Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 78. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Vor Eintritt in die Tagesordnung möchte ich bekanntgeben, daß der Ältestenrat dem Hohen Hause empfiehlt, vor 11 Uhr keine Abstimmungen vorzunehmen, weil eine Reihe von Ausschüssen heute morgen notwendige Verhandlungen durchführen muß. Ist das Haus damit einverstanden?
({0}) - Es ist so beschlossen.
({1})
Dann wird mir eben mitgeteilt, daß die Regierung die Absicht hat, zu Punkt 4a der Tagesordnung - Beratung der Anordnung PR Nr. 38/50 über die Festsetzung von Getreidepreisen - eine Erklärung abzugeben.
Ich bitte nunmehr den Herrn Schriftführer, die Abwesenden zu verlesen.
Matthes ({2}), Schriftführer: Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Frau Dr. Bröckelschen, Morgenthaler, Kalbfell, Kalbitzer, Mißmahl, Meitmann, Frau Albrecht, Dr. Gülich, Hellwege, Dr. von Campe, Dr. Bertram, Wittmann, Dr. Richter ({3}). Es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Blank ({4}), Bauereisen, Dr. Horlacher, Dr. Bucerius, Stauch, Dr. Dr. Müller ({5}), Dr. Holzapfel, Dr. Kopf, Dr. Gerstenmaier, Dr. Henle, Bromme, Dr. Suhr, Neumann, Behrisch, Jahn, Blachstein, Brandt, Herrmann, Dr. Menzel, Freiherr von Aretin, Wallner, Fisch, Nuding, Agatz, Niebergall, Gockeln, Dr. Zawadil, Dr. Middelhauve, Aumer, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer. Außerdem fehlen die Abgeordneten Reimann, Renner, Rische, Vesper und Müller ({6}).
Herr Abgeordneter Spies bittet außerhalb der Tagesordnung um das Wort zu einer persönlichen Erklärung, die er auf die persönliche Erklärung des Abgeordneten Goetzendorff in der 77. Sitzung des Deutschen Bundestages abgeben möchte. Ich schlage Ihnen vor, daß wir diesen Punkt sofort erledigen. Ich erteile also Herrn Kollegen Spies das Wort zu einer persönlichen Erklärung. Ich bitte aber, sich kurz zu fassen.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! In der '77. Sitzung des Deutschen Bundestages hat der Herr Abgeordnete Goetzendorff folgende Erklärung abgegeben:
Ich höre soeben, daß der Berichterstatter Herr Abgeordneter Spies gesagt habe, ich sei zu der Sitzung des Außenhandelsausschusses eingeladen worden, aber nicht erschienen. Ich habe hier lediglich zu erklären, daß ich zu dieser Sitzung niemals eingeladen worden bin.
Dazu habe ich folgende Erklärung abzugeben.
Am 21. Juni 1950 wurde vom Büro des Außenhandelsausschusses an den Herrn Abgeordneten Goetzendorff folgender Brief gerichtet:
Herrn Abgeordneten Goetzendorff, im Hause.
Sehr geehrter Herr Goetzendorff! Dem Ausschuß für Außenhandelsfragen ist der Antrag betreffend Gablonzer Waren - Drucksache Nr. 884 - überwiesen worden. Der Ausschuß für Außenhandelsfragen wird diese Drucksache in seiner nächsten Sitzung am Mittwoch, dem 5. Juli 1950, 10 Uhr, im Rahmen der Tagesordnung besprechen und bittet Sie und eine Vertretung der Antragsteller, zu dieser Sitzung des Ausschusses für Außenhandelsfragen zu kommen.
({0})
Der Vorsitzende des Ausschusses für Außenhandelsfragen.
Gezeichnet: Unterschrift.
Meine Damen und meine Herren! Ob der Herr Abgeordnete Goetzendorff diese Einladung, die in sein Fach im Tagungsbüro gegeben wurde, nicht erhalten hat oder nicht erhalten haben will, läßt sich leider nicht nachprüfen, da ja die in die Fächer des Tagungsbüros verteilte Post und verteilten Drucksachen nicht gegen Quittung an die Mitglieder dieses
Hohen Hauses abgegeben werden. Auf jeden Fall hätte der Herr Abgeordnete Goetzendorff im Plenum zu dem Antrag auf Drucksache Nr. 884 Stellung nehmen können, wenn er während der Beratung dieser Drucksache anwesend gewesen wäre. Hoffentlich steht er nicht an zu erklären, die Tagesordnung der 77. Sitzung des Bundestages nicht erhalten zu haben. Wenn er sie über den Verteilungsdienst nicht erhalten haben sollte, so lag sie auf dem Pult seines leeren Plenumsitzes, wie ich mich selber überzeugt habe.
({1})
Ich habe noch weiter bekanntzugeben:
Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 19. Juli 1950 die Anfrage Nr. 95 der Abgeordneten Strauß, Kemmer, Dr. Jaeger, Spies, Stücklen und Genossen - Drucksache Nr. 1111 - betreffend Einziehung zur Fremdenlegion beantwortet. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 1198 verteilt werden.
Weiter habe ich mitzuteilen - ich bitte, dabei aufzumerken -: Der Ältestenrat hat in seiner gestrigen Sitzung beschlossen, in Anbetracht des vorliegenden Materials in der kommenden Woche drei Plenarsitzungen vorzusehen, wie folgt: 79. Sitzung am Mittwoch, dem 26. Juli, 9 Uhr; 80. Sitzung am Donnerstag, dem 27. Juli 1950, 9 Uhr; 81. Sitzung am Freitag, dem 28. Juli 1950, 9 Uhr, Die Sitzung am Donnerstag wird sich, soweit sich das heute übersehen läßt, bis tief in die Nacht hineinziehen.
Damit, meine Damen und Herren, rufe ich den Punkt 1 der Tagesordnung auf:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Frau Dr. Steinbiß, Frau Kalinke, Dr. Hammer und Genossen betreffend Regelung von Gesetzen und Verordnungen der Länder auf Bundesebene ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, daß hier die
Begründung auf fünf Minuten zusammengezogen
werden soll. Es soll weiter keine Aussprache erfolgen. Sind die Damen und Herren einverstanden?
({1})
- Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Wer soll die Interpellation begründen? - Das Wort hat Frau Dr. Steinbiß.
Frau Dr. Steinbiß ({2}), Interpellantin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 1082 liegt Ihnen eine Interpellation vor, die wir an das Innenministerium gerichtet wissen wollten. Leider ist in der Drucksache ein Schreibfehler unterlaufen, und ich bitte, beim Durchlesen darauf zu achten, daß es nicht „die ärztliche Zulassung zu den Krankenkassen" heißen darf, sondern daß es sich nur um die ärztliche Niederlassung überhaupt handeln soll.
Was hat uns nun zu dieser Interpellation bewegt? Auf nicht vielen Gebieten ist bei der Bevölkerung wie auch bei allen beteiligten Berufsständen der Wunsch nach einer einheitlichen und klaren Regelung so dringlich geworden wie auf dem Gebiete der gesundheitlichen Betreuung und gesundheitlichen Sicherung unserer Bevölkerung. Dieses große und vielseitige Gebiet umfaßt nicht nur die ärztliche Versorgung oder die Versorgung mit Arzneimitteln, sondern auch die gesamte Überwachung der Lebensmittel, die Bereitstellung gut ausgebildeter und vertrauenswürdiger Krankenschwestern, Hebammen, Masseure und vieles andere mehr. Die fünf Jahre seit dem Kriegsende haben den sicheren
({3})
und einheitlichen gesetzlichen Unterbau dieses ganzen Gebiets bereits spürbar angegriffen. Die Formen der Arzneiverordnungen z. B. sind in den Ländern schon recht unterschiedlich geworden. Auch die Ausbildungszeiten und die Ausbildungsformen der Ärzte, namentlich in der Zeit zwischen ärztlicher Prüfung und ärztlicher Approbationserteilung, sind verschieden geworden. Noch mehr gilt das für das Heil-Hilfspersonal. Die Zulassung von Arzneimitteln erfolgt jetzt in den einzelnen Ländern nach divergenten Gesichtspunkten.
Alles das hat die Gesundheitsminister der Länder schon seit zwei Jahren zur Bildung einer Arbeitsgemeinschaft geführt, die eindringlich die Notwendigkeit der Rückkehr zur einheitlichen Gesetzgebung auf dem Gebiete des Gesundheitswesens herausstellen. Leider ist der Schutz der Gesundheit im Grundgesetz nicht unter die Menschenrechte aufgenommen worden. Leider ist auch der Vorschlag der Gesundheitsminister, das Gesundheitswesen ähnlich wie in der Weimarer Verfassung schlechthin zum Gegenstand der konkurrierenden Bundeszuständigkeit zu machen, nicht verwirklicht worden. Der statt dessen in mehreren Ziffern des Art. 74 des Grundgesetzes enthaltene Katalog ist in seiner knappen Formulierung nicht auf den ersten Blick stets eindeutig. Die Folge ist, daß bereits in vielen Ländern die Tendenz zur Sonderregelung bemerkbar wird. Mit großer Besorgnis sehen nicht nur die Gesundheitsberufe und die beteiligten Wirtschaftsgruppen, daß in manchen Ländern an neuen gesetzlichen Sonder-Regelungen gearbeitet wird. Das muß zwangsläufig zu einem neuen und noch stärkeren Auseinanderfallen führen.
Die in unserer Interpellation genannten Fälle sind Einzelfälle; sie lassen sich aber beliebig vermehren. Zum Beispiel arbeitet ein süddeutscher Staat, wie bekannt geworden, an einem neuen Apothekengesetz. Da aber gerade auf diesem Gebiete infolge bestimmter Besatzungseinflüsse eine einheitliche gesetzliche Regelung allein in der Lage ist, die uns gewohnte und uns zur Selbstverständlichkeit gewordene Sicherung der Bevölkerung vor ungehemmter Ausnützung zu schützen, und da die gesamte Apothekerschaft ebenso wie die Bevölkerung die einheitliche Regelung wünscht, so ist das Vorgehen des Landes nicht nur überflüssig, sondern auch höchst bedenklich.
Wenn in anderen Ländern wiederum völlig überflüssige und unnötige Landesgesetze zur Regelung der Niederlassung der Medizinalberufe verabschiedet werden und hierbei - entweder aus Versehen oder aus Mangel an Weitsicht - die Regelung der Niederlassungsmöglichkeit von ausländischen Ärzten unzureichend bleibt, so daß die Besatzung diese Landesgesetze verbietet, dann ist das wiederum nicht gut und muß zu unerwünschten Folgen führen. Im vorliegenden Fall hatte die Hohe Kommission in dieser Nichtberücksichtigung ausländischer Medizinalpersonen bestimmt zu Unrecht einen Verstoß gegen die Menschlichkeit und zugleich eine Art gewollter Kartellpolitik gesehen. Beides hat sich, wie Sie vielleicht wissen, auf die bekannten Verhandlungen zur Gewerbefreiheit - und damit zum Kammerwesen und ähnlichem mehr - nachteilig ausgewirkt.
Das Blutspenderwesen ist eines der schwierigsten und zugleich verhängnisvollsten Gebiete ärztlichen Handelns. Es erweist sich ohnedies einer gesetzlichen Regelung gegenüber äußerst spröde. Wenn dann auf diesem Gebiet, das bisher reichsrechtlich und einheitlich geregelt war, einzelne Länder Sonderregelungen und -gesetze erlassen,
so wird das Opfer kosten, deren Zahl nicht gering sein wird.
Meine politischen Freunde sind mit mir der Ansicht, daß es zweckmäßig ist, in einer Entschließung des Hohen Hauses zum Ausdruck zu bringen, daß die Länderregierungen zunächst einmal davon Abstand nehmen sollten, zum mindesten im Bereich des fortlaufenden Bundesrechts und im materiellen Bereich der konkurrierenden Bundeskompetenz, eigene Gesetze vorzubereiten. Es ist ja der Sinn des im Grundgesetz geschaffenen Begriffes des fortlaufenden Bundesrechts und der hierzu gehörenden Sonderbestimmungen, dem Bund die ausdrückliche Aufgabe zu übertragen, zunächst die Einheitlichkeit der gesetzlichen Regelung wiederherzustellen, nicht aber das Auseinanderfallen des gesetzlichen Unterbaus fortzusetzen. Das gilt unserer Ansicht nach besonders für das Gebiet des Gesundheitswesens. Daher unsere Interpellation.
Das Wort zur Beantwortung der Interpellation hat der Herr Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Interpellation spricht von Schwierigkeiten mit der Besatzung, die sich aus Ländergesetzen und Verordnungen ergeben haben. Infolgedessen ist die Interpellation seitens des Bundeskanzleramtes als eine Materie des Besatzungsrechts verstanden und dem Justizministerium zuständigkeitshalber zugeleitet worden.
Ichhabe von meinem Glück, daß diese Interpellation mir als Innenminister zugedacht war, erst im letzten Augenblick gehört und auch erst gestern abend erfahren, daß sie heute auf der Tagesordnung steht. Ich bin zu meinem Bedauern nicht in der Lage, auf alle gestellten Fragen sachliche Antwort zu geben, zumal da ich seit heute vormittag - 7 Uhr 30 - in einer Kabinettsitzung hier im Hause war und infolgedessen keinerlei Vorbereitungen habe treffen können. Es bleibt mir nur übrig zu sagen, daß alle die von der Frau Abgeordneten Dr. Steinbiss erwähnten Materien in vorbereitender Gesetzgebungsarbeit begriffen sind. Ich stelle den Interpellanten anheim, zusätzliche Auskünfte in einer freundschaftlichen Aussprache im Bundesinnenministerium einzuholen.
Das Wort wird nicht gewünscht? - Punkt 1 der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Abgeordneten Rademacher, Dr. Schäfer und Fraktion der FDP betr. Bestreikung argentinischer Staatsdampfer in Hamburg ({0}).
Es ist eine Redezeit von je 5 Minuten für die Begründung und die Regierungsantwort vorgesehen,
und eine Gesamtzeit für die Aussprache von 40 Minuten. Kein Widerspruch? - Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rademacher.
Rademacher ({1}), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem 15. Juli liegt in Hamburg der argentinische Staatsdampfer „Rio Gualegay", der auf Anordnung der deutschen Gewerkschaften, unterstützt durch einen Beschluß der internationalen Gewerkschaft in London, bestreikt wird.
({2})
({3})
Meine Damen und Herren! Alle Versuche, diese sich einseitig auf deutsche Häfen auswirkende Maßnahme zu beseitigen, sind bis heute ergebnislos verlaufen. Es sind nicht nur die höchsten Stellen der Bundesregierung ersucht worden, sondern auch die Spitzen der hamburgischen und bremischen Behörden, darunter die beiden sozialdemokratischen Bürgermeister Brauer und Kaisen, welch letztere sich durchaus bemüht haben, diese einseitige Schädigung für den Hamburger und Bremer Hafen zu vermeiden. Es ist nicht möglich gewesen, den verantwortlichen Mann für diese Dinge, das Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Kummernuß, zu erreichen,
({4})
um von ihm eine Entscheidung herbeizuführen. Soweit wir unterrichtet sind, findet heute ein internationales Treffen der zuständigen Gewerkschaften in Stuttgart statt, wo diese Dinge weiter besprochen werden sollen. Tatsache bleibt aber, daß sich an diesen angeblichen internationalen Beschluß der Gewerkschaft in London lediglich die deutschen Gewerkschaften gehalten haben.
({5})
Es sind einwandfreie Beweise dafür vorhanden, daß diese argentinischen Staatsdampfer sowohl in London als in Dünkirchen, in Antwerpen, in Rotterdam, in Amsterdam und auch in Genua entladen und beladen worden sind.
({6})
Lediglich in den deutschen Häfen ist dieser Parole. gefolgt worden; und wir müssen uns wirklich fragen, ob die Solidarität so zu verstehen ist, daß die einen sie als Linientreue auffassen und die anderen als Geschäft!
({7})
Lediglich dagegen wehren wir uns!
({8})
Die Schäden sind unermeßlich, meine Damen und Herren! Es liegen in Hamburg 3000 tons Exportware für diese Dampfer; und auch in Bremen liegen 1000 tons, darunter ein allererster Auftrag der Mercedes-werke in Untertürkheim, die den ausdrücklichen Auftrag hatten, über Benelux zu verladen, sich aber selbständig das Recht genommen haben, deutsche Häfen zu unterstützen, und nunmehr vor dieser nicht auszudenkenden Folge stehen.
({9})
Meine Damen und Herren! Wir Deutschen haben eine merkwürdige Tugend, nämlich die Tugend der Übertreibung.
({10})
Wenn wir Krieg machen, dann betreiben wir ihn bis zur Selbstvernichtung.
({11})
Wenn wir in Pazifismus machen, dann geben wir das letzte Hemd her; und ähnlich verhalten wir uns in Fragen der Solidarität.
({12})
- Meine Damen und Herren! Ich darf ein englisches Sprichwort, abgewandelt, hier bekannt geben: „Solidarity begins at home!" Ich glaube, die deutsche Not ist so groß, daß in einem Falle, wo eine internationale Parole von den anderen Ländern nicht befolgt wird, auch wir uns in erster Linie auf unsere eigene Not besinnen sollten.
({13})
Meine Damen und Herren! Ich darf darum mit Spannung die Antwort auf die an die Regierung gestellten Fragen erwarten, um unter Umständen in der Debatte für meine Fraktion noch einmal näher darauf einzugehen.
({14})
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bestreikung der argentinischen Dampfer erfolgt auf Grund eines Beschlusses der „TransportarbeiterInternationale". Der Grund für diesen Beschluß der Internationale ist der Zustand, daß in Argentinien einige von den führenden Gewerkschaftlern der dortigen Transportarbeiter inhaftiert sind. Die Gründe, die dazu geführt haben, können wir natürlich von uns aus nicht beurteilen.
Als wir im Arbeitsministerium am vergangenen Samstag über die Vorgänge in Hamburg informiert wurden, haben wir uns sofort mit der Leitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Verbindung gesetzt, um von dort die Grundlagen für die Vorkommnisse zu erhalten. Die Leitung des Deutschen Gewerkschaftsbundes war leider dazu nicht in der Lage und mußte uns erklären, daß für die Erledigung derartiger Angelegenheiten nur die zuständige Industriegewerkschaft in Frage kommt; das ist der Verband der öffentlichen Betriebe, Verwaltung und Verkehr. Wir haben daraufhin sofort versucht, uns mit Herrn Kummernuß, dem Vorsitzenden dieser Industriegewerkschaft, in Verbindung zu setzen. Das ist uns leider nicht gelungen.
({0})
Nach dem Grundgesetz haben wir von der Bundesregierung keine Möglichkeit, in derartige Vorkommnisse einzugreifen.
({1})
Wenn es eine Stelle gibt, die hier eingreifen kann, dann ist es der Senat der Stadt Hamburg. Wir haben uns deshalb auch mit dem zuständigen Senator in Verbindung gesetzt, der uns erklärt hat, er sehe keine Möglichkeit für ein Eingreifen, weil kein Notstand festzustellen sei und deshalb auch keine gesetzliche Grundlage für einen staatlichen Eingriff gegeben sei. Das ist die Situation, vor der wir stehen.
Ich muß deshalb die direkt gestellten Fragen wie folgt beantworten.
Sie fragen die Bundesregierung, was in der Zwischenzeit geschehen ist. - Das habe ich Ihnen eben gesagt.
Weiter wird gefragt:
Warum war der Herr Bundesarbeitsminister am 19. Juli 1950 vormittags über diesen wichtigen Vorfall noch nicht unterrichtet?
Dazu ist zu sagen, daß ich erst am 19. von einer Dienstreise zurückgekehrt bin und erst nachmittags in meinem Ministerium über die bereits von meinem Staatssekretär eingeleiteten Schritte unterrichtet wurde.
Dann wird gefragt:
Ist dich die Bundesregierung klar darüber, daß der Befehl der deutschen Gewerkschaften eine schwere Schädigung der notleidenden deutschen Häfen und ihrer Arbeitnehmer bedeutet?
Sie dürfen sich klar darüber sein, daß man in der
Bundesregierung sehr wohl weiß, was derartige
({2})
Streiks für die deutsche Volkswirtschaft zu bedeuten haben.
Viertens wird gefragt:
Ist sich die Bundesregierung bewußt, daß durch diesen Boykott argentinischer Staatsdampfer eine schwere Schädigung des Außenhandels eintritt und eine Gefährdung des bisher nur paraphierten deutsch-argentinischen Handelsvertrages zu befürchten ist?
Meine Damen und Herren, dazu kann ich eigentlich nur folgendes sagen. Das Recht zum Streik steht den Arbeitern in allen Ländern, die dem Genfer Arbeitsamt angeschlossen sind, als ein gesetzliches Recht zu. Wenn davon Gebrauch gemacht wird, so kann meines Erachtens ein Staat nur dann eingreifen, wenn die Lebensgrundlagen der betreffenden Bevölkerung gefährdet sind. Eine derartige Gefährdung kann die Bundesregierung in den Hamburger Vorkommnissen nicht sehen.
Die fünfte Frage lautet:
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um
a) den Streik sofort abzubrechen?
Dazu hat die Bundesregierung keinerlei gesetzliche Grundlage und keine Möglichkeit.
b) in Zukunft derartige einseitige Maßnahmen zum Schaden des deutschen Ansehens zu verhindern?
Auch hier handelt es sich meines Erachtens nur darum, durch eine gute Zusammenarbeit zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Bundesregierung die Grundlagen dafür zu schaffen, daß keine Unterbrechungen unseres wirtschaftlichen Lebens eintreten. Eine gesetzliche Handhabe, hier vorher einzugreifen, ist uns nicht gegeben.
Ich eröffne die Aussprache und bitte um Wortmeldungen. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Böhm.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die hier von der FDP-Fraktion eingereichte Interpellation besitzt mehr als nur die Bedeutung einer Anfrage an die Bundesregierung. Denn mit dieser Interpellation offenbart sich eine ganz bestimmte Situation, wie wir sie heute in der deutschen Wirtschaft zu verzeichnen haben. Ich halte es aber für notwendig, einmal um die Kenntnisse des Herrn Begründers der Interpellation, des Abgeordneten Dr. Rademacher, etwas aufzufrischen, darüber hinaus auch zu den Begründungen des Herrn Arbeitsministers Storch noch einiges zu sagen.
Es trifft nicht zu, daß der Boykott der argentinischen Staatsreedereien nur deshalb erfolgte, weil in Argentinien einige Spitzenfunktionäre der Gewerkschaften inhaftiert sind. Das hat man schließlich auch in anderen Ländern. In Argentinien ist eine freie Gewerkschaftsbewegung seit langem verboten.
({0})
In Argentinien sind die Gewerkschaften gleichgeschaltet, und zwar bis auf eine Organisation, nämlich die der Transportarbeiter und Seeleute. Diese Organisation hat sich bemüht, mit den Staatsreedereien zum Abschluß eines Tarifvertrages zu kommen. Das ist aber bisher vom Staat abgelehnt worden.
({1})
Darüber hinaus hat sich, um den Streik in Argentinien beizulegen, die Internationale Transportarbeiterföderation bemüht, mit der staatlichen Leitung der Werften bzw. den Reedereien einen Tarifvertrag für die Seeleute und Transportarbeiter zu- standezubringen. Sie hat einen Vertreter nach Montevideo geschickt.
({2})
- Das interessiert uns wohl!
({3})
- Ich werde Ihnen gleich sagen, warum das interessiert!
({4})
Die argentinische Staatsregierung hat diesen Vertreter der Internationalen Transportarbeiterföderation nach Hause geschickt, ohne überhaupt den Versuch zu machen, die Dinge dort beizulegen.
Darauf hat die Föderation über sämtliche Schiffe der staatlichen argentinischen Reedereien den Boykott verhängt.
({5})
Die deutsche Gewerkschaftsorganisation Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr ist seit längerer Zeit wieder Mitglied dieser Föderation. Daher besteht die absolute Pflicht, sowohl für den Organisationszugehörigen als auch für die Gewerkschaft insgesamt, eine derartige Aufforderung, einen derartigen Beschluß der Internationalen Transportarbeiterföderation zu befolgen.
({6})
Meine Herren Interpellanten! Sie haben sich meiner Meinung nach den Zeitpunkt für diese Interpellation sehr schlecht gewählt.
({7})
- Ich überlasse es Ihnen gern; aber Sie müssen es uns überlassen, dazu unsere Meinung zu sagen.
({8})
Die Anfragen, die an die Regierung hier gestellt worden sind, laufen doch im Schluß auf nichts anderes hinaus, als ein Anti-Streikgesetz zu schaffen
({9})
bzw. dafür zu sorgen, daß für die Zukunft ähnliche Kampfmaßnahmen in Deutschland unterbleiben. Dabei lege ich Wert darauf festzustellen, daß vielfach das Interesse Deutschlands mit dem eigenen Profitinteresse verwechselt wird.
({10})
Nun zur Frage, die hier besonders in den Vordergrund gestellt wurde, daß in anderen Häfen Europas dieser Boykott nicht wirksam sei. Herr Rademacher hat bereits darauf hingewiesen, daß heute die Internationale Transportarbeiterföderation in Stuttgart tagt. Ich habe mir die Mühe gemacht, mich mit dem Leiter der Internationalen Transportarbeiterföderation in Verbindung zu setzen, und darf hier erklären, daß die Transportarbeiterföderation diesen Boykott heute auf ihrer Vollversammlung bestätigt und daß alle Länder, die der Föderation angeschlossen sind, sich an diesem Boykott beteiligen.
({11})
Darüber hinaus ist es nicht ausgeschlossen und auch nicht unmöglich, daß in einer Reihe von Häfen der seefahrenden Nationen im Anfang - bis dieser Boykott wirksam wurde - das eine oder andere Schiff noch be- oder entladen wurde. Aber das ist keine Begründung für die deutsche Gewerkschaftsbewegung,
({12})
sondern es kommt vielmehr auf folgendes an. Die
deutsche Gewerkschaftsbewegung hat in der Zeit
nach 1945 mit unendlicher Mühe versucht, dem deut({13})
sehen Volk wieder etwas Ansehen in der Welt zu verschaffen.
({14})
Es waren die Sendboten der deutschen Arbeiterbewegung und nicht zuletzt der Gewerkschaftsbewegung, die hinausgezogen sind und nicht immer
unter glücklichen und guten Umständen versucht
haben, die Nachkriegspsychose und den Völkerhaß
zu einer Zeit zu überwinden, als Sie, meine Herren
Interpellanten, noch nicht daran dachten, dies zu tun.
({15})
Ich bitte doch, Ruhe zu bewahren!
Meine Damen und Herren, wenn ich das feststelle, so aus dem einfachen Grunde, -
Ich bitte, zum Schluß zu kommen!
- weil diese Angelegenheit nicht nur eine Angelegenheit des Verbandes Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr oder eine Angelegenheit der deutschen Gewerkschaftsbewegung ist, sondern eine Sache des gesamten deutschen Volkes.
({0})
- Jawohl, meine Herren!
Ich bitte, zu Ende zu kommen.
({0})
Und das deutsche Volk hat alle Ursache, für die Arbeit der Gewerkschaftsbewegung dankbar zu sein.
({0}) Dieser Antrag hat nicht anderes zum Ziel, als die deutsche Gewerkschaftsbewegung zu treffen.
({1})
Wir werden Gelegenheit haben, bei einer anderen Reihe von Fragen auf diese Dinge noch weiter einzugehen. Als notwendig betrachten wir es, und wir sind der Regierung dankbar, -
Ich bitte, zum Schluß zu kommen!
- daß Sie hier das Grundgesetz und die Freiheit des Menschen in Deutschland achtet; und das Plenum kann meiner Meinung nach nichts anderes tun.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Kohl. Drei Minuten!
Meine Damen und Herren! Es ist nicht verwunderlich, daß hier eine ziemlich erregte Situation ist. Es ist auch nicht verwunderlich, daß gerade die Vertreter der Freien Demokratischen Partei mit einer solchen Interpellation an den Bundestag herantreten.
({0})
- Wir ersehen daraus nur die Tatsache, daß Sie
sich politisch außerordentlich stark fühlen und nun
glauben, mit einer solchen Interpellation wenigstens
bis zu einem gewissen Grade die Konzeption der Politik, die Sie einzuschlagen gedenken, vor die Öffentlichkeit zu stellen. Man soll doch nicht mit der Miene eines Biedermeiers
({1})
von der Not des eigenen Volkes sprechen
({2})
- schön, Biedermann! -, wenn man selbst in seiner
Politik, beispielsweise in der Frage der Lohnpolitik,
in der Frage der Sozialpolitik absolut reaktionär ist.
({3})
Wir sehen in der Tatsache,
({4})
daß die Transportarbeiter diesem Ruf ihrer internationalen Organisation Folge geleistet haben, ein Zeichen der Gesundung und begrüßen die internationale Solidarität, die hierin zum Ausdruck gekommen ist.,
({5})
Wir sind sogar der Meinung, daß darüber hinaus
auch die Internationale Transportarbeiterföderation sich mit der Frage der Weigerung bei Waffenentladungen zu beschäftigen haben wird, weil sie
damit der Frage des Friedens außerordentlich dient.
({6})
Sie verlangen nicht mehr und nicht weniger als den Einsatz staatlicher Machtmittel gegen die Arbeiterschaft; und ich glaube, die Dinge gehen daneben. Sie hätten vielleicht nach berühmtem englischen Muster - wenn Sie hier über eine Bundespolizei oder über ein Heer verfügen würden - die Möglichkeit, diese Bundespolizei oder dieses Heer mit Streikbrecherarbeiten zu beschäftigen. Das gelingt Ihnen nicht.
({7})
Wir sind der Meinung, daß die Freiheit, von der Sie immer wieder sprechen, gerade hier in der Frage Argentinien einmal von Ihnen hätte verteidigt werden müssen. Denn ein Land, das eine Gewerkschaftsbewegung verbietet, verdient nicht, irgendwie unterstützt zu werden. Wir sehen aber in der Tatsache, daß die Arbeiterschaft es ablehnt, -
Ich bitte, zum Schluß zu kommen; Ihre Redezeit ist abgelaufen.
- diese Schiffe zu entladen, den Beginn einer gesunden internationalen Solidarität.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Walter. Sie haben drei Minuten Zeit.
Meine Damen, meine Herren! Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, wie bedenklich die Argumente des Herrn Abgeordneten Böhm in bezug auf die internationale Solidarität sind, dann waren die Ausführungen seines Freundes von ganz links dazu angetan, die Wahrheit deutlich werden zu lassen.
({0})
Meine Damen und Herren, ich bitte, Ruhe zu bewahren. Es geht vorüber.
Wer die Zusammensetzung des Betriebsrats im Hamburger Hafen kennt, der wundert
({0})
sich nicht darüber, daß ausgerechnet die Hamburger und Bremer Hafenarbeiter vor ihren Londoner, vor ihren Rotterdamer, vor ihren Genueser Kollegen den Boykott über die argentinischen Schiffe durchgeführt haben.
({1})
Ich möchte dabei auf folgendes hinweisen. Als in England die Streiks und Lohnforderungen der englischen Hafenarbeiter stattfanden, wurden englische Schiffe in deutschen Häfen nicht boykottiert. Aber die argentinischen Schiffe werden mit der merkwürdigen Begründung boykottiert, die argentinische Regierung gebe den Hafenarbeitern nicht die richtigen Löhne. Ich möchte in allem Ernst darauf hinweisen: wenn diese Methode Schule machen sollte - und es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Hände jenseits des Eisernen Vorhangs hier mitspielen -, dann wird es nicht mehr lange dauern, bis wir mit unserer Wirtschaft und mit allem, was uns wert und teuer ist, dahin kommen, daß wir nur noch auszurufen brauchen - und Sie, meine Herren von der Sozialdemokratie, sollten sich das sehr ernst überlegen -: Ave Stalin, es grüßen dich die dem Tode Geweihten! Dahin bringen uns Ihre Methoden. Das gilt es zu beachten.
({2})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das Schlußwort hat der Herr Abgeordnete Rademacher. Es ist ein Schlußwort, Herr Kollege Rademacher. Ich bitte darum um Kürze!
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich werde mich in dem Schlußwort nur sehr kurz mit den Ausführungen des Abgeordneten Böhm auseinandersetzen. Er hat es in ausgezeichneter Weise verstanden, den Schwerpunkt der ganzen Interpellation zu verlagern. Es geht nicht um das Streikrecht, es geht auch nicht um die Durchführung internationaler Beschlüsse. Es geht um die einseitige Auslegung zum Schaden der deutschen Wirtschaft und nicht nur der deutschen Wirtschaft, sondern der deutschen Arbeitnehmer.
({0})
Selbstverständlich hat bei Ihnen, Herr Böhm, auch das Wort Profit nicht gefehlt; das war zu erwarten. Aber wenn Sie in einer wirklichen Abstimmung die Meinung des Hamburger und auch des Bremer Hafenarbeiters in der Angelegenheit feststellen würden, so würden Sie sich über die Antwort wundern.
Meine Damen und Herren, was ist denn jetzt geschehen? Sie ({1}) haben von sich aus in dieser Angelegenheit die Initiative ergriffen. Der Gewerkschaftler Hildebrand mußte nach London fliegen, wahrscheinlich, um der internationalen Organisation erst einmal die Korsettstangen einzuziehen. Jetzt brauchen Sie bei der internationalen Tagung in Stuttgart die Rückversicherung für die Maßnahmen, die sich nur einseitig zu unserem Schaden ausgewirkt haben. Ich sprach schon einmal von der Solidarität. Vielleicht und hoffentlich kommt auch in Stuttgart noch einmal nachträglich die Angelegenheit zur Sprache, als USA-Seeleute, als sie streikten, sich den Teufel um die Solidarität, um Not, Hunger und Tod der deutschen Arbeiter im Ruhrgebiet kümmerten.
({2})
Das Wort zu einer persönlichen Bemerkung hat der Herr Abgeordnete Böhm.
({0})
- Jeder Abgeordnete hat das Recht, zu einer persönlichen Bemerkung das Wort zu erbitten. ({1})
- Nein, Herr Kollege, nach § 84 der Geschäftsordnung am Schluß der Beratung!
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Walter hat in seiner Polemik erklärt, daß durch meine Freunde von links eigentlich das gesagt worden sei, was ich meinte. Herr Abgeordneter Walter, ich möchte ausdrücklich darauf hinweisen: meine Freundschaften lasse ich mir vom Abgeordneten Walter nicht bestätigen. Soviel ich aber weiß, ist Walter einmal der Leiter und der Vorsitzende des kommunistischen Seeleuteverbandes gewesen.
({0})
Heute vertritt er die Interessen der Reeder! Alles ist wandelbar.
({1})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Punkt der Tagesordnung ist damit erledigt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Frey und Genossen betreffend Mangel an Arbeitskräften in der Landwirtschaft ({0}).
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete - ({1})
- Zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Strauß das Wort.
Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CDU/CSU bittet um Absetzung dieses Punktes von der Tagesordnung, da sie in einem von der Fraktion begründeten kleinen Unterausschuß bereits praktische Vorschläge zur Lösung dieser Frage erarbeiten und an die Regierung heranbringen will.
({0})
Ich nehme an, daß das Haus damit einverstanden ist, daß dieser Punkt abgesetzt wird. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen!
Ich schlage vor, Punkt 4 a:
Beratung der Anordnung PR Nr. 38/50 über die Festsetzung von Getreidepreisen für die Monate Juli, August und September sowie zur Ergänzung und Änderung der Anordnung über Preisbildung und Preisüberwachung nach der Währungsreform und der Anordnung PR Nr. 84/49 über die Preisbildung für eingeführte Güter vom 18. Juli 1950 ({0})
und Punkt 4 b:
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Erklärung der Regierung zur Weiterzahlung der Subventionen für Brotgetreide und Phosphatdünger ({1})
({2})
nicht jetzt, sondern erst um 11 Uhr aufzurufen. Zu dieser Zeit werden wir sicher sein, daß die Damen und Herren, die jetzt noch in den Ausschüssen sind, wieder nach hier zurückkehren können. Oder sind Sie der Meinung, daß wir diesen Punkt jetzt schon aufrufen sollten?
({3})
Es tagt auch der wirtschaftspolitische Ausschuß, und voraussichtlich ist ein Teil der Mitglieder dieses Ausschusses gerade an diesen Beratungen besonders interessiert.
({4})
Das gilt auch für Punkt 5, erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von Brotpreisen ({5}). Wir können ihn darum noch nicht aufrufen.
Dagegen können wir Punkt 6:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Anerkennung von Nottrauungen ({6})
behandeln. Der Ältestenrat hat vorgeschlagen, keine Aussprache und keine besondere Einbringung vorzunehmen, sondern die sofortige Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu beschließen. Ist das Haus damit einverstanden? - Kein Widerspruch; dann ist so beschlossen. Der Entwurf ist an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen.
Dann rufe ich Punkt 7 a auf:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Zentrum eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({7}) und des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedereinführung der Befreiung nichtöffentlicher Schulen und Erziehungsanstalten von der Umsatzsteuer ({8});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({9}) ({10}) ({11});
und Punkt 7 b:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({12}) über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Umsatzsteuer für die Verbände der freien Wohlfahrtspflege ({13}).
({14})
- Auch dieser Punkt soll zurückgestellt werden. Ist das Haus damit einverstanden? - Dann wollen wir ihn zurückstellen.
Ich rufe auf Punkt 8 a der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaftspolitik ({15}) über die Anträge der Fraktion der SPD betreffend Interzonenhandel ({16})
und Tagesordnungspunkt 8 b:
Beratung des Antrags der Abg. Rademacher, Juncker, Dr. Friedrich, Dr. Schäfer und Fraktionen der FDP betreffend Interzonenhandel ({17}).
({18})
- Dann müssen wir auch diesen Punkt zurückstellen. Besteht eine Gewähr dafür, daß die Damen und
Herren um 11 Uhr da sind? Wir können ja nicht
ad calendas graecas vertagen. Herr Kollege Wellhausen, ich glaube, Sie haben auch in diesem Ausschuß besondere Autorität. Würden Sie vielleicht dafür besorgt sein, daß der Ausschuß so verhandelt, daß wir um 11 Uhr damit rechnen können, daß die Mitglieder hier sind?
Wir kommen dann zu Punkt 9 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaftspolitik ({19}) über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Schwerkriegsbeschädigtenbetriebe ({20}).
Hierzu hat Ihnen der Ältestenrat vorzuschlagen, den Antrag ohne Aussprache zu bescheiden. - Kein Widerspruch.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lenz zur Berichterstattung.
Lenz ({21}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Antrag der SPD betreffend Schwerkriegsbeschädigtenbetriebe - Drucksache Nr. 330 - ist im Ausschuß für Wirtschaftspolitik beraten worden. Zu Ziffer 1 war zunächst klarzustellen, in welchem Sinne der Begriff „vorzugsweise" verstanden werden soll. Die Darlegung der antragstellenden Partei ergab, daß damit nicht Auftragserteilungen ohne Ansehen von Preis und Qualität verstanden werden sollen, sondern daß die anerkannten Versehrtenbetriebe nach billigem Ermessen zu berücksichtigen sind, und zwar mit der Maßgabe der Dringlichkeit, die der sozialen Bedeutung dieser Unternehmen zukommt. Wie meine Feststellungen ergeben haben, ist seitens der Verwaltung heim Bundestag dem Anliegen des Antrages von Anbeginn entsprochen worden. Ein erheblicher Teil der Ihnen laufend zugehenden numerierten Drucksachen wird in Schwerversehrtenbetrieben hergestellt. Ebenso kommen Materiallieferungen aus Schwerbeschädigtenbetrieben des ganzen Bundesgebietes, wobei zu beachten ist, daß ein billiger Ausgleich zwischen der Verpflichtung, einerseits Flüchtlingsbetriebe und andererseits Unternehmen in den sogenannten Notstandsgebieten, u. a. auch Firmen aus Berlin, zu berücksichtigen, gefunden werden muß.
Was die Ziffer 2 des Antrages betrifft, nämlich die Länderregierungen zu veranlassen, in der gleichen Weise zu verfahren, so hat sich damit auch der Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen beschäftigt. Aus einer diesem Ausschuß zugegangenen Stellungnahme des Bundesministers für Arbeit zum Antrag der SPD, Drucksache Nr. 330, und einem in ähnlichem Sinne liegenden Antrag der Zentrumspartei Drucksache Nr. 571 betreffend Vorlage eines Gesetzes über Schwerbeschädigtenbetriebe ist zu entnehmen, daß die Mehrzahl der Länder im Hinblick auf die in Bayern und Nordrhein-Westfalen getroffenen befriedigenden Regelungen der allgemeinen Regelung durch ein Bundesgesetz ablehnend gegenübersteht. Es steht dem nichts entgegen, daß auf dem Wege der Verhandlung, wie es unter Ziffer 2 des SPD-Antrages auch ausdrücklich heißt, auf die Landesregierungen im Sinne des Anliegens eingewirkt wird. Ein erneuter Hinweis an die Länder und an die ihnen nachgeordneten Dienststellen, so zu verfahren, wie es beim Bundestag schon geschehen ist, kann den am schwersten betroffenen Opfern des Krieges nur dienlich sein.
