Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 72. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Liste der abwesenden Mitglieder bekanntzugeben.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Frau Dr. Gröwel, Kuntscher, Herrmann, Mißmahl, Meitmann, Frau Albrecht, Dr. Gülich, Bettgenhäuser, Dirscherl, Loritz, Weickert, Wittmann; es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Dr. Dr. Müller ({0}), Dr. Kopf, Schröter, Lübke, Dr. Weiß, Struve, Dr. Ehlers, Hagge, Neuburger, Gerns, Neber, Gockeln, Dr. Gerstenmaier, Dr. Henle, Feldmann, Kalbitzer, Heiland, Graf, Frau Döhring, Dr. Suhr, Neumann, Seuffert, Dr. Baade, Brandt, Frühwald, Dr. Middelhauve, Freudenberg, Faßbender, Dr. Kneipp, Rüdiger, Dr. Preiß, Bahlburg, Kuhlemann, Tobaben, Wittenburg, Niebergall, Harig, Fisch, Dr. Baumgartner, Freiherr von Aretin, Dr. Besold, Freiherr von Fürstenberg, Wönner, Hellwege, Dr. Reismann, Schmitz, Brookmann. Außerdem fehlen die Abgeordneten Reimann, Rische, Renner, Vesper, Müller ({1}).
Meine Damen und Herren! Ich möchte noch einmal den Zeitplan für die nächsten 14 Tage bekanntgeben, weil offenbar gestern Mißverständnisse entstanden sind. Gestern ist im Verlauf einer Vereinbarung sämtlicher Fraktionen folgende Verständigung über den Zeitplan der nächsten 14 Tage zustande gekommen.
Die Tage Montag, 26 Juni, Dienstag, 27. Juni, Mittwoch, 28. Juni, sind frei für Ausschußsitzungen. Es kommt dann der Feiertag Peter und Paul; und man ist allgemein der Meinung, daß es dann nicht lohnt, noch einmal hierherzukommen und eine Extra-Autofahrt oder -Eisenbahnfahrt zu machen. Dann sind Freitag und Sonnabend frei. Soweit Ausschüsse trotzdem das Bedürfnis haben zu tagen, bleibt es ihnen anheimgestellt.
Ferner ist die Woche vom 3. bis 8. Juli ebenfalls plenarsitzungsfrei, soll aber auch ausschließlich der Arbeit der Ausschüsse dienen. Soviel zu dieser Angelegenheit.
Die heutige Tagesordnung wird um folgende Punkte ergänzt:
1. Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses betreffend Entwurf eines Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet.
2. Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Soforthilfegesetzes.
Die beiden Berichterstatter haben gebeten, aus Gründen anderweitiger Verpflichtungen, diese Punkte nach Punkt 1 zu nehmen. Da der Punkt 1 drei Unterpunkte enthält, bitte ich das Haus, zuzustimmen.
Ferner muß aus dringenden Gründen die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Volkszählungsgesetzes aufgenommen werden, die zweckmäßigerweise nach Punkt 3 einzufügen ist.
Dann kommt noch hinzu die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt ({0}).
Über die Redezeit zu diesen beiden Punkten können wir uns nachher verständigen. Darf ich das Einverständnis des Hauses mit dieser Ergänzung der Tagesordnung feststellen? - Es ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu Punkt 1 a:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität betreffend Aufhebung der Immunität von
Abgeordneten ({1}).
Wir wollen diesen Punkt besonders behandeln und die Punkte b und c zusammen. Es besteht die Absicht, die Sitzung in den Mittagsstunden zu beenden. Ich nehme an, daß auch das die Zustimmung des Hauses findet, und bitte die Redner, sich danach einzurichten.
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Brill als Berichterstatter.
Dr. Brill ({2}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Namens des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität habe ich folgenden Antrag zu stellen:
Der Bundestag' wolle beschließen:
Beschlüsse des Bundestages auf Aufhebung der Immunität bedeuten nicht, daß sie auch auf die Strafvollstreckung Anwendung finden. Zur Strafvollstreckung bedarf es eines besonderen Beschlusses des Bundestages.
({3})
Die Legitimation des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität zur Stellung eines solchen Antrags ist aus § 120 der Geschäftsordnung herzuleiten. Danach ist der Geschäftsordnungsausschuß berechtigt, jederzeit an den Herrn Präsidenten und an das Hohe Haus selbst mit Vorschlägen, die sich auf die gesamte Geschäftsführung des Hauses beziehen, heranzutreten. Er nimmt somit eine Sonderstellung unter allen Ausschüssen dieses Hauses ein.
Zur Sache selbst ist folgendes zu bemerken. Als im November vorigen Jahres die ersten Immunitätssachen in diesem Hause behandelt worden sind, hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz als Berichterstatter des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität die Grundsätze entwickelt, nach denen verfahren werden soll. Im Verlaufe der Beratungen anderer Immunitätssachen hat sich ergeben, daß diese Grundsätze einer Nachprüfung und Ergänzung bedürfen. Der Ausschuß hat diese Arbeit begonnen und wird dem Hohen Haus in Kürze im Zusammenhang mit dem Entwurf einer neuen Geschäftsordnung eine ausführliche Darstellung des geltenden Immunitätsrechts zur Kenntnisnahme vorlegen, um danach die Grundsätze erneut zu formulieren.
Im gegenwärtigen Augenblick aber erscheint es dringlich, die in diesem Antrag behandelte Frage zu einer Vorentscheidung zu bringen. Die Dringlichkeit ergibt sich aus der Unklarheit der Rechtslage, die dadurch entstanden ist, daß Genehmigungen zur Strafverfolgung von Abgeordneten bisher ohne jede Beschränkung ausgesprochen worden sind. Das war so lange richtig, wie die Verfassung - das hat auch noch die Weimarer Verfassung getan - streng zwischen Gesetzgebungsperioden und Sitzungsperioden oder, wenn man es mit Fremdworten vielleicht deutlicher machen kann, zwischen Legislaturperioden und Sessionen unterschied. Nach dem Schluß einer jeden Session ruhte die Immunität der Abgeordneten, so daß die Justiz freie Hand hatte. Heute aber fallen nach dem Grundgesetz - obgleich diese Frage noch nicht endgültig entschieden sein dürfte, darf ich das doch wohl als Vermutung des Grundgesetzes aussprechen - Legislaturperiode und Session zusammen. Würde also die Genehmigung zur Strafverfolgung eines Abgeordneten im ganzen erteilt, so bestände für das Haus die Gefahr, daß ein kleinerer oder größerer Teil der Abgeordneten für längere und vom Haus nicht zu übersehende Zeit den Arbeiten des Hauses entzogen wird. Das soll verhindert werden. Aus diesem Grunde soll bei Genehmigungen zur Strafvollstreckung unterschieden werden zwischen der Genehmigung zur Durchführung des Verfahrens, d. h. bis zum Erlaß des rechtskräftigen Urteils, und der Erteilung der Genehmigung zur Strafvollstreckung selbst. Da bisher schon einige Beschlüsse gefaßt worden sind, die unter der genannten Unklarheit leiden, erscheint es tunlich, diesen Antrag anzunehmen. Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrage des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität zuzustimmen.
Ich darf aber noch eine Bemerkung anschließen, die sich aus der gestrigen Sitzung dieses Ausschusses ergeben hat. Wie dem Hause bekannt ist, schweben zwischen Bundestag und Bundesregierung einerseits und der Hohen Alliierten Kommission andererseits Verhandlungen über die Abgrenzung der beiderseitigen Rechte in Immunitätsfragen. Durch das Obergericht in der britischen Besatzungszone ist ein Landtagsabgeordneter zu einer größeren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Strafe wird zur Zeit vollstreckt. Es erscheint dem Ausschuß wünschenswert, daß auch in diesem Falle nach dem Sinn des vorliegenden Antrags verfahren wird. Deshalb richte ich namens des Ausschusses an die Bundesregierung die Bitte, unverzüglich mit der Hohen Alliierten Kommission in dieser Frage in Verhandlungen mit dem Ziel einzutreten, daß die Strafvollstreckung gegen diesen Landtagsabgeordneten so lange ausgesetzt wird, bis die Rechtslage über die Immunitätsfrage zwischen der Hohen Kommission und der Bundesrepublik Deutschland endgültig geklärt sein wird. Das ist kein Antrag, sondern nur ein Ersuchen an die Bundesregierung, ein Ersuchen, das sich natürlich auf die Voraussetzung stützt, daß das Haus diesen Antrag annehmen wird.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Der Antrag liegt Ihnen vor. Ich darf das Einverständnis des Hauses dazu annehmen, daß zu diesem Punkt keine Aussprache stattfindet. - Das ist der Fall.
Wer für den Antrag Drucksache Nr. 1039 gemäß den Ausführungen des Herrn Berichterstatters ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Antrag ist fast einstimmig angenommen.
Ich höre eben von den Herren Berichterstattern zu den Punkten 1 b und c, daß noch einige Rechtsunklarheiten bestehen und deshalb diese beiden Punkte zurückgestellt werden sollen, um im Laufe des Vormittags die Dinge zu klären.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Ritzel.
kitzel ({0}): Ich möchte zur Geschäftsordnung darauf aufmerksam machen, daß die Behandlung der beiden Punkte 1 b und 1 c im zuständigen Ausschuß ordnungsmäßig erfolgt ist. Eine sachliche Begründung für eine Verschiebung liegt nicht vor. Die Tatsache, daß ein Mitglied des Ausschusses bei der Beratung des Punktes b nicht anwesend war, kann das Haus schon aus Gründen der Konsequenz wirklich nicht veranlassen, einer Verschiebung der Beratung zuzustimmen. Ich bitte daher, es bei der heutigen Tagesordnung zu belassen.
Wünscht jemand das Wort zu diesem geschäftsordnungsmäßigen Antrag? - Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz, dann Herr Abgeordneter Dr. Horlacher!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der Deutschen Partei bittet, diesen Punkt nochmals an den Ausschuß zurückzuverweisen, da bei den bisherigen Ausschußberatungen ein Ergebnis herausgekommen ist, das wir für rechtsirrig halten, das aber von grundsätzlicher Bedeutung ist und deshalb einer genauen Nachprüfung bedarf. Diese Nachprüfung hier durch eine Diskussion im Plenum zu vollziehen, halten wir für untunlich; wir wären daher dankbar, wenn dieser Fall noch einmal dem Ausschuß zur Beratung überwiesen werden könnte. - Ich brauche nicht zu betonen, daß der Ausschuß die Durchführung der bisherigen Beratungen zu diesem Punkt in vollkommen ordnungsmäßiger Weise vollzogen hat.
Das Wort hat zum gleichen Gesichtspunkt zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Dr. Horlacher.
Trotz der Ausführungen des Herrn Kollegen von Merkatz bin ich als Berichterstatter der Meinung, daß keine Veranlassung besteht, diese Sache zurückzuverweisen. Ich bin im Gegenteil der Meinung: es ist vielleicht besser, die
({0})
Sache wird heute erledigt. Ich habe damals im Ausschuß meine persönliche Meinung als Abgeordneter in wohlmeinender Absicht zurückgestellt. Ich bin dankbar, wenn das noch einmal erörtert wird, und wenn es ins Plenum kommt, werde ich mir erlauben, in der Debatte auf diese Frage einzugehen. Aus diesem Grunde bitte ich das Hohe Haus, der Zurückverweisung an den Ausschuß zuzustimmen.
Es liegen also zwei Anträge vor: einmal auf Zurückverweisung und einmal auf Behandlung heute. Der weitergehende Antrag ist der auf Zurückverweisung.
({0})
- Jawohl, nicht so stürmisch. Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Meine Freunde haben keine Bedenken gegen eine Zurückverweisung von Punkt b, bitten aber, daß Punkt c heute behandelt wird.
({0})
Das letzte ist schon erledigt. Also dann müssen wir noch über Punkt b abstimmen. Wer für Zurückverweisung von Punkt 1 b an den Ausschuß ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere war die Mehrheit. Damit ist Punkt b - ({0})
Das letztere war die Mehrheit: Zurückverweisung an den Ausschuß.
({1})
- Dann frage ich noch einmal: wer dafür ist, daß Punkt 1 b heute behandelt wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Demnach wird Punkt 1 b heute behandelt.
({2})
- Sie werden doch so früh, um 9 Uhr, keinen Hammelsprung machen wollen. Es war eine klare Mehrheit dafür, daß Punkt 1 b heute behandelt wird.
({3})
Zur Abstimmung hat das Wort Herr Abgeordneter Gengler.
Es herrschte vorhin eine Unklarheit über die Form der Abstimmung.
({0})
Geschäftsordnungsmäßig muß über den Änderungsantrag abgestimmt werden, den Punkt b heute von der Tagesordnung abzusetzen bzw. an den Geschäftsordnungsausschuß zurückzuverweisen.
Darüber habe ich abgestimmt.
Ich bitte weiterhin, über Punkt c getrennt abzustimmen.
Aber verzeihen Sie, Herr Abgeordneter, das habe ich doch getan.
({0})
Ich habe ganz deutlich gefragt: Wer dafür ist, daß
Punkt 1 b heute behandelt wird - also die umgekehrte Formulierung -, den bitte ich, die Hand zu N erheben. ({1})
Zur Abstimmung hat der Herr Abgeordnete Ritzel das Wort. - Was für ein Temperament schon heute früh um 9 Uhr!
Ritzel ({2}) Meine Damen und Herren! Es kann doch nach der Geschäftsordnung nicht der leiseste Zweifel darüber bestehen, daß soeben eine Abstimmung vorgenommen worden ist, die korrekt und in Ordnung gehend bestimmt, daß der Punkt 1 b der Tagesordnung heute von einer Mehrheit zur Verhandlung gewünscht wird.
({3})
Damit ist die Frage erledigt, und der Punkt ist sachlich zu behandeln.
({4})
- Jawohl, so ist es.
({5})
Dagegen ist gleichzeitig festzustellen, daß ein Antrag auf Nichtbehandlung von 1 c überhaupt nicht vorliegt und daher auch keine Abstimmung darüber herbeizuführen ist.
({6})
Meine Damen und Herren, ob ich nun sage: wer für die Behandlung ist
({0})
oder: wer für die Zurückverweisung ist, das ist doch dasselbe.
({1})
Eine Abstimmung hat ergeben, daß Punkt 1 b heute behandelt wird.
({2})
Darüber besteht kein Zweifel.
({3})
Zur Abstimmung hat das Wort Herr Abgeordneter Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem ich gutmütig veranlagt bin, will ich Ihnen einen Ausgleichsvorschlag machen. Lassen Sie mich zunächst meinen Bericht erstatten. Ich werde ihn etwas ausführlicher machen als sonst, damit sich das Hohe Haus ein Urteil über den Fall überhaupt machen kann. Dann können Sie darauf hinweisen, daß der oder jener Punkt noch ungeklärt ist. Und dann können Sie die Zurückverweisung an den Ausschuß wieder verlangen. Ich bitte also, zunächst meinen Bericht anzuhören; das ist vielleicht das Vernünftigste.
Meine Damen und Herren! Das ist eine neue Situation. Wenn das Hohe Haus damit einverstanden ist, - ({0})
Zur Abstimmung hat noch einmal der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da um die Frage, ob man jetzt verhandeln soll oder nicht, bereits eine gewisse - wie soll ich mich ausdrücken - Erregung ausgebrochen ist,
Nein, keine Erregung, sondern Heiterkeit.
- Heiterkeit, schön! -, werden Sie verstehen, daß wir eine sachgerechte Behandlung für zweckmäßiger halten. Deshalb haben wir den Antrag gestellt, die Sache noch einmal
({0})
an den Ausschuß zurückzuverweisen. Die Form dieser Abstimmung - ich spreche zur Abstimmung - ist nach unserer Ansicht, ohne damit eine Kritik an dem Herrn Präsidenten üben zu wollen, nicht richtig vorgenommen worden. Deswegen sind wir genötigt, sie zu bezweifeln.
Na also: Einigen wir uns auf den Kompromißvorschlag des Herrn Abgeordneten Dr. Horlacher, daß er zunächst berichtet.
({0})
Vorher noch der Herr Abgeordnete Ritzel zur Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Der Vorschlag des Herrn Kollegen Dr. Horlacher könnte von Salomo stammen, so weise ist er.
({0})
Ich bin dafür, daß ihn das Hohe Haus annimmt. Der Herr Berichterstatter wird berichten. Wenn dann eine Mehrheit im Hause wirklich findet, daß es notwendig sei, die Abstimmung zu verschieben und die Sache noch einmal an den Ausschuß zurückzuverweisen, dann liegt es im Ermessen des Hohen Hauses, eine solche Mehrheit zu bilden. Zunächst wollen wir uns einmal anhören, was überhaupt los ist.
({1}) .
Also wollen wir Salomo triumphieren lassen.
({0})
- Der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher hat das Wort zu Punkt 1 b:
({1})
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über das Ersuchen des Oberstaatsanwalts Dortmund vom 29. März 1950 betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Bielig- ({2}).
Dr. Horlacher ({3}), Berichterstatter: Ich bitte, jetzt ruhig zu sein! Denn Salomo der Weise spricht; dann muß man Obacht geben.
({4})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es handelt sich um einen Antrag des Oberstaatsanwalts von Dortmund, um ein Genehmigungsersuchen nach Art. 46 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland zur Strafverfolgung des Bundestagsabgeordneten Karl Bielig in Dortmund wegen Vergehens gegen die 4. Notverordnung zum Schutze des inneren Friedens vom 8. 12. 1931:
Am 8. 12. 1949 erschien in der „Westfälischen Rundschau" in Dortmund der in Abschrift beigefügte Artikel „Signale", in dem insbesondere folgende Behauptungen enthalten sind:
1. Bundesminister Seebohm habe gesagt, „die Männer vom 20. Juli 1944 seien Verbrecher",
2. nachdem ausgeführt worden ist, daß Herr Seebohm und seine Partei unter SchwarzWeiß-Rot marschiere, das auch die Farben der
Hitler-Fahne und eines Freisler und Himmler gewesen seien:
„Herr Seebohm bekennt sich ausdrücklich zu diesem Schwarz-Weiß-Rot; und die kaiserliche Fahne verriet er, indem er die Nachfahren Moltkes und Yorcks Verbrecher nannte." Zu diesen Behauptungen hat Herr Bundesminister Seebohm in seiner Anzeige folgende
Erklärung abgegeben:
„Ich betone ausdrücklich, daß ich eine solche Äußerung über die Männer des 20. Juli 1944 weder jemals selbst getan noch an irgendeiner öffentlichen Versammlung teilgenommen habe, in der derartige oder entsprechende Äußerungen gefallen sind. Einige meiner vertrautesten Freunde gehören zu den Männern des 20. Juli und sind für ihre Überzeugung gestorben. Für mich steht der lautere Charakter und das eindeutige nationale Wollen der Männer des 20. Juli über jedem Zweifel."
Ferner hat Herr Bundesminister Seebohm fristgerecht Strafantrag gegen den Verfasser des Artikels „Signale" und den verantwortlichen Redakteur gestellt. Verantwortlicher Redakteur ist Walter Poller in Dortmund.
Vor der Ladungszustellung und Vernehmung des Redakteurs Poller sind in dessen Tageszeitung weiterhin die in Abschrift beigefügten Artikel - und zwar am 14. 12. 1949: „Seebohm dementiert . . ." und am 15. 12. 1949: „Hedler" - erschienen, wodurch eine Richtigstellung und teilweise Zurücknahme der schweren Beschuldigungen gegen den Herrn Bundesminister Seebohm erfolgt sind.
- Ich betone ausdrücklich: „wodurch eine Richtigstellung und teilweise Zurücknahme der schweren Beschuldigungen gegen den Herrn Bundesminister Seebohm erfolgt sind".
Bei seiner Vernehmung am 20. 12. 1949 hat der beschuldigte Redakteur Poller angegeben, daß es ihm ferngelegen habe, Herrn Bundesminister Seebohm beleidigen zu wollen. Als Teilnehmer an der Aktion vom 20. 7. 1944 und verantwortlicher Redakteur einer politischen Zeitung habe er in Wahrnehmung berechtigter Interessen gehandelt, da er öffentlich in aller Klarheit habe herausstellen wollen, daß die Männer vom 20. 7. 1944 nicht als Verbrecher bezeichnet werden dürfen.
Ferner hat er geltend gemacht, daß er geglaubt habe, seiner Sorgfaltspflicht als leitender Redakteur insoweit nachgekommen zu sein. als die Veröffentlichung des Artikels ,.Signale" u. a. auf Unterrichtungen durch den Bundestagsabgeordneten Karl Bielig in Dortmund. Bremer Straße Nr. 16. beruht habe, der auch Verfasser dieses Artikels sei.
Zur Prüfung der Richtigkeit dieser Angabe und zur weiteren Strafverfolgung, die gegebenenfalls die Alleinverantwortlichkeit des Bundestagsabgeordneten Bielig für den Inhalt des Artikels „Signale" ergeben könnte. erscheint es dringend notwendig, das Verfahren auf den Bundestagsabgeordneten Karl Bielig als Beschuldigten auszudehnen. Hierzu ist jedoch nach Art. 46 des Grundgesetzes die Genehmigung des Bundestages erforderlich. Um deren Erteilung wird hiermit gebeten.
Den Artikel „Signale" will ich auch bekanntgeben, wenigstens in seinen wesentlichen Teilen, wie ich es im Ausschuß getan habe.
({5})
Herr Seebohm ist ein ehrenwerter Mann. Er
ist Minister der Bundesrepublik. Er ist einer der führenden Männer der Deutschen Rechtspartei. Er hat einen Eid auf das Grundgesetz geleistet. Wenn dieser Mann, Parteiführer, Minister und Grundgesetz-Beschwörer, jetzt sagt, die Männer vom 20. Juli 1944 seien Verbrecher, so muß er mit dem Maß gemessen werden, das ihm zukommt. Er ist kein arbeitslos gewordener kleiner Leutnant; er ist Minister und Parteiführer
in der Deutschen Bundesrepublik. Darum müssen wir mit ihm reden. Wir müssen ihm sagen, daß sich zu Hitler bekennt, wer die Männer vom 20. Juli Verbrecher nennt. Wir müssen ihm sagen, daß sich zu Freisler und
seinem Schaffot und seinen Fleischerhaken bekennt, wer die Moltke und Leuschner, die Yorck von Wartenburg und Leber, die Stauffenberg und Haubach Verbrecher nennt. Wir müssen weiter sagen, daß den Tod von Hunderttausenden gutheißt, wer der Meinung ist, daß es gut war, daß die Tat jener „Verbrecher" fehlschlug.
Ohne persönliche Beleidigung ist hier im Artikel „Signale" zu diesem Tatbestand vom 20. 7. 1944 Stellung genommen. Der Ausschuß hat sich auch auf den Standpunkt gestellt, daß hier zweifellos-gleichgültig, wer die Worte gesagt hat, es ist ja immer bei diesen Auseinandersetzungen in Versammlungen so, daß man zum Schluß nie weiß, wer es gesagt hat und wie es gesagt worden ist - etwas Ähnliches gesagt worden sein muß. Davon muß man überzeugt sein. Denn aus der Luft kann man das nicht greifen. Man kann in persönlicher Erregung diesen Artikel „Signale" schreiben. Ich bin über die Sache auch aufgeregt, weil ich anläßlich des 20. Juli auch nach Dachau gekommen bin. Und da bin ich der Meinung, daß man die Quellen, die das wieder aufreißen, rechtzeitig verstopfen muß.
({6})
Denn die Hauptverbrecher von ehedem haben immer die Sehnsucht danach, andere als Verbrecher zu bezeichnen, statt bei sich selber nachzusehen.
({7})
Wir sind der Meinung: erstens ist das richtiggestellt worden. Ich habe Ihnen das vorgelesen. Zweitens ist in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt worden. Und wenn ein Abgeordneter nicht das Recht hat, als Abgeordneter seine Meinung - noch dazu in Wahrung berechtigter Interessen - kundzutun, dann hat die Immunität überhaupt keinen Sinn.
({8})
Deswegen ist der Ausschuß einstimmig der Meinung gewesen, die Immunität in diesem Falle nicht aufzuheben. Ich bitte das Hohe Haus, diesem Beschluß beizutreten.
({9})
Herr Abgeordneter von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Auftrage meiner Fraktion hatte ich vorhin die Ehre, den Antrag zu stellen, diesen Fall noch einmal an den Ausschuß zurückzuverweisen
({0})
- ich bitte, dieser Zwischenruf ist reichlich ungehörig! -, weil wir es für richtig halten, diesem Tatbestand eine sorgfältige rechtliche Würdigung zu geben. Nach unserer Auffassung hat. im Ausschuß eine unrichtige Bewertung stattgefunden. Wir hielten es nicht für nützlich, über diesen Tatbestand hier im Plenum eine Debatte zu entfesseln, auch schon aus Gründen der Ökonomie der Zeit, weil es sich hier um juristische Fragen handelt,
({1})
die in Ruhe sachlich erörtert werden sollten. Der Herr Berichterstatter hat
({2})
- ich habe nicht das Recht, an dem Herrn Berichterstatter Kritik zu üben - eine Darstellung gegeben, die wir in Rücksicht auf die juristische Bewertung dieses Falles für sehr einseitig halten.
Wir sind, um es in einem Satz zusammenzufassen, der Ansicht, daß die Fassung des Artikels „Signale" nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts den Begriff der Wahrnehmung berechtigter Interessen weit überschreitet. Jedem Juristen, der das Urteil des Reichsgerichts zu dieser Sache im 115. Bande auf Seite 80 kennt, wird das klar sein.
