Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 75. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Liste der fehlenden Mitglieder verlesen zu wollen.
Wegen Erkrankung fehlen die Abgeordneten Frau Dr. Brökelschen, Morgenthaler, Even, Hellwege, Dr. von Campe, Dr. Bertram, Loritz, Wittmann, Dr. Richter ({0}), Bettgenhauser, Dr. Gülich, Mißmahl, Frau Albrecht, Meitmann. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Gockeln, Dr. Gerstenmaier, Dr. Dr. Lehr, Heix, Naegel, Neuburger, Dr. Dr. Müller ({1}), Hagge, Dr. Kopf, Winkelheide, Dr. von Brentano, Struve, Lübke, Freitag, Görlinger, von Knoeringen, Frau Schroeder ({2}), Sander, Bromme, Erler, Reitzner, Baur ({3}), Brandt, Kalbfell, Frau Nadig, Böhm, Klabunde, Meyer ({4}), Wehner, Dr. Oellers, Wirths, Dr. Middelhauve, Freudenberg, Dr. Wellhausen, Eickhoff, Wittenburg, Aumer, Wartner, Rahn, Wallner. Außerdem fehlen die Abgeordneten Reimann, Renner, Rische, Vesper, Müller ({5}).
Ich habe weiter folgende Mitteilungen zu machen.
Die heutige Tagesordnung wird erweitert durch die gestern nicht erfolgte Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Arndt, Zinn, Freidhof und Fraktion der SPD betreffend Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für das Kurhessische KupferSchiefer-Bergwerk in Sontra, Drucksache Nr. 1027, als ersten Punkt.
Dann habe ich mitzuteilen, daß mich der Herr Bundesverkehrsminister gebeten hat, den Punkt 6 der Tagesordnung, zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiete der Seeschiffahrt, gleich anschließend zu behandeln, weil er nachher sofort zu einer Besprechung mit dem Herrn amerikanischen Kommissar nach Frankfurt fahren muß. - Ich darf das Einverständnis des Hauses dazu annehmen.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen entgegen den sonstigen Gepflogenheiten, weil es Freitag ist, gleich den Sitzungsplan für die nächste Woche bekanntgeben. Die 76. Sitzung des Deutschen Bundestags findet am Mittwoch, dem 19. Juli, 14 Uhr 30, die 77. Sitzung am Freitag, dem 21. Juli, 9 Uhr 30, statt. Die Nachmittage am Dienstag, dem 18. Juli, und am Donnerstag, dem 20. Juli, sind für Fraktionssitzungen vorgesehen, so daß für die Vormittage Gelegenheit für Ausschußsitzungen gegeben ist, worauf ich die Damen und Herren, die Vorsitzende von Ausschüssen sind, besonders aufmerksam machen möchte.
({0})
Meine Damen und Herren! Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich im Namen des Hohen Hauses mit Ausnahme der KPD-Fraktion folgende
Erklärung
abzugeben:
Die Scheinregierung der von russischen Truppen besetzten Zone Deutschlands
({1})
hat der Preisgabe der deutschen Gebiete östlich der Oder-Neiße-Linie das
Prager Abkommen vom 23. Juni 1950
folgen lassen, mit dem die völkerrechtswidrige und unmenschliche Austreibung der
Sudeten- und Karpatendeutschen
als „unabänderlich, gerecht und endgültig" anerkannt wird. Der Deutsche Bundestag erklärt
aus diesem Anlaß erneut, daß jene Scheinregierung weder politisch noch moralisch befugt ist,
({2})
im Namen des deutschen Volkes zu sprechen und Abkommen zu schließen.
Das Prager Abkommen ist nicht vereinbar mit dem unveräußerlichen Anspruch des Menschen auf seine Heimat. Her Deutsche Bundestag erhebt deshalb feierlich Einspruch
({3})
gegen die Preisgabe des Heimatrechtes der in die Obhut der deutschen Bundesrepublik gegebenen Deutschen aus der Tschechoslowakei und stellt die Nichtigkeit des Prager Abkommens fest.
Der Deutsche Bundestag begrüßt die Ablehnung des Prager Abkommens durch die Hohen Kommissare. Er richtet an die Gesamtheit der freien Völker den Appell, im Geiste der AtlantikCharta für eine Friedensordnung einzutreten, in der die natürlichen Rechte auch der Deutschen gewahrt sind.
({4})
Durch Ihr Erheben von den Plätzen haben Sie dieser Erklärung zugestimmt. Ich danke Ihnen.
({5})
- Ich erteile Ihnen nicht das Wort.
({6})
Wir treten nunmehr in die Tagesordnung ein.
({7})
- Nach § 83 der Geschäftsordnung liegt es im Ermessen des Präsidenten, das Wort zur Geschäftsordnung zu erteilen.
({8})
Ich erteile vielmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Arndt, Zinn, Freidhof und Fraktion der SPD betreffend Hilfsmaßnahmen der Bundesregierung für das Kurhessische Kupfer-Schiefer-Bergwerk in Sontra ({9})
Herrn Abgeordneten Dr. Arndt zur Begründung das Wort.
({10})
- Schweigen Sie von der Demokratie, von der Sie keine Ahnung haben!
({11})
Dr. Arndt ({12}), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein Hauptproblem der Arbeitslosigkeit besteht in ihrer räumlichen Konzentration. Die Notstandsgebiete decken sich nicht mit den Ländergrenzen. Nordhessen, d. h. genauer der Regierungsbezirk Kassel, hatte im Februar 1950 mit 21,3 % eine höhere Arbeitslosenquote als Bayern oder Niedersachsen. Während Nordhessen nur 38 % der beschäftigten Arbeitnehmer Hessens beherbergt, hat es etwa 63 % aller hessischen Erwerbslosen. Bemerkenswert ist hierbei, daß diese Notlage erst in den letzten zwei Jahren seit der Währungsreform entstanden ist. Im Gegensatz zur sonstigen Lage in Westdeutschland ist auch der Rückgang der Beschäftigten besonders bemerkenswert. Die Ursachen sind strukturelle Faktoren: das Mißverhältnis zwischen der wirtschaftlichen Kapazität und der Menschenzahl.
Schon vor dem Kriege ist der Bevölkerungsstand Nordhessens über das Niveau einer friedensmäßigen Wirtschaftskapazität weit hinausgewachsen. Diese absolute Überbeschäftigung hat ihren Grund darin, daß die Beschäftigung in Nordhessen wegen seiner früheren Mittellage weit über den Reichsdurchschnitt hinaus forciert wurde und bereits seit 1936 Zehntausende von Menschen nach dort neu hingeholt worden sind. Das Städtchen Sontra zum Beispiel ist von 2400 Einwohnern im Jahre 1937 auf jetzt etwa 6300 Einwohner angewachsen.
Nordhessen ist im Gegensatz zur früheren Mittellage heute ein ausgesprochenes Grenzland, und die intensive Verbindung, die früher mit Mitteldeutschland bestand, ist praktisch abgeschnitten. Es ist notwendig, daß die Bundesregierung unverzüglich qualitative Maßstäbe zur konkreten und individuellen Feststellung der Notstandsgebiete aufstellt, die sich nicht mit den politischen Ländergrenzen decken. Weiter ist notwendig, daß solche Gebiete eine auf die örtliche Lage abgestellte Sonderförderung erfahren, weil die allgemeinen Wirkungen einer aktiven Konjunkturpolitik - wenn wir erst einmal eine hätten - keineswegs ausreichen, das Strukturproblem zu lösen.
Die zentrale Frage in Nordhessen ist neben Kassel das Elendsgebiet Sontra mit etwa 42 % Arbeitslosen. Die Bergbausiedlung Cornberg hält mit über 69 % Arbeitslosen überhaupt den Rekord - einen traurigen Rekord - im Westen Deutschlands.
Entscheidend ist der Wiederaufbau des Kupferbergwerks, das seine Entstehung der Initiative des Geheimrats Paselt im Reichswirtschaftsministerium verdankt.
({13})
- Meine Damen und Herren, es wäre zweckmäßiger, die Gespräche außerhalb des Saales zu führen, oder wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, daß Sie die Arbeitslosigkeit in Nordhessen so wenig interessiert?
({14})
- Also ich wiederhole noch einmal: Entscheidend ist der Wiederaufbau des Kupferbergwerks. Es handelt sich dabei um das einzige Kupferbergwerk westlich des Eisernen Vorhangs in Europa. Es ist imstande, etwa 8 % des deutschen Kupferverbrauchs zu decken. 25 Millionen t Erz, d. h. 300 000 t reines Kupfer sind abbauwürdig. Der Kupfergehalt insbesondere aus dem Schacht Reichenberg kann nach einer Analyse von Professor Michel auf 20 kg Kupfer je t Erz gesteigert werden. Bis 1945 waren dort etwa 2500 Arbeiter beschäftigt, und etwa 35 Millionen RM sind aus Reichsmitteln investiert worden. 1945 haben die amerikanischen Besatzungstruppen in wenigen Minuten dieses Bergwerk planmäßig unter Wasser gesetzt
({15})
und damit Tausende von Menschen auf einen Schlag brotlos gemacht. Manchmal geht eben die re-education außerordentlich seltsame Wege.
({16})
Auch die Schachtöfen wurden an Herrn Tito „restituiert", obwohl sie ebensowenig aus Jugoslawien wie vom Monde gekommen waren.
Das Land Hessen, das mehr getan hat als jedes andere deutsche Land, um die Gewinnung der Bodenschätze zu entwickeln, hat mit Hilfe des Landtags die Mittel - im neuen Etat wieder etwa 2,5 Millionen DM - zur Verfügung gestellt, um das Bergwerk zu entsumpfen und neu betriebsfähig zu machen. Heute arbeiten dort wieder 575 Mann,
({17})
und der erste Schachtofen ist soeben mit einer kleinen Feier in Betrieb gesetzt worden. Noch aber warten allein in der Arbeitsamtnebenstelle Sontra - sie umfaßt 23 Ortschaften - etwa 1800 Menschen auf Arbeit, von denen 900 ohne weiteres im Kupferbergwerk Sontra Arbeit finden könnten. Aber mit nur einem Schacht und nur einem Ofen ist das Werk nicht lebensfähig.
Auch die Sicherheit der Arbeiter unter Tage ist gefährdet, solange nur ein Schacht betriebsfähig ist. Um dieser Sicherheit der Menschen willen und aus arbeitsmarktbedingten sowie auch aus politischen Gründen, da sich die Anlage nur sechs Kilometer von der Zonengrenze befindet, wären unverzüglich ein zweiter Schacht und ein zweiter Ofen betriebsfertig zu machen. Das ist nur mit Bundeshilfe möglich.
Aber es handelt sich dabei um eine gesamtdeutsche Frage, so daß die Bundeshilfe mit Recht gefordert werden kann. Die Bundesregierung kann uns daher nicht, wie sie es auf die kleine Anfrage Nr. 69 durch Schreiben vom 18. Mai dieses Jahres getan hat, durch den Hinweis auf die hessischen Landesmaßnahmen abspeisen. Außerdem ist es nicht möglich, daß länger in der Schwebe bleibt, wer für Sontra verantwortlich ist und wem das Eigentum dort zusteht. Die Belegschaft ist heftigst beunruhigt und in ihrer Arbeitsmoral gefährdet, weil eine keinesfalls legitimierte Interessentengruppe aus der früheren Mansfelder Aktiengesellschaft in Eisleben erklärt hat, sie wolle Sontra wieder in die Hand bekommen. Die Bundesregierung wird sich, wenn auch nicht bei Gelegenheit gerade dieser Interpellation, in absehbarer Zeit zur Frage des Reichsvermögens und insbesondere der sogenannten Mansfeld-Verträge zu erklären haben. Wir erwarten von ihr die unbedingte Zusicherung, daß eine Reprivatisierung in keiner Form in Frage kommt.
({18})
Die Bundesregierung wird ferner im Rahmen eines ernsthaften und wirklichen Arbeitsbeschaffungsprogramms besondere Vorschläge zu machen und Mittel bereitzustellen haben, um das Strukturproblem im Notstandsgebiet Nordhessens zu lösen. Im Augenblick braucht das Elendsgebiet Sontra unverzüglich etwa 900 ON DM aus Bundesmitteln, um noch vor dem Winter mit den erforderlichen Arbeiten beginnen zu können.
Aus diesen Gründen rechtfertigt sich unsere Frage, was die Bundesregierung hier selbst zu tun gedenkt.
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Das Wort zur Beantwortung der Interpellation durch die Bundesregierung hat Herr Staatssekretär Schalfejew.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Ausführungen hinsichtlich der Notlage dieses Bezirks in Nordhessen werden von uns als völlig richtig anerkannt. Ganz zweifellos besteht dort eine ungewöhnliche Notlage. Die in diesem Arbeitsbezirk und insbesondere in dem Nebenstellenbezirk von Sontra entstandene Notlage ist nicht zuletzt durch das Hineinbringen von allen möglichen Rüstungsbetrieben während der Kriegszeit hervorgerufen. Nun haben wir in den letzten Jahren diese Verhältnisse zusammen mit der hessischen Regierung sehr eingehend beobachtet und sind dabei zu dem Wiederaufbauplan der hessischen Regierung gekommen, der, wie ich zugeben möchte, nicht voll befriedigen kann, da er keine volle Lösung dieses Problems darstellt. Immerhin ist es so. daß nach dem Wiederaufbauplan der hessischen Regierung im Laufe dieses Jahres noch 120 Arbeitskräfte eingestellt werden sollen.
({0})
- Ja, von den 900, Herr Dr. Arndt! Denn es sind 900 Menschen im Bergbau ansatzfähig, und ich glaube, es dürfte in Ihrem Sinne liegen, wenn ich Ihre Interpellation speziell hinsichtlich des Kupfererzbergbaus beantworte. Hier handelt es sich in erster Linie um die Frage der Ansetzung dieser 900 im Bergbau ansatzfähigen Personen. Hiervon würden zunächst - nach dem hessischen Wiederaufbauprogramm - etwa 120 bergfähige Personen angesetzt werden können.
Wenn man mehr für dieses Notstandsgebiet tun will, was außerordentlich erwünscht wäre, so gäbe es dafür hauptsächlich zwei Maßnahmen, und zwar erstens - Herr Dr. Arndt, das haben Sie mit Recht hervorgehoben -: die Niederbringung eines zweiten Schachtofens, der etwa eine einmalige Ausgabe von etwa 500 000 DM erfordert, und zweitens müßte der Wolfsbergschacht, dessen Ausbau zurückgestellt wurde, nachdem die Sümpfung des anderen Schachts durchgeführt war, weiter ausgebaut werden. Man könnte damit rechnen, daß, wenn der zweite Schachtofen steht, etwa 280 Mann eingestellt werden können; und bei einer Neuanlegung im Wolfsbergschacht könnten etwa 240 Personen Arbeit finden.
Nun die Frage der Mittel. Wir sind ja jetzt, wie Sie wissen, bei der Ausarbeitung des zweiten Arbeitsbeschaffungsprogramms oder, wie wir es nennen wollen: des Wirtschaftsförderungsprogramms. Bei der Lage der Bundesfinanzen wird es wohl nicht anders möglich sein, als hier nur im Kreditwege zu helfen, wobei allerdings die Möglichkeit einer Zinsdifferenzierung durchaus denkbar wäre, so daß also hier die Frage im Vordergrund steht, die hoffentlich positiv gelöst werden kann, ob nämlich diese Maßnahmen, von denen ich eben sprach, eine nachhaltige Wirtschaftlichkeit dieses Unternehmens auf Grund dieser Arbeiten gewährleisten. Dabei ist nicht ganz außer acht zu lassen, wenn es auch nicht unbedingt maßgebend ist, daß der Kupferverbrauch in Deutschland etwa bei 220 000 t im Jahre liegt und daß wir etwa 120 000 t einführen müssen. Der Rest wird im wesentlichen durch Altmaterial aufgebracht. Die Produktion von Sontra wird etwa mit 2000 t angenommen werden können. Sie stellt etwa 1 % des Verbrauchs dar bzw. 2 % der Einfuhr. - Herr Dr. Arndt, Sie schütteln den Kopf; ich nehme an, daß Sie damit im besonderen zum Ausdruck bringen wollen, daß das nicht der ausschlaggebende Gesichtspunkt ist. Ich möchte annehmen, daß es gelingen wird, die Maßnahmen so zu gestalten, daß eine Wirtschaftlichkeit erreicht wird. Dann spielt diese Frage, in welchem Prozentsatz sich die Produktion zum Beispiel zur Einfuhr verhält, keine Rolle. Im Gegenteil, wir würden es natürlich sehr begrüßen, denn es erspart immerhin Devisen im Ausmaße von - auch schon bei der jetzigen kleinen Förderung von 2000 t - über einer Million Dollar im Jahre.
Diese Prüfung der Wirtschaftlichkeit ist eingeleitet. Das Ergebnis wird bestimmt vorliegen, wenn wir eine Entscheidung im Rahmen der Gesamtentscheidungen über das Wirtschaftsförderungsprogramm treffen können; und ich hoffe, daß das Ergebnis positiv auslaufen wird. Ebenfalls wird bei
({1})
diesem Wirtschaftsförderungsprogramm von uns auch nachhaltig auf diejenigen Gebiete Rücksicht genommen werden, in denen besondere Notstände vorliegen.
Ich darf vielleicht nur eines noch hinzufügen. Es kommt ja noch eine gewisse Entlastung für das fragliche Gebiet durch Neuerschließung des KaliSchachts Herfa-Neurode von Wintershall. Das wird eine zusätzliche Anlegung von etwa 150 bergfähigen Personen ermöglichen, so daß also, wenn man die Gesamtzahlen nimmt, damit immerhin ein erträgliches Ergebnis erzielt werden könnte.
Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Aussprache 40 Minuten vor. Ich darf Ihr Einverständnis erbitten. - Ich höre keinen Widerspruch.
Als erster hat das Wort Herr Abgeordneter Sabel. Acht Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Problem, das hier diskutiert wird, ähnelt doch in sehr starkem Maße dem Problem, das wir schon oft erörtert haben, nämlich Watenstedt-Salzgitter; allerdings in einem kleinen Ausmaß. Hier in Sontra hat man im Dritten Reich den Kupferschieferbergbau entwickelt, hat dort zeitweise fast 3500 Arbeitskräfte angesiedelt. Der Betrieb kam 1945 zum Erliegen. Später erfolgte eine Reihe von Demontagen; und nun wird versucht, wiederum Beschäftigungsmöglichkeiten für die dort untergebrachten Menschen zu finden, für die andere Beschäftigungsmöglichkeiten kaum vorhanden sind.
Im Augenblick ist es so, daß etwa 600 Leute wiederum Beschäftigung gefunden haben. Ich bemerke allerdings, daß bei dem Höchststand der Beschäftigtenziffer eine Reihe Fremdarbeiter vorhanden sind. Man könnte, soweit man überhaupt von einer ständigen Beschäftigtenziffer oder von einer regulären Beschäftigtenziffer reden kann, mit etwa 1800 Personen rechnen. Es ist also noch sehr viel aufzuholen, um diesen Stand zu erreichen.
Es wurde nun in der Nachkriegszeit wiederholt überprüft, ob eine Wiederbelebung dieses Kupferschieferbergbaues zweckmäßig ist, ob sie wirtschaftlich ist. Seit dem vorigen Jahr hat die hessische Regierung hier doch erfreulicherweise eine beträchtliche Summe hineingesteckt und nun zunächst einmal ermöglicht, daß die Gruben durch das Entsumpfen wieder betriebsfähig wurden. Die Förderung wurde aufgenommen. Es wurde inzwischen auch ein Ofen erstellt, so daß die Verhüttung des anfallenden Materials möglich ist.
Der finanzielle Aufwand, den die hessische Regierung geleistet hat, ist, auf den Kopf des einzelnen berechnet oder, möchte ich sagen, auf den Arbeitsplatz gerechnet, verhältnismäßig sehr hoch. Auch in diesem Jahre hat die hessische Regierung meines Wissens einen Betrag von 21/2 Millionen DM im Etat eingesetzt.
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- Ich glaube, 21/2 Millionen. Das würde, wenn wir das wiederum auf den Kopf der Belegschaft rechnen; doch immerhin eine beachtliche Summe von rund 4000 DM ausmachen.
Ich möchte damit sagen: es ist schon manches geschehen, und ich glaube, daß es gerade in Anbetracht der besonderen Situation in Sontra vertretbar ist. Nun geht es darum, weitere Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen. Das wäre möglich durch die Erstellung des zweiten Ofens. Die Kosten sind eben
schon erwähnt worden. Es wäre weiter möglich durch die Ausweitung der Förderung im Wolfsbergschacht, die ebenfalls eine Beschäftigungsmöglichkeit für zusätzlich 240 Personen ergeben würde. Alles in allem könnten die Maßnahmen, die hier diskutiert werden, dazu führen, daß statt bisher 600 Personen immerhin mehr als 1000 Arbeitskräfte dort Arbeitsmöglichkeiten finden würden.
Ich darf nochmals darauf hinweisen, was schon Herr Kollege Dr. Arndt gesagt hat: Die Situation des Arbeitsmarktes in dem Bezirk Sontra ist besonders kritisch. Wir haben dort eine Arbeitslosigkeit, die etwa bei dem Dreifachen des Bundesdurchschnitts liegt; und wir haben auch kaum Möglichkeiten, diese Kräfte anderswo einzusetzen. Herr Staatssekretär Schalfejew meinte eben gerade, daß Herfa eine Ausweichmöglichkeit bieten würde. Das ist nur in beschränktem Maße möglich; denn Herfa ist räumlich von Sontra doch so weit entfernt, daß es nicht leicht möglich ist, die Arbeitskräfte von Sontra dort einzusetzen. An und für sich, für den Gesamtbezirk, ist es eine Erleichterung, aber nicht für den engeren Bezirk in Sontra.
Mir scheint es notwendig, daß im Interesse der Stabilität die Aufbauarbeiten überlegt durchgeführt werden. Mir scheint eine allmähliche Entwicklung vernünftiger als eine schnelle Aufblähung. Es muß bei der ganzen Frage auch die Frage der Wirtschaftlichkeit geprüft werden. Das hängt entscheidend vom Kupferpreis ab. Der heutige Kupferpreis gibt uns die gewisse Garantie einer Wirtschaftlichkeit. Aber wir haben nicht die Sicherheit, daß dieser Kupferpreis so bleibt, wie er im Augenblick ist.
Alle Überlegungen, glaube ich, führen doch dazu, den Einsatz weiterer öffentlicher Mittel als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Ich wäre deshalb dankbar, wenn man jetzt versuchen würde, Sontra im Rahmen des zweiten Arbeitsbeschaffungsprogramms stärker zu berücksichtigen, im übrigen aber auch das übrige Nordhessen zu berücksichtigen. Wenn es bisher nicht möglich war, Sontra im Rahmen des Schwerpunktprogramms zu berücksichtigen, dann ist mir das plausibel. Denn die Situation in Sontra ist so, daß die Anforderungen, die für die Vergebung von Krediten aus dem Schwerpunktprogramm gestellt werden, im Augenblick von Sontra nicht erfüllt werden können. Also müßten wir versuchen, über die Maßnahmen hinaus, die Hessen durchgeführt hat, gerade jetzt bei dem zweiten Arbeitsbeschaffungsprogramm die Voraussetzungen zu schaffen, in diesem Bezirk weitere Menschen im Kupferschieferbergbau zu beschäftigen.
Ich darf bei dieser Gelegenheit darauf hinweisen, daß die Sache eben nicht nur von der Arbeitsmarktsituation aus behandelt werden sollte, sondern nebenher ist immerhin noch eine respektable Devisenersparnis wichtig. Bei dem heutigen Kupferpreis könnten wir immerhin einen Betrag - er mag hier in diesem Hause vielleicht etwas bescheiden klingen - von 11/4 Millionen Dollar an Devisen durch die Produktion in Sontra einsparen. Ich glaube, das sollte auch beachtet werden. Also ich empfehle, daß die Bundesregierung sich auch darüber Gedanken macht und versucht, in diesem zweiten Arbeitsbeschaffungsprogramm Sontra besonders zu berücksichtigen.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeneter Freidhof. 8 Minuten.
Meine Damen und Herren! Die Antwort, die die Regierung auf die sozialdemokratische Interpellation gegeben hat, kann die sozialdemokratische Fraktion nicht befriedigen. Die Regierung hat zwar anerkannt, daß die Notlage in diesem Bezirk sehr groß ist und hat auf das zweite Arbeitsbeschaffungsprogramm hingewiesen. Das sind Zukunftshoffnungen, auf die wir uns nicht vertrösten lassen können. Die hessische Regierung hat seit Jahren ihr Mögliches getan, um diesem Notstandsgebiet Hilfe zuteil werden zu lassen. Jetzt liegt es an der Bundesregierung, auch ihrerseits das zu tun, was notwendig ist, um diesem Notstandsgebiet einige Hilfe zuteil werden zu lassen.
({0})
Wenn aber in der Regierungserklärung die Wirtschaftlichkeit in den Vordergrund gestellt worden ist, wenn auch mein Vorredner, der Herr Kollege Sabel, darauf hingewiesen hat, daß der Kupferpreis dabei eine Rolle spielt, dann möchte ich sagen, daß es sich hier nicht nur um ein wirtschaftliches und ein finanzielles Problem handelt, sondern hier handelt es sich um ein menschliches Problem, ein soziales Problem, ein politisches Problem.
({1})
Es ist ganz klar, daß in einem Raum in so enger Konzentration und konzentrierter Form eine so große Arbeitslosigkeit zu schweren wirtschaftlichen und sozialen Erschütterungen führen muß und dadurch die Atmosphäre, insbesondere die politische Atmosphäre, außerordentlich stark vergiftet wird, jene Vergiftung der Atmosphäre, die den politischen Rattenfängern und Hasardeuren die Möglichkeit gibt, ihre Agitation dort zu entfalten. Es besteht überhaupt, das darf ich hinzufügen, meine Damen und Herren, eine tiefe Verstimmung in der Bevölkerung im nordhessischen Raum, weil nach ihrer Auffassung die Bundesregierung bis jetzt nicht die notwendigen Schritte unternommen hat, um diesem Notstandsgebiet einigermaßen Hilfe zuteil werden zu lassen.
({2})
Es handelt sich hier um ein echtes Notstandsgebiet, dem nur durch die Solidarität des gesamten Bundesgebietes geholfen werden kann.
({3})
Ich darf in dem Zusammenhang darauf hinweisen - auch mein Parteifreund Dr. Arndt hat das bereits getan -, daß durch die Zonengrenzen usw. das Gebiet wirtschaftlich auseinandergerissen worden ist. Früher hat die Stadt Kassel die Möglichkeit geboten, einen überschüssigen Bevölkerungsanteil in diesem Gebiet aufzunehmen. Heute ist das unmöglich, da die Stadt Kassel selbst sehr schwer zerstört ist und ihre Wirtschaft schwer leidet, die Industrie schwer ringt und dort eine sehr große Arbeitslosigkeit vorhanden ist. Ich möchte in dem Zusammenhang darauf hinweisen, daß es sich nicht nur um das Sontra-Gebiet allein handelt, sondern daß es sich um das gesamte nordhessische Notstandsgebiet handelt, und daß die Bundesregierung verpflichtet ist, auch der Waggon- und Lokomotivindustrie in Kassel möglichst rasch Aufträge zu erteilen, um die Arbeitslosigkeit dort einigermaßen zu mildern.
Ich darf in dem Zusammenhang noch auf etwas anderes hinweisen. Im Januar oder Februar ist der Bundesjustizminister Dr. Dehler in Kassel gewesen, um dort ein Gebäude zu besichtigen, da der Bundesgerichtshof nach Kassel verlegt werden soll. Wir
haben in der Stadt Kassel seit Monaten eine Reihe von Wohnungen leerstehen, die wir bereithalten, um die Verwaltungsbeamten aufzunehmen. Das Verwaltungsgebäude, das zweitgrößte in Hessen, steht bereits seit Monaten fast leer, und die Regierung rührt sich nicht, um etwas zu tun, um dieser notleidenden Stadt zu helfen.
Die Antwort, die die Regierung gegeben hat, kann uns also in keiner Weise befriedigen. Wir werden weitere Schritte unternehmen, um die Regierung zu zwingen, hier Farbe zu bekennen, ob sie dem Notstandsgebiet helfen will oder nicht.
({4})
Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hat in seiner Regierungserklärung erklärt, daß diese Regierung eine Regierung der sozialen Gerechtigkeit ist. Hier kann sie den Beweis erbringen, ob sie diesen Namen zu Recht verdient. Nach unserer Auffassung hat sie diesen Beweis bis heute nicht erbracht.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Fisch. 3 Minuten.
Meine Damen und Herren! Der Fall Sontra ist aus mehr als einem Grunde interessant, weil er typisch ist für die direkte Verantwortlichkeit der amerikanischen Besatzungsmacht für den Zerstörungsprozeß in der deutschen Wirtschaft und für die Zerrüttung unserer sozialen Verhältnisse. Es ist eigenartig, daß keiner meiner Vorredner die Geschichte der Zerstörung des Sontra-Wirtschaftsgebietes hier zu erwähnen für nötig hielt. Die Sontra-Gruben, die bis 1945 4000 Arbeiter beschäftigten, wurden beim Einmarsch der Amerikaner auf deren Befehl systematisch zerstört. Die Schächte wurden ersäuft, und in diesem Gebiet gibt es darum heute eine solche im ganzen übrigen Bundesgebiet nicht erreichte Arbeitslosigkeit, daß beispielsweise in der Gemeinde Sontra von 6500 Einwohnern 1350 Unterstützungsempfänger sind.
Die amerikanische Besatzungsmacht hat die Demontage der zwei Hochöfen, die Demontage der wichtigsten Maschinen nicht darum angeordnet, weil es sich um kriegswichtige Objekte handelt, sondern weil die Konkurrenzangst der amerikanischen Kupferproduzenten und -importeure dahinter steht, die keine deutsche Kupferproduktion aufkommen lassen möchten.
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Zudem ist das Gebiet die ganze Zeit nicht nur durch die Demontagen, sondern auch durch die fortlaufenden Produktionsbeschränkungen der Amerikaner gehemmt.
Es ist darum kein Wunder, wenn auch die Bundesregierung selbst keine Pläne entwickelt hat und sich auf solche, man muß sagen, banalen Erklärungen beschränkt, wie sie uns heute hier vorgelegt worden sind. Auch noch aus einem anderen Grunde geschieht dies. Man möchte die Ungeklärtheit der Besitzverhältnisse der Sontra-Gruben als Grund vorschieben. Diese Gruben zählen bekanntlich zum Geltungsbereich des Artikels 41 der hessischen Verfassung, der die Überführung der Grundindustrien in die Hände des Volkes bestimmte. Das ist nicht nur deswegen bis heute verhindert worden, weil die amerikanische Besatzungsmacht die Verfügungsgewalt über die Gruben reklamierte, sondern weil man die Besitzansprüche der Herren von Mansfeld, der Aktionäre, die in Hannover sitzen, auch heute
({1})
noch als gerechtfertigt ansieht. Darum, weil die Besitzverhältnisse in Sontra für die Bundesregierung „ungeklärt" sind, lohnt sich für die Bundesregierung keine langfristige Kreditgewährung; darum hat sie keinen Pfennig für diese Sache und darum beschränkt sie sich auf nichtssagende Erklärungen.
Es ist die Auffassung meiner Fraktion, daß eine wesentliche Hilfe für dieses Gebiet nur auf drei Wegen zustandekommen kann.
Erstens, indem man die wirtschaftliche Zusammenarbeit des durch die Aufteilung Deutschlands auseinandergerissenen Unternehmens wiederherstellt. Heute werden die Kupferrohsteine von Sontra nach Hamburg verfrachtet, statt wie früher in die Schwesterbetriebe in Thüringen. Die Deutsche Demokratische Republik und ihre Regierung haben sich wiederholt für die Zusammenarbeit dieser beiden getrennten Betriebe erklärt. Heute gibt es einen Weg, wenn man nur will und wenn man sich von amerikanischen Verboten nicht einschüchtern läßt. Die Kupferrohsteine von Sontra können und müssen zur Verhüttung nach Thüringen gebracht werden. Das ist die erste Möglichkeit, wie man auf dem Wege einer besonderen Vereinbarung, eines Betriebsvertrags, die Tausende, die ehemals dort beschäftigt waren, wieder in Arbeit bringen kann.
Zweitens braucht man eine umfangreiche finanzielle Unterstützung seitens der Bundesregierung, die sich gegen die amerikanischen Verbote auf Erweiterung des Kupferbergbaues durchsetzen müßte. Diese Mittel müssen nicht nur bloß für die Erweiterung des Kupferbergbaues, sondern auch für die Behebung der schlimmsten sozialen Nöte verwandt werden, wie auch für die Wiederherstellung des durch die DPs zerstörten Wohnraums, für die Erstellung von Schulgebäuden usw. Ich bin davon überzeugt, daß, wenn diese Hilfe seitens der Bundesregierung nicht bald kommt, die Bevölkerung des Sontra-Gebiets zur Selbsthilfe schreiten wird; denn länger läßt sich die Empörung der dortigen Bevölkerung nicht mehr durch banale Vertröstungen und unernste Versprechungen hinhalten. Es wäre Pflicht dieses Hauses, - -
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
- - sich um diese sozialen Notstände zu kümmern. Das wäre zweckmäßiger, als sich hier zusammenzusetzen und chauvinistische Erklärungen abzugeben,
({0})
mit denen nichts anderes als die Anerkennung alter nazistischer Ansprüche auf die „Rückgewinnung" des Sudetenlandes erfolgt.
({1}) Statt eine neue chauvinistische Hetz- und Kriegspropaganda zu entfachen, sollten Sie sich lieber bekümmern um die notleidenden Opfer des amerikanischen Imperialismus.
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Meine Damen und Herren! Darf ich eine geschäftliche Bemerkung machen. Unser technisches Redezeitsystem hat sich sehr gut eingespielt. Ich darf feststellen, daß 98 % der Damen und Herren, die hier reden, sich vollkommen danach richten. Ich möchte also die restlichen 2 % dringend ersuchen, sich ebenfalls danach zu richten, weil ich sonst gezwungen bin, andere Maßnahmen
zu ergreifen, vor deren Ergreifen ich mich nicht scheuen werde.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Becker ({1}). Fünf Minuten.
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Meine Damen und Herren! Die Ausführungen meiner Vorredner, der Herren Kollegen Dr. Arndt und Freidhof, über die Notlage im nordhessischen Raum kann ich vollinhaltlich unterschreiben; und wenn wir aus Hessen über die bajuwarische Lungenstärke verfügten, die eingesetzt wird, wenn darauf zu verweisen ist, daß in Bayern irgendwo Not am Mann ist, -
Meinen Sie damit ein Mitglied dieses Hauses?
- so würden wahrscheinlich die Notzustände in Nordhessen größere Beachtung als bisher finden. Ich unterschreibe nach der Richtung hin alle die Wünsche, die Herr Freidhof vorgetragen hat.
Der Sitz des Bundesgerichtshofs ist auch schon von mir persönlich vor längerer Zeit für Kassel reklamiert worden. Die Notwendigkeit der Unterstützung der Waggon- und Lokomotivindustrie in Nordhessen - eine Frage, die wir gestern erörtert haben - möchte ich auch hier noch einmal unterstreichen.
Was die Frage des Kupfer-Schiefer-Bergbaues in Sontra speziell betrifft, so ist folgendes zu sagen. Es handelt sich um Gruben, die bis etwa 1850 in Betrieb gewesen sind und dann wegen Unrentabilität
- unrentabel nach den damaligen Arbeitsmethoden
- stillgelegt worden sind. Während des Krieges ist von dem schon von dem Herrn Kollegen Arndt genannten Sachverständigen aus dem Reichswirtschaftsministerium und von der NS-Regierung in Sontra ein großer Betrieb mit dem Erfolg geschaffen worden, daß aus einer Stadt mit 2500 Einwohnern jetzt eine solche von 7000 Einwohnern geworden ist.
Wir haben hier ein Beispiel, das wir uns vielleicht für die Zukunft mahnend vor Augen stellen wollen. Weil jetzt dort eine Menge Menschen angesiedelt sind und die Arbeitsplätze fehlen, werden wir jetzt dort Arbeit schaffen müssen, um sie zu unterhalten. Wir werden uns insbesondere bei der Lösung des Problems der Heimatvertriebenen und deren Niederlassung immer die Frage vorlegen müssen, ob nicht die Bauprojekte sich danach zu richten haben, wo die Arbeitsplätze definitiv zu finden sind. Das nebenbei.
In Sontra sind während des Krieges etwa 3000 Menschen, darunter auch eine Anzahl Ausländer, beschäftigt gewesen. In der Zeit von 1945 bis 1948, in der die hessische Landesregierung dort federführend war, betrug die Beschäftigtenzahl nur etwa 200 bis 300. Ich habe mich dann, als ich während des vergangenen Jahres von der Not des Kupfer-Schiefer-Bergbaus, aber auch von den kommunalen Sorgen der Stadt Sontra Näheres hörte, im Laufe dieses Winters mit dem Bundesministerium in Verbindung gesetzt, um zu sehen, wie die Dinge gemeistert werden könnten. Am 13. Februar hat daraufhin in Sontra auf dem Werk eine Besprechung stattgefunden, und zwar im Beisein von Mitgliedern des Bundeswirtschaftsministeriums, des Berghauptmanns in
({0})
Hessen, von Vertretern des hessischen Finanzministeriums, der Betriebsleitung, des Betriebrats, der Gewerkschaften usw. Bei dieser Besprechung ist unter der sehr anerkennenswerten Führung des Herrn Berghauptmanns in Hessen - was ich ausdrücklich hervorheben möchte - ein Plan mit dem Ziel ausgearbeitet worden, daß etwa von 4 zu 4 Monaten immer weitere 300 Arbeitslose dort wieder in Arbeit gebracht werden können. Nach den damals vorliegenden finanziellen Verhältnissen, aber auch nach den technischen Verhältnissen, die dort geschildert wurden, war das die Lage, vor der wir damals standen. Es ist dann am 11. April in der hessischen Presse über diese Besprechung und mein Beisein referiert worden. Am 26. April haben dann die Kollegen von der SPD die Kleine Anfrage eingereicht, und da ihnen die Antwort hierauf nicht genügte, ist jetzt diese Interpellation eingebracht worden. Wenn noch irgendetwas aus den Mitteln für die Arbeitsbeschaffung, die jetzt in der ersten Rate angewiesen worden sind, locker gemacht werden kann, um einen zweiten Ofen baldigst zu schaffen, würde ich es sehr begrüßen. Wenn das nicht möglich sein sollte, bitte ich dringend, mindestens bei der zweiten Rate unter allen Umständen diese Mittel hierfür einzusetzen.
Ich darf in diesem Zusammenhang noch darauf verweisen: die Entlastung durch das Werk Herfa macht sich etwas, aber nicht in ausschlaggebendem Maße bemerkbar. Die Arbeiter der Kali-Schächte im Kreise Hersfeld stammen zum Teil aus dem Kreise Rotenburg und fahren täglich sogar durch das Zonengebiet einer anderen Macht hindurch, um an ihre Arbeitsstätte und zurück zu kommen. Also sehr ausschlaggebend macht sich die Ingangsetzung des Schachtes Herfa nicht bemerkbar. Es muß in Sontra an Ort und Stelle selbst das Nötige geschaffen werden. Ich bitte ganz dringend darum, hier in Sontra die Gelder einzusetzen, die nur irgendwie locker gemacht werden können.
Ich darf aber auch bitten. der kommunalen Sorgen der Stadt Sontra zu gedenken. Damals hat die NSRegierung, als die Steigerung der Einwohnerzahl von 2500 auf 7000 nun Wirklichkeit wurde, alle möglichen Versprechungen gemacht, wie sie es ja immer tat: sie hat versprochen. Schulen zu bauen und insbesondere sanitäre Maßnahmen zu ergreifen - dafür zu sorgen, daß die Abwässer beseitigt werden -: von alledem ist noch nichts geschehen. Ich darf in der Beziehung auf die unter Umständen sehr schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen verweisen. die sich einstellen können, wenn hier nicht geholfen wird. Ich bitte auch hier, im Einvernehmen mit der für das kommunale Gebiet allein zuständigen hessischen Landesregierung mit Hilfe der Mittel aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm das Nötige zu tun, damit einer schwerringenden Gemeinde geholfen werden kann.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Leuchtgens.
Dr. Leuchtgens ({0}): Meine Damen und Herren! Es erübrigt sich nach der Darstellung der Vorredner, über die Notlage im nordhessischen Raum noch weiter ein Wort zu sagen.