Der Ausschuß für Wirtschaftspolitik stimmt dem Antrag Drucksache Nr. 330 zu und empfiehlt ihn dem Hause zur Annahme.
Vizeprasident Dr. Schmid: Meine Damen und Herren, Sie haben vorhin beschlossen, über den Antrag ohne Aussprache zu entscheiden. Ich schreite darum gleich zur Abstimmung. Wer für den Antrag
({22})
Drucksache Nr. 330 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 10 der Tagesordnung: Ubersicht über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen ({23}).
Hierzu ist im Ältestenrat beschlossen worden, Ihnen zu empfehlen: keine besondere Begründung, keine Aussprache, sondern sofortige Abstimmung.
Wir können also sofort in die Abstimmung eintreten. Ich nehme an, daß das Haus dem Antrag Drucksache Nr. 1133 zustimmt. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich rufe auf Punkte 11 a und 11 b der Tagesordnung:
a) Beratung des Antrags der Abg. Dr. Etzel ({24}), Dr. Baumgartner, Dr. Seelos und Fraktion der BP betreffend Zulassung zum Gewerbebetrieb und Untersagung eines Gewerbebetriebes ({25});
b) Beratung des Antrags der Abg. Dr. Etzel ({26}), Dr. Baumgartner, Dr. Seelos und Fraktion der BP betreffend Berufsständische Ordnung des Handwerks ({27}).
Kann dieser Punkt behandelt werden?
({28})
- Der Berichterstatter ist im Ausschuß; dann wollen wir auch diesen Punkt zurückstellen.
Kann Punkt 12 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Kunze, Schütz, Frau Dr. Weber ({29}), Dr. von Brentano und Fraktion der CDU/CSU betreffend Hausrathilfe ({30}),
verhandelt werden?
({31}) Kann Punkt 13 beraten werden?
({32})
- Dann rufe ich auf Punkt 13 der Tagesordnung: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ({33}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen 10 Minuten für die Begründung und 60 Minuten für die Aussprache insgesamt vor.
Ich erteile das Wort dem Abgeordneten Richter.
Richter ({34}) ({35}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die SPDFraktion des Bundestages hat Ihnen unter Drucksache Nr. 1127 einen Antrag zur Annahme unterbreitet, wonach eine Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung geschaffen werden soll und der seit 1945 erfolgte Aufbau und die Durchführung der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bis zum Inkrafttreten eines Gesetzes und bis zum Tätigwerden der Bundesanstalt bestehen bleiben sollen.
Anlaß zu diesem Antrag ist ein Kabinettsbeschluß, der durch die Presse bekannt wurde und der am 6. Juni 1950 gefaßt wurde. Nach diesem Beschluß soll der Reichsstock, die öffentlich-rechtliche Körperschaft für Arbeitseinsatz, dem Bundesarbeitsminister unterstellt werden. Bekanntlich wurden die Arbeitsvermittlung und die Arbeitslosenversicherung durch Gesetz von 1927 geregelt. Die Nationalsozialisten haben durch ihren sogenannten Führererlaß usw. auch bei der Reichsanstalt das Führerprinzip eingeführt. Sie haben den Reichsarbeitsminister mit der Wahrnehmung der Funktionen beauftragt, die Organe der Selbstverwaltung, das Direktorium und den Verwaltungsrat, nach Hause geschickt und den Reichsstock als Körperschaft des öffentlichen Rechts geschaffen. Gestützt auf vorstehende Anordnung und auf deren Rechtsbasis versucht nun das Bundeskabinett, die Regelung der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung durchzuführen.
Wir müssen uns hiergegen wenden, da seither die Landesarbeitsämter diese Aufgaben durchgeführt haben. Sie haben seit 1945 praktisch die Arbeit geleistet und den Aufbau sowie die Leistungen zur vollen Zufriedenheit des in Betracht kommenden Personenkreises gesichert. Wir bitten Sie deshalb, unserem Antrag zuzustimmen und den Abänderungsantrag abzulehnen. Der Abänderungsantrag sieht zwar ebenfalls die Errichtung einer Bundesanstalt vor, sagt aber nicht, bis zu welchem Termin ein derartiges Gesetz dem Bundestag zur Beschlußfassung unterbreitet werden soll. Er enthält auch nichts darüber, daß die seitherigen Organe, also die Landesarbeitsämter, ihre Aufgaben weiter durchführen sollen und können und im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen ihre Pflichten zu erfüllen haben. Wir glauben, daß, wenn der Bundesarbeitsminister den Reichsstock als Einrichtung der Nationalsozialisten nun allein und autoritär zu verwalten hat, es sehr lange dauern wird, bis eine Bundesanstalt errichtet werden wird und des weiteren die Rechte und Aufgaben der Landesarbeitsämter in ungebührlicher Weise beschränkt werden. Wir glauben weiter, daß praktisch dann die Bundesanstalt und deren Aufgaben durch die Abteilung II des Bundesarbeitsministeriums wahrgenommen würden, also genau so, wie es beim Reichsarbeitsminister war. Gegen diese autoritäre Einrichtung auf diesem Gebiete der sozialen Selbstverwaltung und der Betreuung der Arbeitslosen müssen wir uns wenden.
Wir bitten Sie deshalb, den Abänderungsantrag abzulehnen und dem Antrag unserer Fraktion Ihre Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, ehe ich die Aussprache eröffne, habe ich mich zu berichtigen. Ich hatte gesagt, daß der Ältestenrat 60 Minuten für die Gesamtaussprache vorschlage. In Wirklichkeit schlägt Ihnen der Ältestenrat dafür 40 Minuten vor. Sind Sie damit einverstanden? - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Abgeordnete Degener. Sie haben 8 Minuten, Herr Abgeordneter.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Hauptziel des Antrags der SPDFraktion, Drucksache Nr. 1127, ist doch sicher, zu erreichen, daß so schnell als möglich ein Gesetzentwurf der Regierung als Grundlage für die Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vorgelegt wird. Es eilt mit der Errichtung dieser Bundesanstalt. Ich glaube, darüber dürfte im ganzen Hause Einigkeit bestehen.
Aber mit dem Absatz 1 ihres Antrages will die SPD-Fraktion etwas mehr; sie will schon jetzt die Regierung durch einen entsprechenden Beschluß des
({0})
Hauses zwingen, in diesem Gesetzentwurf Art und Form der Selbstverwaltung festzulegen. Das mag der einen oder anderen Fraktion des Hauses beim Lesen dieses Antrages noch nicht bewußt geworden sein. Wir glauben, das aus dem Wortlaut des Abs. 1 des Antrages folgern zu müssen. Nun sind wir der Meinung, daß kein zwingender Grund vorliegt, die Regierung in ihrer Arbeit bei der Aufstellung des Entwurfes so einzuengen. Sie soll die Freiheit haben, wie bei anderen Gesetzentwürfen in freier Aussprache mit den beteiligten Sozialpartnern über die Absichten des Entwurfes zu einem Ergebnis zu kommen. Ich bin der Ansicht, daß die Fraktionen in der Kürze der Zeit oder wegen der nicht richtigen Erkenntnis der Folgen des Abs. 1 des SPD-Antrages sich bisher über die Frage selbst noch nicht ausreichend unterhalten haben und zu keiner klaren Erkenntnis und Stellungnahme gekommen sind.
Der Sinn unseres Abänderungsantrages ist, erstens einmal klarzustellen, daß wir bereit sind, mitzuarbeiten, damit so schnell wie möglich ein Gesetzentwurf von der Regierung vorgelegt werden kann, zweitens die Frage nach Art und Form der Selbstverwaltung offenzulassen. Wir sind der Ansicht, daß diese Frage im Ausschuß zur Beratung gestellt werden muß, und zwar dann, wenn ein solcher Gesetzentwurf vorliegt. Ich glaube nicht, daß sich eine ergiebige, eine die Sache fördernde Aussprache über Art und Form der Selbstverwaltung hier im Plenum ermöglichen läßt. Aus diesem Grunde verzichte ich auch darauf, dasFür und Wider der alten Selbstverwaltung und der offenbar gewünschten neuen Art der Selbstverwaltung - unter Ausscheidung der Gebietskörperschaften, die früher darin vertreten waren - zu erörtern. Das muß eben Gegenstand einer Aussprache in den Ausschüssen sein.
Nun könnte man allerdings der Meinung sein, daß diese Aussprache über dieses Thema in den Ausschüssen auch leicht herbeigeführt werden kann, indem man einfach den vorliegenden Antrag der SPD-Fraktion an den Ausschuß überweist. Wir sind aber in unserer Fraktion von diesem Gedanken abgekommen, weil wir glauben, daß dadurch eine beträchtliche Verzögerung eintreten könnte. Wir stehen vor den Parlamentsferien, und wenn dieser Antrag jetzt überwiesen wird, so wird er im Ausschuß nicht vor September zur Beratung gestellt werden können. Unter diesen Umständen erscheint es uns zweckmäßiger, dem Hause zu empfehlen, unseren Abänderungsantrag mit dem Abs. 1 anzunehmen, der die genannten Bedenken ausschaltet. Eine solche Fassung zwingt die Regierung auch, den Gesetzentwurf so schnell wie möglich vorzulegen.
Zu Abs. 2 des Antrages der SPD-Fraktion sind wir der Auffassung: niemand denkt daran, die bisherige Übung ohne Not zu ändern. Wir halten diesen zweiten Absatz für überflüssig, wissen aber, daß beim Arbeitsministerium Bestrebungen im Gange sind, bis zur Wiedererrichtung der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung noch einige Maßnahmen zur Verbesserung des bisherigen Zustandes zu treffen. Wir wollen also das, was bisher war, nicht ohne Not sanktionieren, obschon wir andererseits sagen: wenn es nicht anders geht, mag der Zustand aufrechterhalten bleiben.
Ich darf das Hohe Haus bitten, dem Abänderungsantrag der CDU/CSU aus den genannten Gründen zuzustimmen, behalte mir aber vor, wenn sich hier noch eine Aussprache über Art und Form der Selbstverwaltung ergeben sollte, dazu Stellung zu nehmen.
Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Forderung auf beschleunigte Vorlage eines Gesetzes über die Schaffung einer Bundesanstalt für Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung werden wir auf dem schnellsten Wege nachkommen. Schon im Laufe des ganzen Jahres haben Verhandlungen mit den Arbeitsministern der Länder darüber stattgefunden, wie man es sicherstellt, daß die Mittel der Arbeitslosenversicherung in Zukunft nur noch zweckgebunden verausgabt werden. Sie wissen, daß die Arbeitslosenversicherung seit 1945 von den Ländern auf dem Wege über die Landesarbeitsämter betreut wird. Es hat sich herausgestellt, daß in dem einen Land wesentliche Überschüsse gemacht werden, wogegen andere Länder notleidend werden. In der britischen Zone ist es nur durch die Schaffung des sogenannten Treuhänderausschusses möglich gewesen, dem Lande Schleswig-Holstein im vergangenen Jahre 100 Millionen Mark zur Erfüllung seiner mit der Versicherungspflicht zusammenhängenden Aufgaben zur Verfügung zu stellen, Mittel, die durch Beitragsaufnahmen in Nordrhein-Westfalen hereingekommen sind. Wir wissen, daß draußen in der Arbeitsverwaltung die Dinge nicht so sind, wie sie eigentlich sein müßten. Wir wissen darüber hinaus, daß in manchen Ländern über Gelder der Arbeitslosenversicherung in einer Art verfügt worden ist, wie es unserer Meinung nach mit den gesetzlichen Bestimmungen nicht zu vereinbaren ist.
Von einigen Ländern ist die Behauptung aufgestellt worden, daß die Arbeitslosenversicherungsbeiträge Ländereinnahmen seien. Wenn man hier die Frage aufwirft, auf Grund welcher gesetzlichen Bestimmungen man sich auf diesen Standpunkt stellt, kann man allerdings keine Antwort bekommen.
Wir haben zu Anfang dieses Jahres versucht, durch die Schaffung eines einheitlichen Treuhänderausschusses für das ganze Bundesgebiet die Grundlagen für eine zweckgebundene Verwendung der gesamten Einnahmen im Bundesgebiet sicherzustellen. Diese Verhandlungen haben zu keinem Ergebnis geführt, weil man sich nur insoweit auf einen allgemeinen Treuhänderausschuß einlassen wollte, als die Überschüsse in den einzelnen Ländern über diesen Treuhänderausschuß laufen sollten. Das ist aber nicht genug, um auch dafür zu sorgen, daß diese von den Arbeitnehmern und von den Arbeitgebern aufgebrachten Gelder sehr sorgfältig und gewissenhaft verwaltet werden.
Dazu kommt, daß das Arbeitslosenversicherungsrecht in den Ländern des Bundesgebietes in der Zeit seit 1945 wesentlich auseinandergelaufen ist. Deshalb sind die Verhandlungen über die Bildung einer Bundesanstalt in Gang gebracht worden. Die Länderarbeitsminister haben dabei lange Zeit den Standpunkt vertreten, daß die Arbeitslosenversicherung auch in der Zukunft eine Aufgabe der Länder sein müßte. Dieser Stellungnahme konnten wir uns nicht anschließen.
Darüber hinaus haben mit den Sozialpartnern Verhandlungen darüber stattgefunden, wie in der Zukunft die Selbstverwaltung einer kommenden Arbeitslosenversicherung gestaltet werden soll. In der vorletzten Woche haben nun in Unkel Verhandlungen mit den Sozialpartnern und den Vertretern der Arbeitsminister der Länder stattgefunden, die im wesentlichen zu einer einheitlichen Auffassung zwischen den Sozialpartnern und dem Bundes({0})
J arbeitsministerium geführt haben. Wir haben jetzt die Grundlagen, um den Gesetzentwurf auf dem schnellstmöglichen Wege vorzulegen. Ich hatte die bestimmte Hoffnung, daß es möglich sei, bis zum Ende dieses Monats den Gesetzentwurf noch in das Kabinett zu bringen. Bei den Verhandlungen in Unkel haben sich aber solche gesetzgeberischen Schwierigkeiten ergeben, daß alle Beteiligten der Meinung waren, es sei zweckmäßiger, diesen Gesetzentwurf Anfang September zu verhandeln.
Nun komme ich zu dem zweiten Absatz des Art trages der SPD. Hier wird gesagt: bis zur Schaffung dieser Anstalt soll der seitherige Zustand bestehen bleiben. Wir haben uns auf den Standpunkt gestellt, daß auf Grund der Artikel 130 Abs. 3 und 129 Abs. 1 des Grundgesetzes heute bereits die Bundesregierung verpflichtet ist, die einheitliche Verwaltung der Gelder der Arbeitslosenversicherung in die Hände zu nehmen, weil nach diesen Bestimmungen des Grundgesetzes der Reichsstock weiter besteht und die Aufgaben, die früher beim Reichsarbeitsministerium gelegen haben, heute auf das Bundesarbeitsministerium übergegangen sind.
Wir haben diese unsere Rechtsauffassung in einem Rechtsgutachten festgelegt und dieses Rechtsgutachten den Ländern zugehen lassen. Von dort wurden Einsprüche dagegen erhoben. Das hat mich veranlaßt, auch den Herrn Innenminister und den Herrn Justizminister zu bitten, in einem Rechtsgutachten zu diesen Dingen Stellung zu nehmen. Sie sind zu genau derselben grundsätzlichen Feststellung gekommen, wie sie in unserem Gutachten bereits enthalten war.
Nun haben uns die Arbeitsminister der Länder gesagt, daß sie die Rechtsauffassungen in vorliegendem Gutachten nicht anerkennen, da sie anderer
Rechtsauffassung seien. Daraufhin sind wir vor ungefähr 4 Wochen mit den Arbeitsministern übereingekommen, daß sie veranlassen sollen, daß der Rechtsausschuß des Bundesrates in einem Rechtsgutachten zu dem vorliegenden Fragenkomplex Stellung nehmen solle. Soweit mir bekannt ist, hat sich der Rechtsausschuß des Bundesrates in zwei Sitzungen mit all diesen Fragen beschäftigt. Es ist aber zu keinem Rechtsgutachten auf der Basis der Rechtsauffassung der Arbeitsminister der Länder gekommen. Er hat vielmehr Vermittlungsvorschläge gemacht.
Wir sind nun gezwungen, um in der Zukunft die Zahlung der Arbeitslosenunterstützungen in allen Ländern garantieren zu können, eine Zusammenfassung der Mittel bereits jetzt vorzunehmen. Wir denken gar nicht daran, dafür vielleicht in meinem Ministerium einen besonderen Apparat aufzubauen. Was wir wollen, ist nur die feste Verpflichtung der Landesarbeitsämter, ihre Etats bei uns einzureichen und uns eine genaue Kontrolle über die Einnahmen und Ausgaben zu ermöglichen und so auf jeden Fall die Arbeitslosenversicherung in die Lage zu versetzen, in der Zukunft ihre Aufgaben zu erfüllen. Das wird keinesfalls dazu führen, daß der Gesetzentwurf für die endgültige Bundesanstalt verzögert wird. Im Gegenteil, wenn diese Vorarbeiten jetzt getroffen werden, können wir die Bundesanstalt kurz nach ihrer Errichtung bereits in Tätigkeit treten lassen. Das scheint mir das Wesentlichste zu sein. Deshalb bitte ich Sie, den zweiten Absatz des Antrages der Sozialdemokratischen Partei abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Meine Damen und Herren! Wir sind dem Herrn Bundesarbeitsminister dankbar, daß er die Gelegenheit benutzt hat, hier einen ausführlichen Bericht über die Hintergründe und über die Verhandlungen, die schon seit Monaten zwischen dem Bund und den Ländern geführt werden, zu geben. Es scheint uns in der Tat höchste Zeit, über die Differenzen hinwegzukommen, die dort existieren und die mehr oder weniger juristischer und vielleicht sogar überspitzter juristischer Art sind, und wir freuen uns über die Zusage des Herrn Bundesarbeitsministers, daß durch die Erörterung dieser Dinge keinesfalls die Einreichung des Gesetzes und demgemäß hoffentlich auch nicht die Verabschiedung hinausgezögert wird.
Was die beiden Anträge angeht, die vorliegen, so werden auch wir für den Antrag der CDU/CSU stimmen und nur dann bereit sein, heute eine endgültige Erledigung dieser Anträge vorzunehmen, wenn dieser angenommen wird. Im andern Falle müßten wir eventualiter beantragen, beide Anträge in die Ausschüsse zu verweisen, was wir aber möglichst vermeiden wollten.
Herr Abgeordneter Wellhausen, der Antrag auf Verweisung geht vor. Sie müssen Ihren Sachantrag als Eventualantrag stellen.
Das möchte ich nicht tun. Ich möchte zunächst sehen, wie der Antrag der CDU verabschiedet wird. Ich kann das ja immer noch tun.
Meine Damen und Herren, auch ich will der Versuchung nicht erliegen, hier über die Selbstverwaltung bei der neuzuerrichtenden oder wiederzuerrichtenden Anstalt zu sprechen. Wir haben zur Zeit einen gewissen Anschauungsunterricht darüber, wie langsam und schwierig man sich über Selbstverwaltung in der Sozialversicherung einigt. In Dutzenden von Sitzungen und schon seit Monaten wird darüber geredet. Ich beklage das sehr. Hoffentlich haben wir bald das Vergnügen, hier die zweite und dritte Lesung dieses schwergeprüften Gesetzes zu erleben. Es scheint uns also nicht richtig zu sein, dem Antrag der SPD, der von einer vollen Selbstverwaltung spricht, worunter man sich alles mögliche vorstellen kann - man muß schon dahinter setzen: „so wie ich es auffasse" -, heute zuzustimmen. Dem Antrag der CDU schließen wir uns in seinem ersten und zweiten Teile an.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Das Schlußwort hat der Abgeordnete Richter.
Richter ({0}) ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben von diesem Platz aus schon sehr oft gehört, daß einzelne soziale Fragen besonders rasch erledigt werden sollten. So wurde von dem Herrn Bundesarbeitsminister oder seinen Vertretern zum Ausdruck gebracht, daß die Gesetzesvorlage über das Heimarbeitgesetz oder über das Mutterschutzgesetz oder gar über das Gesetz über die Kriegsopfer dem Hohen Hause in der und der Zeit unterbreitet werden würde. Wir mußten leider feststellen, daß diese Termine nicht eingehalten worden sind. Wir können, obwohl das Hohe Haus im Oktober vorigen Jahres einmütig beschlossen hat, dem Bundestag ein Mutterschutzgesetz und ein Gesetz zum Schutze der Heimarbeiter zu unterbreiten, heute feststellen, daß der Bundesarbeitsminister dies bis heute noch nicht getan hat, und ich sage Ihnen ganz offen: das gleiche befürchte ich auch auf diesem Gebiet.
({2})
Mir ist bekannt, daß schon monatelang Verhandlungen stattfinden. Ferner habe ich Kenntnis von einem Entwurf eines Gesetzes über einen Treuhänderausschuß, der über die frühere britische Zone hinausgehend für das gesamte Bundesgebiet zuständig sein soll. Warum haben sich die Arbeitsminister, die Gewerkschaften und die Arbeitgeberorganisationen dagegen gewandt? Weil sie sich mit der damit verbundenen autoritären Regelung nicht einverstanden erklären konnten, weil sie dem Bundesarbeitsminister und seiner Abteilung II, die derart groß ist, daß man schon von einer kleinen Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sprechen kann,
({3})
diese Rechte und Pflichten einfach nicht geben wollten und nicht geben zu können glaubten.
Wenn es in unserm Antrag heißt: „auch die volle Selbstverwaltung durch die Beteiligten", so kann ich zu dieser Frage hier nur sagen, daß unter den Beteiligten die Gewerkschaften und die Arbeitgeber zu verstehen sind und daß diese Beteiligten sich in dieser Frage der Selbstverwaltung bei der Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung einig sind. Diese Beteiligten, die Träger des sozialen Lebens, sind nur mit dem Bundesarbeitsminister und seiner Ministerialbürokratie nicht einig. Des- halb bin ich der Meinung daß der Aufbau der Selbstverwaltung - „so wie ich es auffasse", wie Herr Kollege Wellhausen gesagt hat - nicht verwaschen werden kann, sondern klar und deutlich ein Bekenntnis abgelegt werden muß, ob Sie die volle Selbstverwaltung, wahrgenommen durch die Beteiligten, wollen oder nicht. Deshalb auch die Formulierung unseres Antrages.
Was nun die anderen Ausführungen anbelangt, wonach die Vorlage baldmöglichst kommen wird und „einige Maßnahmen" getroffen werden müßten, so sind es ja gerade die „einigen Maßnahmen", gegen die wir uns wehren, Maßnahmen, die sich auf finanziellem Gebiete bewegen, Maßnahmen, die sich auf personellem Gebiete bewegen werden und die der Bundesarbeitsminister noch sehr rasch durchführen zu müssen glaubt, bis - wann weiß ich, hoffentlich recht bald! - ein Gesetz über die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung kommt, wonach die Selbstverwaltung dann die Rechte und Pflichten hat, die der Bundesarbeitsminister jetzt an sich ziehen will. Bedauerlich hierbei ist - das haben Sie mit sich selbst auszumachen -, daß der Bundesarbeitsminister und das Kabinett sich am 6. Juni dieses Jahres auf einen Standpunkt gestellt haben, der in der Nazigesetzgebung verankert ist, daß also entsprechend dem Erlaß des Führers und Reichskanzlers vom 21. Dezember 1938 die Aufgabenbefugnis des Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung auf den Reichsarbeitsminister - sprich Bundesarbeitsminister Anton Storch - übergehen und daß dieser die Aufgabenverteilung zwischen dem Reichsarbeitsminister - sprich Bundesarbeitsminister - und der Reichsanstalt regeln kann. Unterschrieben ist dieser Erlaß: Der Führer und Reichskanzler Adolf Hitler, der Beauftragte für den Vierjahresplan Göring, Generalfeldmarschall, der Reichsarbeitsminister Franz Seldte. Wenn Sie sich darauf stützen wollen, dann stimmen Sie dem Antrag der CDU zu!
({4})
Meine Damen und Herren, Sie haben zu Beginn der Sitzung beschlossen, daß vor 11 Uhr keine Abstimmung vorgenommen werden soll. Ich stelle daher die Abstimmung über diesen Antrag auf 11 Uhr, jedenfalls aber hinter den Abschluß der Beratung des nächsten Tagesordnungspunktes 14 zurück, den ich hiermit aufrufe:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Mende und Genossen betreffend Programm für die Betreuung der deutschen Jugend ({0}).
Das Wort hat der Abgeordnete Mende. Ehe Sie das Wort ergreifen, wollen Sie mir noch eine Bemerkung gestatten. Der Ältestenrat schlägt dem Hause für die Einbringung 15 Minuten und für die Aussprache insgesamt 90 Minuten Redezeit vor. Ist das Haus damit einverstanden? - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich bitte Sie nunmehr, Herr Abgeordneter Mende, das Wort zu ergreifen.
Mende ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 1030 fordert von der Bundesregierung die Vorlage eines Jugendprogramms, eines Programms für die wirtschaftliche, staatspolitische und kulturpolitische Betreuung der deutschen Jugend.
Es erhebt sich zunächst die Frage: Ist der Bund überhaupt kompetent für den damit zusammenhängenden Fragenkomplex? Die Zuständigkeit des Bundes leitet sich aus Art. 74 Ziff. 7 des Grundgesetzes her, der die Zuständigkeit für die öffentliche Fürsorge begründet. Es unterliegt auch nach dem Studium der Protokolle des Parlamentarischen Rates keinem Zweifel, daß die Jugendfürsorge unter die öffentliche Fürsorge im weitesten Sinne rubriziert werden kann.
Was fordert nun der Antrag im einzelnen? Es sollen zunächst im Rahmen dieses Jugendprogramms Veranstaltungen auf gesamtdeutscher Basis, und zwar auf kultureller und sportlicher Ebene, durchgeführt und einmal im Jahr ein „Tag der deutschen Jugend" veranstaltet werden. Wir wollen in der Bundesrepublik durch gesamtdeutsche Veranstaltungen in einer ehrlichen Form das Bekenntnis der Jugend zu unserem Staat zum Ausdruck bringen. Sehen Sie, in der Sowjetzone veranstaltet man Pseudofriedenstreffen und -tagungen, die mit ehrlichem Bekenntnis zu dem Staat und zur Demokratie schlechthin nichts zu tun haben.
({2})
Man verkündet dort die Idee der Befreiung Westdeutschlands vom kapitalistischen Joch des Petersbergs.
({3})
Nach dem Rezept von Gustave le Bon werden dieselben Sätze immer wiederholt. Man will eine Einheit Deutschlands unter Hammer und Sichel schaffen, und das ganze Problem wird mit einer Massenpsychose verbunden. Man gibt Millionen von Mark für dieses große Pseudofriedenstreffen in Berlin aus. Man versammelt einige Hunderttausend junger Menschen wie früher mit Tausenden von Fanfaren, Musikkapellen und dergleichen. Meine Damen und Herren, wer das Treffen der FDJ in Berlin erlebt hat, weiß, daß die Nationalsozialisten noch Amateure waren, daß Schirach ein Amateur war gegenüber der Methodik der Berufsrevolutionäre aus dem Osten.
({4})
Ich glaube, es ist Zeit, daß wir hier unser Bekenntnis zur deutschen Einheit in Freiheit ablegen, wobei
({5})
der Schwerpunkt auf dem letzten Begriff zu liegen hat.
({6})
Meine Damen und Herren, die Symbolik, die durch gesamtdeutsche Veranstaltungen zum Ausdruck kommt, soll auch schon in den Schulen eingeführt werden. Wir wollen dort nach Art der früheren Reichsjugendwettkämpfe der Weimarer Republik wieder sportliche Wettkämpfe durchführen. An einem Tag im Jahr soll die gesamte deutsche Jugend in den Schulen, in den Volksschulen, in den mittleren und in den höheren Schulen an solchen Jugendwettkämpfen teilnehmen. Der Sieger soll mit einem Diplom oder irgendwelchen anderen Auszeichnungen durch den Herrn Bundespräsidenten bedacht werden. Wir glauben, daß diese sportlichen Wettkämpfe dazu dienen werden, die Jugend schon sehr früh an den Staat heranzuführen. Man sollte auch die Symbolkraft einer Auszeichnung des Siegers durch das Staatsoberhaupt nicht unterschätzen und sich die guten Erfahrungen aus den Reichs-i ugendwettkämpfen der Weimarer Zeit zunutze machen.
Wir wollen auch, daß auf der Berufsebene Wettkämpfe stattfinden, weil wir der Meinung sind, daß Wettkämpfe stark anreizend wirken. Man sollte die Berufswettkämpfe wieder einführen, die ja zur Heranbildung eines höchstqualifizierten Nachwuchses in allen Gebieten dienen. Die Gewerkschaften und einzelne Länder sind schon dabei, diese Berufswettkämpfe wiederaufleben zu lassen. Man kann nicht sagen, diese Berufswettkämpfe seien typisch nationalsozialistischer Art, weil es einmal Reichsberufswettkämpfe unter der Führung der DAF gegeben hat. Das Kriterium dieser Berufswettkämpfe ist vielmehr ein sozialpolitisches und hat mit nationalsozialistischem Gedankengut gar nichts zu tun, es sei denn, daß man die Schulung einbegreift, die damals in die Reichsberufswettkämpfe hineingelegt wurde. Auf diesen Gedanken dürfte aber heute wohl niemand mehr kommen.
Was nun die Ziffern 4 und 5 des Antrags anlangt, so sind wir uns bewußt, daß darüber die Meinungen natürlich auseinandergehen. Was wollen wir mit der Einrichtung eines freiwilligen Landdienstes? Dieser freiwillige Landdienst soll mit dazu helfen, der Landwirtschaft die fehlenden 200 000 Arbeitskräfte zuzuleiten.
({7})
- Ich glaube, Sie haben das Gefühl,. daß Sie hier
Wind machen müßten, weil Sie anscheinend mit
Ihren Parteigängern in Berlin gleichgeschaltet sind.
({8})
- Lassen Sie das ruhig!
({9})
- Sie haben ja nachher die Möglichkeit, dazu zu sprechen.
Dieser freiwillige Landdienst soll also zunächst einmal Arbeitskräfte in die Landwirtschaft führen; er soll aber gleichzeitig die Möglichkeit der Heranbildung eines fachlichen Nachwuchses auf dem Gebiet der Landwirtschaft bieten. Meine Damen und Herren, wir haben hier mit dem studentischen Landdienst und mit dem jüdischen Landdienst der dreißiger Jahre gute Erfahrungen gemacht. Damals brauchten Studenten, die nach Palästina auswandern wollten, eine fachliche Ausbildung in der Landwirtschaft. Diese bekamen sie, indem sie für. mehrere Monate zu einem Bauern gingen. So wurde beiden
Teilen geholfen. Der Bauer hatte eine Arbeitskraft, und der Student lernte die Landwirtschaft und bekam sein Diplom. Ich glaube, etwas Ähnliches kann man heute dadurch durchführen, daß man den Bauern für die Einstellung von Nachwuchskräften besondere Vergünstigungen steuerlicher oder sonstiger Art gibt; denn die Belastung mit einem Lehrling ist natürlich nicht zu übersehen. Auf der anderen Seite aber sollte man dann auch dem jungen Landdienstmann für eine Absolvierung seiner Landdienstlehre ein Diplom geben, um ihn bevorzugt in gewisse Berufskategorien einreihen zu können.
Meine Damen und Herren! Auch noch ein anderer Gedanke wird vielleicht im Rahmen des Jugendprogramms zu diskutieren sein, und zwar die Frage der Meliorationen und der Schaffung von Siedlerstellen für die Landdienstjugend im Emsland. Ich bin mir dessen bewußt, daß das Emsland und der Name des Emslandes dadurch geschändet ist, daß man das Emsland in der Vergangenheit zur größten Menschenschändung mißbraucht hat. Aber das bedeutet nicht, daß man jeglichen Gedanken an Meliorationsarbeiten verneinen sollte. Im Gegenteil! Man sollte alles tun, um eben in dieser Gegend des Ems-landes, in dem Burtanger Moor, Land zu schaffen, vielleicht in großzügiger Absprache mit dem holländischen Nachbarn, um auf diese Weise dann Siedlerstellen für die freiwilligen Landdienste in diesem Emslandmoor zu schaffen. Man bekommt auf diese Weise eine Verbreiterung unserer Ernährungsbasis und man schafft viele tausend Siedlerstellen für ostdeutsche Bauernsöhne. Darum wird meine Fraktion darangehen, einen . Gesetzentwurf „Emsland" auszuarbeiten, den Sie Ihnen dann im Laufe der nächsten Monate nach eingehenden Beratungen mit dem Landeskulturamt Niedersachsen-Oldenburg und den verschiedensten Stellen vorlegen wird.
Der Punkt 5 sieht die Schaffung eines Jugendhilfsdienstes vor, und zwar eines freiwilligen Jugendhilfsdienstes mit dem Schwerpunkt auf der Berufsausbildung und mit der Selbstverwaltung in den einzelnen Heimen. Während beim Landdienst der Landdienstwillige in der Bauernfamilie wohnen soll, wird sich bei der Einrichtung des Jugendhilfsdienstes die Unterbringung in Heimen etwa in einer Zusammenfassung von 100 oder auch vielleicht 200 Jugendhilfsdienstwilligen nicht vermeiden lassen, aber stets unter Selbstverwaltung und demokratischer Wahl. Man wählt in diesen Heimen seine Sprecher, und schon dieses Kriterium gibt niemandem ein Recht, von einem Arbeitsdienst zu sprechen.
({10})
Wir leben in einer Zeit der Begriffsverwirrungen; Sie sehen ja gerade im Augenblick, wie schwer es ist, für den Begriff des Angreifers und des Angegriffenen allgemeingültige Definitionen zu finden. Mit dem Arbeitsdienst alter Prägung und marschierenden Bataillonen hat dieser Vorschlag des Jugendhilfsdienstes nichts gemein; und es ist eine Begriffsverwirrung ohnegleichen, ihn auf das alte Gleis zu bringen.
Was hat dieser Jugendhilfsdienst für einen Sinn? Er soll vor allem die berufliche Ausbildung der heimat- und elternlosen Jugend zum Endziel haben. Meine Damen und Herren, wir haben nach der Feststellung der Universität Tübingen schon über 100 000 herumstreunende Jungen und Mädchen. Wir haben durch den Verlust von vielen Millionen Vätern viele Millionen junger Menschen, die heimat- und elternlos sind; an Stelle des Vaters, des normalerweise üblichen Erziehungsfaktors, tritt
({11})
I nunmehr die Gemeinschaft, die gewisse erzieherische Aufgaben übernehmen muß. Wir glauben, es ist eine gute Lösung, wenn man diese heimat- und elternlose Jugend in Heimen, die vom Land oder Vorn Bund zur Verfügung gestellt werden, unterbringt, sie am Vormittag in einigen Stunden Gemeinschaftsarbeit, über deren erzieherischen Wert keine 'Zweifel herrschen sollten, zusammenbringt, um am Nachmittag etwa sechs Stunden lang die Berufsausbildung als Schneider, Schuhmacher usw. unter Anleitung qualifizierter Lehrkräfte zu praktizieren. Wir haben das Beispiel in einigen Umschulungslagern für Schwerversehrte mit gutem Erfolg seit Jahren durchgeführt. Ich denke da an die Landeskrankenanstalt Pyrmont. Ich kann mir denken, daß, wenn am Ende dieser Berufsausbildung im freiwilligen Jugendhilfsdienst dann die Gesellen-, ja sogar die Meisterprüfung steht, ein großer Teil junger Menschen sich freiwillig in diese Heime begibt, und ich bitte, daß die dafür zuständigen Stellen sich die bisher gemachten Erfahrungen in Tübingen und in Süddeutschland zunutze machen, wo man derartige Jugendaufbauwerke auf freiwilliger Basis mit großem Erfolg eingerichtet hat.
Die übrigen Punkte betreffen Dinge, die an sich selbstverständlich sein sollten, wie die Erleichterung des Wanderns durch eine Fahrpreisermäßigung. Wir glauben, daß die Bundesbahn es durchaus verantworten kann, für Jugendwanderer anstelle der bisherigen fünfzigprozentigen Fahrpreisermäßigung eine fünfundsiebzigprozentige Ermäßigung einzuführen. Wir glauben, daß es höchste Zeit ist, den jungen Arbeitern und Studenten die Möglichkeit zu geben, so wie wir es einst taten, Radtouren von Köln bis Marseille und bis tief nach Italien, bis hinunter nach Sizilien, zu machen, ohne daß man durch Grenzen gehemmt ist. Das ist jetzt nicht möglich; denn sie brauchen sechs Formulare mit sechs Paßbildern und einer großen Anzahl von Formalitäten, um ein Visum nach Frankreich zu bekommen. Hier also in Absprache mit den anderen Staaten möglichst Erleichterungen durchzuführen, ist auch ein Mittel, Europa in die Realität zu bringen.
Meine Damen und Herren! Daß für den Austausch der Jugend der demokratischen Länder mehr getan werden muß, ist ebenso selbstverständlich, wie die Frage des Ausbaues unserer Jugendherbergen; und wenn Sie noch auf die Punkte 9 und 10 Ihr Augenmerk richten, nämlich auf das Amateurfunkwesen und den Segelflug, so lassen Sie mich auch dazu folgendes sagen. Das Amateurfunkwesen ist durch den Nationalsozialismus 1933/34 stark eingeschränkt worden. Es ist höchste Zeit, daß dem Bastler in der Jugend insbesondere durch die öffentlich-rechtlichen Körperschaften, zum Beispiel durch den doch sehr kapitalkräftigen NWDR, die Möglichkeit geschaffen wird, selbst an der Forschung der Ultrakurzwellentechnik, vielleicht sogar an der Fernsehtechnik mitzuarbeiten; und wir glauben, daß aus dieser Sphäre des Bastelwesens auf dem Gebiete des Amateurfunks sich große Ergebnisse auch für unsere gesamte Entwicklung technischer Art ergeben würden.
Daß Sie den deutschen jungen Menschen wieder den Segelflug gestatten sollten, daß man alles tun müßte, um bei der Hohen Kommission die Genehmigung hierfür zu erreichen, beweist ja die vor einigen Tagen in Örebro ({12}) stattgefundene Veranstaltung der Segelflieger der demokratischen Länder der Welt. Wer dagegen einwendet, das Segelfliegen führe dann doch wieder über die vormilitärische Ausbildung zum Lastensegler, dem möchte ich folgendes sagen: Wenn man die Dinge
so simplifiziert, dann muß man auch das Radfahren verbieten. Denn die Radfahrer sind letzten Endes zu Radfahrbataillonen zusammengefaßt worden; ja dann müßte man auch das Jugendwandern einschränken, denn das Jugendwandern ist die Grundlage des späteren Infanteriemarschierens. Also diese Argumente sollten endlich fallen gelassen werden. Man sollte der deutschen Jugend die Möglichkeit des Segelfliegens auf der Rhön und auf der Wasserkuppe geben.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, viele Anregungen, Verbesserungen und Ergänzungen zu diesem Programm Ihrerseits noch beizutragen. Ich empfehle Ihnen, diesen Antrag einstimmig anzunehmen und ihn an den Ausschuß für Jugendfürsorge als den federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für innere Verwaltung zu überweisen.
Lassen Sie mich ein Schlußwort zu dem Problem der deutschen Jugend sagen. Wir stehen unter dem unerbittlichen Naturgesetz des ewigen Werdens und Vergehens. Vor Parlamentariern und Journalisten erübrigt es sich, auf die Bedeutung der Jugend für die Entwicklung des Staates und der Gemeinschaft hinzuweisen. Ich könnte hier von Platon bis Heuss so viele weisheitsvolle Aussprüche zitieren.
({13})
Ich will es mir ersparen. Aber Heuss hat beim Bundessportfest voriges Jahr gesagt:
Nicht der Staat soll die Jugend haben, sondern
die Jugend soll den Staat haben und ihn tragen. Tragen Sie Ihrerseits dazu bei, die Jugend weit mehr an den demokratischen Staat heranzuziehen, als das leider bisher geschehen ist.
({14})
Das Wort hat der Herr: Bundesinnenminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anläßlich der Einbringung der Vorlage gegen das jugendgefährdende Schrifttum in der vergangenen Woche habe ich gesagt, daß es für die Jugend auf positive Maßnahmen ankommt. Dementsprechend hat sich das Bundesministerium des Innern schon alsbald nach seiner Errichtung all diesen Fragen zugewandt.