({3})
- Nein, der 115. Band ist lange nach 1918 herausgekommen. Etwa um diese Zeit habe ich zu studieren angefangen. Da war es der 120. Band. Wir sind also der Auffassung, daß nach Form und Inhalt des Artikels - es handelt sich immerhin um einen amtierenden Bundesminister ({4})
praktisch eine Behauptung unwahrer Tatsachen, und
zwar wider besseres Wissen, aufgestellt worden ist.
({5})
Es hätte sich für einen Bundestagsabgeordneten - wenn ich hier deutlich sein soll - sicherlich empfohlen, zu Herrn Dr. Seebohm hinzugehen und ihn zu fragen: Haben Sie das gesagt oder nicht?
({6})
Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Wenn man hier in der vom Herrn Abgeordneten Bielig gewählten Art und Weise die Wahrnehmung berechtigter Interessen annehmen wollte, würde man ein wichtiges Rechtsprinzip verletzen.
Aber, wie gesagt, wir waren der Auffassung, daß hier im Plenum über diesen Tatbestand keine erregte und zeitraubende Auseinandersetzung stattfinden sollte. Es handelt sich um die Bewertung juristischer Fragen, die im Fachausschuß vorgenommen werden muß und vorgenommen werden sollte. Ich ergänze jetzt unseren Antrag. Die Auffassung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ist derart dezidiert, daß ich seitens meiner Fraktion beantrage, die Rechtsfrage, die hier mit zu entscheiden ist, zugleich dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen.
({7})
Es liegt der geschäftsordnungsmäßige Antrag des Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz vor, die Abstimmung über die Drucksache Nr. 1038 heute auszusetzen und den Ausschußantrag wieder zurückzuverweisen, eventuell auch an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht.
({0})
({1})
- Gut, unbedingt!
({2})
Um das Wort zur Geschäftsordnung hat vorher Herr Dr. Etzel gebeten. Dann kommt Herr Abgeordneter Ritzel, dann Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen. - Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Etzel.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben. Auch die Fraktion der Bayernpartei ist gegen jede politische Brunnenvergiftung. Sie ist durchaus bereit und geneigt, allen Maßnahmen, die einer solchen Brunnenvergiftung entgegenwirken können, zuzustimmen. Der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher hat als Berichterstatter zu dem vorliegenden Tagesordnungspunkt sprechen sollen. Ich stelle fest, daß er diese Aufgabe in weitem Umfange nicht erfüllt hat, sondern daß er sie in einer unser Ärgernis erregenden Weise durchgeführt hat.
({0})
Er hat nicht als Berichterstatter gesprochen, er hat nicht den objektiven Rahmen einer Berichterstattung eingehalten, sondern eine polemische Rede gehalten. Dagegen lege ich namens meiner Fraktion strikte Verwahrung ein.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Etzel, es pflegt im allgemeinen nicht Sitte zu sein, an den Ausführungen eines Berichterstatters Kritik zu üben.
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Ritzel.
({0})
- Ehe ich Ihnen das Wort zur Sache erteile, muß ich auf folgendes eingehen. Während der Ausführungen des Herrn Abgeordneten Dr. von Merkatz ist, glaube ich, von Ihrer Seite ({1}) der Ruf ertönt: „Was für ein Minister!" Das ist kein schöner Ruf; darin liegt eine gewisse Kritik - ({2})
Das Wort zur Sache hat Herr Abgeordneter Ritzel.
Meine Damen und Herren! Ich will mich in den Streit über die Bewertung des einen oder andern der Herren Minister wirklich nicht einmischen. Mir ist noch deutlich in Erinnerung, daß im Erzberger-Helfferich-Prozeß eine sehr interessante Auseinandersetzung über das sogenannte Werturteil in bezug auf führende Persönlichkeiten stattgefunden hat. Ichlaube kaum, daß sich in diesem Hohen Hause eine Übereinstimmung in der Formulierung eines Werturteils über die Person des hier zur Diskussion stehenden Herrn Ministers ergeben wird.
({0})
Nun möchte ich aber zur Sache selbst einige kleine Feststellungen treffen. Zunächst einmal darf ich in Unterstreichung dessen, was der Herr Berichterstatter Dr. Horlacher dem Hohen Hause mitgeteilt hat, wiederholen, daß der Ausschuß in seiner überwältigenden Mehrheit anerkannt hat, daß der Artikel, um den es sich hier handelt, in Wahrung berechtigter Interessen geschrieben worden ist. Ich glaube kaum, daß, da § 193 RStGB anwendbar ist - und das ist wohl zweifelsfrei -, noch von der Behandlung einer Immunitätsfrage unter Mißachtung des Prinzips der Wahrung berechtigter Interessen gesprochen werden darf.
Ich möchte weiterhin feststellen, daß die Information, die den Herrn Abgeordneten Bielig zu seinem Artikel veranlaßt hat, aus dem Kreis der Regierungskoalition kommt.
({1})
Ich möchte weiter feststellen - und das wird nun den Damen und Herren, die sich so heftig gegen die Behandlung dieser Sache wehren, vielleicht nicht gefallen -, daß den Antrag auf Strafverfolgung des Herrn Abgeordneten Bielig derselbe Staatsanwalt gestellt hat, der in einem andern Falle eine Strafverfolgung abgelehnt hat.
({2})
Damals ging es um den Rechts- und Ehrenschutz
eines Mitglieds des Hohen Hauses, des Herrn Abgeordneten Heiland, der von einer Zeitung - wenn
ich es recht weiß, den „Ruhr-Nachrichten" - bezichtigt worden war, jemand totgeschlagen zu haben.
Da hat derselbe Herr Oberstaatsanwalt keine Veranlassung gefunden, ein Strafverfahren einzuleiten.
({3})
Dazu würde er der Genehmigung des Bundestags nicht bedurft haben.
Nun, meine Damen und Herren, zu der rechtlichen Argumentation des Herrn Kollegen Dr. von Merkatz. Ich wundere mich über den Widerspruch in der Begründung, die Herr Dr. von Merkatz zu Recht bisher in Immunitätsangelegenheiten namens des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität abgegeben hat, wenn er in voller Übereinstimmung mit dem Ausschuß jeweils erklärte, daß es nicht Sache des Parlamentsausschusses und nicht Sache des Hohen Hauses sei, in die materielle Beweiswürdigung irgendeines Falles einzutreten. Hier aber beantragt Herr von Merkatz, die materielle Beweiswürdigung sogar durch einen Ausschuß, eben durch den Rechtsausschuß; vornehmen zu lassen. Das steht in krassem Widerspruch zu der bisherigen Praxis und zu der einzig möglichen Konsequenz aus der Situation.
Ich darf feststellen, daß die Diskussion der ganzen Angelegenheit zweifellos nicht diesen Umfang angenommen haben würde - Herr Kollege von Merkatz möge mir verzeihen, wenn ich das hier sage -, wenn Herr von Merkatz in der Lage gewesen wäre, rechtzeitig zu der Behandlung des Falles in dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität anwesend zu sein. Die Abstimmung hatte bereits ohne die schätzenswerte Mitwirkung unseres sehr geehrten Kollegen Dr. von Merkatz stattgefunden. Er hat nachträglich noch sein Veto gegen die Behandlung des Falles eingelegt, d. h. gegen die Entscheidung, die bereits so formuliert war, daß man von einer Gegenstimme des Herrn Dr. von Merkatz keine Notiz nehmen konnte, weil er eben nicht anwesend war. Ich war loyal genug, das selbstverständlich noch in dem Protokoll zu vermerken, daß Herr von Merkatz dagegen gestimmt habe. Wäre er dort anwesend gewesen, dann wäre wie in allen Fällen eine klare Entscheidung durch Mehrheit erfolgt und kaum die Möglichkeit entstanden, heute vor dem Plenum des Hauses diese Dinge derart zu traktieren, wie es geschehen ist.
Ich kann nur feststellen, daß es im Interesse der Republik liegt, meine Damen und Herren, nachdem eine zum Teil falsche Information von demjenigen, der die Information zu einem Artikel verarbeitet hat, sachlich richtiggestellt wurde und einige Formulierungen zurückgenommen worden sind gegen den Kern dessen, was in dem Artikel kritisiert worden ist, gegen die Verächtlichmachung der Wider({4})
standskämpfer vom 20. Juli Front zu machen. Das
erfordert die politische Lage unseres Volkes, und es
ist nach meiner Überzeugung die Pflicht unseres
Hauses, und ich glaube, dafür wird sich eine Mehrheit im Hause wohl noch finden lassen. Wir haben
alle Veranlassung, und es ist die Pflicht des Hohen
Hauses, jedem Versuch zu wehren, das, was damals
in Wahrung der Menschenrechte und im deutschen
Interesse geschehen ist, moralisch zu dezimieren,
jedem Versuch dieser Art zu widerstehen. Dazu gehört dieser Fall, und ich bitte Sie im Sinne des
Antrags des 3. Ausschusses, entsprechend dem Antrage des Herrn Berichterstatters zu entscheiden.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Meine Damen und Herren, ich spreche zur Geschäftsordnung. Ich möchte aber vorausschicken, daß meine Freunde selbstverständlich mit der Tendenz der Ausführungen des Kollegen Ritzel und des Kollegen Horlacher hinsichtlich der Ablehnung einer Verunglimpfung der Kämpfer des 20. Juli restlos einverstanden sind.
({0})
Es ist meines Erachtens geschäftsordnungsmäßig aber folgendes zu bedenken. Aus wichtigen Gründen hat .der Abgeordnete von Merkatz nicht rechtzeitig in die Sitzung des Ausschusses kommen können. Es ist außerdem so gewesen, daß dieser Punkt der Tagesordnung in der Sitzung des Ausschusses vorgezogen wurde, aus sicherlich beachtlichen Gründen; darüber will ich gar nicht sprechen. Aber das hat natürlich auch einen Einfluß gehabt. Herr von Merkatz wollte bei diesem Punkt anwesend sein, konnte y nicht ahnen, daß der Punkt vorgezogen wurde, und er war infolgedessen nicht anwesend.
Herr Kollege Horlacher hat insofern nicht vollständig genau berichtet, als er von einer einstimmigen Annahme des jetzt in Rede stehenden Antrages gesprochen hat. Kollege Ritzel hat das inzwischen aufgeklärt. Es ist aus Loyalität - oder wie Sie es genannt haben - dann noch im Protokoll vermerkt worden, daß der Kollege Merkatz nachträglich Einspruch eingelegt und seine Stimme dagegen abgegeben hat.
Bei dieser Sachlage, meine Damen und Herren, sind meine Freunde der Meinung - sine ira et studio; deswegen habe ich die sachliche Erklärung vorausgeschickt -, daß es der Situation entsprechen würde, wenn Herrn von Merkatz oder seiner Fraktion Gelegenheit gegeben würde,
({1})
im Ausschuß - und zwar sehr schnell, sofort, morgen oder Anfang nächster Woche - die Gedanken, die hier vorgebracht worden sind, nochmals zu erörtern.
({2})
- Sie mögen mir das jetzt glauben oder nicht, Herr Greve, das muß mir leider gleichgültig sein.
Allein dieser Gesichtspunkt veranlaßt uns zu der Bitte an das Hohe Haus, dem Antrag des Abgeordneten von Merkatz zuzustimmen.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kunze.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte droht den Kernpunkt, über den wir entscheiden sollen, völlig zu verdunkeln.
({0})
Es handelt sich nicht darum, daß ein Mitglied dieses Hohen Hauses bereit wäre, irgendeine Verdächtigung oder Verunglimpfung der Männer des 20. Juli zu dulden. Darüber besteht völlige Übereinstimmung. Es herrscht bei uns ({1})
- Dann würde ich sagen: es herrscht zumindest bei der überwältigenden Mehrheit dieses Hauses und in meiner Fraktion völlige Übereinstimmung.
({2})
Meine Damen und Herren, es handelt sich um einfache Rechtsfragen, und wir sind der Meinung - ich gebe dem im Namen meiner Fraktion Ausdruck -, daß die Frage, ob in Wahrung berechtigter Interessen gehandelt worden ist, nicht Gegenstand der Berücksichtigung im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität sein kann. Darum sind wir - und ich schließe mich damit meinem Herrn Vorredner an - der Meinung und beantragen, dem Antrag Dr. von Merkatz stattzugeben und den Antra g sowohl dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht als auch dem Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität zu überweisen.
({3})
Meine Damen und Herren! Wir waren vorher ziemlich ruhig. Jetzt scheinen wir tatsächlich in Erregung zu kommen.
Herr Abgeordneter Ewers!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich versuchen, die Beleidigung, die hier gegen einen Minister ausgesprochen worden sein soll, auf ihren Urgrund zurückzuführen. Die Beleidigung liegt der Sache nach darin, daß von ihm behauptet wird, er habe die Männer des 20. Juli verunglimpft. Hätte er es getan, dann wären die kommentarischen Ausführungen über diese seine Handlung vollkommen zutreffen. Aber die Beleidigung liegt ja gerade darin, daß man einem Minister des Koalitionskabinetts nachsagt, er habe in, wie ich sagen muß, frivoler und geradezu skandalöser Weise über die Männer des 20. Juli gesprochen. Es handelt sich also nicht darum, die Männer des 20. Juli zu schützen. Ich möchte behaupten, daß in diesem Hause in keiner Fraktion Abgeordnete fehlen, die mit einzelnen dieser Männer befreundet gewesen sind. Wir sind alle der Ansicht, daß diese Männer historisch etwas Gewaltiges versucht haben, daß sie hoch ehrenwert sind und daß sie - ganz egal, auf welcher Seite, ganz rechts oder ganz links, sie standen - Patrioten waren. Aber daß man einem Minister dieses Koalitionskabinetts nachsagen kann, er stände so zum 20. Juli, wie es hier in der Zeitung des Herrn Bielig zweifellos dargestellt ist, das ist doch gerade die Beleidigung. Deswegen begreife ich Herrn Horlacher, den sonst so hockgeschätzten Kollegen, und seine Erregung nicht. Es handelt sich hier überhaupt nicht darum, daß man die Männer des 20. Juli schützt, sondern darum, daß man dem Koalitionskabinett unter Führung des Herrn Bundeskanzlers Dr. Adenauer nachgesagt hat, es dulde in seinen Reihen Leute, die in dieser Weise über den 20. Juli denken.
({0})
Das ist der Punkt, über den wir zu entscheiden haben. Ich sage Ihnen ganz offen, dieser Punkt kann außerhalb jedes Zusammenhangs mit dem nächsten
({1})
Punkt, wo es sich um Herrn Dr. Richter von der Reichspartei handelt, gar nicht entschieden werden. Die Fälle liegen beinahe identisch. In beiden Fällen ist Ministern etwas nachgesagt worden, was nicht geduldet werden kann. Ob das nun bei politischer Betrachtung unter den Immunitätsschutz fällt oder nicht, das ist eine Grundsatzfrage. Jedenfalls geht es nicht an, daß man dadurch die Dinge auf ein vollkommen falsches Gleis schiebt, daß man argumentiert, wenn der angegriffene Minister so etwas gesagt hätte, dann wäre Wahrung berechtigter Interessen gegeben gewesen. Daß er es nicht gesagt hat und eine Zeitung trotzdem die Falschmeldung verbreitet, er habe es doch gesagt, darin allein liegt die Beleidigung. Deswegen bitte ich, diese Dinge ohne jede Leidenschaft zu behandeln. Denn darüber sind wir uns im Hause alle einig: Es darf kein Politiker, der heute für Deutschland handelt, eine solche Haltung einnehmen, wie sie Herrn Minister Seebohm vorgeworfen wird. Das ist nach unser aller Auffassung undenkbar, das ist unvertretbar. So etwas darf man einer führenden politischen Persönlichkeit, über die man sonst denken mag, wie man will, nicht in den Mund legen und nachsagen.
Ich bitte doch, diese Sach- und Rechtslage zu beachten, die meines Erachtens die ganze Debatte außerhalb jeder Erregung stellen müßte. Es ist allein die nüchterne rechtliche und politische Frage zu entscheiden: Wieweit wollen wir als Abgeordnete dulden, daß man führende Politiker in einen Zusammenhang bringt, der sie vor der Öffentlichkeit unmöglich macht? Es ist die sehr einfache Frage: Wollen wir in einem solchen Fall die Immunität aufheben? Wenn ja, dann bitte sowohl rechts wie links! Wenn nein, dann bitte auch rechts und links nicht! Diese Frage ist eine Prinzipienfrage. Der Ausschuß mag sie entscheiden. Ich bitte also, dem Antrag des Herrn Dr. von Merkatz zu entsprechen.
({2})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.
({0}) Herr Abgeordneter Dr. Schmid!
Meine Damen und Herren! Gewiß wird es immer wieder vorkommen, daß das Hohe Haus der Meinung ist, daß eine Sache nicht genügend geklärt sei und man sie deswegen an den Ausschuß zurückweisen müsse. Aber im allgemeinen - und ich möchte sagen: grundsätzlich - wird das doch nur dann geschehen und geschehen dürfen, wenn der Tatbestand nicht genügend geklärt ist, wenn sich also in der Plenardebatte erweist, daß wir noch nicht genügend Grund unter den Füßen haben und darum nicht entscheiden können, worum es in Wirklichkeit geht. Aber, meine Damen und Herren, hier ist doch der Tatbestand völlig klar!
({0})
Es steht genau fest, was der Abgeordnete Bielig geschrieben hat und was auf seinen Artikel hin erfolgt ist. Darüber ist, glaube ich, kein Streit. Verschieden ist lediglich die Auffassung über die strafrechtliche Beurteilung, die dem Artikel des Herrn Abgeordneten Bielig zuteil werden soll.
Aber, meine Damen und Herren, diese strafrechtlichen Dinge sind doch nicht das Eigentliche, vor dem wir stehen. Wir sind doch kein großes Schöffengericht, das ein Urteil abzugeben hätte, ob Herr Abgeordneter Bielig sich nach §§ 185 ff. des Strafgesetzbuches strafbar gemacht hat oder nicht. Selbst wenn das Haus der Meinung sein sollte,
daß er sich nach dem Strafgesetzbuch strafbar gemacht hat, könnte dieses Haus, ohne irgendwie gegen seine Pflichten zu verstoßen, sagen: aus allgemein politischen Erwägungen - nicht parteipolitischen - verweigert dieses Haus die Genehmigung der Strafverfolgung. Das ist die Entscheidung, die wir hier zu treffen haben, und keine andere. Und hierfür hat doch der Ausschuß genügend Gelegenheit gehabt, sich eine Meinung zu bilden. Er hat sich eine Meinung gebildet und hat beschlossen, dem Hause zu empfehlen, die Strafverfolgung nicht freizugeben.
Damit, meine Damen und Herren, kommen wir, glaube ich, zu dem verfahrensmäßig entscheidenden Punkt. Wenn es sich, wie hier, lediglich darum handelt, das Für und Wider eines Ausschußvorschlags wesentlich vom Politischen her zu bewerten, dann sollte man nie zur Zurückweisung an den Ausschuß greifen, nur weil es jemand darauf ankommt, nicht Tatsachen, sondern Bewertungen neu zu diskutieren.
({1})
Dann sollte es ausschließlich Sache dieses Hauses sein, zu sagen, ob es dieser Empfehlung, die immer eine politische Empfehlung ist, auch wenn es sich um Tatbestände aus dem Bereich der Justiz handelt, beitritt oder nicht beitritt.
({2})
Das ist aber nicht Sache des Ausschusses, sondern Sache des Plenums.
({3})
Stellen Sie sich doch bitte vor: Wenn im Ausschuß aus Zufälligkeitsgründen, die leider Gottes fast jeden Tag eintreten, gegenüber der letzten Sitzung eine andere personelle Besetzung sein sollte, dann laufen wir doch Gefahr, daß nur deswegen, weil ein Abgeordneter vom Urlaub zurückgekehrt ist oder ein anderer einen Schnupfen bekommen hat, andere Auffassungen zum Zuge kommen und der Ausschuß Ihnen auf Grund desselben Tatbestandes eine genau konträre Entscheidung empfiehlt. Wir ruinieren damit doch den Respekt vor der Ausschußarbeit und gerade den Respekt vor der Arbeit von Ausschüssen, die im wesentlichen - wirklich ganz im wesentlichen - ihre Empfehlungen unter politischen Gesichtspunkten zu geben haben. Wenn wir nicht beim erstenmal nein sagen, dann rutschen wir in eine Entwicklung ab, von der kein Mensch weiß, wohin sie führen kann.
({4})
Dem Ansehen des Parlaments und der Arbeit der Ausschüsse dieses Parlaments jedenfalls würde ein solches Verfahren nicht nützen.
Und nun, meine Damen und Herren, zum Fall Bielig selbst! Mögen Sie so oder so zur strafrechtlichen Bewertung des Aufsatzes stehen: fest steht doch, daß der Abgeordnete Bielig seinen Artikel berichtigt hat.
({5})
Er hat in diesem Berichtigungsartikel alles erklärt, was er auf Grund der Stellungnahme des angegriffenen Ministers erklären konnte und - ich sage es ausdrücklich - erklären mußt e. Damit ist doch die Sache ausgeräumt, soweit sie einen politischen Charakter hatte. Damit ist doch die Möglichkeit gegeben, daß einer, wenn der Artikel zitiert werden sollte, demgegenüber die Berichtigung zitieren kann. Damit ist doch alles, was in dieser Angelegenheit an Politischem stecken konnte, weg; und wenn Sie, meine Damen und Herren, Wert darauf legen, daß der Abgeordnete Bielig trotzdem und
({6})
justament bestraft wird, weil nun einmal die Möglichkeit gegeben ist, ihn vor das Schöffengericht zu ziehen, so verstehe ich das nicht recht. Ein solches Eifern steht dieser Sache nicht an. Sie hätten Gelegenheit genug gehabt, in anderen Fällen solchen Eifer an den Tag zu legen.
({7})
Bedenken Sie doch, meine Damen und Herren, wann die ganze Geschichte passiert ist! Der Artikel ist doch mitten in der Hedler-Krise, oder sagen wir doch: im Hedler-Skandal geschrieben worden.
({8})
- Vorher ist er geschrieben worden?
({9})
- Gut, meine Damen und Herren, dann möchte ich Sie auf etwas hinweisen, was Ihrem Antrag die letzte Berechtigung nimmt: Herr Hedler, von dem Sie nicht bestreiten werden, daß er Aussagen ähnlich denen, die Kollege Bielig dem Minister Seebohm in den Mund gelegt hat, getan hat, hatte damals noch das Vertrauen Ihrer Partei.
({10})
Sie können es dann doch einem Abgeordneten einer anderen Partei nicht so sehr übelnehmen, daß er ein Verhalten, das Herr Hedler an den Tag gelegt hat - nicht erst in Neumünster, wo man ihn fassen konnte, sondern schon lange vorher, Frau Abgeordnete Kalinke -, auch bei anderen Mitgliedern Ihrer Partei mindestens für möglich hielt.
({11})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir hätten diese Debatte gern vermieden gesehen.
({0})
Das Prinzipielle, was hierin steckt - und darin möchte ich Herrn Abgeordneten Schmid widersprechen - ist nämlich die Auslegung des Art. 46 Abs. 1; sie muß hier geklärt werden.
({1})
Es handelt sich hier um dein ersten, aber sehr prägnanten Tatbestand in dieser Richtung, und wir legen Wert darauf, daß auf diesem Gebiet die Immunitätsgrundsätze eine Abklärung erfahren. Darum unser Antrag.
Noch eine kurze Verwahrung! Herr Abgeordneter Ritzel sagte, ich hätte in diesem Falle einen nicht folgerichtigen Standpunkt eingenommen und beispielsweise hier verlangt, daß eine Beweiswürdigung stattfinden, daß sich der Ausschuß gewissermaßen zum Tribunal erheben solle. Das habe ich nicht verlangt. Das, was wir wollen, ist die Abklärung einer wichtigen Rechtsfrage. Wir bedauern diese Debatte. Wir wollten sie auch aus Höflichkeit gegenüber dem Herrn Kollegen Bielig nicht vor dem Plenum stattfinden lassen, sondern uns ausschließlich auf die Frage des Rechtes beschränken.
({2})
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen zunächst die erfreuliche Mitteilung machen, daß die Liste der Redner erschöpft ist. Wir kommen also zur Abstimmung.
({0})
- Erlauben Sie mal, ich sehe Herrn von Merkatz hier in voller Person!
({1})
Wir kommen zur Abstimmung, und zwar zu- nächst über den geschäftsordnungsmäßigen Antrag, der von drei Fraktionen gestellt worden ist, den Ausschußantrag Drucksache Nr. 1038 sowohl an den Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität wie an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zurückzuverweisen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
({2})
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 1038. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; damit ist der Antrag Drucksache Nr. 1038 angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen zu Punkt 1 c:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über das Ersuchen des Oberstaatsanwalts Hildesheim vom 17. März 1950 betreffend Aufhebung der Immunität des Abgeordneten Dr. Richter ({3}) ({4}).
Darf ich aus Gründen der Vorsicht nach den bisherigen Erfahrungen fragen: Liegen irgendwelche Anträge auf Rückverweisung oder dergleichen vor
({5})
oder können wir gleich in die Verhandlungen eintreten? - Ich höre keinen Widerspruch.
Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Brill als Berichterstatter das Wort.
Dr. Brill ({6}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Auch der Gegenstand des Berichts, den ich Ihnen jetzt zu erstatten habe, ist hochpolitisch. Gerade deshalb darf ich nach der vorangegangenen Erregung um nüchterne Aufmerksamkeit bitten.
