Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 11/27/1984

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die Sitzung ist eröffnet. Vor Eintritt in die Tagesordnung darf ich mitteilen, daß heute der Abgeordnete Dr. Oldenstädt seinen 60. Geburtstag feiert. ({0}) Ich darf ihm im Namen des ganzen Hauses unsere besten Wünsche übermitteln. Der Abgeordnete Graf Stauffenberg hat am 20. November 1984 auf die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet. Als sein Nachfolger hat am selben Tag der Abgeordnete Wittmann ({1}) die Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag erworben. Ich danke dem ausgeschiedenen Abgeordneten Graf Stauffenberg für seine Tätigkeit in unserem Hohen Hause und darf seinen Nachfolger, den neuen Kollegen, sehr herzlich begrüßen und wünsche eine gute Zusammenarbeit. ({2}) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die verbundene Tagesordnung erweitert werden um die zweite und dritte Beratung des Gesetzentwurfs zur Änderung des Gesetzes über die Entschädigung von Gewalttaten - Drucksachen 10/2401, 10/2492 - sowie die erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Ergänzungsabgabegesetzes - Drucksache 10/2460. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt I der Tagesordnung auf: Zweite Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 1985 ({3}) - Drucksachen 10/1800, 10/2250 Beschlußempfehlungen und Bericht des Haushaltsausschusses ({4}) Wir kommen zur Beratung der Einzelpläne. Ich rufe auf: Einzelplan 01 Bundespräsident und Bundespräsidialamt - Drucksachen 10/2301, 10/2330 - Berichterstatter: Abgeordnete Roth ({5}) Kleinert ({6}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 01 - Bundespräsident und Bundespräsidialamt - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 01 ist bei einigen Enthaltungen angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 02 Deutscher Bundestag - Drucksachen 10/2302, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Carstens ({7}) Frau Seiler-Albring Kleinert ({8}) Hierzu liegt Ihnen ein Änderungsantrag des Abgeordneten Kleinert ({9}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2493 vor. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist für die Aussprache ein Beitrag von bis zu zehn Minuten für jede Fraktion vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Esters.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es gehört zu den guten Traditionen dieses Hauses, daß der Haushalt des Deutschen Bundestages unabhängig von den jeweiligen Mehrheitsverhältnissen von allen Fraktionen getragen wird. In dem Willen, sich zu verständigen und die Arbeitsmöglichkeiten auch des politischen Gegners in einem bestmöglichen Maß zu achten und zu sichern, drückt sich eine Gemeinsamkeit freigewählter Ab7498 geordneter aus, die zugleich die Grundlage einer parlamentarischen Demokratie ist. ({0}) Wir sollten diese Gemeinsamkeit gegenüber den notwendigen kontroversen Auseinandersetzungen, die an diesem Ort geführt werden, deutlich herausstellen. Auch in diesem Jahr, bei den Beratungen zum Bundeshaushalt 1985, sind die Ihnen vorliegenden Beschlußempfehlungen des Haushaltsausschusses auch unter den Berichterstattern der Fraktionen einvernehmlich gefaßt worden. Der Einzelplan des Deutschen Bundestages spiegelt das Bestreben wider, die Anstöße und Wünsche, die in der Selbstverständnisdebatte des Deutschen Bundestages am 20. September dieses Jahres vorgetragen worden sind, umzusetzen, soweit die Voraussetzungen dazu bereits gegeben sind. Dazu gehört, daß die räumlichen und technischen Arbeitsmöglichkeiten der Abgeordneten, die weit unter der Ausstattung liegen, die in der freien Wirtschaft, aber auch bei manchen Behörden üblich sind, verbessert werden können. ({1}) Diese Verbesserungen - ich sage das auch ganz bewußt - werden mit der Sparsamkeit vorgenommen, die der Deutsche Bundestag schon immer gegen sich selbst beobachtet hat. Die personelle Unterstützung, die der Abgeordnete gegenüber der vielköpfigen Bürokratie braucht, um seine Kontroll- und Gestaltungsfunktionen überhaupt wahrnehmen zu können, die er aber auch braucht, um die immer anspruchsvolleren Anforderungen seiner Wähler und seiner Parteiorganisationen zu bewältigen, wird im nächsten Jahr dadurch verbessert werden, daß eine zusätzliche Halbtagskraft eingestellt werden kann. ({2}) Diese Maßnahme dient aber auch dazu, das Ausstattungsgefälle zwischen den prinzipiell gleichberechtigten Abgeordneten zu mildern. Manche sprechen - nicht zu Unrecht - von einem Klassensystem unter den Abgeordneten. ({3}) Ich kann nur davor warnen, den Satz, daß einige eben gleicher sind als andere, im Parlament hinzunehmen, weil er nicht nur der grundgesetzlichen Stellung der Abgeordneten selbst widerspricht, sondern auch - faktisch viel schlimmer - in einem halbhierarchischen Gefüge die Initiativen und Vielseitigkeiten, die die 518 Mitglieder des Deutschen Bundestages gewährleisten können, durch ein Gefühl von Vergeblichkeit lähmt. Die angemessene Entschädigung des Abgeordneten ist ein Eckstein seiner Unabhängigkeit und eine Gewährleistung dafür, daß in einer pluralistischen Demokratie alle Strömungen und Schichten des Volkes im Parlament vertreten sind. Sosehr sich das Mandat des Abgeordneten von seinem Grund und seinen konkreten Anforderungen her von beruflichen Tätigkeiten unterscheidet, so sehr muß sich die Entschädigung in einer sozialen Demokratie an der allgemeinen Einkommensentwicklung orientieren. ({4}) Der Präsident des Deutschen Bundestages ist gesetzlich verpflichtet, jährlich auf der Grundlage der öffentlich bekannten Kriterien einen Vorschlag für die Entschädigung vorzulegen. Der Vorgänger des im Amt befindlichen Präsidenten, der Kollege Dr. Barzel, hat dies pflichtgemäß getan. Der Haushaltsausschuß hat daraufhin beschlossen, die entsprechenden Mittel einzustellen. Die Entscheidung über die Anpassung selbst fällt in einem eigenen Gesetzgebungsverfahren und wird dabei öffentlich erörtert werden. Die Beratung des Einzelplans des Deutschen Bundestages ist dazu nicht der geeignete Zeitpunkt. ({5}) Die Gemeinsamkeit der Abgeordneten, von der ich eingangs gesprochen habe, gilt auch für unsere Bemühungen, das Ansehen des Deutschen Bundestages in der Öffentlichkeit zu verbessern. Ein schwaches Parlament nützt niemandem. So muß die Anstrengung, die der Deutsche Bundestag von sich aus unternimmt, auch auf ein Mindestmaß an gutem Willen auf seiten der Öffentlichkeit, insbesondere der Medien, stoßen. Die Journalisten haben es ihrerseits nicht leicht, in die vielgestaltigen Probleme einer modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft einzudringen, und vernachlässigen von dorther die subtile und harte Detailarbeit, die das Parlament in den intensiven Beratungen der Ausschüsse, der Kommissionen und Gremien flächendeckend vollziehen muß, soll es nicht parlamentsfreie Räume geben. Der Teufel steckt bekanntlich im Detail, und die große politische Attitüde, die leicht faßbar und medienwirksam ist, genügt nicht. ({6}) Der Deutsche Bundestag hat deshalb seinem Auftrag entsprechend zu den großen, bewegenden Problemen der Gesellschaft Enquete-Kommissionen eingesetzt und bedient sich dabei des Sachverstandes im Lande. Die Ansätze im Haushalt 1985 tragen diesen Notwendigkeiten Rechnung. Aber auch die Auseinandersetzungen über mögliches Fehlverhalten der Regierung, der Parteien oder der Abgeordneten selbst finden, wie sich das gehört, im Parlament statt. Sie sind ein schlagender Beweis seiner Funktionskraft, Integrität und demokratischen Unbestechlichkeit. Niemand wird die Kollegen beneiden, die in Untersuchungsausschüssen - wie jetzt dem 1. Untersuchungsausschuß - eine ebenso undankbare wie verantwortungsvolle Aufgabe mit Gewissenhaftigkeit und beispiellosem Fleiß wahrnehmen. ({7}) Diese Kollegen handeln gemeinsam im Auftrage des Deutschen Bundestages. Ich zögere deshalb nicht, es als eine Ungeheuerlichkeit zu bezeichnen, wenn ein Kollege - wie auf dem Münchner Bezirksparteitag der CSU geschehen - den Untersuchungsausschuß dem Freislerschen Volksgerichtshof gleichstellt. ({8}) Das sind Töne, die die parlamentarische Gemeinsamkeit, von der ich gesprochen habe, sprengen können. Mit dem Untersuchungsausschuß wird direkt der Deutsche Bundestag selbst diffamiert. ({9}) Gleiches gilt übrigens für die Äußerung eines Bundesratsmitgliedes, der das Verfahren vor dem Untersuchungsausschuß mit einem Schauprozeß verglichen hat. Das Ansehen des Deutschen Bundestages wird dadurch schwer beeinträchtigt, und alle unsere Bemühungen, auf die wir uns in der Selbstverständnisdebatte gemeinsam verpflichtet haben, drohen zunichte zu werden. Der Vorsitzende meiner Fraktion, Herr Dr. Vogel, hat den Präsidenten des Deutschen Bundestages nach den jüngsten Ereignissen aufgefordert - ich zitiere -, „die notwendigen Schritte zur Wahrung des Ansehens des Parlaments und zur Sicherung der ungestörten Arbeitsfähigkeit seines 1. Untersuchungsausschusses zu unternehmen". Ich bitte deshalb den Präsidenten des Deutschen Bundestages, der in seiner Person die Einheit des Parlaments repräsentiert, sehr herzlich darum, die Kollegen des Ausschusses und damit uns alle selbst öffentlich in Schutz zu nehmen. ({10}) Die Selbstachtung dieses Bundestages gebietet das. ({11})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Carstens ({0}).

Manfred Carstens (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000322, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Kollege Esters hat seine Ausführungen mit Worten zum Selbstverständnis dieses Parlamentes begonnen, mit Worten über die Debatte, die wir zu diesem Thema geführt haben, und mit Worten über die ersten Auswirkungen dieser Debatte, die sich jetzt zum Teil im Haushalt 1985 niederschlagen. Diesen Ausführungen kann man aus der Sicht der CDU/ CSU überwiegend oder ganz zustimmen. Ich finde es gut, daß man dies zum Bereich des Deutschen Bundestags hier im Plenum sagen kann. Es scheint mir, meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ein guter Start dieser viertägigen Haushaltsdebatte zu sein, wenn die Opposition schon bei dem ersten angesprochenen Punkt mit uns übereinstimmt. ({0}) So haben wir es bei den Problemen dieses Hauses aber auch immer gehalten: Wir diskutieren, wir debattieren, wir sprechen uns aus, wir tauschen uns aus, um dann nach Möglichkeit einvernehmlich zu entscheiden. Aber es wäre auch gut - das möchte ich hinzufügen -, wenn die nächsten Tage der Haushaltsdebatte die Übereinstimmung der SPD auch mit unserer Haushalts- und Finanzpolitik brächten; denn diese ist ja nach Meinung des Sachverständigenrats sehr in Ordnung, wie wir lesen konnten. Das freut uns besonders. ({1}) Meine verehrten Damen und Herren, gar nicht übereinstimmen kann ich allerdings mit Herrn Esters, wenn er Kollegen, die dem Bundestag angehören oder angehörten, mit Vorwürfen - wenn auch versteckten Vorwürfen - belegt, die so jedenfalls nicht unwidersprochen bleiben können. ({2}) Ihren allgemeinen Appell möchte ich unterstreichen. Aber wie so oft wird auch in diesem Fall so vorgegangen, daß das, was paßt, was man in den Vordergrund stellen möchte, gesagt wird, um nach Möglichkeit den Eindruck zu erwecken, den man erwecken möchte. Das andere wird weggelassen. Herr Kollege Esters, Sie haben z. B. auf den Bezirksparteitag der CSU München abgehoben. ({3}) Sie berichteten von den dortigen Äußerungen eines Kollegen von uns, die ich gar nicht bestreiten will. Aber dann fügen Sie doch bitte hinzu, daß der Parteivorsitzende Kiesl unverzüglich, noch auf dem Parteitag, klar und eindeutig reagiert hat, und zwar unter dem Beifall der Parteitagsdelegierten. ({4}) Es ist nicht fair, das eine ohne das andere öffentlich zu diskutieren. Oder nehmen wir Ihre Äußerung zu einem Bundesratsmitglied, wie Sie gesagt haben. Mir ist es schon klar, daß es der SPD nicht gefällt, wenn Franz Josef Strauß unmißverständlich feststellt, daß die Steuervergünstigungen für Flick von einer SPD-geführten Regierung und nicht von der jetzigen Regierung gewährt wurden. ({5}) Trotzdem muß man doch sachlich werten können. Meinen Sie von der SPD etwa, daß die Kritik von Franz Josef Strauß an Art und Inhalt der Fragestellung des Herrn Schily im Flick-Untersuchungsausschuß nicht berechtigt ist? ({6}) Carstens ({7}) Haben Sie etwa den Eindruck, es ginge Herrn Schily um Aufklärung und Wahrheitsfindung? ({8}) Bei seinen Auftritten auch im Fernsehen hat man eher den Eindruck, daß es ihm an Stelle von Aufklärung um reine Agitation geht. ({9}) Bedauerlicherweise - ich muß das feststellen - wird er im Untersuchungsausschuß von der SPD weitgehend gestützt. Nach allem, was ich von unseren Kollegen höre, stützt die SPD ihn weitgehend. ({10}) Die SPD möchte wohl zu gern von den außerordentlich hohen anonym gebliebenen und nicht gemeldeten Spenden aus Gewerkschaftskreisen und Industrie 1976 und 1980 ablenken sowie von der Tatsache, daß an die SPD - an einzelne Mitglieder, an die der SPD nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung - gerade zu der Zeit, als über Milliardenentlastungen entschieden wurde, Millionen an Spenden gekommen sind. Aber, wie gesagt, ich möchte das hier nicht weiter ausdehnen. Ich möchte die Angriffe aber zurückweisen. Wenn schon, dann gehört alles auf den Tisch, und nicht nur das, was einem gerade paßt. Das möchte ich hier nachgeholt haben. ({11}) Ich habe eingangs bereits gesagt, daß es große Übereinstimmung bei den Fragen gibt, wie wir hier unsere Arbeit gestalten wollen. Es freut mich sehr, daß der Kollege Esters gerade auch die Probleme der Abgeordneten angesprochen hat, die keinen Stab von Mitarbeitern um sich haben, die - auch in kleinen Dingen - eine schwierige Arbeit zu leisten haben. Dieser Tatsache wollen wir uns in besonderer Weise annehmen. Ich glaube, daß wir da auch wieder mit Einvernehmen entscheiden können. Als letztes möchte ich noch auf den Punkt zurückkommen, den auch Kollege Esters angesprochen hat, d. h. auf die Abgeordnetenfrage, auf das Abgeordnetengesetz und auf die Beträge, die wir aus haushaltsrechtlichen und technischen Gründen in den Haushalt 1985 ohne Gegenstimme eingestellt haben. Zu dem Antrag der GRÜNEN möchte ich sagen, daß unsere Fraktion diesen Antrag ebenfalls ablehnen wird. In der Tat ist es so - Herr Kollege Esters, Sie haben es gesagt -, daß über die Frage der Diäten nicht heute zu entscheiden ist. Das wissen auch die GRÜNEN, nicht wahr, Herr Kollege Kleinert. ({12}) Aber das hindert sie nicht, den Eindruck zu erwekken, als wäre es anders. Das Abgeordnetengesetz schreibt das notwendige Verfahren in Einzelheiten vor. Da gibt es keine Geheimnisse und keine Tricks. Das Gesetz sieht einen Bericht des Bundestagspräsidenten vor, über den abgestimmt werden muß. Er ist mittlerweile ordnungsgemäß vorgelegt worden. Unsere Fraktion und auch die Fraktion der FDP haben darüber befunden. Die SPD-Fraktion hat uns am 7. Juni 1984 durch ihren Vorsitzenden hierzu schriftlich wissen lassen, daß nach ihrem Beschluß eine Entscheidung über die Anpassung der Diäten unter Beachtung der Grundsätze des Abgeordnetengesetzes nach Abschluß der Tarifrunden dieses Jahres im Herbst 1984 getroffen werden sollte und sie es begrüße, wenn im Sinne ihres Beschlusses im Parlament eine breite Zustimmung erzielt werden könne. Es ist wohl folgerichtig, davon auszugehen, meine Damen und Herren, daß die SPD-Fraktion nunmehr im Sinne ihres Briefes initiativ werden wird, damit diese Frage in aller Öffentlichkeit, Klarheit und Ruhe entschieden werden kann, so wie es das Gesetz vorsieht, ohne Geheimnistuerei, ohne irgend etwas zurückzuhalten. Das muß hier im Deutschen Bundestag vor den Augen der Öffentlichkeit geschehen. Schönen Dank. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Frau Abgeordnete Nickels.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor wir jetzt gleich die große Gigantenrunde anfangen und uns fünf Stunden über die große Politik unterhalten, möchte ich vor Beginn der viertägigen Debatte einige einfache Tatsachen ins Gedächtnis rufen. Erstens möchte ich sagen, daß die Art und Weise, wie und wofür man sein Geld ausgibt, viel mehr über Tatsachen aussagt als noch so schöne und große Worte. ({0}) Zum zweiten ist es richtig, daß dieser Haushalt Rahmenbedingungen für Entscheidungen setzt, die noch zu treffen sind, u. a. über die Diäten. Richtig ist aber auch, daß diese Mittel schon jetzt in den Haushalt eingestellt und damit Entscheidungen vorherbestimmt sind. ({1}) Ich möchte nun auf eine Ankündigung unseres Kanzlers zurückgreifen. Er hat in seiner Regierungserklärung gesagt, es sei sein Anliegen, eine Gesellschaft mit menschlichem Gesicht aufzubauen. Nun, nach fast zwei Jahren, müssen wir feststellen, daß sich in der Gesellschaft einiges verändert hat. Aber statt einer Gesellschaft mit menschlicheFrau Nickels rem Gesicht guckt uns überall in der Bundesrepublik die neue Armut an, ({2}) von der Herr Geißler vor einigen Jahren in anderem Zusammenhang gesprochen hat, eine neue und eine verschämte Armut; das möchte ich betonen. ({3}) Herr Geißler hat in der letzten Sitzungswoche wörtlich erklärt - ich zitiere -: Wir Abgeordneten haben die Aufgabe und im Unterschied zu den anderen Bürgern die Macht, Schicksal und Lebensbedingungen des ganzen Volkes zu beeinflussen, zu verändern und zu gestalten. Das ist sehr richtig. Das wissen wir alle. Das wissen auch die Bürger draußen. Diese Gestaltungsmacht der Mehrheit dieses Hohen Hauses ist in den letzten zwei Jahren zum Tragen gekommen, allerdings nicht zugunsten der kleinen Leute; das muß man hier ganz klar und unmißverständlich sagen. ({4}) Diese Gestaltungsmacht und -verantwortung werden auch in dem Bericht zur Erhöhung der Diäten erwähnt, den der ehemalige Bundestagspräsident Dr. Barzel vorgelegt hat. Er begründet eine, wie er sagt, angemessene Erhöhung der Entschädigung mit dem Wert und der Würde des Abgeordnetenmandats sowie mit der Bedeutung und der Belastung des Abgeordnetenmandats. Er sagt in seinem Bericht wörtlich: Die Entschädigung muß ferner einen gerechten Ausgleich für die Bedeutung und Belastung des Abgeordnetenmandats sichern. Meine Damen und Herren, ich frage mich und Sie alle hier: Liegen die Bedeutung, der Wert und die Würde eines einzelnen Menschen in seinem Gehalt? Wenn das so ist, müssen sich alle Arbeitslosen im Land, alle Kranken, die Behinderten, die Rentner und vor allem auch die Sozialhilfeempfänger fragen, welchen Wert und welche Würde sie in dieser Gesellschaft eigentlich noch haben. ({5}) Ich möchte in dem Zusammenhang daran erinnern und darauf hinweisen, daß der Regelsatz für die Sozialhilfe, der derzeit 356 DM im Schnitt in der Bundesrepublik ausmacht, auf der Grundlage eines Warenkorbs aus dem Jahre 1970 beruht und total veraltet und überholungsbedürftig ist. Das möchte ich deshalb hier noch einmal sagen, weil Herr Barzel in seinem Bericht auch erklärt hat, daß die Entschädigung der Abgeordneten bis zum letzten Jahr seit 1977 nicht mehr verändert wurde und sich somit gegenüber der eingetretenen Einkommensverbeserung sowie gegenüber der Steigerung der Lebenshaltungskosten entscheidend verschlechtert hat. Wenn wir uns nochmals ins Gedächtnis rufen, daß wir uns im letzten Jahr eine Diätenerhöhung zugebilligt haben, die allein bei den einfachen Diäten ohne die Aufwandsentschädigung 320 DM ausgemacht hat, und wenn man gleichzeitig weiß, daß dieser Regelsatz für Sozialhilfe 356 DM ausmacht, womit ein Sozialhilfeempfänger auskommen muß, muß man sich allen Ernstes fragen, ob das angemessen ist. Woran messen sich eigentlich die Abgeordneten? ({6}) Herr Geißler hat in seiner Rede in der Flick-Debatte in der letzten Sitzungswoche auch gesagt - ich zitiere wieder -: Jeder, der ein politisches Mandat ausübt, muß sich an höheren Maßstäben messen lassen als der normale Bürger. Richtig so. Wir sind Personen des öffentlichen Lebens; da hat er recht. Wenn man das ernst nimmt, geht es nicht an, daß sich die Abgeordneten an Ministern und am Wirtschaftsmanagement messen, sondern man muß sich vor allen Dingen an dem messen, womit die kleinen Leute auskommen müssen. Wenn Solidarität in dieser Gesellschaft nicht zur leeren Phrase werden soll, kann man nicht zulassen, daß man dem Bürger verordnet, den Gürtel enger zu schnallen, und zwar um etliche Zentimeter, so daß ihm fast die Luft wegbleibt, und gleichzeitig bei denen, denen es besser geht, den Gürtel um dieselbe Zentimeterzahl weiter macht. Das geht nicht, und das können wir nicht zulassen. ({7}) Wenn man dem fatalen Eindruck entgegenwirken will, daß in dieser Gesellschaft ein Zwei-KlassenRecht herrscht, dann ist es wichtig, daß auch wir Abgeordneten einen Solidaritätsbeitrag für diese gebeutelten Menschen der Gesellschaft leisten. ({8}) Das bedeutet für uns: keine Diätenerhöhung. Wenn wir ein Zeichen setzen wollen, daß Wert und Würde der Menschen nicht am Portemonnaie hängen, daß sich Macht und Einfluß des einzelnen Bürgers in der Demokratie nicht nach dem Geld bemessen, das er verdient, dann ist hier ein Solidaritätsbeitrag der Abgeordneten gefordert. ({9}) Nun bin ich bei einem Thema; das hiermit eigentlich sehr viel zu tun hat, nämlich bei den Verhandlungen die wir im Flick-Ausschuß zu führen haben. In beiden Fragen, in der Frage der Diätenerhöhung, aber auch in der Frage der Arbeit des Flick-Ausschusses, geht es darum, wie man das Ansehen des Parlaments wiederherstellen kann. ({10}) Ich finde es unglaublich, wenn man hier erleben muß und aus den Zeitungen entnehmen muß, mit welcher Arroganz der Macht hier lang gediente hohe Funktionsträger der großen Parteien, der Koalitionsparteien, hier ein verfassungsmäßiges Or7502 Deutscher Bundestag - 10. ahlperiode Frau Nickels gan, einen gewählten, eingesetzten Untersuchungsausschuß, frei gewählte Abgeordnete, die Abgeordnete des ganzen deutschen Volkes zu sein haben, in unerträglicher Weise diffamieren. ({11}) Da ist die Rede davon - das sagen nicht GRÜNE, sondern Menschen, die für sich beanspruchen, sich vor die Verfassung zu stellen, die Verfassung zu schützen -, daß eine gründliche Arbeit im Untersuchungsausschuß eine skandalöse Weitläufigkeit sei. Sie setzen einen parlamentarisch eingesetzten Untersuchungsausschuß mit Schauprozessen gleich, und jeder Deutsche wird wohl wissen, mit welchen Gedankenverbindungen Schauprozesse gerade in der Bundesrepublik behaftet sind. Ich finde das ungeheuerlich. Da setzt ein Ministerpräsident die ernsthafte und anstrengende Arbeit von frei gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages in einem Untersuchungsausschuß mit durchsichtigen Propagandaaktionen und Mißbrauch gleich. ({12}) Wenn die Ermahnungen von Minister Geißler, der auch Generalsekretär der CDU ist, überhaupt noch Gehör finden sollen, daß der besondere Wert der parlamentarischen Demokratie darin besteht, daß hier Fehler und Versäumnisse frei diskutiert und aufgedeckt werden können, wenn er sich noch selbst ernst nehmen will, soll er erst mal in die Herzen und Hirne seiner eigenen Parteigenossen diese einfachen Wahrheiten hineinpauken. Sonst sprechen wir GRÜNEN ihm das Recht ab, sich in Zukunft noch jemals als Hüter der Verfassung aufzuspielen. ({13})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat der Abgeordnete Wolfgramm.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Über das Selbstverständnis des Parlaments möchte ich mich hier nicht umfassend äußern. Wir haben uns damit einen ganzen Tag beschäftigt. Wir haben uns einen Tag lang damit beschäftigt, über die Wahrung und die Verbesserung des Ansehens des Parlaments zu diskutieren, und ich meine, wir haben das sorgfältig getan und brauchen diese Debatte heute nicht noch einmal zu führen. Meine Fraktion, die FDP-Fraktion, hat Verhaltensregeln beschlossen, die wir der RechtsstellungsKommission übersandt haben. Wir stellen uns vor, daß in dieser Frage rasch, aber sorgfältig - besonders sorgfältig - beraten wird und das Ergebnis dann dem Plenum vorgelegt werden kann. Die Kritik am Untersuchungsausschuß - Frau Kollegin, Sie haben das hier sehr emphatisch vorgetragen - läßt mich zu der Feststellung kommen: Der Untersuchungsausschuß ist keine Anklagebehörde, sondern ein parlamentarisches Aufklärungsinstrument.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, ich bitte um Verständnis, wenn ich Sie unterbreche. Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Penner?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Aber bitte sehr.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Bitte sehr, Herr Kollege Penner.

Dr. Willfried Penner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001688, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Wolfgramm, finden Sie nicht auch, daß es weniger auf neue Regeln als vielmehr darauf ankommt, daß Abgeordnete und auch hohe Amtsträger diese Regeln befolgen? ({0})

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Lieber Kollege, wenn Sie mit der Frage einen Augenblick gewartet hätten, hätte ich die Ausführungen zum Untersuchungsausschuß noch machen können. Es drängt sich mir ein wenig der Verdacht auf, daß Sie die Frage schon vorbereitet hatten, bevor ich überhaupt zu diesem Punkt kommen konnte. ({0}) Aber sei dem, wie es sei, Herr Kollege, ich darf dazu den Kollegen Baum, Mitglied des Untersuchungsausschusses, zitieren, der gesagt hat: Wir sind als Untersuchungsausschuß kein Gericht, sondern wir sind ein politisches Gremium. Als politisches Gremium haben wir uns der Kritik zu stellen - der berechtigten Kritik, füge ich hinzu - wie alle anderen politischen Institutionen auch. Herr Kollege Penner, er fährt dann fort: Wir haben einen Auftrag zur Aufklärung für das ganze Parlament. Ich bin gewillt und meine Fraktion ist gewillt, an dieser Aufklärung weiter nachdrücklich mitzuarbeiten und uns hierin nicht beirren zu lassen. Das ist unsere Position zum Untersuchungsausschuß, und die werden wir auch weiterhin einnehmen. ({1}) Nun komme ich zu den Anmerkungen, die Sie, Frau Kollegin Nickels, hier wieder einmal - wider besseres Wissen - über die Diätenfrage gemacht haben.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Abgeordneten Struck?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, ich würde jetzt sehr gerne in meinem Vortrag fortfahren; ({0}) eine Frage haben wir behandelt. - Da ich ja bei den Diäten noch gar nicht bin, können Sie im Augenblick auch noch nicht wissen, was ich dazu sagen möchte. ({1}) Deutscher Bundestag - 10. ahlperiode Wolfgramm ({2}) Wir haben, Frau Kollegin Nickels, nicht etwa, wie Sie angeführt haben, eine Vorstellung des Bundestagspräsidenten vorliegen, denn die Kriterien, die die Stellung des Abgeordneten bezeichnen - ich nenne sie noch einmal -, die mit dem Amt verbundene Belastung, die mit dem Amt verbundene Verantwortung und die Position des Abgeordneten im gesamten Verfassungsgefüge, sind nicht Vorstellungen des Bundestagspräsidenten gewesen, sondern sind vom Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 5. November 1975 entwickelt worden. ({3}) An dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich der Deutsche Bundestag mit seiner Beschlußfassung über die Besteuerung der Diäten und über die entsprechenden Veränderungen gehalten, und er wird sich auch weiter daran halten.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Nickels? - Bitte, Frau Kollegin.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wolfgramm, Sie werden mir doch zubilligen, daß diese Dinge, die festgeschrieben sind, auch in einem Bericht zitiert und ausgeführt sind, den der Bundestagspräsident dem Ältestenrat und den Fraktionen zugeleitet hat. Auf diesen Bericht habe ich mich berufen.

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Der Bundestagspräsident hat recht daran getan, die Kriterien des Bundesverfassungsgerichts noch einmal zu zitieren, und ich kann ihn daran nur bestärken. ({0}) Wir haben im Haushaltsausschuß die Diätenpositionen qualifiziert gesperrt. Das heißt - das weiß jeder, der sich mit dieser Materie auch nur ein wenig beschäftigt -, daß keine Ausgaben getätigt werden können, wenn diese qualifizierte Sperre nicht aufgehoben wird. Es bedeutet gleichzeitig, daß wir in diesem Hause sorgfältig beraten werden, bevor wir dann beschließen, ob es dazu kommt oder nicht. Meine Fraktion hat dazu schon vor Zeiten ihre Meinung gesagt; ich brauche das hier nicht zu wiederholen. Ich hatte eigentlich angenommen, Frau Kollegin Nickels, daß die GRÜNEN in ihrem Antrag hierzu weitere Ausführungen machen würden, vielleicht auch dazu, wie sie sich selbst in bezug auf ihre eigenen Diäten verhalten. Sie geben 1 950 DM netto für jeden frei und für jede unterhaltsberechtigte Person - wobei der Rahmen weiter gezogen ist, als er sich nach den Finanzamtsvorstellungen darstellt -500 DM steuerfrei. ({1}) Es gibt eine Menge von Kollegen in diesem Hause - ich habe das vor einem Jahr schon einmal festgehalten -, die sich sehr freuen würden, wenn sie diese Regelung für ihre Fraktion und für sich selber in Anspruch nehmen könnten. ({2}) Das müssen Sie den kleinen Leuten, die Sie hier so dramatisch beschwören, sagen. Das müssen Sie ihnen sagen, daß das netto ist, ({3}) nach Abzug aller Steuern und Belastungen. ({4}) Dann kommen wir zu einem weiteren Punkt. Sie haben sich ja dieses famose Rotationsprinzip ausgedacht - verfassungswidrig, wie wir meinen. ({5}) Damit wird sich auch der Staatsgerichtshof in Niedersachsen befassen. Ausgaben in Höhe sechsstelliger Beträge rollen allein durch diese Rotation zusätzlich auf den Bundeshaushalt zu. Auch das müssen Sie den Leuten draußen sagen. ({6}) Sie müssen den Leuten draußen sagen, daß durch Ihr Prinzip hier zusätzliche Ausgaben auf den Bundeshaushalt zukommen, und zwar mit sechsstelligen Beträgen.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Nickels?

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ja, das aber dann bitte als letzte Zwischenfrage, Frau Kollegin.

Christa Nickels (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001601, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Wolfgramm, haben Sie vielleicht auch mal ausgerechnet, wieviel der Staat dadurch spart, daß die GRÜNEN wegen des Rotationsprinzips keine dicken Pensionen einstreichen können? ({0})

Torsten Wolfgramm (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002557, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Frau Kollegin, die Rechnung mit den sechsstelligen Zahlen läßt sich leicht nachvollziehen. Sie werden in der Lage sein, sich hier vor dem Bundestag dazu noch zu erklären. ({0}) Es ist einfach eine Schau, was Sie hier praktizieren. Ihr Anspruch und Ihre Wirklichkeit! ({1}) Rousseau, den Sie ja gerne für Ihre Philosophie bemühen, würde sagen: Es ist ein Gipfel der Heuchelei. ({2}) Wolfgramm ({3}) Am 7. November 1984 hat der Haushaltsausschuß in seiner Sitzung über den Etat des Bundestages, also Einzelplan 02, beschlossen. Von den GRÜNEN gibt es keine einzige Wortmeldung zur Frage der Diäten. Es gibt auch keine Gegenstimme bei der Beschlußfassung. ({4}) Aber hier im Plenum des Deutschen Bundestages wollen Sie uns weismachen, daß Sie plötzlich ihr Gewissen entdeckt haben. ({5}) So arbeiten Sie und so betreiben Sie dann Demagogie. ({6}) Ich möchte zum Schluß dem Hohen Hause doch eine kleine Anmerkung nicht vorenthalten. Das Thema ist nicht ganz neu. Am 17. Januar 1906 in der 22. Sitzung des Reichstages hat der Abgeordnete Kirsch zu eben diesem Thema gesagt: Meine Herren, auch die parlamentarische Tätigkeit kann zu einer Leidensgeschichte werden, und ein Beispiel für eine solche Leidensgeschichte ist die Art und Weise, wie bisher bei dem Antrag auf Gewährung von Diäten und freier Fahrt ... verfahren worden ist. ({7})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe zuerst den Änderungsantrag des Abgeordneten Kleinert ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2493 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! ({1}) Der Antrag ist abgelehnt. Wer dem Einzelplan 02, Deutscher Bundestag, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 02 ist angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 03 Bundesrat - Drucksachen 10/2303, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Strube Purps Kleinert ({2}) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Das Wort zur Aussprache wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer dem Einzelplan 03, Bundesrat, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 03 ist bei einer Enthaltung und zahlreichen Gegenstimmen angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 04 Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - Drucksachen 10/2304, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Esters Dr. Hackel Dr. Riedl ({3}) Verheyen ({4}) Hierzu liegt Ihnen auf Drucksache 10/2467 ein Änderungsantrag des Abgeordneten Verheyen ({5}) und der Fraktion der GRÜNEN vor. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache fünf Stunden vorgesehen. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Vogel.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bei der Debatte über den Einzelplan 04, über den Haushalt des Bundeskanzleramtes, geht es nach bewährter parlamentarischer Übung nicht um Haushaltsansätze und einzelne Etatposten. Es geht vielmehr um die Auseinandersetzung zwischen Opposition und Regierung über die Grundlinien der Politik. Es geht insbesondere um die Auseinandersetzung mit der Politik des Bundeskanzlers, nicht in einem persönlichen oder gar herabwürdigenden Sinne, sondern in dem Sinne, daß Aktiv- und Passivposten seiner Politik gewürdigt, daß die Ankündigungen und Taten miteinander verglichen werden und daß aus alledem die Summe ermittelt wird. Diese Summe ist negativ, Herr Bundeskanzler. ({0}) Sie haben in den zwei Jahren Ihrer Amtszeit viel versprochen und wenig gehalten. Nach außen hat unsere Republik in den letzten zwei Jahren an Gewicht und Ansehen verloren. ({1}) Im Inneren ist die Arbeitslosigkeit eher gestiegen als gesunken. Das Vertrauen in die soziale Gerechtigkeit ist erschüttert, die Zerstörung unserer Umwelt weiter fortgeschritten. Ihre Koalition ist im zweiten Jahr angeschlagen. In wichtigen Fragen werden die Risse zwischen den Koalitionsparteien immer tiefer. Wegen eines solchen Streits mußte heute sogar der Beginn der BunDr. Vogel destagsdebatte verschoben werden - ein ungewöhnlicher, nicht alltäglicher Vorgang. ({2}) Die Freien Demokraten als die eigentliche Wendepartei verlieren einen Landesvorsitzenden nach dem anderen, weil sich diese geradezu fluchtartig ins Privat- oder Geschäftsleben zurückziehen. Andere haben umgekehrt Schwierigkeiten, weil sie sich nicht rechtzeitig aus dem Geschäftsleben zurückziehen, wenn sie in die Bundesregierung eintreten. ({3}) Die Kette der Pannen und Skandale, die Ihre Regierung zu verantworten hat, reißt nicht ab. Unsere Mahnungen und unsere Alternativen haben Sie - zumeist ohne jede Prüfung - verworfen. ({4}) Schlimmer noch, Herr Bundeskanzler: Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik gibt es eine ernsthafte Vertrauenskrise zwischen Wählerschaft, Parteien und Parlament. Diese Vertrauenskrise haben nicht allein Sie zu verantworten. Das behaupten wir nicht. Aber Sie haben zu dieser Krise wesentlich beigetragen, insbesondere durch Ihren unseligen Amnestieplan, von dem Sie sich vor dem Parlament bis heute nicht distanziert haben. ({5}) Da Sie, Herr Bundeskanzler, in der Debatte vom 16. November, die auf Ihr Verlangen zustande kam, geschwiegen und jede Antwort verweigert haben, frage ich Sie vor dem Plenum des Deutschen Bundestages erneut: Streben Sie immer noch einen Eingriff in die Strafjustiz an? Stimmt es, daß Sie jetzt zu diesem Zweck eine Änderung der Abgabenordnung in Erwägung ziehen? Ich bitte Sie, lassen Sie das nicht im Zwielicht, schaffen Sie endlich Klarheit; sonst ist das ganze Gerede von der Überwindung der Vertrauenskrise keinen Schuß Pulver wert. ({6}) Die Veränderungen, die in den zwei Jahren Ihrer Amtszeit eingetreten sind, bleiben nicht an der Oberfläche; sie verändern das Klima und die politische Landschaft in der Bundesrepublik insgesamt. Viele spüren die Unruhe und die tiefen Zweifel, die sich nicht nur in der jungen Generation ausbreiten. Viele vermissen Antworten auf die großen Herausforderungen unserer Zeit. Viele spüren die Gefährdung der Werte, die Sie doch durch die Wende schützen, ja sogar wiederherstellen wollten, und viele fragen besorgt, ob wir nicht inzwischen schon auf dem Weg zu einer anderen Republik, zur Republik der Wende sind. ({7}) Zu einer Republik, in der die Solidarität schwindet, weil die Reichen reicher und die Ärmeren ärmer werden; ({8}) zu einer Republik, in der die Interessen weniger Mächtiger immer wichtiger und die Interessen der vielen, die als einzelne machtlos sind, die keine Lobby haben, immer bedeutungsloser und immer schwächer werden; ({9}) zu einer Republik, in der die Frauen wieder auf das Rollenverständnis der Vergangenheit zurückgeworfen werden; zu einer Republik, in der der Sprecher der größten Regierungsfraktion den Künstlern klarmacht, daß sie in der Politik nichts verloren haben; zu einer Republik, in der die gesellschaftliche Hierarchie im Sinne konservativer Grundvorstellungen endlich wieder stimmen, und oben wieder oben und unten wieder unten sein soll in unserer Gesellschaft; ({10}) auf dem Wege zu einer Republik, in der Gegnerschaft in Feindschaft umschlägt, in der kritische Medien vom ersten Mann der Bundesregierung als „Kloaken" diffamiert und unbequeme politische Gegner von seinem Generalsekretär wahlweise als Fünfte Kolonne Moskaus, als Nazis oder als Altkommunisten beschimpft werden; ({11}) zu einer Republik, in der der Vorsitzende einer Koalitionspartei - darüber ist eben schon diskutiert worden - einem Untersuchungsausschuß des Bundestages, und nicht einzelnen Mitgliedern, was schon schlimm genug wäre, nein, dem gesamten Ausschuß unter Vorsitz eines CDU-Kollegen vorwirft, er führe einen Schauprozeß, und ein Unions-Abgeordneter diesen Ausschuß mit dem Freislerschen Volksgerichtshof vergleicht, ({12}) ohne daß der Sprecher der Union hier den Mut gehabt hätte, sich direkt und klar von dieser Äußerung zu distanzieren. ({13}) Viele fürchten, wir sind auf dem Weg zu einer Republik, in der von den Regierenden kaum noch Orientierung oder geistige Führung, ja, noch nicht einmal Anstöße zur Diskussion der großen gesellschaftlichen Fragen ausgehen, sondern ein selbstzufriedener Provinzialismus, ein Provinzialismus, der langsam, aber beständig in alle Ritzen ihrer Politik eindringt. ({14}) Ich gebe zu, meine Damen und Herren, diese Kritik ist hart. - Ich mache mich gern nützlich, indem ich dem Fernsehpublikum Ihre Zwischenrufe, die draußen nicht verstehbar sind, wörtlich wiedergebe. Hier ist das Echo auf diese Ausführung der Zuruf: „Volksverhetzer"! - Das kommt aus der Mitte der Union als die Sprache der Union, meine Damen und Herren! ({15})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Abgeordneter Vogel, ich bitte um Verständnis, wenn ich Sie kurz unterbreche.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Bitte sehr.

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich rüge den Abgeordneten Schulze wegen des Ausdrucks „Volksverhetzer". - Bitte sehr.

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich gebe zu: Die Kritik, die ich hier für meine Fraktion vortrage, ist hart. Aber es ist nicht nur die Kritik der Opposition, und es ist - da täuschen Sie sich, Herr Bundeskanzler - erst recht nicht nur die Kritik der Medien, die mit Ihrer Politik nicht einverstanden sind, es ist inzwischen auch die Kritik derjenigen, die den Regierungswechsel herbeigewünscht und Sie bislang auf Schritt und Tritt unterstützt haben. Da attestiert Ihnen die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" „ärgerliche Unzulänglichkeit" und konstatiert, daß die Zustimmung zu Ihrer Politik ständig sinkt. In der „Welt" wird der „Mangel an geistig-moralischer Führung" beklagt. ({0}) Der „Rheinische Merkur", auch nicht gerade ein sozialistisches Kampfblatt, ({1}) vergleicht die Regierung, Herr Waigel, mit einem Menschen, der tief im Sumpf steckt, aber leider nicht Münchhausen heißt. ({2}) In der „Herder-Korrespondenz" - ({3}) - Meine Herrschaften, wenn Sie sich hier schon mit geistreichen Zwischenrufen und nicht mit hetzerischen profilieren wollen, dann müssen Sie sich wenigstens einigen, wer was sagt, sonst kann man auf dieses Durcheinander, das bei Ihnen selbst bei Zwischenrufen herrscht, nicht eingehen. ({4}) Vielleicht übertragen Sie Ihrer Wunderwaffe, Herrn Schäuble, künftig auch die Koordinierung der Zwischenrufe. Vielleicht wird es dann ein bißchen besser. ({5}) - Ich habe sehr viel Zeit. ({6}) In der „Herder-Korrespondenz", auch nicht gerade einem regierungsfeindlichen Kampfblatt, ({7}) ist davon die Rede, die gegenwärtigen Koalitionsparteien regierten das Land glanzlos, stillos und im Blick auf mittlere und längere Fristen konzeptionslos. Ich weiß, Herr Bundeskanzler, daß Sie nicht gern auf die Opposition hören; statt Antworten - die Zuschauer und Zuhörer haben es gerade wieder erlebt - kommen aus Ihren Reihen meist nur lärmende und unartikulierte Mißfallenskundgebungen. ({8}) Aber wenn Sie uns nicht antworten wollen: Warum antworten Sie dann nicht wenigstens denen, die doch Ihre Freunde sind? Ausgrenzen, Aussitzen und Ausschweigen genügt nicht. Verantwortung - Sie tragen hohe Verantwortung in Ihrem Amt - heißt Antwort geben, Rede und Antwort stehen, Rechenschaft geben. Das steht nicht in Ihrem Ermessen, das ist Ihre Pflicht, an die ich Sie gerade auch in dieser Debatte erinnere. ({9}) Ich erinnere Sie auch deshalb an diese Pflicht, weil Sie, Herr Bundeskanzler, nur vorübergehend an der Haushaltsdebatte teilnehmen; Sie wollen am Donnerstag und Freitag, also auch in der dritten Lesung fernbleiben. ({10}) Das ist ein absolutes Novum in der Parlamentsgeschichte. ({11}) Keiner Ihrer Vorgänger hat noch so wichtige Reisen so terminiert, daß er bei der Verabschiedung des Haushalts nicht in Bonn war. Einmal mehr ein bedenkliches Parlamentsverständnis. ({12}) Ich sagte, unser außenpolitisches Gewicht ist gesunken. Wenn Sie mir nicht glauben, dann lesen Sie, was die „Washington Post" in ihrer heutigen Ausgabe dazu, gezielt auf Ihre Person, sagt. ({13}) So kritisch ist von einem der bedeutendsten Blätter der Vereinigten Staaten schon lange kein Bundeskanzler mehr empfangen worden wie Sie, und das hat mit dem Verlust an Gewicht und Ansehen zu tun, Herr Bundeskanzler. ({14}) Zu dem Verlust an außenpolitischem Gewicht hat vieles beigetragen. ({15}) Dazu hat beigetragen, ({16}) daß Ihre Koalition in vielen wichtigen außenpolitischen Fragen gespalten ist: in der Polenpolitik z. B., in der Frage des Seerechtsübereinkommens, in der Frage der Ratifizierung der Zusatzprotokolle oder auch in der Frage der Waffenlieferung an SaudiArabien. In anderen Fragen, etwa in der Deutschlandpolitik und in der Polenpolitik, geht der Riß sogar quer durch Ihre eigene Fraktion, durch die Unionsfraktion. ({17}) Zur abnehmenden Bedeutung der Bundesrepublik in Ost und West trägt weiter bei, daß die Bundesregierung - anders als andere europäische Staaten - gegenüber den Vereinigten Staaten bei der Wahrnehmung europäischer und deutscher Interessen nicht genügend Rückgrat zeigt. ({18}) Auch wenn Sie immer wieder Mißtrauen zu säen versuchen, wir bejahen das Atlantische Bündnis als Instrument der Kriegsverhütung und als Instrument der Friedenssicherung. Wir wissen um die freiheitlichen Traditionen der Vereinigten Staaten und um die Lebenskraft dieses großen Landes. Aber für die deutschen Sozialdemokraten sage ich: Wir wollen Verbündete der Vereinigten Staaten sein, Verbündete und nicht Vasallen; das ist ein großer Unterschied. ({19}) Die Stellung und der Bewegungsspielraum des amerikanischen Präsidenten sind durch sein eindrucksvolles Wahlergebnis gestärkt. ({20}) Der Präsident kann, gestützt auf dieses Ergebnis, in seiner zweiten Amtsperiode auf die Sowjetunion leichter zugehen. Das vermehrt die Chance, daß in die erstarrten Beziehungen zwischen den Weltmächten wieder eine gewisse Bewegung kommt. Die jüngsten Signale aus Washington und aus Moskau sprechen ebenfalls dafür. Wir begrüßen diese Signale. Wir begrüßen auch die für Anfang Januar 1985 in Genf vorgesehene Begegnung. Sie haben unsere Unterstützung, wenn Sie die Sowjetunion zu größerer Flexibilität mahnen. Sie haben unsere Unterstützung ebenso, wenn Sie in Washington darauf drängen, daß diese Chance, die sich eröffnet, genutzt wird. Im Interesse des Friedens sollten dabei die Forderungen nach einem unverzüglichen beiderseitigen Stationierungsstopp, nach konkreten Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung, Rüstungskontrolle und Verminderung der Rüstungskosten und insbesondere auch über die Entmilitarisierung des Weltraums und nach einem amerikanisch-sowjetischen Gipfeltreffen und einer Politik der ständigen Verabredung, so wie sie mehr als 30 frühere Staatschefs und Minister westlicher Länder in dem heute bekanntgewordenen Appell gefordert und umrissen haben, im Vordergrund stehen. ({21}) Bei Ihrem Besuch, Herr Bundeskanzler, sollten Sie auch noch einmal eindringlich vor den Folgen eines unmittelbaren oder mittelbaren militärischen Eingreifens in Nicaragua warnen. ({22}) Die strikte Beachtung des Völkerrechts, auf die der Internationale Gerichtshof in Den Haag im Falle Nicaraguas die USA gestern schon zum zweitenmal durch ein Urteil eindringlich hingewiesen hat, und die Beachtung der territorialen Integrität auch kleinerer Staaten gehören zu den Grundelementen unserer Allianz. Die Regierung der Vereinigten Staaten muß wissen, daß Verstöße unseres Hauptverbündeten gegen diese Grundprinzipien uns nicht weniger zum Widerspruch herausfordern würden als entsprechende Verstöße der Sowjetunion in den zurückliegenden Jahren. ({23}) Es wäre ein Anschlag auf die moralische Substanz und Kraft des Bündnisses, wenn wir hier mit zweierlei Maß messen wollten. Wir wollen, daß sich die Politik der Vereinigten Staaten und die Politik unseres Bündnisses auch in dieser Hinsicht klar und deutlich von der Politik der Sowjetunion unterscheiden. ({24}) Auf vielen anderen Gebieten der Außenpolitik fehlt es an der notwendigen Klarheit. Der sogenannte Kompromiß, den Sie heute vormittag in letzter Minute in der Frage des Seerechtsübereinkommens beschlossen haben, ist dafür typisch. Dieser Kompromiß ist weder Fisch noch Fleisch. - Wir sind bekanntlich stets für die Zeichnung des Übereinkommens eingetreten. Sie hingegen sind für die Zeichnung des Übereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft, der wir angehören, ({25}) und zugleich gegen die Zeichnung durch die Bundesrepublik. Das ist der sicherste Weg, sowohl die Länder der Dritten Welt und die große Mehrheit der Europäer als auch die Amerikaner gleichzeitig in gleichem Maße zu verärgern - ein Meisterstück der Außenpolitik. ({26}) Ich füge hinzu: Ein solcher Kompromiß ist eines Landes vom Range der Bundesrepublik unwürdig. ({27}) Es bleibt Ihr Geheimnis, meine Herren, wie ein Mann, der in einer so wichtigen Frage desavouiert und überstimmt wurde, Sie Herr Genscher, noch einen Tag länger Außenminister dieser Regierung bleiben kann. ({28}) - Der Zuruf, daß man da Herrn Genscher schlecht kenne, wenn man glaube, daß er aus so etwas Konsequenzen ziehe, kennzeichnet den Geist Ihrer Zusammenarbeit und Ihrer wechselseitigen Verachtung. ({29}) Ich sage das, Herr Genscher, nicht nur im Hinblick auf Ihre Selbstachtung - das ist Ihr Problem -, ich sage es vor allem deswegen, weil ein Minister, der mit seiner Auffassung so sichtbar unterlegen ist, als Repräsentant der Bundesrepublik nicht mehr ernst genommen wird; und das ist unser gemeinsames Problem. Ähnlich halten Sie es in der Deutschland- und in der Polenpolitik. ({30}) Sie wollen einerseits unsere Politik der Normalisierung der Beziehungen zwischen den beiden deutschen Staaten fortsetzen, gleichzeitig haben Sie aber nicht die Kraft, die ständigen Querschüsse aus Ihren eigenen Reihen gegen diese Politik zu unterbinden. Sie sagen immer wieder, daß Sie an der deutsch-polnischen Aussöhnung festhalten wollten, gleichzeitig lassen Sie aber zu, daß aus Ihrer eigenen Fraktion die Oder-Neiße-Grenze, ja sogar die Souveränität Polens über seine Westgebiete immer wieder öffentlich in Frage gestellt werden und Ihr eigener Außenminister, Herr Genscher, wegen seiner Haltung in der Polenfrage immer wieder öffentlich attackiert wird. ({31}) Sie stehen nicht auf seiten derer, Herr Bundeskanzler, die in der Jungen Union am Wochenende vergeblich für eine eindeutige Aussage zur OderNeiße-Grenze gekämpft haben und dort einen schlimmen Mehrheitsbeschluß nicht verhindern konnten, ({32}) der die Feststellung, daß von deutscher Seite die polnische Westgrenze nicht mehr in Frage gestellt werde, ablehnt, der also die Möglichkeit der Rückkehr dieser Gebiete unter deutsche Souveränität offenläßt und sich darauf beschränkt, den dort lebenden Polen das Heimatrecht zuzusichern - was immer dies bedeuten soll. Wissen Sie eigentlich, was Sie mit solchen Beschlüssen in Polen und beim polnischen Volk anrichten, ({33}) insbesondere wenn die Polen über das Fernsehen miterleben, wie Sie zu solchen Beschlüssen beziehungsvoll schweigen? Deshalb muß ich einmal mehr fragen: Wo stehen Sie in dieser zentralen Problematik überhaupt? Stehen Sie auch hier überall und nirgends? Ihre Äußerungen, wir befänden uns auf dem besten Weg zur Aussöhnung mit Polen, indem wir ununterbrochen über die Oder-NeißeGrenze in dieser Weise diskutieren, wird den meisten Polen und nicht nur den Polen geradezu wie Hohn in den Ohren klingen - wie Hohn. ({34}) Natürlich, Herr Bundeskanzler - das haben wir auch im Ausland vertreten -, sind Sie deshalb kein Revanchist; aber Sie erscheinen wie ein zaudernder Opportunist, der um vermeintlicher innenpolitischer Vorteile willen solche Unklarheiten in Kauf nimmt, nein, geradezu kultiviert. ({35}) Unsere Haltung ist demgegenüber klar. Wir gaukeln niemandem vor, es gehöre uns noch, was durch Hitlers Schuld verlorengegangen ist, und dies vor fast 40 Jahren. ({36}) Wir verschweigen auch niemandem die Unterschiede der Gesellschaftsordnungen und die Tatsache, daß wir an unserer Ordnung festhalten und sie bewahren wollen. Aber wir wollen über diese Unterschiede hinweg zur DDR und den osteuropäischen Staaten verbesserte Beziehungen, und wir wollen die Aussöhnung mit Polen, eine Aussöhnung, die wir bewußt in ihrer Bedeutung und in ihrem Wert der deutsch-französischen Aussöhnung an die Seite stellen. Beides gehört zusammen. ({37}) Wir wollen das im Interesse unseres Volkes, im Interesse der Menschen in der DDR und in Polen und im Interesse der Friedenssicherung in Mitteleuropa. Diese Politik hat insbesondere in Polen, aber nicht nur dort, den Menschen zu mehr Freiheit verholfen, als sie vorher besaßen, viel mehr als in der Zeit des Kalten Krieges. Sie hat mit dazu geholfen, bis heute eine Katastrophe zu vermeiden, die nicht nur das polnische Volk ins Verderben stürzen würde. Wer demgegenüber, meine Damen und Herren, die Frage, ob man Trauer, Abscheu und Empörung über den Tod des Priesters Popieluszko im Hause des katholischen Episkopats in Warschau oder an seinem Grab zum Ausdruck bringt, zur zentralen Frage des deutsch-polnischen Verhältnisses macht, hat von alldem nichts, aber auch gar nichts verstanden. ({38}) Auf diesem Hintergrund bedauern wir, daß Ihr Besuch, Herr Kollege Genscher, in Warschau nicht zustande kam. Wir treten dafür ein, daß polnischerseits die Schwierigkeiten bald ausgeräumt werden, die durch die Verweigerung des Visums für einen Journalisten und in der Frage der Kranzniederlegung am Grabe eines deutschen Soldaten entstanden sind. Wir fordern jedoch ebenso, daß die Störmanöver ein Ende finden, mit denen Teile der Unionsfraktion die Vorbereitung des gescheiterten Besuchs begleitet haben, und es aufhört, daß Herr Dregger jetzt schon gegen die Nachholung dieses Besuchs öffentlich Stimmung macht. Um es im Gegensatz zu Ihnen, Herr Kollege Dregger, ganz klar zu sagen: Wir Sozialdemokraten wünschen, daß der Besuch sobald wie möglich nachgeholt wird. ({39}) Einmal mehr fragen wir uns übrigens, wie ein Außenminister solche Querschüsse aus der Koalitionsfraktion hinnehmen und dennoch im Amt verbleiben kann, als wenn nichts passiert wäre. Auf den Gebieten, über die ich soeben gesprochen habe, müßte es zwischen uns keine Totalkonfrontation geben, im Gegenteil. Es gibt immer noch Ansätze zur Gemeinsamkeit, aber leider nur noch mit Teilen der Koalition. Wir stimmen völlig mit dem überein, was der Herr Bundespräsident dankenswerterweise zur Grenzfrage klar und deutlich gesagt hat, ({40}) und wir stimmen mit vielem überein, was Herr Kollege Genscher zu Polen äußert. Wir hätten es auch begrüßt, wenn die Entschließungsvorlage des Bundesvorstands der Jungen Union - dem Vorsitzenden gilt unser persönlicher Respekt ({41}) zur Oder-Neiße-Grenze eine Mehrheit gefunden hätte. Aber wir widersprechen aufs entschiedenste den gegenteiligen Äußerungen der Herren Zimmermann, Hupka, Jäger, Czaja, Sauer, Dregger, um nur einige aus der täglich länger werdenden Liste von Gegnern dieser Politik zu nennen. ({42}) Ich sage mit Zurückhaltung, aber deswegen um so ernster und deutlicher: Wir sind zu härtestem Widerstand entschlossen, wenn die Aussöhnungspolitik mit Polen weiter aufs Spiel gesetzt wird. Für uns Sozialdemokraten ist die Aussöhnung mit Polen ein Teil unserer politischen Identität. ({43}) Gemeinsamkeit ist auch auf einem anderen Felde möglich und dringend notwendig. Ich meine das Feld der Europapolitik. Sie haben im Vergleich zu anderen europäischen Regierungschefs den großen Vorteil, daß Sie nicht einer mehr oder weniger antieuropäischen Opposition, sondern einer betont proeuropäischen Opposition gegenüberstehen. ({44}) Natürlich kritisieren wir die Fehler, die Ihre Regierung in und gegenüber der Gemeinschaft gemacht hat, etwa auf dem Agrarsektor, in der Umweltpolitik und der Stahlpolitik. Wir sehen natürlich genauso wie unser Volk, daß auch auf diesem Gebiet vollmundige Ankündigungen und Jubelmeldungen - wie nach dem Stuttgarter Gipfel - mit den oft bedrückenden Realitäten nicht übereinstimmen. Aber das ändert nichts daran, daß wir, soweit ich das erkennen kann, im Ziel der europäischen Politik einig sein könnten. Ich meine, im Ziel eines einigen, starken und handlungsfähigen Europas; eines Europas, das seine wissenschaftliche und wirtschaftliche Stärke, das seine geschichtlichen Erfahrungen, die es auch aus Fehlern und aus furchtbaren Rückschlägen in 2000 Jahren Geschichte gewonnen hat, eines Europas, das seine Fähigkeit zur Vielfalt in der Einheit, das die Kultur seiner Institutionen und seiner Rechtsordnung selbstbewußter und nachdrücklicher in die Weltpolitik einbringt; ({45}) eines Europas, das mit den Vereinigten Staaten die Bejahung und das Wissen um den Wert demokratischer Freiheiten und Menschenrechte und mit der Sowjetunion die Erfahrung teilt, was es an Opfern und Leid bedeutet, im eigenen Land von fremder Kriegsmacht heimgesucht und unterdrückt zu werden; ({46}) eines Europas, das seinen Bürgerinnen und Bürgern nicht mehr als Inbegriff sich ausbreitender, miteinander um Nichtigkeiten feilschender Bürokratien, sondern als eine reale und stimulierende Zukunftsvision erscheint. Unsere Hand zur Zusammenarbeit für ein solches Europa ist ausgestreckt. Es ist Ihre Sache, diese Hand zu ergreifen. ({47}) Wir sind bereit, jede Initiative zu unterstützen, die in diese Richtung zielt. Wir wissen, daß es - ohne Vernachlässigung anderer Hauptstädte - dabei entscheidend auf Paris und Bonn ankommt. Der Ausbau des von Helmut Schmidt grundgelegten Europäischen Währungssystems, die engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik - nicht zur Beschleunigung, sondern zur Bremsung des Rüstungswettlaufs -, die Zusammenfassung der europäischen Ressourcen auf wirtschaftlichem und technologischem Gebiet, eine verstärkte Zusammenarbeit mit den blockfreien Völkern, die auf ein stärkeres Europa warten, wären Schritte auf diesem Weg. Institutionelle Konsequenzen, über die jetzt soviel gestritten wird, ergäben sich im Zuge einer neuen europäischen Dynamik wahrscheinlich von selbst, jedenfalls leichter. Auch einer europäischen Friedensordnung, die über die Bündnisgrenzen hinausgreift und sie durchlässiger macht, kommen wir nur auf diese Weise näher. Von der Außen- zur Innenpolitik: Die Regierung wird nicht müde, von ihren wirtschaftlichen Erfolgen und vom Aufschwung zu reden. Der Preisberuhigung haben Sie im vergangenen Monat sogar eine Aktuelle Stunde gewidmet. Offenbar haben Sie vorausgesehen, daß das Thema Preisberuhigung nur einige Wochen aktuell sein würde; denn inzwischen steigen die Preise wieder. ({48}) Die industriellen Erzeugerpreise stiegen im Oktober im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 %, die Großhandelspreise um 2,1 %. ({49}) Auch sonst nehmen die Warnzeichen zu. So geht die Zahl der Konkurse und der Vergleiche rapide nach oben, ebenso die Zahl der Zwangsversteigerungen von Einfamilienhäusern und Eigentumswohnungen. Die Menschen draußen, die von diesen Zwangsversteigerungen betroffen sind, werden sich über Ihre Heiterkeit an diesem Punkt ihre eigenen Gedanken machen. ({50}) Die Steuerausfälle der Gebietskörperschaften gegenüber der Junischätzung werden für dieses Jahr auf 5,2 Milliarden DM und für das nächste Jahr auf 11,6 Milliarden DM veranschlagt. Die Rentenversicherung kann nur mit einem zinslosen Betriebsmitteldarlehen bis zur Höhe von 5 Milliarden DM liquide gehalten werden, d. h. sie zahlt unter Ihrer Regierungsverantwortung erstmals Renten mit geliehenem Geld. Gleichzeitig explodieren die Kosten des Gesundheitswesens - schon jetzt erklären die Verbände der Krankenkassen, daß die Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung im nächsten Jahr zwischen 0,5 und 1,5 Prozentpunkten steigen werden -, und die Sozialhilfeleistungen haben mit 17,6 Milliarden DM den absolut höchsten Stand seit Gründung der Bundesrepublik erreicht. Sie steigen, seitdem Sie im Amt sind, kontinuierlich beschleunigend von Jahr zu Jahr. ({51}) Das sind düstere Stellen in dem Erfolgsgemälde der Koalition. Diese Stellen werden nicht heller, wenn man berücksichtigt, daß die Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit 1983 real um 2,5% zurückgegangen sind, während die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen real netto um 12 % zugenommen haben. Auch 1984 hat sich diese Schere der Umverteilung weiter geöffnet. Die Nettoeinkommen aus unselbständiger Arbeit sind um 0,5% geschrumpft, die Einkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen sind um 5 % gewachsen. Das alles ist besorgniserregend genug. Entscheidend aber ist, daß es nicht gelungen ist, die Massenarbeitslosigkeit zu verringern, sondern daß sie im Gegenteil immer noch weiter wächst und daß sich die Zahl der Dauerarbeitslosen seit dem 1. Oktober 1982 von 308 000 auf 580 000 fast verdoppelt hat und immer noch weiter wächst. ({52}) Daran, meine Damen und Herren von der Koalition, werden Sie gemessen, an dieser Krankheit unserer Gesellschaft, an der neuen Armut und der Hoffnungslosigkeit, die sich hier breit macht; nicht an schönen Reden und nicht an mehr oder weniger optimistischen Gutachten, mit denen die Menschen, von denen ich hier rede, überhaupt nichts anfangen können. ({53}) Wie Ihr Konzept zur schrittweisen Überwindung der Arbeitslosigkeit - mehr werden Realisten ohnehin nicht verlangen - eigentlich aussieht, ja, ob Sie überhaupt ein solches Konzept besitzen, bleibt im Dunkeln. Erwiesen ist nur, daß es die von Ihnen ständig beschworenen Selbstheilungskräfte trotz des hohen Dollarkurses und der daraus resultierenden zusätzlichen Exportchance nicht schaffen. Aber, Herr Bundeskanzler, Sie bleiben j a nicht nur selbst untätig; Sie behindern darüber hinaus diejenigen, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten Initiativen ergriffen haben. Sie sind den Gewerkschaften in den Arm gefallen, als diese mit den Mitteln der Tarifpolitik verantwortungsbewußt nicht allein um Lohnerhöhungen, sondern vor allem um Arbeitszeitverkürzung gekämpft haben. ({54}) Sie haben den Arbeitskampf, über den Sie Krokodilstränen immerzu vergossen haben, durch Ihre einseitige Parteinahme verschärft und verlängert. Ohne Ihre Einflußnahme hätte der Kompromiß schon Wochen vorher Platz greifen können. ({55}) Heute wissen wir - kein Vernünftiger bestreitet es -, daß allein die Verkürzung der Wochenarbeitszeit - die Verkürzung der Lebensarbeitszeit hat weitere günstige Auswirkungen - im nächsten Jahr rund 100 000 zusätzliche Arbeitsplätze schafft. Wir wissen, daß wir dies allein den Gewerkschaften zu verdanken haben, nicht denen, die den Gewerkschaften damals erbitterten Widerstand geleistet und uns als „Streikpartei" diffamiert haben. Ich danke den Gewerkschaften für ihren Beitrag zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. ({56}) Sie lehnen ebenso alle unsere konkreten Vorschläge zur Dämpfung der Arbeitslosigkeit - wir reden nicht von der sofortigen Beseitigung - ab, etwa das Sondervermögen Arbeit und Umwelt oder unser Programm zur Unterbringung junger Menschen, die trotz aller, von uns stets dankbar anerkannten Anstrengungen des Handwerks und der Industrie keinen Ausbildungsplatz finden, oder unser Programm zur Förderung neuer, umweltfreundlicher und sozialverträglicher Technologien oder unsere Vorschläge zur Stärkung der Finanzkraft der Städte und Gemeinden. Eine Hauptursache für die fortbestehenden Schwierigkeiten der Bauwirtschaft liegt in der geschwächten Finanz- und Investitionskraft der deutschen Städte und Gemeinden. Ihre Antwort auf diese Vorschläge sind ein stereotypes Nein und die Behauptung, es sei kein Geld da. ({57}) Aber das kann nicht überzeugen. Eine Regierung, die innerhalb weniger Tage, genau gesagt: innerhalb 13 Tagen, auch für solche Landwirte, die durch die Brüsseler Beschlüsse gar nicht betroffen sind, und für umsatzstarke Großbetriebe Milliarden herbeischafft, eine Regierung, die nicht die Kraft hat, die von ihr versprochene Ergänzungsabgabe durchzusetzen, sollte solche Behauptungen nicht aufstellen, wenn sie ernst genommen werden will. ({58}) In all diesen Fragen, meine Damen und Herren, geht es bei Ihnen nicht um das Können, es geht um das Wollen. Sie wollen diese Maßnahmen nicht ergreifen. Das ist die Wahrheit. ({59}) Die Massenarbeitslosigkeit widerspricht für sich schon den Geboten der sozialen Gerechtigkeit. ({60}) Mehr noch: Sie ist eine Beleidigung der Menschenwürde, ist bitterstes Unrecht. ({61}) Die Bitterkeit wächst noch, wenn man unterschwellig oder auch ganz offen denen, denen es besser geht, die Botschaft zukommen läßt, die Arbeitslosen, die Ärmeren oder doch viele von ihnen seien an ihrer Lage selber schuld. Sie seien entweder faul oder unfähig oder beides; ({62}) eine Botschaft, die übrigens genauso an bestimmte Instinkte appelliert wie das Gerede vom Neidkomplex oder von der Neidsteuer oder der banale Slogan, daß sich Leistung wieder lohnen müsse. Kein Wunder, daß sich gerade die Kirchen gegen solche Aspekte des Neo-Konservativismus, der Entsolidarisierung, der Verhöhnung der Schwächeren mit aller Entschiedenheit wehren. ({63}) - Glauben Sie wirklich, Herr Kollege, daß Ihr zügelloses und geistloses Geschrei irgend jemanden beeindruckt? Glauben Sie wirklich, daß Sie mit einer solchen Ansammlung von Magensäure und Gallenbitter irgendeinen Eindruck hervorrufen? ({64}) Das Fernsehen wird unserer Bevölkerung einmal mehr zeigen, wie die Argumente der Union aussehen. Es sind Kehlkopfargumente, keine Kopfargumente. ({65}) Aber, meine Damen und Herren, Sie begnügen sich ja nicht damit - ({66}) - Ich habe viel Geduld für Ihre Selbstdarstellung. ({67}) - Mir fällt immer auf, daß Sie bei mir viel wacher sind; wenn der Kanzler redet, schlafen Sie üblicherweise, Kollege Waigel. ({68}) - Meine Damen und Herren, diese Selbstdarstellung der Union ist unbezahlbar. ({69})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Vogel, einen Augenblick, bitte!

