Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 1/18/1985

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Die Sitzung ist eröffnet. Ich rufe die Punkte 22 bis 25 der Tagesordnung auf: 22. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung und der Geldleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung im Jahre 1985 - Drucksache 10/2705 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({0}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO 23. Beratung des Berichts der Bundesregierung über die gesetzlichen Rentenversicherungen, insbesondere über deren Finanzlage in den künftigen 15 Kalenderjahren, gemäß §§ 1273 und 579 der Reichsversicherungsordnung, § 50 des Angestelltenversicherungsgesetzes und § 71 des Reichsknappschaftsgesetzes ({1}) sowie das Gutachten des Sozialbeirats zur Anpassung der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung zum 1. Juli 1985 sowie zu den Vorausberechnungen der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzlage der Rentenversicherung bis 1998 - Drucksache 10/2235 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({2}) Ausschuß für Wirtschaft Haushaltsausschuß 24. Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Hinterbliebenenrenten sowie zur Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung ({3}) - Drucksache 10/2677 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({4}) Innenausschuß Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO 25. Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Rentenversicherung ({5}) - Drucksache 10/2608 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung ({6}) Rechtsausschuß Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Meine Damen und Herren, nach einer Vereinbarung im Ältestenrat sind eine gemeinsame Beratung der Punkte 22 bis 25 der Tagesordnung und eine Aussprache von vier Stunden vorgesehen. Ist das Haus damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung.

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir leben in aufgeregten Zeiten, und die Aufregungen sind relativ leicht zu produzieren. Aber Erregung ist ein schlechter Ratgeber. Deshalb möchte ich diese Debatte mit einer beruhigenden Feststellung beginnen: ({0}) Wir haben ein Spitzenniveau der Rentenhöhe. Wer 45 Jahre Beiträge gezahlt hat, erreicht 1984 eine Rente von 73,4 % des vergleichbaren verfügbaren Einkommens der Arbeitnehmer. Mit anderen Worten: Der Rentner erhält nach einem voll erfüllten Arbeitsleben rund drei Viertel des Lohnes, den er als Arbeitnehmer erhalten würde. Das Rentenniveau des Jahres 1984 liegt zusammen mit dem des Jahres 1977, betrachtet man alle Jahre, seitdem es die Rentenversicherung gibt, an der Spitze. ({1}) Die Sozialdemokraten haben 1980 Helmut Schmidt Beifall geklatscht, als er in seiner Regierungserklärung 71,1% als Rekordrentenniveau darstellte. Wer 1980 bei 71% Bravo gerufen hat, kann 1985 bei 73 % nicht Pfui rufen. ({2}) Nach Adam Riese liegen 73% 2 % höher als das Spitzenniveau, das den Beifall der Sozialdemokraten gefunden hatte. Das hohe Niveau unserer Renten ist das Ergebnis sozialpolitischer Anstrengungen, an denen Politiker vieler Generationen und vieler Parteien, auch der Sozialdemokratischen Partei, beteiligt waren. Es ist aber vor allem auch das Ergebnis des Fleißes und der Beitragszahlungen jener Generation, die unser Land aufgebaut hat und jetzt Rente bezieht. Ihr gebühren Dank und Respekt. Die wichtigste sozialpolitische Nachricht - sie betrifft nicht nur, aber besonders die Rentner - ist die Tatsache, daß die Preissteigerungsrate zurückgegangen ist. Die Rentenerhöhung des Jahres 1984 liegt fast ein halbes Prozent über der Preissteigerungsrate. Die Rente ist wieder mehr wert; die Kaufkraft der Rente hat zugenommen. ({3}) Ich will auch dazu ein paar Vergleiche anführen: 1980 betrug die Rentenanpassung 4 %; von einer so eindrucksvollen Zahl ist man j a zunächst ganz beeindruckt. Die Preissteigerungsrate im gleichen Jahr war allerdings noch höher: 5,4%. Ein Jahr später betrug die Rentenanpassung wieder 4 %, und man denkt wieder: erstaunliche Rentenerhöhung. Aber die Preissteigerungsrate betrug 6,1 %. In diesen zwei Jahren haben die Rentner 5,2 Milliarden DM Kaufkraft verloren - trotz dieser Rentensteigerung. Wir haben jetzt eine bescheidenere Rentensteigerung, aber sie übertrifft die Preissteigerungsrate. Und deshalb frage ich Sie: Wann geht es den Rentnern besser: bei hoher Rentenanpassung, die von Preissteigerungen überholt wird, oder bei bescheidenen Rentensteigerungen, die aber eben noch höher sind als die Preissteigerungen? ({4}) Die Frage läßt sich ganz einfach beantworten. Allein die seit 1982 um 3% verringerte Inflationsrate bringt den Rentnern und Pensionären rund 7 Milliarden DM mehr Kaufkraft. Das ist so viel wert wie eine 3%ige Rentensteigerung. Ja, meine Damen und Herren, vielleicht ist das der Unterschied zu SPD-Zeiten: Damals wurden lautstark große Rentenerhöhungen verkündet und wurde den Rentnern das Geld durch Inflation leise wieder aus der Tasche geholt. Bei uns ist es umgekehrt: Wir verkünden laut geringe Rentensteigerungen und leise die Preissteigerung. Ich sage allerdings: Rückgang der Preissteigerung ist die lautlose Rentenerhöhung, ist das, was unsere Rentner brauchen: eine verbesserte Kaufkraft. ({5}) Die Rentner sind auch im vergangenen Jahr hinsichtlich ihres Lebensstandards nicht zurückgefallen. Die Rentenerhöhung des Jahres 1984 liegt oberhalb der Einkommensentwicklung der Arbeitnehmer. Die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer erhöhten sich im vergangenen Jahr rund 1 % weniger als die Renten; das läßt sich ganz leicht nachrechnen: Der durchschnittliche Rentenerhöhungssatz ist 2,9 %. Nach dem derzeitigen Stand der Statistik haben sich die Löhne um rund 3% erhöht. Aber man muß von dieser Lohnerhöhung ja noch Steuern und Sozialabgaben abziehen. Dann bleiben unter dem Strich nur 1,8%. Das ist rund 1% weniger, als die Rentner an Rentenerhöhung erhalten haben. Die Beamten hatten sogar eine Null-Runde. Langfristig haben die Rentner sogar besser abgeschnitten als die Arbeitnehmer. Ihre Rente erhöhte sich seit der Rentenreform 1957 um das Sechsfache, das Einkommen der Arbeitnehmer in der gleichen Zeit um das Fünfeinhalbfache. Die Einbußen auf Grund der wirtschaftlichen Krise waren bei den Arbeitnehmern größer: seit 1979 5,8 % Verlust der Kaufkraft, bei den Rentnern 3,9% Kaufkraftverlust. Meine Damen und Herren, ich schildere das nur deshalb, damit die Proportionen, die Tatsachen und nicht Vermutungen ins Spiel kommen. Die Renten folgen den Löhnen. Deshalb kann man den Rentnern sagen: Keine Lohnsteigerung geht an den Rentnern vorbei. Aber die Lohnerhöhungen kommen immer erst ein Jahr später hei den Rentnern an. Das ist nämlich gar nicht anders zu organisieren. Wir können nicht die Lohnerhöhungen eines Jahres zum Maßstab der Rentenerhöhung des gleichen Jahres nehmen; sonst müßten wir ja bereits im Juni wissen, wie die Löhne bis zum Dezember steigen. Also ein Jahr Abstand ist immer gegeben. Früher waren es drei Jahre Abstand. Das hat dazu geführt, daß beispielsweise im Jahre 1970 die Rentenerhöhung 6,35 % betrug, die Nettolöhne aber um 13% gestiegen waren; in anderen Jahren war es umgekehrt. Unsere Aktualisierung führt dazu, daß Renten- und Lohnerhöhungen näher beieinanderliegen - nicht nur zeitlich, sondern auch in ihrer Höhe. Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, was den Krankenversicherungsbeitrag der Rentner angeht, doch noch in Erinnerung rufen -- das ist die gemeinsame Überzeugung von Opposition, der SPD und Regierung -, daß sich die Rentner an ihrer Krankenversicherung beteiligen. Man muß die älteren Mitbürger auch um Verständnis bitten. Denn mit den 4,5% Beitrag zur Krankenversicherung, den die Rentner von ihrer Rente zahlen, decken sie noch nicht einmal 14% der gesamten Krankheitskosten der Rentner. Mit anderen Worten: Das ist ein bescheidener Solidaritätsbeitrag der älteren Generation, damit die jüngere Generation nicht unter der Last der Beiträge zusammenbricht. Denn daran kann auch die ältere Generation nicht interessiert sein. Ich warne auch vor dem Gemälde eines allgemeinen Rentnerelends. Eine kleine Rente sagt gar nichts über den Lebensstandard des Beziehers aus. Der Schluß wäre falsch, eine kleine Rente sei die Rente eines armen Mannes oder einer armen Frau. 54% der Bezieher von Renten unter 600 DM leben mit einem Gesamtnettohaushaltseinkommen von über 2 000 DM. Das sei ihnen gegönnt. Sie haben es verdient. Aber mancher Familienvater und manche Familienmutter mit mehreren Kindern wären froh, sie hätten ein solches verfügbares Einkommen. ({6}) Anders als in früheren Zeiten - das ist ja der Unterschied - haben heute viele Rentner neben der Rente noch ein anderes Einkommen, eine Betriebsrente, die zweite Rente des Mannes bzw. der Frau. Bei Männern haben 51 % der Bezieher von Renten ein zweites Einkommen, 21 % sogar ein drittes oder mehr. Also über 70% haben neben der Rente noch weitere Einkommen. Bei den Frauen, die Witwenrente beziehen, sind es sogar 82 %, die nicht nur von dieser Rente leben. Meine Damen und Herren, niemand wird bestreiten, daß es in der älteren Generation auch Not gibt. Aber Altenarmut ist nicht Rentenarmut. Ich bestreite, daß die Ursachen von Armut in der Rentenversicherung liegen. Armut kann das Ergebnis von wenigen Beitragsjahren, von geringem Lohn sein. Aber die Rentenversicherung kann mit ihren Mitteln doch nicht alle sozialen Fragen der Nation lösen. Sie kann nicht der Alleskleber des Sozialstaates sein. ({7}) Sie kann nicht Lohnungerechtigkeiten vergangener Zeit oder Schicksalsschläge allein mit ihren Mitteln beheben. Das würde nämlich bedeuten, daß die Arbeitnehmer und die Arbeitgeber allein mit ihren Beiträgen den Sozialstaat bezahlen. Das kann doch wohl nicht gerecht sein. Wir wollen die Rente lohn- und leistungsbezogen lassen. Deshalb muß dieser Maßstab erhalten bleiben. Wir wollen nicht die Einheitsrente, die Sockelrente. Wir wollen nicht die große sozialistische Gulaschkanone, von deren Einheitsbrei jeder einen Schlag bekommt. ({8}) Wir wollen die leistungsbezogene Rente, auch um des Selbstbewußtseins der älteren Mitbürger willen. Sie sollen wissen: Ihre Rente haben sie sich verdient. Rente ist ein Alterslohn für Lebensleistung. Daran halten wir fest. ({9}) Daneben brauchen wir freilich die Sozialhilfe als das allgemeine Netz, das alle auffängt, die in Existenznöte geraten. Es ist keine Schande, Sozialhilfe zu beziehen. Ich höre in der Sozialpolitik beim Stichwort Sozialhilfe immer Aufregung. Merkt denn niemand, daß in diese Aufregung unausgesprochen eine Diskriminierung der Sozialhilfeempfänger eingebaut ist, als wären das alles Außenseiter? ({10}) 1 % der Männer zwischen 61 und 79 Jahren - dafür liegen uns die Unterlagen vor - und 2 % der älteren Frauen erhalten Sozialhilfe. Wenn Sozialhilfe ein Zeichen materiellen Mangels ist, dann zeigen jedenfalls die Zahlen, daß wir es nicht mit einer allgemeinen Altersarmut zu tun haben. Ich glaube, man kann mit Fug und Recht sagen - darauf können wir alle stolz sein -, daß es den Rentnern im allgemeinen gutgeht. Wir brauchen, meine Damen und Herren, eine große Strukturreform der Alterssicherung - nicht nur für die Rentenversicherung -, in die alle Alterssicherungssysteme einbezogen sind. Denn die Gefahr ist groß, daß die Solidarität der Generationen aus dem Gleichgewicht gerät. Das Sozialbudget weist aus: Wir geben 38,9% für Alters- und Hinterbliebenensicherung aus. Wissen Sie, wieviel wir für Jugend und Familie ausgeben? - 12,4 %. Da wird niemand bestreiten, daß die Waage der Generationengerechtigkeit aus dem Gleichgewicht geraten ist. Wir geraten, so fürchte ich, in die Gefahr, daß der große Solidarausgleich der Generationen privatisiert wird. Zu guter Letzt bezahlen die Großeltern die Ausbildung der Enkel, weil es die Eltern aus eigener Tasche nicht mehr schaffen. Bei den kleinen und großen Geschenken soll es mancherorts ja schon heute so sein, daß Oma und Opa dem Enkel das schenken, was Vater und Mutter nicht mehr schenken können. Es sei ihm gegönnt. Nur besteht hier kein Gleichgewicht zwischen den Generationen. Wenn wir einen neuen Aufbruch in der Familienpolitik unternehmen, dann machen wir auch eine Politik für die Alten; denn nur wenn es heute Kinder gibt, gibt es übermorgen noch Rentenversicherung. ({11}) Ich bin für die Sicherheit der älteren Generation, aber wir dürfen nicht den Aufstand der Jüngeren provozieren, die das Tragen der Lasten verweigern, die wir ihnen aufbürden. Ich finde, auch das gebietet die Solidarität. Wenn wir das wollen, dann, glaube ich, müssen wir einen ganz sanften Weg in ein neues Gleichgewicht suchen. Die Alternative ist, so weiterzumachen wie bisher und zehn Jahre später den großen Absturz der Alterssicherung zu erleben. Wer das will - ich nicht. Ich bin gegen Rentenkürzung, ich bin gegen Absturz des Rentenniveaus. Aber die Steigerungsraten früherer Zeiten müssen wir leider verabschieden. Wer damit Hoffnung weckt, weckt Illusionen. ({12}) Wir brauchen dazu freilich einen langen Atem. Formeln können nicht wegen aktueller Schwierigkeiten außer Betrieb gesetzt werden. Prinzipien sind nicht so etwas wie Wetterfahnen, die man drehen kann. Der Krankenversicherungsbeitrag gehört nicht zur Rentenformel. Deshalb bin ich damit einver8546 standen, daß wir den Krankenversicherungsbeitrag nicht um 2 %, sondern nur um 1,5 % erhöhen, um damit sicherzustellen, daß die Rentenanpassung des Jahres 1985 effektiv nicht unter 1% liegt. Die genaue Zahl wird erst vorliegen, wenn wir vom Statistischen Bundesamt die endgültigen Lohnerhöhungen des Jahres 1984 mitgeteilt bekommen. Also: Von der Rentenerhöhung werden nach unserem Vorschlag 1,5% Krankenversicherungsbeitrag abgezogen, die SPD will 1 % abziehen, nicht 1,5%. Sie nennt unseren Vorschlag lächerlich. Meine Damen und Herren, darf ich Sie einmal fragen: Wenn der Abstand zwischen Ihrem und unserem Vorschlag 0,5% beträgt, wo hört dann die Lächerlichkeit auf und wo beginnt dann Ihre Ernsthaftigkeit? Können Sie mir das einmal sagen? ({13}) Das ist nämlich der Abstand zwischen 3 DM und 6 DM für die Bezieherin einer Rente von 600 DM. Ich achte diesen Abstand nicht gering, aber ich warne Sie, da mit dem großen Hammer Rentenpolitik betreiben zu wollen. Der Unterscheid - um es allen Rentnern zu sagen - zwischen dem Vorschlag der SPD und dem, was wir wollen, ist: Sie will 1% Krankenversicherungsbeitrag abziehen und wir 1,5%. - Machen Sie daraus keine Weltanschauung! ({14}) Jedenfalls hat 1978 - auch das will ich Ihnen noch einmal in Erinnerung rufen; es ist ja gut, daß Sie einmal regiert haben - der damalige Bundesar- ) beitsminister Ehrenberg bei niedrigerem Rentenniveau unter Berufung auf den DGB von einem Krankenversicherungsbeitrag von 2 % im ersten Jahr, von 4% im zweiten Jahr und von 5,5% im dritten Jahr gesprochen. 5,5% hätten wir dann schon 1981 erreicht gehabt. Wir schlagen jetzt gerade 4,5% vor. Ich gebe zu, meine Damen und Herren, auch meine Kollegen von der SPD: Wir haben in der Rentenpolitik häufig mit Prognosen Politik gemacht und dabei vergessen, daß von Prognosen keine Beiträge gezahlt werden. Ich erinnere an das Jahr 1972, wo wir 200 Milliarden DM verteilt haben, die noch gar nicht erwirtschaftet waren. Ich sage ausdrücklich „wir", damit in der Rentenpolitik ein Stück größerer Skepsis einzieht; denn ein Schuß Skepsis ist ein großes Stück Rentensicherheit. Wir müssen in der Rentenversicherung eine größere Rücklage aufbauen. Das schaffen wir nicht von heute auf morgen. Aber Sie haben die Rentenversicherung von neun Monatsrücklagen auf zwei heruntergewirtschaftet. Damit haben wir lange zu tun. Sie haben die Saat verfuttert. Da können Sie nicht erwarten, daß heute der Weizen blüht. ({15}) Das wichtigste Problem der Rentenversicherung ist jedenfalls aus meiner Sicht die Rentensicherheit. Das ist das erste. Wir müssen dafür sorgen, daß genug Geld in der Kasse ist, und das ist meine größte Sorge. Ich nenne das nicht „Problemchen" wie weiland Helmut Schmidt vor der Bundestagswahl, ich nenne das ein „Problem". Die Rentner freilich können sicher sein: Rentenzahlung wird nie gefährdet! Lassen Sie sich von unserer Diskussion überhaupt nicht verunsichern! Die Renten kommen pünktlich. An der Rentenformel wird - etwa aus aktuellem Anlaß - nicht gespielt. Dafür sorgen die Bundesgarantie, eine Liquiditätssicherung, die Bundesregierung; ich schließe die SPD auch ein. Renten werden pünktlich gezahlt. Unser Streit geht nur darum, wie hoch die Rentenerhöhung sein kann. Wir müssen, so meine ich, eine vernünftige Einnahmenpolitik betreiben, und nach dieser Einnahmenpolitik kann sich auch nur die Ausgabenpolitik richten. Wir brauchen eine Rentenformel mit einem Regelmechanismus für den Ausgleich von Beitrag und Rente bei veränderter Bevölkerungsentwicklung. Wenn die Zahl der Beitragszahler zurückgeht, dann kann doch nicht die gleiche Alterslast der geringeren Zahl von Beitragszahlern einfach aufgebürdet werden. Dann müssen die Folgen dieses Bevölkerungsrückganges auf alle Schultern verteilt werden. Ich begrüße die Vorschläge der Opposition, eine bevölkerungspolitische Komponente in die Rentenformel einzubauen. Das entspricht auch unseren eigenen Vorstellungen, denn in der Tat ist ein solcher Generationenausgleich ein Gebot der Generationensolidarität. Die Probleme in der Rentenversicherung sind auch Folgen der Arbeitslosigkeit. Die Arbeitslosigkeit ist immer die größte Gefahr für die soziale Sicherheit. Wie immer Sie das organisieren - dabei können wir noch so intelligent sein -, bezahlt wird die soziale Sicherheit immer nur von denjenigen, die Arbeit haben. Deshalb ist Arbeitslosigkeit der schärfste Angriff auf jede soziale Sicherheit. Und deshalb ist eine Politik für Vollbeschäftigung die beste Politik für die Rentner. ({16}) Ich will hinzufügen, daß ein zweiter Grund für die aktuellen Schwierigkeiten auch darin liegt, daß die Löhne 1984 nicht so gestiegen sind, wie man es hätte erwarten können. Die Arbeitszeitverkürzungen haben natürlich auch die Rentenversicherung Geld gekostet, denn für die Stunde, in der nicht gearbeitet wird, werden keine Beiträge gezahlt. Das ist im übrigen auch ein Unterschied zur Vorruhestandsregelung. Diejenigen, die die Vorruhestandsregelung in Anspruch nehmen, zahlen weiter Beitrag, für die weggefallenen Wochenarbeitszeitstunden braucht kein Beitrag entrichtet zu werden. Einen großen Brocken Geld hat uns die Rückkehrförderung für ausländische Arbeitnehmer gekostet. Sie war nämlich erfolgreicher, als wir selber geschätzt haben und als Sie natürlich vorausgesehen haben. Sie haben j a behauptet, das gebe nie etwas. Sie war dreimal so erfolgreich, als wir selber geschätzt haben. Nicht 50 000 ausländische Mitbürger haben sie in Anspruch genommen, sondern fast 150 000. Damit - das will ich nicht verhehlen - haben wir arbeitsmarktpolitische Entlastung geschaffen. Wir haben denjenigen, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, Geld mitgegeben; sie gehen nicht mit leeren Händen zurück. Beiden Seiten ist geholfen. Aber kurzfristig entzieht das der Rentenversicherung Geld; langfristig ist es für die Rentenversicherung kein Verlust. Jedoch hat die Rentenversicherung - stellvertretend für alle - aktuell einen Teil zur arbeitsmarktpolitischen Entspannung beigetragen und auch eine Hilfe für die ausländischen Mitbürger geleistet. Ich meine, diese Leistung der Rentenversicherung muß auch anerkannt werden. Ich denke, daß die aktuellen Finanzschwierigkeiten, über deren genaues Ausmaß wir erst sprechen können, wenn Zahlen vorliegen - wenn das der Fall ist, werden wir genauso schnell handeln, wie wir in dieser Woche gehandelt haben -, aber auch eines beweisen, meine Damen und Herren: Sie beweisen, wie richtig unser Sparkurs in der Rentenversicherung war. Hätten wir weniger gespart, dann wäre die Rentenversicherung doch noch mehr in der Krise. Sie müssen einmal Ihre Vorwürfe sortieren. Sie können nicht sagen: „Ihr spart zuviel" und gleichzeitig behaupten: „Ihr habt eine zu geringe Rücklage." Eines von beiden geht nur. Man kann nicht beide Vorwürfe gleichzeitig erheben. ({17}) Wir haben durch Einnahmeveränderungen und durch Ausgabeveränderungen für die Rentenversicherung in dieser Legislaturperiode alles in allem netto 65 Milliarden DM mehr beschafft. Ja, wo wären wir denn heute, wenn wir die 65 Milliarden DM nicht beschafft hätten? Sie haben es kritisiert. Hätten wir es nicht gemacht, so wäre die Rentenversicherung bankrott. Es zeigt sich - hier appelliere ich auch an die ältere Generation -, daß ein vernünftiger Sparkurs langfristig mehr Sicherheit herstellt als eine Politik der Luftblasen und der Illusionen. Meine Damen und Herren, ich will auch zum zweiten Thema unserer heutigen Tagesordnung, der Reform der Hinterbliebenenversorgung, Stellung nehmen. Es bietet sich eine relativ gute Überleitung an. Wenn das Geld in der Kasse so knapp ist, dann kann man keine Reform der Hinterbliebenenversorgung machen - wie Sie von der SPD es wollen -, die noch mehr Geld kostet. Wenn es richtig war, daß diese Reform kostenneutral sein muß, dann haben die Diskussionen der letzten Tage diese unsere Position bestätigt. ({18}) Zum Vorschlag der SPD zur Hinterbliebenenversorgung will ich nur einmal vorlesen, was die ganze „Musik" kostet. Die 70 %ige Teilhabe kostet 2,5 bis 3,5 Milliarden DM mehr, die Rente nach Mindesteinkommen 1,5 bis 2 Milliarden DM mehr, bescheiden gerechnet - ({19}) - Nein, das ist die sozialdemokratische Rechenkunst. Ich kenne die. Die nennen es kostenneutral, wenn etwas 10 Milliarden DM mehr kostet. Das ist bekannt. ({20}) Ich bin gerade beim Zusammenzählen ganz großzügig. Kindererziehungszeiten sofort für alle - was auch ich mir wünschen würde - kostet über 4 Milliarden DM, Beitragszahlung für Arbeitslose durch die Bundesanstalt für Arbeit kostet die Bundesanstalt 4,6 Milliarden DM. Wissen Sie, es ist ja relativ egal, wen das etwas kostet. Es wird jedenfalls zu guter Letzt aus dem Portemonnaie der Arbeitnehmer oder Arbeitgeber gezogen, wo immer die Kasse liegt. Die Einschränkung der Geringfügigkeitsgrenze kostet die Beitragszahler 200 Millionen, der Beitragsanteil für Krankengeldbezieher für die Rentenversicherung kostet die Krankenversicherung 1 Milliarde DM. Wie man bei dieser Kostenlawine von Kostenneutralität sprechen kann, das bleibt das unauflösbare Betriebsgeheimnis der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. ({21}) Ich will festhalten, um Mißverständnisse auszuschließen: In der Reform der Hinterbliebenenversorgung geht es nicht um diejenigen, die jetzt schon in Rente sind. Wir alle - Opposition wie wir - diskutieren nur über die Zukunft. Das ist wichtig, um gerade in der älteren Generation, die schon Renten hat, nicht den Eindruck zu erwecken, als beträfe die Diskussion über die Reform der Hinterbliebenenversorgung ihre Hinterbliebenenrente. Unser Vorschlag zur Reform der Hinterbliebenenversorgung hat fünf Vorzüge, die ich kurz erläutern will. Erstens: Der Vorschlag ist rentensystematisch konsequent. Zweitens: Unser Vorschlag ist frauenfreundlich. Drittens: Unser Vorschlag ist sozial rücksichtsvoll. Viertens: Unser Vorschlag ist praktikabel. Und fünftens - den Vorzug habe ich schon genannt -: Unser Vorschlag ist kostenneutral. Es ist schwer, in diesem Rentendickicht und Sopo-Deutsch die Rentenpolitik klarzumachen. Lassen Sie mich deshalb auf einige der Vorzüge näher eingehen und in diesem Zusammenhang unseren Reformvorschlag erklären. Zunächst zur Rentensystematik: Die durch eigene Beiträge erworbenen Ansprüche - ob von Mann oder von Frau - bleiben von der Reform völlig unberührt. Das Leistungsprinzip wird von uns nicht angetastet. Bei dem, was einer mit seinen Beiträgen erworben hat - ob Mann, ob Frau -, findet keine Veränderung statt. Anders ist der Anspruch zu bewerten, der vom verstorbenen Ehepartner abgeleitet wird, also die Witwen- oder Witwerrente. Sie hat nämlich eine ganz andere Funktion. Sie tritt ja nicht an die Stelle des Lohnes, sondern sie hat eine Unterhaltsersatzfunktion. So ist es im geltenden Recht, so hat es das Bundesverfassungsgericht festgestellt, und so bleibt es auch bei uns. Entstanden ist die Witwenrente in einer Zeit, in der die meisten Ehen nur einen Verdiener hatten, der den gesamten Unterhalt der Familie sicherte. Wenn dieser Ehepartner starb, entstand der Unterhaltsersatzanspruch des Hinterbliebenen. Deshalb gewährt das traditionelle Rentenrecht auch vornehmlich den Frauen diese Hinterbliebenenrente. Inzwischen hat sich aber vieles verändert. Inzwischen haben wir es mit der Tatsache zu tun, daß in vielen Ehen von beiden Ehepartnern der Unterhalt zur Verfügung gestellt wird, daß beide verdienen, beide einen Rentenanspruch haben. Da fragen wir zurück: Wenn beide einen eigenen Rentenanspruch haben, bleibt dann der Unterhaltsersatzspruch an den Verstorbenen genauso hoch wie in früheren Zeiten, wo es nur eine Rente gab? Deshalb sagen wir auch: Wo es nur eine Rente gibt, bleibt alles unverändert. Wo die Witwe nur eine Witwenrente hat, bleibt auch alles unverändert. Nur bei zwei Renten - einer eigenen und einer abgeleiteten - läßt sich schon die Frage stellen, ob der Unterhaltsersatzanspruch der abgeleiteten unverändert hoch sein muß, auch wenn die eigene Rente oder das eigene Einkommen sehr, sehr hoch ist und damit den Unterhalt zur Verfügung stellen könnte. Sie sehen, wir denken streng systematisch, weil ich glaube, daß man auch in schwierigen Zeiten nicht das Opportunitätsprinzip, nicht die Zweckmäßigkeit, nicht die Popularität beachten sollte; vielmehr gibt ein Denken, orientiert an Prinzipien, die beste Verläßlichkeit. Ich will auch noch einmal festhalten, daß unser Modell ebenfalls Teilhabe beinhaltet, nämlich Teilhabe, die den Unterhaltsersatzanspruch zum Zuge kommen läßt. Auch das SPD-Modell ist doch ein Anrechnungsmodell. Entgegen anderslautenden Meldungen ist das Teilhabemodell bei Garantie der eigenen Rente ein Anrechnungsmodell. Ganz einfach: Die eigene Rente und die Hinterbliebenenrente werden zusammengezählt, und auf die Hinterbliebenenrente werden 30% der eigenen Rente angerechnet. Das ist das SPD-Modell, jetzt im Rentenchinesisch ausgedrückt. Ich gebe zu, daß das große Wort Teilhabe diese Anrechnung etwas verschlüsselt. Unser Vorschlag ist auch frauenfreundlich. Warum? Wir haben einen Freibetrag von 900 DM. Der Freibetrag ist dynamisch. Die Mehrzahl der berufstätigen Frauen, 90 %, hat einen eigenen Rentenanspruch unterhalb dieses Freibetrags. Denen passiert gar nichts. Dagegen verschlechtert die SPDRente - mit 70 % nicht kostenneutral - den Status von einem Drittel der berufstätigen Frauen; und wenn man sie kostenneutral gestaltet - das wäre ja das Vergleichbare -, zwei Drittel. Das wäre eine Rentenreform auf dem Buckel der berufstätigen Frauen. Das schlägt die SPD vor. ({22}) Nun wissen Sie, meine Damen und Herren: Ich bin ein großer Anhänger - das bekenne ich unvoreingenommen - der Hausfrauen. Warum nicht? Aber eine Rentenreform, bei der die berufstätigen Frauen gegen die Hausfrauen ausgespielt werden, macht der Norbert Blüm nicht, macht diese Regierung nicht. Eine Gruppe gegen die andere auszuspielen ist ein altes Modell. ({23}) Ich halte jedenfalls von diesem Modell überhaupt nichts, weil es von den berufstätigen Frauen bezahlt wird. Gegen dieses Modell spricht doch auch der gesunde Menschenverstand. Wer soll denn die Aufwertung von 0 auf 70 % bei den Männern bezahlen? Die haben doch bisher nichts bekommen. Wenn sie nichts bekommen haben, kann ich ihnen auch nichts wegnehmen. Von null können Sie ja nichts wegnehmen. Da die eigene Rente auch garantiert ist, kann es auch nicht aus der eigenen Rente des Mannes finanziert werden. Es kann nur da möglich sein, wo zwei Renten vorhanden sind. Das ist bei den berufstätigen Frauen der Fall. Das Rätsel ist gelöst: Zahlmeister der Rentenreform der SPD sind die berufstätigen Frauen. Es nimmt mich deshalb auch überhaupt nicht wunder, daß der Deutsche Frauenrat hinter unserem Modell steht, der Deutsche Gewerkschaftsbund, die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft. Das Traumpaar der SPD, ({24}) das neue Rentenbündnis - ich genieße das -: die Sozialdemokratische Partei Deutschlands und die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. ({25}) - Damit niemand etwas entgeht, muß man das manchmal auch langsam darstellen können. Wenn Sie mir schon nicht glauben, daß die Sache frauenfreundlich ist, will ich doch noch einmal an sozialdemokratische Frauen erinnern, die für Sie möglicherweise eindrucksvoller sind als ich selber. Die stellvertretende Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen, Christine Schmarsow, schrieb am 12. Juni 1984 im „Sozialdemokratischen Pressedienst Wirtschaft" - jetzt zitiere ich -: Das Teilhabemodell der SPD ist aus frauenpolitischer Sicht abzulehnen. ({26}) Angesichts der höchst unterschiedlichen Rentenhöhe von Männern und Frauen zwischen abgeleiteten und eigenständigen Rentenansprüchen von Frauen geht es vor allem durch das Element Garantierente einseitig zu Lasten der erwerbstätigen Frauen. Diese kluge sozialdemokratische Frau empfiehlt: Auch neue Modelle wie das Blümsche Anrechnungsmodell verdienen unvoreingenommene Prüfung. ({27}) Deutscher Bundestag - 10.Wahlperiode - 115. Sitzung. Borin, Freitag, den 18. Januar 1985 8549 Man soll der Gnade Gottes nie Grenzen setzen. ({28}) Der weitere Vorzug unseres Modells: Es ist praktikabel. Unser System ist einfach. Es knüpft an das bestehende System an und nimmt eine sachte Einfädelung vor. Die Teilhabe ist in Wirklichkeit der große Hinterbliebenenkuddelmuddel. Bilden Sie einmal etwas Drittes für den Zurückgebliebenen aus zwei Altersansprüchen, wenn das eine eine Rente und das andere eine Beamtenversorgung ist. Was ist denn das, was da als Drittes übrigbleibt'? Das ist so ähnlich wie der Versuch, aus der Kreuzung von Äpfeln und Birnen eine neue Obstsorte herzustellen. So ähnlich ist das Teilhabemodell der SPD. Sie können aus unterschiedlichen Systemen nicht ein neues, ein drittes System herstellen. Man kann der SPD nur wünschen, daß sie dieses Modell nie verwirklichen muß. Auf der Höhe der Grundsätze ist es gerade noch erträglich. Auf dem Boden der Wirklichkeit hat es große Schwierigkeiten. Die Teilhabe ist allerdings keineswegs der einzige Bestandteil der Neuregelung. Wenn der eigene Versicherungsfall noch nicht eingetreten ist, können Sie ja noch gar nichts zusammenlegen. Deshalb: Bevor die Teilhabe zum Zug kommt, kommt im SPD-Modell erst noch einmal eine andere Hinterbliebenenrente, und zwar eine für Hinterbliebene mit Kindern - die entspricht der heutigen Witwenregelung -, und dann eine für Hinterbliebene ohne Kinder - die entspricht der heutigen Witwerrentenregelung. Da wird angerechnet und überprüft, wer der Hauptverdiener war. Das ist ein Rentenslalom. Da braucht jeder einen Rentenberater, damit er immer weiß, wann er umsteigen muß in diesem Rentenzug. Das können Sie doch normalen Mitbürgern nicht zumuten, die nicht von morgens bis abends die Reichsversicherungsordnung studieren können. Unser Vorschlag ist kostenneutral - das sagte ich. Ich halte diesen Vorzug für die Bedingung einer soliden Rentenpolitik. Der größte Fortschritt allerdings ist, daß im Rentenrecht endlich die Zeiten der Kindererziehung anerkannt werden. ({29}) Das ist die größte Rentenreform seit 1957. ({30}) 100 Jahre Rentenversicherung sind 100 Jahre Unrecht an den Müttern. Sie erziehen Kinder. Sie schaffen überhaupt erst die Voraussetzung, daß Renten übermorgen noch gezahlt werden können. Und deswegen war es eine grobe Diskriminierung, daß diesen Müttern keine Kindererziehung im Rentenrecht anerkannt wurde. „Hohles Wort", Herr Vogel? Sie hatten 13 Jahre Zeit, das zu machen. Sie haben 13 Jahre Propaganda gemacht. ({31}) 13 Jahre hatten Sie Zeit. 1972 haben Sie ein Baby-Jahr verkündet. Das haben Sie verkündet und verkündet und verkündet. Gehandelt haben Sie nie. Wir handeln. Und dieses Baby-Jahr war ja ganz anders konstruiert. Es sollte von der Rentenversicherung bezahlt werden. Das hätte bis zum heutigen Tag 18 Milliarden DM gekostet. Das Baby-Jahr war als Ausfallzeit konstruiert, also von der Rentenhöhe abhängig: Große Rente - großes Baby; kleine Rente -- kleines Baby. Das war Ihr Kindererziehungsj ahr. ({32}) Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln. Soll ich Ihnen die Protokolle geben? Das schwankt nach heuti gem Wert zwischen 2,50 DM und 50 DM. Das waren die sozialdemokratischen Kindererziehungszeiten. 15 Jahre mußte eine Frau warten, um überhaupt einen Anspruch auf Altersrente zu haben. Wir haben diese Hürde auf fünf Jahre gesenkt. Wir schaffen überhaupt erst die Voraussetzung, daß viele Frauen in die Altersrente kommen. ({33}) Und wir schaffen die Voraussetzung, daß diese Kindererziehungsjahre nicht nur rentensteigernd wirken, sondern auch rentenbegründend. Ein Kind zählt wie ein Beitragsjahr, drei Kinder zählen wie drei Beitragsjahre. Wer die fünf Jahre nicht mit Kinderzahl und Erwerbsarbeit zusammenbringt, kann sie durch freiwillige Leistungen überbrücken. Das ist unsere Politik. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, damit es keinen Zweifel gibt: Mich schmerzt wie Sie, daß wir das nicht für alle Zeiten rückgängig machen können, sondern irgendwo anfangen müssen. Das schmerzt mich wie Sie. ({34}) - Rückwirkend! Ich bedanke mich für den wertvollen Hinweis. ({35}) Aber irgendwann muß man doch anfangen. Wir können doch nicht hundert Jahre Unrecht auf einen Schlag wettmachen. Irgendwann muß man anfangen. Gleichbehandlung zum Null-Tarif? Das haben Sie gemacht. Wir fangen jetzt an, das Unrecht für diejenigen zu beseitigen, die nach Inkrafttreten des Gesetzes 65 Jahre ait werden. Ich appelliere an die ältere Generation, Verständnis dafür zu haben. Wir können noch warten, um es irgendwann einmal für alle machen zu können. Aber was heißt denn eine Verbesserung, die erst langfristig möglich ist? Langfristig sind wir alle tot. Laßt uns eine Politik machen, die Schritt für Schritt das Mögliche erreicht! Und laßt uns heute feiern, daß nach hundert Jahren Rentenversicherung endlich der Mutter Gerechtigkeit widerfährt und sie im Rentenrecht Anerkennung findet! ({36}) Marie Schlei, eine der großen Frauen der Sozialdemokratischen Partei, hat bei der Einführung Ihres Vorschlages „Baby-Jahr", der auch nur auf die Zukunft gerichtet war, auch nur auf die Zukunft hingesagt: Mein persönlicher Wunsch wäre, daß diese versicherungsrechtliche Anerkennung des „Baby-Jahres" auch den Frauen zugute kommen könnte, die bereits im Rentenalter sind. Sie haben ihre Kinder in sehr viel schwierigeren materiellen Verhältnissen zur Welt bringen und großziehen müssen, als es heute im allgemeinen der Fall ist. Ich weiß, das ist nicht eine Sache der Einsicht oder des guten Willens, sondern der ist eine schwierige Frage finanzieller Größenordnung. Allein das ist es auch für uns, damals wie heute. Damals, als Sie die Regierungsverantwortung trugen, haben Sie sich bei besserer Finanzlage, bei vollen Rentenkassen unfähig gesehen, es rückwirkend - Herr Vogel: rückwirkend - zu machen. Wir - wie Sie damals - fangen jetzt an und glauben, damit einen großen Schritt nach vorn zu tun. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in dieser Rentendebatte wenigstens in ein Paar Sätzen darauf hinweisen, daß Altenpolitik nicht nur Rentenpolitik sein kann und daß Altenpolitik nicht nur etwas mit Mark und Pfennig und Geld zu tun hat. Manche entlasten ihr schlechtes Gewissen mit Geld. Altenpolitik hat vielmehr in meiner Sicht mehr noch als in früheren Zeiten damit zu tun, daß die ältere Generation nicht an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird, in einen Ruhestand der Passivität. Die dritte Lebensphase ist noch einmal eine Lebensepoche mit eigenem Anspruch, mit eigenem Recht. Sie ist nicht einfach Ruhe- und Wartestand. Wir brauchen die Alten in Familien, Vereinen und Parteien. Erfahrung, aus Altersweisheit gespeist, könnte auch einer hektischen Politik zu mehr Gelassenheit verhelfen. ({37})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Fuchs.