Der Oberstaatsanwalt in Hildesheim hat sich am 15. Februar dieses Jahres an den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestags in Bonn mit der Bitte gewandt, wegen der aus den Anlagen seines Schreibens ersichtlichen mit Strafe bedrohten Handlungen die Genehmigung des Hauses herbeizuführen, den Bundestagsabgeordneten Dr. Franz Richter zur Untersuchung zu ziehen. Die Anlagen zu diesem Schreiben des Oberstaatsanwalts in Hildesheim bestehen aus einem Brief des Vorstandes der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands vom 13. Januar 1950, in dem gegen den Bundestagsabgeordneten Herrn Dr. Franz Richter Strafanzeige erstattet wird, die im übrigen juristisch nicht substantiiert ist, und einer Beilage zu diesem Brief, die stenographische Aufzeichnungen enthält,
({7})
({8})
die vom Ortsverein der Sozialdemokratischen Partei in Hildesheim in einer Versammlung gemacht worden sind, in der Herr Dr. Richter am 10. Dezember 1945 gesprochen hat.
({9})
- Verzeihung, 1949.
({10})
Die wichtigsten Teile dieser Aufzeichnungen sind folgende:
1. „Ich werfe dem Kultusminister Voigt seit Monaten vor, in den Schulen eine regelrechte Verdummungspolitik zu treiben. Was soll man nun von einem solchen Feigling halten, der sich so etwas gefallen läßt, ohne etwas gegen mich zu unternehmen?"
2. „Wer die Entnazifizierung mitgemacht hat, hat sich völkerrechtlich vergangen und wird dafür einmal zur Verantwortung gezogen."
({11})
3. ,,Die heutigen politischen Führer der großen Parteien haben sich in die höchsten Ämter hineingeschlichen, um hier Verräter am deutschen Volk zu werden."
({12})
„Deshalb haben sie die Besatzungsmächte gebeten, noch sehr lange hierzubleiben, weil sie den Haß der anständigen Deutschen fürchten."
({13})
4. „Man spricht doch heute immer so viel vom Jahre 1933. Ich weiß gar nicht, was da eigentlich geschehen ist."
({14})
„Letzten Endes ist es doch durch das ganze widerliche Theater von 1918 bis 1933 entstanden. Minister Albertz ließ Flüchtlinge in Erdlöchern hausen. Damit ist alles gesagt, was einer von diesen Menschen zu halten hat."
5. „Ich habe amtliche Beweise dafür, daß das deutsche Volk den Krieg nur durch Verrat verloren hat."
({15})
Und am Rande, meine Damen und Herren, Ausdrücke allgemein politischen Inhalts:
„Bei den Tschechen und Polen sind anständige Menschen nur Ausnahmen." Und schließlich:
„Der Staat Israel hat Wiedergutmachungsansprüche an Deutschland gestellt. Ich
frage: warum laufen denn noch soviele
Mitbürger dieses Staates hier herum?"
({16})
Nachdem dieses Schreiben des Herrn Oberstaatsanwalts beim Bundestag eingegangen war und sich bereits in der Prüfung des Ausschusses befand, haben vier niedersächsische Staatsminister, und zwar die Staatsminister Albertz, Borowski, Dr. Hofmeister und Voigt, also der Minister für Flüchtlingsangelegenheiten, der Minister des Innern, der Minister der Justiz, der zu gleicher Zeit Entnazifizierungsminister ist, und der Kultusminister, Strafantrag gegen den Bundestagsabgeordneten Herrn Franz Richter wegen Beleidigung und übler Nachrede gestellt. Außerdem hat die Geschäftsstelle der Deutschen Partei in Hildesheim stenographische Aufzeichnungen über die Äußerungen des Herrn Dr. Richter angeboten, die angeblich mit denen der Sozialdemokratischen Partei inhaltlich vollkommen übereinstimmen und zur Vervollständigung der Beweismittel dienen können.
({17})
Schließlich sind zwei Zeugen zum Beweis der Richtigkeit dieser stenographischen Aufzeichnungen namhaft gemacht worden.
Der Ausschuß für Immunität hat es nicht für seine Aufgabe gehalten, in eine sachliche Würdigung dieses Materials einzutreten. Er hat sich lediglich mit zwei Fragen beschäftigt. Die erste Frage war die: Sind die vorgebrachten Beschuldigungen ernsthafte Beschuldigungen? Diese Frage hat der Ausschuß bejaht. Von einem Abgeordneten aus der Mitte dieses Hauses ist bei der Behandlung dieser Frage ausgeführt worden, die Beschuldigungen seien so ernsthaft, daß er bedauere, daß das gegenwärtige deutsche Strafrecht materiell keine Tatbestände mit ausreichendem Strafrahmen enthalte, um die schweren Beschuldigungen wirklich ahnden zu können.
({18})
Die zweite Frage, mit der sich der Ausschuß beschäftigt hat, war: Sind die angebotenen Beweismittel nicht nur Schikane, sondern würden sie, als Beweismittel betrachtet, prozessual zulangen, um einen Prozeß durchzuführen? Auch diese Frage hat der Ausschuß bejaht. Ausführungen zu den Einzelheiten möchte ich nicht machen.
Aus der Bejahung dieser beiden Fragen ist der Ausschuß zu dem Beschluß gekommen, Ihnen zu empfehlen, die Immunität des Bundestagsabgeordneten Dr. Franz Richter aufzuheben. Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Der Ältestenrat war der Auffassung, daß bei derartigen Anträgen im allgemeinen keine Aussprache stattfinden soll. Es hat zwar im vorhergehenden Fall eine solche stattgefunden; trotz alledem appelliere ich an das Haus, der Auffassung des Ältestenrats zu folgen. Ich frage aber der Form halber: Wird das Wort gewünscht?
({0})
- Aber, Herr Abgeordneter Dr. Richter, darüber waren wir uns im Ältestenrat klar, - ({1})
- Nun mal Ruhe, meine Damen und Herren!
({2})
Wir waren uns im Ältestenrat ganz besonders darüber klar, daß gerade das Mitglied des Hauses, dem der Antrag auf Aufhebung seiner Immunität gilt, hier nicht sprechen kann. - Wenn Sie darauf bestehen, kann ich Ihnen das Wort nicht verwehren. Bitte!
({3})
Dr. Richter ({4}) ({5}): Meine Damen und Herren!
({6})
Ich möchte gleich von vornherein erklären, daß ich gar nicht die Absicht habe, hier etwa dafür zu sprechen, daß meine Immunität nicht aufgehoben werden soll. Ganz im Gegenteil; gerade Ihnen von der SPD möchte ich das eine sagen, wir haben ja aus jüngster Zeit positive Erfahrungen und Sie negative, wie ein solcher Prozeß sich propagandistisch auswirken kann.
({7})
Wenn nun von dem Herrn Kollegen Horlacher zu dem Fall Bielig gesagt worden ist: Wenn ein Abgeordneter nicht das Recht hat, seine Meinung - noch dazu in Wahrung persönlicher Interessen - zu äußern, so ist das eine Unmöglichkeit" - so ungefähr waren etwa Ihre Worte -,
({8})
müßte ich natürlich auch das Recht haben, meine Meinung zu äußern, auch wenn sie Ihnen nicht paßt! Das große Schöffengericht, das Herr Professor Schmid nicht im Bundestag sehen wollte, scheint sich jetzt in diesem Fall aber doch aufzutun; denn ich glaube, wenn man die Dinge, die man mir vorwirft, als hochpolitisch hinstellt, hätte man das auch genau so gut bei dem Abgeordneten Bielig tun müssen.
({9})
Ich bin allerdings der Meinung, daß jeder ruhig seine Äußerungen tun kann, daß er aber dann auch dafür geradezustehen hat.
Was den Artikel des Abgeordneten Bielig anlangt, den er angeblich richtiggestellt hat, so möchte ich dazu nur eines sagen.
({10})
- Gestatten Sie, jetzt möchte ich einmal reden! - Eine solche Berichtigung ist natürlich möglich, wenn man eine Presse zur Verfügung hat; das ist sonst nur in Versammlungen möglich. Dann wird man allerdings - selbst wenn ein Fehler gemacht wurde, den man berichtigt - bestimmt nicht seitens der Protokollanten einen Bericht an die entsprechende Stelle schicken, um Dinge richtigzustellen, die gebracht worden sind.
Ich gebe allerdings zu, das möchte ich gleich betont haben, daß ich dem niedersächsischen Kultusminister Verdummungspolitik vorgeworfen habe; denn er ist der Mann, der im Unterricht Dinge behaupten ließ, die nicht der Wahrheit entsprechen, und zwar über die Art und Weise, wie angeblich die deutsche Besatzung die Holländer behandelt haben soll, die mir sogar von holländischer Seite als Unwahrheit hingestellt worden sind. Ich habe nicht bloß in Hildesheim - das möchte ich gleich betont haben - die Entnazifizierung als etwas Völkerrechtswidriges hingestellt, sondern auch hier im Bundestag; das dürfte Ihnen ja doch in bester Erinnerung sein.
({11})
Was die höchsten politischen Führer der politischen Parteien anlangt, so habe ich mehrfach betont, daß ich darunter nur eine ganz gewisse Kategorie verstehe, keineswegs etwa die führenden Männer unserer heutigen politischen Parteien im großen und ganzen;
({12})
sondern es sind einzelne. Ich kann Ihnen ein Beispiel eines Politikers nennen, der nicht genug darum winseln konnte, daß die Amerikaner noch möglichst lange als Besatzungsmacht in Deutschland bleiben.
({13})
Das ist der frühere Ministerpräsident von Bayern,
- wie heißt er gleich, ich komme jetzt nicht auf den Namen - ({14})
- Högner!
Was Herrn Albertz anlangt: wenn Sie es als ein hohes Politikum ansehen, daß er als Vertriebenenminister sich buchstäblich wochenlang nicht um die Vertriebenen gekümmert hat, sondern sie in Erdhöhlen hat hausen lassen, ohne sich darum zu sorgen, - ({15})
- Natürlich ist das unerhört!
Herr Abgeordneter Dr. Richter, darf ich Sie mal auf eines aufmerksam machen.
({0})
- Ruhe! - Es ist das erste Mal, daß ein Abgeordneter, dessen Immunität aufzuheben beantragt ist, zur Sache selbst spricht.
({1})
- Bitte sehr! - Also mäßigen Sie sich bitte!
Dr. Richter ({2}) ({3}): Ja, ich bitte, aber das auch der linken Seite des Hauses zu sagen.
Das liegt an Ihnen.
Dr. Richter ({0}) ({1}): Wenn mir gesagt worden ist, es sei unerhört, was ich behaupte, - es ist sogar durch die Presse gegangen! Lesen Sie doch die Zeitungen, dann müßten Sie es wissen! Sie haben allerdings recht, daß es unerhört ist, wenn solche Zustände überhaupt herrschen konnten.
Was im übrigen die Tschechen und Polen anlangt: wenn Sie die verteidigen wollen, überlasse ich es Ihnen gern.
Ich stelle von mir aus hiermit den Antrag auf Aufhebung meiner Immunität.
({2})
Meine Herren, der letzte Antrag war in jeder Weise geschäftsordnungswidrig. Ich nehme an: um dieser unerfreulichen Debatte ein Ende zu bereiten, wird das Wort weiter nicht gewünscht. Wer für Drucksache Nr. 1037 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die überwältigende Mehrheit.
({0})
- Meine Damen und Herren, wir befinden uns noch in den Morgenstunden und wollen die Temperamente etwas zügeln.
({1})
Ich bitte Sie jetzt, wie wir das vorhin beschlossen haben, im Anschluß an Punkt la, b und c der Tagesordnung die Drucksache Nr. 1074 - die beiden mündlichen Berichte des Vermittlungsausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes - entgegennehmen zu wollen. Darf ich fragen, - ({2})
- Meine Herren, wenn Sie sich unterhalten wollen, bitte, dann hebe ich die Sitzung für eine Weile auf.
({3})
Meine Damen und Herren! Bitte, nehmen Sie Drucksache Nr. 1074 zur Hand; das ist der nächste Punkt:
Mündlicher Bericht des Ausschusses nach Art. 77 des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß ({4}).
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Kiesinger das Wort.
Kiesinger ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe die Ehre, Ihnen den ersten Bericht über eine Sitzung und einen Beschluß des Vermittlungsausschusses vorzutragen. Der Vermittlungsausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes ist ja eine ganz neue Einrichtung in unserem parlamentarischen Leben. Ich habe die Freude, Ihnen mitteilen zu können, daß diese Einrichtung sich bei ihrer ersten Arbeitssitzung durchaus bewährt hat.
Wir haben von den drei vorliegenden Gesetzesvorlagen zwei durch eine Einigung zum Abschluß gebracht. Die dritte Angelegenheit schwebt noch. Ich hoffe, daß wir auch bei ihr zu einer Einigung kommen werden.
Ich habe Ihnen zu berichten über den Beschluß des Vermittlungsausschusses zum Entwurf eines Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet. Diese Materie hat ja schon zahlreiche Sitzungen der beteiligten Institutionen in Anspruch genommen; sie hat 16 Sitzungen des Bundesrates, des Bundestags und seiner Ausschüsse und nun auch den Vermittlungsausschuß beschäftigt. Bekanntlich handelt es sich dabei um ein außerordentlich schwieriges Problem. Es geht darum, ob wir zusehen können, daß aus den Gebieten des Ostens eine große Zahl von Deutschen hier herüber in diesen Teil Deutschlands strömt, wodurch die Situation in diesem Teil Deutschlands außerordentlich erschwert und dieses Gebiet geradezu tödlich gefährdet wird. Auf der anderen Seite aber steht die Frage, ob es möglich und auch rechtlich zulässig ist, diesen Menschen, die in unseren Teil Deutschlands hereingeströmt sind, den Zuzug zu versagen.
Die sozialdemokratische Fraktion hatte seinerzeit im Bundestag eine Vorlage eingebracht, nach der dieser Zuzug unserer deutschen Brüder und Schwestern aus dem Osten nach dem westlichen Deutschland in weitem Umfange offenstehen sollte. Demgegenüber standen Auffassungen, nach denen man zwar die Not dieser Menschen verständnisvoll anerkannte, aber wegen der Gefährdung des westlichen Deutschlands der Abwehr dieses Zuzugs zuneigte.
Der Vermittlungsausschuß hatte sich mit diesen beiden Auffassungen zu befassen, und er hat nun in dieser schwierigen Frage eine mittlere Lösung gefunden. Diese mittlere Lösung drückt sich darin aus, daß zu dem Entwurf des Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet
einige wesentliche Änderungen vorgeschlagen werden. Die wichtigste Änderng ist die des § 1 Abs. 2 des Gesetzes. Ich darf ihre Aufmerksamkeit noch einmal kurz auf die vorn Bundestag beschlossene Fassung des § 1 Abs. 2 des Notaufnahmegesetzes lenken. In § 1 heißt es:
Deutsche Staatsangehörige und deutsche Volkszugehörige, die Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt in der sowjetischen Besatzungszone . . . haben oder gehabt haben, bedürfen, wenn sie sich ohne Genehmigung im Bundesgebiet aufhalten, für den ständigen Aufenthalt einer besonderen Erlaubnis.
Die Freizügigkeit wird nach Artikel 11 Absatz 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschlands insoweit eingeschränkt.
Im Abs. 2, um den es hier geht, heißt es:
Diese besondere Erlaubnis darf nur Personen erteilt werden, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die in Absatz 1 genannten Gebiete verlassen mußten.
Das ist natürlich eine außerordentlich enge Fassung gewesen, denn anderen Kategorien von Personen durfte demnach diese besondere Erlaubnis nicht erteilt werden. Der Vermittlungsausschuß hat sich dagegen auf die Ihnen vorliegende Fassung geeinigt: Die besondere Erlaubnis darf dieser Kategorie von Personen nicht versagt werden. Damit ist also die Möglichkeit gegeben, eine solche Erlaubnis unter Umständen auch anderen Personen zu erteilen. Mit dieser Formel, auf' die sich der Vermittlungsausschuß einhellig geeinigt hat, ist, wie ich glaube, eine glückliche Lösung gefunden worden, die zwischen den beiden extremen Auffassungen steht.
Der Vermittlungsausschuß hat es schließlich auch für richtig gehalten - übrigens in Anlehnung an den sozialdemokratischen Entwurf -, den Abs. 2 des § 3 zu streichen. Ich darf Ihre Aufmerksamkeit auch auf den Wortlaut dieser Bestimmung lenken; sie lautet:
Die Rückführung der nicht aufgenommenen Personen erfolgt bis zu einer bundesgesetzlichen Regelung nach den in den Ländern geltenden Bestimmungen.
Die außerordentlich heikle Frage der Rückführung sollte nach der Meinung des Vermittlungsausschusses in den Gesetzestext nicht aufgenommen, es sollte also keine bundesgesetzliche Regelung darüber getroffen werden.
Schließlich ist noch eine Änderung im Wortlaut zu erwähnen. In § 1 Abs. 1 Zeile 4 hat sich der Vermittlungsausschuß einer Praxis des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht angeschlossen und statt des Wortes „Bundesgebiet" die Worte „im Geltungsbereich dieses Gesetzes" eingefügt. Diese Praxis bedeutet, daß wir als Bundesgebiet nicht nur das Gebiet der Bundesrepublik, sondern das Gebiet ganz Deutschlands betrachten.
Ich habe die Ehre, im Namen des Vermittlungsausschusses zu beantragen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der vom Bundestag in seiner 52. Sitzung
vom 27. März 1950 angenommene Entwurf
eines Gesetzes über die Notaufnahme von
({6})
Deutschen in das Bundesgebiet - Nr. 350 und 685 der Drucksachen - wird wie folgt , geändert:
1. In § 1 Absatz 1 Zeile 4 treten an die
Stelle der Worte „im Bundesgebiet" die
Worte „im Geltungsbereich dieses Gesetzes".
2. § 1 Absatz 2 erhält folgende Fassung: „Diese besondere Erlaubnis darf Personen nicht verweigert werden, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die in Absatz 1 genannten Gebiete verlassen mußten."
3. § 3 Abs. 2 wird gestrichen.
Ich bitte Sie, diesem Antrag zuzustimmen.
({7})
Ich danke dem Herrn
Berichterstatter für seine Ausführungen. Es ist insofern ein historisches Ereignis, als zum ersten Male der Vermittlungsausschuß in Tätigkeit getreten ist und, wie wir wohl alle aus dem Bericht des Herrn Berichterstatters gehört haben, erfreulicherweise mit Erfolg.
Meine Damen und Herren! Was das Procedere der Abstimmung anlangt, mache ich auf Drucksache Nr. 745, auf die sogenannte Geschäftsordnung des Vermittlungsausschusses aufmerksam, die wir seinerzeit angenommen haben und die die Zustimmung des Bundesrats gefunden hat. Danach stimmt der Bundestag nur über den Abänderungsvorschlag ab. Es können vor der Abstimmung Erklärungen abgegeben werden. Ein anderer Antrag zur Sache ist nicht zulässig. Ich frage daher, ob eine der beteiligten Fraktionen eine Erklärung zu diesem mündlichen Bericht Drucksache Nr. 1074 abgeben will. - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für den Antrag auf Drucksache Nr. 1074 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Fast einstimmig angenommen.
Wir kommen nunmehr zu Drucksache Nr. 1075,
ebenfalls Bericht des Vermittlungsausschusses: Beratung des Mündlichen Berichts des Vermittlungsausschusses betreffend Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Soforthilfegesetzes ({0}).
Ich erteile Herrn Abgeordneten Dr. Becker ({1}) das Wort als Berichterstatter.
Dr. Becker ({2}) ({3}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Vermittlungsausschuß schlägt Ihnen auf Drucksache Nr. 1075 die Ihnen gedruckt vorliegenden Anträge zur Annahme vor. Im vorliegenden Falle bestand über das, was zu vermitteln war, überhaupt kein Streit. Materiell war sich jedermann einig, es handelte sich nur um die Erledigung einer formellen Frage, und zwar um folgendes:
In der 58. Sitzung hatte der Bundestag am 26. April 1950 einen Antrag zum Gesetz erhoben, der den § 36 Abs. 4 des Soforthilfegesetzes über die Anrechnung von anderen Renten auf diese Soforthilferenten ändern sollte. Dieses Soforthilfegesetz gilt nur im vormaligen Vereinigten Wirtschaftsgebiet. Es war also damit für die Länder der französischen Zone noch nicht Recht geschaffen. Der Bundesrat hat formal
durchaus mit Recht auf diesen Gesichtspunkt hingewiesen und hat, da keine andere Möglichkeit bestand, schnell und praktisch über diesen Dissens hinwegzukommen, den Vermittlungsausschuß angerufen. Dieser Vermittlungsausschuß hat sich ebenfalls kurzerhand, weil er sich über einen Punkt einig war, nämlich darüber, daß durch eine bundesrechtliche Regelung diese für die Länder der französischen Zone noch offengebliebene Frage geregelt werden könnte, entschlossen, Bundesrecht zu schaffen. Dieses Bundesrecht liegt Ihnen unter Ziffer 1 dieses Antrages vor, wonach in einem Art. 2, der in Ihr Gesetz eingefügt werden soll, bestimmt wird, daß das, was als Änderung des Artikels 36 Abs. 4 des Soforthilfegesetzes für die amerikanisch-britische Zone nun geschaffen ist, auch für die Länder der französischen Zone, also für Baden, Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern einschließlich des bayerischen Kreises Lindau, gelten soll.
Ich empfehle Ihnen diesen Antrag zur Annahme.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter 'für seine Ausführungen. Wünscht eine der Fraktionen, Erklärungen gemäß § 9 der Geschäftsordnung für den Vermittlungsausschuß abzugeben? - Das ist nicht der Fall.
Wer für die Drucksache Nr. 1075 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit einwandfreier Mehrheit beschlossen.
Meine Damen und Herren! Wir kommen nunmehr zum Punkt 2 der gedruckten Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP betreffend Schiffbau auf deutschen Werften für fremde Rechnung ({0}).
Da der zuständige Herr Minister im Anmarsch ist, schlage ich vor, daß wir diesen Punkt noch eine Weile zurückstellen.
Wir kommen danach zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Biersteuergesetzes ({1}).
Meine Damen und Herren! Da diese Frage, wenn wir uns alle recht besinnen, schon mehr als einmal Gegenstand eingehender Beratungen dieses Hohen Hauses gewesen ist, ist der Ältestenrat einstimmig zu der Auffassung gekommen, bezüglich des Punktes 3 die gedruckte Begründung als mündlich vorgetragen anzunehmen, keine Aussprache zu machen und dann gleichzeitig die Beschlußfassung darüber vorzunehmen bzw. den Gesetzentwurf dem zuständigen Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. Darf ich das Einverständnis des Hauses diesbezüglich feststellen? - Ich höre keinen Widerspruch. Auch Punkt 3 ist damit erledigt.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu den neuen Punkten, die eingelegt worden sind - ich will nicht sagen: eingeschoben; das könnte falsch verstanden werden -, also zu den Punkten, die eingelegt worden sind, und zwar betrifft das Drucksache Nr. 1076. Nehmen Sie doch bitte die neue Drucksache Nr. 1076 zur Hand:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über
den Entwurf eines Gesetzes über eine Zäh({2})
lung der Bevölkerung, Gebäude, Wohnungen, nichtlandwirtschaftlichen Arbeitsstätten und landwirtschaftlichen Kleinbetriebe im Jahre 1950 ({3}) ({4}).
Da der Ausschuß Ihnen vorschlägt, den Gesetzentwurf mit den aus den nachstehenden Zusammenstellungen ersichtlichen Änderungen anzunehmen, darf ich wohl annehmen, daß man sich in dem zuständigen Ausschuß einstimmig über die vorzunehmenden Abänderungen klar geworden ist. Wir haben uns im Ältestenrat über eine Redezeit nicht geeinigt.
Darf ich meinerseits den Vorschlag machen, auch hier die Berichterstattung entgegenzunehmen und dann sofort in die zweite und dritte Lesung einzutreten? Erhebt sich auf irgendeiner Seite des Hauses Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Dann ist demgemäß beschlossen.
Ich erteile Herrn Abgeordneten Jacobi als Berichterstatter das Wort zur Drucksache Nr. 1076. Er wird sicher nicht länger als 10 Minuten sprechen.
Jacobi ({5}), Berichterstatter: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich kann die Bemerkung des Herrn Präsidenten, daß es sich bei den Änderungen dieser Vorlage um einstimmige Beschlüsse des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung gehandelt hat, nur bestätigen. Auch im Bundesrat hat es bei der Beratung des Gesetzentwurfes keine grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten gegeben. Die Änderungen, die Ihnen vorgeschlagen werden, sind lediglich redaktioneller Natur, bis auf ein oder zwei Punkte bei denen aber auch kein Streit entstanden ist.
Wir haben bei den Beratungen zunächst überlegt, ob das Datum für die Volkszählung, der 13. September, besonders glücklich gewählt sei. Aber wir haben nach kurzer Erörterung die Meinung vertreten, daß nach dieser Richtung hin keine Änderung erfolgen sollte. Zwar fällt der 13. September in die Zeit der Ferien und der späten Ernte, aber es ist gelungen, zu diesem Termin auch eine Zählung in der Ostzone sicherzustellen. Wir glaubten, daß dieser Umstand einer gleichzeitigen Erhebung im gesamten Deutschland, soweit es von den vier Besatzungsmächten besetzt ist, ausreichen sollte, uns mit dem Termin abzufinden.
