Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 94. Sitzung des Deutschen Bundestages.
An dem Tage, an dem das ganze deutsche Volk
aller der Männer, Frauen und Kinder gedenkt, die noch nicht heimgekehrt sind, hat sich der Deutsche Bundestag zu einer besonderen Sitzung versammelt, um auch seinerseits dafür Zeugnis abzulegen, daß das deutsche Volk jederzeit an die noch im Ausland befindlichen Kriegsgefangenen denkt.
Die Tagesordnung dieser Sitzung besteht in der
Entgegennahme einer Erklärung der Bundesregierung zum Gedenktag für die deutschen
Kriegsgefangenen.
Das Wort zu dieser Erklärung hat der Herr Bundeskanzler.
Meine Damen und meine Herren! Der heutige Tag und diese Sitzung des Bundestags, der Vertretung des deutschen Volkes, sind dem Gedenken derjenigen gewidmet, der Männer, der Frauen, der Kinder, die noch nicht zu uns zurückgekehrt sind. Im gesamten Gebiet der Bundesrepublik wird sich das deutsche Volk zu Kundgebungen der Trauer und des Protestes zusammenfinden und seiner Verbundenheit mit diesen unseren Landsleuten und mit ihren Angehörigen in Deutschland Ausdruck geben.
Ich darf zunächst an dieser Stelle danken, daß die Vereinigten Staaten von Nordamerika und daß England in eine Nachprüfung der Verurteilungen eingetreten sind. Ich darf von dieser Stelle aus an die französische Regierung und an das französische Volk die ebenso dringende wie herzliche Bitte richten, die Verfahren, die sie gegen frühere deutsche Soldaten eingeleitet haben, in gerechter Weise möglichst bald zu Ende zu führen. Aber, meine Damen und Herren, lassen Sie mich hier auch ein Wort der Anerkennung dafür sagen, daß Jugoslawien den größten Teil der Zurückgehaltenen
zurückgesandt hat und daß wir wohl hoffen dürfen, daß aus Jugoslawien der Rest der Deutschen, die zurückgehalten worden sind, ebenfalls heimkehren wird.
Entsetzlich aber, meine Damen und Herren, ist das Schicksal der Deutschen, der früheren Angehörigen der Wehrmacht, der verschleppten Männer, Frauen und Kinder, die in Sowjetrußland noch zurückgehalten werden. Wir haben sehr sorgfältig alles uns zur Verfügung stehende Material geprüft, und wir kommen nach unserer gewissenhaft und sorgfältig angestellten Prüfung zu dem Ergebnis, daß dort noch viele Hunderttausende zurückgehalten werden, - ein furchtbares Los für diese armen Menschen, ein furchtbares Los auch für ihre Angehörigen bei uns, die nun seit langer Zeit ohne jede Nachricht sind, die nicht wissen, was mit ihren Männern, ihren Vätern, ihren Brüdern, ihren Schwestern dort in Sowjetrußland geschieht.
Bundesregierung und Bundestag haben in diesem Kampf um Gerechtigkeit und Menschlichkeit wiederholt an die Weltöffentlichkeit appelliert. Das deutsche Volk hat mit Dankbarkeit davon Kenntnis genommen, daß ,die Regierungen der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs die Bemühungen um die Freilassung der in der Sowjetunion zurückgehaltenen Deutschen in jeder Weise unterstützt haben. Es ist Ihnen bekannt, daß für die Bundesregierung zur Zeit Bundestagsabgeordnete tätig sind, um auch bei der UNO diese Bestrebungen auf Freilassung zu unterstützen.
