhang gesehen werden kann und daß man mit den Alliierten darüber reden muß. Deshalb frage ich noch mal nach, damit dieser Standpunkt klar ist: Besteht die Möglichkeit, über alle diese strittigen Fragen wirklich zu reden, damit wir in diesem Bereich zu einer Lösung kommen?
Herr Kollege Büchler, es besteht ganz sicher in allen Bereichen Gelegenheit, über alles zu reden. Nur werden wir bei den Gesprächen mit der DDR im Zusammenhang mit der Festlegung des Küstenmeeres ganz sicher nicht über die Elbe-Frage verhandeln.
({0})
Entschuldigung, Sie haben nur eine Zusatzfrage. Sie haben schon zwei Zusatzfragen bekommen.
Damit ist dieser Bereich abgeschlossen. Herr Staatssekretär, danke schön.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung. Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Höpfinger zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Menzel auf:
Hält es die Bundesregierung für gerechtfertigt und steht es mit dem Ziel einer gleichmäßigen Entwicklung der Einkommen von Rentnern und Aktiven im Einklang, wenn die Renten nur um etwa 1 v. H. erhöht werden, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um real Einkommensverluste der Rentner bei derart miminaler Erhöhung der Renten, aber bei Preissteigerungen von 2 v. H. bis 3 v. H. zu vermeiden?
Herr Präsident, vorweg bitte ich um Nachsicht, daß die Beantwortung etwas länger ausfällt. Die Fragestellung ist umfangreich und führt sehr intensiv in einen aktuellen Bereich.
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Herr Kollege Menzel, die Bundesregierung hält Ihren Vorschlag zur Anpassung der Renten in diesem Jahr unter Berücksichtigung der Interessen der Rentner und der Aktiven für sozialpolitisch vertretbar. Er steht auch im Einklang mit dem Grundsatz einer gleichgewichtigen Entwicklung von Renten und verfügbaren Arbeitnehmerverdiensten.
Unter Einbeziehung der Koalitionsvereinbarung vom 14. Januar dieses Jahres, wonach die Beteiligung der Rentner an den Beiträgen für ihre Krankenversicherung zum 1. Juli 1985 nur noch auf 4,5% der Rente steigen soll, werden die verfügbaren Renten zum 1. Juli 1985 um mindestens 1 % steigen; die Erhöhung kann auch etwas stärker ausfallen; das hängt von der Feststellung des durchschnittlichen Anstiegs der Löhne und Gehälter im Jahre 1984 durch das Statistische Bundesamt ab.
Es ist richtig, daß eine Erhöhung der verfügbaren Renten in dieser Größenordnung unter der zu erwartenden Preissteigerungsrate liegen dürfte. Dies war aber auch in früheren Jahren der Fall. In den Jahren 1980 und 1981, als die SPD noch den Bundesarbeitsminister stellte, hat es Anpassungssätze von jeweils 4% gegeben, während die Preise 1980 um 5,4 % und 1981 um 6,1% gestiegen sind. Damals waren die realen Einkommensverluste der Rentner trotz stärkerer Rentenanpassungen erheblich größer, als sie im Jahre 1985 bei einer voraussichtlichen Preissteigerungsrate von etwa 2 % eintreten dürften.
Die reale Einkommenssituation der Rentner hat sich in den letzten Jahren günstiger entwickelt als die Einkommenssituation bei den Aktiven. Dank der Erfolge der Bundesregierung bei der Bekämpfung des inflationären Geldwertverlustes war für die Rentner im Jahre 1984 wieder ein realer Einkommenszuwachs zu verzeichnen, während sich bei den Arbeitnehmern im Jahre 1984 ein realer Einkommensrückgang ergeben hat.
Auch bei einer Beteiligung der Rentner an den Beiträgen für ihre Krankenversicherung mit 4,5% der Rente ab 1. Juli 1985 tragen die Rentner in diesem Jahr bei einer Berücksichtigung ihrer Beiträge
Deutscher Bundestag - 10. Wahlperiode - 11.
für sonstige Alterseinnahmen nur etwa ein Sechstel der Kosten der Krankenversicherung der Rentner selbst; die übrigen Kosten werden mit den Beiträgen der Aktiven in der Rentenversicherung und in der Krankenversicherung finanziert.
Mit der Regelung, wonach die Renten und die verfügbaren Arbeitnehmerverdienste sich grundsätzlich gleichgewichtig entwickeln sollen, kann nicht eine bis auf die letzte Stelle nach dem Komma gleiche Einkommensentwicklung bei den Arbeitnehmern und bei den Rentnern in jedem einzelnen Jahr angestrebt werden. Das ist schon deshalb nicht möglich, weil sich die Rentenanpassung nach der durchschnittlichen Lohnentwicklung im jeweiligen Vorjahr richtet. Man muß also auf größere Zeiträume abstellen. Wenn man dies tut, stellt man fest, daß die Renten seit dem Jahr 1981 stärker gestiegen sind als die verfügbaren Arbeitnehmerverdienste. Dies findet seinen sichtbaren Ausdruck in dem Anstieg des Nettorentenniveaus von 1981 bis 1984 um mehr als 2 Prozentpunkte. Im Jahre 1984 hat das Nettorentenniveau bei einem Durchschnittsverdiener mit 40 Versicherungsjahren die Höhe von 65,3% und bei einem Durchschnittsverdiener mit 45 Versicherungsjahren 73,4% erreicht. Dies ist der höchste Stand, den es - mit Ausnahme des Jahres 1977, als es ein paar Zehntelpunkte höher war - jemals gehabt hat.
Die Mehrbelastungen, die sich aus einer stärkeren Rentenanpassung im Jahre 1985 für die Aktiven und die Betriebe zwangsläufig ergeben würden, würde die Bundesregierung nicht für vertretbar halten.
Danke schön Herr Staatssekretär.
Herr Abgeordneter Menzel zu einer Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, würden sie die Freundlichkeit haben, mir zu erklären, wieso es im Interesse der Rentner liegt, wenn, wie Sie dargelegt haben, ihr Realeinkommen sinkt?
Herr Kollege Menzel, wenn ich dargelegt habe, daß die Rentenanpassung etwas unter der Preissteigerungsrate liegen wird, dann gehen wir natürlich nur von der Nettoanpassung aus. In Wirklichkeit werden nämlich die Renten um 3% herum angepaßt. Ein geringerer Anpassungsatz kommt lediglich deshalb zustande, weil auch in diesem Jahr 1,5% als Krankenversicherungsbeitrag der Rentner abgezogen werden. Das darf man nicht verschweigen.
Auch bei den Bruttoeinkommen der Arbeitnehmer, bei Lohn- und Gehaltserhöhungen werden die Anpassungen ja brutto genannt. Es muß auch darauf hingewiesen werden, daß bei Lohn- und Gehaltserhöhungen natürlich Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen sind. Es wäre sachgerechter, zu sagen: Die Rentenanpassung macht um die 3 % aus, und der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner wird um 1,5% erhöht.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, meinen Sie nicht, daß für den Rentner entscheidend ist, was er Ende des Monats von der Rentenversicherung unter dem Strich überwiesen bekommt, und nicht, wie hoch seine Abzüge sind?
Herr Kollege Menzel, wir dürfen nicht vergessen, daß die Ausgaben für die Krankenversicherung der Rentner Jahr für Jahr steigen. Ich mache das den älteren Leuten nicht zum Vorwurf, aber wir müssen die Zahlen sehen, und an den Zahlen sehen wir dann auch die Realität.
Die gesetzliche Krankenversicherung hat im Jahre 1984 108,8 Milliarden DM ausgegeben. In diesem Betrag sind Ausgaben in Höhe von etwas über 40 Milliarden DM für Krankheitskosten der Rentner enthalten. Ich sage noch einmal: Ich mache den älteren Leuten deswegen keinen Vorwurf; wir haben zwar die Chance, älter zu werden, aber gesünder bleiben wir nicht und das kostet seinen Preis. Dieser Preis kann jedoch nicht fortwährend von den Einkommensempfängern und den Beitragszahlern gezahlt werden. Hier muß der Rentner selber mithelfen. Wenn er im Gesundheitsbereich Leistungen empfängt, dann sind das ja Leistungen, die er für sich persönlich in Anspruch nimmt. Ich bin überzeugt, daß die Rentner dafür auch größtes Verständnis haben.
Zu dieser Frage werden keine weiteren Zusatzfragen begehrt.
Ich rufe die Frage 18 des Abgeordneten Menzel auf:
Wie hoch schätzt die Bundesregierung die zusätzliche Belastung für die Kommunen, die durch die derart geringfügige Rentenerhöhung entsteht, weil die Kommunen die durch die Renteneinkommen nicht gedeckten Pflegekosten für Heiminsassen tragen müssen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um solche Belastungen für die Kommunen abzuwenden?
Herr Kollege Menzel, zu dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, daß jede Rentenerhöhung die Sozialhilfeträger im Bereich der Sozialhilfeaufwendungen für Rentner in Alters- und Pflegeheimen entlastet, eine geringere Rentenerhöhung weniger als eine stärkere.
Eine Quantifizierung der Auswirkungen, die die vorgeschlagene Rentenerhöhung auf die Entwicklung der hier in Rede stehenden Aufwendungen haben wird, ist auf Grund des vorliegenden statistischen Materials nicht möglich. Diese Entwicklung hängt im übrigen von noch nicht feststehenden Faktoren ab. Zum einen ist der Anpassungssatz für die Renten noch nicht endgültig bestimmt. Zum anderen läßt sich über die Entwicklung der Pflegesätze in den Alters- und Pflegeheimen in diesem Jahr noch nichts Abschließendes sagen.
Eine Zusatzfrage? - Bitte schön, Herr Abgeordneter.
Es ist aber davon auszugehen, da - wie Sie ja gesagt haben - die Preissteigerungsraten über der Rentenerhöhung liegen und da die Pflegeheime von den Preissteigerungsraten betroffen sind, daß die Pflegesätze stärker steigen als die Renten. Ich frage deswegen: Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß durch die Verlagerung der Ausgaben auf die Kommunen - denn das geschieht ja auf diesem Wege - die Investitionskraft der Kommunen geschwächt und damit die Arbeitsmarktsituation verschärft wird?
Herr Kollege Menzel, diese Entwicklung bei den Preisen in den Pflegeheimen ist nicht in Zusammenhang mit der Rentenanpassung zu bringen. Denn Sie wissen aus eigener Erfahrung und aus eigener Kenntnis: Selbst wenn heute jemand 40 oder 45 Versicherungsjahre hat, ist er mit seiner Rente, die meinetwegen bei 1 400 DM liegen mag, nicht in der Lage, alle Kosten eines Pflegeheimes zu tragen. Die Pflegekosten sind gesondert zu betrachten; sie sind ja auch anderweitig in der Diskussion.
Eine weitere Zusatzfrage? - Nein.
Zu der Frage 19 des Abgeordneten Austermann hat der Fragesteller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Dann ist dieser Geschäftsbereich beendet. Ich bedanke mich, Herr Staatssekretär, und rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht uns der Parlamentarische Staatssekretär Würzbach zur Verfügung.
Die Fragen des Abgeordneten Dr. Scheer, 20 und 21, des Abgeordneten Dr. Spöri, 22 und 23, des Abgeordneten Antretter, 24 und 25, sind nach unseren Richtlinien - Nr. 2 Abs. 2 - schriftlich zu beantworten. Der Abgeordnete Würtz hat um schriftliche Beantwortung seiner Fragen 26 und 27 gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt.
Ich rufe nunmehr die Frage 28 des Abgeordneten Schmitt ({0}) auf:
Welches Ergebnis haben die Verhandlungen der Bundesregierung mit den US-Stellen über alternative Standorte für die Hubschrauberstationierung in Wiesbaden-Erbenheim gebracht, und teilt die Bundesregierung die Auffassung der von der Stationierung betroffenen Bevölkerung und ihrer kommunalen Vertreter, daß die Belastungen aus der Reaktivierung von Wiesbaden-Erbenheim für Wiesbaden und Mainz unzumutbar sind?