Ich sagte bereits, daß im wesentlichen nur redaktionelle Änderungen erfolgt sind. Wir haben die einzelnen Paragraphen eingehend beraten. Im Ausschuß wurden die Juristen zu Philologen, während die Philologen hier und da rechtliche Ratschläge gaben. Aber auch der gesunde Menschenverstand ist nicht zu kurz gekommen. Ich kann Ihnen, ohne auf Einzelheiten einzugehen, empfehlen, die Vorlage, wie sie Ihnen jetzt als Drucksache Nr. 1076 unterbreitet wird, ohne Anderung anzunehmen.
. Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seinen mit feiner Ironie gewürzten Bericht. Eine Aussprache findet nicht statt.
Ich bitte, Drucksache Nr. 1076 rechte Seite zur Hand zu nehmen. Wer für die §§ 1, - 2, -3, - 4, - 5, - 6, - 7, - 8, - 9, - 10, -11, - 12, - 13, - 14, - 15, - 16, - sowie für Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die
Hand zu erheben. Ich danke und bitte um die
Gegenprobe. - Fast einstimmig angenommen.
Ich erkläre die zweite Beratung der Drucksache Nr. 1076 für beendet und eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird hierzu nicht gewünscht. Wer gemäß Drucksache Nr. 1076 für die §§ 1 bis 16, für Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke und bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für das soeben in zweiter und dritter Beratung in der Fassung der Drucksache Nr. 1076 angenommene Gesetz im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke und bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen. Damit erkläre ich das Gesetz Drucksache Nr. 1076 für endgültig verabschiedet.
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie jetzt,
die Drucksache Nr. 1078 zur Hand zu nehmen: Zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt.
Zugrunde liegt der mündliche Bericht Drucksache Nr. 581, ferner die Drucksache Nr. 1078. Ich frage den Herrn Vorsitzenden des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge - unterbrechen Sie bitte mal Ihr Gespräch mit dem Abgeordneten Salomo, - ({0})
mit dem Abgeordneten Horlacher -: soll nur die zweite oder auch die dritte Beratung stattfinden?
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- Dann bitte ich, das in Zukunft in der Drucksache entsprechend angeben zu wollen.
Als Berichterstatter über die Drucksache Nr. 581 hat zunächst Herr Abgeordneter Dr. Schatz das Wort. Ich nehme das Einverständnis des Hauses an, daß wir auch diesen Punkt ohne Aussprache erledigen. - Ich höre keinen Widerspruch.
Dr. Schatz ({2}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Bundestag hat den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht federführend und den Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge mit der Beratung dieses Gesetzes beauftragt. Das Gesetz trägt die Überschrift „zur Erleichterung der Annahme an Kindes Statt". Die Erleichterung soll darin bestehen, daß der § 1741 BGB geändert wird, der besagt, daß nur demjenigen, der keine ehelichen Abkömmlinge hat, jemand an Kindes Statt anzunehmen möglich ist. Das bedeutet also eine sachliche Änderung einer Bestimmung des BGB.
Der Ausschuß hat sich zunächst mit der Frage nach dem Bedürfnis für dieses Gesetz befaßt und dabei festgestellt, daß die heutigen Zeitnotstände eine absolute Berechtigung zur Schaffung eines solchen Gesetzes geben. Ich möchte nur kurz auf die Gründe hinweisen, die uns dazu bewogen haben. Der Krieg und seine Folgen haben den .Familien derart große Verluste gebracht und uns so viele Waisenkinder hinterlassen, daß einerseits zur Aufstockung der Familien, andererseits zur Unterbringung von Waisen die Möglichkeit gegeben, eine Bestimmung geschaffen werden muß, die das Gesetz bis jetzt nicht gekannt hat, die aber, wenigstens zeitbedingt, geschaffen werden muß. Es war ganz klar, daß ein solches Gesetz nur für eine
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gewisse Zeit geschaffen werden soll, und zwar sind zwei Jahre vorgesehen. In der Zwischenzeit besteht für Interessenten, die das Bedürfnis haben, ein Kind anzunehmen, die Möglichkeit, dies zu tun. Nach zwei Jahren muß wieder der normale Grundsatz, wie er im § 1741 des BGB festgelegt ist, gelten.
Dieser Rechtsgrundsatz in § 1741 des BGB ist von viel älteren Rechten her bereits längst festes Recht geworden. ich denke nur an den Code civil, an das Allgemeine Preußische Landrecht und an viele andere ältere Rechte, die diese Bestimmung bereits verankert hatten und auf denen auch unser Bürgerliches Gesetzbuch aufgebaut ist. Es ist sowohl im Rechtsausschuß als auch im Jugendfürsorgeausschuß, wie aus dessen Protokoll hervorgeht, der Gedanke geäußert worden, daß das Adoptionsrecht allgemein einer gewissen Revision bedarf. Und doch hat man darauf in diesem Gesetz noch keinen Wert gelegt, sondern hat sich nur auf den Regierungsentwurf mit seinem Sinn und seinen Gedanken beschränkt. Es wurde im Ausschuß auch davon gesprochen, daß sehr viele Fälle vorkommen können, die eine solche Revision notwendig machen. Es sei nur daran gedacht, daß mancher im Krieg gefallene Sohn ein uneheliches Kind hat, das heute irgendwo unbekannt auf der Straße geht, und daß die Eltern mit Rücksicht auf ihren gefallenen Sohn den Wunsch haben, dieses Kind in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Haben sie aber eheliche Abkömmlinge, so haben sie bisher nicht das Recht, und zwar im ganzen Bundesgebiet nicht, dies zu tun.
Die Absicht dieses Gesetzes wurde im Rechtsausschuß auch noch auf folgende Weise festgelegt. Die Bedürfnisfrage wurde noch mehr bejaht, weil schon der Länderrat in Stuttgart sich damals mit dem Problem beschäftigt hat. Der Länderrat hat sich seinerzeit für dieses Gesetz ausgesprochen, und nur die Militärregierungen verschiedener Länder sind daran schuld, daß dieses Gesetz nicht damals schon in den Bundesländern allgemein eingeführt werden konnte. Lediglich die französische Militärregierung hat sich bereit erklärt, einem solchen Gesetz die Zustimmung zu geben. So kam es, daß in den Ländern Württemberg-Hohenzollern, Rheinland-Pfalz und im bayerischen Kreis Lindau dieses Gesetz Wirklichkeit werden konnte. Dort hat, wie uns der Vertreter des Justizministeriums sagte, dieses Gesetz auch tatsächlich eingeschlagen.
Das Gesetz selbst besteht aus acht Paragraphen, die sich mit der Zuständigkeit, mit dem Verfahrensgang, mit den Richtlinien für den Richter und dem Rechtsbehelf beschäftigen. Die §§ 1 und 2 brachten keine Schwierigkeiten. Als § 3 wurde der Entwurf des Bundesrats angenommen, weil dieser knapper und gefestigter gewesen ist, auch klarer in seinem Ausdruck. In § 4 wurde das Wort Gefährdung, das nicht sagen sollte: Gefährdung an Leib und Leben, mit dem Zusatz der „Interessen" klarer herausgestellt.
Sehr viel Raum wurde den Gedanken des § 6 gewidmet. Hier hat uns der Entwurf der Regierung vorgelegen, der die knappe Fassung hatte: Bewilligt der Richter die Adoption, so hat es dabei sein Bewenden; bewilligt er sie nicht, so hat nur der Antragsteller ein Beschwerderecht. Demgegenüber hat aber der Bundesrat gemeint, das Beschwerderecht müsse mindestens dahin ausgebaut werden, daß auch die ehelichen Kinder, die auf diese Weise Zuwachs bekommen, ein Beschwerderecht haben. Das Für und Wider dieser Gesetzentwürfe, des Entwurfs des Bundesrats und des Entwurfs der Regierung, wurde erörtert. Insbesondere wurde von der Seite, die das Beschwerderecht eingeführt haben wollte, gesagt, daß die Bewilligung der Adoption bei Vorhandensein ehelicher Abkömmlinge eine so wesentliche, einschneidende Maßnahme gegen den Bestand und die Einheit der Familie bedeute, daß unbedingt auch die Kinder das Recht haben müßten, sich zu beschweren. Auf der anderen Seite wurde gesagt, daß ein Adoptionsverfahren keinesfalls die Möglichkeit schaffen solle, die Einheit der Familie dadurch aufzureißen, daß die Kinder sich beschweren könnten; dadurch sei dem Streit in der Familie Tür und Tor geöffnet. Man hat insbesondere vorgetragen, daß die Kinder ja auch keine Möglichkeit haben, sich zu beschweren, wenn sie etwa früh geboren sind und die Eltern noch ein spätgeborenes Kind bekommen. Die ehelichen Kinder können sich auch nicht beschweren und deshalb zum Richter laufen, um dort ihre Beschwerdegründe gegen einen Elternteil vorzutragen, wenn ein überlebender Ehegatte noch einmal heiratet. Man hat herausgestellt - dieser Auffassung war der größte Teil der Mitglieder des Ausschusses -, daß nach dem Naturrecht der Wille der Eltern entscheidend sein soll; die Eltern können bestimmen, wieviele Kinder sie haben wollen, wieviele natürliche Kinder und wieviele Kinder etwa nach diesen Bestimmungen.
In diesem Zusammenhang wurde darauf hingewiesen, daß, wenn man das Beschwerderecht zuließe, dann den minderjährigen Kindern auch ein Pfleger bestellt werden müsse. Darauf einzugehen, ist schon deshalb wichtig, weil der Fürsorgeausschuß sich auch mit diesem Problem beschäftigt hat. Hier wurden aber technische Bedenken geltend gemacht, indem man gefragt hat, wer denn für diese Kinder den Antrag auf Pflegerbestellung stellen, wer insbesondere den Pfleger benennen soll. Auch wurde geltend gemacht, daß es doch schwer sei, innerhalb der in dem Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit bestimmten Vierzehntagefrist - es ist eine Notfrist - einen Pfleger zu bestellen, der dann das Rechtsmittel der Beschwerde einlegen würde. Auch wurde betont, daß der Pfleger stets Beschwerde einlegen würde, da er sich natürlich vor Regreßansprüchen schützen und deshalb lieber das Rechtsmittel der Beschwerde ergreifen würde.
Diese Gedankengänge waren dem Rechtsausschuß maßgebend.
Bei der Abstimmung haben sich alle Mitglieder dieses Ausschusses mit Ausnahme eines Mitgliedes dafür ausgesprochen, in diesem Falle den § 6 des Regierungsentwurfs anzunehmen, wie er Ihnen in der Drucksache Nr. 581 vorliegt.
In § 6 Abs. 1 wurde ein Grundsatz herausgestellt, der im Entwurf nicht vorhanden war, nämlich daß das Verfahren eine Angelegenheit der freiwilligen Gerichtsbarkeit sei. Diese Bestimmung wurde deshalb geschaffen, weil schon seinerzeit beim Länderrat ein Bundesland gemeint hat, man sollte nur ein Verwaltungsverfahren schaffen. Das heißt, daß die Justizministerien Verwaltungsbestimmungen schaffen sollten und daß die Entscheidung im Verwaltungswege getroffen werden sollte. Wir stehen auf dem Standpunkt, daß das Verfahren so wichtig ist, daß nur ein unabhängiger Richter die Entscheidung zu treffen hat. Dadurch ist auch die Möglichkeit ausgeschaltet, daß unter Umständen politische Momente in ein solches Verfahren hineingetragen werden.
Der § 7 blieb unverändert.
Der § 8 hat, nachdem der Regierungsentwurf darüber keine Bestimmung enthalten hatte, eine Be({4})
stimmung über das Inkrafttreten des Gesetzes erhalten. Wir haben uns, was nur natürlich war, an das Grundgesetz angelehnt und den Art. 82 Abs. 2 in Anspruch genommen. Dieser besagt, wenn keine Bestimmung über das Inkrafttreten gegeben ist, dann soll das Gesetz 14 Tage nach der Verkündung in Kraft treten. Außerdem wurde, nachdem eine Rechtsanordnung des Kreispräsidenten des bayerischen Kreises Lindau eine solche Bestimmung enthielt und das Bundesgesetz jetzt kommt, neben den Gesetzen der Länder Württemberg-Hohenzollern und Rheinland-Pfalz diese Rechtsanordnung des Kreispräsidenten des Kreises Lindau aufgehoben.
Meine Damen und Herren! Nun hat der Jugendfürsorgeausschuß das Ergebnis der Beratungen des Rechtsausschusses behandelt und uns das Ergebnis seiner Beratungen mitgeteilt. Seine Beschlüsse gehen dahin, daß er sich mit dem Gesetz als solchem bis auf folgende drei Punkte einverstanden erklärt. Der Jugendausschuß hat vorgeschlagen, daß erstens in § 3 Abs. 2, in welchem festgelegt ist, daß der Richter Kinder, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, stets persönlich zu hören hat, diese Altersgrenze auf 14 Jahre heruntergesetzt wird, daß zweitens schon bei Beginn des Verfahrens ein Pfleger für die minderjährigen Kinder bestellt wird. Drittens hat der Jugendfürsorgeausschuß in Anklang an den Entwurf des Bundesrats zu § 6 gemeint, das Beschwerderecht auf die ehelichen Kinder ausdehnen zu sollen.
Der Rechtsausschuß hat, da die seitens des Jugendfürsorgeausschusses behandelte Materie genau das betrifft, was schon von uns unter Vorlage des Antrages des Bundesrats behandelt worden war, noch einmal in einer ausgedehnten und absolut tiefschürfenden Besprechung die Gründe behandelt, die den Jugendfürsorgeausschuß zu seinen Beschlüssen veranlaßt haben. Dabei hat der Rechtsausschuß festgestellt, daß man die Altersgrenze der Kinder, die der Richter anzuhören hat, von 16 auf 14 Jahre herabsetzen kann. Wenn man bedenkt, daß das Jugendgerichtsgesetz schon Kinder ab 14 Jahre dem Jugendrichter überantwortet, wenn sie die nötige Strafbarkeitseinsicht und Willensreife haben, daß insbesondere Kinder von 14 Jahren ab einem Richter schon wertvollstes Material für die Fassung seines Beschlusses geben können, glaubte auch der Rechtsausschuß diesem Gedanken Rechnung tragen zu sollen und hat sich in diesem Sinne entschieden. Der Absatz 2 lautet also jetzt: Sämtliche eheliche Abkömmlinge, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, sind persönlich zu hören.
Dagegen hat sich der Rechtsausschuß nicht in der Lage gesehen, den weiteren Anträgen des Jugendfürsorgeausschusses Rechnung zu tragen, und zwar aus den Gründen, die ich Ihnen vorhin schon mitgeteilt habe. Der Rechtsausschuß hat auch erwogen, daß man, wenn man das Beschwerderecht einführt, automatisch einen Pfleger bestellen müßte, zumal der Vater als gesetzlicher Vertreter in eine Kollision käme und niemals selbst eine solche Beschwerde erheben könnte. Auch die übrigen Gründe, die ich Ihnen vorhin bereits geschildert habe - ich hoffe, daß sie Ihnen noch im Gedächtnis haften -, haben uns Veranlassung gegeben, auch neuerdings einen Beschluß zu fassen, der entgegen dem des Jugendfürsorgeausschusses ausgefallen ist.
Das Ergebnis war, daß alle mit Ausnahme von einem Mitglied sich neuerdings für die Fassung der Bundesregierung ausgesprochen haben, die - mit einem Wort - besagt, daß, wenn der Richter zustimmt und die Adoption genehmigt, kein Rechtsmittel möglich sein soll; wenn der Antrag abgelehnt wird, dann soll nur der Antragsteller die Möglichkeit haben, sich zu beschweren.
Nun hat noch Kollege Ewers einen Antrag eingebracht, der zweifellos gut durchdacht ist und den praktischen Verhältnissen einer solchen Adoption Rechnung trägt. Er hat vorgetragen, daß ein Kind nach den bisher geltenden Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches von einem Elternteil angenommen werden konnte, wenn auch nur - wie das Gesetz es vorschreibt - mit Zustimmung des andern Eheteils. Er hat erklärt, daß das Adoptivkind, wenn eheliche Abkömmlinge vorhanden sind und die Eltern in häuslicher Gemeinschaft leben, nicht als Stiefkind und nicht am Rande der Familie herumlaufen, sondern ganz in den Familienverband eingefügt werden sollte. Er hat deshalb beantragt, daß Ehegatten, die gemeinschaftliche Abkömmlinge haben und in häuslicher Gemeinschaft leben, Befreiung nach diesem Gesetz nur erlangen können, wenn sie gemeinschaftlich ein Kind annehmen.
Dieser Antrag wurde vom Ausschuß ebenfalls genauestens geprüft. Einige Mitglieder haben die Meinung vertreten, daß man, wenn man einerseits eine gewisse Befreiung von den Bestimmungen vornehme, hier nicht wieder eine Einengung machen könne, daß man jedoch einen gewissen inneren Zwang auf die Eltern ausübe. Anderseits wurde gesagt, daß man durch ein solches Verfahren nicht künstlich Stiefkinder schaffen und deshalb die Bestimmung aufnehmen solle, daß Eltern, die Kinder haben und in häuslicher Gemeinschaft leben, Adoptivkinder - wenn sie schon adoptieren wollen -, als gemeinschaftliche Kinder annehmen müssen. Das Ergebnis der Abstimmung war, daß der Rechtsausschuß sich mit 12 gegen 3 Stimmen für diese Bestimmung ausgesprochen hat. Sie ist als Abs. 2 des a § 1 in der Drucksache Nr. 581 angenommen worden.
Meine Damen und Herren! Wie ich Ihnen gesagt habe, hat der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht das Gesetz zum größten Teil einstimmig und bei wenigen Paragraphen mit überwältigender Mehrheit angenommen. Ich bitte Sie, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben. Wenn Sie es tun, dann werden Sie viel Leid, das der Krieg über Kinder, die ihre Eltern verloren haben, oder Eltern, die ihre Kinder verloren haben, gebracht hat, von diesen nehmen. Das soll der Sinn des Gesetzes sein.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Meine Damen und Herren! Ich habe mich vorhin mit Ihnen erfreulicherweise in Übereinstimmung fühlen dürfen, als ich feststellte, daß keine Aussprache stattfinden sollte.
({0})
- Einen Moment bitte! - Inzwischen sind von verschiedenen Seiten, besonders von den Damen des Hauses, Wünsche an mich herangebracht, sie zu diesem Punkt sprechen zu lassen. Ich sehe mich nicht in der Lage und bringe nicht den Mut auf, den Konflikt zwischen Formalität und Ritterlichkeit mit Gewalt zu lösen
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- warten Sie doch einmal -, sondern möchte eine kurze Redezeit, vielleicht von 40 Minuten, vorschlagen.
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Zur Geschäftsordnung hat sich nun Herr Abgeordneter Ritzel gemeldet. Nach ihm kommt dann die Berichterstatterin mit dem Bericht über Drucksache Nr. 1078.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, es mir nicht als Unritterlichkeit auszulegen, wenn ich vor den Damen zu einer rein geschäftsordnungsmäßigen Frage das Wort ergreife. Ich muß beanstanden, daß in der Drucksache Nr. 1078 ein Änderungsantrag des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge vorliegt. Nach der Geschäftsordnung gibt es keine Änderungsanträge eines Ausschusses. Es gibt eine einzige Ausnahme, von der heute morgen schon die Rede war, gestützt auf § 120 der Geschäftsordnung. Aber in dem vorliegenden Fall und in analogen Fällen gibt es keine Möglichkeit, daß ein Ausschuß, der mitbefaßt worden ist, Änderungsanträge in besonderen Drucksachen vorlegen läßt. Es wäre Sache der Ausschüsse, die zusammen bestimmt werden - der federführende und mitwirkende Ausschuß -, sich darüber zu verständigen. Wenn darüber eine Verständigung nicht möglich ist, dann ist es nach den Bestimmungen der Geschäftsordnung jedem Mitglied des Hohen Hauses unbenommen, einen Änderungsantrag unter Beachtung der §§ 41 ff. der Geschäftsordnung zu stellen. Nur ein Ausschuß stellt in diesem Falle keinen Änderungsantrag.
Daher bitte ich, die Drucksache Nr. 1078, Änderungsantrag des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge, als geschäftsordnungsmäßig nicht zulässig zurückzuweisen und es den Mitgliedern des Hauses zu überlassen, ob sich das eine oder andere Mitglied findet, das bereit ist, diesen Antrag seinerseits aufzunehmen.
Herr Abgeordneter, der vorletzten Auffassung, der Antrag Drucksache Nr. 1078 sei zurückzuweisen, kann ich nicht zustimmen, nachdem ich sehe, daß es sich im Grunde genommen um den Bericht von zwei Ausschüssen handelt. Drucksache Nr. 581 ist der mündliche Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht und betrifft das eigentliche Gesetz. Nun ist - eine Folge der Vielzahl der Ausschüsse - ein zweiter Ausschuß, nämlich der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge, beauftragt worden, sich gleichfalls mit dieser Materie zu beschäftigen. Offenbar hat zwischen beiden Ausschüssen in dem einen fraglichen Punkt keine Verständigung stattgefunden. Also ist es laut Beschluß des Plenums, weil beide Ausschüsse dasselbe Recht haben, auch das Recht des Ausschusses, - ({0})
- Moment mal! - Jedenfalls haben sich beide Ausschüsse nicht verständigt. Warum soll man also dann dem Ausschuß, der sich nicht restlos mit dem andern Ausschuß verständigt hat, bei einer etwas großzügigen und ritterlichen Auslegung der Geschäftsordnung nicht das Recht lassen, seinerseits auch einen Antrag zu stellen?
({1})
Also zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Ritzel.
Bei voller Sympathie für die ritterlichen Anwandlungen des Herrn Präsidenten
({0})
auch gegenüber Ausschüssen, die nicht federführend sind, und mit dem ausdrücklichen Bedauern,
daß ich den Herrn Präsidenten auf § 38 Abs. 2 der
Geschäftsordnung aufmerksam machen muß, darf ich folgendes feststellen. Der Antrag oder die Vorlage kann gleichzeitig mehreren Ausschüssen überwiesen werden, wobei der federführende Ausschuß zu bestimmen ist. Das ist geschehen. Dieser - der federführende Ausschuß - hat der Vollversammlung abweichende Auffassungen oder Anträge der anderen Ausschüsse bekanntzugeben und sonst niemand.
({1})
Formell erkläre ich mich für geschlagen.
({0})
- Dafür ist der Herr Abgeordnete Ritzel Vorsitzender des Ausschusses für Geschäftsordnung; darauf hinzuweisen ist ja seine Pflicht und Schuldigkeit. Das hindert aber nicht, daß nun ein einzelnes Mitglied des Hauses einen Abänderungsantrag stellt.
({1})
- Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Strauß.
Meine Damen und Herren! Ich möchte der Auslegung des Kollegen Ritzel, daß ein Änderungsantrag eines mitberatenden Ausschusses unzulässig ist, nicht widersprechen. Ich hatte darum auch lediglich beim Präsidium und dann bei der Druckerei gebeten, daß ebenso, wie es schon in einem früheren Fall geschehen ist, die abweichende Ansicht und abweichende Fassung eines mitberatenden Ausschusses bei dem gedruckten Bericht ebenso wie bei dem mündlichen Bericht niedergelegt wird. Dieses ist in der Drucksache Nr. 581 leider nicht erfolgt. Aus diesem Grunde habe ich mich bemüht, einen eigenen Bericht des Ausschusses Nr. 33 in den abweichenden Punkten auch gedruckt zu erhalten. Ich darf daran erinnern, daß bei dem Gesetz über den Bundesfinanzhof, bei dem die Ansichten des federführenden Ausschusses für Finanz- und Steuerfragen und des mitberatenden Ausschusses für Rechtswesen voneinander abgewichen sind - wobei ja auch nur einer federführend, einer mitberatend sein konnte -, die abweichende Auffassung des mitberatenden Ausschusses in der Drucksache niedergelegt worden ist, ohne daß es beanstandet worden ist.
Ich bitte also, diesen Änderungsantrag als einen Zusatz zur Drucksache Nr. 581 in den Punkten aufzufassen, in denen der Ausschuß Nr. 33 von der Formulierung und Fassung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht abgewichen ist. Ich überlasse es der Berichterstatterin, Frau Kollegin Heiler, die als Berichterstatterin bestimmt war, diesen Antrag zu ihrem persönlichen Antrag zu erklären, und bitte, Herr Präsident, ihr nunmehr das Wort zu erteilen.
Das Ganze ist mit anderen Worten ein Lapsus technicus. Stimmen wir darin überein?
({0})
- Ausgezeichnet.
Ich erteile dann der Frau Abgeordneten Heiler das Wort zur Begründung eines Abänderungsantrages.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stelle also hiermit formell den Antrag, das, was als Änderungsantrag des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge erschienen ist, als Mündlichen Bericht dieses Ausschusses zu erklären.
Ich hatte vorhin schon gesagt, daß das Wort zur Aussprache gewünscht wird. Ich schlage vor, daß wir die Aussprache auf 40 Minuten Dauer begrenzen. Ich glaube kaum, daß von der gesamten Redezeit Gebrauch gemacht wird.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Schanzenbach.
Meine Damen und Herren! Die Regelung der Annahme an Kindes Statt ergibt sich aus 32 Paragraphen des Bürgerlichen Gesetzbuches, das am 18. August 1896 verabschiedet wurde. In diesen Bestimmungen des Adoptionsrechts entspricht vieles nicht mehr den heutigen Notwendigkeiten und Auffassungen. Eine Reform ist notwendig geworden. Daß Änderungen, die durch den Krieg und die Nachkriegszeit bedingt sind, umgehend erforderlich sind, zeigt sich darin, daß in Württemberg-Hohenzollern und in Rheinland-Pfalz im letzten Jahr eine Erleichterung im Adoptionsrecht durch die Landesgesetzgebung vorgenommen worden ist.