Der hier nun vorgebrachte Antrag gibt mir Gelegenheit zu sagen, daß diese Arbeit sehr intensiv betrieben wird. Es muß aber klargestellt werden, daß der Schwerpunkt aller jugendpflegerischen und jugendfürsorgerischen Dinge bei den Ländern und bei den freien Organisationen liegt. Der Bund kann sich nicht zum Träger dieser Dinge machen und wird es auch nicht tun wollen. Aber der Bund weiß sich gerufen, in allen diesen Dingen eine helfende Hand anzubieten, so daß eine weitgehende Arbeitsgemeinschaft zwischen Bund, Ländern und diesen mannigfachen Organisationen - selbstverständlich alles auf freiwilliger Basis - zustande kommt.
Das, was mir vorschwebt, möchte ich in diesem Augenblick als ein „Deutsches Jugendwerk" bezeichnen, das etwa durch einen gemeinsamen Aufruf von Bundesregierung, Ländern und vielleicht auch sonst Beteiligten seinen Ausgang nehmen möchte und das sich in einem Gremium von recht wenigen Personen darzustellen hätte, Personen, die aber um so eindrucksvoller und um so sachverständiger für dieses Gebiet sein müßten; also etwa ein Kuratorium, das sich die Aufgabe zu setzen hätte, die ja unendlich vielfältigen Dinge, die auf diesem Gebiete getan werden, auszugleichen, zu koordinieren, und das da, wo es nötig ist, zu einer intensiveren Entwicklung anzuregen hätte. Das, was der
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Bund seinerseits hinzuzutun vermag - etwa an Geldmitteln- , würde dann auch in völligem Einvernehmen mit diesem Kuratorium zu verwenden sein. Ich sehe also das, was der Bund zu tun hat, dem Schwerpunkte nach darin, daß er all die vielfältigen Kräfte zusammenführt, in ihren Zielsetzungen ausgleicht und mit seinen. Beiträgen weiter fördert.
Ich sagte, daß diese Arbeiten sehr schleunig betrieben werden, und ich glaube, auch sagen zu dürfen, daß nach eingehender Fühlungnahme mit den anderen Beteiligten - mit den Ländern und mit den mannigfachen Jugendorganisationen - Ihnen hierüber recht bald etwas Bündiges mitgeteilt werden kann. In der Zielsetzung sind wir uns alle durchaus einig. Es geht darum, die Not der Jugend hinsichtlich ihrer Arbeitslosigkeit, ihrer mangelnden Berufsausbildung zu beheben; es geht darum, sie körperlich zu ertüchtigen; es geht darum, sie mit freiheitlichem, demokratischem Geist zu erfüllen und sie auf den Gedanken der Völkerverständigung auszurichten.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Keilhack.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Neben einigen selbstverständlichen technischen Forderungen, wie Erleichterungen der Paß- und Visumbestimmungen für Auslandsreisen und Erweiterung der Fahrpreisermäßigungen usw., enthält der uns vorgelegte Antrag - Programm für die Betreuung der deutschen Jugend - eine Reihe von Vorschlägen, die im einzelnen noch im Ausschuß beraten werden müßten.
Wir begrüßen und befürworten alle die Maßnahmen, die den deutschen Jugend- und Sportverbänden helfen, mit Jugendtreffen und echten sportlichen Veranstaltungen die deutsche Jugend für ihre Organisationen zu werben und zu begeistern. Wir begrüßen und fördern jede Art jugendlicher Gemeinschaftsbildung, die dem jungen Menschen im Kreise Gleichaltriger und Gleichgesinnter Erlebnisse und Erfahrungen vermittelt, die ihn vor der Vermassung schützt und ihm schon in jungem Alter das Gefühl für die Rechte und Pflichten gibt, die ihm in der Gesellschaft und in einem politisch freien demokratischen Staat gegeben bzw. auferlegt werden. Wir erwarten von der Bundesregierung und von den Länderregierungen, daß sie ihre Bemühungen um diese junge Generation in jeder Beziehung verstärken werden, für eine Jugend, die materiell durch den totalen Krieg und psychisch durch den Mißbrauch, den man im Hitlerreich mit ihr trieb, schwer geschädigt worden ist.
Hierzu gehört, daß man vor allem auch dem Teil der deutschen Jugend, der sich auch heute schon wieder in freien Verbänden um eine Neugestaltung jugendlichen Lebens bemüht, alle nötige Finanzhilfe, alle behördliche und alle menschliche Unterstützung gibt, die sie in die Lage versetzt, in anständigen Heimen unter ordentlichen Voraussetzungen ihre Gruppenabende, ihre Veranstaltungen, ihre Aussprachen und Treffen abzuhalten, daß man das Jugendwandern vor allem durch ein enges Netz von Jugendherbergen in Deutschland, aber auch über Deutschland hinaus durch den Fortfall des erschwerenden Visum- und Paßzwanges unterstützt.
Meine Damen und Herren! Die persönliche Beziehung zum Menschen der anderen Nation und der anderen Landschaft schafft doch erst die echte Verbindung, die zur Toleranz und zur Verständigung mit anderen Volksgruppen und Völkern führt.
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Wir begrüßen in diesem Zusammenhang ganz besonders die Bemühungen in Deutschland und im Ausland um den Austausch zwischen den jungen Menschen. Wir begrüßen es, daß man für sehr viele Gruppen, z. B. für die Studenten, generelle Erleichterungen schafft, möchten sie aber ausgedehnt wissen auf die Jugendlichen aus allen Schichten, d. h. auch auf die jungen Arbeiter.
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Wir möchten die Kultusminister der Länder vor allem bitten, einen ständigen Schüleraustausch schon bei den jüngeren Jahrgängen als reguläre Schuleinrichtungen aller, also auch der Volks-, Berufs-, Ober- und Hochschulen einzurichten. Bedenken Sie bitte, daß fast 80 % unserer Jungen und Mädel durch die Berufs- und Volksschulen erfaßt werden und daß gerade diese im späteren Leben nur sehr wenig Möglichkeiten haben, aus eigener Anstrengung Auslandsfahrten unternehmen zu können. Ich bitte vor allen Dingen die deutschen Lehrer, sich dieser Aufgabe ganz besonders anzunehmen. Die Erziehung zur Einordnung in eine Fahrtengemeinschaft, der Reiz der Andersartigkeit der fremden Länder und seiner Bürger sind wesentliche pädagogische Faktoren. Sie fördern die charakterlichen Qualitäten, deren ein demokratisches Staatswesen bedarf, das diese jungen Menschen wenige Jahre später gestalten sollen.
Zu diesem Kapitel gehört auch die Unterstützung internationaler Jugendtreffen in Deutschland, die im Ausland das Verständnis für Deutschland weiter verbessern helfen.
In diesem Zusammenhang hoffen wir auch, meine Damen und Herren, daß es recht bald möglich sein wird, den § 4 des Reichsjugendwohlfahrtgesetzes als Pflichtaufgabe der Jugendämter wieder in Kraft zu setzen.
Die Anregungen des Antrages Nr. 1030 finden in vielen Punkten unsere Zustimmung. Wir verstehen jedoch nicht, daß die Freie Demokratische Partei als antragstellende und zugleich Regierungspartei nicht vor seiner Einreichung oder mindestens zugleich mit ihr bei der Regierung angemahnt hat, wieweit die vom Bundestag im April beschlossenen Sofortmaßnahmen zur Behebung der Not der berufs-, arbeits- und heimatlosen Jugend sind, die auf Grund eines sozialdemokratischen Antrages vorgeschlagen und vom Bundestag angenommen worden sind.
({2})
Diese Maßnahmen, meine Damen und Herren, wurden in sehr sorgfältiger und ernsthafter Arbeit vom Bundestags-Jugendfürsorgeausschuß zusammengestellt. Sie könnten wirklich sehr viel dazu tun, der Jugend zunächst das zu sichern, was die erste Voraussetzung aller weiteren Förderungsmaßnahmen sein muß, nämlich dem jungen Menschen die Sicherung seines Lehrberufs zu geben, ihm einen Arbeitsplatz zu schaffen, ihm das Dach über dem Kopf zu sichern nach dem unsteten Leben der Nachkriegsjahre.
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Wir würden ferner sehr gern eine schnelle Verabschiedung unseres Antrages zur Kinderbeihilfe sehen, der die Sicherung des Kindes, des Jugendlichen und seiner Familie erstrebt.
({4})
Meine Damen und Herren! Die Anziehungskraft eines demokratischen Staates, der seinen Bürgern
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und seiner Jugend nicht das Blendwerk der Massenaufmärsche mit Fackeln und Fanfaren anbieten will, um sie so geräuschloser um ihre Freiheit und in Zwangsarbeitsläger und KZ's zu bringen, - die Anziehungskraft dieses Staates besteht in der Sicherung der sozialen Existenz seiner Bürger und vor allem seiner jungen Bürger.
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Sichtbare ernste Bemühungen auf diesem Gebiet würden das Vertrauen zum heutigen Staat ganz außerordentlich stärken.
Wir bemängeln in diesem Zusammenhang weiter, daß noch immer nicht ein einheitliches fortschrittliches Jugendarbeitsschutzgesetz vorgelegt worden ist, das die Arbeitskraft der Jugendlichen fördert und schützt. Hierin sehen wir einen sehr schweren Mangel der jetzigen Staatsführung, der jedoch, meine Damen und Herren, sich nicht nur auf jugendpolitisches Gebiet begrenzt, sondern im gesamten Raum der Sozialpolitik besteht.
In Anbetracht der bedrohlichen Nachbarschaft und der Ausbreitungstendenzen des Bolschewismus bitte ich Sie auch heute wieder, sich der vollen Tragweite einer unsozialen Politik bewußt zu sein. Von der Sozialdemokratie ist sehr oft darauf hingewiesen worden, daß das beste Bollwerk gegen den Totalitarismus faschistischer und bolschewistischer Prägung der soziale Staat, die soziale Demokratie ist. Das gilt auch besonders für die Lage der Jugend. Wir bitten deshalb noch einmal um einen genauen Bericht über die getroffenen Maßnahmen in dieser Beziehung.
In diesem Zusammenhang erkläre ich für meine Fraktion, daß die Punkte 4 und 5 des FDP-Antrages Nr. 1030 von uns entschieden abgelehnt werden.
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Zum Punkt 4: Die Landarbeit muß im Rahmen eines ordentlichen Arbeitsverhältnisses gemacht werden. Das Ernährungs- und Landwirtschaftsministerium muß sich zusammen mit den Bauernorganisationen einmal genau überlegen, wie man den ländlichen Beruf anziehender macht.
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Denn darauf kommt es ja doch wohl an. Landflucht und das Widerstreben, eine Landarbeit anzunehmen, haben nicht zuletzt ihre Ursache in der schlechten Unterbringung der Hilfskräfte und in den schlechten Arbeitsbedingungen.
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Dazu kommt, daß man sich in dörflichen Gemeindeverwaltungen noch immer nur sehr wenig darum bemüht, den gesteigerten kulturellen Ansprüchen auch der Landjugend etwas entgegenzukommen.
({10})
Hier liegt eine sehr dankenswerte Aufgabe für die Organisationen und die Selbstverwaltungskörperschaften.
Der Arbeitsdienst, meine Damen und Herren, der in Punkt 5 des FDP-Antrages noch schamhaft als „freiwillig" bezeichnet worden ist, der in einer Gesetzesvorlage der gleichen Partei vom 7. Juni im niedersächsischen Landtag aber schon unverhohlen ein Zwangsarbeitsdienst ist
({11})
und dem man den Pferdefuß des Reichsarbeitsdienstes der Nazizeit schon ansieht, wird schärfstens von uns bekämpft.
({12})
Wir sind sicher, daß wir die überwiegende Zustimmung der deutschen Jungen und Mädel finden.
Wir brauchen keine Notstandsarbeit, sondern echte Berufsausbildung. Wir brauchen echte Arbeitsplätze im Rahmen eines durchgreifenden Arbeitsbeschaffungsprogramms für unsere Achtzehn- bis Fünfundzwanzigjährigen, damit sie ihr erlerntes Wissen weiterverwerten und sich vor allem ein Fundament für die Schaffung einer Familie bauen können.
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Sie sollen nicht wieder mit geschultertem Spaten in Reih und Glied marschieren.
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Die glatte Ablehnung dieser Art des Arbeitsdienstes hat jedoch nichts mit den Fürsorgemaßnahmen zu tun, die teilweise als Jugendaufbauwerk bezeichnet werden und die die entwurzelte und schon sozial gefährdete Jugend in der Nachkriegszeit in Aufnahmeheimen zusammenfaßten, ihnen dort ein neues Zuhause schafften und ihnen nach seelischer und körperlicher Gesundung dann Arbeits- und Lehrstellen zu vermitteln versuchten. Das ist eine soziale Tat, die unsere volle Unterstützung findet. Bei aller Förderung der ideellen Werte der Jugendarbeit erwarten wir nach wie vor die größten finanziellen Anstrengungen durch den Staat für eine gute, familienähnliche Unterbringung der Kinder und Jugendlichen, die an den Geschehnissen der letzten Jahrzehnte am schuldlosesten sind, ihre Eltern und Heimat verloren haben und Störungen erlitten, deren Auswirkungen erst in späteren Jahren sichtbar sein werden. Sichern wir der Jugend ein häusliches und ein Familienleben, eine Arbeits- und Berufsmöglichkeit! Aktivieren wir ihren Wissensdurst und ihre Lernfreude, die jeder junge Mensch hat! Der moderne Berufs- und Schulunterricht, der aufgeschlossene, gemeinschaftsfördernde Erzieher, die gut geleitete Volkshochschule, die in ein System von Heimvolkshochschulen, ähnlich wie es in Schweden und Dänemark ist, einmünden kann und die vor allen Dingen auch den Wissensdurst der Land- und Stadtjugend zu befriedigen vermag, dazu ein Ausbau der anregenden und fördernden Tätigkeit der Landesjugendämter für die Jugend, die noch nicht zu einer Organisation gestoßen ist, mit dem Ziel der Persönlichkeitsbildung werden, meine Damen und Herren, den jugendlichen Nachwuchs bilden, der nötig ist, um einen demokratischen und freiheitlichen Staat mit Leben zu erfüllen. Alles, was wir in dieser sicher sehr harten und sehr sorgenvollen Zeit an der Jugend unterlassen, wird das spätere staatliche Leben vervielfacht belasten.
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Neben diesen Maßnahmen fordern wir, daß in allen Schulen und Universitäten die Soziallehre ein Lehrfach wird, ein Pflichtfach werden muß, damit auch von hier aus das Bewußtsein staatsbürgerlicher Notwendigkeiten und gesellschaftlicher Verpflichtungen vertieft wird. Die Demokratie und die Selbstverwaltung, meine Damen und Herren, kann in allen Altersstufen gelebt und auch gelehrt werden. Ich möchte Sie an die Stabilität der politischen Verhältnisse in den nordischen Staaten, in Amerika und England erinnern, die ihre Ursache nicht zuletzt darin hat, daß das demokratische Bewußtsein ihrer Bürger bei ihnen ständig geschult und erhalten wird. Auch unsere Jungen und Mädel müssen erfahren, daß es ohne Pflichten keine Rechte gibt. Sie müssen sie üben lernen. Aber eine gesunde junge Generation ist immer bereit, Pflichten, die ihrem Alter angemessen sind, zu erfüllen. Wir Erwachsenen müssen der Jugend wieder das Gefühl geben, nicht Untertanen, sondern Bürger ihres Staates zu sein,
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an dessen Ausgestaltung sie mitwirken soll. Deshalb begrüßen wir auch die Bemühungen um die Annäherung der Staats- und Kommunaiverwaltungen an die Jugend, wie sie sich etwa im Städtetag dokumentiert hat, oder wie es in meiner Stadt, in Hamburg, geschieht, wo in einer Woche durch Öffnung aller Jugend-, Schul- und Kultureinrichtungen das Leben der hamburgischen Jugend und ihre Betreuung für die hamburgischen Bürger sichtbar gemacht wird.
Meine Damen und Herren! Die Jugend ist heute zweifellos ökonomisch, soziologisch und psychisch in einer so andersartigen Situation, daß es nötig ist, auf der Bundesebene eine leistungsfähige Zentral-
und Forschungsanstalt für Jugendfragen auf zubauen. Diese muß mit den modernen wissenschaftlichen Methoden, in Zusammenarbeit auch mit der ausländischen Wissenschaft, die während unserer Abgeschlossenheit im Hitler-Reich zu sehr wichtigen Erkenntnissen gekommen ist, die auftretenden Jugendprobleme gründlich studieren und sie vor allen Dingen auch für die Praxis auswerten. Sie müßte eine Koordinierungsstelle werden und zugleich anregend für die Länderjugendarbeit sein. Sie muß der Gesprächspartner für die Bundesjugendorganisationen, für die internationalen Einrichtungen werden, wie es zum Beispiel die UNESCO ist. Alle diese Dinge können heute noch nicht gemacht werden. Wir werden einen entsprechenden Antrag in Kürze nachreichen.
In Anbetracht des Umfangs der Aufgaben auf jugendpolitischem Gebiet, denen wir uns nicht entziehen können und nicht entziehen wollen, wenn unsere Jugend nicht in Passivität und Resignation zurückfallen soll - ich führte es bereits an anderer Stelle aus -, was zu einer Bedrohung der Entwicklung unseres Staates führen würde, fordern wir einen außergewöhnlichen Anruf an alle verantwortungsfreudigen und gutwilligen Deutschen. Im Namen meiner Fraktion mache ich Ihnen den Vorschlag, einen „Jugendgroschen" einzuführen, der freiwillig, vielleicht durch Aufkleben einer kleinen Marke auf Theater- und Kinokarten, bei Sport- und sonstigen geselligen Veranstaltungen, auf Wettscheinen usw., entrichtet wird. Viele Deutsche, die dazu noch in der Lage sind und denen die Sache der Jugend am Herzen liegt, werden bereit sein zu helfen. Dieser „Jugendgroschen" soll helfen, an den vielen Aufgaben, die vor uns liegen, etwas mitzutun. Gerade unsere Erwachsenengeneration ist es unserem Nachwuchs schuldig.
Wir schlagen die Verwaltung eines solchen „Jugendgroschens" in Form einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft vor, deren Zweckbestimmung und Zusammensetzung einer näheren Auseinandersetzung unterliegen müßte. Dieser „Jugendgroschen" soll kein Bettelgroschen sein. Reichere Länder wie die Schweiz und Schweden führen ähnliche Aktionen seit Jahren durch, und zwar manchmal in Form einer Sonderbriefmarke oder, wie in Schweden, in Form der Solsticka, der Sonnenhölzchen, als einer ständigen Einrichtung. Es sind Streichholzpäckchen, die bebildert sind, mit einem Aufschlag verkauft werden und deren Erträge für Jugend- und Kindereinrichtungen zusätzlicher Art verwendet werden. Der Jugendgroschen soll Ausdruck der Fürsorge sein und vor allen Dingen Ausdruck der Zusammengehörigkeit zwischen den erwachsenen und den jungen Bürgern unseres Landes. Ich glaube, das werden auch die Jungen verstehen, denen wir helfen wollen und von denen wir hoffen, daß sie einmal
die freiheitsbewußten Träger eines demokratischen und sozialen Staates werden.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß. 8 Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Uns liegt der Antrag Drucksache Nr. 1030 - Programm für die Betreuung der deutschen Jugend - vor. Dieses Programm enthält eine Reihe von Punkten, die sich auf verschiedene Gebiete erstrecken: wirtschaftliche, soziale, kulturelle, sportliche, ethische und auch - im guten Sinne des Wortes gesagt - politische. Seit der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge im Bundestag die Arbeit im September letzten Jahres aufgenommen hat, hat er, vielleicht sogar in formellem Verstoß gegen die Geschäftsordnung - weil ihm keine Drucksache dieser Art überwiesen worden war -, begonnen, sich über die Frage der Berufsnot und der Heimatlosigkeit großer Teile unserer Jugend zu unterhalten. Gegen Ende des letzten Jahres kam der sozialdemokratische Antrag hinzu, in dem die Bundesregierung ersucht wird, ein Programm auszuarbeiten, damit Sofortmaßnahmen zur Regelung dieser Fragen ergriffen werden können. Der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge hat sich dann eingehend mit diesen Fragen befaßt und ein umfangreiches Programm ausgearbeitet, das im Plenum unverändert und beinahe einstimmig angenommen wurde. In diesem Programm wurde die Bundesregierung ersucht, nach den dort niedergelegten Punkten Maßnahmen auszuarbeiten und in die Wiklichkeit umzusetzen, die das ja von verschiedenen Seiten her außerordentlich schwierige Problem der Berufsnot, der Ausbildungsnot und zum Teil auch noch der Heimatlosigkeit der Jugend angreifen sollten.
In der Zwischenzeit haben eine Reihe von Besprechungen zwischen den beteiligten Ministerien - zum Teil auch unter Hinzuziehung meiner Person in der Eigenschaft als Vorsitzender des Jugendfürsorgeausschusses - über diese Fragen stattgefunden. Der Herr Bundesinnenminister hat heute vorläufig abschließend das Ergebnis bekanntgegeben, wonach die Bundesregierung, um diese Fragen zu lösen, umfangreiche Maßnahmen ausgearbeitet hat, die jetzt kurz davor sind, praktisch in Angriff genommen und realisiert zu werden.
Ich möchte dabei von Anfang an gleich einer Bitte, die mir angebracht erscheint, um vielleicht später Anfragen oder Interpellationen oder Spannungen und Schwierigkeiten zu vermeiden, lebhaften Ausdruck geben, nämlich der, daß dieses Programm der Bundesregierung - ob es nun Bundesjugendwerk heißt oder einen anderen Namen erhält; vielleicht ist an eine Stiftungsurkunde gedacht, die vom Bundespräsidenten unterzeichnet wird, die Einzelheiten stehen wohl immer noch nicht fest -, bevor eine definitive Entscheidung fällt, möglichst im Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge kurz durchgesprochen wird und die Regierung dort über diese geplanten Maßnahmen Bericht erstattet, damit in diesen Fragen eine Übereinstimmung zwischen Bundesregierung und Bundestag erzielt wird. Dabei gebe ich mich, nachdem die Arbeiten im Bundestagsausschuß für Fragen der Jugendfürsorge immer ziemlich einmütig verlaufen sind, dem optimistischen und durchaus berechtigten Glauben hin, daß das Programm der Bundesregierung auch dort seine Billigung erhalten wird. Es soll hier selbstverständlich nicht eine Verwischung der Aufgaben der Exekutive und der Legislative stattfinden; aber das
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Programm der Bundesregierung wird durch eine parlamentarische Untermauerung eine um so breitere Basis haben. Es soll dabei selbstverständlich keine zeitliche Verzögerung eintreten, weil mit diesen Maßnahmen noch im Laufe dieses Sommers und im Laufe des Herbstes begonnen werden muß, damit sie eine fühlbare Entlastung auf diesen Gebieten bringen.
Wir dürfen mit Befriedigung feststellen, daß die Bundesregierung, das Innen-, das Wirtschafts- und das Arbeitsministerium - sogar mit dem Segen des Herrn Finanzministers, der in diesen Zeiten immer besonders schwer zu erreichen ist, was in keiner Weise einen Vorwurf, sondern eine Selbstverständlichkeit darstellt - die Arbeit aufgenommen und zugesagt haben, immerhin erhebliche finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, um wirkliche Lösungen zu schaffen; nicht Kunstlösungen, die nur eine Verzögerung der Lösung des Problems, aber keine wirkliche Lösung dieser ganzen Frage bedeuten würden.
Wir haben es auch begrüßt, daß hier das Innenministerium federführend mit Unterstützung der anderen Ministerien vorangegangen ist und die Anregungen, die ihm von der Seite des Bundestages zugegangen sind, aufgegriffen und in einer wirklich positiven Weise verwertet hat.
Wenn wir uns hier über ein Programm für die Betreuung der deutschen Jugend zu unterhalten haben, so müssen wir, ohne auf die Einzelheiten dieses Programms einzugehen, auch eine ernste Frage anschneiden. Immer, wenn ein Staat versucht hat, die Staatsbevöikerung in den Dienst seines Machtgedankens zu stellen, wie es alle totalitären Staaten tun, hat an der Spitze das Bestreben gestanden, die Jugend zu gewinnen. „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft!" Wir kennen all diese Aussprüche, die gefallen sind, die aber heute nicht etwa der Vergangenheit angehören, sondern die in nicht allzu großer Entfernung von uns in einer zum Teil noch geschickteren Form, als die Vorbilder sie hatten, heute wieder nachgeahmt werden, und - worüber wir uns keinem Zweifel hingeben dürfen - nicht ohne Erfolg nachgeahmt werden. Jede Unterschätzung dieser Bestrebungen, alle Erwartungen, daß etwa die Jugend heute, zum Beispiel in der Ostzone, infolge der Erfahrungen der Vergangenheit gegen solche Versuche immun ist, sind nicht am Platze. Ich glaube, in diesem Sinne hat man auch in der Bundesrepublik die Ergebnisse, die Auswirkungen des Berliner Pfingsttreffens der Freien Deutschen Jugend etwas bagatellisiert. So lagen die Dinge nicht. Wenn auch einige Jugendliche nach Westberlin herübergekommen sind, um Coca Cola, Kaugummi und andere Erzeugnisse zu bewundern oder zu sich zu nehmen, irgendwie lösen diese Massenereignisse immer eine Art Sog aus. Die Jugend ist in einem bestimmten Alter für solche Massenereignisse empfänglich, wenn ihr nicht eine andere Grundlage, demokratische Grundwerte und eine feste Haltung für das Leben mit auf den Weg gegeben werden. Wir, die wir glauben, die Lage der Jugend heute einigermaßen zu überblicken - ohne unbescheiden zu sein -, haben diese Ereignisse nicht unterschätzt, sondern im Gegensatz zu mancher Presseberichterstattung sehr, sehr ernst genommen. Wir wissen, was wir dem entgegensetzen müssen.
Es handelt sich hier, primitiv gesprochen, um die Frage: Wird die Jugend trotz der Schwierigkeiten - um mich vorsichtig auszudrücken -, die auf diesem Gebiet bestehen, heute für die Grundsätze und für die Grundelemente der Demokratie in all ihren Ausprägungsmöglichkeiten gewonnen? Oder
geht die Jugend infolge gewisser Erscheinungen in der Demokratie, infolge mancher ungünstiger Bilder und Nachteile, die die Demokratie im Vergleich zu der rascheren Arbeitsweise totalitärer Staaten zu haben scheint, wieder andere Wege? Sind Menschen am Werke, die in der Lage sind, die Jugend auf diese anderen Wege zu führen, auf denen wir sie nicht haben wollen? Das alte Ringen um die Seele, die Haltung, die Zukunft und den Weg unserer Jugend hat begonnen. Es ist der Weg zur Demokratie oder zur Diktatur.
Wir dürfen uns keinem Zweifel darüber hingeben, daß es nicht allein darum geht, Programme und Grundsätze aufzustellen und der Jugend demokratische Weisheiten oder demokratische Tugenden zu predigen. Es handelt sich vielmehr darum, etwas zu tun, was die Diktaturen aller Generationen immer verstanden haben, was in den zwölf Jahren der Fall war, was heute in der Ostzone in noch wesentlich größerem Maße der Fall ist, nämlich Geld für die Lösung der wirtschaftlichen, sozialen, moralischen und politischen Probleme unserer Jugend aufzuwenden. Es ist kein Zufall, daß, wenn ich recht unterrichtet bin, allein in dem Haushalt der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik ein Gesamtbetrag von 46 Millionen Ostmark für die Durchführung der Aufgaben der dort wohl zur Staatsjugend erhobenen Freien Deutschen Jugend aufgewendet wird. Wenn auch das Geld nicht das alleinige Mittel sein kann, so werden wir doch ohne die finanziellen Unterstützungen nichts erreichen können. Das Geld ist eine notwendige Voraussetzung für die Maßnahmen, die wir für unerläßlich erachten, die auch im Bundesjugendwerk - wenn der Titel so heißen sollte - vorgesehen sind. Wir dürfen uns nicht zum Vorwurf machen lassen, wiederum ein Versäumnis zu begehen oder begangen zu haben, das schon einmal begangen worden ist. Es ist zu spät, für die Heilung der Jugend oder für nachgehende Fürsorge und Betreuung, ganz gleich in welcher Form sie erfolgt, große Geldmittel aufzuwenden, wenn man vorher nicht den Mut gehabt hat, rechtzeitig das Geld aufzubringen, um vorzubeugen und konstruktive Lösungen zu schaffen. Man kann sogar glauben und sich der Hof fnung hingeben, daß dann weniger finanzielle Mittel benötigt werden als später, wenn es um die Heilung geht. Diese gestaltet sich ohne Zweifel in moralischer wie finanzieller Hinsicht - in politischer Hinsicht wissen wir es sowieso - wesentlich kostspieliger.
Der Lösung all der Nöte unserer Jugend von heute soll ja auch dieses Programm - Drucksache Nr. 1030 - dienen. Die Frage ist nicht von einem Gebiet umschlossen oder erledigt. Es ist ebenso eine wirtschaftliche, eine soziale, eine politische, eine kulturelle und eine ethische Frage. Dahinter steht immer der große Komplex: Wird die Jugend für die Demokratie gewonnen, wächst sie als Nachwuchs, als zukünftiger Träger eines mit allen echten demokratischen Elementen ausgestatteten Staates hinein, oder steht die Jugend zunächst indifferent, lethargisch, später sogar sehr leicht feindselig oder umsturzbereit dem Staat gegenüber, der es nicht fertiggebracht hat, ihre Fragen, und zwar die allernächstliegenden Fragen, zu lösen. Davor stehen wir. Das ist die Aufgabe, und dieser Aufgabe müssen wir gerecht werden.
Meine sehr verehrten Anwesenden! Wenn wir heute von einem Programm sprechen, das auf Bundesebene behandelt wird, so wollen wir doch keinen Zweifel darüber lassen, daß wie alles versuchen werden, keine Reichsjugendführung - was mit diesem Antrag nicht gemeint sein und wozu er mißdeu({1})
tet werden kann - wieder aufleben zu lassen, bei der nicht allein vom staatspolitischen Gesichtspunkt aus, sondern auch vom allgemeinpolitischen Gesichtspunkt eine Reihe von Gefahren auftauchen würde. Wir brauchen keine Reichsjugendführung mehr und wir wollen keine Reichsjugendführung mehr!
Wir wollen auch gar nicht haben, daß dem Staat die Jugend für bestimmte politische Zwecke, die er verfolgt, dienstbar gemacht wird. Das Verhältnis liegt, wie mein Vorredner sagte, in dem Falle ganz anders. Der Staat hat für das Volk und hier im besonderen Maße für die Jugend da zu sein. Wenn dies der Fall ist, wird auch die Jugend bereit sein, diesen Staat einmal so zu tragen, daß manche Erscheinungen, die heute noch möglich sind, in einer reiferen politischen Generation nicht mehr möglich sein werden. Wir brauchen keine Reichsjugendführung mehr, wir brauchen keine Staatsjugend mehr, denn diesen wahnsinnigen Weg in die Katastrophe, den man heute anderswo wieder beschreitet, lehnen wir mit allem Nachdruck ab.
Es geht hier nicht allein darum, daß heute die nichtorganisierte Jugend in irgendeiner Form betreut wird, ganz gleich wie die Vorschläge dazu lauten, sondern es geht darum, daß diese nichtorganisierte, heute sich noch im freien Raum der Jugend befindende Generation an die bereits bestehenden großen demokratischen Jugendverbände herangeführt und für diese gewonnen wird, ob das katholische Jugend, evangelische Jugend, Pfadfinder, Falken oder andere Organisationen sind, die heute bereits Träger von solchen Jugendaufbauwerken geworden sind und die in sich auch die Möglichkeit und die Kräfte haben, um die Jugend, wenn sie richtig unterstützt wird, der Entwicklung zuzuführen, die wir wünschen. Auch auf diesem Wege müssen die staatlichen Maßnahmen auf der Ebene der Länder und auf der Ebene des Bundes einen Beitrag leisten, denn in diesen Jugendverbänden, ganz gleich wie ihr Name ist, wird immerhin ein Stück Arbeit geleistet, das ein wertvolles Stück Erziehung der Jugend hin zu einem demokratischen Staat, zu einem gesunden, vernünftigen und sozialen Wirtschaftssystem darstellt. Bei diesem Programm gehen wir von vornherein davon aus, daß diese Drucksache dem Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge und dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung - dem ersteren federführend - überwiesen wird.
Ich wollte im einzelnen zu diesen Punkten nicht in weitläufiger Weise Stellung nehmen. Ich nehme auch an, daß die Kollegen von der SPD die Vorschläge, die sie heute bei der Debatte nach Einbringung des Antrages gemacht haben, im Ausschuß einbringen werden, um sie gründlich beraten und mit einarbeiten zu können. Man kann ohne weiteres, wenn man die Ziele zugrunde legt, die mit dem Antrag gemeint sind, die Punkte 1, 2 und 3, wenn sie in richtiger Form durchgeführt werden und nicht eine Art Bundesmonopol auf der einen Seite oder eine Reichsjugendführung staatlicher oder verbandlicher Art auf der anderen Seite geschaffen wird, begrüßen. Man wird sich im Ausschuß darüber unterhalten, wie das in der Praxis durchgeführt werden kann, ohne daß unsere staatspolitischen Grundsätze auf der einen Seite und die Notwendigkeiten der Jugendlage auf der anderen Seite vernachlässigt werden. Man wird sich sehr sorgfältig über die Punkte 4 und 5 zu unterhalten haben. So begrüßenswert auf der einen Seite die Gewinnung von Landarbeitern aus der jüngeren Generation ist, so notwendig es auf der anderen Seite ist, daß die Jugend
bei uns auch an die Landarbeit herangeführt wird, um einmal die wirtschaftlichen und auch die biologischen Grundlagen unseres Lebens zu sehen und um den Wert der bäuerlichen Arbeit kennenzulernen, so ist doch damit noch keine echte Lösung der eigentlichen Frage erzielt, die darin besteht: Wie kann man ganze Generationen von Landarbeitern durch Gewinnung der Jugend erreichen? Hier geht es aber darum, eine echte Sozialpolitik auf dem Lande zu schaffen, die nicht ohne staatliche Unterstützung eingeleitet werden kann, eine echte Sozialpolitik, auch mit menschlichen und beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten, und nicht allein darum, die Jugend vielleicht ein Jahr im Landdienst zu beschäftigen und sie dann, ohne daß sie einen Schritt weiter ist, wieder berufslos dem wirtschaftlich heute sehr harten Leben gegenüberzustellen.
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Was den Punkt 5 anlangt, die Schaffung von Möglichkeiten für einen freiwilligen Jugendhilfsdienst, so ist vorhin von dem Gesetz, das in Niedersachsen eingereicht wurde und hart an einen echten Arbeitsdienst im alten Sinne des Wortes heranreicht, gesprochen worden. Ich kenne es nicht und kann es hier nicht nachweisen. Wir haben Entwicklungen dieser Art in Schleswig-Holstein. Darf ich mir dazu ein offenes Wort erlauben. Es geht bei diesen Bestrebungen nicht darum, die alte Führergarnitur des Reichsarbeitsdienstes in ihrem liebgewordenen Beruf unterzubringen,
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sondern es handelt sich allein darum, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, um die Jugend in einen Beruf für das Leben hineinzuführen, denn der Beruf ist das Rückgrat des Lebens. Wenn Sie die Jugendlichen-Kriminalitätslisten durchsehen, dann werden Sie feststellen, daß der größte Prozentsatz der Delinquentenquote aus Menschen besteht, die kein Rückgrat für das Leben durch einen echten Beruf erhalten haben. Wo die Möglichkeiten der Wirtschaft allein nicht ausreichen, muß der Staat subsidiär in Erscheinung treten. Das soll nicht durch eine zentrale Diktatur von oben geschehen. Soweit ich von Programmen des Bundeswirtschaftsministers gehört habe, wird man dort sehr intensiv und mit nicht unerheblichen Mitteln nunmehr durch echte Investitionskredite für die Beschäftigung Jugendlicher eine Ausweitung der Arbeitskapazität für Jugendliche vornehmen. Darauf legen wir Wert, echte Arbeitsplätze zu schaffen und nicht das Problem zu verzögern und zu verschleppen. Frau Kollegin Keilhack hat vollkommen recht: die Jugend wird erst dann für den Staat gewonnen werden, wenn der Staat ihre wirtschaftlichen und sozialen Probleme löst. Darüber sind wir uns alle einig. Wir können aber auf diesem Gebiet nicht so verfahren, wie es vielleicht bei etwas primitiver Vorstellung manchmal geprägt wird.
Es ist ein schwerer Weg, der zu gehen ist. Es sind bereits Fortschritte auf diesem Wege erzielt worden. An seinem Ende steht eine wirtschaftlich ungeheuer notwendige Maßnahme vor uns, nämlich den Strukturwandel, den heute unsere Wirtschaft durchmacht, so zu lösen bzw. durchzuführen, daß dann, wenn unsere industrielle, wirtschaftliche und gewerbliche Kapazität weit genug ist, um all die zugewanderten Millionen Menschen aufzunehmen, nicht ein Mangel an ausgebildeten Arbeitern herrscht, sondern bis dahin eine Generation in die Wirtschaft nachgewachsen ist, die positiv zum Staate steht und die im Wirtschaftsleben ihren Mann stellt.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Farke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der FDP, der ein Programm für die Betreuung der deutschen Jugend fordert, verlangt in 8 von 10 Punkten staatspolitische und kulturelle Maßnahmen für die wirtschaftlich gesicherte Jugend. Wir sind mit diesen Forderungen natürlich einverstanden, halten aber die Punkte 4 und 5, die einen freiwilligen Landdienst und einen Jugendhilfsdienst vorsehen, für die einzigen, die das entscheidende Problem, nämlich das Problem der wirtschaftlich nicht gesicherten Jugend, ansprechen. 500 000 junge Menschen sind ohne Beruf. Die geburtsstarken Jahrgänge bis 1954 werden diese Zahl um 300 000, die mehr aus der Schule zur Entlassung kommen, höchstwahrscheinlich vermehren. Sie rufen nach Organisationen, die sie aufzunehmen vermögen, zu ernster Arbeit führen, sie seelisch pflegen und beruflich fortbilden. Die Gemeinden und Städte, ganze Landstriche und weite Küstengebiete stehen angesichts des eng gewordenen Lebensraumes unter dem Druck dringend erwünschter Arbeiten, deren Ausführung auf normalem wirtschaftlichem Wege einfach nicht möglich ist.
Ein Arbeitsdienst, wie er in der vornationalsozialistischen Zeit bestand, käme für die zu lösenden Probleme nicht in Betracht, da seine Verwirklichung in den Bemühungen, die Arbeitslosigkeit zu verringern, nur ein Notbehelf wäre. Ein Pflichtdienst unter einem Stammpersonal, das nur auf Haltung und militärische Ordnung sieht, nicht aber auf Sinn und Zweck der Arbeit, ist ebenfalls unmöglich. Auch das Jugendaufbauwerk genügt nicht. Aber ein freiwilliger Jugenddienst könnte durch die Einschaltung weiter- Kreise und die Mitarbeit angesehener Persönlichkeiten, durch eine gute Auswahl der Arbeiten sowie durch die Übertragung weiterer wertvoller und passender Aufgaben sowie durch gewisse, den Freiwilligen für ihre Dienstleistungen einzuräumende Vorteile eine Lösung bedeuten.
Dieser freiwillige Jugenddienst müßte in fachlicher Hinsicht vielfältig gestaltet sein, so daß in ihm alle Jugendlichen im Falle unfreiwilliger Stellungslosigkeit eine Zuflucht finden, die ihnen die Sorgen abnähme und dazu noch Vorteile böte. Bei sinnvoller Auswahl der Arbeiten könnte in den Jugendlichen die Überzeugung geweckt werden, daß sie in diesem Dienst ihre Gegenwart und ihre eigene Zukunft sicherstellen und durch ihre Ertüchtigung eine ausreichende krisenfeste Versorgung im Alter erreichen würden. Dieser freiwillige Dienst müßte einen organischen Bestandteil der bestehenden Wirtschaftsordnung bilden. Besorgnisse um ausreichende Arbeitsgelegenheiten für einen solchen Dienst könnten kaum bestehen, da die Auswahl der einzelnen Vorhaben nicht mehr an die Voraussetzungen eines eng begrenzten Begriffes der „Zusätzlichkeit" gebunden ist. Dieser freiwillige Dienst würde die bisher für das Jugendaufbauwerk ausgewählten Arbeiten zu übernehmen haben und sie weiter fortentwickeln.