Herr Präsident, Herr Kollege Schmitt, die Verhandlungen mit den Streitkräften der Vereinigten Staaten über mögliche andere Standorte für die vorgesehenen Hubschrauber sind noch nicht abgeschlossen. Unabhängig davon sind aber die Streitkräfte der Vereinigten Staaten bemüht, die von den Hubschraubern ausgehenden Lärmeinwirkungen für die Bevölkerung soweit irgend möglich zu reduzieren. Sie haben über all das hinaus, was bislang geschah, deshalb Vorschriften zur Minderung des Fluglärms erlassen, durch die
Flugzeiten und Flugtage eingeschränkt werden sowie auch die Mindesthöhe über bewohnten Gebieten festgelegt ist.
Eine Zusatzfrage, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß die US-Streitkräfte davon ausgehen, daß sich für sie im Rahmen der von Ihnen am 21. September 1984 angekündigten Besichtigungen alternativer Standorte bis zum heutigen Zeitpunkt keine Alternativen ergeben, und wie sehen Sie die weitere Entwicklung?
Ich gehe davon aus, daß sich die Vereinigten Staaten wie wir durch die engen Gespräche, die - das wissen Sie - bis auf die obersten Ebenen um dieses Problem geführt werden und die noch nicht abgeschlossen sind, mit allem Ernst um mögliche Ausweichstandorte bemühen. Ich bin informiert, daß diese Gespräche im Augenblick weiter mit dieser Zielsetzung geführt werden.
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, sind dem Verteidigungsministerium die Belastungen bekannt, die sich aus dem Betrieb der Starrflügler ergeben, und zwar deshalb, weil der Flughafen Erbenheim durch einen starken Vogelschlag bedroht wird und deshalb vor jedem Start einer Düsenmaschine Schußlärm abgegeben werden muß, um die Vögel zu vergrämen und verbietet eine solche permanente Belastung der Bevölkerung schon zu frühen Morgenstunden und auch zu Nachtzeiten nicht wenigstens die Stationierung von Starrflüglern in Wiesbaden-Erbenheim?
Herr Kollege, die eben beschriebenen Maßnahmen müssen auf jedem Flugplatz - zivil wie militärisch - und für jede Art des Fluggerätes durchgeführt werden. Da sie auf die Starrflügler abheben, darf ich die Zahlen nennen: 1984 waren es 12, 1985 werden es 15 sein. Ich will allerdings sagen: Wir erachten die Belastungen, die wir der Bevölkerung auf allen militärischen Übungsplätzen zumuten, als nicht gering. Darüber haben wir hier häufig die Auffassungen ausgetauscht. Das ist der Grund, warum wir uns energisch für eine Entlastung, gemeinsam mit den Amerikanern, einsetzen.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe dann die Frage 29 des Abgeordneten Schmitt ({0}) auf:
Liegen Ergebnisse des Mitte 1984 begonnenen Probebetriebes vor, in dem die sich aus dem Flugbetrieb in Wiesbaden-Erbenheim ergebenden Beeinträchtigungen des zivilen Luftverkehrs des Rhein-Main-Flughafens ermittelt werden sollen?
Bitte sehr, Herr Staatssekretär.
Der Probeflugbetrieb hat bislang nur zu einem Zwischenergebnis geführt, das zur Zeit mit dem Bundesminister für Verkehr und den Vereinigten Staaten ausgewertet und erörtert wird. Diese Erörterungen sind Teil der Bemühungen des Bundesministeriums der Verteidigung, eine zusätzliche Belastung durch den Flugverkehr und, damit parallel laufend, auch die Lärmbelästigung in einem vertretbaren Rahmen zu halten.
Zusatzfrage, bitte schön.
Herr Staatssekretär, sind in den Probebetrieb und die Überprüfungsmaßnahmen auch die Flughafen-AG und die Landesregierung Hessen eingeschaltet?
Herr Kollege, die zuständigen Institutionen sind alle eingeschaltet und haben dieses Zwischenergebnis zugeleitet bekommen. Nach einer vorliegenden Auswertung sind von unterschiedlichen Institutionen, die gesetzlich damit befaßt sind, noch weitere Prüfungen angefordert, die eingeleitet werden.
Ist die Bundesregierung inzwischen zu der Auffassung gelangt, daß entsprechend der Meinung der hessischen Landesregierung auf Grund der Hubschrauberstationierung in Wiesbaden-Erbenheim in jedem Falle ein Anhörungsverfahren nach dem Luftverkehrsgesetz erforderlich ist?
Die Bundesregierung pflegt erst nach Ergebnissen zu einer endgültigen Auffassung zu kommen und nicht nach vorliegenden Zwischenergebnissen.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Reuter.
Herr Staatssekretär, ist es zutreffend, daß die Startbahn 18 West auf Grund der Reaktivierung des Flughafens Wiesbaden-Erbenheim nicht in dem ursprünglich geplanten Umfang genutzt werden kann?
Nach meinen Kenntnissen nicht.
Weitere Zusatzfragen liegen nicht vor.
Ich rufe die Frage 30 des Abgeordneten Jungmann auf:
Ist eine Pressemeldung vom 15. Januar 1985 zutreffend, nach der die Dokumentation „Diskussionen und Feststellungen des Deutschen Bundestages in Sachen Kießling" ({0}) der Bundeswehr durch das Bundesministerium der Verteidigung nur in 100 Exemplaren zugänglich gemacht worden ist/werden soll?
Nein, Herr Kollege. Die von Ihnen genannte Pressemitteilung ist so nicht zutreffend.
Eine Zusatzfrage.
Herr Staatssekretär, es ist also nicht richtig, daß das Bundesministerium der Verteidigung entschieden hat, nur 100 Exemplare aus der Reihe der Dokumentationen des Deutschen Bundestages „Zur Sache" abzunehmen?
Herr Kollege, richtig ist, daß entschieden wurde, zunächst eine Anzahl von Exemplaren - 100 - anzufordern, die an die Bibliotheken der Bundeswehr - und das heißt, den Zugang für jeden Soldaten offenhaltend - gegeben werden sollen, darüber hinaus, daß in eine Publikation, die Sie kennen, die bis auf Bataillonsebene verteilt wird, der Hinweis aufgenommen wird, daß diese Publikation des Deutschen Bundestages für jeden Interessierten - Soldaten, Staatsbürger, Berufssoldaten, Zeitsoldaten, Wehrpflichtige - jederzeit auf einem Wege abrufbereit ist, den Sie kennen. Drittens ist in dem gleichen Zuge mit der Zahl 500 darauf hingewiesen worden, daß etwa ein halbes Tausend von sogenannten Multiplikatoren in der Bundeswehr, im Öffentlichkeitsbereich tätige Jugendoffiziere, ohnehin im Verteiler des Bundestages enthalten sind und das automatisch angeboten und, wenn Sie es abfordern, geliefert bekommen.
Herr Abgeordneter, Sie wünschen noch eine Zusatzfrage. Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, wieviel Auflagen von der Dokumentation „Zur Sache" sind denn in der Vergangenheit von der Bundeswehr abgenommen worden, und trifft es zu, daß es nicht nur Bibliotheken, die ja zentral angesiedelt sind, sondern auch Truppenbüchereien gibt, die bis zur Bataillonsebene hinunterreichen, und daß die Schriften dorthin verteilt werden?
Herr Kollege, nach meinen Erkundigungen sind die Multiplikatoren, wie eben beschrieben, stets angefragt und bei Abforderung beliefert worden. Auch sonst sind Hinweise in dem gezeigten Heft des Dokumentationszentrums der Bundeswehr gegeben worden. Es liegen keine Statistiken vor, ob es weit mehr als die genannte Zahl 500, die wir vom Deutschen Bundestag abgefragt haben, bekommen haben.
Im übrigen ist in dieser Reihe „Zur Sache", solange wir zurücksehen konnten, zum erstenmal ein die Bundeswehr direkt und ausschließlich betreffendes Thema behandelt worden.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski.
Herr Staatssekretär, unabhängig von der Frage der Multiplikatoren: Würden Sie es nicht für sinnvoll halten, um die Bundeswehr zu informieren, diesen Band „Zur Sache" in jede Truppenbücherei einzustellen?
Herr Kollege, Sie wissen, daß die Truppenbüchereien vom Kommandeur und seinen Vertrauensmännern und dem Kompaniechef unter großer Beteiligung der Soldaten zusammengestellt werden und daß jeder Kom8606
mandeur, jeder in der Bundeswehr über das Heft „DocCent" eine Vielzahl von Neuerscheinungen, und zwar nicht nur solche aus dem Parlament, sondern auch aus dem wissenschaftlichen, politischen und aus sonstigen Bereichen angeboten bekommt, die er abrufen kann. Dies ist gewährleistet und wird praktiziert.
Eine Zwischenfrage des Abgeordneten de With.
Herr Staatssekretär, bestand die Regelung, daß über die 100 Exemplare hinaus weitere Exemplare zur Verfügung stehen, von vornherein, oder war das eine Nachschußregelung?
Herr Kollege de With, von Anfang an ist in dem Vermerk, der als ein internes Papier des Ministeriums mehreren in der Öffentlichkeit vorliegt, festgestellt worden, daß über die Exemplare hinaus von Beginn an auf diese Möglichkeit hingewiesen wird, die ich eben beschrieben habe.
Es hat - um das einmal anders zu formulieren, wobei ich den Tenor mancher Frage sicherlich nicht verkehrt verstehe - niemand beabsichtigt, unseren Soldaten als mündigen Bürgern, die als Soldaten oder als Wehrpflichtige lange in der Bundeswehr Dienst tun, irgendwelche Informationen vorzuenthalten.
Herr Kollege, Sie haben Verantwortung für das Justizministerium getragen. Auf diesen Bereich des Personenschutzes während laufender Ermittlungen oder laufender Disziplinarverfahren komme ich bei der Beantwortung der zweiten Frage des Kollegen Jungmann noch zu sprechen, der möglicherweise bei einer Betrachtung nur von einer Seite in einem bestimmten Spannungsverhältnis zu der Zeit damals gesehen werden kann.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Krizsan.
Herr Würzbach, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß es zur Information der Soldaten über Handlungsweisen der militärischen Oberhäupter richtig wäre, alle Truppenbibliotheken mit diesem Band auszustatten, ohne auf Anforderung zu warten?
Herr Präsident, darf ich mir einen kleinen Vorschlag erlauben? Die Antwort auf die zweite Frage des Kollegen Jungmann geht zwangsläufig auf den Aspekt ein, den ich erklärte und gegenüber dem Kollegen de With andeutete, und ich glaube, in diese Richtung zielen die Zusatzfragen.
Wenn der Abgeordnete Krizsan damit einverstanden ist, was ich unterstelle, möchte ich den Vorschlag dankbar aufgreifen.
({0})
Es liegt mir noch die Wortmeldung für eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jahn vor. Herr Abgeordneter.
Welche Gründe haben den Bundesminister der Verteidigung dazu bewogen, diesen geringstmöglichen Weg der Verbreitung zu wählen?
Herr Kollege Jahn, ich will nicht wiederholen, was ich sagte, und mich nicht an dem Wort „geringstmöglichen Verteiler" aufhalten. Dieser ist nicht gering. Das ist der übliche, jeden Mann bis ins Bataillon erreichende Verteiler.
Ich bin sicher, daß diese Antwort durch meine Antwort auf die zweite Frage des Kollegen Jungmann die nötige Abrundung erhält.
({0})
Herr Kollege Jahn, Ihnen steht keine zweite Zusatzfrage zu.
Ich rufe die Frage 31 des Herrn Abgeordneten Jungmann auf:
Warum richtet sich die Bundesregierung nicht nach dem Vorwort des Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses, soweit es darin heißt: „Mit der vorliegenden Broschüre sollen über die seitherigen Veröffentlichungen der Medien hinaus sowohl der Abschlußbericht des Untersuchungsausschusses als auch die parlamentarische Abschlußberatung des Deutschen Bundestages vom 28. Juni 1984 der breiten Öffentlichkeit und auch den Soldaten der Bundeswehr in ihrem Wortlaut vollständig zugänglich gemacht werden."?
