Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 7. Sitzung des Deutschen Bundestags.
Die Tagesordnung hat einen einzigen Punkt:
Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung
der Bundesregierung.
Ehe wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich einige Mitteilungen zu machen. Ich bitte zunächst den Schriftführer, Herrn Abgeordneten Dr. Mießner, die Namen der abwesenden Mitglieder des Hauses zu verlesen.
B e u r la u b t sind wegen Krankheit die Abgeordneten Kuhlemann, Marx, Wönner, Zühlke.
Auf Grund von Entschuldigungen fehlen die Abgeordneten Frau Albertz, Arndgen, Eichler, Frühwald, Dr. Gülich, Dr. Horlacher, Kalbitzer, Karpf, Frau Kipp-Kaule, Margulies, Mißmahl, Dr. Nöll von der Nahmer, Dr. Koch, Schütz, Dr. Suhr, Rademacher, Frau Thiele, Vesper, Zinn, Dr. Hilpert, Dr. Frey und Freitag.
Meine Damen und Herren! Für den Verlauf der heutigen Aussprache ist gemäß Vereinbarung im Ältestenrat vorgesehen, daß nach der Fraktionsstärke gesprochen wird, und zwar in folgender Reihenfolge: Deutsche Partei, Bayernpartei, Kommunistische Partei, Wiederaufbauvereinigung, Zentrum, Nationale Rechte.
Was den zeitlichen Verlauf anlangt, so nehme ich das Einverständnis des Hauses an, daß wir, wie es üblich ist, um 1 Uhr Mittagspause machen und um 3 Uhr wieder fortfahren.
Als erster Redner hat der Herr Abgeordnete Ewers das Wort.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Stunden, die wir seit der Mitte des September bis Ende des Monats hier in Bonn erleben, sind die Geburtsstunden eines neuen deutschen Staatswesens. Diese Stunden fallen in eine Zeit, die wir Älteren zeitweilig schwerlich mehr zu erleben gehofft haben. Wenn ich an die letzten Jahrzehnte zurückdenke, so fällt mir ganz persönlich die Tatsache ein und auf, daß just in diesen Tagen vor zwanzig Jahren der vielleicht einzige deutsche Staatsmann europäischen Formats gestorben ist, den Deutschland in diesem Jahrhundert hervorgebracht hat: Gustav Stresemann. Mit seinem Tode sank damals Schritt für Schritt die deutsche Republik, die deutsche Demokratie, ins Grab über die Zeit der Notverordnungen bis zu jenem Dritten Reich, das von sich behauptete, es würde mindestens ein Jahrtausend bestehen. Wir haben das Dritte Reich überlebt und stehen nun erneut an der Wiege unseres Volkes und Staates, geprüft und gefeit durch Erfahrungen, die andere Völker tatsächlich vielleicht erst in einem ganzen Jahrtausend machen können.
Heute und jetzt haben wir Stellung zu nehmen zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers, und mir als einem nicht in Hannover gewählten Mitglied der Deutschen Partei hat die Fraktion das ehrenvolle Amt übertragen, in ihrem Namen zu dieser Erklärung Stellung zu nehmen.
Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers findet - mit einer kleinen Einschränkung, auf die ich im Laufe meiner Rede zu sprechen komme - den vollsten und ungeteilten Beifall meiner Fraktion.
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Diese Erklärung billigen und unterschreiben wir nicht nur in ihrer Haltung, sondern auch in ihrer Formulierung im einzelnen Satz für Satz. Wir hoffen und wünschen, daß die Regierung alles wahrmachen kann, was dem deutschen Volk und den deutschen Menschen in dieser Erklärung verheißen ist.
Ich habe zur Erklärung des Herrn Bundeskanzlers namens meiner Fraktion in einzelnen Beziehungen einige erläuternde und bestätigende Anmerkungen zu machen. Wir legen ganz entscheidenden Wert darauf, daß sich jedermann, der für die Bundesrepublik Deutschland spricht und handelt, bei jedem Wort und bei jeder Tat bewußt bleibt, daß wir vorläufig nur ein Torso sind, daß wir nur ein Teilstaat, ein Rudiment, ich möchte sagen ein Embryo eines zukünftigen Deutschlands sind, das, von keiner auswärtigen Macht bevormundet, sich wieder, und zwar in den Grenzen des Jahres 1937, in die europäischen Nationen einzureihen haben wird. Wir empfinden es als Schönheitsfehler, daß die Bezeichnung, die sich unser westdeutscher Staat gegeben hat, „Bundesrepublik Deutschland",
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zu Mißdeutungen Veranlassung geben könnte, wenn man nicht immer die Worte der Präambel des Grundgesetzes dazunimmt und sich vergegenwärtigt, daß das allerdings noch nicht alles ist. Es wäre wohl richtiger gewesen, wenn schon in der Bezeichnung dieser vorläufige und zunächst den ersten Schritt bedeutende Charakter unseres neuen Staates zum Ausdruck gekommen wäre.
Wir sind des weiteren der Auffassung, daß nach dem Ergebnis der Wahlen des 14. August die jetzt gebildete Regierung eine durch den Willen der deutschen Wählerschaft bekundete Notwendigkeit ist. Das hätte nicht so sein müssen. Wenn etwa zwischen den beiden großen Parteien dieses Hauses, die zwei Drittel aller Abgeordneten stellen, in dem Wahlkampf außenpolitische Meinungsverschiedenheiten hervorgetreten wären, so hätte ich es von meinem Standpunkt aus für unbedingt erforderlich gehalten, diese zunächst einmal untereinander abzustimmen, ehe man in die von Sorgen und Not belasteten zukünftigen Monate und Jahre eintritt. Denn seien wir uns darüber klar: die Politik, die wahrhafte Kunst der Politik beginnt erst bei der Außenpolitik. Das Innere, die Ordnung im eigenen Hause ist naturnotwendig erst zweitrangig, und weil wir als Deutsche wohl von je und je das Innere vorangestellt haben, haben wir im Auswärtigen dann ja auch zweimal innerhalb von 25 Jahren so über alle Maßen kläglich Schiffbruch erlitten. Da aber nach dem Wahlkampf in der Außenpolitik zwischen den beiden großen Fraktionen und wohl auch, wenn ich von der äußersten Linken absehen darf, sonst überhaupt nirgendwo Meinungsverschiedenheiten auftraten, darf ich insoweit hoffen, daß die Regierung auch bei der Opposition dieses Hauses jede Unterstützung finden wird, wenn sie bei den Besatzungsmächten oder, sagen wir, bei den Herren Kommissaren - denn Macht ist es ja nicht mehr, es soll ja „Zivil" sein, was über uns entscheidet - oder bei sonstigen auswärtigen Stellen etwas für uns Deutsche erreichen will.
So verschiebt sich in der Tat die Frage des Werdens des deutschen Volkes auf das Innerpolitische, auf das Wirtschaftsgebiet, um das sich ja nach meiner Beobachtung der gesamte Wahlkampf in all seiner Hitze sozusagen ausschließlich gedreht hat. Auf diesem Gebiet standen wir von der Deutschen Partei im Wahlkampf durchaus in derselben Linie wie die CDU, wie die FDP.
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- Nein, das auch nicht, sondern einschließlich schwarz-weiß-rot, Herr Professor; einschließlich - das darf ich auf alle Fälle feststellen -, denn man hat sich uns allseitig angenähert.
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- Ja, das hat man!
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- Das wird sich finden!
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- Das wollen wir auch bald wieder tun. ({6})
Dazu sind wir auch fest entschlossen.
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Darf ich fortfahren?
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Ich sage: auf allen Seiten der Koalitionsparteien bestand kein Unterschied in der Auffassung der Wirtschaftspolitik; und nun waren wir als im Aufbau und in der ersten Entfaltung begriffene Partei vor die schwere Frage gestellt, ob wir dem Wunsch nach Beteiligung an der Regierungsbildung nach diesen Anfangserfolgen, die wir in einem relativ kleinen Gebiet der westdeutschen Bundesrepublik errungen hatten, folgen sollten oder nicht. Der Entschluß war nicht leicht. Wir haben aber davon abgesehen, allein der Propaganda Rechnung zu tragen. Wir hatten unseren Wählern gewisse Zusicherungen gemacht und haben stets erklärt, daß wir uns vor keiner Verantwortung scheuen. In Einlösung dieser Zusicherungen mußten wir es für unsere staatspolitische Pflicht halten, uns dem Wunsch der größeren Parteien nicht zu versagen.
Nach der Regierungserklärung bereuen wir diesen Entschluß keinen Augenblick.
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Daß solche Koalitionsverhandlungen mit gewissen Schwierigkeiten verbunden sind, das weiß die SPD besser als jede andere Partei.
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- Woher ich das weiß? Aus meinen langjährigen Erfahrungen im parlamentarischen Leben.
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Meine sehr geehrten Damen und Herren, so war die Regierungsbildung im staatspolitischen Sinne notwendig. Denn eins hat die Weimarer Republik unter anderem erschüttert und schließlich zum Erliegen gebracht:
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die beklagenswerte Tatsache, daß in jener Zeit, vor dem Jahre 1930, Wahlen eigentlich keinen Zweck hatten. Es änderte sich nämlich nach den Wahlen sozusagen gar nichts.
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- Nein, das brauche ich ganz und gar nicht, meine Erinnerung ist durchaus plastisch. Es ist eine Tatsache, daß die ganze Wählerei keinen Sinn mehr hatte. Das war allgemeine Meinung des Mannes auf der Straße. Vielleicht haben die Herren Professoren darüber anders gedacht:
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Der normale Deutsche sah in den Wahlen keinen Sinn mehr. Das lag damals daran, daß die SPD wenn nicht die Gewinnerin, so doch die Nutznießerin der sogenannten 1918er Revolution war und sich alle Parteien bis ganz nach rechts herüber, ja bis einschließlich der NSDAP nach ihr umsahen, wenn es sich um soziale Dinge handelte. Die SPD war damals zwar nicht so doktrinär wie Herr Dr. Schumacher; aber sie wurde immerhin sozusagen als Schulmeisterin in sozialpolitischen Dingen angesehen. Daher konnte sich keine Partei erlauben, irgend etwas zu tun, was die SPD ihr im nächsten Wahlkampf auf das gefährlichste ankreiden konnte.
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Ich begrüße es, daß wir jetzt aus\ dieser Schulmeisterei heraus sind.
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Ich begrüße es, daß wir nunmehr dazu kommen, eine Sozialpolitik und eine Wirtschaftspolitik nichtsozialdemokratischen Gepräges auf die Beine zu stellen.
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Ich warne vor jeder klassenkämpferischen Ideologie. Ich warne vor der Gegenüberstellung Arbeiter und Bürger. Wenn es gute Bürger gibt, sind es die Arbeiter.
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Ich warne des weiteren davor, das, was gegen die Sozialdemokratie steht, mit einem „Anti" zu bezeichnen. Am „Antimarxismus" ist das sogenannte Bürgertum vor 1933 gescheitert. Meine sehr geehrten Herren von der Koalition und auch die Kollegen rechts von uns, sehen wir uns rechtzeitig nach einem „Pro" um. Wir haben jetzt das Wort „soziale Marktwirtschaft". Schön, machen wir daraus etwas!
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- Sehr richtig! Machen wir daraus etwas, was auch dem Mann auf der Straße einleuchtet! Mit Schlagworten allein ist es nicht getan. In diesem Sinne ist die Koalition naturnotwendig und ein klares Ergebnis, eine klare Schlußfolgerung aus einer demokratischen Wahl.
Was nun die Einzelheiten der Regierungserklärung anlangt, so möchte ich namens meiner Fraktion und auch von meinem persönlichen Standpunkt aus nur einige Punkte herausgreifen; sonst käme man mit einer normalen Redezeit selbstverständlich nicht aus.
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- Ich werde auf die Dinge eingehen, die uns am Herzen liegen, und nicht auf Dinge, wie sie die Kommunisten wünschen. Herr Reimann mag dann den Standpunkt der Kommunisten hier ebenso vertreten.
Meine Fraktion möchte zunächst einmal die Worte des Herrn Bundeskanzlers unterstreichen, daß der Gesetzgebung eine ungeheure Arbeit harrt. Darf ich als Jurist der Tendenz der Gesetzgebung einige Segensworte mitgeben. Wir stehen heute vor dem Trümmerhaufen der Gesetzgebung nicht nur wegen der Aushöhlung des einheitlichen deutschen Rechts, nein, vielmehr deshalb, weil alle diese Zwangsbewirtschaftungsgesetze bis zum heutigen Tage dem tatsächlichen Zustand in einer geradezu beklagenswerten Weise nachhinken. Es geht einfach nicht an, daß Dinge überall geschehen, als erlaubt hingenommen und auch von jedem in diesem Hause mitgemacht werden, die gesetzlich unter Strafe stehen.
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Es geht einfach nicht an, daß in der Presse offen von einem Schwarzen und Grauen Markt gesprochen wird.
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Das ist ein Unding, das ist eine Unterhöhlung der Achtung vor dem Gesetz, die zu Korruption, zu Egoismus schlimmsten Grades, ja eben zum Recht des Dschungels führt, wie wir es in den zurückliegenden Jahren in allen Klassen und Kreisen aufs traurigste erlebt haben und in gewissen Nachwehen auch heute noch erleben.
Dem hat die Bundesregierung nur zu steuern. Die Gesetze dürfen nicht gegen die Naturrechte des
Menschen, gegen das Recht auf Existenz verstoßen.
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Sie müssen so gehalten sein, daß jeder Anständige sie als selbstverständlich achtet und daß derjenige, der sie nicht achtet, nicht nur von dem unglückseligen Richter, der gestern noch selbst dagegen verstoßen hat, der Strafe zugeführt wird, sondern die allgemeine Verachtung als Gesetzesbrecher erfährt.
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Nur so ist eine Gesetzgebung moralisch zu rechtfertigen.
Ich komme nun zu einem Problem, das uns Schleswig-Holsteinern - ich darf das sagen, da ich Lübecker bin und aus dem Land stamme, mir also als Muß-Schleswig-Holsteiner ({26})
besonders am Herzen liegt, und hier glaube ich zugleich für die Schleswig-Holsteiner aller Parteien im Hause sprechen zu dürfen: zum Vertriebenenproblem.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen wir unsere Erfahrungen unseres kleinen, einem Machtspruch Englands seine Existenz verdankenden Ländchens Ihnen hier kurz unterbreiten? Das Vertriebenenproblem ist nämlich nicht nur ein Problem, das das Schicksal dieser unglücklichsten deutschen Mitmenschen berührt, sondern auch ein Problem der Einheimischen, wie ich Ihnen zeigen darf. Schleswig-Holstein, früher eine preußische Provinz, jetzt ein selbständiges deutsches Land, weist folgende Zahlen auf, die dem Statistischen Landesamt Schleswig-Holsteins entstammen. Bei einem Flächeninhalt von 6,4 Prozent des Bundesgebiets, bei einer Einwohnerzahl von 5,9 Prozent des Bundesgebiets ist der Anteil dieses Landes an Verkehrs- und Besitzsteuern nur 3,8 Prozent, an den Krediten für Privatwirtschaft nur 3,7 Prozent und an Spareinlagen je Kopf der Bevölkerung nur 3,8 Prozent der entsprechenden Zahlen des gesamten Bundesgebiets. Was die Spareinlagen anlangt, so hat Schleswig-Holstein je Kopf der Bevölkerung nach dem Stichtag vom 1. Oktober 1948 32 DM bei einem Bundesdurchschnitt von 48 DM, also genau zwei Drittel an Spareinlagen des gesamten Bundes. Das nächstniedrige Land ist Bayern, das immerhin 42 DM pro Kopf der Bevölkerung Spareinlagen hat, also für jeden Menschen in Bayern 10 DM mehr als Schleswig-Holstein. Woher kommt diese erschütternde Armut in dem Lande, das bisher niemals als Elends- oder Notstandsgebiet gegolten hat, das vielmehr auf seine Art friedlich und schön in einer herrlichen Landschaft mit Nord- und Ostseeküste leben und gedeihen konnte? Woher kommt sie? Eine einzige Zahl zeigt es Ihnen: bei einem Bevölkerungsanteil von 5,9 Prozent nach der letzten Volkszählung von 1946 wohnen in Schleswig-Holstein 38,2 Prozent aller Vertriebenen des Bundesgebiets,
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das heißt: knapp ein Sechzehntel der Gesamtbevölkerung ist von fast genau zwei Fünfteln aller Flüchtlinge, muß ich sagen, heimgesucht. Diese unglücklichen, ich muß schon sagen, an unsere Küsten gespülten Menschen hausen dort unter Umständen, die für sie selbst unerträglich sind und die das Zusammenleben mit den Einheimischen auf das äußerste erschweren.
Lassen Sie mich in diesem Hause, wie ich hoffe, unter Zustimmung unseres dänischen Vertreters Herrn Clausen, sagen: das ganze von Dänemark gesehen Süd-, von uns aus gesehen Nord-Schleswig({28})
Problem ist nichts anderes als ein Vertriebenenproblem. Denn das Zusammenwohnen in den ländlichen Bezirken ist auf die Dauer für beide Teile unerträglich, das muß schnurstracks auf lange Sicht zum Nihilismus führen. Es bleibt den Menschen, den Einheimischen fast ebensosehr wie den Vertriebenen, die keine Heimat finden können, gar nichts anderes, als im Nichts ihr Heil zu suchen. Diese Not ist so groß, daß die Bundesregierung von uns gebeten werden muß, von der Ermächtigung, durch Verordnung den Austausch zu regeln, sofort, ich möchte sagen, noch heute Gebrauch zu machen. Danach verlangt uns, weil wir andernfalls einem irgendwie gearteten Zusammenbruch in die Augen sehen müssen, der von uns aus natürlich gleich auf Niedersachsen übergreifen wird, wo die Verhältnisse zwar nicht ganz so liegen, aber schlimm genug sind, ebenso natürlich auf Bayern, das ebenso von südostdeutschen Heimatvertriebenen heimgesucht ist. Dieser Ausgleich ist vorderstes und erstes Gebot, das meine Fraktion von der Regierung verlangen muß.
Dann möchte ich ein Wort aus der Rede, oder sage ich besser aus dem Kolleg des Herrn Dr. Schumacher, nämlich über volkswirtschaftliche Lehrmeinungen aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts, das er vor diesem Hause gehalten hat, herausgreifen, ein Wort, dessen Unlogik bei einem professoralen Kolleg auffallend in die Augen springt.
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Herr Abgeordneter Ewers, darf ich Sie darauf aufmerksam machen: sämtliche Mitglieder des Hauses halten grundsätzlich nur Reden.
Ich bitte um Verzeihung! - Die Rede oder besser die Ansprache - darf ich das sagen? - des Herrn Dr. Schumacher enthielt folgenden Satz frappanter Unlogik. Er behauptete, daß die Frage der Oder-Neiße-Linie außenpolitisch überhaupt erst dann angeschnitten werden könne, nachdem wir Deutschen die Vertriebenen artgemessen untergebracht hätten. Die Unlogik liegt darin: in demselben Moment, wo uns das gelungen sein sollte, wo diese Quadratur des Zirkels zu Ende geführt sein sollte, wäre ja rein wohnpolitisch ein Grund dafür, uns die Oder-Neiße-Linie zurückzugeben, kaum mehr gegeben. Zwar betrachten wir diese Frage nicht nur wohnpolitisch, sondern wir sehen dieses Gebiet als deutsche Heimat, als ein Gebiet an, mit dem unsere Seele verbunden ist. Aber die Tatsache, daß wir die armen Ostdeutschen, soweit sie noch keine neue Heimat gefunden haben, angemessen und auf die Dauer befriedigend in dem Restdeutschland, das uns zur Zeit noch verblieben ist, gar nicht so unterbringen können, daß sie eine neue Heimat finden, sollte jedem klar sein, und die Regelung dieses Problems kann überhaupt gar nicht geschehen, ohne daß die Ostgrenze klar und deutlich zur Debatte gestellt wird. Diese Tatsache möchte ich als Abgeordneter eines der Länder, die ganz besonders von dem Flüchtlingsproblem betroffen sind, hier ganz klar herausstellen.
Neben dem Vertriebenenproblem ist dann noch für uns als weitere Bemerkung zur Rede des Herrn Bundeskanzlers ein Punkt zu berühren, den die Herren Vorredner auch schon angeschnitten haben und den ich deswegen auch nur ganz kurz erläutern möchte: das ist die Kategorisierung deutscher Menschen, die von den Besatzungsmächten vorgeschrieben und von einzelnen Deutschen mit, ach wie großer Begeisterung durchgeführt worden ist. Diese
Kategorisierung ist mit wahrhaft demokratischen Einrichtungen vollständig unvereinbar.
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Die Bestrafung von Schuld und von Vergehen ist Sache des Strafrichters. Da mögen politische Abteilungen im Gericht eingerichtet werden, die über diese Herrschaften, von denen wir alle wissen, daß sie sich zum Teil vergangen haben, zu Gericht sitzen und nach Recht und Gesetz bestrafen.
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- Es ist schön, daß Sie Dr. Schacht nennen. Der Name Dr. Schacht scheint einer der Bonbons zu sein , die Sie nicht herunterschlucken können. Dazu ein Wort. Dr. Schacht ist ein ganz typischer Fall. Er hat als hochintelligenter, kluger Wirtschaftsmann den Irrtum begangen, zu glauben, daß man durch den Beitritt zu einer totalitären Bewegung an dem Werdelauf irgend etwas zu ändern vermöge.
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Dieser Irrtum war leider Gottes weit verbreitet. Er hat aber im Gegensatz - ({3})
- Bitte, es ist mir nicht möglich, f gegen viele Schreier aufzukommen; gegen einen kann ich es vielleicht. - Sein Irrtum ist aber insofern von allen anderen Irrtümern, die Hunderttausende auch kluge Menschen begangen haben, deshalb scharf zu unterscheiden, weil er im Gegensatz zu den sonstigen Mit- oder Vorläufern den Absprung rechtzeitig getan hat,
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und zwar in einem Moment getan hat, bevor die vernichtenden Eingriffe in unsere deutsche Wirtschaft und insbesondere die Ausrottung der Juden 1 im November 1938 begannen. Er hat sich bis dahin schützend vor die Wirtschaft gestellt. Und er ist nicht nur abgesprungen. Es sollte auch den Kommunisten nicht verborgen geblieben sein, daß Herr Dr. Schacht in der Widerstandsbewegung nach 1938 eine Hauptrolle spielte; und wenn er nicht noch rasch vor dem 8. Mai 1945 abgemurkst worden ist, so ist das einem reinen Zufall zu verdanken. Er ist der typische Widerständler.
({5})
- Wenn man Tatsachen komisch findet, ist daran nichts zu ändern. Witze habe ich nicht gemacht; ich bin aber unter Umständen auch zu Witzen aufgelegt.
Ich habe die historischen Tatsachen kurz gekennzeichnet, und die Frage ist die, ob man ihm sein Verhalten vor 1938 oder nach 1938 in erster Linie ankreiden will. Im übrigen hat er keine Verbrechen begangen, und er gehört für mich als politisch Schuldiger außerhalb jeder Kategorisierung.
Dazu ein Wort. Ich wohne an der Ostgrenze vor dem Eisernen Vorhang. Von meiner Wohnung habe ich fünf Minuten Omnibusfahrt bis zum Eisernen Vorhang. Ich habe in meiner Person alles darangesetzt, um die Deutsche Partei in Schleswig-Holstein Fuß fassen zu lassen. Das mögen Sie als Schuld ansehen. Ich selbst sage: es ist ein hohes Verdienst, und ich werde auch nicht ablassen, wenn später einmal ein Gericht feststellen würde: es war Schuld. Was ich bedauere, ist, daß auch soviele frühere Nazis diese politische „Schuld" nicht bedingungslos anerkennen, daß sie ausweichen und daß selbst Hanns Johst es sich gefallen läßt,
({6})
als „Mitläufer" eingereiht zu werden. Das ist unmöglich. Nein, Mitläufer wäre ich ganz und gar nicht. Ich wäre schuldig an der DP in SchleswigHolstein, und diese Schuld würde ich vor jedem Forum verantworten und tragen.
({7})
- Es handelt sich um die Denazifizierung. Davon spreche ich nämlich jetzt.
({8})
- Nein, ich bin gar nicht so interessant, um Gottes willen!
Wir sind gegen die Kategorisierung und verlangen, daß man nur politisch „Schuldige" nicht mehr bestraft. Man bestrafe Vergehen gegen die Gesetze oder gegen die allgemeine Moral, aber keinen politischen Irrtum.
Dann noch ein anderes Wort, das hoffentlich nicht so viel Unruhe und Gelächter auslösen wird. Bei den Nachbarstaaten, mit denen wir uns abzufinden haben, hat der Herr Bundeskanzler das Land Österreich unerwähnt gelassen. Das ist vielleicht richtig, weil unsere Beziehungen zum Lande Österreich ja keineswegs rein außenpolitischer Art sind. Das Land Österreich ist ein Land, das nicht nur der Zunge, sondern auch der Kultur nach zu uns als Brudervolk gehört. Meister wie Mozart, Bruckner, Grillparzer, Schubert oder Hofmannsthal
({9})
sind deutsche Genien österreichischer Herkunft, genau so wie es deutsche Genien von allen möglichen Herkünften gibt. An dieser Tatsache sollen staatliche Grenzen niemals etwas ändern.
Nun zum Schluß der Regierungserklärung! Unsere Mitarbeit an der Regierung hängt davon ab, daß die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über den sozialen Charakter seines Kabinetts nicht nur Worte bleiben, sondern erfüllt werden. Wir sind uns klar darüber, daß weite Kreise der Arbeiterschaft uns gewählt haben. Ich brauche die Herren aus Schleswig-Holstein an die einzelnen Zahlen der Wahlkreise nicht zu erinnern. Sie haben dort eine Art Schockwirkung ausgelöst. Dennoch lehnen wir es mit aller Entschiedenheit ab, uns etwa „Arbeiterpartei" nach dem Vorbild der NSDAP zu nennen. Denn wir sind im schärfsten Gegensatz zur SPD der Meinung, daß es gänzlich unmöglich ist, für einen einzelnen Stand auf Kosten anderer Stände irgendwelche Erfolge zu erzielen. Wir sind nicht nur für die Arbeiter, sondern mit der gleichen Entschiedenheit für die Landwirte, für die Gewerbetreibenden, für die Kaufleute, für die Gelehrten, für die freien Berufe. Die Abwägung, wie man diese Stände zum Zuge kommen läßt, das ist die Kunst der Politik des Innern. Darüber mag später das Nötige gesagt werden. Wir sind uns aber vollkommen darüber klar: ein Kabinett, das etwa gegen die Interessen des volkreichsten Standes, des Arbeiterstandes, regieren wollte, würde sich selbst sein Grab schaufeln.
({10})
- Es wird es nicht. Prophezeien ist sehr gefährlich, Herr Professor! Hitler hat auch sehr viel prophezeit. Man kann sich dabei in die Nesseln setzen.
Nun dazu das eine Wort des Vorbehalts. Der Herr Bundeskanzler sprach von den Besitzverhältnissen an der Schlüsselindustrie im Ruhrgebiet. Wenn damit etwa gemeint sein sollte, die Besitzverhältnisse sollten sich in dem Sinne ändern, daß sie zum Teil wenigstens einem Kollektiv der Belegschaft zugeführt werden, so glauben wir, damit würde der Arbeiterschaft ein sehr schlechter
Dienst erwiesen werden, wohl aber vielleicht den Funktionären der Arbeiterschaft.
({11})
Wir möchten daher vor einer solchen Manipulation ebenso wie vor einer Kommunalisierung dieser Betriebe nachdrücklich warnen.
({12})
- Nein, ich bin keiner.
({13})
- Ja, wir passen ausgezeichnet hinein. ({14})
Meine Damen und Herren! Nun noch ein allgemeines Wort im Anschluß an die Erklärung der Bundesregierung zu dem, was nach unseren Eingangsworten unser Wollen und Wesen ist und wieso wir, um mit Herrn Renner zu sprechen, vorzüglich in die Koalition passen. Über unsere Deutsche Partei sind in der Presse - in einer gewissen gegnerischen Presse, insbesondere aber auch in der ausländischen lizenzierten Presse - soviele unsinnige Torheiten verbreitet worden, daß man glauben müßte, unsere Partei setze sich außerhalb Hannovers aus nackten und klaren Idioten zusammen.
({15})
Es ist immer gefährlich, den politischen Gegner zu unterschätzen. Man tut eher gut daran, ihn zunächst für klüger zu halten, als er ist.
({16}) Wir sind keine Idioten.
({17})
Es ist kein Geheimnis, daß die Deutsche Partei ihre Wiege in Niedersachsen hat. Es sollte aber allen Menschen mit einiger Verstandesklarheit mittlerweile ruchbar geworden sein, daß sie eine Partei ist, die sich über die Landesgrenzen hinaus verbreitet und dabei ihr Wesen irgendwie wandeln muß; denn daß wir in Schleswig-Holstein für hannoversche Belange eintreten sollten, das wäre ja eine Zumutung, die geradezu grotesk ist.
({18})
Das liegt uns in der Tat gänzlich fern. Uns hat daher schon sehr früh bei der NLP ihr deutsches Programm angezogen, und wir haben in dieser Partei etwas gesehen, was dem deutschen Wähler, der sich bis dahin politisch heimatlos fühlte, fehlte. So haben wir uns dieser Partei angeschlossen, die jetzt in der Regierung ist, zur Pflege nicht der Masse, sondern des deutschen . Menschen als vornehmsten Trägers unserer Staatspolitik, des deutschen Menschen, der naturrechtlich, darf ich sagen, kraft göttlichen Gebots an seine Heimat gebunden ist, in der Familie aufwächst, dem Stamme angehört und der im Stamm zum deutschen Volk zusammenwächst.
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Dieser Naturverbundenheit stehen aber Pflichten gegenüber, und zwar dem Freiheitsrecht die Duldungspflicht. Freiheit - das bitte ich jedermann sich hinter die Ohren zu schreiben - darf nur begehren, wer sie gewähren will. Und die Duldung ist das erste Gebot der Freiheit. Die Haltung, die wir so einnehmen, mag man als ethischen Konservatismus bezeichnen. Diesen Namen in der Firma zu führen, lehnen wir entschieden ab; denn eine Verwechslung mit ostelbischem Reaktionärtum ist uns meilenfern. Wir sind gegenwartsnahe und zukunftsgläubig und haben mit der Vergangenheit nichts anderes zu tun, als daß wir bewahren möchten, was echten und guten deutschen Wesens ist.
({20})
Wir bekennen uns insbesondere zu der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers über die entschiedene Abkehr von allen antidemokratischen Richtungen. Wir sind eine Partei der deutschen Demokratie oder des demokratischen Deutschlands, und zwar ist die Betonung auf beiden Wörtern, auf Beiwort und Hauptwort, gleich stark. Wir lehnen die Nachäffung ausländischer demokratischer Formen, seien sie von England, von Amerika oder von Frankreich angepriesen, durchaus ab. Wir wollen eine Demokratie deutschen Wesens und deutschen Gepräges bilden.
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- Daran soll keineswegs die Welt genesen, sondern unser Volk soll endlich einmal zur Ruhe und Genesung kommen. Diese Demokratie muß, mit dem akademischen Ausdruck des Herrn Dr. Schumacher gesprochen, in der Tat „Angelegenheit deutscher Herzenswärme" werden, wenn sie je gedeihen soll. Verordnet durch Paragraphen oder vorgeschrieben durch Besatzungsmächte kann sie nicht allein werden, sondern diese deutsche Herzenswärme gilt es hervorzurufen. Wir, die wir auf der rechten Seite des Hauses stehen, sehen unsere Hauptaufgabe darin, den deutschen Menschen, insbesondere den jungen deutschen Menschen, an demokratische Staatsformen zu gewöhnen, ihn um Gottes willen nicht zu schulen, denn geschult sind wir langsam genug, sondern ihn dahin zu führen, daß er darin nichts Verächtliches sieht. Die Schulung, die wir die letzten vier Jahre unter dem Segen der Besatzungsmächte und unter dem Treiben demokratischer Stümper durchgemacht haben, war nicht gerade sehr verheißungsvoll.
Wenn hier von einer nationalrevolutionären Bewegung gesprochen worden ist, so ist das selbstverständlich übertrieben. Es beruht darauf, daß, wenn irgendein späterhin vor Gericht als nicht verantwortlich erkannter Zwischenrufer oder Redner einer Versammlung etwas ausgemacht Törichtes und Dummes gesagt hatte, die Weltpresse davon widerhallt. Von meinen Reden, die ich in Versammlungen gehalten habe, ist fast nie - ({22})
Das wäre eine Reklame gewesen. Das dagegen war Verächtlichmachung des politischen Gegners. Herr Wunnerow ist eine bekannte Persönlichkeit geworden, aber er fiel unter § 51 und konnte nicht bestraft werden. Derartige Methoden der politischen Propaganda lehnen wir weit ab.
Was aber in diesem Zusammenhang die Jugend anlangt, so steht die Jugend weder links noch rechts, sondern sie steht politisch vielleicht überall. Sie verweilt in Massen auf den Fußballplätzen. Und das ist vielleicht ganz gut so. Wenn Sie aber wissen wollen, was wohl die Jugend von ganz links bis ganz rechts nicht mehr will, so will ich Ihnen das sagen: sie will nicht mehr Schlagworte.
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Sie hat die Ohren noch voll; noch heute dröhnen ihr die vielen Spruchbänder und Lautsprecheranlagen des Dritten Reiches in den Ohren. Danach ist der große Trümmerhaufen gekommen. Mit Schlagwörtern ist gar nichts gedient, wohl aber mit Haltung und mit Vorbild.
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- Lachen Sie nur, Herr Renner! Wenn Sie darüber
lachen, wird die Jugend Ihnen nicht folgen. Bewahren Sie lieber Haltung! Das ist viel gesünder für
Ihre Richtung. Diese Haltung und dieses Vorbild ist
die Erfahrung aus sechs Kriegsjahren, die die Jugend gemacht hat. Denn sie weiß ganz genau, ob
derjenige, der vor ihr steht, nur ein Achselstückträger oder ein Kerl ist. Diese Unterscheidung: Kerl oder Vorgesetzter, ist ihr im Blute; und danach folgt sie. Seien Sie versichert, wenn Sie der Jugend Aufblick und Achtung und Ehrfurcht einpauken können, nicht durch Lehrgänge,
({25})
sondern durch Haltung, dann haben Sie sie zu einem großen Teil gewonnen. So unsere Erfahrung, die ich auf Kosten der eigenen Partei zum besten gebe.
({26})
Und was die Demokratie anlangt, so muß für sie genau das gleiche gelten.
({27})
- Herr Dr. Schmid, bitte, hören Sie jetzt einmal ganz genau zu, ohne Zwischenrufe!
({28})
Die Demokratie der Weimarer Zeit ist an ihrer Haltungslosigkeit, ich möchte sagen, an ihren ungebügelten Hosen zugrunde gegangen.
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Wir deutschen Menschen und gerade die unpolitische Masse will einen Aufblick haben, sie will verehren, sie will sagen: Hier wird repräsentiert.
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Sie achtet auf die Haltung, die man ihr von der demokratischen Führung entgegenbringt.
Leider Gottes begann unsere Geburtsstunde als eigener Staatskörper mit einer ganz tief bedauerlichen Haltungslosigkeit. Als der Herr Bundespräsident Heuss gewählt war, hat es die Linke für möglich gehalten, in ihm nur den Mann und nicht den Träger unserer Staatsgewalt zu sehen. Als er durch Erheben von den Plätzen geehrt wurde, blieb sie geschlossen sitzen. Das ist eine Haltungslosigkeit, die in unseren Reihen tiefste Empörung ausgelöst hat.
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Davor warne ich nachhaltig. Wir hätten umgekehrt, wenn einer Ihrer Herren gewählt worden wäre, nicht die Person, sondern den Staatsmann gegrüßt, der unser Staatsoberhaupt ist. Eine solche Haltung müssen wir in einer wahrhaften deutschen Demokratie unter allen Umständen verlangen. Nur wenn das gewahrt wird, kann ich sagen, daß die Möglichkeit gegeben ist, daß demokratisches Wesen eine „Angelegenheit der warmen Herzen" wird, wie Herr Dr. Schumacher es bei der Einheit Deutschlands gewünscht hat. Das ist die Voraussetzung für unser Leben, nicht das, was Gesetze vorschreiben, sondern, wie Herr Dr. Schäfer gesagt hat, was Brauch und Sitte und Anstandsgefühl für richtig halten.
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Das ist das, was die Menschen formt und was die Dinge gestaltet. Nicht das, was eine Partei durch Gesetzesparagraphen oder Druckpapier zum besten gibt, wirkt, sondern das, was die Menschen erleben und was ihnen in Fleisch und Blut übergeht.
So sehen wir die Möglichkeit einer deutschen Demokratie durchaus gegeben, wenn alle wahrhaft demokratischen Parteien - die Kommunisten schließe ich ausdrücklich aus - sich nur in der Haltung einig sind, daß wir, ganz anders als in der Weimarer Zeit, die Demokratie nicht als eine, sagen wir einmal, rein genossenschaftliche Gesamtwirtschaft ansehen, sondern als ein Staatswesen, das etwas auf sich hält.
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Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz persönlich, nicht für meine Fraktion, eine Frage an die Herren dieses Hauses richten: Soll eigentlich, solange der Bundestag überhaupt tagt, die Flaggengala da draußen wehen? Mir ist das zu festlich. So etwas, was am Anfang zu Recht geschehen ist, sollte für den Feiertag aufgespart werden. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß die Bundesflagge hier auf dem Hause weht, wenn wir tagen. Das Haus ist dann eben besetzt. Ich bitte aber zu prüfen - ich sage das ganz offen -, ob die Flaggengala da vorn dem Ansehen unseres Bundestags und unserer Republik auf die Dauer nützlich ist, ob es zweckmäßig ist, wenn hier dauernd festlich geschmückt ist. Man kann darin auch zuviel tun.
Nun noch eins, und damit komme ich auf den Punkt, den wir schon durch Zwischenrufe berührt haben. Auch die Demokratie braucht Symbole. Was die Farben Schwarz-Rot-Gold, die im Fahnentuch leider nur schwarz-rot-gelb sein können, anlangt,
({34})
so ist gegen diese Farben historisch wenig einzuwenden.
({35})
Herr Abgeordneter, Sie haben - ({0})
- Jetzt lassen Sie mich bitte sprechen, sonst kann ich die Angelegenheit nicht regeln. - Herr Abgeordneter, Sie haben von den Farben Schwarz-RotGelb gesprochen. Haben Sie damit die Farben der Bundesrepublik Deutschland gemeint?
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Ich habe gesagt: Die Farben SchwarzRot-Gold lassen sich im Fahnentuch leider nur als schwarz-rot-gelb darstellen.
Ich bitte, Ihre Worte zu wiederholen.
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Ich habe gesagt: Die Farben SchwarzRot-Gold, die im Fahnentuch leider nur in schwarzrot-gelb darzustellen sind.
({0})
Herr Abgeordneter Ewers, Ihre Ausführungen sind derart gestaltet, daß sie den Eindruck erwecken müssen, als wollten Sie eine Kritik an den verfassungsmäßig festgelegten Farben der Bundesrepublik Deutschland üben. Die verfassungsmäßigen Farben der Bundesrepublik Deutschland sind Schwarz-Rot-Gold. Ich bin nicht geneigt, eine andere Bezeichnung dieser Farben hier zuzulassen.
({0})
Mir hat es völlig ferngelegen - das wäre eine Haltungslosigkeit -, gegen die im Grundgesetz festgelegten Farben unseres Staates irgend etwas sagen zu wollen. Ich habe nur erklären wollen, daß in weiten Schichten unserer Wähler diese
Farben leider - wiederum mit den Worten Dr. Schumachers - nicht Angelegenheit deutscher Herzenswärme sind, ohne daß - das möchte ich betonen - gegen diese historisch völlig einwandfreien Farben irgend etwas zu sagen wire.
({0})
Daß wir kein Bundeslied haben, ist tief bedauerlich, und ich weiß nicht, was die Linke hindert, das von ihrem Reichspräsidenten Ebert uns geschenkte Nationallied wieder einzuführen. Ich halte es für einen Ausdruck unseres deutschen Wesens auch in einem friedfertigen und durchaus in Europa sich einzureihen bestrebten deutschen Vaterland.
({1})
Ich komme nunmehr zum Schluß. Meine Damen und Herren! Es lag mir ob, für meine Fraktion zu erklären, in welchem Geiste wir an der Regierung teilzuhaben entschlossen sind, damit Sie genau wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Seien Sie versichert: reaktionär sind wir in keiner Weise.
({2})
Die Vergangenheit ist vergangen, und nichts in uns ist bereit, Vergangenes wiederherzustellen.. Wir schauen in das neue Land der Zukunft, und wir hoffen und vertrauen, daß mit der nunmehr gebildeten Bundesregierung die ersten Schritte in diese noch wolkenverhangene Zukunft für das gesamte deutsche Volk nicht ohne Segen sein werden. Darf ich meine Ausführungen mit dem kurzen Ausruf Goethes schließen: Wir heißen euch hoffen!
({3})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Seelos.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bevor ich zur Regierungserklärung selbst Stellung nehme, möchte ich grundsätzlich über den Rahmen sprechen, in dem eine Arbeit der Bayernpartei im Bunde möglich erscheint. Die Bayernpartei begrüßt die Gelegenheit, um hier vor dem Forum Deutschlands und der Welt eine Frage anzuschneiden, die durch die Ablehnung der Bonner Verfassung durch Bayern entstanden ist: die bayerische Frage. Die bayerische Frage wird so lange nicht mehr aus der Politik ausscheiden, als nicht die Beziehungen zwischen dem Bund und Bayern neu geregelt sind. Wir erklären mit Nachdruck, daß auch wir Bayern Deutschland wollen. Wir haben nur eine andere Auffassung von seiner verfassungsrechtlichen Gestaltung, die sich aus den harten Lehren der deutschen Geschichte ergibt. Die immer größere Machtanballung unter preußisch-deutscher Führung hat uns nacheinander zwei Weltkriege gebracht. In einer föderalistischen Gestaltung des neuen Bundes sehen wir gerade auch für Deutschland, an dem wir von ganzem Herzen hängen und zu dem wir uns in Freud und Leid bekennen, die beste Friedenssicherung. In einem solchen wahrhaft föderalistischen Deutschland wird sich der bayerische Staat und das bayerische Volk wohlfühlen, weil er uns der Notwendigkeit enthebt, immer nur auf der Wacht und in der Sorge um unsere staatliche Existenz zu sein und uns damit in eine Abwehrstellung zu drängen, die wir gar nicht wollen. Bayern ist in wenig veränderten Grenzen seit 1400 Jahren ein selbständiger Staat gewesen,
({0})
bis ihn Hitler 1933 zu einer Provinz degradierte. Die Hüterin des bayerischen Staatsgefühls ist die Bayernpartei geworden,
({1})
({2})
die bei den Bundeswahlen einen eindrucksvollen Vertrauensbeweis des bayerischen Volkes für ihre föderalistische Ideologie bekommen hat.
({3})
- Herr Carlo Schmid, hören Sie auf, der Sie sich da unten in einem von den Alliierten geschaffenen Kleinstaat die Allongeperücke des Duodezfürsten als Staatspräsident aufsetzen wollten!
({4})
Obwohl die Stärke der Bayernpartei bereits vor Beginn der Bonner Verhandlungen durch Wahlen erwiesen war, ist sie gegen jede demokratische Art von den Bonner Verfassungsberatungen völlig ausgeschlossen geblieben. Wir sind daher nicht für diese Verfassung verantwortlich, die die Staatlichkeit Bayerns weitgehend aushöhlt und einem übermäßigem Zentralismus Tür und Tor öffnet.
({5})
Wir Bayern sehen aber in einem zentralistischen Kommandostaat preußischer Prägung,
({6})
auf den die Tendenzen der Bonner Verfassung hinweisen, - ({7})
Herr Dr. Seelos spricht in seiner Eigenschaft als Abgeordneter der Bayernpartei. Ich darf das noch einmal feststellen.
({0})
- auf den die Tendenzen der Bonner Verfassung hinweisen, eine politische Gefahr, da er das Aufgehen Deutschlands in Europa und den Zusammenschluß zu einer europäischen Gemeinschaft hemmt oder gar verhindert, weil er insbesondere eine ehrliche Versöhnung und dauernde Verständigung zwischen Deutschland und Frankreich erschwert, ohne die wir nie zu einer wahrhaft europäischen Gemeinschaft und einer aufrichtigen Friedensatmosphäre in der Welt kommen.
({0})
Man soll sich nicht mit den Lippen zum europäischen Gedanken bekennen, wenn man gleichzeitig durch Förderung eines zentralistischen Staates das Mißtrauen der Welt erregt.
({1})
Nur ein föderalistisches Deutschland, für das wir leidenschaftlich kämpfen, bietet die Garantie für ein friedliches Deutschland.
({2})
Nur ein friedliches Deutschland kann Mitglied der europäischen Völkerfamilie sein.
({3})
Deutschland wird deshalb föderalistisch sein, oder es wird nicht sein!
({4})
Das Bonner Grundgesetz, das in vielem eine Fortsetzung der Weimarer Verfassung darstellt, schließt durch seine zentralistische Gestaltung andere deutsche Länder wie Österreich auf immer aus der deutschen Gemeinschaft aus. Gerade wir Bayern aber können deutsche Dinge nie betrachten, ohne
auf Grund unserer engen stammesmäßigen Beziehungen zwischen Bayern und Österreich
({5})
an die Auswirkung und den Eindruck in Österreich zu denken.
({6})
Die gleichen preußisch-deutschen Kreise, die schon 1866 Österreich aus dem Deutschen Bund getrieben haben, waren in Bonn wieder am Werk.
({7})
Wir haben volles Verständnis, wenn die Preußen
ihre Hauptstadt Berlin immer wieder in den Vordergrund ihrer Betrachtungen und Sorgen stellen,
({8})
lassen Sie uns aber das Recht, daß unser Herz warm schlägt für unser Brudervolk Österreich!
({9})
- Na, von der Gegenbewegung wollen wir auch reden!
({10})
Wir Bayern sehen nur in einem baldigen Aufgehen in Europa einen endgültigen Schutz vor den gefährlichen Tendenzen eines neuen preußisch-deutschen Machtstaates. Weil wir in diesem Bekenntnis zum föderalistischen Deutschland eine Existenzfrage des deutschen und des bayrischen Volkes sehen, bekämpfen wir die zentralistische Bonner Verfassung.
({11})
Sie ist uns durch die Bestimmungen der Londoner Dokumente vom 1. Juli 1948 aufgezwungen worden, wonach zwei Drittel der Länder die anderen zwingen, die Verfassung anzunehmen. Ein Staat kann aber nicht durch Mehrheitsbeschlüsse zur Einbuße oder Aufgabe seiner Staatlichkeit gezwungen werden.
({12})
Die Bayern-Partei wird deshalb eine Neuregelung der Bundesverfassung im föderalistischen Geist bei erstgegebener Gelegenheit aufgreifen.
({13})
Wir werden dann in freiwilliger Vereinbarung, und nicht gezwungen wie jetzt, dem Bund alle notwendigen Rechte zugestehen.
({14})
Wenn die Bayern-Partei trotz dieser ablehnenden Haltung zur Verfassung durch Abgeordnete im Bundestag vertreten ist, so deshalb, um die wenigen föderalistischen Möglichkeiten der Bonner Verfassung auszuschöpfen, um die zentralistischen Tendenzen, die in diesem Hause so stark vertreten sind, möglichst zurückzudrängen und die selbstverständlich gewordene Benachteiligung Bayerns in wirtschaftlicher und finanzieller Hinsicht zum Ende zu bringen.
({15})
Ich will nun zum Kabinett des Herrn Bundeskanzlers selbst sprechen. Wir haben dem Kabinett Dr. Adenauer in völliger Unvoreingenommenheit entgegengesehen, da wir es als die logische Konsequenz der letzten Jahre betrachten. Wir haben den verschiedenen Anregungen, in das Kabinett einzutreten, nicht nachgegeben,
({16})
({17})
um die Bewegungsfreiheit für die Durchsetzung unserer föderalistischen Ziele und Forderungen innerhalb dieser Regierung nicht zu verlieren.
({18})
Die Zusammensetzung des Kabinetts und auch die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers haben unsere Bedenken voll bestätigt. Das Bundeskabinett wird allein durch die Zahl der Ministerien
({19})
mit ihren neuen Aufgabengebieten zu einer immer stärkeren Machtzusammenballung im zentralistischen Sinn führen.
({20})
Die Regierungsbank kann die Fülle der Minister nicht mehr fassen. Kein Mensch konnte diese Inflation voraussehen.
({21})
Die Empfehlungen des Organisationsausschusses, in dem wochenlang die besten Sachverständigen sich über die Zweckmäßigkeit und Zahl der Ministerien unterhalten und diese auf neun bzw. zehn festgesetzt haben, sind einfach beiseite geschoben
worden.
({22})
Es handelt sich hier aber nicht bloß um die Personen der Minister, sondern jeder von ihnen hat im Gefolge eine Schar von neuen Bürokraten.
({23})
Wie man bei der Not unseres Volkes eine solche Aufblähung des Regierungsapparats verantworten kann, ist uns unverständlich.
({24})
Wenn uns von seiten des Herrn Bundeskanzlers versichert wird, daß es sich bei einigen Ministerien nur um vorübergehende Erscheinungen handelt, so möchten wir darauf hinweisen, daß Baracken bekanntlich am längsten stehen.
({25})
Was meinen Sie mit Baracken?
Baracken sind etwas Vorübergehendes; sie halten aber immer länger, als eigentlich geplant.
Ich möchte Sie nochmals fragen: Sie meinten damit die Ministerien, die seitens des Herrn Bundeskanzlers als vorübergehend genannt wurden?
Das war nur die Einrichtungsdauer.
Herr Abgeordneter, ich bitte, mit solchen Vergleichen doch in Zukunft etwas vorsichtiger zu sein.
Mit Erstaunen haben wir festgestellt, daß innerhalb des Kabinetts dem Reichsministerium des Innern der erste Platz unter den Ministerien zugewiesen wurde.
({0})
Da bereits die wichtigsten Sachgebiete - das
Flüchtlingswesen, die gesamtdeutsche Frage, die
Angelegenheiten des Bundesrats - in eigenen Ministerien organisiert sind, können wir nicht einsehen, wozu man dem Innenministerium ein solches Gewicht gibt, nachdem doch die Fragen der inneren Verwaltung und der Polizei zur Zuständigkeit der Länder gehören. Wir müssen fast vermuten, daß man auf dem Gebiet der inneren Verwaltung und der Polizei einen Einbruch in die wenigen verbliebenen Hoheitsrechte der Länder vorhat. Wir werden deshalb die Arbeit des Bundesinnenministeriums mit größter Sorgfalt verfolgen.
({1})
Das Kabinett enthält nicht weniger als fünf Über-Ministerien, nämlich für die Angelegenheiten des Marshallplans, für den Wohnungsbau, für die Vertriebenen, für die gesamtdeutsche Frage und für die Angelegenheiten des Bundesrats. Wenn wir angesichts der entscheidenden Bedeutung der Flüchtlingsfrage einem Flüchtlings-Ministerium zustimmen, so sehen wir in der Schaffung von vier weiteren Über-Ministerien nur eine sehr große Erschwernis der Regierungsarbeit, die sich weitgehend in Kompetenzstreitigkeiten und Zuständigkeitsschwierigkeiten erschöpfen kann. Selbstverständlich handelt es sich hier um lebenswichtige Aufgaben, aber sie können sich nach erprobter Regierungspraxis viel besser im Rahmen von Staatssekretariaten oder durch Ministerialdirektoren behandeln und zu einem sachgemäßen Ende bringen lassen. Wir fürchten, daß in dem allzu großen Zuständigkeitskampf der Bundesministerien dann wiederum die Rechte der Länder zu kurz kommen, wenn sie sich dann anmelden, um auch in den Zuständigkeitsfragen hinsichtlich der Länder gehört zu werden.
({2})
Es ist bedauerlich, daß die Schaffung dieser neuen Super-Ministerien nicht aus ernsthaften staatspolitischen Notwendigkeiten, sondern aus dem durchsichtigen Geltungsbedürfnis von politischen Gruppen geschehen ist. Die Errichtung eines Bundesministeriums für Angelegenheiten des Bundesrats ist für uns noch keine Garantie für die Lösung der föderalistischen Frage, die wir nur in der materiellen Berücksichtigung der Länderansprüche sehen.
Zu der personellen Zusammensetzung des Bundeskabinetts müssen wir darauf hinweisen, daß uns der föderalistische Charakter der Regierung gefährdet erscheint, wenn so ausgesprochene Zentralisten wie Herr Storch und Herr Kaiser daran teilnehmen.
({3})
Herr Storch hat in Frankfurt die Interessen der Länder in keiner Weise berücksichtigt und ihnen, ohne für eine Deckung zu sorgen, schwerste Lasten aufgebürdet. Bei dem Ministerium für gesamtdeutsche Fragen werden wir sehr darauf achten, daß es nicht zu einem Ministerium zur Liquidation der deutschen Länder wird.
({4})
Wenn wir schon Meldungen lesen, daß dieses Ministerium ganz oder zum Teil nach Berlin kommen soll,
({5})
dann stimmt uns das doppelt zur Vorsicht. Will man hier eine Zweiteilung des Kabinetts auf kaltem Wege machen, teilweise mit Sitz in Bonn, teilweise mit Sitz in Berlin, und dann noch die anderen Behörden sogar in Frankfurt, oder will man einen Teil der Regierung der Kontrolle des Bundestags und des Bundesrats entziehen? Wir mel({6})
den dann jetzt schon unsere schärfste Opposition an.
({7})
Das Kabinett Adenauer trägt mit den Antipoden Storch und Kaiser auf der einen Seite, Hellwege und Schäffer auf der anderen Seite ein föderalistisch-zentralistisches Janusgesicht.
({8})
Wir können nur hoffen, daß das milde Gesicht des Föderalismus uns öfter zulächelt.
(Abg. Strauß : Sie meinen damit wohl
Ihren eigenen Kopf?
Fast kann man sich des Gedankens nicht erwehren, daß ein Föderalist innerhalb des Kabinetts, in dem er auch zentralistische Regierungserklärungen und Maßnahmen mitmachen und billigen muß, ungefährlicher ist und besser an die Leine genommen werden kann als nur innerhalb der Fraktion.
({9})
Meine Damen und Herren! Wenn ich nun zu dem materiellen Inhalt der Regierungserklärung Stellung nehme, so möchte ich folgendes sagen: Der ganze Tenor der Regierungserklärung, die ja sicherlich aus einem Guß war und fast alle Probleme gestreift hat,
({10})
ist mir vorgekommen, als ob er doch etwas der inneren Herzenswärme entbehren würde. Sie war eiskalt.
({11})
Auch die anderen Erklärungen der größten Parteien, sowohl der Oppositionspartei, der SPD, und dann der Regierungspartei, der CDU, haben nicht die innere Leidenschaft in sich getragen,
({12})
die das Volk nach 17 Jahren Elend und nach 10 Jahren von Blut und Tränen hätte erwarten können. Man hätte glauben mögen, das ganze Leben des einzelnen würde nur aus materiellen Dingen bestehen.
({13})
Fast nie hat man die Gesamtproblematik ansprechen hören, die uns in dieses grauenvolle Unglück gebracht hat.
({14})
Fraglos handelt es sich bei den Problemen eben nicht bloß um materielle, sondern um geistige Dinge, die wir verarbeiten müssen. Es ist in der Regierungserklärung und bei den großen Parteien fast nur die Spannung sozialer Art, auch materieller Art angesprochen worden, ebenso die Spannungen zwischen Opposition und Regierungsparteien, aber nie die Spannungsverhältnisse zwischen dem Bund und den Ländern.
({15})
Warum sind wir denn in dieses Unglück gekommen? Nicht weil es vielen unter den Nazis vielleicht materiell schlecht ging, sondern weil es zu dieser zentralen Machtanballung gekommen ist, nachdem die Stimmen der einzelnen Länder vernichtet worden sind, die sich vielleicht diesem nationalistischen, imperialistischen Machtstreben der Nazis hätten entgegenwerfen können.
({16})
- Ja, und in Berlin waren die größten Nazis! ({17})
Meine Damen und Herren, nachdem die Zwischenphase der Zwischengespräche beendet ist, fährt der Herr Abordnete Dr. Seelos fort.
Wir haben die Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers sorgfältig danach geprüft, ob wir eine Ausschöpfung der wenigen in der Bonner Verfassung vorhandenen föderalistischen Tendenzen erwarten können. Wir sind in dieser Hoffnung tief enttäuscht worden.
({0})
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner 11/2stündigen Rede die föderalistischen Dinge fast nur in einem Satz behandelt, während er in den anderen Ausführungen nur auf die materiellen Spannungsverhältnisse eingegangen ist. Durch die Unterstreichung der Redner der Regierungsparteien, die auch kaum von föderalistischen Dingen oder von den Sorgen der Länder gesprochen haben - nicht einmal der Redner der Deutschen Partei -, sind wir sehr besorgt, in diesem Hause hier unsere föderalistischen Ziele noch zur Verwirklichung bringen zu können. Insbesondere ist auch .der Redner der FDP ja noch über die Bonner Verfassung hinausgeschossen, indem er die Regelung der Finanzhoheit so scharf kritisiert hat. Es ist nicht richtig, daß die Alliierten etwa dieses Recht der Finanzhoheit der Länder angemeldet hätten. Wir Bayern haben handfeste Forderungen in dieser Hinsicht gestellt.
({1})
Wir hörten in der Regierungserklärung fast nur davon, daß die kulturellen Zuständigkeiten der Länder gewahrt werden sollen. Von all den anderen Gebieten, die genannt worden sind und die nach der Verfassung zur konkurrierenden Gesetzgebung der Länder gehören, wurde es gerade als eine Selbstverständlichkeit betrachtet, daß hier die Zuständigkeit des Bundes in Anspruch genommen werden soll. Wir haben nie ein Wort von der Eigenstaatlichkeit der Länder gehört.
({2})
Wir haben nie davon gehört, daß vom Bund geredet worden ist, sondern nur vom Staat. Da müssen wir sagen: Herr Bundeskanzler, wir sind hellhörig in solchen Dingen, und wir sehen mit Sorge der weiteren Entwicklung der Regierungspolitik in föderalistischer Hinsicht entgegen.
Herr Dr. Adenauer, Sie sind nicht Reichskanzler, Sie sind Bundeskanzler!
({3})
Diese Besorgnis wird dadurch unterstrichen, daß der Herr Bundeskanzler erklärt hat, die Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats fortsetzen zu wollen.
({4})
Viele Maßnahmen der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung sind in Bayern auf schärfste Ablehnung gestoßen, weil sie von einem mangelnden Verständnis für die bayrischen Notwendigkeiten getragen sind
({5})
({6})
und weil sie rücksichtslos die zentralen Machtmittel gegenüber Bayern ausgenützt haben. Die Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats hat sich durch verhängnisvolle Widersprüche ausgezeichnet und durch eine Zweigleisigkeit in der Behandlung der gewerblichen und der agrarischen Wirtschaft. Dort verfolgte man die Lockerung und Aufhebung der Zwangswirtschaft, hier, entgegen der tatsächlich bestehenden Lage, die Beibehaltung der Zwangswirtschaft.
Wenn vollends der Herr Bundeskanzler auf dem Gebiet der Ernährung und Landwirtschaft eine neue Linie der Intensivierung der zentralen Zuständigkeiten ankündigt, so sehen wir hier bereits die verhängnisvollen Folgen von Artikel 74 Ziffer 17, in der ganz allgemein und ohne Einschränkung die Förderung der Agrarwirtschaft und der land- und forstwirtschaftlichen Erzeugung der konkurrierenden Zuständigkeit des Bundes überwiesen wird. Diese Bestimmungen wurden gegen die schärfsten Warnungen des Bayrischen Bauernverbandes in die Verfassung aufgenommen, nur weil die Frankfurter Bürokratie diese Bestimmungen zur Ausweitung ihrer künftigen Zuständigkeiten brauchte. Wir hatten gehofft, daß von diesen Zuständigkeiten nur in sparsamster Form Gebrauch gemacht werden würde. Nun aber sehen wir aus der Ankündigung des Herrn Bundeskanzlers, daß eine gefährliche Offensive gegen die Zuständigkeit der Landwirtschaftsministerien der Länder zu erwarten ist. Sowohl die Aufklärung der landwirtschaftlichen Bevölkerung als auch die Förderung der agrarischen Wirtschaft ist Sache der Länder und der Landesministerien. Wir hoffen nur, daß der neue Bundes-Landwirtschaftsminister sich bald i von den Reminiszenzen und von dem Geiste der Frankfurter Verwaltung freimacht.
({7})
In der Unterstreichung der Förderung des Mittelstandes folgen wir Herrn Dr. Adenauer in jeder Weise. Wir vermissen aber ein stärkeres Eingehen auf die Bedürfnisse des Arbeiterstandes, das nicht dadurch kompensiert wird, daß Herr Adenauer in einem unverständlichen Zugeständnis an den sozialistischen Flügel der CDU
({8})
die Forderung nach einer Neuordnung der Besitzverhältnisse der Grundindustrien aufstellt.
({9})
Wie Herr Dr. Adenauer das mit seinem Wirtschaftsprogramm, der Förderung der freien Marktwirtschaft, der Förderung der Privatinitiative vereinbart, wenn sich die Industrien von einer neuen Sozialisierungswelle durch die jetzige Bundesregierung bedroht sehen,
({10})
scheint uns nicht ganz klar.
({11})
Die freundlichen Bemerkungen des Herrn Bundeskanzlers über die etwaige Möglichkeit, Aufwertungshärten gegenüber den Altsparern zu korrigieren, begrüßen wir, da das zu einer seit langem aufgestellten Forderung der Bayernpartei gehört. Wir hätten es begrüßt, wenn Herr Dr. Adenauer diese Frage etwas vertieft hätte, da das zur Beruhigung weiter, hart betroffener Bevölkerungsteile gedient hätte.
Wir begrüßen insbesondere die Zusicherung des Herrn Bundeskanzlers auf eine gleichmäßigere Verteilung der Vertriebenen auf die verschiedenen Länder im Interesse der besonders hart betroffenen Länder und auch im Interesse der Vertriebenen selbst. Diese Zusicherungen entsprechen einem nachdrücklichen Verlangen der Bayernpartei,
({12})
Wir bitten aber nun, daß diese Maßnahmen auch schnell und wirksam durchgeführt werden, damit die Entlastung sich bald fühlbar macht
({13})
und wir zu einer gewissen Linderung dieser Not kommen.
({14})
Wir stimmen im wesentlichen auch den außenpolitischen Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers bei, wenn wir auch gewünscht hätten, daß einige freundliche Worte für Österreich darin enthalten gewesen wären.
({15})
Ich habe aus den Reden der Opposition und der Regierung folgenden Eindruck bekommen: daß man sich immer wieder darum streitet, wer das Erstgeburtsrecht hat in bezug auf solche außenpolitischen Fragen, die das gesamte deutsche Volk betreffen. Es ist doch grotesk, daß irgendeine Partei, wie sie auch heiße, das Recht für sich in Anspruch nimmt, zuerst auf Fragen der Kriegsgefangenenrückführung eingegangen zu sein oder zuerst die Oder-Neiße-Grenze abgelehnt zu haben.
({16})
Ich finde, es steht im Gegensatz zu der Politik, die die mächtigsten und größten Staaten wie die USA und England betrieben haben, wo man außenpolitische Dinge als solche des ganzen Volkes ansieht. Wir als ein so armes, bedrängtes und niedergeschlagenes Volk können es uns um so weniger leisten, wenn es um solche Fragen der gemeinsamen Not und um gemeinsame Forderungen des deutschen Volkes geht, die Auseinandersetzung auf die Niederungen der Parteipolitik zu bringen.
Hinsichtlich des Besatzungsstatuts gehen wir allerdings von etwas anderen Voraussetzungen aus. Das Besatzungsstatut ist von den Außenministern Frankreichs, Großbritanniens und der Vereinigten Staaten am 8. April 1949, also vor fast sechs Monaten, beschlossen worden unter Verhältnissen, die völlig anders lagen als jetzt. Wir wissen nicht einmal, ob das Besatzungsstatut als außenpolitischer Akt von den Parlamenten der drei Mächte angenommen worden ist. Um so mehr sind wir darüber verwundert, daß der Herr Bundeskanzler dieses Besatzungsstatut in seiner gestrigen Rede - allerdings nicht in seiner vervielfältigten - als Diskussionsgrundlage hinnimmt. Von uns ist es von Anfang an höchstenfalls als eine eingetragene Sicherheitshypothek der Militärgouverneure, die wir möglichst bald löschen wollen, angesehen worden. Wir würden es dankbar begrüßen, wenn wir mehr erfahren könnten über die Form der Überreichung dieses so wichtigen Schreibens durch die Militärgouverneure gestern und über die Stellungnahme. welche die Bundesregierung in diesem Moment eingenommen hat, denn das ist von größter historischer Bedeutung und von größter Auswirkung auf das gesamte deutsche Volk.
({17})
({18})
- Behalten Sie es für sich, das interessiert mich nicht!
Den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers über die Berlin-Hilfe haben wir entnommen, daß in 15 Monaten über eine Milliarde Mark nach Berlin geflossen ist, die damit dem Aufbau der westdeutschen Wirtschaft entzogen worden ist.
({19})
Wir vermißten deshalb in der Regierungserklärung einen Hinweis darauf, daß, wenn man der bedrängten Stadt weiterhin Hilfe leisten will, man auf einer Kontrolle des Verwendungszweckes bestehen wird.
({20})
Denn wir sind nicht gewillt, unter irgendwelchem Mäntelchen die sozialistischen Experimente der dortigen sozialistischen Regierung zu tolerieren.
({21})
Bei dieser Gelegenheit hätte man sehr wohl auch der Gebiete gedenken können, die durch die politische Grenzziehung ebenfalls schweren Schaden gelitten haben und in einem schweren Existenzkampf stehen, wie zum Beispiel die bayerischen Nordgebiete, die durch Grenzüberschneidungen und Einschnitte der Ostzone und durch die Abschnürung gegenüber der Tschechoslowakei stark beeinträchtigt sind. Wir haben uns erlaubt, Anträge zur Behebung des Notstandes dieser Gebiete einzubringen, und hoffen, daß diese Anträge ebenso wie die Anträge hinsichtlich der Berlin-Hilfe die Unterstützung sämtlicher politischen Parteien finden werden.
({22})
Hinsichtlich der Entnazifizierung stimmen wir mit der Ansicht des Herrn Bundeskanzlers völlig überein, daß es endlich Zeit ist, nicht mehr zwei Klassen von Menschen in Deutschland zu haben.
({23})
Ich hoffe, daß er davon auch die CSU-Mitglieder seines Kabinetts überzeugt, denn noch zu Beginn dieses Jahres hat die CSU ein Wahlgesetz beschlossen, das diese Gliederung in zwei Klassen von Menschen festgelegt hat.