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, daß dieses eben die Einbringungsrede des zuständigen Ressortministers war. Ich finde, meine Damen und Herren, das war eine Zumutung für dieses Parlament. ({0}) Wir sprechen heute über das Rentenanpassungsgesetz. Herr Blüm hielt die Einbringungsrede der Bundesregierung zur Neuordnung der Hinterbliebenenrente. Meine Damen und Herren, haben Sie aus dieser Rede, die nicht einmal mehr Unterhaltungswert hatte, entnehmen können, wohin die Fahrt geht? Es bleibt wieder alles im Nebel. Die Rentenfinanzen bleiben unsicher. Dieser Arbeitsminister ist nicht in der Lage, ein vernünftiges Konzept vorzulegen. ({1}) Ich danke Ihnen, Herr Arbeitsminister, dafür, daß Sie unser Rentenkonzept im Grunde begrüßt haben. Ich denke, ich gebe Ihnen nachher das ganze Konzept noch einmal zum Lesen; Sie haben einiges nicht ganz richtig verstanden. Es ist richtig, wenn Sie sagen, wir brauchen eine Strukturreform. Ich will Ihnen heute mit meiner Rede - ergänzt durch meine Kollegen Glombig und Günther Heyenn - darlegen, wie eine langfristige Reform der Rentenversicherung gestaltet werden kann, welche die Renten auf die Dauer wetterfest macht, zugleich eine vernünftige Reform der Hinterbliebenenversorgung ermöglicht und dabei Ungerechtigkeiten, die es heute noch gibt, abbaut. ({2}) - Hören Sie zu, meine Damen und Herren. Dann werden Sie sehen, welchen Weg man gehen kann. ({3}) Ich wäre auch vorsichtig, Herr Bundesarbeitsminister, so zu tun, als seien die Sozialdemokraten in dieser Frage nur mit den Arbeitnehmern liiert. Gelegentlich kommt ja auch von Arbeitgeberseite durchaus etwas Vernünftiges. Wenn wir mit ihnen lange diskutiert haben und Sozialdemokraten und Arbeitgeber in einer langfristigen Perspektive der Sozialpolitik übereinstimmen, so finde ich das ganz in Ordnung. Ich habe überhaupt nichts dagegen. Aber wie lautet dann die Stellungnahme der Gewerkschaften? Die Gewerkschaften begrüßen es, daß die Sozialdemokratische Partei endlich ein Strukturgesetz vorlegt, damit das Hickhack in der Rentenpolitik aufhören kann. Das ist die Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes. ({4}) Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft begrüßt unser Rentenkonzept, weil damit endlich die Strukturprobleme angepackt werden. ({5}) - Ja, aber die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft begrüßt es. Wir sind nicht allein; wir haben Verbündete, und wir haben uns mit ihnen über unser Konzept mehrfach unterhalten. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion will es nicht bei der Reform der Hinterbliebenenversorgung lassen. Wir verbinden damit die strukturellen Reformen, um die Rentenfinanzen in den nächsten Jahrzehnten wetterfest zu machen. Es muß doch Schluß sein mit der ständigen Flickschusterei und dem Stückwerk in der gesetzlichen Rentenversicherung. Das Vertrauen in die Verläßlichkeit der Alterssicherung hat in den letzten Jahren großen Schaden genommen. Viele Rentnerinnen und Rentner sind verunsichert durch die jährlich wiederkehrenden Diskussionen über die Sicherheit der Rentenfinanzen. Damit muß endlich Schluß sein. Frau Fuchs ({6}) Wir Sozialdemokraten haben Ihnen nach dem Regierungswechsel ein gemeinsames Vorgehen in der Rentenpolitik angeboten. ({7}) Ich habe am 18. April 1983 für die SPD-Bundestagsfraktion erklärt: Wenn die sozialdemokratische Bundestagsfraktion dem Bundesarbeitsminister ein Kooperationsangebot in der Rentenfrage macht, dann tut sie das aus der politischen Überzeugung, daß die lohnbezogene dynamische Rente zu den größten sozialen Errungenschaften unseres Landes gehört und deshalb notwendig ist, sie durch Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf eine langfristige gesunde, gesicherte Grundlage zu stellen. Leider, Herr Bundesarbeitsminister, sind Sie auf unser Kooperationsangebot nicht eingegangen; einen ernsthaften Versuch zu einem Konsens hat es bisher nicht gegeben. Ich bedauere dies sehr, denn die dauerhafte Sicherung und Stabilisierung der Rentenversicherung muß das Ziel und die Aufgabe aller politischen Parteien sein. ({8}) Nun gibt es heute wieder eine Gelegenheit. Ich sage noch einmal, Herr Bundesarbeitsminister: Wenn Ihre Worte im Bundesrat im Dezember vorigen Jahres ernstgemeint waren, dann können wir an Hand der heute vorliegenden Rentenkonzepte der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion noch zu einem Konsens zusammenfinden. Unser Konzept hat vier Elemente: Das erste ist die Schließung der aktuellen Finanzlöcher, das zweite ist die langfristige Stabilisierung der Rentenfinanzen, das dritte die zukunftsorientierte Reform der Hinterbliebenenversorgung und das vierte die Anerkennung eines Kindererziehungsjahres für alle Frauengenerationen. Ich füge für die Fachwelt draußen hinzu - ich bin auch stolz darauf -, daß wir einen Gesetzentwurf vorgelegt haben, der zugleich in das Sozialgesetzbuch eingeklinkt werden kann. Wir schaffen ein neues Gesetz mit einem neuen, kodifizierten Rentenrecht. Wir bringen damit auch Licht in dieses komplizierte Rechtsgebiet und leisten einen Beitrag zum Abbau von Bürokratie. Außerdem sieht unser Gesetzentwurf eine Fülle von kleineren Korrekturen im Rentenrecht vor, auf die ich nicht im einzelnen eingehen kann. Aber ich möchte besonders hervorheben: Wir wollen die skandalösen Einschnitte bei den Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrenten beseitigen. ({9}) Das will ich hinzufügen: Es war beachtlich, was der Bundesarbeitsminister zur Not der Frau im Alter und zur Rente für ältere Frauen gesagt hat. Es war wirklich haarsträubend. Wie hoch ist denn eine Rente nach fünf Versicherungsjahren? Sie haben doch die Frauen in die Armut gedrängt, weil Sie den Anspruch auf Erwerbs- und Berufsunfähigkeitsrente für einen großen Teil der Frauen beseitigt haben. ({10}) Jetzt tun Sie so, als ob Sie mit der Herabsetzung der Wartezeit den Frauen einen größeren Anspruch gegeben hätten. Dies täuscht nicht darüber hinweg, wieviel durch die Einschnitte - gerade bei Berufs-und Erwerbsunfähigkeitsrenten - an Nachteilen für Hausfrauen hingenommen werden muß. Der erste Punkt unseres Konzeptes ist die Schließung der aktuellen Finanzlöcher. Es ist immer dasselbe Thema: Dreh- und Angelpunkt für die Sicherung der Rentenfinanzen ist, daß für Arbeitslose volle Beiträge in die Rentenversicherung gezahlt werden. Dies kostet natürlich Geld, aber Massenarbeitslosigkeit ({11}) ist kein individuell versicherbares Risiko; bei Massenarbeitslosigkeit ist es richtig, daß Haushaltsmittel zur Finanzierung der Folgen eingesetzt werden. ({12}) Sie, Herr Bundesarbeitsminister, wissen doch ganz genau: Der Fehler ist, daß Sie zweimal, 1983 und 1984, 5 Milliarden DM aus der Rentenkasse herausgenommen haben. Deswegen ist doch diese Lücke in den Rentenfinanzen entstanden! Diese Maßnahme müssen Sie rückgängig machen, damit die Rentenfinanzen auf eine vernünftige Basis gestellt werden können. Mit der Wiederherstellung angemessener Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose läßt sich auch eine angemessene Rentenerhöhung finanzieren. Wir Sozialdemokraten werden nicht zulassen, daß die Renten von der allgemeinen Einkommensentwicklung abgekoppelt werden. ({13}) Diese Rechenkunststücke mit den 0,5 % mehr Anpassung waren hochinteressant, Herr Bundesarbeitsminister, aber Tatsache ist doch, daß die Rentner schon im vorigen Jahr einen Kaufkraftverlust hinnehmen mußten, ({14}) und Tatsache ist weiter, daß sie auch in diesem Jahr einen Kaufkraftverlust hinnehmen müssen. Wir haben Ihre 0,5 % mehr Anpassung deswegen „lächerlich" genannt, Herr Bundesarbeitsminister, weil man darauf hinweisen muß, aus welchen Gründen Sie diese 0,5 % mehr Anpassung beschlossen haben: Solange beim Anpassungssatz optisch eine 1 vor dem Komma stand, ob es nun 1,0 oder 1,007 oder 1,001 oder noch mehr Zahlen hinter dem Komma waren, solange Sie - wegen der Optik - den Rentnern erklären konnten, sie würden 1 % bekommen, war für Sie die sozialpolitische Anpassungswelt in Ordnung. Erst als klar wurde, daß die Anpassung geringer als dieses optisch erwünschte eine Prozent sein würde, merkten Sie, daß Sie dies in der Offentlichkeit nicht durchhalten würden; und nur aus die8552 Frau Fuchs ({15}) sen kosmetischen Gründen haben Sie sich zu einer neuen Entscheidung durchgerungen. Das ist lächerlich! ({16}) Nun habe ich Ihnen genau zugehört. ({17}) - Ja, wissen Sie, wenn es beim Arbeitsminister etwas zuzuhören gäbe! ({18}) Ich habe nicht heraushören können, wie er nun die Rentenfinanzen in den nächsten Jahren auf Dauer sichern will. Meine Damen und Herren, Ende vorigen Jahres mußten die Renten erstmals auf Pump gezahlt werden. ({19}) Die Beitragseinnahmen des Jahres 1984 waren um rund 1,8 Milliarden geringer ({20}) als erwartet, und die Schwankungsreserve lag Ende Dezember 1984 unter der vorgeschriebenen Monatsausgabe. ({21}) Die 350 Millionen, die Sie nunmehr in diesem und im nächsten Jahr für die zusätzliche Anpassung brauchen, sind noch gar nicht finanziert. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen: Die Rentenversicherung kann dieses Geld nicht aufbringen, und der Finanzminister schweigt sich bisher aus. Sie haben doch in den Bundeshaushalt vorsorglich ein Betriebsmitteldarlehen in der Größenordnung von 5 Milliarden eingestellt. Ich betone: ein Betriebsmitteldarlehen! Damit machen Sie, meine Damen und Herren, aktenkundig, daß die Rentenfinanzen nur mit Krediten über Wasser gehalten werden können. Dies nenne ich einen Skandal! ({22}) Der zweite Punkt unseres Konzepts ist die langfristige Stabilisierung der Rentenfinanzen. Wir haben ein eigenes Konzept vorgelegt. Neben der Wiederherstellung angemessener Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose wollen wir - und ich bin froh darüber, daß Sie uns darin zustimmen - durch eine Änderung der Rentenformel und des Bundeszuschusses die Finanzierung der gesetzlichen Rentenversicherung langfristig stabilisieren. Wir alle kennen die Lasten, die sich in den nächsten Jahrzehnten durch den veränderten Altersaufbau der Bevölkerung für die Alterssicherung ergeben. Immer weniger Beitragszahler müssen die Folgen der steigenden Alterslast tragen. Ich stimme Ihnen zu, Herr Bundesarbeitsminister: Das Wichtigste wäre, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und Arbeitsplätze zu schaffen, denn Arbeitnehmer als Beitragszahler sind der wichtigste Beitrag zur Finanzierung der Rentenversicherung. Dennoch gibt es einen veränderten Altersaufbau. Für uns Sozialdemokraten kann es nicht so sein, daß man sagt: Die Rentner allein werden in dieser Frage zur Kasse gebeten. Es kann auch nicht so sein, daß allein die Beitragszahler diese Last tragen. Wir schlagen mit unserem Strukturprogramm, zu dem der Kollege Eugen Glombig noch weitere Ausführungen macht, einen Dreiklang vor. Wenn wegen der wirtschaftlichen Entwicklung und auf Grund der demographischen Veränderungen Veränderungen in der Finanzsituation erforderlich sind, müssen die Probleme gleichermaßen auf die Schultern der Rentner, der Beitragszahler und den Bundeshaushalt verteilt werden. Ich halte dieses für den wichtigsten Teil unseres ganzen Reformpaketes und hoffe inständig, daß es gelingt, die Weichen jetzt richtig zu stellen und mit der Flickschusterei aufzuhören, damit wir in das Jahr 2000 hinein eine vernünftige Rentenfinanzierung anbieten können. ({23}) Ich will nur hinzufügen: Sie wissen, daß unsere Vorschläge sich an den Vorstellungen des Sozialbeirats orientieren. Sie entsprechen auch den Vorstellungen, die, wie ich weiß, auch bei Ihnen diskutiert wurden. Ich habe die Bitte: Lassen Sie uns jetzt dieses Problem anpacken, damit wir aus der ständigen Finanzbedarfsdebatte bei der Rentenversicherung hinauskommen. Ich bin mir bewußt, daß mit diesem Konzept der langfristigen Stabilisierung nicht alle wirtschaftlichen Probleme eingefangen sind. Ich habe auf die Arbeitslosigkeit hingewiesen. Wir Sozialdemokraten sagen aber auch: Auf Dauer kann es nicht angehen, daß sich auf Grund technologischer Entwicklungen die Finanzierung der sozialen Sicherung insofern verschlechtert, als - um es einfach auszudrücken - immer mehr Maschinen eingesetzt werden und immer weniger Menschen beschäftigt werden. Deswegen werden wir Sozialdemokraten weiter an dem Thema der Umstellung der Arbeitgeberbeiträge auf Wertschöpfungsbasis arbeiten. ({24}) Es muß doch auch innerhalb der Unternehmen eine gerechtere Heranziehung zur Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme erreicht werden. Es kann nicht so sein, daß die lohnintensiven Betriebe die ganze Last der Finanzierung tragen und die Unternehmen, die mehr Maschinen statt Menschen einsetzen, sich an der Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme überhaupt nicht beteiligen. Meine Damen und Herren, das muß geändert werden. ({25}) Der Arbeitsminister hatte immer Sorge, weil er meinte, damit würde die leistungsbezogene, die lohnbezogene Rente aufgegeben werden. Nein, Herr Bundesarbeitsminister, darum geht es nicht. Die Rente des einzelnen bleibt eine individuelle, beitragsbezogene, lohnbezogene Rente. Die Aufbringung durch die Arbeitgeberseite muß sich aber den veränderten Bedingungen in der Wirtschaft anpassen. Frau Fuchs ({26}) Der dritte Bereich unseres Konzepts ist eine zukunftsorientierte Reform der Hinterbliebenenversorgung. Wir Sozialdemokraten haben diese Reform mit den notwendigen strukturellen Anpassungen verbunden, um für die soziale Sicherung der Frau ein zukunftsorientiertes Modell vorlegen zu können. Es war interessant, daß der Bundesarbeitsminister sich eigentlich mehr mit der Ablehnung unseres Modells als mit seinem eigenen auseinandergesetzt hat. So ganz sicher scheint er sich mit seiner Zielsetzung auch nicht zu sein. ({27}) Wenn Politik nicht so kompliziert wäre - ich schaue mich unter den Sozialpolitikern aller Fraktionen um -, würden wir uns, wie ich weiß, alle zusammensetzen, und Sie würden mit uns zusammen das Teilhabemodell durchsetzen wollen. Wir waren doch immer der Auffassung, daß die Alterssicherung der Frauen umfassend reformiert und dem partnerschaftlichen Eheverständnis zum Durchbruch verholfen werden müsse. Wie hieß es noch im Wahlprogramm der CDU 1980? Sie wollte eine Partnerrente. Meine Damen und Herren, stimmen Sie uns zu! Wir erfüllen Ihren Parteitagsbeschluß aus dem Jahre 1980. ({28}) Lassen Sie mich - mein Kollege Günther Heyenn wird das vertiefen - jene drei Gruppen behandeln, die in einem Konzept gerecht behandelt werden müssen. Es gibt j a unterschiedliche Personengruppen. Herr Kollege, erstens müssen wir für die Gleichberechtigung der Männer sorgen, denn zu der ganzen Reform kommt es, weil ein Mann geklagt hat, der nach dem Tode seiner Frau keine Hinterbliebenenversorgung bekam. Wir müssen also dafür sorgen, daß die Männner eine gerechte Hinterbliebenenversorgung bekommen. Zweitens geht es um die erwerbstätigen Frauen, die durchgängig erwerbstätig sind und neben ihrer eigenen Rente eine 60%ige abgeleitete Rente bekommen. Die möchten im Grunde möglichst wenig verändert wissen. Drittens geht es um die große Gruppe der Frauen, die, aus welchen Gründen auch immer, keine eigene Rente haben und ihre 60%ige Hinterbliebenenversorgung als zu gering erachten und Verbesserungen wünschen. Nun ist die Frage: Welches Modell gibt es denn, um diese unterschiedlichen Personengruppen gerecht in einem Modell unterzubringen? Diese Betroffenen gleichzubehandeln ist sehr schwierig. Aber sie nicht gegeneinander auszuspielen, meine Damen und Herren, ist das Kunststück unseres Teilhabemodells; denn wir sagen: Jeder baut sich seine eigenen Rentenversicherungsansprüche durch Beitragszahlungen auf, Mann und Frau. Im Hinterbliebenenfall gibt es 70% der gemeinsam erworbenen Rentenansprüche, mindestens die eigene Rente. Damit läßt sich im Alter der Lebensstandard aufrechterhalten. Das hat mit Anrechnung nichts zu tun, meine Damen und Herren. Es wird ein eigener, originärer, neuer Rentenanspruch begründet, der auch bei Wiederheirat nicht wegfällt. Verschlechterungen für einige erwerbstätige Frauen können abgemildert werden durch eine zehnjährige Übergangszeit. Wir sehen als Elemente der Verbesserung der Rente für alle Frauen die Rente nach Mindesteinkommen und die Anerkennung von Kindererziehungszeiten vor. Unser Teilhabemodell, meine Damen und Herren, entspricht im wesentlichen auch dem Vorschlag der Sachverständigenkommission unter der Leitung von Professor Meinhold. Diese Kommission hat für die Reform der Hinterbliebenenversorgung wichtige Vorarbeiten geleistet. Frau Verhülsdonk war mit in dieser Kommission, auch Kollegen von uns. Ich denke, wir alle sollten an diesem Tag Herrn Professor Meinhold stellvertretend für alle Kommissionsmitglieder noch einmal unseren herzlichen Dank für die geleistete Arbeit aussprechen. ({29}) Es ist bedauerlich, daß der Bundesarbeitsminister diesen breiten gesellschaftlichen Konsens aufgegeben hat, der seinen Niederschlag in den Beratungen der Kommission gefunden hatte. Wir halten an diesem Konsens fest; denn unser Modell bringt nicht wie das Modell von Herrn Blüm nur keine Verschlechterungen, sondern unser Modell bringt in der Zukunft für über 80 % der Frauen mit einer heute niedrigen Rente Verbesserungen. Das ist der wichtigste Punkt. ({30}) Daß diese notwendig sind, hat auch die Bundesregierung unterstrichen. Wir haben eine Große Anfrage zur Lebenssituation älterer Frauen eingebracht. In der Antwort auf diese Frage hat die Bundesregierung auf jeder Seite gesagt: Die Alterssicherung der Frau ist unzureichend. Bei der Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung müssen wir - so die Bundesregierung - eine Lösung finden, die gerade für ältere Frauen eine sozial ausgewogene und akzeptable Sicherung bringt. - Meine Damen und Herren, Sie tun aber überhaupt nichts, um dieser Antwort Ihrer eigenen Regierung gerecht zu werden; denn Verbesserungen gibt es für die Renten der Frauen in Ihrem Modell überhaupt nicht, und das halten wir für unvertretbar. ({31}) Wir wollen auch nicht, Herr Bundesarbeitsminister, daß die abgeleitete Rente wieder Unterhaltsersatzfunktion hat. Die Teilhaberente geht von dem Gedanken aus, daß Mann und Frau miteinander entscheiden, wer welche Aufgabe wahrnimmt, daß dann im Hinterbliebenenfall nach partnerschaftlichem Denken ein neuer, eigener Rentenanspruch entsteht und daß auch die Frau, die aus welchen Gründen auch immer nicht erwerbstätig war, nicht auf Unterhaltsersatz angewiesen ist, sondern im Hinterbliebenenfall einen eigenen Rentenanspruch erhält. Wir haben mit diesem partnerschaftlichen Gedanken beim Versorgungsausgleich begonnen, als es darum ging, die Eigenständigkeit des Anspruchs Frau Fuchs ({32}) auf soziale Sicherung zu begründen. Das war damals ein großer Durchbruch, meine Damen und Herren, weil bis zu der Reform die Männer bei der Ehescheidung ihren vollen Rentenanspruch mitnehmen konnten. Der Versorgungsausgleich brachte die Möglichkeit einer eigenen verbesserten sozialen Sicherung für die Frau nach der Scheidung. Dies bauen wir nun aus: durch die Rente nach Mindesteinkommen, durch Kindererziehungsjahr und durch - im Hinterbliebenenfall - einen neuen Rentenanspruch nach partnerschaftlichen Gedanken der Ehe, der auch bei Wiederverheiratung nicht wegfällt und der, meine Damen und Herren, keiner Einkommensanrechnung unterliegt. Es ist doch unerträglich, wenn sich der Hinterbliebene im Hinterbliebenenfall eigenes Einkommen anrechnen lassen muß. Da wird die Ungerechtigkeit so dramatisch, daß ich den Arbeitsminister noch einmal bitten möchte: Gehen Sie mit auf unser Modell, damit wir im Hinterbliebenenfall mit sauberen Ansprüchen rechnen können! ({33}) Nun sagen Sie, unser Modell sei nicht kostenneutral. Das ist richtig. Aber was heißt eigentlich „Kostenneutralität"? Wir sagen: Durch Umschichtungen innerhalb des Rentensystems ist unser 70%iges Teilhabemodell zu finanzieren, ({34}) und der Arbeitsminister hat unsere Finanzrechnungen nicht korrigiert. Das heißt, wir brauchen zwar Haushaltsmittel, um die Wiederherstellung der Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose durch die Bundesanstalt für Arbeit zu ermöglichen, wir brauchen aber für unser 70%iges Teilhabemodell keine zusätzlichen Steuermittel, sondern wir finanzieren dies durch Umschichtungen innerhalb des Rentenrechts, ({35}) und zwar in Bereichen, in denen auch die Bundesregierung unseren Gedanken verfolgt, nämlich durch eine gerechte Umorientierung der sogenannten beitragslosen Zeiten; Sie kennen die Berechnungen. Deswegen ist es falsch, zu meinen, das sozialdemokratische Teilhabemodell sei nicht finanzierbar. ({36}) Der vierte Punkt ist die Anerkennung eines Kindererziehungsjahres. - Ich sehe, ich muß zum Schluß kommen; mein Kollege Günther Heyenn wird darauf näher eingehen. - Wir werden alles mobilisieren, damit das Kindererziehungsjahr für alle Frauengenerationen eingeführt werden kann, meine Damen und Herren. ({37}) Es kann nicht angehen, daß die Zwangsanleihe zurückgezahlt wird, daß eine Ergänzungsabgabe nicht kommt, daß Sie viele Milliarden DM für die Erforschung des Weltraumes ausgeben, aber für die Mütter auf Erden ein Kindererziehungsjahr nicht bezahlbar sein soll. Das ist unerträglich! ({38}) Deswegen ist mein letzter Satz: ({39}) Es ist nach wie vor richtig: Vielen Rentnern geht es gut - dank unserer guten Sozialpolitik, meine Damen und Herren -, ({40}) aber es kann nicht angehen, daß die Last der Massenarbeitslosigkeit in wirtschaftlich schwierigen Zeiten allein von den Schwächeren getragen wird. Ihre Politik sorgt dafür, daß die Reichen reicher und die Armen ärmer werden, und dagegen werden wir uns wehren. ({41})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Seehofer.