Herr Kollege, abgesehen davon, daß zum Zeitpunkt der Entscheidung von Ende Juli 1984 das Vorwort des Herrn Vorsitzenden des Verteidigungsausschusses noch gar nicht vorlag, waren und wären vor einer Verteilung der Dokumentation auf dem hier diskutierten Wege einige grundsätzliche rechtliche Gesichtspunkte zu bedenken, die ich wie folgt kurz zusammenfassen möchte.
Die Entscheidung, zunächst den von mir beschriebenen Weg zu gehen, wurde vor allem davon bestimmt, daß der Minister als oberster Disziplinarvorgesetzter bzw. als oberster Dienstvorgesetzter der Soldaten und Beamten des Ressorts disziplinare Untersuchungen und Überprüfungen angeordnet hatte, die wir alle noch sehr lebendig in Erinnerung haben. Es gab und es gibt Bedenken dahin, daß eine umfangreiche dienstliche Verteilung der Dokumentation, in der Pflichtverletzungen bestimmter namentlich genannter Personen festgestellt seien, während - dies ist wichtig - der laufenden dienstrechtlichen Ermittlungen den Eindruck der Präjudizierung hätten entstehen lassen können, was rechtsstaatlich nicht gewollt sein darf. Hier wäre die Gefahr der Verletzung des Persönlichkeitsrechts, eines Grundrechtes, gegeben gewesen. Inzwischen sind Teile des Verfahrens abgeschlossen. Die noch andauernden, ebenfalls auf der Grundlage gesetzlich geordneter Verfahren geführten Ermittlungen sind überwiegend von den ErmittParl. Staatssekretär Würzbach
lungsergebnissen anderer Behörden abhängig, so daß insoweit der Bundesminister der Verteidigung mit dem Ermittlungsabschluß nicht mehr befaßt ist.
Ich stelle noch einmal fest, daß das Informationsrecht jedes einzelnen Soldaten dennoch stets gewahrt war und er jederzeit die Möglichkeit besaß, die Broschüre beim Bundestag oder beim Dokumentationszentrum der Bundeswehr oder in den dafür eingerichteten Bibliotheken in der Bundeswehr anzufordern.
Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Jungmann, bitte sehr.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mit mir darin überein, daß es, wenn der Bundesminister der Verteidigung am 8. Dezember 1983 die Abwägung der Rechtsgüter vorgenommen hätte, wie er sie in diesem Falle vorgenommen hat, gar nicht zu der Veröffentlichung gekommen wäre? Und trifft es zu, daß der Führungsstab der Streitkräfte vorgeschlagen hatte, über 3 000 Bände abzunehmen und sie in der Truppe zu verteilen? Wenn j a, warum hat der Führungsstab, der j a auch verpflichtet ist, die Rechtsgüter der Betroffenen zu wahren, diese nicht in seinen Vorschlag miteinbezogen?
Herr Kollege, erstens ist diese Güterabwägung bereits unterhalb der Ebene des Ministers vorgenommen worden.
In dem zweiten Teil der Frage unterliegen Sie einer nicht vollständigen Information. Ein Teil des Führungsstabes hat eine gewisse Vorlage gemacht, die von dem da diensttuenden Generalinspekteur in der Person des Generals Windisch als originärer Stellvertreter in der Form entschieden worden ist, die ich auf Ihre erste Frage und auf Nachfragen hier vorgetragen habe.
({0})
Bitte sehr.
Herr Staatssekretär, kann ich mit Ihrer Zustimmung feststellen, daß das Bundesministerium der Verteidigung nicht bereit ist, dem Vorschlag eines Teils des Führungsstabes der Streitkräfte zu folgen, über 3 000 Exemplare an die Bibliotheken und Truppenbüchereien der Bundeswehr zu verteilen?
Das können Sie feststellen, aber diese Feststellung ist falsch und entspricht in keiner Form der Ableitung von den erläuterten Tatsachen.
Übliche Gepflogenheit im Ministerium ist aber, daß Vorlagen durch die Hierarchie gehen und von dem Verantwortlichen, dem sie zugeleitet werden, endgültig entschieden werden. Dies ist unterhalb der Ebene des Ministers in der Form geschehen, daß sofort die Bibliotheken bestückt werden und daß darüber hinaus alle Bataillone den Hinweis bekommen, wo man zu diesem Themenkomplex etwas abrufen kann. Der Bundestag tat dies von sich aus umgehend mit einer nicht unerheblichen Zahl.
Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Jahn. Bitte sehr, Herr Abgeordneter.
Herr Staatssekretär, will das Bundesministerium der Verteidigung im Ernst weiterhin die Rechtsauffassung vertreten, daß eine amtliche Drucksache des Deutschen Bundestages aus Rechtsgründen in der Bundeswehr nicht verteilt werden darf?
Herr Kollege Jahn, ich bitte, daß wir bei den erläuterten Fakten bleiben. Ich habe einmal während der laufenden Ermittlungen von der Abwägung und dem Spannungsverhältnis gesprochen, das besteht, wenn der ermittelnde Vorgesetzte eine Publikation verteilt, in der während laufender Verfahren, in die er involviert ist, bestimmte Personen und an ihnen festgemachte Sachvorgänge enthalten sind, und von der Möglichkeit der Gefährdung des Personenschutzes, wenn das präjudizierend von dem gleichen Mann verteilt wird.
({0})
Noch einmal - ich bitte, dies zur Kenntnis zu nehmen -: Dennoch hat er gleichzeitig, weil dies eine Publikation des Deutschen Bundestages ist - wir alle erinnern uns: in den wichtigstens Teilen von allen Fraktionen getragen - hier nicht die Information unterbunden, sondern die Broschüre den Bibliotheken und dem abrufbereiten Dokumentationszentrum ausdrücklich überwiesen.
({1})
Ich lasse noch eine Zusatzfrage des Abgeordneten Klejdzinski zu und möchte dann zum Schluß kommen.
Herr Staatssekretär, finden Sie nicht, daß Ihre letzte Einlassung mehr in der Art eines Zensors geschah? Und da Sie den Eindruck vermitteln, daß jeder Zugang zu dieser Broschüre hat: Ist Ihnen bekannt, daß es in der Regel in der Truppe nicht so ist, daß jeder dort Zugang hat, wo diese Broschüre angeboten wird?
Herr Kollege, eine Funktion, Zensuren zu erteilen, steht der Regierung und mir in diesem Zusammenhang, in dem für Sie Fragen beantwortet werden, überhaupt nicht zu. Das habe .ich weder beabsichtigt noch - das werden Sie nachlesen können - mit meinen Antworten getan.
Jeder Soldat kann sich jederzeit als freier Bürger bei uns in der Demokratie jede Information, erst recht solche des Parlaments, holen. Da hat auch niemand irgend etwas zu irgendeiner Zeit beschnitten.
Damit ist die Frage 31 beantwortet, und die Fragestunde ist beendet.
({0})
Meine Damen und Herren, ich habe die Freude, dem Herrn Abgeordneten Delorme zu seinem 65. Geburtstag zu gratulieren.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir, bevor wir die Tagesordnung weiter abwickeln, einige Bemerkungen: 150 Millionen Afrikaner sind von akutem Hunger und von Unterernährung bedroht, wie die Vereinten Nationen festgestellt haben. Dies sind mehr Menschen als die gesamte Bevölkerung der Bundesrepublik, Frankreichs, der Niederlande und Belgiens.
Es ist deshalb zu begrüßen, daß der Deutsche Bundestag heute zu einer Debatte im Plenum zusammenkommt, um auf diese katastrophalen Zustände hinzuweisen und seine Hilfe anzubieten. Wir haben uns damit in die Aktion vieler Hilfsorganisationen eingereiht, die heute zu einer Solidaritätsaktion unter dem Motto „Ein Tag für Afrika - gemeinsam gegen den Hunger" aufgerufen haben. Vertreter dieser Initiativen haben auf der Diplomatentribüne Platz genommen; ich begrüße sie herzlich als Gäste des Deutschen Bundestages
({1})
und danke ihnen sehr herzlich für ihr freiwilliges Engagement.
Auf der Diplomatentribüne haben auch zahlreiche Botschafter Platz genommen; wir begrüßen auch sie herzlich.
Meine Damen und Herren, ich danke aber auch ganz besonders den zahllosen namenlosen Mitbürgern, die den Spendenaufrufen für die Hungernden in Afrika bisher gefolgt sind, und ich danke den Soldaten unserer Bundeswehr, die seit Wochen im Einsatz sind, um lebensnotwendige Hilfsmittel schnell und unbürokratisch dorthin zu bringen, wo die Not am größten ist.
({2})
Die große und spontane Hilfsbereitschaft in unserem Lande beweist, daß wir eigene bittere Erfahrungen nicht vergessen haben.
Sicherlich gibt es Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten über die Ursachen des schrecklichen Geschehens in Afrika, und es muß sie auch geben. Aber die Menschen, die unverschuldet in Not geraten sind, dürfen und werden wir darüber nicht vergessen und nicht im Stich lassen. Daß hierüber zwischen den Bürgern, dem Parlament und der Regierung ein breites Einvernehmen herrscht, empfinde ich als ermutigend; es möge sich für die Betroffenen besonders auswirken.
Mein Appell richtet sich an uns alle: Beweisen wir weiter Mitmenschlichkeit und lassen wir nicht nach in dem Bemühen, zu helfen, damit jetzt die drängendste Not gemildert wird und Afrika längerfristig in die Lage versetzt werden kann, sich selbst zu helfen, sich selbst zu ernähren.
Meine Damen und Herren, ich rufe jetzt Punkt 2 der Tagesordnung auf:
a) Beratung des Antrags der Fraktion DIE GRÜNEN
Bekämpfung der strukturellen Ursachen des Hungers in Afrika
- Drucksache 10/2782 -
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP
Ein Tag für Afrika - gemeinsam gegen den Hunger
- Drucksache 10/2783 Es sind für die Aussprache 60 Minuten mit Beiträgen von je fünf Minuten - Handhabung wie in einer Aktuellen Stunde - vorgeschlagen worden. Ist das Haus damit einverstanden? - Das ist der Fall; ich danke Ihnen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Repnik.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem Bundesland, aus dem ich stamme, Baden-Württemberg, leben über neun Millionen Menschen. Genauso viele Menschen sind zur Zeit in Äthiopien und im Sudan vom Hungertod bedroht. Viele von ihnen sind schon gestorben. In ganz Afrika - die Frau Präsidentin hat schon darauf hingewiesen - sollen es 150 Millionen Menschen sein, deren Ernährung nicht gesichert ist. Hilfsorganisationen und Journalisten haben uns diese unvorstellbare Zahl durch Einzelschicksale und durch Situationsberichte verständlich gemacht. Uns ist dabei auch klargeworden, daß alles bisher Geleistete nicht ausreicht, um die Hungernden soweit zu bringen, daß sie sich wieder aus eigener Kraft erhalten können.
Der heutige Tag ist daher ein Tag, der uns alle für ein langfristiges Engagement für die Hungernden in der Dritten Welt motivieren soll. Dieses Engagement zeigt sich im beispiellosen Spendenaufkommen, vor allem aber auch in einem erweiterten Bewußtsein der Bevölkerung.
Immer mehr Mitbürger fragen sich heute: Was bedeutet der Mensch in der Dritten Welt für mich? Allein die Zahlen erschüttern. Dennoch, sie bleiben anonym. Erst die Bilder hungernder und sterbender Menschen haben vielen von uns klargemacht: Hinter den Zahlen stehen lauter einzelne Menschen, ein Kind, eine Frau, ganz persönliche Schicksale. Hier sind wir herausgefordert, herausgefordert als Mitmenschen, als Politiker, als Christen. Halten wir diesen Ansprüchen stand? Kommen wir unserer humanitären Pflicht nach?