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich sage ja gar nichts, Herr Präsident.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Ich darf bitten, diese Episode der Zwischenrufe und Abreagierungen jetzt abzuschließen und zu der normalen Debatte zurückzukehren. ({0})

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bin nicht sicher, daß der Herr Präsident mit seinen Ermahnungen mehr Glück hat als ich. Aber das wird sich zeigen. Meine Damen und Herren, Sie begnügen sich ja nicht damit. Sie produzieren vielmehr Tag für Tag neues und zusätzliches soziales Unrecht. Wir kritisieren nicht, daß Sie sparen, wenn man auch über das Ausmaß der Einsparungen mit gutem Grund streiten kann - da warnt Sie inzwischen sogar schon die Bundesbank -, wir kritisieren, wie Sie sparen. Wir kritisieren, daß Sie den Schwächeren nehmen und den Stärkeren geben, und das tun Sie im Übermaß. Sie haben das Mutterschaftsgeld gekürzt und die Vermögensteuer gesenkt, den Schwerbehinderten die Freifahrt genommen, aber den Einschnitt in den Dschungel der Subventionen und Steuerbefreiungen nicht gewagt, obwohl Herr Stoltenberg dies Jahr für Jahr in der Opposition angekündigt hat. ({0}) Genauso ungerecht - die Landwirte spüren es j a und sagen es Ihnen - verteilen Sie die Landwirtschaftsmilliarden. ({1}) Auch hier geben Sie den Großen zuviel und den Kleinen zuwenig. Empörend ungerecht ist auch, was Sie im nächsten Jahr den Rentnern zumuten, nämlich eine reale Kürzung ihrer Renten, und zwar auch der Renten, die in der Nähe des Sozialhilfesatzes liegen. Selbst Ministerpräsidenten Ihrer eigenen Partei bezeichnen diesen Umgang mit den Rentnern inzwischen als unerträglich, allerdings nur solche, die gerade Wahltermine vor sich haben. Empörend ist das vor allem auch deshalb, weil gleichzeitig Ledige mit zu versteuerndem Jahreseinkommen über 50 000 DM und Verheiratete mit Einkommen über 100 000 DM von jeglicher Beteiligung an den Sparmaßnahmen freigestellt werden. Belastung der Rentner, Freistellung derer, die 50 000 DM allein im Jahr und 100 000 DM als Verheiratete im Jahr haben. ({2}) Wie von uns vorausgesagt, ist der Wechselbalg der Investitionsanleihe wegen offensichtlicher Verfassungswidrigkeit beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gescheitert. Herr Stoltenberg, der sich früher über Niederlagen seiner Amtsvorgänger so erregt hat, hat damit in Karlsruhe innerhalb kürzester Zeit bereits die zweite Niederlage erlitten. Das hat zur Folge, daß die höher Verdienenden ihre bisherigen Zahlungen als eine Art zusätzliches Weihnachtsgeld, einige sogar noch mit Zinsen, in einer Zeit zurückbekommen, in der Millionen von Arbeitnehmern eine fühlbare Kürzung ihres Weihnachtsgeldes gerade in diesen Tagen hinnehmen müssen, weil Sie für dieses Weihnachtsgeld bei den Normalverdienern die Beitragspflicht eingeführt haben; wohl gemerkt wieder bei den Normalverdienern, nicht bei denen mit einem Monatseinkommen von über 5 200 DM. Da fehlte Ihnen der Mut. ({3}) Die bleiben auch von dieser Belastung frei. Das heißt doch, daß Sie die soziale Gerechtigkeit geradezu mit Füßen treten. Wenn wieder Klassengegensätze entstehen, dann nicht, weil wir auf die Tatsache hinweisen, sondern weil Sie eine Politik der sozialen Ungerechtigkeit treiben. ({4}) Es wäre, nein, es ist Ihre Pflicht, Herr Bundeskanzler, dies unverzüglich durch die Verabschiedung einer wirklichen Ergänzungsabgabe in Ordnung zu bringen. Wir haben zu diesem Zweck einen Gesetzentwurf eingebracht, der genau die Abgabe zum Inhalt hat, die die Union in ihrem Wahlprogramm und Sie voran im Januar 1983 versprochen und angekündigt haben. Es wird sich zeigen, meine Herren von der geistig-moralischen Erneuerung, ob Sie dem Unrecht noch den Wortbruch hinzufügen wollen. ({5}) Ihr famoser Generalsekretär wird Sie dann wohl in der unnachahmlichen Sprache der christlich-demokratischen Erneuerung „Abgabenbetrüger" oder „Abgabenlügner" titulieren, wenn er eine Spur von Konsequenz und Ehrlichkeit hat. ({6}) Sie belasten den sozialen Frieden auch noch auf andere Weise. Aus Ihrer Mitte wird gefordert die Montan-Mitbestimmung zu beenden. Gestern vor den Kohlearbeitern haben Sie kein Wort zur Montan-Mitbestimmung gesagt. Sie reden einer Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes das Wort, die darauf abzielt, die Belegschaften der Betriebe aufzusplittern und die Gewerkschaften zu schwächen. Sie wollen ein sogenanntes Beschäftigungsförderungsgesetz in Kraft setzen, das in Wahrheit die Entlassungen erleichtert und einmal mehr Arbeitnehmerrechte, die wir in Jahrzehnten erkämpft haben, abbaut und die sozialen Gewichte erneut zuungunsten der Arbeitnehmer verschiebt. ({7}) Sie, Herr Bundeskanzler, zögern das Gespräch mit den Gewerkschaftsvorsitzenden, das Sie großartig angekündigt haben, immer weiter hinaus. Inzwischen mahnen die Gewerkschaftsvorsitzenden bei Ihnen das Gespräch an. Ihre Pflicht wäre es, Ihre angekündigte Initiative endlich auch zu verwirklichen. Mit all dem fordern Sie die Gewerkschaften geradezu heraus, die gleichen Gewerkschaften, die Sie auf Gewerkschaftskongressen - allerdings nur auf ausgewählten - umwerben und als Garanten der sozialen Stabilität feiern. Ich sage Ihnen - und zwar mit Sorge - voraus: Diese Politik wird eine schlimme Folge haben. Auch hier gilt: Wer Wind sät, wird Sturm ernten. ({8}) Alle Umfragen zeigen, daß unser Volk neben der Friedenssicherung, der Überwindung der Arbeitslosigkeit und der Bewahrung der sozialen Gerechtigkeit den Schutz der Umwelt, den Friedensschluß mit der Natur, für die zentrale Aufgabe der deutDr. Vogel schen Politik hält. Ihre Reden und Ankündigungen tragen dem Rechnung, Ihre Taten nicht. Sie werfen uns vor, während unserer Regierungsverantwortung sei zuwenig geschehen. Ich widerspreche dem gar nicht pauschal. ({9}) - Regen Sie sich nicht künstlich auf! Ich widerspreche dem gar nicht pauschal. Wir und wohl nicht nur wir - es sei denn, Sie schließen sich da aus - haben in den letzten Jahren in Umweltfragen noch dazugelernt. ({10}) Auch ist vieles, was Sozialdemokraten wollten, am damaligen Wirtschaftsminister, an Graf Lambsdorff, gescheitert, gegen dessen Veto vor allem in der Zeit, in der er die Wende vorbereitete, auch auf diesem Gebiet nichts durchzusetzen war. ({11}) Aber Sie, meine Damen und Herren, sind die letzten, die uns das vorhalten könnten. Sie als Opposition haben doch damals jedem Gesetzentwurf, jedem Vorschlag, den wir zum Schutz der Umwelt einbrachten, jedenfalls zunächst einmal den hartnäckigsten Widerstand entgegengesetzt. „Industriefeindlichkeit, Systemzerstörung, Ausstieg aus der Industriegesellschaft, Vernichtung von Arbeitsplätzen", das war doch das mindeste, was Sie uns vorwarfen, etwa beim Benzinbleigesetz, beim Verkehrslärmschutzgesetz oder beim Abwasserabgabengesetz, das durch Sie bis in den Vermittlungsausschuß hinein verschlechtert und verwässert worden ist. ({12}) In der Sache selbst ist Ihr Zickzackkurs durch die Stationen Buschhaus, Katalysator-Stichtag und Tempolimit gekennzeichnet. Auf mannhafte Ankündigungen folgen jeweils der Widerruf und der Rückzug. Aus Gründen, die Ihr Geheimnis bleiben, Herr Bundeskanzler, veranlassen Sie meistens auch noch Ihre Bundestagsfraktionen dazu, zunächst Beschlüsse zu fassen, die dann alsbald widerrufen werden, notfalls sogar in eigenen Sondersitzungen während der Ferien. Das Ergebnis solcher umweltpolitischen Springprozessionen ist, daß die Umweltzerstörung fortschreitet und gleichzeitig Arbeitsplätze gefährdet werden, insbesondere in der Automobilindustrie, die klare und harte Entscheidungen viel eher akzeptieren kann als das Gegenteil, nämlich ein Durcheinander, auf das sich weder Produktionsprogramme noch Umrüstungen der Produktionsbänder stützen lassen. Der Appell eines ganz großen Verbandes, jetzt keine Autos zu kaufen, spricht Bände. Ihre Politik, nicht die der von Ihnen immer vorgeschobenen GRÜNEN und schon gar nicht die von uns Sozialdemokraten hat diesen gefährlichen Appell veranlaßt und zu verantworten. Ich appelliere an Sie, hier endlich für klare Vorgaben und klare Entscheidungen zu sorgen. ({13}) Wir beschränken uns nicht auf Kritik. Wir sind bereit, als Opposition auch auf diesem zentralen Gebiet der Politik Mitverantwortung zu übernehmen. Schon im August habe ich Ihnen vorgeschlagen, die im Bundestag vertretenen Parteien und Fraktionen alsbald zu interfraktionellen Gesprächen einzuladen - schon im August! -, um unverzüglich zu einem von allen Fraktionen getragenen Maßnahmenbündel zur Rettung der Umwelt - einschließlich einer Grundgesetzänderung - zu kommen. Die von Ihnen angekündigte Terminfestsetzung wird immer weiter hinausgeschoben und ist bis heute nicht ergangen. ({14}) - Aber lieber Herr Kollege Dregger, wir haben gar nichts vereinbart. Sie haben mir eröffnet, daß Sie frühestens im Dezember in der Lage sind, ein solches Gespräch zu führen. ({15}) Ich habe es zur Kenntnis genommen. Wenn Sie in Ihrer Fraktion keinen früheren Termin durchbekommen, kann ich das doch nicht durchsetzen. Wer ist denn bei der Union Fraktionsvorsitzender? ({16}) Sie doch wahrscheinlich. Machen Sie sich hier bitte nicht mit der billigen Ausrede lächerlich, ich hätte, weil Sie in Schwierigkeiten waren, Ihrer Terminverlegung zugestimmt. Das war auf dem Höhepunkt des Barzel-Falles. Da habe ich Verständnis gehabt, daß Sie gesagt haben, Sie könnten das jetzt nicht beraten. Aber ich habe doch nicht zugestimmt; das ist doch abwegig. Im übrigen, Ihr Verhalten gegenüber meinem Vorschlag vom August, ein Gespräch zu führen, das im November immer noch nicht zustande gekommen ist, zeigt, was Sie von der Gemeinsamkeit, die Sie ständig im Munde führen, in der Praxis eigentlich halten, nämlich gar nichts oder sehr wenig. ({17}) Die Lage der Bundesrepublik hat sich unter Ihrer Regierungsverantwortung nicht verbessert, sondern verschlechtert. ({18}) Von einer Wende im Sinne einer geistig-moralischen Erneuerung kann keine Rede sein. Im Gegenteil! Die Staatsverdrossenheit wächst. Da und dort zeigen sich Ansätze zu einer Fundamentalopposition, und auf der anderen Seite entwickelt sich eine Mentalität unpolitischer Anpassung an die herrschenden Verhältnisse. ({19}) Dabei drohen die großen Herausforderungen unserer Zeit aus dem Blick der Politik zu geraten, die Herausforderungen, die sich aus den großen Veränderungen der objektiven Gegebenheiten einerseits und des Bewußtseins und des Lebensgefühls der Menschen andererseits herleiten. Das sind die wichtigsten: Erstens. Die Menschheit ist, ob uns das nun schon voll im Bewußtsein steht oder nicht, erstmals in ihrer Geschichte in der Lage, sich selbst zu vernichten. Zweitens. Die Verflechtung aller Lebensbeziehungen, nicht nur der wirtschaftlichen, ist heute über den gesamten Globus hinweg in einem vor kurzem noch unvorstellbaren Maß fortgeschritten. Die Auseinandersetzung über das Seerechtsübereinkommen ist nur ein Indiz dafür, daß wir in Wahrheit die Schwelle zu einer Weltinnenpolitik bereits überschritten haben. Das Seerechtsübereinkommen ist ein erster Schritt zu einer vernünftigen Weltinnenpolitik. ({20}) Drittens. Nicht allein der Schutz des Menschen vor der Naturgewalt wie eh und je, sondern mehr und mehr auch der Schutz der Natur vor der Menschengewalt, vor der in ganz neue Dimensionen gewachsenen technischen Gewalt der Menschen wirft Probleme nicht gekannter Tragweite auf. Viertens. Als Folge der sich immer noch weiter beschleunigenden technischen Entwicklung verändert sich die herkömmliche Arbeitswelt, insbesondere die Quantität, aber auch die Qualität der erforderlichen Arbeit, ebenso rasch wie einschneidend. In einem Satz zusammengefaßt: Die Macht der Menschen, etwas zu tun, um in Raum und Zeit hineinzuwirken, ist in gewaltiger, ja in bestürzender Weise über unsere Fähigkeit hinausgewachsen, Entwicklungen vorauszusehen und die immer rascher wechselnden Zusammenhänge zu begreifen und entsprechend zu handeln. Immer wieder stoßen wir auf das Problem, daß die ethisch-moralische Kraft der Menschen mit dem Anwachsen ihrer Zerstörungs- und Vernichtungskraft in den letzten 30, 35 Jahren nicht Schritt gehalten hat und daß die Kraft des Menschen nicht nur gute - die gibt es natürlich auch -, sondern auch schädliche Folgen hervorruft, die er nicht beabsichtigt, nicht vorhergesehen hat, ({21}) daß diese Kraft nicht mehr mit dem gigantischen Ausmaß möglicher Schäden in Einklang steht. Hier liegen die Wurzeln weltweiter Sorgen und Proteste. Immer mehr Menschen wollen, daß sich das Tempo der Entwicklung nicht immer weiter beschleunigt, daß die Macht und Gewalt über Menschen und Materie nicht immer unkontrollierbarer gesteigert wird, auf dem Gebiet der Gentechnologie bis hin zur Manipulierbarkeit noch ungeborener Generationen. Das gilt auch für den Rüstungswettlauf. Das gilt für unser Verhältnis zur Natur. Das gilt für die Auswirkungen der technologischen Entwicklung auf den Bedarf an menschlicher Arbeitskraft im Produktionsprozeß. Das gilt auch für die Beziehungen zur Dritten Welt und den sozialen Sprengstoff, der sich dort, nicht zuletzt durch die Bevölkerungsexplosion, angehäuft hat. Darauf, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen in Regierung und Parlament, müssen wir antworten. Hier entscheidet sich die Zukunft. Die GRÜNEN und auch die neuen Bewegungen, die Friedens- und die Umweltbewegung, die DritteWelt-Bewegung etwa, sind in erster Linie Indikatoren für politische Defizite auf diesem Gebiet, für Defizite auch im Problembewußtsein. Dies zu erkennen heißt doch nicht, den Bewegungen nachzulaufen. Dies zu erkennen ist die Voraussetzung für eine fruchtbare Auseinandersetzung mit diesen Defiziten und für ihren Abbau und ihre Überwindung. ({22}) Sie, Herr Bundeskanzler, versagen sich leider dieser Auseinandersetzung. Sie schweigen darüber, welches Menschenbild, welches Staats- und Gesellschaftsverständnis Sie Ihrer Politik zugrundelegen. Diejenigen in Ihrer eigenen Partei, die sich diesen Fragen stellen, z. B. Herr Biedenkopf oder Herr Remmers aus Niedersachsen, sind nicht Ihre Freunde, Herr Remmers wohl auch deswegen nicht, weil er einmal gesagt hat, manche hätten ein so dickes Fell, daß sie auch ohne Rückgrat stehen könnten. ({23}) Sie halten solche Leute wahrscheinlich für unbequem, für störend, für lästig. Mit geistiger Führung hat das alles nichts zu tun, eher mit Lähmung und Erstarrung, die sich hinter einem Schaumgebirge von Worten verbirgt. Es hat mit einer redseligen Sprachlosigkeit zu tun, die Sie kennzeichnet. ({24}) Das spüren inzwischen auch Ihre eigenen Anhänger. Einer von ihnen, der ein Vierteljahrhundert Ihrer Partei angehörte, schrieb Ihnen dazu vor kurzem: Ich könnte und müßte Ihnen noch vieles sagen. Aber wie gerade die Diskussion in den letzten Tagen gezeigt hat, ist es sinnlos, mit Ihnen über christliche Grundwerte, über die Soziallehre, über Partnerschaft, über Nächstenliebe oder Solidarität zu diskutieren. Als Christ und als Arbeitnehmervertreter kann ich Ihre Politik nicht mehr unterstützen und Ihre Art von „Ehrenkodex" nicht mehr verteidigen. Mein Gewissen gebietet mir nach 25 Jahren, meine Mitgliedschaft in der CDU und ihren Vereinigungen zu kündigen. Das ist ein Alarmzeichen. ({25}) Ich bin nicht sicher, Herr Bundeskanzler, ob Sie dieses Alarmzeichen verstehen. Wenn Sie es verstehen, müßten Sie Ihren Kurs ändern oder Ihren Platz für einen Kompetenteren aus Ihren eigenen Reihen frei machen. Das ist die Alternative. ({26}) Wir sehen voraus, daß Sie weder zu dem einen noch zu dem anderen die Kraft aufbringen werden. Vielmehr spricht alles dafür, daß Sie auf Ihrem Kurs unerschütterlicher Untätigkeit, fortschreitender Entsolidarisierung und der Anhäufung immer neuer Pannen, aber auch Skandale beharren werden. ({27})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Dr. Hans Jochen Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002379, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Deshalb lehnen wir Ihren Haushalt, den Einzelplan 04, ab und werden das in namentlicher Abstimmung deutlich machen. ({0})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Dregger. ({0})

Dr. Alfred Dregger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000418, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die heute allerdings besonders laute und angestrengte Rede des Herrn Oppositionsführers konnte nicht besser sein - das sage ich zu seiner Entschuldigung - als die Politik, die er zu vertreten hat. ({0}) Es ist die Politik einer Partei, die nicht erst seit dem Regierungswechsel - aber seitdem ungehemmt - ohne Weg und Ziel dahintreibt und sich ihrem Niedergang hingibt. ({1}) Was an dieser Rede unangenehm berührt, ist das hohe Maß an Selbstgerechtigkeit, das Herrn Vogel allerdings schon immer ausgezeichnet hat. ({2}) Meine Damen und Herren, immer wiederholte Angebote zur Zusammenarbeit mit der Regierung und der Koalition auf der einen Seite und ständige persönliche Angriffe an die Adresse derer, mit denen er angeblich zusammenarbeiten will, schließen sich in der Tat aus. Lassen Sie mich meinen Beitrag mit einem Fall ({3}) aus der Praxis eines Wahlkreisabgeordneten beginnen, den sicherlich viele von Ihnen in ähnlicher Weise erleben. In der letzten Woche erschien in meinem Wahlkreis in Fulda eine Delegation von Gehörlosen, die an mich die Frage stellten, ob denn nun der Wegfall der Fahrtvergünstigung für sie und ihre Schicksalsgefährten unvermeidlich gewesen und ob er korrigierbar sei. Wenn an mich - und Ihnen wird es nicht anders gehen - eine solche Frage gestellt wird, dann trifft mich das tief. Dann bin ich keineswegs der Meinung, daß alles das, was wir bei der katastrophalen Lage der Staatsfinanzen relativ schnell beschließen mußten, nun auch richtig und auf Dauer unkorrigierbar sei. ({4}) Die Tatsache, daß Korrekturen im einzelnen natürlich Berufungsfälle sein würden, macht die Lage nicht leichter. Aber es ist doch nicht zu leugnen, daß hier und da in der Tat erhebliche Härtefälle entstanden sind. Das ist die eine Seite des Problems. Die andere Seite ist der Oppositionsführer, der Herr Kollege Vogel. Herr Kollege Vogel, wenn Sie aus diesen und ähnlichen Fällen ableiten wollen, wir - die Unionsparteien - und unser Koalitionspartner betrieben eine Politik der Umverteilung von unten nach oben, dann ist das eine arrogante Behauptung, die ich mit Energie zurückweisen muß. ({5}) Wer hat denn die Lage geschaffen, ({6}) die uns gezwungen hat, nun zur Sanierung der Staatsfinanzen relativ kurzfristig ({7}) harte Entscheidungen zu treffen, die im Einzelfall sicherlich auch nicht unproblematisch waren? Das waren doch Sie, meine Damen und Herren, doch nicht wir. Das müssen wir doch einmal festmachen. ({8}) Wie war denn die Haushalts- und die Ausgangslage 1969, als Sie die Regierungsverantwortung übernahmen? Damals war unser Land so gut wie schuldenfrei. Es gab keine Arbeitslosen. Die Kassen waren voll. So war es 1969. Als Sie vor zwei Jahren die Regierungsverantwortung an uns abtreten mußten, hatten Sie unser Land in ein Schuldenchaos gestürzt, und Sie hatten Massenarbeitslosigkeit bewirkt. Diese hatten Sie in der Ara Brandt und Schmidt verzehnfacht. ({9}) 1982 standen die sozialen Sicherungssysteme vor dem Zusammenbruch, und deswegen mußten wir handeln. Wir sind immer noch dabei, den Schutt wegzuräumen, den Sie hinterlassen haben. ({10}) Damit sind wir noch nicht fertig. Aber wir haben in zwei Jahren erstaunliche Erfolge erzielt. ({11}) Wir haben nicht wie bei Ihnen ein Minuswachstum, sondern in diesem Jahr wieder ein reales Wirtschaftswachstum von 2,5 %. Der Sachverständigenrat erklärt in seinem Jahresgutachten, daß wir im kommenden Jahre sogar mit einem Wachstum von 3 % real rechnen könnten, vorausgesetzt allerdings, daß nicht Ihre Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gemacht wird, sondern unsere. ({12}) Wir haben wieder Geldwertstabilität wie zu Ludwig Erhards Zeiten. Wir haben wieder Überschüsse, und zwar nicht nur in der Handels-, sondern auch in der Leistungsbilanz. All das war unter Ihrer Verantwortung verlorengegangen. Wir haben Ihre Schuldenmacherei, die man nur als liederlich bezeichnen kann, wesentlich zurückgeführt. Die Kurzarbeit ist drastisch gesenkt, die Arbeitslosigkeit gestoppt. ({13}) Der Sachverständigenrat erwartet für das Jahr 1985 eine nennenswerte Verringerung der Arbeitslosigkeit, vorausgesetzt allerdings wieder, daß nicht die von Ihnen empfohlene Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gemacht wird, sondern unsere Wirtschafts-, Finanz und Sozialpolitik. ({14}) Nun stellen Sie sich, Herr Kollege Vogel, an dieses Pult - ich weiß nicht, ob vielleicht als zweiter Weltökonom -, um uns zu lehren, was wir zu tun hätten, um das noch schneller in Ordnung zu bringen, was Sie - wer sonst? - in 13 Jahren in Unordnung gebracht haben. Das ist doch eine erstaunliche Politik. ({15}) Was für die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik gilt, gilt in ähnlicher Weise auch für die Außen- und Sicherheitspolitik. Was wäre denn wohl aus dem Bündnis und der Sicherheit unseres Landes an der Grenze von Ost und West geworden, wenn wir uns so verhalten hätten wie Sie, wenn wir nicht in der Nachrüstungsentscheidung das Versprechen eingelöst hätten, das der von Ihnen verlassene Bundeskanzler Schmidt einmal der Allianz gegeben hatte? ({16}) - „Vernünftiger Kompromiß"? - Wenn jetzt wirklich Aussicht besteht, daß die Sowjetunion in ernsthafte Verhandlungen mit den Vereinigten Staaten von Amerika und ihren europäischen Verbündeten eintreten muß, dann liegt das doch nur daran, daß die Sowjetunion zum ersten Male seit Jahren weiß, daß sie auf dem innenpolitischen Felde ihrer Verhandlungspartner, wo ihr als Instrumente die Bruderparteien, Tarnorganisationen, idealistische Friedensbewegungen und andere zur Verfügung stehen, keine konzessionslosen Erfolge mehr einheimsen kann, sondern daß sie jetzt nur am Verhandlungstisch zu Ergebnissen kommen kann. ({17}) Meine Damen und Herren, wenn wir uns so verhalten hätten wie die SPD, dann käme es jetzt allerdings nicht zu ernsthaften Verhandlungen zwischen Ost und West. ({18}) Wir hätten keine Aussicht auf eine gesicherte Friedensordnung, vor der wir nach meiner Überzeugung stehen. Meine Damen und Herren, Opposition ist ein schwieriges Geschäft. Ich weiß, wie Sie wissen, wovon ich spreche. Ohne einen sauberen programmatischen und strategischen Ansatz, Herr Kollege Vogel, kann Opposition keinen Erfolg haben. Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, fehlt beides: Sie haben weder ein gültiges Programm noch haben Sie einen demokratischen Partner, mit dem Sie gemeinsam die Verantwortung für Deutschland übernehmen könnten. ({19}) Vielleicht sollten wir uns einen Moment darüber unterhalten, ehe ich unsere Politik zu erläutern versuche. ({20}) Erste Frage an die SPD: Welches sind Ihre Ziele? ({21}) Welches Programm haben Sie? Was gilt noch vom Godesberger Programm, das Sie einmal regierungsfähig gemacht hat? Inwieweit ist es inzwischen grün eingefärbt? ({22}) Einige Beispiele. Im Godesberger Programm heißt es - ich zitiere wörtlich -: Sie - die SPD steht zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In seinem Sinne erstrebt sie die Einheit Deutschlands in gesicherter Freiheit. Gilt das noch? ({23}) Deutscher Bundestag - 10. ahlperiode Dr. Dregger Herr Brandt spricht heute von der Fiktion der deutschen Frage. ({24}) Ob die Deutschen jenseits der Teilungsgrenze das genauso empfinden wie Herr Brandt, meine Damen und Herren? ({25}) Das, was sich im Ostblock zur Zeit in den deutschen Botschaften ereignet, spricht nicht dafür, daß z. B. die Mitteldeutschen darüber genauso denken wie Herr Brandt. Herr Apel hält die deutsche Frage nicht mehr für offen. Er erhält dafür von der SED wie von den GRÜNEN in gleicher Weise Beifall. ({26}) Spüren Sie nicht, meine Damen und Herren von der SPD, daß Sie durch diese Abkehr von Ihrem Godesberger Programm, ({27}) das Sie vor 25 Jahren beschlossen haben, Positionen - nicht sofort, aber auf mittlere Sicht - in Frage stellen, auf denen die Präsenz unserer Alliierten in West-Berlin beruht? Daß ausgerechnet Herr Apel, der diese These vertritt, Bürgermeister von Berlin werden will, wirkt doch wie ein Affront gegen das freie Berlin und gegen die Berliner, meine Damen und Herren. ({28}) Sie haben auch einen zweiten wichtigen Punkt Ihres Godesberger Programms aufgegeben: das uneingeschränkte Bekenntnis zur Landesverteidigung. ({29}) Wenn das, was Sie damals sagten, für Sie, meine Damen und Herren von der SPD, heute noch maßgebend wäre, dann könnten sich Sozialdemokraten doch nicht an Kasernenblockaden und Manöverbehinderungen beteiligen ({30}) - die GRÜNEN freuen sich, daß das heute anders ist -, ({31}) dann könnten Sozialdemokraten nicht behaupten, bei Gelöbnissen unserer jungen Soldaten inmitten der demokratischen Öffentlichkeit sei Militarismus am Werk, ({32}) dann könnte Herr Lafontaine nicht sagen, Wehrdienstverweigerung sei geradezu eine moralische Pflicht. ({33}) Das heißt doch: Wer seinen Wehrdienst leistet, handelt unmoralisch. Meine Damen und Herren, spüren Sie nicht, in welcher Weise hier ein Amtsträger der Republik unsere jungen Wehrpflichtigen verspottet, die doch von dieser Republik verpflichtet worden sind, Wehrdienst zu leisten? ({34}) „Die SPD hat Schlagseite." ({35}) Das ist ein Zitat, ein Wort von Brigadegeneral Wilfried Vogel, der früher Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission beim SPD-Parteivorstand war; er ist es nicht mehr. Jetzt ist Herr Lafontaine Mitglied dieser Kommission; das spricht doch Bände! ({36}) Wer in der SPD zur Landesverteidigung ja sagt, der fliegt, ({37}) wer das Ja zynisch verweigert, der wird Mitglied dieser Kommission. ({38}) Auch in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ist die SPD heute ohne Orientierung. Da ohne Programm, bleibt ihr nichts anderes übrig, als die alten Rezepte aus ihrer Regierungszeit anzubieten, die unser Land in das Schuldenchaos und in die Massenarbeitslosigkeit gestürzt haben. ({39}) - Nein, hier geht es um die deutsche Opposition; das ist eine wichtige Institution. ({40}) Nicht nur unsere, sondern auch Ihre Politik muß sich der Kritik vor dem freien deutschen Parlament stellen. ({41}) Alles in allem: Die SPD bietet heute das beklemmende ,Bild einer Partei, ({42}) die sich nicht mehr darüber verständigen kann, wo sie steht und wohin sie will. Auf der Suche nach Mehrheiten - ich zitiere Brandt - „links von der Union" hat sie Kompaß und Orientierung verloren. Das Schlimmste ist, daß sie sich einer Bewegung anbietet ({43}) 7518 Deutscher Bundestag - 10. ahlperiode Dr. Dregger - können Sie auch sagen -, deren Führung Gewalt als Mittel der Politik auch für die Zukunft nicht ausschließen will. Im Programm der hessischen GRÜNEN, mit denen Sie ja ein Bündnis eingegangen sind, heißt es beispielsweise - ich zitiere ({44}) Regel- und Gesetzesverletzungen können bis zur gezielten Sabotage gehen, wobei - und darin zeigt sich die ganze Humanität mit dem kleinstmöglichen Mittel der gewünschte Effekt erzielt werden soll. Ist das Gesetz so geschaffen, dann ist es notwendig, das Gesetz zu brechen. ({45}) An der Startbahn West, meine Damen und Herren - Sie können sich vielleicht noch erinnern -, ist dieses Programm längst verwirklicht worden. ({46}) Hessen ist das Exerzierfeld, Herr Matthöfer, trotz Matthöfer, für das vom Parteivorsitzenden Brandt auch für Bonn gewünschte Bündnis. Deshalb ist das hessische Exempel von bundespolitischer Bedeutung. ({47}) Die Aufkündigung von seiten der GRÜNEN hat nach meiner festen Zusammenarbeit ({48}) - nach meiner festen Überzeugung - die grünrote Zusammenarbeit nicht beendet. Hauptzweck dieses Kündigungsspektakels ist es offenbar, jeder Seite zu ermöglichen, die eigene Basis zu stabilisieren und auf diese Weise zur Wahlurne zu bringen. Herr Börner hat vorsorglich erklärt, er jedenfalls halte an dem mit den GRÜNEN vereinbarten grünroten Programm fest. Es geht also weiter, und der Einstieg ist jederzeit möglich. Zu diesem grün-roten Programm gehört, daß zahlreiche größere technische Projekte beerdigt werden. Die Beerdigungskosten betragen bereits jetzt ca. 360 Millionen DM. Darüber hinaus haben sich dieGRÜNEN - um in ihrer Sprache zu sprechen - „Staatsknete" aus dem Haushalt für ihre mehr als zweifelhaften Projekte beschafft. ({49}) Die Schulpolitik in Hessen soll sich noch radikaler als bisher vom Konsens mit den Eltern abkoppeln. Was sind schon Eltern? Das sind Bezugspersonen. Der Verfassungsschutz soll ausgehebelt, Verfassungsgegner sollen vermehrt in den öffentlichen Dienst eingeschleust werden. ({50}) In der Ausländerpolitik bricht Hessen alle Absprachen, die zwischen Bund und Ländern getroffen worden sind. Ohne Rücksicht auf einen Ausländeranteil von 23% in Frankfurt - in einzelnen Stadtteilen und einzelnen Schulen sind es bis zu 80 % ({51}) und ohne Rücksicht auf einen Ausländeranteil von 18,3% in Offenbach soll der Ausländerzuzug noch weiter erleichtert werden. ({52}) Im übrigen - ich erinnere Sie an dieses Blutattentat auf einen amerikanischen General - ist in Wiesbaden Antiamerikanismus Trumpf. Meine Damen und Herren, das ist das Modell für Deutschland, wie es sich der Parteivorsitzende der SPD vorstellt und der Fraktionsvorsitzende der SPD es unterstützt. ({53}) Es läuft einem kalt über den Rücken herunter ({54}) - um einmal mit Heribert Reitz, dem langjährigen sozialdemokratischen Finanzminister Hessens, zu sprechen, der als einziger aus Protest gegen diese Politik von seinem Amt zurückgetreten ist -, ({55}) es läuft einem eiskalt über den Rücken, wenn man sich vorstellt, daß dieses Bündnis einmal für die Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland Verantwortung tragen könnte. ({56}) Nun, meine Damen und Herren, zu unserer Politik der geistigen und politischen Erneuerung, die wir seit dem 1. Oktober 1982 praktizieren. Sie vollzieht sich vor allem auf vier Feldern: im Kampf gegen den Schuldenstaat, im Kampf gegen den Inflationsstaat, im Kampf gegen den Vorschriften- und Abgabenstaat, ({57}) der Innovationen erschwert und dadurch Arbeitslosigkeit produziert, und im Kampf gegen eine Politik, ({58}) die Kinderlosigkeit prämiert und Familien ins Abseits stellt. Auf allen vier Feldern haben wir mit beachtlichen Erfolgen die Wende eingeleitet. Im Umweltschutz haben wir sogar eine Vorreiterrolle in Europa übernommen. ({59}) Das wird schon daran deutlich, daß wir uns immer mehr an den einengenden Bestimmungen stoßen, die das Recht der Europäischen Gemeinschaft uns stellt. Wir Deutsche gehen im Umweltschutz heute so weit, wie es innerhalb des EG-Rechts nur irgend möglich ist, und wir versuchen alles, um dieses EG- Recht auszuweiten. Das ist die Wirklichkeit; so war sie nicht vor drei Jahren. ({60}) Erster Punkt: Kampf gegen den Schuldenstaat. Als Sie, meine Damen und Herren der SPD, 1969 die Regierung in Bonn übernahmen, ({61}) kündigten Sie als eines Ihrer wichtigsten Ziele - - Herr Ehmke, ich lasse mich durch Sie nicht daran hindern, hier meine Gedanken darzulegen. Aber es täte Ihnen sehr gut, wenn Sie einmal zuhören würden. ({62}) Aber es gibt Leute, die können überhaupt nicht zuhören, die können sich nur artikulieren. Sie kündigten eine erhebliche Ausweitung der Staatsquote an. Der Staat sollte in immer weitere Lebensbereiche der Bürger eindringen. So verfuhren Sie auch. Das staatliche Aufgabenfeld wurde kräftig ausgeweitet, private Initiativen wurden zurückgedrängt, der Entfaltungsspielraum von Unternehmern und Bürgern immer mehr eingeengt - durch Vorschriften, Steuern und Abgaben. Das Ergebnis, meine Damen und Herren, war der Schulden- und Abgabenstaat, der sich wie ein Krebsgeschwür ausbreitete und zur Lähmung der Volkswirtschaft führte. Auf diesem Felde war die Wende am dringlichsten. Die Regierung Helmut Kohl hat sie eingeleitet. Wir sind dabei, finanziellen Handlungsspielraum zurückzugewinnen. ({63}) Die größte Steuerentlastung der Nachkriegszeit steht bevor. Gleichzeitig - darin liegt der Erfolg - wird die Nettoneuverschuldung von Jahr zu Jahr zurückgeführt. Beides gleichzeitig zu erreichen - Rückführung der Nettoneuverschuldung und Fortsetzung unserer Steuerentlastungspolitik - wurde möglich, weil es uns gelungen ist, den Ausgabenzuwachs unter dem Anstieg des Bruttosozialprodukts zu halten. Für das kommende Haushaltsjahr rechnen unsere Haushälter mit einem Zuwachs von, Herr Carstens, 1 % oder unter 1 %. Es gibt zur Zeit keine Industrienation, die das in gleicher Weise von sich sagen könnte. In der Solidarität staatlicher Finanzpolitik sind wir in der Bundesrepublik Deutschland wieder Weltspitze. ({64}) Das hat nicht nur finanzielle und ökonomische Bedeutung. Schuldenpolitik, wie sie von den SPD- geführten Bundesregierungen betrieben wurde, gefährdet die geistigen Fundamente unseres Gemeinwesens, sie lähmt die Leistungsmotivation, sie führt zu Verantwortungslosigkeit, zu Anspruchsdenken und zu Abhängigkeit. Deshalb: Die Abkehr vom Schuldenstaat, die wir eingeleitet haben, ({65}) geht in ihrer Bedeutung weit über den ökonomischen und finanzwirtschaftlichen Bereich hinaus. Sie ist wesentlicher Bestandteil der geistigen und moralischen Erneuerung, die wir angekündigt haben und jetzt verwirklichen. ({66}) Zweites Feld: Kampf gegen den Inflationsstaat. Was für die Bekämpfung des Schuldenstaates gilt, gilt auch für die Bekämpfung des Inflationsstaates. ({67}) Die These des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt, 5% Inflation seien besser als 5% Arbeitslosigkeit, hat sich als falsch erwiesen; nicht nur ökonomisch, meine Damen und Herren. Mit der Inflation stieg die Arbeitslosigkeit, und nicht nur das. Die Inflation begünstigte die Schuldenmacher, die Inflation verschlechterte die Situation der Sparer und der unteren Einkommensschichten. 1 % mehr Geldentwertung bedeutet eine Kaufkraftminderung für die privaten Geldvermögen im Umfang von 18 Milliarden DM. Für die Arbeits- und Renteneinkommen bedeutet 1 % weniger Inflation eine reale Erhöhung der Renten und Löhne in Höhe von 7 Milliarden DM. Die Verringerung der Geldentwertungsrate von über 5% auf jetzt etwa 2 %, also um mehr als 3%, die uns gelungen ist, erhöht die Kaufkraft der privaten Geldvermögen um zirka 50 Milliarden DM ({68}) und die Einkommen der Rentner und Arbeitnehmer um zirka 20 Milliarden DM. ({69}) Unsere Stabilitätspolitik hat jedenfalls den Rentnern und den Arbeitnehmern der unteren Einkom7520 mensschichten mehr gebracht, als jede nominale Lohnerhöhung zustande bringen könnte. ({70}) Daß wir heute wieder Geldwertstabilität haben wie zu Ludwig Erhards Zeiten, ist daher vor allem eine soziale Errungenschaft. ({71}) Dritter Punkt: Kampf gegen den Kosten- und Vorschriftenstaat, der Innovationen verhindert und dadurch Arbeitslosigkeit produziert. Es ist uns gelungen, den durch die verfehlte Politik der Regierungen Brandt und Schmidt ausgelösten raketenhaften Anstieg der Massenarbeitslosigkeit um das Zehnfache - von 200 000 auf saisonbereinigt 2 Millionen im Jahre 1982 - zu stoppen. ({72}) Die Kurzarbeit ist drastisch zurückgegangen. Der Sachverständigenrat rechnet für das kommende Jahr mit einem nennenswerten Rückgang der Arbeitslosigkeit. Meine Damen und Herren, Sie können natürlich einwenden, das, was die Sachverständigen sagen, stimmt alles nicht. ({73}) - Ja, Sie sind sicherlich sachverständiger als die Sachverständigen. Glauben Sie etwa, Sie können sich damit nutzen? Wir erzielen seit Jahren, von Jahr zu Jahr Ausbildungsrekorde. Darüber reden Sie gar nicht mehr, weil es nichts mehr zu bemängeln gibt. Ich nutze die Gelegenheit, den deutschen Ausbildungsbetrieben auch von dieser Stelle aus herzlich zu danken. ({74}) Auch hinter diesen Erfolgen stecken nicht nur finanz- und wirtschaftspolitische Steuerungsmaßnahmen. Auch hier mußte eine geistige Auseinandersetzung geführt werden mit der SPD, mit der Führung des DGB ({75}) und einem Teil seiner Gewerkschaften. Ich betone: mit einem Teil. Mit vielen Gewerkschaften, auch DGB-Gewerkschaften, haben wir in den letzten zwei Jahren ganz ausgezeichnet zusammenarbeiten können. ({76}) Wir haben Tarifautonomie, ({77}) und niemand wird sie anrühren. Aber die Folgen der Tarifentscheidungen treffen alle, das ganze Volk. Und die Vertreter des Volkes sind die gewählten Abgeordneten. Wir sind die legitimen Vertreter, sonst niemand. Deshalb haben wir nicht nur das Recht, wir haben die Pflicht, zu mahnen und zu Entscheidungen zu drängen, die nach unserer Beurteilung mit dem Gemeinwohl vereinbar sind. Wir haben das, wie Sie wissen, zum Thema Arbeitszeitverkürzung in aller Offenheit getan. Bei der öffentlichen Diskussion darüber hat sich zu meiner Freude gezeigt, daß die große Mehrheit unseres Volkes von der Philosophie des Klassenkampfs und des Leistungsabbaus nichts hält - Gott sei Dank. Auch auf diesem Feld vollzieht sich eine geistige und moralische Erneuerung, die zugleich eine Rückbesinnung ist auf die großen Leistungen, die das deutsche Volk nach dem Krieg beim Wiederaufbau nach den Regeln der Sozialen Marktwirtschaft erbracht hat. ({78}) Vierter Punkt: Kampf gegen eine Politik, die Kinderlosigkeit prämiert und Familien ins Abseits stellt. ({79}) Auch in der Familienpolitik hat sich ein grundlegender Wandel vollzogen. ({80}) Das ist nicht nur an Haushaltszahlen abzulesen. Uns ging und geht es um eine ideelle und moralische Offensive für Kinder, Mütter und Familien. ({81}) Die Wertschätzung, die wir für sie empfinden, muß ihren Ausdruck in den Rahmenbedingungen finden, die der Staat setzt. In den 70er Jahren mußte der durchschnittlich verdienende Arbeitnehmer erkennen, daß Kinderreichtum sozialen Abstieg bedeutete. Nicht weniger schädlich wirkte sich ein Umstand aus: Die SPD setzte die Familie auch als Institution herab. ({82}) Sozialdemokratische Familienpolitik stufte die Eltern als Bezugspersonen für Kinder ein ({83}) und die Kinder als - ich zitiere - „Objekte elterlicher Fremdbestimmung". ({84}) Im regierungsamtlichen Familienbericht hieß es 1965 im neomarxistischen Soziologendeutsch, die Familie sei eine Sozialisationsagentur - man kann es kaum aussprechen ({85}) mit Kosten für pädagogische Dienstleistungen. Sie sei ein Konsumträger und regele den Reproduktionsprozeß der Gesellschaft. ({86}) Meine Damen und Herren, der Familienfeindlichkeit, die dieser Sprache zu entnehmen ist - ich finde diese Sprache unmenschlich -, haben wir den Kampf angesagt. ({87}) Wir bauen die Benachteiligungen und Barrieren ab, ({88}) die dem natürlichen Wunsch nach Kindern entgegenstehen. Wir dehnen das Erziehungsgeld ab 1986 auf alle Mütter bzw. Väter aus, die sich ihrem Kind in seinem ersten Lebensjahr ganz widmen. Wir erhöhen das ab 1988. Wir berücksichtigen die durch Kinder entstehenden Kosten bei der Steuerbemessung endlich wieder durch einen nennenswerten Kinderfreibetrag ab 1986. ({89}) Den unteren Einkommensschichten, die davon nicht profitieren, geben wir einen Zuschlag zum Kindergeld. ({90}) Ab 1. Januar 1985 wird für Jugendliche ohne Ausbildungsplatz und für junge Arbeitslose bis zum 21. Lebensjahr wieder Kindergeld gezahlt. Damit wird das Unrecht beseitigt, das die SPD beim Kindergeld angerichtet hat. ({91}) Der größte Fortschritt, meine Damen und Herren, vollzieht sich für Mütter im Rentenrecht. Erstmals in der Geschichte wird wenigstens ein Erziehungsjahr als Leistung bewertet, die im Rentenrecht rentensteigernd angerechnet wird. Das ist ein Durchbruch. ({92}) Daß hinter diesen Reformen unser Bild vom Menschen als einem Glied in der Kette der Generationen, als Teil einer Gemeinschaft, der menschenwürdigsten Gemeinschaft, die es überhaupt gibt, steht, muß jeder spüren. Wir konnten diese Reformen nicht mit der Regierungsübernahme in Kraft setzen. Vorangehen mußte unser Kampf gegen den Schulden- und Inflationsstaat. Jetzt, von 1986 bis 1988, können wir die familienpolitischen Reformen ohne steigende Neuverschuldung, ohne Steuer- und Abgabenerhöhung und ohne Gefährdung unseres Kurses der Stabilität und der Solidität in Kraft setzen. Meine Damen und Herren, der Haushalt, über den wir heute debattieren, beschreibt demnach mehr als eine finanzpolitische Wende. Er ist Ausdruck einer neuen Politik. Auf ihre Ergebnisse können alle stolz sein, die daran mitgewirkt haben: Regierung und Koalition, FDP, CSU und CDU. ({93}) Danken will ich vor allem dem Mann, der an der Spitze des Regierungslagers steht und damit auch im Mittelpunkt der Kritik, einer häufig sehr unsachlichen, teilweise sogar böswilligen Kritik, ({94}) dem aber auch die erzielten Leistungen persönlich zuzurechnen sind. Ich danke Helmut Kohl mit großem Respekt. ({95}) Ich versichere Ihnen, daß ihn die CDU/CSU-Bundestagsfraktion auch in Zukunft mit Nachdruck unterstützen wird. ({96})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Der Präsident hat mich gebeten, darauf hinzuweisen, daß nicht der Abgeordnete Schulze - dies beruhte auf einem Übermittlungsfehler -, sondern der Abgeordnete Link ({0}) bei der Beanstandung eines Zwischenrufs gemeint war. Damit ist die Rüge dem Abgeordneten Link erteilt. ({1}) Das Wort hat Herr Abgeordneter Verheyen.

Hans Verheyen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002369, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie uns diese Debatte am Ende des Jahres dazu benutzen, eine Bilanz zu ziehen. Für uns als GRÜNE brachte dieses Jahr 1984 das Ende eines Mythos, des Mythos vom Volkskanzler Kohl. Dieser so jovialleutselige Kanzler Kohl hat sich selbst entlarvt: Als ihm im Zusammenhang mit der Flick-Affäre vorgehalten wurde, er habe Spenden der Großindustrie - in diskretem Umschlag, versteht sich - angenommen und das Verfassungsgebot der Transparenz von Großspenden mißachtet, erklärte er wie selbstverständlich, daß er selbstredend Spenden der Industrie bekommen und mit Hilfe gemeinnütziger Vereine Steuern hinterzogen habe. Diese Arglosigkeit, ja, das fehlende Unrechtsbewußtsein waren nicht gespielt. Dieser Mann Helmut Kohl versteht nicht, was daran ehrenrührig oder bedenklich sein soll, wenn seine Partei von der Großindustrie jahrzehntelang mit Millionenbeträgen geschmiert wurde. Er selbst steht mit mehr als einer halben Million DM in den Büchern des Herrn von Brauchitsch. ({0}) - Na und? Da kommt allenfalls von der Regierung schon einmal die treuherzige Beteuerung, Regierungsentscheidungen würden selbstverständlich unabhängig getroffen. Diese Sicht des Herrn Kohl sagt sehr viel aus über seine Herkunft und sein Gesellschaftsbild. Wer wie er jahrelang in der Industrie, u. a. bei einem großen Chemiekonzern in Ludwigshafen, tätig war, wer seine politische Karriere weitgehend einem so dubiosen - zumindest dubiosen - Industriellen wie Fritz Karl Reiß verdankt, wer führende Industrielle - das hat die Flick-Affäre ja sehr deutlich gemacht - zu seinen Freunden zählt, Verheyen ({1}) kommt vielleicht nicht mehr auf den Gedanken, daß es in der Politik Interessenkonflikte ({2}) zwischen der Industrie und den Lebensinteressen der Bevölkerung gibt. Hier fehlt offensichtlich das geringste Gefühl für dasjenige, was Unabhängigkeit der Politik von wirtschaftlicher Macht bedeuten könnte. Für Helmut Kohl gibt es zwischen Politik und Industrie keinen Gegensatz. Dieser Mann war immer schon, sei es als Stadtrat, als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz oder als Bundeskanzler ein Mann der Industrie. ({3}) - Jede Aufregung darüber, liebe Kollegen von der CDU, ist unangebracht; denn dieser Kanzler sieht selbst im Grunde nichts Ehrenrühriges darin, wie Sie es offensichtlich empfinden. ({4}) Das Problem an dieser Sache sieht er vielmehr im gemeinen Volk. Dort ist man nämlich unsinnigerweise der Ansicht, Flick und Konsorten hätten Geld gegeben, um Politik zu beeinflussen. Steuerbelastung, Subventionsabbau und Umweltauflagen, dies alles wären notwendige politische Maßnahmen, um Interessen der Industrie in ihre Schranken zu verweisen. Die Christdemokraten haben es in allen Jahren ihrer Regierungszeit verstanden, von der Industrie größeren Ärger abzuhalten. Und dies hat sich ausgezahlt. Der eigentliche Skandal liegt aber darin, daß uns dieser Kanzler glauben machen will, er wüßte von derlei Zusammenhängen nichts, und die Spenden der Industrie wären nichts anderes als eine Tafel Schokolade, die jemand völlig absichtslos im CDU- Büro liegengelassen habe. ({5}) Diese freundschaftliche Nähe zur deutschen Industrie zeichnet aber nicht nur ihn, sondern die gesamte Regierung aus. ({6}) Wirtschaftsminister Lambsdorff mußte wegen des Verdachts der Bestechlichkeit gehen. ({7}) Der zweite Mann im Staate, Rainer Barzel, konnte nicht überzeugend erklären, welcher übergroßen Leistung er den kleinen Nebenverdienst von 1,7 Millionen DM verdankt. Auf zwei weitere Mitglieder dieser Regierung, Innenminister Zimmermann und Wohnungsbauminister Schneider, wartet der Staatsanwalt. ({8}) Auch ein Mann, der gemeinhin als honorig gilt, ist in diese Affäre zutiefst verstrickt. Ich meine Finanzminister Stoltenberg, ({9}) der unter Verstoß gegen die Verfassung zu verhindern suchte, daß die Wahrheit über den Flick-Skandal an die Öffentlichkeit kam. Das Verfassungsgericht mußte ihn schließlich zwingen, die entscheidenden Akten an den Flick-Ausschuß herauszugeben. ({10}) Herr Bundeskanzler, Sie haben viele Jahre lang gegen das Verfassungsgebot der Offenlegung von Großspenden verstoßen. Was aber noch viel schwerer wiegt: Sie sind bis heute nicht bereit, dieses Verfassungsgebot wenigstens nachträglich noch zu erfüllen. ({11}) Daß dies möglich ist, daß die Namen der sogenannten anonymen Spender in den Parteizentralen durchaus bekannt sind, hat der jüngste Fall Horten eindrucksvoll gezeigt. Wir GRÜNEN halten es für demokratiegefährdend, daß ein Bundeskanzler nicht einmal im Nachhinein bereit ist, einem eindeutigen Gebot der Verfassung zu folgen. ({12}) Herr Kohl, wir können uns Ihre hartnäckige Weigerung nur so erklären, daß Sie befürchten, daß noch mehr an Verflechtung zwischen CDU und großem Geld ans Licht der Öffentlichkeit dringen könnte. Die Bundesregierung wollte mit ihrer Debatte in der letzten Sitzungswoche unter dem Thema Flick einen Schlußstrich ziehen. Herr Bundeskanzler, wir sind nur dazu bereit, wenn die volle Wahrheit auf dem Tisch liegt und wenn die notwendigen Konsequenzen aus diesen Mißständen gezogen werden. ({13}) Dies aber haben Sie ja gerade mehrfach zu verhindern gesucht. Im Sommer dieses Jahres erlebten wir eine Machenschaft, die man mit Fug und Recht als einen Tiefpunkt der politischen Kultur in der Geschichte der Bundesrepublik ansehen kann, ({14}) den Versuch nämlich, durch eine nachträgliche Gesetzesänderung, durch eine Amnestie, die Spendenbetrüger straflos ausgehen zu lassen. Während jeder kleine Kaufhausdieb gnadenlos verfolgt wird, wollten Sie Steuerbetrüger, die Millionenschäden verursacht haben, straffrei halten. Verheyen ({15}) Offenbar haben Sie - das ist das Schlimmste - diesen Plan bis heute noch nicht aufgegeben. Ich frage Sie, Herr Bundeskanzler: Was ist dran an der Meldung des „Spiegel" von dieser Woche, daß die Bundesregierung den § 396 der Abgabenordnung dergestalt ändern will, daß eine Amnestie durch die Hintertür möglich wird? ({16}) Und was ist dran an der Aussage des ehemaligen Justizministers Schmude, die CDU wolle künftig die Veröffentlichungspflicht für Großspender dadurch umgehen, daß sie Spenden als Mitgliedsbeiträge verbucht? ({17}) Herr Bundeskanzler, wir erwarten zu beiden Punkten noch während dieser Haushaltsdebatte eine unmißverständliche Antwort der Bundesregierung! ({18}) Denn wenn das, was im „Spiegel" steht, stimmen sollte, waren Ihre letzten Taten schlimmer als die ersten. Wie gefährlich ein Übergewicht von Industrieinteressen für die Bevölkerung werden kann, zeigt sich nicht nur in der Flick-Affäre, sondern auch und vor allem in der Umweltpolitik. Obwohl mittlerweile schon jedes Kind weiß, daß 50 % des Waldes unrettbar krank sind, und obwohl jedes Kind auch weiß, was zu tun wäre, nämlich zumindest eine Entgiftung der Kraftwerke und der Kraftfahrzeuge, bleibt diese Regierung unfähig zu einer konsequenten und klaren Umweltpolitik. Man fragt sich natürlich: warum? Warum fiel die Regierung um, als es um die Entgiftung des Kraftwerks Buschhaus ging, obwohl sie doch vorher im Bundestag einer Entschwefelung dieser größten Dreckschleuder der Nation zugestimmt hatte? Die Antwort ist einfach, und sie deutet auf Parallelen zu Flick hin: weil der entsprechende Energiekonzern dagegen Sturm lief und sich die Regierung ihm nur allzu willig beugte. Warum hielt Minister Zimmermann nicht an dem Termin „1. Januar 1986" zur Einführung des Abgaskatalysators fest? Auch hier liegt die Antwort auf der Hand: weil Teile der Autoindustrie, insbesondere die Firmen Opel und Ford, Druck auf die Regierung ausübten und weil sich die Bundesregierung diesem Druck nur allzu gern beugte. Auch beim Tempolimit wurde die Regierung weich, als die Autolobby drängte, und Ähnliches passierte beim Formaldehyd, als die BASF, die ehemalige Firma des Herrn Kohl, Bedenken äußerte. Eine solche Nachgiebigkeit einer Bundesregierung ist mehr als alarmierend, denn wie sollen die großen Zukunftsaufgaben der Entgiftung gelöst werden, wenn kurzsichtige Industrieinteressen wichtiger sind als das Recht auf Leben und Gesundheit? Es ist an der Zeit, daß sich hier grundlegend etwas ändert. Die Bevölkerung selbst muß klare Verhältnisse schaffen: durch gewaltfreien Widerstand, durch Demonstrationen, durch Kaufboykott oder auch durch Wahlen. ({19}) Alle Menschen guten Willens sollten daran mitarbeiten: in der Presse, in den Behörden, auch in den anderen Parteien und wo immer der Einzelne eine Chance sieht. Wir müssen in solchen Überlebensfragen wieder uralte demokratische Rechte neu beleben. Es ist z. B. eine unerträgliche Situation, daß die Arbeiter in der Chemie-Industrie nicht einmal dann das Recht haben, eine umfassende Auskunft zu bekommen, wenn es sich um lebensgefährliche Gifte an ihrem eigenen Arbeitsplatz handelt. Das ist finsterer als das Mittelalter! Da fragt man sich, was das im Grundgesetz verankerte Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit heute eigentlich noch wert ist. ({20}) Während der Haushaltsberatungen haben wir immer wieder darauf hingewiesen, daß die chemische Vergiftung zu den größten Gefahren der Menschheit gehört. Jahr für Jahr werden einige tausend neue Chemikalien erfunden, aber nur wenige werden auf ihre Gesundheitsschädlichkeit hin untersucht. ({21}) Chemikalien sind aber nicht nur wegen ihrer unmittelbaren Giftigkeit gefährlich, sondern sie reichern sich auch in der Luft, im Boden, im Wasser und in der Nahrungskette an. Viele Chemikalien verstärken sich dazu noch gegenseitig in ihrer Wirkung. Schließlich haben diese Stoffe noch eine weitere teuflische Eigenschaft: Gesundheitsgefahren, z. B. krebserzeugende Wirkungen, werden oft erst viele Jahre später erkannt, und dann ist es meist zu spät. ({22}) Für den, der Ohren hat, zu hören, tickt die Zeitbombe Chemie unüberhörbar. Diese Bundesregierung scheint jedoch mit Taubheit geschlagen. Alle unsere Anträge zur Entgiftung der Umwelt - und mochten sie noch so wenig kosten - wurden rundweg abgelehnt. ({23}) Ihre Freunde von der BASF, Herr Bundeskanzler, lassen grüßen. ({24}) Wir möchten hier noch einmal in aller Offenheit und mit großem Ernst darauf hinweisen, daß bei der chemischen Vergiftung jetzt gehandelt werden muß, daß jetzt gehandelt werden muß, wenn wir die Giftlawine noch aufhalten wollen. Jetzt ist noch die Verheyen ({25}) Zeit für einen relativ sanften Umbau der Chemieindustrie. Mit jedem verschenkten Tag wird dies schwieriger. Auch bei der Arbeitslosigkeit und bei der Entstehung der neuen Armut zeigt sich die Nähe dieser Regierung zu den Interessen der Industrie und zu den Interessen der Begüterten. Letzten Freitag haben uns die fünf Wirtschaftsweisen ihre Tagträume erzählt. Natürlich wurden diese von der Bundesregierung begeistert aufgegriffen, obwohl selbst in diesen schönfärberischen Bildern von einem Abbau der Arbeitslosigkeit nichts zu sehen war. Kehrt man in die rauhe Wirklichkeit zurück, muß sich ein bedrückendes Gefühl einstellen. Denn selbst wenn der von Ihnen, Herr Kohl, versprochene Aufschwung käme, wäre dies keine Lösung für die eigentlichen Probleme Massenarbeitslosigkeit und neue Armut. Das viel zitierte Beispiel Amerika zeigt ja gerade sehr deutlich, wie mühelos ein grandioser Aufschwung der Wirtschaft an den besonders betroffenen Menschen vorübergehen kann. Dort, im angeblichen Wunderland Ronald Reagans, rutschten während des größten Aufschwungs in der Geschichte der USA immer mehr Menschen unter die Armutsgrenze. Mittlerweile sind es bereits 35 Millionen, die im reichsten Land der Erde am Existenzminimum dahinvegetieren. Auch diejenigen, die durch den dortigen Aufschwung eine Arbeit bekommen haben, haben oft Arbeit unter Bedingungen gefunden, die man nur als erbärmlich bezeichnen kann. ({26}) Ein solcher Aufschwung, Herr Kohl, der die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, kann uns gestohlen werden. ({27}) Sie sind leider dabei, die Amerikanisierung des deutschen Sozialsystems nach Kräften voranzutreiben. Auch bei uns steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen und der Jugendlichen ohne Ausbildung und ohne Chancen am Arbeitsmarkt. Immer mehr Menschen werden in die Sozialhilfe abgedrängt. Auch bei uns sind die Realeinkommen der Arbeitslosen, der Sozialhilfeempfänger und Rentner in den letzten Jahren durch die Bundesregierung deutlich abgesenkt worden. Besonders hart hat es die Familien mit Kindern getroffen, denen Sie, Herr Kohl, so gerne Ihre Sonntagsreden widmen. ({28}) Das Mutterschaftsurlaubsgeld wurde um mehr als 30 % gesenkt. Die Streichung der Ausbildungsförderung für Schüler bedeutet für Familien mit mehreren Kindern schnell eine Senkung des Familieneinkommens um mehr als ein Drittel. Ein Viertel der Alleinerziehenden ist auf Sozialhilfe angewiesen, die ebenfalls deutlich gesenkt wurde. All diese Effekte zusammen ergeben eine neue Situation in der Geschichte der Bundesrepublik. Immer mehr Menschen wird der Ausweg aus der Armut zugebaut. Eine neue Schicht der dauerhaft an den Rand Gedrängten entsteht, die immer weniger Chancen hat, den Teufelskreis aus geringem Einkommen, schlechter Ausbildung und unvermeidbarer Arbeitslosigkeit zu durchbrechen. ({29}) Angesichts dieser Situation meinen wir GRÜNEN, daß es derzeit kaum etwas Wichtigeres gibt als Dämme gegen die Entstehung der neuen Armut zu bauen. ({30}) Wir haben deshalb ein Sonderprogramm zur Eindämmung der Armut eingebracht. Wir haben beantragt, den Regelsatz der Sozialhilfe, der sich immer noch auf dem Stand des Jahres 1970 befindet, von 356 DM auf 456 DM pro Monat, also um monatlich 100 DM zu erhöhen. Wir halten es - zweitens - für unerträglich, daß immer mehr Arbeitslosengeld- und Arbeitslosenhilfeempfänger in die Sozialhilfe abgedrängt werden. Deshalb wird die Festsetzung eines Mindestbetrages von 950 DM pro Monat erforderlich. Drittens kann es nicht länger hingenommen werden, daß Zehntausende Jugendliche keine qualifizierte Berufsausbildung erhalten. ({31}) Appelle reichen hier nicht aus. Wir fordern die Bundesregierung auf, unverzüglich ein Gesetz zur Erhebung einer Berufsbildungsabgabe zu erlassen, wodurch zweifelsfrei sichergestellt werden kann, daß alle Jugendlichen mit einem soliden Ausbildungsplatz rechnen können. ({32}) Es ist nicht mehr als recht und billig, daß dazu alle Betriebe, die sich um ihre gesellschaftliche Pflicht zur Berufsausbildung drücken, zur Kasse gebeten werden. ({33}) Hinsichtlich der zusätzlichen Sozialausgaben, die wir fordern, wird uns von Regierungsseite sofort entgegengehalten, solche sicherlich gutgemeinten Vorschläge seien einfach nicht finanzierbar. ({34}) Dies halten wir für eine glatte Lüge. Denn das eigentliche Problem besteht darin, daß Sie nicht bereit sind, daß die politische Bereitschaft fehlt, für solche sozialen Probleme zusätzliches Geld auszugeben. Denn auf der anderen Seite sind sie sehr wohl bereit, für verschwenderische und völlig sinnlose Zwecke erheblich mehr Geld auszugeben. ({35}) Verheyen ({36}) Daß das Finanzargument nicht schlüssig sein kann, hat die Rede von Herrn Dregger sehr deutlich gemacht. Zum Beispiel kosten Freifahrten für Gehörlose fast nichts. Wenn sich Herr Dregger hier hinstellt, Krokodilstränen weint und erklärt, es täte ihm sehr leid, die Sparpolitik verlange eben Opfer, dann muß ich ihm sagen: Wenn seine Tränen echt sind, soll er unserem Antrag für Freifahrten für Gehörlose zustimmen. ({37}) Zu welchen horrenden Geldausgaben Sie bereit sind, zeigt Ihre sogenannte Steuerreform, die fast ausschließlich den Besserverdienenden zugute kommen soll. ({38}) Diese Steuerreform kostet 20 Milliarden DM pro Jahr. Für Bezieher unterdurchschnittlicher Einkommen - nehmen wir z. B. jemanden mit einem zu versteuernden Einkommen von 1 500 DM im Monat - bringt diese Steuerreform fast nichts, ({39}) ganze 6 DM pro Monat. Für ein doppelt so hohes Einkommen bringt sie allerdings schon fast 50 DM. ({40}) Dies wirft ein bezeichnendes Licht auf Ihre Politik und auf Ihre Kumpanei mit den Besserverdienenden. ({41}) Wenn wir schon einmal bei den Finanzierungsproblemen sind, dann sagen Sie uns bitte einmal, warum Sie nicht wenigstens die Steuerhinterziehung bekämpfen wollen. Nach Angaben des ehemaligen Finanzministers Lahnstein gehen dem Staat allein auf diesem Wege Jahr für Jahr 6 bis 8 Milliarden DM verloren. ({42}) Erwähnenswert wäre sicher auch das Unwesen der „Spesenritter". Durch völlig unsinnige Abschreibungsmöglichkeiten bei Bewirtungskosten gehen dem Staat jährlich etwa 2,5 Milliarden DM verloren. Warum werden Sie hier nicht aktiv? Ich muß Ihnen sagen, wir GRÜNEN werden den Verdacht nicht los, daß Ihre Energie zum Sparen immer dann sehr schnell verpufft, wenn die Interessen der Allgemeinheit gegenüber denen der Industrie durchgesetzt werden sollen. ({43}) Was in nationalen Politikbereichen offensichtlich ist, gilt leider auch für die Entwicklungspolitik dieser Regierung. Das Kabinett Kohl stellt die ökonomischen Interessen der deutschen Industrie vor die Lebensinteressen der Menschen in der Dritten Welt. ({44}) Überdeutlich wird diese Marschrichtung in diesem Jahr im Zusammenhang mit der Diskussion über die sogenannte Mischfinanzierung in der Entwicklungspolitik. Um sage und schreibe 420 % ist 1983 der Anteil der finanziellen Zusammenarbeit gestiegen, der über Mischfinanzierung an Lieferung deutscher Waren und Dienstleistungen gebunden ist. Diese Lieferbindung spricht entwicklungspolitischen Kriterien Hohn. Längst ist bekannt, daß bei Auswahl und Ausrichtung von Entwicklungsprojekten zuallererst heute danach gefragt wird, was denn für die deutsche Industrie dabei herausspringt. ({45}) So wurden bei den Regierungsverhandlungen in Pakistan unter unwürdigen Umständen Projekte der ländlichen Entwicklung in letzter Minute zurückgestellt, und statt dessen baut Siemens dort ein Telekommunikationsnetz. ({46}) In Indonesien, wo rund ein Drittel der Bevölkerung unterhalb der offiziellen Armutsgrenze lebt, wird ebenfalls an der Erweiterung des Telexnetzes gearbeitet. Die Wasserversorgung für Provinzstädte auf Sumatra, die für die Ärmsten der Armen notwendig ist, wurde zurückgestellt und die Förderung kleinbäuerlicher Gummiplantagen gestrichen. Großkraftwerke, Lokomotiven und sogenannte Telekommunikation sind die neuen Schwerpunkte einer Entwicklungshilfe, die besser unter der Bezeichnung „Außenwirtschaftsförderung" laufen sollte. ({47}) Mittlerweile kommen Projektvorschläge zum Teil schon direkt von der deutschen Industrie. Notwendigerweise geraten Kleinprojekte zugunsten der Ärmsten und des ländlichen Raumes ins Hintertreffen. Die Zahlen für 1984 werden diese Tendenz noch deutlicher belegen als die Daten von 1983, auch wenn Außenwirtschaftsförderungsminister Warnke versucht, durch Kriterienänderung dasjenige weiter zu fassen und damit die Öffentlichkeit irrezuführen, was unter ländlicher Entwicklung zu verstehen ist. Die Kritik an dieser Praxis, meine Damen und Herren, kommt nicht allein aus den Reihen der GRÜNEN. Während uns Minister Warnke hier im Bundestag erklärte, es gäbe keine Kursänderung der Entwicklungshilfe in Richtung auf deutsche Lieferinteressen, erzählen uns engagierte Mitarbeiter aus den Entwicklungshilfeorganisationen und aus den Kirchen, wie sehr sich der Wind mittlerweile gedreht hat und wie unverhohlen die Mitarbeiter in den staatlichen Einrichtungen angehalten werden, bei der Projektarbeit deutsche Interessen Verheyen ({48}) strikt zu berücksichtigen. So verkommt Entwicklungshilfe zur Exportförderung.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

„Es gibt keine Alternative zur Industriegesellschaft." ({0}) Was immer er mit diesem Nebel gemeint haben mag: Wer die bisherigen Erkenntnisse aus dem Flick-Untersuchungsausschuß, vor allem die Zahlenangaben über Spenden an die sogenannten christlichen Parteien, aufmerksam registriert hat, kann sich in der Tat für die CDU und die CSU nur schwer eine Alternative ({1}) zum derzeitigen Zustand der Industriegesellschaft vorstellen. ({2}) Diese Parteien sind darauf angewiesen, daß die Industrie möglichst so bleibt, wie sie ist. Wir GRÜNEN sehen dies bekanntlich etwas anders. Nur die Überwindung des rücksichtslosen Industrialismus und die Anbindung der Industrie an die Lebensinteressen der Bevölkerung werden es möglich machen, die großen Zukunftsaufgaben zu bewältigen. ({3}) Für eine solche Politik gibt es selbstverständlich keine Industriespenden. Wir GRÜNEN sind aber dennoch davon überzeugt, daß es sich lohnt, diesen Weg weiterzugehen. ({4})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, wir treten jetzt in die Mittagspause ein. Die Aussprache über den Einzelplan 04 wird um 14 Uhr fortgesetzt. Ich unterbreche die Sitzung. ({0})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt. Das Wort hat Herr Abgeordneter Hoppe.

Hans Günter Hoppe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000955, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der politischen Gesamtschau, die traditionell zur Haushaltsberatung gehört, werden nun einmal Glanzpunkte und Schattenseiten ausgeleuchtet. Verständlich ist, daß sich die Opposition mehr an den Schwachstellen orientiert. ({0}) Aber wenn der Kollege Vogel die Summe der Regierungspolitik schlankweg als negativ bezeichnet, dann, so scheint mir, hat der Oppositionsführer vom Boden abgehoben und befindet sich mit der SPD gerade auf Blindflug. ({1}) Nun will ich nicht auf die Presseschau aus der Vogel-Perspektive eingehen. ({2}) Denn, meine Damen und Herren, schließlich kennen wir die Probleme unseres Landes selbst gut genug. Lassen Sie uns deshalb aus eigener Kenntnis miteinander auch darüber reden, aber schließen wir Diffamierungen und Unterstellungen dabei aus. Der Vorwurf, die Bundesregierung verhalte sich gegenüber Amerika wie ein Vasall, ist eine schlichte Gemeinheit, mit der offenbar nur Stimmung gemacht werden soll. ({3}) Nein, meine Damen und Herren, wir liegen vor unseren Partnern nicht auf den Knien, und wir machen auch keinen krummen Buckel, auch nicht vor den Vereinigten Staaten. Ich kann nur wünschen, daß die SPD das im Umgang mit ihren innenpolitischen Partnern auch von sich sagen kann. ({4}) Was nun die tickende Zeitbombe angeht, mit der ich 1979 die Gefahren der Staatsverschuldung und der drohenden Handlungsunfähigkeit beschrieben habe, so möchte ich sie nicht, auch nicht vom GRÜNEN-Kollegen Verheyen, „chemisch" verfremden lassen, ({5}) das um so weniger, als es uns ja gerade gelungen ist, das gefährliche Potential für den Haushalt zu entschärfen. Meine Damen und Herren, auch die Diskussion über die Steuerentlastung möchte ich hier nicht im Vorgriffsverfahren erledigen, aber es war schon bemerkenswert, zu hören, daß Großverdiener für den Kollegen Verheyen bei 3 000 DM Monatseinkommen auszumachen sind. ({6}) Diese Form des Klassenkampfes ist doch absurdes Theater. ({7}) In der ersten Lesung des Haushalts habe ich meinen Beitrag mit dem Wunsch geschlossen, folgende Lebensregel zu beherzigen! Der Blick zurück im Zorn kann einem auf die Galle schlagen, der Blick voraus in Zuversicht erhöht das Wohlbehagen. ({8}) Daß sich diese Wunschvorstellung in den letzten Wochen erfüllt hätte, kann man nun wahrlich nicht sagen. Mag es da noch im Haushaltsausschuß - trotz aller politischen Gegensätze - auch einmal launisch zugegangen sein, im übrigen Bonn war es eher lausig. Diese miese Stimmung, an der alle Parteien mit der noch nicht aufgearbeiteten Spendenvergangenheit ihren Anteil haben, wird sich selbst der Kollege Vogel nicht zugute halten wollen, auch wenn er mit dem erhobenen Zeigefinger durch die Lande zieht, schlechte Noten verteilt und eher Verdrießlichkeit verbreitet. ({9}) Nein, das von uns selbst erzeugte Bild, meine Damen und Herren, können und dürfen wir nicht verdrängen, sondern wir müssen es durch eigenes Tun und durch werbende Politik auslöschen. Nun hat sich der politische Hintergrund in der vergangenen Woche an wichtigen Stellen aufgehellt. Das gilt außenpolitisch für das Entspannungssignal, das die Wiederaufnahme der amerikanischsowjetischen Abrüstungsverhandlungen anzeigt, und innenpolitisch für das Sachverständigengutachten, das unsere Finanz- und Haushaltspolitik mit einem Gütesiegel versehen hat. Gleichwohl wollen wir gewisse Eintrübungen, die es nach wie vor gibt, nicht leugnen. Was die Weisen an Ratschlägen für eine längerfristige Haushalts- und Steuerpolitik geben, das macht den eigentlichen Wert des Gutachtens aus. Und ihre Empfehlung lautet, am Konsolidierungsziel festzuhalten, den Staatsanteil am Sozialprodukt weiter zu vermindern, nicht nur die Einkommensteuer zu senken, und zur weiteren Beschaffung von Finanzmasse die Subventionen drastisch abzubauen. ({10}) Ja, die Bundesregierung muß in der Tat noch mehr als bisher für Wachstum und Beschäftigung tun und darf sich nicht von dieser oder jener Gruppe beirren lassen. ({11}) „Wer nur ängstlich nach rechts oder links schaut, verfehlt leicht den Weg geradeaus", hat ein Kommentator treffend bemerkt. Ich vermute, meine Damen und Herren, niemand in diesem Hause hätte sich vor rund zwei Jahren, als CDU/CSU und FDP die Regierungsverantwortung übernahmen, vorstellen können, daß wir in so kurzer Zeit derart überzeugende wirtschafts- und finanzpolitische Ergebnisse erzielen würden und daß die Aussichten für die Zukunft immer noch günstiger werden würden. Wie war das noch vor zwei Jahren? Die deutsche Wirtschaft befand sich auf einer scheinbar unaufhaltsamen Talfahrt. Der Anstieg der Verbraucherpreise pendelte zwischen fünf und sechs Prozent, für den Bundeshaushalt 1983 drohte eine Neuverschuldung von über 50 Milliarden DM, und es gab nicht wenige, die der galoppierenden Arbeitslosigkeit nach dem Überschreiten der Zwei-Millionen-Grenze bereits die Drei-Millionen-Marke setzten. ({12}) Aber statt der drei Millionen können wir, so jedenfalls die Prognose des Sachverständigenrates, im nächsten Jahr mit einem leichten Rückgang rechnen. ({13}) - Entscheidend war doch wohl, wer damals als Weltökonom wie die SPD immer gesagt hat, die Republik fest in seinen Händen hatte. ({14}) - Lieber Herr Horn, ich habe mich zu keiner Zeit aus meiner Vergangenheit entfernt, und ich kann noch heute meine mahnenden Reden von damals mit gutem Gewissen lesen. ({15}) Herr Horn, Sie wollten mich damals nicht hören, und ich kann Sie heute nicht verstehen. ({16}) Aber auch der positiv prognostizierte Zuschnitt ist kein Grund zur Befriedigung, ganz gewiß nicht. Er liefert jedoch einen seriösen Hinweis auf eine allmähliche, sicherlich sehr mühsame, langsame Trendumkehr. Immerhin haben wir bereits drei der vier Zielvorgaben des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes erreicht: Die Wirtschaft wächst - und das immer dynamischer -, das Preisniveau ist - wie seit den 60er Jahren nicht mehr - stabil, und das außenwirtschaftliche Gleichgewicht ist auch gesichert. Dies alles sind Pluspunkte, die Anfang der 80er Jahre verspielt waren und die auf absehbare Zeit unerreichbar schienen. Folgt man dem Sachverständigenrat, dann besteht auch wieder begründete Zuversicht, daß es in den kommenden Jahren gelingen kann, dem Beschäftigungsziel näherzurücken. Der entscheidende Qualitätssprung besteht jedenfalls darin, daß die konjunkturelle Dynamik im nächsten Jahr vor allem von den Investitionen kommt und daß sich die Voraussetzungen für eine langgezogene wirtschaftliche Aufwärtsbewegung stark verbessert haben, vor allem durch die erfolgreiche Bekämpfung der Inflation und durch die Fortschritte bei der Gesundung der Staatsfinanzen, die ab 1986 eine spürbare Senkung der Steuerlast möglich macht. Leistung muß sich wieder lohnen! Dieses Schlagwort erhält mit der Steuerreform endlich Leben. ({17}) Damit werden Leistungsanreize erhöht und Wachstumseffekte verstärkt. Ich warne deshalb mit Nach7528 druck davor, die gewonnene Chance zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Erhaltung gefährdeter Arbeitsplätze dadurch zu verspielen, daß das eifrige bis geradezu eifernde Überbieten von Vorschlägen in Sachen Ergänzungsabgabe auf die Spitze getrieben wird. ({18}) Unter dem Aspekt des Wirtschaftswachstums und der Klimapflege wäre es nämlich ausgesprochen töricht, dieses konjunkturpolitische Monster in die Welt zu setzen. ({19}) Nein, meine Damen und Herren, keine verstaubten Requisiten sind gefragt, gefordert ist vielmehr die stete Verbesserung der Rahmenbedingungen für unternehmerische Initiativen. ({20}) Nur dann können die Arbeitslosen von heute für morgen wieder Hoffnung schöpfen. Wir dürfen es nicht zulassen, daß die erfolgreiche Wirtschaftspolitik durch populistische Elemente, die in ein soziales Mäntelchen gekleidet sind, behindert wird. Es gibt nichts Sozialeres als die Kombination von dynamischem Wachstum und Stabilitätspolitik. ({21}) Die Rechnung ist sehr einfach. 800 Milliarden DM haben die Arbeitnehmer und ihre Familien sowie die Rentner im vergangenen Jahr insgesamt an Nettolöhnen, -gehältern und staatlichen Transferleistungen erhalten. 1 % weniger Preissteigerung bedeutet da genau 8 Milliarden DM Kaufkraftzugewinn. ({22}) Auch die Sparer gewinnen im Jahr - wie wir ja wohl alle wissen - viele Milliarden hinzu, wenn ihre Zinsen nicht mehr von der Inflation aufgefressen werden. Diesen erfreulichen Zustand haben wir endlich erreicht. Wer in dieser Situation den Eindruck zu erwecken versucht, er würde dem sogenannten kleinen Mann eine Wohltat erweisen, indem er den Besserverdienenden über seine progressive Besteuerung hinaus ein, zwei oder drei ergänzende Prozentpunkte abknöpft, der täuscht nicht nur sich und jene, von denen er sich Beifall erhofft; nein, er beweist vielmehr, daß er von dem von der Regierung Kohl/Genscher ausgegebenen und praktizierten Leitspruch von der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft nichts, aber auch gar nichts begriffen hat. ({23}) Natürlich gibt es eine Alternative zu der von uns angepackten Politik. Statt auf Leistung zu setzen, auf unternehmerischen Wagemut, auf weniger Bürokratie, auf die Stärkung persönlicher Verantwortungsbereitschaft und Risikofreude, statt diese Linie fortzuentwickeln, kann man natürlich auch einen Schwenk in Richtung auf Umverteilung, mehr staatliche Eingriffe und mehr Wohlfahrtsdenken tun. Wohin das führt, haben wir Ende des vergangenen und Anfang des neuen Jahrzehnts gesehen. ({24}) Der schließlich unausweichlich gewordene Wechsel der Koalition verlöre seinen Sinn und seine Logik, wenn wir nur mühsam verhinderte Sündenfälle von ehedem nun ausgerechnet im Bündnis mit der CDU/CSU zuließen. Die Schwachstelle dieses Haushalts ist - wer wollte es bestreiten? - der unzureichende Subventionsabbau. Bereits seit 1975, als sich der Bundesrechnungshof dieses Themas annahm, wissen wir, daß sich nicht nur Gesetz und Recht wie eine ewige Krankheit forterben, sondern sich auch Zuwendungen und Subventionen zur chronischen Erkrankung des Bundeshaushalts fortentwickeln können. Subventionen sollen in erster Linie Arbeitsplätze schaffen. Als Sterbehilfe wie auch als Zubrot sind sie herausgeschmissenes Geld, das uns an anderer Stelle fehlt. ({25}) Der Herr Bundeskanzler war schon vor uns, noch als Oppositionsführer, nämlich am 19. Januar 1982 an diesem Thema: Wir haben - sagte er damals dazu im September unsere Vorschläge eingebracht. Ich erinnere an den Vorschlag der 5 %igen Kürzung, einen Vorschlag, der nicht so dahingesagt war. Ich lade heute noch die Kollegen ... ein, auf diesen Boden zu treten. Wir werden sehen, daß dabei eine Menge herauskommt. ({26}) So am 19. Januar 1982. Die Haushaltspolitiker der Koalition haben sich dann im April 1984 an die Arbeit gemacht und Vorschläge zum Abbau von Suventionen in Höhe von rund 5 Milliarden DM vorgelegt. Begeistert haben wir damit niemanden, selbst nicht unsere Parteivorsitzenden. Das Ganze wurde so zu einem Aprilscherz. Es hat sich erneut bestätigt: Der Ruf nach Subventionsabbau ist populär, das Echo ist gewaltig. Die Konkretisierung weckt dann schon Zweifel. Doch bei der endgültigen Entscheidung will keiner mehr den Wegfall der Wohltaten verantworten und vertreten. ({27}) So sind wir nun wieder an dem Punkt angekommen, wo der Subventionsabbau erneut gefordert wird, und das aus allen Richtungen. Nun ja, ein neuer Anlauf ist unerläßlich. Aber diesmal muß er auch gelingen. Eine Schlappe können wir uns nicht noch einmal leisten; sonst degradieren wir uns zu Maulhelden. Solides Haushalten und Wirtschaften sind die Voraussetzungen für eine jegliche zukunftsgerichtete Politik. Das gilt für die innen- wie außenpolitischen Aufgaben, für die Stabilisierung des Systems sozialer Sicherheit ebenso wie für den Umweltschutz, für unser Gewicht in der Europäischen Gemeinschaft wie im Verteidigungsbündnis. Die Bundesrepublik Deutschland ist als mitgestaltender Partner der internationalen Politik um so einflußreicher, je gründlicher sie ihr eigenes Haus in Ordnung hält und die wirtschaftlichen Fundamente sichert. Meine Damen und Herren, die FDP hat Ende der 60er Jahre und in den 70er Jahren maßgebend mit dazu beigetragen, daß die Politik der Verständigung über die Blockgrenzen hinweg eine Chance bekam. Sie hat aus Verantwortung um die Erhaltung des Friedens in Europa und um die Wahrung der Einheit der deutschen Nation die Entspannungspolitik - so durch ihren Entwurf eines Generalvertrags mit der DDR - mitgestaltet und Schritt um Schritt in praktische Konsequenzen umgesetzt. Die Früchte dieser Entspannungspolitik sind trotz der schweren Rückschläge, die es spätestens seit der Invasion in Afghanistan gab, nicht verdorrt. Der Abrüstungsdialog, der nun zwischen den beiden Supermächten wieder langsam in Gang kommt, bestätigt die Richtigkeit unserer Politik. Wir haben uns auch nicht anstecken lassen von der Eisschrankmentalität, die im Osten wie im Westen aufkam. Dieses Verhalten hat ja dann auch in den vergangenen 15 Jahren ein Geflecht von Verträgen zwischen West und Ost hervorgebracht, die trotz aller Abnutzungserscheinungen immer noch tragfähig sind: von SALT über das Berlin-Abkommen bis zum Moskauer und Warschauer Vertrag, vom deutsch-deutschen Grundlagenvertrag bis zur KSZE-Schlußakte von Helsinki. Wir Freien Demokraten sind stolz, daß wir an vielen der maßgebenden Vereinbarungen verantwortlich mitwirken konnten. Unverändert gelten jene vier Prinzipien, die bereits in der Frühphase der Entspannungspolitik von Liberalen zur Leitlinie erhoben wurden: Erstens. Deutsche Politik kann nur Friedenspolitik sein. Zweitens. Deutsche Politik darf nicht illusionär oder emotional sein; sie muß realistische Politik sein. Drittens. Deutsche Politik muß auf Vertrauen in Europa hinarbeiten; sie darf vorhandenes Mißtrauen nicht nähren. Viertens. Deutsche Politik kann nur im Verband mit Freunden und Verbündeten geführt werden. ({28}) Ich meine, daß sich diese Erkenntnisse jedem aufdrängen müssen, der sich dem Wohl und der Zukunft unseres Volkes verpflichtet fühlt. Verzicht auf Anwendung oder Androhung von Gewalt - in welcher Form auch immer - ist der Kern unserer Außenpolitik, und zwar über Jahrzehnte hinweg: von der Aussöhnung mit Frankreich über die wirtschaftliche und politische Integration in Westeuropa, das Nordatlantische Bündnis bis zur Zusammenarbeit und Freundschaft mit vielen europäischen und außereuropäischen Staaten. Im Osten wie im Westen konnte man in den letzten Jahren die Erfahrung sammeln, daß ein Verharren in der Sackgasse und in der relativen Sprachlosigkeit nur Probleme aufstaut, aber keinerlei Nutzen bringt. Ein Gegenüberstehen hochgerüsteter Militärblöcke kann nicht die letzte Antwort vernunftbegabter Wesen auf die Unsicherheiten unserer Zeit sein. ({29}) Wer den militärischen Konflikt und mit ihm die Katastrophe vermeiden will, tut gut daran, sich um die Überwindung jedweder Ansätze von Konfrontation zu kümmern. Die Politik der Verständigung und des langen Atems ist für die Freien Demokraten die Alternative zur Fruchtlosigkeit des Kalten Krieges und auch zu Rückfalltendenzen der jüngsten Zeit. Wir kommen damit nur voran, wenn sich Ost und West darüber einigen können, daß der Wettbewerb der Systeme den Bestand des jeweils anderen Systems nicht gefährden soll. Gradmesser für die Bereitschaft zur- Einhaltung dieser Wettbewerbsregel sind u. a. die uneingeschränkte Erfüllung von Verträgen und Vereinbarungen, das faire Verhalten in der Tagespolitik und die loyale Mitwirkung bei Konfliktregelungen. Ich könnte mir auch die Schaffung schiedsgerichtlicher Institutionen zwischen Ost und West vorstellen. Aber das alles hat nur Aussicht auf allmähliche Realisierung, wenn Washington und Moskau ihren jüngsten, fast schon verheißungsvollen Worten über ihre Bereitschaft zum Rüstungskontrolldialog handfeste Vorschläge und Abmachungen folgen lassen. ({30}) „Seit der unmittelbaren Nachkriegszeit", so schrieb dieser Tage Henry Kissinger, „hatte kein amerikanischer Präsident eine solche Möglichkeit, eine friedvolle internationale Ordnung zu formen", wie sie nun Präsident Reagan nach seinem großen Wahlsieg gegeben ist. Und nur wenige Präsidenten befanden sich - so Kissingers Analyse - in einer günstigeren Ausgangsposition als Reagan, „um die Einsicht zu verwirklichen, daß Gesellschaften nicht in Zwietracht wachsen und gedeihen, sondern in einem Klima der Versöhnung". Gedeihenlassen und Versöhnen, das muß in der Tat der innen- und außenpolitische Auftrag all derer sein, die höchste Verantwortung tragen - in Washington, in Moskau, auch in Bonn und Ost-Berlin. Kanzleramtsminister Schäuble wünsche ich für seine bevorstehende Reise nach Ost-Berlin, daß er sie als deutschlandpolitischer Ideenträger antritt und als Ideenvermittler zurückkommt. ({31}) Wir sind es den Menschen in der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik schuldig, den immer noch schwer erträglichen Zustand unserer gespaltenen Nation Schritt für Schritt zu überwinden. Deutschlandpolitik bewegt nur dann etwas für die Menschen, wenn sie die Ausgangsposition ihres Handelns nie kaschiert oder relativiert, daß sie nämlich über jene Grenze hinweg betrieben wird, die die Teilung der Welt in Ost und West markiert. Keine nationale Kraftmeierei, keine schöne Illusion - auch wenn sie mit Paragraphen gepflastert sein mag - kann an diesem massiven Tatbestand etwas ändern. Das ist die Lage, die zweifellos unbequeme Lage der Menschen unserer Nation. Meine Damen und Herren, ich möchte noch einmal unterstreichen: Alle unsere politischen Initiativen setzen stabile innenpolitische, nicht zuletzt stabile finanz- und wirtschaftspolitische Verhältnisse voraus, damit wir als geachteter Partner auftreten können. Wir müssen unsere Fähigkeit zu Höchstleistungen und Verantwortung gerade jetzt unter Beweis stellen, da durch die neuen Technologien eine Revolutionierung des Wirtschaftsgeschehens stattfindet. Entbürokratisierung und Minderung der Steuerlast sind zwei typische Bausteine zur Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft. Aber noch wichtiger für das Mithalten der Deutschen in der internationalen Konkurrenz ist ein forcierter Bewußtseinswandel: weg vom defensiven, eher angstbesetzten Denken, hin zur offensiven und schöpferischen Geisteshaltung. ({32}) Meine Damen und Herren, es ist das gute Recht der GRÜNEN, Technikfeindlichkeit und selbst ökonomischen Nonsens zu predigen, wie etwa die abrupte Abschaltung aller Kraftwerke, die uns ein neues Arbeitslosenheer bescheren würde. Es ist aber auch das gute Recht, ja die Pflicht aller verantwortungsbewußten Demokraten, die Bürger in Wirtschaft und Gesellschaft zu ermuntern, sich auf die Möglichkeiten der technologischen Zeitwende einzustellen und sich darauf einzulassen. ({33}) Die Freien Demokraten setzen unverändert auf eine Politik, die für neue Entwicklungen, für Wandel aufgeschlossen ist, die sich aber auch den Blick für das Mögliche bewahrt. Sie wissen, daß die Leistungsfähigkeit der Bürger wie der Demokratie nur aufrechterhalten wird, wenn wir die Entfaltungsmöglichkeiten, das Verantwortungsbewußtsein und den Leistungswillen des einzelnen nicht ersticken. Ein starker liberaler Staat zeichnet sich durch Ausgleichsfähigkeit und Erneuerungsfähigkeit aus. Bürgerfreiheit und Bürgerrechte sind für Liberale immer das Ziel, nie die Restgröße staatlichen Handelns. Deshalb bestehen wir auf dem Prinzip: Reform in Wirtschaft und Gesellschaft. Wer dem Wandel mit linken oder rechten Ideologien seinen Stempel aufdrücken will, setzt seine Ordnungsvorstellung über die Reformfähigkeit jedes freien Gemeinwesens. Unser Leitmotiv lautet dagegen: Ordnung durch Reform. Unter dieser Zielsetzung steht unsere parlamentarische Arbeit. ({34}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich am Schluß der Rede eine Bemerkung wiederholen, die da lautet: Bei der Durchsetzung dieses Konzepts ({35}) dürfen wir uns durch nichts und niemanden beirren lassen. Wir müssen an folgenden Annahmen festhalten: Der Vertrauensbildungseffekt der Konsolidierung, auch an den internationalen Finanzmärkten, ist gesamtwirtschaftlich ungleich wichtiger als ausfallende Staatsnachfrage. Wir machen damit deutlich, daß privater Initiative wieder mehr Raum gegeben und den für Produktion und Beschäftigung wichtigen privaten Investitionen wieder ein entsprechender Finanzspielraum eingeräumt wird. Nach Jahren ständig steigender Nettokreditaufnahme der öffentlichen Haushalte und der Gefahr einer Überforderung des Kapitalmarkts werden die Rahmenbedingungen für private Investitionen deutlich verbessert. Die - gewiß hilfreiche - Abführung des hohen Bundesbankgewinns läßt es noch nicht zu, von einer dauerhaften Konsolidierung zu sprechen. Einen Teil der zu lösenden Aufgaben haben wir deshalb noch vor uns. Meine Damen und Herren, so habe ich meine Haushaltsrede am 19. Januar 1982 geschlossen. Ich hatte damals viel Beifall aus der Opposition. Jetzt sitzen wir zusammen in einem Boot. Ich hoffe, wir können die Zahl der Ruderschläge erhöhen. ({36})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, bevor ich weiter das Wort erteile, darf ich Ihnen folgende Mitteilung machen. Nach den vorliegenden stenographischen Aufzeichnungen hat in der heutigen Vormittagssitzung der Abgeordnete Kittelmann den Abgeordneten Verheyen während dessen Rede in einem Zwischenruf als „unverschämten Lümmel" bezeichnet. ({0}) Im Auftrage des Sitzungspräsidenten Vizepräsident Stücklen erteile ich dem Abgeordneten Kittelmann wegen dieses Zwischenrufs einen Ordnungsruf. ({1}) Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Tradition entsprechend ist die Generalaussprache über den Haushalt des Bundeskanzlers auch immer die GeBundeskanzler Dr. Kohl neralaussprache über die Politik der jeweiligen Bundesregierung. Das ist eine gute Tradition. Sie bietet die Chance und die Gelegenheit, Politik auszutauschen, ({0}) alternative Wege im politischen Alltag miteinander zu erwägen und, wenn möglich, auch zu gemeinsamen Ergebnissen zu kommen. Zum Wesen einer solchen Generalaussprache gehört selbstverständlich auch Kritik, und es gehört zum Wesen einer parlamentarischen Opposition, daß diese Kritik auch durchaus eine herbe Kritik sein kann. Nun, meine Damen und Herren, mit großem Interesse habe ich - und viele Kolleginnen und Kollegen hier im Hohen Hause sicherlich auch - heute früh nach den Ankündigungen der letzten Tage die alternative Politik der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, vertreten durch ihren Sprecher, den Herrn Abgeordneten Dr. Vogel, erwartet. ({1}) Trotz aufmerksamem Zuhörens habe ich im wesentlichen nur Polemik gehört, ({2}) Polemik und Behauptungen, die durch die Wirklichkeit in der Bundesrepublik Deutschland längst widerlegt wurden. Herr Kollege Vogel, im Verlaufe Ihrer Rede drängte sich mir ein Eindruck auf: Wenn das Bild wirklich so wäre, wie Sie es schildern, müßten Sie doch von Wahlsieg zu Wahlsieg schreiten, ({3}) müßte es doch ein demoskopisches Bild geben, nach dem Sie von einem Triumpf zum anderen gehen. ({4}) Jetzt schauen Sie sich doch einmal das Wahlergebnis in Stuttgart oder das Wahlergebnis in Tübingen an. Dort haben Sie es doch so weit gebracht, daß Sie - nach den GRÜNEN - die drittstärkste Fraktion im Rat der Stadt geworden sind. ({5}) Sehen Sie, das, was Sie hier geboten haben, Herr Kollege Vogel, ist der alte Rückfall in die sozialistische Mottenkiste der Aufforderung zum Klassenkampf und zum Neid als Mittel der Politik. ({6}) Meine Damen und Herren, deswegen lohnt es sich in der Tat nicht, auf diese Rede weiter einzugehen. ({7}) Abschließend will ich dazu nur noch zwei Bemerkungen machen, weil Sie so vieles behauptet haben, was nicht zutreffend ist. Wenn sie gestern bei der Tagung der IG Bergbau nur etwas zugehört hätten, hätten Sie daraus entnehmen können, daß das, was Sie mir hier vorgeworfen haben, wirklich absurd ist. Seit Wochen ist gerade für diese Woche ein Gespräch mit Herrn Breit, dem Vorsitzenden des DGB, vereinbart. Ich kann ja nichts dazu, daß Ihre Kontakte zum DGB offensichtlich so erlahmt sind, daß Sie die einfachsten Nachrichten nicht mehr zur Kenntnis nehmen. ({8}) Was Sie zum Thema der Koalition gesagt haben: Nun, Herr Abgeordneter Vogel, Sie sind - wie ich auch - lange genug in der Politik und wissen, daß eine Koalitionsregierung immer eine schwierige Sache ist. Das weiß jeder, der Mitglied einer Koalitionsregierung war. Die Koalitionsregierung aus FDP, CSU und CDU als Koalition der Mitte ist angetreten, das wieder in Ordnung zu bringen, was Sie uns im Jahre 1982 an Abstiegskandidaten hinterlassen haben. ({9}) Natürlich haben wir dabei unsere Schwierigkeiten. Wer die bundesstaatliche Ordnung kennt, wer die Parteienlandschaft kennt, ({10}) der weiß: Es ist doch ein ganz natürlicher Vorgang, daß in einer Frage wie der der Steuerreform zwischen den drei Koalitionsparteien CDU, CSU und FDP in der besonderen Situation einer Verteilung der Finanzmasse zwischen Bund und Ländern viele - häufig allerdings, wie ich gerne einräume, unnötig laute, überhaupt viele sonst unnötige - Gespräche zu führen sind. Nur, meine Damen und Herren, das war doch zu allen Zeiten so. Schauen Sie doch einmal zurück in die Geschichte der Bundesrepublik. Da gab es sehr früh die Koalition zwischen CDU/CSU und FDP. Schauen Sie zurück in die Zeit der Großen Koalition. Sie haben das doch alles miterlebt. Natürlich gab es da immer Probleme und manches Mal ganz unnötige. Das gilt auch für die von mir geführte Koalition. Aber das Entscheidende, meine Damen und Herren, ist: Wenn Sie die Zeit vom 1. Oktober 1982 bis zum heutigen Tag noch einmal abmessen, dann werden Sie eben feststellen, daß diese Koalition der Mitte eine ganz ungewöhnlich erfolgreiche Koalition für die Bundesrepublik Deutschland war. ({11}) Das kann man doch nun wirklich in allen entscheidenden Feldern der Politik nachweisen. ({12}) Ihr Beitrag in diesen zwei Jahren bestand doch in jenen gleichen Lärmszenen, die Sie auch jetzt dem Zuschauer bieten. Lassen Sie uns doch einmal in aller Ruhe die einzelnen wesentlichen Kapitel deutscher Politik in diesen zwei Jahren besprechen. ({13}) Da ist zunächst einmal das Verhältnis im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik zu unserem wichtigsten verbündeten, den Vereinigten Staaten. ({14}) - Herr Dr. Ehmke, ich weiß nicht, warum Sie hier dazwischenrufen. Ich hätte mir gewünscht, daß Sie beispielsweise Ihre Stimme laut erhoben hätten, als der Pöbel von Berlin die amerikanische Flagge durch den Dreck gezogen hat. Ich hätte mir Ihre Stimme zu hören gewünscht, als sich vor einigen Wochen ein ähnliches Schauspiel im Bonner Hofgarten ereignet hat und der Parteivorsitzende der SPD dort in der Nähe stand. ({15}) Wenn morgen der Bundesaußenminister und ich auf Einladung des Präsidenten der Vereinigten Staaten nach Washington fahren, können wir mit der Gewißheit fahren, daß die Parlamentsmehrheit der Bundesrepublik Deutschland, und zwar in beiden Kammern, im Bundestag und Bundesrat, die Sicherheitspolitik der NATO ohne Wenn und Aber unterstützt. ({16}) Unsere amerikanischen und unsere kanadischen Freunde, auch die Freunde in Europa wissen sehr genau, daß die Bundesrepublik Deutschland mit dieser Parlamentsmehrheit ein berechenbarer, guter Freund und ein verläßlicher Partner auch in schwierigen Zeiten ist. Meine Damen und Herren, so hat sich gerade in den letzten zwei Jahren das Verhältnis, das Vertrauensverhältnis zwischen der Bundesregierung und dem Weißen Haus, der amerikanischen Administration, ganz vorzüglich entwickelt. Wir haben ähnlich gute Beziehungen zu unseren Freunden in Paris. Das gleiche gilt für alle anderen Partner in der Europäischen Gemeinschaft und auch in der NATO. Das war vor zwei Jahren doch keineswegs selbstverständlich. Es war doch Ihre Politik, die Politik der deutschen Sozialdemokraten, die die Sicherheitspolitik meines Amtsvorgängers ins Zwielicht gebracht hat. ({17}) Ich brauche Sie doch nicht daran zu erinnern, welch schockierendes, welch deprimierendes Bild die SPD in diesen Fragen auf ihrem letzten Parteitag geboten hat. Wir haben vor allem in den letzten zwei Jahren auf Grund dieses engen und vertrauensvollen Verhältnisses zu unseren amerikanischen Freunden und unseren Partnern die Möglichkeit gehabt, intensiven Einfluß auf die Genfer INF- und die START-Verhandlungen zu nehmen. Als wir vor einem knappen Jahr - als Sie mit anderen dabei waren, der Bundesrepublik den heißen Herbst zu bereiten - gesagt haben, nach den amerikanischen Wahlen werden die Verhandlungen wieder aufgenommen, werden sich die Sowjets und die Amerikaner aufeinander zubewegen, haben Sie von diesem Pult aus Spott und Hohn verbreiten wollen. Sie haben Angst im Land verbreitet, um Ihre politischen Geschäfte zu machen. ({18}) Was haben Sie nicht alles an Schmähungen über den amerikanischen Präsidenten verbreitet, um Ihren zum Teil wirklich absurden und törichten Antiamerikanismus zu füttern. Wenn Sie die Rede des Präsidenten vor der UNO-Vollversammlung, wenn Sie die Gespräche der amerikanischen Administration, auch des Präsidenten selbst, mit dem sowjetischen Außenminister Gromyko betrachten, dann wissen Sie: wir haben ein Verhältnis des Vertrauens und der Partnerschaft, und das hat überhaupt nichts mit der Inspiration von Vasallen zu tun; dann wissen Sie, daß hier Europäer und Amerikaner gemeinsam um den Frieden und um die Sicherheit ihrer Länder kämpfen. ({19}) Durch unsere Entscheidungen in der Sicherheitspolitik sind die Grundlagen gelegt worden, daß dieser Kontakt jetzt unter ganz anderen und, wie ich hoffe, günstigeren Bedingungen wiederaufgenommen werden kann. Wir begrüßen den Wiederbeginn von Verhandlungen ganz uneingeschränkt. Ich begrüße es auch - auch das, meine Damen und Herren, ist ziemlich bemerkenswert -, daß beide Seiten, die sowjetische wie die amerikanische, es für selbstverständlich gehalten haben, uns und speziell mich persönlich über ihre Vorstellungen für die nächste Zeit zu unterrichten. Ich sage es noch einmal: Vor einem Jahr haben Sie eine neue Eiszeit in den Beziehungen zwischen Ost und West prophezeit. Sie haben die Behauptung des sowjetischen Ministerpräsidenten Tichonow, zwischen beiden Teilen Deutschlands ginge jetzt ein Raketenzaun nieder, im ganzen Land verbreitet und damit Angst unter die Mitbürger gebracht. Sie haben niemals eine vernünftige Alternative angeboten. Nach zwölf Monaten hat sich deutlich erwiesen, daß unsere Position die richtige war. Ich füge hinzu: Unsere Position, das heißt auch die Position meines Amtsvorgängers Helmut Schmidt. Bundeskanzler Helmut Schmidt war ja ein Mitautor des NATO-Doppelbeschlusses. Wir haben diese Politik als Opposition - ich als Sprecher meiner Fraktion und viele andere auch - unterstützt. Wir haben unser Wort dafür gegeben. Wir haben als Regierungspartei unser Wort selbstverständlich eingelöst. Sie sind in Wahrheit von einer vernünftigen Politik abgewichen und taumeln jetzt immer mehr in die politische Direktion des Neutralismus, von dem für unser Land mit Sicherheit kein Vorteil erlangt werden kann. ({20}) Wir lassen uns auf diesem Wege auch nicht durch diese oder jene Propaganda von draußen beirren. In meinen Gesprächen in den letzten vierzehn Tagen mit unseren europäischen Partnern, mit Präsident Mitterrand, mit Ministerpräsident Craxi, mit der Kollegin Frau Thatcher und mit anderen, hat sich gezeigt - ich finde, das ist eine großartige Chance, auch für Europa -, daß wir allesamt fest entschlossen sind - vor allem jene, die den NATO-Doppelbeschluß mit besonderer Entschiedenheit und mit den notwendigen Handlungen im eigenen Land unterstützt haben -, jetzt die Chance zu einem neuen kraftvollen Anlauf für vernünftige Abrüstungsverhandlungen, für eine vernünftige Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses zu unterstützen. Es ist wahr - ich glaube, es war Kollege Hoppe, der das gerade gesagt hat -, die Gespräche in den USA finden zum bestmöglichen Zeitpunkt statt. Und dabei geht es um die Verbesserung der Ost-West-Beziehungen, um Fragen der Abrüstung und der Rüstungskontrolle, um die künftige Zusammenarbeit innerhalb des Atlantischen Bündnisses und damit die Sicherung der gemeinsamen Verteidigungsfähigkeit. Meine Damen und Herren, für uns bleibt dabei ganz klar, daß Voraussetzung für dies alles die enge, freundschaftliche Beziehung zu den Vereinigten Staaten von Amerika ist. Es ist eine Beziehung der Freundschaft, es ist eine Beziehung, von der beide Seiten wohl wissen, daß sie gegenseitig großen Vorteil aus dieser Partnerschaft und Freundschaft ziehen. Dazu gehört auch die Chance, daß wir insgesamt im Ost-West-Dialog vorankommen. Wir denken, die Beziehungen zwischen West und Ost dürfen eben nicht auf Fragen der Raketen, der Rüstungskontrolle reduziert werden, so existentiell wichtig diese Fragen selbstverständlich sind. Wir halten für unabdingbar, alle Möglichkeiten eines konstruktiven Zusammenwirkens in allen Bereichen auszuschöpfen. Mit diesem Ziel hat die Bundesregierung in diesem Jahr den Gesprächsfaden mit allen Staaten des Warschauer Pakts nicht abreißen lassen, sondern hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten die Kontakte und die Kooperation mit diesen Ländern fortgesetzt und vertieft. Ich verweise auf meine Gespräche in Ungarn, auf die Gespräche anläßlich des Staatsbesuches des rumänischen Präsidenten Ceausescu. Der Dialog geht weiter; er ersetzt natürlich nicht das Gespräch zwischen den Weltmächten, aber er ist eine notwendige und besonders aus europäischer Sicht zwingende Ergänzung zum Dialog der Weltmächte. Es gibt unverändert die Chance, im KSZE-Prozeß eine Fülle von Feldern für nutzbringende Zusammenarbeit zwischen Ost und West aufzuarbeiten. Der Korb II der Schlußakte von Helsinki zählt solche Felder auf. In Wirtschaft und Handel gibt es zwischen West und Ost gemeinsame oder komplementäre Interessen. In den letzten Monaten haben wir einen neuen wichtigen Beitrag auf diesem Weg erfahren, nämlich das zunehmend wachsende Bewußtsein in Ost und West für die Notwendigkeit des Schutzes der gemeinsamen natürlichen Lebensgrundlagen. Es ist heute wahr, daß wir uns mit unseren Gesprächspartnern in Ost-Berlin, in der CSSR oder in Polen über Fragen des Waldsterbens wegen der gegebenen Verhältnisse aus Gründen der gemeinsamen Bedrohung schneller verständigen und einigen können als mit etlichen unserer Partner in der EG, die dieses Problem überhaupt nicht kennen. Ich finde, es ist eine gute Sache - das war ja auch ein Stück Erfolg bei der entsprechenden Umweltschutzkonferenz in München -, daß es gerade in einem Zeitalter, in dem soviel über Raketen und über Waffen gesprochen wird, möglich ist, den nützlichen und erforderlichen ökologischen Ost-West-Dialog so voranzutreiben. Wir sind dazu bereit. ({21}) Ich nenne ein anderes wichtiges Feld, das eigentlich jeden Demokraten in der Bundesrepublik Deutschland ansprechen muß. Im kommenden Jahr findet in Ottawa das KSZE-Expertentreffen über Menschenrechte statt. Auf der im Mai 1985 beginnenden Konferenz sind wir in jeder Weise zur Mitarbeit bereit. Und wir werden auch auf Fortschritte bei der tatsächlichen Beachtung der Menschenrechte dringen. Gute Beziehungen zwischen West und Ost sind auf Dauer nur denkbar, wenn im Bereich der Menschenrechte die notwendigen und möglichen Verbesserungen eintreten. ({22}) Lassen Sie mich gerade in diesem Zusammenhang ein Wort zu unserer Deutschlandpolitik sagen. Wir verstehen Deutschlandpolitik als einen Beitrag zur europäischen Friedenspolitik. Sie fußt auf unserer engen Partnerschaft und Freundschaft mit den Demokratien des Westens, und wir suchen dabei die Verständigung mit allen unseren Nachbarn in Ost- und Mitteleuropa. Das ist für uns ein Gesamtkonzept einer in sich geschlossenen Politik. Wir wissen auch - lassen Sie mich das wiederum einmal aussprechen -, daß es keinen irgendwie gearteten deutschen Sonderweg oder einen Alleingang für die Deutschen geben könnte. Deutschlandpolitik muß immer eingebunden sein in die gesamte politische Szenerie in Europa und in der Welt. Deutschlandpolitik muß auch immer bedenken, daß für das Schicksal der Völker in Mittel- und Osteuropa und damit auch für das Schicksal unserer Landsleute in der DDR die Beziehungen zu unserem wichtigsten und mächtigsten Nachbarn in Osteuropa, zur Sowjetunion ganz entscheidend sind. Deutschlandpolitik heißt: eingegangene Verträge und Verpflichtungen honorieren und auch - wenn dies not tut - Vertragspartner an ihre Verpflichtungen erinnern. Unsere Deutschlandpolitik habe ich hier von dieser Stelle aus immer wieder deutlich dargelegt, eingehend in meinen Regierungserklärungen im Oktober 1982 und im Mai 1983. Sie hat auch ihren Niederschlag gefunden in der gemeinsamen Entschließung des Deutschen Bundestages vom Februar dieses Jahres. Meine Damen und Herren, diese Politik ist für jedermann berechenbar und klar. Aber zu dieser Deutschlandpolitik gehört nach unserem Selbstverständnis, nach unserem Verfassungsverständnis im Sinne der Präambel des Grundgesetzes und nach dem Verständnis unseres geschichtlichen Auftrags eben die Tatsache, daß wir als Deutsche uns mit der Teilung unseres Vaterlandes nicht abfinden. ({23}) Politisch wie rechtlich und letztlich auch moralisch bleibt der nationale Auftrag gültig, in einem freien Europa in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Man kann es nicht oft genug sagen: Die deutsche Nation lebt im Bewußtsein der Deutschen weiter. Das ist der Wille unseres Volkes, das ist eine politische Realität. Und das heißt: Die deutsche Frage ist und bleibt offen. ({24}) Natürlich weiß jeder von uns - wir sind Realisten -, daß dies kein Thema ist, das auf der Tagesordnung der Weltpolitik von heute steht, aber wir wissen auch - ich sage das nicht ohne Grund - angesichts des geschichtlichen Beispiels unserer polnischen Nachbarn, daß der Wille zur Einheit einer Nation auch die Teilung eines Landes über viele Generationen überwinden kann. Wer bei uns davon spricht, so wie es die Präambel des Grundgesetzes sagt, daß wir den Willen zur Selbstbestimmung haben und nicht aufgeben, der ist eben kein aggressiver Revanchist. ({25}) Wer durch unser Volk geht, der weiß: Er findet nirgendwo ein Anzeichen für Revanchismus. Wir haben aus der Geschichte gelernt. ({26}) - Es mag sein, daß es bei Ihnen in einer bestimmten Bankgruppe dieses Hauses eine neue Form von Revanchismus gibt, ({27}) aber ich habe nicht die Absicht, mich mit einem vorübergehenden parlamentarischen Zustand hier weiter auseinanderzusetzen. ({28}) Meine Damen und Herren, es ist so - das wissen Sie auch; auch die sozialdemokratischen Kollegen wissen das -, daß es bei uns nirgendwo Revanchismus gibt, weder bei den Vertriebenen, die das Schicksal der Vertreibung persönlich erlebt haben, noch bei ihren Nachkommen, die inzwischen ganz selbstverständlich Heimatrecht in ihrer neuen Heimat haben, noch bei irgendeinem anderen in unserem Volk, schon gar nicht bei der jungen Generation. ({29}) Ich sage das auch ganz bewußt an die Adresse unserer polnischen Nachbarn. Ich habe bedauert - ich habe dies auch öffentlich gesagt -, daß die geplante Reise des Bundesaußenministers nicht zustande kam, nicht zustande kommen konnte angesichts des Verhaltens polnischer Behörden, die eine solche Reise unter den gegebenen Umständen unmöglich gemacht haben. Ich wünsche mir, daß diese Reise nicht allzu lange auf sich warten lassen muß, daß der Kontakt mit Polen fortgesetzt werden kann, denn wir, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, wollen Frieden und Ausgleich mit unseren polnischen Nachbarn. ({30}) Konrad Adenauer hat in der ersten Regierungserklärung nach seiner Wahl zum Bundeskanzler 1949 von dieser Stätte aus unseren Bürgern und unseren Nachbarn in der Welt zugerufen: Wir wollen Friede, Ausgleich und, wenn möglich, gute Nachbarschaft zu allen Kriegsgegnern von gestern. Wir wollen dies vor allem - ich sage es mit meinen Worten - mit dem Volk und dem Staate Israel, mit Frankreich und mit Polen. Es ist eines der großartigsten Versöhnungswerke, daß es nach Auschwitz und Treblinka gelungen ist, mit dem Volk und dem Staate Israel zur Aussöhnung zu kommen. Das Bild, das alle Welt vor wenigen Wochen sah: vor dem Ossuaire in Verdun der französische Staatspräsident und der deutsche Kanzler, es zeigt, daß dies auch ein Schlußstrich unter einer langen Epoche schlimmer Heimsuchungen der gegenwärtigen und der früheren Geschichte unseres Volkes war und ist. Wir wünschen uns von Herzen, daß eine solche Aussöhnung auch mit dem polnischen Volk möglich ist. ({31}) Wir wünschen uns, daß es, so wie es ein deutschfranzösisches Jugendwerk gibt, ein deutsch-polnisches Jugendwerk geben möge. ({32})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Herr Bundeskanzler gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gansel? - Nein, Herr Kollege.

