Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 6/9/1983

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Die Sitzung ist eröffnet. ({0}) Meine Kolleginnen und Kollegen, der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges Mitglied, Frau Marie Schlei. Sie starb am 21. Mai nach langer, schwerer Krankheit. Marie Schlei wurde am 26. November 1919 in Reetz in Pommern geboren. Nachdem sie zunächst als Verkäuferin, Angestellte bei der Post und in der kommunalen Verwaltung tätig gewesen war, studierte sie und wurde Lehrerin, Rektorin und später Schulrätin. Als Berliner Abgeordnete gehörte sie seit 1969 dem Deutschen Bundestag an. Sie war Mitglied im Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, stellvertretendes Mitglied im Petitionsausschuß, im Ausschuß für Jugend, Familie und Gesundheit und im Innerdeutschen Ausschuß. Die Zugehörigkeit zu diesen Ausschüssen zeigt deutlich den Schwerpunkt ihrer politischen Tätigkeit. Von 1974 bis 1976 war Frau Schlei Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeskanzleramt und anschließend bis Februar 1978 Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit. Neben ihren vielfältigen Aufgaben in Bonn galt ihr unermüdliches Engagement dem Wohlergehen ihrer Wahlheimat Berlin. Die Stadt dankte ihr diesen Einsatz 1980 mit der Verleihung der Ernst-Reuter-Medaille. Im November 1981 mußte sie sich wegen ihrer schweren Erkrankung aus der aktiven Politik zurückziehen. Mit dem Tode von Frau Schlei hat die deutsche Politik eine bedeutende Persönlichkeit verloren. Diese Kollegin ragte nicht nur durch ihre Arbeit heraus. Herzlich, heiter und hilfsbereit wirkte sie hier - voller Mutterwitz und mit gesundem Menschenverstand. Wir fühlen uns den Angehörigen in Trauer verbunden. Der Fraktion und der Partei habe ich unser aller Anteilnahme bekundet und an der kirchlichen Abschiedsstunde teilgenommen. Der Deutsche Bundestag wird Marie Schlei ein dankbares und ehrendes Gedenken bewahren. Sie haben sich zu Ehren der Verstorbenen von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Meine Damen und Herren, ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 und 3 auf: 2. Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung zum Wirtschaftsgipfel in Williamsburg 3. a) Beratung des Jahresgutachtens 1982/83 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung - Drucksache 9/2118 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({1}) Haushaltsausschuß b) Beratung des Jahreswirtschaftsberichts 1983 der Bundesregierung - Drucksache 9/2400 Überweisungsvorschlag des Ältestenrates: Ausschuß für Wirtschaft ({2}) Haushaltsausschuß Meine Damen und Herren, interfraktionell ist eine gemeinsame Beratung der Tagesordnungspunkte 2 und 3 verabredet. - Ich sehe, daß das Haus damit einverstanden ist. Nach einer Vereinbarung im Ältestenrat soll die Aussprache über diese Tagesordnungspunkte heute mit Beendigung der Sitzung um 20 Uhr unterbrochen werden und am Freitag spätestens um 12 Uhr beendet sein. - Ich sehe auch dazu keinen Widerspruch. Dann ist es so verabredet. Das Wort zur Abgabe einer Erklärung der Bundesregierung hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor acht Monaten und dann mit der Wahl und der Konstituierung der neuen Bundesregierung hat die Bundesregierung damit begonnen, die notwendigen Maßnahmen zur Wiederbelebung der Wirtschaft einzulei526 ten, den Staatshaushalt zu sanieren und das soziale Sicherungssystem zu konsolidieren. Der Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg war eine wichtige Station auf diesem Weg. Ohne in der Kürze der Zeit über dieses Ereignis bereits ein abschließendes Urteil zu fällen, darf doch gesagt werden, daß dieses Treffen möglicherweise die Chance hat, später als ein Ereignis weltweiter Solidarität der großen westlichen Industrienationen angesichts der Herausforderungen unserer Zeit im Bereich der sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Entscheidungen gewertet zu werden. Die dringendste Aufgabe unserer Wirtschaftspolitik ist und bleibt die Überwindung der Arbeitslosigkeit. ({0}) Die Erholung unserer Wirtschaft in der Bundesrepublik ist in den letzten Monaten in Gang gekommen. Es kommt nun darauf an, dauerhaftes Wirtschaftswachstum zu sichern, zu Investitionen zu ermutigen und die schöpferischen Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft herauszufordern und zu fördern. Wir alle wissen, daß der Erfolg dieser Bemühungen nicht zuletzt auch davon abhängt, welche Politik unsere Partnerländer verfolgen. ({1}) - Herr Kollege, das ist eine Erkenntnis, die wir immer hatten. Bloß, die Reihenfolge war bei uns immer so: Wir haben uns dazu bekannt, die Hausaufgaben zu Hause zu machen und dann mit den Partnern zu sprechen. ({2}) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein Teil der Weltwirtschaft. Sie teilt ihr Schicksal, und sie trägt Mitverantwortung für ihre Entwicklung. ({3}) - Verehrter Herr Kollege, was soll es, wenn wir uns auf solch eine Ebene begeben? Seit 1949 haben sich alle Bundesregierungen und ganz gewiß die Regierungen Adenauer, Erhard und Kiesinger - also Kanzler der CDU/CSU - darum bemüht, nach dieser Überzeugung Politik zu betreiben. Was soll es also, wenn wir uns gegenseitig in dieser Form unterhalten? ({4}) Der Weltwirtschaftsgipfel von Williamsburg war deshalb für uns zu diesem Zeitpunkt in mehrfacher Hinsicht ein wichtiges Ereignis. Williamsburg bot der Bundesregierung die Gelegenheit, ihr gesellschafts- und wirtschaftspolitisches Konzept nach einer Wahl und am Beginn einer Legislaturperiode mit der Politik der wichtigsten Partnerländer abzustimmen. Williamsburg, für die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika ein Ort von großer Bedeutung, Tradition und Geschichte, bot Gelegenheit zu einem offenen Gespräch unter Freunden. Die mit Gefühl für Stil und Würde geschaffene Atmosphäre hat die Gelegenheit zu sehr vertrauensvollen Gesprächen und Begegnungen zwischen den Staats- und Regierungschefs entscheidend gefördert. Ich darf auch heute und von dieser Stelle aus unseren amerikanischen Gastgebern, allen voran dem amerikanischen Präsidenten, für die gastliche Aufnahme danken, die wir gefunden haben. ({5}) Bei diesen Gesprächen haben sich die guten bilateralen Beziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika, zu Kanada, Frankreich, Großbritannien und Italien und insbesondere auch das persönliche Vertrauensverhältnis zu Präsident Reagan, Präsident Mitterrand und Premierminister Thatcher als sehr hilfreich für uns und für andere bewährt. Ich habe es sehr begrüßt, in Williamsburg ein erstes Gespräch mit dem japanischen Ministerpräsidenten Nakasone führen zu können. Wir werden dieses Gespräch in einigen Monaten bei einem geplanten Japan-Besuch fortsetzen. Williamsburg mußte Aufschluß geben über das Ausmaß wirtschaftspolitischer Risiken und Konflikte, die sich aus der Politik anderer Länder für uns ergeben können. Williamsburg konnte auch Aufschluß geben, wie weit oder wie eng der Handlungsspielraum unserer eigenen Politik sein und ob sie von unseren wichtigsten Partnern unterstützt wird. Die Bundesregierung überschätzt die unmittelbare Wirkungskraft einer solchen Gipfelkonferenz keinesfalls. Aber diese Konferenz konnte einen wertvollen Beitrag zur Orientierung und Abstimmung der internationalen Wirtschaftspolitik leisten. Wir sollten uns alle in diesem Zusammenhang an die Fragen erinnern, die die internationale Öffentlichkeit vor der Konferenz von Williamsburg intensiv beschäftigt haben. Noch vor wenigen Monaten, meine Damen und Herren, haben sich viele darüber Sorgen gemacht, ob sich die führenden Wirtschaftsnationen auf das gemeinsame Ziel der Inflationsbekämpfung verständigen könnten. Sie hatten Sorge, daß Gegensätzlichkeiten in den politischen Zielen das Weltwährungssystem durcheinanderbringen könnten. Viele hatten Zweifel, ob das internationale Finanzsystem den schweren Belastungen der weltweiten Tendenz zur Überschuldung der Staatshaushalte gewachsen sei. Die Politik der Handelsbeschränkungen, der nationalen Alleingänge und die Tendenz zum Protektionismus schienen beinahe unaufhaltsam. Die Entwicklungsländer haben befürchtet, daß sie mit ihrer Not und auch mit den Folgen oftmals verfehlter Innen- und Außenpolitik allein gelassen werden. Die Konferenz in Williamsburg hat in diesen Punkten größere Klarheit geschaffen. Die sieben wichtigsten Industrienationen wollen gemeinsam und zusammen mit ihren Partnern dafür sorgen, daß diese Befürchtungen gegenstandslos werden. Die Erklärung von Williamsburg ist nicht bloß eine Botschaft der Hoffnung. Sie ist mehr als das. Sie ist die Vereinbarung einer gemeinsamen Strategie, von der keiner der sieben Teilnehmerstaaten des Gipfels ohne Schaden für sein Ansehen abweichen kann. Der Wirtschaftsgipfel von Williamsburg hat der Zusammenarbeit zwischen den westlichen Industrieländern neue Impulse gegeben. Natürlich kann eine solche Konferenz nicht die Welt verändern, schon gar nicht von heute auf morgen. Das wird niemand vernünftigerweise erwarten. Internationale Zusammenarbeit ist eine Daueraufgabe und hat immer mit neuen Problemen zu kämpfen. Williamsburg hat aber insofern einen bedeutenden Fortschritt gebracht, als die Probleme der Weltwirtschaft, der Währungsordnung, des Welthandels, des Nord-Süd-Verhältnisses und der OstWest-Beziehungen nicht mehr nacheinander und getrennt voneinander erörtert wurden, sondern in ihrem unauflöslichen Gesamtzusammenhang gesehen werden. Deshalb will ich aus der Erklärung von Williamsburg vor allem einen Satz besonders hervorheben. Es heißt dort: Wir wissen, daß wir gemeinsam handeln und ein ausgewogenes Ganzes an politischen Maßnahmen verwirklichen müssen, die den Zusammenhang zwischen Wachstum, Handel und Finanzen berücksichtigen und nutzen, damit der Aufschwung alle Länder, die Industrieländer gleichermaßen wie die Entwicklungsländer, erfaßt. Das Ergebnis des Gipfels in Williamsburg ist in mehrfacher Hinsicht ermutigend: Ermutigend ist Williamsburg wegen der gemeinsamen Feststellung, daß nicht Einzelmaßnahmen und Sonderprogramme helfen können. Beim Kampf gegen die Arbeitslosigkeit kommt es vielmehr auf die Geschlossenheit und die Übereinstimmung aller Bereiche der Politik an. ({6}) Die wirtschaftspolitische Strategie der Bundesregierung gegen die Arbeitslosigkeit und für die Gesundung der Wirtschaft ist damit voll bestätigt worden. Ermutigend ist Williamsburg wegen der Gemeinsamkeit in der Überzeugung, daß monetäre Disziplin, d. h. eine auf Stabilität gerichtete Geldpolitik, unverzichtbar ist. Ermutigend ist Williamsburg wegen der vollen Übereinstimmung darüber, daß budgetäre Disziplin, d. h. ein Abbau der staatlichen Neuverschuldung, geboten ist. Wichtig ist, daß auch die Vereinigten Staaten dies voll anerkannt haben. ({7}) Unbefriedigend ist jedoch für uns alle - ich sage das mit Nachdruck -, daß sich die Vereinigten Staaten von Amerika nicht in der Lage sahen, ausreichende praktische Schritte zur Entlastung der Währungs- und Finanzlage ihrer Partnerländer schon jetzt in Aussicht zu stellen. ({8}) Ermutigend ist Williamsburg wegen des Einvernehmens in dem Ziel, Protektionismus zu stoppen und der Liberalisierung des Welthandels eine neue Chance zu geben. Nach dieser Vereinbarung setzt sich jeder ins Unrecht, der auf Protektionismus zurückgreift. Ermutigend ist Williamsburg wegen der Vereinbarung, beim Umweltschutz künftig verstärkt zusammenzuarbeiten. Die Ursachen des sauren Regens und des Waldsterbens sind nur in internationaler Zusammenarbeit zu überwinden. Deshalb ist die gemeinsame Verabredung im Interesse der Erhaltung unserer natürlichen Lebensgrundlagen für uns ganz besonders wichtig. Ermutigend ist Williamsburg schließlich wegen der Einbeziehung der Entwicklungsländer in alle Überlegungen der Währungs-, Finanz- und Handelsbeziehungen. Diese Länder, und besonders die ärmsten unter ihnen, sind von der weltweiten Rezession besonders hart betroffen. In den Tagen vor dem Wirtschaftsgipfel habe ich von verschiedenen Staats- und Regierungschefs aus wichtigen Ländern der Dritten Welt sowie vom Generalsekretär der Vereinten Nationen beschwörende Botschaften erhalten, in denen sie auf die dramatische Lage der Entwicklungsländer aufmerksam gemacht haben und in denen sie mich gebeten haben, auf dem Wirtschaftsgipfel ihre Belange mit zu vertreten. Wir haben das im Rahmen unserer Möglichkeiten getan. Wir haben in Williamsburg die Bedeutung der öffentlichen Entwicklungshilfe für ein gesundes Wirtschaftswachstum in diesen Ländern unterstrichen. Wir haben insbesondere auch unsere Verpflichtung bekräftigt, die internationale Entwicklungshilfeorganisation mit Mitteln in der vereinbarten Höhe auszustatten. Dies wird gerade den armen und ärmsten Ländern besonders zugute kommen. Wir wollen, daß die Entwicklungsländer nicht Unterstützungsempfänger sind, sondern wirkliche Partner im Welthandel. ({9}) Wir begrüßen die in Neu-Delhi und Buenos Aires deutlich gewordene Bereitschaft der Gruppe der 77, auch ihre weltwirtschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Wir müssen und wollen mit ihnen darüber sprechen, und wir arbeiten an der 6. Welthandelskonferenz in Belgrad verständnisbereit und engagiert mit. Meine Damen und Herren, Wirtschaftsgipfel dienen dem Meinungs- und Erfahrungsaustausch von Regierungschefs. Sie bieten aber auch die Gelegenheit, bestehende Meinungsunterschiede offen anzusprechen und in Ruhe nach Wegen des Einvernehmens zu suchen. Dies nützt den Ländern, die beteiligt sind. Noch vor 10 Jahren galten solche Gespräche als etwas Außergewöhnliches. Heute gehören sie zur Selbstverständlichkeit im politischen Alltag befreundeter Völker. Die Gespräche, die wir führen konnten, haben die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage, der sozialpolitischen Probleme und der wirtschaftspolitischen Aufgaben auf einen gemeinsamen Nenner gebracht. Das heißt, daß an die Politik aller beteiligten Länder die gleichen Ansprüche gestellt werden, wie überhaupt gilt, daß Beschlüsse solcher Konferenzen nur dann ihre Wirkung voll entfalten können, wenn jede der beteiligten Regierungen dazu beiträgt, daß jeweils zu Hause die Hausaufgaben gewissenhaft erledigt werden. ({10}) Das heißt im Klartext: Wer den Amerikanern Haushaltskürzungen empfiehlt, der darf zu Hause nicht einer höheren Verschuldung das Wort reden. ({11}) Wer die Eigenständigkeit europäischer Politik betont, der darf nicht im gleichen Atemzug den Amerikanern die alleinige, zentrale Verantwortung für Zinsen und Wechselkurse und die wirtschaftspolitischen Probleme des eigenen Landes anlasten. ({12}) Ich denke, daß die heutige Debatte ausreichend Gelegenheit gibt, alle für uns besonders relevanten Fragen zu erörtern. Die Aussprache zum Gutachten des Sachverständigenrates und zum Jahreswirtschaftsbericht ist in diesem Sinne gedacht. Herr Präsident, meine Damen und Herren, das Gipfeltreffen von Williamsburg fand in einer Zeit statt, in der in Genf über die wichtigen Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle verhandelt wird. Das sind Fragen, die heute die Menschen in allen Teilen der Welt und nicht zuletzt auch die Menschen in unserem eigenen Lande tief bewegen. Es war deshalb zwingend, daß die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Länder der westlichen Welt auch dieses Thema ausführlich beraten und dazu eine gemeinsame Erklärung verabschiedet haben. Ich will vorweg sagen, weil es Kritik gab: Hätten sie nicht so gehandelt, dann wäre dies nicht nur ein Anlaß für berechtigte Kritik, sondern auch für vielfältige Spekulationen über angebliche Uneinigkeit der sieben Staaten und für Fehldeutungen auf seiten der Verhandlungspartner der USA in Genf gewesen. ({13}) Die Erklärung von Williamsburg zur Abrüstung und Rüstungskontrolle ist geprägt von der Entschlossenheit, den Frieden und die Sicherheit unserer Länder zu gewährleisten. Wir haben uns vor aller Welt dazu verpflichtet, unsere ganze Kraft dafür einzusetzen, Frieden durch bedeutsame Rüstungsminderung zu erreichen. Japans Entschluß, diese Erklärung mitzutragen, ist ein Signal dafür, daß die Gefahren für den Frieden in der Welt von heute nicht teilbar sind. Zugleich wird damit bewiesen, daß die sowjetische Überrüstung als globale Bedrohung empfunden wird. Die Bundesregierung schätzt es für die Sicherheit unseres Landes wie für die Sicherheit der verbündeten und befreundeten Staaten als außerordentlich wichtig ein, daß sich die freien Völker des Westens einschließlich Japans im Angesicht der Bedrohung einig und standfest zeigen. ({14}) Die Sicherheitspolitik der Bundesregierung ist die Sicherheitspolitik der Atlantischen Allianz. Gemeinsam vertreten wir die Doppelstrategie des Harmel-Berichts: Abschreckung durch Fähigkeit und Willen zur Verteidigung wird ergänzt mit der Bereitschaft zum Dialog und zur Zusammenarbeit. Wir waren uns im Williamsburg einig: Die militärische Verteidigungsfähigkeit des westlichen Bündnisses ist ein Faktor der Stabilität in den internationalen Beziehungen. Die militärischen Mittel der Atlantischen Allianz sind ausschließlich auf die Bewahrung der eigenen Sicherheit begrenzt. Sie bedrohen niemanden. Die Verpflichtung, die eigenen Waffen - konventionelle wie nukleare - niemals einzusetzen, es sei denn zur Abwehr eines Angriffs, soll Vertrauen schaffen. ({15}) Die Bundesrepublik Deutschland wie das Atlantische Bündnis verfolgen gegenüber der Sowjetunion und ihren Verbündeten keine aggressiven Ziele. Diese auf Verteidigung angelegte Strategie der Allianz braucht die enge Verknüpfung mit den Zielen und Möglichkeiten der Rüstungskontrolle. Das Ziel ist klar; es heißt: stabiles Gleichgewicht, und zwar auf möglichst niedrigem Niveau. Die Bundesregierung, meine Damen und Herren, setzt sich dafür ein, daß künftig die Abrüstungsbemühungen enger aufeinander abgestimmt werden. Nur so lassen sich Bewegungsmöglichkeiten im Verlaufe der Verhandlungen deutlicher identifizieren und Fortschritte ermöglichen. Uns geht es dabei nicht darum, Verhandlungsforen zusammenzulegen; damit würden die Probleme eher komplizierter. Wir waren uns in Williamsburg darüber einig, daß das umfassende rüstungskontrollpolitische Angebot des Westens eine Gesamtkonzeption für Vertrauensbildung, Rüstungskontrolle und Abrüstung ist. Hinter dieser Konzeption steht die feste Überzeugung aller Teilnehmer in Williamsburg, daß Ost und West gleichermaßen auf Abrüstung und ein Klima des Dialogs und des Vertrauens angewiesen sind. Die Erklärung von Williamsburg zur Abrüstung und Rüstungskontrolle verweist darauf, daß von westlicher Seite Vorschläge für verschiedene Verhandlungen unterbreitet wurden, um zu positiven Ergebnissen zu gelangen: über die strategischen Waffen, über nukleare Mittelstreckenwaffen, über chemische Waffen, über die Reduzierung von Streitkräften in Mitteleuropa und über eine Konferenz über Abrüstung in Europa. Diese Verhandlungen werden mit großem Ernst und mit großem Nachdruck geführt. Wir - die BunBundeskanzler Dr. Kohl desregierung - tun alles, um diese Verhandlungen zu unterstützen. ({16}) Die Sowjetunion weiß, daß wir an einem ausgewogenen Ergebnis der Genfer INF-Verhandlungen interessiert sind; nicht an einem Ergebnis um jeden Preis: nicht um den Preis der eigenen Sicherheit, nicht um den Preis der politischen Unabhängigkeit, nicht um den Preis der Gefährdung des Friedens. Wir stellen den sowjetischen Friedenswillen nicht in Frage. Wir fordern die Sowjetunion jedoch auf, diesen Friedenswillen durch konkrete Vereinbarungen jetzt in Genf unter Beweis zu stellen. ({17}) Es geht um Verhandlungen am Verhandlungstisch. ({18}) Wir haben in Williamsburg erneut deutlich gemacht, daß die Sowjetunion nicht durch eine Politik der Einschüchterung unserer öffentlichen Meinung erwarten kann, die Stationierung auf westlicher Seite zu verhindern, ohne selbst den Zustand der Bedrohung zu korrigieren, den sie durch die Aufstellung von SS-20-Raketen uns gegenüber geschaffen hat. ({19}) Wenn die sowjetische Führung den Fehler begehen sollte, die Wirkung ihrer eigenen Propaganda zu hoch und die Standfestigkeit westlicher Demokratien zu niedrig einzuschätzen, dann werden ihr die Tatsachen eine bittere Enttäuschung bereiten. ({20}) Die Sowjetunion wäre schlecht beraten, würde sie ihre Verhandlungsstrategie in Genf auf eine solche Fehleinschätzung gründen. Meine Damen und Herren, wir sind bereit, auf der Basis der Gegenseitigkeit auf eine ganze Waffenkategorie, nämlich die landgestützten Mittelstreckenraketen, zu verzichten. Das ist in Wahrheit der Sinn der Null-Lösung, die wir auch weiterhin als Ideallösung jeder anderen vorziehen würden. Bis wir dieses Ziel erreichen, müssen Zwischenlösungen möglich bleiben und, wenn sie vernünftig ausgehandelt werden, selbstverständlich auch akzeptiert werden. ({21}) Es geht aber nicht an, daß die Sowjetunion das eigene Potential der Vorrüstung an modernen SS20-Raketen bewahrt und jegliche Stationierung gleichwertiger Systeme auf westlicher Seite zu verhindern versucht. Die Sowjetunion kann nicht erwarten, daß diese Monopolstellung anerkannt wird. Wir halten es für wenig zweckdienlich, ja für gefährlich, von den westlichen Staaten zu fordern, ihren Friedenswillen durch einseitigen Verzicht oder einseitige Maßnahmen der Abrüstung unter Beweis zu stellen. Damit würde der Frieden nicht stabilisiert, sondern unsicherer gemacht. ({22}) Ich wiederhole, was ich hier in meiner Regierungserklärung Anfang Mai gesagt habe: Wir verstehen das historisch begründete Sicherheitsbedürfnis der Sowjetunion. Wir können und wollen aber nicht hinnehmen, daß die Sowjetunion unsere Sicherheit durch Überrüstung bedroht. Übertriebenes Sicherheitsbedürfnis einer Partei schafft Unsicherheit für die andere, da es zum Streben nach Überrüstung und letztlich zur Hegemonie und Überlegenheit führt. Die westliche Position bei den INF-Verhandlungen ist flexibel. Allein die Struktur des NATO-Doppelbeschlusses läßt ein beträchtliches Ausmaß an Flexibilität zu. Mit dem amerikanischen Vorschlag für eine Zwischenlösung, den die Verbündeten aktiv mitgestaltet haben, verfügt der Westen über ein flexibles Verhandlungsinstrument. Es wurde dabei absichtlich ein nicht durch Zahlen festgelegter Lösungsrahmen vorgegeben, um der Sowjetunion die Möglichkeit einzuräumen, eine ihr annehmbare Lösung zu konkretisieren. Die jetzige sowjetische Verhandlungsführung läuft auf eine Blockierung der Verhandlungen hinaus: Alle Bewegungen, die die Sowjetunion in kleinen Schritten bisher in den Verhandlungen vollzogen hat, waren immer auf das gleiche, unverrückbare Ziel gerichtet: das eigene Potential der Vorrüstung an modernen SS-20-Raketen und damit die eigene Monopolstellung zu bewahren und gleichzeitig jegliche Modernisierung und Stationierung gleichwertiger Systeme auf der Seite des Westens zu verhindern. Ein wesentliches Instrument dieser Maximalposition ist die sowjetische Haltung in bezug auf die Drittstaatensysteme, an denen sie den Umfang ihrer Vorrüstung ausrichten möchte. Dies wurde von allen Teilnehmern in Williamsburg entschieden abgelehnt. Die sowjetische Position zu den Drittstaatensystemen zielt darauf ab, uns schutzlos zu machen. Sie enthält das Verbot für die Modernisierung der amerikanischen Nuklearwaffen in Europa bei gleichzeitiger Aufrüstung der Sowjetunion. Sie ist der sowjetische Hebel zur Verdrängung der nuklearen Präsenz der USA aus Europa. Langfristig soll damit ihre verteidigungspolitische Präsenz beseitigt werden. Herr Präsident, meine Damen und Herren, uns in der Bundesrepublik und unseren Freunden geht es nicht um die militärische Überlegenheit; uns geht es um Gleichgewicht; nicht Gleichgewicht durch Rüstungswettlauf, sondern Gleichgewicht durch wirkliche und kontrollierte Abrüstung auf einem möglichst niedrigen Niveau der militärischen Kräfte. Nicht wir wollen das Gleichgewicht zu unseren Gunsten verändern. Wir wollen, daß das von der Sowjetunion geschaffene Ungleichgewicht endlich beseitigt wird. ({23}) Drohungen helfen dabei nicht. Die Sowjetunion kann nicht hoffen, einen Keil zwischen uns und unsere Verbündeten treiben zu können. Wir können und werden Drohungen widerstehen, weil wir uns auf unsere Verbündeten verlassen können. Die Sowjetunion hat in den vergangenen Tagen erneut versucht, auf die westliche Öffentlichkeit Einfluß zu nehmen: Als Gegenmaßnahme zu einer möglichen Dislozierung amerikanischer Mittelstreckenraketen hat sie gedroht, ihre Aufrüstung mit SS-20-Raketen im westlichen Teil der Sowjetunion fortzusetzen und zusätzliche Mittel in Abstimmung mit anderen Staaten des Warschauer Paktes zu ergreifen. Wer bis jetzt nicht bereit war zuzugeben, daß die Sowjetunion militärische Mittel - und dazu gehören die SS 20 - als Mittel der politischen und militärischen Druckausübung auf andere Staaten einsetzt, mag sich nach der Drohung mit Gegenmaßnahmen jetzt eines besseren belehrt sehen. Wer sowjetisches Einlenken in Genf wünscht - und ich denke, wir wünschen es alle und mit allem Nachdruck -, darf in Moskau nicht die Hoffnung aufkommen lassen, die Nachrüstung doch noch auf einem anderen Weg verhindern zu können. Wer den engen Zusammenhang zwischen den beiden Teilen des Doppelbeschlusses auflöst, gefährdet in Wahrheit den Erfolg der Verhandlungen. ({24}) Nur wenn der Sowjetunion unmißverständlich klar ist, daß wir zu dem stehen, was wir im Bündnis beschlossen haben, ist auch ein ausgewogenes Ergebnis in Genf zu erwarten. Für die Politik der Bundesrepublik Deutschland sollten eigentlich folgende Positionen unbestritten sein: Erstens. Wir sind bereit, die legitimen Sicherheitsinteressen der Sowjetunion zu respektieren. Wir sind jedoch nicht bereit, Westeuropa - und damit die Bundesrepublik Deutschland - als eine Zone minderer Sicherheit zu akzeptieren. ({25}) Zweitens. Wirksame Rüstungskontrollvereinbarungen müssen auf dem Grundsatz der Gleichheit beruhen, und sie müssen verifizierbar sein. ({26}) Drittens. Eine Berücksichtigung der französischen und der britischen Systeme hat in den INF-Verhandlungen keinen Platz. Viertens. Wir streben eine Reduzierung der sowjetischen Mittelstreckenpotentiale gegen Europa auf Null an und sind bereit, dafür auf die Dislozierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen zu verzichten. Wenn es zu keinem Ergebnis kommen sollte, weil die Sowjetunion dazu nicht bereit ist, wird gemäß Doppelbeschluß stationiert werden. Sollte ein Zwischenergebnis erzielt werden, so wird sich der Umfang der Stationierung nach dem konkreten Verhandlungsergebnis richten. Fünftens. Eine Verlagerung des gegen Europa gerichteten sowjetischen nuklearen Mittelstreckenpotentials nach Fernost ist für uns nicht hinnehmbar. Sechstens. Die Sowjetunion bleibt aufgefordert, eine Einigung nicht dadurch zu verhindern, daß sie sich durch verstärkte Rüstung in Fernost ein neues hegemoniales Machtmittel gegenüber ihren asiatischen Nachbarn und zugleich ein verlegbares Dispositionspotential gegenüber Westeuropa verschafft. ({27}) Ebenso sollte sie die Dislozierung neuer Nuklearraketen in der westlichen Sowjetunion und in den anderen Staaten des Warschauer Paktes einstellen, damit ein Verhandlungskompromiß nicht bereits unterlaufen wird, während er abgeschlossen werden könnte. Die Verhandlungen über Abrüstung und Rüstungskontrolle bleiben eingebettet in den Gesamtzusammenhang der Ost-West-Beziehungen. Wir wollen eine neue und, wenn möglich, bessere Qualität der Beziehungen zur Sowjetunion und zu den Staaten des Warschauer Paktes. Wir streben an, die Gespräche mit den osteuropäischen Staaten, insbesondere mit der Sowjetunion, auf allen Ebenen zu führen und, wenn möglich, zu vertiefen. Auch dazu haben sich die Teilnehmer von Williamsburg ausdrücklich bekannt. Wir streben den baldigen Abschluß des Madrider KSZE-Folgetreffens an. Die westlichen Verbesserungswünsche für die vorliegenden Schlußdokumente sind nicht gegen die Sicherheitsinteressen anderer Teilnehmerstaaten gerichtet. Wir appellieren an die Sowjetunion, den Abschluß in Madrid nicht durch eine Verweigerung des Dialogs zu verhindern. ({28}) Der Westen hat seine Bereitschaft zur Aufnahme baldiger Schlußverhandlungen immer wieder demonstriert. Die Sowjetunion muß erkennen, daß sie bei einer Politik des Abwartens nicht mit einer allmählichen Aufweichung westlicher Positionen rechnen kann. Wenn sie sich verweigert, so müßte sie die Verantwortung für einen Mißerfolg der Verhandlungen in Madrid übernehmen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, für uns gilt, daß der Sinn für das Machbare jetzt unser Vorgehen bestimmen muß. Wir begrüßen die Dialogbereitschaft über die westlichen Verbesserungswünsche, die in der rumänischen Haltung zum Ausdruck kommt. Wir begrüßen insbesondere die erneuten Bemühungen der Neutralen und Ungebundenen. Wir stehen zu der Auffassung, daß beiderseits vorteilhafter Handel mit dem Osten zu wirtschaftlich vernünftigen Bedingungen wesentliches Element der Stabilisierung im Verhältnis zwischen Ost und West bleibt. Das war auch die übereinstimmende Auffassung in Williamsburg. Niemand will einen Wirtschaftskrieg. Aber jeder ist sich klar, daß unser Handeln im Einklang mit unseren Sicherheitsinteressen stehen muß. Am 4. Juli werde ich nach Moskau reisen. Ich habe die Einladung in die Sowjetunion sehr begrüßt. Für uns ist es selbstverständlich, daß wir das Gespräch mit den politisch Verantwortlichen der Sowjetunion intensiv führen wollen. Ich begrüße, daß die sowjetische Führung dies ebenso sieht. Bei diesem ersten Besuch geht es mir um das persönliche Kennenlernen der neuen sowjetischen Führung; es geht mir darum, die Verdeutlichung unserer Politik konstruktiver und - wenn möglich - gutnachbarlicher Beziehungen zur Sowjetunion zu erreichen, und um die wichtige Gelegenheit, auch mit der sowjetischen Führung über die westlichen Rüstungskontrollvorschläge zu sprechen. Ich führe diese Gespräche auf der Grundlage der festen Verankerung der Bundesrepublik Deutschland in der westlichen Gemeinschaft, als Teil der Allianz, als Teil der Europäischen Gemeinschaft. Gerade dies begründet unsere Glaubwürdigkeit bei den östlichen Gesprächspartnern. Der Gipfel in Williamsburg und der Europäische Rat in Stuttgart garantieren die enge Abstimmung mit unseren Freunden und Verbündeten. Wir sind in Moskau nicht Vermittler oder Dolmetscher. Wohl aber werden wir die deutschen Interessen selbstverständlich entschieden vertreten. ({29}) Wir werden auch sehr aufmerksam darauf hören, was unsere sowjetischen Gesprächspartner uns zu sagen haben. In diesem Sinne hoffe ich, daß der Besuch in Moskau auch den laufenden Verhandlungen nützlich ist. Die Gelegenheit sollte nicht vertan werden. Meine Damen und Herren, in wenigen Tagen tritt in Stuttgart der Europäische Rat zusammen. Er wird von hochgespannten Erwartungen der Öffentlichkeit begleitet. Die Erwartungen richten sich auch an die deutsche Präsidentschaft. Wir bemühen uns, diesen Erwartungen gerecht zu werden. Wir bereiten den Europäischen Rat mit aller Sorgfalt, mit einem hohen persönlichen Einsatz der beteiligten Minister und mit intensiven Beratungen in Brüssel und Konsultationen mit unseren Partnern vor. Ich muß aber deutlich sagen, daß der Europäische Rat nur dann den in ihn gesetzten Erwartungen gerecht werden kann, wenn alle Mitgliedstaaten zu Kompromissen und Beiträgen bereit sind. Das wird alle Opfer kosten. Auch bei uns. Durch die Europäische Gemeinschaft ist der über die Jahrhunderte in sich zerrissene Kontinent - das alte Abendland -, ist Westeuropa zu einer Zone des Friedens, zu einer Zone politischer Stabilität und beispielhafter Zusammenarbeit geworden. Ich glaube aber - und ich denke, diese Meinung teilen viele hier im Hohen Hause -, daß wir quer durch alle Länder politisch in Sachen Europa zu bequem geworden sind. Zu viele haben sich zu lange darauf verlassen, daß die Gemeinschaft von allein funktioniert. Heute stehen wir vor der schwierigen Lage, daß Westeuropa, daß die Gemeinschaft Gefahr läuft zu stagnieren, ja, daß der Zusammenhalt unter ihren Mitgliedstaaten gelockert wird: wenn wir nicht bereit sind, einen neuen Anlauf zu nehmen, der Gemeinschaft neue Kraft zu geben; wenn wir nicht bereit sind, durch unser Verhalten neues Vertrauen in den Fortgang der europäischen Einigung herzustellen. Ich glaube, daß wohl alle Partner in der Europäischen Gemeinschaft in den vergangenen Wochen und Monaten deutlicher gespürt haben, daß die Gemeinschaft nur aus gemeinsamen Anstrengungen aller lebt und daß sie nicht eine Bank ist, bei der man ein Konto unterhält, auf das man so wenig wie möglich einzahlt, um dann um so mehr abheben zu können. ({30}) Es geht in der Tat wieder darum, sich auf die Gründungsväter der Gemeinschaft zu besinnen, auf die europäische Vision, auf die Vision einer politischen Einigung, die Robert Schuman, Alcide de Gasperi, Paul Henri Spaak, Konrad Adenauer und viele andere bewegt haben. Es geht darum, die europäische Solidarität wieder lebendig werden zu lassen und zu stärken. Alle Regierungen der Partnerstaaten in der Gemeinschaft haben gesehen, daß sie nicht ungestraft allzu lange aus dem wirtschaftspolitischen Tritt kommen dürfen. Es bleibt eine der wichtigsten Aufgaben und Vorgaben für europäische Politik, die Wirtschaftspolitiken der Mitgliedstaaten untereinander besser zu koordinieren und die wirtschaftliche Konvergenz zwischen den Mitgliedstaaten und einzelnen Regionen zu fördern. Wer glaubt, allein vorangehen zu können, schadet nicht nur sich selbst, sondern allen Partnern. Zur europäischen Solidarität gehört auch die Solidarität in sicherheitspolitischen Fragen. Dabei will ich in keiner Weise die Zuständigkeiten in der Gemeinschaft ändern. Wohl aber ist es wichtig, ja unerläßlich, daß wir auch unter den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft ein klares gemeinsames Verständnis für die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen unserer Sicherheit entwickeln. Das Bündnis braucht in Europa einen starken Stützpfeiler. Wichtige Aufgaben sind von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten zu erledigen: Ein Ziel bleibt die Vollendung des Binnenmarktes. Alle Mitgliedstaaten sind existentiell auf das reibungslose Funktionieren des gemeinsamen Binnenmarktes angewiesen. Dieser Markt übt auch große Anziehungskraft auf Drittländer aus. Wir müssen diese Anziehungskraft als Chance nutzen und dürfen nicht versuchen, uns furchtsam hinter protektionistische Schranken zurückzuziehen. Unser großer innerer Markt erleichtert es uns, von Dritten freien Zugang zu ihren Märkten zu verlangen. Europa wird stark sein, wenn es sich dem Wettbewerb stellt, bei sich zu Hause wie draußen in der Welt. ({31}) Der bevorstehende Beitritt Portugals und Spaniens verlangt zusätzliche Anstrengungen von uns, wie natürlich auch von den Beitrittskandidaten. Vorrangig bleibt uns aufgegeben, das Notwendige zu tun, unsere Volkswirtschaften wieder in Gang zu bringen, die Investitionen zu beleben und so die Arbeitslosigkeit, vor allem die Jugendarbeitslosigkeit, zu bekämpfen. Hier sind vorrangig die einzelnen Mitgliedstaaten gefordert. Aber die Gemeinschaft kann begleitend hilfreich sein. Der jüngste Beschluß der Arbeits- und Sozialminister der Gemeinschaft konzentriert die Mittel des Sozialfonds auf Maßnahmen zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, und zwar in einer Größenordnung von über 4 Milliarden DM. Die Gemeinschaft muß sich auch verstärkt den Fragen zuwenden, die Hochindustrialisierung, moderne Technologie und die Erhaltung und Wiederherstellung der natürlichen Ressourcen an uns stellen. Diese Fragen haben längst eine europäische Dimension, die von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten als politische Aufgabe begriffen und angepackt werden muß. Dies gilt - ich wiederhole es noch einmal - vorrangig für das Problem des Waldsterbens, das nur durch gemeinschaftliche und internationale Maßnahmen zu lösen ist. ({32}) Zur Erledigung dieser Aufgaben müssen alle Kräfte der Gemeinschaft, müssen alle Formen der Zusammenarbeit in der Gemeinschaft unter ihren Institutionen und den Mitgliedstaaten zusammengefaßt und auch effizienter gestaltet werden. Dies ist der Sinn einer der wichtigsten Anstöße, die wir mit der deutsch-italienischen Initiative, der Genscher-Colombo- Initiative, verfolgen. Die immer wieder erneute Auseinandersetzung um den Gemeinschaftshaushalt hat der Gemeinschaft sehr geschadet. Sie hat auch die irrige Ansicht gefördert, daß sich der Vorteil, den die einzelnen aus der Gemeinschaft ziehen, nur am Umfang der Nettoerstattungen aus dem Haushalt messen läßt. Dennoch - das sei hier klar gesagt - handelt es sich bei der Finanzierung des Gemeinschaftshaushalts um Größenordnungen, die wir nicht vernachlässigen können - insbesondere in einer Zeit, da Haushaltsmittel überall knapp sind. Wenn wir, meine Damen und Herren, hier in der Bundesrepublik im Bereich des nationalen Haushalts für 1984 bittere Einsparungen in einer Größenordnung von 6,5 Milliarden DM vornehmen, müssen wir auch darauf bestehen, daß in der Europäischen Gemeinschaft eine strengere Haushaltsdisziplin erreicht und die notwendigen Haushaltsumstrukturierungen vorgenommen werden. ({33}) Uns ist daher die Aufgabe gestellt, durch Stabilisierung der Gemeinschaftsfinanzen und eine Begrenzung der Ausgabendynamik einschließlich des Abbaus von Unausgewogenheiten im EG-Haushalt wieder eine solide Grundlage für die Tätigkeit der Gemeinschaft zu schaffen. Dies ist die Voraussetzung für die notwendige Weiterentwicklung der europäischen Integration und für die Verwirklichung der Erweiterung der Gemeinschaft. Wer sich dieser Aufgabe völlig verweigern will - es gibt solche Stimmen in Europa -, sollte daran denken, welchen Nutzen der Europäischen Gemeinschaft er aufs Spiel zu setzen bereit ist. So gingen beispielsweise 1982 48 % unserer Ausfuhren in Länder der Gemeinschaft. Das sind 13 % unseres Bruttosozialprodukts. Gerade wir Deuchen haben in der Tat keine Alternativen zu Europa. In Stuttgart müssen diese vielfältigen Anstrengungen in konkrete Leitlinien umgewandelt werden. Da sie nicht isoliert gesehen werden können, sondern in einem politischen und sachlichen Zusammenhang stehen, bedarf es einer großen gemeinsamen Kraftanstrengung. Sie setzt echten, wechselseitigen Interessenausgleich voraus, um zu wirklichen Fortschritten in der Sache zu kommen. Die Bundesrepublik Deutschland ist bereit, dazu ihren Beitrag zu leisten, und zwar nicht nur auf Grund der besonderen Verantwortung, die sie jetzt in der Präsidentschaft trägt, sondern auch als ein Mitgliedstaat, der auf Grund seiner politischen Interessen sich für diese Gemeinschaft in hohem Maße mitverantwortlich fühlt. Meine Damen und Herren, wir sind ein geteiltes Land. Die Einheit Deutschlands, die Einheit der Nation kann nur im Rahmen einer gesamteuropäischen Friedensordnung erreicht werden. Wir Deutschen brauchen Europa mehr als alle anderen auf diesem Kontinent. ({34}) Ich sage dies im Wissen um die Bereitschaft der großen Mehrheit unseres Volkes, diesen Weg nach Europa zu bejahen und in diesen Jahrzehnten auch notwendige Lasten zu übernehmen, um die Fortsetzung und Weiterentwicklung des europäischen Einigungswerks zu erreichen. Ich glaube, man darf sagen: Seit Konrad Adenauers bahnbrechender Entscheidung zugunsten der europäischen Einigung ist sich die Mehrheit unseres Volkes in diesem Punkte treu geblieben. Europapolitik war bei aller Unterschiedlichkeit in einzelnen Bereichen und Zielen stets von einem breiten Konsens aller verantwortlichen demokratischen Kräfte im Deutschen Bundestag getragen. Ich bin in diesen Fragen, die ganz gewiß schwierig und oft auch kontrovers sind, selbstverständlich zu einem offenen Gespräch bereit. Europapolitik darf nach meiner Überzeugung nicht zu einem Feld egoistischer parteipolitischer Profilierung werden. ({35}) Im übrigen stehen wir alle 1984 vor der zweiten Direktwahl zum Europäischen Parlament. Dort werden die Parteien von unseren Mitbürgern, von unseren Wählern, danach gewogen werden, was sie für die europäische Einigung getan haben und zukünftig tun wollen. Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich habe in meiner Regierungserklärung vom 4. Mai gesagt, daß ich unsere Erwartung an die europäische Einigung nicht nach Monaten und Jahren und nicht allein nach Konferenzen und Beschlüssen bemesse. Wir müssen in historischen Zeiträumen denken; aber wir müssen heute handeln, wenn es uns möglich ist, damit morgen Wirklichkeit wird, was wir

Not found (Kanzler:in)

der Bau der Vereinigten Staaten von Europa. ({0})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Kollege Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) - Guten Morgen! ({1}) - Das war gedacht, meine Damen und Herren, Sie vielleicht nach der ersten Stunde etwas wacher zu machen. Dafür bestand Bedarf. ({2}) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Volk und viele andere Völker haben der Begegnung, von der soeben berichtet worden ist, mit Erwartung entgegengesehen. Sie, Herr Bundeskanzler, und viele Sprecher Ihrer Koalition haben diese Erwartung in den Wochen vorher noch gesteigert. Auch ohne diese Ankündigungen hatten die Völker für die Erwartung, in Williamsburg werde gehandelt, dort werde nicht nur geredet, sondern etwas getan, um der krisenhaften Entwicklung der Weltwirtschaft zu begegnen, Gründe genug. Sie und Ihre Freunde reden ständig von der Wende. Hier, auf diesem Gebiet, erwarten die Völker tatsächlich eine Wende, die Wende einer weltwirtschaftlichen Entwicklung, die zu einer überaus bedrohlichen Situation geführt hat. ({3}) Wie war diese Situation vor Williamsburg? Allein in den westlichen Industrieländern sind 32 Millionen Menschen arbeitslos. Das sind mehr Menschen, als die Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland zusammen an Einwohnern haben. Die realen Zinsen bewegen sich auf einer extremen Höhe und beginnen erneut zu steigen. Das amerikanische Haushaltsdefizit erreicht immer neue Rekordhöhen. Die Wechselkurse zeigen hektische Ausschläge und hemmen die Entwicklung des Handels. Viele Entwicklungsländer bewegen sich infolge der hohen Zinsen, des steigenden Dollarkurses und niedriger Rohstoffpreise am Rande der Zahlungsunfähigkeit und drohen selbst die Fortschritte wieder einzubüßen, die sie in den letzten Jahren mühsam genug gemacht haben. Handelsbeschränkende Maßnahmen greifen mehr und mehr um sich, und protektionistische Subventionen sind schon fast eine Selbstverständlichkeit. In der Bundesrepublik bewegen wir uns auf einen neuen Rekord der Firmenzusammenbrüche zu. Im Vergleich zum ersten Halbjahr 1982 sind in den ersten sechs Monaten dieses Jahres nahezu 10 % mehr Firmenzusammenbrüche zu verzeichnen. ({4}) Das, Herr Bundeskanzler, ist die ungeschminkte Realität. Und Sie hätten gut daran getan, diese Realität nüchtern und ohne Umschreibung an den Anfang der Gipfeldokumente und auch an den Anfang Ihrer heutigen Erklärung zu stellen. ({5}) Sie sind doch sonst auch nicht so zimperlich, wenn es um die Darstellung wirtschaftlicher Gegebenheiten geht, etwa der Gegebenheiten in der Bundesrepublik am Tage Ihres Amtsantritts im Oktober 1982. Da haben Sie an grellen Schockfarben nicht gespart. Heute malen Sie im Vergleich dazu in recht zarten Pastelltönen. Vielleicht liegt das an der idyllischen Atmosphäre Ihres Tagungsortes, an dem nostalgischen Ausflug in die Kolonialzeit des 18. Jahrhunderts, den Sie mit allem Zubehör, das zu einem solchen Ausflug gehört - einschließlich aller malerischen Details einer vorindustriellen Agrarzeit -, unternommen haben. Ist Ihnen übrigens die feine Ironie aufgegangen, die darin liegt, daß Sie die Probleme der Industriegesellschaft in einem Milieu behandelt haben, in dem kein einziges dieser Probleme real gegenwärtig war? ({6}) Da hatte die Realität offenbar keine Chance. ({7}) Da saßen die Völker, da saßen die Arbeitslosen, da saß die bittere Not der Entwicklungsländer auch im übertragenen Sinne kaum mit am Tisch. ({8}) Nichts gegen internationale Gastfreundschaft und internationales Protokoll, und erst recht nichts gegen Stil und Würde. Aber ich frage allen Ernstes: Wäre es nicht erwägenswert, daß ein solches Gipfeltreffen auch einmal in einem Zentrum der Arbeitslosigkeit, in einer durch den Strukturwandel hart betroffenen Region stattfinden könnte, ({9}) etwa in Detroit ({10}) oder in der Borinage zwischen Lüttich und Charleroi oder im Ruhrgebiet ({11}) oder im nächsten Jahr in Liverpool oder in Birmingham? ({12}) Dr. Vogel Auch dort ({13}) ließe sich durchaus mit Stil und Würde verhandeln. Die Begegnung mit den harten Realitäten mag schmerzlich sein; ({14}) der Würde tut eine solche Begegnung keinen Abbruch. ({15}) Wie dem auch sei: Hat Williamsburg die Wende von der weltwirtschaftlichen Krise zur weltwirtschaftlichen Erholung oder wenigstens konkrete Schritte zu einer solchen Wende gebracht? Was wird sich denn an der Realität konkret ändern? Ich fürchte, trotz der wortreichen Dokumente und trotz Ihrer heutigen nicht minder wortreichen Erklärung wenig, wenn überhaupt etwas. Gewiß, es gibt einzelne positive Ansätze. Das will ich nicht leugnen. Richtig ist erstens die Selbstverpflichtung, den protektionistischen Tendenzen dadurch Einhalt zu gebieten, daß wettbewerbsverzerrende Beschränkungen und Subventionen abgebaut werden. Gerade wir haben ein massives Interesse daran, daß die Zerstörung der offenen gegenseitigen Handelssysteme nicht weiter fortschreitet. Aber was geschieht denn konkret? Werden die EG-Partner die für unsere Stahlproduktion existenzgefährdende Subventionierung ihrer Altanlagen vom Beginn dieses Jahrhunderts nun endlich einstellen? ({16}) Sind Sie bereit, Herr Bundeskanzler, die EG-Agrarmarktordnung in Wahrnehmung Ihrer besonderen Verantwortung während der deutschen Präsidentschaft so zu beeinflussen, daß die USA und viele andere Länder den Absatz der Überschußproduktion nicht geradezu als Herausforderung für ihre Handelssysteme empfinden müssen? ({17}) Zu begrüßen ist zweitens, daß der Ost-West-Handel diesmal nicht Gegenstand von Versuchen war, ihn als Kampfmittel in der Auseinandersetzung der Weltmächte zu instrumentalisieren. Aber manche Andeutungen zeigen, daß die Sache nicht ausgestanden ist. Die Bundesregierung hat unsere Unterstützung, wenn sie hier wachsam bleibt. Im übrigen: Wer dafür sorgt, daß sein Weizen blüht, sollte anderen nicht gram sein, wenn sie sich um ihre Röhren und um ihre Maschinen kümmern. ({18}) In aller Freundschaft: Was den Farmern in Idaho und Indiana recht ist, das ist den Arbeitern bei Mannesmann in Essen und bei der Salzgitter AG, um nur zwei Beispiele zu nennen, weiß Gott billig. ({19}) Drittens. Anzuerkennen ist schließlich die Absicht, beim Umweltschutz verstärkt zusammenzuarbeiten. Aber auch hier müssen Taten folgen. Außerdem darf die Notwendigkeit internationaler Kooperation nicht als billige Entschuldigung für nationale Untätigkeit gelten. Dies sage sich unter dem Eindruck der Debatte in der letzten Sitzungswoche im Hinblick auf die Einführung bleifreien Benzins hier in unserem Bereich. ({20}) Damit, Herr Bundeskanzler, sind aber die positiven Elemente der Beschlüsse von Williamsburg im wesentlichen auch schon erschöpft. ({21}) Was bleibt, ist die vage Hoffnung, es werde einen weltweiten Aufschwung geben und der werde die Probleme dann schon lösen. Das ist die gleiche Philosophie, nach der Sie auch die nationale Wirtschaftspolitik betreiben oder - besser - nicht betreiben. Hier wie dort sagen Sie, die Arbeitslosigkeit werde zurückgehen, wenn der Staat seine Ausgaben und seine sozialen Aufwendungen kürze, wenn man die sogenannten Selbstheilungskräfte der Wirtschaft und des Marktes gewähren lasse und sich im übrigen darauf beschränke, die Angebotsbedingungen zu verbessern. Dann komme der Aufschwung, dann beschleunige sich das Wachstum, dann werde alles gut, dann werde wieder alles, wie es früher war. Wir sagen: Das ist eine Illusion, eine nostalgische Illusion, das greift viel zu kurz, und zwar auch im internationalen Maßstab. ({22}) Natürlich, wir wünschen Aufschwung, aber wir unterscheiden uns von Ihrer wirtschaftspolitischen Philosophie in zwei wesentlichen Punkten: Anders als Sie glauben wir nicht, daß wirtschafts- und beschäftigungspolitische Untätigkeit zu Wachstum der Wirtschaft führt. Wir wissen, daß Wachstum allein die Arbeitslosigkeit nicht beseitigen, ja nicht einmal fühlbar vermindern wird. - Einzelne aus Ihren Reihen, wie etwa Herr Biedenkopf, haben ja schon damit begonnen, die Wähler - Ihre Wähler - auf diese Einsicht einzustimmen. Diese Ehrlichkeit bekommt ihm aber nicht sonderlich gut, wie wir verfolgen können. ({23}) Deshalb beklagen wir, daß die Industrieländer ohne Probleme oder mit geringen Problemen in der Zahlungsbilanz und bei der Inflationsbekämpfung wie die Bundesrepublik, Japan und auch Großbritannien in Williamsburg keine gemeinsame Aktion zur aktiven Wachstumsförderung zustande gebracht haben. Warum haben Sie nicht auf eine solche internationale Beschäftigungsinitiative, auf einen internationalen Beschäftigungspakt gedrängt? ({24}) Statt dessen bringen Sie als Botschaft vom Gipfel die Forderung nach weiterer Einschränkung der Massenkaufkraft und der staatlichen Nachfrage mit. Das Wort „Nachfrage" kommt in den Williamsburger Texten übrigens überhaupt gar nicht vor. Wir sagen: Das kann nicht gut gehen. Schlimmer noch ist, daß Sie in der Hochzinsfrage mit leeren Händen nach Hause gekommen sind. ({25}) Es wird keinen nachhaltigen Aufschwung in der Weltwirtschaft geben, solange die Realzinsen so extrem hoch bleiben, wie sie heute sind. ({26}) Die Zinsen werden nicht sinken, solange das amerikanische Haushaltsdefizit allein für 1983 die astronomische Höhe von rund 500 Milliarden DM erreicht und in den Folgejahren kaum wesentlich darunterliegen soll. ({27}) Da werden dann eben Auslandsgelder angezogen und die Zinsen ebenso in die Höhe gedrückt wie der Kurs des US-Dollars. Eine solche Fiskalpolitik und die auch weiterhin zu erwartende restriktive Geldmengenpolitik sind jedenfalls mit den Wachstumserwartungen, die in Williamsburg offenbar gehegt wurden, Wachstumserwartungen von 4 oder 5 %, nicht vereinbar. Im Zusammenhang damit erhöhen sich dann für viele Länder die Leistungsbilanzdefizite, was wiederum zum Protektionismus anreizt. In den Entwicklungsländern werden überdies die Verschuldungsprobleme verschärft. Jedes Prozent Zinssenkung würde dort zu einer Entlastung von etwa vier bis fünf Milliarden DM führen, Milliarden, die dann zur Entschuldung oder als kaufkräftige Nachfrage auch auf unseren Märkten zur Verfügung stünden. Und auch wir leiden: Auftriebstendenzen werden sogleich abgewürgt; die Bundesbank verliert an Spielraum. Nicht umsonst, sondern in diesem Zusammenhang sind die Zinsen für Hypotheken mit längerer Laufzeit bei uns in den letzten Tagen um ein ganzes Prozent gestiegen. Für die neue Bundesanleihe müssen effektiv 8,33 % Zinsen gezahlt werden, nachdem wir vor wenigen Wochen bei vergleichbaren Länderanleihen noch bei 7,5% standen. Der Kapitalmarkt, und zwar weltweit, hat sein Urteil über Williamsburg bereits gesprochen, und es ist kein positives Urteil. ({28}) Jeder kennt auch die Ursachen des amerikanischen Haushaltsdefizits. Sie liegen strukturell vor allem in den nach Ansicht auch amerikanischer Experten gewaltig überhöhten Rüstungsausgaben und den gleichzeitigen drastischen Steuersenkungen. Hinzu kommt der durch die Rezession bedingte konjunkturelle Anteil des Defizits. Sie sehen das ja in Wahrheit offenbar auch nicht viel anders. Nach Ihrer Rückkehr hat Herr Boenisch am letzten Mittwoch tapfer erklärt, Sie hätten es in Übereinstimmung mit Ihren Kabinettskollegen als ärgerlich und bedrückend bezeichnet, daß die USA auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg nicht auf die nachdrückliche Forderung der Europäer nach Senkung ihrer Zinsen eingegangen seien. Dies stelle eine schlimme Belastung für die Weltwirtschaftsentwicklung dar. Da kann man nur sagen: Sehr wahr, Herr Bundeskanzler! Sie hätten unseren Beifall bekommen, wenn Sie dies hier von dieser Stelle aus mit derselben Deutlichkeit und Klarheit ausgesprochen hätten. ({29}) Aber wie war das eigentlich in Williamsburg? ({30}) Haben Sie dort für eine Verringerung der Rüstungsprogramme geworben? ({31}) Haben Sie dargelegt, Herr Bundeskanzler, daß die Sicherheit und Schutzfähigkeit der Industrieländer durch eine andauernde Weltwirtschaftskrise, durch eine Zunahme derArbeitslosigkeit viel nachhaltiger gefährdet werden als dadurch, daß sich die Produktion immer neuer Raketensysteme verzögert oder in die Länge zieht? Hier besteht doch ein innerer Zusammenhang. Ich wiederhole: Die wirtschaftlichen und sozialen Schäden, die auf diese Weise unserer Gesellschaft, insbesondere aber auch den Völkern der Dritten Welt zugefügt werden, die Verbitterung, die sich gerade dort gegenüber den westlichen Industrienationen breit macht, lassen sich doch durch Raketen nicht überwinden; j a, ich sage: Sie lassen sich dadurch noch nicht einmal in Schach halten. ({32}) Haben Sie diesen Zusammenhang angesprochen? Haben Sie auf einen neuen weltweiten Marshallplan gedrängt? Da geht es doch gar nicht um den Begriff, sondern um die Sache. Das ist eine Sache - ich werde nicht müde, das zu wiederholen -, ({33}) die sich leicht finanzieren ließe, wenn die beiden großen Bündnissysteme nur auf einen Teil ihrer Rüstungsausgaben von gegenwärtig mehr als 600 Milliarden Dollar oder 430 Milliarden Rubel verzichten würden. ({34}) Ihre eigene Devise lautet doch: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Ich fürchte, die ehrliche Antwort auf alle diese naheliegenden, aber von Ihnen bisher nicht beantworteten Fragen lautet: Nein. Statt dessen werden die Entwicklungsländer im Kommuniqué von Williamsburg mit Sätzen abgespeist wie „Besondere Aufmerksamkeit gilt dem Fluß finanzieller Mittel, insbesondere der öffentlichen Entwicklungshilfe". - Donnerwetter! Gab es denn diese Aufmerksamkeit bisher nicht? ({35}) Was sollen denn solche glatten Selbstverständlichkeiten? Glauben Sie wirklich, daß die betroffenen Länder in der Dritten Welt solche Sätze als Aus536 druck von Verständnis und Hilfsbereitschaft empfinden? ({36}) Dabei ist gerade diese Entwicklung doch auch für die Bundesrepublik von Bedeutung, weil unser Export auch auf die Märkte dieser Entwicklungsländer angewiesen ist. Wir spüren doch schon, wie die Schwierigkeiten der Entwicklungsländer auf unsere Auftragsbestände durchschlagen. Die bisherige Finanzierung wachsender Teile der großen Leistungsbilanzdefizite dieser Länder durch private Kredite erweist sich ebenfalls als überaus problematisch. Die daraus erwachsenden Zins-, Tilgungs- und Umschuldungsprobleme sind doch mit den bisherigen Instrumenten kaum lösbar. Notwendig sind vielmehr Verhandlungen mit dem Ziel, das für das Programm der Weltbank zur Finanzierung von Strukturanpassungsmaßnahmen mehr Mittel bereitgestellt werden. Zusätzliche Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds könnten die Verschuldungsprobleme der Entwicklungsländer erleichtern. Auch insoweit sind die Ergebnisse des Gipfels nicht konkret und deshalb unbefriedigend. ({37}) Die hohen Realzinsen beleben auch die Diskussion um die Weltwährungsordnung immer wieder aufs neue. Sie sagen dazu in der Abschlußerklärung von Williamsburg - ich zitiere -: Unter Wahrung unserer jeweiligen Handlungsfähigkeit seien wir bereit, koordiniert in die Wechselkursmärkte in den Fällen einzugreifen, in denen man sich über die Nützlichkeit eines Eingreifens einig sei. Ein fabelhafter Satz. Er ist offenbar von demselben unbekannten Verfasser formuliert worden, der zu Ihrer Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 den Satz beigesteuert hat: Das Tor zur Zukunft stehe weit offen. ({38}) Das Problem besteht doch gerade darin, Herr Bundeskanzler, daß man sich über die Nützlichkeit des Eingreifens in Williamsburg offenbar nicht einig geworden ist, daß es die Einigkeit in diesem Punkt nicht gibt. ({39}) Unser Fazit lautet: Es ist gut, daß der Gipfel stattgefunden, daß man miteinander gesprochen hat. ({40}) Wir sehen einzelne positive Ansätze, aber das Gesamtergebnis ist nicht nur unbefriedigend, nein, es ist enttäuschend. Es ist sogar kontraproduktiv, weil wir als Ergebnis von Williamsburg in den Tagen danach schon einen weiteren raschen Zinsanstieg und weitere Währungsprobleme feststellen müssen. ({41}) Außerdem: Wir stehen doch mit dem Urteil nicht allein. Sprecher aller Fraktionen des Europäischen Parlaments, also auch der Ihren, haben sich in der gestrigen Debatte ebenso geäußert, wie ich das tue. Und der französische Staatsprasident, auf den Sie sich doch sonst so gerne und so häufig berufen, ({42}) hat gestern abend sogar erklärt, Frankreich werde in Zukunft möglicherweise nicht mehr an Gipfeltreffen dieser Art teilnehmen, wenn sie in gleicher Weise wie in Williamsburg abgehalten würden. Er fuhr fort, der Gipfel der sieben führenden westlichen Industrienationen habe die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt; das gelte besonders für die Bereiche Arbeitsbeschaffung, Zurücknahme der Zinsen und Unterstützung der Dritten Welt. Solche Äußerungen lassen Ihre Lobeshymnen auf die weltweite Solidarität und auf die Übereinstimmung, die Sie nach allen Seiten ununterbrochen erzielen, in einem merkwürdigen Licht erscheinen. ({43}) Ich fürchte, da liegt ein Fall partiellen Realitätsverlustes vor. Da werden Wunsch und Wirklichkeit miteinander verwechselt. ({44}) Ich füge hinzu: Unsere Position im Bündnis und in Europa sowie auch unter diesen sieben Nationen wird nicht geschwächt, sondern gestärkt, wenn man solche Meinungsunterschiede anspricht, aufgreift und dazu die eigene Position, auch vor dem nationalen Parlament, darlegt. Dafür nämlich sind wir da. ({45}) Auf Ihrer Wanderung haben Sie einen Gipfel hinter sich. Der nächste, nämlich der EG-Gipfel, steht unmittelbar bevor. Hier ist Ihre Verantwortung in Anbetracht der deutschen Präsidentschaft ungleich größer. Ihre Ankündigungen und Versprechungen vor allen Dingen aus den ersten Monaten dieses Jahres, was Sie unter deutscher Präsidentschaft zusammen mit dem Herrn Kollegen Genscher alles bewirken und verändern würden, waren noch umfassender, noch tönender und sind uns auch noch exakter in Erinnerung. Unser Entschließungsantrag greift einen Teil Ihrer Ankündigungen auf und sagt im übrigen, was wir im Interesse unseres Landes und der Europäischen Gemeinschaft von diesem Stuttgarter Gipfel, der unter Ihrer Verantwortung stattfindet, erwarten. Täuschen wir uns nicht: Die EG befindet sich in einer tiefen Krise, in einer Krise, die an die Wurzel ihrer Existenz geht. Infolge einer Agrarmarktpolitik, die Ihr Finanzminister, jedenfalls außerhalb des Parlaments, offen attackiert und die selbst Ihr Landwirtschaftsminister nur noch partiell und mit halbem Herzen verteidigt, droht der Gemeinschaft der finanzielle Kollaps. Allein zur Beseitigung der Agrarüberschüsse - das hat auf Frage in dieser Woche Herr Gallus dem Parlament mitgeteilt - wird die Europäische Gemeinschaft in diesem Jahr mindestens 32 Milliarden DM ausgeben. Allein zur Beseitigung der Überschüsse! Das sind 4,6 Milliarden DM mehr als im letzten Jahr. Gleichzeitig schwelt der Beitragsstreit. Für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und eine europäische Sozial- und Strukturpolitik fehlen die Konzepte, vor allem aber die Mittel. Die Freizügigkeit des Binnenmarktes ist in Gefahr. Der Abschluß der Beitrittsverhandlungen mit Spanien und Portugal zieht sich über die Maßen in die Länge. Was das für Spanien bedeutet, hat Ihnen der spanische Ministerpräsident sicher ebenso - mit den gleichen Worten - erläutert wie uns. Der Genscher-Colombo-Plan erweist sich endgültig als eine Chimäre, die seit geraumer Zeit mehr der häufigen öffentlichen Nennung der Namen der beiden Außenminister, vor allem in Wahlkampfzeiten, als wirklich der Einigung Europas dient. ({46}) Seit dem 1. Januar 1983 hat die deutsche Präsidentschaft zur Lösung dieser eben von mir knapp, präzise und konkret aufgezählten Probleme kaum etwas beigetragen. Ich hoffe - bin mir aber nicht sicher -, die Bundesregierung hat den Stuttgarter Gipfel auf das Sorgfältigste vorbereitet. Es ist die letzte Gelegenheit, meine sehr verehrten Damen und Herren, Versäumtes nachzuholen. ({47}) - Die Originalität Ihrer Darbietungen, Herr Kollege, war auch schon einmal größer. Sie haben heute keinen besonders guten Tag. ({48}) Meine Damen und Herren von der Union, Sie lieben ja die vergleichende Betrachtung, und wenn Ihnen nichts anderes einfällt, verwenden Sie auch heute noch das Stichwort von der Erblast. Ich lade Sie jetzt einmal zu einer vergleichenden Betrachtung ein. ({49}) - Ich finde, es ist eigentlich ein verstecktes Kompliment für mich, daß Sie bei mir viel lebhafter sind als bei Ihrem Bundeskanzler. Da wirkten Sie ein bißchen müde, ein bißchen schläfrig. ({50}) Aber ich freue mich, daß ich die Oppositionsaufgabe, Sie zu beleben, Sie anzuregen, Sie zu mehr oder weniger geistreichen Äußerungen zu veranlassen, ({51}) in einem so vorbildlichen Maße erfülle. - Vielen Dank. ({52}) - Meine Damen und Herren, es ist eine alte Erfahrung, daß Sie Ihre Zwischenrufe ein bißchen ordnen sollten. Wenn Sie im Chor auftreten, ist es schon akustisch nicht zu verstehen, geschweige denn inhaltlich. Vielleicht kann man eine gewisse Reihenfolge einhalten. ({53}) Ich komme zurück zu meinem Gedankengang. Ich lade Sie zu einer vergleichenden Betrachtung ein. Ich trage Ihnen einmal vor, was während der letzten deutschen Präsidentschaft vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1978 bewegt worden ist. Da ist das europäische Währungssystem beschlossen worden. ({54}) Da ist die materielle Einigung über den Beitritt Griechenlands erzielt worden. Da ist die Direktwahl des Europäischen Parlaments vorbereitet worden. Da ist eine weitgehende Einigung bei den multilateralen Handelsverhandlungen im GATT erzielt worden. Ich lade Sie ein, die Ergebnisse Ihrer Präsidentschaft in vergleichenden Wettbewerb zu setzen zu dem, worauf wir für die Zeit der letzten Präsidentschaft unter unserer Verantwortung zurückblicken können. ({55}) Damit wir uns recht verstehen: Wir Sozialdemokraten sind für ein starkes und handlungsfähiges Europa. Wir sind für den Beitritt Spaniens und Portugals. Wir sind nicht für feierliche Erklärungen, die nichts bewegen. Wir sind dafür, daß das Europäische Parlament mehr Rechte bekommt, und zwar möglichst noch vor den nächsten Wahlen, damit wir in Europa mit der Wahlbeteiligung bei der nächsten Europawahl nicht ein Fiasko erleben - alle miteinander. ({56}) Wir sind auch bereit, für dies und für eine aktive europäische Beschäftigungspolitik Opfer zu bringen, aber nur - und da sollte gut zugehört werden -, wenn es gleichzeitig zu einer substantiellen und kostensenkenden Reform der europäischen Agrarpolitik kommt; nur dann. ({57}) - Lieber Kollege Ertl, nicht in diesem Zusammenhang; bei nächster Gelegenheit gerne. ({58}) - Ich würde dann vorschlagen, Kollege Ertl, daß Sie über die Zahlen mit Ihrem ehemaligen Staatssekretär Herrn Gallus ein Gespräch führen. Ich habe die Zahlen aus seiner Antwort. Es ist dann leichter, Sie reden mit ihm als mit mir sozusagen über das Dreieck. ({59}) Ich sage noch einmal, wir sind nur dann dazu bereit, wenn es gleichzeitig zu einer substantiellen und kostensenkenden Reform der deutschen Agrarpolitik kommt. Solange dort das Geld in geradezu ärgerniserregender Weise für die Lagerung und den Absatz der Überproduktion von Milch, Schweinefleisch und anderen Agrarerzeugnissen, ja, ich sage, verschwendet wird, werden wir schon deshalb jede Erhöhung unseres Beitrages strikt ablehnen. ({60}) Eine solche Politik kann uns die Bundesregierung in einer Zeit, in der sie Arbeitnehmern und Rentnern immer neue Kürzungen und Streichungen verordnet, nicht zumuten. ({61}) Übrigens: aktive Beschäftigungspolitik. Herr Bundeskanzler, ist es zutreffend, daß fünf christdemokratische Regierungschefs von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft an Sie Briefe geschrieben haben? (