Die Bemühungen um Humanität zeigen sich, wenn die deutsche Bevölkerung und die Bundesregierung erhebliche Mittel für die hungernden Menschen aufbringen, ohne Ansehen des Regimes, unter dem diese Menschen leben müssen. Die Bemühungen um Humanität zeigen sich aber auch in vorbildlicher Weise in den tagtäglichen Einsätzen der
Hilfsorganisationen und aller Helfer, von den Kirchen bis zu den Bundeswehrsoldaten, die dafür alle ihre Kräfte mobilisieren.
Humanität muß aber auch die jeweilige Regierung des betroffenen Landes zeigen, deren Bevölkerung die Hungerkatastrophe erleidet. Sie muß die Hilfe zu allen Bewohnern durchlassen, ohne Ansehen von Religion, von politischer Anschauung und von Volkszugehörigkeit.
Verschiedene Meldungen in den vergangenen Wochen haben immer wieder Zweifel aufkommen lassen, ob die Spenden tatsächlich alle Bedürftigen erreichen, ob sie nicht bei irgendwelchen Regimen hängenbleiben. Ich appelliere an unsere Bürger: Lassen Sie sich nicht von solchen Meldungen irritieren. Was wir suchen, wen wir erreichen wollen, ist der Mensch. Jeder einzelne von uns entscheidet durch sein Verhalten in diesen Tagen auch darüber, wie viele Menschen in den nächsten Monaten in Afrika sterben oder überleben. Wir Politiker haben unser Wort verpfändet für die Wirksamkeit der Hilfe. Dies konnten wir nur, weil uns die menschlichen und organisatorischen Fähigkeiten, die vor allem von den privaten Trägern eingebracht werden, diese Garantie erst ermöglichen. Dafür danken wir von ganzem Herzen.
Dieser heutige Tag muß aber auch als Chance begriffen werden. Daß er nicht als Alibi für ein schlechtes Gewissen dient, zeigt der langanhaltende Spendenzufluß und das Engagement des Staates und der Regierung in der Vergangenheit. Doch sollte dieser Tag auch ein Signal sein. Jede Soforthilfe muß auf die Zukunft gerichtet sein mit dem Ziel der langfristigen Selbsthilfe der Hungernden. Nahrungsmittelhilfe als reine Wohltätigkeit allein ist wie eine Droge. Sie legt damit den Grundstein für neue Hungerkatastrophen. Ziel, auch politisches Ziel, muß es sein, Entwicklungs- und Sanierungsprojekte über Jahrzehnte hin anzulegen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Jahre 1984 und 1985 werden als Jahre des Hungers in die Geschichte Afrikas eingehen. Helfen Sie alle mit, daß sie nicht die Jahre des Hungertodes in Afrika werden. Mein Appell an uns alle, an die Bevölkerung: Seien wir, seien Sie alle großherzig. Spenden wir für Afrika. Unsere Spende erreicht den Menschen. Unsere Spende rettet Leben. Unsere Hilfe kommt an.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist gut, in diesen Tagen zu erfahren, daß unser Volk gegenüber dem Hunger in der Welt nicht gleichgültig ist. Es ist gut, daß wir uns im Bundestag zusammenfinden und uns fragen: Was können wir erstens tun, um extreme Not lindern zu helfen, und was können wir zweitens tun, um in der kommenden Zeit daran mitzuwirken, daß Mitmenschen in einer Welt, die dazu die Mittel hat, satt werden können?
Äthiopien ist ja leider kein Einzelfall, sondern der im Augenblick krasseste, wohl auch der schlimmste. Millionen Menschen hungern auch in anderen Ländern.
Hat man das nicht wissen können, werden wir gefragt. Die Antwort ist: Doch, man hätte es wissen können. Wird das alles vielleicht noch schlimmer? Die Anwort ist leider: Ja, es besteht die Gefahr, daß noch mehr Menschen in noch mehr Ländern verhungern werden. Und man fragt: Können die Leute dort nicht selbst mehr tun, um die bitterste Not abzuwenden? Die Anwort ist: Manche der Regierungen und der sogenannten Eliten hätten mehr tun können.
Aber jetzt kann es nicht darum gehen, Schwarze Peter zuzuteilen. Vielmehr geht es darum, zu helfen, wo immer wir es können, um Menschenleben zu retten. Karlheinz Böhm hat recht, wenn er an die fernöstliche Weisheit erinnert: Es sei besser, eine Kerze anzuzünden, als über die Finsternis zu jammern.
Nothilfe ist geboten, aber sie reicht nicht aus. Sie reicht nicht aus, um die Landwirtschaft in den Hungerländern in Schwung zu bringen. Dazu bedarf es weiterreichender Maßnahmen. Dazu braucht es den Einsatz aller Mittel und Kräfte der Privaten und der Öffentlichen. Dazu braucht es der Zusammenarbeit der reichen und der armen Länder. Dazu gehört der dringende Appell, Streitfragen in den Hungerländern und -regionen nicht länger mit Gewalt auszutragen.
({0})
Verantwortung tragen freilich auch andere, die Konflikte zuweilen von außen schüren helfen, die Waffen liefern oder Ideologien exportieren und dabei nur das Leid der Menschen vergrößern.
Die Menschheit kann den Hunger besiegen, wenn sie nur ein wenig mehr an Mitteln und Fähigkeiten aufwendet, nur ein Bruchteil dessen, was für tatsächliche oder vermeintliche Sicherheit in Anspruch genommen wird. Dieses Jahr wird die Welt an die 1 000 Milliarden Dollar dafür ausgeben. Das zusätzliche Weltbankprogramm für Afrika würde 1 Milliarde Dollar kosten. Das sind 0,1 % der weltweiten Militär- und Rüstungsausgaben. Diese 1 Milliarde Dollar ist noch nicht einmal gesichert.
Ich meine, bei Gesprächen über Rüstungsbegrenzung muß auch vom Hunger die Rede sein.
({1})
Ich bleibe dabei: Wo Hunger herrscht, kann Friede nicht Bestand haben.
Deshalb unser Dank an alle, die zu helfen bereit sind, und die Bitte an uns alle, nicht so zu tun, als gäbe es hier etwas abzuhaken, um sodann zur Tagesordnung überzugehen.
Ich danke Ihnen.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rumpf.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Auf der Welt werden täglich über 50 000 Hektar Wald vernichtet. Der Wald wird gerodet, um Felder zu bestellen oder um Kaffee, Tee, Bananen, Baumwolle und ähnliches darauf zu pflanzen, oder er wird gerodet, weil das Holz als einzige Energiequelle gebraucht wird. 50 000 Hektar Wald pro Tag - das sind fast 40 Hektar in der Minute oder 20 Millionen Hektar im Jahr. Das ist eine Fläche, die der Fläche der Bundesrepublik Deutschland entspricht.
Am selben Tag sterben 40 000 Kinder an Hunger.
Warum sage ich das? Weil ich den engen und unauflösbaren Zusammenhang zwischen der Vernichtung der ökologischen Grundlagen und dem Hunger herausstellen will. Dieser Zusammenhang gilt nicht nur für Afrika; er gilt für alle Entwicklungsländer in Asien und Südamerika, ja, er gilt selbst für Europa.
Die Menschheit muß daraus endlich die Lehre ziehen und handeln. Dabei reicht es nicht aus, 1985 zum Jahr des Waldes zu deklarieren, sondern es muß jetzt eine ungeheure Anstrengung unternommen werden zur Eindämmung der Urwaldvernichtung, zur Wiederbepflanzung verödeter Landstriche und Regionen mit Baumkulturen.
Die Dürregebiete in Afrika, vor allem im Sahel, benötigen 50 Millionen Hektar solcher Baumkulturen. Dann könnte die Ausbreitung der Wüste aufgehalten, die Trockenheit gemindert und der Hunger gelindert werden.
Dürrekatastrophen und Insektenschwärme hat es in der Geschichte schon immer gegeben. Aber sie wurden erst so katastrophal, nachdem der Mensch die ökologische Substanz zerstört hatte.
Ich möchte noch auf einen zweiten Zusammenhang hinweisen: Das ist der Zusammenhang zwischen der Art der Landbewirtschaftung und dem Hunger. Statt Kaffee, Baumwolle, Erdbeeren usw. muß der afrikanische Boden Reis, Mais, Hirse hervorbringen. Nur 26 % des Bodens in Afrika sind richtig bestellt. Die Gesamtfläche würde ausreichen, alle Hungernden in Afrika zu ernähren.
({0})
In Afrika können nur kleinbäuerliche Betriebe zu entsprechenden Ernten kommen. Deshalb müssen die Staaten dort auch selbst dafür sorgen, daß die Bauern eine Chance haben, ihren eigenen Boden zu bestellen und ihre Produkte im eigenen Land mit Gewinn zu verkaufen.
({1})
Kolchosen sind schon aus den soziokulturellen Strukturen heraus von vornherein zum Tode verurteilt. Unsere Entwicklungspolitik muß darauf zielen, diese Erkenntnis im politischen Dialog mit den Partnern durchzusetzen. Es ist deshalb gut, daß der Entwicklungsminister, Herr Warnke, auf der Grünen Woche in Berlin die Wirtschafts-, Planungs- und Finanzminister von 16 afrikanischen Staaten teilnehmen läßt und mit ihnen sprechen will.
Aber auch wir können etwas tun. Wir müssen die integrierte ländliche Entwicklung noch mehr zum obersten Ziel unserer Entwicklungspolitik machen: Millionen von kleinen Produkten, Millionen Hilfe für die Selbsthilfe statt eines Millionenprojekts.
Schließlich ein dritter Zusammenhang, der mindestens genauso wichtig ist wie die bisher genannten Zusammenhänge: Das ist der Zusammenhang zwischen Hunger, Elend und Überbevölkerung. Ohne Familienplanung und Geburtenkontrolle werden alle Anstrengungen der Entwicklungshilfe wirken wie in ein Faß ohne Boden hineingegossen.
({2})
Ohne eine Politik, die auch diese Fragen in den politischen Dialog mit den Partnern einführt und mit der ländlichen Entwicklung verknüpft, werden bei verbesserter medizinischer Versorgung immer mehr Kinder geboren, damit immer mehr Kinder Hungers sterben müssen.
Deutschland spendet für Afrika - das jetzt durchgeführte Nothilfeprogramm ist äußerst wichtig und wertvoll. Aber es kostet fünfmal soviel, wie die ländliche Entwicklung gekostet hätte, welche die Nahrungsmittelhilfe überflüssig gemacht hätte.
Ohne Erkenntnis dieser Zusammenhänge, meine Damen und Herren, ist langfristig wirksame Entwicklungshilfe nicht möglich. Sie ist dann soviel wert wie Schnee für Afrika.
({3})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Gottwald.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Aufrufe der verschiedenen entwicklungspolitischen Organisationen, Politiker und Persönlichkeiten für den heutigen Tag für Afrika werden eine ungeheure Resonanz in der bundesdeutschen Bevölkerung zeigen.
({0})
Große Spendensummen werden zusammenkommen. Dadurch wird ein Beitrag dazu geleistet, daß in den schlimmsten Hungergebieten Afrikas durch Nahrungsmittelhilfe Menschen vor dem akuten Hungertod bewahrt werden können. Wir GRÜNE begrüßen die Bereitschaft der bundesdeutschen Bevölkerung, diese akute Nothilfe zu leisten.
Trotz dieser gewaltigen Spendenbereitschaft müssen wir dennoch gerade heute darauf aufmerksam machen, daß dies nur ein Teil der Antwort sein kann, die wir auf die Katastrophe in Afrika finden müssen. Gerade heute müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie die Ursachen des Hungers beseitigt werden können, und auf diese Frage kann man mit Spenden allein nicht antworten.
Wenn wir an die strukturellen Ursachen des Hungers denken, so reicht es nicht, wenn wir den Hungernden etwas zu essen geben. Wir müssen unsere
Politik gegenüber den Entwicklungsländern radikal ändern: nicht nur die Entwicklungspolitik, sondern vor allem auch die wirtschaftlichen Beziehungen zu diesen Ländern. Der Hunger ist vor allem eine Folge der fatalen politischen Entscheidungen hier in der Bundesrepublik, in den Industrieländern. Wenn wir das heute nicht mitbedenken und unser Augenmerk lediglich auf die Höhe der gespendeten Summen richten - womöglich noch im festen Glauben, daß politische Fehlentscheidungen nur vor Ort getroffen wurden -, dann hat das ganze Unternehmen lediglich zur Folge, daß wir unser Gewissen beruhigt, daß wir uns ein gutes Gewissen erspendet haben.