Dr. Helmut Kohl (Kanzler:in)

Politiker ID: 11001165

Meine Damen und Herren, wenn dann im kommenden Sommer einige 10 000 junge Polen ihre Ferien bei uns in deutschen Familien mit Gleichaltrigen verbringen würden, würden sie zu Hause die Nachricht überbringen, daß sie nicht einen einzigen Revanchisten getroffen haben. ({0}) Ich finde, meine Damen und Herren, es ist ein schlimmes Zeichen für die Entwicklung in unserem Land, daß hier unter den großen demokratischen Parteien offensichtlich keine Gemeinsamkeit mehr aufkommen kann. Wir jedenfalls werden in unserer Politik gegenüber unserem polnischen Nachbarn in der gebotenen Weise, mit Ruhe und mit Entschiedenheit, aber auch mit großer Geduld den Weg weitergehen, der zur Versöhnung und zur Aussöhnung beitragen kann. ({1}) Das ist und bleibt das Ziel unserer Politik. Meine Damen und Herren, das aktuelle Ziel unserer Deutschlandpolitik besteht gemäß der ZielsetBundeskanzler Dr. Kohl zung des Grundlagenvertrags darin, „normale gutnachbarliche Beziehungen" zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zu entwickeln. Wir wollen die bestehenden Verträge nutzen und ausfüllen. Wir haben zur Kenntnis genommen, daß sich der Generalsekretär und Staatsratsvorsitzende Honecker nicht in der Lage sah, den angesagten Besuch jetzt auszuführen. Er hat den Besuch nicht aufgehoben, sondern verschoben. Ich gehe davon aus, daß dieser Besuch zu einem späteren Zeitpunkt - das hat sehr viel auch mit der weltpolitischen Entwicklung zu tun - möglich sein wird, und ich hoffe, daß er möglich sein wird. Wir wollen die bestehenden Verträge ausfüllen und nutzen. Wir streben weitere Fortschritte an, um zu langfristigen Abmachungen über wissenschaftliche, technische und kulturelle Bereiche zu kommen, und wollen nicht zuletzt auch im Bereich des Umweltschutzes eine möglichst enge Zusammenarbeit ermöglichen. Wir werden das alles tun, aber wir denken nicht daran, unsere Prinzipien aufzugeben - nicht die Grundpositionen und nicht die Rechtspositionen. Das, worauf es ankommt, sind weitere Erleichterungen für die Menschen im geteilten Deutschland. Sie sollen und müssen spüren, daß ihr Leben erleichtert wird, und sie spüren es. Sie wissen, daß unsere Politik auch den Menschen in der DDR dient. Daß die Kontakte zwischen den Verantwortlichen heute unbefangener und zahlreicher geworden sind, findet, wie ich denke, auch eine sehr sinnvolle und gute Ergänzung in der Zunahme der Kontakte zwischen Bürgern aus beiden Teilen Deutschlands. Meine Damen und Herren, in den ersten zehn Monaten, von Januar bis Ende Oktober dieses Jahres, konnten 30 896 Bürger aus der DDR in die Bundesrepublik umsiedeln. Das heißt: Wir nähern uns bis Ende Dezember, bis Weihnachten einer Zahl nicht weit von 40 000 entfernt. Das ist der absolute Rekord seit dem Bau der Mauer. Das ist ein großartiger Erfolg. Nicht eine neue Eiszeit, sondern mehr Menschlichkeit zwischen beiden Teilen Deutschlands war durch unsere Politik möglich geworden. ({2}) Meine Damen und Herren, wenn Sie nur annähernd solche Erfolge in Ihrer Zeit zu verzeichnen gehabt hätten, dann hätte ich einmal die Propagandareden von diesem Pult aus ertragen mögen. ({3}) Die Bundesregierung wird ihre Deutschlandpolitik mit Ruhe und Nüchternheit stetig fortführen. Die Fortentwicklung unserer Beziehungen muß den Menschen dienen. Sie soll aber auch zur Vertrauensbildung in Europa beitragen. Wir wollen, daß - wie der Satz aus gutem Grund von uns gemeinsam ausgesprochen wird - für die Zukunft von deutschem Boden Frieden ausgeht. Meine Damen und Herren, eine andere entscheidende Frage ist in diesen Jahren von uns vorangetrieben worden. Ich spreche von der Entwicklung in der Europäischen Gemeinschaft. Wir werden in wenigen Tagen, am 3. und 4. Dezember, in Dublin vor sehr schwierigen Entscheidungen stehen, ich sage: wiederum vor schwierigen Entscheidungen, nicht zuletzt im Blick auf die Süderweiterung, die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft um Spanien und Portugal. Die demokratischen Parteien des Deutschen Bundestages haben schon vor vielen Jahren unseren Freunden in Spanien und Portugal zugerufen, und daran hat sich sicher nichts geändert: Wenn ihr in die Gemeinschaft der freien Völker zurückkommt, wenn ihr eine neue Demokratie aufbaut, müßt ihr die Gewißheit haben, daß wir bereit sind, die Tore zur Europäischen Gemeinschaft weit zu öffnen. - Genau das wollen und werden wir tun. Das heißt aber, meine Damen und Herren: Wir müssen uns darüber im klaren sein, daß wir unter den gegebenen Verhältnissen in vielen, auch unsere Volkswirtschaft und einzelne Berufsgruppen betreffenden Themen die Chancen nutzen müssen, jetzt zu klaren Absprachen zu kommen. ({4}) Die Erfahrungen, die wir etwa im Bereich der Milchwirtschaft in den letzten Jahrzehnten in der EG gemacht haben, müssen uns dazu zwingen, in allen relevanten Fragen jetzt zu klaren Absprachen zu kommen; denn die Erfahrung zeigt, daß nach einem Beitritt vernünftige Lösungen noch viel schwieriger sind. Auch das ist eine Erfahrung aus den letzten Jahren. ({5}) Die unter der deutschen Präsidentschaft auf dem Europäischen Rat im Juli 1983 in Stuttgart eingeleitete Entwicklung zur Lösung der Probleme hat mit der Verständigung auf dem Europäischen Rat in Fontainebleau eine entscheidende Hürde überwunden. Ich stehe hier in der sehr günstigen Situation, daß - mit Ausnahme des Herrn Abgeordneten Dr. Vogel - unsere Präsidentschaft in Europa nur positive Erwähnung findet ({6}) und eigentlich alle Kollegen, ob Sie nun die sozialistischen Regierungschefs nehmen oder die Christlichen Demokraten, auch heute noch sagen, daß die Beschlüsse von Stuttgart richtig waren. Sie, meine Damen und Herren, haben vor wenigen Tagen den Nachtragshaushalt 1984 beschlossen, der den deutschen Anteil zum Nachtragshaushalt der Gemeinschaft zum Gegenstand hat. Zusatzfinanzierung war nach Erschöpfung der eigenen Einnahmen der Gemeinschaft notwendig geworden, um ihr normales Funktionieren auch für den Rest des Jahres sicherzustellen. Die Bundesregierung - lassen Sie mich das deutlich sagen - hätte um die Zustimmung des Hohen Hauses nicht gebeten, wenn nicht zugleich sichergestellt gewesen wäre, daß auch für die Gemeinschaft künftig strenge Grundsätze über eine sparsame Haushaltsführung gelten. Was für uns angesichts knapper öffentlicher Haushalte innerstaatlich eine Selbstverständlichkeit ist, muß auch für die Gemeinschaft gelten. Meine Damen und Herren, in einer Welt, die unverändert durch das Ringen entgegengesetzter Systeme, aber auch durch die Gefahr eines technologischen Rückstandes Europas gegenüber Japan und den USA gekennzeichnet ist, kommt es heute mehr denn je darauf an, ein auch politisch gemeinsam handelndes Europa zu schaffen. Für uns kann die Europäische Gemeinschaft in ihrer jetzigen Form kein Endzustand sein. Die wirtschaftliche Einigung und Integration sind eine ganz gewiß wichtige Etappe, aber sie können eben nur eine Etappe auf dem Weg der politischen Einigung sein. Unser Ziel - und die Bundesregierung wird alles tun, was sie als Beitrag dazu leisten kann - bleibt die Schaffung der europäischen Union. Darunter verstehen wir ein Europa, das gekennzeichnet ist durch klar festgelegte Ziele, durch die Verständigung auf die Mittel, diese Ziele zu verwirklichen, und durch eine gemeinsame Auffassung in den wichtigsten und entscheidenden Feldern der internationalen Politik. Auf der anderen Seite - auch das gehört dazu - müssen wir alles tun, damit dieses Europa auch für den einzelnen Bürger sichtbar wird. Die auf Grund einer Abrede mit Präsident Mitterrand getroffene deutsch-französische Vereinbarung über den Abbau von Grenzkontrollen stellt einen wichtigen Schritt in diesem Zusammenhang dar. Wir sind gegenwärtig in Verhandlungen mit den Regierungen der Beneluxstaaten und mit der Regierung von Dänemark. Ich hoffe, daß wir auch auf diesem Feld weiter vorankommen. ({7}) - Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, warum Sie hier jetzt Zwischenrufe machen. Das ist doch ein Punkt, mit dem Sie zufrieden sein sollten. Was hätten Sie denn gesagt, wenn Sie in den letzten elf Jahren einen vergleichbaren Erfolg mit nach Hause gebracht hätten? ({8}) Ähnlich wie im Felde der Außen-, der Sicherheits- und der Deutschlandpolitik haben wir im letzten Jahr ein gewaltiges Stück auf dem Weg nach vorn zur Konsolidierung der wirtschaftlichen und sozialen Lage unseres Landes zurückgelegt. Meine Damen und Herren, ich weiß, Sie hören es nicht gerne und ertragen es schwer, aber Sie müssen es schon ertragen: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung ({9}) formuliert bereits in dem Titel seines neuesten Jahresgutachtens sehr charakteristisch. Die Überschrift dieses Gutachtens lautet: „Chancen für einen langen Aufschwung". Die Tatsache, daß diese angesehenen Wissenschaftler diese Überschrift für ihr Gutachten ausgewählt und formuliert haben, ist ein Beweis für die Qualität der Wirtschaftspolitik der letzten zwölf Monate. ({10}) Da heißt es im Text - wörtlich zitiert -: Die deutsche Wirtschaft dürfte auch 1985 auf expansivem Kurs bleiben. Die Voraussetzungen dafür sind so gut wie lange nicht mehr. Ja, meine Damen und Herren, was wollen Sie denn eigentlich noch mehr nach dem Scherbenhaufen, den Sie uns 1982 überlassen haben? ({11}) Was hätte mancher berühmte Ökonom dafür gegeben, wenn er mit diesem Zitat ans Pult hätte treten können! ({12}) Die Gutachter erwarten ein Wirtschaftswachstum von 3 %, und dies zusammen mit einem Anstieg der Beschäftigung um 250 000 bis 300 000 und einem Rückgang der Arbeitslosigkeit um nahezu 200 000 im Verlauf des nächsten Jahres. Sie sagen mit Recht: Wichtige Antriebskräfte sind Investitionen und Exporte. - Unsere Politik der soliden Finanzen, des Augenmaßes, eine Politik der Mitte, hat in den letzten zwei Jahren die Perspektive eröffnet, daß Wirtschaftswachstum eben wieder möglich ist. Nur so sichern wir Chancen für Investitionen, Wettbewerbsfähigkeit und neue Arbeitsplätze. ({13}) Das Gutachten zeigt nicht nur, mit welcher Perspektive wir für das kommende Jahr rechnen können, es läßt auch erkennen, welche Wegstrecke wir zurückgelegt haben. Vor dem Regierungswechsel - daran muß man immer wieder erinnern, vor allem auch angesichts Ihrer Verelendungspropaganda draußen im Lande - hatte die Politik der deutschen Sozialdemokraten die deutsche Wirtschaft auf das falsche Gleis gefahren. Das Ergebnis war 1982 der größte Wachstums- und Beschäftigungseinbruch, den die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat. Wie schwierig die Situation damals noch war, kann nicht zuletzt an den Prognosen abgelesen werden, die Ende 1982 abgegeben wurden. Nullwachstum - das war doch erst vor zwei Jahren - war schon die Obergrenze. Die Mehrzahl der Experten war noch pessimistischer. Wir haben uns davon nicht beeindrucken lassen, auch nicht von jenem Zweckpessimismus, den Sie immer wieder verbreitet haben, indem Sie unseren Mitbürgern zugerufen haben, der Anstieg der Arbeitslosenzahl auf 3 Millionen sei unabwendbar. Wir sind an die Arbeit gegangen und haben mit Ihrer verfehlten Politik Schluß gemacht. ({14}) Mit dieser Politik haben wir nicht nur eine Bundestagswahl gewonnen - wobei wir allen Bürgern vor der Wahl gesagt haben, was wir tun werden -, sondern auch wieder neues Vertrauen in staatliches Handeln. ({15}) Nur weil es dieses neue Vertrauen, diese Zuversicht, diesen neuen Optimismus mit Augenmaß gab, nur deswegen konnten auch die Maßnahmen zur Ankurbelung der Wirtschaft die Umkehr des verhängnisvollen Abwärtstrends bewirken. In den zwei Jahren von 1980 bis 1982 ist die volkswirtschaftliche Leistung um 1,3 % geschrumpft. Von Ende 1982 bis heute - das ist ungefähr der gleiche Zeitraum - ist sie dagegen um 4 % gestiegen. Gleichzeitig ist die Staatsquote, also der Anteil aller öffentlichen Ausgaben am Bruttosozialprodukt, erstmals wieder gesunken. Hier war doch in der Tat weniger mehr. Aus Inflationsraten von 6 % ist praktisch Preisstabilität geworden. Herr Abgeordneter Vogel stellt sich hier hin und bemängelt - man sieht ihm beinahe die hämische Freude dabei an -, daß es jetzt statt 1,9% womöglich 2,3 % werden. ({16}) Schauen Sie sich doch in anderen europäischen Ländern um. Die wären doch froh, wenn sie vergleichbare Daten aufzuweisen hätten. ({17}) Ich sage es noch einmal: Aus Inflationsraten von über 6 % ist praktisch Preisstabilität geworden. Was das konkret bedeutet, hat kürzlich die Gemeinschaft zum Schutz der Sparer eindrucksvoll vorgerechnet. ({18}) - Es ist mir klar, daß die Gemeinschaft zum Schutz der Sparer Ihre Sympathie nicht genießt. Das weiß ich. Von ihr erwarten Sie gesellschaftspolitisch ja auch nichts. ({19}) Die Halbierung der Inflationsrate seit 1982 hat Substanzeinbußen beim Geldvermögen der Bürger in Höhe von 80 Milliarden DM verhindert. Heute sind die Zinsen auf dem Sparbuch wieder höher als die Inflationsrate. Das war abgesehen von einer sehr kurzen Zwischenphase zuletzt vor über zehn Jahren der Fall. Sparen bringt eben auch wieder Vermögensgewinn und nicht mehr Substanzverlust. Das ist soziale Politik für die breiten Schichten unseres Volkes. ({20}) 1982 wurden die Löhne um 4,2 % erhöht. Die Preissteigerungsrate betrug gleichzeitig 5,3 %. Das Ergebnis war damals ein Rückgang der Realeinkommen von rund 1 %. 1984 steigen Löhne und Gehälter um rund 31/2 %, die Preise dagegen um 21/2 %. Das bedeutet doch unleugbar einen Anstieg der Realeinkommen von 1 %. ({21}) Ich könnte diese Liste beliebig fortsetzen. Ich kann nur eines sagen: Diese Daten bezeugen, daß Sie mit Ihrer sozialistischen Verelendungspropaganda im Land eben keinen Widerhall finden, daß die Zukunft ganz anders ist. ({22}) Breite Schichten unserer Bevölkerung haben die Richtigkeit des Satzes begriffen, daß stabile Preise soziale Politik im besten Sinne des Wortes sind. Und wenn Sie die Facharbeiter in Stuttgart bei der letzten Kommunalwahl gefragt hätten - hier sitzt j a einer der Spitzenkandidaten Ihrer Partei - ({23}) - Auch in Ludwigshafen. Herr Vogel, da Sie in Baden-Württemberg eben keine vergleichbare Minuszahlen wie wir in Ludwigshafen hatten, können Sie sich angesichts des Desasters, das Sie erlebt haben, wirklich davonschleichen. ({24}) Wir haben auch auf dem Arbeitsmarkt wichtige Teilerfolge erzielt. Ich sage: Teilerfolge, weil ich natürlich wie jeder hier im Saal weiß, daß wir bei dieser entscheidenden innenpolitischen Herausforderung noch lange nicht über den Berg sind. Aber diese Arbeitslosigkeit ist nicht über Nacht gewachsen, und sie geht nicht über Nacht weg. Ein Großteil der Gesetzgebung, die Sie in den letzten Jahren geschaffen haben, hindert uns ja an einem schnellen Abbau dieser Arbeitslosigkeit. ({25}) Meine Damen und Herren, wer erstmals seit den Nachkriegsjahren Massenarbeitslosigkeit in Deutschland wieder eingeführt hat, der hat allen Grund, seine Worte zur Lage auf dem Arbeitsmarkt behutsam zu wählen. ({26}) Die Sozialdemokraten täten gut daran, sich an die Prognose ihres damaligen Kanzlerkandidaten, des Herrn Abgeordneten Dr. Jochen Vogel, zu erinnern, der im Februar 1983 erklärte - ich zitiere -: Wenn Sie mich fragen, welchen Zeitraum ich brauche, um diesen Prozeß der weiter ansteigenden Arbeitslosigkeit zu bremsen und dann umzukehren, dann antworte ich, daß dies eine Aufgabe für eine volle Legislaturperiode sein wird. ({27}) Herr Abgeordneter Vogel, es ehrt mich ja, daß Sie mir die Kraft und die Chance zutrauen, es schneller zu schaffen. Ich bin ja auch überzeugt davon, daß das so ist. ({28}) Aber bei einem fairen Umgang mit den Chancen müßten Sie uns wenigstens in etwa den gleichen Zeitraum konzedieren. ({29}) Im übrigen, meine Damen und Herren, trifft es ja auch nicht zu, daß die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung am Arbeitsmarkt vorbeigeht. Ein deutliches Signal ist die Entwicklung bei der Kurzarbeit. Sie ist seit ihrem Höhepunkt im Januar 1983 von 1,2 Millionen auf rund ein Viertel, nämlich auf 300 000, zurückgegangen. Dies bedeutet doch im Klartext: Neue Aufträge können heute wieder zu Neueinstellungen führen. Gleiches signalisiert auch die um 19 % höhere Zahl an offenen Stellen. Dann wird noch etwas übersehen: Die Zahl der arbeitslosen Jugendlichen liegt heute um 30 000 unter dem Stand - ich wiederhole: unter dem Stand -, den ich bei meiner Amtsübernahme am 1. Oktober 1982 vorgefunden habe. ({30}) Die Quote der Jugendarbeitslosigkeit liegt heute anders als damals unter der allgemeinen Arbeitslosenquote. ({31}) Ich könnte die Liste beliebig fortsetzen. ({32}) Wenn wir es richtig sehen, meine Damen und Herren, stimmen die Aussagen von Sachverständigenrat, Bundesbank, Wirtschaftsverbänden und Instituten in einem überein, bei aller Kritik, die wir natürlich auch erfahren. Man sagt - das ist ja auch richtig -: Die Bundesregierung und die sie tragenden Koalitionsparteien sind auf dem richtigen Weg. Wir haben eine echte Chance, daß aus der wirtschaftlichen Aufwärtsentwicklung dieses Jahres ein dauerhafter Wachstumsprozeß wird. Um diese Chance zu realisieren, brauchen wir Bedingungen, die sowohl anhaltendes Wirtschaftswachstum als auch mehr Beschäftigung möglich machen. ({33}) Für die Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik ziehe ich daraus folgende Schlußfolgerungen: Wir setzen die Politik strenger Haushaltsdisziplin fort, um den finanzpolitischen Handlungsspielraum weiter Schritt für Schritt zurückzugewinnen. Wir verwirklichen die angekündigte Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft, um mehr Wachstumskräfte freizusetzen. Wir fördern die Familie und festigen weiter die sozialen Sicherungssysteme, um ihre Tragfähigkeit auch für die Zukunft zu erhalten. ({34}) Wir intensivieren den Umweltschutz, um die natürlichen Lebensgrundlagen für uns und die zukünftigen Generationen zu erhalten. Der vorliegende Haushalt einschließlich der mittelfristigen Finanzplanung läßt unmißverständlich erkennen, daß wir am Weg der Konsolidierung der Staatsfinanzen festhalten. Nur so, meine Damen und Herren, gewinnen wir den notwendigen Handlungsspielraum für die Zukunft. Wir haben Entbürokratisierung und Rechtsvereinfachung auf den Weg gebracht. Ich bin nach manchem, was ich aus der Opposition höre, sehr gespannt, wie das wohl sein wird bei der parlamentarischen Beratung, wenn das von dem Kollegen Schneider vorzubereitende Baubuch vorgelegt wird. Ich bin gespannt, ob Sie wirklich bereit sind, nicht nur zu reden, sondern auch durch tatkräftige Arbeit und Beschleunigung des parlamentarischen Ablaufs dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode möglich zu machen. ({35}) Wir haben mit der Privatisierung von Bundesvermögen begonnen, und wir werden auf diesem Weg in Kürze weiter voranschreiten. Wir haben bessere Bedingungen für Existenzgründungen geschaffen. Die Erfolge können Sie an vielen Plätzen in der Bundesrepublik und nicht zuletzt in Berlin deutlich erkennen. Wir haben die indirekte Forschungsförderung zu Lasten der direkten Projektförderung gestärkt. Dies schafft wieder faire Wettbewerbsbedingungen auch für kleinere und mittlere Unternehmungen. Wir haben neue Impulse für die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen gegeben. Wir beschreiten damit einen Weg, dessen Bedeutung für Stellung und Selbstverständnis des Arbeitnehmers und des Unternehmers in unserer Gesellschaft gar nicht überschätzt werden kann. Meine Damen und Herren, zu dieser Politik gehört natürlich auch eine Konzeption für mehr Beschäftigung. Arbeitslosigkeit ist heute vor allem eine strukturell und leider auch regional konzentrierte Arbeitslosigkeit, die sich heute so wenig wie früher mit irgendwelchen bloßen Staatsausgaben lösen läßt. Hier ist wesentlich mehr gefordert. Wir helfen deshalb den betroffenen Branchen und Regionen ganz gezielt, um den Übergang zu erleichtern. Ich nenne als Beispiel das Stahlstandorteprogramm und unsere Hilfen für die Werften. Aber ich will deutlich sagen: Das sind Hilfen, die zeitlich begrenzt und an tragfähige Unternehmenskonzepte gebunden sind. Nur so können Arbeitsplätze dauerhaft gesichert werden. Wir tun ein Zweites: Wir schöpfen alle Möglichkeiten des Arbeitsförderungsgesetzes aus, um eine kurzfristige Entlastung des Arbeitsmarkts zu erreichen. Auch auf diesem Weg - das wird in der Debatte sicherlich noch eine Rolle spielen - haben wir im letzten Jahr beachtliche Erfolge erreichen können. Aber wir bleiben dabei nicht stehen. Mit dem Angebot einer Vorruhestandsregelung hat die Bundesregierung deutlich gemacht, daß sie die Tarifpartner bei der Suche nach neuen Lösungen für mehr Beschäftigung unterstützen will. Heute können wir feststellen - im Gegensatz zu Ihren Prognosen, meine Damen und Herren aus der SPD -, daß nach dieser kurzen Zeit für 250 000 ältere Arbeitnehmer die Möglichkeit besteht, von diesem Angebot Gebrauch zu machen. Darüber hinaus wollen wir den Arbeitslosen die Rückkehr in eine Erwerbstätigkeit erleichtern. Mit dem Gesetz zur Förderung der Beschäftigung haBundeskanzler Dr. Kohl ben wir dafür bessere Voraussetzungen geschaffen. Ich weiß, daß dieses Vorhaben von manchen kritisch betrachtet wird. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir Arbeitslosigkeit tatsächlich abbauen wollen, müssen wir auch bereit sein, Regelungen, die früher richtig waren, uns heute aber eher hindern, Arbeitslosigkeit zu beseitigen, der jetzigen Zeit anzupassen. ({36}) Ich bin fest überzeugt, daß der befristete Arbeitsvertrag, die Aufwertung der Teilzeitarbeit und die Anpassung der Sozialplanregelungen zusammen mit einem ganzen Bündel weiterer Maßnahmen das Tor für die Einstellung von Arbeitslosen weiter öffnen werden. Ich weiß, daß damit wahrlich nicht alle Probleme zu lösen sind. Aber es ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung. Meine Damen und Herren, auch das ist eine stolze Bilanz für 1984: Wir können für dieses Jahr sagen, daß wir den Lehrstellenrekord des Jahres 1983 noch einmal überboten haben. ({37}) Es ist durch die gemeinsame Leistung vieler unserer Mitbürger, ({38}) ob das Handwerksmeister oder Einzelhändler, ob das Großunternehmer oder Betriebsräte waren, durch die Leistung aller, die mitgemacht haben, möglich geworden, im letzten Jahr 700 000 jungen Leuten erstklassige Ausbildungsplätze anzubieten. In diesem Jahr, meine Damen und Herren, werden es nach den sich abzeichnenden Zahlen 740 000 sein. Das ist erneut ein Rekordergebnis, und ich bin gewiß, auf dieser gesicherten Basis der Erfahrung der letzten zwei Jahre werden wir auch 1985, wenn wir zum letztenmal das Problem der geburtenstarken Jahrgänge haben, unser Ziel erreichen. Was ist eigentlich Ihr Beitrag in der SPD in dieser Zeit gewesen? ({39}) Soll ich Sie an die Reden in Aktuellen Stunden hier erinnern? Soll ich Sie an Ihre Chöre hier und draußen von der „Lehrstellenlüge" erinnern? ({40}) Wir haben jungen Leuten die Chance eröffnet, und Sie haben eine weitere Verelendungsprognose gerade jungen Leuten gestellt. Das war Ihr Beitrag für die junge Generation! ({41}) Ihr einziger Beitrag auch in dieser Frage war das Nachdenken über mehr staatliche Reglementierung, über Ausbildungsabgaben und was sonst noch möglich ist aus dem sozialistischen Inventar von gegenwärtiger und früherer Politik. Es ist eine großartige Leistung der Sozialen Marktwirtschaft und aller Gruppen unserer Gesellschaft, daß ohne Gesetz, ohne Verordnung, ohne Ausbildungsbeitrag diese in Europa einmalige Leistung vollbracht werden konnte. ({42}) Ich will die Gelegenheit wahrnehmen, allen zu danken, die dabei der jungen Generation geholfen haben. Hier hat sich gezeigt, daß Solidarität auch zwischen den Generationen in der Bundesrepublik Deutschland keine Einbahnstraße ist. Mit einem Wort, meine Damen und Herren: Wenn Sie dies alles betrachten, müssen Sie der These zustimmen, die vielerorts zu hören ist: Wir haben mit unserer Politik der Erneuerung der Sozialen Marktwirtschaft schon in kurzer Zeit neue politische Handlungsspielräume geschaffen, und wir nützen sie jetzt für eine große Steuerreform, eine Steuerreform, meine Damen und Herren, die, wenn ich sie vor zwei Jahren von diesem Pult aus vorgeschlagen hätte, von Ihnen in den Bereich der reinen Theorie und des Absurden geschoben worden wäre. Sie waren j a gewohnt, bei solchen Gelegenheiten, bei Steuersenkungen gleich Steuererhöhungen in einem anderen Bereich selbstverständlich mit zu kassieren. Wir tun dies nicht. Wir tun zum 1. Januar 1986 vor allem einen entscheidenden Schritt zugunsten der Familien mit Kindern. All das, was Sie in Ihrer Zeit versäumt haben, was eine kinderfeindliche Gesellschaft zum Ergebnis hatte, werden wir mit dieser Politik der Wende verändern. Wir werden einen neuen Anfang setzen. ({43}) Wir wollen, daß der Satz wieder maßgebend ist: Wer die Familie vernachlässigt, vernachlässigt die Zukunft, und er liefert vor allem die junge Generation der Macht anonymer Kollektive aus. Das ist nicht unsere Politik. Das Ja zu Kindern darf niemals gleichbedeutend sein mit einem Ja zum sozialen Abstieg. ({44}) Ein weiterer Punkt, meine Damen und Herren, wo ich notwendigerweise von Ihren Versäumnissen reden muß, wo ich nichts vorgefunden habe, weil Sie sich nicht einigen konnten oder nicht wollten, ({45}) ist die Erblast auf dem Gebiet des Umweltschutzes. ({46}) - Sie werden doch wirklich nicht sagen wollen, daß die Sozialdemokratische Partei in den letzten Jahren einen Beitrag zum Umweltschutz geleistet hat. Wo denn? ({47}) Vielleicht in ihren Strategiepapieren, die Sie aber nie ernst genommen haben. In nur zwei Jahren haben wir für die drei wichtigsten Quellen der Um7540 weltbelastung - Kraftwerke, Industrieanlagen und Verkehr - die notwendigen Entscheidungen getroffen. ({48}) - Natürlich gefallen Ihnen diese Entscheidungen nicht; denn wenn es nach Ihnen geht, wird der Bergbau stillgelegt, werden die Kernkraftwerke abgestellt, und im übrigen setzen wir dann auf Windkraftwerke oder was immer Sie nach Ihrem Konzept denken mögen. ({49}) Sie können diese Politik ja auch nur vertreten, weil andere dafür einstehen, daß das Land auch energiepolitisch eine Zukunft hat. Das ist doch die Wahrheit. ({50}) Noch einmal: Ich nenne die Verschärfung der Technischen Anleitung Luft, die Großfeuerungsanlagen-Verordnung und das umweltfreundliche Auto, und ich nenne die Vorbereitung - ({51}) - Was wollen Sie eigentlich mit Buschhaus? Wir sind doch mit dem Betriebsrat einig, wir sind mit der Bevölkerung einig, und Herr Kollege Dr. Vogel hat sich gestern füglich gehütet, vor der IG Bergbau das Thema Buschhaus anzusprechen. ({52}) Herr Abgeordneter Dr. Vogel, ich habe gestern auf meinem Platz gesessen und gedacht: Jetzt wird er den Kumpels ordentlich sagen, was moderner Umweltschutz ist. ({53}) Ich hatte eigentlich erwartet, daß Sie wenigstens etwas von dieser Rede, die Sie hier zu dem Thema Buschhaus gehalten haben, den Kumpels vermitteln würden. Aber Sie haben feige geschwiegen, weil Sie dort ausgepfiffen worden wären. ({54}) Meine Damen und Herren, wir werden auf diesem Wege fortfahren; in Vorbereitung sind gegenwärtig eine Bodenschutzkonzeption und neue Regelungen zum Gewässerschutz. Aber ich füge hinzu: Für uns ist Umweltschutz keine Spielwiese für Ideologen. Für die Bundesrepublik Deutschland geht es um Umweltschutz in einem modernen Industriestaat. Es geht nie um Umweltschutz allein, sondern immer auch um Arbeitsplätze und Beschäftigung. Es geht um einen vernünftigen Mittelweg zwischen Ökologie und Ökonomie. Das war und ist und bleibt unsere Politik. ({55}) Meine Damen und Herren, nicht zuletzt meine Damen und Herren aus der Opposition, wenn man also auf dieses Jahr zurückblickt, kann man klar und deutlich aussprechen, daß das Jahr 1984 und die Politik der Bundesregierung ein Gewinn für die Bundesrepublik Deutschland waren. ({56}) In allen entscheidenden Punkten haben wir die Chance, daß wir weiter vorankommen. Es war ein Jahr einer erfolgreichen und zielstrebigen Regierungspolitik. ({57}) Von Ihrem Oppositionsverhalten kann ich Vergleichbares leider nicht sagen. Die SPD ist gegenwärtig weitgehend damit beschäftigt, unter ihre eigene Vergangenheit Schlußstriche zu ziehen, Schlußstriche unter traditionelle Programmaussagen - Alfred Dregger sprach davon - und auch Schlußstriche unter zentrale Fragen der deutschen Politik. Besonders augenfällig ist das - und das muß hier und draußen ausgetragen werden - im Zusammenhang mit der deutschen Frage. Führende Sozialdemokraten ergehen sich in grüblerischer Schicksalsfügung, und sie geben einfach auf, sie finden sich mit der Teilung ab. So sagte Willy Brandt, das Tor zur deutschen Frage sei geschlossen, und zwar schon seit 1950. Meine Damen und Herren, glauben Sie im Ernst, daß Sie im Jahre 1969, wenn das schon damals Ihre Meinung war, auch nur ein Gran einer Chance gehabt hätten, Mehrheitsfraktion im Deutschen Bundestag zu werden? Wenn das Ihre Meinung war, haben Sie doch bewußt Ihre Wähler und unsere Bürger hintergangen. ({58}) Sagen Sie uns bitte: Wo stehen Sie heute in der deutschen Frage? ({59}) Wir, die Bundesregierung, die Koalition der Mitte, FPD, CSU und CDU, sehen selbstverständlich die Realität von heute, und wir sehen die Pflicht und die Auflage der Geschichte, der Deutschlandpolitik in einer historischen Perspektive zu dienen. Im Interesse der Menschen wollen wir das Geflecht unserer Beziehungen zur DDR verdichten, und gleichzeitig tun wir alles, um den nationalen Auftrag in einem vereinten Europa in freier Selbstbestimmung erfüllbar zu machen. Wir, die Bundesregierung, sind ganz gewiß in diesen zwei Jahren unserem historischen Auftrag gerecht geworden, unseren Beitrag zur Einigung Europas zu leisten. Durch beharrliche Arbeit haben wir dazu beigetragen, die Funktionsfähigkeit der EG zu stärken und zu verbessern. Meine Damen und Herren, das sind im Bereich der Außen-, der Deutschland- und der Sicherheitspolitik unübersehbare Erfolge. Sie von der SPD müssen heute nicht nur uns, sondern allen im In- und Ausland die Frage beantworten: Wohin treibt die SPD, genauer gesagt, wohin läßt sich die SPD in den existentiellen Fragen der Sicherung von Frieden und Freiheit treiben? Wenn man Ihre Äußerungen zur Kenntnis nimmt, muß man fragen: Begreifen Sie noch die Bedeutung der Macht der Sowjetunion? Sind Sie noch sensibel dafür, daß wir uns Erpressungen und subtileren Formen des Drucks mit militärischer Macht aussetzen, wenn wir mit unserer Abschreckungskapazität leichtfertig umgehen und wenn wir uns in beflissenem Wohlverhalten üben? Wie wollen Sie mit dem, was jetzt aus Ihren Kreisen an die Öffentlichkeit dringt, was die Zahlen der konventionellen Stärke der Bundeswehr angeht, eigentlich Sicherheitspolitik garantieren? Sie wissen doch so gut wie ich, daß unser gemeinsames erklärtes Ziel, die Atomschwelle nach oben zu heben und einen Beitrag zur nuklearen Abrüstung zu leisten, immer zur Folge hat, daß wir gleichzeitig unsere konventionellen Möglichkeiten eher verstärken müssen. Wenn dieser Satz richtig ist - und aus dem Mund vieler Sprecher Ihrer Partei wurde das ja in der Vergangenheit genauso gesagt - machen Sie derartige Vorschläge doch offenbar in der Absicht - Sie nannten das in anderem Zusammenhang populistisch, Herr Kollege Vogel -, auf das Wahlverhalten zu zielen und den jungen Menschen zu sagen: Ihr braucht das Opfer der Wehrpflicht nicht zu bringen. - Das ist keine Politik für den Frieden, das ist billiger Opportunismus. ({60}) Wir, die Koalition der Mitte, haben mit Standfestigkeit und Entschiedenheit die Position verteidigt und letztendlich durchgesetzt, die mein Vorgänger im Amt aus gutem Grund im Zusammenhang mit dem NATO-Doppelbeschluß mit auf den Weg gebracht hat. Das Jahr 1984 wäre doch in Wahrheit auch im Blick auf Abrüstung und Entspannung ein verlorenes Jahr geworden, wenn wir Ihren Anregungen gefolgt wären und der Straße und dem Geschrei auf den Plätzen nachgegeben hätten. ({61}) Deutsche Politik wird im Deutschen Bundestag entschieden und nirgendwo anders in der Bundesrepublik Deutschland. ({62}) Diese Politik der Stetigkeit und Berechenbarkeit trägt jetzt Früchte. Unsere Besonnenheit, unsere Entschiedenheit, aber auch unsere Geduld zahlen sich aus. Es gibt viele Anzeichen dafür, daß wir uns, wie ich sehr hoffe, im Laufe dieses Jahres und vor allem natürlich des nächsten Jahres über Wegweisungen und Wegentscheidungen in diesem Zusammenhang - auch hier in der Diskussion miteinander - unterhalten können. Die Standpunktlosigkeit und die Kraftlosigkeit der Sozialdemokratischen Partei hat ihre Konsequenzen nicht nur auf dem Felde der Außen- und der Sicherheitspolitik gehabt, sondern nicht zuletzt im Bereich der Wirtschafts- und der Sozialpolitik. Herr Kollege Vogel, wir haben Sie heute früh hier sprechen gehört und miterlebt, welch eine Art von Kulturpessimismus, wie Sie ihn verstehen, Sie hier immer wieder ins Land tragen, wie Sie fast nirgendwo eine positive Perspektive erkennen können. Herr Kollege Vogel, wenn das Ihre Politik ist - das ist Ihre freie Entscheidung -, werden Sie sehen, wo die Sozialdemokratische Partei Deutschlands landen wird. ({63}) Aus einer Grundhaltung der Negation und der Resignation kann das, was jetzt geschehen muß, mit Sicherheit eben nicht geschehen. ({64}) - Meine Damen und Herren, im Umgang mit Ihnen warte ich mit größter Gelassenheit Wahlen ab. Ich kann meiner eigenen Fraktion nur raten, unserer Bevölkerung möglichst häufig die Gelegenheit zu vermitteln, Ihre Thesen und Ihre Sprecher zu erleben. Beides ist nützlich vor jeder denkbaren Wahl der nächsten Jahre. ({65}) Meine Damen und Herren, mit dem Kult der Krise, mit dem Pessimismus, mit der Umverteilung von Defiziten, mit dem Ruf nach dem Staat als Risikoverwalter und Versicherer gegen alle Lebenswagnisse werden wir ganz gewiß nicht die Zukunft für die Bundesrepublik Deutschland gewinnen. Wir als Koalition der Mitte setzen bewußt auf das Wissen, auf das Können und auf die Kraft unserer Bürger. Deshalb erneuern wir Zug um Zug die Grundlagen der Sozialen Marktwirtschaft, die Rahmenbedingungen für eigenverantwortliches Wirtschaften und für einen gerechten sozialen Ausgleich. Wir schaffen neue Freiräume, fördern die Leistungsbereitschaft, bringen mehr Flexibilität in die Arbeits- und Berufswelt. Wir wollen Verkrustungen abschaffen. Wir fördern den Kreislauf der Volkswirtschaft und gewinnen dadurch mehr Kreativität und Wagemut. ({66}) Dieses Wirken für Wandel und Erneuerung erfordert Zielbewußtsein, erfordert Geduld und muß natürlich - wer weiß das besser als ich - auf diesem Wege auch Rückschläge in Kauf nehmen. ({67}) Aber, meine Damen und Herren, die Bilanz hat gezeigt: Wir sind unserem Auftrag gerecht geworden, und wir werden dies auch im nächsten Jahr ganz sicherlich tun können. Es bleibt noch viel zu tun. Ich sagte, wir sind vor allem im Blick auf die Arbeitslosigkeit noch lange nicht über den Berg. Die noch immer viel zu hohe Arbeitslosigkeit ist zweifellos das aktuellste, für die betroffenen Menschen bedrückendste Problem in der Bundesrepublik Deutschland. Auch im Umweltschutz kommen wir nicht so schnell voran - nicht zuletzt durch die Einbindung in die Europäische Gemeinschaft -, wie wir es uns wünschen. Aber ich bin sicher, daß wir die in Aussicht genommenen Daten, etwa für die Einführung des umweltfreundlichen Autos, einhalten können. Ich bin für jede Kritik aufgeschlossen. Aber diejenigen, die 1972 und 1974, als Japan und die USA das umweltfreundliche Auto einführten, den ganzen Vorgang verschlafen haben, die auf diesem Feld nichts getan haben, sind die allerletzten, die uns und mich kritisieren können. ({68}) Die Bewältigung des wissenschaftlich-technischen Strukturwandels, die Behauptung unseres Ranges als eine der führenden Industrie- und Exportnationen fordert auf viele Jahre hinaus die ganze Kraft unserer Volkswirtschaft und damit unserer Bürger. Die zutiefst besorgniserregende demographische Entwicklung, die unorganische Struktur unserer Alterspyramide, werden uns vor außergewöhnlich schwierige, von vielen in ihrer Bedeutung und Brisanz noch gar nicht wahrgenommene Probleme stellen. Friedenssicherung, meine Damen und Herren, fordert weit mehr als die Begrenzung der Waffenarsenale. Friede, so sagen wir aus gutem Grund, ist immer auch ein Werk der Gerechtigkeit. ({69}) Deshalb ist ein gerechter Ausgleich zwischen hochentwickelten Staaten der nördlichen Hemisphäre und den armen und ärmsten Ländern der Dritten Welt eine bleibende Aufgabe auch für uns, die wir in einem der reicheren Länder dieser Erde leben. Meine Damen und Herren, ich konnte Ihnen einige Perspektiven unserer Politik ({70}) im Zusammenhang mit der Rechenschaft für das letzte Jahr vortragen und bitte um Ihre Unterstützung für die schwierige Zeit, die auch im nächsten Jahr vor uns liegt. Ich bin ganz sicher, die Koalition der Mitte wird ihre Chance wahrnehmen. Wir werden unsere Pflicht erfüllen. Wir wollen einen Beitrag zum inneren und äußeren Frieden unseres Volkes leisten. ({71})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Das Wort hat Frau Abgeordnete Däubler-Gmelin.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Daß Sie sich, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, nach dieser Rede erst einmal abreagieren müssen, kann ich gut verstehen. ({0}) Herr Bundeskanzler, ich wollte eigentlich damit anfangen, Ihnen in einem Punkt recht zu geben. ({1})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, die den Saal verlassen wollen, dies schnell zu tun, damit Sie, Frau Kollegin, in Ruhe mit Ihrer Rede fortfahren können.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. Ich wollte eben dem Herrn Bundeskanzler recht geben und setze nun ein zweites Mal dazu an. Herr Bundeskanzler, ich gebe Ihnen in einer Sache recht. Es entsprach bisher der Tradition dieses Hauses, daß man beim Etat des Bundeskanzlers über die Politik in ihrer ganzen Breite diskutiert hat, durch Auseinandersetzung, durch Darstellen von Alternativen. Ihr Vorgänger im Amt, Helmut Schmidt, den Sie soeben zitiert haben, hat das - bei aller Schärfe der Meinungsunterschiede - gut verstanden. Er hatte es auch nicht nötig, Herr Bundeskanzler, in der Art eines drittklassigen Hinterbänklers herumzupolemisieren, wenn er voll getroffen war. ({0}) Er hatte es auch nicht nötig, so vorzugehen, wie Sie das jetzt immer wieder tun. ({1}) Er hatte es nicht nötig, mit vielen leeren Worten immer wieder nichts Neues zu erzählen. ({2}) „Schaumgebirge", das ist der Begriff, den die Presse für Sie, Herr Bundeskanzler, und Ihre ständigen gebetsmühlenhaften Wiederholungen benutzt. ({3}) Immer wieder die gleichen Polemiken, Platitüden und Peinlichkeiten. ({4}) Immer wieder die gleiche Mischung aus Vorurteilen, aus Arroganz der Macht und aus Beschimpfungen. Immer wieder, Herr Bundeskanzler, das gleiche Geschwätz, von dem Sie doch wissen, daß weder Ihre Freunde im Inland noch Ihre und unsere Freunde im Ausland irgend etwas davon ernst nehmen. Und dann immer wieder dieses erbarmungslose Daherbeten der immer gleichen Beschwörungsformeln, die immer gleichen Wechsel auf die Zukunft, von denen Sie wissen, daß Sie gar nichts in den Bereich der Realität ziehen können - Sie nicht, weil Sie eben nichts Vernünftiges dafür tun, weil Sie nicht entscheiden, weil Sie pausenlos nur reden. Und dann Ihr gebrochenes Verhältnis zur Vergangenheit: Merken Sie eigentlich nicht, daß Sie angesichts der von Ihnen und Ihrer Regierung geschaffenen Probleme Ihre Beschwörungen der Erblast von Monat zu Monat hohler klingen? Nochmals: Nichts als Polemik, Platitüden, Peinlichkeiten. Deswegen, Herr Bundeskanzler, werde ich Ihnen sechs Fragen stellen, ({5}) die beantwortet zu bekommen das Haus ein Recht hat. ({6})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für die Rednerin und darum die Störungen zu unterlassen.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank, Herr Präsident. Daß Ihre Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU sich so benehmen, haben wir heute morgen schon erlebt. Aber es würden auch sieben Fragen nicht ausreichen. Deswegen hören Sie gut zu, Herr Bundeskanzler. ({0}) - Wenn Sie hier von „dick auftragen" reden, dann schauen Sie einmal in Richtung Bundeskanzler; bei ihm finden Sie den richtigen Ansprechpartner. Aber lassen Sie mich auf meine Fragen zurückkommen. Herr Bundeskanzler, wo stehen Sie jetzt eigentlich in der Frage der Oder-Neiße-Grenze? ({1}) Da läuft ein Konflikt in Ihrer Partei. Da redet die Junge Union, da reden Mitglieder Ihrer Fraktion pausenlos über ein heikles Thema, und Sie - der Bundeskanzler - bringen es fertig, länger als eine Stunde an diesem Pult zu stehen und nichts darüber zu sagen. ({2})

Dr. Philipp Jenninger (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001025

Einen Augenblick, Frau Kollegin! - Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen auf der linken und rechten Seite des Hauses, die stehen, entweder Platz zu nehmen oder den Saal zu verlassen.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sie sehen, er meint es gut mit mir. Aber ich käme jetzt doch ganz gern zu meiner zweiten Frage. Herr Bundeskanzler, wie steht es eigentlich: Wie denn wollen Sie das gutnachbarschaftliche Verhältnis zu den Polen, von dem Sie hier reden, verwirklichen, wenn Sie vorher jeder Gesprächsbereitschaft den Boden entziehen? Nächste Frage: Herr Bundeskanzler, warum erklären Sie diesem Haus nicht die Peinlichkeit mit der Unterzeichnung, Nichtunterzeichnung, Teilunterzeichnung der Seerechtskonvention? ({0}) Das einzige, was Sie „im deutschen Interesse" erreicht haben, ist die Wahrscheinlichkeit, daß die Hansestadt Hamburg jetzt den Seegerichtshof nicht bekommt. Verstehen Sie das unter Vertretung deutscher Interessen? Eine dritte Frage, Herr Bundeskanzler, und zwar zur Innenpolitik: Was tun Sie eigentlich gegen die Arbeitslosigkeit, außer ununterbrochen immer wieder neuen Schaum zu produzieren? Was sagen Sie jetzt zu dem Zickzackkurs Ihrer Umweltschutzpolitik in Sachen Buschhaus und Tempolimit? Was sagen Sie, wenn es um die Rettung der jetzt sterbenden Wälder geht? Ihre Bemerkung zu Buschhaus war doch mehr als peinlich. Ist es denn jetzt offizielle deutsche Politik, den Gerichten zu überlassen, was in unserem Land an Umweltschutz durchgesetzt wird - ja oder nein? Zu einer weiteren Frage, zur Amnestie. Warum haben Sie sich, Herr Bundeskanzler, obwohl das unser Fraktionsvorsitzender Dr. Vogel von Ihnen verlangt hat, nicht an dieses Pult gestellt und erklärt: Wir sagen nein zu jeder Form der Amnestie? ({1}) Auch dazu, meine Damen und Herren mit Ihren rüpelhaften Zwischenbemerkungen, hat Ihr Bundeskanzler heute wieder einmal nicht die Kraft aufgebracht. Das ist bedauerlich. ({2}) Jetzt komme ich zu meiner letzten Frage. ({3}) - Wissen Sie, Ihr schlechtes Benehmen haben Sie jetzt schon so häufig gezeigt; Sie könnten es wirklich einmal eine Weile sein lassen. ({4}) Jetzt komme ich zur Ergänzungsabgabe. Mittlerweile bestätigt Ihnen schon Ihre halbe Fraktion, daß Kürzungen und Streichungen mit Ausgewogenheit, mit sozialer Symmetrie nicht einmal entfernt in Einklang zu bringen sind. Die Junge Union hat Sie aufgefordert, schnell Abhilfe zu schaffen. Herr Späth hat erst heute wieder durch die Presse bitten lassen, Sie, Herr Bundeskanzler, mögen doch ausnahmsweise einmal in einem einzigen Fall eine Entscheidung treffen, bevor die Diskussion darüber monatelang hin und her und her und hin gehe. Und die Arbeitnehmer, meine Damen und Herren, denen Sie als Weihnachtsüberraschung ein gekürztes Weihnachtsgeld bescheren, werden sich doppelt freuen, wenn den Gutverdienenden durch des Bundeskanzlers Manier des ständigen Auslächelns und Aussitzens nicht nur nichts abgezogen wird, son7544 dern wenn sie sogar noch etwas zurückbezahlt erhalten. ({5}) Herr Bundeskanzler, Sie haben nicht erklärt, was Sie zur Ergänzungsabgabe vorhaben. Auch darauf haben Sie keine Antwort gegeben. Wir finden das bedauerlich. Aber es nützt j a nichts, denn Sie sind, wie Sie sind. Wir - da können Sie sicher sein - werden Sie nicht nur ertragen müssen, sondern wir werden Sie ertragen können. ({6}) Ob unser Land allerdings die Politik Ihrer Regierung, Ihre „überragende Staatsmannskunst", meine Damen und Herren, noch lange ohne Schaden erträgt, das ist wirklich die Frage. ({7}) Jetzt lassen Sie mich zu einem Punkt kommen, dem ja nicht nur der Herr Bundeskanzler, sondern auch Ihr Fraktionsvorsitzender, der Herr Dregger, gesteigerte Aufmerksamkeit gewidmet hat. Da wird immer gesagt, Familienpolitik sei ein Herzstück der Gesellschaftspolitik der CDU. In der Tat, Sie haben durch Versprechungen jahrelang Erwartungen geweckt und auch Vertrauensvorschuß bei Verbänden gesammelt. Das war alles ganz beachtlich. Aber nach der heutigen Rede des Bundeskanzlers kann ich nur hoffen, daß die Familien, daß die Frauen, daß die Verbände draußen gehört haben, was der Bundeskanzler zur Lage der Familien gesagt hat. Er hat uns vorgeworfen, alles das, was wir über den tatsächlichen Zustand der Familien sagen, sei eine Verelendungskampagne. ({8}) Wenn Sie sorgfältig zuhören, dann erfahren Sie, was jetzt schon deutlich zu bemerken ist. Sie stehen heute, knapp zwei Jahre nach Ihrer Regierungsübernahme, vor einem totalen Scherbenhaufen in Ihrer Familienpolitik. ({9}) - Wissen Sie, glauben allein ist hier nicht nötig: Sie bekommen genau wie wir Briefe. Möglicherweise lesen Sie ja keine Zeitungen, aber auch Sie erfahren, was Ihnen die Familien und Verbände sagen. Kardinal Höffner hat Ihnen allen auf der Bischofskonferenz im Frühjahr 1984 zugerufen: Was wir endlich brauchen, ist eine Wende Ihrer Familienpolitik. ({10}) Meine Damen und Herren, die Briefe, die Aussagen der Verbände und die Stellungnahme der Kirchen haben doch ihren Grund. Ich darf einfach zitieren, was ein wirklich guter Analytiker, nämlich Robert Leicht, über Ihre Familienpolitik der vergangenen zwei Jahre sagt. Er sagte, der berechtigte Grund für die Kritik liege in dem unausgewogenen Gemenge aus familienpolitischer Rhetorik „à la Bundeskanzler" und aus keineswegs rhetorischen Kürzungen in den sozialen Leistungsprogrammen sowie aus den übrigen Maßnahmen zur Etat-Konsolidierung. Genauso ist es, meine Damen und Herren. In der Tat, wenn ich mir die Bilanz Ihrer Familienpolitik angucke, dann können Sie stolz sein. Ich sage mit aller Ironie, zu der ich fähig bin: ({11}) Sie können stolz sein auf das, was Sie erreicht haben. Ironie fällt mir in diesem Bereich wirklich nicht leicht, weil ich weiß, was Sie draußen - bei den Menschen - mit dieser Politik anrichten. Nur Leute, denen es so gut geht wie Ihnen und die sich aus Prinzip Scheuklappen anlegen, wissen nicht, wovon wir hier reden. ({12}) Vor Regierungsantritt haben Sie die Hausfrauen gelobt, ihnen Anerkennung und Aufwertung versprochen und erklärt: Es gibt mehr Geld. Sie haben ihnen versprochen: Es gibt Erziehungsgeld, bei der Ermittlung der Rente wird auch ein Erziehungsjahr angerechnet! Und was haben Sie gemacht? Erst einmal gestrichen, auch bei den Hausfrauen, die Invalidenrente haben sie ihnen genommen. Und auch bei Ihren neuen Plänen zum Scheidungsfolgenrecht sollen genau die Hausfrauen, die ihrer Familien wegen den Beruf aufgeben oder zurückschrauben, Ihre ersten Opfer sein. Eine tolle Familienpolitik! ({13}) Und dann? Dann haben Sie sich den Rentnern zugewandt. Denen haben Sie vorher landauf, landab, jahrelang - einbezogen ist hier auch der Bundeskanzler, der, wie immer, wenn es um Parteireden geht, ganz vorne an ist - versprochen, sie bekämen eine Partnerrente, sogar eine in Höhe von 75% einer Familienrente. Denn das, was wir für finanzierbar hielten, nämlich 70%, war Ihnen ja nicht genug. Und heute? Heute, meine Damen und Herren, ist kein Wort mehr davon zu hören. Heute belassen Sie es bei der Witwenrente von 60%. Das scheint Ihnen jetzt offensichtlich für die Witwen wieder genug zu sein. Mehr paßt Ihnen nicht mehr ins Konzept, weil Sie ja schon an der Macht sind; die Stimmen haben Sie schon. Meine Damen und Herren, dann haben Sie noch versprochen, Erziehungszeiten bei der Rente zu berücksichtigen. Herr Dregger hat auch heute wieder in großen Tönen davon erzählt. Und auch der Bundeskanzler hat in großen Tönen von einer Revolution, von einem Durchbruch im Bereich der Familienpolitik gesprochen. Aber was tun Sie denn tatsächlich? Den einen geben Sie etwas, und sämtliche Frauen, die heute im Rentenalter sind, schließen Sie von dieser Regelung aus, ({14}) also gerade die Generation von Frauen, die - ganz anders als alle die hier, die so unglaublich schreien, wenn es um soziale Probleme anderer geht ({15}) ihre Kinder in einer Zeit geboren und aufgezogen haben, die viel schwieriger war als die heute. Glauben Sie bitte nicht, daß diese Frauen, diese älteren Frauen, von denen ich auch einige hier im Saal sehe, dies nicht bemerken. Ich will Ihnen einmal einen Brief vorlesen, der mir geschrieben wurde. Es ist der Brief einer Frau, Jahrgang 1920, die im Radio gehört hatte, was Sie, Herr Bundeskanzler an „hervorragenden" Plänen versprachen. Ich bin 1920 - so schreibt diese Frau geboren. Einen Beruf gab's nicht für mich, habe elf Kinder großgezogen, im Krieg und danach. Arbeiten mußte ich immer. Mein Mann hat mich geprügelt. Da habe ich mich 1964 scheiden lassen. Meine Kinder sind anständige Menschen geworden, gute Steuerzahler, die alle einen Beruf haben. Ich muß mit 490 DM leben im Monat, Unterhalt. Jetzt höre ich, daß es für mich nichts werden soll mit einem Baby-Jahr für meine Rente. So wirft man mich zum alten Eisen. Wir haben unsere Schuldigkeit getan. Verstehen tue ich die Welt nicht mehr. Für alles andere ist doch Geld da. ({16}) Meine Damen und Herren, ich glaube, besser als mit diesem Brief könnte man die Ungerechtigkeit, könnte man die Ausgrenzung einer ganzen Frauengeneration nicht ausdrücken. ({17}) - Bitte schön.

Elmar Kolb (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001170, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Frau Kollegin Däubler-Gmelin, eine Frage an Sie: Weshalb haben Sie in den 13 Jahren Ihrer Regierungszeit das Baby-Jahr nicht einmal diskutiert ({0}) - Moment! - und gesagt: Jetzt müssen wir es einführen, weil das so notwendig ist? Denn Sie können doch nicht, wenn der Koalitionspartner nicht mittut, diesen Vorschlag die restliche Zeit ruhen lassen, nachdem Sie ihn einmal gemacht haben und damit nicht durchgedrungen sind.