({24})
Wir werden im weiteren Verlauf der Aussprache noch zu einzelnen Punkten Stellung nehmen. Für die Generaldebatte möchte ich mich mit diesen wesentlichen Ausführungen begnügen und nur nochmals unterstreichen, daß wir die weitere Entwicklung des Kabinetts im Hinblick auf seine föderalistischen und zentralistischen Maßnahmen mit größter Aufmerksamkeit verfolgen werden. Bei einer föderalistischen Ausgestaltung der Gesetzgebung wird man auf die Mitarbeit der Bayernpartei rechnen können; dem verhängnisvollen Zentralismus sagen wir unseren Kampf an.
({25})
Diese Haltung entspricht unserem allgemeinen Bekenntnis zu einem föderalistischen Deutschland und unserer Ablehnung eines zentralistischen Deutschlands. Wir bekennen uns zu Deutschland, aber merken Sie wohl auf: wir sind Deutsche nur als Bayern!
({26}) Versucht man, uns unseren tausendjährigen bayerischen Staat zu nehmen,
({27})
dann gefährden Sie den Bestand Deutschlands!
({28})
Meine Damen und Herren, wir fahren in der Aussprache fort. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Reimann.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler schilderte eingangs seiner Regierungserklärung das Werden dieses westdeutschen Staates. Bei dieser Schilderung dachte ich an die Entstehungsgeschichte dieses Staates und an jene Kräfte des Auslandes, die den Auftrag zur Bildung dieses Staates erteilten. Dabei dachte ich auch an jene Deutschen, die aus Furcht vor einer gesamtdeutschen demokratischen Entwicklung dieses durchführten.
Gestatten Sie, daß ich auf die Urquelle zurückgreife. Ich erinnere mich, daß eine amerikanische Zeitung, die „New York Herald Tribune" vom 16. März 1949, über den Sinn der damals schon geplanten Regierung schrieb:
Die geplante westdeutsche Regierung ist auf den Status einer kolonialen Verwaltungsstelle reduziert, die nicht unter einem, sondern unter drei Vizekönigen, dem französischen, britischen, und USA-Militärgouverneur, oder ihren zivilen Nachfolgern operiert.
Deutlicher als diese Zeitung kann ich den Charakter dieses Staates nicht ansprechen. Es zeigt sich also: diese Regierung oder, wenn ich die Worte der . New York Herald Tribune" wiederholen darf, diese „koloniale Verwaltungsstelle" mit Herrn Dr. Adenauer an der Spitze entspricht den Wünschen der Herren aus Washington.
({0})
Herr Abgeordneter Reimann, darf ich Sie einmal unterbrechen.
({0})
Wir haben am 7. September den ersten Bundestag der Bundesrepublik Deutschland konstituiert, wir haben am 12. September das Staatsoberhaupt, den Bundespräsidenten, gewählt, und wir haben am 20. September die Mitteilung von der Bildung der deutschen Bundesregierung entgegengenommen.
Ich glaube, außer Ihnen, Herr Abgeordneter Reimann, ist hier im Saale niemand vorhanden; der etwa diesen Vorgang als den einer kolonialen Stelle bezeichnen könnte. Ich erhebe Einspruch und weise Sie darauf hin, daß ich, wenn Sie diese Bezeichnung der Deutschen Bundesrepublik als Kolonie oder Kolonialland noch einmal wiederholen,
({1})
entsprechende Maßnahmen ergreifen werde.
({2})
Herr Präsident, ich stelle ausdrücklich fest, daß diese Bezeichnung ja nicht von mir stammt, sondern ich zitiere die Bezeichnung einer amerikanischen Zeitung.
({0})
Es ist daher auch kein Zufall, daß diese Regierung gerade eine Sammlung von Repräsentanten der deutschen Schwerindustrie
({1})
und der Finanzherren darstellt.
({2})
Denn beide, die deutschen sowie die amerikanischen, sind ja eng miteinander verflochten.
({3}) '
Der Herr Bundeskanzler hat hier den Eid auf das Grundgesetz abgelegt. Damit soll beim deutschen Volk der Eindruck erweckt werden, als ob das am 23. Mai verkündete Grundgesetz des Parlamentarischen Rates die wirkliche Verfassung für diesen westdeutschen Staat darstellt.
({4})
In Wirklichkeit liegen jedoch die Dinge anders.
({5})
Nicht zufällig wurde gerade am Tage nach der Regierungsbildung das Besatzungsstatut durch die drei Hohen Kommissare in Kraft gesetzt.
({6})
Die Hohen Kommissare brachten damit noch einmal besonders deutlich zum Ausdruck, welches die wirkliche Verfassung dieses westdeutschen Staates ist.
({7})
Dies wird sich in allen politischen Maßnahmen, die künftig getroffen werden, geradezu umgekehrt auswirken, als es der Herr Bundeskanzler uns in seiner Regierungserklärung darzustellen beliebte.
({8})
Der Herr Bundeskanzler erklärte: Deutschland ist infolge Besatzungs- und Ruhrstatut, Marshall-plan usw. enger mit dem Ausland verflochten als je zuvor. - Ich mache jetzt darauf aufmerksam, Herr Präsident, daß ich den Herrn Bundeskanzler zitiere, damit Sie mich hier nicht wieder unterbrechen.
({9})
„Verflechtung" nennt der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung jetzt das, was er früher als Diktat fremder Mächte und Kolonialstatut bezeichnet hat.
({10})
Dabei versucht der Herr Bundeskanzler, uns glaubhaft zu machen, daß die Hohen Kommissare vor allen wichtigen Entscheidungen mit der Bundesregierung vorher Fühlung nehmen werden. Genau umgekehrt wird es sein.
({11})
Ich möchte ausdrücklich noch einmal darauf aufmerksam machen, daß das Besatzungsstatut in den
Händen der drei Hohen Kommissare die eigentliche politische Grundlage des westdeutschen Staates darstellt, einen Friedensvertrag verhindert und die Besatzungsdauer ungeklärt läßt.'
({12})
Die Begleitmusik bei der Bildung dieser Regierung ist das Geklirre rollender Panzer im Ruhrgebiet und das Dröhnen der Demontagehämmer zur Vernichtung unserer Friedensindustrie, um die deutsche Konkurrenz auf dem Weltmarkt auszuschalten.
({13})
- Sie werden bei meinen Reden noch sehr viel schreien, und trotzdem werde ich Ihnen das sagen, was Sie hören müssen.
({14})
- Meine Herren der Rechten, ein neues 1932 wird es nicht mehr geben, verlassen Sie sich darauf!
({15})
Ich kann mich erinnern, daß 1947 bei der Verkündung des Marshallplans von westdeutschen Politikern im Volk große Illusionen über den Wiederaufstieg und die Blüte der deutschen Wirtschaft verbreitet wurden, und am 20. Juni 1948 kündigte Professor Erhard neue Wunder an.
({16})
Alle Warnungen von einsichtigen Politikern im Wirtschaftsrat wurden in den Wind geschlagen. Man sah die Rettung in der separaten westdeutschen Währung und in dem Marshallplan. Heute muß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zugeben, daß die Gefahr einer Deflation oder Inflation in diesem westdeutschen Staat besteht.
({17})
Mir scheint, die wirtschaftspolitischen Auslassungen des Herrn Bundeskanzlers in seiner Regierungserklärung sind noch weniger fundiert als jene des Herrn Professors Erhard am Tage der Währungsreform.
({18})
Letzterer baute seine Wirtschaftspolitik auf die Hortungslager und pries die Hortung als nationale Tat.
({19})
Aber worauf baut der Herr Bundeskanzler seine Konzeption auf? Etwa auf diesen Währungsrutsch? Die heutige Währungsabwertung ist doch der Ausdruck des verschärften Kampfes um die verengten kapitalistischen Absatzmärkte, um den höchsten Anteil an dem Export, den die internationale Hochfinanz führt. Dieser verschärfte Konkurrenzkampf und die in seinem Zeichen erfolgte Abwertung der D-Mark werden dazu führen, daß einerseits Westdeutschlands Export noch stärker gedrosselt, die Exportblockade verschärft wird. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Auffassung der britischen Exporteure, daß die deutschen Waren der schärfste Konkurrent der britischen Waren auf dem Weltmarkt sind.
({20})
Andererseits wird aber der Zwangsimport amerikanischer Waren die Lebenshaltungskosten der westdeutschen Bevölkerung enorm verteuern.
({21})
Durch die Abwertung der D-Mark wird den amerikanischen Finanzleuten das Tor zu einem umfangreichen Kapitalexport nach Westdeutschland geöffnet. Den hat der Herr Bundeskanzler gefordert,
({22})
verschweigt aber zu sagen, daß durch diesen amerikanischen Kapitalexport die deutsche Wirtschaft aufgesaugt und ausverkauft wird.
Von diesem Währungsrutsch sind alle Länder betroffen, die sich dem Marshallplan unterordnen und die nach dem alten kapitalistischen System der sogenannten freien Marktwirtschaft arbeiten. Dieser Währungsrutsch zeigt deutlich die Zerrüttung der kapitalistischen Wirtschaft im Gegensatz zu der Krisenfestigkeit und Stabilität der Wirtschaft der Sowjetunion,
({23})
der volksdemokratischen Länder und auch der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands.
({24})
In diesen Gebieten konnte sich die Wirtschaft festigen,
({25})
weil die Werktätigen und mit ihnen die demokratischen Kräfte des Bürgertums den Weg der demokratischen Neuordnung aus eigener Kraft beschritten haben.
({26})
Auf Grund der Abwertung der D-Mark muß man sich unwillkürlich der These Professor Erhards „Ehrliches Geld für ehrliche Arbeit" erinnern. Der Arbeiter, Beamte und Angestellte, der kleine Bauer und viele andere haben immer ehrlich gearbeitet. Der Arbeiter war der erste, der im Jahre 1945 die Trümmer und den Schutt wegräumte, den Verkehr in Ordnung und die Betriebe wieder in Gang brachte. Aber ehrliches Geld hat er nie dafür erhalten.
({27})
Die erarbeiteten Werte wurden vor der Währungsreform und auch nach der Währungsreform zur Bereicherung derjenigen benutzt, deren Politik uns diese Trümmer und diese Katastrophe brachten. Bereits bei der Währungsreform hat Herr Professor Erhard eine Forderung erhoben, die der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung wiederholte, nämlich die Forderung nach Kapitalbildung; Kapitalbildung zur Erhöhung des Profits, nicht aber zur Befriedigung der Bedürfnisse der Bevölkerung. Das ist der Sinn der Wirtschaftspolitik der Regierung. Deshalb wurde auch in der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers mit keinem Wort die aufopferungsvolle Arbeit der Arbeiter und Angestellten der letzten vier Jahre erwähnt.
({28})
Der Herr Bundeskanzler bringt der Bevölkerung Westdeutschlands einen leeren Trost: „Es besteht kein Grund zur Beunruhigung", so sagt er, „da die zu erwartenden Veränderungen auf dem Gebiete von Löhnen und Preisen im ganzen nur zu relativ geringfügigen Verschiebungen führen werden." So sagt der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung. Die Zusammensetzung der Regierung läßt keinen Zweifel offen, daß die Folgen der Abwertung der D-Mark auf die Schultern der werktätigen Bevölkerung abgewälzt werden, genau so wie bei der Währungsreform. Zum zweiten Mal in zwei Jahren werden auf dem Rücken der Arbeiter, Angestellten, Kleinsparer, Handwerker, Invaliden, Altersrentner und des Mittelstandes Währungsmanipulationen durchgeführt, von denen nur die besitzende Klasse profitiert.
Meine Damen und Herren! 15 Monate seit der Währungsreform haben uns deutlich gemacht, was unter sozialer Marktwirtschaft, die der Herr Bundeskanzler wieder verkündet hat, zu verstehen ist. Soziale Marktwirtschaft heißt Ein- und Unterordnung der westdeutschen Wirtschaft unter den Marshallplan mit all den Folgen der Marshallplanpolitik. Ich spreche absichtlich von Folgen der Marshallplanpolitik, weil ich den Eindruck habe, daß auch die eifrigsten Verfechter des Marshallplans ihre Felle wegschwimmen sehen. Ich habe zum Beispiel nichts davon gehört, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung zu den Äußerungen des Marshallplan-Administrators Hofmann oder zu den Verlautbarungen des Pariser ERP-Büros Stellung nahm, die wörtlich lauteten, „daß der Kontinent trotz der amerikanischen Unterstützung bis 1952 wirtschaftlich nicht auf eigene Füße gestellt werden kann". Auf diese Erklärung, auf diesen Währungsrutsch baut nun der Herr Bundeskanzler seine Politik der freien Marktwirtschaft auf und spricht von einer Aufwärtsentwicklung. .1947 sagte Marshall bei der Verkündung des Marshallplans, dieser Plan sei gegen Hunger, Armut, Verzweiflung und Chaos gerichtet. Und das Resultat nach zwei Jahren? Wir haben das Chaos der Währung, die begonnene Abwertung, der noch weitere folgen werden.
Meine Damen und Herren, nehmen Sie den letzten UN-Bericht über die Wirtschaftslage 1948/49. Darin wird gesagt, daß zum ersten Mal seit Beendigung des Krieges die Produktion ins Stocken geraten ist und die Zahl der Arbeitslosen stetig wächst. Allein im Westen Deutschlands sind es mehr als 1,2 Millionen Arbeitslose und ebensoviel Kurzarbeiter. Diese Entwicklung kommentierte der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung mit den Worten: „Unsere Wirtschaft ist im Aufstieg." Ein recht eigenartiger Aufstieg!
Die amerikanische Gruppe der internationalen Handelskammern wirft den Anhängern des Marshallplans auf Grund dieser Schwierigkeiten in den einzelnen Ländern Unfähigkeit zum kühnen Handeln vor und fordert zu drakonischen Maßnahmen auf. In diesem Zusammenhang wurde mir auch klar, was der Sinn und Zweck der Ernennung eines Ministers für den Marshallplan ist. Die Durchführung dieser drakonischen Maßnahmen, nämlich die Senkung des Lebensstandards des werktätigen Volkes, . soll in dieser Regierung die Aufgabe des Vizekanzlers und ERP-Ministers Blücher sein. Jeder, der diesen ERP-Minister Blücher im Wirtschaftsrat erlebt hat, weiß, daß er diese Aufgabe im Interesse des deutschen und auch amerikanischen Finanzkapitals gut durchführen wird.
({29})
Aber er hat auch noch eine andere Aufgabe, nämlich die der Kontrolle über die Herren sozialdemo({30})
kratischen Wirtschaftsminister in den einzelnen Ländern. Dies läßt die Vermutung zu, daß die westdeutschen Finanzherren auch von dieser Seite die Kontrolle über die Wirtschaft übernehmen.
Im Zeichen der Krise des Marshallplans werden die sozialen Spannungen in Westdeutschland wachsen. Diese Regierung wird kein soziales Problem lösen. Sie scheint sich dessen selbst bewußt zu sein; denn nur so ist die Drohung des Herrn Bundeskanzlers gegen „linksradikale Elemente" zu verstehen. Das heißt: diese Regierung Dr. Adenauers ist bereit, gegen Hunger und weitere Verelendung den Machtapparat des Staates einzusetzen.
({31}) Das ist ein altes Rezept aller reaktionären Regierungen.
({32})
Der Herr Bundeskanzler sagte: „Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern müssen zeitgemäß geordnet werden." Was versteht diese Regierung eigentlich unter dem Begriff „zeitgemäße Ordnung"? In Nordrhein-Westfalen wurde vom Landtag die Sozialisierung des Bergbaus beschlossen. In Hessen ist die Sozialisierung bestimmter Industriezweige ih der Verfassung verankert. Durch einen Federstrich der Gouverneure wurden diese demokratischen Beschlüsse außer Kraft gesetzt. Das ist wohl für den Herrn Bundeskanzler „zeitgemäße Ordnung". Das demokratische, verfassungsmäßig garantierte Mitbestimmungsrecht in Hessen, Bremen, Württemberg-Baden wurde auf demselben Wege suspendiert. Da dies auch eine Forderung der Regierungsparteien ist, findet auch das der Herr Bundeskanzler als „zeitgemäß geordnet".
({33})
Unter zeitgemäßer Ordnung der Beziehungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber versteht der Herr Bundeskanzler die Sicherung der Macht der wirtschaftlich Starken. Wohl und voll überlegt will er den wirtschaftlich Schwachen den Schutz des Staates restlos versagen.
({34})
Das zeigt uns den Charakter dieser Regierung. Selbst in der Weimarer Zeit erkannte man mindestens formal die Pflicht des Staates, die wirtschaftlich Schwachen zu schützen, an.
Es war also kein Zufall, wenn Herr Dr. Adenauer in seiner Regierungserklärung kein Wort von den Forderungen der Gewerkschaften nach dem Mitbestimmungsrecht in den Betrieben und in der Wirtschaft gebracht hat, wenn er selbst die Forderungen des Bochumer Katholikentages und vieler Tausender katholischer Arbeiter ignoriert hat. Vielleicht ist das das Werk des Herrn Vizekanzlers.
Der Herr Bundeskanzler hat die Versicherung gegeben, daß seine Regierung bei ihrer Arbeit „sozial" - das ist wörtlich - „im wahrsten und besten Sinne des Wortes, wie irgend möglich, handeln werde." Meine Damen und Herren! Solche Verheißungen hat doch unser Volk schon öfter auch von anderen deutschen Regierungen gehört.
Nun, prüfen wir, was der Herr Bundeskanzler den einzelnen Gruppen der sozial Interessierten versprochen hat. Im Versprechen ist diese Regierung groß, besonders groß Herr Dr. Adenauer. Den Obdachlosen hat man Wohnungen versprochen.
Wie sollen sie beschafft werden? Der Herr Bundeskanzler sagt: der Bund will Geld zur Verfügung stellen, die Länder sollen alle Möglichkeiten erschöpfen. Aber woher? Diese Frage hat der Herr Bundeskanzler nicht beantwortet. Sollen diese Gelder etwa aus den bankrotten Staatshaushalten der einzelnen Länder genommen werden? Die Mieten, so sagt er, sollen so festgesetzt werden, das heißt so erhöht werden, daß das Privatkapital, die Finanzspekulanten am Wohnungsbau stärker interessiert werden. Sie glauben doch wohl selber nicht, Herr Bundeskanzler, daß unter den heutigen Bedingungen der Teuerung, der steigenden Zahl der Konkurse und Betriebsstillegungen der Handwerker, der Kleingewerbetreibenden und der kleinen Hausbesitzer irgendwelche Mittel für den Wohnungsbau durch diese Personen selber gedeckt werden können. Klar und eindeutig hat der Herr Bundeskanzler ausgesprochen, daß es für ihn nur eine Lösung des Problems gebe, nämlich durch Sicherung profitabler Geschäfte. Das ist praktisch das Ende des sozialen Wohnungsbaus,
({35})
den die CDU/CSU in ihrem Wahlprogramm der Bevölkerung versprochen hat. Mieterhöhungen bedeuten heute bei den unzureichenden Löhnen und bei den Hungerrenten der Sozialberechtigten, daß diese gezwungen sind, noch enger zusammenzurücken. Die kleinen Leute, die sich in schwerer Arbeit ein Siedlungshäuschen geschaffen haben, werden, um ihren Besitz zu behalten, gezwungen sein, in Keller- oder in Dachräume überzusiedeln und die übrigen Räume abzuvermieten. Wohnungsbau durch Kapitalbildung auf Grund von Mietserhöhungen wird bei dieser wirtschaftlichen Lage nicht durchführbar sein. Die kommunistische Fraktion hat Ihnen zum Bau von Wohnungen einige Anträge vorgelegt, in denen es heißt, daß die Bundesregierung beauftragt werden soll, den Besatzungsmächten mitzuteilen, daß die Bundesregierung nicht mehr in der Lage ist, die hohen Besatzungskosten zu zahlen, und daß sie daher vorschlägt, dieselben um 50 % zu kürzen. Daraus soll der Wohnungsneubau zum Teil bestritten werden.
({36})
Im Wahlkampf hat die CDU den sozialen Lastenausgleich versprochen, dasselbe hat die FDP auch getan. Jetzt aber sagt der Herr Bundeskanzler, doch sicher im Auftrage der Regierungsparteien: Nur eine blühende Wirtschaft kann die Belastung aus dem Lastenausgleich für die Dauer tragen. Blüht aber die Wirtschaft in diesem westdeutschen Staat? Ist überhaupt damit zu rechnen, daß sie in absehbarer Zeit zu neuer Blüte kommen wird? Nur Träumer können bei der Wirtschaftspolitik in diesem westdeutschen Staat auf eine Blüte der Wirtschaft hoffen.
({37})
Trotzdem hat Herr Dr. Adenauer, der genau wie wir weiß, daß unter den Bedingungen des Ruhrstatuts und des Marshallplans die deutsche Wirtschaft nicht wieder gesunden kann, erklärt, daß mit einer baldigen Verabschiedung des endgültigen Lastenausgleichs zu rechnen ist. Dasselbe hat man schon 1948 versprochen. Lastenausgleich bei dem gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnis in diesem westdeutschen Staat, Lastenausgleich unter einer Regierung, deren Prinzip es ist, das Eigentum der Schwerindustrie zu schützen, bedeutet einen Lastenausgleich, der die Kriegsschuldigen schont
({38})
und die Opfer dieses Hitler-Krieges leer ausgehen läßt.
({39})
Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck gebracht, daß er die Politik des Frankfurter Wirtschaftsrats fortsetzen und dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft gegenüber einer Planung zum Siege verhelfen wird. Dabei werfen Sie, meine Herren, in Ihrer Propaganda mit Absicht Planung und hitlerische Zwangswirtschaft in einen Topf.
({40})
Die fünfzehnjährige Zwangswirtschaft hat nicht das geringste mit der von uns geforderten Wirtschaftsplanung zu tun. Natürlich können wir - darüber sind wir uns klar - von dieser Regierung Adenauer-Blücher niemals eine Planung der Wirtschaft erwarten. Planung der Wirtschaft heißt nicht: Rationierung und Strangulierung der Verteilung; diese Zwangsmaßnahmen wurden von denselben Herren eingeführt, die heute die soziale Marktwirtschaft vertreten.
({41})
Planung heißt vielmehr Organisierung und Lenkung der Produktion nach den Bedürfnissen des Volkes und freie Verteilung. Gegen diese Planung der Produktion sind eben die Herren Vertreter der sozialen Marktwirtschaft, weil eine Planung der Produktion auch die Entmachtung der Konzernherren voraussetzt.
({42})
Aber auch in seiner Regierungserklärung wagt heute Dr. Adenauer nicht, die Konzernherren offen zu schützen, wie das auch Herr Professor Erhard nicht wagte. Deshalb werden Sie auch niemals aus dem Munde Dr. Adenauers oder Professor Erhards hören, daß sie in ihrer Polemik gegen die Wirtschaftsplanung auch nur versuchen, gegen eine Planung der Produktion zu polemisieren.
({43})
Sie polemisieren mit Berechnung gegen eine Planung der Verteilung, die niemand von uns will, und erinnern dabei an die Hitlersche Zwangswirtschaft, um den Gedanken der Planung der Produktion für den kleinen Mann in ein Schreckensgespenst zu verwandeln.
({44})
- Wir kennen uns!
Meine Damen und Herren! Auf Grund des Wahlergebnisses, nach der Veröffentlichung der Steuerreformpläne des Herrn Pferdmenges, die der Herr Bundeskanzler zu seinen eigenen gemacht hat, und nach der Bildung dieser Regierung wurde mir aus Gewerkschaftskreisen eine Reihe von Äußerungen bekannt. Diese Äußerungen decken sich mit den Diskussionen, die von Arbeitern, Angestellten und Bürgern, welche der SPD und auch der CDU angehören, geführt werden. In diesen Diskussionen wird deutlich zum Ausdruck gebracht, daß heute in Wirtschaft und Verwaltung dieselben Kräfte herrschen, die das Unglück für unser Volk herbeigeführt haben, und es werden auch Parallelen zwischen der Brüning- und Papen-Regierung und der heutigen Regierung Dr. Adenauers gezogen. Noch schneller als nach 1918 wird derselbe Weg wie in der Weimarer Republik noch einmal beschritten, sagen die Arbeiter und sehr viele Bürger. Anläßlich der Bildung dieser Regierung wurde aus allen Kreisen von Menschen, die die Lehren aus der Vergangenheit gezogen haben, an solche Ereignisse wie an den 20. Juli 1932 und auch an den 30. Januar 1933 erinnert.
({45})
Ich glaube, daß derartige Fragestellungen - das beweist uns das Programm dieser Regierung, in welchem von den Forderungen der Mehrheit der Bevölkerung, nämlich der Arbeiter, nichts zu finden ist - ihre Berechtigung haben. Von einem sozialdemokratischen Funktionär aus Schleswig-Holstein
- um nur einige Beispiele zu nennen, wie weit wir sind - erhielt ich einen Brief, in dem dieser darauf hinweist, daß in diesem Lande dieselben Kräfte, die hier in Bonn die Regierung gebildet haben, sich darauf vorbereiten, die dortige sozialdemokratische Regierung durch eine Rechtsregierung zu ersetzen.
({46})
- Sie haben ja eine Zeitlang unter dem Genuß eines solchen Verteters hier gestanden. Aus Hamburg wurde ich von vielen sozialdemokratischen Arbeitern auf die Tatsache hingewiesen, daß der Rechtsblock dort einen kompakten Angriff gegen jede Position des Fortschritts im Wahlkampf zu den Bürgerschaftswahlen organisiert, um die in Hamburg traditionelle SPD-KPD-Mehrheit zu brechen und die Sozialdemokratie - so sagen sie - aus der Regierung zu entfernen.
({47})
- Ja, ich weiß: „Sehr richtig!" von rechts.
Wenn man an mich jetzt die Frage richtet: Sie lehnen doch den westdeutschen Staat ab; ist es Ihnen dann nicht gleichgültig, wer in den Positionen dieses Staates sitzt? - so muß ich darauf antworten: wir lehnen diesen westdeutschen Staat ab und kämpfen konsequent für die Einheit Deutschlands.
({48})
Aber nachdem dieser westdeutsche Staat gegen unseren Willen gebildet worden ist, kann es uns nicht gleichgültig sein, in wessen Händen die Positionen dieses Staates liegen und welche Wirtschafts-, Sozial- und Kulturpolitik in diesem Staate getrieben wird.
({49})
Ich will noch mehr sagen: die Kommunistische Partei hat aus der Vergangenheit ernste Lehren gezogen
({50})
- dies werden Sie noch merken, meine Herren von rechts! - und insbesondere aus der Zeit vor 1933.
({51})
Ich höre eben, daß die Lautsprecher abgeschaltet sind.
({0})
Ich bin dankbar, daß ich darauf aufmerksam gemacht worden bin.
({1})
- Herr Abgeordneter, wollen Sie jetzt so lange warten, bis die Lautsprecher eingeschaltet sind?
Ich kann mich auch so verständlich und deutlich machen.
({0})
Ich wünsche nur, andere Parteien, insbesondere auch die SPD, würden genau so ernste Lehren aus der Vergangenheit ziehen.
({1})
Die große Lehre ist: alle die, die eine Wiederholung analoger Ereignisse wie die des 20. Juli 1932 verhindern wollen, alle die, die dem Ansturm des Rechtsblocks gegen die Forderungen der Gewerkschaften, Arbeiter, Angestellten und Beamten sowie des Mittelstandes Einhalt gebieten wollen, die verhindern wollen, daß Arbeiter, Gewerkschaftler, Sozialdemokraten und andere fortschrittliche Kräfte aus den Positionen verdrängt und von den Vertretern des Besitzbürgerblocks abgelöst werden sollen, müssen sich in einer gemeinsamen Kampffront gegen diese Reaktion finden.
({2})
Im gemeinsamen Handeln aller fortschrittlichen Kräfte unseres Volkes liegt ihre Stärke. Aus der Zersplitterung und Spaltung hat immer nur die Reaktion Nutzen gezogen und kann nur die Reaktion Nutzen ziehen.
({3})
Ich spreche deshalb folgendes offen aus: wir sind in den Betrieben, in den Parlamenten und auch sonst wo immer zu gemeinsamen Absprachen mit den Sozialdemokraten bereit,
({4})
um den Ansturm der Reaktion auf die Positionen und Rechte der werktätigen Bevölkerung abzuwehren.
({5})
- Ja, das tut Ihnen weh! Ich weiß aber, daß wir damit auf dem richtigen Wege sind, um Sie zu erledigen.
({6})
- Politisch! Politisch!
({7})
Ich glaube nicht, Herr Dr. Schumacher, daß Sie sich der Illusion hingaben, daß wir mit unserer Stimmabgabe für Sie die nach unserer Meinung schädliche Anti-Ostpolitik akzeptieren. Ich komme im Laufe meiner Ausführungen noch darauf zurück.
({8})
Ich möchte deutlich und vernehmlich erklären: unsere Stimmabgabe für den Kandidaten Dr. Schumacher bei der Bundespäsidentenwahl war ein symbolischer Ausdruck unserer Gemeinschaft, gemeinsam mit der SPD überall, insbesondere aber in den Betrieben, den Kampf gegen die Wiederholung einer Brüning- und Papen-Politik zu führen,
({9})
gegen die Angriffe der autoritären Besitzverteidigungsregierung, wie Herr Dr. Schumacher diese Regierung genannt hat, auf die Löhne und alle Rechte der Arbeiter und der werktätigen Bevölkerung.
({10})
Herr Dr. Schumacher, Sie haben ziemlich starke Worte gegen die jetzige Regierung gebraucht. Sie sprachen davon, daß der Rechtsruck bedeutsamer ist, als er in den Mandatszahlen seinen Ausdruck findet.
({11})
SiE erinnerten an die zweite Periode der Weimarer Situation. Mir scheint aber, daß Ihre Konzeption einen Widerspruch in sich birgt. In der achtzigjährigen Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung wurde immer und immer wieder die Feststellung getroffen, daß das Kapital international ist. Sollte diese Feststellung heute vergessen sein? Mir scheint, sie gilt heute für Westdeutschland mehr denn je; denn ohne den Einfluß des amerikanischen Finanzkapitals wäre doch wohl eine Restaurierung der alten Kräfte, wie sie nach 1945 wieder erfolgte, unmöglich.
({12})
Oder meinen Sie etwa, die Aussetzung der Sozialisierung und die Aufhebung der Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte durch Vertreter des amerikanischen Finanzkapitals sei im Interesse der Demokratie und des Fortschritts erfolgt? Diese Maßnahmen erfolgten im Interesse des in- und ausländischen Großkapitals. Man kann also nicht konsequent gegen die Angriffe des deutschen Großkapitals kämpfen, wenn man nach der anderen Seite hin dem amerikanischen Kapital Konzessionen macht. Ich freue mich, feststellen zu können, daß führende Gewerkschaftler und Sozialdemokraten erkennen, daß dieser Widerspruch untragbar ist, und daß sie sogar in der Öffentlichkeit konsequent den Weg des Kampfes gegen den Marshall-plan und das Ruhrstatut beschreiten.
In ihrem Kampf gegen die Angriffe des Besitzbürgerblocks und der Reaktion haben die Arbeiterschaft und alle fortschrittlichen Kräfte Deutschlands heute eine starke Position, die geschaffen wurde durch die Industriereform, Bodenreform und Schulreform in der sowjetischen Besatzungszone.
({13})
Selbstverständlich ist die Veränderung der ökonomischen Basis und des sozialen Überbaues in der sowjetischen Besatzungszone keine einfache Sache. Es gibt beim Aufbau einer neuen Wirtschaft und Verwaltung aus eigener Kraft ohne Hilfe von außen Schwierigkeiten des Wachstums. Selbstverständlich brachte auch die Spaltung Deutschlands, die Tatsache, daß die sowjetische Besatzungszone keine eigene Schwerindustrie hat
({14})
und, wenn die Spaltung Deutschlands anhält, sich eine eigene Schwerindustrie aufbauen muß, zunächst Schwierigkeiten. Aber eins steht fest: daß diese Schwierigkeiten in wachsendem Maße vom Volke selbst überwunden werden. Man wird die Schwierigkeiten überwinden. Hier geht man aber in die Krise. Und wenn hier die Frage des Magneten gestellt wurde, so kann ich Ihnen heute in vollem Optimismus antworten: der Magnet wird nicht der westdeutsche Staat mit seiner Regierung Adenauer-Blücher sein, sondern der Magnet für das Volk wird die neue demokratische Ordnung der sowjetischen Besatzungszone sein!
({15})
Gestatten Sie mir, daß ich einige Bemerkungen zur verflossenen Konferenz der Außenminister in Paris mache. Es wurde hier sehr viel von der Einheit Deutschlands gesprochen, die man nicht aufgebe. Der Herr Bundeskanzler hat sogar einen Minister für gesamtdeutsche Fragen ernannt. Welchen Wert die Beteuerungen über die Einheit Deutschlands von Ihrer Seite haben, zeigt uns doch die Tat({16})
sache, daß, obwohl die Pariser Außenministerkonferenz die Wiederaufnahme von Wirtschaftsbeziehungen auf dem Wege der Verständigung der bestehenden Wirtschaftsorgane empfohlen hat, die Durchführung dieser Empfehlungen bisher von der Frankfurter Wirtschaftsverwaltung abgelehnt worden ist. Mir scheint aber, daß Tausende und aber Tausende von Unternehmern und Geschäftsleuten, denen Betriebsstillegungen drohen oder die vor dem Konkurs stehen, die Aufnahme der Wirtschaftsbeziehungen mit der Ostzone fordern. Der Handel mit der Ostzone ist auch die Brücke zu der Wiederaufnahme des Handels mit dem Osten und Südosten Europas.
({17})
Oder wohin wollen Sie nach der Abwertung des Pfundes um 30 Prozent und der vorgesehenen Abwertung der D-Mark um 20 Prozent noch exportieren? Mir ist bekannt, daß Tausende englischer Handelsfirmen ihre Geschäftsangebote nach Polen und in die Tschechoslowakei schicken und auch ihre Handelsagenten nach dort abkommandieren. Ich kann mir nicht vorstellen, daß es in Westdeutschland solche unklugen Geschäftsleute gibt, die der Konkurrenz den Vortritt lassen wollen.
({18})
Ich bin sogar der Meinung, daß diese Geschäftsleute auch die Politiker, die aus engstirnigen Gesichtspunkten heraus den Handel mit der Ostzone und mit Osteuropa ablehnen, zwingen werden, das zu tun, was im Interesse der deutschen Wirtschaft liegt.
({19})
Ich muß mich in diesem Zusammenhang an eine zynische Bemerkung einer ausländischen Zeitung erinnern. Die „New York Herald Tribune" schreibt:
Es ist wahr, daß das Schlagwort „Exportiere oder stirb" für Großbritannien und Deutschland gilt. Aber wenn in dem kommenden Kampf um die Weltmärkte schon jemand sterben muß, so sollen es die Deutschen sein.
({20})
Wir wollen nicht, daß diese Fragestellung Wirklichkeit wird. Wir Deutschen wollen nicht sterben, wir wollen leben. Deshalb treten wir für eine Verständigung zwischen Ost und West ein, für die Bildung eines gemeinsamen Wirtschaftsausschusses zwischen den bestehenden Organen und für eine gesamtdeutsche Wirtschaftspolitik. Die Bildung eines Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen liegt nicht im Interesse der deutschen Wirtschaft und nicht im Interesse einer deutschen Verständigung. Dieses Ministerium ist ein widernatürliches Ministerium, ein Ministerium der Fortsetzung des kalten Krieges. Das wird auch durch die Tatsache bewiesen, daß zwar der Herr Bundeskanzler die Bildung dieses Ministeriums bekanntgab, aber ein so politisches Ereignis wie die Pariser Zusammenkunft der Außenminister und ihre Empfehlungen in seiner Regierungserklärung völlig außer acht ließ.
({21})
Der Herr Bundeskanzler sprach in seiner Regierungserklärung davon, daß er in einem geordneten Rechtsgang Ansprüche auf die Gebiete jenseits der Oder-Neiße-Linie verfolge.
({22})
Was versteht der Herr Bundeskanzler unter „geordnetem Rechtsgang", nachdem er das Potsdamer
Abkommen, die einzig existierende, von den vier
Besatzungsmächten feierlichst verkündete Rechtsgrundlage ablehnt?
({23})
Sie haben, Herr Bundeskanzler, mit einem Male
({24})
das Potsdamer Abkommen zitiert und angeführt, daß die endgültige Grenzregelung auf einer Friedenskonferenz vorgenommen werden soll. Es mutet mich sehr eigenartig an, daß Sie sich auf das Potsdamer Abkommen und auf eine Friedenskonferenz berufen. Mir scheint, hier zeigen Sie sich, Herr Bundeskanzler, als ein Politiker der verpaßten Gelegenheiten;
({25})
denn Ihre Politik ist es ja gewesen, die Durchführung des Potsdamer Abkommens zu verhindern. Sie haben ja die Westmächte ermuntert, vom Potsdamer Abkommen abzutreten. Sie haben doch gerade, wenn ich mich recht erinnere, das Besatzungsstatut begrüßt und den Abschluß eines Friedensvertrages mit einer gesamtdeutschen Regierung durch die Bildung eines westdeutschen Staates verhindert.
({26})
Sie haben in Ihrer Regierungserklärung Herrn Churchill zitiert und angekündigt, daß Sie eine Denkschrift veröffentlichen wollen.
Herr Bundeskanzler! Gestatten Sie mir, daß auch ich Herrn Churchill jetzt zitiere. Am 27. Oktober 1944 hielt Herr Churchill im britischen Unterhaus eine Rede. Dabei führte er wörtlich aus:
Es steht den Polen frei, ihr Gebiet auf Kosten Deutschlands nach Westen auszudehnen.
({27})
Dabei müßte die Ausweisung der Deutschen,
- denn das ist es, was vorgeschlagen wurde die Ausweisung sämtlicher Deutschen aus den an Polen gefallenen Gebieten im Westen und Norden vorgenommen werden,
({28}) denn eine Ausweisung ist,
- so sagt Churchill soweit wir sehen konnten, die Methode, die am zufriedenstellendsten und auch die dauerhafteste sein wird. Es wird reiner Tisch gemacht!
So sagte Herr Churchill 1944. Weiter erklärte er: Ich fühle mich nicht alarmiert durch die Aussicht auf eine Loslösung von Bevölkerungen, auch nicht einmal durch diese großen Transferierungen, die unter modernen Verhältnissen eher möglich sind, als sie jemals waren.
({29})
- Ich komme! Nur Geduld, meine Herren!
({30})
Soweit Churchill! Und im Spätherbst 1944 schrieb Herr Roosevelt an Mikolaiczyk einen Brief. In diesem Brief heißt es - ich zitiere wörtlich -:
Falls die polnische Regierung und das polnische Volk den Wunsch haben sollten, nach der neuen Grenzziehung ihre nationalen. Minderheiten umzusiedeln, soll dem von amerikanischer Seite nichts entgegenstehen. Wir werden
- so sagt Roosevelt ({31})
diese Umsiedlung vielmehr nach Kräften erleichtern.
Am 13. Mai 1943 sandte Herr Benesch - jetzt etwas für die Sudetendeutschen, die gestern so gerufen haben - ({32}) Am 13. Mai - ({33})
Ich komme! Ich bleibe Ihnen keine Antwort schuldig; verlassen Sie sich darauf!
({34})
Meine Damen und Herren! Ich bitte, den Redner sprechen zu lassen. Die Oder-Neiße-Linie ist in der Regierungserklärung angezogen worden; der Redner hat das Recht, darüber zu diskutieren.
({0})
Nein, nein! - Ich hätte Ihnen jetzt beinahe etwas gesagt!
({0})
Am 13. Mai 1943 sandte Herr Benesch an Masaryk ein Telegramm .über seine Verhandlungen mit Roosevelt. In diesem Telegramm heißt es:
Er
- Roosevelt stimmt mit der Konzeption überein, daß es
notwendig ist, die Zahl der Deutschen in der
Tschechoslowakei soweit als möglich durch
Umsiedlung zu vermindern.
({1})
Auf dieses Telegramm von Benesch antwortete
Masaryk im Telegramm Nr. 186 vom 29. Mai 1943: Anknüpfend daran, daß nach der britischen jetzt auch die amerikanische Regierung für die Umsiedlung der Deutschen in der Tschechoslowakei ist, erklärte ich ihm,
- Bogomolow, dem russischen Vertreter daß wir jetzt das gleiche von der Sowjetregierung erwarten und daß uns nicht die Erklärung genüge, daß das unsere innere Angelegenheit sei.
({2})
Angesichts dieser Dokumente, die ich noch erweitern könnte, erhebt sich die Frage, wie es möglich ist, daß die Westalliierten, die so eifrig für die Aussiedlung der Deutschen eintraten und die OderNeiße-Linie mit festlegten, sich heute für eine Änderung der von ihnen selbst betriebenen Maßnahmen so stark machen.
({3})
Die Antwort ist eine ganz einfache, nämlich:
({4})
weil es nicht so kam, wie Sie es wünschten, weil Polen und die Tschechoslowakei sich vom englischamerikanischen Einfluß befreiten!
({5})
Ich wage zu behaupten: wäre Polen heute noch das
alte Polen mit der Regierung Pilsudski oder einer
ähnlichen, so würde kein Churchill, auch nicht Herr Truman, die Frage der Revision der Oder-NeißeLinie stellen.
({6})
Es würde westdeutschen Politikern verboten werden, die Revision zu fordern!
({7})
Eine polnische Regierung, geführt durch den katholischen Bauernführer Michailowic, hinter dem
der Vatikan steht, -({8})
ich wage zu behaupten, Herr Adenauer, Sie würden dann die Revision der Oder-Neiße-Linie nicht fordern.
({9})
Genau so wenig, wie Sie das heute für das Saargebiet tun!
({10})
Herr Abgeordneter Reimann, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Ich komme jetzt zum Schluß. Wäre dort eine englandhörige Regierung, wäre Herr Churchill sogar bereit,
({0})
die Grenze bis an die Spree zu verlegen.
({1}) Aber weil es anders gekommen ist, der britisch-amerikanische Einfluß ausgeschaltet ist, deshalb will man revidieren,
({2})
deshalb hetzt man das deutsche Volk erneut gegen die Völker des Ostens auf.
({3})
Man gibt dem deutschen Volke ein Kriegsziel.
({4})
Wenn die Herren jenseits des Kanals, wenn die Herren amerikanischen Imperialisten die Kraft hätten, würden sie die Grenze bis zur Weichsel oder noch weiter ostwärts verlegen.
({5})
Dies hat Hitler schon probiert.
({6})
Das deutsche Volk, welches diesem Wahnsinnigen folgte, mußte diese Gefolgschaft mit dieser Katastrophe bezahlen.
({7})
Es wäre Pflicht eines jeden real denkenden deutschen Politikers, dem deutschen Volke die Wahrheit über diese Lage zu sagen.
({8})
({9})
Das ist besser und für unser Volk erfolgreicher, als wenn es täglich solche kriegshetzerischen Reden hört.
({10})
Das deutsche Volk, das nach zwei Weltkriegen zwei furchtbare Niederlagen hinnehmen mußte, das Millionen Menschen opferte, darf nicht noch einmal für die Interessen Fremder und der hier im Westen Deutschlands restaurierten Imperialisten in einen dritten Weltkrieg gehetzt werden,
({11})
der mit der Vernichtung unseres Volkes enden würde.
({12})
Wir wollen in Frieden und Freundschaft mit allen Völkern leben und besonders mit den Völkern des Ostens und Südostens.
({13})
Gerade die Revision stört nicht nur unser Verhältnis gegenüber Polen, sondern bedeutet in der endgültigen Konsequenz den Krieg!
({14})
Das darf nicht sein! Unser Volk darf nicht in einem dritten Weltkrieg vernichtet werden.
({15})
Die Oder-Neiße-Grenze ist die Grenze des Friedens.
({16})
- Ich trete hier nicht ab, bis ich nicht alles gesagt habe!
({17})
Herr Abgeordneter Reimann, ich habe seit gestern - ({0})
- Meine Damen und Herren!
({1})
- Herr Abgeordneter Reimann, Sie haben eben ausgesprochen, daß die Oder-Neiße-Linie die Friedenslinie ist.
({2})
Seitdem gestern hier sämtliche Parteien gesprochen haben, haben sie übereinstimmend die OderNeiße-Linie als die deutsche Grenzlinie abgelehnt. Das möchte ich hier einmal feststellen.
({3})
Es ist eine Provokation der überwältigenden Mehrheit dieses Hauses, wenn Sie derartige Ausführungen machen. Ich rufe Sie deshalb zur Ordnung!
({4})
Herr Abgeordneter Reimann, ich mache Sie darauf aufmerksam, daß Ihre Redezeit abgelaufen ist.
({5})
Herr Abgeordneter Reimann, - ({6})
Herr Abgeordneter Reimann, - ({7})
Meine Damen und Herren, ich bitte Platz zu nehmen; die Sitzung ist noch nicht aufgehoben.
({8})
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, mir einen Augenblick zuzuhören!
({9})
Auf den Verlauf und den Ausgang dieser Sitzung schaut nicht nur das deutsche Volk, sondern die Welt, und ich bin der Meinung, wir haben diese Sitzung in Würde und Achtbarkeit zu beenden.
({10})
Ich stelle folgendes fest, Herr Abgeordneter Reimann: Ihre Redezeit hat nach unseren Aufzeichnungen - hören Sie mir bitte zu, Herr Abgeordneter Reimann - um 11 Uhr 40 begonnen. Wir haben jetzt 12 Uhr 50. Nach der Geschäftsordnung muß eine Verlängerung der Redezeit über eine Stunde hinaus durch das Plenum genehmigt werden.
({11})
Ich glaube kaum, daß es einer Einholung der Zustimmung des Plenums zu einer Verlängerung dieser Redezeit über eine Stunde hinaus bedarf. Ich gebe Ihnen noch eine Minute zum Abschluß Ihrer Ausführungen, und dann entziehe ich Ihnen das Wort.
({12})
Der Kampf um die Einheit Deutschlands ist das Problem Nr. 1, das vor dem deutschen Volke steht, die Herstellung der Einheit Deutschlands, die Bildung einer gesamtdeutschen Regierung und der Abschluß eines Friedensvertrags mit derselben,
({0})
({1})
dem laut termingemäßer Festlegung der Abzug aller Besatzungstruppen aus ganz Deutschland zu folgen hat.
({2})
Wir erklären uns bereit, für diese Ziele mit allen zu arbeiten und zu kämpfen. Wenn wir ein einheitliches Deutschland haben mit einer einheitlich ausgerichteten demokratischen Wirtschaft,
({3})
dann wird dieser Staat ein friedliebender Staat sein
({4})
und noch viele Beiträge zum Frieden für Europa und die Welt liefern.
({5})
Herr Abgeordneter Reimann, Ihre Minute ist um. Ich entziehe Ihnen das Wort.
Dieses wird kommen,
({0})
und viel schneller, als Sie es sich überhaupt denken können.
({1})
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat ums Wort gebeten. Ich erteile ihm das Wort.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Reimann hat erklärt, wenn die katholische Regierung in Polen noch bestünde, würde ich die Revision der OderNeiße-Linie nicht fordern. Ich bitte den Herrn Präsidenten, den Abgeordneten Reimann wegen dieser Beleidigung zur Ordnung zu rufen.
({0})
Ich habe weiter im Namen der Bundesregierung folgende Erklärung abzugeben: Wir bedauern, daß dieser Saal und diese Rednertribüne durch eine solche Rede des Abgeordneten Reimann, die den deutschen Interessen absolut zuwiderläuft, entweiht worden sind.
({1}) Die Bundesregierung erachtet es weder mit ihrer Stellung und ihrer Verantwortung noch mit ihrer Würde für vereinbar, in Zukunft solche Reden anzuhören.
({2})
Meine Damen und Herren, das Stenogramm der Rede des Herrn Abgeordneten Reimann liegt mir noch nicht vor. Ich selbst bin nach meiner Erinnerung in diesem Augenblick draußen gewesen, als er diesen Ausdruck gebrauchte.
({0})
Meine Damen und Herren, ich werde das Stenogramm der Rede des Abgeordneten Reimann nachprüfen und das Nötige veranlassen.
Ich mache ferner darauf aufmerksam: es ist mir mitgeteilt worden, daß sowohl auf der Tribüne wie außerhalb des Plenums des Hauses sich Personen an den Kundgebungen beteiligen. Ich weise darauf hin, daß ich, wenn ich noch einmal derartige Kundgebungen außerhalb des Plenums dieses Saales beobachte, sofort die Tribünen räumen lassen werde.
({1})
Meine Damen und Herren, im übrigen ist inzwischen interfraktionell vereinbart worden, daß die
Fortsetzung dieser Sitzung um 15 Uhr 30 erfolgt.
Ich unterbreche daher diese Sitzung bis 15 Uhr 30.
({2})
Die Sitzung wird um 15 Uhr 48 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler wieder aufgenommen.
Meine Damen und Herren, ich eröffne nach der Mittagspause wieder die Sitzung.
Ehe wir in der Aussprache fortfahren, gestatten Sie mir, eine geschäftsordnungsmäßige Bemerkung. Die Logen, die sich im Hintergrund des Hauses unterhalb der Balustrade befinden, sind lediglich Angehörigen der Bundesregierung bzw. Beamten der Länderregierungen zugänglich. Ich muß darum bitten, daß Mitglieder des Hauses davon absehen, etwa Bekannte oder Verwandte auf Grund irgendeines Ausweises in diesen Logen zu placieren. Für Damen und Herren, die weder dem Haus angehören noch Vertreter der Bundesregierung oder des Bundesrats sind, ist lediglich die Tribüne oberhalb des Saales zur Verfügung gestellt.
Es haben sich inzwischen noch mehrere Abgeordnete beurlaubt, und zwar wegen Krankheit Dr. Bucerius und Winkelheide, auf Grund von Entschuldigungen Dr. von Rechenberg.
Wir fahren nunmehr in der Aussprache fort. Ich erteile zunächst dem Herrn Abgeordneten Loritz das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben vorgestern anläßlich der Regierungserklärung aus dem Mund des Herrn Bundeskanzlers eine Reihe von sehr wohl abgewogenen und sehr treffend formulierten Erklärungen gehört. Wir haben programmatische Darlegungen des Bundeskanzlers vernommen, wie er und seine Regierung sich für die nächste Zeit die Arbeit auf den verschiedenartigsten Gebieten vorstellt, auf dem Gebiet der allgemeinen Wirtschaft, der Beseitigung der Arbeitslosigkeit, des Wohnungsbaues, der Fürsorge für die Kriegsversehrten, die Heimatvertriebenen und andere Schichten der Bevölkerung.
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Meine Damen und Herren, wir von der WAV haben dazu folgendes zu bemerken. Uns kommt es nicht darauf an, ob in all diesen Sätzen wirklich alle Berufsstände mit Worten bedacht sind; uns kommt es nicht darauf an, ob vielleicht der eine Berufsstand in der Regierungserklärung drei Sätze mehr und der andere einen Satz weniger zugeteilt bekommen hat. Uns kommt es überhaupt nicht auf Worte an; denn die Regierungserklärungen - wieviele haben wir in den letzten Jahren schon gehört? - gleichen einander wie ein Ei dem andern, und sie müssen wohl auch einander weitestgehend gleichen. Worauf es heute angesichts der ungeheuren Not unserer Zeit ankommt, sind keine Erklärungen mehr, sondern sind nur noch Taten, und wir werden nach dem Bibelwort verfahren. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen! Wir werden diese Regierung nach ihren Früchten und nur danach beurteilen, aber nicht danach, ob jetzt vielleicht ein Satz etwas treffender und besser formuliert ist als der andere. Wir werden nicht skrupulös jedes Komma in der Rede des Kanzlers untersuchen. O nein! Wir werden sehen, was diese Regierung fertigbringt. Die Früchte brauchen - das geben wir der Regierung ohne weiteres zu - einige Zeit zum Reifen. Aber lange Zeit ist dafür nicht vorhanden. Wir rufen der Regierung nur eines zu: Eilt, eilt! - denn die Not unseres Volkes ist ungeheuerlich groß, und ich möchte beinahe sagen: es ist schade um jeden Tag, an dem die Regierung davon abgehalten wird, sofort an die Arbeit zu gehen.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ungeheuerlich groß ist die Not unseres Volkes überall, wo Sie hinsehen: draußen auf den Straßen, in den Baracken, wo die Flüchtlinge wohnen, bei den Kriegsversehrten, die oft nicht einmal soviel Geld haben, um sich eine Prothese für ihren Beinstumpf anschaffen zu können, bei den Kriegerwitwen und Kriegerwaisen, bei dem Mittelstand, der heute wiederum am Verarmen ist; denn gerade die kleinen Geschäftsleute sind es, denen es schlecht geht, während die großen Schieber glänzend dastehen. Was haben denn die kleinen Geschäftsleute in ihrer Kasse? Eine Reihe von geplatzten Wechseln. Und wie sieht es sonst im Wirtschaftsleben aus? Böse genug!
Wir können nicht den Optimismus teilen, daß es schon so glänzend aufwärts ginge. Ja, für Hunderttausende von Großschiebern in diesem Land geht es aufwärts; aber für die breite Masse der Bevölkerung geht es nicht aufwärts. Gerade darauf kommt es aber nach unserem Dafürhalten an, daß die breite Masse unserer Bevölkerung endlich einmal einen Lebensstandard bekommt, daß das Leben auch lebenswert genannt werden kann. Dieser Standard wäre möglich. Es ist Zeug genug da, auf allen möglichen Gebieten! Unser Volk ist auch fleißig und arbeitsam wie von jeher. Die Ursache dafür, daß es nicht so aufwärts geht, wie wir das wünschen und wie es wenigstens auf den Gebieten, in denen uns auswärtige Mächte nichts dreinreden, möglich ist, muß also irgendwoanders liegen.
Wir haben eine Wunschliste für den Herrn Bundeskanzler und seine Regierung. Wir wollen uns fetzt mit keinem Satz dabei aufhalten, die Rede des Herrn Bundeskanzlers zu zerpflücken. O nein! Wir möchten ihm nur namens unserer Wähler sagen, was wir von der Regierung erwarten. Es ist heute noch nicht die Zeit, darüber zu reden, wie es die Regierung im einzelnen machen wird. Wir werden es sehen. Ich sagte schon, daß wir diese Regierung nach ihren Taten und sonst nach gar nichts anderem beurteilen werden. Sine ira et studio werden wir die Arbeit der Regierung unter die Lupe nehmen, weder mit Voreingenommenheit noch mit der Gewährung von Vorschußlorbeeren. Aber eines möchten wir die Regierung bitten: geht raschestens an die Arbeit; denn die Not ist ungeheuerlich groß.
Das Problem der Heimatvertriebenen muß endlich einmal richtig in Angriff genommen werden; denn es ist eine Kulturschande für unser Land, wenn Millionen von Heimatvertriebenen in schäbigen Holzbaracken logieren müssen.
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- Und in Bunkern - ganz richtig - und teilweise sogar im Freien! Ich kenne Heimatvertriebene, die noch nicht einmal eine Holzbaracke haben oder darauf verzichten, während des Sommers darin zu wohnen, weil die Holzbaracken bekanntlich so verlaust und in einem solchen Zustand sind, daß man einfach nicht darin wohnen kann. Mein Freund Götzendorf, selbst ein Heimatvertriebener, wird über das Problem der Heimatvertriebenen noch ausführlicher zu reden haben.
Aber eines freut mich in der Regierungserklärung: daß nämlich die Regierung so klare Worte hinsichtlich der Oder-Neiße-Linie gesprochen hat. Wir alle - ohne Rücksicht auf Partei - werden niemals die Oder-Neiße-Linie anerkennen.
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Aber eins habe ich in der Regierungserklärung vermißt. Genau so wie uns Schlesien und Pommern, wie uns Ostpreußen und alle diese übrigen deutschen Gebiete am Herzen liegen, genau so liegt uns auch das Schicksal der Deutschen in den Gebieten in Böhmen und Mähren am Herzen.
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Genau so wie Schlesien gehört auch Deutsch-Böhmen zu uns, zu Deutschland. Die Deutschen in Böhmen haben 1919 ausdrücklich erklärt, daß sie lediglich in den neuen tschechischen Staat hinein vergewaltigt worden sind, daß sie aber niemals de jure anerkennen, daß dieses deutsch-böhmische Gebiet Gebiet der Tschechoslowakei sei. Ich möchte hier keineswegs dem Herrn Bundeskanzler irgendwelche Absichten unterstellen. Es ist vielleicht nur im Laufe der Rede vergessen worden. Deswegen kam auch ein Zwischenruf von unserer Seite. Ich glaube, daß die Bundesregierung genau so wie wir alle der Auffassung ist: Deutsch-Böhmen ist genau so deutsches Gebiet wie Schlesien und Pommern und Ostpreußen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Aber mit der Hoffnung auf Rückkehr der Flüchtlinge, mit der Hoffnung darauf, daß endlich einmal dieses furchtbare Unrecht, das in Jalta und später am deutschen Volk begangen worden ist, mit der Hoffnung allein, daß das wieder gutgemacht wird, können wir uns noch nicht begnügen. Wir müssen eine rascheste Eingliederung der Heimatvertriebenen in die einheimische Wirtschaft haben, und dann wird sich ja bald herausstellen, daß das, was die Heimatvertriebenen mitgebracht haben - aus Böhmen und Mähren und überallher sonst, ich nenne von diesen Flüchtlingsindustrien nur die Gablonzer Industrie und die Graslitzer Industrie
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-, wahre Goldgruben für die Flüchtlinge genau so wie für die Einheimischen werden können. Und so bitten wir den Herrn Bundeskanzler und die Bundesregierung ganz besonders, ihr Augenmerk dem Schicksal der Flüchtlinge und ihrer Industrien zuwenden zu wollen!
Das zweite, ebenso wichtige Problem, von dem wir hoffen und erwarten, daß es die Bundesregierung mit aller Kraft angehen wird, ist das Problem der Arbeitslosigkeit. Wir warnen vor jeder theoretischen Betrachtung der Lage, vor einer Betrachtung, wie sie in den Sälen der Universität bei angehenden Studenten vielleicht am Platze sein mag, denen man die theoretischen Grundbegriffe des Wissens erst beibringen muß, die in der Praxis aber vollkommen fehl am Platze ist. Wir warnen vor einem Auspendelnlassen der Arbeitslosen, wir warnen davor mit aller Kraft, weil es sich hier nicht um totes Metall und tote Uhrenpendel handelt, sondern um lebende Menschen, und der Mensch muß Mittelpunkt des ganzen Staates sein. Nur das ist wahre Demokratie, alles andere ist Spiegelfechterei.
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Wir warnen vor einem. Auspendelnlassen der Arbeitslosenziffer. Die Arbeitslosenziffer ist schon hoch genug, viel zu hoch schon. Wir müssen unter allen Umständen an ihre Beseitigung und ihren Abbau herangehen.
Da kann ich nicht ganz dem Optimismus der Regierungserklärung folgen, die meint, daß schon lediglich durch eine Belebung des Baumarktes die Arbeitslosen weitgehend zum Verschwinden gebracht werden könnten. So einfach ist das Ding doch nicht! Ganz besonders aber möchte ich warnen, vielleicht die einen Arbeitslosen in die Arbeit hineinzubringen und dafür andere Hunderttau-'sende, die jetzt noch gerade mit Mühe und Not im Lebenskampf durchkommen, zu Arbeitslosen werden zu lassen, und zwar dadurch, daß man einen der wichtigsten Ausgabenposten im Budget des kleinen Mannes in die Höhe steigen läßt: ich meine den Ausgabenposten an Mieten. Die Miete ist genau so wie der nackte Lebensunterhalt eine der wichtigsten Ziffern im Budget des kleinen Mannes, und wehe, wenn wir heute zu Mietpreiserhöhungen kommen würden! Ich glaube, sogar im Namen von Tausenden von Hausbesitzern zu sprechen, wenn ich Ihnen sage: das ist nicht einmal das Ziel der Vernünftigen unter den Hausbesitzern. Wir müssen selbstverständlich dazu kommen, daß wiederum Beträge für die Reparatur von Wohnungen bereitstehen. Wir kennen ganz genau die Lage auf diesem Gebiet. Aber niemals kann das durch eine Mietzinssteigerung erreicht werden. Das muß durch etwas ganz anderes erreicht werden: das muß dadurch erreicht werden, daß die irrsinnig hohen Steuerlasten, die auf dem Hausbesitz ruhen, endlich abgebaut werden; denn der Hausbesitzer ist ja heute nichts anderes mehr als der Kassenbote des Finanzamtes.
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Wir können etwas ganz anderes tun: wir können Mittel für die dringlichst notwendigen Reparaturen der Häuser bereitstellen, ohne die Mieten zu erhöhen, denn jede Mieterhöhung würde sofort die Schraube ohne Ende in Bewegung setzen. Wir müssen endlich einmal die wahnsinnig überhöhten Mietzinssteuern herunterbringen, und soweit es Sache der Länder auf diesen Gebieten ist, wird der Bund irgendwie dann einen Ausgleich für die Länder zu schaffen haben, daß wir dann von selbst auch hier dringendst notwendige Maßnahmen treffen können; wie es ja überhaupt Sache der Bundesregierung sein wird, die Tätigkeit der Länder endlich einmal zu koordinieren und endlich einmal in eine gleiche, für das ganze Deutschland nützliche und heilsame Richtung zu bringen. Wir warnen also die Regierung vor Mietpreiserhöhungen aller Art!
Vor noch etwas warnen wir diese Regierung - auch darüber sind einige Sätze im Regierungsprogramm gesprochen worden, die aber, wenigstens nach unserem Dafürhalten, noch nicht klar und eindeutig ausgelegt werden können -: wir warnen die Regierung davor, ohne weiteres und unbesehen dem Beispiel anderer Staaten zu folgen, die in einer ganz anderen Lage als wir sind. Wir warnen die Regierung, hier einfach in das kalte Wasser nachzuspringen, selbst dann, wenn andere uns vorausgesprungen sind. Wir warnen vor einer Währungsdevalvation. Wir warnen vor einem neuerlichen Währungsschnitt, und wir können den Beruhigungserklärungen leider - ich sage: leider - nicht Glauben schenken, diesen Beruhigungserklärungen, die schon in der Bundeskanzler-Erklärung angedeutet sind: „Na, Kinder, so schlimm wird's ja wohl nicht werden! Es wird nur vielleicht eine Verteuerung um einige Prozent bei deal Import-Artikeln geben, wenn wir jetzt die D-Mark um 20 oder 30 Prozent herabwerten lassen, und das wird sich dann im allgemeinen Preisgefüge verlaufen. Es wird keineswegs dazu führen, daß das gesamte Lohn- und Preisniveau ins Rutschen kommt!" Wir glauben dieser Beruhigungserklärung nicht! Warum? Weil jeder, der schon mal zwei Semester lang Volkswirtschaftslehre gehört hat, weiß, daß jede Regierung nach jeder Währungsabwertung schon solche Erklärungen abgegeben hat. Und Währungsabwertungen haben wir in den letzten Jahrzehnten in ganz Europa bisher schon am laufenden Band gehabt. Und was ist denn dabei herausgekommen?
Schauen wir die berühmte Franc-Abwertung aus dem Jahre 1936 an, die als Schulbeispiel herangezogen wird! Schauen wir andere Abwertungen in anderen Ländern an! Was ist herausgekommen? Nach wenigen Monaten war es so, daß die Preise für die wichtigsten Warengattungen sich wieder dem ursprünglichen Niveau weitgehend angegliedert haben, also an den inhärierenden Goldwert. Nach wenigen Monaten war die Wirkung einer Abwertung verpufft. Die Leidtragenden und die Dummen bei der ganzen Sache waren die ehrlich Arbeitenden, waren die Arbeiter, die Angestellten und die kleinen Geschäftsleute.
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Die Leidtragenden waren jene, deren Löhne und deren Einnahmen nur mühselig hinter der Steigerung der Preise nachhumpeln konnten.
Wir glauben nicht, daß hier eine Abwertung der D-Mark ohne allzu große Folgen für das Preisniveau sein und bleiben würde. Wir glauben etwas ganz anderes: daß nämlich unmittelbar nach der Währungsabwertung das gesamte Preis- und Lohngefüge ins Rutschen kommt und daß daraus die schädlichsten Spannungen und Streitigkeiten bei uns entstehen können. Der Erfolg wird am Schluß nur der sein, daß das mühsam für die D-Mark gesammelte Vertrauen wiederum restlos zerstört wird.
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England hat durch die Abwertung wenigstens etwas bekommen: England hat durch die Abwertung seine Staatsschulden um 30 oder wieviel Prozent heruntergebracht. Wir selbst sind in einer ganz anderen Lage. Unsere Staatsschulden sind ja weitestgehend durch die Währungsreform aufgeflogen und
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beseitigt worden. Für uns trifft dieser Vorteil einer Abwertung nicht zu. Wir haben nur Nachteile - ich betone: nur Nachteile! Ich glaube nicht an den Vorteil einer Abwertung der D-Mark. Ich glaube ganz besonders deshalb nicht daran, weil wir auf lange Jahre, vielleicht auf Jahrzehnte hinaus bedeutend mehr importieren müssen, als wir exportieren können.
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Wir müssen uns nicht einseitig dem Sterlingblock anschließen und ihm nachfolgen. Wir werden auf lange Zeit hinaus vielmehr Anlehnung suchen müssen an die Währung, die jetzt fest geblieben ist, also an die Dollarwährung, nachdem Amerika auf lange Zeit hinaus zum größten Teil wohl die Importe bestreiten wird und muß, ohne daß noch Gegenwerte aus den deutschen Exporten in entsprechender Höhe zur Verfügung stehen. Bis es einmal so weit ist, dürften sich die Preise am Weltmarkt schon lange wieder so angeglichen haben, daß aus einer heutigen Abwertung kein Vorteil entstehen würde.
Ich weiß selbstverständlich: wir sind noch nicht ganz frei auf allen Gebieten. Es ist leider noch nicht so, daß die Bundesregierung die letzte und einzige Entscheidung auf diesen Gebieten in der Hand hat. Das ist, weiß Gott, kein Vorwurf gegen die Bundesregierung, sondern ein Vorwurf gegen ganz andere Leute. Aber ich kann mir nicht denken, daß dann, wenn die Bundesregierung gegenüber der ganzen Weltöffentlichkeit fest und klar ihren Standpunkt kundgibt und erklärt: wir wollen keine Abwertung der mühsam erworbenen D-Mark, die Alliierten darüber einfach zur Tagesordnung übergehen können.
Meine Damen und Herren, dieses Problem beunruhigt uns von der WAV ganz besonders, dieses Problem, aus dem sich hunderterlei andere Probleme entwickeln werden, gerade jetzt bei beginnender Wintersaison, wo in kurzer Zeit die Arbeitslosigkeit schon rein saisonmäßig ansteigen wird. Wir sehen mit größter Sorge der Zukunft entgegen. Eine Herabsetzung der Exportpreise für die deutschen Waren, die zweifelsohne nach der Sterling-Abwertung notwendig sein wird, um konkurrieren zu können, müssen wir auf andere Art und Weise erzielen als durch einen Währungsschnitt. Wir müssen und können diese Herabsetzung dadurch erreichen, daß wir endlich einmal die Wirtschaft weitgehend von den unerhört hohen und einfach nicht mehr tragbaren Steuerlasten befreien, die auf der Produktion und auf der gesamten Wirtschaft ruhen. Im Altertum hat man gesagt, man könne vom Volk nur den Zehnten verlangen und nicht mehr. Was wären wir froh, wenn heute nur der Zehnte aus allen Einkünften der Wirtschaft und der Steuerzahler verlangt würde!