Hunger wird durch falsche Entwicklungspolitik gemacht, die die Selbstversorgung in den Ländern untergräbt und die Volkswirtschaften der afrikanischen Länder auf die Weltmarktbedürfnisse ausrichtet. Die Handelspolitik der Industrieländer und nicht zuletzt eine Entwicklungshilfe, die in afrikanischen Ländern z. B. Blumen- und Gemüseexporte fördert, haben diesen Prozeß gefördert und eine Ausrichtung auf Binnenbedürfnisse erschwert.
Rüstungsexporte aus den westlichen Industrienationen und aus der Sowjetunion werden von den jeweiligen Regierungen genehmigt und kosten die Volkswirtschaften der afrikanischen Länder Milliardenbeträge. Die Europäische Gemeinschaft importiert Getreide als Futtermittel aus Hungergebieten, um sich hier eine milliardenschwere Überproduktion von Fleisch zu leisten.
An den strukturellen Ursachen des Hungers ändern wir nur etwas, wenn wir den heutigen Tag zum Anlaß nehmen, die Notwendigkeit einer anderen Welthandels- und Entwicklungspolitik zu diskutieren. Unsere Entwicklungspolitik muß helfen, die Binnenmärkte in den afrikanischen Ländern zu entwickeln und dabei besonders die Nahrungsmittelselbstversorgung zu fördern. Die staatliche Hilfe dafür ist heruntergegangen - das müssen wir ändern.
Unsere Entwicklungspolitik muß sich vornehmlich an die ärmsten Länder richten. Unsere Hilfe hierfür ist ebenfalls heruntergegangen - das müssen wir ändern. Unsere Entwicklungspolitik muß sich vornehmlich an die am stärksten bedrohten Länder, nämlich diejenigen südlich der Sahara, richten. Auch diese Hilfe ist heruntergegangen - das müssen wir ändern. Wir müssen die Futtermittelimporte aus den Hungergebieten in die EG stoppen und müssen aufhören, die Märkte in den Entwicklungsländern mit unserer landwirtschaftlichen Überproduktion zu überschwemmen und damit den dortigen Bauern ihre Absatzchancen zu nehmen.
({1})
Wir müssen aufhören, ständig aufs neue Rüstungsexporte in die Dritte Welt zuzulassen, die Menschen töten, anstatt sie zu ernähren.
Viele Leute glauben, der Hunger sei lediglich das Ergebnis davon, daß es in den ärmeren Ländern zu viele Menschen gibt. Dazu ein Beispiel: Im ehemaligen Obervolta konnten vor der Kolonialzeit dreimal so viele Menschen ihre eigene Nahrungsmittelproduktion bewerkstelligen, wie heute dort wohnen. Es kommt eben genau darauf an, was produziert, wie produziert wird und wem das Land gehört, auf dem angebaut wird.
Natürlich hat der Hunger ebenso politische Ursachen, die in den betreffenden Ländern selbst liegen. Aber unsere eigene Mitschuld, unsere eigene Verantwortung zu bedenken, muß heute vorrangige Aufgabe für uns sein. Da der vorliegende Entschließungsantrag der anderen Fraktionen dies unserer Meinung nach kaum berücksichtigt hat, sahen wir uns gezwungen, einen eigenen Antrag vorzulegen.
Die GRÜNEN im Bundestag unterstützen die Hilfsmaßnahmen von Entwicklungsinstitutionen, die vor allem der strukturellen Verbesserung der Ernährungssicherung dienen. Wir selbst werden die Einnahmen aus der Abgeordnetendiätenerhöhung des letzten Jahres - das waren für uns etwa 30 000 DM - zu gleichen Teilen dem Eritrea-Hilfswerk und der SWAPO für ihre Flüchtlingslager in Sambia zur Verfügung stellen.
({2}) Wir wollen damit -
Frau Kollegin, ich muß Sie herzlich bitten, Ihre Rede zu beenden. Ich habe Ihnen schon eine halbe Minute zugegeben.
Darf ich noch einen Satz sagen, weil das offensichtlich nicht verstanden wurde? - Wir machen das ganz bewußt, weil wir wissen, daß in Eritrea die Versorgung der Bevölkerung durch die Politik der äthiopischen Regierung sehr schlecht gewährleistet ist. Wir geben das Geld an das Flüchtlingslager der SWAPO, um damit an die koloniale Vergangenheit des ehemaligen Südwestafrika zu erinnern.
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Das Wort hat der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Einmaligkeit eines solchen Tages für Afrika entspricht die unerhörte Herausforderung, vor der wir uns heute weltweit sehen, eine Herausforderung, die gekennzeichnet ist durch die Gefahr des Hungertodes für Millionen von Menschen in Afrika.
Wir Deutschen leben heute im Überfluß. Als wir in Not waren - und dies ist keine 40 Jahre her -, wurde uns geholfen. Wir haben das nicht vergessen. Wir haben gemeinsam mit anderen geholfen, und Hunderttausende konnten im vergangenen Jahr gerettet werden durch Nahrungsmittelhilfe, durch Bereitstellung von Medizin, von Unterkunft, durch die Transportleistungen der Bundeswehr, durch den Einsatz der Männer des Technischen Hilfswerkes.
Doch was befürchtet wurde, ist eingetreten: Die Gefahr wächst. Nach den letzten Schätzungen fehlen über 5 Millionen Tonnen Getreide für Afrika. Die Europäische Gemeinschaft, die einzelnen Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft als Ganze, hat8612
ten für 1985 etwa ein Drittel dieser Menge vorgesehen. Das ist zu wenig. Die Bundesregierung hat im Europäischen Rat den Beschluß mitgetragen, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen, um weitere 1,2 Millionen Tonnen Getreide als Nahrungsmittelhilfe aufzubringen. Finanziert werden muß das und wird das aus unseren Haushalten, aber geliefert werden kann es dank einer Landwirtschaft in Deutschland und im Gemeinsamen Markt, die leistungsfähig ist. Hier werden unsere Überschüsse der landwirtschaftlichen Erzeugung sinnvoll eingesetzt.
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Der Hungertod fragt nicht, ob Regierungstruppen ein Gebiet kontrollieren oder Aufständische. Unsere Hilfe fragt auch nicht danach. Wir wollen Leben retten, nicht Partei ergreifen. Aber wenn es gilt, Hilfe auch wirklich den Bedürftigen zugute kommen zu lassen, dann, meine Damen und Herren, sind die nichtstaatlichen Hilfsorganisationen - deren Vertreter auch ich mit Genugtuung hier auf der Diplomatentribüne erkenne - unverzichtbare Partner des Staates.
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Die Kirchen, das Rote Kreuz und die anderen Nichtregierungsorganisationen können auch über Frontlinien hinweg, sie können auch durch Frontlinien hindurch an die Hungernden Hilfe bringen. Deshalb leitet die Bundesregierung ihre Nahrungsmittelhilfe grundsätzlich über diese Hilfswerke.
Der Dank der Bundesregierung gilt den Menschen, die sich zur Mitarbeit in den Organisationen der kirchlichen und der nichtgebundenen Hilfe zur Verfügung stellen.
({2})
Die Bundesregierung dankt gleichermaßen allen Bürgern, die es durch ihre Spende überhaupt erst ermöglichen, daß private Hilfe sich entfalten kann, und sie dankt allen Medien, die zu öffentlicher Hilfsaktion aufgerufen und diesen Tag gestaltet haben. Wir sehen und wir würdigen mit besonderer Freude das Engagement der Jugend, vor allem in den Schulen.
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Wir alle wissen: Nahrungsmittelhilfe ist nicht nur eine Wohltat. Sie kann Selbstbehauptungskräfte lähmen. Sie führt zur Abhängigkeit. Sie kann somit das Gegenteil von Entwicklungshilfe sein, wenn sie nicht mit Hilfe zur Selbsthilfe verbunden wird. Alles Geld nützt nichts, wenn wir die Wirksamkeit der Hilfe nicht steigern können. Die Steigerung der Wirksamkeit der Entwicklungshilfe ist Angelpunkt der Entwicklungspolitik der Regierung Kohl.
Ob eine Regierung links oder rechts ist, das ist ihre Sache. Aber daß sie eine vernünftige, wirksame Landwirtschaftspolitik betreibt, die zur langfristigen Sicherung der Ernährung aus eigener Kraft, zur Abwendung der Abhängigkeit von ausländischer Hilfe führt, das ist heute zur gemeinsamen
Sache der Länder des Nordens und des Südens geworden.
Deshalb werde ich noch in dieser Woche mit den Landwirtschaftsministern afrikanischer Staaten in Berlin zusammentreffen, um mit ihnen gemeinsam zu beraten, bei welchen Eigenanstrengungen Hilfe aus Deutschland ansetzen kann.
In sehr viel stärkerem Maß als bisher - das gilt prozentual und das gilt absolut - fördert die Bundesrepublik Deutschland in Afrika die ländliche Entwicklung. Waren für diesen Zweck im Jahr 1982 noch knapp 30 % unserer bilateralen Mittel bestimmt, so ist der Anteil der ländlichen Entwicklung in diesem Jahr auf 45 % der Gesamtzusagen in der Rahmenplanung gestiegen. Diese Mittel sind für den ländlichen Raum, aber innerhalb des ländlichen Raums überwiegend für die Erhöhung der landwirtschaftlichen Produktion bestimmt.
Zur Fehlentwicklung in der Dritten Welt gehört auch das massive Ansteigen der Rüstungsausgaben. Das ist - hier stimme ich dem Kollegen Brandt zu - ein Appell an die Entwicklungsländer. Das ist auch eine Frage, die die Weltöffentlichkeit aus akutem Anlaß an die Sowjetunion richtet: ob sie gegenüber Ländern, deren Menschen Hungers sterben, auf Zahlungen in Milliardenhöhe für massive Waffenlieferungen besteht.
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„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch" - dieses Wort von Hölderlin sehe ich auch in der gegenwärtigen Lage bestätigt. Noch nie haben die Afrikaner so eindeutig erklärt, daß sie die eigene Verantwortung für die Ernährung ihrer Völker sehen, schultern wollen und zur Änderung ihrer Politik bereit sind. Müßig ist es, nach Schuld zu fragen. Worauf es ankommt, ist die Bereitschaft auf seiten der Entwicklungsländer ebenso wie auf unserer Seite, auf seiten der Industriestaaten, aus Fehlern der Vergangenheit zu lernen.
Afrika ist kein armer Kontinent. Aber der Weg zur Nutzung seiner Reichtümer wird noch lang sein. Er erfordert von uns allen über die Spontaneität dieses Tages hinaus langen Atem, Geduld und den Willen, zu helfen auf lange Jahre.
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Das Wort hat der Abgeordnete Neumann.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich bin etwas traurig, daß es uns nicht gelungen ist, für den heutigen Tag eine gemeinsame Entschließung zusammenzukriegen.
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Neumann ({1})
Wir haben wirklich alles versucht, und ich meine, es ist letztlich an der Kompromißbereitschaft gescheitert. Vielleicht können wir später, wenn wir etwas mehr Zeit haben, bei solchen Themen versuchen etwas vorzubereiten. Dabei müssen wir drüber diskutieren, wie umfangreich so ein Antrag sein muß, wieviel man hineinpacken muß, oder ob es nicht sinnvoller ist - wie in der Entschließung der drei anderen Fraktionen -, sich hier auf den Tag zu konzentrieren.
Dieser „Tag für Afrika" ist in erster Linie ein Tag, den die Hilfsorganisationen erdacht, geplant und organisiert haben. Wir schließen uns diesen Aktionen sehr gerne an; denn die Hilfsorganisationen haben mit diesem Tag nicht nur einen Tag gewählt, der sich zu Spendenaufrufen eignet, sondern sie wollen auch auf die Ursachen der Hungerkatastrophe hinweisen. Wir sind besonders dankbar dafür, daß sich diese Organisationen nicht auf die aktuelle Katastrophensituation beschränken, sondern von vornherein deutlich gemacht haben, daß ihre Hilfe langfristig erfolgen muß, um die Ursachen der derzeitigen Hungerkatastrophe in Afrika zu beseitigen.