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Diese Notlage ist zweifellos da und auch wir möchten die Regierung der Bundesrepublik bitten, dort alles zu tun, was im Rahmen des Arbeitsbeschaffungsprogramms möglich ist, um in Nordhessen zu
helfen. Wer einmal in Sontra und in Kassel gewesen ist, der weiß aus eigener Anschauung, wie schlimm die Verhältnisse dort liegen. Wir glauben auch, daß es eine notwendige und dankenswerte Aufgabe der Regierung der Bundesrepublik ist, hier im Rahmen des Beschaffungsprogramms zweiter Ordnung zu helfen.
Ich bitte also die Regierung auch von unserer Seite, hier das Erforderliche veranlassen zu wollen.
Liegen weitere Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall. Ich erkläre die Aussprache über die Interpellation Drucksache Nr. 1027 für geschlossen.
Wir kommen zu Punkt 6 der gedruckten Tagesordnung, wie ich vorhin schon angekündigt und wozu ich Ihr Einverständnis erhalten habe:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Regelung der Redezeit vor: etwa 10 Minuten für den Berichterstatter; dann wird die Regierung dazu Stellung nehmen, ich appelliere an sie in gleichem Sinne
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- tant mieux! -; Gesamtredezeit 60 Minuten. Darf ich das Einverständnis des Hauses feststellen? - Ich erteile dem Herrn Berichterstatter, Herrn Abgeordneten Rademacher, das Wort.
Rademacher ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das hier vorliegende Gesetz, das nach der zweiten und dritten Lesung heute hier verabschiedet werden soll, ist das erste von insgesamt drei Gesetzen, das dieses Hohe Haus zu verabschieden hat. In Kürze werden folgen: das Darlehensgesetz und das Flaggenführungsgesetz. Nach Art. 27 des Grundgesetzes bilden alle deutschen Kauffahrteischiffe eine einheitliche Handelsflotte. Nach Art. 87 und Art. 89 ist die Schiffahrt in bundeseigene Verwaltung zu nehmen. Daher hat der Bund nach Art. 74, der die Aufgaben der konkurrierenden Gesetzgebung umreißt, dieses Gesetz vorgelegt, das die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt festlegt.
In § 1 Abs. 1 finden Sie eine Präambel. Eine Präambel in einem Gesetz ist etwas sehr Ungewöhnliches. Die besondere Bedeutung des Wiederaufbaus der deutschen Seeschiffahrt rechtfertigt aber diese Präambel, die auf ausdrücklichen Wunsch des Bundesrats hineingenommen wurde.
In § 1 Satz 1, der ursprünglich dahin lautete, daß dem Bund die Unterstützung der Länder bei der Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Seehäfen obliegt, mußte das Wort „Unterstützung" in „Vorsorge" abgeändert werden, da der Herr Bundesfinanzminister Bedenken hatte, daß sich aus der Formulierung des Bundesrats gewisse Verpflichtungen für den Bund ergeben würden. Das Wort „Vorsorge" ist auf Grund einer Vereinbarung mit dem Bundesfinanzministerium zustande gekommen.
In Abs. 2 des § 1 wird bestimmt, daß alle Aufgaben des Reiches vor dem 8. Mai 1945 auf den Bund übergehen. Im einzelnen ist nicht aufgeführt, um welche Aufgaben es sich handelt. Es handelt sich hier um eine Generalklausel; das Nähere ergibt sich aus den einzelnen Paragraphen und aus der Begründung. Im wesentlichen handelt es sich um das Seemannsrecht, die Schiffssicherheit, die
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Schiffsbesetzung und um Seeunfälle. Das Lotsenwesen ist in diesem Zusammenhang nicht erwähnt; denn es ist bereits auf Grund des Art. 89 Abs. 2 des Grundgesetzes an die Bundeswasserstraßenverwaltung übergegangen. Dabei handelt es sich nicht um das Lotsenwesen der Häfen.
In Abs. 2 ist weiter gesagt, daß Aufgaben, die dem Reich durch Rechtsvorschriften in der Zeit vom 30. Januar 1934 bis zum 8. Mai 1945 übertragen worden sind, ab 1. April 1952 auf die Länder übergehen. Das ist auf ausdrücklichen Wunsch der Küstenländer geschehen. Für den Fall, daß auch nach 1952 die Dinge dem Bund erhalten bleiben müssen, wird es notwendig sein, hierfür besondere Gesetze zu schaffen.
In § 1 Abs. 3 sind noch ausdrücklich der Fischereischutz und das Hydrographische Institut genannt worden. Die besondere Fassung in einem Paragraphen ist deswegen notwendig, weil diese Aufgaben zeitweilig der Kriegsmarine oblagen. Sie müssen daher in diesem Gesetz als Aufgaben des Bundes besonders betont werden.
In § 2 wird die Mitwirkung des Bundesrats sichergestellt. Das ist nichts weiter als eine Angleichung an das Grundgesetz. Gewisse redaktionelle Änderungen, die der Bundesrat wünschte, hielt der Ausschuß für Verkehrswesen nicht für erforderlich.
In § 3 ist das Seeschiffsvermessungsamt genannt worden, das durch einen Kontrollratsbeschluß 1946 für den Bund auf Hamburg übertragen wurde. Im Augenblick besteht keine Notwendigkeit, weitere Seeschiffsvermessungsämter einzurichten. Landesanstalten werden erst bei Bedarf im Zuge des Wiederaufbaus der gesamten deutschen Seeschiffahrt eingerichtet werden müssen.
In § 4 Abs. 1 ist die Frage der See-Berufsgenossenschaft geregelt. Die See-Berufsgenossenschaft hat zwei Aufgaben: erstens ist sie Träger der Sozialversicherung in der Seeschiffahrt; zweitens hat sie internationale Übereinkommen zum Schutze des Lebens auf See durchzuführen. Bei Wegfall der zweiten Aufgabe wäre eine eigene Bundesoberbehörde erforderlich. Aus diesem Grunde bleibt diese zweite Aufgabe für internationale Übereinkommen der See-Berufsgenossenschaft erhalten. Da die Aufgaben sich in vielen Fällen überschneiden, sieht der § 4 ferner vor, daß die Aufsicht der Bundesverkehrsminister im Einvernehmen mit dem Bundesarbeitsminister ausübt. Die hierzu vom Bundesrat gestellten Abänderungsanträge waren im wesentlichen nur redaktioneller Art.
In § 4 Abs. 2 ist dem Bund die Entmagnetisierung übertragen. Das ist deswegen erforderlich, weil wir immer noch mit der Minengefahr zu rechnen haben. Aber für diese Aufgaben genügen zwei Anlagen, die sich am Nordostseekanal befinden.
In § 5 wird bestimmt, daß die seemännischen Fachschulen Einrichtungen der Länder sind. Diese Aufgabe ist am 22. September 1938 den Ländern übertragen worden. Ich darf darauf hinweisen, daß hierunter nicht die Ingenieur- und Maschinisten-schulen fallen, die Angelegenheiten des Bundes bleiben.
Meine Damen und Herren! Schließlich werden in § 6 gewisse Maßnahmen sanktioniert, deren Durchführung seitens der Bundesregierung bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes erforderlich war.
Das ist die rein nüchterne und sachliche Berichterstattung, die ich Ihnen im Auftrage des Ausschusses für Verkehrswesen zu geben habe. Der Ihnen heute gegebene mündliche Bericht ist vom Ausschuß einstimmig gefaßt worden. Gestatten Sie mir aber ausnahmsweise, in diesem Falle einmal von der nüchternen Berichterstattung abzuweichen. Ich darf offen erklären, daß ich nicht ohne eine gewisse innere Bewegung dieses erste Gesetz zum Wiederaufbau der deutschen Seeschiffahrt hier vertrete. In einem Zeitraum von einer Generation ist zweimal eine deutsche Handelsflotte zugrunde gegangen; einmal durch die kurzsichtige Politik der wilhelminischen Ära und zum zweiten durch eine Politik des Irrsinns eines Hitler und aller derjenigen, die dafür verantwortlich sind. Nach 1918 war es uns in relativ kurzer Zeit möglich, im Zuge der damaligen modernen Entwicklung - Sie erinnern sich, damals nahm der Motor seinen Siegeslauf auch in der Seeschiffahrt - eine moderne deutsche Handelsflotte wieder aufzubauen. Nach der Kapitulation 1945 schien es für die nächsten Jahre fast aussichtslos, überhaupt an eine deutsche Flotte zu denken, die wieder über die Sieben Meere der Welt fahren konnte.
Sie alle, meine Damen und Herren, kennen den zähen Kampf, in dem wir uns mit dem Peters-berg befinden, um immer größere Freiheiten für die Lösung dieser Aufgabe zu schaffen. Ich darf in diesem Zusammenhang den Herrn Bundespräsidenten zitieren, der das Wort geprägt hat: „Gerechtigkeit erhöhet ein Volk". Ich darf an die Alliierten die Mahnung richten: Gerechtigkeit gerade auf diesem Gebiet erhöhet den europäischen Gedanken. Es gibt nun einmal gewisse Dinge, die zum Selbstbewußtsein einer Nation gehören; und wenn man ein gesundes nationales Empfinden befriedigt, dann verhindert man dadurch gleichzeitig am ehesten nationalistische Auswüchse. Schließlich lebt dieses Millionenvolk in einem Gebiet, dessen Nordgrenzen fast ganz an den Küsten des Meeres liegen. Bei der Seefahrt handelt es sich um eins der wenigen Dinge, die unsere Jugend noch begeistern können, gleichgültig ob sie im Norden, im Süden, im Osten oder im Westen lebt.
Sämtliche Mitglieder des Ausschusses für Verkehrswesen wären sehr glücklich, wenn im Sinne dieser Ausführungen eine einstimmige Annahme dieses ersten Gesetzes zum Wiederaufbau der deutschen Seeschiffahrt erfolgen würde. Diese einstimmige Annahme würde gleichzeitig eine einmütige Demonstration für den Willen des deutschen Volkes zur Seeschiffahrt bedeuten. Das stolze Wort der Lateiner: „Navigare necesse est" gilt auch für uns. Auch für Deutschland ist Schiffahrt not!
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Der Ältestenrat schlägt
Ihnen vor, für diesen Punkt der Tagesordnung eine Redezeit von 60 Minuten festzusetzen. Ich darf um Wortmeldungen bitten. Lediglich der Herr Berichterstatter hat sich als Fraktionsredner zum Wort gemeldet. Da bisher kein anderer gesprochen hat, frage ich ihn, ob er von der Wortmeldung noch Gebrauch machen will.
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- Dann darf ich feststellen, daß von der vom Ältestenrat vorgeschlagenen Redezeit von 60 Minuten kein Gebrauch gemacht wird.
Ich schließe die Aussprache der zweiten Beratung.
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Wir kommen zur Abstimmung. Ich bitte, die Drucksache Nr. 1107 zur Hand zu nehmen. Wer für die §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen.
Wer für die Einleitung und die Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen.
Ich eröffne die
dritte Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache der dritten Beratung.
Wer für die §§ 1,-2,-3,-4,-5,-6,-7 sowie Einleitung und Überschrift gemäß der Fassung des Ausschusses für Verkehrswesen auf Drucksache Nr. 1107 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für das Gesetz auf Drucksache Nr. 1107 in der soeben in dritter Beratung beschlossenen Fassung im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei wenigen Stimmenthaltungen angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der gedruckten Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Kurlbaum, Dr. Seuffert, Dr. Schöne und der Fraktion der SPD betreffend Kreditmaßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ({2}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die Einbringung der Interpellation eine Redezeit von 10 Minuten, für die Beantwortung der Interpellation eine Redezeit von 10 Minuten - ich hoffe, daß die Regierung zur Beantwortung bereit ist; ich sehe den Herrn Bundesarbeitsminister hier und darf in diesem Sinne an ihn appellieren - und für die Aussprache eine Gesamtredezeit von 60 Minuten vor. Ich darf Ihre Zustimmung dazu feststellen.
Zur Einbringung der Interpellation erteile ich dem Herrn Abgeordneten Kurlbaum aas Wort.
Kurlbaum ({3}), Interpellant: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich auf die Begründung der Interpellation eingehe, möchte ich meine Verwunderung darüber zum Ausdruck bringen, daß die Bundesregierung zwei Monate gebraucht hat, bis sie in der Lage war, diese Interpellation zu beantworten, insbesondere deswegen, weil es sich hier ja um ihr eigenes Arbeitsbeschaffungsprogramm handelt, das auch nach unserer Auffassung im Mittelpunkt aller Bemühungen der Bundesregierung stehen sollte. Ich möchte aber vor allem auch noch darauf hinweisen, daß am 9. Februar 1950 das Plenum des Bundestages einen Antrag der SPD auf Drucksache Nr. 406 zum Beschluß erhoben hat, in dem es am Anfang wie folgt heißt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, ein eingehendes Programm zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mit dem Ziel der Vollbeschäftigung beschleunigt vorzulegen.
Meine Damen und Herren, ich stelle fest, daß fünf Monate nach dieser Beschlußfassung im Plenum, bei der auch erhebliche Teile der Regierungsparteien mitgewirkt haben, dem Bundestag noch
kein Arbeitsbeschaffungsprogramm entsprechend diesem Antrag vorgelegt worden ist.
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Ich wende mich jetzt der Interpellation selbst zu. Wenn wir uns mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt im Bundesgebiet beschäftigen, müssen wir von gewissen jahreszeitlichen Vorgängen absehen. Wir müssen, um uns ein klares Bild zu machen, Zeiträume vergleichen, die auch wirklich miteinander vergleichbar sind. Wir haben festzustellen, daß im ersten Jahr nach der Währungsreform, d. h. von Juni 1948 bis Juni 1949, die Arbeitslosigkeit im Bundesgebiet ohne Berlin von 450 000 Arbeitslosen um 830 000 auf 1 280 000 zugenommen hat. Diese erschreckende Zahl ist bereits im ersten Jahr zu verzeichnen gewesen. Selbstverständlich haben auch wir mit gewissen Übergangsschwierigkeiten nach der Währungsreform gerechnet.
Sehr viel bedenklicher aber ist es noch, daß sich diese Erhöhung der Zahl der Arbeitslosen auch im zweiten Jahr nach der Währungsreform fortgesetzt hat. Wir wüssen feststellen, daß die Zahl der Arbeitsloser. vom Juni 1949 bis zum Juni 1950 im Bundesgebiet von 1 280 000 um weitere 260 000 Arbeitslose auf 1 540 000 gestiegen ist. Wir können doch von einem wirklichen Anfangserfolg in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erst dann sprechen, wenn wir zum ersten Male feststellen können, daß die derzeitige Zahl der Arbeitslosen unter dem Niveau des vergleichbaren Zeitpunktes des Vorjahres liegt. Nur dann können wir von einer wirklichen Beseitigung der Arbeitslosigkeit sprechen.
Wir dürfen uns auch nicht etwa dadurch täuschen lassen, daß seit dem winterlichen Höhepunkt im Februar bis jetzt, Ende Juni, etwas über 400 000 Arbeitslose \rieder in den Arbeitsprozeß eingegliedert worden sind; denn meine Damen und Herren, der Anstieg vom Oktober bis zum Februar hat bekanntlich 660 000 Arbeitslose betragen. Wir müssen also feststellen, daß der bisherige Abbau der Arbeitslosigkeit nur etwa zwei Drittel dessen beträgt, was der Anstieg seit dem Beginn des Winters ausgemacht hat.
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- Jawohl, darauf komme ich nachher zu sprechen, meine Herren.
({6})
- Ich rechne Berlin nicht ein. Alle meine Zahlen verstehen sich ohne Einbeziehung Berlins. Wenn Sie Berlin hinzunehmen, sieht das Bild noch viel schlechter aus.
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- Dann seien Sie doch zufrieden, daß ich nicht damit rechne.
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Bei den Instituten für Wirtschaftsforschung hier bei uns besteht Einigkeit darüber, daß die jahreszeitlich bedingte Arbeitslosigkeit ungefähr 400 000 bis 500 000 Menschen erfaßt. Das ist ungefähr gerade die Arbeitslosenzahl, um die - trotz dieses Arbeitsbeschaffungsprogramms - die Höchstzahl der Arbeitslosigkeit im Winter bis jetzt herabgemindert werden konnte.
Nun wird immer wieder von der Zahl der Beschäftigten gesprochen; es ist gut, daß Sie darauf gekommen sind. Es ist doch selbstverständlich,
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meine Damen und Herren, daß wir, wenn wir von der Arbeitslosigkeit sprechen, von den Arbeitslosenziffern sprechen müssen, und nicht von den Beschäftigten.
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Wenn Sie die Zahl der Beschäftigten genauer betrachten, dann müssen Sie zugeben, daß der Erfolg sehr bescheiden ist. Ich muß feststellen: obwohl im ersten Jahre nach der Währungsreform Nettoinvestitionen in einem Betrage von 10 Milliarden gemacht worden sind, hat die Zahl der Beschäftigten im ersten Jahre nach der Währungsreform, also in der Zeit von Juni 1948 bis Juni 1949, praktisch überhaupt nicht zugenommen. Im zweiten Jahr nach der Währungsreform ist die Beschäftigtenzahl trotz weiterer Neuinvestitionen, und zwar Nettoinvestitionen von weiteren etwa 10 Milliarden, nur um etwa 350 000 gestiegen.
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Das ist im Verhältnis zu diesen Nettoinvestitionen von 10 Milliarden ein sehr bescheidener Erfolg.
({12})
Ich komme jetzt zur Frage der Zuwanderung. Es ist gut, daß Sie auch diese Frage gestellt haben. Über diese Zuwanderung gibt es einwandfreie Zahlen. Im Jahre 1949 hat die Zahl der Zuwanderer aus dem Osten - ohne Heimkehrer, aber einschließlich der Kinder - 275 000, die Zunahme ,der Arbeitslosen im gleichen Zeitraum, d. h. von Ende Dezember 1948 bis Ende Dezember 1949, 800 000 betragen.
({13})
Diese beiden Zahlen setzen Sie bitte einmal miteinander in Vergleich.
Ich bin sachlich genug, in diesem Zusammenhang auch die Heimkehrer zu nennen, deren Zahl im Jahre 1949 285 000 betragen hat.
({14})
- Aber, meine Damen und Herren, Sie können sich doch nicht auf den Standpunkt stellen, daß die Heimkehrer etwa ein unerwünschter Zuwachs des A rbeitspotentials gewesen wären,
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auf den Sie sich nicht von vornherein hätten einstellen können.
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- Das ist gar nicht toll, sondern auf diesen Zuwachs mußte sich die Bundesregierung einrichten,
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denn das war ja vorher bekannt.
Es ist also festzustellen, daß von der Zunahme um 800 000 Arbeitslose im Jahre 1949 nur ungefähr ein Drittel auf die zwangsweise Zuwanderung aus dem Osten entfällt, die übrigen zwei Drittel entfallen auf die heranwachsende Generation und die Heimkehrer. Ich glaube, es besteht kein Zweifel darüber, daß es die Aufgabe der Bundesregierung war, mit diesem Problem fertig zu werden.
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- Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und die Wirtschaftspolitik ist in erster Linie eine Angelegenheit des Bundes.
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Meine Damen und Herren, ich habe noch einiges über dieses sogenannte Arbeitsbeschaffungsprogramm zu sagen. Der Herr Bundeskanzler hat bekanntlich in seiner Rede vom 9. Februar eine Anzahl von Millionen- und Milliardenbeträgen genannt. Durch die Zahlen, die er genannt hat, ist in der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, daß es sich hier in der Tat um ein Arbeitsbeschaffungsprogramm von 31/2 Milliarden gehandelt hätte. Entsprechend hat auch die Presse, insbesondere auch Ihre Presse reagiert. Wenn wir uns aber dieses sogenannte Arbeitsbeschaffungsprogramm von 31/2 Milliarden einmal näher ansehen, dann müssen wir feststellen, daß es die Bezeichnung „Arbeitsbeschaffungsprogramm" nur sehr zum Teil verdient. Ich mache darauf aufmerksam, daß von den 21/2 Milliarden, die für das Wohnungsbauprogramm vorgesehen waren, nur etwa 11/2 Milliarden wirkliche öffentliche Mittel waren.
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Etwa eine weitere und verbleibende eine Milliarde sollte überhaupt nur aus dem allgemeinen Kapitalmarkt kommen. Dann aber hätte man ebensogut auch irgendwelche privatwirtschaftlichen Investitionsmittel rein statistisch mit in dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm hineinsetzen können, um dadurch einen optischen Effekt zu erzielen.
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Wenn Sie aber die restlichen 11/2 Milliarden dieses Wohnungsbauprogramms noch einmal darauf hin anschauen, was wirkliche Bundesmittel sind, welche Mittel die Länder zur Verfügung stellen und welche aus der Soforthilfe kommen, dann werden Sie feststellen, daß überhaupt nur noch ein Betrag von unter einer Milliarde übrigbleibt, für den die Bundesregierung zuständig ist und mit dem sie etwas getan hat. Das allein schon rechtfertigt unsere grundsätzliche Kritik an dem Aufbau dieses sogenannten Arbeitsbeschaffungsprogramms.
Unsere weitere Kritik knüpft sich naturgemäß an die Durchführung dieses Arbeitsbeschaffungsprogramms. Diese Kritik, meine Damen und Herren, ist ja allgemein, sie geht durch alle Parteien und durch die ganze Öffentlichkeit. Das wird sich nachher bei der Debatte auch zeigen. Ich will deshalb im Augenblick dazu nicht Stellung nehmen, weil ich diese Stellungnahme der Debatte nach der Regierungserklärung überlassen will. Was die SPD aber grundsätzlich verlangt, das ist ein Arbeitsbeschaffungsprogramm, das wirklich geeignet ist, unabhängig von jahreszeitlichen kurzfristigen Erfolgen die Arbeitslosigkeit dauernd und endgültig zu vermindern. Wir messen einem solchen Arbeitsbeschaffungsprogramm eine überragende Bedeutung bei.
Wir können uns nicht damit einverstanden erklären, daß uns immer nur mehr oder weniger improvisierte Zahlen vorgelegt werden, wie das damals im Februar der Fall war. Insbesondere verlangen wir bei einem Arbeitsbeschaffungsprogramm auch Klarheit darüber, ob es sich um Kreditmittel handelt, die bereits zur Verfügung stehen, die also am Kapitalmarkt laufend anfallen. Dann handelt es sich nämlich nicht um zusätzlich zu schaffende Nachfrage, sondern höchstens um eine Umlenkung irgendwelcher Nachfrage von dem einen auf das andere Gebiet. Wir verlangen, daß in einem solchen Arbeitsbeschaffungsprogramm klargestellt wird, inwieweit es sich um zusätzliche Kreditschaffung handelt, d. h. um die Schaffung zu({22})
sätzlicher Nachfrage und damit erst um die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze.
Schließlich verlangen wir, daß ein solches Arbeitsbeschaffungsprogramm organisatorisch so gestaltet wird, daß es auch wirklich termingemäß durchgeführt und wirksam werden kann. Ein solches Arbeitsbeschaffungsprogramm sollte nicht nur eine Forderung der Opposition, sondern eine Forderung des ganzen Bundestages sein, wenn er den Wunsch hat, auf wirtschaftspolitischem Gebiete in der Öffentlichkeit ernst genommen zu werden.
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Das Wort zur Beantwortung der Interpellation hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zuerst die von der sozialdemokratischen Fraktion eingebrachte Interpellation beantworten und dann nur ganz kurz auf das eingehen, was hier zu ihrer Begründung gesagt worden ist:
Die Interpellation der Abgeordneten Kurlbaum, Seuffert, Dr. Schöne und der Fraktion der SPD, Drucksache Nr. 954, ist folgendermaßen zu beantworten:
1. Der Wohnungsbau. Bereits in der 71. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 22. Juni 1950 hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau bei Beantwortung einer Interpellation der Fraktion der SPD, Drucksache Nr. 948, zur Frage der Durchführung des Wohnungsbauprogramms eingehend Stellung genommen. Das Wohnungsbauprogramm der Bundesregierung ist, obwohl der Bund erst seit Herbst 1949 besteht und hierdurch die Wohnungsbaumittel erst im März 1950 endgültig zugesagt werden konnten, in vollem Umfange angelaufen.
a) Zur Finanzierung: Der freie Kapitalmarkt, die Sparkassen, die Hypothekenbanken und die Lebensversicherungsgesellschaften haben über die bis zum 1. Mai 1950 zugesagten 650 Millionen hinaus bereits jetzt 850 Millionen an den letzten Darlehns-nehmer zugesagt. Auf Grund der Vorfinanzierung seitens der Bank deutscher Länder sind 250 Millionen aus ERP-Mitteln bereits von der Kreditanstalt für Wiederaufbau den Realkreditinstituten bis Ende März zur Verfügung gestellt worden. Davon entfallen allein 100 Millionen auf das Flüchtlingsprogramm für die Länder Schleswig-Holstein, Bayern und Niedersachsen.
Statt der von den öffentlichen und privaten Bausparkassen in Aussicht gestellten 220 Millionen, von denen bereits am 1. Mai 1950 164 Millionen bewilligt waren, sind heute schon 260 Millionen zugesagt worden. Von den 400 Millionen Haushaltsmitteln, die in zehn Monatsraten von je 40 Millionen schlüsselmäßig auf die Länder aufgeteilt sind, sind bis jetzt 117 Millionen ausgezahlt worden. Aus dem Soforthilfe-Fonds sind 100 Millionen bereits am 1. März 1950 und aus den Rückflüssen, aus Umstellungsgrundschulden 312 Millionen ebenfalls schon zum 1. März 1950 anteilmäßig auf die Länder verteilt worden. 400 Millionen aus den Haushaltsmitteln der Länder sind nach den Berichten der Länder bereits fast in vollem Umfange bis zum 1. Mai 1950 verplant worden. Eigenmittel, Zuschüsse und Darlehen von Privaten in Höhe von ungefähr 400 Millionen sind dem Kapitalmarkt schon zugeflossen.
b) Entscheidend für die Inangriffnahme des Programms ist nicht die Auszahlung der Geldbeträge
an den letzten Kreditnehmer, sondern die Zusage der Kreditinstitute, die Finanzierung der Bauvorhaben zu übernehmen. Die Auszahlung der Gelder erfolgt entsprechend dem Baufortschritt. Sie ist anders als der Abfluß von Krediten für die gewerbliche Wirtschaft und wird insbesondere dadurch bestimmt, daß die dingliche Sicherung der Kredite auf den Grundstücken durchgeführt werden muß. Seit der Ingangsetzung des Wohnungsbauprogramms im März 1950 konnten daher bis zum 1. Mai 1950 Kreditabflüsse nur langsam erfolgen. Die erhöhten Zusagen insbesondere seitens des freien Kapitalmarktes und der Bausparkassen lassen aber erkennen, daß die Abflüsse der Darlehen nunmehr nach Anlaufen des Programms entsprechend den erzielten Baufortschritten zügig vor sich gehen. Es ist ein Erfahrungssatz, daß die Bewegung großer Geldbeträge von der Zusage durch die Zentralbehörden bis zur dinglichen Sicherung auf dem Baumarkt Zeit beansprucht.
c) Die für den Wohnungsbau bereitgestellten Bundesmittel sind bereits im März auf die Länder verteilt worden und werden als globale Schuldscheindarlehen den Ländern zur Verfügung gestellt. Die Durchführung des Wohnungsbaues liegt nach der Bundesverfassung bei den Ländern, die die zur Verfügung gestellten Mittel über die Fewilligungsbehörden den Bauherren zuzuleiten haben. Tatsächlich sind aus diesen Mitteln in der Zwischenzeit 117 Millionen an den letzten Kreditnehmer gegeben worden.
d) Kennzeichnend für die Entwicklung im Wohnungsbau ist das stetige Absinken der Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter. Von 337 000 erwerbslosen Bauarbeitern Ende Februar verblieben Ende Mai 174 000. Die weitere Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt der Bauarbeiter für den Monat Juni konnte infolge Fehlens von Ziffern aus den Ländern noch nicht übersehen werden. Heute haben wir bereits aus den 'verschiedensten Gebieten die Meldung, daß im Baugewerbe Facharbeitermangel eintritt.
2. Die Bundesbahn. Von der Bank deutscher Länder sind der Deutschen Bundesbahn bis zum 1. Mai 1950 250 Millionen verbindlich zugesagt worden. Bis zum 1. Mai 1950 waren 10 % des Gesamtbetrags, das sind 25 Millionen Mark, der Deutschen Bundesbahn gutgeschrieben. Ein stärkerer Abruf durch die Deutsche Bundesbahn war bis zu diesem Zeitpunkt nicht erforderlich, da die Aufträge zwar schon früher erteilt worden sind, die Rechnungsbeträge aber erst nach Lieferung, also später anfallen. Die Deutsche Bundesbahn wird den Kredit in Anpassung an die Fälligkeit der Unternehmerrechnungen in Anspruch nehmen und hat die Abrufe weiterer Teilbeträge entsprechend vorgesehen. Die Durchführung der Kreditaktion bei der Deutschen Bundesbahn obliegt der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn in Offenbach. Eine Verzögerung in der Herausgabe von Aufträgen liegt nicht vor, vielmehr konnte die Deutsche Bundesbahn äußerst kurzfristig Aufträge herausgeben. Die Deutsche Bundesbahn hatte bis zum 1. Mai einschließlich des Auftrages für die Waggonindustrie für 155 Millionen Aufträge erteilt.
3. Die Bundespost. Der für die Deutsche Bundespost vorgesehene Kredit in Höhe von 50 Millionen Mark ist bisher noch nicht in Anspruch genommen worden. Die Bank deutscher Länder hat für den Fall, daß die Deutsche Bundespost bei der Durchführung ihres in Gang gesetzten Investierungs({0})
programms in Kassenschwierigkeiten geraten sollte, eine Liquiditätshilfe in Höhe von 50 Millionen Mark zugesagt. Bisher hat die Deutsche Bundespost, ohne Auftragsstornierungen vornehmen zu müssen, diese Liquiditätshilfe noch nicht in Anspruch zu nehmen brauchen.
4. Kredite für Exportaufträge. Für mittel- und langfristige Exportaufträge hat die Bundesregierung 300 Millionen Mark zur Verfügung gestellt. Durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau waren am 1. 5. 1950 den Kreditnehmern 10,5 Millionen zugesagt und 3,6 Millionen ausgezahlt. Am 1. 7. 1950 hatte die Kreditanstalt für Wiederaufbau 30 Millionen zugesagt und 16,5 Millionen ausgezahlt. In der Durchführung des Exportprogramms sind Verzögerungen nicht festzustellen. Nachdem am 15. 3. 1950 den Exportfirmen die Verfahrensvorschriften der Bank deutscher Länder und der Kreditanstalt für Wiederaufbau gegeben waren, konnten erst auf Grund dieser neu geschaffenen Möglichkeiten die Exportgeschäfte in größerem Umfange anlaufen. Bis dahin hatten die Exportfirmen nur geringe Möglichkeiten, mittel- und langfristige Exportverträge mit dem Ausland zu vereinbaren. Eine Anlaufzeit für derartige Lieferungsgeschäfte ist natürlich unvermeidlich. Der Umfang des Exportgeschäftes hat sich laufend günstiger gestaltet. Mitbestimmend für diese Entwicklung ist der Einfluß der zur Verfügung gestellten Kredite.
5. Kredite für mittlere und kleinere Betriebe einschließlich des Handwerks. Die Industriebank hat von der ihr zur Verfügung gestellten Summe von 50 Millionen Mark am 24. 3. 1950 10 Millionen und am 10. 5. 1950 weitere 10 Millionen von der Kreditanstalt für Wiederaufbau abgerufen. Bis zum 21. 6. 1950 sind von der Industriebank Kreditbewilligungen im Betrage von 28,5 Millionen Mark ausgesprochen worden. Der Abfluß dieser Kredite geht entsprechend weiter. Vorfinanzierungen bis zur endgültigen Zuteilung der Kredite nach Erfüllung der banktechnischen Voraussetzungen überbrücken die Kreditanforderungen.
6. Lohnintensive Unternehmungen in den Flüchtlingsländern Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und einem Teil von Nordhessen: Für diese finanzschwachen Länder sind seitens der Bundesregierung 300 Millionen DM, insbesondere zur Schaffung von Dauerarbeitsplätzen unter besonderer Berücksichtigung der Flüchtlinge, zur Verfügung gestellt worden.
Unter Zugrundelegung der Vorschläge der beteiligten Lander wurden bis zum 1. Mai 1950 folgende Kredite zugeteilt: an die gewerbliche Wirtschaft 141 Millionen DM, die Landwirtschaft 56 Millionen DM, den Seeschiffsbau 25 Millionen DM, Kleinkredite für einheimische und Vertriebenenbetriebe 40,9 Millionen DM, für den Verkehr 24 Millionen DM, an Versorgungsbetriebe 9 Millionen DM und an verschiedene andere 3,11 Millionen DM.
Bis zum 1. Mai 1950 wurden von der Wiederaufbaubank als durchleitendem Kreditinstitut für einheimische Handwerks- und Kleinbetriebe 6 Millionen DM, für Flüchtlingshandwerks- und -kleinbetriebe 34 Millionen DM und die Landwirtschaft 10,5 Millionen DM den Ländern für die von dieser benannten Kreditinstitute abrufbereit zur Verfügung gestellt.
Bis zum 11. Mai 1950 hatte die Wiederaufbaubank insgesamt bereits für gewerbliche Einzelprojekte weitere 138,6 Millionen DM, für den Hochseeschiffsbau weitere 10,7 Millionen DM und für die Binnenschiffahrt weitere 1 Million DM bereitgestellt.
Bis zum 10. Juni 1950 waren alle Kredite außer denen an die gewerbliche Wirtschaft den Kreditnehmern eingeräumt und standen abrufbereit bei der Wiederaufbaubank bzw. bei den Länderkreditinstituten zur Verfügung.
Die Abwicklung der insgesamt 536 gewerbliche Objekte umfassenden Einzelkredite nimmt längere Zeit in Anspruch, da jedes Einzelprojekt überprüft und der Kredit gesichert werden muß. Da die Einzelkredite in großem Umfang den Vertriebenenbetrieben zufließen, stößt der Abfluß dieser Kredite mangels entsprechender Sicherheiten bei den Kreditnehmern auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten, zumal die Hausbanken vielfach nicht gewillt sind, selber ein Risiko mit zu übernehmen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau hat bisher von den rund 140 Millionen DM für die gewerbliche Wirtschaft eingeplanten Krediten mehr als 70 Millionen DM den letzten Kreditnehmern fest zugesagt. Der Abfluß der Kredite sowohl auf der gewerblichen als auch auf der nichtgewerblichen Seite geht nunmehr gut vorwärts. Es ist nach Lage der Dinge zu erwarten, daß die Abwicklung der Kredite auf dem gewerblichen Sektor in kürzester Frist durchgeführt sein wird. Vielfach haben sich auch Banken bereit gefunden, geplante Kredite vorzufinanzieren.
Inwieweit die den Ländern zugeteilten Mittel, insbesondere für den landwirtschaftlichen Siedlungsbau und für Kleinkredite sowie für die Versorgungsbetriebe, an den letzten Kreditnehmer gelangt sind, ist nicht übersehbar. Fest steht, daß Teilbeträge der eingeräumten Kredite bei der Wiederaufbaubank bereits abgerufen worden sind.
Außer dem Umstand, daß die Banken zögern, eine eigene Haftung bei den gewerblichen Betrieben zu übernehmen, ist zu erwähnen, daß die Abwicklung des Schwerpunktprogramms besonders wegen der Bürgschaftsübernahme der Länder auf große Schwierigkeiten stieß. Die Überprüfung der Einzelobjekte in der Länderebene für die Entscheidung, ob eine Bürgschaft übernommen werden soll oder nicht, nimmt außerordentlich viel Zeit in Anspruch. Die vielfach bei den Hausbanken liegenden Kredite können nicht zur Auszahlung gelangen, weil die Bürgschaftsübernahmen der Länder fehlen. Bei den außergewerblichen Objekten konnte beobachtet werden, daß die erfolgten Kreditbewilligungen den Kreditnehmern mit größerer Verspätung bekannt wurden. Dadurch wird nicht nur der Abfluß der Kredite, sondern auch der Erfolg verzögert.
Insgesamt gesehen können die Bemühungen der Bundesregierung, die Arbeitslosigkeit durch dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm zu mindern, zum mindesten teilweise als erfolgreich bezeichnet werden. In den letzten Monaten zeichnet sich infolge des Arbeitsbeschaffungsprogramms und einer aktiven Konjunkturpolitik der Bundesregierung eine sichtbare Belebung der Volkswirtschaft ab. Im zweiten Vierteljahr 1950 ist die Zahl der Arbeitslosen um 314 000 gesunken. In derselben Zeit, in der die Zahl der Arbeitslosen um 314 000 gefallen ist, hat die Zahl der Beschäftigten im Bundesgebiet um 500 000 zugenommen.,
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Die Zahl ,der Beschäftigten liegt heute um 142 000 höher als die höchste Zahl, die bisher in der Zeit nach der Währungsreform erreicht worden ist.
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Das ist ganz bestimmt ein Erfolg, der sich sehen lassen kann. An dieser Entwicklung sind die Flüchtlingsländer erfreulicherweise mehr beteiligt als die anderen. Die Zahl der Beschäftigten ist im Bundesgebiet im Durchschnitt um ungefähr 4 % gestiegen. Die Steigerung betrug aber in Schleswig-Holstein 5,7, in Bayern 5,5 und in Niedersachsen 5,2 %. Man darf wohl annehmen, daß sich diese Entwicklung fortsetzt, nachdem die Arbeitsbeschaffungsprogramme der Bundesregierung - eigentlich langsamer als erwartet war - angelaufen sind.
Ich darf deshalb die Einzelfragen, die in der Interpellation zum Schluß unter 1, 2, 3 und 4 zusammengefaßt sind, wie folgt beantworten:
Die Fragen 1 und 2 dürften wohl durch die bis jetzt gemachten Darlegungen als beantwortet angesehen werden.
Frage 3 lautet: Welche Stellen der Bundesregierung sind für die Durchführung dieser Kreditaktionen verantwortlich? - Darauf habe ich die Antwort zu geben: An erster Stelle natürlich unser Finanz- und unser Wirtschaftsministerium, allerdings in engster Verbindung mit dem Gesamtkabinett.
Frage 4 lautet: Welche Gründe sind für die bisherigen Verzögerungen maßgebend? - Da möchte ich sagen: Die Größe des Programms hat dazu geführt, daß wir nicht überall die Leute gefunden haben, die in solche Dinge so eingearbeitet sind, wie es eigentlich sein müßte. Ich möchte diese Frage dahingehend beantworten, daß die Verzögerungen vielfach an der Unzulänglichkeit der Menschen gelegen haben.
Gestatten Sie mir zum Schluß noch einige Bemerkungen zu dem, was der Vertreter der Sozialdemokratischen Partei gesagt hat. Wir gehen mit Ihnen völlig darin einig, daß es Aufgabe der Bundesregierung ist, das Problem der Arbeitslosigkeit sobald wie möglich rückläufig zu entwickeln und sie zu beseitigen. Wir sollen uns aber doch keiner Täuschung hingeben. Das heutige Wirtschaftsplateau für unsere 48 Millionen Menschen ist nicht groß genug, um das durchzuführen, was man unter einer Vollbeschäftigung versteht. Ich möchte den Herren von den Oppositionsparteien die Bitte unterbreiten, die Bundesregierung doch mit allen Mitteln zu unterstützen, damit wir von allen wirtschaftlichen Hemmungen, die heute noch auf uns liegen, befreit werden. Es ist völlig verkehrt, wenn wir aus dem Deutschen Bundestag heraus der Welt sagen: Es liegt an der Unzulänglichkeit der Deutschen Bundesregierung, daß wir ein Arbeitslosenproblem haben. Jeder von Ihnen weiß doch - und vor allen Dingen die Vertreter der Konjunkturforschungsinstitute auch in Ihren eigenen Reihen sagen es Ihnen ganz klar und deutlich -, daß das wirtschaftliche Plateau, das uns heute zur Verfügung steht, nicht groß genug ist, um das Problem der Vollbeschäftigung im deutschen Volke zu lösen.
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Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Vom Bundesarbeitsminister ist eben auf die bedeutsame Tatsache hingewiesen worden, daß die Zahl der Beschäftigten mit etwas über 13,7 Millionen um die Jahresmitte den höchsten Stand seit dem Zusammenbruch erreichen konnte. Das ist
zweifellos ein ganz außerordentlicher Erfolg. Wir sollten aber nüchtern genug sein, zu untersuchen, wem dieser Erfolg zuzuschreiben ist.