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Wir müssen eine Herabsetzung der Steuern bekommen. Dann können wir die Produktion auch im Export ohne weiteres verbilligen und auch dort, wo es nötig ist um auf dem Weltmarkt von der englischen Konkurrenz nicht allzu scharf in den Hintergrund gedrängt zu werden.
Wie gesagt: dieses Problem soll man nicht theoretisch angehen, noch dazu nicht angesichts der Tatsache, daß es ja nun einmal so ist, daß wir auf lange Zeit hinaus, mindestens noch für die nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte darauf angewiesen sind, von Amerika her riesige Mengen an Lebensmitteln und sonstigen Gütern zusätzlich zu importieren, wobei die Bezahlung dieser Güter nicht ohne weiteres gleich wird erfolgen können.
Aus allen diesen Gründen werden wir durch einen schematischen Währungsabwertungsschnitt nur verlieren, nicht dagegen gewinnen können. Wir bitten - ich wiederhole es - gerade angesichts der Wichtigkeit der Dinge diese Regierung, unter gar keinen Umständen so bereitwillig mitzumachen und gleich dem englischen Beispiel zu folgen. Wir Deutschen müssen doch nicht gleich wie ein Pudel jedesmal sofort bereitwillig durch jeden Reifen hindurchspringen, den man uns entgegenhält.
({13}) Das zu diesem Problem.
Wir können allerdings - das sagte ich schon - die Währung nur dann auf dem Stande von heute halten, wenn wir die Produktion dadurch weitgehend verbilligen, daß wir mit den Steuern heruntergehen. Da habe ich nun große Befürchtungen; denn es ist meistens so: zuerst kommt der Minister, dann kommen fünf Ministerialdirektoren als Abteilungsleiter, dann kommen zwanzig Ministerialräte, und dann wird der Apparat immer größer und umfangreicher. Selbst wenn der Minister bremst, dann sorgen die Herren Ministerialdirektoren und Ministerialräte schon von selbst dafür, daß dieser Bremsdruck nicht allzu stark wirksam wird und immer weiter und weiter Personal eingestellt wird; denn man muß ja seine Notwendigkeit im Amt beweisen. Der beste Beweis aber für die Herren Bürokraten für ihre absolute Notwendigkeit war es noch stets, eine möglichst große Zahl von Aktennummern zu haben, damit man im Schlußbericht alle Vierteljahre oder alle Jahre sagen kann: „Schaut mal an, wie umfangreich der Aufgabenbereich unseres Ministeriums ist!" Da darf der Minister noch so wohlmeinend bremsen - und ich sehe schon ein Lächeln auf der Regierungsbank, ein Lächeln des Einverständnisses damit -,
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da darf man noch so bremsen, meine Damen und
Herren, da sind manchmal die Ministerialräte und
Oberregierungsräte stärker als die Herren Minister.
Diesen Anfängen gilt es zu wehren, meine Damen und Herren, und wir bitten diese Regierung händeringend: Seid sparsam bei der Aufstellung des Personaletats!
({15})
Wir können es uns nicht mehr leisten! Wir haben sowieso schon eine Länderbürokratie in fast allen deutschen Ländern, die phantastisch groß ist. Wollen wir jetzt auch noch eine Bundesbürokratie schaffen, die ebenso groß oder vielleicht noch größer ist? Wer soll das alles bezahlen? Letzten Endes zahlt es immer nur unsere Wirtschaft und zahlen es unsere Steuerzahler. Wir möchten der Regierung vor allem das mit auf den Weg geben: Tut alles, um den Behördenapparat möglichst klein zu halten; denn die Wirksamkeit und die Güte eines Ministeriums vermindert sich in geometrischer Progression mit der Zunahme der Beamtenstellen im Ministerium.
({16})
Das steht für jeden fest, der schon einmal ein Ministerium, und sei es nur kurze Zeit, geleitet hat.
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Jeder in diesem Hause ohne Rücksicht auf die Parteieinstellung wird mir hierin recht geben, und es wird die hohe Aufgabe gerade dieses Bundesparlaments sein, immer und immer wieder dafür zu sorgen, daß nicht hier von einer Beamtenbürokratie
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aus ein übersetzter Beamtenapparat aufgebaut wird, der den Steuerzahlern einfach nicht mehr tragbar erscheint.
Ich möchte nun ein Wort wiederholen, das wir von der WAV schon vor drei Jahren geprägt haben. Es freut mich immer, wenn solche Formulierungen dann von großen Parteien aufgenommen und wiederholt werden. Wir möchten eines nicht erleben: daß nämlich irgendeine politische Partei, heiße sie, wie sie wolle, zu einem Stellenvermittlungsbüro für alle die Bewerber wird, die sich zu Hunderten, ja zu Tausenden schon melden, um in diese neue Bundesbeamtenschaft aufgenommen zu werden. Wenn das wahr ist, was in einigen Zeitungen stand: an einem einzigen Tage über 700 Stellengesuche und Bewerbungen von Beamten aller Art, die nach Bonn hergeflattert sind, dann beneide ich den Herrn Bundeskanzler und seine Regierung weiß Gott nicht um die Aufgabe, hier Spreu vom Weizen zu sondern und aus diesem Wust und aus diesem Berg von Stellengesuchen die wirklich Fähigen - das werden wahrscheinlich nur wenige sein - herauszupicken
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und als Regierungsräte und Oberregierungsräte und so weiter auf die Posten zu stellen, auf denen sie wirklich produktive Arbeit leisten können.
Meine Damen und Herren, es gibt noch eine Reihe wichtigster Probleme, zu denen wir einiges Wenige sagen möchten: das Problem der Kriegsversehrten, der Kriegerwitwen, der Kriegshinterbliebenen. Wenn man einmal hineingeschaut hat in die Elendsquartiere dieser anständigen Menschen, dann möchte man es oft nicht für möglich halten, wie es da zugeht, wie Leute mit 20 oder 30 Mark im Monat leben müssen. Es ist bewundernswert,
was unser Volk alles erduldet. Aber das darf uns nicht dazu führen, daß wir hier denken: na, das ist bisher schon so gegangen, das kann noch weiter so gehen; diese armen Teufel werden sich schon nicht rühren. - Nein, wir müssen jetzt endlich einmal, und zwar von Bundes wegen, mit einer umfassenden Regelung der Versorgung dieser Ärmsten unseres Volkes herauskommen, die ihre Pflicht und sonst gar nichts getan haben, ihre Pflicht gegenüber ihren Mitbürgern, die ins Feld hinausgezogen sind nicht aus Begeisterung am Kriegführen. O nein, wir alle oder fast alle, die wir hier sitzen, wissen es, wie bedrückt am 25. August 1939 ganze Regimenter ausmarschiert sind, wie bedrückt, ohne Lachen auf den. Gesichtern, diese Menschen hinausgegangen sind. Man hat sie hinauskommandiert; es war nicht ihr freier Wille. Sie haben draußen ihre Pflicht getan gegenüber ihren Mitbürgern, gegenüber ihren Kameraden, die sie herausgeholt haben, wenn sie verwundet waren, und die sie noch aus den Stacheldrahtverhauen zurückgebracht haben. Diesen Menschen möchten wir von der WAV unseren ganz besonderen Dank zum Ausdruck bringen.
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Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat mit Recht einer ganzen Reihe von Organisationen im In- und Ausland, dem Roten Kreuz und vielen anderen, namens des ganzen deutschen Volkes wärmstens gedankt für das, was diese Organisationen für unsere Mitbürger getan haben. Ich glaube, wir müßten zu diesem Dank auch noch eines zum Ausdruck bringen, nämlich den unendlichen Dank unseres ganzen Volkes all denen unserer Mitbürger gegenüber, diesen Millionen von Mitbürgern, die brav und anständig gewesen sind, ihre Pflicht getan haben und namenloses Elend
durchgemacht haben; den Dank an die, die draußen waren, ohne daß sie deswegen Militaristen gewesen sind; den Dank genau so an die, die herinnen gestanden sind, beim Löschen der Brände ihren Nachbarn geholfen und nicht viel danach gefragt haben, ob sie am nächsten Tag bei einer Kasse eine Bezahlung dafür in Empfang nehmen konnten; und schließlich seit 1945 den Dank an unser ganzes deutsches Volk, das sich in bewundernswerter Art und Weise benommen hat
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mit Ausnahme einiger hunderttausend Großschieber, Währungsreformgewinnler und ähnlicher schmutziger Subjekte, die aus der Not unseres Volkes Golddukaten geschlagen haben.
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Denen allen müßte man danken, und es hätte uns sehr gefreut, wenn die Regierungserklärung darüber Näheres enthalten hätte, und zwar ausführlich.
Bewundernswert war und ist die Haltung unseres Volkes. Ich frage Sie: welche anderen Völker hätten sich wohl so diszipliniert, so anständig und ruhig benommen, wenn sie pro Monat 150 Gramm Fleisch und 75 Gramm Fett bekommen hätten und sonst gar nichts außer ein bißchen schlechtes Brot und ein paar Kilo Kartoffeln? Das waren doch die Lebensbedingungen unseres Volkes. Unser heißester Dank muß daher diesen allen gelten, namentlich all den Millionen von Hausfrauen, die alles getan haben, um durchzuhalten. Deshalb freut es uns ganz besonders, daß der Herr Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung auch der Frauen und der Frauenprobleme eigens gedacht hat.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundeskanzler hat in seiner Erklärung sehr richtig gesagt: Wir können uns nicht auf ewige Zeiten darauf verlassen, daß uns aus dem Ausland all das gegeben wird, was wir nicht selbst erarbeiten und kaufen können. Wir müssen unsere Produktion erhöhen, und das Alpha und Omega der ganzen Regierungstätigkeit soll sein: wie kann die Produktion in diesem Lande erhöht werden? Allerdings, ich muß schon sagen: schematisch geht das nicht. Wir lehnen jeden Schematismus und jeden Doktrinarismus auf diesem Gebiete ab. Schlagwörter haben hier sehr wenig Bedeutung. Wir glauben, daß von Fall zu Fall in empirischer Art und Weise der Herr Wirtschaftsminister und die Regierung sich bei jedem einzelnen Tatbestand immer wieder darüber schlüssig werden müssen, was zu geschehen hat oder nicht. Hier kann nicht mit Allerweltsrezepten oder grauen Theorien etwas erreicht werden. Eines allerdings, meine Damen und Herren, muß beseitigt werden: es darf nicht so weitergehen, daß heute in weiten Gebieten Deutschlands das Bauholz zum großen Teil keinen Absatz mehr findet deswegen, weil nicht genügend Nachfrage da ist, weil nicht genügend gebaut wird. Ich kenne Ziegeleien in der Umgebung meiner Vaterstadt, die die Produktion sogar drosseln und herabsetzen, weil zu wenig Nachfrage nach Ziegelsteinen besteht.
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- Sehen Sie, solche Dinge dürfen nicht mehr passieren.
Es darf auch nicht so weitergehen, daß wir heute allein in der Bizone über 250 000 arbeitslose Bauhandwerker haben, für die Arbeit in Hülle und Fülle auf Jahrzehnte hinaus vorhanden wäre. Hier fordern wir die Regierung auf, tatkräftig einzuschreiten, wobei wir allerdings davor warnen, das
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Heil in einer uferlosen Kreditausweitung erblicken zu wollen. Wir würden etwas ganz anderes begrüßen, nämlich eine Herabsetzung der Staatsausgaben, namentlich der Ausgaben für Zehntausende von Beamtenposten, die in den letzten Jahren künstlich und ohne Notwendigkeit geschaffen oder mit unfähigen Leuten besetzt worden sind. Durch einen Abbau aller dieser Posten würden wir zu Ersparungen gelangen, die sich sehen lassen könnten und die groß genug wären, um riesige Beträge für den Wohnungsbau und andere dringende Sofortmaßnahmen abzweigen zu können.
Ein Redner hat sich hier über die Förderung der Landwirtschaft ausgelassen. Er sagte: wir müssen unter allen Umständen die landwirtschaftliche Produktion dadurch in die Höhe bringen, daß wir den Hackfruchtanbau intensivieren. Lassen Sie mich bitte eines dazu sagen. Es ist doch heute so, daß in einigen Gebieten Deutschlands der Hackfruchtanbau zur Zeit schon deswegen reduziert wird, weil nicht genügend landwirtschaftliche Arbeitskräfte da sind
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oder vermittelt werden können. Sehen Sie, das sind einige dieser Fehldispositionen auf dem Gebiete des Wirtschaftslebens, wo wir die neue Bundesregierung dringendst bitten, hier endlich einzugreifen, weil es wirklich höchste Zeit ist. Wie kann man denn den Hackfruchtanbau und Zuckerrübenanbau, die bekanntlich enorm arbeitsintensive Anbauarten sind, intensivieren, wenn heute nicht einmal den Bauern genügend landwirtschaftliche Kräfte zur Verfügung stehen, um die bisherige Produktionsweise weiterhin durchführen zu können?
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Hier muß der Staat, hier muß der Deutsche Bund entsprechend eingreifen, und zwar so rasch wie möglich.
Meine Damen und Herren, es gäbe noch so viel zu sagen zu den einzelnen Punkten des Regierungsprogramms. Wir wollen es uns ersparen, hier allzulange darüber zu reden. Denn jede Stunde, die der Regierung an Zeit durch Debatten weggenommen wird, geht ihr für produktive Arbeit verloren.
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Wir werden in einigen Monaten sehen, wie es diese Regierung bewerkstelligen wird. Wir werden in einigen Monaten sehen, ob diese Regierung auf alten, ausgefahrenen Geleisen fortfahren wird oder ob sie neue, konstruktive Ideen haben wird, die endlich einmal unsere Wirtschaft aufwärtsbringen können. In einigen wenigen Monaten schon wird es sich die Regierung gefallen lassen müssen, daß wir uns hier darüber ausführlichst unterhalten. Bis zu diesem Zeitpunkt aber - ich wiederhole es - werden wir von der WAV ohne Haß und ohne Vorschußlorbeeren-Gewährung diese Regierung beurteilen. Wir werden sie nach ihren Taten beurteilen, und ich wünsche der Regierung nur, sie möchte recht viele gute Taten setzen zum Wohle unseres armen deutschen Volkes und unseres armen deutschen Vaterlandes.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Meine Damen und Herren, die Zentrumsfraktion, als deren Sprecherin ich zu der Regierungserklärung Stellung nehmen darf, wird, wie ich eingangs feststellen möchte, ohne Bindung an die Regierungskoalition, die bekanntlich die Kleine Koalition genannt wird, alle Maßnahmen der Regierung unterstützen, die richtig und gerecht sind, aber alles ablehnen und bekämpfen, was meinen politischen Freunden und mir von anderen Gesichtspunkten als denen des Volkswohles aus nicht richtig und gerecht erscheint. Wir sehen es als unsere Aufgabe an, Willkür und Machtmißbrauch zu verhindern, für Toleranz und Menschenachtung, Freiheit und Gerechtigkeit einzutreten, der Wahrheit zu dienen und gegebenenfalls dunkle Kräfte und Motive, die Staat und Gemeinschaft bedrohen, durchsichtig zu machen.
Die Sprecher der Fraktionen in diesem Hohen Hause, sowohl diejenigen, die sich zur Regierung bekennen, wie auch diejenigen, die in der Opposition stehen, haben im wesentlichen ihre Haltung und ihr Programm aufgezeichnet. Wir haben auf Grund dieser Darlegungen das Empfinden, daß nicht nur Trennen des, sondern auch vieles Gemeinsame vorhanden ist, und wir können uns nicht des Eindrucks erwehren, daß man Größeres als eine kleine Koalition hätte erreichen können, wenn man von Anfang an bemüht gewesen wäre, nicht das Trennende, sondern das Gemeinsame zu finden.
({0})
Alle wollen wir den Wiederaufbau Deutschlands in möglichst kurzer Frist, in einem ständig sich steigernden Tempo erreichen. Die Wiederherstellung zerstörter Wohnbezirke, die Lösung des Vertriebenenproblems, die Schaffung von Lebenssicherheit auch für die Ärmsten, das alles sind Notwendigkeiten, denen sich niemand verschließen kann, ganz gleichgültig ob er zur Regierung oder zur Opposition gehört. Diesen Notwendigkeiten kann sich auch das Ausland nicht verschließen. Wir haben das Verhalten des Auslandes und seine Stellung zu unserem Volk nach dem Zusammenbruch der Katastrophenpolitik des Nationalsozialismus erlebt, wir haben es erlebt in den menschlichen Hilfeleistungen, wie sie auch vom Herrn Bundeskanzler gezeigt worden sind, in den Hilfeleistungen jener Völker und Staaten, die als Sieger aus diesem zweiten Weltkrieg hervorgegangen sind. Zu jenen, die der Herr Bundeskanzler genannt hat, dem Roten Kreuz, dem Vatikan, der Ökumene von Genf, glauben wir noch hinzufügen zu müssen die Hilfe der Quäker, der Heilsarmee, der Mennoniten, der nordischen Länder, der Schweiz wie aller jener Organisationen und auch Einzelpersonen, die oft unter persönlichen Opfern für die Fürsorgeorganisationen oder für einzelne Familien in Deutschland gesorgt haben. Meine Damen und Herren, es bedeutet keine nationale Würdelosigkeit, wenn man dafür dankbar ist. Wir müssen den Mut zu dieser Wahrheit auch gegenüber jenen nationalistischen Phrasendreschern haben, die heute schon wieder dabei sind, das Bild des deutschen Menschen in verhängnisvollster Weise zu verzeichnen.
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Wir wissen alle gemeinsam, wie schwer der Aufbau Deutschlands ist. Wir wissen, daß Millionen Menschen, wie es eben auch von meinem Vorredner gezeichnet worden ist, aus ihrer gesicherten Existenz geschleudert wurden und heute kaum das Lebensnotwendigste haben. Aber wir dürfen bei all diesem doch nicht übersehen, was sich während des Hitlerkrieges jenseits der deutschen Grenzen abgespielt und was für grauenvolle Spuren auch dort der Krieg hinterlassen hat.
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Diese außenpolitische Situation gehört mit zu den Wirklichkeiten, von denen heute der deutsche Politiker ausgehen muß. Nur wenn er dieses tut, nur wenn er in den Wechselwirkungen auch das rechte Verständnis des Auslandes für unsere Verhältnisse findet, wird er gute Außenpolitik machen können. Im Rahmen des europäischen Aufbaus ist mit dem Marshallplan auch dem deutschen Volk schon beträchtlich geholfen worden, und in der Politik ist, soweit es sich jedenfalls um die westliche Welt handelt, für Deutschland ein Stand erreicht worden, der die Schaffung dieser Bundesrepublik ermöglicht hat.
Die Wirkung der ersten Bundesregierung beginnt nun. Es ist dabei gewiß schmerzlich zu wissen, daß Deutschland seine Souveränität nur mit Einschränkungen wieder erhalten hat, die sich aus der durch die Oberkommissare ausgeübten Kontrolle ergibt. Dabei überwachen die Oberkommissare, wie ja bekannt ist, nicht nur den demokratischen Aufbau und die Friedens- und Sicherheitsgarantien allein. Schon die Unfreiheit, die auf dem Gebiete des Außenhandels geblieben ist, zeigt die Situation, in der sich Deutschland heute befindet. Nicht schnell genug kann eine andere, eine echte und dauernde
Ordnung herbeigeführt werden. Es wird eine der
wichtigsten Aufgaben sein, die deutscherseits in den zwischenstaatlichen Beziehungen erfüllt werden müssen, die Siegerstaaten von der Notwendigkeit eines Friedensvertrages für Deutschland zu überzeugen.
({3})
Meine Damen und Herren! Mehr als 52 Monate sind seit der Einstellung der Kampfhandlungen vergangen, und de jure befinden wir uns noch immer im Kriegszustand. Eine Konferenz ist der anderen gefolgt, aber das Deutschlandproblem konnte nicht geklärt werden. Alles ist offen; nichts ist entschieden. Aber jeder fühlt, daß die Dinge zur Entscheidung drängen, wenn Europa überhaupt gesunden und in Ordnung kommen soll. Das Tragische an der europäischen Situation ist, daß das Dritte Reich es fertiggebracht hat, in seinen Niedergang ganz Europa zu verstricken. Mit Deutschland ist Europa an den Rand des Abgrundes gebracht worden und heute auf die Hilfe Amerikas angewiesen. Dadurch ist die Lösung des deutschen Problems so erschwert worden. So sehen wir uns in unserer Außenpolitik vor die Notwendigkeit gestellt, uns einzufügen in diese weltpolitische Situation und die deutsche Frage in Verbindung mit ihr zu betrachten. Sie kann nur im Rahmen Europas gelöst werden, wenn wir uns nicht auf den Standpunkt stellen wollen, daß wir uns von Europa lösen müssen. Es dürfte somit eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung sein - und gerade bei dem Charakter der Regierung, die jetzt gebildet worden ist -, die richtige Stellung in der Außenpolitik zu beziehen und diese auch dem deutschen Volke klarzumachen.
Gewiß, meine Damen und Herren, Deutschland liegt in der Mitte von Europa; aber halten wir uns frei von den nationalistischen Selbstüberschätzungen, als wenn Deutschland das Herzstück Europas in der Weltpolitik wäre. Uns tut eine kluge, abwägende Politik not, und ich möchte wünschen, daß man diese Notwendigkeit künftig nicht einmal in den Wahlkämpfen vergißt, weil uns nichts so schadet wie das törichte Wettrennen mit dem Nationalismus. Die Zentrumspartei ist durchaus nicht schlecht dabei gefahren, als sie die Konzession an den Nationalismus rundweg in ihren Wahlversammlungen ablehnte, Wer anders handelt, muß sich die Tatsache vor Augen halten, daß unser deutsches Volk zwar ein großes Einfühlungsvermögen in fremde Sprachen und Kulturen, in vergangene Zeiten und Epochen besitzt, aber daß es, wenn es sich mit den lebendigen Kräften fremder Nationen befassen soll, plötzlich jedes Augenmaß verlieren kann und von Wunschträumen und Wunschbildern zu leben beginnt, wie sie in kaum einem anderen Volk der Welt anzutreffen sind.
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Wir haben, meine Damen und Herren, alle Veranlassung, unser Volk zu lieben; aber weil wir es lieben, müssen wir es davor bewahren, immer ein Opfer seiner Schwächen und Fehler zu werden. Gerade heute haben wir allen Grund, an die Wirklichkeit zu denken und einmal das. Wort wahrzumachen, das wir alle so gern in den Mund nehmen: Realpolitiker zu sein.
Gestatten Sie mir hier die Bemerkung, daß sich nach dieser Grundeinstellung auch der Typ des deutschen Diplomaten richten muß, der uns künftig - zunächst auf dem Gebiete des Außenhandels und hoffentlich sehr bald auf dem gesamten Gebiete der Außenpolitik - gegenüber den anderen Staaten vertreten soll. Meine politischen Freunde und ich verkennen durchaus nicht, daß es unter den Diplomaten der alten Schule charakterfeste Menschen gegeben hat, beste Repräsentanten des Deutschtums, Männer, vor denen auch heute das Ausland noch Achtung hat. Aber ebenso ist es eine Tatsache, daß die Exklusivität, die früher im Auswärtigen Amt herrschte, hochqualifizierte Persönlichkeiten vom diplomatischen Dienst ausgeschaltet hat.
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Wir warnen dringend vor dem Korpsstudenten als dem geborenen Anwärter für den auswärtigen Dienst.
({6})
Wir warnen auch davor, nur Leute mit sieben- oder neunzackigen Kronen ins Ausland zu schicken
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und zu glauben, damit die deutsche Demokratie allein repräsentieren zu können. Meine politischen Freunde würden es mit besonderer Genugtuung begrüßen, wenn die Bundesregierung in dieser Beziehung jedenfalls nicht dem Beispiel der Weimarer Republik folgen würde und den Mut hätte, einen ganz andern Weg zu gehen. Es wird schon allerlei darüber gemunkelt, wie sich gewisse Leute der alten Schule nach vorn drängen, wie sie antichambrieren und sich mit besonderen Denkschriften in empfehlende Erinnerung bringen. Die Bundesregierung würde dem deutschen Volk keinen Dienst erweisen, wenn sie derartigen Bewerbern zu bereitwilligst Gehör schenken würde. Wir meinen, es scheint jetzt die Zeit gekommen zu sein, einen neuen Typ des Vertreters deutscher Interessen im Auslande herauszustellen, und ich möchte nicht zuletzt auf diejenigen hinweisen, die in den Nazijahren unfreiwillig ihre Auslandserfahrungen gesammelt haben. Wir haben Kaufleute, wir haben Journalisten, die jahrelang draußen gewesen sind und von denen wir nicht zu befürchten brauchen, daß sie der uns umgebenden Welt ein schiefes Bild von Deutschland vermitteln.
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Damit soll, um das hinzuzufügen, gar nicht gesagt sein, daß für Diplomaten der alten Schule
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keine Verwendung wäre. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß angesichts einer ziemlich großen Auswahl eine sehr sorgfältige Auslese getroffen werden kann und hohe Ansprüche zu stellen sind. Ich habe nicht den Eindruck, daß dieser Hinweis verfrüht wäre. Vielmehr hoffe ich, daß er noch einigermaßen rechtzeitig erfolgt.
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Zur Realpolitik gehört auch die Frage, ob wir Deutschen nur die Wahl zwischen Ost und West haben. Wir haben uns darüber heute in diesem Hause sehr temperamentvoll unterhalten, und doch glaube ich, es wäre eine Verkennung der historischen Gegebenheiten und Aufgaben unseres Volkes, wollten wir sagen, wir könnten nur zwischen Ost und West wählen. Wir können unsere Tradition, unsere Vergangenheit, unsere Geschichte, alles, was wir geworden sind und darstellen, nicht aufgeben, ohne uns selbst aufzugeben. Deshalb haben wir keine Wahl zwischen West und Ost. Wir können uns weder von der einen noch von der anderen Seite gänzlich abwenden, und ich glaube, es wäre nichts katastrophaler, als wenn von Deutschland eine Verschärfung der Spannungen ihren Ausgang nehmen würde. Wir können in unserem eigensten Interesse nur immer wieder betonen, wie sehr uns an einer Verständigung zwischen West und Ost gelegen ist. Um keinen Preis darf in der Welt der Eindruck entstehen, daß diese Verständigung uns unerwünscht wäre. Heute scheint sich zwischen Europa und Rußland eine Kluft aufzutun. Wollen wir uns nicht selbst untreu werden, dann kann es nicht unsere Aufgabe sein, diese Kluft zu erweitern und zu vertiefen. Rußland ist immerhin der vierte Partner jenes Friedensvertrages für Deutschland, mit dessen Hilfe wieder ein Gesamtdeutschland entstehen kann.
Von dieser Betrachtungsweise aus möchten wir auch das Ostministerium sehen. Wenn das Ostministerium einen politischen Sinn und Wert haben soll, dann muß es den Willen zur Einheit Deutschlands verkörpern, und dies auf der Basis der gegebenen Tatsachen, soll nicht unter den Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs der Eindruck entstehen, daß sie abgeschrieben und vergessen werden. Das Ziel eines Ostministeriums muß sein, an den Chancen für eine Verständigung aller Partner mitzuarbeiten.
Ich weiß, daß diese Darlegungen bei gewissen Leuten Befremden erregen könnten. Aber ich glaube, daß sie jedem aus dem Herzen gesprochen sind. der von einem echten Nationalbewußtsein erfüllt ist. Ich brauche hier nicht zu betonen, daß das Zentrum seiner ganzen Natur nach zu den schärfsten Gegnern des Kommunismus gehört. Aber es gibt nur eine Art des Sieges in diesem Kampf. Sie heißt: hier im Westen das Größte leisten, hier den echten Fortschritt zustande bringen, hier die Persönlichkeitswertung durchsetzen. Dann wird die europäische Idee den Osten erobern, nicht aber der Bolschewismus das Gesicht Europas bestimmen.
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Dabei verkennt das Zentrum keineswegs die Aufgabe der Bundesregierung, sich der deutschen Kriegsgefangenen und Verschleppten mit besonderer Sorge anzunehmen und durch eine kluge Außenpolitik zu erreichen, daß alle Völker mithelfen, diesen bedauernswerten Menschen recht bald die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen.
In der großen Linie der amerikanischen Politik zeichnet sich immer mehr die Notwendigkeit einer Verständigung für Europa ab. Im Rahmen dieser europäischen Verständigung muß auch das Ostproblem und das Problem der deutschen Menschen, die jenseits des Eisernen Vorhangs leben, gelöst werden.
In der Epoche, die jetzt durch die Ausgestaltung der Beziehungen der Staaten und Völker untereinander beginnt, muß die deutsche Politik das Kommende erkennen. Nicht nur der Osten wird die Bundesrepublik Deutschland vor große Entscheidungen stellen, auch der Westen hat seine Probleme. Es sind vor allem zwei Mächte, die den Wiederaufbau und Neuaufbau Europas fördern können. Europa hat sich vor 2000 Jahren aus der Wechselwirkung von Hellas und Rom geformt und gestaltet. Von Hellas stammte der geistige Inhalt, stammten die Persönlichkeitswerte, mit denen die abendländische Welt zu ihrer wahrhaften Größe emporstieg. Von Rom stammte die ordnende und staatsbildende Kraft. Aus diesen beiden Kräften wurde Europa und war es in der Lage, das christliche Ideengut zu einer überstaatlichen Hochkultur auszuformen. Auch heute sind es, wenn wir vom .deutschen Volke absehen, vornehmlich zwei Völker, bei denen noch die letzte, aber große Chance für Europa liegt, Frankreich und England, wenn sie sich ihrer großen geschichtlichen Aufgabe bewußt werden und sich im echt föderativen Gedanken für den Aufbau Europas einsetzen. Wir unterstützen deshalb die Absicht der Regierung, am europäischen Zusammenschluß mitzuarbeiten. Wir kämpfen für diesen europäischen Zusammenschluß, weil wir daran glauben, daß die christlich-abendländischen Kulturwerte, die Europa noch bewahrt, der gesamten Menschheit erhalten bleiben müssen.
Meine Damen und Herren! Auf dem Gebiete der Innenpolitik erwarten wir von der Regierung, daß sie durch die Verwirklichung einer echten Demokratie der Befriedung des ganzen Volkes dient und die Notwendigkeit anerkennt, die Mitarbeit aller aufbauwilligen Kräfte zu gewinnen. Uns scheint es nicht zu genügen, wenn der neue Bundesstaat bejaht wird. Viel wichtiger ist es, daß die Ideen und Gestaltungskräfte erkannt werden, die ihn erfüllen müssen. Das Schicksal unserer Demokratie hängt von ihrer Funktionsfähigkeit ab. Deshalb würden wir es begrüßen, wenn auch die in der Opposition stehenden Parteien sich dessen bewußt sind, daß sie zwar nicht Träger der Regierung, aber Mitgestalter der deutschen Demokratie sind.
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Wir dürfen nicht noch einmal die letzte Chance zur Schaffung einer Demokratie verspielen und müssen deshalb alles tun, um in diesem Hohen Hause zu sachlichen Auseinandersetzungen zu kommen.
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Ebenso halten wir es für falsch, anzunehmen, daß aus den Wahlresultaten vom 14. August schon das endgültige Gesicht des jungen Staates herauszulesen wäre. Noch befinden wir uns im Stadium der Vorläufigkeit, noch ist der Volkskörper in einer ständigen inneren Bewegung und Umschichtung. Das deutsche Volk ist durch eine zu tiefe Katastrophe seines Wesens gegangen, als daß es heute schon ein Gesicht hätte, das seiner Art entsprechen würde und als endgültig anzusehen wäre. Die Bundesregierung sollte sich streng davor hüten, die knappe Majorität, von der sie getragen
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0 wird, durch den Charakter einer starken Regierung ausgleichen zu wollen.
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Es steht ihr jederzeit frei, durch entsprechende Gesetzesvorlagen eine breitere Majorität zu gewinnen als diejenige, von der sie ausgegangen ist. Ich habe eingangs betont, daß meine politischen Freunde und ich keine Bindung an die Koalition haben, daß wir aber bereit sind, jede Maßnahme zu unterstützen, die nach unserer Auffassung dem Wohl des Volksganzen dient.
Die Bundesregierung könnte sehr bald ein überzeugendes Beispiel für ihr demokratisches Wollen liefern, wenn sie das im Grundgesetz vorgesehene Parteiengesetz einbringen würde, in welchem die im Grundgesetz geforderte Kenntlichmachung der Finanzquellen der Parteien natürlich nicht fehlen dürfte.
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Es mag sein, daß dieses Gesetz in Kreisen, die der Regierung nahestehen, ein gewisses Unbehagen auslösen würde.
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Aber ich erinnere mich mit großer Genugtuung der Tatsache, daß auch politische Freunde des Herrn Bundeskanzlers - leider nicht alle, doch einige - schon im Parlamentarischen Rat für die Forderung meiner Freunde nach Offenlegung der Finanzquellen gestimmt haben. In der öffentlichen Diskussion des Grundgesetzes ist gerade dieser Passus als einer der neuen konstruktiven Gedanken unserer vorläufigen Verfassung begrüßt worden. Es liegt auf der Hand, daß die demokratische Entwicklung in Deutschland entscheidend gefördert wird, wenn die Offenlegung der Finanzquellen der Parteien schleunigst Tatsache wird. Die Bundesregierung würde dadurch ein in weiten Kreisen der Bevölkerung bestehendes Mißtrauen entkräften. Für meine politischen Freunde darf ich feststellen, daß wir den im Parlamentarischen Rat begonnenen Kampf fortsetzen werden und, falls die Bundesregierung uns im Stich läßt, in diesem Hohen Hause von uns aus das Notwendige tun werden, um durch die Forderung nach Offenlegung der Parteifinanzen das Vertrauen der Bevölkerung zur parlamentarischen Demokratie zu festigen.
Verhängnisvoll wäre es weiterhin, wollte man für die Bundesregierung einen Beamtenkörper schaffen, der nur aus Anhängern der Regierungsparteien bestehen würde. Die Folge davon würde sein, daß weiteste Volkskreise, die der Regierung fremd gegenüberstehen, der neuen Bundesrepublik noch stärker entfremdet würden, während es doch die Aufgabe der Regierung sein muß, Staat und Volk miteinander zu verbinden. Im übrigen würde jeder Regierungswechsel zu einer ungeheuren Beunruhigung der Beamtenschaft führen. Wir haben nichts dagegen einzuwenden, wenn die Regierung sich durch Verwendung von Staatssekretären den politischen Einfluß innerhalb ihrer Ministerien sichert. Wir sehen darin auch eine zu begrüßende Kontrolle der Bürokratie. Die Staatssekretäre aber sollten nicht Beamte werden. Sie müssen, wie es in England der Fall ist, Politiker bleiben, die bei einem Regierungswechsel mit den Ministern automatisch zurücktreten. Im übrigen aber dürften für die Auswahl der Beamten parteipolitische Gesichtspunkte unter gar keinen Umständen Bedeutung haben.
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An der Spitze der Ministerialbeamten sollte ein völlig unpolitischer Beamter stehen. Nur so ist eine klare Trennungslinie zwischen der politischen Verantwortung und der fachlichen Verwaltungsarbeit möglich. Diese Trennungslinie liegt namentlich auch im Interesse des Berufsbeamtentums, für dessen Aufrechterhaltung das Zentrum eintritt.
Sorgfältig - das versprechen wir dem Herrn Bundeskanzler - werden wir darauf achten, welche Rolle die Steigbügelhalter des Naziregimes spielen werden.
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Die verhängnisvolle Entnazifizierung hat auf der einen Seite Leute rehabilitiert, zu denen wir nie und nimmer das Vertrauen haben können, daß sie es mit der Demokratie ehrlich meinen, und andererseits unzählige kleine und harmlose Pgs in die Wüste geschickt. Nachdem man lange genug die Kleinen gehängt und die Großen hat laufen lassen, möchten wir diese Großen nun unter gar keinen Umständen zu hohen und höchsten Würden emporsteigen sehen.
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Es scheint, meine Damen und Herren, eine europäische Tatsache, daß der jähe Übergang von der monarchischen zur republikanischen Staatsform auf dem beamtenpolitischen Gebiete ein schier unlösbares Problem aufwirft. Die Beamtenschaft ist an sich ein Kind des Absolutismus, und sie scheint zwangsläufig in Bürokratie auszuarten, wenn zwar der Monarch geht, aber die königlichen Beamten bleiben. Was ich schon für die kommenden deutschen Diplomaten ausführen durfte, das gilt in dieser Hinsicht auch für die Beamtenschaft schlechthin. Es gilt, über Weimar hinauszukommen. Wenn die Bundesregierung dies Ziel erreichen will, kann ihr nicht dringend genug empfohlen werden, sich in erster Linie der charakterfesten Beamten zu bedienen, die auch im Hitler-Staat dem demokratischen Freiheitsideal die Treue gehalten haben.
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Es geht hier nicht - um das einmal herauszustellen - um Wiedergutmachungsansprüche dieser Beamten, die auf einer anderen Linie liegen; es geht hier um den Staat selbst und um die Bildung einer demokratisch zuverlässigen Beamtenschaft.
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In dieser Hinsicht ist in der Weimarer Zeit viel versäumt worden, und von der jüngeren Generation hoffen wir, daß sie den in manchen Amtsstuben dringend benötigten frischen Wind bringen wird.
Schließlich darf hier auch nicht außer acht gelassen werden, daß der gesamte öffentliche Beamten- und Angestelltenapparat - auch das ist schon von den Vorrednern gesagt worden - der Verarmung unseres Volkes angepaßt sein muß. Es ist ja in dem hinter uns liegenden Wahlkampf von allen Parteien außerordentlich viel vom Verwaltungsabbau gesprochen worden, und wir hätten es deshalb begrüßt, wenn die Kleine Koalition nicht durch die große Zahl von 13 Ministerien dargestellt worden wäre.
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Zu den 111 Ministerien, die wir bereits in den drei Westzonen haben, kommen nach Bildung der Bundesregierung noch 14 einschließlich des Bundeskanzleramtes hinzu.
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Ob das verarmte deutsche Volk 125 Minister nur in seinem westlichen Bundesgebiet auf die Dauer bezahlen kann, ist eine durchaus beachtenswerte Frage, wozu dann noch das besondere Charakteristikum kommt, daß man in den kleineren Ländern den Ehrgeiz hat, möglichst viele Minister zu besitzen.
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Auch bei der Bildung der Bundesregierung können wir uns des Eindruckes nicht erwehren, daß dabei auch der Zweck erfüllt wurde, die Wünsche der Koalitionspartner zu befriedigen.
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Wir glauben nicht, daß das verarmte deutsche Volk für diese Großzügigkeit des Herrn Bundeskanzlers seinen Koalitionsfreunden gegenüber das entsprechende Verständnis aufbringen wird.
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Meine politischen Freunde und ich würden es deshalb begrüßen, wenn die Bundesregierung beim Aufbau der Bundesverwaltung ein hervorragendes Beispiel für eine einfache und leistungsfähige Verwaltung geben würde. Schließlich kann ja ein Verwaltungsabbau nicht einfach darin bestehen, daß man irgendwelche Angestellte auf die Straße setzt. Verwaltungsabbau kann immer nur bedeuten, daß man die Verwaltungsaufgaben abbaut. Zweifellos hat der Staat, vor allem auf wirtschaftlichem Gebiete, Aufgaben an sich gerissen, die nicht von ihm, sondern von der Selbstverwaltung der Wirtschaft erledigt werden sollten. Wir sind sehr dafür, daß die Wirtschaftsbürokratie im Staate verschwindet; wir wünschen aber nicht, daß diese Aufgaben von einer Selbstverwaltung der Wirtschaft übernommen werden, die schließlich von den Unternehmern beherrscht wird und von der sich die breite werktätige Masse unseres Volkes ausgeschlossen fühlt. Vielmehr müssen die Verwaltungskörperschaften der Wirtschaft demokratisch gestaltet werden. In ihnen ist das Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmerschaft schleunigst zu realisieren.
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Wenn das geschieht, dann ist die wichtigste Voraussetzung für den Abbau der Wirtschaftsbürokratie erfüllt.
Meine Damen und Herren! Recht und Gerechtigkeit zu üben, das muß das Fundament aller Maßnahmen der Bundesregierung sein. Die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz darf nicht nur ein Bestandteil des Grundgesetzes sein, sondern muß von jedem Bürger als die neue Wirklichkeit Tag für Tag erlebt werden können. Ich möchte gerade als Sprecherin der Zentrumsfraktion hier betonen, daß die demokratische Gleichberechtigung auch für unsere jüdischen Mitbürger gilt, wie es bereits vom Herrn Bundeskanzler in seiner Regierungserklärung betont und auch von den Vorrednern ausgeführt worden ist. Eine Regierung, die gegenüber einem wiederaufkommenden Antisemitismus nicht klar und deutlich macht, daß dieser nach allem, was in Deutschland und Europa den Juden angetan worden ist, in dieser Auswirkung sich für das deutsche Volk als Fluch erwiesen hat, verletzt das Recht und die Gerechtigkeit und handelt dem Interesse unseres Volkes zuwider.
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Wir begrüßen ferner die vom Herrn Bundeskanzler angekündigte Amnestie, für die meine Fraktion dem Hohen Haus ja bereits einen Antrag vorgelegt hat.
Mit der Bundesregierung liegt uns auch die Sorge für die Vertriebenen sehr am Herzen. Dabei wünschen wir, daß nicht nur, wie es in der Regierungserklärung heißt, die Pensionsansprüche für die vertriebenen Beamten geregelt werden sollen, sondern auch die Freigabe und Aufwertung der Spar- und Bankkonten sowie der Versicherungen der Vertriebenen in einem ähnlichen Verhältnis wie für die einheimische Bevölkerung ihre Regelung finden.
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Wir werden die Regierung auch in ihrem Bemühen unterstützen, einen Spitzenausgleich der Vertriebenen unter den westdeutschen Ländern vorzunehmen, wobei wir es sowohl im Interesse der Flüchtlinge als auch der Länder für wünschenswert erachten, daß dabei auf die kulturelle und konfessionelle Zugehörigkeit der Flüchtlinge stärker Rücksicht genommen wird als bisher, weil dadurch vielerlei Spannungen zwischen Vertriebenen und einheimischer Bevölkerung vermieden werden könnten. In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch auf einen Vorschlag hinweisen, der von unserem Dr. Stricker im Frankfurter Wirtschaftsrat gemacht worden ist, in dem er sich für geschlossene Siedlungen für die Flüchtlinge ausgesprochen hat, um damit Gewerbezweige - sie wurden eben schon erwähnt - wie zum Beispiel die Glasindustrie zu erhalten, aber auch um den Vertriebenen in ihrem Zusammengehörigkeitsgefühl entgegenzukommen.
Meine Damen und Herren, die Regierung wird das Maß an Souveränität haben, das sie sich verdient, und sie wird im Volk soviel Vertrauen finden, wie sie sich erwirbt. Gesetze und Verordnungen haben nicht nur dem Buchstaben, sondern vor allem auch dem Geist des Grundgesetzes zu entsprechen. Die Durchführung und ihre Art müssen es jedem Bürger ermöglichen, ihre Berechtigung und ihren Nutzen einzusehen. Dabei erwarten wir, daß jedermann das höchstmögliche Maß an Freiheit gewährt wird, ohne daß die dem einzelnen zugestandene Freiheit die Freiheit anderer einzuschränken braucht. Totalitäres darf es in Deutschland nicht mehr geben! Und es muß die Aufgabe sein, in allem, was das Menschen- und Völkerverbindende, aber auch innerhalb Deutschlands das Länderverbindende ist, die Toleranz zur Richtschnur des Handelns zu machen und jedem einzelnen, so groß oder so klein er sein mag, die Gleichberechtigung in jeder Weise zu verbürgen.
Die Bundesrepublik Deutschland muß solch gutes Beispiel demokratischer Staatsführung nicht nur für die westdeutsche, sondern auch im Hinblick auf die ostdeutsche Bevölkerung geben. Das wird ihr gelingen, wenn die zu ihrer Leitung berufenen Männer von allen parteipolitischen Winkelzügen absehen und ungeachtet der parteipolitischen Unterschiede verantwortungsbewußte, dem Gemeinen dienende volksnahe Arbeit leisten. Das Volk erwartet die rasche und planvolle Lösung seiner brennendsten Probleme. Von der Erfüllung dieser Erwartungen - darüber wollen wir uns ganz klar sein - hängt das Schicksal der Demokratie in Gesamtdeutschland ab.
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Die Bundesregierung hat eine Fülle an gesetzgeberischer Arbeit zu leisten. Der allgemeinen Unsicherheit über die Gültigkeit früherer Gesetze ist ein Ende zu machen. Ein Umbau der Gesetze, insbesondere der aus der Zeit von 1933 bis 1945, ist durch die Ausmerzung des nationalsozialistischen Ideentums notwendig geworden. Wir halten ferner
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ein Bundesversorgungsgesetz für die Kriegsbeschädigten und ihre Hinterbliebenen für dringend notwendig.
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das vom Gedanken der Gerechtigkeit und der Sorge für diese Menschen erfüllt ist.
In reichlich unbestimmten Worten hat der Herr Bundeskanzler vom Umbau des bürgerlichen Rechts gesprochen, noch vorsichtiger und allgemeiner als von der notwendigen sozialen Neuordnung. Wir würden gern etwas Genaueres - wenigstens hinsichtlich der Leitgedanken - über die Art vernommen haben, wie sich die Regierung die Verwirklichung der Gleichstellung von Mann und Frau im Familienrecht denkt, die Grundsätze und Richtung der neuen Ehegesetzgebung und die Neuregelung auch des Erziehungs- und Personensorgerechts. Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob das Schweigen der Regierungserklärung nicht leicht so aussehen könnte, als ob die inneren Meinungsverschiedenheiten der Koalitionsparteien über das Elternrecht sich auch hier offenbarten.
Dringend benötigen wir - um das auch einmal anzuführen - ein Pressegesetz. Es war Lassalle,
der für die Arbeiterzeitungen forderte, daß sie von
Inseraten Abstand nehmen, da die Zeitungen unfrei wären, wenn sie Inserate hätten. Heute liegen die größten Gefahren für die Freiheit der Presse auf anderem Gebiet. An sich sollte schreiben können, wer das Zeug dazu hat. Zum Publizisten muß man geboren sein. Das kann man nicht lernen, sondern das ist man von Haus aus.
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Das bringt sich früher oder später zum Ausdruck. Ob die Mitwelt das sofort anerkennt oder ob es erst in einer späteren Zeit verstanden wird, das liegt sehr oft in den Zeitverhältnissen begründet. Jedenfalls sollte die Bundesregierung beim Entwurf eines Pressegesetzes darauf achten, daß dieses Gesetz die Publizisten nicht hindert, sondern fördert.
Lassen Sie mich auch das feststellen: daß eine subventionierte Presse nicht der Freiheit und Unabhängigkeit unseres Volkes dienen würde. Unter gar keinen Umständen darf es wieder zu Zeitungstrusts und -konzernen kommen, wie Hugenberg es gemacht und wodurch er die Zeitungen unter seine Kontrolle gestellt hat.
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Wie auf jedem anderen Gebiet ist eine kapitalistische Entartung auch auf dem Gebiet der Presse eine unmittelbare Gefahr für die Demokratie und für die Freiheit.
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Meine politischen Freunde und ich sind uns der grundlegenden Unterschiede, die uns auf wirtschaftlichem Gebiet von den Auffassungen eines großen Teils der Regierungsparteien trennen, durchaus bewußt. Das bedeutet aber nicht, daß wir der Regierung von vornherein mit bestimmten Vorurteilen gegenübertreten werden; vielmehr werden wir abwarten, ob sich die unterschiedlichen Auffassungen in den praktischen Maßnahmen der Bundesregierung auswirken werden. Die vom Herrn Bundeskanzler vertretene These, die beste Wirtschaftspolitik sei auch die beste Sozialpolitik, ist nur dann richtig, wenn sozial denkende und handelnde Unternehmer der Arbeiterschaft als Partner gegenüberstehen.
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Wir haben den Eindruck, daß schon in nächster Zeit Entscheidungen zu treffen sein werden, die über die Art der von der Regierung empfundenen sozialen Verpflichtung Auskunft geben werden. Es scheint uns im Augenblick noch verfrüht, von den sozialen Auswirkungen der neuen währungspolitischen Situation zu sprechen. Es ist auch nicht zweifelhaft, daß diese neue Lage in einem für die Bundesrepublik sehr ungünstigen Augenblick eingetreten ist. Der Verwaltungsapparat der Bundesregierung befindet sich zum Teil noch im Aufbau und zum Teil im Umzug. Bei der Frage der Währung möchten wir aber die Regierung darauf hinweisen, die Quote der Abwertung so niedrig wie möglich zu nehmen, um den Glauben an die Festigkeit der Währung nicht zu erschüttern. Keineswegs darf aber die Währung, um Vertrauen zu haben, je geringer ihre Realdeckung ist, zu einem politischen Instrument werden. Dadurch wäre sie jeder politischen Schwankung unterworfen. Wir haben ja in Deutschland immer die traurige Erfahrung machen müssen, daß gewisse Unternehmerkreise solche Situationen ausgenutzt haben, um aus ihnen etwas für ihren Profit herauszuschlagen. So manche Erinnerungen an die Weimarer Zeit machen uns da bedenklich. Wir halten auch wenig von den Appellen an die Moral, wenn dahinter nicht die harte Entschlossenheit steht, denjenigen, die die Notlage auszunutzen trachten, tüchtig auf die Finger zu klopfen.
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Es kann sehr wohl sein, meine Damen und Herren, daß die Bundesregierung schon in den nächsten Wochen der Bevölkerung den Beweis zu erbringen hat, daß sie kapitalistischem Freibeutertum keine Chance gewährt. Bleibt sie diesen Beweis schuldig, dann wird es die Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, die Bundesregierung eindringlich an ihre große Verantwortung zu erinnern.
Der Herr Bundeskanzler hat nur zu einer Seite dieser sehr ernsten Fragestellung Stellung genommen, indem er die Notwendigkeit der Steigerung des Exports herausgestellt hat. Auf die Folgen, die sich aus der Abwertung für den Import ergeben, zum Beispiel Verteuerung der Lebensmitteleinfuhr, ist er nicht eingegangen. Wir wünschen nicht zuletzt auch im Interesse einer erhöhten Spartätigkeit, daß die Bundesregierung alle Maßnahmen ergreift, die eine Verteuerung des Lebensunterhalts namentlich der Arbeiter und der minderbemittelten Bevölkerung verhindern. Wir hoffen, daß die Bundesregierung alles tun wird, um die Steigerung des Reallohns herbeizuführen, wodurch eine Stabilität der Preise und Löhne am sichersten gewährleistet wird.
Die Regierungserklärung spricht weiterhin von der Notwendigkeit, dem Altsparer das Vertrauen zur staatlichen Gesetzgebung wiederzugeben, damit auch von dieser Seite her der Anreiz und das Vertrauen zum Sparen gegeben wird. Hier sind wir der Auffassung, daß für die Altsparer die Aufwertung der sogenannten Schattenquote durchgeführt werden muß und daß darüber hinaus einmal überlegt werden sollte, inwieweit eine bessere Aufwertung als 10 zu 1 doch erfolgen kann. Der § 2 des Währungsumstellungsgesetzes sieht ja diese Möglichkeit vor.
Wir haben leider aus den Frankfurter Tagen ein Beispiel vor Augen, das uns namentlich gegenüber der Person des Herrn Wirtschaftsministers mit einem gewissen Mißtrauen erfüllt. Trotz monate({40})
langer Geburtswehen hat das Anti-Monopolgesetz in Frankfurt nicht das Licht der Welt erblicken können. Wir hoffen, daß die Bonner Luft diesem Gesetz besser bekommen wird.
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Denn es stellt eine der unerläßlichen Maßnahmen im Kampf gegen die liberalistisch-kapitalistischen Entartungserscheinugen dar. Sollte es dem Einfluß gewisser Kartell- und Konzernherren gelingen, das Anti-Monopolgesetz noch weiter hinauszuzögern, so wäre damit - das darf ich offen aussprechen - für uns ein casus belli gegeben. Ich möchte nicht versäumen, auf die Tatsache der Wichtigkeit dieses Gesetzes schon heute hinzuweisen, weil wir befürchten, daß es zu allerlei Legendenbildungen kommen kann, wenn sich aus einer weiteren Verzögerung des Anti-Monopolgesetzes eventuell sogar internationale Schwierigkeiten ergeben würden.
Mit großer Besorgnis hat meine Fraktion das bislang zu verzeichnende Ansteigen der Arbeitslosigkeit beobachtet. Ohne daß ich damit auf den Streit um den Bundessitz eingehe, möchte ich doch zum Ausdruck bringen, daß die unmittelbare Nähe des rheinisch-westfälischen Industriegebietes der Bundesregierung sehr nützlich sein kann, wenn sie ein feineres Gespür für die Sorgen und Nöte der werktätigen Bevölkerung aufbringt, als es bei der Frankfurter Verwaltung der Fall war. Die Bundesregierung muß sich darüber klar sein, daß sie durch die Koalition zustande gekommen ist, an der sich weite Kreise der Industriearbeiterschaft doch unbeteiligt fühlen. Um so mehr hat die Bundesregierung Grund, der Zustimmung der Arbeiterschaft allergrößte Aufmerksamkeit zu schenken. Und es ist keine Übertreibung, wenn ich feststelle, daß die Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit bereits zu einer starken Beunruhigung im Ruhrgebiet geführt hat. Dies wirkt sich auch in einem Mangel an Kaufkraft aus, der auf das Geschäftsleben zurückfällt.
Ohne auf Einzelheiten noch einzugehen, möchte ich für meine Fraktion betonen, daß wir die vom Bundeskanzler in Aussicht gestellte Steuerreform begrüßen und unterstützen werden, wenn sie insbesondere dem kleinen Mann, dem Handwerker, den kleinen und mittleren Betrieben zugute kommt. Auch müßte die Frage der kinderreichen Familie bei der Steuerreform berücksichtigt werden. Insbesondere aber erwarten wir, daß die Grenze des steuerfreien Einkommens nach oben gehoben wird.
Ferner halten wir es für notwendig, daß sich die Bundesregierung der großen Not vieler Bombengeschädigter annimmt. Es gibt nicht nur eine Vertriebenennot, es gibt auch eine Not der Bombengeschädigten. Das zu sehen ist notwendig.
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Wenn man von dem Problem der Wohnungen ausgeht, so könnte man auch einmal die Frage aufwerfen, ob man der Mehrzahl der bombengeschädigten Hausbesitzer nicht dann helfen sollte, wenn sie das Haus mit eigenen Mitteln nicht aufbauen können.
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Wir erwarten, daß die Regierung Mittel und Wege finden wird, die dem bombengeschädigten Hausbesitzer einen rentablen Wiederaufbau seines zerstörten Hauses ermöglichen, ohne daß Mieterhöhungen größeren Umfanges erforderlich sind.
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Es scheint uns dabei die Verbindung des Lastenausgleichs mit den notwendigen Wohnungsbeschaffungen durch solche bombengeschädigten Häuser
und auch der Altsparaufwertung ein wichtiger Beitrag zur Lösung beider Fragen zu sein.
Ganz mit Recht hat der Bundeskanzler die besondere Bedeutung des Wohnungsbaus herausgestellt. Wir hoffen, daß die Bundesregierung mit größter Tatkraft an eine planvolle, dem Gemeinwohl dienende Wohnungsbauaktion herangehen wird. Es wird die besondere Aufgabe dieses Hohen Hauses sein, in konstruktiver Zusammenarbeit die gesetzlichen Grundlagen für die Durchführung eines wirklich großzügigen Wohnungsbauprogramms zu schaffen. Wenn es in der letzten Zeit ausgerechnet in der Bauwirtschaft zu einem Mangel an Arbeit gekommen ist, so stehen diese Verhältnisse in einem grotesken Widerspruch zum Wohnraumbedarf der deutschen Bevölkerung. Die Belebung der Bauwirtschaft ist die geeignetste Maßnahme zu einer allgemeinen Wirtschaftsbelebung und zur Hebung des Lebensstandards im allgemeinen. Die Bundesregierung wird mit allen Bemühungen auf dem Gebiete des Wohnungsbaus wie auf allen übrigen Gebieten der Wirtschaft aber keinen gemeinnützigen Erfolg haben, wenn sie nicht die Bereitwilligkeit aufbringt, dem kapitalistischen Eigennutz die notwendigen Schranken zu setzen.
Meine Damen und Herren! In der WahlkampfAtmosphäre hat man sich mit allerlei ökonomischen Schlagworten in völlig überflüssiger Weise auseinandergeredet. Man hat so getan, als wenn Planung und Kontrolle lediglich ein Rückfall in die nazistische Zwangswirtschaft
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oder gar eine Anleihe beim kommunistischen Staatskapitalismus bedeuten. Nachdem doch jetzt der Wahlkampf vorüber ist und sich auch die Parteipolitiker wieder wie normale Menschen unterhalten können,
Heiterkeit - Abg. Dr. Schumacher: Das
haben sie auch während des Wahlkampfes
gekonnt!)
sollte mit dieser Wahlkampfakrobatik Schluß gemacht werden.
Wenn wir dem Herrn Wirtschaftsminister die planvolle Lenkung der Kredite, ja des gesamten Kapitalstromes eindringlich ans Herz legen, so wissen wir uns damit über den Verdacht erhaben, daß wir irgendwelchen nazistischen oder gar bolschewistischen Neigungen zum Opfer gefallen wären. Wir wissen uns im Gegenteil in weitgehender Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Bei rat, den der Herr Wirtschaftsminister, als er noch Direktor für Wirtschaft war, zur Seite gehabt hat.
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Wir sehen in Deutschland schon wieder eine verhängnisvolle Zusammenballung von Kapital und wirtschaftlicher Macht in den Händen einzelner, bei denen es sich nicht etwa allein um Eigentümer, sondern um Treuhänder oder Verwalter dieses Gutes handelt.
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Wir wünschen nicht, daß von solchen Machtpositionen auch das Schicksal unseres Volkes entschieden wird. Es scheint uns auch - und das darf ich in diesem Zusammenhang erwähnen - hinsichtlich der handwerklichen Interessen wünschenswert zu sein, daß innerhalb des Wirtschaftsministeriums ein Staatssekretariat für das Handwerk eingerichtet wird.
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Ebenso halten wir es für erforderlich, daß die Bundesregierung der Bodenreform und als Ergänzung
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dazu dem Siedlungsproblem als einem gesamtdeutschen Problem ihre besondere Aufmerksamkeit widmet.
Meine politischen Freunde haben mich beauftragt, hier schon heute die Forderung nach einem Betriebsrecht anzumelden, das jeden arbeitenden Menschen in seinen Rechten und Pflichten sicherstellt. Wir meinen nicht etwa nur, daß diese oder jene Räte in ihren Betrieben eine Stimme haben oder zu Wort kommen. Es geht dabei um mehr. Es geht um die Sicherung des gerechten und ausreichenden Lohnes, um die Würdigung der Arbeit und die unbeschränkte Freiheit in der Wahl des Arbeitsplatzes. Auch im wirtschaftlichen Bereich gibt es eine Rangordnung der Werte. Wieder und wieder wird heute erklärt - das ist auch in diesem Hohen Hause geschehen -, der Mensch stehe im Mittelpunkt der Wirtschaft; die Wirtschaft habe dem Menschen zu dienen. Aber mit Proklamationen ist auf diesem Gebiete nichts getan. Der werktätige Mensch muß ihre Verwirklichung im Alltag erleben. Die Arbeit ist die Grundlage unserer natürlichen gesellschaftlichen Ordnung; sie ist keine Ware, sondern eine bewußte Leistung des einzelnen Menschen an die Gesellschaft. Das Recht der Arbeit darf nicht auf dem Papier stehen bleiben. Wir wünschen auch einen weitgehenden Kündigungsschutz und halten es für unerläßlich, daß das Recht des arbeitenden Menschen gegenüber irgendwelchen Sachwerten allein im Vordergrund steht. Wir sind auch gegen jeden Arbeitszwang. Wir möchten schon heute keinen Zweifel darüber lassen, daß wir keine Art von Arbeitsdienst, auch nicht einen freiwilligen, widerspruchslos hinnehmen.
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Dem Arbeiter ist im Rahmen einer geordneten Betriebsvertretung in sozialen, personellen und wirtschaftlichen Fragen ein ausreichendes Mitbestimmungsrecht einzuräumen.
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Ich darf hier, meine Damen und Herren, ein Wort von Franz Hitze zitieren, von dem ich annehme, daß er dem Herrn Bundeskanzler noch nicht zu sehr entrückt ist. In „Kapital und Arbeit" schreibt Franz Hitze:
Dem Privateigentum an Produktionsmitteln steht das Arbeitsrecht, das Recht auf Mitverfügung über die Arbeitsmittel, auf Mitgenuß der Arbeitsfrüchte gegenüber. Wo ich nicht mitrate, ich auch nicht mittate.
Meine politischen Freunde würden es sehr begrüßen, wenn der Herr Bundeskanzler „Kapital und Arbeit" unter seine Lieblingsbücher einreihen würde.
Wir wünschen uns einen Ausbau der Sozialversicherung, die seinerzeit unter maßgeblicher Beteiligung von Zentrumspolitikern geschaffen worden ist. Entsprechend der heutigen Situation sind Sozial-, Unfall- und Altersversicherung zu reorganisieren und neu einzurichten. Für einen paritätischen Ausbau der Versicherungsanstalten ist Sorge zu tragen. Die Selbstverwaltung ist nach demokratischen Gesichtspunkten zu entwickeln.
Lassen Sie mich zum Schluß kurz auch noch auf eine andere Frage eingehen. In seiner Regierungserklärung hat der Herr Bundeskanzler die Lage der Frau, insbesondere der berufstätigen unverheirateten Frau, erwähnt. Auch wir wünschen, daß der Artikel 3 des Grundgesetzes, der die Gleichberechtigung von Mann und Frau bestimmt, nicht eine schöne Deklaration bleibt. Wir hätten es deshalb begrüßt, wenn der Herr Bundeskanzler sich nicht darauf beschränkte, einer Frau ein Referat im Ministerium des Innern anzuvertrauen, sondern ihr einen Kabinettssitz eingeräumt hätte,
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und zwar aus der Erkenntnis heraus, wie notwendig die Frau für den Neuaufbau der deutschen Demokratie ist. Wir hätten dies um so mehr begrüßt, meine Herren, weil ja von der Regierung immerhin sehr wichtige Gesetze vorzubereiten sind, die tief in das Leben der Frau, sei sie verheiratet oder unverheiratet, eingreifen.
Noch ein letztes Wort möchte ich sprechen zu den kulturellen Fragen. Der Herr Bundeskanzler ist sehr kurz darauf eingegangen. Er hat betont, daß sie zu den Zuständigkeiten der Länder gehören. Immerhin sei mir doch der kurze Hinweis gestattet, daß diese Auffassungen zum mindesten in den Wahlreden vieler Redner der Partei, der der Herr Bundeskanzler angehört, nicht vertreten worden sind.
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Infolgedessen halte ich auch die Feststellung des Herrn Bundeskanzlers nicht für richtig, daß das Ergebnis der Wahlen am 14. August, zumindest was die CDU anbetrifft, nur auf die Bejahung der Erhardschen Wirtschaftspolitik zu beziehen ist.
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Ich glaube, bei vielen Wählern und besonders bei vielen Wählerinnen, die der CDU ihre Stimme gegeben haben, haben weltanschauliche und kulturelle Gesichtspunkte eine sehr große Rolle gespielt,
({55}) mehr als die Erhardsche Wirtschaftspolitik.
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Diese Wähler, meine Damen und Herren, würden es zumindest begrüßt, ja sie werden es sicher sogar erwartet haben, daß die Bundesregierung ein klares Bekenntnis für die Rechtmäßigkeit des Konkordats abgelegt hätte. Darüber hinaus halten wir von der Zentrumspartei es für erforderlich, daß gleiche Staatsverträge wie das Konkordat mit der Evangelischen Kirche abgeschlossen werden, um die Stellung von Staat und Kirche damit rechtmäßig zu fundieren.
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Wir alle wissen, daß der Weg des deutschen Volkes nach dem furchtbaren Zusammenbruch, den wir in unserer wechselreichen Geschichte 1945 erlebt haben, weit und schwer ist. Viel Mißtrauen ist noch in der Welt zu beseitigen, aber noch viel mehr Mißtrauen im eigenen Volk. Für die Regierung wie für die Opposition gilt es deshalb, lebendig und aufgeschlossen den Aufgaben und Fragen der Zeit gegenüberzustehen, die rechten Wege zur Gestaltung des deutschen Volksstaates zu finden. Schon einmal nach einem Weltkriege ist das deutsche Volk zu diesem Ziel aufgebrochen, aber vom Geiste des Hochmuts und der Vermessenheit nicht frei geworden. Heute, nachdem wir unsere politische Torheit durch das Naziregime so haben büßen müssen, wissen wir um die Schwere des Weges und dieses Wissen wird uns vor Hochmut und Übermut bewahren können und uns endlich zu den wahren Quellen des deutschen Wesens führen.
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Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Richter.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen, daß sich die Opposition im Parlament klar zeigen soll. Ich habe nach der gestrigen Sitzung das Gefühl, daß man in diesem Hohen Hause den Eindruck erwecken wollte, als gäbe es überhaupt nur eine Oppositonspartei. Daß dem nicht so ist, möchte ich heute unterstrichen haben. Allerdings denken wir nicht daran, die Opposition so aufzufassen, als ob sie sich allein in der Negation erschöpfen dürfte, sondern wir glauben, daß der Wert des demokratischen Regimes gerade darin liegt, daß die Opposition die Regierung auf Fehler und Mängel aufmerksam machen kann, damit diese derartige Fehler und Mängel, wenn sie aufgezeigt werden, in Zukunft vermeiden kann.
Wir treten hier nicht an, um als Oppositionspartei etwa auch von vornherein über die Regierung den Stab zu brechen. Ich gehe hier vielmehr mit dem Abgeordneten Loritz einig, der darauf hinwies, daß wir die Regierung nach ihren Taten beurteilen wollen. Allerdings möchte ich auf eines schon aufmerksam machen: in Anbetracht der Schwierigkeiten, vor die sich die deutsche Bundesregierung ohne Zweifel gestellt sieht, ist es notwendig, darauf hinzuweisen, daß sie unter Umständen in eine Lage kommen kann, die es ihr nicht ermöglicht, gewisse Aufgaben, deren Erfüllung man von irgendeiner Seite verlangen könnte, auch tatsächlich zu erfüllen. Nach dem, was sich vor allem in den letzten Jahren in Deutschland abgespielt hat, stehe ich vielmehr auf dem Standpunkt, daß manchmal - und das muß auch für die Zukunft gelten - ein ehrliches Nein besser ist als ein unehrliches Ja. Die Regierung darf sich auf keinen Fall in eine Lage hineinmanövrieren lassen, aus der es dann keinen Ausweg mehr gibt oder die gegenüber dem deutschen Volke nicht tragbar ist.