Horst Seehofer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002140, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Fuchs, ich stelle Ihnen nur eine Frage: Warum haben Sie all das, was Sie hier jetzt erläutert haben, in Ihrer Regierungszeit nicht umgesetzt? Sie hätten 13 Jahre Zeit gehabt, dies in die Tat umzusetzen. ({0}) Es ist ja recht interessant, daß Sie zu der aktuellen Frage, die die Rentner interessiert, nämlich der Rentenerhöhung 1985, keinen Satz ({1}) verloren haben. ({2}) Sie haben überhaupt keinen Grund, sich aufs hohe Roß zu setzen. Hier sagen Sie zur Rentenerhöhung keinen Satz, draußen verunsichern Sie die Rentner, draußen stellen Sie die Sicherheit der Renten in Frage, draußen wiegeln Sie die Rentner gegen diese Bundesregierung auf. In Wahrheit, Frau Kollegin Fuchs, geht es Ihnen nicht um die Rentner, in Wahrheit geht es Ihnen nach allen Pressemeldungen der letzten Tage um die Wahlen in Berlin, in Nordrhein-Westfalen und im Saarland. ({3}) Ich möchte Ihnen einmal sagen, Frau Fuchs, nachdem Sie hier selber dargestellt haben, was Sie zwischen 1969 und 1982 alles nicht gemacht haben, was Sie, 1972 beginnend, den Rentnern alles zugemutet haben. 1972 betrug die Schwankungsreserve in der gesetzlichen Rentenversicherung neuneinhalb Monatsausgaben, 1982 waren es noch ganze zwei Monatsausgaben. Hier wurden Milliardenbeträge verpulvert. Am 1. Juli 1978 haben Sie die fällige Rentenanpassung auf den 1. Januar 1979 verSeehofer schoben. Das heißt im Klartext: 1978 gab es eine Nullrunde für die Rentner. ({4}) 1979, 1980 und 1981 haben Sie die Rentenanpassung von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Sie haben die Renten willkürlich nach Kassenlage erhöht. Durch diese Manipulation haben Sie den Rentnern die Rente auf Dauer um 121/2 % gekürzt. ({5}) Nie zuvor in der gesetzlichen Rentenversicherung ({6}) sind die Rentner so massiv zur Kasse gebeten worden wie durch Sie. Nie zuvor sind gleichzeitig die Rentenkassen so leergefegt worden wie durch Sie. Wer in so massiver Weise versagt hat, kann sich heute nicht als Anwalt der Rentner aufspielen. ({7}) Meine Damen und Herren, nach dem Generationenvertrag sichert die jeweils erwerbstätige Generation mit ihren Beiträgen die Renten der älteren Bürger. Maßstab für die Rentenerhöhung ist die Lohnentwicklung. Löhne und Renten gehören zusammen. Die SPD hat im letzten Jahr mit Nachdruck gewerkschaftliche Forderungen unterstützt, die einen nicht unerheblichen Teil der Wertschöpfung in Arbeitszeitverkürzungen und nicht in die Löhne zu stecken zum Ziel gehabt haben. Für Arbeitszeitverkürzungen werden aber keine Beiträge bezahlt. Arbeitszeitverkürzungen kann man auch nicht an die Rentner weitergeben. Sie haben genug Freizeit. Eine solche Politik der Arbeitszeitverkürzung mit niedrigeren Löhnen richtet sich gegen die Interessen der Rentner. ({8}) Hier wird deutlich, wie ernst Sie es mit der Solidarität gegenüber der älteren Generation nehmen. ({9}) In Wirklichkeit geht es Ihnen nicht um die Rentner - ich sagte es -, in Wirklichkeit geht es Ihnen um die Wählerstimmen bei den drei bevorstehenden Landtagswahlen. Die Rentenerhöhung 1985 ergibt sich aus dem Lohnanstieg 1984 abzüglich einer Erhöhung des Beitrags zur Rentnerkrankenversicherung. Wir haben gehört, daß es zur Lohnentwicklung 1984 zur Stunde keine endgültigen Zahlen gibt. Zur Zeit muß von einem Zuwachs um die 3 % ausgegangen werden. Über geringfügige Abweichungen nach oben oder unten kann man zur Zeit nur spekulieren. Wichtig ist - dafür bin ich der Bundesregierung dankbar -, daß die Formel, die Renten 1985 nach der Lohnentwicklung des Jahres 1984 zu richten, nicht angetastet wird. Denn wenn man das machen würde, wäre der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Die Diskussion gerade in den letzten Tagen hat sich alleine um die Frage gedreht: In welchem Umfang soll der Beitrag der Rentner zur Krankenversicherung erhöht werden? Wir haben vor der Bundestagswahl 1983 festgelegt, daß die Rentner schrittweise einen Beitrag zu ihrer Krankenversicherung leisten sollen, so wie auch die Arbeitnehmer. Diese Koalition, meine Damen und Herren, hat ehrlich gehandelt. Sie hat vor den Wahlen reinen Wein eingeschenkt. Die Rentner wurden durch unsere Maßnahmen nicht überrascht. Das war 1976 noch ganz anders. Man erinnere sich an den damaligen Bundestagswahlkampf. Da herrschten nicht nur andere Leute, da herrschten auch andere Sitten. ({10}) Vor der Wahl täuschte der SPD-Kanzler Schmidt die Rentner über die wahre Lage der Rentenfinanzen, um sie nach der Wahl mit massiven Einschnitten zu überfallen. Die SPD hat damals nicht nur kräftig abkassiert, sie hat auch in massiver Weise das Vertrauen in die Rentenversicherung erschüttert; und Vertrauen ist das wichtigste Kapital unserer Rentenversicherung. Der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner beträgt zur Zeit 3 % und sollte ursprünglich 1985 um 2 % auf 5 % angehoben werden. Die geringer als erwartet ausgefallene Lohnentwicklung im Jahre 1984 hat die Regierungskoalition nun veranlaßt, diesen Beitrag nicht um 2 %, sondern nur um 1,5 % auf dann 4,5 % zu erhöhen. Mehr, meine Damen und Herren, ist finanziell einfach nicht machbar. Man muß nämlich wissen, daß 1 % Krankenversicherungsbeitrag plus oder minus 1,4 Milliarden DM mehr oder weniger für die Rentenversicherung bedeutet. Die Rentner müssen wissen, daß auch nach Erhöhung dieses Krankenversicherungsbeitrages mit ihrem Beitrag zur Krankenversicherung nur ein kleiner Teil der Aufwendungen für ihre Krankenversicherung abgedeckt wird. Ich sage das gar nicht vorwurfsvoll. Die Rentner waren ja früher erwerbstätig. Dies ist ein Solidarbeitrag auch der Jungen gegenüber den Rentnern. Aber man muß einmal sehen, daß die Krankenversicherung für die Rentner im Jahre 1985 über 40 Milliarden DM aufwendet und daß die Rentner mit ihrem Beitrag nur annähernd 6 Milliarden DM zur Krankenversicherung beisteuern; das sind ganze 14 %. Die Finanzlücke von über 34 Milliarden DM muß durch die jüngeren Arbeitnehmer gedeckt werden. Deshalb ist die Beitragsleistung der Rentner zur Krankenversicherung auch ein echtes Stück Solidarität der Rentner mit den Jüngeren. Ich füge ein Zweites hinzu. Zielsetzung des Krankenversicherungsbeitrages ist auch, daß sich die Löhne und die Renten nicht auseinanderentwikkeln; denn man muß wissen, daß sich die jährlichen Rentenanpassungen, die in der Regel ja Nettoanpassungen sind, nach den Bruttolöhnen richten. Wenn man jetzt von den Rentnern auf Dauer keinen Krankenversicherungsbeitrag erheben würde, bedeutete dies auf die Dauer, daß sich die Renten wesentlich stärker nach oben entwickeln als die Löhne. Auch dies zu berücksichtigen ist eine Zielsetzung des Krankenversicherungsbeitrages. Meine Damen und Herren von der SPD, auch Sie haben dies offensichtlich so gesehen, solange Sie in der Regierung waren. Sie haben, noch in der Bundesregierung stehend, 1982 mit dem Entwurf zum 6. Rentenversicherungsänderungsgesetz einen Krankenversicherungsbeitrag für Rentner vorgesehen. In der Opposition allerdings haben Sie bis in die letzten Tage hinein die Ernsthaftigkeit dieses Vorhabens immer sehr heftig in Frage gestellt. ({11}) Nach den Presseerklärungen der letzten Tage besteht nicht mehr der geringste Zweifel, daß Sie es mit der Einführung eines Krankenversicherungsbeitrags auch ernst gemeint haben. In der „Süddeutschen Zeitung" vom 11. und 16. Januar dieses Jahres kündigt der SPD-Fraktionsvorsitzende Vogel an, daß die SPD hier einen Antrag einbringen wird, wonach der Krankenversicherungsbeitrag in diesem Jahr nur um 1 % auf dann 4 % erhöht werden soll. ({12}) Damit - und dafür sind wir Ihnen dankbar - dokumentieren Sie etwas, was Sie in der Vergangenheit, solange Sie in der Opposition sind, immer bestritten haben, ({13}) nämlich Ihr Einverständnis mit einem Krankenversicherungsbeitrag von 4 %. Hier wird deutlich, worum der Streit bezüglich der Rentenanpassung 1985 eigentlich geht. Wir wollen einen Krankenversicherungsbeitrag von 4,5 %, die SPD will einen Krankenversicherungsbeitrag von 4 %. Das macht beim viel zitierten Kleinrentner etwa 3 DM aus. Ich weiß, man soll auch den Pfennig ehren. Aber glaubt denn wirklich jemand im Ernst, daß durch diese 3 DM die soziale Stellung eines Rentners verändert wird? ({14}) Da waren die Einschnitte, die Sie 1978, 1979, 1980 und 1981 gemacht haben, von ganz anderem Kaliber. Ich frage: Wo bleiben heute die Proteste des DGB? Damals waren die Einschnitte, die die SPD vorgenommen hat, um das 25fache höher als das, was heute zur Debatte steht. Ich stelle auch an jene die Frage nach der Glaubwürdigkeit, die heute die Regierungskoalition wegen der zugegebenermaßen bescheidenen Rentenerhöhung 1985 mit Protesten überschütten. Wo bleibt der Protest heute gegen die Opposition? ({15}) Wer den in Aussicht genommenen Krankenversicherungsbeitrag in Höhe von 4,5 % der Regierungskoalition als unsozial, als untragbar geiselt, kann die 4 % der Opposition nicht als soziale Wohltat preisen. ({16}) Es ist nicht möglich - wir haben das sorgfältig geprüft -, den Krankenversicherungsbeitrag sozial zu staffeln. Der Bundesarbeitsminister hat mit Recht darauf hingewiesen, daß die Rente allein nichts darüber aussagt, wie hoch der Lebensstandard eines Rentenbeziehers ist. Mehr als 70 % der männlichen Rentner beziehen mehrere Einkommen. Bei den Rentnerinnen mit eigener Rente sind es zwei Drittel, bei den Witwen sogar 80 %. Dies heißt: Wollte man den Krankenversicherungsbeitrag sozial staffeln mit der Zielsetzung, daß die kleineren Renten nicht so stark belastet sind, müßte man das gesamte Haushaltseinkommen eines Rentners überprüfen. Dies würde aber zu einem gigantischen Verwaltungsaufwand führen. Mehrere Millionen Rentner müßten sich dieser bürokratischen, immer wiederkehrenden Prozedur unterziehen, und erreicht würde herzlich wenig. Man muß nämlich wissen, daß für die Bezieher von Renten bis 600 DM folgendes gilt: Über 50 leben in Haushalten mit Einkommen über 2 000 DM und 80 % in Haushalten mit Gesamteinkommen von über 1 000 DM. Hier würde man durch eine soziale Staffelung, ginge man nur nach der kleinen Rente, genau die Falschen treffen. Bei den Rentnern, die wirklich nur von einer kleinen Rente leben müssen, würde vielfach nur die Sozialhilfe entlastet, die sich natürlich bei gestiegener Rente sofort wieder schadlos halten würde. Ich unterstreiche das, was die Bundesregierung hier ausgeführt hat: Den Rentnern geht es im allgemeinen gut. Sie schneiden im Verhältnis zu den Aktiven nicht schlecht ab. Ihre Stellung im Einkommensgefüge hat sich in den letzten Jahren seit der Rentenreform 1957 sogar erstaunlich verbessert. Vergleicht man nämlich die Renten - das möchte ich noch einmal wiederholen -, die j a in der Regel Nettoeinkommen sind, mit den Nettoverdiensten der Arbeitnehmer, so zeigt sich, daß das Rentenniveau gegenwärtig einen Höchststand erreicht hat. Nach 40 Versicherungsjahren erreicht der Rentner 65 %, nach 45 Versicherungsjahren 73 % des Nettoeinkommens eines vergleichbaren Arbeitnehmers. Ein derart hohes Rentenniveau hat es - mit Ausnahme des Jahres 1977 - noch nie gegeben. Die Renten steigen auch im Gleichklang mit den verfügbaren Einkommen der Arbeitnehmer. Das ist nicht jedes Jahr deckungsgleich möglich. Das ist allein schon technisch nicht möglich, weil sich die Rentenerhöhung eines Jahres immer nach der Lohnentwicklung des vorhergehenden Jahres richtet. Aber im Durchschnitt mehrerer Jahre können wir feststellen, daß sich Renten und Nettoverdienste gleich entwickeln, so auch im Durchschnitt der Jahre 1983 bis 1985. In diesem Zeitraum stiegen die Renten um 6,6 %, während die Nettoarbeitsentgelte um 6,8 % stiegen. Meine Damen und Herren, es gibt ohne Zweifel auch Rentner, die von einer recht kleinen Rente leben müssen. Aber dieses Problem - der Bundesarbeitsminister hat mit Recht darauf hingewiesen - kann die Rentenversicherung nicht lösen. Versicherungsleistungen bemessen sich nun einmal nach dem Beitrag und nach der Anzahl der Versicherungsjahre. Die Frage der wirtschaftlichen Bedürftigkeit spielt beim Versicherungsprinzip keine Rolle. Dafür gibt es die Sozialhilfe. Dafür wurde in diesem Sozialstaat die gleichberechtigte Säule in unserem Sozialsystem, nämlich die Sozialhilfe, als eigenständiger Zweig unseres Sozialsystems ins Leben gerufen. Ich warne alle davor, durch eine Einbeziehung der Prüfung wirtschaftlicher Bedürftigkeit in die Rentenversicherung ({17}) gewissermaßen die Sozialhilfe und die Empfänger von Sozialhilfe zu diskriminieren. Niemand, der Sozialhilfe bezieht, braucht sich zu schämen. ({18}) Die Rentner profitieren auch von der Stabilitätspolitik dieser Bundesregierung. Es kommt nicht nur darauf an, wie die Renten steigen, genauso wichtig, ja noch wichtiger, ist es, was man sich von der Rente kaufen kann. Da ist jedes Prozent weniger Inflation 1 % Rentenerhöhung. Man muß sich mal vorstellen, die Preissteigerungsrate wäre heute noch so hoch wie 1982, als wir die Regierung übernommen haben. Damals waren dies 5,6 %; wir haben diese Inflationsrate mehr als halbiert. sie um über 3 % zurückgeführt, und dies sind 3 % mehr Kaufkraft für die Rentner, dies sind 3 % Rentenerhöhung. ({19}) Hier wird deutlich, daß Stabilitätspolitik nicht nur wegen der Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft wichtig ist, sondern daß Stabilitätspolitik auch und vor allem Sozialpolitik ist. Genauso wichtig wie die Rentenhöhe, wie die Steigerung der Rente ist auch die Sicherheit der Rente. Die schönste Rentenerhöhung nutzt nichts, wenn die Rente selbst nicht bezahlt werden kann. Die SPD fordert mehr, sie fordert einen geringeren Krankenversicherungsbeitrag, sie schlägt eine große Strukturreform mit Milliarden Mehrkosten vor. ({20}) Der wesentliche Deckungsvorschlag ist: Die Arbeitslosenversicherung soll ihre Beiträge an die Rentenversicherung erhöhen. Ich frage mich nur, für was Sie dieses Deckungsmittel eigentlich alles nehmen wollen: für den Krankenversicherungsbeitrag, für das Babyjahr, für die 70%ige Teilhaberegelung, für verschiedene andere Dinge in Ihrer Strukturreform. Dies ist typisch sozialistische Politik, daß Sie die Probleme nicht dort lösen, wo sie entstehen, sondern über einen Verschiebebahnhof jetzt die Arbeitslosenversicherung zur Kasse bitten. ({21}) Wenn Sie bei der Arbeitslosenversicherung Milliarden wegnehmen, würde das nämlich bedeuten, daß Sie entweder die Versicherungsbeiträge zur Arbeitsiosenversicherung erhöhen müßten, ({22}) oder Sie müßten Leistungen für die Arbeitslosen, für die Fortbildung, für die Umschulung, für die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen streichen; denn sonst haben Sie bei der Bundesanstalt für Arbeit ein finanzielles Loch. ({23}) Dies haben Sie uns über 13 Jahre vorexerziert. Meine Damen und Herren, Rentensicherheit ist genauso wichtig wie Rentenerhöhung, und deshalb zum Schluß meine wichtigste Feststellung: Die Rentner können sich darauf verlassen, daß ihre Rente auch 1985 sicher ist, daß sie pünktlich bezahlt wird; ({24}) sie brauchen sich den Kopf nicht scheu machen zu lassen, sie können ruhig schlafen, sie können auch weiter in ihre Rentenversicherung Vertrauen setzen. ({25})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Potthast.