Zur Berechtigung des vorliegenden Gesetzentwurfs ist folgendes zu sagen. Die durch den Krieg und seine Folgeerscheinungen elternlos gewordenen Kinder sollen leichter Aufnahme in einer Familie und besonders in Familien von Verwandten und Bekannten finden. Dies bezweckt der § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Das Schicksal der Kinder, die keine Familie haben, ist oft grausam. Wir sind immer wieder erschüttert, wenn wir durch Rundfunk- oder Zeitungsmeldungen erfahren, daß Kleinkinder, daß Schulkinder ihre Eltern suchen. Wir sind immer wieder erschüttert, wenn wir sehen, daß diese Kinder, die mit die ärmsten in unserer Zeit sind, in Waisenhäusern und in Heimen untergebracht sind, die keineswegs eine Familie ersetzen können. Denn mögen diese Heime noch so gut sein, eine gesunde Familie ist immer das bessere. In einem Heim besteht ein Wechsel der Erzieher, und Eintönigkeit und die Weltfremdheit herrschen dort vor. Das Vertrauen, wie es Kinder in einer Familie zu den Eltern haben, kann in einem Heim nie gegeben sein.
Andere von diesen elternlosen Kindern sind in Pflegeverhältnissen untergebracht. Nun mögen die menschlichen Beziehungen, die zwischen Pflegekindern und Pflegeeltern bestehen, sehr tief sein. Aber die letzten Verpflichtungen werden nicht eingegangen. Denn es bleibt immer die Möglichkeit offen, daß das Pflegekindverhältnis gelöst wird. Es ist deshalb sehr notwendig, daß dort, wo die äußeren Voraussetzungen gegeben sind, die Annahme an Kindes Statt gefördert wird, weil die Adoption sowohl im Interesse des Kindes als auch im Interesse der Annehmenden liegt. Denn durch die Adoption wird eine Ungewißheit im Leben des Kindes beseitigt.
Während früher überwiegend uneheliche Kinder adoptiert wurden, stehen heute die Waisen, die durch den Krieg und die Nachkriegszeit ihre Eltern verloren haben, im Vordergrund. Ihnen gegenüber haben wir alle eine ganz besondere Verpflichtung zu erfüllen. Die Kinder, die keine Eltern mehr haben, haben genau so Anspruch auf Liebe und auf eine wirtschaftliche Versorgung wie jedes eheliche Kind. Wir sollten jede Möglichkeit wahrnehmen, um gerade diesen Kindern das Hineinwachsen in eine Familie zu ermöglichen.
Nach den bisher geltenden Bestimmungen des Adoptionsrechts können Eltern, die selbst Kinder haben, kein fremdes Kind adoptieren. In diesem
Punkt will nun der vorliegende Gesetzentwurf eine Erleichterung bringen.
In § 1 wird festgelegt, daß die Möglichkeit der Befreiung von dem Erfordernis der Kinderlosigkeit erteilt wird. Die Befreiung von dem Alterserfordernis ist schon im Bürgerlichen Gesetzbuch vorgesehen.
Da die Adoption eine sehr ernste Angelegenheit ist, können wir sie nicht ernst genug nehmen; denn dieser Adoptionsvertrag entscheidet über menschliche Schicksale. Die Befreiung von dem Erfordernis der Kinderlosigkeit, das in § 1 festgelegt ist, bedeutet keineswegs etwas Neues. Es gibt Länder, in denen das Adoptionsgesetz das Erfordernis der Kinderlosigkeit nicht kennt. Die Erfahrungen dieser Länder sind in jeder Beziehung positiv. Für die Erleichterung der Adoption sprechen auch erzieherische Gründe. Erstens sind jüngere Eltern für die Erziehung der Kinder weit mehr geeignet als Menschen, die schon das 50. Lebensjahr überschritten haben. Zweitens ist es für das Kind weit besser, wenn es kein Einzelkind in der Familie bleibt, sondern Geschwister hat. Dies gilt sowohl für das eheliche als auch für das Adoptivkind.
Bei der Verpflichtung, die die Allgemeinheit gegenüber den Waisenkindern hat, die durch den Verlust ihrer Eltern besonders hart betroffen sind, dürfen die materiellen Interessen bei einer Adoption keineswegs ausschlaggebend sein. Damit aber auch das Wohl der ehelichen Kinder bestmöglich gesichert ist, sieht der § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs das Anhören der Beteiligten oder ihrer gesetzlichen Vertreter sowie das der zuständigen Jugendämter als zwingend vor. Ich kenne aus eigener Anschauung die sorgsame Arbeit und das Verantwortungsbewußtsein der Jugendämter bei den Vorbereitungen zu einer Adoption. Meistens kennen ja die Jugendämter das Adoptivkind und die Familie des Annehmenden seit Jahren. Sie hatten Gelegenheit, das Hineinwachsen des Kindes in die Familie zu beobachten. Kein Jugendamt wird die Adoption befürworten, wenn die Gesamtverhältnisse nicht günstig sind. In der Praxis wurden die Jugendämter bisher schon von den Gerichten zu den Adoptionsvorhaben gehört. Es ist aber meines Erachtens ein Fortschritt und eine Sicherheit, daß diese Praxis nun gesetzlich verankert wird.
Wir halten den vom Jugendfürsorgeausschuß geforderten Abs. 3 des § 3 nicht für erforderlich. Er erscheint uns sogar schädlich; denn durch das Dazwischentreten eines Pflegers könnte das gute Verhältnis zwischen der Adoptionsfamilie und dem Adoptivkind ungünstig verändert oder gar zerstört werden. Der Pfleger, der ein völlig fremder Mensch sein kann, kennt die inneren Zusammenhänge dieser Adoptionsvoraussetzungen nicht. Es ist zu befürchten, daß er die Interessen der ehelichen Kinder nur von der wirtschaftlichen Seite her wahrnimmt. Wennschon Eltern sich entschlossen haben, zu ihren eigenen Kindern ein fremdes Kind anzunehmen, und wenn die Voraussetzungen für alle Beteiligten günstig sind, dann dürften die im Jugendfürsorgeausschuß vorgetragenen Bedenken bezüglich der Rechte der ehelichen Kinder hinfällig sein, zumal die Vorschriften des § 3 Abs. 1 und 2 die Rechte der ehelichen Kinder ausreichend wahrnehmen.
Die Erleichterung der Adoptionsbestimmungen entspringt einer zeitbedingten Notwendigkeit. Nach den Angaben der Jugendämter gibt es zur Zeit mehr Familien, die Kinder adoptieren wollen, als Adoptivkinder, so daß manche Kreise behaupten, das vorliegende Gesetz sei nicht nötig. Wer die Dinge so sieht, geht an dem eigentlichen Problem vorüber.
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Es kommt bei den Kindern, um die wir uns in diesem Gesetz besonders bemühen wollen, darauf an, daß sie zu der richtigen Familie kommen, nämlich zu Verwandten, zu Freunden der verstorbenen Eltern, zu der Pflegefamilie, in der sich das Kind seit Jahren befindet, und nicht wahllos zu einer Familie, die lediglich den bisherigen Anforderungen und Adoptionsvoraussetzungen entspricht. Wir kennen das Leid der Kinder, die keine Eltern und keine Heimat haben. Ihnen die beste Fürsorge angedeihen zu lassen, ist die Pflicht von uns allen. Durch die Erleichterung der Adoption in dem vorliegenden Gesetzentwurf wird vielen heimatlosen Kindern die Möglichkeit gegeben, unter gesunden Lebensbedingungen in einer Familie heranzuwachsen und ein vollwertiges Glied dieser Familie zu werden.
Wir halten den vorliegenden Gesetzentwurf für erforderlich; die sozialdemokratische Fraktion wird deshalb dem Entwurf in der Fassung des Rechtsausschusses zustimmen.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Heiler. - Noch 5 Minuten.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Gesichtspunkt, unter dem der Ausschuß für Jugendfürsorge diesen Gesetzentwurf behandelt hat, war nicht der rechtliche, sondern der fürsorgerische. Wenn von den in § 1741 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches geforderten Voraussetzungen des Nichtvorhandenseins ehelicher Abkömmlinge Befreiung erteilt werden soll, dann galt es für uns, Vorsorge zu treffen, daß sowohl das in Familiengemeinschaften mit ehelichen Kindern aufzunehmende Kind in jeder Weise vor Benachteiligung und Schädigung geschützt wird, als auch,
und das vor allen Dingen in diesem Falle, daß die ehelichen Kinder durch das Hinzukommen eines neuen Familiengliedes keine Schädigung erfahren.
Es könnte der Fall eintreten, 'daß das Verhältnis zwischen Eltern und ehelichen Kindern durch ein Adoptivkind gestört würde, wenn auch § 4 ausdrücklich hervorhebt, daß vermögensrechtliche Interessen, die leicht zu solchen Störungen führen können, in der Regel bei den Beteiligten nicht ausschlaggebend sein sollen. Es könnte der Fall sein, und man dachte da vor allen Dingen an bäuerliche Verhältnisse, daß etwa durch die Adoption eines Knaben bei Vorhandensein von Töchtern - darauf hat ja der Herr Berichterstatter auch schon hingewiesen - die materiellen Schädigungen der ehelichen Kinder so groß sind, daß dadurch nicht nur die natürlichen Familienbindungen getrübt oder erheblich gestört werden, sondern, auf weite Sicht gesehen, die ehelichen Kinder gegenüber dem Adoptivkind wesentlich benachteiligt werden würden. Es genügt daher nach unserer Ansicht nicht, daß Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, zu hören sind, wie es jetzt § 3 Abs. 2 fordert, sondern es muß, wie es auch der Bundesrat gefordert hat, nach unserer Ansicht die Möglichkeit gegeben werden, daß auch die ehelichen Abkömmlinge des Annehmenden ein Beschwerderecht haben.
Darum stellen wir den Antrag, bei § 6 Abs. 1 hinzuzufügen:
Gegen den Beschluß des Amtsgerichts ist das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gegeben. Der Beschluß wird erst mit der Rechtskraft wirksam.
Man mag den Einwand erheben, daß durch die Beschwerde von seiten der ehelichen Kinder Mißstimmung oder Zwist in der annehmenden Familie hervorgerufen werden könne; aber wenn während des Annahmeverfahrens die etwa vorhandenen Widerstände nicht wirklich ausgeräumt werden, wenn sich später dadurch erhebliche Schädigungen in der Familie und eine Zerrüttung des Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern ergeben sollten, dann ist es besser, die Adoption überhaupt nicht zustande kommen zu lassen. So wünschenswert und so notwendig vor allen Dingen in der heutigen Zeit mit ihren vielen Notständen gerade bei den Kindern die Adoption wäre, besser ist es, die Adoption nicht zustande kommen zu lassen, wenn die ehelichen Kinder dadurch den Eltern entfremdet werden. Das Recht der Adoptiveltern auf Regelung ihrer Angelegenheiten auch bei etwaigen Widerständen von seiten der ehelichen Kinder, wie es teilweise gefordert wurde, schien einigen von uns doch zurücktreten zu sollen hinter dem wohlverstandenen Recht und den Interessen der ehelichen Kinder.
Wir schlagen darum eine Regelung vor, nach der nicht nur der Antragsteller das Recht zur Beschwerde hat, sondern auch die ehelichen Kinder der Annehmenden, und möchten darum dem § 6 einen Absatz b) einfügen:
Beschwerdeberechtigt sind:
b) wenn die Befreiung bewilligt wird, die ehelichen Abkömmlinge des Annehmenden; falls sie noch minderjährig sind, werden sie durch den ihnen in § 3 Abs. 3 bestellten Pfleger vertreten.
Nach Ansicht der Mehrheit des Ausschusses muß also auch den ehelichen Kindern, wie es bei jeder gerichtlichen Entscheidung möglich ist, das Beschwerderecht eingeräumt werden.
({0}) a
Meine Damen und Herren, eine Dame spricht; seien Sie bitte ein bißchen ruhiger!
Da sich minderjährige eheliche Kinder nicht selbst vertreten können, da sie auch die Konsequenzen einer Adoption im Zeitpunkt derselben meist noch nicht übersehen können, soll ihnen für die Dauer des Verfahrens unter allen Umständen ein Pfleger bestellt werden.
Der Jugendausschuß scheint zur Vertretung der Rechte der ehelichen Kinder nicht ausreichend. Gegenüber dem dahingehenden Antrag des Bundesrats möchten wir fordern, daß ein individueller Vertreter in der Gestalt eines Pflegers bestellt wird. Mag er in Funktion treten oder nicht, die Rechte der ehelichen Kinder müssen gewahrt werden. Dieser Pfleger muß ständig bestellt sein und nicht erst im Falle von Konflikten. Sonst würde ohne weiteres ein Mißtrauen bei den annehmenden Eltern, der Verwandtschaft oder bei wem es sonst sein mag, vorhanden sein. Darum schlagen wir in logischer Folge zu unserem Antrag zu § 6 einen Zusatzabsatz zu § 3 vor:
Minderjährigen ehelichen Abkömmlingen des Anzunehmenden ist ein Pfleger für das Verfahren zu bestellen.
Im übrigen sind wir der Meinung, daß diese Korrektur im Adoptionsgesetz nur eine von den vielen, die nötig sind, sein kann und daß die Erfahrungen, die wir mit diesem Korrekturgesetz machen können und machen werden, möglichst bald zu einer voll({0})
ständigen Revision des gesamten Adoptionsgesetzes führen sollten.
({1})
Das Wort hat zu einer kurzen Erklärung Frau Abgeordnete Dr. Weber.
Meine Damen und Herren! Ich habe im Namen einer Gruppe unserer Fraktion folgende Erklärung abzugeben. Diese Gruppe lehnt das gesamte Gesetz ab, weil sie findet, daß die Schwierigkeiten - die hier im einzelnen nicht erörtert werden können - für die Familien, die schon Kinder haben, wenn sie andere Kinder aufnehmen, zu groß sind. Wir haben heute innerhalb der Familien überhaupt schon mehr Schwierigkeiten als in normalen Zeiten. Diese Gruppe ist ferner nach reiflicher Überlegung und auf Grund von statistischen Aufnahmen und Erklärungen maßgebender Jugendämter und Vereinigungen, die mit diesen Dingen sehr viel zu schaffen haben, der Meinung, daß mehr Eltern da sind, die Kinder aufnehmen wollen, als Kinder, die angenommen werden können. So scheint uns keine Notwendigkeit dafür zu bestehen, daß dieses Gesetz angenommen wird.
({0})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Meine Damen und Herren! Ich möchte das, was von meinen Vorrednerinnen Frau Heiler und Frau Dr. Weber gesagt worden ist, nach den Erfahrungen aus der Praxis der Fürsorgearbeit voll und ganz unterstützen. Dieses Gesetz ist nicht
so dringend, wie es dargestellt wird.
({0})
Vor allen Dingen aber möchte ich einmal betonen, daß, als es sich im Reichstag 1929 um die Änderung des Adoptionsrechtes handelte, gerade diese Frage, auch den ehelichen Kindern einen entsprechenden Rechtsanspruch einzuräumen, eine der bedeutungsvollsten Fragen gewesen ist, die dort behandelt wurden. Ich möchte deshalb glauben, daß man dieser Frage von vornherein dieses Gewicht beimessen sollte. Gerade aus den Erfahrungen, die man in der Fürsorgearbeit gemacht hat, glaube ich, meine Auffassung noch einmal unterstreichen zu müssen, daß entsprechend dem Antrage des Ausschusses für Jugendfürsorge entschieden werden sollte, weil die Adoptionsfrage, meine Damen und Herren, viel weniger eine Rechtsfrage ist als eine Frage der Fürsorge auch für diejenigen Kinder, die in ein Adoptionsverhältnis in eine Familie mit ehelichen Kindern aufgenommen werden sollen.
Aus diesen Gründen möchte ich im Auftrage meiner politischen Freunde und im Einverständnis mit ihnen den Antrag des Ausschusses für Jugendfürsorge mit dem Zusatzantrag, der von Frau Heiler gestellt worden ist, unterstützen.
({1})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Lesung. Legen Sie sich bitte zurecht Drucksache Nr. 581 und Drucksache Nr. 1078, die nicht einen Änderungsantrag des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge darstellt, sondern, wie wir festgestellt haben, einen Antrag der Abgeordneten Frau Heiler.
Wer für § 1 und § 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke; zweifelsfrei die Mehrheit.
Zu § 3 liegt ein Änderungsantrag vor, der sich auf Drucksache Nr. 1078 befindet, daß § 3 einen Abs. 3 erhält. Wer für diesen Änderungsantrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! -Eindeutig abgelehnt.
Wer für § 3 in der Fassung der Drucksache Nr. 581,
- für § 4, - § 5 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Gegenprobe! - Mit eindeutiger Mehrheit abgelehnt.
({0})
- Angenommen, um Gottes Willen! Auch ein Präsident kann irren.
({1})
- Das ist doch bekannt!
({2})
- Nicht so oft? Es kommt doch selten genug vor!
({3})
Zu § 6 liegt ein Abänderungsantrag auf Drucksache Nr. 1078 vor, über den wir zuerst abstimmen müssen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu' erheben. - Die Gegenprobe! - Der Antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
Wer für § 6 in der vorliegenden Fassung der Drucksache Nr. 581, - für § 7, - für § 8, - für Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Das Gesetz ist mit Mehrheit beschlossen.
Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die
dritte Beratung.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für die soeben beschlossene Fassung des Gesetzentwurfs auf Drucksache Nr. 581 gemäß den Beschlüssen zweiter Beratung, und zwar für § 1, - § 2, - § 3, - § 4, - § 5, - § 6, - § 7, - § 8, - Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit eindeutiger Mehrheit angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für das soeben in der dritten Beratung angenommene Gesetz auf Drucksache Nr. 581 im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Die Gegenprobe! - Mit überwältigender Mehrheit angenommen.
Meine Damen und Herren! Damit haben wir die beiden dazwischengesetzten Punkte - ({4})
- Haben Sie schon wieder etwas zu kritisieren? ({5})
- Nachdem wir die beiden eingesetzten Tagesordnungspunkte soeben erledigt haben, können wir in der Tagesordnung fortfahren, da wir das Vergnügen haben, ein Mitglied der Bundesregierung unter uns zu haben.
({6})
- Schütteln Sie nicht so entsetzt den Kopf, Herr Kollege Kunze!
Wir kommen zu Punkt 2 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Fraktion der FDP betreffend Schiffbau auf deutschen Werften für fremde Rechnung ({7}).
Die Herren Interpellanten verzichten auf die Begründung.
({8})
Ich erteile zur Beantwortung der Interpellation dem Herrn Bundeswirtschaftsminister das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Anfrage lautet zuerst dahin:
Ist es richtig, daß in den letzten Monaten eine Reihe von Auslandsaufträgen für den Bau von Hochseeschiffen bei deutschen Werften eingegangen ist?
Die Frage ist zu bejahen.
Es wird dann gefragt:
Um welche Aufträge handelt es sich im einzelnen?
Dazu ist zu sagen, daß erstens Fruchtschiffe für Frankreich von 3000 BRT und 16,5 Knoten Geschwindigkeit angefragt worden sind, dann 7 Tanker für Brasilien, und zwar 3 von 11 600 BRT mit 15 Knoten Geschwindigkeit, 4 von 1600 BRT mit 10,75 Knoten Geschwindigkeit, ferner ein Frachtmotorschiff für Aden von 2500 BRT mit 12 Knoten, ein Schwimmbagger für Siam von 3500 BRT und 10,5 Knoten Geschwindigkeit, ein Schiffsrumpf für Schweden von 17 000 t ohne Maschinenausrüstung, ein Motortankschiff für Frankreich von 12 400 BRT und 13,5 Knoten, 4 Rhein-Motorgüterschiffe für die Schweiz von je 980 t Ladefähigkeit, ein Doppelschrauben-Donau-Motorschlepper mit 2 Maschinen von 650 PS für die Tschechoslowakei, 3 Tanker für Norwegen, und zwar zwei mit je 12 400 BRT und 12 Knoten und 1 Tanker mit 11 000 BRT und ebenfalls 12 Knoten, ferner 2 Tanker für Norwegen mit je 10 000 BRT und 14 Knoten und schließlich 2 Motortanker für Norwegen mit je 11 300 BRT und 14,5 Knoten.
Es wird dann weiter gefragt:
Ist es richtig, daß 12 solcher Exportaufträge den Hohen Kommissaren vorgelegt worden sind, ohne daß bisher in auch nur einem Falle eine Genehmigung erfolgt ist?
Dazu ist zu sagen: Hinsichtlich der eben genannten Aufträge mit Ausnahme des Schwimmbaggers für Siam, der 3 Tanker für Norwegen mit 12 400 und 11 000 BRT sowie der 2 Motortanker für Norwegen sind bei den Hohen Kommissaren in Form von Noten und Memoranden Anträge auf Genehmigung der Exportaufträge mit folgendem Ergebnis gestellt worden: Das Fruchtschiff für Frankreich ist unter dem 13. 2. 1950 genehmigt worden, jedoch unter der Bedingung der Anrechnung dieses Schiffes auf die der Bundesrepublik nach dem Petersberger Abkommen zugestandenen 6 Spezialschiffe. In einer weiteren Note ist darum gebeten worden, von dieser Bedingung Abstand zu nehmen, da die 6 Spezialschiffe für den deutschen Bedarf benötigt werden. Eine Antwort auf diese letzte Note liegt noch nicht vor. Das Frachtmotorschiff für Aden von 2500 BRT und 12 Knoten Geschwindigkeit ist durch Schreiben vom 31. 5. 1950 inzwischen genehmigt worden. Das gleiche gilt für die 4 Rhein-Motorschiffe, die ebenfalls, unter dem 21. 4. 1950, genehmigt worden sind. Der Antrag auf Genehmigung für die 2 Tanker für Norwegen ist durch Schreiben vom 3. 4. 1950 abgelehnt worden, da die Größe und Geschwindigkeit dieser Schiffe außerhalb der im Petersberger Abkommen enthaltenen Beschränkungen liegen. Hinsichtlich der übrigen Anträge liegt eine Stellungnahme der Hohen Kommissare noch nicht vor.
Die vierte Frage der Interpellation lautet:
Wann sind die Anträge den Hohen Kommissaren vorgelegt worden?
Die Anträge erstrecken sich über den ganzen Zeitraum. Ich sagte Ihnen schon: mit Ausnahme des Schwimmbaggers für Siam, der 3 Tanker für Norwegen und der 2 Motortanker für Norwegen sind den Hohen Kommissaren jeweils sofort nach der Aufnahme der Verhandlungen entsprechende Anträge zugeleitet worden. In den Fällen, in denen keine Anträge gestellt worden sind - ich habe sie eben genannt -, wurde aus folgenden Gründen davon Abstand genommen: Bei dem Schwimmbagger für Siam deswegen, weil laut Schreiben der Hohen Kommissare vom 21. 4. 1950 in Kürze mit einem Gesetz der Alliierten zu rechnen ist, wonach für die im Petersberger Abkommen genannten Schiffstypen und innerhalb der in diesem Abkommen festgelegten Begrenzungen eine vorherige Genehmigung durch die alliierten Behörden nicht mehr erforderlich sein wird. Inzwischen sind das Gesetz Nr. 24 und die 7. Durchführungsverordnung veröffentlicht worden, die für den Schiffbau am 1. Juli 1950 in Kraft treten. Nach der 7. Durchführungsverordnung bedarf es einer besonderen Genehmigung für den Bau und die Ausfuhr dieses Schwimmbaggers nicht mehr. Wegen der 3 Tanker für Norwegen von 12 400 bzw. 11 000 BRT und wegen der 2 Motortanker für Norwegen von je 11 300 BRT ist deshalb auf einen Antrag verzichtet worden, weil nach der vorher erwähnten Mitteilung der Hohen Kommissare vom 21. 4. 1950 die Frage des Baues von besonderen Schiffen für die Ausfuhr den alliierten Regierungen inzwischen zur Entscheidung unterbreitet worden ist.
Die vierte Frage lautet, wie gesagt: Wann sind die Anträge den Hohen Kommissaren vorgelegt worden? Die Daten sind: der 10. 1. 1950, noch einmal der 10. 1. 1950, der 25. 4. 1950, der 7. 2. 1950, der 16. 3. 1950, der 19. 3. 1950, der 21. 4. 1950 und noch einmal der 24. 1. 1950, also alles in den Monaten Januar bis April. Soweit direkte Antworten noch nicht vorliegen, ist das wohl darauf zurückzuführen, daß sich in der Zwischenzeit die alliierten Regierungen mit dem Gegenstand befaßt haben.
Die fünfte Frage der Interpellation lautet:
Was gedenkt die Bundesregierung in dieser für
die Devisenlage und die Arbeitsbeschaffung
gleich wichtigen Frage zu tun, um eine Genehmigung für die gekennzeichneten Exportaufträge zu erzielen?
Die grundsätzliche Frage des Exportneubaues ist mit Rücksicht auf ihre Bedeutung für die Devisenlage und die Arbeitsbeschaffung zum Gegenstand zweier grundsätzlicher Noten an die Hohen Kommissare vom 24. Februar 1950 und vom 19. März 1950 gemacht worden. Die Hohen Kommissare haben in einem Schreiben vom 21. April 1950 geantwortet, daß in Kürze von den Alliierten ein Gesetz erlassen wird, wonach für die im Petersberger Abkommen genannten Schiffstypen und innerhalb der in diesem Abkommen festgelegten Begrenzung eine vorherige Genehmigung durch die alliierten Behörden nicht erforderlich sein wird und daß sie die Frage des Baues von besonderen Schiffen für die Ausfuhr ihren Regierungen vorgelegt haben, deren Entscheidung zunächst abzuwarten ist.