Wir würden es also als wünschenswert ansehen, daß der Antrag der FDP Maßnahmen auslöst, die vor allem das Problem der Jugendarbeitslosigkeit und Berufsnot der Jugend in der Form eines Jugenddienstes meistern.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Meine Herren und Damen! Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung. Falls Sie wieder einmal mit meiner Auffassung nicht einverstanden sein sollten, so berücksichtigen Sie doch bitte, daß es mir nicht sehr liegt, Ihre hier einige Male veranstalteten Tumultszenen zu übertönen.
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Nun zu dem Antrag der FDP-Fraktion. In diesem Hause ist schon sehr viel über die Not der Jugend, ebensoviel aber über Empfehlungen, Hilfe, Hilfsmaßnahmen und auch Programme geredet worden. Leider blieb es bisher bei diesem Reden, aber die Not der Jugend wird dabei immer größer. Diese bewußt geschaffene Ausweglosigkeit, vor der wir in Westdeutschland stehen, ist für die jungen Menschen natürlich der Nährboden, der die Vorbereitungen, die Jugend für einen Krieg reif zu machen, sehr begünstigt.
({1})
Ganz folgerichtig wird nun auch mit dem hier vorgelegten Antrag Drucksache Nr. 1030 - mögen einige Formulierungen auch noch so harmlos scheinen - die Bundesregierung aufgefordert, in einem Programm oder in einem Gesetzentwurf die ersten Maßnahmen zur Kasernierung der Jugend festzulegen.
({2})
Was können denn Punkt 4 und Punkt 5 anders bedeuten? Wenn ich hier von dem Herrn Antragsteller so einige Formulierungen höre wie „Landdienstmann" usw., dann weckt das sehr deutlich die Erinnerung an Angelegenheiten, die wir aus der nationalsozialistischen Zeit kennen. Das ist die einzige wirtschaftliche Hilfe, die Sie zu bieten haben, eine Hilfe, die nebenbei gesagt die Lösung des Landarbeiterproblems noch erschweren wird, weil sie dazu dienen soll, die Landarbeiterlöhne noch mehr zu drücken.
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Wie fing es denn 1931 an? - Genau so, wie Sie jetzt wieder beginnen. 1931 und 1932 führte dann zum Krieg 1939 und zum Zusammenbruch 1945. „Freiwillig" wurde auch damals die Jugend arbeitslos gemacht, „freiwillig" kam sie zum Landdienst, „freiwillig" kam sie zum Arbeitsdienst und „freiwillig" mußte sie dann auch in die Schützengräben, und mit ihrem Leben hat sie die gewissenlosen Versprechungen und die gewissenlose Rassen- und Völkerverhetzung bezahlen müssen. Das ist die Entwicklung, wie sie 1931 begonnen hat mit „freiwilligem" Arbeitsdienst und mit ähnlichen Maßnahmen, wie sie in Punkt 4, 5 und 6 dieses Antrags vorgesehen sind.
Der Herr Abgeordnete Strauß hat in seiner Darlegung der Verhältnisse in Westdeutschland und der Hilfsmaßnahmen, die man hier bis jetzt ergriffen hat, ganz eindeutig eine Bankrotterklärung abgegeben,
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eine Darlegung, daß sie wohl bereit und in der Lage sind, Paläste zu bauen - siehe Schaumburg-Palais und siehe die Regierungspaläste in Bonn -, daß Sie aber nicht bereit sind, die nötigen Geldmittel dafür zu geben, daß die wirtschaftliche und soziale Stellung der Jugend wirklich gebessert werden kann. Ich bin dem Herrn Abgeordneten Strauß sehr dankbar dafür, daß er die Ursache für die Begeisterung der vielen Jungen und Mädchen in Berlin einmal anders dargestellt hat, anders nämlich, als
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es einige andere Abgeordnete hier machen. Er sah die Ursache nicht in der „Organisierung" des gewaltigen Pfingsttreffens, er sah die Ursache in der tatsächlichen Hilfe, die dort der Jugend gegeben wird.
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Ich brauche dem nicht mehr viel hinzuzufügen, möchte nur eins sagen: Solange Sie nicht in der Lage sind, so wie in der Deutschen Demokratischen Republik eine wirkliche Schulreform durchzuführen, der Jugend Entwicklungs- und Bildungsmöglichkeiten zu geben, der Jugend einen Lebensberuf und auch die Arbeitsmöglichkeit zu sichern,
({7}) mögen Sie noch so viel sagen: „Wer die Jugend hat, hat die Zukunft!", mit Ihren Maßnahmen werden Sie sie niemals bekommen.
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Die Deutsche Demokratische Republik braucht um
die Zukunft nicht besorgt zu sein, denn dort bauen
die Jugendlichen bereits an ihrer eigenen Zukunft.
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- Nein! Ich möchte Ihnen aber dazu einmal etwas sagen: Ich habe auch in der Zeit des Nationalsozialismus hier den Kampf geführt, und ich denke, jetzt den Kampf um die Besserung der Verhältnisse in Westdeutschland ebenfalls hier zu führen.
({10})
Nun etwas zu den einzelnen Punkten des Antrags. Sie sprechen in Punkt 1 über die Durchführung gesamtdeutscher Veranstaltungen. Das Pfingsttreffen ist hier schon besprochen worden, und wir möchten Ihnen sagen: Das war eine gesamtdeutsche Veranstaltung,
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aber da haben auf Befehl der Hohen Kommissare westdeutsche Regierungsstellen Polizei mit Knüppeln und Hunden auf die jungen Menschen gehetzt, auf die jungen Menschen, die auch zu Ihnen gehören, die einmal objektiv prüfen wollten, was ihnen das Pfingsttreffen wirklich zu sagen hatte.
({12}) Hier wurde gewünscht, daß man Anregungen zu diesem Antrag geben solle. Wir geben Ihnen eine Anregung und machen einen Vorschlag gerade zu Punkt 1. Das Komitee der jungen Friedenskämpfer hat zu einem gesamtdeutschen Friedenstreffen aufgerufen.
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Wir schlagen Ihnen vor: Unterstützen Sie dieses Treffen, dann haben Sie die große, gewaltige gesamtdeutsche Veranstaltung!
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Die Punkte 2 und 3 müssen mit großem Mißtrauen betrachtet werden, gerade weil sie von Ihnen, meine Herren dort drüben, kommen und gerade weil Sie sich dabei so sehr auf die Weimarer Republik berufen, die die meisten Ihrer Anhänger und auch Ihrer Kollegen zu der damaligen Zeit sehr, sehr bekämpft haben. Gerade darum sind wir der Auffassung, daß sich hinter diesen harmlosen Formulierungen die vormilitärische Ausbildung verbirgt. Man soll das nicht bagatellisieren, wie der Herr Antragsteller es hier getan hat, man sollte lieber die Sportorganisationen und alle Jugendorganisationen fördern und ihnen dabei jegliche Hilfe angedeihen lassen, damit die Aufgaben auf dieser Ebene auch wirklich durchgeführt werden können.
Zu den Punkten 4 und 5 hatte ich schon zu Anfang gesprochen. Nach unserer Auffassung laufen diese Vorschläge auf erste Maßnahmen zur Schaffung eines Arbeitsdienstes und zur Kasernierung hinaus. Diese Maßnahmen werden niemals dazu führen, den notwendigen Facharbeiternachwuchs zu erziehen, werden niemals den jungen Menschen einen Lebensberuf geben. Darum werden wir auch diese Punkte schärfstens ablehnen. Wir werden die Jugend Westdeutschlands darauf aufmerksam machen, was von gewissenlosen „Jugendvertretern" wieder für sie vorgesehen ist.
Von den übriger Punkten sagte ich bereits: sie sind das Beiwerk, um diesen Antrag harmlos erscheinen zu lassen. Wir werden im Ausschuß auch dazu Stellung nehmen und Abänderungsvorschläge machen.
Nun noch einige Ausführungen zu dem Punkt 7: Jugendaustausch mit allen demokratischen Ländern.
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Wir sind sehr damit einverstanden. Wir glauben aber, daß dazu auch gehört: im Sinne der Freundschaft mit allen Völkern der Welt. Nur so können Sie die Jugend wirklich zum Frieden erziehen. Zur Freundschaft mit allen Völkern der Welt aber gehört gerade in der jetzigen Situation auch die Freundschaft mit der Sowjetunion.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Decker. - 8 Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag stimmt uns in manchem sehr bedenklich. Punkt 1 z. B. sieht die Einführung eines Tages der deutschen Jugend vor. Für uns hat das, möchte ich sagen, einen gewissen Hautgout, denn damit wird ein Rückgriff auf Einrichtungen der Vergangenheit gemacht, ein Abklatsch von Früherem, ein Rückgriff, der wirklich, wie die Geschichte gezeigt hat, sehr gefährliche Tendenzen haben kann. Heute „Tag der deutschen Jugend", morgen „Tag der Wehrmacht". Heute wird noch gesungen „Ich hab mich ergeben"; übermorgen wird dann gesungen „Wir müssen marschieren, und wenn die Welt in Scherben fällt".
Die Betreuung der Jugend ist eine der verantwortungsvollsten, dringendsten und zukunftsträchtigsten Aufgaben, die vor uns liegen. Zu deren Lösung dürfen wir aber nicht zu einem Klischee greifen, das unter Umständen wieder zur Einführung einer „Staatsjugend" führt.
Der Antrag beschäftigt sich außerdem fast zum größten Teil mit der Freizeitgestaltung. Die Betreuung der Jugend muß aber doch bei einer solchen Not, wie sie heute besteht, von einer ganz anderen Seite her, vom Grundsätzlichen und Wesentlichen, aber nicht vom Spielerischen her erfolgen. Erst müssen wir der Jugend wieder das Elternhaus ganz und gar geben, das Elternhaus im besten Sinne, und dazu müssen die sozialen Voraussetzungen geschaffen werden.
Die Jugendfrage, die Betreuung der Jugend wird auf sozialem Gebiet gelöst, oder sie wird überhaupt nicht gelöst. Erst müssen gesunde Wohnungen geschaffen werden; eine Auflockerung der Flüchtlingsbelegung in den Gebieten, in denen sie zu dicht ist, ist erforderlich. Lehrstellen brauchen wir und vor allem Aussichten auf eine Zukunft der Jugend. Heute beschäftigt die Jugend bestimmt mehr als die Sorge um den Segelflug und den Amateurfunk die
({0})
Frage: Was wird aus mir, wenn ich die Schule verlasse? Diese Aufgaben müssen wir erst lösen. Für die anderen Aufgaben, die Betreuung der Freizeit, gibt es so viele Organisationen. Auch die Jugend selbst hat die Kraft, sich diese Organisationen zu schaffen. Die Kirchen haben sie unter anderen auch geschaffen. Hier gibt es Möglichkeiten genug, für Spiel und Lebensfreude der Jugend zu sorgen.
Im übrigen - der Herr Innenminister hat es schon betont - fallen diese Aufgaben in das Zuständigkeitsgebiet der Länder. Es ist vor allem Aufgabe der Kultusministerkonferenz, hier einzugreifen und hier Lösungen zu finden. Wir sehen in dem Antrag keinen Weg, der Jugend zu helfen. Er muß weitgehend überarbeitet werden, er muß umgestellt werden. Wir stellen daher den Antrag, diesen Antrag Nr. 1030 dem Ausschuß für Jugendfürsorge zu überweisen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ribbeheger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Abgeordneten Mende und Genossen ist insofern bedeutend, als man darin liest:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag baldmöglichst ein umfassendes Jugendprogramm für die staatspolitische, wirtschaftliche und kulturelle Betreuung der deutschen Jugend vorzulegen.
Unter diesem Aspekt gewinnen insbesondere die Punkte 4 und 5, die Schaffung von Möglichkeiten für einen freiwilligen Landdienst und für einen freiwilligen Jugendhilfsdienst besondere Bedeutung. Ich wundere mich sehr, daß es ausgerechnet der FDP vorbehalten gewesen ist, diesen Antrag so einzubringen. Ich möchte hier namens meiner Fraktion betonen, daß ich von vornherein jede Form von Maßnahmen kollektiver Natur ablehnen muß und ablehnen werde.
Wenn soeben von Herrn Mende davon gesprochen worden ist, daß die deutsche Jugend eine Gemeinschaft will, dann möchte ich zum Ausdruck bringen: wir wollen keine Gemeinschaft wieder errichten, die von etwas anderem als dem Individuum ausgeht. Wir wollen in unserer Jugend eine Gemeinschaft, die von dem Gedanken der Persönlichkeit getragen ist.
({0}) Wir wollen eine lebendige Wir-Gemeinschaft.
Ich bin der Auffassung, daß solche Vorschläge eine Kapitulation vor der Not unserer Jugend darstellen. Wenn man durch solche Anträge die Jugendnot beseitigen will, wird man an Glaubwürdigkeit verlieren. Ich erinnere daran, daß ein Teil der Punkte, die hier aufgeführt worden sind, bereits im Ausschuß für Jugendfürsorge und Jugendpflege erörtert worden ist. Ich wundere mich auch, daß die FDP einen solchen Antrag nicht damals im Jugendausschuß eingebracht hat.
Wir halten es für dringend erforderlich, daß die Bundesregierung nun in Bälde das Programm über die Maßnahmen vorlegt, die notwendig sind, um der Jugendnot zu steuern. Wenn davon gesprochen wird, daß z. B. im Landdienst Meliorationsarbeiten im Emsland durchgeführt werden sollen, so bin ich der Auffassung, daß Maßnahmen vorübergehender Natur nicht dazu angetan sind, der Jugendnot wirklich zu steuern, sondern daß man Arbeitsplätze schaffen
muß, die dem Jugendlichen nicht nur für eine kurze Zeit, sondern für die Dauer seines Lebens einen Beruf und eine Existenzsicherung bieten können.
Ich möchte zum Schluß kommen; meine kurze Redezeit ist bereits abgelaufen. Wir müssen im Ausschuß für Jugendfürsorge und Jugendpflege dieses Programm sehr intensiv durchberaten.
({1})
- Selbstverständlich, das wissen wir genau so gut wie Sie. Ich möchte hier nur von vornherein deutlich machen, daß wir diese Aufgabe unter einem bestimmten Aspekt sehen und nicht unter dem Motto, wie es hier durch die Präambel zum Ausdruck gekommen ist.
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Keine weiteren Wortmeldungen. Das Schlußwort hat der Abgeordnete Mende.
Mende ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf vielleicht gleich bei der Frage der Zuständigkeit beginnen. Hier haben wir bewußt von einem Programm für die deutsche Jugend und nicht für die bayrische, nordrhein-westfälische, hamburgische, bremische Jugend gesprochen; denn wir glauben, daß das Jugendproblem ein deutsches und letzten Endes ein europäisches, aber kein bayrisches Problem ist.
({1})
Sie machen uns nun den Vorwurf, daß wir damit gegen Art. 74 des Grundgesetzes verstoßen. Ich habe es Ihnen vorhin schon gesagt; wahrscheinlich waren Sie da nicht im Saal, Herr Kollege. Aber wenn Sie uns sagen, daß wir auf die Vergangenheit zurückgreifen, indem wir einen Tag der deutschen Jugend und nicht einen Tag der bayrischen Jugend fordern, Herr Kollege von der Bayernpartei: Wer greift wohl in seinem Konzept mehr zurück? Wer will wohl den Zustand des Rheinbundes vor anderthalb hundert Jahren restaurieren? Ich glaube also, mit dem Rückgriff sind Sie uns im Hinblick auf Ihr staatsrechtliches Konzept weit überlegen.
({2})
- In der Lautstärke, glaube ich, können wir uns messen, Herr Kollege!
({3})
Wenn Sie allerdings der Meinung sind, wir sollten einen Tag der bayrischen Jugend einführen - nun gut, Sie sollen ihn haben! Bitte, laden Sie uns aber, die Nichtbayern, dazu ein, damit wir der bayrischen Jugend sagen, daß es unmöglich ist, von Europa zu reden, Europa schaffen zu wollen und sich auf der unteren Ebene in föderalistisch überspitzten Länderegoismen zu zerreden.
({4})
Was die im niedersächsischen Landtag vorliegenden Entwürfe der Kollegen der dortigen FDP-Fraktion betrifft, so sollte man, glaube ich, hier keine Parallelen ziehen. Ich könnte Ihnen, Frau Kollegin Keilhack, sonst sagen, daß Ihr Oberbürgermeister Henßler auch anderer Meinung ist als Sie. Daraus ziehe ich noch lange nicht den Schluß, daß auch Sie über den Kollegen Henßler am Ende doch zu einem Arbeitsdienst kommen.
Die Frage der Ziffer 5! Außerordentliche Zeiten bedingen außerordentliche Maßnahmen. Wenn Herr Kollege Ribbeheger meint, diese Maßnahmen würden zum Kollektivismus führen, und uns unterstellt,
daß wir das wollten - Herr Kollege Ribbeheger, ich wage nicht die Frage aufzuwerfen, wo vielleicht die individuelle Unabhängigkeit größer wäre, ob bei uns, der liberalen Partei, oder bei Ihnen, dem Zentrum.
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Also hier sollte man nicht diese Simplifikationen, dieses Von-einem-Extrem-ins-andere-Fallen praktizieren und so tun, als ob es nur immer extreme Lösungen gäbe.
Aber ganz besonders muß ich der Kollegin Thiele etwas sagen. Ich muß sagen: ich bedauere es, daß eine menschlich so sympathische Frau
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sich zur Sprecherin der Unmenschlichkeit macht. ({7})
Sie sagen: die Regierung ist bisher sehr langsam gewesen. Allerdings, die autoritären Staaten sind ein schnelles Segelschiff, das mit geschwellten Segeln - ob sie braun oder rot sind, spielt keine Rolle, die Verwandtschaft ist ohnehin groß - durch die Ozeane fährt, bis es auf ein Riff stößt und sehr schnell untergeht. Die demokratischen Institutionen sind sehr langsam und schwerfällig. Man hat auf diesem Floß die Füße immer im Wasser; aber dieses Floß geht nie unter, Frau Kollegin!
({8})
Und wenn Sie dann von den Formulierungen sprechen, so glaube ich, daß Sie uns in dieser Beziehung weit, weit voraus sind; denn Ihre Schwesterpartei sagt ja in der SED-Hymne:
Die Partei, die Partei,
Die hat immer recht,
Und, Genossen, es bleibe dabei!
Das ist Ihr Refrain,
({9})
und deswegen glaube ich auch nicht, daß das Ihre eigene Meinung war. Ich fürchte, wenn Sie hier eine eigene Meinung vertreten, teilen Sie das Schicksal Ihrer Kollegen.
({10})
Aber ich darf Ihnen auch noch einen guten Rat geben. Bitte versuchen Sie, Ihre menschlich sympathische Art in einer Aussprache mit Ihrer Genossin Heta Fischer zu einer Praxis menschlicher Methoden sich auswirken zu lassen. Ich glaube, hier tun Sie dem Frieden und vor allem dem Frieden im Herzen einer Mutter einen guten Dienst. Das wäre für Sie als Frau eine hervorragende Aufgabe.
({11})
Wenn Sie noch zu einem „Friedenstreffen" an Rhein und Ruhr aufrufen, so sollten wir, glaube ich, alles tun, um zu vermeiden, daß an Rhein und Ruhr mit Lügen, Schlagworten und Phrasen genau so Rattenfängerei getrieben wird, wie Sie das drüben tun. Ich glaube, wir sollten alles tun, um zu vermeiden, daß an Rhein und Ruhr dieses Pseudo-Friedenstreffen überhaupt stattfindet.
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Die Aussprache ist geschlossen. .
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Jugendfürsorge beantragt. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen.
Wir haben noch eine Abstimmung zu erledigen. Es ist die Abstimmung zu Punkt 13 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Errichtung einer Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung,
also die Abstimmung über die Drucksachen Nr. 1127 und 1179. Hier ist kein Antrag auf Überweisung an den Ausschuß gestellt; wir stimmen also zur Sache selber ab, und zwar zunächst über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU, Drucksache Nr. 1179, Änderungsantrag zu Drucksache Nr. 1127. Wer für den Änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Damit erübrigt sich die Abstimmung zu dem Prinzipalantrag, der ja durch diesen Änderungsantrag ersetzt worden ist. - Ich stelle fest, daß sich kein Widerspruch gegen diese Feststellung erhebt.
Meine Damen und Herren, es erhebt sich die Frage, wie wir weiter prozedieren. Es wurde mir gesagt, daß der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers Blücher eine
Regierungserklärung
zu den Tagesordnungspunkten 4 a, 4 b und 5 abgeben will. Ich nehme an, daß die eine oder andere Fraktion das Bedürfnis haben wird, nach dieser Regierungserklärung zu beraten. Wir werden also nicht um eine Pause herumkommen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir diese Beratungspause mit einer nützlichen Mittagspause verbinden und daß wir den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers bitten, die Regierungserklärung jetzt abzugeben, daß wir uns anschließend vielleicht um anderthalb Stunden vertagen und dann in der Erledigung der Tagesordnung fortfahren. Sind Sie einverstanden?
({0})
- Es ist so beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a, 4 b und 5, auf die sich die Regierungserklärung bezieht, auf:
4 a. Beratung der Anordnung PR Nr. 38/50 über die Festsetzung von Getreidepreisen für die Monate Juli, August und September 1950 sowie zur Ergänzung und Änderung der Anordnung über Preisbildung und Preisüberwachung nach der Währungsreform und der Anordnung PR Nr. 84/49 über die Preisbildung für eingeführte Güter vom 18. Juli 1950 ({1});
4 b. Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Erklärung der Regierung zur Weiterzahlung der Subventionen für Brotgetreide und Phosphatdünger ({2});
5. Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von Brotpreisen ({3}).
Bei der Beratung werden wir die Punkte trennen. Ich bitte nun den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers, das Wort zu ergreifen.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat über die in den aufgerufenen Punkten angesprochenen Gegenstände seit Wochen verhandelt und verhandeln müssen, und zwar deswegen, weil es sich nicht um Gebiete handelt, bei denen man Einzelentscheidungen treffen kann, sondern um Gebiete, die unbedingt als Ganzes zu sehen sind. Ich werde mich deswegen auch bemühen, zu
({4})
den sämtlichen hier aufgeworfenen Fragen eine unmißverständliche Erklärung bzw. Antwort zu geben.
Es ist vielleicht zweckmäßig, von einer Frage auszugehen, die in ganz besonderer Weise widerspiegelt, in welchem Umfang wir heute von der Entwicklung der Zeitläufe abhängig sind. Ich meine damit die Ausgleichsabgabe. Sie alle wissen, in welchem Maße, vor allen Dingen im agrarpolitischen Ausschuß dieses hohen Hauses, über diese Frage gesprochen worden ist. Sie kennen auch den Ablauf der Geschehnisse und Verhandlungen. Es war beim Bundesrat und all denjenigen Abgeordneten, die sich für die Ausgleichsabgabe einsetzten, die Überlegung bestimmend, daß sie vor allen Dingen auch dazu dienen solle, unsere Böden in Zukunft nicht verarmen zu lassen. Man wollte aus der Ausgleichsabgabe vor allem die Superphosphate subventionieren, deren Preis von der Landwirtschaft auch nach der Erhöhung der Getreidepreise nicht aufgebracht werden kann, weil der Erhöhung der Getreidepreise ganz wesentliche Ausgabeerhöhungen - auch durch den Ausfall anderer Stützungen - gegenüberstehen. Infolgedessen schien dieser Gedanke praktisch. Die Bundesregierung selbst hatte sich allerdings am 5. Juni dagegen geäußert, und zwar deswegen, weil ihr diese Abgabe nicht im Zuge ihrer gesamten Wirtschaftspolitik zu liegen schien; außerdem wollte sie in keiner Weise an diese Abgabe herangehen, ohne ihre Auswirkungen im einzelnen überprüft zu haben. Die Überprüfung möglicher Auswirkungen fiel nun in eine Zeit außerordentlicher Preisentwicklungen hinein.
Während sich also entgegen dem Beschluß der Bundesregierung noch im Juni sowohl der Bundesrat als auch ein. großer Teil der Abgeordneten dieses Hauses für die Ausgleichsabgabe einsetzten, geschah es, daß noch im Juni die Preise für die wesentlichen Grundstoffe der Margarine fortgesetzt etwa bis zum 28. Juni so erheblich absanken, daß die Verfechter einer solchen Abgabe recht zu haben schienen. Es wäre nämlich in der Tat durch die Senkung der Rohstoffpreise eine Ausgleichsabgabe möglich gewesen, ohne daß , dadurch dieses wichtige Gut für die Versorgung unserer Bevölkerung verteuert worden wäre. In der Zwischenzeit aber haben sich auf Grund der Ihnen bekannten weltpolitischen Ereignisse die Verhältnisse ganz grundsätzlich und sehr gründlich geändert.
Ich darf vielleicht, ohne Sie zu ermüden, mit Ihrer Einwilligung einige Zahlen nennen. Die Sojabohne ist ein klassisches Beispiel für die von mir gekennzeichnete zahlenmäßige Entwicklung: am 3. Juni 312,8 Cents, am 17. Juni 293,8 Cents, am 8. Juli 312 Cents und am 15. Juli 325,8 Cents. Sie sehen hier den unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Beschlüssen und dem, was für die Beschlüsse letzten Endes maßgeblich sein muß. Sie können dieselbe Entwicklung, nämlich das Anziehen der Preise, auch bei Sojaöl, beim Olivenöl und bei all den anderen Rohstoffen beobachten. Ist aber dieser gesteigerte Preis eine für lange Zeit zu erwartende, unverrückbare Tatsache, dann entfällt die Begründung, die die Ausgleichsabgabe möglich zu machen schien, nämlich die Aufrechterhaltung der Preise für den Verbraucher. Und das ist der Grund - und nicht irgendeine Unsicherheit -, der die Bundesregierung veranlaßt hat, auf diese Ausgleichsabgabe zu verzichten, was ich hiermit ausdrücklich feststelle.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie werden bei diesen Ausführungen an manchen Stellen eine sehr große Sorge haben. Ich habe nämlich als
einen der wesentlichen Gründe für den Gedanken der Erhebung einer Ausgleichsabgabe die Sorge darum genannt, daß die Landwirtschaft nicht in der Lage sein würde, die ohnedies noch immer unzureichend ernährten Böden weiterhin mit Superphosphaten zu unterhalten. Das ist die Sorge, die die Bundesregierung voll teilt. Gerade heute wird für das Verhalten der Bundesregierung gegenüber den Fragen der Agrarpolitik nur eines bestimmend sein müssen, nämlich daß die gegenwärtige Erzeugung nicht nur gehalten, sondern noch gesteigert wird.
({5})
Wenn es überhaupt eine Pflicht und eine Verantwortung für diese Regierung in diesem Augenblick gibt, dann ist es diese, an die Ernährung des Volkes zu denken. Und wir werden bei den Maßnahmen, die wir einleiten, um die Preisstützung bei der Beschaffung der Superphosphate zu gewährleisten, nicht vergessen, daß es die beste Investition in der Landwirtschaft im Augenblick und in der Zukunft ist, die Qualität und Erzeugungsfähigkeit unserer Böden zu halten. Daher wird das ganze Interesse der Bundesregierung eben dieser Frage gelten; und es zeichnen sich auch die Möglichkeiten der Finanzierung nicht nur mit Hilfe der Länder, sondern gerade aus der Tatsache ab, daß es sich letzten Endes um die wesentlichste Betriebsaufwendung handelt.
Ich komme zu der Frage der Subventionen für das Brotgetreide und zu der Frage des Brotpreises überhaupt. Der Herr Bundesfinanzminister hat in all den letzten Monaten niemals eine Unklarheit darüber bestehen lassen, daß ihm die Fortführung einer Gesamtsubvention nicht möglich sei. Auf tier anderen Seite ist stets davon ausgegangen worden, daß wir in der heutigen Zeit keinesfalls daran denken können, eine Brotpreisgestaltung zu gestatten, die in krassem Gegensatz zu der Lage der breiten Massen der Bevölkerung steht. Was die Subventionen betrifft, so ist es der Grundsatz und die Haltung der Bundesregierung, daß die Differenz, die sich zwischen Inlands- und Auslandspreisen ergibt, mit Hilfe von Subventionen, zu deren Aufbringung auch die Länder werden berufen sein müssen, aufgebracht werden soll. Auf der anderen Seite können wir nicht darauf verzichten, unsere Landwirtschaft überhaupt am Leben zu erhalten und klare Richtlinien bezüglich der Preise zu schaffen. Daher bleibt die Bundesregierung bei ihrer Vorlage, wonach der Roggenpreis im Mittel auf 280 DM und der Weizenpreis im Mittel auf 320 DM je Tonne gebracht werden. Die Differenzen zwischen diesen Inlandsrichtpreisen und dem Preis für die eingeführten Getreidemengen werden getragen werden.
Um die Frage des Brotes, diese schwerste aller politischen Fragen, zu lösen, haben nun sehr schwierige, aber auch von viel gutem Willen getragene Verhandlungen mit den beiden Gewerben, auf die es am allermeisten ankam, mit den Müllern und mit dem Backgewerbe, stattgefunden. Es ist von beiden Seiten ein beträchtliches Maß an Opfern verlangt worden; sie haben sich in klarer Erkenntnis der Lage und der Verpflichtungen, die sich aus dieser Lage ergeben, bereit gezeigt, dieses Opfer zu bringen. Meine Damen und Herren! Es wird sofort zu den bisherigen Preisen, also den Preisen vor dem 30. Juni, der Bevölkerung ein ortsübliches Konsumbrot zur Verfügung gestellt.
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- Meine Damen und Herren! Ich freue mich über
das Interesse, das von der ganz linken Seite dieses
Hauses kommt. Glauben Sie mir, für uns ist das
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eine Sache, die nicht mit dem kalten Wort „Interesse" abgetan ist, sondern ich versichere Ihnen, daß uns in einem solchen Augenblick die Versorgung mit einem jeder ortsüblichen Anforderung entsprechendem Brot auch eine Herzenssache war,
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die nichts mit Politik im allgemeinen Sinne zu tun hat,
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sondern nur mit unserer Verpflichtung. Sie sollten doch, wenn Sie allzu bequem mit der Kritik bei der Hand sind, selbst die Schwierigkeiten ebenso kennen und die Stunde, in der wir leben, ebenso ernst wie wir nehmen. Infolgedessen haben wir es für unsere Pflicht gehalten, diesen Weg zu gehen, und wir haben in den Verhandlungen eben jenes Ergebnis erreicht, das ich eben nannte.
Lassen Sie mich aber in diesem Zusammenhang zur Frage der Versorgung der Bevölkerung überhaupt etwas sagen. Wir verurteilen auf das allerschärfste jene, denen es besser geht als den armen Leuten und die sich deswegen gerechtfertigt fühlen, zu hamstern.
({10})
Meine Damen und Herren! Wir wissen, daß dieses Hamstern immer ein Diebstahl am Ärmsten ist.
Ich will Ihnen aber auch etwas anderes mit aller Deutlichkeit sagen. Die Bundesregierung hat sich durchaus nicht nur mit solchen Erklärungen und Gedanken befaßt. Wir wissen, daß es unsere Aufgabe ist, durch eine geschickte Handhabung der uns gegebenen Vorräte, durch eine Erhöhung der Vorräte, durch entsprechende finanzielle Maßnahmen, die uns zu einer derartigen Vorratswirtschaft in die Lage versetzen, dafür zu sorgen, daß wir überall eingreifen können, wo durch unvernünftige Käufe vorübergehend Schwierigkeiten zu entstehen drohen.
({11})
Für uns steht am Anfang und am Ende: die Aufrechterhaltung der gleichmäßigen Versorgung der Bevölkerung, unsere jetzige Vorratslage, die Möglichkeit, die Vorräte zu vermehren, und nicht zuletzt die ergriffenen Maßnahmen, um auch die Ernte in Sicherheit einzubringen, und ein entsprechender Preisschutz für denjenigen, der nunmehr abliefern soll.
Meine Damen und Herren, alles das zusammen gibt uns die Möglichkeit, mit Ruhe daran zu denken, wie sich die Versorgung der Bevölkerung in den nächsten Monaten abwickeln wird. Sie wird auf lange Zeit gesichert sein, und das scheint uns im Augenblick überhaupt das Wesentlichste zu bedeuten.
Ich darf noch etwas zu dem sagen, was als kleine, hämische, geistreichelnde Bemerkung natürlich ausgezeichnet ist. Das ist die Frage des Brotes. Meine Damen und Herren, das, was angeboten wird, ist in den meisten Gebieten Deutschlands das von jeher am meisten gekaufte Brot gewesen.
({12})
Wir können nicht daran vorbeigehen, in Zeichen solcher Not dafür Sorge zu tragen, daß das Erzeugnis deutschen Bodens, nämlich der Roggen, auch für die Ernährung der deutschen Menschen verwendet wird und nicht liegenbleibt, wie das in der Vergangenheit häufig der Fall gewesen ist.
({13})
Meine Damen und Herren! Ehe ich, entsprechend der Anregung aus dem Hause, die Sitzung unterbreche, möchte ich mitteilen: die Sitzung des Ausschusses für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten, die für heute nachmittag, 15 Uhr, anberaumt war, wird auf Dienstag, den 25. Juli 1950, 18 Uhr, vertagt.
Ich unterbreche die Sitzung. Wir fahren um 14 Uhr in den Beratungen fort.
({0})
Die Sitzung wird um 14 Uhr 10 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schäfer wieder aufgenommen.
Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Wir setzen die heute morgen abgebrochene Beratung zu Punkt 4 a und 4 b der Tagesordnung fort:
4 a. Beratung der Anordnung PR Nr. 38/50 über die Festsetzung von Getreidepreisen für die Monate Juli, August und September 1950 sowie zur Ergänzung und Änderung der Anordnung über Preisbildung und Preisüberwachung nach der Währungsreform und der Anordnung PR Nr. 84/49 über die Preisbildung für eingeführte Güter vom 18. Juli 1950 ({0});
4 b. Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Erklärung der Regierung zur Weiterzahlung der Subventionen für Brotgetreide und Phosphatdünger ({1}).
Wir treten in die Aussprache ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Faßbender. 8 Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, man darf sagen, daß es sich der Herr Vizekanzler mit seinen Erklärungen angelegen sein ließ, das ganze Ernährungsproblem aus dem niederen Tageskampf auf die Höhe emporzuheben, die notwendig erscheint angesichts der Entwicklung in der übrigen Welt,
({0})
- ich glaube, meine Damen und Herren, angesichts der Entwicklungen, die sich auch in der übrigen Welt abzeichnen.
({1})
Ich glaube, wir werden sehr bald Sorge bekommen nicht um einen oder zwei Pfennig Brotpreiserhöhung, sondern Sorge darum, wie wir unser Volk überhaupt satt bekommen.
({2})
Zu der Margarineabgabe ein paar Worte. Hier
sind in der Öffentlichkeit doch zum Teil Auffassungen vertreten worden, die den Eindruck
erweckten, als läge uns daran, die Margarinepreise
zu erhöhen. Kein Mensch von uns hat jemals den Gedanken vertreten, dieses Nahrungsmittel etwa im
Endverbrauch verteuern zu lassen. Was wir gewollt
haben, ist lediglich das eine: bei dem Absinken der
damaligen Rohstoffpreise für Margarine das Absinken dieser Preise auf einen solchen Stand zu verhindern, der die deutsche Milch- und Buttererzeugung praktisch zur völligen Unrentabilität verurteilt
hätte. Wir glauben, daß wir es im Interesse der Gesamternährung unseres Volkes nicht hätten verantworten können, die Preise für Milch und Milchfette
auf einen Stand herunterdrücken zu lassen, der das dürfen wir einmal ruhig sagen - bei der sich in
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der übrigen Welt entwickelnden Lage für die deutsche Fettversorgung schlechthin gefährlich werden konnte.
({4})
- Nein, wir haben nie etwas anderes gesagt, Herr Kollege. Wir haben uns immer auf den Standpunkt gestellt, daß wir nur an variablen Abgaben für Margarine interessiert seien, variabel dergestalt, daß der Endpreis für Margarine unter keinen Umständen erhöht würde.
Dankbar begrüßen wir die Erklärung des Herrn Vizekanzlers, daß sich die Bundesregierung bereiterklärt hat, die Preise für Phosphatdüngemittel unter allen Umständen auf dem bisherigen Preisniveau zu halten. Denn es wäre einfach unverantwortlich für die deutsche Gesamternährung, wenn wir für diesen Mangeldünger Preiserhöhungen von rund 90 bis 100 % hätten hinnehmen müssen. Das hätte zur Folge gehabt, daß die deutsche Landwirtschaft von diesem Dünger in Zukunft praktisch kaum noch hätte Gebrauch machen können. Die weitere Folge wäre gewesen, weil ja auch hier das Gesetz des Minimums im Boden entscheidend ist, daß die deutsche Getreideernte in einem Maße zurückgegangen wäre, das unverantwortlich ist. Ich darf aber die Regierung bitten, hier schnell zu handeln; denn hier ist keine Zeit mehr zu verlieren. Wenn nicht in Kürze Klarheit auf diesem Gebiet geschaffen wird, dann besteht die Gefahr, daß Phosphorsäuredünger nicht in dem Maß angewendet wird, wie es vonnöten ist.
Nun das Getreidegesetz als solches! Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß die FDP eigentlich eine etwas andere Auffassung in puncto Preisgestaltung für deutsches Getreide hatte.
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Wir waren der Meinung, daß wir uns hier in guter Gesellschaft, nämlich der der Gewerkschaften befanden und daß ein Preisgefüge mit Mindest- und Höchstpreisen der heutigen deutschen Wirtschaftspolitik viel nähergekommen wäre. Wir haben uns aber im Hinblick darauf, daß sich die Weltsituation zugespitzt hat, und selbstverständlich im Hinblick darauf, daß wir alles zu tun haben, um unserem Volk das tägliche Brot zu sichern, entschlossen, dem Festpreissystem zuzustimmen.
Meine Damen und Herren! Wir sind recht betrübt gewesen, als wir hörten, daß nun angeblich die Hohen Kommissare nicht bereit waren, den Festpreis zu akzeptieren. Ich glaube, das sind doch wohl Äußerungen aus der unteren Etage des Petersbergs. Ich kann mir einfach nicht denken, daß die Hohen Kommissare, die doch Demokraten sind,
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einen Beschluß, der hier gefaßt wird, etwa abändern würden.
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Denn Sinn und Wesen der Demokratie ist es doch wohl - das darf man ruhig feststellen -,
({8})
anderen nicht etwas zuzumuten, was man selber zu tun nicht bereit ist.
Es dürfte in diesem Hause doch klar sein, daß man in Amerika seit Jahren nicht nur Festpreise, nein, sondern garantierte Mindestpreise für die agrarischen Erzeugnisse hat. Ich darf deshalb die Regierung bitten, mit allem Ernst den Petersberg darauf hinzuweisen, daß jedenfalls die Mehrheit dieses Hauses nicht bereit ist, von den Höchstpreisen
ohne Mindestpreise Gebrauch zu machen. Denn was bedeuten Höchstpreise ohne Mindestpreise? Wir haben das einmal im Wirtschaftsrat bei den Kartoffeln erlebt. Sie würden praktisch bedeuten, daß unsere bäuerliche Bevölkerung bei der vor der Tür stehenden Roggenernte - und sie muß verkaufen, denn sie hat Geld nötig, und wir haben ja Gewerbefreiheit; ich will damit kein Wort gegen Handel oder Genossenschaften sagen - gewissen Kreisen ausgeliefert werden könnte. Das muß unter allen Umständen verhindert werden.
Wir sind uns wohl im ganzen Hause darüber einig, daß der Preis für das Brotgetreide praktisch den Lohn für körperliche Arbeit unserer bäuerlichen Bevölkerung darstellt. Ich glaube nicht, daß man die Preise, die die Regierung hier vorschlägt, in irgendeiner Form als zu hoch bezeichnen kann. Ich darf bei dieser Gelegenheit aber auch daran erinnern - und das sollten wir einmal ganz offen zum Ausdruck bringen -, daß das deutsche Landvolk Jahre hindurch sein Brotgetreide zu Preisen abgeliefert hat, die weit unter den Weltmarktpreisen, teilweise bloß bei der Hälfte derselben lagen.
({9})
Das muß um der Wahrheit willen festgestellt werden. Das Hohe Haus sollte sich entschließen, unserem Antrag, der dem Präsidium dergestalt vorliegt, daß die sogenannten Höchstpreise wieder in Festpreise umgewandelt werden, zuzustimmen.
Ein Wort noch zu den Futtergetreidepreisen. Meine Damen und Herren! Wenn in der Anlage zur Regierungsvorlage von einem Futtergetreidepreis von 260 DM gesprochen wird, so befürchte ich allen Ernstes, daß dieses Futtergetreide dann frei Hof des Bauern einen Preis erreichen wird, der über dem des deutschen Roggens liegt.
({10})
Die Regierung sollte sich sehr ernst überlegen, ob sie diesen Weg zu gehen bereit ist; denn er bedeutet praktisch, daß die Gefahr riesengroß wird, daß das deutsche Brotgetreide
({11})
- ich bin bald so weit - in die Futtertröge wandert. Das, glaube ich, kann man nicht verantworten.