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Wer sollte denn das sein?) - Nur langsam! Also, die Tatsache des Briefeschreibens ist ja nicht ehrenrührig. Ich meine: brieflich aufgefordert haben, endlich eine den Arbeitsmarkt stimulierende Politik einzuleiten. Und wenn es diese Aufforderung gibt, wobei vier auch schon eine schöne Anzahl wären: Was haben Sie geantwortet? Offenbar sind wir deutsche Sozialdemokraten mit unseren beständigen Forderungen nach einer aktiven Beschäftigungspolitik in bester Gesellschaft. ({0}) Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir diskutieren in diesen Tagen über die Lage der Weltwirtschaft und über die Lage der Europäischen Gemeinschaft. Natürlich geht es dabei letzten Endes immer auch um die Lage im eigenen Lande. Es geht vor allem um die Eindämmung und Überwindung der Arbeitslosigkeit. Daran und an der Friedenssicherung wird Erfolg oder Mißerfolg der Politik, daran wird Ihr Erfolg oder Mißerfolg in erster Linie gemessen werden. Die Arbeitslosenzahlen sind unverändert alarmierend. Sie selbst rechnen für 1984 inzwischen nicht mehr mit einem Jahresdurchschnitt von 2,350 Millionen, sondern mit einem Anstieg auf 2,5 Millionen. Ernst zu nehmende Wirtschaftswissenschaftler prognostizieren in ihrer Mehrheit für den vor uns liegenden Winter sogar um die 3 Millionen Arbeitslose. Sie sagen dazu immer wieder, der Aufschwung komme, Arbeitslose seien eben Spätindikatoren, man müsse abwarten. Ich finde, das ist schon sprachlich nicht gut. Arbeitslose sind keine Indikatoren, sondern Menschen, von denen nicht wenige der Verzweiflung nahe sind, Menschen, denen wir miteinander helfen müssen. ({1}) - Wir beschränken uns doch nicht auf Kritik, wir haben doch konkrete Vorschläge gemacht; aber Sie sagen immer nein. ({2}) Wir sagen mit wachsener Unterstützung, die Arbeitszeit muß verkürzt werden. ({3}) Ein modernes Arbeitszeitgesetz, das wir noch in diesem Monat von neuem einbringen, soll dazu verhelfen. Sie sagen schon am voraus nein. Wir sagen, die öffentliche Nachfrage muß ebenso wie bestimmte private Investitionen auch durch staatliche Programme gestärkt werden. Sie sagen nein. ({4}) Wir sagen, für Dauerarbeitslose müssen auf einem zweiten Arbeitsmarkt sinnvolle Beschäftigungen unter Einsatz der Mittel geschaffen werden, die sonst für Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ausgegeben werden. Sie lehnen es ab, darüber auch nur ernsthaft mit uns zu diskutieren. Wir sagen, bei öffentlichen oder gemeinnützigen Trägern müssen zusätzliche Ausbildungsplätze bereitgestellt werden, wenn Handwerk und Industrie es allein nicht schaffen. Sie lassen sich noch nicht einmal davon beeindrucken, daß Ihre Parteifreunde in Berlin, Herr von Weizsäcker und Herr Wronski, genau das in Fortsetzung der bahnbrechenden Initiativen unseres Freundes und Kollegen Olaf Sund tun. Dabei hätten Sie auf diesem Gebiet, Herr Bundeskanzler, in Anbetracht Ihrer Lehrstellengarantie ganz besonderen Grund zuzuhören und tätig zu werden. ({5}) Sie sollten auch deutlicher erkennen, was wir Ihnen in diesem Zusammenhang vorwerfen. Natürlich verdient es Kritik, daß die Notlage junger Menschen zum Gegenstand eines vordergründigen Wahlversprechens in Zeitungsanzeigen geworden ist. ({6}) Aber das ist nicht unser Hauptvorwurf. Unser Hauptvorwurf ist, daß Sie nicht das Mögliche tun, um Ihr Versprechen nun tatsächlich zu erfüllen, ({7}) daß Sie die Zeit verstreichen lassen, in der viele zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen werden könnten. Statt dessen eröffnen Sie jetzt auf dem Felde der Arbeitsschutzvorschriften, die Sie plötzlich als angebliche Ausbildungshemmnisse entdeckt haben, einen Nebenkriegsschauplatz. Wir werden dieser Ablenkungsoffensive Widerstand entgegensetzen, wenn Sie unter dem Vorwand der Ausbildungsplatzförderung gesundheitlichen und sozialen Schutz abbauen wollen. Vom Kernproblem werden wir uns aber nicht ablenken lassen. Das Kernproblem ist und bleibt, die rund 160 000 jungen Menschen unter 20 Jahren, die gegenwärtig ohne Ausbildung und ohne Arbeit sind, von der Straße wegzubringen, auch wenn dabei Ordnungsprinzipien vorübergehend in die zweite Linie treten. ({8}) Wir fürchten sehr, Herr Bundeskanzler, daß Ihre Politik des Abwartens die Realität nicht verändert. Im Gegenteil. Die Zinsen steigen schon wieder. Die Auftragslage wird in vielen Branchen wieder skepDr. Vogel tischer beurteilt. Von der Exportseite - so teilt uns die dafür zuständige Stelle mit - kommt kaum Entlastung. Die saisonbereinigte Zahl der Arbeitslosen ist im Mai dieses Jahres - so sagt die Bundesanstalt - gegenüber dem Vormonat April noch einmal um 26 000 gestiegen. Ihre Haushaltsbeschlüsse verschärfen diesen Trend noch, denn sie vermindern die Einkommen derer, die jeden Pfennig und jede Mark für ihren Lebensunterhalt ausgeben müssen. Sie begünstigen diejenigen, die immer noch genug haben, um ihr Geld in Abschreibungsgesellschaften oder sonst zinsträchtig in in- und ausländischen Kapitalien anzulegen. ({9}) In diese Anlagen nämlich wird die größere Hälfte der Mittel auf Grund der von Ihnen schon beschlossenen Vermögensteuersenkung fließen. Das bestätigt selbst Ihr Parteifreund, der saarländische Finanzminister, unser früherer Kollege Zeitel, wenn er beklagt, daß höchstens die Hälfte der beschlossenen Steuererleichterungen Anreize zu höherer Investition bietet. Herr Mundorf schrieb zu diesem Thema am 20. Mai 1983 im „Handelsblatt", das ja wohl nicht im Verdacht steht, unser Sprachrohr zu sein - und damit meinte er Sie, Herr Bundeskanzler -: Man muß nicht unbedingt dann Fenster putzen, wenn das Haas brennt, so schön Sauberkeit sonst auch ist. - Das ist ein Satz zum Nachdenken. ({10}) Kontraproduktiv ist auch die Art und Weise, wie Sie mit den Städten und Gemeinden umgehen. Denen haben Sie in Ihrer Regierungserklärung wohlklingende allgemeine, inhaltlich aber nicht konkretisierbare Vorschläge gemacht. In Wahrheit vermindern Sie die Einnahmen der Städte und Gemeinden durch die Reduzierung von Unternehmenssteuern überproportional. ({11}) Gleichzeitig steigern Sie doch die finanziellen Belastungen der Gemeinden, weil Hunderttausende von Mitbürgern und Mitbürgerinnen, vor allem arbeitslose Frauen, infolge der Beschneidung sozialer Leistungen künftig zusätzlich die Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssen. Die unmittelbare Konsequenz ist - auch das ist nicht meine Erfindung; das sagt Herr Rommel doch fast täglich -: Die Gemeinden müssen die Investitionen, j a da und dort bereits den notwendigen Gebäudeunterhalt weiter beschneiden. Dadurch wird sich die Arbeitslosigkeit verschärfen. Sie antworten auf Fragen in dieser Hinsicht meist und selbstverständlich mit der Gegenfrage, wo denn das Geld sonst herkommen solle. Wir bleiben Ihnen die Antwort darauf nicht schuldig. Lassen Sie beispielsweise die Finger von der unnötigen Vermögensteuersenkung. Allein das spart schon 1,5 Milliarden DM. ({12}) Machen Sie ernst mit dem Abbau von Steuersubventionen, ({13}) insbesondere mit der Einschränkung der Steuervorteile für die Beteiligung an Abschreibungsgesellschaften. ({14}) Sie werden unsere Unterstützung haben. Beides haben Sie doch in Ihrem Wahlprogramm versprochen. Warum halten Sie diese Versprechen nicht? Schon warnen Sie doch Ihre eigenen Freunde vor der Fortsetzung Ihrer Politik der sozialen Ungerechtigkeit. So kann man in der Juni-Ausgabe des Organs der Katholischen Arbeitnehmerbewegung - auch kein ausgesprochen sozialdemokratisches Blatt - folgendes lesen. Ich zitiere wörtlich. Ich zitiere deswegen wörtlich, weil ich mir das gar nicht mal so alles in dieser Sprache zu eigen mache. Da liest man: Die Unionsparteien laufen Gefahr, das am 6. März gewonnene Vertrauenskapital schon jetzt zu verspielen. Und dann liest man dort weiter den Satz: Die CDU darf nicht die Partei der Wählertäuschung und der Geschäftemacher werden. ({15}) Es ist kein Sozialdemokrat, der das sagt. Und der Herr Scharenbroich, Hauptgeschäftsführer der CDU-Sozialausschüsse und sicherlich ein besonderer Vertrauter von Herrn Kollegen Blüm, hat in dieser Woche mit seiner scharfen Kritik an den Kürzungsbeschlüssen, beispielsweise beim Mutterschaftsgeld, im Grund das gleiche gesagt. Er hat übrigens hinzugefügt, daß sich wachsender Widerstand dagegen in der Union rege. Gut. Wenn das so ist, dann könnte sich ja plötzlich eine ganz neue Mehrheit bilden. ({16}) Ich meine: Was die Katholische Arbeitnehmerbewegung, was Herr Scharenbroich und die Sozialausschüsse sagen, das sollte Ihnen mehr zu denken geben als das allmählich schon penetrante Dauerlob bestimmter großer Wirtschaftsverbände, sei es in Anzeigen, Briefen oder Erklärungen. ({17}) Der Gipfel von Williamsburg hat sich auch mit Fragen der Rüstung und der Rüstungskontrolle beschäftigt. Sie haben diese Themen in Ihrer Erklärung ebenfalls angesprochen. Wenn wir richtig informiert sind, ist eine weitere Regierungserklärung, die von Herrn Genscher, zu diesem Thema für die nächste Woche angekündigt worden. Ich beschränke mich deshalb heute auf vier Bemerkungen; dies auch deshalb - und das sage ich in alle Richtungen des Parlaments -, weil sich sonst draußen der Eindruck verstärkt, wie schon in Williamsburg weiche jetzt auch die nationale Politik auf die Erörterung der Sicherheitspolitik aus, um die wirtschaftspolitische Untätigkeit zu überdecken. ({18}) Erstens. Wir begrüßen es, Herr Bundeskanzler, daß sich die Staats- und Regierungschefs für die Einberufung einer Konferenz über Abrüstung in Europa ausgesprochen haben. Aber die kann doch nur stattfinden, wenn die Madrider KSZE-Folgekonferenz auf der Grundlage des Vorschlags der Neutralen bald zu einem positiven Abschluß kommt. Haben Sie die fortdauernden amerikanischen Widerstände gegen diese Vorschläge angesprochen? Glauben Sie, daß diese Widerstände durch Modifikationen ausgeräumt werden? Denn gegen diesen Widerstand wird es keine Abrüstungskonferenz für Europa geben. Zweitens. Wir begrüßen die erneut bekundete Bereitschaft, mit der Sowjetunion zu Fortschritten in der Rüstungskontrolle zu kommen. Aber was heißt das praktisch? Warum taucht dann, wenn man dies begrüßt, der Begriff Entspannung, anders als in der Erklärung des Bonner Gipfels vom 10. Juni 1982, in dem von Ihnen unterschriebenen Dokument nicht mehr auf? Und warum fehlt in dem Dokument auch die Bezugnahme auf den Harmel-Bericht, die auch 1982 noch zu finden war? Es ist gut, daß Sie heute auf diese Grundlage der Bündnispolitik eingegangen sind. Um so erstaunlicher ist aber vor diesem Hintergrund dann das Schweigen von Williamsburg. Hat man dort die von Ihnen geforderte Bezugnahme auf den Harmel-Bericht abgelehnt, und Sie holen das heute nach? Dies würde sogar unseren Respekt verdienen, wenn Sie es dort zuvor gefordert haben. ({19}) Schlüssel für ein Ergebnis in Genf, das den atomaren Rüstungswettlauf zum Stehen bringt, liegen gewiß in Moskau. Und Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie die sowjetische Führung bei Ihrem bevorstehenden Besuch in Moskau ebenso dazu drängen, in Genf weitergehende Angebote vorzulegen, wie es andere, und im Rahmen meiner Möglichkeiten auch ich im Januar dieses Jahres, getan haben. Aber die Schlüssel liegen eben nicht nur dort, sie liegen für jeden real Denkenden auch in Washington; sie liegen in beiden Hauptstädten. ({20}) Deshalb frage ich Sie - auch in Kenntnis dessen, was Sie heute vormittag hier vorgetragen haben -: Haben Sie in Williamsburg die Forderung des amerikanischen Repräsentantenhauses angesprochen und ernsthaft diskutiert, die INF- und die START-Verhandlungen zu verbinden? Mit diesem Gedanken, der aus der sich abzeichnenden Sackgasse herausführen könnte, weil er die Behandlung des Problems der Drittstaatensysteme erleichtert, sympathisieren doch auch andere, bis - wenn ich die Zeitungen richtig verfolgt habe - in den deutschen militärischen Bereich hinein; und im Ausland nicht nur der kanadische Ministerpräsident. Haben Sie gefragt, Herr Bundeskanzler, warum die USA den Nitze/Kwizinski-Kompromiß nicht, jedenfalls noch nicht - um mich vorsichtig auszudrücken - offiziell in die Genfer Verhandlungen eingeführt haben? Etwas, was der amerikanische Delegationschef in Genf für diskutabel und erwägenswert hält, kann doch für die deutsche Bundesregierung und erst recht für die Parteien dieses Parlaments nicht tabu sein, ({21}) sondern müßte Gegenstand der Erwägungen und der Aussprache sein. Es ist richtig, in Moskau das Problem der russischen Überrüstung anzusprechen. Das haben auch andere getan, z. B. Ihr Vorgänger im Amt und in dem Rahmen, der mir zukam, auch ich. Aber haben Sie in Williamsburg auch deutlich gemacht, welche psychologischen Wirkungen öffentliche Äußerungen darüber haben, daß Atomkriege geführt und in Europa auch gewonnen werden könnten oder daß die Sowjetunion das Reich des Bösen sei? Drittens. Sie werfen uns vor, daß wir uns aus der Kontinuität unserer eigenen Sicherheitspolitik entfernten und die Position des Westens schwächten. Das weise ich zurück. ({22}) Ziel und Zweck der in den 70er Jahren eingeleiteten Politik war und ist nicht eine weitere Umdrehung der Rüstungsspirale und nicht die Stationierung neuer Raketen auf unserer Seite, sondern gerade die Vermeidung ihrer Stationierung durch ein Verhandlungsergebnis. ({23}) Ich stimme Ihnen zu: Zu diesem Zweck muß sich die Sowjetunion noch weiter bewegen. Aber zu diesem Zweck müssen auch die Vereinigten Staaten in Genf weitere Schritte tun. ({24}) Wer das so zum Ausdruck bringt, wie wir es in unserem Beschluß vom vergangenen Mittwoch getan haben, wer außerdem mit großem Ernst immer wieder auf die unser Vorstellungsvermögen noch immer übersteigende Größe der Gefahren hinweist, die aus der Fortsetzung des atomaren Rüstungswettlaufs erwachsen, der schwächt nicht die Position des Westens, sondern stärkt die moralische Glaubwürdigkeit dieser Position und damit die Position des Friedens. ({25}) Die Position des Friedens erfordert, daß jede Chance, auch die kleinste, genutzt werden muß. Lassen Sie mich hier folgendes einschieben. Gerade in diesem Zusammenhang fehlt mir jedes Verständnis dafür, daß es Vertretern bestimmter Positionen offenbar an der Selbstsicherheit schon in bezug auf die Tatsache mangelt, daß junge Menschen mit der Farbe eines bestimmten Tuches ihrer Auffassung und ihrem Bekenntnis Ausdruck geben. ({26}) Viertens. Ich habe Sie - Sie wissen das, und ich halte das für selbstverständlich - mehr als einmal gegen Zweifel an Ihrem Friedenswillen in Schutz genommen, Herr Bundeskanzler. Sorgen Sie bitte umgekehrt dafür, daß nicht aus Ihrem Lager stänDr. Vogel dig Verdächtigungen anderen Richtung verbreitet werden. Damit meine ich Verdächtigungen, die sich gegen die Friedensbewegung richten, ebenso wie Verdächtigungen, j a, Verleumdungen, die uns Sozialdemokraten treffen. Widersprechen Sie den Argumenten der Friedensbewegung, wo Sie sie für falsch halten! Auch wir tun das, wo wir es für geboten halten. Aber hören Sie auf damit, die Friedensbewegung als kommunistisch und als Instrument der Kommunisten verdächtigen zu lassen. ({27}) Das wäre übrigens nur das, was unter Ihrem Vorsitz, Herr Wissmann, in der Enquetekommission als Handlungsanweisung für die Politik erarbeitet worden ist. Setzen Sie sich mit uns über den besten Weg zur Friedenssicherung auseinander. Aber hören Sie bitte auf, uns durch Leute aus dem zweiten oder dritten Glied als Agenten, Handlanger oder Lobbyisten Moskaus verleumden zu lassen. ({28}) Als ich im Januar 1983 noch meinem MoskauBesuch die Ansicht äußerte, die Sowjetunion sei an ernsthaften Verhandlungen interessiert, war das nicht nur für die Münchener CSU-Wochenendpostille, mit der Sie ja auch von Mal zu Mal Ihre Erfahrungen machen, Anlaß zu einer üblen Kampagne. Jetzt hat Herr Späth nach seinem Moskau-Besuch wörtlich dasselbe erklärt, nein, er ist noch weitergegangen, er hat der Sowjetunion sogar den ernsthaften Willen bescheinigt, in Genf zu einem Ergebnis zu kommen. Ist Herr Späth nun auch ein Agent Moskaus? Ich glaube das nicht. ({29}) Ich glaube vielmehr, daß es auch in Ihren Reihen Stimmen der Vernunft gibt, Frauen und Männer, die wissen, daß gerade diese Sache einen derartigen Primitivstil nicht verträgt, Frauen und Männer, die wissen, was auf dem Spiel steht, außen- wie innenpolitisch und - lassen Sie mich das hinzufügen - auch im Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten. Gerade diesen Aspekt - ich möchte das mit Ernst und Ruhe sagen - dürfen wir bei allem, was in den nächsten Monaten vor uns liegt, nicht aus den Augen verlieren. Im Gegenteil. Wir sollten uns bei jeder Entscheidung fragen, was wohl die Menschen - ich rede von den Menschen - in der DDR von uns erwarten, welche Entscheidung sie wohl befürworten würden. Das gehört nämlich auch zur Bewahrung und Pflege der Gemeinschaft der Deutschen, wenn dieser Begriff nicht nur eine Feiertagsfloskel oder ein leeres Gerede sein soll. Das gehört auch dazu. ({30}) Wir alle werden viel Vernunft, viel Engagement, viel Entscheidungskraft, aber auch Toleranz und auch schlüssige Konzepte brauchen: für die Überwindung der Arbeitslosigkeit, für die Sicherung des äußeren Friedens, auch für die Bewahrung des inneren Friedens. Die Konferenz von Williamsburg hat dazu wenig beigetragen, Ihre eigene Erklärung nicht mehr. Die Reihe der vertanen Chancen, die Sie, Herr Bundeskanzler, mit Ihrer Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 eröffnet haben, hat damit eine enttäuschende Fortsetzung gefunden. Im Blick auf den Stuttgarter EG-Gipfel kann ich Ihnen deshalb nur zurufen: Die Zeit wird knapp, werden Sie endlich konkret, Herr Bundeskanzler! Reden Sie nicht nur von den Hausaufgaben, sondern machen Sie diese Hausaufgaben, damit wir weiterkommen. ({31})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Das Wort hat der Kollege Wissmann.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Dr. Vogel hat seine Rede mit der Bemerkung beendet: Herr Bundeskanzler, werden Sie konkret. Ich meine, der Bundeskanzler, die Erklärungen des Weltwirtschaftsgipfels, unsere Politik sind konkret. ({0}) Was nicht konkret ist, Herr Kollege Dr. Vogel, ist Ihr Standpunkt zu den wesentlichen Fragen, die hier zur Debatte stehen, beispielsweise zu der Frage der Sicherheitspolitik. ({1}) Sie haben, Herr Kollege Dr. Vogel, Fragen in der Sicherheitspolitik an den Bundeskanzler gestellt. Ich meine, die Position der CDU/CSU ist hier heute in eindeutiger Klarheit umrissen worden. Was unklar bleibt, ist die Position der Sozialdemokraten, vor allem auch Ihre ganz persönliche, Herr Dr. Vogel. Sie waren doch als Justizminister Mitglied des Bundessicherheitsrates. Sie haben doch in dieser Eigenschaft alle wesentlichen sicherheitspolitischen Schritte der Regierung Schmidt mitgetragen. Sie haben den NATO-Doppelbeschluß gerade auch dort mitberaten. Sie wissen doch aus dieser Arbeit des Bundessicherheitsrates zuallererst, daß der NATO-Doppelbeschluß zwei Teile umfaßt: den Rüstungskontrollteil und auch den Stationierungsteil. Tun Sie doch nicht so, als wäre der Stationierungsteil von Amerikanern erfunden worden, sondern sagen Sie doch offen, daß das Bestandteil Ihrer Politik auch als Mitglied des Bundessicherheitsrates gewesen ist. ({2}) Meine Damen und Herren, angesichts dessen, was der Herr Kollege Vogel hier gesagt hat, ist es einfach notwendig, noch einmal daran zu erinnern, was der ehemalige Bundeskanzler Schmidt in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung" vom 7. April 1981 auch zur Stationierungsfrage gesagt hat - ich zitiere -: Die Wahrscheinlichkeit ist nicht gestiegen, daß jedwede Nachrüstung überflüssig wird, denn die Sowjets haben inzwischen über das im Jahre 1979 vermutete Ausmaß hinaus große Anstrengungen gemacht. Helmut Schmidt fährt dann fort: Inzwischen haben sie über 200 SS-20-Raketen stationiert, und dann sind da immer noch rund 400 SS-4- und SS-5-Raketen mit je einem Sprengkopf. Er fährt dann fort: „Ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich, daß die Sowjets das alles auf Null bringen" und zieht daraus die Konsequenz, daß der Nachrüstungsteil „möglicherweise sehr bald real" werden könnte. Wir wissen inzwischen, daß es nicht 200 SS-20-Raketen sind, die stationiert sind, sondere 351 - etwa 150 Raketen mehr als damals. Meine Bitte an den Kollegen Vogel wäre, daß er in seiner Fraktion Klarheit schafft und die Schlangenlinie verläßt, die die sozialdemokratische Fraktion in der Sicherheitspolitik seit dem Abschied aus der Regierung noch deutlicher fährt als schon vorher, und daß die Sozialdemokraten endlich sagen, wie sie zum NATO-Doppelbeschluß in seinen beiden Teilen stehen. ({3}) Meine Damen und Herren, ähnlich unklar sind die Bemerkungen, die der Kollege Vogel zur Wirtschaftspolitik, vor allem auch zum Weltwirtschaftsgipfel gemacht hat. Ich glaube, eine Auseinandersetzung mit der Bemerkung zum Tagungsort führt uns in der Sache nicht weiter. Herr Kollege Vogel, wenn Sie sagen, in Williamsburg habe man das Problem der Arbeitslosigkeit ja gar nicht unmittelbar spüren können, dann hatte ich nicht den Eindruck, daß Versailles, der Tagungsort des letzten Weltwirtschaftsgipfels, nun eine Atmosphäre geschaffen hätte, die diesem Zusammenhang nähergekommen wäre. ({4}) Lassen wir doch solche Auseinandersetzungen! Reden wir doch über Inhalte und nicht über Fragen des Ortes. Ich glaube, das ist doch wesentlicher. Dann sagen Sie mit Recht, Herr Dr. Vogel - der Bundeskanzler hat dies ja ebenfalls deutlich gesagt, ebenso der Bundeswirtschaftsminister -, daß die Problematik der Zinsentwicklung leider nicht gebrochen sei. Nur, Herr Kollege Dr. Vogel: Wer im Glashaus sitzt, sollte am wenigsten mit Steinen werfen. Und es ist ja nun einmal leider Wahrheit, daß in Ihrer Regierungszeit die überhöhten Haushaltsdefizite wesentliche Ursachen für die Zinsentwicklung in Deutschland waren. ({5}) Sie haben am allerwenigsten das Recht, in diesem Punkt Kritik zu äußern. Ich möchte in diesem Zusammenhang den führenden Wirtschaftsberater des amerikanischen Präsidenten, Martin Feldstein, zitieren, der in der „New York Times" vor wenigen Tagen wörtlich ausführte: Die Hartnäckigkeit der Realzinsen basiert hauptsächlich auf der weit verbreiteten Sorge, daß die sehr hohen Budgetdefizite sich während der nächsten Jahre auf diesem hohen Niveau halten werden. Er macht dann deutlich er eine Senkung der Defizite für dringend. notwendig hält. ({6}) Ähnlich hat sich der Bundeskanzler hier ausgedrückt. Die Ergebnisse des Weltwirtschaftsgipfels haben dies unterstrichen. Ich sage hier für die CDU/CSU-Fraktion: Natürlich muß aus diesen Papieren konkrete Politik werden, natürlich hemmt das Zinsniveau die wirtschaftliche Entwicklung, und natürlich appellieren wir auch an unsere amerikanischen Freunde, in Einsicht dieser Zusammenhänge die notwendigen Konsequenzen zu ziehen und alles zu unternehmen, um die Ursachen des hohen Zinsniveaus energisch zu bekämpfen. Aber wenn Sie zugehört hätten, Herr Kollege Vogel, hätten Sie dies beim Bundeskanzler in seiner Erklärung heute genauso klar hören können wie bei seinen Einlassungen beim Weltwirtschaftsgipfel. ({7}) Strittig sind nicht die Position des Bundeskanzlers und seine Bemerkungen, sondern strittig und unklar ist Ihre Position. Sie reden von hohen Zinsen und sind nicht bereit, in der deutschen Haushaltspolitik Ihren Beitrag zu leisten, damit wir selber durch eine sorgsamere Haushaltspolitik als früher eigene Beiträge zu einer Entwicklung zu niedrigeren Zinsen setzen. ({8}) Ich möchte namens der CDU/CSU-Fraktion dem Bundeskanzler und allen Ministern für den deutschen Beitrag in Williamsburg danken. ({9}) und für die Tatsache, daß es in Williamsburg erstmals gelungen ist, den Zusammenhang herzustellen, der notwendig ist, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen: disziplinierte Geldpolitik, solide Finanzpolitik, Stabilisierung der Devisenmärkte, produktivitäts- und beschäftigungsorientierte Wirtschaftspolitik und Politik gegen Handelsbeschränkungen. Das sind fünf Punkte, die in der Deklaration von Williamsburg konkret angesprochen werden. Dieser Zusammenhang ist es doch, der uns am ehesten in die Lage versetzt, weltweit wirksamer gegen Arbeitslosigkeit vorzugehen. Und wir begrüßen auch, daß es erstmals bei einem Wirtschaftsgipfel möglich war, konkret von dem Thema Jugendarbeitslosigkeit auch in der Schlußerklärung zu reden. Wir wären froh gewesen, wäre das schon in früheren Jahren möglich gewesen. Wir sind froh, daß dies jetzt möglich ist. ({10}) Meine Damen und Herren, natürlich geht es darum die Beschlüsse von Williamsburg in die Tat umzusetzen. Natürlich geht es auch darum, die Hausaufgaben, wie sich der Bundeskanzler ausgedrückt hat, in allen Ländern zu achen. Wir selber in Deutschland haben mit unseren Haushaltsbeschlüssen den entscheidenden Beitrag dazu geleistet, unsere Hausaufgaben zu machen. Herr Kollege Vogel, es wäre gut, wenn die sozialdemokratische Fraktion ernsthafter als bisher bereit wäre, zu Fragen der Haushaltspolitik nicht immer dann auszuweichen, wenn es konkret wird, sondern die Mahnung des früheren Bundeskanzlers Schmidt, bereit zu sein, auch Einsparungen vorzunehmen, wenn man Beschäftigungspolitik im guten Sinne des Wortes betreiben wolle, endlich auch in Ihre heutigen Beschlüsse einfließen zu lassen.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Roth?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Bitte schön.

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Kollege Wissmann, Sie haben vorhin - und jetzt klingt es wieder an - die Haushaltsdefizite zum Hauptbestimmungsgrund für die nationalen Zinsen in der Bunderepublik gemacht. Darf ich aus der Bewegung der Zinsen nach oben schließen, daß der Kapitalmarkt nicht glaubt, daß Sie erfolgreich eine Konsolidierungspolitik erreichen können? Denn anders wäre nach Ihrer Theorie die Zinssteigerung in der Bundesrepublik nicht zu erklären, ({0})

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Roth, keiner hier im Hause wird den Versuch machen, Zinsentwicklungen monokausal, mit einem Grunde nur, zu erklären. Wir alle wissen, daß die Zinsentwicklung von weltwirtschaftlichen Faktoren, von der amerikanischen Zinsentwicklung ({0}) und von unseren eigenen Beiträgen ebenfalls abhängt. Ich sage nur: Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Und deswegen meine ich, auch die anderen sollten ihre Hausaufgaben machen. ({1}) Vielleicht, lieber Kollege Roth - Sie haben da bessere Beziehungen -, wäre es nützlich, wenn Sie in der Wirtschafts- und Finanzpolitik auf Ihre französischen Freunde einwirkten, damit auch die ihre wirtschafts- und finanzpolitischen Hausaufgaben in diesem Punkte machen. ({2}) Meine Damen und Herren, ich will auf einen Punkt eingehen, der vorhin unzutreffenderweise vom Kollegen Vogel genannt wurde. Es wurde ein Brief erwähnt, den es nicht gibt. Es gibt keinen Brief von fünf christlich-demokratischen Ministerpräsidenten an den Bundeskanzler zur Arbeitsmarktpolitik. Ich würde Sie also bitten, nicht mit Phantombriefen zu operieren, sondern mit Wirklichkeiten. Das würde auch Ihrer Glaubwürdigkeit in der Wirtschafts- und Finanzpolitik guttun. Meine Damen und Herren, wir diskutieren hier nicht nur über Williamsburg, sondern auch über den Jahreswirtschaftsbericht und über das Sachverständigengutachten. Ich meine, daß die Feststellungen des Sachverständigenrates zur aktuellen Situation unseres Landes und zur Therapie hinsichtlich der Krisenbewältigung auch und gerade hier in diesem Hause unterstrichen werden sollten. Ich möchte dem Sachverständigenrat ausdrücklich für seine Arbeit danken, und ich meine, wir sollten ihn vor allen polemischen Angriffen derjenigen in Schutz nehmen, die nicht bereit sind, unabhängige wissenschaftliche Urteile zu akzeptieren. Der Rat hat deutlich ausgeführt, daß wir es nicht mit einer allgemeinen Nachfragekrise auf Grund allgemein destabilisierter Erwartungen zu tun haben, sondern im Kern mit Anpassungsproblemen. Der Rat stellt dann fest, in der Bundesrepublik stehe keine die Anpassungsfähigkeit der Wirtschaft gefährdende Politik zur Diskussion, auch keine Kopie der englischen Wirtschaftspolitik, und er sagt ferner, der Vorwurf einer deflatorischen Politik sei abwegig. Er fügt hinzu, was, glaube ich, für uns alle zu wissen wichtig ist: ein Weg aus der Krise sei nur dann möglich, wenn auch eine sachgerechtere Einstellung zum Ziel des wirtschaftlichen Wachstums - ich sage: in allen Parteien des Hauses - entwickelt wird. Er fügt noch eines hinzu, was wir uns bei aller Problematik heute alle gemeinsam merken sollten. Er sagt nämlich wörtlich: Für eine Gesellschaft, die weniger bevormundet werden will, aber möglicherweise nicht mehr Selbstverantwortung will und auch den Rang einer weiteren Steigerung des materiellen Wohlstands niedriger ansetzt, einen beschäftigungspolitischen Weg aus der Arbeitslosigkeit zu weisen ist schwieriger, als es unter den Bedingungen der 50er und 60er Jahre war. Der Rat macht dann Vorschläge, um aus der Krise herauszufinden, Vorschläge, die im wesentlichen denen des Jahreswirtschaftsberichts entsprechen. Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, der entscheidende Punkt dabei ist, daß wir erkennen, daß wir Arbeitslosigkeit nicht mit einigen scheinbaren Patentrezepten großer Beschäftigungsprogramme werden bekämpfen können, sondern sie nur dann schrittweise eindämmen werden, wenn wir bereit sind, die Ursachen der Fehlentwicklungen zu korrigieren. Nach unserer Meinung liegt die Hauptursache unserer wirtschaftlichen Krise in der bewußten Verschiebung der volkswirtschaftlichen Verteilungsrelationen zugunsten des Verbrauchs, zugunsten des Staates, zugunsten der bürokratischen Verteilungs- und Verwaltungsmechanismen zu Lasten der Investitionen, zu Lasten des Wachstums, zu Lasten der Beschäftigung und schließlich auch zu Lasten der Finanzen der sozialen Sicherungssysteme. Meine Damen und Herren, deutlich wird dieser Zusammenhang an der Entwicklung der Anlageinvestitionen in der Bundesrepublik Deutschland zwischen 1970 und 1982, die 1982 nur um 6 % höher waren als 1970, während gleichzeitig der Staatsverbrauch um 44 % und der private Verbrauch um 32 % gestiegen sind. Um diesen Zusammenhang an Hand von Zahlen noch deutlicher herauszuarbeiten, sollte, meine Damen und Herren, folgendes hinzugefügt werden: Von den verfügbaren Einkommen unserer Volkswirtschaft verbrauchten die privaten Haushalte 1960 62,3 % und 1982 65,6 %, der Staat 1960 14,6 % und 1982 24,1 %. Und jetzt bitte ich gerade die sozialdemokratischen Kollegen, zuzuhören: Von den verfügbaren Einkommen unserer Volkswirtschaft wurden 1960 21,4 % und 1982 noch genau 9,7 % investiert. ({3}) In diesem Zusammenhang, der im Jahreswirtschaftsbericht eindeutig herausgearbeitet ist, meine Damen und Herren, liegt der Hauptgrund für unsere wirtschaftlichen Probleme. Nur wenn wir dies erkennen, werden wir Arbeitslosigkeit so wirksam bekämpfen können, wie es doch wohl unser gemeinsames Ziel sein müßte. ({4})

Dr. Rainer Barzel (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000102

Herr Kollege, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer? - Bitte, Herr Kollege Matthöfer.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wissmann, wenn es so ist, daß der Verbrauch zu stark gestiegen ist und die Investitionen zuwenig gewachsen sind: Wie erklären Sie sich dann die in fast allen Industriezweigen vorhandene Überkapazität? ({0})

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Wir haben es - das wissen wir alle gemeinsam - mit einer Nachfrageproblematik zu tun, und wir haben es weiter, wie Sie auch wissen, Herr Kollege Matthöfer, mit einer Veränderung der volkswirtschaftlichen Relationen zugunsten der Staatsquote zu tun. In diesem Zusammenhang, so finde ich, ist die beste Antwort, die man geben kann, Ihre Haushaltsrede, die Sie im Jahre 1982 gehalten haben. Ich darf in diesem Zusammenhang zwei Zitate anführen. Sie sagen dort: Wir sollten erkennen - ich habe den Eindruck, daß Sie die Rede damals auch mit Blick auf die SPD gehalten haben -, ({0}) daß es falsch sei, die ständig angestiegene Quote der Sozialausgaben zu leugnen. Sie sagen dann weiter, daß es ein Problem sei, daß diese Entwicklung - wörtlich - „vielleicht die Menschen davon abhalte, ihre eigenen Kräfte so zur Entfaltung zu bringen, wie es ihnen eigentlich möglich wäre". Originalzitat Matthöfer. - Meine Damen und Herren, ich glaube, Sie haben doch selber erkannt, wo die Ursachen liegen. Sagen Sie es doch einmal in Ihrer Fraktion, damit die sozialdemokratische Fraktion daraus die Konsequenzen zieht! ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Wissmann, sind Sie bereit, eine weitere Zwischenfrage zuzulassen?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Gern.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Noch eine Frage, Herr Kollege Wissmann: Sind Sie denn, wenn Sie schon Zitate von mir verlesen, auch so liebenswürdig, die dutzendfach vorgetragene Argumentation zu verlesen, daß man im gleichgewichtigen Wachstumsprozeß auch eine stetig wachsende Massenkaufkraft braucht und daß das Ungleichgewicht nicht durch ein Zurückschneiden der Massenkaufkraft, sondern durch ein stärkeres Ansteigen der Investitionen beseitigt werden kann? ({0})

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Matthöfer, den Zusammenhang leugnet hier gar niemand. Nur haben Sie als sozialdemokratische Fraktion in Ihrer heutigen Politik, vertreten etwa durch den Kollegen Wolfgang Roth, die Einsichten, die noch Helmut Schmidt in seinen letzten Tagen als Kanzler und Sie als Finanzminister hier selbst geäußert haben, inzwischen alle über Bord geworfen. Helmut Schmidt sagte in seiner letzten Rede wörtlich: Wer mehr für die beschäftigungswirksamen Ausgaben des Staates tun will, muß tiefer, noch viel tiefer als hier in die Sozialleistungen reinschneiden. ({0}) Meine Damen und Herren, das ist nicht eine Äußerung der CDU/CSU-Fraktion gewesen, das ist Helmut Schmidt. Das ist, wie ich finde, auch die beste Antwort auf Ihre Frage. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, die Zwischenfragen des Kollegen Matthöfer und die Äußerungen des Kollegen Vogel machen es notwendig, ohne alle Polemik, aber in der Sache klar einmal die Frage zu stellen, was eigentlich sozialdemokratische Wirtschaftspolitik des Juni 1983, was eigentlich Ihre wirtschaftspolitische Alternative ist. Ich will es an zwei Beispielen sagen: Da erklärt der Kollege Lahnstein Ende April auf einer Tagung der Brookings Institution in Washington, also weit weg von unserer aktuellen Diskussion hier, aber trotzdem nicht wegleugbar, wörtlich - zusammen übrigens mit Raymond Barre, dem früheren französischen Premierminister -, daß wir „die ausufernden Anforderungen an die Sozialausgaben in den Ländern der Industrienationen einschränken" müssen. Zitat aus dem Statement, das Herr Lahnstein unterzeichnet hat. Gleichzeitig greift uns der Kollege Wolfgang Roth an, weil wir in Haushaltsbeschlüssen versucht haben, ein sozial vertretbares, ausgewogenes Sparkonzept durchzusetzen; Widerspruch Nummer eins. Ich hätte dem Kollegen Roth, der vorhin dazwischengerufen hat, hier auch noch ein paar andere Widersprüche zu nennen. Da schreibt der Kollege Roth in seinem Buch 1982 wörtlich, ({2}) daß man ohne Sn e Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen nicht auskomme. Vor zwei Tagen erklärte die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, daß man die Selbstbeteiligung im Gesundheitswesen auch in den Teilen, die von den Sozialdemokraten selbst eingeführt worden sind, offensichtlich zurücknehmen soll.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Wissmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, ich möchte diesen Zusammenhang noch ausführen. Auf der einen Seite sagen Herr Lahnstein, Herr Matthöfer und gelegentlich auch Helmut Schmidt Positives zur Sozialen Marktwirtschaft. Auf der anderen Seite machen die Sozialdemokraten in München bei ihrem Parteitag ein Programm, das von Strukturräten, Staatsinterventionen, höherer Staatsquote, mehr Bürokratie, der Einführung von Meldepflichten geradezu wimmelt. ({0}) Herr Kollege Vogel, ich kann es Ihnen nicht ersparen zu sagen: Solange es keine überzeugende Alternative der SPD in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gibt, ist Ihre Kritik an der Regierung ganz besonders unglaubwürdig. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Wissmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Abgeordneten Heinz Rapp zuzulassen?

Heinz Rapp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001774, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wissmann, in welchem Licht erscheint Ihnen heute die Tatsache, daß Ihre Fraktion, als wir Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung getroffen haben, sich ständig versagt und jahrelang auf alle Leistungsgesetze und Ausgabengesetze nicht nur im Vermittlungsausschuß, sondern auch über den Bundesrat draufgesattelt hat?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Rapp, ich erinnere mich daran - Sie werden sich sicher auch daran erinnern -, daß die von der CDU/CSU geführten Länder unter Beteiligung der CDU/CSU-Fraktion im Vermittlungsausschuß mehrfach gemeinsame Sparbeschlüsse in Ihrer Regierungszeit mitgetragen und überhaupt erst möglich gemacht haben. Ich möchte hoffen, Sie hätten dieselbe Verantwortung gegenüber unseren heutigen Haushaltsbeschlüssen, wie wir sie damals gezeigt haben. ({0}) Meine Damen und Herren, ich will hier einmal sagen: Es geht dabei doch nicht um Parteitaktik, ({1}) sondern es geht um die Frage, ob wir unseren Haushalt gemeinsam in Ordnung bringen, auf diesem Weg Spielräume für Investitionen schaffen, auf diesem Weg Spielräume für Zinssenkungen schaffen, auf diesem Weg Spielräume für eine bessere Entfaltung gerade auch der privaten Initiative schaffen, auf diesem Weg Gelder für eine Förderung gerade der kleinen und mittleren Betriebe freibekommen und dadurch auf Dauer die Arbeitslosigkeit so wirksam wie möglich bekämpfen. Ich hoffe, daß Sie frühere Einsichten nicht einfach beiseite schieben, sondern zu diesen Einsichten auch in der Oppositionszeit stehen. ({2}) Herr Präsident, meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt den Jahreswirtschaftsbericht und die Grundlinien des Sachverständigengutachtens ausdrücklich. Ich möchte hier in fünf Punkten die Schwerpunkte, die sich aus diesem Jahreswirtschaftsbericht und dem Sachverständigengutachten ergeben, noch einmal konkretisieren, wie sie gerade auch für unsere Arbeit wichtig sind. Erstens. Wir meinen, daß in den kommenden Monaten und Jahren ein ganz besonderer Schwerpunkt gelegt werden muß auf die Förderung von Existenzgründungen und Finanzierungshilfen für junge Leute, die bereit sind, sich selbständig zu machen. Vor kurzem ist bei der Handwerkskammer Stuttgart unter den dortigen Meistern eine Umfrage durchgeführt worden, in der gefragt wurde, wieviele von ihnen bereit seien, sich selbständig zu machen. Mehr als 50 % der befragten jungen Handwerksmeister haben ihr Interesse und ihre Bereitschaft an der Selbständigkeit geäußert. Es muß doch unser gemeinsames Ziel sein, bürokratische Hindernisse, die noch auf dem Weg zur Selbständigkeit liegen, zu beseitigen, junge Leute zu ermutigen, das Risiko auf sich zu nehmen. Ich finde es deswegen besonders begrüßenswert, daß die Bundesregierung seit Jahresbeginn das Existenzgründungsprogramm verbessert hat. Ich finde es auch begrüßenswert, daß die Bundesregierung bereit ist, die Anregungen des Sachverständigenrats, zusätzliche Schritte zur Vereinfachung der Existenzgründungsprogramme und zum Abbau bürokratischer Hemmnisse zu tun, in Zukunft durchzusetzen. Jeder junge Mann und jede junge Frau, die bereit sind, sich im Handwerk, im Mittelstand, im Handel selbständig zu machen, schaffen neue Arbeitsplätze. Wenn es uns gelingen sollte, eine Existenzgründungswelle möglich zu machen, könnten wir Hunderttausende von neuen Arbeitsplätzen schaffen. Jede Mark, die wir dafür ausgeben, bringt mehr als jede Mark, die wir in manches Faß ohne Boden in großen Unternehmen geben. ({3}) Der zweite Punkt: Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßt es, daß die Regierung noch am 29. Juni 1983 den Ausbau der betrieblichen Vermögensbildung beschließen wird. Wir wollen damit der Bildung von Risikokapital ebenso dienen wie den Interessen breiter Schichten der Arbeitnehmerschaft. Wir haben dafür in unseren Haushaltsentwurf 500 Millionen DM als ersten Schritt eingesetzt. Weitere Schritte über den jetzt möglichen hinaus werden folgen. Meine Bitte an Sie wäre nur: Helfen Sie mit, die ideologischen Hindernisse zu beseitigen, die noch von vielen auf dem Wege zur betrieblichen Vermögensbildung gelegt werden. Wir wissen, daß es in Teilen der SPD, bei den Jungsozialisten und auch in Teilen der Gewerkschaften Vertreter gibt, die wörtlich sagen, Vermögensbildung diene der Förderung der kleinkapitalistischen Mentalität der Arbeitnehmer. Sie lehnen deswegen Vermögensbildung ab. Wir müssen den Widerstand der Ewiggestrigen gegen solche Formen der Vermögensbildung und den Widerstand der Ideologen gegen Vermögensbildung beseitigen. Das geht nur, wenn wir uns dazu bekennen, jetzt in einem ersten Schritt die Durchführung eines Konzepts der freiwilligen betrieblichen Gewinn- und Kapitalbeteiligung möglich zu machen, die 624 DM des gleichnamigen Gesetzes auf 936 DM mit der Konzentration auf Produktivkapital auszuweiten. Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand ist die beste Strategie gegen Klassenkampf und für Partnerschaft. Deswegen bekennt sich die CDU/ CSU zu einer solchen Politik. ({4}) Der dritte Punkt: Wir meinen, es ist unabdingbar notwenig, die Wirtschaft von bürokratischen Fesseln zu befreien. Das Institut für Mittelstandsforschung hat vor einiger Zeit ausgerechnet, daß der Anteil der Kosten für administrative Leistungen bei Betrieben bis zu 5 Millionen DM Umsatz in Prozent des Umsatzes und der Peronalkosten weit höher liegt als bei großen Betrieben. Mir hat ein Unternehmer aus meinem Wahlkreis vor kurzem glaubwürdig berichtet, daß in seinem kleinen Betrieb mit 15 Mitarbeitern ein Mitarbeiter ausschließlich damit beschäftigt ist, Statistiken auszufüllen und Anfragen der Verwaltungen zu beantworten. ({5}) Es müßte unser gemeinsames Interesse sein, Herr Kollege Matthöfer, bürokratische Fesseln zu sprengen; denn es kann doch nicht so weitergehen, - ({6}) - Herr Matthöfer, ich freue mich, daß Sie sich ereifern. Ich wäre allerdings bereit, Ihre Zwischenrufe für glaubwürdiger zu halten - ({7}) - Herr Kollege Matthöfer, in aller Gelassenheit: Wenn Sie sich für Entbürokratisierung einsetzen, wenn Sie sich für die Sprengung bürokratischer Fesseln engagieren, sollten Sie sich doch gleichwohl zu Ihrer Verantwortung bekennen, die Sie für die gewaltige Ausdehnung der Verwaltungsleistungen während Ihrer Regierungszeit tragen. Ich will Ihnen das an einer Zahl deutlich machen. Die Gesamtkosten für vom Staat auf die Wirtschaft - vor allem auf den Mittelstand, auf kleinere und mittlere Betriebe des Handwerks - abgewälzte Verwaltungsleistungen betrugen im Jahre 1971 21,6 Milliarden DM und im Jahre 1982 42,8 Milliarden DM. ({8}) Wenn wir uns fragen, warum zuwenig investiert wird, dann haben wir hier einen Teil der Antwort, den man auch nennen muß. Auch deswegen müssen wir entbürokratisieren. ({9})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Wissmann, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage des Herrn Kollegen Dr. Ehrenberg zu beantworten?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Aber selbstverständlich gerne, Herr Kollege.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wissmann, würden Sie bitte dem Hause erläutern, wieviel Bürokratie mit dem Gesetzentwurf über die rückzahlbare Investitionsabgabe abgebaut wird, und wieviel an Verwaltungsabbau bei der Sozialverwaltung mit der Selbstbeteiligung bei Kuren und Krankenhausaufenthalten Ihrer Meinung nach geschieht. Oder sagen Sie vielleicht dem Hause, wie hoch die zusätzliche bürokratische Belastung durch diese Gesetze ist. ({0})

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich kann Ihnen das sehr klar am Beispiel dieser Selbstbeteiligung sagen. Wir wissen inzwischen, daß die Maßnahmen, die Sie als sozialdemokratische Regierung getroffen haben - daran möchte ich erinnern; Sie waren damals ja auch schon im Deutschen Bundestag, Herr Kollege Ehrenberg, und haben das mitgetragen -, ({0}) und die Maßnahmen, die wir getroffen haben, einem Ziel dienen sollen: mehr Kostenbewußtsein der Bürger im Gesundheitswesen möglich zu machen, um auf diese Weise die Gesamtkosten für das Gesundheitswesen zu senken und auf diese Weise die Gesamtbelastung des einzelnen Bürgers, der ja letztlich das Gesundheitswesen bezahlt, niedriger zu machen, als sie nach der sich heute abzeichnenden bedrohlichen Entwicklung sonst wäre. ({1}) - Ich bin gerne bereit, dies auch zu beantworten. Ich sage Ihnen, lieber Herr Kollege Ehrenberg, dazu nur: Die Bürokratisierungsbelastung, die sich daraus ergibt und die niemand leugnet, hält sich in Grenzen und ist nichts im Vergleich zu dem, was wir gerade in den nächsten Jahren an finanzieller Entlastung für den Bundeshaushalt bekommen. ({2}) Sie wissen ja, daß wir in den nächsten Jahren 3,5 Milliarden DM zusätzliche Entlastungen auch für kleinere und mittlere Betriebe zur Verfügung stellen, um auf diese Weise Impulse zu geben, die es vor allem kleinen und mittleren Betrieben möglich machen, mehr als bisher zu investieren. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich einen vierten Punkt nennen. Wir als Union haben ein sehr klares Bekenntnis zum Abbau staatlicher Leistungen - wo immer möglich - zum Ausdruck gebracht. Wir haben dabei auch gesagt, daß wir das Thema „Subventionen" in ersten vorsichtigen Schritten angehen werden. Wir sagen auch angesichts des aktuellen Andrangs nach Förderung aus der Stahlindustrie und der Werftindustrie: Wir als CDU/CSU-Fraktion werden in den kommenden Monaten und Jahren gemeinsam mit der Regierung schrittweise Beiträge zum Abbau von Subventionen leisten. Wir wissen aber eines - das wäre ein Punkt, dem sich auch die Sozialdemokraten verschreiben könnten -: daß wir das Problem der Subventionen nur dann lösen werden, wenn wir auch auf europäischer Ebene das Bewußtsein dafür schaffen, daß ein ständiger Subventionswettlauf auf Dauer nicht neue Arbeitsplätze schafft, sondern marktwirtschaftliche Strukturen zerstört und damit Arbeitsplätze gefährdet. ({3}) Deswegen müssen wir gemeinsam dazu beitragen, meine Damen und Herren, daß der europäische Subventionswettlauf nicht weiter angeheizt, sondern gestoppt wird. Wir sind der Bundesregierung dankbar, daß sie bei den Beratungen in Brüssel auf diesen Punkt besonders Wert legt. Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie, gerade auch angesichts aktueller Anforderungen, mit dazu beitrügen, den Bedarf an Subventionen in Grenzen zu halten. Ich möchte einen fünften Punkt nennen, der oft nicht der Wirtschaftspolitik zugeordnet wird, von dem ich aber doch meine, daß wir ihn gerade auch in dieser Debatte ansprechen sollten, zumal die Erklärung von Williamsburg erfreulicherweise ein Kapitel diesem Thema gewidmet hat. Es handelt sich um den Umweltschutz. ({4}) In Williamsburg wurde die bessere Zusammenarbeit im Umweltschutz in Aussicht gestellt. Wir als CDU/CSU-Fraktion treten dafür ein, auch im Umweltschutz mehr marktwirtschaftliche Elemente durchzusetzen. Beispiele in den Vereinigten Staaten zeigen, daß der Umweltschutz durch marktwirtschaftliche Anreize für die Eigeninitiative der Wirtschaft schneller und wirksamer werden kann. Das bestehende Umweltschutzsystem von Auflagen, von Geboten und Verboten könnte möglicherweise schrittweise durch marktwirtschaftliche Impulse ergänzt und teilweise auch ersetzt werden. Das IFO-Institut befürwortet eine solche Umweltpolitik. Der Konstanzer Professor Holger Bonus beispielsweise hat gerade jetzt vor einem Symposium noch einmal am Beispiel amerikanischer Vorbilder gezeigt, daß Einzeleingriffe mit konkreten Geboten und Verboten häufig weniger bringen an umweltpolitischen Ergebnissen als die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente in bestimmten Industrieregionen, wo dann beispielsweise Verschmutzungsrechte ab- und angekauft werden und der ganzen Region eine Gesamtauflage gemacht wird, die dann nach marktwirtschaftlichen Elementen kostenmäßig für die einzelnen Betriebe wirksam wird. Meine Damen und Herren, wir sollten die Konzeption der Sozialen Marktwirtschaft nicht aus der Umweltpolitik verbannen; sie muß Grundlage einer Wirtschaftspolitik sein, die Ökonomie und Ökologie versöhnt. Wir sollten dabei auch bereit sein, über den Schatten mancher traditioneller Umweltpolitik in unserem Denken und schließlich auch in unserem Handeln hinauszugehen, wenn wir wissen, daß es Beispiele gibt, in denen Anreize zur Eigeninitiative von Unternehmen, die dadurch bereit sind, weniger Umwelt zu verschmutzen, mehr bringen als bürokratische Fesseln, die häufig eher den Widerstand gegen Umweltauflagen begünstigen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Nein, ich möchte jetzt zum Schluß kommen. Wir als CDU/CSU-Fraktion machen die Umsetzung der erfreulichen Ergebnisse von Williamsburg, die Umsetzung des Jahreswirtschaftsberichts und die Berücksichtigung des Sachverständigengutachtens zum Inhalt unserer Politik, einer Politik, die das Ziel hat, die Arbeitslosigkeit einzudämmen, die das Ziel hat, kleinen und mittleren Betrieben neue Chancen zu geben, die das Ziel hat, jungen Leuten Mut zur Existenzgründung zu machen, die das Ziel hat, bürokratische Fesseln abzuwerfen, und damit das Ziel hat, ein Wachstum möglich zu machen, das wir brauchen, ein Wachstum, das Rücksicht auf die Umwelt nimmt, ein Wachstum aber, das uns die Chance gibt, unsere wirtschaftlichen Probleme zu lösen. Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Fraktion wird auf diesem wirtschaftspolitischen Wege die Regierung mit aller Kraft unterstützen. Die CDU/CSU-Fraktion würde sich freuen, wenn wir möglichst bald - vielleicht noch in dieser Debatte - auf die konkrete Regierungspolitik eine klare, eine kohärente Antwort in Form einer Alternative durch die SPD-Fraktion bekommen würden. - Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft, Graf Lambsdorff.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Der politische Ablauf des Jahres 1983 hat es mit sich gebracht, daß wir den Jahreswirtschaftsbericht im Parlament sehr viel später diskutieren, als es normalerweise der Fall gewesen ist. Die Tatsache, daß wir heute in einer verbundenen Debatte über zwei Tagesordnungspunkte beraten, scheint mir auch zu einer gewissen Verwirrung mindestens beitragen zu können. Aber der verspätete Behandlungszeitpunkt hat vielleicht auch den Vorteil, daß man aus längerer Rückschau noch ein bißchen genauer sehen kann, inwieweit die Aussagen des Jahreswirtschaftsberichtes und auch des Sachverständigengutachtens in der wirtschaftspolitischen Diskussion eine Rolle gespielt haben, inwieweit die Vorausschätzungen Wirklichkeit geworden sind. Die Koalition der Mitte stand, als sie antrat, vor einer wirtschaftspolitischen Doppelaufgabe. In der kurzen Perspektive galt es, der wachsenden Verunsicherung, dem sich ausbreitenden Pessimismus in der Wirtschaft und den rezessiven Tendenzen Einhalt zu gebieten. In der längerfristigen Perspektive waren grundlegende Korrekturen notwendig, um die konstitutionellen Schwächen der deutschen Wirtschaft zu beseitigen. ({0}) Wir waren uns in bezug auf das, was zu leisten war, mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung einig, dessen Gutachten wir hier mit beraten. Ich möchte dem Rat auch im Namen der Bundesregierung für seine beiden Gutachten aus dem vergangenen Jahr herzlich danken. Ich weiß sehr wohl, daß dieser Dank, der hier jedes Jahr ausgesprochen wird, ein wenig formelhaft wirkt. Er ist nicht so gemeint. Meine Damen und Herren, mit dem Dringlichkeitsprogramm vom Herbst letzten Jahres haben wir der kurzfristig gestellten Aufgabe Rechnung getragen. Wir haben die Konsolidierung der strukturellen Haushaltsdefizite eingeleitet, die Bedingungen für mehr private Investitionen verbessert und vor allem im Wohnungsbau rasch wirkende Maßnahmen zur Belebung der Nachfrage ergriffen. ({1}) - Das geht j a wohl noch weit zurück. ({2}) Meine Damen und Herren, diesem Programm lag nicht, wie von Ihnen gerne behauptet, eine einseitige Strategie - entweder à la Keynes oder à la Friedman - zugrunde, und die Strategie bestand schon gar nicht, wie von der Opposition immer wieder dargestellt wird, in einer Verschlechterung der Nachfragebedingungen der deutschen Wirtschaft. Als wir den Jahreswirtschaftsbericht 1983 Ende Januar vorgelegt haben, sind wir davon ausgegangen, daß diese Maßnahmen zusammen mit den verbesserten Rahmenbedingungen eine wirtschaftliche Erholung und ein Wachstum von rund 2,5 % im Verlauf des Jahres 1983 erwarten lassen. Für den Jahresdurchschnitt bedeutet dies ein real konstantes Sozialprodukt. Ihr Kommentar, Herr Kollege Vogel, zu den Annahmen des Jahreswirtschaftsberichtes war damals: „Woher in dieser Situation Auftriebskräfte kommen sollen, kann auch die Bundesregierung nicht erklären." - Ich meine, die Tatsachen sprechen inzwischen gegen Sie, Herr Vogel, und für die Bundesregierung. Die Prognosen für 1983 konnten jetzt, nachdem das Datenbild klarer geworden ist, revidiert werden, und zwar nach oben. ({3}) Die Wirtschaftsforschungsinstitute rechnen nun mit einem Wachstum von 0,5%. Die Bundesbank rechnet mit einem realen Wachstum von 1 %. Beim Stichwort „Wirtschaftsforschungsinstitute", Herr Kollege Roth, fällt mir ein, daß ich in der Debatte am 5. Mai hier die Stellungnahme des „Parlamentarisch-Politischen Pressedienstes" mit der Überschrift „Die Forschunginstitute: Pinochet läßt grüßen" kritisiert habe und dafür mit heftigen unfreundlichen Zwischenrufen aus Ihrer Fraktion bedacht worden bin. Ich möchte ausdrücklich anerkennen, Herr Roth, daß Sie diesen Fall inzwischen klargestellt haben, indem Sie in Ihrer Erklärung gesagt haben, es handle sich um polemisch überzogene Ausdrucksweise und teilweise groteske Wortwahl; weder die Sozialdemokratische Partei noch die sozialdemokratische Fraktion hätte mit diesem Umgangsstil etwas zu tun. Ich möchte das dankbar erwähnen. Meine Damen und Herren, selbst das von Herrn Professor Krupp, Ihrem wirtschaftspolitischen Berater im Wahlkampf, Herr Vogel, geleitete Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin spricht inzwischen von einer Tendenzwende. Es spricht davon - ich zitiere wörtlich -, „daß die Auftragseingänge bei der Industrie Anlaß zu der Hoffnung geben, daß es sich bei der leichten konjunkturellen Belebung nicht nur um ein kurzes Strohfeuer handelt". Bei der Arbeitslosenzahl kann, wie wir von Anfang an betont haben, noch keine durchgreifende Besserung erwartet werden. Wir dürften aber dem Ziel, die ungünstige Entwicklung zum Stillstand zu bringen, einen entscheidenden Schritt nähergekommen sein, denn eines, meine Damen und Herren, steht unweigerlich fest: Der Aufschwung ist die Conditio sine qua non für den längerfristigen Abbau der hohen Arbeitslosigkeit.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Ehrenberg zu hören?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Aber selbstverständlich.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Lambsdorff, sind Sie bereit, zu bestätigen, daß entgegen der durch das DIW festgestellten Tendenz bei der morgen oder übermorgen in Ihrem Hause druckfertig werdenden Auftragsstatistik im Zwei-Monats-Vergleich ein Minus von fünf Prozent veröffentlicht werden wird?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege Ehrenberg, die Zahlen sind nicht erst morgen druckfertig zur Verfügung - so verfahren wir nämlich nicht -, sondern sind heute unter dem Datum vom 9. veröffentlicht worden. Die Auftragseingänge im April sind in der Tat nicht zufriedenstellend. Aber jeder von uns weiß: Im Februar waren sie nicht gut. Im März waren sie überraschend gut. Im April ist wieder ein leichter Rückschlag. Wir alle wissen: Die Entwicklung ist noch von heftigen Risiken begleitet und mit vielen Fragezeichen versehen. Gesichert ist die wirtschaftliche Entwicklung noch nicht. Und dies ist genau der Punkt, auf den ich jetzt zu sprechen kommen wollte, nämlich daß wir die Risiken für die weitere Entwicklung nicht übersehen dürfen. Sie liegen vornehmlich im internationalen Bereich, und zwar in der noch nicht gesicherten und von Protektionismus und Verschuldungskrise bedrohten Erholung von Weltkonjunktur und Welthandel. Sie liegen auch in der Ungewißheit, ob die derzeitige wirtschaftliche Erholung in den Vereinigten Staaten andauern und in einen nachhaltigen konjunkturellen Aufschwung münden wird. Das wissen wir heute noch nicht. Ganz aktuell - dies ist j a heute morgen schon besprochen worden - macht die Zinsentwicklung Sorgen. Sie alle wissen, daß hier die Geld- und Finanzpolitik in den Vereinigten Staaten eine entscheidende Rolle spielt. In Williamsburg wurde darauf auch zur Genüge und mit aller Deutlichkeit hingewiesen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, sind Sie bereit, eine Zwischenfrage zuzulassen?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Sofort. - Die Regierungschefs haben die Bedeutung einer angemessenen Geld- und Haushaltspolitik für niedrige Zinsen anerkannt. Und wer hier die Frage stellt, ob etwa die deutsche Delegation - übrigens wie alle anderen - am Konferenztisch in Willamsburg mit hinlänglicher Deutlichkeit das Zins- und Defizitthema gegenüber den Vereinigten Staaten angesprochen habe, dem kann ich die beruhigende Versicherung geben: Wir haben es so weit angesprochen - ich sage das auch hier in aller Öffentlichkeit -, daß wir den Amerikanern - etwas burschikos ausgedrückt - damit deutlich auf den Wecker gefallen sind. Aber das war notwendig, weil wir Problembewußtsein erzielen wollten. ({0}) Diese Frage der Haushaltspolitik und der Geldpolitik hat grundsätzliche Bedeutung, wenn auch das amerikanische Budgetproblem damit noch nicht gelöst ist. Ich kann nach dem Hinweis, den Herr Wissmann gegeben hat, Herr Vogel, nur noch einmal sagen: Der Bundeskanzler hat das in seiner Erklärung heute morgen mit hinlänglicher Deutlichkeit ebenso angesprochen, wie es in den vergangenen Tagen der Fall gewesen ist. ({1}) Ich hoffe sehr, daß die letzten Erklärungen des amerikanischen Präsidenten, die er vor wenigen Tagen unter Berufung auf die Diskussion in Williamsburg abgegeben hat, nämlich die Defizite im Bundeshaushalt zurückzuführen und den Anstieg der Staatsausgaben zu begrenzen, sich verwirklichen werden. Eines allerdings haben wir in der früheren Regierung nicht getan und auch diesmal nicht getan. Wir sagen den Vereinigten Staaten, daß ihr zu hohes Defizit eine Bürde für die internationale Zins- und Wirtschaftsentwicklung ist und daß sie bitte schön dafür sorgen möchten, das Defizit kleiner werden zu lassen und damit diese über den Märkten hängende Wolke, die die Zinsen bedrückt, wegzunehmen. Aber es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung - und wir würden es uns unsererseits auch schwer verbitten, wenn das uns gegenüber geschähe -, nun den Vereinigten Staaten zu sagen, wo und wie sie ihre Defizite zu schließen haben. Ich sage noch einmal: Die alte Regierung hat das nicht anders behandelt als die neue. Und hören Sie bitte auf, uns aufzufordern, den Vereinigten Staaten Vorschriften zu machen, welche Etatpositionen sie zu schließen haben und welche nicht. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, darf ich Sie nochmal fragen?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Ich weiß: Herr Mitzscherling. - Im übrigen nur eine Bemerkung. Der Herr Kollege Vogel hat ja das Milieu Williamsburg angesprochen. Also, Herr Lahnstein, darf ich uns gemeinsam daran erinnern, wie das Milieu des Wirtschaftsgipfels 1982 aussah? Diese Verbindung von Sozialismus und Ludwig XIV. in Versailles ist mir lebhaft in Erinnerung geblieben. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Dr. Mitzscherling.