Es gibt gewiß manches an Regierung und Regierungserklärung zu kritisieren. Uns beispielsweise gefällt auch die große Zahl der Ministerien nicht. Wir hätten uns vorstellen können, daß für den Mann, der heute jenes etwas eigenartig anmutende Außenministerium für innerdeutsche Angelegenheiten verwaltet, noch eine andere Aufgabe hätte gefunden werden können. Die Lage des deutschen Volkes erfordert allergrößte Sparsamkeit auf allen Gebieten, sonderlich in der öffentlichen Verwaltung. Eine Vermehrung der Ministerien über die klassische Zahl hinaus - abgesehen vielleicht von dem Flüchtlingsministerium, dessen Errichtung ich bereits vor der Ernennung des Bundeskanzlers beim Herrn Bundespräsidenten gefordert habe - trägt diesem Gebot nicht Rechnung. Eine Verschlechterung der Arbeit in der Ministerialinstanz ist von einer Verringerung der Zahl der Ministerien nicht zu erwarten. Im Gegenteil muß befürchtet werden, daß die Vielzahl der Ministerien zu Überschneidungen, Widersprüchen und zu einer Lähmung der Arbeit führt. Allerdings wollen wir auch hier abwarten, wie sich die ganze Sache einspielt.
Aber eines darf ich betonen: wir sehen in diesem Staat, den wir durchaus bejahen, eine Vorstufe zum Deutschen Reich, zu einem Reich, in dem alle Deutschen, die es wollen, ihre Heimat finden sollen, zu einem Reich, das nicht das Eigenleben deutscher Stämme in irgendeiner Weise beeinträchtigen darf. Allerdings habe ich es beschämend gefunden, daß hier eine Versammlung gewählter deutscher Vertreter zusammentreten konnte, die sich nicht durch ein Lied, das alle Deutschen ansprechen muß und angeht, zu Einigkeit und Recht und Freiheit bekannte.
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Diejenigen, die dem entgegenstanden, wollen aller Wahrscheinlichkeit nach weder Einigkeit noch Recht noch Freiheit.
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Dem werden wir mit all denen, die es ehrlich damit meinen, mit aller Entschiedenheit entgegentreten.
Wir haben eine große Verpflichtung gegenüber der deutschen Zukunft. Dem deutschen Volke ist heute wohl die letzte Möglichkeit gegeben zu beweisen, welche gestaltenden Kräfte in ihm schlummern. Wir nennen das, was wir heute haben, eine Demokratie. Man sollte mit diesem Worte etwas vorsichtiger umgehen. Bereits im Jahre 1945 nämlich sprach man mehr als oft von Demokratie, und ich habe das Empfinden, daß wir seitdem weniger eine Demokratie als vielmehr eine Demokratur hatten.
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Es hat einmal einen Mann gegeben, der, wäre er ein Philosoph geblieben, sich ohne Zweifel in der ganzen Welt einen Namen als großer Demokrat hätte erhalten können,
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der durch sein staatsmännisches Wirken allerdings immer wieder in Gegensatz zu seinen philosophischen Ideen geriet: das war Masaryk. Masaryk hat einmal gesagt: Demokratie ist Diskussion, und ich glaube, es wird von der Fähigkeit der Deutschen zu diskutieren, abhängen, inwieweit sie sich als Demokraten bezeichnen können. Ohne Freiheit der Persönlichkeit, die gerade diese Demokratur immer wieder einzuschränken sich bemühte, gibt es keine Demokratie. Und woran krankte das, was man bisher in Deutschland etwas vermessen „Demokratie" nannte? Meiner Überzeugung nach daran, daß man zu sehr die Partei und zu wenig das Volk sah. Tocqueville hat einmal die Demokratie
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„eine öde baumlose Ebene" genannt, „in der jeder Strauch wie ein Baum erscheint". Wie konnte er zu einem solchen nicht gerade löblichen Urteil kommen? Ich glaube, Professor Burckhardt gab mit der Frage bereits die Antwort, ob nicht die Demokratie jedem Hervorragenden geheimen und offenen Haß entgegenbringt.
Meine Damen und Herren, zum mindesten in gewissen Landesteilen Deutschlands droht heute diese Gefahr wieder. Man redet dort von Demokratie, denkt aber an Parteidiktatur, obwohl man sich sonst in Redensarten nicht demokratisch genug gebärden kann. Demgegenüber sei das eine hervorgehoben, was der Schweizer Professor Zbinden einmal in die Worte faßte: „Wenn die menschliche Gesellschaft nicht immer dafür sorgt, daß sie zu einer Herrschaft der Besten strebt, wird sie zu einer Herrschaft der Bestien." Ich glaube, wir haben das treffendste Beispiel in den Volksdemokratien, die sich zwar Demokratien nennen, aber doch von Demokratie keine Ahnung haben und auch nicht haben wollen. Doch ich muß immer wieder betonen, was auch für gewisse Teile West({5})
deutschlands zutrifft, was Bodenstedt einmal in die Worte faßte:
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Der Staub, wie hoch ihn auch der Wind erhebt, bleibt doch gemein.
zeichnen ist und der auch wirklich den Charakter eines Rechtsstaates trägt, einen Staat mit völliger Unabhängigkeit der Richter und mit einem völlig überparteilichem Berufsbeamtentum.
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- Jawohl, überparteilich. Auf jeden Fall ein überDer Edelstein, den man im Sand begräbt, bleibt Edelstein.
Dieser Edelstein, glaube ich, ist das deutsche Volk, den man nur von dem Staub befreien muß, der in den letzten Jahren aufgewirbelt wurde und der den Glanz dieses Edelsteins verdunkelt. Um diesem Edelstein zum Glanz zu verhelfen, deshalb fordern wir einen Staat, der als Rechtsstaat zu beparteiliches Berufsbeamtentum.
Wenn wir uns auch auf den Plätzen der äußersten Rechten niedergelassen haben, so möchte ich dazu noch das eine sagen: wir hatten weder die Absicht, wie es von einigen Parteien behauptet wurde oder wie es in einigen Zeitungen hieß, zu stehen, noch verneinen wir, daß wir tatsächlich die Rechte darstellen. Allerdings ist der Name, den wir führen, oft mißverstanden worden. Wir sind nicht im betonten Sinne nun unbedingt die Partei der alleinigen Rechten, sondern die Partei des Rechts.
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Wir fordern, daß auch den kleinen Parteien in jeder Form das Recht zugestanden wird, sich zu betätigen, wie den großen.
Ich möchte dabei auf eines gleich von vornherein hingewiesen haben: wir lehnen jeden Radikalismus, ganz gleich von welcher Seite er kommt, ab. Denn wir werden niemals in den Fehler derer verfallen, die nun meinen, irgendwo wieder dort anfangen zu können, wo sie einmal aufhören mußten. Aber weil wir auf dem Standpunkt des Rechts stehen, deshalb fordern wir die schnellste Beseitigung allen Unrechts, das dem deutschen Volke zugefügt wurde.
Unrecht gegen jedes Kriegsrecht ist die Festhaltung von Millionen deutscher Kriegsgefangener vier Jahre nach Kriegsende. Wir werden nicht aufhören, diese Brutalität in der Welt anzuprangern, bis der letzte deutsche Soldat aus dem Osten erlöst ist. Unrecht gegen jedes Volksgefühl war und ist es, für die Verbrechen einzelner das ganze Volk verantwortlich zu machen oder eine Kategorisierung der Deutschen in ein, zwei, drei und mehr Stufen vorzunehmen. Welches Leid hat die Entnazifizierung unserm Volk in der Stunde seiner größten Not zusätzlich gebracht! Wir fordern deshalb kategorisch die endgültige Beseitigung jeder Diffamierung irgendwelcher Deutschen, soweit es sich nicht um kriminelle Verbrecher handelt, und wir fordern nicht nur das, sondern wir fordern die unbedingte Wiedergutmachung alles dessen, was ihnen zugefügt worden ist, nicht nur papierne Amnestien.
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Vielleicht könnte man die Sache schmackhafter
machen, wenn wir ganz offen erklären, daß wir
auch niemals mit einer Entsozifizierung einverstanden wären.
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Unrecht gegen jedes Rechtsgefühl ist allen Kriegs- und Bombengeschädigten dadurch geschehen, daß man ihnen bis heute kaum einen roten Heller gezahlt hat. Nicht Almosen wollen diese Menschen, sondern ihr Recht. Wir sehen es deshalb als eine Verhöhnung dieser Menschen an, daß die Entschädigung ais eine Art Wohlfahrtsunterstützung gezahlt werden könnte. Wir verlangen einen Lastenausgleich mit festgesetzten bestimmten Quoten. Dies allein entspricht dem Rechtsgedanken. Alle anderen Theorien führen nur zur Verwässerung.
Unrecht laden wir auf uns, wenn wir unsere Kriegsversehrten und Kriegerwitwen, die Kriegswaisen mit Hungerrenten abspeisen. Auch nach einem verlorenen Kriege ist es eine Ehrenpflicht des Volkes, für seine Kriegsopfer wirtschaftlich einzustehen. Die unendlichen persönlichen Leiden können wir ohnehin nicht abnehmen.
Unrecht geschah und geschieht heute noch allen ehemaligen Berufssoldaten. Sie sind Beamte wie jeder Staatsbeamte und haben rechtliche Ansprüche, die ein Staat, wenn er ein Rechtsstaat sein will, nicht einfach von heute auf morgen außer Kraft setzen kann. Deshalb sind wir auch mit dem Stichtag von 1936 durchaus nicht einverstanden und fordern die Einbeziehung aller Berufssoldaten, auch der deutschen Offiziere und der Beamten der ehemaligen österreich-ungarischen Wehrmacht.
Unrecht geschieht auch dem Arbeiter, solange man ihn nicht in irgendeiner Form am Gewinn des Betriebes beteiligt. Mit Sozialisierung ist ihm nicht gedient, da hierdurch weder sein Lohn noch seine Arbeitsbedingungen entscheidend verbessert werden könnten, wie das im übrigen das Beispiel der Staatsbetriebe in England zur Genüge zeigt. Ebenso wie beide, menschliche Arbeitskraft und Maschine, zusammenarbeiten, ebenso müssen beide Faktoren, Arbeit und Kapital, am Endergebnis, am Gesamtergebnis des Betriebes beteiligt sein. Es gibt in Deutschland Betriebe, die in dieser Hinsicht schon sehr nachahmenswerte Beispiele abgegeben haben. Durch diese Beteiligung am Betriebsergebnis wird der Arbeiter am Unternehmen so interessiert, als ob es sein eigenes wäre, und darin kann man schon die Lösung der sozialen Frage in der Praxis erblicken. Die ganze marxistische Volksvergiftung fällt mit der Beseitigung des Klassenkampfes dann von selbst in sich zusammen.
Wir werden niemals die Raubpolitik, die man in der Sowjetzone betrieben hat, anerkennen. Wir wissen ganz genau, daß dort arbeits- und lichtscheues Volk sich oftmals in den Besitz derer gesetzt hat, die durch generationslange Arbeit und Mühe zu Werten gekommen sind, die ihnen von einem Tag zum andern genommen wurden. Wir stehen vielmehr auf dem Boden des Privateigentums, soweit es ehrlich erworben ist, und werden immer Diebstahl als Diebstahl bezeichnen. Wenn im niedersächsischen Landtag ein SPD-Abgeordneter die Worte prägte: „Die soziale Strukturänderung wird in der Ostzone nicht verschwinden können; wir werden sie im Gegenteil, wenn wir überhaupt eine Zukunft unseres Volkes gewinnen wollen, auch hier in der Westzone mit politischer Leidenschaft und politischem Ernst anfassen müssen", dann sind das Worte, die uns sehr bedenklich
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stimmen. Ich muß das eine sagen, daß wir auch hier in diesen Kreisen, wie es bei den sozialistischen Parteien in Polen, in der Tschechoslowakei, in Ungarn, Rumänien und so weiter der Fall war, nichts anderes sehen können als den Wegbereiter des Bolschewismus.
Man hat in den letzten Jahren sich nicht entblöden können, dem deutschen Volk groß aufgemachte Rechnungen zu präsentieren über die Vergehen, die einzelne unseres Volkes, wie das bei jedem Volk vorkommen kann, begangen haben. Allerdings einzelne! Denn ich stehe auf dem Standpunkt, daß man das ganze Volk niemals für die Vergehen einzelner schuldig sprechen kann und darf. Wenn man schon von Verbrechen gegen die Menschlichkeit spricht, dann glaube ich, meine Damen und Herren, wir könnten wohl auch mit einer Gegenrechnung kommen, die meinetwegen bei Hamburg, Köln, Mannheim, München, Stuttgart, Hannover beginnt und bei Dresden aufhört und die nicht sehr klein ausfallen dürfte.
Wenn man überhaupt von Verbrechen gegen die Menschlichkeit spricht, dann - auf diesem Standpunkt stehe ich - muß man zuallererst das größte Verbrechen, das jemals gegen die Menschlichkeit begangen worden ist, hervorheben, nämlich die viehische Vertreibung von Millionen Deutscher aus den urdeutschen Ostgebieten.
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Dieses Land ist deutsch seiner Geschichte nach. Denn zu einer Zeit, als die Bringer einer Überkultur aus dem Osten noch nomadisierend in der Gegend des Unterlaufs der Wolga herumtobten, saßen bereits unsere Vorfahren,
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deren außerordentlich hohe Kultur von jedem Wissenschaftler anerkannt wird, im Raum von Memel bis herunter nach Österreich.
Deutsch ist dieser Raum seiner Kultur nach, deutsch auf Grund der dort geleisteten Arbeit. Wenn man heute in Memel oder Königsberg, in Danzig oder in Breslau, in Reichenberg, Aussig, Eger oder Krummau kein deutsches Wort mehr hört, dann reden die Steine nach wie vor eine beredte deutsche Sprache. Dann sprechen die Kulturschöpfungen, die Werte, die diese Länder aufzuweisen haben, so deutlich für das, was das Deutschtum dort geleistet hat, wie die Leistungen der Lieblingskinder gewisser großer Mächte, die sie in diesem Raum aufzuweisen haben und die in zerstörten Dörfern und Städten durch abgedeckte Dächer, herausgerissene Fenster und Türen zum Ausdruck kommen, ebenfalls eine sehr beredte, allerdings slawisch-ostische Sprache sprechen.
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Wir haben deshalb an den Präsidenten eine Bitte zu richten. Ich glaube, der größte Teil dieses Hauses fühlt doch so deutsch, daß er sich zu diesem alten deutschen Ostland uneingeschränkt bekennt. Unsere Bitte geht dahin, neben den Fahnen der Länder, die wir vor dem Bundeshaus haben, ebenfalls die Länderwappen von Ostpreußen, von Westpreußen, Pommern, Danzig und Schlesien, dem Sudetenland, aber auch der Länder, die deutsch sein wollen, aber noch nicht sein dürfen: Sachsen, Thüringen, Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg aufzuziehen. Deshalb können wir auch weder in Bonn noch in Frankfurt etwas Endgültiges sehen. Wir sehen nach wie vor in Berlin die Hauptstadt des Deutschen Reiches.
Ich glaube, daß der Ausgangspunkt für die Austragung unserer Forderungen durchaus kein ungünstiger ist. Uns liegen im Völkerrecht, in der Haager Landkriegsordnung von 1907, in der Genfer Konvention von 1929 und in der AtlantikCharta, die von allen unterzeichnet wurde, die es angeht, Mittel vor, deren wir uns eingehend bedienen sollten. Der amerikanische General Taylor hat vor einigen Monaten einmal erklärt, daß das Völkerrecht auch heute noch seine Gültigkeit hat, selbst wenn es für gewisse Mächte unbequem sein sollte. Es gibt ein Beispiel in der Geschichte dafür, wie man unter Berufung auf das Völkerrecht ein Land retten konnte, nämlich Talleyrand hat es uns im Jahre 1815 auf dem Wiener Kongreß gegeben. Er vertrat ein völlig geschlagene Land gegenüber einem siegreichen Europa, können wir sagen. Dieser Mächtegruppierung von Siegern trat er entgegen mit der Frage: Steht der Kongreß auf dem Boden des gültigen Rechts? Das mußte der Kongreß bejahen, falls er nicht als Rechtsbrecher in der ganzen Welt gebrandmarkt werden wollte. Die Frage, ob die Alliierten und die anderen, die es noch angeht, auf dem Boden des Völkerrechts stehen, ist meiner Ansicht nach die erste, die man überhaupt bei Beginn eines außenpolitischen Gesprächs zu stellen hat.
Der Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung gibt dem Okkupanten das Recht, nachdem tatsächlich die Macht in seine Hände übergegangen ist, für die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und des öffentlichen Lebens zu sorgen, wobei die Landesgesetze zu beachten sind. Die besetzende Macht hat nach der Haager Landkriegsordnung kein Recht zu Handlungen, die nur dem Souverän zustehen, und in unserem Fall wäre Souverän das deutsche Volk. Jede Abtrennung deutschen Gebietes steht also außerhalb aller völkerrechtlichen Grundlagen und widerspricht nicht nur dem Artikel 43 der Haager Landkriegsordnung, sondern darüber hinaus auch noch der Atlantik-Charta. Das gilt beispielsweise für das Saargebiet und andere Teile des Westens wie für alle Ostgebiete. Wenn in der Regierungserklärung davon die Rede war, daß man eventuell bereit sein würde, auf gewisse Souveränitätsrechte zu verzichten, dann möchten wir den Herrn Bundeskanzler doch bitten, nicht einen einseitigen Verzicht auszusprechen, sondern auf jeden Fall auch einen solchen Verzicht von der in diesem Augenblick entgegenstehenden Macht im gleichen Ausmaß zu verlangen.
Es ist hier viel über die Oder-Neiße-Linie gesprochen worden. Es sind auch Worte, zu denen wir uns voll und ganz bekennen, über Österreich gefunden worden. Aber eines bedauern wir sehr, daß man wie die Katze um den heißen Brei um die sudetendeutsche Frage herumgegangen ist. Dabei liegen in der sudetendeutschen Frage die Dinge durchaus nicht unklarer als bei den anderen Ostgebieten; sie liegen nur anders. Ich darf mir erlauben, auf einige wenige durchaus nicht unwichtige Tatsachen hinzuweisen. Am 8. Januar 1918 erklärte Wilson vor dem amerikanischen Kongreß: „Den Völkern Österreich-Ungarns" - danach auch den Deutschen - „soll freieste Gelegenheit autonomer Entwicklung zugestanden werden. Jede Nation, die ihr eigenes Leben zu leben wünscht, soll vor Vergewaltigungen und selbständigen Angriffen geschützt sein." Und in seinem Punkt 10 der bekannten 14-Punkte-Erklärung hieß es: „Es ist unser Wunsch, den Völkern Österreich-Ungarns, deren Platz unter den Nationen wir geschützt und gesichert sehen wollen, Gelegenheit zu freiester auto({15})
nomer Entwicklung zu geben." Auf Grund dieser und zahlloser anderer Zusagen und Versicherungen seitens der Alliierten forderte am 6. Oktober des gleichen Jahres der Deutsche Volksrat für Osterreich einstimmig und entschlossen volles und uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht der Völker.
Allerdings mußte das Deutschtum innerhalb der österreichisch-ungarischen Monarchie sehr bald erkennen, daß diese Zusagen nur leere, auf bestimmte Verlockungen ausgehende Worte waren. Die Nationalversammlung der Sudeten- und Alpenländer hat am 11. November 1918 einstimmig - wohlgemerkt! - beschlossen, daß Deutsch-Österreich ein Bestandteil des Deutschen Reiches wäre. Damit waren auch die sudetendeutschen Gebiete mit dem Reich staatsrechtlich zusammengeschlossen. Durch den Vorfriedensvertrag wurden von beiden Parteien die Punkte Wilsons, darunter das Selbstbestimmungsrecht, als bindende Vertragsgrundlage angenommen, und da die Tschechoslowakei als kriegführende Regierung anerkannt war, war auch sie an diese Vorfriedensvertrags-Abmachungen gebunden. Die Vergewaltigung des Sudetendeutschtums stellte damals einen geradezu unglaublichen Vertragsbruch dar, von dem allerdings das berüchtigte Weltgewissen, das sonst bei jeder Kleinigkeit in Wallungen gerät, keine Kenntnis genommen hat.
Noch am 11. Februar 1919 erklärte Wilson, daß Völker und Länder nicht von Oberherrschaft zu Oberherrschaft verschachert werden können, als ob sie Waren wären. Aber sehr bald sah man, daß man Völker tatsächlich wie Waren behandelte. Ohne einen Schiedsspruch der Friedenskonferenz abzuwarten, rückte die tschechische Soldateska damals bereits plündernd in die sudetendeutschen )Gebiete ein. Man wollte vollendete Tatsachen schaffen, und diesen vollendeten Tatsachen beugten sich gegen jedes Gerede vom Selbstbestimmungsrecht der Völker und vorn Völkerrecht auch die Alliierten.
Es ist bezeichnend gewesen, wie man sich damals um das Recht drückte, daß kein Vertreter der betroffenen Stämme und Völker zu den Friedensverhandlungen nach den Vororten von Paris eingeladen wurde. Was in diesen Vororten bei den sogenannten Friedensverträgen verbrochen worden ist, geht aus wenigen Beispielen hervor. Man zerschlug einen großen, wirtschaftlich hervorragend eingespielten Körper wie die österreichisch-ungarische Monarchie, von der selbst der Nestor der tschechischen Geschichtsbetrachtung Palacky einmal gesagt hat: Wenn es diesen Staat noch nicht gäbe, so müßte man ihn schaffen. Man zerschlug einen Staat, von dem der Amerikaner Ingrim in seinem Buch „Von Talleyrand zu Molotow" erklärt, daß die Zerschlagung der österreichisch-ungarischen Monarchie einer der Hauptgründe für den zweiten Weltkrieg gewesen ist, was sich gewisse Leute, die glauben, heute schon die Geschichte in dieser Richtung völlig beherrschen zu können, doch einmal hinter die Ohren schreiben möchten. Daher geht unsere Forderung dahin - und die möchten wir auch der Regierung unterbreiten -, daß, wenn es, was wir hoffen wollen, sehr bald zu Friedensverhandlungen kommen sollte, dann auch Ostdeutsche als Vertreter hinzugezogen werden.
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- Durchaus nicht, ich rede von dem, was leider Gottes in der Regierungserklärung vergessen worden ist.
Damals hat man unter dem Druck der Entente Deutsch-Österreich verboten, sich Deutschland anzuschließen. Damit kamen auch die Sudetenländer unter die Herrschaft eines Volkes, das von vornherein drauf und dran war, alle Verträge zu mißachten, wie der tschechische Staatsrechtler Professor Weyr ganz klar hervorblicken ließ. Wir bekennen uns aber heute noch zu dem, was die sudetendeutschen Landesregierungen in ihrem letzten Aufruf in die Worte gefaßt haben: „Niemals wird unser Volk den Anspruch auf Selbstbestimmung aufgeben, niemals die Vergewaltigung des Rechtszustandes anerkennen und niemals aufhören, den Kampf um seine nationale Freiheit mit allen Mitteln zu führen."
Gewiß ist von den brutalen Ausweisungen, durch die die Ostdeutschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden, schon viel gesprochen worden. Wir haben vermißt, während man auf der einen Seite, nicht immer auf unangreifbare Weise, Prozesse gegen Deutsche durchgeführt hat, daß auch gegen diejenigen, die für die Brutalitäten an den Ostdeutschen verantwortlich waren, internationale Gerichte eingesetzt worden sind. Im Gegenteil, es treiben sich heute noch in Deutschland Elemente frei herum, denen inzwischen der Boden unter den Füßen zu heiß wurde, ohne daß man sie wegen ihrer Verbrechen vor Gericht gestellt hat. Die älteste deutsche Universität, die Karls-Universität in Prag, hat bis heute noch keine Unterkunft gefunden, während man für die armen und ach so bedrängten Tschechen bereits wieder eine tschechische Universität aufgerichtet hat.
Wir stehen nun auf dem Standpunkt, daß die Vertriebenenfrage nicht durch einen Bevölkerungsaustausch gelöst werden kann, so sehr er zur Linderung der augenblicklichen Not auch zu befürworten ist. Wir sind uns auch darüber klar, daß, wenn man nicht ganz andere Maßnahmen ergreift, der Lastenausgleich unter Umständen nur damit endet, daß vielleicht zu guter Letzt die Ostvertriebenen noch zuzahlen müssen. Wir stehen vielmehr auf dem Standpunkt: die einzige Lösung der Ostfrage besteht darin, daß man das ostdeutsche Gebiet denjenigen, die dahin gehören, zurückgibt. Wir stehen nicht an, ganz offen zu erklären - und ich hoffe, daß dem doch der größte Teil des deutschen Volkes auch zustimmt -, daß wir niemals in einem Friedensvertrag einen wahren Frieden sehen würden, der unsere ostdeutsche Heimat den Mordbanden eines Bierut oder eines Gottwald oder eines Zapotocki überlassen würde.
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Was das Kapitel der Demontagen anlangt, so haben wir dazu nur auf den Artikel 52 der Haager Landkriegsordnung zu verweisen, der der Besatzungsmacht zwar das Recht gibt, Naturalleistungen zu verlangen, soweit es sich um die Befriedigung der Bedürfnisse der Besatzungsmacht handelt. Aber diese Leistungen dürfen nicht im Mißverhältnis zu den Hilfsquellen des besetzten Landes stehen. Nun, inwieweit hier über die notwendigen, für den Unterhalt der Besatzungsmacht vielleicht als berechtigt anzuerkennenden Naturalleistungen hinausgegangen ist, das wissen Sie selber; das brauche ich nicht zu wiederholen. Wie man diesen Dingen gegenübersteht - obwohl wir genau wissen, daß sich heute Menschen aus reinen Propagandagründen plötzlich mit großer Begeisterung der Demontage annehmen, die bis vor kurzem noch nicht so recht wußten, ' ob sie es dürften oder nicht -, das, glaube ich, konnte man am klarsten erkennen, als ich im
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Frühjahr dieses Jahres Gelegenheit hatte, in Gegenwart des englischen Ministers Lord Henderson von einem Sozialdemokraten die Frage zu hören, wie es denn mit der Demontage stünde, die wäre doch nur auf Konkurrenzneid zurückzuführen. Als das Wort Konkurrenzneid fiel, hätten Sie einmal erleben sollen, wie aufgeregt der sozialistische Genosse Lord Henderson dem deutschen Sozialisten entgegentrat. Ich gestehe ehrlich, ich hätte nie geglaubt, daß ein englischer Lord so temperamentvoll werden könnte. Er wies ihn zurecht und sagte: „Wie können Sie mir als Sozialist vorwerfen, daß ich nur aus Konkurrenzneid demontieren lasse!" Nun, wir sind uns darüber klar, daß die ganze Demontage nur dem deutschen Aufbau dient und daß wir zutiefst dankbar sein müssen, daß man uns von der ach so überflüssigen Industrie befreit. Aufbau durch Abbau heißt ja die neue volkswirtschaftliche These, die man uns hier in Deutschland vorexerziert. Wenn man uns schon die Ostgebiete genommen hat - deren Wert für Deutschland so groß ist, daß ich offen erkläre: ohne diese Ostgebiete wird Deutschland nie lebensfähig sein-, dann müßte man uns wenigstens unsere Industrie lassen, damit wir noch so viel exportieren können, wie wir unbedingt zum Leben brauchen. Nun aber ergab es sich, daß unser gerade anlaufender Export von den Kreisen, die eigentlich aus lauter sozialistischer Brüderschaft unsere Bemühungen um eine Verbesserung der Lebensverhältnisse des deutschen Volkes hätten unterstützen müssen, angegriffen wurde, nämlich von den englischen Gewerkschaften, die im Februar dieses Jahres eine Drosselung des deutschen Exports forderten, weil er den englischen Export bedrohe. Ja, wenn wir nicht exportieren können, und zwar soviel, daß wir das, was wir hereinnehmen, auch durch Exporte wieder bezahlen können, dann werden wir auf immer und ewig die Almosenempfänger derer sein, die uns vielleicht noch etwas geben.
Und kaum daß der erste Ansturm gegen den deutschen Export vorgetragen worden ist, da erleben wir wieder, daß durch eine ganz einseitige Maßnahme ohne Rücksicht auf andere, durch die Pfundabwertung, wiederum nicht nur wir, sondern auch andere Länder in eine Mitleidenschaft gezogen werden, die nicht genug angeprangert werden kann. Die „Rhein-Zeitung" schrieb mit Recht:
Die britische Labour-Regierung, die, verstrickt in die ungeheuerlichen Fehldispositionen ihrer sozialistischen Wirtschaftspolitik, schon seit geraumer Zeit nicht mehr ein noch aus wußte, hat der Welt einen bösen Schlag versetzt. Durch die brüske Abwertung des Pfundes zwingt Sir Stafford Cripps die europäischen Völker, an der englischen Misere teilzunehmen. In London hat man nicht versucht, einen organischen Ausgleich sämtlicher Währungen durch internationale Abmachungen zu erreichen. Man dachte - wem fielen hier nicht die Demontagen in Westdeutschland ein? - nur an sich, an die durch eigene Schuld verfahrene Situation der regierenden Partei. An einen Rücktritt, an die Möglichkeit, der Opposition die Verantwortung zu übertragen, dachte man nicht, ebenso wie man sich keinen Deut um die anderen kümmerte: um die erst jetzt wieder in Straßburg beschworene Gemeinschaft Europas.
Ich glaube, daß hier der Bundesregierung ganz
besondere und sehr schwere Aufgaben erwachsen,
und wir sind durchaus bereit, sie bei allem zu unterstützen, wenn es um die Aufrechterhaltung des
Wertes unserer Währung geht.
Eines aber haben wir mit besonderer Spannung erwartet, was nämlich der Herr Bundeskanzler über die von ihm geplante Agrarpolitik sagen würde. Mit Recht sagte der Herr Bundeskanzler, daß sich das deutsche Volk am 14. August für die Marktwirtschaft entschieden habe. Während der Herr Bundeskanzler uns zwar die Aufhebung der Kohlenbewirtschaftung in Aussicht stellt, scheint man in der Agrarpolitik noch an keine Änderung zu denken. Auch die Auswahl der Persönlichkeit für das Amt des Enährungsministers deutet das an.
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Da möchte ich den Herrn Bundeskanzler doch darauf aufmerksam machen, daß am 14. August im Rahmen der großen auch noch eine Sonderentscheidung erfolgt ist, und zwar in der vernichtenden Niederlage, die der Anwalt des bisherigen Agrarkurses hat einstecken müssen. Darin, daß die schon tausendmal gehörte These, daß die Landwirtschaft mehr produzieren müsse, ein tausenderstes Mal wiederholt wird, liegt noch keine Kursänderung.
In der allgemeinen Preiszusage fehlte ein Hinweis, der vielleicht einen Fortschritt hätte bringen können, nämlich daß die Preise es ermöglichen müssen, daß auch der Landarbeiter endlich einen der gewerblichen Arbeit gleichwertigen Lohn erhält. Wir werden hieran immer wieder erinnern, weil wir in einem harmonischen Verhältnis der tragenden Wirtschaftsstände zueinander die wirksamste Sicherung gegen Wirtschaftskrisen sehen. Auch die DMark-Sorgen dieser Tage beweisen erneut, wessen sich ein Volk versieht, wenn es sich mit seiner Versorgung gar zu stark in Weltmarktabhängigkeit begibt. Wir wissen wohl, daß eine Erhöhung der Lebensmittelpreise für die Minderbemittelten nicht tragbar ist; aber das darf nicht zum Vorwand dafür werden, nun die Unterbezahlung der Landarbeit zu stabilisieren, sondern dann muß der Weg von Subventionen oder der einer Marktspaltung zugunsten der Minderbemittelten beschritten werden. Was auf keinen Fall sein darf, ist, daß der heutige Ausnahmezustand gegenüber der Landwirtschaft bestehenbleibt. Wir werden ja wohl von dem neuen Herrn Ernährungsminister später noch hören. Schon heute aber möchten wir ihn bitten, ganz deutlich werden zu lassen, ob er den Kurs, den er bisher in Frankfurt mitgemacht hat, fortsetzen oder ob er neue Wege gehen will, wie er sich die Beseitigung der Zweigleisigkeit in der Wirtschaft denkt und wie er es schließlich der Landwirtschaft ermöglichen will, die volle Gleichberechtigung mit den anderen Wirtschaftsständen zu erringen.
Es ist zweifellos noch über manchen Punkt zu sprechen. Wir überlassen das der Spezialdebatte. Ich darf schon das eine hier sagen, daß wir in dem, was wir im Verlauf der Debatte gehört haben, vieles gefunden haben, dem wir unbedingt zustimmen werden. Aber ich will eines nicht unerwähnt lassen, nämlich daß wir uns als Deutsche als Glied der europäischen Familie fühlen. Mir hat einmal ein Engländer gesagt: Nur ein guter Deutscher kann ein guter Europäer sein, und ich glaube, daß dieser Standpunkt ohne weiteres richtig ist. Allerdings verlangen wir, da wir wissen, daß es ohne Deutschland kein Europa gibt, die unbedingte Gleichberechtigung mit den anderen. Wenn gestern ein Satz geprägt wurde, dem wir an sich zustimmen möchten, nämlich: Europa bedeutet Gleichberechtigung, dann würde es mich freuen, wenn
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dieselbe Seite doch einmal bei den englischen Sozialisten in dieser Richtung aufklärend wirkte. Ich habe noch im Frühjahr dieses Jahres von Denis Healey von der Hauptleitung der Labour-Partei einen Vortrag gehört, der auch von der Gleichberechtigung, die Deutschland in der europäischen Gemeinschaft finden sollte, schöne Töne machte; aber er machte dann soundso viele Ausnahmen. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir sind uns zu gut, die Pflichten bei einem solchen Zusammengehen auf uns zu nehmen, wenn wir nicht dieselben Rechte haben, die die anderen durchaus mit Recht für sich in Anspruch nehmen.
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Man redet soviel von Sicherheit. Ich glaube, daß es nicht sehr glorreich ist, gegenüber dem abgerüsteten deutschen Volk heute noch und immer wieder dann in ein hysterisches Sicherheitsgeschrei auszubrechen, wenn Deutschland durchaus nicht unbegründete Forderungen anmeldet. Wir sind bereit, den anderen die gleiche Sicherheit zu geben, die sie uns geben wollen.
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- Ich glaube, meine Herren von links, daß Sie nicht nur ein - allerdings sehr einseitig gekennzeichnetes - Großdeutschland, sondern wahrscheinlich noch ein größeres Rußland anstreben.
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Da wir jetzt im Goethe-Jahr leben, möchte ich noch auf eines hinweisen. Es ist bereits sehr viel über Goethe gesprochen worden; aber ich finde: es war nicht sehr glücklich, daß man in einem I Jahr, das einem Mann geweiht war, der sich zum Starken, zum Großen bekannte, der die Worte prägte: „Allen Gewalten zum Trutz sich erhalten", einen Mann in den Mittelpunkt der Ehrungen stellte, der in Wirklichkeit gar kein deutscher Mann ist.
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Zu einer Zeit, in der ein aufrüttelndes, ermunterndes Wort für Deutschland so unerhört viel bedeutet hätte, goß er die ganze stinkende Jauche seines ätzenden Spottes über das deutsche Volk aus. Von diesem Mann hat einmal ein Schweizer gesagt, daß er auch nicht dadurch zu einem großen Dichter würde, daß er Dinge, die in Klarheit und Eindeutigkeit und Einfachheit mit wenigen Sätzen in der Bibel zum Ausdruck gebracht sind, in zwei dicken Schmökern verarbeitet. Dieser Schweizer hat von diesem selben Mann erklärt, er hoffe als Schweizer, daß dieser Mann nicht länger als Praeceptor Germaniae gelte. Ich muß sagen, daß es eigentlich beschämend für Deutschland gewesen ist, daß man diesen Mann in den Mittelpunkt der Ehrungen stellte. Wir haben auch heute noch deutsche Dichter, Dichter, die weiß Gott noch mehr Anerkennung hätten finden müssen als dieser Mann.
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Wenn ich mich eben zu Europa bekannt habe, dann will ich zum Schluß den Mächten, die immer so viel davon gesprochen haben, daß sie Europa erretten wollen, das Wort eines wirklich großen Dichters zurufen, nämlich das Wort Kolbenheyers: „Ihr wollt Europa retten? - Rettet zuerst Deutschland, dann werdet ihr Europa retten können!"
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Darf ich die Herren Abgeordneten, die dieses Wort eben gebraucht haben, darauf aufmerksam machen, daß es seinen amtlichen Wert verloren hat. Ich nehme an, daß es als Ironie gemeint war.
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Meine Damen und Herren, als nächster Redner hat der Abgeordnete Clausen das Wort.
Gestatten Sie mir, als Vertreter der kleinsten anerkannten politischen Partei, des Südschleswigschen Wählerverbandes, und gleichzeitig als Repräsentant des dänisch gesinnten Bevölkerungsteils in Südschleswig einige Worte zum Regierungsprogramm zu sagen!
Welche Bedeutung unter Umständen eine kleine Partei, ja eine Einmann-Fraktion
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im parlamentarischen Leben erhalten kann, wurde mir nach der Bundeskanzlerwahl klar,
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als eine Zeitung meldete, daß man aus der bekannten zuverlässigen Quelle erfahren hätte, Clausen vom Südschleswigschen Wählerverband hätte die 202. Stimme für Herrn Dr. Adenauer abgegeben. Beinahe hätte man mir die ganze Verantwortung aufgebürdet.
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Diese amüsante Behauptung stimmt übrigens schon deswegen nicht, weil ich in der fraglichen Sitzung nicht anwesend sein konnte.
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Auch die Zeitungsmeldung, daß ich mich der CDU angeschlossen hätte, ist nicht richtig. Ich gehöre also nicht zur Regierungskoalition.
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Meine Stellung als Vertreter des dänisch gesinnten Bevölkerungsteils oder, wenn Sie es lieber
wollen, der dänischen Minderheit in Südschleswig
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zur Bundesregierung ist frei und wird sich danach richten, inwieweit die Bundesregierung den Wünschen und Sorgen dieses Grenzlandes Südschleswig gerecht wird. Es mag im Rahmen dieser Debatte beanstandet werden, wenn man von den Sorgen eines einzelnen Gebiets der Bundesrepublik spricht; aber die Mitglieder meiner politische n Organisation und meine Wähler sind auf das Grenzgebiet Südschleswig beschränkt. Ich bitte daher das Hohe Haus um Verständnis.
Der Herr Bundeskanzler hat von einer gleichmäßigeren Verteilung der Heimatvertriebenen auf die verschiedenen Länder gesprochen. Es ist mittlerweile bekannt geworden, daß Südschleswig-und ich spreche als Landtagsabgeordneter auch für Holstein - am meisten unter dem Bevölkerungsüberdruck leidet. Ich möchte daher von dieser Stelle der Regierung sagen: nicht allein der Lastenausgleich ist dringend notwendig, ebenso dringend notwendig ist der Bevölkerungsausgleich. Gehen Sie ernsthaft und schnell an eine gerechte Verteilung der Vertriebenen heran, denn Sie tun damit sowohl der einheimischen Bevölkerung einen Dienst, die unter dieser Überbevölkerung leidet, wie Sie auch den Vertriebenen einen Dienst leisten, die in unserem Grenzlande niemals eine Existenz finden können und die keine Lehr- und Arbeitsplätze für ihre Kinder finden. Sie beseitigen damit zugleich ein Unrecht gegen das Land Südschleswig.
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In der Regierungserklärung und wohl auch in der Debatte ist viel über die Grenzen der Bundesrepublik gesagt worden. Ich vermisse aber eines: es ist nichts über das Selbstbestimmungsrecht eines Grenzvolkes gesagt worden. Dieses Recht fordern wir in unserem Programm, und davon ist auch in der Atlantik-Charta deutlich die Rede. Dieses Selbstbestimmungsrecht und das Recht, mit demokratischen Mitteln für die Ausübung dieses Rechts zu wirken, gehören zu den elementarsten demokratischen Grundsätzen und Grundlagen der Menschenrechte. Die Zukunft wird es zeigen, ob die Bundesregierung für die Minderheitenrechte in Grenzgebieten zu sorgen hat. Bei uns hat die schleswig-holsteinische Landesregierung die Sache in die Hand genommen, und wir hoffen, daß sie sie auch zu einem zufriedenstellenden Abschluß bringt. Sollte die Bundesregierung es als ihre Aufgabe übernehmen, in Grenzgebieten für Minderheitenrechte zu sorgen, dann bitte ich die Regierung, großzügig zu sein und Rechte zu schaffen, die tatsächlich die Forderung der Freiheit erfüllen und die von kleinlichen Schikanen frei sind, an denen die Vergangenheit so reich war. Gerade bei der Regelung von Grenzlandverhältnissen dort, wo die verschiedenen Kulturen sich überschneiden, kann eine Regierung am besten beweisen, daß es ihr mit der Demokratie ernst ist.
Nicht unerwähnt will ich lassen, daß zu den Voraussetzungen einer völligen Freiheit in unserem Grenzgebiete die Selbstverwaltung Südschleswigs gehört, die meine Organisation in ihrem Programm fordert. Nur in der Selbstverwaltung können nach unserer Auffassung die drei vorhandenen Kulturen - die deutsche, die friesische und die dänische - sich gleichberechtigt und vollkommen frei entfalten. Bei der Länderbildung hätte man darauf Rücksicht nehmen sollen. Selbst Preußen hat mehrfach erwogen, das Gebiet Südschleswigs zu einem besonderen Verwaltungsbezirk zu machen. Es ist aber nicht zur Durchführung gekommen. Historisch gesehen, hat diese Forderung ihre Berechtigung.
Zum Schlusse möchte ich sagen, um jeder Mißdeutung vorzubeugen: Sie werden den dänisch gesinnten Bevölkerungsteil Südschleswigs und mich als seinen gewählten Vertreter überall dort finden, wo es gilt, die Grundsätze der Demokratie zu pflegen, durchzuführen und zu verteidigen.
Als letzter Redner hat der Herr Abgeordnete Dr. Edert das Wort.
Meine Damen und Herren! Als der deutsche Vertreter von Flensburg, der Hochburg des Dänentums, der Stadt, wo heute noch ein dänischer Oberbürgermeister und eine überwiegend dänische Stadtverwaltung regieren, bitte ich, zu den Ausführungen meines verehrten Herrn Vorredners und lieben Nachbarn hier im Hause Stellung nehmen zu dürfen. Herr Clausen hat ausgeführt, daß er auf die Durchführung des Selbstbestimmungsrechts und insbesondere auf die verwaltungsmäßige Trennung Schleswigs von Holstein Wert legt. Wir Deutsche sehen in dieser Forderung nicht in erster Linie eine verwaltungsmäßige Maßnahme, sondern wir haben Grund, anzunehmen, daß diese Forderung die Vorstufe der endgültigen Abtrennung ist.
({0})
Wir müssen aus den Reden und Kundgebungen der SSW schließen, daß das letzte Ziel dieser Südschleswig-Bewegung ein separatistisches ist. Das geht aus der Eingabe der SSW an die Alliierten vom Mai dieses Jahres und aus vielen Reden der Parteiführer hervor. Die großen Kundgebungen in Schleswig sind eigentlich alle mehr oder weniger unter das Motto gestellt: Heim ins Königreich! Wir Deutsche aller deutschen Parteien sehen aber die jetzige Grenze als die endgültige Lösung an. Sie ist durch die Abstimmung von 1920, die ja unter alliierter Kontrolle stattfand, festgelegt. Sie fand statt unter Umständen, die für Deutschland so ungünstig wie nur möglich waren, gleich nach dem ersten verlorenen Krieg. Damals blieben mindestens 30 000 Deutsche als Minderheit in Dänemark und etwa 7- bis 8000 Dänen als Minderheit in Deutschland. Beide waren echte Minderheiten, die sich dann in den Jahren von 1920 bis 1945 in ihrem Bestand kaum geändert haben.
Meine Damen und Herren! An der Sicherheit dieser Nordgrenze hat niemand gezweifelt, weder in Deutschland noch in Dänemark. Selbst Hitler hat sie nicht verändert. Der dänische Staatsminister Buhl erklärte in der ersten Sitzung des dänischen Reichstags nach dem Zusammenbruch 1945 feierlich: die Grenze liegt fest.
({1})
Wir hofften, daß damit der alte Streit zwischen den beiden Nachbarn endgültig beendet sei. Das aber, was sich nun von 1945 bis heute in Schleswig zugetragen hat, das, was die dänische Seite als Wiedererwachen des verschütteten Dänentums bezeichnet, hat mit einem eigentlichen Volkstumskampf wenig zu tun. Es ist nach unserer Auffassung im wesentlichen eine Folgeerscheinung des verlorenen Krieges, des geistigen Zusammenbruchs, der Flucht aus der deutschen Mitverantwortung, der Flucht aus deutschem Elend in ein Land, wo angeblich Milch und Honig fließt.
({2})
Ich kann das mit zwei, drei Zahlen schlagend belegen. Die Zahl der alten dänischen Minderheit wurde auf 8000 geschätzt. Sie stieg am 1. Januar 1946 auf 11 800 und dann bis zum 1. Juli 1947, also in 11/2 Jahren, auf 75 000 Mitglieder. Die Zahl der dänischen Stimmen, die im ganzen Herzogtum Schleswig 1932, bei der letzten geheimen Wahl, etwas mehr als 1300 betrug, stieg 1947 auf 99 000. Sie ist inzwischen 1948 auf 92 000 und 1949 auf 75 000 gesunken. Die Zahl der dänischen Schulen stieg von 13 auf 66, die der dänischen Lehrer von 24 auf 217, die der Schüler von 800 auf 14 000 - das alles in zwei Jahren! Niemand wird glauben, daß eine solche plötzliche Sinnesänderung auf der Änderung des Volkstums beruhen kann. Der große dänische Historiker Aage Friis hat vor nicht langer Zeit in bezug auf diese Zahlen gesagt: Kein Däne und kein Deutscher wechselt seine Gesinnung über Nacht.
({3})
Diese südschleswigsche Bewegung - bei uns nennen die Leute sie „Neudänen" - hat noch keine innere Bindung zur dänischen Sprache und Kultur. Sie will sich diese Kultur erst aneignen. Auf ihren Versammlungen wird deutsch gesprochen. Die Plakate für die Wahlen sind deutsch. Es ist eine Bewegung, von der ein anderer Däne, Nis Nissen, gesagt hat: „Nicht hin zu Dänemark, sondern weg von Deutschland."
Die grenzpolitische Linie der Deutschen aller Parteien ist klar und eindeutig. Wir wollen der
({4})
echten dänischen Minderheit jede kulturelle Freiheit gewähren in der Hoffnung, daß die gleichen Rechte auch der arg bedrängten deutschen Minderheit in Nordschleswig bewilligt werden.
({5})
Wir wenden uns nicht gegen das amtliche Dänemark. Wir erkennen mit Dank an, daß der gegenwärtige Ministerpräsident Hedtoft von den grenzpolitischen Forderungen der dänischen Aktivisten selbst nichts wissen will. Wir Deutsche an der Grenze möchten dringend den Frieden mit Dänemark. Uns Deutschen, die wir die Übersteigerung des nationalistischen Denkens blutig bezahlt haben, die wir am Vorabend des neuen Europa stehen, scheint dieser alte Streit mit dem nordischen, uns so nahe verwandten Nachbarn völlig überholt. Er ist uns aufgedrängt vom Nationalismus, der vom Norden über die Grenzen schlägt. Wir meinen, wir sollten nicht Grenzen verschieben, sondern Grenzen überbrücken. Unsere Abwehr richtet sich gegen die dänischen Nationalisten, die nördlich der Grenze sitzen allein die dänische Grenzvereinigung hat 200 000 Mitglieder -, vor allem gegen die eigenen Landsleute, die südlich der Grenze wohnen: die einen, die einer falsch verstandenen Ideologie erlegen sind, und die anderen, die glauben, daß sie der ungeheuren wirtschaftlichen Not des Landes, der Raumnot, der Übervölkerung -- in den Kreisen, die mein verehrter Vorredner und ich vertreten, ist in den meisten Dörfern und Städten die Zahl der Heimatvertriebenen ebenso groß wie die der Einheimischen - und der dadurch entstandenen ungeheuren Arbeitslosigkeit durch Angliederung an Dänemark entkommen können. So geht es in diesem Grenzkampf um das Gewinnen und Verlieren der einheimischen
Deutschen. Dieser Kampf ist deswegen so schwer, weil diese südschleswigsche dänische Bewegung aus dem Königreich mit ungeheuer großen Geldmitteln unterstützt wird; wir schätzen sie auf 18 bis 20 Millionen Kronen jedes Jahr.
({6}) Gegenüber dieser Summe sind die eigenen Leistungen des ja völlig verarmten Landes SchleswigHolstein gering. Unser Land Schleswig-Holstein erwartet von dem neuen Bund in dieser Not eine schnelle und wirksame Hilfe, einmal bei einer anderweitigen gerechten Verteilung und menschenwürdigen Unterbringung der Heimatvertriebenen - in der Beziehung stimme ich mit meinem Vorredner ganz überein -, zum andern bei der Unterstützung unserer kulturellen Aufbau- und Abwehrarbeit gegenüber dem Dänentum. Wir wollen diesen Kampf mit geistigen Waffen kämpfen. Wir lehnen jede Schikane, jede Gewaltmaßnahme, jedes staatliche Eingreifen ab, aber wir müssen wissen, daß bei diesem schweren kulturellen Ringen das ganze Deutschland hinter der Grenzbevölkerung steht!
({7})
Meine Damen und Herren, die Rednerliste ist für heute erschöpft. Wir unterbrechen die 7. Sitzung des Bundestags. Ihre Fortsetzung findet morgen um 10 Uhr statt.
Die Angehörigen des Ältestenrats bitte ich auf heute 8 Uhr 30 in das bekannte Sitzungszimmer.
Die Sitzung ist geschlossen.
({0})
7. Sitzung
Zweiter Tag
Bonn, Freitag, den 23. September 1949. Geschäftliche Mitteilungen . . . . 89B, C, 109B Fortsetzung der Aussprache über die Erklärung der Bundesregierung 89B
Blank ({1}) 89D
Dr. Laforet ({2}) 93C
Dr. Henle ({3}) 94B
Ollenhauer ({4}) 97A
Dr. Wellhausen ({5}) 103B
Rüdiger ({6}) 107A
Unterbrechung der Sitzung . . 109B
Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 110D
Dr. Zawadil ({7}) 111A
Dr. von Merkatz ({8}) 112C
Frau Kalinke ({9}) 114B
Dr. Etzel ({10}) . . . . . . . 118A
Fisch ({11}) 121C
Götzendorff ({12}) 125D
Ribbeheger ({13}) 129C
Dr. Leuchtgens ({14}) 130D
Euler ({15}) ({16}) 134D
Nächste Sitzung 109C, 135D
Ollenhauer ({17}) 109C
Dr. von Brentano ({18}) . . . . 110A
Dr. Schmid ({19}) 110C
Die Sitzung wird um 10 Uhr 19 Minuten durch den Präsidenten Dr. Köhler eröffnet.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Sitzung. Die heutige Tagesordnung ist die gleiche wie gestern:
Fortsetzung der Aussprache
über die Erklärung der Bundesregierung.
Ich bitte zunächst den Herrn Schriftführer, Abgeordneten Loritz, die Namen der abwesenden Mitglieder des Bundestags bekanntzugeben.
Es sind beurlaubt wegen Krankheit die Herren Abgeordneten: Dr. Atzenroth, Kuhlemann und Dr. Bucerius.
Auf Grund von Entschuldigungen sind beurlaubt die Herren Abgeordneten Bahlburg, Bauknecht, Clausen, Dr. Noell von der Nahmer, Marx, Frühwald, Dr. Horlacher, Dr. Gülich, Dr. Solleder, Gluesing, Wartner, Naegel, Karpf, Schröter.
({0})
Die Beurlaubung ist zurückgezogen.
Weiter sind beurlaubt die Herren Abgeordneten Dr. Hasemann, Dr. v. Rechenberg, Margulies, Freudenberg, Rademacher, Kiesinger, Vesper, Reimann und Frau Thiele.
Danke schön!
Über den Verlauf der heutigen Sitzung habe ich auf Grund der Besprechungen des Ältestenrats von gestern abend folgendes mitzuteilen: Es werden heute vormittag die drei großen Fraktionen je eine Stunde sprechen, wobei es den Fraktionen überlassen bleibt, inwieweit sie die Stunde auf einen oder mehrere Redner verteilen wollen. Am Nachmittag sprechen die kleinen Fraktionen je eine halbe Stunde. Der weitere Verlauf der Sitzungen wird in einer Ältestenratssitzung um 15 Uhr 30 festgelegt.
Wenn augenblicklich die Bundesregierung nicht in vollem Umfange vertreten ist, so darf ich mitteilen, daß das Kabinett noch eine Sitzung
hat, die sich mit der Frage der Auswirkungen der Pfundabwertung beschäftigt. Ich nehme an, daß im Laufe der nächsten halben Stunde das Kabinett vollzählig dasein wird.
({0})
- Danke schön!
Dann, meine Damen und Herren, treten wir in die Aussprache ein. Wir sind uns gestern darüber klar geworden, daß die Reihenfolge der Redner nach der Stärke der Fraktionen festgelegt werden soll. Ich erteile zunächst für die erste Stunde als erstem Redner Herrn Abgeordneten Blank das Wort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler hat in der Regierungserklärung gesagt, die Koalitionsparteien seien sich völlig einig darin, daß sie sich bei ihrer ganzen Arbeit von dem Bestreben leiten lassen würden, so sozial im wahrsten und besten Sinne des Wortes zu handeln wie irgend möglich. Ich erkläre als Sprecher meiner Fraktion noch einmal, daß dies unsere feste Absicht ist. Die Sozialpolitik wird deshalb eine beherrschende Stellung in der Regierungsarbeit einnehmen, und ich hoffe, daß die Opposition gerade hier die Gelegenheit findet, wo sie nicht unter allen Umständen nein sagen muß.
({0})
- Es freut mich. Ihre Freude gibt mir Gewähr dafür, daß Sie mitarbeiten werden.
Nun kann aber die wechselseitige Abhängigkeit von Sozial- und Wirtschaftspolitik nicht übersehen werden. Denn in erster Linie bestimmen Wert und Umfang des Sozialprodukts das Ausmaß sozialer Leistungen. Daher sagt die Regierungserklärung weiter: „Die beste Sozialpolitik ist eine gesunde Wirtschaftspolitik, die möglichst vielen Brot und
({1})
Arbeit gibt." Meine Damen und Herren, die wirtschaftspolitische Linie der Regierung ist klar, sie besteht - darüber kann kein Zweifel sein - in der Fortsetzung des im Wirtschaftsrat beschrittenen Weges. Dazu verpflichtet sie die Entscheidung des Wählers. Denn nicht zuletzt durch Sie, meine Damen und Herren von der Opposition, stand der Wahlkampf hauptsächlich unter der Parole: Für oder gegen die Frankfurter Wirtschaftspolitik? Es blieb Herrn Dr. Schumacher vorbehalten, die in freier demokratischer Wahl getroffene Entscheidung der Wähler dahin umzudeuten, der deutsche Besitz habe diese Regierung etabliert. Die Zahl der diese Regierung tragenden Wählerstimmen zeigt, daß sie ihren Auftrag aus dem Willen des Volkes hat, und der Auftrag lautet: Fortsetzung und Weiterentwicklung der Frankfurter Wirtschaftspolitik. Wie und nach welchen Prinzipien das geschehen soll, meine Damen und Herren, das möchte ich in Kürze in dieser Spezialdebatte darlegen.
Unser wirtschaftspolitisches Ziel ist die soziale Marktwirtschaft, und ich möchte gleich sagen: sie ist gleichweit entfernt von der Planwirtschaft wie von der freien Wirtschaft des Manchestertums.
({2})
Denn in ihr sind die Ordnungselemente: sowohl Freiheit als auch Bindung. Wir wünschen als motorische Kraft Freiheit im Wettbewerb und als Bindung unabhängige Monopolkontrolle, um Mißbrauch der Freiheit zu verhindern.
({3})
Dazu wird es einer Reihe von gesetzgeberischen Maßnahmen bedürfen, und eine dieser Maßnahmen wird sein, durch ein Monopolgesetz den Wettbewerb in der Wirtschaft zu sichern. Frau Abgeordnete Wessel bemängelte gestern in ihrer Rede, daß ein solches Monopolgesetz in Frankfurt am Main in der Schublade der Verwaltung für Wirtschaft liegengeblieben sei.
({4})
- Da bleibt es nicht liegen! Alle Sachkenner sind sich darüber klar, daß es sich hier um eine außerordentlich verwickelte Materie handelt,
({5})
die gründlichster Vorarbeit bedarf und auch niemals restlos abgeschlossen sein wird, weil sie ständig an den sich ergebenden Tatbeständen neu überprüft und revidiert werden muß. Sie dürfen aber die Versicherung entgegennehmen, daß ein solches Monopolgesetz geschaffen wird. Wir befinden uns dabei in völliger Übereinstimmung mit einer Forderung, die die Gewerkschaften aufgestellt haben, die sich auf die Schaffung einer Stelle zur Überwachung kartell- und monopolartiger Einrichtungen und Abreden bezieht. Dieses unser Gesetz wird alle Marktabreden und Kartellverträge verbieten, und es muß die Bildung wirtschaftlicher Macht verhindern.
Meine Damen und Herren! Wir werden das bestehende Gesellschaftsrecht einer Überprüfung zu unterziehen haben, und wir werden es entsprechend unserem Ziele zu ändern haben.
({6})
- Warten Sie ab, Herr Abgeordneter Rische! Wer Unternehmer sein will, muß auch mit seinem ganzen persönlichen Besitz einstehen.
({7})
Das gilt nicht nur für den Unternehmer, das gilt
unserer Ansicht nach auch für die Vorstandsmitglieder und Geschäftsführer von Kapitalgesellschaften. Wir wollen keine anonyme Verantwortungslosigkeit mehr in der Wirtschaft. Darüber hinaus erwarten wir von der Regierung Gesetzentwürfe, die die restlose Offenlegung von Geschäftsberichten, Gewinn- und Verlustrechnungen und Bilanzen bei allen Kapitalgesellschaften gewährleistet. Ich kann auch hier wieder darauf hinweisen, daß wir uns dabei in völliger Übereinstimmung mit einer Forderung der Gewerkschaften befinden, die sie an dieses Bundesparlament gerichtet haben, die dahin geht, es sei eine Erweiterung der für wirtschaftliche Unternehmungen bestehenden gesetzlichen Publikationsvorschriften erforderlich. Meine Damen und Herren, gerade den Arbeitern wird damit gedient, die als Wertschaffende auch einen Anspruch darauf haben, über den wahren Stand des Unternehmens und den erzielten Gewinn unterrichtet zu werden.
({8})
Obwohl es wegen mangelnder Kenntnis der Zusammenhänge noch unpopulär ist, halten wir daran fest, daß sich die Preise marktgerecht bilden müssen. Wohin die behördlich festgesetzten Preise, die doch nur eine Illusion sind, führen, haben wir seit dem Jahre 1936 erlebt. Behördlich festgesetzte Preise, zugewiesene Kontingente, feste Gewinnspannen, eine solche Sinekure wollen wir dem Unternehmertum ein zweites Mal nicht mehr gönnen.
({9})
Unternehmer sein heißt nämlich nicht: Staatspensionär sein.
({10}) Das muß wieder begriffen werden.
Die Arbeiterschaft kann mit Recht von demjenigen, der sich Eigentümer der Produktionsmittel nennt, verlangen, daß er von diesen Produktionsmitteln auch einen Gebrauch macht mit echtem Wagnis, einen Gebrauch, der höchste Rentabilität des Betriebes sichert. Wer das nicht kann, soll die Finger von diesem Geschäft lassen.
({11})
Meine Damen und Herren, darüber hinaus werden Sie uns Preisbeeinflussung mit Mitteln der Kredit- und Steuerpolitik, die wir nach Lage der Verhältnisse anzuwenden gewillt sind, nicht als Abkehr von unseren Prinzipien auslegen. Ich bin der Meinung, wir stimmen darin überein, daß dies probate Mittel sind.
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, an dieser Stelle ein kurzes Wort über die Steuerpolitik, von der fast alle Redner gesprochen haben einfügen. Herr Dr. Schumacher meinte zum diesbezüglichen Punkt der Regierungserklärung, die geplante Steuersenkung stünde in Konkurrenz minden Besatzungskosten und den erforderlichen Sozialleistungen. Ich lege mir das zunächst so aus, daß Herr Dr. Schumacher meinte, die Besatzungskosten zu senken läge nicht in unserer Macht, und eine Senkung der Sozialleistungen beabsichtige die Regierung nicht; infolgedessen sei die Steuersenkung unmöglich. Dazu möchte ich sagen: Die heutigen Steuersätze lähmen und hindern die Spartätigkeit, sie führen zur Verschwendung und lenken Mittel in den Luxuskonsum, die bei vernünftiger Steuerpolitik produktiven Zwecken zugeführt würden.
({12})
Wenn der Staat 80 bis 90 Prozent jedes Aufwandes
deckt - und das geschieht tatsächlich -, dann treten Unterschiede im Lebensstandard stärker in Er({13})
scheinung, als sie nach der Einkommensverteilung überhaupt möglich wären.
({14})
Wir versprechen uns von einer Steuersenkung folgende Wirkungen. Erstens eine Zunahme der Spartätigkeit und damit erhöhte Kapitalbildung durch alle Schichten des Volkes; zweitens eine Entlastung des unmittelbaren Konsums, insbesondere des Luxuskonsums; drittens eine erhöhte Investitionstätigkeit, Belebung der einschlägigen Industrien, insbesondere der Bauwirtschaft; viertens eine Aufsaugung der Arbeitslosigkeit und Entstehung zusätzlichen Arbeitseinkommens; fünftens steigende Nachfrage auch auf den Konsumgütermärkten und auch dort vermehrte Beschäftigung; sechstens durch steigende Umsätze und erhöhte Produktion auch steigende Steuereinnahmen trotz Senkung der Steuersätze.
({15})
Aber nicht unbedeutend dürften auch die diesen zugeordneten Nebenwirkungen sein: erstens ein Rückgang der Bürokratie, weil durch freie Kapitalbildung der Riesenapparat der staatlich-zentralistischen Kapitalverteilung überflüssig wird;
({16})
zweitens eine Förderung der kleineren und mittleren Existenzen, die nur bei freier Kapitalbildung, wie" alle Erfahrungen lehren, Kredite erhalten können, während bei staatlicher Verteilung erfahrungsgemäß nur öffentliche und Riesenunternehmungen bedacht werden.
({17})
Gerade hier aber sind wir an einem Kernpunkt unseres wirtschaftspolitischen Wollens, nämlich Klein- und Mittelexistenzen zu fördern.
({18})
Dasjenige Volk wird sozial am gesundesten sein, das möglichst viele selbständige Existenzen hervorbringt, und nicht ein Volk, Herr Renner, das nichts mehr ist als seelenlose Nummern in einem Machtstaatsapparat.
({19})
Wir erwarten drittens Rückkehr zu dem finanzpolitischen Grundsatz: die Staatsausgaben haben sich den finanzpolitischen Möglichkeiten anzupassen und nicht umgekehrt.
({20})
Die geplante Steuersenkung steht damit wohl nicht in Konkurrenz mit den Sozialleistungen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich kurz zur Wirtschaftspolitik zurückkehren. Wir sind davon überzeugt, daß sich durch diese Wirtschaftspolitik eine Wirtschaft entwickelt, die ein möglichst großes Sozialprodukt erzeugt. Daß uns das seit der Wende durch das Leitsätze-Gesetz schon in erfreulichem Maße gelungen ist, lehrt der Augenschein jedes Menschen in der Bizone.
({21})
Das alles betrifft aber im Grunde genommen nur die Wirtschaftsweise und besagt noch nicht viel über die Fragen der Wirtschaftsverfassung. Die Wirtschaftsweise, wie ich es definieren will, die Wettbewerbswirtschaft mit den Prinzipien, die wir ihr zugrunde legen, würde sowohl in der Privatwirtschaft als auch in der Gemeinwirtschaft zu gelten haben. Auch eine Gemeinwirtschaft, wenn sie nicht zur Ertraglosigkeit verurteilt sein wollte, würde sich zu diesen Prinzipien des echten Wettbewerbs untereinander zu bekennen haben.
({22})
Aber es sei mir ein Wort zur Frage der Wirtschaftsverfassung erlaubt. Die Regierungserklärung spricht sich dazu aus. Sie sagt nämlich: Die sozial- und gesellschaftspolitische Anerkennung der Arbeitnehmerschaft macht eine Neuordnung der Besitzverhältnisse in den Grundstoffindustrien notwendig. Herr Dr. Schumacher meinte dazu, es sei nicht klar, ob damit die Wiederherstellung der alten Besitzverhältnisse gemeint sei. Ich will diesen Zweifel bei ihm beheben, meine Damen und Herren von der Opposition. Denn in der Regierungserklärung heißt es „eine Neuordnung". Das dürfte doch einem Manne nicht entgangen sein, der gerade in seiner Partei nach 1945 die Parole ausgab, nicht von dem Aufbau zu sprechen - denn das könne Restaurierung bedeuten -, sondern von dem Neubau. Ich glaube, dieser Hinweis auf Ihre eigene Definition wird Ihnen klar sagen, was hier mit dem Wort „Neuordnung der Besitzverhältnisse" gesagt sein soll.
({23})
Es freut mich, hier feststellen zu können, daß die Regierungserklärung sich wieder einmal mit den Forderungen der Gewerkschaften deckt, wo es im Abschnitt VI unter anderem heißt: ,,Es sind deshalb
vordringlich insbesondere der Bergbau, die eisen- und stahlschaffende Industrie sowie die Großchemie in Gemeineigentum zu überführen." Wenn also Herr Dr. Schumacher in seiner Rede bemängelt hat, daß die Regierungserklärung sich nicht mit den Gewerkschaften beschäftige, so kann ich feststellen, daß sie das tut - das werde ich Ihnen gleich noch darlegen -, daß sie sogar wesentliche Programmpunkte der Gewerkschaften in ihr Programm übernommen hat. Das ist gar kein Wunder, meine Damen und Herren!
({24})
Denn auf den Bänken der Regierungsparteien sitzen bessere Gewerkschaftler, als Sie einer sind, Herr Rische.
({25})
Ich sage noch einmal, auf den Bänken der Regierungsparteien - ({26})
Herr Abgeordneter Blank, ich darf bitten, keine persönlichen Wertungen vorzunehmen.
Verzeihen Sie, Herr Präsident! Ich habe von dem Herrn Abgeordneten Rische einen Zuruf bekommen, den ich so auffassen mußte, als ob er meine Ausführungen anzweifele. Deshalb habe ich diese Antwort gegeben. Aber ich stehe nicht an: wenn dies ein unzulässiger Ausdruck gewesen sein sollte, der den Herrn Abgeordneten Rische beleidigen könnte, so nehme ich ihn hiermit in aller Form zurück.
({0})
Ich sage noch einmal: auf den Bänken der Regierungsparteien sitzt eine ganze Anzahl von Männern, deren Lebensaufgabe darin bestand, für die Rechte der Arbeitnehmerschaft zu wirken, und die heute noch wie ihre Gewerkschaftskollegen auf den Bänken der Opposition in der Gewerkschaftsbewegung praktisch tätig sind.
({1})
Deshalb können Sie, meine Herren von der Opposition, in dieser Frage völlig unbesorgt sein.
({2})
Die Regierungserklärung, betone ich noch einmal, deckt sich hier mit einer der Forderungen der Gewerkschaften. Ich weiß, daß alle bisherigen Versuche zur Lösung dieser Fragen durch Ländergesetzgebung von den Militärregierungen nicht anerkannt wurden. Wir sind von den Militärregierungen darauf hingewiesen worden, daß diese Fragen durch das deutsche Volk zu entscheiden seien, wenn es eine Regierung habe. Dieser Zeitpunkt ist gekommen. Wir kennen unsere Aufgabe. Und so klar, wie die Regierungserklärung sich hierzu ausspricht, so klar, wie wir es in unserem Ahlener Programm und in den Düsseldorfer Leitsätzen niedergelegt haben, so klar werden wir in diesem Parlament für die Lösung dieser Fragen eintreten.