Dr. Herta Däubler-Gmelin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000347, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herzlichen Dank. Das war zwar eine sehr lange Frage, aber ich habe sie trotzdem verstanden. Ich weiß zwar nicht, wann Sie in den Bundestag gekommen sind, Herr Kolb, aber wahrscheinlich wissen Sie, daß es 1972 schon einmal eine Diskussion um dieses Thema gegeben hat. Damals haben Sie uns im Stich gelassen. ({0}) Ich sage hier eines - und das meine ich ganz ernst -: Sie werden unsere Zustimmung bekommen, wenn Sie alle Frauen in die Regelung eines Baby-Jahres einbeziehen. ({1}) Sie werden unsere Zustimmung aber nicht bekommen, wenn Sie eine ganze Generation von Frauen von einer Leistung ausnehmen, die Sie nicht nur jahrelang versprochen haben, sondern auf die diese Frauen auch ein Anrecht haben. ({2}) Meine Damen und Herren, ich darf dieses Kapitel mit einem Zitat schließen: Die Familie - so sagt der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge im Mai dieses Jahres befindet sich wegen der Einschnitte in die Sozialgesetze auf einer dichtbestandenen Rolltreppe nach unten. Und er meint die Zeit Ihrer Regierung. Wie ist das eigentlich, Herr Bundeskanzler, sind Sie stolz darauf, daß in Ihrer Regierungszeit die Zahl der Sozialhilfeempfänger zunimmt und die Höhe der Sozialleistungen in diesem Jahr einen traurigen Rekord erreichen und im nächsten Jahr noch mehr steigen wird? ({3}) Und wie ist das mit Herrn Geißler? Herr Geißler, sind Sie als Familienminister stolz darauf, wo Sie doch vor knapp zehn Jahren die „neue soziale Frage" beschworen haben, zu einer Zeit also, wo dies alles längst nicht so problematisch war wie heute; in einer Situation, in der der Deutsche Gewerkschaftsbund zu Recht von „neuer Armut" spricht? Meine Damen und Herren, es ist traurig zu sehen, daß dies alles Sie offensichtlich nicht interessiert. Sie müssen jetzt über wichtigere Dinge reden. Die Probleme unserer Familien gehören nur zu Ihrer Gebrauchsrhetorik, wenn es darum geht, Stimmen einzusammeln. ({4}) Sie beschäftigen sich damit bestenfalls am Sonntag. Dann ist es Ihnen peinlich, wenn andere bemängeln, wie Sie das Geld, das Sie bei Familien und Sozialhilfeempfängern, bei Kranken, bei Alten, bei Rentnern und bei Frauen abgezogen haben, verwenden. Sie haben die Vermögensteuer auf Großvermögen gesenkt; Sie haben Milliarden für Agrarfabriken und Großagrarier ausgegeben, die dieses Geld überhaupt nicht brauchen und keine Schäden davongetragen haben. ({5}) Und dann gehen Sie her und sagen zu Leuten, die Sie gelegentlich an Ihr soziales Gewissen erinnern, die seien „Neidhammel". Das ist die Höhe und eine phantastische Politik. Das ist eine Politik, von der - ich darf das noch einmal betonen - alle Verbände, alle Kirchen, alle Leute, die sich damit befassen und die Betroffenen zu Recht sagen: Es ist die unsozialste Familienpolitik, die man sich vorstellen kann. ({6}) Sie haben viel versprochen, Sie haben hohe Erwartungen geweckt, und auch in diesem Bereich haben Sie kläglich versagt. ({7})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen. ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Vogel hat heute zu Beginn seiner Rede zu Recht gesagt, daß die Aussprache über den Haushalt des Bundeskanzlers der Beurteilung der Grundlinien der Politik diene. Was sind die zentralen Aufgaben, die uns heute gestellt sind? Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen, Abrüstung und Rüstungskontrolle im Interesse auch einer Verständigung mit unseren Nachbarn im Osten. An diesen Fragen muß der Deutsche Bundestag die Politik der Bundesregierung messen. Als wir vor zwei Jahren, meine verehrten Kollegen von der SPD, hier unser erstes Sparprogramm der Koalition der Mitte vorgelegt hatten, haben Sie die Gefahr des Totsparens an die Wand gemalt. Und wir haben Ihnen gesagt: Nicht Totsparen, sondern Gesundsparen, das ist die Aufgabe, die uns gestellt ist. ({0}) Und heute können Sie feststellen: Die deutsche Wirtschaft ist nicht tot, die deutsche Wirtschaft ist im Prozeß der Gesundung, ({1}) die deutsche Wirtschaft lebt, und Sie können die Wachstumsimpulse in unserer Wirtschaft nicht bestreiten. Der Kollege Vogel hätte gut daran getan, sich anstelle der Zeitungsausschnitte, die er hier reihenweise zitiert hat, einmal das Sachverständigengutachten über die gesamtwirtschaftliche Entwicklung anzusehen. Dort heißt es: Die deutsche Wirtschaft dürfte auch 1985 auf expansivem Kurs bleiben. Da sagen die Sachverständigen hinzu: Das sollte nicht strittig sein. Und Sie sagen dann weiter: ({2}) Die Voraussetzungen dafür sind so gut wie lange nicht mehr. Selten hat eine Regierung durch den Sachverständigenrat eine so gute Beurteilung ihrer Politik in einer zentralen Frage erfahren wie die derzeitige Bundesregierung. ({3}) Deshalb muß man einmal fragen: Wo liegt denn eigentlich der Meinungsunterschied? Ich glaube, daß der Kollege Vogel das Verdienst hat, heute in seiner Rede eine Grundfrage aufgeworfen zu haben. Er hat gegen die Erklärungen aus den Kreisen der Koalition polemisiert, Leistung müsse sich wieder lohnen. Da sage ich Ihnen: Mit dieser Forderung stellen wir uns. Jawohl, wir wollen, daß in dieser Gesellschaft Leistung belohnt wird, damit Leistungen erbracht werden. ({4}) Nur dann, wenn wir unseren Bürgern zeigen, daß sich Leistung lohnt, werden wir auch in der Lage sein, ein Wirtschaftswachstum herbeizuführen, das es uns ermöglicht, die Aufwendungen für unser System der sozialen Leistungen zu erbringen. Die Rentner, die Anspruch auf eine gesicherte Altersversorgung haben, die Behinderten, die Kranken, die Schwachen, die jungen Menschen, die eine qualifizierte Ausbildung erwarten dürfen, sie alle können das mit Sicherheit nur dann erwarten, wenn es möglich ist, durch Belohnung der Leistung eine wesentliche Antriebskraft einer freiheitlichen Gesellschaft zu stärken. Leistung ist die Voraussetzung, meine Damen und Herren von der SPD, für jeden gesellschaftlichen Fortschritt. Ohne Leistung gibt es Stillstand, Rückstand und soziale Härten in einer Gesellschaft. ({5}) Das ist die Frage, um die es geht. Das ist eine Grundfrage der Gesellschaftspolitik. Wir bekennen uns zur Leistung, und wir bekennen uns zur Belohnung der besseren Leistung. ({6}) Da können Sie nicht bestreiten, daß das Wachstum vom Nullwachstum, von der Gefahr des Minuswachstums auf nunmehr 2,5 %, auf 3% gestiegen ist, daß die Nettokreditaufnahme zunächst beschränkt, dann zurückgeführt werden konnte, daß wir ein hohes Maß an Preisstabilität erreicht haben. Meine Damen und Herren, zum erstenmal kann wieder eine Zunahme der Eigenkapitalbildung bei den Unternehmen festgestellt werden. Fragen Sie einmal die Handwerksbetriebe, die Handwerksmeister draußen, was es für sie bedeutet, wenn sie eine sichere Eigenkapitalbasis haben. Erst dann können sie die notwendigen Investitionen vornehmen, die wir brauchen, damit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Da haben die Sachverständigen zu Recht festgestellt, daß wir in einer solchen Lage abzuwägen haben, wie soziale Gerechtigkeit besser verwirklicht werden kann, ob wir auch verteilungspolitisch Probleme in Kauf nehmen, wenn wir auf diese Weise die Wachstumskräfte stärken können. Sie sagen: Angesichts von zwei Millionen Arbeitslosen sollte die Entscheidung nicht schwerfallen. - Denn die größte soziale Ungerechtigkeit ist doch wohl der Gegensatz von Arbeitsbesitzern und Arbeitslosen. Den zu überwinden, das ist soziale Politik in der gegenwärtigen Zeit. Dafür setzen wir uns ein. ({7}) Dem, meine verehrten Kollegen von der SPD, muß auch die Steuerpolitik dienen. Deshalb sind wir gegen eine Ergänzungsabgabe damals wie heute, weil wir eben nicht wollen, daß die Investitionsbereitschaft beeinträchtigt wird, weil wir nicht wollen, daß die Eigenkapitalbildung der mittleren und kleinen Betriebe eingeschränkt und reduziert wird. Dort in den Mittel- und Kleinbetrieben liegt die Kraftquelle auch für Innovationen, für neue Investitionen. Sie sind nämlich flexibel, sie sind anpassungsfähig. Sehen Sie einmal hinüber in die Vereinigten Staaten mit der dortigen von Ihnen soviel gescholtenen Wirtschafts- und Steuerpolitik. Mit der Befreiung von Steuerlasten ist dort ein neuer Schwung für neue Arbeitsplätze geschaffen worden. ({8}) Da können Sie ruhig mit dem Kopf schütteln oder nicken. Dort sind neue dauerhafte Arbeitsplätze entstanden. Auch wir, meine verehrten Kollegen, brauchen eine Politik, die Leistung freisetzt, die Leistung belohnt, die neue Investitionen möglich macht. Hören Sie sich einmal an, was Ihnen ein Handwerksmeister, für den die 35-Stunden-Woche schon am Mittwoch erfüllt ist und der mit seiner Frau von morgens bis abends im Unternehmen steht, um Geld für eine neue Maschine, für eine neue Investition zusammenzubringen, sagt, wenn Sie ihn als Besserverdienenden noch mit einer Steuer bestrafen wollen. Er wird sagen: Dann kann ich weder meine Investition noch meinen Beitrag zur Überwindung der Jugendarbeitslosigkeit erbringen. ({9}) Genau ihn müssen wir ermutigen und nicht entmutigen. Deshalb hat mein Kollege Hoppe so recht, wenn er sagt: Es kommt darauf an, die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern, daß neue Arbeitsplätze geschaffen werden können, die Rahmenbedingungen dafür, daß in dieser Gesellschaft auch neue Investitionen und neue Existenzgründungen möglich werden. Deshalb sind wir dafür, daß Leistung und Investitionen nicht durch die Steuerpolitik behindert werden, sondern dafür, daß die Steuerpolitik die Voraussetzungen dafür schafft, mit neuen Investitionen und zusätzlichen Arbeitsplätzen jenes Maß an sozialer Ungerechtigkeit zu überwinden, das heute noch mit 2 Millionen Arbeitslosen gegeben ist. Aber die Sachverständigen sagen uns auch, niemand in unserem Lande sollte es geringschätzen, daß die Ausweitung der Arbeitslosigkeit eingeschränkt, aufgefangen worden sei, daß sich die Tendenz umkehre. Auf diesem Wege, der ein Wachstumspfad ist, müssen wir weitergehen. Meine Kolleginnen und Kollegen, es lohnt sich auch, das Sachverständigengutachten zu einem anderen Thema zu lesen, zur Frage des Umweltschutzes. ({10}) Das Sachverständigengutachten setzt sich in einer sehr differenzierten Weise mit dem Umweltschutz auseinander. Die Sachverständigen machen deutlich, daß gerade eine flexible Marktwirtschaft die besten Antworten auf die Herausforderungen des Umweltschutzes geben kann. Sie erinnern uns daran, daß die konsequente Durchführung des Verursacherprinzips die Möglichkeit ist, um unter den Voraussetzungen der Marktwirtschaft zu mehr Umweitschutz zu kommen. ({11}) Überall dort, wo durch dirigistische Eingriffe, wo durch eine sozialistische Planwirtschaft die Kräfte des Marktes eingeschränkt sind, überall dort ist es um den Umweltschutz am allerschlechtesten bestellt. ({12}) Deshalb treten wir dafür ein, nicht künstlich einen Gegensatz aufzubauen zwischen Ökonomie und Ökologie, zwischen Produktivität und Wachstum auf der einen Seite und Umweltschutz auf der anderen Seite. Lesen Sie einmal nach, was das Sachverständigengutachten dazu sagt, wie ein gezielter Umweltschutz, ein Umweltschutz, der sich am Verursacherprinzip orientiert, nicht nur dazu beiträgt, die natürlichen Lebensgrundlagen zu sichern und weiter zu stärken, sondern auch neue Arbeitsplätze schaffen kann. Deshalb müssen wir die Chancen erkennen, die in einer Versöhnung von Ökologie und Ökonomie liegen. Aber das schaffen Sie nicht mit dirigistischen Eingriffen in die Wirtschaft, das schaffen Sie nicht mit steuerlichen Belastungen, die die Antriebskräfte der Wirtschaft lähmen. Das schaffen Sie nur, wenn Sie die Möglichkeiten der Wachstumspolitik verstärken und damit auch jene Energien freisetzen, die wir brauchen, um einen wirksamen Umweltschutz in unserem Lande zu ermöglichen. ({13}) Auch hier wieder werden Sie erleben, wie gerade die Mittel- und Kleinbetriebe ihre Verantwortung wahrnehmen, wie die ganze Wirtschaft ihre Verantwortung wahrnimmt. Der Herr Bundeskanzler hat eben in seiner Rede den Umstand beklagt, daß Herr Kollege Dr. Vogel auf dem Gewerkschaftstag der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie das Buschhaus-Problem nicht angesprochen habe. Jeder wird sich gefragt haben, warum er das nicht getan hat. Die Antwort ist mir eben in Form einer Agenturmeldung auf den Tisch gekommen. Dort heißt es: Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie, Adolf Schmidt, hat am Dienstag mit Nachdruck deren Eintreten für die Inbetriebnahme des umstrittenen Kraftwerks Buschhaus verteidigt. ({14}) Am 2. Tag des Kongresses erklärte Schmidt, es sei untragbar, daß auf der Grundlage geltender Rechtsvorschriften errichtete Anlagen in ihrem Bestand durch sich wandelnde politische Stimmungen gefährdet werden. ({15}) Meine Damen und Herren, bauen wir nicht künstlich einen Gegensatz auf zwischen den wachstumspolitischen Zielen und den umweltpolitischen Notwendigkeiten. ({16}) Versöhnen wir sie, und tragen wir dadurch zur Leistungsfähigkeit unserer marktwirtschaftlichen Ordnung bei. Das ist die Aufgabe. ({17}) Wenn wir diese Aufgabe erfüllen, dann werden wir im sozialen Bereich, im wirtschaftlichen Bereich und im Umweltschutz beweisen können, daß die Koalition der Mitte eine Koalition des Fortschritts ist. ({18}) Dieser gesellschaftliche Fortschritt hängt von dem freiheitlichen Gehalt einer Gesellschaft ab. Der freiheitliche Gehalt einer Gesellschaft wird auch bestimmt durch Entfaltungsmöglichkeiten und durch die Zahl selbständiger Existenzen in einer solchen Gesellschaft. Sie haben, Herr Kollege Dr. Vogel, heute im Zusammenhang mit der Europapolitik ein Wort zur Agrarpolitik gesagt und kritisiert, was hier für die deutsche Landwirtschaft getan worden ist. Meine Damen und Herren, der bäuerliche Familienbetrieb - übrigens eine der ganz großen Errungenschaften der deutschen Nachkriegspolitik - leistet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherheit unserer Ernährung und zur Pflege unserer Landschaft. ({19}) Der bäuerliche Familienbetrieb hat durch eine vorsichtige Preispolitik in den letzten zehn Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Stabilität der Verbraucherpreise gerade bei den lebensnotwendigen Gütern geleistet, die im Warenkorb für die Familien mit geringem Einkommen besonders wichtig sind. Dieser bäuerliche Familienbetrieb, meine Damen und Herren, ({20}) hat im Rahmen der notwendig gewordenen Entscheidungen für eine Bekämpfung der Überproduktionen wesentliche gesellschaftliche Lasten übernehmen müssen. ({21}) Deshalb war es notwendig, daß sich die Bundesregierung hier zu Ausgleichszahlungen bereiterklärt hat, weil wir auf gar keinen Fall bereit sind, diese selbständigen bäuerlichen Existenzen aufs Spiel zu setzen. ({22}) Diese Politik ist Ernährungspolitik, ist Wirtschaftspolitik, ist Umweltschutzpolitik, und sie ist freiheitliche Gesellschaftspolitik.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Oostergetelo?

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Ich möchte meine Redezeit gern voll ausschöpfen können. Meine Damen und Herren, wir werden uns in der Aussprache über den Etat des Auswärtigen Amts noch über Grundfragen der Außenpolitik zu unterhalten haben. Ich möchte außer den drei Zielen, die ich anfangs meiner sehr eingeschränkten Redezeit genannt habe, ein Wort zur Außen- und Sicherheitspolitik sagen. ({0}) - Das machen wir nachher. Ich erinnere mich sehr genau an die Debatten, die wir im letzten Jahr geführt haben, und an Ihre Voraussage, daß die Entscheidung der Bundesregierung und des Deutschen Bundestages für die Nachrüstung das Ende des Ost-West-Dialogs sein werde. ({1}) Meine Kollegen, ich muß nicht so weit zurückgehen. Als wir uns in der ersten Lesung des Bundeshaushalts über die Außenpolitik unterhalten haben, als ich damals sagte, daß es sehr wohl sein könne - wir seien eigentlich überzeugt, es werde so sein -, daß wir schon zum Jahresende Aussichten für eine Neuaufnahme des Abrüstungs- und Rüstungskontrolldialogs hätten, da sind von Ihrer Seite noch vor wenigen Wochen ernsthafte Zweifel angemeldet worden. Diese Zweifel haben sich als unberechtigt erwiesen. Der Dialog zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion wird aufgenommen. Meine Damen und Herren, diesen Dialog unterstützen wir. Wir haben wesentlich dazu beigetragen, ihn vorzubereiten. Das machen wir als Partner. ({2}) Herr Kollege Dr. Vogel, ich fand, Sie sollten noch einmal überlegen, ob Sie für das Verhältnis von verbündeten demokratischen Staaten, für das Bündnis der europäischen Demokratien mit den Vereinigten Staaten wirklich das Wort „Vasallen" aufrechterhalten können. Für mich spielt das Wort „Vasallen" in diesem Zusammenhang eine andere Rolle. Ich bin für das Bündnis mit den Vereinigten Staaten, damit wir hier keine Vasallen werden müssen. ({3}) Das ist die entscheidende Sache. Dazu ist es notwendig, daß wir unseren Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit leisten. Ich denke, eine solche Aussprache über den Haushalt der Bundesregierung ist für die Opposition eine gute Gelegenheit, jene Zweifel auszuräumen, die sie über ihre Bereitschaft, das Notwendige zur konventionellen Verteidigung zu tun, selber geschaffen hat. Dazu gehört auch, daß wir es in der Zeit der geburtenschwachen Jahrgänge eben nicht zulassen, daß unser zahlenmäßiger Beitrag zur konventionellen Verteidigung absinkt. Meine Damen und Herren, unser gemeinsames Ziel ist doch und muß es bleiben, daß die atomare Schwelle so hoch wie möglich gehalten wird. Das können wir doch nicht erreichen, indem wir unsere konventionellen Streitkräfte schrumpfen lassen, sondern nur indem wir den Beitrag liefern, der notwendig ist, um das konventionelle Gleichgewicht in etwa aufrechterhalten zu können. ({4}) Das ist die Aufgabe, die uns gestellt ist. Da dürfen wir wirklich nicht an Grundentscheidungen, die wir gemeinsam getroffen haben, rütteln. Nein, meine Damen und Herren, wer heute Bilanz über zwei Jahre zieht - und dazu besteht Anlaß -, kann feststellen, daß sich die Beständigkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik gelohnt und bewährt hat. Wir werden diesen Weg weitergehen. Der kann auch feststellen, daß wir im Umweltschutz großartige und neue Initiativen eingeleitet haben. Da können Sie sich nicht durch einen Hinweis auf den früheren Wirtschaftsminister herausreden. Fragen Sie einmal meinen Kollegen Baum, warum viele Vorlagen, die er in der Schublade hatte, nicht ins Kabinett kamen und warum sie nicht verabschiedet werden konnten. ({5}) Da gab es ganz maßgebliche Widerstände bei Ihnen. In der Wirtschafts- und Finanzpolitik können Sie das Wort vom „Totsparen" nicht mehr gebrauchen. Sie sollten anerkennen, was die Sachverständigen sagen. Wir sind auf dem Wachstumspfad. Es geht voran. Damit schaffen wir auch die Voraussetzung dafür, daß die größte soziale Ungerechtigkeit Massenarbeitslosigkeit wirksam überwunden werden kann. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat Herr Abgeordneter Horn.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es hat mich eigentlich etwas gewundert, daß in der Debatte über den Kanzleretat nicht ein einziges Mal über Bundeswehr und Bundeswehrplanung gesprochen wurde, ({0}) obwohl dies die eigentliche Herausforderung ist, die auf diesem Sektor besteht. ({1}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, langfristige Bundeswehrplanung ist eine wichtige und angesichts der Personal- und Finanzprobleme, die vor uns liegen, äußerst schwierige Aufgabe. Wenn der Bundeskanzler in dieser Angelegenheit von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch macht, sollte er wissen, wovon er redet. Bei dem Nachfolger von Helmut Schmidt ist das nicht immer der Fall. Der Amtsinhaber ist mit einigem Recht beeindruckt, wenn ihm der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika darlegt, daß eine Verringerung des personellen Umfangs der Bundeswehr im Frieden Auswirkungen auf die amerikanische Truppenpräsenz in der Bundesrepublik, eine der wichtigsten transatlantischen Garantien unserer Sicherheit, haben würde. Ich nenne nur das Stichwort „Truppenabzug" des demokratischen Senators Nunn. Der Bundeskanzler müßte wissen, daß dies am deutschen Ressourceproblem nichts ändert, insbesondere nichts daran ändert, daß am Ende des Jahrzehnts die Anzahl der jährlich zur Verfügung stehenden Wehrpflichtigen rapide abnimmt. Er müßte sich entscheiden zwischen dem nicht erreichbaren Wunsch, die Friedensstärke der Bundeswehr bei 495 000 Mann zu halten, wie er es versprochen hat, und der Notwendigkeit, unseren wichtigsten Verbündeten die deutschen Möglichkeiten für einen hohen, wirksamen Verteidigungsbeitrag im Bündnis aufzuzeigen und zur besten Lösung des Problems einen möglichst breiten Konsens auch mit der Opposition herzustellen. Der Kanzler hat sich am 17. Oktober mit seinem Kabinett für die Fiktion entschieden. Auch Außenminister Genscher hat mittels der Wiener Verhandlungen über ausgewogene Truppenreduzierungen in Mitteleuropa keinen Beitrag zur Entschärfung des Personalproblems der Bundeswehr geleistet. Als Vizekanzler, Herr Genscher, von Helmut Schmidt blockierten Sie dessen Vertragswillen mit dem Argument, wir dürften keinen Vertrag schließen, sonst werde die Bundeswehr und damit unser Gewicht im Bündnis kleiner. Heute sagt Herr Genscher: Die Bundeswehr darf nicht kleiner werden, sonst bekommen wir keinen Vertrag. Die Logik soll man draußen klarmachen! ({2}) Was hat Verteidigungsminister Wörner geleistet, um das Personalproblem der Bundeswehr, die Streitkräftestruktur und die Rüstungsplanung in den Griff zu bekommen? Er hat sich zunächst einmal um das Material gekümmert. Das Personal, die Soldaten, blieben dabei außen vor. ({3}) Sein Bundeswehrplan 1985 sieht mittel- und langfristig Rüstungsbeschaffungen vor, ohne Auskunft darüber zu geben, welches Personal mit welchen Betriebskosten diese Waffensysteme einmal einsatzfähig halten soll. Im Klartext: Das war kein Plan, sondern eine Beschaffungsorder, der schon mangels Berechnung der Personalkostenentwicklung jede finanzielle Absicherung fehlt. Dabei hatte Hans Apel, sein Vorgänger, im Sommer 1982 mit dem Bericht der von ihm eingesetzten Langzeitkommission, gewissermaßen zeitgerecht für seine Nachfolger, günstige Voraussetzungen geschaffen, um das Personalproblem anzugehen. Dr. Wörner hat jedoch zunächst einmal zwei Jahre ungenutzt verstreichen lassen. Als unsere Kritik an dem, was er Planung nennt, nämlich Beschaffungsfestlegungen, ohne Berücksichtigung von Personal und Finanzen, nicht mehr zu übergehen war, kleidete er die Fiktion des Bundeskanzlers von einer 495 000 Mann stark bleibenden Bundeswehr in das Papier „Die Bundeswehrplanung für die 90er Jahre". Dieses Papier, meine sehr verehrten Damen und Herren, dessen Inhalte noch zu diskutieren sind, weist in der Fassung der Tischvorlage für das Kabinett vom 7. Oktober simple rechnerische Unstimmigkeiten auf, so daß es eigentlich den Weg in das Kabinett hätte nicht finden dürfen. Bei Helmut Schmidt wäre das gar nicht auf den Tisch gekommen. ({4}) Ob man nun berechtigte Zweifel hat oder nicht, wie die mit den Maßnahmen angestrebten Personalgewinne zu erzielen sind, die Zahl von 456 000 Soldaten ist mit den aufgeführten Einzelmaßnahmen nicht errechenbar. ({5}) Die Bundesregierung selbst geht für den Fall, daß keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen würden, im Jahre 1995 noch von einem Bestand von 339 000 aktiven Soldaten aus, im Jahre 1998 aber nur noch von 297 000 Mann; das sind 42 000 Soldaten weniger. Daraus wird klar: was immer auch vorgesehen ist - stärkere Ausschöpfung der Wehrpflicht, Gewinnung von mehr Längerdienenden und selbst die kontroverse Verlängerung der Wehrpflichtdauer um drei Monate; selbst wenn diese Maßnahmen 100 %ig greifen würden, was niemand glaubt -, wir werden den Bestand der Bundeswehr von 456 000 Mann rechnerisch einfach überhaupt nicht halten können. Was vorgelegen hat, ist eine Fiktion, keine Realität! ({6}) - Selbstverständlich, das kommt gleich. - Im Klartext heißt das: Die Planung bricht zusammen, und die Frage ist nur noch, ob das 1995/96 oder ein oder zwei Jahre später geschieht. Das hängt davon ab, wann die Koalition sich dafür entscheidet, die Wehrpflichtdauer zu verlängern. In diesem Zusammenhang möchte ich folgenden Hinweis geben; der Verteidigungsminister weiß dies ganz genau, und in seinem Haus pfeifen es die Spatzen von den Dächern. Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn der Verteidigungsminister ehrlich wäre, würde er heute vor das Parlament treten und zugeben, daß ihm aus seinem eigenen Hause gesagt wird: Selbst wenn alle Personalmaßnahmen einschließlich einer Wehrpflichtverlängerung funktionieren, wird der Umfang der Bundeswehr in den 90er Jahren auf 420 000 Mann absinken. Daher brauchen wir eine Strukturänderung; um die drückt er sich, und das ist der Skandal. ({7}) Der Herr Bundeskanzler hat nun gebilligt, daß die Zahl der aktiven Bundeswehrsoldaten auf 456 000 abgesenkt wird, obwohl ihm bekannt sein müßte, daß auch diese Zahl nicht zu halten ist. Dabei muß man sich vor Augen führen, daß er kurz vorher auf der Kommandeur-Tagung den Soldaten noch 495 000 präsente Soldaten versprochen hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie uns nachrechnen: 456 000 aktive Soldaten plus 15 000 Wehrübungsplätze plus 24 000 ausgebildete Reservisten in Verfügungsbereitschaft ergibt rechnerisch 495 000. Nur, Reservisten in Verfügungsbereitschaft sind keine präsenten Soldaten. Der Bundeskanzler hat also sein Wort, das er den Generalen auf der Kommandeur-Tagung in Travemünde gegeben hatte, eindeutig - wie in anderen Fällen auch - gebrochen! ({8}) - Sie brauchen sich nicht aufzuregen. Ich nehme zu den Aussagen des Kollegen von Bülow auch hier Stellung. Wir als Sozialdemokraten drücken uns - im Unterschied zur Regierung - nicht vor verantwortlichen Aussagen. ({9}) Wir alle wissen: Personal- und Finanzmittel setzen allen Planungen zur optimalen Aufgabenerfüllung Grenzen. Wenn nicht mehr ausreichend Personal zur Verfügung steht, um die eingenommene Streitkräftestruktur sinnvoll zu betreiben, und wenn trotz hohen Finanzeinsatzes auch nicht ausreichend Personal gewonnen werden kann, muß man die Streitkräfte umstrukturieren. Die kritische Zahl liegt hier bei etwa 450 000. Diese Zahl wird in den 90er Jahren unterschritten; das wissen Sie. Notwendige Strukturveränderungen müssen aber frühzeitig eingeleitet werden. Die letzte Strukturänderung - Heeresstruktur IV - ist bereits seit 12 Jahren im Gange. Das gibt den zeitlichen Rahmen an. Meine sehr verehrten Damen und Herren - auch und gerade von der Regierungskoalition -, wenn dies zu spät in Gang gesetzt wird, erfolgt der Vorlauf der Ausbildung zu spät, erfolgt der Zuschnitt der Einheiten zu spät, werden die entsprechenden Waffen zu spät zugeführt, wird die Frage von Versetzungen zwischen den Einheiten zu spät beantwortet, und das heißt, es wird alles auf dem Rücken unserer Soldaten ausgetragen. Das wollen Sie als Parlamentarier doch auch nicht! Helfen Sie doch mit, den Minister zu zwingen, jetzt schon ein entsprechendes Strukturkonzept vorzulegen; dann geht das für die Soldaten in Ordnung. ({10}) Bei der Umstrukturierung der Bundeswehr wird man um zusätzliche Kaderung nicht herumkommen. Wir Sozialdemokraten schlagen vor, ({11}) eine wichtige und bislang kaum genutzte Ressource, die große Zahl unserer ausgebildeten und einsatznah verfügbaren Reservisten, als zusätzliche und wirksame deutsche Leistung ins Bündnis einzubringen. Wir sind auch bereit, bei zweckmäßiger Umstrukturierung - aber eben nur dann - zu überprüfen, ob die Dauer der Wehrpflicht verlängert werden muß. Man muß dann genau untersuchen, ob dies ein, zwei oder drei Monate sein müssen. Wenn die konventionellen Kräfte in zunehmendem Maße zur strategischen Stabilität in Europa beitragen sollen, dann darf am Ende einer Umstrukturierung der Bundeswehr nicht weniger, sondern dann muß mindestens gleichbleibende Kampfkraft vorliegen. ({12}) Die ausschließlich defensive Funktion der Bundeswehr ergibt sich aus dem Charakter des Bündnisses und der Auslegung unserer Streitkräfte. Das habe ich schon gesagt. Die neue Struktur muß uns in die Lage versetzen, drei für uns entscheidende militärstrategische Prinzipien durchzusetzen, nämlich Vorneverteidigung, schnelle Konfliktbeendigung sowie Schadensbegrenzung, und das wesentlich stärker als bisher mit konventionellen Kräften und auf der Grundlage der uns zur Verfügung stehenden Ressourcen. Dies alles, meine Damen und Herren, muß eingebettet sein in eine überzeugende, glaubwürdige Gesamtstrategie. In der Glaubwürdigkeitskrise der westlichen Strategie in den frühen 60er Jahren haben fortschrittliche Amerikaner wie General Maxwell Taylor mit seinem Buch „The Uncertain Trumpet" und Sozialdemokraten wie Fritz Erler und Helmut Schmidt u. a. mit seinem Buch „Verteidigung oder Vergeltung?" das Denken übergeleitet von der massiven Vergeltung zur Flexible Response. Erneut hat im ganzen Bündnis nun eine Strategiedebatte eingesetzt. Ihr Kern ist diesmal die tiefe Akzeptanzkrise der etablierten Sicherheitspolitik nach dem Scheitern der Genfer Verhandlungen. Die Akzeptanzfrage muß in demokratischen Staaten immer wieder gestellt werden. Zur nuklearen Frage haben sich bedeutende Amerikaner, so auch der frühere amerikanische Verteidigungsminister und Unterhändler bei den SALT-I-Gesprächen, zu Wort gemeldet. Warum wundern Sie sich denn - nun kommen Sie dran, Herr Kittelmann - eigentlich, daß ein Mann wie mein Kollege von Bülow sich Gedanken macht und zu Papier bringt? Nun hat man ihm auf einer Pressekonferenz als Rechengröße für die Bundeswehr die Zahl 300 000 entlockt, und allenthalben herrscht darüber im Regierungslager - so sehe ich es - fast eitel Freude. Man wollte ihn gründlich mißverstehen und tut es auch. Dabei hat er nichts anderes gesagt als erstens, daß die Bundeswehr in den 90er Jahren auf 300 000 Mann schrumpfen wird, wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden - das gleiche hat übrigens der Generalinspekteur am 30. September vorigen Jahres auch in einer Stellungnahme gegenüber dem Minister gesagt; ({13}) lassen Sie mich das bitte noch ausführen -, zweitens, daß er sich eine um 40 % auf 300 000 Mann reduzierte Bundeswehr für den Fall vorstellen kann, daß die Sowjetunion, wie Moskau vorgeschlagen hat, ihre Streitkräfte in der DDR und in Osteuropa um 50 % reduziert.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Horn, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein, weil ich nachher noch einige konzeptionelle Darstellungen geben will, die von Ihnen, von der Regierung hier ständig gefordert werden. Deshalb möchte ich meine Zeit lieber dazu verwenden. Was, meine Damen und Herren, wollen Sie vor den Augen der deutschen Öffentlichkeit an diesem Gedanken eigentlich schlecht finden? Wir Sozialdemokraten fordern nicht nur Rüstungskontrollverhandlungen, sondern endlich auch Ergebnisse. Das gilt für die Truppenreduzierungsverhandlungen in Wien ebenso wie für die Stockholmer Verhandlungen über Vertrauens- und Sicherheitsbildung sowie Abrüstung vom Atlantik bis zum Ural. Wir fordern den Bundesaußenminister und seinen Abrüstungsbeauftragten auf, statt kosmetischer Presserhetorik endlich Substanzarbeit zu leisten, wo nötig, auch einmal bei den Verbündeten. Meine Damen und Herren, es ist unglaublich, daß über die entscheidenden Fragen unserer Sicherheit in der Union Funkstille, ein Denkverbot herrscht. Das Aufmucken Ihrer Basis, bei der Jungen Union, das Aufgreifen der Akzeptanzfrage durch Kurt Biedenkopf werden unterdrückt, die Argumente schamhaft verschwiegen. Es kann doch wohl nicht sein, meine sehr verehrten Damen und Herren von der Union, daß die stärkste deutsche Regierungs7552 partei sich einfach aus dieser Diskussion ausklinkt. Die Situation verlangt, daß zumindest die großen Parteien hier für die deutsche Interessenlage eintreten. Wir schlagen im einzelnen als Strukturänderung vor - ich bitte Sie, dem ruhig einmal zu folgen -: Erstens. Der Personalumfang soll im Frieden, soweit möglich, zwischen 400 000 und 430 000 Mann betragen, die Verteidigungsstärke nach zwei Tagen Mobilisierung ca. 1,4 Millionen Soldaten. Zweitens. Es soll keine Streichung von Strukturelementen erfolgen, sondern Kaderung auch bei Luftwaffe und Marine, vor allem aber bei den Versorgungs-, Kampfunterstützungs- und Infanterieteilen des Heeres. Die Hauptwaffensysteme sollen durch präsente Kräfte betrieben werden. Drittens. Vereinigung von Territorial- und Feldheer erachten wir für sinnvoll, dabei Nutzung der Heimatschutzbrigaden zur Verstärkung der Vorneverteidigung und Übernahme der territorialen Milizkräfte. Viertens. Ich schlage die Präsenz panzerstarker Verbände in Form von Brigaden vor, die im Rahmen der Verteidigungsplanung zur Aufnahme der Anfangsverteidigung und zur Deckung des Aufwuchses der gekaderten Kräfte grenznah eingesetzt werden. Fünftens. Wir erachten eine Teilkaderung infanteriestarker Verbände für sinnvoll, die nach der Mobilmachung hinter den präsenten Panzerverbänden aufwachsen. Sechstens. Zusätzliche Sperrverbände sollen in Milizform aufgebaut werden, die in sehr kurzer Zeit nach der Mobilmachung aufwachsen. Ziel ist: je zwei Sperrbrigaden für alle, die deutschen und die alliierten Korps, und diesen unterstellt. Aus regional verfügbaren Kräften soll eine Verfügungsbereitschaft aufgebaut werden, die in eine Alarmbereitschaft umzuwandeln ist. Aufgabe der Sperrverbände ist die Aufnahme von eingesetzten eigenen Kräften, Verstärkung der eigenen Kampfkraft unter Nutzung des Geländes und Sicherstellung einer koordinierten Operationsplanung und Operationsführung auf unserem Territorium unter Wahrung deutscher Interessen nach dem Prinzip: Mitbestimmung durch Mitwirkung. Dies bedeutet für das Heer: es gibt nicht weniger, es gibt mehr Brigaden. Die Brigaden aber sind - zweitens - jeweils kleiner. Drittens wird die Versorgung mit weniger Präsenzkräften und effektiver organisiert. Insgesamt wird die Vorneverteidigung nachhaltig und in einer offenkundig defensiven Struktur verstärkt. Die Gewährleistung einer verstärkten Verteidigungsfähigkeit ist auf Grund des Kräfteverhältnisses und der deutschen Bündnisverpflichtungen erforderlich, solange noch keine Truppenreduzierungsabkommen erzielt sind. Das Risiko einer nuklearen Eskalation muß zunehmend dem Angreifer aufgebürdet werden. Wir sind auch der Auffassung, daß die Rüstungsplanung auf diese neue Struktur auszurichten ist. Grundsätzlich befürworten wir die vom Generalinspekteur der Bundeswehr getroffene Prioritätensetzung zugunsten von Aufklärung, elektronischer Kampfführung, Munition, Luftverteidigung und Sanitätsdienst auch für die neue Struktur. Meine sehr geehrten Damen und Herren, damit habe ich hier einen Vorschlag unterbreitet, der sicherlich diskussionswürdig und auch diskussionsnotwendig für uns alle ist. Das ist ein Angebot an die so oft beschworene Gemeinsamkeit der demokratischen Parteien auf dem wichtigen Feld der Sicherheits- und Friedenspolitik. Meine sehr verehrten Damen und Herren gerade auch aus dem Verteidigungsausschuß, meine Bitte an Sie lautet: Machen Sie es nicht wieder wie in der Sitzung am 18. Oktober, wo im Hauruckverfahren das Fallbeil über eine Vorlage nach sechs Stunden fiel. ({0}) Meine Damen und Herren, das ist ein Angebot. Sie können es aufgreifen. Wir jedenfalls sind kooperationsbereit. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Diepgen. Regierender Bürgermeister Diepgen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch wenn das Auf und Ab der Thematik ein wenig Schwierigkeiten macht, darf ich auf die gute Tradition wieder eingehen, daß der Regierende Bürgermeister von Berlin bei der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag das Wort ergreift. Auch darin kommt ein Stück der Bindung zwischen Berlin und dem Bund zum Ausdruck, der Bindung die es nach dem Vier-Mächte-Abkommen aufrechtzuerhalten und zu entwickeln gilt. Sie haben in den zuständigen Fachausschüssen des Bundestages über Berlinhilfe, Berlinförderung beschlossen. Auf der Grundlage der nationalen Verpflichtung, die Sie empfinden, haben Sie einen Beitrag zur 750-JahrFeier, die Berlin im Jahr 1987 begehen wird, beschlossen. Sie haben Unterstützung für die Übernahme der S-Bahn geleistet - um nur einige wichtige Dinge hier zu nennen. Der Senat von Berlin weiß die tatkräftige Unterstützung durch den Bund dankbar zu würdigen. Ich darf versichern, diese Unterstützung fällt in Berlin auf einen fruchtbaren Boden. Wir nutzen die Chancen unserer Lage. Wir nutzen sie selbstbewußt und tatkräftig zum Wohle aller Menschen im geteilten Deutschland. Aus dieser Leistung, die von Ihnen, die über den Deutschen Bundestag, und insbesondere über die Bundesregierung erbracht wird, erwächst uns eine doppelte Verpflichtung: wir haben einerseits als Berliner mit dem Geld besonders sorgfältig umzugehen und unseren Beitrag zu einer Politik der Konsolidierung zu leisten, eine Politik, die Leistungsbereitschaft fördert und soziale Gerechtigkeit absichern möchte. Andererseits fühlen wir Berliner uns verpflichtet, auch unsererseits Beiträge für die Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland insgesamt zu leisten, ({1}) Regierender Bürgermeister Diepgen ({2}) die in spezifischer Weise vielleicht nur von Berlin geleistet werden können. Lassen Sie mich deswegen vor diesem Hintergrund zwei Anmerkungen zur Debatte dieses Hauses machen. Die erste Bemerkung gilt der äußeren Lage Berlins und damit der Ost-West- und damit der Deutschlandpolitik. Der Bundeskanzler hat darauf hingewiesen, welche Erwartungen, welche Hoffnungen er zu Recht mit der Aufnahme der Gespräche zwischen Washington und Moskau verbindet. Es war eine gute Nachricht für Berlin, daß es zu diesen Gesprächen kommt, und es war eine gute Nachricht, weil damit jede Diskussion über eine angebliche Eiszeit zu den Akten gelegt werden konnte. ({3}) Aber Illusionen sind dabei auch nicht angebracht. Wir müssen - und das hat der Bundeskanzler hier auch gesagt - jetzt alle Chancen nutzen, die sich aus der sich abzeichnenden Verbesserung des Ost-West-Verhältnisses ergeben, und zwar müssen wir sie fruchtbringend für die Deutschlandpolitik nutzen, für das Verhältnis der Menschen in Deutschland und insbesondere für die Verbesserung der Situation der Menschen im geteilten Deutschland. Reise- und Besuchserleichterung, Verbesserung auf dem Sektor der Menschenrechte, darum geht es an erster Stelle. Das erwarten die Menschen in Köln ebenso von uns wie die Menschen in Dresden oder Rostock, und das erwarten auch alle Berliner von uns. Ich füge hinzu: Sie erwarten es alle zu Recht von uns. ({4}) Dabei müssen wir davon ausgehen, daß jeder Veränderungsprozeß zwischen den beiden deutschen Staaten sich leider nur millimeterweise bewegen kann. Das Bewegungsgesetz der Deutschlandpolitik ist dabei Pragmatismus, bei gegenseitig unterschiedlichen Ausgangspositionen. Es besteht dagegen weder in Opportunismus, noch in Dogmatismus, etwa mit dem Ziel, unauflösbare Widersprüche möglichst kurzfristig auflösen zu wollen. Dazu gehört auch, daß nicht jedes Thema zu jeder Zeit angesprochen werden darf, sondern daß in der Deutschlandpolitik manchmal mehr Mut dazu gehört, zu schweigen, nicht öffentlich zu diskutieren, weil man mit einer öffentlichen Diskussion Deutschlandpolitik mehr behindern als fördern kann. ({5}) Es muß gegenwärtig bei folgender Geschäftsgrundlage zwischen den beiden deutschen Staaten bleiben: Es gibt grundsätzlich gesellschaftspolitisch, rechtlich und ideologisch unterschiedliche Auffassungen. Diese unterschiedlichen Auffassungen dürfen, ja, sie sollen natürlich auch ausgesprochen werden. Sie sollen und dürfen jedoch nicht praktische Ergebnisse behindern, die den Interessen beider Seiten dienen. Diese Bemerkung führt sofort zu der Fragestellung, wo denn eigentlich die Interessenfelder der Bundesrepublik Deutschland und der DDR liegen, die man im Blick auf eine mittel- und längerfristige Zusammenarbeit in Rechnung stellen kann und muß. Ich möchte hier vier Interessenfelder nennen. Es gibt sicherlich Interessen und Positionen, die sich antagonistisch gegenüberstehen und in denen Kompromisse nicht möglich sind; es gibt aber auch Interessenfelder, in denen zwar unüberbrückbare Gegensätze vorhanden sind, in denen aber dennoch pragmatische Lösungen zu Einzelfragen gefunden werden können. Das betrifft Einzelfragen, die gerade im Interesse der Menschen vordringlich behandelt werden müssen. Es gibt darüber hinaus Felder der Politik, hinsichtlich derer ein beiderseitiges Interesse an der Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Zielsetzungen und Motiven besteht. Letztlich gibt es Interessenfelder, in denen die Ziele schlicht identisch sind. Meine Damen und Herren, das erste Feld, auf dem ich keine Kompromißmöglichkeiten sehe, ist die Substanz unseres freiheitlichen Rechtsstaates, die Forderung nach Menschenrechten im Osten und das Bemühen um Freizügigkeit und Selbstbestimmung für alle Deutschen. ({6}) Auch in der Sicherheitspolitik schlagen die Systemwidersprüche voll durch. Es ist davor zu warnen, hierbei eine Verhandlungsmasse zwischen den beiden deutschen Staaten zu sehen. Das, was wir tun können, ist, unsere Überlegungen in die Überlegungen des Bündnisses einzubeziehen. Unsere Interessen und Wünsche gehen dabei dahin, daß bei voller Aufrechterhaltung unserer Sicherheit in Freiheit möglichst viel an Rüstungskontrolle und an vertrauensbildenden Maßnahmen zustande kommen möge. Das zweite Feld, von dem ich sprach, ist zunächst einmal durch erhebliche Gegensätze gekennzeichnet. Das gilt z. B. für die freiheitliche und sozialistische Auffassung von Kultur. Andererseits aber, meine Damen und Herren, ist praktischer Kulturaustausch möglich, zweckmäßig und sicherlich auch im Interesse beider Seiten. Auf beiden Seiten Deutschlands bestehen hochkomplexe Industriegesellschaften, die ähnliche Probleme haben, von Problemen in der Wissenschaft, in der Architektur und in der Kommunalplanung bis hin zu den Drogenproblemen. Diese gleichgelagerten Interessen und Aufgaben muß man betonen, denn sie geben den Menschen in Ost-Berlin und der DDR auch das Gefühl, eher zu Mitteleuropa zu gehören. Ich glaube, darauf kommt es auch sehr stark an. Zu diesem Feld gehört auch unser Bemühen um mehr Freizügigkeit. Dabei ist zu beachten, daß zu diesem Feld die Positionen gehören, hinsichtlich der es rechtlich und politisch eine gegensätzliche Sicht gibt. Dennoch aber gibt es auf dem Feld der Entsorgung, der Energie, der Wasserversorgung, der regionalen Umweltpolitik gemeinsame Interessen, an denen man sich ausrichten kann und vor allen Dingen seine Ziele zu definieren hat. Ich glaube durchaus, daß auf diesem Feld neue und zusätzliche Betätigungsfelder erschlossen werden können. Regierender Bürgermeister Diepgen ({7}) Dabei ist hier in der Debatte - insbesondere vom Bundeskanzler - darauf hingewiesen worden, daß eine solche Politik natürlich zwei Sicherungen braucht. Ich meine erstens die Schutzmachtfunktion der Alliierten, die durch nichts zu ersetzen ist, meine Damen und Herren. ({8}) Die zweite Sicherung ist die Bindung Berlins an den Bund, die es weiterzuentwickeln gilt. Meine Damen und Herren, auf der Grundlage dieser beiden Sicherungen muß zwischen der Bundesregierung und der anderen Seite auf allen Ebenen, die uns zur Verfügung stehen, sowie auf allen Ebenen, die in der geteilten Stadt dafür vorhanden sind, der Versuch unternommen werden, zu weiteren Verhandlungserfolgen zu kommen. Dies sage ich ausdrücklich auch vor dem Hintergrund von in diesem Jahr doch ganz bemerkenswerten Ergebnissen der Deutschlandpolitik. Ich will es einmal von Berlin aus definieren: Die Übernahme der S-Bahn, die Offenhaltung des Grenzübergangs Staaken und auch die Absenkung des Mindestumtausches sind bemerkenswerte Erfolge der Deutschlandpolitik, von denen wir noch vor wenigen Jahren kaum zu träumen gewagt hätten. ({9}) Im Feld mit gegensätzlichen Ausgangspositionen und dennoch möglichen praktischen Ergebnissen sehe ich auch das Feld der Besuchsregelung. Dabei glaubt ja die DDR bisher immer, daß sie sich uns gegenüber abgrenzen muß. Ich behaupte allerdings: Es liegt auch in ihrem Interesse, im ureigensten Interesse der DDR, beispielsweise mehr Westreisen zuzulassen. Nur so kann sie den bohrenden Fragen der eigenen Bevölkerung richtig begegnen. Nur so kommt es auch zu einer gewissen Entspannung bei den Problemen, die sie immer wieder mit der Ausreisefrage hat. Insofern also hier ein deutliches Interesse, gerade auch der DDR. Drittens. Lassen Sie mich auf ein Feld komplementärer Interessen hinweisen: dies ist vor allen Dingen der deutsch-deutsche Handel. Ich nenne auch ausdrücklich den Bahnverkehr. Ich glaube, daß die Chancen, die es hier für Gemeinsamkeiten gibt, noch nicht voll ausgeschöpft sind. Das letzte Feld, wo es schlicht identische Interessenlagen gibt, ist natürlich vor allen Dingen vom Thema des Umweltschutzes gekennzeichnet. Umwelt kennt keine politischen Grenzen. ({10}) Die DDR hat es schwer in ihrer gegenwärtigen Phase der wirtschaftlichen Umstrukturierung Umweltmaßnahmen durchzuführen, die ihre Umstrukturierung zusätzlich verteuern. Aber wir wissen alle, an welcher Stelle und an welcher Wertskala Umweltschutz steht. Ich bin dafür, daß wir uns dem Umweltschutz in besonderer Weise zuwenden, auch wenn dieses - der Bundesfinanzminister mag das verzeihen - viel Geld kosten wird. Denn die Menschen in Helmstedt, in Berlin-Steglitz oder BerlinTreptow, also in beiden Teilen der Stadt, oder auch in Dresden haben alle etwas davon, ganz gleich, ob ein Kraftwerk nun im westlichen Teil oder im östlichen Teil Deutschlands entschwefelt wird. Den Menschen und dem Umweltschutz insgesamt in der Mitte Europas kommt dieses zugute. Wenn ich also von einer interessenbezogenen Deutschlandpolitik ausgehe, komme ich zu dem Ergebnis, daß auf der Mehrzahl der Interessenfelder eine Menge zu tun ist. Ich bin der Auffassung - da deckt sich das mit dem, was der Bundeskanzler gesagt hat -, daß wir die Chancen dort verstärkt nutzen müssen. Die Zeit dafür ist vielleicht auch reif, wenn man an das anschließt, was wir in den letzten Jahren an Bewegung im Verhältnis zwischen den Großmächten erreichen konnten. Aber man muß sich dabei auch eines vor Augen halten: Nicht jede kurzfristige Veränderung, nicht jede neue Tatsache, nicht jedes neue Interview, das irgend jemand in der DDR oder bei uns gibt, führt dazu, daß man sich Gedanken über angeblich neue Interessenlagen der DDR machen muß. ({11}) Die Interessenlagen sind langfristig orientiert. Kurzfristige, kurzatmige Überlegung und bei jedem Punkt eine neue Kommentierung mit angeblich neuen Grundsatzerkenntnissen schaden der Deutschlandpolitik genauso stark wie viel Schwätzen um konkrete Ergebnisse, wenn man sie noch nicht unmittelbar erreicht hat. ({12}) Die zweite Anmerkung, die ich machen möchte, gilt der inneren Lage Berlins. Da wir uns ja in einer Haushaltsdebatte befinden, will ich deutlich machen, daß wir uns darum bemühen, eine Politik zu betreiben, die die Lebensfähigkeit der Stadt langfristig stärkt und die auch dazu führt, daß das Steueraufkommen der Stadt Berlin langfristig verbessert wird und daß damit auch unsere gemeinsame Arbeit erheblich erleichtert werden kann. ({13}) Berlin ist natürlich ein Symbol der deutschen Einheit, Konzentrationspunkt des Dialogs zwischen Ost und West. Aber Berlin kann von seiner deutschlandpolitischen Aufgabenstellung allein natürlich nicht leben. Mehr noch: Berlin kann seine nationale Rolle im geteilten Deutschland nur dann erfüllen und seinen Rang als Metropole der Deutschen in jener besonderen geographischen Lage, die Mitte und Grenze zugleich ist, nur erhalten, wenn es seine wirtschaftliche und soziale Entwicklung auch gut gestalten kann. Ich kann Sie hier davon unterrichten, daß die Daten der letzten Jahre in der Berliner Entwicklung, in der Wirtschafts- und Sozialpolitik positiv sind. ({14}) In fast allen Daten liegen wir besser als früher. Gerade deswegen gibt es inzwischen auch Diskussionen darüber, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen verschiedenen regionalen Wirtschaftsförderungsgebieten innerhalb der Bundesrepublik ist. Regierender Bürgermeister Diepgen ({15}) Der Auftragseingang beispielsweise im verarbeitenden Gewerbe, der Export, die Investitionen und das Wachtsum liegen gut, sogar über dem Bundesdurchschnitt. Das, meine Damen und Herren, war lange schon nicht mehr so in Berlin. Jetzt ist hier ein eindeutiger Trendwechsel eingetreten, ein Trendwechsel zum Positiven. ({16}) Der Beschäftigungsrückgang ist 1984 erstmals weitgehend gestoppt. Ja, von Januar bis September dieses Jahres ist die Zahl der industriellen Arbeitsplätze gestiegen. Dennoch weiß ich, daß wir in der Beschäftigungsfrage noch nicht über den Berg sind. Aber, meine Damen und Herren, wir haben mehr erreicht, als selbst unsere Kritiker - selbst unsere Kritiker! - vermutet haben. Das soll mal erst geschafft werden. ({17}) Diese Erfolge, übrigens Erfolge der Wirtschaftspolitik, beruhen auf einem ganz schlichten Rezept, das vorhin in der Debatte auch kurz angeklungen ist. Wir haben uns endlich wieder auf die Stärken der Stadt Berlin besonnen. Das Problem Berlins - das ist jedenfalls meine Sicht, meine Damen und Herren - waren in den letzten Jahren nicht die Standortnachteile, das Problem lag vielmehr in der Tatsache, daß man sozusagen wie ein Kaninchen vor der Schlange nur auf diese Nachteile, auf die Probleme wegen der geographischen Lage Berlins gestarrt und dann nach Subventionen gejammert hat. Meine Damen und Herren, das war falsch. In solche Fehler wollen wir nicht wieder verfallen. ({18}) Wir wollen jedenfalls durch eine längerfristige wirtschaftliche Gesundung unser Steueraufkommen - das interessiert ja hier vor allen Dingen - erhöhen und so die materiellen Hilfeleistungen in geringerem Umfang erforderlich machen. Das ist die Entwicklung, die wir anstreben. Voraussetzung ist aber - auch das sage ich hier mit aller Deutlichkeit -, daß jetzt keine neuen Diskussionen um das Berlinförderungsgesetz eröffnet werden; denn wir brauchen Ruhe und Berechenbarkeit, und dies im Interesse der Unternehmen und der Arbeitsplätze in Berlin. ({19}) Meine Damen und Herren, ich habe davon gesprochen, daß in Berlin bestimmte Probleme früher als anderswo deutlich werden, man könnte von einem „Frühwarnsystem" für soziale Entwicklungen sprechen. Das hängt mit der besonderen geographischen Lage, aber vor allen Dingen mit der sozialen Struktur in Berlin zusammen. Das betrifft die hohen Anteile beispielsweise der Einpersonenhaushalte, der berufstätigen Frauen mit Kindern und der Rentner in Berlin. Ich will auch hier vor dem Deutschen Bundestag deutlich meine Meinung zu einem aktuellen Thema sagen. Wir bemühen uns darum, daß die soziale Symmetrie stimmt. Wir fordern von denjenigen, die leisten können, beispielsweise bei der Fehlbelegungsabgabe zusätzliche Beträge. Wir fordern das. Das machen nicht alle. Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Gesamtpolitik und dabei besonders auf den Rentensektor sage ich auch vor dem Deutschen Bundestag, daß der Berliner Senat eine Änderung des jetzigen Entwurfs des Rentenanpassungsgesetzes anstrebt. Wir streben das deswegen an, weil wir der Auffassung sind, daß das Rückwirkungen auf das gesamte soziale Gefüge, ({20}) Rückwirkungen auf die Sozialhilfe und damit auf die Probleme einer Metropole hat. ({21}) - Ich würde mich freuen, wenn jetzt nicht Protestrufe von dieser Seite kommen würden, sondern eher Unterstützung. Das zeigt nämlich die Halbherzigkeit der gesamten Diskussion. ({22}) Ich möchte vor dem Deutschen Bundestag eine Bitte an uns alle richten. Wir wissen, daß beispielsweise die Absenkung der Inflationsrate für Rentner mehr bringt als manches andere. Das ist eine sozialpolitische Leistung, die diese Bundesregierung erbracht hat. ({23}) Aber wir wissen auch, daß wir nicht - jedenfalls ist das meine Position - zu einer realen Minderung des Einkommens für Kleinrentner kommen dürfen. Und deswegen meine Bitte hier vor dem Deutschen Bundestag, daß wir alle Kreativität und Phantasie nutzen, um die anstehenden Probleme insbesondere im Sektor der Finanzierung bei einer Veränderung, beispielsweise einem teilweisen Aufschieben der Beteiligung der Rentner an der Krankenkasse, lösen zu können. Meine Damen und Herren, wenn ich als Regierender Bürgermeister von Berlin, wie es guter Tradition entspricht, bei der Debatte des Bundeshaushalts hier das Wort ergreife -

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Regierender Bürgermeister - Regierender Bürgermeister Diepgen, ({0}): Einen Satz nur noch - -, dann habe ich dieses aus Respekt getan, weil ich einen Beitrag Berlins deutlich machen möchte. Der wichtigste Beitrag, den wir jedenfalls leisten wollen, besteht darin, daß wir uns von Berlin aus nicht in Pessimismus überbieten wollen, sondern daß wir aus der Mitte Deutschlands, aus der Mitte Europas einen Beitrag leisten wollen in der Entwicklung der Wirtschaftspolitik, in dem Aufbau Berlins als Kulturmetropole, als Wirtschaftsmetropole, als Konzentrationspunkt für neue Technologien, einen Beitrag leisten wollen, um jenen Begriff der Eurosklerose, jenen völlig überflüssigen Pessimismus in der Bundesrepublik, der so Modeerscheinung geworden ist, zu überwinden. ({1}) Denn, meine Damen und Herren, wichtig ist die Erkenntnis - und das haben wir gerade an der Berliner Entwicklung der letzten Jahre erlebt -, Regierender Bürgermeister Diepgen ({2}) daß Pessimismus lähmt, aber Zuversicht und Vertrauen in die eigene Leistungsstärke stärkt. Das stärkt Berlin, das stärkt nicht nur Berlin und die Berliner selbst, sondern das ist ein Beitrag, den man darüber hinaus für die gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik leisten kann. Das wollen wir gern. Vielen Dank. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Apel.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Diepgen, ich habe Ihren Ausführungen mit großem Interesse zugehört. Aber über einige der Passagen war ich doch einigermaßen verwundert. Da haben Sie die deutsch-deutschen Leistungen dieser Bundesregierung im Jahre 1984 gelobt. Sie haben die Absenkung des Mindestumtauschs angesprochen, Sie haben die Offenhaltung von Staaken angesprochen. Aber, Herr Regierender Bürgermeister, vertreten Sie eigentlich die Interessen der Bundesregierung oder vertreten Sie die Interessen Berlins? ({0}) - Ja, einen Augenblick. Wenn Sie, Herr Bürgermeister, die Interessen der Berliner vertreten, dann wäre es angemessen gewesen, daß Sie auf zwei schwerwiegende Versäumnisse bei den Verhandlungen im Sommer für die menschlichen Erleichterungen zu Lasten der Berliner hingewiesen hätten und diese hier kritisiert hätten. ({1}) Herr Kollege Diepgen, warum kein Wort von Ihnen zu der Tatsache, daß diejenigen, die aus dem 50- Kilometer-Streifen in die DDR einreisen, 48 Stunden plus Übernachtung bleiben können und sich für die Berliner überhaupt nichts verbessert hat? Warum kein Wort dazu, daß die Mehrfachberechtigungsscheine jetzt sechs Monate wiederum für die Westdeutschen gelten und nicht für die Berliner? Das ärgert die Stadt, das findet die Stadt unerträglich, und der Regierende Bürgermeister findet in der ersten Lesung hier im Deutschen Bundestag überhaupt keinen Anlaß, dies kritisch anzumerken. Ich finde das nicht in Ordnung. ({2}) Herr Kollege Diepgen, zu einem zweiten Punkt. Da haben Sie über Umweltschutz gesprochen. Dem kann ich ja ausdrücklich zustimmen. Aber, Herr Kollege Diepgen, warum denn nur so allgemein? Ihr Umweltsenator Vetter hat am 27. Juli kurz vor unserer Buschhaus-Debatte folgendes erklärt - ich zitiere das Senatsmitglied -: Sie haben im Falle Buschhaus keinen Schornstein von 100 Meter, sondern von 300 Meter. Damit wird Buschhaus ein weit über die Grenzen hinausragendes europäisches Problem. - Damit meint er ja wohl auch die DDR. Wir können mit einer solchen Lösung - der Inbetriebnahme von Buschhaus ohne Entgiftung bei der Bevölkerung Berlins nicht bestehen. Kein Mensch in Berlin glaubt, wenn wir dem zustimmen, daß wir es in Berlin - wir, der Senat - ernst nehmen mit der Umweltschutzpolitik. Kein Wort zu Buschhaus. Allgemeine Lieder zur Laute. Herr Regierender Bürgermeister, das reicht nicht aus. ({3}) Eine dritte Bemerkung. Herr Kollege Diepgen, Sie haben Mut zum Schweigen gefordert. In der deutsch-deutschen Politik solle man nicht alles sagen, müsse man sich hin und wieder zurückhalten. Das kann ich auch akzeptieren. ({4}) Aber sind Sie nicht mit mir der Meinung - Frau Kollegin Däubler-Gmelin hat darauf hingewiesen -, daß heute morgen einige zentrale Sätze zum Verhältnis zu Polen gefehlt haben, nämlich - und das hätte ich eigentlich auch von Ihnen erwartet -: Die Oder-Neiße-Grenze ist die westliche Staatsgrenze Polens. ({5}) Es gibt die Unverletztlichkeit der Grenzen jetzt und in der Zukunft. Es gibt keinerlei Gebietsansprüche, auch nicht gegenüber der DDR. Geschichtlich, rechtlich, politisch ist in der Beziehung zu Polen alles entschieden. Herr Kollege Diepgen, warum können Sie das Schweigen dann nicht durchbrechen, wenn auf dem Deutschlandtag der Jungen Union in unserer Stadt Berlin so unglaubliche Töne fallen, daß man das Gefühl hat, die Jugendorganisation der Union kehrt zurück in die Gräben des Kalten Krieges der 60er Jahre? Dazu muß doch der Regierende Bürgermeister Stellung nehmen. Ich bitte Sie. ({6}) Herr Kollege Diepgen, Sie haben gesagt, Berlin sei wirtschaftlich über den Berg. ({7}) Dazu sage ich Ihnen: In der Legislaturperiode, in der Sie bzw. Ihr Vorgänger Regierender Bürgermeister waren, hat die Zunahme der Arbeitslosigkeit fast 40 000 ausgemacht. Der Abbau der industriellen Arbeitsplätze betrug fast 20 000. In den letzten zwölf Monaten, September bis September - Sie können sich doch nicht die statistischen Segmente herausDr. Apel suchen, die Ihnen gerade passen -, sind weitere 4 000 industrielle Arbeitsplätze verlorengegangen. ({8}) Was soll denn diese Art und Weise der Darstellung? Sie muß doch im Deutschen Bundestag den Eindruck erwecken, als bräuchte Berlin unsere Hilfe gar nicht mehr. Sagen wir doch, wie die Probleme wirklich sind! ({9}) Ich bin dagegen, daß wir Berlin in dunklen Farben malen. Berlin ist eine lebenskräftige Stadt, eine dynamische Stadt. In Berlin findet manches früher statt als anderswo. ({10}) Dort lernt man schneller. Wir können in Westdeutschland aus Berlin auch einiges übernehmen. Aber mit Schönfärberei, mit Sommernachtsträumen und Wintermärchen kommen Sie doch über den grauen Alltag nicht hinweg. ({11}) Damit bin ich bei einem zentralen Problem. Herr Kollege Diepgen, peinlich finde ich Ihre Bemerkungen zur Rente. Entschuldigen Sie, aber das ist wirklich etwas, was sich meiner Vorstellungskraft völlig entzieht. Wie ist es denn wirklich gewesen? Alles das, was die Rentner heute belastet - das was Sie zu Recht beklagt haben -, ist hier am 16. Dezember 1983 im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes entschieden worden. ({12}) Anschließend hat es, Herr Kollege Geißler, über den Haushalt 1983, mit dem das übernommen wurde, eine namentliche Abstimmung gegeben. Ich habe mir das Ergebnis dieser namentlichen Abstimmung angeschaut. Jeder CDU-Abgeordnete aus Berlin hat den Kürzungen zu Lasten der Rentner hier zugestimmt. ({13}) Einen Tag später hat der Bundesrat mit der Zustimmung des Berliner Senats all diesen unglaublichen Kürzungen zu Lasten der Berliner Rentnerinnen und Rentner zugestimmt. Und jetzt stellen Sie sich hier hin und tun treuherzig so, als könnte man diese Politik korrigieren. Sie haben diese Politik mitgetragen. Hören Sie doch mit dieser politischen Heuchelei und dieser Doppelbödigkeit auf! Was soll denn das? ({14}) - Nein. ({15}) - Das mache ich genauso, wie Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren. Damit komme ich zu folgender Feststellung; Herr Kollege Geißler, damit Sie genau zuhören können. Was ist denn zu Lasten der Rentner beschlossen worden? Was führt denn dazu, daß die Rentner in diesem Jahr nur 1 % und im nächsten Jahr wieder nur 1 % Rentensteigerung bekommen? Der Grund ist erstens, daß Sie den Krankenversicherungsbeitrag von 1% auf 2 % erhöht haben; ({16}) zweitens, daß Sie die Anpassung um ein halbes Jahr verschoben haben; drittens, daß Sie die Rentenberechnung so aktualisiert haben, daß jetzt unter dem Strich nur 1 % nachbleibt. Bleiben Sie doch endlich bei der Wahrheit, und lenken Sie nicht ab! ({17}) Ich sage Ihnen - wir haben das genau nachgerechnet -: Wenn es bei unseren Gesetzen geblieben wäre, hochverehrte Damen und Herren, hochverehrter Herr Regierender Bürgermeister, hätten die Rentner im Jahre 1984 eine Rentensteigerung von 4,1 % und im nächsten Jahr eine Rentensteigerung von 3,05 % erhalten. Das sind die Unterschiede, Herr Kollege Diepgen. ({18}) Ich bin im übrigen der Meinung, daß Sie zuhören sollten, wenn ich Ihnen die Tatbestände vortrage. ({19})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Einen Moment, Herr Abgeordneter. Ich würde Ihnen gern ein bißchen mehr Ruhe verschaffen. Ich bitte die Kollegen, die jetzt neu dazugekommen sind, weil sie an der Abstimmung teilnehmen wollen, ein bißchen Aufmerksamkeit für den Redner aufzuwenden. Dies ist eine kollegiale Pflicht. Ich wäre dankbar für eine entsprechende Beachtung und die Einnahme der Sitze. Bitte fahren Sie fort, Herr Kollege.

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren von der Union, als Herr Diepgen hier die geringen Rentensteigerungen in Höhe von 1 % im nächsten Jahr beklagt und an Sie appelliert hat, dieses wenigstens teilweise nachzubessern, haben eine ganze Reihe von Ihnen geklatscht. Morgen wird die Nagelprobe sein: Morgen gibt es eine Abstimmung über einen Antrag der SPD-Bundestagsfraktion auf Drucksache 10/2477, in dem wir 2,7 Milliarden DM bereitstellen, auch um eine höhere Rentensteigerung in Berlin und in Westdeutschland möglich zu machen. ({0}) Dann können Sie darüber entscheiden, ob es den Rentnerinnen und Rentnern in Berlin besser gehen soll oder ob sich das Manöver Diepgen heute um 17.15 Uhr morgen als ein billiges Wahlmanöver entlarvt. Das ist in Ihre Hand gegeben. ({1}) Eine Schlußbemerkung. ({2}) Wir werden am Freitag in der dritten Lesung einen Entschließungsantrag einbringen. In diesem Entschließungsantrag werden wir die Bundesregierung auffordern, von den Milliarden direkter Forschungsförderung, die den deutschen Unternehmen zur Entwicklung neuer Produkte zugehen und von denen derzeit nur ein Bruchteil nach Berlin geht, künftig mehr nach Berlin laufen zu lassen. Wir werden dazu auch eine Kurzdebatte führen. ({3}) Hier gibt es für Sie die Chance, unserem Entschließungsantrag beizuspringen, ihm zur Mehrheit zu verhelfen. Dann tun Sie etwas für Berlin. Das erwarten wir von Ihnen. Worte haben wir genug gehört. Schönen Dank. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Es liegt mir erneut eine Wortmeldung des Regierenden Bürgermeisters von Berlin vor. Regierender Bürgermeister Diepgen ({0}): Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich weiß nicht, wie die Atmosphäre, die Arbeitsweise im Deutschen Bundestag im einzelnen ist. In dem Parlament, dem ich angehöre, verbitte ich es mir, von irgend jemandem, von einem Abgeordneten vom Rednerpult aus Heuchler genannt oder mit dem Vorwurf der Doppelbödigkeit belegt zu werden. ({1})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Regierender Bürgermeister, ich möchte Sie unterbrechen. Dies ist Sache des Präsidenten. Der hat sehr genau aufgepaßt. Es gab keinen Grund einzugreifen. ({0}) Regierender Bürgermeister Diepgen ({1}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nur auf folgendes hinweisen, und zwar einfach von der Sache her. ({2}) Ich möchte darauf hinweisen, daß es die Aufgabe eines Regierungschefs eines der Bundesländer ist, im Rahmen der föderalistischen Struktur dafür einzutreten, die Interessen des Bundeslandes im einzelnen zur Geltung zu bringen. Deswegen hat er hier vor dem Deutschen Bundestag ein Rederecht. Dieses habe ich ausgeübt. ({3}) Zweitens. Herr Kollege Apel, wenn es in der Rentenpolitik um Fragen der Glaubwürdigkeit geht, dann möchte ich hier mit aller Deutlichkeit darauf hinweisen: Ich verbitte mir den Vorwurf der Doppelbödigkeit von einem Mitglied einer früheren Bundesregierung, die dafür verantwortlich war, daß 8,4 Milliarden DM der Rentenversicherung entzogen worden sind. ({4}) Dann verbitte ich es mir auch in einer Sachdebatte, in der ich nun wirklich nicht auf irgendwelche spezifischen Wahlpropagandafragen eingegangen bin, daß hier, Herr Kollege Apel, die Debatte von jemandem eröffnet wird, der genau den Einstieg in die Krankenversicherungsbeiträge der Rentner mitbeschlossen hat und genau weiß, daß wir in der Debatte, die über das Rentenanpassungsgesetz bevorsteht, die Diskussion erst im Bundesrat wie im Bundestag zu führen haben. Ich lasse mir nicht nachsagen, in irgendeiner Weise unglaubwürdig, widersprüchlich und dergleichen vorzugehen, jedenfalls nicht mit so billigen Argumenten. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Regierender Bürgermeister, die Geschäftsordnung dieses Hauses besagt, daß, wenn ein Landesminister - genauso wie ein Bundesminister - gesprochen hat, die Möglichkeit zu einer neuen Runde gegeben ist. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Apel. ({0})

Dr. Hans Apel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000043, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Wie Sie schon richtig bemerkt haben, regieren Sie über die Ordnung dieses Hauses. Im übrigen, Herr Kollege Diepgen, wenn ich so höre, was in meiner Abwesenheit - ich bin j a noch nicht Mitglied des Abgeordnetenhauses - über mich so alles in Ihrem Abgeordnetenhaus gesagt wird, dann sind Sie heute sehr gut - sehr gut! - behandelt worden. ({0}) Das ist aber nicht das Problem. Das Problem, über das wir hier noch einmal ganz kurz reden wollen, ist das der Rentensteigerung in diesem und im nächsten Jahr. Herr Kollege Diepgen, ich sage es noch einmal ganz genau, damit Sie es künftig genau wissen. ({1}) Erstens. Die Sozialdemokratie hat in der Tat gesagt: Wir führen einen Krankenversicherungsbeitrag ein, der jeweils jährlich 1 % betragen soll, mit dem Ziel, daß die Renteneinkommen und die Einkommen der Arbeitnehmer ungefähr gleichwertig steigen. ({2}) Daraus haben Sie Herr Diepgen, und haben Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, einen zweiprozentigen Rentnerkrankenversicherungsbeitrag gemacht, was 100 % mehr an Abgaben für die Rentner bedeutet. Zweitens. Sie haben die Berechnungsbasis für die Rentensteigerung so geändert, daß es jetzt immer darauf ankommt, was es im letzten Jahr für Lohnsteigerungen gegeben hat, und damit werden natürlich die besseren Jahre, die vergangenen Jahre, nicht mit einbezogen, und das macht dann für die Rentensteigerungsraten 2 bis 3 % weniger aus. Schließlich - drittens -, lieber Herr Kollege Diepgen, haben Sie im Bundesrat, haben Ihre Kollegen von der CDU aus Berlin, haben die CDU/CSU und die FDP die Anpassung der Renten um ein halbes Jahr verschoben. ({3}) Das Geld haben Sie der Rentenversicherung dann auf andere Weise weggenommen, indem Sie die Überweisung aus der Arbeitslosenversicherung für die Beiträge, die die Arbeitslosen für ihre spätere Rente zu zahlen haben, gekürzt haben. ({4}) Und nun schreien Sie: Haltet den Dieb! Und Sie sind erregt. ({5}) Die Sache ist ganz einfach: Morgen wird hier ein Antrag zur Abstimmung gestellt, und dieser Antrag kann den Rentnerinnen und Rentnern im nächsten Jahr wesentlich bessere Rentensteigerungen geben. Ich weiß, daß Herr Stoltenberg bereits glashart nein gesagt hat. Ich weiß, daß Herr Blüm Sie abgeschmiert hat. Aber noch haben Sie Zeit, Ihre unbändige Kraft zugunsten der Berliner Rentner einzusetzen. Wir werden ja sehen, was dabei herauskommt. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. ({0}) Einen Augenblick, Herr Minister. - Ich wäre dankbar, wenn sich die Geschäftsführer zusammenfinden würden, um eine Vereinbarung zu finden, wie wir zu einem Ende dieser Debatte kommen. Herr Minister, Sie haben das Wort. ({1})

Dr. Norbert Blüm (Minister:in)

Politiker ID: 11000204

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hätte die Regierung der CDU/ CSU und der FDP nicht im Oktober 1982 die Verantwortung übernommen, wäre die Rentenversicherung wenige Monate später zahlungsunfähig gewesen. ({0}) Wer den Dammbruch verursacht hat, der soll sich nicht als Schleusenwärter melden, Herr Apel. ({1}) Die letzte Regierungserklärung von Helmut Schmidt hatte als Erfolgsmeldung - jetzt zitiere ich ihn -: „Der hohe Stand unserer Alterssicherung findet seinen Ausdruck in dem erreichten hohen Rentenniveau: Nach einem vollen Arbeitsleben, nach 45 Versicherungsjahren, liegt die Rente heute bei gut 71% des vergleichbaren Nettoeinkommens der aktiven Kollegen." - Bei gut 71 %! Das war die Erfolgsmeldung Helmut Schmidts. Das Nettorentenniveau beträgt in diesem Jahr 73,3%, ({2}) und auch im nächsten Jahr wird es über 72 % liegen, über dem, was Sie als Höchstleistung ausgegeben haben. ({3}) Sie haben 1980, Herr Apel - Mitglied der Regierung -, die Renten um 4 % erhöht. Im gleichen Jahr stiegen die Preise um 5,4 %. ({4}) Sie haben 1981 die Renten - Herr Apel, Sie waren Regierungsmitglied - um 4 % erhöht. Die Preissteigerung betrug im gleichen Jahr 6,1 %. ({5}) Wir haben in diesem Jahr die Renten nur um 2,9% im Jahresdurchschnitt erhöht, aber die Preissteigerungsrate liegt mit 2,5% darunter. ({6}) Jetzt frage ich Sie, jetzt frage ich die älteren Mitbürger: Wo ist Ihre Rente wertvoller, wo haben Sie mehr? Da brauche ich keine Mengenlehre, da langt das kleine Einmaleins: ({7}) Bei uns ist der reale Wert der Rente höher als in Ihrer inflationären Zeit. ({8}) Meine Damen und Herren, ich wende mich über diesen Saal hinaus an die älteren Mitbürger: Ja, wir leben in Zeiten, in denen das Geld des Staates zweimal herumgedreht wird. 28 Milliarden müssen wir allein an Zinsen für die Erblast, die Sie, meine Damen und Herren, uns hinterlassen haben, bezahlen. ({9}) Was könnte ein Sozialminister machen, wenn er 28 Milliarden nicht für den Abbau Ihrer Schulden verwenden müßte, sondern für Rentenerhöhungen ver7560 Deutscher Bundestag - 10. ahlperiode Bundesminister Dr. Blüm wenden könnte! Herr Apel, er könnte die Renten nicht um 1 % erhöhen, sondern er könnte mit dem Geld die Renten um 20% erhöhen! ({10}) - Meine Damen und Herren, nicht „Helau"! Das hat mit „Helau" nichts zu tun. Es hat etwas mit Rechnen zu tun. Aber Adam Riese war noch nie Mitglied der Sozialdemokratischen Partei; das ist bekannt. ({11}) Wir versprechen nicht mehr, als wir halten können. ({12}) Eine solide Rentenpolitik, die die Renten sicherer macht, ist besser als große und hohe Rentensprünge, die übermorgen in der Sackgasse einer Rentenversicherung landen, die nicht mehr finanzierbar ist. ({13}) Meine Damen und Herren, eine solide Preispolitik, eine solide Politik des Geldwertes ist für Sozialhilfeempfänger, für Familien, für Rentner die beste Sozialpolitik. Deshalb wende ich mich wieder an die Mitbürger: Halten Sie sich nicht an die Worte, halten Sie sich an die Tatsachen! ({14})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Fuchs ({0}). ({1})

Anke Fuchs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000611, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, der Herr Arbeitsminister hat für seinen „Orden wider den tierischen Ernst" geübt. So kam mir das vor. ({0}) Sie, Herr Bundesarbeitsminister, haben eine intakte Rentenversicherung vorgefunden, als Sie die Regierung antraten. ({1}) Erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wird in diesem Monat die Rente auf Pump ausgezahlt. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik! ({2}) - Ja, Herr George, passen Sie doch einmal auf! Ich sage Ihnen jetzt folgendes: ({3}) Worin liegen die Schwierigkeiten der Rentenversicherung? In der hohen Arbeitslosigkeit! Und was hat Herr Blüm gemacht? Er hat die Rentenversicherungsbeiträge der Bundesanstalt für Arbeit an die Rentenversicherung halbiert. ({4}) Dies ist die Ursache für die ganze finanzielle Misere. Sie können es morgen rückgängig machen. ({5}) Außerdem müssen Sie doch insgesamt bedenken, daß die Probleme der sozialen Sicherungssysteme von der Arbeitslosigkeit herrühren, und Sie tun doch nichts für den Abbau der Arbeitslosigkeit! ({6}) Manchmal denke ich, der Herr Arbeitsminister ist in seiner Realitätsblindheit schon fast so weit wie der Bundeskanzler. ({7}) Sieht er nicht die neue Armut, die in diesem Lande entsteht? Sehen Sie, Herr Geißler, als Minister für dieses Ressort eigentlich nicht, wie die Kommunen belastet sind, und zwar deshalb, weil Sie die Arbeitslosen aus der Arbeitslosenversicherung in die Sozialhilfe rutschen lassen? Warum klagen denn die Kommunen über so hohe Sozialhilfeleistungen? Doch deswegen, weil sich Herr Stoltenberg einzig und allein zu Lasten des Sozialversicherungssystems konsolidiert hat. ({8}) Meine Damen und Herren, als wir Ihnen die Regierung übergaben, hatte die Rentenversicherung ein Anlagevermögen von mehr als 21 Milliarden. ({9}) Dies ist um mehr als 9 Milliarden verscherbelt worden; auch deswegen gibt es die Rente auf Pump. ({10}) Schauen Sie sich doch einmal an, was Sie mit den Finanzen gemacht haben! Herr Stoltenberg, Sie haben alle Probleme den sozialen Sicherungssystemen aufgebürdet. Spielen Sie sich nicht auf, als ob Sie irgend' etwas in Ordnung gebracht hätten! Sie haben dafür gesorgt, daß in diesem Land erstmals die Rente auf Pump gezahlt wird. ({11}) Und dann wundere ich mich j a über Ihren ökonomischen Verstand. Sie sind so wahnsinnig stolz auf die niedrige Inflationsrate. Ich finde das auch ganz gut. ({12}) Aber woher kommt sie denn, meine Damen und Herren? Woher kommt sie denn? Sie kommt doch von dem drastischen Sinken der Massenkaufkraft, die Sie verursacht haben. ({13}) Frau Fuchs ({14}) - Ja, das lesen Sie mal nach! Sie sollten das nachlesen, und wir werden Ihnen immer wieder vor Augen führen, daß Sie die Massenkaufkraft drastisch gesenkt haben und sich jetzt wundern, daß Nachfrage im Binnenmarkt fehlt und auch darunter unsere Volkswirtschaft leidet. ({15}) - Ich mache eine Zugabe, keine Sorge. Ich mache gern eine Zugabe. Nun will ich Sie fragen, Herr Blüm: Sind Sie eigentlich noch Vorsitzender der Sozialausschüsse? Ich fand es unerträglich, welche Definition von Leistung Herr Genscher heute wieder von sich gegeben hat. Ich wünschte mir, alle zwei Millionen Arbeitslosen könnten solche Leistungen erbringen, wie Herr Genscher sie von ihnen erwartet. Sie warten auf einen Arbeitsplatz, Herr Bundesaußenminister. ({16}) Jetzt komme ich zum Schluß. Ich hau' auch ab. - Nun regen Sie sich doch nicht immer so auf! Das ist wieder typisch. Sie müßten einmal in die Augen der Männer schauen, wenn ich rede. ({17}) Die Empörung in Ihren kleinbürgerlichen Gesichtern, das müßten Sie mal fotografieren. ({18}) Meine Damen und Herren, Sie haben morgen Gelegenheit, dazu beizutragen, daß diese ungerechte Rentenerhöhung um 1 % zum nächsten Jahr verbessert wird. Wir werden dazu einen Antrag vorlegen. ({19}) - Herr George, ich höre und sehe und merke, daß Herr Diepgen ohne Trost nach Hause geht. Denn alles, was ich jetzt höre, heißt: Auch der Bundesarbeitsminister bleibt bei der geringen Rentenanpassung von 1,07 %. Herr Bürgermeister, Sie haben sich umsonst aufgeregt; die Renten werden nur um 1 % angepaßt. Das ist das Ergebnis Ihrer Intervention. CDU und FDP bleiben mal wieder dickfällig sitzen und werden auch dieses Problem nicht sozial gerecht lösen. ({20})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Verheyen ({0}).