Dr. Peter Mitzscherling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001516, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundeswirtschaftsminister, würden Sie mir bitte eine Frage beantworten, die allerdings durch den Zeitablauf Ihrer Ausführungen einen vorherigen Punkt berührt? Stimmen Sie der Auffassung der Mehrheit der Wirtschaftsforschungsinstitute zu, daß der Anstieg des Produktionsindexes von Dezember bis Februar im wesentlichen auf die Wirkungen der von der sozialliberalen Koalition beschlossenen Investitionszulage zurückzuführen ist?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Nein. Das tue ich deswegen nicht, weil der Produktionsindex im Februar schon nicht mehr angestiegen ist. Was den Januar betrifft, so haben Sie recht. Bezüglich des Dezembers haben Sie vor allem wegen der Auftragseingänge recht. Im Februar hat sich die Entwicklung abgeflacht. Wir haben dann sehr darauf gewartet, ob es wirklich ein nachhaltiges Loch geben würde, ob sich das durch die März-Zahlen erweisen würde. Dies war nicht der Fall. Wir müssen nun versuchen, zu analysieren, was die April-Entwicklung bedeutet. Aber ich sage noch einmal, meine Damen und Herren: Wir können nach wie vor nicht mit absoluter Sicherheit sagen, wir hätten das Ziel der Klasse schon erreicht. Es bedarf noch weiterer nachhaltiger Anstrengungen, und dazu werde ich hier und heute etwas zu sagen haben. Es ist natürlich genauso wichtig - um zu der Defizit- und Zinsentwicklung in den Vereinigten Staaten zurückzukommen -, daß die Notenbank der USA, die „Federal Reserve", nicht auf geldpolitische Restriktion umschaltet, sondern daß der flexible und pragmatische Kurs beibehalten wird. Denn von der USA-Geld- und -Finanzpolitik hängt die Zinsentwicklung nicht nur in den USA, sondern in entscheidendem Maße auch bei uns ab. Wie eng der internationale Zinszusammenhang ist, hat sich im letzten Monat gezeigt, als nämlich dem Wiederanstieg der USA-Kapitalmarktzinsen im Mai die deutschen Wertpapierrenditen fast ohne zeitliche Verzögerung nachgefolgt sind. Aber, meine Damen und Herren und Herr Vogel, auch das muß gesehen werden: Wir sind von den US-Zinsen nicht völlig abhängig. Wie ein Kaninchen auf die Schlange starren und sich nicht rühren - das bringt überhaupt nichts. Je mehr wir uns selber anstrengen, je besser unsere Rahmenbedingungen sind, desto größer kann der Abstand zu den Zinsen in den Vereinigten Staaten sein. Das ist eben unser Teil, unsere Hauptaufgabe, unsere Anstrengung. ({0}) Meine Damen und Herren, trotz all dieser Risiken hat die deutsche Wirtschaft wieder Vertrauen und Zuversicht gewonnen. Dieses Vertrauen ist die eigentliche Basis für den in Gang gekommenen Erholungsprozeß. Niemand von uns will die Probleme, mit denen wir es zu tun haben, etwa herunterspielen. Aber wir sollten aufhören, immer wieder, wie es die Opposition oder jedenfalls Teile von ihr tun, pessimistische Zukunftsperspektiven an die Wand zu malen, die sich schließlich selber verwirklichen. Die entscheidende wirtschafts- und sozialpolitische Aufgabe der 80er Jahre ist der nachhaltige Abbau der Arbeitslosigkeit. Diese Aufgabe ist von beachtlicher Dimension. Selbst dann, wenn die Kapazitäten wieder voll ausgelastet wären, würden noch lange nicht alle jetzt Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot stehen können. Der Sachverständigenrat stellt dazu in seinem letzten Jahresgutachten fest - ich zitiere -: Für weit mehr als 1 Million Arbeitslose gäbe es auch dann keine Arbeitsplätze, wenn die Absatzmöglichkeiten der Wirtschaft wieder normal wären. Hinzu kommt, daß in den 80er Jahren die Zahl der Erwerbspersonen auf Grund der absehbaren Bevölkerungsentwicklung noch bis zum Ende des Jahrzehnts voraussichtlich um über 700 000 steigen wird. Nach einer Modellrechnung, die in einer Unterabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums angestellt worden ist und die wie alle Modellrechnungen mit beträchtlichen Unsicherheiten behaftet ist und die deshalb mit sehr vorsichtigen Annahmen arbeitet, dürfte die Schwelle für ein beschäftigungswirksames Wirtschaftswachstum aus heutiger Sicht zwischen 2 und 3 % liegen. Solche Rechnungen sind nichts Neues. Sie sind seit längerem bekannt. Auch andere Institutionen haben derartige Überlegungen angestellt und kamen zu ähnlichen Ergebnissen. Ich halte solche Überlegungen für sehr wichtig, weil sie helfen, die Probleme in ihrer mittelfristigen Dimension darzustellen und die Weichen richtig zu stellen. Solches Nachdenken ist dem Wirtschaftsministerium nicht nur erlaubt, sondern nach meiner Auffassung unsere Pflicht. Aber ich warne davor, solche internen Rechnungen als Wirklichkeit der Zukunft anzusehen. Wir haben diese Rechnung auch nicht zur Meinung des Bundeswirtschaftsministeriums gemacht. Aber die Rechnungen sind nützlich, weil sie uns zeigen, wo und wie wir ansetzen müssen, damit sie nicht Wirklichkeit werden. Die Konsequenzen, die wir aus den vorliegenden Rechnungen zu ziehen haben, sind eindeutig. Wir brauchen eine deutliche Beschleunigung unseres Wachstums. Aber das kann man nicht anordnen. Ein solches Wachstum ist dauerhaft nur zu erreiche, wenn die Nettoinvestitionen, die inzwischen auf das Niveau der Mitte der 60er Jahre zurückgefallen sind, wieder kräftig steigen. Wie die Bundesbank zu Recht betont, stellt sich das Problem der zu geringen Kapitalbildung um so schärfer, als in den zurückliegenden Jahren die ökonomische Effizenz des vorhandenen Kapitalstocks gemindert worden ist. Was heißt das? Das heißt: es ist unklar, ob überhaupt alle heute unbeschäftigten Kapazitäten in der Praxis wieder rentabel zu beschäftigen sein werden, etwa weil sie zu energieintensiv sind oder weil sie für Produktionen vorgesehen sind, die heute billiger aus den Schwellen- oder Entwicklungsländern importiert werden können. Markante Beispiele sind der Stahlbereich und die Werftindustrie. Ich bin vor einigen Tagen in Saudi-Arabien gewesen. Ich habe mir in Jubayl am Arabischen Golf das derzeit in der Welt wohl größte industrielle Bauvorhaben angesehen. Dort werden enorme Kapazitäten aufgebaut, vor allem für die Rohöl- und für die Gas-Weiterverarbeitung. Es wurde uns drastisch vor Augen geführt, welche Anpassungsprozesse bei uns noch erforderlich sind, um mit solchen Unternehmen zu konkurrieren, die - wie in diesem Fall - mit ganz extrem niedrigen Energiekosten arbeiten können. Ich will in diesem Zusammenhang hinzufügen, daß die Sitzung der deutsch-saudischen Wirtschaftskommission am vergangenen Wochenende in Riad einen ganz außerordentlich erfreulichen Verlauf genommen hat und daß sich hier die Früchte jahrelanger Zusammenarbeit auf sehr positive Weise gezeigt haben. Saudi-Arabien ist 1982 mit einem Handelsvolumen von 19 Milliarden DM unser größter arabischer Kunde gewesen und unser größter außereuropäischer Kunde nach den Vereinigten Staaten. Ich habe die Gelegenheit benutzt, nicht nur über Wirtschafts- und Handelspolitik zu sprechen, sondern, wie ich das schon im Dezember gegenüber der Regierung von Kuwait getan habe, deutlich zu machen - und zwar jetzt auf der Grundlage der Regierungserklärung vom 4. Mai -, deutlich zu machen in Gesprächen mit dem König und dem Außenminister, daß wir die Nahostpolitik der Bundesrepublik Deutschland und insbesondere die Betonung der freundschaftlichen Beziehungen zu Saudi-Arabien fortsetzen werden. Unsere industriellen Anlagen sind vielfach aber nicht nur zu energieintensiv oder produzieren schlichtweg zu teuer, sie sind heute auch älter noch als z. B. vor zehn Jahren. Der rapide technische Fortschritt, der Einsatz von Mikroelektronik und Industrierobotern machen aber gerade die Verjüngung unserer Anlagen erforderlich, wenn unsere Wirtschaft leistungs- und wettbewerbsfähig bleiben soll. Bei manchem hier bei uns herrscht die Ansicht vor, daß es keine Aussichten auf die notwendige deutliche Hebung des Wachstums und der Investitionen gebe. Grenzen des Wachstums, allgemeine Sättigungserscheinungen, mitunter sogar die These einer langanhaltenden Stagnation werden ins Feld geführt - alles Argumente, die zum Teil eine jahrhundertalte Tradition haben, aber dadurch keineswegs richtiger werden. ({1}) In der Mechanik dieser volkswirtschaftlichen Beobachter bedeuten hohe gesamtwirtschaftliche Produktivität, Rationalisierung und technischer Fortschritt konsequenterweise auch weniger Arbeitsplätze. Diese Rechnung ist falsch. Sie verkennt die Kausalität zwischen Produktivität und Wachstum. Es ist zwar richtig, daß die rechnerische Produktivität in Phasen der Stagnation der Wirtschaft steigt. Denn es werden ja zuerst die wenig oder gar nicht produktiven Kapazitäten und Arbeitsplätze abgebaut. In einer solchen Situation ist der Produktivitätsanstieg dann allerdings die Folge und nicht die Ursache der Arbeitslosigkeit. Es trifft in der Regel auch zu, daß auf Grund kurzfristiger Produktivitätssteigerungen in der konjunkturellen Erholungsphase der Abbau der Arbeitslosigkeit dem Produktionsanstieg hinterherhinkt. Aber gerade durch die sinkenden Kosten einer besseren Auslastung der Anlagen oder eines produktiveren Einsatzes der Arbeitskräfte erhält der Aufschwung Kraft und wird das Fundament für einen nachhaltigen Aufschwung gelegt. Unter mittelfristiger Perspektive stehen hohe Produktivität, hohes Wachstum und hohe Beschäftigung erst recht nicht in Widerspruch zueinander, sie bedingen sich sogar. Produktivitätsfortschritt, so sagt der Sachverständigenrat im letzten Jahresgutachten, ist nicht etwas Gefährliches, sondern es ist der Ertrag der Anstrengungen und Einfälle, etwas besser zu machen als bisher.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, der Abgeordnete Stratmann würde gerne eine Zwischenfrage stellen.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Einen Augenblick noch bitte, gleich. - Die Unterdrückung des Bemühens, besser und billiger zu sein, als der andere - ich weiß übrigens gar nicht, wie dies in einer freiheitlichen Gesellschaft durchgesetzt werden sollte -, würde unweigerlich bedeuten, nicht nur die Produktivität zu drücken, sondern auch die Dynamik der Wirtschaft selbst. Die Konsequenz wäre ein Verlust an Wachstum, ein Verlust an Einkommen, ein Verlust an Arbeitsplätzen. Die Erfahrungen der Vergangenheit belegen diese Zusammenhänge. Hohe Produktivitätsfortschritte waren immer ein Indiz für die Lebendigkeit und Anpassungsbereitschaft einer Volkswirtschaft und die Umsetzung von Wachstumschancen in mehr Produktion und in mehr Wohlstand. ({0}) - Das ist eine gute Zwischenfrage, Herr Kollege Matthöfer. Dies alles sehen die Wachstumsskeptiker nicht. Die Rechnung, die Herr Vogel aufgemacht hat - ich zitiere -: „Hoher technischer Fortschritt durch Mikroelektronik und niedriges Wachstum durch knappe Rohstoff- und Umweltgüter gleich langfristige Massenarbeitslosigkeit" ist falsch, Herr Matthöfer. Sie ist falsch, Herr Lahnstein. Ich bin deswegen nicht einverstanden mit den Folgerungen, die Sie und Ihre Parteifreunde ziehen. Nach diesem meiner Auffassung nach mechanistischen Kalkül müßte der technische Fortschritt aufgehalten und die verfügbare Arbeit neu verteilt, d. h. die Arbeitszeit forciert verkürzt werden. - Sie schütteln den Kopf, Herr Lahnstein. Ich nehme Sie für diese fehlerhaften theoretischen Ansätze nicht in Anspruch. Ich möchte das ausdrücklich sagen. Aber es sind nicht so schrecklich viele bei Ihnen. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Stratmann?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Nein, jetzt nicht, ich möchte diesen Gedanken zu Ende führen. Aber welcher gesunde Menschenverstand, meine Damen und Herren, vermag zu verstehen, weshalb die richtige Antwort auf unsere Probleme lauten soll: Laß dir nichts einfallen und arbeite weniger? - Wenn wir dieser von der Opposition empfohlenen Strategie folgen wollten, so hätte das fatale Konsequenzen. ({0}) - Herr Roth, Sie haben auch schon intelligentere und auch höflichere Zwischenrufe gemacht; ({1}) aber das macht j a nichts. ({2}) Durch Aufhalten von Modernisierung, Rationalisierung und technischem Fortschritt würden wir die Bundesrepublik zur technologischen Provinz degradieren. Unser Wohlstand würde rapide absinken, Umweltschutz und Sozialsystem wären nicht mehr zu finanzieren, und die Reallöhne würden massiv sinken. Das wäre der Marsch in den kumulativen Abschwung und damit in die dauerhafte Massenarbeitslosigkeit. ({3}) Auch, meine Damen und Herren, forcierte Arbeitszeitverkürzungen sind nicht die richtige Antwort, ganz zu schweigen von den heute schon absehbaren Entwicklungen der 90er Jahre, die vielleicht wieder längere Lebensarbeitszeiten erforderlich machen werden. Wenn die Bundesregierung Bemühungen um mehr Flexibilität im Arbeitsleben unterstützt, so vor allem, um dem Bürger damit die Möglichkeit zu geben, seinen persönlichen Wünschen über die Aufteilung der Erträge seiner Produktivität in Einkommen und Freizeit mehr Raum zu geben. ({4}) Daraus, meine Damen und Herren, resultieren sicherlich zum Teil auch zusätzliche Arbeitsplätze, aber das ist noch lange kein ausreichender Ansatz für die Lösung unserer gravierenden Beschäftigungsprobleme. Einen flankierenden beschäftigungspolitischen Beitrag können flexiblere Arbeitszeitregelungen zudem nur dann leisten, wenn sie von den Tarifpartnern gefunden werden, wenn sie sich den Bedürfnissen der Unternehmen anpassen ({5}) und wenn sie ohne Zusatzbelastungen für die Unternehmen, den Steuer- und Beitragszahler sowie die öffentlichen Haushalte vonstatten gehen, d. h. wenn nicht nur die Arbeitsplätze, sondern wenn auch die Einkommen geteilt werden. - Im übrigen, was den Zwischenruf: „Dann müssen Sie mit dem Herrn Esser reden!" anlangt: Mit dem habe ich, wie Sie wissen, öffentlich diskutiert. Ich habe mich selbstverständlich auch unter vier Augen mit ihm unterhalten. ({6}) - Herr Wolfram, das geht nun manchmal so. Sie beeindrucken mich nicht, ich beeindrucke Herrn Esser nicht. So ist die Welt. Was wollen Sie machen? ({7}) Es wird sehr interessant sein, zu sehen, meine Damen und Herren, wie viele unserer Mitbürger freiwillig bereit sein werden, weniger zu arbeiten und dafür die notwendigen, nicht unbeträchtlichen Einkommensabschläge hinzunehmen. Ich bin da sehr skeptisch. Aber vielleicht erweist sich meine Skepsis als unbegründet. Ich sehe durchaus, Herr Kollege Vogel - um auf Ihre Bemerkungen zurückzukommen -, ({8}) - er ist da, er sitzt nur ein bißchen weiter hinten -, daß unsere Wachstumsmöglichkeiten durch Rohstoffverknappungen und durch Umweltbelastungen beeinträchtigt werden könnten. Werden allerdings die Einsatzfaktoren für die Produktion knapper und damit teurer, so werden Anpassungsprozesse eingeleitet, die gleichzeitig die Produktivität verringern. Auch das muß man sehen. Die von Ihnen, Herr Vogel, vermutete Schere zwischen Produktivität und Wachstum durch natürliche Knappheiten kann sich deshalb so, wie Sie es sehen, nicht auftun. Der Sachverständigenrat hat auch hierauf in der Ziffer 221. seines Gutachtens hingewiesen. Und das sollte dort einmal nachgelesen werden. ({9}) Ich bin außerdem davon überzeugt, meine Damen und Herren, daß wir noch so manche Überraschung, und zwar positive, darüber erleben werden, welche Antworten moderne Technologien und vermehrte Kapitalbildung auf diese Probleme finden werden und wie hierdurch die sogenannten natürlichen Grenzen des Wachtums hinausgeschoben werden können. Die Bundesregierung hat im Jahreswirtschaftsbericht und in der Regierungserklärung vom 4. Mai ihre wirtschaftspolitischen Absichten erläutert. Wir haben die grundlegende wirtschaftspolitische Kehrtwendung eingeleitet, um dafür Sorge zu tragen, daß das ökonomische Wachstum wieder deutlicher steigt, als es in den letzten Jahren der Fall war. ({10}) Dabei haben wir bewußt auf die Anwendung der alten Rezepte verzichtet; denn diese haben ja zum Teil die Schwierigkeiten, mit denen wir es heute zu tun haben, hervorgebracht. Trotz dieser Erfahrungen beharrt die Opposition bei ihrer beschäftigungspolitischen Strategie, auf öffentlichen Nachfrageprogrammen. Aber die Finanzierungsmodalitäten bleiben, wie so oft bei Ihren Vorschlägen, im Vagen oder im Dunkeln. Das haben Ihnen gerade in diesen Tagen zehn renomierte Professoren, die Ihrer Partei angehören, öffentlich bescheinigt. Was helfen, meine Damen und Herren, großangelegte staatliche Nachfrageprogramme, wenn z. B. die Zinsen an den Kapitalmärkten daraufhin steigen und durch unterlassene private Investitionen Arbeitsplätze an anderer Stelle vernichtet werden? Sie helfen überhaupt nichts. ({11}) Ihr Hinweis, Herr Kollege Vogel, man könne doch die Entlastung bei der Vermögensteuer rückgängig machen, verkennt zwei Dinge: erstens, den Betrag von 1,5 Milliarden DM. Es ist überhaupt keine Rede davon, daß das auch nur annähernd eine Größenordnung wäre, die Ihren Vorstellungen von öffentlichen Beschäftigungsprogrammen entsprechen könnte. ({12}) Zweitens. Aber, meine Damen und Herren, es muß erreicht werden, daß die ertragsunabhängigen steuerlichen Belastungen unserer Unternehmen zurückgeführt werden. Und wenn eine Steuer in ihrer Anlage falsch ist, dann bleibt sie auch falsch, wenn sie Vermögensteuer heißt und aus diesem Grunde bei Ihnen auf Sperren stößt. ({13}) - Wir sind uns doch wohl immer darüber einig gewesen, Herr Matthöfer, Sie und Ihr Vorgänger im Amte und ich, ({14}) daß ein Austausch hin zu mehr Belastung durch indirekte Steuern und weg von zu hoher Belastung durch direkte Steuern in einem vernünftigen und modernen Steuersystem richtig ist. Das haben Sie doch nie bestritten. Warum bestreiten Sie es denn jetzt? ({15}) - Nein. Die Umsatzsteuer haben wir erhöht; das ist vollständig richtig. Und wir haben sie teilweise eingesetzt, um in Bereichen, in denen Investitionen getätigt werden, die steuerlichen Rahmenbedingungen zu verbessern. ({16}) Das ist völlig eindeutig und klar das Konzept dieser Regierung und dieser Politik. Ich habe das doch schon einmal angeregt. Das liegt aber schon ein bißchen zurück. Das war am 9. September vorigen Jahres. Deswegen werden Sie verstehen, daß ich nichts dagegen habe. ({17}) Meine Damen und Herren, unser wirtschaftliches Konzept geht gegenüber dieser Strategie davon aus, daß mit einer nachhaltigen Verbesserung der Beschäftigungslage nur gerechnet werden kann, wenn die Unternehmensinvestitionen wieder deutlich steigen. Das bedeutet nicht, daß diese Regierung konsumfeindlich eingestellt wäre. Im Gegenteil! Nur mit mehr Wachstum und mit mehr Investitionen läßt sich auch unser Konsumniveau nachhaltig heben. Man mag die Frage stellen, ob ein Wachstumsprozeß in Gang gesetzt und aufrechterhalten werden kann, der primär von den Investitionen getragen ist. Es ist übrigens eine Formel, die wir schon damals gemeinsam entwickelt haben, daß die 80er Jahre Jahre der Investition, nicht des Konsums sein müssen. Auch daran sollten Sie sich gelegentlich erinnern. ({18}) - Daß die Realeinkommen bei uns zurückgehen müssen, nachdem das in allen anderen westlichen Ländern der Fall gewesen ist - aber, Herr Matthöfer, ich komme noch zu diesem Thema -, und daß das Festhalten an der Steigerung der Realeinkommen dazu führt, daß diejenigen, die Arbeitsplätze haben, immer mehr verdienen und die anderen, die Arbeitsplätze verlieren, immer weniger bekommen, ist doch auch offensichtlich! ({19}) Nein, ich halte dieser Frage, ob ein Wachstumsprozeß von Investitionen eigentlich nachhaltig in Gang gesetzt werden kann, entgegen: Nur wer investiert, bleibt auf Dauer wettbewerbsfähig. Das wird zwischen uns unbestritten sein. Der Modernisierungsbedarf - Investitionen gerade in neue, kostengünstigere und effizientere Produktionstechniken, z. B. Mikroelektronik, z. B. numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen - ist sehr hoch. Durch den Abbau von Investitionshemmnissen eröffnen sich neue Marktchancen. Nachfrage nach mehr Investitionsgütern strahlt auch in andere Bereiche aus, z. B. in die Verbrauchsgüterindustrie oder in die Dienstleistungen. Investitions- und Konsumnachfrage steigen dann Hand in Hand. Investitionsnachfrage löst schließlich erhöhten Investitionsbedarf auch in den Investitionsgüterindustrien selbst aus, und all das, meine Damen und Herren, kommt letztlich dem Arbeitsmarkt zugute. Nun hängt die Investitionstätigkeit der Unternehmen vor allem von den aktuellen, aber eben auch von den erwarteten Unternehmenserträgen ab. Zugleich müssen diese Erträge in einem vernünftigen Verhältnis zu den Zinserträgen stehen, die man mit risikoarmen Finanzanlagen auf den Geld- und Kapitalmärkten erzielen kann. In den letzten Jahren hat sich dieses Verhältnis sehr stark zuungunsten der Investitionsrenditen verschoben. Diese Entwicklung muß umgekehrt werden. ({20}) - Nein, das ist sie noch längst nicht! Das ist sie nicht, Herr Lahnstein. Wir können gern an Hand praktischer Beispiele darüber diskutieren, ob das der Fall ist. Diese Entwicklung muß vor allem im Interesse von mehr Arbeitsplätzen, im Interesse von weniger Arbeitslosen umgekehrt werden. Vor allen Dingen deshalb plädiert die Bundesregierung - wie auch der Sachverständigenrat - für eine Politik der Zurückhaltung bei Löhnen und Lohnnebenkosten - dafür ist nämlich der Staat verantwortlich - sowie auch und vor allem für eine stärkere Differenzie554 rung der Löhne nach Qualifikationen, nach Regionen und auch nach Branchen. Meine Damen und Herren, auch wenn es ungern gehört wird, wiederhole ich es doch - Herr Matthöfer, ich habe die Frage eben schon in einem anderen Zusammenhang beantwortet -: Arbeit ist in der Bundesrepublik durchaus mehr vorhanden, als angeboten wird, aber leider nicht zu den geforderten Preisen. ({21}) Arbeit ist in der Bundesrepublik zu teuer geworden. ({22}) Meine Damen und Herren, die notwendige dauerhafte Korrektur der Einkommensverteilung zugunsten von mehr Markteinkommen, insbesondere der Unternehmenserträge, erfordert ganz gewiß einen beträchtlichen sozialen Konsens. Die Bundesregierung will ihn durch zwei Initiativen erleichtern, einmal durch die Intensivierung des wirtschaftlichen und sozialen Dialogs, denn wir brauchen das vorbehaltlose Gespräch zwischen und mit den Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern, um die wirtschafts-, finanz- und sozialpolitischen Probleme zu beraten. ({23}) - Herr Roth, davon kann doch überhaupt keine Rede sein! Als ich Bundeswirtschaftsminister geworden bin, war sie kaputt, und ich habe mich darum bemüht und daran gestrickt, sie wieder zusammenzubringen. ({24}) - Herr Roth, wenn Sie von Mitbestimmung reden, will ich Ihnen ein Beispiel entgegenhalten. Wenn Sie unter Mitbestimmung der Arbeitnehmer das verstehen, was Herr von Dohnanyi in Hamburg macht, nämlich die Arbeitnehmerbank, die geschlossen gegen ihn ist, durch Aktionäre seiner Auswahl unter Nichtberücksichtigung der Minderheitsaktionäre totstimmen zu lassen, ({25}) wenn das Ihre Mitbestimmung ist, so finden Sie mich auf dieser Seite nicht! ({26}) Meine Damen und Herren, wenn ich das schon höre! Immer werden diese pathetischen Mitbestimmungs-Zwischenrufe gemacht, und in der Praxis, wo Sozialdemokraten das Sagen haben, ({27}) werden die Arbeitnehmer niedergebügelt! ({28}) Meine Damen und Herren, wir wollen zum anderen den sozialen Dialog durch eine aktive Förderung der Bildung von Produktivkapital in Arbeitnehmerhand erleichtern. Die Bundesregierung wird dazu noch vor der Sommerpause einen Entwurf zum 936-DM-Gesetz verabschieden und vorlegen. Die uns gegebenen Alternativen müssen allen Beteiligten klar sein. Es sind ernsthafte und nicht bequeme Alternativen. Ich füge das sofort hinzu. Entweder wird an dem Prinzip einer falsch verstandenen sozialen Symmetrie, die von gleichen Zuwachsraten der einzelnen Einkommensarten ausgeht, festgehalten - das würde die Lösung unserer Probleme weit hinausschieben, wenn nicht gar verhindern. Oder die Unternehmenserträge und Investitionen werden ausreichend gestärkt - das gewährleistet eine neue Wachstumsdynamik, bessere Staatsfinanzen, eine solidere Basis für das soziale Sicherungssystem und nicht zuletzt neue Arbeitsplätze. Dies sind die Alternativen. Sie zu verniedlichen hat überhaupt keinen Zweck. Ich weiß, daß die Gewerkschaften hier besonders gefordert sind. Ich bin in dem Punkt zuversichtlich, weil sie sich über die Jahre hinweg durch hohe wirtschaftspolitische Verantwortungsbereitschaft ausgezeichnet haben. Die Tarifrunde dieses Jahres stützt dieses Urteil. Ich hoffe zuversichtlich, daß es auch der ÖTV gelingen wird, zu einem Ergebnis zu kommen, das öffentliche Haushalte insgesamt und Volkswirtschaft nicht unnötig und zusätzlich belastet. ({29}) Meine Damen und Herren, auch der Staat hat in unserem Konzept zur Überwindung der Arbeitslosigkeit eine entscheidende Funktion. Wir sehen in ihm nicht den Nachtwächterstaat, Herr Roth, wie es die Opposition so oft und so gern behauptet, aber wir sehen seine Funktion anders als Sie, meine Damen und Herren von der Sozialdemokratischen Partei. ({30}) - Ich komme noch dazu; das kriegen wir später, Herr Roth. Im Jahreswirtschaftsbericht haben wir dargestellt, wie sehr die finanzpolitische Vorsorge für die Zukunft in den letzten Jahren ins Hintertreffen geriet. Ich erinnere hier an die Erhöhung der Staatsquote seit 1970 von 39 % auf über 50 %, an die Erhöhung der Abgabenquote im gleichen Zeitraum um 6 Prozentpunkte auf über 42 %, wobei dieser Anstieg fast ausschließlich auf die Zunahme der Sozialabgaben zurückzuführen ist, und die Erhöhung der Staatsverschuldung seitdem von gut 120 Milliarden DM auf jetzt über 600 Milliarden DM, also auf das Fünffache. Der bremsende Einfluß des Staates durch vielfältige Behinderungen privater Initiative auf Grund gesetzlicher Vorschriften und auf Grund der Bürokratisierung kommt in diesen Zahlen noch gar nicht zum Ausdruck. All dies hat den Ablauf marktwirtschaftlicher Anpassungsprozesse erheblich erschwert, wenn nicht gar gänzlich verhindert. Gewiß hat es für jede einzelne Entscheidung gute Gründe gegeben. Auch die Energiepreisexplosion oder die Ergebnisse des Bonner Weltwirtschaftsgipfels haben ihren Teil dazu beigetragen. Aber in der Kumulation haben sie unsere Wirtschaft überfordert, und diesen Trend müssen wir umkehren. ({31}) Das heißt vor allem: Erstens müssen die hohen Defizite der öffentlichen Haushalte in ihren strukturellen Teilen nachhaltig zurückgeführt werden. Denn neben der Stärkung der Unternehmenserträge zur Eigenfinanzierung von Investitionen ist auch eine steigende Inanspruchnahme der privaten Ersparnisbildung durch externe Finanzierung erforderlich. Die hohe Beanspruchung der Kapitalmärkte durch die öffentlichen Haushalte muß rechtzeitig zurückgeführt sein, bevor die steigende Kreditnachfrage privater Investoren auf den Markt trifft und damit die Zinsen hochgehalten bzw. hochgetrieben werden. Zweitens. Die Belastung der Bürger und der Wirtschaft darf nicht weiter steigen. Sie geht jetzt schon zu weit. Leistungsverweigerung, Schwarzarbeit, Fiskalverdrossenheit nehmen sonst zu. Soweit in Teilbereichen der sozialen Sicherung Beitragserhöhungen unvermeidlich sind, muß in anderen Teilbereichen entsprechend kompensiert werden. Jeder weiß, daß das politisch schwierig ist. Das sehen wir auch in den Gesprächen des Arbeits-, des Finanz- und des Wirtschaftsministers über eine neue Rentenformel. Ich will aber die Gelegenheit nutzen, um ausdrücklich zu sagen, daß diese Gespräche sehr konstruktiv geführt werden und daß sie nach meiner festen Überzeugung zu positiven Ergebnissen gelangen werden. ({32}) - Im wesentlichen, Herr Roth, für die Sicherung unserer sozialen Sicherungssysteme, für ihre Finanzierbarkeit, für die Rentner und für die Arbeitslosen. ({33}) Die kleinen Leute haben nichts davon, meine Damen und Herren, wenn man ihnen Zusagen und Inaussichtstellungen macht, die man nicht finanzieren kann, von denen man nicht weiß, wie man sie bezahlen soll. ({34}) Die haben viel mehr Sinn für Solidität, als Sie es manchmal vermuten, Herr Roth, und als Sie nachempfinden können. ({35}) Ich komme noch einmal auf die Gespräche zwischen den drei Ressortchefs zurück. Im Vergleich zu früher zeigt sich eine wesentliche Erleichterung, weil alle drei Beteiligten in den gleichen ordnungspolitischen Kategorien denken. Drittens müssen wir das Steuer- und Abgabensystem investitions- und leistungsfreundlicher gestalten. ({36}) Deshalb haben wir nach den zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen Steuererleichterungen weitere steuerliche Entlastungen in einer Größenordnung von 3,5 Milliarden DM beschlossen, die gerade auch die Belastung der kleinen und mittleren Unternehmen reduzieren. Aber auch die erforderliche und für diese Legislaturperiode angekündigte Reform des Einkommen- und Lohnsteuertarifs muß im Interesse der Verbesserung der Leistungsanreize, sobald die Finanzlage es zuläßt, verwirklicht werden. Auch um hierfür die erforderlichen beträchtlichen Mittel freizubekommen, bedarf es schneller Erfolge bei der Lösung der Konsolidierungsaufgaben. Es ist viertens entscheidend, daß der Ausgabenanstieg eng begrenzt wird. Er wird deshalb deutlich unter dem erwarteten Anstieg des nominellen Bruttosozialprodukts liegen. Wir haben Einsparungen bei den komsumtiven Ausgaben mit Schwerpunkt bei den Sozialausgaben und beim öffentlichen Dienst beschlossen. Zugleich werden zusätzliche wachstumsfördernde Maßnahmen im Volumen von 1 bis 1,5 Milliarden DM finanziert werden. Insgesamt ergibt sich für den Haushalt so eine erhebliche Umstrukturierung zugunsten der produktivitätsfördernden und investiven Verwendung. Wir haben bei der Konsolidierung sowohl der öffentlichen Haushalte als auch der sozialen Sicherungssysteme wichtige Fortschritte erzielt. Weitere Einsparungen - auch in anderen Bereichen - werden künftig notwendig. Dafür haben wir den Auftrag des Wählers, und ihm müssen wir gerecht werden. Meine Damen und Herren, der Sachverständigenrat hat in seinem Jahresgutachten zu Recht festgestellt, daß die Finanzpolitik zwar einen wesentlichen Beitrag für die Wiederbelebung der Investitionstätigkeit leisten kann, aber nicht den Hauptbeitrag. Es bedarf darüber hinaus der Festlegung und Durchsetzung einer überzeugenden marktwirtschaftlichen Politik in allen Bereichen, insbesondere in allen Bereichen staatlichen Handelns, mit einer klaren Absage an staatliche Interventionismen, an Bürokratisierung und Strukturlenkung der Wirtschaft. Der vordringlichen Aufgabe der Wiederbelebung und der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft haben sich gerade im Hinblick auf die Schaffung neuer Arbeitsplätze andere Wünsche und Interessen unterzuordnen, mögen sie für sich betrachtet auch noch so wichtig erscheinen. Herz und Motor einer marktwirtschaftlichen Ordnung ist eine gesunde mittelständisch strukturierte Wirtschaft. Sie belebt den Wettbewerb, und sie bietet den geeigneten Rahmen für die Entfaltung privater Initiative. Mit ihrer Dynamik spielt die mittelständische Wirtschaft eine wichtige Rolle für die Wiedergewinnung von Wachstum und für die Sicherung und Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Deshalb muß der Mittelstand gestärkt werden. Allerdings ist Mittelstandspolitik nicht die Verteilung finanzpolitischer Sondergeschenke. Für uns kommt es in erster Linie darauf an, durch günstige, verläßliche und damit kalkulierbare wirtschafts- und gesellschaftspolitische Rahmenbedingungen in einer konsequent marktwirtschaftlichen Politik die Grundlage für einen leistungsfähigen Mittelstand zu legen. ({37}) Meine Damen und Herren, marktwirtschaftliche Politik verlangt, daß wir auch das Problem des Subventionsabbaus angehen, selbst dann, wenn sich Erfolge nicht von heute auf morgen einstellen. ({38}) Natürlich kenne ich die Kritik, daß beim Subventionsabbau nichts geschieht. ({39}) Aber auch Sie kennen die Hindernisse. Auch Sie kennen das Argument, daß der weitaus größte Teil der bestehenden Subventionen aus Gründen der Arbeitsplatzsicherung gegeben worden ist; Gründe, die heute zumeist noch fortbestehen. ({40}) - Mal langsam, Herr Matthöfer. Ganz so war die Diskussion j a nicht. ({41}) - Ich habe immer die Auffassung vertreten, daß es richtig und sinnvoll wäre, den linearen, prozentualen Abbau zunächst einmal zu verlangen, nicht weil ich glaubte, daß er durchsetzbar sei, sondern weil ich glaube, daß dann, wenn man das verlangt, die Beweislast, daß das angeblich nicht gehe, bei demjenigen liegt, dem man etwas kürzen will. Es ist eines unserer großen Probleme, ({42}) daß im selben Augenblick, in dem Sie Subventionen abbauen wollen, nicht nur die Unternehmen, sondern selbstverständlich auch die Gewerkschaften und zahllose Kollegen Ihrer Fraktion - ich gucke gerade einmal so ein bißchen hinter Sie - bei uns auf der Matte stehen und erklären: Das geht natürlich unter keinen Umständen. ({43}) Gerade deswegen habe ich eine Vorliebe, eine gewisse Neigung für den Vorschlag der linearen Kürzung nach dem Schweizer Muster, nämlich um die Beweislast auf die andere Seite zu schieben. Die müssen uns dann nämlich dartun, warum das unter gar keinen Umständen gemacht werden kann. ({44}) Wir werden auch vor dieser Aufgabe nicht kapitulieren; denn Subventionen sind und bleiben nun einmal schädlich. Wachstumschancen werden verschenkt, kranke Strukturen auf Kosten der gesunden und expansiven Bereiche erhalten und Arbeitsplätze letztlich nur um den Preis dauernd steigender Nachschußpflichten des Staates erhalten. Gerade die jüngsten Erfahrungen im Stahlbereich und mit den Werften lehren, daß die Bedingungen für den Subventionsabbau bereits im voraus festgelegt werden müssen, wenn wir in Ausnahmefällen den Grundsatz der vollen Eigenverantwortlichkeit der Unternehmen, ihrer Eigentümer und ihrer Banken durchbrechen. ({45}) Auf die Frage, die Herr Vogel vorhin gestellt hat - ob denn nun eigentlich die Stahlsubventionen in der Europäischen Gemeinschaft aufhören -: Ja, wenn sich alle Regierungen an das halten, was im Subventionskodex vereinbart worden ist. Diese Voraussetzung, Herr Vogel, muß ich selbstverständlich machen; denn ich kann mit niemandem in irgendwelche Finanzministerien fahren und dort mit Gewalt die Türen schließen lassen, wenn die subventionieren wollen. Wenn der Subventionskodex eingehalten wird, der in Europa miteinander vereinbart worden ist, wenn die Kommission ihrer Pflicht genügt, auf die Einhaltung des Subventionskodex zu dringen, wenn die Kommission ihrer Pflicht genügt, auch auf die Einhaltung des Quotensystems zu dringen - aber wir sind ja nicht in der besten Position bei der Einhaltung des Quotensystems angesichts des Verhaltens deutscher Unternehmen bei ihrer Stahlproduktion -, dann wären wir einen guten Schritt weiter. Ich hoffe, daß uns das in den nächsten Tagen, auch mit Hilfe des Europäischen Rates und anschließend des Ministerrates in Brüssel bzw. Luxemburg gelingen wird. Wo Subventionen tatsächlich unausweichlich sind, müssen wir sie grundsätzlich befristen. Wir müssen sie in ihren Zielen so umschreiben, daß ihr Erfolg nachprüfbar bleibt. Für den Mitkonkurrenten am Markt darf kein gravierender Wettbewerbsnachteil entstehen. Das muß stärker als bisher berücksichtigt werden. Bundesregierung und Bundesländer sind schließlich übereinstimmend der Meinung, daß staatliche Hilfen den notwendigen Anpassungsprozeß im Werft- und Stahlbereich, d. h. die Umstrukturierung und namentlich den Kapazitätsabbau, nicht erschweren dürfen. Herr Roth, Sie mögen dieses Bekenntnis zu privater Initiative und zu marktwirtschaftlicher Anpassung - so haben Sie es jedenfalls am 5. Mai 1983 getan - als Abstinenz einer Industriepolitik im Wirtschaftsministerium, als Sich-Verweigern des Steuern eines Modernisierungsprozesses bezeichnen. Ja, ich bestätige Ihnen: Ich halte nichts von einem bürokratisch gesteuerten Wirtschaftssystem und nichts vom Marsch in die Intervention; ({46}) denn das scheinen Sie mit dem Begriff Industriepolitik zu verbinden. Mit solchen Rezepten haben anBundesminister Dr. Graf LAmbsdorff dere Länder sozial und wirtschaftlich kostspieligen Schiffsbruch erlitten. ({47}) Das Konzept der Koalition von Union und FDP beruht auf der Erkenntnis und auf der Erfahrung, ({48}) daß die Soziale Marktwirtschaft als ein offenes und effizientes System die Bedürfnisse der Menschen besser als alle anderen Wirtschaftssysteme zu berücksichtigen vermag. Die marktwirtschaftliche Ordnung ist zugleich elementarer Bestandteil unserer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft. Herr Roth, ich will Ihren Zwischenruf aufgreifen. Wenn ich Sie eben phonetisch richtig verstanden habe, haben Sie gesagt, beim Stahl sei das Ergebnis marktwirtschaftlicher Prozesse j a doch eine völlige Pleite, eine völlige Katastrophe. ({49}) - Sie wollen doch wohl nicht behaupten, daß die Entwicklung der Stahlindustrie in Europa noch irgend etwas mit Marktwirtschaft zu tun gehabt habe. Staatsinterventionen, staatliche Subventionen, staatliche Eingriffe in marktwirtschaftlich geordnete Verhältnisse haben dazu geführt, daß dieser ruinöse Zustand entstanden ist. ({50}) Hätte man die europäische Stahlindustrie ohne Subventionen dem Wettbewerb ausgesetzt, hätten wir gewiß eine kleinere Stahlindustrie, hätten wir kleinere Einheiten, aber wir hätten eine wettbewerbsfähige Stahlindustrie und nicht die Gefährdung von weiteren Arbeitsplätzen. ({51}) Meine Damen und Herren, unser Kurs zur Stärkung der Marktkräfte beinhaltet auch den Abbau der zahlreichen in der Vergangenheit in manchen Bereichen aufgetürmten Investitionshindernisse, z. B. im Wohnungsbau, wo mit der Änderung der Mietgesetzgebung ein recht großer Schritt nach vorn gemacht worden ist, bei den neuen Kommunikationstechniken, wo wir mehr Raum für private Initiative schaffen müssen, bei der Kernkrafttechnik, wo inzwischen die Weichen für eine kostengünstigere Energieversorgung der Unternehmen gestellt worden sind. ({52}) - Mit irgendeiner Bemerkung muß ich heute doch auch bei Ihnen Freude erregen. ({53}) Aber wir dürfen uns auch nichts vormachen: Wir sorgen auch für mehr und für neuen Bürokratismus. Das, was ich jetzt sage, wird auch niemanden erfreuen. Nehmen Sie einmal die 7. gesellschaftsrechtliche Richtlinie der EG. Wir kamen aus Brüssel zurück und lobten unsere europäische Großtat auf dem Gebiet der Harmonisierung. Mit vollem Recht, europapolitisch gesehen. Nehmen Sie einmal die 4. gesellschaftsrechtliche EG-Richtlinie, die Bilanzrichtlinie, mit größerer Publizitäts-, Bilanzierungs- und Abschlußpflicht für Tausende von Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Oder nehmen Sie - jetzt wird es noch unangenehmer - die Großfeuerungsanlagen-Verordnung. Das war alles notwendig und ist gänzlich unbestritten. Alles bedeutet mehr Regelung, mehr Eingriff, mehr Bürokratie. So machen wir fröhliche Fortschritte unter Zustimmung aller mit der Begründung der Notwendigkeit. Wo bleibt der Abbau? Wir sind bis jetzt nur in der Lage gewesen, ganz kleine Stückchen zurückzugehen. Hier müssen wir weiterkommen. ({54}) - Es wird schon zugehört, Herr Lahnstein. - In meinen Augen hat der entscheidende Punkt bei der Wiederbelebung und bei der Freisetzung dynamischer Kräfte unserer Wirtschaft hiermit zu tun. Meine Damen und Herren, es gilt eben auch hier, was ich zur finanzpolitischen Entwicklung gesagt habe: Jede einzelne Regelung hat ihren guten Sinn, in der Masse lähmen sie unsere Wirtschaft, würgen sie Initiative ab, und deshalb darf es so nicht weitergehen. Wir müssen das Gewirr der Investitionshemmnisse lichten, die in zahlreichen Vorschriften, bürokratischen Verhaltensweisen, im Verwaltungsvollzug und in vom Gesetzgeber häufig nicht gewollten Auslegungen der Gesetze liegen. Aber die Aufforderung geht auch an den Gesetzgeber, seinen Regelungsdrang etwas zu beschränken, und zwar auf allen staatlichen Ebenen. Das ist ohne Zweifel ein langwieriger, schwieriger Weg, auf dem es sicherlich immer wieder Rückschläge und Enttäuschungen geben wird. Aber er muß dennoch gegangen werden. Was ich hier gesagt habe, gilt - auch wenn Sie, Herr Kollege Vogel, nur die eine Seite der Medaille beleuchtet haben - auch für die ausbildungshemmenden Vorschriften im Jugendarbeitsschutzgesetz. Wenn durch Einschränkung dieser Ausbildungshemmnisse mehr Arbeitsplätze, mehr Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden, ist es eine vernünftige Maßnahme, ist es ein vernünftiger Schritt. ({55}) Meine Damen und Herren, zur marktwirtschaftlichen Politik gehört auch, alles in unserer Kraft Stehende zu tun, um das Ausufern protektionistischer Tendenzen zum Stillstand zu bringen. Die in Williamsburg versammelten Regierungschefs waren sich alle darin einig, daß im Zuge der wirtschaftlichen Belebung bestehende Handelshemmnisse und wettbewerbsverzerrende Maßnahmen abgebaut werden müssen. Ohne ein offenes, multilaterales Welthandelssystem werden Industrie- und Entwicklungsländer die auf sie zukommenden Belastungsproben nicht bewältigen können. Für uns alle gilt: Märkte sind wie Fallschirme, sie funktionieren nur, wenn sie offen sind. ({56}) Das, meine Damen und Herren, hat besondere Bedeutung für die Entwicklungsländer. Ich komme gerade aus Belgrad, wo ich als Ratspräsident der Europäischen Gemeinschaft an der Eröffnung der 6. UNCTAD teilgenommen habe. Mein Eindruck vom bisherigen Verlauf war, daß trotz unterschiedlicher Ansichten von Industrie- und Entwicklungsländern über die Lösung der zu überwindenden Schwierigkeiten allseits die gute Absicht besteht, in der Konferenz auch zu Fortschritten im Nord-SüdDialog zu gelangen. Meine Erfahrung in Manila war - also auf UNCTAD V-, daß alle Resolutionen, die mittels Mehrheitsentscheidungen gefaßt wurden, mehr oder weniger im Papierkorb landeten, daß aber das, was im Konsenswege vereinbart wurde, schließlich verwirklicht wurde oder wenigstens auf gutem Wege ist. Ich habe das in Belgrad sehr offen gesagt und hoffe, daß die Konsequenzen daraus gezogen werden. Das Gesprächs- und Verhandlungsklima war in Belgrad nach meinem persönlichen Eindruck in den ersten Tagen besser, kompromißbereiter, moderater, als es einige Jahre zuvor in Manila der Fall gewesen ist. Wir jedenfalls werden uns sorgfältig mit den Anliegen der Enwicklungsländer auseinandersetzen und werden uns für marktwirtschaftliche Antworten in vielen Bereichen einsetzen. Dazu gehört die Weiterführung der Entwicklungshilfe auf hohem Niveau. Dazu gehört auch, daß wir mit gutem Beispiel vorangehen und in unserer Entwicklungspolitik nicht auf das Instrument der Lieferbindung und damit auf dirigistische Maßnahmen zurückgreifen. ({57}) Aber es gehört nicht dazu - Herr Kollege Matthöfer, hören Sie bitte jetzt auch zu, fordern Sie nicht nur andere zum Zuhören auf -, es gehört nicht dazu, Herr Vogel, daß wir neue Sonderziehungsrechte schaffen und damit Entwicklungshilfe finanzieren, wie Sie das heute vorgeschlagen haben, was im übrigen eine Abkehr von den Prinzipien der früheren Regierung ist. ({58}) - Wenn, Herr Lahnstein, damit gemeint ist, daß der internationale Währungsfonds zur Bewältigung der Lösung der Verschuldungsprobleme vieler einzelner Länder die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt bekommen soll ({59}) - einschließlich Sonderziehungsrechte -, wenn damit gemeint ist, daß das weiterhin konditioniert zu vergebende Mittel sind, ({60}) dann können wir uns einigen. „Was denn sonst?", fragen Sie. Ich habe vorhin diesen Zusatz bei Herrn Kollegen Vogel vermißt. Wenn ich das nun vermißt oder nicht gehört habe, werde ich mir erlauben dürfen, darauf aufmerksam zu machen; denn dies ist, wie Sie wissen, ein außerordentlich heikler Punkt. ({61}) - Nein, nein, ich lenke nicht ab. ({62}) - Nein, das ist ja gar nicht richtig. Sie müssen nun auch nicht alles glauben, was in den Zeitungen steht. Das tun Sie-ja sonst auch nicht, Herr Matthöfer; Sie glauben nicht einmal an den „Vorwärts", und das mit gutem Recht. ({63}) Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen hier dargelegt, welcher Strategie diese Koalition den Vorzug gegeben hat, nämlich der marktwirtschaftlichen. Dies steht in vollem Einklang mit den Ergebnissen des Gipfeltreffens und mit unserer grundsätzlichen Lage- und Entwicklungsanalyse, so wie ich sie im ersten Teil meines Beitrages vorgetragen habe. Williamsburg hat klar gezeigt, daß die deutsche Wirtschaftspolitik keiner Korrektur bedarf. Wir befinden uns in weiterer guter Gesellschaft. Der Sachverständigenrat oder die große Mehrheit der Wirtschaftsexperten kommt zu demselben Ergebnis. Dieser breite Konsens ist nützlich. Er wird dem Bürger helfen, die für jeden einzelnen oftmals auch bitteren Wahrheiten zu verstehen und zu akzeptieren. Zur Lösung der beträchtlichen wirtschafts- und sozialpolitischen Probleme der 80er Jahre sind wir auf die Bereitschaft unserer Bürger zur Mitarbeit und das Verständnis unserer Mitbürger angewiesen, Verständnis dafür, daß es darum geht, die extrem hohe Arbeitslosigkeit zurückzuführen, Verständnis dafür, daß dies im Interesse aller, im Interesse auch unserer politischen Stabilität liegt. Der Wähler hat uns, hat dieser Koalition mit seinem klaren Bekenntnis vom 6: März gezeigt, daß wir auf dieses Verständnis bauen können. Wir haben Anstrengung, Fleiß, Pflichtbewußtsein und Verantwortung gefordert und damit das Mandat zur Regierungsbildung erhalten. Die Chance für die weitere wirtschaftliche Entwicklung liegt jetzt darin, daß jeder den erforderlichen Weg mitgeht. Dafür muß jeder bei sich selbst anfangen. Dauerhafte Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Stagnation, nachhaltige Wohlstandseinbußen sind nicht das unvermeidliche Schicksal von Industriegesellschaften, sie sind das Ergebnis falscher Analysen und schlechter politischer Therapien. Vor beidem sollten wir uns hüten. ({64})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bevor ich das Wort weiter gebe, muß ich noch eine Anmerkung machen. Nach unseren Regeln und unserer Praxis ist der Zwischenruf „Fälscher" nicht so hinnehmbar. Ich muß Sie, Herr Kollege Roth, dafür zur Ordnung rufen. Das Wort hat Kollege Stratmann.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Liebe Bürger und Bürgerinnen! Das Tor zur Zukunft steht offen und bleibt offen - so Dr. Kohl, Lambsdorff und andere. Ganz anderer Meinung waren da am vergangenen Wochenende 80 000 Demonstranten aus den europäiStratmann schen Gewerkschaften in Stuttgart, die gegen die vorhandene Arbeitslosigkeit und gegen die Bedrohung durch zunehmende Arbeitslosigkeit demonstriert haben. Ganz anderer Meinung, Herr Lambsdorff, sind auch die - es sind heute noch wenige Tausende - Demonstranten von Arbeitsloseninitiativen in der Bundesrepublik, die nicht mehr bereit sind, sich weiterhin als finanzielle und soziale Manövriermasse von Unternehmern und ihren Haushaltspolitikern à la Stoltenberg mißbrauchen zu lassen. Ich habe den Eindruck, daß diese Demonstranten und Arbeitslosen mit ihren Erfahrungen zwar nicht den gesammelten Sachverstand und die Intelligenz, die Sie für sich beanspruchen, auftischen können, aber wesentlich mehr Gespür für die tatsächlichen - langfristigen - Gefahren, die ihnen und der Wirtschaft drohen, haben, als Sie es bisher in dieser Debatte deutlich gemacht haben. ({0}) Ich möchte auf die Regierungserklärung von Herrn Kohl Bezug nehmen. Zitat: Aufgabe Nummer ein ist die Beseitigung der Massenarbeitslosigkeit. ({1}) Hier geht es ... nicht nur um ein wirtschaftliches Problem, sondern vor allem um ein Gebot der Mitmenschlichkeit. Diesen Sätzen können wir alle zustimmen. Wie verhält es sich aber mit der tatsächlichen Entwicklung? Nach dem Bericht der Bundesanstalt für Arbeit ist die Arbeitslosigkeit im Mai gegenüber dem Vormonat zwar gesunken, saisonbereinigt allerdings gestiegen. Wie die Vertreter der Koalition angesichts einer solchen Monatsentwicklung nur von der konjunkturellen Erholung schwätzen können, ist mir schleierhaft und war den Demonstranten ebenfalls schleierhaft. Ich möchte auf Presseverlautbarungen von Vertretern der Bundesregierung Bezug nehmen, und zwar zunächst auf Herrn Vogt, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit. In der Zeitung war zu lesen, daß nach seinen Schätzungen im Jahre 1984 mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von knapp 2,5 Millionen zu rechnen sei und daß selbst bis 1987 mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenzahl von 2,3 Millionen zu rechnen sei. - Herr Lambsdorff, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie einmal zuhörten. Ich habe nämlich eben versucht, Ihnen diesbezüglich eine Frage zu stellen. Sie sind elegant oder weniger elegant darüber hinweggegangen. Das heißt, aus dem eigenen Regierungslager kommen solche ja mehr als pessimistischen Schätzungen. Wie im neuesten „Spiegel" zu lesen war, geht dieser Pessimismus mittlerweile auch im Bundeswirtschaftsministerium um, wo eine vertrauliche Studie in der Arbeit ist, nach der die Arbeitslosenzahl bis zum Jahre 1988 im Durchschnitt auf 3,1 Millionen ansteigen wird und dieser Stand -3,1 Millionen Arbeitslose - bis 1991 gehalten wird, und dies bei unterstellter Wende, bei unterstelltem Aufschwung von jährlich real 2,5 bis 3 % Wachstum. Selbst wenn Ihre Aufschwungpolitik greifen sollte - an mehr als ein jahresdurchschnittliches Wachstum von real 2,5 bis 3% wagen Sie ja wohl im Traum nicht zu glauben -, selbst beim Erfolg Ihrer Politik werden Sie die Massenarbeitslosigkeit nicht nur nicht beseitigen können, sondern wird die Massenarbeitslosigkeit im Gegenteil weiter ansteigen; so eine vertrauliche Studie aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Ich halte es für erforderlich, daß im Verlauf der weiteren Debatte zu diesen Arbeitsergebnissen aus dem eigenen Ministerium klar und eindeutig Stellung genommen wird. ({2}) Wie man angesichts von solchen Prognosen weiterhin in Optimismus machen kann, ist mir nicht nur schleierhaft; ich halte dies sogar für zynisch. Die langfristige Erwartung von Massenarbeitslosigkeit wird auch vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geteilt. Ich möchte, statt hier allgemeine Floskeln über Aufschwungsoptimismus von mir zu geben, einmal die Zahlen aus der IAB-Studie von 1982 vortragen. Die Verfasser der Studie argumentieren und operieren mit relativ günstigen Voraussetzungen. Drei Voraussetzungen möchte ich nennen und dann die Prognosen für die Entwicklung der Arbeitslosigkeit wiedergeben. Die erste Voraussetzung betrifft die Zahl der Erwerbstätigen: Demographische Tendenzwende für die deutschen Erwerbstätigen 1988/89; dann wird der Zustrom am Arbeitsmarkt sich umkehren. Es wird die günstige Prognose gemacht, daß die Zahl der ausländischen Erwerbstätigen bei dem Stand von 1981 - 2 1/2 Millionen - bleibt, d. h. nicht zunimmt. Das ist eine unter demographischen Gesichtspunkten äußerst günstige Situation, bei der sich selbst ein Herr Zimmermann die Hände reiben müßte, unter rein arbeitsmarktpolitischen Gesichtspunkten. Die zweite Prognose ist ebenfalls recht optimistisch: Für den Zeitraum von 1980 bis 2000 wird ein jährliches Wachstum von 2 bis 2,5 % real unterstellt. Mehr wagen auch Sie j a wohl im 20jährigen Durchschnitt nicht zu erhoffen, selbst bei Ihrer Wendepolitik nicht. Die dritte Voraussetzung ist ebenfalls optimistisch: ein Produktivitätsanstieg pro Jahr von 2,2 bis 2,9 %, wobei sich Produktivitätsanstieg und Produktionswachstum ungefähr die Waage halten, also nicht die Produktivität über dem Produktionswachstum liegt und damit zu weiterer Arbeitslosigkeit führt. Das sind also drei relativ günstige Prognosen. Auf der Grundlage dieser Projektion wird sich die Arbeitslosigkeit folgendermaßen entwickeln: 1985 2,68 Millionen Arbeitslose - das entspricht ungefähr der Prognose aus dem Wirtschaftsministerium -, 1990 3,4 Millionen, 1995 - demographische Entlastung! - 3,1 Millionen und bis zum Jahr 2000 2,33 Millionen. Also nach der Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, eines sicherlich neu560 tralen Instituts, ist von konjunktureller Belebung, die nachhaltig auf den Arbeitsmarkt wirkt, nicht nur nichts zu spüren, sondern, im Gegenteil, die von Ihnen hier vorgetragene Konjunkturpolitik und Ihre Wachstumspolitik werden selbst dann, wenn sie, gemessen an Ihren Konjunkturindikatoren, Erfolg haben sollten, auf dem Arbeitsmarkt zu einem Fiasko führen. Herr Kohl, ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie da mal zuhörten, ({3}) weil ich damit nämlich nicht nur die Sorgen meiner Fraktion zum Ausdruck bringe. Wenn Sie sich die Berichte über die Demonstrationen am Wochenende angeschaut hätten - das haben Sie wahrscheinlich getan -, wüßten Sie, daß das auch die Sorgen von Massen und von heute über zwei Millionen Arbeitslosen sind. Ich unterstelle, daß Sie das wissen. Warum Sie Ihre Politik trotzdem nicht danach richten, werden wir gleich noch ansprechen. Wie können Sie angesichts dieser Entwicklung vollmundig erklären: Das Tor zur Zukunft steht offen? Wie können Sie behaupten, Ihr erstes Anliegen sei Massenarbeitslosigkeit ({4}) - ich sage: behaupten -, und ein Instrumentarium vorschlagen, das, gemessen an Ihren eigenen wirtschaftsministerialen Prognosen und an den Prognosen des IAB, nachweislich ins Leere stößt? Massenarbeitslosigkeit wird die Folge Ihrer Politik sein. Ihren Optimismus und Ihre Behauptung, Ihnen seien die Massenarbeitslosigkeit und deren Bekämpfung das erste Anliegen, halte ich angesichts dieser Prognosen nicht nur für unehrlich, sondern für zynisch. ({5}) Wirtschaftspolitisch sind aus diesen Sachverhalten folgende Konsequenzen zu ziehen: Die Wachstumspolitik, wie sie die Koalition vorgetragen hat und wie sie, allerdings ohne Erfolg, auch die alte Koalition zu praktizieren versucht hat, ist nicht in der Lage, das Problem der Arbeitslosigkeit zu dämpfen, geschweige denn zu beseitigen; vielmehr haben wir es mit einer Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung zu tun. Es hat sich mittlerweile auch im Regierungslager teilweise herumgesprochen, daß sich Wachstum und Energieverbrauch entkoppelt haben. Diese Weisheit hat in den vergangenen Jahren allmählich Platz gegriffen. In vergleichbarer Weise haben sich auch Wachstum und Beschäftigung entkoppelt. Eine Politik, die heute, um Arbeitslosigkeit zu beseitigen, in erster Linie noch auf Wachstum setzt, geht an den soeben genannten Fakten und Prognosen vorbei. In diesem Zusammenhang möchte ich erwähnen, daß eine ganz wesentliche Ursache für die Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung die von der Koalition massiv verangetriebene technologische Entwicklung ist. Ich vermeide bewußt den Ausdruck „technologischer Fortschritt", weil hinter dem Fortschritt oftmals - nicht generell - gesellschaftliche Destruktivität zum Vorschein kommt. ({6}) - Ich habe den Eindruck, daß ich die Zusammenhänge eben deutlich gemacht habe, daß der gesammelte Sachverstand Ihres Herrn Stoltenberg und des Herrn Lambsdorff, von anderen einmal zu schweigen, nicht in der Lage ist, die Probleme zu lösen. Weil sie sie nicht lösen können, benennen sie sie auch nicht. Sie wurden weder in der bisherigen Debatte noch in der Regierungserklärung, noch im Jahreswirtschaftsbericht benannt. Es verwundert bei der Zusammensetzung des Sachverständigenrats natürlich auch nicht: im Sachverständigengutachten ist lediglich von monatsperspektivischen Indikatoren die Rede. Von den langfristigen Projektionen, die ich eben angesprochen habe, ist nicht die Rede. Natürlich kann davon auch nicht die Rede sein, weil in dieser langfristigen Entwicklung Ihre totale Ohnmacht und die Ohnmacht Ihrer Politik zum Ausdruck kämen. ({7}) Sie haben auch in Williamsburg die Zusammenarbeit für die technologische Entwicklung vorangetrieben. Seit Jahren liegt die technologische Entwicklung, der Produktivitätsfortschritt, durchschnittlich 2 % über dem Wachstum der Produktion. Die Prognosen für das Jahr 1983 liegen in der gleichen Richtung. Herr Lambsdorff, ich habe Sie eben auch fragen wollen - aber Sie haben es nicht zugelassen -, welche Produktivitätsentwicklung Sie für das laufende Jahrzehnt erwarten. Sie müssen mir tatsächlich erklären - aber dafür gibt es keine Erklärung -, wie sich eine Produktivitätssteigerung, die deutlich über dem Produktionswachstum liegt, nicht in Arbeitslosigkeit niederschlagen soll. Sie haben hinterher Gelegenheit, dazu Stellung zu nehmen. Sie haben in Williamsburg in der Vereinbarung über den Bericht der Arbeitsgruppe „Technologische Entwicklung, Wachstum, Beschäftigung", koordiniert die technologische Zusammenarbeit in 18 Projekten vorangetrieben. Ein wesentliches Projekt ist die Weiterentwicklung der Kernenergie, u. a. des Schnellen Brüters, ein weiteres technologisches Projekt ist das Vorantreiben der Entwicklung der Industrieroboter. Sie machen gleichzeitig auf dieser Ebene und anderswo überhaupt keine Anstrengung in der Richtung, die technologische Entwicklung, gegen die wir nicht generell sind, ({8}) sozial kontrollieren zu können. Wir müssen mittel- und langfristig dahin kommen, den Produktivitätsanstieg an die Verkürzung der Arbeitszeit weiterzuStratmann geben. Ansonsten wird sich bei relativ geringen Wachstumsraten, die überhaupt nur machbar wären, der Produktivitätsfortschritt in weitere Arbeitslosigkeit niederschlagen. Angesichts der Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung bleibt unseres Erachtens ein Haupthebel zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit übrig: eine radikale Politik der Arbeitszeitverkürzung. Bei den verschiedenen Modellen, die zur Arbeitszeitverkürzung diskutiert werden - ich werde in diesem Zusammenhang gleich noch auf den Antrag der SPD-Fraktion eingehen -, spielt die schnelle Verkürzung der Wochenarbeitszeit auf eine 35-Stunden-Woche die herausragende Rolle. ({9}) Ich möchte begründen, warum. Mich interessieren in diesem Zusammenhang allerdings auch die jetzige und die zukünftige Haltung der SPD-Fraktion. In der Diskussion über die Verkürzung der Arbeitszeit spielt die 35-Stunden-Woche aktuell die größte Rolle. Auf der anderen Seite geht es um die Verkürzung der Lebensarbeitszeit, um die Tarifrente ab 58 Jahren. Die SPD-Fraktion hat vorgestern einen Gesetzentwurf dieses Inhalts eingebracht, der sich bezüglich der Finanzierung von dem Vorentwurf des Bundesarbeitsministeriums unterscheidet. Ich möchte für uns GRÜNE grundsätzlich feststellen: Wir GRÜNEN treten ebenfalls für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit ein, wie wir grundsätzlich auch der Meinung sind, daß alle Möglichkeiten der Arbeitszeitverkürzung aus Gründen der Humanisierung der Arbeit und zur Entlastung des Arbeitsmarkts genutzt werden müssen. ({10}) Die entscheidende Frage in der augenblicklichen Situation ist allerdings, welches Modell der Arbeitszeitverkürzung den größten arbeitsmarktentlastenden Effekt bringt. Da sind die Daten für die Verkürzung der Lebensarbeitszeit eindeutig. Ein Wirksamwerden der 58er-Regelung vorausgesetzt, wären überhaupt nur 900 000 Personen anspruchsberechtigt. Von diesen würde, da richtigerweise Freiwilligkeit vorgesehen ist, nur ein Teil - schätzungsweise zwei Drittel - diese Regelung in Anspruch nehmen. ({11}) - Hören Sie doch mal zu! Ich setze bei Ihnen voraus, daß Sie die arbeitsmarktpolitische Diskussion ein bißchen genauer kennen. 600 000 Anspruchswillige ergeben bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Neueinstellung - und das ist eine Faustregel unter den Arbeitsmarktforschern - einen numerischen Arbeitsplatzeffekt von 50%. Sie werden die 600 000 bei der Verpflichtung zur Neueinstellung nie voll durchsetzen können. Das wird Ihnen kein Experte so sagen. Das heißt: bei 600 000, die es in Anspruch nehmen, kämen Sie auf einen Arbeitsmarkt-Entlastungseffekt von 300 000. Das ist in der Tat etwas, ganz klar. ({12}) Nur: wir haben zur Zeit Arbeitslosigkeit von 2,1 Millionen, minus 300 000 macht 1,8 Millionen. Angesichts der zu erwartenden Entwicklung der Arbeitslosigkeit ist eine Reduzierung um eine solche Marge zwar nicht zu vernachlässigen, aber nicht die Lösung des Problems und nicht der Haupthebel. ({13}) Sie werden nach Schätzung von Experten mit dem Mittel der Lebensarbeitszeitverkürzung bis 1988 einen Arbeitsmarkt-Entlastungseffekt von 400 000 bis 500 000 erreichen können. Man soll diesen Weg gehen. Wir sprechen uns nicht dagegen aus. ({14}) - Nein, nein. Herr Roth, wenn Sie weiter zuhören, werden Sie noch merken, daß dort vielleicht zwischen den GRÜNEN und einem Teil Ihrer Fraktion Möglichkeiten der politischen Zusammenarbeit bestehen. ({15}) Ich möchte, daß Sie dazu gleich einmal ganz eindeutig Stellung nehmen. Es geht nicht darum, die Lebensarbeitszeitverkürzung zu boykottieren, sondern es geht darum, in der anstehenden Auseinandersetzung um die Jahreswende zur Durchsetzung der 35-Stunden-Woche das gesellschaftliche Kräftepotential, das sich dazu bereit macht, zu unterstützen, nämlich die Gewerkschaften, insbesondere die IG Metall. ({16}) Da frage ich Sie, was Sie strategisch im Sinne haben, wenn Sie in dieser Situation vor der anstehenden Tarifauseinandersetzung einen entsprechenden Gesetzentwurf auftischen, darin erklären, daß er lediglich flankierend zu den anstehenden Tarifauseinandersetzungen sein soll, wo die Lebensarbeitszeitverkürzung durchgesetzt werden soll. Jetzt frage ich Sie - wobei ich in meinem Hinterkopf eine Vermutung habe; und ich möchte eine ganz klare Auskunft von Ihnen, von der SPD-Fraktion, auch in Richtung Gewerkschaften und IG Metall haben -: Halten Sie es machtpolitisch für möglich, daß in der kommenden Tarifauseinandersetzung an zwei Fronten gleichzeitig gekämpft wird: ({17}) gleichzeitig tarifliche Durchsetzung der Lebensarbeitszeitverkürzung und Durchsetzung der 35-Stunden-Woche? Ich fürchte, daß Sie damit nur die Kampfkraft für die Durchsetzung der 35-StundenWoche schwächen. Herr Roth, auch das möchte ich Ihnen noch sehr klar sagen: Da besteht die fundamentale Differenz zwischen Herrn Lambsdorff, dem Koalitionslager, und uns. Der Vorrang der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnsausgleich für untere und mittlere Einkommen ist in den Augen der GRÜNEN - und nicht nur in den Augen der GRÜNEN - der Haupthebel zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit. Weitere drastische Arbeitszeitverkürzungen im kommenden Jahrzehnt bis zum Jahre 2000 werden notwendig sein. ({18}) Die europäische Föderation der Metall-Gewerkschaften hat gerade in diesen Tagen gesagt, daß wir schrittweise bis zum Jahre 2000 auf die 26-StundenWoche kommen müssen. ({19}) - Natürlich, ich höre, wie hier einige lachen und Zwischenrufe machen. Wenn Sie nicht in solchen radikalen Perspektiven denken, ({20}) werden Sie die Arbeitslosigkeit im Jahr 1990 auf über drei Millionen haben. Alle von Ihnen vorgeschlagenen Instrumentarien sind schon im Ansatz nicht in der Lage, an dieser Massenarbeitslosigkeit etwas zu ändern. Die einzige Möglichkeit ist, radikal an die Arbeitszeitverkürzung heranzugehen, und zwar an die Wochenarbeitszeitverkürzung. ({21}) Ich fürchte - an die Adresse der SPD-Fraktion -, daß Sie mit der Einbringung Ihres Gesetzesantrags zur Lebensarbeitszeitverkürzung, zur Tarifrente den Übergang zu einem langsamen Absetzen von der 35-Stunden-Woche einleiten. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn sie hier ganz klar - auch in Richtung auf die IG Metall - ein Wort sprechen könnten. ({22})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Stratmann, Sie haben noch 50 Sekunden, aber zwei Zwischenfrager. Wollen Sie die Zwischenfragen noch zulassen?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Catenhusen, Sie haben eine Frage.

Wolf Michael Catenhusen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000326, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stratmann, ist Ihnen denn nicht bekannt, daß auch im Rahmen des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf alle Möglichkeiten zur Senkung der Arbeitszeit gesetzt wird, auf die 35-Stunden-Woche ebenso wie etwa auf die Vorruhestandsregelung, wie sie von der Gewerkschaft Nahrung, Gaststätten und Genuß verfolgt wird? Sehen Sie es nicht auch als Aufgabe von parlamentarischen Initiativen an, alle Möglichkeiten auf diesem Wege zu eröffenen? Sind Sie deshalb nicht auch der Meinung, daß Sie hier ein Scheingefecht vorführen?

