Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Die Sitzung ist eröffnet.
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Beratung von Punkt I der Tagesordnung fort:
Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 ({0})
- Drucksachen 10/1800, 10/2250 Beschlußempfehlungen und Berichte des Haushaltsausschusses ({1})
Ich rufe auf:
Einzelplan 08
Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen
- Drucksachen 10/2308, 10/2330 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({2}) Dr. Hackel
Kleinert ({3})
Einzelplan 32 Bundesschuld
- Drucksache 10/2323 Berichterstatter:
Abgeordnete Wieczorek ({4}) Austermann
Kleinert ({5})
Einzelplan 60
Allgemeine Finanzverwaltung
- Drucksache 10/2327 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({6}) Austermann
Borchert
Hoppe
Wieczorek ({7})
Hoffmann ({8})
Kleinert ({9}) Einzelplan 20 Bundesrechnungshof
- Drucksachen 10/2317, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Roth ({10})
Kleinert ({11})
dazu
Beratung der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses ({12}) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Der Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988
- Drucksachen 10/1801, 10/2251, 10/2387 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({13}) Hoppe
Wieczorek ({14})
Kleinert ({15})
Dr. Hackel
Borchert
Hoffmann ({16})
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104 a Abs. 4 GG an das Saarland
- Drucksache 10/2229 Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({17})
- Drucksache 10/2503 Berichterstatter:
Abgeordnete Austermann Hoppe
Wieczorek ({18}) Kleinert ({19})
({20})
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Artikel 104a Abs. 4 GG an die Freie Hansestadt Bremen
- Drucksache 10/2141 7774
Vizepräsident Stücklen
Beschlußempfehlung und Bericht des Haushaltsausschusses ({21})
- Drucksache 10/2502 Berichterstatter:
Abgeordnete Austermann Hoppe
Wieczorek ({22})
Kleinert ({23})
({24}) Zusatzpunkt 2:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer ({25})
- Drucksache 10/2460 Überweisungsvorschlag: Finanzausschuß ({26})
Rechtsausschuß
Ausschuß für Wirtschaft
Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO
Die Fraktion der SPD hat zum Einzelplan 08 auf Drucksache 10/2475 und zum Einzelplan 60 auf Drucksache 10/2487 Änderungsanträge vorgelegt.
Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart worden, daß die Aussprache vier Stunden dauern soll. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Wird das Wort zur Begründung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Apel.
Herr Präsident! Guten Morgen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
({0})
In diesen Wochen erreichen uns in der Tendenz unterschiedliche Signale über die weitere wirtschaftliche Entwicklung des Jahres 1985.
({1})
Die einen prognostizieren uns ein Wirtschaftswachstum von 2 %, die anderen gar von 3 %. Aber alle, auch der Sachverständigenrat, erwarten, daß die Arbeitslosigkeit hoch bleibt, daß sie sich kaum verändert, daß mehr als 2 Millionen Menschen ohne Arbeit bleiben, und das ist doch, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, auch für die Finanzpolitik eine zentrale Herausforderung.
({2})
Im Sommer 1982 haben Sie, Herr Dr. Stoltenberg, kurz vor dem Regierungswechsel in einem Interview des Deutschlandfunks zu einer verstärkten Bekämpfung der Dauerarbeitslosigkeit aufgerufen. Sie haben damals festgestellt - ich zitiere -: Wenn das nicht geschieht,
entsteht eine Vertrauenskrise in der Bevölkerung,
({3})
die heute schon erkennbar ist, weil die Absichtserklärungen der Politiker in Bonn - Bekämpfung der Arbeitslosigkeit - und das tatsächliche Verhalten in der Finanzpolitik immer weiter auseinanderfallen.
({4})
Genau das, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, werfen wir Sozialdemokraten Ihnen heute vor.
({5})
Versprechungen der Bundesregierung und Erwartungen in den Abbau der Arbeitslosigkeit einerseits, das tatsächliche Handeln der Finanzpolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit andererseits haben nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun.
({6})
Wir fordern auch für den Bundeshaushalt 1985 eine Verstärkung der investiven Ansätze. Meine Damen und Herren von der Koalition, selbst die sonst sehr vorsichtige Bundesbank fordert in ihrem Monatsbericht vom November 1984 die Verstärkung der wachstums- und beschäftigungsfördernden Ausgaben als ein derzeitig wichtiges Ziel der Finanzpolitik.
Die Finanzpolitik des Herrn Dr. Stoltenberg wird diesem Gebot auch nicht im entferntesten gerecht.
({7})
Der Investitionsanteil an den Bundesausgaben geht in den vor uns liegenden Jahren weiter zurück. Dieser, Investitionsanteil wird einen Rekordtiefstand erreichen. Ich füge hinzu, Herr Kollege Dr. Stoltenberg: Mit Haushaltskonsolidierung hat das überhaupt nichts zu tun, denn während die Investitionsausgaben dank der Finanzpolitik des Herrn Dr. Stoltenberg in den Keller rutschen,
({8})
nehmen die Steuersubventionen von 29 Milliarden DM im Jahre 1982 auf 39 Milliarden DM für das nächste Jahr, also um 10 Milliarden DM, d. h. um ein Drittel, zu!
({9})
Das ist Ihr Werk. Es gibt wahrlich keinen Grund, darauf stolz zu sein.
({10})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, greifen wir noch einmal auf die Aussagen des Herrn Dr. Stoltenberg vor dem Regierungswechsel zurück. Herr Kollege Stoltenberg, Sie haben kurz vor dem Regierungswechsel in einem „Spiegel"-Interview folgendes erklärt:
Es ist unbefriedigend, wenn Bürger mit hohem
Einkommen durch das legale Benutzen von AbDr. Apel
schreibungsmöglichkeiten ihre Steuerschuld praktisch auf Null bringen.
Wie wahr, Herr Kollege Dr. Stoltenberg!
({11})
Inzwischen hat der Bundesfinanzminister - einem Auftrag entsprechend, den wir ihm als Deutscher Bundestag gemeinsam gegeben haben - einen ausführlichen Bericht über die Möglichkeiten zur Einschränkung derartiger Steuersparmodelle vorgelegt. Ergebnis: Nichts, aber auch gar nichts will der Finanzminister in dieser Frage unternehmen.
({12})
Dabei stecken im Subventionsabbau, sehr geehrte gnädige Frau, doch die Milliarden, die beim Bund, aber insbesondere bei den Städten und Gemeinden wachstums- und beschäftigungsfördernd einzusetzen wären.
({13})
Herr Kollege Stoltenberg, Sie und Ihre Mitwirkenden sollten endlich aufhören, in diesem Zusammenhang die Gemeindefinanzen gesundzubeten.
({14})
Es war doch eher peinlich, daß Sie uns, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, bei der ersten Lesung des Bundeshaushaltes am 15. September 1984 hier mitgeteilt haben, daß die kommunalen Investitionen 1984 erstmals wieder um eine Milliarde DM ansteigen werden. Zur gleichen Zeit hat das Statistische Bundesamt die Ergebnisse der Kommunalfinanzen für das erste Halbjahr 1984 vorgelegt. Schauen Sie einmal hinein, meine Damen und Herren von der Koalition, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, und Sie werden feststellen, daß die Sachinvestitionen um mehr als 5 % im ersten Halbjahr 1984 zurückgegangen sind,
({15})
die Baumaßnahmen sogar um fast 7 %. Das ist die Realität.
({16})
Auch 1984 hat sich der massive Rückgang der Gemeindeinvestitionen fortgesetzt.
({17})
Wenn Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren, in diesen Tagen Alarmrufe aus der Bauwirtschaft hören, dann hat das auch damit etwas zu tun,
({18})
daß die Gemeindeinvestitionen zurückhängen, daß
die Gemeinden nicht in der Lage sind, dringende
Neubau-, Ersatz- und Erweiterungsinvestitionen vorzunehmen.
({19})
- Die Gemeinden können keine Kredite aufnehmen, weil sie auf Grund der Schuldengrenzen eingeengt sind. Das wissen Sie genauso wie ich. Ersetzen Sie doch Sachkenntnis nicht durch dumme Zwischenrufe und Polemik.
({20})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, unsere Vorschläge zur Verbesserung der Gemeindefinanzen liegen vor. Wir begrüßen es, daß der Sachverständigenrat in dem vielgerühmten Gutachten erneut die Reform der Gemeindefinanzen gefordert hat. Wir stimmen dem zu. Wir fordern Sie, Herr Dr. Stoltenberg, auf, endlich Ihre Untätigkeit aufzugeben
({21})
und mit uns gemeinsam
({22})
die Gemeindefinanzreform anzupacken, die alle Spitzenverbände der Gemeinden und der Städte fordern.
({23})
Handeln Sie endlich. Schwätzen Sie nicht. Die Gemeinden brauchen eine Gemeindefinanzreform, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({24})
Am 25. September 1981 hat der damalige Ministerpräsident Dr. Stoltenberg im Zusammenhang mit der Diskussion über Sparmaßnahmen der sozialliberalen Koalition im Bundesrat folgendes erklärt:
Die meisten Menschen sind ja heute problembewußter, kritischer und wacher, als manche Partei- und Verbandsfunktionäre unterstellen. Sie werden zumutbare Einschränkungen dann tragen, wenn sie von dem ernsthaften Willen der Verantwortlichen überzeugt sind,
- nun kommt der entscheidende Satz von Herrn Dr. Stoltenberg daß diese Kürzungen nicht einseitig erfolgen.
({25})
Ich frage Sie, Herr Bundesfinanzminister: Wo haben Sie denn eigentlich seit der Bonner Wende in Ihrer eigenen Politik den ernsthaften Willen dokumentiert, daß Ihre Haushaltskürzungen nicht einseitig sind und nicht einseitig sein sollen.
({26})
Tatsache ist doch: Rentner, Arbeitslose, Familien mit Kindern, Schüler, Studenten und Mieter sind die Opfer Ihrer unsozialen Sparpolitik.
({27})
Die Vermögensteuer wird massiv gesenkt. Nun kommt noch eines dazu: Die Zwangsanleihe wird zurückgezahlt. Damit wird deutlich, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, daß sich Ihre grundsätzlichen Aussagen des Jahres 1981, nämlich keine einseitigen Kürzungen, in Ihrem heutigen politischen Handeln als leere Worthülsen erweisen.
({28})
Ihre Parolen, Herr Kollege Stoltenberg, und Ihr tatsächliches Handeln haben nichts miteinander zu tun.
({29})
Dieser Eindruck verstärkt sich in der ganz aktuellen Diskussion. Wie war das denn mit der Zwangsanleihe, die jetzt vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und nichtig erklärt worden ist? Hier haben doch, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, die Finanzwissenschaftler und die Verfassungsrechtler von Anbeginn schwerste Bedenken geäußert. Ich selbst habe Sie dreimal, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, von dieser Stelle aus vor Ihrem verfassungswidrigen Weg der Zwangsanleihe gewarnt.
({30})
Sie haben das alles vom Tisch gewischt. Heute tun Sie überrascht über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Dabei hätten Sie doch spätestens nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs wissen müssen, was auch Herr Mundorf jetzt im Handelsblatt festgestellt hat - ich zitiere -:
Die Investitionshilfeabgabe verstößt nicht nur gegen eine, sie verstößt gegen sämtlich in Frage kommenden Bestimmungen des geltenden Verfassungsrechts ...
({31})
Alle diese verfassungsrechtlichen Bedenken sind gegen die Zwangsanleihe schon erhoben worden, bevor sie Gesetz geworden ist ...
({32})
- immer noch das „Handelsblatt", Herr Kollege Dr. Stoltenberg Die Leichtfertigkeit, mit der die Bundesregierung solche Einwände ignorierte, ist wirklich erstaunlich ...
({33})
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, dafür tragen Sie die Verantwortung. Haben Sie denn schon einmal überlegt, wie viele Beamte in den Finanzämtern durch Ihre Schuld mit dem Einziehen und Rückzahlen der Zwangsanleihe beschäftigt waren, beschäftigt sind und noch eine ganze Zeit beschäftigt sein werden
({34})
und wie viele Finanzbeamte dadurch von ihren eigentlichen Aufgaben abgehalten werden, nämlich im Interesse aller Bürger eine zügige und gerechte Besteuerung durchzuführen?
Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, haben am 15. November 1984, also vor zwei Wochen, hier im Deutschen Bundestag versucht, den Vorwurf des leichtfertigen Umgangs mit der Verfassung zu widerlegen. Sie haben auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1953 - tatsächlich ist sie im Jahre 1954 ergangen - hingewiesen. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, schauen Sie in dieses Urteil hinein, und Sie werden feststellen, daß dieses Urteil mit dem heutigen Urteil und mit der Finanzierung des Bundeshaushalts nichts, aber auch überhaupt nichts zu tun hat. Das Bundesverfassungsgericht hat seine Judikatur nicht geändert. Es weist Ihnen nach, daß Sie in jedem Punkte gegen Verfassungsrecht verstoßen haben. Es bleibt dabei: Sie sind leichtfertig mit der Verfassung umgegangen. So billig können Sie sich nicht aus der Affäre ziehen.
({35})
Alles das ist schlimm genug. Herr Kollege Nils Diederich, Sie haben ja recht, in diesem Zusammenhang stellt sich eine ganz andere Frage: Wurde nicht vielmehr aus übergeordneten politischen, auch koalitionstaktischen, Erwägungen die Zwangsanleihe beschlossen, deren Verfassungswidrigkeit bewußt in Kauf genommen, sogar einkalkuliert,
({36})
um auf diese Art und Weise soziale Gerechtigkeit und soziale Ausgewogenheit
({37}) vorzugeben und den Wähler zu täuschen?
({38})
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der Union, bleiben Sie doch endlich bei der Wahrheit!
({39})
Es ist doch so gewesen, daß Sie in Ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahlen im März 1983 die Ergänzungsabgabe für die sehr gut Verdienenden dem Wähler versprochen haben. Herr Blüm hat im Fernsehen nach diesem Beschluß auf seine rheiDr. Apel
nische Art gesagt, jetzt mache ihm Wahlkampf wieder Spaß.
({40})
Was ist hinterher gewesen? Sie haben dieses Wahlversprechen gebrochen.
({41})
Es ist bei der Zwangsanleihe geblieben. Und wir wissen es doch, diese Zwangsanleihe sollte einen ganz bestimmten politischen Zweck erfüllen; sie sollte den Eindruck sozialer Ausgewogenheit bei den sozial Schwächeren vermitteln, denen Sie doch viele Milliarden DM zur Hilfe zum Lebensunterhalt und für die Chancengleichheit genommen haben und auf Dauer weiter nehmen.
({42})
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, früher haben Sie die Zwangsanleihe wiederholt - ich habe das stets begrüßt - als einen Solidarbeitrag der Besserverdienenden bezeichnet. Auch jetzt noch haben Sie diesen Grundgedanken, nämlich sehr gut Verdienende auch heranzuziehen, als im nachhinein für richtig bezeichnet. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, erinnern wir uns gemeinsam: Ich war damals Bundestagsabgeordneter, Franz Josef Strauß und Sie waren Bundesminister. Am 7. Dezember 1967 haben wir in der Großen Koalition in ähnlichen Umständen eine befristete Ergänzungsabgabe beschlossen.
({43})
Auch damals hat Herr Genscher seine infamen Argumente der Neidsteuer,
({44})
Leistung darf nicht bestraft werden, vorgebracht. Leistung beginnt bei Ihnen anscheinend erst bei einem Familieneinkommen von 100 000 DM, und Rentner haben augenscheinlich ihr ganzes Leben lang nichts geleistet. Deswegen dürfen sie auch andauernd und dauernd bestraft werden.
({45})
Doch heute morgen, nach dem gestrigen Tage, stellt sich das alles ganz anders dar. Nach anhaltenden wechselseitigen Beschimpfungen der Koalitionäre untereinander erklärt der Bundeskanzler diese wichtige Debatte über die soziale Ausgewogenheit Ihrer Sparpolitik zu einer „Phantomdiskussion". Soziale Gerechtigkeit wird bei Ihnen zu einem Phantom; der Bundeskanzler hat seine eigene Politik richtig charakterisiert. Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
({46})
Im übrigen soll der Streit nach bewährter Manier ausgesessen werden.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, eines ist doch bereits heute deutlich: Obwohl unklar ist, ob und wann sich die Koalition einig wird, strikken Sie doch schon bereits an einer Badehose, mit der Sie die schreienden Ungerechtigkeiten Ihrer unsozialen und ungerechten Sparpolitik schamlos verbergen wollen.
({47})
Meine Damen und Herren, an eine echte Belastung der sehr gut Verdienenden wird nicht mehr gedacht.
({48})
So wie ich es verstanden habe, erhalten die Durchschnittsverdiener ab 1986 ein steuerliches Trinkgeld als Trostpflaster,
({49})
oder aber die sehr gut Verdienenden verzichten für zwei Jahre auf einen bescheidenen Teil der Ihnen zugedachten üppigen Steuererleichterungen. So geht diese Debatte am Ende aus. Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der Union, so endet dann Ihr Wahlversprechen aus dem Jahre 1983.
({50})
Ich sage Ihnen: Was Sie heute vorhaben, ist im nachhinein Betrug an den Wählern, nichts anderes.
({51})
Ausgerechnet zu Weihnachten werden jetzt Millionen von Normalverdienern
({52})
bei ihrem Weihnachtsgeld erleben, wie ihnen die Bundesregierung, die Koalition, tief in die Tasche greift.
({53})
Teilweise werden die Sozialversicherungsabgaben auf das 13. Gehalt verdoppelt. Nur bei denen, die mehr als 5 000 DM verdienen, wird nicht 1 DM zusätzlich abkassiert, im Gegenteil, sie werden noch vor Weihnachten einige Tausend DM aus der verbotenen Zwangsanleihe_ zurückerhalten. Frohe Weihnacht! Christdemokratische Politik: Wer hat, dem wird gegeben, wer nichts hat, dem wird genommen.
({54})
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Sozialdemokraten wissen - und das hat die Debatte der letzten Wochen deutlich gemacht -, daß es auch in der Union Abgeordnete mit sozialem Gewissen gibt. Wir bieten Ihnen unsere Zusammenarbeit an, um der sozialen Gerechtigkeit eine Chance zu geben. Wir debattieren heute auch unseren Gesetzentwurf zur Einführung einer Ergänzungsabgabe, die Sie 1983 den Wählern versprochen haben. Wir laden Sie ein, unserer Initiative zu folgen, damit Sie
sich selber treu bleiben können, meine sehr geehrten Damen und Herren.
({55})
Der Bundesfinanzminister hat erst vor zwei Wochen hier im Deutschen Bundestag starke Worte im Hinblick auf die Steuerdiskussion in den eigenen Reihen gebraucht. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, Sie haben es selbst gespürt: Ihre starken Worte haben niemanden sonderlich beeindruckt.
({56})
Die Debatte geht lustig weiter. Steuerentlastung in einem Schritt oder in zwei Schritten? Geringere Entlastung für die Gutverdienenden als Kompensation für die zurückgezahlte Zwangsanleihe, ja oder nein? Es wird hin und her geredet. Und wenn es um die Frage geht, Steuerreform in einem Schritt oder in zwei Schritten, bahnen sich ganz neue Männerfreundschaften an.
({57})
Bangemann und Strauß, Genscher und Strauß Arm in Arm gegen den Bundesfinanzminister. Herr Dr. Stoltenberg, so ist das Leben.
({58})
Meine Damen und Herren, angesichts dieser chaotischen Debatte in Regierung und Koalition möchte ich für die Sozialdemokraten zur Steuerentlastung folgendes feststellen:
({59})
Wir halten eine Entlastung bei der Lohn- und Einkommensteuer grundsätzlich für notwendig. Bei der Wahl des Zeitpunkts muß berücksichtigt werden, daß die Möglichkeiten der öffentlichen Haushalte, beschäftigungswirksame Impulse zu geben, nicht noch stärker eingeschränkt werden dürfen. Ich sage das insbesondere im Hinblick auf die Haushalte von Ländern und Gemeinden. Und aus diesem Grunde unterstützen wir den Bundesfinanzminister: Wir halten eine Tarifentlastung in einem Schritt zum 1. Januar 1986 nicht für realistisch.
Aber der Inhalt des Pakets, der Steuerentlastungsvorschläge, ist allerdings verteilungspolitisch skandalös.
({60})
Sie können doch nicht leugnen, meine Damen und Herren von der Union - und die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft hat Ihnen das doch selber kritisch ins Stammbuch geschrieben, Ihre eigenen Kollegen von der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, auch hier im Deutschen Bundestag ({61})
daß die Bundesregierung die Spitzenverdiener sage und schreibe fünfzigmal stärker als den Durchschnittsverdiener entlastet.
({62})
Oder nehmen wir eine andere Quelle: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin hat gerechnet. Es werden 15 Milliarden DM für die Steuertarifentlastung eingesetzt. Von diesen 15 Milliarden DM erhalten ein Sechstel der Steuerzahler 10 Milliarden DM, zwei Drittel der gesamten Summe. Das sind die, die mehr als 75 000 DM im Jahr verdienen. Und wenn wir hinzunehmen, daß die Kinderfreibeträge - das können Sie doch nicht leugnen, Herr Dr. Stoltenberg -, die Sie nun erhöhen wollen, dem Spitzenverdiener pro Kind zweieinhalbmal soviel Entlastung bringen wie dem Normalverdiener, dann ist richtig, was die christdemokratischen Arbeitnehmer sagen: Diese Steuervorschläge sind' skandalös; sie müssen geändert werden. Auch hier bieten wir Ihnen unsere Hilfe an.
({63})
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, untersuchen wir einen anderen Aspekt. Sie stellen diese Tarifentlastung unter das Motto: Leistung muß sich wieder lohnen. Sie sagen: Damit das so ist,
({64})
müssen die Grenzsteuersätze gesenkt werden. Schauen wir genau hin, was das bedeutet.
Beim verheirateten gut verdienenden Arbeitnehmer, der heute etwa 3 500 DM monatlich verdient, wird die Grenzsteuerbelastung 1988 nach Ihrer Steuerreform um sechs Punkte höher liegen als 1982.
({65})
Dagegen werden die sehr gut Verdienenden eine deutlich niedrigere Grenzsteuerbelastung haben. Für sie - das haben wir erkannt - beginnt Leistung, die steuerlich zu begünstigen ist, offensichtlich erst bei einem Monatseinkommen von rund 10 000 DM und mehr.
({66})
Das ist dann die Konsequenz Ihrer Steuerreform: Den Großen wird gegeben, und bei der Masse der mittleren und kleinen Einkommen wird kassiert.
({67})
Ich sage Ihnen: Dieser verschärften Umverteilung werden wir nicht zustimmen. Unsere Vorschläge für eine gerechte Steuerentlastung sind bekannt: eine stärkere Entlastung der kleinen und mittleren Einkommen und an Stelle der unsozial wirkenden Kinderfreibeträge eine Erhöhung des Kindergeldes. Das führt nämlich dazu, daß dann dem Staat jedes Kind, ob das eines Arbeitslosen oder eines Millionärs, gleich viel wert ist. Es darf nicht dahin kommen - wie Sie es wollen -, daß das Kind des Millionärs dem Staat sehr viel mehr
wert ist als das Kind eines Durchschnittsverdieners.
({68})
Meine Damen und Herren, wenn wir in zweiter Lesung über den Bundeshaushalt reden, müssen wir über die Risiken der Bundesfinanzen sprechen, die sich aus der Europäischen Gemeinschaft ergeben. Der Bundesfinanzminister und seine Kollegen haben sich bemüht, die EG-Finanzkrise in den Griff zu bekommen. Die Ergebnisse sind kümmerlich. Das ist wohl auch der Grund, weswegen Herr Kollege Dr. Stoltenberg in der letzten Debatte im Deutschen Bundestag - wenn auch vorsichtig, ich gebe das zu, aber immerhin - deutlich versucht hat, die Finanzprobleme der Europäischen Gemeinschaft der sozialliberalen Koalition zuzuschieben.
({69})
„Das Erblastgerede erinnert mich" - so Außenminister Genscher am 29. Oktober 1984 im Deutschlandfunk ({70})
„an die Methode ,Haltet den Dieb`." Das ist ein Zitat des Vizekanzlers dieser Koalition.
({71})
- Ich wiederhole es für Sie, damit Sie es begreifen. „Das Erblastgerede des Herrn Kollegen Dr. Stoltenberg erinnert den Vizekanzler dieser Koalition an die Methode ,Haltet den Dieb`."
({72}) Herr Kollege Genscher fährt fort:
Ich kann mich noch genau an die Aussprachen im Deutschen Bundestag erinnern, in denen Kollege Ertl gerügt wurde,
- gerügt wurde, und zwar von Ihnen daß er in der EG versucht hatte, die Entwicklung
- der Preise in Grenzen zu halten.
({73})
Die Unions-Politiker verlangten mehr, nicht weniger.
({74})
- Ich gebe Ihnen notfalls die Protokolle des Deutschen Bundestages, aus denen hervorgeht, daß der heutige Bundesernährungs- und -landwirtschaftsminister ununterbrochen mehr und nicht weniger verlangt hat.
({75})
Herr Genscher hat recht: Hören Sie auf, über Erblast zu reden. Sie sind es gewesen, die die Preise in Brüssel auch nach oben getrieben haben.
({76})
Nehmen wir es doch zur Kenntnis, wie es wirklich ist. Die Ausgabenexplosion im Agrarbereich ist doch trotz gegenteiliger Beteuerung von Ihrer Seite kaum gebremst. 1983 schnellten die Ausgaben für den Agrarbereich um 27 % in die Höhe. 1984 sollte das besser werden, aber wir stellen fest: Auch im Jahre 1984 wird der Anstieg 16 % betragen. Und er wäre sehr viel höher gewesen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, hätten Sie nicht fällige Ausgaben des Jahres 1984 erneut in das nächste Haushaltsjahr geschoben.
({77})
Nehmen wir doch zur Kenntnis: Die Agrarüberschüsse in Brüssel sind auf ein unerträgliches Maß gewachsen. Der Warenwert dieser größtenteils unverkäuflichen Überschüsse beläuft sich auf 20 Milliarden DM. Die Butter wird ranzig; sie muß langsam verkauft werden. Das kostet dann zusätzliche Milliarden, auch aus dem Bundeshaushalt.
({78})
Bleiben wir doch wenigstens ehrlich, und sagen wir nicht, wir hätten in Brüssel etwas bewegt und in Ordnung gebracht. Das ist es, was wir dem Kollegen Stoltenberg vorwerfen.
({79})
Meine Damen und Herren, wir haben in diesem Deutschen Bundestag immer wieder gesagt: Wir wollen die Mehrwertsteuergrenze von 1 % in Brüssel festhalten. Das ist doch längst Vergangenheit. Das wird schlimme Konsequenzen haben. Vor einigen Tagen mußte der Bundesfinanzminister im Nachtragshaushalt für 1984 650 Millionen DM für die EG nachschießen. Im Bundeshaushalt 1985 haben Sie vorsorglich einen Betrag von 1,6 Milliarden DM eingestellt.
Ich habe meine ganz großen Zweifel, daß dieser Betrag ausreichen wird. Herr Kollege Dr. Stoltenberg, das ist keine Schwarzmalerei, auch nicht der Versuch der Besserwisserei. Ich komme aber zu dem Ergebnis - ich hoffe, Sie teilen das Ergebnis mit mir -:
({80})
Wer die Lage in der EG nüchtern analysiert, kann die Risiken für den Haushalt 1985 aus der EG-Agrarpolitik gar nicht hoch genug veranschlagen.
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, Sie haben uns am 15. November 1984 im Deutschen Bundestag mitgeteilt, daß es ihnen gelungen sei, in Brüssel Grundsätze für die Haushaltsdisziplin zu erreichen. Ich zitiere Sie jetzt wörtlich. Sie haben hier im Deutschen Bundestag gesagt:
Wir sind einen großen Schritt vorangekommen. Wir haben erstmals ein wirksameres Instrument, auch eine vernünftige Ausgabenkontrolle im Verfahren und in der Sache herzustellen.
Ich wollte Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, dazu heute eigentlich beglückwünschen. Aber das Selbst7780
lob des Finanzministers hält einer kritischen Nachprüfung leider nicht stand. In Brüssel wurden - Herr Kollege Stoltenberg, Sie wissen es doch - lediglich Schlußfolgerungen beschlossen, die keinerlei rechtliche Bindung haben. Der Spielraum der Agrarminister wurde kaum eingeengt.
Die „Neue Zürcher Zeitung" schrieb dazu am 14. November 1984 unter der Überschrift „Fragwürdiger Kompromiß der Finanzminister" - ich zitiere -, in Brüssel sei von den Finanzministern ein Text erarbeitet worden, „der mit den ursprünglichen Ambitionen nicht mehr allzuviel gemein hat".
({81})
Die „Neue Zürcher Zeitung" schreibt weiter: „Erneut hat der Berg, wie in Brüssel üblich, nur eine Maus geboren."
Herr Kollege Stoltenberg, ich habe den Agenturmeldungen im übrigen entnommen, daß selbst diese „Maus" inzwischen an den europäischen Realitäten in Brüssel „gestorben" ist.
({82})
Ich frage Sie, Herr Kollege Dr. Stoltenberg: Warum können Sie vor diesem Bundestag nicht einfach zugeben, daß Sie in Brüssel ihre Ziele nicht erreicht haben?
({83})
Warum immer wieder diese Selbstbeweihräucherung, die doch genauer Nachprüfung nicht standhält?
Wir sagen: Die finanzpolitische Bilanz Ihrer Europapolitik ist miserabel. In Brüssel setzten Sie keine durchgreifenden Sparmaßnahmen durch. Aber hier in Bonn beschließen Sie mit Ihrer Mehrheit einen Nachschlag nach dem anderen für die Landwirtschaft.
({84})
- Ich komme darauf zurück; nur ruhig.
Mit der Anhebung der Vorsteuerpauschale um 5 % hat der Bundesfinanzminister seinen Ruf als seriöser Finanzpolitiker ramponiert,
({85})
und zwar nicht nur in der Bundesrepublik,
({86})
sondern auch bei den Kollegen in der EG. Man nimmt doch einem Mann, nämlich dem Bundesminister der Finanzen, der Jahr für Jahr Geld - und dann über Nacht 3 Milliarden DM zusätzlich - für die deutsche Landwirtschaft übrig hat, doch nicht ab, daß er kein Geld hat.
({87})
Die Auswirkungen für die deutsche Landwirtschaft sind nicht besser. Der Kollege Bredehorn von der FDP hat die Beschlüsse, die im wesentlichen von Bundesfinanzminister Stoltenberg für die deutsche Landwirtschaft geprägt worden sind, am 18. Oktober 1984 im Deutschen Bundestag folgendermaßen bezeichnet - ich zitiere -:
Die agrarpolitischen Entscheidungen wie die Milchkontingentierung, der Abbau des Grenzausgleichs, die undifferenzierte generelle 5 %Erhöhung der Vorsteuerpauschale sind Entscheidungen gegen den bäuerlichen Familienbetrieb.
({88})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie ein Zwischenfrage?
Nein. - Ihr Kollege Bredehorn fügte hinzu - und wir Sozialdemokraten schließen uns dem an -:
Ich mache mir große Sorgen um die Existenz unserer bäuerlichen Familienbetriebe.
Herr Kollege Stoltenberg, das können Sie doch nicht bestreiten, auch wenn Sie es immer wieder versuchen: Die umsatzstarken Betriebe werden begünstigt. Wenn wir das nüchtern feststellen, dann hat das doch nichts mit Klassenkampf zu tun, wie Sie so gern behaupten. Rechnen Sie doch einmal, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, und Sie kommen zu dem Ergebnis,
({0})
daß ein Betrieb mit 500 000 DM Umsatz seinen Gewinn nach Abzug der Unkosten schlagartig jährlich um 20 000 DM ohne eigene Leistung erhöht, während ein kleinerer Betrieb mit einem Jahresumsatz von 100 000 DM bei weitem nicht einmal den Verlustausgleich für die Folgen Ihrer verfehlten Politik erhält.
({1})
Wir wollen im Interesse unserer Landwirtschaft - wenn Sie dazu bereit sind, mit Ihnen gemeinsam - einen Ausweg finden.
({2})
Lassen Sie uns von dem von Ihnen eingeschlagenen falschen Weg abweichen. Lassen Sie uns ihn korrigieren.
({3})
Wir müssen den Landwirten flächenbezogen helfen. Wir müssen entsprechend die Regelungen der Vorsteuerpauschale ändern. Nur so werden die hohen finanziellen Opfer für unsere Landwirtschaft sinnvoll eingesetzt und wird dem durch Ihre verfehlte
Finanzpolitik herbeigeführten „Bauernlegen" ein Ende bereitet.
({4})
Sie, Herr Dr. Stoltenberg, haben mir am 12. September 1983 hier im Deutschen Bundestag „Mäßigung und Selbstkritik" im Rückblick auf meine Zeit als Bundesfinanzminister empfohlen.
({5})
Ich gebe Ihnen heute diese Empfehlung zurück.
({6})
Am 15. November 1984 erkärten Sie überheblich als Bundesfinanzminister
({7})
zu den Aussagen eines Kollegen im Bundestag - ich zitiere -:
Es war kaum verständlich, was er hier vorgetragen hat, und schon gar nicht logisch und konsistent.
({8})
Am 14. September 1984 bewerteten Sie die Aussagen eines anderen SPD-Kollegen hier im Parlament folgendermaßen - ich zitiere Stoltenberg -:
Das ist selbst durch rheinisches Kabarett kaum noch zu überbieten. Melden sie sich doch bei den Laienschauspielern an.
({9})
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, abschließend: Auf Ihre Entschuldigung wegen der Verleumdung unseres früheren Kollegen Rainer Offergeld durch Herrn Waigel und Sie hier im Bundestag am 24. Mai 1984 während der Debatte über Ihre gescheiterten Pläne der Amnestie bei Parteispenden warten wir immer noch. Wenn Sie ein Ehrenmann sind: Entschuldigen Sie sich! Sie haben damals zu Unrecht - hoffentlich nicht bewußt - Herrn Offergeld verdächtigt. Inzwischen ist dies alles klar. Sagen Sie hier, daß Sie sich geirrt haben.
({10})
Wir Sozialdemokraten stellen fest: Anspruch und Wirklichkeit fallen in der Finanzpolitik des Finanzministers immer wieder weit auseinander.
({11})
Der Finanzminister tut nichts gegen die unerträglich hohe Arbeitslosigkeit.
({12})
Seine Haushaltspolitik erschöpft sich im Umverteilen zu Lasten der sozial Schwächeren. In seiner
Steuerpolitik setzt sich das fort. Der versprochene Subventionsabbau findet nicht statt. Im Gegenteil. Aus der Europapolitik des Finanzministers erwachsen unkalkulierbare Risiken für den deutschen Steuerzahler. Das ist wahrlich keine glanzvolle Bilanz Ihrer Politik.
({13})
Deswegen, Herr Kollege Dr. Stoltenberg, stünden auch Ihnen Mäßigung und Selbstkritik gut an.
Ich bedanke mich.
({14})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Carstens ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was meinen Sie wohl, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen, wie viele Bürger an den Rundfunk-und Fernsehgeräten soeben gedacht haben, wie gut es ist, daß Gerhard Stoltenberg und nicht Hans Apel Bundesfinanzminister ist?
({0})
- Herr Kollege Apel, ich werde auf Ihre Rede gleich noch eingehen, möchte aber zunächst wichtigere Dinge in den Vordergrund der Debatte stellen.
({1})
Nur eines vorweg: Machen Sie sich keine falschen Hoffnungen! Mit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist eine Ergänzungsabgabe nicht zu machen.
({2})
Wir haben in der Fraktion ausführlich darüber debattiert. Niemand von uns hat diese Ergänzungsabgabe gewünscht, gewollt, geschweige denn gefordert.
({3})
Das hängt damit zusammen, daß wir die Wirtschaft weiter beleben und nicht kaputtmachen wollen, meine verehrten Damen und Herren.
({4})
Aber Sie können sicher sein, daß wir schon in Kürze - in Kürze! - eine angemessene Antwort
({5})
in Sachen Investitionshilfeabgabe geben werden.
Meine verehrten Damen und Herren, nun, wie gesagt, zu den noch wichtigeren Dingen: Der Bundeshaushalt 1985 ist der dritte Haushalt in Folge,
Carstens ({6})
von dem mit Fug und Recht behauptet werden kann, daß er selbst hohen finanz- und wirtschaftspolitischen Anforderungen genügt. Das sagen nicht wir über unseren Haushalt. Vielmehr brauchen Sie nur die Ziffern 438 ff. des Sachverständigengutachtens nachzulesen, um dies bestätigt zu sehen.
Sparsamkeit und Solidität sind auch für 1985 wieder Richtschnur unserer Haushaltspolitik; sie werden es auch in den nächsten Jahren bleiben. Die Gesundung der Staatsfinanzen macht weiter erhebliche Fortschritte.
({7})
Die Konsolidierungsphase ist zwar noch nicht abgeschlossen, doch werden wir auch 1985 ein schönes Stück weiterkommen. Wir werden die Neuverschuldung im Jahre 1985 auf weniger als 25 Milliarden DM zurückführen.
({8})
Erkennbare Risiken sind hinreichend abgesichert - weitere Risiken sind kaum zu erwarten -, so daß man davon ausgehen kann, daß die Neuverschuldung im Jahre 1985 - was auch immer kommen mag - auf weniger als 25 Milliarden DM zurückgeführt wird.
Zu Recht kann weiter gesagt werden, daß die Haushalts- und Finanzpolitik das eigentliche Kernstück der Politik der Regierung Kohl/Genscher ist. Denn wer wollte behaupten, daß die Erfolge, von denen das Sachverständigengutachten berichtet, ohne die Konsolidierung der Staatsfinanzen möglich gewesen wären? Ja, meine Damen und Herren, die Erfolge - ich betone: die erwarteten Erfolge - unserer nie in Zweifel gezogenen Konsolidierungspolitik stellen sich nun ein, man möchte fast sagen: unaufhaltsam und immer deutlicher sichtbar. Noch sind wir nicht ganz über den Berg, aber das Gröbste ist geschafft. Der Sachverständigenrat sagt: Beeindruckend ist: Gravierende Fehlentwicklungen konnten in wenigen Jahren beseitigt werden. An anderer Stelle heißt es - ich zitiere -:
Basis der Zuversicht, daß es in den kommenden Jahren gelingen kann, auch beim Beschäftigungsziel voranzukommen, ist die Diagnose, daß die Voraussetzungen für eine langgezogene wirtschaftliche Aufwärtsbewegung mit durchgängig positiven - wenn auch nicht Jahr für Jahr gleich großen - Wachstumsraten stark verbessert sind: durch den Erfolg bei der Eindämmung der Inflation, durch die Erfolge bei der Konsolidierung der Staatsfinanzen mit der Möglichkeit einer baldigen deutlichen Senkung der Steuerlast ...
({9})
Man muß sich einmal auf der Zunge zergehen lassen, was in dieser Passage zum Ausdruck gebracht worden ist. Da ist die Rede von der Chance eines langgezogenen wirtschaftlichen Aufschwungs mit durchgängig positiven Wachstumsraten.
({10})
Meine Damen und Herren, wieviele kluge Leute hat es in den letzten Jahren gegeben, die gemeint haben, genau das Gegenteil berichten zu sollen und für die Zukunft für möglich halten zu sollen. Wir sind hier eines Besseren belehrt worden. Die Richtigkeit unserer Politik hat sich hier bestätigt. Ich sage auch einmal ganz persönlich - das ruft auch Gefühle hervor, meine Damen und Herren -: Es ist nach zwei Jahren nicht leichter Arbeit und nicht leichtgemachter politischer Entscheidungen schon angenehm, nun diese Bestätigung durch den Sachverständigenrat zu bekommen.
({11})
Nun sehen Sie sich einmal an, wie die Zeitungen - wie auch immer sie politisch strukturiert sein mögen - darüber berichtet haben. Der „Kölner Stadtanzeiger" sagt: „Experten sehen langen Aufschwung". Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung": „Aufschwung - Hoffnung bestätigt". Die „Frankfurter Neue Presse": „Gutachter sehen Chancen für ein langes Wachstum". Die „Kölnische Rundschau": „Gutachter: Aufschwung wie noch nie". Die „Rheinische Post": „Weniger Arbeitslose, mehr Wachstum". Die „Welt" von heute berichtet auf Grund einer Prognose des Instituts der Deutschen Wirtschaft davon, daß man die Hoffnung haben kann, daß wir im Mai 1985 bei den Erwerbslosenzahlen erstmals unter 2 Millionen kommen. Das sind doch Berichte, die sich sehen lassen können. Wir werden in diesem Sinne weitermachen.
({12})
Meine Damen und Herren, natürlich ist mir klar, daß es nicht wenige Bürger und einzelne Branchen gibt, die immer noch mit Schwierigkeiten und Problemen zu tun haben, zum Teil mit großen Schwierigkeiten. Das soll überhaupt nicht verheimlicht werden. Aber auch hiermit werden wir doch am ehesten fertig, je nachhaltiger und dauerhafter uns die wirtschaftliche Belebung gelingt. Darauf kommt es an, um auch mit diesen Problemen fertig zu werden.
Die wirtschaftliche Belebung, von der ich soeben sprach, ist im Gange. Sie verstärkt sich von Monat zu Monat. Besonders erfreulich ist, daß nach den vielen Jahren des Pessimismus in unserem Lande endlich wieder mehr und mehr Bürger optimistischer in die Zukunft sehen, zu Recht, wie ich meine. Optimismus ist angebracht. Jetzt ist der Zeitpunkt, zu dem man mit Recht optimistisch sein kann.
Nun hat der Erfolg viele Väter. Meine Damen und Herren, das ist bekannt. Im Falle der Konsolidierungspolitik stimmt dies sogar, denn vom Bundeskanzler über die Fraktionsvorsitzenden, nicht zuletzt über den Fraktionsvorsitzenden Dr. Dregger, bis in die Koalitionsfraktionen haben wir in großer Geschlossenheit Kurs und Linie gehalten.
({13})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Ehrenberg? - Bitte sehr.
Herr Kollege, würden Sie, da Sie von den vielen Vätern der Konsolidierungserfolge sprechen, auch diejenigen dazuzählen, die dafür verantwortlich sind, daß die Rentenversicherung innerhalb eines Jahres 9,5 Milliarden DM ihrer Reserven aufzehren mußte, daß die Renten heute auf Pump gezahlt werden, daß die Konsolidierung dadurch völlig in Frage gestellt wird, weil j a der Bund auch für den Haushalt der Rentenversicherungsträger verantwortlich ist, und daß dort so viel an Reserven aufgezehrt worden ist, wie umgekehrt im Bundeshaushalt konsolidiert wurde?
({0})
Herr Kollege Ehrenberg, gerade Sie müssen von Sicherheit der Rentenversicherung sprechen.
({0})
Ich kann mich noch genau daran erinnern, wie Sie hier diskutiert, argumentiert und mit Ihren Händen gestikuliert haben, so daß die Rentner den Eindruck gewinnen mußten: Bei jedem Griff wird uns noch mehr aus der Tasche gezogen.
({1})
Wissen Sie, wir haben die Rentenversicherung sicher gemacht. Die Rentner wissen, daß ihre Renten absolut sicher sind. Zum 1. Juli 1985 wird der Krankenversicherungsbeitrag noch einmal angehoben. Die Rentner wissen aber, daß ab 1986 wieder Rentenerhöhungen von schätzungsweise 3 oder 4 Prozent auf sie zukommen werden,
({2})
ohne daß etwas abgezogen wird. Das steht den Rentnern dann auch auf Dauer in vollem Umfang zur Verfügung. Das ist unsere Rentenpolitik.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Ich habe eben von den Vätern unseres Erfolges gesprochen und möchte dieses Thema noch einmal in Erinnerung zurückrufen. Denn eines muß, obwohl es stimmt, daß in der Tat viele diese Bezeichnung für sich in Anspruch nehmen können, doch einmal deutlich festgehalten werden - das möchte ich hier vor dem Deutschen Bundestag tun -: Ein Mann steht in besonderer Weise für unser Programm dieser Konsolidierungspolitik; es ist kein anderer als Finanzminister Gerhard Stoltenberg, bei dem ich mich namens der Fraktion herzlich bedanken möchte.
({0})
Ich darf diese Gelegenheit aber auch nutzen, Herrn Stoltenberg zu bitten, diesen aufrichtig gemeinten Dank auch an die Mitarbeiter seines Hauses weiterzugeben; denn diese haben uns bei den Beratungen in hervorragender Weise unterstützt.
({1})
Ebenfalls darf ich mich bei den Haushaltspolitikern der FDP bedanken. Wir haben eine überaus gute persönliche und sachliche Zusammenarbeit gehabt, die überhaupt nicht hätte besser sein können. Herzlichen Dank dafür!
Nehmen Sie es mir ab, daß ich auch dies genauso aufrichtig meine, wie ich es sage: ein Dank an die SPD-Haushaltspolitiker! In menschlicher, persönlicher Hinsicht sind wir hervorragend miteinander ausgekommen. Politisch hat es Differenzen und Auseinandersetzungen gegeben. Das muß j a auch der Fall sein. Aber wenn wir viele Stunden lang, bis in die Abendstunden tagen, wären die Beratungen kaum zu ertragen, wenn das Menschliche nicht stimmen würde. Dafür, daß Sie es möglich gemacht haben, die Beratungen in menschlich aufrichtiger Weise zu führen, auch Ihnen ganz, ganz herzlichen Dank.
({2})
Es fällt mir schwer, zu den GRÜNEN Passendes zu sagen. Da kann das Lob den Tadel nicht überwiegen. Aber wir sind miteinander zurechtgekommen, meine sehr geehrten Damen und Herren.
Bezüglich der kommenden Haushaltsjahre erkläre ich, daß wir die Konsolidierungspolitik unbeirrbar fortführen werden, wobei einschneidende gesetzliche Maßnahmen nicht mehr nötig sind und folglich auch nicht mehr beschlossen werden. So wie wir in diesem Jahr die schon im Entwurf vorgesehene niedrige Ausgabensteigerung gegenüber 1984 noch einmal auf 0,9% abgesenkt haben,
({3})
werden wir auch in Zukunft mit den Staatsfinanzen äußerst sorgfältig umgehen.
Das heißt nun nicht, daß wir keine finanz- und wirtschaftspolitische Handlungsfreiheit mehr behielten. Ganz im Gegenteil! Das zeigen die Beschlüsse des Haushaltsausschusses in diesem Jahr, die oft durch Beschlüsse der Fraktionen initiiert waren. Trotz 0,9 % Ausgabensteigerung ist noch eine Menge an zusätzlichen Beschlußfassungen bzw. Umsetzungen möglich gewesen. Ich will nur einige davon nennen.
Wir haben z. B. dadurch neue Zeichen gesetzt, daß wir die Mittel für die Förderung der Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit kleinerer und mittlerer Unternehmen erhöht haben. Wir haben dafür Sorge getragen, daß unser Programm zur Gründung selbständiger Existenzen, so wie es bisher festgelegt worden ist, noch über Jahre fortgeführt werden kann. Wir haben sogar Ansparzuschüsse bewilligt, um hierüber auf Dauer weitere selbständige Existenzen gründen zu können. Wir haben beschlossen,
Carstens ({4})
zur Sicherstellung eines flächendeckenden Angebots an bleifreiem Benzin Investitionszuschüsse an kleinere und mittlere Tankstellenunternehmen zu geben. Wir haben die Mittel für benachteiligte Gebiete aufgestockt. Wir haben eine Menge Geld für die Berufsausbildung benachteiligter Jugendlicher zur Verfügung gestellt. Gestern war hier noch die Rede von der zweiten Familienheimfahrt, die nicht zuletzt auf Initiative der Kollegin Seiler-Albring ermöglicht worden ist. Die Krebshilfe ist aufgestockt worden; Herr Kollege Friedmann hat gestern davon berichtet. Es gibt noch weitere Beispiele.
Dies zeigt, daß eine aktive Sachpolitik keine zweistelligen Steigerungsraten im Haushalt benötigt, sondern die finanzpolitische Handlungsfähigkeit auch bei knappen Zuwachsraten erhalten bleiben kann.
({5}) Diese Linie werden wir fortsetzen.
Ich darf hinzufügen, daß dies mittlerweile der dritte Haushalt in Folge ist, der nun rechtzeitig zum 1. Januar in Kraft treten kann. Das scheint mir auch erwähnenswert zu sein. In diesem Jahr sind wir im Deutschen Bundestag mit der abschließenden dritten Lesung sogar morgen, im November, fertig, so daß selbst die Bundesratsfristen eingehalten werden können. Auch dies scheint mir ein Zeichen solider und ordnungsgemäßer Haushaltspolitik zu sein.
({6})
Ich möchte bei der Gelegenheit - das wird sicher auch im Sinne der Opposition sein; ich kann mir vorstellen, daß Herr Kollege Walther, der Ausschuß-vorsitzende, und auch Herr Kollege Wieczorek darauf noch zu sprechen kommen werden - vorschlagen, daß wir uns im nächsten Jahr für die Beratungen etwas mehr Zeit nehmen. Vielleicht können wir dafür noch eine Woche zusätzlich zur Verfügung halten. Wir mußten doch oft bis in die späten Abendstunden beraten; es erscheint mir sinnvoll, die wichtigen Positionen, bei denen es um Milliardenbeträge geht, in aller Ruhe beraten zu können. Wir haben es in diesem Jahr an nichts fehlen lassen. Wir haben so beraten, wie es nötig war. Aber das sollte doch bei der Terminplanung im nächsten Jahr bedacht werden. Ich möchte das auch meinerseits mit vorschlagen, damit die SPD-Kollegen Bescheid wissen.
({7})
Der Haushalt 1985 wird in dieser Woche abgeschlossen. Das heißt, daß wir uns dann gedanklich schon mit dem Haushalt 1986 zu befassen haben. Ich möchte sagen, daß es bei der Aufstellung des Haushalts 1986 wiederum größter Haushaltsdisziplin bedarf, damit der Pfad der Tugend nicht verlassen wird - vor allem deshalb, weil der Bundesbankgewinn nicht als dauerhafte und sichere Einnahme zu werten ist und weil auch schon drei Risiken mit größeren Beträgen im Jahre 1986 auf uns zukommen, von denen wir schon jetzt wissen. Das ist erstens die zusätzliche Ausgabe in Richtung EG.
Darüber wird heute morgen noch mehr zu sagen sein. Das ist zweitens die erste Stufe - ich betone: die erste Stufe - des Einkommensteuertarifs ab 1. Januar 1986. Drittens gibt es mit Blick auf 1986 gewisse Unsicherheiten bei den Steuerschätzungsansätzen. Allein diese drei Faktoren belasten den Haushalt 1986 mit wahrscheinlich mehr als 10 Milliarden DM.
Aus diesem Grunde haben wir im Haushaltsausschuß vorsorglich ein wirksames Instrument eingesetzt. Wir haben sämtliche Verpflichtungsermächtigungen für kommende Haushaltsjahre zunächst einmal gesperrt. Hieraus mag die Fachwelt erkennen, daß wir unsere Aussagen zur Konsolidierung der Staatsfinanzen ernst meinen, absolut ernst. Wir werden sicherstellen, daß kein notwendiges Projekt, keine notwendige Investition oder Maßnahme aufgehalten wird. Aber alle Verpflichtungsermächtigungen kommen auf den Prüfstand. Unser Ziel ist es, hiermit die Finanzpolitik Gerhard Stoltenbergs kraftvoll zu unterstützen, um hierüber der schon vorhandenen Wirtschaftsbelebung weitere Schubkraft zu verleihen.
Herr Kollege Apel, ich hatte gesagt, daß ich noch auf einige Ausführungen von Ihnen zurückkommen werde. Ich meine, man kann durchaus sagen, daß Ihre Kritik angesichts des geballten und politisch unabhängigen Sachverstandes der wissenschaftlichen Sachverständigen verblaßt. Ich kann mich nur wundern, daß Sie überhaupt die Stirn haben, so zu reden, wie Sie es getan haben.
({8})
Wenn ich mir die Zahlen aus den 70er Jahren ansehe,
({9})
stelle ich fest, daß Sie doch der eigentliche Schuldenminister sind.
({10})
Ich habe es zunächst gar nicht glauben wollen: Der erste Haushalt, für den Sie zuständig gewesen sind - das war der Haushalt 1975 -, hat, nachdem es im Jahre 1974 eine Neuverschuldung von 9,5 Milliarden DM gegeben hatte, einen Kreditbetrag von sage und schreibe 29,9 Milliarden DM ausgewiesen.
({11})
Das war mehr als das Dreifache des Vorjahres.
({12})
Und Sie stellen sich hier hin, um unsere Politik zu kritisieren!
({13})
Sie haben gemäß der Vorgabe Ihres Lehrmeisters, dem 5 % Inflation lieber waren als 5% Arbeitslosigkeit, Kredite über Kredite lockergemacht. Das ist Ihre Politik gewesen. Man darf das doch wohl noch einmal sagen, damit die Berliner Wähler auch Bescheid wissen, mit wem sie es zu tun haben.
({14})
Carstens ({15})
Meine verehrten Damen und Herren, ich habe eben darauf aufmerksam gemacht, daß im Sachverständigengutachten steht: Gravierende Fehlentwicklungen konnten in wenigen Jahren beseitigt werden. Das ist ein tolles Lob für die jetzige Regierung, aber es ist auch ein gewaltiger Tadel für die vorherige Regierung.
({16})
Denn hier steht ja, festgestellt vom Sachverständigenrat, daß es gravierende Fehlentwicklungen gegeben hat, und wenn es die gegeben hat und wir sie beseitigen mußten, muß ja die vorherige Regierung diese Fehlentwicklungen verursacht haben. Herr Apel, das sollten Sie sich einmal durchlesen!
({17})
Herr Kollege Apel, dann reden Sie davon, wir verteilen von unten nach oben um. Da denke ich nur einmal an die Zinsen. Riesige Summen an Zinsen mußten in den letzten Jahren gezahlt werden. Überlegen Sie doch nur einmal: Wer hat die Zinsen bekommen,
({18})
und wer hat die Zinsen gezahlt?
({19})
Das war - verursacht durch Ihre Politik - die größte Umverteilung von unten nach oben,
({20})
die in der deutschen Geschichte je vorgekommen ist.
({21})
Der kleine Mann mußte und muß Ihre Zeche zahlen: Sie haben das Kindergeld für alle Familien gekürzt, Sie haben sogar das Kindergeld für arbeitslose Jugendliche gestrichen, die Reallöhne sind gesunken, die Arbeitslosenzahl ist gestiegen, viele kleine und mittlere Betriebe sind in Existenznot gebracht worden oder sogar pleite gegangen. Nein, Herr Kollege Apel, gerade Sie sollten sich bescheiden zurückhalten, wenn es im Deutschen Bundestag um diese Fragen geht!
({22})
Unsere Politik bringt - mit dieser Feststellung möchte ich meine Ausführungen beenden ({23})
sehr bald für alle Bürger merkliche Vorteile. Die Zeit des Kürzens ist vorbei. Die Bürger erkennen, daß die Beschlüsse von 1983 und 1984 notwendig waren, um viele Dinge, die in Unordnung waren, wieder in Ordnung zu bringen. Sie erkennen, daß sich nun die Erfolge dieser Politik einstellen. Ich kann mir vorstellen, daß der Finanzminister diese Erfolge noch näher vorstellen wird. Ich habe von der Neuverschuldung gesprochen; vom Herabgehen der Inflationsrate, von den niedrigeren Zinsen und von dem Wachstum möchte ich reden. Stellen Sie sich vor, wenn das Wachstum so beibehalten werden kann, werden wir in dieser Legislaturperiode
real etwa 10 % wirtschaftliches Wachstum haben können. Das ist doch etwas! 10 % in einer Periode sind doch noch vor einigen Jahren kaum für möglich gehalten worden; da haben alle von mehr Arbeitslosigkeit und schrumpfender Wirtschaft geredet. Und jetzt: wahrscheinlich 10% reales Wachstum in dieser Legislaturperiode!
({24})
Die Reallöhne steigen wieder, und auch bei der Arbeitslosigkeit zeichnen sich Erfolge ab. Die Zahl der Kurzarbeiter ist um über die Hälfte zurückgegangen, die Jugendarbeitslosigkeit nimmt ab, und fast alle jungen Leute bekommen in diesem Jahr eine Lehrstelle, und im nächsten Jahr wird es wieder so sein. Auch das wäre ohne diese Politik gar nicht möglich gewesen.
({25})
Wir werden bald die Bürger von Steuern entlasten können. Wir starten schon sehr bald unsere familienpolitische Offensive. Auch der öffentliche Dienst hat ab 1985 wieder Anteil an der wirtschaftlichen Entwicklung. Und, wie gesagt, auch die Rentner wissen, daß sie zwar einmal noch den Krankenversicherungsbeitrag erhöht bekommen, aber ab 1986 bei der wirtschaftlichen Entwicklung voll dabei sind. Und darauf kommt es den Rentnern an: daß ihre Renten sicher sind und daß sie mit einer dauerhaften Erhöhung auch in Zukunft rechnen können.
({26})
Meine Damen und Herren, nachdem ich - mit innerlicher Freude, wie Sie festgestellt haben - von diesen finanzpolitischen Erfolgen gesprochen habe, möchte ich zum Abschluß noch ein anderes ernsthaftes Wort sagen dürfen.
({27})
Ich würde mich sehr freuen, wenn es uns gelingen würde, 1985 zu einem Jahr der geistig-moralischen Erneuerung in unserem Lande werden zu lassen.
({28})
Es gibt hierfür viele Stichworte,
({29})
die ich aber, da wir eine finanzpolitische Debatte haben, nicht weiter ausführen will. Auf eines möchte ich jedoch hinweisen: Es ist völlig unannehmbar, daß in einem Land wie der Bundesrepublik Deutschland bei dieser wirtschaftlichen Entwicklung auch in Zukunft weiterhin 200 000 noch nicht geborene Kinder aus vermeintlich sozialen Gründen getötet werden.
({30})
Carstens ({31})
Ich möchte Sie alle ganz, ganz herzlich bitten und auffordern, daß wir uns im nächsten Jahr dieser Frage gemeinsam annehmen.
({32})
Dann wird uns auch der Segen Gottes beschieden sein,
({33})
ohne den die beste Regierung, die beste Politik und das leistungsfähigste Volk auf Dauer nicht auskommen können.
Herzlichen Dank.
({34})
Meine Damen und Herren, da die Fraktion der GRÜNEN für die erste Runde keinen Redner gemeldet hat,
({0})
kann ich die in der Geschäftsordnung erwünschte Reihenfolge - Rede und Gegenrede - nicht einhalten. Ich erteile daher dem Herrn Abgeordneten Dr. Weng das Wort.
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Erlauben Sie, daß ich vor Eintritt in meine Haushaltsrede eine kleine Erwähnung in eigener Sache mache. Im Protokoll der Debatte von vorgestern abend über den Haushalt des Verteidigungsministeriums habe ich Zwischenrufe des Abgeordneten Horn, SPD, gefunden wie „Ein Hanswurst ist das!" und „Sie sind doch dumm!" Da der amtierende Präsident Westphal, SPD, hierauf nicht reagierte, war ich der Auffassung -
Herr Abgeordneter Weng, Fragen, die die Geschäftsführung eines amtierenden Präsidenten berühren, werden im Ältestenrat des Deutschen Bundestages und im Präsidium besprochen, aber nicht hier im Parlament.
({0})
Ich bedanke mich für den Hinweis, Herr Präsident. - Ich war daher der Auffassung, meine Damen und Herren, daß es sich hierbei vielleicht um den in der SPD üblichen Umgangston handelt und daß der Kollege Horn einen Kollegen aus der eigenen Fraktion meinte.
({0})
Nun hat man mich aufgeklärt, daß das deswegen nicht sein könne, weil ja hier gesagt worden sei „Sie sind doch dumm" und die Genossen untereinander per du seien.
({1})
Ich will deswegen eines feststellen, und das, nachdem ich mich der Unterstützung von geschätzten Kollegen versichert habe. Ich will es auch im Blick auf meine Wähler und meine Parteifreunde feststellen. Ich bin nicht dumm. Ich bin kein Hanswurst. Und das Niveau der Beleidigungen kennzeichnet den Abgeordneten Horn von der SPD.
({2})
Meine Damen und Herren, die Diskussion über den Einzelplan des Finanzministeriums muß natürlich eine Diskussion über die Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung und damit des Bundesfinanzministers sein. Der Entwurf des Haushalts 1985 hat nach der Beratung im Haushaltsausschuß ein Gesamtvolumen von 259,3 Milliarden DM, was einer Steigerung gegenüber dem Soll von 1984 um 0,9 % entspricht. Damit befindet sich dieser Haushalt im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung und wird, einen ordnungsgemäßen Haushaltsvollzug vorausgesetzt - womit ich einen sparsamen Haushaltsvollzug meine -, einen weiteren Fortschritt in Richtung auf die Konsolidierung der Staatsfinanzen bedeuten. Wir werden auch den Vollzug sehr sorgfältig begleiten.
Der Haushaltsausschuß hat bei einer Vielzahl von Änderungen gegenüber der Regierungsvorlage zusätzliche Einsparungen von 0,9 Milliarden DM vorgeschlagen, über die der Bundestag heute nacht in der zweiten Lesung des Haushaltsgesetzes und morgen in der dritten Lesung abschließend Beschluß fassen wird. Ich habe allen Grund - und dies ohne das Verbergen politischer Meinungsunterschiede -, allen Kollegen im Haushaltsausschuß für den fairen Umgang miteinander bei den überaus strapaziösen Beratungen, die zum Teil bis weit nach Mitternacht gedauert haben, zu danken. Mein Dank, meine Damen und Herren, gilt insbesondere dem Ausschußvorsitzenden Walther von der SPD und seinen Stellvertretern, die neben der Bewältigung der schwierigen Materie, deren Umfang sich ein Außenstehender kaum vorstellen kann, zusätzlich für Ruhe und Konzentration bei den Beratungen Sorge getragen haben. Der Dank gilt auch den Mitarbeitern des Haushaltsausschusses, die noch mehr, als es in anderen Bereichen der Tätigkeit des Deutschen Bundestages erforderlich ist, zu höchster Leistung gefordert waren und diese Leistung erbracht haben.
({3})
Meine Damen und Herren, der Haushalt beinhaltet natürlich Risiken, die in ihrem Umfang nicht genau eingeschätzt werden können.
Wenn wir an die großen Ausgabenblöcke denken, müssen wir hierbei auch über den Tarifabschluß im öffentlichen Dienst nachdenken, der nach meiner Meinung bei Berücksichtigung aller Umfeldgegebenheiten zu hoch ausgefallen ist. Hier hätte sowohl der Arbeitgeberseite ein härteres Verhandeln gut angestanden, wie man auch auf ArbeitnehmerDr. Weng
seite versäumt hat, etwas Konkretes für die Arbeitslosen und die Arbeitsplatzsuchenden zu tun.
({4})
Der Abschluß wird dazu führen, daß der öffentliche Dienst immer mehr zur geschlossenen Gesellschaft derer wird, die einen Platz ergattert haben, und alle anderen draußen bleiben müssen.
({5})
Schade, daß die Gelegenheit versäumt wurde, bei den jüngsten Verhandlungen hier ein deutliches Zeichen zu setzen.
Ein weiteres Risiko im Haushalt ist natürlich der Eingang der Steuern. So wünschenswert die geringen Preissteigerungsraten sind, so sehr fallen diese auf der staatlichen Einnahmenseite negativ ins Gewicht. Eine weiter expandierende Wirtschaft wird allerdings dieses Risiko mindern. Wer das neueste Gutachten des Sachverständigenrates aufmerksam liest, der stellt ja fest, daß die Voraussetzungen für die deutsche Wirtschaft - ich zitiere - so gut sind wie lange nicht mehr.
({6})
Damit ist auch von neutraler Seite klar ausgesagt, daß sich die Wirtschafts- und die Finanzpolitik dieser Bundesregierung auf einem unstrittig richtigen Kurs befinden.
Wenn die Wirtschaft bei guter Preisdisziplin weiter floriert, dann wird dies auch die Risiken mindern, die für den Haushalt z. B. im Bereich der Rentenversicherung und der Arbeitslosenzahlen liegen. Eine florierende Wirtschaft mit steigenden Beschäftigungszahlen und damit ansteigenden Beiträgen für die Sozialversicherung, mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und damit Entlastung der Arbeitenden ebenso wie der öffentlichen Hände, dies ist die beste Voraussetzung für eine Gesundung des Bundeshaushalts im Rahmen unserer Finanzplanung. Deshalb müssen wir unsere Bemühungen konsequent fortsetzen.
Ich will bei den Risiken die steigenden Kosten für die Europäische Gemeinschaft nicht vergessen und hier meine Forderung an die Bundesregierung erneuern, im EG-Bereich für besseren Umgang mit dem Geld Sorge zu tragen. Dies gilt auch und gerade im Vorfeld des Beitritts von Spanien und Portugal.
({7})
Wenn diese Länder Mitglied werden, ohne daß für die jetzigen und zukünftigen Probleme, insbesondere im Bereich der Landwirtschaft, Lösungen vorprogrammiert sind, dann wird es ein schlimmes Erwachen geben. Unsere Bürger werden zu Recht auch weiterhin kein Verständnis dafür haben, daß z. B. wachsende Mengen von Lebensmitteln vernichtet werden, während anderswo auf der Welt Menschen verhungern.
({8})
Ein zukünftiges Haushaltsrisiko wird auch durch die geplante Entlastung der Bürger im Einkommensteuerbereich auf uns zukommen. Natürlich ist die geringe Inflationsrate ein enorm stabilisierender Faktor für das Konsumverhalten der Bürger im Lande. Wer wie vorgestern eine Rednerin der SPD vom Verlust der Massenkaufkraft spricht, macht sich lächerlich.
({9})
Aber wir wollen doch immer vor Augen haben, daß die Koalition aus CDU/CSU und FDP mit dem erklärten Ziel angetreten ist, einerseits den Haushalt zu konsolidieren, andererseits aber auch die Steuerlastquote der Bürger nicht zu erhöhen, sondern möglichst zu vermindern. Ich weiß noch sehr gut, daß in früheren Bundestagswahlkämpfen die Frage des Staatsanteils gerade bei der Argumentation unseres Koalitionspartners CDU eine wichtige Rolle gespielt hat. Ich möchte unseren Partner hieran erinnern. Wir wünschen den Familienlastenausgleich mit der Steuerreform, der Familien, und zwar gemeinsam Erziehenden ebenso wie Alleinerziehenden, mehr Gestaltungsmöglichkeiten bringen soll, als sie derzeit haben. Wir meinen aber auch, daß die Reform der Einkommensteuer dringend erforderlich ist. Die Progressionszone, ursprünglich für größere Einkommen vorgesehen, hat sich heute im Zuge der Geldwertverminderung früherer Jahre zu einer Sondersteuer im Bereich der mittleren Einkommen ausgeweitet.
({10})
Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein Wort zur Frage einer möglichen Ergänzungsabgabe oder irgendeines Ersatzes für eine solche Abgabe sagen. Wer der Auffassung ist, daß unser Steuersystem ungerecht sei, der muß dies sagen und muß versuchen, dieses Steuersystem zu ändern. Ich bin nicht dieser Auffassung, weil es nach meiner Überzeugung in einem freiheitlichen Staat mit freiheitlicher Wirtschaftsordnung erforderlich ist, die Leistungsfähigen und die Leistungswilligen zu motivieren. Das heißt, wer mehr leistet, muß hierfür auch die Chance von mehr Einkommen haben, und dies darf der Staat nicht über Gebühr beschneiden.
({11})
Ich halte dies für eine Grundfrage der Gesellschaftspolitik. Natürlich muß im sozialen Staat jeder ein an der wirtschaftlichen Gesamtsituation orientiertes Auskommen haben. Aber die Chance der Besserstellung durch Leistung ist Grundvoraussetzung für das Funktionieren unserer Gesellschaft. Wenn heute die „Stuttgarter Zeitung" in ihrem Kommentar schreibt, die FDP betreibe hier Taktik, dann ist dies Unsinn. Hier geht es um unsere gesellschaftspolitischen Überzeugungen.
({12})
Nur eine derartige Motivation bringt nämlich ein Wirtschaftssystem zu der Blüte, wie wir sie in der
Bundesrepublik lange Jahre erlebt hatten, und nur eine derart florierende Wirtschaft ist in der Lage, auch die berechtigten Ansprüche all der Schwachen zu erfüllen. Der Versuch, jetzt eine Ergänzungsabgabe aus vermeintlichen Gründen sozialer Symmetrie einzuführen, hat einen ganz anderen Grund: Hier soll bei unseren Bürgern der Eindruck erweckt werden, irgendwo werde - dies natürlich ohne entsprechende Leistung - furchtbar viel Geld verdient, und der Staat müsse das diesen Reichen abnehmen, wenn er gerecht sein wolle. Hier liegt der Überlegung ein völlig falscher Ansatz zugrunde.
Wenn ich auch die Äußerungen meines Fraktionskollegen Grünbeck über schwarze Marxisten in der CDU für unsinnig und völlig überzogen halte,
({13})
so bitte ich doch den Koalitionspartner dringend, über meine Grundüberlegung nachzudenken und mir hierin zu folgen. Die sogenannten Besserverdienenden haben doch gerade durch die heimlichen Steuererhöhungen in den vergangenen Jahren ganz erhebliche Konsolidierungsopfer erbracht.
({14})
Viele steuerliche Vorteile wurden in den letzten Jahren abgebaut oder beseitigt. Ich will hier gar nicht ins Detail gehen: Die Steuerbelastung ist nach meiner Überzeugung schon jetzt eher unvertretbar hoch. Man denke doch auch daran, daß die frühere Ergänzungsabgabe von 3 % in den jetzigen Tarif mit einem Spitzensteuersatz von 56 % eingearbeitet wurde.
Wir können und dürfen nicht von unseren erklärten steuerpolitischen Zielen abgehen, weil eine kurzfristige Stimmungsmache infolge des Bundesverfassungsgerichtsurteils hierzu auf zuzurufen scheint. Solide Politik, meine Damen und Herren, muß gerade im Steuerbereich zukunftsorientiert sein.
({15})
Zukunftsorientiert sein müssen wir auch in der
Frage des Rückzugs des Staates aus den Bereichen,
in denen staatliches Handeln nicht erforderlich ist.
Ich habe mit Freude gehört, daß der Bundeskanzler in seiner Rede zum Haushalt des Bundeskanzleramtes vorgestern deutlich gesagt hat, daß, wie es auch in beiden Regierungserklärungen bereits geheißen hat, die Privatisierung weiter ein Schwerpunkt unserer Politik bleibt. Ich gebe zu, daß es meine Fraktion gern gesehen hätte, wenn die Regierungsvorlage des Finanzministers in Sachen Privatisierung im Kabinett zügig behandelt worden wäre. Im Moment scheint der Verdacht nicht ganz unbegründet zu sein, daß nicht nur die wohlgefüllte Tagesordnung der Kabinettssitzung Grund für die Zurückstellung war. Über den Inhalt der vertraulichen Vorlage hat j a, wie Sie alle wissen, die Presse sehr ausführlich und sehr detailliert berichtet. Ich schließe mich für meine Fraktion der Auffassung der Arbeitsgemeinschaft Selbständiger Unternehmer an, daß das Konzept zwar weniger als erhofft, aber zumindest nach außen hin mehr als erwartet beinhaltet. Mit „nach außen hin" meine ich, daß einige Dinge doch recht halbherzig angegangen werden.
Meine Damen und Herren, wer die Liste der Aufsichtsratsmitglieder mancher im Bundesbesitz befindlicher Unternehmen kennt, ahnt, woher die Verzögerungen kommen.
({16})
Herr Minister Stoltenberg, bei konsequenter Verfolgung Ihres Konzepts werden Sie viele der in der Vorlage genannten Prozentzahlen der angestrebten Privatisierung noch deutlich erhöhen müssen, damit nicht der Eindruck mangelnder Handlungsbereitschaft entsteht. Wir hätten es - und ich sage auch dies in großer Deutlichkeit - sehr begrüßt, wenn die Beratungen des Kabinetts so weit vorangetrieben gewesen wären, daß auf der Einnahmenseite unseres Haushalts für 1985 schon ein realistischer Ansatz, ich sage: von wenigstens 500 Millionen DM für die Veräußerung hätte stehen können, der natürlich - und ich sage das gerne, Herr Kollege Roth, der Sie mich hier ansehen - zu einer weiteren Rückführung der Verschuldung hätte eingesetzt werden müssen.
Wir haben uns allerdings sehr gefreut, daß Sie, Herr Minister, auch aus dem Bereich der Bundesbahn mit der Verkehrskreditbank und dem Speditionsunternehmen Schencker erstmals privatisier-bare Leistungen aufgezeigt haben. Dies kann nur ein Anfang sein. Auch hier muß unverzüglich mit konstruktiver Arbeit begonnen werden. Meine Aufforderung geht deswegen heute nochmals an den Herrn Verkehrsminister, aus seinem Gesamtbereich in Richtung Privatisierung zusätzliche konkrete Vorschläge zu machen. Es steht für mich außer Zweifel, daß im Privatisierungsvorschlag des Bundesverbandes der Selbständigen für den Verkehrsbereich eine große Zahl durchaus durchführbarer Vorschläge gemacht werden. Dieses Papier, Herr Minister Dollinger - oder die Herren, die im Moment für ihn auf der Regierungsbank sitzen -, geht Ihrem Hause von unserer Seite nochmals mit der Bitte um eine Stellungnahme, aber auch mit der
Bitte um Tätigkeit zu.
({17})
Gerne gebe ich in diesem Zusammenhang zur Kenntnis, daß die Abgeordneten der Koalition in der Frage der Privatisierung der Naßbaggerei ein Konzept erreicht haben, das den Vorstellungen derjenigen Bürger entsprechen dürfte, die mit mir der Ansicht sind, daß staatliches Handeln in vielen Bereichen durch privates ersetzt werden kann. Bis zum Jahre 1987 sollen sowohl im Küsten- wie im Binnenbereich 75 % der Baggerleistungen privatisiert sein. Ich will auch gerne daran erinnern, daß
in dieser Frage noch in der früheren Koalition sogar die Sozialdemokraten über ihren ideologischen Schatten gesprungen waren und ersten Privatisierungsschritten zugestimmt hatten.
({18})
- Der Herr Kollege Gärtner war initiativ, Herr Kollege Friedmann, das ist richtig, aber er hatte allein doch keine Mehrheit.
({19})
- Ich werde es im Protokoll nachlesen.
Meine Damen und Herren, erlauben Sie mir noch einige wenige Anmerkungen zu Haushaltsbereichen außerhalb des Einzelplans 08, die mir wichtig erscheinen. Der Verwaltung und insbesondere der Planungsbürokratie nicht mehr in gleicher Weise wie früher vertrauend, habe ich beim Einzelplan des Verkehrsministeriums nach einigen Straßenbauvorhaben gefragt und erklärt, daß ich einem Mittelansatz für diese Maßnahmen nicht zustimmen könne. Dies betraf insbesondere die geplante Fortsetzung der A 81 vom Leonberger Dreieck in Richtung Böblingen/Sindelfingen. Hierfür sind noch keine Mittel eingesetzt. Ich will an dieser Stelle gerne sagen, daß ich dem Innenminister des Landes Baden-Württemberg, Herrn Schlee, dafür dankbar bin, daß er einer vierspurigen Trassierung in diesem Bereich eine klare Absage erteilt hat. Wir werden von hier aus aber auch vorgeschlagene Alternativlösungen mit äußerster Reserve und mit genauer Kontrolle der Planung verfolgen. Meine Damen und Herren, Ausbau vor Neubau, Nutzung vorhandener Trassen vor Kahlschlägen durch die Landschaft, das ist für uns kein Schlagwort, sondern auch konkrete politische Handlungsanweisung im Haushaltsbereich.
({20})
Eine letzte Bemerkung zur Frage sinnvoller Ausgabe von Steuermitteln. Meine Damen und Herren, ich persönlich halte es für einen Fehler, daß der Bund den Petersberg, noch dazu zu einem zu hohen Preis, erworben hat. Ich sehe ein, daß dieser Erwerb die Renovierung als konsequente Folge nach sich ziehen muß, aber Renovierung nicht zu einer Protzscheune, sondern zu einem unserem bürgerlichen Staat angemessenen Gästehaus für mögliche ausländische und auch inländische Besucher.
({21})
Der in der vorliegenden Planung vorgesehene zusätzliche Rundbau für eine Empfangshalle ist nach meiner Meinung nicht nur unnötig, sondern auch unschön. Ich fordere die Planer deshalb auf, das augenblickliche Konzept schnell im Sinne einfacherer und preiswerterer Lösungen zu überdenken und insbesondere auf den zusätzlichen Rundbau zu verzichten. Mit meiner Stimme werden sie sonst die Mittel für den Umbau nicht freibekommen.
({22})
Meine Damen und Herren, die Finanz- und Haushaltspolitik der Koalition ist ein Eckpfeiler der Arbeit unserer Regierung. Die Fraktion der FDP steht hinter der Person des Finanzministers in gleicher Weise, wie es der Kollege Carstens für seine Fraktion gesagt hat. Wir stimmen seinem Haushalt zu.
({23})
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den ersten Hinweis auf die heutige Rede des Kollegen Hans Apel konnte man bereits gestern in einer Kleinanzeige der Berliner Sozialdemokratischen Partei im Lokalteil der Stadtpresse finden.
({0})
Da steht: „Hans Apel: Rede vor dem Deutschen Bundestag zum Haushalt 1985 ,für eine gerechtere Politik' morgen ca. 9 Uhr im ZDF."
({1})
Ich muß sagen, Herr Kollege Apel: das Geld der Genossen war nicht gut investiert.
({2})
Eine große Berliner Zeitung hat diese kleine Anzeige in einen Artikel eingearbeitet, der mit dem Satz beginnt: „Wegen Maschinenschaden geschlossen."
({3})
Das scheint mir eine richtige Assoziation zu sein, wenn man den Aggregatzustand, die Dynamik der finanzpolitischen Argumente Ihrer Rede richtig bewerten will.
({4})
Was ich beklage, ist nicht so sehr die Wiederholung sattsam bekannter polemischer Formeln, die abgenutzt sind. Das paßt dann wieder zu dem Maschinenschaden. Was ich schon eher beklage, ist die ständige Wiederholung oder Neuauflage sachlich falscher Behauptungen. Ich muß auch deshalb einige Dinge richtigstellen. Aber ich glaube nicht, daß eine interessierte Öffentlichkeit von uns in erster Linie einen vordergründigen Schlagabtausch erwartet, wie Sie das versucht haben, sondern doch eine ernsthaftere und nachdenklichere Diskussion
über die Frage, wo wir in der Finanzpolitik eigentlich stehen ({5})
natürlich im Für und Wider der Strategien und Argumente ({6})
und was wir zu entscheiden haben, damit der begonnene Weg der Gesundung, der aber noch nicht das Ziel erreicht hat, zu einer dauerhaften Verbesserung nicht nur der öffentlichen Finanzen, sondern auch der Grundlagen des wirtschaftlichen und sozialen Lebens für die Bürger der Bundesrepublik Deutschland führt. Dem möchte ich mich - auch in Anknüpfung an einige Überlegungen der Herren Kollegen Carstens und Weng - jetzt zuwenden.
Es ist ja die klassische Funktion einer zweiten und dritten Lesung, jeden einzelnen Politikbereich zu diskutieren. Natürlich gibt es auch immer einen Bezug zu den Zahlen des Haushalts, und sei es das Gehalt der verantwortlichen Minister. Es gab ja auch einmal Traditionen der Opposition, die Mißbilligung durch Anträge auszudrücken, das Gehalt der Minister jedenfalls symbolisch zu kürzen. Ich stelle fest, daß das noch nicht so ist. Aber es kann ja noch kommen.
({7})
- Herr Kollege Apel, wir haben j a unter dem Vorzeichen der Einsparungen der letzten Jahre den Beschluß erneuert, die Amtsgehälter der Bundesminister auch für das nächste Jahr um 5% zu kürzen. In Ihrer Amtszeit wurde zwar auch gekürzt, aber nicht bei den Ministergehältern. Das ist der Unterschied.
({8})
Für jeden Finanzminister hat eine solche Diskussion
({9})
- das galt auch für meine Vorgänger, Herr Kollege Matthöfer - eine besondere Bedeutung. Sie zeigt, unmittelbar vor der Verabschiedung, inwieweit der Regierungsentwurf standgehalten hat gegenüber dem Sachverstand des Parlaments, aber natürlich auch gegenüber den Unwägbarkeiten, die in einem Zeitraum von knapp sechs Monaten nach dem Kabinettsbeschluß zum Entwurf über den Haushalt auftreten können. Wir alle haben ja aus dem Jahre 1982 noch in lebhafter Erinnerung, wie grundlegend sich ein Haushalt gegenüber dem Entwurf einer Regierung innerhalb von sechs Monaten verändern kann, wenn nämlich der Entwurf auf Sand gebaut war.
({10})
Ich möchte aber schon darauf aufmerksam machen, daß wir in der Haushaltspolitik das Krisenmanagement, das permanente Löcherstopfen, abgelöst haben durch eine stetige, eine berechenbare, eine vorausschauende Politik.
({11})
Wir können bei allen gut erwogenen Veränderungen im Haushaltsausschuß, auf die meine Vorredner hingewiesen haben und die begründet sind - ich bedanke mich auch ausdrücklich für einige dieser Entscheidungen -, unseren Entwurf noch wiedererkennen. Ich glaube, das ist wichtig.