Ich darf Sie also im Namen meiner Fraktion bitten, diesem Gesetz über Getreide Ihre Zustimmung zu geben, damit wir draußen auf dem Lande bei der erzeugenden Bevölkerung endlich wieder das Maß von Sicherheit bekommen, das notwendig ist, um in Zukunft die Produktion nicht nach unten, sondern nach oben zu reißen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ollenhauer. Zwölf Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Namen der sozialdemokratischen Fraktion möchte ich folgende Erklärung abgeben.
Am 1. Juli 1950 hat die Bundesregierung willkürlich und ohne die gesetzlich vorgeschriebene vorherige Befragung des Bundestags die Brotgetreidepreise heraufgesetzt. Alle Voraussagen und Versprechungen der Bundesregierung, daß diese Preiserhöhung für Brotgetreide durch Verringerung der Verdienstspannen des Handels, der Mühlen und der Bäcker abgefangen werden und daher zu keiner Verteuerung des Brotes führen werde, haben sich als trügerisch erwiesen. Die willkürliche Erhöhung des Brotgetreidepreises hat vielmehr zu einem Chaos auf dem Brot- und Mehl({0})
markt und zu einer unerträglichen Verteuerung praktisch aller Brotsorten geführt.
Nach der Erklärung des Herrn Stellvertreters des Bundeskanzlers von heute steht nunmehr fest, daß die Bundesregierung nicht gewillt ist, das Versprechen zu halten, das der Herr Bundeskanzler wiederholt der Bevölkerung und insbesondere auch den Gewerkschaften gegeben hat. Die Regierungserklärung beweist auch, daß die Bundesregierung nicht beabsichtigt, dem Beschluß des Bundestags vom 14. Juli 1950 Rechnung zu tragen,
({1})
nach dem der Brotpreis durch das Mittel der Subventionen auf dem alten Stand gehalten werden sollte. Die Preise in der jetzt von der Bundesregierung dem Bundestag vorgelegten Anordnung über die Festsetzung von Getreidepreisen entsprechen im wesentlichen den Preisen die die Regierung am 1. Juli 1950 festgesetzt hat und die zu der gegenwärtigen Brotverteuerung geführt haben.
Wenn die Regierung jetzt nachträglich die Zustimmung des Bundestags zu der Getreidepreiserhöhung einholen will, so versucht sie damit, die Verantwortung für die von ihr verschuldete Situation dem Bundestag zuzuschieben.
({2})
Alle Versuche der Regierung, die Brotverteuerung durch Qualitätsverschlechterung des Brotes zu verschleiern oder den Brotpreis nur für ein sogenanntes Konsumbrot festzuhalten, ihn im übrigen aber steigen zu lassen, insbesondere für Weizenbrot und Gebäck, werden von uns abgelehnt.
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion bekennt sich nach wie vor zu dem Grundsatz der Stabilisierung der Brotgetreidepreise. Dabei müssen die Preise so festgesetzt werden, daß sie den Lebensinteressen von Erzeugern und Verbrauchern gerecht werden.
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Dieser Grundbedingung entspricht nur eine Getreidepolitik, welche die völlige Aufrechterhaltung der bisherigen Brotpreise ohne jede Qualitätsverschlechterung ermöglicht. Da die Erklärung des Herrn Stellvertreters des Bundeskanzlers und die Anordnung über die Festsetzung von Getreidepreisen dieser Grundbedingung nicht entsprechen, lehnt die sozialdemokratische Fraktion diese Anordnung ab.
Im Anschluß an diese Erklärung möchte ich dem Hohen Hause noch von einem Telegramm des Bundesvorstandes des Deutschen Gewerkschaftsbundes von heute an den Herrn Stellvertreter des Bundeskanzlers Kenntnis geben. In diesem Telegramm heißt es:
Die Tagespresse berichtet heute morgen übereinstimmend, der Herr Bundeswirtschaftsminister Erhard habe vor der Fraktion der CDU/ CSU erklärt, mit den Gewerkschaften solle ein Einvernehmen in der Brotpreisfrage erzielt worden sein. Sollte der Bundeswirtschaftsminister eine solche Erklärung abgegeben haben, so entspricht sie nicht den Tatsachen.
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Bundesvorstand und Bundesausschuß des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben sich zu keinem Zeitpunkt mit der Einführung eines sogenannten Kompromißbrotes einverstanden erklärt, sondern auf der Einlösung des Kanzlerwortes und der Durchführung des Bundestagsbeschlusses über Subventionen für Brotgetreide bestanden. Für seine 5 Millionen Mitglieder.
welche mindestens 20 Millionen Verbraucher in der Bundesrepublik umfassen, erheben wir erneut schärfsten Protest gegen die Verteuerung des Brotes und gegen alle bisherigen Maßnahmen der Länder, Preis- und Qualitätsbestimmungen für ein neues Konsumbrot festzulegen. Die Verbraucherschaft der Bundesrepublik will kein sogenanntes ArmeLeute-Brot,
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sondern besteht bei ihrem schmalen Einkommen auf Durchführung des Bundestagsbeschlusses, welcher die Rückkehr zu den alten Brotpreisen ermöglicht. Der Deutsche Gewerkschaftsbund erwartet für die deutschen Gewerkschaften den sofortigen Erlaß eines Höchstpreisgesetzes, um damit den unerträglich gewordenen Preissteigerungen auf allen Gebieten zu begegnen.
Das Telegramm ist unterzeichnet: „Der Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Georg Reuter."
Schließlich möchte ich dem Hohen Hause im Namen der sozialdemokratischen Fraktion folgenden Antrag vorlegen:
Der Bundestag sieht in der Erklärung der Bundesregierung keine Erfüllung des Beschlusses des Bundestages vom 14. Juli 1950. Der Bundestag beauftragt die Bundesregierung, den Beschluß des Bundestags vom 14. Juli 1950 durchzuführen.
Die sozialdemokratische Fraktion beantragt ferner, über diesen Antrag namentlich abzustimmen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lübke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich glaube, auch diejenigen, die nicht in allen Punkten mit der Erklärung des Herrn Vizekanzlers einverstanden waren, haben es begrüßt, daß diese Erklärung gegeben wurde. Es wäre sehr erfreulich, wenn die Regierung öfter zum Hause sprechen und auf diese Weise eine etwas engere Verbindung schaffen und eine klarere Übersicht über den Kurs geben würde.
({0})
Ich wäre sehr froh, wenn ich die Erklärung des Herrn Vizekanzlers dahin auslegen könnte, daß in Zukunft ein unmißverständlich klarer Kurs gesteuert werden soll, um zur Sicherung der Verbraucher, zur Förderung der inländischen Landwirtschaft eine Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung zu gewährleisten. Dies ist die einzige Möglichkeit, um bei gefährlichen Situationen die Verbraucher zu sichern und die Landwirtschaft zu einem kaufkräftigen Teil der deutschen Wirtschaft zu machen. Es hat manchmal den Eindruck, als wenn in allen Volksschichten ein Hang dazu vorhanden wäre, eine reine Verbraucherpolitik besonders auf dem agrarischen Sektor zu machen. Diese Art Politik erschlägt sich selber zu Lasten der Verbraucher,
({1})
weil eine zurückgehende Erzeugung ganz automatisch höhere Einfuhren verlangt und dann in
gefahrvollen Zeiten, so wie wir sie heute durchleben, natürlich eine Verbraucherpolitik überhaupt
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nicht mehr getrieben werden kann, es sei denn mit riesigen Kosten für die Staatskasse.
({3})
Meine Damen und Herren, ich habe der Erklärung des Herrn Vizekanzlers mit Freude entnommen, daß er der Meinung ist, es solle eine Einfuhr- und Vorratspolitik getrieben werden, die gefährlichen Situationen gewachsen und in der Lage ist, bei Aufwendung der notwendigen Mittel die Preise stabil zu halten, und zwar im Sinne einer vernünftigen Erzeugungssteigerung und im Sinne der Verbraucher. Dazu gehören natürlich bei den großen Mengen, die zur Einlagerung kommen müssen, ganz erhebliche Mittel. Die Regierung scheint einen Weg gefunden zu haben, diese Mittel wirklich bereitstellen zu können, denn wenn die Mittel nicht da sind, läßt sich eine derartige Vorratspolitik überhaupt nicht durchsetzen.
Sehr wesentlich waren die Erklärungen zur Produktionsförderung. Der Herr Vizekanzler hat erklärt, daß er eine Politik für das Kabinett inaugurieren wolle, wonach die Investitionen für die Landwirtschaft erheblich gesteigert werden sollen. Er hat sich dabei insbesondere für die Förderung einer ausreichenden Düngerversorgung der deutschen Böden ausgesprochen. Insbesondere erwähnte er dabei die Versorgung der deutschen Böden mit Superphosphat bzw. mit Phosphorsäuredünger. In unserem Landesteil Nordrhein sind 165 000 Bodenproben gezogen, um festzustellen, in welchem Maße die Böden an Dünger verarmt sind. In den vergangenen Jahren des Krieges und der. Nachkriegszeit - das haben wir bei etwa 65% der Proben festgestellt - ist eine Phosphorsäureverarmung eingetreten, die auf ganz Westdeutschland bezogen 650 000 Tonnen ausmacht. Das ist eine Phosphorsäureversorgung für eine landwirtschaftliche Nutzungszeit von 11/2 Jahren. Wenn diese Superphosphatmengen, deren Rohstoffe aus dem Ausland kommen, heute zu diesen erhöhten Preisen an ,die Landwirte verkauft werden sollen - der Preis würde sich beim Landwirt verdoppeln -, dann wird selbstverständlich diese Verarmung nicht geringer, sondern sie wird weiterschreiten. Deshalb begrüße ich es, daß ein Weg gefunden werden soll, der diese Verteuerung des Phosphorsäuredüngers vermeidet.
Nun zur Erklärung des Herrn Vizekanzlers über den Brotpreis! Meine Damen und Herren! Ich halte es schon für einen wesentlichen Erfolg, daß es gelungen ist, in allen Bezirken gerade die marktgängigen Brotsorten auf dem alten Preisstand zu halten. Wir sind aber darüber hinaus der Meinung, daß man mehr tun und jeden Weg beschreiten sollte, um wirklich mehr zu erreichen. Das würde wesentlich zu einer allgemeinen Beruhigung beitragen.
Zu der Getreidepreisanordnung möchte ich sagen: es sind hierin inländische Brotgetreidepreise, die Preise für ausländisches Getreide und Futtergetreide geregelt. Das bedeutet, daß z. B. der Weizen pro Zentner von 13 auf 16 DM heraufgesetzt wird. Wenn Sie .das mit dem heraufgegangenen Index für landwirtschaftliche Bedarfsartikel vergleichen, werden Sie feststellen, daß diese Getreidepreiserhöhungen durchaus nicht etwa überhöht sind, sondern gegenüber dem landwirtschaftlichen Bedarfsindex geradezu bescheiden genannt werden müssen.
In einem Punkt kann ich persönlich der Verordnung nicht folgen. Ich glaube, es wird richtig sein, noch in dieser Stunde einen Änderungsantrag einzubringen. Er geht dahin, in § 3 Abs. 1
den Übernahmepreis von 260 DM für Futtergetreide auf 240 DM herabzusetzen. Wenn wir das nicht tun, tritt das ein, was Kollege Faßbender eben gesagt hat. Dann wird das Futtergetreide frei Hof des Bauern 280 DM kosten. Zur Zeit wird der Roggen nicht mit 280 DM pro t, sondern mit 270 DM gehandelt. Es ist doch selbstverständlich, daß unter diesen Umständen kein Bauer den Roggen für die Brotgetreideherstellung verkauft, sondern der Roggen in den Futtertrog wandert. Diese Änderung muß also unter allen Umständen durchgeführt werden. Der Antrag liegt bereits hier vor:
In der Anordnung PR Nr. 38/50 § 3 Abs. 1 wird statt „DM 260 je 1000 kg" „DM 240 je 1000 kg" gesetzt.
Dann folgen die Unterschriften der verschiedenen Abgeordneten.
Ich spreche für meine Fraktion, wenn ich sage, daß wir bitten, die Getreidepreisanordnung in der geänderten Form anzunehmen, und zwar unter Abänderung des Antrages, der von den Koalitionsparteien einschließlich der Bayernpartei gestellt ist, das Wort „Höchstpreise" durch „Festpreise" zu ersetzen - ich schließe mich in dieser Beziehung den Worten des Herrn Faßbender an - und in § 3 Abs. 1 „260 DM" durch „240 DM" zu ersetzen.
Herr Abgeordneter, dieser Antrag ist bisher hier nicht eingegangen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Kohl ({0}).
Meine Damen und Herren! Ich glaube, man kann nicht davon sprechen, daß die Erklärung des Herrn Vizekanzlers i n irgendeiner Form befriedigt. Sie ließ all die Fragen. die in den letzten Diskussionen hier aufgeworfen worden sind, offen. Ich glaube. daß man dazu einiges sagen muß. Die Absicht des Herrn Vizekanzlers geht dahin, die Frage des Brotpreises in seiner konkreten Forderung zu umgehen, sie offen zu lassen. Er ist scheinbar des Glaubens, daß in vier bis fünf Wochen darüber nicht mehr gesprochen wird, sondern sich die Bevölkerung an die erhöhten Preise gewöhnt haben wird. Aber der Bundestag hat in seiner Sitzung vom 14. Juli 1950 die Bundesregierung verpflichtet. die Subventionen für Brotgetreide und Phosphatdünger in der bisherigen Höhe weiter zu zahlen. Die heutige Erklärung der Bundesregierung ist eine Sabotage dieses eindeutigen und klaren Beschlusses der großen Mehrheit dieses Hohen Hauses. Die von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen sind der Versuch. die Bevölkerung über die bereits eingetretene allgemeine Erhöhung der Lebensmittelpreise hinwegzutäuschen. die Verantwortung dafür von der Regierung auf die Bauern, die Bäcker und den Einzelhandel abzuwälzen und die Verbraucher gegen diese Schichten auszuspielen.
Mit Entschiedenheit weisen wir den Plan der Bundesregierung zurück, der die Schaffung einer neuen Mehltype vorsieht, um der Bevölkerung ein minderwertiges Brot aufzuzwingen. Dabei wäre es nicht uninteressant, von der Regierung zu erfahren, welche Gründe für sie entscheidend gewesen sind dafür, mit den Bäckern und den Mühlenbesitzern Verhandlungen zu führen, ohne dabei auch die von Herrn Abgeordneten Ollenhauer erwähnten Vertreter der Gewerkschaften bei der
({0})
Schaffung dieses neuen Kompromißbrotes mit heranzuziehen.
({1})
- Das ist nicht erwähnt worden.
Weiterhin wären wir der Regierung - da wir uns nicht damit einverstanden erklären können. daß die Dinge nur angetippt werden ({2})
außerordentlich dankbar für eine klare Beantwortung der Frage, woher sie die Vollmachten nimmt, die Länder zur Zahlung dieser Subventionen zu verpflichten, die der Bundesfinanzminister nicht mehr gewähren will.
Die Fraktion der Kommunistischen Partei des Bundestages verlangt von der Bundesregierung die Durchführung des Beschlusses vom 14. Juli betreffend die Weiterzahlung der Subventionen für Brotgetreide und Phosphatdünger. Wir sind der Meinung, daß es gilt, den Kampf aufzunehmen gegen eine Politik der Bundesregierung, die die Erhöhung der Preise verursacht und vor allen Dingen ihren Ausdruck findet in der Senkung der Löhne, der Rentenbezüge und der Unterhaltsbeihilfen. Es ist schon oft davon gesprochen worden, zuletzt vom Herrn Kollegen Wönner, daß die Bundesregierung sehr schnell bereit gewesen ist, den besitzenden Kreisen anläßlich der Verabschiedung des Einkommensteuergesetzes ein Geschenk von 900 Millionen Mark zu machen. Ich glaube, man muß in diesem Zusammenhang einmal die eindeutige Frage stellen, ob die Regierung überhaupt gewillt ist, etwas zur Senkung der Preise zu unternehmen, um Preise und Löhne in Weine vernünftige Relation zu bringen. Ich verweise auf Pressemitteilungen, wonach z. B. der Preis für Hausbrandkohle um 25 Pfennig pro Zentner erhöht wird, um eine Senkung der Exportkohlenpreise zu erreichen. Wir werden diese Politik unter keinen Umständen mitmachen.
({3})
Aber wir werden auch darum besorgt sein, daß die Bundesregierung an den Protesten aus den Betrieben nicht mit irgendwelchen platonischen Erklärungen vorbeikommt.
Die Bundesregierung hat über die tatsächlich eingetretene Brotpreiserhöhung kein Wort gesagt. Der Herr Vizekanzler Blücher hat, mit oder ohne Willen, verabsäumt, dem Hohen Hause zu erklären, welche Maßnahmen die Bundesregierung durchzuführen gedenkt, um einmal ein genießbares Brot für die arbeitende Bevölkerung zu garantieren und darüber hinaus den Brotpreis auf den alten Stand zu reduzieren.
({4})
Der alte Brotpreis ist nicht mehr gültig, der neue Brotpreis ist gang und gäbe, und Sie muten der Bevölkerung zu, das vom Vizekanzler angebotene „Herzensbrot" zu essen.
({5})
Die schaffende Bevölkerung wird das nicht widerstandslos hinnehmen. Verlassen Sie sich darauf; die Proteste aus den Betrieben werden Sie eines besseren belehren!
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Bezüglich der Drucksache Nr. 1177 betreffend Getreidepreise plädiere ich für die Festsetzung von Festpreisen.
Bezüglich der Drucksache Nr. 1161, Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung von Brotpreisen, habe ich eine Erklärung der Zentrumsfraktion zu verlesen. Sie hat folgenden Wortlaut:
Die Zentrumsfraktion erblickt in dem Antrag Drucksache Nr. 1161 den Versuch der Regierung, ({0})
Herr Abgeordneter, das ist der Punkt 5 der Tagesordnung, zu dem Sie jetzt sprechen. Wir beraten im Augenblick nur über Punkt 4 a und 4 b.
Dann muß ich einen Moment warten.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundeswirtschaftsminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Erklärung des Herrn Abgeordneten Ollenhauer hinsichtlich des Telegramms des Deutschen Gewerkschaftsbundes habe ich folgendes zu erklären.
Ich habe gestern der Fraktion der CDU/CSU lediglich Kenntnis gegeben von dem erfolgreichen Abschluß der Verhandlungen mit den Organisationen der Mühlen und des Bäckergewerbes.
({0})
Ich habe mit keinem Wort auch nur den Namen der Gewerkschaften erwähnt
({1})
oder über Vereinbarungen mit den Gewerkschaften gesprochen. Ich habe die Fraktion nicht einmal davon unterrichtet, daß wir am Abend vorher auch eine Besprechung mit Vertretern der Gewerkschaftsleitung hatten.
({2})
Ich habe für diese meine Erklärung 120 Zeugen aus dem Kreise der CDU und CSU.
({3})
Das Wort hat der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers.
Blücher, Stellvertreter des Bundeskanzlers: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch ich möchte eine Erklärung abgeben, nämlich die, daß ich es mir zu meinem Stolz anrechne, zu den Leuten zu gehören, die von jeher „Armeleutebrot" gegessen haben.
({0})
Es ist wirklich nicht richtig, in einem Augenblick, in dem wir sehr viel mehr daran denken müssen, wie wir über die nächsten Monate hinwegkommen, ein normales Brot, wie wir es - um einmal von meiner Heimat zu sprechen - unter dem Namen Kasseler Brot oder Oeynhausener Brot oder Paderborner Brot, oder wie immer es hieß, gekannt haben, nun, um es zu politisieren, mit einem so bitterbösen Namen zu kennzeichnen.
({1})
({2})
Denn ich freue mich jedenfalls, daß das alte bleibt, was wir aus unserer Heimat kennen. Dann essen wir eben alle das, was wir bisher gegessen haben:
({3})
dieses „Armeleutebrot"!
({4})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist geschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Es liegt vor die Drucksache Nr. 1177, Anordnung Nr. 38/50 über die Festsetzung von Getreidepreisen. Dazu wieder liegen einige Abänderungsanträge vor, die ich zur Abstimmung stellen werde, wenn wir zu den einzelnen Paragraphen kommen.
Vorher allerdings muß ich eine Feststellung machen, damit sichergestellt ist, daß der Abstimmung ein einheitlicher Text zugrunde liegt, weil sonst verschiedene Anträge nicht verständlich sind. Während der Drucklegung ist in § 1 Abs. 1 das Wort „Erzeugerhöchstpreise" eingefügt worden. Ursprünglich stand da das Wort „Erzeugerfestpreise". Es könnte sein, daß in den verschiedenen hier vorliegenden Texten unterschiedliche Begriffe enthalten sind. In der Drucksache, über die wir abstimmen, muß es also heißen: „Erzeugerfestpreise".
Damit ist aber der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, BP und DP, das Wort „Erzeugerfestpreise" einzusetzen, gegenstandslos geworden.
({0})
- Also es steht jetzt in dem Text, der mir vorliegt, „Erzeugerhöchstpreise"; in anderen Exemplaren steht „Festpreise".
({1})
- Die meisten Exemplare, wird mir eben gesagt, sind mit „Festpreise" herausgegeben worden. Das war während der Drucklegung auf Grund einer Mitteilung des Herrn Wirtschaftsministers geändert worden.
Ich möchte also, damit wir klarsehen, von dem Text mit „Erzeugerhöchstpreise" ausgehen. Dann ist es auch möglich, den Abänderungsantrag zur Abstimmung zu stellen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe auf § 1.
Dazu liegt der Abänderungsantrag der FDP, der CDU, der BP und der DP vor:
In § 1 Abs. 1 der Anordnung Nr. 38/50 über die Festsetzung von Getreidepreisen wird das Wort „Erzeugerhöchstpreise" durch das Wort „Erzeugerfestpreise" ersetzt.
Ich bitte diejenigen Damen und Herren, die dem Abänderungsantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Der Antrag ist damit angenommen.
Wer nunmehr für die durch die Annahme des Abänderungsantrages geänderte Fassung des § 1 der Anordnung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. § 1 ist in dieser abgeänderten Fassung angenommen.
Ich rufe auf § 2. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Angenommen.
§ 3. Dazu liegt ein Abänderungsantrag Lübke vor:
In der Anordnung wird in § 3 Abs. 1 statt „DM 260 je 1000 kg" gesetzt „DM 240 je 1000 kg".
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit; es ist also so beschlossen.
Wer nunmehr für § 3 mit der soeben beschlossenen Abänderung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich rufe auf die §§ 4, - 5, - 6, - 7, - 8. -Abänderungsanträge liegen nicht vor. Wer also für die Annahme dieser Paragraphen in der Fassung der Vorlage ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Einleitung und Überschrift. - Wer dafür 1st, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Wer nunmehr der gesamten Anordnung zustimmen will, den bitte ich, die Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Damit ist die Zustimmung zu der Anordnung PR Nr. 38/50 über die Festsetzung von Getreidepreisen erteilt.
Dann liegt noch ein Entschließungsantrag der SPD-Fraktion vor. Er ist vorhin von Herrn Abgeordneten Ollenhauer verlesen worden. Dazu hat Herr Abgeordneter Ollenhauer namentliche Abstimmung gefordert. Ich nehme an. daß der Antrag damit die Unterstützung von 50 Abgeordneten hat.
Meine Damen und Herren, nun besteht allerdings ein gewisser Unterschied der Übungen. Die Sache muß bei dieser Gelegenheit einmal klargestellt werden. Nach unserer Geschäftsordnung ist an sich, nachdem der Antrag von 50 Abgeordneten unterstützt wird, über diesen Antrag auf namentliche Abtimmung abzustimmen. Im früheren Reichstag ist es Brauch gewesen, bei vorliegender Unterstützung durch 50 Abgeordnete ohne weiteres zur namentlichen Abstimmung überzugehen.
({2})
- Also Sie wollen abstimmen über die Zulässigkeit des Antrags auf namentliche Abstimmung? Dann bitte ich diejenigen, die für namentliche Abstimmung sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
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- Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist also abgelehnt.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich glaube, etwas weniger geräuschvoll könnten wir leichter weiterkommen! Darf ich jetzt um Ihre Aufmerksamkeit bitten.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der SPD-Fraktion. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
({5})
({6})
- Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist also abgelehnt.
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Der Antrag der Fraktion der KPD Nr. 1188 der Drucksachen ist durch die Abgabe der Regierungserklärung erledigt.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Festsetzung von Brotpreisen ({8}).
Wird seitens des Bundeskabinetts das Wort zur Begründung gewünscht? - Eine Begründung wird nicht für erforderlich gehalten. Der Altestenrat schlägt Ihnen für die Aussprache 60 Minuten vor. Ich nehme Ihre Zustimmung dazu an.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dannemann.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Seit Wochen ist die Bevölkerung durch die Brotpreisdebatte beunruhigt worden, ohne daß bis zum gestrigen Tage eine endgültige Klarheit darüber bestand, wie hoch nun tatsächlich der Brotpreis ist und wie hoch er sich in Zukunft gestalten wird. Die Erklärungen des Vizekanzlers haben nach dieser Richtung hin zweifellos zu einer gewissen Beruhigung geführt.
Es unterliegt aber keinem Zweifel, daß die Sicherstellung der Brotversorgung eines der wichtigsten und vordringlichsten Probleme besonders in Zeiten ist, in denen die außenpolitische Lage mehr als gespannt ist. Ein Volk kann man aber nicht sattmachen mit Brotpreisen oder mit der Herabsetzung der Getreide- und Mehlpreise, sondern nur dadurch, daß man die Voraussetzungen für eine stabile Brotgetreideerzeugung und deren Steigerung und für eine notwendige Reservebildung schafft.
Wochenlang haben wir uns im Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft mit diesen Fragen beschäftigt und auf die Verabschiedung der notwendigen Marktgesetze zur Regelung des Verkehrs mit Brotgetreide gedrungen. Die verschiedensten Vorschläge zur Brotgetreideversorgung sind von uns gemacht worden, ohne daß sie leider bisher Beachtung gefunden haben.
Nunmehr legt uns die Regierung in Drucksache Nr. 1161 ein Gesetz über die Festsetzung von Brotpreisen vor, ein Ermächtigungsgesetz, das der Regierung die Möglichkeit gibt, jederzeit preisregelnd sowohl beim Brotgetreide selbst als auch bei Mehl und Mehlerzeugnissen einzugreifen. Wenn in ,der Stellungnahme des Bundesrates zum Ausdruck gebracht wird, daß die Regierung nur im Bedarfsfalle von dieser Ermächtigung Gebrauch machen wird, so ändert das nichts an der Tatsache, daß hier eine Ermächtigung von unübersehbarer Tragweite gegeben werden soll. Was heißt überhaupt „Bedarfsfall", und was heißt „volkswirtschaftlich gerechtfertigter Brotpreis"? Dieser Bedarfsfall kann ja schon vorliegen, wenn eine Regierung - einerlei, wie sie zusammengesetzt ist - falsche Dispositionen trifft oder irgendwelche gegebenen Versprechungen nicht einlösen kann. Für uns ist es untragbar, hier eine Ermächtigung zu geben, die die Preisgestaltung für Getreide vollkommen frei läßt. Was nützen alle Preisfestsetzungen nach dem Getreidegesetz oder nach sonstigen Verordnungen, wenn durch ein Ermächtigungsgesetz alle diese Maßnahmen über den Haufen geworfen werden können!
Meine politischen Freunde und ich sind daher nicht in der Lage, dem vorliegenden Gesetzentwurf zuzustimmen. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die Bundesregierung schleunigst ein Agrarprogramm vorlegen sollten, das eine stabile Erzeugung und Steigerung gewährleistet und dem Verbraucher die Sicherheit gibt, weitgehend von den ewigen Schwankungen des Weltmarktes und der Einfuhr unabhängig zu sein. Wir beantragen daher Überweisung dieser Gesetzesvorlage an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie ich vorhin schon betonte, habe ich im Auftrage der Zentrumspartei zur Drucksache Nr. 1161, Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung von Brotpreisen, eine Erklärung der Zentrumsfraktion zu verlesen. Die Erklärung hat folgenden Wortlaut:
Die Zentrumsfraktion erblickt in der Vorlage Drucksache Nr. 1161 den Versuch der Regierung, ein Ermächtigungsgesetz zur Erhöhung des Brotpreises zu erlangen. Die Zentrumsfraktion lehnt es ab, durch ein Rahmengesetz zu der Ausschaltung des Parlaments ihre Hand zu bieten. Der Bundestag darf sich die Entscheidung in wichtigen Fragen keineswegs aus der Hand nehmen lassen, auch nicht die Verantwortung für 'diese Entscheidung. Das gilt erst recht für die Frage der Brotpreisbestimmung.
Der Brotpreis ist zur Zeit durch die Verlängerung des Preisgesetzes gestoppt. Das Verlangen nach einem Ermächtigungsgesetz während der Laufzeit des Preisstopps kann daher keinen anderen Sinn haben als den der. beabsichtigten Preiserhöhung. Die Zentrumsfraktion hat sich aber erst kürzlich gegen die Erhöhung des Brotpreises ausgesprochen. Sie ist nicht willens, die Regierung aus ihrem Versprechen zu entlassen, den Brotpreis stabil zu halten, und dies Versprechen hat die Regierung in ihrer Erklärung gerade zu der von ihr vertretenen sozialen Marktpolitik abgegeben und anläßlich des Anschlusses der D-Mark an die Pfundabwertung erneut besonders betont. Das Zentrum verlangt von der Bundesregierung, daß sie das feierlich gegebene Wort hält, zumal eine Preisverteuerung der Grundnahrungsmittel für breiteste Schichten unseres Volkes eine nicht mehr tragbare Belastung bedeutet. Ein Ausweg aus den Schwierigkeiten der Mehlverteuerung ist von den Organisationen der Müller und des Bäckergewerbes in ihren Verhandlungen mit der Regierung gezeigt worden. Es ist Aufgabe der Regierung, zu ermitteln, in welchen Grenzen die Verteuerung durch die verschiedenen an der Brotpreisbildung beteiligten Berufsstände übernommen werden kann. Für den Rest muß die Regierung mit Subventionen eingreifen. Die dazu notwendigen Gelder können keineswegs durch eine Fettausgleichsabgabe aufgebracht werden, weil diese wieder zur Verteuerung eines anderen Grundnahrungsmittels führen würde.
Im übrigen nimmt die Zentrumsfraktion mit Verwunderung zur Kenntnis, daß die Regierung zwar seit längerer Zeit die Absicht hatte, ab 30. 6. 1950 keine Subventionen mehr zu zahlen, daß sie aber trotz ihres Versprechens der festbleibenden Preise für Grundnahrungsmittel bisher keine Vorsorge für die Zeit nach dem Ende der Subventionen getroffen hatte. Sie schneidet die Frage erst jetzt an, und dazu in einer Weise, die einen starken Eingriff in die
({0})
Legislative und in die Verantwortung des Bundestages bedeutet, und diese Haltung entspricht der allgemeinen Tendenz der Bundesregierung, das Recht der Volksvertretung zu schmälern.
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Die Zentrumsfraktion wird aus diesen angegebenen Gründen dem Antrag der Regierung nicht zustimmen.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Es ist Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten beantragt. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; damit ist die Überweisung beschlossen.
Punkt 6 der Tagesordnung ist heute vormittag bereits erledigt worden.
Wir kommen also zu den Punkten 7a und 7b. Punkt 7a:
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und Z eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes ({0}) und des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedereinführung der Befreiung nichtöffentlicher Schulen und Erziehungsanstalten von der Umsatzsteuer ({1});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Finanz-und Steuerfragen ({2}) ({3})
({4});
und 7 b:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen ({5}) über den Antrag der Fraktion der FDP betreffend Umsatzsteuer für die Verbände der freien Wohlfahrtspflege ({6}).
Das Wort hat zur Berichterstattung Herr Abgeordneter Neuburger.
Neuburger ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Angesichts des großen Programms. das wir heute noch vor uns haben, werden Sie mir sicherlich gestatten, daß ich meine Ausführungen als Berichterstatter etwas kurz halte. Vor Ihnen liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes, dessen zweite und dritte Lesung auf der Tagesordnung steht. Es handelt sich um zwei Materien. die an sich nichts miteinander zu tun haben. Einmal soll Umsatzsteuerbefreiung für die Privatschulen gewährt werden. und andererseits soll die bisher bestehende 34/4 %ige Umsatzsteuer für gewisse Betriebe des Einzelhandels auf 3% gesenkt werden. Bei beiden Anträgen handelt es sich darum, die Rechtslage wiederherzustellen, die vor 1933 bzw. vor 1932 bestand.
Die privaten Schulen, soweit sie öffentlich anerkannt waren, waren mit ihren Leistungen, auch in bezug auf die Internatsleistungen, umsatzsteuerfrei. Diese Umsatzsteuerfreiheit verloren sie im Jahre 1934 - ganz offensichtlich mit dem Ziele, die Privatschulen dadurch in ihrer Finanz- und Leistungskraft entscheidend zu treffen -, und die Folge davon blieb ja auch nicht aus. Die Katastrophen der Kriegs- und Nachkriegsjahre haben die Bedeutung
der Privatschulen wieder sehr stark in den Vordergrund gestellt. Ich denke an all die vielen Waisen, an all diejenigen, die infolge ihrer bedrängten Wohnungsnot keine Möglichkeit haben, ihren Kindern eine ordnungsgemäße Unterkunft und Erziehung zu gewährleisten. Die Privatschulen haben ihr Vermögen durch die Währungsreform großenteils verloren. Der Ausschuß kam daher einstimmig zu dem Ergebnis, dem Hohen Hause die Annahme des von der Zentrumspartei eingebrachten Antrages zu empfehlen.
Bei der zweiten Änderung handelt es sich um die Herabsetzung der Umsatzsteuer von 33/4 auf 3% für gewisse Betriebe des Einzelhandels, nämlich für alle die Betriebe, deren Umsatz eine Million im Jahre überschreitet. Diese Änderung wurde im Jahre 1931 eingeführt. Bereits im Wirtschaftsrat wurde von der SPD und der CDU ein entsprechender Anderungsantrag eingebracht, der damals nicht mehr zur Behandlung kam. Im Ausschuß konnte eine einmütige Auffassung in dieser Angelegenheit nicht erzielt werden, doch kam die überwiegende Mehrheit des Ausschusses zu dem Ergebnis, dem Hohen Hause die Annahme dieses Änderungsantrages ebenfalls zu empfehlen.
Soll ich auch über den letzten Punkt gleich sprechen?
Zu 7 b? Ja, ich glaube, das ist am besten; wir wollen das ja gemeinsam beraten.
Neuburger ({0}), Berichterstatter: Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang auch gleich zu Punkt 7b der Tagesordnung sprechen. Durch den Antrag Drucksache Nr. 262 soll die Bundesregierung aufgefordert werden, die Umsatzsteuerbefreiung für die anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege einzuführen. Diese Verbände waren bis 1934 mit ihren Leistungen ebenfalls von der Umsatzsteuer befreit. Es handelt sich daher nach einmütiger Auffassung des Ausschusses um einen Akt der Wiedergutmachung. Die Verbände der freien Wohlfahrtspflege erfüllen heute im wesentlichen soziale Aufgaben, die, wenn sie nicht durch diese Verbände erfüllt würden, durch den Staat erfüllt werden müßten. so daß es auch unter diesem Gesichtspunkt eine Unökonomik bedeuten würde. wenn man diese Leistun gen auch weiterhin mit einer zusätzlichen Steuer belasten wollte. Der Ausschuß empfiehlt daher dem Hohen Hause, auch diesem Antrage seine Zustimmung zu geben.
Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat für diesen Punkt eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgeschlagen.
Das Wort hat der Abgeordnete Schmücker. - Ich darf Sie darauf aufmerksam machen, daß sich von Ihrer Fraktion noch ein anderer Herr gemeldet hat. Ich bitte daher, Ihre Redezeit entsprechend einzuteilen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nicht zu den beiden Anträgen Stellung nehmen, die die einmütige Billigung des Ausschusses gefunden haben, sondern mich mit dem Antrag beschäftigen, der eine Umsatzsteuersenkung für Einzelhandelsbetriebe mit einem Umsatz von über einer Million DM verlangt. Ich spreche dabei nur für einen Teil meiner Fraktion.
Ich möchte zunächst einmal sagen, daß die Ansicht, eine Umsatzsteuer sei voll abwälzbar, irrig ist. Kleine Einkommensbezieher tragen die Umsatz({0})
steuer als eine persönliche Last. Nehmen Sie einmal eine ganz grobe Rechnung vor. Bei einem Umsatz von etwa einer Million - nehmen wir ein Einkommen von 80 000 DM - beträgt die Umsatzsteuer 37 500 DM. Bei einem Umsatz von 10 000 DM und einem prozentual höher gerechneten Einkommen von 1000 DM kommen wir auf 300 DM Umsatzsteuer. Hier sehen Sie, daß die persönliche Last durch die Aufwendung für die Umsatzsteuer bei dem geringeren Einkommen bedeutend höher ist. Wenn Sie einmal daran denken, daß bei freien Berufen, die ja ohne Warenaufwand arbeiten, der Umsatz zu etwa 800/o Einkommen ist, dann sehen Sie, daß hier die Frage der Umsatzsteuer wieder völlig anders liegt als bei den Einzelhändlern. Es gibt daher eine alte Forderung des Mittelstandes, die Umsatzsteuer zu staffeln. Sie ist durchaus nicht abwegig; denn auch bei anderen sogenannten abwälzbaren Steuern wie der Biersteuer haben wir eine Staffelung. Über diese Staffelung soll aber hier nicht geredet werden. Wir wollen das Prinzip der Antragsteller, die eine Senkung der Umsatzsteuer der Betriebe mit einem Umsatz von einer Million herbeiführen wollen, selbst aufgreifen und sagen, daß alle Umsätze aller Waren gleichbesteuert werden müssen.
Die Warenhäuser aber, meine Damen und Herren, kaufen direkt bei der Fabrik ein. Sie haben dabei allerhand Vorteile, die vielleicht uninteressant sein können; aber zum mindesten sparen sie die Umsatzsteuer des Großhändlers ein, die der Kunde des Einzelhändlers mit tragen muß. Es wird uns entgegengehalten, daß viele oder sogar die meisten Warenhäuser doch zu einem großen Prozentsatz beim Großhandel kaufen. Meine Damen und Herren, das glaubt ja doch kein Mensch, daß ein Mann, der einen Umsatz hat, der größer ist als der Umsatz eines Großhändlers, noch beim Großhändler kauft. Wenn er es doch tut, nun, dann ist hier der Großhändler wie in vielen anderen Betrieben aus steuertechnischen Gründen vorgeschaltet. Wenn Sie Statistiken lesen, die besagen, daß diese Warenhäuser beim Großhandel kaufen, dann bitte ich Sie, doch daran denken zu wollen, daß es sich um steuertechnische Gründe handelt.
Sodann wird darauf hingewiesen, daß die Vertreter des Einzelhandels selber diese Vorlage begrüßt hätten. Nun, ich will hier die Gegensätze nicht gegeneinander ausspielen; aber es ist nun einmal so, daß die Vertreter des Einzelhandels hier zwei Seelen in der Brust haben. Die Einzelhändler selber bestehen auf der alten Regelung; aber die Vertreter des Einzelhandels werden von der neuen Regelung im Vorteil betroffen.
Wir sehen jedoch ein, daß die Konsumgenossenschaften hart betroffen sind. Besonders bezüglich der Backwaren ist es notwendig, daß eine Änderung vorgenommen wird.
Es wird die Behauptung aufgestellt, daß der Einzelhandel direkt von der Fabrik kaufe, und zwar in einem Umfang von 50%. Das wird wiederum mit einer Statistik bewiesen. Ich habe bei Einzelhändlern in der Provinz nachgefragt und festgestellt, daß dort überhaupt keine statistischen Rückfragen gehalten worden sind. Ich kann mir also nicht erklären, wie diese Statistik zustande gekommen sein soll.
Da meine Redezeit kurz ist, will ich noch andere wesentliche Gesichtspunkte auslassen und wieder auf den Kern der Dinge zurückkommen. Nach Meinung der Antragsteller ist der Kern der: die abwälzbare Umsatzsteuer soll gerecht sein. Dabei ist festzustellen, daß der Kunde des Einzelhändlers gegenwärtig 33/4% bezahlen muß, weil dieser über den Großhändler bezieht. Zwar bezahlt der Kunde des Warenhausbesitzers gegenwärtig auch 33/4%; aber wenn diese Vorlage durchkommt, bezahlt er nur noch 3% Umsatzsteuer.