({3})
Eins aber möchte ich von vornherein sagen: Überführung in Gemeineigentum - ich übernehme es wörtlich, wie es hier in den Forderungen der Gewerkschaften steht - kann für uns nie und nimmer Verstaatlichung bedeuten.
({4})
Wir kennen die Gefahren. Wir wünschen nicht einen „geliebten Führer", einen Einheitsstaat, ein Einheitsgesicht, eine Einheits-Übererfüllung der Übernormen. Wir wünschen vielmehr nach dem Gesetz, nach welchem die Arbeitnehmer angetreten sind, daß dem Menschen seine persönliche Freiheit erhalten bleibt und er nicht zum Sklaven eines totalitären Staates wird.
({5})
Meine Damen und Herren, es wird sehr viel über diese Materie zu sagen sein. Wir werden die Vorlagen, die wir demnächst bekommen, sehr ernst zu prüfen haben.
({6})
Wir werden mit aller gebotenen Überlegung an
diese Frage herangehen. Wir lehnen es ab, sinnlose
Experimente zu machen; denn wir wollen in Wirklichkeit dem Menschen, der Arbeiterschaft dienen.
({7})
Nur noch eins! Die Gewerkschaften haben Forderungen zur Regelung der Rechtsbeziehungen im Arbeitsleben und in der Sozialversicherung aufgestellt. Da freut es mich, darauf hinweisen zu können, daß auch die Regierungserklärung sagt: „Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern müssen zeitgemäß geordnet werden, und die Selbstverwaltung der Sozialpartner muß an die Stelle der staatlichen Bevormundung treten." Ohne das gesamte Gebiet des Arbeitsrechts, das einer Lösung harrt, hier in dieser kurzen Rede in allen Einzelheiten darlegen zu wollen, kann ich Ihnen sagen, daß wir auch hier im Grundsätzlichen mit dem übereinstimmen, was die Arbeitnehmerschaft auf diesem Gebiete als ihre berechtigten Forderungen erhebt.
Auf allen Gebieten des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik besteht seit jeher eine große Zersplitterung des Rechts. Unterschiedliche Regelungen wichtiger arbeitsrechtlicher und sozialpolitischer Angelegenheiten in den Ländern haben zur weiteren Zersplitterung und Uneinheitlichkeit der Rechtsvorschriften geführt. Die Gewerkschaften fordern daher ein einheitliches und fortschrittliches Arbeitsrecht für alle Arbeitnehmer. Diese Forderung, meine Damen und Herren, wird - davon bin ich fest überzeugt - in diesem Hause, durch die Damen und Herren dieses Parlaments ihre Erfüllung finden.
({8}) Davon dürfen Sie überzeugt sein!
Herr Dr. Schumacher bemängelte, daß die Regierungserklärung das Wort ,,Arbeiter" nicht einmal erwähnt habe. Ich darf darauf aufmerksam machen, daß auf Seite 11 der Regierungserklärung gleich zweimal von Arbeitnehmern die Rede ist. Aber darüber twill ich gar nicht streiten. Viel entscheidender als die Frage, ob das Wort „Arbeiter" in der Regierungserklärung steht, ist für uns, daß auf der Regierungsbank einer der markantesten Vertreter der christlichen Arbeiterbewegung, der auch in der heutigen Gewerkschaftsbewegung etwas gilt, sitzt.
({9})
Er ist der Garant unseres sozialpolitischen Wollens!
({10})
Und, meine Damen und Herren, es sitzt ja auch noch ein zweiter Mann auf der Regierungsbank, dessen Ansehen in der Arbeiterbewegung sicherlich mehr als groß ist, einer der Männer, der zusammen mit dem Freunde Leuschner von der anderen Seite die Seele des Widerstandes der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft war.
({11})
Zwei solche Männer auf der Regierungsbank sind uns mehr als zwanzigfache Erwähnung der Arbeiter in der knappen Regierungserklärung.
({12})
Meine Damen und Herren, die Regierung ist auch willens zu einer loyalen Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, und dafür haben wir schon einen Beweis. Gestern hat der Herr Bundeskanzler an den Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Herrn Dr. Böckler, einen Brief gerichtet und ihm mitgeteilt, daß Maßnahmen, die in Verfolg der Pfundabwertung erforderlich sein würden, mit den Gewerkschaften besprochen werden würden und daß er in Kürze einen Besuch von Herrn Dr. Böckler und noch einigen Herren der Gewerkschaften erwarte, um mit ihnen über die Dinge zu beraten.
({13})
Ich glaube nicht, daß Herr Dr. Böckler ein Mann ist, der sich zum Stillhalten eignet.
Meine Damen und Herren, ich glaube, hierzu noch einiges sagen zu müssen. Wenn die Regierung bereit ist, loyal mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, dann soll aber niemand auf den abwegigen Gedanken kommen, es bestünde auch nur im entferntesten die Möglichkeit, nach volksdemokratischem Muster außerparlamentarische Organisationen im parlamentarischen Leben einsetzen zu können.
({14})
Das sagt ein Gewerkschaftler deshalb, weil er sich über die unterschiedlichen Aufgaben der Gewerkschaften und der politischen Parteien völlig klar ist!
({15})
Anders als in früheren Zeiten stehen die Sozialprobleme vor uns. Es ist aber Tatsache, daß gegenwärtig nicht mehr die Arbeiterschaft die am tiefsten stehende soziale Schicht darstellt, sondern das Riesenheer der Flüchtlinge die tiefste Elendsschicht bildet. Deshalb, meine Damen und Herren, stellt die Regierungserklärung an die Spitze der dringenden Bundesaufgaben die Lösung der Flüchtlingsfrage und der Wohnungsfrage, und deshalb haben zwei Ministerien in diesem Kabinett die
({16})
Aufgabe, diese Fragen einer Lösung entgegenzuführen.
Lassen Sie mich aber, da über diese Dinge Berufenere als ich aus den Kreisen der Flüchtlinge selber sprechen werden, noch einiges Wenige zur Sozialversicherung sagen. Ich weiß, meine Damen und Herren, daß der gegenwärtige Zustand der Sozialversicherung dringend Reformen notwendig macht. Ich weiß, daß hier eine umfangreiche Gesetzgebung auf uns wartet. Lassen Sie mich noch einige wenige Grundprinzipien darstellen. Wir verlangen in allen Sozialversicherungszweigen Wiederherstellung des Versicherungsprinzips; denn wir wollen, daß der Rentenempfänger kein Wohlfahrtspflegling ist, sondern eine Rente bezieht, auf die er einen selbst erworbenen Rechtsanspruch hat.
({17})
Wir wollen weg von der staatlichen Einflußnahme auf diese Dinge. Wir wünschen, die Angelegenheit der Sozialversicherung mehr und mehr in die Hände der Sozialpartner zu legen. Dort nämlich, wo sich die beiden um den Ertrag der Wirtschaft mühen, haben sie beide auch die Voraussetzung dafür zu schaffen, daß der Arbeitnehmer später seine erdiente Rente bekommen kann.
({18})
Meine Damen und Herren, wir wünschen keine Mammutgebilde, sondern Versicherungsträger in Gliederungen, die den Versicherten eine lebendige Verbundenheit und Mitwirkungsmöglichkeiten lassen. In der Krankenversicherung werden wir Gesundes zu erhalten wissen. In der Rentenversicherung der Arbeiter werden wir die Rechtsangleichung an den Stand der Angestelltenversicherung herbeizuführen wissen. Wir werden die Rentenversicherung der Angestellten - weil wir Gleichheit nicht im Eintopf sehen - zu erhalten wissen.
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Wir werden in der Unfallversicherung auch die Mitwirkung der Arbeitnehmer sichern; denn wir wünschen deren Heranführung an die Verantwortung auch in diesem wichtigen Punkt. Und in der Arbeitslosenversicherung werden wir baldigst die Selbstverwaltung wiederherzustellen haben. Grundsatz aber bleibt bei uns, das Vermögen der Versicherungsträger vor Zugriffen eines geldgierigen Staates sicherzustellen,
({20})
aber Ersatz der Vermögen, die der Staat im wahrsten Sinne des Wortes verpulvert hat.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich meine Ausführungen über die Sozialversicherung mit diesen knappen Worten beenden. Wir haben in der Regierungserklärung gesagt, daß wir willens sind, so sozial wie möglich in diesem Bundestag zu wirken. Und wenn ich die Männer und Frauen hier vor mir sitzen sehe, sowohl in den Regierungsparteien als auch auf der Seite der Opposition, und an die vielen denke, die mit uns gemeinsam in den Organisationen stehen, die außerhalb des Parlaments die Rechte der Arbeitnehmer wahrnehmen, dann bin ich mir darüber klar, daß wir hier eine einmalige Gelegenheit haben, eine echte Sozialpolitik zu betreiben, eine Sozialpolitik, die nur deshalb möglich ist, weil durch eine vernünftige Wirtschaftspolitik die Wirtschaft auch wieder Erträge abwirft. Dieser Verpflichtung werden wir uns bewußt sein und in diesem Sinn unsere Arbeit leisten. Das deutsche Volk wird uns nüchtern und sachlich bei der Arbeit beobachten. Ich glaube aber, daß es keine Ursache hat, an unserem guten Willen zu zweifeln. Gott gebe, daß wir ihm bald bessere Verhältnisse herbeiführen können!
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Meine Damen und Herren! Ehe ich dem zweiten Redner der CDU/CSU-Fraktion das Wort erteile, darf ich noch darauf hinweisen, daß für die Fraktion insgesamt nur noch 25 Minuten Redezeit zur Verfügung stehen.
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Laforet.
Meine Damen und Herren! Im Auftrag meiner näheren bayrischen Freunde habe ich kurz grundsätzliche Stellung zu nehmen.
Der Herr Vertreter der Bayernpartei hat erklärt, daß die Bayernpartei die Hüterin des bayrischen Staatsgefüges sei. Im Namen meiner politischen Freunde der CSU lege ich gegen diesen Satz aufs entschiedenste Verwahrung ein.
({0})
Die Herren der Bayernpartei haben in ihren Übertreibungen, in ihrer Maßlosigkeit Bayern ebenso
geschadet wie die Zentralisten in Berlin und Bonn.
({1})
Wir vertreten Bayern mit der gleichen Liebe zur
engeren Heimat wie die Herren der Bayernpartei.
({2})
Wir singen in Bayern „Gott mit dir, du Land der Bayern, deutsche Erde, Vaterland!" Auch unsere bayrische Erde ist deutsche Erde.
({3})
Wir sind Glieder in der Gesamtheit des deutschen Volkes.
Wir haben als Mitglieder der CSU beim Bonner Grundgesetz mit aller Gründlichkeit mitgearbeitet.
({4})
Die Gestaltung des Grundgesetzes in den letzten Wochen seiner Abfassung hat es uns unmöglich gemacht, dem Grundgesetz in der zuletzt gegebenen Fassung zuzustimmen. Wir haben erhebliche Erinnerungen gegen kulturpolitische und wirtschaftspolitische Bestimmungen. Vor allem war nach unserer Überzeugung das Gleichgewicht . zwischen Bund und Ländern wesentlich gestört. In einer Reihe von Bestimmungen sind Ansätze dafür gegeben und Wege möglich gemacht, die Eigenstaatlichkeit der Länder zu untergraben und den Deutschen Bund wieder in die Staatsform eines Einheitsstaats überzuleiten, der uns in den Abgrund gebracht hat.
({5})
Wir haben aber im Parlamentarischen Rat am 8. Mai 1949 in der gleichen Erklärung, in der wir unsere Ablehnung bekunden mußten, klar gesagt, daß wir uns auch in dieser Stunde dem deutschen Volk aufs tiefste verpflichtet fühlen.
({6})
Und der gleiche Gedanke kam in der Erklärung der Bayrischen Staatsregierung und im Beschluß des Bayrischen Landtags vom 19. Mai 1949 zum Ausdruck, als erklärt wurde, daß wir das Grundgesetz auch für Bayern als verbindlich anerkennen
({7})
({8})
und daß wir bereit sind, in der Ausgestaltung des Grundgebäudes zur Wiedererlangung der deutschen Einheit mit allem Bemühen mitzuarbeiten. Wir können den föderalistischen Staatsgedanken nur dann in die Tat umsetzen, wenn in gegenseitigem Vertrauen die Lebensgrundlagen des deutschen Volkes gemeinsam geschaffen werden. Nur dann ist auch das Gedeihen eines selbständigen staatlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens der Gliedstaaten gewährleistet. Aus dieser Erkenntnis ist in gegenseitigem Vertrauen und aus der gemeinsamen weltanschaulichen Zielsetzung heraus die Gemeinschaft der CDU/CSU gegründet worden.
({9})
Der Herr Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer hat in seiner Regierungserklärung, wie er ausführte, den ernsten Willen bekundet, den föderativen Charakter des Grundgesetzes sicherzustellen und die Rechte der Länder zu wahren. Wir haben das volle Vertrauen, daß das Kabinett des Herrn Kanzlers dahin wirken wird, das Grundgesetz so auszulegen und so auszubauen, daß dem Bunde gegeben wird, was in einer denkbar ernsten und schweren Zeit zur Erhaltung der deutschen Rechtseinheit und Wirtschaftseinheit unerläßlich ist, daß aber die deutschen Gliedstaaten auf allen anderen Gebieten die rechtliche Befugnis und die finanzielle Macht haben, nach ihrer geschichtlichen Entwicklung vor allem ihre Kulturaufgaben zu erfüllen nach den Forderungen ihres Staatsvolks und der Entscheidung ihrer Staatsorgane. Wir wollen lebenskräftige Gliedstaaten in einem freien deutschen Bundesstaat, und in diesem Sinne geben wir dem Kanzler Adenauer und seinem Kabinett unser Vertrauen.
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Als nächster Redner hat der Herr Abgeordnete Dr. Henle das Wort.
Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich - gewissermaßen im Wege der Arbeitsteilung mit den Herren Vorrednern - den politischen sowie wirtschafts- und sozialpolitischen Darlegungen, die Sie soeben gehört haben, einige Bemerkungen zu den Fragen hinzufügen, die das Verhältnis unserer jungen Bundesrepublik zu den Besatzungsmächten und der übrigen Welt draußen betreffen.
Sobald wir von diesen Dingen reden, begeben wir uns auf ein Terrain, auf dem es mehr als bei allen anderen Fragengebieten darauf ankommt, das Einigende herauszustellen oder doch jedenfalls jede unfruchtbare Polemik zu vermeiden. So lassen Sie mich denn auch auf solche Auseinandersetzungen mit den in der bisherigen Debatte zum Ausdruck gekommenen unterschiedlichen Auffassungen im wesentlichen verzichten und meine Darlegungen vielmehr vor allem darauf beschränken, wie wir die hier zur Erörterung stehenden Dinge sehen.
Es handelt sich dabei um Fragen, bei deren Erörterung wir uns durchaus dessen bewußt sind, daß die eigentliche Außenpolitik zu den Materien gehört, in denen unserer jungen Bundesrepublik die volle Bewegungsfreiheit vorerst noch versagt bleibt. Auch die Pflege eigener amtlicher Beziehungen zum Ausland ist uns noch nicht zugestanden worden. Dennoch stellt der Komplex der Fragen unseres Verhältnisses zur Welt draußen ein Thema dar, dessen Prüfung und Durchsprache wir uns gar nicht entziehen können. Denn dieses Verhältnis ist letztlich eben mit bestimmend für alles und jedes, für jede kleinste Frage der Innenpolitik, für die man uns nun die Selbstregierung zugestanden hat. Innenpolitik treiben, ohne den Blick nach außen zu richten, hieße ja wahrlich Politik im luftleeren Raum betreiben und unsere ganze Arbeit aus dem Rahmen herausnehmen, in den sie nun einmal durch die Umstände unabänderlich hineingestellt ist. Gerade das Besatzungsstatut, das uns die Selbständigkeit außenpolitischer Entscheidung noch vorenthält, ist ja selbst der beste Beweis dafür, wie eng unsere inneren Dinge mit dem Ausland und mit seinen Organen in. Deutschland heute verflochten und verwachsen sind, fast bis in jede Einzelfrage der Wirtschafts-, Finanz- oder sonstigen Politik hinein. Wirtschaftspolitik kann man heute in Deutschland schon gar nicht treiben, ohne fortgesetzt und ständig den Blick nach dem Auslande zu richten. Darüber hinaus wissen wir aber auch alle, und auch die Welt weiß es, daß es für die ganze Zukunft von schlechthin entscheidender Bedeutung ist, wie das deutsche Volk sich in den großen Fragen, die heute die Welt bewegen, entscheiden wird. Und darüber müssen wir uns, glaube ich, auch klar sein: Die Gleisstellung wird doch schon heute vorgenommen, und auch das Ausland nimmt - wir haben es ja gesehen - heute bereits zu unseren Wünschen und Bestrebungen wesentlich mit nach Maßgabe dessen Stellung, was es heute und jetzt aus Deutschland hört. Da die Dinge nun einmal so liegen, können wir uns gar nicht darauf beschränken, hier nur von innenpolitischen Problemen, vom Wohnungsbau, von der sozialen Frage und dergleichen mehr zu sprechen, sondern wir müssen auch zu den großen weltweiten Gegenwartsfragen Farbe bekennen, in die wir hineingestellt sind.
Daß es dabei nicht damit getan ist, Ziele und Wünsche zu proklamieren, die wir für die Zukunft hegen, weiß jeder von uns. Durch die unheilvolle Politik Hitlers und ihre schließliche Katastrophe im Jahre 1945 ist Deutschland auf einen Tiefpunkt herabgesunken, ja in einen Abgrund geraten, aus dem uns nur mühsame Arbeit Schritt für Schritt wieder herausführen kann. Aus eigenen Kräften wäre es uns vielleicht nie gelungen, den Weg nach oben wieder zu finden, und so müssen wir dankbar sein, bereits da zu stehen, wo wir heute sind, und bei der Umschau nach weiteren Möglichkeiten zur Fortsetzung unseres Weges große Vorsicht walten lassen.
Gewiß, das Besatzungsstatut zieht unserem eigenen Wirken noch viele Grenzen. Und doch stellt es einen erheblichen Fortschritt dar, um so mehr, als es die bekannte Revisionsklausel enthält, die uns ein weiteres Fortschreiten auf dem Weg erhoffen läßt, der uns wieder als voll gleichberechtigtes Volk in die Familie der freien Völker dieser Erde zurückführen soll. Wie segensreich wäre es doch für die ganze Welt gewesen, hätte sich eine Revisionsklausel seinerzeit auch im Versailler Vertrag von 1919 befunden!
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Diesmal können wir die Hoffnung und den Willen haben, unseren Weg nicht gegen eine Welt zu suchen, sondern m i t einer Welt, die uns hilfreich die Hand bietet. Solch hilfreiche Handbietung erhoffen wir vor allem von der Zusammenarbeit zwischen der Bundesregierung und den Hohen Kommissaren der Besatzungsmächte. Daß sie sich ersprießlich und vertrauensvoll gestalten möge, ist unser aller lebhaftester Wunsch.
Ein Gutes haben diese Fragen unseres Verhältnisses zur Welt draußen jedenfalls vor allen son({1})
stigen Fragen voraus, die uns hier in diesem Hause beschäftigen werden, nämlich daß wir uns über sie in den wesentlichen Punkten ja nahezu alle einig sind. Einig sind wir uns, daß die Wiedergewinnung der deutschen Einheit für uns alle oberstes Ziel deutscher Politik bleibt, einig, daß die Oder-NeißeLinie als Ostgrenze für uns indiskutabel und unannehmbar ist.
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Einig ist sich die erdrückende Mehrheit dieses Hauses, daß wir - wie das Ergebnis der Bundestagswahl aller Welt klar gezeigt hat - unsere Zukunft vor allem an der Seite der Welt des Westens suchen wollen, daß heißt einer Welt, die die Freiheit des einzelnen und die Gerechtigkeit für alle Völker, große und kleine, auf ihre Fahnen geschrieben hat. Was uns eint, ist auch der Glaube daran, daß die Welt des Westens uns letztlich verstehen wird' und daß damit dann die Mißverständnisse verschwinden werden, die heute noch vielfach bestehen, weil man vielerorts bei uns nur einen übersteigerten Nationalismus sehen will, während wir doch wirklich alles und jedes nur vom friedlichen Zusammenwirken der Völker erhoffen und jedem Gedanken an Gewaltlösungen durch unsagbar schwere Erfahrung belehrt, wahrlich entsagt haben.
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Diese unsere positive Haltung zur Welt des Westens, der wir uns zugehörig fühlen, bedeutet natürlich nicht, daß wir nicht auch mit dem Osten irk Frieden und Freundschaft leben wollen. Nichts kann uns, glaube ich, erwünschter sein, als daß es auch in dieser Richtung der Welt gelingen möge, zu Lösungen zu kommen, die die noch bestehenden Gegensätze und Spannungen überbrücken und in den Hintergrund treten lassen. Daß das immerhin möglich ist, hat ja schließlich die Vergangenheit gezeigt, und wir wehren uns gegen jeden grundsätzlichen Pessimismus in dieser Hinsicht. Die Fragen, die dabei für uns auf dem Spiele stehen, nämlich die Wiederherstellung der deutschen Einheit und, schon heute, das Schicksal und Ergehen unserer Brüder und Schwestern in der russischen Zone, sind viel zu wichtig und bedeutsam, als daß eine pessimistische Resignation - denn auf etwas anderes würde es ja nicht hinauslaufen - für uns denkbar wäre. Es ist selbstverständlich, daß wir den Berlinern nach Kräften helfen werden; doch dahinter steht das noch größere Problem des gesamten Ostdeutschlands. Wir geben uns vor allem davon Rechenschaft, daß dieses Problem besonders schwer belastet ist mit der unglückseligen Forderung nach der Oder-Neiße-Linie. Darüber, wie in dieser Hinsicht die rechtliche und internationale Lage und der deutsche Standpunkt dazu beschaffen sind, hat der Herr Bundeskanzler hier so eindeutige Ausführungen gemacht, daß ich dem nichts hinzuzufügen brauche.
Ich komme nun zu den weiteren Fragen, vor die sich die Bundesregierung schon heute gestellt sieht und in denen sie gewiß sein muß, daß die Mehrheit dieses Hauses hinter ihr steht Das ist einmal das Problem der deutschen Haltung zum Gedanken der Europäischen Union und im besonderen zur Frage des deutschen Beitritts zum Europa-Rat. In dieser Frage hat man uns jetzt in Straßburg das Wort ja geradezu zugeschoben. Man hat gesagt, es sei unsere Sache, gegebenenfalls unseren Beitrittswunsch zur Kenntnis des Ministerkomitees der zwölf Regierungen zu bringen. Es wird Aufgabe der Bundesregierung sein, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen zur formellen Anhängigmachung eines solchen Wunsches vorliegen und ob und wann er zweckmäßig vorgebracht wird. Hier dieses Haus aber ist das Forum, in dem gerade auch von uns Abgeordneten unterstrichen werden sollte, daß es auf unserer Seite nicht im geringsten an dem Wunsche nach ehrlicher und enger Zusammenarbeit mit den zwölf im Europa-Rat vereinigten Ländern fehlt, daß wir im Gegenteil zu solch enger und vertrauensvoller Zusammenarbeit bereit sind und uns ihr bestimmt da nicht entziehen werden, wo man uns die Möglichkeit dazu bietet.
({4})
Der Europa-Rat ist noch ein recht bescheidener Anfang. Das hat die Straßburger Tagung deutlich gezeigt. Unser Grundgesetz ist jedenfalls dafür Zeuge - das möchte ich auch meinerseits nochmals betonen -, daß wir bereit sind, den Weg, der sich in Straßburg als eine Zukunftsmöglichkeit abgezeichnet hat, auch wirklich zu gehen, das heißt eigenstaatliche Rechte dem Gesamtinteresse Europas zu opfern.
({5})
Von einer engen Zusammenarbeit in einer Europäischen Union erhoffen wir vor allem die endliche Ersetzung des alten Interessengegensatzes zwischen uns und unseren westlichen Nachbarn durch die Herstellung einer weitgehenden Interessengemeinschaft. Hierzu gab es ja schon immer soviele natürliche Voraussetzungen wirtschaftlicher und sonstiger Art. Sie müssten aber in unserer Generation endlich fruchtbar gemacht werden, wollen wir uns nicht mitschuldig machen am Versäumen einer bedeutsamen geschichtlichen Stunde. Freilich wird diese Interessengemeinschaft nur dann sich auswirken können, wenn beide Seiten dazu Opfer zu bringen bereit sind, vor allem das Opfer der endlichen Überwindung des Mißtrauens in die Absichten des anderen, dieser alten Erbsünde aller Politik, die so viel Schuld daran trägt, daß frühere Anläufe zur Behebung des deutschfranzösischen Gegensatzes zum Scheitern verurteilt blieben. Der erfolgversprechendste dieser Anläufe war wohl in den 20er Jahren die Politik Gustav Stresemanns und Aristide Briands. Sie scheiterte, wie ja so oft großes Wollen wiederholten Anlaufs bedarf und nicht immer gleich beim ersten Wurf gelingt. Das soll uns deshalb nur zu neuem Versuche anspornen. Blinde Vertrauensseligkeit können wir natürlich von niemandem erwarten, und wir denken auch selbst nicht daran, uns ihr zu verschreiben. Übertriebenes Mißtrauen ist aber der Totengräber jeden Fortschritts, auch wenn man sich dabei noch so sehr auf die halbe Weltgeschichte glaubt berufen zu können.
({6})
Lebhaft teilen wir den Wunsch des Herrn Bundeskanzlers, daß sich nicht etwa die Saarfrage als ein neuer Zankapfel zwischen Deutschland und Frankreich schieben möge. Die Bundesregierung wird, so hoffe ich, Mittel und Wege finden, darauf hinzuwirken, daß das vermieden wird. Was gefährlich ist, sind nur überstürzte Festlegungen und Entscheidungen. Gelingt es, die große Interessengemeinschaft zu verwirklichen, von der ich sprach und die wir erhoffen, so beheben sich viele Dinge von selbst. Bis dahin sollte manches ein Provisorium bleiben.
Nicht anders steht es auch mit der Ruhrkontrolle. Wir lehnen die Ruhrbehörde nicht von vornherein ab, und wir sind bereit, in ihr mitzuarbeiten, freilich in der Erwartung und Voraussetzung, daß sie sich dann auch wirklich als ein Auftakt zu größerer
({7})
Zusammenarbeit in einem breiteren Rahmen erweist, wie das von seiten der fremden Mächte ja auch bei ihrer Begründung ausdrücklich als anzustrebendes Ziel bezeichnet worden ist.
({8})
Was im besonderen unser Verhältnis zum britischen Volk anlangt, so wünschen wir, glaube ich, alle, daß es sich denkbar freundschaftlich gestalten möge. Wir bedauern es sehr, daß in letzter Zeit besonders die leidige Demontagefrage, die ja geradezu zu einem neuralgischen Punkt unserer Beziehungen zu den Besatzungsmächten geworden ist, darauf so etwas wie einen Schatten geworfen hat. Wenn man uns dieser Frage wegen in England vielfach eines Nationalismus schlimmster Sorte bezichtigte, so hat man dabei, glaube ich, doch übersehen, daß es sich bei aller Behandlung dieses Themas aus deutschem Munde letztlich um nichts anderes handelt als eine Flucht in die Öffentlichkeit, und zwar in die Weltöffentlichkeit, einfach deshalb, weil man -auf der Gegenseite jede weitere Erörterung dieses Themas kategorisch verweigerte.
({9})
Eine der wichtigsten Seiten der Demontagefrage ist und wird immer die psychologisch-politische sein. Wiederaufbau und Abbruch zugleich sind nun einmal Gegensätze, die sich nicht zusammenreimen,
({10})
und wer den Abbruch vor Augen hat, wird zwangsläufig in seinem Glauben an die Aufrichtigkeit des Strebens nach Wiederaufbau irre.
({11})
Und wie groß auch immer die Zahl der zusätzlichen Arbeitslosigkeit sein mag, die die Demontage nach sich ziehen würde, ein Land, das schon an 11/4 Millionen Arbeitslose zählt, muß in diesem Punkte überaus empfindlich sein.
({12})
Wir sind nun einmal ein Volk, das mitten in dem Ringen um seine Lebensgrundlage steht. Und diese Lebensgrundlage heißt und kann nicht anders heißen als Produktion und Wirtschaft. Daher und nur daher die heftige Reaktion in Deutschland gegen die Beseitigung von Produktionsstätten, die für die Friedenswirtschaft von Nutzen sein können. Wenn deshalb der Herr Bundeskanzler sagte, wir würden uns freuen, wenn es zu einer Nachprüfung dieses Problems käme, so gibt es sicher keinen Deutschen, der diese Freude nicht aus vollem Herzen teilen würde. Das gilt besonders natürlich auch von der Bevölkerung an Ruhr und Rhein, als deren Wortführer ich hier mit sprechen darf.
Und nun ein kurzes Wort zu der Frage der Sicherheit, die bei der Ruhrkontrolle und den Demontagen ja so stark mit im Spiele steht. Ich sagte im Frankfurter Wirtschaftsrat schon einmal, die entscheidende Sicherheitsgarantie für die gesamte westliche Welt liege nicht in Demontagen und ähnlichen Maßnahmen, sondern im Gewinn der Seele des deutschen Volkes für die Ideale des Westens.
({13})
In den Bundestagswahlen hat sich das deutsche Volk nun in erdrückender Mehrheit zu diesen Idealen bekannt, und unsere ganze Aufgabe hier richtet sich darauf, den Glauben daran in ihm zu festigen. t
Aber es gibt noch eine andere Seite der Sicherheitsfrage. Ich glaube wirklich, die Welt redet etwas zu viel von der Sicherheit vor uns, das heißt vor einem restlos entwaffneten und abgerüsteten Lande, und zu wenig von der Sicherheit für uns,
({14})
die wir doch die höchstgerüstete Macht des Erdballs im eigenen Lande stehen haben. Bei all den Erörterungen von Sicherheitsfragen spricht ira Auslande meist die unheilvolle Verstricktheit in Auffassungen der Vergangenheit mit, von der sich Nationen, die nicht einen solch furchtbaren Zusammenbruch wie wir erlebt haben, ja wohl auch schwerer lösen können. Und doch scheint es mir dringend wünschenswert, daß man sich überall Rechenschaft geben möge von dem völligen Wandel der politischen Bühne, der sich in Europa vollzogen hat und der ein Weiterfahren in den alten Gleisen nationaler Rivalität als ebenso anachronistisch erscheinen lassen müßte, wie es einst der Fortgang der Kämpfe zwischen den hellenischen Staaten oder auch der zwischen den italienischen Stadtstaaten des Mittelalters war, als ihr Schicksal schon längst von Mächten weit größeren Ausmaßes überschattet wurde.
Gewiß, die Vergangenheit hält uns noch mit tausend Fäden fest. Noch leben wir heute, über vier Jahre nach Einstellung der Feindseligkeiten, im Kriegszustand mit den Kriegsgegnern HitlerDeutschlands, ein eigentlich widersinniger Zustand gerade in Anbetracht all dessen, was inzwischen von seiten der Westmächte zur Wiederaufrichtung der deutschen Wirtschaft und des deutschen Staatswesens geschehen ist. Mit seinem Dank für die uns vielfach gewährte ausländische Hilfe hat der Herr Bundeskanzler, so glaube ich, uns allen aus dem Herzen gesprochen. Es ist in der Tat etwas Großes, was besonders von den Vereinigten Staaten hier geleistet worden ist, deren Regierung mit dem großzügigen Hilfsprogramm des Marshallplanes die ganze westeuropäische Wirtschaft überhaupt erst wieder flott gemacht und damit der Lethargie entrissen hat, unsere eigene Wirtschaft mit einbegriffen. Doch noch leidet diese unsere Wirtschaft an dem heutigen Zwischenzustand zwischen Krieg und Frieden, in dem wir leben. Ich meine, es müßte sich doch wohl die juristische Formel finden lassen, aus diesem noch unbefriedigenden Bild wenigstens das Wort „Kriegszustand" auszumerzen mit allen seinen bedenklichen Folgen für die Rechtslage und auch für unsere wirtschaftliche Betätigung in der Welt draußen, auf die wir angewiesen sind.
({15})
Wir hoffen, daß vor allem unser Außenhandel sich bald wieder wirklich frei in der Welt wird bewegen können; denn das ist ein unbedingtes Erfordernis, sollen wir nicht auf allen Märkten von vornherein benachteiligt sein. Dazu gehört wesentlich auch die Wiederöffnung unserer Grenzen. Wir müssen heraus aus dieser Art Isolierung, in der sich Deutschland im großen gesehen ja immer noch befindet, heraus in die Weite der Welt, und zwar nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern auch um sozusagen geistig den Anschluß an unsere Mitwelt nicht zu versäumen und mit Scheuklappen herumzulaufen, wo es doch so not tut, daß wir den Weg der Friedensarbeit auch geistig zusammen mit den anderen Ländern gehen. Das gilt besonders auch von unserer Jugend, deren Blick sich wieder weiten muß, weshalb zum Beispiel jeder Studenten- und Schüleraustausch die wärmste Förderung durch die Bundesregierung erfahren sollte.
Vielleicht ist es nicht zu optimistisch, dem Gedanken Ausdruck zu geben, daß man die Möglichkeit der Erteilung von Aus- und Einreisegenehmi({16})
gungen doch bald in die Hand deutscher Behörden legen möge,
({17})
wobei ja das Ausland durch die Erteilung Seiner Sichtvermerke immer noch eingeschaltet bleibt. Der britische Außenminister hat, wenn ich nicht irre. vor längerer Zeit einmal geäußert, er betrachte es als ein Ziel einer gesunden Außenpolitik, wenn man wieder überallhin eine Fahrkarte lösen und dann ohne weitere Förmlichkeiten ungehindert dorthin reisen könne. Nun, diese Empfindung teilen wir, glaube ich, alle ganz und ear, denn wir sehnen uns wahrlich nach einer Niederlegung, der die Völker heute noch trennenden Schranken und damit nach einem wirklichen Frieden. Möge man sich im Ausland - und mit diesem Wunsche möchte ich schließen - von einem überzeugen lassen: der Friedensgeist, der jeden wahren Frieden tragen muß, ist bei uns vorhanden. Er verkörpert sich auch hier in diesem Hause und bei uns im Lande draußen, auch ohne daß wir geräuschvolle Friedenstage veranstalten. Möge dieser Baugrund von allen denen, die in diesen -unheilvollsten aller Kriege verstrickt worden sind, nicht ungenutzt gelassen bleiben, damit nicht Unkraut aus ihm emporschießt, sondern vielmehr rasch genutzt werden zum Aufbau eines neuen, der Gesundung und Einigkeit zustrebenden Europa.
({18})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst auf Vorgänge zurückkommen, die sich bei der gestrigen und vorgestrigen Debatte in diesem Hause ereignet haben. Wir haben gestern erlebt, daß bei dieser ersten großen politischen Aussprache des deutschen Bundestags ein Redner dieses Hauses die Farben der Bundesrepublik in herabsetzender Weise zitiert hat. Wir Sozialdemokraten sind der Auffassung, daß wir in der neuen deutschen Demokratie von Anfang an mit Entschiedenheit den Versuchen wehren müssen, die Symbole der Demokratie anzugreifen und herabzuwürdigen.
({0})
Die Sozialdemokratische Partei wird die notwendigen Anträge einbringen, um in Deutschland den Schutz der Symbole des Bundes und seiner verfassungsmäßigen Einrichtungen vor Herabsetzung und Verleumdung wirksam zu sichern. Wir wünschen aber auch, daß in Zukunft mit Nachdruck und ohne Zögern in diesem Hause jeder Herabsetzung der Symbole des Bundes sofort entgegengetreten wird.
({1})
Ich verstehe die Schwierigkeit, in der wir uns hier befinden: dieses Parlament und seine Parteien müssen sich erst zu einem parlamentarischen Körper entwickeln. Die Schwierigkeit besteht auch darin, daß mindestens bei einem Teil der Mitglieder dieses Hauses die demokratische Erfahrung sehr kurz ist
({2})
und daß noch gewisse Mißverständnisse darüber bestehen, was demokratische Freiheit heißt.
({3})
Wir werden die Freiheit jeder sachlichen Diskussion respektieren und verteidigen. Aber ich glaube,
wir sollten im Interesse des Hauses, im Interesse
der parlamentarischen Demokratie und im Interesse der jungen deutschen Bundesrepublik durch unser Verhalten keinen Zweifel darüber aufkommen lassen, daß Freiheit und Demokratie nicht gleichzusetzen sind mit Zügellosigkeit.
({4})
Eine weitere Bemerkung. Wir haben gestern in diesem Hause so eine Art „spontaner Aktion" erlebt. Wir Sozialdemokraten wünschen unter keinen Umständen die Wiederholung solcher Aktionen. Das Abhalten von derartigen Demonstrationen wollen wir gern den Volksdemokratien und ihren Anhängern überlassen,
({5})
Ich will damit nicht behaupten, daß an den gestrigen Vorgängen hier irgendeiner Weise die Kommunisten schuldig sind. Ich glaube es auch nicht. Aber sie sollten bei dieser Gelegenheit erkennen, wie schnell böse Beispiele gute Sitten verderben.
Ich möchte dann zu einigen Punkten sprechen, die in der bisherigen Diskussion über die Regierungserklärung aufgetaucht sind. Wir haben hier, wie ich glaube, eine sehr nützliche grundsätzliche Debatte über das Verhältnis zwischen Opposition und Regierung in einer Demokratie gehabt. Wir begrüßen es, daß in dieser Debatte auch von den Regierungsparteien die Anerkennung der Gleichwertigkeit von Opposition und Regierung in der Demokratie ausgesprochen worden ist. Wenn wir an diesem Grundsatz festhalten, dann haben wir, glaube ich, einen guten Boden für die sachliche Auseinandersetzung gefunden.
Aber es ist dabei notwendig, so scheint mir, daß wir uns aUch über die Konsequenzen klar sind, die in einer solchen Anerkennung liegen. Ich möchte hier auf eine Bemerkung des Herrn Abgeordneten von Brentano zurückkommen, der nach der Anerkennung des eben genannten Prinzips zum Ausdruck gebracht hat, daß mit dieser Anerkennung die Beseitigung der Schranken des parteipolitischen Mißtrauens verbunden sein sollte. Er hat in diesem Zusammenhang außerdem den Mangel an Vertrauen bei der Opposition gegenüber der Regierung bedauert. Beide Punkte treffen das Problem nicht. Die parteipolitischen Gegensätze in der Demokratie sind ja nicht Ausfluß eines bösen Willens, sondern sie sind der Ausdruck realer Gegensätze und Spannungen, die wir als Tatsachen zu respektieren haben. Ich möchte die Träger demokratischer Gedanken in diesem Hause darauf aufmerksam machen, daß wir mit diskriminierenden Bemerkungen über die Parteien in der jungen deutschen Demokratie sehr vorsichtig sein sollten. Wir wissen, daß die politischen Parteien ihre Mängel und Schwächen haben. Aber unter den gegebenen Bedingungen gibt es keine bessere Form des Ausdrucks des politischen Wollens und der Formung des politischen Willens, als es die politischen Parteien sind.
({6})
Angesichts der Tatsache, daß es heute in Deutschland Millionen von jungen Menschen gibt, denen jede eigene Erfahrung über das innere Leben und über die innere Gesetzmäßigkeit demokratischer Parteien fehlt, die durch den Auswuchs des EinParteiensystems verbildet und verbogen sind, sollten wir ohne Übertreibung und Schönfärberei auf die elementare Bedeutung demokratischer Parteien in einer Demokratie hinweisen und dieses Bewußtsein stärken.
({7})
({8})
Vor allen Dingen deshalb, meine Damen und Herren, weil wir in dem Augenblick, in dem wir die Existenznotwendigkeit und Nützlichkeit der Parteien in der Demokratie in Frage stellen, nicht nur die Parteien treffen, sondern auch die Demokratie.
({9})
Jeder Angriff gegen die Parteien ist im Grunde ein Angriff gegen die Demokratie. Er mag noch so sehr verbrämt sein, und er mag noch so sehr aus irgendwelchen guten Motiven kommen, der Effekt ist eine Schwächung der Demokratie.
Ich habe diese Bemerkung nicht als eine polemische Bemerkung gegenüber dem Herrn Abgeordneten von Brentano gemacht, aber ich wollte seinen Hinweis zum Anlaß nehmen, um unsere grundsätzliche Auffassung über die Bedeutung der politischen Parteien in der Demokratie klarzustellen.
Das zweite, meine Damen und Herren: Das ausgewogene Verhältnis zwischen Opposition und Regierung besteht in der Demokratie nach unserer Meinung nicht in erster Linie darin, daß wir auf einem guten Sprechfuß mit der Regierung stehen. Es kann auch nicht darin bestehen, daß man von der Opposition erwartet, daß sie aus irgendeinem persönlichen oder sachlichen Grunde der Regierung gegenüber ein positives Vertrauensverhältnis hat. Gerade die Tatsache, daß uns sachliche Gegensätze in die Opposition gegenüber der Regierung zwingen, verhindert ja, daß wir ein solches Vertrauensverhältnis haben können.
Was wir zu geben bereit sind, ist die Achtung und der Respekt gegenüber der Regierung als einer verfassungsmäßigen Institution der Republik, allerdings unter der Voraussetzung, daß die Regierung die gleiche Achtung und den gleichen Respekt der Opposition und ihrer Führung entgegenbringt.
({10})
Ich komme zu diesen Feststellungen, weil ich glaube, daß wir uns, wenn wir jetzt in diesem Hause zur sachlichen Arbeit kommen, die Zeit sparen sollten, um uns gegenseitig gut zuzureden. Darauf kommt es gar nicht an. Es kommt darauf an, daß wir die sachlichen Positionen der einen und der anderen Seite beziehen und dann feststellen, wo es eine Gemeinsamkeit gibt und wo das nicht der Fall ist. Denn unsere Opposition ist nicht die Negation der Regierung. Unsere Opposition ist begründet auf unserer eigenen Vorstellung über die zweckmäßigste Form des Aufbaus und der Verwaltung der Bundesrepublik und über den politischen und sozialen Inhalt des neuen Staatswesens. Von dieser eigenen, von uns selbst bestimmten Position allein können wir die Entscheidung über unser Verhältnis zur Regierung fällen. Es gibt in der Tat nur ein einziges Mittel für die Regierung und die Regierungsparteien, uns zu überzeugen: das sind die praktischen Handlungen der Regierung. Sie werden der Maßstab unserer Kritik oder unserer Zustimmung sein.
Und nun, meine Damen und Herren, möchte ich in diesem Zusammenhang noch eine weitere Bemerkung über die besondere Stellung machen, in der sich die sozialdemokratische Opposition befindet; die besondere Stellung, die sich einfach aus der Tatsache ergibt, daß wir in dem Bundestag der Bundesrepublik Deutschland zwar den größeren Teil Deutschlands, aber nicht ganz Deutschland repräsentieren. Herr Abgeordneter von Brentano hat vorgestern eine bemerkenswert einseitige Darstellung der parteipolitischen Entwicklung in der
Ostzone gegeben, insbesondere als er behauptete,
daß die Sozialdemokratie, mindestens in ihrer
führenden Schicht, vor der SED kapituliert habe.
({11})
Ich glaube, daß diese Behauptung mit dem tatsächlichen Ablauf der Dinge nicht übereinstimmt. Die Vernichtung der Sozialdemokratie als selbständige Organisation in der Ostzone war ausschließlich das Resultat einer Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD unter Ausschluß jeder freien Willensäußerung der Sozialdemokraten in der Ostzone.
({12})
Für den Ausschluß jeder freien Willensäußerung der Sozialdemokraten in der Ostzone gibt es ja auch einen unbestreitbaren Beweis. Wir haben in der damaligen Periode an einem Platz, der auch unter russischer Kontrolle stand, nämlich in Berlin, die Möglichkeit einer freien Entscheidung von Sozialdemokraten über die Vereinigung mit den Kommunisten gehabt. Das Resultat der freien Entscheidung der Berliner Sozialdemokraten war der fast einstimmig gefaßte Beschluß, die Sozialdemokratie in Berlin als unabhängige Sozialdemokratische Partei aufrechtzuerhalten.
({13})
Sie dürfen davon überzeugt sein, daß, wenn in der Ostzone die gleichen demokratischen Voraussetzungen bestanden hätten, dasselbe Resultat zustande gekommen wäre.
({14})
Auf der andern Seite: gegenüber dieser Zwangsvereinigung der SPD besteht doch die Tatsache, daß die beiden anderen Parteien neben der Kommunistischen Partei, die CDU und die LDP, in ihrer Existenz und in ihrer Arbeitsmöglichkeit bestehen geblieben sind,
({15}),
daß beide Parteien bis zum heutigen Tage die Förderung durch die Besatzungsmacht akzeptieren und daß sie bis heute gemeinsam mit der SPD Träger der von der Besatzungsmacht diktierten Blockpolitik sind.
({16})
Gewiß, es hat auch in diesen beiden Parteien Trennungen von der offiziellen Politik dieser Parteien gegeben. Aber das Bemerkenswerte ist, daß in der Regel und in den am meisten sichtbaren Fällen der Bruch nur da erfolgte, wo dieser Bruch von den Besatzungsmächten oder von der SED herbeigeführt wurde.
({17})
Schließlich: ein führendes Mitglied der CDU verdankt allein dieser Tatsache seine Mitgliedschaft in der gegenwärtigen Bundesregierung.
({18})
Es kann keinen Zweifel darüber geben, daß die entscheidende Widerstandskraft gegen diese Vergewaltigung der Demokratie in der Ostzone die Sozialdemokraten bilden.
({19})
Meine Damen und Herren, ich möchte nur die Frage an Sie richten, wie die politische Zusammensetzung dieses Hauses aussehen würde, wenn am 14. August in allen vier Zonen Deutschlands gewählt worden wäre.
({20})
({21})
Das ist der Punkt, auf den ich in aller Sachlichkeit die Bundesregierung aufmerksam machen möchte.
({22})
- Ich hoffe, daß wir recht bald die Gelegenheit bekommen, den Beweis für die Richtigkeit unserer Annahme vor Ihnen anzutreten.
({23})
Worauf es mir in diesem Zusammenhang ankommt, Ist etwas Spezielles. Wir sind uns völlig
darüber klar, daß die Bundesregierung im Laufe
ihrer Tätigkeit in die Lage kommen wird, für das
ganze deutsche Volk zu sprechen, auch für die 18
Millionen Deutsche, die heute stumm in der Ostzone leben. Ich glaube, daß damit die Verantwortung dieser Regierung außerordentlich wächst, und
wir erwarten, daß die Regierung und die Regierungsparteien in allen ihren Handlungen, die sich
auf ganz Deutschland beziehen, auch den politischen Willen der Menschen in der Ostzone in
Rechnung stellen, die heute an der freien Bekundung ihrer politischen Üeberzeugung gehindert
werden.
({24})
Jedenfalls sollte in diesem Provisorium Bundesrepublik Deutschland auch auf politischem Gebiet nichts an Entscheidungen und Maßnahmen geschehen, was von unserer Seite die Wiederherstellung der deutschen Einheit erschwert.
Ich komme zu einem andern Punkt. Wir wünschen, daß die Regierung dem Bundestag möglichst bald konkrete Vorschläge macht oder uns konkret informiert über ihre Vorstellungen über den Aufbau der Bundesorgane und der Bundesorganisation. Es gibt dabei eine Menge Probleme, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, weil wir am Anfang eines Neuaufbaus stehen. Wir würden es als eine Verletzung des Grundsatzes der verantwortlichen Mitbeteiligung der Opposition ansehen, wenn an der Beratung und Entscheidung über den Neuaufbau der Bundesorgane, über die Gestaltung der Bundesorganisation die Opposition nicht schon im frühesten Stadium beteiligt würde.
({25})
Ich will Ihnen unsere Bedenken ganz offen sagen. Die Tatsache, daß in dieser Bundesregierung Minister und in der Koalition Parteien vertreten sind, die dem Grundgesetz von Bonn nicht zugestimmt haben, verpflichtet die positiven Vertreter dieses Grundgesetzes, zu denen die Sozialdemokratie gehört, zu besonderer Aufmerksamkeit.
({26})
Der Herr Abgeordnete Laforet hat heute in seiner kurzen Erklärung ein Wort geprägt, das mir sehr nahegegangen ist. Er hat nämlich die Bundesregierung aufgefordert, das Grundgesetz auszubauen.
({27})
Ich glaube, das ist auf keinen Fall die Aufgabe der Bundesregierung.
({28})
Die Bundesregierung hat die Pflicht, das Grundgesetz anzuwenden, aber nicht, es zu verändern.
({29})
Wir möchten am Beginn der Tätigkeit der Regierung gerade auf diesem Gebiet unsere Auffassung in aller Klarheit und Eindeutigkeit bereits zum Ausdruck gebracht haben.
Die Bemerkung von Dr. Schumacher in seiner Rede am Mittwoch, daß die Anerkennung der Rolle der Opposition auch in der Personalpolitik des Bundes zum Ausdruck kommen muß, hat bei den Regierungsparteien ein bemerkenswertes Echo gefunden. Man hat in den Zwischenrufen von Parteienwirtschaft gesprochen. Nun, für uns war dieses Echo nur ein Beweis dafür, wie notwendig diese Bemerkung war.
({30})
Ich möchte sie noch einmal ausdrücklich unterstreichen. Es handelt sich ja nicht um den Anspruch einer Partei; es handelt sich hier um die Sicherung eines wichtigen demokratischen Prinzips. Wir stehen am Beginn des Aufbaus der Bundesverwaltung, und wir wünschen, daß die Regierung den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes bei ihrer Personalpolitik in vollem Umfang respektiert.
({31})
Es heißt dort:
Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Wir wünschen, daß dieser Grundsatz strikte innegehalten wird.
({32})
- Ich glaube, die Frage der Länderpolitik behandeln wir auch nach Ihren Vorstellungen vor allem in den Landtagen.
({33})
Sie würden es ja wahrscheinlich als eine Verletzung des Grundgesetzes ansehen, wenn wir hier Länderfragen diskutieren würden.
({34})
- Ich habe hier nichts anderes festgestellt, als daß wir den ausdrücklichen Wunsch haben, daß die Bundesregierung sich in ihrer Personalpolitik an den Artikel 3 Absatz 3 des Grundgesetzes hält. In jedem Fall erwarten wir außerdem, daß der Nachweis demokratischer Zuverlässigkeit nicht ein Hindernis, sondern eine Voraussetzung für die Besetzung von wichtigen Stellen der Bundesverwaltung im In- und Ausland ist.
({35})
Die Bemerkungen von Dr. Schumacher über die staatspolitische Bedeutung der Gewerkschaften sind zum Anlaß genommen worden, um der Sozialdemokratie den parteipolitischen Mißbrauch der Gewerkschaften vorzuwerfen. Ich möchte dazu folgendes erklären. Die Sozialdemokratie bejaht die Einheitsgewerkschaften, und sie respektiert die sich aus dieser Einheit ergebenden Notwendigkeiten. Wir sehen in der Bildung der Einheitsgewerkschaften einen Fortschritt in der Richtung der erfolgreichen Vertretung der sozialpolitischen und wirtschaftlichen Ziele der deutschen arbeitenden Menschen. Wenn diese Einheit der Gewerkschaften heute manchmal umstritten erscheint, dann wissen vor allem die Gewerkschafter selber, daß diese Gefährdung der Einheit nicht durch die Sozialdemokraten, sondern durch ganz andere Kräfte außerhalb der Gewerkschaften erfolgt.
({36})
Die Gewerkschaften sind sicher gar nicht daran
interessiert, hier eine Diskussion der Parteien über
({37})
die Organisationsprobleme der Gewerkschaften zu haben. Das ist schließlich ihre eigene Angelegenheit. Aber was sie wissen wollen, ist, wie die Regierung und die Regierungsparteien zu ihren sachlichen Forderungen stehen. Da möchte ich Ihnen sagen, daß weder die Regierungserklärung noch die heutige Rede des Herrn Abgeordneten Blank in irgendeiner Weise befriedigend war.
({38})
- Nein, ich habe sehr genau zugehört. Wir wären in der deutschen Demokratie in bezug auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik in einer viel besseren Situation, wenn wir uns heute auf positive Erklärungen von Ihrer Seite über die Stellung zu den Gewerkschaften beziehen könnten.
({39})
Leider ist diese positive Erklärung weder in der Regierungserklärung noch in der Rede des Herrn Abgeordneten Blank gefunden worden.
Sehen Sie, das hilft uns doch hier nichts, wenn man als Beweis für die Uebereinstimmung zwischen den Absichten der Bundesregierung und den Forderungen der Gewerkschaften etwa den Versuch unternimmt, den dürftigen Satz der Regierungserklärung über die Neuordnung der Besitzverhältnisse mit der viel konkreteren Formulierung des Punktes 6 im Gewerkschaftsprogramm, der Forderung der Überführung der Schlüsselindustrien in das Gemeineigentum gleichzusetzen.
({40})
Machen wir uns doch nichts vor! Wenn der Herr Bundeskanzler den Punkt 6 gemeint hätte, hätte er ihn hineingeschrieben.
({41})
Daß er eine andere Formulierung gewählt hat, beweist doch, daß die Ziele der Bundesregierung in diesem Punkt nicht in Uebereinstimmung mit dem Punkt 6 des Gewerkschaftsprogramms sind. Ich unterstelle durchaus, daß Herr Blank diese fortschrittlichere Formulierung des Gewerkschaftsprogramms wünscht. Aber, Herr Blank, ich glaube, es wäre für Sie und Ihre Freunde in der CDU sehr gut, wenn Sie sich nicht damit trösten würden, daß man mit wesentlich anderen Worten dasselbe sagen kann, sondern wenn Sie sich darüber klar sein würden, daß eine Durchsetzung Ihrer wirtschaftspolitischen Forderungen auf diesem Gebiet nur möglich sein wird, wenn es Ihnen gelingt, diese Auffassung zunächst einmal in Ihrer eigenen Fraktion durchzusetzen.
({42})
Ich habe allerdings erhebliche Zweifel; denn ich denke daran, daß selbst die Exponenten des christlichen Sozialismus in der CDU heute in ihren öffentlichen Erklärungen meilenweit von dem sogenannten Ahlener Programm abrücken.
({43})
Es hat doch wiederum auch keinen Zweck, daß Sie hier den Versuch machen, die Schwäche Ihrer Position damit zu verdecken, daß Sie, Herr Abgeordneter Blank, erklären, Sie seien für die Sozialisierung, aber gegen die Verstaatlichung. Als wenn hier ein Gegensatz zwischen einem christlichen Gewerkschafter und einem sozialdemokratischen Gewerkschafter läge! In der Frage der Form der Sozialisierung gibt es sicher in allen Lagern verschiedene Auffassungen,
({44})
und das letzte Wort ist weder bei Ihnen noch bei
uns darüber gesprochen. Aber eines steht doch fest:
daß es niemand mehr gibt, der in der reinen Verstaatlichung die Erfüllung des Begriffes Sozialisierung oder Ueberführung in das Gemeineigentum sieht.
({45})
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns doch in diesem Hause auf dieser Ebene diskutieren; dann kann ja vielleicht doch ein praktisches Resultat erzielt werden.
({46})
Was mich allerdings bedenklich stimmt, ist die Tatsache, daß zum Beispiel die christlichen Gewerkschafter der CDU im Nordrhein-Westfälischen Landtag, obwohl das dortige Sozialisierungsgesetz keine Verstaatlichung im üblichen Sinne vorsah, sich nicht entschließen konnten, für dieses Gesetz zu stimmen.
({47})
- Entschuldigen Sie, es kommt ja nicht darauf an,
daß man einen eigenen Entwurf nach Hause bringt,
sondern daß ein praktisches Resultat erzielt wird.
({48})
Ich glaube, daß wir die Frage der Stellung der Gewerkschaften in Staat und Wirtschaft deshalb so ernst nehmen müssen, weil sie auf der Tagesordnung bleiben wird, und zwar nicht nur im rein Sozialpolitischen, sondern auch im Oekonomischen. Das, was hier gegenwärtig droht, ist ja gar nicht eine abgeschwächte oder verwässerte Form einer Veränderung der Besitzverhältnisse in der . Richtung der Ueberführung in das Gemeineigentum; die wirkliche Gegenposition dieser Regierung auf diesem Gebiet liegt ganz woanders. Sie liegt darin, daß hier erneut in der Praxis der Versuch gemacht wird, den Begriff Wirtschaft oder Wirtschaftsführung mit ihrer Repräsentation durch die Unternehmer gleichzusetzen.
({49})
Das wirkliche Problem ist, daß wir in der Wirtschaft und in der Wirtschaftsführung zu der vollen Gleichberechtigung der Arbeitnehmer, vertreten durch die Gewerkschaften, kommen, und zwar nicht nur in der technischen oder sozialpolitischen Leitung der Betriebe, sondern in der Bestimmung und Durchführung der Wirtschaftspolitik selbst.
({50})
Ich glaube, daß in den vergangenen Jahrzehnten in der Geschichte der aufsteigenden Gewerkschaftsbewegung mehr Beweise für die volkswirtschaftliche Einsicht und Tüchtigkeit der arbeitenden Menschen liegen, als sie auf der Seite vieler Unternehmer zu finden sind.
({51})
Lassen Sie mich, meine Damen und Herren, dies Kapitel mit einer Bemerkung abschließen. Es ist hier - ich glaube, vorgestern - vom Sprecher der CDU von der notwendigen neuen Gemeinschaft der Deutschen gesprochen worden. Meine Damen und Herren, das ist ein schönes Wort, und letzten Endes lebt diese Vorstellung in jedem von uns. Aber sie hat nur dann einen Sinn, 'wenn wir ernsthafte Anstrengungen machen, sie zu realisieren. Hier, meine Damen und Herren, in der Neuordnung der Besitzverhältnisse und in der Neuordnung der Führungsverhältnisse in der Wirtschaft durch die Anerkennung des gleichberechtigten Anspruchs der Arbeitnehmer müssen Sie den Beweis dafür erbringen, ob es Ihnen mit Ihrem Verlangen nach einer neuen Gemeinschaft, nach
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einer sozialen Ordnung in Deutschland wirklich ernst ist oder nicht.
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Meine Damen und Herren, ich habe es für richtig gehalten, die Rolle der Gewerkschaften hier noch einmal zu unterstreichen, weil ich das Hohe Haus auch auf die bedeutsame Funktion der Gewerkschaftsbewegung in der internationalen Politik ausdrücklich aufmerksam machen möchte. Denken Sie nur an das schwierige Problem der Demontagen! Ich will in diesem Zusammenhang nicht auf die Sache selbst eingehen; aber hier haben wir den amerikanischen Gewerkschaften für die mutige Initiative zu danken, die sie in dieser Frage im Interesse eines friedlichen deutschen und europäischen Aufbaues ergriffen haben.
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- Das hat niemand behauptet. - Wir freuen uns außerdem, daß jetzt auch die britischen Gewerkschaften auf ihrem Kongreß Anfang September die Notwendigkeit einer Ueberprüfung dieser Frage anerkannt haben, und wenn jetzt eine gewisse Aussicht auf eine befriedigendere Regelung besteht, dann danken wir es nicht zuletzt dem Weitblick und der Tatkraft dieser Arbeiterorganisationen in Amerika und England.
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Lassen Sie mich ein Wort hinzufügen. Bedenken wir, daß in der Pariser Organisation des ERP-Plans die demokratischen Länder Europas und Amerika die Bedeutung der Gewerkschaften für die wirtschaftliche Entwicklung dadurch praktisch anerkannt haben, daß repräsentative Vertreter der Gewerkschaften verantwortlich in dieser Organisation mitarbeiten. Ich glaube, unsere Bundesregierung sollte die Dinge nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Vertretung Deutschlands durch einen Minister, sondern erst recht unter dem Gesichtspunkt der Vertretung der arbeitenden Menschen sehen, die ja letzten Endes durch ihre Arbeitskraft den Erfolg der Marshallplanhilfe in der Richtung einer Gesundung unserer Wirtschaft garantieren müssen.
Meine Damen und Herren, ich möchte nicht noch einmal auf alle Argumente eingehen, die hier wiederum in bezug auf den Gegensatz zwischen der Regierung und den Regierungsparteien auf der einen und uns auf der anderen Seite in der Frage der Wirtschaftspolitik bestehen. Ich muß sagen: es sind hier eigentlich ziemlich freudig und unbekümmert wieder die Argumente des Wahlkampfes vorgebracht worden, zum Beispiel die Methode, die Zwangswirtschaft der Kriegszeit und der Nazis mit Planung gleichzusetzen und sie dann der Sozialdemokratie als ihr Wirtschaftsideal zu unterstellen; oder das andere Argument: sehen Sie die Mißerfolge der Planungspolitik der britischen Arbeiterbewegung! Eigentlich hat in dieser Diskussion nur noch einer der Wahlschlager gefehlt, nämlich es fehlten nur noch die vier Radioapparate, die Herr Professor Dr. Erhard in allen seinen Wahlversammlungen herumgereicht hat.
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Meine Damen und Herren: warum sind Sie nicht zu einer sachlichen Diskussion über diese Frage bereit?
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Sie können ihr ja gar nicht ausweichen! Sie können hier wohl das Prinzip der freien Wirtschaft verkünden, wie es Herr Abgeordneter Schäfer für die Freie Demokratische Partei getan hat; Sie können sich auf den Standpunkt stellen: wir müssen zu einem Zustand der Selbstverantwortung des Einzelnen für sein persönliches Schicksal kommen. Sagen Sie das einmal einem von den Millionen von Flüchtlingen! Dann wird er Sie fragen, wie denn diese Selbstverantwortung und Selbstgestaltung seines Schicksals aussehen soll.
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Ich sage das gar nicht als ein agitatorisches Moment.
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- Entschuldigen Sie, lassen Sie mich doch argumentieren! Ich sage es aus einem ganz anderen Grund. Meine Damen und Herren, warum geben Sie nicht zu - welches sachliche Argument haben Sie? -, warum geben Sie nicht zu, daß in einem Volk, das auf Trümmern lebt, daß in einem Volk, das heute noch mit 50 Prozent seiner Lebensmittel von Importen abhängig ist, daß in einem Volk, das heute 8 bis 10 Millionen Menschen auf diesem Gebiet mehr in Arbeit und in Kleidung und in Nahrung und in Wohnung zu bringen hat als vor dem Krieg, das Problem. der Wirtschaftsgestaltung von einer solchen erdrückenden Gewalt ist, daß wir es nur meistern, wenn wir uns entschließen, hier an dem Punkt zu sagen, was wir auf dem Gebiet der Produktion unbedingt leisten müssen, damit die Menschen leben und arbeiten können und ebenso essen, zu sagen, worauf wir verzichten müssen, weil wir es in dieser Notlage uns einfach nicht gestatten können.
({60})
Das ist doch die große Frage. Sie können ihr gar nicht ausweichen!
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- Bitte, hier hat - und das hat mich betroffen, das sage ich Ihnen ganz offen - Herr Blank gesagt: sehen Sie sich doch an, wieviel besser es in Deutschland aussieht!
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Was ist denn in Deutschland geschehen? Nur daß wir heute um die primitivsten Lebensnotwendigkeiten des Alltags nicht mehr anzustehen brauchen! Das ist doch nicht der Beginn des Paradieses oder der Neuordnung!
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Daß Sie in diesem Deutschland lediglich vor die Elendslager der Flüchtlinge die glänzenden Bauten der Luxusgeschäfte setzen,
({64}) das ist das, was wir nicht akzeptieren.
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- Meine Damen und Herren, wenn Sie sagen: wir wollen es auch nicht, dann sind Sie ja gezwungen, das zu tun, was wir von Ihnen verlangen: lenken Sie die Produktion nach den Bedürfnissen der breiten Masse, und Sie erfüllen nicht irgendein Programm einer marxistischen Vorstellung, sondern Sie erfüllen in diesem Deutschland nicht mehr und nicht weniger als eine einfache nationale Notwendigkeit.
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Meine Damen und Herren, die Regierung ist jetzt am Beginn ihrer Tätigkeit, und sie wird vom ersten Tag ab durch die internationale Verflechtung zu einer Politik gezwungen werden, die weit entfernt ist von der sogenannten freien Wirtschaft.
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Ich war erstaunt, daß Herr Dr. Schäfer in seiner Rede auf den Zwischenruf „Marshallplan" - ich glaube, von kommunistischer Seite - geantwortet hat: der Marshallplan geht 1952 zu Ende.
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Dieses Argument genügt nicht, auch für Sie nicht, meine Damen und Herren; denn dieser Marshallplan ist das Programm der amerikanischen Regierung:
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den europäischen Ländern bis zum Jahre 1952 zu helfen, eine koordinierte und geplante Wirtschaft aufzubauen.
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Wenn wir in Westeuropa einschließlich Westdeutschland nicht morgen mit der Planung und Koordinierung beginnen, dann werden wir alle unter den Folgen dieses Versäumnisses zu leiden und schwere politische und soziale Konsequenzen zu tragen haben.
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Meine Damen und Herren, und nun nehmen Sie das andere Problem, das uns allen auf den Nägeln brennt: die Abwertung der D-Mark.
Ich linde es nicht gut, wenn in einer solchen Situation die Regierung sich darauf beschränkt, die Minister erklären zu lassen: der innere Wert der Mark wird nicht beeinträchtigt. Meine Damen und Herren, das glaubt Ihnen doch niemand!
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Denn jeder Mensch weiß doch, daß eine Abwertung der Mark unweigerlich verhängnisvolle Konsequenzen für die Lebenskosten der breiten Massen des Volkes haben muß.
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Glauben Sie mir, die Unruhe ist noch verstärkt worden, weil durch einen Zufall die Meldung von der Abwertung des Pfundes und der folgenden Abwertung der Mark doch gleichzeitig mit der Mitteilung der Bundesregierung kam, daß sie Ende des Jahres auch die Reste der öffentlichen Bewirtschaftung der lebensnotwendigsten Güter aufheben wollte.
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Meine Damen und Herren, wollen Sie die Situation, die da heranreift, auch dem berühmten freien Spiel der Kräfte überlassen? Ich bin erfreut darüber, daß der Herr Bundeskanzler den Gewerkschaften mitgeteilt hat, er stehe zu einer Unterhaltung über diese Probleme zur Verfügung; aber, meine Damen und Herren, wenn diese Unterhaltung positive Resultate haben soll, dann müssen Sie eingreifen, dann müssen Sie ordnen und planen. Ich habe diese Bemerkungen gemacht, nicht um ein Steckenpferd zu reiten, sondern weil ich das Gefühl habe, daß wir über diesen Punkt in diesem Parlament sehr oft miteinander diskutieren müssen; und ich möchte, meine Damen und Herren, daß wir dann an den Kern der Probleme gehen, damit wir wissen, wo wir stehen. Es hat doch keinen Sinn, daß wir so tun, als ob es sich hier nur um agitatorische Floskeln handelte.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich heute auf diese Bemerkungen beschränken. Wir werden jedenfalls noch genügend Gelegenheit haben, darauf zurückzukommen. Im übrigen, glaube ich, ist es gut, meine Damen und Herren von der CDU und CSU, wenn Sie sich nicht allzusehr und allzulaut immer wieder darauf berufen, daß der Erfolg des 14. August für Sie eine positive Anerkennung
der Wirtschaftspolitik des Frankfurter Wirtschaftsrats sei. Alle diejenigen unter Ihnen, die den engen Kontakt mit den arbeitenden Menschen haben, die heute noch in der CDU ihre politische Repräsentation sehen, wissen, daß da sehr, sehr starke Spannungen leben. Lassen Sie mich nur einen einzigen kurzen Hinweis geben! Ich kenne einen Brief, den ein CDU-Mann an einen andern geschrieben hat. Sie können sich darauf verlassen: es ist ein ernster Brief, geschrieben von einem Mann, der es ernst meint mit der CDU, und geschrieben an einen Mann, der es mit seiner Arbeit im öffentlichen Leben ernst meint. Ich will Ihnen nur einen Absatz vorlesen.