Gabriele Potthast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Rentner und Rentnerinnen! 1984, dieses berühmt-berüchtigte Jahr, ist nicht nur als Orwell-Jahr in die Annalen der Geschichte eingegangen, sondern viele dachten dabei auch an die große Rentenreform. Immerhin stand ja seit 1975 fest, daß in dem Jahr 1984 eine Reform erfolgen müßte, und in den neun Jahren stiegen die Erwartungen. Insbesondere wurden diese dadurch geschürt, daß die sozialliberale Regierung mit der Reform des Hinterbliebenenrechts den Aufbau einer eigenständigen Alterssicherung für Frauen angekündigt hatte. Was jetzt allerdings auf dem Tisch liegt, sowohl der Entwurf von seiten der Regierung als auch der Entwurf von seiten der SPD, wird dem ehemaligen Anspruch in keinster Weise gerecht. „Der Berg kreißte, und geboren ward ein Blümlein", wobei es hier in diesem ach so Hohen Hause eigentlich kein Wunder sein sollte, daß der eigenständigen Alterssicherung von Frauen kein Vorrang eingeräumt wird, ist es doch den meisten Männern und damit der Mehrheit in diesem Haus ein Anliegen, Frauen auch weiterhin als Karrierebegleiterin für sich dienstbar zu machen. ({0}) Der Skandal, daß Frauen, die tagaus, tagein in einem der reichsten Länder dieses Planeten unbezahlte und unterbezahlte Schwerstarbeit verrichten und verrichtet haben, um im Alter dann immer noch keine eigenständige Alterssicherung zu beziehen, sondern mit den niedrigsten Renten abgespeist zu werden, geht in den Medien inzwischen auch ganz unter, weil er von der atemberaubend geringen Rentenanpassung überlagert wird. Ich muß allerdings gestehen, daß auch ich die Geschichte der Rentenanpassung überaus spannend finde. Sie liest sich wie eine klassische Tragödie, der man die Überschrift „Die Räuber" geben könnte; ein Lehrbuch über die Möglichkeiten legalen Rentendiebstahls. Mit dem 20. Rentenanpassungsgesetz vom 27. Juli 1977 wurde der Anpassungstermin um ein halbes Jahr verschoben. Mit dem 21. Rentenanpassungsgesetz vom 25. Juli 1978 wurden die Renten für die Jahre 1979 bis 1981 von der Lohnentwicklung abgekoppelt. Die allgemeine Bemessungsgrundlage der Bruttodurchschnittsverdienste aller Erwerbseinkommen wurde willkürlich um 22 % gesenkt. So konnte der Bundeshaushalt immer wieder auf Kosten der Rentenversicherung saniert werden. Die Rentner und Rentnerinnen können beruhigt sein. Noch geht es dem Bundeshaushalt nicht so schlecht, daß überhaupt keine Renten mehr gezahlt werden können. Erst vor kurzem sagte ja auch unser lieber Bundesminister Herr Blüm, daß es keinen Grund gebe, die Rentensicherheit in Frage zu stellen. ({1}) Die Rentner müßten nicht einen Atemzug lang um ihre Renten bangen. Und wenn Herr Blüm das sagt, dann muß das richtig sein; ({2}) denn Herr Blüm ist immerhin ein ehrenwerter Mann. ({3}) Wenn den alten Menschen schon im letzten Jahr sinkende Realeinkommen zugemutet werden konnten, warum sollte sich das dann in diesem Jahr ändern? Die Rentenanpassung für 1985 sieht eine Erhöhung von zirka 1,35% bei einer Preissteigerungsrate von 2,5% vor. Das heißt im Klartext, daß Frauen mit einer durchschnittlichen Versichertenrente in der Arbeiterversicherung von 440,30 DM mit einer Erhöhung von 5,94 DM monatlich zu rechnen haben, während sie gleichzeitig für gestiegene Lebenshaltungskosten monatlich rund 11 DM mehr ausgeben müssen. Unser Milchbübchen hat wieder zugeschlagen. Dafür kommt natürlich Freude bei anderen Bevölkerungsgruppen auf. So sind die Unternehmensgewinne 1983 um sage und schreibe 14 % und im letzten Jahr um 9 % gestiegen. Ich kann Ihnen versichern: Bei dieser Gewinnsteigerung handelt es sich nicht um läppische 5- oder 10-DM-Beträge. In schöner Eintracht finden wir auch dieses Mal wieder eine Riesenkoalition aller etablierten Parteien vor, wenn es um die Erhöhung der Diäten für die Damen und Herren des Deutschen Bundestages geht. ({4}) Das letzte und dieses Jahr zusammengenommen macht die Diätenerhöhung knapp 600 DM aus. Schon allein das ist ein Skandal; denn das, was seit Jahren passiert, ist ein ungeheuerlicher Rentenbetrug, der schon unter der sozialliberalen Koalition begonnen hat. Das, was seit christdemokratischer Machtübernahme hinzugekommen ist, ist die kaltblütige Arroganz derer, die auf der einen Seite Sozialabbaugesetze machen - unter denen gerade sie nicht zu leiden haben -, während auf der anderen Seite Steuererleichterungen für Besserverdienende, überdurchschnittliche Unternehmergewinne und Diätenerhöhungen für die eigene Tasche zu finden sind. ({5}) Sparpolitik nach dem Sankt-Florian-Prinzip: Verschon mein Haus, zünd andere an! Das ist das politische Motto. ({6}) Ich halte ein derartiges Vorgehen für ausgesprochenen Zynismus in einer Zeit, in der immer mehr Menschen in die Armut gedrängt werden. ({7}) Das Modell des Bundesarbeitsministers, bekannt als Hinterbliebenenrente mit Freibetrag, wirkt auf den ersten Blick äußerst attraktiv. Danach werden Männer und Frauen nach dem Tode eines Ehegatten gleichermaßen eine Witwer- und Witwenrente erhalten, wobei der selbst erworbene Rentenanspruch immer in voller Höhe bestehen bleibt. Die Hinterbliebenenrente in Höhe von 60% wird jedoch nur dann voll bezahlt, wenn das eigene Einkommen einen Freibetrag von 900 DM nicht übersteigt. Der über 900 DM liegende Betrag wird bis zu 40 % angerechnet. Mit einer solchen Anrechnung wird eindeutig das Bedürftigkeitsprinzip in die Rentenversicherung eingeführt. Und, Herr Blüm, wir begrüßen das. Aber wenn schon das Bedürftigkeitsprinzip eingeführt wird, warum dann nur als Begrenzung der Ansprüche nach oben? Warum nicht in Form einer Anhebung der unteren Rentenansprüche? Ohne daß Sie die niedrigen Rentenansprüche anheben, werden weiterhin Hunderttausende von alten Menschen zusätzlich zu ihrer Rente Sozialhilfe beantragen müssen, weil sie entweder ihre Kinder schonen wollen oder sich schämen, unterhalb des Sozialhilfeniveaus zu leben. ({8}) Das betrifft besonders die Frauen, die aus Trümmern nach dem Krieg Häuser gebaut haben. ({9}) Eine Schande ist das. ({10}) Wie verträgt sich das eigentlich mit dem von Ihnen stets propagierten Prinzip der „Leistung für Gegenleistung" oder mit dem flotten Spruch „Leistung muß sich wieder lohnen" oder, was Sie heute wieder von sich gegeben haben, „Rente ist Alterslohn für Lebensleistung"? Nur über eine Ausdehnung der Rente nach Mindesteinkommen und konsequent erst durch eine Grundrente für alle Bürger und Bürgerinnen kann diese himmelschreiende soziale Ungerechtigkeit im Rentenrecht beseitigt werden. Der ständige Hinweis auf das Versichertenprinzip, sobald die Forderung nach einer Mindestrente kommt, ist überflüssig. Was sagte Graf Lambsdorff vor kurzem über die Rentenversicherung - ich zitiere jetzt einmal mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten -: „Es ist keine Versicherung üblicher Art, für die man seine Beiträge bezahlt, die man monatlich mit Zins und Überschuß zurückbekommt, wenn die Rente beginnt ... Tatsächlich ist das Geld, streng nach Gesetz, längst weg, ausgegeben für die Bürger, die schon Rente bekommen haben." Mit einer Versicherung hat das Rentensystem also überhaupt nichts zu tun. Und somit kann eine Mindestrente nicht ständig mit dem Hinweis auf Beibehaltung der Beitragsäquivalenz verhindert werden. Die Mindestsicherung ist bislang auch immer mit dem Hinweis darauf abgelehnt worden, daß die Rentenversicherung nicht ermitteln könne, welche weiteren Einkünfte ein Versicherter hat. Auch dieser Grund gegen eine Mindestsicherung entfällt, folgen wir der Logik des Blüm-Modells, da nach dem Regierungsentwurf die Einkommenssituation der Hinterbliebenen auf jeden Fall überprüft werden muß; allerdings mit Einschränkungen, denn nicht angerechnet werden sollen j a Kapitaleinkünfte, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, Einkünfte aus privaten Lebensversicherungen, kurz alle Einkünfte, die dem Slogan „Leistung muß sich wieder lohnen" widersprechen. Mit anderen Worten: Kapitaleinkommen werden, wie üblich, gegenüber Arbeitseinkommen privilegiert. Der verwitwete Unternehmer, der in die private Lebensversicherung investiert hat, bekommt also ohne Kürzung die Witwenrente gezahlt, sofern seine Frau eigene Rentenansprüche erworben hat. Wahrlich ein großartiger Beitrag zu mehr Gerechtigkeit! Dagegen muß eine Frau, deren eigene Rente höher als 900 DM ist, Kürzungen in Kauf nehmen. Würden alle Einkünfte angerechnet, so könnte der Freibetrag selbst unter dem Kostenneutralitätsdiktat höher sein, und ein wesentlicher Schritt zu mehr sozialer Gerechtigkeit wäre vollbracht. So aber können wir nur hoffen, daß zumindest diese Form von Ungleichbehandlung, die nach wohlbekannter und beliebter Tradition die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, vor dem Verfassungsgericht keinen Bestand haben wird. Insbesondere bleibt festzuhalten, daß von einer eigenständigen Rente der Frau keine Rede sein kann. Das gleiche gilt natürlich für den Vorschlag der SPD, die das alte Teilhabe-Modell aus der Mottenkiste ihrer Regierungszeit gezogen hat. Hierbei wird vorgeschlagen, daß der oder die Hinterbliebene 70 % der vor oder während der Ehe erworbenen Ansprüche erhält, mindestens aber die Versichertenrente in voller Höhe. Auch dieses Modell ist bekanntermaßen umstritten, da es Frauen, die keine eigenen Rentenansprüche erworben haben, besser stellt, was jedoch angesichts der bestehenden Armut bei alten Frauen erst einmal positiv zu bewerten ist. Problematisch erscheint die Verteilungswirkung. Denn Frauen mit eigenen Rentenansprüchen werden gegenüber denen, die nicht erwerbstätig gewesen sind, benachteiligt. Noch schwerwiegenden ist allerdings, daß auch hier ein grundsätzlich falscher Weg eingeschlagen wird. ({11}) Zum einen wird durch die Anhebung des Hinterbliebenenrentensatzes die „Hausfrauenehe" gefördert. Zum anderen wird versucht, die materiellen Situationen von alten Frauen dadurch zu verbessern, ({12}) daß die abgeleiteten Ansprüche angehoben werden. ({13}) Das ist fatal, wenn man bedenkt, daß die Hinterbliebenenversorgung auch bei einem erhöhten Satz unzureichend bleibt. Immerhin sind 44 Rentenversicherungsj ahre eines Durchschnittsverdieners nötig, um eine Hinterbliebenenrente zu hinterlassen, die höher ist als das vergleichbare Sozialhilfeniveau. Das heißt, die Witwe eines Mannes, der während seines ganzen Versicherungslebens immer den Durchschnitt aller Versicherten verdient hat, bekommt eine Witwenrente unterhalb der Sozialhilfeleistung, wenn der Mann nur 43 Jahre lang versichert war. Das macht wohl überdeutlich, daß es ohne den Aufbau einer eigenständigen Rente nicht weitergehen darf. ({14}) Zweifelsohne werden sich berufstätige Frauen bei einer 70 %igen Teilhaberente à la SPD unter dem Strich schlechter stehen, sofern die eigenen Ansprüche mindestens ein Drittel der Ansprüche des Mannes ausmachen. Kein Wunder, daß der DGB - trotz aller Sympathie für den Grundgedanken der Teilhaberente - Blüms Anrechnungsmodell bevorzugt. Beiden Entwürfen gemeinsam ist, daß die Situation von Frauen mehr oder weniger verschlechtert wird. Um den Protest dagegen im Vorfeld abzuwürgen, werden Vorschläge für die Anerkennung von Erziehungszeiten gemacht. Doch diese Vorschläge sind lächerlich, was die Zahl der Erziehungsjahre betrifft, und unerhört, was die Bewertung der Arbeit angeht. In beiden Gesetzentwürfen soll die Kindererziehung mit 75 % anerkannt werden, d. h. nicht einmal dem durchschnittlichen Verdienst aller Versicherten soll die Kindererziehung entsprechen, sondern sie soll 25 % weniger wert sein. Und dann steht im Regierungsentwurf: „Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten ist ein entscheidender Beitrag zu einer Gleichbewertung der Tätigkeit in der Familie und der außerhäuslichen Erwerbstätig8560 keit." Fast wäre ich versucht, Herr Blüm, Sie der offensichtlichen Lüge zu bezichtigen. ({15}) Ich beschränke mich stattdessen auf den Vorwurf des bewußten Vortäuschens falscher Tatsachen. Der unterdurchschnittliche Wert von Erzeihungszeit wird jedenfalls von Ihnen dort festgeschrieben. Sie mögen die 75 % mit Kostenneutralität begründen. Es ist und bleibt ein Ausdruck Ihrer Geringschätzung dieser Arbeit, beleidigend für alle Mütter und erziehenden Väter. Was die Dauer der Kindererziehung, die rentenrechtlich berücksichtigt werden soll, angeht, so scheut sich auch hier Herr Blüm nicht, den Frauen Sand in die Augen zu streuen. Herr Blüm, Sie behaupten, es würde ein ganzes Baby-Jahr neu eingeführt. Statt dessen ist es für Frauen, die jetzt Kinder erziehen, meistens nur ein halbes Jahr, weil eben die Zeit des Mutterschaftsurlaubs auf dieses angeblich neue Jahr angerechnet wird. ({16}) Sie, Herr Blüm, schaffen verschiedene Klassen von kindererziehenden Müttern. Viele Frauen, die Kinder erzogen haben und heute noch erziehen, werden bei folgender Regelung völlig leer ausgehen: Nur bei einer persönlichen Bemessungsgrundlage von weniger als 75 % des durchschnittlichen Bruttoverdienstes aller Versicherten wird diese auf den Prozentsatz von 75 aufgestockt. Frauen dagegen, die, weil sie beispielsweise alleinstehend sind, auch im ersten Lebensjahr des Kindes erwerbstätig sein müssen und das Glück haben, ein höheres Einkommen als 75 % des Durchschnitts zu verdienen, bekommen trotz des Baby-Jahres keine Erziehungszeit anerkannt. Hier ist es unbedingt erforderlich, daß eine Regelung erfolgt, daß das Baby-Jahr mit den eigenen Ansprüchen zur gleichen Zeit kumulieren kann. Die Regelung von Herrn Blüm geht von dem Bild der sogenannten „vollständigen Familie" aus. Aber anders ist es von Ihnen j a wohl nicht zu erwarten. Doch das Bild ist anachronistisch. Mittlerweile beträgt die Zahl der Alleinerziehenden nämlich schon 1 Million. Es muß endlich Schluß damit gemacht werden, unverheiratete Mütter rechtlich zu diskriminieren. ({17}) Was die Anzahl der Jahre, die anerkannt werden, betrifft, so behaupten Sie ständig, daß das eine Jahr der Einstieg sein soll. Aber wo ist denn der Terminplan, wann der Einstieg ausgebaut wird? Warum schreiben Sie nicht in das Gesetz hinein, ab wann ein zweites und drittes Jahr anerkannt wird? Der größte Skandal aber ist die Begrenzung bei der Anerkennung von Erziehungszeiten auf Frauen ab dem Jahrgang 1921, d. h. der Ausschluß all jener Frauen von der Neuregelung, die als sogenannte Trümmerfrauen irrsinnige Arbeit geleistet haben, um die Lebensbedingungen in Deutschland nach dem Krieg wiederherzustellen. Es geht unserer Meinung nach nicht an, daß diese Frauen leer ausgehen. ({18}) - Denn auch dieser Skandal - Sie sagen es ja gerade - wird mit dem Hinweis auf finanzielle Machbarkeit gerechtfertigt. Machbar ist dagegen allerdings folgendes: Vor Weihnachten wurde eine Ergänzungsabgabe für Besserverdienende abgelehnt, im letzten Jahr wurden die Unternehmen um mehrere Milliarden DM Vermögensteuer entlastet; Sie stecken Milliarden in die Verkabelung und in Weltraumprojekte, von denen im Endeffekt eine Bedrohung der ganzen Menschheit ausgeht. ({19}) Es werden Milliarden in die Rüstungsproduktion und in die Gentechnologie gesteckt, aber für die Anerkennung eines Baby-Jahres in der Rentenversicherung für die Generation unserer Mütter wollen Sie keine Steuermittel verwenden. ({20}) Ich halte das für unerträglich und fordere alle, insbesondere aber die Frauen des Bundestages auf, dies nicht zuzulassen. Unsere Fraktion hat deshalb ein Sofortprogramm zur Eindämmung der Ungerechtigkeit in der Rentenpolitik vorgeschlagen, das vier Punkte umfaßt: Erstens Anerkennung von drei Erziehungsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung, zweitens Anhebung der untersten Rentenleistung zumindest auf Sozialhilfeniveau, drittens sofortige Erhöhung des Bundeszuschusses an die Rentenversicherung um 19 Milliarden DM ({21}) und viertens Wiedereinführung der vollen Rentenversicherungsbeiträge für Arbeitslose in Höhe des ehemaligen Bruttoeinkommens. Sie sollten vielleicht einmal über eine Wertschöpfungssteuer nachdenken, um das finanzieren zu können. Wenn Sie das nämlich berücksichtigten, wäre das ein entscheidender Schritt in die richtige Richtung. Danke. ({22})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Adam-Schwaetzer.

Dr. Irmgard Adam-Schwaetzer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002120, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist gut, das jetzt Klarheit für die Rentner geschaffen worden ist. ({0}) Eine Rentenanpassung für 1985, die netto zwischen 1,1 und 1,4% liegen wird, sichert nach wie vor ein Rentenniveau, das weit über dem liegt, mit dem Rentner in den 60er Jahren zufrieden sein mußten, und das auch noch über dem liegt, mit dem Rentner in den meisten Jahren der 70er Jahre zufrieden sein mußten. ({1}) Die FDP-Fraktion trägt die Entscheidung der Bundesregierung mit. Eine Null vor dem Komma bei der Rentenerhöhung 1985 wäre j a in der Tat ein mageres Ergebnis für die Rentner gewesen. Gerade im Hinblick darauf, daß die jetzige Rentnergeneration die Aufbauleistung nach dem Krieg vollbracht hat, ist es selbstverständlich, daß sie einen sicheren und, gemessen an der Generation ihrer Eltern, komfortablen Lebensabend haben soll. Auf der anderen Seite können wir uns natürlich nicht der Tatsache verschließen, daß die finanziellen Probleme der Rentenversicherung durch diese Entscheidung verschärft werden. Die Bundesgarantie wird 1985 und 1986 in einem höheren Umfang als geplant in Anspruch genommen werden müssen. Aber die Auszahlung der Renten ist in jedem Fall gesichert. Diese Entscheidung war für die Freien Demokraten aus drei Gründen akzeptabel: Erstens. An der Rentenformel wird nicht manipuliert. Natürlich ist die Rentenformel auf Dauer nicht sakrosankt. Der wachsende Anteil der Rentner an der Bevölkerung erzwingt langfristig die Einführung einer Komponente, die auf diese Umstrukturierung in der Bevölkerung Rücksicht nimmt. Zweitens. Gestaffelte Krankenversicherungsbeiträge für die Empfänger niedrigerer Renten, wie sie der „Rentenexperte" Stoiber in den letzten Tagen vorgeschlagen hatte, würden von uns nicht mitgetragen werden. ({2}) Sie sind ja auch nicht beschlossen worden. Denn eine solche Regelung verstößt gegen das Prinzip der Beitragsbezogenheit der Renten. Drittens. Wir sind uns mit unserem Koalitionspartner einig, daß die Anhebung des Krankenversicherungsbeitrages nur zeitweilig verschoben wird und nachgeholt werden muß ({3}) und daß über kurz oder lang der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner - wie schon jetzt der Krankenversicherungsbeitrag der Aktiven - aus Gründen der Gleichbehandlung und der Systematik die Hälfte des durchschnittlichen Krankenversicherungsbeitrages ausmachen sollte. Ob sich eine derartige Ausgestaltung in einer oder in mehreren Stufen - und in welchem Zeitraum - vollziehen soll, bedarf noch der Diskussion. Auf jeden Fall darf durch die jetzt getroffene Entscheidung keine langfristige Finanzierungslücke in der Rentenversicherung entstehen. ({4}) Die bestehenden Liquiditätsprobleme in der Rentenversicherung haben wir weitgehend dadurch gelöst, daß der Bundeszuschuß bedarfsentsprechend gezahlt wird und daß im Rahmen des Haushaltsgesetzes ein bei Bedarf in Anspruch zu nehmender Kreditplafond bereitsteht. Dieser Plafond wird in jedem Fall ausreichen. ({5}) Kredit darf aber kein dauerhaftes Finanzierungsinstrument sein, sondern dieser Kreditrahmen, der bereitgestellt wird, wird ja jeweils nur für einige Tage in Anspruch genommen. Dies wird in den Jahren 1985 und 1986 jeweils im November der Fall sein, aber bereits im Dezember werden die Konten ausgeglichen sein. Sorgen hätten wir nur dann, wenn sich langfristig durch dauerhafte Einnahmeausfälle eine Finanzierungslücke auftun würde. Die Bundesgarantie ist ja gerade geschaffen worden, damit solche kurzfristigen Liquiditätsengpässe, wie sie nun auftreten, auch beseitigt werden können. ({6}) Meine Damen und Herren, von dem, was die Sozialdemokraten draußen mit so viel Feuereifer vorgeschlagen haben, nämlich eine Erhöhung von mindestens 1,7 % - der Wahlkampf läßt grüßen -, ist heute morgen bisher nur sehr wenig die Rede gewesen. Frau Fuchs hat in ihrem Beitrag wieder einmal typisch sozialdemokratischen Umgang mit Finanzmitteln dargestellt. ({7}) Zahlen sollen in der Zukunft - in der Zukunft, nicht jetzt - die Rentner, die Beitragszahler, der Bundeshaushalt. Wer ist das denn? Die Rentner der Zukunft sind die Beitragszahler von heute, und der Bundeshaushalt wird von den Steuerzahlern bezahlt, die wiederum weitgehend mit den Beitragszahlern identisch sind. Bezahlen sollen also in jedem Fall die heute Aktiven. ({8}) Schamhaft verschwiegen hat Frau Fuchs darüber hinaus, ({9}) daß immer nur ein Teil der Beitragszahler herangezogen werden soll, nämlich immer nur der Teil, der auch bisher schon immer die höchsten Beiträge geleistet hat. Die Betreffenden sollen in der Zukunft noch weniger Rente bekommen und noch stärker geschröpft werden, obwohl sie immer höhere Beiträge gezahlt haben. Meine Damen und Herren, dies und auch die Berechnungen, die Frau Fuchs hier andeutungsweise angestellt hat, zeigen wieder einmal: Sozialdemokraten haben ein gestörtes Verhältnis zum Geld. ({10}) Ganz besonders toll finde ich es aber, wie Sie, Frau Fuchs, Ausgaben für Zukunftsforschung, wie wir sie mit der Raumfahrt betreiben, gegen Ausgaben für Rentner stellen. ({11}) Meine Damen und Herren, das zeigt ganz eindeutig: Sozialdemokraten sind bereit, die Zukunft zu verfühstücken, um heute eine populistische Politik zu betreiben. ({12}) Diese Politik ist unsozial. Das sehen gerade die Rentner, die ja doch ein sehr gutes Verhältnis zum Geld haben, die sehr genau wissen, daß man nur das ausgeben kann, was man vorher eingenommen hat. Frau Fuchs, Sie haben hier noch etwas verschwiegen: Sie haben lautstark gelobt, daß die Gewerkschaften Ihnen bei Ihren Strukturreformplänen für die Rentenversicherung beigetreten seien, aber Sie haben verschwiegen, daß die gleichen Gewerkschaften zwar einige strukturelle Elemente gelobt, aber das eigentliche Kernstück, nämlich die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung, in der von Ihnen befürworteten Form abgelehnt haben ({13}) und daß die Gewerkschaften bei der Neuordnung der Hinterbliebenenreform den Koalitionsfraktionen und dem von ihnen getragenen Modell die Zustimmung gegeben haben. ({14}) Frau Fuchs, diese Unterlassung ist fast eine Wählertäuschung. Das, was Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, tun, ist viel Schaumschlägerei. ({15}) Lassen Sie mich noch ganz kurz darauf eingehen, warum die Diskussion über die Rentenanpassung 1985 überhaupt wieder so viele Emotionen geweckt hat. Es ist richtig: Wir werden in der Zukunft den Rentnern wieder einen Krankenversicherungsbeitrag abverlangen, wie wir ihn in den letzten Jahren breits einzuführen begonnen haben. Diesen Krankenversicherungsbeitrag hat es in früheren Zeiten schon gegeben. Ich glaube, wer sich die Entwicklung der Ausgaben der Rentnerkrankenversicherung ansieht, wird auch sehr leicht dazu kommen, zu der Einführung eines solchen Krankenversicherungsbeitrages ja zu sagen. Auch innerhalb der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion war die Bereitschaft, wieder zum Krankenversicherungsbeitrag der Rentner zurückzukommen, schon einmal relativ groß. Ich möchte Sie - vor allen Dingen den Kollegen Glombig - an die Ausführungen von damals erinnern. ({16}) Wer sich vor Augen hält, daß die Ausgaben für die Rentnerkrankenversicherung im Jahre 1984 über 36 Milliarden DM, d. h. über ein Drittel der gesamten Ausgaben der Krankenversicherung ausmachen, wird, glaube ich, Verständnis dafür aufbringen, daß wir die Rentner ein wenig an diesen Kosten selbst beteiligen. Es ist natürlich klar, daß Rentner häufiger krank sind als jüngere Menschen. Das ist völlig selbstverständlich und liegt eben auch in der Natur begründet. Selbstverständlich ist auch, daß die aktiven Arbeitnehmer ihre Solidarität mit den Rentnern über ihren eigenen Krankenversicherungsbeitrag erbringen müssen. Die 36 Milliarden DM entsprechen aber einem Anteil von 2,8 Prozentpunkten an den jetzigen Krankenversicherungsbeiträgen. Dies ist ein sehr hoher Wert, und damit begründet sich eben auch unsere Entscheidung für die Einführung. Ganz abgesehen davon wird außerdem sichergestellt, daß die Einkommen von Rentnern und aktiven Arbeitnehmern in etwa im gleichen Ausmaß steigen. Lassen Sie mich ein letztes Wort dazu sagen, warum der Anpassungssatz im Jahre 1985 insgesamt relativ niedrig ausgefallen ist. Dabei spielen zwei Dinge eine ganz wichtige Rolle. Die Rentenanpassungssätze werden vom Bundesarbeitsminister ja nicht im Losverfahren zu Beginn eines Jahres festgesetzt, sondern sie orientieren sich an den durchschnittlichen Bruttoentgeltsteigerungen des Vorjahres. Diese sind für 1984 deshalb sehr niedrig ausgefallen, weil einerseits die Nullrunde im öffentlichen Dienst die durchschnittlichen Steigerungsraten der Bruttoentgelte gedrückt hat und weil zum anderen durch die von den Gewerkschaften zum Teil so massiv verfolgten Arbeitszeitverkürzungen schon im Vorgriff die Bruttoarbeitsentgelte 1984 geringer angepaßt worden sind, als das eigentlich angenommen werden konnte. Mit anderen Worten: Arbeitszeitverkürzungen zu vereinbaren hat zwar seinen Charme für die im Beruf stehenden Arbeitnehmer, zeigt aber ganz deutlich die Problematik gerade für die Rentner auf. Was hier für die aktiven Arbeitnehmer gut scheint, ist eben schlecht für die Rentner. Meine Damen und Herren, auch das sollten alle Arbeitnehmer dieses Landes ihren Gewerkschaften immer dann sagen, wenn zusätzliche Forderungen nach Arbeitszeitverkürzungen im Raum stehen. ({17}) Meine Damen und Herren, die Rentenfinanzen müssen langfristig gesichert werden. Dafür ist diese Koalition angetreten. Die Beschlüsse der Bundesregierung, die wir hier heute vertreten, lassen sich mit diesem Ziel noch vereinbaren. Die Renten sind gesichert. Das möchte ich vor allen Dingen allen Rentnern, auch in Berlin, sagen, bevor ich das Pult jetzt hier für die nächste Einlage im Rahmen des Berliner Wahlkampfes räume. ({18})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Apel. ({0})