Im übrigen - dies erscheint mir noch bedeutsamer -: In den Jahren 1983 und 1984 haben nicht nur die Regierungsentwürfe, sondern auch die vom Parlament beschlossenen Haushaltspläne während des Haushaltsvollzugs standgehalten.
({12})
Meine Damen und Herren, diese dritte Phase des Haushaltsvollzugs ist natürlich die entscheidende Phase. Es ist die Frage zu stellen, ob es durch die tatsächliche Entwicklung des Jahres - wir denken natürlich an die Vorausschau an das Jahr 1985 - entscheidende und schwere Einbrüche und damit Verschlechterungen gibt, die unsere Annahmen korrigieren und verschlechtern. Das ist aus heutiger Sicht - ich sage das bei allen Unwägbarkeiten, die ich nicht übersehen will - nicht zu erkennen.
Anfang 1984 konnten wir feststellen, daß auf Grund strenger Ausgabendisziplin und infolge des neu beginnenden Wirtschaftswachstums der Bundeshaushalt 1983 - der erste in der Verantwortung der neuen Koalition - mit einem hervorragenden Ergebnis abschloß. Die Ausgaben waren um 6,5 Milliarden DM geringer als Ende 1982 veranschlagt. Die Einnahmen lagen um rund 3 Milliarden DM über dem Soll. Damit drückten wir die Nettokreditaufnahme um fast 9,5 Milliarden DM unter den Betrag, den wir sofort nach dem Regierungswechsel noch veranschlagen mußten.
Strikte Ausgabenbegrenzung im Haushaltsvollzug kennzeichnet nun auch das Haushaltsjahr 1984. Bis Ende Oktober sind die Ausgaben nur um 1,1 angestiegen. Da damit zu rechnen ist, daß in den letzten acht Wochen noch eine Reihe von größeren Ausgaben auf den Bundeshaushalt zukommen, wird der Gesamtzuwachs etwa bei 2 % liegen. Diese stärkere Zunahme der Ausgaben zum Jahresende beruht auf bestimmten Sonderfaktoren: die zusätzlichen Zahlungen für die EG oder etwa die Tatsache, daß die Personalausgaben im November doppelt so hoch sind wie in jedem anderen Monat.
Aber in absoluten Beträgen dürften die Minderausgaben 1984 voraussichtlich eine Größenordnung von 4 bis 5 Milliarden DM gegenüber dem Haushaltssoll erreichen. Dies ist wichtig, weil wir in der Tat in den Steuereinnahmen 1984 um vielleicht knapp 3 Milliarden DM hinter der Steuerschätzung des Frühjahrs zurückbleiben. Das ist nicht nur ein in den Ursachen negativer Tatbestand. Er beruht ja entscheidend - darauf hat der Finanzplanungsrat letzte Woche einstimmig hingewiesen - auf dem deutlichen Rückgang der Inflationsrate, der günstiger ist als unsere Erwartungen. Er beruht auf SonBundesminister Dr. Stoltenberg
derfaktoren wie den Auswirkungen des Arbeitskampfs.
({13})
Er beruht auch auf den Entscheidungen des Bundestags - ich erwähne das alles, Herr Kollege Walther - zum Thema Vorruhestand bezüglich der steuerlichen Begleitmaßnahmen und zur Vorsteuerpauschale. Das ist vollkommen richtig.
Insofern können wir dennoch davon ausgehen, daß die Neuverschuldung voraussichtlich unter 30 Milliarden DM bleibt. Das wäre ein weiterer Schritt zur Gesundung in der voraussichtlichen Bilanz dieses Jahres, freilich ein kleinerer als 1983. Aber die Richtung stimmt. Das ist entscheidend. Das, was uns heute und morgen zur Beschlußfassung vorliegt, erweckt die Hoffnung auf einen wieder etwas größeren Schritt zur Konsolidierung und Gesundung im Jahr 1985. Die Richtung stimmt. Darauf können die Bürger sich verlassen.
({14})
Denn nach den parlamentarischen Beratungen - ({15})
- Ich habe das nicht verstanden, Herr Fischer. Daß Sie ein anderes Koordinatensystem als wir haben, ist völlig klar. Das ist evident.
({16})
- Ja. Ich will das nicht vertiefen.
({17})
- Es wäre besser gewesen, es hätte sich mal einer von Ihnen hier zu Wort gemeldet, meine Damen und Herren von den GRÜNEN.
({18})
- Ja, ja; wir kennen ja die taktischen Winkelzüge: Lieber nachher ein bißchen polemisieren, als sich vorher der Auseinandersetzung stellen.
({19})
Aber da Sie sich an der guten Tradition eines Meinungsaustauschs der Fraktionen zunächst nicht beteiligen, möchte ich Ihre Zwischenbemerkungen heute irgnorieren.
({20})
Nach den parlamentarischen Beratungen wird der Bundeshaushalt - das wurde gesagt - nur 0,9 % über dem Soll 1984 liegen. Nun bedeutet das, weil wir 1984 den Rahmen der Ansätze nicht voll ausschöpfen, tatsächlich einen Spielraum für eine Ausgabensteigerung 1985 um etwa 21/2 %. Auf der niedrigeren Basis der Ausgaben 1984 können mit den jetzt vorgeschlagenen Beschlüssen die Ausgaben des Bundes 1985 um etwa 2,5 %, vielleicht 2,7 oder 2,8 % steigen. Das ermöglicht es, trotz der etwas ungünstigeren Steuerschätzung, die Nettokreditaufnahme auf knapp 25 Milliarden DM zu veranschlagen.
1981 und 1982, in den letzten Jahren sozialdemokratischer Regierungsführung, waren es über 37 Milliarden DM. Wir kommen jetzt auf diesem Weg von 31,5 und 29 Milliarden in eine Größenordnung von voraussichtlich 24 bis 25 Milliarden DM.
Die Konsolidierung ist damit nicht beendet. Ich höre es mit ein bißchen Unbehagen, wenn auch in den Erfolgsbilanzen des einen oder anderen meiner politischen Freunde vor allem außerhalb von Bonn gesagt wird, die Konsolidierung sei erreicht. Sie ist nicht erreicht.
({21})
Ich kann mich auch hier, Herr Kollege Apel, auf die einstimmigen Feststellungen des Finanzplanungsrats in der letzten Woche beziehen. Dieses Dokument, an dem ja Finanzpolitiker und Finanzminister der Christlich Demokratischen Union, der Christlich Sozialen Union, der Sozialdemokratischen Partei - ich bedauere, daß die Freien Demokraten zur Zeit in diesem Kreis fehlen; aber ich bin mit ihnen einig - und die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände mitgewirkt haben
({22})
und das Sie, Herr Kollege Apel, bei Ihrer Überbelastung im Berliner Wahlkampf wahrscheinlich nicht lesen konnten,
({23})
ist eine eindrucksvolle Widerlegung einer Reihe der abwegigen Behauptungen, die Sie hier, auch zum Thema „kommunale Investitionen", aufgestellt haben. Ich empfehle es Ihnen und einer breiteren Öffentlichkeit.
({24})
Unser Ziel muß es sein, die Neuverschuldung ohne Berücksichtigung des Bundesbankgewinns, der seit 1981 die Optik verbessert und verschönt, auf weniger als 20 Milliarden DM zu senken, um uns von der unerträglichen Last immer noch zu sehr steigender Zinsausgaben endlich zu befreien.
({25})
Das heißt, die Zinsausgaben sollen langfristig nicht stärker wachsen als das Wachstum der Ausgaben.
Ich sage hier, Herr Kollege Apel - das ist nicht eine polemische, sondern eine programmatische Bemerkung -: Diese genannten Zahlen für 1983, 1984 und im jetzt zur Verabschiedung anstehenden Haushaltsplan 1985 zeigen, daß wir nicht nur eine neue Finanzpolitik betreiben, sondern eine Haushalts- und Finanzpolitik einer ganz anderen Qualität als in den Jahren seit 1969.
({26})
Die Ausgaben des Bundes, Herr Finanzminister a. D., stiegen von 87,9 Milliarden DM im Jahre
1970 auf 244,6 Milliarden DM bis einschließlich 1982 an.
({27})
Das war in Ihrer Zeit - Sie waren ja ein maßgeblicher Architekt des Fehlbaus, der da entstanden ist - eine jährliche Steigerungsrate von rd. 10 %. In den drei Jahren seit dem Regierungswechsel - unter Einbeziehung des Jahres 1985 - beträgt der jährliche Zuwachs im Schnitt 2 %. Das ist eine andere Qualität der Finanz- und Haushaltspolitik, die wir in dieser Koalition verwirklichen.
({28})
Das nenne ich Konsolidierung, das nenne ich eine neue Finanzpolitik, die ihrer wirtschafts- und sozialpolitischen Verantwortung endlich wieder gerecht wird, vor allem der Zukunft unseres Volkes.
({29})
Finanzpolitik ist von hohem, eigenständigem Rang, aber sie ist nicht Selbstzweck; auch das erste muß betont werden. Ich begrüße, daß der Sachverständigenrat es getan hat und hier andere Akzente setzt - auch in dieser Prinzipienfrage - als die Konjunkturforschungsinstitute. Es gibt bei einigen unserer Konjunkturforscher - Sie haben ein geschätztes Institut zitiert, Herr Kollege Apel - die Tendenz, Haushalts- und Finanzpolitik nur als ein Element in Kreislaufrechnungen für private oder öffentliche Nachfrage zu betrachten. Dies ist, wie ich glaube, eine nicht zureichende Betrachtung; der Sachverständigenrat hat hier ganz andere, entscheidende Aussagen getroffen.
Wie gesagt, Finanzpolitik ist nicht Selbstzweck. Ihre wichtigste Aufgabe ist es, die Geldwertstabilität zu fördern. Man muß die wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen verstehen, aber nicht mit den alten, abgenutzten Sprüchen, die wir heute wieder vom Kollegen Apel gehört haben, mit denen Sie schon eine Bundestagswahl verloren haben und auch die nächste verlieren werden, wenn Ihnen bis dahin nichts Besseres einfällt.
({30})
Es geht hier um die Interdependenzen, um die Wechselwirkungen. Und natürlich hat die neue Finanzpolitik zur Trendwende in der Wirtschaftspolitik beigetragen. Im letzten Jahr der Regierung Schmidt ist das Bruttosozialprodukt in der Bundesrepublik Deutschland um mehr als 1 % zurückgegangen; 1983 ist es um 1,3 % gestiegen; 1984 werden wir voraussichtlich - trotz des Rückschlags vom Frühjahr - 2,5 % Wachstum erreichen; für 1985 gibt es zunehmend Prognosen, die - optimistischer als wir - 3 % für erreichbar halten, zuletzt vom Sachverständigenrat.
({31})
Hierzu sagt der Sachverständigenrat - ich zitiere; das nimmt auch Ihr Stichwort auf -:
Basis der Zuversicht, daß es in den kommenden
Jahren gelingen kann, auch beim Beschäftigungsziel voranzukommen, ist die Diagnose, daß die Voraussetzungen für eine langgezogene wirtschaftliche Aufwärtsbewegung ... stark verbessert sind ...
An anderer Stelle heißt es: Die Voraussetzungen dafür sind so gut wie lange nicht mehr.
Wirtschaftliche und soziale Wirkungen, Herr Kollege Apel, es führt doch kein Weg daran vorbei, daß die von Ihnen betriebene Politik 1980 und 1981 zu einem erschreckenden Ansteigen der Inflation geführt hat, 1981 und 1982 mit einer Inflationsrate zwischen 5,5 % und 6,5 %.
({32})
- Ich sage: mit einer Inflationsrate von 5,5 % bis 6,5 %.
({33})
- Sie können auch durch lärmende Zwischenrufe die Feststellung des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden und die bitteren Erfahrungen von Millionen Mitbürgern, vor allem mit kleinen Einkommen, nicht aus der Welt schaffen, meine Damen und Herren von der SPD.
({34})
Wir können demgegenüber 1984 von einer Geldentwertungsrate von 2% ausgehen. Die genannten wissenschaftlichen Gutachten begründen die Hoffnung, daß wir auch 1985 eine Geldentwertungsrate von etwa 2 % - die niedrigste im internationalen Vergleich! - halten können.
({35})
Dies ist Politik für die Familie, für die Rentner und für die sozial Schwachen.
({36})
Alle Sprüche mit so viel groben Unrichtigkeiten in den Tatsachen und Wertungen - dazu gehören zudem noch die, die Sie heute vorgetragen haben - ändern überhaupt nichts daran.
Auch Sie haben heute morgen noch einmal das Rententhema anklingen lassen. Aber Sie können doch nicht aus der Welt schaffen, daß die Rentner in den genannten letzten Jahren Ihrer Regierungszeit zwar nominal einen Zuwachs von 4 % hatten, aber unter sozialdemokratischer Regierungsführung bei einer Inflationsrate von 5,5% und 6,5% über Jahre hinweg einen Rückgang ihres Lebensstandards und ihrer Realeinkommen hinnehmen mußten.
({37})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Hoffmann ({0})?
Im Augenblick nicht, Herr Kollege Hoffmann, ich bitte um Entschuldigung.
({0})
- Ich kneife überhaupt nicht. Sie können nachher reden; es gibt noch eine weitere Diskussionsrunde.
({1})
- Ich bin gerne bereit, mich mit Ihren Argumenten noch einmal auseinanderzusetzen.
({2})
Meine Damen und Herren, zu wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen: Eine Politik, die zunächst breiten Schichten der Bevölkerung bestimmte Einschränkungen in staatlichen Transferleistungen zugemutet hat - das haben wir vor der Bundestagswahl gesagt und in der zweiten Stufe angekündigt -, hat sich in den sozialen Wirkungen durch die Brechung der Inflation und der Inflationsmentalität als richtig erwiesen, gerade gegenüber den vielen Millionen mit niedrigeren Einkommen. Das können wir hier heute feststellen.
({3})
Sie hat sich auch als richtig und notwendig erwiesen, um wieder stabilere Grundlagen für die Betriebe, für unsere Volkswirtschaft, die einem härteren internationalen Wettbewerb entgegengeht, und damit für die Beschäftigungspolitik zu schaffen.
Die Annahmen des Sachverständigenrates beruhen auf der Erwartung, daß die Ausrüstungsinvestitionen im nächsten Jahr um 10 Prozent zunehmen.
({4})
- Herr Kollege Hoffmann, das Niveau Ihrer Zwischenrufe ist wirklich beklagenswert. Wir reden von zentralen Fragen der wirtschaftlichen und beschäftigungspolitischen Zukunft,
({5})
und da müssen Sie hier von Rüstung reden. Das ist hier vorgestern zu später Stunde intensiv geschehen. Der Kollege Weng hat ja auch einiges davon zitiert. Was Sie hier machen, ist nicht viel besser als das, was der Herr Kollege Horn mit seinen Zwischenrufen in jener Abendstunde gemacht hat.
({6})
Lassen Sie uns einmal mit Ernsthaftigkeit darüber reden, welche Strategie zur Lösung unserer ökonomischen Fragen und der Fragen des Arbeitsmarktes wirklich Erfolg verspricht. Das genannte Gutachten der fünf Weisen, die ja einen gesetzlichen Auftrag vom Deutschen Bundestag haben und nicht einem Privatvergnügen nachgehen, ist natürlich ein bedeutender Hinweis für eine angemessene Debatte pro und contra. Sie stützen sich auf wichtige Indikatoren wie etwa den letzten Ifo-Konjunkturtest, also den Konjunkturtest des Münchner Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts. Sie gehen davon aus, daß wir mit dieser starken Steigerung der privaten Investitionen rechnen können. Ohne diese Steigerung der privaten Investitionen, Herr Kollege Vogel, sehe ich keine Perspektive für eine Verbesserung auf dem Beschäftigungsmarkt, sehe ich keine Perspektive für eine Verbesserung auf dem Beschäftigungssektor.
({7})
Es ist die Voraussetzung für alles andere, was immer noch an flankierenden Maßnahmen vom Vorruhestand
({8})
über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen bis zu sinnvollen Investitionen hinzukommt. - Ja, Vorruhestand ist Arbeitszeitverkürzung; insofern bedarf es Ihres belehrenden Zwischenrufes nicht mehr, sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender.
({9})
Wir müssen durch eine neue Investitionsdynamik auf der Grundlage höherer Erträge für die Unternehmen und besserer Bedingungen für Kapitalbildung die Grundlagen für eine anhaltende Verbesserung der Beschäftigungssituation schaffen.
({10})
Wir haben im Oktober in der Arbeitsmarktstatistik zum erstenmal seit Anfang des Jahres wieder einen saisonbereinigten Rückgang der Arbeitslosenzahl um 24 000 gehabt. Deswegen scheint es mir durchaus begründet zu sein, wenn der Sachverständigenrat sagt: Im Durchschnitt des nächsten Jahres kann die Arbeitslosigkeit um 100 000 zurückgehen, was im Jahresverlauf eine Zahl von über 150 000 bedeuten würde.
Das hochangesehene Institut der deutschen Wirtschaft unter Leitung von Professor Gerhard Fels hat gemeint, es könnte im Verlauf des nächsten Jahres auch eine Verringerung der Arbeitslosenzahl um 180 000 sein.
Wir alle können unabhängig von parteipolitischen Gegensätzen auch in der Arbeitsmarktpolitik ja nur hoffen, daß dies im Ergebnis eintrifft. Jedenfalls begründet dies erstmals wieder Hoffnung und eine Perspektive; denn ein Rückgang der Arbeitslosigkeit im kommenden Jahr von 7 bis 10 % wäre eine signifikante Veränderung, wenn auch in keiner Weise die Lösung dieses Problems, das uns noch viele Jahre begleiten wird.
({11})
Aber Sie müssen uns schon abnehmen, daß wir ohne Übermut - Sie werden Mühe haben, Herr Kollege Apel, Zitate zu finden, die in diesem Zusammenhang unter das Vorzeichen Arroganz oder Überheblichkeit einzuordnen sind - sagen: Ja, das ist für uns eine Ermutigung, auf diesem politischen Weg, den Sie hier erneut so heftig kritisiert haben, weiter voranzugehen.
Richtig ist, daß wir eine Umverteilung vorgenommen haben,
({12})
aber eine Umverteilung für produktive Zukunftsinvestitionen, auf die unser Volk angewiesen ist, wenn es auch in 10, 20 Jahren eine Perspektive geben soll.
({13})
- Meine Damen und Herren, das ganze Thema Zukunftsinvestitionen und wirtschaftliches Risiko und Arbeit unter den Bedingungen eines wirtschaftlichen Risikos ist den GRÜNEN bei der soziologischen Struktur und den Verhaltens- und Redeweisen der überwältigenden Mehrzahl der Mitglieder dieser Fraktion völlig fremd. Das ist auch schon vor Ihren Zwischenrufen völlig klargewesen.
({14})
- Es ist schade, daß die meisten, die unsere Debatte verfolgen, das Niveau Ihrer Zwischenrufe nicht registrieren können.
Meine Damen und Herren, das Thema Subventionen ist für die Regierung ein dorniges und schwieriges Thema. Herr Kollege Apel, ich will ganz offen sagen, daß auch ich mit der Zwischenbilanz des Erreichten nicht völlig zufrieden bin.
({15})
- Ich sage ja, daß ich mit der Zwischenbilanz des Erreichten nicht völlig zufrieden bin. Es ist richtig
- ich erinnere daran, weil es in der Öffentlichkeit debattiert wurde -, daß nach meinen Vorstellungen bei den Grundsatzbeschlüssen zur Steuersenkung auch ein wesentliches Element Subventionsabbau im Steuerrecht dazugehört hätte. Ich habe konkrete Vorschläge im Umfang von 3,5 Milliarden DM gemacht. Aber dies war in der Koalition, obwohl sie sich in den wirtschafts- und finanzpolitischen Grundfragen einig ist, noch nicht konsensfähig. Ich komme darauf zurück; das will ich ausdrücklich sagen. Nur würde ich mich natürlich freuen, wenn ich zum Zeitpunkt der Diskussion einmal Ihre laute Unterstützung finden würde statt ein halbes Jahr später, wenn die Sache anders entschieden ist. Ich sage das zu Ihrem Rollenverständnis in der Zukunft.
({16})
Aber ich habe solches noch nicht gehört und auch noch nicht vernommen.
Jetzt komme ich zur Frage der Finanzhilfen.
({17})
Herr Kollege Apel, Sie gehen mit den Tatsachen nicht sorgfältig um. Wir haben im Regierungsentwurf einen Abbau der Finanzhilfen von 750 Millionen DM vorgesehen. Nun sieht es in der Vorlage etwas anders aus. Das beruht aber nicht darauf, daß der Haushaltsausschuß in diesem Teil etwa ein schlechteres Ergebnis erzielt hätte, als es sich die Regierung vorgenommen hatte. Es beruht einfach
darauf, daß wir durch eine sinnvolle, von mir begrüßte und mit herbeigeführte Verhandlung mit den Ländern einen Vorgang der Entmischung, der vernünftigeren Gliederung der Aufgaben durchführen. Wir beseitigen Mischfinanzierung - ein langgehegter Wunsch vor allem der Finanzminister der Länder und des Bundes. Das heißt, die Länder übernehmen einvernehmlich ausschließlich die Krankenhausfinanzierung. Und so verschwindet fast eine Milliarde DM Investitionsmittel aus unserem Etat. Sie gehen aber voll in die Länderhaushalte über, und wir übernehmen dafür von den Ländern entsprechende Aufgaben, die überwiegend nicht als Investitionen zu bezeichnen sind. Das ist der Grund, weshalb wir einen minimalen Rückgang der Investitionsquote haben, Herr Kollege Apel. Da haben Sie halt auch mit einer großen Keule zugeschlagen und die Sache, die ich hier deutlich machen will, einfach nicht getroffen.
Subventionsabbau bleibt eine Daueraufgabe. Es macht aber wenig Sinn, daß Ihre Sprecher in der ersten Lesung heftig den starken Rückgang des Haushalts des Wirtschaftsministers kritisieren. Dieser Haushalt geht im Einvernehmen mit den Kollegen Graf Lambsdorff und Bangemann um 10 % zurück, weil dort nachhaltig Subventionen abgebaut werden. Und dann kommt die nächste Sprecherriege, Herr Kollege Apel, und beklagt den fehlenden Abbau von Subventionen! Ich finde das nicht überzeugend.
({18})
Gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Bitte sehr, Herr Apel.
Herr Kollege Stoltenberg, sind Sie bereit, nicht nur generell über Subventionen zu reden, sondern auch zur Kenntnis zu nehmen, daß die Abteilung Steuersubventionen von 29 Milliarden DM 1982 auf 39 Milliarden DM in 1985 steigt, und wie wäre es, wenn Sie hier ansetzten, um die Vielzahl von Steuersubventionen, die meistens ungerecht sind, anzupacken und zu kürzen?
Ich kann Ihre Zahlen nicht ganz bestätigen.
({0})
- Herr Schlatter, Sie wissen es j a immer schneller als die Fachleute, die das berechnen - jedenfalls nach Ihren Zwischenrufen zu schließen. Aber ich will jetzt nicht Ihre Zwischenbemerkungen beantworten, sondern die Frage des Herrn Kollegen Apel.
Steuervergünstigungen des Bundes: 1981 Ist 14 Milliarden DM, 1984 Soll 16,3 Milliarden DM. Wir haben für die nächsten Jahre keine verläßliche Schätzung, aber ich gehe davon aus, daß sowohl auf Grund der von mir erwähnten Beschlüsse zu steuerlichen Rahmenbedingungen Vorruhestandsrückstellungen gebildet werden müssen als auch die Steuersubventionen in der Landwirtschaft vorüberBundesminister Dr. Stoltenberg
gehend ansteigen. Ich lege aber Wert auf zwei Feststellungen. Es handelt sich bei den von uns getroffenen Entscheidungen, die höhere Steuersubventionen bewirken, ausschließlich um zeitlich befristete Maßnahmen. Das gilt für den Schuldzinsenabzug für den Wohnungsbau, der sich natürlich in diesen steigenden Zahlen niederschlägt als Teil eines Sofortprogramms, zeitlich befristet, jetzt abzulösen durch wesentlich bessere dauerhafte Rahmenbedingungen für den privat genutzten Wohnungsbau. Wir werden in Kürze dem Deutschen Bundestag den Gesetzentwurf zuleiten. Das gilt, Herr Kollege Apel, für die steuerlichen Rückstellungen für den Vorruhestand, die unabweisbar waren, nachdem wir uns in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Gewerkschaften und Arbeitgeber für diesen Weg zur Entlastung des Arbeitsmarktes entschlossen haben. Das gilt auch für die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft.
Was mich an Ihnen ein bißchen verwundert - obwohl Sie uns schon viele Überraschungen zugefügt haben, wundert manches immer noch -, ist, mit welcher Apodiktik Sie das verwerfen, nachdem Sie es 1969 eingeführt und bis Ende der 70er Jahre gehandhabt haben. Das ist bestürzend an dem Kollegen Apel.
({1})
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
Noch eine bei dem Kollegen Apel, und dann möchte ich fortfahren - wenn es eine Frage ist.
Das kriege ich schon hin, in Frageform zu argumentieren.
Das glaube ich Ihnen.
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, sind Sie denn wenigstens bereit, mit uns gemeinsam darüber nachzudenken, daß die Vorsteuerpauschale für die Landwirtschaft, die bis 1991 Kosten verursacht, die bis 3 Milliarden DM jährlich steigen, so umzugestalten wäre, daß auch über flächengebundene Subventionen in der Tat allen landwirtschaftlichen Betrieben geholfen wird und nicht nur, wie es jetzt geschieht, den umsatzstarken?
({0})
Herr Kollege Apel, die Bewertung, die in Ihrer Frage liegt, kann ich nicht übernehmen. Die Vorsteuerpauschale ist ein wesentliches, ist das wichtigste Element der Ausgleichsmaßnahmen, aber wir haben darüber hinaus im Blick auf die Kleinbetriebe, also unter dem Gesichtspunkt des sozialen Akzents in der Landwirtschaft, wie Sie wissen - ich unterstelle das höflicherweise -, erhebliche Korrekturen und Verbesserungen im Bereich der sozialen Sicherungssysteme für die Landwirtschaft vorgenommen.
Wissen Sie, nach der von Ihnen mitbeschlossenen mittelfristigen Finanzplanung des Kabinetts Schmidt wären die Zuschüsse des Bundes für die Berufsgenossenschaft auf Null zurückgegangen.
({0})
Wir haben dieses wichtige Instrument zugunsten der Agrarsozialpolitik nicht nur wiederhergestellt, sondern auf einen Betrag von jetzt über einer halben Milliarde DM erhöht. Das sollten Sie doch wirklich einmal zur Kenntnis nehmen, bevor Sie weiter so bewegt über die kleinen Landwirte reden, wie Sie es hier und in der Öffentlichkeit immer wieder versuchen.
({1})
Meine Damen und Herren, wir sprachen über die wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen von Subventionen. Lassen Sie mich nun noch einiges zu den Grundsätzen künftiger Finanzpolitik sagen.
({2})
- Ich bitte um Entschuldigung, aber ich möchte jetzt fortfahren. Ich bin sicher, daß nachher noch einer Ihrer Kollegen dazu sprechen wird.
Zu den besonders bemerkenswerten Kapiteln im Sachverständigengutachten gehört für mich das Schlußkapitel, in dem über die Strategie künftiger Finanzpolitik reflektiert wird. Der Sachverständigenrat setzt sich dort mit drei möglichen Wegen auseinander. Zunächst erörtert er eine Konzeption, die den Vorstellungen der Sozialdemokratischen Partei zumindest nahekommt: Beibehalten der hohen Staatsquote, Beibehalten der Steuerquote und Beibehalten der Kreditaufnahme, d. h. also eine erhebliche Verstärkung der öffentlichen Ausgaben gegenüber unseren Planungen.
Der Sachverständigenrat lehnt diesen ersten Weg mit überzeugenden Argumenten ab. Gerade wer wirtschaftliches Wachstum bezweifelt, problematisiert, nicht mehr für wünschenswert oder für nicht mehr in nennenswertem Umfang erreichbar hält, muß die ehrliche Konsequenz ziehen, daß es dann auch kein Wachstum der Kreditfinanzierung geben kann, sondern nur eine noch drastischere Zurückführung, als wir sie vornehmen.
({3})
Wer diese Konsequenz nicht zieht, ist unredlich und täuscht sich selbst und andere.
Der zweite Weg, den der Sachverständigenrat erörtert, heißt: Die Absenkung der Staatsquote muß weitergehen.
({4})
Ich nehme hier ein Stichwort des Herrn Kollegen Weng auf; wir sind uns da einig. Wir haben die Staatsquote zum Ende dieses Jahres auf voraussichtlich 48 % zurückgeführt. Ich bekräftige erneut, daß das nur ein Zwischenstadium sein kann und daß wir uns bis 1988 eine Rückführung der Staatsquote auf etwa 45 % vornehmen sollten.
Im internationalen Vergleich waren in der Beschäftigungspolitik nur drei Länder erfolgreicher als wir: Japan, die Schweiz und die USA. Sie alle haben eine Staatsquote von deutlich unter 40 %. Es lohnt sich auch für eine ideologisch vorgeformte - vielleicht manchmal etwas verformte - Partei wie die Sozialdemokratie, doch einmal die Ergebnisse der empirischen Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zur Kenntnis zu nehmen.
({5})
Meine Damen und Herren, der zweite Weg bedeutet eine weitere Zurückführung der Staatsquote, und er bedeutet eine weitere deutliche Rückführung der Kreditfinanzierungsquote. Darin sind wir uns - das haben die Reden von Herrn Hoppe und Herrn Weng gezeigt - einig. Das heißt allerdings konsequenterweise, daß wir die Steuerquote, das dritte Element, kurzfristig nicht so stark zurückführen können, wie wir es möchten.
Dann erörtert der Sachverständigenrat einen dritten Weg. Die Variante heißt: Ja, die Staatsquote zurückführen, die Steuerquote schnell zurückführen und dafür zunächst einmal die Kreditfinanzierungsquote auf dem jetzigen - immer noch hohen
- Stand halten.
Meine Folgerung ist, daß wir noch für einige Jahre die Strategie 2 verfolgen müssen, daß sie aber in die Strategie 3, in den dritten Weg, einmünden muß. Das heißt, wenn wir die Neuverschuldung bei Bund, Ländern und Gemeinden weiter erheblich abgesenkt haben, muß der entstandene Spielraum für eine dauerhafte Verringerung der Steuerquote und nicht für neue Schleusen für Ausgabenprogramme genutzt werden.
({6})
Ich will sagen, daß mich diese Betrachtungen des Sachverständigenrates sehr ermutigen, die Kombination des zweiten und des dritten Weges in einer längerfristig angelegten Finanzpolitik zu sehen. Das bedeutet allerdings auch ein bißchen Geduld in der aktuellen steuerpolitischen Diskussion. Diese Bemerkung geht nicht nur an die Opposition, sondern auch an einige in der Koalition.
({7})
Ich werde die abenteuerlichen Behauptungen des Herrn Kollegen Apel über Grenzsteuergesetze und die angeblich schlimmen Wirkungen unserer Steuerentlastungspläne aus Zeitgründen nicht aufnehmen. Sie waren genauso zuverlässig wie seine Bemerkungen über die öffentlichen Investitionen und anderes, meine Damen und Herren.
({8})
- Wir kommen darauf zurück, wenn wir im neuen Jahr
({9})
hier eine hervorragende erste Lesung über die Senkung der Einkommen- und Lohnsteuer haben.
({10})
Ich will mit Blick auf die Uhr nur noch kurz etwas sagen.
({11})
- Ich freue mich über die große Aufmerksamkeit des Hohen Hauses und die sich allmählich wieder verbessernde Präsenz und nehme das als ein ermutigendes Zeichen für das Interesse an meiner Rede.
({12})
Der Schlüssel zum Erfolg bleibt ein harmonisches Zusammenwirken von Haushalts-, Steuer- und Währungspolitik. Das dritte Stichwort kommt in vielen Diskussionen in diesem Hohen Hause zu kurz. Heute können Sie in den Schlagzeilen lesen, auch im „Handelsblatt" - diese Schlagzeile war besser als der zitierte Kommentar, Herr Kollege Apel -, daß der Kapitalmarktzins jetzt auf 7% zurückgegangen ist. Das ist ein eindrucksvoller Beweis für das Vertrauen der Sparer, der Anleger von Geld im In- und Ausland in die Finanz- und Währungspolitik der Bundesrepublik Deutschland.
({13})
Herr Kollege Matthöfer mag noch daran erinnern, daß er unter - ich gebe das zu - schwierigeren außenwirtschaftlichen Bedingungen kurz vor seinem Ausscheiden noch Bundesanleihen mit 10 1/2 % auflegen mußte. Wir sind jetzt wieder an guten 7 %, meine Damen und Herren.
({14})
- Das hatten Sie zeitweise auch. Aber zum Schluß waren es leider die 10 % bis 11%. Ich bestreite gar nicht, was Sie jetzt ergänzend hinzufügen. Aber die Jahre 1980, 1981 und 1982 sind uns natürlich in nachhaltigster Erinnerung.
({15})
Sie sind für uns die Ausgangsbilanz, Herr Kollege Matthöfer, an der wir die heutigen Erfolge messen. Nach solchen Reden wie die des Herrn Apel ist das angebracht.
({16})
Wir sind wieder bei 7%. Wenn wir die Situation unserer Nachbarländer in Westeuropa und auch die unbestreitbaren Schwierigkeiten der USA im Feld der Haushalts- und Währungspolitik betrachten, dann wissen wir diesen Stabilitätsvorsprung schon zu schätzen. Es gibt uns benachbarte Länder der Europäischen Gemeinschaft, deren Finanzminister für entsprechende Anleihen noch heute einen Zins von 13% oder 14 % zahlen müssen.
Deswegen müssen wir auch die richtigen Prioritäten in der Entwicklung des Europäischen Währungssystems diskutieren. Ich stimme hier dem Aufsatz des geschätzten Kollegen Helmut Schmidt in der „Zeit" nicht zu. Die Verbesserung der wähBundesminister Dr. Stoltenberg
rungspolitischen Zusammenarbeit in Europa muß von den richtigen Schwerpunkten her beginnen.
Erstens. Eine Reihe von Mitgliedstaaten müssen größere Anstrengungen unternehmen, um die Inflation noch weiter herunterzubekommen.
Zweitens. Wichtige Mitgliedsländer wie Frankreich und Italien müssen in einem mehrjährigen Konzept die Liberalisierung ihrer Kapitalmärkte verwirklichen. Es gibt erste, aber unzulängliche Schritte.
({17})
Drittens. Großbritannien als ein relativ starkes Land mit einer relativ stabilen Währung muß endlich die vollen Rechte und Pflichten im Europäischen Währungssystem übernehmen.
({18})
Es geht nicht an, daß ein so bedeutendes Land zwar dabei ist, sich aber in der Frage der vollen Beteiligung am Wechselkurssystem, also am Floating-System mit den Bandbreiten, eine Sonderrolle reserviert. Das ist um so wichtiger, weil sich jetzt auch die Frage der Einbeziehung der relativ schwachen Währungen Portugals und Spaniens in diesen Verbund stellt. Das sind unsere Erwartungen, wenn darüber - wie ich höre - jetzt auch in Dublin von anderen und bei den neuen Diskussionen im nächsten Jahr gesprochen werden soll. Demgegenüber ist die Frage der künftigen Rolle des ECU nicht die Frage von erster Priorität und Bedeutung. Wir reden mit der Bundesbank über die aufgeworfenen Themen, aber wir wollen nicht, daß man das Pferd vom Schwanz aufzäumt.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?
Ja, bitte.
Bitte.
Herr Kollege Stoltenberg, sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie heute wie damals argumentieren und daß das Europäische Währungssystem niemals zustande gekommen wäre, wenn man die Position bezogen hätte, die Sie heute beziehen, daß es nicht um die Ziele geht, sondern um den Weg und um die Mittel, um diese Ziele zu erreichen?
({0})
Nein, Herr Kollege Matthöfer, ich kann Ihrer kritischen Zwischenfrage nicht folgen. Der Punkt 2, den ich beschrieben habe, ist, daß eines der wichtigsten Mitgliedsländer dieses Währungssystems - Großbritannien - endlich die vollen Rechte und Pflichten übernimmt. Das ist ein Vorschlag, der der Stärkung des Europäischen Währungsystems dient.
({0})
- Es ist ja gut, wenn wir keinen Widerspruch haben. Es ist sehr erfreulich, wenn es jedenfalls in der Währungspolitik etwas mehr Einvernehmen als in der Haushaltspolitik gibt. - Ich erkenne ausdrücklich an, Herr Kollege Matthöfer - ich will das hier sagen -, daß zur Geschichte zwei Punkte festzuhalten sind. Erstens. Die kritischen Einwendungen insbesondere der Bundesbank haben einen zu großen Schritt verhindert, für den die Voraussetzungen noch nicht da waren. Aber diejenigen - das gilt für den früheren Bundeskanzler Schmidt, und das gilt für Sie als damaligen Finanzminister -, die den ersten, begrenzt bemessenen Schritt durchgesetzt haben, können auch heute sagen, daß bestimmte Befürchtungen jener Jahre nicht in Erfüllung gegangen sind. Das Europäische Währungssystem in seiner heutigen Ausgestaltung, auch in den Grenzen, die gegeben und geboten sind, hat ohne Zweifel einen Vorgang der externen Disziplin bei vielen wichtigen Ländern bewirkt. Der französische Finanzminister - der frühere und der jetzige - sagten ausdrücklich, auch öffentlich - deswegen kann ich es hier zitieren -: Die Mitgliedschaft im Währungssystem hat die Durchsetzung eines schwierigen Stabilitätskurses in Frankreich in den letzten 24 Jahren gefördert. ({1})
Ich teile mit Ihnen diese positiven Bewertungen. Nur, wenn wir über die Verstärkung der währungspolitischen Zusammenarbeit in Europa reden, müssen wir die richtigen Prioritäten setzen. Wir sind für diese Verstärkung. Wir sind für den Ausbau der Europäischen Gemeinschaft. Aber wir wollen unseren Stabilitätsvorsprung auch halten, den wir durch eine große eigene Anstrengung gewonnen haben.
({2})
Wir wollen anderen dabei helfen, daß sie mit eigenen Anstrengungen mehr Stabilität gewinnen.
({3}) - Ich bin sehr damit einverstanden.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Apel?
Herr Kollege Dr. Stoltenberg, ich formuliere das jetzt in einer Frage.
Jawohl.
Möchten Sie bitte zur Kenntnis nehmen, daß ich in diesem Fall das, was Sie eben gesagt haben, ausdrücklich für richtig halte und unterstreiche?
({0})
Ich bedanke mich, ich begrüße das; ich höre das mit Befriedigung.
Jetzt müssen wir uns, Herr Kollege Apel, nach dieser Phase der Harmonie doch wieder einem kontroversen Thema zuwenden.
({0})
- Es ist doch gut, wenn in freier Rede so etwas einmal im Deutschen Bundestag sichtbar wird, nachdem wir hier so viele vorgelesene Manuskripte erlebt haben.
({1})
Meine Damen und Herren, in der Einschätzung der Investitionshilfeabgabe und der Ergänzungsabgabe haben wir einen fundamentalen Auffassungsunterschied. Herr Kollege Apel, hier war - nun sage ich das einmal freundlich nach dieser Phase der Harmonie - Ihre Erinnerung nicht richtig; das ist die höflichste Beschreibung, um einen anderen Sachverhalt zu kennzeichnen. Hier war Ihre Erinnerung getrübt. Wir haben den Wählern 1982 nicht die Ergänzungsabgabe versprochen, davon kann überhaupt keine Rede sein; denn die Ergänzungsabgabe ist, wie das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts deutlich gemacht hat, nur ohne ein Investitionsprivileg möglich. Alle Überlegungen, alle programmatischen Aussagen der CDU/CSU, alle Diskussionen der Koalition beinhalteten, daß ein Sonderbeitrag der Bezieher gehobener Einkommen - mir gefällt der Ausdruck Besserverdienende auch nicht so sehr -, der Bezieher höherer und gehobener Einkommen, nur unter dem Vorzeichen möglich ist, daß Investitionen dadurch nicht behindert werden.
({2})
- Ich habe Sorge wegen der Redezeit, Herr Kollege Apel.
Bei aller Bereitschaft, mit Ihnen zu diskutieren, muß ich Ihnen sagen: Die Ergänzungsabgabe, die Sie beantragen, macht es nicht möglich, diejenigen, die investieren, davon freizustellen. Deshalb ist dieser Vorschlag auf dem Hintergrund unserer programmatischen Aussagen und Diskussionen vor und nach der Bundestagswahl für uns nicht annehmbar. Nehmen Sie es so zur Kenntnis.
({3})
Nicht alles, was einige Politiker der Christlich Demokratischen Union und der Freien Demokratischen Partei in den letzten 14 Tagen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu dieser sorgfältigen internen Diskussion öffentlich beigetragen haben, war dazu geeignet, die ernsthaften Überlegungen der Koalition für jedermann sichtbar zu machen. Das will ich hier mal ausdrücklich sagen.
({4})
Es gibt gelegentlich - Herr Kollege Apel, die Erfahrung haben Sie auch gemacht - die Arbeitsteilung, daß die einen in einer Koalition ernsthaft arbeiten, und während die nachdenken, machen andere die Interviews. Das kommt halt in jeder Partei mal vor. Das ist Schicksalsgemeinschaft über die Parteigrenzen hinweg.
({5})
- Na gut. Wissen Sie, es gibt menschliche Erfahrungen über Parteigrenzen hinweg. Die verbinden ja auch. Das ist einer der Gründe für die hervorragende menschliche Zusammenarbeit im Haushaltsausschuß, die hier zu Recht gewürdigt wurde. Jeder hat da gelegentlich so seine Last in den eigenen Reihen, gerade was Haushalts- und Finanzpolitik betrifft.
Ich will hier ein paar Grundsätze noch einmal deutlich machen: Nein zur Ergänzungsabgabe, Diskussion über eine eventuelle Lösung des sozialen Ausgleichs, die nicht eine Steuererhöhung bedeutet und die nicht Investitionen beschwert. Was für mich wichtiger ist, Herr Kollege Apel - ich lasse mal Ihre Betrachtungen über die verfassungsrechtliche Seite fast ganz beiseite -, ist folgendes. Wir wollen die Gesetzesvorlage zur Steuersenkung termingerecht auf den Weg und in das Gesetzgebungsverfahren bringen. Ich bekräftige das hier ausdrücklich für die Koalition und die Bundesregierung. Unser Ziel bleibt, daß die Gesetzgebung im Bundesrat und Bundestag im Januar beginnen kann, daß vor allem dieses Hohe Haus und sein Finanz- und Steuerausschuß bis zum Frühjahr genügend Zeit haben, die Ausschußberatungen zu führen, daß die Abschlußberatung und die Verabschiedung vor der Sommerpause erfolgen, damit das Gesetz 1986 in seiner ersten Stufe in Kraft treten kann. Die Vorlage des Bundesfinanzministers wird ungeachtet von allen möglichen öffentlichen Betrachtungen aus dem Lager der Koalitionsparteien über neue Elemente oder eine Stufe, zwei oder drei Stufen und Tarife hin und her erstellt, und die Vorlage des Bundesfinanzministers beruht auf den Koalitionsvereinbarungen vom 20. Juni 1984 und dem Kabinettsbeschluß vom 3. Juli 1984. Selbstverständlich ist das die Grundlage.
Meine Damen und Herren, wir wollen in der ersten Stufe ab 1986 die Kinderfreibeträge einführen, den Grundfreibetrag erhöhen und einen Zwischentarif vorsehen, dem 1988 die volle Tarifentlastung folgen soll. Dieser Vorrang der Familienpolitik und des Grundfreibetrages ist natürlich auch Ausdruck eines sozialen Akzents dieses Konzeptes, den ich hier noch einmal unterstreiche.
({6})
Herr Kollege Apel, es ist wirklich nicht gut, wenn Sie in Verbindung mit den Kinderfreibeträgen nun hier von der Begünstigung der Millionärskinder reden.
({7})
Sie unterschlagen - dies nehme ich Ihnen wirklich
übel -, daß es parallel dazu die Einführung eines
Kindergeldzuschlages von bis zu 45 DM pro Kind
für die Bezieher der untersten Einkommen über das Kindergeld gibt.
({8})
Wenn Sie sagen, daß bei einem Mitbürger, einer alleinstehenden Frau oder einem Ehepaar mit einem verfügbaren Einkommen von 1 000 oder 1 500 DM bei zwei Kindern eine Verbesserung der Kindergeldzahlungen von 90 DM im Monat - das sind über 1 000 DM verfügbares Einkommen im Jahr - ein Feigenblatt ist, muß ich sagen: Sie haben jeden Maßstab in einer ernsthaften finanz- und familienpolitischen Diskussion verloren.
({9})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Matthäus-Maier?
Frau Matthäus-Maier, ich tue es nur mit Rücksicht auf die anderen Kollegen nicht.
Ich muß Ihnen noch einmal sagen, daß Sie, der Sie hier große Sprüche machen, Herr Kollege Apel, als Mitglied der Bundesregierung vor wenigen Jahren das Kindergeld für diese sozial Schwachen gekürzt haben, während bei unserer Kürzung beim Kindergeld eine Einkommensgrenze eingeführt wurde, die ausschließlich die Bezieher gehobener und höherer Einkommen von dieser Kürzung betroffen sein ließ. Ich muß Ihnen sagen, daß Sie zu keinem Zeitpunkt an eine solche soziale Differenzierung zugunsten der Bezieher niedrigster Einkommen gedacht haben.
({0})
Sie haben sich auf ein Nein zu Kinderfreibeträgen beschränkt, das ich für falsch halte. Darüber können wir doch einmal diskutieren.
Und ich muß Ihnen auch sagen, Herr Kollege Apel: Sie sollten nicht so über uns reden, wenn wir mit Wirkung vom 1. Januar 1985 die von Ihnen beschlossene Kürzung für die Eltern mit arbeitslosen Kindern wieder rückgängig machen und ihnen wieder eine verstärkte soziale Hilfe geben. Das alles, was Sie hier machen, ist nicht in Ordnung. Das alles ist nicht in Ordnung und nicht vertretbar.
({1})
Meine Damen und Herren, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts will ich nur sagen: Ich habe die Rechtsprechung aus dem Jahre 1954 vollkommen korrekt zitiert. Sie hat damals gesagt: Die Investitionshilfeabgabe ist auch in Form einer Zwangsanleihe möglich. - Das Verfassungsgericht hat hier einen neuen Akzent gesetzt. Aber, Herr Kollege Apel, in Ihrer Regierungszeit hat das Bundesverfassungsgericht sage und schreibe 86 gesetzliche Vorschriften, Einzelbestimmungen als rechtswidrig bezeichnet.
({2})
Ein erheblicher Prozentsatz davon trägt Ihre Handschrift.
({3})
Seien Sie ein bißchen vorsichtiger in solchen Diskussionen. Die Vergangenheit holt Sie immer wieder ein.
Meine Damen und Herren, als letztes möchte ich noch kurz das Stichwort Finanzpolitik im Bundesstaat ansprechen; das spielte doch auch in Ihrer Diskussion eine Rolle. Ich hätte Neigung, werde es aber aus Zeitgründen nicht tun, die einstimmig verabschiedete Stellungnahme des Finanzplanungsrates vom 23. November 1984 hier vorzulesen. Ich will mich nur auf den von Ihnen besonders behandelten Punkt der kommunalen Finanzen beziehen. Der Finanzplanungsrat sagte hier in der letzten Woche - das ist sechs Tage her - einstimmig, mit den Vertretern der kommunalen Spitzenverbände und den sozialdemokratischen Finanzministern - ich zitiere -:
Der Finanzplanungsrat stellt fest, daß die notwendige Umschichtung in den Haushalten in Richtung zu mehr Wachstum und Beschäftigung Fortschritte macht. So wird für 1985 insbesondere ein Wiederanstieg der gemeindlichen Investitionen erwartet.
Wir haben in die Projektion für 1985, Herr Kollege Apel, eine Zunahme der kommunalen Investitionen von mindestens 4,5% hineingenommen. Und die Ihnen gut bekannten, angesehenen Repräsentanten der Spitzenverbände haben in dieser Sitzung ausdrücklich gesagt, es sei realistisch, es gebe in der zweiten Jahreshälfte 1984, wie ich unter Berufung auf die Bundesbank vor einigen Wochen sagte, Zeichen für eine Trendwende. Und diesen Sachverhalt benutzen Sie unter Verwendung von sechs Monatszahlen der ersten Hälfte 1984 zu wilden Attacken gegen meine Aussagen. Mir ist das vollkommen unverständlich, Herr Kollege Apel. Sie sollten Ihre Redezeit besser nutzen, wenn Sie das nächste Mal hier zum Angriff antreten.
({4})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Dr. Stoltenberg: Bundesminister der Finanzen: Ja, ich muß das beim Kollegen Apel machen, da wir hier im Dialog sind. Bitte sehr.
Herr Kollege Stoltenberg, damit wir ganz genau sind: Sie haben im September hier bei der ersten Lesung gesagt, nach Ihren Informationen gingen die kommunalen Investitionen derzeit um 1 Milliarde DM nach oben, und zu derselben Zeit hat das Statistische Bundesamt zweifelsfrei das Gegenteil nachgewiesen. Nur dieses habe ich Ihnen gesagt. Was das Jahr 1985 bringen wird, werden wir sehen.
({0}) Darüber heute zu streiten hat keinen Zweck.
Herr Kollege Apel, Sie haben - ich habe jetzt fast den Eindruck - unbewußt an meiner Aussage vorbeigeredet. Ich habe im September von Anzeichen für das Jahr 1984 gesprochen, mich übrigens bezogen auf den letzten Monatsbericht der Bundesbank, die diese Dinge ja mit besonderer Aktualität verfolgt. Das war meine Quelle.
Es ist unzulässig, eine Einschätzung, die ich im September für 1984 abgegeben habe, mit sechs Monatszahlen aus der ersten Jahreshälfte widerlegen zu wollen. Das ist in einer statistisch und methodisch sauberen und einwandfreien Diskussion unzulässig. Das sage ich auf Ihre Frage und wende mich jetzt einem anderen Thema zu.
({0})
Herr Kollege Apel, es hat auch keinen Sinn, daß Sie weiterhin die schlechte Lage der kommunalen Finanzen beklagen. Auf dieser Sitzung des Finanzplanungsrates gab es eine Diskussion mit den kommunalen Vertretern: ob die kommunalen Gebietskörperschaften - wie wir annehmen - im Saldo 1985 bereits einen Überschuß von 21/2 bis 31/2 Milliarden DM haben werden oder sich - was die kommunalen Spitzenvertreter meinten - für sie eher ein Ergebnis von plus/minus Null abzeichnet. Aber selbst wenn das Ergebnis im nächsten Jahr wäre - wie die Sprecher der kommunalen Spitzenverbände unterstellen -, daß sie keine Überschüsse haben, aber auch keine Schulden mehr machen müssen, wäre das doch geradezu ein phantastischer Fortschritt gegenüber den Jahren, in denen Sie in Bonn auch für die Kommunen Verantwortung getragen haben.
({1})
Deswegen ist mir der laute Schrei nach der Gemeindefinanzreform etwas unverständlich. Die hätten Sie einmal zu dem Zeitpunkt machen sollen, als die Kommunen jedes Jahr 8, 10, 12 Milliarden DM Schulden aufnehmen mußten.
({2})
Wir haben ihnen durch die politischen Entscheidungen der vergangenen Jahre geholfen, im Saldo wieder zu vernünftigen finanziellen Verhältnissen zu kommen. Ich sage Saldo, weil es natürlich Unterschiede zwischen den kommunalen Gebietskörperschaften gibt. Das weiß jeder. Die einen machen Rücklagen, und die anderen machen immer noch Schulden. Aber wir müssen ja von der Gesamtrechnung ausgehen.
Auch in der Verbesserung der Zusammenarbeit im Bundesstaat können wir erhebliche Fortschritte verzeichnen. Ich sage das mit großer Genugtuung.
Mir lag daran, deutlich zu machen, daß die großen Aufgaben noch nicht gemeistert sind, auch nicht in der Konsolidierung. Aber der jetzt zur Entscheidung vorliegende Haushaltsentwurf des nächsten Jahres stellt die Weichen richtig. Er ist Anlaß zu einer zuversichtlicheren Betrachtung auch in seinen wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen. Lassen Sie uns alle nach dem Streit, der unvermeidbar ist, die Kräfte der begründeten Zuversicht stärken.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Wieczorek ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich würde gern an den Appell anknüpfen, den Herr Bundesminister Stoltenberg gerade an uns gerichtet hat, nämlich die Dinge gemeinsam anzupacken. Gemeinsam und harmonisch, so wie es auch schon zweimal in dieser Debatte angeklungen ist, wäre es uns am liebsten. Es wäre uns sehr lieb, zumal das eigentliche Ziel, das sich dieser Bundesfinanzminister gestellt hat, nämlich den Haushalt zu konsolidieren, nicht nur nicht erreicht ist - da bin ich mit Ihnen voll auf einer Wellenlänge, Herr Minister -, sondern noch gar nicht begonnen wurde. Sie erzählen immer nur etwas von Konsolidierung, nur, Sie konsolidieren nicht.
Es ist auch geradezu eine Unverschämtheit, wie Sie weltwirtschaftliche Entwicklungen im negativen Fall der früheren Koalition anrechnen, im positiven Fall aber zu Ihrer eigenen Leistung machen.
({0})
Herr Dr. Stoltenberg, Haushaltspolitik, Finanzpolitik müssen intellektuell redlich gemacht werden. Es hat keinen Zweck, sich Zahlen auszuwählen, die man gerade haben möchte. Vielmehr muß man von denen ausgehen, die sich einem bieten, und man muß sie im Rahmen der Zusammenhänge sehen, die wir von unserer Haushaltssystematik her einfach vorgegeben bekommen haben.
({1})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie einen Augenblick.
Meine Damen und Herren, ich darf doch bitten, Platz zu nehmen oder die Gespräche draußen fortzusetzen.
Bitte fahren Sie fort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Ich möchte trotzdem versuchen, meine Damen und Herren, mit der diesem Thema angemessenen Sachlichkeit unsere Vorstellungen hier deutlich zu machen. Als wir bei der ersten Lesung unsere Meinung gesagt haben, haben wir Ihnen, Herr Dr. Stoltenberg, unsere Kritik in drei Punkten vorgehalten: Erstens. Dieser Haushaltsentwurf schafft keine zusätzliche Arbeit. Dafür ist das Ausgabenvolumen zu niedrig, dazu ist die Investitionstätigkeit des Bundes zu gering. Zweitens. Dieser Haushaltsentwurf enthält keine zusätzlichen Ansätze zur Verbesserung der Umweltsituation. Drittens. Dieser Haushalt dokumentiert die Fortsetzung der unsozialen Kürzungspolitik.
({0})
Wieczorek ({1})
Meine Damen und Herren, Arbeit, Umwelt, soziale Gerechtigkeit - das sind die Themen, denen sich ein Haushaltsminister nicht entziehen kann und nicht entziehen darf, Herr Dr. Stoltenberg. Das sind Themenbereiche, in denen wir unsere Alternativen vorgelegt haben.
Wer jedoch von den Beratungen im Haushaltsausschuß eine Verbesserung in diesen Bereichen erwartet hatte, muß bitter enttäuscht sein. Der Haushalt 1985 ist nun erst recht beschäftigungsfeindlich. Der Haushalt 1985 enthält immer noch keine zusätzlichen Initiativen zur Bewältigung der Umweltkrise. Der Haushalt 1985 hat nach der Beratung im Ausschuß mit sozialer Gerechtigkeit, meine Damen und Herren, überhaupt nichts mehr zu tun.
({2})
Wir Sozialdemokraten - das gestehen wir offen, aber sehr traurig ein - haben unser Ziel nicht erreicht.
({3})
Wir haben uns mit unseren Vorschlägen im Ausschuß nicht durchsetzen können.
({4})
Die Kollegen von der Regierungskoalition sind unbeweglich wie nie.
Das Recht des Parlaments, meine Damen und Herren, den Haushalt zu gestalten, steht in meinen Augen nur noch auf dem Papier. Ich habe den Eindruck, daß hier nur noch Regierungsvorgaben durchgepaukt werden.
({5})
Das hat nichts mit der menschlichen Harmonie im Ausschuß zu tun.
Sehen wir uns trotzdem einmal die Ergebnisse der Ausschußberatungen an. Die Gesamtausgaben sind gegenüber dem Entwurf um rund 1 Milliarde DM gekürzt worden. Damit bleibt gegenüber dem Soll 1984 ein Ausgabenzuwachs von 0,9 %, gegenüber dem Ist ein solcher von 2 % bis 3%.
Die Kürzungen gingen fast ausschließlich zu Lasten der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt. Sie wurden um weitere 500 Millionen DM zusammengestrichen und betragen nur noch 35,3 Milliarden DM. Das ist noch weniger, als für dieses Jahr angesetzt war. Herr Dr. Stoltenberg, das liegt nicht an der Auflösung der Mischfinanzierung. Sie geben 1 Milliarde DM Investitionen für die Krankenhausfinanzierung an die Länder zurück und übernehmen dafür aber 500 Millionen DM Investitionen aus dem Wohnungsbau. Hier wird wiederum das, was ich Ihnen als intellektuell unredlich vorgeworfen habe, deutlich.
({6})
Gesamtwirtschaftliche und beschäftigungspolitische Impulse kann man von diesem Haushalt nicht erwarten. Arbeit, Umwelt, soziale Gerechtigkeit - das sind unsere Forderungen an die Haushaltspolitik. Wir haben deshalb versucht, Initiativen im Umweltbereich zu fördern und gleichzeitig Arbeit zu schaffen. Das ging von der Verbrennungstechnologie über den Schallschutz bis zu zusätzlichen Mitteln für die Kreditanstalt für Wiederaufbau, damit sie in die Lage versetzt wird, zinsgünstige Darlehen zu geben. Alles das blieb ohne Erfolg.
({7})
- Es war ein Schuß in den Ofen, Herr Kollege. Das will ich gern zugestehen. Trotzdem bin ich traurig, weil Sie sachgerechten Argumenten nicht zugänglich sind.
({8})
Wir hätten es sehr gern gehabt, wenn Sie sich etwas stärker den Elementen der sozialen Gerechtigkeit zugewandt hätten, denn diese findet man nach den Beratungen im Ausschuß im jetzt vorgelegten Haushalt überhaupt nicht mehr.
Vor den Ausschußberatungen dokumentierte sich die soziale Ungerechtigkeit der Politik dieser Regierung in der massiven Kürzung des Sozialetats. Nach den Ausschußberatungen ist mit der Streichung der Mittel für die Zwangsanleihe auch das allerletzte soziale Feigenblatt gefallen.
({9})
Ersatzlösungen verweigern Sie sich, meine Damen und Herren von der Koalition, beharrlich, und unsere Forderung nach einer Ergänzungsabgabe haben Sie rundweg abgelehnt. Auch diejenigen, die in Ihren eigenen Reihen nach wie vor einen solchen Solidarbeitrag für erforderlich halten, werden vom FDP-Vorsitzenden als Erfinder von Neidsteuern beschimpft und diffamiert. Wir geben Ihnen Gelegenheit, heute mittag in namentlicher Abstimmung Ihre persönliche Haltung zu einem Solidarbeitrag zu dokumentieren.
({10})
Nach den Beratungen im Haushaltsausschuß muß das Fazit lauten: Sie haben zwar die Nettokreditaufnahme um eine Milliarde DM erhöht - ein Vorgang, der in den letzten 15 Jahren im Haushaltsausschuß noch nie zu erkennen war - und beim Bundesbankgewinn zwei Milliarden DM draufgelegt; Sie haben aber keinen Pfennig für zusätzliche Arbeit, keinen Pfennig für zusätzliche Umweltinvestitionen und erst recht keinen Pfennig für soziale Gerechtigkeit.
Herr Bundesfinanzminister, nachdem Sie nun Ihren dritten Haushalt vorgelegt haben, ist dies Anlaß für mich, den Versuch einer Zwischenbilanz Ihrer Politik zu ziehen. Ich scheue dabei nicht den Blick in die Vergangenheit. Wir haben zusammen mit der FDP, die hier immer wieder begeistert klatscht, wenn ihre eigene Vergangenheit kritisiert wird, in den drei Haushalten 1980, 1981 und 1982 eine Finanzierungslücke, Herr Kollege Hoppe, von insgesamt 115 Milliarden DM gehabt. Dabei rechne ich immer, wie von der CDU ständig gefordert, die Nettokreditaufnahme von 15 Milliarden DM schon mit ein. Das ist eine durchschnittliche Finanzierungslücke von 38 Milliarden DM pro Jahr - viel zuviel, wie ich zugebe. Wir haben diese Mittel eingesetzt, um zu7802
Wieczorek ({11})
sätzlich Arbeit zu schaffen, was man an den damaligen niedrigeren Arbeitslosenzahlen deutlich ablesen konnte.
Ihre Bilanz, Herr Dr. Stoltenberg, sieht so aus. Sie haben 1983 eine Nettokreditaufnahme von 31,5 Milliarden DM und einen Bundesbankgewinn von 11 Milliarden gehabt. Sie haben 1984 eine Nettokreditaufnahme von 31 Milliarden - es wird wahrscheinlich etwas weniger - und einen Bundesbankgewinn von 11,4 Milliarden DM - geplant. Für 1985 erwarten Sie eine Nettokreditaufnahme von rund 25 Milliarden DM und schätzen Sie den Bundesbankgewinn - wie immer sehr vorsichtig - auf 12,5 Milliarden.
Wenn ich nun immer schön nach Ihrem eigenen alten Rezept zusammenzähle, dann weisen die drei Haushalte, für die Sie Verantwortung tragen, 40 Milliarden DM durchschnittliche Fehlbeträge auf.
({12})
Von 38 Milliarden DM, die wir gehabt haben, auf 40 Milliarden DM, die Sie jetzt haben, das feiern Sie als einen Erfolg, als ob es heute besser wäre als früher, und Sie wollen dem deutschen Volk vermitteln, Sie würden die Nettokreditaufnahme herunterführen. In Wirklichkeit geht sie rauf.
({13})
- Wenn Sie Ihre Zwischenrufe, meine Herren Kollegen, so konzentriert machen, daß ich sie verstehen kann, würde ich sie gern auch den Zuschauern am Fernsehschirm übersetzen. Aber leider ist es nur ein Gemurmel. Aber ich habe von Ihnen auch noch nie etwas anderes gehört.
({14})
- Nein: Die nicht Sie bezahlt haben, sondern die wir alle, Herr Kollege, bezahlt haben.
({15})
- Wenn Sie zugehört hätten, hätten Sie bemerkt: Ich habe von Anfang an für meinen Teil die Verantwortung übernommen. Davor scheue ich mich nicht. Ich habe Ihnen von vornherein gesagt: Die Konsolidierung ist nicht nur nicht abgeschlossen, sondern sie hat noch nicht begonnen. Das wollte ich Ihnen hiermit beweisen. Ich hoffe, Sie gehen da weiter mit.
Ich will Ihnen auch sagen, wie es im Grund gekommen ist. In den vergangenen drei Jahren, Herr Stoltenberg - jetzt sehe ich Sie direkt; da kann ich Sie besser ansprechen -, haben Sie eine Ausgabensteigerung von 6 % gehabt. Das ist eine beachtliche Senkung, wenn man die anderen Haushalte ansieht. Nur: Wie kommt es dazu? Die 6 % - im Durchschnitt 2 % pro Jahr - sind gekommen, weil Sie ganz massive Einschnitte bei den Sozialausgaben vorgenommen haben, weil Sie die beschäftigungswirksamen Investitionen gekürzt haben, weil Sie Lasten auf die Länder und Gemeinden und auf die Sozialversicherung verschoben haben. Das ist die soziale Gerechtigkeit, die für die Beschäftigung in unserem Land sehr schlimm ist.
({16})
Sie können das an der Arbeitslosigkeit ablesen. Ich will Sie jetzt mit einer Folge Ihrer Politik konfrontieren: Im Jahre 1982 - für Sie ja immer Bezugsjahr für negative Kritik an Sozialdemokraten - haben wir 1,8 Millionen Arbeitslose gehabt; auch das war damals schon zu viel. Sie sind jetzt bei 2,2 Millionen Arbeitslose und gehen davon aus, daß sich diese Zahl nicht besonders ändert.
({17})
Ich muß Ihnen ehrlich sagen: Ich bin ganz betrübt darüber, daß Sie diese Zahl von rund 2 Millionen Arbeitslosen als eine Sockelarbeitslosigkeit ansehen, hinsichtlich der Sie nichts tun, um sie in irgendeiner Form zu beseitigen.
({18})
Das ist schon schlimm, wenn man sich nämlich ansieht, wie Sie sich, Herr Dr. Stoltenberg, in der Zwischenzeit beim Steuerzahler bedient haben. In den letzten drei Jahren, in denen Sie hier die Verantwortung tragen, sind die Steuereinnahmen des Bundes - ohne eine Steueränderung - um 14 % gestiegen. Wenn ich dann noch das gegenrechne - das muß man ja redlicherweise auch tun -, was Sie an Steuervergünstigungen an Unternehmen und Großbauern verteilt haben, dann komme ich sogar auf eine Steigerung der Steuereinnahmen von 15,5%. Allein der Bund hat in den letzten drei Jahren 29 Milliarden DM mehr aus zusätzlichen Steuereinnahmen kassiert. Wenn wir diese Mittel für eine sinnvolle Konsolidierung des Bundeshaushalts hätten einsetzen können, Herr Dr. Stoltenberg,
({19})
hätten wir jetzt keine Schwierigkeiten, die Steuerreform in einem Rutsch zu finanzieren. Aber dazu hatten Sie nicht die innere Kraft.
({20})
Das, was Sie im Augenblick als Konsolidierung verkaufen, ist keine Konsolidierung, sondern ist Umverteilungspolitik, die Sie in höchstem Maße vollziehen.
Wenn Sie das bestreiten: Bei der Abstimmung über unsere Vorlage zur Ergänzungsabgabe können Sie j a beweisen, daß Sie eine andere Politik im
Wieczorek ({21})
Auge haben. Sie, Herr Dr. Stoltenberg, haben allein die Nettokreditaufnahme im Auge und leugnen die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen Ihrer Politik. Sie sind der Oberbuchhalter der Nation,
({22})
aber nicht der Finanzminister dieses Landes. Sonst hätte Herr Dr. Stoltenberg bei seinem Lob über den Sachverständigenrat uns soeben doch sicherlich auch mitteilen müssen, daß der Sachverständigenrat für das nächste Jahr klar und deutlich gesagt hat, daß er mit einer wesentlich geringeren Nettokreditaufnahme der öffentlichen Hand insgesamt rechnet als der Bundesfinanzminister, und zwar mit 10 Milliarden DM weniger.
Der Sachverständigenrat, Herr Dr. Stoltenberg, hat Ihnen aber auch noch etwas anderes ins Stammbuch geschrieben. Er hat Ihnen nämlich gesagt, daß Sie Ihre finanzpolitischen Ziele noch nicht richtig formuliert haben, daß sie noch nicht klar formuliert sind. Sie haben nämlich ein haushaltspolitisches und kein finanzpolitisches Ziel. Ich muß Sie einfach fragen, Herr Dr. Stoltenberg: Was verstehen Sie eigentlich unter Konsolidierung? Sozialabbau, Abbau des strukturellen Defizites - das wäre ja vernünftig -, Verminderung der Neuverschuldung durch Einstellung des Bundesbankgewinns in den Haushalt, Steuersenkung für Unternehmer, Steuersubventionen für die Landwirtschaft, und zwar für Großbauern,
({23})
Einsparen von Milliardenbeträgen bei den Sozialausgaben, und das Jahr für Jahr? Herr Dr. Stoltenberg, wieso fallen die Haushaltsansätze und die IstErgebnisse bei Gesamtausgaben, Investitionen und Bundesbankgewinn bei Ihnen immer so weit auseinander?
({24})
- Es gibt hier kein positives oder negatives Auseinanderfallen. Denn wenn Sie ein sogenanntes positives Auseinanderfallen haben, haben Sie der Wirtschaft irgendwo zu viel Geld entzogen, Herr Kollege, das Sie nicht in Arbeit umwandeln können, und da setzt unsere Kritik an. Es ist kein Positivum, wenn der Bundesfinanzminister eine bestimmte Ausgabenschwelle nicht erreicht, weil er der Wirtschaft damit möglicherweise große Mittel entzieht, die in Arbeit umgesetzt werden können. Genau das ist unser Kritikpunkt, den wir hier bei Ihnen insgesamt haben.
({25})
Mir scheint es aber so zu sein, daß der Bundesfinanzminister in der Tat eine gewisse Strategie hat, nämlich eine Strategie, die mit der inneren Struktur dieser Regierung zusammenhängt. Er ist dazu gezwungen, sich arm zu rechnen, damit die Begehrlichkeiten seiner Kollegen im Kabinett nicht noch größer werden. Er muß es auch tun, damit er die eigentlich von vielen Kollegen in der CDU und in der CSU eingesehene Differenz bei der sozialen Gerechtigkeit nicht ausgleichen muß.
Herr Bundesfinanzminister, Sie rechnen sich arm und setzen die Steuerannahmen und die Bundesbankgewinne zu niedrig an. Dann kann man ja zur Not dem eigenen Klientel noch einmal ein paar Milliarden drauflegen. Sie suchen durch Ihre falschen Zahlen gleichzeitig eine bessere Position bei den Verhandlungen mit den Ländern zu erreichen. Anders ist es nämlich nicht zu erklären, daß Sie für das nächste Jahr ein gesamtstaatliches Defizit von 39 Milliarden DM erwarten, während die Sachverständigen nur mit 29 Milliarden DM rechnen.
Am Ende bleibt man unter der veranschlagten Neuverschuldung. Ihr haushaltspolitisches Ziel ist dann damit erfüllt. Arbeit, Umwelt und soziale Gerechtigkeit sind aber dabei auf der Strecke geblieben. Nur einen gemeinsamen Nenner haben alle Ihre Aktivitäten: Sie sind auf Umverteilung von unten nach oben ausgerichtet. Das ist der eigentliche Inhalt Ihrer Konsolidierungsvorstellungen.
({26})
Meine Damen und Herren, wir haben in der ersten Lesung angekündigt, daß wir mit unseren Änderungsanträgen versuchen werden, Sie hinsichtlich der Themen Arbeit, Umwelt und soziale Gerechtigkeit umzustimmen. Wir haben dazu zur zweiten und dritten Beratung eine Reihe von Anträgen vorgelegt.
Um Arbeit zu schaffen und um gleichzeitig die Umweltsituation zu verbessern, fordern wir eine deutliche Verstärkung der investiven Ausgaben im Bundeshaushalt. Dafür wollen wir beispielsweise eine Kapitalzuführung an die Kreditanstalt für Wiederaufbau in Höhe von 500 Millionen DM, um diese in die Lage zu versetzen, als Einstieg in ein künftiges Sondervermögen Arbeit und Umwelt zusätzliche Darlehen zu zinsgünstigen Konditionen zur Finanzierung von Umweltschutzinvestitionen zu gewähren.
Wir wollen mehr Mittel für die Bundesbahn; wir wollen mehr Mittel für Bundesautobahnen, und zwar hier für Umweltschutzmaßnahmen an Verkehrswegen. Wir wollen mehr Mittel für verbesserte Forschung im Bereich der Umwelttechnologie und insbesondere der Verbrennungstechnologie.
Wir wollen aber auch die Bundesanstalt für Arbeit durch einen Zuschuß von 2,7 Milliarden DM in die Lage versetzen, die Rücknahme der unsozialen Kürzungen der vergangenen Jahre zu finanzieren, damit mehr für aktive Beschäftigungsförderung getan werden kann.
({27})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen, wie wir es bezahlen wollen; keine Sorge, Herr Kollege.
({28})
Zur Finanzierung haben wir nämlich sehr konkrete
Vorschläge gemacht. Wenn Sie gleich der Ergän7804
Wieczorek ({29})
zungsabgabe zustimmen, dann haben wir eine wunderschöne Finanzierungsbasis für alles.
({30})
Ich sage Ihnen aber noch einmal, was wir nicht wollen. Wir wollen keine Finanzierung durch Umverteilungspolitik. Wir wollen Umschichtungen im Haushalt. Das ist richtig. - Herr Präsident, meine Fraktion verlängert meine Redezeit sicherlich noch um zwei bis drei Minuten.
({31}) - Das wird sie sicherlich tun.
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Zeit dann den Rednern Ihrer Fraktion abgezogen wird.
Das weiß ich, Herr Präsident. Aber ich möchte meine Rede noch beenden dürfen.
({0})
Ich würde gerne noch ein paar Sätze dazu sagen, wie wir das finanzieren wollen, denn ein Vortrag in dieser Form wäre unvollständig; er wäre unvollkommen, wenn ich den Finanzierungsvorschlag schuldig bliebe.
Ich darf auf die Rede meiner Kollegin Frau Traupe vom Dienstag hinweisen. Sie hat am Verteidigungshaushalt sehr deutlich gemacht, wie unsere Vorstellungen haushaltspolitisch sauber und sicherheitspolitisch vertretbar realisiert werden können. Wenn wir im Verteidigungshaushalt nach strengster Prüfung 1,8 Milliarden DM freimachen können, ohne daß die Verteidigungsbereitschaft darunter leidet, dann ist es auch in anderen Bereichen möglich. Wenn Sie beispielsweise nur den Bundesbankgewinn von 12,5 Milliarden DM auf 13 Milliarden DM realistisch anheben - es werden wahrscheinlich 15 Milliarden DM werden -, dann haben Sie auch schon wieder einen erheblichen Beitrag zur Deckung.
Ich kann Ihnen sagen: Die Arbeitsgruppe Haushalt der SPD-Fraktion hat in der Opposition noch keinen einzigen Antrag eingebracht, um die Nettokreditaufnahme weiter zu erhöhen.
({1})
Wir sind immer in der Kontinuität unserer Konsolidierung geblieben, auch wenn Sie es nicht gern wahrhaben wollten.
Um das Zeitkontingent meiner Kollegen jetzt nicht weiter zu belasten, will ich hiermit enden. Ich darf mich bei Ihnen für Ihr reges Mitgehen herzlich bedanken.
({2})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Hackel.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich finde es in der Haushaltsberatung hier im Plenum schon bemerkenswert, wieviel Mühe sich die Opposition gibt
- ob nun mit Polemik, mit lautem Wortgeklingel oder sogar mit falschen Behauptungen, etwa über klassenbewußte Umverteilung -, die Erfolge der Bundesregierung zu verschleiern.
({0})
Heute morgen hat Herr Apel einige falsche Zahlen genannt. Herr Wieczorek hat das jetzt wieder sehr moderat getan. Aber was immer Sie sagen, eines bleibt doch richtig, Herr Wieczorek: Die öffentliche Verschuldung ist seit 1982/83, seitdem die CDU/CSU zusammen mit .der FDP die Regierung übernommen hat, zurückgegangen. Die Zahlen, die Sie vorhin genannt haben, sind doch so schlicht und einfach falsch.
({1})
Sie wissen es doch ganz genau: Wir mußten von einem Nettoneuverschuldungsbetrag von 55 Milliarden DM im Jahr 1982/83 ausgehen. Wir sind über 33 Milliarden DM und 29 Milliarden DM nun bei unter 25 Milliarden DM, nämlich bei 24,9 Milliarden DM Nettoneuverschuldung angelangt.
({2})
- Entschuldigen Sie, Herr Kollege, auch im Jahr 1982 hatten wir schon einen Bundesbankgewinn von 10 Milliarden DM drin.
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- Aber selbstverständlich! Das wissen wir doch.
Sie haben - daran können Sie nicht vorbeigehen, Herr Kollege Wieczorek und Herr Kollege Apel
- in den letzten Jahren nun einmal einen Ausgabenzuwachs gehabt. Heute haben wir bei einem Haushaltsvolumen von 259,3 Milliarden DM eine Steigerung von weniger als 1 %. Dem steht allerdings wiederum ein Wirtschaftswachstum gegenüber, das von der Bundesregierung mit 2,5% und von den fünf Wirtschaftswissenschaftlern in ihrem Gutachten gar mit 3% prognostiziert worden ist. Ich halte das für eine ganz wesentliche Ursache dafür, daß z. B. die Zunahme der Arbeitslosigkeit gebremst werden konnte und wir schließlich eine Inflationsrate haben, die bei 2,0 % liegt und mit der wir die Entwicklung alles in allem gebändigt haben.
Herr Kollege Wieczorek, Sie haben soeben beklagt, von 1981 bis 1984 sei die Arbeitslosenquote gestiegen. Das ist zweifellos richtig; darüber gibt es gar nichts zu debattieren. Aber Sie wissen auch, daß sowohl die eigenen Entwürfe der Bundesregierung selbst als auch Ihre Prognosen davon ausgegangen sind, daß wir weit mehr Arbeitslose haben würden, als wir heute tatsächlich haben.
({4})
Sie selbst sind von über 3 Millionen ausgegangen. Wir haben gesagt, daß wir vielleicht sogar bei 2,5 Millionen landen würden. Heute liegen wir weit, weit darunter. Das ist doch ganz logischerweise ein Erfolg dieser Politik, der nicht wegzuleugnen ist, was immer Sie dazu auch sagen.
Die geringe Inflationsrate, die ganz zweifellos vorhanden ist, zeigt doch auch
({5})
- Herr Kollege Zander -, daß wir faktisch eine Kaufkraftsteigerung haben.
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- Für jeden einzelnen.
({7})
- Sowohl für die Arbeiter als auch für die Beamten, als auch für die Angestellten und natürlich auch für die Rentner.
({8})
Sowohl in der Debatte über den Sozialhaushalt wie in der Debatte über den Finanzhaushalt haben mehrere Redner völlig unwidersprochen - vorhin Herr Kollege Carstens, dann Kollege Stoltenberg - klargemacht, daß eine so geringe Inflationsrate natürlich immer noch eine größere Kaufkraft bringt als das, was Sie in den letzten Jahren bei 4 % Erhöhung und 6 % Inflationsrate den einzelnen, insbesondere auch den Rentnern, geboten haben. Ich gehe davon aus, daß sich das selbstverständlich in Zukunft noch erweitern wird.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Diederich?
Ja, bitte sehr.
Lieber Herr Kollege Hackel, würden Sie dem Hohen Hause dann vielleicht erläutern, welche Vorteile die Arbeitslosen von der geringeren Kaufpreissteigerung haben?
({0})
Das ist genau das gleiche, Herr Kollege Diederich. Das ist eine ganz einfache Rechnung. Der Betrag, den die Arbeitslosen bekommen, sinkt ja nicht. Wenn sie für diesen Betrag mehr bekommen, weil die Inflationsrate so gering ist, dann ist auch hier eine Kaufkraftsteigerung vorhanden, die schlicht und einfach nicht abzustreiten ist.
({0})
Meine Damen und Herren, an diesem Erfolg war das Finanzministerium natürlich wesentlich beteiligt, zumal man sich in einzelnen Gesprächen, die zwischen den Ressorts geführt werden, letztendlich auf die Größenordnung der einzelnen Etats einigt. Aus diesem Grunde muß der Etatminister, der Bundesfinanzminister, gegenüber den anderen Etats, gegenüber den Fachministern, auch immer mit gutem Beispiel vorangehen. Er ist mit gutem Beispiel vorangegangen. Zum Beispiel ist sein eigener Etat, nämlich der Etat 08, den der Bundesfinanzminister zu vertreten hat, sogar um etwa 1 % gesenkt worden.
Aber wenn wir diesen Haushalt betrachten, so müssen wir doch feststellen, daß es einen kleinen Wertmutstropfen im gut gegorenen Wein des Haushalts gibt; denn der Finanzminister ist nicht nur Etatminister, sondern in seiner Doppelfunktion auch Chef einer Behörde. Behördenchef zu sein bedeutet, daß er auch eine gewisse Verantwortung für seine Mitarbeiter hat. In einer Behörde, nämlich in der Zollverwaltung, steht manches nicht so ganz zum Guten. Auch da haben wir von der SPD etwas übernommen, was in der Tat nicht gerade sehr gut ist.
({1})
- Aber Herr Kollege Hoffmann, es ist doch ganz klar: Wenn in der Zollverwaltung bei den Beförderungen im mittleren Dienst heute eine Wartezeit bis zu zwölf Jahren und im gehobenen Dienst bis zu 15 Jahren besteht, können Sie doch nicht davon ausgehen, daß dies ausdrücklich seit dem 6. März 1983 besteht, sondern daß es eine Entwicklung ist, die Sie natürlich über zehn oder 13 Jahre mitzuverantworten haben.
({2})
Sie haben in dieser Zeit nicht ein einziges Wort davon gesprochen, daß Sie an dieser Stelle einmal eine Veränderung einführen müssen. Jetzt kommen Sie plötzlich damit und sagen: Wir müssen hier neue Planstellen schaffen, wir müssen hier zum Wohle der Zöllner 1 000 neue Planstellen einrichten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riedl?
Bitte, sehr, Herr Kollege Riedl.
Herr Kollege Dr. Hackel, sind Sie bereit zu bestätigen, daß der Haushaltsausschuß, nachdem 13 Jahre keine Initiative der früheren Regierung in diesem Bereich ergriffen worden ist,
({0})
jetzt die Bundesregierung aufgefordert hat, zum Haushaltsentwurf für 1986 einen Stufenplan vorzulegen,
({1})
damit in dieser ersten Rate dieses Stufenplanes dieses schwierige Problem gelöst werden kann, und sind Sie zweitens bereit, zu bestätigen, daß es übereinstimmende Auffassung der Kollegen im Haushaltsausschuß war, daß dieser Antrag von der SPD in ihrer Regierungszeit nicht gestellt worden ist?