Ich glaube - wir müssen das sagen -, er ist in erster Linie der Initiative zu verdanken, die die Wirtschaft nach ihrer Befreiung aus den Fesseln der Zwangswirtschaft und unterstützt durch die Lieferungen des Marshallplans selbst enfaltet hat. Wenn es möglich war, gerade im Zuge der Liberalisierung den deutschen Export in diesem Jahre so zu steigern, daß im Mai, für den die letzten Zahlen vorliegen, erstmals im rein kommerziellen Außenhandel, d. h. also ohne die Hilfslieferungen des Marshallplans, wieder ein Aktivsaldo der deutschen Handelsbilanz erzielt werden konnte, so zeigt das, daß unsere Wirtschaft den richtigen Weg zur Sicherung dauerhafter Arbeitsplätze insbesondere auf dem entscheidenden Gebiet der Industrie und der Erzeugung lohnintensiver Fertigwaren gegangen ist.
Immerhin ist es ein Erfolg, wenn seit Mai/Juni 1948 seit dem Zeitpunkt der Währungsreform, in der Industrie des Bundesgebietes bis jetzt über 1,3 Millionen Menschen neue Arbeitsplätze gefunden haben, davon allein im letzten Jahr über 300 000 in einer stetig aufsteigenden Linie. Und das ist erreicht worden bei gleichzeitiger Hebung der Produktivität der Arbeitsstunde von 75% im vorigen Jahr auf jetzt rund 903/4 des Standes von 1936, womit die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Arbeit auf den Weltmärkten entscheidend gebessert wurde
Aus einer solchen Rationalisierung der Arbeitsleistung ergibt sich in jeder statischen Volkswirtschaft eine Tendenz zur Freisetzung von Arbeitskräf ten. Wenn aber gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten in der Industrie noch um über 300 000 zugenommen hat, so ist das einer der sichersten Beweise dafür, daß sich unsere Wirtschaft in der dringend notwendig strukturellen Ausweitung befindet, die deshalb so notwendig ist, weil ohne sie das Strukturproblem der Arbeitslosen, das aus der Heimatvertriebenenfrage, aus den Ostzonenflüchtlingen und aus den starken Geburtsjahrgängen resultiert, gar nicht gelöst werden kann.
Wir sind uns aber klar darüber, daß die Wirtschaft und auch die gestiegene Spartätigkeit der Bevölkerung allein das Problem nicht lösen können, und wir haben erwartet, daß von der Bundesregierung ein übriges getan wird, um die Dinge zu fördern. Ich glaube, wir sollten hier einmal sagen, daß diese Förderungsmaßnahmen - abgesehen vom Wohnungsbau, wo zwar auch eine gewisse Verzögerung infolge des so späten Entstehens der Bundesrepublik Deutschland vorgelegen hat - bisher noch nicht entscheidend zur Besserung der Verhältnisse haben beitragen können. Die Fehler, die hier gemacht wurden, dürfen sich nicht wiederholen. Denn man hat den eigenen Förderungskräften der Wirtschaft zu wenig vertraut. Man hat viel zu viel „Staat" in dieses Arbeitsbeschaffungsprogramm einbauen wollen, und dieses Zuviel „Staat" hat sich bis jetzt gerächt.
Wenn, um einmal das Schwerpunktprogramm herauszugreifen, am grünen Tisch Quoten auf die notleidenden Länder aufgeteilt werden und die notleidenden Länder dann wiederum am grünen Tisch Listen von Firmen zusammenstellen, die sie der Bundesregierung einreichen, und wenn sich dann bei den Überprüfungen herausstellt, daß einzelne Länder, obwohl es sich darum handelte, Kreditanträge zur Schaffung dauerhafter Ar({0})
beitsplätze einzureichen, in der Weise vorgingen, daß sie bis zu 653/4 Notstandsarbeiten vorschlugen, dann wird eben nach dem Auslaufen dieser Arbeiten wieder dieselbe Zahl von Arbeitslosen freigesetzt werden müssen. So hat zum Beispiel Niedersachsen Aufforstungsarbeiten vorgeschlagen, die jahreszeitlich überhaupt nicht mehr durchzuführen sind. Weiter hat Bayern Investitionen auf Gebieten vorgeschlagen, auf denen in Westdeutschland bereits eine erhebliche Überkapazität besteht, so daß durch diese Investitionen noch weitere zusätzliche Überkapazitäten hätten geschaffen werden müssen.
All das zeigt, was das bürokratische Anpacken des Problems schon im ersten Stadium bedeutet hat. Selbstverständlich mußten erhebliche Zurückweisungen erfolgen. Im nächsten Akt ging und geht es darum, daß die Länder die Bürgschaft für die Vorhaben, die sie selbst vorgeschlagen haben, übernehmen sollten. Da ergab sich in vielen Fällen der seltsame Zustand, daß sie dazu nicht bereit waren oder aber, daß die gesetzlichen Voraussetzungen dafür fehlten. In Bayern muß jede einzelne Bürgschaftsübernahme erst durch den Landtag gehen. Wie lange es dauert, bis das endgültig geschehen ist, kann man sich ohne weiteres vorstellen.
Wenn dann wenigstens die Notstandsarbeiten von den Ländern mit der Beschleunigung vorangetrieben worden wären, wie man das hätte erwarten müssen! Ich erinnere mich noch deutlich an die Auseinandersetzung hier im Bundestag, als seinerzeit die Äußerungen des niedersächsischen Wirtschaftsministers Kubel zur Debatte standen, die er über die Arbeitslosenfrage und die Bundesregierung in Wilhelmshaven getan hatte. Wenn man dann aus den Unterlagen feststellt, daß dem Lande Niedersachsen für Notstands-Straßenbauarbeiten gerade in Wilhelmshaven am 24. März 19 5 0 ein Betrag von 350 000 DM zur Verfügung gestellt, daß die Stadt Wilhelmshaven selber aber von der niedersächsischen Regierung erst am 2 8. M a i davon überhaupt in Kenntnis gesetzt wurde,
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dann frage ich mich wirklich, woraus man die Berechtigung ableitet, gegen die Bundesregierung Stellung zu nehmen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Noch einen Satz! Der Herr Bundesarbeitsminister hat zum Schluß seiner Rede mit Recht darauf hingewiesen, daß uns jetzt am meisten die Befreiung von den Fesseln, die unserer Wirtschaft noch auferlegt worden sind, not tut, der Stahlquote, der Begrenzung unserer chemischen Industrie, der Kohle-Chemie und aller dieser Dinge. Auf eins darf ich Ihre Aufmerksamkeit gerade in diesem Zusammenhang noch lenken. Es tut auch not, daß die Besatzungsmächte einsehen, daß es nicht gut war, Deutschland eine Art Banksystem nach einem ausländischen Modell aufzuzwingen. Es ist vielmehr zur Ausgleichung der Notlage in einzelnen Ländern und der Überschüsse der Einlagen in anderen dringend erforderlich, unser Banksystem nach deutschen Vorstellungen schnellstens wieder zu reorganisieren. Es ist erforderlich, daß bei dem nächsten Arbeitsbeschaffungsprogramm der Weg nicht mehr über die Bürokratie, sondern über die Wirtschaft und Banken selber gegangen wird, damit ein Arbeitsbeschaffungsprogramm nicht in erster Linie dazu dient, Arbeit für die Bürokraten zu schaffen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Agatz.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns heute sehr viele Zahlen und Beträge genannt, die zur Behebung der Arbeitslosigkeit zur Verfügung gestellt worden seien. Ich darf feststellen, daß seine Rede heute sehr viel gedämpfter geklungen hat als die Reden, die er draußen hielt und in denen er - das wird doch wohl stimmen, Herr Bundesarbeitsminister - sagte, daß die Arbeitslosigkeit bald unter die Eine-Million-Grenze absinken würde. So jedenfalls stand es in den Zeitungen zu lesen.
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Zweiffellos hat das Arbeitsbeschaffungsprogramm damals viel mehr versprochen, und zweifellos hat die Propaganda mit ihm Mißbrauch getrieben.
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Wenn der Herr Bundesarbeitsminister erklärt, daß die Vollbeschäftigung eine Illusion sei, dann habe ich mich zu fragen: Ist es denn nicht doch wahr, was von dieser Stelle behauptet wurde, daß man in der Arbeitslosigkeit eine Notwendigkeit für die Erhard'sche Wirtschaftspolitik erblickt?
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Jedenfalls steht fest: Wenn der Herr Arbeitsminister sagt, daß das Arbeitsbeschaffungsprogramm nur teilweise erfolgreich gewesen sei, wenn er dann sagt, daß im Wohnungsbau die zur Verfügüng gestellten Mittel dinglich gesichert werden müßten, daß in der übrigen Kreditgewährung vor allen Dingen auch die Frage der Sicherheit dieser Mittel vorangestellt werden müsse, dann ist das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Regierung gekoppelt mit der freien Unternehmerwirtschaft dieser Regierung; und darin liegt die Ursache für die Arbeitslosigkeit.
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Sie mögen doch zuhören, was die Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen zu dieser Frage der Kreditgebung sagt. Hier heißt es, und zwar im Leitartikel vom 1. Mai dieses Jahres:
Ob ein Kreditinstitut einem Kunden Kredit gewährt, darüber entscheidet in erster Linie die Rentabilität des Verwendungszweckes.
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Und weiter heißt es hier:
Arbeitsbeschaffung, wie sie heutzutage betrieben wird, ist von Natur aus kein rentables Vorhaben. Es steht also auch hier nicht ohne weiteres Kredit dafür zur Verfügung.
Das sind Äußerungen einer Zeitung, die doch wohl wissen muß, was auf der Ebene der Kreditgewährung gespielt wird, aus denen einwandfrei hervorgeht, daß mit solcher Politik, solcher Wirtschaftspolitik, wie sie dort getrieben wird, die Arbeitslosigkeit gar nicht behoben werden kann. Ich möchte sogar sagen, daß von den maßgeblichen Kräften, die in dieser Wirtschaft der Regierung tätig sind, die Arbeitslosigkeit auch gar nicht be({5})
hoben werden soll, weil die Arbeitslosenarmee für Lohndruck und für andere Aufgaben benutzt werden soll.
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So stehen diese Fragen für uns. Wir erblicken in der Tatsache, daß es nach wie vor 1,7 Millionen Arbeitslose gibt, einschließlich Westberlin, ein schuldhaftes Versagen der Regierung und ihres Arbeitsbeschaffungsprogramms.
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Wir können uns nicht mit der Behauptung abfinden, daß die Arbeitslosigkeit nicht behoben werden könnte. Wir sind der Meinung, daß es Mittel und Wege gibt, um die Arbeitslosigkeit zu beheben, um den Arbeitslosen das Recht auf H rbeit und damit auch auf ein menschenwürdiges Leben zu sichern.
Man soll eine Politik der Ausweitung des Handeis vor allem mit den Ländern des Ostens machen, damit unsere industrielle Produktion ausgeweitet und mehr Arbeitskräfte angesetzt werden können.
Man muß sich gegen die amerikanische Politik der Behinderung unserer Wirtschaft stärker zur Wehr setzen, der Behinderung vor allen Dingen unseres Handels, damit wir auf diese Weise unsere Arbeitslosen in Arbeit bringen können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Nölting.
Meine Damen und Herren! Bei der von der sozialdemokratischen Fraktion am 9. Februar dieses Jahres veranlaßten Arbeitslosendebatte war das von der Bundesregierung wohl nicht ganz zufällig am gleichen Tage vorgelegte Arbeitsbeschaffungsprogramm erst in seinen ersten Umrissen bekannt. Ich habe bereits damals in Übereinstimmung mit meinen Parteifreunden darauf hingewiesen, daß uns schon beim ersten Blick der Eindruck kam, daß diesem Programm die einheitliche Systematik fehle, daß es ein in überhasteter Eile und wohl auch mit etwas schlechtem Gewissen zusammengestoppeltes Flickwerk ohne eine grundtragende Konzeption sei, mehr eine Sturzgeburt der Angst als ein Produkt geläuterter nationalökonomischer Erkenntnis.
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Die Bundesregierung hat damals gemeint, daß diese Kritik hämisch und lieblos, daß sie bewußt negativ gehalten sei. Aber ich glaube, die Aufnahme in der Öffentlichkeit - nicht nur in der Tagespresse, auch in der wirtschaftlichen Fachpresse wird sie belehrt haben, daß diese unsere damals vorgetragene Ansicht inzwischen zu einer communis opino geworden ist.
Ich will von vielen kritischen Stimmen hier nur zwei zitieren, die ich absichtlich nicht dem eigenen Lager entnehme. Die „Süddeutsche Zeitung" schreibt in der Nummer 149 vom Sonntag, 2. Juli:
Die Arbeitsbeschaffungspolitik der Bundesregierung ist zu einem enttäuschenden und gefährlichen Fehlschlag geworden.
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Und in den Monatsberichten der Bank Deutscher Länder, die mir hier vorliegen, heißt es:
Die langsame Durchführung der einzelnen Programme hat vielfach Enttäuschung hervorgerufen ... Die Durchführung ist durch Umstände verzögert worden, die nicht notwendig mit solchen Maßnahmen verbunden sein müssen.
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Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns heute mit einem Sturzbach von Zahlen überschüttet. Ich kann auf seine Zahlen zur Stunde nicht unmittelbar reagieren. Ich halte mich, Herr Bundesarbeitsminister, an jene Zahlen, die die Bank deutscher Länder in ihrem letzten Monatsbericht vorgelegt hat. Da aber steht, daß sich nach dem Stand vom Ende Mai 1950 bei einem Betrage von rund 250 Millionen für das Sonderprogramm Bundesbahn die bis Ende Mai tatsächlich abgerufenen Kredite - und auf diese kommt es doch an - auf 85 Millionen beliefen.
Bei dem Schwerpunkteprogramm für industrielle Investitionen in den Notländern waren von 300 Millionen 97 Millionen zugesagt und bis Ende Mai ganze 7 Millionen abgerufen.
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Bei der Exportfinanzierung von 300 Millionen waren zugesagt bis Ende Mai 16 Millionen und abgerufen 12 Millionen. Das heißt, Herr Bundesarbeitsminister, von insgesamt 950 Millionen, die doch vorgesehen waren, waren bis Ende Mai tatsächlich abgerufen 124! Soll man sich da noch wundern, daß die mit großem Bombast angekündigte „Stoßwirkung", der „Schockeffekt", die „Initialzündung", die von Erhard versprochene Wunderwirkung des „geballten Kapitaleinsatzes" bei diesem Schneckentempo ausgeblieben ist?
Nun, meine Herren, wenn etwas schiefgegangen ist, begibt man sich nach bewährtem Rezept auf die Jagd nach dem Sündenbock. Plötzlich soll es die schwerfällige Länderbürokratie gewesen sein, und einmal hat man ja auch die Obstruktion der unter sozialdemokratischer Leitung stehenden Arbeitsämter zitiert. Sie sollen die Schuld daran tragen, daß wir nicht vom Fleck gekommen sind. Ach nein, meine Herren von der Bundesregierung, ich glaube, es war vor allem Ihre eigene Schwunglosigkeit, es war die fehlende Vorbereitung, es war der Mangel einer einheitlichen Konzeption, es war die planlose Unsystematik, die verantwortlich sind für dieses Debakel. Wie sollte auch letzten Endes ein Arbeitsbeschaffungsprogramm sich einpassen in Ihr System absichtlicher Planlosigkeit? Sie sind und bleiben doch Liberalisten, Gefangene Ihrer Doktrin. Was Sie tun oder tun sollten, war ja von Ihrem Standpunkt aus Sünde gegen das eigene Blut,
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war Griff in die planwirtschaftlich-sozialistische Hausapotheke. Man kann aber nicht über seinen eigenen Schatten springen. Wenn Sie ein wirkliches Arbeitsbeschaffungsprogramm durchführen wollten, müßten Sie ja Planung realisieren. Das aber ist für Sie doch ein Schimpf- und Schmähwort. Daher die zögernde Unlust.
In diesem Arbeitsbeschaffungsprogramm gehen drei verschiedene Gedankenreihen, wie mir scheint, höchst kraus durcheinander: Erstens, man wollte durch eine Art Notstandsprogramm im Stile des Jahres 1932 zu einer möglichst schnellen und sichtbaren Herabminderung der Arbeitslosigkeit kommen. Zweitens, man wollte, weil man gewisse soziale Explosionsgefahren befürchtete, in den über({5})
füllten Flüchtlingsländern gewisse optische und psychologische Wirkungen erzielen; und drittens, man wollte die strukturellen Verzerrungen des Wirtschaftskörpers einrenken und überwinden. Diese drei grundverschiedenen und sich vielfach gegenseitig aufhebenden Tendenzen wurden nun zu einem einheitlichen Programm zusammengekleistert, das deshalb die klare Grundlinie vermissen läßt. Daher auch der Kompetenzenstreit in den eigenen Reihen der Bundesregierung. Deshalb haben so viele Köche in diesem Brei herumgerührt und ihn schließlich verdorben.
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Die Federführung lag beim Herrn Bundesarbeitsminister. Dieser aber war sekundiert vom Herrn Flüchtlingsminister, sehr einseitig ausgerichtet auf Notstandsarbeiten, nicht aber auf die Schaffung von produktiven Dauerarbeitsplätzen, die natürlich längere Zeit und auch besser durchdachte Vorarbeit beansprucht haben würde. Bei den Flüchtlingsbetrieben aber stellte sich bald heraus, daß eine bloße Investitionsfinanzierung vielfach nicht ausreichte, sondern daß man darüber hinaus größerer Betriebsmittel bedurfte, um die erste Zeit überbrücken zu können, weshalb man erst nachträglich eine Korrektur vornahm, indem man zuließ, daß 40 % der Mittel nun auch als Betriebsmittel Verwendung finden können. Aber das hätte man sich doch vorher überlegen müssen, daß allein mit der Investition nicht alles getan ist.
Wir haben immer die Ansicht vertreten, daß für einen zweckmäßigen Mitteleinsatz an der richtigen Stelle der Wirtschaftsminister zuständig sein sollte, was in unserem Munde von Herrn Professor Erhard gewiß nicht als Kompliment und Vertrauenskundgebung für seine Person mißdeutet werden wird. Dazu fehlen alle Unterlagen. Es ist deshalb nur eine rein ressortmäßige Feststellung.
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Es lagen ja auch von der Verwaltung für Wirtschaft feste Vorschläge vor; es war sogar ein fertiges Programm ausgearbeitet auf Grund der Vorschläge aller Länder; ich denke an die Kapitalmarktempfehlungsliste. Später hat man dann mitten in der Furt die Gäule ausgewechselt und einen interministeriellen Ausschuß unter dem Vorsitz des Herrn Arbeitsministers eingesetzt. Dieser aber ist - von dem ewigen Kompetenzenstreit ganz abgesehen, der unter der Asche fortschwelte und zu fortgesetzten Verzögerungen führte - gewissen, ich will einmal sagen außerökonomischen Erwägungen unterlegen, die á la longue gesehen, weder dem Bund noch den Ländern noch den Flüchtlingen dienen werden.
Der Beweis: In dem Ausschuß des Bundestages für Arbeit erklärte der Herr Bundesarbeitsminister am 19. April, daß die Aufteilung der 300 Millionen für das Schwerpunkteprogramm vorgenommen werden müßte nach folgenden Gesichtspunkten: Erstens nach der Bevölkerungsdichte; zweitens nach dem Grade der Arbeitslosigkeit und drittens nach der Steuerkraft. Gewiß, meine Herren, das sind höchst relevante Gesichtspunkte, aber muß man nicht auch fragen nach der Standortgunst, die gerade für junge Industriepflanzungen entscheidend ist, nach der vorhandenen Kapazitätssituation, nach der Exportleistung der Betriebe, nach dem Modernisierungsbedarf? Das, Herr Bundesarbeitsminister, sind die ausschlaggebenden volkswirtschaftlichen Kriterien.
Wir sind durchaus für eine gesunde und volkswirtschaftlich vertretbare industrielle Aufschließung der Flüchtlingsländer. Wir glauben auch, daß
namentlich zahlreiche Leichtindustrien dort einen durchaus angemessenen Platz finden könnten. Nur soll man darüber nicht ganz die alten Industriezentren vergessen, die doch letzten Endes für die Resorption von neuen Arbeitskräften das stärkere Ansaugvermögen besitzen und die ihrer Bedeutung entsprechend mit den notwendigen Finanzierungserleichterungen auszustatten wären. Es liegt jedoch im Zuge unserer Wirtschaftspolitik, daß an den Grundstoffindustrien, daß an der Wasserwirtschaft, die Talsperren und Kläranlagen dringend benötigt, daß an den Trägern der Verkehrswirtschaft, den Energieversorgungsbetrieben usw. der aus Hortungsgewinnen und Knappheitsüberpreisen stammende Kapitalstrom weitgehend vorübergeflossen ist, weshalb sie in ihrem Kapitalbedarf bisher arg vernachlässigt worden sind. Man kann aber eine Wirtschaft nur von unten her, vom Erdgeschoß aufbauen, nicht aber im Mansardenstübchen beginnen, so erfreulich ein wohnliches Mansardenstübchen ist.
Und noch ein anderes: Wenn man Notstandsgebiete herausschälen will, braucht man doch eine klare Definition dieses Begriffes, wobei ich darauf verweise - was schon mein Parteifreund Arndt heute morgen getan hat -, daß Notstandsgebiete sich keineswegs immer mit den Ländergrenzen decken. Auch in den sogenannten wohlhabenden Ländern gibt es böse ökonomische Sumpflöcher. Jetzt endlich ist unter Führung des Bundeswirtschaftsministeriums ein interministerieller Ausschuß eingesetzt worden, der die objektiven Kriterien festlegen soll, was ein Notstandsgebiet ist. Ist es nicht höchst charakteristisch für diese Regierung, daß man sich jetzt um die Herausarbeitung eines Begriffes müht, der längst hätte feststehen sollen, als man das Notstandsprogramm aus der Taufe hob!
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- Ich bin sofort fertig, Herr Präsident.
Nun, meine Damen und Herren, soll im Herbst ein zweites Arbeitsbeschaffungsprogramm auf gelegt werden, das diesmal den Namen, wie wir erfuhren, „Wirtschaftsförderungsprogramm" erhalten und unter Federführung des Bundeswirtschaftsministers laufen soll. Ist das nur ein anderes Wortetikett, oder betrifft die Umbenennung einen anderen Inhalt, einen Wandel des Systems? Wir fragen, ist das neue Programm kabinettsreif, und wird es im Herbst wirklich rechtzeitig gestartet werden können, wenn die gegenwärtige Witterungsgunst der Saisonflaute Platz macht? Hat man aus den trüben Erfahrungen gelernt? Hat man begriffen, daß man Zeit zum Anlaufen braucht? Sind die Bremsklötze aus dem Weg geräumt? Ist die Abwicklungsapparatur inzwischen gestrafft, geschmeidigt, vereinfacht worden? Vor allem aber: Hat man klare Zielvorstellungen von dem, was man tun will, oder glaubt man noch immer, daß man an einem beliebigen Tage X nur auf den Knopf zu drücken braucht und das ganze Programm automatisch abrollt? Hat man die Garantie, daß die Bank deutscher Länder, die gerne auf ihre souveräne Autonomie pocht und mit dem Hochmut des Fachmannes die Nase über die Politiker" rümpft, wirklich mitzieht? Liegen hier direkte Zusagen oder wieder nur weiche Versprechungen vor? Bekennt sich die Regierung einschließlich der Bundesbahn zur Pflicht aktiver Konjunkturführung und Wirtschaftsgestaltung?
Denn, meine Damen und Herren - das zum Schluß -, wir sind mit der Arbeitslosigkeit noch nicht über den Berg! Das bißchen saisonale Erleichterung gegenwärtig wird der Herbst wieder ein({9})
kassieren. Noch hält die Arbeitslosigkeit bei rund 1,5 Millionen. Sie können sich selber sagen, was es bedeutet, wenn wir mit dieser Hypothek belastet in den Winter gehen, ohne eine planvolle und umfassende Vorsorge! Verlassen Sie sich bitte nicht auf die wundertätige Selbstheilungskraft Ihrer mysteriösen Marktautomatik! In unserer Lage verbieten sich Leichtfertigkeit und bloßer emotionaler Zweckoptimismus. Vertrauen verdienen allein vorausschauende Zielklarheit und konstruktive Energie.
Und deshalb, weil wir aus dem Nebel herauskommen möchten, haben wir einen Antrag vorgelegt, den ich dem Herrn Präsidenten überreichen darf und den ich am besten kurz einmal vorlese:
Der Bundestag wolle beschließen, die Bundesregierung zu beauftragen, dem Bundestag beschleunigt das in Aussicht gestellte zweite Arbeitsbeschaffungsprogramm vorzulegen und
dabei insbesondere folgende konkrete Angaben
zu machen über
erstens: den Umfang der in Aussicht genommenen Kreditmittel,
zweitens: den Ursprung der in Aussicht genommenen Kreditmittel und die Sicherheit ihrer Aufbringung,
drittens: die vorgesehene Verwendung der Kreditmittel sowie den Zeitpunkt des Einsatzes
- denn vier Monate Verzögerung haben uns damals
500 000 Arbeitslose gekostet -; und letztlich
die Organisation der Weiterleitung der Kreditmittel durch die beteiligten Behörden und Bankinstitute.
Wir werden auch dann noch nicht die Arbeitslosigkeit beseitigt haben, aber wir werden uns wenigstens auf einem überschaubaren Gelände bewegen.
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Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich bin wegen der Art und der Durchführung des Arbeitsbeschaffungsprogramms in den verschiedensten Zeitungen angegriffen worden. Man hat dabei gesagt: die ganze Arbeitsbeschaffung steht unter der Leitung des Arbeitsministers. Daß heute der Herr Wirtschaftsminister Nölting dieselben Töne singt, wundert mich einigermaßen. Ihm ist doch bestimmt bekannt, daß die Federführung für die Aufstellung und Durchführung des Arbeitsbeschaffungsprogramms nur in der Größenordnung der 300 Millionen DM für die Flüchtlingsländer beim Arbeitsministerium gelegen hat.
Die Angriffe, die gegen die Art der Einsetzung dieser Mittel geführt worden sind, gingen immer wieder dahin, daß dies Geld nicht zur finanziellen Unterstützung bereits bestehender Betriebe eingesetzt wurde. Ich wundere mich darüber, daß auch Herr Dr. Nölting die Meinung vertritt, daß, wenn Gelder wirtschaftlich eingesetzt werden sollen, man es nur nach dem Gesichtspunkt der bereits vorhandenen Betriebe tun soll. Wenn ich die Masse der Arbeitslosen in den Flüchtlingsländern habe, dann bin ich verpflichtet - bis zum wirtschaftlichen Ausbau dieser Gebiete -, auch einmal Geld in diese Gebiete hineinzugeben, um den dort ansässigen Menschen die Lebensmöglichkeit zu erhalten.
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Wenn die Auffassung des Herrn Dr. Nölting von
einem reinen Kapitalisten vorgetragen worden wäre,
hätte ich Verständnis dafür gehabt; von einem Sozialisten vorgetragen sind sie mir völlig unverständlich.
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- Herr Dr. Nölting, Sie haben davon gesprochen, man müsse Planung betreiben und müsse das Geld dort einsetzen, wo durch die vorhandenen Betriebe die Aufsaugmöglichkeit gegeben sei.
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Sie wissen doch ganz genau, daß in Ihr Land - Nordrhein-Westfalen -, in dem wir die große Konzentration der deutschen Grundindustrien haben, zur Zeit eine Übersiedlung der Millionen Menschen, die in Schleswig-Holstein, in Niedersachsen und in Bayern arbeitslos sitzen, gar nicht durchgeführt werden kann, weil dort die notwendigen Wohnungen nicht vorhanden sind. Sie sind in England gewesen und haben sich dort mit Ihren politischen Freunden den Neuaufbau der englischen Wirtschaft angesehen; Sie wissen, daß man sich dort besonders darüber freut, daß es gelungen ist, in die sogenannten Elendsgebiete neue Arbeitsplätze in einer Größenordnung von 420 000 zu bringen. Das war schon etwas! Wir werden nicht damit auskommen, Herr Nölting, nur kleine Nebenindustrien in die Flüchtlingsländer zu bringen. Wir werden eine Streuung der deutschen Industrie über das Bundesgebiet durchführen müssen, wenn es uns nicht gelingt, die Millionen der Vertriebenen aus ihren jetzigen Wohngebieten wegzunehmen.
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Ach, meine sehr verehrten Herren, nehmen Sie es mir nicht übel: „Planen", das finden Sie in jedem Privatbetrieb besser als in einer Planung durch den Staat.
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Wenn Planung durchgeführt werden soll, dann dürfen Sie sich von uns sagen lassen, daß das, was wir tun, planmäßiges Handeln ist. Wenn wir in den Notstandsgebieten im vergangenen Jahr 300 Millionen DM eingesetzt haben, dann wollten wir den Menschen in diesen Gebieten eine Übergangshilfe geben, bis wir die endgültigen Lösungen durchführen können.
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Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren,
sollte man die Dinge vor dem Volk nicht so hinstellen, als ob man dadurch, daß man eine Planwirtschaft
aufbaut, das deutsche Arbeitslosenproblem lösen
könnte.
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Herr Professor Nölting, fragen Sie doch Ihren eigenen Kollegen, der das Institut für Weltwirtschaft in Kiel führt; der wird Ihnen sagen, daß man mit Ihren Rezepten die Probleme nicht lösen kann. Er wird Ihnen unsere Auffassung bestätigen, daß nur eine Ausweitung unserer industriellen und wirtschaftlichen Basis in der Lage ist, die Arbeitslosigkeit zu überwinden, die Sie mit der Planung lösen zu können glauben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Scharnberg.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf die Wohnungsbaufinanzierung brauche ich nicht mehr weiter zu sprechen zu kommen, nachdem der Arbeitsminister dazu ja schon Erklärungen abgegeben hat, die uns vollauf befriedigt haben. Zu den übrigen Positionen, die in der Interpellation genannt sind, möchte ich noch kurz folgendes ausführen.
Eine Arbeitsbeschaffung ist - abgesehen von der Finanzierung langfristiger Exportaufträge - grundsätzlich immer nur durch zusätzliche Investitionen möglich. Investitionen sind aber normalerweise nur aus Ersparnissen darzustellen. Demnach bedeutet ein Arbeitsbeschaffungsprogramm eine, Vorwegnahme späterer Ersparnisse. Diesen Satz sollten wir nie vergessen. Durch eine unbegrenzte Geldschöpfung werden wir das Problem nicht lösen können. So aufgefaßt, bin ich auch der Meinung, daß das Arbeitsbeschaffungsprogramm der Regierung nicht, wie Herr Dr. Nölting meinte, die Sünde wider den Geist der Marktwirtschaft ist.
Jedes Arbeitsbeschaffungsprogramm, d. h. also die Zurverfügungstellung von Geldmitteln, wirkt einerseits direkt und andererseits indirekt in psychologischer Weise. Wichtig ist dabei, daß wir eine Dauerwirkung erzielen. Davon hat ja auch der Herr Abgeordnete Kurlbaum gesprochen, indem er gefordert hat, daß die Arbeitslosigkeit dauernd und endgültig beseitigt wird. Die Dauerwirkung erzielen wir aber, indem wir bei der Arbeitsbeschaffung nicht etwa Notstandsarbeiten versehen, sondern indem wir vorwiegend unsere Bemühungen darauf richten, Arbeitsplätze zu schaffen. Klar ist dabei, daß, wenn wir Notstandsarbeiten machen, der Einsatz der Mittel sehr viel schneller vonstatten geht. Nur hat das den Nachteil, daß, wenn die Mittel verbraucht sind, die Arbeitslosigkeit wieder erneut da ist. Die BeSchaffung von Arbeitsplätzen ist eine Investitionsaufgabe und geht natürlich im Einsatz langsamer vor sich.
Dies vorausgeschickt, möchte ich die Frage aufwerfen, ob das Programm, welches seinerzeit die Regierung in Gang gesetzt hat, gewirkt hat, und inwiefern wir in Zukunft aus etwaigen Fehlern lernen müssen. Bei dem sogenannten Schwerpunktprogramm, dem Einsatz der 300 Millionen DM in den besonders von der Arbeitslosigkeit betroffenen Gebieten, ist zweifellos eine gewisse Verzögerung eingetreten. Herr Minister Storch hat diese Verzögerung auf die Unzulänglichkeit der mit dem Programm befaßten Menschen zurückgeführt. Ich glaube, daß auch die Verbindung mit dem Zweck der Beseitigung der Arbeitslosigkeit in bestimmten Notstandsgebieten zu der Verzögerung geführt hat. Ich glaube, es wäre besser gewesen, wenn man das Arbeitsbeschaffungsprogramm auf die Kapitalbedarfsliste abgestellt hätte, die im Bundeswirtschaftsministerium vorliegt. Wir sind auf diese Weise auch zu einer sehr, sehr starken Betonung der Beseitigung der strukturellen Arbeitslosigkeit gekommen, während ich glaube, daß man auch darauf hätte sehen sollen, die konjunkturelle Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Zu der Frage der strukturellen Arbeitslosigkeit möchte ich noch bemerken, daß stets auch die Gefahr einer Verlagerung dieser Arbeitslosigkeit in andere Bezirke besteht, die unter allen Umständen vermieden werden muß.
Zu dem, was Herr Professor Nölting in bezug auf den mangelhaften Abruf der Kredite gesagt hat, ist zu sagen, daß es auf den Abruf der Kredite gar nicht ankommt. Es kommt vielmehr auf die Auftragsvergebung an. In dem Moment, da ein solcher Kredit zugesagt ist, werden Aufträge vergeben, und
dadurch wird die Arbeitsbeschaffung schon wirksam.
Alles in allem möchte ich sagen: trotz gewisser Verzögerungen, die unbestreitbar sind, hat das Arbeitsbeschaffungsprogramm eine beträchtliche Wirkung ausgeübt, nicht zuletzt auch in psychologischer Hinsicht. Insofern ist - das möchte ich im Gegensatz zu dem, was Professor Nölting gesagt hat, betonen - eine Initialzündung tatsächlich zu verspüren. Denn wir haben einen steigenden Produktionsindex, wir haben eine steigende Beschäftigtenziffer und wir haben eine sinkende Arbeitslosigkeit. Auf die Tendenz kommt es an und nicht auf Vergleiche mit anderen Jahren, wie sie der Abgeordnete Kuribaum gebracht hat.
Ich möchte noch etwas vermerken, was bisher von keinem Redner ausgesprochen worden ist. Das Arbeitsbeschaffungsprogramm, so wie es nun einmal gelaufen ist, stellt zweifellos noch eine gewisse Reserve dar; und diese Reserve wird uns in den zukünftigen Monaten, insbesondere wenn wir in den Winter gehen, sehr nützlich sein.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Wir sehen das Problem der Arbeitslosigkeit mit tiefstem Ernst und arbeiten daran, dieses Problem zu lösen. Wir glauben, daß die Maßnahmen, die die Regierung ergriffen hat, richtig waren. Wir haben keine grundsätzlichen Monita vorzubringen. Wir wünschen, daß die Regierung für die Zukunft ein weiteres Programm vorbereitet, über dessen Einsatz und Zeitpunkt man zu gegebener Zeit noch sprechen muß.
Ich möchte noch beantragen, daß der Antrag, den Professor Nölting vorgelegt hat, an den wirtschaftspolitischen Ausschuß - federführend - und an den Ausschuß für Geld und Kredit überwiesen wird.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
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- Meine Damen und Herren, each jedem Eingreifen der Regierung ist die Debatte neu eröffnet. Das steht in der Geschäftsordnung; ich kann es nicht ändern. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Baade.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundesarbeitsminister hat die Frage aufgeworfen, wie die wissenschaftlichen Institute in Deutschland zu der Frage der Arbeitsbeschaffung stehen und insbesondere zu der Notwendigkeit, die Planung in den Dienst der Arbeitsbeschaffung zu stellen. Ich glaube, die wirtschaftswissenschaftlichen Institute haben mit ihrer Denkschrift „Lebensfähigkeit und Vollbeschäftigung" eine klare Antwort auf diese Frage gegeben. In einer Gemeinschaftsarbeit, an der dreißig deutsche Wissenschaftler mehrere Monate lang beschäftigt gewesen sind und an der das Institut für Konjunkturforschung in Berlin, das Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel, das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung in Essen unter Professor Döbritz und das Institut in Bremen unter Senator Harmssen beteiligt waren, ist einmütig festgestellt, daß die Aufgabe der Arbeitsbeschaffung, vor der wir heute in Deutschland stehen, eine Aufgabe ganz besonderer Art ist.
Es handelt sich nicht darum, irgendeinen kleinen Konjunkturrückgang in Deutschland zu überwinden. Es handelt sich darum, eine durch die Verstümmelung des Krieges und der Nachkriegszeit in ihrer Grundstruktur veränderte und eigentlich lebensunfähig gemachte Wirtschaft planvoll wieder aufzu({0})
bauen, ja, mehr als das: sie planmäßig in ihrer Struktur umzubauen. Es ist ganz ausgeschlossen, daß durch irgendeinen Marktmechanismus die Arbeitslosen in Schleswig-Holstein oder in den anderen mit Flüchtlingen überfüllten Ländern Beschäftigung bekommen könnten. Es ist ganz ausgeschlossen, daß wir auf die selbstheilenden Kräfte der kapitalistischen Wirtschaft warten könnten, um diese Menschen aus den Gegenden, in denen sie schlechterdings niemals Arbeit finden können, dorthin zu saugen, wo für sie Arbeit beschafft werden könnte. Und dabei handelt es sich darum, ihnen nicht nur irgendeine Arbeit zu verschaffen, sondern eine produktive Ar- beit, wie wir sie brauchen, um die Lebensfähigkeit der deutschen Wirtschaft wiederherzustellen, nämlich durch eine gewaltige Verstärkung unseres Sozialprodukts und eine gewaltige Verstärkung unserer exportfähigen Gütermenge in Deutschland. Das ist eine Aufgabe, die mit dem Marktmechanismus niemals gelöst werden kann. Das ist eine Aufgabe, die nur durch das äußerste Maß von Planmäßigkeit in der Durchführung überhaupt jemals gelingen kann. Es ist gar kein Zweifel, daß bei dieser Planung der Staat mit öffentlichen Aufträgen in stärkstem Maße vorangehen muß. Es ist auf der anderen Seite auch kein Zweifel, daß alle Kräfte der freien Initiative in Deutschland für die Durchführung dieser Arbeiten mobilisiert und aufgerufen werden müssen. Es ist also gar kein Zweifel, daß hier eine Synthese zwischen staatlicher Planung und Mobilisierung aller privaten Initiativkräfte in der deutschen Wirtschaft in einem Umfang stattfinden muß, wie wir es bisher in Deutschland noch nicht gehabt haben.
({1})
- Verehrter Herr Kollege, ich glaube, daß man mit derartigen Scherzen diesem Problem nicht gerecht wird. Es handelt sich hier um eine Lebensfrage des deutschen Volkes.
Wir haben heute einen Zustand der Arbeitslosigkeit, der viel schlimmer ist und viel schwerer zu überwinden ist als der Zustand der Massenarbeitslosigkeit mit 6 Millionen Arbeitslosen, die wir im Jahre 1932 leider Hitler für sein angebliches Wirtschaftswunder überlassen haben. Der grundlegende Unterschied zwischen damals und heute - das ist in der Denkschrift dieser Institute, die Sie ja zum Teil kennen, eingehend dargelegt worden - besteht darin, daß auf die 6 Millionen Arbeitslosen, die es im Jahre 1932 gab, die fertigen Arbeitsplätze gewartet haben. Es waren die Arbeitsplätze, die sie kurz vorher erst verlassen hatten. Auf die 2 Millionen sichtbaren Arbeitslosen, die wir in diesem Winter hatten, zu denen nach der Denkschrift der Institute mindestens noch einmal 1 Million unsichtbare Arbeitslose hinzuzurechnen sind und zu denen in den nächsten Jahren weitere Millionen von Arbeitslosen aus den starken Jugendlichenjahrgängen kommen werden, das heißt, auf die insgesamt 4 bis 41/2 Millionen Menschen in Deutschland, für die wir Arbeitsplätze schaffen müssen, warten überwiegend keine fertigen Arbeitsplätze. Es sind Arbeitsplätze für vielleicht 10 bis 20 % von ihnen vorhanden. Die übrigen müssen in einem Planungswerk geschaffen werden, das über das Planungswerk des sogenannten Hitlerschen Wirtschaftswunders weit hinausgeht.