Das Gesetz Nr. 24 und die 7. Durchführungsverordnung sind in der Zwischenzeit veröffentlicht worden. Nach Auffassung der deutschen Stellen gelten demnach für Exportneubauten außerhalb der Beschränkungen des Washingtoner und Petersberger Abkommens dieselben Bestimmungen wie für den deutschen Inlandsbedarf, so daß für die Exportneubauten außerhalb dieser Grenzen eine
({0})
besondere Genehmigung des Sicherheitsamtes erforderlich ist. Über die Handhabung dieser Bestimmungen schweben zur Zeit noch Verhandlungen mit dem Sicherheitsamt.
Meine Damen und Herren, Wortmeldungen liegen nicht vor. Damit ist Punkt 2 der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für den Lastenausgleich über den Antrag der Abgeordneten Günther, Kemper, Dr. von Brentano und Fraktion der CDU/CSU betreffend Befreiung von der Vorauszahlung zur Soforthilfe ({0}).
Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Zühlke.
({1})
- Ja, wir können gleich den Tagesordnungspunkt 5 damit verbinden, weil eine Themenverwandtschaft vorliegt und der Berichterstatter zu beiden Punkten der gleiche ist. Ich rufe daher auch noch den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für den Lastenausgleich über den Antrag der Abgeordneten Dr. Horlacher, Hilbert, Strauß, Bauereisen, Struve, Stücklen und Gen. betreffend Durchführung des Soforthilfegesetzes bei der Landwirtschaft ({2}).
Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 98, der von den Abgeordneten Günther und Genossen eingebracht wurde, hat den Bundestag bereits am 16. Dezember 1949 ) schon einmal beschäftigt. Damals beschloß der Bundestag, diesen Antrag noch einmal dem Ausschuß für den Lastenausgleich und dem Ausschuß für Grenzlandfragen zuzuleiten, weil der Wille der Antragsteller dahin ging, daß diejenigen Einwohner der zerstörten Grenzgebiete, die mehr als 50% kriegsgeschädigt sind, von der Vorauszahlung zur Soforthilfe befreit werden.
Wir haben uns im Ausschuß erneut mit der Frage beschäftigt. Wir hatten den Bericht des Bundesministeriums der Finanzen zum endgültigen Lastenausgleich abgewartet. Wir haben gleichzeitig auch alle die Dinge abgewartet, die sich aus diesem Bericht des Bundesfinanzministeriums im Laufe der Zeit herauskristallisiert haben, darunter auch den Bericht der Gutachterkommission für den Lastenausgleich. Diese beiden Berichte brauche ich hier nicht darzulegen; denn sie sind unseren Damen und Herren bekannt. Der Antrag wurde nachher im Ausschuß noch einmal eingehend durchgesprochen. Ich will über die Formalitäten jetzt nicht sprechen, z. B. über die Frage: was ist 50% geschädigt? Diese reinen Formalitäten konnten und wollten wir auch nicht erörtern. In der Zwischenzeit ist aber folgendes eingetreten. Das Bundesfinanzministerium hat auf Grund der Anregung des Antrags Drucksache Nr. 98 am 2. Dezember 1949 an die Herren Finanzminister der Länder Richtlinien über Ermessungsstundungen der Soforthilfeabgabe aus wirtschaftlichen Gründen erlassen. Ich verweise hierzu im besonderen auf Abschnitt 6: Stundungen bei erheblichen Kriegs- und Kriegsfolgeschäden.
Der Ausschuß für Grenzlandfragen hat am 14. März 1950 einstimmig folgende Formulierung beschlossen:
Die Bundesregierung wird gebeten, die Finanzämter anzuweisen, den Einwohnern der not-leidenden und zerstörten Grenzgebiete die Vorauszahlungen zur Soforthilfe gemäß Erlaß über Ermessensstundungen der Soforthilfeabgabe aus wirtschaftlichen Gründen zu stunden und dabei großzügig zu verfahren.
Im Ausschuß für den Lastenausgleich haben wir dann festgestellt, daß gegenüber der gegenwärtigen Praxis der Finanzämter ernstliche Beanstandungen nicht vorgebracht wurden. Einzelfälle, die dabei in Erscheinung traten, sollten dem Finanzministerium direkt zugeleitet werden, weil die Unterlagen, die uns zur Verfügung standen, in den einzelnen Fällen nicht ausreichten, um eine Beurteilung zu finden. Wir haben uns im Ausschuß nachher endgültig mit der Auffassung durchgesetzt, daß, wenn wegen individueller Härten über das Verfahren hinaus eine, sagen wir einmal, regionale Beurteilung bestimmter Gruppen eintreten sollte, wir auf der Aufbringungsseite der Soforthilfeabgabe nach dem Soforthilfegesetz vollkommen ins Rutschen kommen würden; denn fest steht, daß das Aufkommen aus dem Soforthilfegesetz die Ansprüche der Geschädigten nicht voll befriedigt. Deshalb hat der Ausschuß - und auch nicht das erste Mal von dieser Stelle aus - durch den Berichterstatter kundgetan, daß er ein sehr großes Interesse daran hat, daß der Gesetzentwurf zum endgültigen Lastenausgleich nun dem Bundestag vorgelegt werden sollte. Auch aus diesen Motiven bittet der Ausschuß das Hohe Haus, den Antrag Nr. 98 abzulehnen und die Fassung in der Drucksache Nr. 859 anzunehmen. Die Ablehnung des Antrags Nr. 98 ist nicht aus formalen Gründen erfolgt, weil wir das im Bundestag nicht wollen, sondern weil wir den Antrag der Regierung als Material zum endgültigen Lastenausgleich übergeben wollen. Ich bitte das Hohe Haus aus diesen Motiven um Zustimmung zu dem mündlichen Bericht in der Drucksache Nr. 859.
Wenn ich nun auch gleichzeitig als Berichterstatter für die Drucksache Nr. 543 hier spreche, so liegt das auf einem ähnlich gelagerten Gebiet. Es sollte hier die veränderte Lage der Landwirtschaft bei der Durchführung des Soforthilfegesetzcs berücksichtigt werden. Der Antrag lautet formal im Punkt 1:
Die Finanzämter sind anzuweisen, die für die Landwirtschaft am 20. Februar 1950 fällige Soforthilfeabgabe in weitgehendem Umfange zu stunden.
Schon aus rein formalen Gründen würde ja der Punkt 1 als erledigt zu betrachten sein, weil in der Zwischenzeit auch durch das Finanzministerium Stundungsrichtlinien für die Landwirtschaft herausgekommen sind. Es ist hier nicht Aufgabe des Ausschusses oder meine persönliche Aufgabe, über die veränderten Verhältnisse der Landwirtschaft zu sprechen. Wir haben hier im Plenum über Agrarkrise und Landwirtschaft aus berufenerem Munde schon genügend gehört. Es ist aber unmöglich und vollständig aussichtslos, die Notlage der Landwirtschaft aus dem Soforthilfegesetz irgendwie zu befriedigen. Die formale Seite erwähnte ich. Die Finanzämter sind durch einen Erlaß des Bundesministeriums der Finanzen vom 13. 2. 50 angewiesen worden, weitestgehend die Stundungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft durchzuführen. Ich will auch hier nicht erwähnen, in welchem Rahmen und in welcher Höhe die Anträge gestellt worden sind. Diese Gedanken haben auch den Ausschuß nun bewogen, den Antrag auf Drucksache Nr. 542
({0})
mit dem besonderen Wunsch der Bundesregierung als Material zuzustellen, daß die von mir vorhin genannten Einzelfälle, also ausgesprochene Härtefälle, bei der Beurteilung in den Finanzämtern durch Heranziehung von Sachverständigen aus der Landwirtschaft mitbegutachtet werden sollten. Es würde nun Aufgabe der Finanzämter sein, sich den Kreis der Sachverständigen aus den Berufsorganisationen der Landwirte herauszuholen. Wir haben dadurch die Hoffnung, daß über die Stundungsanträge hinaus, die der Mensch persönlich stellt, nun auch der Sachverständige bei ganz besonderen Fällen mifhelfend eingreifen kann. Ich bitte also im Namen des Ausschusses, dem Antrag auf Drucksache Nr. 966 die Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Der Ältestenrat hat bezüglich einer Aussprache vorgesehen, daß eine erneute Beratung nicht stattfinden soll. Ich nehme die Zustimmung des Hauses zu diesem Vorschlag an.
Wir kommen damit zur Abstimmung, zunächst zu dem Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 859. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag des Ausschusses sind, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist so beschlossen.
Punkt 5 der Tagesordnung, Antrag des Ausschusses auf Drucksache Nr. 966. Ich bitte diejenigen, die für den Antrag des Ausschusses sind, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Es ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu Punkt 6 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Fraktion der Deutschen Partei betreffend Finanzielle Hilfe für den Landkreis Uelzen und den An- (rag der Fraktion des Zentrums betreffend Finanzielle Unterstützung des Zonengrenzkreises Uelzen ({0}) ({1}).
Das Wort hat zur Berichterstattung Frau Abgeordnete Dr. Probst.
Frau Dr. Probst ({2}), Berichterstatterin: Meine Herren und Damen! Der Haushaltsausschuß hat in seiner 42. Sitzung am Dienstag, dem 11. Mai 1950, unter anderem die Anträge der Fraktion der Deutschen Partei betreffend finanzielle Hilfe für den Landkreis Uelzen und der Fraktion des Zentrums Drucksache Nr. 820 betreffend finanzielle Unterstützung des Zonengrenzkreises Uelzen beraten. Beide Anträge haben eine Bundeshilfe zur Abdekkung des Haushaltsfehlbetrags in Höhe von 800000 DM - der Antrag des Zentrums spricht sogar von 850 000 DM - des Kreises Uelzen zum Inhalt. Zur Begründung wird auf die Grenzlage des Kreises verwiesen und auf die Überbelegung durch illegale Grenzgänger aus der russischen Besatzungszone und durch Flüchtlinge im Zusammenhang mit dem Flüchtlingsdurchgangslager Uelzen.
Während der Antrag der Deutschen Partei die Bundesregierung ersucht, das Land Niedersachsen in die Lage zu versetzen, dem Landkreis Uelzen die erforderlichen Haushaltsmittel zur Verfügung zu stellen, will der Antrag des Zentrums eine unmittelbare Bereitstellung eines Betrags von 500 000 DM im Haushaltsplan des Bundes für das Rechnungsjahr 1950.
Der Haushaltsausschuß ist in seiner Stellungnahme von der grundsätzlichen Erwägung ausgegangen, daß es aus föderativen Gesichtspunkten nicht angängig sei, einem Landkreis unmittelbar
Haushaltsmittel zur Verfügung stellen, es sei dies vielmehr eine Frage des inneren horizontalen Finanzausgleichs unter den Ländern, der abgewartet werden müsse.
Der Antrag des Ausschusses lautet daher: Der Bundestag wolle beschließen:
Die Anträge - Nr. 811, 820 der Drucksachen -der Regierung als Material für das kommende Finanzausgleichsgesetz und dem Bundeshaushaltsplan 1950 zu überweisen.
Ich bitte das Hohe Haus, dem Antrag zuzustimmen.
Meine Damen und Herren, ich danke der Frau Berichterstatterin. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, über diesen Punkt der Tagesordnung nicht in eine Aussprache einzutreten. Inzwischen sind aber Wortmeldungen eingegangen. Ich schlage dem Hause vor, die Gesamtredezeit auf 40 Minuten zu bemessen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Priebe.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit Bedauern habe ich als Abgeordneter des Wahlkreises Uelzen gehört, daß der Haushaltsausschuß die Anträge der Deutschen Partei und des Zentrums der Regierung als Material zu überweisen empfohlen hat, statt diese Anträge anzunehmen.
Es ist nun einmal Tatsache, daß der Landkreis Uelzen durch das Flüchtlingsdurchgangslager Uelzen-Bohldamm in einer nicht mehr länger tragbaren Weise finanziell belastet wird. Um Ihnen die Lage des Landkreises darzustellen. genügt die Wiedergabe einiger weniger Zahlen. Wenn allein in der Zeit vom 25. August 1949 bis zum 31. Mai 1950 70 299 Grenzgänger um Aufnahme nachsuchten und nur 12 403 aufgenommen worden sind, wenn also 57 836 Menschen als Illegale zuerst einmal im Landkreis Uelzen Zuflucht gesucht haben, um sich dann weiter in das Bundesgebiet hineinzubegeben, so kann sich jedermann vorstellen, eine wie große Zahl von Illegalen im Laufe der vergangenen Jahre durch den Landkreis Uelzen gegangen sind und zum großen Teil in diesem Landkreis für mehr oder weniger lange Zeit Aufnahme gesucht haben und betreut werden mußten.
Wenn der Landkreis Uelzen im Jahr an Fürsorgeaufwendungen 3 666 756 DM auszuzahlen hat, so sind von dieser hohen Summe ohne Zweifel 250/o nur dem Umstand zuzuschreiben, daß wir mit dem Flüchtlingsdurchgangslager beglückt sind. Das ergibt für den Kreis eine Aufwendung von 137 502 DM, wenn man eben nur 250/o als Anteil für Illegale und Flüchtlinge in Betracht zieht. Wenn wir weiter zur Schaffung von Flüchtlingswohnheimen 66 652 DM aufbringen mußten, wenn wir ein Mehr an persönlichen Verwaltungskosten - nur einmal 200/o gerechnet - in Höhe von 186 000 DM zu zahlen haben und ein Mehr an sächlichen Verwaltungskosten von 39 000 DM, wenn wir vier Jugendhilfswerksheime einrichten mußten, um jugendliche Illegale von den Landstraßen wegzubekommen und dafür jährlich 20 000 DM zahlen müssen und ebenfalls 20 000 DM, um alten Leuten eine Unterkunft zu bieten, wenn wir unsere Krankenhausunkosten beträchtlich erhöht sehen. weil die Kranken - insbesondere die Geschlechtskranken -. die über die Grenze kommen, betreut werden mußten, und wenn wir nicht zuletzt auch erhöhte Polizeikosten haben - insgesamt müssen wir 45% unserer Kreisumlage, das sind 500 000 DM an Polizeikosten aufbringen -, so ergeben sich Beträge von 700 000
({0})
bis 800 000 DM im Jahr, die wir an Mehrkosten durch das Vorhandensein des Flüchtlingsdurchgangslagers Uelzen-Bohldamm zu tragen haben. Der Haushaltsfehlbetrag beläuft sich auf 881 820 DM, der jährliche Zinsendienst auf 27 350 DM.
Die Bundesregierung muß - denken Sie an Artikel 120 des Grundgesetzes - darauf bedacht sein, dem Landkreis Uelzen diese Lasten so rasch wie möglich abzunehmen. Wir würden gern darauf verzichten, irgendwelche Forderungen zu stellen. Aber dann soll man einen wohlhabenden Kreis mit dem Durchgangslager beglücken, nicht einen armen Landkreis der Lüneburger Heide, der außerdem noch schwere Kriegsschäden hat hinnehmen müssen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krause.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wer die Verhältnisse in Niedersachsen und besonders im Kreise Uelzen kennt, der kann das, was soeben der Herr Abgeordnete Priebe, der ja aus diesem Kreis kommt, gesagt hat, nur unterstreichen. Ich glaube, es wäre begrüßenswert, wenn der Bundestag sich wegen des außergewöhnlichen Falles, der uns hier beschäftigt, doch dazu entschließen würde, die Anträge in der vorgeschlagenen Form direkt anzunehmen.
Ich habe nicht die Absicht, die Zahlen noch zu ergänzen, die der Herr Abgeordnete Priebe aus Uelzen hier eben genannt hat. Ich darf aber doch darauf hinweisen, daß wir nach eingehender Beratung mit Herrn Landrat Früchte aus Uelzen zu unserem Antrag veranlaßt worden sind und daß wir uns auf Grund des amtlichen Zahlenmaterials, das uns die Kreisverwaltung Uelzen liebenswürdigerweise zur Verfügung gestellt hat, veranlaßt gesehen haben, diesen Antrag zu stellen.
Die Notlage des Kreises Uelzen ergibt sich ja schon rein zahlenmäßig daraus, daß z. B. die Einwohnerzahl in den 190 Gemeinden des Kreises Uelzen, die 1933 75 000 betrug, jetzt auf 120 000 gestiegen ist und daß damit der Landkreis Uelzen der am stärksten mit Vertriebenen belegte Kreis des ganzen Regierungsbezirks Lüneburg ist.
Im Kreise Uelzen machen die einheimischen Einwohner 59 447 aus und die Vertriebenen 60 832. Das mußte logischerweise zu einer Zusammenballung von Kräften führen, der beide Seiten, auf die Dauer gesehen, unmöglich gerecht werden können.
Der Kreis Uelzen ist durch die Entwicklung in eine Lage gekommen, die am besten durch das erkenntlich gemacht wird, was in der Denkschrift des Kreises Uelzen gesagt ist, nämlich: daß diese Entwicklung der Kriegs- und Nachkriegsjahre, insbesondere seit der Währungsreform, die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen des Kreises in einem Maße aus dem Gleichgewicht gebracht hat, daß der Kreis auch unter Anspannung aller eigenen Kräfte nicht mehr in der Lage ist, den Schwierigkeiten auf allen Gebieten mit Nachdruck Einhalt zu gebieten. Sämtliche Rücklagen sind durch die Währungsreform verloren gegangen. An eine Neubildung war und ist bisher nicht zu denken. Während des laufenden Etatjahres muß zur Abwicklung der laufenden Zahlungen ständig ein Kassenkredit bis zur Höhe von einer halben Million - zeitweise bis 600 000 DM kurzfristig überschritten - in Anspruch genommen werden, so daß an zusätzlichen Belastungen weitere 40 000 DM für Kredit- und Darlehenszinsen entstanden sind.
Die Lage des Kreises Uelzen bedingt es tatsächlich, meine Damen und Herren, daß wir hier aus dem außergewöhnlichen Notfall heraus so f o r t handeln.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Matthes.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es mir versagen, nach den Ausführungen der beiden Herren Kollegen noch irgendwelches Zahlenmaterial aus dem Kreise Uelzen zur Kenntnis zu geben. Die wiederholten Besuche des Herrn Landrats Früchte aus dem Kreise Uelzen und die wiederholten Besprechungen, die wir mit ihm gehabt haben, auch in den verschiedensten Ministerien, haben ja wohl die Notlage dieses Kreises ganz besonders erhärtet.
Meine Damen und Herren, wenn wir so viel vom Lastenausgleich reden, dann haben wir hier gleich einmal die Gelegenheit, praktisch Lastenausgleich zu beweisen, einem schwer und hart angeschlagenen Kreise, der dauernd mit diesen Lasten behaftet ist, schnellstens zu helfen.
Ich möchte daher den Antrag stellen, unseren Antrag auf Drucksache Nr. 811, der besagt:
Die Bundesregierung wird ersucht, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, damit das Land Niedersachsen in die Lage versetzt wird. dem Landkreis Uelzen zur Deckung seines ihm durch die Grenzlage und durch das Flüchtlingsdurchgangslager Uelzen entstandenen Fehlbetrages in Höhe von DM 800 000,- die erforderlichen Haushaltsmittel für das Haushaltsjahr 1950 zur Verfügung zu stellen,
doch direkt anzunehmen und nicht, wie es in dem Ausschußantrag auf Drucksache Nr. 996 vorgesehen ist, ihn nur der Regierung als Material zu überweisen.
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist geschlossen.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist zunächst vom Abgeordneten Matthes eben ein Abänderungsantrag zu dem Antrag des Ausschusses gestellt worden. Er beantragt, den alten Antrag auf Drucksache Nr. 811 wieder aufzunehmen. Ich bitte diejenigen, die für den Abänderungsantrag sind, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das letztere ist zweifellos die Mehrheit. Der Abänderungsantrag ist also abgelehnt.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag des Ausschusses. Ich bitte diejenigen, die dem Ausschußantrag zustimmen, die Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit. Damit ist so beschlossen.
Wir kommen nun zu Punkt 7 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Fraktion der KPD betreffend Bekämpfung der Reblaus. ({0}).
Das Wort hat zur Berichterstattung Herr Abgeordneter Brese.
Brese ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Antrag der Fraktion der KPD betreffend Bekämpfung der Reblaus hat dem Haushaltsausschuß zur Beratung vorgelegen.
({2})
Gestatten Sie mir zu Anfang meiner Berichterstattung eine persönliche Bemerkung an die Herren Antragsteller. Sie sprechen in Ihrer Formulierung von der Bekämpfung der reblausverseuchten Weinberge. Ich glaube, es wäre doch wohl etwas präziser ausgedrückt, wenn Sie bei der Bekämpfung der Reblaus geblieben wären.
Doch nun zur Sache. Es war dem Haushaltsausschuß klar, daß die Gefahr der Reblaus für den deutschen Weinbergbau sehr groß ist. Schon seit Jahren bedroht dieser Schädling den deutschen Weinbergbau in immer größerem Maße. Man hat sich in den vergangenen Jahren mit der Bekämpfung dieses Schädlings auf direktem Wege zu behelfen versucht; aber leider ist dadurch eine Eindämmung des Schädlings nicht erfolgt, sondern von Jahr zu Jahr hat sich die Fläche der von dem Schädling befallenen Weinanbaugebiete immer mehr und mehr vergrößert. Gerade durch die mangelnde Bekämpfung in der Kriegs- und Nachkriegszeit ist es jetzt so weit gekommen, daß dieser Schädling die Hälfte des gesamten deutschen Weinbaues ergriffen hat und daß man jetzt vor der Frage steht, andere Maßnahmen als die direkte Bekämpfung durch chemische Mittel durchzuführen.
In den letzten Jahren ist dabei eine Züchtung zu Hilfe gekommen, nämlich eine amerikanische Rebenzüchtung, die reblausfest ist. So ist man jetzt mehr und mehr dazu übergegangen, sich in diesen Gebieten auf diese reblausfesten Sorten umzustellen. Diese Umstellung erfordert große Mittel. Es ist uns im Ausschuß bekannt geworden, daß für die Umstellung eines Hektar 15 000 DM erforderlich sind. Leider kann man diese Umstellung nun nicht von einem Jahr zum anderen machen. Man würde ja die Produktion zum Erliegen bringen. In
Fachkreisen plant man daher, eine Umstellung in den nächsten 20 Jahren auf reblausfeste Reben vorzunehmen. Dafür sind dann jährlich etwa 18 Millionen Mark zur Umstellung erforderlich, die nun nicht allein vom Bund zu tragen sind, sondern vor allen Dingen auch von den Weinbauern und von den Ländern. Deswegen erschien uns dieser Antrag der KPD in dieser Größenordnung übertrieben; denn es besteht keine Möglichkeit, diesen Betrag in einem Jahre drüben zu verkraften.
Wir haben im Haushaltsausschuß auch mit Befriedigung davon Kenntnis genommen, daß in dem Haushaltsvoranschlag des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten für 1950 11,3 Millionen DM für die Bekämpfung pflanzlicher und tierischer Schädlinge angefordert sind, darunter 4,5 Millionen für die direkte und indirekte Bekämpfung der Reblaus. Im ganzen wurden davon bisher 4,5 Millionen DM zugestanden. Außerdem sind zur Beschaffung von reblausfesten Rebunterlagen 500 000 DM angefordert, die ebenfalls bewilligt werden sollen. Der Bund ist bei seiner bekannten Finanzlage nicht imstande, darüber hinaus Mittel für diesen Zweck im Haushaltsplan 1950 bereitzustellen, und aus den Ihnen vorher geschilderten Gründen wäre dies im kommenden Rechnungsjahr vielleicht auch noch nicht zweckmäßig. Deshalb empfiehlt der Ausschuß in der Drucksache Nr. 998, den Antrag der Regierung als Material zu überweisen. Ich bitte, diesem Antrag zuzustimmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Die Aussprache ist eröffnet. Wortmeldungen liegen nicht vor.
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- Ich darf aber darauf hinweisen, daß an sich im
Ältestenrat vorgesehen war, keine Aussprache
stattfinden zu lassen. Also gut! Ich muß dann dem Hause vorschlagen, die Gesamtredezeit auf 40 Minuten zu begrenzen. - Widerspruch erhebt sich nicht. Ich nehme also Zustimmung an.
Meine Damen und Herren! Ich werde mich ganz kurz fassen; aber bei der ungeheuren Bedeutung, die die Reblausverseuchung und -bekämpfung für den deutschen Weinbau haben, muß ich Ihnen doch einiges sagen.
Die Frage der Reblausbekämpfung ist neben der Gefahr der Überschwemmung des heimischen Marktes mit billigen Auslandsweinen eine Existenzfrage des deutschen Weinbaus geworden. Reblausverseuchung und -bekämpfung sind nicht, wie das in der letzten Zeit gesagt worden ist, Unkosten- oder Risikofaktoren, die eingerechnet werden und vom Weinbauer getragen werden müssen, sondern es sind Katastrophenfälle. Es geht nicht darum, daß eine einzelne Jahresernte vernichtet wird, wie beispielsweise bei einem Hagelschlag, sondern es geht darum, daß ganze Kulturen vernichtet werden, die mit riesigen Kapitalinvestierungen neu aufgebaut werden müssen. Dieser Katastrophenfall ist vom Gesetzgeber anerkannt. Im Deutschen Reichstag hat man auf Grund internationaler Konventionen ein Reblausgesetz geschaffen und die Länder beauftragt, hier Hilfe zu leisten. Das Reich hat sich früher an den Unkosten für die Reblausbekämpfung, besonders auch bei Umstellungen und Weinbergwegebauten immer beteiligt.