Aus diesem Grunde und dem weiteren, daß eine Ausgleichsregelung bezüglich der Backwaren bei den Konsumgenossenschaften nötig ist, ferner weil noch bedacht werden muß, daß nach der Umsatzsteuerregelung beispielsweise bei den Handwebern die Umsatzsteuer auf 6% heraufgeht, und weil ich die Überzeugung habe, daß es möglich ist, hier doch noch zu einem Ausgleich zu kommen, möchte ich Sie darum bitten, die Vorlage zur nochmaligen Beratung an den Ausschuß zurückzuverweisen. Ich bin der Ansicht, daß es hier, wo sich beide Bestrebungen treffen, möglich sein muß, zu einem Ausgleich zu kommen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Koch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion der SPD wird dem ersten Antrag, nämlich dem Antrag des Zentrums Drucksache Nr. 656 über die Wiedereinführung der Befreiung nichtöffentlicher Schulen und Erziehungsanstalten von der Umsatzsteuer, zustimmen. Wir lassen uns dabei von der kulturellen Bedeutung dieser Schulen und von dem Gedanken leiten, daß sie Vorkämpfer des Fortschritts auf pädagogischem Gebiet gewesen sind und internationales Ansehen genießen. Diese Schulen üben keine unternehmerische Tätigkeit aus; und man kann wohl sagen, daß die Leiter dieser Schulen und die Lehrer in aller Regel pädagogische Fanatiker sind, die weniger an Gewinnerzielung und Unternehmen, denn an ihre pädagogische Aufgabe denken. Wir müssen daran denken, daß diese Schulen für den Staat Ersparnisse mit sich bringen. Wir müssen weiter daran denken - das wurde ja auch schon von dem Berichterstatter erwähnt -, daß mit der Annahme des Antrags nationalsozialistisches Unrecht wiedergutgemacht wird. Wenn wir diesem Antrag zustimmen, verbinden wir damit die Hoffnung, daß sich die soziale Schichtung in diesen Schulen immer mehr und mehr verbessern möge, so daß diese Schulen keine Standesschulen mehr sind, und daß man uns das Versprechen erfüllt, daß durch den Wegfall der Umsatzsteuer mehr und mehr Freiplätze geschaffen werden können, insbesondere auch für diejenigen Schülerkategorien, von denen der Berichterstatter sprach, also für die Kinder von Flüchtlingen und Vertriebenen. Soviel zu diesem Antrag.
Und nun zu dem anderen Antrag, zu dem interfraktionellen Antrag der SPD, der CDU/CSU und des Zentrums. Wenn wir uns mit diesem interfraktionellen Antrag auf Beseitigung der Sonderumsatzsteuer, also auf Beseitigung eines alten, krassen Unrechts zuwenden, dann bedenken Sie bitte, daß dieser Antrag nicht so sehr eine finanzpolitische Seite, sondern vornehmlich eine sozialpolitische und eine wirtschaftspolitische Seite hat. Wir wollen uns daran erinnern, daß diese Sonderumsatzsteuer in den Jahren 1930, 1931 und 1932 unter dem Druck der damaligen Wirtschaftspartei unseligen Angedenkens eingeführt wurde. Es war ein regelrechtes Erpressungsmanöver gegenüber der damaligen Regierung. Die Wirtschaftspartei erklärte, sie könne ihre Zustimmung zum Haushaltsplan 1931/32 nur geben, wenn diese Sonderumsatzsteuer eingeführt werde. Es war eine echte Kampf({0})
und Neidsteuer gegen die Großunternehmen des
Einzelhandels. Erlauben Sie mir, daß ich aus einem
führenden Umsatzsteuerkommentar über die Vorgeschichte dieser Steuer einige Sätze vorlese:
Der Kompromiß, der sich aus der besonderen politischen Konstellation ergab, lugt aus allen Winkeln hervor: Der Ansatz an einer Reihe von Steuern, um relativ kleine Steuermehrergebnisse herauszuholen, bei der Umsatzsteuer die krummen Zahlen von 81/2 vom Tausend für den allgemeinen Steuersatz und von 131/2 vom Tausend für die erhöhte Steuer
- was waren das für glückliche Zeiten! -;
die Verbindung mittelständlerischer Forderungen mit verhältnismäßig nicht sehr bedeutenden finanziellen Zielen.
Es entbehrt vielleicht nicht eines gewissen Reizes, daß diese Zeilen aus der Feder des Herrn Staatssekretärs Hartmann oder aus der des Sachbearbeiters im Finanzministerium, des Herrn Ministerialrats Dr. Thiem stammen.
Meine Damen und Herren! Ich darf Sie weiter an die Entscheidung des Wirtschaftsrats aus dem vergangenen Jahr erinnern. Sie erinnern sich, daß der Finanzausschuß des Wirtschaftsrats sich wiederholt für die Abschaffung dieser Steuer ausgesprochen, daß im Juni 1949 der Wirtschaftsrat den Antrag im Plenum auch angenommen hat und daß die Beseitigung dieser Umsatzsteuer lediglich deswegen unterblieb, weil das Zweimächte-Kontrollamt erklärte, die Beseitigung dieser Steuer sei Sache des Bundestags. - Meine Damen und Herren, ich sehe, ich muß mich kürzer fassen. Ich wollte noch von den betroffenen Kreisen sprechen. Einmal werden durch diese Sonderumsatzsteuer die Waren- und Kaufhäuser, die Filialgeschäfte, vor allem aber die Lebensmittelfilialgeschäfte betroffen - darauf möchte ich besondere Betonung legen -, dann aber auch Geschäfte wie Salamander. Wir erinnern uns daran, welche preisregelnde Kraft ein derartiges Geschäft in den vergangenen Jahren auf dem großen Gebiet des Schuhmarktes gehabt hat. Betroffen werden vor allen Dingen auch - ich bin meinem Vorredner von der CDU dankbar, daß er das erwähnt hat - die Konsumgenossenschaften. Sie, meine Damen und Herren, kennen die besondere Bedeutung dieser gemeinwirtschaftlichen Wirtschaftsform. Sie wissen, daß sie breiten Schichten der Bevölkerung dienen ohne die Absicht einer Gewinnerzielung. Sie wissen von der preisregulierenden Kraft und der Bedeutung der Genossenschaften; und Sie wissen, daß man auch an ihnen altes nationalsozialistisches Unrecht wiedergutzumachen hat.
Aber insbesondere betroffen, meine Damen und Herren, sind von dieser Sonderumsatzsteuer - da die Umsatzsteuer ja kalkulierbar ist - die breiten, sozial schwachen Schichten der Verbraucher. Die Sonderumsatzsteuer führt zu einer Wegsteuerung des Leistungsvorsprungs der rationell arbeitenden Großbetriebe und damit zu einer Behinderung des Wettbewerbs, von dem gerade auch Sie, meine Herren von der Rechten, sprechen. Insbesondere werden die Großbetriebe des Einzelhandels, also die Konsumgenossenschaften und die Warenhäuser getroffen, die lebenswichtige preisregulierende Funktionen ausüben. Ich möchte ein Wort des Herrn Abgeordneten Pelster, das er im Finanzausschuß gebrauchte, hier wieder aufgreifen: „Diese Sonderumsatzsteuer ist eine Prämie auf die Bequemlichkeit der Kleinbetriebe". Und ich darf daran erinnern, daß insbesondere auch der Herr Bundeswirtschaftsminister immer wieder auf die Bedeutung der Großbetriebe des Handels hingewiesen hat.
Ich möchte hier vieles von dem, was ich sagen wollte, überschlagen und noch auf eine Entschließung der Sozialausschüsse der CDU hinweisen, die sich sicherlich von diesen sozialen Gesichtspunkten haben leiten lassen, als sie am 8. und 9. Oktober 1949 in Königswinter auf einer Delegiertenkonferenz der Sozialausschüsse der CDU einstimmig beschlossen, daß die Neuregelung der Umsatzsteuer durch Beseitigung der Sonderbesteuerung der Konsumgenossenschaften seit 1930 einer ihrer Programmpunkte sei. Und dieser Beschluß wurde dann noch einmal bestätigt in den sogenannten Oberhausener Entschließungen der CDU, in denen es heißt, daß durch schnellste Beseitigung der bestehenden steuerlichen Benachteiligung der Konsumgenossenschaften im Umsatzsteuergesetz die Gleichstellung der Genossenschaften mit allen anderen Betrieben des Einzelhandels herbeigeführt werden müsse.
Aber auch aus den Kreisen des Einzelhandels - das wurde hier schon erwähnt -, hören wir ähnliche Stimmen; und ich möchte auf eine Entschließung der Hauptgemeinschaft des deutschen Einzelhandels zur Steuerreform vom Oktober 1949 hinweisen, die ausdrücklich eine gleiche Steuerbelastung für alle Wettbewerber gefordert hat. Ich habe bisher nicht gehört, daß man von dieser Entschließung abgerückt sei. Das könnte ich mir auch gar nicht vorstellen, weil sicherlich von all denen, die von der Gleichheit der Besteuerung sprechen, wohl niemand an den alten Traditionen der Wirtschaftspartei festhalten möchte, nicht wahr, Herr Abgeordneter Wellhausen?
({1})
Meine Damen und Herren! Wir wollen nicht etwa eine steuerliche Sonderstellung für die Konsumgenossenschaften oder für sonstige Großbetriebe des Einzelhandels. Es ist ein beliebtes Mittel im politischen Kampf, dem Gegner bestimmte Absichten zu unterstellen, um sie dann zu bekämpfen. So findet man immer wieder einen Knüppel, um den Hund zu schlagen. Den Genossenschaftlern unterstellen ihre Gegner, sie wollten eine steuerliche Sonderstellung. Davon kann gar keine Rede sein. Es ist immer wieder betont worden, daß wir keine steuerliche Bevorzugung verlangen - das ergibt sich auch aus einer Entschließung des Konsumgenossenschaftstages aus dem Jahre 1949 in Köln-, sondern wir fordern, daß die Konsumgenossenschaften nicht schlechter als die vergleichbaren und mit ihnen in Wettbewerb stehenden Wirtschaftsgruppen im Handel und Handwerk behandelt werden. Diese Kreise, für die ich hier spreche - es sind ja letzten Endes die weiten Verbraucherkreise, die durch diese Sonderumsatzsteuer betroffen werden -, wollen keine Sonderbehandlung im Steuerrecht, sie wollen nur steuerliche Gerechtigkeit. Wir wollen für die Verbraucher eine soziale Besteuerung.
Deshalb geben Sie Ihre Stimme für diesen Antrag ab, stimmen Sie für diesen interfraktionellen Antrag der CDU/CSU, der SPD und des Zentrums. Ich darf noch einmal daran erinnern, daß dieser Antrag im Ausschuß mit erheblicher Mehrheit angenommen worden ist.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mensing.
Herr Präsident! Meine Damen und meine Herren! Ich werde mich befleißigen, in Ruhe und Sachlichkeit mich mit den Ausführungen meines Vorredners auseinanderzusetzen.
({0})
Der vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes fordert den schärfsten Protest des Handwerks und des gesamten gewerblichen Mittelstandes heraus.
({1}) Meine Damen und Herren! Warenhäuser, Konsumvereine, Einheitspreisgeschäfte und Filialgeschäfte haben, wenn sie mehr als eine Million Mark Jahresumsatz tätigen, eine erhöhte Umsatzsteuer, nämlich 33/4 % zu zahlen
({2})
- ich werde es Ihnen gleich begründen - statt der 3 %, die das Handwerk und der Einzelhandel zu entrichten haben. Diese Erhöhung ist eingeführt worden, um dem gewerblichen Mittelstand den Wettbewerb zu erleichtern; sie bedeutet nur einen teilweisen Ausgleich dafür, daß die Einzelhandel treibenden Großunternehmen a) einen oder mehrere umsatzsteuerpflichtige Geschäftsvorgänge dadurch einsparen, indem sie direkt vom Fabrikanten kaufen oder selbst fabrizieren; b) im großen durch Mengenrabatt besonders günstig einkaufen. Der entscheidende Punkt des Antrags ist daher die Aufhebung der sogenannten Warenhaussteuer. Hiergegen erhebt das Handwerk und, wie ich schon sagte, der gesamte gewerbliche Mittelstand schärfsten Protest.
({3}) Dieses würde die Aufhebung einer Schutzbestimmung bedeuten, die vor 1933 geschaffen worden ist, um die Erhaltung der kleineren und mittleren gewerblichen Betriebe zu fördern und sie im Sinne des Art. 164 der Weimarer Verfassung vor Aufsaugung und Vernichtung zu schützen.
Wenn Sie, verehrter Her Kollege, in diesem Zusammenhang die Wirtschaftspartei erwähnten, daß unter ihrem Einfluß in Form einer Erpressung diese Steuer erreicht worden sei, so liegt es mir gänzlich fern - ich habe dazu gar keine Veranlassung -, der verflossenen Wirtschaftspartei hier in irgendeiner Form einen Nachruf zu widmen, aber das eine weiß ich, und das nehmen auch Sie zur Kenntnis: Diese Wirtschaftspartei wäre nie und nimmer möglich gewesen, wenn die damaligen Parteien der Weimarer Zeit eine gesunde Mittelstandspolitik betrieben hätten.
({4})
Wenn diese Partei damals zum Schutze des gewerblichen Mittelstands diese Forderung erhoben hat, so hat dieses die Zustimmung des gesamten gewerblichen Mittelstands gefunden. Meine Damen und Herren, die Beseitigung der Warenhaussteuer ist praktisch nichts anderes als ein Geschenk an die Großbetriebe.
({5})
Diese mittelstandsfeindliche Maßnahme werden - darauf können Sie sich verlassen - die fast 1 Million Handwerksmeister und 300 000 Einzelhändler im Bundesgebiet nicht ohne weiteres hinnehmen.
({6})
- Ich möchte gerade Ihnen sagen, - ({7})
Verzeihung! Darf ich darauf aufmerksam machen, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
Ich bedauere außerordentlich, daß es bei einer solch wichtigen Frage unmöglich ist, hier den Gedanken auszuspinnen.
({0})
Die Gefahren, die dem gewerblichen Mittelstand drohen, erkennen Sie, wenn Sie in Bonn Umschau halten. Hier können Sie sehen, was für Großbetriebe im Entstehen begriffen sind.
({1})
Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, zu Ende zu kommen. Die Redezeit ist abgelaufen.
Gut, dann möchte ich nur eines sagen. Ich sehe Herrn Dr. Schumacher dort sitzen.
Nein, Sie dürfen nichts mehr sagen.
({0})
Nur einen Satz!
Aber wirklich nur einen Satz.
Ich möchte Herrn Dr. Schumacher daran erinnern, daß er vor einiger Zeit auf einer Großkundgebung ausgeführt hat:
Wir müssen den Kampf um die Seele des gewerblichen Mittelstandes aufnehmen.
Wenn das Ihr Wille ist, dann beweisen Sie durch
die Tat, daß Sie mittelstandsfreundlich sind, dann
stimmen Sie für Beibehaltung der Warenhaussteuer.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kneipp.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner politischen Freunde beantrage ich zunächst getrennte Abstimmung zu den Ziffern 12a und 12b in Drucksache Nr. 1123 Artikel I Ziffer 1, und zwar deshalb, weil hinsichtlich dieser beiden Punkte meine politischen Freunde anders stimmen werden als bei Punkt 2. Ich darf zu dieser Einstellung meiner politischen Freunde folgendes sagen.
Für uns gibt es keinen Begriff „Warenhaussteuer". Auch haben wir mit Wirtschaftspartei und dergleichen nie etwas zu tun gehabt und haben auch nichts damit zu tun. Wir stehen zunächst aus finanziellen Gründen auf dem Standpunkt, daß eine Senkung der Umsatzsteuer in einem Umfang von über 40 Millionen DM eine außerordentlich bedenkliche Steuersenkung ist.
({0})
- Ist doch die Umsatzsteuer die Grundlage der Finanzen des Bundeshaushalts!
({1})
Die Einkommensteuer hat damit nichts zu tun. Bringen Sie hier bitte keine ollen Kamellen!
({2})
- Kehren Sie vor Ihrer eigenen Tür!
({3})
Wie ist es denn mit den 33/4%? Wer zahlt denn diese 33/4%? Und warum ist es gerecht, daß die
({4})
Großbetriebe usw. 33/4% bezahlen? Wir verlangen gleichen Start grundsätzlich für alle.
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Wer in der Lage ist, bei der Umsatzbesteuerung einzelne Phasen zu überspringen, für den gehört eben eine höhere Umsatzsteuer, und wenn es die 33/4% sind, unter allen Umständen!
({6})
Gerade die Kreise wie die Warenhäuser - die will ich mal zuerst an die Spitze stellen - überspringen unstreitig eine Reihe von Phasen und haben infolgedessen durch die günstigeren Einkaufsmöglichkeiten auch die Möglichkeit, daß sie 3/4% mehr bezahlen.
({7})
Gerade der Kleinhandel steht ja heute besonders schwierig insofern da, als die Anzahl der Kleinhandelsgeschäfte eine außerordentlich große geworden ist durch die rücksichtslose Durchführung der Gewerbefreiheit.
Wir möchten diesen gleichen Start herbeiführen, und ich will Ihnen auch an einem Beispiel einmal dokumentieren, wie sich das auswirkt, und zwar möchte ich die Butter herausnehmen, die ja heute .loch den Festpreisbestimmungen unterliegt. Wenn die Butter normalerweise vom Großhandel bei den Molkereien aufgenommen wird, von dort an den Kleinhandel weitergeht, dann liegt pro Pfund eine Gesamtumsatzsteuer von 21,75 Pfennig vor. Es wird interessant sein, diese Zahl von 21,75 Pfennig etwas aufzusplittern. Der Erzeuger muß 4,5 Pfennig tragen, die Molkerei 7,2 Pfennig, der Großhandel 1,89 Pfennig und der Kleinhandel 8,16 Pfennig. Kauft nun der Großhandel oder das Großgeschäft mit seinen vielen Filialen die Butter unmittelbar bei der Molkerei ein, dann ist die Gesamtumsatzsteuer-Leistung nur 20,7 oder 1,05 Pfennig weniger. Dieser Unterschied muß Ihnen schon dokumentieren, daß der Großhandel mit diesem Gewinn von 1,05 Pennig bei der Butter schon ein Voraus hat und daß ihm unter allen Umständen hier eine erhöhte Umsatzsteuer zugemutet werden kann. Wohlgemerkt: in diesen 20,7 Pfennig ist schon diese erhöhte Umsatzsteuer mit 3/4% eingeschlossen. Deshalb haben sich meine politischen Freunde entschlossen, gegen diesen Teil des Initiativ-Gesetzentwurfes der verschiedenen Parteien zu stimmen.
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Meine Damen und Herren! Der Herr Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaftspolitik hat mich gebeten, die Mitglieder des Ausschusses für Wirtschaftspolitik darauf hinzuweisen, daß ab 15.30 Uhr eine kurze Sitzung dieses Ausschusses in Zimmer 12 stattfindet.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Eickhoff.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Beratung liegen die Drucksachen Nr. 420, Nr. 656, Nr. 262 und die Ausschußberichte auf Drucksache Nr. 1123 und 1124 zugrunde. Die Fraktionen der CDU, SPD und des Zentrums beantragen mit Drucksache Nr. 420 die Streichung des Absatzes 4 in § 7 des Umsatzsteuergesetzes, der besagt, daß Unternehmungen, die im vorangegangenen Kalenderjahr mehr als eine Million Mark Einzelhandelsumsatz erzielt haben, eine auf 33/4% erhöhte Umsatzsteuer zu zahlen haben. Diese erhöhte Umsatzsteuer ist 1930 eingeführt worden zu dem ausgesprochen sozialpolitischen Zweck des Schutzes des kleineren Gewerbes gegen die Konkurrenz der Warenhäuser, der Konsumgenossenschaften, der Industrie mit Einzelhandelsumsatz usw., um die Wettbewerbsverschiebungen auszugleichen, die sich insbesondere wegen der größeren Kapitalstärke zugunsten der Großbetriebe ergaben. Ich erinnere daran, daß der Großbetrieb zumeist in der Lage ist, durch direkten Einkauf vom Hersteller eine Wirtschaftsstufe zu überspringen und dabei auch die darauf liegende Umsatzsteuer einzusparen. Allein diese Tatsache rechtfertigt zum Teil die erhöhte Umsatzsteuer.
Dem Antrage auf Drucksache Nr. 420 ist keine Begründung beigegeben. Ich glaube, deswegen auch die Schlußfolgerung ziehen zu können, daß es den Großunternehmen im Einzelhandel bisher nicht schwer gefallen ist, die Steuer zu tragen oder abzuwälzen. Nach Angabe des Herrn Bundesfinanzministers würde der Ausfall dieser Steuer immerhin bei 40 Millionen liegen.
({0}) Dieser Ausfall würde irgendwie wieder ausgeglichen werden müssen. Wenn der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung aus wohlüberlegten Gründen dem deutschen Mittelstande seine ganze Unterstützung zugesagt hat, dann würde es dieser heute nicht verstehen, wenn eine diesen Stand schützende Steuer in Wegfall kommen sollte. Die Beibehaltung dieser Steuer wird auch heute alle davon betroffenen Betriebe nicht übermäßig belasten, und ich habe für meine Fraktion zu erklären, daß wir der Streichung des Absatzes 4 in § 7 des Umsatzsteuergesetzes nicht zustimmen können.
Anders liegt es bei dem Antrag der Zentrumsfraktion, Drucksache Nr. 656, der die Wiedereinführung der Befreiung von nichtöffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten von der Umsatzsteuer vorsieht. Hier wurde die Umsatzsteuer 1934 mit dem ausschließlichen Zweck eingeführt, die Privatschulen nach Möglichkeit ganz auszuschalten oder ihnen das Leben möglichst schwer zu machen, um der Jugenderziehung die richtige NS-Richtung geben zu können. Wir erkennen auch an, daß die nichtöffentlichen Schulen im öffentlichen Interesse liegen und eine staatspolitische Aufgabe zu erfüllen haben. Darum halten wir die Erhebung einer Umsatzsteuer von ihnen nicht für gerechtfertigt. Meine Fraktion wird deswegen dem Zentrumsantrag zu den §§ 1 und 2 zustimmen. Ebenso stimmen wir dem Antrag der FDP, Drucksache Nr. 262, betreffend Umsatzsteuer für die Verbände der freien Wohlfahrtspflege zu.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Reismann.
Meine Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion ist mit dem Antrage des Herrn Kollegen Schmücker einverstanden, die Vorlage, die sich mit der Sonderumsatzsteuer der Umsatzmillionäre befaßt, noch einmal in den Ausschuß zu verweisen, damit die Bedenken, die von gewisser Seite vorgebracht werden, geprüft werden können. Da ohnehin beabsichtigt ist, eventuell eine solche Änderung des Umsatzsteuergesetzes erst im Oktober in Kraft treten zu lassen, so reicht die Zeit dafür noch aus und es entsteht kein Schaden.
Bezüglich der arideren Anträge kann ich es mir leicht machen, da ich sehe, daß unser Zentrumsantrag Drucksache Nr. 656 über die Umsatzsteuerbefreiung für die nichtöffentlichen Schulen und Erziehungsanstalten auf allseitige Zustimmung
({0})
stößt. Es handelt sich in der Tat, wie schon gesagt wurde, nicht um ein Gewerbe im üblichen Sinn, sondern darum, daß hier Aufgaben, die an sich der Staat finanzieren, wenn nicht gar erfüllen müßte, ihm von Privaten abgenommen werden. Hinzu kommt, daß die staatlichen und sonstigen öffentlichen Schulen selber eine entsprechende Steuer nicht aufbringen und daß diese Umsatzsteuer eine ausgesprochen nationalsozialistische Erfindung ist, die zur Benachteiligung aus politischen und weltanschaulichen Gründen eingeführt worden war. Ihre Aufhebung ist erforderlich.
Aus ähnlichen Gründen stimmen wir dem Antrag der FDP zu, die Umsatzsteuer für die Verbände der freien Wohlfahrtspflege abzuschaffen.
Herr Abgeordneter Pelster, Sie hatten die Absicht, einen Anderungsantrag vorzulegen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß die Redezeit abgelaufen ist.
Ich habe nur einen Änderungsantrag einzureichen. Gestatten Sie mir aber, Herr Präsident, einen einzigen Satz! Meine politischen Freunde bitten angesichts der Tatsache, daß eben geschlossen mitgehalten worden ist, das soziale Unrecht, welches in der erhöhten Umsatzsteuer liegt, unter allen Umständen wieder gutzumachen. Ich habe einen Änderungsantrag zu stellen und kann sagen, daß der Herr Finanzminister dem Gesetzentwurf zugestimmt hat, sofern das Inkrafttreten der Änderung auf den 1. April 1951 verschoben wird. Wir haben beantragt - und auch die Antragsteller des Antrags Drucksache Nr. 420 sind damit einverstanden -, das Inkrafttreten auf den 1. April 1951 zu verschieben. Ich bitte, dem zuzustimmen.
({0})
Der Antrag liegt schon längst vor; er ist nicht neu.
Das Wort hat Herr Staatssekretär Hartmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte hier nicht zur Sache sprechen. Nicht als ob ich der Sache kein besonderes Gewicht beimäße. Ich glaube, die Gründe, die gegen den einen oder den anderen oder alle Anträge hier geltend gemacht wurden, haben ein besonderes Gewicht. Ich möchte aber nur den Gesichtspunkt in den Vordergrund stellen, daß es mit Rücksicht auf den Ausgleich des Haushalts in diesem Rechnungsjahr nicht möglich ist, Ausfälle von 40, 45, 50 und mehr Millionen
({0})
- Verzeihung, ich komme darauf.
Ich habe betont, daß das in diesem Rechnungsjahr nicht möglich sein wird, sondern daß wir erst nach der Sitzungspause des Hohen Hauses den Haushalt, den Entwurf zu Art. 131 des Grundgesetzes, den Gesetzentwurf über die Versorgung der Kriegsbeschädigten und den Lastenausgleichsgesetzentwurf vorlegen und dem Bundestag damit ein Gesamtbild über die Haushaltslage und über die Gesamtbelastung der Wirtschaft geben können. Ich bitte daher dringend, ein Inkrafttreten vor dem 1. April des nächsten Jahres nicht ins Auge zu fassen, damit sich für dieses Haushaltsjahr keine Rückwirkung ergibt. Noch erwünschter wäre es, wenn die Beratung dieses Antrags bis zum September hinausgeschoben werden könnte,
({1})
damit wir auch nicht für das nächste Haushaltsjahr jetzt bereits Belastungen auf uns nehmen, deren Tragbarkeit wir nicht übersehen können. Auf jeden Fall bitte ich, für dieses Haushaltsjahr von einer Inkraftsetzung abzusehen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Beratung und Aussprache sind damit abgeschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst ist der Antrag gestellt worden, die Vorlage Drucksache Nr. 1123 nochmals an den Ausschuß zurückzuverweisen. Ich bitte diejenigen, die für die Zurückverweisung sind, die Hand zu heben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte ist die Mehrheit. Der Antrag ist damit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Gesetzentwurf. Ich rufe zunächst Art. I auf, für den getrennte Abstimmung nach den einzelnen Ziffern beantragt wurde.
Ich rufe also zunächst auf Art. I Ziffer 1. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; die Ziffer ist angenommen.
Art. I Ziffer 2.
({0})
- Der Abänderungsantrag bezieht sich ja auf Art. II. Über ihn kann infolgedessen erst abgestimmt werden, wenn über Art. II abgestimmt wird. - Wir stimmen also über Art. I Ziffer 2 ab. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ziffer 3. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Noch einmal: Wer für Ziffer 3 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; die Ziffer ist angenommen.
Ziffer 4. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; Ziffer 4 ist angenommen.
Zu Art. II liegt ein Abänderungsantrag auf Drucksache Nr. 1203 vor:
Dieses Gesetz tritt am 1. April 1951 in Kraft.
Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; gegen ganz wenige Stimmen ist also der Abänderungsantrag angenommen.
Wer für Art. II in der abgeänderten Form ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Art. III. Wird auch da Abstimmung nach Ziffern verlangt? Ein Antrag liegt nicht vor.
({1})
Ich rufe also den gesamten Art. III auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
({2})
Art. III enthält -
Wir sind jetzt in der Abstimmung.
Nachdem Art. II geändert ist, muß natürlich auch in Art. III „1. Oktober" abgeändert werden in „1. April".
Also wer mit der Abänderung zu Art. III Ziffer 1 einverstanden ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich bitte diejenigen, die dem Art. III in der nunmehr beschlossenen Form zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Einleitung und Überschrift. - Ich bitte um das Handzeichen. - Das ist die Mehrheit. Ich bitte trotzdem um die Gegenprobe. - Das erste war zweifellos die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Wer nunmehr in der zweiten Beratung für das Gesetz in der soeben angenommenen Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; es ist so beschlossen.
({0})
- Die Gegenprobe, meine Damen und Herren? - Es war eine uberwiegende Mehrheit. Die Gegenprobe ist doch völlig überflüssig.
({1})
Wenn Sie die Gegenprobe durchaus wollen, dann bitte ich diejenigen, aie gegen das Gesetz sind, die Hand zu erheben. - Das ist zweifellos die Minderheit.
({2})
Mein Damen und Herren! Aus dem eben angenommenen Antrag zu Art. II: „Das Gesetz tritt am 1. April 1951 in Kraft" ergibt sich die Konsequenz, daß in Art. III das Datum „1. September" jetzt in „1. März 1951" geändert werden muß. Ich bitte diejenigen, die dieser Anderung zustimmen, die Hand zu erheben.
({3})
- 1. März! Ich bitte alle diejenigen, die dafür sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; es ist so beschlossen.
Ich eröffne nunmehr die
dritte Beratung.
({4}) - Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Oellers.
Ich widerspreche hiermit namens meiner politischen Freunde der dritten Lesung am heutigen Tage.
({0})
Meine Damen und Herren! Nachdem widersprochen worden ist, sind wir nicht in der Lage, die dritte Lesung heute vorzunehmen und das Gesetz nach der dritten Beratung zu verabschieden. Wir müssen sie infolgedessen auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung am Mittwoch setzen. Ich erbitte Ihr Einverständnis dazu. - Es wird nicht widersprochen; Ihr Einverständnis ist also gegeben.
Wir kommen dann zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 1124, Punkt 7 b der Tagesordnung. Ich bitte diejenigen, die dem Antrag zustimmen, die Hand zu erheben. Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zu den Punkten 8 a und 8 b der Tagesordnung:
8 a Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Wirtschaftspolitik ({0}) über die Anträge der Fraktion der SPD betreffend Interzonenhandel ({1}),
8 b Beratung des Antrags der Abgeordneten Rademacher, Juncker, Dr. Friedrich, Dr. Schäfer und Fraktion der FDP betreffend Interzonenhandel ({2}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Stegner.
Stegner ({3}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Die Anträge der sozialdemokratischen Fraktion, gekennzeichnet durch die Nr. 943 und Nr. 1084 der Drucksachen, haben dem wirtschaftspolitischen Ausschuß die Möglichkeit gegeben, das Problem des Interzonenhandels sehr ausführlich zu besprechen.
({4})
- Herr Präsident, darf ich bitten, dafür zu sorgen, daß etwas mehr Ruhe eintritt; sonst ist es unmoglich, sich verständlich zu machen.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete beklagt sich mit Recht darüber, daß er sich nicht verständlich machen kann, wenn in den Gängen zuviel Gespräche stattfinden. Ich bitte also, we Gespräche einzustellen oder sie in die Vorräume zu verlegen.
Ich bitte Herrn Abgeordneten Stegner, fortzufahren.
Stegner ({0}), Berichterstatter: Da sowohl ein Antrag auf Förderung des Interzonenhandels vorlag, als auch die Frage gestellt war, wie der illegale Interzonenhandel zu beseitigen sei, mußte das Problem sehr ausführlich behandelt werden, um die beiden Gesichtspunkte aufeinander abzustimmen. Man hatte sich also damit zu befassen, ob der legale Handel überhaupt isoliert vom illegalen Handel betrachtet werden kann. Nach Ansicht des Ausschusses ist das Volumen des legalen Handels für das Ausmaß des illegalen Handels mitbestimmend. Es war interessant, daß im Ausschuß sogar der Vorschlag gemacht wurde, den Interzonenhandel hier im Westen genau so wie im Osten über eine einzige Stelle zu schleusen und zu steuern. Man hatte sich bei dem sehr starken Verlangen der Ostzone nach Stahl zu überlegen, welche Auswirkungen das Stahlembargo und seine mögliche Lockerung für einen Interzonenhandel haben würde. Man mußte sich einmal über die Ausschreibungsverfahren klar werden. Man mußte sich weiterhin darüber klar werden, welche Rolle Westberlin im Interzonenverkehr, aber auch im illegalen Interzonenverkehr, gewissermaßen als Transitstadt, spielt. All das waren die Probleme, die erörtert werden mußten, bis der Antrag, der heute dem Hohen Hause auf Drucksache Nr. 1135 vorliegt, erarbeitet werden konnte.
Im einzelnen sieht der legale Interzonenhandel folgendermaßen aus. Sie wissen, daß vor mehr als Jahresfrist durch das sogenannte Frankfurter Abkommen eine Epoche der Kompensationsgeschäfte abgelöst wurde. Diese Kompensationsgeschäfte, die an sich ein ziemlich hohes Volumen hatten, wurden schwierig, weil es einem einzelnen immer sehr schwer ist, die entsprechenden Warenmengen von der anderen Seite zu bekommen. Zwei({1})
tens war es ein großer Fehler, daß Waren in die Westzone eingeschleust wurden, die der eigenen Fabrikation unseres Gebietes Konkurrenz machten. Infolgedessen war es zweifellos eine sehr fühlbare Erleichterung, daß mit Abschluß des Frankfurter Abkommens hier ein geordneter, auch wirtschaftspolitisch übersehbarer Zustand eintrat.
Bei den damaligen, sehr langwierigen Verhandlungen mußten die Partner eine ganze Reihe von Gesichtspunkten berücksichtigen. Der wesentlichste war natürlich die Wirtschafts- und Mangellage in der Ostzone, die das Tempo dieses Abkommens zu bestimmen hatte, ferner das Bestehen zweier Währungen ohne eine feste Kursrelation und drittens das Bestehen einer Grenze, die zwar eine Grenze ist, aber nicht den Charakter einer Zollgrenze hat. Aus diesen Tatsachen erklären sich auch gewisse Besonderheiten dieses Abkommens, nämlich die zwei Anhänge zu diesem Vertrag, die festlegen, welche Waren, welche Mengen und zu welchem Preise diese geliefert werden sollen, und die damals für beide Seiten eine Gesamtmenge von 300 Millionen DM festgelegt haben, zweitens die fixierten Verrechnungseinheiten - alle Zahlungen werden über ein einziges Verrechnungskonto geleitet - und drittens die Tatsache, daß bei der Preisbewegung die wirtschaftlichen Verhältnisse von D-Mark-West zugrunde gelegt werden.
Das Abkommen, das nur bis zum 30. 6. 1950 gültig war, ist bis jetzt wie folgt ausgeführt worden: Der Westen bestellte für etwa 252 Millionen DM, der Westen lieferte für 90 Millionen DM; der Osten bestellte für 165 Millionen DM, der Osten lieferte für 115 Millionen DM. Es zeigt sich also, daß das damals festgelegte Volumen noch nicht ausgefüllt ist. Mit Genehmigung der Hohen Kommissare ist es aber möglich, dieses Abkommen zu verlängern. So hat man sich dazu entschlossen, das Abkommen zuerst um einen Monat, dann vielleicht aber noch zweimal um je einen Monat zu verlängern, damit das volle Volumen von 300 Millionen DM noch abgewickelt werden kann. Man ist im Augenblick dabei, gewisse Schwierigkeiten dadurch auszuräumen, daß man eine Umspezifizierung der Warenlisten vornimmt.
Soviel über den legalen Handel. Grundsätzlich hat der wirtschaftspolitische Ausschuß beschlossen - und auch dies seinem Antrag eingefügt -, daß eine wertmäßige Ausdehnung des legalen Handels- geschäfts Ost-West auf der Preisbasis Westdeutschlands ermöglicht werden soll. Ob es gehen wird, können wir hier nicht entscheiden; aber der Versuch sollte doch gemacht werden. Zweitens soll das Ausschreibungsverfahren möglichst über den anerkannten Handel mit breiter Streuung der zu erteilenden Genehmigungen erfolgen. Dieser Hinweis ist deswegen nötig, weil sich nicht immer nur saubere Elemente in den Interzonenhandel einschalten und sowohl Waren- wie Zahlungspapiere mißbraucht werden, weil aber auch in anderer Hinsicht durch solche Papiere Blockierungen vorgenommen wurden, die natürlich für die Abwicklung eines solchen Abkommens nicht wünschenswert sind.
Lassen Sie mich jetzt noch einige wenige Worte zu dem Teil des Antrags sagen, der sich mit der Bekämpfung des illegalen Handels befaßt. Sie wissen, daß der innerdeutsche Grenzverkehr durch das Gesetz Nr. 53 und einige damit in Zusammenhang stehende Verordnungen, insbesondere die Verordnung Nr. '73, geregelt ist. Dieses Gesetz Nr. 53 genügt aber den heutigen Ansprüchen nicht mehr, und wir werden nicht darum herumkommen, durch neue gesetzliche Bestimmungen den innerdeutschen Grenzverkehr an der Ostzonengrenze neu zu regeln.
Wir werden deshalb die Bundesregierung ersuchen müssen, möglichst bald mit den Hohen Kommissaren die Verhandlungen in der Richtung aufzunehmen, daß das Gesetz Nr. 53, soweit es den innerdeutschen Grenzverkehr betrifft, möglichst bald aufgehoben wird, damit der Weg für eine eigene deutsche Gesetzgebung frei wird. Wir glauben, daß diese Verhandlungen durchaus günstig verlaufen können; denn wir konnten im Laufe des letzten Jahres aus vielen Presseveröffentlichungen entnehmen, daß sich die Dienststellen der Hohen Kommissare sehr viel mit den Mißständen an der Grenze befaßt und sehr umfangreiche Statistiken über den illegalen Handel angelegt haben, so daß wir für einen derartigen Antrag ein geneigtes Ohr zu finden hoffen. Es liegt auch nur im Interesse der Hohen Kommissare, wenn die wirtschaftliche Ordnung an der Grenze wiederhergestellt wird. Das Gelingen dieser Verhandlungen wäre also die Voraussetzung für eine bundesgesetzliche Regelung.
Der Ausschuß schlägt Ihnen diese bundesgesetzliche Regelung in vier Teilen vor. Im ersten Teil müssen die Bestimmungen über die Warenverkehrsordnung getroffen werden, im zweiten Teil müssen Bestimmungen über die Dienstleistungsordnung beschlossen werden. Das beinhaltet schon den nächsten Punkt der Tagesordnung mit. Drittens muß eine Zahlungsordnung geschaffen werden, und viertens müssen Bestimmungen für die Überwachung des innerdeutschen Ost-West-Verkehrs unter Nutzung der Erfahrungen im Zollverkehr mit dem Ziel, den illegalen Handel wirksam einzudämmen, getroffen werden. Das heißt, daß gewisse Erfahrungen aus dem Zollanweisungswesen auf die Zonengrenze übertragen werden, damit eine verschärfte Kontrolle und Überwachung durch den Zoll nach seinen anderweitigen Grenzerfahrungen möglich ist. Das bedeutet aber nicht etwa, daß die Zonengrenze eine Zollgrenze wird, sondern es werden nur gewisse technische Überprüfungsvorgänge auf die Zonengrenze übertragen.
Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß die Behörden, die an den Ausschußverhandlungen teilgenommen haben, schon während der Verhandlungen darangegangen sind, ein solches Bundesgesetz in großen Zügen zu entwerfen und besonders die Warenverkehrs- und Zahlungsordnung zu formulieren. Auch die Herren der Zolleitstelle sind bereits darangegangen, den Teil des Gesetzes zu bearbeiten, der sich mit dem letzten Punkt des Antrags befaßt, so daß an sich, wenn die Hohen Kommissare zugestimmt haben werden, eine verhältnismäßig sehr schnelle Bundesregelung möglich ist.
Der nächste Teil des Antrags befaßt sich mit der grundsätzlichen Feststellung über den Interzonenhandel. Der nächste Punkt erklärt gewisse Teile des SPD-Antrags für erledigt. Dies ergibt sich aus dem Werdegang des Beschlusses.
Aber der Punkt 6 ist noch außerordentlich wichtig, weil er Handhaben zur Beseitigung des illegalen Handels bietet, die noch nicht genutzt sind. Der Punkt 6 des Ausschußantrages verweist auf Punkt 5 des Antrages der SPD Drucksache Nr. 943. Besonders dankbar würde es begrüßt, wenn der Herr Bundesfinanzminister von den in Ziffer 5 des SPD-Antrages vorgeschlagenen Möglichkeiten auch viel intensiveren Gebrauch machen würde, als das bisher
geschieht. Wir haben deshalb geglaubt, diesen Punkt besonders hervorheben und dem Ausschußantrag einverleiben zu müssen.