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In dieser Debatte über Rentenfinanzierung und Rentenanpassung im Jahre 1985 wird es wohl geboten sein, Sie von der Koalition an einige wichtige finanzpolitische Entscheidungen der letzten Monate zu erinnern. ({0}) Wie war es denn? In einer Nacht- und Nebelaktion waren Sie plötzlich in der Lage, jährlich 3,2 Milliarden DM insbesondere für umsatzstarke landwirtschaftliche Betriebe bereitzustellen. ({1}) Wenn wir diese Beträge bis zum Ende dieses Jahrzehnts hochrechnen, ergibt sich, daß es weit mehr als 30 Milliarden DM sein werden. ({2}) Wir erinnern uns doch auch noch an die Aktion Rückzahlung der Zwangsanleihe. Da wurde die Zwangsanleihe wie von uns erwartet als verfassungswidrig erklärt. Wir hatten Ihnen angeboten, eine Ersatzlösung zu finden, damit auch die sehr gut Verdienenden mitleisten, die Lasten mittragen. Sie haben das abgelehnt und schnurstracks 2 Milliarden DM - jedem, der mehr als 100 000 DM im Jahr Familieneinkommen hat, mehrere tausend DM - zurückgezahlt. Da sage ich Ihnen, Frau Kollegin Schwaetzer: In der Tat, die FDP hat ein klares Verhältnis zum Geld. ({3}) Immer wenn es darum geht, Ihre Klientel zu bedienen, dann sind Sie dabei. Wenn es aber um soziale Gerechtigkeit geht, sind Sie niemals dabei. Das haben Sie durch Ihren Beitrag wieder bewiesen. ({4}) Wenn dann der Arbeitsminister im Bundesrat kurz vor Weihnachten gesagt hat, er wolle keine müde Mark für eine höhere Rentenerhöhung im Jahre 1985 opfern, kann ich nur fragen: Was haben die Rentnerinnen und Rentner eigentlich für einen Minister, meine sehr geehrten Damen und Herren? ({5}) Im übrigen, Herr Blüm - das will ich Ihnen gerne attestieren -, gibt es in der Tat keine müde Mark mehr für die Rentner; denn das, was Sie an Operation jetzt vorschlagen, ist Täuschung. Der Bundesfinanzminister hat das in aller Klarheit gesagt. Er hat gesagt: Nein, diese zusätzlichen Lasten für die Minierhöhung werden natürlich vom Bundeshaushalt überhaupt nicht übernommen. Das mögen die Rentenversicherungen auf Pump finanzieren. Das Geld könne man sich beim Bundeshaushalt leihen. Und im Jahre 1986 wird das, was es jetzt an Minierhöhung mehr gibt, den Rentnern zur Mitte des Jahres wieder weggenommen. Dies ist ein Schaumanöver. Mit Realität hat dies leider überhaupt nichts zu tun, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({6}) Aber kommen wir mal zu dieser Minierhöhung. ({7}) Nach mir wird j a der Sozialsenator des Landes Berlin reden. ({8}) Reden wir doch mal darüber. - Jetzt bekommen die Rentnerinnen - in Berlin gibt es viele Rentnerinnen, die mit 700 DM Rente leben müssen ({9}) 3,50 DM im Monat mehr. Das feiert dann der Regierende Bürgermeister als einen Sieg für die Rentner. Von Ihnen, meine Damen und Herren, wird das als soziale Tat gefeiert. ({10}) Nein, es ist nichts weiter als der Versuch, Sand in die Augen zu streuen. ({11}) Die Rentner werden durch den Kakao gezogen, und sie sollen anschließend diesen Kakao, den Sie zusammengebraut haben, auch noch trinken. ({12}) Nur: In einem Punkt irren Sie sich gewaltig. Diese alten Menschen, die ihr Leben lang haben rechnen müssen, können auch jetzt rechnen. Die wissen ganz genau, um was es geht. Herr Kollege Fink, wie ist es denn in Berlin? In den zwei Jahren, in denen in Bonn die Regierung der Wende regiert, sind in Berlin die Seniorenfahrkarten um 37 % teurer geworden, ({13}) sind die Mieten für die Altbauwohnungen, in denen die alten Menschen wohnen, um 34 % teurer geworden. ({14}) Wenn Sie dann hier sagen, die Rentenversicherung sei nicht dazu da, diese Probleme zu lösen, sondern alte Menschen auf die Sozialhilfe verweisen, muß ich mich allerdings wundern, daß Ihnen bei einer solchen Ansprache nicht die Schamröte ins Gesicht kommt. ({15}) Da sollen dann Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, insbesondere Frauen, die als Trümmerfrauen unser Land wiederaufgebaut haben, diesen Weg gehen. Wir müssen noch ein weiteres hinzufügen, damit wir das gesamte Bild zusammenhaben. Das wird der Sozialsenator des Landes Berlin nicht dementieren können: Selbst diese Minirentenerhöhung wird bei vielen Rentnerinnen und Rentnern, die Wohngeld bekommen, noch dazu führen, daß das Wohngeld gekürzt wird. ({16}) Da Sie unseren Gesetzgebungsanregungen nicht gefolgt sind, eine Wohngeldgarantie für das Jahr 1985 auszusprechen, kann es bei vielen Rentnerinnen und Rentnern dazu kommen, daß sie das, was sie mehr bekommen, diese Minibeträge, beim Wohngeld abgezogen bekommen, so daß sie am Ende schlechter dastehen werden. Nun kommen Sie uns nicht mit Geldmangel. Wenn Sie Milliarden für die umsatzstarken Betriebe der Landwirtschaft haben, wenn Sie Milliarden für die sehr gut Verdienenden haben, um die Zwangsanleihe zurückzuzahlen, muß es auch möglich sein, die Schwächeren in diesem Lande finanziell zu so bedienen, daß durch die Rentensteigerungen mindestens die Preissteigerungsrate des Jahres 1985 ausgeglichen wird. ({17}) Sie fragen immer, was die Sozialdemokratie will. Sie will nicht, daß im Jahre 1985 das traurige Spiel des Jahres 1984 wiederholt wird, in dem die Rentnerinnen und Rentner mit ihrer Rentensteigerung hinter der Preissteigerung deutlich zurückgeblieben sind. ({18}) Nun sagen Sie - ich habe mich über die Chuzpe, die in diesem Debattenbeitrag zum Ausdruck gekommen ist, einigermaßen gewundert -, die Arbeitnehmereinkommen und Renteneinkommen stiegen parallel. ({19}) Das haben Sie im übrigen im Wahlkampf 1983 versprochen. Da muß ich nun wirklich fragen, wo bei Ihnen Adam Riese geblieben ist. Die Rentensteigerungen von 1,2 % im Jahre 1984 und von eins Komma ... % im Jahre 1985 liegen ganz deutlich unter den Steigerungen der Arbeitnehmereinkommen, ganz deutlich. ({20}) Die Rentner wissen das besser, meine sehr geehrten Damen und Herren. ({21}) Lassen Sie mich einen letzten Gedanken aussprechen: Sie haben vor der Bundestagswahl 1983 in Ihrem Wahlprogramm folgendes gesagt - ich zitiere -: „Wir werden die notwendigen Opfer und Anstrengungen von allen Schichten der Bevölkerung fordern." ({22}) Davon ist heute auch bei dieser Rentensteigerung, die Sie vorhaben, nichts, aber auch gar nichts nachgeblieben. Herr Kollege Blüm - das richtet sich dann an Sie -, die Sozialausschüsse haben in der Zeitung „Soziale Ordnung" zur Jahreswende über die Politik der Bundesregierung unter der Überschrift „Moral kaputt" folgendes gesagt: Wende als Wertewandel und als eine neue Einstellung zum Gemeinwohl ist mißlungen. Diejenigen, die opferten, wurden getäuscht. Ihre Leistung hat sich nicht gelohnt. ({23}) Das ist das Ergebnis Ihrer Politik, meine Damen und Herren. Sie werden verstehen, daß wir dieser Politik im Interesse der Rentnerinnen und Rentner unsere ganze politische Kraft entgegensetzen, entgegensetzen müssen, damit soziale Gerechtigkeit in diesem Lande nicht zu einer Farce wird. ({24})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Senator für Gesundheit, Soziales und Familie des Landes Berlin, Herr Fink. ({0}) Senator Fink ({1}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht auf die Einzelheiten des Debattenbeitrages des Kollegen Dr. Apel eingehen. ({2}) Ein paar Anmerkungen möchte ich allerdings schon machen: Bei Ihrer Darstellung der Situation Senator Fink in Berlin haben sich doch einige Fehler eingeschlichen. ({3}) Ein kleines Beispiel: Sie haben gesagt, daß die Preise für Seniorenfahrkarten so schrecklich erhöht worden seien. Tatsache ist, daß für die einkommenschwachen Senioren von diesem Jahr an der Betrag von ehemals 40 DM auf 10 DM gesenkt worden ist. So sieht die Wahrheit aus. ({4}) Der Senat von Berlin hat die Entscheidung der Koalitionsfraktionen mit Genugtuung zur Kenntnis genommen, daß der Krankenversicherungsbeitrag der Rentner nicht um 2 %, sondern nur um 1,5 % erhöht wird. Die Rentner können nunmehr damit rechnen, daß sich ihre Rente zum 1. Juli dieses Jahres netto um vielleicht 1,5 % erhöhen wird. Im Interesse der alten Menschen ist es zu begrüßen, daß die Befürchtungen, die Rentensteigerungen könnten bei nur 1,07 % oder sogar bei nur 0,68 % liegen, nunmehr gegenstandslos geworden sind. Der herzliche Dank des Berliner Senats an die Koalitionsfraktionen! Der Senat von Berlin sieht in diesem Ergebnis auch einen Erfolg der intensiven Bemühungen insbesondere des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Eberhard Diepgen, um eine Verbesserung zugunsten der Rentner. Wir haben keinerlei Verständnis dafür, wenn von Oppositionsseite - Herr Dr. Apel, auch Sie haben das in der Tendenz getan - diese Verbesserung als lächerlich abgetan wird. ({5}) Wer dies behauptet, hat entweder kein Gespür für die soziale Situation der Rentner oder kein Verhältnis zu den finanziellen Dimensionen dieser Verbesserung im Umfang von sage und schreibe 700 Millionen DM. Das ist wahrlich kein Pappenstiel. ({6}) Nicht vordergründige Überlegungen, sondern prinzipielle Erwägungen bestimmen die Haltung des Senats von Berlin. In der Regierungserklärung des Bundeskanzlers und nun auch im Gesetz ist der Grundsatz für die Rentenanpassung unmißverständlich beschrieben. Er lautet: Die Renten sollen steigen wie die verfügbaren Arbeitseinkommen. Mit dieser Formel wird die Rentenanpassung der politischen Beliebigkeit entzogen. Die Interessen der Erwerbstätigen an möglichst sozial tragbaren Abgaben werden in einer gerechten Weise mit den Interessen der alten Menschen an einem gesicherten Lebensabend abgewogen. Dieses Prinzip des Interessenausgleichs war auch der Grund dafür, warum der Sozialbeirat der Bundesregierung zumindest zur Hälfte einen ähnlichen Vorschlag zur Rentenanpassung unterbreitet hat wie das Land Berlin. Zwar wird mit dem gefundenen Kompromiß dieses Ziel nicht gänzlich erreicht. Aber wichtig erscheint mir, daß die Verpflichtungen aus diesem Interessenausgleichsprinzip nunmehr sehr viel deutlicher gesehen worden sind und daß man versucht hat, diesem Prinzip möglichst nahezukommen. Es ist nicht zu verkennen, daß die besonderen Schwierigkeiten bei der diesjährigen Rentenanpassung nicht an bösem Willen der Beteiligten liegen, etwa daran, daß mancher den Rentnern keine größere Rentenaufbesserung gönnen würde; vielmehr liegen die Schwierigkeiten in der höchst angespannten Finanzsituation der Rentenversicherungen begründet. ({7}) Zu diesen finanziellen Schwierigkeiten ist es nicht über Nacht gekommen. Es gibt einen Haupt- und einen Nebengrund. Der Hauptgrund ist die Arbeitslosigkeit. Ohne Wiedergewinnung der Vollbeschäftigung wird eine Sanierung der Finanzgrundlagen der Sozialversicherungssysteme nicht zu erwarten sein. ({8}) Aber - das möchte ich gerade im Hinblick auf die Rede meines Vorredners sagen - es gibt auch einen bedeutsamen Nebengrund, der besonders den Sozialdemokraten eine gewisse Mäßigung und Zurückhaltung bei ihren rentenpolitischen Angriffen nahelegen sollte. 8,4 Milliarden DM sind der Rentenversicherung in den Jahren seit 1968 vorenthalten worden, die ihr nach der Formel zur Berechnung des Bundeszuschusses eigentlich zugestanden hätten, davon allein rund 6 Milliarden DM in der Zeit der sozialliberalen Bundesregierung. ({9}) Hinzu kommen weitere Finanzmanipulationen zu Lasten der Rentenversicherung, z. B. Zwangsanleihen der Rentenversicherung für den Bund von 2,5 Milliarden DM im Jahre 1973 und 650 Millionen DM im Jahre 1974, die entweder gar nicht oder so niedrig verzinst wurden, daß daraus weitere Millionenschäden für die Rentenversicherung entstanden sind. Hätte man heute diese Gelder - ich halte es für sehr prüfenswert, darüber nachzudenken, ob man diesen Schaden aus sozialliberaler Zeit nicht wiedergutmachen sollte -, dann bräuchten wir uns heute über die Rentenanpassung sehr viel weniger Sorgen zu machen. Senator Fink Herr Dr. Apel, Sie als ehemaliger Finanzminister tragen die Hauptverantwortung für diese Finanzmanipulation zu Lasten der Rentenversicherung. ({10}) Deshalb haben wir keinerlei Verständnis dafür, daß Sie, der Sie selbst die Rentenversicherung in diese Situation gebracht haben, heute lauthals klagen, wenn die Finanzen der Rentenversicherung größere Rentenaufbesserungen nicht ermöglichen. ({11}) Noch etwas zum Thema Glaubwürdigkeit. Die alten Menschen haben ein sehr waches Gespür dafür, wenn in einer Situation schrille Töne angeschlagen werden, in der die Rentenerhöhung um vielleicht einen halben Prozentpunkt unter der Preissteigerungsrate von 2 % liegt, wie es für dieses Jahr vorausgeschätzt wird, und zwar ausgerechnet von denen, die es in ihrer Verantwortung tatenlos hingenommen haben, daß im Jahre 1978 die Renten überhaupt nicht erhöht worden sind, ({12}) obwohl die Preise um 2,8 % gestiegen sind ({13}) - also ein Unterschreiten um 2,8 Prozentpunkte -, die die Rentenanpassung willkürlich auf 4 % festgelegt ({14}) und damit einen der tiefgreifendsten Eingriffe in das System der bruttolohnbezogenen Rente vorgenommen haben, und zwar als im Jahre 1980 die Preise um 5,5 % gestiegen sind ({15}) - also 1,5 Prozentpunkte Kaufkraftverlust -, und die auch nichts getan haben, als im Jahre 1981 die Preisentwicklung um fast 2 % über der Rentenerhöhung lag. Von denen, die für all dies verantwortlich sind, lassen sich die Rentner nichts vormachen; denn sie wissen ganz genau: Ihre Interessen sind jedenfalls von jenen, die heute so schrille Töne anschlagen, in der Zeit, als Sie selbst Regierungsverantwortung getragen haben, in keiner Weise berücksichtigt worden, als diese Ergebnisse vorgelegt worden sind. ({16}) Diskussionen über die Renten gibt es jetzt, und sie wird es auch in Zukunft geben. Es wäre verfehlt, zu glauben, die Interessen von Millionen Rentnern und Millionen Beitragszahlern könnten der politischen Diskussion entzogen werden. Dennoch sollten alle Anstrengungen unternommen werden, diese Diskussionen auf ein Maß zu begrenzen, das der Zukunft der Rentenversicherung dient. Keiner darf oder sollte doch zumindest ein Interesse daran haben, den Rentnern durch immer neue Tatarenmeldungen Angst einzujagen. Deshalb zum Schluß und in aller Kürze vier Punkte, deren Befolgung mir nützlich erscheint. Erstens. Die Durchsetzung des Prinzips der leistungsorientierten Versicherungsrente im Jahr 1957 unter Konrad Adenauer ist eine der ganz großen sozialpolitischen Leistungen der Nachkriegsgeschichte. Am Kerngehalt der Rentenformel darf nicht gerüttelt werden. Die Rentenformel bedarf allerdings einer Ergänzung um die demographische Komponente, damit die Interessen von Beitragszahlern, Rentnern und Allgemeinheit angemessen und vorausschaubar in Einklang gebracht werden können. ({17}) Ein entsprechender Vorschlag ist von der CDURentenkommission vor mehr als anderthalb Jahren entwickelt worden. ({18}) Zweitens. Eine gerechte Verteilung der Lasten - dies ist ja Inhalt der Ergänzung - ist gut. Noch wichtiger ist es allerdings, die Lasten möglichst erst gar nicht entstehen zu lassen. Dies wird nicht gänzlich zu vermeiden sein, aber familienpolitisch kann wirklich noch eine Menge getan werden, und das kommt dann auch dem Generationenvertrag zugute. Viel kann auch die Überlegung beitragen, daß es auf die Dauer nicht richtig sein kann, daß bei steigender Lebenserwartung die Menschen immer früher in den Ruhestand gehen. Drittens. Sehr sorgfältig muß darauf geachtet werden, daß die einzelnen Bereiche unseres Systems der sozialen Sicherung ihre Aufgabe nicht auf andere Bereiche abwälzen. Aufgabe der Sozialhilfe ist es nicht, den Lebensabend der älteren Menschen zu sichern, dies ist Aufgabe der Rentenversicherung. Dies muß bei der Betrachtung der unteren Grenze des Rentenniveaus immer beachtet werden. Viertens und abschließend. Die soziale Gerechtigkeit erfordert es, daß allgemeine Belastungsveränderungen nicht nur zu Konsequenzen bei der gesetzlichen Rentenversicherung führen, sondern dies prinzipiell auch für alle anderen öffentlich finanzierten Alterssicherungssysteme gilt. Das gegliederte Alterssicherungssystem der Bundesrepublik Deutschland ist richtig, erfordert aber gleichzeitig, daß gleiche Tatbestände gleich behandelt werden. Ich bedanke mich sehr. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Senator Fink, Sie haben die kärgliche Anpassung hier mit sehr gedämpften Worten gefeiert. Ich habe mir sagen lassen, in Berlin war es ein lautes Siegesgeschrei, aber hier im Deutschen Bundestag ist wohl kontrollierbar, was tatsächlich passiert. ({0}) Tatsächlich passiert - das muß ich Ihnen einmal sehr deutlich sagen -, daß diese Rentenanpassung wesentlich unter der Preissteigerungsrate liegt und daß man doch gerade bei Rentnerhaushalten sehen muß, daß das, was für Rentner existentiell ist - Mieten, Heizung, Strom -, überproportional gestiegen ist, so daß der Vergleich mit den nüchternen absoluten Zahlen in keiner Weise zutrifft. ({1}) Hans Apel hat davon gesprochen, daß die Altbaumieten in Berlin in den vergangenen Jahren um 34 % gestiegen sind. ({2}) Wie sieht es denn bei der Sozialhilfe aus? Die Zahl der Rentner, die ergänzende Sozialhilfe beantragen müssen, hat sich in den letzten Jahren dank Ihrer Politik verdoppelt. Wie sieht es denn mit der Anpassung aus? Das ist doch nicht nur gut 1% in diesem Jahr, das ist doch die Aktualisierung zu einem für die Rentner ungünstigen Zeitpunkt mit einem weiteren Druck nach unten auf die Anpassung, meine Damen und Herren. Da ist eine Anpassung von 1,3% im vergangenen Jahr. Da ist die Verschiebung der Anpassung vom 1. Januar auf den 1. Juli 1983. Dies alles müssen Sie im Zusammenhang sehen. ({3}) Wenn Sie das ausrechnen, werden Sie ganz klar zu der Feststellung kommen, daß die Rentner drei Jahre lang - Sie tragen Verantwortung für diese Rentenanpassung - eine wesentlich geringere Einkommensentwicklung gehabt haben, als es nach der Preissteigerungsrate nötig gewesen wäre. Ihr Realeinkommen ist durch Ihre Politik wesentlich gesenkt worden. ({4}) Nun jammern Sie über die Finanzsituation der Rentenversicherung. Herr Fink hat kein Wort davon gesagt, und zuhören kann er auch nicht, aber das mag durch den Wahlkampf bedingt sein. Er hat kein Wort davon gesagt, daß wir, als wir hier noch regierten, Ihnen eine Reserve von 22 Milliarden DM hinterlassen haben und diese Reserve heute eben noch 10 Milliarden DM beträgt. Er hat kein Wort davon gesagt, daß die Arbeitslosigkeit und die Zahlung der Beiträge der Arbeitslosen bei Ihnen eine wesentliche Veränderung erfahren hat, weil Sie nämlich der Rentenversicherung durch die Kürzung der Beiträge der Arbeitslosen bereits zweimal 5 Milliarden DM weggenommen haben. Dies können wir nicht als soziale Politik, als Politik der Rentenkonsolidierung betrachten. Lassen Sie mich zu den hier anstehenden Reformen kommen. Eine umfassende Strukturreform ist nötig, betont der Bundesarbeitsminister. Wir sagen: Diese umfassende Strukturreform ist nötig, wenn wir eine Reform der Alterssicherung der Frau, die diesen Namen verdient, schaffen wollen. Aber wenn sich der Bundesarbeitsminister lobend über unsere Vorschläge ausspricht, dann darf ich ihn fragen, warum er diesen Vorschlägen nicht beitritt oder aber seine zur Diskussion vorlegt. ({5}) Nein, dieser Arbeitsminister hat, als Sie die Regierungsverantwortung für dieses Ressort übernahmen, gesagt, er wolle erst einmal eine Atempause von sechs Monaten einlegen, und dann werde er die Strukturreform vorlegen. Inzwischen dehnt sich diese Atempause auf mehrere Jahre aus, denn die Strukturreform soll erst in der nächsten Legislaturperiode kommen, wenn es nach dem Willen von Herrn Blüm geht. Wir brauchen diese Veränderungen in der Struktur der Rentenversicherung heute. Aber dem versagt sich der Arbeitsminister. Er backt mit seinem Gesetzentwurf nur kleine Brötchen. Ich will auf das beschämende Theater der vergangenen Wochen betreffend die Rentenanpassung in diesem Zusammenhang nicht mehr vertiefend eingehen, sondern an dieser Stelle nur eine erste Wertung der beiden Entwürfe zur Neuordnung des Rentenrechts vornehmen. Der Entwurf der Regierung bringt lediglich technische Reparaturen. Mit einem Minimum an materiellen Änderungen wird versucht, dem Urteil des Verfassungsgerichts Rechnung zu tragen. Das Ergebnis ist eine Verlegenheitslösung, meine Damen und Herren. Herr Blüm zeigt deutlich, wie lästig ihm dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist. Wir hingegen ermöglichen mit unserem Entwurf eine wirkliche Reform. Wir verbessern die Alterssicherung der Frau. Wir ziehen aus einer 20jährigen Diskussion in der Bundesrepublik Konsequenzen zugunsten der Alterssicherung der Frau. ({6}) - Herr Kollege Seehofer, dabei hat bis 1982 zwischen allen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen Übereinstimmung bestanden: ({7}) Die Alterssicherung der Frau sollte grundsätzlich aufgebessert werden. In dieser Diskussion gab es drei Schwerpunkte. Die erste Feststellung: Viele Frauen sind materiell unterversorgt. Einige Zahlen der Rentenversicherungsträger: 1,7 Millionen Witwen über 60 Jahre beziehen nur eine Witwenrente und keine Versichertenrente. Zwei Drittel aller Witwenrenten sind niedriger als 900 DM, ein Drittel sogar niedriger als 600 DM. ({8}) - Ich meine, Witwen, die keine eigene Versichertenrente bekommen, erhalten nur noch ganz selten Versorgungsbezüge aus Beamtenverhältnissen, denn die Männer sind Beamte gewesen, Herr Kollege Dr. George. Die Frauen, die nur von ihrer Witwenrente leben müssen, haben in den seltensten Fällen etwas nebenbei. Sie sollten das bitte nicht immer vernebeln. ({9}) Die herkömmliche Versorgung von Witwen entspricht weder dem neuen Eherecht noch einem partnerschaftlichen Eheverständnis. ({10}) - Sie können hier j a nachher ausführen, was Sie sagen wollten. - Das alte Recht, meine Damen und Herren, geht von einer traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau aus und beruht somit auf dem Gedanken des Unterhaltsersatzes. Männer und Frauen werden im Hinterbliebenenfall in der Regel ungleich behandelt. Fast immer sind Männer besser gesichert als Frauen. ({11}) Die Diskussion in den vergangenen Jahren hat sich auf die Suche nach einer eigenständigen sozialen Sicherung der Frau konzentriert. Rentensplitting und Ehegattenversicherung erwiesen sich als nicht praktikabel. Frau Verhülsdonk hat in der Kommission der Teilhaberente zugestimmt. Gemeinsam kamen wir zu der Auffassung, die Teilhaberente sei der richtige Weg. Der dritte Punkt war die rentenrechtliche Anerkennung der Kindererziehungszeiten, und es bestand bei uns zumindest weitgehende Übereinstimmung darin, daß eine etwaige Anerkennung nicht zu Lasten der Versicherten, sondern aus dem Bundeshaushalt finanziert werden muß. ({12}) Wir Sozialdemokraten nehmen mit unserem Entwurf diese gesellschaftliche Diskussion der vergangenen Jahre auf. Wir machen Vorschläge, die nicht nur verfassungsrechtliche Reparaturen beinhalten. Wir wollen die Alterssicherung der Frau verbessern und modernisieren, und das geschieht bei uns im wesentlichen durch die Teilhabe- oder Gesamtversorgungsrente ({13}) - Sie haben das richtig verstanden; „modernisieren" ist für Sie wohl ein Fremdwort -, ({14}) durch die Verbesserung der Rente nach Mindesteinkommen und durch das Kindererziehungsjahr. Mit der Teilhaberente, meine Damen und Herren, orientieren wir uns im Prinzip der ehelichen Partnerschaft. Demzufolge werden im Innenverhältnis zwischen den beiden Ehegatten die Rentenansprüche im Sinne der Gütergemeinschaft als Ergebnis einer gemeinsam erworbenen Lebensleistung betrachtet, und das geschieht unabhängig von der ehelichen Arbeitsteilung. Daher tritt bei unserem Entwurf an die Stelle des Unterhaltsersatzanspruchs das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe an dem vom Ehegatten erworbenen Rentenanspruch. Deshalb soll der Hinterbliebene genau 70 % der Summe aller von beiden Ehegatten erworbenen Ansprüche als Teilhaberente erhalten, mindestens jedoch die eigene Rente. Wenn Sie sich die Zahlen ins Gedächtnis rufen, wieviel Witwen nur eine Witwenrente bekommen, dann macht für diesen Personenkreis die Erhöhung des Anspruchs von 60 auf 70 % einen wesentlichen Betrag aus. Die Teilhaberente hat nicht mehr den Charakter einer abgeleiteten Rente, sie ist ein neuer eigener Anspruch. Das hat Auswirkungen: Sie wird bei Wiederheirat weitergezahlt, laufende Einkommensüberprüfungen werden nicht vorgenommen, Arbeitseinkommen oder Leistungen aus anderen Versorgungssystemen müssen nicht Jahr um Jahr durch Bescheinigungen belegt werden. Diese Rente setzt den eigenen Versicherungsfall des Alters oder der Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit voraus. Wer diese grundsätzlichen Unterschiede gegenüber jeder Form von abgeleiteter Rente, auch gegenüber den Vorschlägen des Arbeitsministers, ignoriert, wie es Herr Blüm heute morgen getan hat, handelt wider besseren Wissens. Wer meint, unsere Teilhaberente sei im materiellen Ergebnis nichts anderes als eine Hinterbliebenenrente mit Einkommensanrechnung - Herr Blüm, Sie haben das Beispiel mit den Äpfeln und Birnen gebracht -, dem muß ich sagen: Sie vergleichen unsere gesunden, roten Äpfel mit den faulen Birnen dieser Regierung. ({15}) Für Hinterbliebene, die die Altersgrenze nicht erreicht haben und die nicht berufs- oder erwerbsunfähig sind und daher keine Teilhaberente erhalten, sehen wir eine nach dem heutigen Recht vergleichbare Witwenrente vor; ({16}) denn unter den heutigen gesellschaftlichen Bedingungen ist für viele Witwen, die noch nicht im Rentenalter sind, eine Erwerbstätigkeit entweder nicht erreichbar oder nicht zumutbar. Diese Rente beträgt 60 % der Rente des Verstorbenen, und Voraussetzung ist der überwiegende Unterhalt. Ich betone noch einmal: Bei unserem Modell gibt es keine Bedarfsprüfung, und es gibt in keinem Fall irgendeine Anrechnung von laufenden Einkommen. Der Entwurf des Arbeitsministers schafft Unsicherheit, ist in seinen Auswirkungen für den einzelnen schwer übersehbar und erfordert mehr Bürokratie. ({17}) Die materiellen Auswirkungen unserer Vorschläge basieren auf Modellrechnungen des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger. Danach werden 85% der Frauen im Rentenalter nach unserem Modell mehr als Alterssicherung erhalten. Allerdings - das verschweigen wir nicht - werden auch 15 % der Frauen weniger erhalten, nämlich diejenigen Frauen, die länger gearbeitet haben. Wir meinen aber, daß wir diese geringfügige Einbuße an Rente hinnehmen können, weil wir im Ergebnis feststellen, daß in der Zukunft mehr als vier Fünftel aller Frauen eine höhere Alterssicherung nach unserem Entwurf erhielten. ({18}) Wer beide Modelle vergleicht, bemerkt bald, daß wir ein umfassendes, den gesellschaftlichen Anforderungen entsprechendes geschlossenes Konzept vorgelegt haben. Der Blümsche Entwurf hat eine Reihe von Mängeln. Was ist denn das für eine Reform, die mit ihrem Einkommensanrechnungsmodell keinerlei Verbesserungen bringt? Und das bei der Situation der älteren Frauen. Was ist denn das für eine Reform, bei der alle Hoffnungen auf die Verbesserung dieser materiellen Versorgungssituation zunichte gemacht werden? Einzig und allein Männer ziehen einen Nutzen aus Ihrem Gesetzentwurf. Das verdeutlicht wieder einmal, daß bei Ihnen die Gesetze von Männern vorbereitet werden. ({19}) An Frauen und an ihre Situation ist nicht gedacht. Was ist das eigentlich für eine Reform, die mit ihrer Einkommensanrechnung zu haarsträubenden Ungerechtigkeiten im Verhältnis zwischen den Beziehern verschiedener Einkommensarten führt? Hinterbliebene, die ein Arbeitseinkommen oder eine eigene Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen, werden in krasser Weise gegenüber den Beziehern von Vermögenseinkünften, Beamtenpensionen oder Leistungen aus berufständischen Versorgungen benachteiligt. ({20}) Ein Zahnarzt z. B., der sich zur Ruhe gesetzt hat, könnte die Witwerrente aus der Rentenversicherung seiner verstorbenen Frau voll neben seinen Vermögenseinkünften beziehen. ({21}) Seine frühere Sprechstundenhilfe hingegen müßte sich ihre eigene Rente auf ihre Witwenrente anrechnen lassen. Herr Minister, ist das soziale Gerechtigkeit? ({22}) Was ist das eigentlich für eine Reform, die bei ihrer Einbringung wegen der Art der Einkommensanrechnung schon starken verfassungsrechtlichen Bedenken begegnet? Was ist das eigentlich für eine Reform, die wegen der Einkommensanrechnung Witwen zur Aufgabe ihrer Berufstätigkeit drängt, sie also zu Handlungen verleitet, die spätere Einbußen bei der eigenen Rente zur Folge haben? Haben Sie schon einmal überlegt, Herr Bundesarbeitsminister, daß Sie gerade die Witwen mit niedrigen Witwenrenten benachteiligen, weil diese wegen ihrer schlechten Versorgung auf einen hohen Hinzuverdienst angewiesen sind? Was ist das eigentlich für eine Sozialpolitik, die 1984 die Rente auf Pump und heute die Bedürftigkeitsprüfung in die Sozialversicherung einführt? Ist Ihnen nicht klargeworden, Herr Blüm, daß Sie mit Ihrer Einkommensanrechnung Manipulationen am Anrechnungsfreibetrag, am Anrechnungsprozentsatz und nicht zuletzt an der Abgrenzung anzurechnenden Einkommens geradezu provozieren und damit das Vertrauen in die Rentenversicherung ein weiteres Mal erschüttern? Was ist das eigentlich für eine Reform, die die eigene Berufstätigkeit der Hinterbliebenen bestraft und somit leistungsfeindlich ist? Ist denn niemandem in Regierung und Koalition klargeworden, daß zur Manipulation des Einkommens, z. B. durch Reduzierung der Arbeitszeit oder durch die Hinwendung zur Schwarzarbeit, geradezu aufgefordert wird? ({23}) Oder ist das, Herr Bundesarbeitsminister, der Sie j a auch verantwortlich sind für viele Aufrufe zur neuen Mütterlichkeit, vielleicht das erste Beschäftigungsprogramm dieser Bundesregierung? Ich meine, es stünde diesem Parlament gut an, die soziale Sicherung der Frauen mit unserem Teilhabemodell gezielt zu verbessern. ({24}) Wir schaffen ein verläßliches Versorgungsniveau von 70 % der gemeinsam erworbenen Ansprüche. Wir verzichten auf die schlimme Bedarfsprüfung. Und wir bewahren die bewahrenswerten Prinzipien der Sozialversicherung. Unser Modell bietet keinerlei Anlaß zu Manipulationen. Wir schaffen eine tatsächliche und nicht, wie die Regierung, nur eine formalrechtliche Gleichbehandlung von Mann und Frau. Und 85 % der Hinterbliebenen werden in Zukunft höhere Ansprüche haben. Bei Ihnen erhält keiner ein Mehr bei der Witwenrentenversorgung. ({25}) - Wir haben Ihnen das vorgelegt. Sie waren bei Frau Fuchs ganz stumm, Herr Kittelmann. Ich wundere mich über diese gelegentlichen Einwände. ({26}) Auch Herr Apel hat Ihnen doch gesagt - das sollte Ihnen als Berliner doch eigentlich noch im Ohr sein -: Wie war's denn mit den Landwirten mit mehr als 20 Milliarden bis zum Ende des Jahrzehnts? ({27}) Wie ist es denn mit der Rückzahlung für die höheren Einkommen, die Sie jetzt vornehmen, weil Sie als Koalition nicht die Fähigkeit hatten, auch die Betuchten in unserer Gesellschaft zu belasten? Ich würde da ganz schweigsam sein. ({28}) Dies alles gilt für die Zukunft. Für die Frauen, die heute schon Rente beziehen, ist die Anerkennung des Kindererziehungsjahrs, wie wir es vorsehen, von erheblicher Bedeutung. Wir bieten eine geschlossene Lösung. Denn dieses Kindererziehungsjahr soll auch für Frauen gelten, die nur eine Witwenrente erhalten. 25 DM mehr für jedes geborene Kind für alle Frauen stellen, wenn man bedenkt, daß früher die Ein-Kind-Ehe eine Seltenheit war, eine teilweise erhebliche Verbesserung dar. Wir Sozialdemokraten meinen, daß wir die Frauen nicht ausschließen dürfen, die in der Vergangenheit unter besonders schwierigen Bedingungen, unter großen persönlichen Opfern und ohne Mutterschaftsurlaub, ohne Kindergeld, ohne Wohngeld und ohne BAföG Kinder erzogen haben. ({29}) Gerade für diese Frauen muß es einen rentenrechtlichen Ausgleich geben. Nun hören wir immer wieder das Argument: Auch die SPD wollte 1972 das Baby-Jahr nur für künftige Renten. ({30}) Dann wird auch noch gesagt, Sie wollten das ganz anders konstruieren. Darüber würden wie j a heute mit uns reden lassen. Aber, Herr Blüm, fällt Ihnen, wenn Sie so argumentieren, eigentlich nicht auf, daß, wenn Sie das damals nicht verhindert hätten, heute schon zwei Drittel der Frauen teilweise mehr als zehn Jahre das Baby-Jahr bekämen? ({31}) Das ist doch der Fakt. Ihr Kindererziehungsjahr ist im übrigen reine Augenwischerei. Sie bedenken die Frauen, die bessere Chancen in Ausbildung und Beruf hatten, deren Kinder in günstigeren Verhältnissen erzogen wurden. Wollen Sie im übrigen hier eigentlich verschweigen - ich habe das vermißt -, daß Sie häufig nur sechs und nicht zwölf Monate anrechnen? Wollen Sie verschwiegen, daß für Sie die Erziehungstätigkeit von Adoptivmüttern und -vätern nichts wert ist, weil Sie die ausschließen? ({32}) Wollen Sie eigentlich verschweigen, daß Sie eine Zusage für die Finanzierung nur bis 1989 haben und daß wir auf Grund dieses Hin und Her in der Regierung vermuten müssen, daß hiervon ab 1989 nur die Finanzierung über eine Leistungskürzung in der Rentenversicherung übrig bleibt? ({33}) Zur Alterssicherung der Frau und zu ihrer Reform gehört auch eine Anhebung der Rente nach Mindesteinkommen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jäger ({0})? Sie haben noch zwei Minuten.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte.