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Es ist kein Scheingefecht, das ich hier vorführe, sondern ich greife ein tatsächliches Gefecht unter den Einzelgewerkschaften und ein tatsächliches Gefecht in der SPD auf. Ich kenne die verschiedenen Positionen in den Gewerkschaften. Sie kennen sie ganz genau, wahrscheinlich viel besser als ich. Hermann Rappe, der Vorsitzende der IG Chemie, ist nämlich Mitglied Ihrer Fraktion. Er hat noch in diesem fahr einen Tarif abschluß, der im wesentlichen die tatsächliche Wochenarbeitszeit bis 1987 festschreibt, mitverantwortet und offensiv vertreten. Dadurch fällt er vor allem der IG Metall, aber auch allen anderen Gewerkschaften im gewerkschaftlichen Kampf in den Rükken. Das sehe nicht nur ich persönlich so. Fragen Sie einmal bei Eugen Loderer nach. ({0}) - Das ist keine Unterstellung, sondern das ist Fakt. Ich weiß, daß die IG Chemie autonom ist; ich weiß aber auch, daß die IG Chemie eine Arbeitszeitpolitik betreibt. die de facto - nicht willentlich - durch die Festschreibung der Wochenarbeitszeit auf eine Verfestigung der Massenarbeitslosigkeit hinausläuft. Das muß ausgesprochen werden. Ich fürchte, daß durch Ihr Aufgreifen des DödingPlanes von der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten und ebenfalls wieder die gewerkschaftliche Kampffront innerhalb der IG Metall geschwächt wird und ein Teil Ihrer Fraktion dies auch will. Sie wissen ganz genauso gut wie ich, daß die Fronten quer durch Ihre Partei und teilweise auch quer durch die Gewerkschaften laufen. Gerade deswegen kommt es darauf an, alle gesellschaftlichen und parteipolitischen Kräfte zu mobilisieren und hinter der Forderung nach der 35-Stunden-Woche zusammenzuführen. ({1}) Ich komme zum Schluß.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich wollte Sie gerade daran erinnern, zum Schluß zu kommen.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Am Schluß weise ich auf politische Initiativen hin, die unseres Erachtens die tarifliche Durchsetzung der 35-Stunden-Woche flankieren müssen. Wir begrüßen den Antrag der SPD-Fraktion, ein Arbeitszeitgesetz zur Reduzierung der Höchstarbeitszeit und der tatsächlichen Verteuerung von Überstunden herbeizuführen. Wir werden im Herbst ebenfalls einen noch weitergehenden Gesetzentwurf einbringen. Wir schlagen vor und fordern die Bundesregierung auf, im öffentlichen Dienst mit der Durchführung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für untere und mittlere Einkommen voranzugehen. Wir kritisieren -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Stratmann, ich muß Sie unterbrechen. Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Darf ich einen letzten Satz sprechen? - Wir kritisieren, daß in Williamsburg zwar über Geldpolitik, Fiskalpolitik, Währungspolitik gesprochen worden ist, allerdings nicht über eine international koordinierte Arbeitszeitpolitik, und fordern die Bundesregierung auf, dies im europäischen Rahmen nachzuholen, auf dem Treffen des Europäischen Rats in Stuttgart, und dort ein koordiniertes Vorgehen zur Verkürzung der Arbeitszeit, zur Verkürzung der Wochenarbeitszeit duchzusetzen. - Vielen Dank. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, es gibt eine Vereinbarung, erst nach Beendigung der nächsten Rede in die Mittagspause einzutreten. Das Wort hat Herr Abgeordneter Lahnstein.

Manfred Lahnstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001269, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es tut mir leid, daß wir hier über 13 Uhr hinausgehen müssen. Graf Lambsdorff, es wäre doch sicherlich auch ein klein wenig kürzer gegangen, zumal mich vieles von dem - Sie wissen, ich höre Ihnen mit Vergnügen zu - wirklich an das erinnert hat, was Herr Wissmann vorher sagte, nur mit anderen Worten. ({0}) Bevor ich zu Herrn Wissmann komme: Herr Stratman, ich wünsche mir wirklich, daß die deutschen Gewerkschaften Ihren Deb attenbeitrag von eben sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen haben, wie Sie so mit der Haltung eines Oberlehrers in einer differenzierten gewerkschaftlichen Diskussion sagen, was gut und was schlecht ist und dann auch noch die eine Gewerkschaft gegen die andere ausspielen. ({1}) Ich wünsche, daß es sehr aufmerksam gehört wird. Herr Wissmann, mein Gott, der Wahlkampf ist doch nun wirklich seit drei Wochen vorbei. ({2}) - Drei Monate ist er schon vorbei. ({3}) Nun kommen Sie mit bebender Stimme und bedanken sich beim Bundeskanzler dafür, daß zum erstenmal in konkreter Form auf einen Gipfel über Jugendarbeitlosigkeit gesprochen worden sei. Das will ich Ihnen einmal vorlesen. In Ziffer 1 des Kommuniqués heißt es: Unsere Regierungen werden eine angemessene Geld- und Haushaltspolitik verfolgen, die geringe Inflation, niedrige Zinsen, mehr produktive Investitionen und erhöhte Beschäftigungschancen, vor allem für die Jugend, zur Folge hat. Soweit das konkrete Kapitel Jugendarbeitslosigkeit. Sie bedanken sich dann dafür, daß es wohl auch zum erstenmal gelungen sei, konkrete Verabredungen über die Zusammenarbeit im Umweltschutz durchzusetzen. Das will ich Ihnen auch vorlesen. In Ziffer 10 heißt es wörtlich: Wir haben vereinbart, im Umweltschutz, bei der besseren Nutzung natürlicher Hilfsquellen und bei der Hygieneforschung - was immer das ist, füge ich hinzu verstärkt zusammenzuarbeiten. So weit der Beitrag zum Umweltschutz. Nein, hier ist heute morgen bewußt, vom Bundeskanzler und auch von Ihnen, Herr Wissmann, ein Eindruck von Williamsburg vermittelt worden, der den Tatsachen nicht standhält. ({4}) Das ging so auch schon über die Medien. Da war viel von Episoden und Histörchen, eitel Harmonie und viel Fröhlichkeit die Rede. In Williamsburg muß es nach dem Eindruck des Fernsehzuschauers überhaupt viel zu lachen gegeben haben. Wenn man sich allerdings die Resultate ansieht, dann braucht man gar nicht so hart zu urteilen wie der französische Staatspräsident Mitterrand heute. ({5}) Wenn man sich die Resultate ansieht, muß man doch bei aller Bereitschaft zur differenzierten Wertung des Verhandlungsergebnisses feststellen: Die sind weder fröhlich noch gar sind sie zum Lachen. Viele Bürger, insbesondere viele von den 32 Millionen Arbeitslosen in der OECD, müssen sich da wohl eher verdummdeubelt vorgekommen sein. ({6}) Ich wähle dieses Wort „verdummdeubelt" bewußt, denn der französische Staatspräsident hat, wenn die Übersetzung richtig ist, das Wort „Tricks" verwendet, mit denen Williamsburg vorbereitet und durchgeführt worden sei. Die „Wirtschaftswoche" hat das Ganze am 3. Juni mit der Überschrift versehen: „Viel Pomp und Pathos". Und der Überschrift will ich gerne zustimmen. ({7}) Da gibt es nun einige Leute, nicht bei der Opposition - da sowieso -, sondern vor allen Dingen an den Finanzmärkten, die auf solche Dinge sofort unbestechlich und unerbittlich reagieren. Und Sie haben doch wohl die Entwicklung an den Finanzmärkten, an den Börsen seither gesehen. Die sprechen auch nicht gerade von einem Erfolg dieser Konferenz. Ihr Urteil fällt wesentlich kritischer aus. Sie brauchen nur die Devisenmärkte als Beispiel zu nehmen. Der Dollar hat gestern mit 2,57 DM notiert. Das kann natürlich niemand, meine Damen und Herren, mit zunehmender Stärke der US-Wirtschaft oder mit einer höheren Qualität der amerikanischen Wirtschaftspolitik erklären. Darin sind sich alle Fachleute einig. Der Londoner Börsenmakler David Morrison hat das so gedeutet - ich stimme seiner Deutung zu -: Unsere Interpretation - so sagt die Börse 564 ist, daß Präsident Reagan und die USA es geschafft haben, für ein weiteres Jahr ohne nennenswerte Kritik an der fehlenden Balance in ihrer Wirtschaftspolitik davonzukommen. Herr Morrison hat den Nagel auf den Kopf getroffen. ({8}) In Wirklichkeit war das wohl so: Präsident Reagan hat sich als Worldleader präsentiert. Und man muß zugestehen: Dort ist perfekt Regie geführt worden. Über das Ambiente ist schon einiges gesagt worden. Im Urteil über Versailles, Graf Lambsdorff, liegen wir vielleicht nicht so weit auseinander; aber Herr Vogel hat sich nicht auf Versailles bezogen, sondern auf die vor uns liegenden Veranstaltungen. Und 1985 - unterstellen wir einmal, sie bildeten dann noch die Regierung - sind Sie ja wieder dran. Dann können wir über so einen Tagungsort doch ganz gut reden. ({9}) Es wurde souverän Regie geführt. Margaret Thatcher hat den Ball in der Sicherheitspolitik hingeworfen und ist dann nach Hause gefahren. Wegen des heutigen Tages in Großbritannien mußte doch auch schon der Europäische Rat verschoben werden. Aber was wichtig ist, ist natürlich die Haltung des Bundeskanzlers und der anderen Gipfelteilnehmer. Ich nehme der Bundesregierung ab, wenn sie sagt, sie habe ernsthaft und mit Nachdruck auf die Probleme hingewiesen, jawohl, das nehme ich ihr ab. Aber ist denn eigentlich auch gekämpft worden, wirklich gekämpft worden? Da gibt es einen ungenannten deutschen Beamten, den zitiert John Vinocour in der „New York Times" zu Beginn dieser Woche. Der soll die deutsche Haltung so beschrieben haben - ich darf das zitieren -: Ich glaube, einige Leute haben uns - er meint die Deutschen für Langeweiler gehalten. ({10}) Wir haben zum Sicherheitskommuniqué j a gesagt. Wir haben zum Gipfelkommuniqué j a gesagt. Das war leicht, hat niemand irritiert, und genauso hat Kohl die Wahlen gewonnen. So sagt der ungenannte deutsche Beamte. Dem ist nichts hinzuzufügen. ({11}) So einfach ist das also. Aber es reicht natürlich nicht aus. Und deswegen lohnt es sich, glaube ich, auch nicht, über Williamsburg im nachhinein noch groß zu reden. Aber einige Fakten müssen wir zur Kenntnis nehmen und einige Konsequenzen ziehen. Zu den Fakten gehört nicht nur der Dollar, zu den Fakten gehört auch das täglich sichtbarer werdende Crowding-out in den Vereinigten Staaten, wo mittlerweile drei Viertel der inländischen Kapitalbildung durch den Staat absorbiert werden - ein Crowding-out, das nur deshalb, Graf Lambsdorff, noch nicht voll durchgeschlagen hat, weil derzeit die Innenfinanzierung der Unternehmen leidlich funktioniert. Aber das wird mit zunehmender Wirtschaftstätigkeit nicht mehr der Fall sein können. Dazu gehört die Entwicklung an den Börsen, ob Sie nun Dow Jones, also Wallstreet, oder die deutschen Börsen nehmen. Die sind seit Williamsburg leider auch nicht besser geworden. Ich will einen Punkt aufgreifen, den Herr Vogel heute morgen am Wickel hatte, nämlich die Umlaufrendite für festverzinsliche Wertpapiere. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie hier von seiten der sogenannten Koalition der Mitte immer wieder gesagt worden ist: Seit wir in der Bundesregierung sind, kann die Bundesbank endlich die Zinsen senken, jetzt können die Zinsen endlich nach unten gehen. - Ich will Ihnen einmal etwas sagen: Die Umlaufrendite ist heute auf das Zehntelprozent genauso hoch, wie sie im September 1982 war. ({12}) Wo bleiben jetzt eigentlich die großen Erklärungen über den Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Regierung und dem Verhalten der Bundesbank? Die Wirklichkeit ist heute sogar schlechter, als sie damals war, denn heute liegt der Realzins in dieser Berechnung bei über 5 ({13}) und damit um einen guten Punkt, wenn nicht gar um anderthalb Punkte ({14}) über dem im Herbst des vergangenen Jahres. ({15}) - Das sind keine dialektischen Spielereien, sondern die Zahlen, die sich insbesondere seit Williamsburg ergeben haben. Es sind Zahlen, an denen sich nun einmal das Resultat von Williamsburg messen lassen muß. Vor diesem Hintergrund seien noch einmal einige der Kernthesen dieses Kommuniqués aufgegriffen. Zunächst zur Abstimmung an den Devisenmärkten und zur Ordnung im Weltwährungssystem: Ich möchte darum bitten, daß wir uns den Satz, den mein Fraktionsvorsitzender heute morgen schon zitiert hat, noch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Er lautet: Unter Wahrung unserer jeweiligen Handlungsfreiheit sind wir bereit, koordiniert in die Wechselkursmärkte in den Fällen einzugreifen, in denen man sich über die Nützlichkeit eines Eingreifens einig ist. Herr Bundeskanzler, ich muß Sie offen und ohne jede Ranküne fragen: Wie konnte so ein Satz in ein Kommuniqué kommen? ({16}) Die Frage geht auch an Herrn Stoltenberg: Wie kann man so etwas zulassen? Da ist doch weniger gesagt als in den geltenden IWF-Statuten! ({17}) Die geltenden IWF-Statuten verpflichten uns dazu, Ordnung zu halten und nicht nur dann zu agieren, wenn man sich über die Nützlichkeit eines Eingreifens einig ist. Hier ist Unsicherheit produziert worden, und darauf weist die Reaktion der Börsen ja deutlich hin. Unsicherheit, sonst nichts! Da wäre es besser gewesen, diese detaillierte Interventionsstudie - wie sie wohl technisch heißt - mit keinem Satz im Kommuniqué zu erwähnen, als dies mit einer solchen Leerformel zu tun. Ich unterstreiche den nächsten Punkt: Wir sind weitgehend mit dem einverstanden, was dort über Welthandel und Protektionismus gesagt worden ist. Ich gehe einen Schritt weiter. Jetzt muß ja in GATT und UNCTAD Tacheles geredet werden. UNCTAD läuft. Ich habe das gelesen, was Sie, Graf Lambsdorff, vor, glaube ich, zwei Tagen im „Handelsblatt" dazu erklärt haben. Was da über Exporterlösstabilisierung und viele andere Dinge mehr steht, deckt sich weitgehend mit einem Antrag, den meine Fraktion dieser Tage zum gleichen Thema einbringt. Da sind Berührungspunkte, und da ist - wenn ich dies unverschämterweise sagen darf - auch Kontinuität. ({18}) Kritischer muß das Urteil wieder bei der Schuldenkrise der Entwicklungsländer ausfallen. Das ist nun wirklich allgemein formuliert; da gibt es kein Bekenntnis zu der aus unserer Sicht notwendigen, wenn auch finanzwirtschaftlich schwer dazustellenden realen Steigerung der Entwicklungshilfe, kein Wort! Da gibt es keinen klaren Hinweis auf die Verpflichtung der Privatbanken, die Kreditketten nicht zu unterbrechen. Da gibt es kein klares Wort an die Adresse der Industrieländer, gerade über eine prononcierte Wachstums- und Beschäftigungsentwicklung die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß dieser Verschuldungsprozeß überhaupt jemals gestoppt werden kann. Da gibt es natürlich auch keinen präzisen Hinweis auf die spezielle Verantwortung der Vereinigten Staaten. Herr Bundeskanzler, Sie haben heute morgen, technisch gesprochen, über IDA VI geredet und haben gesagt, jetzt wollen wir alle das tun, wozu wir uns verpflichtet haben. Ich habe das ein bißchen kurz formuliert. - Erstens ist das natürlich eine Selbstverständlichkeit, aber zweitens hätten Sie dazu sagen müssen, wen Sie meinen, in diesem Falle nämlich ausschließlich die Vereinigten Staaten, wo der Kongreß in dieser wie in anderen benachbarten Fragen seine Hausaufgaben nun wirklich noch nicht gemacht hat. Die Hauptkritik aber muß an dem ansetzen, was zur Wirtschaftspolitik der sieben großen Industriestaaten gesagt worden ist. Unsere Erwartung war klar - wir haben sie auch hier formuliert -: eine eindeutig an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit über Wirtschaftswachstum ausgerichtete Politik. Diese eindeutige Ausrichtung ist nach meiner Überzeugung unterblieben. Ich habe Ihnen die Ziffer 1 des Kommuniqués wegen des angeblichen Verweises auf die Jugendarbeitslosigkeit schon vorgelesen. Angesichts dieses Resultats wird, denke ich, ein großer Teil dieser Arbeitslosen, von denen hier heute häufig und zu Recht die Rede war, diese Konferenz eher mit Bitterkeit zur Kenntnis nehmen müssen. Nun sagen Sie - und heute morgen wieder - mit großem Ernst: Nun müssen wir alle unsere Hausaufgaben machen. Da würde ich sagen, mit meinem Fraktionsvorsitzenden: Nur Mut, Herr Bundeskanzler, nur Mut! Denn ich habe den festen Eindruck, daß wir unsere Hausaufgaben in den vorab genannten, aber auch in einigen noch vor uns stehenden Fragen alles andere als gemacht haben. Man muß sich an die Hausaufgaben dranmachen; sie sind noch nicht gemacht worden. Aber noch ein weiteres muß unterstrichen werden: Hausaufgaben in diesen weltwirtschaftlichen Fragen, das heißt, daß auf internationale Fragen internationale Antworten gefunden werden müssen. Oder um es noch weiter zuzuspitzen: Die beste Lösung dieser Hausaufgaben zu Hause bringt wenig, wenn man sich nicht schon bei der Formulierung und schon gar bei der Lösung der Aufgaben der internationalen Verflechtung unserer Volkswirtschaft stets bewußt bleibt ({19}) und wenn dieser merkwürdige Bruch zwischen großen Kooperationsbeteuerungen und dann manchmal einigermaßen kleinkarierter heimischer Diskussion nicht überwunden werden kann. Die Weltwirtschaft ist mehr als die Summe von, rund gerechnet, 150 einzelnen Volkswirtschaften. Wenn wir uns ansehen, daß z. B. ein Viertel - wenn nicht mehr - des Welthandels heute innerhalb von Unternehmen verläuft, wenn wir uns die unglaubliche Integration der Finanzmärkte ansehen, dann wird sichtbar, was ich damit meine. Daraus ergibt sich, daß der Hinweis auf die Hausaufgaben nicht nur dann zu kurz greift, wenn man sie zu Hause noch nicht gemacht hat, sondern auch dann, wenn man darunter versteht, daß man dem anderen nicht in seine Dinge hineinreden dürfe. Ich bin kein geborener Diplomat. Ich habe weltwirtschaftliche Integration - übrigens auch europäische - immer so verstanden, daß wir um der Integration, um der Partnerschaft und um der Freundschaft willen die Pflicht zum Dreinreden haben. ({20}) Diese Pflicht gilt natürlich insbesondere dann, wenn man sich die Risiken ansieht, die sich aus Williamsburg und dem Ergebnis oder Nichtergebnis dort zwangsläufig ergeben. Ich halte nicht viel davon, Wunschvorstellungen von Wirtschaftspolitik zum Maßstab für eigene Überlegungen zu machen. Nehmen wir also die amerikanische Wirtschaftspolitik so, wie sie ist, d. h. so, wie sie Präsident Reagan formuliert hat, auch in Williamsburg. Dann liegen die Risiken auf der Hand. In Stichworten: Auf dieser Grundlage werden die Vereinigten Staaten ihre Defizite nicht unter Kontrolle bekommen. Graf Lambsdorff, es geht nicht darum, einzelne Ausgabenkategorien hier moralisch oder haushaltspolitisch zu bewerten; es muß aber darum gehen, aufzuzeigen, woher die Ursachen des Defizits rühren. Sie rühren nun in der Tat aus den drei großen Blöcken Rüstungsausgaben, Intitlements, also Sozi566 alprogramm, dessen weitere Kürzung heute morgen hier Gott sei Dank niemand gefordert hat, und Steuersenkungen, also den drei Bereichen, die in einem Wahljahr nicht voll in den Griff zu bekommen sind. Und dann treten Spätschäden auf, wenn die Vereinigten Staaten ihr Defizit nicht in den Griff bekommen. Das heißt: Jahr für Jahr mehr als 200 Milliarden Dollar, d. h. Jahr für Jahr mehr als 500 Milliarden DM Defizit. Es heißt vor allen Dingen, wie alle amerikanischen Rechnungen zeigen, ein sprunghaftes Ansteigen des strukturellen Defizits im amerikanischen Haushalt. Das wird nämlich nicht besser, selbst wenn die Konjunktur in Amerika einigermaßen ans Laufen kommt. Rechnungen einer für mich jedenfalls verläßlichen amerikanischen Großbank deuten darauf hin, daß per 1985/86 das strukturelle Defizit - nicht das gesamte, nur das strukturelle - bei 4,7 % des Bruttosozialprodukts zu liegen kommen würde. Ich bitte Sie sehr herzlich, wenn wir uns die amerikanischen Zahlen ansehen und sie nüchtern mit den unseren vergleichen, dann, spätestens dann, das Gerede von der Erblast endgültig zu begraben. ({21}) Das zweite Risiko ist auch unausweichlich; es ergibt sich aus dem ersten: Die Zinsen werden in den Vereinigten Staaten hoch bleiben. Das muß die Inflation befördern, es muß den Aufschwung gefährden, und es muß auch heißen, daß die Unternehmensbilanzen, um die es in den Vereinigten Staaten alles andere als gut bestellt ist - das muß hier auch einmal gesagt werden -, mit solchen Zinsen natürlich nicht in Ordnung kommen können. Was wieder Konsequenzen auch für die Produktivität in vielen amerikanischen Wirtschaftszweigen haben muß. Das heißt für uns, daß wir, wenn wir nichts tun, mit unseren Zinsen folgen müssen, daß wir über unsere Nominalzinsen unsere Inflation wieder antreiben, daß wir über unsere Realzinsen gleichzeitig die Investitionen behindern - damit übrigens auch die Eigenkapitalbildung behindern. Damit entsteht das erhebliche Risiko, daß das, was ich heute nur als Aufschwüngchen sehen kann, abgewürgt ist, bevor daraus überhaupt ein Aufschwung werden kann. Auf die Entwicklungsländer wurde bereits hingewiesen. 1 % Zinsveränderung in den USA macht für sie 5 Milliarden Dollar aus. Wissen Sie, was das bedeutet? 5 Milliarden Dollar sind ungefähr 20% unserer gesamten Entwicklungshilfe. Wenn die Zinsen auf den Dollar um 2 oder 31)/0 sinken, bedeutet das im Klartext, daß die Entwicklungshilfe um 60 % gesteigert wird. Das ist keine Milchmädchenrechnung, wenn sie auch nicht ganz sauber ist. So sind die Größenordnungen, so sind die Risiken. Das dritte Risiko liegt auch auf der Hand: Der Dollarkurs muß zu hoch bleiben, zumindest vorläufig. Solange der Realzins in den USA so horrend hoch ist, muß der Wechselkurs oben bleiben. Das geht nicht anders. Nun sind die Konsequenzen für uns in der Bundesrepublik Deutschland auf Grund unserer vergleichsweise günstigen Ausgangslage einigermaßen beherrschbar. Das ist vielleicht auch ein Beitrag zum Thema Erblast. ({22}) Das sieht in anderen Ländern anders aus. Das sieht anders aus in Frankreich, das sieht anders aus in Italien. Dort sind die Wirkungen des hohen Dollarkurses verheerend. Die Leute in Paris und Rom haben doch einen Punkt, wenn sie darauf hinweisen. Am schwierigsten aber sind möglicherweise die Konsequenzen für die Vereinigten Staaten selbst. Präsident Reagan schätzt für das laufende Jahr das Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten auf einen Betrag zwischen 50 und 60 Milliarden Dollar. Das ist ein absoluter Rekord. Früher hätte hier vielleicht einer gesagt: Das hat es seit Christi Geburt nicht gegeben. Das ist ein wirklicher Rekord: Handelsbilanzdefizit der Vereinigten Staaten auf 60 Milliarden Dollar. Das Leistungsbilanzdefizit liegt zwischen 25 und 30 Milliarden Dollar. Damit wird in einem Jahr, in dem sich die Amerikaner anschicken, ihre Präsidentschaftswahlen vorzubereiten, das Protektionismusrisiko ungeheuer hoch. Das heißt außerdem im Klartext, daß zumindest für diese Beträge die reichste und größte Volkswirtschaft der Welt auf Pump lebt; denn nichts anderes sagen diese Zahlen. Das ist für diese Beträge natürlich genau die Umkehr der an sich notwendigen weltweiten Arbeitsteilung. So hängen die Dinge zusammen. Hier liegen die Risiken für uns. Wenn Sie schon nicht auf uns hören, dann sollten Sie wenigstens Henry Kissinger beherzigen, der immer wieder auf den untrennbaren Zusammenhang zwischen Kohärenz des Bündnisses, militärischer Sicherheit und der kollektiven Fähigkeit, mit wirtschaftlichen Problemen fertig zu werden, hingewiesen hat. Für uns kommt es darauf an, Konsequenzen zu ziehen. Lassen Sie uns also die amerikanische Politik, so, wie sie ist, in Rechnung stellen. Ich kritisiere sie mit keinem Wort, ich stelle sie nur nüchtern in Rechnung. ({23}) - Mit keinem Wort. Sie können nachher alles in Ruhe nachlesen. Ich führe Ihnen nur die Zahlen vor, die der Präsident, der Kongreß und die Regierung der USA vorgeführt haben. Vor dem Hintergrund dieser Risiken müssen wir Inventur machen und in der Tat unsere Hausaufgaben erledigen. Ich will hier nicht im einzelnen auf den Jahreswirtschaftsbericht eingehen; das wird hier noch geschehen. Ich wollte nur eine Anmerkung machen, Graf Lambsdorff, was die Hausaufgaben angeht: In der Einkommenspolitik sind sie in der Tat nicht nur erledigt, sondern übererfüllt. Gestatten Sie trotz der fortgeschrittenen Zeit einen letzten internationalen Vergleich. Die OECD hat für den Zeitraum 1982-1984 verglichen, wie sich die Bruttorealeinkommen je beschäftigten ArLahnstein beitnehmer entwickeln werden. Die Angaben kommen aus den Hauptstädten. Sie kommen also auch aus Ihrer Regierung, Herr Bundeskanzler. Für den Dreijahreszeitraum lautet die Zahl für die USA plus 4,3, für Japan - hört, hört! - plus 11,9 und für die Bundesrepublik Deutschland minus 3,9. ({24}) Diese Zahlen muß man sich auf der Zunge zergehen lassen: für die Bundesrepublik minus 3,9. Da muß man sich fragen, woher der dauerhafte Aufschwung von der Nachfrageseite her kommen soll. Es sei denn, man schafft die Nachfrage überhaupt ab. Aber dann wird man die Probleme auch nicht lösen. ({25}) Allein aus der Sparquote wird dies nicht gehen, zumal ein so drastischer Rückgang der Sparquote auch für den Sektor der Unternehmensfinanzierung sehr negative Konsequenzen haben muß. Bei der Einkommenspolitik kann die Hausaufgabe also nicht liegen. Ich denke, sie muß deutlich bei der Geldpolitik liegen. Um nicht mißverstanden zu werden: Es geht uns hier keineswegs darum, eine lasche Geldpolitik zu postulieren. Bei dem aber, was wir in den letzten Tagen an Gerüchten aus Frankfurt in der Presse lesen konnten, kann man wirklich nur wünschen, daß diese Gerüchte solche bleiben und nicht zutreffen. Wir dürfen um Himmels willen in der Geldpolitik in der gegenwärtigen Situation nicht die Schrauben wieder anziehen! Wir müssen im Gegenteil eine an den binnenwirtschaftlichen Notwendigkeiten orientierte Geldpolitik anstreben, was im Klartext heißt: Geldmengensteuerung am mittelfristigen Produktionspotential orientiert und eine Zinspolitik, die nun wirklich bewußt am unteren Ende des gerade noch Denkbaren entlangsegelt. Solche Politik hat Risiken. Die muß man sehen. Das kann auf eine Zeit den Dollarkurs noch weiter nach oben treiben. Aber ich sage bewußt: auf eine Zeit; denn die Wirtschaftsgeschichte, auch die der letzten Jahre, lehrt, daß sich die sogenannten economic fundamentals dann doch durchsetzen werden. Es kann zu einem verstärkten Kapitalexport führen. Ich sage wiederum: über eine Zeit. Im übrigen ist das nicht so dramatisch, wie die meisten Leute meinen; denn hier korrelieren j a unser Handelsbilanzüberschuß und unser Kapitalexport. Eine der entscheidenden Weichenstellungen muß also in der Geldpolitik erfolgen. Um Himmels willen die Schrauben nicht stärker anziehen, sondern im Gegenteil stärker an der binnenwirtschaftlichen Notwendigkeit ausrichten! Die Realzinsen, die ich Ihnen eben vorgeführt habe, müssen sonst eine nachhaltige Konjunkturerholung bei uns abwürgen. Das kann gar nicht anders sein. Im Zusammenhang mit der Finanzpolitik möchte ich dem, was vor allen Dingen Herr Wissmann und Graf Lambsdorff gesagt haben, nur eins hinzufügen. Bei uns postuliert niemand, Herr Wissmann - ich kenne jedenfalls keinen -, eine generell auf Expansion ausgerichtete, also sozusagen eine vulgär-keynesianische Finanzpolitik. Das tut niemand. ({26}) Wir wissen sehr wohl, daß man gerade dann, wenn man eine angepaßte Geldpolitik betreiben will und international eine Reservewährung hat, seine Finanzpolitik auch nach diesem Faktum Reservewährung ausrichten muß. Aber was wir getan haben - auch heute morgen wieder -, ist, sehr wohl die Forderung an die Regierung zu stellen, die auf Beschäftigung gerichteten Akzente in der Finanzpolitik stärker zu machen. Sie glaubten, daraus ablesen zu müssen, wir seien dann bereit, mehr Defizite in Kauf zu nehmen. Da haben Sie nicht gut zugehört. Herr Vogel hat Ihnen heute morgen in aller Präzision gesagt - das haben wir in der Debatte über die Regierungserklärung schon vorher getan; damit es aber endgültig sitzt, tun wir es heute nachmittag noch einmal -, wie wir das finanzieren wollen. Wenn Sie es wollen, können wir Ihnen das bis auf die Stelle hinter dem Komma sagen. Aber eins darf in der Finanzpolitik auf keinen Fall passieren - da habe ich ein bißchen meine Befürchtung, was Ihre Vorstellungen betrifft -: Geldpolitik und Finanzpolitik gleichzeitig auf Sparflamme kochen. Das müßte den Aufschwung endgültig abwürgen und könnte anschließend zur Deflation führen. Letzte Anmerkung zum EG-Gipfel in Stuttgart. Für eine derartige Politik, die sich stärker, als das in Ihren Beiträgen heute morgen erkennbar wurde, auf Wachstum und Beschäftigung ausrichtet, müssen wir uns Partner suchen. Da liegt genau der Unterschied zwischen Williamsburg und Stuttgart. In Stuttgart kann sich der Bundeskanzler nicht verstecken. In Stuttgart kann sich auch die Bundesregierung nicht verstecken. In Stuttgart sind wir die économie dominante mit psychologisch schwierigen Konsequenzen. Von den Zahlen und von den Aufgaben der Präsidentschaft her stehen wir in einer besonderen Verantwortung. Einem Orientierungspapier der Ministerien entnehme ich das Urteil, das dort ganz zu Recht niedergeschrieben ist: „Die Beurteilung unserer Präsidentschaft hängt nicht zuletzt vom Stuttgarter Europäischen Rat ab." Die Beamten haben völlig recht. Dann heißt es dort weiter zur Jugendarbeitslosigkeit: „Konkrete Ergebnisse sind unerläßlich." Es wäre gut gewesen, wenn der Bundeskanzler seine Absichten für Stuttgart heute morgen etwas klarer artikuliert hätte; ({27}) denn ich sehe ja kommen, daß wir auch über dieses Thema erst wieder nach der Veranstaltung diskutieren, was dann allerdings hieße: erst nach der Sommerpause, eine für mich schwer erträgliche Vorstellung. Bei einer derartigen Politik, die stärker auf Wachstum und Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ausgerichtet ist, haben wir doch innerhalb der Ge568 meinschaft Verbündete. Übrigens auch außerhalb, wenn ich an die Österreicher und an die Schweizer denke. Hier gibt es gleichgerichtete Interessenanlagen, und hier gibt es auch gleichartige Möglichkeiten. Aber selbst die anderen, die so schnell nicht können, weil ihre Voraussetzungen noch nicht ganz so gut sind wie die unseren, würden ja profitieren, z. B. von dem Importsog, den unser eigener Aufschwung auslösen würde. Auch hier haben Paris und Rom doch dasselbe Interesse. Und im EWS, das 1978 unter unserer Präsidentschaft zustande kam, würden sich die Verhältnisse entspannen und nicht weiter verkrampfen. Das Ganze auf der Basis niedriger Zinsen und höherer, inflationsfreier Wachstumsraten und einer besseren Beschäftigungslage. Diese Hinweise, die Eindrücke aus einer Debatte von mehreren Stunden sind, können natürlich kein vollständiges Konzept sein. Aber sie sollen doch der Versuch sein, sowohl diese vordergründige und eher aufs Anekdotische gerichtete Berichterstattung über das Treffen in Williamsburg als auch die Vorschau auf den EG-Gipfel in Stuttgart - wobei wir zum letzteren noch so gut wie gar nichts gehört haben - etwas zu vertiefen. Eine letzte Bemerkung, weil hier eben ein Zwischenruf kam: Bitte verwechseln Sie diese Politik unserer Fraktion nicht mit Antiamerikanismus. Ganz im Gegenteil! Wir sind ja bereit, die Sorgen der amerikanischen Partner nicht nur zur Kenntnis, sondern auch ernst zu nehmen. ({28}) - Wenn ich von „wir" spreche, meine ich das auch. Heute morgen hatte ich manchmal den Eindruck, Herr Wissmann, hier redet einer im Pluralis majestatis. Das wollen Sie mir doch nicht unterstellen. Wenn ich „wir" sage, meine ich meine Fraktion. ({29}) Das ist nicht mit Antiamerikanismus zu verwechseln. ({30}) - Das ist auch nicht notwendig bei solchen Selbstverständlichkeiten. ({31}) Ich bin jetzt wirklich bei einem ernsthaften Punkt: Dies ist nicht mit Antiamerikanismus zu verwechseln. Wir sind bereit, die Sorgen zur Kenntnis und ernst zu nehmen, allerdings auch die Risiken, die sich daraus ergeben. Wir müssen deshalb die Zeit nutzen, die unsere amerikanischen Freunde nach ihren eigenen Äußerungen brauchen, um ihre Dinge in Ordnung zu bringen, denn auch den Vereinigten Staaten muß an möglichst starken Verbündeten mit soliden wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen gelegen sein. Wir wünschen uns deshalb, daß das, was in Williamsburg nicht geschafft wurde, wenigstens in Stuttgart sichtbar werden wird. Hier liegt die große Verantwortung des Bundeskanzlers. Hier liegt die große Verantwortung der Bundesregierung. Aus dieser Verantwortung darf sie niemand entlassen, nicht einmal sie selbst. - Schönen Dank, Herr Präsident. ({32})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Sitzung wird um 14 Uhr mit der Fragestunde fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, wir fahren in den Beratungen fort. Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf: Fragestunde - Drucksache 10/106 Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes auf. Zur Beantwortung der Fragen steht uns Herr Staatsminister Dr. Jenninger zur Verfügung. Die Frage 1 ist von dem Herrn Abgeordneten Reents gestellt: Trifft es zu, daß die Bundesregierung über eine bislang von ihr nicht veröffentlichte Studie des Meinungsforschungsinstituts „Sinus" zur „Nachrüstung" verfügt, und daß die Ergebnisse dieser Studie unter anderem besagen, daß 60 v. H. der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland eine Stationierung der Pershing II und Cruise Missiles in unserem Land ablehnt?

Not found (Gast)

Herr Abgeordneter Reents, ich darf Ihre Frage wie folgt beantworten: Die von Ihnen erwähnte Studie wurde im Juni 1982 von der früheren Planungsabteilung des Bundeskanzleramts zum Zwecke interner Überlegungen in Auftrag gegeben. Die jetzige Bundesregierung kann deshalb für den Inhalt der Untersuchung keine Verantwortung übernehmen. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse ist aus dem genannten Grunde nicht vorgesehen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter, bitte.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, mir leuchtet nicht ganz ein, daß die Tatsache, daß Sie diese Studien nicht in Auftrag gegeben haben, ein Grund dafür sein kann, sie nicht zu veröffentlichen. Gibt es andere Gründe, die vielleicht in den Aussagen dieser Studie liegen, die Studie nicht veröffentlichen zu wollen?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen dazu sagen, Herr Kollege, daß es keine anderen Gründe gibt. Diese Studie ist nicht von der jetzigen Bundesregierung in Auftrag gegeben worden; sie ist von der früheren Bundesregierung, wie ich schon gesagt habe, zum Zwecke interner Überlegungen in Auftrag gegeben worden. Diese internen Überlegungen stellt die jetzige Bundesregierung nicht an. Deswegen ist eine Veröffentlichung nach unserer Meinung nicht notwendig.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Können Sie denn bestätigen, wie ich in meiner Frage hier gefragt habe, daß in dieser Studie die Feststellung getroffen worden ist, daß 60 % der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland eine Stationierung der Pershing II und Cruise Missiles in unserem Lande ablehnt? Wenn Sie das bestätigen können oder nicht bestätigen können, was soll auf Grund solcher Meinungsumfrageergebnisse gegebenenfalls an internen Überlegungen in der Bundesregierung angestellt werden, die dazu führen, daß das nicht veröffentlicht werden darf?

Not found (Gast)

Ich kann Ihnen, Herr Kollege, dieses angebliche Ergebnis dieser Studie nicht bestätigen, da ich sie auch nicht gelesen habe; aber soweit ich informiert bin, ist in dieser Form eine Festlegung nicht erfolgt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatsminister, hätte denn die Bundesregierung Bedenken, wenn das Institut diese Studie von sich aus veröffentlichen möchte? Oder würde die Bundesregierung einer solchen eigenen Veröffentlichung durch das Institut entgegentreten?

Not found (Gast)

Da, Herr Kollege Hirsch, die jetzige Bundesregierung nicht Auftraggeber für diese Studie war, hat sie keine Veranlassung, eine Veröffentlichung dieser Studie zu verhindern. Es sind j a schon in anderen Fällen auch gerade von diesem Institut Veröffentlichungen vorgenommen worden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, sind Sie denn bereit, zu bestätigen, daß das, was veröffentlicht worden ist, zumindest so einzuschätzen ist, daß Sie dem nicht widersprechen würden?

Not found (Gast)

Ich kann mich auf Veröffentlichungen in verschiedenen Medien, die in der Tat erfolgt sind, nur insoweit berufen, als ich sie dort ebenfalls zur Kenntnis genommen habe. Sie sind aber weder von der Bundesregierung veranlaßt worden, noch sind sie von der Bundesregierung zu verantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krizsan.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, wären Sie denn unter Zurückstellung aller Ihrer politischen Bedenken bereit, eine ähnliche Studie in Auftrag zu geben?

Not found (Gast)

Wenn die Bundesregierung das Bedürfnis hat, solche Fragen zu klären, wird sie selbstverständlich solche Studien in Auftrag geben. Die Bundesregierung hat aber kein Bedürfnis, eine Studie ähnlicher Art noch einmal in Auftrag zu geben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich danke Ihnen schön, Herr Staatsminister. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen auf. Die Fragesteller - Herr Abgeordneter Sauer ({0}), der die Frage 2 eingebracht hat, und Frau Abgeordnete Dr. Martiny-Glotz, die die Frage 3 eingebracht hat - haben um schriftliche Beantwortung der Fragen gebeten. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe dann den Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung auf. Zur Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekretär Würzbach zur Verfügung. Ich rufe die Frage 27 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf: Wie ist der exakte Wortlaut der „Geheimhaltungsbestimmungen der NATO", durch die sich die Bundesrepublik Deutschland nach der Erklärung des Parlamentarischen Staatssekretärs Würzbach vom 15. April 1983 ({1}) ausdrücklich verpflichtet haben soll, die Standorte nuklearer Gefechtsköpfe geheimzuhalten, und bezieht sich diese angebliche Verpflichtung auch auf die Lagerungsorte von chemischen und bakteriologischen Kampfstoffen in der Bundesrepublik Deutschland? Bitte schön, Herr Staatssekretär. Würzbach, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege Dr. Hirsch, die Bundesregierung bestätigt noch einmal ausdrücklich, daß die Verpflichtung zur Geheimhaltung von Lagerungsorten nuklearer Gefechtsköpfe in einem NATO-Dokument, im sogenannten Atomal-Abkommen vereinbart wurde. Das Zitieren des Wortlautes einer solchen Verschlußsache ist aber, wie Ihnen selbst auf Grund verschiedener Tätigkeiten bestens bekannt ist, in der Öffentlichkeit nicht möglich. Die Vereinbarung zur Geheimhaltung der Lagerungsorte chemischer Kampfstoffe ist in bilateralen Dokumenten zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik erfolgt. Biologische Kampfstoffe, nach denen Sie auch fragen, sind nicht vorhanden. Es gibt sie nicht, da durch den Abschluß des Biotoxinwaffen-Vertrages von 1972 die Vereinigten Staaten von Amerika und die Sowjetunion öffentlich und verbindlich erklärt haben, daß sie ihre Bestände an solchen biologischen Kampfstoffen vernichtet haben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, woraus leiten Sie eigentlich die Rechtsverbindlichkeit gegenüber dem Parlament her, wenn Sie sagen, es handle sich um ein Geheimabkommen, dessen Wortlaut Sie nicht einmal bekanntgeben können?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, ich sage noch einmal: Es ist nicht nur geübte Praxis, sondern automatische Schlußfolgerung aus bestehenden - auch gesetzlichen - Bestimmungen, daß zwischen Regierungen oder von einer Regierung als geheim eingestufte Vorgänge nicht der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Dabei wird von der Sicherheitsüberlegung ausgegangen, so we570 nigen Menschen in verantwortlichen Funktionen wie möglich und nur so vielen wie nötig solche Dinge mitzuteilen. Dies zu dem einen Teil der Frage von Ihnen. Zum anderen ist zu sagen, daß hier zwei gewählte, demokratisch legitimierte Regierungen ein Abkommen getroffen haben, das eingehalten wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage, bitte.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wenn Sie weder den Inhalt noch die gesetzliche Grundlage angeben können, will ich politisch fragen: wenn man die Standorte in der Bundesrepublik durch Veröffentlichungen in den Vereinigten Staaten feststellen kann, halten Sie es dann für sinnvoll, daß hier eine Geheimhaltung gegenüber dem eigenen Volk behauptet und betrieben wird?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, Sie wissen, daß die Regierung Kohl, unsere jetzige Regierung, sich ebenso wie die vorhergehende Regierung Kohl, die Regierung Schmidt, die Regierung Brandt und Regierungen davor aus den eingangs von mir genannten Gründen beim Abwägen aller Vor- und Nachteile ohne Bruch dem Verhalten angeschlossen hat, diese Standorte nicht bekanntzugeben, obwohl verschiedene Firmen in Amerika - darauf nehmen Sie Bezug - in ihren Broschüren mögliche Standorte hier, die - das wissen Sie auch - wir weder dementieren noch bestätigen, genannt haben. Dies kann uns nicht präjudizieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, habe ich es richtig in Erinnerung, daß die Entwicklung in dieser Frage der Art war, daß diese Lagerung und die Geheimhaltung zunächst allein auf amerikanischem Recht beruhten, daß dann unter der Regierung Brandt ein Abkommen getroffen worden ist, wonach wenigstens die deutsche Regierung unterrichtet wird, und daß in diesem Abkommen dann auch die Respektierung der amerikanischen Geheimhaltungsvorschriften zugesagt worden ist, so daß es hier also um eine amerikanische Geheimhaltung geht, die in diesem bilateralen Abkommen von uns respektiert worden ist? Habe ich es so richtig in Erinnerung?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege Professor Ehmke, zu dem ersten Teil Ihrer Frage müßte auch ich mir erneut und fundiert Einblick in verschiedene Unterlagen verschaffen, was das Verhalten vor 1972 angeht. Richtig ist, daß zwischen Brandt auf der einen und Nixon auf der anderen Seite dies in ein formelles, unterzeichnetes, regelmäßig wiederkehrendes Verfahren eingeflossen ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege Reuter, Zusatzfrage.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, darüber nachzudenken, ob diese bilateralen Vereinbarungen zu ändern wären oder geändert werden könnten, zumal da auch bekannt ist, daß in Amerika selbst die Transporte von chemischen Kampfstoffen der Bevölkerung bekannt gegeben werden, damit sie sich dort vor möglichen Unfällen schützen kann, während hier nicht einmal bekannt gegeben wird, wo solche chemischen Kampfstoffe gelagert werden?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege zum Nachdenken über alle Dinge auch über geeignete gefaßte Beschlüsse, ist die Bundesregierung jederzeit bereit. Sie sieht im Augenblick jedoch keinen neuen Punkt in diesen Überlegungen, um von der bisher aus gutem Grund geübten Praxis abzuweichen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Geheimhaltung einer Sache, die die Regierung geheim halten will und geheim hält, wesentlich entwertet wird, wenn sie hinlänglich bekannt ist?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege Dr. Klejdzinski, ich bin nicht der Meinung, daß die hier zur Rede stehenden Vorgänge hinreichend bekannt sind, wie Sie formulieren. Deshalb besteht guter Grund, das bisher geübte Verfahren auch jetzt und gerade jetzt fortzusetzen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krizsan.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, würden Sie akzeptieren, daß Ihre Praxis der Geheimhaltung und Verschleierung zu einer erheblichen Beunruhigung der Bevölkerung führt, weil sie Gerüchte vorantreibt, denen Sie nur äußerst sparsam entgegentreten?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Dies kann ich nicht bestätigen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß die jetzige Regelung hier in der vollen Kontinuität mit der früheren Regierung handelt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Dies ist der Fall.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, was sind denn die sachlichen Gründe, daß Sie die amerikanische Heimatpraxis nicht in die Bundesrepublik übertragen wollen? Ihr Hinweis auf Abkommen und Gesetze reicht ja offensichtlich nicht aus, zu erklären, daß Sie diese Abkommen und Gesetze nicht ändern wollen.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Die Bevölkerung weiß und jeder, der es wissen will, weiß, daß bei uns bestimmte Bestände lagern. und es sind auch die Summen in Tonnen eigentlich jedermann zugänglich bekannt. Jedermann weiß, daß die Amerikaner diese Bestände seit langer Zeit hier haben und daß die Amerikaner seit 1969 keine solchen Waffen mehr produzieren. Jedermann weiß, daß es unser Bemühen, unser gemeinsames Bemühen - dessen bin ich sicher - nicht nur bisher war, sondern heute noch ist, in Ost und West diese Bestände auf Null zu beseitigen. Und niemand hat bisher ein triftiges Argument genannt - alle Regierungen haben ja bisher ständig abgewogen -, das eine Abkehr von der bisherigen Praxis rechtfertigt. Niemand hat ein solches Argument genannt. Die Sicherheit unserer Bevölkerung wird nicht erhöht, wenn wir sagen: Da liegt so viel, und hier liegt so viel, und dort liegt nichts. So bleiben wir bei dem Verfahren, das ich auf die Frage des Kollegen Dr. Hirsch nannte: Kenntnis so wenigen wie möglich - denen, die es in ihrer Funktion wissen müssen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 28 des Herrn Abgeordneten Dr. Hirsch auf. Wann und durch welche parlamentarische Entscheidung ist diese Verpflichtung völkerrechtlich verbindlich eingegangen worden?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, Dr. Hirsch, die in der Beantwortung der eben behandelten Frage genannten Abkommen sind Einzeldokumente und beruhen auf vom Deutschen Bundestag ratifizierten Verträgen, z. B. dem Beitritt zur Nato und dem Nato-Truppenstatut.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, wie erklären Sie es sich, daß der vormalige Staatsminister Corterier auf meine entsprechende Frage in diesem Hause erklärt hat, eine vertragliche Verpflichtung der Bundesregierung sei ihm nicht bekannt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich kann mir die Antwort des vormaligen Kollegen in einer Funktion hier auf der Regierungsbank in der Form im Augenblick nicht schlüssig erklären, Herr Kollege. Aber ich weise darauf hin, daß die eben von mir genannten beiden Verträge von den Kollegen im Parlament, von denen nur einige heute hier sind, in ordnungsgemäßer, vorgeschriebener und demokratischer Form ratifiziert worden sind und die Grundlagen dafür darstellen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie auf die vorige Frage weder den Wortlaut noch die Rechtsgrundlage nennen konnten und nun eine von mir nicht nachprüfbare Rechtsgrundlage nennen, muß ich Sie fragen, ob Sie es in einem demokratischen Staat für politisch vertretbar halten, wenn eine Bundesregierung glaubt, international gegen das eigene Parlament verpflichtet zu sein, ohne dieses Parlament zu informieren. ({0})

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, es geht nicht um Nicht-Erklären-Können, wie Sie es in Ihrer Frage unterstellten, sondern um Nicht-Erklären-Dürfen. Dies darf ich zur Klarstellung noch einmal sagen. Ich sehe dort keinen Widerspruch. Ich teile nicht Ihre Formulierung „gegen das eigene Parlament". Bestimmte Dinge haben auch in einer ganz freien Demokratie wie der unseren im Interesse der Sicherheit der Demokratie der Geheimhaltung zu unterliegen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Ehmke.

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, wenn es zutrifft, daß es hier allein um die Respektierung einer amerikanischen Geheimhaltung geht, würden Sie dann so freundlich sein, einmal zu prüfen, ob man an diese Abmachung noch gebunden ist in einer Situation, in der in Amerika diese Geheimhaltung offenbar nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr voll praktiziert wird?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, es ist nicht zutreffend, daß dies nur ein amerikanischer Wunsch sei. Es ist ein deutsch-amerikanischer Wunsch, der jährlich neu in dieser Form ausgetauscht wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Dr. Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Parlamentarischer Staatssekretär, da Sie sagen, es sei ein deutschamerikanischer Wunsch, gehe ich davon aus, daß es möglicherweise ein NATO-Wunsch oder ein NATO-Empfinden sein könnte. Kann ich davon ausgehen, daß dieses Empfinden von allen NATO-Partnern geteilt wird? Wenn es so ist, darf ich Sie dann bitten, uns einmal die Legende darzulegen, aus der Sie ableiten, daß das auf völkerrechtlich verbindliche Art abgeklärt sei?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, ich habe auf die zweite Frage des Kollegen Dr. Hirsch darauf hingewiesen, daß hier nicht völkerrechtliche Abmachungen zugrunde liegen, sondern daß die Grundlagen hier im Hause ratifizierte Verträge - wie NATO-Vertrag, NATO-Truppenstatut und andere - sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, habe ich es richtig verstanden, daß die jetzige Bundesregierung die Sicherheit der Bevölkerung dann für besser gewährleistet hält, wenn diese Bevölkerung ahnungslos ist, als wenn sie weiß, was wo liegt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Diese Bundesregierung tut wie die vorherigen alles für die Sicherheit der Bevölkerung. Eine der Notwendigkeiten, die wir als solche - ebenfalls wie die Vorgänger - erachten, ist, bestimmte Dinge geheim und unter Verschluß zu halten und nur kleinsten parlamentarischen Gremien Zugang zu geben. Hierin liegt überhaupt kein Widerspruch. Es ist im Gegenteil eine notwendige, die Sicherheit im Auge habende Ergänzung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Peter.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sagten vorhin, die Frage der Nichtinformation der Bevölkerung sei nicht ein Problem des Nicht-Könnens, sondern des Nicht-Dürfens. Wäre es nach Ihren bisherigen Ausführungen nicht richtiger zu sagen, daß es ein Problem des Nicht-Wollens ist?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Das wäre nicht richtig. Ich glaube auch, Sie haben meine Aussagen, die Sie eben zitierten, verstanden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reents.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sind Sie nicht mit mir der Meinung, daß die Sicherheit von Teilen der Bevölkerung, der gesamten Bevölkerung oder einzelner Personen besser gewährleistet ist, wenn jeder zumindest selber entscheiden kann, ob er in der Nähe von Orten mit möglicher Lagerung bzw. Stationierung bakteriologischer oder chemischer Waffen wohnen möchte?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich sehe diesen Denkansatz nicht. Sie fragen, ob ich diese Auffassung teilen kann. Ich sage nein.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, könnten Sie der Meinung sein, daß - wie die Erfahrung mit Geheimhaltungsakten und ähnlichem zeigt - das Interesse der Bevölkerung für ein bestimmtes Problem erst dann geweckt ist, wenn der Stempel „Streng geheim" darauf steht?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Wir haben unsere gemeinsamen Erfahrungen, auf die Sie rekurrieren. Hier in diesem Zusammenhang sehe ich das nicht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Können Sie bitte einmal ganz genau Paragraph, Ziffer und Absatz der Bestimmung nennen, die Ihr Verhalten rechtfertigt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich habe die zugrunde liegenden Abkommen und Gesetze - hier ratifiziert, Herr Kollege - genannt und darf freundlich auf die getroffenen Aussagen hier hinweisen. Ich habe auch gesagt, daß es untersagt ist - es ist keine Frage von Willen und Können -, in der Öffentlichkeit Einzelheiten der Geheimhaltungsbestimmungen hier zu zitieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 29 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler auf: Kann die Bundesregierung bestätigen, daß in der Nähe von Otter ({0}) und Ramelsloh im Landkreis Harburg neue militärische Depots eingerichtet werden sollen, obwohl damit eine schwere Beeinträchtigung von Naturschutzbelangen und Belangen der Landwirtschaft verbunden wäre?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, es wird bestätigt, daß die in der Nähe der genannten Ortschaften geplanten Versorgungslager dort errichtet werden sollen. Während für das bei Otter südlich von Tostedt geplante Versorgungslager das nach den Bestimmungen des Landbeschaffungsgesetzes bei der niedersächsischen Landesregierung eingeleitete Anhörungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist und insoweit die Stellungnahme der Landesregierung noch abgewartet werden muß, liegt für das zweite, bei Ramelsloh geplante Versorgungslager die zustimmende Stellungnahme der Landesregierung bereits vor. In den Anhörungsverfahren - auch bei diesen - werden sehr gründlich die wirtschaftlichen und landwirtschaftlichen Interessen sowie die Belange des Natur- und Landschaftsschutzes berücksichtigt. Die in der Stellungnahme der Landesregierung zu dem Vorhaben bei Ramelsloh erhobenen Forderungen zum Schutz der Natur und der Landwirtschaft werden erfüllt werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß in diesem Landkreis keine weiteren Depots eingerichtet werden sollen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, nach dem augenblicklichen Stand meiner Kenntnis und der Planungen, zu denen wir Zugang im Ministerium haben - auf Grund des heutigen Standes - bestätige ich dieses.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage? - Keine weitere Zusatzfrage. Dann kommen wir zu Frage 30 des Herrn Abgeordneten Dr. Hauchler: Wenn ja, ist auszuschließen, daß bei Einrichtung der neuen Depots oder später durch Nutzungsänderung dort atomare, chemische oder biologische Waffen gelagert werden?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, Versorgungslager sind so angelegt, daß sie nach Bedarf von allen verbündeten Streitkräften genutzt werden können. Nutzungsänderungen bezüglich der eingelagerten Versorgungsgüter sind kaum möglich. Ortsangaben über die Lagerung oder Nichtlagerung von Sonderwaffen - wir haben eben darüber geredet - unterliegen Geheimhaltungsbestimmungen und werden von der Bundesregierung auch anParl. Staatssekretär Würzbach läßlich solcher Fragen weder dementiert noch bestätigt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Hauchler.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie können also nicht dementieren, daß durch eine eventuelle Nutzungsänderung auch dort atomare Waffen gelagert werden?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Die Bundesregierung dementiert nicht und bestätigt nicht, wo welche solcher Waffen liegen oder liegen könnten, jetzt oder irgendwann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Prof. Dr. Ingomar Hauchler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000826, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Also ist es grundsätzlich möglich, dort auch Atomwaffen zu lagern?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, diese Schlußfolgerung dürfen Sie aus dieser grundlegenden Aussage eben überhaupt nicht logisch ziehen. Würde ich Ihnen sagen: „In diesem Depot nein", dann ist es eine leichte Übung, alle Depots in einer langen Kette in ähnlicher Form hier abzufragen. Dann bleiben 10, 20, 30, 50, 100, x plus y übrig, und Sie haben das, was übereinstimmend alle Bundesregierungen bisher aus guten, eben oft behandelten Gründen nicht haben wollten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Würden Sie die letzte Zusatzfrage des Kollegen Hauchler und Ihre darauf gegebene Antwort noch einmal überprüfen, um zu schauen, ob Ihre Logik funktioniert? ({0})

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Das können wir gerne, wenn dies ausgedruckt vorliegt, wechselseitig tun.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weiteren Zusatzfragen. Ich rufe Frage 31 der Frau Abgeordneten Dr. Czempiel auf: Wie beurteilt die Bundesregierung als Entscheidungsträger die voraussichtliche Entwicklung der Verhandlungen über den geplanten amerikanischen Truppenübungsplatz bei Schlitz ({0})?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Frau Kollegin, die Streitkräfte der Vereinigten Staaten haben Ende März 1983 beantragt, das angesprochene Gelände bei Schlitz ihren in Fulda und Bad Hersfeld stationierten Einheiten als Standortübungsplatz zur Verfügung zu stellen. Die Entwicklung und Erfolgsaussicht dieses Vorhabens können zur Zeit noch nicht abgesehen werden, da eine solche Liegenschaftsforderung nicht ohne vorherige Stellungnahme der zuständigen Landesregierung verwirklicht werden kann. Auf Antrag des Bundesministers der Verteidigung leitet erst die Regierung ein Anhörungsverfahren ein. In diesem Verfahren nimmt sie nach Anhörung der betroffenen Gemeinden unter Berücksichtigung der Erfordernisse der Raumordnung, insbesondere der landwirtschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen sowie der Belange des Städtebaues, des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu den militärischen Vorhaben Stellung. Der Bundesminister der Verteidigung kann erst nach Vorliegen der Stellungnahme des Landes abschließend entscheiden, ob dem Wunsch der Vereinigten Staaten von Amerika entsprochen werden kann. Der Antrag der Streitkräfte der Vereinigten Staaten wirft eine Reihe von Fragen auf, deren Beantwortung für eine sachgerechte Entscheidung über die Einleitung des Anhörungsverfahrens unerläßlich ist. Insbesondere wird zu prüfen sein, ob dieser Antrag überhaupt realisierbar und die Beschaffung des Geländes auf freiwilliger Grundlage möglich ist. Dies wird erfahrungsgemäß noch geraume Zeit in Anspruch nehmen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete, bitte.

Dr. Christa Czempiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000345, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, meinen Sie, daß die Bundesregierung die Landesregierung noch vor dem 25. September zur Anhörung auffordern wird?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Dieses Datum, von dem wir alle wissen, warum Sie danach fragen, spielt in diesem Zusammenhang überhaupt keine Rolle.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Bitte, Sie haben eine zweite Zusatzfrage.

Dr. Christa Czempiel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000345, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Stadt Schlitz durch raumordnerische Vorgaben und durch landesplanerische Festsetzungen als Schwerpunkt des Fremdenverkehrs ausgewiesen ist, was zu einer enormen Steigerung des Fremdenverkehrs auf 80 000 Übernachtungen im Jahr geführt hat, und wird die Bundesregierung in diesem Zusammenhang, da es sich um eine Stadt im Zonenrandgebiet handelt, in ihren Verhandlungen darauf Rücksicht nehmen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Frau Kollegin, diese Besonderheiten der dortigen Landschaft sind bekannt und werden Eingang finden in die zitierten gründlichen, vielfältigen Prüfungen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß erstens einer der Waldanbieter zum personellen Umkreis des in militärischen Beschaffungsvorhaben in der Vergangenheit häufiger tätig gewordenen bayerischen Ministerpräsidenten gehört, daß zweitens dieser Waldbesitzer seinen Wald für 5 Millionen DM erworben hat und nach gründlicher forstwirtschaftlicher Auspowerung nun 32 Millionen DM dafür haben will und daß drittens das in der Nähe dieses Gebietes liegende Behindertendorf Sassen umgesiedelt werden müßte, falls das Vorhaben der Amerikaner durchgeführt wird und die Kosten voll von den öffentlichen Händen zu tragen wären? ({0})

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich würde zur Versachlichung solcher Vorüberlegungen in der untersten Phase der Einleitung von notwendigen ersten Schritten, bevor konkrete Schritte eingeleitet werden, uns alle herzlich bitten, sachlich an diese Dinge heranzugehen und hier nicht von Umsiedlungen von Dörfern und ähnlichem zu reden, Herr Kollege. Auf die Frage der Frau Kollegin habe ich sehr ausführlich angegeben, welche Institutionen tätig werden müssen, welche Gesetze und Verordnungen anzuwenden sind und welche Vorprüfungen, Prüfungen usw. einzuleiten sind. Ich möchte darauf hier noch einmal hinweisen. Die ersten beiden Teile Ihrer Frage kann ich nicht bestätigen. Im Gegenteil, ich weise sie nach meinem heutigen Kenntnisstand als Unterstellung zurück.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reuter.

Bernd Reuter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001828, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben sinngemäß ausgeführt, daß der 25. September in Ihren Überlegungen keine Rolle spielt. Dann frage ich Sie, warum der Verteidigungsminister dem Herrn Dr. Dregger mit Schreiben vom 9. Mai mitgeteilt hat, daß eine solche Liegenschaftsanforderung zunächst nicht ohne vorherige Stellungnahme der zuständigen Landesregierung verwirklicht werden kann. Dann kommt der Satz: Zur Zeit sehe ich mich noch nicht in der Lage, die hessische Landesregierung zu bitten, das Anhörungsverfahren einzuleiten. Wird die Bundesregierung das Anhörungsverfahren erst nach dem 25. September einleiten?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, das Schreiben, das ich hier auch habe - wobei ich mich freue, daß auch Sie im Besitz dieses Schreibens sind; das zeigt die offene Information der Bundesregierung -, ({0}) läßt überhaupt nicht den Schluß zu, den Sie daraus zogen, und steht nicht im Widerspruch zu meiner Aussage vorher.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sagten zuletzt: „läßt überhaupt nicht den Schluß zu". Gleichzeitig erklärten Sie vorhin, Überlegungen, Dörfer zu verlegen, wären nicht notwendig. Darf ich Sie fragen: Können Sie sie sich vorstellen, daß ein Truppenübungsplatz in einer bestimmten Größe einen bestimmten Raumbedarf mit sich bringt und daß, wenn man diese Fläche auf einer Landkarte abträgt, Dörfer davon betroffen sind und man möglicherweise doch zu dem Schluß kommen müßte, daß diese Dörfer zu verlegen seien, insbesondere, wenn man sich vorstellt - und dafür sind Sie ja Fachmann -, welche Aktivitäten sich auf einem Truppenübungsplatz generell abspielen könnten?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, zurück zum Ausgangspunkt der Frage, der Verlegung des Dorfes, wobei ich uns alle miteinander eindringlich bat, sachlich und ruhig und nicht in Richtung Stimmungs-, um nicht zu sagen Panikmache zu reden: Ich sagte, daß wir in einer so frühen Vorphase, in der es noch nicht einmal um die Einleitung der von den Gesetzen und Verordnungen vorgeschriebenen Prüfungen geht, nicht in die Welt setzen sollten, daß hier irgendwelche Ortschaften möglicherweise oder nicht umgesiedelt würden. Dies war die Richtung meiner Aussage.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Krizsan.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, sind Sie mit mir, ganz sachlich, einer Meinung, daß es in der Bundesrepublik bereits eine ausreichende Zahl von Truppenübungsplätzen gibt und daß es nicht notwendig ist, einen weiteren einzurichten?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, jeder, der sich ein wenig mit den in der Bundesrepublik stationierten Streitkräften, unserer eigenen Bundeswehr und denen der Alliierten, die wir aus gutem Grunde hier bei uns haben, weil wir selber nicht so viele Soldaten aufstellen wollen und können, wie wir auf Grund der Bedrohung haben müßten, auskennt, weiß, daß das, was Sie in Ihrer Frage unterstellen, leider nicht zutrifft. Die Möglichkeiten - und nur dann kann eine Streitkraft den Auftrag erfüllen -, zu üben, im Gelände und nicht in der Theorie, im Lehrsaal und in der Kaserne, sind ausgesprochen eng, in vielen Bereichen zu eng. Ich möchte hinzufügen, daß auch der Bundesminister der Verteidigung, um die Enge des Raumes bei uns in der Bundesrepublik überhaupt wissend, in der genannten zurückhaltenden Form darangeht, zu überlegen, vorhandene Plätze auszuweiten oder neue einzurichten. Ich habe die Überlegungen vorhin auf die eingangs von der Kollegin gestellten Frage hier sehr präzise aufgezählt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Noch zwei Zusatzfragen, Abgeordneter Peter.

Horst Peter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001693, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, hält die Bundesregierung die Geländeanforderungen der amerikanischen Streitkräfte für diesen Standortübungsplatz für angemessen, für überzogen oder für zu knapp bemessen, und ist sie bereit, in Verhandlungen mit den Streitkräften die angemessene Größenordnung für den Standortübungsplatz durchzusetzen?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Die Bundesregierung wird sich nach Vorliegen der genannten - ich darf darauf verweisen - ersten Vorprüfungen ein Urteil bilden und dies dann entsprechend auch öffentlich vertreten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Letzte Zusatzfrage, Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Staatssekretär, nachdem Sie die drei verschiedenen Tatbestände, nach denen der Kollege Sperling hier gefragt hatte, nicht bestätigen konnten: Sind Sie im Interesse der von Ihnen zu Recht geforderten Versachlichung dieses Problems bereit, auf diese Fragen nach entsprechender Prüfung schriftlich zu antworten?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, ich muß Sie jetzt fragen, in welchem Zusammenhang. Wir haben doch eine so breite Palette gehabt. Ich möchte nicht noch einmal zu dem Ganzen antworten. Welche speziellen Punkte, bitte, meinen Sie?

Dr. Burkhard Hirsch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000908, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Sie werden das dem Protokoll entnehmen. Ich meine die drei Tatbestände, nach denen der Kollege Sperling in seiner Frage gefragt hatte.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Ich will gerne zugestehen, die Fragen noch einmal zu prüfen. Sollten Teilfragen, die in der Palette möglicherweise untergegangen sind, von mir nicht beantwortet worden sein, aber nach dem jetzigen „Stand", der noch kein fester ist, beantwortet werden können, will ich dies gerne tun.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Frage 32 des Abgeordneten Dr. Spöri wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Frage 33 des Abgeordneten Fischer ({0}) ist zurückgezogen worden. Die Frage 34 des Abgeordneten Dr. Kübler wird auf Wunsch des Fragestellers ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe jetzt die Frage 35 des Abgeordneten Reents auf: Kann die Bundesregierung die Information bestätigen, daß die NATO von der Erprobung der sowjetischen SS 20 erstmals 1975 durch den amerikanischen Aufklärungssatelliten „Big Bird" erfuhr, und wenn nicht, zu welchem genauen Zeitpunkt wurde dann die Erprobung der SS 20 in der NATO bekannt?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Der Bundesregierung ist, wie bereits in der Antwort auf die Frage vom 11. Mai 1983, die Ihnen vorliegt, ausgeführt, auf Grund der engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit im westlichen Verteidigungsbündnis seit etwa 1975 bekannt, daß die Sowjetunion Flugkörper vom Typ SS 20 entwickelt und erprobt hat. Unabhängig davon hat im Jahre 1978 der damalige amerikanische Präsident Carter öffentlich erklärt, daß seitens der Vereinigten Staaten von Amerika Satellitenaufklärung betrieben wird. Im übrigen unterliegen die nachrichtendienstlichen Informationsquellen eines jeden Landes der Geheimhaltung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Reents.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich muß mich zunächst bedanken. Aber Herr Staatssekretär Würzbach, Sie haben eine Feststellung nicht ganz richtig wiedergegeben. In der schriftlichen Beantwortung hatten Sie lediglich von „Mitte der 70er Jahre" und nicht von „etwa 1975" gesprochen; deswegen die Konkretisierung. Darf ich daran die folgende Frage anschließen. Wie ist dann, wenn es zutrifft, daß die Bundesregierung etwa 1975 erstmals von der Erprobung der SS 20 erfahren hat, der Begriff „Nachrüstung" zu verstehen, wo doch die Entwicklung der Pershing II bereits ein Jahr vorher, nämlich 1974, begonnen hat?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, Sie wissen wie jeder, der es wissen will, daß die Pershing II, nach der Sie fragen, jetzt ja noch in der Phase der Fertigstellung ist - wir alle haben zwei, drei mißlungene Testflüge in Erinnerung -, so daß dieser Ihr Vergleich - darf ich es so sagen - nicht zutrifft. Ich kann hier auch keine Parallele sehen. Sie werden die Diskussion verfolgt und bemerkt haben, daß es nach dem ersten Erkennen in diesem Zeitraum, auf den ich hingewiesen habe, eine ganze Reihe von Jahren - konkret drei, vier Jahre -, von 1975 an gerechnet, dauerte, bis - nicht zuletzt angeregt durch den vorherigen Bundeskanzler - die nötige Aufmerksamkeit international - bei uns im Bündnis - hat erzeugt werden können, die Aufmerksamkeit, die dafür nötig war, daß im NATO-Bündnis die entsprechenden außen-, sicherheits-, verteidigungs- und rüstungspolitischen Schlüsse gezogen wurden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Die zweite Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, da Sie meiner konkreten Frage doch ausgewichen sind, möchte ich Sie noch einmal präzisieren: Können Sie also bestätigen, daß die Entwicklung der Pershing II im Jahre 1974, d. h. unabhängig von der seit 1975 bestehenden Kenntnis der Existenz der SS 20, begonnen hat?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Nein, ich wiederhole konkret, daß die Pershing II noch immer in der Endphase der Entwicklung und in der Vorbereitung der Fertigstellung ist und daß es das Ziel der Bundesregierung ist - ich darf dies ausdrücklich sagen -, hier dann keine einzige Pershing II aufzustellen, wenn die SS 20, die Ausgangspunkt Ihrer Frage waren, weggenommen und verschrottet werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, Sie haben geschildert, daß sich die Entwicklung der Pershing II über mehrere Jahre ausgedehnt hat. Die Frage geht aber dahin, ob der Entschluß, eine solche Entwicklung in Angriff zu nehmen, zu einem Zeitpunkt zustande gekommen ist, als über die SS 20 hier noch keine Informationen vorlagen.