Bei dem heutigen Grad der Verseuchung ist, wie das vom Berichterstatter richtig gesagt wurde, eine direkte Bekämpfung in vielen Fällen nicht mehr möglich. Man muß zur indirekten Bekämpfung übergehen. Diese indirekte Bekämpfung bedeutet a aber außerordentlich hohe Kapitalinvestierungen; die Zahlen sind eben genannt worden. Ich sage Ihnen aus bester Kenntnis der Dinge, der Weinbau allein ist nicht in der Lage, diese Investierungen vorzunehmen. Er ist entgegen manchen Meinungen durch die Kriegszeit außerordentlich geschwächt. worden. Besonders im Jahre 1945 war er nicht in der Lage, die notwendigen Kulturarbeiten und Bekämpfungsmaßnahmen durchzuführen, woraus eine totale Mißernte 1945 und eine halbe Ernte 1946 entstand. Dazu kommt, daß der Großteil der Ernte 1947 im Lande Rheinland-Pfalz, das bekanntlich 70% des gesamten deutschen Weinbaus umfaßt, von Staats wegen gegen Papiermarkentschädigung den Winzern weggenommen worden ist. Ohne jeden Bestand ging der Weinbau in die Währungsreform. Dann brachte allerdings das Jahr 1948 bei guter Ernte mit guten Preisen eine gewisse Entspannung. Aber schon das Jahr 1949 hat mit halben Erträgen und stark gesunkenen Preisen wieder Notstände entstehen lassen. Wenn Sie, meine Damen und Herren, im vergangenen Jahre stellenweise fast immer Phantasiepreise für deutsche Weine bezahlen mußten, dann muß ich Ihnen sagen : Mit diesen Phantasiepreisen, insbesondere, wenn sie heute noch bestehen, haben die Preise im Winzerkeller nicht das geringste zu tun.
Der Weinbau ist sich klar darüber, daß er selbst die letzten Anstrengungen machen muß, um zu einer Bereinigung dieser gefährlichen Frage zu kommen. Zu diesem Zweck beraten wir zur Zeit in Rheinland-Pfalz ein Gesetz über die Erstellung von Reblauskassen, die eine Organisation der Selbsthilfe darstellen sollen. Darüber hinaus müssen aber die Länder ihre gesetzlichen Verpflichtungen erfüllen. Leider sind gerade die weinbautreibenden
(Gibbert
Länder in der Südwestecke des Reiches - einseitig agrarisch aufgebaut - sehr finanzschwach. Da zu diesem Zweck ein Lastenausgleich der Länder wohl kaum erwartet werden darf, ist es notwendig, daß der Bund Hilfe leistet.
Im diesjährigen Etat sind zwar 4,8 Millionen zur Bekämpfung der Reblaus zur Verfügung gestellt, aber ich habe mir sagen lassen, daß diese Mittel schon zusammengestrichen sind. Einem besonderen on dit zufolge habe ich mir sagen lassen, daß man sogar noch versucht, diese zusammengestrichenen Mittel dem Weinbau vorzuenthalten, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil im bisherigen Bizonenhaushalt ein Kapitel Weinbau überhaupt nicht vorhanden gewesen wäre. Dieser Mangel kommt daher, weil der Weinbau in der Bizone bei weitem nicht die wirtschaftliche Rolle gespielt hat wie in den weinbautreibenden Ländern der französischen Zone. Ein solcher Mangel war möglich, weil in der Bizone überhaupt kein Weinbaureferat in der Verwaltung für Landwirtschaft bestand und weil dieses Referat im Bundeslandwirtschaftsministerium erst kürzlich besetzt worden ist, so daß also kein Fachmann vorhanden war, der für die notwendigen Mittel gesorgt hätte. Aber dieser Mangel darf unter gar keinen Umständen verewigt werden. Darum unser erstes Ersuchen an die Regierung und insbesondere an den Haushaltsausschuß, bei der Beratung des Etats unter allen Umständen in der zuerst fixierten Höhe Mittel für die Reblausbekämpfung zur Verfügung zu stellen.
Das zweite Ersuchen geht dahin, allgemeine Förderungsmittel in ausreichender Höhe zur Verfügung zu stellen und insbesondere die vorgesehenen 450 000 Mark zur Finanzierung des Geilweilerhofes, wo Prof. Huxfeld mit bisher bestem Erfolg eine
reblausfeste und pilzimmune Rebe züchtet, die dem Weinbau eine immense Verbilligung der Produktionskosten durch Wegfall der Bekämpfungsarbeiten und damit eine größere Konkurrenzfähigkeit gegenüber dem ausländischen Wein bieten würde.
Diese bescheidenen Beträge sollen zur Existenzsicherung des deutschen Weinbaus zur Verfügung gestellt werden, in dem in rund 120 000 Betrieben auf allerkleinster Fläche ca. 1/2 Million Menschen leben. Sie wohnen so dicht, wie im Industriegebiet der Saar. Auf einem Hektar ernähren sich rund 10 Menschen, und wenn Sie hinzunehmen, daß die Zubringer- und die Abnehmerindustrien auch vom Leben des deutschen Weinbaus abhängig sind, dann können Sie annehmen, daß sich auf einem Hektar ungefähr 20 Menschen ernähren. Der Weinbau kann sich zum allergrößten Teil beim Eintreten einer Katastrophe nicht umstellen. An den Hängen des Rheins, der Mosel, der Ahr und der Hardt ist nichts anderes zu pflanzen. Dabei beträgt der Wert des Weins beim letzten Verbraucher rund 1 Milliarde DM und darüber, - köstlicher deutscher Wein, der an Berghängen erarbeitet wird, auf denen früher bestenfalls wertloser Eichenschälwald gestanden hat. Meine Damen und Herren, eine Million Menschen würde bei einer Katastrophe des Weinbaus ihre Existenz verlieren. Daran bitte ich alle Verantwortlichen zu denken.
({0})
Da keine weiter Wortmeldungen erfolgen, schließe ich die Aussprache und lasse abstimmen.
Wer für die Annahme der Drucksache Nr. 998 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um
die Gegenprobe. - Keine Gegenstimmen; angenommen.
Die nächsten drei Punkte der Tagesordnung, die Punkte 8, 9 und 10, werden dorn Hause vom selben Berichterstatter vorgetragen. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß eine Aussprache nicht stattfinden soll. Ich schlage Ihnen daher zur Abkürzung des Verfahrens vor, daß diese drei Punkte als ein Punkt aufgerufen und dann bei der Abstimmung eben dreimal die Hände erhoben werden.
Ich rufe also auf:
8. Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend Bundesbahn ({0});
9. Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend Einmalige Winterbeihilfe für Erwerbslose ({1});
10. Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Abgeordneten Dr. Decker, Dr. Etzel ({2}), Dr. Besold und Fraktion der Bayernpartei betreffend Bereitstellung von Mitteln im ordentlichen Haushalt 1950/51 zur Erteilung von Aufträgen auf Originalwerke der Malerei und der Plastik ({3}).
Das Wort als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Schoettle.
Schoettle ({4}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im Namen des Haushaltsausschusses Bericht zu erstatten über die Drucksachen Nr. 999 in Verbindung mit Nr. 105, Nr. 1001 in Verbindung mit a Nr. 209 und Nr. 1002 in Verbindung mit Nr. 937. Die Drucksachen Nr. 105 und Nr. 209 sind älteren Datums. Die Antragsteller müssen entschuldigen, wenn der Haushaltsausschuß ihre Anträge erst verhältnismäßig spät behandelt hat. Das lag daran, daß er lange Zeit mit Haushaltsberatungen beschäftigt war.
Zur Drucksache Nr. 105 beantragt der Haushaltsausschuß, den Antrag auf Grund des Gesetzes über die vorläufige Haushaltsführung der Bundesverwaltung im Rechnungsjahr 1950 für erledigt zu erklären. Zum Antrag selber ist zu sagen: die Punkte 2 und 3 konnten vom Haushaltsausschuß sachlich nicht beraten werden, - ich nehme an, sie sind in anderen Ausschüssen beraten worden. Dagegen hat sich der Haushaltsausschuß mit Punkt 1 des Antrags beschäftigt, der verlangt, daß auf jegliche Sonderzuwendungen aus dem Etat der Bundesbahn bis zur Klärung der Verhältnisse bei der Bundesbahn verzichtet wird. Der Haushaltsausschuß hat sich einstimmig auf den Standpunkt gestellt, daß diese Frage durch die Annahme des Gesetzes über die vorläufige Haushaltsführung entschieden worden ist. Sie war Gegenstand von Debatten im Haushaltsausschuß und ist auch hier im Hause in der Generaldebatte über den Haushaltsplan behandelt worden; es geht darum, ob die Bundesbahn bei ihren gegenwärtigen materiellen Verhältnissen in der Lage sei, die dem Bund geschuldeten Mittel abzuführen, und ob es nicht zweckmäßiger wäre, wenn der Bund, statt diese fiktive Summe in seinem Haushaltsplan mitzuschleppen, formell darauf verzichte. Man ist aber zu dem Ergebnis gekommen - und darin stimmten Haushaltsaus({5})
Schuß und Bundesfinanzministerium überein -, daß es für den Bund unmöglich sei, auf einen Rechtsanspruch gegenüber der Bundesbahn zu verzichten und daß andere Mittel gefunden werden müßten, um die Bundesbahn von ihrem finanziellen Überhang zu befreien. Da diese Dinge bereits durch die Beschlußfassung dieses Hohen Hauses entschieden sind, schlägt der Haushaltsausschuß vor, auf diese Frage nicht im Zusammenhang mit dem Antrag Nr. 105 zurückzukommen; wir werden ja sowieso darüber bei der Haushaltsberatung 1950 zu sprechen haben.
Zur Drucksache Nr. 209 betreffend einmalige Winterbeihilfe für Erwerbslose: Es geht schon aus dem Datum vom 15. November, das dieser Antrag trägt, hervor, daß er über die Jahreszeit hinweg liegengeblieben ist, in der er hätte realisiert werden können. Das ist nicht die Schuld des Haushaltsausschusses allein, das liegt auch an den Umständen und den tatsächlichen Verhältnissen. Als dieser Antrag eingebracht und als er im Haushaltsausschuß und in anderen Ausschüssen zuerst beraten wurde, war klar, daß verschiedene Länder im Laufe der Wintermonate bereits von sich aus Maßnahmen getroffen hatten, um in der Sache dem Wunsche der Antragsteller Rechnung zu tragen. Man kann darüber streiten, ob die Regelungen, die in diesem Zusammenhang getroffen wurden, allen Bedürfnissen gerecht geworden sind. Jedenfalls hatte der Haushaltsausschuß zunächst nur festzustellen, daß materiell in den einzelnen Ländern - nicht in allen gleichmäßig - Regelungen getroffen worden sind, die etwa in der Richtung liegen, wie die Antragsteller es wollen. Der Ausschuß beantragt, die Drucksache Nr. 209 mit Rücksicht auf die bereits erfolgte Regelung in den Ländern und die Verabschiedung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1949 für erledigt zu erklären.
Zur Drucksache Nr. 937. Es handelt sich um einen Antrag der Abgeordneten Dr. Decker, Dr. Etzel ({6}), Dr. Besold und Fraktion der Bayernpartei betreffend Bereitstellung von Mitteln im ordentlichen Haushalt 1950/51 zur Erteilung von Aufträgen auf Originalwerke der Malerei und Plastik.
Dazu beantragt der Haushaltsausschuß, diesen Antrag der Regierung als Material für den Bundeshaushaltsplan 1950/51 zu überweisen. Wir haben das auch in einer Reihe von anderen Fällen empfohlen, wo es sich darum handelte, Mittel für das bereits begonnene Haushaltsjahr zur Verfügung zu stellen. Ich möchte aber doch zu dem Antrag noch eine sachliche Bemerkung machen, obwohl ich nicht absolut sicher bin, ob ich von der Mehrheit des Haushaltsausschusses oder vom gesamten Haushaltsausschuß dazu autorisiert bin. Es gehört aber zur Sache und zur Art der Erledigung, die der Haushaltsausschuß empfiehlt, das auch zu sagen. Die Absicht der Antragsteller ist zweifellos legitim, und ich bin überzeugt, daß eine große Anzahl von Mitgliedern, wenn nicht die erdrückende Mehrheit des Hauses, es durchaus für notwendig hält, daß die Kunstschaffenden auch vom Staat und vom Bund in ihrem schweren Kampf vor allen Dingen um ihre materielle, aber auch um ihre geistige Existenz dadurch unterstützt werden, daß man sich - was man offizielle Kunstpflege nennt - dieser Menschen annimmt; denn sie sind ein wertvoller Teil unseres Volkes und unseres geistigen Kapitals.
Man kann die Frage offenlassen, ob die Form,
in der der Antrag der Herren Kollegen der Bayernpartei diese Hilfe wünscht, ausreicht und richtig ist. Aber ich glaube, die Antragsteller sind mit mir darin einig, daß irgend etwas in dieser Richtung getan werden muß, daß im Haushaltsplan 1950 - darüber wird man noch mit dem Herrn Bundesfinanzminister zu reden haben - Vorkehrungen getroffen werden, damit die Absichten, die dieser Antrag verfolgt, auch tatsächlich erfüllt werden können. Erfüllt werden können sie allerdings nur, wenn man es nicht irgendwelchen Zufällen und irgendwelchen bürokratischen Stellen überläßt, Kunstpflege zu treiben, sondern wenn tatsächlich sachverständige Gremien darüber entscheiden, in welcher Weise öffentliche Gelder zur Förderung der Kunstpflege und des künstlerischen Schaffens ausgegeben werden. Ich hoffe - bei aller Respektierung der Kassenlage des Bundes -, daß bei der Beratung des Haushaltsplanes 1950 diese Absichten in vollem Umfange verwirklicht werden können. Ich möchte Ihnen im Namen des Haushaltsausschusses die Annahme der Anträge Drucksachen Nr. 999, 1001 und 1002 empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Sie haben soeben beschlossen, daß keine Aussprache stattfinden soll. Wir treten unmittelbar in die Abstimmung ein, zunächst über die Drucksache Nr. 999. Wer für ihre Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. -Angenommen.
Wer für die Annahme der Drucksache Nr. 1001 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen.
Wer für die Annahme der Drucksache Nr. 1002 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen.
Ich rufe auf Punkt 11 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für ERP-Fragen über den Antrag der Abgeordneten Strauß, Kemmer, Graf von Spreti, Spies und Genossen betr. Kredite für den Wiederaufbau des Fremdenverkehrsgewerbes ({0}).
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Funk zur Berichterstattung.
Funk ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktion der CSU hat mit der Drucksache Nr. 451 den Antrag auf Zuteilung von Mitteln aus dem Marshallplan für den Fremdenverkehr gestellt. Der Ausschuß für ERP-Fragen hat über diesen Antrag beraten und ist einstimmig zu der Ansicht gelangt, daß eine Zuteilung notwendig und nützlich sei. Als Tatsache, die zu dieser Ansicht führte, darf ich hier kurz folgendes ausführen: Vor dem Kriege hatten wir im Gebiet des Bundes 483 000 Betten für Fremdenverkehr; heute sind es leider nur noch 143 000. Zerbombt wurden 120 000, durch Besatzungsmächte belegt sind 50 000, zweckentfremdet belegt sind 215 000. Seit Beendigung des Krieges wurden 45 000 neue Betten erstellt, so daß heute gegenüber einem Soll von 483 000 vor dem Kriege lediglich 143 000 Betten zur Verfügung stehen. Wenn auch ein erheblicher Teil von Betten zurückgegeben worden ist, so hat sich doch in der Praxis herausgestellt, daß ein
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weitgehender Verlust der Einrichtungsgegenstände und fast immer starke bauliche Schäden als Endergebnis festgestellt werden müssen.
Das deutsche Hotelgewerbe bringt zur Zeit monatlich 3 Millionen Dollar an Devisen auf. Das ist an und für sich ein erstaunlich hoher Betrag; wenn ich aber daran erinnern darf, daß vor dem Kriege der Fremdenverkehr im heutigen Bundesgebiet ungefähr 350 bis 400 Millionen Mark an Devisen aufbrachte, so klafft hier noch ein ganz großer Unterschied. Ich darf daran erinnern, daß allein bei den früheren Spielen in Oberammergau der Fremdenverkehr 40 Millionen Mark an Devisen einbrachte,
Es ist bekannt, wie großzügig das Fremdenverkehrsgewerbe in den übrigen europäischen Ländern aufgebaut und von den betreffenden Staaten gestützt wird. Mit der zunehmenden Liberalisierung der europäischen Gesamtwirtschaft wird diese Benachteiligung des deutschen Hotelgewerbes immer fühlbarer werden. Nachdem dem Fremden- verkehr neben aller wirtschaftlichen Bedeutung schließlich und letzten Endes auch eine völkerversöhnende Wirkung zukommt, hat sich der Ausschuß auf den Standpunkt gestellt, daß eine Hergabe von Mitteln aus dem Marshallplan notwendig und nützlich sei.
Der Ausschuß hat deshalb den Antrag gestellt:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, dafür Sorge zu tragen, daß zum Wiederaufbau eines konkurrenzfähigen Fremdenverkehrsgewerbes ausreichende Kredite raschestens zur Verfügung gestellt werden.
Ich bitte deshalb das Hohe Haus, dem Antrag des ) Ausschusses für ERP-Fragen, Drucksache Nr. 1006, zustimmen zu wollen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Der Ältestenrat hat Ihnen empfohlen, keine Aussprache durchzuführen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Sie haben so beschlossen.
Ich lasse nun abstimmen über Drucksache Nr. 1006. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, ,die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 12 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Verkehrswesen über den Antrag der Abgeordneten Dr. Solleder, Dr. von Brentano und Genossen betreffend Bahntarife für die Bezirke Niederbayern, Oberpfalz und Oberfranken ({0}).
Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Friedrich zur Berichterstattung.
Dr. Friedrich ({1}), Berichterstatter: Meine verehrten Damen und Herren! Der Ausschuß für Verkehrswesen hat sich einmal durch die Sammlung einer außerordentlichen Fülle von Material und zweitens durch eine persönliche Inaugenscheinnahme der betroffenen Gebiete ein Bild über die Notwendigkeit und über die Ausmaße der notwendigen Hilfe zu machen versucht. Bei dem in Rede stehenden Gebiet ergibt sich eine mehrfache Notwendigkeit für die Annahme und für die Formulierung des Ausschußberichts. Einmal aus dem Grunde, weil in dieses hier in Rede stehende Gebiet seit Kriegsende nicht weniger als 750 000 Heimatvertriebene eingeströmt sind, weil zweitens durch den Verlauf der Zonengrenze dieses Gebiet gewissermaßen in den toten Winkel der Bundesrepublik gerückt ist und weil dieses Gebiet weitgehend seine natürlichen Hilfsquellen und seinen natürlichen Absatz verloren hat. Allein die Tatsache, daß die mitteldeutsche Braunkohle, die diesem Gebiet das Heizmaterial bisher gewissermaßen in toto geliefert hat, weggefallen ist und daß jetzt die westdeutsche Braunkohle herangeschafft werden muß, bedeutet eine sehr erhebliche Belastung. Dann haben sich durch die Zonengrenze die Kilometerentfernungen, die auf der Bundesbahn zum An- und Abtransport der Materialien zurückgelegt werden müssen, sehr erheblich verschlechtert bzw. vergrößert. So ist z. B. der Transportweg von Hof nach Bebra früher 226 km lang gewesen; er beträgt heute 367 km. Von Hof ins Ruhrgebiet - Recklinghausen - betrug er früher 347 km, heute 560 km.
Der Ausschuß hat aus diesem Grunde das Frachtproblem als das Schlüsselproblem in dieser ganzen Angelegenheit angesehen. Ich möchte Ihnen ein Beispiel dazu sagen. Ein einziger Betrieb aus diesem Gebiet hat durch die veränderten Frachtverhältnisse eine Mehrbelastung von 1,5 Millionen DM im Jahr; ein anderer Betrieb weist ein monatliches Defizit von 120 000 DM aus. Er war in der Lage, uns klarzumachen, daß das allein durch die Frachterhöhung bedingt ist. Ein Vergleich zwischen den Betriebskosten und den Frachtkosten ähnlicher Betriebe in verschiedenen deutschen Ge-, bieten hat ergeben, daß beispielsweise ein Betrieb aus der Branche Steine und Erden, der in Essen ansässig ist; 226% weniger Frachtkosten hat als ein gleichartiger Betrieb, der im Gebiet der bayerischen Ostmark angesiedelt ist. Die Erhöhung der Frachten, die die Bundesbahn vorgenommen hat und vornehmen mußte, beträgt seit Juli 1949 nicht weniger als 57%. Aus diesem Grunde haben sich so groteske Fälle ergeben, wie sie beispielsweise in der Flußspatindustrie vorgekommen sind, daß ein Betrieb, der einen Ausfuhrauftrag von 18 Millionen Dollar hatte, diesen Auftrag nicht ausführen kann, weil die Vorfrachten bis zur Küste derartig hoch sind, daß der Betrieb außer Konkurrenz arbeiten würde.
Die Frachtmaßnahmen, die getroffen sind und getroffen werden mußten, werden im übrigen auch durch folgende Zahlen beleuchtet. Das Mehr, das erzielt werden würde, wenn der infolge der Frachterhöhung von der Bundesbahn abgewanderte Verkehr wieder zur Bundesbahn zurückkäme, beträgt etwa 20 Millionen DM. Die Krisenzuschläge, die die Bundesbahn einführen mußte, bringen aber im ganzen Bundesgebiet nur 12 Millionen DM. Aus diesem Beispiel geht also hervor, daß dieses örtliche Problem hier ganz erheblich von diesen Gegebenheiten beeinflußt wird.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat aus diesem Grunde den Ihnen in Drucksache Nr. 1033 vorliegenden Bericht abgefaßt. Er bittet Sie heute, eine Ziff. 3 einzufügen, die er noch in seiner gestrigen Sitzung beschlossen hat, nämlich:
Die Bundesregierung wird ersucht, die Frachterleichterung bzw. den Umwegskilometerwegfall auch auf die unterfränkischen Landkreise zu erstrecken, die an das thüringische Gebiet - also an die sowjetische Besatzungszone - grenzen.
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Der Ausschuß bittet Sie, den Bericht in dieser Form anzunehmen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Meine Damen und Herren, auch hier hatte man Verzicht auf Aussprache vereinbart. Ich nehme an, daß das Haus bei diesem Beschluß bleiben wird. Ich eröffne daher gar nicht erst die Aussprache und lasse abstimmen. Wer für die Annahme der Drucksache Nr. 1033 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Punkt 13 der Tagesordnung:
a) Beratung des Mündlichen Berichts. des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung über den Antrag der Abgeordneten Frau Dietz, Morgenthaler, Bausch und Genossen betreffend Vertrieb von Kriegsspielzeug ({0});
b) Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Petitionen betreffend Entschließung gegen die Herstellung und den Vertrieb von Kriegsspielzeug ({1}).
Meine Damen und Herren! Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, diese beiden Punkte 13a und 13b wie folgt zu behandeln: Für die Begründung der Ausschußanträge durch die Damen, die die Berichterstattung übernommen haben, je 10 Minuten und für die Gesamtaussprache 40 Minuten. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen.
Ich erteile das Wort der Abgeordneten Frau Hütter als Berichterstatterin. 10 Minuten.
Frau Hütter ({2}), Berichterstatterin: Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Der Ausschuß für innere Verwaltung hat mich in seiner Sitzung vom 15. Mai 1950 beauftragt, die Berichterstattung über die Beratung des Antrags Drucksache Nr. 691 zu übernehmen. Außer dem Ausschuß für innere Verwaltung hat sich auch der Ausschuß für Jugendfürsorge mit diesem Antrag befaßt. Federführend ist jedoch der Ausschuß für innere Verwaltung.
Mit dem Antrag Drucksache Nr. 691 wird die Bundesregierung ersucht, darauf hinzuwirken, daß der Vertrieb von Kriegsspielzeug jeglicher Art in dem Gebiet der Bundesrepublik verhindert wird. Zu seiner Begründung wurde angeführt, daß es insbesondere ein Anliegen der deutschen Mutter sei, die Erziehung ihres Kindes in der Kinderstube so zu leiten, daß der Gedanke an alles mit dem Krieg Verbundene, wie Schießgewehre, Pistolen, Kanonen, Panzer und Soldaten selbst Atombomben en miniature, wie sie kürzlich auf einer Nürnberger Spielzeugmesse verkauft wurden, aus der Umgebung des Kindes ausgeschaltet werde. Eine solche Erziehung gelinge nur, wenn die Versuchung, mit derlei Dingen zu spielen, auch außerhalb der heimischen Atmosphäre vom Kind ferngehalten werde. Es sei das Vermächtnis der ehemaligen Kriegsteilnehmer, die deutsche Jugend von Kind an vor einer solchen Versuchung zu bewahren.
Der Antrag Drucksache Nr. 691 bezweckte, allein den Vertrieb von Kriegsspielzeug in dem Gebiet der deutschen Bundesrepublik zu untersagen. Der Ausschuß für innere Verwaltung hat jedoch einmütig beschlossen, auch die Herstellung von Kriegsspielzeug jeglicher Art in dem Gebiet der deutschen
Bundesrepublik zu verhindern. Er hat deshalb beschlossen, den Antrag Drucksache Nr. 691 umzuändern und wie folgt zu formulieren:
Die Bundesregierung zu ersuchen, Herstellung und Vertrieb von Kriegsspielzeug jeglicher Art in dem Gebiet der deutschen Bundesrepublik zu verhindern.