Man täusche sich nicht, und es wäre ein verhängnisvoller Irrtum, wollte man behaupten, daß alle Wähler der CDU der Wirtschafts- und Sozialpolitik zustimmen. Im Gegenteil! Es ist eine sehr . große Anzahl unter ihnen, die unter Zurücksetzung ernstester und berechtigtster Bedenken wegen der betriebenen Wirtschaftspolitik sich bei ihrem Wahlgang ausschließlich von weltanschaulichen Dingen leiten ließen. Ob sich dies noch einmal wiederholen wird, hängt in erster Linie von Richtung und Entwicklung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der CDU ab.
Meine Herren, das ist die Frage, und ich meine, ({75})
- Bitte, der stammt nicht von mir, der stammt von einem Ihrer Freunde, und ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen!
Meine Damen und Herren, ich möchte jetzt dieses Gebiet verlassen und möchte nur noch kurz auf die gestrige Rede des Herrn Abgeordneten Reimann zurückkommen. Der Herr Abgeordnete Reimann hat gestern die kommunistische Unterstützung der Kandidatur Dr. Schumachers bei der Präsidentenwahl begründet. Er hat erklärt, daß die Kommunisten keinen neuen 20. Juli 1932 wünschen. Ich kann dazu nur sagen, daß wir Sozialdemokraten diese Absicht begrüßen, denn der 20. Juli 1932 wäre ohne das damalige Bündnis von Kommunisten, Deutschnationalen und Nazis im Preußischen Landtag nicht möglich gewesen.
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Wir Sozialdemokraten freuen uns über jede neue politische Einsicht, vor allem, wenn sie nicht zu spät kommt.
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- Ja, aber ihr habt später wieder Rückfälle gehabt! Selbstverständlich haben die Kommunisten wie jede andere Fraktion hier im Hause die volle Freiheit, für oder gegen sozialdemokratische Kandidaten oder Anträge zu stimmen. Aber ich möchte darauf aufmerksam machen, daß die Frage von gemeinsamen Aktionen, wie sie gestern Herr Reimann für seine Partei angekündigt hat, gemeinsame Aktionen von Sozialdemokraten und Kommunisten, ja schließlich nicht allein von den Kommunisten entschieden werden kann,
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und ich möchte erklären, daß die Sozialdemokratische Partei jedenfalls nicht bereit ist, den Kommunisten die ihnen fehlenden Massen für ihre Propaganda zu liefern.
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Wir werden die Kommunisten hier nicht nach dem beurteilen, was sie in neuentdeckter brüderlicher Liebe erklären, sondern danach, was sie in der Ostzone tun.
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Dort sind sie die Staatspartei der Diktatur, und dort erklären sie die Sozialdemokraten als Verräter oder stecken sie als „Schumacherlinge" in die Konzentrationslager.
Es war ein neckischer Zufall: während Herr Reimann gestern hier den Sozialdemokraten Bündnisvorschläge machte, berichtete der Leipziger Sender, Dr. Schumacher habe in seiner Rede am Mittwoch den Bundeskanzler Dr. Adenauer um ein Ministerium in seinem Kabinett gebeten.
({82})
Es muß den Kommunisten überlassen bleiben, wie sie mit diesem Zweifrontenkrieg fertigwerden.
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Ich möchte ganz im Ernst eines sagen: es gibt für die Sozialdemokraten eine unlösbare Gemeinschaft des Kampfes, das ist die Gemeinschaft mit den unterdrückten, inhaftierten und illegalen Freiheitskämpfern in der Ostzone.
({84})
Und es gibt für uns eine unversönhnliche Gegnerschaft, das ist die Gegnerschaft zu den kommunistischen Trägern des Diktatursystems in der Ostzone und zu ihren kommunistischen Mitschuldigen in der Westzone.
({85}) Meine Damen und Herren! Es lag mir daran, in dieser Frage so eindeutig und klar als möglich zu sprechen, damit jedermann weiß, woran er ist.
Nun, meine Damen und Herren, habe ich zum Schluß nur noch eine Bemerkung zu machen. Wir stehen vor der Tatsache, daß bis jetzt nur eine einzige Regierungspartei, und zwar der Sprecher der Deutschen Partei, uneingeschränkt und bedingungslos die Zustimmung zu der Regierungserklärung ausgesprochen hat. Das ist außerordentlich bemerkenswert, um so mehr als der Herr Bundeskanzler nur mit einer Stimme Mehrheit gewählt wurde. Angesichts dieser Sachlage fragen wir den Herrn Bundeskanzler, ob er es nicht für notwendig hält, am Schluß dieser Debatte eine Entscheidung des Bundestags darüber herbeizuführen, ob der Bundestag in seiner Mehrheit die Regierungserklärung billigt.
({86})
Es scheint uns ein schlechter Start für die Regierung zu sein, wenn sie ohne diese ausdrückliche Klarstellung an ihre Arbeit geht.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen.
Meine verehrten Damen und Herren! Ich hatte die Absicht, zu einigen akuten Fragen der Wirtschafts-, der Finanz- und der Sozialpolitik zu sprechen, und halte es für meine Pflicht, eingangs sowohl an Herrn Blank wie an Herrn Ollenhauer ein Wort der Entgegnung zu richten.
Meine Freunde und ich freuen uns, mit den Ausführungen unseres Koalitionsfreundes Blank in den großen Linien einig zu gehen. Wir sind davon überzeugt, daß er und seine Freunde die Absicht haben, in der Durchführung der Koalition alles an die Ziele zu setzen, die der Herr Bundeskanzler und auf dem Gebiete, von dem ich spreche, der Kollege Blank hier dargelegt haben. Ich bitte, mir bei der Bewegung, mit der der Kollege Blank gesprochen hat, zu gestatten, daß ich hinzufüge, daß ich mich freue, diese Bemerkung auch als Arbeitgeber dem Arbeitnehmer gegenüber machen zu können.
({0})
In einem Punkte, nämlich in den persönlichen Vorschußlorbeeren, die der Abgeordnete Blank zu verteilen sich bemühte, weiche ich ab. Ich glaube, es genügt, wenn ichgrundsätzlich Sage, solche Vorschußlorbeeren sollte man überhaupt nicht verteilen.
Was Herrn Ollenhauer angeht, so glaube ich, daß ich ein wenig bescheidener bin als er. Für mich, meine verehrten Damen und Herren, war am 8. Mai 1945 - ein Tag, an den wir viel zu wenig denken -, dem Tag der bedingungslosen Kapitulation, in Deutschland überhaupt nichts mehr selbstverständlich. Wenn heute auf wirtschaftlichem Gebiet einiges wieder selbstverständlich ist, so verkenne ich nicht, daß das über eine Normalisierung der Verhältnisse im wesentlichen nicht hinausgeht. Ich bin aber nicht so undankbar, die Augen davor zu verschließen, daß das ausschließlich eine Folge a) der Währungsreform und b) der Abkehr und Umkehr in der Wirtschaftspolitik gewesen ist. Ich glaube, meine verehrten Herren von der Linken, Ihre Hausfrauen daheim - vielleicht nicht Ihre weiblichen Kollegen -, Ihre Hausfrauen daheim haben für diesen Gedankengang ein recht gutes Verständnis, und Sie werden sich ja auch gelegentlich erinnern, daß Sie zu Hause wesentlich besser zu essen bekommen, als dies früher der Fall war.
Ich will aber nun, da ich der Auffassung sein möchte, daß des Grundsätzlichen langsam genug geredet worden ist, zu einigen akuten Fragen übergehen, und zwar zunächst zur Finanz und Steuer. Wir sind auf dem Gebiete der Steuerpolitik im Frankfurter Wirtschaftsrat Schritt für Schritt vorangegangen, und ich glaube, sagen zu dürfen, nicht ohne Erfolg. Wir dürfen sagen, daß wir den Widersinn der Kontrollratsgesetze in steuerlicher Beziehung schon ein wenig beseitigt haben, und wir werden in diesem Bestreben logisch und energisch fortfahren. Wir wissen, daß eine Steuersenkung das Gebot der Stunde ist. Ich warne Sie aber, meine verehrten Damen und Herren, Ihre Hoffnungen in diesem Punkte allzu hoch zu spannen. Vielleicht lassen Sie sich einmal von Ihren zuständigen Büros, oder was Sie sonst an Stellen haben, einen Vergleich aufstellen über die Steuerbelastung insbesondere in den niederen Einkommenstufen, einen Vergleich zwischen der Zeit vor 1933 und jetzt. Dann werden Sie zum Teil überraschende Feststellungen treffen.
Das hat nichts damit zu tun, daß eine Steuersenkung im großen notwendig ist und meines Erachtens auch durchzusetzen sein wird. Die größeren Möglichkeiten liegen aber in der Bewertung und in den Methoden der Veranlagung. Das setzt ein ganz anderes persönliches Niveau bei den Finanzbehörden, insbesondere bei den Finanzämtern voraus, als wir es heute haben. Sie werden sich erinnern, daß wir in dieser Beziehung schon einmal besser gestellt waren. Wenn immer beklagt wird, daß man zwar die kleinen Zensiten an die Hammelbeine nimmt, aber die großen nicht erfaßt und durchleuchtet - Herr Loritz hat von hunderttausend Schiebern gesprochen -, dann ist daran bestimmt sehr viel Richtiges. Das liegt an der Unzulänglichkeit der Veranlagungsbehörden. Wir brau({1})
chen eine außerordentliche Verbesserung des Betriebsprüferdienstes und ähnlicher Dinge. Ich will hier am Rande die Frage streifen, ob es nicht doch möglich ist, den sehr seriösen Stand der Wirtschaftsprüfer und Steuerberater in irgendeiner Weise in diese Arbeit miteinzuschalten.
Ich glaube, daß es auf die Dauer unmöglich ist, die Betriebe danach zu besteuern und verschieden zu besteuern, in welcher juristischen Form sie betrieben werden. Wir müssen zu einer Betriebssteuer kommen und haben gern festgestellt, daß der wissenschaftliche Beirat der Verwaltung für Finanzen sich in diesem Sinne ausgesprochen hat. Es wird hoffentlich möglich sein, diese Betriebssteuer schon in einem Gesetz über die Neuordnung von Steuern ab 1. Januar 1950 wirksam werden zu lassen.
Ich glaube weiter, daß wir eine Senkung der indirekten Steuern brauchen - Tabak, Kaffee -, und zwar, wenn es auch paradox klingt, um die Erträgnisse aus diesen Steuern zu vermehren. Die Steuermoral, die aua allen Gebieten schlecht ist, ist bei den indirekten Steuern besonders schlecht, und wir sollten uns alle Mühe geben, sie zu heben.
Ein ganz kurzes Wort zur Währungsreform. Daß sie technisch gelungen ist und daß es auch trotz der Abwertung des englischen Pfundes dabei bleibt, darüber besteht, glaube ich, Einverständnis.
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- Einverständnis, daß sie technisch gelungen ist!
Dieses Gelingen ist auch nicht mit der Nebenerscheinung verbunden, daß der Patient tot ist.
Aber wir haben in diesem Zusammenhang noch sehr weitgehende Wünsche. Das setzt jedoch voraus, daß uns eine größere Freiheit in dieser Beziehung von den Besatzungsbehörden zugestanden wird. Wir haben sie an sich auf Grund des Besatzungsstatuts, aber die Generalklausel der Liste der Eingriffsmöglichkeiten läßt doch wohl Befürchtungen aufkommen. Es gehört dazu, daß auch das Organisationsstatut der Bank deutscher Länder eine durchgreifende Änderung erfährt.
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Wenn nun hier, meine Damen und Herren, von der „Schattenquote" gesprochen worden ist, so muß ich darauf aufmerksam machen, daß einer Regelung über die Schattenquote unbedingt die Wiedergutmachung des schreienden Unrechts vorausgehen muß, das durch die zweite Währungsreform begangen warden ist, nämlich durch die Herabsetzung der Quote für Geldforderungen von 10 auf 6,5 Prozent. Wenn in dieser Beziehung etwas geschehen soll, muß das die Reihenfolge sein.
({4})
Wenn wir eine größere Freiheit auf diesem Gebiete erwarten, dann erbitten oder wollen wir sie insbesondere in einer Form, daß sie sich nützlich auf dem Gebiete der Finanzpolitik auswirkt. Ich glaube, daß die Sicherheit der Währung, die ich hier für meine Person nochmals betonen möchte, es nunmehr erlaubt, auch in der Kreditpolitik und in den Fragen der Vorfinanzierung etwas mehr Großzügigkeit walten zu lassen. Ich spreche keineswegs für einen Leichtsinn, aber ich spreche für einen, sagen wir, leichten Sinn oder eine, wie ich es eben nannte, Großzügigkeit. Es gibt eine Reihe von Gebieten, meine Damen und Herren, auf denen wir weiß Gott nicht mehr länger auf langfristige Kredite warten können. Über den Wohnungsbau brauche ich nicht zu sprechen, das ist hier schon so oft erörtert worden. Es besteht auch Einverständnis darüber, daß die Modernisierung im Bergbau eine vordringliche Aufgabe ist. Die Flurbereinigung, die Erhöhung der Produktion und schließlich die Mechanisierung in der Landwirtschaft sind ebenfalls unumstrittene Gebiete.
Gewundert hat es uns, daß bisher mit keinem Worte von der Reichsbahn, oder, wie sie jetzt heißt, von der Bundesbahn die Rede gewesen ist. Sie ist der größte Arbeitgeber, sie ist auch der größte Auftraggeber in der Bundesrepublik Deutschland. Sie machen sich kaum eine Vorstellung, wie viele Industriezweige von der Auftragspolitik der Bundesbahn geradezu abhängig sind. Ich, will hier von Aufzählungen absehen, aber die Zunahme der Arbeitslosigkeit in den letzten Wochen und Monaten führe ich bis zu einem gewissen Grade auf die immer noch nicht geregelte Kreditlage der Bundesbahn zurück. Ich bitte Sie, sich einmal einen Moment zu überlegen, was das bedeutet. Es gibt Industrien - denken Sie zum Beispiel an Lokomotiven -, die in ihrer Inlandsbeschäftigung von der Bundesbahn geradezu abhängig sind, und eine gewisse Inlandsbeschäftigung ist die Voraussetzung dafür, daß diese Industrien ihre zweite Aufgabe, nämlich Export zu treiben, erfüllen können. Ich halte es nicht für übertrieben, wenn ich sage, daß. die Aufrechterhaltung des jetzigen Zustandes hinsichtlich der Kreditgewährung an die Bundesbahn nicht nur für die Bundesbahn, sondern auf die Dauer auch für Zweige der Wirtschaft tödlich sein wird. Denn letzten Endes, meine Damen und Herren, ist es doch ein Unsinn, Investierungen aus der Westentasche oder aus den Tageseinnahmen zu bezahlen, und welche Investierungen bei der Bundesbahn nötig sind, wissen Sie alle. Es sollte sich langsam herumgesprochen haben, daß ein solches Unternehmen hierfür große Kredite braucht, und ich meine, die Verhandlungen, die darüber geführt worden sind, sollten mit etwas mehr Energie jetzt zu Ende gebracht werden.
Ich darf, da ich eben von der Bundesbahn spreche, noch hinzufügen, daß es uns notwendig erscheint, sie etwas näher an die Kontrolle des Parlaments heranzuführen.
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In dieser Beziehung sind wir in einen Zustand hineingeschlendert, der nicht tragbar ist. Das bedeutet nicht, daß in der Bundesbahn die Betriebsführung nicht nach kaufmännischen Gesichtspunkten erfolgen soll; im Gegenteil, das ist eine absolute Notwendigkeit. - Im übrigen bitte ich, diese Ausführungen über die Bundesbahn in erster Linie als ein Beispiel für die Notwendigkeit langfristiger Kredite anzusehen.
Was die ausländische Finanzhilfe angeht, so haben uns die Besatzungsmächte vielfach erklärt, sie wünschten und erwarteten, daß zunächst das Inland die äußersten Anstrengungen mache. Wir haben mehrfach Ausführungen darüber gelesen, was in dieser Beziehung aus privaten und öffentlichen Mitteln geschehen ist. Das ist wesentlich mehr, als man vielleicht hätte erwarten können, und ich glaube, sagen zu dürfen, daß nun der Zeitpunkt für die Zurverfügungstellung ausländischer Kredite gekommen und nach diesen unseren Vorleistungen die Bahn dafür frei ist. Ich möchte daran aber noch einen Wunsch knüpfen, nämlich daß die Freigabe aus den Counterpart Funds usw. nicht weiterhin mit diesem Formalismus und mit dieser Langwierigkeit behandelt wird, sonst ist in diesem Falle doch einmal der Patient tot, ehe ihm geholfen werden kann.
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Was die öffentlichen Haushalte anlangt, meine Damen und Herren, so glaube ich, daß ihre Lage nicht nur schwierig ist, sondern in allernächster Zeit eher noch schwieriger wird. Ich meine jetzt in erster Linie die Haushalte der Länder und der Kommunen. Denn etwaige Steuersenkungen und etwaige dringend notwendige Entlastungen auf dem Gebiete der Besatzungskosten werden bestimmt durch Erfordernisse zum Beispiel auf dem Gebiete der Sozialpolitik und in anderen Dingen überkompensiert. Ich will gar nicht von Subventionen reden, die wir aus diesen öffentlichen Haushalten werden zahlen müssen. Es dürfte wohl im ganzen Hause kein Zweifel darüber bestehen, daß Subventionen auf die Dauer eine ungesunde Angelegenheit sind. Aber, meine Damen und Herren, wie soll man solchen von außen kommenden Ereignissen wie der Abwertung des Pfundes und der Neuregelung der Bezahlung bzw. Abrechnung der Lebensmitteleinfuhren, die schon am 1. Juli in Kraft getreten ist, Ereignissen, die uns so über Nacht beschert werden, wie soll man denen - ich sage das bewußt als Wirtschaftler - von heute auf morgen anders begegnen als auch unter Inanspruchnahme von Subventionen? Deswegen werden Sie mir zugehen daß die Lage der öffentlichen Haushalte schlecht bleiben wird. Um so wichtiger ist alles das, was hier über Ersparnismaßnahmen gesagt worden ist.
Nun sind hier gestern eine große Reihe von Wünschen vorgetragen worden, besonders von der Frau Abgeordneten Wessel. Ich habe einmal hinter ihr hergeschaut und mich gefragt, wo wohl der große Goldsack ist, den sie eigentlich mit sich herumtragen muß. Denn es ist ja doch nicht möglich, meine Damen und Herren, derartige Wünsche zu äußern, ohne gleichzeitig entsprechende Deckungsvorschläge zu machen.
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Ich glaube, wir sollten doch in unsere Geschäftsordnung, auch in die vorläufige, einen Satz hineinbringen, wonach solche Anträge von Deckungsvorschlägen, so gescheit man sie sich nur ausdenken kann, begleitet sein müssen.
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Ich will mich auf diese wenigen Ausführungen über Wirtschafts- und Finanzpolitik beschränken, da mir sehr daran liegt, noch etwas zur Sozialpolitik zu sagen. Mein Freund Schäfer hat sich schon in seiner Rede ziemlich eingehend damit beschäftigt. Wenn ich in der heutigen Debatte ausführlicher zu diesen Dingen Stellung nehme, so geschieht das einerseits, um zu unterstreichen, wie wichtig dieses Aufgabengebiet uns erscheint, andererseits aber auch, um zum Ausdruck zu bringen, daß die Art und Weise, in der die Verwaltung für Arbeit im Wirtschaftsrat bzw. im Vereinigten Wirtschaftsgebiet vorgegangen ist, nicht unseren Beifall findet und daß wir bitten müssen, hier einen Wandel eintreten zu lassen, weniger, wie ich hoffe, in der Zielsetzung, wohl aber absolut in den Methoden.
Ich will Sie jetzt nicht damit aufhalten, Ihnen die Entwicklung der letzten Monate zu schildern, obwohl das sehr reizvoll wäre. Aber wenn Sie sich die letzten Briefe der Militärregierungen an den Präsidenten des Wirtschaftsrats ansehen, werden Sie feststellen, eine wie große Zahl von Gesetzen gerade auf diesem Gebiet entweder der Ablehnung verfallen oder der Behandlung durch den Bundestag vorbehalten geblieben sind, und dann, werden Sie mit mir der Meinung sein, daß das kein Zufall ist. Vielmehr liegt das daran, daß mit unziemlicher Eile und noch dazu ohne gehörige Vorbereitung die wichtigsten Gesetze vorgelegt und verabschiedet worden sind. Ja es ist vorgekommen, daß Gesetze parlamentarisch beraten worden sind, ohne daß sie vorher das Plazet des Verwaltungsrats, also des damaligen Kabinetts gehabt hätten. Mein Freund Seelos ist nicht da, sonst würde ich ihn fragen, ob es mir erlaubt ist, ein bayerisches Wort zu zitieren. Ich will es trotzdem tun. Es heißt: Langsam, weil's pressiert!
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Das sollte sich der Herr Minister für Arbeit für seine künftigen Gesetzesvorlagen etwas hinter die Ohren schreiben, wenn man bei einem Minister von Ohren sprechen darf, was ich den hohen Herrn Präsidenten eventuell zu überlegen bitte.
Genehmigt angesichts der Scherzhaftigkeit der Bemerkung!
({0})
Ich danke Ihnen vielmals, Herr Präsident.
Es war so, daß insbesondere die finanzielle
Grundlage für das, was beschlossen werden sollte
und auch beschlossen worden ist, in keiner Weise gesichert gewesen ist. Das fing an mit dem viel besprochenen und berühmten Sozialversicherungsanpassungsgesetz. Sehen Sie, meine Damen und Herren, mit dem Grundgedanken dieses Gesetzes, die Renten der Sozialversicherungsempfänger an das veränderte Lohn- und Preisgefüge zupassen, sind wir jederzeit einverstanden gewesen. Es ist ein notwendiges, absolut dringliches Unterfangen. Aber dieses Gesetz geht weit über diesen Komplex hinaus. Es ist eine noch nicht einmal kleine Sozialversicherungsreform. Die neuen Männer in dem Ministerium für Arbeit - ich habe von solchen neuen Männern gerüchtweise etwas gehört - werden von meinen Freunden gebeten, doch nun das Versäumte auf das schnellste nachzuholen. Dazu gehört natürlich vor allem, eine versicherungsmathematische Bilanz aufzustellen. Denn man kann verlangen, einen Überblick darüber zu bekommen, welche Mehraufwendungen durch die neuen Bestimmungen tatsächlich erwachsen. Es ist eine kaufmännische Binsenwahrheit, daß die Lastenträger - das mag sein, wer es will, die, Versicherten, die Arbeitgeber, der Bund, das Land oder die Gemeinden - sich vorher ausrechnen können, ob und wie sie diese Mehrlasten übernehmen können. Bisher - darüber wird wohl kein Streit bestehen - waren sie ausschließlich auf Schätzungen angewiesen. Wenn man so vorgeht, dann ist das schon grundsätzlich falsch. Aber es ist auch gegenüber den Versicherten nicht zu vertreten, bei denen - absolut berechtigterweise - Hoffnungen entstehen. Wenn sich diese Hoffnungen hinsichtlich des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes nicht als voll erfüllbar herausstellen sollten, dann wäre das doch ein schreckliches Desaster.
Es gehört in dieses Kapitel, meine Damen und Herren, daß zu unserem lebhaften Bedauern eine zeitgemäße Regelung der KörperbeschädigtenRenten, das heißt zu deutsch weit überwiegend der Kriegsbeschädigten-Renten sich bisher nicht hat ermöglichen lassen. Die Länder haben erklärt, daß sie auf dem Gebiet der Sozialversicherung derartig in Anspruch genommen worden sind, daß zusätzliche Leistungen der Sozialpolitik nicht oder jedenfalls nicht in dem beabsichtigten Maße möglich sind. Ich brauche nicht zu betonen, wie das auf die Betroffenen und die ganze Öffentlichkeit wirkt. Sie
({0})
haben darüber in den Zeitungen gelesen. Ausgerechnet die Körperbeschädigten sind durch die falsche Systematik, die die Verwaltung für Arbeit angewandt hat, nicht nur hintangesetzt, sondern auch grob enttäuscht und verbittert worden. Ich glaube, ich brauche nicht ausführlicher zu werden, um meine Forderung zu begründen, daß in diesen Dingen in der Verwaltung für Arbeit oder im jetzigen Bundesministerium ein grundlegender Wandel geschaffen werden muß.
Es hat uns enttäuscht, meine Damen und Herren, daß wir es infolge der Ablehnung durch die Militärregierung nicht fertigbekommen haben, die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung wieder herbeizuführen. Wer die wechselvollen und sehr verantwortungsbewußt geführten Verhandlungen miterlebt hat, die wegen dieses Punktes im Wirtschaftsrat und seinen Ausschüssen geführt worden sind, der wird mir das nachempfinden. Denn wir sind doch schon weit im Verzuge mit dieser ganz simplen, wenn auch verbesserten Wiederherstellung der Verhältnisse vor 1933. Hier handelt es sich um eine wirkliche Ausmerzung nazistischen Rechts. Ich glaube, es sollte eins unserer ersten Bestreben sein, jetzt, wo wir nicht auf die Genehmigung der Militärregierung angewiesen sind, einen Schlußpunkt unter dieses Gesetz zu machen.
Schwieriger liegen die Dinge bei zwei anderen Sozialgesetzen: dem Lohnregelungs- und dem Kündigungsschutzgesetz. Hier werden sehr schwierige Fragen des Arbeitsrechts angesprochen. Darauf ist es wohl zurückzuführen, daß sich die Militärregierung mit diesem Gesetz nicht positiv beschäftigt hat. Aber wie dringlich es ist, daß in dieser Frage eine Ordnung erfolgt, erkennen Sie schon, wenn Sie sich die ungeheure Rechtszersplitterung und Rechtsungleichheit ansehen, die gerade auf sozialrechtlichem Gebiet in der Zeit von 1945 an in den elf Ländern der Bundesrepublik Deutschland entstanden ist. Dazu ist noch gekommen, daß die Besatzungsbehörde durch Direktiven, oder wie sie es sonst genannt hat, alle möglichen zusätzlichen Dinge geregelt hat und daß auch manche Länderregierungen, wie das so nach 1945 zuweilen vorkam, reichlich willfährig den Anregungen der Militärregierung auf diesem Gebiete entsprochen haben. Ich bin der Auffassung, daß wir hier nur dann zu einem guten Ergebnis kommen, wenn wir - zunächst vorläufig - die Weimarer Gesetze wieder in Kraft setzen.
Das gilt nach meiner Auffassung - ich kann das heute nicht vertiefen - auch für das Betriebsrätegesetz. Das Gesetz von 1920 war in jeder Weise fortschrittlich und als solches international anerkannt. Noch nicht einmal auf diesem Stand sind wir heute. Wir haben vielmehr in den Ländern ganz verschiedene Regelungen. Selbstverständlich müßte dann dieses Gesetz an die Erfordernisse von heute angepaßt werden, die sich nicht in allem mit denen vor 1933 decken. Wir haben die Möglichkeit, auf Grund des Grundgesetzes diese Materie an uns zu ziehen. Ich glaube, auch sehr weit vorgeschrittenen oder fortgeschrittenen Föderalisten wird das als notwendig und richtig erscheinen. Wir hätten die Rechtsgleichheit herbeigeführt und einer weiteren Zersplitterung in dieser Beziehung vorgebeugt. Dann wäre schon sehr viel geschehen.
Ich habe schon davon gesprochen, daß es vordringlich ist, die Reste nazistischer Gesetzgebung zu beseitigen. In dieses Kapitel - und nur in dieses Kapitel - gehört unter anderem auch die Wiederherstellung des Rechts, Betriebskrankenkassen zu errichten. Das ist auch ein Teil der von mir schon gestreiften Selbstverwaltung. Die Bedürfnisse der Ortskrankenkassen werden durch die ausdrückliche Bestimmung in der Reichsversicherungsordnung, die wir wiederherstellen wollen, in jeder Weise berücksichtigt.
Meine Damen und Herren, ich muß mit diesem Katalog aufhören. Aber Sie ersehen daraus, ein wie breites Arbeitsfeld sich gerade auf diesem Gebiet für uns eröffnet. Wir sehen es als dringendste Aufgabe des Bundestages an, mit Ernst und großer Sachlichkeit und so leidenschaftslos wie möglich, aber natürlich unter Berücksichtigung der finanziellen Gegebenheiten manche Lücke zu schließen, die auf dem Gebiete des Arbeitsrechts und der Sozialversicherung heute noch klafft. Wir wünschen mit Ihnen allen, daß der hohe Rang, den Deutschland seit Jahrzehnten, auf dem Gebiete des Arbeitsrechts und der Sozialpolitik innegehabt hat, erhalten bleibt. Denn wir sind zutiefst davon überzeugt - und das sind keine Worte -, daß der soziale Friede eine der ersten und wichtigsten Voraussetzungen für alle unsere übrige Arbeit ist und daß fortschrittliche Regelung gerade auf diesem Gebiete geeignet ist, uns vor der Gefahr schwerer innerer Erschütterungen - so hoffe ich - zu schützen.
Ich bin mir darüber klar, daß es nicht leicht sein wird, jetzt etwas Positives und Fortschrittliches zu leisten. Denn es ist in dieser Debatte mehrfach gesagt worden und mit großem Recht -, daß die größte und vordringlichste soziale Aufgabe für uns der Lastenausgleich ist. Wie Sie übrigens daneben - Herr Abgeordneter Ollenhauer ist nicht mehr da - noch eine Neuordnung der übrigen Besitzverhältnisse vornehmen wollen, das müssen Sie mir erst einmal erklären.
Also an diesem Vorrang des Lastenausgleichs ist nichts zu ändern. Wir müssen uns aber alle Mühe geben, der Gefahr zu begegnen, daß die Fürsorge für unsere Arbeiterschaft und die Sicherung ihrer Rechte, wie der Rechte der Arbeitgeber, die selbstverständlich genau so gesichert werden müssen, in den Hintergrund treten. Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, so wie es sicherlich richtig ist, daß eine gute Sozialpolitik nur bei einer intakten Wirtschaft und bei einer guten Wirtschaftspolitik möglich ist, so ist - und das möchte ich hinzufügen - der Erfolg der Wirtschaft nicht zuletzt von einem sozial denkenden Staat und von einem sozial denkenden Unternehmertum bestimmt. Wenn immer wieder gesagt worden ist - und ich habe es selbst einleitend gesagt -, daß ein Mensch, der zu essen hat, zufriedener ist, wie wir nach der Währungsreform an unserem ganzen Volkskörper in sinnfälligster Weise festgestellt haben, so ist es auch richtig, daß ein Arbeiter - ich gebrauche den Sammelbegriff -, ein Arbeiter jeglicher Art und jeglichen Grades nur dann mit Erfolg für seinen Arbeitgeber, der letzten Endes immer noch das Risiko trägt, seine Arbeit ausführt, wenn er von dessen sozialer Gesinnung überzeugt ist und sie auf Grund fortschrittlicher Gesetze und vielleicht gelegentlich auch - sobald es möglich ist - durch freiwillige Leistungen täglich und stündlich spürt.
Meine Damen und Herren! Ich. möchte Ihnen vorschlagen, hinsichtlich der Sozialpolitik in diesem Sinne an die Arbeit zu gehen. Wir sind jedenfalls dazu bereit.
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Das Wort hat Herr Abgeordneter Rüdiger.
Meine Damen und Herren! Ich möchte an die Worte des Herrn Abgeordneten Blank anschließen, der hier sagte, daß es ein Erfordernis des Staates ist, in erster Linie eine Reihe von mittelständischen Existenzen kleinerer und größerer Art sicherzustellen. Ich freue mich darüber und darf sagen, daß wir von der FDP restlos dieselbe Linie beschreiten müssen. Zu diesen mittelständischen Existenzen gehört in erster Linie das Handwerk. Dem Handwerk muß eine besondere Förderung und Aufmerksamkeit in weitgehendem Maße zuteil werden. Gerade der handwerkliche Nachwuchs ist auch im Interesse der Großbetriebe - auch der industriellen Wirtschaft - in weitgehendem Maße zu fördern. Er ist aus der Wirtschaft gar nicht wegzudenken.
Ich darf aber dann meiner Freude Ausdruck geben, daß ich im Auftrage meiner Fraktion im wesentlichen jetzt zu einigen sachlichen agrarpolitischen Fragen Stellung nehmen darf und daß diese Anregung nicht von agrarischen Abgeordneten unserer Fraktion, sondern ausgerechnet von industrieller Seite ausgegangen ist. Ich freue mich darüber ganz besonders, weil ich mir klar darüber bin, daß Agrarpolitik nie eine einseitige Interessenoder Interessentenpolitik sein darf. In dieser Hinsicht sollten wir uns ein Beispiel an dem Ausland, an Amerika, nehmen, wo gerade die Agrarpolitik über den Rahmen der einzelnen Parteien hinaus eine Politik des gesamten Staates und nicht der Parteien geworden ist. Auch bei uns muß Agrarpolitik eine Volkspolitik sein. Wir müssen nicht nur auf die Steigerung der Produktion, der Erzeugung, sondern selbstverständlich auch auf die Kaufkraft der breiten Masse Rücksicht nehmen.
Die Verhältnisse in Deutschland und in Amerika liegen grundverschieden. In Amerika gibt es weite Flächen mit einer verhältnismäßig geringen Bevölkerungszahl; in Deutschland haben wir kleinere Flächen mit einer auf engstem Raum zusammengepreßten außergewöhnlich hohen Bevölkerungszahl.
Die Binnenpreise des Getreides und die Binnenpreise anderer landwirtschaftlicher Produkte sollen immer nur so hoch sein, daß sie die Produktionskosten, die Bezahlung stadtgleicher Landarbeiterlöhne und einen bescheidenen Verdienst decken.
Wir sind besonders erfreut darüber, feststellen zu können, daß gerade auch von den Bauernverbänden niemals die einseitige Forderung erhoben worden ist, unmittelbar heute die Angleichung an den Weltmarktpreis vorzunehmen. Es ist eine feststehende Tatsache, daß ohne die Abwertung im Augenblick der Weizenpreis frei Schiff Hamburg 5,50 D-Mark pro Zentner über dem Preis liegt, den der deutsche Bauer bezahlt bekommt.
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Ich möchte das nur sachlich feststellen. Wir wollen aber auch eines: wir wollen nur die Deckung der Produktionskosten. Allerdings muß diese Deckung der Produktionskosten unter allen Umständen sichergestellt werden.
In der bisherigen Zeit der Agrarpolitik hat man im allgemeinen immer viel von Erfassung geredet und sich auch mit Erfassung beschäftigt und hat die Produktion erheblich kurztreten lassen. Wir können diesen Standpunkt nicht verstehen. Ich freue mich besonders darüber, daß in der Regierungserklärung zum Ausdruck gekommen ist, dieser Zustand solle nunmehr grundsätzlich geändert werden. Wir müssen tatsächlich dieses Problem genau von der umgekehrten Seite anfassen, als es bisher geschehen ist.
({1})
Es muß aber auch betont werden, daß die Zweigleisigkeit in der Wirtschaftspolitik, was den industriellen Markt auf der einen Seite und den landwirtschaftlichen Markt auf der andern Seite betrifft, nun endlich in irgendeiner Form ausgeglichen werden muß.
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Uns kommt es heute nicht darauf an und dem
Bauern kommt es nicht darauf an, was er für den
Zentner, Weizen bekommt, sondern was er für einen
Zentner Weizen tatsächlich wieder einkaufen kann.
({3})
Dieses Mißverhältnis, diese klaffende Presschere muß wieder auf ein gesundes Verhältnis zurückgeführt werden.
Wir legen auch ganz besonderen Wert darauf, daß endlich einmal ein Sozialproblem gelöst wird - hier ist soviel von sozialen Problemen gesprochen worden -, das der dringlichsten Lösung bedarf, das ist die Entlohnung der Landarbeiter. Wir können an dieser Frage nicht einfach vorübergehen. Der Abgeordnete Loritz hat schon gesagt, es sei heute so, daß wir von Intensivierung reden und nicht die notwendigsten Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Immerhin ist die Zahl der Arbeitslosen in unserer Bundesrepublik doch eine sehr beträchtliche. Deshalb müssen wir die Ursachen ergründen, die hier von entscheidender Bedeutung sind. Wir müssen dahin kommen, daß die Unterbewertung der Landarbeit der Vergangenheit angehört.
({4})
Ich hoffe, daß uns in der Hinsicht auch die Gewerkschaften in weitestgehendem Maße unterstützen. Wir bejahen die Gewerkschaften, wenn sie nicht ein Staat im Staate werden; sie sind aus dem öffentlichen Leben nicht wegzudenken. Wir bejahen sie, aber auf der andern Seite auch einen Gegenpol, die landwirtschaftliche Gewerkschaft, den Deutschen Bauernverband, der natürlich auch nicht nur seine einseitigen Interessen vertreten darf, aber bei allen mehr oder weniger maßgebenden Entscheidungen zumindest gehört werden muß.
Wir bedauern, daß wir insbesondere jetzt bei den neuen Handelsvertragsverhandlungen und den neuen Handelsverträgen nicht im entscheidenden Maße gehört worden sind. Ich habe den dringenden Wunsch an den Landwirtschaftsminister, daß er in dieser Hinsicht den Verhältnissen in Zukunft mehr Rechnung trägt, den realen Verhältnissen, wie sie tatsächlich liegen.
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- Ich bedaure, daß die Regierungsbank sich geleert hat.
Herr Abgeordneter Rüdiger, bitte einen Moment! Ad die Frage, wo die Regierung geblieben ist, kann ich Ihnen nur antworten: ich habe selbst schon festgestellt, daß die Regierung die Regierungsbank verlassen hat. Der Herr Bundeskanzler hat mich vorher gefragt, wie lange die Sitzung voraussichtlich noch dauern würde. Ich habe ihm daraufhin nach Einsicht in die Rednerliste die Antwort zukommen lassen: bis etwa 1.25 Uhr. Die Anfrage wurde mit der Notwendigkeit der Abhaltung einer sofortigen Kabinettssitzung begründet. .
({0})
Ich bitte, Herr Abgeordneter, fahren Sie fort.
Nach dieser Erklärung des Herrn Präsidenten brauche ich wohl nicht zu sagen, daß ich es besonders bedauerlich finde, daß gerade bei einem derart entscheidenden und wichtigen Regierungsprogramm die Regierungsbank sich restlos geleert hat. Ich meine, wir sind in der Hinsicht schon manches gewohnt. Ich hoffe aber, daß es in Zukunft besser wird und daß man auch den agrarpolitischen Fragen im Interesse des gesamten Volkes und in Ablehnung eines ungesunden Berufsegoimus etwas mehr Verständnis entgegenbringt, als es bisher geschehen ist.
({0})
Ich komme zur Zwangswirtschaft. Der Herr Abgeordnete Ollenhauer hat hier Bedenken dagegen geäußert, daß nun auch die Zwangswirtschaft weiter abgebaut werden soll. Wir teilen diese Bedenken allerdings in keiner Weise. Ich möchte die Herren von der Linken und auch die Kollegen des Herrn Abgeordneten Ollenhauer fragen: möchte jemand den Zustand herbeisehnen, der vor eineinhalb oder eindreiviertel Jahren in Deutschland geherrscht hat?
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Oder ist es nicht entschieden besser geworden, haben sich die Verhältnisse nicht wesentlich gebessert?
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Eine Zwangswirtschaft, die nur auf dem Papier steht, ist keine Zwangswirtschaft.
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Und nun ein ernstes Wort und eine ernste Frage I an Sie und an alle Abgeordneten dieses Hauses. Ich will diese Frage auch an die Regierung richten: Gibt es überhaupt einen Menschen in diesem Hohen Hause, der jemals die Gesetze der Zwangswirtschaft hundertprozentig befolgt hat oder befolgt haben könnte? Ich zweifle daran.
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Wenn ich in diesem immerhin sehr anständig und luxuriös eingerichteten Hause in den Speisesaal gehe, hat mich noch nicht ein) Mensch gefragt, was ich für Marken und Karten abzugeben habe. Wenn das hier und schlechthin in Bonn nicht der Fall ist, wo man durchaus gut verpflegt ist, dann frage ich mich, warum man dieses künstliche Gebilde einer einseitigen Zwangswirtschaft heute noch aufrechterhalten soll.
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Da sollte man doch die Macht der Tatsachen für
sich sprechen lassen und sollte sagen, daß derartige
Sachen nun endlich der Vergangenheit angehören.
Ich möchte noch sagen, daß wir durch ein vernünftiges Preisgefüge endlich zu einer Steigerung der Produktion im weitestgehenden Maße kommen müssen. Dazu zwingt uns unsere Not und unsere Armut. Es ist auch von den Herren der Linken - ich glaube, auch von dem Herrn Abgeordneten Ollenhauer und Herrn Dr. Schumacher - gesagt worden, daß wir uns im Augenblick nur zu 50 Prozent aus eigener Erzeugung ernähren und ernähren können.
Wir sind der Überzeugung, daß allerdings die Oder-Neiße-Linie nie die Grenzlinie des deutschen Volkes sein wird. Ich will diese politischen Zusammenhänge nicht erneut behandeln, auch nicht diese volkspolitischen Zusammenhänge. Ich habe wiederholt den Amerikanern sehr deutlich zu verstehen gegeben, daß diese Gebiete schon seit länger als tausend Jahren deutsch waren, bevor überhaupt Amerika nur entdeckt wurde. Ich meine, das ist eine sachliche Feststellung. Wir haben diese Gebiete auch als die Kornkammern nötig, gewiß; wir haben sie aber auch im Interesse der Auffrischung unserer westlichen Landwirtschaft nötig, um uns unsere Kartoffelanbaugebiete, unsere Kartoffelsaatzuchtbetriebe in Vorpommern und Hinterpommern, die wir so dringend hier für den Westen benötigen, zur Steigerung der Produktion wieder einverleiben zu können. Daran kranken wir in erheblichem Maße. Ich will Ihnen hier keine landwirtschaftlichen Exerzitien vortragen. Sie können sich aber darauf verlassen, daß das wissenschaftlich begründet ist.
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Ich komme in diesem Zusammenhang zu einer Forderung. Weil wir diese Zwangswirtschaft schon als Abgeordnete praktisch nicht einhalten, ist es auch erforderlich, daß man nicht mit der härtesten Gesetzgebung die Leute bestraft, die im Interesse einer Produktionssteigerung für ihre Betriebe vielleicht irgendwelche Fehler begangen haben. Diesen Leuten muß meiner Ansicht nach eine Generalamnestie gewährt werden, damit auch der Richter und der Staatsanwalt nicht in den Gewissenskonflikten stecken bleibt, in denen er heute steht.
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Ich habe zu Hause mit unserem Herrn Oberstaatsanwalt gesprochen. Der Mann kommt tatsächlich von einem Gewissenskonflikt in den andern. Geben Sie ihm die Möglichkeit, daß wieder Recht und Gerechtigkeit als Eckpfeiler des Staates in den Vordergrund geschoben werden.
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- Ich stehe nicht auf dem Standpunkt, daß die Schieber und diese Brüder etwa auch unter diese Amnestie fallen sollen. Davor möchte ich dringend warnen. Ich will Ihnen hier nur folgendes sagen. Ich kenne einen Fall, in welchem ein Viehhändler 56 Stück Großvieh nachgewiesenermaßen zu Wucherpreisen in ein DP-Lager verschoben hat. Diese Tat liegt bereits ein Jahr zurück, und dieser Mann ist bis heute noch nicht bestraft. Dafür habe ich allerdings kein Verständnis. Sie müssen mich nur richtig verstehen - wir wollen uns doch gegenseitig verstehen und aussprechen -, daß wir nur an die kleineren Fehler denken, die tatsächlich im Rahmen einer gesunden Wirtschaftsführung fast unumgänglich waren.
Ich komme kurz noch einmal auf das Gebiet der Bodenreform. Hier möchte ich sagen, daß die Freiwilligkeit in vieler Hinsicht viel besser wäre als der außergewöhnliche Zwang, der ausgeübt wird. Ich bejahe durchaus das Flüchtlingssiedlungsgesetz und stehe durchaus auf dem Standpunkt, daß eine vernünftige Bodenreform durchführbar ist. Aber eine vernünftige! Versprechen wir uns aber von dieser Bodenreform keine uferlosen Erfolge! Selbst im Osten hat man heute im Interesse einer gesunden Volksernährung mehr größere Betriebe aufrechterhalten, als wir im Westen überhaupt noch besitzen. Das ist ein entscheidender Faktor. Bedenken Sie, daß in Nordrhein-Westfalen die größeren Betriebe, die unter die Bodenreform fallen würden, noch nicht 4 Prozent der Gesamtfläche dieses Staates ausmachen. Bedenken Sie, daß das bei uns in Hessen ganz genau so ist. Wir dürfen
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uns also von diesen Gedankengängen nicht zu übertriebenen Hoffnungen verleiten lassen.
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Ich möchte in diesem Zusammenhang sagen - ich habe das schon vorhin gesagt die Gewerkschaften sind ein Faktor, und wir wollen mit den Gewerkschaften rechten. Wir wollen auch mit den Gewerkschaften in vernünftiger Weise streiten. Aber es ist unmöglich, daß man den Deutschen Bauernverband so kaltstellt, wie es augenblicklich geschehen ist. Denn der Deutsche Bauernverband hat im Rahmen einer gesunden, vernünftigen Volkswirtschaft seine Aufgaben. Denken Sie, wenn Sie schon überhaupt davon sprechen, daran, wie schwierig es ist, die Arbeitskräfte zu beschaffen, und was in der Landwirtschaft tatsächlich geleistet wird. Denken Sie auch an die Bauersfrau, die tatsächlich der größte Arbeitssklave ist, den man sich überhaupt nur denken kann.
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Wenn wir allen diesen Verhältnissen und Gesichtspunkten Rechnung tragen, dann muß sich auch auf agrarpolitischem Gebiet eine vernünftige Lösung finden lassen.
Das Kernproblem ist und bleibt, daß man tatsächlich die Produktionskosten deckt. Es mutet kein Mensch einem Arbeiter zu, daß er unter Tarif arbeitet. Wir wissen, daß er nur zu einem sehr bescheidenen Teil ausgelohnt wird. Wir möchten alle hoffen und wünschen, daß das etwas günstiger wird, als es augenblicklich der Fall ist. Man mutet keinem Industriellen und keinem Handwerker zu, daß er eine Produktion und eine Leistung vollbringt, bei der seine Unkosten nicht gedeckt werden. Diese Unkostendeckung ist auch im Rahmen der deutschen Landwirtschaft eine selbstverständliche Forderung.
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Meine Damen und Herren! Ich höre soeben von der Fraktion der FDP, daß der als dritter Redner vorgesehene Herr Abgeordnete Dr. Zawadil jetzt mit Rücksicht auf die Nichtanwesenheit der Bundesregierung verzichten will. Ich stelle fest, daß dann die Restzeit, die der Fraktion der FDP für die Aussprache zur Verfügung steht, eine Viertelstunde beträgt. Wir würden dann heute nachmittag bei der Wiedereröffnung der Debatte als ersten Redner den dritten Redner der FDP mit einer Viertelstunde hören.
Ich mache ferner auf folgendes aufmerksam - ich bin darum gebeten worden -: die Fraktion der CDU/CSU hat um 14 Uhr eine Fraktionssitzung, der Ältestenrat wird um 15.30 Uhr zusammentreten. Wir werden gemäß einer gestern abend im Ältestenrat getroffenen Vereinbarung die Plenarsitzung um 16 Uhr fortsetzen.
Ich unterbreche die Sitzung.
({0})
Die Sitzung wird um 16 Uhr 27 Minuten wieder aufgenommen.
Meine Damen und Herren, die Sitzung ist wieder eröffnet.
Ehe wir wieder in die Aussprache eintreten, habe ich einige Mitteilungen zu machen.
Erstens: als weiterhin beurlaubt gilt wegen Krankheit Herr Abgeordneter Mißmahl.
Zweitens: der Ältestenrat hat sich soeben mit Mehrheit dafür ausgesprochen, daß die Verhandlungen heute abend ihr Ende finden, nachdem die vorgesehene Rednerfolge erledigt ist, mit folgender Maßgabe, daß die nächste Plenarsitzung am Dienstag nächster Woche um 15 Uhr beginnt, und zwar mit der Fortsetzung der Aussprache über die Regierungserklärung. Ich gebe dem Hause davon Kenntnis und trage, bb dazu das Wort gewünscht wird.
Bitte, Herr Abgeordneter Ollenhauer.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zu diesem Beschluß der Mehrheit des Ältestenrates hier eine Erklärung der sozialdemokratischen Fraktion abgeben. Es ist das zweite Mal in dem kurzen Arbeitsdasein dieses Parlaments, daß wir durch die Regierungsparteien vor die Notwendigkeit gestellt werden, kurzfristig Vereinbarungen über die Arbeitsweise des Plenums zu ändern. Am Ende der vorigen Woche ist ohne vorherige Rücksprache mit den übrigen Fraktionen der Herr Abgeordnete Bleicher mit der v Antrag in das Plenum gekommen, die für Montag vorgesehene Plenarsitzung auf Dienstag zu vertagen
({0})
Wir sind in der Abstimmung über diesen Antrag in der Minderheit geblieben. Wir hatten auf Grund dieser Erfahrung am Montag dieser Woche im Ältestenrat Wert darauf gelegt, daß eine feste Verabredung über die Arbeitsweise des Plenums in dieser Woche zustande kommt; und im Hinblick auf die Schwierigkeiten, die für viele Mitglieder des Hauses am Wochenende immer entstehen, haben wir am Montag vorgeschlagen, den Sonnabend sitzungsfrei zu lassen.
Gegen diese Vorschläge haben die Vertreter der Regierungsparteien mit sehr starken Argumenten opponiert. Sie haben uns auseinandergesetzt, daß es im Interesse der Aufnahme der praktischen Arbeit der Regierung und des Parlaments unbedingt erforderlich sei, die Debatte über die Regierungserklärung und die Behandlung der Anträge, die schon vor längerer Zeit in Aussicht genommen worden war, hintereinander zu erledigen, auch unter Einbeziehung des Wochenendes, so daß ab Montag abend die Abgeordneten des Hauses mit einigen für das Plenum sitzungsfreien Tagen rechnen konnten. Wir haben uns am Montag abend trotz schwerer Bedenken diesen sachlichen Argumenten angeschlossen und haben am Dienstag morgen in der Fraktion diesen Beschluß des Ältestenrats vertreten. Unsere Fraktion ist in erhebliche Schwierigkeiten gekommen, weil selbstverständlich eine Menge unserer Mitglieder auch für dieses Wochenende disponiert hatten; aber wir sind zu einem einstimmigm Beschluß gekommen. daß wir diesen Vorschlag des Ältestenrats akzeptieren.
Gestern hat uns die CDU-Fraktion im Ältestenrat mitgeteilt, daß sie sich nicht mehr an diesen Beschluß halten könne, und alle unsere Versuche, sie davon zu Oberzeugen. daß auf diese Weise eine vernünftige Arbeit des Parlaments unmöglich ist, haben kein Resultat gehabt. Heute mittag hat sich herausgestellt, daß die Mehrheit der Parteien in diesem Hause sich dem Vertagungswunsch der CDU und der übrigen Regierungsparteien angeschlossen hat.
Meine Damen und Herren, ich bin der Auffassung, daß wir in dieser Weise die Arbeit des Hauses
({1})
nicht organisieren können. Es scheint uns nicht möglich, daß immer in dem Augenblick, in dem bei den Regierungsparteien aus irgendwelchen Gründen Schwierigkeiten auftreten, diese Parteien des Hauses mit ihrer Mehrheit die Dispositionen ändern. Wir haben uns am Montag getreu unserer Erklärung, daß wir zur sachlichen Arbeit entschlossen sind, dem einstimmigen Beschluß des Ältestenrats gefügt, aber wir sehen uns nicht in der Lage, heute unmittelbar vor dem Beginn des Wochenendes angesichts der inzwischen getroffenen Dispositionen nun wieder von dem Beschluß des Ältestenrats abzugehen. Ich glaube, es wäre nützlich und läge auch im Interesse der Arbeit dieses Hauses, wenn wir an unserer ursprünglichen Verabredung festhielten und die Diskussion über die Regierungserklärung und die Beschlüsse über die Anträge in der Weise zu Ende bringen würden, wie es am Montag beschlossen war.
Die sozialdemokratische Fraktion bittet daher, den Vorschlag der Mehrheit des Ältestenrats abzulehnen.
({2}),
Ich darf diese Bitte als einen Antrag auffassen.
({0})
Wird das Wort weiter gewünscht? -Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Ich möchte die Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer nicht unwidersprochen lassen. Richtig ist, daß der Ältestenrat sich am vergangenen Montag darüber verständigt hat, bis Montag durchzutagen.
({0}) Richtig ist aber auch, daß inzwischen eine völlige Veränderung hinsichtlich des Ausmaßes der Arbeit eingetreten ist; denn es liegen nunmehr 21 Anträge vor. Unsere Absicht, von der wir damals ausgingen, die Arbeit vorläufig am Montag abend abzuschließen, läßt sich unter diesen Umständen mit Bestimmtheit nicht verwirklichen. Aus diesem Grunde hat die CDU/CSU und haben dann auch sämtliche anderen Parteien heute im Ältestenrat den Antrag gestellt, die Sitzung heute abend abzubrechen und am Dienstag fortzuführen. Ich möchte nicht, daß hier im Hause - und das könnte aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer hervorgehen - der Eindruck entsteht, als hätten die Regierungsparteien die Absicht, die Arbeit der Opposition irgendwie zu erschweren. Es ist selbstverständlich, daß wir im umgekehrten Fall auch bereit wären und bereit sein werden, dem Wunsche einer großen Fraktion, auch wenn sie der Opposition angehört, nachzukommen. Ich glaube, man sollte bei einem solchen Vorfall nicht generalisieren und wie Herr Kollege Ollenhauer sagen, es wäre nicht gut, wenn immer so vorgegangen würde, nachdem zwei Vorgänge dieser Art vorliegen.
({1}) Herr Kollege Ollenhauer, ich hoffe, daß Sie es uns durch eine solche Erklärung nicht etwa erschweren, einem begründeten und berechtigten Wunsch, den Sie sicher in absehbarer Zeit auch einmal zu stellen haben, nachzukommen.
Ich erkläre, um abzuschließen: unser Antrag dient der sachlichen Arbeit, die bis Montag nicht abgeschlossen werden kann. Wir sind nicht der Meinung, daß die Güte der Arbeit immer im richtigen Verhältnis steht zu der Schnelligkeit, mit der sie erledigt wird. Aus diesem Grunde haben wir diesen Antrag im Ältestenrat gestellt. Er ist dort nicht nur mit den Stimmen der Regierungsparteien, sondern auch mit den Stimmen der anderen Parteien mit Ausnahme der SPD und unter Stimmenthaltung, wenn ich mich recht erinnere, des Herrn Vertreters der KPD angenommen worden. Ich bitte Sie daher, den entgegenstehenden Antrag der SPD abzulehnen.
Wird das Wort wieder zu dieser Angelegenheit der Geschäftsordnung gewünscht? Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur Abstimmung über den Antrag des Herrn Abgeordneten Ollenhauer.
({0})
- Bitte schön, Herr Dr. Schmid.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, die Abstimmung müßte anders erfolgen, nicht darüber, ob die Mehrheit des Hauses der Aufrechterhaltung des Beschlusses des Ältestenrats vom letzten Montag zustimmt, sondern darüber, ob die Mehrheit des Hauses dafür ist, daß dieser regulär gefaßte Beschluß abgeändert werden soll.
({0})
Wir hatten uns vorhin im Ältestenrat darüber verständigt, daß Herr Kollege Ollenhauer den von ihm eben begründeten Antrag stellen würde, über den dann abgestimmt werden sollte. So ist es doch, Herr Kollege Ollenhauer?
({0})
- Bitte sehr.
Also darf ich in der vorgesehenen Weise jetzt zur Abstimmung schreiten über den Antrag des Herrn Abgeordneten Ollenhauer, die Sitzung, wie es ursprünglich beabsichtigt war, bis zum Montag nächster Woche fortzuführen; so lautet der Antrag. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um Auszählung. Ich bitte die beiden Schriftführer, sich in die Reihen zu begeben und auszuzählen. - Ich bitte, noch einmal die Hand zu erheben; die Herren Schriftführer sind offenbar nicht zu einem gleichen Ergebnis gekommen.
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Ich kann es von hier aus nicht genau übersehen, ich wollte ganz korrekt verfahren.
Ich glaube, es bedarf jetzt keiner weiteren Auszählung. Für den Antrag sind 114 Stimmen abgegeben worden. Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich glaube, ohne Widerspruch feststellen zu dürfen, daß das letztere die Mehrheit war. Damit ist der Antrag abgelehnt.
Meine Damen und Herren! Das Wort hat zunächst der Herr Bundeskanzler zu einer Erklärung erbeten.
Meine Damen und Herren! Im Namen der Bundesregierung erlaube ich mir, Ihnen folgende Mitteilung zu machen: Die Preise für bewirtschaftete Lebensmittel wie Getreide, Brot, Mehl, Mehlerzeugnisse sowie Fette werden aus Anlaß der Neufestsetzung des Umrechnungskurses der D-Mark keine Erhöhung erfahren.
({0})
Meine Damen und Herren, wir treten nunmehr in die Aussprache ein. Von heute vormittag war der Fraktion der FDP noch eine Restredezeit von 15 Minuten geblieben. Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil.
Meine Damen und Herren! Der Herr Kanzler hat in seiner Erklärung zusammenfassend das Grundsätzliche der Bundespolitik formuliert. Meinerseits will ich mich nunmehr bemühen, ausgehend von dieser Regierungserklärung das Grundsätzliche zum Vertriebenenproblem zu sagen, von dem aus die Behandlung aller Detailfragen erfolgen sollte.
Der Herr Kanzler erklärte, daß das Los der Vertriebenen besonders hart sei und die Frage ihres zukünftigen Schicksals von Deutschland allein nicht gelöst werden könne. Ich glaube den Sinn dieses Satzes richtig verstanden zu haben, wenn ich die Betonung auf das Wort „zukünftig" lege und daraus folgere, daß das gegenwärtige Schicksal, worunter ich das innerpolitische Dasein der Heimatvertriebenen verstehe, nunmehr mit verdoppelter Kraft einer Lösung zugeführt werden muß. Die augenblickliche Lage der Heimatvertriebenen in Deutschland ist zu einem Kardinalproblem geworden. Aus der Inkarnation des Elends, zu dessen Trägern wir geworden sind, ergeben sich, auf die Dauer gesehen, große Gefahren, durch deren Übersehen alle Bemühungen, Deutschland auf den verschiedensten Gebieten des Lebens einer Gesundung zuzuführen, zunichte gemacht werden könnten.
Das Vorhandensein der Heimatvertriebenen birgt jedoch auch große positive Möglichkeiten für Deutschlands Gesundung in sich. In dem Satze des Herrn Kanzlers, daß die Frage des zukünftigen Schicksals der Vertriebenen nicht von Deutschland allein gelöst werden könne, sehe ich die Tatsache bestätigt, daß die außenpolitischen Aspekte des Vertriebenenproblems mit äußerster Geduld und Umsicht und unter ständiger Abstimmung mit der Entwicklung der allgemeinen internationalen Lage zu behandeln sind.
Demgegenüber sind jedoch innenpolitisch unabdingbar alle Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um im Rahmen und bei völliger Ausnutzung aller Möglichkeiten die Frage einer entscheidenden Lösung entgegenzuführen. Wir haben den Eindruck, daß im Laufe der letzten vier Jahre zwar in Wort und Schrift das Los der Heimatvertriebenen besondere Beachtung gefunden hat, weniger jedoch durch wirkliche, entscheidende Taten. In dieser Beziehung wird die Bundesregierung über die zwischen den Ländern zu koordinierenden Maßnahmen hinaus zu entscheidenden Grundlösungen übergehen müssen.
Die Auswirkungen der materiellen und existentiellen Not der Heimatvertriebenen in Deutschland liegen vor allem auf seelischem Gebiet. Bedingt durch ein vielfach festzustellendes mangelndes menschliches und behördliches Verständnis, gepaart mit allen Auswirkungen der deutschen Niederlage, wurden die Heimatvertriebenen in eine Art Isolierung und Minderheitenstellung gedrängt. Die Folge davon ist eine verstärkte Tendenz des Rückblickens. des ständigen Erheben der Frage, wann es endlich eine Rückkehr in die Heimat geben wird. Das Vergrübeln in ständige Rückerinnerungen an die Heimat führt zu Verbitterung und Gleichgültigkeit, die Erinnerung an die unmenschlichen Grausamkeiten im Zuge der Vertreibung zu einem seelischen Erstarren in dem Gedanken an Rache und Vergeltung.
Unter diesen Einflüssen drohen die Heimatvertriebenen aus der zeitbedingten Isolierung, in die sie hineingeraten sind, in ein Stadium der Selbstisolierung zu gelangen. Wir selbst halten die Bestrebungen einiger Flüchtlingsvertreter, die, befangen in einer Not- oder Lagerpsychose, die Elendsmassen zu radikalisieren versuchen, für schädlich und vollkommen abwegig.
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Dieser großen Gefahr gilt es mit allen Mitteln legislativer und exekutiver Natur zu steuern und durch eine parallel vorzunehmende psychische Aufrichtung vorzubeugen. Der seelische und materielle Schock der Vertreibung muß überwunden werden. Die Heimatvertriebenen müssen aus ihrer Selbstisolierung herausgehoben und zu lebendigen und konstruktiven Bestandteilen im gegenwärtigen Mosaik des deutschen Volkes werden.
Wir bejahen daher die Eingliederung; sie ist de jure gewollt und festgelegt. Aber wir verstehen unter Eingliederung nicht die bedingungslose Unterwerfung unter den Willen der herrschenden Mehrheit, sondern wir verstehen unter Eingliederung eine Eingliederung als Gleiche unter Gleichen Eine solche wahrhafte Eingliederung soll die Voraussetzung für die Erhaltung der Substanz unseres Lebens sein, für die Erhaltung unserer körperlichen und seelischen Leistungsfähigkeit, die unter der ständigen Wirkung des Wohnungselends und aller sonstigen materiellen Not zu erlahmen droht. Hier hat zum Beispiel ein wirklicher und echter Ausgleich der Lasten gegenüber allen Geschädigten des Krieges als erster Schritt entscheidende Bedeutung.
Immer größer wird die Zahl der Heimatvertriebenen, die auch in ihrem heutigen grausamen Elendsdasein einen schicksalhaften Sinn erkennen und daraus die Forderungen für eine positive Lebens- und Daseinsbejahung ableiten. Wir müssen zu der Erkenntnis gelangen, daß, so wie jede geschichtliche Epoche letzten Endes einen tiefen Sinn aufweist, auch das Schicksal von Millionen Heimatloser letzten Endes einen Sinn beinhaltet, und, daraus folgernd, den organischen Ablauf der Geschichte erkennen und fähig werden, die ewigen Gesetze der Geschichte in zeitbedingten Formen zu verwirklichen. Ich glaube, daß uns dasselbe Schicksal, das unsere Ost- und Grenzlanddeutschen, die jahrhundertelang den Schutzschild Europas bildeten, heute, nachdem dieser Schutzschild zerbrochen und die Trümmer in das Binnendeutschtum hineingeworfen wurden, die hohe Aufgabe gestellt hat, gemeinsam mit den fortschrittlichen und konstruktiven Faktoren des Binnendeutschtums Deutschlands Zukunft zu gestalten. Größte Not schafft stärksten Willen; wir sind die Träger der größten und bittersten Not, daher auch die stärksten Willensträger deutscher Zukunftsgestaltung.
Wir Vertriebene des deutschen Ostens sind keineswegs mit leeren Händen nach hier gekommen, materiell zwar verarmt, aber im Vollbesitz eines reichen Erbes an wirtschaftlichen, staatspolitischen und kulturellen Erfahrungen und an Können. Die vornehmste Aufgabe der Heimatvertriebenen wird es sein, dieses Erbe in den Dienst der gesamtdeutschen Sache zu stellen. Es wird sich dabei nicht darum handeln, eine separate Tradition aller Erbgüter zu pflegen, was letzten Endes zu einem Versiegen schöpferischer Fortsetzung führen würde. Jedoch die besonderen Erfahrungen und Tatsachen, die wir Ost- und Grenzlanddeutschen aufzuweisen haben, an Wirtschaftskraft, an gesellschaftlichen Überlieferungen, an kulturellen Gehalten und vor
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allem an politischem Instinkt müssen verwertet und zu Impulsen einer Neubelebung des deutschen Lebens werden. Unsere Erfahrungen auf dem Gebiete der Selbstverwaltung, der Wirtschaftsverbände, der Kreditgenossenschaften wie überhaupt in allen Belangen genossenschaftlicher Zusammenarbeit sind nicht zu übersehen und ebensowenig die Erfahrungen und Einstellungen, besonders der Sudetendeutschen, in Fragen staatlicher Neuordnung uni deren Vorstellungen aus österreichischer Erfahrung heraus auf den Gebieten der Justiz, Verwaltung und Erziehung. Es gehört zum Wesen altösterreichischer Tradition, daß Volksrechte als Menschengrundrechte in jedem Staatsgebilde gewahrt sein müssen.
Wir Heimatvertriebene müssen uns darüber klar sein, daß wir nicht nur in die Vergangenheit blicken oder gar in ihr verharren dürfen, wenn wir unserer Aufgabe dienen wollen. Das Leid des Gewesenen muß sich zur gestaltenden Kraft des Kommenden wandeln. Die künftige Neuordnung Europas, die, beschattet vom Gegensatz der großen Mächte, schüchtern beginnt. wird vermutlich viel großräumigere wirtschaftliche und politische Einheiten schaffen. wenn sich Europa unter dem neuen Machtverhältnis behaupten will. Wir missen daher wirtschaftlich. politisch und kulturell europäisch denken, wenn wir eine Zukunft haben wollen.
({2})
Alle Traditionen unseres Erbes, die dahin weisen, sind zu pflegen, alle gegensätzlichen zurückzudrängen. Wir wünschen und sehen es im Sinne unserer vom Schicksal gestellten Aufgabe als wichtig an, daß die besonderen Fähigkeiten und Begabungen des binnendeutschen Menschen, gepaart mit den besonderen Befähigungen der Ost- und Grenzlanddeutschen, zu einer schöpferischen Synthese werden, aus der heraus sich jene Kräfte ableiten, die geeignet sind, eine Neugestaltung Deutschlands zu ermöglichen. Aus der im Augenblick noch bestehenden und auf die Dauer unhaltbaren Polarität zwischen Alt- und Neubürgern muß über eine fruchtbare Spannung hinweg die Kräftepaarung erfolgen. In dieser Richtung haben sich alle Maßnahmen der Regierung zu bewegen. Und es ist vor allem energisch dafür Sorge zu tragen, daß das legislative Wollen in der Exekutive, und zwar bis in die untersten Instanzen, seine Durchführung erfährt.