Claus Jäger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001002, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie mir zugeben, daß Ihre Fragen über die angeblich unbefriedigende Regelung völlig überflüssig wären, wenn die Sozialdemokratie in den letzten 13 Jahren, als sie regiert hat, dies selber geschaffen hätte, statt darüber nur zu reden? ({0})

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich weise Sie nur darauf hin, daß wir Ihnen eine solide finanzierte Rentenversicherung hinterlassen haben und daß Sie in den vergangenen zwei Jahren anfangen mußten, Rente auf Pump zu zahlen, und die Beiträge dreimal angehoben haben. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Heyenn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage, und zwar des Abgeordneten Blüm?

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gern.

Dr. Norbert Blüm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000204, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Kollege Heyenn, könnte es sein, daß Sie unseren Gesetzentwurf nicht gelesen haben? ({0}) Denn sonst könnten Sie nicht Sachen behaupten, die nicht mit unserem Entwurf übereinstimmen. ({1}) Sonst könnten Sie hier nicht den Ausschluß der Adoptivkinder proklamieren.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Blüm, ich habe Ihren Entwurf besser gelesen, als Sie unseren gelesen haben. Sollten Sie mich tatsächlich bei einem falschen Lesen beobachtet haben, dann will ich das gern korrigieren. ({0}) - Dies glaube ich nicht, Herr Kittelmann. Ich wäre als Berliner Christdemokrat bei diesem kümmerlichen Schauspiel zur Rentenanpassung, das Sie geboten haben, hier ganz leise und würde die Klappe nicht so groß aufmachen. ({1}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluß kommen. Wir haben Ihnen ein Konzept vorgelegt mit einer Gesamtversorgungsrente, mit Zeiten der Kindererziehung, mit einer Rente nach Mindesteinkommen. Es ist ein Konzept, das auch durch den Wegfall der Halbbelegungsvorschrift bei den Ausfallzeiten, durch eine teilweise Wiederherstellung des alten Rechts bei den Ansprüchen auf Berufs- und Erwerbsunfähigkeitsrente den Frauen insgesamt ein wesentliches Mehr an sozialer Absicherung im Alter bietet. Dem steht Ihr Konzept gegenüber, das im wesentlichen bei dem heutigen Recht bleibt und nur eine technische Reparatur darstellt. Ich rufe Sie angesichts von 2 Millionen unterversorgter Frauen, die keine Rente beziehen, angesichts der Tatsache, daß sich die Zahl der Rentenempfängerinnen, die zusätzlich Sozialhilfe beantragen müssen, in den letzten Jahren verdoppelt hat, auf, mit uns gemeinsam an einer vernünftigen Verbesserung der materiellen Situation älterer Frauen zu arbeiten. Ich danke Ihnen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Feilcke. ({0})

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie diese Begrüßung durch den bärtigen Kollegen dort zu würdigen ist. ({0}) Ich habe mit Verwunderung festgestellt, daß der Herr Kollege Dr. Apel ({1}) sich hier eine Rede über Berlin hat aufschreiben lassen. ({2}) Nun hat ja schon Herr Senator Fink in sehr eindrucksvoller Weise nachgewiesen, daß Herr Kollege Dr. Apel von Berlin nichts versteht. Er hat an einem Beispiel klarmachen können, daß er nichts von dem versteht, was er selbst vorgetragen hat. ({3}) - Entschuldigen Sie, ich möchte erst einmal sagen, was ich zu sagen habe, dann vielleicht. ({4}) Es erübrigt sich eigentlich, weiter darüber zu reden; denn es ist in der Tat nachgewiesen. Das war nichts, Herr Dr. Hans Apel. Aber Sie bewerben sich ja als Kandidat der SPD in Berlin für eine Funktion, die in Deutschland sehr wichtig ist, nämlich für die des Regierenden Bürgermeisters. Da muß man einmal ein bißchen näher beleuchten, was für ein Kandidat Sie sind. Ich glaube, Sie werden der stumpfeste Spitzenkandidat sein, den die SPD in Berlin je aufgeboten hat. ({5}) Daß Sie keine Kompetenz haben, was Berlin betrifft, weiß inzwischen auch dieses Haus. Daß Sie keine Liebe zu der Stadt haben, weiß inzwischen ganz Berlin; denn sonst würden Sie sich gelegentlich dort einmal sehen lassen. Am meisten weiß das übrigens Ihre eigene Partei. ({6}) Sie haben, um es ganz kurz und knapp zu sagen, von Berlin keine Ahnung, aber davon reichlich. ({7}) Meine Damen und Herren, nach diesem kurzen Vorspruch gestatten Sie mir, zum Thema des Tages zu sprechen, denn ich bin j a nicht nur Berliner Abgeordneter, sondern ich bin auch Mitglied des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Feilcke - Feilcke ({0}): Da die Redezeit, Herr Präsident, sehr begrenzt ist, muß ich jetzt ein bißchen auf die Tube drücken.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Feilcke, ich bin bereit, die Zwischenfrage zeitlich zu berücksichtigen, wenn Sie es wollen.

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wenn das berücksichtigt wird, bitte schön, Herr Kollege.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ich will Sie fragen, ob Sie wissen, daß das statistische Jahrbuch des Landes Berlin ({0}) - das kennen Sie hoffentlich - ausweist, daß in der Tat die Altbaumieten um 33,8 % in der Zeit der Wende gestiegen sind, daß auch die Preise für die Seniorenfahrkarten so gestiegen sind. Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Fahrpreisermäßigung, die Senator Fink erwähnte, ausschließlich für diejenigen gilt, die beim Sozialhilfesatz liegen? ({1}) Sind Sie nicht der Meinung, daß das in Berlin eine Rolle zu spielen hatte, wenn es um die Beurteilung der Rentenpolitik der Bundesregierung ging? ({2})

Jochen Feilcke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000524, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, das war ja nicht eine Frage, sondern das waren viele Fragen. Auf die Frage bezüglich der Seniorenfahrkarten ist Senator Fink schon sehr, sehr gut eingegangen. ({0}) Zu den Mietsteigerungen: Selbstverständlich hat es in Berlin Mietsteigerungen gegeben, selbstverständlich auf einem niedrigen Niveau. Vergleichen Sie das einmal mit Ihrer Stadt Hamburg. ({1}) Die Mieten in Berlin sind so niedrig wie in keiner anderen Großstadt. Dennoch - aber das können Sie natürlich nicht wissen - hat der Senat von Berlin für dieses Jahr 30 Millionen DM zusätzlich zur Mietenpflege für sozial Schwache zur Verfügung gestellt. Sie sollten das noch einmal nachlesen und bei Ihrem nächsten Redebeitrag bitte berücksichtigen. Im übrigen können Sie von Herrn Dr. Vogel lernen, wie undankbar eine solche Aufgabe als Berliner Durchlauferhitzer ist. ({2}) Zur Sache des Tages: Gestern erzählte mir ein recht gut verdienender Mann, seine Mutter beziehe eine monatliche Witwenrente von 550 DM - wir reden j a zu einem ernsten Thema, Herr Dr. Apel; das haben Sie vergessen -, und sie habe keine eigenen Rentenansprüche; ihre Witwenrente sei so niedrig wegen des niedrigen Einkommens ihres gestorbenen Mannes. Von diesen 550 DM zahle seine Mutter 213 DM Miete im Monat. Sie lasse sich nicht von den ganz gut verdienenden Kindern unterstützen und sie wolle auch nicht, wie sie sagt, dem Staat zur Last fallen. Mit 73 Jahren verdiene sie sich als Haushaltshilfe noch etwas dazu. Dieses Beispiel zeigt, wie groß die Verschämtheit, die Bescheidenheit, ja manchmal auch die Anspruchslosigkeit älterer Menschen ist. Dieses Beispiel gibt aber auch einen Hinweis darauf, daß es wohl zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle gibt, bei denen sich ältere Menschen genieren, zum Sozialamt zu gehen, obwohl sie einen Rechtsanspruch darauf haben und obwohl sie es eigentlich finanziell bitter nötig hätten. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden: Natürlich gibt es in unserem Lande auch noch Armut. Aber die Altersrente ist nicht das Mittel zur Bekämpfung dieser Armut. Frau Kollegin Potthast, wenn ich einmal einen Moment Ihre Aufmerksamkeit erbitten darf: Sie haben gesagt, daß die Witwenrente eines Mannes, der 43 Jahre lang das Durchschnittseinkommen erzielt hat, niedriger sei als der Sozialhilfesatz. Tatsächlich ist es aber so: Nach 40 Jahren Durchschnittsverdienst - ich weiß nicht genau, wie es nach 43 Jahren ist - hat die Witwe bereits einen Rentenanspruch von 813 DM. Vergleichen Sie das einmal mit dem Sozialhilfesatz von etwa 360 DM. Dann wissen Sie, daß es Zahlensalat einer „GRÜNEN Frau" war, die zum Generationenvertrag noch nicht viel beigetragen hat, was Sie hier vorgetragen hat. ({3}) Wer Verelendungskampagnen und Horrormeldungen über Armut produziert, der ist nicht sozial, auch nicht automatisch derjenige, Herr Dr. Apel, der das Wort „sozial" in seinem Parteinamen trägt. Sozial ist tatsächlich nur, wer sozial handelt. Dazu komme ich ja jetzt. Sie geben mir j a die Stichwörter - das finde ich sehr schön -, obwohl wir das nicht abgesprochen haben. Das möchte ich ausdrücklich betonen. Hier haben die Länder einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Begleitende und ergänzende sozialpolitische Maßnahmen der Bundesländer sind notwendig, um den älteren Menschen, die eine zusätzliche Unterstützung benötigen, zielgerecht helfen zu können. Lassen Sie mich am Beispiel meiner Heimatstadt Berlin einmal darstellen, welche Leistungen von den Ländern im materiellen und auch im immateriellen Bereich erbracht werden können. So ist es z. B. dem Berliner Senat gelungen, durch zähe Verhandlungen mit den Betreibern von Altenheimen die Erhöhung der Tagessätze in den Berliner Seniorenheimen mit 1,3 % sehr niedrig zu halten. In Hessen z. B. liegt die Erhöhung bei 2,5 bis 3 %. ({4}) Ein Abrutschen weiterer Senioren in die Sozialhilfe konnte dadurch verhindert werden. Ein weiterer Punkt. Die Leistungen, die das Land Berlin den Blinden und Hilflosen gewährt, sind höher als in allen anderen Bundesländern. In Berlin erhalten Blinde der Stufe III ein Landespflegegeld von monatlich 835 DM. In den sozialdemokratisch regierten Ländern Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hamburg liegt die vergleichbare Leistung bei 750 DM, bei unter 18jährigen sogar nur bei 375 DM. ({5}) - Das interessiert ihn nicht, denn er ist ja nur zu einem kurzen Wahlauftritt eingesetzt worden. ({6}) Berlin ist das einzige Bundesland, in dem Pflegegelder auch für Gehörlose gezahlt werden. ({7}) 23 000 blinde, taube und hilfelose Menschen sind bei Pflegebedürftigkeit nicht auf Sozialhilfe angewiesen. Noch ein kurzes Wort zu den Sozialstationen. Sie sind in Berlin inzwischen flächendeckend: 50 Sozialstationen, demnächst 52. Hamburg hat 14 Sozialstationen, Hessen kennt keine Sozialstationen, Bremen hat 9 Dienstleistungszentren für soziale Dienste, die wohl in etwa vergleichbar sind. Die Dienste für hilfebedürftige Menschen konnten erheblich verbessert werden, denn die Krankenschwester kümmert sich in diesen Stationen eben auch um die sozialen Belange der zu betreuenden Menschen. ({8}) Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. In keinem anderen Bundesland, insbesondere nicht in den von SPD regierten Ländern Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Hessen, wird auch nur im entferntesten so viel für die soziale Gerechtigkeit getan wie in Berlin, seitdem es von der CDU regiert wird; das muß man dazu sagen. ({9}) - Ja, Sie kriegen es noch besser! Herr Dr. Apel, früher war Berlin ein Vorreiter der Kostenexplosion. Seitdem die CDU - nun zusammen mit der FDP - in Berlin regiert, ist Berlin VorFeilcke reiter der Kostenstabilität und setzt wieder Maßstäbe in der Sozialpolitik. ({10}) In nahtloser Fortsetzung dieser Politik hat sich der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen sofort zu Wort gemeldet, als zu befürchten war, daß die effektive Rentensteigerung in diesem Jahr sehr gering ausfallen würde. ({11}) Die Beteiligung der Rentner an der Krankenversicherung ist, wie wir mehrmals gehört haben, im Prinzip unumstritten. Auch Herr Dr. Apel ist ja für eine Beteiligung der Rentner an der Krankenversicherung. Er möchte allerdings ein halbes Prozent weniger. Wir sagen als Kompromißlösung: 4,5%; Sie sagen: 4 %; im Prinzip aber ist der Krankenversicherungsbeitrag im Hause unumstritten. Der Streit setzte tatsächlich erst ein, als es um die Frage ging: 2 % mehr Krankenversicherungsbeitrag oder 1% mehr Krankenversicherungsbeitrag? Nun hören Sie genau zu: Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat für den Berliner Senat im Bundesrat den Antrag gestellt, den Krankenversicherungsbeitrag nicht um 2 %, sondern nur um 1 Vo zu erhöhen. Er hat diesen Antrag auch begründet. ({12}) Wissen Sie, wer diesen Antrag zu Fall gebracht hat? Das war das Land Hessen. Das Land Hessen hat diesen Antrag zu Fall gebracht, ({13}) um im Wahlkampf Herrn Diepgen zu schaden. Tatsächlich haben die Vertreter des Landes Hessen den Rentnern geschadet! ({14}) - Das Land Hessen hat dagegen gestimmt, um Herrn Diepgen zu schaden, und das Land Hessen hat damit den Rentnern geschadet! ({15}) Nicht zuletzt das weitere unermüdliche Drängen Diepgens hat schließlich dazu geführt, daß die Rentner in diesem Jahr nicht 2 %, sondern nur 1,5% mehr Krankenversicherungsbeitrag zu zahlen haben. Der zähe Kampf um die soziale Ausgewogenheit ist in der Koalition lange geführt worden und ist schließlich erfolgreich gewesen. Die Kompromißlösung ist akzeptabel - nicht begeisternd, aber akzeptabel -, sie ist schließlich ein Erfolg, und dieser Erfolg für die Rentner kann hier nicht madig gemacht werden und kann hier nicht wegdiskutiert werden. Das tatsächliche soziale Engagement der CDU/CSU-geführten Länder und auch der Koalitionsregierung in Bonn ist weit größer, als die Sozialdemokratenbehaupten, und vor allem weit größer als das Engagement, das die sogenannten Sozialdemokraten praktizieren. ({16}) - Die sogenannten Sozialdemokraten, weil sie das Wort „sozial" im Munde führen, aber nicht in ihre tägliche Praxis eingeführt haben! ({17}) - Ja, genauso werde ich genannt, Herr Dr. Vogel. Genauso, Sie .wissen das! Sie wissen ja auch, wie man Sie in Berlin genannt hat: den Erfinder des Sodbrennens. ({18}) Sie, meine Damen und Herren, insbesondere Herr Dr. Apel, haben den Staat verschuldet. Jetzt sind - und das ist für die älteren Menschen entscheidend - die Rentenfinanzen konsolidiert, die Renten sind langfristig gesichert, und niemand braucht Angst um seine Altersversorgung zu haben. Und das Allerallerwichtigste ist - das kann ich beim Aufleuchten der roten Lampe gerade noch sagen -: Die Preise in unserem Lande sind stabil wie lange nicht mehr, sie sind so stabil wie nirgendwo in der Welt. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Potthast.

Gabriele Potthast (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001741, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Feilcke, ich muß sagen, ich bin tief enttäuscht von Ihnen. Von einem Politiker, wie Sie es sind, hätte ich zumindest erwartet, daß er sich zuvor informiert, bevor er Behauptungen aufstellt wie die, daß ich keine Beiträge zur Rentenversicherung geleistet hätte. ({0}) Ich habe als Angestellte beim Berufsfortbildungswerk jahrelang Beiträge für die Angestelltenrentenversicherung gezahlt. ({1}) Darüber hinaus finde ich es traurig, Herr Feilcke, daß auch Sie diese Rentendebatte dazu benutzen, Wahlkampf für Berlin zu machen. Herr Fink, ich hätte mich gefreut, wenn Sie bei der letzten Rentenanpassungsdebatte dabeigewesen wären, denn dann hätten Sie heute zumindest gewußt, daß die Rentenerhöhungen nicht nur unter der sozialliberalen Koalition unter den Preissteigerungsraten lagen; vielmehr betrug auch im letzten Jahr die Rentensteigerung sage und schreibe 0,65%, und zwar nach Abzug der Krankenversicherungsrate und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Rentenanpassung erst ab Juli 1984 gültig wurde. ({2}) Einer Preissteigerung von 3,5% im letzten Jahr stand also 0,65 % Rentensteigerung gegenüber. ({3}) Herr Fink, ist das etwa keine Rentenabsenkung und damit ein Skandal? ({4}) Zum anderen möchte ich die Zeit noch kurz dazu benutzen, unser Sofortprogramm zur Eindämmung der Ungerechtigkeit in der Rentenpolitik zu begründen. Unser Sofortprogramm soll den Einstieg in eine langfristige Rentenreform ermöglichen, die den sozial Schwachen zugute kommt. Die Maßnahmen dieses Sofortprogramms können die - im Jahr 1984 verpaßte - Chance einer echten Rentenreform mit dem Ziel einer eigenständigen Alterssicherung der Frau nicht wieder herbeiführen. Mit einer Anerkennung von Kindererziehungszeiten und einer Anhebung von Kleinstrenten mindestens auf das Niveau der Sozialhilfe werden die vom Versagen der Rentenreformpolitiker am meisten getroffenen Frauen in einem ersten Schritt zumindest errtlastet. Im einzelnen: Erstens. Die Anerkennung von drei Kindererziehungsjahren entspricht der Programmatik aller im Bundestag vertretenen Parteien. Sie ersetzt allerdings weder eine eigenständige Alterssicherung der Frau noch die sozial notwendige Unterstützung der erziehenden Frauen und Männer. Zweitens. Daß Empfängerinnen und Empfänger von Renten der gesetzlichen Rentenversicherung unterhalb der Armutsgrenze leben müssen, ist ein gesellschaftspolitischer Skandal. Ein Minimum an Achtung gegenüber den Alten in unserer Gesellschaft fordert, daß ihnen die diskriminierenden Bittgänge zum Sozialamt erspart bleiben. ({5}) Dieser Initiativantrag, den wir gestellt haben, ist im Zusammenhang mit der Forderung nach einer Anpassung der Regelsätze der Sozialhilfe an die gestiegenen Lebenshaltungskosten zu sehen, die die Fraktion der GRÜNEN im Rahmen der Haushaltsberatung für 1985 eingebracht hat. Demnach müßten die Regelsätze um mindestens 30% erhöht werden. Drittens. Um die mit der Forderung nach drei Kindererziehungsj ahren und der Rentenanhebung über die Armutsgrenze verbundenen Mehrkosten aufbringen zu können, ist eine Erhöhung des Bundeszuschusses unumgänglich. Der Betrag von 19 Milliarden DM entspricht den von verschiedenen Rentenversicherungsträgern seit Jahren eingeforderten Ausgleichszahlungen des Bundes für sogenannte Fremdleistungen der Rentenversicherungsträger. Viertens. Die Forderung, daß die Bundesanstalt für Arbeit entsprechend den bis 1982 geltenden Regelungen den vollen Rentenversicherungsbeitrag gemäß dem früheren Bruttoeinkommen für die Bezieher von Arbeitslosengeld an die gesetzliche Rentenversicherung zu zahlen hat, entspricht grundsätzlichen systematischen Prinzipien der Sozialversicherung. Jedes soziale Sicherungssystem hat die in seinen Aufgabenbereich fallenden Risiken voll zu decken. Es kann nicht angehen, daß die Lasten der Massenerwerbslosigkeit auf die ohnehin angeschlagene Rentenversicherung abgewälzt werden. Danke. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem Frau Dr. Adam-Schwaetzer sich heute morgen mit der aktuellen Rentenanpassungsproblematik auseinandergesetzt hat, möchte ich noch ein paar Bemerkungen zu den langfristigen Strukturproblem, insbesondere zur Hinterbliebenenversorgung, machen. Das ist sicher ein kompliziertes Thema. Wenn der eine oder andere nicht mehr in der Lage ist, im Detail zu folgen, so habe ich für diese Kollegen - mit Verlaub gesagt - sehr viel Verständnis; denn so viele Mißverständnisse, wie in der öffentlichen Diskussion um diesen Fragenkomplex inzwischen verbreitet worden sind, kann man fast nicht ausräumen. Meine Damen und Herren, Rentenpolitik vollzieht sich nicht im luftleeren Raum. Sie ist nun einmal eingebettet in die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung. Sie steht im Zusammenhang mit der Beschäftigungspolitik, mit der Haushaltspolitik, und selbstverständlich muß Rentenpolitik die langfristige Perspektive eines wachsenden Anteils älterer Mitbürger stärker berücksichtigen, als das bisher der Fall war. Wir müssen uns den wachsenden Anteil von Rentnern einfach bewußt machen. Die Fachleute haben uns vorgerechnet, im Jahre 2035 dürften wir auf jeden Erwerbstätigen einen Rentner haben. Es ist schon deutlich gemacht worden, daß wir, wenn wir nichts machen würden, dann einen Beitragssatz von 45 % haben würden oder aber, wenn der Beitragssatz konstant bleiben würde, ein stark vermindertes Rentenniveau. Beides, meine Damen und Herren, ist selbstverständlich unerträglich. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber außerdem zur Schulaufgabe gemacht, die Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung zu treffen und darüber hinaus - das darf nicht vergessen werden - die Frage der Besteuerung der Alterseinkommen zu lösen. Beides muß im Zusammenhang mit der grundsätzlichen Strukturdiskussion selbstverständlich ausführlich beraten werden. Kollege Glombig hat zu wiederholten Malen darauf aufmerksam gemacht, wie ich meine, richtigerweise, daß es eine offene Diskussion zwischen OpCronenberg ({0}) position und Regierungskoalition zu diesem Fragenkomplex geben müsse. Ich meine, die beiden vorliegenden Gesetzentwürfe, sowohl der der Opposition als auch der der Regierungskoalition, sind eine gute Grundlage, um eine solche offene Diskussion zu führen. Ich möchte auch einmal auf Gemeinsamkeiten in beiden Gesetzgebungsvorschlägen hinweisen. Da ist beiden Seiten des Hauses klar, daß z. B. die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme ein dringendes Anliegen ist, das im Zusammenhang mit der Strukturreform geregelt werden muß. ({1}) Ich möchte auch darauf hinweisen, daß wir Freien Demokraten im Zusammenhang mit der Hinterbliebenenversorgung unsere Position verändert haben. Ich mache überhaupt keinen Hehl daraus, daß es mir persönlich außerordentlich schwergefallen ist, von dem Teilhabemodell, das in der Alterssicherungskommission meiner Partei 1979 entwickelt worden ist, herunterzukommen. Ich will das später im Detail begründen. Was die Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung anlangt, orientieren sich die Liberalen an vier grundsätzlichen Punkten: erstens, Gleichbehandlung von Männern und Frauen entsprechend der Forderung des Bundesverfassungsgerichts, zweitens, Erhaltung des Versicherungsprinzips und damit der beitragsbezogenen Rente, drittens, möglichst weitgehende Kostenneutralität bei der Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung, da zusätzliche Belastungen, wie eben schon dargelegt, nicht zu verantworten und nicht zu verkraften sind. Viertens halten wir es für die Akzeptanz jeder Neuregelung in der Hinterbliebenenversorgung für unerläßlich, die Kindererziehungszeiten einzuführen. Die teilweise Abkehr von unseren programmatischen Beschlüssen, die mir, wie ich eben schon sagte, außerordentlich schwergefallen ist, ist darauf zurückzuführen, daß wir nach gründlicher Prüfung und Diskussion unter Berücksichtigung der genannten Grundsätze und Prämissen zu der Erkenntnis gekommen sind, daß die Realisierung der 70%igen Teilhaberente oder auch einer 65%igen Teilhaberente zu mehr Ungerechtigkeiten im Einzelfall führte und ihr auch, wenn ich den Vorschlag der SPD nehme, erhebliche systematische Bedenken gegenüberstehen. Von großer Bedeutung bei der Beurteilung der Vorschläge war für uns der schon angesprochene Gesichtspunkt der Kostenneutralität. Ich möchte in diesem Zusammenhang auch darauf aufmerksam machen, daß wir auch im Rahmen unserer 32 Thesen, und zwar in der These 27 Abs. 2, 1979 das Instrument der Anrechnung prinzipiell be-j aht haben. Wenn ich eben davon gesprochen habe, daß wir in erschreckend hohem Umfang auch bei den Kollegen Abgeordneten hier im Hause Unkenntnis über den Gesamtsachverhalt beobachten müssen, möchte ich das an dem Beispiel klarmachen. Nicht wenige Kollegen hier, draußen in noch größerem Umfang, stellen immer wieder die Frage, in welchem Umfang denn eigenes Einkommen mit der Rente verrechnet werde. Zum hundertsten Male muß wiederholt werden: Nach den Vorstellungen der Regierung und selbstverständlich erst recht der Freien Demokraten wird es bei der eigenen Rente überhaupt keine Anrechnung geben. ({2}) Anrechnungen wird es vielmehr ausschließlich im Hinterbliebenenbereich geben. ({3}) - Natürlich wäre es noch schöner. Aber, Eugen Glombig, Sie wissen ganz genau, daß dieser Irrtum weit verbreitet ist und gelegentlich in öffentlichen Veranstaltungen zu meinem größten Bedauern sogar gepflegt wird. Und dagegen möchte ich mich hier an dieser Stelle wehren. ({4}) Wir sind - und das wird auch in Zukunft so bleiben - immer hartnäckig dafür eingetreten, daß die durch eigene Beitragsleistungen erworbenen Ansprüche uneingeschränkt garantiert werden. Auch für alle diejenigen, die zur Zeit eine Hinterbliebenenrente beziehen, wird sich am geltenden Recht überhaupt nichts ändern. Laut werdende Ängste sind nicht berechtigt, und solche zu schüren ist unverantwortlich. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung aus dem Jahre 1975 deutlich gemacht, daß dem Gesetzgeber bei der Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sogar die Übertragung der jetzt geltenden Witwerregelung auf Witwen hat das Bundesverfassungsgericht für zulässig angesehen; eine Regelung, die wir ablehnen, weil nämlich bis ins Detail, bis auf die letzte Mark nachgeprüft wird, wer überwiegend zum gemeinsamen Familienunterhalt beigetragen hat. Wir lehnen diese Regelung ab, weil sie nach unserer Auffassung dem Versicherungsprinzip widerspricht. Aber all die Kritiker, die jetzt sagen, unsere Vorschläge würden dem Versicherungsprinzip widersprechen, haben während der Zeit, in der diese Witwerregelung praktiziert wurde, diese nie als ein Argument angesehen, das dem Versicherungsprinzip widerspricht. Interessanterweise - für mich erstaunlicherweise - knüpft bei der vorzeitigen Rente nach dem Tod des Ehegatten der SPD-Entwurf wieder an diese Witwerregelung an. Diese Rente wird - soweit nicht Kindererziehung vorliegt - davon abhängig gemacht, ob beim Tod des Ehegatten ein Unterhaltsbedarf vorliegt. Ob die vorgesehene Einschränkung der Prüfung des Unterhalts eine Verbesserung ist, muß ich bezweifeln. Prinzipiell knüpft die SPD für diesen Sachverhalt wieder an die derzeitige Witwerregelung an. Mit Verlaub gesagt: Dies hat mich überrascht. Verlockend wäre sicherlich auch der Gedanke gewesen, die jetzige Witwenregelung auf die Witwer zu übertragen. Aber das hätte Kosten von mehr als 2 Milliarden DM mit steigender Tendenz verursacht und ist bei der Si8576 Cronenberg ({5}) tuation unserer Rentenversicherung nicht zu verantworten. Das 70%ige Teilhabemodell des SPD-Entwurfs - das wird j a auch von den Sozialdemokraten eingeräumt - ist nicht zum Null-Tarif zu haben. Es kostet ca. 2,5 Milliarden DM. Und, meine Damen und Herren, das muß man sich bewußt machen: Alle Frauen, deren eigene Rente höher ist als 30 % der Mannesrente, erleiden Einbußen. Das sind knapp eine halbe Million Frauen, die dieses Modell finanzieren sollen. Denjenigen, die mit der Idee spielen, um der Kostenneutralität willen eine 65%ige Teilhaberente einzuführen, muß man sagen, daß alle Frauen, die eine eigene Rente haben, die höher ist als 14 % der Mannesrente, zahlen müssen, kräftige Verluste in ihrem Gesamtrenteneinkommen haben. Mit anderen Worten: 1,2 Millionen Frauen zahlen die Zeche. Hier wird ein erheblicher Teil berufstätiger Frauen, die eigene Beiträge geleistet haben, zur Kasse gebeten, um ein Modell zu finanzieren, das es ermöglicht, auch denjenigen, die über relativ hohe eigene Einkommen verfügen, eine höhere Rente zu gewähren. Ich meine, auch nach dem Selbstverständnis sozialdemokratischer Sozialpolitik ist dies nicht zu verantworten. ({6}) Die Bedenken gegen die Hinterbliebenenrente mit Freibetrag haben wir durchaus ernst genommen. Es ist mir nicht leichtgefallen, diesem Modell zuzustimmen, und es hat in der Tat langer Diskussionen und Überlegungen bedurft - das sei mit allem Freimut zugegeben -, um zu der Erkenntnis zu kommen, daß der vorgesehene Entwurf den Ansprüchen, die wir selber an eine solche Hinterbliebenenversorgung gestellt haben, gerecht wird. Ich möchte ausdrücklich feststellen - das ist für uns von ganz entscheidender Bedeutung -, daß mit der Hinterbliebenenrente keine sozialhilfeähnliche Leistung gewährt wird. Natürlich ist die Hinterbliebenenrente Teil des Versicherungsanspruchs und auch durch die gezahlten Beiträge gerechtfertigt. Sie wissen, wir bejahen das Versicherungsprinzip in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wir halten das Prinzip für eine entscheidende Grundlage unseres Alterssicherungssystems, und das gilt selbstverständlich auch für die Hinterbliebenenversorgung. Aber deswegen kann man doch nicht verkennen, daß der verfassungsrechtlich garantierte eigene Rentenanspruch eine andere Qualität hat als der Anspruch auf die Hinterbliebenenrente. Steht bei der eigenen Rente die eigene Leistung im Vordergrund, so finden bei der Hinterbliebenenrente Elemente des sozialen Ausgleichs stärker Berücksichtigung. Selbstverständlich ist deswegen die Hinterbliebenenversorgung nicht von dem Gesamtversicherungsschutz abgelöst. Und natürlich, Frau Kollegin Fuchs - das kann und wird niemand bestreiten -, beruht die Hinterbliebenenrente - selbstverständlich auch nach dem Modell des Bundesarbeitsministers - auf einem Rechtsanspruch. Das ist keine Fürsorgeleistung, die da gewährt wird. ({7}) - Natürlich werden bestimmte Anrechnungselemente zugrunde gelegt. Aber es ist ein Rechtsanspruch, nur ruht dieser Anspruch für die Zeit, in der ein höheres eigenes Einkommen vorhanden ist oder eine hohe eigene Rente gewährt wird. Es ist also nicht so, daß der Anspruch prinzipiell geleugnet wird, sondern er kann für eine bestimmte Zeit ruhen. Ich meine, das sollte man bei der Beurteilung der Vorschläge berücksichtigen. ({8}) Ich möchte auch darauf hinweisen, daß das Bundesverfassungsgericht in diesem Zusammenhang den Unterhaltersatzcharakter der Hinterbliebenenrente durchaus betont hat und wir uns von dieser Feststellung nicht völlig loslösen können. Es hat gesagt: „Von den Begünstigten nicht durch besondere Aufwendungen erkauften Versicherungsschutz ihrer Hinterbliebenen abweichend vom Schutz der Versicherung selbst zu regeln", dies sei dem Gesetzgeber durchaus erlaubt. Von dieser Möglichkeit hat er Gebrauch gemacht. Meine Damen und Herren, ich bedaure, daß mir die Zeit so sehr wegläuft. Ich möchte deswegen nur noch auf zwei Punkte, die mir ganz besonders wichtig sind, stichwortartig eingehen. Bedingung für uns war und ist, daß Zusatzversorgungen, welcher Art auch immer, ob Höherversicherung, Betriebsrente, auch VBL, nicht in die Anrechnung einbezogen werden können. ({9}) Das ist von entscheidender Bedeutung. Hier müßten die Sozialdemokraten eigentlich auch zustimmen können. Denn Sie sagen in Ihrer Vorlage ja selber - diesen Satz unterstreiche ich sehr -: Es ist nicht sinnvoll, daß sich die Rentenversicherung zu Lasten von privaten Vorsorgesystemen entlastet. Wer diesen Satz sagt, muß unterschreiben, daß derartige Zusatzleistungen aus dem Anrechnungsverfahren herausgenommen werden. ({10}) Ich möchte auch betonen, daß es mir persönlich außerordentlich schwergefallen ist, zu akzeptieren, daß die berufsständischen Versorgungswerke, soweit sie nicht reine Zusatzversorgungswerke sind, in das Anrechnungsverfahren einbezogen werden müssen. Denn ich verkenne nicht, daß diese berufsständischen Versorgungszwerke ausschließlich aus Beiträgen finanziert sind. Aber, meine Damen und Herren, verfassungsrechtlich hat man mich belehrt - ich habe mich davon überzeugen müssen -, daß die berufsständischen Versorgungswerke, soweit sie Ersatz für Pflichtversicherung sind, so behandelt werden müssen wie die übrigen Pflichtversicherungen. Dies ist der einzige Grund, warum wir Cronenberg ({11}) einer solchen Regelung - jetzt muß ich sagen: leider - unsere Zustimmung geben mußten. Es ist sehr zu überlegen, ob nicht die Elemente der berufsständischen Versorgungswerke, die Zusatzversorgungscharakter haben, durch pauschale Abschläge in höherem Umfang berücksichtigt werden sollen, als das jetzt der Fall ist. Meine Damen und Herren, ausdrücklich und mit aller Hartnäckigkeit - das wird sicherlich niemanden überraschen - möchte ich den Versuch in dem SPD-Entwurf zurückweisen, die berufsständischen Versorgungswerke auszutrocknen, indem man den Zugang auf Selbständige beschränkt. Meine Damen und Herren, das wird im Ergebnis den Tod der berufsständischen Versorgungswerke bedeuten, weil dann der Zugang so eingeschränkt wird, daß das notwendige Potential für den Aufbau dieser Werke nicht mehr vorhanden ist. Ich bitte die SPD, unabhängig davon, wie sie zum Regierungsentwurf steht, diesen Teil ihres eigenen Entwurfs einer ernsthaften Überprüfung zu unterziehen. Einen Satz zur Unfallversicherung. Hier verkennen wir nicht, meine Damen und Herren, daß es sich um ein anderes System handelt. Trotzdem legen wir Wert darauf, daß dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung bei den Anpassungen im Prinzip Rechnung getragen wird. Darum haben wir uns auch in der sozialliberalen Koalition immer bemüht. Insofern gibt es einen Anpassungsverbund. Positiv möchte ich bewerten, daß unsere Forderung, die wir seit langem erhoben haben, nach Kindererziehungszeiten endlich erfüllt wird. Wir glauben, daß hierdurch die Möglichkeit geschaffen worden ist, daß denjenigen Frauen die Kinder geboren haben und die durch das vorgelegte Modell selber nicht begünstigt sind, so eine verbesserte Alterssicherung erhalten. ({12}) Alles in allem, meine Damen und Herren: Das Modell der SPD und das Modell der Regierungskoalition werden in den Ausschüssen ernsthaft beraten werden müssen. Der Hauptvorwurf gegen das Modell der SPD aus meiner Sicht ist, daß viele Einsparungsmöglichkeiten, strukturelle Veränderungen, die ich zum Teil für sinnvoll halte, z. B. die Neubewertung beitragsfreier Zeiten und beitragsgeminderter Zeiten, für die Finanzierung der Hinterbliebenenversorgung verbraucht werden. ({13}) Wir sind der Meinung, daß diese Einsparungsmöglichkeiten - die ich durchaus ernst nehme - gebraucht werden, um die Strukturreform zu finanzieren, denn wir dürfen nicht zu zu hohen Beiträgen kommen. Im Zusammenhang mit der Strukturreform, meine Damen und Herren, Herr Präsident, darf es keine Tabus geben, weder das Rentenniveau - deswegen lehnen wir eine Rentenniveausicherungsklausel ab - noch das Beitragsniveau noch der Bundeszuschuß. Alle diese Elemente werden im Zusammenhang mit der Strukturreform einer ernsthaften Überprüfung unterzogen werden. Herzlichen Dank. ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Verhülsdonk.