Herr Kollege Riedl, das ist zu bestätigen und auch der Grund, warum ich das angesprochen habe.
Der Bundesminister für Finanzen ist aufgefordert - und zwar auf Grund eines Beschlusses des Haushaltsausschusses, den wir ganz wesentlich mitgetragen haben -, im Jahre 1985 für den Haushaltsplan 1986 einen Stufenplan vorzulegen, damit eine solche Entwicklung, wie sie sich über 13 Jahre im Zoll leider eingebürgert hat, nicht wieder vorkommt, so daß wir endlich zu einer Änderung dieses Beförderungsstaus auch in der Zollverwaltung kommen können.
({0})
Bei der Gelegenheit, Herr Finanzminister, möchte ich Sie noch bitten, über die Frage nachzudenken, inwieweit die Tätigkeit anderer Behörden an den Grenzen koordiniert oder gar in die Arbeit der Zollverwaltungen eingebaut werden kann.
Wenn wir als Berliner von Grenzen reden, sind wir uns natürlich immer wieder bewußt, daß wir in einer besonderen Stadt leben und dort eine besondere Lage vorfinden. Dies ist zwar, Herr Apel, wenn Sie gelegentlich in diese Stadt kommen, sehr schnell zu vergessen, denn diese Stadt sprüht im Moment wieder vor Vitalität, vor Kraft und vor Zukunftshoffnung.
({1})
- Auch in der Bundesliga! Sie werden sehen, daß wir auch dort wieder aufsteigen.
All dies ist natürlich in erster Linie den Regierungen von Weizsäcker und Diepgen zuzuschreiben, die einfach den 30jährigen Schutt der SPD-Herrschaft wegzuräumen hatten
({2})
und die sowohl wirtschaftlich und kulturell neue Akzente gesetzt als auch zur sozialen und gesellschaftlichen Beruhigung in der Stadt wesentlich beigetragen haben.
({3})
Das, meine Damen und Herren, ist eine große Leistung des CDU-FDP-Senats, die mit Sicherheit im kommenden März auch honoriert werden wird.
({4})
Meine Damen und Herren, wir sind uns aber auch darüber im klaren, daß dies nicht möglich wäre, wenn nicht der Bund - Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat - nach wie vor Bundeshilfe leisten würde und uns nach wie vor in der Wirtschaftsstruktur unterstützen würde, was in der Novellierung des Berlinförderungsgesetzes zum Tragen kam.
({5})
Dieser Beistand wird auch in Zukunft notwendig
sein, und ich hoffe, daß wir in diesen Fragen auch in
den kommenden Jahren vom Bund die entsprechende Unterstützung bekommen werden.
Meine Damen und Herren, wenn man von Grenzen redet, ist uns als Berlinern natürlich auch klar, welche geographische Lage wir in unserer Stadt vorfinden. Weil wir diese geographische Lage kennen, dürfen wir bei allen Bemühungen um ein vernünftiges Verhältnis gegenüber der DDR, trotz des Ausbaus und Neubaus von Autobahnen und trotz mancher Pläne zur Verbesserung des Schienenverkehrs nie vergessen, daß der einzige unkontrollierte Zugang nach Berlin nach wie vor der Luftweg ist. Ich halte es deshalb für notwendig, daß wir uns zusammensetzen und daß Bundesregierung, Berliner Senat und alliierte Schutzmächte unter strikter Beachtung aller bestehenden Verträge eine Verbesserung und auch eine Erweiterung des Flugverkehrs anstreben, was technisch möglich ist, wofür es ausreichende Interessen gibt und wozu wir auch bei konkret vorliegenden Plänen die finanziellen Möglichkeiten ausloten könnten.
Ich bin sicher, daß Überlegungen dieser Art, die letztlich auch die Wirtschaftskraft Berlins fördern und damit auch den Beitrag des Bundes zum Berliner Haushalt verringern würden, nicht nur der Stadt gut anstehen und die Bindungen der Stadt im Bund festigen, sondern daß es auch dadurch die Zukunft der Stadt zu stärken und zu festigen gilt.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Hackel, die Attitüde des Staatsmannes steht Ihnen nun weiß Gott nicht. Ich wäre bei Ihrer Rede fast eingeschlafen. Deswegen will ich versuchen, das Tempo ein bißchen zu forcieren.
({0})
Der Herr Bundesfinanzminister, den ich noch erleben wollte - deshalb habe ich mich erst zu diesem Zeitpunkt zu Wort gemeldet -, hat heute morgen wieder das gemacht, womit man rechnen mußte. Er hat sich hier in der Pose des erfolgreichen Sanierers der Staatsfinanzen präsentiert
({1})
und hat einmal mehr das finanzpolitische Glaubensbekenntnis dieser Bundesregierung verkündet, das lautet: Wir sind auf dem richtigen Weg,
({2})
der Abbau der Staatsverschuldung schreitet voran,
({3})
die Wirtschaft wird saniert.
({4})
Wir alle kennen diese Begrifflichkeit.
Kleinert ({5})
Herr Stoltenberg hat für seinen Vortrag aus Ihren Reihen wieder so viel Beifall bekommen,
({6})
daß ich fast glauben mochte, er werde vielleicht schon früher als im nächsten Herbst zum Zuge kommen, wenn es darum geht, einen Nachfolger für den jetzigen Bundeskanzler zu finden; das diskutieren Sie hinter vorgehaltener Hand ja schon ganz offen.
({7})
Aber das alles kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die zentralen Probleme unserer Wirtschaft durch Ihre Haushaltspolitik ebenso wenig angefaßt werden wie die Probleme unserer Umwelt, und das will ich Ihnen jetzt im einzelnen aufzeigen.
Erstens muß man feststellen, daß Sie nicht einmal die Ziele erreicht haben, die Sie sich selber gesetzt haben.
({8})
- Herr Friedmann, hören Sie aufmerksam zu; dann können Sie vielleicht noch etwas lernen. - So hat sich die Gewinnsituation der Unternehmen gegenüber den Vorjahren zweifellos verbessert. Die Arbeitslosigkeit ist dadurch jedoch überhaupt nicht zurückgegangen, im Gegenteil, meine Damen und Herren: Die Zahl der registrierten Arbeitslosen liegt weit über zwei Millionen. Wenn man die Arbeitslosen, die aus den offiziellen Statistiken herausfallen, hinzuzählt, kommt man auf eine Arbeitslosenzahl von weit über drei Millionen. Das ist die Bilanz Ihrer Politik.
({9})
In der Bundesrepublik Deutschland gibt es inzwischen eine neue soziale Armut, die das bei weitem übersteigt, was man sich vor wenigen Jahren überhaupt vorstellen konnte.
({10})
Zweitens. Sie haben in der Tat die Investitionsbedingungen verbessert. Das Gutachten des Sachverständigenrates rechnet für 1985 mit einem Zuwachs der Einkommen aus Unternehmertätigkeit in der Größenordnung von 7% bis 71/2%. Gleichzeitig aber sinken Lohnquote und Reallöhne seit Jahren, meine Damen und Herren. Das erwähnen Sie hier nicht.
({11})
Sie haben im letzten Jahr steuerliche Entlastungen für die Unternehmen beschlossen, die diesen Unternehmen auch 1985 Steuergeschenke in einer Größenordnung von annähernd 5 Milliarden DM bringen werden. Nach Ihrem eigenen wirtschafts- und finanzpolitischen Glaubensbekenntnis müßte das Ganze eine spürbare Belebung der Investitionstätigkeit bewirken. Das wiederum sollte einen Abbau
der Arbeitslosigkeit zur Folge haben. Genau das ist aber nicht der Fall.
Soweit es überhaupt zu einer Belebung der Investitionstätigkeit kommt, spielt sich das in erster Linie in Form von Rationalisierungsinvestitionen ab. Investieren heißt unter den von Ihnen produzierten Voraussetzungen eben nicht neue Arbeitsplätze schaffen, investieren heißt in erster Linie Geld unterbringen, innerhalb des Betriebes in Form von Rückstellungen und Abschreibungen und außerhalb des Betriebes in Form von Finanzanlagen.
({12})
Das für Investitionen bestimmte Kapital wird steuersparend und zinsbringend geparkt in Form von Finanzanlagen. Das ist ein Sachverhalt, den selbst die Bundesbank in ihrem Monatsbericht kürzlich sehr eindrucksvoll bestätigt hat.
Finanzinvestitionen und Rationalisierungsinvestitionen, das ist der durch Ihre Politik geförderte Typus der Unternehmertätigkeit. Er ist weit von jenem Unternehmertypus entfernt, auf den sich der Herr Stoltenberg gern beruft und den Schumpeter den Pionierunternehmer nennt.
Von Ihrer glückseligmachenden Verheißung, Herr Bundesfinanzminister, die Investitionen schafften Arbeitsplätze, bleibt in der Wirklichkeit kaum eine Spur übrig. Die Wirtschafts- und Finanzpolitik dieser Bundesregierung hat alles mögliche hervorgebracht, nur eines nicht: den Abbau der Arbeitslosigkeit.
({13})
Dafür hat sie allerdings - das ist heute morgen schon erwähnt worden - zu einer kräftigen Umverteilung der Einkommen beigetragen, einer Umverteilung, die die Reichen reicher macht und die die soziale Not in der Bundesrepublik ansteigen läßt. Auch das läßt sich exakt in Zahlen belegen.
So ist im Jahre 1983 das Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit um 2 % gesunken, meine Damen und Herren. Die Einkommen aus selbständiger Tätigkeit sind um 12 % gestiegen. Genau jener Sachverständigenrat, auf den Sie sich seit letzter Woche so gerne berufen, hat das in seiner Statistik offiziell ausgewiesen. Das ist die Bilanz Ihrer Sanierungspolitik. Das ist die Bilanz Ihrer Gesellschaftspolitik, einer Gesellschaftspolitik der Umverteilung.
Diese Bunderegierung hat also trotz aller Beteuerungen nicht einmal ihre eigenen wirtschaftspolitischen Ziele erreicht. Man muß sagen, daß die bundesdeutsche Wirtschaft nach wie vor an der Reckstange hängt, ziemlich träge. Der Bundeskanzler müßte eigentlich sagen; Sie haben Ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Die zusätzlichen Gewinne, die gemacht werden, wandern zu einem erheblichen Teil auf die amerikanischen Finanzmärkte. Aber das alles wollen Sie nicht hören. Der Bundesfinanzminister möchte diese Wahrheiten am liebsten nicht zur Kenntnis nehmen. Um das nicht zur Kenntnis nehmen zu müssen, gibt es ein ganz einfaches Strickmuster. Es sieht so aus: Wenn Ihre Rechnung - Reallöhne herunter, steuerliche Belastun7808
Kleinert ({14})
gen für die Unternehmer senken, Gewinne erhöhen, das Ganze bringt Ankurbelung der Investitionstätigkeit - nicht aufgeht, dann behaupten Sie einfach: Wir sind in unserem Kurs noch nicht konsequent genug gewesen, wir müssen diesen Kurs noch konsequenter fortsetzen, es wird noch eine Weile dauern, dann wird es klappen.
({15})
Wenn Sie feststellen, daß die Arbeitslosigkeit noch immer steigt, daß die Investitionstätigkeit trotz gestiegener Gewinne nicht das Ausmaß erreicht hat, was Sie gewünscht haben, dann sagen Sie einfach: Die Unternehmer haben eben noch nicht genug Vertrauen gewonnen, wir müssen ihre Belastungen noch weiter senken, wir müssen die Reallöhne noch weiter senken. Die Konsequenz daraus wäre, daß all das noch passiert.
Meine Damen und Herren, auf diese Weise können Sie Ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Konzept gegenüber jeder Kritik immunisieren, indem Sie immer dann, wenn man Sie auf Ihre Mißerfolge hinweist, sagen: Na j a, wir haben es noch nicht konsequent genug angepackt, und in ein paar Jahren wird es dann einmal klappen.
Ich komme jetzt zum dritten Punkt. Die große finanzpolitische Botschaft des Herrn Stoltenberg lautet: Wenn die Nettokreditaufnahme heruntergefahren wird, dann werden die Zinsen fallen und dann werden die Investitionen blühen. Auch diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Die Zinsen sind nicht nennenswert gesunken.
({16})
Mit der Senkung der Nettokreditaufnahme ist es auch so eine Sache. Das wirkliche Ausmaß der kreditfinanzierten öffentlichen Ausgaben - auch das ist heute vormittag schon angedeutet worden - verbergen Sie einfach dadurch, daß Sie sich anderer Formen der nichtsteuerlichen Geldbeschaffung bedienen. Die inzwischen verworfene Investitionshilfeabgabe war ein Weg dazu. Der zweite Weg ist die direkte Ingangsetzung der Notenpresse für den Staat unter der Überschrift „Bundesbankgewinn". Das Ganze bringt zusammen zirka 15 Milliarden DM. Wenn man sich diese Zahlen ansieht, dann sieht die von Ihnen so gepriesene Senkung der Nettokreditaufnahme ganz anders aus als die stolze Bilanz, die Sie uns hier heute wieder vorgelegt haben.
Herr Stoltenberg, es mag ja durchaus sein, daß diese Form der Geldbeschaffung über den Bundesbankgewinn vernünftig ist, aber das Ganze paßt nicht in ein Konzept, das Verschuldung und Zinsen senken soll. Diese Form der Geldbeschaffung ist in Wahrheit nichts anderes als Ersatz für Verschuldung. Die Ausweitung des Bundesbankgewinns hat keine zinssenkende, sondern eher eine zinssteigernde Wirkung.
Im übrigen ist auch Ihre These vom Herausdrängen der privaten Kreditnehmer aus dem Kreditmarkt durch staatliche Verschuldung nirgendwo wirklich bewiesen.
({17})
- So ein Quatsch! Sagen Sie doch einmal etwas Ernsthaftes, dann kann man darauf eingehen, aber nicht einen solchen Unsinn.
({18})
Meine Damen und Herren, ich könnte diese Konfrontation von finanzpolitischer Dichtung und Wahrheit noch an vielen anderen Bereichen durchexerzieren. Dann würde sich z. B. auch zeigen, daß Sie Ihre Absicht, Subventionen abzubauen, in der Praxis in ihr Gegenteil verkehren. Bestehende Subventionen sind gerade nicht abgebaut worden. In dem Bereich der Subventionen stehen weiterhin konzeptionslose Konservierungspolitik und wildwüchsige Modernisierungspolitik unverbunden nebeneinander. Es ist erst wenige Monate her, daß Sie den Landwirten einen umsatzsteuerlichen Kürzungsanspruch zugestanden haben, der 1985 Mindereinnahmen in Milliardenhöhe und dabei gleichzeitig eine Einkommensverzerrung nach Betriebsformen und Betriebsgrößen produzieren wird. Was Sie Wettbewerbsförderung nennen, das dient vor allem der Förderung der Großunternehmen.
({19})
Meine Damen und Herren, das alles macht deutlich: Schöne Worte und Wirklichkeit liegen weit auseinander. Es zeigt darüber hinaus, daß das, was Sie Konsolidierung nennen, Herr Stoltenberg, in weiten Bereichen nichts anderes ist als bloßer Etikettenschwindel.
Ihr wirtschafts- und finanzpolitisches Konzept ist letzten Endes Ausdruck einer Zielsetzung, die lautet: mehr Markt, weniger Staat. Herr Stoltenberg hat das so ausgedrückt: Der Abbau der Staatsquote muß weitergehen. Sie wollen bürokratische Schwerfälligkeiten und Ineffizienzen im staatlichen Bereich - die wir kritisieren - mit einer Privatisierungsstrategie austreiben, die in ihrer Vorstellung am Ende nur auf eine gigantische Umverteilung und eine Reduzierung der sozialen Versorgung für die, die es am nötigsten brauchen, zur Folge haben wird. Und dabei tun Sie so, als ob nicht schon seit Jahrzehnten bekannt wäre, wohin diese Form des Steinzeit-Liberalismus führen würde. Der moderne Wohlfahrtsstaat, dessen bürokratische Formen wir GRÜNEN kritisieren, ist doch gerade Ergebnis des historischen Versagens solcher Gesellschaftsmodelle, wie Sie sie wieder favorisieren.
Die Bundesregierung beweist in ihrer politischen Praxis ohnehin ein ganz besonderes Verständnis von Privatisierung. Für die Arbeitnehmer soll mehr und mehr das Prinzip der Privatisierung des Risikos gelten, wenn sie in eine Notlage geraten. Sollten die Unternehmer dagegen in eine Notlage kommen, z. B. in die Notlage - in die sogenannte Notlage, müßte man besser sagen -, daß in ihrem Betrieb mit veralteter Technologie produziert werden soll, dann allerdings können diese Unternehmer sicher
Kleinert ({20})
sein, daß durch rechtzeitige staatliche Unterstützung für die Bereitstellung einer neuen Technologie gesorgt wird. Hier wird dann das Risiko sozialisiert, und das ist die Gesellschaftspolitik, die Sie sich vorstellen.
Meine Damen und Herren, wo so großzügig an der steuerlichen Entlastung der Unternehmen und der Vermögenden gearbeitet wird, wo fehlende Betriebsprüfungen und großzügige Steuerstundungen den Unternehmen zahlreiche Möglichkeiten der Steuerhinterziehung eröffnen, wo eine Steuerreform angekündigt ist, die wieder vor allem die Bezieher höherer Einkommen entlasten wird, da wollen natürlich dann auch die nicht abseits stehen, die diese milden Gaben bereitstellen.
({21})
Daß immer mehr Menschen mit den Sozialhilfesätzen ihr Dasein fristen müssen, hindert manch einen der tapferen Sparpolitiker in diesem Hohen Hause nicht daran, sich selbst aus der Staatskasse reichlich zu bedienen. Und das gilt nicht nur für Diätenerhöhungen. Wenn die Spenden aus der Industrie einmal nicht mehr so kräftig sprudeln, dann sehen unsere Sparpolitiker keinen Grund, bei den Globalzuschüssen für ihre parteinahen Stiftungen nicht mal eben noch 20 Millionen DM draufzulegen.
({22})
Und wenn frühere Mitglieder dieser Bundesregierung, wie Herr Lambsdorff,
({23})
im Zusammenhang mit ihrer vielleicht allzu großzügigen Amtsführung in Kalamitäten kommen, dann scheuen Sie sich auch nicht, sich selbst mit großzügigen Rechtsbeihilfen aus dem Bundeshaushalt zu bedienen.
({24})
Und damit das keiner merkt, werden solche Ausgaben unter sachfremden Titeln versteckt und durch Vorschriften legitimiert, für deren Anwendung keinerlei Voraussetzungen vorliegen.
({25})
Meine Damen und Herren, hier wird offensichtlich der Bundeshaushalt als Selbstbedienungsladen für bedürftige Politiker zweckentfremdet.
({26})
Für diesen Sachverhalt gibt es nur eine alte Weisheit, die hier zutrifft, die lautet: Wer hat, dem wird gegeben. Das gilt wohl auch ganz besonders hier in Bonn und ganz besonders auf dieser Seite in diesem Hohen Hause.
({27})
Dieser Bundeshaushalt ist ein neuer Beweis dafür, daß Sie weder auf die Ausbreitung einer neuen gesellschaftlichen Armut noch auf die Notwendigkeit einer effektiven Umweltpolitik wirklich eine Antwort wissen. Was Sie anzubieten haben, sind allenfalls Ladenhüter aus der Mottenkiste neoliberaler Wirtschaftskonzepte, deren Untauglichkeit zur Lösung der Probleme ebenso deutlich ist wie die Untauglichkeit solcher Vorstellungen, die das wirtschaftspolitische Allheilmittel in quantitativ orientierten staatlichen Modernisierungsprogrammen sehen. Ihr Wachstumsmodell wird vor der ökologischen Krise ebenso wie vor der alten und neuen sozialen Frage versagen.
Meine Damen und Herren, es gibt doch faktisch längst eine Entkoppelung von Wachstum und Beschäftigung. Das sollten Sie mal zur Kenntnis nehmen. Es geht nur darum, daß man daraus endlich politische Konsequenzen zieht. Wer vom Steigen des gesamtwirtschaftlichen Wachstums Lösungen der Beschäftigungskrise erwartet, der wird Schiffbruch erleiden. Wenn Sie dies endlich einmal zur Kenntnis nehmen würden, könnten Sie vielleicht auch einmal begreifen, woran sich eine vernünftige, eine ökologische und soziale Haushalts- und Wirtschaftspolitik orientieren müßte.
({28})
Wir behaupten nicht, daß wir die Patentrezepte in der Tasche hätten; aber schon die ökologische Zerstörung, die wir täglich beobachten müssen, zeigt, daß die Notwendigkeit eines Umbaus der Wirtschaft nicht zu bestreiten ist.
({29})
Weil wir das für nötig halten, haben wir zu diesem Bundeshaushalt ein Entgiftungsprogramm vorgelegt, haben wir ein Programm zur Bekämpfung der neuen Armut vorgelegt, und wir haben zahlreiche Vorschläge vorgelegt, die aufzeigen, wie man diesen Bundeshaushalt so umverteilen könnte, daß Lösungen, die in eine andere Richtung gehen, wirklich angegangen werden können.
Wenn Sie diese Vorschläge aufmerksam prüfen, würden Sie schnell merken, daß wir nicht in die Steinzeit zurückwollen und daß wir uns auch nicht einbilden, daß man aus der Industriegesellschaft einfach mal so aussteigen könnte.
({30})
Aber Sie verzichten ja darauf, sich das einmal ernsthaft anzugucken. Und Sie führen lieber Ihre Auseinandersetzungen mit uns unterhalb der Gürtellinie, wie wir das gestern erst wieder feststellen mußten.
Ich komme zum Schluß.
({31})
Was wir wollen, ist ganz einfach zu umschreiben: Wir wollen diese Gesellschaft so umbauen, daß wir auch übermorgen noch in ihr leben können. Das wird nicht gehen, wenn auf den alten Wachstumspfaden weitergegangen wird.
({32})
Kleinert ({33})
Herr Stoltenberg hat vor einer Woche einen Satz gesagt, dem ich nur zustimmen kann. Ich zitiere ihn zum Abschluß:
Es wird Jahrzehnte dauern, bis zurückliegende Ereignisse für heute zu treffende Entscheidungen keine Rolle mehr spielen, und so gesehen werden wir sicherlich noch eine geraume Zeit mit Fehlern der Vergangenheit zu kämpfen haben.
Herr Stoltenberg, dem kann ich nur zustimmen. Sie haben aber vergessen, darauf hinzuweisen, daß dieser Satz auch in Zukunft gilt und daß dieser Satz auch dafür gilt, wenn wir einmal damit befaßt sein müssen, die Lasten Ihrer Politik abzutragen.
Vielen Dank, meine Damen und Herren.
({34})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Solms.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sollten dem Herrn Abgeordneten Kleinert zuhören, damit wir etwas lernen. - Das Zuhören ist mir schwergefallen, gelernt habe ich nichts.
({0})
Meine Damen und Herren, wenn Sie Interesse haben, zu wissen, was die Steuerpolitik der GRÜNEN bedeutet, darf ich Ihnen einmal den Katalog, den ich aus deren Programm herausgeschrieben habe, vorlesen, Forderungen der GRÜNEN bezüglich der Steuerpolitik: deutliche Anhebung des Spitzensteuersatzes bei der Einkommensteuer,
({1})
Abschaffung des Ehegattensplittings, Einführung einer nicht rückzahlbaren Ergänzungsabgabe,
({2})
Einführung einer Arbeitsmarktabgabe für Selbständige und Beamte,
({3})
Streichung sämtlicher steuerlicher Hilfen im Wohnungsbau, Besteuerung bestimmter Rohstoffimporte,
({4})
höhere Besteuerung von sogenannten Genuß- und Luxusgütern, Erhöhung der vor allem von Betrieben zu zahlenden - und damit Arbeitsplätze belastenden - betrieblichen Vermögensteuer.
({5})
Das ist nur ein kleiner Auszug daraus.
Ich darf die Kollegen von der SPD warnen und auffordern, sich, wenn sie sich weiterhin der Politik der GRÜNEN so stark anpassen, wie sie das in den letzten Jahren getan haben,
({6})
zu überlegen, wo es dann hingeht mit der Wirtschaft- und Steuerpolitik in der Bundesrepublik.
In der Regierungserklärung vom 4. Mai 1983 hatte sich die Koalition aus CDU/CSU und FDP das Ziel gesetzt, die Sanierung der öffentlichen Haushalte energisch in Angriff zu nehmen. Sie hatte sich das Ziel gesetzt, zur Wiederbelebung der Wirtschaftstätigkeit, der unabdingbaren Voraussetzung für den Abbau der Arbeitslosigkeit, das steuerpolitische Instrumentarium einzusetzen, und sie hatte sich vorgenommen, für einen besseren Familienlastenausgleich zu sorgen. Wo stehen wir heute? Das ist die Frage.
({7})
Die Situation der öffentlichen Haushalte aller Gebietskörperschaften hat sich entscheidend verbessert. Die Wirtschaft ist wieder angekurbelt worden. Wir haben in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von rund 2,5 %.
({8})
Der Sachverständigenrat sagt 3 % für das nächste Jahr voraus. Die Leistungsbilanz ist positiv, die Inflationsrate unter 2 % gedrückt, die Zinsen sind auf 7 % gefallen, der Arbeitsmarkt hat sich stabilisiert - nicht verbessert aber stabilisiert -, die Ausbildungssituation ist dramatisch verbessert worden, es sind 720 000 neue Ausbildungsverträge geschlossen worden - eine enorme Anstrengung der vielen hunderttausend Handwerksbetriebe, kleinen Unternehmen, Selbständigen und Freiberufler in diesem Lande.
({9})
Ich als Mittelständler kann nur bestätigen: Die Bundesregierung ist auf dem richtigen Weg. Wir sind noch nicht am Ziel, aber das Klima in der Bundesrepublik hat sich verbessert. Die Leute sind bereit zu investieren, Risiken einzugehen, sich für dieses Land einzusetzen und damit Arbeitsplätze, neue, zukunftsträchtige Arbeitsplätze, zu schaffen.
({10})
Und in dieser Situation kommt der geniale Einfall Ihrer Seite, eine Zusatzsteuer zu beantragen.
({11})
Wer nur ein bißchen von Volkswirtschaft versteht, greift sich an den Kopf, was das soll.
({12})
- Darauf komme ich gleich.
Sie betreiben mit den Argumenten von vorgestern Politik von gestern. Aber die ist gescheitert. Schon 1971 auf Ihrem Steuer-Sonderparteitag hat Karl Schiller gesagt: Genossen, laßt die Tassen im Schrank.
({13})
Das haben Sie bis heute anscheinend noch nicht verstanden.
({14})
Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang vielleicht einmal vorlesen, was der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt am 20. Juli 1982 an den Vorsitzenden des DGB, Herrn Breit, geschrieben hat:
Eine Finanzierung von investiven Ausgaben durch eine Erhöhung von Ausgaben, Steuern oder Sozialversicherungsbeiträgen wäre der falsche Weg. Sie wissen, daß ich persönlich einer Ergänzungsabgabe für Bezieher hoher Einkommen durchaus hätte Sympathie abgewinnen können, wenn sie nicht gleichzeitig zu einer Belastung der mittelständischen Unternehmen und des Handwerks geführt und damit kontraproduktiv gewirkt hätte. Eine höhere Belastung der Arbeitnehmer durch Ausgaben ist für mich nicht vertretbar.
So der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt. Diesen Argumenten schließe ich mich hundertprozentig an.
Mit den Appellen an niedere Gefühle in der Bevölkerung, Neid, Mißgunst, Mißtrauen, erreichen Sie nichts, tragen Sie nicht zur Verbesserung des Klimas bei. Vielmehr schädigen Sie damit das Klima, vielmehr machen Sie damit die Möglichkeit zunichte, neue Arbeitsplätze zu schaffen. Dafür müssen Sie sich verantworten.
({15})
Es gibt natürlich auch aus anderen Parteien Ratschläge aus der Provinz; ich möchte sagen: wichtigtuerische Ratschläge.
({16})
In diesem Zusammenhang möchte ich nur einmal fragen: Wo wird die Verantwortung für die Finanz-und Wirtschaftspolitik der Bundesrepublik getragen? Hier durch den Wirtschaftsminister und den Finanzminister und nicht durch Provinzpolitiker, wo immer sie auch herkommen mögen.
({17})
Ich will dazu noch etwas aus der Sicht der kleinen Unternehmen sagen. Die Interessengegensätze im kleinen Unternehmen, die Sie auf seiten der Opposition heraufbeschwören, zwischen Arbeitnehmern, leitenden Angestellten und Unternehmer existieren nicht. Sie sind insofern von der Praxis längst zu weit abgehoben. Die Leute arbeiten alle zusammen, sie ziehen an einem Strang, weil sie wissen: Nur wenn sie gemeinsam Erfolg haben, können ihre Arbeitsplätze gesichert und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden.
({18})
Lassen Sie diese dumme Unterstellung, den Reichen werde gegeben, den Armen werde genommen.
Wir tragen mit dieser Steuer- und Finanzpolitik
dazu bei, daß die Gesamtsituation verbessert wird und daß wir wieder neue Arbeitsplätze schaffen können.
({19})
Wir befinden uns mit der Bundesrepublik Deutschland ja nicht in einer Insellage. Wir stehen im Wettbewerb mit allen Industrienationen. Wenn Sie heute auf internationale Messen gehen - beispielsweise der Mikroelektronik -, werden Sie als Deutscher nur noch als Kunde empfangen, weil man den Deutschen gar nicht mehr zutraut, daß sie in diesem Bereich moderner Technologien überhaupt etwas Konkurrenzfähiges anbieten können. In der Situation sind wir heute, und diese gilt es zu ändern. Das können Sie eben nur, indem Sie hier das Klima verbessern, indem Sie Risikobereitschaft auslösen, indem Sie die vielen tausend kreativen Kräfte dazu anregen, etwas zu tun, damit die Wirtschaft wieder nach vorne kommt.
Ich darf Ihnen zum Schluß ein Zitat des Herausgebers der „Wirtschaftswoche" Professor Engels vorlesen,
({20})
dem ich insoweit durchaus zustimme. In der Bevölkerung ist nämlich gar nicht das Verständnis dafür vorhanden, daß Steuererhöhungen angemessen wären. Wenn Sie einen sozialen Beitrag leisten wollen, dann können Sie nur die Belastung der unteren und mittleren Einkommensbezieher zusätzlich ermäßigen. Das - und nicht eine Steuererhöhung - wäre ein sozial- und wirtschaftspolitisch vernünftiger Beitrag.
({21}) Herr Engels schreibt in seinem Beitrag:
Für allgemeine Steuersenkungen gibt es einen besseren Grund. Wenn der Staat allein 600 DM von jedem Haushalt verbraucht, um seine Bahn zu subventionieren, wenn er Riesenbeträge aufwendet, um Lebensmittel zu vernichten oder in die Sowjetunion zu exportieren, wenn zur angeblichen Rettung von Arbeitsplätzen Beträge aufgewandt werden, mit denen man den betroffenen Arbeitern ein Luxusleben ohne Arbeit bescheren könnte, dann hat der Bürger vernünftigere Verwendungsmöglichkeiten für sein sauer verdientes Geld als der Staat.
Das ist die Stimmung, die Sie draußen bei der Bevölkerung antreffen. Diese Stimmung müssen Sie aufgreifen und können nicht an Ihren überkommenen und veralteten Ideologien festhalten.
Danke schön.
({22})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wieczorek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man sich die Diskussion zur Steuerpolitik nach dem Debakel mit der Investitionsabgabe anhört, bekommt man wirklich lang7812
sam das Gefühl, als würde das absurde Theater, das Sie 1982/83 aufgeführt haben, noch einmal von genau derselben Schauspielertruppe aufgeführt.
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Da gibt es die sozial angewandelten Christdemokraten, die plötzlich wieder einmal die soziale Symmetrie entdecken, nachdem sie zwei Jahre lang genau das Gegenteil gemacht haben. Da gibt es die FDP, die zumindest ehrlicher ist und im doppelten Wortsinn „unverblümt" nur noch die Interessen der Wohlhabenden in der Gesellschaft vertritt.
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- Ich habe leider nicht genügend Zeit für eine Zwischenfrage. Ich bitte um Verständnis.
Herr Abgeordneter, gilt das generell für die Beantwortung von Zwischenfragen? - Gut.
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Ich lese gar nicht vom Zettel, meine Herren, denn soviel Zeit habe ich gar nicht. Es ist ja ein Vergnügen, nach dem Kollegen Solms darauf hinzuweisen, was die Rolle der FDP heute noch ist. Das kann man sehr deutlich machen.
Dazu nur eine Bemerkung. Ich erwarte von Ihren Gesprächen nicht, daß dabei noch etwas sozial Ausgewogenes herauskommt. Jetzt reden Sie ja nur noch über die Verschiebung von Steuervergünstigungen.
Herr Bundesfinanzminister, der Kollege Apel hat heute morgen recht gehabt: Nach Ihrer Tarifreform wird es künftig so aussehen, daß die Grenzsteuerbelastung für die unteren Einkommen steigt, aber für die höheren Einkommen sinkt; so zumindest die Äußerung Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs Häfele hier im Bundestag. Entweder hat er das nicht richtig gesagt, oder Sie haben vorhin dem Kollegen Apel fälschlicherweise unterstellt, er habe hier etwas Falsches gesagt.
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Wenn das aber so ist, dann brauchen wir auch nicht darauf zu hoffen, daß dabei etwas herauskommt. Ihre Politik, Leistung nach Ihrem Verständnis nur bei den Reicheren anzuerkennen, aber die Ärmeren für die Reicheren leisten zu lassen, wird sich fortsetzen.
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Meine Damen und Herren, es ist ja nicht umsonst der Eindruck entstanden, daß Sie die Investitionsabgabe nur augenzwinkernd beschlossen haben, denn die verfassungsmäßigen Bedenken kannten Sie vorher genau. Wenn Sie es trotzdem gemacht haben, dann dürfen Sie sich nicht wundern, daß heute der Verdacht geäußert wird, daß Sie sie augenzwinkernd nach dem Motto beschlossen haben:
Das Verfassungsgericht wird sie uns schon zurückgeben. - Das ist ja auch passiert.
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Die Eile, mit der jetzt überall die Rückzahlung betrieben wird, steht ja in einem auffälligen Mißverhältnis zu sonstigen Steuererstattungen. Vielleicht hat das dort auch seinen Hintergrund.
Weil wir dazu eine andere Auffassung haben, sind wir nach wie vor der Meinung, daß nur eine echte Ergänzungsabgabe den rechtlichen und den sozialen Anforderungen gerecht wird. Die rechtlichen Anforderungen haben Sie selbst anerkannt, Herr Stoltenberg; das sei anerkannt.
Deswegen bringen wir heute auf Drucksache 10/2460 unseren Vorschlag für eine Ergänzungsabgabe ein, der vorsieht, daß bei Alleinstehenden mit mehr als 50 000 DM zu versteuerndem Einkommen und bei Verheirateten mit mehr als 100 000 DM im Jahr für den Zeitraum von 1985 bis 1987 ein Zuschlag in Höhe von 5 % der Einkommen- und Körperschaftsteuer erhoben wird. Das bringt uns für diesen Zeitraum nach unserer Schätzung rund 14,8 Milliarden DM an zusätzlichen Einnahmen. Das wäre ein spürbarer Beitrag der Einkommensstarken zur Bewältigung der Folgen der Weltwirtschaftskrise, die bei Ihnen, Herr Stoltenberg, heute morgen gar nicht mehr vorkam. Als Sie die Inflationsraten unter der sozialliberalen Regierung genannt haben, haben Sie ganz diejenigen unter Ihrem großen Freund in Amerika vergessen. Die waren j a wohl eine Ecke höher.
Es geht darum, genau diese Folgen zu bekämpfen. Dabei geht es nicht nur um soziale Ausgewogenheit; es geht vor allen Dingen um die Bewältigung der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit von über 2 Millionen.
Genau hierfür hat das Grundgesetz die Ergänzungsabgabe vorgesehen. Aus dem beschäftigungspolitischen Ungleichgewicht, das wir konstatieren können - sprich: der Arbeitslosigkeit -, folgt eben die Verpflichtung, auch bei einem defizitären Haushalt die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Die Ergänzungsabgabe ist dafür das geeignete Mittel.
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Bei der beschäftigungspolitischen Tatenlosigkeit dieser Regierung überrascht es ja auch nicht, daß selbst der Ihnen so freundlich gesonnene Sachverständigenrat gar nicht auf die Idee kommt, daß Aussichten bestehen, daß die Arbeitslosigkeit abnehmen wird. Wir sind dagegen der Überzeugung, daß mit unserer Ergänzungsabgabe die Maßnahmen im Umweltbereich, bei der Wasserwirtschaft, bei der Abfallwirtschaft, im Nahverkehr finanziert werden können, die für mehrere hunderttausend Menschen zusätzliche Dauerarbeitsplätze schaffen können.
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Unser Programm „Arbeit und Umwelt" weist Ihnen das im einzelnen nach. Es liegt Ihnen vor.
Es ist ja wohl kein Zufall, daß der Deutsche Landkreistag gerade festgestellt hat, daß er 9 Milliarden investieren könnte, wenn er sie hätte. Es ist wohl
ebensowenig ein Zufall, daß Herr Biedenkopf, der in der Distanz, in der er zu dieser Regierung steht, offensichtlich zu seinem professoralen klaren Denken zurückkommt, die Notwendigkeit einer Ergänzungsabgabe für die Finanzierung von Investitionen im Umweltbereich anerkannt hat. Dabei gibt es auch keineswegs einen Widerspruch, wie Sie in der Koalition so gern behaupten, zwischen privaten und öffentlichen Investitionen. Es geht vielmehr darum, in den von uns genannten Bereichen öffentlichen und privaten Investitionsbedarf durch die Mobilisierung der entsprechenden Finanzmittel zu konkreter Investitionsnachfrage werden zu lassen.
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Aber ohne die Erschließung dieser Nachfragefelder bleibt es eine Illusion, allein auf die autonome private Investitionsnachfrage zu hoffen. Denn bei den gegebenen Verteilungsstrukturen reichen die heute vorhandenen Produktionskapazitäten aus. Investitionen gibt es im privaten Bereich im Moment doch nur im Bereich der Rationalisierung. Das aber bedeutet mehr Arbeitsplatzverluste. Freie Mittel, die vorhanden sind, gehen ja nicht in Investitionen, sondern im wesentlichen in real hochverzinsliche Geldanlagen und in Spekulationsgeschäfte. Davon haben die Arbeitslosen aber überhaupt nichts.
Wenn ich mir dann noch ansehe, daß wir eine Nettokreditaufnahme zwischen 25 und 30 Milliarden haben - das hängt von den Steuereinnahmen ab; auf die Steuerschätzung werde ich gleich noch eingehen -, dann ist wohl auch finanztechnisch klar, daß die Ergänzungsabgabe begründet ist. 1968 genügte bei der damaligen Situation auch nach Meinung der Christdemokraten eine Nettokreditaufnahme von 5,8 Milliarden, um eine Ergänzungsabgabe zu begründen. Um wieviel mehr ist sie heute berechtigt.
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Damit Sie hier „klar Schiff!" bekennen können, beantrage ich im Namen der Fraktion der SPD, daß eine namentliche Abstimmung zu dem Haushaltstitel, den wir in der Drucksache 10/2528 genannt haben, heute hier stattfindet.
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Aber mit der Nettokreditaufnahme bin ich bei dem zweiten Widerspruch, nämlich bei dem Widerspruch in der letzten Steuerschätzung, die uns Mitte November vorgelegt wurde. Da wird mitgeteilt, daß die erwarteten Steuereinnahmen des Bundes 1984 um 2,9 Milliarden, 1985 um rund 4 Milliarden unter den Schätzungen, die ja erst vom Juni sind, liegen werden. Für diese Mindereinnahmen haben Sie, Herr Stoltenberg, flugs an erster Stelle Streiks und die Preisentwicklung genannt. Aber einen wesentlichen Teil, und zwar mehr als 50 %, machen j a wohl die Subventionen aus, die Sie den großen landwirtschaftlichen Betrieben zahlen, nämlich 1,6 Milliarden 1984 und 2,6 Milliarden 1985.
Doch es sind nicht nur diese inneren Widersprüche, die verblüffen. Verblüffen muß vielmehr auch, daß wenige Tage später, praktisch zum gleichen
Zeitpunkt, der Sachverständigenrat eben Ihrer Regierung mit einer sehr viel optimistischeren Schätzung der wirtschaftlichen Entwicklung an die Öffentlichkeit tritt, die sofort von Ihnen, Herr Stoltenberg, in einem langen Artikel im „Handelsblatt" als Beweis für den Erfolg Ihrer Politik gefeiert wird und die der Herr Bundeskanzler am Dienstag in dieser Haushaltsdebatte strahlend den so offensichtlichen Schwierigkeiten seiner Regierung entgegenstellte - er braucht ja etwas zum Sonnen -.
Aber der Widerspruch, warum man einerseits in der eigenen Steuerschätzung Mitte November von einem nominalen Wachstum des Bruttosozialprodukts von 4,3 % für 1984 und 4,7 % für 1985 ausgeht und daraufhin seine Steuerschätzung mindert, nachdem man noch im Juni mit 5,3 und 5,6 % gerechnet hatte, also jetzt viel pessimistischer ist, und andererseits jubelnd dem Sachverständigenrat zustimmt, der 1984 ein nominales Wachstum von 4,5% und 1985 von 5,5% schätzt, ist unaufgeklärt. Entweder glaubt diese Regierung und glauben Sie, Herr Finanzminister, nicht an den Optimismus des Sachverständigenrats, oder aber Sie haben Ihre Steuerschätzung bewußt zu niedrig angesetzt.
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Es gibt zwar gute Gründe, die Prognosen des Sachverständigenrats zu bezweifeln; hat er es doch in den 15 Jahren von 1967 bis 1982 gerade zweimal geschafft, in seiner Schätzung um weniger als 0,5% vom tatsächlichen Wachstum entfernt zu liegen. Das ist aber keine Ausrede, wenn man sich jetzt dauernd auf seine Schätzungen beruft und so tut, als seien diese sozusagen das Gütesiegel für die Politik dieser Regierung. Da muß man dann auch bei der Steuerschätzung sagen: Entweder - oder.
Aber es gibt noch eine weitere Merkwürdigkeit: Dem aufmerksamen Beobachter fällt nämlich auf, daß das Ergebnis der Steuerschätzung nur für 1984 und 1985 gesenkt wurde, für die restlichen Jahre des Finanzplanungszeitraums aber nicht. Heißt das, Herr Minister, daß Sie mit der wohltätigen Wirkung weiterer heimlicher Steuererhöhungen rechnen? Heißt das, daß Sie mit einem höheren nominalen Wachstum rechnen, und wenn ja, liegt Ihre Hoffnung dann darin begründet, daß es ein höheres reales Wachstum oder wieder höhere Inflationserwartungen geben wird?
Die Antwort auf diese Widersprüche, Herr Stoltenberg, sind Sie auch heute in Ihrer Rede schuldig geblieben, aber sie ist fällig, diese Antwort. Denn es geht ja nicht um die ökonomischen Glasperlenspiele der volkswirtschaftlichen Schätzungen, sondern darum, für die heutige Politik die Finanzsituation des Bundes und natürlich auch die der Länder und Kommunen für die nächsten Jahre abzuschätzen. Es geht darum, festzustellen, welcher Spielraum für die gesamte Beschäftigungspolitik, für dringend notwendige Investitionen der öffentlichen Hände tatsächlich erwartet werden kann. Es geht darum, welche sozialen Verbesserungen nach den radikalen Einschnitten im sozialen Netz tatsächlich finanzierbar sind. Es geht darum, zu verhindern, daß den Schwächeren unter dem Stichwort „Konsolidierung" neue Lasten aufgebürdet werden. Es geht
vor allem auch darum, Spielräume für Steuer- und Subventionsgeschenke für die Hätschelkinder dieser Koalition nicht klammheimlich entstehen zu lassen.
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Wer, wie Sie, Herr Bundesfinanzminister, so viel Wert auf den Begriff der Klarheit legt, muß hier endlich Klarheit schaffen. Es ist Ihre Aufgabe, hier und heute klare Vorgaben für den Finanzierungsrahmen zukünftiger Politik zu setzen. Es darf nicht Ziel Ihrer Politik sein, sich durch unklare Schätzungen die Möglichkeit zu verschaffen, in zwei Jahren dem staunenden Wähler zu verkünden, daß die Haushaltslage ja doch viel besser sei als angenommen. Der Arbeitslose, der arbeitslos bleibt, weil Sie jetzt, obwohl Mittel vorhanden wären, keine Beschäftigungsmaßnahmen treffen, und die Rentner, die jetzt eine Kürzung ihres Realeinkommens zu erwarten haben, werden Ihnen das dann mit Sicherheit danken. Das soll uns nur recht sein,
({10})
aber, es hilft den Leuten nicht. Deswegen muß hier und heute Klarheit geschaffen werden.
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Es muß - dies ist mein letzter Satz - ein Ende mit den Verwirrspielen dieser Regierung, was ihre eigenen Zahlen angeht, haben.
Danke sehr.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krizsan.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst Herrn Solms schönen Dank, daß er für die Weiterverbreitung unseres Programms gesorgt hat. Das hilft uns sicherlich weiter als Ihnen.
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Meine Damen und Herren, Ihnen liegt auf der Drucksache 10/2521 ein Entschließungsantrag unserer Fraktion auf sofortige Änderung des Einkommensteuertarifs und des Körperschaftsteuersatzes vor.
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Wir schlagen eine 5%ige Erhöhung des Steuersatzes für Körperschaftsgewinne und eine 5 %ige Erhöhung des Steuersatzes für zu versteuernde Einkommen ab 50 000 DM vor.
Seit dem Wegfall der Investitionshilfeabgabe ist in dem Streit um das Für und Wider einer Ergänzungsabgabe, der immer wieder eine Änderung der vorgesehenen Steuersenkungen als Alternative gegenübergestellt wird, von Ihnen auf der rechten Seite viel von sozialer Symmetrie die Rede gewesen. Ich halte diesen Ausdruck für eine Verschleierung der Realitäten. Das, was wir hier im Bundestag an kurzfristig einsetzbaren Instrumenten beschließen können, kann ohnehin nur zu einer Verringerung der Asymmetrie, nicht aber zu einer sozialen Symmetrie führen. Aber es ist dringend geboten, wenigstens die verschärfte Asymmetrie etwas zu beseitigen. Dazu, wie das mit der Symmetrie wirklich aussieht, hat Hubert Kleinert soeben schon die Zahlen genannt, vor allen Dingen auch die Zahlen hinsichtlich der Steigerung des Nettoeinkommens aus Unternehmertätigkeit und Vermögen.
Wir machen unseren Vorschlag hier, um, wie wir meinen, einen Weg zu finden, diese Asymmetrie zu verringern. Zumindest die FDP und die CSU werden gegen unseren Vorschlag sofort ihre geistige Dachlatte von der Leistungsfeindlichkeit schwingen.
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- Da kommt schon, wie vorausgesagt, die Bestätigung dessen. ({3})
Meine Damen und Herren, hier wird ein Widerspruch zwischen Verteilungsgerechtigkeit und Arbeitsleistung suggeriert, der meines Erachtens so überhaupt nicht besteht
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und der auch als Rechtfertigung dient, hohe Einkommen ungeschoren zu lassen. Wie wäre es sonst zu erklären, daß Sie auf dieser Seite des Hauses die erhöhte Belastung des Weihnachtsgeldes für Millionen von Arbeitnehmern für wirtschaftspolitisch verkraftbar halten? Bei dem von Ihnen unterstellten Zusammenhang zwischen Abgabenbelastung und Leistungswillen hätten Sie doch befürchten müssen, daß im Dezember, wenn nämlich die erhöhten Abgaben aus dem Weihnachtsgeld fällig werden, die deutsche Wirtschaft zusammenbricht, weil Millionen Arbeitnehmer die Arbeit hinschmeißen.
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Ich möchte nun in vier Punkten begründen, warum wir eine Tarifänderung an Stelle einer Ergänzungsabgabe vorschlagen.
Erstens ist eine Tarifänderung der verfassungsrechtlich unbedenklichste Weg. Zum einen ist hierbei die Kompetenzfrage völlig geklärt, zum anderen entfällt das Problem, daß im Falle einer Sonderabgabe ein spezifischer Finanzbedarf vorliegen muß, der nicht durch die übliche Besteuerung abgedeckt werden kann.
Zweitens halten wir eine Tarifänderung auch für den sachlich richtigen Weg.
Drittens halten wir es nicht für angebracht, die Erhöhung der Belastung von vornherein zeitlich zu befristen, wie die SPD es vorschlägt, denn z. B. die
Konsolidierungsopfer der oft angesprochenen Rentner sind ja zeitlich auch nicht befristet.
Viertens - das ist für mich hierbei der wichtigste Punkt - ist zu bedenken, daß eine Sonderabgabe nur dem Bundeshaushalt zugute kommt, denn die Ertragshoheit für eine solche Abgabe liegt nur beim Bund. Ein finanzieller Bedarf liegt dagegen nicht nur hier vor; wir meinen vielmehr, daß auch die Finanzsituation der Gemeinden dringend verbesserungswürdig ist.
({6})
Der Bund hat sich ständig auf Kosten der Kommunen konsolidiert. Wir halten es deshalb für nicht befriedigend, wenn der Bund seine Gesetzgebungskompetenz im Abgabenbereich wieder nur zu seinen Gunsten einsetzt.
({7})
Das Mehraufkommen aus der von uns vorgeschlagenen Tarifänderung kommt dagegen dem Bund, den Ländern und den Gemeinden zugute. Wir schlagen zum Schluß vor, diese Tarifänderung zum 1. Januar 1985 in Kraft treten zu lassen.
Ich bitte Sie darum, diesem Antrag zuzustimmen.
Danke schön.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Austermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch der Einsatz der Wieczorek-Zwillinge hat nicht ausgereicht, das zu rechtfertigen und zu belegen, was Sie hier hinsichtlich der Gemeindefinanzen und der Situation auf dem Arbeitsmarkt behauptet haben. Ich möchte eine ganz klare Feststellung treffen: Der Bundeshaushalt 1985 wirkt positiv auf den Arbeits- und Kapitalmarkt.
({0})
Das wird erkennbar, wenn man die Investitionsquote, vor allem die Investitionsquote der Vorjahre, ins Verhältnis zur Neuverschuldung setzt. Herr Wieczorek, seit drei Jahren, nämlich 1983, 1984 und 1985, wird die verfassungsrechtliche Grenze des Art. 115 des Grundgesetzes selbstverständlich wieder eingehalten. Das war bei Ihnen nicht selbstverständlich. Sie hatten ein schlechtes Verhältnis zur Verfassung. Die alte Regierung Schmidt hat diese Vorschrift mehrfach verletzt. Heute ist es selbstverständlich, daß die investiven Ausgaben wieder ansteigen.
({1})
- Natürlich, sie steigen - gemessen an der Zahl des Jahres 1981 - um fünf Milliarden DM. Das sind
- gemessen an dem von Ihnen zu verantwortenden
Bundeshaushalt 1981 - fünf Milliarden DM für zusätzliche Investitionen.
({2})
Entgegen der Kritik des SPD-Abgeordneten Roth vom Sommer 1984 hat der Bundeshaushalt damit in mehrfacher Hinsicht investive und arbeitsplatzschaffende Wirkungen. Das wird jeder einzelne Bürger im Land spüren.
Der Kapitalmarkt wird entlastet; die Zinssenkungstendenz wird weiter gefördert; die Investitionen steigen an. - Der Kollege Kleinert ist leider nicht mehr hier; sonst hätte ich ihn darüber belehren können, was das tatsächlich bedeutet. 1981 betrugen die Zinsen für Kommunaldarlehen etwa 13 %. Sie betragen heute etwa 7 %. Damit er auch da keine Schwierigkeiten hat, erläutere ich ihm die Differenz: Es sind 6% Unterschied. Wenn das keine Zinssenkung ist, dann möchte ich wissen, was sonst eine Zinssenkung ist.
({3})
Die Ausgangslage wäre für uns natürlich noch viel besser, wenn wir nicht diese enorme Schuldenlast übernommen hätten. Ich darf Ihnen einmal vorrechnen, was diese Schuldenlast tatsächlich bedeutet. Sie haben Schulden in Höhe von 250 Milliarden DM hinterlassen. Daraus ergeben sich bis 1990 zwangsläufig weitere Schuldensteigerungen auf die Größenordnung von 450 Milliarden DM. Sie selber warnen ja immer davor, daß wir uns kaputtsparen.
({4})
Wenn ich die Zinsen daraufschlage, dann ergibt sich ein Betrag von etwa 750 Milliarden DM, die zwangsläufig aus der Verschuldungspolitik Ihrer Regierungszeit entstanden sind.
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Das ist eine dreiviertel Billion. Das nenne ich den sozialdemokratischen Schuldenberg, den Monte Sozi, den man nicht deutlicher bezeichnen kann.
({6})
Der sozialdemokratische Schuldenberg beträgt eine dreiviertel Billion DM.
Sehen wir uns einmal an, wie es mit der Verschuldungsentwicklung heute tatsächlich aussieht. Wir haben den Rekordbundesbankgewinn eingeplant. Aber wir haben ihn dazu verwendet, die Schuldenlast abzubauen, die Nettokreditaufnahme abzusenken. Hätten wir nicht die Einbußen bei den Steuereinnahmen, bedingt durch die EG und durch den Streik, dann könnten wir davon ausgehen, daß wir mit Sicherheit eine Nettoneuverschuldung von etwa 20 Milliarden DM hätten. Das ist die magische Zahl, die wir brauchen, um auch bei den Zinsen langsam zu einer fallenden Tendenz zu kommen. Ich glaube, wir werden diese 20-Milliarden-DM-Grenze im Haushaltsvollzug auch 1985 erreichen.
Die SPD hat 1975 mit dem damaligen Bundeskanzler Schmidt zwei schlimme Raketen steigen lassen. Die eine war die Verschuldungsrakete, die andere die Arbeitslosigkeitsrakete. Sie haben überhaupt keine Veranlassung, uns heute vorzuwerfen,
wir täten zuwenig gegen den Abbau der Arbeitslosigkeit.
Dann zur mittelfristigen Perspektive. 1986 wird der Bund zusätzliche Belastungen für soziale Leistungen im Bundeshaushalt übernehmen: für das Erziehungsgeld, für den Kinderzuschlag für Nichtsteuerzahler, für Familienentlastung, durch die Steuerreform, durch das Babyjahr. Das sind zusätzlich 14 Milliarden DM. Trotzdem werden wir bei der Neuverschuldung eine sinkende Tendenz haben und 1987 mit der Nettoneuverschuldung wieder bei der 20-Milliarden-DM-Grenze ankommen.
Nun ein paar Worte zur Belastung der Besserverdienenden. Ich will überhaupt nicht verniedlichen, was eine große Zahl unserer Bürger, nämlich etwa 30 Millionen, durch Ihre Schuldenlast an Belastungen zu tragen haben. Aber man muß bitte auch anerkennen, daß die heimliche Steuererhöhung seit der letzten Tarifkorrektur etwa 55 Milliarden DM beträgt und daß die Besserverdienenden auch von uns bisher erheblich in Anspruch genommen worden sind. Meine Damen und Herren, wir wollen nur eine solche Beteiligung der Besserverdienenden - und dafür werden wir auch eine Lösung finden -, die die Erhaltung von Arbeitsplätzen und neue Investitionen nicht beeinträchtigt; etwas anderes wäre grundfalsch.
Wir brauchen uns auch überhaupt nicht zu verstecken, was die soziale Symmetrie betrifft. Wenn Sie die sozialen Leistungen dieser Regierung für die nächsten Jahre sehen, dann können Sie davon ausgehen, daß der Familienlastenausgleich pro Jahr um 10 Milliarden DM erhöht wird. An sich sollte man erwarten, daß die SPD nach dem, was sie 1982 hinterlassen hat, eine Schamfrist des Schweigens verstreichen läßt - etwa für eine Legislaturperiode -, des Schweigens über das, was sie selber hervorgerufen hat.
Die von Ihnen beantragte Ergänzungsabgabe ist völlig ungeeignet, weil sie investitionsfeindlich und arbeitsplatzvernichtend ist. Interessanterweise haben Sie den Teil bezüglich der Arbeitsplätze, den Sie beim letztenmal noch vorgehabt haben, weggelassen. Die Konzeption der Tarifreform würde durch die Ergänzungsabgabe im Kern getroffen. Auch international paßt das, was Sie wollen, überhaupt nicht in die Landschaft. Wir werden Ihren Antrag selbstverständlich ablehnen.
Meine Damen und Herren, noch einige Sätze zu dem Antrag, dem Saarland Hilfeleistung zu gewähren. Der Bund wird in den nächsten drei Jahren je Jahr 100 Millionen DM an das Saarland geben. Wir halten es für gerechtfertigt, die besondere Situation dieses Landes aus gesamtstaatlicher Verantwortung auf diese Weise zu berücksichtigen. Es gibt keine Veranlassung, für andere Bundesländer sich bemüßigt zu fühlen, ähnliche Anträge zu stellen. Ich darf bezüglich des Antrags des Landes Bremen kurz auf die Stellungnahme des Staatsministers Einert aus Nordrhein-Westfalen vom 5. Oktober 1984 im Bundesrat und auf Herrn Gaddum verweisen, der gesagt hat:
Ich brauche nicht zu betonen, daß, wenn eine Entwicklung auf diese Art und Weise in Gang kommt, bei der sich Nordrhein-Westfalen an eine solche Argumentation anhängt, das gesamte System des Ausgleichs zwischen Ländern und Bund ins Rutschen kommt.
Nordrhein-Westfalen hat sich bei der Abstimmung über Ihren Antrag der Stimme enthalten.
Was Bremen betrifft, so haben wir im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe mit 80 Millionen DM, mit erhöhter Werfthilfe, Seeschiffahrtshilfe und anderen Hilfen bisher mehr für dieses Bundesland getan als jede andere Bundesregierung zuvor.
Lassen Sie mich zusammenfassen. Die Sparmaßnahmen, die erheblichen Opfer, die 30 Millionen unserer Bürger erbracht haben, waren sinnvoll. Die öffentliche Verschuldung wird von Jahr zu Jahr verringert. Eine umfangreiche Steuerentlastung steht bevor. Eine neue Politik für die Familien ist eingeleitet. Der Ausgabenzuwachs liegt unter dem des Bruttosozialprodukts. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit ist gestoppt. Sie nimmt Jahr für Jahr ab. Der Bundeshaushalt 1985 und die mittelfristige Finanzplanung wirken positiv auf Arbeits- und Kapitalmarkt. Ich möchte Sie deshalb bitten, den Einzelplänen 08, 32 und 60 sowie der Saar-Hilfe zuzustimmen und den SPD-Antrag betreffend die Ergänzungsabgabe abzulehnen.
Herzlichen Dank.
({7})
Meine Damen und Herren, ich möchte darum bitten, daß Sie Platz nehmen. Wir haben noch eine Wortmeldung vorliegen. Dann treten wir in die Abstimmung ein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Waltemathe.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundesregierung hat ihren Beschluß vom 3. Juli 1984, dem Saarland eine Investitionshilfe von 300 Millionen DM zu gewähren, durch Finanzminister Stoltenberg am 4. Juli vor der Pressekonferenz damit begründet, das Saarland habe die höchste Verschuldung, eine wirtschaftliche Schieflage und besondere Arbeitsmarktprobleme aufzuweisen. Als man merkte, daß die gleichen Kriterien auch auf Bremen zutreffen, hat man noch eine Begründung nachgeschoben: Das Saarland sei erst 1957 zum Bundesgebiet gekommen und habe deshalb einen besonderen Nachholbedarf.
Nun ist es aber nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes so, daß der Bund zu besonderer Hilfe berechtigt, aber auch verpflichtet ist, wenn eine Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts vorliegt oder unterschiedliche Wirtschaftskraft im Bundesgebiet ausgeglichen werden soll. Es kommt also auf objektive und gegenwärtige Tatbestände an, nicht auf deren Ursachen.
Meine Damen und Herren, der Bremer Senat und alle politischen Kräfte in Bremen haben von AnWaltemathe
fang an die Hilfe an das Saarland für eine richtige Maßnahme gehalten.
({0})
Ebenso aber haben alle Bremer Parlamentarier des Landtages und hier im Bundestag eine gleiche Forderung an die Bundesregierung gestellt, auch dem kleinsten Bundesland Bremen wegen seiner besonderen Verschuldungs-, Arbeitsmarkt- und Strukturprobleme eine Investitionshilfe zu gewähren.
({1})
So sagte der Landes- und Fraktionsvorsitzende der Bremer CDU, Bernd Neumann, am 19. September 1984 in der Bremischen Bürgerschaft folgendes:
Deswegen will ich vorweg sagen, um nicht mißverstanden zu werden, daß ich das Begehren Bremens für berechtigt halte. Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß ich die Argumente der Bundesregierung, bezogen auf die Nichtvergleichbarkeit Bremens mit dem Saarland, nicht hinnehme.
({2})
An anderer Stelle sagte er:
Ich vertrete die Auffassung, daß bei der Gewährung von Hilfen, bezogen auf das Grundgesetz 104 a, der tatsächliche Zustand eine Rolle spielt.
Diesen Feststellungen kann ich mich vollinhaltlich anschließen. Gleiche Tatbestände, meine Damen und Herren, dürfen nach unserer Verfassung nicht ungleich behandelt werden. Annähernd 70% aller Beschäftigten im Lande Bremen arbeiten in Branchen mit einem Rückgang an Arbeitsplätzen. Trotz rigorosester, jeden einzelnen Bürger treffender Einsparungsmaßnahmen sind die Verschuldung des Landes Bremen besonders hoch, die wirtschaftliche Wachstumsrate leider weit unterdurchschnittlich und die Investitionsquote besonders niedrig.
Bremen ist nicht in der Lage, sich ausschließlich mit eigenen Bordmitteln aus der besonderen Klemme zu befreien. Das Land Bremen, seine Bürgerinnen und Bürger einschließlich der 90 000 Niedersachsen, die ihren Arbeitsplatz in Bremen und Bremerhaven haben, erwarten, daß der Bund seine Verpflichtung zur Hilfe erkennt und auch wahrnimmt.
({3})
Meine Damen und Herren, aus dem Hause Stoltenberg frisch auf den Tisch: Drucksache 10/2298, „Bericht der Bundesregierung über die Angemessenheit der mit dem Haushaltsbegleitgesetz 1983 getroffenen Regelung zum horizontalen Länderfinanzausgleich ..." Was geht daraus hervor? - Daß Bremen und das Saarland vor Finanzausgleich an letzter Stelle liegen, daß nach Finanzausgleich Bremen und das Saarland bei 95% des Bundesdurchschnitts liegen. Das Saarland erhält eine Bundesergänzungszuweisung. Dann liegt es bei 100,6%. Bremen erhält keine, hat deshalb also Finanzkraft von 95% des Bundesdurchschnitts. Daraus ziehe ich nicht den Schluß, daß dem Saarland nicht geholfen werden darf. Aber es ist zwingend, daß Bremen dann auch geholfen werden muß, da die Zahlen aus dem Hause Stoltenberg doch wohl objektiv sind.
({4})
Im Grundgesetz der Bundesrepublik ist das Gleichbehandlungsgebot verankert. Es steht nirgends geschrieben und kann ja wohl kein Verfassungsgrundsatz sein, daß die Bundesregierung es sich aussuchen kann, ausschließlich solchen Ländern zu helfen, die CDU-regiert sind und vor einer Landtagswahl stehen, und nicht auch solchen Ländern, die auf Grund des überzeugenden Ergebnisses einer Landtagswahl SPD-regiert sind.
({5})
Das Saarlandhilfegesetz enthält ja wohl auch nicht eine Klausel, nach der auch nach dem 10. März 1985 der Ministerpräsident des Saarlandes noch zwingend Zeyer heißen muß. Ich hoffe, er heißt dann nicht mehr so.
({6})
Wir können es jedenfalls nicht hinnehmen, daß Bremen notwendige Hilfe versagt wird, weil der Koschnick-Senat dieser Bundesregierung nicht paßt. Die Hilfe, derer Bremen dringend bedarf, soll nicht zu Gefallen von Politikern gewährt werden, sondern damit in einem kleinen Bundesland in einer strukturell schwierigen Region den dort lebenden Bürgern, die zur Zeit zu fast 14% arbeitslos sind, durch Investitions- und Strukturmaßnahmen Zukunftschancen eröffnet werden können.
Ich bitte deshalb das ganze Haus, den Grundsatz der Gleichbehandlung gleicher Tatbestände zu beachten und deshalb auch Bremen solche Hilfe zu gewähren, wie sie zu Recht dem Saarland zugestanden wird. Ich gehe davon aus, meine Damen und Herren von der größten Fraktion dieses Hauses, daß Sie es nicht fertigbringen, die CDU Bremens im Regen stehenzulassen. Sie werden also unserem Gesetzesantrag zustimmen.
Vielen Dank.
({7})
Das Wort hat der Minister für Rechtspflege und Bundesratsangelegenheiten des Saarlandes.
({0})
Minister Dr. Knies ({1}): Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ich werde den Eintritt der Mittagspause nicht lange verzögern,
({2}) aber der, dem geholfen wird, schuldet Dank,
({3}) und dem, der geholfen hat, gebührt Dank.
({4})
Das Saarland schuldet dem Bund Dank für die Finanzhilfen, die heute von diesem Hohen Hause beschlossen werden. Dank schulden wir Ihnen,
Minister Dr. Knies ({5})
meine Damen und Herren, die Sie heute Ihre Zustimmung zu diesem Gesetz geben werden. Dank schulden wir der Bundesregierung, nicht zuletzt dem Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, der sich auch in diesem Falle sehr nachdrücklich für das Saarland engagiert hat.
({6})
Meine Damen und Herren, das Saarland schuldet dem Bund Dank,
({7}) das Saarland sagt dem Bund Dank,
({8})
und es sagt diesen Dank aufrichtig, aber auch aufrecht, durchaus in der Haltung eines selbstbewußten Landes
({9})
und nicht mit der Unterwürfigkeit eines bettelnden selbstverschuldet Armen.
Denn, meine Damen und Herren, wenn wir um Hilfe bitten, so fordern wir die Solidarität des Bundes und der Länder für eine Hypothek deutscher Geschichte, die auf dem Saarland seit langem und noch immer lastet
({10})
und die das Land noch auf absehbare Zeit wird abtragen müssen. Ich bitte Sie, sich nur für einen Augenblick die weitreichenden Folgen zu vergegenwärtigen, die der dem Saarland auferlegte viermalige Wechsel des Staats- und Wirtschaftsverbandes nach den beiden Weltkriegen in diesem Jahrhundert bedingt und bedeutet hat. Bedenken Sie bitte heute und auch in Zukunft, daß der Anschluß des Saarlandes an die Bundesrepublik Deutschland, wirtschaftlich gesehen und gesprochen, spät, zu spät erfolgte, zu einem Zeitpunkt nämlich, als leistungsfähige neue Branchen und zukunftsweisende Forschungseinrichtungen an anderer Stelle der Bundesrepublik Deutschland längst angesiedelt und seßhaft geworden waren.
Meine Damen und Herren, die Saarländer sind dem Herrn Bundespräsidenten dankbar, daß er in einer Rede vom 22. Oktober diesen geschichtlichen Hintergrund, diesen nationalen Charakter der Last, die das Saarland zu tragen hat, hervorgehoben und in das Bewußtsein der Deutschen gehoben hat. Ich will mit einigen Sätzen aus dieser Rede des Herrn Bundespräsidenten schließen:
Das Saarland stand und steht damit vor außergewöhnlichen Schwierigkeiten. Weder ist die Schuld dafür im Saarland zu suchen, noch kann vom Saarland allein eine Lösung dieser Probleme erwartet werden. ... Der Bund wird zu seiner Verantwortung zu stehen haben, in angemessener Weise zu helfen, damit das Saarland mit seiner ungewöhnlich hohen Aufgabenlast besser fertig werden kann.
Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, daß Sie mit Ihrem heutigen Gesetzesbeschluß dieser Verantwortung des Bundes gerecht werden.
({11})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Matthöfer zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde dem Antrag zustimmen, obwohl ich immer der Meinung war und noch der Meinung bin, es wäre besser, das Steuersystem durch Abbau von Steuervergünstigungen, die den oberen Einkommensschichten zugute kommen, zu vereinfachen
({0})
und nicht durch Einführung einer Ergänzungsabgabe zusätzlich zu komplizieren. Weil aber die CDU/CSU entgegen den Ankündigungen vor der Wahl nicht nur eine drastische Umverteilung zugunsten der oberen Einkommensschichten betreibt - das haben wir schließlich erwartet -, sondern auch allgemein die Steuerlastquote, insbesondere durch den drastischen Anstieg des Lohnsteueraufkommens, erhöht und das Steuersystem weiter kompliziert, die Bürokratisierung begünstigt, werde ich dem Antrag meiner Fraktion, weil ich keine andere Möglichkeit sehe, zu ein wenig sozialer Ausgewogenheit beizutragen, uneingeschränkt zustimmen.
({1})
Das Wort zur Abgabe einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Stratmann.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erklären, warum ich persönlich und die Fraktion der GRÜNEN zu dem Entwurf eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes an das Saarland uns enthalten werden, allerdings der Finanzhilfe an das Land Bremen zustimmen werden. Ich will das kurz begründen.
({0})
Wir sind der Meinung, daß Finanzhilfen auch in der vorgeschlagenen Höhe sowohl an das Saarland als auch an Bremen sinnvoll sind. Das entspricht genau unseren politischen Vorstellungen.
({1})
Herr Abgeordneter, ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Sie zur Abstimmung sprechen und jetzt nicht die Debatte neu eröffnen können.
({0})
Ich will keine Debatte führen, ich möchte mein Abstimmungsverhalten mit zwei Sätzen erklären.
Ich persönlich bin der Meinung, daß nach den Ausschußberatungen im Wirtschaftsausschuß absehbar ist, daß wesentliche Teile der 300 Millionen DM für den Ausbau des Saarkanals, den wir aus ökologischen und wirtschaftspolitischen Gründen nicht mittragen können,
({0})
verwendet werden. Aus diesem Grunde differenzieren wir und differenziere ich persönlich: Enthaltung bei den Finanzhilfen für das Saarland, obwohl wir grundsätzlich für die finanzielle Unterstützung des Saarlandes durch den Bund sind, ausdrückliche Zustimmung zur Finanzhilfe an das Land Bremen.
Ich danke Ihnen.
Herr Abgeordneter, ich darf darauf aufmerksam machen, daß Sie eine Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung nur für sich persönlich und nicht für die Fraktion abgeben können.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung.
Ich rufe den Einzelplan 08 auf. Hierzu liegt auf Drucksache 10/2475 ein Änderungsantrag der Fraktion der SPD vor. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, von hier oben ist nicht festzustellen, wie sich die Abstimmung im einzelnen vollzieht. Ich darf doch bitten, bis zur namentlichen Abstimmung sitzenzubleiben. Wir haben noch einige Abstimmungen zu vollziehen.
Wer dem Einzelplan 08 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Finanzen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan ist angenommen.
Wer dem Einzelplan 32 - Bundesschuld - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe den Einzelplan 60 - Allgemeine Finanzverwaltung - auf. Hierzu liegen auf den Drucksachen 10/2487 und 10/2528 zwei Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2487 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Der Antrag ist abgelehnt.
Wir kommen nun zu dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2528. Die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmt oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen.
Ich eröffne die namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß nach der namentlichen Abstimmung noch weitere - allerdings keine namentlichen - Abstimmungen erfolgen. Ich bitte daher, hier im Saal zu bleiben.
Meine Damen und Herren, darf ich fragen, ob noch ein Mitglied des Hauses anwesend ist, das seine Stimmkarte nicht abgegeben hat? -
Ich frage noch einmal: Ist noch ein Mitglied anwesend, das die Stimmkarte nicht abgegeben hat?
- Das ist offensichtlich nicht der Fall. Ich schließe damit die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Ich bitte, damit einverstanden zu sein, daß wir in der Tagesordnung fortfahren, bis die Auszählung erfolgt ist. - Ich sehe keinen Widerspruch. Dann wird so verfahren.
Ich darf bitten, Platz zu nehmen; wir haben noch einige Abstimmungen durchzuführen.
Ich lasse über den Einzelplan 60, Allgemeine Finanzverwaltung, in der Ausschußfassung abstimmen. Wer dem Einzelplan seine Zustimmung zu geben wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Wer dem Einzelplan 20, Bundesrechnungshof, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Wir stimmen jetzt über die Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses zu dem Finanzplan des Bundes 1984 bis 1988 ab. Wer der Beschlußempfehlung des Haushaltsausschusses auf Drucksache 10/2387 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Die Ausschußempfehlung ist angenommen.
Wir kommen zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes nach Art. 104a Abs. 4 des Grundgesetzes an das Saarland, Drucksache 10/2229.
Ich rufe die §§ 1 bis 8, Einleitung und Überschrift in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Wir treten in die
dritte Beratung
ein und kommen zur Schlußabstimmung. Wer dem Gesetz als Ganzem zuzustimmen wünscht, den bitte ich, sich zu erheben. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das Gesetz ist angenommen.
Wir kommen nunmehr zur Einzelberatung und Abstimmung über den von der Fraktion der SPD
Vizepräsident Wurbs
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die Finanzhilfe des Bundes nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Freie Hansestadt Bremen, Drucksache 10/2141*). Der Ausschuß empfiehlt, diesen Gesetzentwurf abzulehnen.
Ich rufe die §§ 1 bis 8 Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit unterbleibt nach § 83 Abs. 3 unserer Geschäftsordnung jede weitere Beratung.
Meine Damen und Herren, zu Zusatzpunkt 2 wird interfraktionell vorgeschlagen, den Gesetzentwurf der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2460 zu überweisen: zur federführenden Beratung an den Finanzausschuß und zur Mitberatung an den Rechtsausschuß, den Ausschuß für Wirtschaft, den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung sowie zur Mitberatung und zur Beratung gemäß § 96 unserer Geschäftsordnung an den Haushaltsausschuß. Gibt es dazu andere Vorschläge? - Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Ich warte noch auf das Ergebnis der Auszählung. - Meine Damen und Herren, ich gebe das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der Abstimmung über den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2528 bekannt. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 440 ihre Stimmen abgegeben. Ungültige Stimmen: keine. Mit Ja haben gestimmt 173, mit Nein haben gestimmt 254, Enthaltungen: 13. Von den 20 Berliner Abgeordneten haben alle ihre Stimmen abgegeben. Davon ungültig: keine. Mit Ja haben gestimmt 9, mit Nein haben gestimmt 11, Enthaltungen: keine.
Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen 439 und 20 Berliner Abgeordnete; davon
ja: 172 und 9 Berliner Abgeordnete
nein: 254 und 11 Berliner Abgeordnete
enthalten: 13
Nein
CDU/CSU
Dr. Abelein Frau Augustin Austermann
Dr. Becker ({0}) Berger
Biehle
Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm
Böhm ({1}) Dr. Bötsch
Bohl
Bohlsen Borchert Braun
Breuer
Broll
Brunner
Bühler ({2}) Carstens ({3}) Carstensen ({4}) Clemens
Dr. Czaja
Dr. Daniels
Daweke
Frau Dempwolf Deres
Dörflinger
Dr. Dollinger Doss
Dr. Dregger Echternach Ehrbar
Eigen
Engelsberger Dr. Faltlhauser Fellner
Frau Fischer Fischer ({5}) Francke ({6})
*) Siehe dazu Anlage 2 ({7})
Ganz ({8})
Frau Geiger
Dr. Geißler
Dr. von Geldern
Dr. George
Gerstein Gerster ({9})
Dr. Göhner
Götzer
Günther Dr. Häfele
von Hammerstein
Hanz ({10})
Haungs
Hauser ({11}) Hauser ({12}) Hedrich
Freiherr Heereman
von Zuydtwyck
Frau Dr. Hellwig Helmrich
Dr. Hennig
Herkenrath
Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger
Dr. Hoffacker
Dr. Hornhues
Hornung
Frau Hürland
Dr. Hüsch
Dr. Hupka
Graf Huyn
Jäger ({13})
Jagoda
Dr. Jahn ({14})
Dr. Jobst
Jung ({15})
Dr.-Ing. Kansy
Frau Karwatzki
Keller
Klein ({16})
Dr. Köhler ({17}) Dr. Köhler ({18}) Dr. Kohl
Kolb
Kraus
Krey
Kroll-Schlüter
Frau Krone-Appuhn
Dr. Kronenberg
Dr. Kunz ({19}) Lamers
Dr. Lammert
Dr. Langner
Dr. Laufs Lemmrich
Lenzer
Link ({20})
Link ({21}) Linsmeier
Lintner
Dr. Lippold
Löher
Lohmann ({22}) Louven
Lowack Maaß
Frau Männle
Magin
Marschewski
Dr. Marx
Dr. Mertes ({23}) Metz
Dr. Meyer zu Bentrup Michels
Dr. Mikat
Dr. Miltner Milz
Dr. Möller
Müller ({24}) Müller ({25})
Müller ({26})
Nelle
Frau Dr. Neumeister Niegel
Dr.-Ing. Oldenstädt
Dr. Olderog Pesch
Petersen
Pfeffermann Pfeifer
Dr. Pinger
Pohlmann
Dr. Probst
Rawe
Reddemann Regenspurger Repnik
Dr. Riedl ({27})
Dr. Riesenhuber
Rode ({28}) Frau Roitzsch
({29}) Dr. Rose
Rossmanith Roth ({30}) Rühe
Sauer ({31})
Sauer ({32})
Saurin
Sauter ({33}) Sauter ({34})
Dr. Schäuble Schartz ({35}) Schemken
Scheu
Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({36})
von Schmude Schneider ({37})
Dr. Schneider ({38}) Freiherr von Schorlemer Schreiber
Dr. Schroeder ({39}) Schulhoff
Dr. Schulte ({40}) Schwarz
Dr. Schwörer Seehofer
Seesing
Seiters
Dr. Freiherr
Spies von Büllesheim Spilker
Spranger
Dr. Stavenhagen
Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube
Stutzer
Susset
Tillmann
Dr. Todenhöfer Uldall
Dr. Unland
Frau Verhülsdonk
Vogel ({41})
Vogt ({42})
Dr. Voigt ({43})
Dr. Voss
Dr. Waffenschmidt
Vizepräsident Wurbs
Dr. Waigel
Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke
Dr. Warrikoff Weirich
Weiß
Werner
Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz
Wimmer ({44}) Windelen
Frau Dr. Wisniewski Wissmann
Dr. Wittmann Wittmann ({45}) Dr. Wörner
Würzbach
Dr. Wulff
Zierer
Zink
Berliner Abgeordnete
Frau Berger ({46}) Boroffka
Buschbom Dolata
Feilcke
Dr. Hackel Kalisch
Dr. h. c. Lorenz
Schulze ({47}) Straßmeir
FDP
Frau Dr. AdamSchwaetzer
Baum
Beckmann Bredehorn
Cronenberg ({48}) Eimer ({49}) Engelhard
Ertl
Dr. Feldmann
Gallus
Gattermann Genscher Grünbeck Grüner
Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann
Dr. Hirsch
Kleinert ({50}) Kohn
Dr.-Ing. Laermann
Dr. Graf Lambsdorff Mischnick
Möllemann Neuhausen Paintner
Ronneburger
Dr. Rumpf Schäfer ({51})
Frau Seiler-Albring
Dr. Solms Dr. Weng
Wolfgramm ({52}) Wurbs
Berliner Abgeordneter Hoppe
Ja
SPD
Dr. Ahrens Amling
Dr. Apel Bachmaier
Bahr
Bamberg
Becker ({53}) Bernrath
Berschkeit
Bindig
Frau Blunck
Brück
Buckpesch Büchler ({54})
Buschfort Catenhusen
Collet
Conradi
Dr. Corterier
Curdt
Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser
Dreßler Duve
Dr. Ehmke ({55})
Dr. Emmerlich
Dr. Enders Esters
Ewen
Fischer ({56}) Fischer ({57}) Franke ({58})
Frau Fuchs ({59})
Frau Fuchs ({60}) Gansel
Gerstl ({61})
Gilges
Glombig Grunenberg
Haar
Haase ({62})
Haehser
Hansen ({63})
Frau Dr. Hartenstein Hauck
Heistermann
Herterich Hettling Heyenn
Hiller ({64}) Hoffmann ({65}) Dr. Holtz
Horn
Frau Huber
Huonker Ibrügger
Immer ({66}) Jahn ({67})
Jansen
Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Kastning Kiehm
Kirschner Kisslinger Klein ({68})
Dr. Klejdzinski
Klose
Kolbow Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius
Liedtke
Lohmann ({69})
Lutz
Frau Matthäus-Maier
Meininghaus
Dr. Mertens ({70}) Müller ({71}) Müller ({72}) Müntefering
Nagel
Nehm
Neumann ({73}) Dr. Nöbel
Frau Odendahl Oostergetelo
Paterna Pauli
Dr. Penner
Peter ({74})
Pfuhl
Porzner Poß
Purps
Rapp ({75}) Rappe ({76}) Reimann
Reuschenbach
Reuter
Rohde ({77})
Sander
Schäfer ({78}) Schanz
Dr. Scheer
Schlaga Schlatter
Dr. Schmidt ({79}) Schmidt ({80}) Schmitt ({81})
Dr. Schöfberger Schreiner
Schröer ({82}) Schulte ({83})
Dr. Schwenk ({84}) Sielaff
Frau Simonis
Dr. Soell Dr. Sperling
Stahl ({85})
Steiner
Frau Steinhauer
Stiegler Stockleben
Dr. Struck
Frau Terborg
Tietjen
Frau Dr. Timm Toetemeyer
Frau Traupe
Voigt ({86}) Waltemathe
Walther Weinhofer
Weisskirchen ({87}) Dr. Wernitz
Frau Weyel Dr. Wieczorek
Wieczorek ({88}) Wiefel
von der Wiesche Wimmer ({89}) Wischnewski
Witek
Dr. de With
Wolfram ({90}) Würtz
Zander
Berliner Abgeordnete
Dr. Diederich ({91}) Egert
Heimann Löffler
Frau Luuk
Dr. Vogel Wartenberg ({92})
DIE GRÜNEN
Dr. Ehmke ({93}) Fischer ({94}) Hoss
Kleinert ({95}) Reents
Frau Schoppe Stratmann
Berliner Abgeordneter Schneider ({96})
fraktionslos
Bastian
Enthalten
DIE GRÜNEN
Frau Dr. Bard Burgmann
Frau Dr. Hickel Horacek
Frau Nickels Frau Potthast Frau Reetz
Sauermilch Schwenninger Verheyen ({97}) Vogt ({98}) Frau Dr. Vollmer
Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, es ist interfraktionell vereinbart worden, die Abstimmung über Finanzhilfen für Bremen zu wiederholen, weil es Unstimmigkeiten bzw. Mißverständnisse gegeben hat. Können wir die Abstimmung gleich wiederholen?