Hans Verheyen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002369, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Bundesminister Blüm, ich finde es mehr als unwürdig, wenn Sie als der für die Renten zuständige Minister hier eine solche Verschleierung der Realität betreiben. ({0}) Tatsache ist doch, daß Sie immer hingegangen sind und gesagt haben, Sie wollten für die Rentner etwas tun. Und Tatsache ist: Seitdem diese Regierung besteht, sinken die realen Renten jedes Jahr aufs neue. ({1}) Tatsache ist auch, Herr Blüm, daß diese Debatte auch in der CDU durchaus läuft. Sie wissen ganz genau, daß z. B. Ihr Generalsekretär Geißler erklärt hat, man müsse zumindest dafür sorgen, daß die Realeinkommen der Rentner in diesem Jahr nicht weiter sinken. ({2}) - Sie streiten es jetzt ab, Herr Geißler. Sie haben schon ganz anderes abgestritten. ({3}) Wenn Sie das mit der Sparpolitik begründen - Herr Stoltenberg, Sie sitzen ja da; Sie sind im wesentlichen für die Sparpolitik zuständig -, dann muß man auch darüber reden, welche Größenordnung diese Ausgabe denn hätte. Wenn Sie die Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge der Rentner um 2 %, die jetzt durchgesetzt werden sollen, unterlassen würden, würde das bedeuten, daß etwa 1,5 Milliarden DM an zusätzlichen Ausgaben auf den Haushalt zukommen würden. ({4}) Wenn Sie auf der anderen Seite für die sogenannte Steuerreform 20 Milliarden DM ausgeben wollen, die Sie sozial sehr ungerecht verteilen, dann sieht man, welche Prioritäten diese Regierung setzt. ({5}) Wir haben in unserem Antrag etwas formuliert, was Ihren Bedenken, Herr Blüm, die Sie im Kabinett offensichtlich geäußert haben, durchaus entgegenkommt. Sie haben gesagt, es sei unsinnig, eine solche Reduzierung der Krankenversicherungsbeiträge vorzunehmen, weil das auch den hohen Renten zugute komme. Wir haben beantragt, daß diese Regelung für alle Renten gelten soll, die unter 950 DM liegen. Wenn Sie Ihre Aussage ernst meinen, Herr Blüm, daß Sie die Renten steigern wollen, dann wäre es nur selbstverständlich, unserem Antrag zuzustimmen. ({6})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe den Änderungsantrag des Abgeordneten Verheyen ({0}) und der Fraktion der GRÜNEN auf Drucksache 10/2467 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 04 ab. Meine Damen und Herren, die Fraktion der SPD verlangt gemäß § 52 unserer Geschäftsordnung na7562 Vizepräsident Westphal mentliche Abstimmung. Wer dem Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes, zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, bitte ich, die entsprechende Abstimmungskarte in die hier vorne aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied im Hause anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Ich stelle fest, es ist niemand mehr im Saal, der seine Stimme abgeben möchte. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, wir fahren in der durch Abstimmung unterbrochenen Sitzung fort. Ich kann Ihnen das von den Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Einzelplan 04, Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundeskanzleramtes - Drucksachen 10/2304 und 10/2330 -, bekanntgeben. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 455 ihre Stimme abgegeben. Davon keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 256, mit Nein haben gestimmt 199; es gab keine Enthaltungen. 21 Berliner Abgeordnete haben ihre Stimme abgegeben. Davon keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 11, mit Nein haben gestimmt 10; es hat keine Enthaltung gegeben. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 455 und 21 Berliner Abgeordnete; davon ja: 256 und 11 Berliner Abgeordnete nein: 199 und 10 Berliner Abgeordnete Ja CDU/CSU Dr. Abelein Dr. Althammer Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker ({1}) Berger Dr. Blank Dr. Blens Böhm ({2}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({3}) Dr. Bugl Carstens ({4}) Carstensen ({5}) Conrad ({6}) Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dr. Dollinger Doss Dr. Dregger Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Eylmann Dr. Faltlhauser Fellner Frau Fischer Fischer ({7}) Francke ({8}) Dr. Friedmann Ganz ({9}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({10}) Gerstein Gerster ({11}) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther von Hammerstein Hanz ({12}) Haungs Hauser ({13}) Hedrich Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({14}) Jagoda Dr. Jahn ({15}) Dr. Jobst Jung ({16}) Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Kiechle Klein ({17}) Dr. Köhler ({18}) Dr. Köhler ({19}) Dr. Kohl Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({20}) Lamers Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({21}) Link ({22}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann ({23}) Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Marx Dr. Mertes ({24}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({25}) Müller ({26}) Müller ({27}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr. Olderog Pesch Petersen Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Pohlmann Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riedl ({28}) Dr. Riesenhuber Rode ({29}) Frau Rönsch Frau Roitzsch ({30}) Rossmanith Roth ({31}) Rühe Ruf Sauer ({32}) Sauer ({33}) Saurin Sauter ({34}) Sauter ({35}) Dr. Schäuble Schartz ({36}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({37}) von Schmude Schneider ({38}) Dr. Schneider ({39}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({40}) Schulhoff Dr. Schulte ({41}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Spranger Dr. Stavenhagen Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({42}) Vogt ({43}) Dr. Voigt ({44}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({45}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Wittmann ({46}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Dr. Zimmermann Zink Vizepräsident Westphal Berliner Abgeordnete Frau Berger ({47}) Boroffka Buschbom Dolata Dr. Hackel Kalisch Kittelmann Dr. h. c. Lorenz Schulze ({48}) Straßmeir FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({49}) Eimer ({50}) Engelhard Dr. Feldmann Gallus Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Haussmann Dr. Hirsch Hoffie Kleinert ({51}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Ronneburger Dr. Rumpf Schäfer ({52}) Dr. Weng Wolfgramm ({53}) Wurbs Berliner Abgeordneter Hoppe Nein SPD Antretter Dr. Apel Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({54}) Bernrath Berschkeit Bindig Brandt Brück Buckpesch Büchler ({55}) Büchner ({56}) Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Dr. Corterier Curdt Frau Dr. Däubler-Gmelin Daubertshäuser Delorme Dreßler Duve Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Dr. Enders Esters Ewen Fiebig Fischer ({57}) Fischer ({58}) Franke ({59}) Frau Fuchs ({60}) Frau Fuchs ({61}) Gansel Gerstl ({62}) Gilges Glombig Dr. Glotz Dr. Haack Haar Haehser Hansen ({63}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Hauck Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller ({64}) Hoffmann ({65}) Dr. Holtz Frau Huber Huonker Ibrügger Immer ({66}) Jahn ({67}) Jansen Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({68}) Klose Kolbow Kretkowski Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Lohmann ({69}) Lutz Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer Meininghaus Menzel Dr. Mertens ({70}) Müller ({71}) Müller ({72}) Müntefering Nagel Nehm Neumann ({73}) Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({74}) Pfuhl Porzner Poß Purps Rapp ({75}) Rappe ({76}) Reimann Reschke Reuschenbach Reuter Rohde ({77}) Roth Sander Schäfer ({78}) Schanz Dr. Scheer Schlaga Schlatter Schluckebier Frau Schmedt ({79}) Dr. Schmidt ({80}) Schmidt ({81}) Schmidt ({82}) Schmitt ({83}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schröder ({84}) Schulte ({85}) Sielaff Sieler Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Dr. Soell Dr. Sperling Stahl ({86}) Steiner Frau Steinhauer Stiegler Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Urbaniak Vahlberg Verheugen Vogelsang Voigt ({87}) Waltemathe Walther Weinhofer Weisskirchen ({88}) Dr. Wernitz Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({89}) Wiefel von der Wiesche Wimmer ({90}) Wischnewski Witek Dr. de With Wolfram ({91}) Würtz Zander Zeitler Frau Zutt Berliner Abgeordnete Dr. Diederich ({92}) Egert Heimann Löffler Frau Luuk Dr. Mitzscherling Stobbe Dr. Vogel Wartenberg ({93}) DIE GRÜNEN Frau Beck-Oberdorf Burgmann Dr. Ehmke ({94}) Fischer ({95}) Frau Gottwald Frau Dr. Hickel Horacek Hoss Dr. Jannsen Frau Kelly Kleinert ({96}) Krizsan Frau Nickels Frau Potthast Reents Frau Reetz Schily Frau Schoppe Schwenninger Verheyen ({97}) Vogt ({98}) Frau Dr. Vollmer Berliner Abgeordneter Schneider ({99}) fraktionslos Bastian Voigt ({100}) Damit stelle ich fest, daß der Einzelplan 04 angenommen worden ist. Ich bitte Sie, Ihre Plätze wieder einzunehmen. Ich rufe auf: Einzelplan 05 Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts - Drucksachen 10/2305, 10/2330 - Berichterstatter: Abgeordnete Dr. Rose Würtz Hierzu liegen Ihnen sieben Änderungsanträge des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2463, 10/2464, 10/2465, 10/2466, 10/2469, 10/2470 und 10/2471 vor. Vizepräsident Westphal Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. - Ich sehe, daß Sie damit einverstanden sind. Wünscht einer der Berichterstatter das Wort? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Ehmke ({101}).

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zwei Jahre nach der RechtsWende in Bonn werden die Bürger in unserem Lande mit Entwicklungen konfrontiert, die nun auch im Bereich der Außenpolitik das wahre Gesicht der Rechts-Koalition zeigen. Die Rede des Herrn Bundeskanzlers hat heute nichts von dieser Wirklichkeit widergespiegelt. Sie hat sich im wesentlichen dadurch ausgezeichnet, daß das Selbstlob in ihr die Heuchelei noch übertroffen hat. ({0}) Diese Art von Bramarbasieren, Herr Bundeskanzler, hat der Regierungsmannschaft Kohl im Ausland den Spottnamen „Kegelklub Germania" eingetragen; Details will ich Ihnen lieber ersparen. Der umtriebige Bundesaußenminister hat lange versucht, den Anschein aufrechtzuerhalten, als werde die bewährte Außenpolitik der sozialliberalen Koalition fortgesetzt und als sei er der Garant für diese Kontinuität. Heute können und müssen selbst Außenstehende erkennen, daß Hinterbänkler und Ewiggestrige mehr und mehr Einfluß auf unsere Außenpolitik gewinnen. ({1}) Ob in der Europapolitik, Herr Stercken, in der Bündnispolitik, der Entspannungspolitik, im Bereich von Abrüstung und Rüstungskontrolle oder in unserem Verhältnis zur Dritten Welt - überall häufen sich Pannen, Mißverständnisse, Rückschläge. Im besten Fall gibt es Stagnation, im schlimmsten Fall Kehrtwendung zu politischen Rezepten, deren Unfruchtbarkeit sich schon in den 50er Jahren erwiesen hat. Der Herr Bundeskanzler nutzt bekanntlich seine Richtlinienkompetenz dahin gehend, alle Probleme auf die lange Bank zu schieben. ({2}) Er ist entweder nicht bereit oder nicht in der Lage, sich in komplexe Sachverhalte der zwischenstaatlichen Politik einzuarbeiten. Sein außenpolitisches Niveau hat er heute mit seiner Rede noch einmal unter Beweis gestellt. ({3}) Als Folge dieser Kanzlerschwäche versucht inzwischen so ziemlich jeder in der Koalition, sich außenpolitisch zu profilieren. Der Herr Bundesaußenminister eilt indessen von Konferenz zu Konferenz und ist um eine Stellungnahme nie verlegen, gut genug für eine Meldung in der „Tagesschau", aber ohne bleibende außenpolitische Wirkung. Der Stellenwert des „Genscherismus", also einer Außenpolitik, in der die Ergebnisse in umgekehrt proportionalem Verhältnis zur Betriebsamkeit stehen, ({4}) läßt sich leider, Herr Bundesaußenminister, an zahlreichen Beispielen zeigen. Die Genscher-Colombo-Initiative zur Entwicklung einer Europäischen Union wurde in Stuttgart mit einem nichtssagenden Dokument beerdigt. ({5}) Neue Initiativen, diesmal in Zusammenarbeit mit Frankreich, sind angekündigt, aber offensichtlich ebensowenig abgesichert wie die vorherigen. ({6}) Die Belebung der WEU hat zu einer gekonnten Show in Rom geführt. Der Katzenjammer wegen mangelnder Bereitschaft zur Umsetzung des in Rom Angekündigten ist jedoch schon vorprogrammiert. In der Abrüstungs- und Rüstungskontrollpolitik begnügt sich diese Bundesregierung damit, gebannt auf die Großmächte zu starren, statt selbst aktive Beiträge zu liefern. Bei dem weitschweifigen Gerede des Herrn Bundeskanzlers über das, was jetzt passiert, Herr Bundesaußenminister, ist vergessen worden, daß wir immer gesagt haben: Man wird zum Verhandlungstisch zurückkehren müssen, denn die Alternative dazu ist das Schießen. Nur, wahr ist auch, Herr Bundesaußenminister, daß der schöne Spruch des Bundeskanzlers „Frieden schaffen mit immer weniger Waffen" von dieser Regierung in das Gegenteil verkehrt worden ist. Wir haben seit Beginn Ihrer Regierungszeit immer mehr Waffen - auf beiden Seiten - und damit weniger und nicht mehr Sicherheit. ({7}) Da die Verhandlungen zwischen Amerika und der Sowjetunion noch gar nicht angefangen haben - man fängt Gespräche an; ob die zu Verhandlungen führen, werden wir sehen; ob die zu Ergebnissen führen, werden wir sehen; vielleicht geht es hier ja so wie bei den Genfer Verhandlungen, die in Washington gescheitert sind -, würde ich den Mund hier nicht so voll nehmen. Im Bereich der KSZE und der KVAE hat man in Madrid, Herr Außenminister - wir haben das ausdrücklich anerkannt -, einen Schritt vorwärts gemacht, aber seitdem stagniert das Ganze. Statt die Verhandlungen in Stockholm politisch zu führen, erschöpfen sich die Aktivitäten in bürokratischem Gerangel und in der Präsentation unausgewogener Verhandlungsvorschläge. In Sachen Waffenexport, Herr Genscher, haben Sie zwar noch keine Schwenkung vorgenommen, aber die Regierung kümmert sich um Ihre Meinung nicht. Anderenfalls wäre das, was der Bundeskanzler im Nahen Osten unterschrieben hat, nicht möglich gewesen. Dr. Ehmke ({8}) Von der Namibia-Initiative des Herrn Bundesaußenministers redet heute niemand mehr; ein Erfolg rückt in immer weitere Ferne. Die von Herrn Genscher groß angekündigte Nahost-Initiative der Gemeinschaft hat bei den Beteiligten keinerlei Begeisterung geweckt. Der euroarabische Dialog reflektiert ein Europa der Worte. Die Europäische Gemeinschaft ist heillos zerstritten und entscheidungsunfähig, woran diese Bundesregierung ein gerütteltes Maß Mitverantwortung trägt. Die ehemals respektierte Dritte-Welt-Politik der Bundesrepublik wird durch einen Entwicklungsminister mit ideologischer Schlagseite konterkariert. ({9}) Die Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu den osteuropäischen Nachbarn sind nicht erst seit Absage der Polenreise auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Begleitumstände dieser Absage sind ein Schulbeispiel dafür, in welche Richtung sich die Außenpolitik der Wenderegierung bewegt. Allein die Tatsache, daß diese Reise erst jetzt durchgeführt werden sollte, ist schlimm genug. Ein Land wie die Bundesrepublik kann es sich auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der Lage in Europa nicht leisten, seine Beziehungen zu Polen und zum polnischen Volk in derart dilatorischer Weise zu handhaben, wie das die Bundesregierung in den letzten zwei Jahren getan hat. ({10}) Die schließlich geplante Reise von Herrn Genscher wurde als ein großes, ja geradezu ein historisches außenpolitisches Unternehmen angekündigt. ({11}) um schließlich in letzter Minute mehr aus innenals aus außenpolitischen Gründen abgesagt zu werden. ({12}) Der Bundesaußenminister ist dafür von Herrn Strauß zu Recht mit Kritik, von Herrn Czaja aber mit ausgesprochenem Hohn bedacht worden. Nun kann man sicher, verehrte Kolleginnen und Kollegen, auch der polnischen Regierung in diesem Zusammenhang Vorwürfe nicht ersparen, welche Version der Vorgänge man auch immer zugrundelegt. Aber das Klima, Herr Außenminister, in dem die Absage erfolgte, beschreibt einen Krankheitszustand unserer Außenpolitik, für den die Rechtskoalition die Verantwortung trägt. ({13}) Die Kollegen Czaja, Hupka und Sauer haben z. B. im Vorlauf dieser Reise einen Katalog von Forderungen aufgestellt, an die sich der Herr Bundesminister gefälligst zu halten habe. Dieser Katalog liest sich wie eine Fibel des kalten Krieges. Herr Kollege Czaja beschwor in Michael-Kohlhaas-Manier das deutsche „Eigentumsrecht" an den Gebieten jenseits der Oder/Neiße. Wie vorher schon der Kollege Sauer bestritt er die territoriale Souveränität des heutigen Polen. Das steht nicht nur im Widerspruch zu den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik aus dem Warschauer Vertrag, es ist auch ein Schlag in das Gesicht des Bundespräsidenten, der anläßlich des Ceausescu-Besuchs die völkerrechtliche Verpflichtung der Bundesrepublik im Hinblick auf die Westgrenze Polens und auf Polens territoriale Integrität gerade erst noch einmal nachdrücklich unterstrichen hatte. ({14}) Der Herr Kollege Hupka hat versucht, diese Verpflichtung abzuwerten, ({15}) und Herrn Genscher öffentlich geraten, das Grab des ermordeten polnischen Priesters zu besuchen - so als ob sich ein Bundesaußenminister in die Gefahr begeben dürfte, in die innenpolitischen Auseinandersetzungen eines anderen Staates hineingezogen zu werden. ({16}) Diesem Rückfall in die 50er Jahre liegen zwei grundlegende Irrtümer zugrunde. ({17}) Der eine, Herr Czaja, besteht in der Annahme, daß Regierung und Parlament in Bonn nicht nur die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch das nur noch juristisch existierende Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 verträten. Das ist ein fataler juristischer und politischer Irrtum. ({18}) Regierung und Parlament in Bonn haben, wie es auch im Grundgesetz zum Ausdruck kommt, Verpflichtungen gegenüber dem ganzen deutschen Volk, sie vertreten aber ausschließlich die Bundesrepublik.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Czaja?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Nein.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Gilt das generell, Herr Abgeordneter?

Dr. Horst Ehmke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000440, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ja. Daß wir nicht die DDR vertreten, Herr Kollege Czaja, haben wir im Grundlagenvertrag feierlich unterschrieben; ({0}) und daß wir nicht das juristische Reich von 1937 vertreten, ergibt sich aus den Vorbehaltsrechten Dr. Ehmke ({1}) der vier Siegermächte für „Deutschland als Ganzes". Wir sprechen nur für die Bundesrepublik ({2}) und können daher - das ist die Kehrseite der Medaille ({3}) auch nur diese völkerrechtlich binden. ({4}) Diese völkerrechtliche Bindung gilt dann aber für Gegenwart und Zukunft, so wie das auch der Herr Bundespräsident noch einmal unterstrichen hat. Der zweite Irrtum ist der, Herr Hupka: Sie mögen noch so starke Sympathien für die polnische „Solidarität" haben - wer hat sie trotz aller außenpolitischen Sorgen nicht? -, Sie dürfen nur nicht annehmen, in der Grenzfrage seien die Solidarnosc, die polnische Kirche und die polnische Regierung unterschiedlicher Meinung. ({5}) Die Regierung in Warschau vertritt in der Grenzfrage nicht lediglich die Meinung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, sondern die Überzeugung des ganzen polnischen Volkes, die übrigens von vielen anderen Völkern in der Welt geteilt wird. ({6}) Da war Ihr Kollege Sauer schon folgerichtiger, der - Staatsmann, wie er ist - nicht nur die katholische Kirche, sondern gleich auch den Papst zur Ordnung gerufen hat, weil sie die deutschen Interessen nicht ausreichend berücksichtigten. Nun redet der Herr Bundeskanzler gerne von der Versöhnung mit Polen. Aber er läßt einen solchen Mann wie Herrn Sauer einfach gewähren. ({7}) Und nicht nur das; durch seine Politik der Wiederbelebung und der Unterstützung der Vertriebenenverbände trotz dieser unglaublichen Töne trägt der Bundeskanzler persönliche Verantwortung für die Vergiftung des Klimas zwischen Deutschland und Polen und erweckt den Eindruck der Doppelzüngigkeit. ({8}) In dieses Bild paßt es, daß das unter der direkten politischen Verantwortung des Bundeskanzlers stehende Bundespresseamt jetzt in einem Tischkalender mit dem Titel „Bundesrepublik 1985" eine Karte abdruckt, die die Gebiete östlich von Oder und Neiße als „unter polnischer Verwaltung stehend" bezeichnet. ({9}) Die Ausrede, es handele sich um eine „historische Karte", die schon unter früheren Regierungen abgedruckt worden sei, ist fadenscheinig; denn der frühere Abdruck erfolgte in einer Serie historischer Karten und nicht in einem aktuellen Kalender, der Territorium und Bevölkerung der Bundesrepublik beschreibt. ({10}) Das Bild wird durch den Beschluß der Jungen Union abgerundet, die die im Warschauer Vertrag von 1970 für die Bundesrepublik völkerrechtlich ausgesprochene Anerkennung der polnischen Westgrenze nachträglich ablehnt, den Polen dafür aber - großzügig, wie die Junge Union ist - ein Heimatrecht zugesteht, offenbar nach Rückkehr dieser Gebiete „heim ins Reich". ({11}) Der Herr Bundeskanzler nimmt gegen alles dieses nicht Stellung und wundert sich dann, wenn dem von außen mit Revanchismus- und Revisionismusvorwürfen begegnet wird. ({12}) Ich sage Ihnen, Herr Bundeskanzler, und ich sage Ihnen, Herr Bundesaußenminister, noch einmal: Nichts kann deutsche Außenpolitik in ihrer Glaubwürdigkeit und Operationsfähigkeit ({13}) zentraler treffen und lahmlegen als der Eindruck, wir wollten den Streit um die Grenzen in Europa neu beginnen. ({14}) Ich frage mich: Wann werden auch die Ewiggestrigen begreifen, daß man die aus dem Hitler-Krieg entstandenen staatlichen Grenzen anerkennen muß, wenn man die politische Lage in Europa ändern will? ({15}) Im Auswärtigen Ausschuß habe ich - Herr Czaja, ich komme zu Ihnen - bereits zur Sprache gebracht, daß die Vertriebenenverbände im kommenden Mai des 40. Jahrestages des Kriegsendes und des Endes des Naziregimes - ebenfalls mit Unterstützung der Bundesregierung - unter dem Motto „40 Jahre Vertreibung" gedenken wollen. Auch die Herausgabe einer Briefmarke mit diesem Motto ist geplant. ({16}) Nun gehört sicher auch die Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten Dr. Ehmke ({17}) - Herr Kollege Czaja, darin sind wir uns sogar einig -, ({18}) zu der Geschichte des Hitlerregimes und zu dessen schmählichem und bitterem Ende. Aber ich frage mich, Herr Bundesaußenminister: Welcher Eindruck wird wohl in der ganzen Welt entstehen - im Osten wie im Westen -, wenn wir dieses so einschneidenden Ereignisses in der deutschen Geschichte vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der Vertreibung gedenken, während die Alliierten - im Zeichen einer neuen amerikanisch-sowjetischen Annäherung - den 40. Jahrestag ihres Sieges über Nazi-Deutschland feiern werden. ({19}) Die Planungen dazu sind Ihnen ja bekannt, nehme ich an. Sonst lassen Sie sich bitte unterrichten. Daß der Bundeskanzler dies alles laufen läßt und zum Schaden der Bundesrepublik auch noch unterstützt, halte ich für eine politische Katastrophe, was sich aber auch dahin formulieren läßt, daß ich diesen Bundeskanzler für eine politische Katastrophe halte. ({20}) Sie, Herr Außenminister, sollten, nachdem Sie offensichtlich in unserer Außenpolitik nicht mehr viel zu sagen haben, meines Erachtens schon aus Selbstachtung nicht nur vom Vorsitz der FDP, sondern auch vom Amt des Außenministers zurücktreten. Ich werde darin bestätigt, wenn ich mir ansehe, wie das Kabinett Sie heute in einer wesentlichen Frage der internationalen Politik, bei der Seerechtskonvention, heruntergebügelt hat. Die „Süddeutsche Zeitung" hat zu dem Thema Seerechtskonvention vor kurzem unter der Überschrift „Opfer des Taktierens" die Lage treffend beschrieben. Seit Jahren ist bekannt, daß die Zeichnungsfrist am 9. Dezember abläuft. Nichts ist geschehen. Der Herr Bundesaußenminister ist zwar - das sei dankend anerkannt - mit Unterstützung der SPD-Fraktion und sogar eines Teiles seiner eigenen Fraktion mannhaft für die im deutschen und europäischen Interesse liegende Unterzeichnung der Seerechtskonvention eingetreten, zumal nur sie die Möglichkeit einer Besserung der als unbefriedigend empfundenen Teile der Konvention eröffnet. Herr Genscher war aber auch insofern erfolglos. ({21}) - Wenn Sie im Auswärtigen Ausschuß erst die Beratung verhindern und mich jetzt bitten, das zu erklären, dann kann ich mit Fritz Reuter nur sagen: „Ich habe ja sehr viel Gefühl, doch was zuviel ist, ist zuviel." Machen Sie also demnächst eine anständige Beratung im Auswärtigen Ausschuß. ({22}) Der CDU-Fraktionsvorstand hat gleich einstimmig befunden, daß eine Unterzeichnung gegen deutsche Interessen verstoßen würde, wobei zum rechten Verständnis der deutschen Interessen offenbar einige Briefe beigetragen haben, die der US-Präsident Reagan in dieser Sache an Herrn Kohl geschrieben hat. ({23}) Bei den Freien Demokraten wurde wieder einmal Liberalität mit Wankelmut verwechselt. Herr Bundeswirtschaftsminister Bangemann, der jetzt fehlt, hat vor knapp zwei Jahren als FDP-Abgeordneter und Vorsitzender der liberalen Fraktion im Europäischen Parlament für den Beitritt der EG-Mitgliedstaaten zum Seerechtsabkommen gestimmt. ({24}) Jetzt nimmt er unter dem Druck von Herrn Lambsdorff - Kehrtwendung um 180 Grad; darin ist die FDP ja geübt - gegen unsere Unterschrift Stellung. Der Herr Bundeskanzler aber hat versucht - übrigens unter Ausschaltung des Parlaments, wozu leider auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses beigetragen hat -, ({25}) auch diese Frage bis zum letzten auszusitzen. Das Ergebnis dieser Gesäßpolitik wird uns in der Welt erneut zum Gespött machen, wie immer man zur Seerechtskonvention in der Sache steht. ({26}) Die Unterzeichnung durch die EG zu dulden, die eigene Unterschrift aber zu verweigern, kann nur schlicht als außenpolitische Schizophrenie bezeichnet werden. ({27}) Zugleich handelt es sich hier um eine Irreführung der Öffentlichkeit. Dieser wird nämlich verschwiegen, daß die EG nur für den Teilbereich der Seerechtskonvention zeichnet, für den sie sachlich zuständig ist, also nur für Fischerei und Küstenumweltschutz. ({28}) Den Konflikt mit unseren EG-Partnern - mit Ausnahme von Mrs. Thatcher - und den Konflikt mit der Dritten Welt nimmt man sehenden Auges in Kauf. Wünsche des amerikanischen Präsidenten sind für die Rechtskoalition halt immer noch Befehl, was immer Sie auch in Sonntagsreden über die Selbstbehauptung Europas sagen mögen. Herr Bundesaußenminister, die Außenpolitik der Bundesrepublik unter der Rechtskoalition ist - diese zwei Beispiele sind nur zwei Belegstellen dafür - auf einem Tiefpunkt angelangt. Er wird aber noch nicht das Ende der Talfahrt sein. Die nächste Fehlleistung ist schon in Vorbereitung: ein Nuklearvorbehalt der Bundesregierung bei Zeichnung der Zusatzprotokolle zu dem Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte. Hier tickt, wie der aus Ihren Reihen stammende Präsident des Dr. Ehmke ({29}) Deutschen Roten Kreuzes immer wieder zu Recht betont, für die Bundesrepublik, für ihre Außen-, ihre Sicherheits- und ihre Völkerrechtspolitik eine Zeitbombe. Die Vorstellung, daß der Bundeskanzler versuchen wird, auch diese Zeitbombe auszusitzen, mag die Phantasie der Karikaturisten beflügeln; der Bundesrepublik droht neuer Schaden. Herr Bundesaußenminister, verstrickt in Revanchismusauseinandersetzungen mit den östlichen Nachbarn, an denen diese Bundesregierung selber leider nicht unschuldig ist, ohne eigene Perspektive in Sachen Rüstungskontroll- und Abrüstungspolitik, tief zerstritten in ihrer Dritte-Welt-Politik, in einer europapolitischen Sackgasse müssen sich die Bundesregierung und der Bundesaußenminister inzwischen sogar von westlichen Verbündeten, von christdemokratischen Parteifreunden und von höchsten Vertretern der Kirche kritische Worte zu ihrer Außenpolitik anhören. Auch in den internationalen Organisationen und Gremien sinken Einfluß und Ansehen der Bundesrepublik rapide. Das läßt sich selbst mit Ihrer Betriebsamkeit, Herr Bundesaußenminister, nicht mehr verdecken und schon gar nicht ändern. Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, reden zur Entschuldigung Ihres Versagens immer gerne von „Erblast". Die Wahrheit ist, daß Sie in nur zwei Jahren ein großes außenpolitisches Erbe schmählich vertan haben. ({30})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Rose.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! SPD-Abgeordnete haben sich heute darin gefallen, auch an der Außenpolitik der Bundesregierung herumzumäkeln oder - wie wir es gerade gehört haben - ausfällig zu werden, wie es der Herr Professor getan hat, ({0}) so etwa nach dem Motto: Je später die Stund', desto böser der Mund. ({1}) Meine Damen, meine Herren, eine Replik auf den Herrn Professor lohnt sich nicht; denn er sollte eigentlich das Grundgesetz besser kennen. Aber das scheint er wohl nie gelernt zu haben. Wenn allerdings einem Herrn Vogel nicht mehr einfällt, als den „Provinzialismus" zu beklagen, der angeblich überall eingekehrt ist, fehlt der Opposition offensichtlich die Substanz zu einer sachlich-kontroversen Diskussion. ({2}) Nur von billigen Behauptungen zu leben müßte einem Führer der Opposition doch wirklich zu primitiv sein. Außerdem müßte er sich erinnern, daß z. B. die schon etwas länger zurückliegende Chinareise gerade von diesem Herrn Professor Ehmke als durchaus erfolgreich bezeichnet wurde. ({3}) Jedenfalls scheint es so zu sein, daß China ein bißchen zu weit entfernt von der Reichweite des Herrn Vogel ist und daß er deshalb meinte, mit seinen Aussagen zu den gegenwärtigen Problemen mit Polen mehr Futterkörner für seine Regierungskritik gefunden zu haben. Meine Damen und Herren, ich möchte hier im Rahmen dieser Debatte über den Einzelplan 05 auch deutlich machen, daß wir an der Bereitschaft zur Aussöhnung mit dem polnischen Volk genauso festhalten, wie es die Sozialdemokraten für sich in Anspruch nehmen. Deshalb unterstützen wir z. B. das neue kirchliche Hilfsprogramm zur Verbesserung der privaten Landwirtschaft und des Handwerks in Polen. Es ist in den Haushalt 1985 neu eingestellt worden. Es soll so wie. früher andere Aktionen, u. a. die Polen-Paketaktion, zeigen, daß wir für die Bevölkerung der Volksrepublik Polen alles tun möchten, um dort zu helfen. ({4}) Meine Damen und Herren, es muß auch gesagt werden, daß Gedanken und Stimmungen einer Volksseele oft ganz verschieden von öffentlich geäußerten Erklärungen sind. Nach seinem eigenen Polen-Auftritt sollte deshalb Herr Vogel lieber zurückhaltender sein. ({5}) Mit seinem Verzicht auf den Kurzbesuch am Grab des Priester-Märtyrers hat er das polnische Volk im Stich gelassen. ({6}) Meine Damen und Herren, es wird ihm - das wird er wahrscheinlich schon selber gemerkt haben - auch von nicht wenigen Sozialdemokraten verübelt. ({7}) - Herr Kollege Lambinus, für den Quatsch werde ich Ihnen noch einen Beweis geben. Meine Damen und Herren, unsere realistische Politik des Dialogs mit den Völkern und den Staaten des Ostens wird fortgesetzt. Ich sage das auch, weil ich gerade so die Kollegen der GRÜNEN sehe: Wir machen diese Dialogspolitik nicht bloß mit dem Osten, sondern auch im Zusammenhang mit der gesamten Abrüstungspolitik zwischen West und Ost. Sie hatten j a im vorigen Jahr bei der Abstimmung über den NATO-Doppelbeschluß große Fahrkarten verteilt und erzählt: „Kauft euch eine Fahrkarte nach Europa, solange es nicht zu spät ist." ({8}) Inzwischen sind die Abrüstungsgespräche wieder in Gang gekommen, und die Fahrkarten können wieder eingestampft werden, und zwar ungelocht. ({9}) Meine Damen und Herren, wir sollten die heutige Gelegenheit der Haushaltsdebatte natürlich nützen, nicht nur über allgemeine außenpolitische Themen, sondern auch über die Instrumente der Außenpolitik zu sprechen, über die Transmissionsriemen, wenn Sie so wollen, d. h. über die Menschen, die die internationalen Beziehungen pflegen. Außenpolitik wird zwar für viele Bürger nur sichtbar bei der Reisediplomatie, bei den zahllosen internationalen Konferenzen oder im Ost-West-Rüstungs- und Abrüstungskampf. Doch - und das soll wieder einmal gesagt werden - nicht die Vereinten Nationen allein repräsentieren unsere deutsche Außenpolitik, auch wenn gerade unser Außenminister das NATO-und UNO-Klavier seit vielen Jahren beherrscht. Unsere Außenpolitik wird vielmehr von zahllosen Diplomaten gemacht, auch von Künstlern, von Sportlern, auch von Lehrern. So soll diese Haushaltsrede ihren Mittelpunkt in den vielen unsichtbaren Rädern des außenpolitischen Fortbewegens finden. Unterstützt fühle ich mich durch unseren Fraktionsvorsitzenden Alfred Dregger, der unlängst wieder zu mehr stiller diplomatischer Arbeit und zu weniger Reisen aufgefordert hat. Meine Damen und Herren, deshalb lassen Sie mich einige wenige Sätze zum diplomatischen Dienst sagen. Der diplomatische Dienst der Bundesrepublik Deutschland leistet zweifelsohne in den rund 200 Missionen in etwa 130 Ländern, d. h. in den Botschaften, in den Generalkonsulaten und den Konsulaten, aber auch in den Ständigen Vertretungen bei verschiedenen Organisationen seinen aufopferungsvollen Beitrag zur Präsentation und Repräsentation der Deutschen in der Welt. ({10}) Nach manchen Angriffen, nach manch harter Kritik, die in Einzelfällen durchaus berechtigt war, muß dem auswärtigen Dienst auch wieder einmal Dank und Lob ausgesprochen werden, was ich hiermit tun möchte. ({11}) Vor allem aber auch das neue Bewußtsein des Dienstes, sich nicht mehr zu schade zu sein für die Anknüpfung besonderer wirtschaftlicher Kontakte im Interesse unserer Arbeitsplätze, verdient unsere Anerkennung. Der Diplomat mit dem Cocktailglas in der Hand mag sein Geld durchaus wert sein. Doch erwartet man heute mehr von ihm. So haben viele Kollegen von uns in den vergangenen zwei Jahren die Entwicklung des Dienstes kritisch verfolgt, und ich höre inzwischen viel Anerkennung. ({12}) Die Struktur des auswärtigen Dienstes ist in vollem Umfang im Wandel begriffen. In der Ausbildungsstätte auf dem Venusberg tauchen neben den Juristen und Völkerrechtlern auch andere Berufssparten auf, darunter nicht wenige Wirtschaftler. Ich meine, man sollte auch laut sagen: Das ist gut so. ({13}) Umgekehrt müssen wir uns aber, wenn wir schon von den Vorzügen des Dienstes und vielleicht sogar von einem neuen Bild des diplomatischen Dienstes sprechen, auch der zunehmenden Schwierigkeiten dieses Dienstes bewußt werden, die sich durch die Verteuerung, durch die Kriminalität in vielen Großstädten und durch verstärkte Streßsituationen ergeben, und wir sollten deshalb auch die Diskussion fortsetzen, die soeben begonnen hat, nämlich bei der Personalstruktur, bei der Auslandsbesoldung oder beim Kaufkraftausgleich zu besseren Ergebnissen zu kommen. Sowohl der Auswärtige Ausschuß als auch der Haushaltsausschuß haben in ihren Debatten diesem Bereich ihre Aufmerksamkeit gewidmet und vor allen Dingen festgestellt, daß wir für den einfachen und mittleren Dienst mehr tun müssen, weil es einfach nicht angeht, daß z. B. ein Kraftfahrer am Dienstort Washington resigniert aufgeben muß, weil ihm das Einkommen nicht einmal für eine Person, geschweige denn für eine ganze Familie gereicht hat. ({14}) Wir sollten von hier aus die Bundesregierung ermuntern, entstandene Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Ich darf gerade vom Haushaltsausschuß her sagen, daß wir dafür auch grünes Licht geben und daß es gut wäre, wenn das ganze Parlament sich anschließt. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, auch ein anderes Thema, das vor wenigen Tagen, aber vor allen Dingen das ganze Jahr 1984 Schlagzeilen gemacht hat und noch machen wird, soll hier nicht unter den Teppich gekehrt werden. Das ist das Thema der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur, das Thema UNESCO. ({16}) Eines steht fest: Nach den Vereinigten Staaten hat auch Großbritannien mit seiner Austrittsankündigung ein Zeichen des Sturms gesetzt. Nun hört man natürlich überall gleich, daß auf die Amerikaner und auf die Briten geschimpft wird. Aber nicht diese sind schuld daran, sondern die UNESCO selbst ist in einer tiefen Krise. ({17}) Der ehemalige Staatsminister Karl Moersch hat auf der Mai-Sitzung des UNESCO-Exekutivrats in diesem Jahr u. a. die Frage gestellt, wie groß denn der Vertrauensverlust dieser Organisation sein muß, wenn zwei wichtige Mitgliedsländer, sogar Gründungsmitglieder, diesen schweren Schritt des Austritts vollziehen. Es muß der deutschen Öffentlichkeit laut gesagt werden: Sowohl die Aufblähung des Verwaltungsapparats als auch die politische Richtung stimmen nicht mehr.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Voigt ({0})?

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich verhalte mich wie Professor Ehmke: Die Zeit ist knapp. Herr Kollege, ich bitte um Verständnis.

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Sie lassen keine Zwischenfragen zu.

Dr. Klaus Rose (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001882, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Überhaupt keine. Im Gegensatz zum Auswärtigen Amt - das muß ich hier sagen -, das stets beteuert, die Bundesrepublik schließe sich dem Schritt der USA und Großbritanniens nicht an, möchte ich die Diskussion unseres Ausschusses wiedergeben und auch meine Meinung sagen: Die 40 Millionen DM, die uns die UNESCO im Jahre 1985 kosten wird, bringt der Steuerzahler zu mühsam auf, als daß sie in der Nähe des Eiffelturms oder in rüder Polithetze gegen den Westen verpulvert werden dürfen. ({0}) Wenn die schwergewichtigen Beitragszahler USA und Großbritannien fehlen, dann geht es keinesfalls an, daß die Bundesrepublik die Haushaltslücke durch zusätzliche Millionen aus dem eigenen Topf stopft. ({1}) Wir haben dies im Haushaltsausschuß zu Protokoll gegeben und darüber hinaus einen Teil des Ansatzes gesperrt, um vor dessen Genehmigung nochmals Druck ausüben zu können. Entweder kommt eine echte Reform der UNESCO, oder die Bundesrepublik wird der dritte im Bunde der Aussteiger. ({2}) Meine Damen und Herren von der Opposition, ich darf Ihnen sagen, daß dieser Beschluß oder diese Meinung des Haushaltsausschusses auch von den Kollegen der SPD getragen wurde. Tun Sie also hier nicht so, als wäre das für Sie etwas völlig Neues! ({3}) Die rund 374 Millionen US-Dollar, die die UNESCO für ihren Haushalt 1984 angesetzt hatte, sind nämlich wiederum nicht zweckentsprechend verwendet worden. Es kann auf Dauer nicht so sein, daß der Westen die Kasse füllt und der Osten die Richtung bestimmt. ({4}) Bedauerlich ist nur, daß - ich möchte das auch sagen, denn wir sind noch mitten in den Überlegungen - die 1946 gegründete UNESCO nach vielen Segensjahren nun einen derartigen Weg geht. ({5}) Vielleicht gibt es aber am Ende eines Jahres, in einem Monat, in dem es einen Buß- und Bettag gab, noch Reue und Umkehr; denn im Grunde genommen wollen wir alle den Drittweltländern helfen, wozu auch die UNESCO beitragen kann. ({6}) Als Instrument des Dialogs, besonders für die Deutschen, sollte die UNESCO bestehenbleiben. Es liegt also an ihr selbst. Da Herr M'Bow Mitglied des Beirats der Friedrich-Ebert-Stiftung ist, wäre es nicht schlecht, wenn Sie ihn darauf hinwiesen, daß er seine Politik in der UNESCO auch ein bißchen verändern könnte. ({7}) Meine Damen und Herren, ich möchte noch zu einem dritten Problemkreis Stellung beziehen, nämlich zum Deutschlandbild, das durch unsere Missionen, aber auch durch die Vermittler unserer Kultur bestimmt wird. ({8}) Wir geben 780 Millionen DM für die auswärtige Kulturpolitik aus, und ich möchte pauschal sagen: Diese 780 Millionen DM sind gut, sind sehr gut angelegt. Vor allem was die Stipendien und Beihilfen für Studenten und Nachwuchswissenschaftler aus dem Ausland betrifft, die vielen Hochschulpartnerschaften, die Programme des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, die Sprachförderung durch das Goethe-Institut, die Arbeit von Inter Nationes oder der Humboldt-Stiftung und auch die Aktivitäten der politischen Stiftungen - sie alle zusammen unterstützen unsere Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Wenn die SPD-Fraktion kürzlich gefragt hat, ob die Bundesregierung die Selbständigkeit der Goethe-Institute in der Programmgestaltung erhalten werde, so unterstellt sie, die Goethe-Institute dürften bisher nicht selbständig arbeiten, und unterschlägt, daß die Institute natürlich auch von Steuergeldern leben, für die wir insgesamt die politische Verantwortung tragen und auch tragen müssen, denn es sind immerhin 140 Millionen DM. Ich bekenne mich voll zur Aussage des Auswärtigen Amtes, daß das Goethe-Institut seine Aufgabe der Pflege der deutschen Sprache und der Förderung der internationalen kulturellen Zusammenarbeit in eigener Verantwortung durchführt. Aber die kulturpolitischen Rahmenrichtlinien werden immer noch vom Geldgeber, d. h. vom Auswärtigen Amt, gesetzt, und darauf haben Politiker zu Recht EinDr. Rose fluß, zumal bei den vom Deutschen Bundestag bewilligten Projektmitteln, ({9}) die j a wiederum von uns beraten und genehmigt werden. ({10}) Ohne letztliches Einspruchsrecht des Auswärtigen Amtes bei kontraproduktiven Veranstaltungen wären Steuergelder falsch investiert. ({11}) Meine Damen und Herren, damit keine Fehlinterpretation aufkommt: Das Goethe-Institut nimmt seine satzungsgemäßen Aufgaben sehr ernst, kümmert sich mehr als bisher um die Sprachförderung und hat auch bei der Wahrnehmung des früher umstrittenen Auftrages der Vermittlung eines umfassenden Deutschlandbildes - eines Bildes nicht bloß der Bundesrepublik Deutschland, sondern Deutschlands im Sinne des Grundgesetzes - neue Wege beschritten. Der Haushaltsausschuß hat dem Goethe-Institut außerdem eine zusätzliche Million DM bewilligt, damit es in Japan und in den USA verstärkte Werbung für die deutsche Sprache machen kann. Wenn Sie also unterstellen, wir wären insgesamt gegen das Goethe-Institut, haben Sie nur polemisch etwas gesagt, aber von den Tatsachen wird das zurechtgerückt. ({12}) Nur, die Schlagzeilen, nach denen die deutsche Sprache in der Welt zurückgeht, müssen ebenso überwunden werden wie das Fehlen des Auslandsstrebens deutscher Studenten und vieles andere. Wir brauchen also weiterhin die Vermittler deutscher Kultur, aber wir werden uns erlauben, nicht bloß das, was Sie gut finden, sondern auch das, was wir für richtig halten und was auch dem Grundgesetz entspricht, in diese Arbeit mit einzubringen. ({13}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, es liegen heute eine Reihe von Anträgen hauptsächlich der GRÜNEN, aber auch der SPD zur Veränderung mancher Ansätze vor. Wir haben alle diese Ansätze im Haushaltsausschuß beraten und sind - meistens sogar hundertprozentig, wenn ich die GRÜNEN nicht mitzähle, weil sie oft nicht anwesend waren ({14}) zu einer Meinung gekommen, die Ihnen als Bericht des Haushaltsausschusses vorliegt. Wir brauchen darüber hier also nicht im einzelnen zu beraten. Ich bin der Meinung, daß wir mit dem vorgelegten Haushalt der Bundesregierung, dem Auswärtigen Amt und dem Herrn Außenminister die notwendige Unterstützung geben können. Auch darf ich folgendes sagen, nachdem vorhin über gute Beziehungen zum Osten gesprochen worden ist: Auf Grund eines neuen Ereignisses, das in Südamerika stattgefunden hat, sollten wir an dieser Stelle auch sagen, daß wir Uruguay zu seiner durch freie Wahlen erfolgten Rückkehr in das Konzert der freien und demokratischen Länder gratulieren. ({15}) Das möchte ich vor allen Dingen deshalb tun, weil ich mit dem Kollegen Peter Würtz von der SPD vor einigen Monaten Gelegenheit hatte, hauptsächlich mit jüngeren Politikern der dortigen Parteien, auch den Colorados, Gespräch zu führen. Wir verbinden damit den Wunsch nach einer stabilen demokratischen Zukunft dieses traditionsreichen Landes in Südamerika. ({16}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben den Einzelplan 05 ordnungsgemäß durchberaten, notwendige Abänderungen vorgenommen und jetzt einen bereinigten Haushalt vorgelegt. Diesem können wir beruhigt zustimmen und damit der Außenpolitik der Bundesregierung grünes Licht geben. ({17})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reents.

Jürgen Reents (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001791, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch als jemand, der nun seit geraumer Zeit die Politik dieser Bundesregierung aus nächster Nähe verfolgt, kann man doch einigermaßen erstaunt darüber sein, wie manchmal zu später Stunde noch Parforceritte in reaktionärer Richtung in der Außenpolitik versucht werden, wie es eben von Herrn Rose gemacht worden ist. Wenn hier heute abend von Herrn Rose praktisch angedroht worden ist, die Bundesrepublik werde eventuell aus der UNESCO austreten, wird es gleich sehr spannend sein, zu hören, was Herr Genscher dazu zu sagen hat, und es wird ebenfalls sehr spannend sein, ob wir hier vielleicht, nachdem wir das mit der Seerechtskonvention erlebt haben, jetzt erleben, wie Herr Genscher und die FDP in der Koalition erneut auf Kurs gebracht werden, ob hier also der nächste Schritt ins Haus steht, mit dem die Außenpolitik der Bundesregierung offensichtlich noch strikter ins Fahrwasser der USA gebracht werden soll. Denn darum geht es j a wohl. Herr Genscher wird nun zusammen mit dem Bundeskanzler demnächst in die USA fahren, und es ist aus dem Bundeskanzleramt mitgeteilt worden, daß nicht daran gedacht wird, irgendwelche Anforderungen an die US-Regierung bezüglich der wieder neu aufzunehmenden Abrüstungsgespräche zu stellen. Aber ich denke, daß es schon wichtig ist, hier im voraus etwas konkreter zu erfahren, was denn eigentlich von seiten der Bundesregierung insgesamt an Anforderungen an die amerikanische Außenpolitik gestellt werden wird, ob z. B. auch zur Sprache kommt, Herr Bundesaußenminister, wie die Bundesregierung denn dazu steht, daß der In7572 ternationale Gerichtshof in Den Haag, wie man heute in der Presse lesen konnte, endlich die Klage Nicaraguas gegen die militärischen Aufmärsche und die Verminung der nicaraguanischen Küste durch die USA zugelassen hat. Es ist ja bekannt, daß sich die USA geweigert haben, die Sprüche des Internationalen Gerichtshofs auf zwei Jahre hin anzuerkennen. Ich denke, Sie sollten nicht von hier aus in die USA aufbrechen, ohne die Aufforderung mitzunehmen, zu dieser Frage klar und deutlich Stellung zu beziehen und dazu aufzufordern, daß der Spruch des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag von den USA anerkannt wird. Wir werden sehen, wie weit denn da Ihr Mut geht, den Konflikt mit den USA einzugehen. Herr Genscher, Sie haben in der letzten Zeit ziemlich häufig gesagt - Sie haben das gern wiederholt -: Nicht die USA sind im Bündnis zu stark, sondern Westeuropa ist im Bündnis zu schwach. Das ist leider nicht nur ein Witz nach der Art der Frage, ob ein Glas Wasser halb voll oder halb leer ist, sondern mit diesem Motto sind Sie einer der eifrigsten Ziehväter für die Wiederbelebung der Westeuropäischen Union geworden. ({0}) In der Erklärung, die Sie auf der Ministerratstagung der WEU am 26. Oktober in Rom abgegeben haben, haben Sie die Vorzüge der Westeuropäischen Union gepriesen. Was auffällt, ist, daß diese Vorzüge offensichtlich vor allen Dingen darin liegen, daß die Westeuropäische Union die europäischen Kapazitäten für Militärforschung und Militärentwicklung zusammenfassen kann. Auf dieser Sondersitzung ist mit Zustimmung der Bundesregierung auch ein Dokument über die institutionelle Reform der Westeuropäischen Union verabschiedet worden. Daraus möchte ich einen Satz zitieren, der in der Debatte neulich nicht zitiert worden ist, der aber in diesem Dokument zentral ist. Es heißt dort: In Anbetracht dessen, daß die dem Amt für Rüstungskontrolle ursprünglich zugewiesenen Kontrollaufgaben größtenteils überflüssig geworden sind, beschlossen die Minister, ... die verbliebenen Mengenkontrollen konventioneller Waffen stufenweise abzuschaffen. Was steht darin? - Rüstungskontrolle ist zukünftig überflüssig, ist überflüssig geworden; das, was noch besteht, soll demnächst auch abgeschafft werden. Sie haben im Verein mit den anderen westeuropäischen Staaten die Westeuropäische Union aus einem Rüstungskontrollamt, das die WEU zum Teil gewesen ist, in ein Amt für Rüstungsbeschaffung und Rüstungskooperation umgewandelt. ({1}) Deswegen sind wir der Meinung: Aus dieser Westeuropäischen Union, sollten Sie austreten, die die weitere Militarisierung, die weitere Aufrüstung Westeuropas betreiben wird, statt hier anzudrohen, wie das aus der stärksten Koalitionsfraktion geschehen ist, eventuell aus der UNESCO auszutreten. Als wir seinerzeit in der Auseinandersetzung um die Aufhebung der Rüstungsbeschränkungen beantragten, diese Beschränkungen nicht aufzuheben, haben Sie ähnlich operiert wie jetzt in bezug auf die Zeichnung der Seerechtskonvention. Sie haben damals unmittelbar vor der Debatte, die hier im Bundestag anstand, die Entscheidung durchgezogen. Sie haben jetzt die Nichtzeichnung der Seerechtskonvention in der Bundesregierung beschlossen, ohne daß die Möglichkeit bestanden hätte - Sie wußten, daß Anträge auf dem Tisch liegen -, hier im Bundestag darüber zu debattieren. Das ist nicht nur von der Sache her, um die es dabei geht, zu kritisieren, sondern auch bezüglich des Vorgehens. Man muß sich fragen, ob der Beschluß, den Sie in der Regierung in bezug auf Nichtzeichnung durch die Bundesregierung, aber kein Veto in der Europäischen Gemeinschaft gefaßt haben, vielleicht das Muster ist, das sich demnächst für eine Reihe anderer Themen anbietet. Ich denke beispielsweise an das, was kürzlich über eine Friedensinitiative der Europäischen Gemeinschaft und des Golfrates zur Beendigung des Golfkrieges zwischen Iran und Irak in der Presse gestanden hat. Dazu gibt es bislang keine Stellungnahme. Es wäre nötig, sehr bald die Position der Bundesregierung dazu zu erfahren. Es ist tatsächlich nicht so, wie von seiten der Regierung immer behauptet wird, daß es hier eine neutrale Position der Bundesregierung gibt. Sie, Herr Genscher, haben im September 1980, zwei Tage nach dem Ausbruch des Krieges zwischen Iran und Irak vor der UNO-Vollversammlung die Aufforderung an beide Seiten gerichtet, sich an den Verhandlungstisch zu setzen. Sie haben vor äußerer Einmischung gewarnt. Das heißt, Sie haben damals keine Verurteilung der irakischen Aggression vorgenommen. Denn damals hat es nicht in das Konzept der Isolierung der islamischen Revolution im Iran gepaßt. Sehr schnell hat sich diese Bundesregierung darauf eingestellt, an dem Krieg zu verdienen. 1982 haben Sie Kraftfahrzeuge - Lastkraftwagen usw. - für 2,5 Milliarden DM an den Irak und für 800 Millionen DM an den Iran geliefert. Im Jahre 1983 war es umgekehrt: für 2,5 Milliarden DM Lieferungen an den Iran und für 600 Millionen DM an den Irak. Das war die ausgleichende Gerechtigkeit der Kriegslieferanten. ({2}) Inzwischen haben Sie auf ein stärkeres Geschäft mit dem Iran umgeschaltet. Die Kritik an den Menschenrechtsverletzungen nimmt ab. Der Handel nimmt zu. Sie legten einen Kranz am Grab von Beheshti nieder, als Sie bei Ihrem letzten Besuch in Teheran gewesen sind. Es bleibt in der Tat abzuwarten, was aus dieser Friedensinitiative der EG und des Golfrates werden wird. Man muß schon heute besorgt fragen, welche Position die Bundesregierung in diesem Zusammenhang einnehmen wird. Warum unterstützt die Bundesregierung nicht eindeutig die UNO-Aktivitäten zur Aufklärung der Lage der Kriegsgefangenen des Golfkrieges? Warum wird in der letzten Zeit dazu geschwiegen? Bislang hat der Iran das Kriegsende verweigert, obwohl er seinerzeit der Angegriffene war. Aber mit dem Iran wollen Sie stärker ins Geschäft kommen. Deswegen gibt es wohl diese Zurückhaltung. Wenn heute im Rahmen der Haushaltsdebatte von einer außenpolitischen Bilanz gesprochen wird, muß man allerdings noch ein paar andere Dinge erwähnen. Sie legen nicht nur Kränze an Gräbern wie dem von Herrn Beheshti nieder, Sie setzen sich mittlerweile auch für die Verschwundenen in Argentinien ein. Sie tun das aber erst, nachdem die Militärs dort abgelöst sind. Genau das wird wahrscheinlich auch Ihre Position im Iran sein. Sie werden Kränze für die Opfer des iranischen Regimes niederlegen, wenn das iranische Regime abgelöst ist, nicht vorher. Das ist Ihre Politik. Im Nahen Osten, im Libanon, ist es ähnlich. Sie sahen im letzten Jahr vor, daß von der Bundesregierung 7 Millionen DM für multinationale Friedensstreitkräfte ausgegeben werden. Das klappte nicht, weil die US-Strategie im Nahen Osten scheiterte. Aber Sie weigern sich, für die Palästinaflüchtlinge etwas zuzulegen. Die Bundesrepublik steht beschämenderweise an siebter Stelle in der Liste über Hilfen an die Nahostflüchtlinge. Staaten mit sehr viel geringerem Wirtschaftspotential - wie etwa Norwegen - rangieren weit davor. Zur Bilanz Ihrer Außenpolitik gehört auch, daß Sie massiv mit Materiallieferungen für den türkischen Krieg gegen die Kurden Unterstützung gewährt haben, daß Sie sich mit Materialunterstützung im marokkanischen Krieg auf die Seite der Marokkaner gegen die Saharauis gestellt haben. ({3}) Was ist von Ihren generellen Beteuerungen in Sachen Loyalität gegenüber der Organisation Afrikanischer Staaten zu halten? Sie wissen, daß die Demokratische Arabische Republik Sahara mittlerweile anerkannter Staat in der OAU ist. Warum erkennt die Bundesregierung nicht auch die DARS an? Warum liefert sie weiter an Marokko Material, das für den Krieg verwendet werden kann? Herr Bundesaußenminister, wenn man eine Bilanz Ihrer Außenpolitik zieht - und das ist ja im Rahmen der Haushaltsdebatte angesagt -, dann kann man nicht umhin, neben anderem auch festzustellen, daß Sie bereit sind, in Ihrer Außenpolitik die Menschenrechte den Wirtschaftsinteressen zu opfern und die Neutralität in den sogenannten Konfliktregionen zwar mit schwülstigen Worten feilzubieten, wobei sich bei näherem Hinsehen aber erweist, daß es Ihr Hauptanliegen ist, daß die Bankkonten der deutschen Industrie und des deutschen Handels stimmen. Das ist klar; sonst würde kein Kaufhaus-König die FDP vor der Zwangsversteigerung oder vor dem Konkurs retten.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, die Zeit ist um. Ich habe Ihnen schon etwas zugegeben. ({0}) Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schäfer.

Helmut Schäfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001932, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Reents, ersparen Sie mir, auf die Addition von entsetzlichen Dingen, die die Bundesregierung und der Bundesaußenminister getan haben, einzugehen. Sie haben vorhin bemerkt, Sie seien nach einer gewissen Weile im Bundestag in der Lage, Dinge hier zu verstehen. Ich rate Ihnen, bleiben Sie etwas länger, damit Sie anfangen, Außenpolitik überhaupt zu verstehen; denn das, was Sie hier geboten haben, war auch unter Ihrem normalen Niveau im Auswärtigen Ausschuß. ({0}) Meine Damen und Herren, es erscheint mir angebracht, daß man sich bei einer Haushaltsdebatte - so sehr es mich reizt, auf die einzelnen Punkte einzugehen, die Herr Ehmke der Bundesregierung vorgeworfen hat - zunächst dem Gegenstand der Haushaltsdebatte zuwendet, nämlich dem Auswärtigen Amt. In diesem Zusammenhang möchte ich an das anknüpfen, was Herr Kollege Dr. Rose gesagt hat, und sehr deutlich herausstellen daß alle Fraktionen des Deutschen Bundestages - ich kann hier nicht für die GRÜNEN sprechen, aber ich meine, die SPD im Ausschuß auch in diesem Sinne verstanden zu haben - über die Leistungen dieses Amtes in der Welt sehr froh sein können, wenn es darum geht, die deutschen Interessen in vorzüglicher Weise wahrzunehmen. ({1}) Wir stellen - das gilt auch für die Mitglieder der Opposition - bei unseren Reisen immer wieder fest, daß die Betreuung, die wir durch das Auswärtige Amt erfahren, mit den Botschaften, die uns überall zuteil wird, sehr wesentlich dazu beitragen, daß wir unsere Aufträge im Ausland erfüllen können. Das gilt insbesondere im Hinblick darauf, daß wir wissen, daß trotz der erheblichen Mehrbelastungen, die das Auswärtige Amt in den vergangenen Jahren zu verkraften hatte - ich darf nur darauf aufmerksam machen: 180 Auslandsvertretungen heute gegenüber 119 im Jahre 1972, bei etwa den gleichen Mitteln, Mehrarbeit durch eine Fülle von internationalen Verpflichtungen, EPZ, Abrüstungsdialog, Vergrößerung der EG, Notwendigkeit der verstärkten Förderung des Außenhandels, Zuwachs der Aufgaben im Konsularbereich, Tourismus- und Ausländerfragen und auch durch den sich ausweitenden Bereich der humanitären Hilfe im Ausland -, das Amt seine Aufgaben erfüllt hat, obwohl der Haushaltsausschuß ihm bisher noch nicht in dem Umfang finanziell Unterstützung zuteil werden ließ, wie es das Amt verdient. Ich begrüße deshalb für die FDP-Fraktion nachhaltig, daß die Diskussion über eine effiziente Ausgestaltung des auswärtigen Dienstes in den zuständigen Ausschüssen des Bundestages aufgenommen worden Schäfer ({2}) ist, daß alle Bundestagsfraktionen für eine bessere finanzielle Ausgestaltung des auswärtigen Dienstes im Haushalt 1986 eintreten. Wir hoffen, daß wir damit auch eine Fülle von Nachteilen abbauen können, die in den vergangenen Jahren auf die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes zugekommen ist. ({3}) Wir sollten auch deutlich unterstreichen, daß die Leistungen des Auswärtigen Amtes sich nicht nur in klassischen Leistungen im Bereich der Diplomatie erschöpfen. Denken wir vielmehr auch an den Ausbau unserer ausländischen Kulturpolitik und die gestiegenen Erwartungen unserer Außenwirtschaft, ihren Anteil am internationalen wirtschaftlichen Wettbewerb im Interesse unseres Exports und der Steigerung und Erhaltung unserer Arbeitsplätze zu erhöhen. Auch hier können wir sagen, daß das Auswärtige Amt dringend die notwendige finanzielle Unterstützung braucht, um seine größeren Serviceleistungen besser zu erfüllen. Ich darf in dem Zusammenhang an die Adresse meines Kollegen Dr. Rose, aber auch an die Adresse von Herrn Reents sagen, daß ich die weitere Diskussion um die UNESCO nicht mit Spannung verfolge, weil Pläne zum Austritt aus der UNESCO nicht existieren. Wer glaubt, Herr Dr. Rose hätte dies hier angekündigt, hat ihn mißverstanden. Vielmehr hat eine bestimmte Kritik an der Gestaltung der Arbeit der UNESCO, natürlich auch im Haushaltsausschuß, ihren Niederschlag gefunden. Herr Reents, Sie können unbesorgt sein: Wir sind nach wie vor der Meinung, es ist besser, in internationalen Organisationen mitzuwirken, als aus ihnen auszusteigen. An diesem Grundsatz der Bundesregierung hat sich nichts geändert. ({4}) Ich freue mich auch, feststellen zu können, daß in dem vorliegenden Haushalt 1985 erste positive Ansätze zu einer Verbesserung erkennbar sind. Wir haben zwei neue Vertretungen in Brunei und Dschidda eingerichtet. Es gibt Mittelansätze für die Entwicklung einer modernen Bürotechnologie, die notwendig ist. Wir haben endlich auch etwas für die Verbesserung der Sicherheit unserer Auslandsbediensteten getan; das muß noch fortgesetzt werden. Wir sollten uns bewußt sein, daß auf diesem Wege noch eine Menge zu tun bleibt. Wir als Außenpolitiker dürfen unsere Hoffnungen auf den Haushaltsausschuß setzen, damit 1986 weitere Verbesserungen ermöglicht werden können. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch ein paar politische Bemerkungen zu dem machen, was heute zur Außen- und Sicherheitspolitik gesagt worden ist. Ich meine, wir sollten weiß Gott froh sein, daß im Januar nach der Wiederwahl des amerikanischen Präsidenten Gespräche in Genf stattfinden werden. Ich will hier jetzt zwar nicht einer billigen Genugtuung Ausdruck verleihen, aber ich meine, es sollte doch seitens der Opposition anerkannt werden, daß wir alle froh sein können, daß es zu neuen Verhandlungen kommen wird, daß die Bereitschaft der amerikanischen Regierung dazu nun deutlich genug - schon in der Wahlnacht - zum Ausdruck gekommen ist und daß die Sowjetunion einschwenkt. ({5}) Herr Voigt, wenn Sie noch gemeinsam mit mir in einer Regierungskoalition wären, dann hätten Sie das hier als einen hervorragenden Erfolg Ihrer Außenpolitik dargestellt. Heute erkennen Sie das nicht mehr an, sondern Sie erwecken den Anschein, als sei das im Grunde eigentlich nichts. Ich meine, es ist doch sehr viel mehr, als wir noch im letzten Jahr, da wir hier, glaube ich, besorgt diskutiert haben, erhofften. ({6}) - Also gut, das mag sein, aber ich glaube, daß das, was sich jetzt neu anbahnt, doch auch Ihren Vorstellungen entgegenkommt. Es sollen nämlich die Rahmenbedingungen geändert werden, aber alle wesentlichen Waffenbereiche sollen mit einbezogen werden, auch die Weltraumwaffen. ({7}) Sie können daher nicht sagen, das sei alles eine schlechte Politik der Bundesregierung gewesen. Ich meine, uns geht es bei der Reise des Bundeskanzlers und des Außenministers nach Washington darum, sicherzustellen, Herr Kollege Voigt, daß wir in allen Phasen neuer Verhandlungen rechtzeitig konsultiert werden ({8}) und daß wir auch unsere Vorstellungen einbringen können. Das erscheint mir wichtig. Meiner Ansicht nach waren die Kassandrarufe der Opposition heute völlig fehl am Platz. Noch einige Sätze zur Frage der Entspannungspolitik. Natürlich geht der Entspannungsprozeß weiter; natürlich geht die Ostpolitik weiter. Ich kann nicht verstehen, wenn hier so getan wird, als sei die Absage zweier Regierungschefs aus dem Ostblock bereits das Ende unserer Ostpolitik. Sie wissen doch genau, weshalb weder Herr Honecker noch Herr Schiwkoff hierherkommen konnten. Meine Damen und Herren, Sie wissen auch ganz genau, daß die Verschiebung dieser Reisen ganz offensichtlich die Folge einer Verzögerungstaktik der Sowjetunion gewesen ist. Ich kann nicht verstehen, daß Sie daraus ableiten wollen, die deutsche Ostpolitik funktioniere nicht mehr, das seien alles nur Rückschläge. Sie werden im nächsten Jahr erleben, daß die beiden Herren hierherkommen. Dann müssen Sie all das, was Sie heute düster prophezeit haben, wieder zurücknehmen. Wir wollen Ihnen das eigentlich ersparen. ({9}) Meine Damen und Herren, ich glaube auch, daß wir Parlamentarier schon sehr bald die Ehre des Besuches einer sowjetischen Delegation haben werden, die allerdings auch bereits zweimal ihr KomSchäfer ({10}) men abgesagt hat, allerdings nicht aus politischen Gründen. Ich darf als Vorsitzender der deutschsowjetischen Parlamentariergruppe - auch im Namen des Herrn Bundestagspräsidenten - noch einmal ausdrücklich die Einladung wiederholen. Wir warten darauf, daß die Parlamentarier des Obersten Sowjets hierherkommen. Die Reise war jetzt bis in die Einzelheiten geplant. Daß sie nicht zustande kam, lag nicht an uns. Die sowjetische Botschaft hat uns kurzfristig mitgeteilt, sie bäte um eine erneute Verschiebung auf den Januar. Daraus ziehe ich aber nicht den Schluß, daß unsere Bemühungen im Dialog mit unseren Parlamentarierkollegen aus Moskau jetzt gescheitert seien. Ich glaube, daß sich das schon sehr bald zeigen wird. Ich meine, wir sollten die Gelegenheit im Januar oder im Februar, wenn diese Gruppe kommt, nutzen, unsere sowjetischen Kollegen aus dem Obersten Sowjet darum zu bitten, hier einmal einen Beitrag zur Beendigung einer völlig überflüssigen Revanchismus-Debatte zu leisten, über die man nun wirklich zu staunen anfängt ({11}) und deren Wirkungen für die Sowjetunion selber, so glaube ich, kontraproduzent sind. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß wir zu dem Punkt, den Herr Professor Ehmke angesprochen hat, doch auch noch eine Anmerkung bringen sollten, nämlich zu der noch nicht zustande gekommenen Reise des Bundesaußenministers nach Polen. Herr Genscher wird dazu noch selbst Stellung nehmen; er hat es inzwischen auch schon öffentlich getan. Sie selber haben eingeräumt, daß kleinliche Vorbedingungen, die aufgestellt worden sind, mitentscheidend gewesen sind, daß diese Reise leider abgesagt wurde. Wer die von Herrn Genscher für seine Polen-Reise vorgesehenen Redetexte kennt, die Reden, die er halten wollte, u. a. in Krakau, an der Universität in Krakau, weiß, daß dieser Besuch für das deutsch-polnische Verhältnis sehr positive Akzente gesetzt hätte. Ich nehme mit Interesse zur Kenntnis, daß der so sehr kritisierte polnische Pressesprecher Urban - wir haben mehrfach Grund gehabt, ihn für seine voreiligen Äußerungen zu kritisieren - heute wiederum in etwa erklärt hat, er freue sich darüber, daß der Besuch von Herrn Genscher bald nachgeholt werden könne. Also, Sie sehen, auch auf der polnischen Seite wird hier nicht das Ende der Ostpolitik vorausgesagt. ({12}) Meine Damen und Herren, für uns ist die Fortsetzung der Entspannungspolitik in dieser Koalition Selbstverständlichkeit. ({13}) Ich meine, daß wir hier manches, was in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren an rhetorischen Übungen gegen diese Entspannungspolitik erfolgt ist, auch zu Recht kritisiert haben. Das Recht werden wir uns auch in Zukunft herausnehmen. Allerdings ist es, so meine ich, überflüssig, wenn auf seiten der SPD, aus Kreisen der SPD, immer wieder Erklärungen zu hören sind - das hat Herr Dregger in seiner Rede heute morgen ebenfalls sehr kritisch dargestellt -, die deutsche Frage sei nicht mehr offen, Wiedervereinigung sei eine Fiktion. Daß das bei der Bevölkerung der DDR auf große Begeisterung stößt, ist sicher nicht anzunehmen. ({14}) Meine Damen und Herren, ich verstehe diese rhetorischen Übungen überhaupt nicht, weil sie uns in der praktischen Politik nicht voranbringen werden. ({15}) - Ich komme zu Czaja und Sauer, lieber Herr Professor Ehmke, wenn Sie wollen. - Ich meine, es ist - umgekehrt - für die Bürger der Volksrepublik Polen nicht unbedingt hilfreich, wenn wir hier - wo auch immer und wie auch immer - anfangen, wieder Diskussionen über die Frage der deutschen Ostgrenzen zu führen. Da teile ich Ihre Auffassung; ich halte das nicht für nötig. ({16}) Ich meine, daß das keine gute Grundlage für eine Verbesserung unseres Verhältnisses zu Polen ist, weil es dort Unruhe und Verwirrung hervorruft. Ich will jetzt gar nicht auf einzelne Äußerungen eingehen, nur eines steht doch wohl fest, für uns und auch für diese Koalition, daß die Grenzen unverletzlich sind. ({17}) Wir wollen uns nicht in Heimatrechtsdiskussionen verlieren, sondern wir sollten den Polen klarmachen, daß eine neuerliche polnische Teilung von niemandem in diesem Hause unterstützt werden kann. Daran wird sich nichts ändern. ({18}) Lassen Sie mich zum Schluß noch ein paar Bemerkungen zum Seerecht machen. Ich habe den Prozeß der Diskussionen, die ja schon in der sozialliberalen Koalition, lieber Herr Ehmke, eingesetzt haben, noch gut in Erinnerung. Vielleicht hätten wir uns damals beeilen sollen, so daß wir damals noch einen Beschluß hätten fassen können. ({19}) - Entschuldigen Sie bitte, das ist nicht erst in den letzten eineinhalb Jahren der Fall gewesen. ({20}) Schäfer ({21}) - Ich will auch nicht zu Graf Lambsdorff Stellung nehmen. Dessen Haltung hat sich in dieser Frage nie geändert; das sollte man einmal anerkennen. - Ich will nur eines dazu sagen: Wir haben im Ausschuß heute einen Beschluß gefaßt: ({22}) Wir diskutieren diese Frage deshalb nicht mehr, weil der Prozeß der Zeichnung eine Angelegenheit der Regierung ist, die heute morgen den Beschluß gefaßt hat. ({23}) Ich, Herr Voigt, habe heute erklärt, daß ich persönlich diesen Beschluß bedaure; die Mehrheit meiner Fraktion hätte die Zeichnung unterstützt. Aber wir machen daraus keine Koalitionskrise. Ich bin sehr dankbar, daß der Vorbehalt der Bundesregierung im Rahmen der Europäischen Gemeinschaft sicherstellt, daß unsere Mitarbeit an der Seerechtskonvention erhalten bleibt. ({24}) Ich darf zum Schluß meiner Rede Ihnen, Herr Professor Ehmke, nach Ihrer vernichtenden Kritik am Bundesaußenminister und an dieser Regierung nur eines sagen: Sie sollten sich nicht so viel Gedanken über unseren Einfluß in den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion machen. Ich stelle nach vielen Gesprächen fest, daß man sich dort Sorgen über die Entwicklung Ihrer Partei macht. ({25}) Und ich glaube, Sie sollten sich mal die Frage stellen, ob Sie sich nicht isolieren, ({26}) wenn Ihr Parteivorsitzender in der deutschen Öffentlichkeit händchenhaltend mit einer Fraktion, die Ihnen gar nicht so sehr gewogen ist, Wähler zu gewinnen glaubt, aber gleichzeitig Vertrauen verliert, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern auch in der Sowjetunion; denn einen solchen Kurs will man auch im Osten nicht. Dort ist man über Ihre Entwicklung genauso beunruhigt, wie wir das sind. Vielen Dank. ({27})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat Frau Abgeordnete Huber.

Antje Huber (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000968, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Einzelplan 05 selber pflegt nicht Gegenstand sensationeller Auseinandersetzungen hier zu sein. Schließlich ist eine gute, materiell abgesicherte und mit dem Notwendigen ausgerüstete Außenvertretung etwas, was das ganze Parlament wünscht. Es mag für heute offen bleiben, ob wir uns etwas dabei denken sollen, daß von der großen kombinierten Fraktion hier heute nur Bayern sprechen. ({0}) Auf jeden Fall macht der Haushalt des Auswärtigen Amtes noch nicht einmal 1 % des Gesamthaushaltes aus, und auch seine Steigerungsrate von 3,3 % ist eher bescheiden. Die Mehrausgaben sind gerechtfertigt durch steigende Personalkosten, notwendige Verbesserungen der technischen Ausstattung, Erhöhung internationaler Beiträge, verstärkte humanitäre Hilfe, Verbesserung der Kulturarbeit und Sicherheitsmaßnahmen. Dies erkennen wir an. Dennoch hat es in diesem Jahr eine besonders intensive Diskussion über diesen Haushalt im Auswärtigen Ausschuß gegeben. Den eigentlichen Anlaß dazu bot der uns zugeleitete und vor Wochen andiskutierte, aber noch nicht abschließend beratene 4. Bericht zur Reform des Auswärtigen Dienstes, in dem die Regierung vermeldet, was in 13 Jahren, die seit dem Reformbericht abgelaufen sind, nun eigentlich umgesetzt worden ist. Die Reformkommission wurde noch von Kanzler Brandt ins Leben gerufen. Viele der Vorschläge sind sicher überholt, einige sind auch erfüllt worden. Aber die großen Unzulänglichkeiten in Personalausstattung und -struktur werden bei jedem Haushaltsbeschluß - und so auch diesmal - nur zentimeterweise beseitigt, falls überhaupt, und durch Mehraufgaben schon nach kurzer Zeit wiederhergestellt. Sosehr wir uns freuen, meine Damen und Herren, daß der Haushaltsausschuß sechs Stellen für die Errichtung einer Botschaft im Sultanat Brunei und fünf Stellen für die Eröffnung eines Generalkonsulats in Djidda sowie einen Entwicklungsreferenten für Peking bewilligt hat, löst dies nur sehr zum Teil die Frage, ob wir in den Ländern, wo es nötig ist, schon ausreichend vertreten sind, vor allen Dingen löst es nicht das Problem der Unterbesetzung im mittleren Dienst, wo die dringenden Empfehlungen der Reformkommission noch nicht einmal zur Hälfte erfüllt worden sind. ({1}) Der auswärtige Dienst hat hier viel zu verkraften, und das erkennen auch wir an. Es verdient hier einmal ausdrücklich festgehalten zu werden, daß sich die Zahl der Personalstellen des Auswärtigen Amtes seit 1972, dem Jahr des Reformberichts, wie gesagt, von 6 021 auf 5 967 im Jahre 1984 zurückentwickelt hat. Nicht im Inland - da hat es sogar eine Steigerung gegeben -, aber im Ausland sank die Zahl der Stellen von 4 452 um 116 - und das bei der Aufnahme von neuen Beziehungen zu 40 Staaten, darunter so einem Land wie China, der Zunahme der internationalen Konferenzen - Herr Schäfer hat dazu schon etwas gesagt - und Mehrarbeit in Europa. Dazu kommt die sprunghaft gewachsene Arbeit in humanitärer Hilfe, Flüchtlingsfragen, Aussiedlungsprogrammen und verstärkter Konsulartätigkeit - durch Sichtvermerke, Massentourismus. Auch auf wissenschaftlich-technischem und wirtschaftlichem Gebiet gibt es einen Aufgabenzuwachs, der meines Erachtens zum Nachdenken darüber Anlaß geben sollte, ob die strukturelle Zusammensetzung vieler Botschaften so bleiben kann, wie sie ist, oder ob Änderungen notwendig sind. Trotz der sicher ernst zu nehmenden Kritik des Bundesrechnungshofs an einigen Botschaften, die Prüfungen ausgelöst hat, fällt die Stellenminderung - seit 1975 um 236 Stellen - auch im Vergleich zu anderen Ressorts ungünstig auf. Darüber hinaus zeigt der internationale Vergleich, daß der auswärtige Dienst vergleichbarer Länder besser bestückt ist. Frankreich hat knapp 2 000 Stellen mehr, Großbritannien eineinviertelmal soviel wie wir, Japan ist 1 000 Stellen stärker, und selbst Italien und Kanada haben fast so viel Mitarbeiter in ihren auswärtigen Diensten wie wir, Holland und Spanien nicht sehr viel weniger. Angesichts dieser Lage sind 12 neue Stellen für 1985 keineswegs sensationell; denn der Prozeß der Straffung durch Schließung von Konsulaten ist inzwischen sicher an Grenzen gestoßen. ({2}) Hat man in knappen Zeiten auch Verständnis dafür, daß der von der Reformkommission empfohlene Aufbau und Ausbau der Personalreserve so nicht stattfinden konnte, so hat der Abbau doch vernünftige Grenzen. Schließlich gehört es zu den Besonderheiten des auswärtigen Dienstes, daß 47 % seiner Stellen und sogar 57 % seiner Dienstorte in gesundheitsgefährdenden Gebieten liegen. Auch damit wird sich der Auswärtige Ausschuß bei seiner Anhörung Anfang nächsten Jahres zur Reform des auswärtigen Dienstes noch beschäftigen. Bei der Haushaltsberatung für 1985 hat der Auswärtige Ausschuß die Bundesregierung einstimmig aufgefordert, die immer noch offenen Fragen des Reformberichts zur Personalreserve, zum Stellenkegel und insbesondere zum mittleren Dienst bei den Haushaltsberatungen für 1986 einzubringen. Ich werte diesen Beschluß, Herr Außenminister, als einmaligen Vorgang, denn er macht deutlich, wieviel Schützenhilfe Sie vielleicht schon in vergangenen Jahren hätten haben können, wenn Sie sich wirklich darum bemüht hätten. Im Vordergrund der diesjährigen Haushaltsberatungen im Auswärtigen Ausschuß standen auf Initiative meiner Fraktion die lange vernachlässigten sozialen Fragen des auswärtigen Dienstes. Ihre Dringlichkeit wird dadurch untermauert, daß es am Ende der Diskussion eine einstimmige Empfehlung des Ausschusses an den Haushaltsausschuß gab. Mit der Forderung nach der Anhebung der Besoldungszulage in den unteren Besoldungsgruppen sollte der unerträglichen Situation begegnet werden, die in einigen Ländern darin besteht, daß Angehörige des einfachen Dienstes unter das Sozialhilfeniveau der Gastländer gerutscht sind, ({3}) daß sie zurückgezogen werden mußten und - man höre - dafür teurere Ortskräfte angeheuert wurden. Denselben Hintergrund hat die Forderung nach der Anpassung des Schlüssels für den Kaufkraftausgleich. ({4}) Gerade ein Land, das im Gegensatz zu den Nachbarn seine auch materielle Vorteile gewährende Diplomatenliste so klein hält, muß darauf achten, daß die unteren Einkommensgruppen nicht geschädigt werden. Hier sollten auch die geforderte Aufhebung der Begrenzung der Schulbeihilfen und die Anhebung des Mehrbetrages für die Mietzuschüsse greifen. Der auswärtige Dienst ist in vieler Hinsicht heute nicht mehr attraktiv, besonders, da das hier im Lande mögliche zweite Familieneinkommen durch die Ehefrau wegfällt. Daß der auswärtige Dienst nicht mehr so attraktiv ist, ist nicht zuletzt darin begründet, daß sich die Spitze des Hauses seit Jahren um die sozialen Probleme zuwenig gekümmert hat. Die Hoffnungen der Mitarbeiter haben sich daher inzwischen augenscheinlich mehr und mehr auf das Parlament konzentriert, von dem sie sich nun ein Gesetz erhoffen. Schon im vergangenen Jahr wurde im Haushaltsausschuß - das ist für ihn eine ganz ungewohnte Manier - darüber gesprochen, daß die Stellensituation im Auswärtigen Amt nicht so bleiben könne. Dieses Jahr wurden dank unserer Initiative vom Auswärtigen Ausschuß einmal der soziale Hintergrund und die Probleme, die mit ihm zusammenhängen, beleuchtet. Dazu gehört auch das Sicherheitsproblem an besonders gefährdeten Plätzen und die Frage nach der Versicherung von Ehegatten, welche quasi dienstlich unterwegs, aber nicht abgesichert sind, selbst wenn es zu lebenslänglichen Schäden kommt, wie bei dem Unfall, der vor einigen Jahren in Warschau passiert ist. Auch so etwas gehört zur Fürsorgepflicht des Dienstherrn. ({5}) Inzwischen hat aber allein schon die Diskussion einige Früchte getragen. Der Finanzminister teilte dem Haushaltsausschuß anläßlich der Beratung unserer Empfehlungen mit, daß im Einvernehmen zwischen Innenminister, Finanzminister und Außenminister als Soforthilfe die Begrenzung der Schulbeihilfen aufgehoben sei und ein zeitlich befristeter Sonderzuschlag für den einfachen und mittleren Dienst in den USA und Kanada eingeführt wird. Das hätte man auch schon früher haben können. Es machte im Fall der USA für die dort betroffenen Leute, die sich nicht in den besonders guten Einkommensgruppen befinden, monatlich immerhin 250 bis 300 DM und in Kanada 200 bis 250 DM aus. Die geforderten Verbesserungen beim Kaufkraftausgleich, Auslandszuschlag und Mietzuschuß sollen überprüft werden. Hierzu sind gesetzliche Änderungen erforderlich, für die das Auswärtige Amt noch bis Ende des Jahres Vorschläge machen will. Wir sind sehr gespannt, ob diese kommen. Jedoch wurde das Verfahren bei der Festsetzung und Auszahlung des Kaufkraftausgleichs nunmehr auf der Basis geschätzter Teuerungen durch die Abschlagszahlungen verbessert und auch verkürzt. Dadurch haben sich die Dienstbezüge z. B. eines verheirateten A 4-Beamten mit zwei Kindern an zehn Plätzen in den USA seit Oktober zwischen fast 300 DM und fast 700 DM monatlich erhöht. Die Sicherheitsmaßnahmen werden durch Beschluß eines neuen Titels durch den Haushaltsausschuß verstärkt, der Bewachungskosten für kriminell besonders gefährdete Wohnungen vorsieht. Der Auswärtige Ausschuß hat auch einige Streichungen vorgeschlagen, aber im Bauwesen und nicht bei der UNESCO. Hierzu möchte ich sagen, daß auch der Haushaltsausschuß keine Kürzung beschlossen hat, sondern nur eine Sperre, und zwar deshalb, weil ein neues Konzept vorgelegt werden soll. Wir - das sage ich für meine Fraktion - werden uns einem Austritt aus der UNESCO energisch widersetzen. ({6}) Die durch die Streichung der beim Bau der Schule in Rom freigewordenen Mittel sollten dazu verwendet werden, die Förderung im Kulturbereich zu verstärken. Wir haben einige Millionen DM mehr für Sprachförderung und Schulwesen verlangt; auch das ein besonderes Anliegen der Sozialdemokraten. Gleichzeitig haben wir die Bundesregierung aufgefordert, die Baukostenexplosion bei den Schulbauten in Rom, London und Washington zu bremsen und dazu konkrete Empfehlungen zu geben. Wie die Drucksachen ausweisen, hat der Haushaltsausschuß sämtliche Grundstückserwerbe und Dienstwohnungsbauten außer in Riad gestrichen, aber mehr Mittel für die Pflege kultureller Beziehungen eingesetzt. Es gibt mehr Geld für Medienprogramme, zur Förderung der deutschen Sprache, für Vorträge, Seminare der Goethe-Institute, für ein Sonderprogramm „Südliches Afrika" und die kulturelle Zusammenarbeit mit den Entwicklungsländern. Auch wenn wir aus allgemeinpolitischen Gründen den Haushalt 05 heute ablehnen, so sind wir doch einverstanden mit der Erhöhung der humanitären Hilfe und der Hilfe für die Landwirtschaft in Polen. Auch der neue Titel CTB-Verifikation - zu deutsch: Mitwirkung an der Erarbeitung eines wirksamen Systems zur Kontrolle des Verbots unterirdischer Kernexplosionen - dient keinem schlechten Zweck. In solchen und ähnlichen Punkten hätten wir gerne noch mehr gemacht. Aber unser Deckungsvorschlag, die Streichung der diesjährigen Verteidigungshilfe an die Türkei, fand erwartungsgemäß keine Mehrheit. Man könnte noch viele Einzelanmerkungen machen. Das Wichtigste bei dieser Haushaltsberatung scheint mir zu sein, daß für die Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes endlich etwas in Gang gekommen ist. Das werden wir im Auge behalten. ({7})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Bundesminister des Auswärtigen.