So sehen wir drei große Aufgaben, nach denen sich das künftige Dasein und Wirken der Heimatvertriebenen zu richten hat: erstens den Dienst an der Heimat in der lebendigen Pflege aller kulturellen Elemente unseres stammlichen Daseins; zweitens unser Wirken für Deutschland, indem wir seiner Gesundung alle unsere körperlichen und geistigen Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen haben; und drittens ist uns die hohe Aufgabe gestellt, als lebendige Zeugen des in der Menschheitsgeschichte noch nie dagewesenen völkerrechtswidrigen Verbrechens der brutalen Vertreibung von Millionen unschuldiger Deutscher zu Vorkämpfern eines neuen friedvollen Menschheitsdenkens zu werden, auf daß nie wieder Menschen um ihrer Weltanschauung, ihrer Sprache, ihres nationalen Daseins willen oder ihres Glaubens wegen entrechtet und vertrieben werden.
({3})
Ich erhoffe mir die Zustimmung aller Schicksalsgefährten in diesem Hause, wenn ich die Feststellung treffe, daß wir heimatvertriebenen Abgeordneten in primärer Hinsicht nicht als Vertriebene oder Flüchtlinge betrachtet werden wollen, sondern wir sind und wirken hier als deutsche Abgeordnete, darüber hinaus als Fachkräfte im Hinblick auf das zu lösende Vertriebenenproblem. Und alle uns im Bundestag gestellten Aufgaben möchten wir in gleichberechtigter Stellung und vertrauensvoller Zusammenarbeit behandelt wissen, der Sache dienlich und dem Volke als Beispiel.
Ich bin überzeugt, daß unter solchen Gesichtspunkten unser Wirken im Rahmen dieses Hauses ein fruchtbringendes sein kann, und sehe darüber hinaus unsere Aufgabe darin. der organischen Entwicklung einer wahrhaften Eingliederung im Sinne schöpferischer Kräftegestaltung innerhalb unserer Schicksalsgefährten überall im Lande ideologisch den Weg zu bereiten. So gesehen glauben wir, nicht nur unseren Leidensgenossen, sondern Deutschland einen geschichtlichen Dienst erweisen zu können. Denn noch immer sind wir Ost- und Grenzlanddeutsche da, wenn es um Deutschland geht!
({4})
Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weiter erteile, möchte ich § 86 unserer vorläufigen Geschäftsordnung verlesen,
wenigstens die erste Zeile:
Die Redner sprechen in freiem Vortrag.
Ich glaube, daß es der Debatte dieses Hauses nützen könnte, wenn man sich insoweit an die Geschäftsordnung hielte.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man über Fragen der Außenpolitik spricht, muß man sich im besonderen Maße der Verantwortung bewußt sein, die man damit, zumal in diesem Hause, übernimmt.
({0})
Als Sprecher meiner Fraktion begrüße ich lebhaft den wohlabgewogenen, sowohl festen wie taktvollen Ton der Regierungserklärung. Meine Fraktion ist mit ganzem Willen bereit, die Regierung bei der Bewältigung der unendlich schwierigen Aufgaben zu unterstützen, die ihrer auf dem Gebiete der Außenpolitik harren. Sie bringt namentlich dem Herrn Bundeskanzler, in dessen Ressort diese unser gesamtes nationales Interesse berührenden Fragen in erster Linie gehören, ihr volles Vertrauen entgegen.
({1}) Unterstützen, erleichtern und fördern - darunter verstehe ich vor allem ein hohes Maß von Selbstdisziplin. Außenpolitische Fragen sollten nicht Gegenstand einer emotionalen Propaganda der Parteien sein.
({2})
Wir haben in der Welt das Vertrauen zurückzugewinnen. Vertrauen ist wie im Verkehr unter den Menschen auch die Grundlage des Verkehrs unter den Völkern. Vertrauen ist die Basis der Verwirklichung des Rechts und das Recht überhaupt der Boden, auf dem die Beziehungen unter den Völkern gedeihen und sich in Stetigkeit zu einer Ordnung des Friedens und der kulturellen Blüte entwickeln.
Wir sind ein besiegtes, ein unter Fremdherrschaft stehendes Land, das nach der Meinung einiger Unversöhnlicher unter unsern Gegnern gewissermaßen außerhalb des Rechts gestellt, für vogelfrei erklärt und der Willkür preisgegeben werden sollte.
({3})
In den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie sind Dinge geschehen, die über jedes Maß hinaus so furchtbar sind,
({4})
daß kein Wort die Qual auszudrücken vermag, die tief in unsere Volksseele eingebrannt ist, unvergeßlich als eine Last schier unüberwindbarer Bedrückung.
({5})
Das Gewicht dieses Erlebnisses lastet auf dem Frieden der Welt. Wurzellos und friedlos sind alle diejenigen, denen das ungeheure Unrecht der Verstümmelung unseres Vaterlandes angetan worden ist. Darüber ist nicht hinwegzukommen. Verstümmelt ist unser Land, verwüstet sind unsere Seelen, verödet und ausgebrannt alles das, was redlicher Fleiß in Jahrhunderten dort für Deutschland geschaffen hat.
({6})
- Diese Frage möchte ich nicht mit Ihnen diskutieren. ({7})
Ich bitte, den Redner nicht allzu häufig zu unterbrechen.
Hier liegt die große deutsche, die europäische Aufgabe, die Grundlage des Friedens in der Welt. Es gibt keine Freiheit und Gleichberechtigung, das heißt: es gibt kein Leben für Deutschland, wenn nicht hier auf friedlichem Wege - ich betone. um alle Mißverständnisse auszuräumen, auf friedlichem Wege! - eine Lösung gefunden wird, die uns Deutschen das wiedergibt, worauf wir nach göttlichem und menschlichem Recht einen Anspruch haben.
Aber seien wir uns auch bewußt, daß wir nur ein Mittel haben, dieses hohe nationale Ziel zu verwirklichen und zu fördern. Es gibt keine wirksamere Demonstration unseres Anspruchs auf die deutschen Ostgebiete als das ganz ehrliche, heiße Bemühen, das Problem der Heimatvertriebenen in dem uns verbliebenen Raum soweit zu lösen, wie das in unserer Kraft steht. Wenn wir hier der Welt beweisen, daß wir wirklich eine nationale Gemeinschaft sind, gereift durch das Schicksal, geschmiedet in den Feuern einer ungeheuren Wirklichkeit, dann werden wir den moralischen Kern aller Dinge in dieser Welt so überzeugend bloßgelegt haben, wie das notwendig ist, um unser Lebensrecht, unser Recht auf Freiheit und Gleichberechtigung vor aller Augen zu stellen.
Es ist nicht wahr, daß die Macht die Welt allein bewegt. Es ist der Geist, der das Weltgewissen wachruft.
({0})
Gottes Wille regiert die Welt, nicht die Bosheit und die Brutalität. Ein Volk, das es über sich bringt, in der Stunde seiner tiefsten Erniedrigung zu sich, zu seiner Verpflichtung zu finden, besiegt die Mächte der Finsternis. Hier liegt die Würde des Besiegten, jene stille Vornehmheit der Gesinnung und der Tüchtigkeit, die stärker ist als alle Waffen.
Wir leben in einem furchtbaren Jahrhundert, in dem der Einbruch der Barbarei, gewappnet mit den größten Mitteln der Technik und gelenkt von der Eiseskälte der Herzlosigkeit und von narkotisiertem Gewissen, erfolgt ist. Richten wir Dämme auf vor dem Satanischen, das da aufgebrochen ist,alles zu vernichten, was das Leben lebenswert gemacht hat. Das ist die deutsche Aufgabe, Aufgabe eines Landes, in dem sich Abgründe offenbart haben, deren Wirklichkeit die Visionen dantischer Phantasie ins Unsagbare übertreffen.
Landesbischof Lilje hat zu Beginn der Evangelischen Woche in Hannover ein Wort gesprochen, das über den Beginn unserer Arbeit auch in diesem Hause stehen könnte: Herr, bewahre uns vor leeren Worten! Das gilt auch für das Gebiet der Außenpolitik. Bemühen wir uns, in bescheidenem, demütigem Dienst an den Tatsachen eine konkrete Vorstellung der Probleme zu gewinnen, um die es hier geht.
Ich begrüße die Entscheidung des Herrn Bundeskanzlers und seiner Berater, kein Außenministerium zu schaffen. Dazu ist die Zeit noch nicht reif. Auf Wortdeklamationen kommt es nicht an. Zwar beschränken die Vorbehalte des Besatzungsstatuts eine deutsche Außenpolitik nicht restlos. Das, was die Hohen Kommissare in Vertretung der außenpolitischen Kompetenz Deutschlands wahrnehmen, ist nicht deutsche Außenpolitik, sondern steht unter dem Verdacht, Ausdruck dessen zu sein, was ihnen
die Interessen ihrer Regierungen in bezug auf
Deutschland vorschreiben. So wirkt es auch nicht gerade ermutigend, wenn die Hohen Kommissare durch den Erlaß eines Pressegesetzes gleich nach Beginn des Inkrafttretens des Besatzungsstatuts die deutsche Kompetenz welter einengen, als ursprünglich im Besatzungsstatut vorgesehen ist. Unendlich mühsam ist hier die Aufgabe unserer Bundesregierung, eine Zusammenarbeit zu ermöglichen, die die deutschen lebensnotwendigen Interessen geltend macht und in zäher Kleinarbeit jenes Bild des Zusammenwirkens ermöglicht, dessen letztes großes Ziel die europäische Gemeinschaft zu gegenseitigem Nutzen ist. Es soll ihr niemand dabei in den Rücken fallen; er versündigt sich an unserer Zukunft. Wir werden hierüber Rechenschaft abzulegen haben vor unserm Volk und vor dem höchsten Richter, der die Weltgeschicke lenkt und Völker und Menschen wägt in der Freiheit ihres Willens und ihrer Taten, die er zu verwirklichen ihnen aufgegeben hat.
Es ist eine sehr ernste, eine von mitternächtlichem Dunkel umhüllte Stunde über uns verhängt worden, in der wir zur Entscheidung aufgerufen worden sind. Zeigen wir uns nicht als Schwächlinge oder als Knechte! Das Gebiet der Außenpolitik ist eine Angelegenheit von tiefem Ernst. Bedenken Sie, daß jedes unserer Worte vielleicht unsagbare Leiden für alle jene bedeuten mag, die fern von uns in den Lagern des Ural schutzlos preisgegeben sind.
Das, was wir brauchen, ist zunächst eine zuverlässige Information über die Vorgänge in der Welt und sind gute Analytiker, die diese Informationen zu einem klaren Bild zusammenzufügen vermögen, um dem Kabinett zuverlässige Unterlagen zu vermitteln, auf die es seine Entschlüsse aufzubauen vermag. Ich bin nicht so vermessen, dem Kabinett als Ansicht unserer Partei Rezepte vorzulegen, gewissermaßen Vorschriften für eine künftige Außenpolitik zu geben. Wir sind aber nun wieder da, ein beschränkt souveräner Staat von rund 45 Millionen, zusammengedrängt auf engstem Raum an einem wichtigen Ort Europas und damit der Welt. Das ist eine Realität, die niemand übersehen kann. Der Herr Bundeskanzler und mit ihm sein Kabinett werden diese Realität geltend zu machen wissen.
Wir wollen uns hierbei einfügen in den Willensstrom, der aus unserem Volke kommt und der der
({1})
Exekutive ihre Richtung gibt. Besonnene Ruhe und Festigkeit des Willens mögen uns hierbei lenken. Wir sind uns unserer historischen Würde bewußt in dem bescheidenen Stolz, den uns unsere alte Geschichte gibt. Es hat unter den Siegern Leute gegeben, die glaubten, man könne unser Rückgrat brechen, indem man uns unser geschichtliches Bewußtsein nahm. Aber wir sind der Überzeugung, daß das Unglück moralische Kräfte in einem Volke mobilisiert, die die Anfechtungen der Not überwinden. Darum halten wir mit der ganzen Kraft des Herzens an unserem Gefühl für unseren nationalen Wert fest. Wir richten unseren Blick auf das Leuchtende in unserer Geschichte und bekennen uns in Demut auch zu den Schatten unserer Vergangenheit, in dem heißen Bemühen, diese Gespenster zu überwinden.
({2}) Hier stehen wir in der Mitte des Jahrhunderts zuinnerst bereit, mit unserer Situation fertig zu werden, damit wir vor der Nachwelt nicht als Versager gewertet werden. Wir sind bereit, unser Kreuz auf uns zu nehmen und ein für allemal ein Beispiel zu geben, daß man ein altes Kulturvolk nicht zu einem Knechtsvolk machen kann.
Ich bitte um Vergebung, wenn ich die mir kurz bemessene Zeit nicht besser zu nutzen wußte als zu Worten, deren Leidenschaft ich nicht ganz zurückzudrängen vermochte. Der ganze einfache Inhalt meiner Darlegungen sollte nichts anderes sein als das, was Sie ja alle beseelt, ein Bekenntnis zu Deutschland, zu dem Land, dem wir unser ganzes Dasein verdanken, das wir lieben in seinem Unglück, dem wir dienen wollen mit allen unseren Kräften.
Ich habe namens meiner Fraktion noch folgenden Auftrag zu erfüllen und folgendes zu erklären. Aus den Schlußworten des Herrn Abgeordneten Ollenhauer ist bei uns der Eindruck entstanden, daß seine Fraktion die Absicht hat, den Herrn Bundeskanzler aufzufordern, am Schluß der Besprechung der Regierungserklärung die Vertrauensfrage zu stellen. Meine Fraktion muß dagegen auf Grund des Artikels 68 des Grundgesetzes Widerspruch erheben. Sie hält ein solches Verlangen für verfassungswidrig, und zwar in dem Sinne, daß die Initiative ganz bei dem Herrn Bundeskanzler liegt, ob er die Vertrauensfrage stellt oder nicht,
({3})
und daß es bereits verfassungswidrig ist, wenn aus diesem Hause irgendein präjudizierendes Verlangen in dieser Richtung gestellt wird.
({4})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Meine Herren und Damen! Ich kann zu den sozialpolitischen Problemen nicht sprechen, ohne zunächst der Regierungserklärung und vor allem der Erklärung unseres Bundeskanzlers zu gedenken, die er uns soeben gegeben hat. In diesem Hause ist in der Generaldebatte das Wort Ghandis gesprochen worden: „Dem Armen erscheint Gott im Brot". Es ist notwendig, zu erklären: die Tatsache, daß die Regierung verhindert hat, daß durch die Ereignisse dieser Tage der Brotpreis und der Fettpreis erhöht werden, verpflichtet uns zu Dank und Anerkennung und beruhigt uns.
({0})
Wenn das deutsche Volk in allen seinen Schichten in diesen Tagen und in diesen Stunden besonders nach Bonn herhorcht, dann sollten alle Politiker, die hier das Wort ergreifen, diese Verantwortung gegenüber der Sehnsucht und der Erwartung des deutschen Volkes spüren. Sie sollten sie zum Leitstern ihres Redens und Handelns machen und sich damit auch hüten, hier ins Leere hinaus dogmatische Reden zu halten, die nicht zur Lösung der sozialen Spannungen beitragen. Ich habe es insofern wohltuend empfunden, daß die heutige Spezialdebatte sich von der Generaldebatte in der Beziehung sehr weit abgehoben hat. Politik soll zwar mit dem Kopf gemacht werden. Und doch kann die Hingabe an sie, wenn sie eben mehr als ein frivoles, intellektuelles Spiel sein, sondern echtes, menschliches Handeln bedeuten soll, nur aus der Leidenschaft des Herzens und aus der Hingabe der ganzen Persönlichkeit geboren sein. Das Problem, das von uns fordert, auf der politischen Ebene um die Lösung der Spannungen zu ringen, verlangt von uns, daß wir im Dienst der Sache jene Leidenschaft des Herzens verantwortlich mit der Kühle des Verstandes in Einklang bringen. Dann werden wir auch die Fülle der vielen Probleme, die vor uns stehen, in einer Atmosphäre lösen, die nicht eine Atmosphäre des Mißtrauens, sondern die bessere Atmosphäre des Vertrauens sein wird.
Bei dem Primat der Sozialpolitik, unter dem der Beginn unserer Regierungsarbeit steht, habe ich jene Auseinandersetzung von heute morgen, auch die Ausführungen des Kollegen Ollenhauer, die sich von denen des Herrn Dr. Schumacher in ihrer Sachlichkeit, aber auch in ihren absolut klaren Forderungen wohltuend absetzten, begrüßt, und ich habe mit Freude die Ausführungen des Kollegen Blank von der CDU gehört, der mit ganzem Herzen dahinterstand, als er sein Bekenntnis zu einer fortschrittlichen Sozialpolitik ablegte. Ich identifiziere mich mit den Ausführungen des Herrn Kollegen Wellhausen, mit denen meine Fraktion vollkommen einverstanden ist.
Handwerk und Landwirtschaft haben in der heutigen Debatte so warme Fürsprecher gefunden, daß ich es mir wegen der Kürze der mir verbliebenen und der uns auch heute nur bewilligten Zeit schenken muß, darauf besonders einzugehen. Der Kollege Rüdiger von der FDP hat an dem Beifall, den er gefunden hat, wohl die volle Zustimmung gespürt.
Der Herr Kanzler hat in seiner Regierungserklärung das verantwortliche soziale Handeln zur vornehmsten Pflicht der Koalition erklärt. Die Deutsche Partei stimmt dieser Erklärung im vollen Bewußtsein der hohen Verantwortung und ohne jede Einschränkung zu. Sie hat mit den Koalitionspartnern gemeinsam den Kampf um die Befreiung der Wirtschaft von den Fesseln des Zwanges geführt, und sie wird mit ihnen gemeinsam darum bemüht' sein, daß eine gesunde, freie und sich aufwärts entwickelnde Wirtschaft die beste Grundlage für eine gesunde und fortschrittliche Sozialpolitik sein wird.
({1})
Unser junger Staat kann in Anbetracht seiner grenzenlosen Armut und angesichts seiner Trümmerhaufen -- und dabei denke ich nicht nur an die baulichen Trümmer - keinerlei Experimente vertragen, Experimente, die vielleicht in der Optik der Massenwirkung verlockend erscheinen mögen, die aber ihre Begrenzung bei den finanziellen Schwierigkeiten und Unmöglichkeiten finden. Deshalb sollten wir uns davor hüten, in diesem Hause über Gesetze zu diskutieren, für die eine Realisierung
({2})
mangels Mitteln unmöglich ist. Und ich kann mich auch hier an die Ausführungen des Kollegen Wellhausen anschließen, der jene unverantwortliche Politik ablehnt, von der unser niedersächsischer Weiser und Philosoph Wilhelm Busch sagt: „Ohne die notwendigen Mittel soll man keinen Krieg beginnen" auch nicht in der Sozialpolitik.
Die Deutsche Partei erwartet zunächst eine Aktivität auf all den Gebieten, auf denen wir der Massennot, der Massennot der Heimatlosen, der Kriegsopfer und unserer Jugend, wirksam begegnen können. Sie hat deshalb die Errichtung des Flüchtlingsministeriums mit dem Ziel eines echten Flüchtlingsausgleichs begrüßt und sie sieht in der Arbeit des Wiederaufbauministeriums die vordringlichste Möglichkeit, eine Fülle von sozialen Nöten, die die Volksgesundheit nicht nur physisch bedrohen, durch wirksames Beheben der Wohnungsnot zu beseitigen. Das Problem des Wohnungsbaus kann aber nach unserer Auffassung nur gelöst werden, wenn der private Wohnungsbau und die private Initiative in ganz großem Maße gefördert werden.
({3})
Wir erwarten aber, daß überall da, wo mit Krediten des Staates Wohnungen privat gebaut werden und
private Initiative mit Krediten des Staates eingesetzt wird, jede zweite Wohnung mindestens einer
vertriebenen Familie zur Verfügung gestellt wird.
({4})
Wir glauben auch, daß den vielen ausgebombten Hausbesitzern, denen die Mittel zur Trümmerräumung ihres Grundstücks fehlen, auf diesem Wege sehr gründlich geholfen werden könnte. Auf dem Gebiet des sozialen Wohnungsbaus hätte vor der Währungsreform längst vieles begonnen werden können. Maßgebliche Mittel der Sozialversicherung und der privaten Versicherung sind vor der Währungsreform verlorengegangen und hätten bei einer wirksamen Initiative dem sozialen Wohnungsbau zugeführt werden können. Manch Vertriebener hätte die eigene Initiative und die eigenen Kräfte angesetzt, wenn man ihm die Möglichkeit gegeben hätte. Das ist schnellstens nachzuholen.
Ich bin dem Herrn Bundeskanzler besonders dankbar für das Versprechen, beim Wohnungsbau die Millionen alleinstehender Frauen nicht zu vergessen. Ich bitte aber, bei den Planungen für den sozialen Wohnungsbau nicht nur Kleinstwohnungen für Arbeiterinnen, Angestellte und Beamtinnen zu schaffen, sondern darüber hinaus auch möglichst viele Heime, in denen alleinstehende Frauen die Atmosphäre der Familie gewinnen können. Bei der Schaffung solcher Heime könnte für manche Rentnerin, für manche ältere Vertriebene, die auf dem Arbeitsmarkt einen Platz nicht mehr finden kann, eine Möglichkeit gegeben werden, hier den jüngeren berufstätigen Frauen bei ihrer Doppelbelastung durch Haus und Beruf die Arbeit abzunehmen, ihnen wirksam zu helfen und selbst dabei eine Feierabend-, ja vielleicht sogar eine Lebensaufgabe zu finden. Die Durchführung eines solchen Vorhabens würde besonders in Anbetracht der Lebenspyramide unseres Volkes und unter Berücksichtigung der vielen Alten und Kranken unter den Vertriebenen eine große soziale Tat sein.
In diesem Zusammenhang wird der Herr Bundeskanzler auch verstehen - und ich glaube, ich spreche da im Namen aller meiner Kolleginnen hier im Hause -, daß es mir nicht ausreichend erscheint, daß nur im Innenministerium eine Frau echte verantwortliche Aufgaben gestalten könnte, sondern daß darüber hinaus - und da fühle ich mich als Sprecherin für alle Frauen verantwortlich - die ausgleichende und verantwortliche Stimme der Frau in allen Ministerien maßgeblich gehört werden sollte.
({5})
Eine Fülle von sozialen Aufgaben auf dem Gebiet der Arbeit, der Abgrenzung zwischen sozialer und privater Fürsorge, der Gesundheitsvorsorge, der Wohlfahrt und nicht zuletzt der Jugendarbeit und -fürsorge gestatten es nach meiner Auffassung nicht, daß die Frauen bei solchen Lösungen einfach ausgeschaltet werden. Ich bin davon überzeugt, daß es nur dieser Anregung bedarf, um die Herren Minister darauf hinzuweisen, daß sie die grundsätzliche Anerkennung der Notwendigkeit einer solchen verantwortlichen Mitarbeit der Frau in die Tat umsetzen.
Von der grundsätzlichen Anerkennung auch der Gleichberechtigung von Mann und Frau ist in der Vergangenheit viel zu viel gesprochen worden und wird auch in der Gegenwart viel zuviel gesprochen, aber in der Praxis ist davon viel zuwenig zur Tat geworden. Gerade auch im Hinblick auf die Ausführungen des Kollegen Dr. Schumacher möchte ich darum bitten, daß die SPD, die in der Vergangenheit immer eine Vorkämpferin für dieses Grundrecht war, überall da, wo ihre politischen Freunde in Gewerkschaften und Verwaltungen Macht und Einfluß haben -. ich denke da besonders an die Wohnungs- und Arbeitsämter -, sich mit warmem Herzen für die praktische Verwirklichung dieses hohen Ziels einsetzt, auch wenn die Betroffenen einmal nicht der SPD angehören sollten.
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Ich bitte weiter um Verständnis für den notwendigen Schutz unserer Frauen und Mütter, die als Trägerin des Lebens trotz aller Opfer, die sie während zweier schwerer Kriege und der Nachkriegszeit gebracht haben, in den Reihen vieler unserer Kollegen in den Landtagen, in den Länderparlamenten, bei der Gesetzgebung selten das nötige Verständnis gefunden haben. Es wäre sonst nicht möglich, ein Mutterschutzgesetz abzulehnen und es dann neu zu beraten, nur weil es eine politische Partei gemacht hat, mit der wir nicht einverstanden sind.
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Wir sollten uns angewöhnen, sozialpolitische Errungenschaften, wenn sie gut sind, auch dann anzuerkennen, wenn unsere Gegner die Initiative dazu ergriffen haben.
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Ich würde es immer ablehnen, die Initiative von Kollegen aus der Sozialdemokratischen Partei nicht anzuerkennen.
Wir sind alle darin einig, daß das von der britischen Militärregierung erlassene Gesetz, die Sozialversicherungsdirektive Nummer 27, schnellstens einer umfassenden und ausreichenden Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenen-Gesetzgebung weichen sollte. Leider ist aber in diesen Tagen hier immer nur vom materiellen Recht gesprochen worden. Gestatten Sie mir deshalb, der Meinung unserer Fraktion dahin Ausdruck zu geben, daß mit der Gewährung dieses materiellen Rechts allein das Problem nicht gelöst ist. Wir sind auch nicht der Auffassung, daß nur die Sozialversicherung verpflichtet sein sollte, Renten zu zahlen, sondern wir sind der Meinung, daß das gesamte
({9})
deutsche Volk in allen seinen Ständen mit allen Steuerzahlern verpflichtet ist, jene ausreichende Rente für diejenigen sicherzustellen, die darauf einen Anspruch vor dem ganzen Volk haben.
({10})
Wir glauben aber, daß mindestens ebenso wertvoll und ebenso wichtig wie die Renten alle jene Maßnahmen sind, die dazu beitragen, die Beschädigten selbst sowie ihre Angehörigen einzuschulen und umzuschulen, sie wieder so lebenstüchtig wie nur möglich zu machen und ihnen alle die Hilfe zu geben, die notwendig ist, damit sie je nach ihren physischen und psychischen Fähigkeiten wieder aus eigener Kraft sich in den Kreis derer miteingliedern können, die eben aus eigener Kraft für die Ihrigen selbst sorgen können. Alle hier verwandten Mittel werden vielfältige Frucht tragen.
Mit besonderer Genugtuung habe ich heute die klare Stellungnahme des Kollegen Blank zum Kernstück der deutschen Sozialpolitik, zur Sozialversicherung gehört. Wir wissen uns mit unseren Koalitionspartnern darin einig, daß wir uns von der Psychose unserer Zeit abwenden wollen, Sicherheit für alle von einem Staat zu verlangen, der seinen bedürftigen Gliedern schließlich nur das geben kann, was seine Steuerzahler an Mitteln aufzubringen in der Lage sind. Wir sehen die Grenzen der staatlichen So Sozialpolitik da, wo der Mensch aus eigener Kraft in der Lage ist, für die Wechselfälle des Lebens vorzusorgen. Weil wir die Gefahren der fortschreitenden Bürokratisierung des Lebens sehen, die im sozialen Sektor jede persönliche Initiative und damit jede notwendige Selbstverantwortung lahmlegen würden, lehnen wir auch das politische Streben nach einem Sozialversicherungsmonopol ab. Wir sehen in allen Einheitsbestrebungen einen gefährlichen Weg zur Zusammenballung von Macht und Einfluß und alle Gefahren des nivellierenden Kollektivs, dem wir auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens begegnen wollen.
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Die Deutsche Partei ist eine gewerkschaftsfreundliche Partei. Sie ist allerdings der Meinung, daß die Form der Einheitsgewerkschaft, die unsere politischen Gegner vertreten, die sie mit soviel Wärme vertreten, sich als Konzentration der Kräfte der Arbeitnehmer nur dann bewähren kann, wenn sie eine wirkliche und echte parteipolitische Neutralität gewinnt.
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Bis heute können wir nur sagen, daß sie diesem Ziele wohl nachstreben mag, daß sie es aber noch nicht erreicht hat.
({13})
- Sie würde Ihnen manchmal nützlich sein!
({14})
Aus ihrem Bekenntnis zum Föderalismus sieht die Deutsche Partei in der berufsständischen Gliederung eine sinnvolle Ordnung. Sie glaubt, daß sich auch eine große Reihe von Spannungen in einer beruflichen Schicksalsgemeinschaft durch echte Gemeinschaftshilfe am besten lösen lassen. Darum möchte sie auch das Beispiel aller echten genossenschaftlichen Selbsthilfeeinrichtungen, wie sie sich in den alten Formen der Innungen, der Innungskassen, der Betriebs- und der Landkrankenkassen sowie den Ersatzkassen der Arbeiter und Angestellten entwickelt haben, erhalten, fördern und fortentwickeln.
Das Zentrum und die SPD haben in diesen Tagen mit großem Eifer ein Monopolgesetz gefordert. Ich hoffe, daß sie sich mit gleichem Eifer und aus gleichem Geist und mit gleicher Verantwortung g gen jedes Monopol der Sozialversicherung wenden werden
({15})
und daß sie mit uns gemeinsam daran arbeiten werden, die vorbildliche deutsche Sozialversicherung nach deutschen Bedürfnissen und nach deutschen Gedanken neu zu ordnen.
({16})
- Darunter verstehe ich, daß wir Deutschen auf Grund unserer stolzen Tradition in der Sozialgesetzgebung es nicht nötig haben, Versuche zu machen, die andere Völker auf unsere Kosten importieren und deren Erfolg absolut nicht sichergestellt ist.
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Wenn England und Frankreich solche Versuche eines sozialisierenden Gesundheitsdienstes für alle auf Kosten nicht immer ihrer eigenen Steuerzahler unternehmen, so können wir uns in unserem armen Vaterlande keinerlei Versuche dieser Art leisten, von denen wir jetzt schon wissen, daß sie nicht nur finanziell untragbar sind, sondern daß sie auch in den Ländern - ({18}) - Wenn es bei Ihnen so ist? Ich spreche nicht aus dieser Erfahrung.
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Wir wissen, daß in den Ländern, wo solche Versuche unternommen werden, sie der heftigsten Kritik der eigenen Staatsbürger schon jetzt unterliegen, und ich möchte auch nicht versäumen, hier mit allem Nachdruck zu erklären, daß meine Partei nicht damit einverstanden ist, daß die Mittel der Steuerzahler der Westzonen, die Berlin zur Verfügung gestellt werden, etwa dafür verwandt werden, die zusammengebrochene Versicherungsanstalt Berlin zu erhalten und dort monatlich 12 bis 14 Millionen Zuschüsse zu geben, die der Magistrat der Stadt Berlin für diesen Zweck wieder angefordert hat.
({20})
- Ich glaube, ich habe mehr Ahnung als Sie davon!
({21})
Die Freiheit der Wirtschaft, aber auch die Freiheit der Person fordert die freie Entscheidung der Persönlichkeit, auch in den Fragen der sozialen Sicherung, und das gilt auch für Berlin, wobei leider in der Diskussion der vergangenen Jahre fast immer nur von der Organisation als Selbstzweck die Rede war und wobei ich den Wunsch habe, daß in den Gesprächen in diesem Hause, im Plenum wie im Ausschuß, nicht mehr von der Organisation als Selbstzweck, sondern nur noch von den echten verantwortlichen Aufgaben der Neuordnung von innen her die Rede ist.
In der Invaliden- und Knappschaftsversicherung ist die Frage der Staatszuschüsse neu zu regeln und nach gerechten Übergangslösungen unter Berücksichtigung der Verluste durch den unsozialen Währungsschnitt zu suchen. Die Angestelltenversicherung hat als Bundesamt für Angestellte schnellstens wiederhergestellt zu werden und ist
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aus der treuhänderischen Verwaltung der Landesversicherungsanstalten, die sie nur als kriegsbedingt und notverordnet bekamen, zu lösen. Eine umfassende Arbeitslosenhilfe ist Bundesaufgabe, der Finanzausgleich auch auf diesem Gebiet vordringlich. Die Arbeitslosenversicherung dagegen ist mit jeder Kritik zu betrachten, wobei die Erkenntnis, daß man gegen Arbeitslosigkeit nicht versichern kann, sich auch längst herumgesprochen haben dürfte. Bei der Tatsache dieser unechten Versicherung ist das Problem nicht damit gelöst, daß man schnellstens nach der Errichtung einer Versicherungsanstalt schreit.
Schließlich sind die Auswirkungen des Sozialversicherungsanpassungsgesetzes zu überprüfen, und dabei sind - das betone ich ausdrücklich - bei Beibehaltung der notwendigen Erhöhung der kleinen Renten alle jene Ungerechtigkeiten zu beseitigen, mit denen dieses Gesetz die von ihm betroffenen Angestellten und. weiterversicherten Handwerker hinsichtlich der Beitrags- und Leistungsgestaltung entgegen seinen Versprechungen getroffen hat. Die breiten Schichten des Mittelstandes, denen in der Regierungserklärung verständnisvolle Hilfe zugesagt ist, erwarten hier gerechtere Lösungen.
Bei der Lösung aller sozialen Spannungen darf es sich aber in erster Linie nicht um Fragen der Nützlichkeit oder nur um materielle Probleme handeln, sondern immer primär um ein menschliches Problem. Es kommt mehr denn je darauf an, den einzelnen Menschen an seine Arbeit und an die Gemeinschaft, in der er diese Arbeit leistet, so zu binden, daß er alle Spannungen im Sinne dieser echten Bindung an die ihm gemäße Aufgabe löst, und zu verhindern, daß der Mensch zum Werkzeug anderer oder gar kollektiver Mächte herabsinkt. Hier erwachsen gerade den Gewerkschaften große und echte Gemeinschaftsaufgaben, nicht klassenkämpferischer, sondern heilsam verbindender Art, und hier kann auch der echte Ausgleich durch den Sozialpartner herbeigeführt werden, wenn dem seiner Berufsaufgabe innerlich verbundenen Menschen der sozial verantwortliche Arbeitgeber gegenübersteht, der um die hohe Verpflichtung jeden Besitzes weiß. Ein verständiger Ausgleich sozialer Gegensätze führt dann nicht zur Nivellierung, sondern zur Erhöhung des Einzelschicksals im Massenschicksal und damit zu einer Aufstiegsmöglichkeit für alle.
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- Gestatten Sie, ich bin bald fertig.
Es wird sehr viel von der berechtigten Forderung nach der endlichen Heimkehr unserer Kriegsgefangenen gesprochen, und es ist dies eine selbstverständliche Forderung aller Deutschen. Nur ist dem das eine hinzuzufügen, daß wir doch endlich die notwendigen Mittel und Wege finden möchten, den Heimkehrenden auch eine echte Heimkehr zu bereiten. Dazu gehört nicht nur die Freizügigkeit, dazu gehört nicht nur die endliche Zusammenführung der getrennten Familienmitglieder, dazu gehört nicht nur alle nur mögliche Hilfe bei den Behörden, dazu gehören auch neue Gesetze, die vielen unserer Heimkehrer, die durch Krieg und Gefangenschaft aus der Bahn einer geordneten Ausbildung gerissen sind oder eine solche noch gar nicht beginnen konnten, neue Wege mit bisher ungewöhnlichen, neuen Mitteln eröffnen. Ich denke dabei an die Bewahrung vor einem neuen akademischen Proletariat, wenn Sie mir das Schlagwort gestatten wollen. Ich denke daran, daß man den älteren Heimkehrern die
Rückkehr zur Schulbank oder die Möglichkeit des Aufnehmens einer handwerklichen Lehre erleichtern sollte, indem man nicht Tarifverträge - und das ist wieder eine sehr wichtige Aufgabe für die Gewerkschaften - zugrunde legt, die mit jenem Entgelt, das man den Vierzehn- bis Siebzehnjährigen zahlt, nun für die älteren heimkehrenden bisher kriegsgefangenen Soldaten, die sehr oft unter sehr viel schwierigeren Bedingungen in den Beruf hineingehen, unmöglich anzunehmen sind.
Die echte Selbstverwaltung, die wir als Freunde des echten Föderalismus als hohe Schule der Demokratie werten, soll nun endlich den Sozialpartnern wiedergegeben werden. Mit Recht sind in der Regierungserklärung die vielen armen und gequälten Opfer der Vergangenheit erwähnt worden. Alle Bemühungen zur Lösung und Meisterung unserer zahlreichen Nöte sollten sich aber nach Auffassung meiner Fraktion von dem so oft falsch verstandenen Grundsatz der Solidarität abwenden und sollten in der Bemühung gipfeln, nicht jedem das Gleiche, sondern jedem das Seine zu geben.
De Deutsche Partei bekennt sich zum Berufsbeamtentum und zum Aufbau einer Verwaltung, in der fachliches Können und charakterliche Werte die Voraussetzung des Aufstieges für jedermann sein sollen. Sie wehrt sich mit Abscheu gegen jede Politik, die in jüngster Vergangenheit das Problem nicht löste, indem sie an die Stelle eines braunen Parteibuches ein andersfarbiges setzte. Die Folgen der Denazifizierung, die zu einem sozialen Problem wurden, sollte bei der Wiedereingliederung befähigter Könner schnellstens beseitigt werden. Wir haben solchen Mangel an gutem Berufswissen und Menschen, die daneben bereit sind, Verantwortung zu tragen, daß wir auf keinen von ihnen beim Neubau des deutschen Hauses verzichten können, sei er Hilfskraft oder sei er Architekt.
Eine gerechte Lohnpolitik soll den Tüchtigen belohnen und den Fleißigen anreizen. Wie eine vernünftige Steuerreform aussehen soll, das hat Ihnen heute Herr Dr. Wellhausen sehr ausführlich gesagt. Ich darf wegen der drängenden Zeit davon absehen.
Einen letzten Wunsch darf ich noch äußern: daß bei dieser Steuerreform die berufstätige Frau besonders berücksichtigt wird. Ich denke dabei an die große Belastung der vielen auch unverheirateten Frauen, die Familienunterhaltsverpflichtungen von einem Ausmaß haben, das den meisten von Ihnen nicht bekannt sein wird. Ich denke daran, daß bei einer vernünftigen Steuerreform diese Frauen genau so berücksichtigt werden müssen, wie jeder Familienvater einen gerechten Anspruch darauf hat. Es ist hier mit Recht gesagt worden, daß, die Not so unabsehbar groß ist, daß wir das Feuer schnell löschen müssen, wenn wir noch etwas retten wollen.
Ich habe den Mut, hier so unpopulär zu sein - und damit komme ich zum Schluß -, zu erklären, daß wir mit dem Herrn Bundeskanzler darin einig sind, daß eben nur die beste Wirtschaftspolitik Gewähr für eine gute Sozialpolitik ist, und daß meine Fraktion nicht an das Wort glaubt, daß ein armes Volk die beste Sozialpolitik haben kann oder haben muß, weil es so arm ist. Wir wissen, daß wir alle zusammen viel mehr werden arbeiten und uns noch in sehr vielen Dingen werden einschränken müssen. Wir glauben aber, daß wir trotz dieser nüchternen Schau der Realitäten mit unserem fleißigen Volk aus unseren Trümmerhaufen wieder herauskommen werden, und wir hoffen, daß wir mit allen deutschen Brüdern, auch den Brüdern und Schwestern, die jenseits der Grenzen sind, dann
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endlich jenen sozialen Frieden gewinnen werden, der die beste Grundlage für den wahren Frieden der Welt ist, den wir als gute Europäer, aber auch als gute Deutsche mit heißem Herzen ersehnen.
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Meine Damen und Herren! Die Frau Abgeordnete Kalinke hat ihre Redezeit um fast hundert Prozent überschritten. Ich habe sie in ihrer Rede nicht gestört
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- aus Galanterie. Ich möchte aber die nachfolgenden Redner warnen und sie bitten, sich nicht allgemein auf die Unerschöpflichkeit meiner Langmut zu verlassen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
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- Herr Abgeordneter Renner, Sie haben nicht ums Wort gebeten!
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- Das Wort haben nicht Sie, Herr Abgeordneter
Renner, sondern der Herr Abgeordnete Dr. Etzel.
Meine Damen und Herren! Ursprünglich bestand bei meiner Partei und bei meiner Fraktion die Absicht, nicht mehr zur Regierungserklärung zu sprechen, weil wir durchaus mit dem Abgeordneten und bayerischen Landsmann Loritz der Meinung sind, der Bundesregierung die Zeit nicht vorenthalten zu sollen, die sie braucht, um die brennenden Probleme alsbald in Angriff zu nehmen.
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Wir haben uns trotzdem entschlossen, noch einmal das Wort zu nehmen, weil wir glauben, daß der bisherige Verlauf der Debatte uns Anlaß zur Besorgnis gegeben hat. Heute morgen - das darf ich am Rande vermerken - hat der Herr Vertreter der CSU behauptet, daß die von der Fraktion der Bayernpartei gebilligten Ausführungen des Fraktionsvorsitzenden Übertreibungen und Maßlosigkeiten enthalten haben. Ich glaube, daß das Hohe Haus kein Interesse an der Fortführung von Auseinandersetzungen haben kann, die ausschließlich innerbayerischen Charakters sind. Diese Auseinandersetzungen werden in sehr absehbarer Zeit auf einem anderen Glacis zum Austrag kommen.
Es wäre wichtig und auch reizvoll, die Fragen der Wirtschaft und der Sozialpolitik im einzelnen zu durchleuchten. Die Zeit, die mir zur Verfügung steht, erlaubt dies nicht. Ich darf aber darauf hinweisen, daß die Lage der deutschen Wirtschaft durchaus geändert ist durch grundlegende strukturelle Wandlungen, die in dem Bericht der Wirtschaftskommission der UN über das Jahr 1948 mit klarer Deutlichkeit zum Ausdruck gekommen sind. Wir können uns vorstellen, welche Situation für die deutsche Wirtschaft unter Berücksichtigung des Verlustes weitgehender Gebiete der Ostmärkte besteht, die auf die Dauer für die westdeutsche Produktion unentbehrlich sind. Es könnte uns mit
Sorge erfüllen, daß die Rückgewinnung dieser Märkte nur durch bedenkliche politische Konzessionen möglich ist.
Wenn in der Regierungserklärung davon die Rede ist, daß der Kurs des Frankfurter Wirtschaftsrats fortgesetzt werden soll, so wollen wir diese Zusicherung auf den Grundsatz der sozialen Marktwirtschaft einschränken, den wir anerkennen. Wir wollen aber hoffen, daß die zentralistischen Methoden, die den Frankfurter Wirtschaftsrat in einer uns so unsympathischen und nachteiligen Weise erscheinen ließen, nicht weitergeführt werden.
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Die Betonung der besonderen Fürsorge für den Mittelstand haben wir mit Genugtuung aufgenommen, weil der Mittelstand für uns der klassische Träger des Individualitätsgedankens in wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Hinsicht ist, weil wir der Meinung sind, daß versucht werden muß, die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme in möglichst weitem Maße mittelständisch-bürgerlich zu lösen, weil wir von der Bayernpartei jede Methode der hochkapitalistisch-klassenkämpferischen und der proletarisch-klassenkämpferischen Austragung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Spannungen ablehnen.
Wir sind für den sozialen Frieden. Die großen Aufgaben, die hier den Gewerkschaften gesetzt sind, können und werden sie nur dann erfüllen, wenn sie jedem Gedanken an die Möglichkeit eines Klassenkampfes entsagen und darangehen, in sich die Voraussetzungen und Möglichkeiten des schiedlich-friedlichen Einvernehmens zwischen den Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch berufsständische Organisation und Methode zu erwägen und zu schaffen.
Auf die Frage der Wiederherstellung des Vertrauens der Sparer und auf die Notwendigkeit einer steuerlichen Entlastung werde ich mit wenigen Worten in einem ganz arideren Zusammenhang am Schluß noch kommen.
Da ich die Rangordnung der einzelnen Fragen berücksichtigen möchte, werde ich mich vor allem staatsrechtlichen und staatspolitischen Ausführungen zuwenden. In dem Grundgesetz ist behauptet, und zwar sowohl in der Präambel wie in Artikel 20, daß der Bonner Staat ein Bundesstaat sei. Das ist, gelinde ausgedrückt, ein Euphemismus. Ich könnte, wenn ich ganz deutlich werde, auch sagen: es ist eine Unrichtigkeit. Ich will nicht sagen, es ist eine Unwahrheit, aber es ist eine Unrichtigkeit. Denn dieser Bundestag ist ja nicht durch Verbündung zustande gekommen, sondern durch Majorisierung. Ein Bundesstaat setzt, so wie die Bismarcksche Verfassung auf den Novemberverträgen beruhte, Staatsverträge voraus. Solche sind aber nicht abgeschlossen worden.
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In der Präambel des Grundgesetzes ist weiter zum Ausdruck gebracht, daß das deutsche Volk sich dieses Grundgesetz gegeben habe. Der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer hat zu einer Zeit, als er diese hohe Würde noch nicht bekleidete - das war am 23. Mai bei der feierlichen Unterzeichnung des Grundgesetzes -, gesagt, die Verfassung beruhe auf dem freien Willen des deutschen Volkes. Wir können eine solche Auffassung nicht teilen. Das deutsche Volk hat das Grundgesetz nicht beschlossen. Artikel 146 sagt selbst: Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen
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Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist. Hier ist die Meinung widerlegt, daß das Grundgesetz das Geschöpf einer freien Entscheidung des deutschen Volkes sei.
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Sein Zustandekommen zeigt die verschlungenen Linien einer teils verfassungs-, teils besatzungsrechtlichen Manipulation, und es besteht in der Tat nur vom Standpunkt des Besatzungsrechts aus.
Wir haben also schon in der Stunde der Geburt von Föderalismus nichts erleben können. Der Aufbau des Grundgesetzes selbst zeigt nur Rudimente des Föderalismus. Daher enthält auch das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zu dem Grundgesetz die Worte Föderalismus und föderalistisch nicht mehr, und die Charta für die Hohe Alliierte Kommission spricht nur noch von den durch die Verfassung angegliederten Ländern. Kein Wort mehr von Föderalismus! Wir bedauern den Stellungswechsel der amerikanischen Politik außerordentlich.
Die britische Politik hat uns nicht überrascht, sie war in bezug auf Deutschland immer zentralistisch
orientiert, gleichviel ob es Whig-, Tory- oder Labour-England war. Wir wissen aus den Jahren 1866/67: als Preußen die Folgerung aus seinem Siege und den Augustbündnissen zog und auf den Trümmern des von ihm zerstörten Deutschen Bundes den Norddeutschen Bund errichtete, da brach die britische Presse in Jubel aus, weil sie glaubte, daß hier eine neue Konstruktion geschaffen worden sei, die den hochpolitischen Zielen der britischen Politik zur Verfügung stehen würde. Es wunderte uns nicht, daß Bevin an jenem Himmelfahrtstage 1947 bei der Deutschlanddebatte im Unterhaus der Sache nach erklärt hat, daß die britische Politik nur einen übermäßigen Zentralismus ablehne, und das Memorandum eben dieses Bevin zur Londoner Außenministerkonferenz trug alle Züge der Weimarer Verfassung.
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Daß die amerikanische Politik so weit ging, in ihrer Denkschrift vom 24. März 1948, die sie zur Sechsmächtekonferenz vorlegte, eine Verschärfung des Zentralismus des Frankfurter Wirtschaftsrats für die künftige deutsche Gestaltung vorzuschlagen, das ist uns eine tiefe Enttäuschung gewesen, nachdem wir in den Jahren 1945 und 1946 eine so staatsmännische Weitsicht der amerikanischen Politik im föderalistischen Sinne erlebt hatten. Ich wundere mich, daß die französische Politik eine solche zentralistische Entwicklung mitmacht und billigt;
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denn sie erklärt gleichzeitig,
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dieser neue Zentralstaat sei möglicherweise eine Bedrohung. Es ist mir unverständlich, daß die französische Politik, wenn sie eine neue Machtkonzentration auf zentralistischer Grundlage hier in Mitteleuropa befürchtet, gleichzeitig eine solche Möglichkeit mit konstruieren hilft.
Heinrich von Treitschke hat in einem Aufsatz in den Preußischen Jahrbüchern gesagt, er lasse es dahingestellt, ob das Bismarcksche Reich staatsrechtlich ein Bundesstaat sei, und er erklärte, daß es jedenfalls politisch und geschichtlich bereits der die Mehrheit des deutschen Volkes außer Österreich beherrschende preußisch-deutsche Einheitsstaat oder kurz: die nationale Monarchie mit bündischen Institutionen sei. Ich wäre begierig, das Urteil Treitschkes zu hören, wenn er das Bonner Grundgesetz erlebt hätte, nachdem er schon die Bismarcksche Verfassung, die wesentliche föderalistische Elemente und Grundlagen enthielt, in einer solchen Weise als Zentralstaat charakterisieren konnte.
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Warum lehnen wir eine andere als eine föderalistische Gestaltung der europäischen Mitte ab? Wir sind gegen jede Blockbildung. Wir von der Bayernpartei wenden uns dagegen, daß hier in Mitteleuropa eine Äußere Mongolei errichtet wird, sei es nach der einen oder nach der anderen Himmelsrichtung. Wir wollen keine solchen Optionen, die uns aufs neue in den Schlund der Machtpolitik hinabschleudern müßten.
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Vor allem aber liegt uns an Gesamtdeutschland. Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt, weiß, daß sie die Geschichte der Treue Bayerns und Österreichs zu Gesamtdeutschland ist.
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Wer die Geschichte des Deutschen Bundes kennt, weiß, daß der zentralistische Partikularismus des preußischen Staatsgedankens gegen Gesamtdeutschland war,
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vom Unionsprojekt des Jahres 1849 angefangen bis zur Zertrümmerung des Bundes mit Hilfe des Zündnadelgewehrs. Wir vermögen uns Deutschland nicht ohne Österreich vorzustellen, und wir wollen nicht auf die fünf Länder der Sowjetzone verzichten. Das Gefälle, das zwischen Ost und West bereits besteht, wird bei einer Fortsetzung der staatspolitischen, der wirtschafts- und sozialpolitischen Arbeit im Bonner Staat einerseits und in den deutschen Oststaaten andererseits immer größer werden, und wenn drei Jahre vorüber sein sollten, würden wir die beiderseitigen Teile dieses gequälten Deutschland kaum mehr miteinander vergleichen können. Es ist undenkbar, daß wir die fünf deutschen Länder der Ostzone in einen zentral gestalteten Weststaat eines Tages einzugliedern vermögen, wenn nicht vorher das Gefälle vollkommen eingeebnet worden ist. Ich möchte aber den kennen, der mir glaubhaft machen kann, daß das dann möglich wäre. Wir haben ja schon eine Stimme gehört, meine Damen und Heren, die gesagt hat: wenn es einmal dazu kommen solle, werde es notwendig sein, zumindest die volkseigenen Betriebe in der Ostzone aufrechtzuerhalten, mit anderen Worten die Kollektivierung, die dort in weitem Umfang besteht, nicht zu beseitigen.
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Wir wollen Deutschland. Deutschland aber gibt es nicht ohne Österreich und ohne die Länder der Sowjetzone. Glauben Sie doch nicht, daß es möglich wäre, Österreich nochmals, wie im Jahre 1938, gegen seinen Willen mit Gewalt anzuschließen. Kein Vernünftiger kann daran denken wollen. Der Beitritt Österreichs, wenn er einmal erfolgen sollte, kann, darf und wird nur ein freiwilliger sein. Aber wir können uns Deutschland ohne Österreich und ohne unsere österreichischen Brüder nicht vorstellen.
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Dieses Österreich vermag aber nur dann in den gesamtdeutschen Verband hereinzukommen, wenn 9 ihm eine staatenbündische, staatsmännisch richtige Konstruktion das erlaubt und ermöglicht. Und, meine Damen und Herren, hüten wir uns doch davor, ein Schema, eine Schablone, die in einer so fürchterlichen Weise widerlegt worden ist, für modern zu halten. Der staatenbündische Gedanke ist modern im höchsten Sinne. Seine elastischen Konstruktionen bieten jeder Aufgabe, die ihm gestellt wird, Grundlage und Möglichkeit, während jede Zentralisierung - abgesehen von der in ihr liegenden Gefahr der Vorbereitung einer neuen Diktatur - die Schaffung Gesamtdeutschlands unmöglich macht,
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und das werfen wir dem Grundgesetz des Bonner Staates vor.
Ein ehrfurchtgebietender Mann - ich sage das deswegen, weil es ein in hohem Alter stehender Mann ist, der in Ehren grau geworden ist -, der sozialdemokratische Bundeskanzler von Österreich Dr. Karl Renner, hat im Januar 1947 vor dem Wiener Presseklub in elegischer Weise der hohen Mission und Aufgabe gedacht, die die ehemalige Monarchie im Donauraum erfüllt hat, und er sprach die Hoffnung aus, daß es doch möglich sein möchte, eine ähnliche Konstruktion, wenn auch beschränkt auf Wirtschaftsaufgaben, dort wieder zu errichten. Die Alliierten haben im Jahre 1918 diesen Staat mit auflösen - ich will nicht das harte Wort „zerstören" gebrauchen - helfen. Sie wären wohl glücklich, wenn heute eine deutsch geführte Ordnungsmacht im Donauraum anwesend wäre statt des Gorgonenhauptes einer anderen.
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Wenn wir doch erkannt haben, daß die zentralistische preußisch-deutsche Staatskonstruktion, die notwendig eine partikularistische ist, nicht nur dazu geführt hat, uns in zwei furchtbare, lebenbedrohende Katastrophen zu stürzen, sondern auch dazu, daß die Lebenslinie des deutschen Volkes immer weiter von Osten nach Westen vorgerückt wurde; wenn wir weiter erkannt haben, daß wir nicht bloß an der Oder-Neiße-Linie Anstoß nehmen müssen, dann dürfen wir nichts von unserer Seite dazu tun, um eine Elbelinie zu verstärken.
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Wir dürfen uns nicht verhalten wie das Huhn, um das ein Kreidekreis gezogen worden ist - ich bitte mich nicht mißzuverstehen, Herr Präsident, und ich bitte, keinen Ordnungsruf in Aussicht zu nehmen.
Sie haben volle Indulgenz.
Ich will nicht etwa ein Mitglied des Hohen Hauses mit einem Huhn vergleichen. Aber ich sage: wir dürfen nicht handeln wie ein Huhn, das nicht wagt, den magischen Kreis, der um es gezogen ist, zu durchbrechen, oder wie das Insekt, das am Leitband seines blinden Instinkts unausgesetzt gegen die Fensterscheibe prallt, wenn wir als homines sapientes, das heißt mit Vernunft begabte Menschen erkennen können, daß es notwendig ist, aus der Geschichte, ihrem Anschauungsunterricht und ihren Lehrbeispielen die notwendigen Folgerungen zu ziehen. Wir haben einmal als kleine Schüler aus den Lehren des Katechismus jeweils die Nutzanwendung ziehen müssen; wir wollen als große Menschen auch die Nutzanwendung ziehen und dem Pessimismus Hegels entgegenwirken, der da sagt: „Die Geschichte lehrt, daß sie nichts lehrt."
Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das immer und überall als Menschenrecht anerkannt ist, gewährt auch die Möglichkeit, mit demokratischen Mitteln für die Verwirklichung dieses Rechtes zu kämpfen. Wenn wir von Menschenrecht und Menschenwürde und vom Individuum sprechen und wenn wir dabei an die metaphysischen Verantwortungen denken, die dem einzelnen Menschen gesetzt sind, dann dürfen wir das Individualrecht eines alten Staates, wie es der bayerische ist, nicht negieren wollen. Seien wir doch objektiv und warmherzig genug, die Auffassungen 'auch eines andern, die mißverstanden werden können, gelten zu lassen. Aber wir wollen in diesem Hohen Hause dafür sorgen, daß keine Mißverständnisse über die grundsätzliche Politik der Bayernpartei entstehen können. Ich denke, dann wird man auch die Auffassungen des anderen achten und nicht einfach unter Ausnützung einer Majorität mitleidlos niedertreten wollen.
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Ich, glaube, es war ein Kollege von der Nationalen Rechten, der sagte: „Nur ein guter Deutscher kann ein guter Europäer sein." Er sagte ferner, daß es ohne Deutschland kein Europa gäbe. Ich möchte diesen Satz dahin abwandeln, daß ich sage: Es kann nur der ein guter Bayer sein, der auch ein guter Deutscher ist und damit ein wirklich guter Europäer.
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Unsere Aufgabe und die Stellung Bayerns sind vielfach verkannt worden.
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Meine Damen und Herren, jeder Redner hat hier das Recht, seine Vorstellungen von den Dingen vorzutragen.
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Ich darf zum Schluß kommen. Die tiefe Krise unserer Zeit, ihr Hang zur Skepsis und zum Nihilismus, ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, daß immer wieder ein schroffer Gegensatz besteht zwischen Verkündigung und Tat, zwischen Soll und Haben der moralischen Rechnung, mit anderen Worten, daß die Unverbrüchlichkeit der Grundsätze dem Opportunismus, dem Zweckdenken geopfert wird. Wenn in der Regierungserklärung eine Fülle von Ankündigungen enthalten ist, so möchten wir hoffen, daß uns hier dieser Widerspruch zwischen Ankündigung und Ausführung erspart bleibt. Die amerikanische Politik hat vor drei bis vier Jahren noch von Föderalismus gesprochen, heute ist sie antiföderalistisch, man betreibt gleichzeitig Demontagen und ERP-Hilfe, fordert uns höchste Besatzungskosten ab und bietet uns den Marshallplan, man spricht von Menschenrechten und versagt einem alten Kulturvolk mit größten Leistungen auf wirtschaftlichem, kulturellem und sozialem Gebiet über viereinhalb Jahre hinaus den Frieden, man spricht von der Wiederherstellung des Vertrauens und sieht sich gleichzeitig gezwungen - ich will das einmal annehmen -, einer neuen Erschütterung des Vertrauens durch Abwertung zuzustimmen.
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Hier sind Befürchtungen angebracht. Wir müssen
endlich einmal dazu gelangen, daß, wenn einer
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Christus sagt, er nicht Baumwolle, Uran oder Öl meint.
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Wir wollen, daß, wenn man von Menschenrechten spricht, man nicht durch Jalta und Potsdam gegangen sein darf. Wir wollen, mit anderen Worten, endlich die Möglichkeit haben, zu erkennen, daß die Zusicherungen der Regierung, die eine Standarte des Guten, Wahrerin und Vollstreckerin des sittlichen Rechtes sein muß, auch zur Wahrheit und Wirklichkeit gemacht werden.
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Das ist wesentlich und eine Voraussetzung für die Gesundung nicht nur unserer psychologischen, sondern gerade auch unserer materiellen Lage. Es genügt nicht, daß wir nach Caux gehen und uns der Oxfordbewegung anschließen oder mit ihren Anhängern irgendwelche literarischen oder auch moralischen Gespräche führen, sondern es ist notwendig, daß wir hier gegenüber den einzelnen Berufsständen und einzelnen Menschen das menschlich Richtige und das von der Moral Geforderte tun und daß wir das ausführen, was wir ankündigen, daß wir so handeln, wie wir sprechen.
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Das durfte ich sagen, meine Damen und Herren, weil die Frage der Wiederherstellung des Vertrauens der Sparer nicht schon im Keime erstickt werden darf. Wenn man erklärt - die Erklärung wurde in diesem Hause gut aufgenommen -: die Preise für Lebensmittel, für landwirtschaftliche Erzeugnisse würden nicht erhöht, so mag diese Zusicherung an und für sich zunächst positiv beurteilt werden. Bei näherem Zusehen aber erkennt man, daß auf diese Weise die Möglichkeit der Steuersenkungen - weil die Beibehaltung der Preise ja nur durch Subventionen möglich ist - von vornherein begrenzt wird.
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Wir begrüßen es außerordentlich, daß die Regierung sich vorgenommen hat, daß das Währungsunrecht beseitigt wird. Welch eine Diskrepanz! Im dritten Währungsgesetz, im Umstellungsgesetz, ist angekündigt, daß sich die Militärgouverneure vorbehalten, eine zweite D-Mark auf zehn R-Mark zu gewähren. Was ist aber geschehen? Man hat nicht einmal das Verhältnis 1 zu 10 für die Sparkonten bewilligt, sondern sie auf 6,5 zu 100 dezimiert. Das ist einer jener Fälle, von denen ich vorhin gesprochen habe, in denen die Unverbrüchlichkeit der rechtlichen und moralischen Zusicherung nicht gewahrt ist.
Wir möchten hoffen, daß von der Regierung, dieweil wir ihr vollkommen vorurteilslos, aber mit größtem Argwohn und Mißtrauen gegenüberstehen, gerade diese moralische Haltung beachtet wird. Wir möchten gerne die Gewißheit haben, daß das Schicksal des deutschen Volkes bei der Bundesregierung in getreuen, reinen und geschickten Händen liegt. Wir möchten hoffen, daß der Rechtsgedanke überall, mag es sich um die Wiederherstellung der wohlerworbenen Rechte der Beamten, die durch die Entnazifizierungsmühle gegangen sind, oder um die Berücksichtigung der Rechte der früheren Wehrmachtbeamten und der ehemaligen Berufssoldaten, mag es sich um die Rechte der Sozialrentner handeln, durch den Staat - wir nennen ihn wohl Bund, sind aber überzeugt, daß er ein Zentralstaat ist - voll verwirklicht wird, wobei der Bund ein wohlwollender Vater ist; der Rechtsgedanke, von dem ein alter Vorkämpfer des Rechts, der berühmte Jurist Rudolf von Ihering, in seiner Schrift „Der Kampf ums Recht" sagt: „Kein Unrecht, das der Mensch zu erdulden hat, reicht von weitem an das heran, welches die von Gott gesetzte Obrigkeit verübt, indem sie selbst das Recht bricht."
Ich darf schließen und dem Herrn Präsidenten für seine Langmut und Ihnen selbst für Ihre Aufmerksamkeit danken.
Als Redner der Bayernpartei hatte sich noch Herr Abgeordneter Dr. Besold gemeldet. Mir ist aber gesagt worden, daß er verzichtet habe.
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Das war die Ursache meiner Langmut.
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Ich erteile nun dem Abgeordneten Fisch das Wort.
Meine Damen und Herren! Ich möchte bezweifeln, ob sich alle Mitglieder dieses Hauses über die Bedeutung gewisser Vorgänge im klaren sind, die sich gestern hier abgespielt haben.
Zumindest glaube ich, daß das Echo dieser Vorgänge im Ausland den einen oder andern doch etwas nachdenklicher stimmen wird, als man gestern zu erkennen gab. Dabei möchte ich nicht gewisse Reden als entscheidend betrachten, die von einigen Sprechern der Rechten des Hauses hier gehalten worden sind. Viel wichtiger scheint mir die Frage zu sein, wie die Regierung und der Herr Bundeskanzler selbst auf diese Reden reagiert haben und auf welche Weise sie damit zu erkennen gegeben haben, wie sie sich die Grundlage ihrer künftigen Außenpolitik denken.
Zuvor möchte ich an einige Worte der Frau Kollegin Wessel erinnern, von denen ich hoffen möchte, daß sie einigen Damen und Herren dieses Hauses doch zu etwas besinnlicherem Nachdenken Anlaß geben. Manches, was Frau Kollegin Wessel gesagt hat, wird vielleicht einen Weg für die Art der Überbrückung von Gegensätzen, die bisher scheinbar unüberwindlich waren, zeigen können. Sie hat vor allem auf einen Umstand hingewiesen', der uns Deutschen in der Vergangenheit oft den Weg zu einem freundschaftlichen Verhältnis mit unseren Nachbarvölkern und mit der ganzen Welt verbaut hat. Sie hat auf das Unvermögen vieler Deutscher hingewiesen, die politischen Gegebenheiten anderer Völker und anderer Staaten so zu beachten und in Rechnung zu stellen, als ob es unsere eigenen wären. Sie warnte insbesondere vor gewissen Traditionen der deutschen Diplomatie, die durch Überheblichkeit und Korpsstudentengeist charakterisiert sind.
Man sollte nun meinen, daß eine Regierung, die den Namen Regierung der Bundesrepublik Deutschland trägt und ihn für sich auch weiterhin in Anspruch nehmen möchte, sich solchen Gedankengängen nicht verschließen wird. Aber das Gegenteil ist eingetreten. Man kann wohl sagen, daß diese Regierung und ihr Sprecher an einem Tage in unserm Verhältnis zur Welt mehr Porzellan zerschlagen haben als jemals irgendeine Regierung der Weimarer Republik.
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Diese Regierung behauptet von sich, ihr Bestreben bestehe darin, den Weg in die freie Gemeinschaft der Völker erfolgreich anzutreten, ihr Weg bestehe darin, von der Weltöffentlichkeit wieder gehört, ernst genommen und beachtet zu werden. Wie stellt
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sich diese Regierung und ihr Kanzler diesen Weg vor, wenn sie auf solche Weise zu operieren gedenkt, wie sie uns das gestern demonstriert hat? Die ganze staatsmännische Weisheit und Klugheit dieser Regierung besteht anscheinend darin, eine Politik zu betreiben, die Deutschland in eine völlige Isolierung hineintreiben muß.
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Ihre erste staatsmännische Handlung bestand darin, einen Schreckschuß gegen jene Völker loszulassen, die gerade erst das fürchterliche Erlebnis der Besetzung durch das Hitlerregime hinter sich haben.
Der Bundeskanzler hielt es für angebracht, in die Debatte einzugreifen und das ganze Gewicht seiner politischen Stellung dadurch zur Geltung zu bringen, daß er solchen Auffassungen widersprach, die nichts anderes wollen, als unserem Volke zum Frieden zu verhelfen und unser Verhältnis zu unseren Nachbarvölkern und zur ganzen Welt in geordnete Bahnen zu bringen..
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Er bediente sich dabei Methoden, die jeglicher parlamentarischen Gepflogenheit widersprechen.
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Obwohl er das getan hat, hatte er jedoch nichts zu einigen Ausführungen von Freunden seiner Regierungskoalition zu bemerken, die uns und auch diese westdeutsche Bundesrepublik im Ausland aufs schwerste belasten müssen. Hier sprach ein Angehöriger der Bayernpartei davon, daß Böhmen und Mähren urdeutsche Gebiete seien genau wie Schlesien, Pommern, Ostpreußen, Westpreußen usw., auf die wir nicht verzichten könnten. Der Herr Bundeskanzler schweigt zu diesem Anspruch der neuen westdeutschen Bundesrepublik auf die Eingliederung von Böhmen und Mähren. Ein anderer Sprecher, ein Angehöriger der Bayernpartei, erklärt, er bedaure, daß österreich aus dem Deutschen Bund ausgeschlossen sei. Ein weiterer Sprecher hat soeben erklärt, er bedaure, daß es nicht eine deutsch geführte Vormacht im Donauraum gebe, die den alten Zustand der österreich-ungarischen Monarchie wiederherstelle. Auch dazu schweigt die Regierung. Es gab einen anderen Sprecher, der sich die Kühnheit erlaubte, zu erklären: Wir werden keinem Friedensvertrag zustimmen, der den Mordbanden Bieruts und Gottwalds den deutschen Osten überläßt.
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Meine Damen und Herren, das sind keine Einzelgänger oder absonderliche Gestalten, die sich in das Bundeshaus verirrt haben.