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, der Entschluß ist - nicht zuletzt auf unser Betreiben - im Dezember 1979 in der NATO von allen Regierungschefs gefaßt worden. Ich darf auch Sie - ein Wort von eben aufnehmend - noch einmal darauf aufmerksam machen, daß diese Waffe heute nicht uneingeschränkt fertig und stationierbar ist, während die anderen Waffen seit dem genannten Zeitpunkt bereits in gewaltiger Zahl stationiert worden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Vogt.

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatssekretär, ist es auf dem Hintergrund der Informationen, die wir jetzt bekommen haben, nicht doch denkbar, daß militärische Strategien und die Legitimationen dieser Strategien den technischen Innovationen folgen, nicht umgekehrt, und meinen Sie nicht, daß dies dann ein klassischer Anwendungsfall wäre?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Herr Kollege, dies ist ein klassisches Beispiel dafür, daß der Westen, dem niemand - erst recht ja nicht Sie - abstreitet, technologisch in der Lage zu sein, eine Waffe in einem kürzeren Zeitraum als von 1974 oder 1975 bis 1983 - wo man dies noch nicht geschafft hat - zu entwickeln, wenn man es gewollt hätte, daß also der Westen, und zwar gemeinsam, die Amerikaner wie wir, diese Spirale eben nicht weiterdrehen will, sondern bei uns möglichst gar nichts nachholen möchte, wenn diese Kategorie der Waffen auf der anderen Seite verschwindet. Dies sehe ich bei der Gegenüberstellung, die sich bei Ihren Fragen ergab, als ein geradezu klassisches Beispiel an. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Sie haben nur eine Zusatzfrage. - Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Berger.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie mir bestätigen, daß es auch vor der SS 20 bereits sowjetische Mittelstreckenpotentiale gegeben hat, die heute zum Teil noch vorhanden sind?

Peter Kurt Würzbach (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11002572

Die sind nur zum Teil vorhanden, sondern sie sind vorhanden; ich bestätige dies.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Die Fragen 36 und 37 werden auf Wunsch der Fragestellerin, der Abgeordneten Frau MatthäusMaier, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Ich danke Ihnen Herr Staatssekretär. Ich rufe nunmehr den Geschäftsbereich des Bundesministers für Jugend, Familie und Gesundheit auf. Zur Beantwortung der Fragen steht Frau Parlamentarischer Staatssekretär Karwatzki zur Verfügung. Ich rufe die Frage 38 des Herrn Abgeordneten Schartz ({0}) auf: Wieviel Prozent der nach Deutschland eingeführten ausländischen Weine werden an der deutschen Grenze kontrolliert, insbesondere im Hinblick auf ihre Verkehrsfähigkeit und ihre Übereinstimmung mit den Begleitpapieren, und wieviel Prozent der kontrollierten Weine werden dabei beanstandet?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Präsidentin, ich würde die Frage 39 des Abgeordneten Schartz wegen des Sachzusammenhangs mit der Frage 38 gerne gleich mitbeantworten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Der Kollege ist einverstanden. Ich rufe also auch die Frage 39 des Abgeordneten Schartz ({0}) auf: Wie hoch ist der Prozentsatz der in Deutschland abgefüllten ausländischen Weine einschließlich der sogenannten EWG-Verschnitte, der vor der Abgabe an den Einzelhandel oder an den Verbraucher kontrolliert wird, und wieviel Prozent der kontrollierten Weine werden beanstandet?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege, ich möchte Ihre Fragen wie folgt beantworten: Bei der Einfuhr von ausländischen Weinen werden die zur Abfertigung vorgelegten Einfuhr- und Begleitpapiere von der Zollstelle geprüft. Sie prüft dabei insbesondere, ob die Angaben im gemeinschaftlichen Begleitdokument bei der Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten und im Einfuhrdokument bei der Einfuhr aus Drittländern zutreffen, sich auf die Einfuhrsendung beziehen und mit den Angaben in den Zollpapieren übereinstimmen. Die Verkehrsfähigkeit eingeführter Weine kann nur nach amtlicher Untersuchung und Prüfung durch die Untersuchungsstellen der Länder beurteilt werden. Bei der Einfuhr von Wein in Flaschen werden etwa 5 bis 10 % der eingehenden Sendungen der amtlichen Untersuchung und Prüfung zugeführt. Wird Wein in anderen Behältnissen als Flaschen mit gültigem Begleit- oder Einfuhrdokument eingeführt, so wird die amtliche Untersuchung und Prüfung nach § 5 Abs. 1 der Weinüberwachungsverordnung in der Regel stichprobenweise vorgenommen. Hierbei wird von Zollstelle zu Zollstelle unterschiedlich verfahren, so daß eine allgemeine Aussage über den prozentualen Anteil nicht möglich ist. Die Bundesländer sind mit Schreiben vom 5. November 1982 nochmals angeregt worden, unter Berücksichtigung ihrer Kontrollbedürfnisse die Zollstellen um verstärkte Entnahme und Vorstellung von Stichproben zu ersuchen. Die Zollstellen sind angewiesen, solchen Ersuchen zu entsprechen. Die Frage, wieviel Prozent der kontrollierten Weine bei den Untersuchungen beanstandet werden, ist noch nicht von allen Bundesländern beantwortet worden. Ich bitte daher um Ihr Einverständnis, daß ich Ihnen diesen Teil Ihrer Frage nach Eingang der restlichen Länder-Stellungnahmen schriftlich beantworten werde.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schartz.

Günther Schartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretär, wäre die Bundesregierung bereit, mir die jetzt von Ihnen nicht vorgetragene prozentuale Feststellung der in Fässern und Tankwagen eingeführten Weine ebenfalls nachzuliefern? Sie haben aufgeführt, daß rund 5 bis 10 % der in Flaschen importierten Weine kontrolliert werden. Es muß doch die Möglichkeit bestehen, daß Sie mir auch eine zahlenmäßige Angabe zu den in Tankwagen eingeführten Weine machen. Wären Sie bereit, mir diese Zahl schriftlich nachzureichen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Sehr gerne, Herr Kollege.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage.

Günther Schartz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001946, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, daß die Zollpapiere überprüft würden. Werden bei dieser Überprüfung auch Herkunft und Identität der Weine - unter Berücksichtigung der Angaben auf den Zollpapieren - gleichzeitig mitüberprüft?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Davon gehe ich aus.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Die Fragen 40 und 41 werden auf Wunsch des Fragestellers, des Abgeordneten Zander, schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlage abgedruckt. Dann rufe ich die Frage 42 des Herrn Abgeordneten Dr. Weng auf: Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, den Versuch des Einführens einer Pflegefallversicherung zumindest modellhaft ins Auge zu fassen?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Herr Kollege, die Bundesregierung hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Situation der Pflegebedürftigen zu verbessern. Sie wird die Förderung der häuslichen Pflege unterstützen. Außerdem ist in der Koalitionsvereinbarung für diese Legislaturperiode festgelegt, daß die Finanzierung der Kosten der Pflegefälle zu regeln ist. Entsprechende Vorarbeiten laufen in unserem Ministerium. In die Überlegungen sind die verschiedenen, in der Fachöffentlichkeit diskutierten Modelle einbezogen. Über diese verschiedenen Lösungsmöglichkeiten wird die Bundesregierung den Deutschen Bundestag anläßlich ihres Berichts über die Arbeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe ,,Aufbau und Finanzierung ambulanter und stationärer Pflegedienste" unterrichten. Eine Entscheidung für eine der verschiedenen Lösungsmöglichkeiten ist bis jetzt noch nicht gefallen. An eine modellhafte Einführung einer Pflegefallversicherung ist jedoch nicht gedacht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Staatssekretär, wären Sie so freundlich, mir zu sagen, ob der Zeitraum abzusehen ist, in dem die Bundesregierung der von Ihnen geschilderten Gegebenheit nähertritt?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Die Arbeitsgruppe ist ja in der Zwischenzeit dabei. Ich kann Ihnen nicht versprechen, ob es in einem Jahr oder in zwei Jahren vorliegt. In jedem Fall wird die Entscheidung im Laufe dieser Legislaturperiode gefällt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Wir kommen zur Frage 43 des Herrn Abgeordneten Lennartz. - Der Fragesteller ist nicht im Raum. Die Frage wird nicht beantwortet. Wir kommen zur Frage 44 der Abgeordneten Frau Schmidt ({0}). - Die Fragestellerin ist ebenfalls nicht im Raum. Daher wird auch diese Frage nicht beantwortet. Dasselbe gilt für die Frage 45. Die Fragen 46 und 47 des Herrn Abgeordneten Austermann werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 48 der Abgeordneten Frau Dr. Vollmer auf: Wie beurteilt die Bundesregierung den Einsatz von Paraquat aus humantoxikologischer Sicht unter Berücksichtigung des Fehlens eines Gegenmittels bei Intoxikationen durch Paraquat?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Kollegin Vollmer, die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln nach dem Pflanzenschutzgesetz erfolgt durch die Biologische Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft. Soweit Fragen des Schutzes der Gesundheit von Mensch und Tier betroffen sind, geschieht dies im Einvernehmen mit dem Bundesgesundheitsamt. Das gleiche gilt für die Verlängerung und den Widerruf bestehender Zulassungen. Am 6. Juli 1983 findet im Bundesgesundheitsamt eine öffentliche Anhörung über die gesundheitlichen Risiken statt, welche paraquathaltige Pflanzenschutzmittel für den Anwender mit sich bringen. Sie wurde anberaumt, weil schwerwiegende toxische Wirkungen von Paraquat insbesondere im Zusammenhang mit der nicht sachgerechten Anwendung oder in Unglücksfällen bekanntgeworden sind. Die Anhörung wird sich insbesondere auch darauf erstrecken, ob und welche Therapiemöglichkeiten bei akuten Vergiftungsfällen bestehen. Nach der Anhörung wird das Bundesgesundheitsamt darüber befinden, ob es sein Einvernehmen mit der Verlängerung der Zulassung paraquathaltiger Pflanzenschutzmittel verweigern muß.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Dr. Vollmer.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, wie schätzen Sie die Gefährdung des Verwenders von Paraquat bei fehlerhafter Anwendung mit Rücksicht darauf ein, daß ein sehr unspezifisches Krankheitsbild vorliegt und es sehr lange dauert, bis bekannt wird, daß eine Vergiftung durch Paraquat gegeben ist?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Kollegin, diese Frage kann ich nicht beantworten. Ich bitte Sie, Verständnis dafür zu haben, daß ich das Ergebnis der Anhörung im Bundesgesundheitsamt abwarten möchte.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage.

Dr. Antje Vollmer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002391, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist Ihnen denn bekannt, wie die Überlebenschancen von Vergifteten aussehen, wenn nicht innerhalb von wenigen Stunden eine Behandlung einsetzt? Wissen Sie, ob es überhaupt eine spezielle Therapie für Paraquat gibt?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Ich will versuchen, eine Antwort zu geben. Nach der Pflanzenschutzmittelhöchstmengenverordnung sind z. B. die Höchstmengen bei Lebensmitteln festgelegt. Diese sind so niedrig gehalten, daß im Grunde daraus keine gesundheitlichen Folgewirkungen resultieren können. Inwieweit spezifische Behandlungsmaßnahmen bei Vergiftungen mit diesem Wirkstoff angewandt werden können, wird erst nach Abschluß der Anhörung des Bundesgesundheitsamtes am 6. Juli 1983 zu beantworten sein.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Dr. Hickel.

Prof. Dr. Erika Hickel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000898, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Frau Staatssekretärin, ist der Bundesregierung bekannt, daß in der schon jetzt vorliegenden wissenschaftlichen Literatur, also vor der Anhörung im, Bundesgesundheitsamt, überall zu lesen ist, daß die toxikologischen und pharmakologischen Wirkungen des Paraquat im Organismus nicht bekannt sind und daß es kein Gegenmittel gegen die Vergiftung durch dieses extrem giftige Herbizid gibt?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Kollegin, diese Frage haben Sie gestern schon meinem Kollegen aus dem Landwirtschaftsministerium gestellt. Ich möchte mich der Beantwortung der Frage durch meinen Kollegen anschließen. ({0}) - Nein, nein.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Dr. Bard, bitte.

Dr. Sabine Bard (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000093, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ist der Bundesregierung bekannt, daß es ähnlich wirkende, aber weit weniger toxische Mittel gibt? Wäre es nicht eigentlich angezeigt, wenn solche Zweifel bei einem Mittel auftreten, eine einstweilige Verfügung gegen das Mittel zu erlassen und es erst dann wieder zuzulassen, wenn in der Anhörung - wider besseres Wissen, meine ich; ich glaube nicht, daß es soweit kommt - diese Zweifel ausgeräumt wurden? Ist hier nicht wirklich Gefahr im Verzug?

Irmgard Karwatzki (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001068

Frau Kollegin, das, was Sie gefragt haben, ist rechtlich leider nicht möglich.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. - Ich danke Ihnen, Frau Staatssekretärin. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr auf. Herr Staatssekretär Bayer steht zur Beantwortung zur Verfügung. Die Fragen 49, 50, 51 und 52 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die Frage 53 des Abgeordneten Pauli wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Ich rufe die Frage 54 der Abgeordneten Frau Dr. Hickel auf: Wie gedenkt die Bundesregierung beim Ausbau der A 39 von Salzgitter nach Wolfsburg die Ergebnisse des ökologischen Gutachtens zu berücksichtigen, das die Stadt Braunschweig in Auftrag gegeben und das gezeigt hat, daß beim Bau dieser Autobahn das Naturschutzgebiet Riddagshausen in seiner Existenz gefährdet sein würde?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete Dr. Hickel, ich beantworte die Frage 54 wie folgt. Das angesprochene ökologische Gutachten ist von der Bezirksregierung Braunschweig in Auftrag gegeben worden und liegt seit 1981 vor. Von der Niedersächsischen Straßenbauverwaltung wird zur Zeit ein landschaftspflegerischer Begleitplan im Zusammenhang mit der Planung für die A 39 im Raum Braunschweig aufgestellt. Dabei werden die Erkenntnisse aus diesem Gutachten beachtet und danach erneut Diskussionen mit den zuständigen unteren Naturschutzbehörden geführt werden. Die Ergebnisse dieser Diskussionen bleiben abzuwarten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Dr. Hickel.

Prof. Dr. Erika Hickel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000898, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Habe ich Sie richtig verstanden, daß über den Ausbau der A 39 in Ihrem Haus noch nicht, auch nicht intern, entschieden ist?

Not found (Staatssekretär:in)

Es ist noch nicht entschieden. Es gibt noch Probleme mit dem Verteidigungsministerium hinsichtlich der Trassenführung. Das Planfeststellungsverfahren wird vorbereitet.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage? Die Fragen 55 des Abgeordneten Becker ({0}), 56 und 57 des Abgeordneten Bamberg werden auf Wunsch der Fragesteller ebenfalls schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 58 der Abgeordneten Frau Weyel auf. - Die Abgeordnete ist nicht im Saal. Wir Vizepräsident Frau Renger verfahren entsprechend unserer Geschäftsordnung. Die Frage 59 des Abgeordneten Müller ({1}) wird auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet; ebenso die Frage 60 des Abgeordneten Milz. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Ich rufe die Frage 61 der Abgeordneten Frau Steinhauer auf: Welche Stellungnahme gibt die Bundesregierung zu der von der Europäischen Gemeinschaft beabsichtigten Erhöhung des höchstzulässigen Gesamtgewichts im normalen Lastkraftwagenverkehr, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Straßenbelastungen und die Auswirkungen auf den Güterverkehr der Deutschen Bundesbahn?

Not found (Staatssekretär:in)

Frau Abgeordnete Steinhauer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt. Die Bundesregierung hält eine Einigung über die Maße und Gewichte der Nutzfahrzeuge in der EG für einen wichtigen Beitrag zur Harmonisierung der Wettbewerbsbedingungen im Straßengüterverkehr. Ein Gesamtkompromiß in der Frage des höchstzulässigen Gewichts kann sich dabei nur auf einen mittleren Wert stützen, da einige Mitgliedstaaten heute höhere, andere niedrigere Werte zulassen. Eine wesentliche Mehrbelastung der Straßen durch die sich für die Bundesrepublik Deutschland ergebende Erhöhung des Gesamtgewichts von fünf- oder sechsachsigen Fahrzeugkombinationen auf 40 Tonnen wird von uns nicht gesehen, da sich der angestrebte Wert in etwa im Rahmen dessen bewegt, was heute bei der Kontrolle der Fahrzeuggewichte bereits hingenommen wird. Aus den gleichen Gründen - aber auch weil sich die Kapazitätserhöhung nicht automatisch in Ladung umsetzt - dürfte die Verkehrsteilung zwischen Bundesbahn und Straßengüterverkehr nicht wesentlich beeinflußt werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, zur Zeit werden ja auffallend viele Autobahnbrücken erneuert. Hängt diese Erneuerung eventuell mit der Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichtes der Lkw zusammen?

Not found (Staatssekretär:in)

Nein, es handelt sich um die Erneuerung bzw. um die Verstärkung von Brükken, die relativ alt sind. Mit der Erhöhung des zulässigen Gesamtgewichts von 38 auf 40 Tonnen hängen diese Baumaßnahmen nicht zusammen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite Zusatzfrage, bitte.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß entgegen Ihrer Antwort insbesondere im Bereich der Bundesbahn große Befürchtungen gehegt werden, daß die Wettbewerbsfähigkeit der Bundesbahn durch die jetzt beabsichtigte EG-Neuregelung des Gesamthöchstgewichts im Bereich des Lkw-Verkehrs beeinträchtigt wird?

Not found (Staatssekretär:in)

Es gibt bei der Bundesbahn Schätzungen - und insoweit auch Befürchtungen - über negative Auswirkungen auf das Frachtaufkommen bei der Bundesbahn auf Grund dieser Maßnahme. Aber ich glaube, daß diese Maßnahme den Mittelwert dessen darstellt, was in der Europäischen Gemeinschaft angestrebt wird. Es gibt einige Länder, die schon weit höhere Fahrzeuggewichte zugelassen haben. Wir liegen mit dem ins Auge gefaßten Wert immer noch an der unteren Grenze dessen, was in der Europäischen Gemeinschaft an Fahrzeuggesamtgewicht zugelassen ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage? Die Fragen 62 und 63 des Abgeordneten Wolfram ({0}) werden auf Wunsch des Fragestellers schriftlich beantwortet. Die Antworten werden als Anlagen abgedruckt. Die Fragen 64 und 65 sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Ich rufe jetzt den Geschäftsbereich des Bundesministers für Forschung und Technologie auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Dr. Probst zur Verfügung. Ich rufe Frage 66 des Herr Abgeordneten Müller ({1}) auf. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet. Die Frage 67 des Herrn Abgeordneten Müller ({2}) wird ebenso nicht beantwortet. Ich rufe Frage 68 des Herrn Abgeordneten Stockleben auf. - Ich sehe auch ihn nicht im Saal. Daher wird Frage 68 nicht beantwortet. Frage 69 des Herrn Abgeordneten Stockleben wird ebenfalls nicht beantwortet. Bei Frage 70 des Herrn Abgeordneten Becker ({3}) wurde um schriftliche Beantwortung gebeten. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Es tut mir außerordentlich leid, daß Sie umsonst gekommen sind. Aber es ist in der Fragestunde so interessant! Schönen Dank, Herr Staatssekretär. Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer zur Verfügung. - Wo ist denn Herr Pfeifer? ({4}) - Es ist natürlich ein schlimme Sache, wenn der Herr Staatssekretär nicht anwesend ist, zumal ich den Abgeordneten nicht mehr erlaube, noch etwas zu sagen, wenn sie etwas später kommen. Ich muß dies doch ernsthaft bemerken. Was machen wir denn nun? ({5}) - Gut, ich komme aber auf diesen Bereich sofort zurück, sobald Herr Pfeifer da ist; denn sonst benachteilige ich die Abgeordneten, die hier sind. Dann rufe ich zwischendurch den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes auf. Herr Staatsmini580 Vizepräsident Frau Renger ster Möllemann steht zur Beantwortung zur Verfügung. Ich rufe Frage 80 der Frau Abgeordneten Simonis auf: Treffen Berichte zu, daß der Film „Die Weiße Rose" auf Grund von Interventionen des Auswärtigen Amts in den USA in Goethe-Instituten, die daran interessiert sind, nicht gezeigt werden darf, und welches sind gegebenenfalls die Gründe hierfür?

Not found (Gast)

Frau Kollegin, das Auswärtige Amt sieht sich zu seinem Bedauern nicht in der Lage, den Einsatz des Films „Die Weiße Rose" im Rahmen seiner auswärtigen Kulturpolitik zu fördern. Maßgeblich ist hierfür nicht der meines Erachtens vorzüglich gemachte Film selbst, sondern sein Nachspann, der die Rechtslage und die ihr entsprechende Auffassung des BGH falsch darstellt. Die Autoren des Filmes - Michael Verhoeven und Mario Krebs - haben den Text des Nachspanns bereits mehrfach geändert, und zwar auf Grund eines mit dem Auswärtigen Amt geführten freundschaftlichen Dialogs. Sie haben sich aber nicht dazu verstehen wollen, von Formulierungen abzurücken, mit denen dem Bundesgerichtshof unterstellt wird, er sanktioniere Terrorurteile des Volksgerichtshofs, und es bestehe für Bundestag und Bundesregierung eine rechtliche oder moralische Verpflichtung im Wege der Gesetzgebung sämtliche Urteile des Volksgerichtshofs zu annulieren. Die Rechtslage selbst ist hier sehr ausführlich in einer der vorausgegangenen Sitzungen des Deutschen Bundestages von meinem Kollegen aus dem Justizministerium dargestellt worden. Darüber hinaus möchte ich sagen, Frau Kollegin: Das Recht der Autoren, eine innenpolitische Diskussion auch mit den vielleicht nicht ganz fairen Mitteln der Insinuierung und Suggestion in Gang zu setzen, ist unbestritten. Wir wollen uns im Ausland auch keinesfalls als eine monolithische, konfliktfreie Gesellschaft darstellen, aber es kann nicht Aufgabe der auswärtigen Kulturpolitik sein, auf Kosten des Steuerzahlers im Ausland innere Auseinandersetzungen vorzuführen, die mit den Mitteln der Diffamierung von Verfassungsorganen geführt werden. ({0}) Was den Film „Die Weiße Rose" betrifft, so würde ich es begrüßen, wenn die Autoren seinen Einsatz im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik dadurch ermöglichten, daß sie auf die unhaltbaren Behauptungen im Nachspann verzichten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Simonis.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, könnte es möglich sein, daß wegen der sensiblen Materie, die dieser Film behandelt, trotz seiner inhaltlichen Qualität, die Sie ausdrücklich gelobt haben, die möglichen Zuschauer dieses Films, die ja keine Deutschen sind - und damit auch nicht unbedingt gezwungen sind, deutsche Rechtsauffassungen zu teilen -, zu dem Ergebnis kommen könnten, die deutsche Regierung wolle sich etwa vom Inhalt des Films distanzieren durch das Verbot, diesen Film in deutschen Kulturinstitutionen vorzuführen?

Not found (Gast)

Ich glaube, diese Gefahr besteht jetzt nicht mehr, da Sie mir durch Ihre Anfrage die Gelegenheit gegeben haben, für die Bundesregierung zu sagen, daß wir uns von dem Inhalt nicht distanzieren.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, Frau Kollegin.

Heide Simonis (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002178, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, da ich davon ausgehe, daß Sie diese Ihre Antwort in gebührendem Maße überall im In- und Ausland bekannt machen werden, möchte ich gerne wissen, ob die Regierung Schritte unternehmen wird, den von Ihnen gerügten Nachspann dadurch überflüssig zu machen, daß entsprechende Gesetzesinitiativen eingeleitet werden, um den Streitfall ein für allemal, endgültig aus der Welt zu schaffen, d. h. Gerichtsurteile aus der damaligen Zeit von Anfang an für nichtig zu erklären.

Not found (Gast)

Nein, Frau Kollegin. Ich sagte bereits, die Frage der Rechtsproblematik ist hier in einer der vorausgegangenen Sitzungen von dem dafür zuständigen Bundesminister der Justiz ausführlich dargelegt worden. Ich bitte Sie, das auch in seiner Kompetenz zu belassen. Aber die Bundesregierung möchte gern eine Möglichkeit haben, daß dieser Film, über dessen künstlerischen Wert es keinen Streit gibt, auch im Rahmen der auswärtigen Kulturpolitik dadurch gezeigt werden kann, daß der Nachspann, der mit dem Film so nicht in Verbindung gebracht werden muß, eben wegfällt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Schily.

Otto Schily (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001970, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Hat die Bundesregierung, Herr Staatsminister, bei ihrer Antwort berücksichtigt, daß der Bundesgerichtshof den Volksgerichtshof einmal als unabhängiges, nur dem Gesetz unterworfenes Gericht bezeichnet hat, ({0}) und welche Auffassung vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Qualifizierung des sogenannten Volksgerichtshofes?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung hat die von Ihnen angesprochene Problematik in dem Sinne berücksichtigt, wie das in einer sehr ausführlichen Erörterung in der Fragestunde hier dargelegt worden ist. Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, die Auffassungen des Bundesgerichtshofes zu bewerten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatsminister, stimmen Sie mit mir überein, daß dieser Film eigentlich gar nicht das Anliegen hat, über die Rechtslage in Deutschland zu berichten, sondern daß dies nur ein Beiwerk sein kann, und daß es, weil dies so ist, gut möglich gewesen wäre, mit dem Film, der eine falsche Information über die Rechtslage enthält, den Nachweis zu führen, daß im Auswärtigen Amt wirklich Männer liberaler Gesinnung sind, während es jetzt so den Eindruck hat, es sei das Gegenteil der Fall?

Not found (Gast)

Diesen Eindruck muß die Bundesregierung natürlich zurückweisen, da im Auswärtigen Amt bekannterweise sehr viele Männer liberaler Gesinnung sind. ({0}) Aber das ist auch nicht die Problematik des Films. Ich habe versucht, deutlich zu machen, daß die Bundesregierung die künstlerische Qualität dieses Films nicht in Zweifel zieht, wobei, Frau Präsidentin, ich an dieser Stelle gezögert und meine persönliche Bewertung angestellt habe, weil es zugegebenermaßen eine Bewertung des künstlerischen Qualitätsgrades eines Films durch die Bundesregierung nur schwer geben kann. Da ist wohl eindeutig das persönliche Empfinden maßgeblich. Ich habe deutlich gemacht, Herr Kollege Sperling, daß sich die Kritik gegen den Nachspann richtet, in dem wir eine Diskreditierung eines Verfassungsorgans sehen. Wir meinen nicht, daß es die Aufgabe der Bundesregierung ist, mit Steuergeldern eine Diskreditierung eines Verfassungsorgans zu finanzieren. Ich glaube, da bewegt sich diese Bundesregierung im übrigen in der Tradition aller vorherigen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Broll.

Werner Broll (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000271, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatsminister, stimmt die Bundesregierung mit mir überein, daß es durchaus mit liberaler Gesinnung zu vereinbaren ist, sich dafür einzusetzen, daß Rechtsverhältnisse wahrheitsgemäß im Interesse unseres Landes dargestellt werden?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung ist bestrebt, Rechtsverhältnisse wahrheitsgemäß darzustellen. Im übrigen ist es nicht Aufgabe dieser Bundesregierung wie auch sonstiger Bundesregierungen, zu definieren, was liberale Gesinnung ist, und was nicht. Das steht an sich anderen zu.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Professor Dr. Jannsen.

Prof. Dr. Gert Jannsen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001016, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Staatsminister, halten Sie es für möglich oder ist es die Auffassung der Bundesregierung, daß der Grund für die Absetzung dieses Films nicht der hervorragende künstlerische Wert, sondern der politische Wert dieses Films ist?

Not found (Gast)

Nein, Ihre Vermutung ist unzutreffend.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weiteren Zusatzfragen. Herr Staatsminister, ich muß Sie bitten, jetzt wieder Platz zu nehmen. Der Herr Kollege ist jetzt da. Ich rufe noch einmal den Geschäftsbereich des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft auf. Der Parlamentarische Staatssekretär Pfeifer ist anwesend. Er wird die Frage 73 der Frau Abgeordneten Steinhauer, die ich aufrufe, beantworten: Ist der Bundesregierung bekannt, wieviel Ausbildungsplätze in bundesunmittelbaren und -mittelbaren Betrieben und Dienststellen zusätzlich zu den jetzt vorhandenen Ausbildungsplätzen geschaffen werden können ({0}), und ist die Bundesregierung bereit, diese Ausbildungsplätze, eventuell durch ein finanzielles Sonderprogramm gefördert, zu besetzen und damit einen zusätzlichen Beitrag für die Ausbildung von Jugendlichen zu leisten?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Frau Präsidentin, ich darf um Entschuldigung bitten. Weil die vorherigen Fragen ausgefallen sind, bin ich nicht früher hier gewesen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Der Herr Staatssekretär hat das Wort.

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Frau Kollegin Steinhauer, Ihre Frage beantworte ich wie folgt. Die Ausbildungsplatzsituation im Bereich des Bundes ist vom Bundeskabinett in diesem Jahr schon mehrfach erörtert worden mit dem Ergebnis, daß die Ausbildungsmöglichkeiten in allen Bereichen des Bundes voll genutzt werden sollen. In Berufen nach dem Berufsbildungsgesetz sollen die Angebote 1983 im Vergleich zum Vorjahr um rund 740 zusätzliche Ausbildungsplätze auf rund 19 050 erhöht werden. Hinzu kommen weitere Angebote für die Laufbahnausbildung im einfachen und mittleren Dienst, so daß sich ein Gesamtangebot von rund 27 600 Ausbildungsplätzen ergibt. Dieses Angebot übersteigt den eigenen Nachwuchsbedarf um mehr als 25 %. Erreicht wird dies vor allem durch eine stärkere Ausnutzung der Ausbildungseinrichtungen, durch größere Gruppen und Überbelegungen. Die Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze durch den Neubau von Einrichtungen wäre grundsätzlich nicht sinnvoll. Dagegen spricht sowohl die nur vorübergehende Nutzung als auch die Haushaltslage. Die zusätzlichen Ausbildungsplatzangebote für Lehrlinge werden grundsätzlich nicht durch Sonderprogramme finanziert, sondern von den Ressorts aus dem verfügbaren Haushaltsvolumen getragen. Für die bei der Deutschen Bundesbahn in diesem Jahr für den eigenen Nachwuchsbedarf nicht benötigten rund 1 300 Ausbildungsplätze werden 1984 zusätzliche Haushaltsmittel bereitgestellt. Ihren Hinweis auf die Ausbildungsplätze in der Bundesbahnausbildungswerkstatt Siegen habe ich an den Bundesminister für Verkehr weitergeleitet. Ich gehe davon aus, daß in Zusammenarbeit mit der Hauptverwaltung der Bundesbahn ein Weg gefun582 den wird, alle dort verfügbaren Ausbildungsplätze anzubieten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Steinhauer.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, kann ich auf Grund Ihrer Antwort davon ausgehen, daß die 740 zusätzlichen Plätze besetzt sind und daß die, wie Sie zum Schluß in Ihrer Antwort j a auch unterstellen, von mir angeführten Ausbildungsplätze ohne Schaffung neuer Einrichtungen sofort besetzt werden können? Dies kann ja nicht nur in einer Ausbildungswerkstatt z. B. bei der Bundesbahn - natürlich über den eigenen Bedarf hinaus - möglich sein, sondern das muß in der ganzen Bundesrepublik Deutschland darüber hinaus in vielen Fällen möglich sein. Wären Sie bereit, dies insgesamt einmal zu überprüfen, damit Jugendliche - ich zitiere jetzt -, die ausbildungsfähig und ausbildungswillig sind, auch wirklich einen Ausbildungsplatz in Berufen, die nach dem Berufsbildungsgesetz eine Vollausbildung garantieren - um solche Berufe handelt es sich nämlich -, erhalten können?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Frau Kollegin, ich habe im Augenblick natürlich keinen Überblick darüber, ob alle 27 600 Ausbildungsplätze gegenwärtig bereits besetzt sind. Ich bin aber gerne bereit, den von Ihnen angesprochenen Sachverhalt nochmals zu überprüfen und vor allem - das habe ich auch gesagt - Ihr Anliegen an den Bundesverkehrsminister weiterzugeben.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine zweite - kurze -Zusatzfrage.

Waltraud Steinhauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002238, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ich habe ja nicht nur nach der Bundesbahn, sondern nach allen Betrieben gefragt. Wären Sie bereit, mir meine Frage im Blick auf die gesamten Bundesbetriebe - unmittelbare und mittelbare - zu beantworten, unter Umständen auch schriftlich, und darzulegen, ob der Bund als Ausbildungsherr, wie ich es einmal formulieren möchte, genauso seine Verpflichtung erfüllt, wie Sie das an sich von der Wirtschaft erwarten?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Ich bin der Meinung, wenn der Bund 740 zusätzliche Ausbildungsplätze allein im Bereich des Berufsbildungsgesetzes anbietet und somit ein Angebot macht, das den eigenen Nachwuchsbedarf um 25% übersteigt, gibt er damit durchaus zu erkennen, daß er seiner Ausbildungsverpflichtung im Rahmen seiner Möglichkeiten gerecht wird. Natürlich ist es unser Ziel, daß die 27 600 Ausbildungsplätze, die der Bund anbietet, auch tatsächlich alle besetzt werden.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, sich dafür einzusetzen, daß insbesondere im Bereich der Bundeswehr bei den Instandsetzungsstaffeln, in den technischen Einheiten und auch in den technischen Schulen zusätzlich Ausbildungsplätze für qualifizierte Ausbildungsberufe wie Regelmechaniker, Meßtechniker usw. bereitgestellt werden, und sind Sie bereit, auch die notwendige finanzielle Unterstützung für diesen Bereich zu leisten?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Die Bundesregierung und der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft haben auch den Bundesverteidigungsminister gebeten, alle Möglichkeiten auszuschöpfen und zu überprüfen, die er erlauben, im Bereich der Bundeswehr ein zusätzliches Ausbildungsplatzangebot zu machen. Ich bin gern bereit, den Bundesverteidigungsminister zu bitten, daß er die dafür notwendigen Unterlagen bzw. die daraufhin erfolgten Maßnahmen Ihnen im einzelnen darstellt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, ist Ihnen bekannt, daß die Bundesbahn ursprünglich die vorhandenen Ausbildungsplätze nur zu einem sehr geringen Teil bzw. gar nicht besetzen wollte und daß sie nur nach massivem Einsatz der zuständigen Landtags- und Bundestagsabgeordneten sich zur Besetzung der vorhandenen Ausbildungsplätze entschließen konnte; und ist diese Differenz zwischen Null und den vorhandenen Ausbildungsplätzen jetzt in die Statistik der zusätzlichen Ausbildungsplätze eingegangen?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Also, Frau Kollegin, zunächst möchte ich sagen, daß die Bundesregierung natürlich dem Parlament und jedem Abgeordneten, auch jedem Landtagsabgeordneten, dankbar ist, der unsere Bemühungen unterstützt, ein zusätzliches Ausbildungsplatzangebot in diesem Jahr für die junge Generation zur Verfügung zu stellen. Was die Bundesbahn angeht, weise ich noch einmal darauf hin, daß sie in diesem Jahr für den eigenen Nachwuchs nicht benötigte 1 300 Ausbildungsplätze zur Verfügung stellt, damit also deutlich über den eigenen Bedarf hinaus ausbildet, und daß die Bundesregierung dafür zusätzliche Haushaltsmittel zur Verfügung stellen wird.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Sperling.

Dr. Dietrich Sperling (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002196, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, teilen Sie meine Auffassung, daß Sie nicht das einzige Mitglied der Bundesregierung sind, das in Fragen der Ausbildungsplätze auf Grund falscher Annahmen über den Ablauf der Ereignisse zu spät kommt? ({0})

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Sperling, ich bin der Meinung, daß die Beschlüsse, die die Bundesregierung hinsichtlich der Ausweitung des Ausbildungsplatzangebots des Bundes bereits am Beginn dieses Jahres gefaßt hat, rechtzeitig erfolgt sind, um das Ausbildungsplatzangebot der jungen Generation für den kommenden Herbst zur Verfügung zu stellen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Gerster.

Dr. h. c. Johannes Gerster (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000671, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, daß eine noch weitere Ausdehnung der Ausbildungsmöglichkeiten des Bundes ausnahmsweise nicht an Haushaltsmitteln, sondern an der Tatsache gescheitert ist, daß es bei den bestehenden Kapazitäten nicht möglich war, noch mehr auszubilden, und insoweit eine sachgerechte Ausbildung nicht gewährleistet gewesen wäre? ({0})

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Gerster, die Sache ist so, daß die Bundesregierung, wie ich zum Ausdruck gebracht habe, ihr Ausbildungsplatzangebot ja bereits deutlich über den eigenen Bedarf hinaus gesteigert hat und daß es zudem aus haushaltsrechtlichen Gründen, aber auch, weil dieses Ausbildungsplatzangebot im Hinblick auf die ab 1985 schwächer werdenden Jahrgänge j a nur für eine vorübergehende Nutzung zur Verfügung gestellt werden muß, nicht opportun wäre, jetzt zusätzliche neue Ausbildungsplätze einzurichten, sondern daß es darauf ankommt, das bestehende Ausbildungsplatzangebot - wenn ich einmal so sagen darf - überzubelegen. Und dazu sind wir bereit.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe die Frage 74 des Herrn Abgeordneten Schemken auf: Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Mittel für die Maßnahme zur „Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen" nach dem Antragsstand nicht ausreichen und beispielsweise beim Landesarbeitsamt Düsseldorf ca. 90 Maßnahmen deshalb bisher nicht genehmigt werden konnten?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Schemken, darf ich die Fragen 74 und 75 zusammen beantworten? ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe daher jetzt auch die Frage 75 auf: Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem Bedarf gerecht zu werden und damit in der augenblicklichen Situation des Ausbildungsplatzangebots weitere Starthilfen für lernbeeinträchtigte Jugendliche zu ermöglichen?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Die Bundesregierung hat für das laufende Jahr 124 Millionen DM für die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher bereitgestellt. Sie hat damit die Mittel gegenüber dem vergangenen Jahr fast verdoppelt. Dennoch zeigt sich bereits jetzt, daß das Programm wegen der großen Nachfrage überzeichnet wird. In Nordrhein-Westfalen werden zur Zeit 93 Maßnahmen mit ca. 2 100 Teilnehmern nach dem Programm gefördert. Seit 1980 wurden hierfür rund 36 Millionen DM bewilligt. Für das Haushaltsjahr 1983 stehen dem Landesarbeitsamt NordrheinWestfalen insgesamt 37,7 Millionen DM für Bewilligungen zur Verfügung. Diese Mittel reichen aus, um neben den laufenden Maßnahmen 30 Neuanträgen für das Ausbildungsjahr 1983/84 entsprechen zu können. Weitere 92 Anträge für rund 2 000 Teilnehmer können derzeit nicht gefördert werden. Die Bundesregierung prüft gegenwärtig, ob unter Berücksichtigung der angespannten Finanzlage weitere Mittel für das Programm zur Förderung der Berufsausbildung von benachteiligten Jugendlichen zur Verfügung gestellt werden können. Davon wird es abhängen, ob und in welchem Umfang in Nordrhein-Westfalen weitere Maßnahmen gefördert werden können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Schemken.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Staatssekretär, halten Sie es in der augenblicklichen Situation der Lehrstellenverknappung, die auch zu einem gewissen Verdrängungsprozeß führt, nicht für notwendig, weitere Angebote, gerade in dem Bereich zu schaffen, wo es sich um schulmüde Jugendliche handelt, für die also weder eine Verlängerung der Schulzeit noch die Überführung in irgendwelche andere Schulformen in Frage kommt? Wäre es nicht besser, hier eine unmittelbare Motivation durch praktische Ausbildung zu schaffen? Wäre es nicht richtig, jetzt ein Signal für die Zeit im September zu setzen, wenn über die Zahl der jetzigen Vermittlungen hinaus Jugendliche untergebracht werden müssen? Könnte man nicht kurzfristig dieses Benachteiligtenprogramm als Brücke zu einer Ausbildungssituation anbieten, die dann eintritt, wenn es die geburtenschwachen Jahrgänge in den Jahren 1986/87 vielleicht möglich machen, die betreffenden Jugendlichen in der freien Wirtschaft unterzubringen?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Schemken, ich teile Ihre Meinung, daß hierüber jetzt schnell eine Entscheidung getroffen werden muß, weil ja die Maßnahmen noch im Laufe des Juli und des August so entwickelt werden müssen, damit sie im September zur Verfügung stehen können. Nun muß man folgendes sehen: Die Bundesregierung hat die Mittel für das Benachteiligtenprogramm im Haushalt 1983, verglichen mit dem ursprünglichen Haushaltsansatz 1982, fast verdoppelt. Wenn wir jetzt weiter aufstocken, hat das Auswirkungen nicht nur auf den Haushalt 1983, sondern selbstverständlich auch erhebliche Auswirkungen auf die Haushalte 1984 und 1985. Aus diesem Grunde bitte ich Sie, zu verstehen, daß die Bundesregierung diese Frage im Zusammenhang mit den Haushaltsberatungen innerhalb der Bundesregierung klären möchte. Ich gehe davon aus, daß diese Klärung im Juni stattfindet und dann eine definitive Entscheidung getroffen werden kann.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage.

Heinz Schemken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001955, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Halten Sie es für möglich, Herr Staatssekretär, daß man vielleicht in einem Schwerpunktprogramm in diesem Jahr mit Hilfe der Wirtschaft den Mittelbedarf für 1984/85 abbaut und damit in diesem Jahr zusätzliche Förderungen ermöglicht?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Unser Ziel ist es in der Tat, daß die jungen Menschen, die durch das Benachteiligtenprogramm gefördert werden und zu einem erheblichen Teil im ersten Jahr in außerbetrieblichen Einrichtungen gefördert werden, im zweiten Jahr in eine betriebliche Ausbildung kommen, daß die Plätze wieder frei werden für Jugendliche, die wir neu in das Benachteiligtenprogramm aufnehmen können. Allerdings ist es leider so, daß die Absolventen des ersten Ausbildungsjahres in noch nicht befriedigendem Umfang in ihrem zweiten Ausbildungsjahr tatsächlich einen Platz in den Betrieben finden. Die Bundesregierung möchte die Richtlinien für das Benachteiligtenprogramm in diesem Punkt ändern, um zu erreichen, daß vielleicht doch eine verstärkte Aufnahme in den Betrieben auch dadurch möglich wird, daß zumindest die zusätzlichen Maßnahmen, die Betriebe für benachteiligte Jugendliche unternehmen müssen, verstärkt auch aus dem Benachteiligtenprogramm gefördert werden können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Der Fragesteller stellt keine weiteren Zusatzfragen. Zu einer Zusatzfrage Herr Toetemeyer.

Hans Günther Toetemeyer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002336, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben auf die schwierige Haushaltslage hingewiesen. Teilen Sie meine Auffassung, daß in einer volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung trotz aller Schwierigkeiten in der Haushaltswirtschaft eine schnelle Hilfe billiger ist als das Abgleiten gerade dieser Jugendlichen in die Kriminalität mit den sich daraus ergebenden finanziellen Folgen?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege, aus diesem Grunde habe ich hier ja auch zum Ausdruck gebracht, daß die Entscheidung jetzt im Juni getroffen werden muß, damit man den Trägern solcher Maßnahmen noch im Laufe dieses Monats eine verbindliche Auskunft darüber geben kann, ob eine weitere Aufstockung dieser Maßnahmen möglich ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Heyenn.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben ausgeführt, daß 90 Vorhaben zur Zeit nicht finanziert werden können. Wenn sich diese Zahl nur auf Nordrhein-Westfalen bezieht - das ist aus Ihren Ausführungen nicht ganz deutlich geworden -, würde ich Sie doch bitten, die Zahlen für das Bundesgebiet zu nennen.

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Die Zahl, die ich hier genannt habe, bezieht sich auf den Bereich Nordrhein-Westfalen. Hinsichtlich der einzelnen Maßnahmen für das Bundesgebiet habe ich eine Zahl im Augenblick nicht zur Verfügung. Ich bin gern bereit, Ihnen eine solche Zahl zur Verfügung zu stellen. Insgesamt möchte ich aber sagen, daß das Benachteiligtenprogramm trotz der erheblichen Steigerung, die wir vorgenommen haben, bundesweit inzwischen etwa um 25 bis 30 Millionen DM überzeichnet ist. Daraus ersehen Sie, daß in der Tat noch ein erheblicher zusätzlicher Bedarf besteht.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine weitere Zusatzfrage. Nun rufe ich Frage 76 - der Frau Abgeordneten Reetz - auf. - Sie ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet. Dann rufe ich die Frage 77 des Herrn Abgeordneten Kuhlwein auf: Treffen Presseberichte zu, daß die von der Bundesregierung beschlossene Neuregelung der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht verwirklicht werden kann, weil die Bundesländer nicht bereit sind, einen Länderanteil an der Finanzierung mitzutragen?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Kuhlwein, Pressemeldungen, wonach die von der Bundesregierung beschlossene Neuregelung der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses nicht verwirklicht werden kann, weil die Bundesländer nicht bereit seien, einen Länderanteil an der Finanzierung mitzutragen, treffen so nicht zu. Die Bundesregierung hat mit ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Förderung von Nachwuchswissenschaftlern vom 23. Februar 1983 den Ländern ein Angebot zur gemeinsamen Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses unterbreitet. Bei der Besprechung des Bundeskanzlers mit den Regierungschefs der Länder am 19. Mai 1983 hatte Einigkeit darüber bestanden, daß die Förderung von Nachwuchswissenschaftlern für die Bundesrepublik Deutschland unerläßlich ist. Der Vorsitzende der Konferenz der Ministerpräsidenten, der Kieler Ministerpräsident Dr. Barschel, hat am 20. Mai 1983 laut dpa zu dem Ergebnis der Besprechung der Regierungschefs erklärt, daß der Gesetzentwurf der Bundesregierung noch einmal neu diskutiert werden müsse, weil die Länder sich dagegen wendeten, daß diese Gesetzesvorlage eine Mischfinanzierung von Bund und Ländern vorsehe. Weiter hat Ministerpräsident Dr. Barschel erklärt, daß entweder jedes Bundesland ein eigenes Fördergesetz machen sollte, wobei bundeseinheitliche Maßstäbe möglichst sichergestellt werden sollten, oder daß es eine bundesgesetzliche Lösung geben solle, bei der dann aber die Gesamtkosten vom Bund zu übernehmen seien. Aus der Mitverantwortung des Bundes für die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses behält sich die Bundesregierung neue Initiativen zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses vor allem dann vor, wenn es zu einer Verständigung der Länder über eine Neuregelung in angemessener Zeit nicht kommt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Kuhlwein.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, nach leidvollen Erfahrungen, die ich in Ihrem Amt mit diesem Gesetzentwurf und den Beratungen und Verhandlungen darüber gemacht habe, möchte ich Ihnen die Frage stellen, ob die Antwort, die Sie hier gegeben haben, in Richtung auf eigene Initiativen, auch mit dem Bundesminister der Finanzen abgestimmt gewesen ist.

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Kuhlwein, aus Ihren eigenen Erfahrungen wissen Sie, daß die Erklärung, die ich hier abgebe, nicht eine Erklärung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, sondern eine Erklärung der Bundesregierung ist.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zweite Zusatzfrage, bitte.

Eckart Kuhlwein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001252, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie haben im Bundeskabinett am 23. Februar dieses Jahres, etwa zehn Tage vor der Bundestagswahl, den Gesetzentwurf beschlossen. Wie erklären Sie es der interessierten Öffentlichkeit, daß der Gesetzentwurf noch immer nicht dem Bundesrat zugeleitet worden ist, wie das ja im normalen Geschäftsgang üblich wäre?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Kuhlwein, wir waren in der Vergangenheit darüber einig, daß es sich bei diesem Gesetzentwurf um einen für die Wissenschaftspolitik und für die Förderung der Forschung besonders wichtigen Gesetzentwurf handelt. Dieser Gesetzentwurf bedarf der Zustimmung des Bundesrates. Vor diesem Hintergrund hat es die Bundesregierung als richtig und notwendig angesehen, diesen Gesetzentwurf vor der Einleitung des Gesetzgebungsverfahrens in einem Gespräch des Bundeskanzlers mit den Ministerpräsidenten der Länder im einzelnen zu erörtern. Das Ergebnis habe ich mitgeteilt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Schmidt ({0}).

Renate Schmidt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002016, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, darf ich Ihre Auskunft jetzt so verstehen, daß Sie - wohlgemerkt vor der Wahl - einen Beschluß gefaßt haben, den man wohl nicht als solide abgesichert bezeichnen kann, und welche Beweggründe standen hinter dem Beschluß, und kann ich davon ausgehen, daß die Beweggründe darin bestanden haben, Wähler an den Hochschulen anzusprechen?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Frau Kollegin, das letztere können Sie nicht unterstellen, und zwar deshalb nicht, weil es sich hier um ein Angebot der Bundesregierung handelt, das - darauf lege ich besonderen Wert - vor dem Hintergrund der von Herrn Kollegen Kuhlwein aus der Vergangenheit geschilderten Erfahrung die Zustimmung des Bundesfinanzministers gefunden hat. Im Augenblick geht es darum - wie es in der Besprechung vom 19. Mai zum Ausdruck gekommen ist -, das von allen Seiten als notwendig erachtete Ziel in einer möglichst kurzen Zeit tatsächlich zu erreichen. Das bleibt das Ziel der Bundesregierung.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Weyel.

Gudrun Weyel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, Sie sprachen soeben davon, Sie wollten in angemessener Zeit eigene Initiativen ergreifen. Können Sie uns Auskunft darüber geben, was Sie unter „angemessener Zeit" verstehen, wie diese Initiativen aussehen sollen und welcher finanzielle Rahmen eventuell dafür vorgesehen ist?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

„Angemessene Zeit" heißt für mich, daß wir - wie es von vornherein vorgesehen war - möglichst im Herbst dieses Jahres Klarheit schaffen müssen. ({0}) - Das Finanzvolumen, das die Bundesregierung ihrem Gesetzentwurf zugrunde gelegt hat, betrug 25 Millionen DM aus Bundesmitteln; ein gleicher Betrag wäre von seiten der Länder aufzubringen. Das wären insgesamt 50 Millionen DM. Das würde bedeuten, daß 2000 junge Wissenschaftler gefördert werden könnten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das letzte war eine zusammenhängende Frage, damit kein Irrtum entsteht. Herr Weisskirchen, eine Zusatzfrage.

Gert Weisskirchen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002465, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, würden Sie denn Ihre Zusage, die Sie soeben gemacht haben, auch dahin gehend präzisieren, daß sie auf jeden Fall gilt, gleichgültig, was der Finanzminister dazu sagt?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Ich möchte noch einmal sagen: Der Gesetzentwurf, den die Bundesregierung im Februar dieses Jahres verabschiedet hat und der den von mir soeben geschilderten finanziellen Hintergrund hat, hat in der Bundesregierung auch die Zustimmung des Bundesfinanzministers gefunden. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Ich rufe Frage 78 und 79 des Herrn Abgeordneten Heyenn zusammen auf, damit der Herr Staatssekretär sie noch beantworten kann: Trifft es zu, daß die bisher in 1983 vom Bundesminister für Bildung und Wissenschaft für das Benachteiligtenprogramm zur Verfügung gestellten Mittel nicht ausreichen, und daß deshalb vorbereitete Maßnahmen, z. B. im Kreis Segeberg, durch das Arbeitsamt Neumünster nicht finanziert werden können? Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, gegebenenfalls die Mittel für das Benachteiligtenprogramm zu erhöhen, um allen Anträgen von Trägern nachkommen zu können?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Herr Kollege Heyenn, die Fragen betreffen den gleichen Sachverhalt wie die des Kollegen Schemken. Insoweit darf ich auf meine Ausführungen, die ich soeben gemacht habe, verweisen. Ergänzend teile ich mit, daß in Schleswig-Holstein zur Zeit sieben Maßnahmen mit 135 Teilnehmern nach dem Benachteiligtenprogramm gefördert werden. Seit 1981 wurden hierfür insgesamt 2,2 Millionen DM bewilligt. Für das Haushaltsjahr 1983 stehen dem Landesarbeitsamt Schleswig-Holstein/ Hamburg insgesamt 5,4 Millionen DM für Bewilligungen zur Verfügung. Auch hier gilt, daß damit nicht alle Neuanträge bewilligt werden können. Wie ich bereits auf die Frage des Kollegen Schemken mitgeteilt habe, prüft die Bundesregierung gegenwärtig die Möglichkeiten einer erneuten finanziellen Aufstockung des Benachteiligtenprogramms. Davon wird es abhängen, ob und in welchem Umfang in SchleswigHolstein und damit auch in Neumünster weitere Maßnahmen gefördert werden können.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Noch zwei Zusatzfragen des Fragestellers.

Günther Heyenn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000897, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Staatssekretär, sind Sie in der Lage, die Aufteilung der für 1983 vorgesehenen Mittel auf die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein mitzuteilen?

Anton Pfeifer (Staatssekretär:in)

Politiker ID: 11001703

Ich bin gerne bereit, mich nach diesen Zahlen zu erkundigen und sie Ihnen dann mitzuteilen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Wir kommen noch einmal zum Geschäftsbereich des Bundesministers des Auswärtigen. Herr Staatsminister Möllemann steht zur Beantwortung der Fragen zur Verfügung. Frage 81 des Abgeordneten Sielaff. - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet. Das gilt auch für die Frage 82 des Abgeordneten Sielaff. Frage 83 des Abgeordneten Sauer ({0}). - Er ist nicht im Saal. Die Frage wird nicht beantwortet. Ich rufe die Frage 84 des Herrn Abgeordneten Bindig auf: Teilt die Bundesregierung die von vielen Menschenrechtsorganisationen getragene Befürchtung, daß nach Vorliegen des sogenannten Abschlußberichts der argentinischen Militärregierung über die „Verschwundenen" in Argentinien noch am Leben befindliche deutsche „Verschwundene" in Argentinien nunmehr akut lebensbedroht sind, da sie amtlich bereits für tot erklärt worden sind?

Not found (Gast)

Die Bundesregierung, Herr Kollege, hat wie andere betroffene westliche Regierungen keinen Anhalt dafür, daß die von Menschenrechtsorganisationen immer wieder aufgegriffenen Gerüchte zutreffen, daß eine größere Anzahl der insbesondere in den Jahren 1975 bis 1978 in Argentinien Verschwundenen noch lebt und in geheimen Lagern festgehalten wird. Die Bundesregierung hat seit dem 1. Mai 1983 in mehreren öffentlichen Erklärungen auch im Namen der zehn EG-Mitgliedstaaten zum Ausdruck gebracht, daß die Erklärung der argentinischen Militärjunta als Antwort auf ihre zahlreichen Auskunftersuchen als unannennbar anzusehen ist, und die Erwartung geäußert, daß die argentinische Regierung nunmehr eine befriedigende Antwort gibt.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Bindig.

Rudolf Bindig (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000181, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Welche Kontakte auf hoher Ebene hat es denn zwischen der Bundesregierung und der Regierung in Argentinien gegeben?

Not found (Gast)

Herr Kollege, diese Frage ist fast identisch mit Ihrer zweiten Frage. Wenn Sie erlauben, würde ich das gerne im Zusammenhang beantworten. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Dann rufe ich auch die Frage 85 des Herrn Abgeordneten Bindig auf: Zu welchen konkreten Schritten hat die Bundesregierung die deutsche Botschaft in Buenos Aires nach Bekanntwerden des sogenannten Abschlußberichts veranlaßt, um sich für das Schicksal der in Argentinien „verschwundenen" Deutschen mit Nachdruck einzusetzen, und zu welchen Ergebnissen haben derartige Bemühungen bisher geführt?

Not found (Gast)

Der deutsche Botschafter in Buenos Aires demarchierte im Auftrag des Bundesaußenministers am 3. Mai und 18. Mai 1983 beim stellvertretenden argentinischen Außenminister. In seiner Demarche vom 3. Mai erklärte der Botschafter, daß die Bundesregierung das Dokument der Militärjunta nicht als Antwort auf die unzähligen in der Vergangenheit mit Nachdruck vorgebrachten Bitten der Bundesregierung um Aufklärung des Schicksals Verschwundener bewerten könne. Die Bundesregierung erwarte weiterhin Antwort und bestehe auf Aufklärung. Eine Liste verschwundener Deutscher, deutscher Doppelstaatler und Deutschstämmiger wurde erneut übergeben. Am 18. Mai führte der deutsche Botschafter erneut eine mit großer Klarheit und Entschiedenheit formulierte Demarche durch. Er erklärte die Betroffenheit der Bundesregierung über das Verhalten der argentinischen Regierung in der Angelegenheit der Verschwundenen und über die gänzlich unbefriedigenden Erklärungen, die von der argentinischen Regierung hierzu abgegeben worden seien. Er erneuerte die Aufforderung um Klärung des Schicksals der deutschen und deutschstämmigen Verschwundenen. Wie andere ausländische Regierungen hat die Bundesregierung bisher keine befriedigende Antwort auf ihre Auskunftersuchen erhalten. Die deutsche Botschaft wird wie bisher intensiv um Aufklärung der deutschen und deutschstämmigen Verschwundenen bemüht sein. Das heißt im Blick auf Ihre Zusatzfrage, daß die Gespräche vom dortigen deutschen Botschafter geführt worden sind.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Weitere Zusatzfragen sind nicht mehr möglich, da die Zeit für die Fragestunde abgelaufen ist. Vizepräsident Frau Renger Ich danke Ihnen, Herr Staatsminister. Die Fragen 89 des Abgeordneten Pauli, 106 und 107 des Abgeordneten Jungmann, 108 und 109 des Abgeordneten Kolbow sind von den Fragestellern zurückgezogen worden. Die übrigen Fragen werden schriftlich beantwortet. Wir sind damit am Ende der Fragestunde. Meine Damen und Herren, wir kommen jetzt zurück zur Aussprache über die Punkte 2 und 3 der Tagesordnung. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Haussmann.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu dem Problem zurückkehren, das heute morgen am Schluß eine zu geringe Rolle gespielt hat, dem Problem, daß wir in den westlichen Industriestaaten 23 Millionen Menschen haben, die ohne Arbeit sind, und es bedarf keiner Belehrung von seiten der GRÜNEN, dieses Problem sehr ernst zu nehmen. Wir nehmen es seit vielen Jahren sehr ernst. Wir trennen uns zwar in den Wegen, wie wir die Arbeitslosigkeit abschaffen wollen, aber wir verbitten uns die Unterstellung, die gesellschaftlichen Konsequenzen der Arbeitslosigkeit, auch aus leidvoller geschichtlicher Erfahrung, nicht in gleichem Maße einschätzen zu können wie Sie. ({0}) Meine Damen und Herren, bei 23 Millionen Arbeitslosen ist jede Form der internationalen Kooperation geboten. Es war bezeichnend, daß der Sprecher der GRÜNEN auf eine Zwischenfrage, nach vielen Diskussionen über innenpolitische Möglichkeiten einer Arbeitszeitverkürzung, bis hin zur 26Stunden-Woche - wir erleben, daß jede Woche kürzere Arbeitszeiten vorgeschlagen werden -, lediglich in seinem Schlußwort das Wort „international" benutzt hat. Meine Damen und Herren, ich glaube wirklich, daß die Grünen Grund haben, ihre Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik auf den modernsten Stand internationaler Zusammenhänge zu bringen. ({1}) Es gibt im übrigen auch in der deutschen Presse und in unserer nationalen Wirtschaftspolitik oft einen erschreckenden Provinzialismus. Meine Damen und Herren, es wird häufig sehr wenig Rücksicht darauf genommen, welche Auswirkungen internationale Entwicklungen auf dieses Land haben, in dem - im Vergleich zu allen anderen Industriestaaten - die meisten Menschen von der Außenwirtschaft abhängig sind. Meine Damen und Herren, wer sich über Stil und Ambiente mokiert, wie das Herr Lahnstein so elegant getan hat, den ich jetzt leider nicht sehe, auf den ich aber gern antworten würde, ({2}) der sollte nicht vergessen, daß die Bundesrepublik als exportstärkste Nation im westlichen Lager es nötiger als jedes andere Industrieland hat, jede Möglichkeit der internationalen Abstimmung und Kooperation zu suchen. Wir Liberalen sind etwas stolz auf die Tatsache, daß Graf Lambsdorff einer der wenigen deutschen Politiker neben Helmut Schmidt ist, der seit Jahrzehnten äußerst hartnäckig und engagiert auf internationalen Konferenzen versucht, unseren ausländischen Partnern Fragen der Weltwirtschaft, Fragen der Abstimmung, Auswirkungen des Protektionismus und Auswirkungen der Zinshöhe klarzumachen. Wir leben nicht in einer Knopfdruckökonomie, bei der Herr Lahnstein oder die Grünen sagen könnten, die Amerikaner haben ihren Haushalt so oder so zu gestalten. ({3}) Vielmehr können wir die amerikanischen Partner nur, wie Helmut Schmidt und andere es getan haben, darauf hinweisen, welche Auswirkungen ihre eigene Wirtschaftspolitik auf uns hat. ({4}) Meine Damen und Herren, manchmal hat man in dieser internationalen Debatte auch das Gefühl, wir würden nach wie vor auf einer Insel der Seligen leben. Wenn man hier zur Kenntnis nimmt, wie Sozialdemokraten über Arbeitszeitverkürzung reden, ohne die Frage der Finanzierung anzusprechen, wie auch die Union in manchen Beschlüssen zur Sozialpolitik - ich nenne nur das Stichwort „Ausweitung des Mutterschaftsgeldes" - vorgeht, wie auch die Grünen in ihrem Antrag in Sindelfingen über Entindustrialisierung, über die autofreie Gesellschaft und über die nationale Autarkie unserer Ökonomie nachdenken, dann kann man den Eindruck gewinnen, unsere Arbeitsplätze seien wenig vom Ausland abhängig, und die Frage der internationalen Wettbewerbsfähigkeit sei lediglich ein kleines Nebenprodukt. Nein, ich glaube, wir müssen bei allen Fragen, bei der Haushaltspolitik, bei der Arbeitszeitverkürzung, bei der Sozialpolitik, dringendst darauf achten, welche internationalen Auswirkungen die nationale Politik hat. Meine Damen und Herren, die westlichen Industriestaaten, die über 65 % des Sozialprodukts erstellen und damit eine gewaltige ökonomische, aber auch politische Macht auf unserer Erde ausüben, können ihre Demokratien nur dann weiterentwikkeln, sie können ihre eigene Arbeitslosigkeit nur dann abbauen, und sie können letztlich den Entwicklungsländern nur dann helfen, wenn sie selbst in ihren eigenen Ländern zur ökonomischen Stabilität zurückkehren und jede Form der internationalen Abstimmung nutzen. Zur Beachtung dieses fundamentalen Grundprinzips der gegenseitigen Abhängigkeit sind - das würde ich nicht lächerlich machen und auch nicht unterschätzen - gemeinsame Grundprinzipien einer weltwirtschaftlichen Kooperation notwendig. Ich glaube, es ist ein Verdienst der deutschen Verhandlungsführung auf den verschiedenen Konferenzen - OECD in Paris, UNCTAD in Belgrad und Williamsburg seien als Stichworte genannt -, daß sich deutsche liberale weltwirtschaftliche Prinzipien durchgesetzt haben. Sie sind festgeschrieben, und wir haben in Zukunft die Chance, unsere Partner an diesen Prinzipien zu messen. Es sind vor allem drei Prinzipien. Erstens. Man möchte die Arbeitsmarktprobleme über ein möglichst inflationsfreies Wirtschaftswachstum durch Stärkung der Marktkräfte lösen. Zweitens. Man ist sich darüber im klaren, daß Protektionismus allen schadet. Man ist im Gegensatz zu dem, was Herr Lahnstein gesagt hat - im übrigen gegen den Widerstand der Franzosen -, übereingekommen, daß wir die GATT-Verhandlungen in einer neuen Serie fortsetzen, meine Damen und Herren. Das ist das Konkreteste und für uns Wichtigste: daß wir Deutsche erneut die Möglichkeit haben - auch im Interesse anderer Länder, häufig auch im Interesse der Entwicklungsländer -, andere Industriestaaten darauf anzusprechen, welche Anstrengungen sie machen müssen, um ihre Märkte offenzuhalten. Meine Damen und Herren, genau an diesem Punkt, weniger Protektionismus, beginnen die nationalen Hausaufgaben. Öffnung der Märkte ist nur möglich, wenn wir alles tun, damit die nationale Wettbewerbsfähigkeit stark bleibt. Denn Industriestaaten, deren nationale Wettbewerbsfähigkeit leidet - das kann man in Frankreich beobachten -, sind nicht mehr bereit, ihre Märkte gegenüber anderen Industrieländern oder auch gegenüber Entwicklungsländern zu öffnen. Drittens. Eine gesunde Weltwirtschaft - meine Damen und Herren, es mag wie eine Binsenwahrheit klingen, aber es ist so - kann nur die Addition, das Produkt einzelner nationaler Volkswirtschaften sein, die ihren eigenen Beitrag zu Stabilität und Wettbewerbsfähigkeit geleistet haben. Von dem, was in Williamsburg herausgekommen ist, halten wir von der Freien Demokratischen Partei für wichtig, daß es trotz vielen - auch offen ausgetragenen - Meinungsverschiedenheiten in Einzelfragen zu einer Einigung im Ziel und in den Prinzipien gekommen ist. Wir sind uns darüber im klaren, daß jedes Land auf Grund seines eigenen Wirtschaftssystems und auf Grund seiner nationalen Eigenheiten die jeweiligen Instrumente variabel einsetzen muß. Aber die drei Stichworte, Protektionismus schadet allen, Weltwirtschaft ist ein Produkt gesunder nationaler Volkswirtschaften, ({5}) inflationsfreies Wachstum auf Grund der Stärkung der Marktkräfte, meine Damen und Herren, beinhalten Elemente, die die deutsche Verhandlungsführung, begonnen unter Helmut Schmidt mit Hilfe von Graf Lambsdorff, jetzt durchgesetzt von Helmut Kohl mit Hilfe von Graf Lambsdorff - also, Sie sehen hier die Kontinuität -, letztlich durchgesetzt hat. ({6}) - Herr Matthöfer, Sie haben Ihren Teil auf diesem Gebiet ebenfalls immer geleistet. Sie wissen ja, daß wir beide nicht nur in diesem Bereich eng zusammengearbeitet haben. ({7}) Ich nehme an, daß das so bleibt. - Meine Damen und Herren, es wäre völlig unvorstellbar, daß diese drei Hauptelemente von den Amerikanern, von den Engländern oder auch von den Japanern in dieser Form vorher akzeptiert worden wären. Dies ist auch gegenüber den letzten Wirtschaftsgipfeln auf denen eigentlich nur - über Weizen oder Röhren - gestritten worden ist, der eigentliche Fortschritt im Prinzipiellen. Nun will ich nicht verkennen, daß ein Problem, das heute morgen auch eine sehr große Rolle gespielt hat, offengeblieben ist, nämlich die Frage der Budgetdefizite in den Vereinigten Staaten von Amerika und damit die Auswirkungen auf die Zinshöhe. Die Vereinigten Staaten, die ja mehr als 30 % des Sozialprodukts erzeugen und mehr als 80 % der offiziellen Devisen halten, haben natürlich eine gewaltige Verantwortung. Aber bei dieser Diskussion, meine Damen und Herren - ich möchte Sie bitten, hier noch einmal zuzuhören -, sollte man doch zwei Dinge nicht vergessen. Erstens. Die zentrale Frage ist - darüber sind wir nicht einer Meinung -: Wie können wir unsere amerikanischen Partner am besten beeinflussen? Durch Schulmeistern, wie Herr Roth es tut, der im sozialdemokratischen Pressedienst knapp, aber militärisch fordert, ({8}) wir müßten die USA auf eine wirksame Haushaltspolitik verpflichten, gerade so, als ließe sich Herr Roth von Frau Thatcher auf eine bestimmte Form der Sozialpolitik in der Bundesrepublik verpflichten, meine Damen und Herren? Deshalb ist es notwendig, daß man sich zuhört, daß man sich über die Konsequenzen im klaren ist. Man darf aber nicht glauben, daß noch so bedeutende deutsche Oppositionspolitiker in der Lage wären, einen amerikanischen Präsidenten auf eine ganz bestimmte Haushaltsmaßnahme zu verpflichten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Roth?