In der Debatte vertrat der Referent des Bundesministeriums den Standpunkt, daß nach dem Grundgesetz sein Ministerium keine Befugnis habe, entsprechende Maßnahmen zu veranlassen. Vielmehr sei das Bundeswirtschaftsministerium zuständig, dem es obliege, die Herstellung von Kriegsspielzeug zu verhindern. Der Ausschuß für Jugendfürsorge befaßte sich nun in seiner Sitzung vom 17. Mai mit dem abgeänderten Antrag und schloß sich im wesentlichen der in dem Ausschuß für innere Verwaltung vertretenen Meinung an. Er hat dabei hervorgehoben, daß außer dem Verbot der Herstellung und des Vertriebs von Kriegsspielzeug positive Maßnahmen getroffen werden sollen, die die Herstellungsberechtigten auf die Gefahren, die durch den Gebrauch von Kriegsspielzeug erwachsen, aufmerksam machen. Ferner kam der Ausschuß für Jugendfürsorge überein, die Bundesregierung zu bitten, mit der Hohen Kommission zu verhandeln, daß die Abgabe von Kriegsspielzeug an deutsche Kinder durch alliierte Staatsangehörige unterbunden wird. Hiermit soll vermieden werden, daß wohlmeinende amerikanische Organisationen Kriegsspielzeug als Geschenke für deutsche Kinder verwenden. Der Ausschuß für Jugendfürsorge hat daher den Antrag wie folgt ergänzt:
Die Bundesregierung wird ersucht,
1. Herstellung und Vertrieb von Kriegsspielzeug jeglicher Art in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern,
2. bei der Alliierten Hohen Kommission darauf hinzuwirken, daß die Abgabe oder Überlassung von Kriegsspielzeug jeglicher Art durch Angehörige der Besatzungsmacht an deutsche Kinder in Zukunft unterbleibt.
In seiner Sitzung vom 7. Juni schloß sich der Ausschuß für innere Verwaltung der Auffassung des Ausschusses für Jugendfürsorge an.
Ich danke der Frau Berichterstatterin.
Ich habe noch bekanntzugeben, daß soeben ein Abänderungsantrag, der die Unterschriften der Kollegen Dr. Horlacher und Strauß trägt, zu Drucksache Nr. 1036 eingegangen ist. Der Antrag lautet:
Der Bundestag wolle beschließen,
bei Ziffer 1 der Drucksache Nr. 1036 nach den Worten „jeglicher Art" einzufügen: „für deutsche Kinder".
Danach soll die Ziffer 1 der Drucksache Nr. 1036 nunmehr lauten:
Herstellung und Vertrieb von Kriegsspielzeug jeglicher Art für deutsche Kinder in dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern.
Ich habe es wohl richtig verstanden?
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- Findet dieser Antrag ausreichende Unterstützung? Er braucht 10 unterstützende Stimmen. - Der Antrag wird ausreichend unterstützt; ich stelle dies ausdrücklich fest.
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Ich darf noch bekanntgeben, daß Punkt 13 b der Tagesordnung sich durch den Bericht der Frau Kollegin Hütter erledigt hat.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Dietz.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Wir begrüßen diesen Antrag. Wir begrüßen es auch, daß er von weiten Kreisen unseres Volkes getragen wird. Nicht nur aus der sozialistischen Jugendbewegung, auch aus der Jungen Union und aus den Kreisen der Frauen und Mütter sind uns zahlreiche Zustimmungserklärungen zugegangen. Vor zwei Tagen hat die Weltorganisation der Mütter uns einen Brief geschrieben, in dem sie nicht nur diesen Antrag billigt, sondern die volle Unterstützung aller maßgebenden Stellen fordert. Wer mit Kindern zu tun hat, die Mutter in der Kinderstube, die Lehrerin in der Erziehung, der weiß, wie nachhaltig die Art und Weise des Kinderspiels den werdenden Charakter beeinflußt. Wenn das Kind Dörfer und Städte baut, wenn es mit anderen Worten Werte schafft und dann hingeht und diese Werte, sei es auch nur im Spiel, mit Kanonen und Tanks wieder zerstört, dann zeigt das eine Ehrfurchtslosigkeit, dann zeigt sich darin ein Geist der Zerstörung, der unwillkürlich auch in die ganze Haltung des jungen Menschen eingeht. Ist es nicht grauenvoll, wenn auf der letzten Spielzeugausstellung in Nürnberg ein Atomzertrümmerungsspielzeug für 19,75 DM verkauft wurde? Ist es nicht grauenvoll, daß dieses Gespenst, vor dem wir alle erheben, sich nun den Eintritt in die Kinderstuben erschleicht, um dort einen Platz einzunehmen? Ich bin der Ansicht, der deutsche Geist ist erfinderisch genug, um andere Spielzeuge zu gestalten, Spielzeuge, die einen konstruktiven Charakter haben;
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denn wenn das Kind mit Baukästen spielt, wenn es konstruktive Arbeit leistet, wenn es Brücken baut, wenn es bastelt, dann schafft es Werte, und dann wird in ihm der Geist des Wiederaufbaues gepflegt, den wir so sehr nötig haben, da wir ja noch in den Trümmern leben. Ich bin der Ansicht, daß gerade dieser Geist der Ehrfurcht sehr wesentlich für die Erziehung unserer Kinder ist, nachdem wir eine Zeit hinter uns haben. deren Kennzeichen die Ehrfurchtslosigkeit war. Shakespeare aber sagt: „Die Ehrfurcht ist der Angelpunkt der Welt!"
Lassen Sie mich auf drei Einwände eingehen, die man gegen diesen Antrag vorgebracht hat. Man hat zuerst gesagt: ja, wenn ihr so seid, dann dürft ihr auch nicht erlauben, daß die Kinder Räuber und Gendarm spielen, dann dürft ihr auch nicht erlauben, daß sie Indianer spielen. - Meine Herren und Damen, das ist etwas ganz anderes! Wenn das Kind Indianer spielt, wenn es Räuber spielt, dann geschieht das aus einer gewissen Romantik heraus. Das Kind lebt gern in einer imaginären Welt, aber es weiß im Unterbewußtsein ganz genau, daß das ja nur ein Spiel ist, und es wird deshalb auch kein Indianer und es wird deshalb auch kein Räuber. Aber wenn es mit Kriegsspielsachen spielt, dann ist das etwas anderes. Diese Dinge werden furchtbare, blutige Wirklichkeit.
Der zweite Einwand: man hat uns gesagt, das bedeute die Entmannung des deutschen Volkes. Ich darf Ihnen die Versicherung geben: Die
deutschen Mütter wollen auch keine Feiglinge K erziehen, sie wollen keine Muttersöhnchen, sie wollen starke, tapfere Jungen. Aber wir wehren uns dagegen, daß der Begriff des Heldentums, der Begriff des Mannestums ständig verquickt wird nur mit dem Begriff des Militarismus und mit dem der Uniform.
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Wär sind der Ansicht, daß wir unserem deutschen Volke und der gesamten Menschheit mehr dienen, wenn wir alle, die Mütter aller Nationen, die Kinder zum Heldentum eines konsequent gelebten Berufsethos erziehen. Ist es kein Heldentum, wenn der Bergmann Tag für Tag in die Grube steigt, wo der Tod sein ständiger Nachbar ist? Ist es kein Heldentum, wenn der Arzt, die Krankenschwester in Zeiten ansteckender Krankheiten ihren schweren Dienst versehen und ihren Opfermut oft mit dem Verlust von Gesundheit und Leben bezahlen? Und: Ist es kein Heldentum, was die Mütter in der Vergangenheit geleistet haben, in den Jahren des Hungers? Das ist auch ein Heldentum, und es erscheint uns wesentlich, unsere Kinder nach dieser Richtung zu erziehen.
Der dritte Einwand heißt: ja, aber es könnte uns vielleicht wirtschaftlich irgendwie einen Nachteil bringen. - Dazu möchte ich folgendes sagen. Ich würde es als eine Beleidigung des deutschen Geistes betrachten, wenn wir ihn nicht für fähig hielten, andere Spielzeuge als ausgerechnet solche herzustellen, die der Vernichtung dienen, Spielzeuge nämlich, die auch in der gesamten Welt hohe Anerkennung finden.
Das viel Wichtigere aber ist dies: wir müssen a uns davor hüten, die Rangordnung der Werte umzukehren oder zu verschieben; denn an erster Stelle stehen für uns erzieherische und ethische Werte; die stehen hoch und weit über kaufmännischen und rechnerischen Interessen. Wir haben es einmal erlebt in der Vergangenheit, daß man diese Ordnung der Werte umgekehrt hat, und unser Volk ist dabei an den Rand der Katastrophe getrieben worden, damals, als man das Nützlichkeitsprinzip auf den Thron erhob und als man das ethische Gesetz unter die Macht dieses Nützlichkeitsprinzips zwang und das Nützlichkeitsprinzip zur Norm des Handelns machte. Wir dürfen nicht noch einmal in diesen Fehler verfallen, und es ist in die Verantwortung dieses Hohen Hauses gegeben, dafür zu sorgen, daß sich dieses Unglück nicht wiederholt.
Ich bin mir bewußt, daß das, was wir heute hier über diesen Punkt sprechen und beschließen, nur ein Stein ist, den wir reichen, ein Stein zu dem großen Friedensdom, den wir bauen wollen und in den unsere leidzerquälte Menschheit einziehen soll; aber es i s t doch wenigstens ein Baustein. Denken Sie an das Wort des Altmeisters Pestalozzi: „Im Hause muß beginnen, was leuchten soll im Vaterland"!
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Decker. - Sie haben 3 Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir begrüßen die psychologische und ethische Tendenz des Antrages. Zweifellos erDeutscher Bundestag. ({0})
zieht das Kriegsspielzeug zur Glorifizierung des Krieges und vor allem dazu, den Mord, die Tötung eines Menschen, wenn er als Gegner auftritt, leicht hinzunehmen. Andererseits darf aber diese Bedeutung des Spielzeuges nicht überschätzt werden. Das Beispiel der Erwachsenen wirkt viel stärker. Das Beispiel einer groß aufgezogenen Parade, seien es deutsche Soldaten oder fremde, die mit klingendem Spiel und zügigem Militärmarsch vor der Bevölkerung vorbeidefilieren, ist viel gefährlicher als das Spiel mit Zinnsoldaten.
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Der Geist der Eltern und der Erzieher schon muß von wahrer Humanität getragen sein, dann erreichen wir das, was wir wollen: die Kinder zur Friedensliebe zu erziehen. Hier gilt das Goethesche Wort:
Wir könnten erzogene Kinder gebären, Wenn nur die Eltern erzogener wären.
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Aber das Problem hat auch noch eine andere Seite, hat eine sehr weit- und tiefgehende wirtschaftliche Bedeutung. Gerade wir in Bayern, wo die Spielzeugindustrie eine besondere Rolle spielt, sehen das Problem auch von der anderen Seite. Der Export der bayerischen Spielzeugindustrie fördert ja die Beschaffung von Arbeit gerade in den Gebieten, in denen die Arbeitslosigkeit besonders stark herrscht, in dem Gebiet von Coburg und in der Nürnberger Gegend. Wir haben deshalb starke Bedenken gegen das Herstellungsverbot. Mit dem Herstellungsverbot ist ja nichts gewonnen; denn das Ausland wird sich das Spielzeug so oder so beschaffen. Wir müssen uns doch einmal klar darüber sein: wenn z. B. die Schweiz Soldaten und militärisches Spielzeug in Deutschland bestellt, dann tut sie damit ganz gewiß nicht kund, daß sie ihre Kinder militaristisch erziehen will.
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Das ist durchaus nicht der Fall. Da die Exportfrage auf internationaler Basis gelöst werden muß, ist sie eine Frage der Einigung aller Völker auf diesem Gebiet. Vorläufig stehen wir auf dem Standpunkt, daß wir nicht 500 Leute allein deswegen hungern lassen müssen, weil hier die Lieferung von Waren verboten wird, die sie auf der anderen Seite doch ohne weiteres von wo anders bekommen. Glauben Sie vielleicht, wenn wir keine Spielzeugtanks nach den USA liefern, daß dann die Tanks bei der amerikanischen Armee abgeschafft werden oder vielleicht die Amerikaner diese Tanks nicht bei den Japanern bestellen?
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Hier stehen wir auf dem Standpunkt, daß der Antrag in seiner ursprünglichen Form Drucksache Nr. 691 richtig war oder daß in dem Antrag Drucksache Nr. 1036 das Wort „Herstellung" zu streichen ist. Ich möchte diese Anregung zum Antrag erheben.
Dann bitte ich Sie um eine schriftliche Formulierung.
Das Wort hat Frau Abgeordnete Thiele.
Meine Herren und Damen! Ich möchte zu Beginn erklären, daß meine
Fraktion diesem Antrag zustimmen wird. Aber genau so, wie ich es auch im Ausschuß bereits gesagt habe, möchte ich auch hier noch einmal sagen: Wir sind der Auffassung, daß, wenn dieser Antrag die einzige Maßnahme ist, die Sie gegen den Krieg ergreifen, er lediglich dazu dient, die Bevölkerung von der wirklichen drohenden Gefahr abzulenken, in der wir angesichts der Kriegsvorbereitungen stehen.
Vor einigen Wochen, als zum ersten Male der Antrag behandelt wurde, haben Sie gelacht, als der Abgeordnete Fisch von den Sprengvorbereitungen an der Loreley gesprochen hat, und heute sind diese Berichte von allen Zeitungen, auch von ausländischen Zeitungen übernommen worden. Die Bevölkerung in diesen Gebieten fragt die Hohen Kommissare nach ihrer Stellungnahme. Diese Stellungnahme sehen Sie heute in der „Welt", in der zum Ausdruck gebracht wird, daß diese Sprengvorrichtung nicht nur an der Loreley, sondern an vielen Verkehrspunkten in Westdeutschland und in anderen Atlantikstaaten durchgeführt werden, und zwar als reine Verteidigungsmaßnahme. Welche Schlußfolgerungen bestimmte Kreise aus dieser ganzen Situation ziehen, sagt die '„Bonner Rundschau" von gestern, die im letzten Satz anfügt, sie möchte nur einmal gern wissen, woher die Kommunisten eigentlich die Einzelheiten haben.
Die Kommunisten wissen auch einiges darüber, daß bereits Pläne zur Evakuierung der Bevölkerung vorhanden sind. Wenn so die Situation ist, dann frage ich Sie: was wollen Sie mit diesem Antrag erreichen, wenn Sie gleichzeitig eine offene Kriegshetze gegen die Sowjetunion und die volksdemokratischen Länder nicht nur dulden, sondern hier selber betreiben?
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Wenn man sich nicht an der ideologischen Vorbereitung des Krieges mitschuldig machen will, dann muß man gegen jegliche Kriegshetze, gegen Hetze gegen alle Völker sein und sich für die Völkerfreundschaft einsetzen, dann muß man in einem Zeitpunkt, da Westdeutschland in ein Aufmarschgebiet verwandelt wird, etwas mehr tun als einen Antrag anzunehmen, der den Vertrieb von Kriegs-Kinderspielzeug verhindert.
Weil ich da recht wenig Vertrauen zu Ihnen habe angesichts Ihrer ganzen Haltung in der Vergangenheit, angesichts der Kriegshetze, die Sie betreiben, fordere ich von dieser Stelle die ganze Bevölkerung auf, sich hinter die Beschlüsse der großen Weltfriedensbewegung zu stellen, die heute bereits 800 Millionen Menschen umfaßt, hinter die Beschlüsse, die in Stockholm gefaßt worden sind, für das Verbot der Waffe des kommenden Krieges, der Atomwaffe, zu kämpfen und sich in die Unterschriftenlisten einzuzeichnen.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bärsch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich halte es für sehr bedauerlich, wenn man versucht, wie das eben von einer bestimmten Seite geschah, jede Gelegenheit zu benutzen, um in einer bestimmten Richtung zu polemisieren.
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Ich glaube, gerade eine Frau sollte Veranlassung
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haben, über einen solchen Antrag mit großem inneren Ernst zu sprechen.
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Denn schließlich handelt es sich in diesem Falle um die Kinder, die ja wohl den Frauen am allernächsten stehen.
Man könnte den Eindruck haben, meine Damen und Herren, als ob die ganze Angelegenheit eine Bagatellfrage sei; das ist auch schon zum Ausdruck gebracht worden. Wenn man sich einmal mit der Psychologie des Kindes näher befaßt, dann wird man begreifen, daß es sich hier um eine sehr wichtige Angelegenheit handelt. Gewiß wollen wir nicht in Abrede stellen, daß unsere im Augenblick von Waffen strotzende Welt alles andere als ein günstiger Hintergrund für eine Entwicklung des jungen Menschen auf den Frieden hin ist. Aber man sollte sich unter allen Umständen darüber klar sein, daß gerade das Spiel im Leben des Kindes eine ungeheure Bedeutung hat. Jeder Psychologe weiß, daß sich das Kind am Spiel bildet, daß das Spiel das entscheidende Moment für die Persönlichkeitsentwicklung und Persönlichkeitsentfaltung des Kindes ist, und jeder, der sich einmal mit Verbrecherpsychologie befaßt hat, wird auch wissen, daß die tieferen Hintergründe für diese Dinge häufig weit zurückliegen, daß man bis zum ersten kindlichen Erleben zurückgehen muß, um die ersten Ursachen dafür feststellen zu können.
Man sollte sich sehr hüten, Kindern mit irgendwelchen Surrogaten aufzuwarten. Ebenso wie es z. B. gefährlich ist, ein Kind in unrealistische Filme zu schicken, weil es nicht in der Lage ist, das Echte vom Unechten zu trennen, und schlechthin alles für echt nimmt, ebenso gefährlich ist es, dem Kind durch ,das Spiel mit Soldaten eine Illusion vom Kriege vorzuzaubern, die in der Wirklichkeit nicht besteht. Wenn wir uns heute, nach diesem letzten Krieg, mit vielen jungen Menschen unterhalten und die Aussagen, die sie nach der Beendigung des Krieges über den Krieg machen, mit den Aussagen vergleichen, die sie vor dem Krieg gemacht haben, oder ihre jetzige Einstellung mit derjenigen, mit der sie in den Krieg gingen, dann werden wir feststellen, daß hier eine ganz erhebliche Diskrepanz vorhanden ist, weil die jungen Menschen in der Regel mit völlig falschen Vorstellungen in dieses furchtbare Erleben hineingegangen sind. Wir haben allen Grund, unsere Kinder vor solchen Illusionen zu bewahren. Im Gegenteil, wir sollten bemüht sein, die Erinnerung an die furchtbaren Erlebnisse dieses Krieges in geeigneter Weise wachzuhalten.
Gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, daß ich noch einige Worte zu dem Abänderungsantrag sage, der hier eingebracht worden ist. Meine Freunde sind über diesen Abänderungsantrag sehr erstaunt, weil wir nämlich der Meinung sind, daß die grundsätzliche Überzeugung, die wir in diesem Falle dokumentieren, nicht auf einen bestimmten Teil der Bevölkerung beschränkt werden kann. Was für die deutschen Kinder gilt, muß in gleichem Maße auch für andere Kinder gelten,
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und wir sollten nicht bereit sein, in diesem Falle unsere hohen sittlichen Prinzipien um einiger Silberlinge willen zu kompromittieren.
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Ich schlage deshalb vor, daß wir den Abänderungsantrag ablehnen. Es ist selbstverständlich, daß
die Regierung sich bemüht, es bei der Umstellung
der Spielzeugindustrie nicht zu irgendwelchen
Härten für die darin beschäftigten Arbeitnehmer
kommen zu lassen. Wenn man sich aber die Anzahl
der Beschäftigten mit 8- bis 10 000 Menschen vor
Augen führt und gleichzeitig einmal versucht,
nachzuweisen, in welchem Maße hier Ausweichmöglichkeiten gegeben sind, dann kann man wohl
ohne weiteres annehmen, daß Härten vermieden
werden können. Aus all den Gründen stimmen
meine Freunde dem Antrag, die Herstellung und
den Vertrieb von Kriegsspielzeug in der Bundesrepublik zu untersagen, mit freudigem Herzen zu.
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Zur Begründung des von mir verlesenen Abänderungsantrages hat der Abgeordnete Dr. Horlacher das Wort.
Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Wer meinen Werdegang kennt, .der weiß, daß ich nicht zu den Militaristen gehöre. Ich habe auch nicht das äußere Aussehen dazu!
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- Es war mir bisher nicht gegeben!- Deswegen
möchte ich wieder dazu beitragen, daß der Bundestag hier einen salomonischen Beschluß faßt, daß wir nämlich die Verhältnisse so ordnen, wie es den wirklichen Bedürfnissen entspricht.
Ich denke da auch an meine Heimatstadt Nürnberg. Ich habe das Emporkommen der Spielwarenindustrie genau erlebt. Ich habe als Kind selber gern mit Kriegsspielzeug gespielt. Ich habe mir die Indianerdörfer aufgestellt und habe mit den Burgen gespielt. Wo sind denn die Grenzlinien des eigentlichen, des modernen Kriegsspielzeugs? Das festzustellen, ist allein schon eine schwierige Arbeit.
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Nun kommt das andere hinzu, daß unsere Spielwarenindustrie in Nürnberg, Fürth, Coburg usw. Weltbedeutung hat und einen umfangreichen Export aufweist. Das kann niemand bestreiten. Deswegen sind wir, die wir den Abänderungsantrag gestellt haben, der Meinung, daß das Verbot auf die Herstellung und den Vertrieb für und an deutsche Kinder zu beschränken ist. Vielleicht kann von da aus auf die anderen Völker eine psychologische Wirkung ausgehen, daß sie das gleiche tun.
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Die Exportinteressen sollen aber im Interesse der deutschen Arbeiterschaft zunächst nicht geschädigt werden. An diese Frage muß man auch denken. Ich glaube, wir erreichen damit alle Ziele, die wir für erstrebenswert halten, und geben gleichzeitig den andern Völkern einen Hinweis darauf, daß sie das gleiche tun, was wir im deutschen Raum machen.
Ich möchte also im Interesse aller Beteiligten bitten, unserem Abänderungsantrag die Zustimmung zu geben. Sie treffen damit sicher das Richtige. Durch unser Vorbild werden wir dann auch die anderen Völker entsprechend beeinflusßen können. Die herzlichen Worte, die die Frau Kollegin Dietz gefunden hat, unterstreiche ich durchaus; aber es kommen in diesem Fall auch die
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Interessen unserer Wirtschaft und unserer Arbeiterschaft in Betracht. Ich bitte daher noch einmal, unserem Abänderungsantrag, der durchaus gut gemeint ist, zuzustimmen.
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Die Rednerliste ist erschöpft. Wortmeldungen liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Zunächst ist über eine Reihe von Abänderungsanträgen abzustimmen.
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- Doch, sie sind überreicht und von mir verlesen
worden. Ich werde sie aber noch einmal verlesen.
Am weitesten geht der Abänderungsantrag des Kollegen Dr. Decker, der von seiner Fraktion unterstützt wird. Dieser Abänderungsantrag geht dahin, in Ziffer 1 der Drucksache Nr. 1036 die Worte „Herstellung und" zu streichen, so daß also nur der Vertrieb von Kriegsspielzeug, dagegen nicht dessen Herstellung verhindert werden soll.
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Wer dafür ist, daß der Antrag des Ausschusses in Ziffer 1 in der Weise geändert wird, daß die Worte „Herstellung und" gestrichen werden, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist die überwiegende Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
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Der zweite Abänderungsantrag geht dahin, in Ziffer 1 des Ausschußantrags nach den Worten „jeglicher Art" die drei Worte einzufügen „für deutsche Kinder", so daß also für die Kinder von Angehörigen ,der Besatzungsmächte oder anderer Völker Kriegsspielzeug hergestellt werden könnte. So scheint es ja wohl gemeint zu sein. Wer dafür ist, daß diese drei Worte an der von mir angegebenen Stelle hinzugefügt werden, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das letzte ist ohne Frage die Mehrheit. Auch dieser Abänderungsantrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, damit kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Ausschusses im ganzen. Wer für dessen Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Gegen einige wenige Stimmen angenommen.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß damit auch der Punkt 13 b erledigt ist. Wir müssen aber der Ordnung halber den Beschluß fassen, den Antrag des Ausschusses Drucksache Nr. 725 für erledigt zu erklären. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke schön! - Es ist so beschlossen.
Nunmehr rufe ich Punkt 14 der Tagesordnung auf:
Beratung des interfraktionellen Antrags betreffend Überweisung von Anträgen an die Ausschüsse ({3}).
Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke Ihnen. Gegenprobe! - Angenommen!
Ich habe nunmehr, ehe ich die Verhandlungen schließe, noch folgendes bekanntzugeben.
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- Meine Damen und Herren, ich bitte noch für eine Minute um Ihr gefälliges Gehör!
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Die nächste Plenarsitzung wird wahrscheinlich in der Woche, die mit dem 10. Juli beginnt, stattfinden. Es wird also wohl sicher in der nächsten Woche keine Plenarsitzung sein. Meine Ankündigung von gestern ist damit zurückgenommen. Der Termin der Sitzung, von der ich eben sprach, wird vom Ältestenrat in einer Besprechung, die nächste Woche stattfinden soll, festgesetzt werden. Um den Termin dieser Besprechung des Ältestenrats zu bestimmen, soll der Ältestenrat heute um 14 Uhr 15 zu einer kurzen Sitzung zusammentreten.
Ich schließe die 72. Sitzung des Deutschen Bundestags.