({99})
Wir kommen also noch einmal zur Abstimmung über den von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über Finanzhilfen des Bun7822
Vizepräsident Wurbs
des nach Art. 104 a Abs. 4 des Grundgesetzes an die Freie Hansestadt Bremen, Drucksache 10/2141. Ich rufe die §§ 1 bis 8, Einleitung und Überschrift auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt.
({100})
Damit unterbleibt eine weitere Beratung.
Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Mittagspause ein und fahren danach mit der Beratung des Einzelplanes 09 fort.
Ich unterbreche die Sitzung bis 14 Uhr.
({101})
Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe auf:
Einzelplan 09
Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft
- Drucksachen 10/2309, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Glos Dr. Weng
Burgmann
Hierzu liegen Ihnen Änderungsanträge vor auf den Drucksachen 10/2419 bis 10/2423, 10/2476, 10/2505 und 10/2532.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe, das Haus ist damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Glos.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Debatte zum Einzelplan des Bundesministers für Wirtschaft ist eine stets willkommene Gelegenheit, die wirtschaftliche Lage zu analysieren, die Ergebnisse und Fortschritte darzulegen sowie auf die künftigen Aufgaben und Schwerpunkte der Wirtschaftspolitik hinzuweisen. Doch bevor ich damit anfange, Herr Minister, möchte ich mich einmal kurz an Sie wenden.
Ich habe zu meinem Mißfallen in der „Bild"-Zeitung - gestern ein sogenanntes „Zitat des Tages" entdeckt, mit dem Sie sich nicht ganz gut über meine Partei auslassen. Ich nehme an, das war mehr eine scherzhafte Äußerung.
({0})
Herr Minister, Sie haben ja Gelegenheit, das klarzustellen.
({1})
- Bitte, ich lese es vor:
In einer Partei wie der CSU wird ein Vorsitzender schon gewählt, wenn er ein Glas Bier hebt.
({2})
- Ich bemerke den Neid der SPD. Über die SPD würde man so etwas nicht sagen. In der Partei wird man nämlich nur noch Vorsitzender, wenn man ein sehr sauertöpfisches Gesicht macht. Deswegen haben Sie in Bayern ja auch so wenig Erfolg, Herr Dr. Vogel.
({3})
Ich möchte aber doch sagen, lieber Herr Minister Bangemann: Sie werden noch erfahren, wie schwer es ist, wenn man in einer Partei Vorsitzender wird. Sie haben Probleme mit Ihrem Vorgänger im Ministeramt. Sie haben noch größere Probleme mit Ihrem Parteivorsitzenden als dessen designierter Nachfolger. Sie haben sicher auch draußen Probleme, qualifizierte Orts- und Kreisvorsitzende zu finden. Wir haben diese Probleme nicht. Wir stellen an sich andere Qualifikationsansprüche. Ich bin sehr gespannt, wie gesagt, wie das bei Ihnen weitergeht.
Jedenfalls haben Sie als Bundeswirtschaftsminister ein sehr gut geführtes Haus übernommen. Sie haben ein Ministerium übernommen, mit dem man gut arbeiten kann. Daher haben Sie auch einen gut gemachten Haushaltsentwurf übernommen. Nur haben wir den gut gemachten Haushaltsentwurf in den Beratungen noch etwas verbessert, weil das Bessere der Feind des Guten ist.
Wir erfüllen mit diesem Haushaltsentwurf die Verpflichtungen gegenüber Branchen, die ohne staatliche Hilfe bzw. ohne den Ausgleich von Wettbewerbsnachteilen nicht leben können. So stehen wir zur deutschen Steinkohle und erfüllen unsere gegebenen Zusagen an die Stahlindustrie.
({4})
Allerdings darf ich für die Mehrheit des Ausschusses sagen, daß wir der Meinung sind: 3 Milliarden DM Subventionen sind genug. Wir haben als Bund unseren Beitrag geleistet. Darüber hinaus soll die Industrie die erforderlichen Mittel selbst aufbringen.
({5})
Die Unterstützung durch den Wirtschaftshaushalt gilt auch in besonderem Maße unserer Luftfahrtindustrie, wo wir vor allem mit der Forderung des europäischen Gemeinschaftsprojekts Airbus und moderner Triebwerkstechnologie die Voraussetzungen dafür schaffen, daß unser Land auch künftig an dieser modernen Spitzentechnologie beteiligt ist und daß die Fluggesellschaften in aller
Welt Alternativen zu amerikanischen Flugzeugen und amerikanischen Anbietern haben.
Da die Produktion des deutschen Anteils an diesem guten Flugzeug insbesondere in Norddeutschland stattfindet, haben wir damit zugleich - wie auch durch unsere Hilfe für die Schiffbauindustrie - einen herausragenden Beitrag zur Strukturpolitik des Küstenraumes geleistet.
Herr Kollege Wieczorek hat heute früh gesagt, wir seien eine Abstimmungsmaschinerie für Regierungsentwürfe und dürften von uns aus keine Initiativen im Haushaltsausschuß ergreifen. Ich glaube, gerade das Gegenteil ist richtig. Beim Haushalt des Wirtschaftsministeriums ist es uns gelungen, durch Umschichtungen die Mittel für die Gewerbeförderungsmaßnahmen zu erhöhen. Durch diese Mittel werden sowohl die Beratungen zur Existenzgründung als auch Unternehmensberatungen gefördert. Wir haben dies aufgestockt, ebenso wie wir das bewährte Instrument der industriellen Gemeinschaftsforschung über den Regierungsentwurf hinaus ausgebaut haben. Hier gibt der Staat Hilfen, um sinnvolle Forschungsprojekte zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit gerade kleiner und mittlerer Unternehmen zu unterstützen.
({6})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es war interessant, den Briefeingang zu diesem Thema zu beobachten. Ich habe noch nie so viele Briefe wie jetzt bekommen, in denen interessierte Unternehmensberater und Unternehmungsberatungsgesellschaften forderten, diesen Haushaltstitel zu erhöhen. Ich habe manchmal ein bißchen den Eindruck: Das Interesse liegt nicht bei den zu Beratenden, sondern bei den Beratern. Darunter waren auch Briefe in ganz unverschämtem Ton. Aber das war Gott sei Dank nicht die Mehrzahl.
Wir haben auch erreicht - Herr Wieczorek, da sollten Sie aufmerken; das war eine Initiative des Haushaltsausschusses -, daß den mittelständischen Tankstellenbetrieben die Einführung des bleifreien Benzins erleichtert wird, damit die gegenwärtige Wettbewerbsstruktur auf dem Mineralölmarkt nicht zum Nachteil dieser mittelständischen Betriebe verändert wird. Diese Aktion zeigt, daß wir „Erbsenzähler" vom Haushaltsausschuß, wie man uns immer apostrophiert, auch ein Herz für den deutschen Wald haben und das Nötige dazu beigetragen haben, daß sehr schnell umgestellt wird.
({7})
Außerdem sind die Mittel für die Frachthilfen im Grenzland erhöht worden, um die Fortführung dieser bewährten Strukturhilfe insbesondere für Bayern zu ermöglichen.
({8})
Ich darf mich hier bei allen Kolleginnen und Kollegen, insbesondere der Haushaltsgruppen der CDU/CSU und der FDP, sehr herzlich für das stete Verständnis für die Belange der Grenzlandregionen bedanken.
({9})
Verpflichtungsermächtigungen - das stand auch nicht im Entwurf des Wirtschaftsministers, sondern ist von uns hereingebracht worden - in Höhe von 400 Millionen DM garantieren die Fortführung der bewährten Existenzgründungshilfen und ermöglichen vor allen Dingen - neu - die Einführung des Existenzgründungssparens. Ich bin der Meinung: Wir brauchen dringend neue Betriebe und neue selbständige Existenzen, denn diese bringen neue Arbeitsplätze.
({10})
Die Erfahrung zeigt, daß kleinere Betriebe auf die Herausforderungen des Strukturwandels oft schneller und flexibler reagieren können. Vor allem sehen wir dies am Beispiel der USA. Dort sind die neuen Arbeitsplätze hauptsächlich in neuen Betrieben des Dienstleistungssektors entstanden.
Sicherlich würde alle staatliche Förderung nichts nutzen, wenn nicht wieder ein entsprechendes Vertrauensklima in unserer Wirtschaft und in unserer Bevölkerung vorhanden wäre.
Herr Abgeordneter Glos, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann?
Wenn es sein muß, bitte sehr.
Herr Kollege Glos, da Sie gerade das amerikanische Beispiel als Vorteil anführen: Können Sie mir bestätigen, daß die meisten neuen Arbeitsplätze im niedrig qualifizierten Bereich entstanden sind und die qualifizierten Arbeitsplätze abgebaut wurden?
({0})
Das zweite kann ich Ihnen nicht bestätigen. Das erste ist sicher richtig, nämlich daß sich diese Entwicklung vorwiegend im Dienstleistungsbereich vollzog. Das geschah teilweise zu Löhnen, die nicht unserem Lohnniveau bei Spitzentechnologien entsprechen.
Aber ich bin der Meinung, daß es besser ist, einen niedriger bezahlten Arbeitsplatz zu haben, als zum Sozialamt zu gehen oder Arbeitslosenhilfe zu beantragen.
({0})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem Zusammenhang folgende Anmerkung. Wer sich selbständig macht, muß auf die Zukunft vertrauen können.
Herr Abgeordneter, es gibt noch einmal den Wunsch nach einer Zwischenfrage, und zwar bei Herrn Graf Lambsdorff.
Bitte sehr, Herr Minister.
Herr Kollege Glos, würden Sie die Freundlichkeit haben, den Kollegen Hoffmann darauf aufmerksam zu machen - ich glaube, Sie wissen es -, daß Arbeitsplätze im Dienstleistungsbereich in der Wirtschaft der Vereinigten Staaten keineswegs vorwiegend Arbeitsplätze sind, die sich z. B. auf die auch sehr sinnvolle
Tätigkeit des Servierens in Gaststätten erstrecken, sondern den gesamten Softwarebereich moderner Technologie erfassen, den gesamten öffentlichen Dienst erfassen, also durchaus in der Richtung liegen, von der wir uns wünschen sollten, auch mehr Arbeitsplätze zu haben?
({0})
Herr Glos, bevor Sie antworten, wollte ich einfügen: Fragen müssen kurz sein, Graf Lambsdorff, und Dreieckschießen ist bei uns verboten.
Ich bedanke mich jedenfalls, daß er in Frageform mein Wissen aufgemöbelt hat. Ich glaube, wenn wir an Amerika denken, sollten wir nicht nur an McDonald denken.
({0})
Denn bei McDonald sind gar nicht so viele Arbeitsplätze. Die Kunden holen sich nämlich ihre Hamburgers alle selbst.
Ich wollte sagen - und darauf will ich zurückkommen -, daß Vertrauen dazu gehört, wenn man sich selbständig macht, wenn man eine Existenz gründet, wenn man diesen Sprung wagt. Und es gehört auch ein bißchen Hoffnung dazu, daß man dann möglicherweise etwas mehr Geld verdient, daß man einmal zu der Gruppe der Besserverdienenden gehört, wie es heute so schön heißt.
Wer Jagd auf die sogenannten Besserverdienenden macht und hier zur Hatz bläst, versündigt sich gleichzeitig an unserer Volkswirtschaft.
({1})
- Ich bedanke mich sehr für den Beifall. Ich muß da aber auch ganz kritisch an die Adresse eigener Fraktionskollegen sagen, daß die Debatte in den letzten Wochen nicht immer hilfreich war. Sie wissen, es waren die Verfassungsrichter, die in ihrer Weisheit uns das Instrument der Investitionshilfeabgabe aus der Hand geschlagen haben.
({2})
- Was heißt „vorher gewußt"? Das hat's schon mal gegeben. Damals hat das Verfassungsgericht das anerkannt. Sie wissen das ganz genau, Herr Hoffmann.
In dem Zusammenhang ist immer von sozialer Symmetrie die Rede. Was heißt schon „soziale Symmetrie"? Eine totale Gleichheit im Einkommen wird es nie geben. Es wird immer Unterschiede geben müssen. Und es ist vor allen Dingen ein großer Unterschied, ob man sich sein Geld selber verdient, ob einem der Staat davon etwas beläßt, ob er einem alles wegsteuert, oder ob man dieses Einkommen über staatliche Transfers bekommt.
({3})
Wir haben in unserer Regierungszeit viel getan, um diese soziale Symmetrie zu verbessern. Ich darf einmal ein paar Punkte aufzählen, um daran zu erinnern, was wir an Koalitionsbeschlüssen, auch wenn sie noch nicht in Gesetzesform sind, auf den Weg gebracht haben: Einführung des Erziehungsgelds, Anrechnung der Erziehungszeit in der Rentenversicherung, Erhöhung des Kindergelds für untere Einkommensschichten, steuerliche Entlastung der Familien ab 1986, Wiedereinführung des Kindergeldes für arbeitslose Jugendliche - das ist übrigens von Ihnen abgeschafft worden -, Verlängerung des Arbeitslosengelds für Langzeitarbeitslose, verstärkte Förderung der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, zusätzliche Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit, Verstärkung der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Arbeitslose.
({4})
Ich glaube, diese Entscheidungen waren alle richtig. Wir können uns mit diesen Entscheidungen vor der Bevölkerung sehen lassen und sollten deswegen die Diskussion über eine ökonomisch fragwürdige Ergänzungsabgabe beenden.
({5})
Es ist uns gelungen, in vergleichsweise kurzer Zeit, nämlich 24 Monaten, aus der längsten Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit heraus
({6})
wieder zu Wirtschaftswachstum, zu Preisstabilität wie zu Ludwig Erhards Zeiten und zu gesicherten außenwirtschaftlichen Überschüssen zu kommen. In dem Zusammenhang ist interessant: Der Oktober 1984 ist der Monat mit dem Außenhandelsrekord in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, nämlich 8,8 Milliarden Ausfuhrüberschuß.
Es ist auch gelungen, den beängstigenden Anstieg der Arbeitslosigkeit zu stoppen. Wir können mit Fug und Recht sagen: Die Arbeitsplätze sind sicherer geworden.
({7})
Herr Abgeordneter, es ist der Wunsch nach einer Zwischenfrage von dem Abgeordneten Dr. Ehrenberg geäußert worden.
Herr Präsident, das ist die letzte Zwischenfrage - zumindest von dieser Seite.
({0})
Bitte sehr.
Herr Kollege, da Sie auf den Außenhandelsüberschuß des Oktobers dieses Jahres anspielen: Würden Sie so freundlich sein, dem Plenum und der Öffentlichkeit auch mitzuteilen, daß im Oktober 1984 die deutsche Kapitalbilanz einen Negativsaldo von 4 1/2 Milliarden aufzuweisen hat?
({0})
Herr Hoffmann, sorgen Sie sich nicht um mein Verständnis. Ich bin gerne bereit, die Antwort zu geben. - Aber Sie müssen schon stehenbleiben, Herr Minister.
Kapitalströme sind von Investitionsbedingungen und von der Attraktivität von Zinsen zu beeinflussen. Wir wissen, daß in den Vereinigten Staaten von Amerika die Zinsen höher sind. Wir wissen, daß bei uns auch die Renditen für Geld, das investiv und produktiv arbeitet, noch zu niedrig sind. Es ist sicher nicht richtig, Geld irgendwo auf ein Dollarkonto zu legen, falls das rentabler ist, statt es produktiv bei uns einzusetzen. Das heißt aber auch, daß wir die Rahmenbedingungen
({0})
und die Gewinne in der Wirtschaft verbessern müssen, damit dieses Geld bei uns bleibt und bei uns arbeitet.
({1})
Wenn die Leute denken, daß bei uns möglicherweise ein rot-grünes Bündnis kommt, dann legen sie ihr Geld in Amerika an, selbst wenn die Zinsen dort viel niedriger wären.
({2})
- Meine sehr verehrten Damen und Herren von der SPD, Sie ärgern sich doch nur, weil Ihr Plan, den Sie angezettelt haben - zusammen mit Teilen des DGB -, mißlungen ist, nämlich uns den Aufschwung kaputtstreiken zu lassen und uns wieder von der Verantwortung zu verdrängen. Das ist doch eine Tatsache!
({3})
Gottlob geht's mit der Wirtschaft wieder aufwärts. Der Einbruch in diesem Sommer ist beendet; wir sind wieder auf dem alten Wachstumspfad. Für das kommende Jahr sehen wir ein Wirtschaftswachstum von 3%; jedenfalls haben die Gutachter uns diese Steigerungsrate vorausgesagt. Auch die jüngsten Konjunkturdaten bestätigen diese Entwicklung. Vor allen Dingen bei den inländischen Investitionen zeigt sich ein kräftiger Aufwärtstrend.
({4})
Der Welthandel wird 1985 wieder eine beachtliche Dynamik entfalten. Ich bin überzeugt, daß es im nächsten Jahr auch mit dem Export weitergeht.
Wir können insgesamt feststellen: Nach jahrelangem Stillstand rollt der Konjunkturzug wieder, weil die Sozialisten aus dem Bremserhäuschen endlich entfernt worden sind.
({5})
Die positiven Export- und Investitionserwartungen der Wirtschaft sind die Reaktion auf eine deutliche Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Stabile Preise, niedrige Zinsen, eine feste D-Mark, moderate Tarifabschlüsse, insbesondere aber die stabilitätsorientierte Bundesbankpolitik und vor allen Dingen die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte haben dazu beigetragen.
({6})
Wenn Sie die drei Haushaltsjahre 1983 bis 1985 unter dem Gesichtspunkt des Ist-Ergebnisses - bei 1985 sind wir allerdings noch auf das Soll angewiesen - zusammenfassen, dann stellen Sie fest, daß die unionsgeführte Bundesregierung die Erwartungen, die sie in ihrem ersten Finanzplan geweckt hat, bzw. die Ziele, die sie sich selbst gestellt hat, sogar noch übertroffen bzw. überschritten hat. Wir haben 26 Milliarden DM mehr konsolidiert, als es dort vorgesehen war. Meine sehr verehrten Damen und Herren, deswegen bin ich der Meinung - das ist zwar nur meine persönliche Meinung, gleichwohl möchte ich sie hier aber sagen -, daß wir die Steuerentlastung in einem Schritt durchführen könnten, zumindest aber die zweite Stufe auf 1987 vorziehen sollten.
({7})
Die Deutsche Bundesbank bestätigt uns, daß wir richtig damit liegen, daß wir die Gewinnsituation der Unternehmen wieder verbessert haben. Die nach wie vor gravierende Eigenkapitalschwäche befindet sich in einem Verbesserungsprozeß. Und, meine sehr verehrten Damen und Herren: Die Opposition in diesem Hause wäre sehr gut beraten, wenn sie sich einmal die Grundeinsichten zu eigen machen würde, daß die Betriebe erst ausreichende Erträge erwirtschaften müssen, bevor sie investieren können, daß sie ausreichende Erträge erwirtschaften müssen, wenn sie wettbewerbsfähig bleiben und Arbeitsplätze sichern wollen. Ich bin der Meinung, daß inzwischen auch die Arbeitnehmer verstehen: Dort, wo es dem Betrieb gut geht, geht es auch dem Arbeitnehmer gut.
({8})
Wir sind Weltmeister bei der Preissteigerungsrate. Sie beträgt im Jahre 1984 im Schnitt 2 %; das kann sich sehen lassen. Ich glaube, Preisstabilität ist wieder zu einem Markenzeichen deutscher Politik geworden. Das hat den Sparern genützt, das nützt den Investoren, und es nutzt vor allen Dingen auch der Wirtschaft bei den Abschreibungen. Denn für die Abschreibungen ist wieder ein höherer Gegenwert vorhanden. Sie sind nicht mehr inflationsaufgebläht. Nach Beendigung des Abschreibungszeitraums müssen dann nicht um so viel höhere Mittel zur Reinvestition aufgebracht werden.
Ohne diese stabilen Preise wären die Lohnabschlüsse in moderater Form sicher nicht möglich
gewesen. Ich bin überzeugt, daß der Teufelskreis von immer höheren Löhnen und immer höheren Preisen von uns durchbrochen worden ist. Wir haben jetzt nur noch den zweiten Schritt zu vollziehen, auch bei der Steuer das abzuspecken, was dem Arbeitnehmer durch den progressiven Tarif genommen wird.
Die Beseitigung der Arbeitslosigkeit ist für uns eine Hauptaufgabe der Wirtschaftspolitik. Sie ist deswegen auch der zentrale Punkt der Auseinandersetzung zwischen der Opposition in diesem Hause und uns. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind über die Wege dazu oft verschiedener Meinung, aber in den Zielen sollten wir uns einig sein.
({9})
Ich spreche Ihnen nicht ab, daß es nicht Ihre Absicht wäre, die Situation zu verbessern.
({10})
Und Sie können auch von uns annehmen, daß wir hier Verbesserungen erreichen wollen und daß das törichte Gerede nicht stimmt, das man oft hört, wonach wir eine Sockelarbeitslosigkeit wollten, um die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer besser unterdrücken zu können.
({11})
- Ich würde an Ihrer Stelle nicht so laut rufen, Herr Wieczorek; die Früchte Ihrer Politik sind bekannt. Darüber hat der Wähler geurteilt, und ich bin überzeugt: Wenn er heute zu urteilen hätte, würde er wieder genauso handeln.
Sie haben uns in die schlimmste Rezession der Nachkriegsgeschichte getrieben.
({12})
- Er war mit Ihnen zusammen in einem Boot. Der beste Steuermann kann in einem Boot nichts ausrichten, wenn alle Ruderschläge verkehrt sind.
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- Herr Vogel, an wen hat denn wohl Ihr Generalsekretär, der Herr Glotz gedacht, als er - das hat er schon öfters getan - sagte, die SPD
({14})
- ich gehöre nicht zur SPD; ich bin da unverdächtig - müsse ihre Kompetenz in der Wirtschaftspolitik wieder zurückgewinnen? Ich habe immer gedacht, er hat an den Herrn Roth gedacht, aber ich merke jetzt: Er hat hauptsächlich an Sie gedacht, Herr Vogel, denn Sie sind das größte Investitionshemmnis, wenn Sie als Kanzler drohen. Gott sei Dank ist die Drohung im Moment nicht so groß, denn sonst wäre ich davon überzeugt, daß noch mehr Geld nach Amerika fließt.
({15})
Sie fordern staatlich finanzierte Ausgabenprogramme. Ich denke dabei nur an das Sonderprogramm „Arbeit und Umwelt", mit dem Sie schon seit Monaten hausieren gehen. Manche SPD-Politiker erheben die Forderung nach immer neuen staatlichen Beschäftigungsprogrammen mit genau dem gleichen Fanatismus mit dem die Eingeborenen in Haiti ihren sogenannten Voodoo-Kult betreiben.
Es ist Tatsache, daß die Arbeitslosigkeit strukturelle Ursachen hat und deswegen nur mit strukturellen Maßnahmen bekämpft werden kann. Das müßte sich Ihre Partei zu eigen machen. Deswegen hätte ich mir gewünscht, daß man - statt Herrn Apel zum finanzpolitischen Sprecher zu machen, der das alles nicht kapiert hat - den Herrn Matthöfer oder den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt - er steht leider nicht mehr zur Verfügung - oder den Herrn Lahnstein genommen hätte. Die drei Letztgenannten haben bessere und richtigere Forderungen erhoben, aber der Erstgenannte hat resigniert. Das ist bekannt. - Herr Vogel, Sie schauen sicher auch deswegen so traurig, denn während Sie hier Ihre Rede gehalten haben, hat Herr Schmidt eine Pressekonferenz abgehalten, statt sich das anzuhören. Ich kann ihn gut verstehen.
({16})
Er hat es sich damit erspart.
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- Herr Vogel, ärgern Sie sich doch nicht so darüber.
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- Ich glaube, der Herr Schmidt tut es noch öfter, wenn er weiß, daß er Sie damit ärgern kann.
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Der zweite, der Herr Matthöfer, ist von Ihnen ziemlich aus dem Verkehr gezogen worden. Er hat sich noch einmal kurz mit einer Zwischenfrage zur Entwicklungspolitik gemeldet. Der Herr Lahnstein läuft jetzt auch dem schnöden Mammon nach. Heute soll er allerdings wieder im Haus sein, und zwar im 19. Stockwerk des Langen Eugen, wo viele aktive und ehemalige Politiker aussagen müssen. Er war ja in der Zeit der Steuerbefreiung für den Flick-Konzern Finanzminister.
({20})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte noch ein Wort zur Strukturpolitik und zu dem Gerede von dem sogenannten Süd-Nord-Gefälle, das wir angeblich mittlerweile in der Bundesrepublik haben, sagen. Ich sehe dieses Süd-Nord-Gefälle nicht, ich bin nur der Meinung, daß der Steuerzahler auf die Dauer nicht mit öffentlichen Subventionen wettmachen kann, was in der Lohnpolitik versäumt wird. Es ist ganz interessant, daß z. B. HDW in Kiel - Frau Simonis, das ist ja so in etwa Ihre Gegend - oder Arbed Saarstahl in Ihren Regionen Lohnführer sind, dies ausgerechnet, nachGlos
dem sie mit die höchsten Subventionen bekommen.
({21})
Staatliche Strukturhilfe, Unternehmer-Wagemut, Lohndifferenzierung und Mobilität der Arbeitnehmer sind unverzichtbare Voraussetzungen, um über den nötigen Strukturwandel zu dauerhaften Arbeitsplätzen zu kommen.
Wenn sozialdemokratisch regierte Länder in Zusammenarbeit mit den GRÜNEN oder mit deren Duldung eine die Wirtschaft verunsichernde, sie belastende Politik in ihren Regionen betreiben, wie wir dies jetzt z. B. deutlich in Hessen feststellen können, und infolgedessen ganze Landstriche in ihrer Wirtschafts- und Steuerkraft geschwächt werden, dann können wir dies nicht mit staatlichen Mitteln ausgleichen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Wähler in Nordrhein-Westfalen und im Saarland müssen wissen, was es bedeutet, wenn sie bei den künftigen Landtagswahlen eine rotgrüne Mehrheit zum Zuge kommen lassen.
({22})
Ich bin der Meinung, das neue Wirtschaftsgefälle in der Bundesrepublik wird einmal zwischen den Ländern, in denen liberal-konservative Regierungen oder reine CDU/CSU-Regierungen sind, und denen, wo es rot-grüne Koalitionen gibt, verlaufen. Das ist doch heute schon deutlich an den Investitionsentscheidungen der Unternehmungen abzulesen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte ein paar abschließende Sätze sagen. Die finanz- und wirtschaftspolitischen Forderungen der SPD sind ein Hexeneinmaleins. Sie wollen neue Arbeitsplätze und gleichzeitig massive Arbeitszeitverkürzungen mit vollem Lohnausgleich. Sie wollen Existenzgründungsprogramme und verunsichern gleichzeitig den Mittelstand und die Selbständigen. Sie wollen angeblich die Zinsen senken, die Staatsschulden abbauen, und gleichzeitig wollen Sie die Sparmaßnahmen zurückgenommen haben. Ihre Forderung lautet mit einem Wort: Wasch mich, aber mach mich nicht naß.
({24})
Sie können von uns nicht verlangen, daß wir Ihren Rezepten folgen. Sie haben sich mit diesen Rezepten und mit Ihrer Art und Weise, Politik zu machen, um die Regierungsverantwortung gebracht.
Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Begebenheit. Als wir den ehemaligen Finanzminister Lahnstein im Haushaltsausschuß des Bundestages das erstemal empfingen, haben wir gesagt: Jetzt kommt der letzte sozialdemokratische Finanzminister dieses Jahrtausends. Sie haben gelacht, aber das Lachen ist Ihnen schnell vergangen. Wir werden mit unserer Politik dafür sorgen, daß Herr Lahnstein dies bleibt.
Danke schön.
({25})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Simonis.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Glos, wenn Sie dem Einheitsredenschreiber Ihrer Fraktion beibringen könnten, daß er Sie demnächst die Reden wieder allein schreiben läßt, und bedenken könnten, daß von den zehn angekündigten Gesetzentwürfen, die für die Familien so nützlich sein sollen, noch nicht einmal zwei als Gesetz vorliegen, dann könnten Ihre Reden vielleicht besser werden. Auf jeden Fall wären sie dann wahrheitsgemäßer.
({0})
Mehr als zehn Stunden wurde der Einzelplan des Bundeswirtschaftsministers im Haushaltsausschuß diskutiert, länger als jeder andere Einzelhaushalt und länger als jemals zuvor. Dieser steigende Diskussionsbedarf steht allerdings in ganz krassem Widerspruch zu der abnehmenden Bedeutung des Wirtschaftsministers. Denn da, wo ihn der Finanzminister und die vereinigte Arbeitsgruppe Haushalt nicht fleddern, wird er von seinem eigenen Parteivorsitzenden geschurigelt. Und falls dieser ihn mit seinen Verbalnoten nicht gerade quält, sorgt der versammelte angestiegene wirtschaftspolitische Sachverstand in der FDP-Fraktion dafür, daß der neue Wirtschaftsminister schon wieder auf die rechte Größe zurechtgestutzt wird.
Fast bekommt man Sehnsucht nach einem Wirtschaftsminister, der, wenn ich auch seine Meinung selten geteilt habe, wenigstens den Namen Wirtschaftsminister verdient hat
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und nicht nach seinem Übervater Stoltenberg schielt wie ein Kind, das Angst um sein Taschengeld hat.
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Es liegt doch nicht nur an dem Test der Dauerbelastbarkeit des kanzlerschen Gesäßes, daß in Bonn keine Politik gemacht wird, sondern auch daran, daß im gesamten Kabinett keiner den Mut hat, mit dem Finanzminister darüber zu streiten, ob seine kleinkarierte, kleindimensionierte Sparstrumpfmentalität denn wirklich das richtige Instrumentarium für eine flexible, leistungsfähige, moderne und soziale menschliche Industriegesellschaft ist.
({3})
Zu ängstlich, mit Stoltenberg zu diskutieren, pfeifen Sie wie ein Kind im Dunkeln und loben mit den ewig gleichen, ausgeleierten Floskeln Ihre eigene, angeblich so vorteilhafte und erfolgversprechende Wirtschaftspolitik.
In diesem strahlenden Bild kommen Arbeitslose natürlich nur als bedauernswerte, aber im Grunde genommen gottgewollte, schicksalsgegebene Schatten vor. Es treibt einem wirklich die Tränen in die Augen, wenn die Regierung mit bewegenden Wor7828
ten in Sonntagsreden das schwere Los der Arbeitslosigkeit beschreibt. Aber eines sollten Sie sich vielleicht doch einmal merken: Sie werden nicht dafür bezahlt, uns hier zum Weinen zu bringen; Sie sollen handeln, aber davon kann man wenig merken.
({4})
Was soll denn das Gerede, daß die angeblich so erfolgreiche Inflationsbekämpfungspolitik die beste Sozialpolitik der Regierung sei? Ein einziger Anruf beim Statistischen Bundesamt in Wiesbaden - im übrigen auf Kosten des Ministeriums - würde Ihnen doch zeigen, daß Arbeitnehmer und Rentner reale Einkommenseinbußen von 2,3 % im Jahre 1982, von fast 1 % im Jahre 1983 und wiederum von 1 % in diesem Jahr zu verkraften haben, und zwar deshalb, weil ihnen Ihre Wohlstandsklaupolitik eben mehr aus der Tasche herauszieht, als Ihre angebliche Inflationsbekämpfungspolitik ihnen am Ende übrigläßt.
({5})
Die Blümsche Bauchtanztruppe, normalerweise auch als Sozialausschüsse bekanntgeworden, mag zwar über die rednerische Begabung ihres Ritters wider den tierischen Ernst begeistert sein, aber das ändert nichts daran, daß denjenigen unter den Arbeitnehmern und Rentnern der Humor vergehen muß, die auch nur in die allerweiteste Reichweite von Ritter Norberts Sozialpolitik geraten. Denn wenn es darauf ankommt, im Kabinett die Interessen von Arbeitnehmern und Rentnern zu vertreten, war Blüm schon immer der Organisator des geordneten Rückzugs hinter die Schutzwälle von Mainz, wie es singt und lacht.
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Von Bangemann in diesem Zusammenhang berichten zu wollen, ist müßig. Es gibt nichts zu berichten. Auch der griechische Tragödienchor, bekannt als versammelter wirtschaftspolitischer Sachverstand oder die fünf Weisen, bringt doch jedes Jahr die gleiche alte Leier von den gleichen alten angebotsorientierten Wohltaten der neuen Regierung, bringt die gleiche Leier von zu hohen Löhnen, zu hohem Anspruchsdenken in der Republik.
({7})
Es ist bis jetzt jeder - einschließlich des Sozialministers - uns den Beweis schuldig geblieben, daß geschiedene Frauen, Arbeitnehmer, Rentner, Schüler, Studenten, Rentnerinnen von dem Geld, das Sie ihnen zugestehen wollen, auch nur halbwegs leben können. Nun seien Sie doch mal ehrlich: Niemand von denen, die so laut erklären, daß das Anspruchsdenken zu hoch sei, käme auch nur eine Woche mit dem zurecht, womit andere Leute einen oder zwei Monate ihre ganze Familie ernähren müssen.
({8})
Und was bedeuten denn schon die so viel gelobten 2,5 %, um die das Bruttosozialprodukt in diesem Jahr gestiegen sein soll? Im Grunde genommen müßten die Ursachen dieses Wachstums Ihnen die Ruhe rauben. Denn allein die außenwirtschaftlichen Erfolge und nicht binnenwirtschaftliche Erfolge Ihrer Politik haben dies bewirkt; die binnenwirtschaftliche Nachfrage haben Sie doch auf Null heruntergesetzt. Das sollten Sie irgendwann einmal nachprüfen.
({9})
Allein die außenwirtschaftlichen Erfolge haben Sie doch vor einem Einbruch schlimmster Art bewahrt.
Wenn schon sonst nichts Sie zum Handeln treibt, die Schlagzeilen der deutschen Presse müßten Sie doch mindestens mal ab und zu aufwachen lassen: „Immer mehr Häuser kommen unter den Hammer - im Norden mehr Versteigerungen als im Süden". Das ist offensichtlich die Folge der erfolgreichen Politik des Finanzministers im Norden - so die „Süddeutsche" vom 22. November 1984. „Zahl der Privatinsolvenzen nahm 1984 wieder zu", nachdem sie bereits im Jahre 1983 eine Rekordhöhe erreicht hatte. „Deutsche Konjunktur hat den Gipfel schon hinter sich." Ich habe das Gefühl, als ob der ehemalige Finanzminister im Schleswig-Holsteinischen Landtag, der heute Vorstandsvorsitzender der schleswig-holsteinischen Landesbank ist, hier seinen ehemaligen Landesvater vors Schienbein treten wollte; denn er hat diesem ausgerechnet im Ausland ins Stammbuch geschrieben, daß die deutsche Konjunktur bereits wieder an Siechtum eingehen wird.
({10})
- Lesen Sie es doch einmal nach!
Wo bleibt denn die Initiative des Wirtschaftsministers? Wo bleibt sein neues Instrumentarium, mit dem er noch im Sommer die Journaille von einer Pressekonferenz zur anderen gejagt hat?
({11})
Es fällt Ihnen im Grunde nichts weiter ein, als immer westwärts auf unseren großen Partner Amerika zu schauen. Sie werden sich noch wundern, was Ihnen da passiert.
Der Versuch, Amerika zu kopieren, gleicht doch einem Tanz auf dem Vulkan. Das geradezu atemberaubende Defizit im amerikanischen Budget, der abenteuerlich hohe Dollarkurs, die Zinszahlungen, die den amerikanischen Steuerzahler täglich 250 Millionen DM kosten, das soll des Pudels Kern einer neuen Wirtschaftspolitik sein?
({12})
- Mit den Zinsen, die die täglich zahlen, könnten
Sie - um einmal die komische Rechnung von
Herrn Blüm aufzunehmen - jedem Rentner ein
Weihnachtsgeschenk von 10 000 DM machen und hätten noch sehr viel Geld übrig.
({13})
Eine Gesellschaft, die die Armut breiter Teile der Bevölkerung bewußt in Kauf nimmt, um die eigenen Reichen reicher zu machen, ist das die Blaupause für die deutsche Gesellschaft? Eine Gesellschaft, in der die Produktivität in manchen Bereichen gegen Null hin tendiert, ist das die Vorlage für eine moderne deutsche Wirtschaftspolitik?
Was würde wohl die Frohnatur Blüm sagen, wenn unter sozialdemokratischer Regierung Menschen vor Suppenküchen Schlange stehen würden?
({14})
Ich warte heute schon darauf, was diese Frohnatur sagen wird, wenn die Armutspolitik der neuen Regierung weiterhin Früchte tragen wird.
Wenn schon von der Regierung keine neuen Vorschläge kommen, muß ich allerdings auch einmal ein Wort zu den Vorschlägen der GRÜNEN sagen. Die GRÜNEN gehen durch die Landschaft und reden „small ist beautiful", „dezentralisiert", „ohne Staatsknete", „freibestimmt". Und dann kommen die Anträge, mal eben zwei Milliarden Mark herüberzuschieben an die deutsche Großchemie für Konversion. Das klingt zwar gut, aber wer um des Himmels willen soll denn sonst noch das Geld aufbringen, wenn nicht die Großverdiener der deutschen Großindustrie, um Konversion zu machen?
({15})
Ihr müßtet schon einmal ein ganz klein bißchen darüber nachdenken, ob das, was ihr draußen von „klein, selbstbestimmt und frei" erzählt, damit in Übereinstimmung zu bringen ist, 3 Milliarden DM Staatsknete in die Großindustrie hineinzuschieben.
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Dennoch, so unbedacht oder dumm auch mancher Antrag der GRÜNEN sein mag, die Ruhe der Regierung, die der eines Karnickels vor dem Schlangenblick gleicht, hat sogar die gute alte Gouvernante Bundesbank dazu genötigt, der Regierung folgende Mahnung zu erteilen: Es wäre jetzt an der Zeit, die Beschäftigungsmöglichkeiten zu verbessern und auch die Ausgaben zur Verringerung der Umweltschäden zu erhöhen.
Frau Abgeordnete Simonis, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Glos?
Ja, gerne.
Verehrte Frau Kollegin Simonis, darf ich Sie, da ich davon ausgehe, daß meine Kinder zu Hause vor dem Fernseher zuschauen, und sie in eine Schule gehen, in der man die Begriffe, die Sie bringen, nicht so lernt, fragen, was
Staatsknete ist? Vielleicht könnten Sie das hier einmal erklären.
({0})
Lieber Herr Glos, wir werden in drei Wochen Weihnachten haben, und dann haben Sie genügend Zeit, Ihren väterlichen Pflichten nachzukommen und Ihre Kinder über die moderne Sprache in einer modernen Gesellschaft, die Sie j a angeblich vertreten, aufzuklären.
({0})
Bei dem sonst so vornehm zurückhaltenden Ton der Bundesbank kommt die Ermahnung, endlich etwas für die Beschäftigung in dieser Republik zu tun, einem flehentlichen Aufruf zum Handeln wirklich schon sehr nahe. Während die Regierung den Blick fest westwärts auf Milton Friedmans Wunderland gewandt hat,
({1})
geht hinter ihr, nämlich hier bei uns in der Bundesrepublik, Land unter.
Was haben Sie den Wählern und der Wirtschaft nicht alles versprochen! Es ist ja fast schon langweilig, alles zu wiederholen, was Sie gesagt haben: Zuverlässigkeit und Berechenbarkeit der Wirtschaftspolitik, Zurücknahme der Subventionen, Zurückfahren der Steuerlastquote, Zurückweisen der Bundesbankgewinne, Hochfahren der Investitionsquote, Abbau der Arbeitslosigkeit. Von diesen Eckdaten der geistig-moralischen Wende hat der Bundesfinanzminister erstens klammheimlich Abschied genommen, und zweitens hat er haarscharf die Kurve gekratzt und den Gegenkurs angesteuert: Die Subventionen steigen wie ein Hefeteig,
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jeden Tag ein bißchen mehr; die neuen Denkanstöße für die Wirtschaft erschöpfen sich im wesentlichen darin, daß der Bundeswirtschaftsminister jeden Tag die Richtlinien neu schreiben läßt und neue Verordnungen herausgibt, damit die Wirtschaft mit dem bißchen Geld, das der Finanzminister ihm übrigläßt, überhaupt noch rechnen kann. Dies ist auch eine Art von Kontinuität, Herr Wirtschaftsminister. Es zeigt im Grunde genommen, daß wir das Wirtschaftsministerium fast abschaffen könnten, denn irgendein gut bezahlter Beamter im Finanzministerium würde es auch noch schaffen, ein paar Richtlinien umzuschreiben.
Die Steuerlastquote steigt so hoch, wie sie noch nie gewesen ist, nämlich auf 25 % im nächsten Jahr, und die Investitionen, die heilige Kuh der Marktwirtschaft, der Scheidungsgrund des Grafen, für den er als Ritter ohne Furcht und Tadel in den Krieg gegen die Sozialdemokraten ziehen zu müs7830
sen gemeint hat, sinken nicht nur beim Staat, sondern auch bei den Privaten. Wenn die Halbierung des Zuwachses bei den privaten Investitionen bei Ihnen, lieber Kollege Glos, schon ein „kräftiger Ausschwung" ist, dann frage ich Sie: Wo um Gottes willen haben Sie eigentlich Ihre wirtschaftspolitischen Grundkenntnisse herbekommen?
({3})
Dies bedeutet doch de facto, daß sich bei uns die privaten Investitionen ungefähr bei Null einpendeln werden und daß die staatlichen Investitionen von Stoltenberg als eine Sparbüchse besonderer Art angesehen werden.
Weil die staatlichen Investitionsquoten sinken, weil die Investitionen nicht zunehmen, nimmt auch die Arbeitslosigkeit zu. Folgerichtig muß man davon ausgehen, daß Sie das wollen, daß Sie die Arbeitslosigkeit brauchen, um damit eine bestimmte Politik durchsetzen zu können.
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Weil die Arbeitslosigkeit zunimmt, haben Sie auch nicht genug Geld, um die Renten zu zahlen; Sie müssen auf Pump gehen.
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Blüm wäre in Ohnmacht gefallen, wenn das bei uns passiert wäre.
Brav wie die Schlachtlämmer marschiert die gesamte Koalition hinter dem Finanzminister her, der zur Tröstung aller in der Bundesrepublik Versammelten durch die „International Herald Tribune" bekanntgibt, die Flick-Affäre könne neue Investitionen nicht gefährden.
({6})
O Gott, Herr Finanzminister! Die Flick-Affäre vielleicht nicht, denn Unternehmer investieren, um Gewinne zu machen, keineswegs um Flick einen Gefallen zu tun. Aber der Finanzminister selbst gefährdet Investitionen, wenn er sich bei jedem Haushalt an den Investitionsmitteln, die das Parlament genehmigt hat, vergreift, um sie seinem Spartopf einzuverleiben. Vielleicht werden deutsche Unternehmer wieder anfangen zu investieren, wenn der Wirtschaftsminister, der nach eigenem Bekunden noch viel lernen muß, endlich aus diesem Stadium herausgekommen ist, wenn der Finanzminister seinen Glauben aufgibt, daß man bereits ein Wirtschaftsfachmann ist, wenn man neben Abgeordnetenmandat und Ministeramt einen Trockenschwimmkurs in Wirtschaftspolitik bei Krupp absolviert hat.
({7})
- Wenn man zufällig mit dem Finger auf eine Wunde kommt, schreien Sie gequält auf. Also habe ich offensichtlich recht mit meiner Bemerkung.
({8})
- Das war die Sache: Er hat einen Trockenschwimmkurs bei Krupp in Sachen praktischer Wirtschaftspolitik gemacht. Wenn Sie es gern wiederholt haben möchten, kann ich es ein drittes Mal sagen.
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Warum regt sich eigentlich bei uns sowohl in den veröffentlichten Meinungen in den Medien wie in der Politik niemand über die Diskrepanz zwischen dem verbalen Wollen und Wirken von Bangemann und Superman Stoltenberg auf, in dessen Wahlkreis beispielsweise die höchste Arbeitslosenquote seit 1952 erreicht wurde, unter dessen Fuchtel die allgemeine Arbeitslosigkeit strukturell und nominell zunimmt, unter dessen unerbittlichem Regiment ganze Regionen ausbluten? Warum regt sich über diese Diskrepanz zwischen dem, was er verkündet, und dem, was er tut, niemand auf? Weil die eigentliche Aufgabe, die Stoltenberg zu erfüllen hat und die zu erfüllen er gewillt ist, nicht das ist, was er sagt. Denn dann müßte man sich zu Recht aufregen. Schulden haben ihn noch nie aufgeregt. Als Ministerpräsident. hat er hervorragend mit einer Schuldenpolitik gelebt und ist ohne Schrammen davongekommen.
Seine Aufgabe ist die ideologisch begründete Einteilung der deutschen Bevölkerung in solche, die haben und deren Leistung sich a priori wieder lohnen soll, und solche, denen genommen wird und die gefälligst zur Kenntnis zu nehmen haben, daß ihr Platz unten, und zwar sehr weit unten in dieser Gesellschaft ist und daß sie dafür zu arbeiten haben, daß sie unten bleiben und die anderen oben sind.
({10})
Das zweifelhafte Verdienst des Finanzministers ist, daß er allein die Nerven hat, für die Reise in eine Klassengesellschaft nach konservativem Geschmack, die dank Blumschen Frohsinns nach außen den Anstrich einer harmlosen Vatertagstour angenommen hat. Daß er die Nerven und den notwendigen Hofnarren hat, den gesellschaftlichen Konsens zu zerstören, bezweifelt bei uns niemand. Daß aber jemand aus der Regierung das Recht hat, als Verfechter einer besonderen, einer geistig-moralischen Politik aufzutreten, das ist Ihnen allen zusammen abzusprechen. Deswegen werden wir Ihren Haushalt ablehnen.
Ich danke Ihnen.
({11})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Weng.
({0})
Herr Kollege Diederich, „schon wieder der Weng": Eine kleine Fraktion bietet die Chance, sich häufiger zu bewähren,
({0})
als das bei einer großen Fraktion der Fall ist. Bei einer großen Fraktion ist es zwangsläufig so, daß eine Reihe der Talente im Stillen blühen müssen.
({1})
Das heißt aber nicht, daß alle, die bei den großen Fraktionen im Stillen blühen, Talente sind.
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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Haushaltsausschuß und insbesondere die Haushaltspolitiker der Koalition haben bei den Beratungen des Einzelplans 09 des Wirtschaftsministeriums einen wesentlichen Schwerpunkt auf die Förderung des Mittelstandes gelegt, aus der Überzeugung heraus, daß für eine gesunde Wirtschaftsstruktur ein gesunder Mittelstand tragender Bestandteil ist. Wir haben diesen Weg schon im Berichterstattergespräch aus Überzeugung beschritten. Ich bin dem Kollegen Glos von der CSU für seine Kooperationsbereitschaft besonders verbunden.
({3})
Ich möchte zunächst einmal einen Bereich in den Mittelpunkt meiner Ausführungen stellen, bei dem wir mit wirtschaftspolitischer Beschlußfassung auch etwas für die Umwelt getan haben. Wir haben nämlich nicht nur im Bereich des Verkehrsministeriums durch den Verzicht auf Erträge aus den Nebenbetrieben der Bundesautobahnen dafür Sorge getragen, daß schnellstmöglich die Umstellung aller Autobahntankstellen auf das Angebot von bleifreiem Benzin ermöglicht wird, sondern wir haben zusätzlich im Wirtschaftsministerium einen Baransatz von 10 Millionen DM und eine zusätzliche Verpflichtungsermächtigung in gleicher Höhe für das Jahr 1986 eingestellt, damit mittelständischen Unternehmen der Ausbau ihrer Tankstellen auf bleifreies Benzin erleichtert wird.
Die entsprechenden Investitionen sollen ja nach dem erklärten Willen dieses Hauses in den Jahren 1985 und 1986 vorgenommen werden, damit die Bürger, die die umweltfreundlichen Autos in Zukunft kaufen, dann auch überall das dazu nötige Benzin vorfinden. Daß es das erklärte Ziel unserer Maßnahme ist, neben dem schnellen Erreichen dieses Umweltziels gleichzeitig die Struktur und die Wettbewerbsvielfalt auf dem deutschen Mineralölmarkt zu erhalten, werden Sie verstehen; denn dieser Vielfalt verdanken wir einen im internationalen Vergleich stets als günstig anzusehenden Benzinpreis. Wir wollen verhindern, daß die Umstrukturierung des Mineralölmarktes auf bleifreies Benzin wegen der Kapitalvorteile der Ölmultis zu einer unerwünschten Marktbereinigung führt, weil natürlich für kleine und mittlere Betriebe bei Investitionen dieser Größenordnung keine Wettbewerbsgleichheit besteht.
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Daß wir diesen Beschluß einstimmig gefaßt haben, muß für die Verwaltung Anlaß sein, für sorgfältige Durchführung zu sorgen. Das heißt, Herr Minister Bangemann, die Richtlinien in Ihrem Hause müssen umgehend erstellt werden, und sie müssen natürlich auch diejenigen Betriebe betreffen, die mit solchen Maßnahmen bereits begonnen haben. Der Haushaltsausschuß wird auf das Verwaltungsverfahren sehr aufmerksam achten.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer Bemühungen im Bereich der Existenzgründungen ist von Kollege Glos schon genannt worden. Hier haben wir nicht nur die Zinszuschüsse im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms zur Gründung selbständiger Existenzen hoch angesetzt, sondern zusätzlich auch noch mit dem heute vorgelegten Antrag eine weitere Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen gefordert. Diese Erhöhung soll dazu führen, daß die Zinszuschüsse bis Ende 1987 in der Höhe nicht verändert zu werden brauchen. Daß wir einem dringenden Wunsch der Wirtschaftspolitiker von FDP und CDU/CSU folgend neu ein Ansparmodell zur Gründung selbständiger Existenzen aufgenommen haben, wird durch die dazu gehörige Verpflichtungsermächtigung von 200 Millionen DM dokumentiert. Dies ist besonderer Erwähnung wert. Ich weiß, daß hier ein langgehegter Wunsch von Kollegen mit wirtschaftspolitischem Sachverstand in Erfüllung geht.
Ein Teilwunsch ist allerdings offengeblieben. Das Ansparen mit dem Ziel der Selbständigkeit in freien Berufen ist bisher wegen des unsicheren Umfangs der finanziellen Auswirkungen nicht in das Programm aufgenommen.
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Hier sollte das Ministerium bemüht sein, zunächst Klarheit über die erforderlichen Mittel zu schaffen und dann gegebenenfalls doch noch die Besserung zu versuchen, wenn dies die Haushaltslage ermöglicht.
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Ich habe eingangs gesagt, daß ein Schwerpunkt unserer Bemühungen auf der Förderung des Mittelstandes lag. Wir haben z. B. den hohen, deutlich erhöhten Ansatz für die Zuschüsse zu Personalaufwendungen im Forschungs- und Entwicklungsbereich kleiner und mittlerer Unternehmen ausdrücklich belassen, verbunden mit der Forderung, die Richtlinien so zu gestalten, daß die vorhandenen Forderungen, die zu einer sogenannten Bugwelle aufgelaufen sind, nach und nach abgebaut werden können.
Wir haben die Forschungsmittel für den Bereich der industriellen Gemeinschaftsforschung und Ent7832
wicklung um 5 Millionen DM erhöht. Diese industrielle Gemeinschaftsforschung erzielt mit unverhältnismäßig geringen staatlichen Zuschüssen eine große Breitenwirkung. Hier sind Mitnahmeeffekte so gut wie ausgeschlossen, und hier wird ein schneller und fruchtbarer Wissensaustausch zugunsten von immerhin rund 25 000 daran partizipierenden Unternehmen gewährleistet.
Ich will mit großer Deutlichkeit auf die Verstärkung im Bereich der Beratungsförderung hinweisen. Im Bewußtsein der Tatsache, daß die förderbaren Betriebsberatungen in den vergangenen Jahren sehr stark in Anspruch genommen worden sind - dies auch mit sehr gutem Erfolg - haben wir die Mittel aufgestockt und haben ebenso zusätzlich die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung von Beratern im Bereich der Existenzgründung deutlich verbessert.
Ich muß in diesem Zusammenhang aber auch eine ernste Anmerkung machen. Unter der Vielzahl von qualifizierten Beratungsunternehmen haben sich auch einige wenige weniger qualifizierte angesiedelt, bei denen es zum Teil auch unerwünschte Aufdringlichkeit gegenüber Wirtschaftsunternehmen und -verbänden gegeben hat. Ich meine, daß deshalb die Aufsichtsbehörde auch zukünftig ein sehr waches Auge haben muß. Auf Kontrolle in diesem Bereich darf nicht verzichtet werden, sonst wird nicht nur der Haushalt des Wirtschaftsministeriums durch Anforderungen überfordert, sondern es wird auch die Qualität der Beratungen insgesamt leiden.
({7})
Meine Damen und Herren, ich will erwähnen, daß wir durch Aufstockung der Mittel für Maßnahmen im Bereich der Außenwirtschaft gerade kleinen und mittleren Unternehmungen verstärkt die Möglichkeit der Beteiligung an Auslandsmessen und -ausstellungen geben wollen. Dies ist auch darin begründet, daß sich in der jüngeren Vergangenheit erfreulicherweise sehr viel mehr solcher Betriebe am Export beteiligen wollten und auch schon beteiligen konnten. Unser Dank gilt in diesem Zusammenhang den Außenhandelskammern, die sich immer wieder mit großem Engagement für die Belange der deutschen Wirtschaft im Ausland einsetzen.
Wir sind insgesamt als Haushaltsgruppe der Koalition stolz darauf, daß wir alle die Maßnahmen, die ich hier geschildert habe, die natürlich auch Subventionen sind, wenn auch zeitlich begrenzte Subventionen, durch Kürzungen in anderen Subventionsbereichen aus dem gleichen Haushalt nicht nur finanziert haben, sondern insgesamt sogar noch Einsparungen erreichen konnten.
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Ich möchte noch ein Wort zu einem Problem äußern, das im Augenblick verhältnismäßig brennend interessiert und im politischen Raum steht, zum Thema Ladenschluß. Hier kommt es bei allen Beteiligten in letzter Zeit zu einer gewissen Unsicherheit, ob und in welcher Weise möglicherweise Änderungen am geltenden Ladenschlußgesetz geplant seien.
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Die Position unserer Fraktion ist hier, einen zeitlich ausreichenden größeren Versuch damit zu unternehmen, daß an einem Abend in der Woche längere Öffnungszeiten ermöglicht werden sollen und daß für diese Verlängerung Kompensation z. B. durch Abschaffung des langen Samstags oder ähnliches möglich sein soll. Der Herr Wirtschaftsminister hat mir gestern ausdrücklich versichert, daß es in seinem Hause keine weitergehenden Pläne gibt
({10})
und daß er im Augenblick nur daran denkt, bei einem solchen Modellversuch mit den Verbänden und mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.
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Ich glaube, hier wird deutlich, daß der tatsächliche Sachstand, nach dem das Ergebnis solcher Versuche erst ein Grund für weitere Überlegungen sein wird, kein Grund zu irgendwelchen großen Beunruhigungen ist.
Herr Abgeordneter Dr. Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Diederich?
Nein, Herr Präsident, das gestatte ich nicht.
({0})
Ich beende nämlich meine Ausführungen damit, daß ich darauf hinweise, daß sich der neue Wirtschaftsminister Dr. Martin Bangemann erwartet rasch in die schwierige Materie eingearbeitet hat und die Wirtschaftspolitik seines Vorgängers mit eigenem Profil fortsetzt. Hierzu hat er unsere Unterstützung. Meine Fraktion stimmt seinem Haushalt zu.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lattmann.
({0})
- Herr Kollege Lattmann, ich höre gerade, Sie haben heute Geburtstag. Das darf bei solcher Gelegenheit lobend erwähnt werden. Herzlichen Glückwunsch!
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Herzlichen Dank, Herr Präsident.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Koalitionsfraktionen haben einen Änderungsantrag zum Titel 662 61 - Zinszuschüsse im Rahmen des Eigenkapitalhilfeprogramms zur Gründung selbständiger Existenzen - eingebracht, mit dem
die Verpflichtungsermächtigung für zukünftige Haushaltsjahre um noch einmal 40 Millionen auf nunmehr 240 Millionen DM aufgestockt werden soll. Names der CDU/CSU bitte ich um Unterstützung für diesen Antrag.
({0})
Er zieht die Konsequenzen aus einer außerordentlich erfreulichen Entwicklung, die sich aus den Zahlen der bewilligten Eigenkapitalhilfedarlehen ablesen läßt. Während 1981 nur 78,2 Millionen DM und 1982 nur 95,3 Millionen DM in Anspruch genommen wurden, stieg diese Summe 1983 auf 357,4 Millionen DM. Sie vervierfachte sich also im ersten Jahr, für das die Koalition der Mitte die Verantwortung trug. Im ersten Halbjahr 1984 sind bereits 236,6 Millionen DM bewilligt worden; die Rekordzahl des Vorjahres wird also erneut übertroffen. Um dieses erfolgreiche Programm mit unveränderten Zinskonditionen auch in den Folgejahren fortsetzen zu können, ist eine erneute Aufstockung der Verpflichtungsermächtigung erforderlich.
In dieselbe Richtung zielt auch das von der CDU/ CSU entworfene und bereits seit langem geforderte sogenannte Ansparmodell, mit dem jungen Menschen der Weg in die Selbständigkeit erleichtert werden soll. Für Ansparzuschüsse zur Förderung der Gründung selbständiger Existenzen im Bereich der gewerblichen Wirtschaft ist auf unseren Antrag hin in diesen Haushalt eine Verpflichtungsermächtigung für künftige Haushaltsjahre in Höhe von 200 Millionen DM eingestellt worden.
({1})
Das macht deutlich, meine Damen und Herren: Wir reden nicht, wir handeln.
Erinnert werden muß in diesem Zusammenhang auch an unsere Initiative zur Förderung der Bildung von Risikokapital, die gerade im Bereich innovativer und besonders risikobehafteter technischer Entwicklungen neue Spielräume schaffen soll und wird und deshalb einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung unserer Strukturprobleme darstellt.
Meine Damen und Herren, die Zahlen und Entwicklungen beweisen: Die von uns gewünschte und verstärkt initiierte Gründungswelle in der Bundesrepublik rollt, und sie wird zunehmend stärker. Darüber hinaus setzen die von uns beschlossenen Steuererleichterungen, denen weitere folgen werden und müssen, sobald es die Haushaltslage zuläßt, auch etablierte zukunftsorientierte Unternehmen in die Lage, durch neue Investitionen die Wettbewerbsfähigkeit zu steigern. Und dies, meine Damen und Herren, ist die einzige wirkliche Chance, unsere Strukturprobleme auf die Dauer zu lösen. Und dies ist die einzige wirkliche Chance, die in veralteten Branchen verloren gegangenen Arbeitsplätze durch neue zu ersetzen.
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Und nun, meine Damen und Herren von der Opposition, muß ich wirklich einmal fragen: Wie kommen Sie angesichts dieser Entwicklung und ihrer Ergebnisse dazu, uns immer wieder Untätigkeit vorzuwerfen? Zugegeben, Ihren ideologischen Maßstäben mögen diese Maßnahmen nicht genügen.
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Sie legen den Schwerpunkt darauf, den Mitbürgern beizubringen, wo und wie man am besten die Hand aufhält. Unser Schwerpunkt liegt darin, den Leuten zu zeigen, wie man diese Hand nutzt und die andere dazu, um möglichst kräftig zuzupacken.
({4})
Sie mögen dies von Ihrem ideologischen Standpunkt aus kritisieren, aber der Erfolg gibt uns recht. Weil Sie gegen richtige Erkenntnisse und erfolgreiche Politik nicht anargumentieren können, versuchen Sie es mit Polemik der billigsten Art.
Wir haben gerade ein hervorragendes Beispiel erlebt. Da hat - ich will nur einen Satz herausgreifen - die Kollegin Simonis doch tatsächlich den denkwürdigen Satz von der Reduzierung der Binnennachfrage auf Null geprägt - und das, obwohl wir in diesem Jahr erneut ein Wirtschaftswachstum haben. Verehrte Frau Kollegin, das ist empirisch falsch und wäre systematisch nobelpreisverdächtig, wenn es einen Preis für ökonomischen Unsinn gäbe.
({5})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Nein.
Ich darf Sie darauf hinweisen, daß das Sachverständigengutachten, das zu lesen Sie hoffentlich Gelegenheit hatten, folgenden, Sie widerlegenden Satz erwähnt:
Die privaten Haushalte haben ihre Konsumgüterkäufe in diesem Jahr in ähnlichem Umfang ausgeweitet wie 1983.
Und das war nur möglich, weil es durch unsere Politik eine Steigerung der Realeinkommen gegeben hatte.
({0})
Und dann muß natürlich - Sie haben ihn wie viele andere auch gebracht - der Hinweis auf die neue soziale Armut kommen.
({1})
Der Herr Apel hat das heute morgen hier mit einem bemerkenswerten Satz eingeleitet. Er hat gesagt: Wer nichts hat, dem wird etwas genommen.
({2})
Das ist wirklich phantastisch.
({3})
Ich muß wirklich sagen, einen, der sich einer so umfassenden Logik bedient, würde ich nicht einmal den Klingelbeutel in der Kirche zählen lassen, geschweige denn ihm die Bundeskasse anvertrauen, was leider passiert ist - mit den bekannten Ergebnissen.
({4})
- Der hatte ein Minuswachstum, das ist völlig richtig, Herr Kollege Kolb.
Ich weiß, daß in diesem Bereich, was die soziale Ausgewogenheit angeht, natürlich eine Reihe von Problemen besteht - wer wollte das bestreiten? -, aber auch hier gilt natürlich, daß man nur etwas verteilen kann, was man hat. Auch hier gilt: Verdienen kommt vor Verteilen.
({5})
Das ist der Schwerpunkt unserer Politik von Anfang an gewesen, und diese Politik werden wir fortsetzen.
({6})
Es kann nicht darum gehen, zu verteilen, was man nicht hat, aber glaubt, es zu verdienen, sondern: Erst verdienen und dann verteilen. Das ist der einzige erfolgversprechende Weg. Ich möchte die Bundesregierung ermuntern, auf diesem Weg fortzufahren.
({7})
Das Wort hat der Bundesminister für Wirtschaft.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Natürlich ist die Situation schwierig - für die Opposition.
({0})
Denn die positiven Ergebnisse der Wirtschafts- und Finanzpolitik sind so unübersehbar und werden im übrigen auch von all denjenigen, die das objektiv zu beurteilen haben, anerkannt, daß einem wirklich nur noch der Fluchtweg in die Polemik übrigbleibt. Das ist eigentlich bedauerlich; denn man kann ja über das eine und andere auch sachlich miteinander reden.
Wenn der Sachverständigenrat - er hat diesen Namen, weil er nicht dem griechischen Chor ähnelt, sondern eben aus seinem wirtschaftlichen Sachverstand heraus und in völliger Unabhängigkeit von Regierung und Opposition die wirtschaftliche Situation und ihre Entwicklung zu beurteilen hat - sagt - ich zitiere mit der Erlaubnis des Präsidenten - „Beeindruckend ist: Gravierende Fehlentwicklungen konnten in wenigen Jahren beseitigt werden.", dann ist das nicht ein Lob an die Regierung, dann ist das nicht einmal ein Lob an die Opposition, sondern dann ist das eine schlichte Feststellung dessen, was wir heute erreicht haben. An anderer Stelle sagt der Sachverständigenrat: „Die Deutsche Wirtschaft befindet sich bei deutlich verbesserter Konstitution im konjunkturellen Aufwind."
({1})
Was wollen Sie denn eigentlich ernsthaft angesichts dieser Feststellungen noch einbringen? Das ist Ihr Problem. Deswegen ist diese Debatte mit Ihnen so schwierig.
Natürlich befindet sich die Volkswirtschaft wieder auf Wachstumskurs. Alle Daten zeigen das. Die Kapazitätsauslastung nimmt zu. Auch die Investitionen haben sich erhöht, Frau Simonis. Wenn man Sie so reden hört, wenn Sie vor allen Dingen den Eindruck zu erwecken suchen, daß ich dem Kurs des Kollegen Stoltenberg sozusagen nur notgedrungen folgte, dann haben Sie erstens völlig unrecht; denn ich halte diesen Kurs für richtig. Deswegen unterstütze ich ihn.
({2})
Wenn Sie mir dann zweitens noch vorwerfen, ich litte unter einem Ödipuskomplex, dann muß ich sagen: Man muß wahrscheinlich einen neuen Begriff in die Psychologie einführen: Sie leiden unter einem Wahlkreiskomplex.
({3})
Diese Entwicklung der Wirtschaft ist natürlich nicht von selbst möglich gewesen. Da liegt ja der Trugschluß, wenn Sie immer wieder sagen, hier geschehe nichts. Die Ergebnisse, die sich zeigen, sind die Folgen von zwei Jahren Regierungspolitik. Das hat diese Regierung in zwei Jahren zustande gebracht, und zwar allein dadurch, daß wir Rahmenbedingungen aufrechterhalten und verteidigt haben, ohne die überhaupt nichts geht. Das allerdings geht nicht von selbst. Dazu muß man etwas tun.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Ehrenberg?
Bitte sehr.
Herr Bundeswirtschaftsminister, würden Sie dem Plenum und damit auch der Öffentlichkeit bitte über das, was Sie über den Sachverständigenrat gesagt haben, hinaus mitteilen, daß der Sachverständigenrat ebenfalls feststellt, die Binnennachfrage verlaufe immer noch sehr mäßig - das ist fast wörtlich -, und daß der Sachverständigenrat zu Beginn seines Gutachtens als leuchtendes Beispiel für die Welt den amerikanischen Aufschwung darstellt, aber verschweigt, daß der amerikanische Aufschwung auf nichts anderes als auf die Anwendung der alten Keynes-schen Rezepte zurückzuführen ist?
({0})
Ich will mit Ihnen jetzt nicht über die Ursachen der amerikanischen Wirtschaftsentwicklung streiten,
weil sicherlich manches von dem, was die Amerikaner gemacht haben und machen konnten, auf unsere Situation nicht übertragen werden kann. Manchmal kann man sich sogar fragen, ob wir uns nicht einmal überlegen sollten, ob wir unsere Bedingungen nicht ein bißchen anpassen sollten.
Ich will Ihnen einen ganz wichtigen Punkt nennen, wo Sie dann nicht mehr so strahlen werden, wie Sie das jetzt tun. Daß in Amerika im Dienstleistungsbereich Millionen neuer Arbeitsplätze geschaffen werden konnten, hängt natürlich auch mit der Flexibilität des Arbeitsrechts in Amerika zusammen.
({0})
- Ich komme ja nachher noch auf alle diese Fragen im einzelnen zu sprechen.
Wenn Sie sich z. B. einmal die Entwicklung der Arbeitslosigkeit bei uns ansehen, dann werden Sie feststellen - wir haben das in der Zusammensetzung ganz systematisch untersucht -: Die Zunahme der Arbeitslosigkeit bei gering qualifizierten Arbeitslosen hängt auch damit zusammen, daß leider bei Tarifabschlüssen diese unteren Lohngruppen überproportional angehoben worden sind, so daß dort die Arbeitslosigkeit durch eine Verschiebung des Lohngefüges entstanden ist.
({1})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Ich möchte jetzt gern im Kontext weitermachen. Deswegen möchte ich den Kollegen Ehrenberg bitten, seine Frage auf nachher zu verschieben.
({0})
- Das gilt auch für Graf Lambsdorff. Ich bin gern bereit, nachher mit Ihnen beiden zusammen ein Glas Bier zu trinken. Dann können wir das besprechen.
({1})
Vom Rezessionstiefpunkt Ende 1982 bis zum Jahresbeginn 1984, meine Damen und Herren, ist das reale Bruttosozialprodukt um rund 4 % gestiegen. Die Industrieproduktion stieg sogar um 6,5%. Das sind die Fakten, an denen niemand vorübergehen kann.
Sie haben sich übrigens auch in der Behandlung meines Etats durch den Wirtschafts- und den Haushaltsausschuß niedergeschlagen. Ich möchte mich hier ausdrücklich bei beiden Ausschüssen, bei ihren Vorsitzenden und insbesondere bei den Berichterstattern des Haushaltsausschusses bedanken. Ich bin mit all dem einverstanden, was sich aus den Ausschußberatungen heraus an Änderungen ergeben hat. Ich bin wie Sie, Herr Glos, der Meinung, daß das eine Verbesserung dieses Haushalts ist. Dafür bedanke ich mich ausdrücklich bei dem Hohen Hause und seinen Ausschüssen.
({2})
- Ich bedanke mich auch bei Ihnen, Frau Simonis, für den Beitrag, den Sie dazu leisten konnten.
In diesem Zusammenhang darf ich vielleicht auf die Bemerkung eingehen, die Herr Glos zu Anfang machte. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten mit meinem Freund Franz Josef Strauß.
({3})
Ich befinde mich, wie Sie ja wissen,
({4})
in der Steuer- und Finanzpolitik und in vielen Fragen der Wirtschaftspolitik mit ihm völlig auf einer Linie.
({5})
Ich habe diesen Ausspruch, den Sie kritisch aufgegriffen haben, in einem bestimmten Zusammenhang und in der Tat scherzhaft verwendet. Wenn der Zusammenhang gelöst wird, bekommt er einen ganz anderen Sinn. Ich habe nämlich bei einer Parteiveranstaltung meiner eigenen Partei darauf verwiesen, welche übergroßen Schwierigkeiten FDP-Vorsitzende manchmal mit ihrer Partei haben. In diesem Zusammenhang habe ich die Solidarität der CSU lobend erwähnt und das in einen bildkräftigen Ausdruck gebracht. Das ist der Hintergrund.
({6})
Die deutliche Zunahme der Auftragseingänge im Investitionsgüterbereich läßt auch erwarten, daß die privaten Investitionen im Sinne eines Konjunkturmotors fortwirken. Die gute Exportkonjunktur, die wir in diesem Jahr bereits haben, wird sich im nächsten Jahr mit Sicherheit fortsetzen. Auch der niedrige Preisanstieg ist eben nicht nur ein Datum für Statistiker oder für Haushaltsfanatiker oder Finanzakrobaten,
({7})
sondern dieser niedrige Preisanstieg - das läßt sich einfach nicht bestreiten; das sagt auch der Sachverständigenrat - ist ein wesentlicher Faktor bei der Erholung der Realeinkommen. Deswegen ist das eine soziale Tat, was wir da gemacht haben.
({8})
Wenn wir, meine Damen und Herren, Weltmeister bei den positiven Entwicklungen der Preise sind - und das sind wir -, dann ist das ein ganz wesentliches Datum gerade auch für Rentner, für Menschen, die nicht mehr im aktiven Arbeitsprozeß stehen und deren Einkommen sich nicht in gleichem Maße und so schnell entwickelt, wie das bei denjenigen der Fall ist, die noch aktiv arbeiten können.
Deswegen sind diese Fakten und Zahlen, die wir Ihnen hier vortragen, ein Ausweis dafür, daß diese Regierung eine Wirtschafts- und Finanzpolitik be7836
treibt, die sich sozial höchst positiv auswirkt. Deswegen ist es auch eine soziale Wirtschafts- und Finanzpolitik.
({9})
Alle Prognosen sind sich einig darin, daß wir 1985 einen weiteren guten Verlauf der Konjunktur haben werden. Die Einschätzungen sind unterschiedlich. Wir befinden uns nicht in der Spitzengruppe. Sie wissen, daß der Sachverständigenrat einen Anstieg des realen Bruttosozialprodukts von über 3 % erwartet. Wir schätzen das auf 2,5 %. Aber letzten Endes ist das vielleicht ein Unterschied, den man bei einer Prognose vernachlässigen kann. Sicher ist: Auch 1985 wird sich dieser Anstieg fortsetzen. Das bedeutet, daß sich dieses Wachstum positiv auch auf die Beschäftigung auswirkt.
({10})
- Herr Ehrenberg, das Problem ist j a nicht, daß Sie mir nicht glauben. Das würde ich Ihnen jederzeit zugestehen. Das Problem ist, daß Sie den Sachverständigen nicht glauben.
({11})
Und da frage ich mich nun: Warum glauben Sie denen nicht?
Es gibt zwei Gründe, warum Sie den Sachverständigen nicht glauben. Der eine: Ihnen selber würde ein Sachverstand fehlen, das zu erkennen. Das glaube ich nicht. Da unterscheide ich mich von Frau Simonis. Ich gestehe Ihnen das nicht nur zu, sondern ich gehe davon aus. Wenn das aber so ist, dann paßt das eben nicht in Ihre politische Landschaft. Deswegen glauben Sie es nicht.
({12})
Bei einem Anstieg der Zahl der Beschäftigten um 200 000 erwartet der Sachverständigenrat einen Rückgang der Arbeitslosenzahl um 100 000. Darin wird natürlich deutlich, daß wir eine erhebliche stille Reserve haben, so daß diese stille Reserve bei der Beurteilung der Arbeitsmarktproblematik eingerechnet werden muß.
({13})
- Da das eine stille Reserve ist, ist es sehr schwer, Herr Kollege, das der Zahl nach anzugeben.
Wir können aber schon aus den Zahlen, die wir heute haben, ablesen, daß der steigende Trend der Arbeitslosigkeit gestoppt worden ist. Wir haben eine erheblich zurückgegangene Zahl der Kurzarbeiter, und die jüngsten Arbeitsmarktdaten vom September und Oktober bestätigen, daß auch die generelle Arbeitslosigkeit
({14}) nicht weiter steigt.
Man kann nicht beides tun. Ich und alle Kollegen aus den Regierungsfraktionen haben immer gesagt: Weil wir realistisch an dieses Problem herangehen, erwarten wir nicht, daß wir in einem rasanten Abstieg die Arbeitslosigkeit im nächsten Jahr um 500 000 oder 600 000 herunterdrücken können, was wir gerne wollten.
({15})
Wir erwarten allerdings auch nicht - und das ist das, was ich Ihnen vorwerfe -, daß wir in den nächsten Jahren einen Anstieg auf 3 oder 4 Millionen haben.
({16})
Und da liegt Ihre sozialpolitische Verantwortung. Diese Art von Schwarzmalerei ist es, was zusätzlich das Klima auf dem Arbeitsmarkt verschlechtert und viele Arbeitsplätze gefährdet, meine Damen und Herren von der Opposition.
({17})
Sie wollen Realitäten einfach nicht zur Kenntnis nehmen. Das ist Ihr Problem.
Ich habe schon bei verschiedenen Gelegenheiten darauf verwiesen, daß man, wenn man eine Arbeitsmarktstrategie betreiben will, vor allem die Zusammensetzung, die Ursachen, die Dauer der Arbeitslosigkeit genau ansehen muß.
({18})
Wir haben das gemacht. Dabei stellt sich etwas heraus, was das bestätigt, was wir immer gesagt haben, nämlich daß Qualifikation immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit ist. Ich trage Ihnen die Zahlen vor. Ich hoffe, daß Sie diese Zahlen endlich mal zur Kenntnis nehmen. Die höchste Arbeitslosenquote haben jugendliche Ausländer ohne abgeschlossene Berufsausbildung, und die niedrigste Arbeitslosenquote haben Deutsche der Alterklasse 25 bis 54 Jahre mit abgeschlossener Berufsausbildung. 70 % der Beschäftigten sind qualifizierte Arbeitskräfte, wie die statistische Bezeichnung lautet.
({19})
Auf diese Gruppe entfallen aber nur 42 % der Arbeitslosen. Die 30 % Nichtqualifizierten der Beschäftigten stellen 58 % aller Arbeitslosen.
({20})
Wenn das nicht ein Hinweis darauf ist, daß die berufliche Qualifikation einer der wichtigsten Schlüssel zur Bekämpfung dieses Problems ist, dann ist Ihnen nicht zu helfen.
({21})
In diesem Zusammenhang der Bekämpfung von Arbeitslosigkeit spielt eben auch die Steuerpolitik eine so wichtige Rolle. Deswegen ist es richtig, daß Herr Glos darauf hingeweisen hat, daß es hier nicht um das von Ihnen so genannte Problem der Besserverdienenden geht. Selbstverständlich bestreitet hier doch niemand, daß jemand, der in einem pflegerischen Beruf tätig ist, dort eine Leistung erbringt. Wenn Sie aber in gleicher Weise auch die
Leistung von unternehmerisch und aktiv und innovativ Tätigen anerkennen würden, dann wäre uns allen mehr geholfen. Das ist das Problem. Sie erkennen das nicht an.
({22})
Nun war der Herr Kollege Roth so freundlich, mir zu meinem Geburtstag ein Buch zu schenken, drei Bände sogar,
({23})
und zwar mit dem Wunsch - das Buch ist von Philippovich; Titel: „Grundriß der politischen Ökonomie" -, daß ich dieses Buch auch lesen, studieren und beherzigen möge.
({24})
Das habe ich jetzt begonnen. Bei der Lektüre dieses Buches habe ich aber festgestellt, daß der Kollege Roth, der es mir freundlicherweise geschenkt hat, es selber offenbar nicht gelesen hat.
({25})
Deswegen möchte ich Ihnen zur Versachlichung der Debatte über die Frage, ob man die Besserverdienenden oder Unternehmer oder was immer Sie sich da auswählen wollen für das bestrafen soll, was sie tun, indem man ihren Steuertarif anhebt, einen kleinen Abschnitt aus diesem Buch vorlesen. Ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten vorlesen:
Solange Freiheit der Konsumtion, also Freiheit in der Wahl der Befriedigungsmittel, besteht, ist die Vorsorge für die nach Ort und Größe schwankende, veränderliche Nachfrage eine selbständige Leistung innerhalb der volkswirtschaftlichen Arbeit, die ohne Verfügung über die Produktionsmittel nicht möglich ist, aber nicht aus dieser Verfügungsgewalt, sondern aus der persönlichen Befähigung entspringt. Sie würde immer eine besondere Entlohnung erfordern. Ebenso berechtigt das Auffinden neuer Produktionsgelegenheiten, neuer Arbeits- und Verarbeitungsmethoden,
- heute nennt man das neue Technologien neuer Gebrauchs- und Verbrauchsgüter als selbständige Leistung zu einer besonderen Vergütung. Solange das Privateigentum, auf diesem Wege die Güterversorgung, in der Volkswirtschaft zur ökonomischsten Verwertung der Produktivkräfte und zu ihrer vollständigsten Ausnützung führt, ist der Bestand dieses Einkommens, das zu einer solchen, im allgemeinen Interesse liegenden Produktions- und Erwerbstätigkeit den Anreiz gibt, wünschenswert und berechtigt.
({26})
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Opposition, solange jemand die Innovationskraft unserer Wirtschaft dadurch schädigt, daß er nicht mehr in der Lage ist, die Leistung der dort Beschäftigten - ich schließe die Unternehmer da ausdrücklich mit ein - anzuerkennen, sondern mit dem Ausdruck „Besserverdienende" eine Art von sozialer Asymmetrie behauptet, ist die Sache sehr schwierig.
({27})
- Ich muß jetzt zu Ende kommen, weil ich nur 23 Minuten habe. Aber ich lade Sie auch noch zum Bier ein.
({28})
Solange das nicht anerkannt wird, meine sehr verehrten Damen und Herren, wird es in dieser Bundesrepublik immer schwieriger - jedenfalls in bestimmten Teilen -, zu einer Neuansiedlung von Industrie zu kommen.
({29})
Meine Damen und Herren, man stelle sich das einmal vor: Da ist jetzt so ein junger Unternehmer mit einer Idee, dem wir über das Ansparprogramm und mit anderen Möglichkeiten helfen wollen, sein Unternehmen neu zu beginnen. Der kommt auf die Idee, das in einem Land zu tun, das Strukturschwierigkeiten hat und deshalb diese neue Industrie ansiedeln will. Und dann geht er vor einer Kommunalwahl durch dieses Land und guckt sich das ein bißchen an. Da findet er dann große Plakate einer großen Partei, auf denen steht: „Aufschwung ist nichts für die Millionen, das ist nur etwas für die Millionäre". Glauben Sie, daß Sie einem jungen Unternehmer mit einer solchen Aussage einen Anreiz geben, sich in diesem Land niederzulassen und ein unternehmerisches Risiko auf sich zu nehmen?