Wolfgang Roth (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001891, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Das mit den „bedeutenden Politikern" will ich jetzt nicht zurückgeben. Ich habe folgende Frage. Wäre es nicht gut, wenn der Bundeskanzler, der Wirtschaftsminister und der Finanzminister öffentlich sagten, daß die Steuerkürzungen, die in den USA zum 1. Juli vorgenommen werden und dieses Defizit noch einmal erweitern, Unfug sind? Eine Bundesregierung sollte das in der Tat öffentlich darstellen. Sonst kommt man ja überhaupt nicht weiter.

Prof. Dr. Helmut Haussmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000836, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege Roth, unsere Kollegen von der Regierungsbank werden zwar den Ausdruck „Unfug" vermeiden, aber es herrscht überhaupt kein Zweifel, daß in den verschiedensten Vorgesprächen und auch in WilliamsDr. Haussmann burg die drei Einzelelemente des amerikanischen Haushaltsdefizits, nämlich Steuersenkung, Rüstungsausgaben plus deficit spending für andere Maßnahmen, deutlich angesprochen wurden. Aber die Amerikaner werden erst dann reagieren - darauf wollte ich kommen, Herr Roth -, wenn sie in dem zweitwichtigsten Industrieland der Erde, nämlich der Bundesrepublik Deutschland, sehen, daß es durch nationale Maßnahmen der Haushalts-, Sozial- und Beschäftigungspolitik möglich ist, in gewissem Maße - ich gebe zu: nur in gewissem Maße - sich von der amerikanischen Zinspolitik abzukoppeln. Wir sind zum Glück, was die Realzinsdifferenz angeht, Herr Lahnstein, noch zu einem gewissen Maß von den Amerikanern abgekoppelt. Es wäre j a schlimm, wenn diese Differenz noch geringer würde. ({0}) Ich möchte sagen: Nur durch hartnäckiges Diskutieren, durch Vortragen der Konsequenzen kommen wir voran, und indem wir auf dem Gebiet der Haushaltspolitik Vorbild sind. Dies ist eigentlich das Zentrum der vielzitierten Hausaufgaben, Herr Lahnstein. Ich glaube, hier versagt sich Ihre Partei dem, was notwendig wäre, um die Amerikaner zu überzeugen. Wer nicht bereit ist, bei der Sanierung der Sozialausgaben konkret mitzumachen, wer, wie Herr von Dohnanyi vor kurzem im Deutschlandfunk, weitere konjunkturelle Staatsprogramme und staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen fordert, wer die Finanzierungsfrage bei pauschalen Arbeitszeitverkürzungen bewußt offenläßt, kann auch, meine Damen und Herren, für andere kein Vorbild an haushaltspolitischer Disziplin sein. ({1}) Zweitens, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir bei aller Anerkennung der Bedeutung des Zinses die Bedeutung der Zinshöhe für Investitionen und damit für Arbeitsplätze nicht überschätzen. Es gibt heute gerade auch in der Mittelstandsforschung genügend Untersuchungsergebnisse, die zeigen, daß die Zinsempfindlichkeit bei einer ganzen Reihe von wichtigen Investitionen nachgelassen hat. Der einfache Vergleich in der Kalkulation eines mittelständischen Betriebs zwischen den Fremdkapitalkosten und den Lohn- und Lohnnebenkosten zeigt eindeutig, was bei den Kostenarten letztlich für Investitionen ausschlaggebend ist. Ich meine also, wenn wir den Unternehmern klare politische Vorgaben liefern und wenn sie eine längerfristige Absatzperspektive sehen, werden sie trotz zugegebenermaßen relativ hohem Reallohn investieren. ({2}) - Realzins; Entschuldigung. Vielen Dank, Herr Lahnstein. - Wenn wir umgekehrt den Realzins absenken, aber nach wie vor keine längerfristige politische Konzeption vorgeben, wenn die Absatzerwartungen schlecht bleiben, wird es trotzdem zu keinen weiteren Investitionen kommen. Ich möchte also für die nächste Zeit vor der totalen Fixierung auf die Bedeutung des Zinses etwas warnen, weil wir in der Gefahr sind, daß dies psychologisch wichtige konjunkturelle Aufschwungtendenzen durchaus lähmen kann. Weil auch wir die Lage ähnlich einschätzen, daß wir angesichts eines beginnenden Wahljahres zumindest mittelfristig mit keinem deutlichen Absenken der amerikanischen Haushaltsdefizite und damit der Zinshöhe und der Dollarkurse rechnen können, bleibt deshalb die Frage: Was können wir national tun, um trotz relativ hohem internationalen Zins mehr Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen? Hier gibt es keine Patentrezepte. Es ist wichtig, daß wir uns gerade heute, wo die Diskussion auf dem evangelischen Kirchentag beginnt, auch im Deutschen Bundestag nochmals an die Vorschläge der evangelischen Kirche zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erinnern. Die evangelische Kirche hat in ihrer Denkschrift auf drei Dinge aufmerksam gemacht. Sie hat einmal gesagt, der Staat müsse über seine Haushalte seinen Solidaritätsbeitrag zu einer vernünftigen Investitions- und damit Beschäftigungspolitik leisten. Die evangelische Kirche hat weiter wie keine Einrichtung zuvor - das ist jetzt auch vom Sachverständigenrat aufgenommen worden - die entscheidende Rolle der Lohn- und Tarifpolitik für die künftige Zahl der Arbeitsplätze in den Vordergrund gestellt. Die evangelische Kirche hat eine stärkere Differenzierung der Lohn- und Tarifpolitik nach Branchen, nach Regionen und nach Qualifikationen gefordert. Das sollte den Gewerkschaften und den Arbeitnehmern zu denken geben. ({3}) - Ich nehme an, Herr Matthöfer, daß Sie alles, was die Kirchen zu diesem Thema schreiben, kennen, zumal Herr Eppler in dieser Einrichtung eine sehr bedeutende Rolle spielt. Sie haben zwar manchmal kontroverse Auseinandersetzungen mit Herrn Eppler geführt, sind aber immer durchaus interessiert an dem gewesen, was er vertritt. Ich meine also, daß die Tarifpartner eine sehr, sehr wichtige Aufgabe im Rahmen der künftigen Beschäftigungspolitik haben. Für uns alle in Regierung und Opposition ist es entscheidend, daß wir den Vorrang der Beschäftigungspolitik vor allen anderen politischen Maßnahmen akzeptieren. Es kommt darauf an - damit möchte ich schließen -, daß jeder Gewerkschaftsführer bei Lohnverhandlungen und Marktplatzreden, jeder Arbeitgebervertreter, der vor seinen Mitgliedern steht, aber gerade auch die Verhandlungsführer des öffentlichen Dienstes bei ihren Forderungen immer berücksichtigen, welche Konsequenzen ihre Forderungen für arbeitslose Jugendliche, für ältere Angestellte und für kleine Selbständige haben, die um ihre Existenz ringen. Erst wenn sich alle gesellschaftlichen Grup590 pen - nicht nur der Staat, auch die Tarifpartner -bewußt sind, welch wichtige Rolle sie im Rahmen der Beschäftigungspolitik spielen, werden wir - leider erst mittelfristig - Erfolge haben. Der Rückgang der Kurzarbeiterzahlen ist ein positives Indiz. Wir haben nie behauptet, daß die Zahl der Arbeitslosen ein Spätindikator sei, sondern wir sagen: Das Problem der Dauerarbeitslosen wird erst nach einer längeren Phase eines konjunkturellen Aufschwunges und der Lösung unserer Strukturprobleme gelöst werden können. - Vielen Dank. ({4})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Abgeordnete Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Trotz der Ausführungen von Herrn Dr. Vogel und von Herrn Dr. Lahnstein ({0}) - nach den Ausführungen, die Sie vorhin gemacht haben, muß ich sagen, daß Sie einen guten Doktorvater brauchen, Herr Lahnstein; das gebe ich zu ({1}) bin ich der Meinung, daß Williamsburg ein Erfolg war. Vor allen Dingen nach dem Treffen von Versailles, das Ihnen ja noch ein bißchen in den Ohren klingen muß, und den außerordentlich pessimistischen Voraussagen, die Williamsburg vorausgingen, müßten Sie doch an sich überrascht gewesen sein, wie groß die Einigkeit in Williamsburg gewesen war. ({2}) Die sieben westlichen Industriestaaten haben in den wesentlichen wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Fragen zu optimaler Geschlossenheit und zu großer Übereinstimmung zurückgefunden. Dies ist mehr, als erwartet werden konnte, und dafür gebührt dem Bundeskanzler der Dank der CDU/ CSU. ({3}) Der Bundeskanzler hatte einen wesentlichen Anteil an diesem Erfolg. Ich darf in diesen Dank den Wirtschaftsminister und den Finanzminister einbeziehen, die die Beratungen in voller Übereinstimmung mitgetragen haben. Auch wenn es gerade der SPD schwerfällt, sich diesem Dank prinzipiell anzuschließen, so sollten Sie sich vor allen Dingen in Erinnerung des mageren Ergebnisses und der unmittelbar nach dem Gipfeltreffen von Versailles folgenden Äußerungen vieler Staatsmänner dankbar zeigen, daß es auf einem wichtigen außenwirtschaftlichen Gebiet gelungen ist, eine Einigung zu erzielen. Davon werden auch Sie profitieren. Ich darf Ihnen ein Zitat bringen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Kollege, gestatten Sie vorher eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg?

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Selbstverständlich. Das ist aber die einzige, weil ich sonst mit meiner Zeit nicht auskomme.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Kittelmann, würden Sie mir zugeben, daß es sehr leicht ist, zur Einigkeit zu kommen, wenn man nichts beschließt?

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich nehme an, Herr Kollege Ehrenberg, daß Sie das Protokoll von Williamsburg nicht gelesen haben und deshalb zu dieser seltsamen Frage kommen. ({0}) Ich finde hier ein Zitat. Der Redner sagt dort, er finde es ein bißchen schade, daß es uns in einer so schwierigen, j a ernsten internationalen Lage nicht in höherem Maße gelungen sei, Gesichtspunkte innenpolitischer Taktik einer Partei von außenpolitischen Interessen zu trennen und die Ergebnisse positiv zu würdigen. Der Redner sagt weiter: Die Opposition würde sich wirklich nichts vergeben, wenn sie hier unbeschadet aller sonstigen Kritik würdigte, daß die Bundesregierung bei den Konferenzen in Versailles ... die Interessen dieses Staates wirksam und erfolgreich vertreten hat. ... man sollte das anerkennen und daran nicht herumnörgeln. Dies war Brandt vor einem Jahr. Wenn er das schon nach dem Gipfeltreffen von Versailles gesagt hat, dann müßten Sie sich doch einmal ein bißchen selbst überwinden und zu den Verhandlungen, die wir in Williamsburg erlebt haben, etwas Positiveres sagen. ({1}) Herr Lahnstein, ganz wenige Bemerkungen zu dem, was Sie sagten. Ich hoffe, wenn Sie an der Börse spekulieren - warum nicht? -, daß Sie die Chance genutzt haben, noch schnell Aktien zu kaufen, als es immer deutlicher wurde, daß die CDU/ CSU an die Regierung kommt. Zu dem, was Sie über das Heruntergehen der Aktienkurse spekuliert haben, möcht ich sagen: Ich wünsche keinem Aktieninhaber, daß die Börsenkurse auf den Stand zurücksinken, den sie vor einem Jahr hatten. Ich finde, es gehört schon ein Stück Frechheit dazu, sich nach einer vorübergehenden leichten Unsicherheit an der Börse - wie ich zugebe - und der inzwischen wieder erfolgten Stabilisierung derartige Äußerungen über die Börsenkurse vor dem Plenum des Deutschen Bundestages zu machen, wie Sie es hier versucht haben. Ich bin auch der Meinung, daß die Frage der internationalen Verschuldung in der Form, wie Sie sie hier angesprochen haben, eine viel zu heikle Frage ist, als daß sie auf dem offenen Markt ausgetragen werden kann. Sie mußten doch, als Sie es hier kritisierten, davon ausgehen, daß diese Probleme nicht auf dem offenen Markt diskutiert wurden, sondern in der Verhandlung. Sie sagten auch, man solle internationale Fragen mit internationalen Antworten versehen. Was heißt denn das eigentlich? Sie haben es sich da einfach gemacht. Ich gebe zu, Sie waren unter Zeitdruck. Sie haben diese Forderung hier aufgestellt und haben die internationale Frage mit Überlegungen beantwortet, wer auf wen welchen Druck ausüben kann. Auf dem Bonner Gipfel - ich glaube, es war 1976 - hatte Schmidt eine Lokomotivfunktion übernommen. Das hat uns Milliarden Mark gekostet. Diese Milliarden sind verpufft. Dort haben wir einen Fehler gemacht, den wir diesmal, in Williamsburg, Gott sei Dank unterlassen haben. Und nun zur Frage des amerikanischen Haushaltsdefizits. ({2}) - Ich gebe zu, Herr Apel, da Sie damals mitverantwortlich waren, kann ich die Unruhe nachvollziehen. Ich würde bei dieser Frage einen ähnlich roten Kopf wie Sie bekommen. ({3}) Die Frage des amerikanischen Haushaltsdefizits ist hier mehrfach angesprochen worden. Ich brauche darauf nicht weiter einzugehen. Ich möchte nur eines sagen: Wenn man aus Ihrem kurzen Beitrag, Herr Lahnstein, entnehmen soll, daß inzwischen auch Sie für restriktive Finanzpolitik und expansive Haushaltspolitik sind, ist das eher Klartext Roth und nicht Ihre Sprache, Herr Lahnstein. Ich hoffe, daß Sie sich nicht weiter vergewaltigen lassen, in dieser Frage diesen Weg zu gehen. Wir wollen noch einen vernünftigen Gesprächspartner haben. ({4}) - Erhard zu seiner Zeit, aber nicht jetzt. ({5}) Schließlich zu der Kritik von Mitterrand. Zu Mitterrand darf ich Ihnen folgendes sagen. Als Parlamentarier kann man da ein bißchen offener sein. Wer so wie zur Zeit Mitterrand mit dem Rücken zur Wand steht, daß er jeden Tag neu überlegt, ob er die Kammer auflöst oder nicht, dem kann man es vielleicht verzeihen, daß er in Williamsburg das sagt und, kaum zu Hause angekommen, genau das Gegenteil. Daß das nicht loyal, nicht fair ist, darin werden Sie mit mir übereinstimmen. Ansonsten hoffe ich, daß sich keiner von uns wünscht, in der Lage dieses Mannes zu sein mit einer sozialistisch-kommunistischen Regierung und einer völlig fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik. Wir kommen nun zu der Frage, was Williamsburg war. Williamsburg war ein Gipfeltreffen. Das war ein Konsultations- und kein Entscheidungstreffen. Sie haben zum Teil so getan - und die Zwischenfrage von Herrn Ehrenberg zeigt, daß er auf dem gleichen Zug ist -, als wenn es in Williamsburg möglich gewesen wäre, Entscheidungen zu treffen. Man hat dort die erfreuliche Situation gehabt, in allen wesentlichen Fragen eine Einigung zu erzielen, und hat jetzt die Aufgabe, dies zu Hause umzusetzen. Da haben, wie ich zugebe, die Amerikaner den allergrößten Beitrag zu leisten. ({6}) - Ich bin doch noch dabei. Das wertvollste Ergebnis in dieser Frage ist die Übereinstimmung darin, eine solide Finanz-, Währungs- und Wirtschaftspolitik in konsequenter Umsetzung einer liberalen Welthandelspolitik fortzusetzen. Ich hoffe, daß uns dieses Vorhaben in diesem Hause auch in Zukunft eint, daß es also unsere gemeinsame Politik ist. Dem Bundeskanzler ist zuzustimmen, wenn er von einem wertvollen Beitrag zur Orientierung und Abstimmung spricht. Von keinem der Teilnehmer ist die Interdependenz der drängenden Probleme der Weltwirtschaft bezweifelt worden, sondern von jedem einzelnen ist sie expressis verbis bejaht worden. Dies ist nicht immer der Fall gewesen, sondern es gab da früher recht differenzierte Ansichten. Keiner hat sich der Verpflichtung entzogen, die Lösung in enger Kooperation zu erreichen. Dies ist nicht von vornherein selbstverständlich gewesen. Meine Damen und Herren, wenn die sieben westlichen Gipfelmächte in dieser Frage so viel Einigung erzielen, ist das nach meiner Meinung ein positives Ergebnis. Man kann versuchen - und das ist Ihre Pflicht als Opposition -, hinterher dieses positive Ergebnis zu zerreden und daran herumzunörgeln; aber im Prinzip und im Unterschied zu Versailles ist das ein großer Erfolg gewesen, für den man dieser Regierung auch danken kann. ({7}) - Herr Löffler, Ihre Zwischenbemerkungen sind auch nicht neu. Wir hoffen und gehen davon aus, daß die Opposition - mindestens Teile der Opposition - bei der Erfüllung der Hausaufgaben, die hier mehrfach angesprochen worden sind, ihre Unterstützung gewährt. Jedenfalls darf ich für die CDU/CSU sagen, daß die Bundesregierung unsere volle Unterstützung finden wird. ({8}) Herr Lahnstein hatte die Hoffnung ausgesprochen, daß der Begriff der Erblast jetzt nicht mehr verwendet wird. Wir sind der Auffassung, es stünde der SPD sehr gut an, sich bei der Frage der Überschuldung zurückzuhalten und bei ihrer Kritik an den Amerikanern mal ein bißchen in sich zu gehen. Wenn das positiv ist, warum soll es nicht geschehen? Unsere immense Staatsverschuldung mit den laufend gestiegenen Staatsquoten ist j a wohl im wesentlichen, meine Damen und Herren von der sozialdemokratischen Fraktion, eine Misere, die Sie zu verantworten haben. Diese Politik haben Sie ja leider auch noch fortgesetzt, als die ersten Warnlampen aufleuchteten: Rücktritt Möller und Schiller. Diese „Erblast" werden wir Ihnen so lange vorhalten, solange wir versuchen müssen, wegen dieser Erblast mit harten, harten Einschränkungen Politik zu machen. ({9}) Sie können tätige Reue üben und uns in dieser Frage helfen, das Haus wieder in Ordnung zu bringen. Meine Damen und Herren, ich darf zu einem anderen Thema überleiten, was im Hinblick auf Williamsburg für uns von außerordentlicher Wichtigkeit ist. Das Thema der Europapolitik wird mein Kollege Schwörer ausführlich behandeln, so daß ich darauf hier nicht einzugehen brauche. Die CDU/ CSU begrüßt, daß es möglich war, im Hinblick auf UNCTAD - in Belgrad hat jetzt gerade eine großartige Versammlung mit rund 2 000 bis 3 000 Delegierten begonnen - Zeichen der Hoffnung zu setzen. Die CDU/CSU begrüßt es, daß dieses Zeichen nach Belgrad heißt: Offenhalten der Märkte und Liberalisierung des Handels. Die CDU/CSU begrüßt es, daß die Zeichen nach Belgrad heißen: Stärkung der Investitionstätigkeit, Strukturanpassung, Stärkung der Funktionsfähigkeit des internationalen Währungs- und Finanzsystems. Meine Damen und Herren, nichts kann uns daran hindern, diesen Weg innerhalb der Koalition weiterhin zu beschreiten. Wir warten mit Ruhe auf Ihre Alternative, denn weder Herr Dr. Vogel noch Herr Lahnstein haben außer geballter Kritik bisher in irgendeiner Form eine solche vorgelegt oder erkennen lassen, wie sie sich Lösungen, die wir gemeinsam suchen, vorstellen. ({10}) Es ist zu hoffen, daß die Sozialdemokratische Partei auch über neue Methoden der Gesundung unserer Wirtschaft nachdenkt. Es reicht nicht aus, immer wieder nur Traumtänzereien in bezug auf neue Wachstumsmodelle zu vollführen und, daran anknüpfend, über Beschäftigungsprogramme nachzudenken. ({11}) - Ich verstehe Sie leider nicht. Gerade expansive Ausgabenpolitik hat in Williamsburg eine überzeugende Negierung gefunden. Herr Ehrenberg, ich finde, Sie sollten auch das einmal in Ruhe durchlesen, was in Williamsburg im Blick auf Beschäftigungsprogramme gesagt worden ist. ({12}) Das Gipfeltreffen hat auch eine gemeinsame Grundauffassung der Sieben im Hinblick auf die überzogenen und unrealistischen Vorstellungen der Entwicklungsländer über die Fortentwicklung der Weltwirtschaftsordnung gebracht. Wir verfolgen seit langem mit Sorge, wie schwer westliche Industrieländer sich tun, gemeinsame Konzepte für den Nord-Süd-Dialog zu entwickeln. Es wird häufig nur zögernd reagiert, anstatt energisch entgegenzuhalten. Wenn die Entwicklungsländer die Erfüllung von Forderungen zu Bedingungen erheben, die im Sinne einer liberalen Weltwirtschaft für uns unakzeptabel sind, wird dieses Zögern häufig durch Illusionen genährt, die im Falle von Enttäuschungen bei den Entwicklungsländern dann zu bitteren Reaktionen führen. Die Länder der Dritten Welt haben Anspruch darauf, unsere Positionen eindeutig und unmißverständlich vermittelt zu bekommen. Deshalb begrüßt die CDU/CSU die klare und unzweideutige Stellungnahme und Haltung der Bundesregierung zu den Fragen der UNCTAD-Konferenz, wie sie in Buenos Aires und zum Teil auch in Neu Delhi formuliert worden sind. Wir begrüßen aber ausdrücklich, daß die Entwicklungsländer ihre Bereitschaft zum Dialog bei den vorbereitenden Konferenzen erklärt haben. Ebenso begrüßen wir, daß sie erklärt haben, sie wollten diesmal versuchen, nicht ultimative Forderungen zu stellen, sondern konsultative Gespräche zu führen. Ich freue mich, Graf Lambsdorff, daß Sie in Ihren Ausführungen über die ersten Tage der Konferenz von Belgrad bestätigen konnten, daß die Beratungen bisher in diesem Sinne geführt werden. Aus diesen Gründen finde ich es auch konsequent, daß der Gipfel in Williamsburg seinerzeit die Bereitschaft zur konstruktiven Zusammenarbeit signalisiert hat. ({13}) Die CDU/CSU hofft, daß die Chance in Belgrad genutzt wird, der Gruppe 77 verständlich zu machen, daß jedes Verlangen nach einer neuen Weltwirtschaftsordnung im Sinne von mehr Dirigismus und Abbau eines fairen Wettbewerbs keine Chance der Verwirklichung haben wird. Wir haben leider genügend Sündenfälle erlebt, die solche Warnungen angebracht erscheinen lassen. Die Ergebnisse der Seerechtskonferenz auf dem Gebiet des Tiefseebergbaus sind in diesem Zusammenhang besonders erwähnenswert. Die dort getroffenen, ordnungspolitisch unvertretbaren Lösungen sind illusionär, schädlich und nur schwer wieder zu reparieren. ({14}) Die Koalitionsparteien haben deshalb einen gemeinsamen Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag eingebracht, in dem sie ihre konkreten Vorstellungen zur 6. Konferenz der UNCTAD in Belgrad formulieren. Über diesen Antrag wird wahrscheinlich nächste Woche hier diskutiert werden. Ich bin sicher, daß es möglich sein wird, daß beinahe das ganze Haus diesem Antrag zustimmt. Es ist auch außerordentlich erfreulich, daß in Williamsburg festgestellt worden ist, daß Währungspolitik kein Ersatz für Entwicklungspolitik sein darf. ({15}) Ich sage dies vor allen Dingen deshalb, weil in diesem Haus in dieser Frage nicht immer Einheitlichkeit zu bestehen scheint. Es besteht weiterhin auch die Überzeugung der Industrieländer, die in Williamsburg formuliert worden ist, daß der IWF im Rahmen seines währungspolitischen Mandats den besonderen Bedürfnissen der Entwicklungsländer Rechnung trägt, wobei Verbesserungen dort - und darin bin ich mit dem, was Herr Lahnstein gesagt hat, einig -, wo verantwortbar, getragen werden müssen. Dies ist dann aber auch die beste Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Partnern: Industrieländer und Entwicklungsländer. Ein anderer Aspekt ist wichtig. Wohldurchdachte, an den Kapazitäten und Fähigkeiten der Entwicklungsländer orientierte Programm- und Projekthilfe ist mit Sicherheit wirkungsvoller und daher auch konsequent effektiver als der Versuch, durch allgemeine Geldspritzen Unruhe und Erwartungen zu erzeugen, die letztlich nicht erfüllt werden können. Deshalb sind die Ausführungen von Herrn Vogel heute morgen, die dahin verstanden werden können - ich hoffe, ich habe das fehlverstanden -, daß eine neue Art Marshallplan für Entwicklungsländer gebildet werden könnte, nicht gerade sehr erfreulich. Die CDU/CSU unterstützt die Bundesregierung in ihrer Grundauffassung, sich jeder grundsätzlichen Veränderung bestehender Organisationen auf internationaler Ebene zu widersetzen. Es ist den Entwicklungsländern zuzustimmen, wenn sie Forderungen nach Abbau von Protektionismus und nach Verbesserung des Marktzugangs in den Industrieländern artikulieren. Es liegt auch an uns Parlamentariern, daß hier mehr geschieht, als daß lediglich Lippenbekenntnisse abgegeben werden. Denn gerade in der Frage des Protektionismus haben auch wir noch einen gewissen Nachholbedarf, Hürden abzubauen. Entgegen allen negativen Prophezeihungen hat der Ost-West-Handel nur eine untergeordnete Rolle in Williamsburg gespielt. Auch von dieser Stelle aus ist dem Bundeskanzler dafür zu danken, daß er sich mit seiner Auffassung und seiner Bewertung durchgesetzt hat. Wir werden bestimmt bald Gelegenheit haben, uns grundsätzlich über die Probleme des Ost-West-Handels in diesem Hause zu unterhalten. Deshalb kann diese Frage, glaube ich, heute dahingestellt bleiben. Ich glaube, wir handeln alle klug, wenn wir ohne sterile Aufgeregtheit die Bundesregierung bitten, den eingeschlagenen Weg einer Verständigung zwischen den westlichen Industrieländern in dieser Frage weiterzugehen. Das Treffen von Williamsburg hat durch eine Vielzahl von vernünftigen und konstruktiven Anregungen der wirtschaftspolitischen Vertrauensbildung gedient. Dies wird auch durch das, was Herr Lahnstein vorhin dazu ausgeführt hat, nicht kaputtgemacht. Die erkannte enge Zusammenarbeit zwischen Wirtschaftswachstum, freiem Welthandel und Finanzierung zwingt nicht nur zur Anpassung und zu enger Zusammenarbeit der führenden Industrieländer, sondern zwingt auch die internationalen Wirtschaftsorganisationen GATT, OECD und IWF zu einer gleichen Art von Kooperation. Und wenn dieses Signal von Williamsburg verstanden wird, wird es sehr erfreulich werden. Wir werden viel Geduld und Nerven haben müssen, bis das gemeinsame Ziel einer Stabilisierung der Weltwirtschaft zum Nutzen aller verwirklicht wird. Die am Gipfel Beteiligten werden jetzt zu Hause ihre Aufgaben erfüllen müssen. Die CDU/CSU hat keine Zweifel daran, daß die Bundesrepublik Deutschland mit Unterstützung der Koalitionsparteien und vielleicht auch ein bißchen mit Unterstützung der SPD - bei der anderen Fraktion wage ich es gar nicht anzudeuten - ihren Beitrag leisten wird. ({16})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Jens.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es war einheitliche Meinung aller Kommentatoren in unserer deutschen Presse: Der Gipfel von Williamsburg hat wirklich nicht zur Lösung unseres binnenpolitischen Problems Nummer eins, nämlich der Arbeitslosigkeit, beigetragen. Es ist wichtig, daß wir hierüber reden, Herr Kollege Kittelmann. Der Gipfel ist kaum zu Ende, und schon steigen wieder die Zinsen. Schon tragen steigende Zinsen wieder dazu bei, daß die Investitionstätigkeit nicht weiter steigt, sondern eher wieder in den Keller geht. Im Gegensatz zur Strategie der damaligen Opposition hoffen wir Sozialdemokraten, daß die Stagnationsphase endlich überwunden ist. Aber die Auftragsentwicklung im April muß uns alle wieder bedenklich stimmen. Gerade heute war zu lesen, daß das Baugewerbe erneut mit rückläufiger Auftragsentwicklung rechnet. Ich glaube, wir müssen mehr tun, um das innenpolitische Problem Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Selbst wenn die deutsche Wirtschaft in den nächsten vier Jahren ein reales Wachstum von 3 % erreicht - ein ehrgeiziges Ziel -, ({0}) wird die Arbeitslosenquote 1987 noch immer bei 9 % oder 2,3 Millionen Arbeitslosen liegen. Ein Wachstum des Bruttosozialprodukts löst das Problem der Arbeitslosigkeit also nicht, obgleich viele Wähler, die diesmal die CDU/CSU gewählt haben, dies offenbar geglaubt haben. Das entscheidende Kriterium für Erfolg oder Mißerfolg dieser neuen Regierung ist nicht etwa der Abbau der Verschuldung um 1 oder 2 Milliarden DM und ist nicht etwa die Frage, ob wir 1 oder 2 % mehr Wirtschaftswachstum haben. Das entscheidende Kriterium für Erfolg oder Mißerfolg dieser neuen Regierung ist vielmehr, ob es ihr gelingt, die Arbeitslosigkeit zu verringern. Im Mai 1982, also zur Zeit der sozialliberalen Koalition, hatten wir 1,6 Millionen Arbeitslose. Im Mai 1983 waren es bereits 2,2 Millionen. Die stellvertretende Vorsitzende der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft, CDA, Frau Blättel, meint deshalb - ich zitiere, Herr Präsident -: In schönem Warten, im Stil einer heilen Welt können weder Arbeitslose noch solche Arbeitnehmer, die um ihren Arbeitsplatz bangen, eine neue Zuversicht erblicken. Die Ablehnung ei594 nes Beschäftigungsprogramms sei eine glatte Fehlentscheidung dieser Regierung. Meine Damen und Herren, zum Jahresbeginn gab es in der Europäischen Gemeinschaft rund 12 Millionen Arbeitslose. Das sind 11 % aller Erwerbspersonen. Besonders beunruhigend ist dabei, daß mittlerweile einer von fünf Jugendlichen ohne Arbeit ist und die jungen Menschen unter 25 Jahren mehr als 40 % der Arbeitslosen ausmachen. Ein solcher Zustand anhaltender Unterbeschäftigung kann weder aus wirtschafts- noch aus gesellschafts-, noch aus allgemeinpolitischen Gründen hingenommen werden. Die Selbststeuerungskräfte des Marktes - ich halte persönlich sehr viel davon - sind aber nach den Erfahrungen der letzten Jahre offenbar nicht in der Lage, eine weitere Zunahme der Arbeitslosenzahl zu verhindern. Bei weiterer beschäftigungs- und wachstumspolitischer Lethargie droht eine Verschärfung. Dabei müssen wir davon ausgehen, daß die schwierige Lage auf dem Arbeitsmarkt protektionistischen Tendenzen in der EG noch Vorschub leistet. Vor kurzem haben die wesentlichen Fachverbände aus der psychosozialen Versorgung eine Denkschrift vorgelegt, in der die Massenarbeitslosigkeit analysiert wird. Arbeitslosigkeit heißt danach immer noch wirtschaftliche Verarmung und sozialer Abstieg. Nur 60 % der arbeitslos Gemeldeten erhalten überhaupt Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe. Die Nöte der Arbeitslosen kann wohl nur der richtig verstehen, der es einmal selber gewesen ist. Bleiben wir deshalb bei den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Arbeitslosigkeit! Diese heißen nach Aussagen der psychosozialen Verbände: Steigerung der Kriminalität, insbesondere bei Jugendlichen, Zunahme der Drogenabhängigkeit, Selbsttötung oder Selbsttötungsversuche, Verstärkung von Alkoholismus, Zunahme von Erkrankungen aller Art. Dabei ist der Krankenstand in der letzten Zeit zweifellos erheblich gesunken, aber deshalb, weil viele Arbeitnehmer Angst haben, selbst berechtigten Krankmeldungen zufolge etwa entlassen zu werden. Wenn ein Kanzler wie der jetzige ständig von geistiger Erneuerung spricht, muß man zumindest erwarten, daß er die geistigen Strömungen und vor allem die brennenden Probleme unserer Zeit erkennt und dementsprechend handelt. Um die Beschäftigungsperspektiven zu verbessern, ist für das Bundesministerium der Wirtschaft ein nachhaltiger Aufschwung der Investitionstätigkeit erforderlich. Für die Investitionstätigkeit ist angeblich entscheidend: Nachfrageentwicklung, Ertragslage, Ertragserwartung. Ich kann diese Argumente gut verstehen. Die Argumente sind jedoch einseitig und zu kurz gegriffen. Seit 1973 ist die Zahl der Erwerbstätigen im marktwirtschaftlich arbeitenden Bereich nicht mehr gestiegen. Nur in der Zeit von 1977 bis 1980 gab es eine Zunahme der Erwerbstätigen, und zwar im Zusammenhang mit dem Zukunftsinvestitionsprogramm. 350 000 Arbeitsplätze sind nach wissenschaftlichen Berechnungen dadurch gesichert und geschaffen worden. Ich bin langsam davon überzeugt, diese Regierung will wirklich eine gewisse Arbeitslosigkeit erhalten. ({1}) - Warum negieren Sie dann in der Öffentlichkeit, Herr Wissmann, beharrlich die Wirkungen dieses Zukunftsinvestitionsprogrammes, die auch vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung herausgestellt wurden? ({2}) Um unternehmerische Investitionen anzuregen, geht es ja doch nicht nur um Ertragserwartungen, sondern es geht vor allem um die Frage, ob die Rendite aus den Sachinvestitionen höher ist als der Zins auf dem Kapitalmarkt. Ich stehe bestimmt nicht in dem Verdacht, dem Herrn Regan, dem Finanzminister in Amerika, etwa das Wort zu reden. Aber der Herr Regan hat natürlich recht, wenn er sagt: es gibt keinen zwingenden Kausalzusammenhang zwischen der Höhe der Zinsen und der Höhe des Haushaltsdefizites. Einen zwingenden Kausalzusammenhang gibt es in der Tat nicht. Aber es gibt einen zwingenden Kausalzusammenhang zwischen der Höhe der Zinsen und einer abnehmenden Investitionstätigkeit. Das hat die Regierung, die zur Zeit amtiert, offenbar noch nicht begriffen. Unsere Regierung erweckt in der Öffentlichkeit den Anschein, als ob sie sich um die weitere Entwicklung der Beschäftigung und um die Ausbildung junger Menschen sorgt. ({3}) Tatsächlich geschieht jedoch recht wenig, das diese Erwartungen etwa rechtfertigt. Mit ihrer Politik nimmt die Bundesregierung bewußt in Kauf, die Arbeitslosigkeit auch als Waffe der Disziplinierung der Arbeitnehmerschaft im Verteilungskampf einzusetzen. ({4}) Sie nimmt bewußt Wachstumseinbußen und Einkommensverluste in Kauf. Sie nimmt in Kauf, daß ein großer Teil der verfügbaren Kapazitäten an Arbeitskräften ungenutzt brachliegt, ({5}) daß die Systeme der sozialen Sicherung aus dem finanziellen Gleichgewicht geraten und hier immer neue Kürzungen erzwungen werden, so daß sich schließlich eine industrielle Reservearmee von Arbeitslosen bildet und damit eine Spaltung der Arbeitsgesellschaft in Beschäftigte und Arbeitslose erfolgt.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kittelmann? - Bitte sehr.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Jens, da Sie j a wissen, daß die heutigen Arbeitslosen leider schon arbeitslos waren, als Sie noch an der Regierung waren, ({0}) frage ich Sie: Wie würden Sie die Motivationen erklären, als Sie versuchten, mit dem Arbeitslosenproblem fertig zu werden, nachdem Sie uns dauernd hier Böswilligkeit und Bösartigkeit unterstellen?

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kittelmann, Sie haben mir eben nicht zugehört. Ich habe gesagt: Wir hatten im Mai 1982, als wir noch an der Regierung waren, 1,6 Millionen Arbeitslose, und wir haben im Mai 1983, wo Sie jetzt an der Regierung sind, 2,2 Millionen Arbeitslose. Das sind 600 000 Arbeitslose mehr, und das sind mindestens 600 000 Arbeitslose zuviel.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Noch eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Kittelmann.

Peter Kittelmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001106, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Dr. Jens, Sie kennen doch die Berechnungen, die als schwere Sorge auf Ihrer früheren Regierung lasteten. Sie haben in dem hinter uns liegenden Winter eine sehr viel höhere Arbeitslosigkeit angenommen, als tatsächlich eintrat. Sie können das doch nicht alles vergessen haben. Wie wollen Sie das erklären?

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die Arbeitslosigkeit ist in der Tat seit Ihrer Regierungsübernahme im September vorigen Jahres kräftig gestiegen. ({0}) Das ist für mich ein Indiz dafür, daß Ihre Behauptungen überhaupt nicht stimmten. ({1}) Damals, als Sie noch in der Opposition waren, haben Sie sich hingestellt und behauptet: Wenn wir dran sind, dann läuft alles wieder, und dann wird die Arbeitslosigkeit weniger. ({2}): Nachts ist es kälter als draußen!) Aber nichts läuft, überhaupt nichts läuft. Im Gegenteil, die Arbeitslosigkeit steigt recht kräftig. ({3}) Der SPD geht es im Gegensatz zu der von der Bundesregierung praktizierten einseitigen Angebotspolitik um einen Solidarpakt zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. ({4}) Im Mittelpunkt steht dabei ein verstärkter mittelfristiger Ausbau der öffentlichen Infrastruktur in ausgewählten wachstums- und beschäftigungspolitisch besonders wichtigen Schwerpunktbereichen: Umwelt, Energieversorgung, Industrieansiedlung, Stadtkernsanierung usw. Hierdurch sollen drei Wirkungen erzielt werden: unmittelbare Erhöhung und mittelfristige Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, Verbesserung der Angebotsbedingungen der öffentlichen Infrastruktur, Erleichterung struktureller Umstellungen und Anpassungen sowie Förderung industrieller Neuansiedlungen. Staatliche Beschäftigungs- und Wachstumsvorsorge sind selbstverständlich durch Maßnahmen der privaten Investitionsförderung zu ergänzen. Die von der Regierung vorgesehene Verwendung von 3,5 Milliarden DM aus der Mehrwertsteuererhöhung vom 1. Juli 1983 entspricht dieser Forderung nicht. Sie ist beschäftigungs- und wachstumspolitisch weitgehend unwirksam, weil sie in viele Verwendungszwecke zersplittert. Als Flankierung für die Stärkung der öffentlichen und privaten Investitionen ist eine Kürzung der Arbeitszeit in der unmittelbaren Verantwortung der unabhängigen Tarifvertragsparteien unbedingt notwendig. Ich muß Ihnen sagen, ich finde es langsam zum Kotzen - ich nehme an, das ist kein parlamentarischer Ausdruck, Herr Präsident - ({5})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Welcher Ausdruck war das? ({0})

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich finde es gesellschaftspolitisch kriminell, wenn sich der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände immer noch hinstellt und sagt, Arbeitszeitverkürzung jedweder Art käme für ihn überhaupt nicht in Frage. Da lobe ich mir doch den alternden Bundesminister für Wirtschaft, der mittlerweile auf diesem Felde ja schon manches dazugelernt hat. Meine Damen und Herren, einige Bemerkungen zu den ordnungspolitischen Problemen dieser Regierung. Auch für uns ist die Senkung der Schulden des Bundes ein wichtiges Ziel. Diese Regierung will aber kurzfristig die Verschuldung mit Krampf reduzieren und steigert dabei die Arbeitslosigkeit. ({0}) Warum lernen Sie nicht aus den Erfahrungen, die England und die Vereinigten Staaten gemacht haben? Dort hat man jetzt eine hohe Verschuldung und hohe Arbeitslosigkeit. ({1}) In wenigen Tagen wird der Arbeitskreis Steuerschätzung wieder tagen. Ich befürchte, Herr Matthöfer, daß dieser Arbeitskreis zu dem Ergebnis kommen wird, daß die Steuereinnahmen für die absehbare Zukunft erneut rückläufig sind. Damit haben Sie wieder ein größeres Haushaltsdefizit, als Sie zur Zeit noch glauben. Wie jedermann sieht, wird die Verschuldung mit der jetzigen Finanzpolitik kaum abgebaut, weil ständig neue unkalkulierbare Kosten der Arbeitslosigkeit entstehen. Der Staatssektor wird kaum zurückgedrängt, weil die Sozialausgaben kräftig steigen. Ich hätte mir gewünscht, daß die Industrienationen in Williamsburg eine etwas expansivere Finanzpolitik in den Ländern mit niedrigeren Preissteigerungsraten - dazu gehört auch die Bundesrepublik Deutschland - vereinbart hätten. Die jetzt im Haushalt 1984 vorgesehenen Maßnahmen sind eher die Antwort auf lautes und undifferenziertes Interessentengeschrei. ({2}) Damit der Mittelstand auch ein Trostpflaster bekommt, soll es eine 10%ige Sonderabschreibung für neue bewegliche Anlagegüter mit einem Einheitswert bis zu 50 000 DM geben. Die meisten Firmen müssen übrigens erst zum Finanzamt laufen, um den Einheitswert auszuhandeln. Auf diese maßlose Bürokratismusentwicklung wird von den Unternehmen mit Sicherheit verzichtet werden, Herr Bundeswirtschaftsminister. Von der Deutschen Bundesbank kann man zur Zeit nicht erwarten, daß sie geldpolitische Maßnahmen ergreift; denn sie hat die geldpolitischen Voraussetzungen für einen Wiederaufschwung geschaffen. Wir Sozialdemokraten sind bei den letzten Wahlen ungerechterweise auf die Zeit Anfang der 60er Jahre zurückgeworfen worden. Das heißt jedoch nicht, daß diese neue Regierung auch zu den wirtschaftspolitischen Maßnahmen von Anfang der 60er Jahre zurückkehren müßte. Wachstumsförderung und Seelenmassage reichen für unsere Probleme von heute beim besten Willen nicht mehr aus. ({3}) Wir Sozialdemokraten neigen dazu, das psychologische Element in der Wirtschaftspolitik ein wenig geringzuschätzen - das gebe ich gerne zu -, aber die Konservativen bilden sich offenbar ein, daß Psychologie alles sei. Das ist aber ein großer Irrtum. Mit Zureden sind die Probleme von heute beim besten Willen nicht zu lösen. ({4}) Während Ministerpräsident Späth, bekanntlich Ihr Mann, davon redet, daß wir zur Problemlösung einen starken Staat brauchten, ist diese Regierung in Bonn dabei, sich aus der Gestaltung unserer Wirtschaft und aus der Gestaltung unserer Wirtschaftsordnung zurückzuziehen. Unseren relativen Wohlstand haben wir im übrigen weitgehend dem sekundären Sektor, der deutschen Industrie, zu verdanken. Aber gerade weite Bereiche der Industrie befinden sich heute in einer Krise und leiden unter den weltwirtschaftlichen Veränderungen. ({5}) Auch für uns Sozialdemokraten gilt im übrigen das Subsidiaritätsprinzip in der Wirtschaft. ({6}) Das heißt konkret: Der Staat soll nichts tun, was die Wirtschaft selbst tun könnte. Aber die Verantwortung für Umweltschutz, für Wettbewerb, für Preisstabilität und für hohe Beschäftigung kann man niemals den Unternehmen oder den Tarifvertragsparteien überlassen. Hier ist der Staat gefordert. Ein hoher Beschäftigungsstand wird bekanntlich durch das Stabilität-und-Wachstum-Gesetz auch dieser Regierung abgefordert. Ein Mann, der bestimmt nicht im Verdacht steht, Sozialdemokrat zu sein, der Bankier Freiherr von Bethmann, schrieb vor kurzem in der „Wirtschaftswoche", einer Zeitschrift, die ebenfalls nicht in Verdacht steht, der SPD zuzuneigen - ich zitiere -: In der Welt und in der Politik ist die Blindheit des Bewahrers immer viel gefährlicher als die Bosheit der Zerstörer. Alles deutet darauf hin, daß sich in den kommenden Jahren trotz der proklamierten moralischen Wende die Gegensätze in unserer fortgeschrittenen freiheitlichen Gesellschaft weiter verschärfen, und zwar einmal der Gegensatz zwischen jenen, die Arbeit haben, und jenen, die trotz Fähigkeit und Willigkeit nichts bekommen, und zum anderen der Gegensatz zwischen jenen, die Aussicht auf materiellen Erfolg haben, und jenen, die überkommene gesamtgesellschaftliche Normen nicht mehr akzeptieren. Die Politik dieser Regierung jedenfalls fördert das egoistische Denken der Menschen ({7}) und zerstört eine solidarische Gesellschaft. Mit den Idealen und den Rezepten der 60er Jahre, meine Damen und Herren, sind die Probleme der 80er Jahre nicht mehr zu lösen. - Vielen Dank. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gerstein.

Ludwig Gerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Kollege Jens, Sie haben am Anfang Ihrer Rede hier den Eindruck vermittelt, wir, die CDU/CSU-Fraktion oder die Bundesregierung wollten diese Arbeitslosigkeit. Ich möchte diesen Vorwurf ganz energisch zurückweisen ({0}) und Ihnen den Vorwurf machen, daß Sie offensichtlich weder die Verlautbarungen von Williamsburg, die gerade dieses Problem zu ihrem zentralen Thema gemacht haben, noch die Regierungserklärung des Bundeskanzlers von heute morgen zur Kenntnis genommen haben, in der der Bundeskanzler erklärt hat, die dringendste Aufgabe unserer Wirtschaftspolitik sei die Überwindung der Arbeitslosigkeit. Das war richtig. ({1}) Herr Jens, lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen - ich nehme an, andere Kollegen werden auch noch auf ihren Beitrag eingehen -: ({2}) Sie haben von den schlechten Erfahrungen mit den Selbststeuerungskräften des Marktes in den letzten Jahren gesprochen. Haben Sie einmal darüber nachgedacht, ob nicht vielleicht eine Ursache dafür darin liegt, daß Sie diese Selbststeuerungskräfte des Marktes wiederholt behindert haben? ({3}) - Lieber Kollege Matthöfer, ich finde es sehr angenehm, daß sie es mir über das Stichwort „Steinkohle" erleichtern, jetzt auf meinen Beitrag zu kommen. Ich möchte mich mit ein paar Fragen der Energiepolitik beschäftigen. Meine Damen und Herren, Sie wissen, die Energiepolitik hat auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg keine Hauptrolle gespielt. Dies lag sicher daran, daß auf den Energiemärkten der Welt zur Zeit eine entspannte Versorgungssituation herrscht und daß die Einsparungen und die sinkenden Preise, vor allen Dingen beim Öl, dieses Thema ein wenig aus den Schlagzeilen der Weltpolitik haben verschwinden lassen. Gleichwohl, es gibt auf diesem Sektor eine Reihe von Problemen, die weiterbestehen. Und es gibt neue Probleme, Probleme, die jetzt hinzukommen; wir haben in der letzten Sitzungswoche über die Frage des Waldsterbens diskutiert. Es ist richtig, Herr Matthöfer: Insbesondere für die deutsche Steinkohle sind neue Probleme aufgetreten. Lassen Sie mich daran erinnern: Die Bundesregierung hat seit der Regierungsübernahme mehrfach durch Wort und Tat ihren Willen bekräftigt - ich zitiere hier aus dem Jahreswirtschaftsbericht vom 26. Januar 1983, der ja auch Gegenstand dieser Debatte ist -, die in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms festgelegte Kohlepolitik fortzusetzen. Die Bundesregierung hat, wie sie im Jahreswirtschaftsbericht zum Ausdruck gebracht hat, wie bisher das Ziel, die deutsche Steinkohle optimal für unsere Energieversorgung zu nutzen. Es war diese Bundesregierung, die dem Bergbau durch die Regelung der Kokskohlebeihilfe vom 19. November 1982 sogar eine Senkung des sogenannten Selbstbehalts von 14 DM auf 4 DM je Tonne ermöglicht hat, und es war auch diese Bundesregierung, welche die Verlängerung der Anpassungsgeldregelung für ausscheidende Arbeitnehmer im Steinkohlebergbau, die Verschiebung des Rückkaufs der nationalen Kohlereserve und die Fortsetzung des Schutzes der deutschen Kohle gegen Importkohle als zusätzliche Maßnahmen auf Grund geänderter allgemeinwirtschaftlicher Bedingungen und Daten vereinbart hat. ({4}) - Doch, das ist im Rahmen der Marktwirtschaft geschehen! Es heißt j a „Soziale Marktwirtschaft", und im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft ist es durchaus möglich, für besondere Tatbestände, die gerade im Bereich der Energiepolitik vorliegen, auch besondere Maßnahmen zu treffen. Das schließe ich doch gar nicht aus. Dies wollte ich zu Beginn meiner Ausführungen als Antwort auf die Vorwürfe anmerken, die aus Ihren Reihen, Herr Matthöfer, in den letzten Tagen unter dem Stichwort „Die Konservativen polemisieren gegen die Kohle" erhoben worden sind, als Antwort auch auf die vor allem im Ruhrrevier geführte Kampagne, nach der eine Änderung der Kohlevorrangpolitik der Bundesregierung Zehntausende von Arbeitsplätzen im Steinkohlebergbau gefährden würde. Meine Damen und Herren, niemand von uns will die Diskussion über den sauren Regen - die dazu j a auch viel zu ernst ist - dazu benutzen, etwa eine Abkehr von der Kohlevorrangpolitik einzuleiten, wie das wiederum der Kollege Wolfram in der Debatte zum Antrag der SPD „Notprogramm gegen das Waldsterben" am 20. Mai 1983 geargwöhnt hat. Ich will nicht näher darauf eingehen. Aber wenn wir in diesem Stil argumentieren wollen, dann müßte man auch noch einmal analysieren, was während der Zeit Ihrer Regierungspolitik, der Regierungspolitik der SPD, unter dem Stichwort „Kohlevorrangpolitik" wirklich passiert ist. Immerhin sind von 1969 bis 1981 29 Zechen im Steinkohlenbergbau der Bundesrepublik stillgelegt worden; die Zahl der Beschäftigten hat um mehr als 60 000 abgenommen. Das mache ich Ihnen nicht zum Vorwurf. Nur, wenn man jetzt wegen einer Zechenstillegung meint urteilen zu können, die Energiepolitik habe sich geändert, dann ist das im Lichte dieser Betrachtung natürlich falsch. Meine Damen und Herren, wir halten an dem Grundsatz Kohle und Kernenergie fest. Das hat dazu geführt, daß durch die Straffung des Genehmigungsverfahrens erstmals nach Jahren, nach dem Regierungswechsel wieder mit dem Bau neuer Kernkraftwerke begonnen werden konnte. Sie wissen alle, daß die längst fällige Regelung der Finanzierung fortgeschrittener Reaktoren, Hochtemperaturreaktor und Schneller Brüter, auf den Weg gebracht worden und damit die Fertigstellung dieser Reaktoren gesichert ist. Ich meine, durch diese klaren Entscheidungen der Bundesregierung ist der Energiewirtschaft Sicherheit für die weitere Planung verschafft worden. ({5}) Nun kann man - Herr Matthöfer, jetzt komme ich auf die Marktwirtschaft zurück - Energiepolitik natürlich nicht nur auf das stereotype Wiederholen von Grunsatzerklärungen begrenzen, sondern man muß die als langfristig gültig erkannten Prinzipien auch im Lichte der aktuellen Entwicklung anwenden und gegebenenfalls Entscheidungen überprüfen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer?

Ludwig Gerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Bitte, es sollte aber die einzige sein, weil ich sonst in Zeitnot komme.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe eine Wissensfrage, die ist gar nicht polemisch. - Sie haben gesagt, es sei mit dem Bau neuer Kernkraftwerke begonnen worden. Können Sie mir sagen, mit welchem Bau von neuen Kernkraftwerken begonnen worden ist?

Ludwig Gerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Beispielsweise mit dem Bau in Neckar-Westheim 2; es sind insgesamt drei Kernkraftwerke. ({0}) Das andere ist Lingen; das dritte fällt mir im Moment nicht ein. ({1}) - Ja, nun, zwei ist hier die Mehrzahl.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Wird nachgeliefert, Herr Matthöfer.

Ludwig Gerstein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000668, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich wollte darauf hinweisen, daß sich seit der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms einige Faktoren in der Energielandschaft geändert haben. Erstens. Der Energieverbrauch ist nicht angestiegen, sondern gesunken. Das sind in den letzten drei Jahren immerhin etwa 46 Millionen Tonnen Steinkohleneinheiten gewesen. Zweitens. Die Preise auf den internationalen Energiemärkten - ich sagte das schon am Anfang - sind als Folge der aktuellen Überflußlage zurückgegangen, vor allen Dingen die Ölpreise. Drittens. Die Umstrukturierung unseres Energieverbrauchs ist vorangekommen. Die Importabhängigkeit ist zwar noch groß, sie hat sich jedoch vermindert. Insbesondere hat sich der Mineralölverbrauch seit 1979 noch einmal um ein Viertel verringert. Vielleicht sollte man in dieser Diskussion auch einmal sagen, daß die Mineralölwirtschaft diesen Einschnitt allein, ohne öffentliche Hilfen, verkraftet hat. Man sollte das angesichts mancher Preisbewegungen im Bereich der . Mineralölwirtschaft für diesen Wirtschaftszweig einmal positiv anerkennen. ({0}) Viertens. Der Rückgang des Energieverbrauchs, den wir im Prinzip begrüßen, hat an einigen Stellen aber auch negative Züge, und zwar vor allen Dingen dann, wenn wir den Bereich der Stahlwirtschaft hier nennen. Morgen früh findet eine Aktuelle Stunde zur Stahlkrise statt; ich brauche darauf jetzt nicht näher einzugehen. Ich möchte an dieser Stelle nur darauf aufmerksam machen, daß die eigentliche Ursache der gegenwärtigen Probleme des deutschen Steinkohlenbergbaus eben tatsächlich der nicht vorhersehbare Rückgang des Verbrauchs beim Stahl ist. Lassen Sie mich einen fünften Punkt nennen, hinsichtlich dessen sich die Bedingungen - das ist das, was wir in der letzten Sitzungswoche diskutiert haben - geändert haben. Der Umweltschutz erfordert - das ist heute allen deutlicher geworden - eben zusätzliche Maßnahmen bei der Energieumwandlung, insbesondere fossiler Brennstoffe, in verschiedenen Bereichen. Nun treffen diese Veränderungen die verschiedenen Energieträger natürlich verschieden stark. Es ist nun einmal bedauerlich - man muß das feststellen -, daß am meisten von allen diesen Änderungen die deutsche Steinkohle betroffen ist und daß sich daraus Halden ergeben, die immerhin inzwischen einschließlich der nationalen Kohlereserve 34,4 Millionen t in der Bundesrepublik erreicht haben. Erfreulich ist vielleicht, daß der Haldenzugang im Mai nur noch 90 000 t betragen hat. Aber daraus abzuleiten, daß die Probleme beseitigt seien, wäre sicherlich zuviel gesagt. Ich glaube, wir dürfen nicht übersehen, daß zwischen dem Umweltschutz, wie er heute gefordert wird, und der Kohleverfeuerung, wie sie zur Zeit noch überwiegend betrieben wird, ein echter Zielkonflikt besteht. Wir können das j a auch ganz deutlich in der politischen Landschaft sehen, wenn wir betrachten, wie groß der Streit innerhalb der Sozialdemokratie in Nordrhein-Westfalen über diese Frage ist. Hier wird der Zielkonflikt, der besteht und den wir nicht unter den Teppich kehren sollten, in einem Kabinett ganz deutlich sichtbar. Dennoch: Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Verschärfungen der Großfeuerungsanlagen-Verordnung hat auch die Landesregierung von NordrheinWestfalen mitgetragen, wohl wissend um die Belastungen, die sich daraus für die Verwendung von Kohle ergeben können. Sie sind einbezogen. Meine Damen und Herren, die Kohlevorrangpolitik, wie wir sie verstehen, im Sinne einer offensiven Kohlepolitik und nicht einer konservierenden, verlangt, daß man eben nicht spekuliert, wieviel Arbeitsplätze gefährdet sein könnten, sondern daß man alles daransetzt, die Arbeitsplätze zu sichern. Dies auf den Beitrag des Kollegen Wolfram in der Debatte über das Waldsterben bezogen: Nicht Panikmache, sondern kluge Besonnenheit ist jetzt gefragt, wenn wir die Probleme des deutschen Steinkohlebergbaus auch unter erschwerten Bedingungen lösen wollen. ({1}) Wir gehen in diesem Zusammenhang davon aus, daß der Jahrhundertvertrag zwischen Bergbau und Elektrizitätswirtschaft auch unter erschwerten Bedingungen eingehalten werden kann. Dazu müssen wir aber sehr viel darauf konzentrieren - das ist natürlich im wesentlichen ein Appell an die Industrie selbst -, daß die zur Verfügung stehenden modernen Kraftwerkstechniken möglichst schnell eingesetzt und neue Entwicklungen forciert werden. Wir müssen aber auch darüber nachdenken, wie die Kosten zu tragen sind, die hier entstehen - gelegentlich kommen die Kosten in der Debatte zu kurz -, und auf welche Weise die finanziellen Spitzenbelastungen, die sich auch regional aus dem unGerstein terschiedlichen Anteil der Kohle an der Stromerzeugung und bei einzelnen Unternehmen ergeben, ausgeglichen werden können, und zwar nicht nur von den Kosten und Preisen her, sondern auch, um damit zu erreichen, daß beispielsweise Altanlagen möglichst rasch durch umweltfreundlichere Neuanlagen ersetzt werden können. Wie dieses Problem zu lösen ist, darüber muß sicher noch sehr sorgfältig nachgedacht werden. Ich darf zum Schluß meiner Ausführungen noch einmal ganz deutlich sagen, auch angesichts der Vorwürfe der Sozialdemokratie im Ruhrgebiet: In Bonn existieren keine Stillegungspläne für die Kohle. Es gibt auch keine Absicht einer amtlichen Reduzierung von Kapazitäten. Es hat auch nie amtliche Kapazitäten gegeben. Es bleibt bei der Zusage der Bundesregierung aus dem Jahreswirtschaftsbericht, gemeinsam mit den betroffenen Ländern den deutschen Steinkohlebergbau und seinen Beschäftigten auch weiterhin die Unterstützung zu geben, die zur Überwindung der Schwierigkeiten unausweichlich ist und die im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten liegt. Damit behält der Bergbau eine langfristige Perspektive für seine Planung. Ich nehme jedoch - das will ich zum Schluß sagen - den Vorschlag des nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministers Jochimsen - ausnahmsweise ein guter Vorschlag - gern auf, an einer neuen Kohlenrunde vor diesem Hintergrund die aktuellen Fragen einschließlich der in den kommenden Jahren zu erwartenden Absatzmöglichkeiten zu erörtern. Meine Damen und Herren, die Beschäftigten im Steinkohlebergbau können sich auf die Zusagen der CDU/CSU in bezug auf den langfristig zu sichernden Platz des Bergbaus in unserer Energielandschaft verlassen. ({2}) - Das ist sehr lange her. Von 120 Millionen t auf 80 Millionen t bei Ihnen. Danke schön. ({3})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Krizsan.

Julius H. Krizsan (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001220, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Freunde! Wir von den GRÜNEN bezweifeln grundsätzlich den Sinn solcher Veranstaltungen, wie es der letzte Wirtschaftsgipfel in Williamsburg war. Seit langem schon sind sie höchstens noch geeignet, den Bevölkerungen der jeweiligen Gipfelstaaten und der ganzen Welt den Eindruck zu vermitteln, man gehe zielstrebig die derzeitigen Probleme der Weltwirtschaft an. Als Thema der Augenwischerei hatte man sich für Williamsburg offensichtlich das in der Tat bestehende Problem der weltweiten hohen Zinsen ausersehen. In Wirklichkeit war der Gipfel der Ausdruck von Ratlosigkeit bei Ihnen allen und auch der Verlogenheit. Trotzdem, meinen wir, muß über die Auswirkungen dieses Spektakels geredet werden. Der Bundeskanzler hat in Williamsburg eine Erklärung unterzeichnet, die zeigt, daß er sich überall um Konsens bemüht, auch um den Preis, daß dabei nichts herauskommt. Dieser Gipfel hat keinem der hungernden Menschen in der Dritten Welt geholfen - inzwischen sind das schon weit mehr als eine Milliarde - und auch keinem der über 32 Millionen Arbeitslosen in den Teilnehmerstaaten des Gipfels. Im Gegenteil: Angesichts der letzten Entwicklungen auf den Kapital- und Finanzmärkten kann hier nicht mehr von einer harmlosen Medienschau gesprochen werden. Hier ist eindeutig Schaden angerichtet worden. Es ist doch eine Farce, wenn über das erhöhte Zinsniveau gejammert wird, gleichzeitig aber nicht die Ursache dafür, das hohe US-amerikanische Haushaltsdefizit, bedingt durch die Hochrüstung, direkt bekämpft wird. ({0}) Wenn Herr Reagan die Ausgaben für Lebensmittelmarken als wichtigste Ursache dieses, wie Sie es verschleiernd nennen, strukturellen Defizits nennt, stiehlt er sich genauso aus der Verantwortung wie der Herr Bundeskanzler, der das Problem der irrsinnigen und völlig unproduktiven Rüstungsausgaben nicht angesprochen hat. ({1}) Wenn Sie, Herr Lambsdorff, meinen, es sei nicht unsere Aufgabe, den US-Haushalt zu kritisieren oder Verbesserungsvorschläge zu machen, dann sind wir GRÜNEN da ganz anderer Meinung. Wir und unsere Mitbürger haben nämlich beinahe tagtäglich die Folgen dieser US-Wirtschaftspolitik in der Bundesrepublik zu tragen. Wir sind auch nicht mit Herrn Dr. Vogel der Meinung, daß in der jetzigen lebensbedrohenden Situation ein Werben für eine Verringerung der Rüstungsprogramme - Zitat aus seiner Rede von heute vormittag - ausreicht. Hier hätten wir gern deutlichere Worte gehört; vielleicht so eines: „Die Zeit ist da für ein Nein ohne jedes Ja zu Massenvernichtungsmitteln", so wie es augenblicklich auf dem Kirchentag in Hannover laut wird. ({2}) Nach dem Haushaltsentwurf der Reagan-Administration wird das Defizit im nächsten Haushaltsjahr 190 Milliarden Dollar betragen, d. h. über ein Fünftel des Bundesbudgets muß über Verschuldung finanziert werden. Die Deckung dieses Defizits wird fast die gesamten privaten Ersparnisse in den Vereinigten Staaten und über die Hälfte der überhaupt auf dem Kapitalmarkt zur Verfügung stehenden Mittel in Anspruch nehmen. Eine bessere Garantie für weiterhin hohe Zinsen läßt sich kaum denken. Eine Erleichterung der hiesigen Wirtschaftsprobleme durch Zinssenkungen ist also in der nächsten Zeit nicht zu erwarten. In Ihrem Kabinettsbeschluß zur Finanzpolitik vom 18. Mai 1983 haben Sie sich darauf schon im vorhinein eingestellt. So versuchen Sie, durch Verminderung der Vermögensteuer und durch Änderung der Abschreibungsbedingungen die Finanzierungssituation der inländischen Betriebe zu erleichtern. Damit können Sie sich vielleicht bei einem Teil der Wirtschaft für Ihren mangelnden Einsatz beim Wirtschaftsgipfel entschuldigen. Aber das ist doch keine Lösung der anstehenden Probleme. Betriebe, deren Kapazitäten nicht ausgelastet sind, und solche, die nicht in neue Rationalisierung investieren wollen, haben überhaupt nichts davon. Personen und Kollektive, die sich selbständig machen und die von Ihnen so lautstark propagierte Eigeninitiative ergreifen wollen, stehen vor einem besonders schweren Anfang, weil sie nämlich auf Fremdfinanzierung mit hohen Zinsen angewiesen sind. Die genannten Steuererleichterungen für die Wirtschaft sollen dazu auch vom inländischen Steuerzahler getragen werden, indem Sie die Mehrwertsteuer erhöhen. Wir alle, meine Damen und Herren, sollen also dafür herhalten, daß Sie mit Steuervergünstigungen der Wirtschaft die Zinslast erleichtern, während Konsumentenkredite nicht billiger werden. Ihre weiteren Bemühungen um Einsparungen haben Sie auf der Ausgabenseite - in Übereinstimmung nicht nur mit Ihrem amerikanischen Partner - auf die Sozial- und Sozialhilfeausgaben gerichtet. Hier zu sparen, meine Damen und Herren, halten wir nun für einen ganz besonderen Skandal. Ist Ihnen, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, eigentlich bekannt, was sich im Wochenkorb eines Sozialhilfeempfängers befindet? Diese Mitbürger sollen unter anderem mit 600 g Brot, 1 525 g Kartoffeln und 225 g Wurst in der Woche auskommen. Die Lebensmittelzuteilung für eine Person in der Woche vom 19. Juli 1945 - ich wiederhole das Datum: 19. Juli 1945 - betrug dagegen 1 500 g Brot, 2 500 g Kartoffeln und 200 g Wurst neben anderen Lebensmitteln. Wir hatten also damals mehr als heute. Es stört den Herrn Bundeskanzler auch nicht, daß er in Williamsburg in der gemeinsamen Erklärung für Maßnahmen zur Verbesserung der Ausbildung und Mobilität der Arbeitskräfte eingetreten ist, hier bei uns aber beschließt, das Unterhaltsgeld bei der beruflichen Bildung zu senken und die Mobilitätshilfen einzuschränken. Das ist Ihr Verständnis vom Abbau struktureller Defizite. Rüstungsausgaben, meine Damen und Herren, haben damit offensichtlich nichts zu tun. Ihr Verständnis von den Aufgaben des Staates ist es, die finanzielle Verantwortung für die materielle Existenz des Bürgers zu verringern, sich dagegen aber in der Stationierung von Waffensystemen zu engagieren, die die physische Existenz der gleichen Bürger gefährden. ({3}) In diesen Punkten war es in Williamsburg wohl auch nicht schwer, Konsens mit dem Gastgeber zu erreichen. Als Ursache des Haushaltsdefizits gibt auch er das unkontrollierte Wachstum der Sozialausgaben an. Aber wie sollte er durch weitere Kürzungen bei den Sozialausgaben ein Defizit von 190 Milliarden Dollar im nächsten Haushaltsjahr schließen können, ohne eine soziale Katastrophe noch größeren Ausmaßes zu erzeugen? Selbst wenn die gesamten Ausgaben für die staatlichen Gesundheitsprogramme für alte Leute und für Arme in den USA gestrichen würden, wenn also 50 Millionen US-Amerikaner keine Gesundheitsleistungen mehr bekämen, wäre damit nicht einmal die Hälfte des Defizits gedeckt. Die Ausgaben für den Umweltschutz sind mit den veranschlagten 4 Milliarden Dollar gegenüber 245 Milliarden Dollar für die Rüstung geradezu lächerlich. Der Rüstungsetat beansprucht jetzt schon 29 % des Bundesbudgets. Diese Ausgaben sollen bis 1988 auf 390 Milliarden Dollar steigen. Aber es wird noch schlimmer kommen, meine Damen und Herren. Bis zum Jahre 1987 sollen nach Herrn Reagans Planung 1 600 Milliarden Dollar für neue Waffen ausgegeben werden. Das sind unvorstellbare 4 Billionen DM. Es gibt bereits Stimmen in den USA, die fordern zu überprüfen, ob nicht die Hälfte des Bruttosozialprodukts in den USA für Rüstungszwecke auszugeben wäre so wie 1944 und 1945. Trotz dieser unvorstellbaren Summen mit ihren aber sehr genau vorstellbaren Folgen gibt sich der Herr Bundeskanzler und geben sich die anderen Staatschefs in Williamsburg mit einer allgemeinen Absichtserklärung zufrieden, sie wollen die Defizite verringern und damit Zinssenkungen ermöglichen. Dies zeigt, daß sie bereit sind, jedweden Preis für die Aufrüstung zu zahlen und sich damit vom Boden der Realitäten zu entfernen. ({4}) Wir fordern Sie auf, endlich an die Wurzeln des Übels zu gehen. Da können sie vielleicht auch endlich mal ein bißchen radikal werden. Verringern Sie die sinnlosen Ausgaben für den Rüstungswahnsinn bei uns und drängen Sie die Verantwortlichen in den USA energisch dazu, gleiches zu tun. ({5}) Nur durch eine Umkehrung der Aufrüstungsspirale wird es möglich sein, die Haushalte zu entlasten und Mittel für Zukunftsinvestitionen für die Menschen in diesem unserem Land und anderswo frei zu machen. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Solms.