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! ({0}) - Ihr Wunsch wird natürlich wie immer erfüllt werden, Herr Voigt. Ich werde etwas zur Außenpolitik sagen. Aber erlauben Sie mir, daß ich mich vorab bei den Kollegen bedanke, die hier das Wort zu den Problemen des auswärtigen Dienstes genommen haben: bei Ihnen, Herr Kollege Rose, bei Ihnen, Herr Kollege Schäfer, und bei Ihnen, Frau Kollegin Huber. Offen gesagt: Ich hätte mich gefreut, wenn ich mich auch bei den GRÜNEN hätte bedanken können; ({1}) denn ich glaube, daß die Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes gern auch die Auffassung der GRÜNEN zu ihrer Arbeit gehört hätten. Meine Damen und Herren, ich bedanke mich im Namen der Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes. Ich glaube, es ist eine gute Entwicklung, daß sich der Deutsche Bundestag in der Plenarsitzung, aber auch in seinen Ausschußsitzungen mit diesen Fragen befaßt und dabei die Bemühungen des Auswärtigen Amtes unterstützt, nicht nur die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter des auswärtigen Dienstes zu verbessern, sondern auch in der Frage der Stellenausstattung dafür zu sorgen, daß wir die gesteigerten Erwartungen an den auswärtigen Dienst erfüllen können. Gesteigerte Erwartungen einmal durch eine größere Zahl von Staaten, mit denen wir außenpolitische Beziehungen unterhalten; gesteigerte Erwartungen durch unsere Mitwirkung in internationalen Organisationen; gesteigerte Erwartungen auch hinsichtlich der Vertretung unserer wirtschaftlichen Interessen; gesteigerte Erwartungen schließlich auch hinsichtlich der konsularischen Wahrnehmung der Interessen der vielen unserer Mitbürger, die Auslandsreisen in alle Teile der Welt antreten - übrigens kein schlechtes Zeugnis für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und auch die persönliche Leistungsfähigkeit der Mitbürger in unserem Lande. ({2}) Meine Damen und Herren, die Ausführungen, die Herr Kollege Ehmke hier gemacht hat - verständlich aus der Rolle der Opposition -, haben eine Frage ausgeklammert, nämlich die Frage, wo heute der Standort der Sozialdemokratischen Partei in den Kernfragen der Außen- und Sicherheitspolitik ist. ({3}) Sagen Sie uns doch, meine Damen und Herren von der SPD, wie Sie zu den Teilen in Ihrer Partei stehen, die offen den Austritt aus der NATO betreiben. Es ist doch Herr Lafontaine, der die Mitgliedschaft in der NATO zur Diskussion stellen will. ({4}) Von ihm wünschen Sie, daß er Ministerpräsident des Saarlands wird. Sagen Sie doch, daß Sie das ablehnen, oder sagen Sie, Sie seien auch dieser Meinung. Sie sind eine so große Oppositionspartei, daß die deutsche Öffentlichkeit und das Ausland Anspruch darauf haben, zu erfahren, wo Sie nun wirklich stehen, ({5}) und zwar nicht nur heute, sondern wo Sie auch morgen in dieser Frage stehen werden. ({6}) Ich verstehe: Das ist schwer; denn Sie mußten ja schon in Ihrer ganz großen Mehrheit erkennen, daß es für Sie nicht einmal mehr möglich ist, in der Opposition diejenigen Positionen zur Sicherheitspolitik einschließlich des Doppelbeschlusses der NATO zu vertreten, die Sie hier im Deutschen Bundestag mit uns gemeinsam als gemeisame Regierungspolitik beschlossen hatten. ({7}) - Nein, Herr Kollege Ehmke, da ist niemand bei uns, der jede Pershing II liebt. Das habe ich auch Ihnen nicht unterstellt, als Sie als Mitglied einer Regierungsfraktion für den NATO-Doppelbeschluß gewesen sind. ({8}) Nur eines muß ich Ihnen sagen: Jedes Land und jede Partei sollten sehr darauf bedacht sein, daß sie in Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik nicht die Gesetze der Opportunität, sondern die Gesetze der staatspolitischen Verantwortung walten lassen. ({9}) Deshalb, meine Damen und Herren, sollten Sie gewiß noch einmal darüber nachdenken, ob Sie wirklich bei der Feststellung im Protokoll über die Sitzung vom 8. November 1984 bleiben können, wo „Beifall bei der SPD" hinter der folgenden Feststellung des Kollegen Gansel verzeichnet ist: Die Verklammerung von Sicherheitsrisiken kann nicht durch Händchenhalten auf Schlachtfeldern der Vergangenheit ersetzt werden. Meine Damen und Herren, was wir in Verdun gesehen haben, habe ich als ein ganz wertvolles Ergebnis deutscher Nachkriegsverständigungs- und -versöhnungspolitik verstanden. ({10}) - Ich möchte keine Fragen beantworten. Sie können ja nach mir reden. ({11}) - Herr Gansel, Sie können hinterher sprechen. Ich verlese es mit Genehmigung des Herrn Präsidenten: Hier geht es um die Sache, um die Sicherheitsphilosophie der Nuklearmacht Frankreich und nicht um Gesten und Symbole. Die Verklammerung von Sicherheitsrisiken kann nicht durch Händehalten auf Schlachtfeldern der Vergangenheit ersetzt werden. ({12}) So steht es hier im Text des Protokolls des Deutschen Bundestags. Daraus zitiere ich. Man kann sehr viel dazu sagen, meine verehrten Kollegen, wie wir zu einer Verklammerung der Sicherheitsrisiken kommen. Aber man kann kein Verständnis dafür haben, wenn eine solche Geste, die viele Mitmenschen nicht nur in Deutschland und Frankreich, sondern in ganz Europa tief berührt hat, ironisiert wird, wie das hier in dieser Feststellung geschehen ist. ({13}) Deshalb, meine Damen und Herren, denke ich, daß wir in der Lage sein sollten, über die Grundfragen der deutschen Außenpolitik in einer unpolemischen Form, in einer sachlichen Auseinandersetzung zu sprechen. Ich möchte Ihnen, Herr Kollege Vogel, sagen, daß ich es sehr zu schätzen gewußt habe, wie Sie heute in Ihrem Beitrag vor dem Deutschen Bundestag zu der Verschiebung meiner Reise in die Volksrepublik Polen Stellung genommen haben. Sie haben dabei die Erwartung geäußert, daß man Hindernisse beseitigen möge. Das ist eine Erwartung, die wir alle haben, und eine Hoffnung; denn niemand kann daran zweifeln, daß dieser Besuch notwendig und wichtig ist und es ein historischer Fehler wäre, wenn wir den Dialog gerade mit der Volksrepublik Polen nicht führen könnten und würden. ({14}) Wir sind uns doch der Tatsache bewußt, meine Damen und Herren, daß das Verhältnis zur Volksrepublik Polen mehr ist als ein normales Nachbarschaftsverhältnis, ({15}) daß es eine große historische und moralische Dimension hat. Dem müssen wir insgesamt, muß jeder von uns gerecht werden. ({16}) Es wäre falsch, wenn wir uns hier gegenseitig Vorwürfe machten. Ich glaube, niemand hat Anlaß, dem zuzustimmen, was über angebliche revanchistische Absichten in unserem Land gesagt wird. In diesem Land gibt es keinen Revanchismus. Ich denke, ein wichtiger Beitrag für die Stabilität in Europa und den Frieden in Europa ist der Aufbau einer freiheitlichen Demokratie hier in der Bundesrepublik Deutschland. Der Beitrag der Ver7580 triebenen zum Aufbau dieser freiheitlichen Demokratie war ein bedeutsamer Beitrag. ({17}) Das wollen wir gemeinsam würdigen. Auf dieser Grundlage wollen wir Dialog und Zusammenarbeit fortsetzen und die Beziehungen entwickeln und ausbauen. ({18}) Das tun wir gerade in diesem Jahr. - Herr Kollege Ehmke, hören Sie mich doch einmal an. Können Sie nicht wenigstens einer Ausführung, die gerade in dieser Zeit wichtig ist, zum deutsch-polnischen Verhältnis insoweit zustimmen, als Sie dazu - wahrscheinlich - keinen Widerspruch anzumelden haben? Wir leben in einer Zeit, in der sich viele Ereignisse jähren, die die Geschichte der Deutschen und der Polen so maßgeblich und so nachhaltig beeinflußt haben. Am 1. September war es 45 Jahre her, daß der Zweite Weltkrieg mit dem Angriff auf Polen ausbrach. ({19}) In wenigen Tagen, am 7. Dezember, begehen wir den 14. Jahrestag der Unterzeichnung des Warschauer Vertrages. Ich glaube, daß der Warschauer Vertrag wirklich eine beispielhafte und eine historische Funktion hat. Dabei müssen wir wissen, daß wir alle aus der Geschichte zu lernen haben. Das verlangt Behutsamkeit im Umgang miteinander, auch zwischen Deutschen und Polen. Da sollte jeder auf eine Sprache achten, die Wunden zu heilen hilft, statt neue Wunden aufzureißen. ({20}) Hier, meine Damen und Herren, ist es wichtig, daß der Weg zur Versöhnung mit diesem Vertrag begonnen werden konnte. Er hat die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben, für die Entwicklung gutnachbarschaftlicher Beziehungen zwischen Deutschen und Polen gelegt. Ich denke, auf beiden Seiten wird man erkennen, daß niemandem geholfen ist, aber allen geschadet wird, wenn die Fragen, über die im Warschauer Vertrag sorgfältig formulierte gemeinsame Aussagen getroffen worden sind, heute erneut zum Gegenstand kontroverser Erörterungen gemacht werden. ({21}) Meine Damen und Herren, wir wissen, daß alle Polen, ganz gleich, wo sie politisch heute stehen, ein gemeinsames, fundamentales Interesse daran haben, in dauerhaft festen Grenzen leben zu können. ({22}) Das findet unser Verständnis und unsere Zustimmung. Deshalb haben der Bundespräsident, der Bundeskanzler und ich bei verschiedenen Gelegenheiten zum Ausdruck gebracht: Wir stellen diese Grenzen nicht in Frage, weder heute noch morgen. ({23}) Von uns Deutschen soll der Zukunft Polens keine Ungewißheit drohen. Wir alle haben bei verschiedenen Gelegenheiten im Deutschen Bundestag unsere Anteilnahme mit den schweren Problemen zum Ausdruck gebracht, mit denen die Bürger der Volksrepublik Polen, unsere europäischen Mitbürger in Polen - die Polen sind wie wir Mitteleuropäer - in diesen Jahren zu ringen haben. Ich glaube, daß wir ihnen nicht noch die Sorge aufbürden sollten, es könnte einen Tag geben, an dem ihre Grenzen nicht mehr sicher seien, sondern in Frage gestellt würden. ({24}) Das ist gemeint, wenn wir sagen, von unserer Seite sollten sie nicht in Frage gestellt werden. Wir alle sollten gemeinsam alles tun, um eine Politik möglich zu machen, bei der wir durch Zusammenarbeit in Europa auch dazu beitragen, daß sich die innere Entwicklung in allen europäischen Staaten so vollzieht, wie es die Verpflichtungen wollen, die alle Regierungen in der Schlußakte von Helsinki auf sich genommen haben. Daran messen wir sie. Diese Verpflichtungen müssen immer wieder Gegenstand der Nachprüfung sein. Deshalb treten wir dafür ein, daß der zehnte Jahrestag der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki nicht wie jeder andere Tag vorbeigeht; vielmehr sollen Rückblick, Bewertung und Perspektiven Gegenstand einer politischen Konferenz sein. Ein wichtiger Beitrag zu einer Verbesserung der Lage in Europa hier bei uns, wodurch die Sorge eines Wettrüstens von den Schultern unserer Bürger genauso wie von denen der Staaten des Warschauer Paktes genommen wird, ist natürlich die Wiederaufnahme des Abrüstungsdialogs zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion. Wir übernehmen uns da gar nicht, wenn wir sagen, daß wir durch die Erfüllung der übernommenen Verpflichtungen im Bündnis und durch eine konsequente Politik der Verständigung und der Kooperation einen Beitrag dazu geleistet haben, daß ein Klima entstanden ist, in dem ein solcher Abrüstungsdialog zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion möglich wird. ({25}) Da wird niemand bei uns die Illusion gehabt haben, daß der Dialog der Europäer den Dialog der Großmächte ersetzen könnte. Aber ich glaube, der Dialog der Großmächte würde schwerlich so in Gang kommen, wenn nicht die Europäer ihren Beitrag leisten würden. ({26}) Das kann man nur als ein verläßliches Mitglied im Bündnis. Das kann man nur als ein Partner, der Pflichten und Rechte in einem Bündnis gleichermaßen sieht. Wenn hier, vornehmlich von den GRÜNEN, Kritik geübt worden ist an unseren Bemühungen um eine Belebung der Westeuropäischen Union, so frage ich mich, wie Sie auf der anderen Seite beklagen, daß der Einfluß der Europäer im Bündnis nicht groß genug sei. ({27}) Es ist wahr: Das Gewicht der Vereinigten Staaten im Bündnis - nicht die Stärke! - ist groß. Aber es ist nicht zu groß, sondern das Gewicht der Europäer ist zu gering, weil es die Europäer bis zur Stunde nicht ausreichend verstanden haben, ihre Interessen so zu definieren, daß sie gleichgewichtig als Partner mit gleichen Leistungen, gleichen Rechten und gleichen Erwartungen im Bündnis, in der Gemeinschaft der Europäer, Gehör finden können. Für uns ist die Wiederbelebung der Westeuropäischen Union ein Stück europäischer Identität. Denn Europa kann bei seiner Identitätsfindung die Fragen seiner Sicherheitspolitik nicht aussparen. Herr Kollege Ehmke, zu den Ausführungen, die Sie hier über das Maß der Durchsetzbarkeit der Europäischen Akte gemacht haben, die ich mit meinem italienischen Kollegen Colombo vorgelegt hatte, muß ich Ihnen sagen: Die ersten Widerstände hatten wir nicht in Europa; die ersten Widerstände mußte ich hier, in der damaligen Bundesregierung, überwinden, wo der erste Entwurf des Auswärtigen Amtes schon eine Reihe von Rücknahmen und Einbußen hinnehmen mußte, weil man auf Ihrer Seite der Regierung nicht in dem Maße, z. B. nicht in den Fragen der Sicherheitspolitik, für eine Verstärkung der Rolle Europas, dargestellt damals durch die Staaten der Europäischen Gemeinschaft, eintrat. Das ist natürlich auch bei manchen unserer Partner deutlich geworden. Also werfen wir uns hier nicht gegenseitig etwas vor. Da kann es auch immer Meinungsverschiedenheiten in einer Regierung geben. ({28}) Das ist so ähnlich wie bei dem Seerechtsübereinkommen. Übrig bleibt, meine Damen und Herren: Es ist wichtig, daß in den Grundfragen der Außen- und Sicherheitspolitik die Richtung derjenigen, die gemeinsam eine Regierung tragen, stimmt, daß sie in diesen Grundfragen übereinstimmen. Das ist für diese Koalition der Fall. ({29}) - Aber ich bin nicht so bescheiden, Herr Kollege Ehmke, daß ich nicht auch jederzeit - heute wie früher - darum werben würde, für diese Außenpolitik ({30}) eine so breite Unterstützung wie überhaupt nur möglich hier im Deutschen Bundestag zu finden. ({31}) Das Gewicht der deutschen Außenpolitik wird auch bestimmt von der Breite der Unterstützung hier im Deutschen Bundestag. Ich wünschte mir, daß man unter dem Thema Außen- und Sicherheitspolitik eines Tages, wenn Sie den Prozeß Ihrer Selbstfindung beendet haben, generell auch die Unterstützung der SPD wieder als Positivum verzeichnen könnte. ({32})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Voigt ({0}).

Karsten D. Voigt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002388, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Bundesaußenminister, Ihre Aussagen zu Polen verdienen Unterstützung. Wir unterstützen sie. Die Polen-Politik ist wie die Frankreich-Politik ein Kernstück unserer Außenpolitik. Was wir bezweifeln, ist nicht Ihre gute Absicht; was wir bezweifeln, ist Ihre Durchsetzungsfähigkeit und damit Ihre außenpolitische Handlungsfähigkeit. Mit dieser Frage der außenpolitischen Handlungsfähigkeit entscheidet sich auch die Kraft, mit der Sie deutsche Interessen im Ausland - bei Verbündeten, aber auch im Osten - wahrnehmen können. ({0}) Die Absage der Polen-Reise hat einen polnischen Aspekt, aber auch einen koalitionspolitischen Aspekt. Sie haben auch heute nicht die Kraft besessen, sich mit denjenigen Gegnern der Aussöhnungspolitik in den Koalitionsfraktionen auseinanderzusetzen, die diese Auseinandersetzung nötig haben, damit man von einer geschlossenen Politik der Aussöhnung gegenüber der Volksrepublik Polen sprechen kann. ({1}) Die Grenzfrage muß für die Koalitionsparteien verbindlich geklärt werden. Der Kanzler hat dazu heute nicht die gleiche entschiedene Stellungnahme abgegeben wie Sie. Er hat nichts gesagt. ({2}) Sie muß verbindlich für die Koalitionsparteien insgesamt in der gleichen Eindeutigkeit geklärt werden, wie Sie das für sich gesagt haben, oder die deutsche Außenpolitik wird Schaden erleiden. ({3}) - Sie hat es bereits. Ich sage: Der RevanchismusVorwurf kann von uns nur glaubwürdig zurückgewiesen werden, wenn in dieser Frage Klarheit gegenüber der Volksrepublik Polen hergestellt wird. ({4}) Voigt ({5}) Wir zweifeln an Ihrer Handlungsfähigkeit und Kraft in der Frage des Seerechts. Sie haben nicht die Kraft gehabt, sich in dieser zentralen Frage der internationalen Politik durchzusetzen. Sie machen einen Spagat. Diese Seerechtsfrage ist nicht eine Randfrage, sondern eine Substanzfrage unserer internationalen Politik. ({6}) Sie haben hier nicht die Kraft, sich durchzusetzen. Deshalb werden Sie im außenpolititschen Bereich im Ausland in zunehmendem Maße nicht mehr als handlungsfähiger Außenminister wahrgenommen, sondern - ich sage es einmal - als Außenminister auf Abruf und von Gnaden der Koalitionsfraktionen und der dortigen Veto-Politiker. ({7}) Herr Bundesaußenminister, Sie haben heute zur UNESCO nichts gesagt, obwohl der Vertreter der Koalitionsfraktionen, Rose, hier den Austritt gefordert und angedeutet hat. Wer als Bundesaußenminister nicht die Kraft hat, hier gleich klar Stellung zu beziehen und zu sagen: Dies nicht mit mir, wer davon nicht auch sein Verbleiben im Auswärtigen Amt abhängig macht, wer die Kraft nicht mehr hat, in solchen Fragen auch mit dem Rücktritt zu drohen, der ist nicht mehr jemand, der im Ausland als handlungsfähig angesehen wird. ({8}) Sie sprachen von den Konsultationen, die der Bundeskanzler jetzt in Washington vorbereitet. Dies ist gut, wenn er dort die deutschen Interessen zur Sprache bringt, wenn er sie durchsetzt und wenn er mit substantiellen Ergebnissen zurückkommt. Sie dürfen sich nicht allein darauf verlassen, daß die Amerikaner sich bei uns von sich aus informieren werden. Die Amerikaner haben den damaligen Bundeskanzler über den Waldspaziergang nicht informiert und damit in einer entscheidenden abrüstungspolitischen Frage Politik hinter dem Rücken der Bundesregierung und zu Lasten unserer Interessen betrieben. ({9}) Wer dieses in Zukunft verhindern will, darf nicht eine duckmäuserische Politik ihnen gegenüber betreiben, sondern muß die eigenen Interessen öffentlich und intern kraftvoll wahrnehmen. Dazu fordern wir Sie auf, und daran werden wir Sie messen. Zu allerletzt zwei kurze Bemerkungen. Die NATO-Frage ist für die SPD klar. Sie steht zur NATO. Dazu gibt es Parteitagsbeschlüsse. Die gelten für jetzt und auch für die Zukunft. Zweitens. Erwin Horn hat vorhin hier eine Stellungnahme für die SPD-Fraktion mit konkreten Vorschlägen zur sicherheitspolitischen Diskussion abgegeben. Ich warte noch auf die Antwort auf diesen meiner Meinung nach diskussionswürdigen Vorschlag. ({10}) Von der CDU kommt da bisher nichts. ({11}) Ich warte auf Ihren Beitrag zur Diskussion über Militärstrategie und die künftige Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland. ({12})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Abgeordnete Klein ({0}). ({1})

Hans Klein (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001114, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Heute früh Vogel, heute abend Ehmke, ein schwarzer Tag für die SPD. ({0}) Der Kollege Ehmke hat es für richtig gehalten, heute immer von der Rechts-Wende und von der Rechts-Koalition zu sprechen. ({1}) Er versuchte, ein Schlagwort in die Öffentlichkeit zu bringen, um es als Schlagring gebrauchen zu können. Meine Damen und Herren, was immer Sie an Bezeichnung finden, dies ist die Koalition der Mitte, und sie wird sich auch durch Ihre Polemik nicht verrücken lassen. ({2}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, Festigkeit und Ausdauer der westlichen Regierungen haben dazu geführt, daß der amerikanisch-sowjetische Rüstungskontrolldialog Anfang Januar kommenden Jahres ohne Vorbedingungen - im Gegensatz zu Ihren Erwartungen, meine Damen und Herren von der SPD ({3}) und ohne einseitige Vorleistungen wieder aufgenommen wird. ({4}) Gut ein Jahr nach Ihrem Auszug aus dem INF und dem START-Gespräch wird die Sowjetunion wieder nach Genf an den Verhandlungstisch zurückkehren, um über den gesamten Fragenkomplex der Atom- und Weltraumwaffen zu verhandeln. ({5}) Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt es, daß die für Anfang Januar angesetzten Gespräche zwischen den beiden Außenministern Shultz und Gromyko stattfinden werden. Damit kann der amerikanischKlein ({6}) sowjetische Dialog von der Ebene der öffentlichen Erklärungen wieder in das vertrauliche Verfahren der Diplomatie zurückkehren. ({7}) Die Erwartungen an die Begegnungen Shultz/ Gromyko sind verständlicherweise hoch. Doch sollten wir nicht mit zu raschen Lösungen rechnen. ({8}) Lassen Sie uns realistisch sein. Ich hoffe, daß Moskau nicht wieder wie bei den INF-Verhandlungen des letzten Jahres der Fehleinschätzung unterliegt, die westlichen Regierungen könnten sich durch äußeren und inneren Druck im sowjetischen Sinne beeinflussen lassen. Meine Damen und Herren von der SPD und den GRÜNEN, begehen auch Sie nicht ein zweites Mal den Fehler, ({9}) Moskau auf diesem Wege zu ermutigen. ({10}) Ich erwähne das hier, weil Moskau am vergangenen Wochenende in einem Brief an die belgische Regierung auf die Wiederaufnahme des Abrüstungsdialogs hingewiesen hat. Dies kann auch als Versuch angesehen werden, auf die noch ausstehende Entscheidung Belgiens über die Stationierung von 48 Marschflugkörpern Einfluß zu nehmen. Heute lief die Nachricht über die Medien, daß die UdSSR ihren Rüstungshaushalt um 12 % gesteigert habe. Herr Kollege Vogel, Sie haben heute morgen das Ja der SPD zur NATO wiederholt. Angesichts der abenteuerlichen aktuellen Gedankenspiele sozialdemokratischer Politiker zu Verteidigungsfragen wiederhole ich, ({11}) was mein Kollege Volker Rühe vor einem Jahr hier gesagt hat: „Ihr heutiges Ja zum Bündnis ist nicht viel mehr wert als Ihr früheres Ja zum Doppelbeschluß. ({12}) Ja zum Bündnis und Nein zur Bündnispolitik, das ist der vorprogrammierte Ausstieg der SPD aus dem Bündnis." ({13}) Der Kollege Voigt hat der Bundesregierung und dem Bundeskanzler soeben empfohlen, öffentlich und intern die deutschen Interessen gegenüber den Amerikanern kraftvoll zu vertreten. ({14}) Herr Voigt, ich habe Sie noch nie davon reden hören, daß wir die deutschen Interessen gegenüber dem Osten kraftvoll vertreten sollen. ({15}) Meine sehr verehrten Damen und Herren, was der Kanzler hier zu Polen gesagt hat, wird von der CDU/CSU-Fraktion getragen. Was der Außenminister zu Polen gesagt hat, wird von unserer Fraktion getragen. ({16}) Was Kollegen wie Dr. Herbert Czaja oder Dr. Herbert Hupka zu diesen Fragen sagen, wird von unserer Fraktion getragen. Haben Sie sich schon einmal überlegt, wer die Kollegen Czaja, Hupka und Sauer sind, welches Schicksal sie haben, ({17}) welches Schicksal sie und ihre Familien unter den Nationalsozialisten hatten? Bevor Sie so leichtfertige Urteile abgeben, sollten Sie sich erst einmal informieren, wer welche Haltung einnimmt. ({18}) Herr Kollege Ehmke, Sie haben vorhin von einer Briefmarke gesprochen. Sie haben sich gegen eine Briefmarke „40 Jahre Vertreibung" gewandt. ({19}) - Er hat festgestellt, daß es eine geben soll, und hat sich dagegen gewandt. - Herr Schlaga, wenn Sie es gern so hätten. ({20}) - Sie sollten vorher nachlesen, bevor Sie so kesse Sprüche loslassen. Es wird eine Briefmarke geben „40 Jahre Eingliederung vertriebener Deutscher". ({21}) Aber selbst wenn die Briefmarke „40 Jahre Vertreibung" hieße, hätte ich weniger dagegen als gegen die Briefmarke „Rosa Luxemburg", die unter Ihrer Postministerzeit herausgekommen ist. ({22}) Herr Postminister a. D. Prof. Dr. Horst Ehmke, diese Information verdanke ich meinem Fraktionskollegen, dem Oberpostdirektor a. D. Dr. Erich Riedl. ({23}) Klein ({24}) Die Sprecher der SPD hielten es heute für richtig, sozusagen kalten Kaffee hier noch einmal aufzuwärmen ({25}) und den Seerechtsbeschluß der Bundesregierung zu beklagen. Herr Kollege Voigt, ich habe Ihnen schon an anderer Stelle dramatisches Tremolo in dieser Frage bescheinigt, und ich danke dem Kollegen Schäfer, der mich darauf hingewiesen hat, daß die Schlußakte der Konvention am 10. Dezember 1982 gezeichnet wurde. Und wenn es Ihnen wirklich so furchtbar wichtig gewesen wäre, warum haben Sie dann die Zeit bis zum 1. Oktober 1983 nicht genutzt? ({26}) Damals stellte die SPD den Bundeskanzler und war in der Regierungsmehrheit. Aber damals gab es auch Meinungsunterschiede, genauso wie es heute Meinungsunterschiede gibt. Und wir haben uns in dieser Frage an den Meinungsunterschieden der SPD und der damaligen Koalition nicht geweidet. Ich halte es für billig, wenn Sie es heute umgekehrt zu tun versuchen. Lassen Sie mich mit ein paar Sätzen auf Ihre Bemerkungen, Zwischenrufe und Unterstellungen gegenüber den kritischen Äußerungen meines Kollegen Dr. Klaus Rose zur UNESCO sagen. Ich war in der gleichen Debatte wie Sie, ich habe keine Forderung nach Austritt gehört. Wohl habe ich viel berechtigte und von mir geteilte Kritik am Verhalten der UNESCO gehört. ({27}) Nun sind Amerikaner und Briten - nebenbei bemerkt, beide Gründungsmitglieder der Vereinten Nationen ({28}) doch nicht Leute, die grundsätzlich alles kaputtmachen wollen, was die Vereinten Nationen geschaffen haben. Wer sich hier etwas hat zuschulden kommen lassen, waren nicht die Amerikaner und nicht die Briten. Wir haben uns in der Koalition - die Kollegin Hamm-Brücher hat mich vorhin darauf noch einmal angesprochen - vorgenommen, dieses Thema einmal mit großer Ernsthaftigkeit zu diskutieren. ({29}) Vor dieser Organisation hat unter sehr schwierigen Umständen zuzeiten der Koalition mit Ihnen der Bundesaußenminister mit Erfolg und sehr viel Anstrengung eine höchst unfreiheitliche neue Weltmedienordnung abgewehrt. ({30}) Ich habe zu Beginn von einem schwarzen Tag für die SPD gesprochen. Ich möchte bei dieser Generalfeststellung eine Ausnahme machen. Unter Ausklammerung ihres Hinweises, daß sie natürlich letzten Endes trotz allen sozialen Engagements den Einzelplan 05 ablehnen werde, möchte ich der Kollegin Huber für ihre sachlichen Ausführungen zu diesem Einzelplan und zum Auswärtigen Dienst mein ausdrückliches Kompliment machen. Der Bundeskanzler hat in seiner großen Rede die Eckdaten unserer Außenpolitik abgesteckt. ({31}) Vor dem Hintergrund der außenpolitischen Einlassungen seitens der SPD ist noch einmal deutlich geworden, wohin wir gekommen wären, wenn diese Sozialdemokraten an der Regierung geblieben wären. Hier ist ein Wort des Dankes an die Adresse des Bundesaußenministers fällig. Sie haben im richtigen Moment die Notbremse gezogen. Die deutsche Außenpolitik ist wieder berechenbar geworden. ({32}) Wir haben im Osten viel Kooperationsbereitschaft, ja Sympathie vorgefunden. Wir haben im Westen Vertrauen und Freundschaft wiederhergestellt. Lassen Sie mich zum Schluß auch noch einmal auf das vom Kollegen Gansel kritisierte Bild zu sprechen kommen: Der sozialistische französische Präsident, der über den Gräbern von Verdun dem christdemokratischen deutschen Bundeskanzler die Hand reicht. - Herr Kollege Gansel, dies ist ein Bild, von dem wir uns vorstellen, daß es ein Modell für eine europäische Friedensordnung wird. ({33})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Das Wort hat der Bundesminister des Auswärtigen. ({0})

Hans Dietrich Genscher (Minister:in)

Politiker ID: 11000661

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Voigt, Sie haben zu Recht beanstandet, daß ich zur Frage der Mitgliedschaft in der UNESCO nichts gesagt habe. Es ist nicht beabsichtigt, die Organisation zu verlassen, aber es ist beabsichtigt, alles zu tun, um ihre Arbeit zu verbessern. Aus diesem Grunde wären wir dankbar, wenn Sie uns dabei breit unterstützen würden. ({0}) - Er hat ja gefragt; die Regierungskoalition muß mich nicht fragen. ({1}) Das wollte ich Ihnen nur sagen. Herr Kollege Voigt, es wäre verlockend, noch eine Menge zu Ihrem Parteitagsbeschluß und der NATO zu sagen. Ich halte es jetzt so: Ich halte mich an das, was Herr Lafontaine sagt. Der spricht aus, was viele bei Ihnen denken und was oft wenige Jahre später Wirklichkeit sozialdemokratischer Politik wird. ({2})

Richard Wurbs (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002576

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zuerst über die Änderungsanträge des Abgeordneten Reents und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2463, 10/2464, 10/2465, 10/2466, 10/2469, 10/2470 und 10/2471. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2463 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2464 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2465 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. - Wir sind uns hier oben einig; wir haben das vorher festgestellt. Wer dem Änderungsantrag auf Drucksache 10/2466 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir stimmen jetzt über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2469 ab. In diesem Antrag wird unter Nr. 1 eine Streichung des Tit. 686 22 und für den Fall der Ablehnung unter Nr. 2 eine Kürzung dieses Titels beantragt. Ich lasse daher getrennt abstimmen. Wer der Nr. 1 des Änderungsantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Nr. 1 des Änderungsantrages ist abgelehnt. Wer der Nr. 2 des Änderungsantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. -Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Nr. 2 des Änderungsantrages ist abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2470 ab. Auch bei diesem Änderungsantrag lasse ich wegen der alternativen Antragsstellung getrennt abstimmen. Wer der Nr. 1 des Änderungsantrages auf Drucksache 10/2470 zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Nr. 1 ist abgelehnt. Wer der Nr. 2 des Änderungsantrages zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Nr. 2 ist abgelehnt. Es ist noch über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2471 abzustimmen. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenstimmen? - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist abgelehnt. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Einzelplan 05. Wer dem Einzelplan 05, Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan ist angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - Drucksachen 10/2314, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Löher Dr. Stavenhagen Dr. Riedl ({0}) Frau Traupe Kleinert ({1}) Reents Einzelplan 35 Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - Drucksache 10/2325 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Rossmanith Kleinert ({2}) Zum Einzelplan 14 liegen Ihnen Änderungsanträge des Abgeordneten Kleinert ({3}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2462 und der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/2479 und 10/2480 vor. Meine Damen und Herren, nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Einzelpläne 14 und 35 eine verbundene Aussprache von zwei Stunden vorgesehen. Sind Sie mit dieser Regelung einverstanden? - Das ist der Fall. Das Wort zur Berichterstattung erhält der Abgeordnete Kleinert ({4}).

Dr. Hubert Kleinert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001122, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich ergreife hier als Berichterstatter deshalb kurz das Wort, um bei dieser Gelegenheit meine Erfahrungen mit der parlamentarischen Beratung des Einzelplans 35 an das Licht der Öffentlichkeit treten zu lassen. Der Einzelplan 35 hat ein Volumen von 1,7 Milliarden DM. Besonders interessant sind dabei jene 1,3 Milliarden DM, die als Kosten für den Aufenthalt der alliierten Streitkräfte in Berlin in den Bundeshaushaltsplan für 1985 eingestellt werden sollen. Diese 1,3 Milliarden DM sind in diesem Haushaltsplan auf insgesamt gerade zwei Seiten veranschlagt. Sie sind in wenige Einzeltitel mit Sammelbezeichnungen untergliedert, die keinerlei näheren Aufschluß über den Verwendungszweck der Mittel erlauben. ({0}) Kleinert ({1}) Zu diesen Titeln existieren darüber hinaus keinerlei nähere Erläuterungen. Daher mußte mir als Berichterstatter völlig uneinsichtig bleiben, für welche Zwecke sie im einzelnen verausgabt werden sollen. Verschiedene Nachfragen erbrachten keinerlei näheren Aufschluß darüber. Sie brachten dafür aus meiner Sicht folgenden Sachverhalt heraus: Über die Verwendung dieser Mittel hat seit Jahrzehnten keinerlei wirkliche parlamentarische Beratung stattgefunden. Die Mittelansätze werden de facto von den zuständigen alliierten Stellen festgesetzt. Beamte des Finanzministeriums werden dabei lediglich konsultiert. Auf mehrere telefonische und mündliche Rückfragen hin wurde mir seitens des Finanzministeriums mitgeteilt, daß die Alliierten es nicht wünschten, daß schriftliche Unterlagen über die Verwendungszwecke dieser Mittel in Umlauf gerieten. Auch der Bundesrechnungshof hat keinerlei wirkliche Kontrollkompetenzen in diesem Bereich. Ministeriumsvertreter versicherten darüber hinaus, daß deutsche Stellen in diesem Zusammenhang allenfalls ein Anhörungsrecht besäßen. Eine mir nach mehreren Nachfragen dann doch zögerlich zugesicherte schriftliche Unterrichtung über einige wichtige Einzelprojekte ist bis heute unterblieben. Meine Eindrücke bringen mich, zwingen mich zu folgender Schlußfolgerung: Mit dem Einzelplan 35, insbesondere mit dem Kapitel über die Besatzungskosten in Berlin, soll der Deutsche Bundestag über einen Etatansatz entscheiden, bei dessen Zustandekommen er keinerlei tatsächliches Mitwirkungsrecht besitzt. Souverän ist hinsichtlich dieses Teils des Haushaltsplans offenkundig nicht das Parlament der Bundesrepublik Deutschland, nicht die Vertretung des Volkes, sondern sind die Vertreter fremder Staaten. Sie sind souverän in einer Weise, daß ihre Wünsche, die Ausgabengestaltung möglichst geheim zu halten, ausreichend sind dafür, daß deutschen Abgeordneten der Einblick in die Etatansätze verwehrt bleiben kann. Die dafür angegebene Rechtsgrundlage, ein Briefwechsel des ehemaligen Bundeskanzlers Adenauer mit den damaligen Alliierten Hohen Kommissaren, vermag diese Praxis darüber hinaus keineswegs als begründet erscheinen zu lassen. Das Ganze ist um so bedeutsamer, wenn man bedenkt, daß es im Zusammenhang mit den Maßnahmen, die aus diesem Haushaltsplan finanziert werden sollen, zu zahlreichen Klagen und Beschwerden West-Berliner Bürger gekommen ist und dies ein politisches Thema in West-Berlin ist. Sich mit solchen Problemen zu befassen, müßte doch an sich auch Angelegenheit des Deutschen Bundestages sein. Damit können wir uns aber nicht befassen. Das bleibt uns verwehrt, solange hier keinerlei Einblicke, geschweige denn Kontrollmöglichkeiten, gegeben werden. Es ist de facto nicht möglich, überhaupt nur nachzusehen, was im einzelnen projektiert ist. Das ist meines Erachtens ebenso ein untragbarer Zustand wie die Tatsache, daß wir hier z. B. einer Ausgabensteigerung von 7 % zustimmen sollen, von der eigentlich niemand von uns wissen kann, wieso sie zustande kommt. Vielen Dank. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Wird weiterhin zur Berichterstattung das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann eröffne ich die allgemeine Aussprache. Das Wort hat die Frau Abgeordnete Traupe. ({0})

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zunächst, Herr Kollege Kleinert muß ich Ihnen recht geben. Es hat uns Haushälter immer etwas geärgert, daß der Einzelplan 35 ein Sonderdasein fristet, obwohl es sich um deutsche Steuermittel handelt. In der Tat wäre zu überlegen, ob wir nicht 40 Jahre nach Kriegsende dort etwas gründlicher hineingucken sollten. ({0}) Im übrigen will ich sagen, daß die SPD-Fraktion diesem Haushalt zustimmen wird. Meine Damen und Herren, als wir vor einem knappen Jahr, am 7. Dezember 1983, hier im Plenum den Verteidigungshaushalt 1984 debattierten, hatte der Haushaltsausschuß vorher gemeinsam 181 Millionen DM aus dem Regierungsentwurf gekürzt. Die SPD-Fraktion legte darüber hinaus einen Änderungsantrag vor, der weitergehende Kürzungen in Höhe von 679 Millionen DM, allerdings auch Erhöhungen in Höhe von 228 Millionen DM, vorsah. Die wichtigste Erhöhung war uns damals die Anhebung des Wehrsolds von 120 Millionen DM, um die jungen Wehrpflichtigen bereits ab dem 1. Januar 1984 in den Genuß dieser Erhöhung kommen zu lassen. Sie haben das abgelehnt, obwohl wir Ihnen gleich gesagt hatten, Herr Dr. Wörner, daß Sie das spielend aus Ihrem Etatansatz würden bezahlen können. Dazu kamen noch 60 Millionen für Baumaßnahmen, 5 Millionen DM für Bewachungskosten - und immer wieder kam das Thema Bereitstellung von Mitteln für eine zweite Familienheimreise sowie die Aufstockung von Mitteln für Nachhilfeunterricht. Unsere damaligen Anregungen zu Anhebungen haben Sie, Herr Dr. Wörner, doch im Laufe des Jahres 1984 aufgegriffen. Unsere weitergehenden Kürzungsvorschläge bei Beschaffungstiteln haben Sie offiziell verurteilt. Nun hat der Bundesfinanzminister am 30. Oktober 1984 dem Haushaltsausschuß mitgeteilt, daß die Ausgaben für Verteidigung - er hat auch den Mittelabfluß anderer Etats mitgeteilt - in den ersten drei Quartalen 1984 mit 33,7 Milliarden DM um 400 Millionen DM niedriger gelegen haben als in dem entsprechenden Vorjahreszeitraum. Und ich habe mich heute noch einmal schlau gefragt ({1}) - sofort, Herr Biehle -: Sie haben jetzt, am 31. Oktober 1984, immer noch 236 Millionen DM weniger ausgegeben als 1983, obwohl Sie, verehrter Herr Kollege Dr. Stavenhagen, und Sie, Herr Weng, einer Anhebung dieses Etats um 1,1 Milliarden DM zugestimmt hatten. Wir stellen fest, meine Damen und Herren, daß unsere maßvollen Kürzungen in Höhe von 670 Millionen DM spielend erbracht werden. Dies ist wichtig für das Protokoll. Herr Biehle.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgordnete, Sie gestatten eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Biehle? Bitte schön.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Verehrte Frau Kollegin Traupe, würden Sie mir nicht beipflichten, wenn ich feststelle, daß die behutsame und bedachtsame Ausgabe im Sinne des Steuerzahlers ist, während das, was der Rechnungshof in diesen Tagen hinsichtlich der Regierungszeit der SPD festgestellt hat, daß nämlich allein 100 Millionen DM Zinsverlust entstanden sind, weil man falsche Vereinbarungen bei der Rüstungsbeschaffung getroffen hat, in krassem Gegensatz dazu steht?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Lieber Herr Kollege Biehle, ich bin ja als Haushaltsausschußmitglied sehr damit einverstanden, daß wir weniger Geld ausgeben. Ich bin nur gegen Etikettenschwindel bei der angeblichen 3-%-Steigerung. Das zweite: Der Rechnungshof hat sich meines Erachtens zu Unrecht Federn an den Hut gesteckt. Der Kollege Apel kann Ihnen erzählen, daß wir bei den Haushaltsberatungen für 1982 im Jahre 1981 diese Dinge angesprochen haben. Damals haben Sie mich - wie ich im Protokoll nachgelesen habe - netterweise immer noch als die „Oberstreicherin" bezeichnet. Vielleicht erkundigen Sie sich beim Abgeordneten Herrn Wimmer darüber, wie das denn nun jetzt mit den zuviel gezahlten Leistungen bei AWACS auch unter dieser Regierung abläuft. Ich will nun - Sie werden das verstehen - weitermachen. Uns gemeinsam eint die Tatsache, daß es nicht gut ist, zuviel auszugeben, sondern es besser ist, die Nettokreditaufnahme zu vermindern. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete, Sie haben zu entscheiden.

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

An sich schon, aber Sie wissen, wie das bei diesem Parlament mit der Zeit ist.

Alfred Biehle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000176, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Würden Sie mir, Frau Kollegin, nicht zustimmen, daß der mangelnde und langsame Abzug der Mittel insbesondere auch damit begründet ist, daß in der Vergangenheit bei Forschungs- und Entwicklungsmitteln immer wieder gekappt worden ist und deswegen in der technologischen Entwicklung vieles nicht umgesetzt werden konnte?

Brigitte Traupe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002099, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich komme, lieber Herr Kollege Biehle, gleich dazu. Der Bundesfinanzminister gab zu diesem Mittelabfluß lapidar folgende Begründung - ich zitiere aus der Drucksache -: Dieser Rückgang ist in erster Linie auf den innerhalb eines Kalenderjahres unregelmäßigen Mittelabfluß für militärische Beschaffungen zurückzuführen. Nun, Herr Dr. Voss, als sparsamer Hausvater kann Ihr Minister j a seine reine Freude daran haben, daß sein Kabinettskollege Dr. Wörner ihm jetzt behilflich ist, die Nettokreditaufnahme für 1984 erheblich zu senken. Wir aber stellen noch einmal fest: Unsere Kürzungsanträge vom Dezember 1983 waren maßvoll und berechtigt. ({0}) Ich will Ihnen, Herr Biehle, drei Beweise geben. Erstens. Nach zehn Monaten betragen die Ausgaben für die Erhaltung des Fahrzeug- und Kampffahrzeugmaterials der Streitkräfte 1 078 Millionen DM. Beschlossen sind für 1984 von Ihnen jedoch 1 520 Millionen DM. Unsere Kürzung um 20 Millionen DM war damals als unverantwortlich hingestellt worden. Sie können ganz sicher sein, den Ansatz von 1,5 Milliarden DM, wie wir ihn uns vorgestellt haben, wird das Haus nicht erreichen! Zweitens. Bei der Beschaffung von Kampffahrzeugen beträgt das Ist am 31. Oktober 1984 1 661 Millionen DM. Das Soll 1984 ist jedoch auf 2 350 Millionen DM angesetzt. Wir Sozialdemokraten wollten sparsamer sein. Wir wollten höchstens 2 250 Millionen DM ausgeben. Nur, Sie unterbieten uns wieder dabei, Herr Wörner. Noch ärger - jetzt komme ich zu den großen, internationalen Systemen - ist jedoch die Mittelveranschlagung für das Waffensystem MRCA gewesen. Die Bundesregierung veranschlagte die Mittel im Sommer 1983 für das Jahr 1984 auf 3 650 Millionen DM. Nach hartnäckigen Rückfragen aller Haushälter wurden sie dann im Ausschuß auf 3 350 Millionen DM festgelegt. Wir Sozialdemokraten wollten, Herr Biehle, 3 250 Millionen DM. Tatsächlich sind aber bis zum 31. Oktober 1984 2 432 Millionen DM abgeflossen. Wollen Sie mir einmal erzählen, ob Sie die restlichen 818 Millionen DM in den letzten zwei Monaten verpulvern wollen? ({1}) Ich hoffe, hier wird der Sachverstand und die Wachsamkeit der Beamten im Finanzministerium und im Verteidigungsministerium helfen, dies zu verhindern. Meine Damen und Herren, nur an Hand dieser drei Beispiele - die ich beliebig fortsetzen könnte - möchte ich Ihnen hier im Plenum und den wenigen Zuschauern verdeutlichen, wie kritisch man als Parlament an die Haushaltsansätze einer Regierung herangehen muß, Herr Kollege Stavenhagen. Auf diesem Hintergrund müssen unsere Kürzungsvorschläge in Höhe von 1,6 Milliarden DM für den Verteidigungshaushalt 1985 gesehen werden. Wir sozialdemokratischen Verteidigungs- und Haushalts7588 Politiker haben uns anfangs selbst erschrocken, als wir für das Jahr 1985 - nun sehe ich Herrn Horn an - gemeinsam Kürzungsvorschläge von 1,9 Milliarden DM erarbeiteten, von denen Sie als Koalition ja netterweise wenigstens im Haushaltsausschuß 300 Millionen DM mitgetragen haben. ({2}) Leider nicht mehr. Nur deshalb nicht, weil sich diese Regierung an die 3 %ige Steigerungsrate des Verteidigungsetats klammert und lieber viel zu hohe Titelansätze in Kauf nimmt. ({3}) Weil Sie nicht wissen, wo Sie mit dem Geld hin sollen, wollen Sie 1985, was schlimmer ist, mit der Beschaffung neuer Waffensysteme beginnen, die unserer Meinung nach noch gar nicht einführungsreif sind. Wir machen beides jetzt nicht mit. ({4}) Wir schlagen Ihnen in 15 Positionen Kürzungen vor, die wir für sinnvoll halten. Für die SPD-Bundestagsfraktion beantrage ich auch eine namentliche Abstimmung über diese Vorschläge, damit dokumentiert wird, wer in diesem Haus realistisch sparen will und wer das Geld der deutschen Steuerzahler zum Fenster hinausschmeißt. ({5}) 1985 könnte nämlich der Verteidigungsetat - Herr Bötsch, Sie kommen ja gleich dran - erstmals wieder ({6}) - das war meine Idee - seit 1968 gegenüber dem Vorjahr abgesenkt werden. Anders als damals der Bundesfinanzminister Dr. Strauß - Ihr heutiger Ministerpräsident, meine Herren und meine Damen von der CSU - wollen wir j a gar nicht um 10% kürzen. Wir wollen nur, daß dieser Etat um 1% abgesenkt wird, statt um 3% zu steigen. Ich sage in die Richtung verschiedener Leute - auch in diesem Plenum -: Das wird nicht in jedem Jahr möglich sein. Aber für das Jahr 1985 ist es sinnvoll, weil wir das Geld, Herr Generalinspekteur, unbedingt für Verteidigungsaufgaben in späteren Zeiten brauchen. ({7}) Wir tragen auch, Herr Biehle, die Beschaffungsmaßnahmen für den MLRS-Werfer, für die Waffenträger PATRIOT und ROLAND jetzt noch nicht mit, weil wir die technischen Mängel bei der Elektronik, beim Radar und bei der Munition kennen. Das Heer hat noch genug damit zu tun, die 140 Flugabwehrraketenpanzer Roland oder den Gepard oder den Leo 2 oder den Panzerabwehrhubschrauber 1 voll einsatzbereit zu machen. Von der Einsatzfähigkeit des Tornados wollen wir hier gar nicht reden. ({8}) Wir wollen keine neuen Waffenträger kaufen, solange moderne Munition und Elektronik noch zu viele Schwierigkeiten bereiten. Um diese Schwächen abzubauen, tragen wir einen erheblichen Anstieg der Forschungs- und Entwicklungsmittel mit. Alle allerdings nicht, Herr Wörner. Wenn es nach mit gegangen wäre, hätte ich noch etwa mehr gekürzt. Aber da habe ich den Verteidigungspolitikern meiner Fraktion geglaubt. Wir wollen auch jetzt noch nicht nein sagen zu einem neuen Jagdflugzeug der 90er Jahre. Aber wir sagen natürlich auch nicht ja zu den „phantastischen" Entwicklungsplanungen, für die es noch keine abgestimmte Konzeption gibt. Die SPD-Bundestagsfraktion hat, auch wenn es ab und zu anders zu sein schien, die Bereitstellung von 150 Millionen DM für den Jäger 90 im Haushalt 1985 zugestimmt, damit die Konzeptionsphase mit den übrigen vier beteiligten Partnerländern fortgesetzt werden kann. Sie erwartet dann - auf Grund schlechter Erfahrungen der Vergangenheit -, daß eine materiell und technologisch abgegrenzte und bestimmte Definitionsphase vorgelegt wird. Erst danach wollen wir entscheiden, ob wir die Mittel für die Entwicklung bis zur Serienreife mittragen. Sowohl der Baransatz von 180 Millionen DM für 1985 wie die bereits mit 3,348 Milliarden DM bezifferten Verpflichtungsermächtigungen sind rein geschätzte Ansätze. Wir Haushälter nennen das immer die Rechnung „ mal Daumen". So, Herr Wörner, geht man mit dem Geld des deutschen Steuerzahlers nicht um. ({9}) - Ja, man verführt die Industrie nur dazu, dieses Geld auch auszugeben. ({10}) Mit großem Interesse habe ich die Leistungskraft der deutschen Industrie im Rüstungsbereich studiert. Ich bin überhaupt nicht bereit, sie abzuqualifizieren und an der falschen Stelle zu schelten, solange wir sie animieren, reichlich bereitgestelltes Geld auch abzurufen. Meine persönliche Meinung bleibt es: Für effizientes Entwickeln muß die Industrie eigenes Geld einsetzen, d. h. sie muß finanziell beteiligt werden, weil sie sich dann Mühe gibt, schneller zum Zuge zu kommen. ({11}) Wenn Sie, Herr Bundesminister, die militärische Führung der Bundeswehr und ihre leitenden zivilen Beamten sich bemüht haben, mit den Bundeswehrplänen 1984 und 1985 eine Rüstungsbestandsaufnahme vorzunehmen, so begrüße ich das. Es war auch ein gemeinsamer Wunsch des Parlaments, daß Sie den Versuch einer Langzeitplanung unternahmen. Wir haben Ihre Planung am 25. Oktober 1984 im Haushaltsausschuß gemeinsam zur Kenntnis genommen. Wir fühlten uns überhaupt nicht in der Lage, schon ja oder nein zu sagen. ({12}) Ich frage Sie aber: Warum haben Sie Ihren Fachleuten und dem Verteidungsausschuß nicht die Chance gegeben, in Ruhe Ihre Planvorschläge miteinander zu beraten? ({13}) Warum suchten Sie die viel zu schnelle Zustimmung der Koalitionsfraktionen im Verteidigungsausschuß, die eine sachliche weitere Beratung nicht erlaubte? ({14}) - Ich war dabei, lieber Herr Wimmer. Zwei Stunden vorher hat mir Herr Wörner noch gesagt, er sei bereit, unsere Vorstellungen mit aufzunehmen. Als ich wiederkam, waren Sie beim Abstimmen. Seien Sie still; es war eine traurige Sache. ({15}) Warum gaben Sie den Sozialdemokraten nicht die Gelegenheit, eigene Vorstellungen einzubringen und mit Ihnen zu beraten? Nun ist in den letzten Wochen manches unbedachte Wort gefallen. - Auch aus meiner Partei. Deshalb betone ich ausdrücklich, daß die von uns vorgelegten Kürzungsvorschläge nur mit sparsamer Haushaltsführung etwas zu tun haben, nicht mit einem eventuellen Infragestellen der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr. ({16}) Es ist meine feste Überzeugung, ({17}) Herr Ehmke, daß sich die Bundesrepublik kein Opportunismusdenken in der Sicherheitspolitik leisten kann. ({18}) Regierung und Opposition können und sollten sich über Haushaltsansätze, über Langzeitplanung und Beschaffung miteinander streiten, nicht aber über den Wert der Bundeswehr und der Allianz insgesamt. ({19}) Das sage ich auch dem abwesenden Herrn Minister Genscher. Aus diesem Grunde will ich auf unsere Kürzungsvorschläge bei der Verteidigung im internationalen Bereich noch ein bißchen eingehen. Nicht aus Gegnerschaft zu den Vereinigten Staaten, sondern aus Vernunft halten wir ein schnelles Hochfahren der NATO-Infrastrukturausgaben oder der Mittel für Wartime Host Nation Support für falsch. Unsere deutschen Vertreter bei der NATO in Brüssel sollten, statt sich für einen zu schnellen Aufwuchs der nächsten Slices einsetzen - es lohnte sich, einmal zu untersuchen, wer mitgehofen hat, warum wir jetzt soviel Geld draufgelegt haben -, lieber dafür sorgen, daß nun nach der Beschaffung des NATOFrühwarnsystems AWACS auch deutsche Soldaten dem fliegenden Personal angehören und ermittelte Daten nicht nur selektiv an die übrigen Partner weitergegeben werden, wie uns das im Sommer 1984 bei unserem Besuch gesagt wurde. Im Gegensatz zu manchen Kollegen aus allen Fraktionen des Hauses halte ich auch nicht sehr viel von den Blütenträumen europäischer Rüstungskooperation. Für die Bundeswehrausrüstung muß gelten: Wir arbeiten mit jedem Partnerland bei neuen Systemen zusammen, wenn diese auch in der Bundesrepublik gebaut und gewartet werden können. An den technischen und militärischen Innovationsfähigkeiten der USA wollen wir schon teilhaben. Mir gefällt übrigens die Robustheit der Amerikaner in der Vertretung ihrer Interessen. Wir Deutschen sollten ein gleiches tun, zumal unsere deutsche Industrie in verschiedenen Bereichen sehr wohl auch den Amerikanern überlegene Spitzentechnologie anbieten kann. Fast 40 Jahre nach Kriegsende sind wir ein verläßlicher Partner der USA geworden. Das sollten wir mit Selbstbewußtsein vertreten. Zuletzt möchte ich mich an die Soldaten und die zivilen Bediensteten der Bundeswehr wenden. Ihnen allen möchte ich sagen: Wir Sozialdemokraten bedanken uns für die gewissenhafte Arbeit, die Sie leisten. In dreieinhalb Jahren habe ich erlebt, welche Kompetenz in den Streitkräften und in der Verwaltung vorhanden ist. Deshalb hat die SPD-Fraktion auch sofort verlangt, daß der Tarifabschluß im öffentlichen Dienst auf die Zeit- und Berufssoldaten sowie die Bundesbeamten übertragen wird. Wir begrüßen und unterstützen nachdrücklich Ihren Vorschlag, Herr Minister Wörner, 1022 neue Soldatenstellen und 645 zusätzliche Stellen für Auszubildende im Jahr 1985 einzusetzen. Wir sind für ein verbessertes Aufkommen bei den Unteroffizieren, für den Abbau des Verwendungsstaus und für den Mehrbedarf beim betriebsärztlichen Dienst. Wir akzeptieren nicht die Einstellung von 207 Millionen DM für Langzeitmaßnahmen, solange wir nicht wissen, was sich dahinter verbirgt. In Wirklichkeit ist es nämlich eine Sparkasse. Da sollten Sie, Herr Dr. Voss, lieber darauf achten, daß wir 1985 nicht die magische Summe von 400 Milliarden DM Bundesschuld erreichen. Bitten möchte ich alle Kolleginnen und Kollegen dieses Hauses um die Zustimmung zu unserem zweiten Antrag. Anläßlich eines 49-Milliarden-DM- Etats müssen wir uns schämen, daß sich bis zum Ende dieses Jahres die Anhebung der Tagegelder für mehrtägige Übungen im Ausland nicht durchsetzen ließ. Außerdem habe ich hier das erstemal schon am 19. Januar 1982 an den Bundesverteidigungsminister Apel appelliert, er möge endlich eine zweite Familienheimfahrt für verheiratete Trennungsgeldempfänger und für Nachhilfeunterricht eine Aufstockung zulassen. Nun sind wir es leid und bitten Sie: Stimmen Sie diesem Antrag zu. ({20}) Für 1985 habe ich mir persönlich vorgenommen, die Belange der Menschen in der Bundeswehr besser kennenzulernen, ob es Bekleidungs- oder Unterkunftsfragen sind, ob mangelnder Lärmschutz oder falsche Sitze in Waffenträgern, ob es um die Familien, die Kinder oder die Chancen zum eigenen Heim geht oder ob es der Beförderungsstau bei den zivilen Bediensteten ist. Schließen will ich mit dem Wort eines guten Freundes aus meinem Wahlkreis, der Berufsoffizier ist und am Schluß seiner Briefe immer schreibt: Und vergeßt mir in Bonn vor lauter Technik die Menschen in der Bundeswehr nicht! ({21}) Daran wollen auch wir nüchternen Haushälter im nächsten Jahr denken. ({22}) Vizepräsient Westphal: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Stavenhagen. ({23})

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Traupe hat heute eine ungewöhnlich friedfertige Rede gehalten. Ich nehme an, das hat damit zu tun, daß die Zeitschrift „Wehrtechnik" sie zum „Mann des Jahres der Rüstungsindustrie" gemacht hat, wozu ich natürlich herzlich gratuliere. ({0}) Die Rede des Kollegen Horn hat nicht unbedingt zur Klärung der sicherheitspolitischen Position der SPD beigetragen. ({1}) Herr Horn, ich habe Ihre Rede gehört. Sie sagten, Sie seien unter bestimmten engen Bedingungen bereit, zu prüfen, ob die Wehrpflicht verlängert werden müsse. Herr von Bülow sagt in seinem Papier, von der militärischen Zweckmäßigkeit her bestehe sogar die Möglichkeit, die Wehrpflicht stufenweise abzusenken. Sie sagen, die 300 000 Mann wären Herrn von Bülow entlockt. Dann kommt in Ihrer weiteren Rede das Angebot von 400 000, 430 000. Wissen Sie, meine Damen und Herren, der Friedensumfang der Bundeswehr ist kein Fetisch, sondern richtet sich nach dem operativen Minimum. Dieses wiederum hängt davon ab, wie wir die Bedrohung und die Vorwarnzeit einschätzen. Da allerdings würde ich empfehlen, auf der sicheren Seite und nicht auf der unsicheren zu sein.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Dr. Stavenhagen, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Jungmann?

Horst Jungmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege Stavenhagen, können Sie sich erinnern, daß unter dem Finanzminister Franz Josef Strauß die Bundeswehr einen Friedensumfang von 400 000 Soldaten hatte und der operative Umfang genauso hoch war wie heute?

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, der Auftrag, den die Bundeswehr heute zu erfüllen hat, ist in einer bestimmten Zeit zu erfüllen. Da können wir durchaus darüber diskutieren, ob es 450 000 oder 470 000 Mann sein müssen. Aber ich muß doch auf der sicheren Seite sein und kann nicht einfach Zahlen in die Diskussion werfen, weil ich damit glaube, den Herrn von Bülow wieder einfangen zu können. Das ist das Problem. Ich möchte Ihnen ein Zitat vorlegen, nicht von Manfred Wörner, sondern von dem Kollegen Apel: Der Grundwehrdienst wird verlängert werden müssen. Das Gesetzgebungsverfahren wird Mitte der 80er Jahre einzuleiten sein. Dann sagt er weiter: Die Stärkung der konventionellen Verteidigung bleibt Ziel aller zu ergreifenden Maßnahmen. Dies gilt auch angesichts der begonnenen Strategiediskussion. Jede weitere Kaderung - so Kollege Apel vor zwei Jahren schwächt die Fähigkeit zur Vorneverteidigung; sie dürfte auch Präsenzminderung bei den Verbündeten auslösen. Heute gilt das alles nicht mehr, heute ist das alles ganz anders. ({0})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Dr. Stavenhagen, gestatten Sie noch eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Klejdzinski?

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön, Herr Klejdzinski.

Dr. Karl Heinz Klejdzinski (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001124, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Stavenhagen, können Sie sich als Haushälter vorstellen, daß Vorwarnzeiten von modernen Aufklärungsmitteln abhängig sind und daß sie mit der modernen Aufklärungstechnik durchaus so verlängert werden können, daß man dementsprechend reagieren kann?

Dr. Lutz G. Stavenhagen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002223, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, Haushälter haben eine ganze Menge Phantasie und können sich eine ganze Menge vorstellen. Nur können sich Haushälter auch vorstellen, daß die Entscheidung, in Spannungszeiten mobilzumachen, außerordentlich schwierig ist. Deswegen würde ich gern eine ausreichende Zahl präsenter Truppen im Frieden haben, damit ich die Spannungen nicht zusätzlich anheize. ({0}) In der Bedrohungsanalyse des Kollegen von Bülow wird der Sowjetunion eine durchgreifende Fähigkeit zum Kappen der Seeverbindungen USA - Europa abgesprochen, weil die Kräfte dazu nicht ausreichten. Der damalige Verteidigungsminister Apel sagte 1979 hier im Bundestag, ({1}) daß jeder die Bedrohung der Nordflanke besonders angesichts der sowjetischen Nordmeerflotte und ihrer Operationsmöglichkeiten spüren würde. Kollege von Bülow hat selbst noch 1978 darauf hingewiesen, daß die Luft- und Seetransporte, auf die die NATO angewiesen sei, besonders störanfällig waren. Es ist bemerkenswert, was Herr von Bülow zu den 60 000 Panzern des Warschauer Paktes sagt. Er sagt, ein erheblicher Teil sei kaum noch einsatzfähig, man warte möglicherweise darauf, sie in Abrüstungsverhandlungen einzubringen, vielleicht sei nur der Weg zum Schrottplatz zu schwierig, und Transportkapazitäten fehlten. Die Batterien würden auf dem Schwarzen Markt verhökert. Er schreibt 1979, daß die Panzerüberlegenheit des Warschauer Paktes hohen politischen Rang hat, Grund für Mißtrauen ist, ({2}) weil Panzer wegen ihrer besonderen Eignung für Angriff und Besetzung fremder Territorien politischen Symbolwert besitzen. ({3}) - Herr Kollege, ich vergleiche nur, was er noch vor zwei, drei Jahren gesagt hat und was er heute in seiner Bedrohungsanalyse schreibt, die bei den Haushaltsberatungen von den Kollegen der SPD immer wieder liebevoll als Referenz herangezogen worden ist. ({4}) Meine Damen und Herren, die Bundeswehrplanung will auf der personellen Seite das präzise definierte operative Minimum erhalten. ({5}) Auf der materiellen Seite zielt sie darauf, erkannte Schwachstellen zu beseitigen. Ich nenne als Beispiele die Steigerung des Aufklärungspotentials, die Verbesserung der Luftverteidigung, ({6}) die Verbesserungen der elektronischen Kampfführung, qualitative und quantitative Verbesserung der Munitionsbevorratung und die Verbesserung des Sanitätsdienstes. Im Verteidigungsetat 1985 werden die eingeleiteten Bemühungen fortgesetzt, die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes personell und materiell zu stärken. Schwerpunkte liegen einmal auf personellem Sektor - dazu wird Kollege Löher gleich noch etwas sagen - und im Bereich Forschung und Entwicklung. Der Aufwuchs dort umfaßt 30 % und ist in der Tat beachtlich. Wir haben ihn mitgetragen und unterstützen ihn, weil es hier Nachholbedarf gibt, weil jetzt die notwendigen Vorbereitungen getroffen werden müssen, um auch in den 90er Jahren eine der Bedrohung entsprechende und sich an den finanziellen Möglichkeiten ausrichtende Ausrüstung zu haben, ({7}) eine Ausrüstung, die auf konventioneller Basis beruht, aber die neuen Technologien, insbesondere auf dem Gebiet der intelligenten Waffen, einbezieht. Nur so heben wir die Nuklearschwelle. Wer hier heute kurztritt, tut nichts dazu, die nukleare Schwelle anzuheben. Es sollen eine Reihe von Neuvorhaben begonnen werden. Ich nenne die Kampfwertsteigerung bei Roland, die gepanzerten Fahrzeuge der 90er Jahre, die Kampfwertsteigerung beim Alpha-Jet und die Fregatte. In der Beschaffung befinden wir uns in einer Zwischenphase. Der seit den 70er Jahren laufende Generationswechsel der großen Waffensysteme hat den Finanzierungshöhepunkt überschritten. ({8}) Sein Anteil am 85er Haushalt beträgt nur noch 48 %. ({9}) Neue Großvorhaben laufen erst langsam an. Deswegen ist jetzt die Zeit, Mittel dort hineinzustecken, wo das in der Vergangenheit vernachlässigt wurde, nämlich beim Peripheriegerät und beim Querschnittsmaterial. Erfreulicherweise wurden während der Haushaltsberatungen erhebliche Einsparungen möglich, etwa beim Alpha-Jet und beim Tornado. Dennoch sind in Einzelbereichen erhebliche Steigerungen möglich und nötig gewesen, so beim Fernmeldematerial zur Verbesserung der Einsatz- und Führungsfähigkeit neuer Waffensysteme, bei den Radfahrzeugen, bei der Munition, wo wir noch immer Nachholbedarf haben, beim Feldzeugmaterial wegen des Anlaufens der Vorhaben Roland und Patriot zur Verbesserung der Luftverteidigung und bei den Schiffen zur Finanzierung der Neuvorhaben Minenkampfboot Klasse 343 und Flottendienstboot. ({10}) Bei der Materialerhaltung und beim Betrieb sind Rationalisierungsmaßnahmen und Einsparmaßnahmen durchgeführt worden, was zu Absenkungen führte. Wir konnten hier etwas einsparen. Ein Wort zu den Baumaßnahmen: Hier haben wir noch 63 Millionen DM zugelegt, so daß wir im Baubereich insgesamt 3,4 Milliarden ausgeben können. Das sind 10 % mehr als im Vorjahr, ein kleines Konjunkturprogramm für sich, für das die Baubranche im nächsten Jahr sicher dankbar sein wird. Zum NATO-Infrastrukturprogramm möchte ich jetzt keine Debatte lostreten; ({11}) denn im Haushalt 1985 ist das neue Programm bis 1990 - wir haben es selber beschlossen - noch nicht ausgabenwirksam. Wir haben aber beim neuen Programm ein Gesamtvolumen von 3 Milliarden NATO-Verrechnungseinheiten - davon deutscher Anteil: 6,5 Milliarden DM - für die nächsten 6 Jahre beschlossen, weil dies politisch geboten und militärisch erforderlich ist. Auch der Verteidigungsetat ist natürlich für Einsparungen nicht tabu. ({12}) Wir haben bei den Haushaltsberatungen 286 Millionen DM einsparen können. Wir haben alle 700 Titel auf Mittelabfluß, auf neue Erkenntnisse bei der Preisentwicklung, auf technische Realisierbarkeit usw. sorgfältig geprüft. Die Kürzungen haben aber keinerlei negativen Einfluß auf die personelle und materielle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr. Alles, was sich der Verteidigungsminister für das Jahr 1985 vorgenommen hat, kann finanziert werden. Anders lägen die Dinge, wenn wir den Vorschlägen der SPD, in Höhe von 1,9 Milliarden DM zu kürzen, gefolgt wären. Der Plafond läge unter dem des Vorjahres; in wichtigen Bereichen hätten wir Stillstand oder Rückschritt. ({13}) Beim Kampfpanzer Leo, wo wir ohnehin schon Probleme bei der Versorgung haben, würde die Situation zusätzlich verschärft, ebenso bei den Schiffen und genauso bei der Munition. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses hat versucht, in die beschlossenen qualifizierten Sperren ein Mißtrauen gegenüber dem Verteidigungsminister hineinzugeheimnissen. ({14}) Dies ist nicht der Fall. Was wir gemacht haben, ist, die großen neuen Beschaffungsvorhaben von über einer Milliarde qualifiziert zu sperren, damit wir nicht unter dem Zeitdruck der Haushaltsberatungen, sondern an Hand konkreter Beschaffungsvorlagen in Ruhe im einzelnen beschließen können. Ich möchte Sie daran erinnern: Hätten Sie das in der Vergangenheit immer so gemacht, wäre uns vielleicht manches an Überraschungen und an Mehrkosten erspart geblieben. Meine Damen und Herren, für die Zukunft sind, damit wir mit den knapper werdenden Mitteln das Notwendige tun können, schon bei der Entwicklung neuen Geräts die Weichen richtig zu stellen. Es muß zu Mehrkosten führen, wenn militärisch-technische Forderungen nachträglich geändert werden. Wir wollen bei der Vergabe von Entwicklungsaufträgen mehr funktionale statt konstruktive Leistungsbeschreibung. Auch die deutsche Industrie soll ihren Grips anstrengen und nach der kostengünstigsten Lösung suchen. Die Einleitung von Beschaffungsmaßnahmen vor Abschluß von Entwicklung und Erprobung muß der Vergangenheit angehören; dies führt immer zu Mehrkosten. Konstruktionsänderungen nach bereits begonnener Beschaffung müssen die Ausnahme bleiben. Und wenn Entscheidungen über Waffenkomponenten, die für den Konstruktionsstand eines Gesamtsystems ausschlaggebend sind, zu spät erfolgen, so führt dies - so etwa bei der Fregatte - zwangsläufig zu Mehrkosten. Zu späte Endabrechnung der Verträge dient nicht gerade einer zeitnahen Kostenkontrolle. So ist der Senkrechtstarter, der bereits im Deutschen Museum steht, bis heute noch nicht endabgerechnet. Aber dies kann ja vielleicht nachgeholt werden. Ich weiß, daß sich der Verteidigungsminister und seine Mitarbeiter diesen klassischen Problemen militärischer Beschaffung, die uns seit vielen Jahren begleiten, mit Hingabe annehmen. ({15}) Der Haushaltsausschuß will und wird sie darin bestärken und ermutigen, denn in diesen Maßnahmen liegen große Einsparmöglichkeiten für den Steuerzahler und die Voraussetzungen dafür, auch bei knappen Finanzen bedrohungsgerecht zu planen und durch ausreichende Abschreckung jeden bewaffneten Konflikt erfolgreich zu verhindern. Wir stimmen dem Einzelplan 14 zu. ({16})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Abgeordnete Vogt ({0}).