({30}) Ich glaube das nicht.
Für den Mittelstand, für das Handwerk haben wir viel getan. Mein Haushalt ist zwar um 10 % kleiner als im vergangenen Jahr, weil wir bei Subventionen für große Industrien abgebaut haben.
({31})
- Ja, j a, dazu müssen Sie sich einmal äußern; eins kann ja nur stimmen. - Dagegen sind die Haushaltsansätze für die kleine und mittlere Industrie, für neue, junge Unternehmer und für das Handwerk um 20 % erhöht worden, meine Damen und Herren.
({32})
Darin liegt auch, wenn Sie so wollen, ein kleiner Dank an all die Menschen im Handwerk, die auch dafür gesorgt haben, daß die Ausbildungsangst, die Sie geschürt haben, nicht eingetreten ist, daß diese Menschen sich nicht haben beirren lassen. Sie haben eine Rekordzahl von Ausbildungsplätzen ge7838
schaffen und dazu beigetragen, daß Menschen bei uns ausgebildet werden.
({33})
Dabei, meine Damen und Herren, haben wir in diesen zwei Jahren j a auch sehr viel für die soziale Symmetrie getan.
({34})
Wir haben eine ganze Reihe von Maßnahmen - ich will Ihnen nur ein paar aufzählen - durchgesetzt: die Verlängerung der Zahlung von Arbeitslosengeld auf 18 Monate für über 50jährige Arbeitnehmer, das Vorruhestandsgeld, die Augustzahlung beim Schüler-BAföG zur Vermeidung von sozialen Härten,
({35})
im Familienlastenausgleich die Einbeziehung - ({36})
- Der größte Skandal, den Sie, meine Damen und Herren, zu verantworten haben, war, daß Sie arbeitslose Jugendliche bis 21 Jahre aus der Kindergeldzahlung ausgeschlossen haben. Das haben wir wieder rückgängig gemacht.
({37})
Sie haben den Mut, von sozialer Symmetrie zu reden, und die Armsten der Armen schließen Sie von einer solchen sozialen Leistung aus; und dann stellen Sie sich hierhin und wollen uns etwas vorrechnen.
({38})
Herr Präsident, ich muß noch ganz kurz auf eine aktuelle Diskussion eingehen, weil ich die Gelegenheit dieser Debatte nutzen möchte, um eine, wie ich hoffe, nicht zu überhörende und klare Warnung an einen Partner auszusprechen, an dessen Zusammenarbeit und an dessen Verständnis mir und, ich glaube, allen hier im Hause sehr viel liegt.
Wir haben gestern erleben müssen, daß die Amerikaner ein Verhandlungsangebot der Europäischen Gemeinschaft zur Regelung der Exporte von Stahlröhren ausgeschlagen haben und statt dessen auf eine Position zurückfallen wollen, die sie schon angekündigt haben, nämlich auf einen totalen Importstopp, auf alle Fälle bis Ende des Jahres.
({39})
- Was ich dagegen mache, wollte ich Ihnen gerade sagen. - Ich sage Ihnen hier: Ich habe, als ich das hörte, sofort mit dem dafür zuständigen Kommissar der Europäischen Kommission gesprochen. Wir waren uns einig: Der Briefwechsel, auf dem bisher die freiwillige Beschränkung auf 5,9 % beruht, wird gekündigt. - Er ist inzwischen nach einem Beschluß des Ministerrates gekündigt.
Wir sind jetzt in dem Zustand, den die GATT-Regeln beschreiben; das heißt: Wir befinden uns nicht mehr auf der Grundlage dieses Briefwechsels, natürlich auch nicht auf der Grundlage eines neu ausgehandelten Abkommens, sondern wir haben uns nach den allgemeinen GATT-Regeln zu richten. Meine Damen und Herren, wer immer allgemeine GATT-Regeln verletzt, der wird die Konsequenzen, die sich daraus ergeben, auf sich nehmen müssen.
Die Bundesrepublik hat sich in der Europäischen Gemeinschaft mit Nachdruck immer gegen Stimmen eingesetzt, die sich für Protektionismus ausgesprochen haben. Wir haben immer versucht, unseren Nachbarn deutlich zu machen, daß z. B. die Fettsteuer möglicherweise interne Probleme lösen kann, aber neue externe Probleme schafft. Wir haben uns immer dafür eingesetzt, daß in den Verhandlungen mit Spanien und Portugal der insgesamt niedrigere allgemeine Außenzolltarif, den nach dem Beitritt auch diese Länder gegen sich gelten lassen müssen, nicht dazu benutzt wird, um im Wege eines sogenannten „Kredits" dafür andere Zölle zu erhöhen. Wir haben uns ganz entschlossen und ohne den Schatten eines Zweifels gegen jeden Protektionismus ausgesprochen.
Aber ich muß hier mit allem Nachdruck sagen: Wenn die amerikanische Regierung diese Position nicht revidiert, wird sich die Europäische Gemeinschaft zu Gegenmaßnahmen gezwungen sehen. Ich bedauere das, aber das wollte ich hier noch ausdrücklich sagen.
({40})
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Mitzscherling?
Ich bin am Schluß, aber wenn sie zu dem Komplex gehört, bitte sehr.
Herr Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie einen Handelskrieg mit Amerika befürchten und den Protektionismus als eine den Welthandel beschränkende Entwicklung fürchten: Wie beurteilen Sie das vor dem Hintergrund der Entwicklung der außenwirtschaftlichen Tätigkeit der deutschen Industrie im nächsten Jahr und der prognostischen Kraft des SachverständigenGutachtens?
Ich habe schon bei der Debatte, die wir hier vor wenigen Wochen über die Außenwirtschaftsprobleme geführt haben, gesagt, daß ich davon ausgehe, daß wir diese protektionistischen Anwandlungen, die wir überall finden, nicht nur in Amerika, mit Erfolg bekämpfen können. Das heißt: Ich gehe davon aus, daß das, was der Sachverständigenrat zur Entwicklung auch unseres Exports gesagt hat, realistisch ist. Aber wenn ich das so betrachte, dann muß ich meine Verpflichtung wahrnehmen, was ich, glaube ich, jetzt hier getan habe, öffentlich deutlich darauf hinzuweisen, daß wir eine solche Maßnahme nicht unwidersprochen hinnehmen können. Ich gehe weiter davon aus - in der Einschätzung dieser Möglichkeit unterscheide ich mich vielleicht
nicht von Ihnen persönlich, aber von einigen Angehörigen der Oppositionsfraktionen -, daß die Amerikaner diesen Appell richtig verstehen.
Die amerikanische internationale Handelskommission hat erst vor kurzem bei Prüfung einer Klage der amerikanischen Stahlindustrie ausdrücklich festgestellt, daß durch die Importe aus der EG die amerikanische Stahlindustrie nicht in Schwierigkeiten geraten ist. Besonders die Röhrenexporte betreffen in der Regel Produkte, die die Amerikaner selber jedenfalls nicht in der Qualität herstellen können. Sie sind also auf die Einfuhr dieser Röhren und entsprechender Produkte sogar angewiesen.
Wenn das so ist, dann, meine ich, sollten wir hier alle gemeinsam - da können wir uns dann vielleicht wieder treffen - einen Appell besonders an unsere Freunde richten - und die Amerikaner sind und bleiben unsere Freunde - daß wir uns nicht von diesem Weg entfernen, der uns bisher allen genutzt hat. Liberalität ist nicht nur ein guter Grundsatz für binnenwirtschaftliche Politik, sondern ist der einzige Grundsatz, nach dem der Welthandel zum Nutzen und Frommen aller organisiert werden kann. Wer das nicht einsieht, wird nicht nur sich selbst, sondern der ganzen Welt schaden. Aber davor möchte ich uns und unsere Freunde bewahren.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Roth.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst einmal, Herr Bangemann, möchte ich mich sehr herzlich bedanken, daß Sie so ausführlich mein Geschenk zu Ihrem 50. Geburtstag gewürdigt haben. Ich habe mir natürlich etwas dabei gedacht, warum ich Ihnen ein liberales Lehrbuch der Wirtschaftspolitik geschenkt habe. Ich dachte, zum Einstieg in die Wirtschaftstheorie überhaupt sei ein liberales Buch für Sie besser. Denn wenn ich ein politisch mir nahestehendes Buch geschenkt hätte, dann hätten Sie gleichzeitig zwei Sachen lernen müssen. Nun fangen Sie erst einmal mit der liberalen Wirtschaftstheorie an. Später kriegen Sie dann ein zweites, mir ideologisch nahestehendes Buch. Sie werden genauso wie wir alle ein bißchen älter, und vielleicht lernen Sie hinzu.
({0})
- Vielen Dank.
Als ich die Rede des Herrn Wirtschaftsministers hörte - ich nehme an, viele, die zugehört haben, hier und draußen, haben ähnliche Empfindungen gehabt -, entstand bei mir der Eindruck, als lebten wir in einer Gesellschaft und Wirtschaft, die ein paar Problemchen hätte, die man insgesamt leicht lösen könnte, die von sich aus automatisch in Ordnung kämen. Das heißt, im Wirtschaftsministerium regieren jetzt die verharmlosende Ratlosigkeit und Einfallslosigkeit.
({1})
Ich frage mich: Was empfinden eigentlich die 2,2 Millionen Arbeitslosen? In Wahrheit sind es nicht 2,2 Millionen, sondern wenn man die stille Reserve einbezieht, 3,7 Millionen.
({2})
Was empfinden die Arbeitslosen, wenn so über Wirtschaft geredet wird, wie es heute nachmittag der Wirtschaftsminister getan hat?
({3})
Wo finden die sich in den Ausführungen der Verantwortlichen der Regierung eigentlich wieder?
Wir gehen jetzt in das dritte Jahr der Regierung Kohl. Zum Amtsantritt am 1. Oktober 1982 hatten wir in der Bundesrepublik laut Arbeitslosenstatistik 1,82 Millionen Arbeitslose. Zum jetzigen Zeitpunkt, zwei Jahre später, nämlich am 1. Oktober 1984, betrug die Arbeitslosenzahl 2,14 Millionen.
({4})
Das heißt, es sind 280 000 mehr bzw. - saisonbereinigt - 350 000 mehr. Wenn man von den Erwerbstätigen, von denjenigen ausgeht, die in unserer Volkswirtschaft überhaupt schaffen, dann sind jetzt eine halbe Million Menschen weniger tätig. Das ist die Sachlage.
({5})
Davon redet hier kein Mensch.
({6})
Herr Abgeordneter Roth, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Sie wissen, daß die Vereinbarung so eng ist, daß meine Redezeit sehr knapp geworden ist.
Noch nie hat es eine konjunkturelle Erholung gegeben, ohne daß Arbeitslosigkeit abgebaut wurde. Das ist die neue Lage. Zu dieser neuen Lage sagte der Herr Wirtschaftsminister in seiner Rede kein einziges Wort.
({0})
Nun füge ich hinzu: Ich bedaure allerdings, daß der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Situation in seiner Mehrheit - vier von fünf - diese Verharmlosung des Arbeitsmarktes mit betreibt.
({1})
Ich jedenfalls empfinde es so, und ich weiß, daß das eine schroffe Kritik ist.
Der Auftrag des Sachverständigenrates, zu allen Zielen Empfehlungen zu geben, ist in diesem Gutachten nicht erfüllt worden. Zur Arbeitslosigkeit gibt es keine Antworten.
({2})
Zurück zu dieser Politik der Bundesregierung! Was der Zeitungsleser tagtäglich lesen kann, was wir hier in Bonn erleben, ist keine wirtschaftspolitische Konzeption, sondern sind weitgehend Chaos und Widersprüche. Ich nenne nur ein paar Beispiele.
Erstens. Da findet jetzt seit exakt zwei Jahren eine steuerpolitische Diskussion statt, und niemand in der Wirtschaft weiß, wann, in welchem Umfang und in welchen Stufen die Steuerreform erfolgt. Das ist doch wohl Verunsicherung, oder was ist es?
({3})
Zweitens. Seit zehn Jahren und mehr wird von Ihnen, von der CDU/CSU, von Subventionsabbau gesprochen: fünf Prozent jährlich, zehn Prozent jährlich. Und was ist das Ergebnis? Im Jahr 1985 4 Milliarden DM Steuersubvention mehr an eine Gruppe der Bevölkerung.
Drittens. Da werden Erhöhungen der Investitionsquote angekündigt. Anschließend kürzt man, und im Bauwesen gibt es eine neue Pleitewelle.
Viertens. Da wird die Verbesserung der Angebotsbedingungen der Wirtschaft gefordert und gleichzeitig jeder Vorschlag zur Verbesserung der Angebotsbedingungen in Richtung auf das Jahr 1990 vertagt.
({4})
Fünftens. Da wird ein Baufinanzierungsprogramm 1982 beschlossen. Investitionen flackern vorübergehend auf, und jetzt kommt die größte Pleitewelle im Baugewerbe auf uns zu.
Sechstens. Seit mehr als acht Monaten diskutieren Sie jetzt über Steuerpolitik im Zusammenhang mit den Katalysatoren. Seit acht Monaten! Ergebnis ist, daß nun die Autokäufer total verunsichert sind, der ADAC zum Abwarten rät und wir wegen Ihrer Unfähigkeit eine Rezession in der Automobilindustrie bekommen. Das ist die Wahrheit.
({5})
Sie sprechen immer von stetigen und verläßlichen Rahmenbedingungen in der Volkswirtschaft. Verlassen kann man sich in der Wirtschaft nur auf eines: auf die ständige Produktion von Ankündigungen, die dann anschließend wieder zurückgenommen werden. Das ist die Tatsache.
({6})
Führend auf diesem Gebiet ist der Bundeswirtschaftsminister.
({7})
Es ist ja schon wahr, was das konservative „Handelsblatt" in einem Kommentar über den Stil der Politik Bangemanns geschrieben hat. Zitat:
Der 42-Tage-Minister Martin Bangemann hält
es für angebracht, sich ohne Not als großer
Konjunktur-Zampano zu versuchen. Also veranstaltet er erst einmal einen Reihenabwurf von Interviews. Nach dem Motto „Neue Besen kehren gut" gibt er darin allerlei Schönes, Gutes und Teures zum besten.
Das konservative Blatt fährt fort:
Kühn behauptet der Ministernachwuchs, auf diese Weise Vertrauen zu verbreiten und keinen Attentismus zu schüren. Wie das funktionieren soll, wird sein Geheimnis bleiben.
({8})
Meine Damen und Herren, ich sage das auch deshalb, weil das Bundeswirtschaftsministerium kein Ressort ist, das so viele unmittelbare Instrumente und so viel Macht hätte wie das Innenministerium, wie das Justizministerium, wie das Finanzministerium. Der Wirtschaftsminister lebt aus seiner Glaubwürdigkeit und Kompetenz.
({9})
Kein Zweifel, meine Damen und Herren: Im Wirtschaftsministerium gibt es besonders fähige und erfahrene Beamte, und zwar Beamte, die dort seit langer Zeit verschiedene Wirtschaftsminister - übrigens aus verschiedenen Lagern - beraten haben.
({10})
Aber es hat in der Bundesrepublik Deutschland bisher kein Wirtschaftsminister so gegen sein Amt regiert und entgegen den Ratschlägen freihändig Sprüche gemacht wie dieser. Er hat die Wirtschaft verunsichert!
({11})
Meine Damen und Herren, ohne Zweifel ist es so, daß wir hier heute keinen blutleeren Dogmenstreit und nicht nur Auseinandersetzungen brauchen. Ich glaube, wir brauchen in der Wirtschaftspolitik neue Ideen, und ich will in sieben Punkten ein Diskussionsangebot - auch für den weiteren Verlauf der Debatte - machen.
({12})
Erster Punkt: Kein Konjunkturprogramm - das ist nicht unser Problem -, sondern ein mittelfristiges qualitatives Wachstumsprogramm, das die Umweltfrage zusammen mit der Beschäftigungsfrage löst. Das ist die Aufgabe!
({13})
Es ist Aufgabe des Staates, dabei mitzuhelfen, neue Wachstumsfelder zu erschließen. Eines dieser Felder, und zwar das wichtigste, scheint mir in der Zukunft der Umweltschutz zu sein. Hier ist auch und besonders der Staat gefordert, denn UmweltRoth
Schutz gibt es nur jenseits der rein privaten Nachfrage und des rein privaten Angebots.
Meine Damen und Herren, das heißt natürlich trotzdem, daß die meisten Umweltleistungen in privaten Unternehmen erbracht werden. Es heißt aber auch, daß Umweltverbesserungen nicht naturwüchsig über den Markt kommen, sondern staatliche Vorgaben - Gebote, Anreize, im Einzelfall Verbote - notwendig sind. Wir sollten diese Chance, über Anreize usw. zu investieren und gleichzeitig Arbeitsplätze zu schaffen, durch ein Sondervermögen Arbeit und Umwelt nutzen.
({14})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, diese Chance, 1 bis 2 % zusätzliches Sozialprodukt und 400 000 Arbeitsplätze jährlich zu schaffen, zu nutzen und Ihre Blockadepolitik gegen eine investitionsortientierte Umweltpolitik aufzugeben.
({15})
- Rufen Sie doch nicht dazwischen! Der Herr Zimmermann hat doch unser Sondervermögen Arbeit und Umwelt im Kleinbildformat bereits abgekupfert, und zwar bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau. Das ist doch die Wahrheit.
({16})
Ein zweites Diskussionsangebot: Denken Sie doch noch einmal über die Haushaltspolitik nach. Ihre Steuererhöhungen für 1985, die heimlichen nämlich, sind doppelt so hoch wie die Ausgabenerhöhungen für das nächste Jahr. Das muß doch Arbeitsplätze zerstören.
({17})
Beschließen Sie doch einem wachstums- und stabilitätsorientierten Haushalt, nicht einen Haushalt, der Arbeitsplätze vernichtet!
({18})
Der dritte Punkt ist ein Punkt, bei dem ich zutiefst davon überzeugt bin, daß wir, insbesondere die großen Parteien, das Problem nur gemeinsam lösen können. Wir brauchen eine Antwort auf die Frage, warum der Dienstleistungssektor nicht - wie früher - als Schwamm am Arbeitsmarkt wirkt, d. h. expandiert. Dabei gibt es gerade im Dienstleistungssektor im Grunde noch genügend Beschäftigungschancen.
({19})
Wir müßten nur in der Lage sein, diese Dienstleistungen zu bezahlen.
({20})
Das Problem ist, daß Verbraucher von Dienstleistungen offensichtlich nicht bereit sind, das vorhandene Angebot zu den geforderten Preisen zu akzeptieren.
({21})
Konsequenz dieses Widerspruches ist - da sollte keiner wegsehen - zum Teil auch die Schwarzarbeit.
Was ist also zu tun? Ganz falsch wäre es, das zu tun, was Blüm einmal versucht hat, nämlich mit der Polizei an die Schattenwirtschaft heranzugehen. Das wird nicht erfolgreich sein. In personal- und damit lohnintensiven Bereichen führt kein Weg daran vorbei, an den Gesamtarbeitskosten der Menschen anzusetzen.
({22})
Zur Zeit werden auf die Löhne unter Einschluß aller Aspekte 70 % Lohnnebenkosten aufgeschlagen.
({23})
Gelänge es, bei Wahrung des allgemeinen Lohnniveaus in der Bundesrepublik Deutschland diese Zuschläge zu reduzieren oder anders zu finanzieren, würden Dienstleistungen billiger. Es würde mehr nachgefragt, und es entstünden somit neue Arbeitsplätze.
({24})
Wer vernünftig ist, wird natürlich kein Sozialleistungsniveau kürzen wollen. Das ist kein Weg. Es ist zwar ein Weg, wie ihn manche von Ihnen vorschlagen, aber unser Weg wird es nicht sein. Wir sollten die Finanzierung der sozialen Sicherung überprüfen, und zwar gemeinsam. Anstatt die Finanzierung unseres Rentensystems, unseres Krankenversicherungssystems, unseres Arbeitslosenversicherungssystems an der Lohnsumme zu orientieren, sollten wir die Finanzierung über die Wertschöpfung versuchen,
({25})
d. h., wir sollten bei der Finanzierung des Systems der sozialen Sicherung Gewinne, Mieten, Zinsen und Löhne zusammenfassen. Die Einführung einer Wertschöpfungsabgabe, vielleicht in Form einer dritten Säule im Finanzierungssystem unserer sozialen Sicherung, muß meines Erachtens nicht nur überprüft, sondern auch angepackt werden.
({26})
Es entstünden mehr Arbeitsplätze, weil die Arbeitsplätze im lohnintensiven, im arbeitsintensiven Bereich billiger würden.
({27})
Meine Damen und Herren, damit würde die Handwerkerstunde billiger. Sie würde mehr nachgefragt. Damit würden die kulturellen Leistungen billiger. Sie würden mehr nachgefragt. In vielen Bereichen des Handels hätte der Preis wieder eine Chance, einen Absatz zu finden.
({28})
Darüber sollten wir diskutieren. Ich hätte erwartet, daß dieser Wirtschaftsminister ein bißchen über den Zaun hinwegguckt, auch in Richtung auf die sozialpolitischen Fragen der nächsten Jahre.
Viertens. Es ist notwendig, die private Investitionstätigkeit zu stärken.
({29})
Auch dazu lade ich zur Debatte ein. Dies geht nicht durch pauschale Steuersenkungen für Unternehmen. Da trifft es Gerechte und Ungerechte. Dies geht nur durch steuerliche Anreize für die Investitionen selbst, für die Aktivität selbst. Nicht pauschale Gewinnsteigerung ist nötig, sondern ein Anreiz für die Investition.
Um die Eigenkapitalausstattung der deutschen Unternehmen zu verbessern, ist es vor allem notwendig, die Kapitalströme in der Bundesrepublik umzulenken - weg von Geldvermögensanlagen, weg von Abschreibungsmodellen, insbesondere dem absurden Bauherrenmodell, weg von Immobilienanlagen und hinein in Beteiligungen bei Unternehmen. Das erfordert steuerliche Änderungen. Wir sollten die steuerliche Vorzugsbehandlung von Kapitalanlagen in Geldvermögen, Abschreibungsprojekte und Immobilien abbauen.
Meine These ist: Es gibt genügend Kapital in der Bundesrepublik Deutschland, nur wird es zumeist in falsche Anlageformen gelenkt. Es kommt darauf an - das ist Aufgabe der Steuerpolitik der nächsten Jahre -, sie in produktive Anlagen, also in Arbeitsplätze, umzulenken. Das ist die Aufgabe.
({30})
Richtig bleibt dann immer noch, was von den Gewerkschaften eingewandt wird: daß manche Sachkapitalbildung zur Zerstörung von Arbeitsplätzen führt. Um so mehr müssen wir versuchen, unser Steuersystem auch daraufhin zu überprüfen, wo eine Förderung der Arbeitsplatzschaffung verstärkt werden kann. Könnte es nicht Sonderabschreibungen für die Unternehmen geben, die besonders arbeitsplatzintensiv für die Zukunft investieren? Könnte das nicht ein Weg sein?
({31})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie jenseits von dem übrigen Konflikt, der uns immer noch teilen wird, auf dem Gebiet der Dienstleistungen und der Investitionen für Arbeitsplätze gemeinsame Anstrengungen zu starten. Den Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland dient es nicht, wenn wir hier nur Schaukämpfe machen und nur Widersprüche austragen.
({32})
Ich hätte mir gewünscht, daß der Bundeswirtschaftsminister mit Ideen zur Investitionsförderung hier an diesen Tisch tritt und zu uns redet.
({33})
Fünftens. Wir können die Industrieregion des großen Wiederaufbaus Stahl/Kohle nicht einfach ihrem Schicksal überlassen. Wir brauchen ein industriepolitisches Gesamtkonzept, das den Anpassungsprozeß erleichtert und verbessert.
({34})
Die Verweigerung eines nationalen Stahlkonzeptes durch die Bundesregierung ist zynisch und unerträglich, ich wiederhole das hier.
({35})
Das Trauerspiel Arbed hat mit neuen Nachforderungen von 70 Millionen DM einen neuen Höhepunkt. Die Fusion Klöckner/Krupp führt zur Zerstörung eines mittelständischen Stahlunternehmens, das völlig gesund war, nämlich Wuppermann in Leverkusen.
({36})
Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, Sie greifen hier nicht ein, obgleich Sie 3 Milliarden DM ausgeben. Wo ist da Ihre Glaubwürdigkeit gegenüber der mittelständischen Klientel?
({37})
Probleme aber haben wir nicht nur in den traditionellen Industriebranchen, Probleme haben wir auch bei der Sicherung unserer technischen Spitzenposition. Ich meine - hier besteht ein Unterschied zu der Fraktion, die anschließend redet -: Wir können uns einen Ausstieg aus dem internationalen Wettbewerb nicht leisten.
({38})
Wir sind der Meinung, wir müssen auch das Drittel der Arbeitsplätze im Industriesektor sichern, das vom internationalen Wettbewerb abhängig ist.
Sechstens. Der Abstand zwischen Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft und Absatzmöglichkeiten ihrer Güter und Dienstleistungen muß auch durch eine forcierte Arbeitszeitverkürzung geschlossen werden. Diese Position besteht weiter.
Ich komme zum letzten, zum siebten Punkt. Zur Überwindung der Beschäftigungskrise reicht es nicht, sich nur national zu orientieren. Wir brauchen einen europäischen Beschäftigungspakt, und wir brauchen eine gemeinsame Aktion Europas gegen Tendenzen aus Amerika nicht nur beim Stahl.
({39})
Für die Arbeitsplätze in Deutschland ist die ständige indirekte Ausbeutung Europas über die internationalen Kapitalmärkte viel bedeutsamer. Das ist die Situation.
({40})
Nehmen Sie doch, Herr Wirtschaftsminister, Herr Finanzminister, diesen Ball auf, den Helmut Schmidt gespielt hat, nämlich den schrittweisen Ausbau des Europäischen Währungssystems hin zu einer Währungseinheit, die dann Kraft genug hätte, dem Dollar standzuhalten. Das ist die Aufgabe der Zukunft.
({41})
Ich finde, diese Debatte wäre besser gelaufen, wenn der Wirtschaftsminister Perspektiven formuliert und beispielsweise die Opposition zu einem Wettstreit um sachliche Fragen eingeladen hätte.
({42})
Ich fordere deshalb die CDU - die sicher noch einen Redner hat - mit großer Hoffnung auf, doch ein paar Worte konkret zu diesen Fragen zu sagen. Vielleicht kommen wir dann ein Stück weiter.
Vielen Dank fürs Zuhören.
({43})
Das Wort hat der Abgeordnete Burgmann.
Meine Damen und Herren! Ich war, bevor diese Wirtschaftsdebatte begann, bei einem Treffen von Leuten aus Arbeitsloseninitiativen in der Fraktion der GRÜNEN. Ich muß sagen, ich habe dort in der halben, dreiviertel Stunde, die ich da beiwohnen konnte, mehr von den Problemen der Wirtschaft, von den Problemen der Betroffenen gehört, als in anderthalb Tagen hier in der Debatte über dieses Thema gesagt worden ist.
({0})
Ich habe das Gefühl, daß hier immer wieder versucht wird, mit Statistiken - die man so oder so auslegen kann - an den wirklichen Problemen vorbeizureden.
({1})
Wenn ich von Herrn Bangemanns Beitrag überhaupt etwas begriffen habe, dann das, daß die Schuld an der Arbeitslosigkeit wohl der Opposition mit ihrer ständigen Miesmacherei zukommt und daß die Schuld an dem Aufschwung der Regierung zuzuschreiben ist.
Wenn wir uns einmal wirklich über die Gründe der Arbeitslosigkeit unterhalten, über die Tatsache, daß es trotz 2 bis 3% Wachstum keine Beschäftigungszunahme gibt, dann kommen wir zu dem Ergebnis, daß einerseits trotz steigender Gewinne kein Abbau der Arbeitslosigkeit erfolgt, weil durchaus ausreichende Kapazitäten vorhanden sind, um diese steigenden Gewinne mit zu erwirtschaften, daß die Investitionen, die getätigt werden, zu mehr als 50 % in die Rationalisierung laufen, und daß die Unternehmer wissen, daß es insofern eine gewisse Marktsättigung gibt, als dort, wo Geld ist, der Bedarf begrenzt ist, daß in vielen Bereichen wohl noch Bedarf besteht, aber nicht das Geld da ist, zu kaufen. Das gilt für die Privaten wie für die öffentliche Hand und insbesondere für die Dritte Welt.
Ein weiterer ganz entscheidender Grund ist, daß sich die neuen Technologien, die von den Regierungsparteien und der Regierung so gefördert werden, grundsätzlich von anderen Technologien der Vergangenheit insofern unterscheiden, als diese neuen Technologien auf der einen Seite eine ganz gehörige Rationalisierungswirkung haben, im Unterschied zu früheren aber keinen neuen Bedarf auslösen, sondern lediglich Arbeitsplätze vernichten. Das ist der entscheidende Unterschied, aus dem die Arbeitslosigkeit nun trotz Wachstum weiter ansteigt.
({2})
Das Ergebnis: Dieser Aufschwung wird also keine entscheidende Verringerung der Arbeitslosigkeit bringen. Eine Sockelarbeitslosigkeit von deutlich über 2 Millionen wird uns auf absehbare Zeit begleiten, und das bedeutet, daß der nächste Konjunkturabschwung, der, wie selbst von Herrn Lambsdorff schon zugegeben wurde, in den nächsten Jahren kommen muß, von diesem höheren Sockel der Arbeitslosigkeit aus eine weitere Zunahme der Arbeitslosigkeit bringen wird.
Was tut die Regierung in dieser Frage, wenn das so offensichtlich ist? Ich muß sagen, sie benutzt die Arbeitslosigkeit in Zusammenarbeit und Einigkeit mit dem Kapital, um die Arbeitsschutzbestimmungen zu reduzieren, um den Jugendarbeitsschutz zu reduzieren, um den Frauenarbeitsschutz zu reduzieren, um Sozialleistungen abzubauen, um die Löhne abzubauen. Auch im Zuge der Arbeitslosigkeit werden im Falle von Wiedereinstellungen gewöhnlich niedrigere Löhne angesetzt, so daß auch da ein permanenter Abbau von Löhnen stattfindet. Nun sollen auch Arbeitszeit und Arbeitsbedingungen an die Produktion angepaßt werden; der Mensch soll zu einem willkürlichen Instrument der Produktion werden. Wenn man die Arbeitslosigkeit nicht will, so ist sie doch auf jeden Fall ganz offensichtlich willkommen, um diese gesellschaftliche Rückentwicklung einzuleiten. Da weiß man dann auf einmal, warum Flick, Horten und andere die Millionen an diese Parteien zahlen. Dabei ist es ganz gleichgültig, ob Flick nun zahlt, damit diese Politik betrieben wird, oder ob er zahlt, weil diese Politik betrieben wird. Entscheidend ist, daß von dieser Regierung die Interessen des Großkapitals in einem Klassenkampf von oben vertreten werden, wie wir das in dieser Republik noch nicht erlebt haben.
({3})
Das Ganze wird dann als sogenannte freie Marktwirtschaft noch ideologisch verklärt.
Wenn diese Regierung mit ihren Erfolgen der Konsolidierung und Inflationsbekämpfung hier wuchert, dann müssen wir Ihnen vorhalten: Sie haben diese Erfolge auf Kosten der Arbeitslosen, der Behinderten, der Rentner und Sozialhilfeempfänger erzielt, und insbesondere das Wachstum geht letzten Endes auf Kosten der Umwelt und der Lebensgrundlagen in diesem Lande.
({4})
Wenn diese Regierung sagt, einschneidende Maßnahmen seien nötig, d. h. die neue Verarmung, die sich dort entwickelt, ist nötig, um die Gewinnsteigerungen der Unternehmen, um die Vermögensteuer, die Steuerreform zugunsten der Großen möglich zu machen, dann muß ich sagen, das ist gerade das Unerträgliche, das Zerstörerische an dieser sogenannten freien Marktwirtschaft, daß sie nur blüht, wenn riesige, wenn Milliardengewinne erzielt werden, und das geht eben nur noch auf Kosten der
Verarmung in der Dritten Welt und bei uns und auf Kosten einer ständigen Zerstörung und Ausbeutung unserer Umwelt. Das Thema Umwelt kommt in der Argumentation der Bundesregierung im wirtschaftlichen Zusammenhang typischerweise gar nicht vor.
({5})
Das Thema wird auch von den fünf Weisen gar nicht thematisiert. Die Arbeitslosigkeit wird noch als Schönheitsfehler angesprochen, aber die Umweltentwicklung wird aus der Wirtschaft gern herausgehalten, als hätte sie nichts damit zu tun. Dabei wird sie doch hauptsächlich durch diese Wirtschaft verursacht. Wenn man vom Wachstum spricht, muß man auch vom Wachstum der Waldschäden sprechen, das im vergangenen Jahr um 50 % zugenommen hat - genauso wie die dramatische Entwicklung bei Böden, Wasser und Luft.
({6})
Wer heute in der hochindustrialisierten Bundesrepublik noch wirtschaftliche Probleme mit Wachstum zu lösen versucht - Herr Kollege Roth, auch das möchte ich zu Ihnen sagen -, versündigt sich nicht nur an der Natur, sondern wird auch zum Totengräber der kommenden Generation.
({7})
Es macht keinen Sinn, wenn Herr Geißler hier für das ungeborene Leben plädiert, sich aber gleichzeitig daran beteiligt, daß die Grundlagen für das geborene Leben zerstört werden.
Die Feststellung ist also, daß es zwei herausragende Probleme gibt - das ist die Arbeitslosigkeit, das ist die Umweltentwicklung - und daß dazu im Haushalt des Wirtschaftsministers überhaupt nichts ausgesagt, kein Pfennig investiert wird. Kein Pfennig wird gezielt gegen die Arbeitslosigkeit eingesetzt, und dem, was im Rahmen der umweltfreundlichen Energieversorgung angesetzt ist, 110 Millionen DM, wobei diese Maßnahmen in den nächsten Jahren auslaufen werden, stehen allein für Uran- und Mineralölversorgung 182 Millionen DM gegenüber. Kein Pfennig ist in diesem Einzelplan 09 für Recycling angesetzt, aber allein 8,6 Millionen DM für die Erforschung der Rohstoffausbeutung der Meere und der Antarktis. Ja, man will die letzten großen noch einigermaßen intakten Lebensräume auch noch ausbeuten und zerstören, ehe man auch nur einen Pfennig für Recycling, für die Einsparung von Rohstoffen ausgibt.
Ich habe kürzlich in meinem Beitrag zur umweltfreundlichen Energieversorgung deutlich gemacht, wie man durch gezielte Investitionen in diesem Bereich sinnvolle Arbeitsplätze schaffen, die Abhängigkeit von Einfuhren und Ausfuhren verringern, die Umwelt entlasten und strukturelle Veränderungen der Wirtschaft hin zu arbeitsintensiven, dezentralen und demokratischen Wirtschaftsstrukturen einleiten kann. Darauf zielt auch unser Antrag, der heute zur Abstimmung steht. Das Seltsame ist, daß uns die SPD, die sich auf der einen Seite für ein
Sondervermögen Arbeit und Umwelt einsetzt, dann, wenn wir einen Antrag stellen, im Bundeshaushalt hier konkret etwas zu tun, nicht unterstützen kann.
Ich komme zu einem anderen wichtigen Antrag, der heute noch zur Abstimmung steht, dem Antrag auf Konversionshilfe für die Chemieindustrie. Bei diesem Antrag sind scheinbar die Leute auf beiden Seiten dieses Hauses vollkommen hilflos. Dem Kollegen Rappe wird es wahrscheinlich kalt den Rükken runterlaufen, wenn er hört, daß wir nun auch noch an diese gewinnträchtige Industrie heranwollen.
({8})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Hoffmann.
Ja, bitte.
Bitte schön.
Herr Kollege, ist es nicht einleuchtend, wenn man zur selben Zeit, wo einer der größten Chemiekonzerne 3 Milliarden DM Gewinn macht, eine gerechtfertigte Forderung nach Konversion auch dorthin verlagert, wo das Geld ist, und wieso sollten wir das dann auch noch aus Steuergroschen finanzieren? Das verstehe ich nicht. Können Sie mir das mal erklären?
Sehr gerne. Ich wollte gerade darauf zu sprechen kommen.
Natürlich wäre das Kapital da, dort etwas zu machen. Aber das Entscheidende ist doch, daß nichts getan wird und wir, wenn wir, wie es eigentlich unsere Forderung sein müßte, Formaldehyd oder andere dieser giftigen Stoffe verbieten wollen, vor der Frage stehen: Was machen wir mit den Arbeitern, die dann vor dem Problem stehen, neue Arbeit finden zu müssen?
({0})
Da muß, meine ich heute, angesetzt werden, damit neue Arbeitsplätze gefunden werden. Es darf nicht erst wenn die Krise da ist, wenn das Chaos da ist, versucht werden, im letzten Moment umzusteuern.
({1})
Ich komme zum Schluß meines Beitrages. Ich habe leider nur wenige Minuten Zeit gehabt. Die GRÜNEN haben keine Patentrezepte, aber wir sind die erste Partei, die ihren Erfolg nicht auf wirtschaftliche und materielle Versprechen gründet. Wir haben erkannt, daß das Leben, die Überlebensfrage, wichtiger ist als der Lebensstandard.
({2})
Es wird in Zukunft immer weniger zu verteilen sein, Herr Kollege Kraus. Und um so wichtiger ist es, daß Arbeit und Einkommen gerechter verteilt sind. Dafür werden wir uns einsetzen. Damit bewegen wir uns allerdings genau in die entgegengesetzte Richtung wie die rechte Seite in diesem Hause.
({3})
Zu einer Erklärung nach § 31 unserer Geschäftsordnung, also zur Abstimmung, hat der Herr Abgeordnete Urbaniak das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2532 lehne ich ab. Für mich gilt: Erstens. Zur Sicherung der Arbeitsplätze in der Stahlindustrie sind weiterhin Kooperationen zwischen den Unternehmungen notwendig.
Zweitens. Nur so können die regionalen Stahlstandorte gesichert werden.
Drittens. Da, wo Betriebsteile nicht mehr gehalten werden können, müssen den Arbeitnehmern andere Arbeitsplätze angeboten werden. Ist das nicht möglich, muß eine ausreichende Sozialflankierung für die betroffenen Arbeitnehmer garantiert sein. Hierum haben die Sozialdemokraten lange gekämpft.
Viertens. Die Sicherung der Montan-Mitbestimmung und ihre Ausweitung ist für die SPD selbstverständlich. Dem Parlament werden wir Gelegenheit geben, unseren Gesetzentwürfen zur Mitbestimmung zuzustimmen.
Fünftens. Der Antrag der Fraktion DIE GRÜNEN ist unaufrichtig, unrealistisch und ein Betrug an unseren Arbeitnehmern in der Stahlindustrie.
Noch einmal: Ich lehne den Antrag auf Drucksache 10/2532 ab. Das ist auch die Meinung meiner Fraktion.
({0})
Herr Kollege Urbaniak, der letzte Satz hätte nach unseren Regeln nicht folgen dürfen. Ich bitte, das in Zukunft zu beachten.
Weitere Wortmeldungen liegen zu diesem Einzelplan nicht mehr vor. Ich schließe deshalb die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die Änderungsanträge der Abgeordneten Burgmann, Stratmann, Verheyen ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2419 bis 10/2423 und 10/2532. Es handelt sich also um eine Reihe von Anträgen.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2419 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? ({1})
Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2420 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2421 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({2})
Gegenprobe! - Enthaltungen? - Erneut mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2422 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({3})
- Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen auf der linken Seite ist dieser Antrag mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen jetzt zum Änderungsantrag auf Drucksache 10/2423. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Mit Mehrheit abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2532 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. ({4})
Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? - Dieser Änderungsantrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2476 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Stimmenthaltungen? ({5})
Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 10/2505. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Antrag ist mit Mehrheit angenommen.
Wer dem Einzelplan 09 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Wirtschaft - in der Ausschußfassung mit der soeben beschlossenen Änderung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 09 ist mit Mehrheit angenommen.
Ich rufe nun auf: Einzelplan 10
Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
- Drucksachen 10/2310, 10/2330 Berichterstatter:
Abgeordnete Schmitz ({6}) Frau Zutt
Verheyen ({7})
Vizepräsident Westphal
Hierzu liegen Ihnen auf den Drucksachen 10/2424 und 10/2425 zwei Änderungsanträge des Abgeordneten Verheyen ({8}) und der Fraktion DIE GRÜNEN vor.
Interfraktionell ist für die Aussprache über diesen Einzelplan eine Runde vereinbart worden. - Ich sehe, daß Sie damit einverstanden sind.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Abgeordnete Frau Zutt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Kollege Schmitz, Sie haben vor einem Jahr Ihre Haushaltsrede in der festen Überzeugung abgeschlossen, daß „diese Bundesregierung unter Minister Ignaz Kiechle in der Lage ist, eine Politik zu betreiben, die den Bauern dient, die das Ziel hat, in Europa wieder realistische Bezüge herzustellen, und dem ländlichen Raum und der Landwirtschaft wieder eine Zukunftsperspektive geben wird". So Ihr wörtliches Zitat.
({0})
Wir werden prüfen müssen, ob diese Überzeugung heute Wirklichkeit geworden ist.
({1})
Strenge Haushaltsdisziplin, Konsolidierung des Haushalts, Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft sind die proklamierten und angeblich schon erreichten finanzpolitischen Ziele dieser Regierung.
({2})
Wieweit dies auch für den Landwirtschaftsbereich zutrifft, werden wir ebenfalls zu prüfen haben.
Die Forderungen nach Abbau der Subventionen erwähne ich hier der Vollständigkeit halber, denn beim Landwirtschaftsetat kann sie allerdings nur zu Heiterkeitserfolgen führen.
Im Gegensatz zum Gesamthaushalt stiegen die Ausgaben im Einzelplan 10, dem Haushalt des Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten noch stärker an, als im Regierungsentwurf vorgesehen war, nämlich statt um 5,4% um 7,8 % auf insgesamt 6,581 Milliarden DM.
({3})
Die Erhöhung der Ausgaben im Einzelplan 10 ist für uns Sozialdemokraten nicht der Grund für unsere Ablehnung; denn es ist durchaus vorstellbar, daß Reformen im europäischen Agrarmarkt auch vorübergehend Erhöhungen des nationalen Budgets mit sich bringen müßten, die wir auch mittragen würden.
Doch schauen wir uns erst einmal die Ausgaben für den europäischen Agrarmarkt an. Vor wenigen Tagen mußte Herr Minister Stoltenberg in einem Nachtragshaushalt für 1984 650 Millionen DM für die EG nachschießen. In den Bundeshaushalt 1985 ist vorsorglich ein Betrag von 1,6 Milliarden DM eingestellt. Auch wenn ich persönlich meine Zweifel habe, ob dieser Betrag ausreichen wird, will ich es vorläufig bei diesen Zahlen lassen.
Um die von Herrn Kollegen Schmitz geforderten „realistischen Bezüge zu Europa" herzustellen, ist es auch erforderlich, die Agrarsubventionen, die Sie im Schnellgang über die Erhöhung der Vorsteuerpauschale um 5 % seit 1. Juli dieses Jahres als Ausgleich für den Wegfall des positiven Grenzausgleichs gewähren, mit in die Beratung der Landwirtschaftspolitik einzubeziehen.
({4}) - Wir kommen noch dazu.
Diese Subventionen, meine Damen und Herren, finden Sie weder im Etat des Landwirtschaftsministers noch bei den Finanzen- oder den EG-Agrarausgaben.
({5})
Sie finden sie gar nicht; denn sie machen sich lediglich als Steuermindereinnahmen bemerkbar, die von der Regierung für Bund und Länder im Jahre 1984 mit 1,7 Milliarden DM und für 1985 mit 2,6 Milliarden DM angegeben werden, die aber positiv bei den umsatzstarken landwirtschaftlichen Betrieben zu Buche schlagen.
({6})
Den Ausgaben für den gesamten Landwirtschaftsetat in Höhe von 6,5 Milliarden DM muß man die Agrarsubventionen und die EG-Ausgaben in Höhe von noch einmal zusammen 6,5 Milliarden DM hinzuzählen. Wir haben also im Grunde einen Etat für die Landwirtschaft von rund 13 Milliarden DM zu betrachten.
Wir Sozialdemokraten lehnen diesen gesamten Landwirtschaftsetat ab, weil er für eine verfehlte Politik steht, die verschwenderisch dort Ausgleich gewährt, wo es nicht notwendig ist,
({7})
andere dagegen bestraft und durch Einführung planwirtschaftlicher Modelle und dirigistischer Maßnahmen den Fortbestand der bäuerlich strukturierten Landwirtschaft in der Bundesrepublik gefährdet.
({8})
- Ich werde es begünden.
Damit kein Zweifel aufkommt, meine Damen und Herren: Zwischen der Regierung und den Sozialdemokraten bestehen keine Meinungsunterschiede bezüglich der Notwendigkeit des Abbaus der landwirtschaftlichen Überproduktion in der Europäischen Gemeinschaft, weil wir alle wissen, daß Europa sonst an seinen Überschüssen erstickt und poFrau Zutt
litisch nicht zusammenwachsen kann und selbst bestehende Strukturen gefährdet werden.
({9})
Unsere Kritik richtet sich gegen die Maßnahmen, die Sie Herr Minister Kiechle, zum Teil animiert von Herrn Minister Stoltenberg und unterstützt vom ganzen Kabinett, eingeführt haben. Mit der Zustimmung zum positiven Grenzausgleich ab 1. Januar 1985 haben Sie in Brüssel einen hohen Preis für die Einführung der unseligen Quotenregelung bezahlt.
({10})
Ihre Kollegen im Ministerrat waren gar nicht bereit, über das von Ihnen favorisierte Kontingentierungsmodell bei der Milch zu reden, bevor nicht der positive Grenzausgleich, der der deutschen Landwirtschaft Wettbewerbsvorteile brachte, vom Tisch war.
({11})
Die Wettbewerbsnachteile, die mit dem Wegfall den deutschen Landwirten entstehen würden, sollten durch vorübergehend gewährte nationale Zuschüsse gemildert werden.
({12})
Sie entschieden sich für eine 3 %ige Anhebung der Vorsteuerpauschale. Die anderen waren damit einverstanden. Zu Hause wurden sehr schnell 5% daraus. Als wir zum erstenmal im Haushaltsausschuß darüber berieten, fragte ich den Staatssekretär im Finanzministerium, ob es denn bei den 3 % bleibe. Denn ein bekannter norddeutscher Bauernverbandspräsident, der zu den einflußreichen Zuerwerbslandwirten in diesem Parlament gehört,
({13})
hatte kurz vorher erklärt, es müßten mindestens 6 % sein.
({14})
- Meine Herren, hören Sie doch ein bißchen zu! Das ist doch bis jetzt die Wahrheit, nicht wahr, Herr Schmitz? - Staatssekretär Voss antwortete mir damals, das sei die private Meinung dieses Herren; die Regierung bleibe bei 3 %.
Bis die Vorlage mit 3% zur nächsten Beratung vorlag, war sie schon überholt. Einige Bauernproteste, nicht nur in Bayern, sondern auch in SchleswigHolstein,
({15})
machten den sonst zugeknöpften Finanzminister schnell allzu weich. Weitere Milliarden wurden genehmigt.
Was als wärmendes Wollzeug gegen plötzlich einfallenden Wettbewerbswind für die deutsche Landwirtschaft gedacht war, wurde über Nacht zu Pelzmänteln für die, die sie gar nicht brauchen, weil sie eh schon mehrere im Schrank haben.
({16})
Der Sachverständigenrat, den die Regierung so gern für sich zitiert, hat zur Agrarpolitik der Bundesregierung ein vernichtendes Urteil gesprochen. Zum Thema „Vorsteuerpauschale" sagte er, daß das 20-Milliarden-Programm Überkompensation und Verteilungswillkür bedeutet, die Gefahr von Karussell- und Scheingeschäften in sich birgt und völlig im Widerspruch zu den von der Regierung proklamierten Zielen der Haushaltskonsolidierung und des Subventionsabbaus steht.
Im übrigen ist noch nicht einmal sicher, daß die 5%ige Anhebung Bestand vor dem Europäischen Gerichtshof haben wird. Sie haben wohl inzwischen erfahren, daß gegen Rat und Kommission auf Schadensersatz geklagt worden ist.
Auch bei der Milchkontingentierung, die der Sachverständigenrat als mengenbegrenzendes Staatskartell abqualifiziert, werden Sie mit Klagen überzogen.
({17})
Ich bin nicht sicher, ob Sie da mit heiler Haut herauskommen.
({18})
Ihre nationale Verordnung, Ihr Versuch, dem letzten Hof die Quote vorzuschreiben, steht auf äußerst wackeligen Füßen. Tausende von kleinen und mittleren Betrieben werden schlichtweg in den Ruin getrieben. Mit einer differenzierten Mitverantwortungsabgabe wären Sie besser gefahren. Sie hätten sich nicht mit Härtefällen herumschlagen müssen.
({19})
Was helfen da die Erhöhung der Ausgleichsabgabe für die Bergbauern und die Ausweitung der benachteiligten Gebiete? Wir unterstützen die Aufstockung und die Ausweitung.
Sie haben zwar den Bauern mehr versprochen, Herr Minister Kiechle. Aber hier hat Sie Herr Finanzminister Stoltenberg wohl wieder im Stich gelassen. Herr Stoltenberg ist ja auch nicht auf Ihren dringlichen Wunsch eingegangen, bereits jetzt Zusagen für die Altershilfe für Landwirte im Haushalt 1986 zu machen. Sie, Herr Kiechle, haben den Bauern draußen eine Aufstockung um 150 Millionen versprochen. Die Bauern müssen sich auch hier erneut betrogen fühlen.
({20})
Wenn es um Hilfen für kleine und mittlere Betriebe
geht, dann läuft in dieser Regierung nichts. Für die
Milliarden der Vorsteuer haben Sie wenige Tage
gebraucht; für den vom Parlament im Dezember 1982 angeforderten Gesetzentwurf zur sozialen Staffelung der Altershilfe brauchen Sie Jahre, oder wollen Sie ihn gar nicht, wollen Sie Aufträge des Parlaments weiter mißachten?
({21})
Stimmen Sie unserem Antrag, dem Antrag der SPD, zu, der kostenneutral und damit auch im Sinne des Herrn Ministers Stoltenberg ist und der die kleinen Betriebe dennoch jährlich mit mehr als 800 DM entlastet.
({22})
Das wäre soziale Politik, aber eine solche Politik will die Regierung wohl nicht.
({23})
Vor wenigen Tagen hat sich Finanzminister Stoltenberg vor dieses Hohe Haus gestellt und sich als Kenner der bäuerlichen Landwirtschaft ausgewiesen.
({24})
Er hält es für Klassenkampf, wenn man einen 50Hektar-Betrieb als Großbetrieb bezeichnet.
({25})
Herr Minister Kiechle, könnten Sie Ihrem werten Finanzkollegen nicht einmal Nachhilfeunterricht über die Struktur der bäuerlichen Landwirtschaft bei uns geben und ihm sagen, daß in der Bundesrepublik Deutschland nur 5 % aller Betriebe mehr als 50 Hektar haben?
({26})
Für uns in Süddeutschland - da werden Sie mir wohl zustimmen, Herr Minister - ist ein 50-Hektar-Betrieb ein großer. Hier wird der untaugliche Versuch gemacht, Umverteilungspolitik für umsatzstarke landwirtschaftliche Betriebe durch Schönfärberei zu rechtfertigen.
Die Bauern und Bäuerinnen, gerade auf den kleineren Höfen, haben sich sicher sehr gefreut, als der Bundesaußenminister und Vizekanzler den bäuerlichen Familienbetrieb hier vor zwei Tagen als Garanten der Freiheit und der Pflege unserer Landschaft bezeichnet hat
({27})
- richtig -, und das im Zusammenhang mit dem Slogan: Leistung muß sich wieder lohnen.
({28})
- Können Sie nicht ein bißchen abwarten? ({29})
Ihre Politik - das gilt vor allem für die Milchkontingentierung - führt aber zu einer Vernichtung
gerade dieser bäuerlichen Existenzen und ist eben keine Politik für die bäuerlichen Familienbetriebe.
({30})
Ich frage mich: Wo wird denn die Leistung dieser bäuerlichen Familienbetriebe entlohnt? Oder hat die Regierung eine neue Definition von Leistung vorgenommen, nach der sich Leistung allein am Umsatz orientiert?
({31})
Wenn Sie demnächst nur noch Umsatz als Leistung nähmen, dann ist das allerdings ein ganz neuer Leistungsbegriff. Dazu gibt es vielleicht noch einiges zu sagen.
({32})
- Prüfen Sie doch Ihre eigenen Maßnahmen nach. Dann werden Sie sehen, was hier als Leistung honoriert wird. Es wäre zur Landwirtschaftspolitik dieser Regierung noch vieles zu sagen, z. B. daß Sie, Herr Minister Kiechle, in Brüssel anscheinend so glücklich waren, das Quotenmodell bei Milch durchgesetzt zu haben, daß Sie sich um Durchführungsbestimmungen dieses Modells in den einzelnen Ländern nicht weiter kümmerten oder kümmern konnten, so daß sich jetzt ein Land bei der Milchproduktion beschränkt, das andere sich aber genausogut darüber hinwegsetzen kann mit der Begründung, so schnell sei das alles nicht zu machen. Die Zahlung von Strafgeldern wird ausgesetzt und dann doch wieder angeordnet. Alles nach dem Motto: Hü und hott; keiner weiß genau Bescheid. Alles, was Ihnen in Brüssel nicht gelang, setzen Sie zu Hause mit um so größerer Strenge gerade gegenüber den kleineren Betrieben durch, fast wie der im Berufsleben glücklose Vater, der seine Kinder zu Hause besonders streng erzieht.
({33})
- Ich denke, Sie haben für strenge Erziehung doch sicher etwas übrig. - Sie wollen die bei der Milch eingeführte Quotenregelung als Modell auf andere Überschußprodukte übertragen.
({34})
- Der Herr Minister selbst. Hören Sie doch zu, was Ihr eigener Minister sagt.
Sie sollten auch hier die Warnungen des Sachverständigenrates beachten, der eindringlich auf die Konsequenzen einer solchen Politik aufmerksam gemacht hat. Statt mehr Markt haben Sie mehr Bürokratie eingeführt, statt marktwirtschaftlicher Steuerung haben Sie sich für verwaltungsmäßige Lenkung der Agrarmärkte entschieden. Herr Kiechle, ist das die Reform, die Sie versprochen haben? Im Bereich der Landwirtschaft - national und europäisch - ist der Haushalt kein Sparhaushalt und kein Reformhaushalt. Im Gegenteil, er ist verschwenderisch. Statt Schaden vom deutschen
Volk abzuwenden, haben Sie ihm Schaden zugefügt.
({35})
- Seien Sie nicht so empfindlich.
Wir Sozialdemokraten lehnen den Haushalt daher ab.
Ich danke Ihnen.
({36})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmitz ({0}).
({1})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Zutt, nachdem Sie im Haushaltsausschuß gesagt haben, im Grunde genommen sei alles falsch, alles werde schlecht gemacht, hätte ich erwartet, daß Sie in Ihrer Rede, die - so will ich einmal sagen - hier so leicht dahinplätscherte,
({0})
Alternativen aufgezeigt hätten, aber Alternativen habe ich bei Ihnen vermißt.
({1})
- Ich meine, das ist ja eigentlich auch nicht Ihre Aufgabe.
Ich will Ihnen sagen: Wir sehen natürlich, daß sich die Situation in der Agrarpolitik durch die Beschlüsse in Brüssel zur Zeit im Umbruch befindet. Das bestreitet doch niemand, meine sehr verehrten Damen und Herren.
({2})
- Das werden Sie gleich erfahren, Frau Kollegin.
- Es ist auch klar, daß die Lage unter den Voraussetzungen nicht einfach ist, ja verkompliziert wird. Aber derjenige, der sich hier hinstellt und die Ausgleichsmaßnahme, die beschlossen worden ist, kritisiert, sollte hier einmal etwas zu den Alternativen sagen.
({3})
Derjenige, der sich hier hinstellt, und sagt, die Agrarausgaben in der Europäischen Gemeinschaft müßten begrenzt werden, aber gleichzeitig die Vorteile des europäischen Marktes konsumiert - die gesamte gewerbliche Wirtschaft und die Industrie tut das -, der muß sich natürlich fragen lassen, ob es denn richtig ist, wenn er hier einfach gegen den Ausgleich polemisiert, der notwendig geworden ist, nachdem der Grenzausgleich abgebaut worden ist, meine Damen und Herren.
({4})
Herr Apel hat hier eine Milchmädchenrechnung aufgemacht. - Frau Kollegin Zutt, Sie haben das hier gerade auch mit in die Debatte eingeführt. - Er sagt: Da ist einer, der macht 500 000 DM Umsatz; durch den Ausgleich von 5 % kann er sich nachher eine goldene Nase verdienen. - Sie haben dann von den Pelzmänteln der Bäuerinnen und Bauern gesprochen. Ich kann nur sagen: Hier wird ein falsches Spiel getrieben.
({5})
Das ist nicht richtig, und das ist auch nicht gerecht. Diese Größenordnung ist immer der Umsatz; der Verlust ist umsatzbezogen gewesen, und dieser Verlust ist auch umsatzbezogen ausgeglichen worden, meine Damen und Herren. So und nicht anders verhält es sich.
({6})
Es ist eigentlich traurig, wenn sich ein ehemaliger Finanzminister der Bundesrepublik Deutschland hier hinstellt und noch nicht einmal das kleine Einmaleins der Europäischen Gemeinschaft kennt.
({7})
- Ach, wissen Sie, Herr Müller, Sie müssen schon einen Zahn zulegen, wenn Sie mich aus der Ruhe bringen wollen.
({8})
Hier ist kritisiert worden, daß der Mittelansatz im Agrarhaushalt gestiegen ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, er ist eben deswegen gestiegen, weil wir korrigieren mußten, was Ihre Politik in langen Jahren versäumt hat.
({9})
Der Agraretat steigt um 7,8 %. Sie sagen, das sei eine exorbitante Steigerung. Er steigt deshalb so, weil wir die Nachteile ausgleichen wollen. Das ist bewußt geschehen, das ist Absicht; das wollen wir leisten. Das ist die höchste Steigerungsrate der letzten sieben Jahre. Wir begrüßen dies.
Meine Damen und Herren von der SPD, diese Zahlen sprechen für sich. Josef Ertl hätte sich ja seinerzeit gefreut, wenn Sie ihm durch solche Dotation Gelegenheit gegeben hätten, seine Politik zu gestalten. Er hätte sich darüber gefreut.
({10})
Es ist Tatsache, daß im Etat für das kommende Jahr 6,581 Milliarden DM für die deutsche Landwirtschaft zur Verfügung stehen; das ist eine Steigerung um rund 480 Millionen DM. Das kann man doch nicht leugnen. Das muß man doch einmal positiv herausstellen. Die Bundesregierung läßt die
Schmitz ({11})
Bauern - entgegen allen Unkenrufen - nicht im Stich.
({12})
- Ich komme gleich darauf zu sprechen. Ich würde sagen: Wenn Sie sich etwas beruhigt haben, Frau Kollegin Nickels - ({13})
- Nein, Frau Kollegin Nickels. Ich spreche Sie bewußt an. Sie und Ihre Fraktion haben heute morgen Dinge gefordert, bezüglich deren ich gern Ihren Bruder, der ja Landwirt ist, fragen würde, was er dazu sagt.
({14})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, entscheidend für unsere Politik ist, daß wir im Agraretat zum Ausdruck bringen, daß wir sowohl in der Sozialpolitik wie in der Strukturpolitik einen Kurs fahren wollen, der zum Ausgleich der Nachteile in der Landwirtschaft führt. Dies ist insbesondere auch im Rahmen der Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes feststellbar. Hier haben wir über 100 Millionen DM aufgestockt. Dadurch ist es möglich, nicht nur die Zahlungen in den benachteiligten Gebieten auszuweiten, sondern auch die Zahlungen für die GV höherzusetzen. Die Landwirtschaften in diesen Gebieten können eben nicht aus sich selbst heraus und auf Grund ihrer Betriebsleistungen existieren. Hier muß der Staat ausgleichen. Seien wir einmal ehrlich: Jeder von uns ist bereit, die schöne Landschaft zu konsumieren, aber nicht bereit, dafür etwas zu zahlen. Dies wird hier zum Ausdruck gebracht, meine Damen und Herren.
({15})
Wer sich einmal die Agrarsozialpolitik ansieht, wird feststellen müsen, daß wir hier eindeutige Akzente gesetzt haben. Sie wollten doch den staatlichen Beitrag - Sie können auch ruhig von „Subvention" reden - bei der Berufsgenossenschaft in dieser Legislaturperiode abbauen. Sie wollten ihn doch schlichtweg abbauen und damit die Bauern gleichermaßen im Regen stehen lassen. Wir haben eine Aufstockung auf 400 Millionen DM vorgenommen. Meine Damen und Herren, das ist eine Leistung. Ich hoffe, daß man sich in absehbarer Zeit auf einen vernünftigen Schlüssel einigen kann. Herr Minister, dies ist unser Wunsch und der Wunsch des Parlaments. Das muß rasch geschehen. Ich meine, das ist notwendig.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Müller ({0})?
Nein, Herr Präsident. Bei der Kürze der Redezeit halte ich das nicht für sinnvoll.
({0})
- Die kriegen Sie ja noch, Frau Kollegin; darauf können Sie sich verlassen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist möglich - und ich halte es auch für notwendig -, daß wir im dritten agrarsozialen Ergänzungsgesetz ebenfalls die von Ihnen geforderte soziale Staffelung der Beiträge einführen. Ich fordere die Bundesregierung ausdrücklich auf, sich für den Haushalt 1986 darauf einzustellen, daß diese Notwendigkeit besteht und daß ein entsprechender Ausgleich geschaffen werden muß. Das bedeutet natürlich nicht, daß der Finanzminister sofort seine Taschen aufmacht. Es bedeutet Verhandlungen. Ich kann den Bundeslandwirtschaftsminister ermuntern, diese Verhandlungen zu führen.
({1})
Ich will noch ein Wort zur Quotenregelung für Milch sagen. Derjenige, der dies für falsch hält, sollte hier die Alternative aufzeigen. Was wäre die Alternative gewesen? Drastische Preiseinbrüche, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wenn hier eine differenzierte Mitverantwortungsabgabe gefordert wird, dann frage ich: Wie hätte das denn konkret ausgesehen? Hätten die Betriebe, die noch über eine gute Struktur verfügen, dann möglicherweise nicht eine völlig andere Struktur bekommen? Wir hätten doch einen gespaltenen Preis bekommen, Frau Kollegin. Das ist doch nicht machbar.
({2})
Wir haben an diesem System sicherlich einiges auszusetzen. Ich gehe davon aus, daß sich die Beteiligten im Verlauf des Jahres 1986, wenn das erste Milchwirtschaftsjahr beendet ist, zusammensetzen und die Korrekturen anbringen, die notwendig sind. Ich halte es für ganz wichtig, daß das, was im administrativen Bereich auch nach unserer Auffassung nicht gut gelaufen ist, weggenommen wird; das muß vom Tisch. Ich meine, der richtige Zeitpunkt ist das Ende des ersten Milchwirtschaftsjahres.
Lassen Sie mich auch ein Wort zu Rocard sagen, zu den Franzosen, die nicht die entsprechende Superabgabe kassieren konnten. Auch das gehört in die Bilanz, die wir nach dem ersten Milchwirtschaftsjahr entsprechend korrigieren müssen, falls sich die Franzosen daran nicht beteiligen.
Nun zu den Anträgen der GRÜNEN. Ich habe mich gewundert, Herr Kollege Verheyen; denn es hat für meine Begriffe noch keine Partei gegeben, die es so schnell wie die Ihre geschafft hat, sich darum zu kümmern: Wie komme ich an öffentliche Mittel? Ich habe es nicht begriffen. Sie waren in der Stellung von Anträgen so schnell. Sie wollten hier ein Ökoinstitut und dort ein Ökoinstitut gefördert haben, ohne konkrete Pläne vorgelegt zu haben. LeSchmitz ({3})
gen Sie erst einmal konkrete Pläne vor; dann werden wir uns über das Thema unterhalten können. Sie sollten hier nicht so einfach alles fordern.
({4})
Lassen Sie mich noch etwas Weiteres sagen. Ihre beiden Anträge, die Sie gestellt haben, sprechen im Grunde genommen Bände. Sie haben Anträge gestellt in der Größenordnung von nahezu 3 Milliarden DM,
({5}) ohne konkret zu sagen,
({6})
wie Sie das verteilen wollen;
({7})
einfach so, ohne zu sagen, ob das zusätzlich zu dem sein soll, was wir vorgesehen haben.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Frau Abgeordneten Vollmer?
Nein, Frau Kollegin. ({0})
Deswegen meine ich, man muß sich einmal mit dem auseinandersetzen, was Sie wirklich wollen. Sie sagen, Sie wollen ein Entgiftungsprogramm machen. Damit wollen Sie im Grunde suggerieren, daß die bisherige Landwirtschaft die Menschen alle vergiftet. Ich wundere mich, daß Sie überhaupt noch leben, wenn dieses Horrorgemälde, das Sie den Leuten da vorstellen, Wirklichkeit ist. Da kann ich nur sagen: abenteuerlich!
Ich habe mir die Mühe gemacht, einmal nach den wissenschaftlichen Untersuchungen zu forschen, von denen Sie immer reden. Es gibt keine Untersuchung, die das beweist, was Sie suggerieren wollen: daß konventionelle Landwirtschaft die Menschen vergiftet und daß Ihre Ökobauern in der Lage seien, diese Leute so gesund zu erhalten, wie Sie das möchten. Alle bislang vorliegenden Untersuchungen gehen davon aus, daß die konventionell erzeugten Agrarprodukte ohne giftige Rückstände sind.
({1})
Wenn Sie, meine Damen und Herren von den GRÜNEN, anderslautende Ergebnisse vorliegen haben, müssen Sie die hier nennen.
({2})
- Mich interessiert hier im Moment die Landwirtschaft, nicht die chemische Industrie. - Durch Emissionen ist der Ökobauer genauso gefährdet wie der konventionell wirtschaftende Bauer. Das hat mit seiner Produktionsweise gar nichts zu tun.
Auch das müssen Sie hier sagen. Kommen Sie herauf und sagen Sie das.
({3})
Und dann geht es um den berühmten kleinen Mann und um die Natur. Ich habe mir mal die Mühe gemacht, in Ökoläden hineinzugehen. Schauen Sie sich das doch einmal an! Ich kann Ihnen die Liste gern einmal vorlesen. Da geht es überhaupt nicht um den kleinen Mann. Es geht überhaupt nicht um die Gesunderhaltung. Bei Ihnen ist mehr Ideologie im Spiel als alles andere.
({4})
Diejenigen, die die Produkte der Ökoläden kaufen können, sind doch nicht die armen Leute.
({5})
Das ist doch nicht der kleine Mann.
Vergleichen Sie doch einmal die Preise! Ein Kilo Kartoffeln kostet im Ökoladen 1,30 DM, normal, auf dem Markt, 75 Pf, ein Roggenbrot 5 DM, normal bis 3,50 DM, 0,7 1 Apfelsaft im Ökoladen 1,60 DM, normalerweise 60 Pf - Sie sollten da mal einkaufen gehen -, ein Glas Babykost 2,20 DM, normalerweise 1,20 DM, 1 kg Zwiebeln 3,60 DM, normalerweise 40 Pf.
({6})
Und das berühmte kleine Ei - ich gebe Ihnen mal ein Ratespiel auf, meine Damen und Herren - kostet normal 18 Pf; im Ökoladen kostet es 40 Pf.
({7})
Und dann machen Sie mal diese Landwirtschaft, die Sie vorhaben! Die gesamten Verbraucher können das nicht bezahlen. Das sind an die 200 Milliarden DM, die dann zusätzlich für Nahrungsmittel ausgegeben werden müssen.
({8})
Es braucht j a nicht immer Hummer zu sein, den ein Mitglied Ihrer Fraktion aus Amerika mitgebracht hat. Das können sich die kleinen Leute sowieso nicht leisten.
({9})
- Frau Kollegin, ich kann es Ihnen gern sagen: Es war die Frau Kollegin Reetz, die drei Hummer aus Amerika mitgebracht hat. Es waren Maine-Hummer.
({10})
- Bitte schön, Frau Kollegin. Das kann sich der kleine Mann nicht leisten.
({11})
Trotzdem bleibt eine Reihe von Wünschen offen. Wir sind aufgefordert, in den nächsten beiden Jah7852
Schmitz ({12})
ren deutlich zu machen - auch diese Bundesregierung -, daß wir nach den ersten Schritten, die wir unternommen haben, die Sicherung der Existenz und des Einkommens der Landwirtschaft weiterhin ausbauen werden. Bauern haben in dieser Frage ein gesundes Gespür. Viele erwarten auch, daß das, was ich soeben zu den notwendigen Korrekturen ausgeführt habe, angepackt wird.
Lassen Sie mich hier auch ein Wort sagen in Richtung auf die Landwirte selber. Ihnen, die hart arbeiten müssen, hier ein Wort des Dankes vor dem Deutschen Bundestag ({13})
auch den Landfrauen, von denen Frau Kollegin Zutt ja immer glaubt, sie hätten zwei Pelzmäntel im Kleiderschrank! Wir sind alle, meine ich, aufgefordert, die Zukunftsperspektiven für die Bauern, für die jungen, aber auch für älteren, so zu gestalten, daß sie ein soziales Leben führen können.
Wir stimmen dem Einzelplan 10 zu.
({14})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Dr. Vollmer.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine der Grundtugenden von Haushältern in der Führung ihrer Haushaltsbücher ist die Klarheit und Durchsichtigkeit der einzelnen Teile.
({0})
- Und die Wahrheit! - Es gibt aber auch Haushaltsbücher, die teilweise eher etwas Ähnlichkeit mit Dschungelbüchern haben.
({1})
Aus dem Agrarhaushalt möchte ich ein solches Beispiel aufgreifen.
Da finden wir einen Teil unter der schönen und klaren Überschrift: Investitionen zur Durchführung von Forschungs- und Entwicklungsvorhaben für Umweltschutz im Agrarbereich. Meine Damen und Herren, ich frage Sie: Was würden Sie unter Forschung und Entwicklung mit dem Ziel des Umweltschutzes in der Landwirtschaft verstehen? Darunter stellt sich doch der Durchschnittsbürger vielleicht Programme zur Verhinderung der Bodenerosion vor, vielleicht auch ein Programm zur Verminderung der Boden- und Gewässerbelastung durch massiven Gülleeinsatz, vielleicht auch ein Modellvorhaben zur Nutzung der Energieressourcen des ländlichen Raumes für eine unabhängige Energieversorgung oder vielleicht ein Forschungsprojekt zur Sanierung der schwer geschädigten deutschen Waldgebiete.
Aber weit gefehlt! Schlagen wir einmal Seite 47 unseres Agrarhaushalts - in der Ausführung, die ich habe - auf, so sehen wir, was sich darunter verbirgt, nämlich 4,74 Millionen DM für das Pilotprojekt Agraralkohol der deutschen Agraralkoholversuchsanlage in Ahausen-Eversen.
({2})
Das ist nun ein ganz interessantes „Umweltschutzprojekt".
({3})
Es wird hier ein agrarindustrielles Großprojekt als Beitrag zum Umweltschutz deklariert. Ich finde das schon ein starkes Stück.
({4})
Wir GRÜNEN sind - nicht zuletzt seit den praktischen Erfahrungen eines Landes wie Brasilien - der Überzeugung, daß das Programm nachwachsender Rohstoffe ein höchst umweltfeindliches Landbewirtschaftungs- und Energiegewinnungsprogramm ist.
({5})
- Ja, hören Sie einmal zu. Ich werde das jetzt belegen.
Es ergeben sich gerade aus diesem Projekt ungeheure Umweltprobleme. Umweltprobleme ergeben sich aus der Tendenz zur Monokultur, weil vor allen Dingen Maisanbau dafür gebraucht wird, der bekanntermaßen mit Bodenerosion zu tun hat. Umweltprobleme ergeben sich auch, weil es auf diesen Anbauflächen eine Tendenz zum wachsenden Einsatz von Agrargiften, von chemischen Pflanzenschutzmitteln, gibt. Umweltprobleme ergeben sich auch durch die Nitratbelastung der Böden.
Besonders aber und vor allem ergeben sich bei solchen Versuchsprojekten Umweltprobleme durch die Anlage selbst. Sämtliche Anlagen dieser Art, die es bisher gibt, haben ganz große Probleme mit der Entsorgung, Probleme, die überhaupt noch nicht gelöst sind. So fallen allein in der Anlage AhausenEversen 2 500 000 Kubikmeter Schlempe an, für die es keinerlei Lösungskonzept gibt. Ebenso ungelöst ist die Frage der Beseitigung der aufgeheizten Abwässer einer solchen Großanlage.
Aber nicht genug damit; jetzt kommt erst der eigentliche Knüller. Dies ist keineswegs der einzige Punkt im Agrarhaushalt, der mit diesem Projekt zu tun hat.
({6})
Gehen wir einmal auf Seite 41 zurück. Da finden wir - diesmal unter der richtigen Bezeichnung -den Teil: Forschungs- und Entwicklungsaufträge auf dem Gebiet der nachwachsenden Rohstoffe. Wir haben also faktisch das gleiche Programm und sogar dieselbe Anlage unter zweierlei Titeln, einmal
unter dem Titel „Nachwachsende Rohstoffe" und einmal unter dem schönen Titel „Umweltschutz".
({7})
Neben der offensichtlichen, zur Täuschung angelegten Undurchsichtigkeit dieser Mittelaufstellung bemängeln wir vor allem, daß diese Projekte in einem Haushalt stehen, der sich den Interessen der Landwirtschaft gewidmet sieht, wo sie überhaupt nichts zu suchen haben.
({8})
Die Forschungsgelder, die hier ausgewiesen sind, dienen nämlich eindeutig dem Interesse der petrochemischen Industrie und niemandem sonst.
({9})
Für diese Industrie geht es offensichtlich um Grundlagenforschung, und sie wird auf den Agrarhaushalt umgewälzt.
({10})
Die Landwirtschaft soll zu diesen der Industrie dienenden Programmen nichts anderes liefern als den agrarindustriellen Rohstoff.
({11})
Wir haben schon wiederholt darauf hingewiesen, daß solche Programme in gar keiner Weise geeignet sind, die Probleme der Landwirtschaft in unserem Land, die sehr groß sind, zu lösen.
({12})
Wir kündigen hiermit schon heute an, daß wir in den kommenden Monaten ({13})
das wird Sie dann sicher auch beschäftigen - eine große Kampagne unter den Landwirten starten werden, um sie auf die Wahnsinnsfolgen gerade dieser Projekte hinzuweisen.
({14})
Nun wird uns immer gesagt - das ist Ihr Argument -, damit hätten wir die einzig mögliche Verwendung unserer Überschüsse und damit sei gerade dieses Programm ein Programm zur Beseitigung unserer Überschußproblematik. Statt dieses aber bei der Wurzel zu packen, nämlich nach den Ursachen dieser Überschüsse zu fragen, die darin liegen, daß wir unser Land mit importierten Futtermitteln überschwemmen - was nach den letzten Beschlüssen des Ernährungsausschusses auch weitergehen wird, weil Sie die offene Deklaration ablehnen -, und sie zu beseitigen, fördern Sie jetzt ein Programm, das die Futtermittelimporte unangetastet läßt und gleichzeitig die Landwirtschaft voll den industriellen Interessen ausliefert. Damit werden die Erträge unserer Flächen zu einer reinen
Rohstofflieferung für einen immer mehr wachsenden Industriekomplex degradiert. Die Entwicklungskosten für diese Programme trägt der deutsche Steuerzahler.
({15})
Denn bis heute läuft kein einziges dieser Programme betriebswirtschaftlich rentabel,
({16})
von den volkswirtschaftlichen Schäden ganz abgesehen.
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Hammerstein?
von Hammerstein ({0}): Frau Vollmer, Sie sprachen von einem Industrieunternehmen. Wissen Sie eigentlich, zu wieviel Prozent die Landwirtschaft an diesem Unternehmen in Ahausen-Eversen beteiligt ist?
Das weiß ich nicht. Das können Sie mir aber gerne sagen. Ich weiß aber, wieviel Gelder des Agraretats hineingehen.
Kommen wir zu einem weiteren undurchsichtigen Kapitel. Der Herr Staatssekretär von Geldern, der gerade frisch gebräunt auf der Bank sitzt, seines Zeichens Parlamentarischer Staatssekretär, kann mir sicher nähere Auskunft geben, da er gerade von einem Besuch aus Südafrika zurückgekommen ist. Da gibt es im Augenblick offensichtlich einen sehr regen Kontakt.
({0})
In diesem Jahr waren vom 7. bis 20. April zwei hohe Ministerialbeamte in Südafrika, um Vorschläge für eine deutsch-südafrikanische Kooperation auf dem Gebiet der Agrarforschung zu erarbeiten. Diese haben sie mit ministerialer Gründlichkeit vorgelegt.
({1})
Die Vorschläge ergeben einen breitesten Katalog intensivster Kooperation auf dem Gebiet der Agrarforschung.
Auf Gegeneinladung war dann vom 27. August bis zum 10. September eine südafrikanische Delegation in der Bundesrepublik Deutschland zu Gast, um mit den verschiedenen Bundesforschungsanstalten weitere Abklärung über eine durchaus intensive geplante Kooperation vorzunehmen.
({2})
Jeder weiß, daß die Kontakte mit dem Rassistenregime in Südafrika von den Menschen unseres Landes mit besonderer Aufmerksamkeit gesehen
werden. Jeder weiß, daß die evangelische Frauenhilfe eine umfangreiche Aktion unter dem Motto „Kauft keine Früchte der Apartheid" gestartet hat, die das Bewußtsein vieler Bundesbürger für die unglaublichen Unterdrückungen in diesem Lande gehoben hat,
({3})
in dem 4 Millionen Weißen 87 % der Fläche gehören, während die 28 Millionen Schwarzen in die Homelands zusammengedrängt werden.
({4})
Während also die UNO einen Wirtschaftsboykott über Südafrika verhängt hat, während es keinen offiziellen Entwicklungsetat für Südafrika gibt, läuft die Entwicklungshilfe hier offensichtlich unter dem Landwirtschaftsetat und dazu noch gefaßt unter dem undurchsichtigen Titel der Wirtschaftspläne der Bundesforschungsanstalten. Um so mehr muß man hellhörig werden, wenn man die umfangreichen Aktivitäten des Landwirtschaftsministeriums auf diesem Gebiet entdeckt. Der Verdacht liegt offensichtlich nahe, daß damit wiederum Steuergelder in Forschungsvorhaben gesteckt werden sollen, die unmittelbare Kooperation mit dem rassistischen Regime vorsehen. Wen wundert es, wenn wir unter der Nummer 14 der geplanten Kooperation mit Südafrika wieder unseren guten alten Bekannten haben: ein Programm zur Nutzung nachwachsender Rohstoffe.
({5})
Aber auch die anderen Kooperationspunkte lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Ein Blinder mit dem Krückstock sieht hier, wie hinter diesem scheinbaren Agrarprogramm die Interessen von Bayer-Leverkusen, der Investitionsgüterindustrie und der Landmaschinenindustrie und die Interessen der weißen Rassisten stecken.
({6})
Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ertl?
Nein, jetzt nicht mehr. - Es wundert deshalb auch gar nicht, warum wir im Landwirtschaftsministerium die völlig übertriebene Zahl von drei Staatssekretären haben. Wenigstens für die interne Buchung sollte der eine doch gleich bei dem Ministerium angesiedelt werden, das für den Außenhandel zuständig ist.
({0})
Meine Damen und Herren, wir haben Ihnen zwei Entschließungsanträge vorgelegt. Sie sind Teil des alternativen Haushaltsprogramms der GRÜNEN, das sich dem Ziel verpflichtet sah, ein umfassendes alternatives Haushaltsprogramm vorzulegen, das den dringendsten Erfordernissen unserer Zeit wirklich gerecht wird. Die Teile, die in den Agrarbereich fallen, sind einmal ein Teil unseres Sonderprogramms zur Eindämmung der Armut und zum anderen ein Teil unseres Sonderprogramms zur Entgiftung.
Sie haben eben gefragt, Herr Schmitz, woher wir die 3 Milliarden DM nehmen wollen. Das ist ganz einfach. Ich frage Sie dagegen: Wieviel haben Sie für die Erhöhung der Vorsteuerpauschale angesetzt?
({1})
Genau dieses Geld, das bei den falschen, nämlich bei den Großbetrieben und nicht bei den kleinen ankommt, wäre richtig zur Stützung der kleinen und mittleren Betriebe eingesetzt.
({2})
Frau Abgeordnete, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?
Nein, nicht mehr. Ich habe nicht mehr soviel Zeit.
Wenn Sie, Herr Schmitz, immer noch - wie ich gehört habe - wie früher Milchwagen in dem Dorf von Christa Nickels fahren würden, dann würden Sie auch wissen, wie dringend die Landwirte gerade dieses Geld brauchen. Ich habe in Ihrer Rede gehört, daß Sie heute nicht mehr Milchwagen fahren; dafür gehen Sie einkaufen und wissen so gut über die Preise Bescheid. Wenigstens das begrüße ich als Beitrag zur Ihrer Emanzipation.