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich frage mich: Befinden wir uns im Deutschen Bundestag in Bonn oder im Kongreß in Washington? ({0}) Ich frage mich das im Hinblick auf die Diskussion, den Redebeitrag eben, aber auch den Beitrag des ehemaligen Finanzministers Lahnstein heute morgen, der sich ja zu zwei Dritteln mit der amerikanischen Politik befaßt hat, sehr gut vorgetragen, brillant, wie gewohnt, im Prinzip auch auf der Basis unserer politischen Vorstellung, würde ich beinahe sagen, zumindest in der Kontinuität in diesem Bereich in der alten Politik. ({1}) In diesem Fall, Herr Lahnstein, würde ich sagen, haben Sie dadurch, daß Sie sich so intensiv mit der amerikanischen Politik befaßt haben, gezeigt, daß Sie an der deutschen Politik recht wenig auszusetzen haben; denn der wesentliche Unterschied im Ergebnis nach Williamsburg ist doch, daß der Bundeskanzler nicht zurückgekommen ist mit einem Auftrag, daß die deutsche Wirtschaft als Lokomotive die Weltwirtschaft aus der Talsohle herausziehen solle, sondern zurückgekommen ist mit einer in den Zielen identischen Vorstellung mit denen, die in Williamsburg genannt und beschlossen worden sind. ({2}) Das heißt, die deutsche Politik befindet sich genau in der Richtung, in der die westlichen Wirtschaftsländer gehen müssen. Das bedeutet, die westlichen Wirtschaftsländer haben sich auch auf die deutschen Ziele eingelassen. Diejenigen, die im Moment diese Ziele tatsächlich am stärksten vernachlässigen, sind die Amerikaner. Daß sie dies aber indirekt durch dieses Ergebnis zugeben, das eben ist, meine ich, ein besonderer Erfolg der deutschen Wirtschaftspolitik und ein besonderer Erfolg der deutschen Delegation in Williamsburg. Meine Damen und Herren, die FDP bleibt bei den Aussagen, die Eingang in die Regierungserklärung gefunden haben. Ich darf kurz zitieren: Wir wollen kein konjunkturelles Strohfeuer entzünden, sondern eine dauerhafte Belebung unserer Wirtschaft erreichen. Unsere Wirtschaftspolitik muß und wird berechenbar sein. Wir werden die Investitionskraft stärken und den notwendigen Strukturwandel erleichtern, indem wir für stabiles Geld sorgen, den öffentlichen Kapitalbedarf vermindern, die Bildung von Eigenkapital fördern und die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen erleichtern. Dazu steht die FDP weiterhin voll. Das Hauptproblem unserer Wirtschaft, die unerträglich hohe Zahl an Arbeitslosen, ist nur dann erfolgreich zu bekämpfen, wenn man die Ursachen für die wirtschaftlichen Verwerfungen erforscht und konsequent bekämpft. Staatliche Ausgabenprogramme können keinen nachhaltigen Erfolg erzielen, denn sie kurieren nur an den Symptomen; sie gehen nicht an die Ursachen der Übel. In diesem Zusammenhang muß auch verwundern, daß die Vertreter der SPD - wie heute der Fraktionsvorsitzende Dr. Vogel - die Situation in den USA, die hohen Haushaltsdefizite und damit die steigenden Zinsen, beklagen, gleichzeitig aber Vertreter derselben Partei solche Ausgabenprogramme in der Bundesrepublik fordern, obwohl sie doch wissen müßten, daß diese die gleichen Konsequenzen haben müßten. ({3}) Diese Widersprüche sollten in der SPD aufgeklärt werden. Nach Meinung der FDP-Fraktion müssen wir vorwiegend zwei Zielrichtungen verfolgen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, darf ich Sie unterbrechen: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stratmann?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, bitte.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Solms, wie wollen Sie mit der von Ihnen skizzierten Politik die nach den Prognosen aus dem Bundeswirtschaftsministerium für 1990 zu erwartende Arbeitslosigkeit in einer Höhe von über 3 Millionen Arbeitslosen bei einer unterstellten Wachstumsrate von 2,5 bis 3 % beseitigen? Mit welchen Wachstumsraten rechnen Sie denn?

Dr. Hermann Otto Solms (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002190, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich kann Ihnen keine persönliche Prognose bieten, da bei mir die statistischen Kenntnisse dafür nicht vorhanden sind. Wir wollen die Arbeitslosigkeit aber dort bekämpfen, wo sie entsteht, nämlich in den Ursachen bei den strukturellen Verwerfungen in unserer Volkswirtschaft. ({0}) Wir wollen der Bevölkerung keine Scheinlösungen vortragen, von denen wir von vornherein wissen, daß sie zu keinem Ergebnis führen können. Für uns sind zwei Zielrichtungen wichtig. Erstens: Die Politik der Haushaltseinsparung muß konsequent fortgesetzt werden. Zweitens: Ein ausreichendes Wirtschaftswachstum muß durch Begünstigung von Investitionen erreicht und von einer Wirtschaftsstrukturpolitik begleitet werden. -Nur dadurch kann die notwendige Hilfe geleistet werden, neue zukunftsträchtige Branchen zu entwickeln. ({1}) Notwendig sind eine grundlegende Modernisierung unserer Volkswirtschaft, eine Stärkung der Betriebe und Produktionsanlagen, eine Förderung von Forschung und Entwicklung, um zukunftsträchtige Technologien und neue Produktionsverfahren aufzubauen. Was wir brauchen, ist eine richtig verstandene selektive Angebotspolitik, eine Politik, die nicht blind auf die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft hofft, sondern die strukturellen Belastungen der Wirtschaft bekämpft, eine Politik, die Innovation und Investition fördert, die Kostenbelastung der Wirtschaft tendenziell senkt und die Abgabenbelastung der Arbeitnehmer bremsen bzw. senken hilft. Auf diesem Weg sind wir bereits ein gutes Stück vorangekommen. Meine Damen und Herren, ich erinnere an das Haushaltsbegleitgesetz 1983. Ich erin602 nere daran, daß die Tarifparteien bei den gegenwärtigen Tarifverhandlungen und bereits getroffenen Vereinbarungen angesichts der derzeitigen Wirtschaftslage durchaus Verantwortung zeigen. Mit dem Gesetz zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wird die Koalition der Mitte auf dem Weg voranschreiten, die Investitionsbereitschaft und die Investitionsfähigkeit der deutschen Wirtschaft zu stärken. Im Mittelpunkt der vorgesehenen Maßnahmen steht die Senkung der ertragsunabhängigen Besteuerung des Betriebsvermögens. Die ertragsunabhängigen Steuern führen dazu, daß Betriebe die Steuern in Verlustjahren aus ihrer Substanz, aus ihrem ohnehin geschrumpften Eigenkapital zahlen müssen. Das kann nur dazu führen, daß solche Betriebe in ihrer Existenz gefährdet werden. Eine solche Senkung ist auch ein Signal an die Wirtschaft, daß in diesem spezifischen, besonders empfindlichen Bereich die Politik eine Grenze in der Hinsicht setzt, daß es keine unerwarteten zusätzlichen Belastungen in den nächsten Jahren geben wird und geben darf. Die Verdoppelung des Verlustrücktrages dient der Sicherung von Arbeitsplätzen, denn dadurch erhalten Unternehmen in Verlustjahren eine zusätzliche Eigenkapitalreserve. Die Wiedereinführung von Sonderabschreibungen für Forschung und Entwicklung soll die Innovationskraft der Unternehmen stärken, die in den letzten Jahren in bestimmten zukunftsträchtigen Bereichen stark ins Hintertreffen gegenüber der internationalen Konkurrenz geraten ist. Sonderabschreibungen für kleine und mittlere Unternehmen sollen insbesondere die Wettbewerbskraft der mittelständischen Wirtschaft verbessern. Die Abschreibungsfristen für längerlebige Wirtschaftsgüter sollen verkürzt werden, um das Investitionsrisiko schneller abbauen zu können. Sicher werden die genannten Maßnahmen nur dann den gewünschten Erfolg haben, wenn sie von der betroffenen Wirtschaft wirklich angenommen werden. Änderungsvorschläge sollte man in den Ausschußberatungen entsprechend offen behandeln. Der Ausbau der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand wird neben einer gerechteren Vermögensverteilung auch die Eigenkapitalsituation der Betriebe verbessern helfen. Die FDP unterstützt die Politik zur Einschränkung von Abschreibungsgesellschaften, insbesondere der Bauherrenmodelle. Wir wollen natürlich nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. Wir wollen nicht, daß die selbstgenutzten Eigenheime ebenfalls betroffen werden, die ohnehin steuerlich gegenüber dem anderen Wohnungsbau benachteiligt werden. ({2}) Hier muß eine Grenze gezogen werden. Darüber hinaus ist die FDP-Fraktion der Meinung, daß es nicht nur darum geht, den Kapitalfluß hin zu Verlustunternehmen zu stoppen, sondern daß es noch wichtiger ist, auf dem Kapitalmarkt verfügbares Kapital von Leuten, die bereit und in der Lage sind, Kapital zur Verfügung zu stellen, hin zu risikobehafteten Investitionen zu lenken. Nach meiner Meinung hat der Bankenapparat bei der Bereitstellung von haftendem Kapital ({3}) für risikotragende Investitionen bislang versagt. ({4}) - Ich will sie nicht lenken, sondern ich will den Spielraum dafür öffnen. Was not tut, ist hier ein funktionierender Markt für Risikokapital, den es in anderen Ländern gibt. Dafür sind auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Bereichen sicherlich Gesetzesänderungen notwendig. Das müssen wir beraten und vorbereiten, damit ein solcher Kapitalmarkt auch in der Bundesrepublik entstehen kann. ({5}) - Von allen Seiten! Ich will hier niemanden besonders tadeln oder herausheben. Von allen Seiten! ({6}) Nach Meinung der FDP-Fraktion wird es nötig sein, baldmöglichst Maßnahmen zu einer Fortentwicklung des Gemeindesteuersystems zu ergreifen. Wir glauben, daß der natürliche Ansatzpunkt dafür in der Abschaffung der Gewerbesteuer und in ihrem Ersatz durch Anteile an anderen Steuern liegen kann. Die Gewerbesteuer in ihrer heutigen Form beinhaltet eine große Zahl von Nachteilen, die insbesondere die Gemeinden, aber auch die gewerbliche Wirtschaft treffen. Ich erinnere nur daran: Das Gewerbesteueraufkommen der Gemeinden ist äußerst unterschiedlich. Das Gewerbesteueraufkommen für die Gemeinden ist konjunkturabhängig, d. h. es schwankt im Verlauf der Konjunkturzyklen. Die konjunkturellen Schwankungen verleiten damit die Gemeinden zu einem prozyklischen Investitionsverhalten, das dann die Konjunkturzyklen verstärkt. Schließlich hat die Gewerbesteuer den erheblichen Nachteil, daß sie wettbewerbsverzerrend ist und insbesondere die deutsche Wirtschaft gegenüber der Wirtschaft anderer Länder einseitig benachteiligt. Ich glaube, bei der Diskussion dieser Frage, die mit den Betroffenen - mit den Vertretern der Gemeindeverbände genau so wie mit den Vertretern der gewerblichen Wirtschaft - geführt werden soll, sollte man ein Lösungskonzept finden können, das für alle tragbar ist, das zusätzlich zur Vereinfachung des Steuerrechts beiträgt und das die gegenwärtige eigentlich untragbare Situation beenden hilft. Selbstverständlich werden die im Steuerentlastungsgesetz 1984 gemachten Vorschläge von zusätzlichen Maßnahmen zur Einschränkung der konsumtiven Staatsausgaben und der steuerlichen Subventionen begleitet werden müssen. Für zusätzliche Sparanstrengungen gibt es im übrigen eine gestiegene Zustimmung in der Bevölkerung. 1978 haben sich noch 73 % gegen Einschränkungen bei den Sozialleistungen gewehrt. Anfang 1983 waren es nur noch 44 %. Das zeigt eine repräsentative Untersuchung des Infratest-Instituts. Der Finanzplanungsrat hat am 28. April die richtigen Ziele gesetzt - ich zitiere -: Erstens. Die Konsolidierung muß insbesondere durch eine wirksame dauerhafte Begrenzung der Ausgabenentwicklung erfolgen, nicht durch eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Abgaben und Steuerbelastungen. Zweitens. Konsumtive Ausgaben müssen eingeschränkt werden, damit die Finanzierung von beschäftigungs- und investitionsfördernden Maßnahmen gesichert wird. Drittens. Die Haushaltskonsolidierung ist bei Bund, Ländern und Gemeinden erforderlich. Die Konsolidierung auf einer Ebene darf nicht überproportional zu Lasten der anderen Haushaltsebene gehen. Viertens. Zur Konsolidierung des öffentlichen Gesamthaushalts gehören gleichgerichtete Konsolidierungsmaßnahmen bei den sozialen Sicherungssystemen. Dazu ist es erforderlich, den jährlichen Zuwachs der öffentlichen Ausgaben mittelfristig auf 3 % zu begrenzen und deutlich unter dem Wachstum des Bruttosozialprodukts zu halten. Dies sollte eine Handlungsanleitung für uns sein. Neuen Anforderungen an die öffentlichen Haushalte dürfen wir nur in unabweisbaren Fällen nachgeben. Dies betrifft auch die Wünsche der EG-Kommission, die derzeitige Grenze für den Umsatzsteueranteil der EG von 1 auf 1,4 % anzuheben. Hier muß die Bundesregierung bei der Sitzung des Europäischen Rates in Stuttgart hart bleiben. Brüssel muß erst eigene Sparmaßnahmen durchführen, bevor es neue Mittel zugestanden bekommen kann. Meine Damen und Herren, die Koalition der Mitte wird weiterhin die Kraft besitzen, das als richtig Erkannte konsequent zu verfolgen. Die Zukunft kann nur gemeistert werden, wenn man in der Gegenwart allen, d. h. auch sich selbst, Opfer abverlangt. Von Kaputtsparen kann keine Rede sein. Die Devise heißt weiterhin Gesundsparen. Als Beispiel für diese Politik kann der Soldatenkönig gelten, ({7}) der in wenigen Jahren die zerrütteten Staatsfinanzen Preußens zu sanieren verstanden hat, die er von seinem etwas prunksüchtig veranlagten Vater Friedrich I. übernommen hatte. ({8}) - Das war nicht der Soldatenkönig; daran darf ich Sie erinnern. Der Siebenjährige Krieg ist durch seinen Sohn geführt worden. Sein Erfolgsrezept hat der Soldatenkönig folgendermaßen gekennzeichnet: Alles, was ihr kauft, müßt ihr richtig bezahlen. Macht keine Schulden, und gebt nicht mehr aus, als ihr einnehmt! Dann werdet ihr sehen, wie eure Provinzen florieren und sich die Finanzen wohlbefinden werden. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bevor ich das Wort weitergebe, habe ich den Antrag des Ältestenrats vorzulegen, die Tagesordnung um folgenden Zusatzpunkt zu erweitern: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg und Europäischer Rat in Stuttgart - Drucksache 10/79 Ist das Haus damit einverstanden, daß dieser Antrag mit in die Aussprache über die Punkte 2 und 3 einbezogen wird? - Ich sehe keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Ehrenberg.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kollege Solms hat uns hier zum Schluß ein bemerkenswertes Lehrbeispiel des preußischen Soldatenkönigs vorgelegt. Nach meiner Kenntnis, Herr Kollege Solms, war auch Heinrich Brüning ein gelehriger Schüler preußischer Könige. Wohin wir damit gekommen sind, wissen die Alteren hier im Saal jedenfalls noch ganz genau. ({0}) - Was Ihre Parallelen betrifft, so hat Herr Kollege Solms u. a. auch gesagt, daß sich die deutsche Politik in Williamsburg ganz klar in der Richtung der westlichen Politik bewegt, und hat damit vor allem die Vereinigten Staaten und Großbritannien gemeint. Ich glaube nicht, daß sich die Bundesrepublik Deutschland an dem wirtschaftspolitischen Leitbild von Margaret Thatcher orientieren und es für uns interpretieren sollte. ({1}) Vieles von dem, was heute in der Debatte gesagt worden ist, legt genau dieses Leitbild nahe. Herr Kollege Solms, Sie haben wieder versucht - aber nicht nur Sie -, hier die alte und auch im Jahreswirtschaftsbericht wieder vorgebrachte Legende von dem konjunkturellen Strohfeuer staatlicher Beschäftigungsprogramme vorzutragen. Ich nehme Ihnen das nicht übel. Sie sind noch nicht lange genug hier, um die erfolgreichen Programme zwischen 1972 und 1980 richtig aus der Nähe mitgemacht zu haben. ({2}) Sehr viel weniger Verständnis habe ich allerdings, wenn auch der verehrte Kollege Lambsdorff - damals und heute Bundeswirtschaftsminister - ebenso argumentiert. Herr Kollege Lambsdorff, nach dem tiefen Beschäftigungseinbruch nach dem ersten Ölschock war das 16-Milliarden-DM-Investitionsprogramm unsere gemeinsame Antwort. Dieses 16-Milliarden-DM-Investitionsprogramm, gemeinsam damals von uns erarbeitet, hat nun nachweisbar - und zwar nachweisbar durch Institute, die diese Rechnungen im Auftrag des Bundeswirtschaftsministers durchgeführt haben - allein in den Jahren 1978/1979 Beschäftigungsimpulse für 160 000 Arbeiter in der gewerblichen Wirtschaft und 140 000 im öffentlichen Dienst gebracht. Da kann man doch heute nicht, nur weil die Wende-Ideologie eine andere Betrachtung nahelegt, über diese gemeinsamen Erfolge der Vergangenheit hinweggehen. Ich empfehle jedem, der darüber spricht, daß staatliche Beschäftigungsprogramme nichts bringen - außer Strohfeuer -, einen Blick in die Beschäftigtenstatistik von 1976 bis 1980 zu werfen. Wir hatten 1976 in der Bundesrepublik 21,2 Millionen beschäftigte Arbeitnehmer. 1980 waren es 22,3 Millionen, d. h. 1,1 Millionen mehr in vier Jahren. Diese Arbeitsplätze sind doch in diesen vier Jahren nicht vom Himmel gefallen. ({3}) - Aber selbstverständlich wurde ein Teil dieser Investitionen auf dem Kreditwege finanziert. ({4}) - Nicht alles, aber ein großer Teil. - Ich halte es nach wie vor für legitim, ja sogar für die Pflicht des Staates, Kredite aufzunehmen, um Arbeitslosigkeit abzubauen, und nicht, wie Sie es jetzt tun, um Arbeitslosigkeit zu verwalten. ({5}) - Wer bezahlt denn die Kredite zur Verwaltung der Arbeitslosigkeit? Entschuldigen Sie, Sie können doch nicht daran vorbeireden, daß Sie eine Kreditaufnahme von 40 Milliarden DM haben, ohne aktive Beschäftigungsprogramme, ({6}) und daß in Ihrer mittelfristigen Planung eine weitere Verminderung der Steuereinnahmen heute schon zu sehen ist, weil Sie eben nicht Arbeitsplätze schaffen, sondern sich darauf beschränken, Arbeitslosengeld zu kürzen und trotzdem viel zuviel für die Verwaltung von Arbeitslosigkeit zu zahlen. ({7}) Das sind die Fakten, um die es hier geht. Anstatt ohne Ideologie nüchtern und objektiv gegenzurechnen, was ein beschäftigungspolitischer Anstoß durch staatliche Investitionsprogramme bringt, nämlich in relativ kurzer Zeit einen kräftigen Anstieg der Steuer- und Beitragseinnahmen, anstatt dies zu tun und daraus dann die Kredite abzubauen, wird die Legende von dem Strohfeuer hier weiter verbreitet. Sie setzen in Ihrem Jahreswirtschaftsbericht in Ihrer Interpretation der angeblichen Beschlüsse von Williamsburg ausschließlich auf die Selbstheilungskräfte des Marktes. ({8}) - Herr Kollege Solms, mit der selektiven Angebotspolitik, glaube ich, werden Sie bei dem Kollegen Lambsdorff nicht viel Beifall finden. Darin steckt schon ein Stück Investitionslenkung, wenn man es genau interpretiert. ({9}) - Ja, nach der Interpretation unserer Münchener Beschlüsse durch Herrn Lambsdorff ist das sozialistische Teufelswerk, was Herr Solms da fordert. Aber das wird sich im Laufe der Zeit sicher anders entwickeln. Nur, worum es hier geht, ist doch, daß Sie vielleicht einmal mit bereit wären, darüber nachzudenken, ob denn nun wirklich bei einem Umsatzrückgang des Facheinzelhandels im April von real 9 %, bei einem Schrumpfen der Auftragseingänge im Zweimonatsvergleich von 5 %, bei 2,5 Millionen Arbeitslosen und nur zu 70 % ausgelasteten Kapazitäten, ob Sie bei diesem Tatbestand wirklich ernsthaft davon ausgehen können, allein mit Verbesserung der Rahmenbedingungen, sprich: Steuererleichterungen für die gewerbliche Wirtschaft, und im Vertrauen auf die Selbstheilungskräfte aus dieser miesen Beschäftigungssituation herauszukommen. Natürlich wird jeder Unternehmer Beifall klatschen und begeistert sein, wenn ihm die Steuern nachgelassen werden. Seine Kalkulation verbessert sich dadurch. Nur: Wird er deshalb auch mehr investieren, wenn seine Absatzeinschätzungen, seine Marktsignale, rückläufige Umsätze und nicht steigende Umsätze signalisieren? ({10}) Ich fürchte, er wird rationalisieren, aber mit Sicherheit wird er keine Erweiterungsinvestitionen vornehmen, bevor er nicht mit steigenden Absätzen rechnen kann, und die kommen in Ihrem Konzept nicht vor. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Cronenberg?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Aber gern.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Ehrenberg, ich möchte Ihnen gern durch meine Zwischenfrage die Gelegenheit geben, Ihre Bemerkung ein wenig zu korrigieren, indem ich Sie frage: Ist wirklich zu befürchten, daß Rationalisierungen in den Betrieben vorgenommen werden? Dienen diese Rationalisierungen nicht vielmehr der Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und der Schaffung größerer Absatzchancen, insbesondere im Export? Da Sie j a Rationalisierungsinvestitionen auch immer als etwas im Prinzip Lobenswertes bezeichnet Cronenberg ({0}) haben, möchte ich Ihnen durch diese Frage die Gelegenheit geben, Ihre Auffassung dem Plenum noch einmal zu verdeutlichen.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bedanke mich gern. Meine Zustimmung bezog sich auch darauf, daß der Kollege Matthöfer mir zugerufen hat: Allein Rationalisierungsinvestitionen. Auf dieses „allein" bezog sich meine Antwort. Das können wir in der Tat auch nicht gebrauchen. Wenn es beschäftigungspolitische Impulse geben soll, brauchen wir heute Rationalisierungs- und Erweiterungsinvestitionen. Mit Rationalisierungsinvestitionen allein - so sieht es zur Zeit leider aus - ist uns hinsichtlich der Verbesserung der Beschäftigungslage eben nicht gedient. ({0}) Meine Damen und Herren, vielleicht würde es sich ja auch einmal lohnen, in der Regierungskoalition darüber nachzudenken, ob es sinnvoll ist, allein auf Rahmenbedingungen und zusätzlich noch auf Lohnzurückhaltung - das ist heute auch schon oft ausgesprochen worden, das steht auch im Jahreswirtschaftsbericht - zu setzen, ob diese beiden Eckpunkte wirklich jene Bedeutung haben, die Sie ihnen immer beilegen. Es gibt j a inzwischen in der deutschen Volkswirtschaft einige sehr drastische Beispiele dafür, wie Großunternehmen bei gleichen Rahmenbedingungen, bei gleichen Tarifpartnern, auf den gleichen Märkten operierend, völlig unterschiedlich prosperieren. Es ist doch wohl eine Frage wert, es ist doch wohl des Nachdenkens wert, wie es möglich war, daß von zwei großen Konzernen - ich wiederhole: bei den gleichen Rahmenbedingungen - bei einer nicht identischen, aber sehr vergleichbaren Produktionspalette und den gleichen IG-Metall-Tarifen der eine 1 Milliarde DM Gewinn erarbeiten, während der andere mit Mühe eine Vergleichsquote von 40 % erzielen konnte. Das liegt doch wohl nicht an der Steuerpolitik und auch nicht an der Tarifpolitik.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kolb?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte sehr.

Elmar Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ehrenberg, gestatten Sie die Frage, ob Ihnen bekannt ist, daß sich einer der gekannten Großbetriebe die höchsten Betriebsrenten in dieser Republik genehmigt hat mit dem Ergebnis, daß er von 1973 bis 1982 2 Milliarden DM für Betriebsrenten gezahlt hat, und zwar nicht aus dem Gewinn, sondern über eine Erhöhung der Schulden.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Erstens ist mir das bekannt, zweitens scheint Ihnen die weitgehend ausgebaute Betriebsrentenversorgung bei dem anderen Konzern nicht bekannt zu sein. Die ist nämlich durchaus vergleichbar. Aber der hat das ausgehalten. Im übrigen sind ja die Betriebsrenten wohl von keiner Bundesregierung verordnet, sondern sie sind vom Vorstand und Betriebsrat vereinbart worden. Ich werde denen das nicht untersagen. Aber es ist ja wohl des Nachdenkens wert, daß Rahmenbedingungen und Tarifpolitik ihre Bedeutung haben, aber nicht so entscheidend, daß man sich hinsichtlich der Verbesserung des Wachstums allein darauf verlassen kann. Das reicht mit Sicherheit nicht aus. ({0}) - Was die SPD will, meine Damen und Herren, ist sehr deutlich. Und ich kann es Ihnen jetzt in Kurzfassung sagen. Wir werden aus dieser schlechten Beschäftigungslage nur herauskommen, schrittweise - schneller als schrittweise geht es sowieso nicht -, wenn wir in einer Dreifachkombination operieren, nämlich Stärkung der öffentlichen und privaten Investitionen, beider, nicht der privaten alleine - die werden es alleine nicht bringen -, Durchführung einer breiten Palette von zusätzlichen Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeitslose und von Arbeitslosigkeit Bedrohte, um es möglich zu machen, die Arbeitslosen an die Qualifikationsanforderungen der Produktion von morgen anzupassen, sie darauf vorzubereiten, und, unverzichtbar - nicht als alleiniges Mittel, aber als Ergänzung - Realisierung von Arbeitszeitverkürzungen auf breiter Front. Hier nehme ich gern den Beitrag des Kollegen Stratmann auf. Ich warne davor, von politischer Seite aus den Gewerkschaften hineinzureden, welche Form der der Arbeitszeitverkürzung für ihren Verantwortungsbereich die richtige sei. ({1}) Das wird je nach Branche, je nach Struktur des einzelnen Wirtschaftszweiges sehr unterschiedlich richtig sein. Die 35-Stunden-Woche als gemeinsames Ziel aller im Deutschen Gewerkschaftsbund zusammengeschlossenen Gewerkschaften läßt eine Vielzahl von differenzierten Beschlüssen zu. Und es gibt auch sehr differenzierte Beschlüsse einzelner Gewerkschaftskongresse. Eine Gewerkschaft mit schon beträchtlichen Erfolgen auf dem Sektor Verkürzung der Lebensarbeitszeit, wie z. B. die Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten, wird natürlich versuchen, diesen Weg weiterzugehen. Und für ihre Strukturen ist das auch ein besserer Weg als mancher anderer. Andere werden sich auf die Wochenarbeitszeit verlegen. - Wir glauben, daß es notwendig ist, den Gewerkschaften hier nicht hineinzureden und zu glauben, daß wir es besser wüßten als die verantwortlichen Tarifparteien. Von der gesetzgeberischen Seite her sind aber die notwendigen Bedingungen zu schaffen, damit Arbeitszeitverkürzungen überhaupt ermöglicht werden. Und dieser Unterstützung der bestehenden tarifpolitischen Absichten dienen die beiden Gesetzentwürfe, die die SPD-Bundestagsfraktion vorgelegt hat, der eine über eine Vorruhestandsregelung und der andere über ein modernes Arbeitszeitgesetz. Darüber wird in diesem Hause sicher noch bei der Beratung der Gesetzentwürfe viel miteinander zu reden sein. Ich möchte gern noch etwas nachdrücklich zu dem ersten von mir genannten Punkt, der Stärkung der privaten und öffentlichen Investitionen, sagen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Stratmann?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Die gerade noch. Aber dann werde ich keine mehr zulassen.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte schön, die letzte Zwischenfrage.

Eckhard Stratmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002269, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Ehrenberg, im Grundsatz stimme ich Ihnen zu: Anerkennung der Autonomie der Gewerkschaften und auch Möglichkeit branchenmäßiger Differenzierung. Wenn Sie von der SPD-Fraktion aber einen Gesetzentwurf zur Lebensarbeitszeitverkürzung einbringen, der doch gerade nicht branchenmäßig spezifiziert ist - das ist doch der politische Sinn -, beeinflussen Sie damit, auch gewollt, wie ich unterstelle, die Auseinandersetzung um die Form der Arbeitszeitverkürzung und machen damit genau das, was Sie mir vorwerfen. Wie stehen sie dazu?

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, Sie täuschen sich da sehr. Sie täuschen sich über die Absichten wie über die Wirkungen gleichzeitig. Der von uns vorgelegte Entwurf ist unverzichtbar für Gewerkschaften, die ihre Tarifpolitik auf eine Vorruhestandsregelung ausgerichtet haben. Er beinhaltet keinerlei Druck auf andere Gewerkschaften, diese Form zu wählen. Nur, diese Form ist ohne eine solche Unterstützung nicht realisierbar. Sie käme nicht zustande. Und bei dieser Form ist doch auch mit massiven Ersparnissen bei der Bundesanstalt für Arbeit zu rechnen. Es ist der Sinn dieses Gesetzentwurfs, derartige tarifvertragliche Regelungen zu flankieren. Dieser Gesetzentwurf diskriminiert in keiner Weise andere Formen der Arbeitszeitverkürzung. Hinsichtlich des ersten Punktes würde ich gern vor allen Dingen an den Bundeswirtschaftsminister noch einige Fragen stellen. In der Debatte am 20. Mai ist von allen Fraktionen dieses Hauses - es gab da keinen Streit - sehr deutlich gesagt worden, daß die Umweltgefährdungen zunehmen. Das betrifft nicht nur das Waldsterben, ist aber dort besonders akut geworden. Alle Parteien haben erkannt, daß diesen Gefährdungen entgegengearbeitet werden muß. Ich glaube, es lohnt sich, sich auf seiten der Regierungskoalition darüber nachzudenken, ob wir nicht in sinnvoller Verknüpfung der Bekämpfung der beiden Hauptübel unserer Zeit, der Arbeitslosigkeit und der Umweltzerstörung, ein Stückchen weiterkommen können. Es wäre doch wohl denkbar, daß wir die Verminderung der Schadstoffimmissionen nicht erst mit langen Übergangsfristen - die notwendig sind, wenn es weitere Hilfen nicht gibt - erreichen. Es sollte doch vielleicht auch einmal darüber nachgedacht werden - Herr Kollege Lambsdorff, Sie sollten sich das gemeinsam mit Herrn Stoltenberg einmal überlegen -, ob man nicht die Verminderung der Schadstoffimmissionen, wie sie heute technisch möglich ist, in dem Tempo, in dem die Anlagen geplant und gebaut werden können, in Verbindung damit vorschreibt, daß der Bund aus seinen Mitteln für 5 bis 10 Jahre den Kapitaldienst für die entsprechenden Investitionen übernimmt, damit es den Unternehmen erleichtert wird, mit der Umstellung fertig zu werden. Das empfände ich als eine sinnvolle Verknüpfung von Ökologie und Ökonomie, wie wir sie heute bitter nötig haben. Dasselbe gilt für ein Programm „Ems-WeserElbe" nach dem Muster des Rhein-Bodensee-Programms aus dem 16-Milliarden-Investitionsprogramm, und dasselbe könnte für Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen gelten, mit denen die Bäume für die Zwischenzeit noch durch eine entsprechende Waldpflege ein wenig immunisiert werden könnten. Da ungefähr die Hälfte aller arbeitslosen Arbeitnehmer ohne jede Ausbildung ist, gäbe es hier in der privaten und der öffentlichen Forstwirtschaft ein breites Feld der Verknüpfung sinnvoller Tätigkeiten mit der Eindämmung der Umweltgefahren. ({0}) - Ich sage Ihnen gleich etwas zur Finanzierung: Um dies zu finanzieren, brauchen Sie in etwa das Aufkommen aus der Investitionsabgabe. Ich hätte Herrn Stoltenberg, wenn er hier wäre, gern ermuntert, mit seinem Koalitionspartner darüber zu verhandeln, ob es nicht doch möglich ist, das CDU/ CSU-Wahlversprechen zu halten und die Investitionsabgabe nicht zurückzuzahlen, sondern für diesen guten Zweck zu verwenden. Ich möchte darum bitten, daß dies Herrn Stoltenberg ausgerichtet wird. ({1}) Meine Damen und Herren, wenn dies nicht geschieht, wenn es bei der beschäftigungspolitischen Untätigkeit der Bundesregierung bleibt, wird, so fürchte ich, das nicht zu erhalten sein, was Graf Lambsdorff mit Recht als notwendig bezeichnet hat: der soziale Konsens in unserem Lande. Gestatten Sie mir abschließend, Ihnen dazu die Stellungnahme des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Regierungserklärung vom 4. Mai in Erinnerung zu rufen. Herr Präsident, danach schließe ich meine Rede mit einer Minute Verzögerung ab. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat damals erklärt: Das Regierungsprogramm der Regierung Kohl/Genscher ist ein Programm des sozial- und gesellschaftspolitischen Rückschritts. Der Appell an die Eigenverantwortung des einzelnen, die stillschweigende Preisgabe des Sozialstaatsprinzips, der Rückzug des Staates aus seiner beschäftigungspolitischen Verantwortung und die Rückverlagerung von sozialen Risiken auf den einzelnen dokumentieren den Beginn eines Weges, an dessen Ende der gesellschaftspolitische Konsens verspielt sein wird, an dessen Ende wieder die Klassengesellschaft stehen könnte. Die Regierungserklärung der Regierung Kohl/Genscher übertrifft die wirtschafts- und sozialpolitischen Befürchtungen des DGB. Meine Damen und Herren, am Schluß noch nicht der gesamten Debatte, aber der bisherigen Debatte über Williamsburg und den Jahreswirtschaftsbericht kann ich leider diesem Kommentar des DGB nichts hinzufügen. - Herzlichen Dank. ({2})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß zunächst eine Bemerkung zu den Ausführungen von Herrn Dr. Jens machen. ({0}) Ich habe nichts dagegen, wenn harte Kritik geübt wird, auch dann nicht, wenn sie durch Argumente, wie in diesem Fall, nicht belegt werden kann. Ich habe allerdings etwas dagegen, wenn Mitgliedern dieses Hauses die Ehre abgeschnitten wird. ({1}) Wir können darüber streiten, welche Maßnahmen die Arbeitslosigkeit beseitigen. Sie können natürlich auch bestreiten, daß unsere Maßnahmen wirksam sind. Die Behauptung allerdings, Mitglieder dieses Hauses - in diesem Fall der CDU/CSU und der Bundesregierung - nähmen Arbeitslosigkeit und damit großes menschliches Leid bewußt in Kauf, ist ungeheuerlich und unanständig dazu. ({2}) Dies liegt im übrigen auf der gleichen Linie, mit der uns vor einiger Zeit der Wille und die Fähigkeit zum Frieden abgesprochen wurden. Meine Damen und Herren, das Funktionieren der Demokratie setzt auch eine gewisse Form des Umgangs miteinander voraus. Wer diesen Gesichtspunkt mißachtet, um vordergründig Punkte zu sammeln, stellt parteitaktische Ziele über das Gemeinwohl. Gerade Sozialdemokraten mit ihren langen geschichtlichen Erfahrungen sollten sich davor hüten. Ich möchte dann einige Bemerkungen zur Rede von Herrn Ehrenberg machen. Immer dann, wenn die Sozialdemokraten etwas als besonders fürchterlich darstellen wollen, fällt ihnen ({3}) das Leitbild von Thatcher und Reagan ein. Ich weiß gar nicht, warum Sie in diesem Zusammenhang immer vergessen, auf Herrn Mitterrand hinzuweisen, der ja exakt all das, was Sie uns hier empfehlen, gemacht hat und damit auf den Bauch gefallen ist. ({4}) Ich weiß auch nicht, was das ständige Ausweichen - wir haben das ja heute morgen bei Herrn Lahnstein erlebt - auf das Ausland soll. Ich glaube, wir haben alle Veranlassung, uns intensiv mit den Problemen zu Hause zu beschäftigen. Nun hat Herr Ehrenberg darauf hingewiesen, daß es - so hat er es gesagt - zwischen 1972 und 1979 erfolgreiche Beschäftigungsprogramme gegeben haben soll. ({5}) - Ich weiß dies nicht. Nachweisbar ist, daß es zu einer zusätzlichen Verschuldung von 50 Milliarden DM geführt hat. Nachweisbar ist auch - dies will ich nicht bestreiten, Herr Ehrenberg -, daß dadurch u. a. mehr Stellen im öffentlichen Dienst geschaffen worden sind. Ob dies allerdings wünschenswert war und ob damit nicht eine der Ursachen unserer Strukturschwäche begründet ist, ist doch sehr die Frage; ich komme darauf in anderem Zusammenhang noch zurück. Herr Ehrenberg hat hier einige Daten genannt, er hat Entwicklungen beschrieben; ich will sie im einzelnen nicht kommentieren. Die Ursachen für diese Entwicklungen hat er allerdings zumindest nicht überzeugend beschreiben können. Nun ist die Frage: Was will die SPD? Das, was sie vorschlägt, ist ja alles nicht neu. Es ist alles praktiziert worden, und zwar sowohl in der Bundesrepublik als auch jetzt wieder in Frankreich. ({6}) Die Behauptung, ohne diese Politik der letzten Jahre stünden wir schlechter da, ist eine unbewiesene Behauptung. Bewiesen ist allerdings, daß sie im Endergebnis zu zwei Millionen Arbeitslosen und zu einer Strukturschwäche geführt hat, unter der wir heute ganz erheblich zu leiden haben. Nun ist in verschiedenen Diskussionsbeiträgen immer wieder das Thema Arbeitszeitverkürzung angesprochen worden; wir werden darüber noch im einzelnen zu diskutieren haben. Ich warne allerdings davor, obwohl ich einer umfassenden Bewertung nicht vorgreifen will, dies als das Patentrezept in der Diskussion über Arbeitslosigkeit darzustellen. Hier würde, wenn man es so täte, wie einige Redner dies getan haben, ein falscher Erwartungshorizont geweckt. Wir müssen uns vor Augen führen, daß Arbeit in Deutschland heute schon zu teuer ist. ({7}) Das ist ja einer der Gründe dafür, warum Arbeit immer mehr durch Kapital ersetzt worden ist. Wir leiden ja darunter, daß wir aus eben diesem Grunde in vielen Bereichen eine Überrationalisierung festzustellen haben. Arbeitszeitverkürzung - egal, wie man sie macht - wird zu höheren Kosten führen und kann deshalb zu weiterer Substitution von Arbeit durch Kapital führen. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß wir ja auch noch das Problem der Schwarzarbeit haben, das durch Arbeitszeitverkürzung noch verschärft werden kann und das ein Indiz dafür ist, daß Arbeit zwar ausreichend vorhanden, aber eben zu teuer ist.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie drei Zwischenfragen?

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Drei? Ich bitte darum, daß ich mich wegen der Kürze der Zeit auf eine Zwischenfrage beschränken darf.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Sie können auswählen, von wem.

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Die von Herrn Ehrenberg, weil ich ihn gerade stehen sehe.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Bitte, Herr Ehrenberg.

Dr. Herbert Ehrenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000445, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, würden Sie bitte dem Hause erklären, wie Ihre Behauptung, daß vor allem wegen der hohen Löhne rationalisiert wird, mit der Tatsache in Übereinstimmung zu bringen ist, daß das Rationalisierungstempo und der Rationalisierungsgrad in Japan trotz sehr viel niedrigerer Löhne sehr viel höher sind? ({0})

Herbert Lattmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001292, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Ehrenberg, dieser Zusammenhang geht meilenweit an dem Sachverhalt vorbei, den ich eben angesprochen habe. ({0}) Ich habe nur darauf hingewiesen, daß ein immer stärkeres Ansteigen der Kosten für Arbeit - und das ist j a mit einer Arbeitszeitverkürzung automatisch verbunden; Sie werden das nicht bestreiten wollen - dazu führen kann, daß Arbeit weiter durch Kapital ersetzt wird. Nichts anderes habe ich gesagt. ({1}) Ich möchte abschließend zu diesem Thema nur davor warnen, dieses als Patentrezept darzustellen. Ich glaube, wir wären gut beraten, wenn wir zunächst eine Untersuchung durchführen, um dann zu Ergebnissen zu kommen. Meine Damen und Herren, Arbeitslosigkeit - ich habe das schon angesprochen - hat zu einem erheblichen Teil strukturelle Ursachen. Eine der Ursachen ist die Investitionsschwäche. Einer der Gründe, die Investitionen nachhaltig behindern oder sogar verhindern, ist das, was man mit dem Schlagwort „Überbürokratisierung" belegt hat. Der Kollege Wissmann und der Bundeswirtschaftsminister haben dazu heute morgen schon einige Anmerkungen gemacht. Niemand wird bestreiten, daß das Regelungsbedürfnis in Anbetracht insbesondere des technologischen Fortschritts zunehmend größer geworden ist. Es ist aber ebenfalls nicht zu bestreiten, daß die Staatstätigkeit in manchen Bereichen ein Ausmaß angenommen hat, in dem viele keinen vernünftigen Sinn und erst recht keinen Vorteil erkennen können. Ich will in der Kürze der Zeit nicht darauf eingehen, in welch erheblichem Umfang das immer umfassender werdende staatliche Regelungsbedürfnis zu einer Änderung der geistigen Grundhaltung bei den Leistungsträgern, zu einer Behinderung und Verhinderung von Kreativität, Eigeninitiative und letztlich auch zur Verdrossenheit gegenüber staatlichem Handeln geführt hat. ({2}) Ich will vielmehr darauf hinweisen, daß die Belastung auch deutlich an den Kosten abzulesen ist. Ich habe dazu eben schon einige Ausführungen gemacht. Ich darf daran erinnern, daß nach der bekannten Untersuchung der IHK Koblenz vom November 1977 bereits damals der Anteil der öffentlich verursachten Bürokratisierungskosten am Umsatz bei den Unternehmen durchschnittlich bei 2 %, bei kleineren und mittleren Unternehmen sogar bei 3 % des Umsatzes oder mehr lag und damit die Gesamtrendite des Unternehmens nicht selten erreichte oder überschritt. Heute dürften die Zahlen eher noch ungünstiger sein. Besonders schlimm betroffen sind mittelständische Betriebe, Handwerksbetriebe, in denen ja nach wie vor die meisten Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt werden. ({3}) Während die Industrie über juristisch und kaufmännisch geschultes Personal verfügt, müssen der Handwerksmeister und seine oft ohne Bezahlung mitarbeitende Ehefrau umfangreiche und immer kompliziertere Verwaltungsvorgänge bearbeiten. Ein Ansporn zu mehr Leistung ist dies sicher nicht. Als durchaus beispielhaft kann die Situation auf dem Bausektor angesehen werden. Die Bundesregierung hat versucht, diesem Bereich, dem im Hinblick auf den Konjunkturverlauf eine gewisse Pilotfunktion zukommt, durch ihr Sofortprogramm vom Herbst letzten Jahres Wachstumsimpulse zu geben - mit gutem Erfolg, wie wir wissen: Die Zahl der Bauanträge stieg sprunghaft an. Wenn dennoch die Bautätigkeit nur zögernd in Gang kam, ist dies ganz erheblich auf bürokratische Hemmnisse zurückzuführen. Nicht wenige bezeichnen die Baubürokratie mittlerweile als „Bauverhinderungsbürokratie". Aus der Vielzahl der Äußerungen darf ich eine besonders kompetente zitieren: „Irgendwann würde ich einmal ein ganz großes Geschrei erheben über das Ausmaß überflüssiger Behördengängelei gegenüber dem Baugeschehen in unserem Land." Soweit das Zitat. Das sagte Helmut Schmidt am 1. September 1976 auf dem Architektentag in Düsseldorf. Leider tat er dann anschließend nicht viel, um dem berechtigten Geschrei die Grundlage zu entziehen. Das ist aber dringend erforderlich; denn die langen und umständlichen Genehmigungsverfahren machen das Bauen teuer und damit für manchen unmöglich. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch an das Verfahren beim Bau von technischen Großprojekten. Mit den vorgeschriebenen Dokumenten könnte man ganze Lkws füllen. Man fühlt sich da an jene Anekdote erinnert, die im „Blick durch die Wirtschaft" erschien. Da wetteten ein amerikanischer und ein deutscher Brückenbauer, wer schneller bauen könne. Nach einem Jahr telegrafierte der Amerikaner: Noch zehn Tage, und wir sind fertig. Daraufhin telegrafierte der Deutsche zurück: Noch zehn Formulare, und wir fangen an. ({4}) - Herr Matthöfer, Sie üben sich schon den ganzen Tag in Zwischenrufen. Üben Sie noch ein bißchen weiter! Vielleicht kommt dann sogar noch ein guter zustande. ({5}) Nicht vergessen werden darf in diesem Zusammenhang aber auch, daß die Investition bereitstehender Beträge in Milliardenhöhe und damit die Schaffung vieler neuer Arbeitsplätze u. a. dadurch beträchtlich behindert werden, daß nahezu jedes technische Großprojekt von einer jahrelangen juristischen Auseinandersetzung begleitet wird. ({6}) Natürlich müssen alle Bürger die Möglichkeit haben, ihre Belange vor Gericht einzuklagen. Dieses Grundrecht kehrt sich allerdings in sein Gegenteil, wenn das auf dem Rücken vieler anderer Mitbürger oder der Gesamtheit der Mitbürger ausgetragen wird, was dann der Fall ist, wenn Rechtsmittel nicht zur Rechtsfindung, sondern als Hebel gegen legal und demokratisch zustande gekommene Entscheidungen benutzt werden, weil sie dem einzelnen nicht behagen. ({7}) Hier ist im Interesse der Gesamtheit ein Umdenken erforderlich. Das Problem, vor dem wir bei der Bekämpfung der Bürokratisierung stehen, liegt u. a. darin, daß es sich hier ja nicht um eine einzelne große Mauer, um eine Barrikade handelt, die wir nur einzureißen brauchen, um dann freie Fahrt für Investitionen zu haben. Vielmehr handelt es sich um ein fein gesponnenes Netz von vielen einzelnen Regelungen, von denen jede einzelne für sich durchaus vernünftig sein mag. Wir werden deshalb immer wieder vor der Situation und vor dem Zwang stehen, einige für sich möglicherweise gar nicht unsinnige Regelungen beseitigen zu müssen, um den Schaden für das Ganze zu verringern. Dazu brauchen wir Mut. Ich begrüße deshalb die Ankündigung der Bundesregierung im Jahreswirtschaftsbericht, nach der Vorschriften und Verordnungen durchforstet werden sollen, nachdrücklich. Die CDU/CSU wird dieses Vorhaben unterstützen und dabei eigene Überlegungen beisteuern. Ich komme in der Kürze der Zeit leider nicht mehr dazu, darauf umfassend einzugehen. Wir werden allerdings geltende Gesetze hirnsichtlich ihrer Notwendigkeit und Belastung für Dritte prüfen. Wir werden außerdem neue Regelungen verstärkt unter Kosten-Nutzen-Gesichtspunkten prüfen müssen. 50% jeder verdienten Mark in die Staatskasse bedeutet eben nicht nur öffentliche Wohltaten, sondern das bedeutet auch mehr Bürokratie. Es bedeutet aber auch, daß eben 50 % dieser Mark für Investitionen in der Wirtschaft nicht mehr zur Verfügung stehen. Wir teilen nicht die Auffassung der Sozialdemokraten, nach der ein Mehr an öffentlichem Einfluß zu einem Mehr an Gerechtigkeit führt. Wir sind vielmehr der Meinung, daß ein immer dichteres Netz von Ordnungsregeln in vielen Bereichen nicht nur absichert, sondern auch verunsichert, daß es keineswegs zu maximaler Gerechtigkeit, sondern zu einer maximalen Belastung für viele, zur Hilflosigkeit bei unkundigen Begünstigten und damit letztlich zum Unrecht mit Blick auf die Betroffenen führt. ({8}) Wir werden deshalb den staatlichen Einfluß auf das notwendige Maß zurückschrauben. Wir werden die Überbürokratisierung abbauen. Wir können auf die Dauer nicht Arbeitsplätze sichern oder neue schaffen, solange diese Investitionsbremse fest angezogen bleibt. Lassen Sie uns deshalb damit beginnen, sie zu lockern. Ich bedanke mich. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Schwenninger.

Walter Schwenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Mitglied des Tübinger Dritte-Welt-Ladens möchte ich in dieser Debatte zum Thema Dritte Welt etwas sagen. Denn immerhin drehen sich vier der zehn Punkte der Erklärung von Williamsburg um die sogenannten Entwicklungsländer. Da die armen, ausgebeuteten Menschen vor allem in der Dritten Welt beim Konzert der sieben Mächtigen der westlichen Welt keine Stimme haben, meinen wir als GRÜNE, ihnen unsere Stimme leihen zu müssen. In Williamsburg wurde über Millionen von Schicksalen in den Ländern der Dritten Welt mitentschieden, ohne daß auch nur einer hätte mitreden dürfen. Die Teepflückerin aus Sri Lanka z. B. hätte der Dame und den Herren im Kolonialstädtchen Williamsburg berichten können, daß der Tageslohn für die mühselige Pflückarbeit seit Jahren nicht einmal 2 DM beträgt. Dazu kommen die erbärmlichen Wohnverhältnisse in den Coolilines, den Wohnbaracken der diskriminierten Fremdarbeiter, den Tamilen, im Hochland von Sri Lanka. Heute morgen haben wir gelesen, daß Tamilen nicht einmal mehr zum Kirchentag haben fahren dürfen. Der Bauer aus Tansania hätte berichten können, daß er für die Baumwolle seines Hemdes - etwa so eines, wie ich es trage - vielleicht 30 Pfennig bekommt, wenn es hoch kommt und der Baumwollpreis auf dem Weltmarkt wieder einmal günstig steht. Und wieviel hat er dafür schuften müssen? Der Campesino in San Augustino in Lima hätte erzählen können, warum er sein Dorf auf dem Altiplano verlassen hat und in die Hauptstadt gezogen ist, warum er dort keine Arbeit findet, mit drei Millionen anderen in Elendsvierteln lebt und bei einer Demonstration Radpanzern und Wasserwerfern deutscher Herkunft, mit dem „guten Stern auf allen Straßen", gegenübersteht. ({0}) Sie alle sind Opfer der ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die in der Erklärung von Williamsburg erneut zementiert worden ist. Sie, Herr Bundeskanzler - Sie sind leider nicht da -, haben sie mit verabschiedet. In dieser Erklärung wird festgeschrieben, daß die Wirtschaftspolitik der USA und ihrer Freunde weiterhin ungebrochen fortgeführt wird. Dies bedeutet Verschärfung des Nord-Süd-Gefälles und verstärkte Kapitalkonzentration vor allem in den USA. Für Lateinamerika heißt das, daß aus den „offenen Adern" - wie Galeano es beschrieben hat - weiterhin das Blut fließt und in den weltbeherrschenden Banken zu Kapital wird. Die Verschuldung folgender Länder ist verheerend. Laut „epd" und „Wirtschaftsdienst" haben Brasilien 90 Milliarden Dollar Schulden, Mexiko 80 Milliarden Dollar Schulden, Argentinien 45 Milliarden Dollar Schulden - und wir liefern wieder Fregatten usw. - und Südkorea 35 Milliarden Dollar Schulden. Zitat: Die Länder Argentinien, Brasilien, Südkorea und Mexiko weisen die höchste Gesamtverschuldung unter den Entwicklungsländern auf. Gleichzeitig konzentriert sich auf diese Länder die Verschuldung bei privaten Banken. Sie ist von 1978 bis 1982 um 100 Milliarden Dollar auf 140 Milliarden Dollar angewachsen. Demzufolge trugen diese vier Länder 1982 auch 84 % der gesamten Nettoverschuldung zu variablen Zinssätzen und wurden durch die Anhebung der Zinssätze am stärksten in Bedrängnis gebracht. Diese Verschuldung zwingt diese Länder dazu, Exportleistungen zu erbringen, um die Schulden zu tilgen. Dafür brauchen sie die internationalen Konzerne, die die Rohstoffe dann zu Billigpreisen exportieren. Praktisch sieht das so aus: Auf besten Böden wird, z. B. in Brasilien, Soja für europäische Mastschweine produziert. Der Campesino geht leer aus. Aus Zuckerrohr wird nicht Rohrzucker für den täglichen Bedarf hergestellt, sondern Kraftstoff für das Auto; denn auch Brasilien hat auf das Auto gesetzt. Brasilien hat sich zudem den traurigen Ruhm erworben, der größte Waffenproduzent der Dritten Welt zu sein. Außerdem hat Brasilien in der Vergangenheit Großprojekte wie den Sobradinho Staudamm angegangen, was soziale Ungerechtigkeit zur Folge gehabt hat und dazu führt, daß Melonen, Zitrusfrüchte mit Jumbo-Jets zu uns geflogen werden können, weil wir ja Melonen so „dringend" brauchen. Ich erwähne sodann die Rinderfarmen am Amazonas. VW kauft dort riesige Flächen auf, holzt den Wald ab, man produziert dann eben Fleisch, das auch exportiert wird -, ein Eingriff in die Natur. Welch ein Hohn auf die elementarsten Lebensbedürfnisse des brasilianischen Volkes! Überall in den Ländern Lateinamerikas verlassen jährlich Millionen von Menschen das Land, um in den „pueblos jovenes", den jungen Städten, dahinzuvegetieren. Welche zynische Verwaltungssprache hat dieses Wort geschaffen? Die Wirklichkeit sieht so aus: hohe Kindersterblichkeit, Wassermangel, mangelnde Hygiene, medizinische Versorgung fehlt, keine Müllabfuhr, 80 %ige Arbeitslosigkeit, tagtägliche Rechtlosigkeit - um nur ein paar Daten anzugeben; es gäbe noch mehr. Wie zynisch und „tröstlich" klingt in diesem Zusammenhang die Erklärung von Williamsburg: „Die Last der weltweiten Rezession hat die Entwicklungsländer sehr hart getroffen, und wir sind tief um ihre Gesundung besorgt." Hier stellt sich die Frage, ob sich Medizinmänner zu Gesundbeterei oder aber Regierungschefs getroffen haben. ({1}) Im Hinblick auf die Erklärung der blockfreien Staaten von Neu Dehli versichern die sieben Mächtigen, daß sie dialogbereit seien und bei der UNCTAD-Konferenz in Belgrad verständigungsbereit und kooperativ mitwirken wollen. Aber schon vor Beginn dieser Konferenz weigerten sich die USA, auf die Forderung der Entwicklungsländer einzugehen. Unser Bundeswirtschaftsminister erläuterte den Standpunkt der EG und lehnt den Vorschlag für ein Dreijahresprogramm zur Stützung der Rohstoffpreise ab. Aus dem nicht gerade linksverdächtigen Blatt „FAZ" entnehmen wir am 8. Juni außerdem, daß die EG nicht darauf eingehen wolle, den Entwicklungsländern einen festgelegten Anteil von Erzeugnissen abzunehmen; dies sei - so das Zitat - mit den marktwirtschaftlichen Prinzipien nicht vereinbar. Hier wurde auch schon auf die Erklärung von Williamsburg zur fragwürdigen Wiederbelebung der Weltwirtschaft verwiesen. Wenn die Teepflückerin aus Sri Lanka, der Bauer aus Tansania und der Slumbewohner aus Lima in Williamsburg eine Stimme gehabt hätten, hätten sie in einfachen Worten sagen können: Wir wollen ein Land, auf dem wir das anbauen können, was unsere Familien zum Essen brauchen - Sie haben ja immer so viel für Familien übrig -; wenn wir schon Tee und Baumwolle anbauen, so wollen wir wenigstens einen gerechten Lohn; über unsere Rohstoffe wollen wir in Zukunft selber verfügen; wir wollen Dinge herstellen, die wir für unser tägliches Leben brauchen. Keine dieser Forderungen hat der Weltwirtschaftsgipfel berücksichtigt. Wieder einmal hat sich das Wort von Martin Luther King aus dem Jahre 1967 im Lutherjahr 1983 bestätigt: „Allein durch das Frühstück, bevor wir zur Arbeit gehen, sind wir schon Schuldner der Dritten Welt geworden", wir alle hier. Herr Präsident, ({2}) meine Damen und Herren, gestatten Sie mir, zu einer aktuellen Sache Stellung zu nehmen, die sich gerade heute morgen zur Frühstückszeit ereignet hat. In Südafrika wurden heute morgen die drei ANC-Mitglieder Simon Mogoerane, Jerry Mosololi und Marcus Motaung - also alle drei hatten 20 bis 25 Jahre - hingerichtet. Egal, welcher Verbrechen sie sich schuldig gemacht haben sollen, für uns ist die Todesstrafe immer ein menschenunwürdiger Vorgang und spricht gegen die Menschenrechte. ({3}) Aus Achtung vor den Toten bitte ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sich - falls der Präsident es genehmigt - für eine kurze Schweigeminute zu erheben. ({4}) - Vielen Dank. Ich möchte nun kurz die Forderungen, die wir GRÜNEN im Hinblick auf die Republik Südafrika erheben, verlesen. ({5}) Wir fordern die Bundesregierung auf, folgende Schritte gegen die südafrikanische Regierung einzuleiten: erstens die strikte Einhaltung des UN-Waffenembargos vom November 1967, zweitens das Verbot der Rüstungsproduktion von BRD-Firmen in Südafrika, drittens den sofortigen Stopp -

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Abgeordneter, darf ich Sie an das Ende der Redezeit erinnern.

Walter Schwenninger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002134, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Ich bin gleich fertig. Wir fordern drittens den sofortigen Stopp aller Hermes-Ausfuhrgarantien, weiterhin die Kündigung des Kulturabkommens mit Südafrika, einen umfassenden Wirtschaftsboykott gegen Südafrika, den Ausbau der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit mit den sogenannten Frontstaaten Angola, Simbabwe, Mosambique und zuletzt die Anerkennung des ANC als legitime Interessenvertretung der Bevölkerung von Südafrika. - Ich danke Ihnen. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Beckmann.

Klaus Beckmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000133, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich möchte gern Ihren Blick aus der weiten Welt wieder auf die Probleme unseres Landes richten. Man muß ja erst einmal zu Hause für Ordnung sorgen, bevor man anderen gute Ratschläge erteilt. ({0}) Der Herr Kollege Gerstein hat vorhin aus, wie ich meine, gutem Grunde und aus gegebener Veranlassung einige Richtigstellungen hinsichtlich der Energiepolitik der Bundesregierung, insbesondere im Hinblick auf den Kohlebereich, vorgenommen. Ich möchte dies für meine Fraktion vertiefen, zumal in den vergangenen Wochen ja insbesondere durch die Opposition Irritationen hochgespielt worden sind. ({1}) Die Bürger im Lande haben ein berechtigtes Interesse daran, zu wissen, welches die Positionen der Koalitionsfraktionen in dieser Frage sind. ({2}) Meine Damen und Herren, nichts wird uns davon abbringen, die Kontinuität der Energiepolitik zu wahren, so wie wir sie seit langer Zeit in diesem Hause betreiben. Wir müssen nun leider feststellen, daß die Strukturkrise im Stahlsektor im vergangenen Jahr in besonderem Maße auch die Kohle angesteckt hat. In nüchternen Zahlen ausgedrückt: Es ergibt sich ein Absatzminus der Kohle gegenüber der Stahlindustrie von gut 4 Millionen t. Da dieser Rückgang nicht auf konjunkturelle Gründe, sondern mehr auf strukturelle Bedarfsänderungen in der Stahlindustrie zurückzuführen ist, müssen wir davon ausgehen, daß die Absatzmöglichkeiten der Kohle in diesem Bereich dauerhaft verlorengehen. Nicht weniger günstig ist in diesem Bereich der Export in andere EG-Länder. Trotz einer Heruntersubventionierung des Preises der deutschen Kohle auf den Weltmarktpreis - auch mit Hilfe der EG - sind die Exporte rückläufig, denn auch in unseren Nachbarländern steht die Stahlindustrie, wie Sie wissen, vor weitgehenden Umstrukturierungs- und Anpassungsnotwendigkeiten. Darüber hinaus sind unsere Nachbarn zunehmend interessiert, mit den Kohleproduzenten in Übersee Lieferverträge abzuschließen oder sich in Kohlegruben einzukaufen, um an dem sich entwickelnden Weltkohlehandel teilzuhaben. Meine Damen und Herren, auch die Möglichkeiten der Kohle im Wärmemarkt müssen realistisch beurteilt werden. Die Verabschiedung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung in der Fassung des Bundesrates wird für diesen Sektor aus meiner persönlichen Sicht nicht gerade hilfreich sein. Damit Sie mich nicht mißverstehen, betone ich ausdrücklich, daß sich die FDP nach wie vor und nachdrücklich für den Umweltschutz einsetzt und daß auch bei der Stromerzeugung aus Kohle die technisch möglichen Maßnahmen zur Reinhaltung unserer Luft ergriffen werden müssen. Die Teilregelungen der Grofifeuerungsanlagen-Verordnung laufen aber, das ist meine Beurteilung, energiepolitischen Zielen zuwider, ohne daß damit erkennbar Umweltverbesserungen erzielt werden. Ein Eckpfeiler für einen garantierten Kohleabsatz ist der Jahrhundertvertrag mit der Elektrizitätswirtschaft. Wir dürfen Gott sei Dank konstatieren, daß der Absatz an die Elektrizitätswirtschaft trotz stagnierenden Stromverbrauchs 1982 leicht gesteigert werden konnte, insbesondere durch Sub612 stitution anderer Primärenergieträger. Aber auch in der Elektrizitätswirtschaft hat die Entkoppelung voll durchgeschlagen, so daß die Zuwachsraten in Zukunft geringer ausfallen dürften. Die Elektrizitätswirtschaft hat erst kürzlich bei ihrer Jahrestagung bekräftigt, daß es nicht den geringsten Zweifel an ihrer Vertragstreue gibt. Es ist aber davor zu warnen, durch neue Verhandlungen über die Rolle der Importkohle dieses umfassende Vertragswerk als Paket aufzuschnüren. Schon im vergangenen Jahr - und darauf muß man immer wieder hinweisen - sind die Importkontingente bei weitem nicht ausgeschöpft worden. Der Vorwurf der Opposition, die Bundesregierung und die Koalitionsparteien betrieben eine neue Kohlepolitik, ist völlig aus der Luft gegriffen. ({3}) In zwei Regierungserklärungen innerhalb eines Jahres sowie in der Regierungserklärung zur Kohlerunde am 3. Dezember des vergangenen Jahres wurde die bisherige Kohlepolitik bestätigt. ({4}) Über Förderziele und globale Absatzgarantien ist auch zu Zeiten der sozialliberalen Koalition seitens der Bundesregierung nie verhandelt worden. Dagegen hat sich die Bundesregierung, wie ich meine, bisher auch mit Recht gewehrt. Sie wird in ihrer Haltung im übrigen auch durch das Jahresgutachten 1982/83 des Sachverständigenrats voll bestätigt. Inzwischen hat sich dieser Erkenntnisprozeß ja auch in den Reihen der SPD, wie ich vernommen habe, durchgesetzt. Denn erst kürzlich hat der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister, Prof. Jochimsen, geäußert - ich zitiere -: Wenn Strom und Stahl Wärme nicht mehr abnehmen können, dann wäre es absurd, langfristig am Markt vorbei zu operieren. ({5}) - Herr Kollege Wolfram, Sie haben ja gleich Gelegenheit, sich nach mir zu äußern. Ich bin gespannt. ({6}) Ich bin aber auch gespannt, Herr Kollege Wolfram, ob sich diese Erkenntnis auch bei Ihnen durchsetzen wird. Sonst würde ich Ihnen empfehlen, sich bei Ihrem Herrn Kollegen Jochimsen die entsprechenden Informationen und Erkenntnisse zu besorgen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die FDP wird auch künftig entsprechend der 3. Fortschreibung des Energieprogramms der Bundesregierung am Vorrang der heimischen Steinkohle im Verstromungsbereich festhalten. ({7}) Es ist jedoch Aufgabe und Verantwortung der Unternehmen des deutschen Steinkohlenbergbaus, durch geeignete Maßnahmen mittel- und langfristig die Förderung und den Absatz der Kohle in Einklang zu bringen. Dies wird auch unmißverständlich im Jahresgutachten 1982/83 des Sachverständigenrats zum Ausdruck gebracht. ({8}) Es wird zudem durch die jüngste Energiestudie des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung erhärtet. Die FDP steht zu der in der Kohlerunde im Dezember 1982 gemachten Zusage, dem deutschen Steinkohlenbergbau auch in Zukunft die Unterstützung zu geben, die er zur Überwindung der Schwierigkeiten benötigt und die sich auch im Rahmen der entsprechenden finanziellen Möglichkeiten bewegen muß. - Ich bedanke mich. ({9})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wolfram.