Roland Vogt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002383, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nicht etwa Frieden schaffen mit immer weniger Waffen, sondern Geld beschaffen für immer mehr Waffen, ({0}) das wäre der treffendere Slogan für den Gesamtkomplex Militärausgaben des Bundeshaushalts 1985. ({1}) Wir haben bereits in der ersten Lesung darauf aufmerksam gemacht, daß der Rüstungs- und Militärhaushalt mit 60,08 Milliarden DM nach NATO- Kriterien der größte Posten im Gesamthaushalt ist. Damit rangiert die Militärstaatlichkeit der Bundesrepublik mit 23,1 % vor der Sozialstaatlichkeit mit 22,1 %. Gäbe es einen Militärhaushalt nach Vollständigkeitskriterien, würden also die in anderen Einzelplänen verborgenen Rüstungs- und Verteidigungslasten wie etwa die Kosten für die sogenannte Zivilverteidigung oder den Schuldendienst für militärbezogene Kredite hinzugerechnet, so käme man auf über 80 Milliarden DM oder annähernd 30 % der gesamten Haushaltsausgaben pro Jahr. Bis 1988 soll des Bundesverteidigungsministers Etat bis zu 3,7 % jährlich ansteigen. Aber es wird noch schlimmer kommen. Allein für militärische Vogt ({2}) Beschaffungsmaßnahmen sind nach unseren Berechnungen für den Zeitraum 1985 bis 1997 mehr als 240 Milliarden DM verplant. Damit sind die Weichen eindeutig auf Aufrüstung gestellt. Abrüstung wird auf Jahrzehnte hinaus zum Fremdwort. Sie scheitert allein schon an den Selbstbindungen bis zur Jahrtausendwende, die gerade dieser Haushalt in sich birgt. Die Kontrolle durch Parlament und Öffentlichkeit hinkt hoffnungslos den horrenden Planungsziffern der Aufrüster hinterher. Kaum hatte der Haushaltsausschuß 35 Milliarden DM als nicht hinreichend begründet vorläufig sperren lassen, da stimmte die Bundesregierung in Brüssel dem sogenannten Rogers-Plan zu. Der NATO-Oberbefehlshaber hat von den Bündnispartnern wiederholt gefordert, in den nächsten sechs Jahren 4 % real jährlich mehr für die Verteidigung auszugeben. ({3}) Fachleute habe gewarnt, daß dies finanziell sowie wirtschafts- und sozialpolitisch ein ruinöser Kurs wäre. Völlig verstockt und ohne den Deutschen Bundestag zu konsultieren, hat die Bundesregierung auf NATO-Botschafterebene am 9. November 1984 ein Konzept verabschieden lassen, dessen Kostenfolgen zu erheblich höheren Steigerungsraten führen werden als Wörners oder Rogers' jährlicher Aufschlag. ({4}) Aber nicht nur haushaltspolitisch ist durch die Annahme des Rogers-Plans eine neue Situation entstanden, sondern auch militärstrategisch und bündnispolitisch. Nach unserer Einschätzung ist der Rogers-Plan die Einstiegsdroge für offensive US-Doktrinen in die NATO-Planung. ({5}) Die Zustimmung der Bundesregierung zeigt, wie wertlos die Versicherung des Verteidigungsministers Wörner war, NATO und Bundeswehr könnten dem Druck der USA zur Annahme von Air/LandBattle widerstehen. Air/Land-Battle-Konzept oder -Doktrin und Rogers-Plan sind verknüpft durch die Absicht und die Fähigkeit, dem Gegner in der Tiefe seines Raumes vernichtende Schläge zuzufügen. Der Vorgang vom 9. November 1984 ist in mehrfacher Hinsicht alarmierend. Erstens zeigt er erneut, wie sehr militär- und bündnispolitische Grundentscheidungen dazu tendieren, parlamentarischer Kontrolle, auch in haushaltspolitischer Sicht, entzogen zu werden. Zweitens decken die Begleitumstände des 9. November 1984 auf, mit welchem Zynismus Koalition und Regierung das Parlament instrumentalisieren, wenn es darum geht, Interessen der westlichen Vormacht durchzusetzen. Sie erinnern sich: Genau für jenen 9. November hatten die Koalitionsfraktionen eine Aktuelle Stunde über sowjetische Manöverstrategien angesetzt. Im Parlament wurde also eine Ablenkungsschlacht geschlagen, während gleichzeitig in Brüssel die NATO-Botschafter die Wende in der westlichen Kriegführungsstrategie absegneten. Am Folgetag paßte in den Medien das durch die Manöverdebatte aufgefrischte Feindbild mit der soeben verabschiedeten NATO-„Antwort" wundersam zusammen. Kolleginnen und Kollegen, wenn der Deutsche Bundestag nicht zur Marionette von NATO- und Bundeswehrführung werden will, muß er sich gegen solch eine Instrumentalisierung, die an Verhöhnung grenzt, in Zukunft wehren. ({6}) Drittens. Am 8. November 1984 hatte Bundesaußenminister Genscher versichert, die Bundesregierung werde nach Aufhebung der Rüstungsrestriktionen durch die WEU keine weitreichenden Raketen in Auftrag geben. Diese Beteuerung ist durch die Zustimmung der Regierung Kohl/Genscher zum Rogers-Plan in gesteigertem Maße unglaubwürdig geworden. Oder will uns etwa die Regierung weismachen, deutsche Firmen würden nicht an den fetten Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsaufträgen beteiligt, die in Ausführung des Rogers-Plans vergeben werden, also Raketen bis 800 km Reichweite und die ganze Palette der Waffen mit künstlicher Intelligenz? Viertens. Die Kombination Rogers-Plan/deep strike mit WEU-Wiederbelebung wirkt auf den Warschauer Pakt und die Sowjetunion provozierend und insgesamt destabilisierend. Sie erhöht damit die Kriegsgefahr und mindert Abrüstungschancen, ({7}) wie übrigens auch andere Aktivitäten oder auch Verweigerungen dieser Koalition. Hierzu gehört auch die Nuklearerklärung zum Genfer Zusatzprotokoll, derentwegen nach meiner Einschätzung die Koalition zur Zeit den Unterausschuß Abrüstung und Rüstungskontrolle boykottiert. ({8}) Sowohl im Falle Rogers-Plan als auch im Hinblick auf die nächste Etappe - spezifisch westeuropäische Rüstungskooperation - wird die zentrale Rolle von Forschung und Entwicklung deutlich. Die im Haushaltsplan 1985 enthaltenen Forschungs- und Entwicklungsausgaben markieren den Beginn einer neuen gigantischen Beschaffungs- und Aufrüstungswelle. Es geht um die Planung der Ausrüstung der Bundeswehr mit der dritten Waffengeneration und zugleich um einen technologischen Entwicklungssprung. Die Ausgaben des Kap. 1420, also Forschung und Entwicklung, erhalten ihre sicherheitspolitische Gefährlichkeit auf Grund mehrerer Komponenten: erstens ihrer Eignung für und die Ausrichtung auf die Kriegsführungsdoktrin Air/Land-Battle bzw. Rogers-Plan, zweitens ihrer Funktion, politische Aufrüstungsentscheidungen quasi unumkehrbar zu machen und künftige Regierungen, auch unter anderen Mehrheitsverhältnissen, auf Rüstung statt Vogt ({9}) auf Abrüstung festzulegen, drittens der Funktion, eine Militarisierung Westeuropas zu beschleunigen. Durch diese drei genannten Wirkungen werden langfristig abrüstungspolitische Chancen versperrt. Wir GRÜNEN tendieren daher für die Streichung der Mittel einschließlich der Verpflichtungsermächtigungen in Kap. 1420. Wir fordern auch die anderen Parteien dazu auf, keine Bewilligungen vor einer umfassenden, abrüstungspolitisch orientierten Debatte und Bewertung jedes einzelnen Vorhabens zuzulassen, die Forschungs- und Entwicklungshaushaltsplanung um mindestens ein Jahr zu verschieben und diese Entscheidungen in ein Paket abrüstungspolitischer Vorschläge einzubetten. ({10}) Wenn nun die SPD-Fraktion im Rahmen ihres Änderungsantrags Streichungsvorschläge macht, sind die zwar unzureichend, wir werden ihnen aber zustimmen, um zu dokumentieren, daß das Bessere bei uns nicht der Feind des Guten sein muß. Allerdings werden wir uns bei Ihren sozialpolitisch motivierten Erhöhungsvorschlägen zu Kommandobehörden, Truppen usw. der Stimme enthalten. Für das Konzept des Einstiegs in die personelle Abrüstung schlagen wir vor: Erstens. Eine Reduzierungsinitiative bei Berufs- und Zeitsoldaten sowie Wehrpflichtigen und Wehrübenden um jeweils 10 % 1985 - übrigens gemäß der UNO-Richtlinie zur Abrüstung - im Rahmen einer langfristigen Reduzierungsinitiative bis 1990 auf einen Personalumfang von 350 000 Mann. ({11}) Zweitens. Stellenabbau beim zivilen Personal entsprechend der natürlichen Abgangsrate von 2,5% zugunsten von Bildung, Gesundheit, Umweltschutz. Wir machen jedoch nicht nur Kürzungs- und Streichungsvorschläge. Wir fordern auch ein Programm zur Umlenkung der Rüstungs- und Militärausgaben in den zivilen Ausgabenbereich: Konversion mit Hilfe eines Bundesamtes für Rüstungskonversion. Ein solches Bundesamt kann die Anregungen der bereits bestehenden betrieblichen bzw. regionalen Konversionsprojekte aufnehmen und sie politisch, also auch parlamentarisch, unterstützen. So kann industriepolitisch einer Abrüstung der Weg gebahnt werden. Danke schön. ({12})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Weng.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte mich mit meiner Haushaltsrede zum Einzelplan 14 insbesondere auch an die Soldaten unserer Bundeswehr wenden, die sich der positiven Einstellung der Mehrheit dieses Hauses zu ihrer Aufgabenerfüllung bewußt sein müssen. Ich will mich darüber hinaus natürlich an unsere Bevölkerung wenden und zwar mit dem Ziel, einer größtmöglichen Zahl unserer Bürger deutlich zu machen, daß es sicheren Frieden in unserem Lande nur mit dem notwendigen Aufwand für unsere Sicherheit geben kann. ({0}) Ich sage dies zu Beginn meiner Ausführungen um so deutlicher, als von einigen Kollegen des Bundestages ein Weg beschritten wird, der diese Sicherheit in Frage stellt. ({1}) So habe ich zwar Verständnis dafür, wenn ein Haushaltsabgeordneter auch im Verteidigungsbereich mit Sorgfalt die Titelansätze durchforstet - dies haben wir alle getan -, aber wenn es hierbei wie bei der Berichterstatterkollegin der SPD-Fraktion zu Kürzungsvorschlägen in der Größenordnung von nahezu 2 Milliarden DM kommt, dann liegt dies auf der neuen Linie der SPD-Mehrheit: Herr von Bülow erläutert, 300 000 Soldaten seien genug. Der Weg zur Forderung der GRÜNEN nach null Soldaten ist da für die SPD vorgezeichnet. Ich warte auf den nächsten SPD-Kollegen, der glaubt, daß 200 000, und den dann folgenden, der erläutert, daß 100 000 allerdings möglichst unbewaffnete Soldaten zu unserer Sicherheit ausreichen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Dr. Weng, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Traupe?

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Präsident. Meine Damen und Herren, dieses Verhalten - zumal im Lichte der vom ehemaligen Kanzler Schmidt entscheidend beeinflußten Beschlußfassung des NATO-Rates, wonach sich alle Mitgliedsländer zum Bemühen um eine jährliche dreiprozentige Anhebung der Verteidigungsausgaben verpflichtet haben - macht den traurigen sicherheitspolitischen Weg der SPD mehr als deutlich. ({0}) - Ich freue mich, daß die Kollegen von der linken Seite des Hauses etwas munterer geworden sind. Das hilft sicherlich der Debatte. Meine Damen und Herren, die Fixierung auf eine bestimmte Prozentzahl wie hier die genannten drei Prozent erscheint mir allerdings wenig sinnvoll. ({1}) Meine Fraktion mißt den Verteidigungshaushalt von Jahr zu Jahr wieder an der Aufgabenerfüllung der Bundeswehr, an den Bündnisverpflichtungen, an der Sicherung des Friedens in unserem Lande. Da kann man genauso in einem Jahr ohne Zuwächse im Verteidigungshaushalt auskommen, wie sich in einem Folgejahr möglicherweise drei Prozent als ungenügend erweisen können. Wir starren deshalb nicht auf diese Zahl. Wir fragen auch nicht, ob andere Länder ihre Zahlenvorgaben erfüllen. Für uns stellt sich die Frage der Beurteilung und Bewertung immer wieder neu auf Grund der Fakten. Und, meine Damen und Herren, wenn ich Fakten sage, dann ist es natürlich von einem gewissen Interesse, vielleicht gerade für die linke Seite dieses Hauses, daß heute dpa in einem Fernschreiben mitgeteilt hat, daß der Oberste Sowjet der UdSSR beschlossen hat, die Verteidigungsausgaben der Sowjetunion um 12% zu erhöhen. ({2}) Es handelt sich hier umgerechnet um eine Summe von jährlich rund 250 Milliarden DM. Ich meine, daß man auch solche Zahlen zur Kenntnis nehmen muß, wenn man sich hier über die Steigerungsrate unterhält. ({3}) - Der Wechselkurs ist sicherlich für Sie leicht nachzurechnen. Besorgen Sie sich die Meldung bei dpa, Herr Kollege. ({4}) Meine Damen und Herren, unsere Bitte geht deshalb im Zusammenhang mit dieser genannten, vom damaligen Kanzler Schmidt sehr stark beeinflußten Zahl von 3 % an den amerikanischen Bündnispartner, unsere Bemühungen anzuerkennen und nicht mit zum Teil verwirrenden Zahlenspielen zu innerpolitischer Profilierung, aber dann eben zu Lasten des Bündnisses beizutragen. Die von Herrn von Bülow vorgeschlagene Reduzierung der Mannschaftsstärke der Bundeswehr ist das Ende der Strategie der Vorneverteidigung. ({5}) Damit würde im Falle einer Auseinandersetzung unser Land weitgehend Kriegsschauplatz mit allen daraus insbesondere auch für unsere Zivilbevölkerung resultierenden Folgen. Die Belastungen für unsere Soldaten ebenso für die Reservisten, auch die Belastungen der Familien auf Grund solcher Forderungen wären völlig unannehmbar. ({6}) Unsere Bemühungen gehen dagegen gerade dahin, die Angehörigen der Bundeswehr zu entlasten. Wir haben uns zum Beispiel bei den Haushaltsberatungen dafür eingesetzt, daß der Gefahr der Schlagkraftminderung durch Überalterung vorgebeugt wird, ({7}) dies insbesondere durch zusätzliche Stellen im Bereich der Einheits- und Verbandsführer. Denn hier sind ja bekanntermaßen die Schwierigkeiten am größten. Eine Anmerkung hierzu: Vergleichbare Maßnahmen können nicht für den gesamten öffentlichen Dienst gefordert werden. Denn es ist ja überall so, auch in der freien Wirtschaft, daß der Alterskegel auf Grund des Ausfalls der Kriegsjahrgänge eine bestimmte Struktur hat. Diese Altersstruktur ist überall vorhanden. Nur in anderen Bereichen ist nicht in gleicher Weise wie bei der Bundeswehr die Aufgabenerfüllung vom Alter abhängig. Deshalb sehen wir auch mit wohlwollendem Interesse weiteren Maßnahmen des Verteidigungsministeriums in Richtung auf möglichen vorgezogenen Ruhestand und auch in Richtung auf Abfindungen beim vorzeitigen Ausscheiden von Soldaten entgegen. Unter menschlicher Verbesserung verstehen wir auch die Leistungen, für die sich unsere Fraktion in den abgelaufenen Haushaltsberatungen erfolgreich eingesetzt hat und die unseren Soldaten dienen. Nicht nur die bereits im laufenden Jahr erfolgte Erhöhung des Wehrsoldes, sondern auch die jetzt geplante Erhöhung des Tagegeldes bei Auslandsübungen gehört hierzu. Ich verweise zusätzlich auf die zweite Familienheimfahrt bei Versetzungen, die nicht zuletzt durch unseren Einsatz jetzt vom ersten Monat der Trennung an gewährt wird, und auf die Verhandlungsaufforderung an den Bund, im Einvernehmen mit den Bundesländern auch die jetzt noch gültige 300-km-Grenze zu streichen. Ich verweise auf die Erhöhung der Beträge für Nachhilfeunterricht der Kinder von Soldaten, die aus Gründen der Versetzung häufig umziehen müssen. Ich verweise auf den Antrag der FDP, daß Wehrpflichtige nach dem Entwicklungshelfermodell Arbeitslosenunterstützung erhalten sollen, wenn sie nach Ableistung des Wehrdienstes nicht sofort mit einer beruflichen Tätigkeit beginnen können. ({8}) Diese Beschlüsse zeigen deutlich, daß für uns auch weiterhin Ausgewogenheit zwischen den Aufwendungen für die Bewaffnung und Ausrüstung einerseits und für die Menschen in unserer Bundeswehr andererseits Verpflichtung ist. ({9}) Wir haben bei der Materialbeschaffung einen Teil der Ansätze sorgfältig nach unten korrigiert. Ich habe allerdings kein Verständnis dafür, daß ausgerechnet im Bereich Sanitätsmaterial, Verbandsstoffe und Arzneimittel, in dem bekanntlich und erwiesenermaßen ein großer Nachholbedarf besteht, in dem es insbesondere wieder um die Versorgung von Menschen, von Verwundeten geht, die SPD- Fraktion besonders massive Streichungen beantragt hat. ({10}) Wie soll ein Soldat zum Kämpfen motiviert sein, meine Damen und Herren, der befürchten muß, im Falle seiner Verwundung nicht ausreichend mit Sanitätsmaterial versorgt zu sein? ({11}) Ich will zusätzlich darauf hinweisen, daß eine Reihe von jetzt in Angriff genommenen Entwicklungen für die zukünfte Beschaffung von Großgeräten dem erklärten Ziel dient, den Einsatz taktischer Atomwaffen zu ersetzen und die Atomschwelle damit insgesamt anzuheben. ({12}) Dies ist für uns, meine Damen und Herren, ein Schritt auf dem richtigen Weg. - Herr Präsident, ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie auf der Seite der SPD doch ein wenig für Ordnung sorgen könnten. ({13}) Ich glaube, daß ich hier als Redner doch einen bescheidenen Anspruch darauf habe, meine Ausführungen geordnet beenden zu können.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Ich will Ihnen gerne helfen, Herr Dr. Weng. - Ich bitte also die Kollegen, ein bißchen mehr zuzuhören und etwas weniger dazwischenzurufen.

Dr. Wolfgang Weng (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002479, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Was da zur Zeit stattfindet, erinnert an Derwische. ({0}) Meine Damen und Herren, wir haben einer Beschaffung von drei gebrauchten Maschinen des Typs Boeing 737 für die Flugbereitschaft widersprochen. Diese Beschaffung hätte den Bund nicht nur 105 Millionen DM gekostet, sondern es wären zusätzlich Kosten in Höhe von Millionen für die Umrüstung der Maschinen entstanden; dies in einem Augenblick, in dem die Maschinen, die ausgewechselt werden sollten, gerade mit einem hohen Kostenaufwand von etwa 7 Millionen DM grundüberholt werden und j a klar ist, daß diese Maschinen noch weitere sechs, vielleicht auch acht Jahre fliegen können, aber praktisch unverkäuflich sind. So schien uns - trotz der verhältnismäßig hohen Unterhaltskosten - der aufgezeigte Weg der Beschaffung der genannten Maschinen vom Typ Boeing 737 falsch zu sein. ({1}) Ich möchte an dieser Stelle gern noch ein kleines Beispiel anführen, das Aufmerksamkeit bei den Abgeordneten des Haushaltsausschusses deutlich macht: Wir haben beim Ansatz des Titels 821 03, Beschaffung von Liegenschaften, 10 Millionen DM qualifiziert gesperrt. Hier wollte das Verteidigungsministerium bis zu 13 Millionen DM für den Erwerb eines Grundstücks in Stuttgart ausgeben, das an den Bereich der dortigen Wehrbereichsverwaltung angrenzt. ({2}) Hier schienen uns die örtlichen Verhältnisse in Relation zu dem im Raum stehenden Quadratmeterpreis so unrealistisch in Ansatz gebracht zu sein, daß wir diese Sperre im Berichterstattergespräch umgehend beantragt haben. Ich bin gespannt, meine Damen und Herren, zu welchem Preis, zu welchen Kosten dieses Grundstücksgeschäft letztendlich wirklich abgewickelt wird. ({3}) Lassen Sie mich noch ein letztes Beispiel nennen, das auch der Öffentlichkeit deutlich machen kann, wie schwer es Abgeordnete ab und zu mit Verwaltungen haben. ({4}) Meine Damen und Herren, ich hatte in der ersten Jahreshälfte erfahren, daß die Bundeswehr plante, die Paßbilder der Soldaten durch Beschaffung von Sofortbildkameras zukünftig selbst anzufertigen und dem Fotografengewerbe hierdurch Aufträge zu entziehen. Die Kostengünstigkeit der Vorlage wurde insbesondere dadurch hergestellt, daß man, wie das ja bei der öffentlichen Hand manchmal sehr gern geschieht, die Personalkosten mit Null ansetzte. Ich habe gefragt, wann die Beschaffung stattfinden solle, und die schriftliche Antwort erhalten, die Maßnahme sei für 1985 geplant. Als ich beim Berichterstattergespräch nach der Höhe des Ansatzes fragte, um durch dessen Kürzung einen kleinen Beitrag zur Förderung des Mittelstandes zu leisten ({5}) - des Mittelstandes, Frau Blunck, der auch Ihrer Partei am Herzen liegen sollte -, wurde mir mitgeteilt, die Beschaffung sei bereits abgeschlossen. ({6}) Da man außerdem erklärte, die Beschaffung werde zu Kosteneinsparungen führen, habe ich erfolgreich beantragt - ich bin hier insbesondere dem Kollegen Stavenhagen verbunden, daß er meinem Antrag gefolgt ist -, ({7}) den globalen Titel der Beschaffung von Feldzeugmaterial von 700 Millionen DM auf 699 Millionen DM zu kürzen, weil dies ja ohne eine Einschränkung der notwendigen Beschaffungen aus diesem Titel - nach der Vorgeschichte werden Sie mir da folgen - ersichtlich möglich war. ({8}) - Mindert die Abschreckung überhaupt nicht, Herr Kollege Stavenhagen, da haben Sie recht. ({9}) Ich habe dieses Beispiel gewählt, meine Damen und Herren, weil ich hierdurch auch die Bürokratie auffordern möchte, den politischen Willen von Abgeordneten nicht durch Verwaltungstricks zu verwässern oder zu umgehen. ({10}) Meine Damen und Herren, der vorliegende Entwurf des Haushalts 1985 wird von meiner Fraktion auch beim Haushaltsvollzug sehr sorgfältig begleitet werden. Er wird unserer Bundeswehr die Möglichkeit geben, ihre Aufgabe der Friedenssicherung im kommenden Jahr erneut zu erfüllen. Meine Fraktion stimmt dem Entwurf zu. ({11})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung. ({0})

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal darf ich mich sehr herzlich für die Beiträge, auch die kritischen Beiträge, bedanken. ({0}) Ich möchte mich zuerst mit dem Beitrag des Kollegen Horn beschäftigen und mit einem Zitat aus diesem Beitrag beginnen. Ich zitiere: Dabei hatte Hans Apel im Sommer 1982 mit dem Bericht der von ihm eingesetzten Langzeitkommission, gewissermaßen zeitgerecht für seinen Nachfolger, günstige Voraussetzungen geschaffen, ({1}) um das Personalproblem anzugehen. So weit, so gut, ich will das nicht kommentieren. Etwas später sagt dann allerdings der Kollege Horn: Und wir Sozialdemokraten sagen nein zu dieser Wehrpflichtverlängerung, die nur dazu dienen soll, daß die Bundesregierung sich zwei, drei Jahre über die Runden mogeln kann. ({2}) Er hat offensichtlich vergessen, daß die Langzeitkommission genau die Erhöhung von 15 auf 18 Monate vorgeschlagen hatte. Ich frage mich, Herr Kollege Horn: Wo bleibt da die Logik? ({3}) Ich darf Ihnen zitieren, Herr Kollege Horn, was mein Amtsvorgänger am 21. Juni 1982 gesagt hat: Der Grundwehrdienst wird verlängert werden müssen. Er hat sogar noch angefügt: Es ist dafür zu sorgen, daß durch geeignete Information der Öffentlichkeit, besonders der betroffenen Altersgruppen, die Einsicht in diese gravierende, aber unumgängliche Maßnahme gefördert wird. ({4}) Ich frage mich: Was ist eigentlich passiert, daß Sie plötzlich von diesen Einsichten abgehen? ({5}) Dann komme ich zum nächsten. Lieber Herr Horn, dann haben Sie zusätzliche Kaderung vorgeschlagen.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Bitte, gerne.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Minister, wenn Sie in dem Punkt nicht polemisch sein wollen, dann müssen Sie verstehen - ({0}) - Einen Moment. Natürlich kann ich auch das Fragezeichen dransetzen: Herr Minister, können Sie nicht damit übereinstimmen, daß die Langzeitkommission einen Katalog von möglichen Maßnahmen vorgeschlagen hat, die noch der politischen Entscheidung als Grundlage bedurften? Innerhalb dieses Entscheidungsfreiraumes aber haben Sie doch wohl einen ganz bestimmten Sektor ausgewählt, und diese Sektorauswahl ({1}) ist für uns zu eng angelegt. ({2}) Und deshalb meine Frage an Sie, Herr Minister, da Sie nicht verstehen können, daß- unter den verengten Bedingungen, die Sie hier darstellen, für uns eine Zustimmung nicht möglich ist, weil wir keine andere Möglichkeit haben, .. .

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Kollege Horn, dies ist bisher keine Frage gewesen; und Sie müssen sie nach unserer Geschäftsordnung kurz fassen. - Letzter Satz.

Erwin Horn (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000958, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Vielen Dank. - ... Herr Minister, auf Ihr Ministerium und Sie entsprechenden Druck auszuüben.

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Herr Kollege Horn, die Umfänglichkeit und die Umständlichkeit Ihrer Antwort ({0}) zeigen mir nur eines: daß Sie sich um die wirkliche Antwort herumdrücken wollen. Die liegt darin, daß Sie nicht mehr bereit sind, das zu akzeptieren, weil Sie sich scheuen, eine unpopuläre Maßnahme mitzutragen, die im Interesse der Einsatzbereitschaft und der Kampfkraft der Streitkräfte erforderlich ist. ({1}) Das gilt auch für das nächste, Herr Kollege Horn: Sie schlagen eine zusätzliche Kaderung vor. Mein Vorgänger hat am 21. Juni, wiederum bei der Vorstellung des Berichts, folgendes erklärt: Jede weitere Kaderung, z. B. bei den Brigaden des Heeres, schwächt die Fähigkeit zur Vorneverteidigung. Sie dürfte auch Präsenzminderung bei den Verbündeten auslösen. Dann kommen Sie zur Funktion der Bundeswehr. Im Unterschied zu manchen - das anerkenne ich dankbar - in Ihrer eigenen Fraktion unterstreichen Sie wenigstens eindeutig die ausschließlich defensive Struktur der Bundeswehr. Aber dann prägen Sie einen Satz, den ich so nicht unterschreiben kann. Sie sagen dann: Defensivorientierung bedeutet kein Potential zur massiven konventionellen Bekämpfung von Zielen in einer Tiefe von mehreren hundert Kilometern. Auch dazu, Herr Kollege Horn - ich sage das nicht, um mich lustig zu machen -, finde ich Aussagen in Ihrer Fraktion, die so unterschiedlich sind und überhaupt nicht zusammenpassen. Ich will Ihnen eine davon, ausgerechnet von Herrn von Bülow - nicht aus seinem jetzigen Papier -, vom 8. März 1984 vorlesen. Er schreibt da: Die Aufgabe einer Abriegelung der feindlichen Kräfte in der Tiefe des Raumes ist bisher konventionell nur sehr begrenzt möglich gewesen. - Richtig. Vermutlich ist es sinnvoller, sich auf maximal 100 bis 150 Kilometer Einsatztiefe vorzubereiten, allenfalls einige ganz außergewöhnlich wichtige Ziele, die der Gegner zwingend für seinen Aufmarsch benötigt, durch konventionellen Einsatz in noch größerer Tiefe zu bekämpfen. Jetzt frage ich Sie: Sollen wir darauf verzichten, nachrückende Verbände des Warschauer Pakts, der uns angreifen würde - das ist ja die Voraussetzung für einen Einsatz der Bundeswehr -, schon vor dem Erscheinen auf dem Gefechtsfeld anzugreifen? Sollen wir darauf verzichten, seine Flugplätze anzugreifen, von denen seine Flugzeuge starten, um unser Land zu bombardieren? Sollen wir darauf verzichten, seinen Nachschub zu unterbinden? Wollen Sie etwa eine Linie ziehen bei 100, bei 150, bei 200 oder 300 Kilometern, jenseits derer wir ihm eine Garantieerklärung für seine operative und logistische Versorgung abgeben? ({2}) Was für ein militärischer, strategischer und politischer Unfug! Keiner unserer Verbündeten würde so etwas mitmachen. ({3}) Die Folge wäre - ich will das im Blick auf das sagen, was wir diskutieren, nämlich das, was Sie fälschlicherweise Rogers-Plan nennen -: ({4}) Das Angriffsrisiko würde auf Kosten des Verteidigers verringert, das Risiko für das angegriffene Land - das sind wir - und die Kräfte der Verteidigung würde erhöht; also genau das Gegenteil dessen, was man unter Abschreckung versteht. Dem Angreifer drohte dann lediglich der Verlust seines Angriffspotentials, da der Kampf ausschließlich auf dem Boden des Verteidigers ausgetragen würde. Für den Angreifer ging es um Sieg oder Niederlage, für den Verteidiger um seine Existenz. Meine Damen und Herren, wer das als eine strategische Überlegung bezeichnet, der hat den Unterschied zwischen Abschreckung, Kriegsverhinderung und Kriegsführung noch nicht begriffen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Horn?

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Nein, keine Zwischenfragen mehr. Die dauern ja so lange, daß ich meiner Redezeit verlustig gehe. Herr Kollege Horn, ich sage das völlig umpolemisch. Darüber muß einmal ausführlicher diskutiert werden. ({0}) Wir werden niemals als erste zu den Waffen greifen. Wir werden niemals angreifen. Aber wenn uns einer angreift, dann muß er wissen, daß sein eigenes Land dann nicht zum Sanktuarium wird, sondern daß sein eigenes Land in Mitleidenschaft gezogen wird. ({1}) Alles andere - das sage ich noch einmal - hat mit Abschreckung nichts zu tun. ({2}) - Ich kann über den Etat nur im Zusammenhang dessen reden, was der Kollege Horn heute nachmittag erzählt hat. ({3}) Dann kommen Sie zum Kollegen von Bülow, ({4}) sagen, wir wollten diesen Kollegen von Bülow mißverstehen; und fragen, was wir an seinen Gedanken eigentlich schlecht fänden. Nun frage ich Sie: Waren es nicht Sie selbst, zusammen mit den Kollegen Corterier und Jungmann, die ihn am 15. November 1984 aus Brüssel hart kritisiert haben? Ich zitiere aus einer Pressemeldung. Sie haben gesagt: Wer eine Friedensstärke von 300 000 fordere, gleichzeitig dem Abzug von US-Truppen in Europa das Wort rede, mache es der NATO unmöglich, den Frieden zu garantieren. - Recht haben Sie. Aber dann machen Sie uns doch keine Vorwürfe, wenn Sie selbst das zu Recht so charakterisiert haben. - Dann schlagen Sie jetzt 400 000 bis 430 000 Soldaten vor, der Herr von Bülow 300 000. Da kann ich nur sagen: Man kann Bundeswehrplanung nicht nach der Art eines Lottospieles und nach dem Motto betreiben: Wer bietet mehr, und wer bietet weniger? Da gibt es nur ein einziges Kriterium: Was ist erforderlich, um die Verteidigung dieser Republik, die Sicherheit der Bürger, den Frieden und die Freiheit aufrechtzuerhalten? So viel, nicht mehr, aber auch nicht weniger. ({5}) Genau daran haben wir unsere Bundeswehrplanung orientiert. ({6}) Gott sei Dank gibt es ja in Ihren eigenen Reihen immer noch Leute, die zu dem stehen, was sie früher einmal gesagt haben. Herr Leber sagte z. B. am 22. November dieses Jahres - ich zitiere -: Klar ist inzwischen, daß der Friedensumfang der Streitkräfte - der Friedensumfang! nicht verringert werden darf. Herr Leber weiß ja, warum er das sagt. Die Folgen einer Herabsetzung der Friedenspräsenz, und da zunächst einmal die bündnispolitischen Konsequenzen: Andere ziehen ab. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche. ({7}) - Sie mögen das wünschen. Nur sage ich Ihnen: Wenn unsere Verbündeten abgezogen sind, werden Sie bald nicht mehr das Recht haben, in einem freien Parlament ein freies Wort zu sagen. ({8})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten von Bülow?

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Ich hatte gesagt: Nein. Die nächste Konsequenz wäre die Aufgabe der Vorneverteidigung, keine Deckung für den Aufmarsch der alliierten Korps, erhöhte Verwundbarkeit. Die nächste Folge wäre geringere Vorwarnzeit, weil weniger Kräfteaufwand für den Warschauer Pakt; eine Minderung der Abschreckung, also der Kriegsverhinderung. ({0}) Vor allen Dingen, Herr Kollege Horn: Wer an der Friedenspräsenz oder an der Einsatzstärke der Bundeswehr in diesem Umfang rührt, muß wissen, daß er damit die Nuklearschwelle nach unten drückt und nicht nach oben. ({1}) Schließlich will ich auf die Rüstungskontrollverhandlungen hinweisen. Ich sage nicht nur dem Kollegen Horn, sondern allen Kollegen der SPD: Was mir auffällt, ist der innere Widerspruch in fast allen Ihren Positionen. Einmal das Bekenntnis zur NATO, aber die Ablehnung der NATO-Strategie und die Nichtbereitschaft, die erforderlichen Streitkräfte dafür aufzustellen; ({2}) einmal Bekenntnisse zur Erhöhung der Nuklearschwelle, zum anderen Schwächung der konventionellen Verteidigung; einmal Bekenntnis zur Konventionalisierung, zum anderen Kürzung der dafür erforderlichen Mittel. ({3}) Sie müssen sich entscheiden und endlich eine klare Position beziehen, damit wir überhaupt einmal wissen, womit wir uns auseinanderzusetzen haben, anstatt mit dieser Vielfalt, mit diesem Chor von Stimmen zu sprechen, die überhaupt keinen Sinn geben. Nur in einem Punkt sind Sie sich wirklich einig: Weg von Ihrer verantwortlichen Haltung als Regierung, hin zu einer Position, die Sie für populär halten, von der ich Ihnen sage: Sie wird Sie nicht in die Regierungsverantwortung bringen, sondern - wie Herr Kolbow zu Recht gesagt hat - sie wird Sie immer mehr zu einer regierungsunfähigen Partei machen, weil Sie die Sicherheit dieser Republik für die Bürger nicht mehr gewährleisten können. ({4}) Meine Damen und Herren Kollegen - insonderheit von der SPD -, damit Sie einmal eine Stimme aus der Allianz über die Bundeswehrplanung hören, lese ich Ihnen jetzt vor, was der Generalsekretär der NATO, Lord Carrington, an unseren Botschafter geschrieben hat: Die mutige und rechtzeitige Art und Weise, wie die Bundesregierung beschlossen hat, eine Verringerung des Personalumfangs ihrer Streitkräfte zu verhindern, die infolge des Absinkens der Geburtenziffern einzutreten drohte, verdient alles Lob. Eine Zeitlang war diese Gefahr eine Quelle erheblicher Sorge im Bündnis, ({5}) und zwar aus militärischen wie auch aus allgemeinpolitischen Gründen. Ich brauche kaum zu erwähnen, - schreibt Carrington wie schädigend eine Verringerung des Friedens- oder des Verteidigungsumfangs der deutschen Streitkräfte gewesen wäre im Zusammenhang mit unseren derzeitigen Debatten über „burden sharing" ({6}) - also Lastenverteilung und die Stärkung der konventionellen Verteidigung. Und jetzt kommt ein Satz, den Sie sich hinter die Ohren schreiben müssen: ({7}) Um so größer deshalb unsere Freude darüber, daß wir statt dessen jetzt eine Erfolgsgeschichte zu verzeichnen haben. Sie machen unsere Bundeswehrplanung schlecht, und in der NATO wird sie als das bewertet, was sie ist: als eine Erfolgsgeschichte. ({8}) Nun, meine Damen und Herren, noch einige Bemerkungen zum Haushalt und auch zu der Rede der Frau Kollegin Traupe. ({9}) Unser Verteidigungshaushalt trägt der Tatsache Rechnung, daß es unsere Verteidigungsanstrengungen sind, ({10}) die unser Volk vor einem Krieg schützen und vor der Gefahr, politisch erpreßbar zu werden. ({11}) Deswegen spiegelt sich in diesem Haushalt die Entschlossenheit der Bundesregierung wider, auch bei schwierigen Haushaltsbedingungen die Kampfkraft und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr nicht nur zu halten, sondern auch zu steigern. Wir haben unsere Anstrengungen ganz bewußt auf eine Trendumkehr in einigen Schwerpunktbereichen konzentriert, und zwar erstens auf die Verbesserung der Personallage. Zweitens haben wir inzwischen alle - ich wiederhole: alle - Einschränkungen im Betrieb der Streitkräfte beseitigt. Drittens. Die Streitkräfte werden - das kommt im Haushalt 1985 deutlich zum Ausdruck - vorrangig mit Peripheriegerät und mit Munition ausgerüstet. Schließlich: Die Mittel für Forschung und Entwicklung werden drastisch erhöht. Auch die Modernisierung von Großgerät wird dort eingeleitet, wo es notwendig ist; allerdings nur dort. Vor allem haben wir Personal- und Materialplanung von Anfang an aufeinander abgestimmt. Ein kurzes Wort zum Schwerpunkt Nummer eins, zur Personallage. Sie wissen, daß Sie noch 1982 die Zahl der Längerdiener um 8 000 gekürzt haben. Wir haben diesen Fehler sofort korrigiert. Wir haben die Zahl der Längerdiener wieder drastisch und konsequent verstärkt. Heute ist die Lage bei den Unteroffizieren die beste seit Bestehen der Bundeswehr. ({12}) Wir haben das Fehl an Unteroffizieren um 10 000 abgebaut. Wir werden dafür sorgen, daß dies so bleibt. Wir werden den Anteil der Längerdiener von heute 258 000 auf 266 000 bringen. Zum zweiten Personalproblem, dem Verwendungsstau: Sie wissen, daß unter Ihrer Verantwortung nichts, aber auch gar nichts geschehen ist. Wir haben in drei Haushaltsjahren 3 500 Verwendungswechsel durchgesetzt. Das genügt nicht. Daher ist für die Offiziere des Truppendienstes eine Gesetzesinitiative in Vorbereitung. Für die Offiziere des militärfachlichen Dienstes und für die Unteroffiziere werden wir das auf andere Weise regeln. Nach Ihrer Rede, Frau Kollegin Traupe, habe ich die Hoffnung, Ihre Zustimmung oder Unterstützung dafür zu bekommen. ({13}) Wir haben den Spitzendienstgrad für Unteroffiziere eingeführt, wir haben den Spitzendienstzeitausgleich wieder eingestellt. Wir haben - auch das haben Sie anerkannt - einen kräftigen Beitrag zum Abbau der Jugendarbeitslosigkeit geleistet. Ich glaube, damit wird deutlich: Diese Regierung redet nicht nur davon, daß die Person im Mittelpunkt stehe; sie hat die Person in den Mittelpunkt ihrer Anstrengungen gestellt. ({14}) Frau Kollegin Traupe, ich möchte mich bei Ihnen ausdrücklich bedanken. ({15}) - Sie werden schon sehen: Es gibt Punkte, bei denen wir beide uns nicht vertragen. Einmal darf ich Sie beruhigen: zweite Familienheimfahrt; die Verdoppelung der Mittel für Nachhilfe ist auf dem Weg, gesetzgeberisch wie sonst. Die Bitte, die Sie vergeblich an meinen Amtsvorgänger gerichtet haben, haben wir mit Ihrer Unterstützung verwirklicht. Überdies bekenne ich, daß ich zu denen gehöre, die mit der Bekleidung der Bundeswehr nicht in allen Punkten einverstanden sind. ({16}) Ich habe diese Woche einen persönlichen Beauftragten für die Bekleidung ernannt, der die nötigen Vollmachten hat, um bürokratische Widerstände zu übersteuern. Ich hoffe also auf Besserung. ({17}) Nun sage ich Ihnen ganz offen, Frau Traupe: Es mag sein, daß wir im Jahre 1984 Minderausgaben haben werden. Sie kennen im übrigen die Gründe. Die Sparsamkeit und der Erfolg der Rationalisierung spielen hier eine große Rolle. Ich gebe zu, daß ich angeordnet habe, daß nicht nach der alten Praxis verfahren wird, die ziemlich generell war, also nicht nur meine Vorgänger betrifft, gegen Jahresende einfach das Geld auszugeben, damit es nicht im nächsten Jahr vom Finanzminister oder vom Haushaltsausschuß weggenommen wird. Ich habe gesagt: Das machen wir nicht. Wir geben Geld, das wir nicht sinnvollerweise ausgeben können, zurück. ({18}) Ich muß Ihnen sagen, Frau Traupe: Mir ist es viel lieber, die Opposition kritisiert mich dafür, daß ich weniger ausgegeben habe, als dafür, daß ich mehr ausgegeben habe, als im Haushaltsplan vorgesehen war. ({19}) Nur verstehe ich dann Ihren dramatischen Ausruf nicht, wer hier das Geld des Steuerzahlers zum Fenster hinauswerfe. Genau das geschieht ja nicht. ({20}) - Frau Kollegin Traupe, Sie dürfen auch daraus nicht die falschen Schlußfolgerungen ziehen. Sie wissen, daß der Mittelabfluß nicht jedes Jahr gleich ist. Deswegen kann es keineswegs heißen, wie Sie es offensichtlich zu interpretieren bereit sind, daß im nächsten Jahr entsprechend weniger eingestellt werden kann. ({21}) Das heißt, daß damit keineswegs all Ihre Kürzungsvorschläge für 1985 berechtigt sind. Ich will jetzt ganz kurz einige der Folgen vortragen, die entstehen würden, wenn wir auf Ihre Kürzungsvorschläge eingingen. Einige wichtige Funk- und Führungssysteme könnten nicht beschafft werden. ({22}) Ich denke etwa an SEM 70/80/90, überalterte Fahrzeuge könnten nicht ausgesondert und durch umweltfreundliche Fahrzeuge ersetzt werden. ({23}) Das Gemeinschaftsprogramm MARS könnte trotz internationaler Absprache nicht eingeleitet werden. ({24}) Munition könnte nicht in dem erforderlichen Umfang aufgestockt werden. Sie waren eine derjenigen, die in der Vergangenheit immer wieder gefordert haben - wir alle zusammen -, das müsse jetzt endlich repariert werden. ({25}) Laufende Produktionen wie etwa die der Lenkflugkörper für Roland müßten unterbrochen werden. Mit beschaffungsreifen Vorhaben - beispielsweise mit der Rakete M 77 für MARS - könnte nicht begonnen werden. ({26}) Roland und Patriot, beides beschaffungsreife Vorhaben, müßten mit der Folge erheblicher Kostensteigerungen verschoben werden. Ich sage also: Würden wir Ihren Anträgen folgen, Frau Kollegin Traupe, dann würde, ob Sie es im Moment zugeben oder nicht, die Einsatzbereit. Schaft der Bundeswehr eben doch, wie ich meine, in unverantwortlicher Weise tangiert. ({27})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Minister, nun muß ich Sie, weil es sich um eine Dame handelt, fragen, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.

Dr. Manfred Wörner (Minister:in)

Politiker ID: 11002547

Ich habe, wie Sie sehen, nur noch drei Minuten zur Verfügung. Wenn sich Frau Kollegin Traupe früher gemeldet hätte, hätte ich ihre Zwischenfrage gern zugelassen. Aber so geht es einfach nicht mehr. Meine Damen und Herren, ich möchte noch et was zu einem Punkt sagen, bei dem, wie ich glaube, ein entscheidender Kurswechsel vollzogen wurde, und zwar gerade in einem Bereich, den man nicht mit Heller und Pfennig messen kann. Ich meine den Respekt vor dem Dienst des Soldaten in der Öffentlichkeit. Wir haben diesem Respekt wieder Bahn gebrochen. Wir haben den Soldaten Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein zurückgegeben und damit einer Verunsicherung ein Ende gemacht, die die Folge immer weitergehender Konzessionen an die Linken war. Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien stehen geschlossen zur Bundeswehr. Sie lassen Soldaten, wenn sie angegriffen werden, nicht im Regen stehen. ({0}) Das ist ein entscheidender Unterschied. Wir haben uns nicht durch lautstarke Minderheiten beeindrucken lassen. Wir haben die Bundeswehr zu öffentlichen Auftritten ermuntert und werden sie auch künftig zu öffentlichen Auftritten ermuntern. Die Zahl der öffentlichen Gelöbnisse ist um das Dreifache gestiegen. ({1}) Ich sage Ihnen: Wir werden diese Politik beibehalten, egal, ob es manchem gefällt oder nicht. ({2}) Diese Soldaten der Bundeswehr haben sich nicht zu verstecken. Sie können sich zeigen. Sie sind es, die für die Sicherheit und die Freiheit dieses Volkes einstehen. Ohne die Bundeswehr gäbe es die Sicherheit und die Freiheit unseres Volkes nicht. Daher gebührt diesen Soldaten und im übrigen auch den zivilen Mitarbeitern der Bundeswehr, wie ich denke, unser aller Dank. ({3}) Bei alledem bleibt das alles überragende Ziel unserer Politik die Verhinderung einerseits eines Krieges, andererseits der Unfreiheit. Daher gelten unsere besonderen Anstrengungen einer stabilen Friedensordnung zwischen Ost und West. Ich sage hier: Wir wollen nicht Konfrontation, sondern Zusammenarbeit. Aber wir wollen sie unter Gewährleistung der Sicherheit für alle Beteiligten. Wir bleiben bereit zur Abrüstung, allerdings zur wechselseitigen und kontrollierten. Aber wir bleiben auch entschlossen, unsere Freiheit zu verteidigen. Diese Bundesregierung und die sie tragenden Parteien werden alles daransetzen, die Verteidigung und das Bündnis so stark zu halten, daß kein Bürger Angst vor einem Krieg oder Angst vor dem Verlust seiner Freiheit haben muß. Ich danke. ({4})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Leonhart.

Günther Leonhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001330, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das war ein Verteidigungsminister, nicht wahr? ({0}) Ein ganz strammer, und zackig ist er auch noch. ({1}) - So ein richtiger Strahlenflieger. Meine Damen und Herren, dieser Verteidigungsminister glaubt immer noch, daß er im Führerhaus eines Panzerwagens sitzt, und er hat gar nicht gemerkt, daß er zwischenzeitlich nicht mehr im Panzer sitzt, sondern davor liegt, zwar in einer strammen Haltung, aber er liegt davor. ({2}) Meine Damen und Herren von der CDU und lieber Kollege Stavenhagen, ich weiß, daß es immer schwieriger wird, diese Regierung zu unterstützen. ({3}) - Doch, gerade für die CDU. Ich weiß um die Schwierigkeiten der Kolleginnen und Kollegen aus der CDU. ({4}) Es wird immer schwieriger, diese Regierung zu loben, und viele meinen, daß diese Regierung kein Profil habe. Ich teile diese Meinung nicht. Diese Regierung hat ein Profil, und zwar ein Profil wie ein abgefahrener Hinterreifen. ({5})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Leonhart, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Reddemann?

Günther Leonhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001330, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich habe nur zehn Minuten Redezeit; es tut mir furchtbar leid, aber diese zehn Minuten brauche ich. Würde das Volk heute über das Regierungsvehikel entscheiden, würde es diese Regierung überprüfen können, käme diese Regierung nicht einmal mehr durch den TÜV. Sie würde dem Verkehr entzogen, schon aus Gründen der äußeren und der inneren Sicherheit. ({0}) Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte meinen Dank an unser Brigittchen Traupe sagen. Ihr Beitrag war wie immer klar, und er war übersichtlich gegliedert. ({1}) Ich sage noch einmal: Ich habe leider nur zehn Minuten Redezeit. Darum nur einige grundsätzliche Bemerkungen zur Verteidigungspolitik. ({2}) - Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, warum sind Sie denn so aufgeregt? ({3}) - Herr Wimmer, Sie sind doch sonst ein so netter, sympathischer Kerl. ({4}) Ich begreife eines nicht: Wenn man mit Ihnen im Ausschuß spricht, dann sind Sie ganz vernünftige und nette Kerle. Aber wehe, wenn Sie hier vorne stehen; dann spielen Sie immer verrückt. Warum eigentlich? Seien Sie doch so, wie Sie natürlich sind, wie Sie immer sind, und dann bleiben Sie der sympathische Kollege Wimmer. ({5}) Ich möchte sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen: unser Land ist gespalten, und ein Riß geht, wenn man so will, mitten durch unsere Gesellschaft. Es wird Ihnen genauso gehen, wie es mir ergeht: Wir erhalten viele Briefe, und zwar von Mitbürgern in unserem Land, und sie alle - ich sage das ganz ernst - haben Angst und fragen nach dem Sinn der Militärausgaben. ({6}) Sie zweifeln heute die Friedensfähigkeit unserer Strategie an. Meine Damen und Herren, ich persönlich und wir alle sollten dies sehr ernst nehmen. Ich füge für mich hinzu - ich möchte das nicht leugnen -, auch ich habe manchmal Angst. ({7}) Diese Menschen und wir alle fragen uns: Ist das noch rational, einerseits Hunger und Elend in der Welt, andererseits Militärausgaben in Billionenhöhe diesseits und jenseits der Demarkationslinie? Zwar ist der Friede in Europa durch unsere Politik seit Kriegsende erhalten geblieben, aber die Frage ist berechtigt: Wird dies auch zukünftig noch so sein? Wir alle bewegen uns hier im Glaubensbereich. Wir hoffen es zwar, wissen es aber nicht mit Bestimmtheit. Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir geht es nicht in meinen Dickschädel hinein, daß am Ende von Abrüstungsverhandlungen immer die Aufrüstung steht. ({8}) Wir leben in einer Zeit, in der die Richtigkeit unserer Verteidigungs- und Sicherheitspolitik von vielen angezweifelt wird. Die Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Alternative Strategien" hat das deutlich gemacht. Da gibt es heute junge Menschen, die meinen, nicht mehr mitmachen zu können. Das finden wir nicht nur im Verteidigungsbereich, aber verstärkt auch hier. Sie verweigern oft den Wehrdienst. Dies ist ihr gutes Recht; sie müssen dieses Recht in Anspruch nehmen können. Aber, meine Damen und Herren, ich füge hinzu: Wir müssen ihnen auch deutlich machen, daß sie dieses Recht nur haben können, weil andere für sie dieses Recht verteidigen. ({9}) Da gibt es Menschen in unserer Gesellschaft, die sich zum Pazifismus bekennen. Auch diese Menschen müssen ihr Recht, in einer pluralen Gesellschaft Pazifist zu sein, haben können. ({10}) Aber auch sie müssen wissen, daß sie dieses Recht in Freiheit nur haben können, weil andere für sie dieses Recht und die Freiheit verteidigen. ({11}) Die deutsche Sozialdemokratie hat sich stets für eine wehrhafte Demokratie eingesetzt. Sie steht hier ganz eindeutig in der Kontinuität von August Bebel, Friedrich Ebert, Kurt Schumacher, Fritz Erler, Helmut Schmidt, Schorch Leber, Hans Apel, Jochen Vogel und Willy Brandt. ({12}) So stehen wir Sozialdemokraten im westlichen Verteidigungsbündnis und zu unserer Bundeswehr. Was will ich damit sagen? Wir haben ein Land aufgebaut, auf das wir alle miteinander stolz sein können, ({13}) ein Land, von dem unsere Großväter und Väter nur haben träumen können. Dazu haben alle demokratischen Kräfte Nachkriegsdeutschlands ihren Beitrag geleistet. ({14}) Wir haben eine Bundeswehr, die mitten in der Gesellschaft steht und von der Gesellschaft voll anerkannt wird. Dies, meine Damen und Herren, ist eine Leistung, die wir bei Gründung der Bundeswehr kaum zu erhoffen wagten. Setzen wir dies alles nicht leichtfertig aufs Spiel! ({15})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter, ich möchte Sie einen Moment unterbrechen. - Meine Damen und Herren, es ist nicht sehr kollegial, zu den Abstimmungen zu kommen, aber nicht einmal dem letzten Redner ordnungsgemäß zuzuhören. ({0}) Ich wäre dankbar, wenn Sie Ihre Plätze einnehmen oder Ihre Unterhaltung draußen führen würden. Dies ist der letzte Redner vor den Abstimmungen, und er hat genauso ein Recht, angehört zu werden, wie alle anderen. ({1}) Ich bitte also um Aufmerksamkeit. Herr Kollege, fahren Sie bitte fort.

Günther Leonhart (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001330, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Wir hatten in den 70er Jahren ein stolzes Programm beschlossen, um die Bundeswehr für ihre Aufgaben auszurüsten. Es war ein gewaltiges Programm. Zukünftig wird es darum gehen, bei Anschaffungen neuer Waffensysteme zurückhaltender zu sein. Dabei müssen wir darauf achten, daß Waffensysteme bedienbar und finanzierbar bleiben. So dürfen wir zukünftig nicht mehr alles mitmachen, was technisch machbar ist. Wir brauchen im Verteidigungsetat Spielräume, um den Menschen in der Bundeswehr gerecht zu werden, ({0}) sowohl den Soldaten als auch den Zivilbediensteten. Ich sage: Was nützt uns eine technisch noch so gut ausgerüstete Bundeswehr, wenn unzufriedene Soldaten die Maschinen bedienen sollen? ({1}) Bei zahlreichen Besuchen in Kasernen haben wir mit Soldaten sprechen können, noch übers Wochenende in Gießen. Die Grundstimmung in der Bundeswehr ist schlecht. Mängel werden aufgezeigt. Da sind vielerorts dringend Kasernen zu modernisieren. Da sind Wohnungen der Soldaten zu renovieren. Berechtigte Forderungen haben auch Frauen von Soldaten. Sie finden oft keinen Arbeitsplatz am neuen Standort nach Versetzung ihres Mannes. Große Sorgen bereitet die Umschulung der Kinder. Ein wichtiges Thema im Gespräch mit den Soldaten war immer wieder die Berufsausbildung durch die Bundeswehr. Nicht zu übersehen ist das Problem beim Verwendungsstau. Dem müssen wir in den kommenden Jahren verstärkt unsere Aufmerksamkeit widmen. Da nützt auch nichts die Feststellung, meine Damen und Herren, daß wir mit der Bundeswehr im Hinblick auf Besoldung und soziales Netz innerhalb der NATO an der Spitze stehen. Immer wieder konnten wir bei unseren Besuchen erfahren, wie hochmodern und qualifiziert unsere Bundeswehr ausgestattet ist. Auch der Sach- und Fachverstand in der Bundeswehr und der Beamtenschaft ist ganz enorm. Unsere Soldaten und die Zivilbediensteten, sie alle tun ihre Pflicht zu unserem Wohl. Die heutigen Probleme werden uns in einigen Jahren als klein und lächerlich erscheinen. So wird uns erstens die Finanzierung der in Auftrag gegebenen Waffensysteme der zweiten Generation beschäftigen. Zweitens werden uns die geburtenschwachen Jahrgänge ab Mitte der 90er Jahre personelle Konzeptionen abverlangen, die wir alsbald mit Phantasie angehen müssen. Drittens. Soldaten der Bundeswehr und Zivilbedienstete müssen weiterhin an der Entwicklung im öffentlichen Dienst teilhaben. Viertens. Dienstbelastungen und Verwendungsstau müssen einer Lösung zugeführt werden. Es kommt entscheidend darauf an, daß der Soldat weiß, daß wir alle um seinen schweren Dienst wissen und daß wir erwarten, daß er seinen Dienst gewissenhaft wahrnimmt. Schaffen wir also die Voraussetzungen dafür, daß unsere Bundeswehr die ihr gestellten Aufgaben meistern kann. Zusammenfassend kann ich sagen: Es geht nicht darum, einen Krieg zu führen oder einen Krieg zu gewinnen. Vielmehr geht es darum, den Krieg zu verhindern, den ersten Schuß, wenn man so will, zu verhindern. ({2}) Um dieses Ziel, meine Damen und Herren, laßt uns streiten. Der demokratische Sozialismus ist Freiheitsbewegung. Frieden ist für ihn immerwährendes Ziel. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschließend Herrn Generalinspekteur Altenburg und den Soldaten sowie allen Mitarbeitern herzlichen Dank für ihren schweren Dienst sagen, den sie für uns alle leisten. ({3})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe deshalb die Aussprache. Wir kommen zu den Abstimmungen. Vor der Abschlußabstimmung haben wir zunächst über drei Änderungsanträge abzustimmen, und eine dieser Abstimmungen ist eine namentliche. Zunächst zu dem Änderungsantrag des Abgeordneten Kleinert ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf Drucksache 10/2462. Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Wer stimmt dagegen? - Stimmenthaltungen? - Dann ist dieser Antrag abgelehnt. Ich rufe den Änderungantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2479 auf. Die Fraktion der SPD verlangt nach § 52 unserer Geschäftsordnung namentliche Abstimmung. Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2479 zuzustimmen wünscht, den bitte ich, die Abstimmungskarte mit Ja, wer dagegen stimmen oder sich der Stimme enthalten will, den bitte ich, die entsprechenden Abstimmungskarten in die hier vorn aufgestellten Urnen zu legen. Ich eröffne die namentliche Abstimmung. - Meine Damen und Herren, ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte, mit der Auszählung zu beginnen. Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für die Verlesung des Protokolls über die namentliche Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zu Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - auf Drucksache 10/2479. Von den voll stimmberechtigten Mitgliedern des Hauses haben 441 ihre Stimme abgegeben. Es gibt keine ungültigen Stimmen. Mit Ja haben 186 gestimmt, mit Nein 255. Es hat keine Enthaltungen gegeben. Von den 19 abgegebenen Stimmen der Berliner Abgeordneten war keine ungültig. Mit Ja haben 9 Abgeordnete gestimmt, mit Nein 10. Es hat keine Enthaltungen gegeben. Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen 441 und 19 Berliner Abgeordnete; davon ja: 186 und 9 Berliner Abgeordnete nein: 255 und 10 Berliner Abgeordnete Nein CDU/CSU Dr. Abelein Dr. Althammer Frau Augustin Austermann Bayha Dr. Becker ({1}) Berger Dr. Blank Dr. Blens Dr. Blüm Böhm ({2}) Dr. Bötsch Bohl Bohlsen Borchert Braun Breuer Broll Brunner Bühler ({3}) Dr. Bugl Carstens ({4}) Carstensen ({5}) Clemens Conrad ({6}) Dr. Czaja Dr. Daniels Daweke Frau Dempwolf Deres Dörflinger Dr. Dollinger Doss Echternach Ehrbar Eigen Engelsberger Eylmann Dr. Faltlhauser Fellner Frau Fischer Fischer ({7}) Francke ({8}) Dr. Friedmann Ganz ({9}) Frau Geiger Dr. Geißler Dr. von Geldern Dr. George Gerlach ({10}) Gerstein Gerster ({11}) Glos Dr. Göhner Dr. Götz Götzer Günther von Hammerstein Hanz ({12}) Haungs Hauser ({13}) Hedrich Frau Dr. Hellwig Helmrich Dr. Hennig Herkenrath Hinrichs Hinsken Höffkes Höpfinger Dr. Hoffacker Dr. Hornhues Hornung Frau Hürland Dr. Hüsch Dr. Hupka Graf Huyn Jäger ({14}) Jagoda Vizepräsident Westphal Dr. Jahn ({15}) Dr. Jobst Jung ({16}) Dr.-Ing. Kansy Frau Karwatzki Keller Kiechle Klein ({17}) Dr. Köhler ({18}) Dr. Köhler ({19}) Dr. Kohl Kraus Dr. Kreile Krey Kroll-Schlüter Frau Krone-Appuhn Dr. Kronenberg Dr. Kunz ({20}) Lamers Dr. Lammert Landré Dr. Langner Lattmann Dr. Laufs Lenzer Link ({21}) Link ({22}) Linsmeier Lintner Dr. Lippold Löher Lohmann ({23}) Lowack Maaß Frau Männle Magin Marschewski Dr. Marx Dr. Mertes ({24}) Metz Dr. Meyer zu Bentrup Michels Dr. Miltner Milz Dr. Möller Dr. Müller Müller ({25}) Müller ({26}) Müller ({27}) Nelle Frau Dr. Neumeister Niegel Dr. Olderog Pesch Petersen Pfeffermann Pfeifer Dr. Pinger Pohlmann Dr. Probst Rawe Reddemann Regenspurger Repnik Dr. Riedl ({28}) Dr. Riesenhuber Rode ({29}) Frau Rönsch Frau Roitzsch ({30}) Dr. Rose Rossmanith Roth ({31}) Rühe Ruf Sauer ({32}) Sauer ({33}) Saurin Sauter ({34}) Sauter ({35}) Dr. Schäuble Schartz ({36}) Schemken Scheu Schlottmann Schmidbauer Schmitz ({37}) Schneider ({38}) Dr. Schneider ({39}) Freiherr von Schorlemer Schreiber Dr. Schroeder ({40}) Schulhoff Dr. Schulte ({41}) Schwarz Dr. Schwarz-Schilling Dr. Schwörer Seehofer Seesing Seiters Spilker Spranger Dr. Stercken Stockhausen Dr. Stoltenberg Strube Stutzer Susset Tillmann Dr. Todenhöfer Uldall Dr. Unland Frau Verhülsdonk Vogel ({42}) Vogt ({43}) Dr. Voigt ({44}) Dr. Voss Dr. Waffenschmidt Dr. Waigel Graf von Waldburg-Zeil Dr. Warnke Dr. Warrikoff Dr. von Wartenberg Weirich Weiß Werner Frau Dr. Wex Frau Will-Feld Frau Dr. Wilms Wilz Wimmer ({45}) Windelen Frau Dr. Wisniewski Wissmann Dr. Wittmann Wittmann ({46}) Dr. Wörner Würzbach Dr. Wulff Zierer Dr. Zimmermann Zink Berliner Abgeordnete Frau Berger ({47}) Buschbom Dolata Dr. Hackel Kalisch Kittelmann Dr. h. c. Lorenz Schulze ({48}) Straßmeir FDP Frau Dr. AdamSchwaetzer Baum Beckmann Bredehorn Cronenberg ({49}) Eimer ({50}) Engelhard Dr. Feldmann Gattermann Genscher Grüner Frau Dr. Hamm-Brücher Dr. Hirsch Hoffie Kleinert ({51}) Kohn Dr.-Ing. Laermann Dr. Graf Lambsdorff Mischnick Möllemann Neuhausen Paintner Dr. Rumpf Schäfer ({52}) Dr. Weng Wolfgramm ({53}) Wurbs Berliner Abgeordneter Hoppe Ja SPD Amling Antretter Bachmaier Bahr Bamberg Becker ({54}) Bernrath Frau Blunck Brück Buckpesch Büchler ({55}) Büchner ({56}) Dr. von Bülow Buschfort Catenhusen Collet Conradi Dr. Corterier Curdt Daubertshäuser Delorme Dr. Ehmke ({57}) Dr. Ehrenberg Dr. Emmerlich Dr. Enders Esters Ewen Fiebig Fischer ({58}) Fischer ({59}) Franke ({60}) Frau Fuchs ({61}) Frau Fuchs ({62}) Gansel Gerstl ({63}) Gilges Glombig Grunenberg Dr. Haack Haar Haehser Hansen ({64}) Frau Dr. Hartenstein Dr. Hauchler Hauck Heistermann Herterich Hettling Heyenn Hiller ({65}) Hoffmann ({66}) Dr. Holtz Huonker Ibrügger Immer ({67}) Jahn ({68}) Jansen Jaunich Dr. Jens Junghans Jungmann Kastning Kiehm Kirschner Kisslinger Klein ({69}) Klose Kolbow Kretkowski Dr. Kübler Kühbacher Kuhlwein Lambinus Lennartz Leonhart Frau Dr. Lepsius Liedtke Lohmann ({70}) Lutz Frau Dr. Martiny-Glotz Frau Matthäus-Maier Matthöfer Meininghaus Müller ({71}) Müller ({72}) Müntefering Nagel Nehm Neumann ({73}) Dr. Nöbel Frau Odendahl Oostergetelo Paterna Pauli Dr. Penner Peter ({74}) Pfuhl Porzner Purps Rapp ({75}) Rappe ({76}) Reimann Reschke Reuter Rohde ({77}) Roth Sander Schäfer ({78}) Schanz Dr. Scheer Schlaga Schlatter Schluckebier Frau Schmedt ({79}) Dr. Schmidt ({80}) Schmidt ({81}) Schmitt ({82}) Dr. Schmude Dr. Schöfberger Schreiner Schröder ({83}) Schulte ({84}) Sielaff Sieler Frau Simonis Frau Dr. Skarpelis-Sperk Vizepräsident Westphal Dr. Soell Dr. Sperling Steiner Stiegler Stockleben Dr. Struck Frau Terborg Tietjen Frau Dr. Timm Toetemeyer Frau Traupe Vahlberg Verheugen Vogelsang Voigt ({85}) Walther Weinhofer Weisskirchen ({86}) Dr. Wernitz Frau Weyel Dr. Wieczorek Wieczorek ({87}) Wiefel von der Wiesche Wimmer ({88}) Wischnewski Witek Dr. de With Wolfram ({89}) Zander Zeitler Frau Zutt Berliner Abgeordnete Dr. Diederich ({90}) Egert Heimann Frau Luuk Dr. Mitzscherling Stobbe DIE GRÜNEN Frau Dr. Bard Burgmann Drabiniok Dr. Ehmke ({91}) Fischer ({92}) Frau Gottwald Horacek Hoss Dr. Jannsen Frau Kelly Kleinert ({93}) Krizsan Frau Nickels Frau Potthast Reents Frau Reetz Sauermilch Schily Frau Schoppe Schwenninger Verheyen ({94}) Vogt ({95}) Frau Dr. Vollmer Berliner Abgeordneter Schneider ({96}) fraktionslos Bastian Damit ist der Antrag abgelehnt. Es ist noch über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 10/2480 abzustimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Änderungsantrag ist damit abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 14 ab. Wer dem Einzelplan 14 - Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung - in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Der Einzelplan 14 ist mit Mehrheit angenommen. Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Einzelplan 35. Wer dem Einzelplan 35 - Verteidigungslasten im Zusammenhang mit dem Aufenthalt ausländischer Streitkräfte - zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dann ist der Einzelplan mit Mehrheit angenommen. Ich habe festzustellen, daß der Herr Abgeordnete Löffler - auch im Namen des Herrn Abgeordneten Heimann - eine schriftliche Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung zur Abstimmung über den Einzelplan 35 abgegeben hat, die ich zu Protokoll nehme*). *) Anlage 2 Ich rufe auf: Einzelplan 23 Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit - Drucksachen 10/2318, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Esters Borchert Frau Seiler-Albring Verheyen ({97}) Hierzu liegen Ihnen auf den Drucksachen 10/2431 und 10/2468 Änderungsanträge des Abgeordneten Verheyen von der Fraktion DIE GRÜNEN, auf den Drucksachen 10/2482 und 10/2483 Änderungsanträge der Fraktion der SPD vor. Interfraktionell ist für die Aussprache eine Runde vereinbart worden. - Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat der Abgeordnete Esters. Ich bitte um Aufmerksamkeit für ihn. Darf ich noch einmal bitten, die Plätze wieder einzunehmen oder den Saal zu verlassen.

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eigentlich hätte der Einzelplan 23 eine ausführlichere Behandlung auch zu einem anderen Zeitpunkt als jetzt abends um 22 Uhr verdient. ({0}) Darauf sind natürlich die meisten Kollegen auch vorbereitet gewesen. In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit tun wir allerdings uns selbst und auch den Kollegen, die zuhören sollen, einen Gefallen, wenn wir es möglichst kurz machen. Herr Minister, das, was ich Ihnen hier eigentlich hätte sagen wollen - Anregungen und ähnliches mehr, die über das hinausgehen, was wir bereits bei der Beratung im Haushaltsausschuß gesagt haben -, werde ich mir erlauben Ihnen, in den nächsten Tagen schriftlich zukommen zu lassen mit der herzlichen Bitte, die Anregungen aufzunehmen. Wir haben hier natürlich einige Änderungsanträge vorgelegt. Die Begründung für die Änderungsanträge steht zum Teil bereits darunter. Ich möchte Sie in Anbetracht der Tatsache, daß wir tagtäglich neue Meldungen über Hungerkatastrophen und ähnliches in der Dritten Welt bekommen, herzlich bitten, daß wir den Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit in den Stand setzen, in den nächsten Jahren speziell im ökologischen Bereich Maßnahmen einzuleiten, und zwar zum einen im Hinblick darauf, ein Vordringen der Wüste zu verhindern, und zum anderen, daß in den Bereichen Schwarzafrikas, wo die Hungersnot am größten ist, Maßnahmen im landwirtschaftlichen Sektor eingeleitet werden, die dazu führen müssen, daß diese Staaten nach und nach in die Lage versetzt werden, ihre eigene Bevölkerung zu ernähren. ({1}) Ich wäre dankbar, wenn Sie in dieser Richtung mit uns ziehen würden, zumal wir entsprechende Vorschläge gemacht haben, und wenn es dadurch nicht zu einer Ausweitung des Etatvolumens käme. Ich danke Ihnen. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Das Wort hat die Abgeordnete Frau Gottwald.

Gabriele Gottwald (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000715, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß Sie leider enttäuschen. Wir GRÜNEN sind der Ansicht, daß es sich schon lohnt, über diesen Haushalt zu reden. Ich möchte deswegen meine Redezeit ausnutzen. Wenn wir heute abend, Herr Warnke, über den Haushaltsplan Ihres Ministeriums sprechen, muß ich Ihnen zunächst einmal mit einem sehr altbekannten Thema auf die Nerven gehen. Ich meine, Sie müssen sich das in einem Punkt gefallen lassen, in dem Sie schon mehrmals uns und die Öffentlichkeit von hier aus getäuscht haben. Aus dem Einzelplan 23 werden immer mehr Gelder zur Exportförderung bundesdeutscher Konzerne mißbraucht. Diese Gelder fallen für entwicklungspolitische Zielsetzungen aus. Das wollen Sie verschleiern. Deshalb sind Sie uns jetzt schon zweimal mit völlig verfälschten Statistiken gekommen: In der Debatte zum Entwicklungspolitischen Bericht und in der Debatte über die Förderung kleinbäuerlicher Betriebe in der Dritten Welt. Sie wollen der Öffentlichkeit weismachen, die Förderung des ländlichen Raumes läge Ihnen besonders am Herzen. Daher verändern Sie die statistische Erfassung, um hier eine Steigerung im Jahresvergleich vorzutäuschen. Auf unsere Vorhaltungen haben Sie regelmäßig erklärt, die Förderung für den ländlichen Raum sei unabhängig davon gegenüber dem Jahr 1982 gestiegen. Sie haben damit wiederholt die Unwahrheit gesagt. Erklären Sie uns doch endlich einmal, auf welche Zahlen Sie sich bei Ihren Aussagen stützen. Auf die Angaben aus Ihrem Hause wohl kaum. Sie belegen nämlich eine Senkung der Ausgaben bzw. Zusagen zwischen 8 % und 17 %. Ich beziehe mich hier auf den Informationsvermerk über die Kriterien der statistischen Zuordnung, den das BMZ auf unseren Antrag dem Ausschuß für wirtschaftliche Zusammenarbeit aushändigen mußte - entgegen Ihrem Willen, wie wir inzwischen hörten. Lesen Sie ihre eigenen Papiere nach, Herr Warnke: Ausschußdrucksache 10/215. Das Ganze ist jedoch kein intellektuelles Problem, jedenfalls nicht in erster Linie. Man könnte ja vielleicht wohlwollend annehmen, daß man im Pannenkabinett jetzt schon nicht mehr die Steckdose für die Rechenmaschine findet. Nein, Hintergrund der gigantischen Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist leider Ihr unbändiger Wille, möglichst auch noch den letzten Pfennig aus dem Einzelplan 23 für die Exportsubvention deutscher Industriegüter zu mißbrauchen. Da gibt es auf dem ländlichen Sektor nun mal nicht so lukrative Projekte. Ihr Name steht für ein ganz finsteres Kapitel bundesdeutscher Entwicklungshilfe. Die aggressive Exportförderungspolitik, die Sie betreiben, wird ja selbst dem Bundeswirtschaftsminister zu viel. Der ist nämlich um das Ansehen der auch ohne Ihre Tricks konkurrenzfähigen Industrie in der Welt besorgt. Sie hingegen sind ein Sachwalter der Interessen einzelner Großkonzerne, nicht zuletzt des Siemens-Konzerns aus Ihrer Landeshauptstadt. Da genügt schon einmal ein Fernschreiben dieses Unternehmens an Sie, während Sie sich in Pakistan aufhalten. Man hatte Wind davon bekommen, daß in diesem Land ein Fernsprechnetz zu verhökern ist, ein äußerst zukunftsträchtiger Einstieg in den technologischen Markt Pakistans. Damit nun auch unbedingt das genannte Unternehmen den Zuschlag für diesen Auftrag bekommt, haben Sie schnell FZ-Gelder zur Subventionierung lockergemacht, und Sie und Siemens durften sich freuen auf Kosten der Gelder für die öffentliche Entwicklungshilfe. Die Gelder waren ursprünglich eingeplant für Be- und Entwässerung - ländliche Entwicklungshilfe, Herr Warnke -, soweit er zuhört. Und damit das Ganze unter der Decke bleibt, ändern Sie einfach die Statistiken und nennen uns hier permanent völlig verdrehte Zahlen. Herr Warnke, wo liegen denn die Anschlüsse? Etwa auf den Bauernhöfen auf dem Land? Nein, die sind vornehmlich für die Freihandelszonen, in denen sich die Konzerne aus den Industrieländern breitmachen. Deswegen werden im Rahmen dieses sogenannten Entwicklungshilfeprojektes auch vornehmlich Auslandsleitungen installiert. Wie wäre es, wenn Sie den Schwerpunkt der entwicklungspolitischen Zusammenarbeit demnächst auf die Errichtung von Computerterminals legen zur Errichtung eines Netzes von Geldautomaten, damit der Kleinbauer demnächst beschleunigt Zugang zu Bargeld hat? ({0}) Ich warte jetzt nur noch auf den Tag, Herr Warnke, an dem Sie es fertigbringen, die Unterstützung aus dem Einzelplan 23 für den Export von Atomkraftwerken als Projekt für den ländlichen Raum zu deklarieren. ({1}) - Ohne Zustimmung der GRÜNEN. Nach dem Motto: Landwirtschaft braucht Wasser, Bewässerung braucht Pumpen, Pumpen brauchen Strom, und der kommt aus Atomkraftwerken, wie man weiß. ({2}) Zu solch einer Begründung möchte ich Ihnen schon jetzt, Herr Minister, sehr herzlich gratulieren. Ein immer beliebteres Instrument dieser Strategie des Mißbrauchs von Entwicklungshilfegeldern ist die sogenannte Mischfinanzierung. Dies ist ein Instrument, mit dem sozusagen die Lieferbindung durch die Hintertür eingeführt wird, ohne daß in den einzelnen Regierungsverhandlungen dieses noch einmal Thema sein muß. Man kann sich sogar auf den ersten Blick brüsten, für die Entwicklungshilfe noch zusätzliche Gelder flottzumachen. In Wirklichkeit ist es genau umgekehrt, der Entwicklungshilfehaushalt wird dezimiert, indem FZ-Gelder zur Verbesserung kommerzieller Exportförderungskredite mißbraucht werden. Erst vor Wochenfrist haben Sie wieder angekündigt, daß Sie sich auch künftig verstärkt auf dieses Instrument stützen werden, offensichtlich eine Vorbereitung der Öffentlichkeit darauf, daß dieser Tage gigantische Zuwachsraten bei den Mischfinanzierungszusagen für 1984 herauskommen, für die sich ein wirklicher Entwicklungshilfeminister eigentlich nur schämen könnte. In diesem Zusammenhang muß ich ein paar Fragen an Sie richten. Welches Projekt in der Dritten Welt ist eigentlich nur dadurch zustande gekommen, daß Sie gnädigerweise im Rahmen der Mischfinanzierung private Gelder sozusagen mobilisiert haben'? Es handelt sich doch durch die Bank um bereits ausgeschriebene Projekte, um die sich Firmen aus allen möglichen Ländern bewerben. Nur damit eben deutsche Konzerne den Zuschlag erhalten, werden hier FZ-Gelder im Rahmen der Mischfinanzierung eingesetzt. Die Beschleunigung der Mischfinanzierung, an der mit Hilfe neuer Richtlinien und Weisungen in Ihrem Hause gearbeitet wird, dient doch nicht der Beschleunigung der Entwicklung in der Dritten Welt, sondern lediglich der aggressiven Exportstrategie einiger weniger bundesdeutscher Konzerne. Warum wohl haben einige Länder, z. B. Thailand und Indonesien, ihre FZ-Kontingente gar nicht ausgeschöpft, diejenigen Teile der Kontingente, die fest gebunden sind an liefergebundene Mischfinanzierungsprojekte? Doch ganz offensichtlich deshalb, weil sie sich Kredite zu ähnlichen Konditionen wie die Mischkredite auch auf dem öffentlichen Kapitalmarkt besorgen können und die günstigen FZ- Gelder nicht für solche Projekte verplempern wollen, die nur dem deutschen Export dienen. Aber Herr Warnke entläßt diese Gelder nicht aus den Mischfinanzierungsplanungen. Sind Gelder einmal für Mischfinanzierung eingeplant, so dürfen sie nach BMZ-Richtlinien nur noch für andere Mischfinanzierungsprojekte verwendet werden, wenn einzelne Projekte nicht realisiert worden sind. Sie sagen, daß die Beschäftigungswirksamkeit nicht das Kriterium bei der Auswahl der Projekte ist. Dürfen wir dann erfahren, warum sich auf Ihre Anweisung hin die Mitarbeiter der Kreditanstalt für Wiederaufbau in der sogenannten Vorabstellungnahme bereits über den Grad der Beschäftigungswirksamkeit äußern müssen, also in dem Prüfbericht, der entscheidend ist bei der Projektauswahl? Wie wenig Ihnen die Hilfe zur Selbsthilfe am Herzen liegt, zeigt auch das Beispiel in der Frage der IDA-7-Aufstockung. Nach außen hin verkünden Sie Solidarität mit der Dritten Welt, indem Sie sich für eine IDA-7-Aufstockung in Höhe von 12 Milliarden Dollar öffentlich aussprechen. Weil angeblich die USA nur einer Aufstockung um 9 Milliarden Dollar zustimmen wollten, würden Sie sich nun auch gegen Ihren Willen mit 9 Milliarden Dollar zufrieden geben. Noch ist nichts zu spät, Herr Minister. Warum beteiligen Sie sich nicht an der Konzertierten Aktion der anderen Länder, die mit Ihnen zusammen den entsprechenden Betrag von sich aus aufbringen wollen? Es gibt einen zweiten Bereich, den Sie als Entwicklungshilfeminister für sich in Anspruch nehmen. Das ist der Bereich der Außenpolitik, wo es ebenfalls explizit nicht um entwicklungspolitische Zielsetzungen geht. Trotz der Kritik aus Ihren eigenen Reihen und aus der FDP sind Sie wild entschlossen, die Entwicklungshilfe als Instrument einer an der Ost-West-Blocklogik orientierten Außenpolitik zu benutzen, völlig losgelöst von entwicklungspolitischen Kriterien. ({3}) Mit Pauken und Trompeten haben Sie erklärt, die Achse Managua-Havanna-Moskau sei ausschlaggebend für die Einstellung der Entwicklungshilfe an Nicaragua. ({4}) Das ist doch einmal ein Wort. Da weiß man doch, woran man ist. ({5}) Man kann gar nicht oft genug darauf hinweisen - wir haben das in unserem Entschließungsantrag zur Entwicklungshilfe Nicaragua/El Salvador auch wiederholt -, daß Sie, Herr Minister, noch nie den Versuch unternommen haben, die Einstellung der bilateralen Hilfe an Nicaragua entwicklungspolitisch zu begründen. Sie tun es nicht, weil Sie es nicht können, weil jeder weiß, daß die Voraussetzung für sinnvolle Projektarbeit in Nicaragua weitaus besser ist als in anderen Ländern. ({6}) Daß Sie dennoch diese Entscheidungen getroffen haben, dokumentieren die Grundlagen Ihrer Politik, die eben nicht entwicklungspolitischer Natur sind. ({7}) Im Fall von El Salvador hingegen versuchen Sie, entwicklungspolitische Argumentationskunststücke zu vollführen, was Ihnen allerdings mißlingt, da es mehr als durchsichtig ist, daß die Entscheidung für die Entwicklungshilfe zugunsten El Salvadors allein außenpolitisch motiviert war. ({8}) Die Art der Beschlußfindung in Ihrem Ministerium war auch nicht gerade klassischer Natur. Zuerst fiel die Entscheidung für Entwicklungshilfe, dann suchte man verzweifelt nach Projekten in El Salvador, was nicht einfach war. Um das zu legitimieren, schrecken Sie selbst nicht davor zurück, die abenteuerlichsten Behauptungen über die Entwicklung in El Salvador zum besten zu geben. ({9}) - Ja. - Als Sie aus El Salvador zurückkamen, haben Sie behauptet, es gebe keine Bombardierungen der Zivilbevölkerung durch die salvadorianische Armee. Das habe Ihnen Ihr Freund Präsident Duarte gesagt. Herr Warnke, ich muß Sie schon echt bitten, sich etwas mehr zu bemühen. Wie würden Sie eigentlich reagieren, wenn ich Ihnen sagte, Sie könnten ganz beruhigt sein, in Nicaragua laufe alles tipptopp, das habe mir der neue Staatspräsident Daniel Ortega, ein guter Freund von mir, gesagt? Da möchte ich einmal Ihr dummes Gesicht sehen. ({10}) Die salvadorianische Menschenrechtsorganisation der Kirche, Tutela Legal, auf die Sie sich seinerzeit im Ausschuß berufen haben, sowie zahlreiche US-amerikanische Menschenrechtsorganisationen wie Americas Watch und andere haben eindeutige Statistiken und Beweise über die weiterhin existierenden systematischen Bombardierungen der Zivilbevölkerung durch die salvadorianische Luftwaffe in der Hand und vorgelegt. ({11}) Dies ist nur ein Beispiel von vielen, das wiederum beweist: Angefangen von den eingangs erwähnten verfälschten Statistiken über die Förderung der ländlichen Entwicklung ({12}) bis hin zu Ihrer Mittelamerikapolitik - Herr Minister, ein Großteil der Basis Ihrer Politik ist die Lüge. Ihren Haushalt lehnen wir ab. ({13})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Frau Abgeordnete Gottwald, ich muß dies ausdrücklich rügen. In dieser Art und Form war das, was Sie sagten, auf eine Person gerichtet. In diesem Zusammenhang ist bei uns der Begriff „Lüge" einen Ordnungsruf wert. Diesen erteile ich Ihnen hierdurch. Meine Damen und Herren, der nächste Redner ist der Abgeordnete Borchert.

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu dem vorhergehenden Beitrag der Frau Kollegin Gottwald kann ich nur sagen, daß Polemik, auch wenn sie noch so lange vorgetragen wird, keine sinnvolle Entwicklungspolitik ersetzt. ({0}) Sie können zwar in jeder Debatte erneut und auch jetzt mit sehr viel Lautstärke Ihre Vorurteile vortragen. Nur: Ich hatte über lange Strecken bei Ihren Ausführungen den Eindruck, daß Sie über irgendeinen Haushalt, aber nicht über den jetzt hier zur Debatte stehenden Haushalt des Ministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit für das Jahr 1985 sprechen. ({1}) Bevor ich zu einigen Punkten des Einzelplans 23 Stellung nehme, möchte ich Minister Warnke dafür danken, daß es ihm gelungen ist, die Zuwachsrate des Einzelplans 23 mit 3,1 % höher zu halten als die durchschnittliche Zuwachsrate des Bundeshaushalts mit 0,9 %. ({2})

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Herr Abgeordneter Borchert, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Matthöfer?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ja.

Heinz Westphal (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002489

Bitte schön.

Hans Matthöfer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001439, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Kollege, ist es richtig, daß die hohe Zuwachsrate bei den Barausgaben in diesem Jahr auf die Verpflichtungsermächtigungen der vergangenen Jahre zurückzuführen ist?