Ich darf sagen, daß ich einer derjenigen bin, die in der Zeit vor Hitler schon gewußt und gesagt haben, wie man mit der Arbeitslosigkeit fertig werden kann. Ich war damals sozialdemokratischer
Reichstagsabgeordneter und habe mit dem Statistiker Wladimir Woytinsky und dem Führer des Deutschen Holzarbeiterverbandes, Fritz Tarnow, zusammen den sogenannten WTB-Plan, den Woytinsky-Tarnow-Baade-Plan, entworfen, in dem die ganzen Instrumente der Vollbeschäftigungspolitik für die damalige Wirtschaftsstruktur bereits entwickelt gewesen sind. Leider ist diesem Plan von der Regierung Brüning damals nicht gefolgt worden. Leider hat die Regierung Brüning in die selbstheilenden Kräfte des kapitalistischen Wirtschaftslebens dasselbe Vertrauen gehabt, das wir bei der heutigen Bundesregierung leider auch noch in allzu starkem Maße vertreten sehen. Dann ist Hitler gekommen und hat diese 6 Millionen Menschen Rüstung produzieren lassen und hat damit Deutschland und die Welt ins Unglück gebracht.
Wir müssen daraus gelernt haben, daß eine Volkswirtschaft sich Massenarbeitslosigkeit nicht gefallen lassen muß. Wir müssen daraus gelernt haben, daß wir einer solchen Aufgabe gegenüber eine Generalmobilmachung betreiben müssen. Wir müssen nur im Gegensatz zur Hitlerischen Arbeitsbeschaffung, die die Menschen unproduktive Dinge hat produzieren lassen, die Menschen diesmal produktive Dinge produzieren lassen. Daß wir das ohne einen Plan machen können, das können Sie niemand erzählen!
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pelster.
Pelster ({0}) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich darf wohl sagen, daß die Ausführungen des Herrn Professor Baade sich wohltuend von den Ausführungen seines Vorredners, des Herrn Professor Nölting, abhoben. Die Erklärung von Herrn Professor Nölting: „So geht es wirklich nicht", ist allzu, allzu billig.
({1})
Herr Professor Baade hat im Kern richtig gezeichnet, worauf es ankommt. Hier bei uns hängt alles zusammen. Wollen wir neue Arbeitsplätze schaffen, müssen wir dafür eine Grundlage in der Eisenindustrie haben. Wir hoffen, daß wir da Erleichterungen bekommen. Dann können wir weiterarbeiten. Auch wir wollen nichts ohne Plan machen. Die Planung, von der Herr Professor Baade gesprochen hat, wollen auch wir.
({2})
Und die ist überall in einem gesunden Betrieb vorhanden. Das hat aber mit der Planwirtschaft in der Form, wie Sie ({3}) sie programmäßig verkünden, nichts zu tun.
({4})
Die Arbeitslosigkeit macht gewiß Sorgen. Aber, Herr Professor Nölting, Sie und Ihr Ministerkollege Halbfell waren es doch, die uns 6 bis 7 Millionen Arbeitslose sofort nach der Durchführung der Währungsreform prophezeit und das auch durch Zahlen bewiesen haben; Gott weiß, wie. Nur haben wir diese Zahlen nicht bekommen. Ich will auf die Zahlen, die inzwischen genannt worden sind, nicht mehr eingehen. Tatsache ist, daß auch Sie anerkennen, daß in Ihrem Lande, in Ihrem Wirkungsbereich die Zahl der Beschäftigten ständig ansteigt. In Ihrem Schreiben an den Bundeswirtschaftsminister haben Sie
({5})
ausgeführt, daß im letzten Vierteljahr 1949, in einer Zeit, in der sonst immer ein saisonmäßiger Rückgang eintritt, die Zahl der Arbeitslosen um 11 700 und einige Zehner gestiegen sei. Sie haben aber auch anerkannt, daß in der gleichen Zeit die Zahl der Beschäftigten um 45 800 und soundso viel zugenommen hat. Da kann man doch nicht davon reden, daß irgend etwas krank sei.
Andererseits wird es notwendig sein, daß wir in der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit alle Kräfte gemeinsam aufwenden. Wenn Sie sagen, der Angriff auf die Arbeitsämter sei nicht berechtigt, so möchte ich Ihnen folgendes mitteilen. Ich fordere zum Beispiel beim Arbeitsamt Lehrlinge an. Das Arbeitsamt sagt: Wir haben kein Interesse, in dem Beruf Lehrlinge zu vermitteln. Ich fordere zum Beispiel das Arbeitsamt auf, den Lehrling an dieser Stelle zu belassen. Das Arbeitsamt sagt: Nein, der kommt heraus! - Der muß also wieder arbeitslos werden. Ich teile einen anderen Fall mit. Ein Mann hat die Aufforderung, seine Stellung bei der und der Firma anzutreten. Das Arbeitsamt sagt: Nein, du bleibst da, wo du bist; du bleibst 'Maurer. Der Mann hätte von der Straße sein können!
Meine verehrten Damen und Herren! Es wäre gut, wenn wir auf allen Gebieten zusammenhalten würden. Es wäre gut, wenn wir dem Überstundenunwesen etwas zu Leibe gehen würden, damit es nicht diese wahnsinnigen Ausmaße annimmt. Es wäre auch gut, wenn Industriearbeiter neben der verfahrenen Schicht, sei es im Bergbau, sei es im Hüttenwerk, sei es in der Textilindustrie, sei es, wo es wolle, nicht als Schwarzarbeit auch noch im Baugewerbe eine halbe oder dreiviertel Schicht verfahren, von der dann weiter keine Belastungen ausgehen. Aber auf der anderen Seite stehen unsere Arbeitsbrüder arbeitslos auf der Straße. Das sollte man dabei auch sehen, dann könnte manches, manches auch da besser werden. Mir lag ein Schreiben Ihres Freundes, des Regierungsdirektors - oder was er ist - im Amt, Adolphi vor. Gut wäre es,
wenn man ebensoviel Mühe auf die Unterbringung der Arbeitslosen aufwenden würde wie auf die Unterbringung der Genossen als Angestellte in Arbeitsämtern!
({6})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Es war doch immerhin interessant, hier den Streit der beiden Professoren aus der sozialdemokratischen Fraktion zu hören.
({0})
Professor Baade hat etwas festgestellt, was wir in vollem Umfange unterschreiben, daß nämlich die gegenwärtige Arbeitslosigkeit, die wir verschwinden lassen wollen, ein Strukturproblem ist, dadurch ausgelöst, daß im Gegensatz zu 1932 die Arbeitsplätze, in die die Arbeitslosen einrücken könnten, jenseits der Oder-Neiße-Linie liegen und nicht hier in der Bundesrepublik.
Ich erinnere mich noch sehr deutlich der vielen Gespräche zwischen Professor Nölting und Professor Erhard, auch hier im Plenum, bei denen sich ergab, daß nach Ansicht von Herrn Professor Nölting die Arbeitslosigkeit eine Folge des Übergangs von der Zwangswirtschaft zur freien Marktwirtschaft sein soll.
Wenn wir uns erst einmal auf die Tatsache geeinigt haben, die nun nicht zu leugnen ist, daß nämlich die Arbeitslosigkeit ein strukturelles Problem ist, dann ist, glaube ich, schon viel Gift aus der Debatte genommen; leider Gottes muß man feststellen, daß es gerade in der letzten Zeit immer wieder hineingetragen worden ist.
In der Ankündigung ist von dem zweiten „Arbeitsbeschaffungsprogramm" mit Recht als von einem Wirtschaftsförderungsprogramm gesprochen worden, denn Arbeit brauchen wir in Deutschland nicht zu schaffen und wollen wir erst recht nicht für neue Behörden schaffen. Wir haben Arbeit in einem ungeheuren Maße vor uns. Wir müssen aber die Wirtschaft in ihrer eigenen Leistungsfähigkeit fördern, die sie in den letzten anderthalb Jahren so unter Beweis gestellt hat, daß man in der Welt draußen von einem deutschen Wunder gesprochen hat.
({1})
Wir müssen sie so fördern, daß sie wirklich in der Lage ist, dieses große Problem zu meistern. Lassen Sie mich Ihnen in dem Zusammenhang einmal zwei unterschiedliche Zahlen vor Augen führen.
Innerhalb des großen Schwerpunktprogramms haben die Länder die Planung für die einzelnen Projekte durchgeführt, eine Planung, bei der die Wirtschaft erst hinterher und auch dann nur unter Umständen erfahren hat, daß sie von der Bürokratie als Empfänger für Investitionskredite ausersehen war. Von insgesamt 140 Millionen DM, die für industrielle Förderung vorgesehen waren, hat die Wirtschaft bis zum 10. Juni auf dem Wege über die Länderbürokratie ganze 5 Millionen zur Verfügung gestellt bekommen!
({2})
Dort, wo keine Bürokratie eingeschaltet war, bei
der Industriebank, sind von im ganzen zur Verfügung stehenden 50 Millionen DM bis zu diesem
Zeitpunkt schon über 20 Millionen DM in die Wirtschaft hineingeflossen.
Wenn diese beiden Zahlen nicht deutlich für die Einschaltung der Kräfte der Wirtschaft und ein Beiseitelassen der staatlichen Behörden sprechen, dann gibt es keinen besseren Beweis!
({3})
Keine weiteren Wortmeldungen? - Dann erteile ich das Schlußwort dem Herrn Abgeordneten Dr. Nölting.
({0})
- Es gibt ein Schlußwort bei Interpellationen; es tut mir leid, Herr Abgeordneter, aber es steht in der Geschäftsordnung, § 82!
Dr. Nölting ({1}), Interpellant: Meine Damen und Herren! Ich möchte mich nicht weiter mit dem Herrn Abgeordneten Pelster beschäftigen, dazu sind die Minuten zu kostbar.
({2})
Ich möchte dem Herrn Abgeordneten Pelster nur das eine sagen: er soll mir endlich den Beweis erbringen, wo und wann ich von 6 bis 7 Millionen Arbeitslosen gesprochen oder geschrieben haben soll, die sich automatisch nach Beseitigung der Zwangswirtschaft einstellen würden. Eine solche Behauptung ist eine Unwahrheit; ich habe eine derartige Prognose niemals gemacht.
({3})
a Im übrigen, Herr Pelster, doch noch das eine: Sie rühmen die Gesundheit unserer Wirtschaft. Dazu eine einzige Zahl, die von dem Herrn Bundeswiederaufbauminister stammt. Im Mai 1949 hatten wir 126 800 beschäftigungslose Bauarbeiter, im Mai 1950 174 834. Wir haben offenbar über „Gesundheit" eines Wirtschaftskörpers verschiedene Vorstellungen.
({4})
Jetzt aber zu dem Herrn Bundesarbeitsminister. Herr Bundesarbeitsminister, ich habe es nicht als ganz fair empfunden, daß Sie den Versuch gemacht haben, meiner Rede den Dreh gegen die Flüchtlingsländer zu geben.
({5})
Ich habe in meiner Rede ausdrücklich gesagt - und das Stenogramm wird es ausweisen -, daß diese Flüchtlingsländer gewerblich aufgeschlossen werden müssen. Und sie müssen gewerblich aufgeschlossen werden, weil sie als reine Agrarländer den Saisonrückschlag, der sich sonst automatisch ergeben würde, gar nicht ertragen könnten.
Herr Bundesarbeitsminister, ich habe auch nicht von „Nebenindustrien" gesprochen, wie Sie es taten. Ich fürchte, da herrscht bei Ihnen einige Verwirrung. Ich darf deshalb einmal als Professor der Nationalökonomie kurz auf folgendes hinweisen:
({6})
Man unterscheidet in der Volkswirtschaft Grundstoffindustrien, Kapitalgüterindustrien und Leichtindustrien, die man auch Konsumgüterindustrien nennt, und ich habe - wiederum bitte ich, berücksichtigen Sie das Stenogramm ! - von Leichtindustrien gesprochen und nicht von Nebenindustrien.
({7})
Ich bin auch keineswegs gegen Notstandsarbeiten. Aber diese Arbeiten sind eben, wie es das Wort besagt, eine Notstandshilfe vorübergehender Art. Denn, meine Damen und Herren, ist der Weg angelegt, ist der Deich befestigt, ist die Brücke gebaut, dann treten wir doch wieder auf demselben Fleck; dann halten wir doch wieder genau da, wo wir schon einmal waren. Ich möchte aber die Flüchtlinge aus der Elendszone herausbringen und sagte deshalb: dauernde Abhilfe kann nur die Schaffung produktiver Dauerarbeitsplätze bringen.
Herr Bundesarbeitsminister, gerade Sie sollten sich eigentlich nicht auf England berufen, denn bei dem Begriffe England, dessen Wirtschaftspolitik Ihnen doch sonst meist nur Objekt von Schmähungen ist, taucht sofort die Planwirtschaft in der Vorstellung auf. Man hat in den depressed areas, von denen gesprochen wurde, allerdings die Arbeitslosigkeit von 28 %, die dort lange Jahre eine Dauertatsache war, heruntergebracht auf 3 %; aber nicht dadurch, daß man den Leuten eine Schippe in die Hand gab, sondern dadurch, daß man im Rahmen systematischer Planung dort Industrien ansetzte, die einen guten Wurzelgrund fanden. Sie sagten, man brauche im Rahmen der staatlichen Behörden keine Planung, planen könne am besten der Unternehmer. Auch wieder eine bedauerliche Verwirrung der Begriffe. Gewiß, der Unternehmer kann in seinem Betrieb besser planen als irgendein Bürokrat, und darin machen wir ihm weiß Gott keine Konkurrenz. Aber von der betriebswirtschaftlichen Planung, der höchsten Rationalität und Effektivität des Einzelbetriebes, ist zu unterscheiden die gesamtwirtschaftliche Planung. Daß davon der Unternehmer nichts versteht, beweisen schon allein die immer
wieder auftretenden Krisen, diese Explosionen und Selbstzündungen des Wirtschaftskörpers, die wir vermeiden möchten, indem wir der Wirtschaft einen vernünftigen Ordnungsrahmen geben. Dabei unterscheide ich mich auch gar nicht von meinem Parteifreund Professor Baade, wie er mir soeben noch lächelnd gesagt hat. Wenn wir diese Planung nicht brauchten, Herr Bundesarbeitsminister, weshalb unterhält dann ihr Kollege Erhard eigentlich eine Planungsabteilung?
({8})
Können Sie mir darauf nicht eine Antwort geben? Aber es ist ja ein merkwürdiger Zustand, daß die Planungsabteilung bei Herrn Erhard arbeitet, teilweise sogar vorzüglich arbeitet, der Chef aber im Lande herumreist und die Planung beschimpft.
({9})
Herr Bundesarbeitsminister, noch ein letztes Wort! Die soziale Idee gegenüber den Flüchtlingen haben Sie und die Bundesregierung gewiß nicht monopolisiert,
({10})
diese Patronage erkennen wir Ihnen keineswegs zu. Aber, Herr Bundesarbeitsminister, wir werden Sie und dieses Kabinett niemals freisprechen von der Schuld, daß es die Wirtschafts- und Arbeitspolitik der Bundesregierung war, die in erster Linie zu der Massenarbeitslosigkeit bei den Flüchtlingen geführt hat.
({11})
Meine Damen und Herren, zu dieser Interpellation liegt ein Antrag der Fraktion der SPD vor. Nach § 57 der Geschäftsordnung ist dieser Antrag einem Ausschuß zu überweisen, falls es beantragt wird und der Antrag von 30 Abgeordneten unterstützt wird. Wird das von Ihnen beantragt, Herr Kollege Scharnberg?
({0})
Wenn ich nicht irre, soll der Antrag an den Ausschuß für Geld und Kredit und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik überwiesen werden. Wer soll federführend sein?
({1})
Der Antrag wird von 30 Mitgliedern des Hauses unterstützt, nehme ich an.
({2})
- Kein Widerspruch; dann ist der Antrag, der verlesen und überreicht worden ist, gemäß § 57 an die Ausschüsse für Wirtschaftspolitik und für Geld und Kredit überwiesen, wobei der Ausschuß für Wirt-schaf tspolitik federführend ist.
Ich rufe auf Punkt 2 a und b der Tagesordnung:
2 a) Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Baade, Kriedemann, Brünen, Happe, Höhne, Mertins, Dr. Schmidt ({3}), Frau Keilhack, Frau Strobel und Fraktion der SPD betr. Fortfall vor Ausgleichszahlungen und Einführung einer Fettsteuer ({4}),
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPE betr. Preisausgleich für Brotgetreide unc Düngemittel ({5}).
Ich nehme an, das Haus ist damit einverstanden daß 2 a und 2 b gemeinsam begründet und beraten werden.
({6})
({7})
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung der beiden Anträge je 15 Minuten und für die Gesamtaussprache 90 Minuten Zeit in Anspruch zu nehmen. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Das Wort zur Begründung hat der Abgeordnete Kriedemann.
Kriedemann ({8}), Interpellant und Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als meine Freunde und ich am 31. Mai die Interpellation einbrachten, die Ihnen auf Drucksache Nr. 1008 vorliegt, taten wir es unter ausdrücklichem Hinweis auf die begreifliche Unruhe, die in weiten Kreisen der Bevölkerung, Verbraucher wie beteiligten Wirtschaftskreise, dadurch hervorgerufen worden war, daß es zwar einige Mitteilungen über die zukünftigen Absichten der Regierung gab, aber keinerlei klare Stellungnahme zu einem der wichtigsten Probleme, einem Problem, das zusammenhängt mit der Frage der Subventionen zugunsten eines erträglichen Brotpreises, zur Aufrechterhaltung der Düngerpreise usw., einer Frage also, die für alle Beteiligten im wahrsten Sinne des Wortes eine Lebensfrage ist.
Als wir damals unsere Interpellation einbrachten, hatten wir die Hoffnung, daß dadurch hier in diesem Hause Gelegenheit geschaffen würde, über die Dinge rechtzeitig miteinander zu reden und über die beste Lösung nachzudenken. Wir bedauern außerordentlich, daß die Regierung es vorgezogen hat, diese Interpellation nicht innerhalb einer angemessenen Zeit zu beantworten, es vielmehr für zweckmäßig hielt, Tatsachen zu schaffen, mit denen wir uns heute hier auseinandersetzen müssen.
Ich befinde mich bei der Begründung dieser Interpellation in einer verhältnismäßig merkwürdigen Lage. Hätten wir früher Gelegenheit gehabt, unsere Interpellation zu begründen, so wäre es meine Aufgabe gewesen, Sie mit allem Ernst vor den Folgen einer Politik zu warnen, die leicht erkennbar waren. Heute, nachdem bereits Tatsachen geschaffen sind und die Regierung die ihr gestellten Fragen vor diesem Hause nicht mehr zu beantworten braucht, weil sie sie draußen in der Praxis schon längst beantwortet hat, ist auch die Aufgabe des Interpellanten etwas anders geworden.
Meine Damen und Herren! Es sind bisher aus öffentlichen Mitteln, zu deren Aufbringung alle Steuerzahler beitragen, auch in Deutschland sehr erhebliche Beträge dafür verwendet worden, gewisse Interessenausgleiche zu ermöglichen, u. a. einen Brotpreis halten zu können, der der niedrigen Kaufkraft der breiten Masse unserer Bevölkerung angepaßt ist. Ebenfalls mit Subventionen aus öffentlichen Mitteln sind die Preise für Düngemittel, Futtermittel usw. auf eine Höhe gebracht und auf einer Höhe gehalten worden, die es den Erzeugern erlaubt, zu Preisen zu produzieren, die der Verbraucher seinerseits wieder bezahlen kann. Das ist keineswegs eine deutsche Erfindung. In den meisten Ländern um uns herum ist das eine langgeübte Praxis. In Norwegen zum Beispiel werden 25 % der Haushaltsmittel dazu verwendet, die Lebenshaltungskosten der arbeitenden Bevölkerung zu sichern,
({9})
und England bringt aus seinem Etat 10 bis 12 % für den gleichen Zweck auf. In dieser Situation wird ausgerechnet in dem Lande, in dem besonders viele Menschen von Renten, von Unterstützungen oder von kleinen Arbeitseinkommen leben müssen, erklärt, daß in Zukunft für diese Aufgabe des Staates keinerlei Mittel mehr zur Verfügung gestellt werden sollen.
({10})
Das war die Situation, in der wir unsere Interpellation einbrachten. um hier den Versuch zu machen, die Politik, die die Regierung offenbar damals schon beabsichtigte, hier im Hause zur Debatte zu stellen und einer Kritik zu unterziehen, um Schlimmeres zu verhüten. Statt einer sachlichen Beantwortung unserer Fragen, die Sie auf Drucksache Nr. 1008 finden, haben wir aus dem Munde sehr verantwortungsvoller Männer in dieser Bundesregierung, an der Spitze der Herr Bundeskanzler. immer wieder gehört, daß jede Aufregung überflüssig sei und die Regierung schon dafür sorgen werde, daß der Brotpreis nicht steigen würde, und wenn wir damals unsere Interpellation hätten begründen müssen, wäre auch sicherlich der Versuch unternommen worden, gegen alle Logik und gegen alle Wirtschaftsgesetze nach wie vor auch diesem Hause zu erzählen, daß trotz der Aufhebung der Suventionen der Brotpreis nicht steigen würde. Inzwischen hat die Regierung, wie gesagt, Tatsachen geschaffen. Diese Tatsachen sind sehr eindeutig. In den meisten Bäckerläden wird die Behauptung. daß der Brotpreis nicht steigen wird, heute schon Lügen gestraft, und in wenigen Tragen wird das in allen Bäckerläden der Fall sein.
({11})
Meine Damen und Herren, ich will mich wegen der beschränkten Redezeit nicht allzusehr mit Überlegungen befassen, was es für die innere Festigkeit einer Nation bedeutet, wenn die Bevölkerung mehr und mehr daran gewöhnt wird, Erklärungen und Versprechungen der Regierung nicht allzu ernst zu nehmen, weil sie durch die Tatsachen sowieso widerlegt werden.
({12})
Daß aber hier in einer Angelegenheit, die als ein Vorgehen gegen jede wirtschaftliche Logik von vornherein nicht ernst genommen werden konnte, so viel Kredit der Regierung investiert worden ist, das ist mir ganz besonders unerklärlich, nachdem wir doch in früheren Perioden ausgerechnet von dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, der der Regierung ja auch heute noch angehört, immer wieder Vorlesungen darüber entgegennehmen müssen, wie man sich den wirtschaftlichen Gesetzen zu unterwerfen hat.
Die Bundesregierung hat erklärt: Das Brot wird nicht teurer. Nun, es ist nicht nur schon teurer geworden, sondern einige von uns haben ja gestern Gelegenheit gehabt, von den Vertretern der beteiligten Wirtschaftskreise, des Müllereigewerbes, des Mehlhandels und der Bäckereien, genau zu erfahren, daß jedes Brot, in der bisher üblichen Form und im bisher üblichen Mischungsverhältnis dem Verbraucher angeboten, logischerweise und notwendigerweise teurer w erden muß. Und wer sich darüber klar ist, daß allein bei dem Anteil des Getreides, das aus der inländischen Erzeugung stammt, eine Verteuerung von im Augenblick noch 60 Mark pro Tonne verkraftet werden muß, kann sich gar nicht darüber wundern, wenn die Beteiligten ihre Rechnung so aufmachen.
Nun haben wir gestern etwas erlebt, was ich - es ist hoffentlich kein unparlamentarischer Ausdruck - wirklich nur einen Dreh nennen kann, als der Versuch gemacht wurde, das der Bevölkerung gegebene Versprechen, der Brotpreis werde nicht steigen, nun auch zu realisieren.
({13})
({14})
- Ja, ich habe „einen Dreh" gesagt, und ich hoffe, daß es nicht allzu unparlamentarisch gewesen ist. Als nämlich gesagt wurde, daß der Brotpreis nicht steigen wird, hat man das draußen ernst genommen, ich muß schon sagen: leider ernst genommen; denn das Versprechen konnte sowieso nicht gehalten werden. Wenn man jetzt den Leuten erklärt, daß das Brot zwar den gleichen Preis haben wird, daß es aber eine für den Verbraucher mindere Qualität haben wird, dann, meine Damen und Herren, kann ich eine solche Maßnahme nicht anders als einen Dreh bezeichnen.
({15})
Ich frage bei dieser Gelegenheit noch einmal: Was soll aus der inneren Sicherheit einer Nation werden, deren Regierung ihre Versprechen auf eine solche Weise einzulösen probiert?
({16})
- Ja, bitte, ich will gern darauf eingehen. Es ist natürlich sehr einfach und sehr naheliegend, zu sagen, daß das dunklere Brot sowieso viel gesünder ist
({17})
und daß vielleicht das ursprüngliche Roggenschrotbrot das allergesündeste für das Volk ist.
({18})
In einem Augenblick aber, in dem man nur die Ärmsten der Armen zu diesem Brot zwingt, während alle anderen auch weiterhin in der Lage sein dürften, das „ungesunde" Weizenbrot zu essen, sollte man bestimmt nicht mit diesem Argument der „Volksgesundheit" operieren.
({19})
Es ist dann doch zu naheliegend, daß demnächst einer sagt, die Margarine sei gesundheitsschädlich und müsse deshalb verteuert werden.
({20})
Die Sache ist wirklich zu ernst, und es sollte niemand versuchen, um die Tatsache einer Brotpreiserhöhung damit herumzureden, daß das Brot zwar schlechter, aber damit gesünder geworden sei. Das würde Ihnen kein Mensch draußen abnehmen. Im übrigen sind sich alle Beteiligten klar darüber, daß das, was in der Richtung versucht worden ist, auch nur, wie es einer der Sachverständigen ausdrückte, eine Tarnung ist.
Für drei Monate will die Regierung den Getreidepreis um 60 Mark erhöhen, ihn auf 320 DM festsetzen. Wir haben hier keine Agrardebatte, und es ist nicht meine Aufgabe, mich mit diesem Getreidepreis und mit seinen Auswirkungen auf die Agrarpolitik in Deutschland auseinanderzusetzen. Für drei Monate will also die Regierung auf dieser Basis den Preis für ein Brot kalkulieren, das aus anderen Mehltypen und in einem anderen Verhältnis der Mischung von Weizen und Roggen hergestellt wird, als es bisher üblich war.
Wir werden also nun die merkwürdige Situation erleben, daß dieser Preis nur für ein Brot gilt, das aus deutschem Mehl gebacken ist; denn wir wissen aus dem Munde dessen, der es am besten wissen muß, daß höchstens noch für vier bis sechs Wochen aus irgendwelchen übriggebliebenen Haushaltsresten die Mittel zur Verfügung stehen, um das Auslandsgetreide auf diesen deutschen Preis herunterzubringen. Was nachher geschehen soll, weiß kein Mensch.
Es scheint mir unsere dringende Aufgabe zu sein, an dieser Stelle vor jeder Illusion und vor diesem
Einheitsbrot zu warnen, vor diesem Brot, das ich am liebsten ein Wunschbrot nennen möchte, weil es auf Wunsch der Bundesregierung - zunächst allerdings nur theoretisch - entstanden ist, damit sie ihre Versprechen halten kann.
({21})
In dem Augenblick, in dem etwa das Getreide aus der deutschen Erzeugung nicht im nötigen Umfang auf den Markt kommt - vielleicht aus irgendwelchen Spekulationen heraus, vielleicht weil es so naheliegend ist, bis nach Ablauf der fünf oder sechs Wochen zu warten, für die noch Ausgleichsmittel zur Verfügung stehen - und der Inlandspreis sich nach den Marktgesetzen richtet und vor allen Dingen in der freien Wirtschaft den sehr wesentlich höheren Auslandspreisen angepaßt wird, wird sich niemand mehr an sein Versprechen gebunden fühlen, dann noch Brot zu diesen Preisen auf den Markt zu bringen.
Man hat den Versuch gemacht, die eine Schwierigkeit mit der anderen zu verkoppeln, und wir haben in unserer Interpellation auch das zweite Thema angesprochen. Ich weiß nicht, wie man die Leute bezeichnen soll, die es unternommen haben, der Landwirtschaft einzureden, man könne ihren Butterabsatz dadurch steigern, daß man ausgerchnet die Margarine mit einer Steuer belege. Daß das ein unsinniges Verfahren wäre,
({22})
und zwar nicht nur hinsichtlich der Landwirtschaft, sondern vor allen Dingen auch hinsichtlich der Menschen, hinsichtlich der breiten Schichten, die in der Margarine die einzige Fettquelle haben,
({23})
hat zu Anfang der Debatte sogar die Bundesregierung eingesehen und hat durch ihren Sprecher erklären lassen, daß sie keiner Maßnahme zustimmen würde, die einer weiteren Verbilligung der Margarine Schwierigkeiten in den Weg legen könnte.
({24})
Sie erinnern sich wahrscheinlich noch an jene Ausgabe der „Welt", die als Schlagzeile brachte „Verbilligung der Margarine - hat der Sprecher der Regierung mitgeteilt". Vor jeder der jetzt hinter uns liegenden Wahlen ist diese Mitteilung wiederholt worden.
({25})
In absehbarer Zeit sind offenbar keine Wahlen. Jetzt wissen wir, daß in der nächsten Woche eine Vorlage der Regierung erscheinen wird, mit der nun doch eine Belastung der Margarine durchgeführt werden soll.
({26})
- „Ohne daß eine Verteuerung eintritt", höre ich schon. Diejenigen, die das Vergnügen hatten, im Unterausschuß für Margarine die Leute zu hören, auf deren Urteil es mir hier mehr ankommt, nämlich die Herren, die die Margarine machen,
({27}) wissen, daß es keinen Zuschlag zur Margarine gibt, der sich nicht im Preis auswirken müßte.
Es ist hier mit einem merkwürdigen Begriff operiert worden. Man hat gesagt: über den Höchstpreis können wir nicht hinweg. Nun weiß allerdings, meine Herren, jeder, daß die Margarine längst unter diesen Höchstpreis gegangen ist und daß es, wenn
({28})
der Preis nun wieder an den Höchstpreis herangebracht wird, eine Verteuerung der Margarine bedeutet,
({29})
daß es eine Verteuerung des Nahrungsmittels bedeutet, das - leider! - die Fettquelle für Millionen von Menschen geworden ist, die ja nicht deswegen von der Butter zur Margarine übergegangen sind, weil ihnen die Margarine besser schmeckt, oder weil sie nichts von den höheren Ernährungswerten der Butter wissen, sondern weil sie sich ganz einfach nach ihrem Portemonnaie richten müssen, in das auch dann nicht mehr hineinkommen wird, wenn man die Margarinesteuer erhebt.
({30})
Meine Damen und Herren, ich mache noch auf eines aufmerksam: hier wird geradezu leichtfertig etwas unternommen, womit wir eine Kluft in unserem Volk aufreißen, die wir uns gar nicht leisten können.
({31})
Ich sage das mit allem Nachdruck zu den Damen und Herren, die glauben, daß es ihre besondere Angelegenheit sei, die Interessen der Landwirtschaft zu vertreten. Es hat sich ja inzwischen schon herumgesprochen, daß und in welchem Umfang die Landwirtschaft, insbesondere für ihre Veredelungsprodukte, auf das Verständnis der Verbraucher und auf deren Geldbeutel angewiesen ist.
({32}) Bisher haben sich an der Aufbringung der Subventionen für den Kunstdünger alle beteiligen müssen. Durch die Politik der Regierung, die auf der einen Seite die Subventionen wegnimmt, damit den Brotpreis hochtreibt und auf der anderen Seite die Margarine besteuert, sollen nun die Mittel wenigstens in etwa hereingebracht werden, die man bei der großen Einkommensteuerreform für unseren Geschmack ein bißchen zu vorzeitig verschenkt hat.
({33})
Nachdem diese Situation eingetreten ist, wird der Versuch gemacht, daß z. B. die Mittel für die Verbilligung des Kunstdüngers nicht mehr von allen Steuerzahlern aufgebracht werden, sondern diese Aufgabe ausgerechnet dem ärmsten Teil der Bevölkerung, denjenigen Schichten übertragen wird, die Margarine essen müssen, weil sie keine andere Fettquelle haben.
({34})
Ich rate Ihnen und bitte Sie sehr darum, sich genau zu überlegen, welche Situation entsteht, wenn auch nur einer mit Recht sagen kann: Unsere Margarine ist teurer geworden, damit für den Bauern der Kunstdünger billig bleibt.
({35})
- Es ist aber so einfach. Für denjenigen, der die Zahl seiner Stullen beschränken muß, weil sein Einkommen mit der Erhöhung des Brotpreises nicht steigt, und der in Zukunft dieses Brot noch dünner bestreichen muß, weil es eben nunmehr Millionen Menschen gibt, die nicht mit dem Groschen, sondern mit dem Pfennig rechnen müssen, für den ist das Problem noch sehr viel einfacher.
Meine Damen und Herren! Der gesamte Ernährungsausschuß hat einmal den Standpunkt vertreten, daß die Subventionen aufrechterhalten werden müssen, wenn der gegenwärtige Brotpreis und alle damit im Zusammenhang stehenden Aktionen aufrechterhalten bleiben sollen. Wir Sozialdemokraten haben, um die Geschichte in Gang zu bringen, schon
am 23. Juni den Antrag gestellt, den Sie hier auf Drucksache Nr. 1083 finden und den ich auch noch kurz zu begründen habe, der Bundestag möge beschließen, die Regierung solle auch in Zukunft die Subventionen wieder im alten Umfang zur Verfügung stellen. Wir akzeptieren - das darf ich Ihnen schon von vornherein sagen - keineswegs den Gesichtspunkt: Dazu haben wir kein Geld. In einem vernünftigen Staatswesen sollte man umgekehrt verfahren, als man hier offenbar vorgegangen ist. Da soll man sich zunächst einmal Klarheit über die sozialpolitischen Aufgaben verschaffen, die man zu erfüllen hat, und danach soll man dann berechnen, wieviel Steuern man einnehmen muß. Wenn man uns heute sagt: Wir haben kein Geld mehr, dann werden wir uns nie davon abhalten lassen, darauf hinzuweisen, wo das Geld geblieben ist, das heute fehlt, um diese Dinge machen zu können.
({36})
- Nicht nur in Bonn.
Meine Damen und Herren! Es sind Tatsachen geschaffen worden, die unserer Meinung nach schnellstens korrigiert werden müssen, und es muß im vornherein - dazu ist heute die letzte Gelegenheit - verhindert werden, daß neue Tatsachen geschaffen werden, zum Beispiel die Einführung der Margarinesteuerbelastung. Ob das nun Fettsteuer oder Margarinesteuer oder Margarineausgleichsabgabe heißt, spielt keine Rolle, in jedem Fall wird der Verbraucher den vollen Betrag dafür zu zahlen haben. Und heute können wir das noch abwenden. Wir können es dadurch abwenden, daß wir in der im Antrag Drucksache Nr. 1083 vorgeschlagenen Form beschließen und die Regierung auffordern, dafür Sorge zu tragen, daß alle Maßnahmen, die zum Schutze der Konsumenten und der Produktion bisher durchgeführt worden sind, auch in Zukunft weiter durchgeführt werden.
Meine Damen und Herren! Wenn hier etwa der Vorschlag gemacht werden sollte, den Antrag Nr.
1083 einem Ausschuß zu überweisen, dann müssen
meine Freunde und ich in diesem Beschluß schon einen Beschluß über den Antrag sehen.
({37})
Dann bedeutet die Verweisung an den Ausschuß schon eine Billigung der Regierungspolitik, die heute den Brotpreis erhöht hat und die morgen den Preis für die Margarine erhöhen wird. Es ist sehr leicht zu sagen: Das sind nur Pfennige, dafür wird ja anderes billiger. Wer die Weltsituation und ihre Entwicklungen kennt, der wird sich über die weitere Verbilligung von allen möglichen Dingen seine Gedanken machen können. Aber weil wir unter uns Millionen Menschen haben, die in Ihrem Budget auch nicht die kleinste Reserve mehr aufweisen, die sofort hier abstreichen müssen, wenn sie da etwas mehr aufzuwenden gezwungen sind, darum ist es besonders wichtig.
Ich sage Ihnen von dieser Stelle mit allem Ernst, im Bewußtsein der ganzen Tragweite dieser Worte: Für die Gewerkschaften ist der Weg nun frei, etwas zu tun, was bisher von allen Beteiligten für sehr unzweckmäßig und gefährlich gehalten worden ist,
({38})
mit den Mitteln der Lohnforderung ein Äquivalent für das zu schaffen, was den noch arbeitenden Menschen durch die Politik dieser Regierung, durch Verteuerung des Brotes und der Margarine weggenommen wird.
({39})
({40})
Das muß nicht so sein. Hier gehts um keine Zwangsläufigkeit. Diese gefährliche Entwicklung ist aufzuhalten, wenn auch wir in Deutschland uns zur Fortführung eines Systems entschließen, das - wie gesagt - in anderen Ländern mit einer unvergleichlich glücklicheren sozialen Schichtung bis zum heutigen Tage mit dem Erfolg durchgeführt wird, daß das Weizenbrot in England etwa die Hälfte von dem kostet, was in Deutschland dafür bezahlt werden muß.
Dieser innere Ausgleich, meine Damen und Herren, ist auch in Deutschland möglich, wenn wir es wollen. Falls wir es wollen, dann beschließen wir im Sinne des Antrags Drucksache Nr. 1083! Dann beschließen wir es hier im Bewußtsein der politischen Verantwortung, die wir alle miteinander tragen. Wenn wir es nicht wollen, wenn wir die Politik der Regierung wollen, dann müssen wir auch - oder ich will es ganz genau sagen -, dann müssen Sie alle die Gefahren und Konsequenzen wollen, die sich aus dieser Entwicklung notwendigerweise ergeben.
({41})
Machen Sie aber bitte nicht mehr den Versuch, den Verbrauchern nun zu sagen: Die Margarine wird ja gar nicht teurer, weil der Höchstpreis schon längst unterschritten ist. Machen Sie bitte auch nicht den Versuch, den Leuten zu sagen: Euer Brot sieht zwar schwärzer aus - gestern wurde gesagt, etwas heller als das sogenannte Kommißbrot -, aber dafür ist es auch gesünder, während alle, die auf ein so gesundes Leben offenbar keinen Wert legen, sich nach wie vor die Freude machen können, ein Brot zu essen, das ihnen schmeckt. Schicken Sie die armen Menschen nicht auf ein Brot los, das sie nehmen müssen, weil etwas anderes in diesem Staat für sie nicht mehr geboten wird.
({42})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wie sind denn die Subventionen entstanden?
({0})
- Es ist doch aber ganz wesentlich! Denn ich muß feststellen, daß sehr viel von Subventionen gesprochen wird, der Begriff vielfach aber nicht mit der entsprechenden Klarheit erfaßt wird.
({1})
Wir hatten lange Zeit die Möglichkeit, das, was uns
die USA lieferten, zu den in Deutschland gültigen
inländischen Preisen zu bezahlen. Mit Brief vom
20. Januar 1949 haben die beiden Militärgouverneure mitgeteilt, daß ab 1. Mai 1949 der Gegenwert
der gelieferten Ware von Deutschland zum Weltmarktpreis bezahlt werden müsse, und zwar zu
dem damaligen Umrechnungskurs von 0,33. Damit
zwar der Wirtschaftsrat vor eine sehr wichtige Entscheidung gestellt. Es gab zwei Lösungsmöglichkeiten: Entweder man wollte die dadurch entstehenden Auswirkungen der Weltmarktpreise auf die
inländischen Preisverhältnisse sich voll entfalten
lassen, und damit wäre natürlich ein Ingangsetzen
der Lohn-Preis-Spirale unvermeidlich gewesen,
oder man fing die Differenz zwischen den inländischen und den Weltmarktpreisen ab. Die Parteien des Wirtschaftsrates haben sich damals für die Subventionen entschieden. Infolgedessen ist von seiten des Vereinigten Wirtschaftsgebietes und nach Gründung der deutschen Bundesrepublik von seiten des Bundes für die Zeit vom 1. März 1949 bis zum 30. Juni 1950 an Subventionen eine Bruttoaufwendung von insgesamt 858 Millionen DM erfolgt. Der Herr Bundesminister der Finanzen hatte sich bereit erklärt und dafür auch die Zustimmung des Bundesrats und des Bundestags erhalten, über das Etatsjahr 1949/50 hinaus auch für den Zeitraum bis zum 1. Juli 1950 noch Subventionen zu zahlen.