Immer mehr dringt in das Bewußtsein der Menschen in unserem Land, daß die Solidarität mit den Hungernden in der Welt zunächst bei uns anfangen muß. Erst wenn wir unser Bewußtsein geändert haben, wird eine partnerschaftliche Zusammenarbeit diese Welt vom Hunger befreien.
Natürlich kann man fragen, ob freie Hilfsorganisationen und Kirchen eine Aufgabe übernehmen sollten, die auch der Staat erledigen könnte. Es gibt eine Vielzahl von Gründen dafür, daß es so besser ist. Ich möchte nur einige nennen. Hilfsorganisationen können in der Regel viel schneller, viel phantasievoller und viel unbürokratischer ohne Rücksichtnahme auf außenpolitische Rahmenbedingungen helfen. Darüber hinaus habe ich das Gefühl, daß bei den Hilfsorganisationen auch oft wenig professionelle Helfer eingesetzt werden, die sehr viel mehr mit dem Herzen dabei sind und weniger Rücksicht nehmen auf Bedenken und Einwände und letztlich nur dem Menschen helfen wollen. Ihre Hilfe ist direkt an den betroffenen Menschen orientiert, und dafür sind wir den Hilfsorganisationen sehr dankbar.
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Viele Menschen fragen, ob diese Hilfe überhaupt ankommt. Ich bin nunmehr seit sechs Jahren im Bereich der humanitären Hilfe tätig, und ich kann aus vielen Ländern der Welt bestätigen, daß in 99 % der Fälle die Spenden, das persönliche Engagement, die Anregungen und die Aufklärung über die Notsituationen in dieser Welt zum Erfolg führen.
Wir dürfen allerdings nicht ungeduldig sein. Hilfe, gerade für die vom Hunger bedrohten Gebiete Afrikas, ist zunächst Überlebenshilfe, danach Hilfe zur Selbsthilfe, damit es nicht mehr zu solchen Katastrophen kommt. Es gibt gute Beispiele in der Vergangenheit, die gezeigt haben, daß langfristige Hilfe Länder in Afrika und über Afrika hinaus vom Hunger befreien kann. Es gibt bereits Länder in Afrika, die auch in der derzeitigen Dürrekatastrophe durchaus in der Lage sind, sich selbst zu versorgen; ich nenne Malawi, Elfenbeinküste, Kamerun. Es gibt Länder, von denen wir noch vor Jahren fast ständig im Zusammenhang mit Hungerkatastrophen gehört haben, etwa Indien. Wir haben in den letzten Jahren solche Meldungen - Gott sei Dank - aus Indien nicht mehr gehört.
Wir dürfen uns auch nicht irre machen lassen von unverständlichen Entscheidungen der Regierungen der betroffenen Länder. Diese Regierungen sind in aller Regel nicht von den Menschen gewählt worden, die Hunger leiden. Oft wissen die Menschen gar nicht, wer in den Hauptstädten regiert und welche politischen Entscheidungen getroffen worden sind. Wir sollten gegenüber diesen Regierungen laut und deutlich kritisieren, was uns an Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Aber allein unsere Kritik hilft den Menschen, die Hunger leiden müssen, nicht, weder in Äthiopien und im Tschad, im Sudan, in Mali oder Mosambik. Diesen Menschen muß jetzt und morgen geholfen werden. Sie dürfen nicht bestraft werden, etwa für den Beschluß der Vereinten Nationen - für den sie überhaupt nichts können -, jetzt 200 Millionen DM für den Bau eines Gebäudes auszugeben. Das Geld hätte man besser für Katastrophenhilfe ausgeben sollen.
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Ich möchte an unsere eigene Geschichte erinnern. Als wir hier nach dem Krieg Hunger litten, haben die Menschen aus den USA und aus Schweden und aus anderen Ländern auch nicht gefragt, welches Verschulden der Empfänger an den Ursachen des Elends in Deutschland gehabt hat. Wer einen Ertrinkenden retten will, kann nicht lange darüber diskutieren, warum er ins Wasser gesprungen ist.
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Wie Willy Brandt möchte auch ich als persönliches Beispiel für eine gute Initiative Karlheinz Böhm nennen, weil hier durch persönliches Engagement, durch die Hilfe vieler deutscher Spender, fachliche Beratung und partnerschaftliche Zusammenarbeit mit den Afrikanern die notwendige Ernährungssicherung gewährleistet worden ist. Seine Aktion ist genauso wie Tausende weniger bekannter Aktionen anderer Hilfsorganisationen in Afrika nur ein Beispiel dafür, wie jeder - egal, an welchem Platz - etwas dafür tun kann, daß Menschen, die in unwürdigen Umständen leben, ein menschenwürdiges Leben gewährleistet wird.
Vielen Dank.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hornhues.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Afrika, der Kontinent des Hungers, steht heute vor uns - in einer Plastizität, die man sich bei vielen anderen Punkten oft gewünscht hätte. Afrika, die Reaktion
auf Not und Elend dort - ich muß sagen: ich bin zutiefst berührt nicht nur von Not und Elend, sondern auch von der Fähigkeit vieler Menschen in unserem Lande, auf Not und Elend zu reagieren.
Hier ist viel gedankt worden. Ich möchte denen danken, die jetzt, heute, in einer unglaublichen Fülle von Aktionen auf Straßen, auf Plätzen, in Veranstaltungen versuchen, ihren Beitrag zu leisten, um den Hunger in Afrika zu lindern.
Äthiopien ist uns ins Bewußtsein gebracht worden, der Sudan, Tschad, eine Fülle von Ländern, in denen es Probleme gibt. Ich möchte denen danken, die dort arbeiten, um zu helfen, obwohl sie das Licht der Scheinwerfer noch nicht erreicht hat, die nicht wie manch anderer vom Dank erreicht werden, all den Ungenannten, Unbekannten, die stellvertretend für uns dort arbeiten. Ihnen meinen ganz herzlichen Dank!
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Dieser Tag wirft allerdings auch eine Fülle von Fragen auf. Fragen an uns, an andere sind schon aufgeworfen worden. Ich will sie vielleicht noch um ein paar Punkte ergänzen.
Ich glaube, es darf nicht der Weisheit letzter Schluß sein, daß wir Fleisch aus den Überschüssen unserer EG-Produktion in Afrika zu Dumpingpreisen auf den Markt bringen und damit den Bauern dort jegliche Chance einer eigenen Produktion vernichten und auch Projekte unserer Entwicklungshilfe, die wir mit Millionenbeträgen fördern, etwa in Togo, zunichte machen.
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Es darf der Weisheit letzter Schluß nicht sein, daß wir - was ich gern tue, weil ich davon überzeugt bin - auf der einen Seite für den Freihandel eintreten, auf der anderen Seite immer dann, wenn uns der Freihandel lästig wird, sehr schnell bei der Hand sind, für uns Schutzmaßnahmen gegen den freien Handel zu fordern.
Und ich meine, es darf der Weisheit letzter Schluß nicht sein, daß wir bei vielen Begegnungen und Gesprächen mit offiziellen Vertretern afrikanischer Länder viel sprechen und reden von Partnerschaft und Freundschaft, wenn wir dabei nicht den Mut haben, das zu sagen, was unter Partnern üblich und unter Freunden notwendig ist, nämlich das, was wir nach bestem Wissen und Gewissen für falsch und für richtig halten. Wenn wir diesen Mut nicht haben, sollten wir es uns künftig ersparen, von Freunden und Partnern zu sprechen. Wir haben uns da im Umgang miteinander einiges angewöhnt, was dem anderen nicht gerecht wird.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, so wahr es ist - das wurde hier schon angesprochen -, daß die Grenzen Afrikas für den heutigen Tag Probleme bedeuten, so sehr es richtig sein mag, daß auch wir da unsere Verantwortung tragen, so rechtfertigt dies in keiner Weise, darf dies kein Grund, kein Alibi für den Versuch sein, Probleme und Konflikte mit militärischer Gewalt, mit Terror, Blut und Tod zu lösen. Der heutige Tag sollte für uns alle auch ein Appell sein, uns mit aller Kraft, mit allem, was wir tun können und zur Verfügung haben, die Bundesregierung zu bitten, wie wir alles zu tun, mit einer Offensive im politischen Bereich wirklich alles, was in unseren Kräften steht, zu tun, um darauf zu drängen, daß endlich friedliche Lösungen Krieg und Terror ersetzen. Denn es ist für die Menschen wirklich das Entsetzlichste, wenn zu dem Hunger, den Sie haben, auch noch Not und Elend von Krieg kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, bei all dem, was man sagen mag - „Was hilft das? Kommt unsere Hilfe über? Können die sich nicht selbst besser helfen?" -, möchte ich das unterstreichen und unterstützen, was meine Vorredner gesagt haben; niemand solle sich dies bitte als Alibi nehmen, wie man es hier und da liest. Wenn wir, die wir können, den Hungernden in Afrika nicht helfen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wer sollte es sonst tun? Andere haben in der Regel nur Ideologien und Waffen anzubieten. Wir können, wenn wir wollen, die Hungernden satt machen. Darum möchte ich Sie und uns alle bitten.
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Das Wort hat der Abgeordnete Feilcke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle Menschen, insbesondere wir in den entwickelten Industrienationen, sind aufgerufen, unmittelbare Katastrophenhilfe zu leisten. Wenn es darum geht, Menschen vor dem Tod zu bewahren, dann sollten Schuldzuweisungen, sollte jeder Streit um Ideologien, ja, auch um den richtigen langfristigen Weg, vermieden werden, denn es soll ja schnell geholfen werden. Aber auch angesichts der schrecklichen Berichte aus einigen afrikanischen Ländern darf, ja, ich meine, muß darauf hingewiesen werden, daß die Katastrophenhilfe wirklich nur auf Zeiten schlimmster Not begrenzt werden darf und Nahrungsmittelhilfe auf keinen Fall langfristige Entwicklungen stören oder gar behindern darf. Sie darf nicht dazu führen, daß einheimische Produkte nicht mehr verkauft werden können und den Produzenten dadurch die Einkommen entzogen werden. Darauf ist schon verschiedentlich hingewiesen worden.
Geht es heute darum, Menschen vor dem Hungertode zu retten, so geht es morgen darum, ihnen mit unserer Hilfe Möglichkeiten zu verschaffen, für sich selbst zu sorgen. Nur die Verstärkung eigener Agrarproduktion gibt den Ländern Afrikas, deren Volkswirtschaften weitgehend von ihren landwirtschaftlichen Ressourcen abhängen, bessere Überlebenschancen. Die Förderung der Entwicklung des ländlichen Raumes ist möglich. Dies beweisen gut arbeitende Projekte insbesondere der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Eine Delegation des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit hat beispielsweise kürzlich in Westafrika einen sehr positiven Eindruck von dortigen Projekten der ländlichen Entwicklung bekommen können. Das
Ansehen der deutschen Hilfe ist bei allen dort Beteiligten, sowohl den zuständigen Regierungsvertretern als auch bei den eingesetzten deutschen Experten, insbesondere aber auch bei den in den Projekten arbeitenden afrikanischen Menschen sehr hoch. Die deutschen Projekte gelten darüber hinaus - das hat uns mit besonderer Freude erfüllt - auch bei den Vertretern anderer Länder als vorbildlich.
Die CDU/CSU-Fraktion fordert die Bundesregierung auf, die Förderung integrierter Projekte im ländlichen Raum weiter zu forcieren. Mit Genugtuung haben wir zur Kenntnis genommen, daß die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland für Afrika von 329 Millionen DM im Jahre 1984 auf 528 Millionen DM im Jahre 1985 erhöht werden soll.