Jochen Borchert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000233, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Matthöfer, wir haben die Verpflichtungsermächtigungen in den letzten Jahren zurücknehmen müssen, um wieder Spielraum im Haushalt zu bekommen. Wir haben in diesem Jahr die Baransätze erheblich heraufgesetzt. Wir haben darüber hinaus auch die Verpflichtungsermächtigungen für die zukünftigen Jahre erhöht. Darauf komme ich gleich. ({0}) Mit dieser Erhöhung im Einzelplan 23 für den Haushalt 1985 dokumentiert die Bundesregierung den hohen Stellenwert, den sie der Entwicklungspolitik beimißt. Nachdem die Verpflichtungsermächtigungen, Herr Matthöfer, aus zwingenden Gründen in den zurückliegenden Haushaltsjahren zurückgefahren werden mußten, ist jetzt insbesondere bei dem Titel „finanzielle Zusammenarbeit" eine Steigerung notwendig und möglich gewesen. Durch die Erhöhung der Verpflichtungsermächtigungen ist es dem Minister möglich geworden, jetzt den notwendigen Spielraum für neue entwicklungspolitische Akzente zur Verfügung zu haben. Ich möchte jedoch in diesem Zusammenhang darauf hinweisen, daß die Zuwachsraten bei den Verpflichtungsermächtigungen wegen der sich daraus ergebenden Belastungen der Baransätze zukünftiger Haushalte behutsam gehandhabt und gesteigert werden sollten. Ich meine, daß nur so auch in den nächsten Jahren die erforderliche Flexibilität gewahrt bleibt. Um die Effizienz der eingesetzten Mittel zu steigern, hat die Bundesregierung das Instrumentarium der privatwirtschaftlichen Zusammenarbeit ausgebaut, die Zuschüsse für nichtstaatliche Träger erhöht und die Abstimmung mit anderen Gebern intensiviert. Dies bedeutet - damit komme ich zu einem der Schwerpunkte - vor allem eine bevorzugte Förderung der Landwirtschaft mit besonderem Akzent auf der Nahrungsmittelversorgung, mehr rentable Investitionen, das Zurückdrängen staatlicher Wirtschaftsbürokratie mit geringerem Leistungsvermögen zugunsten der Privatinitiative und Beseitigung von Preisverzerrungen einschließlich einer Korrektur überbewerteter Währungen. Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu entwicklungspolitischen Schwerpunkten machen, insbesondere zur Intensivierung der landwirtschaftlichen Entwicklung. Die Bedeutung dieses Sektors wird klar, wenn man bedenkt, daß zwischen 60% und 90 % der Bevölkerung direkt von der Landwirtschaft leben. Die Förderung der Landwirtschaft ist vor allem dort von Bedeutung, wo es wie in vielen schwarzafrikanischen Ländern zu einer Verschlechterung der internen „terms of trade" der Landwirtschaft gekommen ist, besonders auch bei agrarischen Exportprodukten. Unrealistische Wechselkurse, interne hohe Inflationsraten, Preiskontrollen, relativ hohe Protektion der heimischen Industrie haben in vielen schwarzafrikanischen Ländern den realen Produzentenpreis landwirtschaftlicher Exportprodukte zwischen 10% und 60% gesenkt. Diese Hindernisse und die scharfen Preiserhöhungen bei wesentlichen Investitonsgütern der Landwirtschaft haben die reale Einkommensposition der Bauern derart verschlechtert, daß die Anreize zur Produktionssteigerung gehemmt oder zerstört wurden. Damit ist Schwarzafrika die einzige Region, in der die Nahrungsmittelproduktion den Wettlauf mit dem Bevölkerungswachstum verloren hat. Eine stärkere Betonung des landwirtschaftlichen Sektors ist somit die wesentliche Voraussetzung für einen effizienten und schnelleren Entwicklungsprozeß. ({1}) Meine Damen und Herren, ich will angesichts der späten Stunde nur einige Punkte ansprechen. Neben der Intensivierung des landwirtschaftlichen Sektors gehört dazu vor allem auch der Ausbau der Investitionen im industriellen, im mittelständischen und besonders im handwerklichen Bereich. ({2}) Zur Verstärkung der privatwirtschaftlichen Initiativen im Handwerksbereich hat die Bundesregierung erstmals 1983 einen Haushaltstitel zur Förderung entwicklungspolitischer Vorhaben eingestellt, ({3}) und in diesem Jahr die Verpflichtungsermächtigung auf 10 Millionen DM erhöht. ({4}) Meine Damen und Herren, lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer verstärkten Förderung mittelständischer Investitionen kommen. Ich begrüße den geforderten Untersuchungsauftrag über Aufgaben, Tätigkeiten und Organisationsstruktur der DEG. Im Hinblick auf eine verstärkte Ausrichtung auf mittelständische Unternehmen sollte die DEG besonders die Finanzierungs- und Beratungsangebote überdenken. ({5}) Viele zukünftige Aktivitäten der DEG sollten darin bestehen, daß sie sich als Servicebank für Direktinvestitionen mittelständischer Unternehmen in Entwicklungsländern versteht. ({6}) Eine entsprechende Durchleuchtung der DEG mit dem Ziel, ihre derzeitige Funktion und Organisation zu überprüfen, ist meines Erachtens Voraussetzung für die künftige entwicklungspolitische und unternehmenspolitische Arbeit und den Erfolg der DEG. ({7}) Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß an Sie alle appellieren, vor allem an die GRÜNEN. ({8}) Ich meine, die Entwicklungspolitik ist kein geeignetes Feld für innenpolitische Auseinandersetzungen. Der Entwicklungshaushalt 1985 wird bereits jetzt mit ungeheueren Erwartungen konfrontiert. Wir wissen, daß die Hungerkatastrophen besonders in Afrika auch im nächsten Jahr weitergehen werden. Wir wissen, daß ökologischer Raubbau, Erosionen, Verwüstungen, Meeres- und Luftverschmutzung gerade in der Dritten Welt ungehindert weitergehen. Es ist unsere Herausforderung, darauf eine entwicklungspolitische Antwort zu geben. Sie kann nach unserer Auffassung nur darin bestehen, daß wir alle Bemühungen in der Dritten Welt um eine eigenständige Entwicklung und Förderung der eigenen Kräfte unterstützen. Wir brauchen dabei immer wieder Wandel und Reform unserer eigenen Arbeit. Wir brauchen immer wieder schrittweise konkrete Verbesserungen. ({9}) Wir helfen den Entwicklungsländern nicht durch Vorurteile, durch immer wieder neue Strategiepapiere und grandiose Zielvorstellungen, sondern unser Beitrag zur Hilfe wird um so sinnvoller sein, je rationaler und nüchterner wir unsere Maßnahmen diskutieren und durchführen können. ({10}) Der Konsens in dieser Arbeit, die von uns allen Opfer verlangt, kann gar nicht groß genug sein, und ich fordere die Opposition, vor allen Dingen die GRÜNEN, auf, hierbei mitzumachen. Vielen Dank. ({11})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Seiler-Albring.

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Guten Abend! Herr Präsident! Meine Damen und Herren! ({0}) Frau Gottwald, ich bewundere - nehmen Sie das bitte ernst - Ihr entwicklungspolitisches Engagement, aber ich habe das Gefühl, Sie leiden an zwei Obsessionen. Die eine heißt Exportförderung, und die andere heißt Nicaragua. ({1}) Sie reduzieren die Arbeit des BMZ auf diese Perspektive, ({2}) und ich möchte gern in meinem Beitrag dazu beitragen, das Bild deutscher Entwicklungspolitik etwas zurechtzurücken. ({3}) - Ja, das habe ich auch. Der Haushalt des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit, meine Damen und Herren, zeichnet sich auch für das Jahr 1985 wie 1984 durch eine überproportionale Steigerungsrate gegenüber dem Gesamthaushalt aus. Mit über 6,6 Milliarden DM erreicht er einen Zuwachs von 3,1 %. Dies ist ein Indiz dafür, welch hohen Stellenwert die Entwicklungspolitik für diese Koalition und die von ihr getragene Regierung hat. ({4}) Daß dieses auch für die kommenden Jahre gilt, geht daraus hervor, daß die Verpflichtungsermächtigungen des Haushalts 1985, wie schon bei den Beratungen des letzten Haushaltes vom Kollegen Schröder angekündigt wurde, beträchtlich gesteigert werden konnten, so bei der technischen Zusammenarbeit um 7,8 %, bei der finanziellen Zusammenarbeit um 11,5%.

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Brück?

Ursula Seiler-Albring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002155, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Nein, Herr Brück. Es tut mir leid, aber ich habe nur so wenig Zeit. Dennoch, meine Damen und Herren, ein Blick auf die Situation der Länder der Dritten Welt, speziell derer auf dem afrikanischen Kontinent, zeigt, daß wir auch in diesem Jahr wiederum allen Anlaß haben, uns Rechenschaft darüber abzulegen, ob und, falls nicht, aus welchen Gründen unsere Entwicklungspolitik ihr Ziel, die wirtschaftliche und soziale Lage der Menschen in der Dritten Welt zu verbessern, erreicht hat. Die derzeitige Lage dieser Länder ist wiederum gekennzeichnet durch Armut, Hunger, Überbevölkerung, Verschuldung und Mißwirtschaft. Jeder, der die trostlosen Bilder der hoffnungslosen und verhungernden Menschen in Äthiopien vor Augen hat, wird aus vollem Herzen der Soforthilfe sowohl der Bundesrepublik als auch aller übrigen Helferstaaten zustimmen und die Mittel gern noch erhöhen. Jeder aber, der sich mit der Lage der von der Dürrekatastrophe gepeinigten Länder Afrikas beschäftigt, weiß, daß diese gewaltigen Summen dennoch nur der sprichwörtliche Tropfen auf den heißen afrikanischen Sand sind, daß dennoch viele hunderttausend Menschen verhungern werden, ({0}) weil die Hilfssendungen sie entweder wegen ungelöster Transportprobleme nicht erreichen können oder weil sie das persönliche Unglück haben, in einer vom Bürgerkrieg umkämpften Region zu leben und nicht einmal das Wenige ernten können, was die verkrusteten, überweideten und ausgemergelten Böden hergeben. Äthiopien steht für eine Notsituation, die auf viele Länder Afrikas immer wieder übertragbar ist. Äthiopien sollte uns ein Menetekel dafür sein, die Strategie der Entwicklungshilfe grundsätzlich zu überdenken, wobei die Antwort nicht so sehr in einer Steigerung der Quantität liegen kann, sondern eher in Richtung einer Steigerung der Effizienz und einer punktuellen Umstrukturierung der eingesetzten Mittel gehen muß. ({1}) Klare Definition der Projektziele und den speziellen Bedürfnissen des Entwicklungslandes angepaßte Projektkonzeptionen sind Grundvoraussetzung einer effizienten Hilfe. Ein richtiger Ansatzpunkt liegt sicher in der Steigerung der personellen Hilfe, die in den Zuwachsraten bei der technischen Zusammenarbeit auch zum Ausdruck kommt. Ich möchte an dieser Stelle meinen Dank an diejenigen aussprechen, die mit ihrem persönlichen Einsatz in den Entwicklungsländern, ein Einsatz, der, wie viele von uns gesehen haben, oft bis an den Rand der physischen und psychischen Belastbarkeit geht, die Mittel erst zur sinnvollen Hilfe werden lassen und denen man, Frau Gottwald, mit dem Vorwurf, das BMZ sei zu einer Agentur zur Exportfinanzierung degeneriert, die Ehre abschneidet. ({2}) Wegen der knappen Zeit ist es mir nicht möglich, ausführlich zur Diskussion um den DED, bei dem wir j a auch zu einer, wie ich meine, vernünftigen Lösung gekommen sind, Stellung zu nehmen. Ich möchte aber betonen, daß das beispielhafte Engagement seiner Mitarbeiter vor Ort in den Projekten unsere uneingeschränkte Anerkennung verdient. ({3}) Meine Damen und Herren, eine erfolgversprechende Zusammenarbeit setzt Eigenanstrengungen und Kooperationsbereitschaft der Entwicklungsländer voraus, Bereitschaft zu sozialen und wirtschaftlichen Reformen. Dies kann nicht bedeuten - und damit nehme ich einen Einwand, der von Ihnen vielleicht kommt, vorweg -, daß wir Entwicklungshilfe als Disziplinierungsinstrument oder, schlimmer noch, als Mittel der Erpressung zugunsten der Durchsetzung bestimmter gesellschafts- und wirtschaftspolitischer Denkkategorien eines Geberlandes mißbrauchen dürften. ({4}) Entwicklungspolitik, wie wir sie verstehen, ist Friedenspolitik, zu der Gewaltverzicht und das Eintreten für friedliche Konfliktlösungen gehören, wobei wir allerdings nicht aufhören dürfen, die weltweite Verwirklichung der Menschenrechte immer wieder zu fordern, und zwar bei allen unseren Partnern im entwicklungspolitischen Dialog. ({5}) Um es zu wiederholen: Dies bedeutet nicht - und von diesen naiven Vorstellungen haben wir uns ja schon vor vielen Jahren verabschiedet -, daß westeuropäische politische Strukturen, die in einem sehr langsamen historischen Prozeß gewachsen sind, auf die Situation der Länder der Dritten Welt übertragen werden könnten. Wir wissen, daß Unterentwicklung durch eine Vielzahl von Faktoren von hoher Komplexität verursacht ist und daß das entwicklungspolitische Instrumentarium entsprechend differenziert eingesetzt werden muß. Die Bundesregierung definiert vier Ziele ihrer Entwicklungspolitik: Grundbedürfnisbefriedigung, Energieversorgung, Schutz der Umwelt sowie Bildung und Ausbildung. Wir unterstützen sie hierin und fordern sie auf, die Hilfen ständig auf ihre Effizienz zu überprüfen und dort, wo es notwendig ist, auch Korrekturen einzuleiten. Insbesondere sind wir der Ansicht, daß die Koordinierung der Projekte im Bereich der multilateralen Hilfen verbessert werden muß. Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich gern noch ein kurzes Wort zu Lomé III sagen. Meine Fraktion hat sich intensiv mit dem Stand und den Perspektiven für das Nachfolgeabkommen von Lomé II beschäftigt und die Forderung erhoben, das neue Abkommen müsse, dem Ziel der Eigenständigkeit der AKP-Länder verpflichtet, eine sektorale und lediglich betriebswirtschaftliche Betrachtungsweise und das Denken in Projekten und Programmen überwinden, den soziokulturellen Bedingungen der AKP-Staaten stärker Rechnung tragen sowie Fragen des Umweltschutzes einbeziehen. Das nunmehr unterschriftsreif vorliegende neue Abkommen ist unserer Ansicht nach ein Schritt in diese Richtung. Für uns Liberale von besonderer Bedeutung ist, daß es gelungen ist, die Frage der Menschenrechte in dieses Abkommen einzubeziehen. Es ist gelungen, in der Präambel auf die in der UN-Charta enthaltenen Menschenrechte Bezug zu nehmen sowie im Vertragstext selbst eine Verbindung zwischen der Entwicklung und der Menschenwürde herzustellen. Anfang der Woche wurde auf dem EG-Außenministertreffen der Entwicklungsfonds erhöht. Somit konnte ein bisheriges Hindernis in den Verhandlungen ausgeräumt werden. Durch diese Aufstokkung um 400 Millionen ECU ergibt sich eine EG- Gesamthilfe von 8,5 Milliarden ECU in den kommenden fünf Jahren. Meine Damen und Herren, in diesem Zusammenhang ist zu bedauern, daß - und darüber sollten wir uns vielleicht noch einmal Gedanken machen - der Europäische Entwicklungsfonds bislang nicht in den Gesamthaushalt der Europäischen Gemeinschaft einbezogen wurde. Eine solche Einbeziehung würde sowohl die Finanzkontrolle verbessern als auch ein Beitrag zur Sicherung und Erweiterung der Kompetenzen des Europäischen Parlaments sein. ({6}) Meine Damen und Herren, wir stimmen dem Einzelplan 23 zu. Wir fordern Sie, Herr Minister, und Ihr Haus auf, diese 6,6 Milliarden DM so einzusetzen, daß die Bundesrepublik Deutschland auch weiterhin als ehrlicher und zuverlässiger Partner im Nord-Süd-Dialog bestehen kann. Herr Minister, unsere Unterstützung dabei haben Sie. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. ({7})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Abgeordnete Esters. ({0})

Helmut Esters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000496, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider sind mir die Kollegen der anderen Fraktion nicht gefolgt. Nicht meinetwegen, sondern für meine Fraktion muß ich dann doch einiges sagen. Es tut mir leid, daß ich Sie etwas aufhalten muß. Es ist in jedem Falle, so möchte ich sagen, Herr Minister, guter parlamentarischer Brauch, daß gerade ein neuer Entwicklungsminister eine gewisse Schonzeit bekommt. Sie haben diese Zeit jetzt zwei Jahre gehabt und haben sie genutzt, ({0}) sich in der Dritten Welt umzuschauen. Wenn man die Veröffentlichungen Ihres Hauses anschaut, dann stellt man fest, daß der Minister Dr. Warnke in Asien, Afrika und Lateinamerika mittlerweile ein sehr bekannter Mann ist. Allerdings sollte das nicht so weit führen, daß ihn hier niemand mehr kennt. ({1}) Für ihn gibt es in der jetzigen Phase genug im Inland zu tun. Wir erwarteten von Ihnen, Herr Minister, konzeptionelle Konsequenzen aus Ihren Reisen. Wir halten Ihre ganze Tatkraft bei der Führung und Kontrolle jener Durchführungsorganisationen für unerläßlich, die in den vergangenen zwei Jahren zu stark sich selbst überlassen gewesen sind. Sie verfügen als Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit kaum über mehr Mittel als in den Jahren zuvor. ({2}) Der Haushalt stagniert. - Ich weiß nicht, ob in allen ländlichen Entwicklungsbereichen der Anschluß an moderne Kommunikationsnetze das Wichtigste für die breiten Bevölkerungsschichten in diesen Ländern ist; jedenfalls nicht immer. Einige Länder merken dies ja mittlerweile selbst, Herr Kollege. Gravierender jedoch ist, daß die Verpflichtungsermächtigungen einen Tiefpunkt erreicht haben, was die Gestaltungsmöglichkeiten des BMZ in den nächsten Jahren entscheidend einengt. ({3}) Denn die Verpflichtungsermächtigungen sind das Instrument, mit dem die Politik für die nächsten Jahre gemacht wird; der Baransatz folgt ja immer einige Zeit später. Bezüglich der Förderung der Investitionen der deutschen Wirtschaft und vor allen Dingen kleiner und mittelständischer Unternehmen darf ich mich auf das beziehen, was der Kollege Borchert gesagt hat. Wir haben dem Bundesminister im Haushaltsausschuß einmütig aufgegeben, hier zu überprüfen, inwieweit die Instrumente, die wir haben, den neuen Herausforderungen entsprechen. Es würde in diesem Fall der Beteiligungskooperationen überhaupt nicht schaden, Herr Minister, wenn staatliche Institutionen, die wir hier ja haben, sich auch im landwirtschaftlichen Vermarktungsbereich zur Eigenversorgung der Bevölkerung einschalten würden. Ich weiß sehr wohl, daß dies ein etwas arbeitsintensives Feld ist ({4}) und daß dies nicht von allen so gern übernommen wird. Ein anderer Punkt betrifft die wirtschaftliche Kooperation im Versorgungsbereich. Wir haben Ihnen im Haushaltsausschuß schon dargelegt, daß wir es sehr gern sähen, wenn Sie bei Kooperationen im Versorgungsbereich, z. B. bei Bewässerungs- oder Entwässerungsprojekten, in stärkerem Maße, als wir das bisher getan haben, Kooperationen mit deutschen privaten oder kommunalen Eigenbetrieben oder Unternehmen durchführten, weil dann auch die Betriebsführung zu einem späteren Zeitpunkt mitgewährleistet werden könnte und weil dann auch der ganze Bereich der Aus-, Fort- und Weiterbildung gegeben wäre und personelle Engpässe nicht da wären. Wenn wir ausschließlich beim bisherigen System blieben, würden sich die auftragnehmenden Consultings der Fachkräfte am Markt bedienen. In den meisten Fällen ist es wichtiger, daß Unternehmen beteiligt sind, weil sie dann ein ganz anderes Gefühl entwickeln. Sie geben nicht nur Geld aus, das andere bereitstellen, sondern sie gehen eigenverantwortlich an die Sache heran. Der Haushaltsausschuß hatte vor längerer Zeit die Bundesregierung aufgefordert, ein Neuordnungskonzept für den Deutschen Entwicklungsdienst vorzulegen. Im Haushaltsausschuß haben wir vor allen Dingen aus zeitlichen Gründen auf eine detaillierte Diskussion dieses Neuordnungskonzeptes für den Deutschen Entwicklungsdienst verzichtet und diese auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Wir haben allerdings die haushaltsmäßigen Voraussetzungen dafür geschaffen, daß die personelle Situation auf der Leistungsebene des Deutschen Entwicklungsdienstes verbesssert werden kann. Ein Neuordnungskonzept ist dies allerdings nicht geworden, wenn man sich ansieht, was hier „Konzept" genannt wird. Notwendig scheint mir vor allem zu sein, daß die Verwaltungsabläufe so dezentralisiert werden, daß z. B. die Büros der Landesbeauftragten mehr Verantwortung und gleichzeitig mehr Entscheidungsfreiheit erhalten. Wir könnten uns vorstellen, daß es so etwas wie Länderwirtschaftspläne gibt, einen leistungsgerechten Einsatz von Ortskräften und eine vorurteilsfreie Förderung von counterparts der Entwicklungsländer. Dies alles würde in ein Konzept hineingehören. Es reicht sicherlich nicht aus, wenn man sich ausschließlich darauf beschränkt, das zu bringen, was der Bundesrechnungshof in seinen Prüfungsmitteilungen angemerkt hat. Ich möchte mich im Namen meiner Fraktion bei all denen bedanken, die auf freiwilliger Ebene tätig sind, ({5}) die den Ländern in der Dritten Welt auf freiwilliger Ebene helfen. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion werden Sie immer an Ihrer Seite finden, Herr Minister Warnke, wenn es darum geht, vernünftige Einrichtungen fördern zu helfen, vernünftige Vorschläge zu prüfen, inwieweit man die Situation auch im Durchführungsbereich, auch bei der Beschaffung von finanziellen Mitteln verbessern kann. Hier stehen wir Ihnen zur Seite. Im übrigen sollten wir das, was vorher gesagt worden ist, hier auch beherzigen, nämlich, daß die Entwicklungspolitik für uns selbst als Teil der internationalen Friedenssicherung eine so große Bedeutung hat, daß wir gemeinsam alles tun sollten, um eine gemeinsame Basis der Demokraten hier im Parlament zu erhalten. ({6})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Dr. Jürgen Warnke (Minister:in)

Politiker ID: 11002428

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich danke dem Haushaltsausschuß und dem Parlament insgesamt und gebe das zurück, was mein Kollege Borchert gesagt hat, daß wir am Ende der Beratungen dieses Ergebnis einer Steigerung von über 3 % haben. Dank der Geldwertentwicklung ist es eine Realsteigerung, die wir im Entwicklungshaushalt haben, ({0}) und eine reale Steigerung ist auch im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehen. ({1}) Aber die eigentliche Herausforderung liegt nicht im quantitativen Bereich, sie liegt in der Steigerung der Wirksamkeit, und nirgends wird das deutlicher als an den tragischen Ereignissen, deren Zeuge wir heute in weiten Teilen Afrikas und insbesondere in Äthiopien sind. Mit vereinten Kräften haben Regierung und Parlament dafür gesorgt, daß in Äthiopien eine Katastrophenhilfe von unserer Seite Platz gegriffen hat, die wirksam dazu beiträgt, Menschenleben zu retten. Wir werden in den nächsten Wochen dafür sorgen, daß, soweit das irgend möglich ist, diese Katastrophenhilfe in eine geplante Nahrungsmittelhilfe für das Jahr 1985 übergeleitet wird. Ich sage: soweit das irgend möglich ist; denn Frau Kollegin Seiler-Albring, der ich ausdrücklich für ihren Beitrag danke, hat darauf aufmerksam gemacht, daß es Menschen gibt, die zwischen den Fronten leben. Leider werden es Hunderttausende sein, die unserer organisatorischen und Lieferungsleistung gar nicht zugänglich sind. Meine Damen und Herren, wir haben die ganze Kraft darauf konzentriert, jetzt Menschenleben zu retten und uns nicht in Ursachendiskussionen zu verzetteln. Aber wir wissen, daß im Jahre 1985 die Aufgabe vor uns steht, nun mit der Nahrungsmittelhilfe die Ernährungssicherung aus eigener Kraft einzuleiten. Wir können in diesem Moment nicht umhin, auch nach den Ursachen zu fragen, auch nach der Verantwortung. Die Industrieländer, die Geberländer, dürfen sich dieser Frage nach der Ursache der derzeitigen Katastrophe nicht entziehen, wenn sie daraus die Lehren ziehen wollen, und sie müssen sie ziehen. ({2}) Wir werden - ich zitiere jetzt aus den Unterlagen des zuständigen Referats des Entwicklungshilfeministeriums - den Beitrag für die ländliche Entwicklung auch in den Prozentsätzen der Ausgaben des Ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit verdeutlichen. Ich sage der Frau Abgeordneten Gottwald noch einmal zu Protokoll, daß sowohl nach der alten wie nach der neuen Berechnung bei den Ausgaben für den ländlichen Raum der Anteil im Soll 1984 26 % beträgt und damit einen Höchststand wie nie zuvor erreicht hat. Ich kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie es nicht zur Kenntnis nehmen wollen. Aber es wird nichts bringen, wenn wir die Öffentlichkeit mit unrichtigen Angaben über die Leistung bedienen, die alle Gutwilligen in diesem Hause gemeinsam mit der deutschen Entwicklungshilfe vollbringen. ({3}) Wir werden natürlich in Afrika, dem Kontinent der am wenigsten entwickelten Länder, diese Leistungen zum größten Teil ausschließlich als Zuschüsse erbringen. Selbstverständlich ist es bei anderen Ländern, in Asien, den Schwellenländern, angebracht, eine andere Form der Förderung zu finden. Das ist jene Mischfinanzierung, die auf einen einstimmigen Beschluß dieses Hauses vom 5. März 1982 zurückgeht. In diesem Beschluß ist der Bundesregierung aufgetragen worden, die Mischfinanzierung zu erhöhen. Genau diesen Auftrag haben wir in diesem Jahr ausgeführt, z. B. gegenüber Schwellenländern wie Indonesien oder wie z. B. gegenüber einem Land, das zwar noch kein Schwellenland ist, das aber auch nicht der Kategorie der ärmsten Länder zuzurechnen ist, nämlich Pakistan. Wir haben durch die Kombination von Entwicklungshilfemitteln und Krediten das Fördervolumen für diese Länder erhöhen können, ohne das der ärmsten Länder zu beeinträchtigen. Dies leistet die Mischfinanzierung, zu der sich diese Bundesregierung bekennt. ({4}) Im übrigen wird jedes einzelne Projekt einer strengen Prüfung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau unterzogen. Diese Prüfung führt in vielen Fällen dazu, daß es nicht zu einer Projektdurchführung und dann auch nicht zu entsprechenden Lieferungen der deutschen Industrie kommt. Bloß, daß wir in allen entwicklungspolitisch geeigneten Fällen dafür sorgen, daß deutsche Entwicklungshilfe auch beschäftigungswirksam wird, das schulden wir unseren Bürgern, die sich heute darum bemühen, ihren Beitrag dazu zu leisten, daß wir wieder von der Arbeitslosigkeit wegkommen. ({5}) In Lateinamerika werden wir der Natur der Sache nach besonders stark auch personelle Hilfe leisten. Wir werden Lateinamerika in der Tat dort nicht durch deutsche Entwicklungshilfe fördern, wo destabilisiert wird. Wenn Sie meinen, das sei zum Entsetzen der FDP geschehen, dann kann ich Sie nur darauf verweisen, daß die Bundesregierung im Februar dieses Jahres einstimmig beschlossen hat, daß Neuzusagen an Nicaragua erst dann wieder gemacht werden, wenn es sich nachhaltig vom Destabilisierungskurs abgewendet hat. ({6}) Frau Abgeordnete Gottwald, Sie haben hier einen Ordnungsruf des Präsidenten ({7}) im Zusammenhang mit Behauptungen erhalten, die Sie über Flächenbombardierungen in El Salvador angestellt haben. ({8}) - Wie Ihrem Zwischenruf zu entnehmen ist, vertreten Sie die Auffassung, es handele sich um systemaBundesminister Dr. Warnke tische Flächenbombardierungen. Diesbezüglich haben Sie versucht, dieses Haus in die Irre zu führen. Ich habe natürlich nicht nur mit dem Präsidenten Duarte gesprochen, sondern ich habe auch mit Frau Hernandez, der Leiterin der Menschenrechtsorganisation Tutela Legal, angesiedelt am Sitz des Erzbischofs von San Salvador, gesprochen. Frau Hernandez ist eine Kritikerin der Regierung Duarte. Das Ergebnis war eindeutig: Nie - bis auf den heutigen Tag - seit Amtsantritt von Präsident Duarte haben Flächenbombardierungen in El Salvador stattgefunden. ({9}) Wer etwas anderslautendes sagt, der sagt die Unwahrheit. Wir werden Ihnen mit Nachdruck entgegentreten, wenn Sie hier die deutsche Öffentlichkeit über die Leistung eines Mannes verwirren wollen, der heute in seinem Einsatz für den Frieden in der Region durch niemanden übertroffen wird. Ich spreche von der Leistung des Präsidenten Napoleon Duarte. ({10}) Herr Kollege Esters, ich habe sehr wohl aufgenommen, was Sie hier über die Notwendigkeit, Durchführungsorganisationen im Auge zu behalten, gesagt haben. Im übrigen, wir haben diese Maschinchen nicht in dieser Form konstruiert, wie wir einige von ihnen heute vorgefunden haben. Aber es ist in der Tat eine Aufgabe, deren Erfüllung der Haushaltsausschuß schon seit vielen Jahren, und zwar vor der Verantwortung dieser Regierung, verlangt. Zum Beispiel muß dem mittelständischen Bereich in der Arbeit der DEG mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Ihre Worte sind auf fruchtbaren Boden gefallen. Sie haben hier den Deutschen Entwicklungsdienst angesprochen. Sie wissen, daß hier - insbesondere dank der Arbeit von Staatssekretär Köhler - nicht nur den Aufforderungen des Rechnungshofes, sondern auch einer von meinem Amtsvorgänger, Bundesminister Offergeld, geübten Kritik Rechnung getragen worden ist, indem wir bei Auswahl und Vorbereitung der Entwicklungshelfer, bei Programmplanung und -durchführung und gegenüber einer ausgeuferten Mitbestimmungspraxis wieder auf die Einhaltung der Bestimmungen des Vertrages über die Zusammenarbeit zwischen DED und Bundesregierung gedrungen haben. ({11}) Wir sind durchaus bereit, darüber hinaus die von Ihnen genannten organisatorischen Konsequenzen ins Auge zu fassen. Ich möchte Ihnen ausdrücklich danken, daß Sie hier für die Opposition einen konstruktiven Beitrag zur Gestaltung unserer gemeinsamen Entwicklungspolitik geleistet haben. ({12}) Denn in der Tat, meine Damen und Herren, das Beispiel von Zentralamerika - nicht nur es allein, aber es besonders klar - zeigt es: Entwicklungspolitik ist angewandte Friedenspolitik. Diesen Beitrag - nicht nur zur Behebung sozialer Konflikte, sondern zur Stärkung des Friedens in den Krisenregionen dieser Welt - werden wir um so wirksamer leisten können, je umfassender die Unterstützung aus dem Hause ist. Die Bundesregierung wird diesen Weg 1985 weiterverfolgen. ({13})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zunächst über die beiden Änderungsanträge des Abgeordneten Verheyen ({0}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2431 und 10/2468 sowie über die Änderungsanträge der Fraktion der SPD auf den Drucksachen 10/2482 und 10/ 2483. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2431 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist abgelehnt. Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2468 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Dieser Antrag ist ebenfalls abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2482 ab. Wer diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit. ({1}) - Meine Damen und Herren, das Präsidium ist sich einig; ({2}) wir haben alle Fraktionen hier vertreten. Sonst hätten wir ja einen Hammelsprung machen müssen. ({3}) Es ist nun noch über den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2483 abzustimmen. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei einigen Enthaltungen mit Mehrheit abgelehnt. Wir stimmen nunmehr über den Einzelplan 23 ab. Wer dem Einzelplan 23, Geschäftsbereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Vizepräsident Stücklen in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Keine Enthaltungen. Der Haushaltseinzelplan 23 ist mit Mehrheit angenommen. Ich rufe auf: Einzelplan 27 Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen - Drucksachen 10/2320, 10/2330 Berichterstatter: Abgeordnete Nehm Frau Berger ({4}) Verheyen ({5}) Hierzu liegen drei Änderungsanträge des Abgeordneten Schneider ({6}) und der Fraktion DIE GRÜNEN auf den Drucksachen 10/2435, 10/2436 und 10/2437 vor. Meine Damen und Herren, interfraktionell ist vereinbart, daß die Aussprache mit einer Runde bestritten wird. Sind Sie damit einverstanden? - Dann ist so beschlossen. Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Meine Damen und Herren, ich eröffne die allgemeine Aussprache. Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger. ({7}) - Er ist mir zwar nicht gemeldet, aber wenn Sie sich einig sind, dann hat jetzt der Abgeordnete Löffler das Wort. Bitte schön, ich lade Sie herzlich ein.

Lothar Löffler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001360, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die innerdeutsche Politik ist kein Naturschutzpark. Aber sie ist auch kein Trampelpfad, auf dem jeder herumstampfen kann, um möglichst viele Staubwolken zu erzeugen, die auf ihn aufmerksam machen. In dieser Politik geht es darum, sorgfältig mit den Worten und Begriffen umzugehen, diese Begriffe und Worte sorgfältig abzuwägen, damit wir nicht einen falschen Eindruck bei unseren Landsleuten in der DDR und bei unseren europäischen Nachbarn hervorrufen. ({0}) - Wen ich meine, Herr Sauer? Dreimal dürfen Sie raten. In allererster Linie Sie. ({1}) Warum müssen wir vorsichtig sein mit unseren Worten und Begriffen? Wir dürfen nicht durch Auseinandersetzungen, die von der Sache her nicht geboten und nicht nötig sind, unseren Landsleuten in der DDR die Hoffnung nehmen, daß wir uns darum bemühen, ihre Verhältnisse zu verbessern, und nicht in kleinliches Gezänk absinken. ({2}) Und wir dürfen darüber hinaus bei unseren Nachbarn nicht die Befürchtungen erzeugen, daß etwas von der alten deutschen Großmannssucht immer noch vorhanden ist oder vielleicht wieder einmal wachsen könnte. ({3}) Hier ist ein ausgesprochen schwieriges Gebiet der Politik. Da muß man sehr vorsichtig sein, Herr Reddemann. Und Sie, der Sie immer sehr ausgewogen sind, wissen, was Vorsicht auf diesem Felde bedeutet. ({4}) Und wenn mal die Unterschiede nicht so groß sind, müssen wir nicht durch verbale Kraftakte die Kluft besonders deutlich aufreißen. ({5}) Nirgendwo steht geschrieben, lieber Herr Dr. Hakkel, daß der künstliche Gegensatz die Mutter der Demokratie sei. Das stimmt überhaupt nicht. ({6}) Es schadet nichts, wenn wir auch einmal in bedeutenden Fragen bekunden, daß wir eine einheitliche Auffassung haben. ({7}) Und zum Glück gibt es ja noch solche Felder der einheitlichen Auffassungen in der innerdeutschen Politik. Aber wir haben gerade in diesen Tagen einige Beispiele zur Kenntnis nehmen müssen, die eigentlich das Gegenteil von dem Bemühen um einheitliche Auffassung in der innerdeutschen Politik belegen. ({8}) - Nein, Sie irren, nicht Apel, sondern ich denke jetzt an den Berliner Bürgermeister Lummer. „Morgenpost", Sonntag, 25. November 1984, da schreibt Herr Lummer ({9}) über Willy Brandt: Maßgeblich dürfte aber auch das offenbar unstillbare Bedürfnis Brandts sein, auch nach gescheiterter Kanzlerschaft auf weltpolitischer Bühne zu agieren und Historie zu machen, wem auch immer die von ihm ausgestellten Wechsel präsentiert werden. ({10}) Wissen Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, über Wortwahl kann man natürlich streiten, auch über Geschmack läßt sich streiten. Aber eines ist richtig: Verbale Kraftakte zeugen immer von einer Armut der Gedanken. ({11}) Es ist nur so ein bißchen schizophren, wenn vor einigen Stunden der Regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Diepgen, sagte: Wir haben auf dem innerdeutschen Gebiet Erfolge zu verzeichnen, von denen vor einigen Jahren nur geträumt werden konnte. - Sehr recht, Herr Regierender Bürgermeister! Hätte Herr Brandt nicht die Politik der kleinen Schritte durchgesetzt, würden heute noch sehr viele träumen. Dann hätten wir nämlich nicht den Fortschritt durch kleine Schritte, sondern lediglich die große Verzierung durch eine Politik der besonders gewaltigen Sonntagsreden. ({12}) Insofern wäre es schon besser, in der Politik ein wenig maßvoller miteinander umzugehen. ({13}) Ein anderes Beispiel, sehr geehrter Herr Hackel. Sie gehören zwar nicht mehr zur Jungen Union - aber ich weiß nicht: In der Jungen Union ist man vielleicht bis 65 -, ({14}) aber auf dem letzten Tag der Jungen Union in Berlin ist ja auch sehr Bemerkenswertes geschehen. ({15}) - Das war der letzte Deutschlandtag der Jungen Union in Berlin. Aber ein bißchen Endzeitstimmung ging eigentlich von diesem Tag aus, wenn man sich die Beschlüsse etwas genauer ansieht. ({16}) Diese Beschlüsse sind ja auf jeden Fall dazu geeignet, nicht nur bei den Polen, und zwar bei allen Polen, Befürchtungen auszulösen, sondern auch bei anderen europäischen Völkern. ({17}) - Natürlich. Niemand kann der Jungen Union, am allerwenigsten kann es der Bundesvorstand der CDU, vorschreiben, was sie nun zu beschließen hat und worüber sie zu reden hat. Aber unsereiner darf doch wohl sagen, daß das, was sie geredet haben, und das, und was sie dort beschlossen haben, ganz offensichtlich nicht in die politische Landschaft hineinpaßt. Denn solche Beschlüsse stören doch im Grunde genommen unser Streben nach möglichst viel Einheit zwischen den Teilen Deutschlands. Diese Beschlüsse der Jungen Union lösen doch von der Elbe bis zum Pazifischen Ozean ein starkes Händereiben der Befriedigung aus. Endlich bekommen die haltlosen Vorwürfe über Revanchismus in der Bundesrepublik Deutschland für mehrere Monate einen realen Bezugspunkt. Die ZKs aller kommunistischen Parteien lassen herzlich grüßen angesichts dieser Argumentationshilfe, die ihnen frei Haus geliefert worden ist. ({18}) - Sehen Sie, das ist jetzt auch so ein Beispiel wie die, über die ich jetzt gerade gesprochen habe. Wo ich meine Reden halte, sehr geehrter Herr Kollege, das werde ich und das werden diejenigen bestimmen, die mich in eine bestimmte politische Verantwortung geschickt haben. ({19}) Ihre Angelegenheit ist es allerdings, nun soviel Geschmacklosigkeiten von sich zu geben, wie Sie nur vermögen. Ich würde ein bißchen vorsichtiger sein, hier irgend jemanden zu verdächtigen und aufzufordern, er solle im polnischen Sejm reden. Dann könnte ich Ihnen nämlich einmal sagen, was meine Familie für Deutschland getan und gelitten hat, und zwar für ein Deutschland, das nicht jenes war, das dazu geführt hat, wie es heute in Europa dasteht. Vorsichtig, Herr Böhm! Aber jeder nach seinem Geschmack. ({20}) - Aber man wird doch wohl jemandem, der pöbelt, sagen können, daß er ein bißchen vorsichtig mit seiner Pöbelei sein sollte. ({21}) Das ist doch noch erlaubt. Oder hat die Wende auch das beseitigt? ({22}) - Mensch, lieber Herr Reddemann, Sie haben es ausgerechnet nötig, den Empfindlichen zu spielen. Warum sage ich das? Im nächsten Jahr jährt sich zum 40. Mal das Ende des Zweiten Weltkrieges. Die Waffen schwiegen, aber die Menschen fanden keine Ruhe. Not, Elend, Zerstörung, gewaltsame Verschiebung der Grenzen, Vertreibung und Leid waren noch längst nicht zu Ende. Mehrere Jahre haben wir Deutschen den Völkern Europas dieses Schicksal beschieden. Dann holte uns vor 40 Jahren dieses Schicksal selbst ein. Das Unrecht, das wir an anderen Völkern verübten, schlug auf uns zurück. Für das Gedenken dieser Tage sind im Einzelplan 27 rund 700 000 DM vorgesehen. Ich hoffe, daß die Veranstaltungen, die an die deutsche Vertreibung erinnern sollen und die aus diesen Mitteln bezahlt werden, den größeren Zusammenhang bedenken und nicht in Selbstmitleid und Selbstgerechtigkeit abgleiten und von dem Geschehen praktisch nur die eine Seite der Medaille sehen. ({23}) Die Flüchtlings- und Vertriebenenverbände haben große Leistungen bei der Eingliederung der Millionen Flüchtlinge vollbracht. Ich bin sicher, sie werden neben dieser großen Leistung auch noch eine weitere vollbringen, indem sie nämlich das deutsche Flüchtlingsschicksal - wie sie es auch schon in verschiedenen Erklärungen getan haben - nicht isoliert betrachten und nur einfach sich bedauern, sondern es im Zusammenhang mit all der Not und dem Elend sehen, das der Zweite Weltkrieg über die Völker Europas und auch über das eigene Volk ge7618 bracht hat. Wir möchten die Bundesregierung auffordern, bei diesem Bestreben hilfreich zu sein, wo immer das nur möglich ist. Die Stelle, an der die Debatte über den Einzelplan 27 innerhalb des heutigen Tages stattfindet, sagt wohl nichts über den Stellenwert dieser Politik aus. Wir nähern uns Mitternacht. Der Stellenwert bleibt nach wie vor hoch. Dennoch will ich angesichts der fortgeschrittenen Zeit nun zum Schluß kommen. Herr Bundesminister Windelen, aus grundsätzlichen Erwägungen der Opposition stimmen wir dem Einzelplan nicht zu. ({24}) - Lieber Herr Hackel, wir haben uns doch so daran gewöhnt. Die CDU hat das immer so gemacht. ({25}) - Lieber Herr Werner, wenn man etwas tut, was Sie über viele Jahre hinweg getan haben, dann sagen Sie doch nicht, daß das schwach ist, dann sagen. Sie doch, daß Sie eine schwache Opposition geleistet haben. Aber unsere Ablehnung bedeutet nicht, daß wir uns von der Verpflichtung gegenüber den Deutschen in der DDR verabschieden. Es bedeutet, daß wir hoffentlich - wie auch bisher - in vielen Punkten der innerdeutschen Politik mit Ihnen eine gemeinsame Auffassung vertreten können. Wir lehnen Ihre Politik nicht von A bis Z ab. Das hat in den vergangenen anderthalb Jahren mit gemeinsamen Auffassungen durchaus geklappt. Wir hoffen, daß sich das im Interesse aller Deutschen fortsetzen wird. ({26}) Schönen Dank, meine sehr verehrten Damen und Herren, besonders meine sehr verehrten Damen und Herren von den Regierungsfraktionen. Sie haben sich in Ihrer inneren Einstellung noch nicht von der Haltung und von der Stellung der Opposition gelöst, wenn man sich Ihre Zwischenrufe anhört. Wenn man sich Ihre Zwischenrufe anhört, Herr Dr. Hackel, haben sie immer noch das niedrige Niveau von Oppositionsschreiern. Schönen Dank. ({27})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat Frau Abgeordnete Berger.

Lieselotte Berger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000149, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kollegen! Herr Kollege Löffler, einigen Passagen Ihrer Rede - leider den wenigsten - kann ich zustimmen. Sie werden mit Sicherheit kaum erwarten, daß ich das auch in bezug auf den Tenor und die Schlußfolgerungen tue. Hier ist Widerspruch geboten. Darauf komme ich zurück, nicht heute, sondern später. Zur Sache: Das Haushaltsjahr 1985 ist für den Einzelplan 27, und damit für die Aktivitäten des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, das dritte Jahr der Konsolidierung. Verglichen mit dem Vorjahr beträgt die Steigerung 4,8 % gegenüber einer Erhöhung des gesamten Bundeshaushalts um nur 0,9%. Das ist auch ein deutschlandpolitisches Signal - von dieser Bundesregierung und von den sie tragenden Fraktionen gesetzt -, das ist eine Entscheidung, die z. B. Begegnungsmöglichkeiten zwischen Menschen aus beiden deutschen Staaten konkret verbessern wird. Der Haushaltsausschuß hat in seinen Beratungen die Akzente noch verstärkt. Während er das Gesamtvolumen des Haushaltsplans 1985 gegenüber dem Regierungsentwurf um 900 Millionen DM gekürzt hat, sind dem Einzelplan 27 zusätzlich 8,1 Millionen DM zugeführt worden. Denn wir wissen, daß die Aufgaben dieses Hauses nicht geringer und nicht einfacher, sondern umfangreicher und schwieriger werden. 1985 werden seit der großen Katastrophe, die zur Teilung des Landes geführt hat, 40 Jahre verstrichen sein. Rechnet man von jenem Nullpunkt aus nochmals 40 Jahre zurück, so befindet man sich im Jahre 1905 im scheinbar unerschütterlichen Kaiserreich. In jener Zeitspanne zwischen 1905 und 1945 hat die Nation drei Staatsformen und deren Zusammenbrüche erlebt: die Monarchie, die Demokratie und die Diktatur. Die nationale Kontinuität war aber niemals zuvor so gestört, der Bruch nie so tiefgreifend wie 1945. Dieses Datum der deutschen Teilung wirkt bis heute fort, sichtbar in der Trennung der Menschen hüben und drüben. Die deutsche Teilung darf nicht zu einer nur geschichtlichen Wahrheit versteinern, sondern muß ständig mahnender Ansatzpunkt für die Politik bleiben, die auf Überwindung der Spaltung angelegt ist. ({0}) Da diejenigen Deutschen, die Deutschland als politische Einheit erlebt haben, ständig weniger werden, bedarf es der Information, der Aufklärung, der Argumente gerade bei der nachwachsenden Generation. Wenn ich Sie ansehe, Herr Schneider, weiß ich, daß ich soeben etwas sehr Richtiges gesagt habe. Dieser Aufgabe trägt der innerdeutsche Haushalt Rechnung, natürlich im Rahmen des globalen Sparsamkeitsgebots. Im einzelnen möchte ich auf folgendes eingehen: Erstens. Der Ansatz für Publikationen wird um 2,5 Millionen DM gegenüber dem Vorjahr, d. h. um über die Hälfte, erhöht. Hier muß ich zunächst, wie schon in den Vorjahren, das Bücherpaket ansprechen, das über das gesamtdeutsche Institut für Lehrer und Schüler zur Verfügung gestellt wird. Es käme durchaus der Effizienz und Breitenwirkung zugute, Herr Minister, wenn dieses Paket mit seinen immer noch 56 Buchtiteln - früher waren es Frau Berger ({1}) abschreckenderweise 105 - erneut durchforstet, gestrafft und aktualisiert würde. Aber auch neue Wege müssen beschritten werden, z. B. in Form einer etwa vierteljährlich erscheinenden Jugendzeitschrift, die schon 1985 wenigstens zweimal erscheinen sollte. Für den Erfolg einer solchen Zeitschrift käme es neben der inhaltlichen Akzentuierung entscheidend auf Diktion und Aufmachung an. Sie müßte ebensoviel Pep haben wie etwa die Zeitschrift „PZ" der Bundeszentrale für politische Bildung, mit einem ganz und gar unamtlichen Stil, in der Sprache der Jugend, frech, kess, fetzig und ohne Angst vor dem „Null-Bock auf gar nichts". Schließlich sollte als fester Bestandteil in keiner Ausgabe dieser Zeitschrift die dritte Strophe des Deutschlandliedes fehlen. Am Rande bemerkt: Vielleicht können wir auf diesem Wege eines Tages unsere Spitzensportler in die Lage versetzen, bei entsprechender Gelegenheit die Nationalhymne mitzusingen. ({2}) Zweitens. Die Aufklärung durch Bücher und Broschüren muß weiter ergänzt werden durch Reisen nach Berlin, an die Grenze zur DDR und in die DDR selbst. Nichts vermag die Realität und die Auswirkungen der deutschen Teilung besser im Bewußtsein der Menschen zu verankern als die eigene Erfahrung. Die beiden einschlägigen Haushaltstitel sind im Laufe der Beratungen um insgesamt 5 Millionen DM aufgestockt worden und betragen zusammen 27,8 Millionen DM. Ich möchte an dieser Stelle die Initiative von Bundesminister Windelen im vorigen Haushaltsjahr hervorheben, der einen neuen Haushaltstitel zur Förderung von Schüler- und Jugendreisen in die DDR eingerichtet hat. Dieses Angebot kann schon jetzt als Erfolg bezeichnet werden. Die Reisen in die DDR, zu den Stätten unserer gemeinsamen Geschichte, aber auch die Begegnung mit dem real existierenden deutschen Sozialismus stoßen auf eine wachsende Nachfrage, wie jüngste Zahlen beweisen. Wir können davon ausgehen, daß bis Ende 1984 rund 43 000 Jugendliche in die DDR gefahren sind. Dies ist um so erfreulicher, als der Bund bei weitem nicht alle Kosten übernimmt - es handelt sich hier um Minimalzuschüsse -, sondern die Eltern dieser Schüler müssen einen erheblichen Eigenbeitrag leisten. Sie müssen ganz schön in die Tasche greifen, damit eine solche Klassenfahrt zustande kommt. Dafür sollten wir Ihnen in aller Öffentlichkeit und sehr herzlich danken. ({3}) Ich empfehle auch eindringlich, die Programme für die von mir angeregten Ein-Tages-Reisen in die DDR auszuweiten; dies um so mehr, als sie bisher weitgehend nur von Schüler- und Jugendgruppen aus Berlin in Anspruch genommen wurden. Wenn andere Gruppen aus Westdeutschland am Vortage im Grenzbereich übernachten, steht ihnen ein voller Tag für den Aufenthalt in der DDR zur Verfügung. Eine Kombination mit Programmen der Grenzbereisungen bietet sich an und hätte beachtliche finanzielle und organisatorische Vorteile. Drittens. Die Verstärkung des Einzelplans 27 wird auch der deutschlandpolitischen Forschung zugute kommen, wo der Ansatz um 1,5 Millionen auf 5,2 Millionen DM erhöht wird, bescheiden genug übrigens. Auch hier haben die parlamentarischen Beratungen zu einer zusätzlichen Verstärkung geführt. Maßnahmen in diesem Bereich müssen längerfristig angelegt sein. Zum Beispiel müssen wir auch wissenschaftlichen Nachwuchs für die Hochschulen gewinnen, der auf dem Gebiete der Deutschlandforschung auf breiterer Basis zu arbeiten in der Lage ist. Viertens. Die Förderung des Zonenrandgebietes bleibt weiterhin ein fester Bestandteil und besonderer Schwerpunkt des Einzelplans 27. Ich rufe in Ihre Erinnerung zurück, daß 1980 hierfür 145 Millionen DM bewilligt waren, die aber dann in den Folgejahren unter der Stabführung von Bundesminister Franke ({4}) - sofern man das überhaupt so nennen kann - auf 100 Millionen DM reduziert worden waren. In den Haushaltsjahren 1983 und 1984 waren es bereits wieder 115 Millionen DM, für 1985 haben wir 125 Millionen DM vorgesehen. Auch hier müssen wir uns mit kleineren Schritten begnügen. Wir werden aber weitere Schritte zu gehen haben. Die Schwerpunkte müssen allerdings neu definiert werden. Das Prinzip „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst" ist kein geeigneter Maßstab für die Förderung. Auch hier muß vorrangig an die Jugend gedacht werden. Das Zonenrandgebiet muß attraktiv bleiben oder attraktiver werden, damit die Jugend nicht abwandert. Infrastrukturmaßnahmen wie Sporteinrichtungen, Fremdenverkehrsmaßnahmen, Jugendherbergen und natürlich vor allem die Schaffung und Erhaltung qualifizierter Arbeitsplätze müssen im Vordergrund stehen. Die räumlichen und sachlichen Schwerpunkte der wirtschaftlichen Zonenrandförderung müssen daher konzentriert werden. Fünftens. Schließlich muß auch der Informationsarbeit im Ausland über die deutsche Frage mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Bereits heute stehen für 1985 neun zwischenstaatliche und nichtstaatliche Kommissionen und Konferenzen mit deutschlandpolitischer Thematik fest, in denen die DDR zunehmend vertreten ist. Man muß es als deprimierend, als wirklich unbegreiflich bezeichnen, wenn die Teilnahme bundesdeutscher Regierungsvertreter an der Reisekostenfrage scheitert. Daher wurde der Vorjahresansatz für Auslandsreisen von 5 000 DM schon im Regierungsentwurf auf 25 000 DM erhöht und in den Beratungen des Haushaltsausschusses um weitere 35 000 DM aufgestockt. Ich freue mich, daß die gründlichen Ausschußberatungen im Haushaltsausschuß und im Innerdeut7620 Frau Berger ({5}) schen Ausschuß in Übereinstimmung mit den Kollegen der SPD abgeschlossen werden konnten. Um so weniger kann ich verstehen, daß die SPD-Fraktion die Zustimmung zum Einzelplan 27 heute im Plenum verweigern will. Noch mehr muß es als schlimmer Rückschlag empfunden werden, wenn der SPD-Vorsitzende Brandt vor wenigen Tagen in München erklärte, die deutsche Frage habe - ich zitiere - „die Dramatik eines Traumes, der nachschwingt, aber vorüber ist, wenn man aufwacht". Ich möchte ihm ein Zitat des Dichters Jean Paul entgegensetzen, der im Jahre 1810 in seiner Schrift „Erste Pflicht der deutschen Fürsten gegen die deutschen Völker" schrieb: Ohne politische Träume stirbt jeder Staatskörper wie jeder andere Körper auch. Wer nichts will als die Gegenwart, wäre nie ihr Schöpfer geworden. In diesem Sinne Träumer zu sein, ehrt jeden deutschen Politiker. Wenn er dann noch über genügend Standfestigkeit verfügt, ({6}) wenn er sich durch nichts entmutigen läßt und wenn er sein Ziel beharrlich und mit Augenmaß verfolgt, ist die Grundlage für erfolgversprechende Politik gegeben. ({7}) Für uns jedenfalls, meine Damen und Herren, ist die deutsche Frage nicht schon dadurch erledigt, daß sogenannten Realpolitikern angesichts der Realitäten der Mut zum Träumen fehlt. Die Geschichte hat einen langen Atem. ({8}) Abschließend danke ich namens der CDU/CSU- Bundestagsfraktion dem Bundesminister Windelen, dem Staatssekretär Rehlinger, dem Parlamentarischen Staatssekretär Hennig und allen Mitarbeitern des innerdeutschen Ministerium für die im Jahre 1984 geleistete Arbeit. Das Jahr war mit vielen Mühen verbunden, aber auch Gott sei Dank mit beachtlichen Erfolgen. Möge dies so bleiben. Ich danke Ihnen. ({9})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schneider ({0}).

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer! Ich bin auf dem Wege hierher und in der letzten Stunde von meinen wenigen verbliebenen Fraktionskolleginnen und -kollegen aufgemuntert worden, ({0}) weil meine Laune absolut auf dem Tiefpunkt ist. ({1}) Immer dann, wenn alle abgeschaltet haben, wir abgekämpft sind, wenn es kurz vor der Geisterstunde ist, ({2}) dann wird im allgemeinen die Deutschlandpolitik aufgerufen. ({3}) Herr Löffler, Sie sagen dann auch noch, man solle eigentlich in der deutschlandpolitischen Debatte gar nicht soviel reden, oder Herr Diepgen sagt: Schweigen ist Gold. ({4}) Wo soll man die deutschlandpolitische Debatte, wenn sie im Bundestag nicht geführt wird, eigentlich noch führen, ({5}) wenn nicht in der Öffentlichkeit, und dort auch wirklich und intensiv, widersprüchlich und mit allen Nuancen? ({6}) Ich bin der Auffassung, daß die Deutschlandpolitik nicht nur irgendein Thema ist, daß man so am Rande abhandeln kann, sondern es ist das zentrale Thema, das uns alle angehen sollte. ({7}) Deutschlandpolitik ist für mich in erster Linie Friedenspolitik, und Friedenspolitik haben wir bei der Weltlage momentan und auf dem Pulverfaß, auf dem wir hier in Mitteleuropa sitzen, wirklich am dringendsten nötig. ({8})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Sauer?

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Bitte.

Helmut Sauer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001921, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege, würden Sie die Freundlichkeit besitzen, dem Hause einmal mitzuteilen, wann wir von den GRÜNEN überhaupt ein gemeinsames deutschlandpolitisches Papier erwarten dürfen? ({0})

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Herr Sauer, wir haben in diese Debatte vier Änderungsanträge eingebracht. ({0}) Diese vier Änderungsanträge - ich bezweifle, daß Sie sie gelesen haben - summieren sich durchSchneider ({1}) aus zu einem deutschlandpolitischen Konzept. Ich kann gleich dort fortfahren. Es ist schon einmal klar - -({2}) - Herr Sauer, machen Sie mich nicht so! ({3}) Wir haben durchaus ein deutschlandpolitisches Konzept in unseren Anträgen erkennbar gemacht. ({4}) - Sie glauben das nicht, Herr Reddemann, weil Sie unsere Vorschläge, auch die, die wir in den Ausschüssen, in der Öffentlichkeit und in Pressekonferenzen und in frühren Reden hier im Bundestag gemacht haben, grundsätzlich nur mit Ignoranz und mit einer hartleibigen Weghörigkeit behandeln, die dem Thema überhaupt nicht angemessen ist. Wir haben als Antrag Nr. 1 die Auflösung des Innerdeutschen Ministeriums verlangt. ({5}) Die Auflösung des innerdeutschen Ministeriums kann man nicht einfach so mit der linken Hand einmal daherreden und hier vorschlagen, wenn dahinter nicht eine deutschlandpolitische Konzeption stände, die sich von Ihrer vollkommen unterscheidet. ({6}) Das ist der Punkt. Wir stehen deswegen auch nicht in diesem Konsens der sogenannten anständigen Demokraten, der am 9. Februar dieses Jahres hier noch einmal befestigt worden ist und der nach unserer Meinung auf altmodischen Vorstellungen von ewig Gestrigen beruht, die da behaupten, daß es nur eine deutsche Staatsbürgerschaft für alle Deutschen gibt, in einem Deutschen Reich in den Grenzen von 1937, womit sie auch die DDR-Bürger zu Bundesdeutschen machen und die eigene Staatsangehörigkeit der DDR nicht anerkennen. ({7}) Wenn wir fordern, daß das innerdeutsche Ministerium aufgelöst werden soll, dann denken wir nicht daran, aus Herrn Windelen einen Sozialfall zu machen. Das ist nicht unser Anliegen. ({8}) Wir wollen vielmehr, daß die deutsch-deutschen Beziehungen von den besonderen Beziehungen unter den Fittichen der Bundesrepublik wegkommen, weg von dem Hintergedanken, daß die Bundesrepublik eigentlich diesen Staat DDR nicht will, daß sie ihn nicht akzeptiert, daß sie mit den Leuten dieses Staates auch nicht umgehen will. ({9}) - Wenn wir die Auflösung des Ministeriums verlangen, Herr Reddemann, heißt das, daß wir die deutsch-deutschen Beziehungen wie Ausland-Ausland-Beziehungen betrachten wollen. Das ist ganz klar. ({10}) Wir wollen eine Lösung erreichen, mit der die Grenzen auf eine Weise überwunden werden, die einen konstruktiven und intensiven Dialog auch mit diesem anderen Staat ermöglicht, dessen Existenz nicht mehr wegzuleugnen ist. ({11}) - Herr Reddemann, es ist sehr schwer, das zu hören, was Sie immer dazwischenreden. Sie stören mich damit durchaus. Hören Sie mir doch einmal zu, begreifen Sie, was unser Konzept ist, und nehmen Sie einmal ernst, was wir sagen! ({12}) Denn der Grundgedanke bei unserer Konzeption ist, daß die Beziehungen zwischen den Menschen in den beiden deutschen Staaten auf der Grundlage, die Sie wollen, überhaupt nicht mehr weiterentwikkelbar sind. Es gibt keine Möglichkeit, Städtepartnerschaften zwischen deutschen Städten herzustellen, ({13}) wenn die Staatsbürgerschaftsfrage nicht geklärt ist. Es gibt keine Möglichkeit, ein Rechtshilfeabkommen hinzukriegen, auch keine Möglichkeit für ein Kulturabkommen, und es gibt keine Möglichkeit, intensivere Kontakte in bezug auf Reisen und auf viele andere zwischenmenschliche Beziehungen zu erreichen, wenn Sie die DDR nicht als einen gleichberechtigten Staat anerkennen und auf dieser Grundlage den Dialog fühen. ({14})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Herr Abgeordneter Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage? ({0}) - Darf ich Sie bitten, sich mit den Zwischenrufen etwas zurückzuhalten, denn sonst ist es unmöglich, daß der Redner seine Ausführungen in der Zeit, die vorgegeben ist, machen kann. Bitte schön.

Peter Boroffka (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000236, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Kollege Schneider, wollen Sie etwa behaupten, daß die Menschen, die in der DDR leben, diesen Staat dort wollen?

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Das ist eine Frage, die ich nicht beantworten werde, ({0}) und ich will Ihnen auch sagen, warum. ({1}) Ich finde das, was hinter Ihrer Frage steckt, unheimlich überheblich. Sie geben nämlich vor - und das ist genau das, was ich kritisiere - , immer noch stellvertretend für die Menschen in der DDR mit zu handeln, und Sie glauben, Sie könnten mit für die Menschen in der DDR entscheiden. Das können Sie nicht! ({2}) Die Menschen in der DDR werden ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen. ({3}) - Das werden sie! Wir als GRÜNE hier in der Bundesrepublik vertreten die These, daß man sich hier im Lande täglich wehren muß. Genauso ist das in allen Ländern auch, in denen Ungerechtigkeiten passieren. Ich glaube nicht, daß wir diesen Staat von außen mit einer Ideologie und mit einem Gedankengebäude verändern können, das die Grenze zwischen der DDR und der Bundesrepublik nicht akzeptiert, sondern im Sinne der Grenzen von 1937 zu überwinden trachtet. Heute kommen gerade aus Ihren Reihen, von der CDU, wieder diese Töne, die im Grunde den Revanchismus-Vorwurf nur anheizen. ({4}) Als die „unruhigen Deutschen" stellen Sie in Mitteleuropa wieder einen Unruheherd dar. ({5}) Ihre Lösungen der deutschen Frage sind nur mit Power möglich, mit Druck, ({6}) und so wird es auch gehandhabt. Möglicherweise werden Sie mit einer solchen Politik der Härte, des Drucks und der Konfrontation so weit gehen, daß irgendwann der Krieg ausbricht, ({7}) obwohl Sie die ganze Zeit beteuert haben, ({8}) daß Sie keinen Krieg wollten. Ich finde, daß Sie auf eine unverantwortliche Weise mit dem Feuer spielen, etwa durch die Art und Weise, auf die z. B. Herr Sauer und viele andere in der CDU, auch Herr Dregger, die Grenzfrage angehen. ({9}) Davon müssen Sie herunter! ({10})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Cronenberg? ({0}) - Einen Moment! Es ist eine Zwischenfrage angemeldet. Gestatten Sie die Zwischenfrage? - Bitte sehr, Herr Cronenberg.

Dieter Julius Cronenberg (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000342, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Schneider, Sie setzen sich dankenswerterweise für das Recht ein, daß die Menschen in allen Ländern der Welt nach ihrem Gusto leben können. Würden Sie den Bürgern in der DDR das Recht zugestehen, mit uns in einem gemeinsamen Staat leben zu dürfen, wenn sie es wollen?

Dirk Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002041, Fraktion: Bündnis 90/Die Grünen (Grüne)

Also, das Recht, etwas zu wünschen und zu träumen, hat jeder. ({0}) Und ein Recht, etwas zu verlangen, hat auch jeder. Aber es kommt darauf an: Wie macht man Politik? Wie kann man diese Rechte, die Selbstbestimmungsrechte der Deutschen, die allen Deutschen selbstverständlich zustehen, ({1}) wie kann man diese Forderungen, die grundsätzlichen Forderungen, die idealistischen Forderungen aller Menschen in eine konkrete, realistische, ({2}) praktikable Politik umsetzen, ({3}) die nicht die Menschenrechte anderer verletzt? Und wenn Sie heute diese Grenzregelung wieder in Frage stellen, ({4}) dann höre ich von Ihnen überhaupt nichts, wie Sie das Selbstbestimmungsrecht des polnischen Volkes in diesem Zusammenhang sehen. Da hört plötzlich bei Ihnen alle Solidarität mit den anderen Völkern und mit einer Friedenspolitik, die alle Völker in Europa betrifft, weitgehend auf. ({5}) Sie fußen und satteln wieder auf ein nationalistisches Konzept, so wie es in Deutschland schon zweimal zu schrecklichen Weltkatastrophen geführt hat. ({6}) Und das greifen wir an in Ihrer Politik. Schneider ({7}) Ich sage noch einmal den Grundgedanken unserer Anträge. ({8}) Der Grundgedanke unserer Anträge ist: Bei aller Kritik an den inneren Verhältnissen in der DDR - -({9}) - Sie fragen immer, warum ich aus der DDR weggegangen bin. Ich habe das schon einmal in einer anderen Rede hier gesagt: daß ich als junger Mensch unglaublich viel, eigentlich totale Kritik an dem Staat der DDR gehabt habe. Ich habe auch heute ({10}) an dem Staat und den inneren Verhältnissen in der DDR - wie alle GRÜNEN - eine ganz intensive und große Kritik wegen Verletzung von Menschenrechten und Grundrechten der Menschen. Aber trotz dieser Kritik an der DDR werden wir, wenn wir Friedenspolitik machen wollen, wenn wir die Worte über Versöhnung, wie sie von Herrn Kohl kommen, wie sie von allen aus diesem Hause kommen, wirklich umsetzen wollen in eine Politik, wenn wir Dialog wollen, dann müsssen wir diesen Staat auch wirklich als einen gleichberechtigten Staat ernst nehmen; ({11}) denn genauso, wie Sie mit einem Menschen nur auf gleichberechtigter Ebene reden können, können Sie auch den Dialog zwischen Staaten nur auf gleichberechtigter Ebene herstellen. ({12}) Und es ist unglaublich, was Herr Kohl gemacht hat. ({13}) - Warten Sie mal, Herr Lintner! - Es ist unglaublich, wenn man den Themen Gewaltverzicht, wenn man den Themen Abbau der chemischen Kampfmittel auf deutschem Boden, wenn man dem Abrüstungsproblem atomwaffenfreie Zonen einschließlich der Geraer Forderungen aus dem Wege geht, ({14}) indem man sagt: Wir können ja über alle diese Themen mit Herrn Honecker reden, aber ich werde weghören. Das ist die Art der bundesrepublikanischen Ostpolitik. Sie wird uns in einen Weltbrand führen, wenn Sie nicht endlich davon abgehen. ({15}) Das ist der Grundtenor unserer Politik. Deswegen bitten wir Sie eindringlich, unsere Anträge - natürlich werden Sie sie heute nicht annehmen - zumindest einmal zu überlegen und diesen Grundgedanken der Gleichberechtigung, um Dialog und Versöhnung herzustellen und um Frieden zu erhalten aus der Verantwortung der Deutschen, die zwei Weltbrände angezettelt haben, ({16}) ernst zu nehmen und zu entwickeln. Und dafür könnte Herr Windelen auch gut sein Amt aufgeben. Ich danke Ihnen. ({17})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ronneburger. ({0}) - Herr Abgeordneter Sauer, ich kann nur die Zwischenrufe mit Ordnungsrufen belegen, die ich gehört habe. ({1}) Andernfalls muß ich das nachlesen. ({2})

Uwe Ronneburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001881, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident, Sie sind hoffentlich so freundlich, die soeben geführte Auseinandersetzung nicht auf meine Redezeit anzurechnen. ({0}) Denn wenn es auch eine Verabredung gab, sich nach Möglichkeit auf fünf Minuten zu beschränken, so halte ich dies nach dem, was heute abend hier gesagt worden ist, schlicht und einfach für unmöglich. ({1}) Meine Damen und Herren, die FDP-Fraktion wird dem Haushalt des Ministers für innerdeutsche Beziehungen zustimmen, und sie hat dafür, wie ich glaube, sehr einleuchtende Gründe. Die Politik, die von diesem Hause aus betrieben worden ist, die Politik, die diese Koalition betrieben hat, hat Erfolge für die Menschen in Deutschland gebracht, und sie hat das Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander verbessert - Herr Kollege Löffler, gewiß und unbestreitbar auf der Basis der in den 70er Jahren geschlossenen Verträge und getroffenen Abmachungen, aber gleichzeitig und nicht weniger wichtig durch eine konsequente, auf die Interessen der Menschen gerichtete und dem Verhältnis der beiden deutschen Staaten zueinander dienende Politik. Beides gehört zusammen. Die Verträge allein waren dafür keine Garantie. Das haben manche Jahre auch unserer gemeinsamen Regierungszeit - leider - nur zu deutlich gezeigt. ({2}) Wir werden diese Politik im Interesse der Menschen fortsetzen. Damit möchte ich meine Begründung für die Zustimmung zum Haushalt des innerdeutschen Ministeriums beenden, aber gleichzeitig die Gelegenheit benutzen, zu den Anträgen, die Sie, Herr Kollege Schneider, vorgelegt haben, einige Worte zu sagen. Ich möchte dabei auf das eingehen, was Sie zu dem einen oder anderen Punkt heute abend gesagt haben. Sie haben gesagt, wir hätten diese Anträge möglicherweise noch nicht einmal gelesen. Ich sage Ihnen: Ich habe diese Anträge hier, und ich habe sie gelesen, sogar einschließlich der Begründung. Das macht die Geschichte schwieriger, auch im Verständnis. Denn daß Sie beantragen, das innerdeutsche Ministerium aufzulösen, überrascht niemanden in diesem Hause. Aber die Begründung, die Sie dafür geben, zeigt, daß Sie z. B. den Grundlagenvertrag bis heute bedauerlicherweise nicht gelesen haben. ({3}) In Ihrer Begründung heißt es, daß Sie sich gegen die politische Auffassung wenden, die DDR sei nur ein Gebilde, das überwunden werden müsse, weil es der Entwicklung weitergehender Beziehungen im deutsch-deutschen Verhältnis entgegenstehe. Ich möchte Sie daran erinnern - und hier wörtlich zitieren -, was im Grundlagenvertrag dazu steht. Es heißt im Art. 2: Die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik werden sich von den Zielen und Prinzipien leiten lassen, die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegt sind, insbesondere - hören Sie gut zu, wenn Sie schon nicht selbst lesen der souveränen Gleichheit aller Staaten, der Achtung der Unabhängigkeit, Selbständigkeit und territorialen Integrität, dem Selbstbestimmungsrecht, der Wahrung der Menschenrechte und der Nichtdiskriminierung. ({4}) Wenn Ihnen das als verbindliche Aussage der Bundesrepublik Deutschland nicht genügt, wenn Ihnen nicht genügt, daß der Bundeskanzler, den Sie heute abend mehrere Male angegriffen haben, in seiner Regierungserklärung gesagt hat: Wir stehen zu diesen Verträgen, und wir werden sie als Instrumente aktiver Friedenspolitik nutzen!, dann sage ich Ihnen: Dann haben Sie überhaupt nicht verstanden, worum es der Koalition und worum es im Grunde genommen diesem ganzen Hause, Sie und Ihre Fraktion ausgenommen, in der Deutschlandpolitik geht, ({5}) nämlich um eine Verbesserung der Situation der Menschen, um Frieden, um friedliche Entwicklung, um gutnachbarliche Beziehungen zwischen diesen beiden deutschen Staaten. Lesen Sie einmal nach, was in den Verträgen steht und was mancher in diesem Hause damals vielleicht nicht leicht akzeptiert hat. ({6}) Die Auflösung des innerdeutschen Ministeriums ist eine Fiktion von dieser Sicht der Dinge her. Ich will Ihnen zu Ihren anderen Änderungsanträgen einige ganz wenige Worte sagen. Sie wollen den Ansatz in Kap. 27 02, Hilfsmaßnahmen gesamtdeutschen Charakters, um die symbolische Größe von 1 DM kürzen. Ich sage Ihnen in der Fraktion der GRÜNEN: Diejenigen, die bisher durch diese besonderen Hilfsmaßnahmen ihre Freiheit gewonnen haben, werden wissen, was sie von einem solchen Antrag zu halten haben. ({7}) Noch genauer werden es diejenigen beobachten, die vielleicht jetzt drüben darauf warten, durch solche besonderen Hilfsmaßnahmen ihre Freiheit wiederzugewinnen. Täuschen Sie sich nicht. ({8}) Dann „Förderung besonderer kulturpolitischer Maßnahmen gesamtdeutschen Charakters in Berlin", also gegen den Rias gerichtet. Vielleicht sollten Sie etwas öfter in die DDR gehen und mit den Bürgern der DDR darüber sprechen, wie sehr sie auf Informationsmöglichkeiten wie den Rias angewiesen sind, auch um zwischen unterschiedlichen Informationen abwägen zu können, die ihnen da zur Verfügung stehen, weniger im „Neuen Deutschland". Dies trifft, Herr Kollege Schneider, Menschen, die an ihrer Hoffnung beharrlicher festhalten und manchmal auch mit etwas weniger tierischem Ernst als Sie. Wenn Sie etwa drüben die Frage danach, an welchem Tage denn die deutschdeutsche Grenze endgültig überwunden werde, mit der Antwort versehen, im Jahre 2009, dann ist die DDR 60, dann darf sie rüber, dann sollten Sie sich vielleicht von Ihrem tierischen Ernst gelegentlich auch einmal im Interesse dieser Menschen entfernen. Schließlich der Antrag „Förderung der deutschlandpolitischen Arbeit von Flüchtlings- und Vertriebenenverbänden". Hierzu nur eine kurze Berner-kung. Diese Vertriebenen und ihre Organisationen haben zu einem Zeitpunkt noch unter dem unmittelbaren Eindruck von Gewalt und Krieg auf Gewalt und Vergeltung verzichtet, als dies in diesem Lande auch noch vielen politischen Parteien in gleicher Weise das zu tun schwergefallen wäre. ({9}) Diese Organisationen und Verbände haben nicht nur für die Eingliederung der Flüchtlinge und Vertriebenen hier im Lande unendlich viel getan; sie haben auch zum Aufbau des Staates beigetragen, den wir in diesem Parlament gemeinsam vertreten und von dem aus wir Hoffnungen in die Zukunft tragen werden, die wir uns auch von Ihnen nicht werden ausreden lassen. Sie haben, Herr Kollege Schneider, eben noch einmal jene abenteuerliche Formulierung gebracht von der Anerkennung der Staatsbürgerschaft. Übrigens eine Formulierung, von der selbst die DDR inzwischen abgewichen ist. Um Ihnen nun noch einmal nicht mit einem westdeutschen, mit einem Zitat aus der Bundesrepublik, sondern mit einem Zitat aus dem „Neuen Deutschland" zu sagen, was Sie immer noch nicht begriffen haben, dann zitiere ich Professor Dr. Weichelt, 19. September 1984. Er hat dort gesagt, Herr Kollege Schneider: Um es noch einmal deutlich zu sagen: Eine alleinige förmliche Anerkennung der Staatsbürgerschaft eines Staates seitens anderer Staaten durch einen besonderen diplomatischen Akt oder eine vertragliche Vereinbarung, wie dies bei der Anerkennung eines Staates oder der Herstellung diplomatischer Beziehungen geschieht, ist dem Völkerrecht und der internationalen Praxis fremd. Reiten Sie doch bitte nicht auf Formulierungen herum, die selbst von der DDR nicht mehr verwandt werden, und bleiben Sie zumindest bei dem, was die SPD mittlerweile von der Respektierung der DDR- Staatsbürgerschaft sagt, ({10}) wobei ich allerdings die SPD dringend bitte, endlich einmal nicht nur zu sagen, man müsse die DDR fragen, was sie unter Respektierung versteht, sondern daß die SPD selbst einmal sagt, was sie unter Respektierung versteht. ({11}) - Ich kann lesen und habe gelesen, was Sie schreiben. Aber daß Sie eine exakte Interpretation der Respektierung der Staatsbürgerschaft gegeben haben, das kann nun wirklich niemand behaupten. Meine Damen und Herren, wir werden diese Deutschlandpolitik im Sinne des Friedens, einer friedlichen Entwicklung und im Sinne einer Verbesserung der Situation der Menschen fortsetzen. Wir werden sie auch deswegen fortsetzen, weil wir nicht denen die Hoffnung nehmen wollen, die auf unser Wirken angewiesen sind. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Das Wort hat der Herr Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen.

Heinrich Windelen (Minister:in)

Politiker ID: 11002525

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen, meine Herren! Auch ich hätte gewünscht, daß die Deutschlandpolitik, daß die Behandlung des Einzelplans 27 einmal zu einer anderen Zeit als zur mitternächtlichen Stunde gelesen worden wäre. ({0}) Ich muß allerdings hinzufügen, Herr Kollege Schneider: Ich glaube, Sie konnten froh darüber sein, daß Ihr Beitrag zu dieser Stunde gelesen wurde. ({1}) Ich glaube, daß damit diesem Haus und der Öffentlichkeit einiges erspart geblieben ist. ({2}) Herr Abgeordneter Schneider, Sie haben auf die Frage nach Ihrer deutschlandpolitischen Konzeption geantwortet, die vier Anträge, die Sie hier eingebracht haben, fügten sich durchaus zu einer solchen Konzeption zusammen. Ich habe auch den Eindruck, daß Ihre deutschlandpolitische Konzeption in der Verneinung, in der Ablehnung besteht. ({3}) Sie haben hier drei Anträge eingebracht, zu denen ich im einzelnen nicht mehr Stellung zu nehmen brauche, weil der Kollege Ronneburger dies getan hat. Ich kann mich ihm in vollem Umfang anschließen. Sie haben einen Antrag gegen RIAS, einen Antrag gegen die Vertriebenenverbände und einen Antrag gegen humanitäre Maßnahmen eingebracht, wobei Sie allerdings „humanitär" mit „humanistisch" verwechselt haben. Meine Damen und Herren, mich wundert es nicht, daß Sie diese drei Anträge eingebracht haben. Mich hätte es viel mehr gewundert, wenn Sie diese Anträge nicht eingebracht hätten. Ich hätte mich dann fragen müssen, was ich falsch gemacht hätte. Das hätte mich sehr irritiert. ({4}) Aber Sie haben ja immerhin einen Antrag für etwas eingebracht, nämlich den Antrag für eine Auflösung des innerdeutschen Ministeriums; allerdings, Herr Kollege, ohne wenigstens einen Sozial7626 plan mit einzubringen. Ich finde das eigentlich etwas unzureichend. ({5}) Herr Kollege Schneider, Sie haben dies aber offenbar in der sicheren Erwartung getan, daß dieser Antrag abgelehnt wird, denn wenn er nicht abgelehnt würde, dann könnten Sie ja nicht damit rechnen, daß die von Ihrer Fraktion oder Ihrer Partei beantragten Förderungsmittel aus meinem Haushalt noch gezahlt werden könnten. ({6}) Das heißt also: Sie konnten diesen Antrag in der ruhigen Gewißheit stellen, daß er abgelehnt würde. Meine Damen und Herren, ich darf mich bei Ihnen, bei den Berichterstattern, bei den Mitgliedern des Innerdeutschen Ausschusses ({7}) und bei den Mitgliedern des Haushaltsausschusses für die faire und für die sachgerechte Beratung meines Einzelplans bedanken. ({8}) Ich sehe darin auch eine Anerkennung für die Arbeit meines Ministeriums und auch eine Anerkennung für die Mitarbeiter meines Hauses. Ich will diesen Dank gern an meine Mitarbeiter weitergeben. ({9}) Wenn die SPD, die dem Einzelplan 27 im Haushaltsausschuß zugestimmt hat, dies aus politischen Gründen nun nicht in der Haushaltsberatung tut, habe ich dies zu respektieren. ({10}) Das haben andere Parteien zu anderen Zeitpunkten auch getan. Ich, meine Damen und Herren, werde mich bemühen, die bisherige erfolgreiche Arbeit fortzusetzen und auszubauen. Die Verstärkung der Mittel in wesentlichen Positionen - Frau Kollegin Berger, Sie haben sie im einzelnen noch einmal aufgeführt - geben mir dafür eine wichtige Voraussetzung. ({11}) Ich bitte Sie, dem Einzelplan 27 Ihre Zustimmung zu geben. Ich danke Ihnen. ({12})

Dr. h. c. Richard Stücklen (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11002281

Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst rufe ich den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2435 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Mit großer Mehrheit abgelehnt. ({0}) - Herr Abgeordneter Niegel, „mit großer Mehrheit abgelehnt": Das ist die Formel, die hier gebraucht wird. Nachhilfestunden braucht der derzeit amtierende Präsident nicht. ({1}) Ich rufe den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2436 auf. Wer dem Änderungsantrag zustimmt, den bitte ich um ein Handzeichen. ({2}) Gegenprobe! - Enthaltungen? - Natürlich kann man feststellen, daß vier Stimmen dafür waren, alle anderen dagegen. ({3}) Dies ist auch nach der Geschäftsordnung nicht verboten. Ich rufe nunmehr den Änderungsantrag auf Drucksache 10/2437 auf. Wer dem Änderungsantrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. ({4}) Wer ist dagegen? - Wer enthält sich? - Bei vier Ja-Stimmen und einigen Enthaltungen ist der Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt. Wer dem Einzelplan 27, Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, in der Ausschußfassung zuzustimmen wünscht, den bitte ich um ein Handzeichen. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Der Einzelplan 27, Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen, ist damit beschlossen. Meine Damen und Herren, wir sind am Ende der heutigen Tagesordnung. ({5}) - Wenn eine Plenarsitzung über Mitternacht hinausgeht, dann sind wir am Ende. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen ({6}) - heute -, Mittwoch, den 28. November 1984, 9 Uhr ein. Die Sitzung ist geschlossen.