Was nun die Auswirkungen der Subventionen anlangt, so ist es, glaube ich, ganz interessant, sich einmal darüber zu unterhalten. Die Subventionen sind solche für den Verbraucher und solche für den Erzeuger. Für den Verbraucher kam natürlich vor allem die durch die Subventionen erwirkte Stabilisierung des Brotpreises in Betracht. Zunächst waren die Aufwendungen sehr hoch. Denn wir mußten die sogenannten Kontraktpreise bezahlen. Das sind die Auslagen, die das amerikanische Kriegsministerium bei den Aufwendungen für Weizen für Deutschland gemacht hatte. Das waren zunächst 110 Dollar, die auf 101 Dollar heruntergingen und sich schließlich auf 96 Dollar die Tonne beliefen. Nachdem am 10. März 1950 die deutsche Bundesrepublik in den internationalen Weltweizenpakt aufgenommen worden war, hat sich diese Differenz, die herab-geschleust werden muß, erheblich verringert. Denn wir haben bekanntlich auf Grund des Paktes das Recht, das ausländische Getreide zu einem Höchstpreis von 80 Dollar je Tonne abzunehmen. Wir haben in diesem Zeitraum - ich muß immer von fünf Vierteljahren sprechen - ungefähr 400 Millionen DM an Subventionen aufgewendet.
Nun zum Futtergetreide. Hier bin ich der Meinung, daß das eine Subvention ist, die sowohl dem Verbraucher, als auch dem Erzeuger zugute kam, und zwar aus folgendem Grunde. Sobald wir in der Lage waren, durch die Subventionen dem deutschen Landwirt loco Hof das Futter zu 210 DM je Tonne zu liefern, konnte er auch an den dann tatsächlich erfolgten raschen Wiederaufbau der deutschen Schweinebestände herangehen. Wir sind ja heute mit unserem Schweinebestand nur mehr um 18 % hinter dem Frieden zurück. Dadurch trat zweierlei ein: Einmal verschwanden sehr bald die überhöhten Preise für Schweine von 220 DM je Zentner Lebendgewicht und sanken in den Wochen des Juli auf eine Basis von ungefähr 95 bis 100 DM im Durchschnitt der 27 großen deutschen Schlachtviehmärkte. Der Verbraucher kam dadurch in die Lage, wiederum zu den alten Lebensgewohnheiten zurückzukehren und den größten Teil seines Eiweißbedarfes durch Fleisch zu decken. Wenn Sie heute zum Beispiel in Bonn die Läden besichtigen, dann werden Sie feststellen, daß Schweinefleisch zu 1,40 bis 1,70 DM je Pfund im Kleinverkauf abgegeben wird.
Wir mußten auch für Zucker teilweise Subventionen geben. Das war allerdings nur zeitlich notwendig. Vor der Pfundabwertung schöpften wir bei Zucker sogar ab. Durch die Pfundabwertung gestaltete sich aber der Weltmarktpreis für Zucker um ungefähr 3 bis 4 DM je Sack - also für den Doppelzentner - höher als der inländische Preis, so daß hier eine Subventionierung von ungefähr drei Millionen DM erforderlich wurde.
Nunmehr komme ich zu den Subventionen, die eigentlich hauptsächlich für die Erzeuger Bedeutung haben. Man hat zunächst die inländischen
({2})
Ölsaatpreise, die für das Jahr 1948 eingeführt waren, entsprechend dem seinerzeitigen Beschluß des Wirtschaftsrats, auch noch im Jahre 1949 festgehalten, so daß der Erzeuger 900 DM je Tonne inländischen Rapses erhielt. Das erforderte eine Subventionierung, die im Jahre 1949 rund 51 Millionen DM betrug. Ich möchte aber ausdrücklich betonen, daß diese Subventionierung der im Inland erzeugten Ölsaaten bereits im laufenden Wirtschaftsjahr nicht mehr stattfindet.
Wir haben weiter die aus dem Auslande hereinkommenden Ölkuchen subventioniert. Das ist allerdings ein Betrag, der 20 Millionen DM nicht überschreitet.
Sehr bedeutsam ist dagegen die Frage der Subventionierung der Düngemittel, insbesondere der Phosphate. Die Lage ist Ihnen bekannt. Wir haben zur Deckung des Phosphorsäurebedarfs des Bodens in Friedenszeiten ungefähr zwei Drittel aus der Industrie in Form des Thomasmehls und ein Drittel in Form des Superphosphats gehabt, das wir aber in Form von Rohphosphaten einführen müssen.
Bezüglich der Subventionierung des Thomasmehls ist nun vor vier Wochen insofern eine Lösung erfolgt, als der Deutsche Bauernverband mit der Industrie das Abkommen getroffen hat, daß er bereit ist, das Kiloprozent Phosphorsäure in Zukunft statt bisher mit 28 mit 33 Pfennig zu zahlen. Es bleibt für die Subventionierung beim Thomasmehl noch übrig das aus dem Ausland, vor allem aus Luxemburg und Belgien, hereinkommende Material, das aber nur ungefähr ein Achtel des im Inlande anfallenden Thomasmehls beträgt und das ungefähr einen Kostenaufwand von rund 8 Millionen DM bei der Subventionierung verursacht.
Ganz anders liegen die Verhältnisse bei dem anderen Teil der Versorgung der deutschen Böden mit Phosphorsäure, bei dem Superphosphat. Die wenigen innerdeutschen Phosphatvorkommen, die wir hatten, sind im ersten und dann im zweiten Weltkrieg - ich erinnere nur an das Amberger Vorkommen - vollkommen abgebaut worden. Abbauwürdige Rohphosphatvorkommen haben wir heute in Deutschland nicht mehr. Wir sind infolgedessen auf den ausländischen Bezug angewiesen, insbesondere von Französisch-Marokko, teilweise von Florida.
Die Rohphosphatpreise auf dem Weltmarkt haben sich fast verdoppelt, und infolgedessen ist das Superphosphat, das durch Einwirkung. von Schwefelsäure auf Rohphosphat in Deutschland hergestellt wird, subventioniert worden. Das hat einen Aufwendungsbedarf von rund 80 Millionen DM gezeitigt.
({3})
- Darauf komme ich schon; Sie werden gleich bedient.
Nun, meine Damen und Herren, war es möglich, durch die Abschöpfung - ({4})
- Passen Sie auf, dann lernen Sie was! - ({5})
Nun war es möglich, Abschöpfungen bei den Importen, deren Weltmarktpreise unter den deutschen Preisen lagen,
({6}) und zwar in dem genannten Zeitraum insgesamt K 162 Millionen, vorzunehmen, so daß ein Nettosubventionsbedarf in den 5/4 Jahren von rund 700 Millionen sich ergab, der aufs Etatjahr gerechnet ungefähr 560 Millionen ausmacht.
Der Herr Bundesfinanzminister hat bereits vor längerer Zeit erklärt, daß es ihm nicht mehr möglich ist, eine weitere Fortführung der Subventionen zu gewähren. Infolgedessen beschäftigte sich der Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft des Bundestages mit der Frage, ob eine andere Quelle für die Bezahlung der Subventionen gefunden werden könnte. In seiner Sitzung vom 21. Juni beschloß er mit 17 gegen 10 Stimmen, daß in dem Entwurf des Milch- und Fett-Gesetzes neben der Einfuhrstelle für Butter-, Schmalz- und Margarinerohstoffe die Ermächtigung zur Erhebung der Margarineausgleichsabgabe geschaffen wird.
({7})
- Darauf komme ich schon! Langsam!
Das Kabinett - da haben Sie jetzt meine Antwort - hat in seiner Sitzung vom Dienstag, dem 7. Juli, dem von mir vorgelegten Entwurf einer Anordnung über die Erhebung einer Ausgleichsabgabe für Margarine zugestimmt.
({8})
Sie unterscheidet sich insofern vom Fettgesetz des Jahres 1933, als sie zeitlich begrenzt ist, und zwar auf drei Monate, während es sich bei dem Gesetz vom Januar 1933 um eine Dauerregelung handelte, die sieben Jahre in Kraft war und bekanntlich im Jahre 1940 durch eine Verordnung lediglich vorübergehend außer Kraft gesetzt wurde. Und sie unterscheidet sich insofern von dem alten Fettsteuergesetz, als nicht mehr 50 Pfennig je Kilogramm Margarine, sondern 25 Pfennig vorgesehen sind.
Die derzeitigen Höchstpreise für Margarine -und damit komme ich zu den Ausführungen von Herrn Abgeordneten Kriedemann - sollen trotz der Ausgleichsabgabe nicht erhöht werden. Das ist möglich aus folgendem Grund: Im Jahre 1940 wurde bekanntlich ein sogenanntes Verrechnungskonto für die Öl- und die Margarineindustrie eingeführt. Der Zweck des Verrechnungskontos bestand darin, den Margarinefabriken den Grundstoff zu einem einheitlichen Preise zu liefern, ganz gleich, wie die Einstandskosten sind. Sie differieren außerordentlich. Ich darf hier nur an die Preisdifferenzen zwischen dem wertvollen Soja- und dem weniger wertvollen Fischöl erinnern. Im Laufe dieser 10 Jahre ist in dem Verrechnungskonto dann wiederholt eine Hinaufstufung erfolgt, und in der letzten Zeit lieferte das Verrechnungskonto den Margarinefabriken den Grundrohstoff um 178,50 DM. Bei Auflösung des Verrechnungskontos und nach Aufhören des Importausgleichsgesetzes, das bekanntlich am 30. Juni dieses Jahres außer Kraft trat und nicht mehr verlängert wurde, tritt nun eine sehr erhebliche Verringerung der Gestehungskosten mit ungefähr 130 bis 132 DM je Doppelzentner Grundstoff gegenüber den vorher von mir genannten 178,50 DM ein.
Richtig ist, daß von gewissen Margarinefabriken, die sich auf illegalem Wege um die Entrichtung der Importausgleichsabgabe drückten, Margarine geringerer Qualität teilweise auch zu billigeren Sätzen, als es die Höchstpreise sind, zum Verkauf gebracht wurde.
({9})
({10}) Nicht regelmäßig,
({11})
erst in den letzten Wochen, und zwar nur bei den schlechteren Qualitäten! Man muß doch die Tatsachen so bringen, wie sie sind.
Es schweben zur Zeit Verhandlungen mit den Margarinefabriken, daß auch gegenüber der tatsächlichen Preisgestaltung keine Anderungen durch die geplante Margarineausgleichsabgabe eintreten. Der Betrag einer solchen einzuführenden Margarineausgleichsabgabe läßt sich mit Bestimmtheit schwer von vornherein schätzen. Es dürfte sich aber um ungefähr 100 bis 120 Millionen DM pro Jahr handeln. Bei drei Monaten würde also voraussichtlich ein Anfall von rund 25 Millionen DM aus dieser Quelle eintreten.
Um das ausländische Brotgetreide herabzuschleusen, ist für die in Betracht kommenden drei Monate ungefähr der gleiche Betrag - man kann ja die Entwicklung auf dem Weltmarkt heute nicht mit Sicherheit überblicken - von 20 Millionen notwendig, so daß allerdings für andere Subventionsbestrebungen, insbesondere auf dem Gebiete der Superphosphate, nur mehr ein sehr bescheidener Überschuß übrigbliebe.
Eine Subventionierung von Futtergetreide ist nicht mehr geplant. Vielmehr soll ausländisches Futtergetreide zum jeweiligen Einstandspreis cif deutscher Nordseehäfen bzw. Mühlenhäfen abgegeben werden. Nach den Mitteilungen, die Herr Professor Baade in der letzten Sitzung des Ernährungsausschusses machte und die ihm anscheinend von drüben zugekommen sind, besteht heute tatsächlich die Möglichkeit - Herr Professor, wenn ich recht verstanden habe -, Milokorn zu ungefähr 200 bis 205 DM cif deutschen Hafens zu erwerben.
({12})
Die durch die Eingänge der Margarineausgleichsabgabe für die Herabschleusung des ausländischen Getreides notwendigen Subventionsbeträge ermäßigen sich deshalb sehr erheblich, weil ja nicht mehr herabgeschleust zu werden braucht - ich bleibe jetzt beim Weizen - auf 260, sondern auf 320 DM je t. Der für Subventionierungen aufzuwendende Betrag würde, falls die alten Preise bestehen blieben, sich je t um 60 Mark erniedrigen.
Die Bundesregierung hat beschlossen - die Vorlage ist vom Bundesrat bereits genehmigt und geht dem Bundestag in den nächsten Tagen zu -, eine Erhöhung der inländischen Brotgetreidepreise bei Weizen von 260 auf 320, bei Roggen von 240 auf 280 vorzunehmen. Meine Damen und Herren! Der Preisindex des deutschen Brotgetreides beträgt zur Zeit 123 bis 124 % des Friedensstandes.
({13})
Nennen Sie mir bitte mit Ausnahme der Wohnungswirtschaft
({14})
einen Teil der deutschen Wirtschaft, der sich mit einem solchen niedrigen Preisindex begnügen muß.
({15})
Wir haben ja auch schon die Quittung dafür bekommen. Es ist gegenüber dein Frieden eine Verringerung der deutschen Anbaufläche an Brotgetreide von 450 000 ha eingetreten. Das sind 16 % Minderung.
({16})
- Ja, Getreidebau, verehrter Herr Abgeordneter Mellies, ist eigentlich keine Intensivierung. Unter Intensivierung verstehen wir etwas ganz anderes. Der Weg zur Intensivierung geht über den intensiven Hackfruchtbau. Infolgedessen können Sie nicht ohne weiteres den Getreidebau als intensiven Betrieb betrachten. Aber wir haben ihn nötig, denn das Jahr 1952 steht doch vor der Türe, und dann rollt der Dollar nicht mehr in dem Umfang. Und ob wir dann aus Handelsverträgen ohne weiteres die benötigten Mengen von Weizen hereinbekommen, das steht noch in den Sternen. Infolgedessen verlangt doch eine verantwortungsvolle Führung der Agrarpolitik, daß wir offensichtliche Mängel in der Preisstruktur korrigieren.
({17})
Wir haben auch von seiten der Alliierten die Aufforderung bekommen, hier nach dem Rechten zu sehen.
({18}) - Na ja, aber wenn sie auf der anderen Seite, Herr Professor Baade, uns 50 % des benötigten Brotgetreides liefern, dann sind sie doch berechtigt - und Sie werden mir das nicht bestreiten können -, zu sagen: Tut auch ihr das Eurige, um die deutsche Brotgetreideproduktion entsprechend in die Höhe zu bringen. Deshalb, Herr Professor Baade, steht in dem berühmten Memorandum vom 7. Februar 1950, das doch in der ganzen deutschen Presse so sehr beachtet wurde. wörtlich: „Der an die Erzeuger von Brotgetreide gezahlte Preis muß unverzüglich überprüft werden". Bei den mündlichen Besprechungen, die sich an dieses Memorandum droben auf dem Petersberg geknüpft haben, stellten die Hohen Kommissare das Verlangen, daß wir sofort mit den Brotgetreidepreisen in die Höhe gingen. Die Bundesregierung hat damals nach reiflicher Überlegung dieser Aufforderung der Alliierten nicht Folge geleistet, weil es bekanntlich außerordentlich schwierig ist, innerhalb eines Wirtschaftsjahres die Getreidepreise zu ändern. Sie hat sich aber verpflichtet gefühlt, das nunmehr in die Wege zu leiten.
Die Bundesregierung vertritt die Auffassung, daß keine Veranlassung besteht, auf Grund dieser Erhöhung der inländischen Brotgetreidepreise Brotpreiserhöhungen vorzunehmen, solange dem Bäckergewerbe noch das Mehl zu den alten niedrigen Sätzen zur Verfügung steht.
({19}) Bezüglich der Brotgetreidepreisbildung in der Zukunft vertritt sie folgende Auffassung. Wir haben doch bisher Höchstpreise für Brot. Tatsächlich haben die Bäcker - ich will sagen, im letzten halben Jahre - von dieser Ermächtigung eigentlich in vielen deutschen Städten nicht mehr Gebrauch gemacht. Warum? Gegenüber den 11 bis 12 kg Brot, die der Deutsche in der Zwangswirtschaft pro Monat aß, ist nach unsern Feststellungen der Brotkonsum heute auf 8,2 bis 8,5 kg zurückgegangen. Damit begann für die Bäcker die Notwendigkeit, sich um den Kunden zu bemühen; und ich habe die feste Überzeugung, daß diese Einwirkung der freien Wirtschaft sich auch in der Zukunft, wenn das jetzige Zwischenspiel vorbei ist, weiter auswirken wird.
Wir müssen allerdings dazu etwas anderes tun, und darin muß ich den Bäckern bis zu einem gewissen Grade recht geben. In der Konzeption des Getreidegesetzes waren ursprünglich Festpreise für Mehl vorgesehen. Und nun sagen die
({20})
Bäcker - und ich wiederhole, nicht ganz mit Unrecht -, man müsse natürlich ihren Arm stärken, damit sie auch die bestmögliche Gelegenheit zum Einkauf von Mehl hätten. In der letzten Sitzung des Ernährungsausschusses des Bundestages sind die Anschauungen darüber noch auseinandergegangen, ob man bei den Festpreisen für Mehl bleiben oder zu Höchstpreisen oder zu vollkommen freien Preisen für Mehl übergehen soll.
Nun hat sich gestern auf Veranlassung des Herrn Abgeordneten Etzel, des Vorsitzenden des Wirtschaftsausschusses des Bundestages, ein Komitee aus Mitgliedern des Wirtschaftsausschusses und des Ernährungsausschusses mit der Aufgabe gebildet, diese Brotpreisfrage auch vom Parlament aus entsprechend zu bearbeiten und zu beeinflussen. Gestern nachmittag um 2 Uhr hatten wir das Bäckerhandwerk und die Mühlen sowie den Mehlhandel zu einer Sitzung in das für Preisbildung zuständige Wirtschaftsministerium bestellt. Gestern abend um 7 Uhr nahm der vorher von mir genannte Unterausschuß oder gemeinsame Ausschuß, wie man ihn nennen will, seine Arbeit auf und bekam dabei auf Grund einer dreistündigen Besprechung von den Vertretern der drei genann ten Interessentengruppen folgende Erklärung übermittelt. Herr Präsident, ich bitte, das verlesen zu dürfen.
Dem Vorschlag sind zugrunde gelegt die in der Anordnung Preis Nr. 38/50 für die Monate Juli, August und September vorgesehenen Brotgetreidepreise.
Ich betone also, in dieser Präambel erkennen die brotbe- und -verarbeitenden Betriebe expressis verbis den neuen Getreidepreis an.
Ferner ist davon ausgegangen worden, daß ein Konsumbrot in den Verkehr gebracht wird unter Verwendung von Roggenmehl der Type 1350 und Weizenmehl der Type 1600 als Mischbrot in einem den lokalen Verhältnissen entsprechenden Mischungsverhältnis oder als reines Roggenbrot der Type 1350. Das vorgenannte Roggenmischbrot könnte zum Unterschied von anderen Mischbroten als Roggenmischbrot I bzw. Roggenbrot I einheitlich im Bundesgebiet deklariert werden.
({21})
- Warten Sie mal, ich komme ja noch zur Stellungnahme!
Hierzu machen die Vertreter der einzelnen Wirtschaftszweige folgende Vorschläge.
- Damit will ich jetzt die Damen und Herren nicht länger belästigen. In langen Ausführungen erklärt dann jede der drei genannten Sparten, auf welchen Gebieten und in welchem Umfang sie von ihren bisherigen Sätzen heruntergehen will.
Das Kollegium des Wirtschafts- und Ernährungsausschusses hat sich nach Anhörung der Interessenvertreter gestern abend mit diesem Vorschlag befaßt. Die Vertreter des Wirtschafts- und des Ernährungsausschusses, die beide dann der interministeriellen Besprechung beiwohnten, waren der Anschauung, daß mit diesem Vorschlag zwar für eine Brotsorte ein Preis garantiert ist, der auf den alten Getreidepreisen beruht. Sie sind aber nicht befriedigt - und jetzt komm ich auf die Ausführungen vom Herrn Abgeordneten Kriedemann zurück -, weil es sich hier um stärker ausgemahlene Typen handelt, so daß das Brot zwar nicht ernährungsmäßig schlechter, aber dunkler wäre.
({22})
- Na ja, es wird da festgestellt, das ist doch ganz klar!
({23})
Daher gehen heute die Verhandlungen mit den beteiligten Wirtschaftkreisen darüber weiter, daß der bisherige Preis für eine derzeit im Verkehr befindliche Sorte, also unter Verwendung der bisherigen Mehltypen, gehalten wird. Die anderen Brotsorten sowie Torten, Kuchen und Feinbackwerk sollen im Preise frei bleiben.
Das Bundeskabinett hat sich heute mit dieser Angelegenheit befaßt und vertritt den gleichen Standpunkt wie der gemeinsame Ausschuß des Ernähr ungs- und Wirtschaftsausschusses. Zur Stunde wird mit den be- und verarbeitenden Wirtschaftszweigen - ich wiederhole noch einmal - darüber verhandelt,
({24})
daß eine marktgängige, zur Zeit übliche Sorte zum gleichen Preise gegeben wird.
Zusammenfassend, meine Damen und Herren, darf ich folgendes sagen. Wir sprechen über Brutpreis, wir sprechen über Margarinepreis. Das sind sicherlich wichtige Quadern im Aufbau der Lebenshaltungskosten.
({25})
Aber sehen wir einmal auf das ganze Gebäude. Hier darf ich nun doch eine erfreuliche Feststellung machen. Den höchsten Stand hatten die Ernährungskosten im März 1949 mit 174 erreicht. Nach den mir gestern zugegangenen Feststellungen des Statistischen Bundesamtes, Wiesbaden, ist der Ernährungsindex, der, wie gesagt, im März vergangenen Jahres 174 betrug, auf 157 im Juni gefallen, das sind 10 % Mengenmäßig und gutemäßig hat sich die Ernährung der deutschen Bevölkerung in den letzten zwei Jahren außerordentlich gebessert.
({26})
Das steht außer Frage. Es tritt also die Preisfrage in den Vordergrund. Denn das ausreichende Vorhandensein guter Lebensmittel würde ja noch nichts besagen, wenn nicht die Kaufkraft in der Lage wäre, davon Gebrauch zu machen. Die Entwicklung der gesamten Ernährungskosten, die ich eben aufgezeigt habe, beweist, daß im großen und ganzen die Preislage auch für die Verbraucher einigermaßen befriedigend ist.
({27})
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte lediglich zu der Drucksache Nr. 1083 Stellung nehmen.
Der Inhalt dieser Drucksache ist, daß, um eine Preisgestaltung, wie sie gewünscht wird, zu erreichen, die notwendigen Subventionen auf Grund des Art. 111 Abs. 1 c des Grundgesetzes bzw. der §§ 1 bis 3 des Gesetzes über die vorläufige Haushaltsführung für das Rechnungsjahr 1950 zur Verfügung zu stellen sind. Es handelt sich hier um eine Frage, die im Haushaltsausschuß dieses Hohen Hauses wohl noch besprochen werden muß. Ich möchte dazu im voraus folgendes erklären:
Der Antrag benennt hier lediglich die Gesetzesstellen, die eine gesetzliche Ermächtigung geben,
({0})
um Mittel zur Verfügung zu stellen; er benennt irgendeine Möglichkeit, die Mittel zu beschaffen, nicht.
({1})
Dem Hohen Hause dürfte bekannt sein - ich verweise hier auf die Drucksache Nr. 1000, die Denkschrift über die Haushaltslage in Bund und Ländern -, daß die Haushaltslage in und Bund und Ländern eine sehr angespannte ist und daß die Einnahmen des Bundes nicht ausreichen oder kaum ausreichen, um die Ansprüche zu decken, die jetzt schon an ihn herangetreten sind. In dieser Denkschrift ist ausdrücklich darauf verwiesen, daß die Subventionen, die für den Zeitraum vom 1. April bis zum 30. Juni 1950 mit einem Betrag von 290 Millionen DM schätzungsweise eingesetzt sind, nach dem 1. Juli 1950 grundsätzlich nicht mehr weitergeführt werden können, weil Mittel nicht vorhanden sind. Der Antrag benennt nicht irgendeine Möglichkeit, die Deckung für die verlangten Aufwendungen zu finden. Es ist bekannt, daß nach dem Grundgesetz der Haushalt abgeglichen vorzulegen ist. Es ist eine Pflicht nicht nur der Bundesregierung, sondern auch des gesamten Bundestags, diese Verpflichtung des Grundgesetzes einzuhalten. Es geht aus dem Antrag selbst hervor, daß die Mittel für Subventionen auf einem außerordentlichen Weg - also Anleihe, außerordentlicher Etat - natürlich nicht beschafft werden können, weil die Mittel auf diesem Wege nur für werbende Anlagen beschafft werden dürfen und Subventionen, auch bei der weitesten Auslegung dieses Begriffes, nicht als werbende Anlagen betrachtet werden können.
({2})
Ich muß das Hohe Haus darauf verweisen, daß der Bundeshaushalt, wie er Ihnen vorgelegt werden wird - und zwar ohne Subventionen -, nach dem ersten Juli 1950 irgendwelche Reserven nicht enthalten wird. Ich muß heute schon darauf verweisen, daß gegenüber dem Haushalt, wie er jetzt de lege lata - nach der bestehenden Gesetzgebung - aufgestellt worden ist, in Zukunft noch mehr Aufwendungen entstehen werden. Ich brauche nur zu erinnern an das Gesetz Art. 131 des Grundgesetzes, an das Bundesversorgungsgesetz
({3})
und an den endgültigen Lastenausgleich, der in seiner mittelbaren Auswirkung die Haushalte der Länder und des Bundes ebenfalls belasten und treffen wird.
({4})
Diese Ausgaben treten an den Bund neuerdings heran. Derzeit sind irgendwelche Möglichkeiten, aus dem Haushalt, wenn er abgeglichen sein soll, größere Beträge für Subventionen abzuzweigen, nicht vorhanden. Wenn also wirklich der Wille besteht, der Bundesregierung den Auftrag zu geben, die Subventionen beizubehalten
({5})
und die Aufwendungen dafür zu machen, so ist es selbstverständlich, daß sich dann auch die Bundesregierung und der gesamte Bundestag in die Verantwortung teilen müssen, die notwendigen Deckungsmittel zu beschaffen. Es wird unmöglich sein, Aufwendungen zu machen und die Deckungsmittel, die dafür vorgeschlagen werden, abzulehnen, ohne wieder einen neuen Vorschlag zu machen.
Meine Damen und Herren, ich weiß, daß die Erklärungen eines Finanzministers meistens ungern hingenommen werden. Aber bedenken Sie: wir leben nicht in einer Welt, die sich aus Wünschen und Wunschbildern zusammensetzt, wir leben in einer Welt harter Tatsachen.
({6})
Meine Damen und Herren! Wir treten jetzt in die Aussprache ein. Das Wort hat Herr Abgeordneter Dannemann.
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß der Beschluß wegen der Einhaltung der Redezeit schon vorher gefaßt worden ist. 12 Minuten, bitte.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Interpellation Drucksache Nr. 1008 und der Antrag der SPD Drucksache Nr. 1083 befassen sich mit Fragen, die sowohl die Verbraucherschaft als auch die Erzeuger gleich stark interessieren Es ist daher durchaus verständlich, wenn infolge der augenblicklich ungeklärten Verhältnisse eine allgemeine Beunruhigung Platz gegriffen hat. Von jeher ist der Brotpreis ein politischer Preis gewesen, der mit dem ganzen Lohngefüge in direktem Zusammenhang steht. Aus diesem Grunde war es daher auch zweckmäßig und notwendig, daß in der Vergangenheit seitens des Bundes erhebliche Subventionsbeträge für die Einfuhr von Getreide zur Verfügung gestellt wurden, um den Brotpreis der Kaufkraft der Massen der deutschen Bevölkerung anzup assen ; Subventionsbeträge, die, wie wir eben aus dem Munde des Herrn Bundesernährungsministers gehört haben, allein bei Getreide im letzten Jahr einen Betrag von etwa 400 Millionen DM ausgemacht haben.
Nach den soeben gegebenen Erklärungen des Herrn Bundesfinanzministers stehen ab 1. Juli dieses Jahres aus dem Haushalt des Bundes keinerlei Subventionsbeträge zur Verfügung. Durch den Beitritt zum Weltweizenpakt werden wir in der Lage sein, etwa 1,8 Millionen Tonnen Weizen zum Vorzugspreis von rund 320 DM je Tonne zu kaufen. Unser Einfuhrbedarf an Weizen beträgt aber insgesamt 2,4 bis 2,5 Millionen Tonnen. Der Rest wird also von irgendwo sonst in der Welt aufgenommen werden müssen, und zwar zu einem Preise, der höchstwahrscheinlich höher liegen wird als 320 DM je Tonne. Hinzu kommt, daß auch die deutschen Erzeugerpreise in Getreide .den Weltmarktpreisen angepaßt werden müssen. Es handelt sich hierbei nicht - und das möchte ich einmal ganz ausdrücklich betonen - um eine Preiserhöhung, sondern um eine Angleichung an die lang vorenthaltenen Preise. Nicht weniger als rund 200 Millionen DM hat unsere deutsche Landwirtschaft jährlich an Mindereinnahmen dadurch hinnehmen müssen, daß die inländischen Erzeugerpreise für Getreide gewaltsam unter dem Weltmarktpreis gehalten worden sind.
Eine Erhöhung der Getreidepreise wird - das muß bei vernünftiger Überlegung jeder zugeben - naturgemäß auch eine gewisse Erhöhung der Brotpreise nach sich ziehen,
({0})
wenngleich die Angleichung der Getreidepreise auch keineswegs prozentual dieselbe Brotpreiserhöhung nach sich zu ziehen braucht. Denn wir wissen, daß durch bessere Ausmahlung und zweifellos auch durch eine Veränderung der Handels- und Verarbeitungsspanne ein Teil der Brotpreiserhöhung aufgefangen werden kann. Man kann auch
({1})
durchaus der Auffassung sein, daß eine geringe Brotpreiserhöhung tragbar ist, wenn man berücksichtigt, daß der Preisindex für Lebensmittel gegenüber Juli vorigen Jahres durch inzwischen eingetretene Preisrückgänge bei Gemüse, Fleisch, Fett und sonstigen Nahrungsmitteln etwa um 14 % zurückgegangen ist.
({2})
Immerhin erscheint es notwendig, daß Maßnahmen ergriffen werden, die eine Brotpreiserhöhung für die minderbemittelte Bevölkerung nach Möglichkeit ausschalten. Da Haushaltsmittel nicht zur Verfügung stehen, bleibt nichts anderes übrig, als nach irgendwelchen anderen zusätzlichen Einnahmequellen Umschau zu halten, wenn man wirklich ernstlich der minderbemittelten Bevölkerung eine Brotpreisverbilligung zugestehen will. Diese Möglichkeit ist durchaus gegeben. Der Herr Bundesernährungsminister hat bereits darauf hingewiesen, daß infolge des starken Preisrückganges auf den Weltmärkten für Margarinerohstoffe die Margarineindustrie in der Lage ist, bei zollfreier und abgabefreier Einfuhr von Rohstoffen einen Ausgleichsbetrag an den Bund abzuführen, ohne daß deswegen der augenblickliche Margarinepreis auch nur um einen Pfennig erhöht zu werden braucht. Genaue Ermittlungen haben ergeben, daß unter Berücksichtigung der augenblicklichen Rohstoffpreise eine gleitende Abgabe seitens der Margarineindustrie bis zu 50 Pfennig je Kilogramm tragbar erscheint, ohne eine Verteuerung herbeizuführen. Das macht für den Bund eine zusätzliche Einnahme von etwa 270 bis 280 Millionen DM jährlich aus.
Diese Ausgleichsabgabe hat darüber hinaus noch eine sehr wichtige wirtschaftspolitische Bedeutung. 3) Unsere Landwirtschaft in der Westzone steht und fällt auf Grund ihrer kleinbäuerlichen Struktur mit der Veredelungswirtschaft und in erster Linie mit der Rentabilität der Milchwirtschaft. Mit 2 Milliarden DM Produktionswert bringt die Milchwirtschaft etwa 35 % der gesamten landwirtschaftlichen Einnahme überhaupt. Es gibt Gebiete, in denen der Prozentsatz wesentlich höher liegt. Butterpreis und Margarinepreis müssen nun aber einmal in einem bestimmten Verhältnis zueinander stehen, wenn dieser lebenswichtige Zweig unserer Landwirtschaft nicht ernstlich gefährdet werden soll. Und zwar soll das Verhältnis von Butter- zu Margarinepreis 2 zu 1 betragen. Zur Zeit beträgt das Verhältnis 2,6 zu 1. Es besteht die große Gefahr, daß, wenn nicht schleunigst ein gesundes Preisverhältnis wiederhergestellt wird, die gesamte Milcherzeugung einen Rückgang erlebt, der nicht nur unsere gesamte Fettversorgung gefährdet, sondern darüber hinaus die Milchversorgung für Kinder, Kranke, Frauen, ja für die gesamte Bevölkerung ernstlich in Frage stellt.
Ich bin über die Auffassung des Herrn Kollegen Kriedemann außerordentlich erstaunt gewesen, der durchaus in der Lage ist, zu beurteilen, daß man, wenn man die Landwirtschaft stützen will, nicht immer nur Redensarten machen kann, sondern daß auf diesem Gebiet eine praktische Maßnahme durchgeführt werden muß, die uns jetzt seitens der Regierung vorgeschlagen wird. Unterstellt man, daß nicht das gesamte Brotgetreide in Zukunft subventioniert werden soll, sondern nur so weit, als eine Brotverteuerung für die kaufschwache Bevölkerung vermieden werden soll, so ergibt sich, daß dazu jährlich eine Betrag von
etwa 50 bis 60 Millionen DM erforderlich werden wird, der aus dieser Fettausgleichsabgabe abgezweigt werden kann.
Darüber hinaus gibt diese Fettausgleichsabgabe die Möglichkeit, auch der zweiten in dem Antrag der SPD gestellten dringenden Forderung gerecht zu werden; das ist die Subventionierung der Phosphatdüngemittel, jedenfalls soweit es sich um die eingeführten Rohphosphate handelt. Diese Rohphosphate sind in den letzten Jahren auf dem Weltmarkt im Preise derart stark gestiegen, daß die bisherigen Preise nur durch erhebliche Subventionsbeträge seitens des Bundes gehalten werden konnten. Fallen die Subventionsbeträge für die Phosphatdüngemittel in Zukunft fort, so erhöhen sich die Preise für Phosphatdüngemittel um annähernd 100 %. Das wäre ein unmöglicher Zustand. Das würde zwangsläufig zu einer Minderanwendung der Phosphatdüngemittel und damit auch zu einem Minderertrag der gesamten deutschen Ernte führen. Allein ein Rückgang der deutschen Ernte um 10 °/0 erfordert aber auf der anderen Seite einen zusätzlichen Devisenaufwand von rund 1 Milliarde DM. Durch Abzweigung von 70 bis 80 Millionen DM aus der soeben von mir genannten Fettausgleichsabgabe könnte auch dieses Problem, das nicht nur ein landwirtschaftliches Problem, sondern ein außerordentlich wichtiges volkswirtschaftliches Problem ist, spielend gelöst werden. Der dann verbleibende Restbetrag der Fettausgleichsabgabe kann für weitere produktionsfördernde Maßnahmen oder, wenn man will, für soziale Zwecke Verwendung finden.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, die hier vorgebrachten Argumente sind so einleuchtend und müßten auch so überzeugend sein, daß es über die Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme keinen Zweifel mehr geben kann. Es ist aber vollkommen sinnlos, halbe Maßnahmen durchzuführen, die nicht zum Ziel führen können. Wenn etwa, wie wir soeben gehört haben, das Kabinett sich mit dem Gedanken trägt, eine Ausgleichsabgabe nur auf die Dauer von einem Vierteljahr durchzuführen, oder wenn das Kabinett darüber hinaus, wie wir aus der Presse entnommen haben, beabsichtigt, eine Ausgleichsabgabe von nur 25 Pfennig zu erheben, so ist das weiter nichts als eine augenblickliche Beruhigungspille, die praktisch weder dem Verbraucher noch der Landwirtschaft zugute kommen kann. Eine Befristung auf die Dauer eines Wirtschaftsjahres ist das Mindeste, was verlangt werden muß.
({3})
Ich möchte daher zum Schluß bitten, den vorliegenden Antrag der SPD, weil nach der Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers aus dem Haushalt Gelder nicht zur Verfügung gestellt werden können, in dieser Form abzulehnen, aber dem Antrag insoweit gerecht zu werden, als die von der Regierung vorgeschlagene Fettausgleichsabgabe bewilligt wird. Wir behalten uns vor, darüber hinaus folgenden Antrag zu stellen:
Bei der Abgabe von Margarine wird von der Margarineindustrie eine Ausgleichsabgabe in Höhe bis zu 50 Pf. je kg Margarine erhoben. Diese Abgabe ist zu verwenden
1. für die Verbilligung von Brotgetreide in Höhe von 50 bis 60 Millionen DM,
2. für die Verbilligung von Phosphaten in Höhe von 70 bis 80 Millionen DM,
3. der Rest für weitere produktionsfördernde
Maßnahmen bzw. für soziale Zwecke.
Die Ausgleichsabgabe wird vorläufig auf ein Jahr befristet.
({4})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Tobaben.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die angekündigten Maßnahmen, die im Mittelpunkt der heutigen Diskussion stehen - leider vor einem fast leeren Hause -, haben nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb dieses Hauses in der letzten Zeit ein lebhaftes Echo hervorgerufen. Daß die hier angekündigten Maßnahmen im Interesse der Landwirtschaft zu einer zwingenden Notwendigkeit geworden sind, darüber brauche ich wohl nicht mehr zu reden; das kann ich Ihnen und mir ersparen. Mein Vorredner hat das bereits in einer klaren und eindeutigen Weise getan.
Mich interessiert in diesem Zusammenhang eine andere Frage: Sind diese Maßnahmen gegenüber dem Verbraucher vertretbar, und sind sie volkswirtschaftlich richtig? Man hat sich in der letzten Zeit sehr oft um die Worte Fettsteuer und Ausgleichsabgabe gestritten. Ich will auf diesen Wortstreit nicht eingehen, möchte aber doch einmal dem Grund dieser Ausgleichsabgabe nachgehen. Haben wir damit etwa die Lebenshaltungskosten des Fettverbrauchers erhöhen wollen? Ich glaube, auch die Abgeordneten aus den Kreisen der Bauern haben das nicht gewollt. Unser Ziel ist vielmehr gewesen, eine Verbrauchslenkung von einem ausländischen auf ein inländisches Produkt durchzuführen. Wir wollten die deutschen Kühe in ihrer Konkurrenz gegenüber dem ausländischen Erzeuger des Rohstoffs für die Margarine unterstützen. Ich glaube, daß das nicht allein im Interesse des Bauern, sondern letzten Endes auch im Interesse der deutschen Volkswirtschaft liegt. Denn Abnehmer jener Erzeugnisse, die die Verbraucher landwirtschaftlicher Erzeugnisse herstellen, ist in erheblichem Maße auch das deutsche Dorf. Mag sein, das solche Produkte im Austauschverfahren zum Teil ins Ausland geführt werden.
Es kommt aber noch die bedeutende Tatsache hinzu, daß der deutsche Bauer auf seinen Schultern in erheblichem Maße auch jene Lasten zu tragen hat, die wir als Kriegsfolge tragen müssen. Wir können es uns angesichts der Lage, in der wir uns als armes Volk befinden, nicht leisten, einen Teil der deutschen Landwirtschaft brachliegen zu lassen oder schlecht auszunutzen, wenn es möglich ist, durch geeignete Maßnahmen Einfuhren zu sparen.
Meine Damen und meine Herren! Wenn wir uns einmal an das Echo und an die lebhafte Diskussion der letzten Zeit erinnern, dürfte, glaube ich, auch die Frage interessant sein, ob denn wirklich da für den Verbraucher eine so ungeheure Belastung entsteht. Es ist hier bereits ausgesprochen worden: wir waren uns alle darüber einig, daß eine Steigerung des Margarinepreises nicht eintreten soll. Wir wollten vielmehr erreichen, daß bei einem weiteren Absinken der Rohstoffpreise eine unvermeidbare weitere Verbilligung der Margarine abgefangen würde und so der Verbrauch in noch größerem Maße von der Butter zur Margarine verlagert werden könne. Ich bin aber der Meinung: wenn der Arbeiter und wenn der Verbraucher, auch der mit einem geringen Einkommen, nun diese Verteuerung nicht auf sich zu nehmen brauchte, dann ist das, was er dann einsparen würde, doch so verschwindend gering, daß sich eine so große Erregung deswegen eigentlich nicht lohnt. Ich habe mir
einmal nachgerechnet, was denn dabei für eine Familie von 3,1 Köpfen - das ist etwa die durchschnittliche Größe der Verbraucherfamilie - herauskommen würde, was also hier nicht eingespart werden würde. Bei 25 Pfennig pro Kilo Margarine bedeutet das im ganzen Monat 60 Pfennig. Das ist noch nicht einmal so viel wie das, was man für eine Schachtel Zigaretten, geschweige denn für eine Eintrittskarte zum Kino braucht.