Es ist in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder darauf aufmerksam zu machen, daß langfristige Hilfe wirkungsvoll, aber auch kurzfristige Katastrophenhilfe unverzichtbar ist. Unbegreiflich erscheint es mir, daß z. B. die Zeitschrift „Der Spiegel" dieser Woche in pharisäerhafter Arroganz zu den Spendenaufrufen anläßlich des Tages für Afrika schreibt: „Die milden Gaben gleichen einem. Ablaßhandel für schlechtes Gewissen." Es schreibt in diesem Zusammenhang auch von „karitativem Überschwang". Müssen wir eigentlich wirklich ein schlechtes Gewissen haben? Ich glaube, nein. Ich glaube, wir haben die Chance, ein gutes Gewissen zu bekommen, wenn es mit unserer Hilfe gelingt, dazu beizutragen, daß weniger Menschen den Hungertod sterben, weniger Menschen den Kampf um das nackte Überleben führen müssen, und wenn mit unserer Hilfe durch langfristig angelegte Maßnahmen diese Menschen eines Tages in der Lage sind, an mehr zu denken als an die bloße Existenzsicherung, nämlich eines Tages auch an ein humanes Leben.
Trotz gelegentlicher madigmachender öffentlicher Stellungnahmen von bestimmten Journalisten fordert die CDU/CSU-Fraktion die deutsche Öffentlichkeit heute auf: Geben Sie einer der 18 Hilfsorganisationen eine Spende für Afrika! Diese Organisationen verbürgern sich dafür, daß die Hilfe dort ankommt, wo sie gebraucht wird. Wir danken den karitativen Institutionen für ihr Engagement und auch für die Idee und die Durchführung des heutigen Tages. Geben Sie beispielsweise eine Spende in der Höhe des Betrages, den Sie aufwenden würden, wenn Sie einmal abends schön ausgehen wollen oder wenn Sie zu Hause Gäste bewirten!
Ich möchte noch einen Gedanken kurz ansprechen, den der Herr Kollege Neumann schon geäußert hat, und ihn nur in einen anderen Zusammenhang stellen. In diesen Tagen wird in der deutschen Öffentlichkeit darüber diskutiert, wie des 40. Jahrestages des Kriegsendes angemessen gedacht werden kann. Meiner Ansicht nach gehört dazu auch dieser Aspekt: Die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges, mit Ausnahme der Sowjetunion allerdings, haben uns Deutschen, als es uns sehr schlecht ging, außerordentlich schnell und wirkungsvoll geholfen. Dabei denke ich nicht nur an die MarshallplanHilfe und - als Berliner Abgeordnetem sei mir dies gestattet - an die großartige Luftbrücke, mit der Berlin ein Jahr lang versorgt wurde, ich denke auch an die vielfältigen Hilfsmaßnahmen aus allen Teilen der Welt, zum Teil auch aus Entwicklungsländern, beispielsweise Südamerikas. Von überall kam Hilfe für Deutsche, die in Not waren. Wir wurden nicht dafür bestraft, daß ein verbrecherisches Regime Ursache für diese Not war. Auch diese geschichtliche Erfahrung, meine Damen und Herren, gehört zum 40. Jahrestag des Kriegsendes.
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Deshalb sind gerade wir Deutschen, denen in schwerster Zeit geholfen wurde, aufgerufen, unbeschadet zugegebenermaßen mancher politischer Fehlentwicklungen in Entwicklungsländern, den Menschen, die in akuter Not sind, schnell zu helfen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bindig.
Frau Präsidentin! Es ist selbstverständlich, jetzt, wo die Menschen in Afrika hungern und sterben, müssen humanitäre Sofortmaßnahmen organisiert werden. Es ist aber auch wichtig, die Ursachen der Not zu erkennen und sich der Problematik der Nahrungsmittelhilfe bewußt zu werden.
1973 gab es eine erste Katastrophe, 1984/85 gibt es jetzt eine zweite, größere Katastrophe, und es darf nicht zu einer Jahrtausendkatastrophe in einem der nächsten Jahre kommen, sondern es müssen jetzt Vorkehrungen getroffen werden, um weitere Katastrophen zu vermeiden.
({0})
Da richten sich einige Forderungen an uns, diese Erfahrungen aus den bisherigen Hungersnöten aufzuarbeiten: Forderungen an unsere Entwicklungspolitik, an unsere Agrarpolitik, an unsere Wirtschaftspolitik und an unsere Außenpolitik.
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Sehen wir uns einmal die Hilfsleistungen der Entwicklungspolitik an: Etwa ein Drittel der Hilfsleistungen wird für die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Menschen in den Ländern der Dritten Welt ausgegeben, für die ländliche Entwicklung sind es nach den vorliegenden Ist-Zahlen Werte, die auch nur bei einem Viertel bis einem Drittel der Mittel der Entwicklungspolitik liegen, auch wenn jetzt die Soll-Zahlen etwas höher angesetzt sind, wie wir soeben gehört haben. Ich meine, daß diese Zahlen zu gering sind. Wir müssen uns viel stärker als bisher auf die ländliche Entwicklung und die Grundbedürfnisse konzentrieren. Hier müssen Werte in der Größenordnung von 60 bis 70 % er8616
reicht werden, und nicht in der Größenordnung, wie wir sie bisher hatten.
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Leider laufen Trends, die im Moment in der Entwicklungspolitik eingeleitet werden, nicht in diese Richtung. Wir müssen von den finanziellen Hilfsmitteln für technische Großprojekte oder Projekte mit moderner Technologie zu Hilfsleistungen in der ländlichen Entwicklung kommen und hier weg von den aufwendigen Projekten und hin zu den einfachen und angepaßten Projekten.
Eine weitere Forderung richtet sich an unsere Agrarpolitik. Die landwirtschaftliche Überproduktion in der EG durch Futtermittel, die aus den Entwicklungsländern kommen, muß beendet werden. Es muß Schluß damit sein, daß europäische Schweine und Kühe den Afrikanern über die Mechanismen des Futtermittelhandels die Nahrungsmittel wegfressen.
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Eine Forderung richtet sich auch an unsere Wirtschaftspolitik. Hier muß dem Trend entgegengewirkt werden, daß die Entwicklungsländer immer mehr Rohstoffe und auch Agrarprodukte für den Export verwenden müssen, da sich die Austauschverhältnisse für die Entwicklungsländer ständig verschlechtern. Hierher gehört auch die Forderung nach einer Reduzierung und Einstellung des Waffenexports in Länder der Dritten Welt.
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Forderungen gibt es auch an unsere Außenpolitik. Die Rüstungskontrollgespräche, die bisher im Ost-West-Kontext geführt werden, müssen um eine Nord-Süd-Dimension erweitert werden.
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Der Politikdialog mit den Entwicklungsländern muß gestärkt werden. Es muß geprüft werden, ob es nicht einen internationalen Vorstoß geben kann, um eine Friedensinitiative zu erreichen, damit es auf der Basis völkerrechtlicher Regelungen in den Entwicklungsländern, wo Hunger herrscht und wo kriegerische Auseinandersetzungen stattfinden, wenigstens zu einem Waffenstillstand kommen kann.
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Der Tag für Afrika soll die unmittelbare Not in den afrikanischen Hungergebieten mildern. Einen weiteren großen Erfolg würde er erzielen, wenn er den Bundestag - also uns - und die Bundesregierung zu einer Änderung der Politik in den genannten Bereichen veranlassen würde.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Stercken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu Opfer und Verzicht sind wir alle aufgerufen, und dies nicht nur angesichts des Hungers in Afrika. Ich glaube, wir müssen lernen, umzudenken. Ist nicht die Entwicklung der Dritten
Welt die eigentliche zentrale Frage unserer Zeit? Müssen wir in dieser Stunde nicht bedauern, daß durch die Spannungen zwischen Ost und West Ressourcen und Kräfte für die Sicherung unserer Freiheit in Anspruch genommen werden müssen, die wir besser in die Gestaltung einer menschlichen Welt einbringen würden?
Auch Afrika braucht Hilfe und keine weiteren Waffen. Der Waffeneinkauf hat vielerorts die Staatsfinanzen ruiniert. Am Beispiel Äthiopiens ist uns dies besonders deutlich geworden. Ich appelliere daher von dieser Stelle aus an die Sowjetunion, diesem durch Leid geplagten Staat die Schulden für Waffeneinkäufe zu erlassen,
({0})
damit nicht weitere Exporterlöse für deren Tilgung eingesetzt werden müssen.
({1})
Meine Damen und Herren, die derzeitige Not ist die Folge des Zusammentreffens vieler Faktoren. Die Probleme der Sahelzone sind seit der Antike bekannt. Regenfälle bleiben oft mehrere Jahre aus. Wir kennen die Überlieferung von den sieben fetten und den sieben mageren Jahren. Doch das eigentliche Problem ist das sprunghafte Ansteigen der Bevölkerungszahl, ermöglicht durch Hygiene und medizinische Versorgung. Daher ist der Boden in den Nomadengebieten überweidet. Das Wasser reicht nicht mehr aus.
Landwirtschafts- und Siedlungspolitik müssen beraten und zu raschem Handeln befähigt werden. Ziel unserer Hilfe muß sein, die Ursachen zu korrigieren, nicht nur die Auswirkungen zu lindern.
Meine Damen und Herren, 350 000 weitere äthiopische Flüchtlinge, die in den letzten Wochen im Sudan eingetroffen sind, haben nur deshalb ihre Heimat verlassen, weil sie dort von der Hungerhilfe nicht erreicht wurden. Dieses Schicksal erleiden heute noch rund 6,5 Millionen Menschen in Tigre und Eritrea. Die Vereinten Nationen rechnen mit mindestens 300 000 weiteren äthiopischen Flüchtlingen im Sudan.
Die Bürgerkriege sind in vielen afrikanischen Staaten ein weiterer Grund für das Elend der Menschen. Wer diese inneren Spannungen und Grenzstreitigkeiten kennt, weiß, daß sie mit Waffengewalt nicht zu lösen sind. Die Rettung vieler Millionen Menschen verlangt, daß alle Beteiligten unverzüglich ihre Verhandlungsbereitschaft erkennen lassen.
Gegen den Hunger und das Elend wollen wir alle miteinander kämpfen - nicht gegen Menschen, die wir doch retten wollen. Wir werden den Hunger nicht besiegen, wenn der Bruderkrieg fortgesetzt wird. Jede Chance zur Versöhnung muß genutzt werden. Wir sollten dies allen Beteiligten sagen, insbesondere den Regierungen, aber auch den Widerstandsbewegungen in den Katastrophengebieten. Es geht zwar um das Leben von Menschen auf einem leidgeprüften Kontinent, doch es geht ebensosehr um den Frieden. Wer diese Stunde nicht
nutzt, um alle Streiter zur Einigkeit zu mahnen und zur Einsicht zu führen, der schafft nur vordergründige Entlastungen.
Ein vielleicht zehnjähriger Bub' aus Äthiopien ergriff vor wenigen Tagen in einem Flüchtlingslager im Sudan meine Hand und sagte ein Wort, wahrscheinlich das einzige englische, das er kannte: peace. Darin liegt alles, was uns in dieser Stunde bewegen muß. Tragen wir doch zu diesem Frieden bei, denn Frieden ist Leben, Gerechtigkeit und Befreiung von Not. Wir können sehr viel mehr bewirken, wenn wir es nur wollen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Verheugen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gegen Ende dieser Debatte, die trotz zweier vorliegender Entschließungsanträge wohl doch ein wichtiges Stück Gemeinsamkeit gezeigt hat, möchte ich darauf hinweisen, daß die Not auf dem afrikanischen Kontinent nicht nur von Hunger bestimmt ist und daß ich es bedrückend finde, daß immer erst Hungerkatastrophen das Interesse der breiteren Öffentlichkeit auf Afrika lenken. Wir hätten den Sinn der heutigen Debatte verfehlt, wenn wir nicht ein paar über den unmittelbaren Anlaß hinausreichnde Überlegungen angestellt hätten; denn nicht nur Hunger und Unterentwicklung verursachen das Elend. Afrika ist auch gequält von Rassismus, Kolonialismus, Krieg, Bürgerkrieg und vielfältiger Unterdrückung.