Meine Damen und Herren! Ich bin damit im wesentlichen am Schluß des Berichtes und möchte Sie bitten, diesem grundsätzlichen Antrag des wirtschaftspolitischen Ausschusses Ihre Zustimmung zu geben. Ich kann sagen, daß er in guter, gemeinsamer Arbeit entstanden ist und im Ausschuß auch einstimmig verabschiedet wurde. Wir würden dann die Möglichkeit bekommen, eine schnelle bundesgesetzliche Regelung für dieses Problem zu finden. Nicht zuletzt würde es ja auch der deutschen Wirtschaft dienen, wenn nach einem jahrelangen Interregnum - möchte ich sagen - wieder ein geordneter Zustand hergestellt wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort zur Begründung des Antrages Drucksache Nr. 1164, Punkt 8 b der Tagesordnung, hat Herr Abgeordneter Rademacher.
Rademacher ({0}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Mündliche Bericht der Drucksache Nr. 1135 sieht zwar in Ziffer 2 b auch Bestimmungen über eine Dienstleistungsordnung vor. Die Erfahrungen der Vergangenheit haben aber gezeigt, daß diesmal, bei dem neuen Interzonenabkommen ganz besonders klare Bestimmungen über die Dienstleistungskonten getroffen werden müssen. Die Dienstleistungskonten haben nämlich in der Vergangenheit noch viel schlechter funktioniert als die Warenkonten, aus dem einfachen Grunde, weil den Dienstleistungen des Westens von der Seite des Ostens so gut wie nichts gegenüberstand. Eine Zahl mag Ihnen das beweisen. Die Hauptverwaltung der Bundesbahn hat im Augenblick eine Forderung von 11 Millionen DM an die ostzonale Bahn. Eine Lösung wird also nur möglich sein, wenn es in Zukunft gelingt, Dienst- und Warenleistungen miteinander zu koppeln. Um ein Beispiel zu geben: Wenn die Westzonen für 99 Millionen DM Waren liefern und die Ostzone für 100 Millionen DM, so muß die Differenz für den Ausgleich der Dienstleistung im Westen sichergestellt sein. Das sind aber keine konkreten Ziffern, sondern dient nur als ungefähres Beispiel.
Dann heißt es in dem Antrag Drucksache Nr. 1164, daß reibungslos arbeitende Dienstleistungskonten für die seewärtige Aus- und Einfuhr über deutsche Seehäfen sichergestellt werden sollen. Es besteht ein echtes Bedürfnis seitens der ostzonalen Unternehmen, die Häfen Lübeck, Hamburg und Bremen für die Aus- und Einfuhr zu benutzen. Vielleicht ist das gleichzeitig auch eine günstige Möglichkeit, bei den neuen Verhandlungen unter Ausnutzung dieses Wunsches etwas stärker aufzutreten. Der Ostzone ist es unmöglich, die Aus- und Einfuhr über Stralsund, Rostock und Stettin abzufertigen. Sie braucht die westdeutschen Häfen, insbesondere die deutschen Nordseehäfen.
Ich stelle den Antrag, daß die Drucksache Nr. 1164 mit der Anlage des Mündlichen Berichts der Regierung als Material überwiesen wird.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wehner.
Ich darf dazu mitteilen, meine Damen und Herren: der Ältestenrat hat für diesen Punkt der Tagesordnung eine Redezeit von insgesamt 60
Minuten vorgesehen. - Ich darf das Einverständnis des Hauses damit feststellen.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat eine ganze Reihe von Vorschlägen vortragen lassen, von denen jeder einzelne zweifellos eine Menge von Möglichkeiten zur Ordnung dieses Gebietes eröffnet, auf dem heute chaotische Verhältnisse herrschen. Uns scheint es aber notwendig, in diesem Zusammenhang noch einige Worte darüber zu sagen, mit welcher Grundeinstellung an die Ausarbeitung dieser Einzelbestimmungen und Verordnungen herangegangen werden müßte.
Bei den früheren Auseinandersetzungen und auch bei Ausführungen, die seitens des Bundesfinanzministeriums gemacht wurden, sei es hier im Hause, sei es vor der Presse, mußte man den Eindruck gewinnen, als sei die Sorge unserer Behörden hauptsächlich die, eine Überschwemmung mit billigem Schmuggelgut von der anderen Seite zu verhindern bzw. wirkungsvoll einzudämmen. Das ist zweifellos eine Sorge, aber es ist nicht die einzige. Bei aufmerksamer Betrachtung der wirtschaftlichen Tendenzen in unseren eigenen Gebieten müssen wir zu der Feststellung kommen, daß hier Bestrebungen im Gange sind, den schwarzen Interzonenhandel mit dem Partner sauf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs in großem Stile zu pflegen.
Die Frage ist überhaupt: Welchen Wert haben die Bestimmungen, mögen sie noch so sorgfältig ausgearbeitet sein, wenn auf der andern Seite die Möglichkeit besteht, daß sie kaltblütig umgangen werden? Will der Partner, um den es sich hier handelt, überhaupt einen ehrlichen, einen anständigen, einen übersichtlichen Interzonenhandel? Diese Frage muß man, soweit es sich um die dort bestimmenden Kräfte handelt, mit Fug und Recht verneinen. Da heißt nicht, daß wir auf Grund dieser Erkenntnis von dem Versuch einer Ordnung des ganzen Gebietes Abstand nehmen. Das heißt aber, daß wir dieser Tatsachen ständig eingedenk sein müssen.
Meine Damen und Herren, es muß bei der Behandlung dieses Gegenstandes in diesem Hause gesagt werden, daß es bitter ist, wenn Leute von der Qualität des Herrn Orlopp und andere Handlungsreisende im politischen Interzonenhandel bei den zahlreichen Zusammenkünften, die sie hier mit Geschäftsleuten und mit anderen als Geschäftsleuten pflegen, teils vertraulich, teils offen darauf hinweisen können, daß sich ihre Behörden des Andrangs westlicher Geschäftsleute kaum erwehren können.
({0})
Es sind Zahlen genannt worden, die, wenn man sie z. B. in Berlin wiedergäbe, mit Recht die Entrüstung der Berliner, die aber auch hier die Entrüstung aller anständigen Menschen herausfordern müßten. Das, meine ich, mußte in dem Zusammenhang angetippt werden. Fürchten Sie nicht, daß ich darüber eine lange Rede halten will. Aber ich meine, wir liegen falsch, wenn wir bei der Ausarbeitung von solchen Bestimmungen diese Grundhaltung auch nur um einen Millimeter aus dem Auge verlieren.
Gestatten Sie mir eine weitere Bemerkung. Es handelt sich um eine groteske Tatsache, die sich im Laufe der letzten 14 Tage auf einer Veranstaltung einer sogenannten Gesellschaft für Ostzonenhandel ereignete. Als sie in Hamburg gestartet wurde, waren, wie es heißt, alle Beteiligten, ein({1})
I schließlich der als Beobachter teilnehmenden Vertreter von Behörden, der Meinung, das habe wirklich mit kommunistischer Infiltration nichts zu tun. - Jetzt wurde auf einer Tagung dieser Gesellschaft die Forderung nach „Liberalisierung des Interzonenhandels" erhoben. Das ist eine Forderung, die von einer Agentur der anderen Seite in unserem eigenen Gebiet erhoben wird! Man möchte uns zur Liberalisierung des Interzonenhandels verführen, während wir dort einem Partner gegenüberstehen, der mit dem Außenhandelsmonopol eisern manipuliert.
Gegenüber einem Partner, der eine so straff zentralisierte Wirtschaft hat, der einen Wirtschaftskrieg gegen uns führt, können wir nicht einfach mit fiskalischen oder Ordnungsbestimmungen darüber auskommen, was gemacht und was vermieden werden muß. Wir brauchen eine klare Sicht und ein Maximum von Kontrolle. Das richtet sich nicht gegen die Bevölkerung der sowjetischen Zone, sondern gegen die Machthaber dieser Zone, denen gegenüber wir Gefahr laufen, wirtschaftlich ausgenutzt, ausgelaugt, unterminiert zu werden.
Bitte, erlauben Sie mir, in dieser wirtschaftspolitischen Debatte ein politisches Wort zu sagen. Wir müssen, glaube ich, dahin kommen, daß es zu einer Sache der nationalen Ehre und des nationalen Anstandes wird, daß man vom Westen aus nicht mehr schwarze Geschäfte mit dem Osten macht,
({2})
sondern daß man vom Westen aus seine Ehre darein setzt, dafür zu sorgen, daß die Geschäfte im Rahmen des Erlaubten und damit im Rahmen des Übersichtlichen, des Kontrollierbaren getätigt werden. Ich weiß, was dagegen eingewendet werden mag, und ich weiß, wie hart die Bestimmungen und Hemmungen sind, die vielen Geschäftsleuten durch die Umstände auferlegt sind. Aber gegenüber einem Gegner, der einen politischen Krieg mit wirtschaftlichen Mitteln führt - das wurde erst gestern wieder auf dem SED-Parteitag durch den Mund des sogenannten Sowjetzonenpräsidenten Pieck bestätigt, der erklärt hat, die SED gehe ab sofort dazu über, im gesamt en deutschen Gebiet als Partei zu wirken, und zwar auch wirtschaftlich -, gegenüber einem solchen Gegner kommt man nicht mit einfachen fiskalischen Bestimmungen aus.
Große Sorge haben wir - das haben wir schon damals zum Ausdruck gebracht, als es sich um das Frankfurter Abkommen handelte - um die Berücksichtigung Berlins. Man kann dazu natürlich Versprechungen machen. Man könnte auch sagen, es liegt in aller Interesse, daß Berlin berücksichtigt wird. Aber denken Sie daran - und das ist eine Mahnung, die wir auch an die mit der Ausarbeitung dieser Bestimmungen befaßten Behörden richten -, daß die Erhaltung Berlins als einer Position in diesem kalten Wirtschaftskrieg ebenso sehr eine nationalpolitische Aufgabe wie eine Notwendigkeit ist. Wir müssen dem ostzonalen Partner in dieser Beziehung Bedingungen stellen. Wir sind doch in einer eigentümlichen Situation: vieles von dem, was wir produzieren, wird von denen, die über die dortige Wirtschaft bestimmen, dringend gebraucht. Andererseits gibt es auf unserer Seite Geschäftsleute in rauhen Mengen, die gern nach dort absetzen möchten. Hätten wir normale Umstände und hätten wir es mit einem normalen Partner zu tun, so wäre das eine rein innerdeutsche Angelegenheit, die wir leicht erledigen
könnten. Wir haben es weder mit normalen Umständen noch mit einem fairen Partner zu tun. Wir haben es, soweit es sich um die Machthaber auf der andern Seite handelt, mit einem Feind zu tun. Deswegen steht die Frage so, daß wir die Einschaltung Berlins, die beim Frankfurter Interzonen-Handelsabkommen als eine Art Anhang im Briefwechsel erschien - wahrscheinlich nicht aus bösem Willen, sondern so war damals die Situation -, nun erzwingen müssen.
Wenn man es erreicht, daß es zu einer Frage des Anstands wird, keine schwarzen Geschäfte mit der sowjetischen Besatzungszone zu machen, dann ist die logische Folge, daß man sich damit auch für das Anliegen Berlins einsetzt, und zwar in jeder Beziehung. Berlin muß Transitgebiet, Berlin muß beteiligt sein. Der damalige Wunsch, Berlin mit einem Drittel beteiligt zu sehen, ist bei der Durchführung des Frankfurter Abkommens - es liegen leider keine genauen Übersichten darüber vor - doch nur recht bruchstückweise in Erfüllung, gegangen. Wir sind in der Beziehung, daran sollten wir denken, die Begehrten mit unseren Waren. Wir sollten deswegen bezüglich der Beteiligung Berlins und seines Verkehrs kalt Bedingungen stellen. Denen unter unseren Geschäftsleuten, die um diese nationalpolitischen Bedingungen herumkommen wollen, um ein privates Geschäft zu machen, sollten wir sagen: Hier gibt es eine Grenze!
Wir sollten auch daran denken, daß der heute noch in führender Stellung bei den sowjetischen Wirtschaftsbehörden in der Zone arbeitende Herr Selbmann es vor dem Abschluß des Frankfurter Abkommens ausdrücklich abgelehnt hat - ich zitiere hier wörtlich aus einem Schreiben -, „in einen Vertrag über den Interzonenhandel die Bestimmung aufzunehmen, daß die gegenseitig zu liefernden Güter ausschließlich der deutschen Wirtschaft zugute kommen". Daran sollten wir immer denken, damit wir uns stets vergegenwärtigen, mit welchem Partner wir es bei diesem Geschäft und bei diesem Kampf zu tun haben. Dann werden diese Empfehlungen des Wirtschaftspolitischen Ausschusses in der richtigen Weise durchgeführt werden können.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; wir kommen zur Abstimmung.
Ich lasse zunächst abstimmen über den Antrag Nr. 1135. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen.
Wir stimmen ab über den Antrag Drucksache Nr. 1164. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen. Damit ist dieser Punkt erledigt.
Ich rufe Punkt 11a und 11b der Tagesordnung auf: .
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Etzel ({0}), Dr. Baumgartner, Dr. Seelos und Fraktion der BP betreffend Zulassung zum Gewerbebetrieb und Untersagung eines Gewerbebetriebes ({1}); und
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr.
Etzel ({2}), Dr. Baumgartner, Dr.
Seelos und Fraktion der BP betreffend
({3})
Berufsständische Ordnung des Handwerks ({4}).
Wer begründet den Antrag?
({5})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dirscherl.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Bayernpartei hat bereits in der vergangenen Woche auf der Tagesordnung gestanden. Er erschien damals erst am Ende der Tagesordnung, und auch heute kommen beide Anträge erst wieder zu einer Zeit zur Behandlung, in der das Haus sehr schwach besetzt ist. Ich muß meiner Überraschung und meinem Erstaunen darüber Ausdruck geben, daß das Hohe Haus so wenig Interesse an diesen Anträgen hat, obwohl sie von außerordentlicher Bedeutung für das gesamte deutsche Handwerk und für die Handwerkswirtschaft sind. Ich glaube, daß, wenn diese beiden Anträge zu einer Zeit behandelt werden, zu der das Haus voll besetzt ist, das Interesse so groß sein wird, daß wir zumindest über den Antrag Nr. 1016 unter Punkt 11 a der Tagesordnung beschließen könnten, der die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung des Befähigungsnachweises im Handwerk vorsieht. Das gesamte deutsche Handwerk würde mit Dank einen solchen Beschluß anerkennen und sich mit Stolz darauf berufen, aber auch mit Freude und zum Ausdruck bringen, daß der Bundestag lebhaften Anteil an den Belangen des Handwerks nimmt.
Ich beantrage deshalb für heute Absetzung dieser Punkte von der Tagesordnung und Zurückstellung bis nach den Ferien. Dann aber sollten diese Punkte an den Beginn der Tagesordnung und nicht wieder an ihren Schluß gesetzt werden.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte darauf hinweisen, daß hier bestimmt kein Verschulden auf irgendeiner Seite des Hauses vorliegt. Diese Angelegenheit ist bereits um 10 Uhr 15 aufgerufen worden und mußte nur wegen der Nichtanwesenheit des Referenten auf diese Zeit verschoben werden. Ich bin der Auffassung, daß das Haus trotz der vorgeschrittenen Stunde noch durchaus gut besetzt ist. Wir sollten also wirklich diese Punkte, auf die wir uns nun einmal eingestellt haben, sofort behandeln. Ich bitte also. sie nicht von der Tagesordnung abzusetzen, sondern darüber zu verhandeln.
({0})
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir eine Bemerkung. Auf die nächste Woche können wir die Sachen keinesfalls legen. Die Tagesordnungen für nächste Woche sind schon so brechend voll, daß ich die Gewißheit habe: wir werden nicht alle Punkte, die wir nächste Woche behandeln wollen, behandeln können.
({0})
Wenn wir nun diese Sache auf den September vertagen sollten, meine Damen und Herren: wir werden zu Beginn des Monats September so viel dringlichste Sachen auf dem Tisch dieses Hauses vorfinden, daß ich fürchte, daß diese Anträge eben wieder an das Ende der Tagesordnung unserer Sitzungen gedrängt werden. Ich habe den Eindruck, daß wir diese Anträge doch recht gut heute erledigen könnten.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Strauß und dann Herr Abgeordneter Mellies.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir werden ja die beiden Anträge in vollem Umfange - womit nichts über den Inhalt der Anträge gesagt sein soll - heute weder annehmen noch ablehnen können, sondern sie werden beide dem Wirtschaftsausschuß überwiesen werden müssen. Darum, glaube ich, ist nichts damit verloren, wenn wir sie jetzt auch vor einem weniger vollbesetzten Hause behandeln und sie dann dem Wirtschaftsausschuß überweisen, damit sie in den Geschäftsgang kommen und für eine Verabschiedung nach den Parlamentsferien reif gemacht werden.
({0})
- Ob mit oder ohne Diskussion, das will ich hier nicht entscheiden. Eine kurze Begründung und Stellungnahme wäre vielleicht gut, auch wenn das Haus nicht so voll besetzt ist. Aber wenn dann die Anträge überwiesen sind, hat sich der Bundestag damit befaßt. Wir können dann im Herbst diese Dinge abschließend regeln, denn sie bedürfen einer Regelung. Ich bitte daher, die beiden Punkte nicht von der Tagesordnung abzusetzen, sondern sie heute in der Form einer Überweisung an den Wirtschaftsausschuß zu behandeln.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Mellies.
({0})
Ich lasse abstimmen. Es ist der Antrag gestellt, diese beiden Punkte von der Tagesordnung abzusetzen. Wer für die Absetzung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Die überwiegende Mehrheit ist für die Beibehaltung.
Wer begründet die Anträge? - Herr Dr. Etzel? Beide Anträge?
({1})
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Begründung der Anträge 10 Minuten und für die Aussprache 60 Minuten vor. - Kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Dr. Etzel ({2}) ({3}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die beiden Anträge haben Probleme zum Gegenstand, welche durch die Behandlung in der Presse einer größeren Öffentlichkeit bekannt geworden sind. Es handelt sich um tiefe Einbrüche des Besatzungsrechts in die Rechts- und Wirtschaftsordnung eines Berufsstandes, des gewerblichen Mittelstandes und des Handwerks im besonderen, die nun durch eine deutsche Gesetzgebung revidiert werden sollen. Dabei ist das Handwerk stärker als die übrigen Träger des gewerblichen Mittelstandes betroffen, und die Länder in der US-Zone sind stärker in Mitleidenschaft gezogen als die Länder in der britischen und französischen Zone.
Da immer noch Mißverständnisse und Unklarheiten über die Stellung, die Bedeutung, die Rolle und die Mentalität des gewerblichen Mittelstandes, des Handwerks bestehen, erscheint es angebracht, einige grundsätzliche Bemerkungen vorauszuschicken.
Die einmal von pseudowissenschaftlicher Seite gemachte verwegene Voraussage, daß die Epoche des Handwerks vorbei, daß sein Untergang nur noch eine Frage der Zeit sei, ist durch den tatsächlichen Verlauf der Entwicklung gründlich widerlegt worden. Es war eine Prognose der Oberfläch({4})
lichkeit, eine Prophetie der Gedankenlosigkeit und der Ignoranz. Das Handwerk hat eine von den Pessimisten und Zweckpessimisten nicht erwartete Lebenskraft und Anpassungsfähigkeit bewiesen. Es hat sich den technischen Fortschritt weitgehend zu eigen gemacht, seine betriebswirtschaftliche Organisation wesentlich verbessert und seine Methoden vielseitig entwickelt, stets geleitet und geführt von dem Grundgedanken der Leistung, der Qualität und der Verantwortung. Es hat längst seinen Turm verlassen, eine zünftlerisch-bärenhäuterische Haltung und Abschließung abgewiesen, es hat den Schritt in die geistige Weite und Freiheit getan. In Notzeiten, Krieg und Zusammenbruch hat es immer einen der festesten Pfeiler und eine der zuverlässigsten Stützen des Vaterlandes, der Ordnung und der Gesittung gebildet. Sein Arbeitseifer und sein Fleiß, sein guter Wille und sein Pflichtbewußtsein haben nie ausgesetzt oder geschwankt.
Die Zahl der dem Handwerk zugehörigen und der von ihm unmittelbar und mittelbar in Arbeit und Brot gesetzten Menschen ist so groß, sein Anteil an Produktion, Dienstleistungen und Verbrauch so bedeutend, daß, fiele es aus, die wirtschafts- und sozialständischen Grundlagen des deutschen Lebens entscheidend, und zwar höchst nachteilig verändert und aus dem deutschen Antlitz charakteristische Züge ausgelöscht wären.
Das Handwerk hat durch seine methodische, nachhaltige und sorgfältige Ausbildung des Nachwuchses - oft unter ungünstigsten äußeren Umständen - nicht nur die Voraussetzungen und Bedingungen für seine eigene Entfaltung, seinen eigenen Aufstieg, sondern auch die Voraussetzungen und Fundamente für die Entwicklung, Aufrechterhaltung und Steigerung einer hochwertigen industriellen Fertigungsarbeit geschaffen.
Als Urbild eines organisch dreigegliederten Berufsstandes, als klassischer Träger des berufsgemeinschaftlichen Gedankens, als Mittler zwischen Kapital und Arbeit hat es mehr für den sozialen Ausgleich und Frieden getan, als gemeinhin erkannt wird. In ihm, dem Handwerk, vollzieht sich unauffällig und unaufhörlich der Aufstieg der wirtschaftlich und sozial Unselbständigen zu selbständigen Existenzen. Hätte es keine andere als die beiden letztgenannten Leistungen vollbracht, es würde genug getan haben für ein Jahrtausend. Es weiß, daß da, wo das Unrecht eine Bresche schlägt, der Radikalismus eindringt, der seinem Wesen und Lebensgefühl entgegengesetzt ist, das auf die Erhaltung bewährter Lebenswerte und den lebendigen, gefügten Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit gerichtet ist.
Dieser Träger eines echten, den gesunden Fortschritt bejahenden Konservatismus, dieser Bewahrer guter Art und Sitte kann in einer Zeit der geistigen Unsicherheit, Unruhe, Auflösung, Umwertung und Veränderung der Maßstäbe nicht entbehrt werden. Er bildet ein festes Ferment der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Staates und einen Hort der Erhaltung der Persönlichkeitswerte, welche die unveräußerlichen Elemente einer Welt sind, die wir die abendländische nennen. Daran sollte sich nicht nur die einheimische Öffentlichkeit, sondern auch der Sieger öfter und nachhaltiger erinnern, und er sollte nicht länger darauf beharren, dem Handwerk eine Ordnung vorzuenthalten, die seine Welt ist, den Verhältnissen und Bedingungen seiner Existenz entspricht und es befähigt, der Aufgabe gerecht zu werden, die ihm in der Gesamtheit zukommt.
In dem Auf und Ab der Entwicklung der handwerklichen Berufsstandsorganisation während der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts hat es vier Phasen gegeben: die mit der Errichtung der Handwerkskammern beginnende Fundamentierung in den Jahren 1897 bis 1900, die Fortführung des Aufbaues und die weitere Ausgestaltung durch die Handwerksnovelle von 1929, die nationalsozialistische Gesetzgebung und der Abbruch aller dieser Einrichtungen durch die Besatzungsmacht.
Als der Nationalsozialismus die Macht ergriff, war eine seiner ersten Maßnahmen die Schaffung einer lückenlosen Zwangsorganisation für alle Berufe. Niemand konnte einem solchen angehören, ohne Mitglied einer oder mehrerer dieser Organisationen zu sein. Es war ein unentrinnbares Netz totaler Erfassung. die Voraussetzung einer kaum begrenzten Befehlswirtschaft. Dem Nationalsozialismus kam hierbei eine damals ziemlich weit verbreitete Neigung und Bereitschaft entgegen. es mit einem Ständestaat zu versuchen. Er bemächtigte sich wie so oft auch hier rasch einer ihm zunächst fremden, von außen kommenden Idee, um sie seinen massiven Zwecken dienstbar zu machen. Dieses enorme System von Stellen zu Befehlsausgabe und Befehlsempfang sollte auf den leisesten Wink, Druck oder Anschlag in Tätigkeit treten wie ein riesiges Maschinenaggregat.
Das hat die vernünftige und besonnene. weitaus überwiegende Mehrheit des Handwerks nicht gewollt. Die Besatzungsmacht kann es das Handwerk nicht entgelten lassen wollen. daß ein totalitäres System den geschichtlichen Grundgedanken einer berufsständischen Organisation in einem Exzeß verfälscht und diese für seine Machtzwecke mißbraucht hat. Das System ist liquidiert. aber das Handwerk lebt und ersehnt die Wiederherstellung einer auf demokratischer Grundlage ruhenden Berufsstandsorganisation. Der Bund wird sich auf die Erlassung eines Rahmengesetzes beschränken und in ihm föderalistische Grundsätze verwirklichen müssen.
Ich komme zu dem Antrag Drucksache Nr. 1016 und darf dazu ebenfalls einige grundsätzliche Bemerkungen machen. In der Wirtschaft sieht die materialistische Auffassung primär und überwiegend offenbar eine Angelegenheit der Verwirklichung handfester Instinkte, Erwägungen und Motive des Erwerbs, der Gewinnerzielung und der Erreichung wirtschaftlicher Macht. Jeder soll Zugang zu diesem Tummelplatz freigegebener Jagd nach Geld haben. Die zeitrafferische Devise ,,Zeit ist Geld" ist aus einer solchen Auffassung geboren. Im Gegensatz hierzu sah und sieht die deutsche Welt in der Eröffnung, Übernahme und Führung eines Gewerbebetriebes wesentlich auch die Erfüllung und Bewältigung einer Lebensaufgabe, die uns von Gott gesetzt ist, die Wahl und Ausübung eines Berufs. Um ihm gerecht zu werden. muß der Mensch ein Mindestmaß von fachlichem Können, fachlicher Befähigung mitbringen und den selbstverständlichen Anforderungen an persönliche Eignung. Zuverlässigkeit und Redlichkeit genügen. Der Mensch muß sich auf ein Gewerbe wie auf einen Beruf vorbereiten.
Die Besatzungsmacht vor allem in der US-Zone sollte erkennen, daß aus diesem Gegensatz einer unzweifelhaft materialistischen und einer ebenso zweifellos von starken berufsethischen Elementen getragenen Wirtschaftsauffassung unerfreuliche Spannungen entstehen, daß sie aus einer unzutreffenden Beurteilung der deutschen Verhältnisse und Ideologie zu einer recht unglücklichen Fehl({5})
entscheidung gekommen ist und daß die Einführung der ungehemmten Gewerbefreiheit zu schweren Unzuträglichkeiten geführt und ernste Beunruhigungen sowie tiefgehende Enttäuschungen hervorgerufen hat. Die psychologischen Auswirkungen sollten der Besatzungsmacht nicht gleichgültig sein. Man fragt sich auf deutscher Seite in der US-Zone mit Recht, was denn letzten Endes die ganze sorgfältige und methodische, auf die Berufsaus- und -fortbildung gerichtete Arbeit der Lehrbetriebe und Berufsschulen, was denn der Appell an die Jugend, die ihre Antriebe nicht aus einem kühlen, rechnerischen Kalkül, einem zynischen Erwerbsmaterialismus, sondern aus einem ihr aufgerichteten Ideal empfangen muß, was dieser Appell, sich auf ihren Beruf vorzubereiten, noch für einen Sinn haben soll, wenn jeder beliebige einen Gewerbebetrieb aufmachen darf, sofern nicht Gründe der öffentlichen Gesundheit, Sicherheit und Wohlfahrt entgegenstehen. Diese letzte Einschränkung ist ungenügend.
({6})
Sie ist zu allgemein und praktisch kaum brauchbar. Das Handwerk will und kann auf das Berufsethos als wesentliches Element der Wirtschaft und Gesellschaft auf keinen Fall, nie und nirgends verzichten.
Es ist kein Zweifel, daß die ordentliche Regelung der aufgeworfenen Probleme der Berufsstandsorganisation und der Zulassung zum Gewerbebetrieb zur deutschen Zuständigkeit, nicht zu jener des Besatzungsrechts gehört. Sie verträgt keinen weiteren Aufschub mehr. Es ist bereits zu viel Schaden angerichtet worden. Sie muß jetzt und hier erfolgen. Man kann nicht dauernd ein großes Kulturvolk, das die Welt mit den Denkergebnissen seines forschenden Geistes und den Kunstwerken seiner schöpferischen Natur reich beschenkt, das frühzeitig das eindrucksvolle Beispiel sozialer Gesetzgebung und Hilfe gegeben hat, ein Volk, dessen Lebens- und Geschichtsbuch neben dem einen dunklen Blatt so viele helle und leuchtende Seiten enthält, auf unabsehbare Zeit bevormunden wollen wie einen Minderjährigen oder Entmündigten. Man kann uns nicht zur wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit mit dem Westen auffordern, uns als Streiter für die Verteidigung und Bewahrung der abendländischen Idee und Welt aufrufen,
({7})
uns in den Europarat einladen und uns gleichzeitig wie Hintersassen behandeln.
Ich bitte, zum Ende zu kommen!
Dr. Etzel ({0}) ({1}), Antragsteller: Ein solcher innerer Widerspruch ist bedenklich und unlösbar. Seine Aufrechterhaltung über den mit den Fingerspitzen zu fühlenden neuralgischen Entwicklungs- und Zeitpunkt hinaus kann nicht nützlich sein. Wir wollen uns endlich aus unserer Herabwürdigung wieder aufrichten und in die Freiheit gelangen - unter Zurücklassung unserer Ketten.
Das Handwerk und der gewerbliche Mittelstand wollen nicht eine Absperrung gegenüber leitungsfähigen, voranstrebenden Unternehmungen und Menschen. Das Handwerk bejaht den Grundsatz der Offenen Tür. Es unterscheidet nicht zwischen hassenswerten und nicht hassenswerten Gewerbezweigen und will nichts anderes als die aus seiner
Geschichte und seinen Verhältnissen entspringende notwendige Regelung.
({2})
Es ist nicht - das darf ich noch hinzufügen - eine Angelegenheit der Dekartellisierung, sondern eine Frage berufsständischer Regelung abseits jeder Zwangsorganisation auf demokratischer und föderalistischer Grundlage. Wir können nicht zuwarten, bis vielleicht die Studienkommission für die Überprüfung des Besatzungsstatuts, die in der zweiten Hälfte des Mai in London eingesetzt worden ist, mit ihren Arbeiten zu Ende kommt. Wir wissen das Ergebnis nicht, und wir können es nicht vorausahnen. Wir haben auf Grund der gemachten Erfahrungen zu irgendwelchem Optimismus weder Grund noch Anlaß; denn wir haben sehr häufig gesehen, daß Ankündigungen gemacht worden sind, die dann nicht in Erfüllung gehen konnten. Es berührt höchst eigenartig, daß gerade in dem Augenblick, da die Studienkommission eingesetzt war, die Besatzungsmacht immerhin den Versuch unternommen hat, über die Ministerpräsidenten und die Länderregierungen die Einführung der jetzt in der US-Zone bestehenden Zustände im Geltungsgebiet des Bundes auf dem Wege der Landesgesetzgebung zu betreiben.
Das Hohe Haus würde einem Wunsch, einer Forderung, einer großen, dringenden, unabweisbaren Bitte entsprechen, die ein großer Berufsstand, ein wesentlicher Teil der deutschen Bevölkerung hier stellt,
({3})
wenn es die Frage bejahen würde, daß die Ordnung dieser Angelegenheit zur Zuständigkeit der deutschen Gesetzgebung gehört.
({4})
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, ich beschwöre Sie: Gehen Sie positiv an diese Anträge heran.
({5})
Es bestünde die Möglichkeit, über die Ziffern 1 a und 2 des Antrags Drucksache Nr. 1016 heute vorweg zu entscheiden
({6})
und die Ziffer lb an den Ausschuß - wahrscheinlich den Ausschuß für Wirtschaftspolitik - zur Beratung zu überweisen. Ich würde auch kein Bedenken dagegen haben, wenn dann der Antrag Drucksache Nr. 1017 ebenfalls einem Ausschuß überwiesen würde.
({7})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Stegner.
Ich möchte den Antrag stellen, daß die beiden Anträge, die der Abgeordnete Etzel eben begründet hat, ohne Debatte dem Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen werden.
({0}) Ich begründe das wie folgt.
Die beiden Anträge, die der Herr Kollege Etzel hier begründet hat, sind Teile eines Komplexes, nämlich der bundesgesetzlichen Regelung des Gewerberechts. Ein darauf bezüglicher Antrag aus der Frühzeit des Parlaments liegt noch beim Ausschuß für Wirtschaftspolitik und ist aus den Ihnen bekannten Gründen bisher nur von den Berichterstattern bearbeitet worden Dieser Antrag wird aber
({1})
zur Debatte vor das Hohe Haus kommen. Wenn wir jetzt über die Teilanträge des Abgeordneten Dr. Etzel und Fraktion debattieren würden, würden wir die Debatte über den ganzen Fragenkomplex zerreißen oder später wiederholen müssen. Deswegen bitte ich nochmals um Ausschußüberweisung ohne Debatte.
({2})
Wünscht jemand dagegen zu sprechen? - Das ist nicht der Fall. Dann stelle ich diesen Antrag zur Abstimmung. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. -Gegenprobe! - Einige wenige Stimmen sind dagegen; das Haus scheint über diesen Antrag sehr glücklich gewesen zu sein. Es ist also, wie beantragt, beschlossen.
Ich rufe Punkt 12 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Abgeordneten Kunze, Schütz, Frau Dr. Weber ({0}), Dr. von Brentano und Fraktion der CDU/CSU betreffend
Hausrathilfe ({1}).
- Dazu liegt ein Abänderungsantrag Drucksache
Nr. 1195 vor.
Der Ältestenrat hat Ihnen folgende Redezeiteinteilung vorzuschlagen: für die Einbringung 10 Minuten, für die Gesamtaussprache 60 Minuten. - Das Haus ist damit einverstanden.
Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Schütz.
Schlitz ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe dieser Tage beim Hauptamt für Soforthilfe nachgefragt, welche Mittel für die Realisierung unseres Antrags vom 4. Juli 1950 in absehbarer Zeit zur Verfügung stünden. Ich erhielt daraufhin die Auskunft, daß am 15. Juli 1950 103 Millionen DM unverplante Mittel zur Verfügung standen und daß für das laufende Jahr noch mit einem Aufkommen von 500 Millionen DM gerechnet werden kann.
Diese Auskunft veranlaßt uns, unseren Antrag abzuändern und dabei auch den zweiten Teil des Abänderungsantrags der SPD-Fraktion Drucksache Nr. 1195 mit zu berücksichtigen. Der so abgeänderte Antrag lautet dann:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. dahin zu wirken, daß die für die Hausrathilfe bestehende Antragssperre sofort aufgehoben wird;
2. die Richtlinien für die Verteilung der Soforthilfemittel dahin zu ändern, daß die Hausrathilfe an die erste Stelle hinter der Unterhaltshilfe gesetzt wird.
Der zweite Teil dieses Antrags deckt sich mit dem zweiten Teil des SPD-Abänderungsantrags.
Das Gesetz zur Milderung sozialer Notstände vom 8. August 1949 sieht zwei Gruppen von Leistungen an die Geschädigten vor, erstens die Unterhaltshilfe, auf die der betreffende Personenkreis einen Rechtsanspruch hat und zweitens eine ganze Reihe von Fakultativhilfen, die dann geleistet werden, wenn die dafür notwendigen Mittel vorhanden sind. Solche Hilfen sind die Ausbildungshilfe, die Aufbauhilfe, die Hausrathilfe und die Gemeinschaftshilfe.
Nach §§ 70 und 71 des Soforthilfegesetzes verwaltet der Präsident des Hauptamtes für die Soforthilfe den Soforthilfefonds. Er ist dabei an Richtlinien gebunden, die das Kabinett beschließt und
die der Zustimmung des Kontrollausschusses beim Hauptamt bedürfen. Das bedeutet hinsichtlich aller Hilfen außer der Unterhaltshilfe, daß das Kabinett Richtlinien aufstellt, der Kontrollausschuß darüber zu entscheiden hat und der Präsident des Hauptamts die so genehmigten Richtlinien im Einvernehmen mit dem Kontrollausschuß und nach Anhören des Beirats durchführt.
Das Kabinett hat am 23. Dezember 1949 solche Richtlinien beschlossen. Diese Richtlinien wurden in der darauffolgenden Sitzung des Kontrollausschusses mit dem Vorbehalt angenommen, daß weitere 70 Millionen DM für die Hausrathilfe bereitgestellt werden und daß eine Rangordnung in bezug auf die in den Richtlinien genannten vier verschiedenen Hilfen, nämlich erstens die Hilfe für den Wohnungsaufbau, zweitens die Aufbauhilfe, drittens die Ausbildungshilfe und viertens die Hausrathilfe, nicht bestünde. Darüber ist es bis zur Stunde zu keiner endgültigen Verständigung zwischen dem Kontrollausschuß und dem Herrn Bundesfinanzminister als dem Vertreter des Kabinetts in diesem Hause gekommen. Nachdem nun 100 Millionen bereits zur Verfügung stehen und die noch fehlenden 20 Millionen sicher in kürzester Zeit ebenfalls anfallen, erübrigt sich nach unserer Meinung der erste Teil des sozialdemokratischen Abänderungsantrags auf Drucksache Nr. 1195. Wenn das Hohe Haus unserem Antrag zustimmt, dann würde der Kontrollausschuß sofort die Möglichkeit haben, die Auszahlung der 120 Millionen DM für die Hausrathilfe zu beschließen. Es könnten damit in den einzelnen Ländern alle unerledigten Gesuche bis zu 30 Punkten unserer Grundliste erledigt werden. Es könnten aber auch alle Härtefälle erledigt und es könnten ebenfalls aus dem Personenkreis der neuen Gesuchsteller um Hausrathilfe nach Aufhebung des Antragsstops die Gesuche bis zu 30 Punkten befriedigt werden.
Es ist unbestritten, daß die Hausrathilfe eine besonders wertvolle Hilfe für die betroffenen Geschädigten ist.
({3})
Sie besitzt neben der Unterhaltshilfe die größte Streuung. Bis jetzt wurden eingereicht 3 700 000 Gesuche, davon bewilligt 1 440 000, abgelehnt, weil die Gesuche den gesetzlichen Bestimmungen nicht entsprachen, 68 000, unerledigt 2 200 000. Für die Hausrathilfe wurden bisher 252 Millionen bewilligt und ausgezahlt.
Für die Auszahlung der Hausrathilfe haben Beirat und Kontrollausschuß eine Punktliste aufgestellt, die die Dringlichkeit und den Vorrang nach dem Stand der Familie und nach dem Einkommen gruppiert. Es ist uns ein besonderes Anliegen, die Antragsteller bis zu Punkt 30 der Liste des Hauptamtes für Soforthilfe einheitlich in allen Ländern zu befriedigen. Die Hausrathilfe ist außerdem noch jene Hilfe, die rasch ausgezahlt werden kann, weil alle Vorarbeiten dafür fertiggestellt sind. Die Organisationen der Geschädigten, und zwar sämtliche, und alle Landesämter für Soforthilfe stimmen darin überein, daß die Bewilligung weiterer Mittel für die Hausrathilfe notwendig ist.
Aus dem in diesem Jahr noch zu erwartenden Aufkommen gedenkt das Hauptamt für Soforthilfe dem Beirat und dem Kontrollausschuß vorzuschlagen, weitere 80 Millionen für den Existenzaufbau, noch 30 Millionen für die Ausbildungshilfe, 20 Millionen für die Durchführung des Flüchtlingssiedlungsgesetzes als Beihilfe und ebenfalls auch noch 20 Millionen für den Wohnungsbau an Stelle feh({4})
lenden Eigenkapitals erststellig zur Verfügung zu stellen.
Es ist nicht richtig, wenn die Ansicht vertreten wird, als ob die Hausrathilfe in einem ungerechten Größenverhältnis zu den sogenannten produktiven Hilfen stünde. Während wir - d. h. das Hauptamt - für die Hausrathilfe bisher 252 Millionen verausgabt haben, sind für die produktiven Hilfen in dem gleichen Zeitraum 660 Millionen aufgewendet worden. Aus allen diesen Gründen bitte ich im Namen meiner politischen Freunde, dem von uns abgeänderten Antrag zuzustimmen.
({5})
Das Wort hat der Abgeordnete Mellies.
Meine Damen und Herren! Als uns der Antrag auf Drucksache Nr. 1118 auf den Tisch gelegt wurde, haben wir uns wohl alle an die 16. Sitzung des Hohen Hauses im November vorigen Jahres erinnert.