({0})
Da meine Zeit knapp ist, möchte ich noch ganz kurz auf zwei Punkte unseres Programms zur Stützung des ökologischen Landbaues eingehen. An ihnen ließe sich zeigen, wie wir wirkliche Vorsorge für die Zukunft verstehen und daß wir damit in einer Tradition des Begriffs von Landwirtschaft stehen, der wirklich Vorsorge für die Zukunft und Existenzerhaltung für die bäuerlichen Familien bedeutet.
({1})
Es gibt - das eine Beispiel will ich nennen - im Haushalt einen Ansatz unter dem schönen Titel „Dorferneuerung". Wenn man darunter nicht nur Verputz von Fassaden und die Anbringung genormter Laternen versteht, sollte man sich doch darauf besinnen, was ein Dorf eigentlich ausmacht. Dazu gehört die Erkennung der Einheit des Dorfes als Wirtschafts-, Lebens- und Kulturraum. Hochqualifizierte Wissenschaftler haben Untersuchungen vorgelegt, deren Ergebnisse sofort in die Praxis umsetzbar sind. Danach könnte man in einem Verbund der Energieressourcen des ländlichen Raumes und
der wirtschaftlichen Grundlagen, die die landwirtschaftliche Produktion bietet, eine Energieversorgung des Dorfes ermöglichen, die das Dorf faktisch unabhängig von der Zufuhr fremder Energie macht.
({2})
Das heißt, da liegen ungeheure Energiereserven, die wir nutzen können und mit denen wir auch unsere Abhängigkeit von ausländischer Energie erheblich reduzieren können.
({3})
Ich möchte Sie dringend bitten, diese Programme, die gar nicht so viel kosten und die wirklich zukunftsgerichtet sind, einmal zu überprüfen und in den nächsten Haushalt aufzunehmen.
({4})
Der zweite Punkt betrifft die Unterstützung von Ausbildungsplätzen in ökologischen Betrieben. Diese Betriebe berichten darüber, daß sie von Anfragen junger Leute überschwemmt werden, die gern in der Landwirtschaft arbeiten möchten.
({5})
Wir haben also die jungen Leute, die da arbeiten möchten,
({6})
wir haben die Betriebe, die sie einstellen können, wir wissen aber, daß diese Schwierigkeiten haben, das zu finanzieren.
({7})
Wenn jemand einen Beitrag dazu geleistet hat, daß Landwirtschaft als Zukunftsperspektive für junge Leute wieder attraktiv geworden ist, so sind es gerade diese Betriebe.
({8})
Wir finden, es ist sowohl im Sinne der Agrarpolitik als auch der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eine dringende Aufgabe, diese Programme zu unterstützen, und das, Herr Schmitz, waren unsere praktischen Alternativen zu Ihrem Haushaltsprojekt.
Ich danke Ihnen.
({9})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Einzelplan 10 steigt um 7,8 %. Dies ist eine sehr respektable Leistung gegenüber der Landwirtschaft. Ich bedanke mich dafür beim Parlament, auch beim Finanzminister. Ich finde in keinster Weise, daß dies etwa ein
Haushalt der Verschwendung wäre, wie Frau Zutt ihn genannt hat. Ganz im Gegenteil, er ist der Beweis dafür, daß diese Regierung unseren Bauern nicht nur mit nutzlosen Worten, Programmen, die kein Mensch erfüllen kann, sondern mit Taten zu helfen gewillt ist.
({0})
Sie, Frau Zutt, haben viel von Einsparungen gesprochen, und Sie haben auch den Satz geprägt: Dieser Etat steht für eine verfehlte Politik. Dieser Etat, Frau Zutt und meine Damen und Herren von der SPD, ist deswegen nötig, weil wir eine verfehlte Politik der letzten 10 Jahre korrigieren müssen.
({1})
Dieser Etat hat in der Gemeinschaftsaufgabe gewaltige Ansätze. Ich darf ihn einmal mit dem vergleichen, was Sie im alten Finanzplan hier vorgesehen hatten. Das waren 1983 1,025 Milliarden DM, 1984 dasselbe und 1985 wieder dieser Betrag. Wir haben ihn schon 1983 um 130 Millionen, 1984 um 150 Millionen DM aufgestockt, und 1985 werden wir ihn um 275 Millionen DM aufstocken. Wir reden also nicht nur.
({2})
Wenn ich Ihre berühmte soziale Leier, die Sie hier immer abspulen, und die schönen Sprüche über die Kleinbauern mit den Zahlen vergleiche, die nun tatsächlich Politik sind - der Haushalt ist ja sozusagen das Buch, das wirklich offenbart, wie Politik gemacht wird -,
({3})
dann lese ich hier, daß in Ihrer mittelfristigen Finanzplanung für die Unfallversicherung im Jahre 1984 200 Millionen DM vorgesehen waren, 1985 120 Millionen, 1986 40 Millionen DM und 1987 0 DM.
({4})
Wir haben bereits im vergangenen Jahr auf 280 Millionen aufgestockt, wir werden 1986 gegenüber Ihrer Planung um 360 Millionen und 1987 um 400 Millionen DM aufstocken.
({5})
Das ist der Unterschied zwischen Worten und Taten.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller ({0})?
Ja.
Herr Minister, schönen Dank.
Herr Minister, stimmen Sie mir zu, daß wir Sozialdemokraten das Gutachten zur Unfallversicherung beantragt haben, und wären Sie bereit, uns
Müller ({0})
zuzubilligen, daß wir damals immer gesagt haben, daß die alte Last von der Bundesregierung durch Zuschüsse abgedeckt werden muß?
({1})
Lieber Herr Kollege Müller, ich stimme Ihnen zu, daß das Gutachten durch den Bundeslandwirtschaftsminister Ertl angefordert wurde. Ich muß Sie hier leider auf die Zahl Ihrer mittelfristigen Finanzplanung verweisen. Auf das, was Sie immer gesagt haben, kann ich leider nicht allzusehr bauen; denn Sie haben vieles gesagt und anderes getan. Dies ist leider wahr.
({0})
Sie haben auch immer gesagt, wir müssen die Überschüsse abbauen, wir müssen die Produktion dem Markt angleichen. Getan haben Sie gar nichts. Das haben Sie jetzt uns überlassen.
({1})
Dafür kritisieren Sie nun die konkreten Maßnahmen mit maßloser Überzogenheit. Ich habe nichts dagegen, wenn Sie im Detail kritisieren; denn wer konkret etwas tut, bietet immer auch Anlaß dazu, daß man noch Vorschläge machen kann, wie man die eine oder andere Maßnahme vielleicht noch besser hätte machen können. Ich weise nur darauf hin, daß es zehn Länder sind, mit denen man verhandeln muß. Aber die Maßlosigkeit, die darin liegt, daß Sie hier einfach hergehen und sagen: Tausende von kleinen Betrieben werden in den Ruin getrieben usw., dient nicht der Sache. Wenn sie der Polemik dienen soll, dann bitte.
({2})
- Sie haben hier zu vertreten, was Sie sagen, und nicht, was andere sagen. Und daran messe ich Sie.
({3})
Sie haben eine Reihe von Behauptungen aufgestellt, die so nicht stimmen. Eine will ich herausgreifen. Sie haben hier etwas abfällig zitiert, daß der Bundesaußenminister Genscher den bäuerlichen Familienbetrieb gelobt habe. Ich empfehle Ihnen, nachzulesen, wie das Konzert Ihrer Minister über die Agrarpolitik gewesen ist, als Sie noch Verantwortung trugen. Da hat man den Herrn Landwirtschaftsminister Ertl ziemlich allein gelassen: der Bundeskanzler so, der Finanzminister anders. Jeder hat sich nur über die EG-Agrarpolitik mokiert. In dieser Regierung sprechen eben der Außenminister, der Finanzminister, der Landwirtschaftsminister und der Bundeskanzler mit einer Zunge. Und dies ist ein entscheidender Unterschied.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, Sie reden immer noch, obwohl Sie wirklich längst wissen müßten, daß es keinen Sinn mehr hat, sachlich darüber zu diskutieren, über differenzierte Preise oder die sogenannte Mitverantwortungsabgabe, die man besser, gerechter und sozial schöner hätte durchsetzen können. Ich bin bereit, mit Ihnen darüber zu diskutieren, auch hier an dieser Stelle. Ich gehöre nicht zu denen, die zu einem anderen Gedanken von vornherein sagen: Darüber rede ich nicht. Aber dann müssen Sie hergehen und sagen: Der Preis für die Milch soll in der Größenkategorie so hoch sein, so hoch bei jener und so niedrig bei letzterer. Wir wollen eine Mitverantwortungsabgabe, die oben so viel abzieht, in der Mitte so viel abzieht, unten so viel abzieht. - Dies müssen Sie in Zahlen genau verifizieren. Dann können wir darüber reden. Über pauschale Formulierungen kann man, wenn wir uns hier mit den harten Tatsachen auseinandersetzen müssen, nicht diskutieren.
({5})
Solche billigen Forderungen sind mal irgendwo im Wahlkampf, im Festzelt erlaubt, aber nicht hier vor dem Hohen Hause.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Müller ({0})?
Nein, ich habe dem Herrn Kollegen schon eine Frage gestattet, und ich möchte meine Zeit nicht überziehen, um die Runde nicht neu zu eröffnen. Haben Sie also Verständnis.
({0})
Sie kritisieren auch ständig die Garantiemengen. Meine Damen und Herren, da müssen Sie ein solches Urteil auch über so angesehene Staaten wie die Schweiz, Österreich, Kanada und Israel fällen, die alle längst mit einer beschränkten Produktion leben und damit verwirklichen, was auch wir verwirklichen wollen: garantierte Mengen und dabei gesicherte Preise.
({1})
Was Sie immer angestrebt haben, wenn auch nur verklausuliert formuliert, waren freie Mengen, aber ohne Preisgarantie. Da können wir in der sachlichen Diskussion sehr wohl bestehen, und wir werden in dieser sachlichen Diskussion auch bestehen.
({2})
Denn allein schon durch die Tatsache, daß der Versuch gemacht wird, die Milchproduktion abzubremsen, sogar etwas nach unten zu korrigieren, so schwer das auch ist - Sie nutzen das jetzt weidlich für Ihre sehr unfaire Polemik auf den Dörfern aus; das kann man Ihnen nicht verbieten, aber Sie werden damit scheitern, wie ich Ihnen gleich voraussagen möchte -, haben wir erreicht, daß die MilchBundesminister Kiechle
preise, Beschlüsse in Brüssel hin oder her, zu steigen beginnen. Die Milchpreise in der Bundesrepublik Deutschland - und dies spricht für unsere Politik - lagen, wenn auch unter Einschluß der Mehrwertsteuer, im September im Bundesdurchschnitt um 3 % höher, als sie im September vor einem Jahr lagen, und sie lagen über 7 % höher gegenüber dem März dieses Jahres, also dem Monat vor den Brüsseler Beschlüssen. Dies spricht für unsere Politik. Ich meine, selbst wenn es da Wellenbewegungen geben sollte, vom Grundsatz her bedeutet das: Wer Preise sichern will, und zwar nicht nur über die Garantiepreise, die der Staat gewährt, sondern über die Preise, die der Markt zu leisten in der Lage ist, muß eben dafür sorgen - und das tun wir -, daß das Mengenangebot nicht ständig steigt und sich in diesem Fall gegen die Bauern und zu Lasten der Bauern auswirkt.
({3})
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte mich nur noch mit einem einzigen Satz an Frau Kollegin Vollmer wenden. Sie haben hier lange über Forschungsprojekte geredet. Das interessiert unsere Bauern vielleicht nur sehr partiell. Sie haben Südafrika angesprochen. Dazu möchte ich einen Satz sagen. Wir kooperieren mit den Ländern in der Welt, denen wir auf dem agrarischen Gebiet etwas geben können und die auch bereit sind, mit uns zusammenzuarbeiten, ob das nun Ungarn ist oder Rumänien, ob das die Niederlande sind oder Südafrika oder Israel oder wen immer Sie nehmen wollen. Wir tragen hier keine ideologischen Scheuklappen. Wir setzen uns keine grüne. keine rote oder wie sonst geartete Brille auf.
({4})
Wir arbeiten mit denen zusammen, die auch mit uns zusammenarbeiten wollen.
Die Delegationen, die uns hier besuchen - Sie haben die südafrikanische genannt -, machen auf jeden Fall folgendes nicht - was eine Besuchergruppe eines Ihrer GRÜNEN-Kollegen gestern im Ministerium für innerdeutsche Beziehungen gemacht hat -: Stühle aufschneiden, Teppiche zerstören, das Bild des Bundespräsidenten herunterreißen und einen ganzen Saal kaputtmachen.
({5})
Das war Ihr Kollege Reents, um es ganz genau zu sagen. Sie sollten sich erst einmal um Ihre Besuchergruppen kümmern, bevor Sie über Besuchergruppen aus anderen Ländern hier abfällige Urteile fällen.
({6})
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage? - Keine Zwischenfrage.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bedanke mich noch einmal beim Parlament für die Kooperation. Ich bedanke mich bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses vor allem für die echte Unterstützung in einer schwierigen Situation. Ich bedanke mich bei dem Parlament auch im Namen unserer Bauern.
Ich danke Ihnen.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bredehorn.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! - Nun sehe ich Frau Vollmer gar nicht mehr.
({0})
Das tut mir leid. Sie hat hier, ich möchte eigentlich sagen, eine Art agrarpolitische Schummelrede gehalten. Nachdem Anträge über 3 Milliarden DM vorliegen, hat sie uns zwar lange etwas über Forschung usw. erzählt, aber ganz zum Schluß hat sie die Katze aus dem Sack gelassen. Da geht es z. B. darum, 1,5 Milliarden DM für die ökologische Landwirtschaft zur Verfügung zu stellen. Wenn man sich das einmal durchliest, kann man nur sagen: das ist im Grunde genommen eine Arroganz, die dahintersteckt. Man bekommt einfach den Eindruck, daß die traditionell wirtschaftende Landwirtschaft, die gesunde preiswerte Nahrungsmittel für unsere Bürger zur Verfügung stellt, ganz eindeutig in die Ecke gestellt werden soll.
Hier steht: Umschuldungsprogramme für verschuldete Betriebe, die ihren Betrieb auf ökologische Produktion umstellen: 290 Millionen DM. - Meine Damen und Herren, da kann ich nur sagen: Wer diesen ökologischen Landbau betreibt, muß schon sehr gut ausgebildet und sehr tüchtig sein. Wir fördern das. Aber man kann nicht die Betriebe, die vor der Pleite stehen, in den ökologischen Landbau treiben.
Sie reden immer wieder nach dem Motto: Zurück zur Natur! Sie führen hier immer wieder den Milchwagen an, möglichst noch mit einem Pferd davor usw., und den Zustand, den wir vor 30 Jahren in der Landwirtschaft hatten. Ich meine, dahinter steckt eine große Arroganz. Ich persönlich bin einer, der das mitgemacht hat und der weiß, was es damals für soziales Elend und soziale Not in den Betrieben auf dem Land gab.
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Diejenigen, die solche Anträge hier stellen, sind Leute, die Pensionsanspruch haben, die unkündbar sind und Vorteile von der Regelbeförderung haben. So ist es nämlich.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, der hier zu beratende Einzelplan 10 - und damit die Agrarpolitik - steht nicht isoliert da. Sie ist integriert in eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die darauf ausgerichtet ist, der Bundesrepublik in den nächsten Jahren wieder zu einem wirtschaftlichen Aufschwung zu verhelfen. Dabei stehen zwei
Hauptziele im Vordergrund: erstens der Abbau der hohen Arbeitslosenquote und zweitens der Abbau der hohen Verschuldung, d. h. die Konsolidierung des Bundeshaushalts. Gerade in strukturschwachen ländlichen Räumen ist es um Arbeitsplätze schlecht bestellt. Ich erzähle Ihnen keine Märchen, denn in meiner Heimat an der oldenburgisch-ostfriesischen Nordseeküste gibt es Landkreise, wo von 15% bis über 25% der Menschen ohne Arbeit sind.
Natürlich ist nicht damit zu rechnen, daß wir bei dem augenblicklichen gesamtwirtschaftlichen Umfeld diese Zahlen von heute auf morgen sofort und rapide senken können. Nur eine beständige Ankurbelung aller wirtschaftlichen Kräfte, und zwar aus einer Eigendynamik heraus, die auf Leistung beruht, kann diese Probleme langfristig lösen.
Bei der Erhaltung von Arbeitsplätzen ist auch die Landwirtschaft besonders gefordert. Aus Gründen der Arbeitsplatzerhaltung und einer gesunden Struktur im ländlichen Raum dürfen wir kurz- und langfristig den vielzitierten bäuerlichen Familienbetrieb nicht aus den Augen verlieren. Seine Bewahrung, d. h. die Erhaltung der bäuerlichen Agrarstruktur, wird den Haushalt kostenmäßig nur gering belasten, wenn nur die Rahmenbedingungen stimmen, Rahmenbedingungen, die wir, indem wir die Eigenkräfte der Wirtschaft aktivieren, mit dem Programm zur Förderung der regionalen Wirtschaftsstruktur und der Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes absichern.
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Die Gemeinschaftsaufgabe ist ein praktikables politisches Werkzeug, das in den vergangenen Jahren seine Richtigkeit unter Beweis gestellt hat. Zusammen mit unserem Koalitionspartner hat es die FDP erreicht, daß trotz genereller einschneidender Sparmaßnahmen die Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe auf 1,3 Milliarden DM aufgestockt wurden. Mit diesen zusätzlichen Mitteln wollen wir insbesondere benachteiligten und einkommensschwachen Betrieben helfen. Das heißt, es stehen zusätzlich 125 Millionen DM zur Verfügung, die für eine zusätzliche Förderung mit der Ausgleichszulage in benachteiligten Gebieten verwandt werden. Statt, wie im Vorjahr, 65 Millionen DM haben wir dafür jetzt 190 Millionen DM veranschlagt. Zusätzlich kommen 40% von den Ländern, so daß wir insgesamt 315 Millionen DM zur Verfügung haben. Hiermit ist es möglich, die Ausgleichszulage zu erhöhen und die benachteiligten Gebiete auszuweiten.
Bei der Ausweitung der benachteiligten Gebiete sollten die Länder darauf achten, daß nicht nur - wie bisher - in den Bergbaugebieten eine Ausgleichszulage gezahlt wird, sondern daß die durch die Milchkontingentierung besonders negativ betroffenen Regionen mit einem Grünlandanteil von zum Teil über 90%, wo es zu Rindviehhaltung keine Alternative gibt, als benachteiligte Gebiete einbezogen werden.
Mit Blick auf die Kostenauswüchse der EG-Agrarpolitik ist es Aufgabe der Agrarpolitiker,
Wege zur Eindämmung der Überschußproduktion aufzuzeigen. Nur so wird es möglich sein, zu mehr Manövrierfähigkeit und mehr Entscheidungsspielraum im gemeinsamen Agrarmarkt zurückzufinden.
Die jetzige Regierung hat hier einen dornigen Pfad beschritten, um der Situation Herr zu werden. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, wenn ich sage, daß es wegen der Milchkontingentierung auch Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionspartnern gab und gibt. Aber diese Regierung hat einen Weg beschritten, mit dem sie versucht, aus der Zwickmühle herauszukommen, der Zwickmühle nämlich zwischen volkswirtschaftlich unerwünschten Nahrungsmittelbergen einerseits und einem zu geringen bäuerlichen Einkommen andererseits. Ich weise nur auf den 20 %igen Einkommensrückgang der Bauern im letzten Wirtschaftsjahr hin.
Vor diesen Hintergründen und vor dem europäischen Währungsdilemma finden die Milchrente und die 5 %ige Anhebung der Vorsteuerpauschale ihren Platz. Dabei ist die Milchrente, für die der Bund zehn Jahre lang jährlich 100 Millionen DM zur Verfügung stellt, die einzige Möglichkeit, in Zukunft noch Strukturveränderungen und Strukturverbesserung zu erreichen. Für mich ist es deshalb völlig unverständlich, daß die Oppositionsfraktionen, SPD und GRÜNE, diese Hilfe zur Selbsthilfe abgelehnt haben.
Auch die 5%ige Anhebung der Vorsteuerpauschale war als Ausgleich für die Einkommensverluste durch den Wegfall des Grenzausgleichs für die deutschen Landwirte notwendig. Wenn ich mir auch persönlich eine andere Differenzierung und eine andere Lösung bei der Vorsteuerpauschale vorgestellt und gewünscht hätte,
({4})
so habe ich doch - und sicher auch viele Landwirte mit mir - kein Verständnis dafür, daß Sie grundsätzlich und generell die 5% abgelehnt haben.
Noch weniger ist es zu verstehen, wenn diese Opposition draußen im Lande behauptet, daß die jetzige Bundesregierung eine Wende in der Agrarpolitik zu Lasten der Landwirte herbeiführen wolle. Das Bundeskabinett, der Bundeslandwirtschaftsminister und die Koalitionsfraktionen haben in ihren Entscheidungen gezeigt, daß sie bei der notwendigen agrarpolitischen Umorientierung die bäuerlichen Einkommen nicht aus den Augen verlieren.
({5})
Heute morgen hat einer der neuen Agrarsprecher der Opposition, Herr Apel, hier kritische Äußerungen zitiert, die ich zu der Agrarpolitik gemacht habe. Ich sehe es allerdings als meine Aufgabe als frei gewählter Abgeordneter, der ich bin, an, daß ich durch sachliche, kritische Vorschläge die BundesreBredehorn
gierung unterstütze, eine gute Agrarpolitik für unsere Bauern zu machen.
({6})
Es ist j a immer wieder auffallend - auch Herr Apel hat es heute morgen nicht getan -: sobald es um konkrete Schritte, um konkrete Hilfen für die Landwirte geht, ist von der SPD nichts zu sehen. Dann geht die Diskussion „groß und klein" los. Hier versucht man einfach, daraus parteipolitisches Kapital zu schlagen. Ich warne davor.
({7})
Der Agrarhaushalt ist um 7,8 % aufgestockt worden.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Müller?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Bredehorn, wir hatten doch, als wir noch gemeinsam Regierungsparteien waren, ein Programm, das Sie mit unterstützt haben. Wollen Sie damit sagen, daß das kein konkretes Programm war, um diese Probleme in den Griff zu kriegen?
Da müssen Sie sich konkret ausdrücken, was Sie jetzt meinen.
({0})
Da gibt es viele Dinge. Meinen Sie die Agrarsozialpolitik oder was meinen Sie?
Nein. Das sogenannte Apel-Papier haben Sie doch mit unterstützt. Wollen Sie damit sagen, daß das kein Weg war?
Sie täuschen sich unheimlich. Die Freien Demokraten haben das Apel-Papier nie unterstützt.
({0})
Denn das beinhaltet ja einige Dinge, die einfach für den bäuerlichen Betrieb nicht tragbar sind. Sie wollten nämlich die Probleme alle über den Preis lösen. So war es doch.
Dieser Agrarhaushalt - das ist schon gesagt worden - liegt deutlich über der allgemeinen Steigerungsrate des Bundeshaushalts. Ich muß sagen, dies ist ein seit Jahren nicht mehr festzustellender positiver Tatbestand, der deutlich macht, daß sich diese Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen um die Sorgen und Probleme unserer Landwirte kümmern. Trotz der Aufstockung der Mittel um 7,8% im Einzelplan 10 haben wir nicht das eingangs genannte Hauptziel, die Konsolidierung des Bundeshaushalts, aus den Augen verloren. Im Agrarhaushalt geht es nämlich auch darum, einen Berufsstand zu unterstützen, der nicht nur den ländlichen Raum wirtschaftlich prägt, sondern auch eine große gesellschaftspolitische Verantwortung im Umweltschutz, in der Pflege der Kulturlandschaft übernommen hat. Lassen Sie die Bauern im Abseits stehen, bekommt die übrige Bevölkerung, besonders auf dem Land, das zu spüren.
Die fast 6,6 Milliarden DM, die im Bundeshaushalt für den Agrarbereich ausgewiesen sind, müssen eingesetzt werden, um erstens das Einkommen der Landwirte zu stabilisieren, zweitens die Agrarstruktur zu verbessern, drittens die Agrarsozialpolitik weiter , auszubauen, viertens den Umwelt- und Naturschutz voranzutreiben und fünftens die Überschußproduktion zu begrenzen.
Die eben schon angesprochene Gemeinschaftsaufgabe trägt Möglichkeiten in sich, diese Ziele miteinander zu verwirklichen. Für die FDP-Fraktion möchte ich hier feststellen, daß es Aufgabe der Agrarstrukturpolitik ist, Agrar- und Umweltpolitik besser aufeinander abzustimmen. Wenn wir wertvolle Wasserschutzgebiete behalten wollen, wenn wir wildlebende Pflanzen und Tiere vor dem Aussterben bewahren wollen, wenn wir wirklich den Biotopschutz nachhaltig verbessern wollen und wenn wir mehr aufforsten wollen, dann brauchen wir Flächen, Flächen, die bisher meistens landwirtschaftlich intensiv genutzt werden. Dann müssen wir aber auch mehr Mittel einsetzen, um bisher intensiv genutzte Flächen zu extensivieren oder ganz aus der landwirtschaftlichen Nutzung herauszunehmen. Die dann zu zahlenden Nutzungsentschädigungen sind sinnvoller und sehr viel billiger für den Steuerzahler als die Ausgaben für die dort sonst erzeugten Überschüsse. Die FDP-Fraktion wird im Ernährungsausschuß einen entsprechenden Antrag stellen und gleichzeitig das Ministerium auffordern, einmal darzustellen, wieviel Gelder für den Umweltschutzbereich innerhalb des Agrarhaushalts jährlich zur Verfügung stehen.
Dabei ist es interessant, daß im Jahre 1984 im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe ca. 146,8 Millionen DM für den Umweltschutzbereich ausgegeben wurden, während es im Jahre 1985 ca. 163 Millionen DM innerhalb der Gemeinschaftsaufgabe sein werden. Diese Mittel werden eingesetzt für den Bau von Abwasseranlagen, zur Energieeinsparung, zur Bekämpfung neuartiger Waldschäden. Aber auch bei der Flurbereinigung oder zum Beispiel bei den Mitteln für die benachteiligten Gebiete fließt ein erheblicher Anteil der Gelder in umweltrelevante Maßnahmen. Für die FDP-Fraktion fordere ich hier noch einmal, diesen Weg konsequent fortzusetzen und zukünftig mehr Mittel bereitzustellen. Diese Mittel stehen innerhalb des Haushalts zur Verfügung, wenn wir endlich Schluß machen mit der weiteren Investitionsförderung bei Schweine-, Bullen-und Kuhställen,
({1})
deren Überschußproduktion wir dann mit hohen Kosten übernehmen müssen. Wenn es uns in den nächsten Jahren gelingt, die dringend benötigten Flächen für Umwelt- und Wasserschutz, für ein Biotop-Verbundsystem, für den Anbau nachwachsender Rohstoffe aus der intensiven Agrarproduktion vermehrt herauszubekommen, werden wir hier endlich auch wieder mehr Spielraum für eine aktive Agrarpolitik gewinnen.
Meine Damen und Herren, unsere Agrarsozialpolitik ist zu einem agrarsozialen Sicherungsinstrument ausgebaut worden, um das uns viele Berufs7860
kollegen in anderen Ländern inzwischen beneiden. 3,7 Milliarden DM - das sind fast 60% des Agrarhaushalts - werden für die landwirtschaftliche Sozialpolitik bereitgestellt. Nachdem es im vorigen Jahr - entgegen der mittelfristigen Finanzplanung - gelungen war, den Zuschuß zur landwirtschaftlichen Unfallversicherung mit 279 Millionen DM in voller Höhe zu erhalten, werden wir ab 1985 - fortlaufend bis zum Ende der Legislaturperiode - jährlich 400 Millionen DM bereitstellen. Damit ist die sogenannte alte Last voll abgedeckt. Ich möchte es an dieser Stelle nicht versäumen, mich beim Bundeskanzler zu bedanken, daß er damit sein auf dem Bauerntag in Freiburg gegebenes Wort, sich für diese berechtigte Forderung einzusetzen, gehalten hat.
({2})
Nach wie vor gilt der an die Bundesregierung gegebene Auftrag, Vorschläge zu machen wie die Leistungen des Bundes für die Altershilfe für die Landwirte gerechter verteilt werden können. Die FDP und die CDU/CSU haben im Ernährungsausschuß einen Antrag eingebracht, hier zusätzliche Mittel bereitzustellen. Wir erwarten von der Bundesregierung, daß sie im Rahmen des agrarsozialen Ergänzungsgesetzes etwas tut, um die einkommenschwachen Betriebe bei ihren Beiträgen spürbar zu entlasten. Leider hat die SPD unserem Antrag im Ausschuß nicht zugestimmt. Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Herr Dr. Vogel, hat sich in einer Aktuellen Stunde zur Agrarpolitik ganz strikt gegen zusätzliche Mittel für die Landwirtschaft ausgesprochen. Frau Zutt hat das hier wiederholt. Frau Zutt, Ihnen scheint es - so ist leider mein Eindruck - nur um eine neuerliche Umverteilung zu gehen, und zwar um eine Umverteilung von den sogenannten großen - und damit wohl reichen - zu den kleinen Landwirten.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?
Es tut mir leid, Herr Oostergetelo, aber meine Zeit ist gleich abgelaufen. Wir können das allerdings gleich gerne klären. - Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich möchte Sie wirklich herzlich bitten: Hören Sie mit einer solchen Politik auf, mit einer Politik, die versucht, einen Keil in die Landwirtschaft hineinzutreiben und Neidkomplexe zu schüren.
({0})
Unterstützen Sie doch die Politik der Koalitionsfraktionen! Wir wollen es beim gleichen Beitrag und der gleichen Leistung in der Altershilfe belassen, wollen aber die einkommenschwachen Betriebe mit einem geringen Wirtschaftswert mit zusätzlichen Mitteln bei ihren Beiträgen spürbar entlasten.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß: Ohne den Haushalt zu überlasten und ohne der notwendigen Sparpolitik des Finanzministers entgegenzuwirken, muß es uns gelingen, eindeutige Ziele für eine kurzfristige, mittelfristige und langfristige Agrarpolitik zu definieren. Dabei geht es darum, die Überschüsse loszuwerden, ohne unser Leitbild, den bäuerlichen Familienbetrieb, dabei aufs Spiel zu setzen. Für die FDP bleibt der bäuerliche Familienbetrieb ein unverzichtbarer Bestandteil einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Seine Förderung ist nicht Interessenpolitik, sondern freiheitliche Gesellschaftspolitik.
Wir werden dem Einzelplan 10 unsere Zustimmung geben.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Ich erteile der Frau Abgeordneten Reetz das Wort zur Abgabe einer Erklärung nach § 30 unserer Geschäftsordnung.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe zum Abschluß einer Reise mit dem Rechtsausschuß nach Amerika in New York einen Fischmarkt besucht und mir dort drei Hummer gekauft.
({0})
Denn ich wußte, daß ich nach meiner Rückkehr am Abend desselben Tages mit meiner Familie und Freunden zusammensein würde, und wollte daher zu dem Essen etwas Besonderes beisteuern.
({1})
Ich verbitte es mir, daß meine persönlichen Einkäufe von Kollegen als politisches Argument gegen mich und meine Partei verwandt werden.
({2})
Auch als Abgeordnete lege ich Wert darauf, daß ich eine Privatsphäre in bezug auf meine persönlichen Einkäufe habe,
({3})
die ich auch allein verantworten will und die niemanden etwas angehen.
({4})
In diesem Sinne stehe ich zu meinen Einkäufen. Wir essen zu Hause sehr gern Fisch. Wir essen das nicht deshalb, weil wir damit irgendeine Extravaganz ausdrücken wollen,
({5})
sondern weil wir Nahrungsmittel sehr schätzen und dankbar dafür sind und weil wir beim gemeinsamen Essen eine außerordentliche Harmonie empfinden und uns wohlfühlen.
({6})
Ich möchte noch sagen: Wenn ich vorher gewußt hätte, daß diese Tiere in einer Spezialverpackung lebendig verschickt werden, dann hätte ich diesen Kauf nicht getätigt. Es war das erstemal in meinem Leben, daß ich Hummer gekauft habe. Ich war auch zum erstenmal in Amerika.
({7})
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung.
Wir stimmen zunächst über die Änderungsanträge des Abgeordneten Verheyen ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2424 und 10/2425 ab.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2424 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2425 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen?
- Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 10 - Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe auf:
Einzelplan 12
Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr
- Drucksachen 10/2312, 10/2330 Berichterstatter:
Abgeordnete Hoffmann ({1}) Metz
Verheyen ({2})
Hierzu liegen Ihnen Änderungsanträge der Abgeordneten Drabiniok, Verheyen ({3}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2426 und 10/2427 ({4}) sowie der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2478 vor.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. Sind Sie damit einverstanden? - Ich sehe und höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Metz ({5}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Verkehrshaushalt steht mit einem Gesamtvolumen von über 25 Milliarden DM an vierter Stelle der Einzeletats des Bundeshaushalts; er ist zugleich der bedeutendste Investitionshaushalt des Bundes.
({0})
Herr Abgeordneter, einen Augenblick bitte. - Meine Damen und Herren, ich darf bitten. Platz zu nehmen.
({0})
- Das gilt für alle, Herr Hoffmann; das wird bei Ihnen nachher auch gelten. Ich werde für Ruhe sorgen. - Bitte sehr, fahren Sie fort.
Meine Damen und Herren, es ist ganz undramatisch; man kann sich auch hinsetzen. - Über 12 Milliarden DM wird der Bund 1985 für Investitionen im Verkehrsbereich aufwenden. Das bedeutet gegenüber dem Vorjahressoll eine Steigerung um immerhin 6% und gegenüber der alten Finanzplanung ein Plus von 678 Millionen DM. Ich hebe das noch einmal hervor: Wir investieren 678 Millionen DM mehr, als die Sozialdemokraten nach ihrer damaligen Finanzplanung vorhatten. Meine Damen und Herren, ich betone das deswegen, weil die SPD bei diesen Beratungen sehr lokker Erhöhungsanträge in der Größenordnung von rund 800 Millionen DM stellt. Diese Mittel will sie interessanterweise aus dem Verteidigungshaushalt abzweigen.
({0})
Schon aus diesem Grunde werden wir diese Anträge ablehnen, aber natürlich nicht nur aus diesem Grunde.
({1})
Wir investieren verstärkt: Für den gesamten Finanzplanungszeitraum wird praktisch jede zweite Mark des Verkehrshaushalts investiert.
({2})
Wie in jedem Jahr, so haben wir auch diesmal bei der Beratung des Einzelplans 12 in den Bereichen Schiffahrt und Schiffbau wieder eine Debatte gehabt. Diese Bereiche haben, wie in jedem Jahr, eine große Rolle gespielt.
({3})
- Immer eines nach dem anderen, Herr Verheyen! - Stichworte sind hier: Reederhilfe und Finanzbeiträge. Auf diesen Gebieten ist der Regierungsentwurf während der Beratungen deutlich im Sinne der Küstenländer verbessert worden.
Wenn der Haushaltsausschuß die Neubauhilfen für Handelsschiffe um 50 Millionen auf ein Volumen von 250 Millionen DM aufgestockt hat, dann hat er das Ergebnis der Hamburger Werftenkonferenz vom 21. April 1983 umgesetzt. Damals bestand eine breite Übereinstimmung darüber, daß einer7862
seits empfindliche Kapazitätsreduzierungen im Handelsschiffbau auf deutschen Werften hingenommen werden müßten, daß jedoch andererseits nach Möglichkeit ein Bestand in Höhe von etwa 3 Milliarden DM Jahresumsatz gesichert werden sollte.
Mit den jetzt eingestellten 250 Millionen DM kann eine Auftragssumme von rund 2 Milliarden DM in das Schiffahrtsförderungsprogramm 1985 aufgenommen werden. Das ist ein Programm, das deutschen Schiffahrtsunternehmen Schiffbauzuschüsse bis zu 12,5 % der Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Neubaus gewährt.
Darüber hinaus sind die sogenannten Finanzbeiträge für die Seeschiffahrt - dabei handelt es sich um pauschalierte Zinsbeiträge - fortgeschrieben worden. Der Haushaltsausschuß hat die Weitergewährung dieser Finanzbeiträge für erforderlich gehalten, weil der Rückgang der deutschen Handelsflotte weiter anhält. Wir wollen mit dieser Maßnahme dem weiteren Substanzverlust der deutschen Handelsflotte und dem Trend zur Ausflaggung entgegenwirken. Diese Hilfen vermindern die Liquiditätsprobleme der Schiffahrtsunternehmen und führen über eine Stärkung des Eigenkapitals zu einer Verbesserung der Investitionsfähigkeit deutscher Reeder.
Der Haushaltsausschuß kann manches für die deutsche Flotte tun. Er hat es auch getan. Aber das in diesem Zusammenhang eigentlich entscheidende Problem kann er nicht ohne weiteres lösen. Er kann nämlich nicht einfach dafür sorgen, daß deutsche Reeder genug Ladung bekommen. Dies ist das Kernproblem. Aber das Parlament, wir alle können helfen, ins Bewußtsein zu rufen, daß wir eine Schiffahrtsnation sind und eigene Schiffahrtsinteressen haben. Dabei geht es nicht nur um Küsteninteressen, sondern um ein nationales Interesse.
({4})
Ich darf darauf hinweisen, daß die strategische Bedeutung von Handelsflotten im Gegensatz zu anderen Ländern bei uns nicht immer in ihrem ganzen Umfang erkannt worden ist.
Meine Damen und Herren, per Oktober dieses Jahres fuhren noch 418 Schiffe unter deutscher Flagge. Ich kann der Bundesregierung nur empfehlen, sich weiter mit Nachdruck unserer Handelsflotte zu widmen. Ich begrüße es sehr dankbar, daß wir mit Minister Dollinger nach langen Jahren wieder einen Verkehrsminister haben, der für die maritimen Belange der Bundesrepublik Deutschland ein Herz hat.
({5})
Herr Minister, das wird an der Küste dankbar registriert.
Im übrigen weise ich noch einmal darauf hin, daß die gemeinsame Entschließung des Deutschen Bundestages vom 15. Dezember 1982 und der Kabinettsbeschluß vom Mai dieses Jahres, die beide in Sachen Seeschiffahrt in die richtige Richtung weisen, weiter gelten. Wir im Parlament verfolgen die
Verwirklichung der Beschlüsse gespannt und sind notfalls bereit, noch etwas nachzuhelfen.
Lassen Sie mich ein Wort zur Privatisierung der Naßbaggerei sagen, ein seit vielen Jahren umstrittenes Thema. Der Haushaltsausschuß hat jetzt nach zehn Jahren langer Vorgeschichte einen vorläufigen Schlußpunkt unter dieses Kapitel gesetzt, basierend auf einem Grundsatzbeschluß vom Jahre 1981, als die FDP-Mitglieder im Ausschuß mit der damaligen Opposition stimmten. Neulich hat der Kollege Hoppe gesagt, das sei der Beginn der Wende gewesen. Ganz so dramatisch war es nicht. Aber ich erinnere in diesem Zusammenhang an unseren ehemaligen Kollegen Klaus Gärtner, der sich in dieser Frage verdient gemacht hat.
({6})
Auf der Basis dieses Grundsatzbeschlusses von 1981 ist nunmehr beschlossen worden, die weitere Vergabe der Naßbaggerunterhaltungsarbeiten an private Unternehmen sowohl im Küsten- als auch im Binnenbereich bis zu 75 % vorzusehen, und zwar nach einem Stufenplan bis Ende 1987.
({7})
Die bisherigen Erfahrungen mit der Vergabe von Naßbaggerunterhaltungsarbeiten rechtfertigen diese weitere Steigerung der Vergabe an Private. Mit der stufenweisen Vergabe sollen Übergangsverluste möglichst vermieden werden.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein Wort dazu sagen. Daß Privatisierung auch in diesem Bereich etwa der ÖTV nicht paßt, leuchtet doch jedem ein und kann niemand übelnehmen. Daß die Gewerkschaft Bau-Steine-Erden andererseits nichts dagegen hat, leuchtet ebenfalls ein. Wir wollen auch nicht hundertprozentig privatisieren. Wir wollen Vergleichsmöglichkeiten behalten. Aber die bisherigen Einsparungserfolge legen die jetzt getroffene Entscheidung mehr als nahe.
({8})
Einem Haushälter gebieten sie diese Entscheidung geradezu. Wir haben überhaupt keine andere Chance, wenn wir ernst machen wollen mit der These, daß der Staat nur dort tätig sein soll, wo er vernünftige Gründe vorweisen kann, und daß er dort nicht tätig sein darf, wo andere preiswerter arbeiten können. Das ist hier der Fall. Deswegen bitte ich um Verständis für diese richtige Entscheidung.
({9})
Meine Damen und Herren, keine Verkehrsdebatte ohne ein paar Worte zur Bundesbahn.
({10})
Frühere Haushaltsdebatten glichen, wenn sie das Stichwort Bundesbahn aufnahmen, den reinsten Jammertiraden. Sechs verschiedene Konzepte der alten Regierung führten zu nichts, zu buchstäblich nichts.
({11})
Auch heute ist die Bundesbahn alles andere als über den Berg. Das will ich gleich hinzufügen. Aber es zeigen sich doch deutlich Silberstreifen am Horizont. Die Bahn ist konkurrenzfähiger und moderner geworden.
({12})
Ich nenne die neue Intercity-Generation ebenso wie das Intercargo-System, das im Nachtsprung die elf bedeutendsten Wirtschaftsregionen unseres Landes verbindet.
Ich nenne die elektrische Lokomotive der Baureihe 120. Mit der Freigabe der Mittel für die Beschaffung einer ersten Serie von 36 von zunächst 60 vorgesehenen Drehstromlokomotiven Anfang Oktober sind entscheidende Weichen gestellt worden.
({13})
Der Technologievorsprung, den die deutsche Lokomotivindustrie damit erreicht hat, wird sich auch günstig auf die Exportfähigkeit der E 120 auswirken.
({14})
Aus volkswirtschaftlichen Gründen und nicht zuletzt auch wegen des mit höherer Stückzahl verbundenen niedrigeren Einzelpreises wäre es sinnvoll,
({15})
wenn umgehend - ich sage das in Richtung auf das Ministerium, Herr Minister Dollinger - freie Fahrt auch für die restlichen 24 Lokomotiven gegeben werden könnte.
({16})
- Das ist gut.
Der Jahresfehlbetrag 1983 von 3,75 Milliarden DM ist immer noch viel zu hoch, aber er bedeutet eine Verminderung des Verlustes gegenüber dem Ist 1982 um immerhin 400 Millionen DM und gegenüber dem Soll 1983 um mehr als 1,2 Milliarden DM. Der bisherige Geschäftsverlauf dieses Jahres läßt eine weitere Verlustminderung um etwa eine halbe Milliarde DM erwarten.
({17})
Eine Zunahme der Neuverschuldung konnte also vermieden werden, obwohl die Bahninvestitionen deutlich wachsen.
({18})
Es bleiben auch Fragen offen. Über den Begriff Trennungsrechnung beispielsweise läßt sich trefflich streiten. Nicht alle, die diese Vokabel gebrauchen, meinen immer dasselbe. Vielleicht macht es sich die Bahn mit ihrem Begriff der Trennungsrechnung etwas zu leicht.
({19})
Wer zwischen Infrastruktur, also Schiene, gemeinwirtschaftlichem Teil, also ÖPNV, und eigenwirtschaftlichem Teil, also z. B. Güterverkehr, trennt,
der ist natürlich fein heraus, wenn die ersten beiden Abteilungen der Staat bezahlt und wenn man im eigenwirtschaftlichen Teil Gewinne machen kann. Meine Damen und Herren, ich sage ganz deutlich: Nicht nur der Bundesrechnungshof meldet hier große Bedenken an.
({20})
Ein Wort zum Großversuch Geschwindigkeitsbegrenzung: In der Bereinigungssitzung zum Haushalt 1985, also vor 14 Tagen, hat der Haushaltsausschuß des Deutschen Bundestages die Einstellung eines neuen Titels in den Einzelplan 12 bei Kapitel 1210 beschlossen, und zwar für den Großversuch Geschwindigkeitsbegrenzung.
({21})
Die Anfang November vorgelegte Vorstudie der Vereinigung der Technischen Überwachungsvereine
({22})
und die folgenden intensiven Fachgespräche mit Vertretern von Hochschulen und aus der Verwaltung zeigen,
({23})
daß ein wegen der Tragweite der Entscheidung fundiert angelegtes Gutachten - dagegen haben Sie sowieso etwas -,
({24})
das auf ausreichenden Messungen beruht, erforderlich ist. Zur Zeit erarbeitet der TÜV die näheren Modalitäten aufgrund der Besprechungsergebnisse. Ziel ist es,
({25})
mit den Arbeiten im Januar 1985 zu beginnen.
Wir begrüßen die Entscheidung der Bundesregierung. Wir haben daher auch gegen die Stimmen der Opposition im Haushaltsausschuß der Ausbringung der Mittel für diesen Großversuch zugestimmt, und wir bitten, dafür zu sorgen, daß der Auftrag in seiner Qualität so angelegt ist, daß das Gutachten zu möglichst unanfechtbaren Ergebnissen führt.
({26})
Meine Damen und Herren, ein weiterer Punkt: Der Haushaltsausschuß hat die Mittel für Aufklärungs- und Erziehungsmaßnahmen zur Bekämpfung der Verkehrsunfälle erhöht und damit zum einen die Leistungen des Deutschen Verkehrssicherheitsrates und der Deutschen Verkehrswacht gewürdigt und zum anderen Konsequenzen aus der Tatsache gezogen, daß die Bundesregierung ein umfangreiches Verkehrssicherheitsprogramm vorgelegt hat. Dieses Programm will die Eigen- und Mit7864
verantwortung der Verkehrsteilnehmer im Verkehr stärken. Zusätzliche Angebote zur Verkehrserziehung bzw. Verkehrsaufklärung, eine verbesserte Fahrausbildung sowie eine neue Führerscheinregelung, die auf Bewährung und Nachschulung basiert, bilden dabei Schwerpunkte.
Meine Damen und Herren, Verkehrspolitik ist ein schwieriges Feld, auf dem sich viele Interessen wirtschaftlicher und regionalpolitischer Art stoßen. Auch kritische Stimmen betonen, man müsse die Kräfte eines Herkules, die Schläue eines Odysseus und die Ausdauer eines Sisyphos haben, wenn man etwas bewegen wolle.
Dabei kann man es sich - das sage ich in aller Ruhe - nicht so leicht machen wie die Opposition, die - so die SPD - mal eben über 800 Millionen Mark vom Verteidigungshaushalt in den Verkehrshaushalt schaufeln möchte. Meine Damen und Herren, wir haben immer noch klare Prioritäten in der Politik: so wichtig die Verkehrspolitik ist, die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland ist für uns noch wichtiger.
({27})
Man kann es sich auch nicht so leicht machen wie etwa die GRÜNEN, die mal eben bei Kanälen und Straßen drei Milliarden Mark wegnehmen möchten, um sie der Bundesbahn zur Verfügung zu stellen.
({28})
Ich sage zum Schluß: Ihnen scheint noch nicht aufgegangen zu sein, daß die Maßnahmen, die Sie vorschlagen, wegen rechtlicher Bindungen zu beträchtlichen Schadensersatzforderungen führen würden, daß Sie Bauruinen hinterlassen würden, daß Sie die Bauwirtschaft in größte Probleme stürzen würden und daß Sie mit Ihrer Politik zusätzliche Arbeitslosigkeit produzieren würden.
({29})
Am Beispiel Ihrer Anträge wird deutlich, daß gerade im Verkehrsbereich -
Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
({0})
Ich bin beim letzten Satz, Herr Präsident. - Gerade im Verkehrsbereich würden sich die Katastrophenmeldungen jagen, wenn SPD und GRÜNE einmal die Mehrheit bekämen. Wir lehnen ihre Anträge ab und stimmen dem Einzelplan 12 zu.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffmann ({0}).
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich verfolge Haushaltsdebatten diesmal nicht zum erstenmal. Aber eines ist einmalig: Ich habe noch nie erlebt, daß der eigentlich zuständige Minister praktisch über die gesamte Zeit der Debatte hier nicht anwesend ist, außer wenn er selbst redet.
({0})
Das kann doch wohl nicht wahr sein.
({1})
Heißt das beispielsweise, daß nicht berücksichtigt werden soll, was das Parlament für Rechte hat? Heißt das, daß der Bundesfinanzminister kein Interesse an der ganzen Geschichte hat?
({2})
Wenn er etwas Wichtiges zu tun hat, hätte er uns etwas sagen können. Ich finde unglaublich, was er macht.
({3})
- Keine Panik. - Der Bundesfinanzminister
({4})
ist derjenige, der für den Haushalt insgesamt zuständig ist.
({5})
Meine Damen und Herren, ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Parlamentarische Staatssekretär im Finanzministerium die ganze Zeit oben in der zweiten Reihe gesessen hat.
({0})
Wissen Sie, was Sie machen würden, wenn Sie sich jetzt selbst sehen könnten? Sie würden ganz schnell vor jedem Spiegel verschwinden, weil Sie sich selbst nicht mehr sehen könnten, so wie Sie aussehen.
({0})
- Sie brüllen wirklich in einer unverschämten Weise.
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Riedl?
Herr Präsident, ich gestatte das gerne, weil ich davon ausgehe, daß ich dann endlich zu Wort kommen kann.
Herr Kollege Hoffmann,
({0})
unterstellt, wir haben das gleiche Parlamentsverständnis, darf ich Sie fragen, ob es Ihnen entgangen ist, daß das Finanzministerium seit Beginn dieser zweiten Lesung am Dienstag entweder durch den Finanzminister oder durch den Parlamentarischen Staatssekretär ständig vertreten war und wir den Parlamentarischen Staatssekretär ausdrücklich deshalb geschaffen haben, damit er den Minister im Parlament gegebenenfalls vertritt, und dies hier immer der Fall war?
({1})
Herr Riedl, offensichtlich ist es so, daß sich unser Parlamentsverständnis in der Tat etwas unterscheidet. Die Schaffung von Parlamentarischen Staatssekretären war für die kontinuierlichen Kontakte zwischen Parlament und Regierung. Dann ist immer Parlamentsverständnis gewesen, daß in der Hauptsache des Haushaltes selbst der eigentlich verantwortliche Minister sich zumindest die Mühe gibt, hier so lange zuzuhören, damit er möglicherweise daraus Konsequenzen ziehen kann.
({0})
Aber jetzt will ich hier zur Sache kommen.
({1})
Ich weise den Ausdruck „Flegelei" des Abgeordneten Pfeffermann als unparlamentarisch zurück.
({0})
Herr Präsident, ich möchte hier das parlamentarische Recht haben, die Vorstellung der SPD-Fraktion zu diesem Etat zu sagen, und bitte deshalb darum, daß mir meine Fraktion vier Minuten zugibt, weil das durch diese Störereien bisher nicht möglich gewesen ist.
({0})
Jetzt möchte ich zur Sache kommen, zu dem, was Sie vielleicht auch nicht gerne hören.
Erster Punkt. Es gibt eine Reihe von verkehrspolitischen Entscheidungen, die in diesem Haushalt mit Zahlen belegt sind, die wir als SPD-Fraktion mitgetragen haben und zu denen wir nach wie vor stehen, z. B. die Seeschiffahrtshilfen - der Kollege Metz hat dazu eben Ausführungen gemacht -; deshalb rede ich zu diesem Thema nicht.
Ich möchte zu einem der Punkte kommen, die für mich von besonderer Bedeutung sind,
({1})
und würde das gern so vortragen, daß man in einen Sachdialog hineinkommen kann. Ich spreche zu dem Thema öffentlicher Personennahverkehr. Meine Damen und Herren, wir haben hier lange eine Diskussion über das Problem der Streckenstillegungen geführt. Dabei ist von vielen gefragt worden: Was wenden Sie gegen Streckenstillegungen ein, wenn diese Strecken betriebswirtschaftlich nicht zu halten sind?
({2})
- Ich merke, Sie interessieren sich kolossal für die Sachauseinandersetzung. Ist es möglich, daß man vielleicht ein bißchen zuhört?
({3})
Ich gebe mir alle Mühe, vielleicht erreiche ich Ihren Intellekt noch; das kann j a sein.
Wir haben über Streckenstillegungen gesprochen. Da ist vielfach eingewandt worden, daß das, wenn sich so etwas betriebswirtschaftlich nicht rechnet, dann beispielsweise auch mit Busverkehr muß gemacht werden können. Das kann man für bestimmte Strecken möglicherweise sogar einsehen. Nur, wenn dieser Streckenverkehr Bus nachher deshalb zurückgenommen wird, weil er zwangsläufig defizitär wird - ich will das mit den Zahlen belegen, die wir beispielsweise im Schülerverkehr zu erwarten haben -, dann bedeutet dies, daß wir über den Umweg einer Nebeldiskussion über Buslinien erreicht haben, daß durch die Streckenstillegungen der Bahn effektiv ÖPNV-Möglichkeiten unwiederbringlich gestrichen werden.
({4})
Das ist ein Problem, das uns eigentlich alle in jedem einzelnen Wahlkreis treffen müßte. Deshalb haben wir einen Antrag gestellt, in dieser Frage etwas mehr zu tun.
Ich mache darauf aufmerksam: Dies ist ein Problem, das Sie nicht mit Erblast oder Erblust diskutieren können, sondern dieses Problem wird in zwei bis drei Jahren gravierend auf uns zukommen. Wenn bis dahin die entsprechenden Vorbereitungen im Haushalt nicht geschehen sind, werden wir die fatale Situation haben, daß der öffentliche Personennahverkehr in vielen Teilen zusammenbricht, weil er von den Kommunen und teilweise den Regionen selbst nicht mehr erbracht werden kann. Dieses Problem muß begriffen werden, und dann muß entsprechend gehandelt werden.
({5})
Wir haben einen zweiten Antrag vorgelegt, nämlich den, bestimmte Investitionen der Deutschen Bundesbahn aufzustocken. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bin sicher, daß der Verkehrsminister nachher mit Freude mitteilen wird,
Hoffmann ({6})
daß sich die Investitionen insbesondere auch für den Neustreckenbau beträchtlich erhöhen. Nun, man muß nur wissen, womit das bezahlt wird.
({7})
Man muß beispielsweise wissen, daß diese Konzentration der Investitionen auf den Neubaubereich faktisch damit bezahlt wird, daß in vielen Bereichen des Nahverkehrs kein oder ein verschlechtertes Angebot mehr vorhanden sein wird oder die notwendige Verbesserung des Angebots nicht stattfindet.
({8})
Das ist eine gefährliche Tendenz. Deshalb sind wir der Auffassung, daß hier etwas gemacht werden muß.
Aber an dieser Stelle ist auch folgendes sehr deutlich festzustellen. Wir haben hier über Jahre diskutiert: Wie können wir die Bundesbahn in eine fairere Finanzdiskussion hineinbringen? Es wird ja oft über die Bahn als größter Schuldenbuckel der Nation diskutiert, was mitunter sehr unfair ist, wenn man weiß, was sich alles hinter den Zahlen verbirgt. Deshalb haben wir eine Diskussion über die Trennungsrechnung geführt, nämlich zu unterscheiden, wo die Bundesbahn betriebswirtschaftliche Eigenverantwortung hat und wo sie politische Aufträge erfüllt, die aus durchaus rationalen Gründen von der Bundesbahn verlangt werden, deren Kosten sie aber selbst betriebswirtschaftlich nicht einspielen kann. Diese Diskussion wird jetzt neuerdings vom Verkehrsministerium in den Wind geschrieben. Das bedauere ich sehr, weil wir nur durch eine Klärung dieser Frage die politischen Entscheidungen über die Prioritäten beim Verkehrssystem wirklich fällen können.
({9})
- Ich habe vorhin zuviel Zeit verloren. Es geht jetzt leider nicht.
Deshalb sage ich nur: Herr Minister, wenn Sie dieser Diskussion keinen Raum geben, wenn Sie nicht überprüfen, wo betriebswirtschaftliche Eigenverantwortung und wo politischer Auftrag ist, dann können Sie kein logisches Konzept für die Deutsche Bundesbahn entwickeln. So sieht es leider Gottes zur Zeit aus.
({10})
Ich will Ihnen das an einem Beispiel deutlich machen. Damit komme ich gleichzeitig auf einen Antrag, den die GRÜNEN gestellt haben. Nehmen wir das Problem der Ausbesserungswerke der Deutschen Bundesbahn. Worin liegt deren Problem? Deren Problem liegt darin, daß wir auf der einen Seite eine verringerte Reparaturanfälligkeit bei den Waggons haben, einmal, weil die Lebensdauer länger geworden ist, zum anderen, weil es Bestandsverringerung gibt usw. Natürlich schlägt sich das in der betriebswirtschaftlichen Situation der Ausbesserungswerke nieder. Wenn wir den Ausbesserungswerken nun zwar eine Bestandsgarantie geben, sie aber keine Außenaufträge annehmen dürfen und wir gleichzeitig auch keine Mittel geben, die das ersetzen, was betriebswirtschaftlich nicht erbringbar ist, dann stimmt irgendwo die Logik nicht. Hier genau könnte die Trennungsrechnung einsetzen. Wenn aus richtigen regionalpolitischen Gründen entschieden würde, daß das Ausbesserungswerk Weiden, Fulda oder Saarbrücken erhalten bleiben muß - wofür ich bin -, dann muß selbstverständlich auch ein logischer Weg entwickelt werden, daß die sich nachher daraus möglicherweise ergebenden betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht auf das Konto der Bundesbahn gehen. Also muß der Träger der politischen Entscheidung sagen: Dafür geben wir dir einen entsprechenden Ausgleich; denn das ist regionalpolitisch notwendig.
({11})
Die GRÜNEN haben einen Antrag gestellt, der von uns in der Aussage und in der Tendenz geteilt wird. Nur ist der Antrag leider Gottes technisch völlig falsch. Denn um herauszufinden, wie diese betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Kostenrechnung gemacht wird, ist zu Recht ein besonderer Weg vorgeschrieben, nämlich daß die Bundesbahn mit ihren Entscheidungsgremien dies an den Bundesverkehrsminister heranträgt. Dieser muß eine Stellungnahme abgeben, er muß sich mit dem Finanzminister über seine Stellungnahme klar werden, er muß dann, wenn es nicht betriebswirtschaftlich kalkulierbar ist, die entsprechenden Kosten im Bundeshaushalt einstellen. Nur hat der Verkehrsminister diese Hausaufgabe leider nicht erfüllt,
({12})
leider Gottes sind auch die entscheidenden Gremien bisher offensichtlich, jedenfalls offiziell, nicht in der Lage, dies zu beziffern. Leider gibt es hier nach meiner Auffassung eine Vernebelung in allen diesen Standorten, weil auf der einen Seite eine Bestandsgarantie ausgesprochen wird, auf der anderen Seite aber keine finanziellen Konsequenzen gezogen werden.
({13})
Das muß geschehen; da muß etwas hinein. Nur bitte ich um Verständnis, daß wir zwar Ihren Antrag in der Tendenz für richtig halten; aber da er nun wirklich das Pferd von hinten aufzäumt, werden wir uns in dieser Frage enthalten, obwohl wir völlig der Auffassung sind, daß die Grundsatzentscheidung hier in diesem Sinne gefällt werden kann.
Nächster Punkt. Wir haben einen Antrag gestellt, der Ihnen auch vorliegt, zur Verbesserung des Lärmschutzes. Hier komme ich ebenfalls auf ein Thema, das ein bißchen kompliziert ist, das ich aber nur kurz anreißen kann. Wir haben vor längerer Zeit die Diskussion über die Lärmschutzwerte gehabt, und wir haben dort alle miteinander kein Gesetz zustande bekommen, weil das Problem darin besteht, daß man bestimmte Lärmschutzwerte in den Kommunen nicht durchsetzen kann. Denn deren Finanzaufwendungen wären viel zu groß und möglicherweise geht es in bestimmten Bereichen auch technisch gar nicht. Wenn das aber bedeutet, daß sich der Bund in seinen Möglichkeiten selbst
Hoffmann ({14})
kastriert und für den Schallschutz nichts mehr macht, dann ist das nach meiner Auffassung eine Sackgasse, in die wir hineingeraten. Deshalb ist es unsere herzliche Bitte, doch zu versuchen, aus diesen großen Titeln des Straßenbaus, des Autobahnbaus umzuschichten, um exemplarisch zeigen können, was man mit Schallschutzmaßnahmen machen kann, damit wir in diesem Punkt endlich etwas weiter vorankommen.
({15})
Bisher versteckt man sich immer hinter juristischen Klauseln. Dennoch ist es möglich, wenn man es wirklich will - von mir aus unter dem Begriff „Modellvorhaben", damit es keinen entsprechenden Rechtsanspruch im kommunalen Bereich gibt -, etwas zu tun. Hier hat der Bund aber eine Vorreiterfunktion, und die soll er endlich ausnützen.
({16})
Nächster Punkt. Herr Metz hätte am besten nichts zum Großversuch mit dem Tempolimit gesagt;
({17})
denn was da in der parlamentarischen Beratung passiert ist, war für mich ein Gag besonderer Art. Selbst in der Bereinigungssitzung des Haushaltsausschusses wußten die Ministerien noch nicht einmal, wie sie es bezahlen sollten, und erst recht wußten die Ministerien nicht, was sie mit dem Geld machen sollten.
({18})
Dabei hat aber das Parlament selbst Anhörungen zu diesem Thema durchgeführt; dicke Wälzer, Gutachten liegen alle vor. Weil Sie nicht den politischen Mut haben, hier eine Entscheidung zu fällen, schieben Sie das auf die lange Bank und wissen noch nicht einmal, wie das Projekt durchgeführt werden soll. Das ist ein Armutszeugnis ersten Ranges, meine Damen und Herren.
({19})
Nächster Punkt. Es lohnte sich, länger darüber nachzudenken, aber mangels Zeit geht das auch hier nur sehr kurz: Was im Verkehrshaushalt unter dem Stichwort „Privatisierung" läuft, ist nach meiner Auffassung bornierte Ideologie.
({20})
Ich sage Ihnen nur mal ganz grob drei Beispiele. Wer wirklich glaubt, es habe Sinn, die Lufthansa zu privatisieren, weil sie gute Erträge hat, der muß sich schon volkswirtschaftlich, betriebswirtschaftlich und verkehrspolitisch ein bißchen mehr einfallen lassen und der muß auch überlegen, wie die Lufthansa innerhalb der internationalen Konkurrenz geschwächt oder gestärkt werden kann. Wer dann glaubt, nur aus Buchhaltermanier, mit der dicken Buchhalternase könne er dieses Problem lösen, der hat sich in den Finger geschnitten, und der hat keinerlei Ahnung, was auf uns zukommen würde, wenn man nur aus Ideologie Privatisierungsgedanken nachhängt, die keinerlei sinnvollen Beitrag zur Verbesserung unserer verkehrspolitischen Situation bringen.
({21})
Als nächstes komme ich zur Naßbaggerei, was ich hier auch nicht im einzelnen deutlich machen kann. Ich kann Ihnen nur eines sagen, die Kollegen von CDU und FDP haben in den Haushalt bereits einen Einnahmetitel geschrieben bzw. eine Erhöhung vorgenommen, weil ein entsprechender Bagger, der in öffentlicher Hand ist, verkauft werden soll. Was diese beiden Kollegen als Betrag eingestellt haben, ist noch nicht ein Drittel dessen, was in der letzten Zeit als Reinvestition öffentlich in diesen Bagger hineingeflossen ist. Wenn man es irgendwo deutlich machen kann, selbst im technischen Detail: Es ist wirklich blödsinnig, das über das Knie zu brechen und den Titel entsprechend aufzustocken, nur weil es die Ideologie verlangt. Das ist dummes Zeug, meine Damen und Herren.
({22})
Deshalb sage ich Ihnen nur: Wenn Sie dieser Frage wirklich seriös nachgegangen wären, hätten wir in ein, zwei Jahren eine Bestandsaufnahme gemacht, was denn nun wirklich mit den Preisen geschehen wäre, und uns noch einmal darüber unterhalten. Sie wollten jetzt einen schnellen Erfolg in der Privatisierung vorweisen
({23}) und haben deshalb etwas Törichtes gemacht.
Der nächste Punkt ärgert mich wirklich: Es gab eine lange Diskussion in bezug auf zwei Haushalte, Forschung und Technologie und Verkehr, über den Neubau des Forschungsschiffs „Meteor". Wir waren uns alle einig, daß es gebaut werden sollte. Da haben Sie wieder Privatisierungsideologie im Hirn gehabt und gesagt: Das muß natürlich privat bereedert werden. Dann haben Sie das schnell beschlossen, und es gab eine Ausschreibung. Meine Bitte an die betroffenen Ministerien war, daß das Deutsche Hydrographische Institut, also eine nachgeordnete Behörde des Verkehrsministeriums, eine faire Chance haben sollte, sich an dieser Ausschreibung zumindest zu beteiligen, um nachweisen zu können, ob es das könnte oder nicht. Wissen Sie, was Sie gemacht haben? Sie haben die Leute schlicht und einfach um eine faire Chance beschissen. Das ist die Wahrheit. Das ist ein bißchen kräftig, aber es ist trotzdem die Wahrheit.
({24})
Es ist nachweislich so, daß die hinters Licht geführt
worden sind, nur damit die Privatisierungsideologie
einen greifbaren Erfolg hat. Meine Damen und Her7868
Hoffmann ({25})
ren, wenn das Politik ist`? - Na ja, die geht mit Ihnen nach Hause.
({26})
Da ich nun mit meiner Zeit leider Gottes am Ende bin, will ich nur sagen, warum ich am Anfang darum gebeten habe, daß der Finanzminister persönlich hier ist. Herr Dollinger, ich glaube - wenn ich mir gestatten darf, das zu sagen -, daß Sie ein angenehmer Zeitgenosse sind,
({27})
aber, bei aller Sympathie, das, was Verkehrspolitik gestaltet oder was den finanziellen Rahmen der Verkehrspolitik setzt, geschieht leider nicht in Ihrem Haus, sondern beim Finanzminister, der Ihnen praktisch diktiert, was los ist - und nicht in einem Dialog. Der haut Ihnen vielmehr auf die Birne, was Sie dann entsprechend zu machen haben.
({28})
Das heißt, Sie können gar keine eigenen Schwerpunkte mehr bilden, Sie brauchen nur in die Zahlen hineinzusehen, die Ihnen der Finanzminister in der mittelfristigen Finanzplanung aufgedrückt hat, um festzustellen, daß an der Frage: Wie kann man in der Verkehrspolitik gewichten?, überhaupt nichts mehr dran ist.
Das Schlimmste, was Sie dann gemacht haben - ich bin sofort fertig -:
({29})
In den internationalen Verhandlungen, wo Sie selber einen Handlungsspielraum gehabt hätten, haben Sie die Wettbewerbsverhältnisse, beispielsweise für die deutschen Lkw, drastisch verschlechtert.
({30})
Letzter Satz: Wir haben die einmalige Chance gehabt, zum erstenmal eine UNO-Institution in die Bundesrepublik zu bekommen, den Seegerichtshof -
Herr Abgeordneter, sie sagten: „Noch einen Satz." Ich bitte, zum Schluß zu kommen.
Durch die Art und Weise, wie Sie die Seerechtskonvention behandelt haben, ist uns die einmalige Chance verlorengegangen, endlich einmal eine UNO-Institution in die Bundesrepublik zu bekommen. Das geht mit Ihnen nach Hause.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, wenn Haushaltsdebatten auch für den Bürger draußen wirklich einen Sinn haben sollen,
({0})
muß hier verdeutlicht werden, welche politischen Grundsatzpositionen sich jeweils hinter Zahlenwerken verbergen. Hier geht es um den größten Investitionshaushalt des Bundes im nächsten Jahr, nämlich um Ausgaben in Höhe von 25 Milliarden DM Steuergeldern. Ich meine, der Bürger hat einen Anspruch darauf, zu erfahren, wie denn der Verkehr der Zukunft bei uns funktionieren soll, in welchem Umfang und unter welchen Bedingungen er auch in den kommenden Jahren noch selber und frei entscheiden darf, welches Verkehrsmittel er benutzt. Die Wirtschaft muß wissen, wie die Waren zwischen Produktionsstätten und Absatzmärkten transportiert werden sollen. Es muß Klarheit darüber bestehen, welche Rolle das Verkehrswesen mit rund 82 000 Unternehmen und rund 950 000 Mitarbeitern, die weit über 100 Milliarden DM Umsatz erwirtschaften, künftig spielen soll.
Meine Damen und Herren, Bürger und Wirtschaft haben offensichtlich noch nicht ausreichend zur Kenntnis genommen, was eigentlich die neue Verkehrspolitik von GRÜNEN und Sozialdemokraten in Wirklichkeit bedeutet.
({1})
Die Position der GRÜNEN ist klar, sie ist auch unmißverständlich. Sie verlangt ganz konkret: erstens die Einstellung des innerdeutschen Luftverkehrs, zweitens den sofortigen Baustopp für alle Bundesstraßen und drittens die sukzessive Abschaffung des Straßengüterverkehrs.
({2})
Mit Verboten und Geboten sollen die Bürger aufs Fahrrad, auf Bus und Schiene gezwungen werden. Wir haben dann vielleicht eine gesündere Eisenbahn. Wir haben vielleicht volle Busse und auch ausreichend Radwege. Aber das wäre auch das Ende der Mobilität und der Individualität.
({3})
Es wäre der Verzicht auf die Leistungskraft unserer Wirtschaft und auf Arbeitsplätze im Straßenbau, der Automobilindustrie und im Güterverkehrsgewerbe.
({4})
Die Anträge der GRÜNEN zum Verkehrshaushalt sind insofern ja nur die sichtbare Spitze eines grünen Eisberges.
({5})
Aber der darunter liegende ideologische Brocken tritt schon deutlich zutage.
({6})
Sicher sagt es dem Bürger überhaupt nichts, wenn die GRÜNEN in ihrem Antrag schreiben,
daß der Tit. 74 123 in Kap. 12 10 des Verkehrshaushaltes gestrichen werden soll.
({7})
Deshalb muß hier Klartext gesprochen werden. Dieser Antrag ist nichts anderes als der sofortige Verzicht auf sämtliche 527 Bundesstraßen-Neubauvorhaben, die zum großen Teil bereits begonnen und für die schon über 530 Millionen DM ausgegeben worden sind.
({8})
Sagen Sie das, Herr Drabiniok, den Bürgern draußen,
({9})
die schon seit Jahren unter Lärm, unter Abgasen und Verkehrsgefahren leiden und auf ortskernentlastende Umgehungsstraßen warten - denn zum größten Teil handelt es sich um solche -, die Sie nun alle mit dem grünen Rotstift streichen wollen.
({10})
- Stimmt; weil es so schwer ist, gegen Ihr Geschrei und Ihre Zwischenrufe anzukämpfen.
Sagen Sie das den 108 000 Arbeitnehmern allein im Straßenbau, von denen Sie einen großen Teil in die Arbeitslosigkeit entlassen wollen. Und dann sagen Sie, ob sie die alle in Ihren alternativen Betrieben oder auf hochqualifizierten Plätzen irgendwo im Umweltschutz unterbringen können.
Sicher sagt es dem Bürger auch überhaupt nichts, wenn die GRÜNEN fordern, den Tit. 821 11 zu streichen. So schlicht steht es da. Dabei wird dann die ganze Haushaltsschizophrenie der sogenannten ökologischen Partei deutlich. Im Klartext heißt das nämlich, daß zwar die Mittel für den Autobahnneubau in Höhe von 1,24 Milliarden DM bleiben sollen, im gleichen Atemzug aber alle Ausgaben für den dafür zunächst einmal notwendigen Grunderwerb gestrichen werden.
In Ihr grünes Verkehrsbild paßt dann auch noch nahtlos, daß Sie Wasserstraßenbaumaßnahmen, für die bereits Hunderte von Millionen D-Mark ausgegeben worden sind ({11})
da geht es eben nicht nur um den Rhein-Main-Donau-Kanal, sondern da geht es um ganz normale und vernünftige Maßnahmen am Main und an der Saar mit einer Investitionssumme von über 221 Millionen DM -, für 1985 stoppen wollen.
({12})
Sie können die Anlage von Feuchtbiotopen und noch mehr Arbeitslosigkeit in der Tat billiger haben.
({13})
Immerhin, hier weiß man, woran man bei den GRÜNEN ist, wie ihr Weltbild einer neuen Verkehrsgesellschaft wirklich aussieht.
({14})
Dagegen liegt noch sehr stark im Nebel das Ende der verkehrspolitischen Wendemanöver der SPD. 13 Jahre lang haben Sie gemeinsam mit der FDP eine Verkehrspolitik verantwortet, die alles in allem gesehen einen vernünftigen ordnungspolitischen Rahmen geschaffen hat. In dieser Zeit haben Sie auch die Grenzen einer verantwortungsgerechten Haushaltspolitik wenigstens im Verkehrsbereich gesehen. Heute, kaum aus der Verantwortung entlassen, kennen Sie diese Grenzen nicht mehr.
({15})
Ihre Forderung nach 1,1 Milliarden DM mehr für die Bahn und 200 Millionen DM mehr für den öffentlichen Personennahverkehr ist haushaltspolitisch und von den verkehrspolitischen Inhalten her genau das, was Sie damals in der Regierungsverantwortung völlig zu Recht als absolut unverantwortlich bezeichnet haben;
({16})
von Ihrem Deckungsvorschlag, das Geld dem Verteidigungsetat zu entnehmen, einmal ganz abgesehen. Früher haben Sie immer gesagt: Das machen wir alles mit der Erhöhung der Mineralölsteuer; noch letztes Jahr. Dann habe ich Ihnen vorgerechnet, daß das 25 Pfennige pro Liter macht. Dann merkten Sie, daß das nicht publikumswirksam ist. Deshalb haben Sie das zurückgezogen, und jetzt sind Sie beim Verteidigungshaushalt.
Natürlich, meine Damen und Herren, bleibt die Deutsche Bundesbahn wie seit Jahren auch jetzt noch ein rollendes Haushaltsrisiko. Aber die ersten Bremsspuren bei der Talfahrt sind deutlich zu erkennen. Die eigenen Erträge werden in diesem Jahr voraussichtlich um ca. 500 Millionen DM steigen. Unser Bahnkonzept zeigt also weitere Wirkung.
({17})
Die Bahn erhält mit diesem Haushalt 54 % aller Mittel aus dem Verkehrsetat. Im nächsten Jahr erfolgt eine Erhöhung der Zuschüsse um rund 250 Millionen DM. Das schafft Zukunft für die Bahn, aber nur dann, wenn die entscheidenden Vorgaben aus den Leitlinien dieser Regierung konsequent auch von politischer Seite abgedeckt werden.
({18})
Seitens der FDP, Herr Bundesverkehrsminister, haben Sie jedenfalls für diese Leitlinien die uneingeschränkte Unterstützung.
({19})
Wir stehen auch zur Verantwortung des Bundes für den öffentlichen Personennahverkehr - Herr
Hof fie
Hoffmann hat das ja in den Mittelpunkt seiner Ausführungen gestellt -,
({20})
obwohl hier ja in erster Linie die Länder, die Kreise und die Gemeinden zuständig sind.
Deshalb muß endlich einmal mit der ebenso publikumswirksamen wie falschen Parole von SPD und GRÜNEN aufgeräumt werden, daß diese Regierung den öffentlichen Personennahverkehr benachteiligt.
({21})
- Herr Hoffmann, das genaue Gegenteil ist der Fall.
({22})
Ich will Ihnen das an nur wenigen konkreten Zahlen belegen.
Unabhängig vom kommunalen Straßenbau fördert der Bund den öffentlichen Personennahverkehr in diesem Jahr mit fast 1,27 Milliarden DM. Das sind 35 Millionen DM mehr, als die sozialliberale Koalition in der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen hatte. Im nächsten Jahr sind es über 1,3 Milliarden DM. Das, meine Damen und Herren, sind dann 91 Millionen DM mehr, als Herr Hauff für 1985 ausgeben wollte. Die Zuwachsraten halten auch für die nächsten Jahre an.
Und da kommen Sie heute hierher und sagen: Für den öffentlichen Personennahverkehr brauchen wir mehr Mittel!
({23})
Das, was Sie selbst an Mittelbereitstellung vorgesehen hatten - das wollen Sie heute nicht mehr wahrhaben -, war erheblich weniger. Damals haben Sie gesagt: Das ist eine vernünftige Politik. Jetzt wollen Sie neue Sonderfinanzierungen, weil Sie den Bürger glauben machen wollen, man müsse nur genug Geld in öffentliche Verkehrsmittel hineinpumpen, dann stiegen über Nacht 24 Millionen Pkw-Fahrer auf Bus und Schiene um.
Da genügte ein einziger Blick in den Landkreis am Bodensee, wo man das sogenannte Rufbussystem praktiziert hat. Da hat man von der Konzeption her die Möglichkeit, an das nächste Telefon zu gehen, den Hörer abzunehmen, sich ein Fahrzeug an die nächste Ecke zu bestellen und dann unmittelbar an jeden anderen Punkt im Landkreis befördert zu werden.
({24})
- Das ist so gescheitert; Sie sagen das richtig von der SPD. Sie haben damit nicht mehr erreicht, als monatlich 200 Menschen mehr in die öffentlichen Nahverkehrsmittel zu bekommen, und das bei einem System, welches das Optimum an Fahrthäufigkeit und Abrufmöglichkeit darstellt, das man sich überhaupt vorstellen kann, noch darüber hinaus zu Straßenbahntarifen.
({25})
Meine Damen und Herren, das hat nicht nur mit der Frage nach dem Geld zu tun. Sie reden von der großen Eigenverantwortung, von der Selbstbestimmung, von der Selbstverwirklichung, vom sorgfältigen Umgang und der Schonung der Ressourcen, von Umweltbewußtsein. Aber während dies zu allererst von den GRÜNEN auch hier im Deutschen Bundestag erwartet werden dürfte, reisen Sie, wie wir das jetzt mehrfach beobachtet haben und wie es jeder weiß, mit Autos und Flugzeugen zu Demonstrationen,
({26})
da lassen Sie sich durch die Fahrbereitschaft des Deutschen Bundestags die Schnapsflasche besorgen, da fahren Sie Autos, die bei der von uns gegen Ihren Widerstand durchgesetzten jährlichen Abgaskontrolle als größte Abgasgiftverursacher ihr blaues Wunder erleben werden.
({27})
Also, meine Damen und Herren, hören Sie auf mit dem Geschwätz, diese Bundesregierung erkenne nicht ausreichend die verkehrsbedingten Umweltbelastungen. Wir stellen uns wie keine andere Regierung zuvor dieser Verpflichtung, die aus dem Gewinn an Mobilität, aus Wirtschaftswachstum, aus veränderten Siedlungsstrukturen, zunehmender Arbeitsteilung, mehr Freizeit und ständig steigender Verkehrsnachfrage entstanden ist. Wir haben für Autos die strengsten Abgaswerte der Welt beschlossen, die in den USA erst in zwei, drei Jahren wirksam werden. Niemand zweifelt hier an unserer Schrittmacherrolle in Europa.
({28})
Jeder, der seinen Beitrag dazu leisten will, daß sein Auto schadstoffarm fährt, kann das heute schon tun,
({29})
wie ja auch niemand gehindert ist, schon heute Tempo 100 zu fahren. Und wer immer nur nach dem Gesetzgeber und nach der Gängelei des Mitbürgers und des Nachbarn ruft, bevor er dann selbst verantwortlich handelt,
({30})
der sollte aufhören, sich mit dem Heiligenschein des Umweltapostels zu umgeben.
({31})
Unserer Verantwortung für die Umwelt werden wir auch und ganz besonders im Straßenbau gerecht.
({32}) Wir wollen Straßenbau nach Maß.
({33})
Ich habe das für die FDP mehrmals gesagt. Wir wollen nämlich Straßen, die Ortskerne entlasten und dem Umweltschutz dienen. Denn es geht eben nicht nur um den Wald. Es geht auch um die Menschen, die in vielen Städten und Gemeinden seit Jahrzehnten in Abgas und Lärm krank werden. Es ist unsoHoffie
zial, in diesem Bereich auf Verkehrsberuhigung zu verzichten und weiter mit anzusehen, daß die, die es sich leisten können, ins grüne Umland abwandern und die sozial Schwachen und die alten Menschen und die Arbeitslosen und die Ausländer dort zurückbleiben, wo zwar nicht der Wald, aber die Lebensqualität der Bürger stirbt.
({34})
Dieser Verkehrshaushalt ist ein gesunder und vernünftiger Ausgleich zwischen arbeitsplatzschaffenden Investitionen, die fast die Hälfte des Etats beanspruchen, und einer Politik, die ein funktionierendes Verkehrswesen in einer freien Gesellschaft garantiert. Dieser Haushalt gibt der Bahn die notwendigen Mittel für die Neubaustrecken für neue Anstrengungen zu einem besseren Verhältnis zwischen öffentlichem und Individualverkehr. Er macht mehr Verkehrssicherheit möglich. Er verbessert die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Schiffahrt. Dieser Haushalt stellt sich auch der Verantwortung im Straßenbau. Sonst müßten wir die freie Wahl der Verkehrsmittel, die die FDP ausdrücklich bejaht, aufgeben,
({35})
die Mobilität des Bürgers und die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft aufgeben. Denen, die diese Ziele auf dem Weg in eine andere Gesellschaft unter die Räder kommen lassen wollen, stellen wir uns mit diesem Verkehrshaushalt, dem die FDP ihre Zustimmung gibt.
Herzlichen Dank.