Beim Brot mögen die Dinge etwas anders liegen. Bei einem Verbrauch von 9 Kilo Weizen und 11 Kilo Roggen würden bei einer gleichgroßen Familie 1,58 DM herauskommen. Ich bin überzeugt, daß Müller und Bäcker den Betrag nicht ganz abfangen können, aber etwas oder vielleicht sogar in erheblichem Maße wird der Verbraucherpreis auch dadurch geringer werden, besonders wenn man noch dazunimmt, daß bei einer Abwanderung vom Weizen und einem Übergang zum Roggen der einzelne es selbst in der Hand hat, die Lebenshaltung der Gesamtfamilie oder des Haushalts zu verbilligen. Wenn das aber so ist, dann lohnt es wirklich nicht, etwa zu erklären, der soziale Friede sei gefährdet.
Ich muß mich wegen der geringen mir zur Verfügung stehenden Zeit kurz fassen, möchte aber noch einmal zum Ausdruck bringen, daß meine Partei auf dem Standpunkt steht, Erzeuger so gut wie Verbraucher: die hier angekündigten Maßnahmen sind im Interesse der Landwirtschaft unerläßlich, für die Verbraucher tragbar und volkswirtschaftlich richtig.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eickhoff.
Herr Präsident! Meine Damen O und Herren! Ich habe nur 3 Minuten Redezeit. Äußerungen maßgeblicher Männer, auch einiger unserer Minister in den letzten Tagen, dazu tendenziöse Berichte in Zeitungen aller Parteirichtungen im ganzen Bundesgebiet geben mir Veranlassung, mich in diesem Augenblick als einziger Bäckermeister unter den Abgeordneten des Bundestages vor meine Kollegen draußen im Lande zu stellen, weil über uns Bäcker in den letzten Tagen Sachen verbreitet worden sind, die wir nicht ohne weiteres hinnehmen können.
Man hat den Eindruck erwecken wollen, als ob wir Bäcker uns unserer Verpflichtung dem deutschen Volke gegenüber nicht mehr bewußt gewesen wären.
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Wir haben es mehr als alle anderen bedauert, daß wir in einen gewissen gesetzlosen Zustand gekommen sind. Wir hätten wirklich gewünscht, daß unsere Minister den Tag des 1. Juli nicht so hätten vorübergehen lassen. Wir hätten gewünscht, daß wir eine gesetzliche Grundlage gehabt hätten, um in Ruhe weiterarbeiten zu können.
Von den Bäckern hat man früher, zu einer anderen Zeit, schon einmal etwas anders gesprochen. Ich erinnere Sie an die Tage des Zusammenbruchs, als unsere Bäckermeister, unsere Frauen und Gesellen Tag und Nacht gearbeitet haben, um dem deutschen Volk unter den schwierigsten Umständen das Brot zu beschaffen, oft ohne Elektrizität, ohne Wasser usw. Ich erinnere mich des Tages meiner Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft. Ich kann Ihnen sagen: ich habe mit Bewunderung vor mei({1})
ner Frau, meinen Gesellen und Lehrlingen und vor meinen Nachbarn gestanden, die auch mit eingesprungen waren, mit Bewunderung ob der Arbeitsleistung, die sie vollbracht hatten. Anderthalb Kilometer von meinem Hause entfernt befand sich ein Durchgangslager für KZ-Häftlinge. Dauernd ist gearbeitet worden, ob gegen Entgelt oder ohne Entgelt, nur um dem deutschen Volke das Brot zu schaffen.
Dieser Verpflichtung dem deutschen Volk gegenüber sind wir Bäckermeister uns heute genau so bewußt. Wir wollen doch nur unser Recht. Wir wollen nur, wenn wir das Mehl jetzt teurer einkaufen müssen - und es ist uns bestätigt worden, daß wir es teurer einkaufen müssen -, diese Erhöhung auch auf unser Brot umlegen können. Wenn hier erz hlt wird, daß die Bäcker ein Mehllager von 4 bis 6 Wochen hätten, dann stimmt das in keinem Falle,
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höchstens für acht bis zehn Tage. Ich möchte Sie bitten, erkundigen Sie sich bei Ihren Konsumvereinen, bei dem zuständigen und verantwortlichen Leiter einer Konsumvereinsbäckerei, ob der in der Lage ist, diese Mehlpreiserhöhung auf sich zu nehmen, ohne den Brotpreis zu erhöhen.
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- Das ist ganz egal, wohin ich spreche. Wenn aber heute im Radio von Herrn Bundesminister Niklas ebenso wie von dem Preiskommissar Bendix in Hannover gesagt wird, daß man uns deutsche Bäckermeister, die wir nun den Brotpreis um etwas erhöht haben, deswegen bestrafen wollte, dann darf ich Ihnen sagen: dann soll man die 53 000 Bcker vor den Kadi zitieren, und ich möchte den Richter sehen, der einen anständigen Bäckermeister bestraft, nur weil er richtig kalkuliert hat.
Der Vorsitzende unseres Bäckerverbandes hat vor sechs Wochen Herrn Niklas anläßlich der Brotwerbewoche einen Vorschlag gemacht, den ich jetzt ganz offiziell für das deutsche Bäckerhandwerk wiederholen möchte. Wenn wir durch die finanzielle Notlage einmal dahingekommen sind, daß Minister Schäffer keine Subventionen mehr hergeben kann, müssen wir versuchen, aus diesem Dilemma herauszukommen. Aber es geht nicht an, daß dann nur e i n Stand die ganze Last tragen soll. Dann muß das ganze deutsche Volk eben mithelfen, und dann wird es auch gehen. Ich würde es deshalb begrüßen, wenn schon in allernächster Zeit sich verantwortungsbewußte Männer zusammensetzen und folgenden Vorschlag diskutieren würden: Die Subventionen werden in Zukunft getragen zu je einem Sechstel von der Landwirtschaft, von den Mühlen, von den Großhändlern, von den Händlern, von den Bäckern und von den Verbrauchern. Dann ist eine gerechte Verteilung gesichert, und dann haben wir für die Zukunft einen Brotpreis, mit dem sich das ganze deutsche Volk einverstanden erklären kann.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Niebergall.
Meine Damen und Herren! Herr Bundesfinanzminister, ich glaube, Sie haben sich die Sache etwas billig gemacht. Ihre Politik würde doch bedeuten: Vogel friß oder stirb! Wir denken nicht daran, eine solche Politik zu fördern. Ohne Übertreibung: diese Debatte muß nach unserer Meinung
unter dem Motto „Die Versprechungen des Herrn Bundeskanzlers und die Preise" geführt werden. Ich gestatte mir deshalb, im Zusammenhang mit dem sozialdemokratischen Antrag und unserer Stellungnahme die Frage aufzuwerfen: Was sind Worte und Versprechungen des Herrn Bundeskanzlers an die Adresse der Werktätigen wert?
In Verbindung mit der Pfundabwertung erklärte der Herr Bundeskanzler von dieser Stelle aus, daß keine Preiserhöhungen und Belastungen eintreten würden. Eine ähnliche Erklärung gab die Regierung bei der Begründung unseres Antrages, keine Brotpreiserhöhung zuzulassen, ab, und noch vor wenigen Tagen erklärte der Herr Bundeskanzler gegenüber den Gewerkschaften, daß keine Erhöhung des Brotpreises zugelassen und keine Fettsteuer eingeführt werde.
Und was ist heute? Aus allen Großstädten kommen die Mitteilungen über Brotpreiserhöhungen. Das Weiß- und Roggenbrot wird in einzelnen Städten schon für 85 Pfennig gegen früher 77 Pf ennig verkauft, das Kilo Weizenbrot für 70 gegen früher 60 Pfennig. Neben diesen Preiserhöhungen hat das Bäckerhandwerk seinen Mitgliedern empfohlen, das Gewicht der Brötchen von 46 auf 44 Gramm herabzusetzen. Hinzu kommt jetzt noch die Margarineausgleichsabgabe von 25 Pfennig pro Kilo. Dabei ist es Tatsache, daß der deutsche Margarinepreis mit an der Spitze in Europa liegt, die bisherige Qualität der Margarine aber sehr viel zu wünschen übrig läßt.
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- Sie sind geographisch falsch orientiert, Sie sitzen hier im Westen!
Hinzu kommt, daß die Preispolitik nur das Glied einer Kette ist. Wir werden die Auswirkungen dieser Preispolitik in der Zukunft bei allen Bedarfsgegenständen erfahren. Deshalb kann dem Herrn Bundeskanzler der Konzerne, wenn er den Werktätigen Versprechungen macht, kein Wort geglaubt werden.
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Was soll angesichts dieser Tatsache die Wortakrobatik der Bundesregierung, die Margarineabgabe sei keine Fettsteuer? Den Werktätigen ist es egal, wie die Regierung dieses Kind nennt. Aber den Werktätigen ist es nicht egal, daß sie diese Politik bezahlen sollen.
Es ist lächerlich, wenn die Regierung behauptet, durch die Margarineabgabe könne mehr Butter verkauft werden. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: die Abgabe schwächt die Kaufkraft der Massen und wirkt sich produktionshemmend für unsere Landwirtschaft aus. Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit gegen jeden Versuch der Regierung, die Verantwortung für diese Politik auf diese oder jene Schicht oder Gruppe der Werktätigen abzuschieben. Die Verantwortung tragen nicht die Bäcker, nicht die Mühlenbesitzer. Die Verantwortung für diese Politik tragen einzig und allein die Bundesregierung und jene, die auf dem Petersberg ihre Politik bestimmen. Diese Steuer- und Preispolitik ist die Folge des Marshallplans, der Liberalisierung und der antinationalen Politik der Bundesregierung. Mit dieser Politik versucht man das deutsche Volk stärker an die amerikanischen Monopole und an die amerikanischen Kriegstreiber zu binden.
Es ist nicht wahr, daß es keinen anderen Ausweg gibt als die Margarineausgleichsabgabe. Es ist
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nicht wahr, daß die Subventionen der Weisheit letzter Schluß sind. Unsere eigene landwirtschaf t-liche Produktion muß gesteigert werden, den kleinen und mittleren Landwirten muß jede Hilfe gegeben werden. Es gilt, den innerdeutschen Handel zu fördern und den Handel mit den volksdemokratischen Ländern und der Sowjetunion zu entwikkeln. Wir müssen dort kaufen, wo wir nicht an die Dollarklausel, an die hohen Preise und an den Ausschuß gebunden sind, sondern dort, wo wir unsere Produktion absetzen können und wo wir billiger einkaufen können. Diese Möglichkeit, meine Damen und Herren, liegt eben nicht im Westen; denn dort hat man alles, was man braucht.
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- Lachen Sie nur! Eines Tages werden Sie wegen Ihrer Kurzsichtigkeit weinen!
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Der Handel mit dem Osten, wozu die Demokratische Republik durch den Abschluß der Verträge den Weg geebnet hat, wird hier dem Westen unseres Vaterlandes reiche Arbeit geben und so die Kaufkraft stärken. Damit es dazu kommt, muß eine Politik des Friedens gemacht werden und nicht die Politik des Krieges in der Gefolgschaft der amerikanischen Imperialisten. Die Kommunistische Partei hat von der ersten Stunde ab vor dieser Politik der Adenauer-Regierung gewarnt. Wie in allen großen Fragen, so haben wir leider auch in der Frage der Fettsteuer und der Preise recht behalten. Wir wenden uns deshalb an die Gewerkschaftsmitglieder: Laßt euch nicht weiter ablenken und in ein Manöver hineinziehen! Jetzt muß gehandelt werden. Wir wenden uns deshalb an die Arbeiter, Angestellten, Beamten und Geschäftsleute, an alle Werktätigen: Glaubt dieser Regierung nichts! Alle ihre Versprechungen hinsichtlich der Verbesserung der Lage in der Vergangenheit wurden nicht eingehalten. Laßt euch nicht durch Manöver ablenken! Der Kampf muß nach unserer Auffassung allerwärts geführt werden. Gegen die Preiserhöhung, gegen die Fettsteuer, für höhere Löhne muß der Kampf aufgenommen werden.
Wir fordern deshalb die Aufhebung der Brotpreiserhöhung und die Aufhebung der Fettsteuer. Wir geben trotz aller unserer Bedenken dem sozialdemokratischen Antrag unsere Zustimmung. Wir wünschen weder ein Adenauer-Brot noch eine Adenauer-Fettsteuer.
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- Besser als „Heil Hitler!" Da kommen Sie ja her!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Frey.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sie haben inzwischen von den vielen Rednern gehört, daß das Kernproblem all dessen, was heute morgen hier besprochen worden ist, die Subventionen sind. Die Genesis dieser Subventionen ist Ihnen von den verschiedensten Seiten, auch vom Herrn Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ja zur Genüge dargelegt worden, so daß ich mich damit nicht mehr zu befassen brauche. Es ist wohl über alle Parteien hinweg einwandfrei anerkannt worden - und das ist, wirklich erfreulich -, daß auch der Brotgetreidepreis, der bisher überhaupt weit unter den Erzeugungskosten lag, eine Steigerung erfahren muß; denn wie Ihnen der Herr Bundesernährungsminister gesagt hat, ist der Index von den wirklichen landwirtschaftlichen Produktionsmitteln weit verschieden.
Was jedoch hier eigentlich nicht zur Genüge zum Ausdruck gekommen ist, das ist - und das wird mittlerweile wohl in weitesten Kreisen unseres Volkes anerkannt -, daß sich in den letzten Jahren eine merkliche Verschiebung des Anteils am Sozialprodukt vollzogen hat. Ich brauche das hier nicht zu vertiefen; aber jeder hat wohl inzwischen gemerkt, daß im Verhältnis gewisser Erzeugerabgabepreise und der vom Verbraucher zu zahlenden Preise etwas ungesund ist und nicht mehr ganz stimmt:
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Im Hinblick auf den Brotpreis ist es vielleicht ganz interessant, hier einmal ein Beispiel herauszugreifen. Vor dem Kriege hat der Doppelzentner Weizen 20 Mark gekostet, und bei einer 60%igen Ausmahlung, d. h. also bei einer Herausnahme von 40 kg Kleie, hat der Preis für das Mehl 26 Mark betragen. 1949 kostete der Doppelzentner Weizen 26 Mark, und bei einer 80%igen Ausmahlung, d. h. also bei einer Herausnahme von nur 20% Kleie, kostete das Mehl 39 bis 40 Mark.
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Meine Damen und Herren, hier zeigt sich doch, daß sich im Laufe der Zeit die Spanne zwischen Erzeuger und Verbraucher in eklatanter Weise verschoben hat. Wenn man nach diesem Beispiel davon ausgeht, daß vor dem Kriege 6 Mark nötig waren, um die Spanne zwischen Erzeuger und Verbraucher auszufüllen, dann ergibt sich, daß heute 13 Mark dafür nötig sind, und das bedeutet eine hundertprozentige Steigerung. Es gilt ein alter Satz,. daß der Preis für ein Kilogramm Brotgetreide gleich einem Kilogramm Brot sein sollte. Daß das nicht mehr stimmt, sondern sich wirklich sehr verschoben hat, ist ja wohl allen klar.
Nun müssen wir aber hier zu irgendeinem Schluß kommen. Es darf nicht nur die kritische Seite der Angelegenheit betrachtet werden, sondern es muß auch irgendein Weg gefunden werden, wie wir die Dinge meistern können. Nach dem vorhin von mir skizzierten Beispiel bezüglich des Mehl- und Brotgetreides müßte es unserer Ansicht nach doch irgendwie möglich sein, bei gutem Willen aller Beteiligten ein marktgängiges Brot auch heute noch zum selben Preis abzugeben. Wir sind jedenfalls auch der Meinung, daß ein Brot, welches heute marktgängig ist, für den großen Bedarf bestehen bleiben und nicht ein sogenanntes Volksbrot geschaffen werden sollte. Wenn das aber durch die Verhandlungen in dem kombinierten Ausschuß nicht zu erreichen sein sollte, dann bin ich der Auffassung, daß tatsächlich nichts anderes übrigbleibt, als von seiten der Bundesregierung für Subventionsmittel zu sorgen und diese auch bereitzustellen.
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Es ist ja vorhin schon einige Male ganz klar und deutlich gesagt worden, daß sie sich dabei nicht in der schlechtesten Gesellschaft befände; denn es gibt tatsächlich kein Land, das nicht für den Ernährungssektor irgendwelche Subventionen zahlt.
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In diesem Zusammenhang wollen wir doch eines
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feststellen und auch beachten: Alle diese Staaten, die Subventionen für den Ernährungssektor vom Erzeugen bis zum Verbrauchen geben, achten mit aller Sorgfalt darauf, daß das Fundament, das diese Ernährungswirtschaft bildet, in jeder Weise in Ordnung bleibt, und das ist eben die Landwirtschaft.
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Ich bin der Meinung - und das sollte man sich doch heute ganz besonders immer und immer wieder vor Augen halten -, daß es gerade angesichts der gegenwärtigen außenpolitischen Lage zweifellos besonders richtig ist, an diese Ernährungsbasis zu denken; denn ich glaube, daß man heute immer noch das Wort Wahrmachen muß und kann, daß das Brot, welches auf der eigenen Scholle wächst, noch immer das billigste und vor allem auch das sicherste ist.
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Meine Damen und Herren, ich habe namens der Fraktion der CDU/CSU einen Änderungsantrag zu dem Antrag Drucksache Nr. 1083 zu stellen, der wie folgt lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Um eine Erhöhung des Brotpreises und der Preise für eingeführte Phosphorsäuredüngemittel zu verhindern, wird die Bundesregierung beauftragt, Maßnahmen zum Preisausgleich für Brotgetreide und Düngemittel zu treffen.
„Notwendige Subventionen" - dann geht der Wortlaut weiter wie in dem Antrag der Fraktion der SPD. Ich übergebe hiermit den Antrag dem Herrn Präsidenten.
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Der nächste Redner ist Herr Abgeordneter Wönner. 18 Minuten!
({0})
- Charmant!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das Thema, das wir heute zu behandeln haben, hat - so scheint mir wenigstens - ein viel größeres wirtschaftliches und vor allen Dingen auch politisches Gewicht, als es bisher aus der Diskussion zu erkennen gewesen sein mochte. Ich habe mich ganz besonders darüber gewundert, daß uns der Herr Bundesernährungsminister mit einer so langatmigen Einleitung über die Geschichte und Vorgeschichte der Subventionspolitik aufgehalten hat, anstatt gleich auf den Kern des Problems vorzustoßen. Es wäre nach unserem Dafürhalten wichtig und notwendig gewesen, sich darüber klar zu werden, daß die jetzt noch erforderlichen Subventionen nur einen sehr bescheidenen Bruchteil dessen ausmachen, was bisher notwendig gewesen ist, um diesem Zweck zu dienen.
({0})
Es wäre doch wohl für die Regierung notwendig gewesen, die Frage zu überprüfen, ob der verhältnismäßig geringe Aufwand von jetzt noch erforderlichen Subventionsmitteln in irgendeinem Verhältnis zu den ungeheuren wirtschaftlichen und vor allem psychologischen Schäden steht, die hervorgerufen werden, wenn die Brotpreiserhöhung nicht verhindert wird.
({1})
Ich möchte besonders auch noch darauf hinweisen, daß der Herr Bundesfinanzminister klug genug war, selbst in seinem Katastrophenhaushalt noch 250 Millionen DM für Subventionsmittel einzusetzen. Diese können ja doch offensichtlich nach Ablauf von drei Monaten noch nicht voll verbraucht sein. Und wenn ich recht verstanden habe, so haben Sie, Herr Bundesernährungsminister, davon gesprochen, daß die Deckung noch für etwa sechs Wochen reichen würde. Warum setzen Sie diese Mittel dann nicht ad hoc ein, um die Verhältnisse zu verhindern, die wir seit vorgestern über uns ergehen lassen müssen? Und dem Herrn Finanzminister - er ist eben dabei, wegzugehen - möchte ich eine Frage vorlegen: Warum haben Sie diese Erwägungen, die Sie heute in der Frage der Subventionspolitik anstellen, nicht obwalten lassen, ehe Sie Ihre Steuerrechtsnovelle eingebracht haben?
({2})
Damals haben Sie. Herr Bundesfinanzminister - ich darf Sie noch einmal apostrophieren -, zu den gewerkschaftlichen Vorschlägen zur Steuerpolitik im Finanzausschuß erklärt, es handle sich um Agitationsanträge. Heute haben wir die Auswirkungen davon. Das haben Sie uns beschert.
({3})
Ich möchte nicht im einzelnen auf die Schwierigkeiten eingehen, die allein aus der Tatsache resultieren, daß für Inlands- und Importgetreidepreise noch lange nicht ausreichende Deckung gefunden werden kann. Das ist eine Sorge, mit der sich die Bundesregierung wird auseinandersetzen müssen.
Wir sind gerne bereit, alles zu tun, um die Landwirtschaft am Leben zu erhalten. Das möchte ich mit aller Klarheit den Landwirten sagen, damit uns nicht draußen in agitatorischer Weise vorgehalten wird; daß wir uns gegen die Landwirtschaft wenden würden. Wir denken gar nicht daran, sondern auch wir halten die Landwirtschaft unbedingt für einen integrierenden Bestandteil der deutschen Gesamtwirtschaft. Wir sind aber nicht bereit, mit solchen kleinlichen Mitteln von Fall zu Fall zu manipulieren, sondern wenn wir uns überhaupt über die deutsche Landwirtschaft unterhalten, dann muß es im Grundsätzlichen geschehen.
({4})
Was der Herr Bundesernährungsminister zur Frage der Verminderung der Anbaufläche erklärt hat, scheint mir nicht ganz zutreffend zu sein. Sie hat ihre Ursache doch wohl nicht nur darin, daß der Getreidepreis nicht ausreichend gewesen ist, sondern wohl vielmehr darin, daß wir uns bemühen, von der Getreidewirtschaft zur Veredelungswirtschaft überzugehen. Damit müssen wir gewisse Umstellungen in der Landwirtschaft in Kauf nehmen.
Ich hoffe auch zuversichtlich, daß Sie, Herr Bundesernährungsminister, nicht einen Vorwurf gegen die arbeitende Bevölkerung erheben wollten, wenn Sie feststellten, daß der Brotkonsum von 12,5 auf 8,5 kg zurückgegangen sei. Wir haben wahrhaftig viele Jahre lang nur Brot und Kartoffeln gegessen. Schätzen wir die Leute glücklich, die sich heute auf dem Markt etwas anderes beschaffen können!
({5})
({6})
- Aber so war es doch wohl nicht gedacht, sondern
es war doch wohl so gemeint, daß damit in der Geschmacksrichtung eine Verlagerung eingetreten sei.
({7})
Es sind die niedrigen Brotpreise in Deutschland erwähnt worden. Mein Kollege Kriedemann war so liebenswürdig, bereits auf die Subventionspolitik durch die allerdings von anderen Parteien regierten Länder wie beispielsweise Norwegen und England hinzuweisen. Ich möchte Ihnen jetzt noch die Brotpreise in diesen Ländern mitteilen, damit Sie in der Lage sind, die Differenz gegenüber dem deutschen Brotpreis klar und eindeutig festzustellen. Wir in Deutschland bezahlen im Augenblick bei nichterhöhtem Preis 48 bis 50 Pfennig pro Kilogramm Weizenbrot. In Frankreich kostet dasselbe Brot 42 Pfennig, in Holland kostet es 37 Pfennig, in England 28 Pfennig.
({8})
- Eben, subventioniert! Das ist ja klar, daß das mit Weltmarktpreisen nichts zu tun haben kann; das wissen wir alle. Bei Roggenbrot ist der Unterschied zum Teil noch krasser. Wir bezahlten bisher 45 Pfennig für das Kilogramm. In Holland bezahlt man für Roggenbrot 36 und in Dänemark - man höre und staune - 18 Pfennig je Kilogramm.
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Ich möchte mich ganz kurz mit den beiden Ausweichversuchen beschäftigen, die von meinem Kollegen Kriedemann schon treffend genug illustriert worden sind. Deshalb möchte ich zu dem ersten Versuch, nämlich auf die Type 1350 und 1600 auszuweichen und daraus ein neues Brot bei gleichem Preis zu backen, nichts mehr sagen. Lassen Sie mich nur soviel sagen: Dadurch, daß Sie den Antrag, der von Ihnen selbst gewünscht war, wieder fallengelassen haben, haben Sie dem Herrn Bundeskanzler einen sehr großen Dienst erwiesen; denn dieses Brot wäre mit absoluter Sicherheit als „Adenauerbrot" in die deutsche Geschichte eingegangen;
({10})
nicht nur, weil es sich in der Farbe der politischen Farbe des Herrn Bundeskanzlers nähert.
({11})
Aber nun noch etwas zu dem zweiten Versuch, diese Frage bei gleichbleibenden Preisen zu lösen. Der Herr Bundesernährungsminister war liebenswürdig genug, den letzten Teil der gestrigen Besprechungen hier noch einmal wiederzugeben, in dem er feststellte, daß neue Besprechungen mit den Verarbeitern eingeleitet seien, die zu dem Ergebnis führen sollen, eine marktgängige Sorte zu dem bisherigen Preis zu verkaufen, wohingegen alle übrigen Preise freigelassen werden sollten. Gegen einen solchen Versuch haben wir sehr ernste Bedenken. Sie stützen sich nicht nur auf vergangene Erfahrungen, sondern auf Erfahrungen in der Gegenwart.
({12})
- Herr Minister, ich habe Ihnen meine Bedenken angemeldet und ich lege Wert darauf, sie jetzt zu wiederholen. Ich lege deshalb Wert darauf, weil Sie diese Tatsache nicht umstoßen können. Wenn ich
mich recht erinnere, ist aus dem Schoße der Regierung eine Erklärung etwa folgenden Inhalts an die Öffentlichkeit gelangt: Wenn der Versuch gemacht werden sollte, jetzt, wo das Mehl noch zu den alten Preisen zur Verfügung steht, auch nur die geringste Erhöhung der Brotpreise eintreten zu lassen, wird die Regierung mit allen zu Gebote stehenden Mitteln einschreiten.
({13})
Ich frage die Regierung: Was hat sie gegen die in
allen Zeitungen in Rede stehenden Brotpreiserhöhungen bis jetzt gemäß dieser Erklärung getan?
({14}) Nichts hat sie getan!
({15})
Wir haben ernste Zweifel. Selbst wenn es ihr gelänge, mit einer gleichbleibenden schwarzgefärbten
Brotsorte einen entsprechenden Preis herbeizuführen, würde sie nicht in der Lage sein, die Garantie dafür zu übernehmen, daß dieses Brot auch
nur in einem einzigen Bäckerladen zu haben wäre.
({16})
Den Herren Bäckermeistern möchte ich nicht wehetun. - Schade, daß der Herr Bundesfinanzminister weggegangen ist. Es war meine Absicht, ihn auch noch an seine jüngsten Ausführungen am Sonntag vor acht Tagen auf dem Petersberg bei Dachau zu erinnern. Er hat sich eine historische Stätte ausgewählt, um ausgerechnet das zu sagen, was er sich dort zu sagen vorgenommen hatte, als er vom Rentnerstaat sprach. Mir scheint - das ist auch sehr zutreffend vom Herrn Präsidenten des Deutschen Bauerntages hier gesagt worden -, daß in den Handels- und in den Verarbeitungsspannen tatsächlich noch einige staatlich garantierte Renten enthalten sind, die abbauwürdig wären, wobei ich nicht behaupten möchte - um auch das ganz klar verständlich zu machen -, daß auch nach unserer Überzeugung aus den Verarbeitungsspannen allein die volle Preisdifferenz gedeckt werden könnte.
Was nun die Margarine-Preiserhöhung anbelangt, so war ich erschüttert, vorhin zu hören, daß man hier im Hause selbst die Anregung der Bundesregierung als noch nicht ausreichend empfindet und an Stelle der 25 Pfennig, die die Regierung gemeint hat, 50 Pfennig je Kilogramm auf die Margarine aufzuschlagen vorschlägt. Ich würde Sie doch bitten, jetzt einmal ernstlich mit sich selbst ins Gericht zu gehen und nicht nur jene Bevölkerungskreise zu sehen, denen Sie angehören und deren Wählerschaft Sie Ihre Anwesenheit hier verdanken.
({17})
Versuchen Sie sich einmal in die Lage derer hineinzuversetzen, die mit 40, 50, 60 Mark Rente im Monat ihr Leben fristen müssen.
({18})
Versuchen Sie sich einmal ein Bild davon zu machen, wie es bei diesen Leuten aussieht, die nach Abzug ihrer stehenden Kosten noch 24 bis 30 Mark im Monat zum Leben haben.
({19})
Bei diesen Leuten, die pro Tag noch 80 Pfennig oder 1 Mark zu verzehren haben, spielen 5 oder 10 Pfennig eine entscheidende Rolle. Das bedarf doch wohl keiner besonderen Betonung.
({20})
Ich möchte aber nicht nur die Renten- und Fürsorgeempfänger angesprochen wissen. Seien Sie bitte
davon überzeugt, daß wir in Deutschland leider,
({21})
leider noch einen großen Teil von Arbeitnehmern haben, deren Lohneinkommen sie dazu zwingt, mit jedem einzelnen Pfennig zu rechnen. Vielleicht darf ich mir eine grundsätzliche Bemerkung dazu erlauben. Wenn ich mich recht erinnere, ist es seit dem September des vorigen Jahres die in diesem Hause mehr als einmal erklärte Politik der Regierung, die Lebenshaltungskosten der arbeitenden Menschen zu senken.
({22})
- Wollen Sie damit, daß Sie jetzt glauben, bei der Margarine stoppen zu können, zum Ausdruck bringen, der Lebensstandard der deutschen Arbeiter sei bereits angemessen?
({23})
- Aber das bringen Sie doch damit zum Ausdruck.
({24})
Wenn Sie in diesem Augenblick erklären, der Lebensstandard der deutschen Arbeiter reiche noch nicht aus, er müsse noch erhöht werden, dann dürfen Sie keine Gelegenheit ungenützt vorübergehen lassen, um den Lebensstandard zu verbessern.
({25})
Wenn Sie aber die Brot- und Margarinepreise erhöhen, dann haben Sie das Gegenteil von dem
getan, was Sie hier wiederholt selbst erklärt haben.
Ich möchte auch mit aller Klarheit darauf hingewiesen haben, daß die Angaben des Herrn Bundesernährungsministers, bezogen auf die Lebenshaltung der arbeitenden Menschen, eine recht unklare Darstellung bedeuten, wenn er vom Fleisch- und Eiweißbedarf gesprochen hat. Zunächst einmal ist seinen Zahlenangaben zu entnehmen, daß die Verbrauchsschichtung eine wesentlich andere ist als die Vermehrung des Fleischbedarfs an sich. Wir haben früher 50 kg pro Kopf der Bevölkerung verbraucht, und heute haben wir im Durchschnitt 30 kg. Wir liegen also im Durchschnitt mit 20 kg immer noch unter dem Durchschnitt des Normalverbrauchs.
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Seien Sie sich bitte darüber klar: Diese Differenz von 20 kg wird ausschließlich von der unterdurchschnittlichen Lebenshaltung der arbeitenden Schichten getragen und bei den Sozialrentnern auf ein absolutes Nichts reduziert.
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Zur Kunstdüngerfrage denke ich nicht ein einziges Wort zu sagen. Ich könnte nur noch einmal wiederholen, was ich bezüglich unserer Vorstellung von der allgemeinen Agrarpolitik gesagt habe. Wir sind selbstverständlich bereit, in dieser Richtung ein positives Stück mitzuarbeiten.
In diesem Zusammenhang möchte ich aber auf etwas anderes hinweisen. Seien Sie sich darüber klar, daß die Maßnahmen, die die Regierung vorzuschlagen jetzt die Absicht hat, nämlich die Preise für Brot und Margarine zu erhöhen, im einzelnen nicht nur wirtschaftlich zu sehen sind.
({28})
- Bitte, der Brotpreis ist de facto schon erhöht, oder wollen Sie, Herr Kollege Dr. Horlacher, uns begreiflich machen, daß es nicht schon viele Tausende von Bäckereien gibt, in denen der neue erhöhte Preis verlangt wird? Ich darf Sie vielleicht darauf hinweisen - eine Anregung, welche die Bundesregierung mit einiger Aufmerksamkeit verfolgen sollte -, es handelt sich um eine Aufforderung der Bäckerinnungen, das Brot nicht mehr zum
bisherigen Preise zu verkaufen, so daß man das also nicht der Entscheidung des einzelnen Bäckers überlassen hat, eine Frage, die unter Umständen auch unter dem Gesichtswinkel der Kartellgesetzgebung der Erörterung wert wäre. Aber seien Sie sich bitte darüber klar: Die Auswirkungen dieser beiden Maßnahmen werden viel, viel weiter reichen, als Sie es sich jetzt im Augenblick noch vorzustellen scheinen.
Auf die Auswirkungen bei den Sozialrentnern und Fürsorgeunterstützungsempfängern habe ich bereits hingewiesen. Ich könnte schon heute Tausende von Briefen vorlegen, die den Inhalt haben wie der, den ich Ihnen jetzt mit der gütigen Erlaubnis des Herrn Präsidenten vorlesen werde:
Der Betriebsrat der Ford-Werke AG, Köln, stellt fest, daß entgegen allen Versprechungen der Bundesregierung, keine Brotpreiserhöhung zuzulassen, die Brotpreise seit Montag, den 10.7. 1950, um 7 bis 10 Pfennig pro Kilogramm gestiegen sind. Ebenso droht durch die beschlossene Margarine-Ausgleichsabgabe eine empfindliche Erhöhung der Fettpreise.
Die tiefe Kluft zwischen Preisen, Löhnen und Gehältern wird dadurch noch weiter aufgerissen. Das muß zu katastrophalen Folgen für die Arbeitnehmerschaft führen. Löhne und Gehälter reichen für viele nicht mehr aus zur Sicherung des Existenzminimus. Die weitere Einengung der ohnehin schmalen Existenzlage hat große Empörung ausgelöst.
Den weiteren Teil dieses Briefes möchte ich Ihnen
jetzt nicht vorlesen; der wäre noch sehr viel schärfer.
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- Nein, das werden wir am Montag sagen, und zwar über die Presse. Seien Sie sich darüber klar - ich bin nicht dazu autorisiert, Ihnen etwas über die erst am kommenden Montag und Dienstag zu fassenden Beschlüsse der zuständigen Gremien zu sagen; aber soviel kann ich Ihnen rein stimmungsmäßig mitteilen: Diese Angelegenheit geht nicht über die Bühne, ohne daß dadurch der schärfste Widerstand der Gewerkschaften ausgelöst wird.
({30})
Ich will Ihnen nur den Weg andeuten, wie die Entwicklung vor sich gehen wird. Sie können uns
- jetzt spricht der Gewerkschaftler - nicht den Vorwurf machen, daß wir in der deutschen Nachkriegswirtschaft nicht alles getan haben, um dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit wieder einen Weg in die Zukunft freizumachen.
({31}) Aber einmal kommt der Tag, an dem wir Ihren Intentionen bei bestem Willen nicht mehr Rechnung zu tragen in der Lage sind.
({32})
Dieser Tag scheint jetzt gekommen zu sein, und ich will Ihnen andeuten, was noch geschehen wird. Wir werden überall dort, wo Lohntarife zu kündigen sind, sofort kündigen und in eine entsprechende Lohnbewegung eintreten. Wir werden uns die Frage zu überlegen haben, ob Sie durch die hier geschaffenen politischen Maßnahmen nicht einen rechtlichen Notstand hervorgerufen haben, der uns dazu berechtigt, auch nicht kündbare Verträge in Lohnverhandlungen zu berichtigen.
({33})
Sie sollten sich also, wenn Sie des Glaubens wären,
daß an diesem Antrag noch sehr viel herumzu({34})
mäkeln sei, der Verantwortung darüber bewußt sein: Wenn die Entscheidung nicht heute fällt, fällt sie am Montag, allerdings in einer anderen Richtung und auf einer anderen Ebene. Dann ist Ihnen das alles aus der Hand genommen, und das ist das, worüber Sie heute zu entscheiden haben.
({35}) Glauben Sie denn, daß es Ihnen noch einmal möglich wäre, - ({36})
Ihre Absicht ist voll und klar erkannt: Zeit zu gewinnen, damit sich das öffentliche Bewußtsein mit diesen Dingen abfindet.
({37})
Mein Kollege Kriedemann hat mit Recht gesagt: Der Dreh soll versucht werden. Wir aber sind bereit - und ich möchte das deutlich aussprechen - wir sind durchaus bereit, mit dem Herrn Bundesfinanzminister anzunehmen, daß es sich um harte und reale Tatsachen handelt, mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Wenn aber die Brotpreiserhöhung und die Fett-Ausgleichsabgabe nach den Vorstellungen der Bundesregierung Tatsache werden sollten, so seien Sie gewiß, daß diese Maßnahme dann nichts anderes als eine Dokumentation der unsozialen Haltung der Bundesregierung und ihrer Mehrheit sein wird.
({38})
Gestatten Sie mir, Herr Präsident, zum Schluß ein Bibelwort!
({39})
Es lautet:
Höret dies, die Ihr die Armen unterdrückt und die Elenden im Lande verderbt und sprecht: Wann will denn der Neumond ein Ende haben, daß wir Getreide verkaufen, und der Sabbath, daß wir Korn feilhalten mögen und das Maß verringern und den Preis steigern und die Waage fälschen, auf daß wir die Armen um Geld, und die Dürftigen um ein Paar Schuhe unter uns bringen und Spreu für Korn verkaufen?
Das ist der Inhalt der Politik, wie Sie sie inauguriert haben.
({40})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Schmidt. Acht Minuten! Bitte, Herr Abgeordneter!
Meine Damen und Herren! Ich glaube, in allen Parteien und Bevölkerungsschichten ist die Überzeugung durchgedrungen, daß die Verhältnisse in der Landwirtschaft sehr schwierig geworden sind. Ich bedaure, daß man bestrebt ist, die Getreidepreiserhöhung, die doch eigentlich notwendig ist und von allen Kreisen anerkannt wird, zu einer politischen Frage zu machen. Damit Sie den volkswirtschaftlichen Standpunkt auch der WAV kennen: Wir lehnen sowohl eine Brotpreiserhöhung wie auch eine Fettpreiserhöhung ab.
({0})
Die Regierung hat in der Hinsicht ganz bestimmt andere Mittel und andere Wege. Wenn im Ernährungsausschuß in den letzten Tagen und Wochen über einen
Ausgleich bei der Margarine verhandelt wurde, so ist nie davon gesprochen worden, daß deswegen die Fettpreise erhöht werden sollen. Deswegen haben wir auch im Ernährungsausschuß eine gewisse Einheitlichkeit zusammengebracht. Aber ich sage noch einmal: Wir müssen es ablehnen, einer Erhöhung der Brotpreise und der Fettpreise zuzustimmen.
Nun etwas anderes. Ich glaube, es ist von Herrn Dr. Frey schon betont worden: Es könnte die Zeit kommen - und ich glaube, die Verhältnisse im politischen Leben sind heute schon so weit vorgeschritten, daß wir es befürchten müssen -, daß man erneut auf die Tätigkeit und auf die Selbständigkeit des deutschen Bauern angewiesen ist. Darum glaube ich, daß es von allen Kreisen - ob von links oder von rechts - notwendig ist, daß sie sich allmählich alle dazu bequemen, daß wir die Landwirtschaft, wenn sie nun in Not ist, nicht ausnützen dürfen und daß wir ihr die Unterstützung geben. Denn wenn die Landwirtschaft bisher funktioniert hat und bisher ihre Pflicht getan hat, dann müssen wir sie auch unterstützen.
Sehen Sie, ich stehe jetzt ungefähr 40 Jahre im politischen Leben. Es ist sonderbar: jedesmal, wenn die Landwirtschaft in irgendeiner Notlage war, hat man von Regierungsseite erklärt, „es ist kein Geld vorhanden". Ja, ich weiß nicht: Ist das periodisch, oder ist es daher gekommen, weil die Landwirtschaft es bisher nicht ausgenützt hat, daß sie zusammengehalten hat?