Roswitha Verhülsdonk (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002371, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sieben Jahre Modelldiskussion über die Reform der Hinterbliebenenversorgung, das war alles, was die Regierung Kohl vorfand. Am Ende dieser Diskussion hatten sich zwar Politiker aller Parteien und Fachleute auf das Modell einer 70%igen Teilhaberente geeinigt, aber diese Lösung war inzwischen nicht mehr finanzierbar, ({0}) denn die Rentenkasse haben Sie bekanntlich so leer hinterlassen wie die Bundeskasse. Die Teilhaberente von 70% würde aber pro Jahr Mehrkosten von 2,5 Milliarden DM verursachen. Mehr Geld für die Neuregelung der Witwen- und Witwerrenten können wir leider nicht aufbringen. Mindestens die Sozialpolitiker in diesem Hause wissen sehr genau, was in den nächsten Jahren auf die Rentenkasse zukommt, wenn immer weniger Beitragszahler große Rentnerjahrgänge finanzieren müssen. Das politisch bemerkenswerteste Ergebnis dieser langen Modelldiskussion war aber, daß bei den Frauen im Land eine große Erwartung geweckt worden war. Vor allem die Hausfrauen freuten sich schon auf eine 10 % höhere Witwenrente, und die Mütter warteten darauf, in Bälde eine eigene Erziehungsrente als gerechten Ausgleich für viele Opfer und Verzichte zu erhalten. Meine Damen und Herren, wir alle stehen unter dieser politischen Hypothek. Dabei geht es in der Sache um etwas ganz anderes, nämlich um die Herstellung der Gleichberechtigung der Männer beim Anspruch auf Hinterbliebenenrente. Bisher haben nämlich Witwer nur in seltenen Fällen Anspruch auf die 60%ige Hinterbliebenenrente. Witwen haben ihn immer, wenn der verstorbene Ehemann versichert war. Da nun die Bedingung der Kostenneutralität absolut zwingend ist, kann die verfassungsrechtlich gebotene Gleichberechtigung der Witwer nur durch Einsparungen bei den Witwen finanziert werden. Berufstätige Ehefrauen haben bekanntlich als Witwen zwei Rentenansprüche: die eigene Versichertenrente und die abgeleitete. Wenn wir Witwern in Zukunft Hinterbliebenenrente von 70% geben wollten, wie es die SPD vorschlägt, und Hausfrauen dann entsprechend auch 70% statt 60 %, dann müßten wir bei den erwerbstätigen Frauen tief in die heutigen Anwartschaften eingreifen. Ein Drittel aller Frauen, die heute zwei Rentenansprüche haben, würde für diese Lösung trotz der entstehenden Mehrkosten von 2,5 Milliarden DM zur Kasse gebeten werden. Nun gibt es Leute, die sagen: Dann macht doch 65%, das ist annähernd kostenneutral. ({1}) Dies geht wirklich nicht. Nur ein Beispiel. Wir müßten dann sogar schon einer Witwe mit 150 DM eigener Rente, deren Mann 1 000 DM Rente hatte, etwas wegnehmen. Das geht wirklich nicht an. Nur zwei Jahre nach der Regierungsübernahme liegt uns nun ein Gesetzentwurf zur Hinterbliebenenrente mit Freibetrag vor, der finanzierbar, sozial ausgewogen und frauenfreundlich ist. Gleichzeitig beraten wir ein Gesetz zur Einführung von Erziehungszeiten im Rentenrecht, das mit dem hundert Jahre alten Unrecht, Erziehungsleistungen in der Sozialpolitik absolut zu mißachten, endlich Schluß macht. Meine Damen und Herren von der SPD, Sie schlagen nun vor; 70%ige Teilhabe, Verbesserung der Rente nach Mindesteinkommen und Ausdehnung der Erziehungsjahre, auch auf die heutigen Rentnerinnen. Ich verkenne nicht, daß dieses teure Paket von 8 bis 9 Milliarden DM Mehrkosten auf den ersten Blick durchaus wählerwirksam ist. Sie wissen aber selbst, daß die große Strukturreform, die Sie zur Kostendeckung vorschlagen, notwendig ist, um die langfristige Sanierung der Rentenversicherung zu bewirken, d. h. Probleme zu lösen, die uns ab 1990 auf den Nägeln brennen werden. ({2}) - Ich habe zuwenig Zeit, um noch darauf eingehen zu können. Das ist hier heute schon mehrfach erklärt worden. Der Gesetzentwurf für die Hinterbliebenenrente mit Freibetrag mag in diesem oder jenem Detail noch diskussionswürdig sein. Dafür haben wir die Beratungen im Ausschuß. Er hat aber den großen Vorteil, daß er im bestehenden System der Rentenversicherung bleibt. Als ehemaligem Mitglied der sogenannten '84er Kommission der Regierung Schmidt stehen mir die damals ungelöst gebliebenen Probleme des Teilhabemodells, dem Sie anhängen, natürlich noch lebhaft vor Augen. Es sieht nur Witwenrente in Bedarfssituationen vor, also Abschaffung der kleinen Witwenrenten. Für Witwen unter 45 Jahren, die keinen Anspruch auf Rente wegen der Kindererziehung haben und die man heute weiß Gott nicht auf den unsicheren Arbeitsmarkt verweisen kann, ist Teilhaberente überhaupt nicht machbar. Das haben Sie ja auch erkannt. Zudem entstehen beim Zusammentreffen von Beamtenpension und Sozialversicherung schwierigste Probleme. Was ist dann die Teilhaberente? Ist sie Pension, die zu versteuern ist, oder Rente, die nur mit dem Ertragsanteil besteuert wird? Nun gibt es Leute, die behaupten, die Hinterbliebenenrente mit Freibetrag sei ein Einbruch in das bestehende System. ({3}) Es werde erstmals das Bedarfsprinzip im Rentenrecht eingeführt, da Einkommen angerechnet wird. Einkommensanrechnungen, liebe Frau Fuchs, hat es bei Hinterbliebenenrenten aber schon immer gegeben. Das wissen Sie auch. Bisher wird den Männern, die in der Regel keine Witwerrente erhalten, das eigene Einkommen total, nämlich zu 100% angerechnet. ({4}) Einer Witwe, die wieder heiratet, werden die Unterhaltsansprüche gegenüber dem neuen Ehemann auch total angerechnet. Sie wird abgefunden. Schließlich darf man nicht übersehen: Auch bei der Teilhaberente wird angerechnet, nämlich je nach Modell 30% oder 35% der eigenen Versichertenrente. Der Unterschied des Freibetragsmodells zu den anderen Anrechnungsmodellen besteht darin, daß hier erstmalig eine gleitende Einkommensanrechnung vorgenommen wird. Sie hat unbestreitbar die Wirkung, das Modell sozial ausgeglichen zu machen. Lassen Sie mich diese Wirkung an einem Beispiel verdeutlichen. Eine jüngere Witwe erhält eine Hinterbliebenenrente von 600 DM. Sie ist gezwungen zu arbeiten. Ihr Nettoeinkommen beträgt 1 200 DM. In diesem Falle ruhen nach dem Freibetragsmodell 120 DM von ihrer Witwenrente. Erreicht diese Frau das Rentenalter, dann wird ihre eigene Rente mit hoher Wahrscheinlichkeit den Freibetrag von 900 DM unterschreiten, und damit lebt im gleichen Augenblick die Witwenrente von 600 DM wieder voll auf. Man sieht an diesem Beispiel gut die Wirkung des Modells. Wer noch arbeitet und seinen Unterhalt selbst verdient, muß Abstriche an der abgeleiteten Rente hinnehmen. Wer im Rentenalter die Hinterbliebenenrente braucht, der erhält sie auch. Wir alle wissen j a genau, daß Rentenversicherung vorrangig Alterssicherung ist. Diese Funktion bleibt unangetastet. Es bleibt das Problem der Frauen, die wegen Haushaltsführung und Kindererziehung keine eigenen Renten erworben haben und nur 60 % Hinterbliebenenrente erhalten. Ihnen bringt das Freibetragsmodell keine Verbesserung. ({5}) Deswegen sind die Abgeordneten der Union sehr froh darüber, daß es gelungen ist, gleichzeitig mit dem Hinterbliebenenrenten-Gesetz das Erziehungszeiten-Gesetz vorzulegen, in dem Mütter für jedes Kind ein Rentenjahr erhalten. Das bringt 25 DM Rente pro Monat. Ein Heer von Frauen, die nie ein eigenes Rentenkonto besessen haben, wird, weil sie Kinder hatten, ab 1. Januar 1986 zu Mitgliedern der Rentenversicherung. Wer fünf Kinder hatte, erfüllt sofort die Mindestvoraussetzung für eine eigene Altersrente ab dem 65. Lebensjahr und erhält dann 125 DM für die Erziehungsleistung. Wer weniger als fünf Kinder hatte, der kann die fehlenden Beitragsjahre freiwillig nachbelegen und erhöht damit seine Erziehungsrente. Wir Abgeordneten der Union haben allerdings einen schweren Kummer, das räume ich ein: Wir können die 5 Milliarden DM nicht herbeischaffen, um .auch der Generation der heutigen Rentnerinnen Erziehungsjahre zurechnen zu können. Diese Frauen haben unter besonders schwierigen Bedingungen ihre Kinder aufgezogen, in Krieg und Nachkriegszeit. Wir empfinden sehr die Härte, daß wir sie nicht einbeziehen können. Aber Frau Fuchs, Sie selbst wissen ja sehr gut, daß im Jahre 1981 der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt auf Ihr Drängen hin erklärt hat: für Erziehungsjahre ist kein Geld vorhanden. 1983 war dann noch weniger Geld da. Alle Verbesserungen in der Sozialpolitik, meine Damen und Herren, waren bisher immer nur in die Zukunft hinein finanzierbar. Wenn man bei jedem neuen Schritt auch die sozialen Mißstände der Vergangenheit hätte korrigieren wollen, dann wäre man wohl zu keiner Zeit dazu gekommen, sozialpolitisches Neuland zu betreten, was wir hier tun. Ich möchte aber die Regierung auffordern, ernsthaft darüber nachzudenken, ob im Rahmen der Strukturreform nicht doch etwas für die Generation der sogenannten Trümmerfrauen mit kleinen Witwenrenten getan werden kann. Die SPD-Kollegen sollten sich daran erinnern, daß das 1972 von ihnen vorgeschlagene Baby-Jahr auch nicht auf den Rentenbestand ausgedehnt werden sollte. ({6}) Es hatte zudem andere schwerwiegende Mängel: Nur erwerbstätige Mütter sollten es erhalten, Hausfrauen nicht. Das Ungerechteste daran war, daß das Baby-Jahr sehr unterschiedliche Rentenzuschläge erbracht hätte, je nach der vorherigen Beitragsleistung: bei kleiner Rente ein kleines Baby-Jahr, bei hoher Rente ein großes. Da war weiß Gott keine sozialpolitische Sternstunde der SPD, Frau Fuchs. Meine Damen und Herren von der Opposition, namhafte Vertreterinnen der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen haben Ihnen öffentlich geraten, Ihre Kritik an dem Regierungsmodell der Hinterbliebenenrente mit Freibetrag zu überdenken. ({7}) Diese Frauen haben erkannt, daß dieses Modell die Rentenansprüche von 90 % der erwerbstätig gewesenen Ehefrauen nicht antastet, und das, meine ich, ist sozialpolitisch richtig und notwendig, weil Frauen auch bei zwei Rentenansprüchen in der Regel nicht bessergestellt sind als Männer, die nur ihre eigene Versichertenrente erhalten. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Glombig.