({36})
Das Wort hat der Abgeordnete Drabiniok.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Freundinnen und Freunde! Herr Hoffie, diese Rede hätten Sie sich eigentlich sparen können, weil das, was Sie gesagt haben, die Bürger sicher überhaupt nicht interessiert. Ich werde versuchen, zu zeigen, was Sie mit Ihrer Verkehrspolitik hier vollführen.
Dieser Verkehrshaushalt mit einer Gesamtsumme von über 25 Milliarden ist darauf ausgelegt, mehr Verkehr zu erzeugen, auf den Straßen, in den Kanälen und in der Luft. Auf dem Deutschen Straßenverkehrstag haben Sie, Herr Verkehrsminister,
({0})
unlängst davon gesprochen, daß der individuelle Pkw-Verkehr um 20 %, der Straßengüterverkehr um 50 % und die Luftfracht um 80 % steigen sollen, daß weiterer Straßenbau also unerläßlich sei. 2 500 km neue Autobahnen und über 5 000 km neue Bundesstraßen seien notwendig, so betonten Sie, um den Verkehr der Zukunft zu bewältigen. Diese Aussagen stammen aus einer Prognose, der Ihre ideologisch geprägten Annahmen zugrunde liegen: erstens ein 3 %iges Wirtschaftswachstum, zweitens die Verkehrspolitik der Vergangenheit fortsetzen.
Herr Verkehrsminister, das ist eine Verkehrspolitik, die sich auf die betriebswirtschaftliche Betrachtung einzelner Verkehrsträger beschränkt. Sie läßt völlig außer acht, daß es volkswirtschaftliche und ökologische Aspekte gibt, die durch Ihre verkehrspolitischen Ziele, Herr Dollinger, zugunsten privater Verkehrs- und Straßenbaubetriebe geopfert werden.
({1})
Mehr noch: Durch diese Verkehrspolitik belasten Sie die Volkswirtschaft um mehr als das Doppelte des Volumens Ihres Etats. Diese Auskünfte haben Sie uns selbst gegeben, in der - ansonsten, wie es die „Frankfurter Rundschau" nannte, „erbärmlichen" - Antwort auf unsere Große Anfrage zu den gesellschaftlichen Kosten des Autoverkehrs.
Ich will der Aussprache zu dieser Anfrage gar nicht vorgreifen, aber im Zusammenhang mit dem Verkehrshaushalt sind doch einige Zahlen, die Sie genannt haben, ganz interessant, vor allem deshalb, weil durch Ihren Verkehrshaushalt die Investitionen volkswirtschaftlich kontraproduktiv werden.
({2})
Herr Verkehrsminister, Sie haben in der Antwort die kalkulatorischen Gesamtkosten des Verkehrsweges Straße mit einer 2,5 %igen Kapitalverzinsung in Rechnung gestellt. Danach belaufen sich nach Berechnungen des DIW die Gesamtkosten des Straßenverkehrs auf rund 30 Milliarden DM jährlich. Hätten Sie aber - wie Sie es selbstverständlich bei der Bahn tun - den realistischen Zinssatz von 6 % angewendet, kämen Sie auf 42,5 Milliarden DM jährlich. Mit diesem jämmerlichen Täuschungsversuch haben Sie versucht, die tatsächlichen Kosten des Straßenverkehrs zu verheimlichen. Sie sollten eigentlich in den letzten Monaten gemerkt haben, daß Ihre Tricksereien bei uns nicht so leicht durchkommen.
Auch das Arbeitsplatzargument, Herr Hoffie, als Begründung für weiteren Straßenbau hält einer Überprüfung nicht stand. Herr Verkehrsminister, Sie schreiben in der Antwort, daß eine Milliarde DM Investitionen 18 000 bis 20 000 Arbeitsplätze im Straßenbau schafft. Wie erklären Sie sich, daß eine interne Berechnung Ihres eigenen Ministeriums vom 18. August 1983 eine Spanne von 13 700 Arbeitsplätzen beim Bundesfernstraßenneubau bis 19 900 Arbeitsplätze im ÖPNV ausweist? Wieder einmal ein kleiner Täuschungsversuch, Sie Schlingel.
({3})
Die Untersuchung des Grundsatzreferats im BMV hat gezeigt, daß die Investition von einer Milliarde DM im Fernstraßenbau nur 16 400 Arbeitsplätze schafft und damit noch weit unter dem Durchschnitt der Beschäftigungswirksamkeit aller Staatsinvestitionen mit 19 600 Arbeitsplätzen je 1 Milliarde DM zurückbleibt.
({4})
- Wir können gut selber rechnen, der Minister nicht. Den müßten Sie einmal fragen.
Eigentlich wären das schon Gründe genug, unseren Änderungsanträgen zur Streichung der Mittel zur Erneuerung, zum Um-, Aus- und Neubau von Bundesfernstraßen sowie zum Grunderwerb für Bundesautobahnen und Bundesstraßen zuzustimmen und die freiwerdenden Mittel der Bahn zuzuführen.
({5})
Die Titelangaben entnehmen Sie dem Antrag.
Aber einen wesentlichen Grund möchte ich noch anführen: die Unfallfolgekosten.
({6})
- Herr Pfeffermann, Sie müssen noch ein paar Sprüche machen, damit Sie einmal hier herausgeschmissen werden.
({7})
Diese Unfallfolgekosten belaufen sich jährlich auf 37 Milliarden DM, von denen nur etwa 15 Milliarden DM von den Kraftfahrzeugversicherungen getragen werden. 22 Milliarden DM werden demnach von der Allgemeinheit in Form von Kranken- und Rentenversicherung aufgebracht. Die gesamten Unfallfolgekosten des Straßenverkehrs summieren sich auf über eine Billion DM seit 1945. Das Leid der Betroffenen kann mit diesen Zahlen überhaupt nicht wiedergegeben werden.
Meine Damen und Herren, die ökologischen Aspekte des Straßenbaus habe ich bewußt aus diesem Beitrag heraushalten wollen. Ich habe Ihnen nachweisen wollen, daß Ihre eigenen Argumente für den Bundesfernstraßenbau einer genauen Betrachtung der Wirtschaftlichkeit nicht standhalten.
({8})
Jeder neue Autobahnkilometer ist somit ein verantwortungsloser Umgang mit Steuergeldern.
Genauso unverantwortlich sind Ihre verkehrspolitischen Rahmenbedingungen, die dazu führen, daß konkurrierende Verkehrsträger gefördert werden. Dies führt zu Wettbewerbsverzerrungen, die insgesamt den sinnvollsten Verkehrsträger, die Schiene, am schwersten treffen. Hinter dieser Politik steckt die Absicht der Bundesregierung, die Gewinne zu privatisieren und die Verluste der Allgemeinheit aufzudrücken. Diese Politik wird deutlich, wenn man sich einige wettbewerbsverzerrende Entscheidungen genauer ansieht.
Betrachten wir zuerst die Wegekosten, die die Bahn selber tragen muß. Der Wegekostendeckungsgrad des Rhein-Main-Donau-Kanals und der Saarkanalisierung bei Baukosten von 9 Milliarden DM wird höchstens 7% betragen. Das heißt, diese Bauten und deren Unterhalt werden aus Steuergeldern bis zu 93 % subventioniert.
Der Schiffsverkehr wird von privaten Binnenschiffern betrieben, die diese Verkehrsträger nahezu kostenlos nutzen können und darüber hinaus noch von der Mineralölsteuer befreit sind, ebenso wie der Flugverkehr. Die Bahn aber muß Mineralölsteuer zahlen. Das ist eine Wettbewerbsverzerrung zu Lasten der Bahn mit einem Volumen von jährlich 230 Millionen DM.
({9})
Insgesamt zahlen die Steuerzahler jährlich die nichtgedeckten Wegekosten der Binnenschiffahrt in Höhe von 1,5 Milliarden DM.
({10})
Zusätzlich macht die Bahn durch die beiden genannten Schiffahrtsstraßen einen jährlichen Verlust im Gütertransport von rund 225 Millionen DM.
Ähnlich sieht es beim Straßenverkehr aus. Dort sind die Wegekosten zu 16 Milliarden DM nicht gedeckt. Durch den systematischen Kahlschlag bei der Bahn, den Ausbau des Staßennetzes und die Genehmigung von weiteren Konzessionen für den Güterkraftverkehr werden die Wettbewerbsbedingungen im Güterverkehr ebenfalls zu Lasten der Bahn verschlechtert. Durch die Erteilung von 2 100 neuen Genehmigungen für den Bezirksgüterverkehr geht der Bahn ein Frachtaufkommen verloren, das bei ihr mit 130 Millionen DM jährlich negativ zu Buche schlägt. Diese 130 Millionen DM sahnt somit das private Güterkraftgewerbe ab. Sie, Herr Verkehrsminister, haben durch Senkung der Wegekostendeckungsbeiträge bei einzelnen Bahnstrecken wieder eine Chance, diese stillzulegen.
({11})
- Herr Lemmrich, Sie müssen auch öfter einmal denken und nicht denken lassen.
Alles in allem: Das ist keine Verkehrspolitik, das ist Betrug am Steuerzahler. Es gehört schon eine pervertierte politische Grundhaltung dazu, diese Auswirkungen in Kauf zu nehmen und mit dieser verschwenderischen Politik fortzufahren und diese noch als vernünftigen Umgang mit Steuergeldern zu bezeichnen.
Es ist nicht zu glauben, mit welcher Dreistigkeit Sie konkurrierende Verkehrsträger mit marktwirtschaftlichem Scheinargumentieren subventionieren und den volkswirtschaftlich sinnvollsten Verkehrsträger, die Schiene, zu Lasten der Umwelt, der Sicherheit und der Steuergelder systematisch kaputtmachen. Die Verpflichtung, verantwortungsvoll mit Steuergeldern umzugehen - dabei gilt es auch, die Folgekosten zu berücksichtigen -, zwingt dazu, einem Verkehrsträger den Vorrang zu geben. Dies kann nur die Schiene sein.
({12})
Der volkswirtschaftliche Nutzen wäre immens. Die Beiträge der Sozial-, Kranken- und Rentenversicherung würden durch Senkung der Verkehrsunfallfolgekosten für alle sinken.
({13})
Gleichzeitig würde eine Erhöhung der Lebensqualität durch die Senkung der Belastung durch den Straßenverkehr erreicht werden. Unter anderem würde die ökologische Folgekostenlawine, insbesondere übrigens beim Waldsterben, gebremst.
Aber Herr Minister, da fällt mir ein:
({14})
Ich weiß gar nicht, ob ich Sie überhaupt Minister nennen darf, denn Minister heißt doch, wenn ich mich nicht irre, „Diener des Volkes" und nicht „Diener einzelner Interessengruppen".
({15})
Hören Sie deshalb auf, der Automobil- und Straßenbaulobby zu ministrieren.
({16})
- Der Eisenbahn ministriere ich sehr gerne.
Ich bitte Sie im Interesse einer volkswirtschaftlich sinnvollen Verkehrspolitik, unseren Anträgen zuzustimmen.
({17})
Einer dieser Anträge bezieht sich auf das jüngste Piratenstück des Herrn Dollinger: die beabsichtigte Stillegung von vier Ausbesserungswerken der Bundesbahn.
({18})
- Herr Pfeffersack, lassen Sie doch einmal! Die Zusage von Herrn Dollinger, den Erhalt der Ausbesserungswerke Saarbrücken-Burbach, Fulda und Weiden zu sichern sowie die Möglichkeit, den Erhalt des Ausbesserungswerkes Hamburg sorgfältig zu prüfen, ist eine schlimme Täuschung der Öffentlichkeit.
Lediglich um Zeit zu gewinnen, hat Minister Dollinger erst einmal ein drittes Gutachten in Auftrag gegeben. Sobald dieses Gutachten vorliegt, wird der Verwaltungsrat der Bahn erneut über die Stillegungsanträge entscheiden. Da der Verwaltungsrat der Bahn sozial-, arbeitsmarkt- und regionalpolitische Belange bei seinen Entscheidungen nicht zu berücksichtigen braucht,
({19})
da dies gemäß § 14 Abs. 3 Satz 2 Bundesbahngesetz dem Verkehrsminister obliegt, ist davon auszugehen, daß eine Stillegungsentscheidung auch gefällt wird. Dann steht Minister Dollinger im Wort! Dann erst kommt die Stunde der Wahrheit! Will er dann seine Zusage einhalten und die Genehmigung zur Stillegung versagen, so ist der Bund nach § 28 a Bundesbahngesetz dazu verpflichtet, der Bundesbahn die damit verbundenen Mehraufwendungen und Investitionsausgaben auszugleichen.
Dazu bedarf es jedoch der Zustimmung des Herrn Finanzministers, der hier fehlt.
({20})
Der hat jedoch bereits seine Entscheidung gefällt und angekündigt, es gibt keinen Pfennig. Kein Wunder also, daß im Haushaltsentwurf für 1985 tatsächlich keine Mittel für den Erhalt von Ausbesserungswerken der Bahn enthalten sind.
Ohne die Bereitstellung dieser gesetzlich vorgeschriebenen Ausgleichszahlungen ist der Wortbruch des Verkehrsministers nicht nur vorprogrammiert, sondern bereits heute im Haushaltsplan festgeschrieben.
({21})
Trotzdem betreibt Minister Dollinger weiterhin sein schamloses Verwirrspiel nach dem Motto, vieles erledigt sich durch Liegenlassen; Hauptsache ist es, Zeit zu gewinnen. Das alles wird auf den Schultern der Eisenbahner ausgetragen, die dem Verkehrsminister ohnehin völlig schnuppe sind, hat er sich doch mit Haut und Haaren der Autolobby verschrieben.
({22})
Die Zusage von Herrn Dollinger, das Ausbesserungswerk Saarbrücken-Burbach zu erhalten, ist jedoch nichts weiter als ein befristetes Wahlgeschenk zur Wahlkampfunterstützung seines christdemokratischen saarländischen Ministerkollegen Zeyer. Hier wird ein unglaublicher Wahlbetrug vorbereitet.
({23})
Die Spatzen pfeifen es doch von den Dächern: nach der Landtagswahl, wenn die Zusage für den Erhalt des Ausbesserungswerkes seine Dienste als Wahlkampfhilfe geleistet hat, soll die Stillegung des Ausbesserungswerkes Saarbrücken-Burbach endgültig besiegelt werden.
Herr Minister Dollinger, ich fordere Sie auf, hier und heute einmal klipp und klar zu sagen, wie Sie ohne Haushaltsmittel zu Ihrer Aussage stehen wollen. Wie stellen Sie sich das vor? Verraten Sie uns das mal.
Meine Damen und Herren, durch die ständige Vortäuschung einer Kompetenzrangelei, durch das andauernde taktische Hin- und Herschieben der Verantwortung zwischen Minister Stoltenberg, dem Minister Dollinger, dem Bahnvorstand, dem Ver7874
waltungsrat der Bahn und den Länderministern ist eine Situation entstanden, in der mittlerweile die Eisenbahner aller Ausbesserungswerke in Weiden, Paderborn, Saarbrücken-Burbach, Kaiserslautern, Hamburg-Harburg, Darmstadt, Fulda und Duisburg voller Unsicherheit, Angst und Sorge sind. Auch der Bundeskanzler hat mit seiner leichtfertigen Äußerung dazu beigetragen und die Situation im Raum Kaiserslautern noch verschlimmert.
({24})
Es muß endlich Schluß damit sein. Ich möchte Sie deshalb bitten, schaffen Sie zumindest erst einmal die Voraussetzungen dafür, daß 1985 überhaupt die Möglichkeit einer Entscheidung für den Erhalt von Ausbesserungswerken besteht. Sorgen Sie dafür, daß die bei einer Entscheidung über den Erhalt von Ausbesserungswerken gesetzlich vorgesehenen Ausgleichszahlungen in den Haushaltsplan 1985 noch aufgenommen werden, und stimmen Sie unserem Antrag zu. Die betroffenen Eisenbahner würden Ihnen das danken.
({25})
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst ein Wort des Dankes an die Mitglieder des Verkehrsausschusses und des Haushaltsausschusses für die Beratungen sagen. Ich danke auch den Kollegen, die hier gesprochen haben, die mir Positives gesagt haben, Negatives, Kritisches und auch, wie Sie, mit Unterstellungen gearbeitet haben.
({0})
- Es sind Unterstellungen, wenn Sie mich als Lobbyisten der Automobilindustrie bezeichnen. Es sind Unterstellungen, wenn Sie sagen, ich treibe Wahlbetrug. So sollten wir nicht miteinander umgehen.
({1})
Herr Hoffmann, Sie haben bedauert, daß der Finanzminister nicht da ist. Das bedaure ich natürlich auch. Aber ich habe Verständnis für ihn; denn er sitzt sehr lange hier.
Ich muß Ihnen gleich eines sagen: der Finanzminister diktiert mir nicht. Zugegeben, daß wir oft lange miteinander gerungen haben. Es gab sogar zwei Fragen, die erst im Kabinett entschieden wurden, und zwar sogar in meinem Sinne gegen die Meinung des Finanzministers.
Aber, meine Damen und Herren, eines muß man natürlich hier einmal ehrlich sagen: Der Egoismus der Ressorts darf nicht übertrieben werden, jeder Minister muß auch an das Ganze denken. Ich möchte wissen, was Sie von der Opposition sagen würden, wenn durch Sturheit der Ressorts am Ende Norbert Blüm und der Etat für Soziales die ganzen Finanzen in Ordnung bringen sollten. Das wäre ja gar nicht möglich. Also bitte ich um Verständnis, wenn das Kabinett verantwortlich als Einheit operiert. Stabilisierung der Staatsfinanzen, dazu ein Beitrag auch vom Verkehrsressort.
({2})
Wir haben in diesem Etat zunächst die Aufgabe der Erhaltung und der Gestaltung der Verkehrswege. Gleichzeitig geben wir aus dem Etat Impulse für die Binnenwirtschaft wie auch für die Außenwirtschaft. Ich bin dankbar, daß es möglich war, den Verkehrsetat um 2,2 % gegenüber dem Vorjahr zu erhöhen und die Investitionsquote von 47,1 auf 48,9 % zu steigern, wobei wir in den Jahren 1986 bis 1988 auf 49,4 % kommen werden.
Die mittelfristige Finanzplanung von 1986 bis 1988 beinhaltet rund 3 Milliarden DM mehr für den Verkehrsetat, als das in der Regierungszeit von Bundeskanzler Schmidt der Fall gewesen ist. Ein paar Schwerpunkte, um zu zeigen, wie die Entwicklung ist:
({3})
Der ÖPNV steigt im Jahr 1985 gegenüber dem Vorjahr um 4,1 %. Für den kommunalen Straßenbau stehen 4 % mehr zur Verfügung und für den Bundesfernstraßenbau 2,5%.
({4}) Diese Zahlen zeigen eine positive Entwicklung.
Meine Damen und Herren, ich bin der Meinung, über Zahlen kann man nicht streiten, wenn sie richtig sind. Die muß man anerkennen.
({5})
- Entschuldigen Sie, wo war hier eine falsche Zahl?
({6})
- Herr Kollege Pfeffermann, wollen wir die Zeit nicht verlieren mit Bemerkungen, die nicht zur Sache oder zur Klärung beitragen!
({7})
- Herr Kollege Hoffmann, Sie waren ja sachlich; Sie sind also nicht gemeint. Bei solchen Tatsachen,
wie sie hier vorliegen, kann man die Opposition nicht einmal zusammenspannen.
Also gehen wir zur Bundesbahn! Sie müßte nach dem, was manche Herren prophezeit haben, schon längst von mir kaputtgemacht worden sein. Aber sie lebt noch.
({8})
Wir haben im Haushalt 1985 für die Bahn 13,099 Milliarden DM. Das sind 241 Millionen DM mehr als im Vorjahr. Die Investitionen aus dem Etat betragen bei der Bahn 3,4 Milliarden DM. Das sind 400 Millionen DM mehr als im Vorjahr, eine Steigerung um 13 %.
({9})
Ich freue mich, daß das möglich ist, und wir brauchen es auch. Wir haben zwei Neubaustrecken, sechs Ausbaustrecken. Die kosten uns 17,7 Milliarden DM.
Dankenswerterweise hat Herr Metz auf die E 120 hingewiesen, mit der wir bekanntlich Weltrekord gefahren sind, und zwar in der Zeit, in der man von Verkehrsbeschränkungen gesprochen hat.
({10})
- Das waren 265 km/h. Damit war sie die schnellste von allen Drehstromlokomotiven. Wir hoffen, daß sich das auch auf den Export für unsere Industrie auswirkt.
Die Deutsche Bundesbahn wird in Kürze den neuen Triebwagen in Auftrag geben mit 120 Exemplaren.
({11})
Wir werden Stellwerke bauen, die modern sind, Rangierbahnhöfe. Wir werden fortfahren mit den Containerbahnhöfen für Huckepackverkehr und Container, auch in Zusammenarbeit mit der privaten Wirtschaft.
({12})
Wenn der Bau gemeinsam im mittelständischen Bereich erfolgt, dann ist sicher ein Interesse vorhanden, daß die private Wirtschaft und der Staat gemeinsam operieren.
Meine Damen und Herren, nun hat hier in der Diskussion der ÖPNV eine Rolle gespielt.
Herr Minister, würden Sie vorher noch eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kühbacher gestatten?
Wenn sie kurz ist, Herr Kühbacher.
Herr Minister, Sie haben hier so viele Aktivitäten bei der Bundesbahn dargestellt. Können Sie bestätigen, daß Sie in guten Verhandlungen mit der DDR stehen, den Transitverkehr von Berlin über Magdeburg und Braunschweig in die Bunderepublik zu intensivieren?
Ich habe mit dem Kollegen Arndt über eine Reihe von Problemen gesprochen, aber diese Strecke war nicht dabei.
Ich gehe nun zum ÖPNV. Auch der ÖPNV muß auf die Dauer finanzierbar bleiben. In den Ballungsräumen sollen die Verluste der Verkehrsunternehmen im Verhältnis zu den Gesamtzuwendungen an die DB nicht steigen bzw. sollen keine neuen Folgekosten entstehen. Außerhalb der Ballungsräume bleibt die Deutsche Bundesbahn präsent. Es gibt keinen Rückzug aus der Fläche,
({0})
und es gibt auch keinen Plan zur Stillegung von Tausenden von Eisenbahnkilometern.
({1})
Ob der ÖPNV auf Schiene oder mit Bus oder in Kombination von beidem stattfindet, ergibt sich aus einer Einzelprüfung, die an die Verhältnisse, an die Strukturen, an die Topographie angepaßt sein muß. Nur die Einzelprüfung entscheidet!
({2})
Wir werden allerdings eine Kapazitäts- und Leistungsanpassung durchführen müssen,
({3})
und zwar entsprechend der Nachfrage. Meine Damen und Herren, ich würde mir wünschen, daß mancher, der so viel darüber redet, was für die Bahn geschehen muß, auch mehr mit der Bahn fahren würde.
({4})
Dann wäre das alles viel einfacher.
({5})
Das gilt auch für Bürgermeister und Landräte, die uns Briefe schreiben.
({6})
Eines füge ich ganz eindeutig hinzu: Wir sollten das Wort von der Streckenstillegung streichen. Das, was wir wollen, ist gegebenenfalls eine Verlagerung von der Schiene auf die Straße zum Zwecke einer besseren Verkehrserschließung. Denn niemand kann bestreiten, daß die Siedlungen der Nachkriegszeit nicht den klassischen Verkehrswegen wie Flüssen und Eisenbahnen gefolgt sind, sondern ganz anders verlaufen.
({7})
- Sie sagen, daß ich keine Ahnung habe? Da bin ich bloß froh, daß ich promoviert bin und ein Diplom habe.
({8})
- Meine Herren, können wir weitermachen? - Wir müssen dafür sorgen,
({9})
daß in diesen Bereichen eine entsprechende Auftragsvergabe auch an Dritte erfolgen kann. Wir brauchen eine Kooperation und Kapitalbeteiligung Dritter bei bestimmten Objekten.
Das Ziel muß sein, daß die Deutsche Bundesbahn in diesen Bereichen ein leistungsfähiges Angebot macht und daß sie die Marktchancen nutzt. Ein Kahlschlag findet, wie gesagt, nicht statt.
({10})
Zu dem Vorwurf, die Fläche sei benachteiligt, möchte ich sagen: Fast 90 % der Fördermittel fließen in die Ballungsräume. Das erweckt zunächst den Eindruck, daß der Vorwurf der Benachteiligung berechtigt wäre. ÖPNV-Probleme in der Fläche sind aber - anders als in den Ballungsräumen - nicht investitionspolitisch, sondern vor allem organisatorisch bedingt.
({11})
Man sollte sich darüber im klaren sein, daß der ÖPNV in der Fläche in erster Linie ein Organisationsproblem ist. Deshalb brauchen wir Kooperation und Koordination. Es gibt keinen Zweifel daran, daß der ÖPNV mit dem Bus auf der Straße und mit der Bahn durchgeführt werden muß.
In den Ballungsräumen, wo heute rund 50 % der Gesamtbevölkerung auf nur 7 % der Gesamtfläche leben, ist es absolut notwendig, hohe Investitionsmittel einzusetzen, weil die Ballungsräume sonst einfach nicht mehr existieren können. Aber der ÖPNV in der Fläche wird nicht vernachlässigt. 50 % aller ÖPNV-Maßnahmen finden in der Fläche statt, nicht in den Ballungsräumen.
({12})
Nun, meine Damen und Herren, noch ein paar Bemerkungen zur Deutschen Bundesbahn. Die wirtschaftliche Situation der Deutschen Bundesbahn hat sich beachtlich verbessert. Die Leitlinien, die das Kabinett am 23. November 1983 einstimmig beschlossen hat,
({13})
beginnen zu greifen. Ich darf hier feststellen, daß
die Investitionen der Deutschen Bundesbahn 1985
um 500 Millionen, 1986 um 600 Millionen und 1987
um 800 Millionen zunehmen werden. Für den Strekkenausbau stehen in den Jahren 1985 bis 1988 jeweils 2 Milliarden zur Verfügung. Es sind die Voraussetzungen dafür gegeben, daß die Neubaustrekken Ende der 80er Jahre fertiggestellt sein werden.
({14})
Ich darf feststellen, daß die Aufwendungen der Deutschen Bundesbahn in den Jahren 1982 bis 1984 nahezu konstant geblieben sind. Die Erträge sind in der gleichen Zeit leicht angestiegen. Der Verlust betrug im Jahre 1983 nicht, wie einmal in der Finanzplanung der Bahn hochgerechnet, 5 Milliarden, sondern 3,7 Milliarden. Wir werden im Jahre 1984 nicht, wie seinerzeit hochgerechnet, einen Verlust von 5,2 Milliarden, sondern einen Verlust von 3,3 Milliarden haben.
Der Schuldenstand der Deutschen Bundesbahn per 31. Dezember 1983 ist gegenüber 1982 nahezu konstant geblieben. Wir hatten 1983 einen Schuldenstand von fast 36 Milliarden DM. Nach den Hochrechnungen von früher hätten es 38,9 Milliarden DM sein sollen. Für 1984 war hochgerechnet ein Verlust von bereits 43,1 Milliarden DM ausgewiesen. Wir stehen nach wie vor bei knapp 36 Milliarden DM,
({15})
und dies, meine Damen und Herren, obwohl sich die Investitionen wie folgt entwickelt haben: 1982 4,2 Milliarden DM, 1983 4,5 Milliarden DM, 1984 5 Milliarden DM und 1985 5,9 Milliarden DM.
({16})
Mit denen, die hier noch den Mut haben zu sagen, für die Bahn geschehe nichts, braucht man nicht zu diskutieren. Zugegeben, wir haben den Personalbestand abgebaut: 1983 auf 302 000. Zur Zeit haben wir einen Bestand von 289 000.
({17})
Über die neuen Programme der Bahn brauche ich im einzelnen nicht zu sprechen. Ich glaube, sie sind Ihnen allen bekannt.
({18})
- Haben Sie doch Geduld, ich kann nicht alles auf einmal sagen.
({19})
Ich darf hier noch eines hinzufügen. Wir werden in der Lage sein, die Investitionen wie vorgesehen durchzuführen.
Nun, meine Damen und Herren, ein paar Sätze zu den Ausbesserungswerken. Wir haben ein VerfahBundesminister Dr. Dollinger
ren, das Ihnen auch bekannt ist. Aus strukturpolitischen Gründen habe ich es für unmöglich gehalten, dem Beschluß des Verwaltungsrates zuzustimmen. Er mag betriebswirtschaftlich richtig sein, strukturpolitisch ist er aber falsch, denn niemand versteht es, daß der Staat auf der einen Seite das Geld in die Räume gibt und zur gleichen Zeit mit der anderen Hand die Betriebe abzieht.
({20})
Im übrigen darf ich feststellen, daß in der Zeit von 1967 bis 1983 sechs Werke stillgelegt worden sind. 5 901 Mitarbeiter waren dort einmal beschäftigt, am 1. Oktober 1984 waren es noch 1 478. Das heißt, daß in den stillgelegten Werken immer noch eine erhebliche Zahl von Mitarbeitern vorhanden ist.
Meine Damen und Herren, die Bahn wird kein neues Gutachten erstellen lassen. Der Vorstand ist von mir beauftragt worden, Vorstellungen zu entwickeln, wie das Problem weiter gelöst werden soll. Wir brauchen nicht für alles ein Gutachten. Manchmal genügt es, wenn man selbst entscheidet.
({21})
Nun zur Trennungsrechnung. Bereits 1979, also noch zur Zeit der alten Regierung, wurde darüber gesprochen, Herr Hoffmann. Ich bin für eine sehr klare betriebswirtschaftliche Durchleuchtung der Bahn. Die halte ich für absolut nötig. Aber eine offizielle Trennungsrechnung für die Bahn würde nach meiner Meinung heute gar nichts bringen, und zwar ganz einfach aus folgendem Grund: Die vorhandenen Defizite können von niemand anderem bezahlt werden als vom Bund. Ich würde eine Konstruktion für falsch halten, bei der die Bahn im Betrieb verdient und Gewinne macht und der Bund auf der anderen Seite die Zuschüsse geben muß. Innerbetrieblich kann man es so machen, aber sonst halte ich das nicht für gut.
({22})
Meine Damen und Herren, ein paar Bemerkungen zu den Bundesfernstraßen. Auch hier haben wir eine entsprechende Steigerung. Ich kann das im einzelnen nicht ausführen, denn meine Redezeit geht zu Ende. Was wir bauen, ist gemäß dem Beschluß des Deutschen Bundestages. Wir haben jetzt rund 8 000 Kilometer. Das deutsche Parlament hat im Jahre 1980 - ich glaube sogar einstimmig -10 500 Kilometer beschlossen. Das bedeutet nach Adam Riese - dazu braucht man keinen Computer -, daß noch 2 500 Kilometer gebaut werden sollen. Das ist nicht die fixe Idee des Verkehrsministers, sondern die Ausführung eines Beschlusses des Parlaments.
({23})
Wir werden weiterhin Radwege bauen.
Ein paar Bemerkungen zum Großversuch. Der Großversuch wird durchgeführt. Wir halten ihn für wichtig, um klare Daten zu bekommen. Wir haben zur Zeit in der Bundesrepublik Deutschland 500 verschiedene Autotypen auf unseren Straßen, 390 deutsche, der Rest ausländische. Es gibt gar keinen Zweifel, daß wir diese nicht alle testen können. Wir müssen die testen, die in entsprechender Anzahl vorkommen. Hier ist es ganz wichtig, daß wir klare Ergebnisse bekommen, solide. Einer wird bei dem Versuch verlieren. Das ist völlig klar. Aber die Entscheidung muß so sein, daß sie nicht beanstandet werden kann.
({24})
Im übrigen hoffe ich, daß die Umstellung auf bleifreies Benzin entsprechend fortschreitet und die Automobilindustrie im nächsten Jahr noch mehr Fahrzeuge anbietet, die bleifrei fahren können. Ich hoffe, daß sich die Frage des Katalysators für jedes Fahrzeug entsprechend günstig entwikkelt. Die Aussagen der Industrie stimmen positiv.
({25})
Meine Damen und Herren, ein Satz zur Privatisierung. Es gibt keinen Zweifel, zur Naßbaggerei hat der Ausschuß entschieden. Wir werden so vorgehen, daß hier kein Material vergeudet wird und auch keine sozialen Härten entstehen. Was die Lufthansa anbelangt, so darf ich Ihnen einmal eines sagen: Für mich ist die Frage der Lufthansa-Privatisierung auch eine Frage des zukünftigen Investitionsbedarfes. Ich bin der Überzeugung, daß es aus Bundesmitteln nicht möglich sein wird - auf lange Sicht gesehen -, der Lufthansa die Gelder zu geben, die sie braucht. Deshalb erachte ich eine Teilprivatisierung persönlich als durchaus sinnvoll.
({26})
Herr Minister - Dr. Dollinger, Bundesminister für Verkehr: Ich kann leider nicht, die Uhr läuft mir davon, Herr Hoffmann.
Ich möchte mich noch kurz mit der Frage der Marktordnung im Verkehr beschäftigen. Wir müssen dafür sorgen, daß ein ausreichendes Angebot vorhanden ist, und daß die Schnittpunkte der Verkehrswege entsprechend aufeinander abgestimmt werden. Hier fällt das Wort Logistik. Auch die Verbindungen über unsere Grenzen hinweg müssen möglichst verbessert werden, d. h. ein schnellerer Grenzübergang ist erforderlich. Wir werden die Marktordnung nicht außer Kraft setzen. Wir können nicht eine Entwicklung wollen, die einen Teil der deutschen Verkehrsunternehmer kaputtmacht. Das können wir deshalb nicht, weil die Wettbewerbsbedingungen der Verkehrsträger in den einzelnen Staaten der EG einfach zu verschieden sind. Daher müssen wir dafür sorgen, daß eine Harmonisierung stattfindet; denn sonst kann es auf europäischer Ebene keine Liberalisierung geben.
({0})
Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte all denen danken, die für unsere Verkehrswege - Schiene, Straße, Wasserstraße, Seeschifffahrt und Luftverkehr - tätig sind. Sie haben gerade mit dem Winterbeginn wieder einen schweren Dienst. Diesen Mitarbeitern zu danken ist mir ein aufrichtiges Bedürfnis.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen zu diesem Tagesorddungspunkt liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge der Abgeordneten Drabiniok, Verheyen ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2426 und 10/ 2427 ({1}). Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2426 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist dieser Änderungsantrag abgelehnt.
Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/ 2427 ({2}) zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit bei Stimmenthaltungen auf der Linken abgelehnt.
Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2478 ab. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist dieser Antrag mit Mehrheit bei Enthaltungen in der Fraktion DIE GRÜNEN abgelehnt.
Wer dem Einzelplan 12 - Geschäftsbereich des Bundesminister für Verkehr - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist mit Mehrheit angenommen.
Nun rufe ich auf:
Einzelplan 13
Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen
- Drucksachen 10/2313, 10/2330 Berichterstatter:
Abgeordnete Dr. Friedmann Verheyen ({3})
Interfraktionell ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Ich sehe, daß Sie damit einverstanden sind.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat zuerst der Abgeordnete Paterna.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten zwischen Sozialdemokraten und dem Postminister bezüglich der Unternehmenspolitik der Deutschen Bundespost sind in der Öffentlichkeit so hinreichend bekannt, daß ich sie im Rahmen dieser Debatte nicht wiederholen will. Ich will einmal eher den in solchen Debatten ungewöhnlichen Versuch machen, mich auf die Punkte zu beschränken, in denen mir die Kolleginnen und Kollegen der Unionsfraktion und der Liberalen eigentlich recht geben müßten, zumindest dann, wenn es hier im Bundestag nicht schon zum Ritual gehörte, alles, was die Opposition sagt, zurückzuweisen und die Regierungspolitik bedingungslos zu verteidigen. Ich mache diesen Versuch - geben Sie mir mal eine Chance, Herr Pfeffermann - deswegen besonders gern, weil ich weiß, daß nach mir der Kollege Friedmann redet, ich ihn als Sachkenner des Posthaushaltes schätze
({0})
und insofern hier doch eher als sonst die Chance gegeben ist, wirklich eine sachgerechte Debatte durchzuhalten.
({1})
Ich meine, wir könnten gemeinsam beklagen, daß bis zu dem Zeitpunkt der seit langem festgesetzten Arbeitsausschußsitzung der Personalhaushalt der Post nicht vorgelegen hat und den Mitgliedern des Verwaltungsrates bis heute nicht vorliegt. Hier ist es offensichtlich so, daß sich der Postminister mit dem Finanzminister nicht hat einigen können. Ich meine, wir müssen dies gemeinsam beklagen, weil in einer Debatte eigentlich der Personalhaushalt, der Betriebshaushalt und der Anlagenhaushalt, der Investitionshaushalt, zusammen beurteilt werden müßten.
({2})
Wir stützen in dieser Auseinandersetzung zwischen Postminister und Finanzminister hoffentlich gemeinsam tendenziell die Position des Postministers, weil wir es für eine Mindestbedingung halten, daß die Soll-Zahlen des Personalhaushaltes 1985 die gleichen wie die des laufenden Haushalts 1984 sind.
({3})
Ich betone, wie gesagt, das ist die Mindestforderung. Die Personalbedarfsanmeldung der Ämter ist höher. Ich meine, daß es eigentlich auch die Gelegenheit wäre, die eine oder andere Fehlentscheidung im Rahmen des Personalhaushaltes 1984 gemeinsam zu bedauern. Ich kann mir nicht vorstellen, daß unter den Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen einer ist, der angesichts der besonderen Personalstrukturen die Streichung des Essensgeldzuschusses für einen besonders weisen Entschluß gehalten hat. Ich glaube, hier hätte man durchaus eine Ausnahme zulassen können.
Ich glaube, wir können auch übereinstimmend feststellen, daß sich die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse der Deutschen Bundespost 1983 und 1984 durchaus sehen lassen können. Da haben wir über 3 Milliarden DM Gewinn, über 4 Milliarden DM Ablieferung an den Bundeshaushalt. Aber ich glaube, wir sind uns auch darin einig, daß man sich von diesen guten Ergebnissen im Hinblick auf die Zukunft nicht blenden lassen sollte. 1983 haben zum ersten Mal die noch von Sozialdemokraten durchgesetzten Gebührenerhöhungen voll zu Buche gePaterna
schlagen, und die irgendwann, vermutlich 1986, fällige Gebührenerhöhung wird sehr viel schwerer und nicht in diesem Umfang durchzusetzen sein, weil da, etwa bei dem Paketdienst, viel geringere Preiselastizitäten gegeben sind.
Spätestens dann, meine lieben Kollegen, meine ich, sollten wir auch gemeinsam über die Höhe der Postablieferung reden. Sie werden sich erinnern, daß Sie zu den Zeiten, als Sie noch in der Opposition waren, die Erhöhung von 62/3 auf 10% für einen Fehler gehalten und hier sehr kritisiert haben. Sie sind bis heute den Beweis Ihrer tätigen Reue schuldig geblieben. Dafür haben wir ein gewisses Verständnis.
({4})
- Lieber Herr Kollege Pfeffermann, nun machen Sie doch mal den Versuch, eine sachliche Debatte zu führen, durch Ihren Adrenalinspiegel nicht kaputt!
({5})
Spätestens im Haushaltsjahr 1986, in dem sich der Bundesfinanzminister, um mit dem Kanzler zu reden, die „größte Steuerermäßigung aller Zeiten" glaubt leisten zu können, fällt doch das Argument, das Sie bisher mit einem gewissen Recht haben anführen können, weg. Das heißt, wenn es im Sinne Ihrer früheren Anträge eine Chance gibt, wieder auf die alte Höhe zurückzugehen, dann ist das zum Haushaltsjahr 1986 der Fall, und deswegen wollte ich Ihnen rechtzeitig ankündigen, daß Ihnen da ein Test auf Ihre Glaubwürdigkeit bevorsteht. Das ist, glaube ich, kein Grund zur Erregung.
({6})
Ich meine, wir können auch gemeinsam begrüßen, daß die inzwischen über 15 Milliarden DM für den Investitionshaushalt eine gute Sache sind. Das ist volkswirtschaftlich von erheblicher Bedeutung, aber ich meine, wir sollten uns auch in der Mahnung einig sein, in Zukunft hier eher vorsichtiger zu kalkulieren. Die Gesamtschulden der Post steigen im Jahre 1985, so kalkuliert die Verwaltung, auf über 58 Milliarden DM, der Eigenkapitalanteil sinkt, wenn auch zunächst geringfügig. Von der Verwaltung selbst wird auf eine sich allmählich verschlechternde Finanzstruktur hingewiesen.
Es wird gemahnt, daß die Akzeptanz insbesondere neuer Dienste, neuer Medien nicht so verlaufen könnte, wie sie vom Postminister häufig öffentlich eingeschätzt wird. Und wenn der Postminister, sicher zu Recht, darauf hinweist, daß Investitionen im Fernmeldebereich nur langfristig rentierlich seien, so kann man aber nicht davon ausgehen, daß sie sich mit Sicherheit amortisieren würden. Wenn wir weiter bei diesem Volumen bleiben und die Tatsache hinzunehmen, daß für die Jahre 1986 bis 1988 im Fernmeldewesen eine Einnahmensteigerung um jeweils 1,2 Milliarden DM von den Haushältern des Unternehmens erwartet wird, hört sich das nach viel an, liegt aber bereits unter 4%. Dann kann es sehr wohl sein, daß sich bei fortdauernd sehr hoher Investitionstätigkeit hier eine Schere öffnet, die sich später nicht mehr schließen läßt.
Diese Debatte unterscheidet sich von allen anderen dieser Woche dadurch, Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen, daß, wenn es mit der Post bergab gehen sollte, der Hinweis auf irgendwelche Erblasten nicht zieht. Sie haben ein sehr gesundes Unternehmen übernommen.
({7})
Und wenn sich an dieser bis dahin sehr gesunden Finanzstruktur etwas Erhebliches ändern sollte - erste Anzeichen dafür gibt es -, wäre niemand anders dafür verantwortlich als der amtierende Postminister. Auch die Hinweise auf die Defizite im gelben Bereich können dann keine hinreichende Entlastung sein. Gerade wenn man wie Dr. Schwarz-Schilling immer wieder auf diese Defizite hinweist, muß es auch erlaubt sein, aus der Mitte des Parlaments darauf hinzuweisen, daß der Schwerpunkt seines Arbeitens und seiner Interessen eher in den Randbereichen der Unternehmenspolitik liegt.
({8})
Man sollte einmal nach Stunden bewerten, wieviel er sich mit Medienpolitik, mit Bildschirmtext, mit schnurlosem Telefon, mit dem neuen Autotelefonnetz C, mit Heimtelefonanlagen beschäftigt hat. Ich will ihm das nicht ausreden; denn es ist schon wichtig, die Angebotspalette zu arrondieren und zu erweitern, aber ich glaube, es ist doch an der Zeit, ihn einmal an die notwendige Gewichtung zu erinnern. Die Basisleistungen Briefdienst, Paketdienst, einfacher Fernsprechhauptanschluß sind doch die Maßstäbe für den Postkunden draußen im Lande, weil diese Dienste von allen Bürgern in Anspruch genommen werden. In erster Linie diese müssen nicht nur auf die Erhaltung der Dienstleistungsqualität, sondern möglichst auf ihre Steigerung hin abgeprüft werden.
Ich glaube, daß wir uns eigentlich über die Fraktionen einig sein sollten und könnten, daß wir bei der Bewertung der Unternehmenspolitik nicht nur betriebswirtschaftliche Kriterien anlegen und auch nicht gelten lassen dürfen, daß das Kostendekkungsprinzip in allen Dienstzweigen und möglichst in allen Verkehrsbeziehungen als oberster Maßstab angelegt wird; denn würde man dies in einer stringenten Form tun, würde die Post die Berechtigung verlieren, als öffentliches Unternehmen geführt zu werden. Das können auch privatwirtschaftlich geführte Unternehmen. Bei einer Debatte über die Unternehmenspolitik der Post sollten daher auch gemeinwirtschaftliche, gesamtwirtschaftliche und raumordnerische Aspekte von uns gemeinsam betont werden. Täte man das nicht und redete man beispielsweise ideologischen Vorstellungen von Deregulation à la USA ungeprüft das Wort,
({9})
wären die Bewohner der Fläche, ländlicher Räume,
die Dummen. Das werden Ihnen, Herr Kollege Pfef7880
fermann, auch die Fachleute von der FCC erzählen, wenn Sie einmal mit denen reden.
({10})
- Ich stelle doch mal Gemeinsamkeiten fest und weiß nicht, warum Sie gerade da protestieren. Ich glaube, daß wir durchaus gemeinsam diese Aspekte betonen sollten, die unverändert für die Berechtigung sprechen, die Bundespost als Betriebseinheit und gemeinwirtschaftliches Unternehmen zu führen, d. h. gegen Privatisierung zu sein.
Zu diesem Aspekt der gesamtwirtschaftlichen Verantwortung gehört, meine ich, auch - da wird es dann vielleicht etwas schwieriger -, daß man die Rationalisierungswirkungen der Infrastrukturleistungen, insbesondere im Fernmeldebereich, mit bedenkt; Rationalisierungswirkungen der neuen Informations- und Kommunikationstechniken nicht nur hinsichtlich des Arbeitsplatzverlustes, der damit verbunden sein kann, sondern auch hinsichtlich der Veränderung der Arbeitsplatzstrukturen, die mit Sicherheit kommen werden, und der möglicherweise zunehmenden, uns über den Kopf wachsenden Probleme im Bereich des Datenschutzes, die entstehen, wenn man eine zunehmende Netzintegration betreibt. Das, was langfristige Strategie ist - hin zu einem Integrated Service Digital Network, ISDN - alle Dienste mit Ausnahme der Verteilung von Hörfunk und Fernsehen werden in einem einzigen Netz betrieben -, wird die Datenschutzprobleme bei uns vergrößern. Ich glaube, das ist nicht strittig. Wie man ihnen begegnet, darüber sollten wir einmal an anderer Stelle gründlicher diskutieren.
Ich glaube, wir können auch gemeinsam darauf hinweisen, daß der Schutz persönlicher Daten, der gewissenhafte Umgang mit dem Post- und Fernmeldegeheimnis im Hinblick auf das Ansehen des Unternehmens ein hohes Gut ist, das sich betriebswirtschaftlich auch positiv auswirkt. Wir müssen alles vermeiden im Zusammenhang mit neuen Diensten wie etwa Bildschirmtext, TEMEX und anderen, Datenschutzprobleme auf die leichte Schulter zu nehmen. Lieber des Guten etwas zuviel als unter formaljuristischen Zuständigkeitserwägungen etwas zuwenig tun.
Ich wollte nun auf einige Beispiele aus den Haushaltsunterlagen hinweisen, mit denen ich begründen wollte, daß manche dicken Investitionsbrocken in diesem Haushalt von dem Unternehmen viel zu dürftig begründet werden, daß sie nachvollziehbarer für die Abgeordneten, für die Mitglieder des Postverwaltungsrates gemacht werden müssen. Ich schenke mir das aus Zeitgründen. Das ist in dem Arbeitsausschuß des Postverwaltungsrats auch bereits ausführlich beredet worden.
Was last not least die Breitbandverkabelung anlangt, so können wir uns, meine ich, auch mindestens in einem Punkte einig sein. In den Haushaltsjahren 1983 bis 1985 sind j a nicht nur die 3 Milliarden DM für die Breitbandverkabelung etatisiert worden, sondern auch eine ganze Reihe anderer Posten, die ebenfalls auf das Konto der Medienpolitik zu buchen sind. Insgesamt werden es für die drei Jahre etwa 4,5 Milliarden DM sein.
Einnahmen laut Haushaltsplan im Jahr 1984: 95 Millionen DM; Einnahmeerwartung für das Jahr 1985: 165 Millionen DM. Das ist also bis auf weiteres eine Riesendiskrepanz. Nun kann man lange streiten über Amortisation, über break even points usw.; das will ich alles nicht tun. Aber ich halte es für unvertretbar, daß bis Ende 1985 diese insgesamt 4,5 Milliarden DM ohne klare unternehmenspolitische Aufgabenstellung, ohne klare Planungsvorgaben an die OPDen und an die Fernmeldeämter unter oder über die Erde gebracht worden sind. Es gibt bis heute, mehr als zwei Jahre nach der Übernahme Ihrer Unternehmensverantwortung, Herr Postminister, keine klare Planungsvorgabe, nach welchen Kriterien, in welcher Reihenfolge und nach welchen Kostenmaßstäben die Fernmeldeämter von einem auf das andere Jahr diesen Netzausbau betreiben sollen.
Wenn es diese Vorgaben geben wird - allmählich zeichnet sich das ab; in den nächsten Monaten werden sie wohl kommen und vielleicht auch noch im Jahr 1986 ein bißchen wirken können -, dann werden Sie, liebe Kollegen von der Union, noch ein schlimmes Erwachen erleben. Dann werden Sie feststellen - das sage ich Ihnen ohne jede Polemik voraus -, daß sich nicht mehr als 50 % der bundesdeutschen Haushalte nach betriebswirtschaftlich akzeptablen Bedingungen werden verkabeln lassen, daß insbesondere die Flächenländer - speziell gilt dies für Gemeinden mit unter 20 000 Einwohnern -den Bach heruntergehen werden und daß gerade in Bayern und Rheinland-Pfalz - dort ist es am extremsten -, aber auch in Schleswig-Holstein etwa weit unter dem Durchschnitt investiert werden wird. Die Erwartungshaltungen, die bei den unionsgeführten Landesregierungen bestehen und auf Grund deren Mediengesetze verabschiedet wurden, werden auch nicht annähernd erfüllt werden.
Angesichts der enormen Kosten, die das bereits verursacht hat, werden wir uns selbst bei einem solchen heraufziehenden unionsinternen Streit der Schadenfreude enthalten.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Friedmann.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Delikatessen bespricht und genießt man vorwiegend am Abend. Das ist wohl der Grund, warum wir heute abend sowohl über Hummer als auch über die Bundespost sprechen.
({0})
- Wer eine Tonsur hat, ist auch Delikatessen gegenüber nicht abgeneigt. Die Tonsur ist ein AusDr. Friedmann
druck dafür, daß der Heilige Geist über einen gekommen ist, lieber Herr Roth.
({1})
- Ich weiß auch nicht, warum Sie den Zwischenruf gleich so bringen. Ich wollte eigentlich Herrn Paterna dafür loben, daß er eben mit Sachkenntnis und mit Engagement über die Bundespost gesprochen hat. Dies wollte ich ihm bestätigen. Sie sollten es mir nicht verübeln, wenn ich Ihren Kollegen auch einmal lobe. Sie werden es doch einem Ihrer Kollegen gönnen. Wenn Sie es mir nicht gönnen, nehme ich es Ihnen nicht übel.
({2})
Nun ist es nicht meine Absicht, eine Philippika zur Breitbandverkabelung zu halten. Das Thema ist mit dem Minister besprochen. Wir sind einvernehmlich übereingekommen, daß in sechs Jahren bezüglich der Investitionen Wirtschaftlichkeit zu erzielen ist. Dies bedeutet, daß nach 19 Jahren die Amortisation stattfindet. Das heißt, daß die Milliarde, die in diesem Jahr investiert wird, sich bis zum Jahr 2003 bezahlt gemacht haben muß. Das muß bei einer neuen Technik machbar sein, und darüber gibt es auch gar keinen Dissens.
({3})
Verehrter Herr Paterna, Sie haben vorhin kritisiert, daß der Posthaushalt, insbesondere der Personalhaushalt, noch nicht besprochen sei. Sie wissen, daß der eigentliche Posthaushalt hier nicht Gegenstand der Debatte ist, weil er auch_ nicht Teil des Bundeshaushalts ist. Aber es ist gute Tradition, daß der Posthaushalt in dem dafür zuständigen Gremium, nämlich im Verwaltungsrat, im Dezember beraten und Ende Dezember auch verabschiedet wird, samt Personalhaushalt. So wird es auch dieses Mal sein.
Die Verbindung zum Bundeshaushalt - ich kann nur immer wieder darauf hinweisen - ergibt sich daraus, daß im Einzelplan 13 das Gehalt des Ministers und seines Staatssekretärs genauso wie die Ablieferung und das Ergebnis der Bundesdruckerei veranschlagt sind.
Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit heute abend auf etwas ganz anderes lenken. Die Bundespost wird im kommenden Jahr Betriebseinnahmen von fast 50 Milliarden DM erzielen. Darin stecken Umsatzerlöse von etwas mehr als 47 Milliarden DM.
Natürlich stehen den Betriebseinnahmen auch Betriebsausgaben gegenüber. Unter dem Strich wird die Post im neuen Jahr einen Gewinn von rund 3 Milliarden DM machen. Das hört sich sehr stolz an, zumal wenn man bedenkt, daß die Post im laufenden Jahr einen Gewinn von 2,3 Milliarden DM erzielen wird.
Wenn man die Ergebnisse vergleicht, muß man aber bedenken, daß in diesem Jahr eine Investitionsrückstellung in Höhe von 1 Milliarde DM gebildet werden muß, die eigentlich zu dem Ergebnis von 2,3 Milliarden DM hinzukommt. Im nächsten Jahr ist eine solche Investitionsrückstellung nicht vorgesehen, d. h. der Gewinn von 3 Milliarden DM ist ein schlechteres Ergebnis als das Ergebnis dieses Jahres.
Man muß auch wissen, daß von der Kosten- und Erlösstruktur her dieser Gewinn abnehmende Tendenz hat. Wenn sich die Gebührenstruktur nicht ändert, wenn sich die Kostenstruktur nicht ändert, wird der Gewinn langsam, aber sicher seinem Ende entgegengehen.
Nun gibt es ja viele auch unter unseren Kollegen, die fragen: Wozu braucht ein öffentliches Unternehmen einen Gewinn von 3 Milliarden DM? Sollte ein solches Unternehmen - so ist die Frage - nicht lieber auf den Gewinn verzichten, indem es etwa die Gebühren senkt oder indem es seine Mitarbeiter besser bedient? Das ist eine oberflächliche Betrachtungsweise. Denn wenn die Post sagt, sie erwirtschafte einen Gewinn von 3 Milliarden DM, dann ist dies eine kaufmännische Aussage, die mit einer kameralistischen Aussage nicht vergleichbar ist. Dort, wo kameralistisch Buch geführt wird, ist in solchen Fällen von Überschuß die Rede. Ein Überschuß von 3 Milliarden würde bedeuten, daß nach Abzug der Investitionen 3 Milliarden übrig sind. Das kann bei der Post so nicht interpretiert werden.
Die Post wird im nächsten Jahr 16,7 Milliarden investieren. Das ist eine stolze Zahl. Damit ist die Post der größte Investor. Aber diese 16,7 Milliarden müssen ja finanziert werden. Sie werden zur Hälfte aus Abschreibungen finanziert. Und wie sieht es mit der anderen Hälfte aus? Für die andere Hälfte stehen 3 Milliarden Gewinn zur Verfügung. Dann bleibt eine Lücke von über 5 Milliarden DM, die durch eine Nettokreditaufnahme finanziert werden muß.
Daß heißt, trotz des Gewinns von 3 Milliarden DM muß die Post neue Schulden von über 5 Milliarden DM machen.
Dieses Beispiel dokumentiert ganz deutlich, wie wichtig Gewinn in Unternehmen ist. Das gilt nicht nur in einem öffentlichen Unternehmen, das wie ein privates geführt wird. Jedes Unternehmen braucht Gewinne, damit es seine Investitionen finanzieren kann; auch ein öffentliches Unternehmen wie die Bundespost.
Dieser Gewinn von 3 Milliarden ist dem Gewinn nach Steuern in der Industrie vergleichbar. Man bezeichnet Unternehmen, die heute eine Umsatzrendite von einem oder zwei Prozent erzielen, als Spitzenunternehmen. Bei der Post sind bei den 3 Milliarden bereits die Ablieferungen an den Bund von über 41/2 Milliarden abgezogen. Sie wissen: Diese 10 % entsprechen dem, was private Unternehmen als steuerliche Belastung zu tragen haben. Das ist wichtig. Denn in dem nichtmonopolisierten Bereich leistet die Bundespost, privaten Unternehmen Konkurrenz; Unternehmen, die ihrerseits Einkommen- oder Körperschaftsteuer zahlen müssen. Durch die Ablieferung von 10 % ist die Bundespost pauschal im Wettbewerb den steuerpflichtigen privaten Unternehmen gleichgestellt. Das heißt, die 3 Milliarden sind dem Gewinn nach Steuern bei privaten Unternehmen zu vergleichen.
Bei der Post kommen rund 6 % Umsatzrendite auf diese Art zustande. Dennoch - ich muß es noch einmal sagen - muß die Post neue Schulden von über 5 Milliarden DM machen.
Nach meiner Einschätzung kommt es darauf an, daß sich die Unternehmensleitung in nächster Zeit sehr kritisch die Ertragsentwicklung vornimmt. Sie wird nicht umhinkönnen, ihre Kostenstruktur kritisch zu durchleuchten und auf mehr Arbeitsproduktivität durch Rationalisierung zu setzen. Denn da ist einiges zu tun. Man kann nicht glauben, daß z. B. im Paketdienst private Unternehmen sich nur die Rosinen herauspicken. Jene privaten Konkurrenten beim Paketdienst haben eine bessere Kostenstruktur. Die einzelnen Mitarbeiter und die eingesetzten Kraftfahrzeuge erbringen je Produktionseinheit mehr Leistung, als es innerhalb der Post, aus welchen Gründen auch immer, der Fall ist.
Die Bundespost wird auch darauf achten müssen, daß sie eine offensive Marktstrategie betreibt. Sie kann nicht einfach alles so weiterlaufen lassen, wie es herkömmlich gewachsen ist.
Die Post hat den Vorzug, daß sie durch ihre Infrastruktur über das ganze Land vertreten ist und daß sie Dienstleistungen anbietet, die allzeit gefordert und benötigt werden.
Die Post kann ein sehr wichtiger Partner für die ganze Bevölkerung und die Industrie sein. Das heißt, sie muß ihre Dienstleistungen offensiv anbieten.
Doch, verehrter Herr Schwarz-Schilling, ich muß hier rechtzeitig auf einen gewissen Konflikt hinweisen. In dem Maß, wie Sie aus unternehmerischen Gesichtspunkten offensiv tätig werden, können Sie mit dem in Konflikt geraten, was wir sonst wirtschaftspolitisch vorhaben. Wir haben wirtschaftspolitisch eine breite Privatisierungswelle in Gang gesetzt. Sie ist noch nicht befriedigend. Aber es würde nur schwer zusammenpassen, wenn ein öffentliches Unternehmen auf privatwirtschaftlichen Gebieten verstärkt tätig wird, während wir andererseits staatliche Unternehmen privatisieren. Hier müssen plausible Gründe gefunden werden, um zu erklären, wie dies zusammenpaßt.
Nun, verehrter Herr Paterna, haben Sie einige Schwierigkeiten im personellen Bereich angesprochen; sie sind zweifellos vorhanden. Vorhin hat mich Kollege Kühbacher darauf angesprochen, daß z. B. der sogenannte Stellenkegel noch nicht ausgeschöpft ist.
({4})
Sie wissen, daß die Mehrzahl der Bediensteten bei der Post im einfachen und im mittleren Dienst beschäftigt ist. Diese Mitarbeiter sind nicht üppig bezahlt.
({5})
Es ist keine Seltenheit, daß ein Fernmeldesekretär im Alter von 26/27 Jahren - verheiratet, zwei Kinder - mit 1600, 1700 DM netto heimgeht. Wenn er davon noch Miete oder die Tilgung für ein neues Haus bezahlen muß, bleibt nichts anderes übrig, als daß seine Frau auch arbeiten geht. Ich möchte in
dem Zusammenhang auch dafür danken, daß die große Zahl der Mitarbeiter die ganze Diskussion über die sogenannte Null-Runde im großen und ganzen, ohne stark zu murren, hingenommen und auch die niedrigen Erhöhungsraten mit ertragen hat.
({6})
- Da gebe ich Ihnen gerne recht, Herr Pfeffermann. Denn die Postbediensteten sehen natürlich auch, daß bei einer niedrigen Inflationsrate und 3,2 % Lohn- und Gehaltserhöhung einiges übrigbleibt. Schönen Dank für den Hinweis. - Aber wenn es möglich wäre, den Stellenkegel bis zur oberen Grenze auszunutzen, so wäre gerade dem einfachen und dem mittleren Dienst besonders geholfen.
({7})
Wir haben den Finanzminister deshalb gebeten, diese Angelegenheit wohlwollend zu prüfen. Er wird dies auch tun.
({8})
Ein weiteres Problem ist der sogenannte Stellenpuffer. Bei der Post sind ungefähr 50 000 Stellen höher bewertet als die entsprechenden Arbeitsplatzinhaber. Es kommt immer wieder das Argument, die Bediensteten müßten somit eine Arbeit verrichten, die höherwertig ist, als sie bezahlt wird. Es wird entgegengehalten, man solle doch den Mitarbeitern diese Hoffnung lassen; das koste die Post ja nichts. Ganz so ist es nicht. Soweit Tarifbedienstete auf höherbewerteten Dienstposten sitzen, muß der Arbeitgeber Bundespost nach einem halben Jahr auch die höheren Bezüge bezahlen. Aber im Grunde genommen ist es unehrlich, wenn man 50 000 Bediensteten vormacht, sie könnten alsbald mit einer Beförderung rechnen, die dann doch nicht kommt.
({9})
Deshalb haben wir als Rechnungsprüfungsausschuß der Bundespost vorgegeben, den Stellenpuffer etwa um die Hälfte abzubauen; die Beförderungschancen bleiben die gleichen. Die Wahrnehmung dieser Chancen verlangt vielleicht ein wenig mehr Mobilität als bisher. Dies bedeutet aber auch ein Stück mehr Ehrlichkeit. Ich möchte die Gewerkschaften, den Beamtenbund, die Bediensteten bitten, dies einzusehen. Die Probleme liegen sicher auch darin, daß der Bundespostminister seine Mannschaft noch mehr als bisher für sein Unternehmen motivieren muß.
Herr Paterna, Sie haben vorhin gesagt, hier sei ein Gebiet, auf dem wir keine Erblast übernommen hätten. Ganz so ist es nicht. Die Digitalisierung des Fernmeldenetzes hätte früher begonnen werden können. Die Beschäftigungsschwierigkeiten, die wir bei Fernmeldehandwerkern haben, hängen gerade hier mit einem gewissen Versäumnis zusammen. Ich räume Ihnen gerne ein: Die Ertragslage, die wir von Ihnen übernommen haben, war im großen und
ganzen befriedigend. Aber hier sind noch einige Dinge nachzuholen. Nun, wo ist das nicht der Fall?
({10})
- Da gebe ich Ihnen recht; dazu ließe sich vieles sagen. Wir haben mit den Pfunden, die wir auf dem Gebiet übernommen haben, mit auskömmlichen Gebühren, gewuchert, Herr Pfeffermann, aber jetzt wird es um so mehr darauf ankommen, die Kosten dementsprechend anzupassen.
Alles in allem möchte ich meinen: Die Bundespost befindet sich in einem sehr guten Zustand. Der Bundespostminister wird dieses Unternehmen entsprechend weiterzuentwickeln haben. Er ist sich dieser Aufgabe bewußt und darf sich sicher sein, daß wir ihn dabei unterstützen.
Wir stimmen dem Einzelplan 13 deshalb zu. Schönen Dank.
({11})
Das Wort hat die Abgeordnete Frau Reetz.
({0})
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Hinsichtlich Einzelplan 13 gerate ich in ein gewisses Dilemma, denn eigentlich weist er ja nur das Gehalt des Bundespostministers und der Staatssekretäre sowie noch den Haushalt der Bundesdruckerei aus. Es geht zwar nicht direkt aus dem Haushalt hervor, aber bei der Besprechung wurde man doch gewahr, daß sich die Bundesdrukkerei wahrscheinlich um einen Arbeitsauftrag bemühen muß. Zwar ist ein hoher Betrag - das ist ein großer Brocken - für den Druck des fälschungssicheren, computerlesbaren Personalausweises eingesetzt worden, aber wenn das nun so nicht hinhaut, dann wird es doch wohl notwendig, daß man sich nach einem anderen Arbeitsauftrag für die Bundesdruckerei umsieht.
({0})
- Ja.
Nach dem Grundgesetz ist die Deutsche Bundespost eine bundeseigene Verwaltung mit einem eigenen Verwaltungsaufbau. Die Betriebspflicht ist im Postverwaltungsgesetz festgelegt. Ich habe mir das Postverwaltungsgesetz sehr genau durchgesehen, weil ich, wie gesagt, mit diesem Haushalt immer Schwierigkeiten habe. Dabei habe ich festgestellt - das ist Ihnen j a nicht unbekannt; ich möchte es aber doch wiederholen -, daß der Haushalt des Postministeriums den 24 Mitgliedern des Postverwaltungsrates zur Feststellung vorgelegt wird. Danach wird er dem Bundestag und auch dem Bundesrat zur Kenntnis gebracht.
Ich frage mich jedoch, warum die Abgeordneten des Bundestages, vor allem aber die Abgeordneten im Postausschuß, in diesem Verfahren - insbesondere aber hinsichtlich seines zeitlichen Ablaufs - nicht eine unerhörte Mißachtung ihrer parlamentarischen Kompetenz sehen. Es ist doch ganz sicher möglich, ohne daß das Postverwaltungsgesetz geändert werden müßte, daß die Feststellung durch den Bundesverwaltungsrat so getimet wird, daß uns der Haushalt des Bundespostministeriums nach der Feststellung durch den Postverwaltungsrat in dieser großen Haushaltsdebatte, in der die Haushalte aller Ministerien beraten werden, vollständig vorliegt. Dann würden wir hier nicht so eine nutzlose Diskussion über einen Einzelplan führen, der nichts aussagt. Ein derartiges Verfahren würde der Bedeutung dieses Haushalts entsprechen: Der Haushalt des Bundespostministeriums ist zusammen mit dem Verteidigungshaushalt der größte Haushalt aller Bundesministerien.
Ich habe Ihnen eine Anzeige mitgebracht. - Das ist eine halbseitige Anzeige in einer großen Tageszeitung. Die linke Hälfte ist ziemlich leer. Auf der rechten Seite sieht man einen großen Bildschirm. Das Ganze trägt die große Balkenüberschrift: „Computer sind einsam." Wenn Sie sich einmal den kleingeschriebenen Text ansehen, dann wird Ihnen schlecht, denn dort steht:
Ihr teurer Kollege, der Computer, schuftet von morgens bis abends.
Ich verlese nicht das ganze Zitat, sondern nur einige Sätze. Es heißt dort weiter:
Er kalkuliert und kombiniert, optimiert und organisiert, berechnet und bestellt.
Dann heißt es aber:
Soll Ihr Computer immer mit ein und demselben Kollegen bei ein und derselben Firma arbeiten? Braucht er nationale oder weltweite Kontakte? Wie schnell und wie viele Daten werden ausgetauscht?
({1})
- Vielleicht haben Sie einen anderen Humor, aber meiner Meinung nach ist das eine Werbung, zu der ich sagen möchte: Herr Dr. Schwarz-Schilling sollte vielleicht wieder einmal die Werbeagentur wechseln, oder er sollte überhaupt auf Werbeagenturen verzichten. Ich meine, notwendig wäre - angesichts der Unternehmungen der Bundespost, die Sie ja auch geschildert haben - wirklich ein Dialog mit Betroffenen. Das sind alle Bürger. Notwendig wäre aber auch ein Dialog mit Sachverständigen, und zwar in technischer und finanzieller Hinsicht, so wie Sie, Herr Dr. Friedmann, es uns soeben gut dargestellt haben.
({2})
Durch diesen Dialog wurde wirklich klar, was uns diese neue Telekommunikations-Infrastruktur in bezug auf unseren alltäglichen Ablauf bringt, wie sehr sie unser aller Leben verändert. Natürlich wurde dadurch auch klar - das gehört auch
dazu -, was das alles kostet. Es ist wenig bekannt, daß im Laufe von einigen Jahrzehnten - in 10 oder 20 Jahren - 400 Milliarden DM dafür aufgewendet werden müssen.
({3})
Sogar der Bundespostminister hat einmal in einer Rede zugegeben, daß diese gewaltige Aufgabe der Zukunft eine Kapitalmasse erfordert, wie sie bisher noch für keine Netzstruktur notwendig war. Bei einer solchen Kapitalmasse wird natürlich der Rechnungshof hellhörig.
Auch Ihr kritisches Gutachten zur öffentlichen Breitbandverkabelung hat nicht den Erfolg gehabt, daß etwa damit aufgehört worden wäre, diese Investitionen in den Sand zu setzen, sondern es ist genau im Gegenteil geradeso weitergegangen, sogar mit neuen unbedachten Maßnahmen.
({4})
- Ich weiß schon, was ich sagen will. Ich wollte nur ein deutsches Wort statt „Methoden" sagen. - In dem Betriebsversuch ist z. B. weiter in dieser Richtung gearbeitet worden.
Frau Abgeordnete Reetz, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Kühbacher?
Frau Reetz, glauben nicht auch Sie, daß mit 400 Millionen DM Investitionen eine Unmenge friedlicher, hochintelligenter Arbeitsplätze geschaffen werden könnten? Sind Sie nicht der Meinung, daß Ihre Kritik, wenn Sie sie schon daran anbringen, doch eine Alternative aufzeigen sollte, welche andere Technologie, die auch friedlich ist, die Bundesrepublik intensivieren sollte?
Ich danke Ihnen. Ich wurde vorhin bei der Rede von Herrn Paterna an seine Ausführungen vom vorigen Jahr erinnert, als er an den Posthaushalt unerhört hart herangegangen war. Die SPD ist in diesem Jahr auf alle Fälle sehr konziliant und paßt sich in einer gewissen Art an die weitere Entwicklung an.
({0})
Natürlich sind diese 400 Millionen DM eine Riesenausgabe. Mir kommt dabei das Bedenken, daß das ja eine eingeschränkte, enge, eingleisige Richtung ist und daß überhaupt keine technischen Alternativen erwogen werden.
({1}) Dabei sind sehr viele Alternativen möglich.
Ich rede jetzt einmal so, wie jeder Mensch auf der Straße jetzt spricht. Postbenutzer und Telefonkunden sagen: „Was, 400 Millionen DM? Haben wir denn nichts weiter zu tun, als die 4 Millionen in die Digitalisierung zu stecken?"
({2})
Dabei ist doch das Telefonnetz nach dem jetzigen analogen System zu 99 % gesättigt, und jeder ist damit zufrieden.
({3})
Kein Mensch hat ein Bedürfnis für DATEX. Was ich Ihnen eben gezeigt habe, war j a eine Reklame für den Datentext: DATEX-P. Wissen Sie, was es da für eine Kostendeckung gibt? 35 %! Und da regen sich die Leute auf, wenn wir bei der gelben Post 84 % haben. Diese Sachen gehen mit weniger als 30 oder 40 % durch.
({4})
- Also, jetzt sage ich einmal das, was ich weiter ausführen wollte. Herr Pfeffermann, wenn Sie nachher reden, sage ich auch nicht: Sie müssen das sagen, und Sie müssen das sagen.
({5})
- Ich habe überhaupt keine Vergleiche angestellt. Sie können doch nicht bestreiten, daß DATEX-P eine enorme Kostenunterdeckung hat. Die Kostenunterdeckung der gelben Post aber wird seitens des Postministeriums dazu benutzt, zu argumentieren, daß das nicht so weitergehen kann, daß eine Quersubventionierung nicht auf Sankt Nimmerlein erfolgen kann und daß die notwendige Querfinanzierung, die, wenn ich mich nicht irre, im vorigen Jahr noch 4 Milliarden DM betragen hat, jetzt nahezu brutal auf 2 Milliarden DM zurückgedrängt wird.
Diese Entwicklung, die sich im Rahmen der Digitalisierung ergibt, ist auf alle Fälle - ({6})
- Haben Sie es nicht verstanden? Na, dann reden wir noch einmal allein darüber.
Die Digitalisierung, von der wir eben gesprochen haben, bedeutet in jedem Fall eine Vorleistung an die Industrie, vor allem an die sogenannte Bürokommunikation, wobei sehr fraglich ist, ob das überhaupt eine Bürokommunikation bleibt. Denn auch Sie wissen, daß über die neuen Wege, die da eröffnet werden - z. B. „homebanking" und „homeworking" -, die Arbeit wahrscheinlich in unsere Wohn- und Schlafzimmer verlegt wird und die Büros zu einem großen Teil nicht mehr zur Büroarbeit genutzt werden.
({7})
- Natürlich auch in die Küche. In die Küche kommen noch die anderen vielen Dienste, die die Post uns aufdrängt - mit Messen und Einstellen und sonstwas -, so daß man schon überhaupt nicht mehr weiß, an welchem Knöpfchen vielleicht noch zu drehen ist, damit man endlich wieder normal wird.
({8})
- Gut. Das ist wahr. Wir brauchen es nur abzunehmen. Das war es, wovon ich vorhin gesprochen habe. Notwendig ist wirklich ein Dialog mit dem Bürger, eine Aufklärung, aus der heraus die Leute genau wissen, auf was sie sich einlassen, wenn sie an dem Betriebsversuch teilnehmen. Da weiß nicht jeder Hausverwalter, daß er z. B. die ganze Akquisition selbst machen muß und danach für 30 oder 40 Parteien in einem Hochhaus verantwortlich ist. Das muß gemacht werden.
Aber stillschweigend und schleichend kommt diese Entwicklung. Von Digitalisierung weiß überhaupt niemand etwas.
({9})
Das ist eine postinterne Strukturveränderung, die vor allem deshalb schlimm ist, weil sie viel Geld kostet und weil wir dieses Geld auch bei dem so hohen Bruttosozialprodukt, das wir haben, dringend notwendig haben für andere Ausgaben.
({10})
Ich habe davon gesprochen, daß wir in jedem Falle aufklären müssen, wenn solche grundlegenden Änderungen in bezug auf das Leben der Allgemeinheit durchgeführt werden. Es gibt z. B. den Professor Kubicek in Trier, der sehr eindeutige Maßstäbe dafür gesetzt hat.
({11})
Er hat gesagt, es entstehen drei sehr tiefgreifende Gefährdungen. Das ist einmal die Gefährdung des Arbeitslebens, zum anderen ist es die Gefährdung des Reproduktionsbereichs - also Freizeit, Konsum -, und zum dritten ist es die Gefährdung des staatlichen Bereichs;
({12})
des Arbeitsbereiches durch Rationalisierung, durch Entfremdung von der Arbeit, des Reproduktionsbereiches durch eine Machtentfaltung der Gruppen, die mit dem Computer arbeiten, bis in die Freizeit hinein gegenüber dem einzelnen, der die Freizeit selbst genießen will, und des staatlichen Bereichs - das ist ganz schlimm - in bezug auf Datenschutz und auf die Personenstandserfassung.
Ich sehe, ich habe nicht mehr viel Zeit. Ich möchte noch sagen: Die Gelbe Post ist keinesfalls eine Oase der Daseinsvorsorge. Wir haben vorhin schon besprochen, wie sehr durch die jetzt nicht mehr erfolgende Quersubventionierung innerhalb des Betriebes auch bei diesem Betrieb Einschränkungen gemacht werden müssen. Es muß da aber doch festgestellt werden, daß die Gelbe Post mit 65% Personalkosten belastet ist, also in einer ganz anderen Art arbeitet als die Graue Post, die nur in bezug auf diese Investitionen in den Haushalt einfließt.
Ich möchte zum Schluß sagen: Der Postminister spricht immer wieder davon, daß alles das geschieht, damit wir exportfähig bleiben und unbedingt möglichst noch die Amerikaner und Japaner überrennen.
({13})
Ich habe auch einmal einen Ausspruch des Postministers gehört, in dem er in bezug auf diese Exportfähigkeit doch einmal ehrlicherweise eingestanden hat, daß er sich so vorkommt wie in dem Märchen vom Hasen und Igel: wo er auch hinkommt, sind die anderen schon dagewesen. Ich meine, es ist auch etwas, darüber nachzudenken, daß wir über andere Technologien nachdenken müssen, daß wir Alternativen suchen müssen, wo wir vielleicht ein ganz anderes Know-how haben, statt diesem nachzulaufen,
({14})
statt die Zahl der Bits nur immer höher zu treiben. Wenn wir im Schmalband vielleicht 64 Kilobits haben, reden Sie schon wieder davon, daß wir unbedingt das Breitband mit 140 Megabit brauchen. Ich habe von einem Professor gehört, der sogar schon gesagt hat, die Bits sollten als Verrechnungseinheit genommen werden: Gibst du mir eine Information, kriegst du von mir auch eine. Diese Verständigung klappt dann um den ganzen Erdball herum. Ich meine, in diesem Wettlauf werden wir wahrscheinlich immer hinten dran sein, oder wir werden ihn auf Kosten von anderer Lebensqualität, die wir haben, durchführen; denn jede Münze hat ihre zwei Seiten. Für alles, was Sie in dieser Technik erringen werden, werden Sie einen hohen Preis zahlen müssen.
Wir GRÜNE sind dafür, daß ein Bürgerdialog durchgeführt wird, das aufgeklärt wird, aber nicht mit solchen Anzeigen, in denen überhaupt nichts drinsteht als so eine billige Werbung,
({15})
daß wirklich von Fachleuten aufgeklärt wird, damit die Leute wissen, was die Digitalisierung des Telefonnetzes, die Verwandlung von einzelnen Netzen in integrierte Netze und letzten Endes der Übergang zu Breitbandverkabelung - auch von Kupfer auf Glas - in den nächsten 20 Jahren für sie bedeuten.
({16})
Das Wort hat der Abgeordnete Hoffie.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
({0})
- Nein, jetzt machen wir es ganz ruhig. Es sind ja nur noch wenige da.
Frau Reetz, Ihnen dürfte man zuerst sagen: Sehen Sie, wenn neue Kommunikationstechnologien bis an den Küchenherd kommen, hat das zumindest für Ihre grüne Anhängerschaft den Vorteil, daß man einmal wieder richtig kochen kann. Da kriegt
man die Daten, die Rezepte und die Zutaten gleich durchgespielt. Man kann von dem Einheitskörner-brei weg. Dann können Sie einmal wieder richtig genießen
({1})
und dabei noch private Programme sehen, ganz nach Wahl. Das Leben wird schöner.
Ich will zunächst einmal eine generelle Feststellung treffen. Bei ganz objektiver Betrachtung muß man das unterstreichen, was Herr Friedmann gesagt hat: Die Deutsche Bundespost befindet sich insgesamt in einer guten Verfassung.
({2})
- Darüber können wir gleich reden.
Wenn Sie die Zahlen abfragen, Herr Walther: Die Deutsche Bundespost hat die Absicht, im kommenden Jahr zunächst einmal einen Gewinn von 3 Milliarden DM zu erzielen.
({3})
- Ja, 3 Milliarden DM.
Für die Investitionspolitik sind neue Rekorde geplant:
({4})
Die Anlageinvestitionen sollen um weitere 2 Milliarden DM auf 16,5 Milliarden DM in die Höhe klettern. Davon sind allein 14 Milliarden DM für den Fernmeldebereich vorgesehen.
({5})
Diese Zahlen zeigen sicher, zunächst einmal vom Zustandsbild her, eine gute Verfassung.
Ich glaube, wir können feststellen, daß sich die dynamische Aufwärtsentwicklung, mit der der Kollege Matthöfer in seiner Zeit als Postminister sicher hätte gut leben können, in unvermindertem Tempo fortsetzt. Das wird auch so weitergehen. Das Haushaltsvolumen der Bundespost wird sich im Jahre 1985 voraussichtlich um weitere 4 Milliarden DM erhöhen. Das bedeutet, daß sich der Haushalt des nächsten Jahres in Einnahmen und Ausgaben mit fast 71 Milliarden DM ausgleichen wird.
Da muß man zuerst herausstellen, daß insbesondere das Fernmeldewesen eine stetig wachsende gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Aus diesem zunehmenden Gewicht der Fernmeldepolitik - da langt j a das Stichwort Verkabelung - ergibt sich - da haben Sie recht, Frau Reetz -, das Erfordernis, stärker als in der Vergangenheit immer wieder um einen breiten Konsens in der Öffentlichkeit für die Fernmeldepolitik bemüht zu sein. Da die Bundespost in die nun wirklich urpersönlichste Lebenssituation jedes einzelnen Bürgers hineinwirkt, ist das auch nicht ganz einfach. Aber es bleibt notwendig.
Um so erfreulicher ist es, daß der Postminister inzwischen sehr viel getan hat, die Attraktivität der Fernmeldedienste aufrechtzuerhalten und noch dazu zu steigern.
Die Fernmeldegebühren sind insgesamt stabil geblieben. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten das auch für die zurückliegenden Legislaturperioden in der sozialliberalen Regierung sagen können. Dieser Beitrag der Deutschen Bundespost zur allgemeinen Preisstabilität ist für die Gesamtpolitik der Bundesregierung eine wesentliche Stütze, eine wichtige Ursache für die kontinuierliche Steigerung des Aufkommens im Fernsprechverkehr.
Die Gebühren sind gesenkt worden und werden weiter dort gesenkt, wo Schwachstellen in der Gebührenstruktur vorhanden waren und sind. Ich nenne einmal die Senkung der Gebühren im internationalen Fernsprechverkehr. Eine Gebührensenkung im internationalen Telexverkehr steht unmittelbar bevor.