({1})
Es hat mich gefreut - ich glaube, es war am Dienstag oder Mittwoch vor acht Tagen, als die Abgeordneten und Bauernvertreter beim Bundeskanzler Dr. Adenauer waren-, daß auch die Vertreter der Regierungsparteien dem Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer in aller Deutlichkeit erklärt haben, daß sie, wenn die Hilfe für die Landwirtschaft von ihm aus abgelehnt würde, dann dazu gezwungen werden, ihre Konsequenzen zu ziehen.
({2})
- Jawohl, ich muß es einmal anerkennen. Es hat mich gefreut, daß die Bauern endlich den Mut aufgebracht haben, dies zu sagen.
Wenn vorhin der Herr Vorredner von den Gewerkschaften gesagt hat, daß vielleicht ein Streik der Gewerkschaften deswegen provoziert würde,
- Freunde, es könnte die Zeit kommen, daß eines Tages auch der Bauer, wenn das so weiter geht, seine Pflicht nicht mehr erfüllt!
({3}) Und was würde dann herauskommen?
Ich glaube, wir dürfen in solchen Dingen nicht damit drohen. Aber ich glaube, es muß doch so sein, daß für den Herrn Bundesfinanzminister und für die Bundesregierung, die dafür verantwortlich sind, daß diese Dinge nicht dem werktätigen Volk aufgeladen werden, andere Wege und Mittel vorhanden sind.
Es ist angeführt worden, daß der Herr Bundesfinanzminister seinerzeit bei der Einkommensteuersenkung usw. usw., auch bei Bonn, hier soviel Mittel zur Verfügung hatte; dann muß es auch möglich sein, daß hier Mittel bereitgestellt werden.
Deshalb sagen wir noch einmal: Wer lehnen jede Brotpreiserhöhung und jede Fettpreiserhöhung ab. Die Regierung soll zusehen, wie sie aus dem herauskommt.
({4})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Glasmeyer. Acht Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, ich bin in zwei Miunten fertig. Es dauert keine acht Minuten.
({0})
Es ist hier im Saale bezüglich des Margarinepreises erzählt worden, der Margarinepreis würde bei Einführung der Ausgleichsabgabe nicht steigen. Es ist ferner vom Herrn Bundeslandwirtschaftsminister erklärt worden, die Ausgleichsabgabe würde rund 100 Millionen bzw. in drei Monaten 25 Millionen DM ausmachen. Dagegen hat der Abgeordnete Dannemann von einer Ausgleichsabgabe von 270 bis 280 Millionen DM gesprochen.
({1})
Ich möchte folgendes dazu erklären - ich glaube, das ist die Wahrheit; und diejenigen, die genau wie ich im Margarineausschuß vertreten sind, werden das wissen -: Bei einer Ausgleichsabgabe von 25 Pfennig pro Kilogramm kommen nach dem Gutachten der Sachverständigen pro Jahr rund 100 Millionen heraus. Es ist dann möglich, daß die gute Margarine den Preis von 1,22 DM behält. Die billige Margarine dagegen, meine Damen und Herren, die jetzt 80 bis 86 Pfennig kostet, wird dann auf 1,10 DM steigen.
({2})
Nach dem Urteil der Sachverständigen! Ich stelle das einfach fest.
Im übrigen stelle ich folgendes fest. Wir haben uns in der Zentrumsfraktion mit der Frage der Brotpreiserhöhung und auch mit der Frage der Fettpreiserhöhung recht intensiv befaßt. Wir sind der Ansicht: dem Bauern ist die Erhöhung der Getreidepreise zu gönnen. Der Bauer hat bis jetzt für sein Brotgetreide nur rund 125 % des allgemeinen Indexes bezogen. Also die Erhöhung ist da gerecht. Aber eine Erhöhung der Brotpreise braucht nicht gerecht zu sein. Es stehen zur Verfügung: erstens einmal die Herabsetzung der Verarbeitungsspanne und zweitens die Versprechungen der Regierung. Da sage ich genau dasselbe, was der Abgeordnete Schmidt gesagt hat: Die Regierung mag ihre Versprechungen einlösen! Das genügt mir.
Das Wort hat für ein oder zwei Minuten noch Herr Abgeordneter Kunze. Es ist mit der Uhr nicht so ganz genau genommen worden, habe ich gehört.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe lediglich im Namen der Fraktion CDU/CSU folgendes zu sagen:
Nicht unter dem Eindruck dessen, was hier im Hohen Hause zu diesem Punkt gesprochen worden ist, sondern bereits gestern hat meine Fraktion sich bis in die späten Abendstunden sehr eingehend und gründlich mit dieser Frage beschäftigt und einstimmig beschlossen, daß wir uns jeder Brotpreiserhöhung entgegensetzen
({0})
und daß wir auch eine Erhöhung der Margarine-preise ablehnen. Ich möchte das vor dem Hohen Hause und vor der Öffentlichkeit ausdrücklich betonen, damit nicht eine verkehrte Meinung über die Regisseure dieser Beschlüsse entstehen kann.
({1})
Das Schlußwort hat Herr Abgeordneter Kriedemann. Auf Grund einer persönlichen Vereinbarung will er etwa 5 Minuten sprechen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zunächst eins mit aller Deutlichkeit sagen. Wenn hier jemand in einer verantwortlichen Stellung in den Gewerkschaften mit allem Nachdruck auf den Ernst der Lage hinweist und wenn er klarzumachen versucht, welche praktischen Konsequenzen sich aus einer Verteuerung von Brot und Margarine für die Menschen ergeben, die nun einmal nur das zur Verfügung haben, was sie in ihrer Lohntüte mit nach Hause bringen, ist keine Bemerkung so deplaciert wie die „Kommen Sie nicht mit solchen Drohungen".
({0})
Und dann eine andere Bemerkung. Ich habe mit Erstaunen gehört, daß hier mehrfach davon die Rede war, es lohne sich doch eigentlich gar nicht, soviel Geschichten aus der Sache zu machen, denn es handle sich doch jeweils nur um Pfennige. Sollte es wirklich der Fall sein, daß sich in diesem Hause Abgeordnete befinden, denen nicht bekannt ist, daß es Millionen Familien gibt, in denen der Pfennig eine außerordentliche Rolle spielt?
({1})
Sind die Zahlen derjenigen nicht bekannt, die sich das Leben nehmen, weil die Pfennige, die sie haben, schon jetzt nicht mehr ausreichen? Haben Sie den Mut, das irgendwie abzuleugnen? Dann rate ich Ihnen nur dringend, sich unbedingt damit vertraut zu machen.
({2})
- Wollen wir uns denn nur über Reallohn unterhalten? Glauben Sie, den Leuten wirklich einreden zu können, daß da noch etwas dran ist? Bedenken Sie bitte auch die psychologische Seite der Angelegenheit. Ich bedauere sehr, daß ich aus den Ausführungen des Ministers nichts Neues gehört habe. Möglicherweise waren seine Darlegungen über die Entstehungsgeschichte der Subventionen usw. für diejenigen interessant, die sich hier zum ersten Male in diese Angelegenheit vertiefen mußten. Für die anderen hat aber gar nichts dringestanden. Und ich muß sagen, daß die Erklärungen, die er hier abgegeben hat, unsere Sorge in keiner Weise vermindert haben. Auf einmal ist die Rede davon, daß ein Brot, ein gängiges Brot, also eines zu gleichem Preis, verkauft werden soll, daß man sich natürlich nicht um Kuchen oder Brötchen usw. etwa kümmern will. Im Augenblick hat aber der Verbraucher die Auswahl zwischen vier gängigen Brotsorten, und wenn nun eine davon nur zum gleichen Preise weiter angeboten werden soll, wird auch niemand sagen können, daß der Brotpreis nicht steigt. Er steigt natürlich immer nur zu Lasten derjenigen, die mit Pfennigen rechnen müssen.
Ebenso scheint es mir sehr wenig beruhigend zu sein, wenn hier gesagt wird, es handle sich schon deswegen nicht um eine Margarinesteuer, weil die Sache diesmal auf drei Monate befristet ist. Wer die Löcher kennt, die durch den Fortfall der Subventionszahlungen gerissen worden sind, und wer den Betrag kennt, der aufgebracht werden muß, um diese Löcher in etwa zu stopfen, der weiß auch, daß es mit einer Fettsteuer von drei Monaten nicht gemacht ist. Und wir sind uns ja wohl alle darüber einig: haben wir sie erst, dann behalten wir sie auch.
({3})
({4})
Es liegen ja schon dementsprechende Anträge vor.
Meine Damen und Herren! Die Sachverständigen, das heißt die, die dies wirklich am besten wissen müssen, weil sie die Margarine machen und verkaufen, haben schon vor Wochen in aller Eindeutigkeit gesagt, auch nach dem Fortfall des Verrechnungskontos, auch auf der Basis der Weltmarktpreise, die, wie Ihnen der Blick in jede vernünftige Zeitung zeigt, seit Wochen eine erheblich steigende Tendenz haben, wird für 60% der Margarinemenge der gleiche Preis erzielt werden müssen,
({5})
und für 40% der Margarinemenge wird man eine Margarine machen, die billiger ist. Meine Damen und Herren, es ist doch keine - verzeihen Sie mir das harte Wort - faire Art der Diskussion, wenn man sagt, die Margarine wird ja gar nicht teurer als 2,44 DM pro Kilo. Zum erheblichen Teil ist sie - und darüber kann sich ja niemand mehr freuen als die Anhänger der freien Konkurrenz - glücklicherweise schon billiger geworden. Es kann ja nicht ein irgendwann einmal festgesetzter Höchstpreis, es kann für den, der die Margarine kaufen soll, immer nur der Preis maßgebend sein, den er jetzt, gestern und vorgestern gezahlt hat, und der ihm morgen um genau denselben Anteil verteuert wird, den die Margarinesteuer ausmacht.
Meine Damen und Herren! Wir haben in dieser Angelegenheit nun so viel gehört, so viel Versprechungen, die durch die Tatsachen widerlegt worden sind - bitte, vielleicht sagt der eine oder andere, daß das um so schlimmer für die Tatsachen ist; wir sind der Meinung, es ist nur schlimm für die Versprechungen und für diejenigen, die sie gemacht haben -, daß wir jetzt hier absolut sichergehen wollen.
({6})
Wir sind deshalb leider nicht in der Lage, dem Abänderungsantrag, der hier gestellt worden ist, zuzustimmen, der die Worte „die bisherigen Maßnahmen fortzuführen" verändern will in schlicht und einfach „Maßnahmen zu treffen".
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, die die Brotpreiserhöhung betreffen. Einige Leute glauben, es sei sehr gescheit, die Margarine teurer zu machen, damit das Brot nicht teurer wird. Das scheint uns nun wiederum zwar eine Maßnahme, aber eine außerordentlich ungeeignete Maßnahme zu sein. Wir sehen einen wirksamen Schutz wirklich nur dann, wenn das bisherige System in dem Umfang fortgeführt wird, in dem es eben heute noch notwendig ist. Das heißt: Fortzahlung der Subventionen aus allgemeinen Haushaltsmitteln, das heißt zu Lasten aller Steuerzahler, für Brotgetreide und phosphorsäurehaltige Düngemittel, indem wir uns darüber einig sind, daß es für Futtermittel usw. im Augenblick nicht mehr notwendig ist.
Auch der zweite Abänderungsvorschlag, statt „Die notwendigen Subventionen" nur „Notwendige Subventionen" zu sagen, ist für uns unerträglich, weil da drin ja im Unterton liegt „eventuell notwendige Subventionen", während es - das ist einmal wenigstens, und zwar erst vor drei Wochen, scheint mir, die Ansicht des gesamten Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft gewesen -, nur e i n wirksames Mittel gibt, um die Brotpreise und die Margarinepreise zu halten, nämlich Subventionen in der bisherigen Form.
Deswegen hält meine Fraktion den Antrag auf Drucksache Nr. 1083 aufrecht und bittet Sie dringend, ihm zuzustimmen. Nur wenn wir das jetzt hier beschließen, haben wir noch eine leise Chance, Schlimmeres zu verhüten und das aufzufangen, was schon sehr leichtfertig in Gang gebracht worden ist. Wird das heute nicht mit allen Konsequenzen beschlossen, die sich daraus möglicherweise auch für die Steuerpolitik der Regierung ergeben - ich mache gar kein Hehl daraus, daß das vielleicht denjenigen, denen man die Steuern so nachgelassen hat, etwas kosten wird; aber das hat so ein Ausgleich nun mal an sich -, dann, meine Damen und Herren, sanktionieren diejenigen, die es nicht beschließen wollen, alles das, was infolge dieser Politik nun über unser Volk hereinbrechen wird.
({7})
Meine Damen und Herren! Die Aussprache über Drucksache Nr.1083 ist beendet. Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor.
({0})
- Verzeihung, die Zeit ist abgelaufen.
({1})
- Zur Abstimmung, bitte!
Meine Damen und Herren! Ich
glaube, daß hier doch noch ein Wort nötig ist - - ({0})
Herr Abgeordneter Euler zur Geschäftsordnung!
({0})
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die gesetzgeberischen Maßnahmen der Regierung sollen nächste Woche im Ausschuß besprochen werden. Es dürfte das allein Richtige sein, auch den Antrag auf Drucksache Nr. 1083 dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zu überweisen.
({0})
Meine Damen und Herren! Sie haben den Antrag des Herrn Abgeordneten Euler auf Überweisung der Drucksache Nr. 1083 gehört. Wird das Wort dagegen gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich zunächst über den geschäftsordnungsmäßigen Antrag des Herrn Abgeordneten Euler abstimmen, die Drucksache Nr. 1083 an den zuständigen Ausschuß zu verweisen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war zweifellos die Mehrheit. Der Antrag des Herrn Abgeordneten Euler auf Überweisung des Antrags an den Ausschuß ist abgelehnt.
({0})
Meine Damen und Herren! Wir kommen dann zunächst zur Abstimmung über den Abänderungsantrag zu Drucksache Nr. 1083, der da lautet - ich darf Ihnen das vorlesen; bitte, nehmen Sie alle die Drucksache Nr. 1083 zur Hand -, die beiden Worte „die bisherigen" zu streichen, am Schluß des ersten
({1})
Absatzes statt „fortzuführen" „zu treffen" zu sagen, im zweiten Absatz „Die notwendigen Subventionen" umzuwandeln in die Worte „Notwendige Subventionen". Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich. die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist mit eindeutiger Mehrheit abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung - ({2})
- Aber entschuldigen Sie, trotz der Enthaltungen war eine Mehrheit für die Ablehnung vorhanden' Ich habe entschieden und bin mir mit dem Vorstand darüber einig, daß eine Mehrheit für die Ablehnung dieses Antrag s vorhanden war. Damit ist meine Entscheidung gefallen.
({3})
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den vorliegenden Antrag in der Fassung der Drucksache Nr. 1083. Um die Sache übersichtlicher zu machen. bitte ich das Haus um das Einverständnis. daß aufgestanden wird. damit man besser übersehen kann.
({4})
- Wenn Sie nicht wollen, bitte, bleiben Sie sitzen!
({5})
Wer für den Antrag auf Drucksache Nr. 1083 in unveränderter Fassung, so wie er vor Ihnen liegt, ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. ({6})
- Ich bitte, meine geschäftsordnungsmäßigen Feststellungen nicht durch vorzeitige Beifallskundgebungen zu unterbrechen. - Ich stelle fest, daß der Antrag in der auf Drucksache Nr. 1083 vorliegenden Form mit Mehrheit gegen eine Minderheit bei Enthaltungen angenommen ist.
({7})
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung. Der Herr Abgeordnete von Merkatz, der sich aus irgendwelchen Gründen vorzeitig entfernen muß, hat gebeten, daß der Punkt 4, für den er Berichterstatter ist, dem Punkt 3 vorgezogen wird. Darf ich um das Einverständnis des Hauses bitten? - Ich höre keinen Widerspruch. Dann kommen wir zu Punkt 4 der Tagesordnung
Zweite und Dritte Beratung des von der Fraktion der SPD - ({8})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie sich entschlossen haben, Ihre Privatgespräche zu beenden,
darf ich mir erlauben, die Geschäfte fortzuführen.
Wir kommen nun zu Punkt 4 der Tagesordnung,
den wir dem Punkt 3 der Tagesordnung vorziehen: Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD ({9}) und von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP beantragten Entwurf eines Richterwahlgesetzes ({10});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({11}) ({12}).
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da es sich um eine aus der Mitte
des Bundestags eingebrachte Vorlage handelt, bei der eine schriftliche Begründung fehlt, muß über die Beratungen des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht eingehender berichtet werden, als das sonst üblich ist, damit künftige Auslegungszweifel bei diesem grundlegenden Ausführungsgesetz zum Grundgesetz möglichst vermieden werden.
({0})
Der vom Ausschuß vorgelegte Text in der Drucksache Nr. 1088 ist aus einer Verschmelzung bzw. Neufassung des von der Fraktion der SPD vorgelegten Gesetzentwurfs eines Richterwahlgesetzes - Drucksache Nr. 327 - und des Gesetzesvorschlages der Fraktionen der Regierungsparteien - Drucksache Nr. 955 - hervorgegangen. Es handelt sich hierbei um das Ausführungsgesetz - ({1})
Meine Damen und Herren. ich bitte doch, dem Herrn Berichterstatter so viel Rücksicht entgegenzubringen, daß er seine Ausführungen machen kann. Ich verstehe die Erregung gar nicht. Gelassenheit ist ein wesentliches Kriterium der Politik.
({0})
- Bitte, Herr Berichterstatter!
Es handelt sich hierbei um das Ausführungsgesetz zu Art. 95 Abs. 3 und Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes, deren Wortlaut als bekannt vorausgesetzt werden darf.
Nach dem Willen des Verfassungsgesetzgebers soll die als dritte Gewalt sachlich und persönlich nur dem Recht und dem Gesetz unterworfene, von den übrigen Gewalten unabhängige Rechtsprechung durch die Auswahl der obersten Bundesrichter von der übrigen Beamtenschaft in einem spezifisch politischen Sinne unterschieden, durch die Mitwirkung maßgeblicher politischer Faktoren bei ihrer Berufung mit den demokratischen Grundbedingungen des Verfassungslebens in Einklang gebracht, vor parteipolitischer oder standesmäßiger Einseitigkeit bewahrt und so in ihrer demokratischen Autorität und Legitimation gestärkt werden.
Bei der Beratung der Entwürfe sind namentlich von dem Mitberichterstatter, Herrn Abgeordneten Arndt, folgende Grundfragen herausgearbeitet und im Ausschuß geklärt worden.
Erstens war die Frage zu entscheiden, ob ein oder mehrere Richterwahlausschüsse gebildet werden sollen. Der Ausschuß entschied sich einstimmig für die Bildung nur eines ständigen Richterwahlausschusses, der für die Berufung der Richter an die oberen Bundesgerichte und an das Oberste Bundesgericht zuständig ist. Lediglich die Mitglieder kraft Amtes, nämlich die zuständigen Landesminister und der als Vorsitzender fungierende Bundesminister, sollen je nach der sachlichen Zuständigkeit der zu besetzenden Bundesgerichte wechseln, während die vom Bundestag, also von der Legislative, in den Ausschuß gewahlten Wahlmitglieder - im Entwurf „Mitglieder kraft Wahl" genannt - keinem Wechsel unterworfen sind und so ein gleichbleibendes
Element bilden sollen.
Es ist nun von einigen Mitgliedern dieses Hauses angeregt worden, nicht einen, sondern mehrere Richterwahlausschüsse zu bilden. Das Problem liegt darin, ob die gewählten Mitglieder dieselben oder je nach dem Gericht andere sein können. Der Rechts({0})
ausschuß hat sich dieser Anregung aus verfassungsrechtlichen und auch aus rechtspolitischen Gründen versagen müssen und einstimmig - ich betone: einstimmig - an seinem ursprünglichen Beschluß festgehalten.
Der eine Richterwahlausschuß, bei dem nur der Wechsel des Vorsitzenden und der Mitglieder kraft Amtes vorgesehen ist, wird vom Grundgesetz vorgeschrieben. Das ergibt sich aus dem Wortlaut des Art. 95 Abs. 3, der von einem Richterwahlausschuß spricht, der aus den Landesjustizministern und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern besteht, die vom Bundestage gewählt werden. Diese Bestimmung bezieht sich auf das Oberste Bundesgericht. Sie findet aber gemäß Art. 96 Abs. 2 nicht nur entsprechende, sondern unmittelbare Anwendung auf die Wahl der Richter der oberen Bundesgerichte. Es wird also der eine Richterwahlausschuß vorausgesetzt, der nur mit der Maßgabe abgewandelt ist, daß an die Stelle der Landesjustizminister und des Bundesjustizministers die für das jeweilige Sachgebiet zuständigen Minister treten. Die vom Bundestag gewählten Mitglieder sollen jedoch die gleichen bleiben.
Diese wörtliche Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte dieser Formulierung bestätigt. Im Parlamentarischen Rat wollte man nur einen Richterwahlausschuß. Aus den jetzt gedruckt vorliegenden Verhandlungen des Hauptausschusses Seite 667 ergeben sich folgende Auslassungen:
Der Abgeordnete Strauß hat seinerzeit ausgeführt:
Die Beteiligung der Ressortminister mag nach dem Vorschlag des Fünferausschusses durchaus beibehalten werden, nur müssen die Dinge wieder einheitlich zusammenlaufen. Wir können nicht fünf verschiedene Ausschüsse und die verschiedensten Vorschläge verschiedener Ressortminister haben.
Der Abgeordnete Zinn hat ausgeführt:
Es soll nur ein Ausschuß, der aus den Justizministern besteht, zu entscheiden haben. Das Vorschlagsrecht haben dagegen die Fachminister.
So ergibt sich, daß sowohl der Wortlaut als auch die Entstehungsgeschichte der Art. 95 Abs. 3 und 96 Abs. 2 zwingend verfassungsrechtlich bestimmen, daß die vom Parlament gewählten Mitglieder des Richterwahlausschusses nicht variieren, daß nur die Vorsitzenden und die zuständigen Fachminister je nach dem Gericht, das zu besetzen ist, variieren sollen, daß es sich also, wie der Rechtsausschuß einstimmig entschieden hat, nur um die Konstruktion eines Richterwahlausschusses handeln kann.
Infolge dieser Stellungnahme, zu der der Rechtsausschuß auf Grund der Verfassung verpflichtet war, sind auch die anderen Anregungen, die nachgeschoben worden sind, einstimmig abgelehnt worden, da sie ihrem Wesen nach mit dieser prinzipiellen Grundentscheidung zusammenhängen.
Zum zweiten. Mitglieder kraft Amtes sind die Landesminister, zu deren Geschäftsbereich die diesem oberen Bundesgericht im Instanzenzug nachgeordneten Gerichte des Landes gehören. Da das Grundgesetz zur Zeit auf dem Gebiet von elf deutschen Ländern Anwendung findet, müssen die Mitglieder kraft Amtes durch eine gleiche Anzahl, also durch elf Mitglieder kraft Wahl gemäß den Artikeln 95 Abs. 3 und 96 Abs. 2 des Grundgesetzes ergänzt werden. Der Ausschuß hat sich gegen eine Vorratswahl solcher Mitglieder und damit gegen eine Auswahl ad hoc aus diesem größeren Kreise etwa durch das Los gewandt, um Zufallsergebnisse einer weckseinden parteipolitischen Zusammensetzung möglichst zu vermeiden. Die Mitglieder kraft Wahl sind neu zu wählen, sobald sich die Zahl der Mitglieder kraft Amtes ändert.
Zum dritten hielt der Ausschuß im Gegensatz zum Entwurf der Regierungskoalition die Mitgliedschaft im Richterwahlausschuß mit der Mitgliedschaft in einer gesetzgebenden Körperschaft für vereinbar, zumal im Grundgesetz keine Inkompatibilität, keine Unvereinbarkeit in dieser Hinsicht vorgeschrieben ist. Diese Folgerung ergibt sich aus dem Grundgedanken der Einrichtung eines Richterwahlausschusses, der ja gerade darauf abzielt, einen politischen Einklang zwischen der Richterpersönlichkeit und der Verfassungswirklichkeit herzustellen. Politischer Einklang bedeutet nicht parteipolitische Einseitigkeit. Es soll vielmehr durch die Beteiligung politischer Faktoren verschiedener Richtung die - objektiv beurteilt - beste Persönlichkeit dem hohen Richteramt zugeführt werden.
Zum vierten. Im Gegensatz zum Entwurf der Regierungskoalition ist allen Mitgliedern des Richterwahlausschusses - also nicht nur den Mitgliedern kraft Amtes - ein Vorschlagsrecht eingeräumt worden. Auch das ergibt sich aus den soeben erwähnten Grundgedanken.
Fünftens entschied sich der Ausschuß dafür, daß die Mitglieder kraft Wahl und ihre Stellvertreter nach den Regeln der Verhältniswahl, und zwar nach dem Höchstzahlenverfahren nach d'Hondt gewählt werden sollen. Er lehnte den Gedanken der Billigung eines gemeinsamen Wahlvorschlags durch zwei Drittel der gesetzlichen Mitgliederzahl des Bundestags, wie er im Koalitionsentwurf enthalten war, ab, weil die Möglichkeit der Überstimmung eines Drittels des Bundestags, also vielleicht der größten Fraktion dieses Hauses, vermieden werden soll.
Sechstens bekannte sich der Ausschuß zum Prinzip der geheimen Abstimmung im Richterwahlausschuß, um so einer kontrollierbaren Fraktionsbindung oder sonstigen Bindungen in etwa vorzubeugen.
Von diesen Grundlinien abgesehen, erarbeitete der Ausschuß folgende Prinzipien:
Die Geschäftsführung für den Richterwahlausschuß wird dem Bundesminister der Justiz zugesprochen, der in jedem Falle den Richterwahlausschuß einzuberufen, aber nur für die oberen Bundesgerichte seines Geschäftsbereichs und das Oberste Bundesgericht den Vorsitz im Richterwahlausschuß zu führen hat, während für die übrigen oberen Bundesgerichte der Vorsitz dem sachlich zuständigen Bundesminister obliegt.
Während die Mitglieder kraft Wahl von ihren nach dem gleichen Verfahren gewählten Stellvertretern vertreten werden, hat der Ausschuß auf die Regelung Wert gelegt, daß die Vorsitzenden im Richterwahlausschuß und die Mitglieder kraft Amtes nur durch den in der Geschäftsordnung der Bundesregierung und der Landesregierungen vorgesehenen Minister, also durch parlamentarisch verantwortliche Regierungsmitglieder, vertreten werden können.
Die Entscheidung über die Berufung einer Persönlichkeit zum Richteramt kommt nur dadurch zustande, daß der zuständige Bundesminister dem Beschluß des Richterwahlausschusses zustimmt. Er hat kein Stimmrecht, wohl aber ein Vorschlagsrecht und ist in der Lage, von seinem Zustimmungsrecht erst Gebrauch zu machen, nachdem er darüber einen Kabinettsbeschluß herbeigeführt hat.
({1})
Schließlich wurde Übereinstimmung darüber erzielt, daß jeder neugewählte Bundestag eine Neuwahl der Mitglieder kraft Wahl vorzunehmen hat. Damit weicht der Text, den der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zur Annahme vorschlägt, vom Vorschlag der Regierungskoalition ab, der eine Berufung auf sechs Jahre, also ein zeitliches Überdauern der Legislaturperiode, vorgesehen hatte.
Von diesen Prinzipien ausgehend, hat der Ausschuß die Einzelheiten des Gesetzesvorschlags präzisiert. Er ist hierbei vom Text des Koalitionsvorschlags ausgegangen, mit dem der SPD-Vorschlag weitgehend vereinigt worden ist.
Bei der Übernahme der Präambel aus dem Entwurf der SPD war sich der Ausschuß darüber einig, daß mit dieser Formulierung nur die Verfassungsgrundlage angegeben, nicht aber irgendeine Auslegungsrichtlinie aufgestellt werden sollte, die von der Rechtsprechung irgendwie verwertet werden könnte oder sollte.
Bei der Fassung des § 1 vertrat die Mehrheit des Ausschusses den Gedanken des Koalitionsentwurfs, den abstrakt gehaltenen Text des Grundgesetzes zu konkretisieren, um spätere juristische Deduktionen aus der unbestimmten Fassung des Grundgesetzes überflüssig zu machen und um klarzustellen, daß es sich um ein en Richterwahlausschuß und nicht um eine Vielheit von Richterwahlausschüssen handelt.
Über die Regelung der Vertretung der Mitglieder kraft Amtes und der Mitglieder kraft Wahl wurde bereits berichtet. Sie ist nach dem Prinzip gestaltet worden, daß es sich bei dem Beschluß des Richterwahlausschusses um eine politische Vertrauensentscheidung handeln soll, so daß an die politische Legitimation der im Richterwahlausschuß beschließenden Mitglieder besondere Anforderungen zu stellen sind. Insbesondere soll verhindert werden, daß im Richterwahlausschuß Ministerialbeamte tätig sind.
Mit besonderer Sorgfalt wurde erwogen, welche Anforderungen an die Qualifikation der Mitglieder kraft Wahl zu stellen sind. Das Erfordernis der Richterfähigkeit wurde von der ganz überwiegenden Mehrheit des Rechtsausschusses abgelehnt. Hierbei wurde klargestellt, daß die Formulierung in § 3 Abs. 1 des Entwurfs der SPD: „Die Mitglieder kraft Wahl sollen im Rechtsleben erfahren und müssen zum Bundestag wählbar sein" eine Ermessensentscheidung des Bundestages beinhalten sollte, die nicht der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht unterliegt. Dieser Rechtsgedanke wurde vom Ausschuß festgehalten, obwohl die SollForm in eine Muß-Form gemäß § 4 Abs. 1 der Ausschußvorlage umgewandelt worden ist.
Über die Bedeutung der Verhältniswahl bei Bestellung der Mitglieder kraft Wahl wurde bereits berichtet. Der Rechtsausschuß legt Wert darauf, das Wahlverfahren in § 5 seines Gesetzesvorschlags wörtlich zu beschreiben.
Eingehende Erörterungen wurden über den Begriff der Verschwiegenheit angestellt, der nach der Fassung des § 6 Abs. 2 im Sinne der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht der Beamten ausgelegt werden soll. Danach ist nur die Weitergabe an Dritte verboten, die nicht legitimiert sind, in die Sache hineingezogen zu werden.
Herr Abgeordneter, darf ich Sie darauf aufmerksam machen: Sie sind sicher sehr rationell veranlagt; denken Sie bitte daher auch an Ihre Redezeit!
Ich halte mich für verpflichtet, die Entwicklung der Beratung hier darzustellen, da dieses Gesetz aus der Mitte' des Bundestags kommt und keine schriftliche Begründung hat.
({0})
- Der Berichterstatter hat keine Redezeit. Der Bericht ersetzt hier die Begründung, die sonst schriftlich in einer Regierungsvorlage gegeben wird, und der Rechtsausschuß muß Wert darauf legen, daß diese Zweifelsfragen damit authentisch interpretiert werden, um künftige Auslegungsschwierigkeiten zu verhindern.
Herr Präsident, ich bitte um Entschuldigung.
Bitte sehr!
({0})
Nach § 7 ist ein Mitglied des Richterwahlausschusses nur dann von der Mitwirkung bei der Wahl eines Richters ausgeschlossen, wenn die Voraussetzungen des § 41 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung vorliegen d. h. wenn er mit der zu
wählenden Person in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Adoption verbunden, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch welche die Schwägerschaft begründet worden ist, nicht mehr besteht. Der Rechtsausschuß hat sich dafür entschieden, nur diesen gesetzlichen Ausschließungsgrund bestehen zu lassen, eine Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit aber mit Rücksicht auf den Charakter des Richterwahlausschusses nicht zuzulassen. Der gesetzliche Ausschlußgrund bezieht sich auf die Mitglieder kraft Wahl und auf die Mitglieder kraft Amtes gleichermaßen, nicht aber auf den vorsitzenden Bundesminister. der ja kein Stimmrecht im Richterwahlausschuß hat. Hierbei wurde geprüft, ob die Ausdehnung des Ausschlußgrundes gemäß § 41 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung verfassungsrechtlich 7u_ lässig ist. Der Ausschuß verneinte in seiner Mehrheit, daß dieser aus der Natur der Sache hervorgehende Ausschlußgrund eines Landesministers eine verfassungswidrige Beschränkung bedeuten kann. da der von der Mitwirkung ausgeschlossene Landesminister jederzeit ersetzbar ist.
Im Gegensatz zu den vom Vertreter des Justizministeriums aufgezeigten technischen Schwierigkeiten war der Ausschuß der Meinung, daß die kontinuierliche Geschäftsführung durch das Bundesjustizministerium wahrzunehmen ist, obwohl es sich nicht unmittelbar an die einzelnen Landesminister wenden kann. Diese Kontinuität in der Geschäftsführung durch das Justizressort ergibt sich aus der Entscheidung des Rechtsausschusses für einen. aber nicht für eine Vielzahl von Richterwahlausschüssen.
Bei der Frage des Vorsitzes wurde erörtert, ob der zuständige Ressortminister durch seinen Staatssekretär vertreten werden kann, wofür sich der Vertreter der Regierung aussprach, weil nach der Geschäftsordnung der Bundesregierung sonst ein Minister den Vorsitz bekommen müsse, der nicht die nötige Sachkunde besitze und auch nicht das unmittelbare Interesse an den Dingen habe. Der Ausschuß stellte sich aber auf den Standpunkt, daß im Falle der Behinderung des zuständigen Ressortministers in aller Regel kein Termin angesetzt werden dürfe. Es wurde festgelegt, daß der zuständige Bundesminister nur von seinem Vertreter in der Bundesregierung im Vorsitz vertreten werden kann, aber ausdrücklich im Protokoll vermerkt, daß der
({0})
Bundesminister seine Berater mitnehmen und auch zu Worte kommen lassen kann.
Eine längere Debatte entspann sich über die Fassung des. § 11, namentlich im Hinblick darauf, ob, wie im Gesetzesvorschlag der sozialdemokratischen Fraktion, auch eine Fassung aufgenommen werden solle, daß der Vorgeschlagene die Gewähr dafür bietet, im Geiste des Grundgesetzes und mit sozialem Verständnis die ihm anvertraute rechtsprechende Gewalt auszuüben.
Ferner wurde darüber diskutiert, ob für die Beschlußfassung über die Qualifikation das Wort „prüft" oder „befindet" gewählt werden soll. das sowohl den Prüfungs- als auch den Entscheidungsvorgang in sich begreift. Der Ausschuß entschied sich mit Mehrheit dafür, daß in § 11 der Ausdruck „prüft" verwandt werden soll und daß man für die Kennzeichnung der persönlichen Qualifikation das Zutreffen der sachlichen und persönlichen Voraussetzungen für begrifflich umfassend genug erachten kann.
Zur Vorbereitung der Entscheidung bestellt der Richterwahlausschuß gemäß § 10 des Ausschußvorschlags zwei seiner Mitglieder als Berichterstatter.
Gemäß § 12 entscheidet der Richterwahlausschuß nach dem Prinzip der geheimen Abstimmung mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
Eingehende Erörterungen wurden bei der Fassung der §§ 13 und 14 angestellt. In § 13 ist der Rechtsgedanke des sozialdemokratischen Entwurfs verwertet worden, daß der zuständige Bundesminister mit seiner Zustimmung die Verpflichtung übernimmt, beim Bundespräsidenten die Ernennung des Gewählten zu beantragen.
Über den Vorschlag des sozialdemokratischen Entwurfs hinausgehend wurde in § 14 die Bestimmung aufgenommen, daß der Bundespräsident den Gewählten zum Bundesrichter ernennt. Die Wahl des Präsens hat hier die Bedeutung von: ist verpflichtet, die Ernennung zu vollziehen. - Der Korreferent unterstrich die Tatsache, daß der sozialdemokratische Entwurf vor dem Bundespräsidenten haltmache; lediglich die Bindung des Bundesministers an seine erklärte Zustimmung sei beabsichtigt worden, und er warne davor, durch die Wiederholung einer Bestimmung des Grundgesetzes Konfliktstoff zwischen einem einfachen Gesetz und dem Grundgesetz zu schaffen. Das Verfassungsgericht werde entscheiden müssen, ob es sich bei Art. 69 nur um eine Zuständigkeitsbestimmung oder um mehr handle.
Der Rechtsausschuß vertrat demgegenüber aber in seiner Mehrheit die Ansicht, daß der Bundespräsident kein materielles Prüfungsrecht habe. Nach dem Grundgesetz habe er eine Zuständigkeit nur so weit, als sie ihm ausdrücklich übertragen worden sei. Demgemäß könne eine sachliche Prüfung, wenn die formellen Voraussetzungen für die Ernennung gegeben seien, durch den Bundespräsidenten nicht mehr stattfinden.
§ 14 ist im Zusammenhang mit § i des Gesetzesvorschlags zu sehen, der den Gesamtinhalt des Richterwahlgesetzes zusammenfaßt, der später exemplifiziert wird. Deshalb war der Ausschuß der Ansicht, § 14 bestehen zu lassen, wenn man sich darüber klar ist, daß damit gesagt wird: Das Ernennen ist eine Pflicht.
Der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht stellt hiermit den Antrag:
Der Bundestag wolle beschließen:
den Entwurf eines Richterwahlgesetzes in der
Fassung der Drucksache Nr. 1088 zu genehmigen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Ich darf das Hohe Haus darauf aufmerksam machen, daß der Ältestenrat sich ursprünglich der Hoffnung hingegeben hatte, es würde keine Aussprache stattfinden. Da sich nun bereits zwei Redner gemeldet haben, bitte ich im Namen des Altestenrates um die Zustimmung des Hauses, daß wir die Gesamtredezeit auf 40 Minuten festsetzen. - Ich höre keinen Widerspruch; es ist demgemäß beschlossen.
Als erster Redner hat Herr Abgeordneter Dr. Laforet das Wort. 8 Minuten! Ich bitte, Ihre Ausführungen danach einzuteilen.
Meine Damen und Herren! Wir stehen vor der Bildung der oberen Bundesgerichte. Diese Bildung setzt voraus, daß, wenn man nicht eine Notlösung wählen will, wie sie beim Bundesfinanzhof erfolgt ist, ein Richterwahlgesetz erlassen werden muß; denn bei der Berufung der Richter muß nach Art. 95 und 96 des Grundgesetzes ein Richterwahlausschuß mitwirken.
Der Rechtsausschuß ging bei seinem Entwurf von dem Gedanken aus, der sicherlich im Grundgesetz niedergelegt ist, daß jedes obere Bundesgericht selbständig ist und vom zuständigen Fachminister betreut wird. Strittig ist, ob für das Oberste Bundesgericht und die sämtlichen oberen Bundesgerichte ein gemeinsamer Richterwahlausschuß oder für jedes höchste Gericht ein besonderer Richterwahlausschuß bestellt werden soll.
Auch nach dem vom Rechtsausschuß vorgelegten Entwurf kann nach den binden den Bestimmungen in Art. 96 des Grundgesetzes nur mit großer Einschränkung von einem gemeinsamen Richterwahlausschuß gesprochen werden; denn den Vorsitz führt für jedes obere Gericht, z. B. den Bundesfinanzhof, das Bundesarbeitsgericht, der zuständige Bundesfachminister; es wechselt jeweils die Hälfte der Mitglieder des Richterwahlausschusses, denn diese müssen sich zusammensetzen aus Mitgliedern kraft Amts und Mitgliedern kraft Wahl. Mitglieder kraft Amts sind die Landesminister, zu deren Geschäftsbereich die diesem oberen Bundesgericht im Instanzenzug untergeordneten Gerichte des Landes gehören, also die Fachminister. Aber nach dem Entwurf des Rechtsausschusses sollen die vom Bundestag gewählten Mitglieder die gleichen Männer und Frauen sein, und darüber sind die Meinungen verschieden.
Im Rechtsausschuß ist für die von ihm vorgeschlagene Regelung geltend gemacht worden, daß nur diese Regelung dem Wortlaut des Grundgesetzes entspricht und daß nach den Gesetzgebungsverhandlungen im Parlamentarischen Rat nur ein gemeinsamer Richterwahlausschuß geschaffen werden soll, wenn er sich auch verschieden zusammensetzt. Auch Gründe der Vereinfachung sprechen für diese Regelung.