({0})
Damals stand auch ein Antrag der sozialdemokratischen Fraktion zur Debatte. In diesem Antrag wurde der Herr Finanzminister gebeten, im Wege der Vorfinanzierung den Betrag von 120 Millionen zur Verfügung zu stellen, damit die Hausrathilf e noch vor Weihnachten ausgezahlt werden könnte. Es gab darüber eine sehr heftige Debatte. Der Herr Abgeordnete Bucerius war es, der damals unsern Antrag einen Agitationsantrag nannte.
({1})
Wenn vor wenigen Wochen von der CDU ein ähnlicher Antrag vorgelegt wurde, dann ist das wohl nachträglich die beste Würdigung des Antrags, den wir damals von uns aus eingereicht haben. Aus der unangenehmen Lage, in die die CDU-Fraktion durch die Debatte in jenen Novembertagen gekommen war, rettete sie dann ja bei der namentlichen Abstimmung das Ja des Bundeskanzlers, dem sich alle übrigen Mitglieder der Fraktion anschlossen.
({2})
- Herr Brookmann, auch wenn Sie noch so freundlich lächeln, das, was sich damals hier zugetragen hat, hat allerdings auch schon sehr viel Heiterkeit in diesem Hause erregt! Immerhin hat es in diesem Fall, Herr Kollege Kunze, ja einige Monate gedauert, bis Sie anscheinend Ihre Ansichten gewandelt haben. Wir haben vorhin an einem andern Beispiel erlebt, daß zur Not nur acht Tage dazu erforderlich sind, um zu einer anderen Ansicht zu kommen!
({3})
- Ja natürlich, es kommt immer darauf an, wen es gerade trifft!
Und durch diese Zwischenbemerkung bringen Sie mich gleich auf das, was ich jetzt sagen wollte. Denn wenn man das Datum dieses Antrags sieht, muß man feststellen, daß er am 4. 7. vorgelegt worden ist, also wenige Tage vor der Wahl in Schleswig-Holstein.
({4})
Es ist eine bekannte Tatsache, daß diese Frage der
120 Millionen, - Graf Spreti, ringen Sie doch
nicht so die Hände! Über diese Dinge muß ganz
deutlich gesprochen werden, vor allem jetzt, nachdem der abgeänderte Antrag vorliegt, aus dem die
120 Millionen plötzlich wieder verschwunden sind!
({5})
Es ist damals im Wahlkampf in Schleswig-Holstein über die Dinge viel gesprochen worden, und offenbar sollte jetzt dieser Antrag dazu dienen, den Schaden, der entstanden war, einigermaßen wieder gutzumachen. Nun, meine Damen und Herren, Retourkutschefahren ist immer eine etwas gefährliche Angelegenheit: einmal macht es keinen guten Eindruck, zweitens muß man sich aber auch über den Weg völlig klar sein, sonst kann man leicht auf Abwege geraten, und das ganze Gefährt fällt um. Und die Tatsache, daß Sie heute schon bei der Begründung Ihren Antrag völlig abändern müssen, beweist ja, daß Sie den Weg nicht gekannt haben. Denn in diesem Antrag heißt es, daß die Bundesregierung durch das Hauptamt für Soforthilfe den Betrag von 120 Millionen DM zur Auszahlung bringen soll. Über die Mittel des Soforthilfeamtes oder des Soforthilfefonds - das hat eben Herr Schütz schon betont - kann die Bundesregierung in keinem Fall verfügen; und wir sagen: Gott sei Dank kann sie nicht darüber verfügen, sondern darüber verfügt nach den Richtlinien, die von der Bundesregierung aufgestellt und vom Kontrollausschuß genehmigt werden müssen, lediglich der Präsident des Hauptamtes in Verbindung mit dem Kontrollausschuß. Insofern hätte also der Antrag von vornherein eine ganz andere Form haben müssen. Wir wissen allerdings, daß der Herr Bundesfinanzminister im tiefsten Innern seines Herzens den Wunsch hat, über das Hauptamt für Soforthilfe etwas mehr zu sagen zu haben, als ihm das nach dem Soforthilfegesetz zusteht. Es hat sich ja in den letzten Monaten hinter den Kulissen ein heftiges Ringen um die Stellung des Hauptamtes abgespielt.
({6})
Zu einem Teil ist diese Auseinandersetzung zuungunsten des Herrn Bundesfinanzministers entschieden, und wir werden bei den Haushaltsplanberatungen dem Herrn Bundesfinanzminister ganz deutlich zeigen, wo seine Grenzen gegenüber dem Hauptamt liegen. Denn wir wünschen einen stärkeren Einfluß auf keinen Fall. Uns erfüllt der gegenwärtige Zustand schon mit einiger Sorge. Es ist ja eine bekannte Tatsache, daß dank der Finanzpolitik des Herrn Finanzministers die Bundeskasse gelegentlich erhebliche Schwächezustände hat. Bei solchen Schwächezuständen erinnert sich der Herr Bundesfinanzminister gern daran, daß in der Kasse des Soforthilfefonds Mittel zur Verfügung stehen, und er benutzt diese Gelegenheit, um dann über die Nöte des Tages hinwegzukommen. Dagegen wäre vielleicht bei einer guten und soliden Finanzwirtschaft grundsätzlich nichts einzuwenden. Wir haben aber die Befürchtung, daß sich unter Umständen in den kommenden Monaten diese Schwächeanfälle der Bundeskasse so oft wiederholen, daß es vielleicht nicht immer möglich sein wird, die entnommenen Beträge nachher wieder zur Verfügung zu stellen.
({7})
Zu dem Antrag selbst noch ein paar Punkte. Der Herr Kollege Schütz hat ausgeführt, daß im Augenblick beim Soforthilfefonds 103 Millionen zur Verfügung stehen. Ich weiß nicht, woher ihm diese Kenntnis gekommen ist. Uns ist jedenfalls in den letzten Tagen mitgeteilt, daß im Augenblick ein Betrag von 80 Millionen zur Verfügung steht. Wir haben uns aber in der letzten Sitzung des Kontrollausschusses - wenn ich nicht irre, war Herr Kollege Schütz ja zugegen - darüber unterhalten, daß wir aus diesen Mitteln erhebliche Beträge zur Verfügung stellen wollen, um für die Vertriebenen das Eigenkapital beim Wohnungsbau aufzubringen. Es
({8})
ist damals zuerst der Betrag von 20 Millionen genannt worden. Wir sind der Auffassung, daß dieser Betrag nicht ausreicht. sondern daß wir in der nächsten Sitzung des Kontrollausschusses einen wesentlich höheren Betrag werden festsetzen müssen. Das würde also bedeuten, daß im Augenblick vielleicht dann nicht 100 Millionen, sondern 50 Millionen zur Verfügung ständen. Wenn aber die Hausrathilfe möglichst schnell ausgezahlt werden soll, müßte eine Vorfinanzierung, wie sie in unserem Antrag verlangt wird, auch tatsächlich durchgeführt werden. Wenn das nicht geschieht, wird es immerhin bis zum Ende dieses Jahres dauern, bis das Soforthilfeamt in der Lage ist, diese jetzt im Betrage von 120 Millionen DM vorgesehene Aktion durchzuführen.
Wir glauben also, daß unser Antrag keineswegs überflüssig geworden ist, sondern wir greifen ja nur das auf, was im Antrag der CDU ursprünglich verlangt wurde, daß nämlich diese 120 Millionen möglichst bald zur Verfügung stehen, damit auch denjenigen, die sehnlich darauf warten, daß ihnen diese Mittel ausgezahlt werden, geholfen werden kann.
Die Antragsteller haben in Abänderung ihres Antrags - wahrscheinlich, nachdem sie unseren Abänderungsantrag zur Kenntnis genommen hatten - schon selbst den Vorschlag gemacht, daß dann die Richtlinien einmal geändert werden müssen. Diese Richtlinien - auch das hätte zum mindestens Ihnen, Herr Kollege Schütz, bekannt sein müssen, Sie haben ja vorhin darauf hingewiesen - sind im September vorigen Jahres geändert worden, und zwar im Hinblick auf die Bedürfnisse des Wohnungsbaus. Damals ist die Hausrathilfe an die letzte Stelle gesetzt worden. Wir haben dagegen sehr große Bedenken gehabt und haben uns ja auch über diese Frage unterhalten. Es würde also zur Durchführung dieser Aktion erforderlich sein, daß dann die Hausrathilfe tatsächlich sofort hinter der Unterhaltshilfe an die erste Stelle käme.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir zu dem Antrag und zu dem ganzen Verfahren abschließend noch ein Wort. Mit dem Antrag der CDU, wie er in der ursprünglichen Form vorlag und auch in der Art, wie er jetzt gestellt worden ist, wird in den nächsten Wochen kaum praktisch und durchgreifend geholfen werden können. Es ist bei der Politik, die in den Fragen der Vertriebenen gemacht wird, häufig der Ausdruck gefallen: Man muß aus Gründen der Optik dieses oder jenes tun. Ich fürchte, bei dem Antrag der CDU sind zunächst auch einmal solche Gründe der Optik maßgebend gewesen.
({9})
- Sie mögen sagen: Unerhört! Wir haben zunächst einmal im vorigen Herbst, verehrte Kollegin Weber, die Dinge hier erlebt. Ich habe Ihnen eben schon gesagt: aus diesem Antrag sind ja jetzt, nachdem Sie ihn verändert stellen, die 120 Millionen DM wieder verschwunden. Ich glaube, es ist eine sehr gefährliche Politik, gerade in den Fragen, die die Vertriebenen angehen, in erster Linie aus Gründen der Optik Anträge zu stellen. Es kommt hier darauf an, praktische und reale Hilfe zu schaffen. Das können Sie dadurch, daß Sie unseren Abänderungsantrag annehmen. Wenn dann der Herr Finanzminister diese 120 Millionen vorfinanziert, kann die Auszahlung in den nächsten Wochen erfolgen, und bis zum Jahresschluß ist der Herr Finanzminister wieder im Besitz dieser Mittel, so daß auch Schwierigkeiten für die Bundeskasse daraus nicht erwachsen können. Ich bitte Sie daher, unseren Abänderungsantrag anzunehmen und dadurch die baldige Auszahlung der 120 Millionen DM zu ermöglichen.
({10})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Oellers.
Meine Damen und Herren! Es wird niemand in diesem Hause geben, der der Tendenz des Antrags, Mittel für die Hausrathilfe in Höhe von 120 Millionen DM zur Verfügung zu stellen, widersprechen würde. Wenn wir gegen den Antrag in der ursprünglichen Fassung Bedenken hatten, dann waren diese nicht materieller, sondern formeller Natur. Es muß in diesem Hause - Herr Kollege Mellies hat das bereits angedeutet - einmal ganz offen ausgesprochen werden, daß das Hauptamt für Soforthilfe eine selbständige Oberbehörde das Bundes ist, lediglich unter der Aufsicht des Herrn Bundesfinanzministers, aber - entgegen anders gerichteten Tendenzen des Bundesfinanzministeriums - keineswegs eine Abteilung des Bundesfinanzministeriums.
Meine Damen und Herren, die Bestimmungen im Soforthilfegesetz über die Verwendung der Mittel sind eindeutig und klar. Sie werden unter Zustimmung seitens des Kontrollausschusses durch den Präsidenten des Hauptamtes für Soforthilfe nach Richtlinien disponiert, die der Kontrollausschuß des Soforthilfeamtes ebenfalls zu genehmigen hat. Infolgedessen wäre entsprechend dem ursprünglichen Antrage die Bundesregierung gar nicht in der Lage gewesen, von sich aus eine Anweisung auf Verwendung von 120 Millionen zu geben.
Was nun den Änderungsantrag der Herren von der Sozialdemokratischen Partei betrifft, so bin ich in der Tat der Auffassung, daß er nach der jetzigen Situation nicht mehr notwendig ist, denn man braucht ja nur etwas vorzufinanzieren, wenn die diesbezüglichen Beträge nicht da sind. Ich habe mich vom Hauptamt dahingehend unterrichten lassen, daß per 13. 7. 100 Millionen zur Verfügung standen und daß mit weiteren 500 Millionen im Laufe dieses Jahres gerechnet werden kann. Es sind also 600 Millionen bis zum Schluß dieses Jahres vorhanden, über deren Verwendung der Präsident des Hauptamtes für Soforthilfe in aller Kürze dem Kontrollausschuß seinen Vorschlag zur Genehmigung vorlegen wird. Dieser Vorschlag sieht allerdings in der Verteilung der Mittel so aus, wie Herr Kollege Schütz es hier vorgetragen hat.
Da nun eine Erhöhung der Mittel für die Hausrathilfe und eine von uns allen begrüßte Lockerung oder völlige Aufhebung der Antragssperre ja auch nicht die Konsequenz hat, daß man die Mittel in den nächsten drei Tagen zur Verfügung haben muß, bin ich der Ansicht, daß selbst bei dem von uns begrüßten und in dem Abänderungsantrag der CDU zu Punkt 1 beinhalteten Antrag auf Lockerung oder Aufhebung der Sperre die Mittel rechtzeitig disponibel sein werden, so daß es nicht notwendig sein wird, wieder in einem Kampf mit dem Herrn Bundesfinanzminister darüber einzutreten, ob er die Mittel zur Verfügung hat oder ob er sie nicht hat.
Meine Fraktion wird infolgedessen für den Abänderungsantrag in der Form, wie ihn die CDU jetzt gestellt hat, stimmen können.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Der letzte Antrag der Fraktion CDU/CSU ist als Änderungsantrag bezeichnet. Ich glaube, wir sollten ihn als abgeänderten Antrag bezeichnen,
({0})
wodurch der erste Antrag gegenstandslos geworden ist. Der echte Abänderungsantrag, nämlich der der SPD, wäre dann zu diesem abgeänderten Antrag der CDU/CSU gestellt.
Ich lasse zunächst über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das Ergebnis ist nicht leicht festzustellen.
({1})
Meine Damen und Herren, ich bitte, uns zu glauben: es ist kaum festzustellen, wo die Mehrheit ist. Darf ich noch einmal bitten: Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das Haus ist dort ({2}) sehr viel weniger stark besetzt als hier ({3}). Es ist sehr schwer festzustellen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich kann es nicht auf meine Verantwortung nehmen, hier eine Feststellung zu treffen. Wir müssen den Hammelsprung machen. Vielleicht darf ich darum bitten, sich dabei ein bißchen mehr zu beeilen als gestern.
({5})
Der Hammelsprung beginnt.
({6})
Meine Damen und Herren, man macht mich soeben auf ein Versäumnis aufmerksam. Ich habe vergessen zu sagen, wie im einzelnen die Türen benutzt werden sollen. Wer für den sozialdemokratischen Änderungsantrag ist, den bitte ich, durch die Ja-Tür rechts von mir, wer gegen ihn ist, durch die Nein-Tür links, und diejenigen, die sich der Stimme enthalten, durch die Mitteltür den Saal wieder zu betreten. Ich bitte die Herren Schriftführer, sich an die Türen zu begeben.
Wir beginnen mit der Abstimmung.
({7})
Meine Damen und Herren! Ich bitte, sich zu beeilen; in einer Minute lasse ich die Türen schließen.
({8})
Die Abstimmung ist geschlossen. Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren, die Abstimmung hat folgendes Ergebnis: gegen den sozialdemokratischen Änderungsantrag 137 Stimmen, dafür 96, 1 Enthaltung.
Ich darf gleichzeitig feststellen, daß das Haus wie
durch Zauberschlag plötzlich fast voll besetzt ist.
({9})
Manchmal lohnt sich ein Hammelsprung doch!
({10})
Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
Dann lasse ich über den handschriftlichen Antrag der CDU/CSU, den abgeänderten Antrag zu Drucksache Nr. 1118, abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Er ist angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Dann rufe ich Punkt 15, den letzten Punkt der Tagesordnung, auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Frau Dr. Ilk und Genossen betreffend einheitlicher Beginn des Schuljahres ({11}).
Hier hat Ihnen der Ältestenrat noch keinen Vorschlag gemacht. Gestatten Sie daher mir, das nachzuholen. Ich glaube, man könnte sich damit begnügen, daß Frau Dr. Ilk eine kurze Begründung von 5 Minuten gibt.
({12})
- Wollen Sie wirklich zehn Minuten? ({13})
Wenn eine Aussprache stattfinden soll, so glaube ich, daß wir uns mit 40 Minuten insgesamt begnügen können.
({14})
- Oder soll gar keine Aussprache stattfinden? ({15})
- Sie wollen also eine Aussprache haben. 40 Minuten Gesamtzeit!
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Ilk.
Frau Dr. lik ({16}), Antragstellerin: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In letzter Zeit häuften sich die Fälle, daß Eltern voller Sorge zu mir kamen und mir ihr Leid darüber klagten, daß sie in ihrer Freizügigkeit wesentlich dadurch beschränkt sind, daß, wenn sie von einem Land zum andern ziehen wollen, ihre Kinder in der Schulzeit etwas zurückversetzt werden, d. h., daß durch den verschiedenen Beginn des Schuljahres die Kinder an Zeit verlieren. Zum Beispiel fängt in Bayern, wo ich wohne, das Schuljahr im Herbst an; dagegen hier in Bonn im Frühjahr. Wenn nun Beamte von Bayern nach hier versetzt werden, dann ergibt sich, daß Differenzen entstehen und daß die Kinder zum Teil für eine bestimmte Klasse weit vorgeschritten sind. Das würde an sich nichts schaden. Schlimmer ist es, wenn die Kinder in ihrer Schulausbildung noch um einige Monate zurück sind. Sind diese Schüler sehr begabt, und kommen die Schulen den betreffenden Eltern entgegen, dann können die Schüler mit Hilfe von Nachhilfestunden das Klassenziel zum Beispiel noch bis zum nächsten April erreichen. Aber wenn die Kinder nur durchschnittlich begabt sind - und davon müssen wir doch ausgehen -, gibt es Schwierigkeiten, und die Kinder werden dann Ostern nicht mit versetzt und verlieren ein Schuljahr.
Davon, daß Eltern von einem Land zum anderen übersiedeln, werden nicht nur die Beamten - z. B. diejenigen, die für die Bundesbehörden in Frage kommen - betroffen, sondern - und das erschien mir für den Antrag wesentlich - vor allen Dingen die Heimatvertriebenen. Die Zahl derjenigen, die von der Umsiedlung betroffen sind, geht in die Hunderttausende. Darum hielten wir es für unsere Pflicht, noch einmal mit allem Nachdruck den Antrag zu stellen, daß dahin gewirkt wird, den Schuljahresbeginn einheitlich festzulegen. Denn wenn ein Kind in der Schule nicht mitkommt, bedeutet das auch eine finanzielle Mehrbelastung für die Eltern, die ja für die Ausbildung der Kinder verantwortlich sind. Das kann man gerade den Heimatvertriebenen nicht zumuten.
({17})
Der weitaus größte Teil der Länder hat den Schulbeginn bereits auf das Frühjahr festgesetzt, und ich kann es mir nicht vorstellen, daß einer hier im Hause ist, der es nicht für gut befindet, daß der Schuljahresbeginn in sämtlichen westdeutschen Ländern einheitlich festgelegt wird.
Wenn wir uns für den Frühjahrsbeginn ausgesprochen haben und dabei fast wünschen, daß man im Hinblick auf die variable Lage des Osterfestes den 1. April nimmt, dann stützen wir uns weitgehend auf die Gutachten, die wir von Schulfachleuten eingeholt haben. Wenn der Ostertermin gewählt wird, werden durch die Ferien vier fast gleichmäßige Teile des Jahres für die Erziehung und die Ausbildung der Kinder gegeben sein, während der Herbstbeginn mit den sehr langen Ferien, die aus den Herbstferien und den großen Ferien zusammengezogen sind, eine Drittelung des Jahres verursacht. Dadurch entsteht ein sehr langer Zeitraum der Schulzeit. Es hat sich ergeben, daß die Kinder dann zum Schluß dieses Jahresdrittels recht ermüdet sind. Diese Ermüdungserscheinungen wirken sich dann wesentlich auf die Leistungen der Kinder in der Schule aus.
Zum zweiten war maßgebend, daß in Handel und Gewerbe die Einstellung der Lehrlinge vor allen Dingen im Frühjahr erfolgt. Es ist erwünscht, daß - natürlich muß, wenn der Schulbeginn im Frühjahr ist, das Schuljahr auch im Frühjahr enden - die Zeit der Einstellung der Lehrlinge mit der Schulentlassung zusammenfällt. Auch haben unsere Hochschulen ihren Studienplan überwiegend so eingerichtet, daß das Studium nach Möglichkeit im Sommersemester beginnt.
Ich darf noch einmal auf die Schulkinder selber zurückkommen. Wer von Ihnen noch an die Schulzeit - mehr oder weniger gern - zurückdenkt, der wird sich dessen erinnern können. daß der Hauptdruck der Arbeit kurz vor Schuljahresende war, sei es daß der Schüler oder die Schülerin vorher ein wenig gebummelt hatte und noch in einen letzten Start kam, um das Rennen zur Versetzung zu machen, sei es daß der Lehrer erkannte, daß er vielleicht den Lehrplan noch nicht richtig erfüllt hat. Kurzum: im letzten Vierteljahr wird anerkanntermaßen in der Klasse am intensivsten gearbeitet. Wenn nun dieses Vierteljahr in die Sommermonate fällt, so bedeutet die Mehrarbeit für Lehrer und Schüler doch eine gewisse Belastung. Die Kinder wollen lieber draußen herumspringen, und die große Hitze in den Klassen ist auch nicht gerade sehr an genehm. Wer im letzten Jahr, wo gerade in den letzten Wochen vor dem Abitur eine große Hitzeperiode war. Hie Abiturienten gesehen hat, weiß. wie die Schüler durch Mehrarbeit belastet waren.
Der Herbstanfang ist für die Lernanfänger auch nicht so schön insbesondere nicht in Gegenden, in denen sie einen sehr weiten Schulweg haben. In Baden, wo in den ländlichen Gemeinden die Sommerferien schon am 15. Juni beginnen, und die Schulzeit in den höheren Schulen erst im Herbst beginnt, entsteht für die ländlichen Schüler ein Vierteljahr Ferien, und sie verlieren, wenn sie auf die höhere Schule gehen, beinahe ein Vierteljahr Ausbildungszeit. Das ist aller sehr schlecht, besonders im Hinblick auf die Heimatvertriebenen, die ja meistens auf dem Lande wohnen. Natürlich darf der Schuljahresbeginn nicht irgendwie einen Einfluß auf die Einteilung der Ferien haben; das bleibt selbstverständlich den Ländern überlassen. Da soll weitgehend auf die klimatischen Verhältnisse, die wirtschaftlichen Bedürfnisse usw., wie zeitliche Verteilung des Aufenthalts in Kurorten und Überbelastung der Bundesbahn, auch zum Beispiel auf das Erfordernis, die Kinder als Hütebuben einzusetzen, Rücksicht genommen werden. Hier ist nicht daran gedacht, in irgendeine kulturelle oder sonstige Maßnahme einzugreifen. Es handelt sich hier bei unserem Antrag lediglich um eine schultechnische, schulorganisatorische Maßnahme.
Nun ist im kulturpolitischen Ausschuß, wie Sie wissen, über den Herrn Bundestagspräsidenten bereits ein Antrag eingebracht worden, der, glaube ich, ein Sechs- oder Siebenpunkteprogramm enthält. Ein ähnlicher Antrag wurde bereits an die Herren Kultusminister gestellt. Wie ich gerade gestern hörte, ist die Antwort eingegangen, daß so ziemlich alle Länder, die bisher noch den Herbsttermin haben, in Erwägung ziehen wollen, den Schuljahresbeginn auch auf das Frühjahr zu verlegen. Als einziges Land hat - ich muß sagen: leider - Bayern noch keine Antwort gegeben. Mir tut es sehr leid; denn gerade mich berührt es besonders, weil ich auch aus Bayern bin - trotz meiner Sprache - und weil diese Bitte gerade von seiten der Heimatvertriebenen und der bayerischen Beamten an mich gerichtet wurde. Ich möchte besonders meinen Kollegen aus Bayern sagen, daß sie im Interesse von Bayern handeln, wenn sie mit uns gehen und sagen: Wir wollen der Kultusministerkonferenz als Schulanfang einheitlich das Frühjahr vorschlagen, weil sonst Bayern als einziges Land eventuell die Schwierigkeit haben würde, daß die Heimatvertriebenen sich bei einer eventuellen Umsiedlung von Bayern in andere Bundesgebiete sperren. Es liegt doch im Interesse auch meiner Kollegen von der Bayernpartei, daß recht, recht viele von den Heimatvertriebenen in vielleicht bessere Verhältnisse in andere Bundesländer umgesiedelt werden. Außerdem würden Sie auch die bayerischen Beamten unterstützen, sei es von der Bundesbahn, sei es von der Post, die sich bemühen, an die höheren Bundesstellen versetzt zu werden, und die Beförderungsstellen auszunutzen. Auch für diese wäre es unangenehm, wenn sie mit Rücksicht auf ihre Kinder auf eine Beförderung verzichten müßten.
Ich möchte Sie daher bitten, unsern Antrag zu unterstützen, durch den wir die Bundesregierung bitten, bei der ständigen Konferenz der Kultusminister dahin zu wirken, daß der Beginn des Schuljahres für alle Länder einheitlich auf das Frühjahr festgelegt wird.
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Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner wird Herr Dr. Seelos sprechen. Er hat drei Minuten Zeit. Wie wäre es, wenn sämtliche Redner ohne Rücksicht auf die Größe der Partei sich verpflichten, nicht länger zu sprechen als er?
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- Das Haus ist damit einverstanden.
Ich erteile Herrn Dr. Seelos das Wort. Es ist aber nicht gesagt, daß Sie drei Minuten sprechen müssen.
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir, daß ich nach meiner bayerischen Vorrednerin auch noch einige Worte sage. Für uns ist dieser Antrag durchaus diskutabel,
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um so mehr, als die Zuständigkeit der Länder, die Zuständigkeit der ständigen Konferenz der Kultus({1})
minister hier eindeutig anerkannt ist. Diese Herren haben dann zu prüfen, wieviel Prozent der Schüler dadurch überhaupt betroffen werden, um welche Massen es sich hier handelt. Ich bezweifle, daß es sich um die Hunderttausende handelt, die die Vorrednerin erwähnt hat. Wenn es nach einem gerechten Schlüssel ginge, müßten allerdings 400 000 Heimatvertriebene aus Bayern umgesiedelt werden. Bisher sind nur 60 000 als umsiedelbar anerkannt worden. Davon sind bisher 6000 oder 7000 umgesiedelt worden. Darunter werden einige wenige Hundert Schulkinder sein, wahrscheinlich kaum ein pro mille der Schülerschaft. Also in diesen Größenordnungen bewegt sich das. Falls Sie uns zusichern, daß, wenn wir das Schuljahr einheitlich beginnen Jassen, die 400 000 umgesiedelt werden, können Sie meinetwegen das Schuljahr an Weihnachten beginnen lassen!
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Bei uns in Bayern haben wir schon einmal versucht, den Frühjahrsbeginn einzuführen. Es hat sich nicht bewährt, und wir sind wieder auf die alte, jahrhundertelange Regelung des Herbstanfangs zurückgegangen. Aber ich möchte hier nicht wie meine Vorrednerin zum Materiellen sprechen. Denn materiell sind wir hierfür einfach nicht zuständig; das haben die Kultusminister zu überlegen.
Wenn Sie beschließen, in dem vorliegenden Antrag die Worte - die ja der Gegensatz von einer Nichteinmischung sind, die Sie hier haben wollen, indem Sie es den Kultusministern zuweisen - „auf das Frühjahr" zu streichen, das der Überlegung der Kultusminister überlassen und ihnen dadurch nicht schon eine Vorschrift machen wollen, sind wir mit dem Antrag einverstanden. Ich habe demgemäß den Abänderungsantrag eingebracht, die Worte „auf das Frühjahr" zu streichen. Wenn Sie diesen Antrag annehmen, haben Sie auch unsere Zustimmung. Dann würden wir einstimmig beschließen, und das wäre ja für Sie ein großer Erfolg.
Das Wort hat Frau Arnold.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich wollte eigentlich zunächst als Schulmeister von schulischer Sicht länger über diesen Gegenstand sprechen. Aber da Frau Dr. Ilk, ohne daß sie selber im Schulleben drinsteht, sehr richtig und sehr eingehend die Gründe vorgebracht hat, die wir als Schulmeister auch nicht anders hätten vorbringen können, kann ich mich kurz fassen. Ich erkläre, daß meine Fraktion sich den Ausführungen von Frau Dr. Ilk anschließt und daß wir uns ebenfalls für den Frühjahrsschulbeginn aussprechen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Weltner.
Meine Damen und Herren! Der uns vorliegende Antrag Drucksache Nr. 1090 kann von der Fraktion der SPD bestens unterstützt werden.
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Wir wissen uns auch darin mit den Zielsetzungen einig, die die Lehrerschaft selbst hat. Aber ich will keine weiteren Begründungen geben; sie sind bereits gegeben worden. Nur eins möchte ich gleich mit auf den Weg geben: Wenn es tatsächlich erreicht wird, daß wir den Schulbeginn in der gesamten Bundesrepublik auf das Frühjahr gesetzt bekommen, dann wird in den Ländern, die gegenwärtig
den Schulbeginn zu Herbstanfang haben, für die entsprechenden Jahrgänge eine gewisse Schwierigkeit eintreten; denn die achtjährige Schulpflicht, die allgemein gilt, läuft für diese Jahrgänge erst im Herbst aus, und es entsteht sehr leicht die Tendenz, daß diese Kinder bereits Ostern entlassen werden möchten.
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Deshalb möchten wir gleich mit auf den Weg geben, daß für diese auslaufenden Jahrgänge die achteinhalbjährige Schulpflicht eingerichtet wird. Zu begründen wäre diese Forderung sehr leicht, denn diese Jahrgänge sind gleichzeitig Kriegs- und Nachkriegsjahrgänge, die in ihrer Ausbildungsqualität ohnehin reichlich betrogen sind. Man könnte an diesen jungen Menschen dadurch ein kleines Unrecht wiedergutmachen.
Im übrigen habe ich sonst nichts hinzuzufügen. Die sozialdemokratische Fraktion wird den Antrag unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Ewers.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Für meine Fraktion ist jeder Antrag erörterungswert, zumal wenn er in einer so sachlichen und geschickten Weise begründet ist, wie das von Kollegin Frau Dr. Ilk geschehen ist. Immerhin haben wir einige Bedenken. Wir würden es zum Beispiel für nicht unrichtig halten, wenn in jeder größeren Stadt die Turnusse der Schulen halbjährlich wechselten, und zwar im Interesse der schwachen Kinder, die in diesem Fall nur ein halbes Jahr sitzen zu bleiben brauchten und nicht ein ganzes Jahr.
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Was aber die Frage der Freizügigkeit der Eltern wegen der Schulsorgen anlangt, so glaube ich, ist es nicht so sehr der Beginn des Schuljahres als vielmehr, wie aus dem Gutachten des mir nachfolgenden Redners Herrn Dr. Edert hervorgeht, das unglaubliche Tohuwabohu auf dem Gebiete der Schulsysteme, das die wesentlichsten Schwierigkeiten bereitet, viel größere jedenfalls, als diese kleine Nebenfrage.
Ich beantrage namens meiner Fraktion, diesen Antrag dem Ausschuß für Kulturpolitik zu überweisen, weil ich der Meinung bin, daß über die aufgeworfene Frage etwas länger und an Hand genauen Materials, was Herr Dr. Seelos mit Recht forderte, gesprochen werden sollte, insbesondere mit der Tendenz, ob nicht in jeder größeren Stadt unter Umständen eine Klasse im Frühjahr, die andere im Herbst anfangen könnte. Bei den Studierenden könnte nicht jedes Semester mit neuen Studenten belegt werden; also Anfängerkurse für jedes Studium, z. B. in der Medizin, für Anatomie oder in der Jurisprudenz über Rechtsgeschichte, brauchten im Winter nicht abgehalten zu werden. Ich weiß nicht, ob das das planmäßige Studium erleichtern würde.
Ich bitte also, den Antrag an den Ausschuß für Kulturpolitik zu überweisen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Edert.
Meine Damen und Herren! Gegenüber den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Seelos darf ich vielleicht darauf hinweisen, daß ein zur Beurteilung dieser Frage so kompetenter
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Mann wie Herr Minister Süsterhenn, der ganz gewiß nicht in dem Ruf steht, zentralistische Neigungen zu haben, noch vor gar nicht langer Zeit in einem Aufsatz dargelegt hat, daß diese Frage des einheitlichen Schulbeginns geradezu nach einer Lösung schreit. Sie schreit tatsächlich nach einer Lösung! Bedenken Sie, daß z. B. aus Schleswig-Holstein und aus Niedersachsen Zehntausende nach dem Süden umgesiedelt werden, und diese Umsiedler sagen mit Recht: unsere Kinder haben schon bei der Übersiedlung aus dem Osten nach dem Westen Jahre verloren; sollen die Kinder jetzt wieder, wenn sie von Schleswig-Holstein nach Süddeutschland umgesiedelt werden, ein weiteres halbes Jahr verlieren, nur deswegen, weil sich die deutschen Bundesländer über eine so kleine Angelegenheit wie den Beginn des Schuljahres nicht einigen können?
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Es ist an sich gar nicht von Bedeutung, ob das Schuljahr zu Ostern oder im Herbst beginnt. Die Diskussionen über diesen Gegenstand laufen seit Jahrzehnten. Schon die Reichsschulkonferenz hat sich 1920 damit befaßt, und der Reichsinnenminister hat 1922 angeordnet - so etwas hat es schon einmal bei uns gegeben! -, daß der Beginn des Schuljahres auf den Frühling festgelegt wird.
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Aber, meine Damen und Herren, entscheidend ist gar nicht, ob Herbst oder Ostern; entscheidend ist, daß wir den Beginn einheitlich festlegen.
Damit komme ich auf den Kernpunkt dieser Interpellation. Im Grunde glaube ich, daß sie nur den tieferen Sinn hat, die Aufmerksamkeit dieses Hohen Hauses auf die Tatsache hinzuweisen, daß seit 1945 in unserem Schulwesen eine heillose Zersplitterung eingetreten ist
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und dadurch die Freizügigkeit bedroht und die Bildungseinheit gefährdet wird. Der Kulturausschuß hat sich mit dieser Frage beschäftigt und eine Entschließung gefaßt, auf die ich jetzt im einzelnen nicht eingehen will. In dieser Entschließung ist auch die Frage des Schulbeginns erwähnt und im übrigen auf die anderen möglichen organisatorischen Maßnahmen zur Vereinheitlichung hingewiesen. Der Ausschuß des Bundesrates, also die Ständige Konferenz der Kultusminister, hat auf diese Entschließung geantwortet und hat zu meiner Freude in bezug auf die erste Frage, den Beginn des Schuljahres, mitgeteilt, daß sich jetzt auch die südwestdeutschen Länder und Berlin für den Frühling als Schulbeginn entscheiden wollen. Darüber hinaus wurde erklärt, daß der Ständige Ausschuß der Kultusminister sich weiterhin bemühe, das Schulwesen Deutschlands aneinander anzugleichen. Aber im Grunde, meine Damen und Herren, ist ja diese Ständige Konferenz der Kultusminister gar nicht befugt, irgendwelche gesetzlichen Anordnungen zu erlassen. In der Bundesrepublik hat jeder Kultusminister seine eigene Schulreform gemacht; er ist ja von seinem Landtag abhängig. So können wir also hier gar nichts weiter tun, als die Bitte zu äußern, daß zunächst einmal auf diesem einen Gebiet dem Wunsche des Kulturausschusses Rechnung getragen werden möge.
Ich bitte Sie, die Angelegenheit nicht erst an den Ausschuß zu verweisen - dort ist sie eingehend behandelt worden -, sondern einfach dieser Interpellation zuzustimmen.
Das Wort hat der Abgeordnete Gaul.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Begründung des Antrags meiner Fraktion habe ich nichts mehr hinzuzufügen, nachdem meine Kollegin Frau Dr. Ilk auch die pädagogische Seite zureichend geschildert hat. Ich möchte mich nur gegen die beiden hier vorliegenden Anträge aussprechen.
Herr Kollege Ewers, bringen Sie den Antrag nicht mehr in den kulturpolitischen Ausschuß! Da war er schon. Von da ist im Mai eine Entschließung an die Ständige Konferenz der Kultusminister weitergeleitet worden, nicht hier durch den Bundestag, sondern durch den Herrn Bundestagspräsidenten. Aber bei dieser technisch-organisatorischen Frage wünschen wir, diesem Beschluß auch das Gewicht des Bundestages zu geben.
Sodann möchte ich gegen den Antrag des Herrn Dr. Seelos sprechen. Herr Kollege Dr. Seelos, wenn im nächsten Frühjahr von den 12 Ländern 9 oder sogar 10 sich auf den Schulbeginn im Frühjahr geeinigt haben werden, dann glaube ich, besteht auch kein Bedürfnis dafür, noch einmal zu untersuchen, ob nicht doch der Herbst der richtige Termin ist.
Meine Damen und Herren, das, was Herr Kollege Dr. Edert zuletzt sagte, ist ja nur ein geringer Teil der vielen Anliegen, aie seit 1945 unser Schulwesen in eine uferlose Zersplitterung hineintreiben und, wenn dem nicht entgegengewirkt wird, weiter hineintreiben werden. ich glaube, daß bei dieser leicht lösbaren Frage, die weder die Kompetenz der Länder noch die des Bundes erschüttert, sondern bei der es sich nur um die organisatorische und technische Seite handelt, sollten wir uns nicht mit einer nochmaligen Überweisung an den Ausschuß aufhalten, sondern darüber sollten wir schon heute abstimmen und uns für den einheitlichen Schulbeginn im Frühjahr erklären.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache. Soeben teilt mir Herr Kollege Ewers mit, daß er den Antrag auf Ausschußüberweisung zurückzieht.
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Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Abänderungsantrag des Kollegen Dr. Seelos, die Worte „auf das Frühjahr" zu streichen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Der Antrag ist mit überwältigender Mehrheit abgelehnt.
Ich lasse nun abstimmen über den Antrag Drucksache Nr. 1090. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Meine Damen und Herren, damit ist die Tagesordnung erschöpft; aber wir sind noch nicht am Ende. Herr Abgeordneter Goetzendorff hat zu Beginn der Sitzung das Wort erbeten zu einer persönlichen Erklärung. Ich erteile ihm dazu das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann mich außerordentlich kurz fassen, so kurz, wie mich heute vormittag der Herr Abgeordnete Spies abzufertigen gedachte.
Ich habe gestern im Rahmen einer persönlichen Erklärung behauptet, daß ich vom Ausschuß für Außenhandelsfragen nicht eingeladen worden sei. Diese Erklärung nahm Herr Abgeordneter Spies zum Anlaß, um in ironischer Weise die Wahrheit meiner Worte in Zweifel zu ziehen. Ich verwahre mich dagegen entschieden schon aus dem Grunde,
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damit eine derartige Polemik in diesem Hohen Hause nicht obligatorisch werden kann.
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Zweitens hat Herrn Abgeordneten Spies vorgestern mein leerer Sitzplatz äußerst beschäftigt. Ich möchte auch diesen Wissensdurst befriedigen. Ich habe dem Herrn Präsidenten des Hauses vorgestern von der Autobahn aus mitgeteilt, daß ich eine Panne erlitten habe.
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Ich hoffe, der Herr Abgeordnete wird mir dieses Mißgeschick nicht verübeln. Vielleicht wird er seine zweifelsohne beachtlichen pädagogischen Erkenntnisse gelegentlich einmal auf die Wochenendstimmung dieses Hohen Hauses übertragen können.
Zum Abschluß möchte ich sagen, daß meine Kenntnisse, Herr Abgeordneter Spies, Sie auch nicht hätten bereichern können. Ich hätte nur das zu meinem Antrag sagen können, was Sie alle, die Sie im Durchschnitt viel erfahrener sind als ich, wissen,
und was jeder Deutsche wissen sollte, nämlich daß die Gablonzer Industrie einst die tschechische Außenhandelsbilanz erst aktiv gemacht hat und daß man ihr mit allen Mitteln helfen sollte.
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Herr Abgeordneter, Ihre letzten Worte sind keine persönliche Bernerkung mehr gewesen.
Ich habe noch bekanntzugeben: Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten wird seine nächste Sitzung nicht am Mittwoch, sondern bereits am Dienstag - um 9 Uhr 30 - abhalten. Außerdem habe ich bekanntzugeben, daß der Ausschuß für Wirtschaftspolitik erst am Dienstag, dem 25. Juli, tagen wird.
Damit, meine Damen und Herren, sind wir am Ende. Ich berufe die 79. Sitzung ein auf Mittwoch, den 26. Juli 1950, vormittags 9 Uhr, und schließe die 78. Sitzung des Deutschen Bundestages.