Eugen Glombig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000690, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Debatte neigt sich allmählich dem Ende entgegen, und es tritt Müdigkeit ein. - Ich sage das für uns alle. - Bevor wir nun von der Müdigkeit übermannt werden, sollten wir versuchen, ein paar Klarstellungen herbeizuführen. ({0}) Frau Verhülsdonk, ich werde auf die Fragen der Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung nicht im einzelnen eingehen - dies hat mein Kollege Günther Heyenn bereits getan -, weil ich ganz gern auf die strukturellen Probleme der Neuordnung der gesetzlichen Rentenversicherung eingehen möchte, von denen Sie gesagt haben, sie müßten später geklärt werden. Sie haben gesagt, die Strukturreform müsse später geklärt werden, und die dadurch freigemachten Mittel könnten auf keinen Fall für die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung zur Verfügung stehen. Wenn Sie noch der Überzeugung wären, die Sie damals in der Kommission zur Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung, die von dem damaligen Minister Ehrenberg ins Leben gerufen worden ist, geäußert haben, daß nämlich das Teilhabeprinzip das richtige Modell ist - ich meine, wir hätten damals in dieser Frage eine Übereinstimmung herbeiführen können -, dann müßten Sie das Ergebnis der Lösung der strukturellen Probleme auf dem finanzpolitischen Sektor für die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung einsetzen. Dann wäre es die einzige Möglichkeit - wie wir das vorschlagen -, beide Dinge miteinander zu verbinden, ({1}) d. h. Reform der Hinterbliebenenversorgung auf der einen Seite und Lösung der strukturellen Probleme. Das haben Sie abgelehnt, weil Sie die Ergebnisse einer solchen Strukturreform eben nicht für die Teilhaberente, für eine Verbesserung der Hinterbliebenenversorgung einsetzen möchten. Sie möchten damit vielmehr die Finanzen der gesetzlichen Rentenversicherung konsolidieren, ohne die Leistungen für die Hinterbliebenen verbessert zu haben. Vielleicht wollen Sie damit sogar auch den Bundeshaushalt konsolidieren, wie Sie das in den vergangenen Jahren ja getan haben; denn all Ihre Konsolidierungsbemühungen haben der Rentenversicherung nichts gebracht, sondern eigentlich nur dem Bundeshaushalt. Deswegen möchten wir Sie auffordern, sich noch einmal zu überlegen, ob es nicht doch richtiger und wichtiger ist, sich jetzt über Probleme der Neuordnung der Rentenversicherung im strukturellen Bereich Gedanken zu machen. Diese Diskussion steht ja wohl unter der Überschrift: Die große Wende in der Rentenversicherung. Von dieser großen Wende kann überhaupt nicht die Rede sein, wenn die Dinge weiterhin so schmalspurig betrieben werden, wie es diese Bundesregierung und diese Regierungsmehrheit vorhaben. Ich sehe heute morgen in der „Süddeutschen Zeitung" einen Leserbrief, in dem folgendes steht: Da sind sie nun endlich enttarnt, die angeblich „armen" Rentner mit einer Rente unter 600,-DM. Sie sind in Wirklichkeit wahre Großeinnehmer, haben doch laut Sozialminister Blüm immerhin 77 % von ihnen zwischen 1 000,- und 2 000,- DM Nettoeinkünfte im Monat. Das erstaunt nun in der Tat, und der Minister muß sich fragen lassen, woher denn diese Daten seiner Übersicht stammen. Hat er sie von der Rentenversicherung, von betrieblichen Altersversorgungen, privaten Lebensversicherungen, Banken oder gar irgendwelchen amtlichen Stellen, die derartige personenbezogenen Daten sammeln und weitergeben? Oder hat als Sozialministerium Erhebungen darüber in Auftrag gegeben - und an wen? Das, was Herr Bundesarbeitsminister Blüm in der, ich glaube, vorigen Woche der Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz hinsichtlich des Wohllebens der Rentner vorgestellt hat, halte ich aller- dings auch für große, große Übertreibungen. Wenn es durchaus auch Renten in dieser Höhe gibt, so trifft das auf den Personenkreis, der nur auf seine Rente angewiesen ist, auf gar keinen Fall zu. Ich habe vor mir ein Flugblatt der Union liegen, genaugenommen der CSU. Herr Seehofer hat vorhin ja so eine fabelhafte Rede gehalten. Ich weiß nicht, ob er noch da ist, aber er kann sich auch so daran erfreuen. Da heißt es: „SPD, FDP - zwei, die die Rente gefährden." Für die FDP will ich das nachträglich, in der historischen Rückschau auch zugeben. Die FDP hat natürlich immer geglaubt, sie müsse streichen, sie müsse das Rentenrecht verschlechtern. ({2}) - Ich habe schon in der letzten Debatte gesagt, Herr Fraktionsvorsitzender: Ich habe nun wirklich intime Kenntnisse über die Dinge, die sich in den Koalitionsgesprächen abgespielt haben, die wir miteinander geführt haben. Es ist doch nicht so, daß da aus Überzeugung Kompromisse zustande gekommen sind. Vielfach ist das doch nur mit dem Holzhammer möglich gewesen. Ich kann mir vorstellen, daß das heute genauso läuft. ({3}) - Wissen Sie, ob sie gemein ist, müssen Sie einmal die CSU fragen. Ich habe mit den Kollegen trotz allem ganz gut zusammenarbeiten können. In der Sache gab es - das muß ich sagen - fast unüberbrückbare Gegensätze. So will ich das einmal darlegen. Deswegen ist es auch richtig, das noch einmal zu unterstreichen. Jedenfalls wird alles das jetzt gemacht, was uns damals als eine Sache angekreidet wurde, die wir machen wollten, z. B. die Einführung der netto- statt der bruttolohnbezogenen Rente. Das, was jetzt in dieser Höhe, in diesem Umfang mit dem Krankenversicherungsbeitrag geschieht, ist nichts anderes als die nettolohnbezogene Rente. Das haben wir nie vorgehabt. Oder die Verzögerung der Rentenerhöhung, d. h. die Verschiebung vom 1. Januar auf den 1. Juli: Das haben nicht wir gemacht. Das haben Sie gemacht. Sie haben allerdings 1972, weil Sie vorübergehend eine Stimme Mehrheit hatten, zwei Rentenanpassungen beschlossen. Die finanziellen Auswirkungen dieser parlamentarischen Entscheidung gehen den Rentenfinanzen heute noch nach. Eines kann ja nicht stimmen. Wie war es denn mit der sozialdemokratisch geführten Bundesregierung? Hat sie den Rentnern zuviel gegeben, wie die einen behaupten, oder hat sie den Rentnern zuwenig gegeben, wie Herr Fink als Berliner Sozialsenator uns heute klarzumachen versuchte? Auch die Erhöhung des Beitrags zur Rentenversicherung wird uns wieder vorgeworfen. Auch die Kappung der höheren Renten ist etwas, was laut diesem Flugblatt als mögliche Entscheidung der sozialliberalen Koalition eine Rolle gespielt hat. Ich wende mich jetzt den strukturellen Fragen zu. Es gibt keinen besseren Beweis für die Notwendigkeit der von uns Sozialdemokraten geforderten Strukturreform in der Rentenversicherung als das heillose Durcheinander, das Bundesregierung und Koalition in den letzten zwei Jahren in der Rentenpolitik veranstaltet haben und noch immer veranstalten. Trotz massiver Kürzungen und offener und versteckter Beitragserhöhungen sind die Renten nicht sicherer, sondern unsicherer geworden; die Renten müssen auf Pump finanziert werden; und wie es in den 90er Jahren angesichts der Verschiebungen in der Alterspyramide der Bevölkerung weitergehen soll, steht in den Sternen, weil diese Regierung nicht die Kraft hat, die strukturellen Probleme anzupacken. In dieser Woche trifft von den Rentenversicherungsträgern die Nachricht ein, daß die Beitragseinnahmen des vergangenen Jahres um mehr als eine Milliarde DM hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind und daß die gesetzlich vorgeschriebene Mindest-Schwankungsreserve von einer Monatsausgabe am Jahresende unterschritten worden ist. Mit den Verschiebebahnhöfen und den pausenlosen Raparaturmaßnahmen muß endlich Schluß gemacht werden. ({4}) Das ist der Grund, warum wir Sozialdemokraten in unserem Rentenreformgesetzentwurf neben unseren Vorschlägen zur Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung auch ein umfassendes Konzept zur langfristigen Stabilisierung der Rentenversicherung und zur Wiederherstellung der Verläßlichkeit des Generationenvertrags vorlegen. Die Ursachen für die ständigen Schwierigkeiten mit den Renten liegen zum Teil in politischen Fehlern, aber auch in den unzureichenden gesetzlichen Grundlagen für die Rentendynamik und die Rentenfinanzierung: Erstens. Die Rentenfinanzen sind zu abhängig von konjunkturellen Schwankungen. Zweitens. Das bisherige Finanzierungssystem ist nicht flexibel genug; es verfügt über keine eingebauten Anpassungsmechanismen, die bei Änderungen der Rahmenbedingungen für einen Ausgleich sorgen; es erfordert daher ständige Reparaturmaßnahmen des Gesetzgebers. Drittens. Mit der jetzigen Rentenformel wird dem Grundsatz der gleichgewichtigen Entwicklung der Renten und der verfügbaren Arbeitseinkommen nicht Rechnung getragen. Viertens. Mit dem jetzigen System der Rentenfinanzierung und der Rentendynamik wird es nicht möglich sein, die Finanzierungsprobleme zu bewältigen, die infolge der Änderung der Altersstruktur ab den 90er Jahren auf uns zukommen werden. Für die seit langem fällige Verbesserung der gesetzlichen Grundlagen machen wir konkrete, sozial ausgewogene, finanzierbare und exakt durchgerechnete Gesetzesvorschläge. Unsere Reformvorschläge beruhen auf zwei Grundsätzen, erstens auf dem Grundsatz der sozialen Ausgewogenheit aller Maßnahmen und zweitens auf dem Grundsatz der größtmöglichen Unabhängigkeit der Rentenversicherung von tagespolitischen Entscheidungen; das heißt, im Gesetz müssen Mechanismen verankert werden, die im Eventualfall eines Finanzierungsengpasses einen Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben herbeiführen, ohne daß die Notwendigkeit von Gesetzesänderungen besteht. Man kann einwenden - und dieses Argument hat der Arbeitsminister bereits öffentlich gebraucht -, daß eine hundertprozentige Unabhängigkeit der Rentenversicherung von allen Umwelteinflüssen in einer komplizierten und ständigem Wandel unterworfenen Gesellschaft nicht möglich sei. Das ist zweifellos richtig. Aber es ist kein Grund, überhaupt nichts zu tun und so weiterzuwursteln wie bisher. Die erste Maßnahme, die wir zur dauerhaften Sicherung der Renten vorschlagen, ist die schrittweise Wiederherstellung voller Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit für die Empfänger von Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Unterhaltsgeld und Schlechtwettergeld. Statt an der Höhe der Barleistungen sollen diese Beiträge zunächst wieder an 75 % des entgangenen Bruttolohns, ab 1990 an 100 % des entgangenen Bruttolohns orientiert werden. Als zweites schlagen wir ein Maßnahmenbündel vor, mit dem wir nicht nur die aktuelle Einnahmesituation der Rentenversicherung verbessern, sondern vorbeugend einen Mechanismus zur Bewältigung künftig möglicher Finanzierungsprobleme schaffen wollen. Das ist notwendig, damit endlich Klarheit, Zuverlässigkeit und Regelgebundenheit in die Rentenversicherung einkehren. In welch erschreckend hohem Maße die Rentenversicherung in den letzten Jahren - nicht zuletzt unter dem Eindruck der generell schwieriger gewordenen Wirtschaftssituation - an Verläßlichkeit eingebüßt hat, zeigt ein Rückblick auf die letzten Jahre. In den acht Jahren von 1977 bis 1984 hat der Gesetzgeber nicht weniger als siebenmal in das Rentenrecht eingegriffen, um die Zahlungsfähigkeit der Rentenversicherung sicherzustellen. Angesichts der Rentenpolitik dieser Bundesregierung ist mit weiteren Eingriffen zu rechnen. Sieben Konsolidierungsgesetze in acht Jahren - das kennzeichnet einen unhaltbaren Zustand. Das ist wie ein Auto, das nur anderthalb Monate im Jahr fahrtüchtig ist und den Rest der Zeit in der Werkstatt steht. In den acht Jahren von 1977 bis 1984 hat es nur eine einzige völlig ungeschmälerte bruttolohnbezogene und der Rentenformel entsprechende Rentenanpassung gegeben, und das war im Jahre 1982. In allen anderen Jahren mußte auf die eine oder andere Weise in die Rentenanpassung eingegriffen werden, um die Zahlungsfähigkeit sicherzustellen, und zwar durch Verschiebung des Anpassungstermins oder durch Heranziehen der Rentner zum Krankenversicherungsbeitrag, durch Abkoppelung der Rentenanpassung von der Lohnentwicklung oder durch Verkürzung der Zeitverzögerung bei der Rentenanpassung gegenüber der Lohnentwicklung. Nicht nur 1985, sondern auch 1986 wollen Regierung und Koalition weiter an der Rentnerkrankenversicherungsbeitragsschraube drehen, und es wird wiederum keine formelmäßige Rentenerhöhung geben. Das war am vergangenen Mittwoch in Agenturberichten zu lesen. Deswegen meine ich, daß die bruttolohnbezogene Rentenformel, von welcher der Arbeitsminister sagt, daß sie nur über seine Leiche angetastet werden kann, mittlerweile zum Phantom zu werden droht. Der Arbeitsminister Blüm hat jedenfalls in seiner Amtszeit noch keine einzige bruttolohnbezogene Rentenerhöhung zustande gebracht, ({5}) die auch wirklich ungeschmälert bei den Rentnern angekommen wäre. Es ist auch nicht abzusehen, wann ihm dies gelingen könnte. Die strikte Anwendung der Rentenformel ist zum seltenen Ausnahmefall geworden. Die Regel in der Rentenversicherung ist der politische Zufall, der sich jeweils in den Koalitionsrunden und als Resultat der Ressortstreitigkeiten innerhalb der Bundesregierung ergibt. Es ist höchste Zeit, meine Damen und Herren, daß dieser unhaltbare Zustand beendet wird. Im Grunde ist es ein Skandal, daß die Bundesregierung so weitreichende Entscheidungen wie die Neuordnung der Hinterbliebenenversorgung oder die Einführung eines Kindererziehungsjahres treffen will, ohne gleichzeitig die finanziellen Grundlagen der Rentenversicherung dauerhaft in Ordnung zu bringen. Ich nenne das unverantwortlich. ({6}) Wenn das ständige Reparieren an der Rentenversicherung ein Ende haben soll, dann genügt es nicht, etwa zu beschließen, was nach dem jeweiligen Stand der Vorausberechnungen die Einnahmen erhöht oder die Ausgaben mindert. Wir müssen vielmehr eine langfristig angelegte Entscheidung treffen und im vorhinein im Gesetz präzise bestimmen, was zu geschehen hat, wenn sich in Zukunft Einnahmen und Ausgaben wieder auseinanderentwickeln sollten. Dazu gibt es im Prinzip zwei extreme Wege: Entweder läßt man die Renten weiter entsprechend der Bruttorentenformel steigen und muß dann gegebenenfalls die Beiträge entsprechend erhöhen - nach allen uns vorliegenden langfristigen Prognosen bedeutet dies aber, daß die Arbeitnehmer immer stärker mit Beiträgen belastet werden müßten, wenn das Nettorentenniveau stark steigen würde -, oder man friert den Beitragssatz ein und hält die Rentner so kurz, daß man mit den gegebenen Beitragseinnahmen auskommt. Die Folge wäre aber, daß die Rentner von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt würden und das Nettorentenniveau sinken müßte. Beides wäre unsozial. Deshalb müssen wir einen Mittelweg gehen und die Lasten auf die Generationen gerecht verteilen. Das tun wir Sozialdemokraten, indem wir in unserem Gesetzentwurf folgende Instrumente vorsehen: eine neue dynamische Rentenformel, in der die Rentensteigerung mit der Beitragssatzentwicklung verzahnt wird; die Beteiligung des Bundes am demographischen Risiko und die flexible Gestaltung des Beitragssatzes. Damit schaffen wir einen Regelmechanismus, von dem ja auch der Bundesarbeitsminister Blüm gesprochen hat - er hat ihn als notwendig herausgestellt -, der folgendermaßen funktioniert: Wenn die Beitragseinnahmen nicht reichen, muß zwar der Beitragssatz steigen, weil wir die alten Menschen nicht von der Einkommensentwicklung abkoppeln dürfen, aber gleichzeitig muß der Rentenanstieg gebremst werden, und zwar so, daß die Renten in demselben Umfang geschmälert werden, in dem die Nettolöhne durch die erforderliche Beitragssatzerhöhung gemindert werden. Außerdem muß sich aber der Bund stärker an der Finanzierung der Renten beteiligen, und zwar ebenfalls in dem Umfang, in dem die Beitragszahler erhöhte Lasten tragen müssen. Ohne zusätzliche Bundesbeteiligung würde der staatliche Finanzierungsanteil an der Rentenversicherung in Zukunft immer weiter abnehmen, und zwar ausgerechnet in einer Periode, in der die Finanzierung der Alterslast ohnehin immer schwieriger wird. Ein wesentliches Element unseres Gesetzesvorschlages ist, daß wir die Rentenpolitik regelgebundener und kontinuierlicher machen wollen. Wir schlagen vor, daß der Gesetzgeber jetzt eine einmalige, aber wohlüberlegte und langfristig konzipierte Entscheidung trifft, wie die künftigen Belastungen der Rentenversicherung getragen werden müssen. Von da an sollen auf absehbare Zeit ständige Reparaturen und Korrekturen überflüssig werden. Deshalb sieht unser Gesetzentwurf vor, daß der praktische Vollzug der einmal getroffenen Grundsatzentscheidung dann nicht mehr durch jährliche Gesetze, sondern durch Rechtsverordnungen der Bundesregierung geschehen soll. Dies betrifft sowohl die jährliche Festlegung der allgemeinen Bemessungsgrundlage als auch die Anpassung der Bestandsrenten, die Berechnung des Bundeszuschusses und die Festlegung des erforderlichen Beitragssatzes. Wir wollen der Bundesregierung dabei keinen politischen Gestaltungsspielraum geben; sie soll lediglich die statistischen Daten amtlich feststellen und die im Gesetz exakt vorherbestimmten Regeln exekutieren. Wir wollen auch keinen Souveränitätsverzicht des Gesetzgebers; denn der Bundestag kann ja eine neue Gesetzesgrundlage und einen anderen Regelmechanismus schaffen, wenn diese Lösung sich nicht bewähren sollte. Im Gegenteil, der Bundestag soll durch eine umfassende und weitblickende Reformgesetzgebung endlich einmal selbst über die Zukunft der Renten entscheiden, statt von Jahr zu Jahr unter dem Druck drohender Zahlungsunfähigkeit der Rentenversicherung und mehr oder weniger widerstrebend nachträglich die Entscheidungen der Bundesregierung absegnen zu müssen. Wir haben dies in den letzten Jahren ja häufig genug erlebt - übrigens auch wir Sozialdemokraten. Wir Sozialdemokraten glauben, daß unser Modell letztlich auch im wohlverstandenen Interesse der Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen liegen müßte; denn sie sind ja in den letzten Jahren vom Arbeitsminister immer wieder überfahren worden und mußten, mehr oder weniger willenlos, die in den Fachabteilungen des Arbeitsministeriums und in den kleinen Koalitionszirkeln ausgehandelten Weichenstellungen nachvollziehen. Eine langfristige Stabilisierung der Alterssicherung kann sich nicht auf die gesetzliche Rentenversicherung beschränken. In unserem Gesetzentwurf konzentrieren wir uns zwar auf das Teilgebiet der Rentenversicherung, weil wir als Oppositionsfraktion nicht die umfassenden technischen Möglichkeiten der Bundesregierung zur Verfügung haben, aber unsere Position ist: Ohne die Harmonisierung der Alterssicherungssysteme kann die Generationensolidarität nicht erhalten werden. Dabei geht es nicht um Sozialneid oder um die Abschaffung des Berufsbeamtentums. Wir sind als SPD doch auch eine Partei und eine Fraktion des öffentlichen Dienstes. Die Berufsbeamten sind meine Freunde, in großer Zahl. ({7}) Wie sollte ich eigentlich dazu kommen, mich für die Abschaffung des Berufsbeamtentums einzusetzen! Dies ist natürlich eine Verleumdung und nichts anderes. Wie gesagt, es geht hier nicht um Sozialneid und die Abschaffung des Berufsbeamtentums, wie die Vertreter privilegierter Interessengruppen bis hinauf zum Bundesaußenminister und FDP-Vorsitzenden uns einreden wollen. ({8}) Das Problem ist ein ganz anderes: Es kann nicht hingenommen werden, daß in einer Zeit, in der wegen der wirtschaftlichen Probleme und der zunehmend ungünstiger werdenden Bevölkerungsstruktur in der Alterssicherung der Arbeitnehmer das Verhältnis zwischen Rentenleistungen und Beitragsbelastung immer ungünstiger wird, in den wesentlich üppiger ausgestalteten Sonder- und Zusatzversorgungssystemen alles beim alten bleibt und sich auf diese Weise eine Klassengesellschaft in der Alterssicherung herausbildet. ({9}) Die Sachverständigenkommission der Bundesregierung hat in ihrem Gutachten vom Dezember 1983 - der Kollege Günther hat da mitgewirkt - mit statistischem Material, an dem niemand vorbeigehen kann, belegt, was für uns alle inzwischen eigentlich Gemeingut sein sollte. Dann aber müssen wir auch den Mut haben, auf diese Frage eine Antwort zu geben. Da nützt es nichts, leisetreterisch um die Lösung dieses Problems herumzugehen. ({10}) Es ist nicht einzusehen, daß wir jedes Jahr über die Finanznot der gesetzlichen Rentenversicherung in diesem Lande streiten und daß über die anderen Versorgungssyteme überhaupt kein Wort geredet wird, weil da die Finanzierung ohne Beiträge der Anspruchsberechtigten durch die Haushalte sichergestellt ist. Ich meine, dies ist nicht in Ordnung, und dies wird auf die Dauer so nicht hingenommen werden können. Unserem Gesetzentwurf sind detaillierte Kostenschätzungen und umfassende Modellrechnungen bis zum Jahre 1998 beigefügt, aus denen ersichtlich ist, daß unser Gesetzentwurf insgesamt finanzierbar ist. Meine Damen und Herren, es ist ein Märchen, daß die Teilhaberente und die Rente nach Mindesteinkommen wegen der Kassenlage der Rentenversicherung nicht finanzierbar wären. Man muß nur den Mut haben, die entsprechenden Umschichtungen im Rentenrecht vorzunehmen, was wir ja tun, und zugleich die finanziellen Grundlagen im Hinblick auf die später bevorstehenden Belastungen in Ordnung zu bringen. Unsere Rechnungen zeigen, daß die Änderungen im Leistungsrecht mit Ausnahme des Kindererziehungsjahres, für das die Kosten vom Bundeshaushalt getragen werden müssen, mit einer Ausgabensteigerung von lediglich 0,9 %, d. h. mit einer Beitragssatzsteigerung von 0,1 bis 0,2 %, finanzierbar sind. Ich bedaure, daß ich vom Präsidenten jetzt rotes Licht bekomme. Zwar hat der Präsident völlig recht, aber ich werde jetzt geradezu eingekreist: Links ist rot, rechts ist rot; ({11}) ich muß also zum Schluß kommen, was, wie ich weiß, für Sie alle und für mich eine Erleichterung ist. Ich wollte mit dieser Rede wirklich einmal ganz sachlich versuchen, zu den Problemen Stellung zu nehmen. Ich weiß, das hat Ihre Stimmung nicht besonders angeheizt ({12}) ich kann das nicht ändern -, aber auch dies ist, finde ich, bei aller politischen Auseinandersetzung notwendig. Ich würde sehr hoffen, daß wir bei den weiteren Beratungen im Ausschuß nicht nur vom Konsens reden, sondern uns wirklich bemühen, darüber nachzudenken, ob nicht etwas mehr als das, was im Regierungsentwurf enthalten ist, Gegenstand unserer Beratungen im einzelnen sein kann. Wenn wir diese Chance in diesem Jahr nicht nutzen, wird sie lange Zeit nicht wiederkommen. Schönen Dank. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Günther.

Horst Günther (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000749, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon sehr bemerkenswert, wenn ein sozialdemokratischer Kollege so viel rot bekommt, daß er dann hier abtritt. Nehmen Sie dies, Kollege Glombig, als Ergänzung zu den Eingangssätzen, die Sie gesagt haben: daß hier offensichtlich eine Müdigkeit eingetreten ist. Nun ist der eine oder der andere vielleicht aufgeweckt worden. Kollege Glombig, Sie haben gesagt, die anstehenden Gesetzentwürfe sollten wohl die große Wende in der Rentenversicherung einleiten. Ich sage Ihnen: Eine große Wende in der Rentenversicherung haben wir gar nicht vor, denn wir wollen weder das System abschaffen noch grundlegende Änderungen vornehmen, es sei denn, Sie bezeichnen die Einführung von Kindererziehungszeiten ins Rentenrecht als große Wende; da würde ich Ihnen allerdings zustimmen. Sie haben j a auf diesem Sektor nichts zustande gebracht. Frau Kollegin Fuchs, wenn Sie hier mit allem Eifer, der Ihnen manchmal anhaftet - wo ist sie? ich glaube, sie ist gar nicht mehr da -, ({0}) hier erklären „Wir werden alles mobilisieren, was möglich ist, um allen diese Kindererziehungszeiten zukommen zu lassen", so darf ich Sie doch daran erinnern, daß Sie in der letzten Zeit, in der Sie noch die Regierung getragen haben, nämlich 1981 oder 1982 - das weiß ich nicht mehr so genau, aber jedenfalls in dieser Zeit -, beim Bundeskanzler Schmidt vorstellig geworden sind und Kindererziehungszeiten finanziert haben wollten. Der damalige Bundeskanzler hat das abgelehnt; er hat erklärt, das sei nicht zu finanzieren. Ich halte es daher für unangemessen, jetzt diesen Theaterdonner zu veranstalten. Für unangemessen halte ich es auch, wenn Sie, Kollege Glombig, sagen, im Rentenrecht sei jetzt ein heilloses Durcheinander entstanden. Dazu will ich nur sagen, daß solche Vorwürfe allenfalls geeignet sind, die Rentner draußen verrückt zu machen. Ich glaube, wir sollten alles tun, um die Rentner vor solchen Dingen zu bewahren. ({1}) Im übrigen, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf ich auch daran erinnern, daß die Sozialdemokraten es waren, die seit dem 12. März 1975, also mehr als sieben Jahre, unter ihrer Verantwortung, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts liegengelassen haben und nichts in den Dingen getan haben, die wir jetzt in zwei Jahren auf den Weg bringen mußten, weil die Fristen sonst abgelaufen wären. Das ist auch der Grund, Kollege Glombig, warum man das mit der großen Reform in dieser kurzen Zeit nicht koppeln kann. Dafür brauchen wir etwas mehr Zeit. Meine Kolleginnen und Kollegen, die anstehenden Gesetzentwürfe, die mit größter Sorgfalt und ohne Hast beraten und diskutiert werden müssen, lassen weder Polemik noch ein Aufhetzen der Rentner zu. Was sich in der augenblicklichen, ich gebe zu, aktuellen Debatte um die Renten in der Diskussion befindet, die leider auch von Teilen der Medien so geführt wird, erinnert an ein erbärmliches Schauspiel auf dem Rücken und mit den Sorgen der älteren Mitbürger. ({2}) Ich sage den Rentnern hier in aller Klarheit, daß im Vorfeld von Landtagswahlen in Berlin - wir haben hier heute ja schon ein Schauspiel in dieser Frage erleben können, das wir uns zu diesen Themen besser sparen sollten -, im Saarland und insbesondere in Nordrhein-Westfalen, sie, die Rentner, als Wahlkampfmunition für die Sozialdemokraten herhalten sollen. Das ist nämlich der wahre Grund, warum hier hinter dem Sachverstand zurück polemisiert wird. Ich räume den Sozialpolitikern der sozialdemokratischen Fraktion gerne Sachverstand in dieser Frage ein. Die heute hier zu beratenden Gesetze sind für die überwiegende Mehrheit unserer Bevölkerung außerordentlich wichtig. Alterssicherung ist ein Stück Lebensplanung. Der Gesetzgeber darf das Vertrauen der Rentner und Versicherten in die Alterssicherungssysteme nicht durch kurzfristige Maßnahmen, durch ständige Änderung der Konzeption erschüttern. Seit etwa 1976 ist die gesetzliche Rentenversicherung als wichtigstes Alterssicherungssystem unserer Bevölkerung ins Gerede oder gar in Verruf gekommen. Die aufgetretenen Finanzschwierigkeiten und Probleme wurden mit Sanierungsmaßnahmen bekämpft, die keine nachhaltige Sanierung brachten. Dies blieb auch der heutigen Regierung leider nicht erspart. Auch die Diskussion um die Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung und die Anrechnung von Kindererziehungszeiten hat unter den finanziellen Schwierigkeiten gelitten; denn die seinerzeit allseitig anerkannte Teilhaberente ist zur Zeit nicht finanzierbar, will man die Kostenneutralität der Reform halten - und dafür sind wir. Meine Kolleginnen und Kollegen, bei der gegebenen langfristigen Situation der Rentenfinanzen und insbesondere bei den Folgen der demographischen Entwicklung, auf die ich noch einmal besonders aufmerksam machen will, ist Kostenneutralität ein Ziel, an dem unbedingt festgehalten werden muß, auch wenn die Lösung aktueller und langfristiger Rentenversicherungsprobleme dadurch natürlich erheblich erschwert wird. Die Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen haben vor diesem Hintergrund ein Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeitengesetz erarbeitet, das die Gleichbehandlung von Mann und Frau im Rentenrecht im Hinterbliebenenfall gewährleistet. Gemessen an den politisch hochgezüchteten Wünschen und Forderungen ist dieses Reformwerk, wie zuzugeben ist, natürlich relativ bescheiden. Die Finanzlage der gesetzlichen Rentenversicherung zwingt uns aber einfach dazu. Wir können keine Verbesserung für Witwen generell gewähren. Wir können keine eigenständige soziale Sicherung der Frau herbeiführen. Vielmehr müssen wir bei der abgeleiteten Rente bleiben. Wir müssen zur Finanzierung im Hinterbliebenenfall sogar eigenes Erwerbs- und Erwerbsersatzeinkommen aus bestimmten Alterssicherungssystemen auf die hinzufließende Hinterbliebenenversorgung teilweise ruhend anrechnen. Lassen Sie mich hierzu einige Bemerkungen machen. Die Anrechnung - sie ist in dieser Form zwar neu, aber in anderer Form der Rentensicherung durchaus nicht fremd - ist dennoch umstritten. Dies gilt für Erwerbseinkommen, aber mehr noch für Erwerbsersatzeinkommen, z. B. für Leistungen aus der Beamtenversorgung oder aus berufsständischen Versorgungswerken. Die Anrechnung von Leistungen aus der Beamtenversorgung und den berufsständischen Versorgungswerken wird ja auch von den Verbänden der Betroffenen heftig kritisiert. Ich will dies fairerweise hier auch sagen. Ich gehe davon aus, daß die in der Diskussion besonders umstrittene Frage der Anrechnung im Gesetzgebungsverfahren so formuliert wird - dies sage ich insbesondere auch an die Regierung -, daß wir nicht in wenigen Jahren Korrekturen vornehmen müssen. Im übrigen - darauf möchte ich ebenso hinweisen - enthält auch das Konzept der Teilhaberente nach dem Rentenreformgesetz 1985 der sozialdemokratischen Fraktion eine systemübergreifende Anrechnung; denn neben der „rentenversicherungsinternen Teilhaberente" sieht das Konzept der SPD zusätzlich eine solche „systemübergreifende Teilhaberente" vor. Klar ist, daß eine Nichtanrechnung zu sozialpolitisch unerwünschten Ergebnissen führt, wenn ein Ehepaar in zwei oder mehr Alterssicherungssystemen versichert ist. Die Grundproblematik wird aber voraussichtlich erst nach erfolgter Harmonisierung der Alterssicherungssysteme überhaupt befriedigend gelöst werden können. Ich nehme an, daß wir uns da in diesem Hause einig sind. Es gibt meines Erachtens folgende Wege: a) Gleichbehandlung von Mann und Frau im jeweiligen Alterssicherungsrecht oder b) Übertragung des Modells der gesetzlichen Rentenversicherung auf andere Alterssicherungssysteme mit Anrechnung der anderen Einkommen. Der Regierungsentwurf wie der Oppositionsentwurf haben sich für den zweiten Weg entschieden. Eine Harmonisierung der Alterssicherungssysteme wird deshalb - ich möchte das noch einmal sagen - aber nicht überflüssig. An dieser Stelle darf ich einige Worte zu einem weiteren umstrittenen Punkt des RegierungsentDeutscher Bundestag - l0. Wahlperiode Günther wurfs sagen, nämlich der Einbeziehung der gesetzlichen Unfallversicherung. Der Regierungsentwurf sieht eine Übertragung des Modells der gesetzlichen Rentenversicherung auf die gesetzliche Unfallversicherung vor, was von den Berufsgenossenschaften, von den Gewerkschaften und Arbeitgebern als nicht erforderlich angesehen wird. Ich nehme an, wir werden im Laufe der Beratungen auf dieses Problem zurückkommen. Lassen Sie mich zum Regierungsentwurf abschließend bemerken, daß hier, nachdem die vorige Regierung die Reform der Hinterbliebenenversorgung also vor sich hergeschoben hat, der jetzige Bundesarbeitsminister einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, der den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts gerecht wird, der nach Aussagen der Rentenversicherungsträger zum 1. Januar 1986 in Kraft treten kann, also praktikabel ist, und der. sieht man von vergleichsweise geringen Mehraufwendungen auf Grund von Übergangsregelungen ab, so gut wie kostenneutral ist. Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten - das ist hier mehrfach betont worden - gehört zum Konzept der Bundesregierung im Rentenrecht, wird aber hinsichtlich der Finanzierung durch den Bund getragen, was außerordentlich zu begrüßen ist. Kollege Heyenn, in diesem Entwurf sind nicht nur technische Veränderungen, und es gibt auch keine Bedürftigkeitsprüfung. Ich darf Sie herzlich bitten, das noch einmal etwas genauer zu prüfen. Sie haben uns das hier eben vorgeworfen. Meine Damen und Herren, ich möchte nicht versäumen, den umfassenden Rentenreformgesetzentwurf der SPD hier ebenfalls anzusprechen. Die SPD hat, obwohl sie ein im Bundesarbeitsministerium schon zur Zeit der sozialliberalen Koalition erarbeitetes Konzept - das das Licht der Welt aber nicht erblickt hatte - grundlegend überarbeitet hat, ein Reformkonzept vorgelegt, das in dieser Form, mit den vielen Strukturmaßnahmen, überhaupt nicht realisierbar ist. Wir sind der Auffassung, daß eine Reform der Bewertung der beitragslosen Zeiten erforderlich ist. Auch sind wir der Überzeugung, daß eine Änderung der Rentenformel durch Einbau einer bevölkerungspolitischen Komponente und eine Änderung des Bundeszuschusses notwendig sind. Da stimmen wir überein. An entsprechenden Gesetzentwürfen wird, wenn ich richtig informiert bin, bereits im Bundesarbeitsministerium gearbeitet. Es ist aber ebenso klar, daß das notwendige Strukturreformgesetz mit diesen Inhalten in dieser Legislaturperiode weder vom Gesetzgeber gesetzlich fixiert noch von den Rentenversicherungsträgern in die Praxis umgesetzt werden kann. Das wird oft vergessen. Inhaltlich zu begrüßen sind aus dem Konzept der SPD die Änderung der Rentenformel, die Orientierung der Bundeszuschüsse an Beiträgen und Ausgaben der gesetzlichen Rentenversicherung und - vielleicht haben das noch nicht alle gelesen - die Überlegungen zur Entpolitisierung der Rentenanpassung. Das ist sehr zu begrüßen. Nur darf man sich dann hier in der Debatte und draußen nicht anders verhalten, wenn man gleichzeitig so etwas vorschlägt. ({3}) Aber wie gesagt: ich begrüße das sehr und würde das auch im Interesse der Rentner und der Beitragszahler unterstützen. Abzulehnen sind jedoch die Konzeption der Rente nach Mindesteinkommen, mit der der Rentenversicherung erhebliche zusätzliche Lasten auferlegt würden - sie würde ein Stück Systemabkehr bedeuten - und die Ausdehnung der Anrechnung von Kindererziehungszeiten auf alle Mütter, so schmerzlich das natürlich ist. Sie kennen unsere Argumente. Sie sind hier vorgetragen worden. Ich will nur noch einmal sagen: Die Anrechnung eines Erziehungsjahres für alle Mütter, auch die nicht rentenversicherten, kostet jährlich 5 bis 6 Milliarden DM. 4 bis 5 Milliarden DM kostet die Einbeziehung aller Mütter, die eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beziehen. Meine Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn Sie jetzt sagen, der dickste Brocken für diese Finanzierung solle aus der Umstellung der Beitragsbemessung bei den Arbeitslosen abgeleitet werden, müssen Sie sich erst einmal untereinander einig werden, welche Abteilung das Geld von Ihnen bekommen soll; denn Sie haben vor wenigen Tagen auch vorgeschlagen, daraus solle ein großes Arbeitsbeschaffungsprogramm finanziert werden. Also, man kann dasselbe Geld nicht für mehrere Dinge gleichzeitig ausgeben. ({4}) Das führt dann zu den Dingen, die wir von Ihnen übernommen haben. Der SPD-Entwurf ist deshalb wegen der Überfrachtung auch mit Strukturproblemen, wegen unzureichender Finanzdeckung und vor allem deshalb, weil er wieder einmal mehr verspricht, als gehalten werden kann, abzulehnen. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es wäre wünschenswert, wenn man sich zwischen Regierung und Opposition auf ein Konzept verständigt hätte; vielleicht kommt das noch zustande. Angesichts der Schwierigkeit der Materie braucht das vielleicht auch so seine Zeit. Die Unsicherheit der Rentner und Versicherten hinsichtlich der Zukunft des Rentensystems sowie hinsichtlich der Qualität und Quantität ihrer Alterssicherung in den verschiedenen Alterssicherungssystemen wird durch den politischen Streit um die Neuregelung der Hinterbliebenenversorgung und notwendige Strukturreformmaßnahmen sicherlich noch erhöht. Das Gegenteil, meine Kolleginnen und Kollegen, Sicherheit, Klarheit und Durchschaubarkeit der Regelungen, wäre aber erforderlich. Die Unionsfraktionen - dies will ich zum Schluß sagen - lassen sich, meine Kolleginnen und Kollegen, von niemandem darin übertreffen, gerade auch im Rentenrecht größtmögliche Seriosität an den Tag zu legen. Das schließt Schnellschüsse aus. Lassen Sie uns in Ruhe und Sachlichkeit in die Beratungen gehen. Ich rate insbesondere den Kollegen der SPD, Ihre heute hier teilweise demonstrierte Aufgeregtheit abzulegen und sie wieder durch den sicher vorhandenen Sachverstand zu ersetzen. Vielen Dank. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort zu einer Erklärung zur Aussprache nach § 30 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte dem Bundesarbeitsminister in der Debatte vorgeworfen, er habe bei der Anrechnung von Kindererziehungszeiten nach seinem Modell Adoptivmütter und -väter nicht berücksichtigt. Herr Blüm hat mich dann durch eine Zwischenfrage darauf hingewiesen, daß dies sehr wohl der Fall sei. Nach intensivem Studium des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, das mir von Herrn Blüm empfohlen wurde, möchte ich hier dazu feststellen, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung ein Kindererziehungsjahr für diese Kinder nur dann vorsieht, wenn sie nach dem 31. 12. 1985 geboren sind. Daher fühle ich mich zu der Feststellung verpflichtet, daß erste Rentenansprüche hieraus so gegen Ende dieses Jahrtausends entstehen dürften, so daß ich mich zu der politischen Schlußfolgerung, daß Adoptivväter und -mütter nicht berücksichtigt wurden, sehr wohl berechtigt fühle. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Der Ältestenrat schlägt Überweisung der Vorlagen zu den Tagesordnungspunkten 22 bis 25 an die Ausschüsse vor. Die Überweisungsvorschläge des Ältestenrats ersehen Sie aus der Tagesordnung. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind am Schluß unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Mittwoch, den 23. Januar 1985, 13 Uhr ein. Ich wünsche Ihnen ein angenehmes Wochenende. Die Sitzung ist geschlossen.