({6})
- Ja, da brauchten wir einen vernünftigen Ausgleich, Herr Kollege Matthöfer. Es kann ja wohl auf Dauer nicht richtig sein, daß Sie von den USA hierher zu einem Bruchteil des Geldes telefonieren können, das sie ausgeben müssen, um von hier nach den USA telefonieren zu können. Das ist eine Schwachstelle. Da müssen Sie die Gebühren absenken, damit Sie zu einem vernünftigeren Verhältnis kommen. Das ist geschehen. Ebenso ist eine Gebührensenkung im Nandienst, für die Nahbereiche mit geringer Anschlußdichte und im Zonenrandgebiet in Vorbereitung. Auch die Gebühren im Autotelefonnetz werden drastisch gesenkt, sobald das neue Autotelefonnetz, das sogenannte C-Netz, in Betrieb genommen werden kann.
Das sind alles gebührenpolitische Maßnahmen, die ganz konsequent auf eine Verbesserung der Attraktivität des Dienstleistungsangebots im Bereich der Individualkommunikation hinlaufen. Dies ist und bleibt für die weitere Entwicklung der Bundespost entscheidend. Denn 90 % aller Aktivitäten stehen im Dienste der Individualkommunikation - das wird ja in den letzten Monaten immer stärker verdeckt -, und nur 10 % der Aktivitäten richten sich auf Massenkommunikation, also auch auf das, was wir unter dem Stichwort Kabel zu diskutieren haben.
Der Bundespostminister hat in richtiger Erkenntnis der zentralen Aufgaben der Deutschen Bundespost in Zusammenarbeit mit dem Postverwaltungsrat erhebliche Anstrengungen unternommen, um die Post auf den Weg der Innovation und des Kommunikationsfortschritts zu bringen. Dies gilt gleichermaßen für den Dienstleistungsbereich wie auch für den Netzbereich. Da muß man kurz in Erinnerung bringen: Einführung des Bildschirmtextdienstes, dessen Markt sich nach unserer Oberzeugung trotz mancher Geburtswehen Zug um Zug entwickeln wird; die Vorbereitung des TeleboxDienstes, also Mailbox - da haben wir den Versuchsbetrieb aufgenommen -; Vorbereitung Kreditkarten-Telefon ({7}) - für das ebenfalls
der Probebetrieb läuft -; Vorbereitung des TEMEX-Dienstes - hier auch in Kürze Probedienst -; Vorbereitung von CHIP-Kartensystemen, für die wir international abgestimmte Lösungen brauchen - aus diesem Grunde begrüßen wir die deutsch-französische Vereinbarung vom 30. Oktober dieses Jahres -; letztlich das, was jetzt stark in die Diskussion kommt und auch direkt dem Bürger zugute kommt, das schnurlose Telefon. Sie wissen, wie lange wir darum gekämpft haben. Ich wäre sehr froh, wenn wir nach einer gewissen Erprobungsphase, dann allerdings über die Gebührenstruktur beim schnurlosen Telefon noch einmal im einzelnen darüber nachdenken, um die Akzeptanz zu vergrößern.
Meine Damen und Herren, auch in der Weiterentwicklung der technischen Netzinfrastruktur für die Individualkommunikation ist der Postminister nach unserer Überzeugung auf dem richtigen Wege. Wir begrüßen die Entwicklung des ISDN-Netzes und die technische Modernisierung durch den Glasfasereinsatz, zunächst in der Fernebene.
Nun will ich nicht bestreiten, daß es ganz ohne Zweifel Probleme bei den traditionellen Postdiensten gibt. Hier gibt es Kritik, auch begründete Kritik an der Entwicklung der Dienstleistungsqualität. Es gibt auch begründete Zweifel, ob Rationalisierung und Zentralisierung, wie sie sich derzeit vollziehen, ausreichend durchdacht sind und tatsächlich für die Qualität des Dienstleistungsangebots zuträglich sind. Ich kann hier aber nur vor unsinniger Hektik und vorbedachter Emotionalisierung warnen, Herr Paterna. Wir brauchen mehr nüchterne Analyse, mehr konstruktives Mitdenken und langfristig durchdachte Planung, wenn wir nicht zuletzt auch den Bediensteten der Deutschen Bundespost wirklich dauerhaft helfen wollen. Wir tun, glaube ich, alle gut daran, wenn wir jetzt die Ergebnisse der in Auftrag gegebenen Untersuchungen abwarten, das, welches Knight Wendling vorlegen wird, und dann gemeinsam unsere Schlußfolgerungen, übrigens auch für die Bankdienste, daraus ziehen. Kein Zweifel, wir brauchen ein langfristig tragfähiges Konzept. Dennoch ist es auch im Bereich der Gelben Post eine ganz herausragende Leistung, die Gebühren dreieinhalb Jahre lang stabil zu halten. Anzuerkennen ist auch, daß es gelungen ist, die Kostenunterdeckung im Postwesen um rund 1 Milliarde DM, um ein Drittel zu senken. Daraus hätten sich früher viele große Lorbeerkränze gewunden.
({8})
Wir begrüßen es, daß die Deutsche Bundespost den Vorstellungen der FDP-Bundestagsfraktion inzwischen entscheidende Schritte entgegengekommen ist. Ich gehöre ja nicht zu denen, die - wie es Herr Paterna gesagt hat - die eigene Regierung, insbesondere die Post - ich sage das auch als Mitglied des Postverwaltungsrats -, ohne Kritik belassen. Aber ich glaube schon, man muß feststellen dürfen, daß sich der Minister mit dem Entschluß, von dem Gedanken der Daseinsvorsorge Abschied zu nehmen und auf eine flächendeckende Verkabelung zu verzichten, wirklich in der richtigen Richtung bewegt. Jetzt ist die Rede von den 65 %.
({9})
- Wenn wir dazu gemeinsam einen Beitrag geleistet haben, dann sollten wir auch gemeinsam loben, daß wir uns jetzt in großer Übereinstimmung befinden.
({10})
Mit dem Entschluß, durch direktstrahlende Satelliten ein Angebot bereitzustellen, das die Verkabelung ergänzt, ist jetzt ebenfalls eine Marschrichtung angekündigt, die unsere Zustimmung findet.
Mit dieser Marschrichtung müssen jetzt aber auch klare ordnungspolitische Rahmenbedingungen der Verkabelung anvisiert werden. Dazu gehört: Die Deutsche Bundespost sollte sich im Bereich der Breitbandverteilnetze auf den Ausbau der Infrastruktur in der Fernebene konzentrieren. Ich sage das immer wieder; eines Tages kommen wir sicher auch da zu einer größeren Übereinstimmung. Sie muß die technischen Voraussetzungen dafür schaffen, daß zusätzliche Programme für Hörfunk und Fernsehen an die örtlichen Verteilpunkte der Breitbandverkabelungsanlagen in der Nahebene herangeführt werden.
Die Verkabelung selbst sollte in erster Linie eine Aufgabe der privaten Wirtschaft sein.
({11})
Es muß Aufgabe der Bundespost sein, für das Engagement der privaten Wirtschaft die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen herzustellen.
In diesem Zusammenhang sollten die Kooperationsmodelle, Herr Bundespostminister, nun in gemeinsamen Anstrengungen durch bessere, geeignetere ersetzt werden, durch auch verfassungsrechtlich wasserdichte. Ich glaube, die jetzigen sind bei intensiver Betrachtung in der Tat noch nicht tauglich, weil sie die unternehmerische Freiheit über Gebühr einengen.
Ich meine, wichtig ist, daß auch im Bereich der Hausinstallation von Breitbandverteileinrichtungen klare Verhältnisse entstehen. Es ist für mich unverständlich, daß trotz wiederholter Vereinbarungen mit den Organisationen des Handwerks immer noch Fernmeldeämter in heftigem Streit mit Handwerksbetrieben liegen, daß Fernmeldeämter immer noch selbst die Hausverkabelung durchführen wollen. Mir scheint, daß hier eine eindeutige verordnungsrechtliche Regelung, die den wiederholt zum Ausdruck gebrachten Willen der Bundesregierung festschreibt, vonnöten ist. Andernfalls wird der Kleinkrieg, den Fernmeldeämter gegen das Handwerk führen, in absehbarer Zeit wohl nicht aufhören.
({12})
Meine Damen und Herren, wir wünschen uns, daß die Bemühungen um Entstaatlichung und Privatisierung nun nicht nur andere Bereiche der Regierung treffen, sondern die Post mit einbeziehen. Da muß natürlich zunächst die Frage erlaubt sein: Warum soll z. B. das schnurlose Telefon - über dessen Einführung ja in Kürze beschlossen wird - wieder ein Monopolangebot der Bundespost sein? Es wäre doch ein hervorragendes Betätigungsfeld der Privatwirtschaft. Man darf auch fragen: Warum drangsaliert die Deutsche Bundespost die inländischen und die internationalen Kurierdienste mit der Drohung, von ihren Monopolrechten Gebrauch zu machen, wenn doch die Möglichkeit besteht, die Aufgabenfelder abzustecken und damit der Privatwirtschaft Planungssicherheit zu geben?
({13})
Ich weiß, daß inzwischen für den internationalen Bereich - ich glaube, seit gestern, Herr Bundespostminister - eine vertretbare Regelung geschaffen wird. Wenn Sie das für das Inland hinbekommen, sind wir sicher ein großes Stück weiter.
Man muß auch fragen dürfen, warum es immer noch nicht gelungen ist, z. B. das Wartungsmonopol beim Telexdienst oder das Monopol für den Fernsprechhauptanschluß aufzugeben,
({14})
wo doch alle redlichen Argumente eigentlich dafür sprechen.
Meine Damen und Herren, hier liegen Aufgabenfelder, die auf eine marktwirtschaftliche Lösung warten.
({15})
- Ich weiß, Herr Pfeffermann, daß wir darüber sehr intensiv beraten. - Wir werden bei wirklich vernünftigen Bemühungen auch zu einvernehmlichen Lösungen kommen. Aber Sie werden mir nicht übelnehmen, wenn die FDP hier nun wirklich jede Gelegenheit benutzt, die Lösung, die mehr Markt, die mehr Wettbewerb, mehr private Wirtschaft auch im Bereich der Post möglich macht, nach vorne zu bringen. Ich weiß, Herr Bundespostminister, daß wir, wenn Sie so dürften, wie Sie könnten, sehr viel schneller zu Ergebnissen kommen könnten, die uns gemeinsam einen Schritt voranbringen könnten.
({16})
Alles in allem, meine Damen und Herren, ist die Post in guter Verfassung. Ich glaube, wenn wir in den wenigen aufgeworfenen Fragen schneller zu übereinstimmenden Ergebnissen kommen, dann wird es eine gute Zukunft für die Post und ihre Mitarbeiter geben.
Herzlichen Dank.
({17})
Das Wort hat der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf mich zunächst für die sehr sachliche Form der Debatte bedanken. Ich muß Ihnen sagen, Herr Kollege Paterna, Sie haben mich direkt verunsichert,
({0})
da ich natürlich auf eine völlig andere Rede gespannt bzw. eingerichtet war und nun mein Konzept total umstellen muß. Aber ich werde es gerne tun.
({1})
Ich darf mich sehr herzlich dafür bedanken, weil ich glaube, es ist gut, daß sowohl der Redner der SPD wie die der CDU/CSU und der FDP in einigen sehr wesentlichen Grundfragen gleiche Aussagen über den Zustand der heutigen Bundespost auf der einen Seite und die Zukunftsentwicklung und ihre Chancen, aber auch ihre großen Risiken gemacht haben, die ja sehr oft leicht übersehen werden.
Meine Damen und Herren, man kann natürlich nicht einfach sagen, im gelben Bereich sei alles so in Ordnung gewesen, daß sich der Postminister nur um den anderen Bereich gekümmert hat.
({2})
Daß in den Jahren 1972 bis 1982 in den Vereinigten Staaten trotz der großen Telekommunikationsentwicklung im Bereich von Paketen, Briefen und Drucksachen, Werbebroschüren und ähnliches mehr eine Steigerung des Volumens von rund 35% zu verzeichnen ist, während wir in der Bundesrepublik seit 1972 eine Phase absoluter Stagnation haben,
({3})
muß ja an irgend etwas liegen.
({4})
- Die Bundespost ist immer dafür da, viel Papier von hier nach dort zu befördern. Wir sind Ihnen dafür sehr dankbar, und auch diejenigen, die dadurch Arbeit und Brot haben, sind dankbar dafür, daß das nicht durch anderes ersetzt wird.
({5})
Sehen Sie einmal, welche Gebührenerhöhungen in den vier Jahren von 1979 bis 1982 gerade in diesem Bereich vorgenommen worden sind: Das Briefporto stieg von 50 über 60 auf 80 Pf. Insgesamt haben wir in diesem Bereich in den Jahren von 1978 bis 1982 eine Gebührenerhöhung von 51,6 % gehabt. Das hat zwei Auswirkungen, nämlich einmal, daß unsere Gebühren im internationalen Vergleich relativ sehr hoch liegen, was die Stagnation in diesem Bereich bringt, weil es zu teuer ist, diese Dienstleistungen zu benutzen, und zum anderen, daß wir unsere Bürger - auch das muß man sagen - damit
überdimensional belasten. Insofern war die Entscheidung dieses Postministers, daß wir ab 1982 bis inklusive 1985 die Gebühren auch nicht um ein einziges Prozent erhöhen, ein Beitrag zur Stabilität der Wirtschaft, der Volkswirtschaft und für den Säckel des Bürgers.
({6})
- Herr Kollege Walther, Sie haben gesagt: immer mehr Schulden. Was würden Sie eigentlich sagen, wenn dieses große Unternehmen der Deutschen Bundespost in den Investitionen nicht eine entsprechende Steigerung vornimmt?
({7})
Dann würden Sie sagen: Der versteht wohl nicht, um was es in der Zukunft geht. Insofern sind wir uns doch wohl einig, und wir sind uns auch darin einig, daß das Verhältnis von Eigenkapital und Fremdkapital heute noch sehr gut ist,
({8})
daß wir aber sehr genau aufpassen müssen, wie es in den nächsten Jahren wird, da wir heute Investitionen von 16 Milliarden DM jährlich vorzunehmen haben, wobei die Höhe der Gewinne mit 3 Milliarden DM außerordentlich kümmerlich ist. Sie ist auch dann kümmerlich, wenn mir von verschiedenen Seiten gesagt wird, wir könnten ruhig weiter Betriebsverluste im Postbereich machen, wir hätten ja ein kerngesundes Unternehmen mit MilliardenGewinnen. So einfach kann man es sich nicht machen. Insofern sind wir uns, glaube ich, in dieser Frage einig.
({9})
Wir haben uns aus diesem Grunde bemüht, auch für die Jahre 1984 und 1985 die Defizite des gelben Bereichs - wenn ich ihn so nennen darf - auf etwa 2 Milliarden DM festzuhalten. Soweit ich sehe, wird dies auch möglich sein. Wir hatten im Jahre 1982 noch ein Defizit von 3,2 Milliarden DM. Wir erreichen dieses Ziel, ohne daß wir Gebührenerhöhungen im Jahre 1983 und im Jahre 1984 gehabt hätten oder für 1985 planten. Ich glaube, das sollte auch einmal genannt weden; denn das ist eine Produktivitätsfrage. Das ist natürlich auch noch eine Auswirkung der Erhöhungen des Jahres 1982 auf das Jahr 1983,
({10})
aber nicht mehr für das Verhältnis von 1983 und 1984 und das Verhältnis von 1984 und 1985 relevant. Das ist etwas, wo ich nur sagen kann: Hier wird ungeheuer viel geleistet, auch von den Mitarbeitern, die ein solches Ergebnis ermöglichen. Dafür möchte ich mich hier ganz herzlich bedanken.
({11})
Herr Kollege Hoffie, ich bedanke mich auch bei Ihnen für Ihre Hinweise bezüglich der fernmeldetechnischen Aktivitäten. Da ist, wie ich sagen muß, sehr viel verschlafen worden. Es wurde zwar immer sehr viel von der Glasfaser geredet, aber die ersten Entscheidungen, sie im Fernnetz einzusetzen, sind dann von mir im Oktober/November gefällt worden. Wir hatten BIGFON - das sei zugegeben - ({12})
- Bitte schön, Herr Kollege Matthöfer.
Da muß ich mich erst einmal einschalten. Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Matthöfer.
Ist es richtig, Herr Kollege Dr. Schwarz-Schilling, daß auch sozialdemokratische Postminister Entscheidungen über Glasfasernetze vor Ihnen getroffen haben, ja oder nein?
({0})
Dr. Schwarz-Schilling: Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen: Herr Kollege Matthöfer, es gab eine Entscheidung. Das war die Entscheidung, in sieben deutschen Städten zehn Pilotprojekte für Glasfasernetze aufzubauen. Diese BIGFON-Projekte sind auch in entsprechender Geschwindigkeit von mir weitergeführt worden. Das war die Entscheidung, die getroffen wurde; es wurde aber keine Entscheidung zum Aufbau der Infrastruktur getroffen.
({1})
Wir bauen jetzt ein Fernnetz, dessen erste Teilstrecke von Hamburg nach Hannover ich gerade vorige Woche eröffnen konnte. Es wurden keine Entscheidungen getroffen, wie wir serienmäßig die Teilnehmeranschlüsse im Ortsnetz hätten ausbauen können; denn die Entwicklung, die dafür erforderlich ist, die bei den Lasern, Kopplern und Wandlern, stellt sich noch heute so dar, daß wir 80 000 DM für einen Anschluß bezahlen müssen. Und Sie haben gesagt, Sie wollten die Rundfunk-und Fernsehverteilung mit Glasfasern machen! Ja, meine Damen und Herren, dann hätten wir ganze 16 000 Wohnungen für 1 Milliarde DM anschließen können. Ich hätte hören mögen, was der Rechnungshof gesagt hätte, wenn ich so etwas gemacht hätte.
Es gibt natürlich auch Äußerungen, daß das nur ein taktisches Mittel gewesen sei, um die Verkabelung für Hörfunk und Fernsehen in den 80er Jahren zu unterbinden. Wir haben das auch heute, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, aus der Sozialdemokratischen Partei gehört. Sie brauchen nur von Albrecht Müller die letzte Streitschrift gegen von Dohnanyi zu lesen, in der das in aller Deutlichkeit gesagt wird. Darum brauchen wir uns heute gar nicht mehr zu streiten.
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Walther?
Nein, ich möchte das jetzt doch schnell zu Ende führen.
Frau Reetz, Sie haben die Frage gestellt: Wozu überhaupt dieses ISDN oder die Digitalisierung? Eigentlich sollten Sie sich von Ihrer Philosophie her freuen, daß es moderne Techniken gibt, die umweltfreundlich, energiesparend, leise, blitzschnell sind, ohne irgendeine Störung für den Menschen. Ich möchte mal wissen: Wo wollen Sie eigentlich für ein Industrieland überhaupt noch weitere Entwicklungen und Techniken, nachdem Sie Energiefragen und alle anderen Dinge nur noch alternativ sehen, wenn Sie nicht wenigstens auf solche Techniken setzen?
({0})
Wenn Sie sagen: Das will keiner haben, bitte ich Sie: Gehen Sie einmal zu den Anwendern, zu den Datenverarbeitern, zu den Banken, zu den Versicherungen, und lassen sich zeigen, wieviel Datenverkehr man heute braucht, um deren Aufgaben zu bewältigen, und wie notwendig es für die Nutzung z. B. der kleineren Computer, der Personal Computer, die heute von der jungen Generation beinahe besser bedient werden als von der älteren - ich zähle mich zu den Älteren -,
({1})
ist, zu Hause diese an die Datenfernübertragung anschließen zu können, um Software-Pakete ganz rasch übertragen zu bekommen. Das bringt j a auch gerade die Freizeitmöglichkeiten für die jungen Leute. Sie müssen dann eben nicht irgendwo im Kaufhaus stehen, um das auszuprobieren. Vielmehr ist dann jeder Bürger in der Lage, diese Dinge zu Hause zu betreiben, die ihm Spaß machen. Dafür sollten wir sorgen, für Freizeit und Beruf.
({2})
Ich glaube, daß wir mit der Digitalisierung eine Möglichkeit haben, eine moderne, fortschrittliche Technik einzuführen. Dabei haben Sie recht, wenn Sie sagen, daß wir nicht weit vorne waren; denn in den 70er Jahren haben wir die Entwicklung etwas verschlafen. Das stimmt. Deswegen auch mein Beispiel vom Hasen und vom Igel. Aber das hat sich in der Zwischenzeit etwas geändert. Wir sind wieder in der Lage, modernste Technik anzubieten.
Wenn Sie sich einmal die Tradition der deutschen Fernmeldeindustrie ansehen, werden Sie feststellen, daß die Arbeitsplätze dort zu einem ganz hohen Prozentsatz vom Export abhängig sind. Wenn die deutsche Industrie diese Exporthöhe in der Qualität nicht mehr behält, bekämen wir große Schwierigkeiten nicht nur für die Arbeitsplätze in der fernmeldetechnischen Industrie, sondern jeder Bürger müßte dafür bezahlen, weil die deutsche Industrie, wenn sie nicht mehr exportieren kann, ihre Preise für Produkte, die sie der Bundespost liefert, gravierend erhöhen müßte. Das ist ein entscheidendes Argument.
({3})
Wir haben uns auch bemüht, in der Gebührenpolitik dem internationalen Trend zu folgen. Wir haben allein im Verkehr mit unseren europäischen Nachbarländern und im Verkehr mit den außereuropäischen Ländern in diesem Jahr die Fernmeldegebühren um 170 Millionen DM ermäßigt. Wir haben Nahbereichsgebühren, um die uns fast alle Länder der Welt beneiden; denn es gibt kein Land, das Reduzierungen auch gerade im Nacht- und Wochenendtarif bis zu 70 % der Normalgebühr kennt. Das gibt es nicht.
Ich muß auch sagen, daß sich diejenigen, die jetzt einer zu schnellen Liberalisierung und Deregulierung das Wort reden, im klaren darüber sein müssen, daß dann der Trend genau umgekehrt sein wird, daß wir gravierende Erhöhungen im lokalen Netz hätten und für Fernverbindungen weitere Reduzierungen, die wir aber bereits auch so in Gang gebracht haben. Aus dem Grunde bin ich auch der Auffassung, daß der Entschluß der Bundesregierung, zur Prüfung dieser Frage eine Kommission einzusetzen, die nicht aus der Hüfte schießt, sondern ihre Aufgaben mit Ruhe erledigt, um auch im internationalen Vergleich die Dinge zu sehen, uns davor bewahren wird, hier eine Hektik zu entfalten, die unsere Mitarbeiter im Ministerium und draußen verunsichern und zu falschen Schlüssen in der Diskussion mit Privaten führen würde.
({4})
Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich darf mich für die Anregungen dieser Diskussion bedanken. Ich würde mich freuen, wenn auch künftig in diesem Stil die Debatten über das Post- und Fernmeldewesen durchgeführt würden - vielleicht nicht nur in diesem Hohen Hause, sondern auch draußen, Herr Kollege Paterna; das würde mich ganz besonders freuen.
({5})
Lassen Sie mich all denen danken, die in den letzten Monaten und Jahren die Stürme gut überstanden, der Bundespost die Treue gehalten und die Leistungsfähigkeit dieses Unternehmens erhöht haben.
Ich darf mich bedanken.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 13 - Geschäftsbereich des Bundesministers für das Post- und Fernmeldewesen - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen.
Ich rufe - ({0})
- Bitte sehr, Herr Kollege Pfeffermann.
({1})
Präsident Dr. Jenninger
- Das war ein Irrtum. Den entschuldige ich gern zu dieser Abendstunde.
Ich rufe auf:
Haushaltsgesetz 1985
- Drucksachen 10/2328, 10/2329 Berichterstatter:
Abgeordnete Carstens ({2}) Roth ({3})
Hoppe
Wieczorek ({4})
Hoffmann ({5})
Kleinert ({6})
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.
Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Sieler.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
({0})
Es ist nicht immer eine leichte Aufgabe, am Ende einer so langen Debatte hier noch reden zu müssen. Ich hätte mich natürlich gefreut, wenn ich den Herrn Bundesfinanzminister hier sehen würde. Ich nehme an, er kommt.
({1})
Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, darauf hinzuweisen, daß mit dem Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts in der Regel das Finanzpaket für das jeweilige Haushaltsjahr geschnürt und der Ermächtigungsrahmen für den Finanzminister abgesteckt ist.
Nun könnte man ja glauben, daß am Ende einer so langen Debatte alle Facetten der Politik abgedeckt und dargestellt wurden, daß insbesondere auch deutlich wurde, was hinter diesem Zahlenwerk einer Scheinsolidität steckt.
({2})
Ich kann es mir nicht verkneifen, Herr Finanzminister Dr. Stoltenberg,
({3})
an diesem Gesetz sehr deutlich zu machen, wo Anspruch und Wirklichkeit Ihrer Politik deutlich auseinanderklaffen und wo Sie Ihre kabinettsinternen Schwierigkeiten mühsam zu kaschieren versuchen.
Uns ist bei diesem Gesetz ja erst richtig deutlich geworden, daß hinter der beabsichtigten kleinen formalen Änderung mehr steckte, als Sie zuzugeben bereit waren. Der Bundeshaushalt, meine Damen und Herren, droht nämlich bei den Verpflichtungsermächtigungen in den Einzelplänen der Bundesminister für Verteidigung, für Forschung und
Technologie und für Entwicklungshilfe, um nur einige zu nennen, aus den Fugen zu geraten.
({4})
- Das ist ja schön; der Herr Finanzminister ist da.
Nun sind, meine Damen und Herren, Verpflichtungsermächtigungen ein notwendiges Instrument der Haushaltspolitik, um Verträge, Aufträge und Programme über ein Haushaltsjahr hinaus überhaupt möglich zu machen. Dieses Instrument gibt den Ressortministern die Möglichkeit, Ausgabeverpflichtungen einzugehen, die ja sehr häufig auch über den Zeitraum der mittelfristigen Finanzplanung hinausgehen.
Dies bedeutet aber zugleich auch eine langfristige Bindung von Haushaltsmitteln. Genau da liegt das Problem. Fachleute schätzen die bisher eingegangenen Verpflichtungsermächtigungen mit Bindungswirkung auf rund 200 Milliarden DM. Für den kommenden Haushalt wurden von dieser Regierung insgesamt 48,2 Milliarden DM an Verpflichtungsermächtigungen, d. h. 13 Milliarden DM mehr als 1984, eingestellt.
({5})
Genau das macht nach unserer Überzeugung, Herr Minister Stoltenberg, jetzt besondere Sorgen. Es entbehrt ja nicht einer gewissen Tragikomik, daß ausgerechnet der finanzpolitische Supermann dieser Bundesregierung ein zusätzliches Hilfsmittel benötigt, nämlich eine Bremse, um die Begehrlichkeit seiner Kabinettskollegen im Zaume zu halten. Die „Zeit" kommentiert dazu: „Der Finanzminister muß sich vor den Fallstricken seiner Kabinettskollegen in acht nehmen."
({6})
Wir Sozialdemokraten, Herr Kollege Weng, haben uns im Haushaltsausschuß ja nicht gegen dieses Instrument, sondern für dieses Instrument ausgesprochen,
({7})
obgleich - das werden Sie sicher auch zugeben - der damit verbundene zusätzliche Verwaltungsaufwand offenbleibt.
Die Sperrung aller Verpflichtungsermächtigungen im Haushalt 1985 beschert Herrn Dr. Stoltenberg zusätzliche Machtbefugnisse. Doch damit, meine Damen und Herren, muß der Kanzler selber fertigwerden.
({8})
Diese generelle Sperre bedarf nämlich in jedem Einzelfall der Aufhebung durch den Bundesfinanzminister, der das nach Vorlage aller Gründe allein verfügt. Darin liegt doch das Problem, meine Damen und Herren. Das scheinen einige seiner Ministerkollegen noch gar nicht gemerkt zu haben, insbesondere nicht der Verkehrsminister, der so lauthals gesagt hat, er sei vom Herrn Finanzminister nicht in eine Richtlinie gezwängt.
Ich habe mir erlaubt, die Zwischenbemerkung zu machen: „Nicht mehr lange". Denn er wird ja auch, besonders wenn es um die Verpflichtungsermächtigungen geht, beim Finanzminister antreten müssen. Und wie geht es dann? Da wird der Minister einen Antrag stellen; der wird von den zuständigen Beamten aus dem Finanzministerium geprüft; darauf wird eine Vorlage gemacht; sie landet zur Entscheidung auf dem Tisch des Herrn Dr. Stoltenberg, und wenn der dann nein sagt, läuft da nichts.
({9})
Diese generelle Sperre zeigt natürlich auch, wie wenig sorgfältig der Bundeshaushalt 1985 vom Finanzminister vorbereitet und in die parlamentarische Beratung eingebracht worden ist. Wer seine Minister so an die Kette legt, hat - das ist unsere Überzeugung - wirklich nicht sorgfältig gearbeitet.
Ein weiteres Problem. In § 4 Abs. 9 dieses Gesetzes soll unverändert die Kontrolle der Nachrichtendienste geregelt werden. Um Unklarheiten und Wiederholungen auszuschließen, darf ich für meine Fraktion hier erklären, daß wir an unserem Standpunkt des Minderheitenschutzes bei wichtigen Kontrollaufgaben des Parlaments festhalten werden.
Nun komme ich zu einem weiteren politisch brisanten Punkt im Haushaltsgesetz 1985.
({10})
Mit den §§ 25 und 25 a ({11}) des Haushaltsgesetzes werden die Schwächen dieser Regierung wohl für jedermann offenkundig. Wir haben ja alle noch die schwülstigen Reden von Herrn Dr. Blüm im Ohr, der gestern wieder einmal seine abgedroschene Mär vor diesem Hohen Hause ausgebreitet hat.
({12})
In seiner bekannten Art - wir kennen ihn ja - verkündete er nun schon im zweiten Jahr: Schluß mit dieser Reformeuphorie; jetzt wird der Gürtel enger geschnallt; die Renten müssen wieder auf eine solide Finanzgrundlage gestellt werden. Während dieser Herr Blüm noch damit beschäftigt war, dem Bürger draußen den sozialpolitischen Kahlschlag als Erfolg seiner Bemühungen zu offerieren, produzierten seine Ministerkollegen und sein Ministerium Gesetze mit wohlklingenden Bezeichnungen, in denen allerdings etwas anderes als das enthalten war, was das Etikett zum Ausdruck brachte. Ein Beispiel ist das Beschäftigungsförderungsgesetz. Wer es etwas genauer liest, wird wohl nicht mehr zu der Überzeugung kommen, daß das mit Förderung der Beschäftigung noch etwas zu tun hat. Im Volksmund nennt man so was Mogelpakkung.
({13})
Genau in dem Zeitraum, in dem dies passierte, verteilten Ministerkollegen von Herrn Blüm schon das, was die Regierung bei den Arbeitnehmern vom Weihnachtsgeld, bei den Arbeitslosen von ihrem Arbeitslosengeld, bei den Arbeitslosenhilfeempfängern von ihrer kärglichen Arbeitslosenhilfe,
({14})
bei den Behinderten und den Rentnern an Milliardenbeträgen gerade erst eingesammelt hat, z. B. in Richtung Großlandwirte und an die Besitzer von Kapitalvermögen. Was sich hinter dem neuen § 25 a verbirgt, ist weder sozial noch solide. Es ist, Herr Minister, der untaugliche Versuch dieser Regierung, von den eigentlichen Finanzproblemen der Rentenversicherung abzulenken. Tatsache ist doch
- auch wenn die Rentenversicherer zum Teil so tun, als wäre dies eine vorübergehende finanzielle Schwäche -, daß unsere gesetzliche Rentenversicherung mit ihren Reserven am Ende ist
({15})
und 1985 zahlungsunfähig würde, wenn nicht der
Bund - wie er das schon in diesem Jahr getan hat
- seine Zuschüsse nicht gleichmäßig auf 12 Monate verteilen, sondern schon in der ersten Hälfte des Jahres leisten würde.
Die Rentenversicherer haben die Gründe dafür genannt, Herr Minister Stoltenberg, warum sie an der Grenze der Zahlungsunfähigkeit angekommen sind, warum sie derzeit schon Betriebsmittelkredite bis zu 500 Millionen DM und im nächsten Jahr noch in wesentlich höherem Umfang aufnehmen müssen.
Daß diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, beweist der neue § 25 a im Haushaltsgesetz, wonach 5 Milliarden DM zinslose Betriebsmitteldarlehen zur Verfügung gestellt werden.
Die Ursachen für die Zerrüttung der Rentenfinanzen liegen in der von Ihnen herbeigeführten Halbierung der Rentenversicherungsbeiträge für arbeitslose Leistungsempfänger und in der drastischen Verringerung der Zahl der Leistungsempfänger bei der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. Die Bundesregierung hat mit ihren Haushaltsbegleitgesetzen dafür gesorgt, daß -zigtausend Arbeitslose kein Geld mehr bekommen und zusätzlich noch aus der Arbeitslosenstatistik „herausfliegen". Die Bundesregierung tut dann so, als gäbe es diese Arbeitslosen nicht mehr, nur weil sie nicht mehr in der Statistik sind, und feiert dies dann letztlich auch noch als Erfolg, wie Herr Dr. Blüm das ja getan hat. Meine Damen und Herren, ich empfehle Ihnen wirklich, den Kommentar in der „Süddeutschen Zeitung" von gestern mit der Überschrift „Rente auf Pump" doch sehr gründlich nachzulesen. In diesem Kommentar ist ein vernichtendes Urteil über diese Art der Manipulation gesprochen worden.
({16})
Die dramatische Verschlechterung der Finanzlage der Rentenversicherung wird auch nicht besser dadurch, daß die beabsichtigte Beitragskosmetik von 0,2 Beitragsprozentpunkten von der Arbeitslosen- zur Rentenversicherung vorgenommen wird.
Was nun Herr Dr. Norbert Blüm zu seinem Haushalt und den damit zusammenhängenden Gesetzen vorgetragen hat,
({17})
war im Grunde genommen nichts anderes als der Versuch, seine Blößen zu bedecken. Aber es ist j a nichts übriggeblieben, womit er seine Pleite hätte zudecken können; vielleicht noch die Schamröte. Man muß sich einmal vorstellen wie einem Rentner zumute ist, wenn er die Rentenanpassung von real 1,07 % bekommt - das ist weniger als die Preissteigerungsrate - und feststellt, daß er dann noch weniger Geld hat als vorher.
({18})
Herr Dr. Stoltenberg, es wäre interessant - ich habe mir einmal die entsprechenden Zahlen herausgesucht -, jetzt auf die Vergleiche mit der Preissteigerung einzugehen. Aber lassen Sie mich lediglich noch einige wenige Bemerkungen zur Rentenversicherung machen. Bei der Bewertung dieser Vorgänge können wir feststellen, daß die Renten von 1970 bis 1982 nominal um 95% und real - nach Abzug der Preissteigerungsraten in diesen Jahren - um 37,1 % gestiegen sind. Das ist ein durchschnittlicher Anstieg pro Jahr von 2,8%. Ich kann nur hoffen, daß Sie einen solchen Durchschnitt - im Interesse der Menschen, um die es hierbei geht - wenigstens in dieser einen Legislaturperiode erreichen werden.
Nun, meine Damen und Herren, was werden wohl die Arbeitnehmer empfinden, wenn sie weniger Weihnachtsgeld in der Lohntüte haben? Was für ein Gefühl werden sie haben, wenn sie feststellen, daß ihre Beitragsopfer zur Rentenversicherung nicht verhindert haben, daß 1985 die Renten aus Darlehensmitteln des Bundes, d. h. auf Pump, bezahlt werden müssen? Jede zwanzigste Rente wird aus solchen Darlehensmitteln zu finanzieren sein.
({19})
Wie wollen Sie den Leuten draußen noch erklären, daß gutverdienende Bürger in unserer Republik keinerlei Sonderopfer bringen müssen, daß - im Gegenteil - Ihre Finanzpolitik der unsozialen Umverteilung Opfer weiterhin nur diesen kleinen Leuten abverlangt?
({20})
Meine Damen und Herren, wir Sozialdemokraten haben einen Antrag eingebracht - Sie haben ihn abgelehnt -, der genau dort ansetzt, wo eine langfristige und solide Finanzgrundlage für unsere Arbeiter- und Angestelltenrentenversicherung ansetzen müßte, nämlich auf der Einnahmenseite. Wir sind der Auffassung, daß man die Rentenversicherung von dem Risiko der Konjunkturschwankungen und der Arbeitslosigkeit abkoppeln müßte. Sie haben das Gegenteil davon getan.
Dieser von uns vorgeschlagene Weg würde bei der Rentenversicherung auch die notwendigen Finanzmittel schaffen, die eine solche Kreditbereitstellung, wie § 25a des Haushaltsgesetzes das vorsieht, überflüssig machen würden. Wir hätten damit zugleich auch den notwendigen Spielraum, um darüber nachzudenken, auf welche neuen Finanzgrundlagen wir unsere Rentenversicherung stellen wollen; das ist heute schon einmal angesprochen worden. Sie dagegen setzen - auch wenn Herr Dr. Blüm dies bestreitet - auf Selbstbeteiligung à la Cronenberg und Lambsdorff, also auf Selbstbeteiligung in der Krankenversicherung: bei der Krankenhausbenutzung, beim Arztbesuch und bei ähnlichem mehr. Und Sie setzen auf Subsidiarität à la Stoltenberg statt auf Solidarität, so sehr Sie sich auch Mühe geben, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, diesen Vorsprung zu kaschieren.
Wir Sozialdemokraten werden diesen Weg nicht mitgehen. Wir lehnen daher dieses Haushaltsgesetz ab.
({21})
Das Wort hat der Abgeordnete von Hammerstein.
({0})
von Hammerstein ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsausschuß hat den Entwurf des Haushaltsgesetzes 1985, das im übrigen in seinen wesentlichen Bestimmungen dem des laufenden Haushaltsjahres entspricht, in drei Punkten ergänzt.
Die erste Ergänzung betrifft die Liquiditätslage der gesetzlichen Rentenversicherung. Im Zuge der Neuordnung der Sozialfinanzen wird im Haushaltsgesetz die Möglichkeit geschaffen, daß der Bund der Rentenversicherung bei kurzfristigen vorübergehenden Liquiditätsengpässen zinslose Betriebsmitteldarlehen bis zu einer Höhe von 5 Milliarden DM gewährt.
({2})
Diese Betriebsmitteldarlehen sind zurückzuzahlen, sobald und soweit die Einnahmen die Ausgaben wieder übersteigen, spätestens jedoch zum Jahresende.
({3})
- Lieber Kollege Walther, wir haben immer Geld. ({4})
Eine Dauerbelastung des Bundeshaushalts erfolgt dadurch nicht. Die Rentenversicherung ist darüber hinaus zusätzlich abgesichert. Damit, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, sind die Rentenzahlungen künftig also nicht nur vom Beitragsaufkommen her und - für das gesamte Rechnungsjahr gesehen - durch den Bundeszuschuß gedeckt, sondern die Rentner können auch sicher sein, daß die Zahlungen zu jedem Zeit7894
von Hammerstein
punkt während des ganzen Jahres auch liquiditätsmäßig gewährleistet sind.
({5})
- Ich komme noch darauf zu sprechen.
Wir gestehen ein: Wir hatten in dieser Woche eine schwierige Situation, denn wir mußten die Liquidität für einige wenige Tage kurzfristig durch eine Kreditaufnahme beim Bankenapparat sicherstellen.
({6})
- Hören Sie gut zu. - Es wurden für wenige Tage 500 Millionen benötigt, um die 11,5 Milliarden DM für die Dezember-Renten zu finanzieren. Aber ich war erstaunt, von Ihnen, Herr Kollege Sieler, und auch vom Kollegen Apel, der heute morgen gesprochen hat, zu hören, mit welchem Frohsinn Sie behaupten, die Renten seien nicht mehr sicher.
({7})
Sie sagten außerdem, wir seien nicht mehr zahlungsfähig.
({8})
- Nein, Kollege Hoffmann, machen Sie sich keine Sorgen; auch wir werden für diese Zwecke noch einen Kredit bekommen.
({9})
Lieber Kollege Sieler, die Zahlungsunfähigkeit ist nie gegeben. Durch den Ergänzungsantrag benötigt man keine Kreditaufnahme bei den Banken mehr. Somit ist auch die Sicherheit gegeben, daß die Rentner monatlich ihre Renten bekommen.
Es ist beabsichtigt, diese Regelung in künftigen Haushaltsgesetzen zu wiederholen, wenn eine solche Vorsorge erforderlich sein sollte.
({10})
Dies entspricht im übrigen einer Regelung, die bereits seit 1977 für den Bereich der Bundesanstalt für Arbeit gilt.
Die zweite Ergänzung betrifft die weitere Kürzung des Amtsgehaltes der Mitglieder der Bundesregierung und der Parlamentarischen Staatssekretäre. Seit dem 1. November 1982 haben die Mitglieder der damals neuen Bundesregierung und die Parlamentarischen Staatssekretäre als eine Ihrer ersten Maßnahmen auf 5 % Ihrer Amtsbezüge verzichtet.
({11})
- Nein, Kollege Walther. Ich bin ja ein junger Abgeordneter, zwar nicht vom Alter, sondern von der Mitgliedschaft in diesem Parlament her, aber ich
habe es bei Ihnen nie erlebt, daß Sie einmal Ihre Gehälter gekürzt hätten.
({12})
Das entsprechende Gesetz wäre Ende dieses Jahres außer Kraft getreten. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den Ministern und Staatssekretären, daß sie einer Verlängerung dieser Kürzung um ein weiteres Jahr im Haushaltsgesetz 1985 spontan zugestimmt haben.
({13})
Herr Kollege von Hammerstein, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Wieczorek?
Herr Kollege, würden Sie zugeben daß der Vorläufer der Kürzungen bei den Ministern und Staatssekretären im Senat Vogel in Berlin war und daß das für Sie als Muster gegolten hat?
({0})
von Hammerstein ({1}): Wir wollen hier nicht die Kürzungen der einzelnen Senate und Länderparlamente zitieren. Es ist nämlich einmalig bei einer Bundesregierung, daß die Minister und Staatssekretäre ihre Gehälter gekürzt haben.
({2})
Ich muß mich jetzt ein bißchen mehr an meine Zeit halten und werde mich daher nicht mehr auf zu viele Zurufe einlassen.
Die Kürzung führt zu Einsparungen von 400 000 DM. Der einzelne Bundesminister wird etwa 800 DM und der Bundeskanzler fast 1 000 DM im Monat weniger haben.
({3})
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schmude?
Herr Kollege, würden Sie, da Sie damals noch nicht hier waren, bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß die dem jetzigen Kabinett voraufgegangene Regierung Schmidt hier im Bundesbereich durch Abkoppelung von der Besoldungserhöhung selber eine Kürzung verfügt hat, die dann bei der vom Kabinett Kohl beschlossenen Kürzung mit verrechnet wurde?
({0})
von Hammerstein ({1}): Lassen Sie mich bitte fortfahren.
({2})
- Ja, Herr Matthöfer, davon können Sie ausgehen.
Diese Beträge sind im Verhältnis zu den in den letzten drei Tagen hier beratenen Milliardenpositiovon Hammerstein
nen des Haushalts wenig. Die spontane Bereitschaft der Mitglieder der Bundesregierung zur Verlängerung dieser Kürzungsmaßnahme sollte aber als Geste nicht geringgeachtet werden. Diese Bundesregierung, die zur Sanierung der von ihrer Vorgängerin ruinierten Staats- und Sozialfinanzen vielen Mitbürgern erhebliche Belastungen auferlegen mußte, setzt damit ein Zeichen dafür, daß soziale Ausgewogenheit der finanziellen Belastungen auch für sie selber gilt. Diese Bundesregierung praktiziert soziale Ausgewogenheit an sich selbst. Andere, meine Damen und Herren von der Opposition, reden nur davon.
Die meines Erachtens wichtigste Veränderung im Haushaltsgesetz schließlich betrifft die Sperre der Verpflichtungsermächtigungen im nächsten Jahr. Danach bedarf die Inanspruchnahme von Verpflichtungsermächtigungen,
({3})
soweit nicht ohnehin die Einwilligung des Haushaltsausschusses erforderlich ist, der Einwilligung des Bundesministers der Finanzen. Ziel dieser Regelung ist es, dem Finanzminister in möglichst breitem Maße Möglichkeiten des Einflusses auf das Ausmaß von Vorbelastungen für spätere Haushaltsjahre zu geben, die durch die Auftragsvergabe und ähnliche Entscheidungen der einzelnen Ressorts im Haushaltsjahr 1985 ausgelöst würden. Dies soll dem Finanzminister die Fortsetzung der Etatkonsolidierung bei der Aufstellung künftiger Haushalte erleichtern.
Hier möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen von der SPD im Haushaltsausschuß ganz herzlich bedanken, daß sie diesem Änderungsantrag zugestimmt haben.
({4})
Sparsamkeit und Solidität müssen oberste Richtschnur für den Haushaltsvollzug im nächsten Jahr und für die Haushaltsaufstellung für die Jahre ab 1986 bleiben.
Die Annahme, der langwierige Konsolidierungsprozeß sei bereits abgeschlossen, wäre allerdings ein gefährlicher Irrtum. Gewiß wir haben bedeutende Erfolge bei der Begrenzung des Wachstums der Ausgaben. 1983 stiegen die IstAusgaben um 0,9 %. 1984 war es 1 %, und 1985 liegt der Haushalt wiederum nur um 0,9 % über den Soll-Ansätzen des laufenden Jahres. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen der Opposition, können Sie sich noch an die Jahre 1977 bis 1982 erinnern? Da stieg der Haushalt jährlich um 5 bis 10 %.
({5})
Trotz dieser strengen Ausgabendisziplin ist die bisherige Rückführung der Haushaltslücke teilweise aber eben auch durch den Bundesbankgewinn erreicht worden. Das müssen wir zugeben. Dies sind in 1984 immerhin 12,5 Milliarden DM gewesen.
Herr Abgeordneter, ich möchte Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
von Hammerstein ({0}): Danke. Darf ich noch einen letzten Satz sagen?
Aber bitte.
von Hammerstein ({0}): Es liegt deshalb noch eine ziemliche Konsolidierungsstrecke vor uns. Erst wenn die Neuverschuldung im Bundeshaushalt in den künftigen Jahren ohne Bundesbankgewinn wieder deutlich unter 20 Milliarden DM liegt, ist ein wichtiges Ziel der Haushaltskonsolidierung erreicht.
Dieser Haushalt 1985 ist das Regierungsprogramm in Zahlen der von uns getragenen Bundesregierung für das nächste Jahr. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion stimmt diesem Haushaltsgesetz 1985 zu.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Kleinert ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich würde gerne jetzt eine dieser späten Stunde angemessene Form hier bringen, aber ich muß zunächst doch auf ein paar ernsthaftere Dinge eingehen.
Im Entwurf für das Haushaltsgesetz fallen aus meiner Sicht drei Dinge besonders ins Auge. Das ist einmal die Festsetzung des Höchstsatzes für Bürgschaften, Garantien und sonstige Gewährleistungen, auf unverändert 195 Millionen DM, zum zweiten der § 4 Abs. 9, der die Kontrolle über die Etatansätze der Geheimdienste regelt, und drittens der Beschluß des Haushaltsausschusses, mit dem für sämtliche Verpflichtungsermächtigungen eine Sperre ausgesprochen ist.
Meine Damen und Herren, wer die Bürgschaften für Kapitalexporte in § 9 auf 30 Milliarden DM erhöht, der muß wissen, daß das angesichts der wachsenden Risiken im Außenhandelsgeschäft, die Sie kaum bestreiten werden, dann nicht paßt, wenn Sie im Einzelplan 32 gleichzeitig den Ansatz für die Gewährleistungen des Bundes auf 3 Milliarden DM begrenzen. Denn dadurch werden - ich folge hier nur Ihrer eigenen Logik - erhebliche Risiken für diesen Haushalt produziert. Die Kosten, um die es hierbei geht, und die mit ihnen verbundenen Haushaltsrisiken sind ein Teil des hohen Preises, den Sie für die Exportabhängigkeit der bundesdeutschen Wirtschaft zu zahlen bereit sind, eines Preises, den im übrigen diejenigen zahlen müssen, die als einfache Steuerzahler zu gelten haben, nicht aber diejenigen, die von den Exporten in Form von Gewinnzuwächsen profitieren.
Auch das unsägliche Produkt des Biegens und Brechens der Rechtsstaatlichkeit, das Sie sich nach langem Hin und Her im letzten Jahr ausgedacht haben, um die GRÜNEN aus der Kontrolle der Etatansätze der Geheimdienste herauszuhalten, findet sich dieses Jahr wieder. Sie wollen das Ganze
Kleinert ({0})
wieder so praktizieren wie im letzten Jahr. Sie wollen wieder eine Fraktion dieses Hauses von dieser Einsichtnahme ausschließen. Wir haben darüber schon letztes Jahr diskutiert, und ich kann an dieser Stelle nur die Hoffnung ausdrücken, daß dem merkwürdigen Verhältnis der Regierungsparteien zu rechtsstaatlichen Gepflogenheiten, das sich an dieser Stelle ausdrückt, durch das Bundesverfassungsgericht ein Riegel vorgeschoben wird.
Ein Drittes. Durch die Berichterstattung in den Medien mag der Beschluß des Haushaltsausschusses, nach dem für alle Verpflichtungsermächtigungen eine Sperre ausgesprochen wird, so wirken, als werde dadurch die Kontrollkompetenz des Parlaments angehoben. Nichts davon ist wahr. Wahr ist vielmehr, daß durch diesen Beschluß allein die Position des Finanzministers in der Bundesregierung gestärkt wird, denn eine einfache Sperre kann das Ministerium aufheben; dazu braucht es keinerlei Beschluß des Parlaments oder des Ausschusses.
({1})
Es ändert sich gegenüber dem, was vorher galt, nur eines: Jetzt muß jeder Ressortminister zu Herrn Stoltenberg gehen,
({2})
wenn er auf der Grundlage von ausgesprochenen Verpflichtungsermächtigungen längerfristige Verträge schließen will.
({3})
Ob der dann zu Fuß geht, Herr Hoffmann, muß man leider bezweifeln. Er wird vermutlich mit dem Hubschrauber fliegen, der ja jetzt lärmgeschützt ist, oder aber mit einem der Dienstwagen fahren, die ja jetzt alle, wenn ich diese lange Auseinandersetzung richtig in Erinnerung habe, mit Telefon ausgerüstet sind.
({4})
Das Ganze, um das es hier geht, ist keine Erweiterung parlamentarischer Kontrollmöglichkeiten, sondern nur eine weitere Stärkung der Rolle von Herrn Stoltenberg, der nun noch mehr den starken Mann in dieser Regierung spielen kann. - Herr Hoffmann?
Bitte sehr, eine Zwischenfrage.
Werter Kollege, da Sie jetzt von der Kontrollfähigkeit sprechen: Denken Sie, daß durch eine schnelle Ablösung von Abgeordneten dieses Hauses durch Rotationsverfahren deren Qualifikation zur Kontrolle zunimmt oder abnimmt?
({0})
Herr Kollege Hoffmann, ich muß Ihnen zugeben, daß Sie hier ein ernsthaftes Problem ansprechen.
({0})
Ich habe j a mit Ihnen schon einmal über dieses Problem gesprochen, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß ich über einen Vorgang im Haushaltsausschuß habe in Erfahrung bringen können, daß jedes Mitglied dieses Parlaments nach 12jähriger Parlamentszugehörigkeit in der Regel das Bundesverdienstkreuz bekommt.
({1})
Unter diesem Gesichtspunkt wäre die Frage zu stellen, ob - insbesondere auf der rechten Seite des Hohen Hauses - die Vorliebe für die Rotation bei den GRÜNEN vielleicht doch größer werden könnte. Das ist vielleicht ein neuer Gesichtspunkt, unter dem Sie diese Angelegenheit auch einmal sehen sollten.
({2})
Meine Damen und Herren, wir waren bei der parlamentarischen Kompetenz. Es ist ohnehin die Frage, wie es um die parlamentarische Kontrolle bei Haushaltsaufstellung und Haushaltsdurchführung bestellt ist. Deshalb möchte ich hier darauf noch kurz eingehen. Wenn ich mir die Debatten hier und die Debatten im Ausschuß in Erinnerung bringe, muß ich schon sagen, daß es unter dem Gesichtspunkt der Kontrolle an einigem fehlt. Daß Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, kaum jemals eine kritische Haltung gegenüber den von der Regierung vorgelegten Haushaltsplänen eingenommen haben, ist sicher nicht weiter verwunderlich. Wie sollten Sie auch anders? Es ist ja schließlich Ihre Regierung, und schon der pure Wille zur Machterhaltung bringt Kritik und eigenständige politische Ideen bei Ihnen in aller Regel zum Verstummen. Das kennen wir seit langem.
Die Intransigenz, mit der Sie mit Ihrer Mehrheit - ({3})
- Herr Kollege Hoffmann, Sie könnten vielleicht Ihren Kollegen bei der Übersetzung diese Begriffs Hilfestellung leisten; dann komme ich hier schneller voran.
Die Intransigenz, mit der Sie mit Ihrer Mehrheit auch die kleinsten und die sachbezogensten Änderungsanträge von uns vom Tisch fegen, diese Intransigenz haben wir erst gestern wieder gesehen,
({4})
als der Antrag der Kollegin Kelly und meiner Fraktion hier abgewiesen wurde.
({5})
Auch im Ausschuß ist das in den allermeisten Punkten so gewesen. Aber die Nibelungentreue zu denen, die in den Regierungsparteien das Sagen haben, und zu dem, was Sie für Ihr politisches Programm halten - dabei muß ich mich auch einmal
Kleinert ({6})
an die rechte Seite des Parlaments wenden, obwohl da die Aufmerksamkeit nicht allzu groß ist -, diese Nibelungentreue also verdeckt im Grunde genommen nur eine Schwäche, die dieses gesamte Parlament in diesen Haushaltsberatungen hoffnungslos hintanstellt.
({7})
Herr Kollege Walther, jetzt kommt ein ganz ernst gemeintes Argument: Die Ministerien sind es, die die Informationen haben, die wissen, was mit den eingestellten Geldern passiert und was nicht. Die Ministerien wissen, was sich hinter den Haushaltstiteln im einzelnen an Erläuterungen verbirgt. Oft kostet es allergrößte Mühe, in den Berichterstattergesprächen und in den Ausschußberatungen den Ministerien die Informationen aus der Nase zu ziehen. Das gilt nicht nur für uns, das gilt im Grunde auch für Sie, auch für die Abgeordneten aus den Koalitionsparteien, ob Sie das nun wahrhaben wollen oder nicht.
({8})
Den Vorteil haben allemal die Ministerien und die Beamten in den Ministerien. Es ist nach meiner Erfahrung de facto nur in ganz marginalen Ansätzen möglich, auch über den Haushaltsausschuß so etwas wie echte parlamentarische Kontrolle in diesem Bereich auszuüben.
({9})
Das ist vor allem der Tatsache zu verdanken, daß wir im Endeffekt nur einen Bruchteil selbst der Informationen, die wir bekommen können, für unsere Arbeit wirklich verwenden können, weil uns in jeder Hinsicht die Mittel fehlen, um die kaum zu überblickende Vielfalt von Einzelinformationen entsprechend zu verarbeiten.
Daß das Parlament hier so hoffnungslos ins Hintertreffen geraten ist, spüren natürlich die Oppositionsparteien am meisten, vielleicht am allermeisten jene, deren Kritikfähigkeit und politisches Herangehen nicht durch die Einschwörung auf die sogenannte Sachzwanglogik vernebelt sind.
({10})
- Ach, Herr Gerster, ich darf Sie begrüßen - guten Abend. - Vergleichen Sie einmal einen Bundeshaushalt von vor zehn Jahren mit einem Haushalt von heute, dann werden Sie feststellen, daß die Entwicklung seiner Transparenz mit der Aufblähung seines Inhalts in keiner Weise Schritt gehalten hat, daß das Gegenteil davon stimmt, daß wir eine Tendenz beobachten, daß aus den genannten Verwendungszwecken immer mehr Wichtiges und Wissenswertes verschwindet, daß es in Fußnoten und Sprechzettel abgedrängt wird und auch dort nur noch in Kürzeln vorkommt. Auch das ist ein Punkt, der hier heute abend einmal angesprochen werden sollte.
Jetzt noch ein Wort an die Adresse der SPD. Was belegt eigentlich das schlichte Abgehängtsein des Parlaments mehr als die Einlassung, die beispielsweise die Kollegin Traupe am Dienstag hier abgab, als sie meiner Einschätzung über den seit mehr als dreißig Jahren jeder parlamentarischen Kontrolle entzogenen Einzelplan 35 mit 1,7 Milliarden DM zwar zustimmte, trotzdem aber meinte, sie müsse diesem Einzelplan zustimmen. Ich fand das schon eine sehr merkwürdige Logik.
({11})
In diesen Zusammenhang gehört auch die vorhin schon erwähnte Einschränkung der parlamentarischen Kontrolle über die Etats der Geheimdienste. Das Schauspiel, das wir hier Anfang Januar wieder erleben werden, wenn Sie das Gremium für die Etatberatung der Geheimdienste neu wählen, gehört genauso in die Rubrik der parlamentarischen Selbstkastration wie die Nacht-und-Nebel-Aktion, die Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, im Ausschuß veranstaltet haben, als es darum ging, sich eigene Pfründe zu sichern, wie Ihr Verhalten bei den Globalzuschüssen.
Es muß hier auch darauf hingewiesen werden, daß die SPD dabei mitgespielt hat,
({12})
daß sie offensichtlich bisweilen so etwas mitmacht,
({13})
wenn es Ihnen und Ihren eigenen Interessen in den Kram paßt.
({14})
Herr Abgeordneter Kleinert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gerster ({0})?
Entschuldigung, Herr Kollege, ich habe noch drei Minuten Redezeit. Nach aller Erfahrung wird die Geschäftsordnung bei den GRÜNEN immer so ausgelegt, daß mir wenig zusätzliche Zeit zur Verfügung gestellt wird.
({0})
Herr Kollege, wir legen die Geschäftsordnung bei allen gleich aus.
({0})
Herr Präsident Jenninger, ich würde es nie wagen, Sie zu kritisieren. Ich möchte hier nur meinen Eindruck wiedergeben, daß ich - aus meiner sicherlich beschränkten Wahrnehmung heraus ({0})
hier nicht unbedingt mit Ihnen übereinstimmen kann.
Kleinert ({1})
In diesen Zusammenhang gehört auch noch - die Psychologie kennt dafür den Begriff der Kompensation -, daß Sie in den Ausschüssen um die wichtigen Fragen häufig einen Bogen machen, dafür aber bei Kleinigkeiten einen Tanz veranstalten, daß man meinen könnte, das Schicksal der Nation stünde auf dem Spiel. Wenn es nicht so ernst wäre, könnte ich mich heute abend nochmals darüber amüsieren, daß die SPD beispielsweise 50 000 DM bei den Orden für die Bundeswehroffiziere kürzen wollte, aber andererseits milliardenschweren Großprojekten ohne viel Federlesen zustimmte.
({2})
- Herr Kollege Hoffmann, Sie sind da eine rühmliche Ausnahme. Das will ich gerne zugeben. - Der Herr Kollege Weng von der FDP macht um ein paar Mark bei der Anfertigung von Paßbildern bei der Bundeswehr einen Tanz, als ginge es um den Frieden in der Welt, schweigt aber zu den milliardenschweren Großprojekten.
({3})
Die Frage ist, was bleibt. Ich habe noch zwei Minuten. Es ist zunächst ein Dreieinhalb-Kilo-Werk von der Regierung vorgelegt - viel Papier -, von den Abteilungen der Ministerien über das Jahr zusammengetragen, nach Fasson der Regierungspolitik zurechtgeschnitten, durch die Mehrheit des Parlaments ein wenig - ein ganz klein wenig - ergänzt. Das stellt die Weichen für einen großen Teil der Dinge, die sich auf dem Felde der Politik und in der Gesellschaft der Bundesrepublik im kommenden Jahr ereignen werden. Dieses Parlament wird dem Ganzen mit seiner Mehrheit heute und morgen seinen Segen geben. Daran kann man nicht zweifeln. Die wirklichen Kontroversen, der Streit um die politische Grundausrichtung, kamen hier kaum zum Ausdruck.
Ich glaube, meine Damen und Herren, daß es nicht zum Nutzen dieses Parlaments ist und daß es auch nicht zum Nutzen der Gesellschaft ist, wenn die wirklichen Grundprobleme in der Gesellschaft hier so wenig angesprochen werden.
({4})
Ich meine, daß durch die Verabschiedung dieses Bundeshaushalts diese Gesellschaft Schaden nehmen wird und daß die Bürger in diesem Lande Schaden nehmen werden.
Die Bürger werden die Auswirkungen dieses Bundeshaushalts zu tragen haben. Diese Auswirkungen sind: kosmetische Maßnahmen im Umweltschutz - keine Spur von einer effektiven Politik zur Beseitigung der entstandenen Schäden -, eine wirtschaftspolitische Subventions- und Förderungspolitik ohne Konzept für Krisenbranchen, eine Technologiepolitik, die die Wachstumspfade pflastert - ohne Rücksicht auf die Lebensbedingungen, ohne Rücksicht auf die Nöte der Menschen -, keine Ausdehnung des sozialen Netzes, sondern das Gegenteil: Hinnehmen einer neuen sozialen Armut, keine Lösung für die brennenden Fragen von Arbeitslosigkeit und Rentensicherung, statt dessen ein Rüstungshaushalt, der um 3,7 % steigt, statt dessen Verschwendung in vielen Bereichen, statt dessen eine Palette der Bereicherung der Reichen, damit sie noch reicher werden, Umverteilung von unten nach oben.
Meine Damen und Herren, wir werden diesen Haushalt ebenso wie das Haushaltsgesetz ablehnen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen aus dem Haushaltsausschuß! Sehr verehrte Gäste! Der Kollege Kleinert hat hier deutlich gemacht, daß er mit einer ganzen Menge Erfahrungen ins Privatleben gehen wird, wenn er im nächsten Jahr rotiert. Wir haben nur eine Bitte an ihn. Er sollte vielleicht den Nachrükkern, die in den Haushaltsausschuß kommen, eines klarmachen, was er selbst vielleicht doch noch nicht begriffen hat: daß die Hoffnung, die er ins Bundesverfassungsgericht setzt, spätestens dann unsinnig ist, wenn er durch ständiges Streichen der Mittel für dieses Gericht die Richter dort aushungert. Dann stirbt auch diese Hoffnung.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kleinert?
({0})
An dieser Stelle gerne. Ich weise allerdings darauf hin, daß ich eine sehr kurze Rede vorbereitet habe. Wenn die Kolleginnen und Kollegen schon nach Hause gehen wollen, bin ich gerne bereit, am Schluß zuzuschließen.
Herr Kollege Weng, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Fraktion der GRÜNEN dem Einzelplan 19 als einzigem Einzelplan bei der zweiten Lesung ihre Zustimmung gegeben hat?
Das war nicht der Fall, Herr Kollege Kleinert. Aber ich vermute, Sie waren nicht da, wie auch aufgefallen ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, daß der Kollege Kleinert bei einer Sache von Nacht und Nebel gesprochen hat, die morgens um 10 Uhr stattfand.
({0})
Gott sei Dank gibt dieses Hohe Haus auch Individualisten noch Raum.
Dieses Hohe Haus ist aufgefordert, über einen Haushaltsentwurf für das Jahr 1985 in zweiter Lesung zu entscheiden, der gegenüber dem Soll von 1984 eine Steigerung von 0,9 % auf 259,3 Milliarden DM aufweist. Die Steigerung beträgt gegenüber
dem zu erwartenden Ist für 1984 zirka 2 %. Dies bedeutet, daß wir den Haushaltsablauf sehr sorgfältig werden begleiten müssen, damit die Haushaltsdisziplin erhalten bleibt. Der Haushaltsausschuß hat auf Anregung der Haushaltsgruppe der Koalition hierzu einige Riegel eingebaut.
Wir haben dem Finanzminister in der Frage der Beanspruchung von Verpflichtungsermächtigungen für das Jahr 1985 ein zusätzliches Kontrollrecht gegeben.
Dazu kommt - ich sage dies insbesondere in Richtung auf die Ministerien -, daß wir mit großer Sorgfalt den Abfluß der Mittel kontrollieren werden, um das sogenannte November-Dezember-Fieber, d. h. das krampfhafte Ausgeben noch vorhandener Mittel zum Jahresschluß, im Jahre 1985 entfallen zu lassen. Haushaltsreste werden gespart.
Rund 0,9 Milliarden DM liegt der Haushaltsansatz unter dem Betrag der Regierungsvorlage, d. h. die Mehrheit des Ausschusses - also im Normalfall die verantwortliche Mehrheit der Haushaltsgruppe der Koalition - hat per Saldo weitere Einsparungen erreicht, obwohl wir auch an mancher Stelle aus politisch guten Gründen Aufstockungen vorgenommen haben; ich darf nur, und dies erneut, an die sehr wichtige Förderung des Mittelstandes erinnern. Wir wissen daß der Haushalt eine Reihe von Zukunftsrisiken beinhaltet, daß die Konsolidierung noch lange nicht am Ende ist und daß wir Disziplin fordern müssen, wenn wir das erklärte Ziel der Koalition - entsprechend den Forderungen des Wahlergebnisses vom März 1983 - weiterhin anstreben wollen.
({1})
Ich appelliere, liebe Kolleginnen und Kollegen, hierbei dringend an die Kollegen aus den Fachausschüssen, die ja vereinzelt noch anwesend sind, ihre Begehrlichkeit, die schon in diesem Jahr an vielen Stellen aufflackerte, zu dämpfen. Wir sind uns im Haushaltsausschuß natürlich darüber im klaren, daß es für Sie, die Kollegen, sehr viel angenehmer wäre, draußen im Wahlkreis bei der Bevölkerung einen Haushalt zu vertreten, der nicht restriktiv geführt ist. Wir sind uns der Tatsache bewußt, daß natürlich die Bereitschaft der Bürger zur Sparsamkeit immer da ein wenig geringer wird, wo es um den eigenen Bereich geht. Ich sage ganz offen: Es ist eine meiner ersten Erfahrungen, daß ich die Kollegen eigentlich ein wenig beneide, die zwischen 1969 und 1982 - zu Zeiten hohen Wirtschaftswachstums und dann anschließend bei immer höherer Staatsverschuldung - eine Politik fröhlichen Ausgebens betrieben haben. Welche Interessengruppierung, welcher Verband, welcher Zuwendungsempfänger ist nicht erfreut, wenn er aus dem Gespräch mit einem Abgeordneten die Zusage mitnimmt, daß die Zuschüsse erhöht werden oder doch zumindest für das Folgejahr eine Erhöhung in Aussicht gestellt werden kann?
Stabilitätspolitik, d. h. geringe Preissteigerungen, bedeuten auch geringere Steuereinnahmen. Die
Steuerschätzungen zeigen ja deshalb in einem gewissen Trend nach unten. Die Kosten für die Europäische Gemeinschaft werden steigen, die Risiken für den Haushalt im Rentenbereich ebenso wie auf dem Arbeitslosensektor sind niemals genau vorauszuberechnen. Dazu kommt, daß - von uns allen gewünscht - das Steuerentlastungspaket in künftigen Haushalten für Mindereinnahmen sorgen wird. Dies ist notwendig, wenn wir mehr Steuergerechtigkeit ebenso erreichen wollen wie eine Besserstellung der Familien, auch der Alleinerziehenden gegenüber kinderlosen Berufstätigen.
({2})
- Ich bedanke mich für den Zuruf, Frau Kollegin Hamm-Brücher. „Sehr gut" aus Ihrem Munde klingt für mich besonders erfreulich.
So haben wir zwar für diese Runde der Haushaltsberatungen unsere Pflicht erfüllt. Aber die Pflichterfüllung in diesem Politikbereich ist eine Daueraufgabe. Sie wird fortgesetzt werden.
Ich schließe mit einem Zitat der „Süddeutschen Zeitung" vom 27. November, das aus meiner Sicht eine Aufforderung, auch des Deutschen Bundestages, an unseren Finanzminister, Herrn Stoltenberg, bedeuten muß, der hier - malerisch umrahmt von seinen zwei Parlamentarischen Staatssekretären - bis zuletzt ausgehalten hat:
Wenn der Finanzminister es fertigbrächte, bald ein Konzept für den Subventionsabbau und die Entzerrung der Steuerbelastung vorzulegen, dann könnte er des Erfolges der Etatdisziplin noch sicherer sein.
Ich wünsche Ihnen allen eine gute Nacht.
({3})
Herr Kollege Weng, wir sind mit der Tagesordnung leider noch nicht zu Ende.
Das Wort hat der Abgeordnete Strube.
({0})
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mein Kollege von Hammerstein ging insbesondere auf die drei wichtigsten Änderungen im Haushaltsgesetz 1985 gegenüber dem Vorjahr ein. Da aber das Haushaltsgesetz sozusagen eine Kurzfassung der 27 Einzelpläne darstellt, einen Extrakt unserer wirtschafts-, finanz- und haushaltspolitischen Vorstellungen, erscheint es mir notwendig und in der Sache gerechtfertigt, am Ende der zweiten Lesung abschließend nochmals auf die Erfolge unserer seit 1982 konsequent durchgeführten Konsolidierungspolitik einzugehen.
In den zwei Jahren seit 1982 haben wir die Weichen in die richtige Richtung gestellt.
({0})
Wir haben wieder positive Wachstumsraten, und das Realeinkommen breiter Bevölkerungsschichten nimmt nach Jahren des Stillstands und des Rückgangs wieder zu. Wir haben ein Maß an Preisstabilität, wie es während der gesamten Regierungszeit der vorangegangenen Koalition nicht erreicht wurde. Der Staatsanteil geht schrittweise zurück, und die Neuverschuldung nimmt ab. Für 1985 erwarten wir eine Neuverschuldung, die unter 25 Milliarden DM liegt. Die volkswirtschaftliche Investitionsquote hat wieder zugenommen. Die Exporterfolge unterstreichen die Verbesserung unserer internationalen Wettbewerbsfähigkeit, auch auf Grund moderater Lohnabschlüsse. Die Grundlagen der sozialen Sicherungssysteme sind trotz weiterbestehender Probleme wieder stabiler.
({1})
Dies beweist anschaulich, wie wichtig es für die Gesundung unserer Volkswirtschaft ist, daß die Finanzen der öffentlichen Haushalte wieder unter Kontrolle sind.
({2})
Das in der Vergangenheit verlorengegangene Vertrauen in unser Wirtschaftssystem ist zurückgekehrt. Konsolidierung bedeutet also nicht, wie Sie, meine Kollegen von der SPD, uns in den letzten drei Tagen permanent einzureden versuchten, mehr Armut, nein, Konsolidierung bedeutet mehr Wohlstand für alle.
({3})
Sicher, es sind noch nicht alle Probleme, die Sie uns hinterlassen haben, gelöst. Noch ist das Ziel eines dauerhaften Wiedererstarkens der Gesamtkonstitution unserer Volkswirtschaft nicht auf allen Gebieten erreicht.
Herr Abgeordneter Strube, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Kirschner?
Nein, ich möchte jetzt zu Ende kommen und möchte meine Ausführungen im Zusammenhang vortragen.
Meine Damen und Herren, es geht um drei Dinge. Erstens: Die Staatsquote muß weiter gesenkt werden. Überall dort muß sich der Staat aus der Wirtschaft zurückziehen, wo er die Marktkräfte behindert, und gleichzeitig muß er dort seine Stärke entfalten, wo seine eigentlichen Aufgaben liegen.
Zweitens: Voraussetzung für eine Senkung der Staatsquote ist jedoch eine dauerhafte Begrenzung des Ausgabenzuwachses unter dem Wachstum des Bruttosozialproduktes.
({0})
Dies ist uns 1983, 1984 und 1985 mit Erfolg gelungen, im Gegensatz zu Ihnen, Herr Roth. Ziel wird es sein, daß dies auch 1986 gelingt.
Drittens: Dieses Ziel erfordert auch in Zukunft ein Höchstmaß an haushaltspolitischer Disziplin. Sie läßt sich nur entfalten, wenn die politische Kraft zur Bestimmung von Prioritäten vorhanden ist. Die Koalition hat gezeigt, daß sie diese Kraft besitzt.
({1})
Herr Abgeordneter, ich muß Sie darauf hinweisen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist. Bitte kommen Sie zum Schluß.
Ich komme zum Schluß, Herr Präsident. Zu Beginn des nächsten Jahres wird der Bundesminister der Finanzen den Gesetzentwurf zu einer Reform des Einkommensteuertarifs vorlegen.
Das alles macht den Weg aus, der nach und nach wieder jenes notwendige Vertrauen in die Zukunft unseres Landes entstehen läßt, das Sie in den knapp eineinhalb Jahrzehnten zwischen dem Ende der 60er Jahre und dem Neubeginn im Herbst 1982 restlos zerstörten. Wir stimmen deshalb dem Haushaltsgesetz 1985 zu.
({0})
Das Wort hat der Bundesminister der Finanzen Dr. Stoltenberg.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bedeutung des Haushaltsgesetzes und der Diskussionsbeiträge rechtfertigen es, daß ich noch kurz für die Bundesregierung zu einigen Punkten Stellung nehme. Ich möchte mich auf die zwei Themen beschränken, die von allen Rednern angesprochen wurden.
Es ist richtig, daß die erwähnte Regelung bei den Verpflichtungsermächtigungen neu für den Bundeshaushalt ist und deswegen nach dem Beschluß des Haushaltsausschusses auch schon eine weite öffentliche Beachtung in der Publizistik gefunden hat. Ich möchte allerdings hinzufügen: Diese Regelung ist in fast allen Bundesländern bewährt. Sie steht in den Haushaltsordnungen der meisten Bundesländer. Insofern kann man bei dieser Diskussion auch die dort gemachten Erfahrungen einbeziehen.
({0})
Soweit die Wahrnehmung von Verpflichtungsermächtigungen nicht in die Zuständigkeit des Haushaltsausschusses fällt, ist also die Zustimmung des Bundesministers der Finanzen ausdrücklich notwendig.
({1})
- Wissen Sie, wenn es nach den Wiederholungen ginge, Herr Kollege Kleinert, dann hätte Ihre Rede nur ein Viertel der Redezeit in Anspruch genommen.
({2})
Ich hebe diesen Punkt wegen der besonderen Bedeutung noch einmal hervor. Ich stelle hier einen
Bezug mit den Bundesländern her, der doch für die Beleuchtung des Themas nicht ohne Bedeutung ist.
Der unmittelbare Anlaß war in der Tat das vorübergehende Zurückbleiben der Steuereinnahmen, aber - ich unterstreiche, was hier gesagt wurde - auch die Einsicht, daß wir zu viele neue Anforderungen für die Jahre 1986 und 1987 haben. Insofern begrüße ich, daß wir jetzt ein Element der Korrektur verwenden können. Natürlich bedeutet das für den Bundesminister der Finanzen ein Mehr an Arbeit und an Verantwortung.
({3})
- Ein Mehr an Arbeit und Verantwortung, Herr Kollege Vogel.
Wir werden diese Aufgabe mit Augenmaß wahrnehmen, aber wir werden diese Ermächtigung auch nutzen, .. .
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Westphal?
.. . um sicherzustellen, daß der Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung in den kommenden Jahren eingehalten werden kann.
Bitte sehr.
Herr Minister, haben Sie diese Einschränkung der Freiheit der einzelnen Ressortminister mit Ihren Kollegen im Kabinett besprochen, und was haben die dazu gesagt?
({0})
Herr Kollege Westphal, wie Ihnen Ihre Kollegen aus dem Haushaltsausschuß sagen können, ist das eine Initiative des Haushaltsausschusses und nicht der Bundesregierung.
({0})
Unser Amtsverständnis ist, daß wir Entscheidungen des souveränen Parlaments und seiner Ausschüsse immer ernst nehmen und respektieren.
({1})
Aber ich würdige diese Entscheidung ausdrücklich positiv. Ich will das noch einmal bekräftigen, wenn daran ein Zweifel besteht.
Wir müssen den gesetzten Rahmen auch in der mittelfristigen Finanzplanung einhalten. Wir müssen den Weg der Konsolidierung fortsetzen. Da wir die Steuerquote nicht erhöhen wollen, bleibt nach der Logik der finanzwirtschaftlichen Zusammenhänge nur, auch in der zweiten Hälfte der Wahlperiode, in der es nicht einfacher, sondern schwieriger wird, Ausgabendisziplin durchzusetzen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß diese Einschätzung auch für die anderen Mitglieder der Bundesregierung gilt. Daß es hier und da in der Verwaltung eine leichte Unruhe gibt, kann ich auch registrieren. Aber eine solche Unruhe kann ja auch viele an die strengen Grundsätze der Haushaltsdisziplin und die klare politische Absicht der Koalition, sie durchzuhalten, erneut erinnern.
Im übrigen, Herr Kollege Sieler: Nach unseren Unterlagen ist es nicht so, daß wir bisher Verpflichtungsermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden DM eingegangen sind. Wir schätzen die Größenordnung auf 70 Milliarden DM, die bereits an Vorbelastungen für künftige Haushalte entstanden ist. Die Verpflichtungsermächtigungen jetzt im Regierungsentwurf belaufen sich auf rund 55,5 Milliarden DM. Davon sind über 16 Milliarden DM für das nächste Jahr vorgesehen. Der Rahmen geht weit über das Jahr 1989 hinaus.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, trotz der späten Stunde und des verständlichen Wunsches nach Schluß der Debatte einige Sätze zu dem Thema „Haushaltsgesetz und Rentenversicherung" hinzufügen. Die hier vorgesehene Liquiditätsgarantie ist eine zeitweise, eine vorübergehenden Abweichung von der Reichsversicherungsordnung. Dem strengen Wortlaut der Reichsversicherungsordnung gemäß hätte die Rentenversicherung zunächst ihre Vermögenswerte veräußern und beleihen müssen. Wir halten das aus Gründen, die in der fachlichen Diskussion bekannt sind - die Schwierigkeit, Vermögenswerte kurzfristig zu einem angemessenen Preis zu veräußern, ist einer der Gründe -, in der jetzigen Situation nicht für sinnvoll.
Diese Bundesgarantie, die zeitweise befristet ist - sie umfaßt die Möglichkeit, worauf der Kollege von Hammerstein hingewiesen hat, sie erforderlichenfalls ein Jahr oder zwei Jahre zu verlängern -, die den Bundeszuschuß sinnvoll ersetzt, ist nichts, was Alarm oder Panik auszulösen braucht. Es ist vollkommen abwegig, gerade auf der Basis der hier zu entscheidenden vorgesehenen temporären Garantie des Bundeshaushalts von „Renten auf Pump" zu reden. Der Bundeszuschuß, den wir voll und uneingeschränkt zur Verfügung stellen - unsere sozialdemokratischen Vorgänger haben ihn massiv gekürzt, meine Damen und Herren -, kann dadurch sinnvoll temporär ersetzt werden.
({2})
- Das war trotzdem keine so gute Entscheidung, Herr Kollege Matthöfer, vor allem, wenn ich mir die Reden von Frau Fuchs und anderen in Erinnerung rufe. Das paßt ja alles gar nicht mehr zusammen. Deswegen erinnere ich daran.
Eine Bundesgarantie kann temporär eine sinnvolle Ergänzung sein. Dabei handelt es sich auch im ungünstigsten Fall um eine Liquiditätshilfe von wenigen Tagen, von wenigen Wochen. Auch bei einer vorsichtigen Einschätzung des Ablaufs des nächsten Jahres ist sicher damit zu rechnen, daß gegen Ende nächsten Jahres die Rechnung stimmt, d. h. daß die Rentenversicherung über die vorgesehene Mindesrücklage verfügt.
({3})
Die Tatsache, daß der Bund außerhalb der regulären Verpflichtung eine solche Garantie übernimmt, ist ein Ausdruck der besonderen Verantwortung gegenüber den Rentnern und nicht mit der irreführenden törichten Formel von der „Rente auf Pump" zu beschreiben.
({4})
Meine Damen und Herren, wir alle wissen, daß in der kommenden Wahlperiode die große Reformaufgabe einer Neuordnung der Rentenversicherung vor Bundestag und Bundesrat liegt, die dann unter den ganz veränderten und schwierigeren Bedingungen der demographischen Situation der 90er Jahre und des nächsten Jahrhunderts den Generationenvertrag wieder verläßlich macht.
Im übrigen hat der Präsident der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, Herr Hoffmann, heute in einem Interview von einem Auszehrungsprozeß der Rentenversicherung im vergangenen Jahrzehnt gesprochen. Ich will das nur zu einigen Ihrer polemischen Bemerkungen hinzufügen.
Ich rate in dieser Debatte über die aktuellen Probleme der Rentenversicherung allen zu einer maßvollen und verantwortungsbewußten Diskussion.
({5})
Das, was vor den gesetzgebenden Körperschaften an Aufgaben und Entscheidungen in der kommenden Wahlperiode steht, ist eine noch größere Herausforderung als das, was wir jetzt zu meistern haben.
Meine Damen und Herren der Sozialdemokratie, weil Sie doch als große Partei die Erwartung und
Hoffnung, in späteren Zeiten einmal selbst wieder verantwortlich diese Politik mitgestalten zu können, nicht aufgeben werden, empfehle ich Ihnen, heute so zu reden, daß spätere Einlassungen, Vorlagen und Entscheidungen auch einmal daran gemessen werden können.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Einzelberatung und zur Abstimmung. Ich rufe die §§ 1 bis 32 und den Gesamtplan, Einleitung und Überschrift, in der Ausschußfassung auf. Wer den aufgerufenen Vorschriften zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Enthaltungen? - Die aufgerufenen Vorschriften sind angenommen.
Damit ist die zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 ({0}) abgeschlossen.
Wir sind damit am Schluß unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Freitag, den 30. November 1984, 9 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.