Wir glauben, daß man zunächst an Sowjetrußland von seiten der UNO das Ansinnen stellen sollte, daß eine Kommission der UNO nach Sowjetrußland reist, um dort festzustellen, wie es mit den Deutschen, den früheren Kriegsgefangenen und den Verschleppten aussieht. Wir sind bereit, derselben Kommission der UNO das ganze Material, das wir im Besitz haben, zur Verfügung zu stellen, damit sie auch hier nachprüfen kann, ob die Beschwerden, die wir haben, berechtigt sind oder nicht. Wir können unser Material nicht der Öffentlichkeit geben, weil dann erfahrungsgemäß Repressalien in Sowjetrußland ausgeübt werden, vor denen wir unsere Leute bewahren müssen.
Meine Damen und meine Herren! Das Schreckliche ist, wie ich glaube, für jeden irgendwie menschlich Empfindenden, daß diese Zurückhaltung vorgenommen wird nicht etwa im Kriege, nicht etwa in der Erregung des Kampfes, nicht etwa in einem noch nicht abgeebbten Rachegefühl nach Abbruch des Krieges. Sie wissen, daß die bedingungslose Kapitulation im Mai 1945 erfolgt ist, und jetzt schreiben wir Oktober 1950. Das sind fünfeinhalb Jahre nach dieser bedingungslosen Kapitulation. Jede Entschuldigung für ein solches Verfahren fehlt. Es ist keine Gefährdung für die Sowjetunion und für Polen damit verbunden. Ich habe eben schon hervorgehoben, daß auch das vielleicht im ersten Jahre verständliche Gefühl der Erregung und der Rache jetzt nach fünfeinhalb Jahren nicht mehr bestehen kann und herrschen darf. Nein, meine Damen und Herren, es handelt sich hier um eine Maßnahme kalter Grausamkeit,
({0})
durch die über vielleicht eine Million Deutsche in Sowjetrußland, aber über eine ganze Anzahl von Millionen der Angehörigen in Deutschland Schmerz und Kummer und Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit verhängt ist. Ich weiß nicht, meine Damen und Herren, ob in der Geschichte jemals mit einer solchen kalten Herzlosigkeit ein Verdikt des Elends
3496 Deutscher-Bundestag ({1})
und des Unglücks über Millionen von Menschen gefällt worden ist. Die Geschichte wird auch darüber einst zu richten haben.
Wir, meine Damen und Herren vom Bundestag, Sie und die Bundesregierung müssen Hand in Hand auch in Zukunft alles tun, was in unserer Kraft steht, um die Rückkehr zu ermöglichen, und wir müssen den Angehörigen der Zurückgehaltenen an diesem Tage, aber auch weiter unsere herzlichste und innigste Teilnahme aussprechen und versuchen, ihnen zu helfen, wo wir helfen können. Ich glaube, meine Damen und Herren, das ganze deutsche Volk diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs ist sich in der Verurteilung dieser Grausamkeit einig,
({2})
ist sich einig darin, daß wir mit ganzer Kraft uns dafür einsetzen müssen, daß die Rückkehr bald ermöglicht wird, ist sich auch einig darin, daß die ganze zivilisierte Welt uns in diesem Bestreben unterstützen muß.
({3})
Meine Damen und Herren! Der Deutsche Bundestag hat die Erklärung der Bundesregierung zur Kenntnis genommen. Es bedarf nach meiner Überzeugung keiner besonderen Entschließung des Deutschen Bundestages. Ich bin mir sicher, daß die hier versammelten Mitglieder des Deutschen Bundestages sich in dieser Frage als die Repräsentanten des ganzen deutschen Volkes wissen und daß das deutsche Volk in dieser Frage einmütig in dem Geist, der aus der Erklärung der Bundesregierung hervorgeht, die Forderung nach Freiheit und Gerechtigkeit für alle seine Glieder erhebt, die noch in fremden Landen zurückgehalten werden. Ich darf Sie bitten, das als die Meinung des Deutschen Bundestages dadurch zu bekräftigen, daß Sie sich von Ihren Sitzen erheben.
({0})
Meine Damen und Herren, ich schließe die 94. Sitzung des Deutschen Bundestages und berufe die 95. Sitzung auf heute 10 Uhr.