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Der Kontinent ist immer noch im Umbruch; er hat die Folgen des Kolonialzeitalters und die Einflüsse der dafür Verantwortlichen noch nicht überwunden. Der Hunger ist keine unvermeidbare Naturkatastrophe, sondern ist von Menschen, von ihrem Handeln und ihrem Unterlassen, gemacht.
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Auch ich gehöre nicht zu denen, die über die Fehler der afrikanischen Staaten hinwegsehen und die Verantwortung für alles, was dort geschieht, bei uns suchen. Aber wir dürfen auch nicht darüber hinwegsehen, daß die Industriestaaten des Nordens Afrika bisher keine wirkliche Chance zu einer eigenständigen Entwicklung gegeben haben.
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Es ist doch wahr, daß Afrika immer noch als billiger Rohstofflieferant betrachtet wird, der sich gegen seine Ausbeutung nicht einmal wehren kann, und es ist auch wahr, daß die Schablonen des Ost-West-Gegensatzes immer wieder auf afrikanische Länder angewandt werden, die damit nicht das geringste zu tun haben.
Die kritische Ernähungslage in Angola und in Mosambik, der Hunger in Äthiopien, all das hat auch etwas damit zu tun, daß diese Länder in weltpolitische Konflikte gerissen worden sind. Alle Industriestaaten müssen lernen, daß Afrika seinen eigenen politischen Weg finden muß. Der Kampf um Interessensphären darf nicht auf dem Rücken der Menschen ausgetragen werden. Blockfreiheit ist für die Länder Afrikas der richtige Weg, und diese Blockfreiheit muß von allen Seiten respektiert werden. Hilfe kann nicht von politischem Wohlverhalten abhängig gemacht werden.
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Meine Damen und Herren, an einem „Tag für Afrika" darf nicht darüber geschwiegen werden, daß dieser Kontinent mit Waffen auch aus diesem Land vollgestopft wird,
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daß im südlichen Afrika immer noch Rassismus und Kolonialismus triumphieren und daß sich die Demokratie in Afrika insgesamt auf dem Rückzug befindet. Wer am Rüstungsexport nach Afrika verdient, ist ja wohl bekannt, und daß die wachsenden Rüstungsausgaben in Afrika die Kraft zur Bewältigung der Entwicklungsprobleme schwächen, ist unzweifelhaft wahr. Ich frage mich, warum der Internationale Währungsfonds bei Umschuldungsaktionen und Kreditvergaben nicht die Senkung der Rüstungsausgaben statt der Senkung von Sozialausgaben zur Bedingung gemacht hat.
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Über die Verantwortung der Republik Südafrika für die Instabilität der gesamten Region muß immer wieder gesprochen werden. Daß Länder, die nicht nur sich, sondern auch andere ernähren könnten, heute gegen Hungersnöte kämpfen müssen, ist die Folge von Bürgerkriegen, die immer noch von Südafrika her gefördert werden.
Was Demokratie angeht: Auch hier muß Afrika seine eigene, der afrikanischen Kultur gemäße Form finden. Entscheidend für uns ist, daß die Menschenrechte beachtet werden. Zu diesen Menschenrechten gehören auch so elementare Rechte wie die Freiheit von Hunger und Elend.
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Wo eine menschenwürdige Existenz möglich ist, da werden auch Regierungsformen entstehen, die das heute in Afrika vorherrschende Modell der Militärregierung ablösen.
Wir können einen Beitrag leisten, um Afrika, einem Kontinent, der in Hoffnungslosigkeit zu versinken droht, eine Zukunft zu geben. Aber dieser Beitrag kann sich nicht in Katastrophenhilfe erschöpfen. Eine langfristige, zu Leistungen und Opfern bereite Zusammenarbeit tut not, um in Afrika die Strukturen zu schaffen, in denen die Menschen wirklich überleben können.
Danke schön.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Ertl.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich mit den Worten des Dankes namens der Freien Demokraten an all jene be8618
ginnen, die zu diesem Tag der Besinnung und, wie ich auch hoffe, zu diesem Tag der Hoffnung, nämlich der Hoffnung für die Menschen in Afrika, aufgerufen haben, und mit in den Appell einmünden, wir sollen das Unsere tun. Ich möchte aber auch danken dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Auswärtigen Amt sowie beiden Ministern für ihre Arbeit.
Es wurde gerade sehr beredt von Rüstungslieferungen gesprochen. Wir alle wissen: Hunger bedeutet Konfliktstoff, vielleicht sogar bittersten Konfliktstoff. Nur: Ich nehme an, daß jeder in diesem Hause weiß, wer sich einmischt. In Afrika mischt sich nicht nur Südafrika ein. Es sind ganz entfernte Mächte, die hier brutal mit Waffen und Ausbildung anstelle aktiver Hungerbekämpfung Kriege fördern.
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Wir können auf Grund unserer großartigen Position nur leidenschaftlich an alle Mächte in der Welt, ganz gleich, wie ihre gesellschaftliche Grundposition ist, appellieren: Macht Schluß mit dem Wettrüsten; stärkt den Frieden, und dann bekämpft ihr aktiv den Hunger!
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Ich möchte zwei Punkte ansprechen.
Erstens: die praktische Hilfe. Ich halte es für eine Illusion und für unredlich - ich benutze das Wort unredlich -, wenn man glaubt, daß man angesichts eines Bevölkerungswachstums auf rund sechs Milliarden Menschen in vierzehn Jahren den Hunger in der Welt kurzfristig lösen kann. Das ist zumindest ein mittelfristiges, wohl eher ein langfristiges Programm. Es muß deshalb aus zwei Schienen bestehen, aus der Hilfe zur Selbsthilfe, aber auch aus dem aktiven Kampf gegen den Hungertod, und zwar in Afrika, Asien und in weiten Teilen Amerikas, speziell Lateinamerikas. Zur Methode der Hilfe komme ich noch.
Eine zweite Bemerkung. Es wurde von meinen Vorrednern wiederholt auf die Überschüsse hingewiesen. Meine Damen und Herren, ich frage Sie jetzt: Womit wollen Sie Hunger in der Welt aktiv bekämpfen, wenn kein Land in der Welt Überschüsse hätte? Haben Sie vielleicht schon einmal darüber nachgedacht, daß es im wesentlichen westliche demokratische Länder sind, die überhaupt Agrarüberschüsse produzieren, sei es USA, sei es Kanada, seien es Neuseeland, Australien oder die Länder der Europäischen Gemeinschaft?
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Glauben Sie, daß das nicht etwas mit System zu tun hat? Oder glauben Sie, daß das ein Zufallsprodukt ist? Das ist ordnungspolitisch bedingt. Das ist weiterhin dadurch bedingt, daß wir nur in einer leistungsfähigen Volkswirtschaft eine leistungsfähige Landwirtschaft haben.
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Agrarstaaten waren zu allen Zeiten arme Staaten.
In dieser Stunde wurde mit Recht an die bittere Not im Mai 1945 erinnert. An diesem Pult hat mein Schwiegervater im Jahr 1952 eine Rede gehalten: Die Sorge um das tägliche Brot. Uns plagte in den 50er Jahren die Sorge um das tägliche Brot. Nur durch den Wiederaufstieg unserer gesamten Volkswirtschaft wurde eine leistungsstarke Landwirtschaft geboren. Sie produziert Überschüsse.
Ich bin sehr froh über die Zusage des Herrn Bundesministers: Der Vorrang in der Entwicklungspolitik muß der integrierten ländlichen Entwicklung gelten, und zwar nicht der isolierten landwirtschaftlichen Entwicklung, sondern der kombinierten handwerklich-industriell-gewerblichen Entwicklung. Das ist die Zukunft.
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Daraus muß sich die Kooperation zwischen Ost und West und Nord und Süd ableiten.
Verehrte Freunde, die Sie so beredt das Beispiel von den Schweinen gebracht haben, die mit Futtermitteln aus Afrika gefüttert werden: Sie sind auf dem Holzweg. Die Hauptimporte von Futtermitteln kommen aus Thailand, aus Brasilien und aus den Vereinigten Staaten von Amerika; nicht aus den bedrohten afrikanischen Ländern. Man muß sich eben sachkundig machen.
Lassen Sie mich ein Letztes sagen: Es geht auch darum, die Entwicklungshilfepolitik effizienter zu organisieren.
Vizepräsient Frau Renger: Entschuldigen Sie, Herr Kollege, Ihre Redezeit ist zu Ende. Wir müssen uns daran halten.
Zwei Schlußsätze. Geben Sie Nahrungsmittel für Arbeit. Diese Länder haben vielfältigen öffentlichen Bedarf für Schulen, Straßen, Kanäle. Geben Sie diesen Ländern die Naturalien, damit die Menschen Arbeit und Brot bekommen, damit die Familien satt werden. Auf englisch heißt dieses Konzept „Food for work". Geben Sie Nahrungsmittel für die Schulen, und Sie werden sehen, daß Sie den Hunger merklich bekämpfen. Aber dazu brauchen Sie die Nahrungsmittel, und Sie brauchen die Einwilligung der Regierungen dafür, daß solche Programme vollzogen werden. Dann helfen Sie in der Tat.
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Das Wort hat der Abgeordnete Graf Waldburg-Zeil.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bilder und Meldungen können erschüttern und eine Flut des Mitleids schaffen. Gedenktage und Aktionen vermögen eine solche Flut zu kanalisieren und in aktive Hilfe umzusetzen. Aber dann kommt der Alltag, und mit ihm gerinnt Mitleid zur Kritik an Schuldigen, die schnell gefunden sind. Und die Hilfe versiegt.
Dagegen sollten wir uns und die Öffentlichkeit heute wappnen, desgleichen gegen die Versuchung,
das Problem des Hungers in Afrika als kurzfristig einzustufen. Wir brauchen eine Langzeitstrategie. Dazu zählt das Frühwarnsystem. Es hat diesmal eindeutig nicht funktioniert, obwohl bereits im September 1982 der britische Professor Griffin mit einem Team westlicher Wirtschaftsexperten eine Studie erarbeitet hatte, in der nachgewiesen wurde, daß ein Desaster in der landwirtschaftlichen Produktion bevorstünde. Sichern wir uns ab. Wir haben genügend Botschaften und Experten, um rechtzeitig informiert zu sein.
Zweitens: das Transport- und Verteilungsproblem. Einzelne Länder sind mit logistischen Problemen dieses Ausmaßes überfordert. Welch eine Aufgabe auch für Institutionen, die da sind, Kriege überflüssig zu machen. Warum nicht heute schon exerzieren. Welche Aufgaben Hunger- und Katastrophenwehren in einer abgerüsteten Welt zu erfüllen hätten.
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Drittens: das Marktproblem. Nahrungsmittelhilfe darf nicht die heimische Landwirtschaft zerstören.
Viertens: die Landwirtschaftsentwicklung. Nur eine breite bäuerliche Bevölkerung kann die Gefahren von Monokulturen beseitigen und gebräuchliche Lebensmittel in genügender Vielfalt produzieren. Dazu gehört nicht nur beratende Hilfe, die Bodenerosion vermeiden, Erträge steigern und Umwelt schonen hilft, sondern auch der politische Dialog über das Bodenrecht. Ein Pächter nur bis zur nächsten Ernte kann kein guter Landwirt sein.
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Fünftens: Aufforstungsprogramme, wo möglich. Wald hält Feuchtigkeit.
Sechstens: Programme gegen die weitere Ausdehnung der Wüsten j a, aber Vorsicht mit Patentrezepten. Nomadenseßhaftmachung hat teilweise zur Dürre beigetragen, weil die „Söhne der Wolken" früher dahin zogen, wo Regen war. Als Seßhafte trugen sie zur Überweidung bei.
Siebtens: Respekt vor gewachsenen Kulturen. Vieles, was in unseren Breiten als Unterentwicklung gilt, entspringt einer Kultur, in deren Mitte Mensch und Umwelt stehen.
Ich danke Ihnen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung über die Anträge. Wer dem Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2782 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer dem Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 10/2783 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit großer Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren, wir sind damit am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 24. Januar 1985, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.