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich bewundere zunächst einmal den Mut, um nicht zu sagen die Unverfrorenheit, ({0}) mit der die von mir geschätzten Kollegen Gerstein und Beckmann hier Wechsel ausstellen, die sie mit Sicherheit nicht einlösen können. ({1}) - Ja, das werden wir leider Gottes, da Sie ja für die nächsten vier Jahre die Regierungsmehrheit haben, sehr bald und zu Lasten der Bergleute und der Bergbauregionen erleben. Ich würde mir wünschen, Herr Bundeswirtschaftsminister Graf Lambsdorff, daß Sie nach mir oder im Laufe der Debatte noch einmal an dieses Rednerpult treten und uneingeschränkt bestätigen, was der Kollege Gerstein global und allgemein zur Kohlevorrangpolitik, zur Erhaltung von bergmännischen Arbeitsplätzen, gegen Zechenstillegungen usw. gesagt hat. Ich fordere Sie auf: Kommen Sie hierher, und bestätigen Sie uns das! Dann werden Sie unsere Zustimmung finden. Aber ich befürchte, Sie werden es nicht tun. Meine Damen und Herren, CDU, CSU und FDP in Bund und Ländern schicken sich an, die Aufgaben und Probleme der Energiepolitik der 80er und der 90er Jahre mit Mitteln und Methoden der 50er und 60er Jahre zu lösen. Sie werden die Fehler und Versäumnisse der damaligen Zeit wiederholen, wenn sie meinen, mit Einschnitten in die Förderkapazität, mit Zechenstillegungen und mit der Abschaffung Tausender von Arbeitsplätzen könnten sie die aktuellen Probleme des deutschen Steinkohlenbergbaus und unseres Energiemarkts lösen. Bevor ich dazu etwas Näheres aussage, möchte ich zunächst einmal feststellen, wo wir uns, Herr Wirtschaftsminister, mit Ihnen und der derzeitigen Bundesregierung bezüglich des JahreswirtschaftsWolfram ({2}) berichts und der Energiepolitik in Übereinstimmung befinden. Wir stimmen überein, daß Energie weiter gespart werden muß. Es gibt noch beträchtliche Einsparpotentiale. Wir stimmen überein, daß die Ölimportabhängigkeit weiter verringert werden muß. Da gibt es große Möglichkeiten. Wir stimmen überein, daß das Energieangebot weiter diversifiziert werden muß. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß die bislang erfolgreiche Entwicklung auf diesen drei Feldern fortgesetzt wird. Wir unterstreichen die besondere Bedeutung der Fernwärme. Der Jahreswirtschaftsbericht schmückt sich hier wie auf anderen Feldern mit fremden Federn; denn das, was bisher beim Ausbau der Fernwärme erreicht worden ist, geht ausschließlich auf unsere Initiativen zurück. ({3}) Ich fordere Sie auf: Stellen Sie zusätzliche Mittel für den weiteren Ausbau und für die Verdichtung der vorhandenen Fernwärmenetze bereit. Sie können schon im Haushalt 1984 etwas dafür tun. Wir begrüßen - das habe ich bereits bei anderer Gelegenheit festgestellt -, daß die Anpassungsgeldregelung für ausscheidende Bergleute um fünf Jahre verlängert, der Rückkauf der nationalen Kohlereserve um drei Jahre verschoben und die Begrenzung der Kohleimporte aufrechterhalten wird. Das sind im übrigen unsere Forderungen gewesen. Wenn die FDP nicht ausgestiegen wäre, hätte noch die alte sozialliberale Regierungskoalition diese Dinge verwirklicht. Die Voraussetzungen waren ja so weit geschaffen, daß die neuen Minister nur zu unterschreiben brauchten. Wer den Jahreswirtschaftsbericht kritisch liest, wird feststellen, daß diese Bundesregierung wesentliche Energiebereiche ausspart. Kein Wort zum Erdgas und zur Einbeziehung von Berlin ({4}) in den deutsch-sowjetischen Gasvertrag. Wir begrüßen, daß dieser gelungen ist. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß Berlin beim Ausbau des Erdgasnetzes, insbesondere bei der Schaffung der Speicherkapazitäten, finanziell geholfen wird. ({5}) Wir vermissen ein Wort zur heimischen Braunkohle. Sie ist und bleibt neben unserer Steinkohle die wichtigste heimische Energiequelle, die auch in Zukunft ihren bisherigen Versorgungsbeitrag leisten muß. Im Jahreswirtschaftsbericht findet sich kein Hinweis auf die Energieforschung, vor allem auf die Erforschung alternativer Energien, und kein Wort zur Kohleveredelung. Das Emirat Niedersachsen und das nach wie vor ungelöste Problem der Windfall-Profits werden ausgeklammert. Kein Wort wird dazu gesagt. Kein Wort hört man über die Krisenvorsorge und nicht zur internationalen energiepolitischen Zusammenarbeit. Die Bundesregierung macht es sich auch zu leicht, wenn sie verbal erklärt, sie werde den Mineralölmarkt beobachten und auf eine ausgewogene Marktstruktur achten. Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie wissen doch, wie sehr kleine und mittlere selbständige Mineralölhändler und Tankstellenbesitzer um ihre Existenz fürchten, wie sie sich einem rücksichtslosen Verdrängungswettbewerb ausgesetzt sehen. Helfen Sie doch dann wirklich, und reden Sie nicht nur von mittelstandsfreundlicher Politik! Hier könnten Sie es konkret beweisen. Unwahr, mit vielen Risiken behaftet, sind die Aussagen zur Kohlepolitik, ganz davon abgesehen, daß es keine verbindlichen, einheitlichen, konkreten Aussagen gibt. Unwahr, Herr Bundeswirtschaftsminister, ist der Satz: „Die Bundesregierung wird ihre in der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms festgelegte Kohlepolitik fortsetzen." Erstens hat nicht die heutige, sondern die von Helmut Schmidt geführte Bundesregierung die Kohlepolitik der Dritten Fortschreibung festgelegt. Zweitens verläßt die heutige Bundesregierung die zehn Jahre erfolgreiche Kohlepolitik. Sie umschreibt im Jahreswirtschaftsbericht ihre wahren Absichten. Sie verschleiert ihre wirklichen Ziele. Sie konstatieren Übereinstimmung von Bund und Ländern, Bergbau und IG Bergbau und Energie, als ob eine gleiche Feststellung von Tatsachen und Fakten auch eine Übereinstimmung bezüglich der notwendigen Schlußfolgerungen und Konsequenzen bedeute. Die Bundesregierung stiehlt sich aus der Verantwortung, wenn sie so tut, als gehe es nur um Unternehmensentscheidungen, verehrter Herr Kollege Gerstein, damit der deutsche Steinkohlenbergbau aus seiner derzeitigen Talsohle wieder herauskommt. Was versteht die Bundesregierung eigentlich unter ihrer Forderung nach linearen und punktuellen Förderrücknahmen? Das ist doch ein Widerspruch zu den Behauptungen der Kollegen Gerstein und Beckmann. Warum verschweigt der Herr Bundeswirtschaftsminister vor diesem Hause, daß seine Mitarbeiter auf Zechenstillegungen drängen? Stimmt es, Herr Bundeswirtschaftsminister, daß einer Ihrer Staatssekretäre - Sie haben ja inzwischen noch einen Aufpasser aus den Reihen der CDU dazu bekommen - bei der letzten Wirtschaftsministerkonferenz am 30. Mai die Stillegung von 10 Millionen Tonnen Steinkohlenkapazität für nötig befunden, für erforderlich gehalten oder gefordert hat? Ich weiß nicht, wie die genaue Formulierung war. Hat nicht die niedersächsische Wirtschaftsministerin, Frau Breuel, diese Rücknahme als nicht ausreichend bezeichnet? Fordert der neue NRW-CDU-Vorsitzende, Herr Dr. Worms - Nachfolger von Professor Biedenkopf seligen Gedenkens -, nicht die Stillegung von Zechen? ({6}) Der Katalog könnte fortgesetzt werden. Äußern Sie sich doch, Herr Wirtschaftsminister, einmal zu der Forderung des bayerischen CSU-Vorsitzenden Wolfram ({7}) und Ministerpräsidenten, die Kohlevorrangpolitik aufzugeben und die Kernenergiepolitik zu puschen und zu forcieren. Das sind doch die Wahrheiten und die Widersprüche. ({8}) Sie verschleiern unseren Bürgerinnen und Bürgern die wirkliche Situation. Ich muß sagen, das ist verantwortungslos. ({9}) Ich fordere deshalb die Bundesregierung auf, hier - nicht Fördergarantien zu geben, nein -, ich fordere die Bundesregierung auf, klipp und klar zu sagen: was soll denn der deutsche Bergbau in Zukunft für einen Versorgungsbeitrag leisten? ({10}) Ich will jetzt nicht den Versuch machen, aus der Dritten Fortschreibung zu begründen, weshalb wir sagen: es muß um die 90 Millionen Tonnen liegen. Ich will nur darauf hinweisen: die derzeitige Misere ist fast ausschließlich die Folge des Rückganges des Absatzes an die Stahlindustrie. Es gibt Möglichkeiten des Ausgleichs. Man muß es nur politisch wollen. Es gibt mit Sicherheit die Möglichkeit, die Importe zu drosseln und die Exporte zu fördern. Es gibt vor allem die Möglichkeit, dem deutschen Steinkohlenbergbau einen größeren Anteil am Wärmemarkt zu verschaffen.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Abgeordneter, des Herrn Abgeordneten Wissmann?

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Wolfram, ich hatte mir erlaubt, über einen Zwischenruf, schon die Frage zu stellen, - Wolfram ({0}) ({1}): Ist bei mir akustisch nicht angekommen.

Matthias Wissmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Da Sie sie noch nicht beantworten konnten, wollte ich sie wiederholen. Wie nehmen Sie denn Stellung zu der Veröffentlichung in der „Frankfurter Rundschau" vom 7. Juni 1983, wonach der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister, Professor Raimund Jochimsen, in einem Gespräch mit dieser Zeitung erstmals habe durchblikken lassen, daß das für 1990 angepeilte Förderziel im deutschen Steinkohlenbergbau von 90 Millionen Tonnen für die Düsseldorfer Regierung grundsätzlich kein Tabu sei?

Erich Wolfram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002558, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Verehrter Herr Kollege Wissmann, ich würde sehr gern konkret und im Detail darauf antworten. Ich habe gestern ein langes Gespräch mit Professor Jochimsen gehabt, weil einige Überschriften mißverständlich waren. Sie zitieren ebenso wie der Kollege Gerstein und Herr Kollege Beckmann Jochimsen völlig unvollständig. ({0}) Der Professor Jochimsen hat zu Recht versucht -- Also, wissen Sie, wir haben noch nie den Anspruch erhoben, zu behaupten, die „Frankfurter Rundschau" sei unsere Zeitung. ({1}) - Daß sie objektiver als Ihnen nahestehende Zeitungen berichtet, will ich hier gern öffentlich bekunden. - Herr Kollege Wissmann, ich hoffe sehr, wir werden im Wirtschaftsausschuß konkreter auf diese Punkte zurückkommen. Mein Debattenbeitrag erlaubt es nicht. Der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen ebenso wie die Landesregierung von NordrheinWestfalen stehen uneingeschränkt zur Kohlevorrangpolitik. Sie sind gegen Zechenstillegungen, sie sind dafür, daß dem Bergbau Absatzmöglichkeiten auf dem Wärmemarkt und auf anderen Feldern eröffnet werden und daß das staatlich gefördert wird. Der Wirtschaftsminister will vielleicht diese Bundesregierung zwingen, das, was hinter der hohlen Hand gesagt wird, was hinter verschlossenen Türen geschieht, einmal offen darzulegen. Ich hoffe sehr, daß der Herr Wirtschaftsminister noch die Gelegenheit nutzt und sagt, ob sein Haus und andere in der CDU/CSU und in der FDP an die Verringerung von Förderkapazitäten in Größenordnungen zwischen 10 Millionen und 15 Millionen t denken. ({2}) - Ich habe noch drei Minuten Zeit, verehrter Kollege, und ich habe eigentlich vor, noch eine Menge zu sagen. Bitte, setzen wir den Dialog im Wirtschaftsausschuß fort. Wir weichen Ihnen nicht aus. Der Wärmemarkt umfaßt 140 Millionen t SKE. Nur rund acht bis zehn Millionen t SKE davon werden von der Steinkohle bedient. Dort gäbe es die Möglichkeit, den ausfallenden Absatz in der Stahlindustrie zu ersetzen, indem man den Wärmemarkt stärker bedient. Es wäre also eine Möglichkeit, den Bergbau aus der aktuellen Talsohle herauszuführen. ({3}) Sie bagatellisieren doch, wenn Sie so tun, als sei die Welt in den Kohle-, in den Bergbaurevieren in Ordnung. Lesen Sie doch nur einmal nach, was Herr von Benningsen dieser Tage noch vor dem CDU-Wirtschaftsrat prognostiziert hat, welche Zeiten auf den Bergbau zukommen. Meine Damen und Herren, die derzeitigen Energiekapazitäten und nachgebende Preise dürfen nicht dazu verleiten, daß die Sicherung der zukünftigen Energieversorgung außer Betracht gelassen wird. Kurzfristig sinkende Ölpreise überdecken den Wolfram ({4}) langfristigen Trend zu steigenden Energiepreisen. Trotz der gegenwärtigen Überflußlage sind längerfristig erneute Versorgungsengpässe zu befürchten. Jederzeit sind politisch bedingte Verknappungen möglich. Das Gleichgewicht des Weltenergiemarktes ist und bleibt leider labil. Die deutsche Stein- und Braunkohle ist ein unverzichtbarer Teil unserer Energieversorgung. Die These vom „Gesundschrumpfen", die Vorstellung, daß mit Verringerung der Förderkapazität durch Stillegung von Grenzzechen die Wettbewerbsfähigkeit des Bergbaues hergestellt und öffentliche Hilfen verringert werden können, sind doch irrig und falsch. Warum verschweigt die Bundesregierung, daß in den letzten Jahren das leichte Heizöl um 90 %, das schwere Heizöl um 25 % und das Erdgas um 20 bis 45% teurer geworden ist als die heimische Steinkohle? Lediglich die Importkohle ist um 30 bis 40 % billiger. Wen wundert's, wenn er die Löhne für die farbigen Arbeiter in den südafrikanischen Zechen kennt. Das kann doch wohl nicht die Alternative zu unseren Arbeitsplätzen sein. Herr Bundesarbeitsminister Blüm, ich fordere Sie auf, sich hier hinzustellen und zu sagen, wie es denn um die Lage der Zechen im Dortmunder Raum bestellt ist, wenn das schon der Herr Kollege Gerstein, der es besser wissen müßte, hier nicht öffentlich zugibt. Sie wissen doch, wo die Problemzechen und die Problembereiche liegen und welche Konsequenzen sich nicht nur für die Bergleute und ihre Familien ergeben, sondern auch für die Bergbaustädte und Bergbauregionen, wenn Sie mit dieser falschen Energie- und Kohlepolitik fortfahren. Meine Damen und Herren, volkswirtschaftlich führen im übrigen die vom Bundeswirtschaftsministerium und von CDU/CSU-Politikern offensichtlich für richtig gehaltenen Zechenstillegungen zu zusätzlichen fiskalischen Lasten. Es ist ein Irrtum anzunehmen, daß diese Lösung billiger würde. Ich verstehe, daß Sie den Unternehmen den Schwarzen Peter zuzuschieben versuchen und sie drängen, die Entscheidungen zu treffen, die Sie ihnen vorgeben, um nicht zu sagen aufzwingen. Aber, Herr Bundeswirtschaftsminister, Sie sehen da nur die betriebswirtschaftliche Seite, Sie lassen die volkswirtschaftliche Betrachtung außen vor. Sie wissen, daß jede Million Tonnen stillgelegter Förderkapazität die öffentlichen Hände zusätzlich belastet, im ersten Jahr - so Rechnungen - mit 150 Millionen DM, in den Folgejahren mit jährlich 120 Millionen DM. Sie wissen, daß der Wegfall Tausender von Ausbildungsplätzen und Zehntausender von Arbeitsplätzen im Bergbau und in der Bergbauzulieferindustrie nicht zu verkraften sind, weder vom Saarland noch vom Aachener Revier noch vom Ruhrgebiet. Sie wissen, daß sich die Lage der Städte an Rhein und Ruhr, vor allem der Städte, die von der Situation in der Stahlindustrie schon hart betroffen sind, weiter drastisch verschlechtern würde, wenn nach denen auf Erin weitere Tausende von Arbeitsplätzen vernichtet würden, ohne daß dafür in absehbarer Zeit neue geschaffen werden könnten. Deshalb, meine Damen und Herren, fordern wir die Bundesregierung auf, nicht nur verbal Liebeserklärungen zur Beruhigung abzugeben, sondern entweder schonungslos die Wahrheit und ihre wirklichen Absichten darzulegen oder ernstzumachen mit der Behauptung, sie setze die Energie- und Kohlepolitik in der Dritten Fortschreibung fort. Wenn sie letzteres will, wird sie unsere Unterstützung finden. Wenn sie das nicht tut, wird sie auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. Sie werden dann an Rhein und Ruhr sowie im Saarland die politische Verantwortung dafür zu übernehmen haben. ({5}) Herr Bundeskanzler Kohl ist im Wahlkampf ins Revier gezogen mit der Parole: „Wir schaffen Arbeit für's Revier." Alles, was Sie bisher erreicht haben, läßt eher die traurige Schlußfolgerung zu: Wenn Sie so weitermachen, schaffen Sie das Revier. Und dem werden wir unseren politischen Widerstand entgegensetzen. Wer mit uns bereit ist, die Kohlevorrangpolitik, d. h. die Aufrechterhaltung der derzeitigen Förderkapazität - da streiten wir uns nicht um eine Million oder zwei Millionen Tonnen mehr oder weniger -, zu unterstützen, der wird uns als Partner finden. ({6}) - Die 13 Jahre, verehrter Herr Kollege aus Osnabrück, sind dem Ruhrgebiet, dem Bergbau und den Bergleuten gut bekommen. Und das machen Sie jetzt in wenigen Wochen kaputt. ({7}) Das ist Ihre Politik, und der werden wir unseren Widerstand entgegensetzen, ({8}) nicht mit verbalen Bekenntnissen, ({9}) sondern mit politischem Handeln. - Vielen Dank. ({10})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Wirtschaft.

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte in aller gebotenen Kürze, um die Debatte nicht ungebührlich zu verlängern und von der Regierungsbank aus in Anspruch zu nehmen, zu einigem, was im Laufe des Tages vorgebracht worden ist, Stellung nehmen. Dabei beschränke ich mich auf das, was nicht schon Beantwortung durch Kollegen aus den Koalitionsfraktionen gefunden hat. Ich werde mich also mit der Behauptung, die Sie, Herr Jens, hier aufgestellt haben, die Bundesregierung benutze die Arbeitslosigkeit als Mittel ihrer Wirtschaftspolitik, nicht mehr auseinandersetzen. Das ist gebührend klargestellt und zurückgewiesen worden. Ich habe - ich sehe Herrn Stratmann nicht mehr; er scheint nicht mehr im Saal zu sein - heute morgen fünfmal in seiner Rede die Aufforderung gehört, wir möchten doch zuhören. Das muß mit seinem Beruf zu tun haben. Das darf man ihm nicht übelnehmen. Nur, er selber hat nicht zugehört. Er hat von mir eine Interpretation der Studie des Bundeswirtschaftsministeriums bzw. einer Unterabteilung des Bundeswirtschaftsministeriums verlangt, mit der ich mich heute morgen in meinen Ausführungen ausführlich auseinandergesetzt habe. ({0}) Wenn ich mir allerdings die wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Vorstellungen von Herrn Stratmann vor Augen führe, dann heißt das praktisch, den unmittelbaren Anschluß vom BAföG an die Rente zu finden und dazwischen ein bißchen 26Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich einzuschieben. Wer soll das eigentlich bezahlen? ({1}) Das Geld dafür wird dann im Keller gedruckt. - Das sind doch absolut unrealistische, nicht finanzierbare, überhaupt nicht durchdachte Vorstellungen, mit denen eine ernsthafte Diskussion nicht bestritten werden kann. ({2}) Herr Kollege Ehrenberg, Bleichstarke Zweifel möchte ich auch an Ihrem Vorschlag anmelden. - Der ist auch nicht mehr hier. Das ist alles sehr betrüblich. ({3}) Meine Damen und Herren, ich sage deswegen, daß das sehr betrüblich sei, weil ich der Meinung war, einen Tag wirtschaftspolitische Debatte würde den Bedürfnissen des Hauses und uns genügen. Es wurde dann gesagt, die Fraktionen wollten zwei Tage. Aber nun ist keiner von denen, die gesprochen haben mehr hier. Reden halten und dann weg. ({4}) - Sie sehen mich doch hier immer sitzen, Herr Kollege Wolfram. Das wissen Sie doch sehr genau. ({5}) Meine Damen und Herren, zu dem, was Herr Ehrenberg vorgeschlagen hat, daß man nämlich den Kapitaldienst bei der Finanzierung von Umweltschutzanlagen übernehmen sollte: Erstens meinte er hoffentlich nicht den Kapitaldienst, sondern allenfalls den Zinsdienst, sonst könnte man das gleich verschenken. Zum zweiten ist dies die Einführung einer Zinssubvention in der ganzen Breite der Wirtschaft mit einem Unterlaufen der geldpolitischen Möglichkeiten der Bundesbank, ein Gedanke, den ich nicht für zu Ende durchdacht halte und den man schleunigst wieder vergessen sollte. Ich verstehe j a völlig, daß hier nun, was die Flußbereinigung und den Umweltschutz anlangt, auch die Ems-Weser-Elbe-Region zur Sprache gebracht wird. Ich höre es bei diesem Vorschlag im Wahlkreis des Kollegen Ehrenberg richtig klingeln, und dagegen ist nichts einzuwenden. Aber ich wehre mich dagegen, daß uns gesagt wird, es sei eine beschäftigungspolitische Untätigkeit der Bundesregierung zu verzeichnen. Nein, meine Damen und Herren, es gibt nur unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man beschäftigungspolitisch wirksam tätig werden kann. Das bestreiten wir ja gar nicht; das ist ja der Gegenstand der Debatte. Aber „beschäftigungspolitische Untätigkeit" ist ein unqualifizierter und nicht aufrechtzuerhaltender Vorwurf. Der Kollege Wolfram hat, wie erwartet, das Thema Kohle- und Energiepolitik in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt. Nur, Herr Wolfram, noch niemals ist der Jahreswirtschaftsbericht die dritte oder die vierte oder die fünfte Fortschreibung des Energieprogramms gewesen. Natürlich können wir uns im Rahmen des Jahreswirtschaftsberichts nur mit den aktuellen und drängenden Problemen, wie sie zu dieser Zeit sichtbar waren, befassen. Dabei haben wir auf das aufmerksam gemacht, was wir in der Kohlerunde im Dezember vorigen Jahres mit Zustimmung auch der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie und der Unternehmen zustande gebracht haben. Das Ergebnis kennen Sie. Sie werden dieses Ergebnis auch in den Haushaltsansätzen für das Jahr 1984 weitgehend bestätigt sehen, obwohl uns wahrlich die Finanzknappheit und der ständige - auch von Ihnen zu vernehmende - Ruf, die Subventionen abzubauen, dabei Schwierigkeiten bereiten.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Jens?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Bitte sehr.

Prof. Dr. Uwe Jens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001026, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Graf Lambsdorff, können Sie denn hier bestätigen, daß Sie sich an die Dritte Fortschreibung des Energieprogramms halten, in der steht, daß wir für 1990 eine Förderkapazität von 90 Millionen t aufrechterhalten wollen?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Herr Kollege Jens, ich würde Ihnen wirklich empfehlen, die Jahre alte Dritte Fortschreibung zu lesen, bevor Sie solche Fragen stellen oder solche Behauptungen aufstellen. Das, was Sie behaupten, steht - selbst wenn man es noch so oft zitiert - nicht drin. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Herr Bundesminister, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage?

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Nein, Frau Präsidentin, ich will jetzt fortfahren. Ich hatte gesagt, ich will nicht viel Zeit in Anspruch nehmen. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal sagen: Wir wissen, daß wir eine Förderkapazität von 90 Millionen t haben. ({0}) - Nun mal langsam! - Wir haben im Jahre 1982 etwa 90 Millionen t gefördert, wir haben aber nur 80 Millionen t abgesetzt. ({1}) Wir haben 35 Millionen t auf Halde liegen. Davon sind 10 Millionen t nationale Steinkohlereserve. 25 Millionen t liegen und müssen finanziert werden, und demnächst gibt es keinen Platz mehr, an dem Sie noch weitere Halden aufschütten könnten. ({2}) Was machen wir nun in dieser Situation? Zum einen haben wir uns darauf geeinigt, leider wieder eine im Raum „östliches Ruhrgebiet" liegende Zeche, nämlich Erin, auslaufen zu lassen - und zwar in Übereinstimmung mit allen Beteiligten, wenn auch nicht mit Ihnen, Herr Wolfram, aber es kommt nicht immer auf Sie an, sondern, wie ich gern zugeben will, in diesem Falle auf andere Beteiligte -, eine Zeche, die sich ohnehin wegen der schlechten geologischen Verhältnisse durch hohe Unwirtschaftlichkeit auszeichnet. ({3}) Nun sagen Sie, Herr Wolfram: Ihr könntet ja den Ausfall beim Stahl - und Sie bestreiten nicht, daß eine verringerte Stahlproduktion einen verringerten Kokskohleeinsatz und damit einen verringerten Kohleverbrauch bedeutet - durch den Wärmemarkt ausgleichen. - Am Wärmemarkt sind bei realistischer und vernünftiger Einschätzung - das ist wieder ein Ergebnis der Kohlerunde vom Dezember, und da sind wieder alle Beteiligten der gleichen Meinung - pro Jahr vielleicht noch 1 bis 2 Millionen t zusätzlich drin. ({4}) - Herr Wolfram, es stimmt ja nicht! Wo wollen Sie denn 4 bis 5 Millionen einsetzen? Das sind doch theoretische Zahlen. ({5}) Das ist nicht durchführbar. Sie sagen, die Fernwärme könnte es bringen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen - ich kritisiere das ja nicht, stelle es aber fest - hat sich als erste daran beteiligt, bei der Verschärfung der Großfeuerungsanlagen-Verordnung den Fernwärmebonus zu streichen. Es gibt bei der Fernwärme keine Chancen mehr, wenn diese Großfeuerungsanlagen-Verordnung so kommt. Wenn Sie sie so wollen, wenn wir sie so wollen, wird sie so beschlossen. Aber Sie können nicht beides auf einmal haben: Sie können den Kuchen nicht aufessen und ihn gleichzeitig behalten. Das ist beim besten Willen nicht zu machen. ({6}) - Nein, das ist der Vorschlag, der aus NordrheinWestfalen gekommen ist. Ich kritisiere ihn ja gar nicht. Ich stelle nur fest: Dies ist das Ergebnis. Aber Sie können uns nicht die Landesregierung mit diesem Vorschlag auf den Hals schicken und dann anschließend mit der Kritik antreten, die Sie hier vorbringen. ({7}) - Ja, das ist aber eine Doppelstrategie, die ziemlich durchsichtig ist; damit fällt man auf. Meine Damen und Herren, eine Fördergarantie wollen Sie auch nicht geben und können Sie auch nicht geben. Da ist es dann so, daß auch die Unternehmen in ganz wesentlichem Maße mit dazu beitragen müssen, sich auf die veränderte Absatzlage einzustellen. ({8}) - Sicher tun sie das. Nur, das Problem liegt doch darin: Wo wollen die verkaufen? Im Ausland, Minderpreisgeschäfte, die der Bundeshaushalt dann mit weiteren Subventionen finanzieren muß? So einfach ist das doch alles nicht! ({9}) Völlig zu Recht hat deswegen der nordrhein-westfälische Wirtschaftsminister Jochimsen vor einigen Tagen gesagt: Wenn es im Wärmemarkt keinen Erfolg geben sollte, dann wäre es absurd, gegen den Markt dauerhaft operieren, gegen den Markt dauerhaft fördern zu wollen. Ich kann diese Feststellung nur unterstreichen. Sie ist realistisch, sie orientiert sich an den Tatsachen. Was wir im Wärmemarkt mit allen Beteiligten gemeinsam tun können, geschieht und wird weiterhin geschehen, Herr Jens; darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Das einzige, was wir tun können, was wir tun konnten und auch getan haben, war der Abschluß des Verstromungsvertrages, ist die Aufrechterhaltung des Verstromungsvertrages, ist die Sicherung des Einsatzes der Steinkohle bei der Stromerzeugung. ({10}) - Herr Stratmann, reden wir da einmal über Grundlast, Mittellast und Spitzenlast, reden wir einmal in einer vernünftigen Auseinandersetzung über die Möglichkeiten, die es gibt. Aber auch hier stelle ich Ihnen natürlich die Frage: Wie, glauben Sie, kann das mit dem Einsatz der Steinkohle angesichts der verschärften Umweltschutzbestimmungen, insbesondere mit dem Einsatz von Ballastkohle, insbesondere mit dem Einsatz niederflüchtiger Kohle, werden? Ich hoffe, daß wir alle gemeinsam in der Lage sein werden, den Verstromungsvertrag erfolgreich zu verteidigen. Die Bundesregierung - dessen können Sie sicher sein - wird sich darum bemühen und auch insofern an der Dritten Fortschreibung des Energieprogramms festhalten. Ich weiß nicht, ob das Zitat, das Sie Herrn Strauß nachsagen, was die Person anlangt, stimmt. Wenn aber jemand sagt, es soll keine Kohlevorrangpolitik mehr geben, so antworte ich: In dem Maße, in dem wir Kohlevorrangpolitik in der Regierungserklärung bestätigt haben, in der KohleRunde bestätigt, aus der Dritten Fortschreibung übernommen haben, werden wir sie fortsetzen. Aber sie kann sich nur auf die Teile des Kohleeinsatzes beziehen, den man mit staatlicher Hilfe und mit staatlichen Mitteln - das ist im wesentlichen der Verstromungsvertrag - auch wirklich garantieren kann. Wir werden gegen Ende dieses Monats, meine Damen und Herren, erneut eine KohleRunde veranstalten und uns mit den Problemen erneut beschäftigen. Aber ich sage Ihnen noch einmal - ich sagte es vorhin schon; das gilt dann auch für die Kohleveredelung, das gilt für die Stillegungsprämien, das gilt für die Investitionshilfen -, daß die Haushaltsgespräche, die ich mit dem Bundesfinanzminister in dieser Frage in der vorigen Woche geführt habe, zu meiner Zufriedenheit ausgegangen sind und bestätigen, daß auch an den Zahlen ablesbar wird: Die Bundesregierung wird die Kohlepolitik nicht ändern. Nun, meine Damen und Herren, ein letztes Wort, das ich noch sagen möchte. Herr Schwenninger hat in der Diskussion um den Jahreswirtschaftsbericht und um die Probleme der Entwicklungsländer in der Dritten Welt weit ausgeholt. Ich habe volles Verständnis für die Art der Darstellung, auch für die Schärfe, mit der die Probleme uns hier vor Augen geführt werden. Es ist vielleicht ganz gut, sich daran immer wieder einmal zu erinnern. Aber man darf sich den Blick für die realistischen Lösungsmöglichkeiten nicht verstellen lassen, die uns gegeben sind, die in Williamsburg angesprochen worden sind und die uns in der UNCTAD vier Wochen beschäftigen werden. Der Kollege Warnke wird während der Konferenz dort hinfahren. Ich selbst werde dann zum Schluß, in der eigentlichen Verhandlungsrunde noch einmal in Belgrad sein. Da muß ich in der Tat sagen, Herr Schwenninger: Die niedrigen Löhne für Teesammlerinnen, Teecutterinnen oder auch für die Textilarbeiter, die das von Ihnen getragene Hemd herstellen, die Sie genannt haben, sind zweifellos zu beklagen. Aber viel bedauerlicher - und hier hätte ich gern Ihre Kritik gehört - ist die Tatsache, daß die Industrieländer diese Anlagen in den vergangenen Jahren finanziert, aufgestellt und zur Verfügung gestellt haben, aber kaum, daß von dorther exportiert und gefertigt werden kann, ihre Märkte für diese Produkte schließen. ({11}) Ich kann nicht verstehen, Herr Schwenninger, wie Sie kritisieren können, daß die Brasilianer in der Lage sind, Fleisch und Melonen zu exportieren; denn wie um alles in der Welt sollten sie eigentlich ihre Schulden abverdienen? Wie sollen sie eigentlich die Importe finanzieren, die sie brauchen, ein Land wie Brasilien, das energieabhängig ist? ({12}) Sie kritisieren die Kraftstoffbeschaffung über die Verwendung von Rohzucker in Brasilien, die in den Augen der Brasilianer ein großer Erfolg ist. Wenn der Export dort nicht funktionieren kann, kommen sie aus ihrer Misere gar nicht oder nur sehr schwer heraus. ({13}) Sie haben gesagt: Es gibt eine Verschärfung des Nord-Süd-Gefälles. Ich fürchte, daß Sie aus den Zahlen ablesbar recht haben. Aber dann fügen Sie bitte hinzu, Herr Schwenninger, daß die Energiepreisentwicklung die Länder des Südens am härtesten getroffen hat, härter als die industrialisierten Länder. Die „most seriously affected countries" sind Entwicklungsländer, die durch die Energiepreise aus Entwicklungsländern - die Energielieferanten sind Mitglieder der Gruppe der 77 - hart getroffen worden sind. Dann fügen Sie bitte auch hinzu, Herr Schwenninger, daß die Ausgaben der Entwicklungsländer für Waffen - auch das kann wohl nicht übersehen bleiben - die öffentliche Entwicklungshilfe der Industrieländer weitgehend übertreffen und überkompensieren. Es sind doch nicht unsere nationalen Entscheidungen, sondern es sind die nationalen Entscheidungen von deren Regierungen, daß sie Waffen kaufen, und wir liefern weiß Gott noch am allerwenigsten von dem, was in der Welt geliefert wird. ({14}) Drittens. Wenn Sie dieses Thema so ansprechen, dann müssen Sie darauf hinweisen, daß die geradezu bedrückende Bevölkerungsexplosion in den Entwicklungsländern einer der wesentlichen Gründe dafür ist, daß das Gefälle stärker geworden ist, daß die Schere sich weiter geöffnet hat. ({15}) Dem ist nicht damit zu helfen, meine Damen und Herren, daß Sie für Südafrika die Hermes-Bürgschaften abschaffen wollen und den Wirtschaftsboykott empfehlen. Dann sind schon wieder ein paar deutsche Arbeitsplätze weg. Das scheint, wenn es um solche Prinzipien geht, überhaupt keine Rolle zu spielen. ({16}) Wir können uns die Welt nicht aussuchen. Wir können überall die Märkte zumachen und immer aus politischen Gründen sagen: Dafür dürfen deutsche Arbeiter nicht produzieren, dann müssen sie lieber ihren Arbeitsplatz aufzugeben! So einfach ist die Welt ganz gewiß nicht. ({17}) Ich will Ihnen offen folgendes sagen. Das bringt mir vielleicht einigen Arger ein, und es ist auch nicht übertrieben, diplomatisch, was ich Ihnen jetzt sage. Ich war vorgestern bei der Eröffnung der UNCTAD in Belgrad. Die Eröffnungsrede als Sprecher der Gruppe der 77 hielt der argentinische Präsident, bekanntlich ein General a. D. Er hatte sich seinen Flügeladjutanten in voller Kriegsbemalung mit auf die Bühne gebracht. Als ich den Saal verließ, stand draußen mit der argentinischen Staatsflagge sein Auto, ein Mercedes 600. Es ist nicht diplomatisch, daß ich das sage, und die Bemerkung wird mir Arger eintragen. Aber irgendwo bekommen Sie doch das Gefühl, daß der eine oder andere von denen selber die Stilnotwendigkeiten und Stilfragen und die Sorgen der Menschen in seinem eigenen Land nicht so ganz verstanden hat, wie Sie es uns hier mit Recht dargestellt haben. ({18}) - Nein, vielen Dank. Ich komme zum Schluß.

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Keine Zwischenfrage. ({0})

Dr. Otto Lambsdorff (Minister:in)

Politiker ID: 11001272

Meine Damen und Herren, ich sage zum Schluß noch einmal: Wir werden uns auf dieser Konferenz, wie wir das übrigens schon in der früheren Regierung getan haben, u. a. dafür einsetzen - wir hoffen, daß wir dafür mehr Verständnis bei unseren Partnerländern auch in Europa und in der westlichen Welt finden -, daß es zu einem Erlösstabilisierungsprogramm kommt. Es muß aber eine Erlösstabilisierung sein, nicht eine Preisstabilisierung, nicht Stabex, das sich immer nur auf einen Rohstoff bezieht. Es geht um die Erlösstabilisierung der gesamten Rohstoffeinkommen eines Entwicklungslandes. Wir werden uns dafür einsetzen, daß hierfür weitere Mittel zur Verfügung gestellt werden und daß wir Fortschritte machen können. Wir haben nämlich gesehen, daß die Rohstoffpreisentwicklung der vergangenen Jahre in den Entwicklungsländern Probleme ausgelöst hat, denen man entgegenwirken sollte. Wir haben das schon in Manila vorgeschlagen. Wir haben dafür keine Zustimmung gefunden. Wir schlagen es jetzt wieder vor. Es gibt auch in diesem Bereich einen gewissen Grad von Kontinuität. Sie können versichert sein, daß sich die Bundesregierung ihrer Verantwortung in dieser Frage im Namen der Bürger der Bundesrepublik bewußt sein wird, die diese Auffassung, wenn ich das richtig sehe, teilen. - Vielen Dank. ({0})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Hinsken.

Ernst Hinsken (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000906, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Von Entwicklungspolitik wieder zurück zu Fragen der Wirtschaftspolitik, speziell unmittelbar uns in der Bundesrepublik Deutschland betreffend. Kein Wort wurde in den letzten Monaten so oft erwähnt wie das Wort Mittelstand. Die neue Regierung Kohl/Genscher ist sich seiner Bedeutung bewußt. Ich bedanke mich an dieser Stelle besonders herzlich bei unserem Bundeskanzler, seinem Finanzminister und besonders auch seinem Wirtschaftsminister Graf Lambsdorff, der heute wieder auf die große Bedeutung des Mittelstandes eingegangen ist, auf diese Bedeutung hingewiesen hat. ({0}) Zu Recht wird auch im Wirtschaftsbericht des Jahres 1983 darauf hingewiesen, daß für die Wiedergewinnung von wirtschaftlichem Wachstum und für die Sicherung und Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen die mittelständische Wirtschaft eine wichtige Rolle spielt, wird doch gerade die Hauptlast der Finanzierung des Staates von ihr getragen, d. h. von den gewerblichen Unternehmen des mittelständischen Bereiches, den Angehörigen der freien Berufe und den Führungskräften im weitesten Sinne. Die Großwirtschaft - so haben empirische Untersuchungen ergeben - erhält in etwa gleich viel an Subventionen, wie sie an Steuern erbringt. Auch die unteren Einkommensschichten erhalten an Transferleistungen auf direktem Weg das zurück, was sie an Steuern erbringen. Der mittelständische Bereich ist deshalb nicht etwa die Schwäche, sondern er ist die Stärke unserer Volkswirtschaft. Er muß daher stark und leistungsfähig erhalten bleiben. Dieses Ziel muß in allen Bereichen der Politik, insbesondere in der Steuerpolitik, in der Wettbewerbspolitik und in der Sozialpolitik, angestrebt werden. Vor diesem Hintergrund war es für die Unionsparteien CDU und CSU logisch und konsequent, beim Steuerpaket 1984 die Akzente entsprechend mittelstandsgerecht zu setzen. Extrawürste oder besondere Bonbons in der Steuerpolitik, wie einige Kommentatoren, gelegentlich sogar durch Karikaturisten unterstützt, es in die Öffentlichkeit gebracht haben, sind es beileibe nicht. Dieser Fehlinterpretation ist entschieden zu entgegnen; denn gerade der Mittelstand wurde in den letzten Jahren durch die Steuerpolitik besonders benachteiligt. Bereits der 1975 von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion erstmals vorgelegte Entwurf eines Bundesmittelstandsförderungsgesetzes hat als sein oberstes Ziel den Nachteilsausgleich für den Mittelstand oder aber die Schaffung gleicher Wettbewerbschancen angestrebt. Die Maßnahme des Gesetzentwurfes soll überall dort einsetzen, wo Selbsthilfe und Eigeninitiative nicht ausreichen, um bestehende Wettbewerbsnachteile auszugleichen und künftige Nachteile zu verhindern. Gerade der mittelständische Bereich unserer Wirtschaft wurde von der bedauerlichen Fehlentwicklung der ökonomischen Daten weitaus härter getroffen als die Großwirtschaft. Gerade der Mittelstand sah sich in den letzten Jahren in besonderer Weise einem dreifachen Zangengriff aus Kostenexplosion, lawinenartig steigenden Soziallasten und steigenden Steuern bei stagnierenden Umsätzen ausgesetzt. Die nun zusätzlich in die Steuergesetzentwürfe hineingeschriebenen Elemente, insbesondere der verbesserte Freibetrag bei der Vermögensteuer, die Verkürzung des Abschreibungszeitraumes um 20 % bei länger lebenden Wirtschaftsgütern, die Sonderabschreibungen in Höhe von 10 % für neue bewegliche Anlagegüter bei kleinen und mittleren Betrieben und die Verdoppelung des Freibetrags bei Betriebsveräußerung und Betriebsaufgabe wegen Alters und Berufsunfähigkeit auf 120 000 DM, sind ein Beitrag im Sinne der vorher genannten Zielsetzungen. Dieser Beitrag löst das Problem nicht voll, ist jedoch ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Angesichts der markanten Haushaltsschwierigkeiten kann der Mittelstand mit diesem ersten Schritt - im großen und ganzen gesehen - zufrieden sein. Die Hauptziele dieser Steuerpolitik im Mittelstand werden dadurch nicht verändert. So bleibt die Schaffung einer steuerfreien Investitionsrücklage eine wichtige Forderung des Mittelstandes, die auch von den Unionsparteien nach wie vor angepeilt wird. Ihre Einführung ist notwendig, um die Nachteile des Mittelstandes auszugleichen, die infolge eines verkraftbaren Investitionsverhaltens - bedingt durch die kleinere Betriebsgröße - gegeben sind. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat diese Nachteile in seinem jüngsten Jahresgutachten ausdrücklich anerkannt und ihre Beseitigung angeregt. Darüber hinaus hat der Sachverständigenrat den investitionsfördernden Effekt bei Einführung einer Investitionsrücklage ausdrücklich und erstmalig voll anerkannt. Auch könnte durch dieses Instrument der Steuerpolitik neben der Investitionsförderung eine Verstetigung der Steuerbelastung über die Zeit hinweg bei unstetiger Investitionstätigkeit und entsprechend unstetigem Verlauf der jährlichen Abschreibungen erreicht werden. Bei diesem Punkt der Steuerpolitik geht es also ausschließlich darum, die naturgegebenen Nachteile des Mittelstandes gegenüber der Großwirtschaft schrittweise abzubauen. Auch im Wettbewerbsrecht geht es um den Abbau von Wettbewerbsnachteilen kleinerer und mittlerer Unternehmen bedingt durch geringe Marktmacht. So wurde bei der vierten Kartellgesetznovelle von 1980 in das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen ein neuer § 37 a Abs. 3 eingefügt, der darauf abzielt, unbillige Behinderungen kleinerer und mittlerer Bewerber durch Konkurrenten, die über eine deutlich überlegene Marktmacht verfügen, im Interesse der Sicherung des Wettbewerbs auf dem jeweiligen Gesamtmarkt wirksam begegnen zu können. Ziel dieser neuen Bestimmung, die in diesen Tagen erstmals und mit Erfolg durch das Bundeskartellamt angewandt wurde, ist also nicht so sehr die Erhaltung einer Vielzahl von kleineren und mittleren Unternehmen, sondern ganz allgemein die Sicherung des Wettbewerbes auf den jeweiligen Märkten. Diese neue Vorschrift sieht ausdrücklich vor, daß nur dann eingegriffen werden kann, wenn über die unbilligen Behinderungen kleinerer und mittlerer Wettbewerber die Wettbewerbsverhältnisse nachhaltig beeinträchtigt werden. Der Gesetzgeber hat durch diese Formulierung ausdrücklich sichergestellt, daß sich die Vorschrift nicht auf einen Individualschutz mittelständischer Unternehmen beschränkt, sondern daß die primäre Ausrichtung auf den Schutz des Wettbewerbes insgesamt erhalten bleibt. In einem dritten Bereich schließlich, im Bereich der allgemeinen Belastungen mit Bürokratiekosten, soll in erster Linie die Chancenungleichheit des Mittelstandes verdeutlicht werden. Auch hier ergeben empirische Untersuchungen, daß kleine Unternehmen zeitlich und kostenmäßig 14mal so stark durch Bürokratiearbeit belastet sind wie Unternehmen ab 100 Beschäftigten. Die Bürokratiekosten belasten die Unternehmen umgekehrt proportional zur Größe des Unternehmens. Ich kann die Ausführungen des Kollegen Lattmann nur unterstreichen, der den Komplex der Bürokratie in hervorragender Art und Weise abgehandelt hat und auch in unseren Reihen bestimmt das notwendige Verständnis finden wird. Die bisherigen Bundesregierungen, die von der SPD geführt wurden, haben diesem Gesichtspunkt nicht Rechnung getragen und eine Politik nach dem Motto betrieben: Das große Geld den Großen, die große Last den Kleinen. Dies muß und wird nun anders werden. Die darauf ausgerichtete Mittelstandspolitik, die notgedrungen in kleinen Schritten erfolgen muß, sollte angesichts der Größe der zu bewältigenden Aufgabe nicht dadurch einseitig forciert werden, daß man jeden kleinen Schritt auf dem Weg zur notwendigen Chancengleichheit immer gleich als einen neuen Bonbon für den Mittelstand abqualifiziert. Diese Bonbons braucht und will der Mittelstand überhaupt nicht. Er war und bleibt stets Vorkämpfer auf dem Weg zum Abbau der Subventionen. Gerade dies darf ich doch als praktizierender Handwerksmeister, also als Urmittelständler, aus meiner Sicht feststellen. Vielmehr sollte anerkannt werden, welch gewaltige Leistungen die kleinen und mittleren Unternehmen in vielen Bereichen der Politik erbringen, die für unsere zukünftige Entwicklung gerade heute von zentraler Bedeutung sind. Zwei Beispiele möchte ich als Beleg hier besonders herausgreifen. Einmal: die berufliche Bildung der Jugend erfolgt zu 70 % in Klein- und Mittelbetrieben. Gerade an dieser Stelle möchte ich vor allem dem Handwerk danken, daß, wie beim Handwerkstag verlautete, auch in diesem Jahr über 240 000 Lehrstellen in diesem Bereich zur Verfügung gestellt werden. ({1}) Ich hoffe auch, daß durch die Beseitigung ausbildungshemmender Vorschriften noch mehr Bereitschaft von Ausbildern vorgefunden wird, über den Bedarf hinaus auszubilden, als dies ursprünglich geplant war. Der Jugendliche, meine sehr verehrten Anwesenden, braucht an den Werktagen einen Platz im Betrieb und nicht auf der Straße. Die Wirtschaft - davon bin ich überzeugt - wird uns auch in diesem Jahr nicht enttäuschen. In den vergangenen Jahren ist sie immer zu ihrem Wort gestanden. Ich möchte im übrigen wiedergeben, was vor einigen Tagen bei einem Symposium Professor Walter vom Weltwirtschaftsinstitut in Kiel von sich gegeben hat: daß er der festen Überzeugung ist, daß wir in zehn Jahren bereits einen Kanzler in der Bundesrepublik Deutschland brauchen, der Auszubildende sucht und bittet, von dem Angebot an Ausbildungsstellen Gebrauch zu machen. Zweitens. Kleine und mittlere Unternehmen sind Hauptlastträger des technischen Fortschrittes. Von den 60 Basiserfindungen dieses Jahrhunderts stammen 48, das heißt 80 %, aus kleinen und mittleren Unternehmen. Es kommt heute darauf an, durch eine aktive und zukunftsorientierte Mittelstandspolitik den Leistungswillen, den Erfindungsreichtum und der Innovationsfähigkeit der kleinen und mittleren Betriebe eine solide Chance zu geben. In der vergangenen Zeit wurde immer von verbesserten Rahmenbedingungen gesprochen. Die neue Bundesregierung hat durch die konsequente Politik der Haushaltskonsolidierung zuerst die Inflation gestoppt und die Stabilität des Geldwertes wiederhergestellt. Im Januar konnte die Inflationsrate erstmals unter 4 % auf 3,9 % gedrückt werden. Im Mai, also im vergangenen Monat, betrug sie gar nur mehr 3 %. Es besteht die reale Chance, im Laufe dieses Jahres die ersehnte zwei vor dem Komma zu erhalten wie zu Ludwig Erhards Zeiten. Stabilität ist nicht alles, aber ohne Stabilität ist alles leider nichts. Es wurde die Konkurswelle gebrochen. Nachdem wir als Ergebnis sozialdemokratischer Wirtschaftspolitik im Jahre 1982 nahezu 16 000 Insolvenzen, Firmenpleiten mehr im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland verzeichnen mußten als im schlimmsten Jahr der Weltwirtschaftskrise vor 50 Jahren im gesamten Deutschen Reich, ist es im ersten Quartal 1983 gelungen, erstmals seit Jahren den Insolvenzanstieg wieder zu bremsen. Meine sehr verehrten Anwesenden, die vielen Pleiten in den letzten Jahren sind die Quittung dafür, daß der Staat in fetten Jahren bei Steuern und Abgaben nicht maßgehalten und selbst kleine und mittlere Einkommen immer stärker in die Mangel genommen hat. Sinkende Gewinne ließen die Eigenkapitaldecke leider zusammenschrumpfen. Derzeit fehlen in der Wirtschaft - zusammengerechnet - ca. 165 Milliarden DM Eigenkapital. Dies führt aber in den Teufelskreis: Wer weniger Geld hat, bekommt weniger Kredit, und wer weniger Geld hat, kann weniger investieren; es kommen weniger Erfindungen auf den Markt; die Maschinen überaltern. So hat sich in den letzten zehn Jahren hier in der Bundesrepublik Deutschland ein Investitionsloch von über 200 Milliarden DM aufgetan. Das ist nicht nur ein riesiges Investitionsdefizit, sondern das sind auch über eine Million Arbeitsplätze. Die Eigenkapitalquote der deutschen Unternehmen ist in den letzten fünfzehn Jahren ständig gesunken, im Durchschnitt von 31 % auf knapp 20 %. Das heißt aber andererseits auch, daß über 80 % des Unternehmenskapitals fremdfinanziert sind. So kann es nicht wundern, daß auch drückende Bankzinsen als weiterer Grund für den Konkurs festgestellt werden. Über 80 % der Unternehmen, die in Konkurs geraten sind, sahen hierin den wesentlichen Grund für ihren Konkurs. Bei den kleinen Unternehmen mit bis zu 50 Beschäftigten lag der Anteil sogar bei nahezu 90 %. Dies zeigt deutlich, daß das Eigenkapital heute nicht mehr wie früher die Funktion des Krisenpolsters ausüben kann. Meine sehr verehrten Anwesenden, wie das Stoppen der Konkurswelle ist auch der allmähliche Abbau der Massenarbeitslosigkeit weit mehr als eine saisonale Entwicklung. Gerade bei jungen Arbeitnehmern gibt es wieder den Willen, ja den Mut zur Selbständigkeit. Echte Beweise sind die jüngsten Zahlen über den Erfolg des von der Bundesregierung Dr. Helmut Kohl in allen wesentlichen Punkten verbesserten Eigenkapitalhilfeprogramms zur Förderung der Existenzgründungen. Die Antragszahl hat sich in den ersten fünf Monaten 1983 gegenüber dem Vergleichszeitraum 1982 um 250 % erhöht. Das Antragsvolumen hat sich im gleichen Zeitraum 1983 gegenüber 1982 sogar um das 4,2fache erhöht. Bis zum 31. Mai 1983 waren insgesamt 4 850 Anträge eingegangen. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es dagegen nur 1 883 Anträge. ({2}) - Ich komme zum Schluß. Wir schaffen mehr und neue Unternehmen und dadurch eine wichtige Voraussetzung auch für den Abbau der Arbeitslosigkeit. Meine sehr verehrten Anwesenden, wir brauchen eine breite Welle von Selbständig-Werdenden. Diese neue Bundesregierung - davon bin ich überzeugt - gibt dem Mittelstand wieder mehr Zuversicht. Der Aufschwung in der Bundesrepublik Deutschland wurde also nicht nur im Wahlkampf plakatiert, sondern jetzt auch praktiziert. Er findet real statt, wie meine Ausführungen deutlich beweisen. - Herzlichen Dank. ({3})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rapp.

Heinz Rapp (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001774, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe vor mir eine Kommentarübersicht des Presse- und Informationsamtes mit den folgenden Headlines zum Jahreswirtschaftsbericht 1983 liegen: Unsicherheiten verstärkt - Hang zum Abwarten - Vorsicht und Zurückhaltung - Jahreswunschbericht vorgelegt - Hoffnungen auf dünnen Füßen - Keine Klarheit - Gute Exportkonjunktur - Schuldzuweisung muß verwundern. Den einzigen im Tenor positiven Titel - Gute Exportkonjunktur - würde man heute so auch nicht mehr schreiben. Ansonsten haben sich die Headlines als zielgenau erwiesen. Rapp ({0}) Wohlgemerkt, dieser ganze Jahreswirtschaftsbericht war in der Absicht geschrieben worden, den Anspruch der Wende zu rechtfertigen. In diesem Kontext findet sich nun eine Passage zur Mittelstandspolitik von besonderer Dürftigkeit. Waschechte Konservative, die von Mittelstandpolitik zu reden haben, wird das freilich keinen Augenblick anfechten. Was wir in verschiedenen Beiträgen dazu heute früh und streckenweise auch bei Ihnen, Herr Hinsken, gehört haben, entsprach dem, was konservativer Denkart jederzeit gemäß war. Wo es etwas zu beklagen gibt, tritt Feindbildmacherei an die Stelle von Sach- und Problemanalysen. Und was wir draußen auf den Verbandstagungen derzeit von CDU/CSU-Rednern oftmals vorgeführt bekommen, ist die alles vereinnahmende Geste, die jeden Andersdenkenden zum Dummkopf oder Böswilligen erniedrigt. Wir bekommen immer wieder jene scheinheilige Berufung auf den Wettbewerb zu hören, die den Wettbewerb der Ideen tatsächlich ausschließt, weil sie monopolisiert und unverfroren alles und jedes - und in unserem Fall den Mittelstand und seine Organisationen - zum parteipolitischen Eigentum erklärt. ({1}) Hier und da gibt es den Beweis, daß es auch anders geht. Ich will das nicht verkennen. So hat Herr Kollege Kreile neulich einen Artikel im Pressedienst seiner Fraktion geschrieben, in dem er die Mittelstandskomponenten der Steuerpolitik der sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen positiv gewürdigt hat. Das ist aber die Ausnahme. Solchen Anfechtungen der eigenen Weltanschauung und Feindbildanschauung setzt sich ein gestandener Unionspolitiker im allgemeinen nicht aus. Da hält man's dann lieber z. B. mit dem Totschlagargument von der Pleitenwelle. Fakten, die stören, läßt man aus. Ursachenanalysen hat man sowieso nicht nötig. Den Sündenbock hat man j a immer schon gehabt. Dies entspricht nun einmal konservativer Denkart. ({2}) Meine Damen und Herren, wie sind die Fakten? In den Jahren 1960 bis 1970 - das sind überwiegend Regierungsjahre der Union - ist die Zahl der Selbständigen um rund 280 000 zurückgegangen; in den Jahren 1970 bis 1980 - zehn Jahre sozialdemokratischer Regierungsverantwortung - jedoch „nur" um 76 000. Ich wiederhole: in den zehn Jahren von 1960 bis 1970 ist die Zahl der Selbständigen um 280 000, in den zehn Jahren von 1970 bis 1980 um 76 000 zurückgegangen. Wir haben diese Tatsache, meine Damen und Herren von der Opposition ({3}) - von der CDU/CSU, nie gegen die Union verwendet. Wir haben die Feststellung, daß in zehn Jahren der Kanzlerschaften Adenauer, Erhard und Kiesinger knapp viermal so viele Selbständige das Handtuch geworfen haben wie in den folgenden zehn Jahren sozialdemokratischer Kanzlerschaften, nie in eine billige Schuldzuweisung gegen die frühere Regierung umgemünzt, weil das einfach unsinnig gewesen wäre. Die Ursachen lagen in der Verdichtung der weltwirtschaftlichen Beziehungen, teils auch in der technologischen Entwicklung und vielem anderem mehr. Eines füge ich allerdings hinzu: Wären in den Jahren 1960 bis 1970 nicht wir Sozialdemokraten der Motor der Wettbewerbsgesetzgebung gewesen, hätten nicht wir vor allem uns gegen die Konzentrationswelle gestellt, so wären 1960 bis 1970 noch mehr selbständige Existenzen vernichtet worden. Wie sind die Tatsachen? Von 1970 bis 1981 gab es 59 000 Insolvenzen. Gleichzeitig wurden 66 000 Existenzgründungen gefördert. 1982 hatten wir einen Rekord an Insolvenzen. Das ist leider wahr. Dennoch war die Zahl der Selbständigen Ende 1982 um 8 000 höher als zu Beginn des Jahres. Und nun kommen Sie nicht und sagen, diese Leute hätten sich in den letzten vier Monaten entschieden, selbständig zu werden. Trotz der Weltrezession war 1982 die Zahl der Selbständigen in der Bundesrepublik um 26 000 höher als im Jahr 1976. Die tatsächliche Entwicklung sieht also völlig anders aus als die Pleitenkampagne, ja die Pleitenlüge, mit der die Union den Wahlkampf 1983 maßgeblich bestritten und gewonnen hat. ({4}) Derart errungene Siege pflegen rasch bitter zu werden. Die Sozialdemokratie nimmt für sich in Anspruch, daß sie die Bedeutung kleiner und mittlerer Unternehmen sowohl programmatisch als auch praktisch stets zu würdigen gewußt hat. Daß Karl Marx mit seiner im „Kommunistischen Manifest" niedergelegten Theorie vom Absterben der bisherigen Mittelstände, wie es da heißt, der kleinen Industriellen, Kaufleute, Rentiers, Handwerker und Bauern nicht Recht bekommen hat, hat der sozialdemokratische Theoretiker Eduard Bernstein wissenschaftlich schon ein bißchen früher aufgearbeitet als die sogenannten bürgerlichen Ökonomen. Sozialdemokraten haben in doppelter Hinsicht, in doppelter Weise dafür gesorgt, daß sich Marxens Prophezeiung von der unaufhaltsamen Proletarisierung des Mittelstands nicht bewahrheitet hat. Sie haben zäh und beharrlich dafür gearbeitet, daß aus Proletariern Wirtschaftsbürger geworden sind, und sie haben zugleich der in ihren Programmdokumenten niedergelegten Einsicht Rechnung getragen, daß die Existenz und die Förderung Selbständiger ein wesentliches Element der Sicherung und des Aufbaus einer fortschrittlichen Gesellschaft ist. Der selbständigenpolitische Beschluß des Berliner Parteitages von 1979 sagt das so: Es ist sozialdemokratische Überzeugung, daß unsere Gesellschaft Schaden nehmen müßte, wenn sie auf die Arbeit der Selbständigen verzichten wollte. Innerhalb der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung erbringen die Selbständigen vielfältige Leistungen. Ihr persönlicher Einsatz bewirkt hohe Effizienz der Wirtschaftsabläufe. Sie wirken führend mit bei der praxisnahen Forschung und Entwicklung. Sie Rapp ({5}) erschließen neue Technologien, neue Güter und bessere Dienste. Sie sorgen für kunden- und verbrauchsnahe Wartung, Instandsetzung, Pflege. Die Selbständigen schaffen eine große Zahl von Arbeitsplätzen. Sie tragen zum konjunkturellen und strukturellen Ausgleich bei, weil sie oft besser als große Konzerne in der Lage sind, kurzfristig auf Veränderungen des Marktes zu reagieren. Für die Sicherung eines funktionierenden Wettbewerbs sind leistungsfähige Selbständige, kleine und mittlere Unternehmen unverzichtbar. So in einem Programmdokument, in einem Beschluß des Berliner Parteitags von 1979. Freilich ist in allen unseren Programmtexten eine Scheu vor dem Begriff Mittelstand zu verspüren. In der Tat: Der Begriff ist unscharf, und in seinen Grauzonen nisten sich immer wieder ständestaatliche und damit vordemokratische, korporativistische und damit marktwirtschaftswidrige Ideologien ein. Wir Sozialdemokraten glauben nämlich nicht, daß den Selbständigen, den kleinen und mittleren Unternehmen und Unternehmern gedient ist, wenn man sie unter einem ideologisierten Begriff in eine Gegenposition zur Arbeitnehmerschaft manövriert. Die beste Politik für Selbständige ist die des sozialdemokratischen Konsenses, eine Politik also, die im Auge behält, wie wichtig die Selbständigen für die freie Gesellschaftsordnung sind, wie sehr aber auch die Selbständigen vom Wohl und Wehe der Arbeitnehmer abhängen, wie sehr Selbständige und Arbeitnehmer, Arbeitnehmer und Selbständige aufeinander verwiesen und angewiesen sind. Unsere innere Einstellung zur Mitbestimmung spiegelt dies wider. Sie ist Ausdruck des sozialdemokratischen Konsenses. In diesem Sinne haben wir Sozialdemokraten Politik für die kleinen und mittleren Unternehmen gestaltet. Das betraf die Ordnungspolitik. Die zweite und die vierte Kartellgesetzesnovelle haben die zwischenbetriebliche Zusammenarbeit der kleinen und mittleren Unternehmen erleichtert und ihre Chancen im Wettbewerb mit den Großunternehmen gestärkt. Das betraf die Steuerpolitik. Wir haben dafür gesorgt, daß zwei Drittel aller Gewerbebetriebe von der Gewerbeertragsteuer befreit sind. Vor unserer Regierungszeit waren es nur 15 %. 80 % brauchen keine Gewerbekapitalsteuer mehr zu zahlen. Es hat auch Verbesserungen bei den Abschreibungen, beim Verlustrücktrag, bei der Vermögensteuer und bei der Altersversorgung gegeben. Insgesamt haben die Steuerentlastungsmaßnahmen dazu beigetragen, daß der Anteil der typischen Unternehmenssteuern von rund 26% im Jahr 1962 auf 15% im Jahr 1982 zurückgeführt wurde. Er wurde zugunsten der kleinen und mittleren Unternehmen zurückgeführt. Der Unterschied zu dem, was jetzt passieren soll und zum Teil schon passiert ist, liegt auf der Hand. Unsere Politik war gezielt auf den Ausgleich größenklassenbedingter Startnachteile der kleinen und mittleren Unternehmen. Sie war infolgedessen auf die Sicherung von Arbeitsplätzen gezielt. Auch dort, wo wir Sparmaßnahmen durchführen mußten, haben wir auf soziale Verträglichkeit geachtet. Die Relation von 3,5 Milliarden DM Vergünstigungen zugunsten der Großwirtschaft zu 0,5 Milliarden DM für die Arbeitnehmer wäre uns nie in den Sinn gekommen, ({6}) zumal die Gesamtlast zur Bezahlung dieser Maßnahmen wieder nur von den kleinen Leuten aufzubringen ist. Im übrigen geht diese Operation zu Lasten der Länder und letztlich damit zu Lasten der gemeindlichen Investitionskraft. Wir haben uns intensiv um die Förderung von Forschung und Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen bemüht und die finanziellen Hilfestellungen zur Verbesserung betrieblicher Finanzierungsmöglichkeiten gegeben, die die neue Regierung nochmals aufgestockt hat. Die Hilfen zur Steigerung der Leistungsfähigkeit kleiner und mittlerer Unternehmen sind zu unserer Zeit vervielfacht worden. Das Kreditvolumen belief sich Ende 1981 auf 6,4 Milliarden DM. Dabei galt unser besonderes Augenmerk dem ERP-Existenzgründungsprogramm und dem Eigenkapitalhilfeprogramm. Wir wissen, daß die Mobilisierung privaten Risikokapitals wirksamer organisiert werden muß. Wir werden dabei engagiert mitarbeiten. Die beste Mittelstandspolitik - ich sagte es - ist eine im Sinne des sozialdemokratischen Konsenses erfolgreiche Wirtschaftspolitik, deren zentrales Anliegen die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sowie die Sicherung und die Schaffung von Arbeitsplätzen sein muß. Dazu ist ein internationaler Beschäftigungspakt der großen Industriestaaten ebenso notwendig wie ein nationaler Solidarpakt. Die Chance eines internationalen Beschäftigungspakts haben die Herren in Williamsburg - der Vorwurf ist heute nicht ausgeräumt worden - glatt verträumt. Statt eines Solidarpakts betreibt die Bundesregierung eine Politik, die ungewollt - das räume ich ein -, aber tatsächlich die Entsolidarisierung der Gesellschaft, ({7}) das Ausspielen der Arbeitsplatzbesitzer gegen die Arbeitslosen, der von der Rezession Ungeschorenen gegen die von der Rezession Gebeutelten zur Folge haben wird. Wir wissen - wir haben danach gehandelt -, daß mittelfristig die öffentlichen Defizite zurückgeführt werden müssen. Aber dies muß in einem vernünftigen Ausgleich im Interesse der Aufrechterhaltung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage geschehen, auf die gerade die kleinen und mittleren Unternehmen in besonderer Weise angewiesen sind. Aber eben genau dies vernachlässigt die Bundesregierung. Deshalb wird sie weder die Haushaltskonsolidierung noch die Sicherung der Beschäftigung, noch die Festigung der Leistungsfähig624 Rapp ({8}) keit der kleinen und mittleren Unternehmen nachhaltig erreichen. ({9}) Meine Damen und Herren, in diesen Tagen konnte man auf Grund einer verdienstvollen Studie der Kreditanstalt für Wiederaufbau manche Artikel lesen, die sich um eine differenziertere Betrachtung der Eigenkapitalproblematik der kleinen und mittleren Unternehmen bemühen. Ich habe jahrelang in der Bankenaufsicht gearbeitet. Für mich sind da nicht viele neue Erkenntnisse drin. Daß die Eigenkapitalquote auch von der Bilanzsumme abhängt, hatte man schon immer wissen können. Daß die Eigenkapitalquote bei dem Wachstum der Bilanzsummen, wie es in den letzten Jahren festgestellt werden konnte, schrumpfen oder jedenfalls stagnieren mußte, liegt in der Logik dieser Rechnung. Nachdem mit dem Argument von der sinkenden Eigenkapitalquote im Wahlkampf die Totschlagsfunktion wahrgenommen werden konnte, entdeckt man nun, daß eine Vielfalt von Einflußfaktoren zu beachten ist. Daß die Hälfte der erfaßten 6 700 Unternehmen im Rezessionsjahr 1980 die Eigenkapitalquote sogar verbessern konnte, mag so manchem Konservativen nicht ins Welt- und Feindbild passen. Daß die Unternehmen der unteren Größenklassen fast durchgehend eine bessere Eigenkapitalausstattung als die mittleren und die größeren haben, konnte man ebenfalls immer schon wissen. Gleichwohl verkennen wir Sozialdemokraten nicht, daß die Eigenkapitalbasis kleiner und mittlerer Unternehmen gestärkt werden muß. Wir haben in unserem Wahlprogramm gesagt, daß wir prüfen werden, wie die steuerpolitische Benachteiligung der Eigenkapitalfinanzierung gegenüber der Fremdkapitalfinanzierung geändert werden kann. Die zuständige Arbeitsgruppe meiner Fraktion wird diese Prüfung in einer Klausurtagung in der nächsten Woche vornehmen. ({10}) Ich habe gerade in den letzten Tagen in Verbandsdiskussionen verschiedentlich erlebt, wie CDU-Kollegen mit populistischen Entbürokratisierungsparolen billigste Erfolge zu erzielen versuchten. Dabei weiß doch jeder, daß der enorme Bedarf unserer hochentwickelten Industriegesellschaft nun mal höher ist als der einer Agrargesellschaft. Dennoch habe ich dieser Tage - dieser Tage! - einen Ihrer Kollegen sagen hören, der königliche Baubeamte habe noch einen Bau vor Ort an einem Tag genehmigen können. Wer so redet, wider besseres Wissen so dumm daherredet, der will nur billige Effekte einholen. In diesem kleinen Land Bundesrepublik Deutschland kann nun mal nicht jeder bauen wie er will. Das sollte man, glaube ich, schon beachten. ({11}) Diese Erkenntnis darf uns nicht davon abhalten, die Normenproduktion unter Kontrolle, d. h. unter unserer eigenen Selbstkontrolle, zu halten und bürokratische Hemmnisse, die man als sinnlos und unnötig erkennt, wegzuschaffen. Die sozialdemokratisch geführten Bundesregierungen haben es daran auch nicht fehlen lassen. Ich erinnere an die verschiedenen Bereinigungs- und Vereinheitlichungsgesetze verschiedener Rechtsbereiche, an die Statistik-Bereinigungsgesetze und an anderes. Solche Bemühungen sollen dazu beitragen, die sogenannten unbezahlten Hilfsdienste für den Staat zurückzuführen, unter denen kleine und mittlere Unternehmen wirklich zu leiden haben. Eine Reihe dieser Hilfsdienste freilich erledigt sich schon aus dem geordneten betrieblichen Rechnungswesen. Sie werden nicht eigens für den Staat erbracht. Würde übrigens der Staat die entsprechenden Daten, die er ja braucht, selber erheben, so käme das allen sehr teuer zu stehen. Entsprechende Steuer- und Abgabenerhöhungen wären unvermeidlich. Dennoch: aufpassen muß man immer. Die Gefahr der Überforderung der kleinen und mittlerern Unternehmen auf diesem Gebiet ist nicht zu übersehen. Was gesagt sein soll, ist dies: Mit populistischen Schlagworten kann man momentan Popularitätseffekte erzielen. Längerfristig hält das nicht vor. Wenn nicht Taten folgen und wenn sie einfach nicht folgen können, stellt sich Verdruß ein. Es ist den kleinen und mittleren Unternehmen um bloß parteitaktischer Vorteile willen in den letzten Jahren viel Verdruß eingeredet worden, was sich schon bald gegen die Urheber wenden könnte. ({12}) Bundeskanzler Helmut Kohl hat seine Regierungserklärung unter das Motto von der marktwirtschaftlichen Erneuerung gestelt. Dies, meine Damen und Herren, war das Themenwort der Norderneyer Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der Selbständigen in der SPD vom 2. Oktober 1982. ({13}) Wir machen keine Urheberrechte geltend. Der Text dieser Erklärung von Norderney ist für jeden, der lesen kann, in jeder Beziehung stimmiger als das, was man aus dem Munde von Koalitionspolitikern heute zur Politik für kleine und mittlere Unternehmen hören konnte. In jenem Dokument heißt es ({14}) - noch eine halbe Minute, wenn ich bitten darf -: ({15}) Marktwirtschaft setzt die freie Gesellschaft voraus, und sie stärkt sie zugleich. Sie setzt Menschen voraus, die selbständig denken können und die sich auch nicht parteipolitisch kurzerhand vereinnahmen lassen. Wir tragen Ihnen den Wettbewerb an, auch auf diesem Gebiet. Wir Sozialdemokraten meinen schon jetzt zu verspüren, daß sich die kleinen und mittleren Unternehmen und Selbständigen keineswegs als das parteipolitische Eigentum der konservativen Partei betrachten. ({16})

Dr. h. c. Annemarie Renger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001821

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen für die heutige Sitzung liegen nicht vor. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 10. Juni 1983, 8 Uhr ein. Die Sitzung beginnt mit der von der Fraktion DIE GRÜNEN verlangten Aktuellen Stunde über das Thema: Die Stahlkrise - Vorstellungen der Bundesregierung und ihr Vorgehen in Brüssel. Die Aussprache über die Tagesordnungspunkte 2 und 3 sowie den Zusatzpunkt: Antrag der Fraktion der SPD - Weltwirtschaftsgipfel in Williamsburg und Europäischer Rat in Stuttgart - wird im Anschluß daran fortgesetzt. Die Sitzung ist geschlossen.