Meine Damen und Herren! Bei der Berufung der Richter ist zu unterscheiden zwischen der förmlichen Ernennung durch den Bundespräsidenten und dem entscheidenden Vorschlag der Bundesregierung oder des für den Gegenstand zuständigen Bundesministeriums. Die Ernennung kommt nach Art. 60 Abs. 1 des Grundgesetzes dem Bundespräsidenten als Pflicht zu. Das wird auch durch § 14 des Entwurfs klargestellt; ich darf auf das verweisen, was der
({0})
Herr Referent Dr. von Merkatz dazu ausgeführt hat. In Art. 46 der Weimarer Verfassung war die Ernennung der Reichsbeamten dem Reichspräsidenten zugewiesen. Die sachliche Verantwortung kam den obersten Reichsbehörden zu, und zwar soweit dies bestimmt war, im Einvernehmen mit den Landesregierungen. Hier ist eine wesentliche Änderung eingetreten. Es ist die grundsätzliche Scheidung der Gewalten zugunsten der Legislative durchbrochen. Nach Art. 95 Abs. 3 und 96 Abs. 2 des Grundgesetzes entscheiden über die Berufung der Richter der oberen Bundesgerichte der Bundesjustizminister oder der zuständige Fachminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß. Der Richterwahlausschuß kann dem zuständigen Bundesminister keinen Herrn aufdrängen. Aber der Bundesminister kann beim Bundespräsidenten nur die Ernennung einer Persönlichkeit zum oberen Bundesrichter vorschlagen, die von der Mehrheit der Mitglieder des Richterwahlausschusses ausdrücklich gebilligt ist. Im Richterwahlausschuß wirkt nun neben den Vertretern der Länder der Bundestag durch von ihm gewählte Vertrauensmänner mit. Damit hat der Bundestag auch auf die Verwaltungsakte der Richterernennung mittelbar bestimmenden Einfluß. Somit trifft den Bundestag aber auch eine Verantwortung dafür, daß der Vorgeschlagene die für das hohe Richteramt zu fordernden sachlichen und persönlichen Voraussetzungen erfüllt. Die Fraktionen werden bei ihren Vorschlägen für die Mitglieder des Richterwahlausschusses sich dieser Verantwortung des Bundestages bewußt sein müssen.
Ich empfehle Ihnen, den Entwurf so anzunehmen, wie er vom Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht einstimmig beschlossen worden ist.
({1})
Herr Abgeordneter Pelster! Noch 2 Minuten Rest.
Wir haben die eingehende Begründung des Berichterstatters gehört. Schon vor zwei Tagen haben wir uns mit derselben Materie befaßt. Obwohl der Rechtsausschuß nochmals zu der Sache Stellung genommen und festgelegt hat, daß es bei seiner Auffassung, d. h. bei der alten Fassung, wie der Ausschuß sie beschlossen hat, bleiben soll, sind eine Reihe von Mitgliedern dieses Hauses, die verschiedenen Fraktionen angehören, der Meinung, daß trotz und alledem eine Änderung des Gesetzes dahingehend notwendig ist, mehrere Richterwahlausschüsse tätig sein zu lassen.
Was soll es denn heißen, wenn nur von einem Ausschuß gesprochen wird? Damit ist doch nicht die Zahl gemeint! Die Mitglieder des Ausschusses wechseln, soweit es sich um Mitglieder kraft Amts handelt. Das müssen immer Fachleute sein. Die Mitglieder kraft Wahl aus diesem Hause brauchen es nicht zu sein, die werden ein für allemal für alle Sach- und Fachgebiete genommen. Wenn wir es so machen, wie es hier drinsteht, dann kommt es so, daß diese Mitglieder durch die Länderminister, die Mitglieder kraft Amtes sind, zugunsten der Bürokratie an die Wand gespielt werden. Es ist unmöglich, zu verlangen, daß die Mitglieder, die der ordentlichen Gerichtsbarkeit angehören, Kenntnisse auf dem Gebiet des gesamten Finanzwesens, Kenntnisse auch auf dem Gebiet der sozialen Gerichtsbarkeit usw. haben sollen. Der Minister wird jeweils ausgewechselt. Soweit es sich um Arbeitsrecht handelt, nimmt man den Bundesarbeitsminister, soweit es sich um Sozialrecht handelt, den dafür zuständigen Fachminister. Man nimmt also nicht den Finanzminister oder den Justizminister, sondern den Arbeitsminister. Ebenso können aber nach meiner Meinung auch die Mitglieder kraft Wahl ausgewechselt werden.
Wir schlagen deshalb vor, § 1 dahin zu ändern, daß es heißt statt „dem Richterwahlausschuß" „einem Richterwahlausschuß", genau wie es im Grundgesetz steht, und dabei auch ganz klar festzulegen, wer zuständiger Minister ist.
In § 1 Abs. 3 des Gesetzes wird festgelegt, daß der zuständige Minister für das Oberste Bundesgericht und für die ordentliche Gerichtsbarkeit der Minister der Justiz ist, für die Verwaltungsgerichtsbarkeit der Minister des Innern, für die Finanzgerichtsbarkeit der Bundesminister der Finanzen und für die Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit der Bundesminister für Arbeit. Dementsprechend braucht dann § 2 nur in der Form geändert zu werden, daß für das Oberste Bundesgericht und für jedes obere Bundesgericht je ein Richterwahlausschuß gebildet wird. In den §§ 5, 6 und 8 muß es dann lediglich statt „der Bundesminister der Justiz" heißen „der zuständige Bundesminister". § 9 muß dann noch in der Form geändert werden, daß der zuständige Bundesminister oder sein Stellvertreter den Vorsitz führt, und zwar schon allein aus dem Grunde, weil dieser Stellvertreter über das Rechtsgebiet besser im Bilde ist als etwa der Bundesflüchtlingsminister, der evtl. für den Bundesarbeitsminister eintreten soll. Wir halten das für nicht gut möglich, sondern es muß dann schon der sachkundige Stellvertreter des Ministers bei dessen Behinderung den Vorsitz führen.
Der Antrag ist von Mitgliedern verschiedener Parteien unterschrieben. Ich überreiche ihn und bitte das Hohe Haus, diesem Antrag zuzustimmen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Zinn.
Meine Damen und Herren! So bedauerlich es ist, daß dieses Gesetz, das eine weit größere Bedeutung hat, als die Öffentlichkeit vielleicht glaubt annehmen zu können, vor leeren Bänken und mit so geringer Aufmerksamkeit hier im Hause erörtert wird, so sehr begrüßen wir es, daß diese Vorlage des Rechtsausschusses zustande gekommen ist, nicht nur, weil es sich, wie ich bereits andeutete, um ein sehr wichtiges Organisationsgesetz handelt, eines der ersten verfassungergänzenden Gesetze, das nunmehr verabschiedungsreif wird, sondern vor allen Dingen auch deshalb, weil es in diesem Falle möglich gewesen ist, ein solches verfassungänderndes Gesetz aus der Mitte des Parlaments heraus ohne Regierungsvorlage zu erarbeiten. Sie haben dem Bericht des Herrn Berichterstatters entnehmen können, daß der Vorlage ein Entwurf der SPD vom Dezember 1949 und auf der andern Seite ein Entwurf der Regierungsparteien vom Mai 1950 zugrunde liegen. So groß die Verschiedenheiten in der Auffassung zu sein schienen, wenn man die ursprünglichen Entwürfe betrachtet, so sehr ist es gelungen, hier allgemein befriedigende Lösungen zu finden, und zwar ohne daß schlechte Kompromisse geschlossen worden sind. Es ist hier gelungen, sich gegenseitig zu überzeugen. Ich glaube, sagen zu dürfen, daß das ein erfreuliches Ergebnis der legislativen Vorarbeit innerhalb dieses Parlaments ist.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit der sachlichen Bedeutung dieses Gesetzes noch einige Worte widmen. Von Gegnern der Richterwahl ist vielfach behauptet worden, diese führe zu einer Politisierung der Richterschaft im Sinne einer Parteipolitisierung. Ich glaube, daß nichts unrichtiger ist als gerade das.
({0})
Ich bin der Auffassung und der Überzeugung, daß die Richterwahl, so wie sie das Grundgesetz vorgesehen hat und wie sie nunmehr nach dieser Gesetzesvorlage, wenn sie angenommen wird, durchzuführen wäre, zu dem Gegenteil dessen führt, was jetzt befürchtet worden ist. Sie führt zur Entparteipolitisierung der Richter.
({1})
Früher wurden die Richter im Reich und in den Ländern - auch nach 1945 in einem großen Teil der Länder - von der Exekutive ernannt, und den entscheidenden Einfluß auf die Ernennung hatte der jeweilige Fachminister, der in einer parlamentarischen Demokratie immer parteigebunden oder dort zumindest parteiabhängig ist. Die Gefahr, daß bei diesem Verfahren uer Berufung allein durch die Exekutive parteipolitische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, ist nie ganz von der Hand zu weisen. Bei der jetzt gefundenen Lösung aber besteht die Möglichkeit, daß die Fachminister oder der Fachminister auf der einen Seite und der Richterwahlausschuß auf der andern Seite, die ja gemeinsam über die Berufung zu entscheiden haben, sich gegenseitig an einer einseitigen Parteipolitik bei der Richterberufung hindern. Hinzu kommt, daß durch diese Regelung dem Parlament bei der Berufung der Richterschaft die Möglichkeit der Kontrolle der Exekutive gegeben wird. Vielleicht wird man einwenden, daß eine solche Kontrollmöglichkeit mit dem Grundsatz der Gewaltentrennung, die ja immer als Grundlage eines Rechtsstaates gilt, nicht zu vereinbaren sei. Nach unserer Auffassung trifft das nicht zu; denn dieser Gewaltentrennung muß auf der anderen Seite die Gewaltenhemmung entsprechen, durch die verhindert werden soll, daß eine der an sich voneinander unabhängigen Gewalten allzu mächtig wird.
Obwohl wir dieser Vorlage als ganzes zustimmen, ja sie sogar begrüßen, haben wir in Einzelheiten einige Bedenken. Wir halten den § 1 Abs. 1 der Vorlage, der eine Vorschrift des Grundgesetzes wiederholt, für überflüssig. Wir halten auch den § 14, der davon spricht, daß die gewählten Richter vorn Bundespräsidenten zu ernennen sind, für überflüssig, weil auch diese Vorschrift bereits im Grundgesetz enthalten ist. Ich fühle mich allerdings veranlaßt, im Zusammenhang mit dieser Vorschrift darauf hinzuweisen, daß dem Herrn Berichterstatter ein Irrtum unterlaufen ist, wenn er ausgeführt hat, bei der Erörterung des § 14 sei im Rechtsausschuß die Auffassung vertreten worden, daß dem Bundespräsidenten bei der Ernennung der Richter ein materielles Prüfungsrecht zustehe. Diese Auffassung ist unrichtig. Wenn sie sich im Protokoll finden sollte, wäre dem Protokollführer ein Irrtum unterlaufen, und ich widerspreche deshalb ausdrücklich der Darstellung des Herrn Berichterstatters. Es ist nach den Erörterungen im Ausschuß die Meinung vertreten worden, daß dem ernennenden Bundespräsidenten zwar ein formelles Prüfungsrecht zusteht, daß aber die Frage oder die Streitfrage, ob er ein materielles Prüfungsrecht hat, offengeblieben ist und auch nicht dadurch entschieden werden kann, daß man den § 14, so wie er jetzt in der Vorlage enthalten ist, in das Gesetz aufnimmt.
Wir betrachten diesen Gesetzentwurf als einen ersten Schritt, um die Justizkrise zu überwinden. Wir glauben, daß die Richter, die in dieser Weise berufen werden, eine weit größere Vertrauensgrundlage haben als jene, die, wie das früher die Regel war, nur durch die Exekutive ernannt worden sind. Wir hegen bei dieser Gelegenheit die Erwartung, daß diesem Gesetzentwurf bald auch die Vorlage eines Richtergesetzes nachfolgen möge, das jenem Zustand ein Ende setzen soll, den wir seither hatten und der von Professor Bader in Freiburg einmal treffend gekennzeichnet worden ist, indem er ausgeführt hat, der Richter in Deutschland sei seither im Grunde nichts anderes gewesen als ein kleiner richtender Justizbeamter. Wir brauchen dieses Richtergesetz, um aus dem deutschen Richter endlich das zu machen, was er sein soll: einen wirklichen Repräsentanten der dritten, der rechtsprechenden Gewalt.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Ich habe mit einiger Verwunderung gehört, was der Herr Berichterstatter des Rechtsausschusses über die Interpretation der Verfassung vorgetragen hat. Diese Interpretation ist im Grundgesetz in keiner Weise begründet.
({0})
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, einmal unbefangen zu lesen: „Über die Berufung der Richter des Obersten Bundesgerichts entscheidet der Bundesjustizminister gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß." Der Herr Berichterstatter hat als Meinung des Rechtsausschusses vorgetragen, daß, da hier von einem Richterwahlausschuß die Rede sei, mehrere Richterwahlausschüsse nicht möglich seien.
Meine Damen und Herren, der Art. 95 handelt zunächst nur von einem Gericht, nämlich dem Obersten Bundesgericht. Was hätte denn der Gesetzgeber eigentlich schreiben sollen, wenn er etwas anderes gemeint hätte? Da nur von einem Bundes- a gericht die Rede ist, konnte er nur schreiben „gemeinsam mit einem Richterwahlausschuß". Es ist eine völlig fehlgehende Interpretation, die Worte „mit einem Richterwahlausschuß" so auszulegen, als ob auf dem Wort „einem" irgendwelcher Nachdruck läge. Eine solche Schlußfolgerung ist unhaltbar.
Ich bitte dann einmal, den Art. 96 Abs. 2 des Grundgesetzes ganz unbefangen durchzulesen. Da heißt es: „Auf die Richter der oberen Bundesgerichte" - also abgesehen vom Obersten Bundesgericht - „findet Art. 95 Abs. 3 ... Anwendung". Das kann nichts anderes heißen, als daß auch diese Richter im Zusammenwirken mit einem Richterwahlausschuß berufen werden sollen. Es folgt dann in Abs. 2 von Artikel 96 die weitere Bestimmung, daß in diesen Fällen der Wahlausschuß eine andere Zusammensetzung haben soll, daß nämlich der Vorsitz von dem zuständigen Minister geführt wird und die beamteten Mitglieder die zuständigen Länderminister sein sollen. Darüber, ob in diesen Fällen immer dieselben gewählten Mitglieder mitwirken sollen, sagt das Grundgesetz nichts. Es ist etwas Künstliches, wenn man das in das Grundgesetz hineininterpretieren will. Das Grundgesetz hat es also uns als Gesetzgeber völlig freigestellt, zu bestimmen, ob in den verschiedenen Richterwahlausschüssen die gewählten Mitglieder immer dieselben sein sollen oder nicht. Daß man hier von einem Richterwahlausschuß redet, ist mir unbegreiflich. Das ist doch nicht ein und derselbe Richterwahlausschuß, wenn der Vorsitzende und die eine Hälfte der Mitglieder immer andere Personen sind. Wir haben nach dem Grundgesetz völlige Freiheit, zu entscheiden, ob in den Ausschüssen immer dieselben gewählten Per({1})
1 sonen tätig sein sollen oder nicht. Es handelt sich also nur um die Frage, ob es praktisch ist, immer dieselben elf gewählten Mitglieder hineinzusetzen.
Meine Damen und Herren! Sie haben im Rechtsausschuß meiner Meinung nach mit Recht auch den gewählten Mitgliedern ein Vorschlagsrecht eingeräumt. Sie wollen also nicht, daß diese gewählten Mitglieder nur Statisten sind, die mit dem Kopf zu nicken haben. Wenn sie aber nicht nur Statisten sein sollen, die zu den Vorschlägen des Bundesministers und der Länderminister mit dem Kopf nicken, dann bedürfen sie einer gewissen Sachkunde; sie müssen über die Arbeitsweise des in Frage kommenden Gerichts unterrichtet sein und auch eine gewisse Kenntnis der etwa in Betracht kommenden Personen haben. Ich bestreite, daß elf Mitglieder, die in allen Ausschüssen tätig sind, die erforderliche Sachkunde besitzen, um bei Vorschlägen für die verschiedensten Gerichte sachdienliche Gegenvorschläge machen zu können.
Ich halte es also, wenn die gewählten Mitglieder nicht nur Statisten sein, sondern ein wirkliches Vorschlagsrecht ausüben sollen, für notwendig, daß in den einzelnen Ausschüssen nicht nur die Vorsitzenden und die beamteten Mitglieder, sondern auch die gewählten Mitglieder wechseln. Ich würde also dringend darum bitten, den Antrag anzunehmen, den Herr Kollege Pelster soeben eingebracht und begründet hat.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir dann aber noch eine Bemerkung zu § 14. Der Herr Kollege Zinn meinte soeben, der § 14 sei überflüssig. Ich halte den § 14 für eine sehr gefährliche Bestimmung. Sie haben doch zum Ausdruck gebracht, daß der Bundespräsident ernennt. Soll das etwa heißen, daß er verpflichtet ist zu ernennen?
({2})
Wenn das der Sinn der Sache sein sollte, müßte ich schärfsten Protest einlegen;
({3})
(Abg. g
denn ich lege die Bestimmung des Grundgesetzes dahin aus, daß der Bundespräsident insoweit, als er ein Ernennungsrecht für Richter und sonstige Beamte hat, völlig frei in seinen Entscheidungen ist und nicht etwa nur einen Formalakt vollzieht. Inwieweit er von dieser Freiheit der Entscheidung Gebrauch machen will und inwieweit er sich als verständiger Bundespräsident um Kleinigkeiten nicht bekümmert, ist eine Frage des politischen Takts. Daß er de jure das freie Entscheidungsrecht bei seiner Ernennung hat, kann m. E. keinem Zweifel unterliegen. Es gibt nur eine einzige Ausnahme. Er muß - das geht aus dem Wortlaut des Grundgesetzes hervor - den vom Bundestag gewählten Kanzler ernennen. Darüber sagt das Grundgesetz: er hat zu ernennen. Bei der Ernennung der Minister wird gesagt, daß auf Vorschlag ernannt wird. Das ist klar zum Ausdruck gekommen, daß der Bundespräsident ein freies Vorschlagsrecht hat.
({4})
Anders kann der Art. 64 des Grundgesetzes nicht ausgelegt werden.
({5})
Ich hätte jedenfalls schwere Bedenken, den § 14 anzunehmen, und beantrage jetzt schon fürsorglich die Streichung von § 14 des Gesetzentwurfes.
Ist das ein förmlicher Antrag auf Streichung des § 14, Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff?
Ich glaube, der Antrag braucht nicht gestellt zu werden. Es kann ja auch positiv abgestimmt werden. Ich wollte nur das Haus bitten, den § 14 des Gesetzentwurfs abzulehnen. Der § 14 muß aus dem Gesetzentwurf heraus, weil er entgegen den Bestimmungen der Verfassung in die Rechte des Bundespräsidenten eingreift.
Es ist also kein formeller Antrag.
Da weitere Wortmeldungen nicht vorliegen, frage ich, ob das Wort noch gewünscht wird. - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann erkläre ich die Aussprache über Punkt 4 der Tagesordnung für geschlossen.
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs gemäß Drucksache Nr. 1088.
Wir haben zunächst über einige Abänderungsanträge des Herrn Abgeordneten Pelster abzustimmen. Ich bin gezwungen, alles noch einmal vorzulesen, Herr Abgeordneter Pelster. In § 1 Abs. 1 soll es heißen:
Die Richter des Obersten Bundesgerichts und
der oberen Bundesgerichte werden von dem zuständigen Bundesminister gemeinsam mit einem
- statt: „dem" Richterwahlausschuß berufen und vom Bundespräsidenten ernannt.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Jetzt wird es kritisch, meine Damen und Herren. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich gestehe: ich kann es nicht klar entscheiden. Wir müssen also einen Hammelsprung machen. Es tut mir furchtbar leid, aber dann bekommen wir gleich Klarheit für alle anderen Abstimmungen.
Ich bitte, den Saal zu verlassen, und fordere die Schriftführer auf, sich an die Ja-Tür, an die Nein-Tür und an die Enthaltungs-Tür zu begeben. Ich bitte, den Saal etwas schneller zu verlassen, damit sich der Hammelsprung nicht zu lange ausdehnt.
({0})
Schließen Sie die Türen, meine Herren Schriftführer!
Meine Damen und Herren draußen in der Wandelhalle, ich bitte Sie, sich wieder in den Saal zu begeben. Die Abstimmung beginnt.
({1})
Sind alle Damen und Herren aus der Wandelhalle wieder im Sitzungssaal? Wenn ja, bitte ich die Damen und Herren, die als Schriftführer fungieren, die Türen zu schließen. Ich erkläre hiermit die Abstimmung für beendet und bitte, auszuzählen und mir die Ergebnisse mitzuteilen.
({2})
Meine Damen und Herren, das Ergebnis wird nicht ohne Konsequenzen sein. Es lautet: Für den Antrag haben 65 gestimmt, dagegen 126 bei zwei Enthaltungen. Wenn Sie diese drei Ergebnisse zusammenzählen, kommen Sie auf 193. Damit ist der Präsident verpflichtet, von § 100 der Geschäftsordnung Gebrauch zu machen, der da lautet:
Bei Beschlußunfähigkeit hat der Präsident die Sitzung sofort aufzuheben.
({3})
({4})
- Entschuldigen Sie, die Beschlußunfähigkeit ist durch die Abstimmung eindeutig festgestellt.
Ich bin bereit, in 10 Minuten eine neue Sitzung einzuberufen. Ich berufe also eine neue Sitzung auf 16 Uhr 10 Minuten ein.
.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne nunmehr die 76. Sitzung des Deutschen Bundestags mit folgender Tagesordnung, nämlich den Punkten 4, 3 und 6 der berichtigten Tagesordnung der 75. Sitzung des Deutschen Bundestags.
Ich bitte den Herrn Schriftführer, soweit sich das in der kurzen Zeit hat feststellen lassen, die abwesenden Mitglieder des Hauses zu verlesen.
Dr. Zawadil ({0}), Schriftführer: Außer den bereits in der 75. Sitzung verlesenen abwesenden Abgeordneten kommt neu hinzu als entschuldigt Frau Dr. Ilk.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zunächst zum Punkt 4 der gedruckten Tagesordnung der 75. Sitzung:
Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD ({0}) und von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP beantragten Entwurfs eines Richterwahlgesetzes ({1});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({2}) ({3}),
und zwar noch einmal zu der Abstimmung über den Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Pelster bezüglich des § 1.
({4})
- Herr Abgeordneter Sabel zur Abstimmung!
Meine Damen und Herren! Ich beantrage namentliche Abstimmung.
({0})
Wird dieser Antrag mit der nötigen Stimmenzahl aus dem Hause unterstützt? Wer für namentliche Abstimmung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Eine überwältigende Einheit des Hauses.
({0})
Meine Damen und Herren! Da wir uns im Altestenrat noch nicht wieder ({1})
- so hören Sie doch zu! - über die Wiederherstellung der alten Form des § 105, der namentlichen
Abstimmung, geeinigt haben, müssen wir also auf
die bisher geübte Form, nämlich den Namensaufruf,
zurückgreifen. Herr Schriftführer Abgeordneter
Dr. Zawadil, beginnen Sie bitte mit der ersten Seite.
({2})
- Ich bitte um Ruhe für den Herrn Schriftführer!
({3})
- Halt! Darf ich darauf aufmerksam machen, daß darüber abgestimmt wird, wer für den Antrag ist, gegen den Antrag oder wer sich enthält.
({4})
- Das ist der Abänderungsantrag Pelster.
({5})
- Das geht wohl! Weisen Sie mir bitte das Gegenteil aus der Geschäftsordnung nach!
({6})
Ich bitte nunmehr diejenigen Damen und Herren, die sich hier im Saal befinden und nicht aufgerufen worden sind, aufzustehen und ihre Namen zu sagen, damit sie noch ihre Stimme abgeben können.
({7})
Ist sonst noch jemand da, der nicht aufgerufen worden ist? - Ich erkläre nunmehr die namentliche Abstimmung für geschlossen und bitte die Herren Schriftführer, auszuzählen.
({8})
Meine Damen und Herren, ich habe die Einzelergebnisse*) der Abstimmung mitzuteilen: 76 Stimmen Ja, 134 Nein, 2 Enthaltungen. Das bedeutet, daß der Abänderungsantrag des Herrn Abgeordneten Pelster zu § 1 abgelehnt worden ist.
Zugleich aber ergibt sich die Tatsache: diese drei Zahlen zusammen ergeben 212. Wir sind beschlußfähig!
({9})
Wir fahren in der Abstimmung fort.
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zu dem Abänderungsantrag, den ich vorzulesen gezwungen bin, dem § 1 einen neuen Abs. 1 hinzuzufügen:
Zuständiger Bundesminister ist für das Oberste Bundesgericht und für die ordentliche Gerichtsbarkeit der Bundesminister der Justiz, für das Gebiet der Verwaltungsgerichtsbarkeit der Bundesminister des Innern, für das Gebiet der Finanzgerichtsbarkeit der Bundesminister der Finanzen, für das Gebiet der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit der Bundesminister für Arbeit.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte diejenigen, die dagegen sind, die Hand zu erheben. - Der Antrag ist abgelehnt.
Wer nunmehr für § 1 in der Fassung des Ausschußantrags auf Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Zweifelsfrei mit Mehrheit angenommen.
Wir kommen nunmehr zu einem zweiten Abänderungsantrag des genannten Herrn Abgeordneten, und zwar zu § 2:
Für das Oberste Bundesgericht und für jedes obere Bundesgericht wird je ein Richterwahlausschuß gebildet, der aus Mitgliedern kraft Amts und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern kraft Wahl besteht.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte
*) Vergl. das endgültige Ergebnis Seite 2741
({10})
ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit eindeutiger Mehrheit abgelehnt.
Wer für § 2 in der Fassung des Ausschußantrags auf Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit eindeutiger Mehrheit angenommen.
Wer für die §§ 3, - 4 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen eine kleine Minderheit bei Enthaltungen angenommen.
Zu § 5 liegt folgender Abänderungsantrag vor: Mitgliedschaft und Stellvertretung enden durch Neuwahl oder durch Verzicht, der schriftlich dem zuständigen Bundesminister zu erklären ist.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit zweifelsfreier Mehrheit durch alle Reihen des Hauses hindurch abgelehnt.
({11})
Wer nunmehr für § 5 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
Wir kommen zu einem weiteren Abänderungsantrag, und zwar zu § 6:
1. Der zuständige Bundesminister verpflichtet die Mitglieder des Richterwahlausschusses und ihre Stellvertreter durch Handschlag auf gewissenhafte Pflichterfüllung.
2. Die Mitglieder sind zur Verschwiegenheit verpflichtet. Die Genehmigung zur Aussage im gerichtlichen Verfahren erteilt der zuständige Bundesminister.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist mit zweifelsfreier Mehrheit abgelehnt.
Nunmehr bitte ich diejenigen, die für § 6 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 sind, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei wenigen Enthaltungen angenommen.
§ 7. Wer für die Fassung des § 7 nach der Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Gegenprobe! - Bei wenigen Enthaltungen mit überwältigender Mehrheit angenommen.
Zu § 8 liegt ein Abänderungsantrag folgenden Wortlauts vor:
Der zuständige Bundesminister beruft den Richterwahlausschuß.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit zweifelsfreier Mehrheit abgelehnt.
Wer nunmehr für § 8 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Gegenprobe! - Mit zweifelsfreier Mehrheit bei einigen Enthaltungen angenommen.
Zu § 9 liegt folgender Abänderungsantrag vor:
Der zuständige Bundesminister oder sein Stellvertreter führt den Vorsitz. Er hat kein Stimmrecht.
Wer für diesen Abänderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit zweifelsfreier Mehrheit abgelehnt.
Wer nunmehr für § 9 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 und weiter für die §§ 10, - 11, -12,-13,-14,-15-({12})
- Ach, Pardon, nur bis 13! Also, wer für die §§ 9 bis 13 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Gegenprobe! - Mit überwältigender Mehrheit angenommen.
Ich lasse nun auf Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. Höpker-Aschoff über § 14 getrennt abstimmen. Wer für § 14 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben.
({13})
Welchen Antrag haben Sie gestellt? - Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff.
Meine Damen und Herren! Es ist an sich gleichgültig, ob man positiv oder negativ abstimmt. Aber vielleicht ist dem Hause die Sache klarer, wenn wir negativ abstimmen. Ich will deshalb beantragen, den § 14 zu streichen.
Jetzt haben wir Klarheit!
({0})
Wer dafür ist, daß § 14 in der Fassung der Drucksache Nr. 1088 gestrichen werden soll
({1})
- ich bin in der Abstimmung! -, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. -Das erste war die Mehrheit. § 14 ist also gestrichen.
Wer für § 15, - § 16, - Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Gegenprobe! - Bei Enthaltungen mit überwältigender Mehrheit so beschlossen.
Ich schließe hiermit die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Wünscht etwa jemand das Wort?
({2})
- Das ist nicht der Fall.
({3})
- Dann müssen wir eine Redezeit festsetzen. ({4})
- Das Haus ist damit einverstanden, daß Herr Abgeordneter von Merkatz eine Minute spricht.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ganz kurz! Ob Sie § 14 streichen oder stehenlassen, ist rechtlich absolut unerheblich. Wenn Sie ihn aber stehenlassen, so paßt das in die Architektur des Gesetzes und in sein ganzes System hinein, und infolgedessen würde ich Sie bitten, damit das System erhalten bleibt, ihn stehenzulassen.
Verzeihen Sie, Herr Abgeordneter! Wir haben es hier bereits mit einer vollendeten Tatsache zu tun.
({0})
Wir sind bei der dritten Beratung. Ich wiederhole den Antrag, § 14 wiederherzustellen.
Wird das Wort zu diesem Antrag gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Höpker-Aschoff!
Ich bitte, es in der dritten Lesung bei der Streichung des § 14 zu belassen. An der Architektur des Gesetzes wird nichts beschädigt; denn wenn § 14 gestrichen wird, ergibt sich, daß der zuständige Bundesminister den ausersehenen Richter vorzuschlagen hat und daß dann der Bundespräsident sein Ernennungsrecht nach der Verfassung auszuüben hat.
({0})
In der Verfassung steht ja mit klaren Worten: Beamte und Bundesrichter werden vom Bundespräsidenten ernannt. Die Bestimmung ist also überflüssig. Ich habe aber den Antrag auf Streichung nicht nur gestellt, weil sie überflüssig ist, sondern weil sie insofern auch ein gefährliches Präjudiz enthält, als dadurch zum Ausdruck gebracht werden könnte, daß dem Herrn Bundespräsidenten sein freies Entscheidungsrecht über den Vorschlag des zuständigen Ministers genommen werden sollte.
({1})
Ich eröffne die Aussprache. Ich nehme an: wieder längstens 40 Minuten. Findet das das Einverständnis des Hauses?
({0})
Das ist technisch nicht durchführbar, Herr Abgeordneter Dr. Bucerius.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Laforet.
Meine Damen und Herren! Ich möchte die schwierige Frage, ob der Herr Bundespräsident eine Ernennungspflicht oder ein Prüfungsrecht hat, hier nicht entschieden wissen.
({0})
Wenn die Bestimmung des § 14 gestrichen wird, kann man dies als einen Schönheitsfehler im Aufbau ansehen; aber ich sehe darin keinerlei Entscheidung in der aufgeworfenen Frage. Zu einer authentischen Auslegung des Art. 60 Abs. 1 des Grundgesetzes über die Rechte des Präsidenten wäre zudem meiner Ansicht nach der Bundestag gar nicht befugt.
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Wird das Wort weiter gewünscht? - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Arndt!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege von Merkatz hat hier von der Architektur gesprochen. Zur Architektur sollte heute in erster Linie Sparsamkeit gehören, und wenn man sonst schon manchmal nicht sehr sparsam ist, sollten wir uns wenigstens Paragraphen sparen, die wir nicht brauchen.
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Wird das Wort nach diesen Ausführungen noch weiter gewünscht? - Ich stelle fest: das Wort wird nicht weiter gewünscht.
Ich schließe damit die Aussprache der dritten Beratung und rufe auf: Wer gemäß Drucksache Nr. 1088 für die §§ 1 bis 13 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Mit zweifelsfreier Mehrheit gegen eine kleine Minderheit angenommen.
Der weitergehende Antrag bezüglich § 14 ist nach meiner Entscheidung der auf Beibehaltung dieses Paragraphen.
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- Ich sage ja: auf Beibehaltung!
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- Ich lasse über den weitergehenden Antrag abstimmen: § 14 bleibt. Ist das nicht dasselbe?
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- Bitte, Herr Abgeordneter Kunze, zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! In der zweiten Lesung ist § 14 gestrichen.
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Für die dritte Lesung ist beantragt, ihn wiederherzustellen. Es kann also nur über den einzigen Antrag, § 14 wieder einzufügen, abgestimmt werden.
Werden andere Meinungen dazu geäußert?
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- Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Wer also für die Wiederherstellung des § 14 gemäß der Vorlage Drucksache Nr. 1088 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. ({1})
Wer gegen die Wiederherstellung des § 14 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das letzte war a die Mehrheit; demgemäß bleibt § 14 gestrichen.
Wer für § 15, ({2})
§ 16, - Einleitung und Überschrift ist, - ({3})
- Ich bin in der Abstimmung!
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- Die Umnumerierung kommt doch automatisch. Soviel Vertrauen können Sie doch dem Präsidialbzw. Redaktionsbüro entgegenbringen! - Wer für die §§ 15, - 16 nach der bisherigen Numerierung - und für Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit überwältigender Mehrheit angenommen.
Wer nunmehr für die Annahme des Gesetzentwurfs in der soeben in dritter Lesung beschlossenen Fassung im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe.
- Gegen eine kleine Minderheit beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 3 der berichtigten Tagesordnung der 75. Sitzung.
Erste Beratung des von der Fraktion der KPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des § 74 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ({5}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen gemäß § 88 der Geschäftsordnung folgende Zeiteinteilung vor: 10 Minuten für die Einbringung durch die Herren Antrag({6})
steller; 40 Minuten für die Aussprache, falls eine solche gewünscht wird. Wenn keine Aussprache gewünscht wird, wird die sofortige Überweisung in die Ausschußberatung vorgeschlagen.
Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? - Herr Abgeordneter Nuding, bitte!
Nuding ({7}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Ich habe zur Begründung des Antrags Drucksache Nr. 873 folgendes zu sagen. Es gab einmal eine Zeit - sie liegt lange zurück -, in der in jeder Familie Freude herrschte, wenn der Junge oder das Mädel aus der Schule entlassen wurde und in eine Lehrstelle eintrat. Aber im Zeitalter der Adenauer-Regierung ist es so, daß viele Familien für ihre Kinder keine Unterkunft mehr in Lehrstellen finden und folglich sehr viele Jugendliche berufslos durchs Leben gehen müssen. Aber es ist noch schlimmer! In den letzten anderthalb Jahren ist ganz besonders kraß in Erscheinung getreten, daß sehr viele junge Menschen, die die Möglichkeit gehabt haben, eine Lehrstelle zu bekommen, nach Beendigung ihrer Lehrzeit nicht in Arbeit gebracht werden konnten. Es handelt sich um viele Tausende, ja ich möchte sagen um Zehntausende Jugendlicher, die dann, wenn sie ausgelernt haben, ohne einen Arbeitsplatz dastehen. Das ist natürlich eine außerordentlich traurige Situation. Diese wird noch dadurch verschärft, daß diese Jugendlichen, wenn sie ausgelernt haben, keinerlei Unterstützung bekommen. Sie haben also keine Arbeit und auch keine Unterstützung.
Aus diesem Grunde haben verschiedene Jugendorganisationen gewerkschaftlicher und anderer Art zu dieser Frage Stellung genommen und entsprechende Vorschläge bei dem Bundesministerium für Arbeit eingebracht. Man sollte ja auch dort wissen, wie schwierig die Lage der jugendlichen Arbeiterinnen und Arbeiter und insbesondere derjenigen ist.. die ausgelernt haben, die drei und oft mehr Jahre von den Eltern ernährt werden mußten und dann. wenn sie ihre Lehrzeit beendet haben. weiterhin ohne Einkommen dastehen und der öffentlichen Wohlfahrt zur Last fallen.
Das Bundesministerium für Arbeit weiß außerdem, daß sich die Lage dieser Menschen wie überhaupt unserer Jugend in der nächsten Zeit nicht bessern wird. Ich darf nur auf die Debatte von heute früh verweisen, um die Richtigkeit meiner Behauptung zu unterstreichen: Es ist deshalb ziemlich verantwortungslos, wenn die maßgebliche Stelle trotz der Anregungen von Jugendorganisationen in dieser Hinsicht nichts unternimmt.
Aus diesem Grunde haben wir den Antrag gestellt, der Ihnen mit Drucksache Nr. 873 vorliegt. Wir beantragen darin den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des § 74 des Gesetzes über die Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung mit einem einzigen Paragraphen, damit wenigstens eine kleine Hilfe für die Jugendlichen, die ausgelernt haben und ohne Einkommen dastehen, geleistet wird. Durch unseren Antrag soll erreicht werden, daß die Lehrlinge der Arbeitslosenversicherung angeschlossen werden können, bevor sie ausgelernt haben. Der § 74 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung soll in der Weise geändert werden, daß Lehrlinge und Anlernlinge bereits sechs Monate vor Schluß ihrer Lehrzeit Anschluß an die Arbeitslosenversicherung finden können.
Wir glauben, daß es in dieser Frage keine Differenzen in diesem Hause geben sollte. Ich möchte aber zur Unterstreichung der Notwendigkeit der von uns beantragten gesetzlichen Regelung noch feststellen, daß z. B. in Rheinland-Pfalz bereits eine ähnliche Regelung für Jugendliche vorhanden ist. Dort heißt es:
Die Versicherungsfreiheit der Beschäftigung als Lehrling oder Anlernling erlischt sechs Monate vor dem Tag, an dem das Lehr- oder Anlernverhältnis durch Zeitablauf endet.
Wir glauben, daß unser Entwurf den Notwendigkeiten für die Jugendlichen, die ausgelernt haben, entspricht, um so mehr, als es leichter sein wird, ihnen Arbeit zu verschaffen, wenn sie dem Arbeitsamt unmittelbar angeschlossen sind. Wenn wir das nicht tun und wenn das Hohe Haus diesem Beschluß nicht zustimmt, dann werden die Eltern in zunehmendem Maße kein Interesse daran haben, ihre Kinder in die Lehre zu tun, und die jungen Menschen, die ausgelernt haben, werden nicht daran interessiert sein, sich in ihrem Beruf zu vervollkommnen. Dadurch werden sie, wie bereits im Jahre 1932, wieder Gedankengängen zugänglich sein, die außerordentlich gefährliche Auswirkungen haben können. Der Antrag sollte nach unserer Auffassung gar nicht erst einem Ausschuß überwiesen, sondern in seiner jetzigen Form angenommen werden; denn die Sache eilt, weil in diesem Herbst und ganz besonders im nächsten Frühjahr zahlreiche Lehrlinge ihre Lehrzeit beenden, ohne Aussicht auf eine neue Stellung zu haben. Sie können dann nicht mehr in den Genuß dieser außerordentlich bescheideneren Besserstellung kommen. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, unserem Antrag zuzustimmen.
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Meine Damen und Herren! Ich kann zu meiner Freude feststellen, daß der Vorschlag des Ältestenrats, nicht in eine Debatte einzutreten, durch interfraktionelle Vereinbarungen soeben bestätigt worden ist.
Ich schließe daher die erste Beratung und stelle Ihr Einverständnis fest, daß der Gesetzentwurf Drucksache Nr. 873 an den zuständigen Ausschuß für Arbeit überwiesen worden ist.
Wir kommen dann zum dritten bzw. dem letzten, sechsten Punkt der berichtigten Tagesordnung der vorhergegangenen 75. Sitzung:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Preusker, Dr. Hoffmann, Dr. Dr. Höpker-Aschoff, Dr. Reif, Dr. Oellers und Genossen betreffend Einsparung von 150 Millionen DM Zinsen seitens des Bundes, der Bundesbahn und der Bundespost durch Umwandlung bisher verzinslicher Ausgleichsforderungen zu Gunsten der Bank deutscher Länder in eine unverzinsliche Bundesschuld ({0}).
Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Preusker.
Meine Damen und Herren! Im Namen der Fraktion der FDP darf ich das Hohe Haus bitten, damit einverstanden zu sein, daß dieser Punkt der Tagesordnung heute abgesetzt und als erster Punkt auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt wird.
Widerspricht das Haus? - Das ist nicht der Fall.
Wir haben dann die nächste Sitzung, um das zu wiederholen, die 77. Sitzung, am Mittwoch, dem 19. Juli, 14,30 Uhr, zunächst mit der Tagesordnung: Erledigung des Restes der heutigen Tagesordnung,
und die 78. Sitzung am Freitag, dem 21. Juli, 9 Uhr 30 Minuten.
Hiermit schließe ich die 76. Sitzung des Deutschen Bundestags.