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Das sind Sprecher von Regierungsparteien, das sind Sprecher solcher Gruppen, die der Regierung zum mindesten nahestehen. Einer von ihnen erklärt unwidersprochen, er nehme an, daß die von ihm wiedergegebene Auffassung auch der Meinung des Herrn Bundeskanzlers entspreche. Auch dazu schwieg der Herr Bundeskanzler, und der Herr Präsident hielt es in diesem Falle nicht für geboten einzugreifen.
Ist eine solche Redeweise bei der Eröffnung dieses Parlaments nicht geradezu eine Herausforderung aller Völker, die unter der Besetzung des Naziregimes so Fürchterliches erduldet haben? Eine Herausforderung ist es, die alten nazistischen Ansprüche wieder geltend zu machen und sie sich zu eigen zu machen. Man kann sich nicht wundern, wenn sich ein Mann der Rechten dieses Hauses zum
Wortführer dieser Ansprüche macht, der selbst einmal Funktionär der Henlein-Partei gewesen ist.
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Man braucht sich nicht zu wundern, wenn von dieser Seite jenes obskure Wort von der „tschechischen Soldateska" fällt, hier im sogenannten Deutschen Bundestag unwidersprochen, die gleiche Formulierung, die wir von Goebbels und Hitler unmittelbar vor dem Überfall auf die Tschechoslowakei hörten.
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Ich muß schon darum bitten, diesen Ausdruck hinzunehmen, aber ich finde keinen andern dafür, wenn ich sage: Es ist doch zumindest eine Geschmacklosigkeit sondergleichen, im Jahre 1949 von den deutschen Leistungen in Polen und der Tschechoslowakei zu sprechen und daraus Gebietsansprüche abzuleiten.
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Herr Abgeordneter, Sie haben den Ausdruck „Geschmacklosigkeit" gebraucht. Das ist keine sachliche Feststellung, sondern ein Werturteil, das geeignet ist, die Personen, die Sie meinten, in ihrem Selbstgefühl zu treffen.
Ich meine, wenn man heute - im Jahre 1949 - von Leistungen, die unter deutschem Namen in jenen Ländern vollbracht worden sind, spricht, dann hätte man die Pflicht, an die „Leistungen" der Jahre 1939 bis 1945 zu denken. Das polnische Volk denkt bei Worten wie deutsche Leistungen an Lodz, an Auschwitz, an Warschau, an Lublin, und das tschechoslowakische Volk denkt bei diesen Formulierungen an den Namen Lidice,
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der tief in die Herzen aller tschechoslowakischen Bürger eingeprägt ist.
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Meine Damen und Herren! Ich glaube, man muß es auch als eine Herausforderung bezeichnen, wenn in diesem Hause Staatsoberhäupter in einer solchen Form tituliert werden, wie das gestern hier geschehen ist, Staatsoberhäupter von Staaten, mit denen die Länder, die Hohe Kommissare auf den Petersberg geschickt haben, normale und korrekte Beziehungen pflegen und aufrechtzuerhalten wünschen. Ist es nicht der Ausdruck eines unglaublichen Chauvinismus und nebenbei eines politischen Unverstandes, derartige Reden gerade gegenüber den Staatsoberhäuptern solcher Länder zu führen, mit denen gerade Handelsverträge abgeschlossen werden sollen, auf deren Erfolg die Wohlfahrt und das Vorwärtskommen unserer Wirtschaft in starkem Maße angewiesen sind?
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Solche Reden können aber nur gehalten, geduldet
und damit sanktioniert werden, wenn man den
Chauvinismus zur Grundlage seiner Politik erklärt.
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Das ist die Politik der Katastrophe. Es kann einen nicht wundern, wenn als Sprecher einer solchen Politik Leute auftreten, die die deutsche Außenpolitik der Zukunft auf ihren Erfahrungen und Aspekten aus ihrer Tätigkeit während der Nazizeit aufbauen wollen. Wenn es hier im Hause Leute gibt, die sich während der Nazizeit damit beschäftigten, als Syndizi des IG-Farbenkonzerns Tausende von tschechischen Zwangsarbeitern anzuwerben und sie nach Auschwitz zu bringen,
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dann allerdings darf man sich nicht wundern, wenn solche Leute glauben, sie könnten die Theorien und Praktiken ihrer eigenen Vergangenheit heute als die moderne Außenpolitik dem deutschen Volke empfehlen.
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- Die Herren der FDP-Fraktion sind genau informiert, wen ich meine.
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- Ich meine den Herrn Abgeordneten Euler.
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Vielleicht sind manche erstaunt über die frivole Unbekümmertheit, mit der gewisse amerikanische Zeitschriften heute Karten drucken, in denen die Niedergangspunkte von Atombomben fein säuberlich eingezeichnet sind, die Städte Bonn, Mannheim und Düsseldorf. Aber ich glaube, es liegt in der gleichen Richtung, wenn hier in diesem Hause Reden gehalten werden, die nicht zurückschrecken vor der Spekulation auf neue kriegerische Aktionen, vor der Spekulation auf neue gewaltsame Abänderungen der europäischen Landkarte.
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Meine Damen und Herren! Jene, die sich so sehr als Realisten bezeichnen, sollten einen Moment daran denken, auf welchem Erdteil wir eigentlich leben, ob wir in Texas oder vielleicht in der Nähe von Hollywood leben. Wenn das der Fall wäre, könnte ich mir vorstellen, daß gewisse Reden den Schein einer Berechtigung hätten. Aber wir leben in Europa. Wir leben in einem Gebiet, in dem Nachbar sich an Nachbar drängt. Wir können unsere Außenpolitik nicht darauf aufbauen, daß gewisse Senatoren zu gegebener Zeit unsere deutsche Jugend in Divisionen einrangieren wollen mit dem Versprechen, sie selber würden dann die dazu erforderlichen Atombomber bereitstellen. Wir können nicht auf eine mehr als fragliche Hilfe bauen, die nur erteilt wird, um demjenigen, der sie spendet, eine um so höhere Rendite zu verschaffen. Ich denke, das Beispiel Berlin sollte manchen nachdenklich machen. Es gibt Opfer der Luftbrücke, jene, die allzustark darauf spekuliert haben, die militärische Demonstration gewisser Husarengenerale würde gleichzeitg eine Lösung auf die Dauer für das Leben der West-Berliner Bevölkerung bedeuten. Wir wünschen nicht, daß es dem deutschen Volke so geht wie heute der West-Berliner Bevölkerung, die sich in immer stärkere Krisen verstrickt sieht, nur deshalb, weil sie sich dazu verführen ließ, einer Husarenstrategie ihr Ohr und ihre Aufmerksamkeit zu leihen.
Ich möchte das unterstreichen, was sehr bescheiden aus einigen Reihen dieses Hauses angedeutet worden ist, nämlich: wenn wir eine Chance haben, als deutsches Volk zu gesunden, dann nur auf dem Wege, daß wir nichts tun, was irgendwie die bestehenden Gegensätze zwischen den Großmächten, die gegenwärtig noch über Deutschland bestimmen, vertiefen könnte.
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Es gibt in der Debatte des gestrigen und vorgestrigen Tages noch einen anderen Beweis politischer Kurzsichtigkeit und Unbelehrbarkeit. Es wurde zwar von allen Seiten betont, man möchte alles tun, um die Einheit Deutschlands vorzubereiten. Aber die Erläuterungen, die uns seitens der CDU-Fraktion über die Funktionen des Ostministeriums gegeben worden sind, müssen uns alles andere als optimistisch stimmen. Herr von Brentano als Sprecher der CDU-Fraktion wollte uns zwar glauben machen, dieses Ministerium verzichte auf die Pflege völkerrechtlicher Beziehungen, es habe nur die eine Aufgabe: zu verfolgen, was dort geschieht. Und in Anbetracht der sozialen und strukturellen Änderungen, die in diesem Teil Deutschlands vor sich gehen, hielt es Herr von Brentano in der ihm eigenen bescheidenen und zurückhaltenden Weise für angebracht, zu erklären, es sei die Aufgabe des Ostministeriums, zu prüfen, wie gewisse Dinge revidiert werden können, die sich in den letzten Jahren in der gesellschaftlichen Struktur der Ostzone Deutschlands angebahnt haben. Er meinte, das könne ja nicht von heute auf morgen revidiert werden. Was wollen Sie, Herr von Brentano?
({11}) Wollen Sie Listen zusammenstellen, nach denen festgestellt wird, wie die enteigneten Junker von Ostelbien wieder zu ihrem alten Besitz kommen, von dem dann die Neubauern verjagt werden sollen?
({12}) Wollen Sie die Gleichschaltung von hier aus betreiben? Wollen Sie die alten Konzernherren wieder in ihre alten Privilegien zurückbringen? Wollen Sie alle jene reaktionären Onkels aus dem Justizapparat wieder in ihre alten Positionen zurückführen? Wollen Sie Vorbereitungen treffen für die Wiederherstellung der Privilegien der Söhne und Töchter der Reichen, damit ihnen allein die Bildungsstätten und Hochschulen gehören?
({13}) Was wollen Sie eigentlich? - Meine Damen und Herren, ich habe heute mittag einen kleinen Hinweis in der heutigen Ausgabe des Düsseldorfer „Handelsblattes" gefunden, der - so scheint mir - die künftige Funktion des Ostministeriums erläutern könnte. Hier findet sich ein großes Inserat mit folgendem Text:
Reichsverbürgte Rüstungskredite für früheren Ostzonenbesitz. Namens einer mir nahestehenden seriösen Gesellschaft, die sich der Geltendmachung der Rückzahlung von reichsverbürgten Rüstungskrediten nach Verlust ihres Ostzonenbesitzes gegenübersieht, suche ich andere Gesellschaften oder Personen, die sich in der gleichen Lage befinden, zwecks unentgeltlichen wechselseitigen Gedankenaustauschs zur Vorbereitung gemeinsamer Interessenwahrnehmung, eventuell auch durch Einflußnahme bei den gesetzgebenden Körperschaften.
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Meine Damen und Herren, ich nehme an, daß mit diesen gesetzgebenden Körperschaften die Organe des sogenannten .Ostministeriums gemeint sind.
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Was Sie wollen, meine Herren vom rechten Flügel dieses Hauses, ist folgendes. Sie haben den komischen Ehrgeiz, sich in die Serie jener Hasardeure der modernen Geschichte einzureihen, die es nie vermögen, aus der Vergangenheit zu lernen, und die immer meinen, die künftige Geschichte müßte so ablaufen, wie es sich in ihren Hirnen als Zukunftsmusik abspielt.
Meine Damen und Herren, es hat sich in den letzten Monaten einiges ereignet, an dem auch Sie nicht achtlos vorübergehen sollten. Auch auf der Pariser Konferenz glaubte man am Anfang, mit
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jenen bekannten fünf ultimativen Punkten die These der Eingliederung der Ostzone in den westdeutschen Bundesstaat und die These der Gleichschaltung vertreten zu müssen. Aber vom Anfang bis zum Ende dieser Pariser Konferenz hat sich einiges gewandelt, und vielleicht erinnern Sie sich, meine Damen und Herren von der Rechten des Hauses, daß seitdem einige Generale und Zivilstrategen des „kalten Krieges" von der amerikanischen Regierung zurückgepfiffen worden sind.
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Zu Ende der Pariser Konferenz gab man den Deutschen andere Empfehlungen als im vergangenen Jahre, nämlich sie mögen gemeinsame Organe aus Osten und Westen bilden, die die dringlichsten Forderungen der Gegenwart besprechen und in Vorschlägen formulieren, wie man zuerst die interzonale Wirtschaft und den Handel wieder in Gang setzen kann. Ja, Herr von Brentano, Sie erinnern sich vielleicht auch an einen Satz: „Es erben sich Gesetz und Rechte wie eine ewige Krankheit fort. Gesetz wird Unsinn, Wohltat Plage; weh dir, daß du ein Enkel bist!"
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Wenn Sie noch immer an jener alten Konzeption des „kalten Krieges" der Londoner Konferenz von 1948 festhalten, dann werden Sie Ihr Lebtag einer dieser Enkel bleiben, dem das Gesetz nur Unsinn ist, aber der den Unsinn dieses Gesetzes niemals begreifen wird.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, es kann n ur einen Weg zur Herstellung der Einheit Deutschlands geben, nämlich den Weg der freien Selbstbestimmung des ganzen deutschen Volkes.
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Sie kann sich nicht vollziehen unter dem Regime von Ruhr- und Besatzungsstatut und unter dem Diktat gewisser Hoher Kommissare.
({20}) -- Das ist ein alter Witz.
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Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler sprach von einer eminent wichtigen Aufgabe, die er als die Grundvoraussetzung einer erfolgreichen Wirtschaftspolitik und damit auch einer erfolgreichen Sozialpolitik bezeichnete. Er meinte, man müsse das Vertrauen des ausländischen Kapitals wiedergewinnen. Nun gut, das ausländische Kapital steht vor den Toren. Es hat sich die erforderlichen Maßnahmen zum leichteren Eingang bereits im Ruhrstatut und im Besatzungsstatut geschaffen. Es hat durch die Währungsumstellung dieser Tage die letzten Vorbereitungen getroffen, und am Ende muß der Aufkauf entscheidender Teile der deutschen Wirtschaft stehen.
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Aber ich möchte den Herrn Bundeskanzler fragen: Womit möchte er denn nun das ausländische Kapital anlocken?
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Womit möchte er den Eindruck erwecken, daß es
sich lohnt, in Deutschland zu investieren? Doch
wohl nur damit, daß die Anlagebedingungen für
das ausländische, insbesondere für das amerikanische Kapital ein Höchstmaß von Profiten in
Aussicht stellen. Womit kann man also anlocken?
Mit dem Lebensniveau von Kulilöhnen, mit der Beseitigung des Mitbestimmungsrechts der Arbeiter und Angestellten sowie der Gewerkschaften in den Betrieben. Man kann anlocken mit der Perspektive der Minderung des sozialen Lebensniveaus für die Rentner, für die Flüchtlinge und alle anderen, die heute die Opfer unserer fürchterlichen Notlage geworden sind.
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang eine kurze Antwort auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Ollenhauer von heute vormittag. Der Herr Kollege Ollenhauer nahm zu den Ausführungen meines Parteifreundes Reimann Stellung. Er meinte, die Ereignisse um den 20. Juli des Jahres 1932 seien doch wohl nicht ohne die Mithilfe der Kommunisten zustande gekommen. Herr Kollege Ollenhauer, wenn unsere Partei so überheblich wäre, nie von ihren Fehlern, sondern nur von ihren positiven Leistungen zu sprechen, dann wäre diese Mahnung angebracht gewesen. Wir haben zu einem sehr viel früheren Zeitpunkt erklärt, daß wir es für falsch halten, was im Jahre 1932 auch nur im geringsten der Reaktion vielleicht dazu verholfen hat, schneller an die Macht heranzukommen, indem wir nicht alle Möglichkeiten der Schaffung eines einheitlichen Handelns der Arbeiterklasse und der werktätigen Bevölkerung förderten und unterstützten.
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Meine Damen und Herren, die Kommunisten sind eine ernste Partei, die ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit nicht nur in programmatischen Erklärungen, sondern auch
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in offener Einstellung gegenüber ihren eigenen Handlungen und in einer offenen Selbstkritik darstellt. Wir wünschen, daß jede deutsche Partei, die in diesem Hause vertreten ist, ein ebensolches Maß an Selbstkritik an ihre eigene Haltung in der Vergangenheit bis zum Jahre 1933 und während der Nazizeit anlegen und das auch der Öffentlichkeit mitteilen würde. Ich glaube, es würde unter solchen Bedingungen seit 1945 manches anders gegangen sein.
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- Herr Kollege Neumann, ich bin gerne bereit, gemeinsam mit Ihnen festzustellen, welche wirklichen Sozialdemokraten sich heute in sogenannten Internierungslagern befinden.
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Meine Herren, ich möchte den Kollegen Ollenhauer daran erinnern, daß auch in seiner Partei in der Vergangenheit die Kritik nicht übersehen wurde, jedenfalls zu einem früheren Zeitpunkt. Ich möchte Sie, Herr Kollege Ollenhauer, an das Dokument des Prager Parteivorstandes vom Jahre 1934 erinnern, das Sie selbst unterzeichnet haben und in dem Sie zu Ihrer Politik der Vergangenheit sehr kritisch Stellung nehmen und einen neuen Kurs, eine Neuorientierung ausarbeiten. Ich möchte Sie auch an die von Ihnen selbst mitbeschlossene Entschließung des Parteivorstandes in Köln vorn September 1946 erinnern, in der Sie feststellen, daß heute bereits wieder die alten Kräfte der Reaktion in den entscheidenden Stellen von Staat und Wirtschaft stehen. Nun, meine Damen und Herren, wenn dies der Fall ist - und wir unterstreichen diese Feststellung -, dann muß man aus dieser Feststellung Schlüsse ziehen, und zwar nicht
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nur in Worten, sondern auch im Handeln. Das ist es, was uns not tut. Sie meinen, Herr Kollege Ollenhauer, daß wir Kommunisten einen solchen Kurs befolgen, weil uns nur darum zu tun sei, die fehlenden Massen für unsere Propaganda zu gewinnen. Wir sind weit davon entfernt! Es geht uns keineswegs um Prestigeerfolge unserer Partei. Wir haben 1933 erlebt, was es bedeutet, wenn eine Partei der Arbeiterklasse sich in erster Linie von Prestigegesichtspunkten ihrer Partei leiten läßt. Zuerst kam die KPD in Zuchthäuser und Konzentrationslager, dann folgten die Funktionäre der SPD, und dann folgten die Funktionäre der christlichen Gewerkschaften und andere. Es geht uns nicht um einen Propagandaerfolg für den Augenblick. Wir sagen deutlich, was wir wollen: wir wollen verhindern, daß die jetzige Situation, die allzusehr der Lage von 1932 ähnelt, ihre Fortsetzung in einem neuen 1933 und in einem neuen 1939 findet.
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Ich denke, das ist klar! Und zu diesem Ziel ist uns jedes Mittel recht.
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Man kann über dieses und jenes in der Ostzone verschiedener Meinung sein. Es läßt sich darüber streiten. Aber, meine Damen und Herren, eines muß gesagt werden: Die erdrückende Mehrheit aller ehemals führenden Sozialdemokraten in dieser Zone, Schöpflin, Ebert, Buchwitz, und wie sie alle heißen, hat eine Lehre aus den Fehlern beider Arbeiterparteien in der Weimarer Republik gezogen. Sie alle haben erkannt, daß der entscheidende Fehler darin lag, daß die fortschrittlichen Kräfte und die Arbeiterklasse damals nicht einheitlich und nicht mit starker Hand handelten. Daraus haben sie gelernt. Niemand kann ihnen daraus einen Vorwurf machen.
Wir sagen darum heute: das Programm des Herrn Bundeskanzlers ist mehr als deutlich. Es droht die Gefahr eines Vormarsches der reaktionärsten Elemente in Deutschland. Es droht die Gefahr eines Generalangriffs auf die Löhne der Arbeiterklasse, auf die Renten, auf die Mieten, auf das Leben aller einfachen Menschen und auch auf die demokratischen Rechte der Arbeiterschaft, der Gewerkschaften und aller anderen Angehörigen der werktätiger. Schichten.
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Darum, meine Damen und Herren, wollen wir darauf hinweisen - das ist die Frage, die wir in der Rede meines Parteifreundes Reimann angeschnitten haben -: es kommt nicht darauf an, hier Deklamationen zu verkünden, sondern dem Volk draußen einen Weg zu zeigen, der der Reaktion den Weg zum Sieg versperrt, einen Weg zu zeigen, der dem Volk die Mittel in die Hand gibt, mit denen es kämpfen kann, mit denen es stärker wird als in der 'Vergangenheit.
Die Regierung ist mit ihren 202 Stimmen, die sie erhalten hat, schwach. Das heißt aber noch nicht, daß die andern, die ihr entgegenstehen, automatisch stark sind. Sie sind nur stark, wenn sie gemeinsam handeln. Sie sind stark, wenn sie die große Chance erkennen, die im gemeinsamen Handeln für den Sieg des Fortschritts und des Friedens unseres Volkes liegt.
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Meine Damen und Herren! Der Vorredner hat einige Äeußerungen gebraucht, durch die sich der Abgeordnete Euler persönlich betroffen fühlt. Der Abgeordnete Euler möchte das Wort zu einer persönlichen Bemerkung haben. Nach § 84 unserer Geschäftsordnung können jedoch persönliche Bemerkungen erst am Schluß der Beratung abgegeben werden. Es ist unmöglich, für diesen Fall etwa durch einen Mehrheitsbeschluß ein anderes Verfahren zu beschließen. Dagegen ist es möglich, dem Abgeordneten Euler das Wort zu dieser persönlichen Bemerkung jetzt schon zu erteilen, wenn sämtliche Anwesenden damit einverstanden sind. Ich stelle die Frage an das Haus - der Abgeordnete Euler hat mich gebeten, diese Frage zu stellen -, ob sich ein Widerspruch dagegen erhebt, daß der Herr Abgeordnete Euler jetzt schon das Wort zu einer persönlichen Bemerkung erhält.
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- Es ist Widerspruch erhoben worden. Herr Abgeordneter Euler, ich kann Ihnen das Wort erst nach Abschluß der Beratung erteilen.
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- Es ist ohne jeden Einfluß auf den Fortgang der Verhandlungen, woher der Widerspruch kam. Ich habe daher keine Veranlassung, eine Feststellung zu treffen.
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Ich habe Ihnen nicht das Wort gegeben, und Sie können daher jetzt nicht sprechen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Götzendorff.
Meine Damen und Herren! Die Schaffung eines Bundesministeriums für Angelegenheiten der Vertriebenen hat die Flüchtlinge mit Befriedigung erfüllt. Es kommt jetzt für uns alles darauf an, in welchem Geist und mit welchem Eifer dieses Ministerium seine unerhört umfangreichen Aufgaben erfüllt. Uns ,Heimatvertriebene wird in diesem Zusammenhang ganz besonders die personelle Zusammensetzung dieses neuen Ministeriums interessieren. Wohl keine andere Bevölkerungsgruppe in Deutschland hat die Bildung einer deutschen Regierung in dem Maße herbeigesehnt, wie es die Heimatvertriebenen getan haben. Sie taten dies nicht nur aus dem Gefühl der Grenzdeutschen, die sich zu allen Epochen geschichtlichen Denkens zutiefst mit dem deutschen Vaterland verbunden fühlten, sie taten es gleichermaßen auch aus ihrer tiefen materiellen und seelischen Notlage heraus.
Es soll daher meine Aufgabe sein, die Bundesregierung und dieses Hohe Haus zu bitten, mit aller Kraft Maßnahmen zu ergreifen, die geeignet sind, der unaufhaltsamen Verelendung der Vertriebenen zu begegnen. Ebensowenig wie es eine befriedete Welt ohne Deutschland geben kann, ebensowenig kann es ein wahrhaft demokratisches und befriedetes Deutschland geben, bevor nicht alle Heimatvertriebenen die Gleichberechtigung unter Deutschen erhalten haben.
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Eine einheitliche Flüchtlingsgesetzgebung wird daher eine der vornehmsten Aufgaben dieses Hauses sein, nicht etwa eine Gesetzgebung wie die bayerische, die, nur mit kümmerlichen Ausführungsbestimmungen ausgestattet, ohne Strafbestimmungen auf dem Papier steht, eine Flüchtlingsgesetzgebung, hinter der die Autorität des Bundes steht. Man kann sich nicht auf den Standpunkt stellen, lediglich die Beschlüsse von Jalta und Potsdam müßten revidiert werden. Selbstverständlich ist dies die unabdingbare Forderung aller Flüchtlinge überhaupt und auch der Mehrheit des gesamten deutschen Volkes. Die Flüchtlingsfrage ist aber nicht nur eine internationale Frage, sie ist gleichzeitig die deutsche Frage Nummer 1. Die moralische und rechtliche Verpflichtung Deutschlands ist es, den sieben Millionen in Westdeutschland vegetierenden Heimatvertriebenen eine Möglichkeit zu geben, von der untersten Stufenleiter der sozialen Rangordnung, von der eines Parias überhaupt aufzusteigen. Diese Grenzdeutschen müssen an Leib und Seele gesund erhalten werden, gesund für den Tag der Rückkehr, wann immer er kommen möge, damit sie fähig sind, die dann vor ihnen liegenden großen Aufgaben zu meistern. Stimmen aus der ganzen Welt und unsere immer stärker werdende eigene Stimme lassen uns hoffen, daß das Komplott des Schweigens, das die Welt jetzt gegenüber den deutschen Vertriebenen ausübt, einmal gebrochen wird, berechtigen uns zu der Hoffnung, daß die Welt einsieht, daß es nicht gut ist, 197 Menschen auf einen Quadratkilometer in Westdeutschland zusammenzupferchen, während die Gebiete in Schlesien, dem Sudetenland und Pommern veröden und mit 40 Menschen auf dem gleichen Raum ausgefüllt sind. Die Austreibung war nicht nur ein tiefes Unglück, ein Verbrechen an den Vertriebenen, sie war darüber hinaus ein Verbrechen am gesamten deutschen Volk und an der gesamten zivilisierten Welt.
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und sie wird hoffentlich auch bald von der ganzen Welt als solche erkannt werden.
Nun lassen Sie mich in diesem Zusammenhang ein Wort sagen zu den Dingen, die sich gestern hier, als der Abgeordnete Reimann sprach, zugetragen haben. Ich habe mich gestern, wie so mancher unter Ihnen, geschämt, in diesem Hause zu sitzen, wo es möglich ist, daß einer aufsteht und dem andern das nehmen will, worauf er seit Jahrhunderten seiner Abstammung nach ein Anrecht hat.
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Ich glaube auch, daß der Abgeordnete Reimann seinen Wählern einen schlechten Dienst erwiesen hat. Ich kann mir nicht denken, daß die Kumpels aus dem Ruhrgebiet, die mit uns draußen im Osten Not und Entbehrung getragen haben, daß sie, indem sie ihre Stimme der KPD gaben, damit uns unserer Heimat berauben wollen.
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Ich habe es so aufgefaßt, als stünde nicht nur Reimann hier, als stünde ein Megaphon des Kreml hier, ein Megaphon, hinter dem die asiatische Fratze der roten Machthaber grinst.
Reimann hat von der Oder-Neiße-Linie als einer Friedenslinie gesprochen. Dazu möchte ich Ihnen sagen: Friede ist nicht nur, wenn die Waffen schweigen, Friede ist erst, wenn er einkehrt in die Herzen der Menschheit. Niemals aber wird es Friede in der Welt geben, wenn man den Menschen das Anrecht auf die angestammte Heimat nimmt, und niemals wird es Friede geben in der Welt, solange die Grenze Asiens an der Elbe liegt.
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Die einhellige Antwort aller Deutschen muß die Berufung auf das Heimatrecht des Menschen sein. Diese Berufung auf die Grundsätze der christlichabendländischen Kultur schafft aber keine Lösung für die nächsten Jahre. Wenn die Vertriebenen stets zu sagen pflegen, sie unterscheiden in ihrem Kampf ein Fernziel und ein Nahziel, dann meinen sie mit dem Nahziel die Eingliederung in das Wirtschafts- und Erwerbsleben der neuen Heimat, dann meinen sie einen Ausweg aus der sozialen und seelischen Not, einen Silberstreifen der Hoffnung am Horizont für sich und ihre Kinder. Unter den Erwerbslosen der deutschen Länder sind die Heimatlosen am schwersten betroffen. Das Wort des Wirtschaftsministers Dr. Erhard, er wolle die Arbeitslosen sich auspendeln lassen, hat zahllose Vertriebene mit neuer tiefer Sorge und Furcht vor dem kommenden Winter erfüllt. Die Blüte unserer Intelligenz, die in Jahrhunderten harter Arbeit dem deutschen Osten das Gepräge eines Kulturlandes gab, vegetiert in Dörfern und ausweglosen Einöden hoffnungslos dahin, ohne die Möglichkeit zu sehen, die ererbten und erarbeiteten Geistesgaben wieder einmal dem deutschen Vaterlande dienstbar zu machen. Gerade das Wirken der Deutschen im Grenzland und Ausland aber ist mit Recht als das Wirken von Pionieren für die deutsche Kultur und die christlich-abendländische Kultur bezeichnet worden. Ein Volk, das - wie das deutsche - in unerhörtes Elend gestoßen wurde, kann es sich nicht erlauben, auf die Dauer auf diese reichen Geistesgaben zu verzichten. Die Hilfe an den Heimatvertriebenen muß eine solche der Tat sein. Viele von uns sind schon im Hoffen und Vertrauen müde geworden, und viele von uns haben gemeint, das Christentum habe versagt. Wir aber wollen bekennen: nicht das Christentum in seinen hohen Werten hat versagt, sondern einige Menschen, die sich mit dem Lippenbekenntnis Christen nannten und die das Wort von der Liebe und Toleranz vergessen haben.
Die Hilfe an die Heimatvertriebenen setzt voraus, daß jeder Deutsche sich mit jenen Volksgenossen solidarisch fühlt, die ein unmenschlicher Beschluß ihrer Heimat beraubte. Die These der Kollektivschuld des deutschen Volkes ist von uns längst abgelehnt worden. Die für Deutschland entstandenen Lasten des Krieges müssen gemeinsam getragen werden, und die Austreibung ist nichts anderes als eine Folgeerscheinung dieses Krieges. Für ihn haben die Vertriebenen in einer Weise bezahlt, die an das Menschenmögliche überhaupt grenzt, mit Hab und Gut, mit Heimat und Existenz. Wenn der Herr Vorredner das Wort von der tschechoslowakischen Soldateska, das irgendwo gefallen ist, übelnimmt, dann möchte ich ihn fragen, ob er etwas vom Prager Todesmarsch gehört hat.
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Dann möchte ich ihm sagen, daß die Heimat für uns nicht nur ein leerer Begriff ist. Dann möchte ich ihn an die Worte des Herrn Bundespräsidenten erinnern, als er sprach: „Heimat ist nicht Kartoffelacker, Heimat ist das Land aller Deutschen". Wir haben früher diesen Wert vielleicht auch nicht so erkannt; heute aber wissen wir, es ist nicht nur das irdische Gut, es sind nicht nur die Kisten und Kasten, die wir daheimgelassen haben, es ist all das, was einst das Leben reich und kostbar ge({7})
macht hat. Es sind die Straßen und Plätze. Wenn wir zurückdenken an diese Dinge, an die Elendsstraßen im Sudetenland, in Ostpreußen, in Schlesien: hinter uns das Grauen, über uns der Tod, - dann ist dieser Weg, Treck an Treck, Mensch an Mensch - und mancher brach zusammen und fand ein vergessenes Grab -, dann ist dieser Weg eine Reihe schwarzer Kreuze, die niemals gesetzt worden sind. Mag mein Herr Vorredner vielleicht an diese Dinge denken, wenn er den Begriff „tschechische Soldateska" für etwas zu stark gewählt findet.
Hieraus ergibt sich, daß die Heimatvertriebenen Gläubiger der westdeutschen eingesessenen Bevölkerung sind und diese damit zu einem Teil deren Schuldner. Kein Mensch hat das Recht, aus dieser Schicksalsgemeinschaft auszubrechen. Ein ganzes Volk hat den Krieg verloren, und ich glaube, ein ganzes Volk muß ihn auch bezahlen. Die hieraus entstehenden Forderungen der Vertriebenen gegenüber der eingessenen Bevölkerung Westdeutschlands sind somit rechtlich begründet, abgesehen von der zwingenden moralischen Verpflichtung. In jenem Teil, in dem das Flüchtlingsproblem eine deutsche Frage ist, hat demnach die
eingesessene Bevölkerung Westdeutschlands vor
Gott und vor den Menschen die Verpflichtung, aus der hier vorhandenen Substanz des Volksvermögens an die Vertriebenen eine Abgabe zu machen. Diese Abgabe muß solcherart erfolgen, daß jeder Besitz einmalig oder in zeitlicher Ausdehnung zu einer Leistung herangezogen wird, 'die ausreichend ist, an den Ausgewiesenen, soweit dies mit menschlichen Mitteln überhaupt möglich ist, eine materielle Wiedergutmachung zu vollziehen. Auf dieser Grundlage wird ein Lastenausgleich aufgebaut, der einerseits diese Abgaben auf einen bestimmten Zeitraum festlegt und revidiert und andererseits die Zuwendungen aus den Gesichtspunkten der wirtschaftlichen Existenzgründung und der Lebenssicherung der Heimatvertriebenen verteilt.
Auf der gleichen Ebene der materiellen Verpflichtungen liegen die moralischen. Die Staatsführung hat die Verpflichtung, den Begriff der Volksgemeinschaft nachdrücklichst zu proklamieren und gesetzgeberisch darauf hinzuwirken, daß eine Verbreiterung der Kluft zwischen Heimatvertriebenen und Eingesessenen vermieden bleibt. Es darf keinesfalls die nur zu einem Teil verständliche Reaktion der einheimischen Bevölkerung gestärkt werden, sondern es muß dieser mit allem Nachdruck entgegengetreten werden. Es ist dies eine zwingende Verpflichtung der Bundesregierung und nicht zuletzt der politischen Parteien. Flüchtlingsfeindliche Handlungen, die von der Justiz nicht in ausreichender Weise geahndet wurden, sind an der Tagesordnung. Man macht sich auch von seiten mancher Behörden die Auffassung zu eigen, daß die Heimatvertriebenen nicht im vollen Besitz ihrer staatsbürgerlichen Rechte sind. Es hat uns mit Befremden erfüllt, daß der Herr Bundeskanzler in seiner programmatischen Rede als die wichtigste Aufgabe auf dem Flüchtlingssektor den sogenannten Flüchtlingsausgleich bezeichnet hat. Es hat uns deshalb mit Sorge erfüllt, weil in den Ländern mit großem Flüchtlingsüberhang bereits die Auffassung Platz greift, man könne diesen Flüchtlingsausgleich in eine Strafmaßnahme gegen unliebsame Kostgänger verwandeln. Wir stark diese Bestrebungen bereits geworden sind, mag eine Veröffentlichung der „Bayrischen Landeszeitung", des Mitteilungsblattes der Bayernpartei, beweisen. Dort heißt es wörtlich:
Eine unserer vordringlichsten Aufgaben wird es sein, im Bundestag einen Flüchtlingsausgleich zu beantragen, damit diejenigen Flüchtlinge, die die nihilistische und programmlose WAV gewählt haben, anderweitig eine neue Heimat erhalten,
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nachdem sie die bayrische Heimat ablehnen. Wir haben keine Lust, uns länger mit Elementen zu belasten, die für die berechtigten Interessen in ihrer neu gewonnenen Heimat kein Verständnis aufbringen, ja darüber hinaus die Selbständigkeit Bayerns vernichten wollen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, wenn man diese Mitteilung auf ihren sachlichen Gehalt hin untersucht, dann muß man hier mit einem tiefen Befremden erfüllt sein. Diese Veröffentlichung mag von manchem belächelt und als Ausdruck eines übersteigerten Lokalpatriotismus gewertet werden. Für uns stellt sich aber die Angelegenheit ernster dar. Wir sehen in ihr nicht nur eine eklatante Gefährdung der Grundrechte des deutschen Volkes, zu denen die freie Wahl gehört, sondern das Heraufziehen einer neuen Abart des
Rassenhasses, eines Stammeshasses. Ich möchte
dem Herrn Staatsrat Seelos sagen: Sie haben in einem anderen Zusammenhang kürzlich hier gesagt: die Baracken sind etwas Schönes. Wir Vertriebenen kennen diese Baracken seit vielen Jahren. Wir möchten nicht, daß sich die Spannungen zwischen uns verschärfen. Aber wenn Sie in jeder möglichen Weise an das Heimatgefühl der eigenen Landsleute appellieren, dann mögen diese auch daran erinnert werden, daß auch wir eine Heimat haben und daß es uns im Innern wehtut, wenn man in dieser Weise angesprochen wird.
Wir haben uns unser Aufnahmeland nicht gewählt, und wir würden froh sein, wenn wir es wieder vertauschen könnten. Wir haben uns zu allen Zeiten als Deutsche gefühlt, weit, weit über die engen Stammesgrenzen hinweg. Wenn Sie stolz darauf sind, daß in Bayern beispielsweise der Himmel in Ihren Landesfarben Weiß und Blau erstrahlt, dann seien Sie überzeugt: auch bei uns daheim hatte der Himmel die gleichen Farben. Wenn dann der Herr Kollege von der Deutschen Partei sagte: die Flüchtlinge sind eine Heimsuchung, und wenn dann von der Bayernpartei in anderer Variation ebenso gesprochen wurde, dann möchte ich sagen: Es schmerzt uns, wenn Sie uns als eine Heimsuchung bezeichnen. Sagen wir lieber: die Flüchtlingsfrage an sich, der verlorene Krieg und die Leiden des Krieges sind eine Heimsuchung für das deutsche Volk überhaupt. Wie wir diese Heimsuchung bestehen, danach wird uns die Geschichte beurteilen!
Nun zum Abschluß dieses Themas. Wenn vorhin wieder ein Abgeordneter der Bayernpartei, Dr. Etzel, sagte, er bitte die Bundesregierung, nicht zu vergessen, was hier gesprochen werde, und es auch zu verwirklichen, dann bitte ich Sie, Herr Dr. Etzel: Wirken Sie bei Ihren Parteifreunden dahin, daß das, was bei Ihnen gesprochen wurde, nicht verwirklicht wird!
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Auch wir Vertriebenen verkennen nicht die Notwendigkeit eines Flüchtlingsausgleichs innerhalb der Länder der Deutschen Bundesrepublik. Dieser muß jedoch unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten erfolgen und darf niemals den Charakter einer politischen Strafmaßnahme tragen. Der
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Flüchtlingsausgleich muß auf völlig freiwilliger Grundlage und ohne Zwang vor sich gehen. Eine erzwungene erneute Entwurzelung würden wir als zweite Ausweisung betrachten und ablehnen.
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Am 9. Juli 1947 stellte der Vorsitzende des Zonenbeirats. Minister Blücher, in einem Bericht über die Sitzung des Finanzausschusses beim Zonenrat fest, Umsiedler aus dem Osten hätten einen ganz klaren Rechtsspruch auf Entschädigung gegenüber dem Staat. Eine Reihe von Ratsmitgliedern wurde beauftragt, Vorschläge hierfür zu unterbreiten. Die Ratsmitglieder konnten dem erteilten Auftrag nicht nachkommen, da verschiedene Voraussetzungen hierfür, wie Erfassung des Volksvermögens, Währungsreform und Schaffung einer deutschen Zentralinstanz, noch nicht gegeben waren.
Der westdeutsche Bundesstaat ist nunmehr geschaffen, und es hat sich somit eine deutsche Volksgemeinschaft auch rein staatlich manifestiert. Die in Westdeutschland lebenden Heimatvertriebenen erwarten nun von diesem neuen Bundesstaat souveräne Maßnahmen zur Besserung ihrer Lage. Die Heimatvertriebenen schienen von vornherein dazu geschaffen, wie einerseits befürchtet und andererseits erhofft, ein umstürzlerisches Element zu bilden. Das sind sie nicht geworden. Sie haben trotz des Schocks, des Verlustes der Heimat, trotz bitterer Enttäuschung und ihrer unbeschreiblichen Notlage eine beispiellose Disziplin bewahrt und auf ihre Eingliederung gewartet. Möge man nicht den Fehler begehen, daraus etwa zu schließen, die Heimatvertriebenen seien eine geduldige und willenlose Masse, mit der man machen kann, was man will. Dies wäre eine Herausforderung des Schicksals.
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Kein Mensch, der lebt, weiß, ob er sein Leben in Frieden beschließen wird. Es könnte sein, daß sich wieder einmal Wolken zusammenballen über dem deutschen Vaterland, und es könnte sein. daß jene, deren Herzen hart geworden sind wie Stein, einmal die gleiche Straße des Elends gehen, die wir auch gegangen sind mit dem letzten Bündel unserer Habseligkeiten.
Die wirtschaftliche Lage der Flüchtlinge ist nicht zuletzt deswegen so katastrophal, weil man ihr Vorhandensein in den Ländern als ein Provisorium ansieht und einen Flüchtlingsausgleich als Allheilmittel empfindet. Die Bundesregierung ist zweifelsohne in der Lage, durch Vereinheitlichung der Gesetzgebung hier Besserung eintreten zu lassen: die Vereinheitlichung der Pensionen und Renten, die Ansiedlung der vertriebenen Bauern, die Durchführung der Bodenreform. Ich warne hier vor dem, was der Herr Vorredner empfahl, nämlich auf die freiwillige Bodenreform zu warten. Solche Appelle haben bei dem Leid der Nachkriegszeit keinen Erfolg. Die Gleichstellung der vertriebenen Beamten mit der einheimischen Bevölkerung, die Schaffung von Wohnungen, die kostenlose Ausbildung unserer Flüchtlingskinder, soweit ihre Fähigkeiten es rechtfertigen, die Sorge für unsere Alten und Schwachen sind vordringlichste Aufgaben nicht nur für uns Heimatvertriebene, sondern für das ganze deutsche Volk.
Die Bundesregierung möchte ich ersuchen, jetzt bei der Abwertung der Mark ganz besonders auf die sozial Schwachen zu achten, auf die Vertriebenen und Rentenempfänger.
Ich glaube doch, es ist nicht abwegig, sich hier auch mit der Planung auf dem Wirtschaftssektor zu beschäftigen. Mag die Planung im Mittelpunkt des Streites stehen, mag man hier geteilter Ansicht sein, ich glaube doch: für den armen Teufel draußen ist es ein Glück, daß eine Planung besteht, und selbst die Zwangswirtschaft bei den Lebensmitteln, die benötigt werden, um ein kümmerliches Leben von den Fürsorgeunterstützungen zu fristen, ist für diese Menschen ein Segen.
Der Herr Bundeskanzler hat erklärt, daß der Bund Geld für den Wohnungsbau zur Verfügung stellen wolle und daß er darauf dringen werde, daß von allen Ländern alle Möglichkeiten ausgeschöpft würden. Damit würde dann endlich auch der Schande des 20. Jahrhunderts, dem FlüchtlingsLagerleben, ein Ende bereitet werden. Wenn dieser menschenunwürdige Zustand, bei dem Dutzende von Menschen in gemeinsamen Räumen zusammengepfercht leben, nicht sein Ende findet, dürfte der Zündstoff, der sich hier auf der sozialen Ebene ansammelt, doch einmal zur Entladung kommen!
Ich warne auch die Bundesregierung, die angekündigte Lockerung der Wohnraumbewirtschaftung vorzeitig durchzuführen. Solange das Wohnungselend der Heimatlosen in den Flüchtlingslagern anhält, hat kein anderer Staatsbürger das Recht, nur an sein eigenes Ich zu denken.
Die Heimatvertriebenen erwarten neben den Maßnahmen zu ihrer Lebenssicherung von ihren deutschen Brüdern und Schwestern auch, daß diese sie mit allen Kräften des Herzens und des Verstandes unterstützen in ihrer Forderung nach Rückgabe ihres kostbarsten Gutes, der Heimat. Die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zu den Abkommen von Jalta und Potsdam war uns daher aus der Seele gesprochen. Es wäre müßig, die Heimatvertriebenen oder die Deutschen zur Demokratie erziehen zu wollen, wenn diese Demokratie den Bruch der primitivsten Menschenrechte zuläßt. Jedes Volk, die Engländer, die Amerikaner sind stolz darauf, ihre Nation zu lieben. Wohl denn: auch wir Deutsche beanspruchen, unser Vaterland zu lieben, und zwar jeden Teil von ihm. Die Gerechtigkeit kann nicht nur für die Zwecke einer Nation bestimmt werden. Die Gerechtigkeit ist unteilbar, ebenso wie das Leid gemeinsam sein sollte für alle Völker. Man kann nicht die Achseln zucken und wegsehen, nur weil es sich um deutsches Leid handelt.
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Wir haben mit Scham bekannt, daß es möglich war, in dem Konzentrationslager von Auschwitz Tausende von Menschen zum Tode zu bringen. Ich weiß aber nicht, ob es humaner ist, wenn die Politik der Siegermächte mit einem Federstrich sich über göttliches und irdisches Recht hinwegsetzte, Menschen aus ihrer angestammten Heimat austrieb, um sie unterwegs ermorden und vergewaltigen oder im überfüllten Westdeutschland langsam, aber sicher umkommen zu lassen. Und man möchte, wenn jene Menschen, auch jene über dem großen Teich, uns sagen, wir sollten verzichten und uns mit den Dingen abfinden, diesen sagen: Wir Ostdeutsche haben schon lange auf unserer angestammten Erde gesessen, schon längst, bevor Kolumbus den amerikanischen Kontinent überhaupt entdeckt hatte!
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Auch Herr Bevin, der kürzlich sagte, er könne es nicht vergessen, daß seine Heimatstadt von
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deutschen Bomben getroffen worden sei, möge sich die Worte Churchills zu Herzen nehmen, der sagte; über den Schlachtfeldern wachse schnell wieder Gras, aber Vergewaltigung der Völker säe den Haß für ewig!
Wir sagen es daher im Angesicht der Welt: Jalta und Potsdam waren Verbrechen an der Menschheit! Wir werden einen Antrag einbringen, den Tag von Potsdam zum nationalen Trauertag des deutschen Volkes zu erklären.
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Wir fordern von der Welt, daß sie sich der Austreibung schäme, wie wir uns der Taten jener geschämt haben, die Böses getan haben im Namen des deutschen Volkes. Wir fordern aber auch die Welt auf gutzumachen, soweit diese unerhörten Gewalttaten und Grausamkeiten, die im Zeichen angeblicher Humanität begangen wurden, wiedergutzumachen sind.
Wir haben mit Genugtuung davon Kenntnis genommen, daß sich niemals deutsche verantwortliche Politiker, niemals eine deutsche Regierung bereitfinden werden, die Heimat deutscher Menschen zu verraten. Dies gilt für die Heimat aller Deutschen, für unsere Brüder und Schwestern im Sudetenland, in Schlesien, in Jugoslawien, in Ungarn, in Rumänien, in Ostpreußen und in Pommern, für alle Schicksalsgefährten diesseits und jenseits der deutschen Grenzen. Die Welt möge dies wissen, damit sie diesen Brandherd löscht, der sich im Herzen Europas aufgetan hat.
Aus der Schuld der Potsdamer Mächte erwachsen diesen gegenüber den Vertriebenen zwei grundlegende Verpflichtungen: erstens auf der politischen Ebene die Wiederherstellung eines Zustandes in Europa, in welchem den Vertriebenen die Rückkehr in ihre angestammte Heimat möglich ist und auf dem Boden dieser angestammten Heimat eine materielle Wiedergutmachung erfolgen kann, und zweitens, bis zu dem Zeitpunkt der Rückkehr in die Heimat den Heimatvertriebenen während ihres Aufenthaltes in Westdeutschland menschenwürdige Lebensbedingungen zu sichern. Die Erfüllung der ersten Verpflichtung der Potsdamer Mächte kann nur auf solche Art erfolgen, daß vermieden wird, den Heimatvertriebenen bei der rückläufigen Bewegung erneut Opfer an Blut und Leben aufzuerlegen. Die zweite Verpflichtung ist rein materieller Art. Die Bundesregierung wolle sich bemühen, aus den ERP-Mitteln möglichst große Beträge der Flüchtlingshilfe zuzuführen.
Mit besonderer Betonung aber sei festgestellt, daß das Flüchtlingsproblem nicht durch Auswanderung gelöst werden kann. Im Oktober 1948 erschien in englischen und deutschen Blättern eine von der Verwaltung der ERP-Hilfe stammende Notiz, die der gerade zu diesem Zeitpunkt tagenden Empire-Konferenz empfahl, sich mit dem europäischen und mit dem deutschen Flüchtlingsproblem zu befassen. Es wurde angeregt, die Dominions neu zu bevölkern. Es sollte die Gelegenheit benutzt werden, deren Bevölkerungszahl durch eine großzügige Einwanderungspolitik zu erhöhen. Was die dieser Konferenz empfohlene Verpflanzung der sogenannten Flüchtlinge in die unterbevölkerten britischen Dominions anlangt, so muß zur Kenntnis gebracht werden, daß die Flüchtlinge ausnahmslos einzig und allein dorthin gravitieren, wohin sie gehören, in ihre angestammte Heimat. Einer individuellen Auswanderung kann nicht entgegengetreten werden. Die Lösung des Flüchtlingsproblems jedoch in einer neuerlichen Verpflanzung zu sehen, muß entschieden abgelehnt werden. Es ist absurd, die Ostdeutschen nach Australien oder nach Afrika zu schleppen, während die Gebiete ihrer angestammten Heimat brachliegen. Die Heimatvertriebenen werden so lange in Westdeutschland bleiben, bis ihnen die Rückkehr in die Heimat möglich ist. Sowohl die Potsdamer Mächte als auch die Regierung der Deutschen Bundesrepublik haben die Verpflichtung, während dieser Wartezeit alles zu tun, um ihnen den Aufenthalt in Westdeutschland erträglich zu gestalten.
Zum Schluß sei nochmals festgestellt: Es gibt für die Heimatvertriebenen nur zwei unabdingbare Forderungen: erstens die Wiedergewinnung ihrer alten Heimat und zweitens eine Eingliederung in das wirtschaftliche und soziale Leben Westdeutschlands während der Zeit des Wartens auf diese Rückkehr.
In diesen Zielsetzungen bitte ich, bitten die Heimatvertriebenen Sie, meine Damen und Herren, aus ganzem Herzen uns zu unterstützen. Möge Hand in Hand mit der Besserung des Schicksals der Vertriebenen der Aufstieg unseres gesamten deutschen Vaterlandes gehen, dem wir in Not und Glück treu bleiben werden!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ribbeheger.
Meine Damen und Herren! Der Herr Bundeskanzler bringt in seiner Regierungserklärung zum Ausdruck, daß die Regierung die Absicht habe, der Jugend hinsichtlich ihrer Erziehung und Ausbildung zu Hilfe zu kommen und versuchen zu wollen, die Pflicht der jungen Generation gegenüber anders zu betrachten, als das bisher der Fall gewesen ist, weil die Jugend die Zukunft Deutschlands sei. Es will indessen scheinen, daß in Anbetracht dieser Bedeutung der Jugend als Lebensquell und staatserhaltender Faktor unseres Volkes und dieser neuen Bundesrepublik konkreter hätte angedeutet werden müssen, worin die Regierung praktisch diese Aufgabe verwirklicht sieht. Wenn es das Anliegen dieser Regierung ist, nicht nur eine formale, sondern eine soziale Demokratie, also Freiheit und Gerechtigkeit, zur Lebensform und zum Lebensinhalt unseres Volkes zu gestalten, wird sie vor allem Wert darauf legen müssen, die Jugend nicht als Objekt ihrer Politik zu betrachten, vielmehr den jungen Menschen als verantwortlichen und sozial verpflichteten Mitträger in die politische Mitarbeit und Mitverantwortung hineinzubringen. Diese junge Demokratie braucht Blut und vor allem junges Blut, damit sie eine lebensfähige Demokratie wird und bleibt.
Der Verlauf der Debatten seit Konstituierung des Bundestags in diesem Hohen Hause ist nach meinem Empfinden wenig dazu angetan, Anziehungskraft auf junge Menschen auszustrahlen und für die Demokratie die beste Visitenkarte abzugeben. Vergessen Sie, meine Damen und Herren, nicht, daß diese jungen deutschen Menschen die elementare Wucht und das katastrophale Verhängnis eines totalen Krieges bis zum bitteren Ende durchlebt und durchlitten haben und daß sie - Millionen Gefallener beweisen es - die Härte und Schwere der Folgen eines solchen Krieges am eigenen Leibe verspürt haben, Menschen, die durch dieses Erleben und Leiden an den wirklichen Daseinsgrund, an die Realität des Lebens näher her({0})
angekommen sind, als es ihnen ein Jahrzehnt Lebenserfahrung geben könnte. Die junge Generation weiß und begreift durchaus, daß sie noch unterwegs ist. Indessen möchte ich aber aussprechen, daß das hier gegebene Beispiel keine Aussicht hat, als Vorbild eines demokratischen Staates zu gelten.
In der Regierungserklärung des Herrn Bundeskanzlers ist unklar geblieben, wie sich der Herr Kanzler die Hilfe für die Jugendlichen hinsichtlich der Erziehung wohl denken könnte, wenn er sagt, daß die Erziehung durch die Familie und die Schule während der Kriegszeit gefehlt hat, und wenn die CDU durch den Herrn Abgeordneten Dr. von Brentano erklärt hat, diese kulturellen Fragen seien doch Aufgaben der Länder. Mit Rücksicht auf die eminente Bedeutung der Jugend für unser Volk und für unsere junge Bundesrepublik möchte ich vorschlagen, im Ministerium des Innern ein besonderes Referat für die Jugendfürsorge und für die Jugendpflege einzurichten. Denn eine vordringliche Aufgabe der Jugendfürsorge sehe ich darin, ein neues Jugendschutzgesetz zu schaffen. Vor allem steht vor uns das Problem der gefährdeten, der heimatlosen, der verwahrlosten und vagabundierenden Jugend. Es bedarf dringend ,der Lösung. Gefährdet ist und wird unsere Jugend durch die Zerreißung der Familien, durch das Zusammendrängen auf engstem Raum, durch die Wohnungsnot, durch die mangelnde Versorgung mit den alltäglichen Bedarfsgütern, durch den Mangel an ausreichenden Arbeits- und Ausbildungsmöglichkeiten. Es wird in diesem Zusammenhang notwendig sein, auch für die freie Berufswahl entsprechend Veranlagung und Fähigkeiten des jungen Menschen mit aller Deutlichkeit einzutreten und sie zu fordern.
Weiterhin sehe ich eine Gefährdung des jungen Menschen darin, daß dem jungen Menschen der klare Einblick in die wirkliche Lage unseres Volkes nicht deutlich genug wird und er angesichts der Verarmung unseres Volkes durch den verlorenen Krieg wenig Sinn dafür finden kann, daß die Lebenshaltung nicht entsprechend ist. Das Problem der heimatlosen Jugend im engeren Sinne besteht darin, den heimatlos gewordenen jungen Menschen eine neue Heimat zu geben, sei es den Millionen Vertriebener, deren Not unvorstellbar ist, oder denen, die durch Bombenschaden in Großstädten und Gemeinden alles verloren haben und kein Zuhause mehr finden können. In diesem Zusammenhang erhoffen wir vom Bundesministerium insbesondere für den Wohnungsbau tatkräftige, baldige und wirksame Hilfe ebenso für die Heimstattbewegung, die es sich zur Aufgabe gesetzt hat, der heimatlos gewordenen Jugend neue Heime und neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Im weiteren Sinne meine ich aber auch damit die politische Heimatlosigkeit unserer Jugend, die enttäuscht, verbittert, indifferent oder alles verneinend abseits steht. Es ist eines der ernstesten Anliegen, besonders die Kriegsgeneration in die politische Verantwortung zu bringen, wenn sie nicht zu einem gefährlichen Explosivstoff der neuen Demokratie werden soll. Die Arbeitslosigkeit sollte vor allem Anlaß geben, nach neuen Wegen und Möglichkeiten zu suchen, um junge Menschen in Arbeit zu bringen. So könnte zum Beispiel das Pensionsalter eines Arbeiters herabgesetzt werden, um damit jüngeren Menschen einen Arbeitsplatz zu geben. Durch den Fortfall der Arbeitslosenunterstüzung könnte dann die relativ geringe Rente des Arbeiters höher gesetzt
werden. Vor allem aber möchte ich den Gedanken der Jugendpflege im Referat der Jugendfürsorge und Jugendpflege im Ministerium des Innern vordergründig verwirklicht wissen. Denn vorbeugen ist hier besser, als heilen zu müssen.
Besonders erfreulich ist in der Regierungserklärung zu lesen, daß die Sozialversicherung den Schwerkriegsbeschädigten, den Witwen wie allen Hilfsbedürftigen zugute kommen soll, um sie nicht zu bloßen Wohlfahrtsempfängern abzustempeln. Die Regierung wird auch in ihren Bemühungen, die Kriegsgefangenenfrage zu lösen, volle Unterstützung erhalten.
Die Aufgabe des geforderten Referats wird auch darin bestehen müssen, die Isolierung der deutschen Jugend durch die unmittelbare Begegnung mit der Jugend anderer Völker überwinden zu helfen und Deutschland und Europa neu zu gestalten; denn die Jugend soll ihr Deutschtum nicht in der nationalen Isolierung begreifen, sondern in einem weltoffenen und weltempfangenden Deutschtum. Gerade der junge deutsche Mensch müßte doch aus dem gemeinsamen Erleben des furchtbaren Krieges, der ganz Europa und die Welt getroffen hat, sehr viel mit dazu beitragen, die Atmosphäre einer Verständigung und Versöhnung der Völker schaffen zu helfen. Der junge deutsche Mensch wird dann auch zu einer echten Liebe zu Deutschland kommen, wenn er seine vaterländische Aufgabe mit darin sieht - nicht, wie ich es im letzten Wahlkampf, besonders im Norden Deutschlands, erlebt habe, Preußenmärsche und nationalistische Wahlpropaganda als Ausdruck des Deutschtums zu empfinden -, seinem Volke zu dienen und zu helfen und im Sinne des Ausgleichs und der Verständigung durch staatsbildende und staatserhaltende und dem Aufbau dienende Elemente die Heimat Deutschland und Europa neu zu gestalten in Frieden und Wohlfahrt.
Findet die Jugend diesen Weg in die politische Verantwortung, wird sie Mitträger der Demokratie, ringt sie mit um jene Erkenntnis und um diese politischen Ziele, die Deutschland gestalten und erneuern müssen, dann ist unser Bundesstaat auf gutem Grund gebaut. In diesem Sinne gilt mein Anliegen an die Regierung, insbesondere zur Jugend das wärmste Vertrauen zu haben und der Jugend in ihrer Bedeutung und ihrem Wollen zu helfen, sie zu fördern und zu stützen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Leuchtgens.
Meine Damen und Herren! Wir stehen mitten in einem großen Ringen, mitten in dem Ringen um die Wiederherstellung Deutschlands, des deutschen Namens und der deutschen Ehre, der deutschen Gestaltung. Wir stehen aber auch mitten in einem gewaltigen welthistorischen Ringen, dem Ringen zwischen dem Individuum und der Staatsmacht. In keiner Zeit sind diese beiden Gegensätze, die immer im Widerstreit des soziologischen Geschehens gestanden haben, so stark aufeinander geplatzt wie in den letzten Jahrzehnten. Wir müssen den Ausgleich dieser Gegensätze, dieses Widerstreites, dieser Polarität, wie man es genannt hat, finden. Wir von der Rechten stehen auf dem Standpunkt des Individuums, und die Linke steht im wesentlichen auf dem Standpunkt der Staatsmacht. Beide Gegensätze können sich so vertiefen und erweitern, daß sie auf der einen Seite zur ungebundenen
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Lebensführung des Individuums führen, und auf der anderen Seite kann sich das Ringen um die Staatsmacht zum Allgewaltstaat steigern, wie wir das in Rußland heute klassisch sehen.
Diese Gegensätze müssen zunächst soziologisch erfaßt werden. Es will mir scheinen, als ob der Gegensatz zwischen links und rechts heute der Gegensatz zwischen der Vertretung der Staatsmacht, des Allgewaltstaates, und des freien Individuums sei. Das freie Individuum, das wir von der rechten Seite vertreten, hat seine Freiheit nur darin, daß es sittlich handelt, das heißt. daß es nicht die Freiheit wovon, sondern die Freiheit wozu erfüllt. Die Freiheit ist ein terminus ad quem und nicht ein terminus a quo. Das heißt: die Freiheit kann nicht in Willkür ausarten, sondern muß durch das Sittengesetz geboten sein. Nur der sittliche Mensch, der die Gebote der Sittlichkeit in seine Brust aufgenommen hat, ist ein freier Mensch. Um diese Freiheit wird gerungen. Wir von rechts stehen auf dem Standpunkt, daß es vor allem gilt, die sittliche Verantwortung des einzelnen Menschen in seiner ganzen Bedeutung wiederherzustellen. Diese sittliche Verantwortung des einzelnen kann aber nicht der einzelne von sich aus erringen, sondern er kann sie nur dadurch erringen, daß er sich in Verbindung mit der höchsten Macht, mit Gott, setzt. Gott hat in irgendeiner Form die Sittlichkeit offenbart und trägt sie. Die Zehn Gebote Gottes sind noch immer die Grundlage der Sittlichkeit, und die Freiheit des Individuums muß von diesen religiös eingestellten Mächten und von dem Glauben an die Verbindung zwischen Sittlichkeit und Religiosität getragen sein. So offenbart sich uns die wahre Freiheit. Wenn wir heute die Freiheit des Individuums fordern, so können wir sie nur auf der Grundlage dieser sittlich-religiös gebundenen Freiheit fordern.
Hegel hat einmal den Staat die Objektivation der Sittlichkeit genannt, eine der tiefsten Auffassungen, die der Staat jemals gefunden hat. Diese Objektivation der Sittlichkeit kann aber nur dann gefunden werden, wenn der Staat seine Macht nicht übersteigert. So stehen wir heute in dem gewaltigen Kampf um die wahre Freiheit des Menschen auf der einen Seite und um die Staatsallgewalt auf der andern Seite.
Ich bekenne mich zu der Staatsauffassung eines Wilhelm von Humboldt, die er vor nahezu 150 Jahren in dem Schriftchen „Über die Grenzen der Staatsgewalt" niedergelegt hat. Die große Gefahr, die uns heute gerade von der linken Seite droht, ist die, daß der Allgewaltstaat in irgendeiner Form über den einzelnen Herr wird. Wenn die Staatsmacht so wie in Rußland etwa in der Verwirklichung des Marxismus gesteigert wird, dann ist eine ungeheure Gefahr für das Individuum, für den freien sittlichen Menschen gegeben; denn der Staat unterdrückt dann die Entwicklung des freien Menschen und untergräbt damit das Fundament seines Bestandes überhaupt.
Um diese Dinge wird aber nicht nur theoretisch gerungen und nicht nur zwischen Staatsallgewalt, zwischen dem totalitarian state und dem freien demokratischen Staat, sondern in dem gewaltigen Ringen, in dem wir mitten drinstehen und über das wir uns die beiden Tage hier von hüben und drüben unterhalten haben, drängt sich immer wieder der totalitäre Staatsgedanke, die Staatsallgewalt hervor. Ob es jemals gelingen wird, wie es etwa die Labour Party tut und wie es auch die Sozialdemokratie bei uns im Sinne hat, eine Synthese zwischen der Staatsallgewalt und dem freien
Menschen zu finden, das bezweifle ich sehr. Es ist nicht möglich, wenn man dem Staat die große Macht gibt, den Menschen auf der anderen Seite frei zu halten.
Deshalb möchte ich, um nach diesen etwas weit ausholenden soziologischen, ethischen oder philosophischen Gedanken wieder zur Praxis zurückkehren, mit der wir uns heute zu beschäftigen haben, fragen: Wie können wir der Entwicklung zum Allgewaltstaat, die stets da ist, entgegentreten? Denn dieser Widerstreit zwischen Individuum und Staatsallgewalt ist ein Ringen, das under irgendwie politisch getan wird, kommt etwas aufhörlich hin und her geht, und in jedem Schritt, von dieser Richtung oder von der andern Richtung zur Geltung. So ist auch die Regierungserklärung unter diesem Gesichtspunkt zu sehen.
Wir stehen natürlich auf dem Standpunkt, daß wir die Staatsaufgaben vermindern müssen, soweit es geht, damit dieser Allgewaltstaat uns nicht mit der Vernichtung der persönlichen, sittlichen und selbstverantwortlichen Freiheit bedroht. Die Staatsaufgaben zu vermindern, das ist das große Problem. Deshalb stimme ich denen nicht zu, die von der Regierung immer wieder neue Gesetze verlangen. langen. Je mehr Gesetze die Regierung gibt, um so mehr gerät sie in Versuchung, die persönliche und sittliche Freiheit zu gefährden. Sie soll wenige Gesetze geben, aber diese wenigen Gesetze auch mit allem Nachdruck durchführen. Nur so kommen wir dazu, die Staatsaufgaben in der Praxis des Lebens zu vermindern.
Wenn wir nun etwas näher zusehen, so müssen wir vor allem immer hervorheben, daß der Staat von allen Aufgaben, die nicht unbedingt zum Wesen des Staates gehören - eben zu jener Objektivation der Sittlichkeit -, soweit wie möglich entlastet werden muß. Ich bin der Meinung, daß der Staat nur zwei große Aufgaben hat, nämlich die Aufgaben, Ordnung, Ruhe und Sicherheit in der Staatsgemeinschaft zu gewähren. Eine weitere Aufgabe hat der Staat überhaupt nicht.
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- Die Schule, die Kultursache kann ja anderen Stellen überlassen bleiben.
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- Die Schule auch! Man kann die Schule ja auch kleineren Selbstverwaltungskörpern übereignen; ich werde nachher darauf noch einmal zu sprechen kommen.
(Abg. Dr. Schmid: Um Gottes willen! - Heiter'
- Meine Damen und Herren, täuschen Sie ich nicht darüber, daß gerade in der Bemerkung in dem Ausdruck des Herrn Schmid auch etwas von Sozialismus, Kultursozialismus widerklingt. Vergessen Sie nicht, daß der Kultursozialismus auch ein Stück Sozialismus ist und daß er nur dann verhindert werden kann, wenn andere Kräfte außer der Staatsmacht sich dieser kulturellen Angelegenheit annehmen. Vielleicht begreift man das näher, wenn man den Gedanken einmal durchdenkt.
Das Prinzipielle bleibt also, die Staatsmacht soviel wie möglich von ihren Aufgaben zu entlasten. Diese Aufgabenentlastung kann auf verschiedenen Wegen geschehen, in erster Linie dadurch, daß man die Selbstverwaltung wieder einschaltet. Die Selbstverwaltung der Gemeinden, der Kreise, der Berufsstände und anderer Stellen ist ja doch auch ein Stück Staatswirklichkeit. Der Staat ist doch nicht allein da, sondern die Familie und die ver({3})
schiedenen Organisationen, die sich auf ihr aufbauen, die Nachbarschaftsgemeinde, alle diese sozialen Beziehungen der Menschen untereinander sind doch auch da, und sie müssen doch nicht alle in den Staat ausmünden. Es ist beinahe eine Blindheit, mit der Menschen von heute geschlagen sind, daß wir immer nur den Staat sehen und die anderen sozialen und gesellschaftlichen Gewalten überhaupt nicht beachten. Es dreht sich darum, die anderen gesellschaftlichen Beziehungen, zum Beispiel die Kirche, die Familie und die Gemeinde, auch in das Getriebe des öffentlichen Lebens einzuschalten. Aus diesem Grunde müssen wir sehen, daß der Staat nicht zuviel Gewalt in seine Hand bekommt.
Zunächst dreht es sich weiter darum, daß der Staat natürlich die Pflichten, die er hat, unbedingt erfüllen muß. Diese Pflichten liegen zum Teil auf materiellem, aber auch auf ideellem Gebiet. Der Staat in seiner abstrakten Form ist für den Krieg verantwortlich. Deshalb muß der Staat auch all die Fürsorgemaßnahmen ergreifen. die der Krieg erforderlich gemacht hat, die Fürsorge für die Kriegshinterbliebenen, für die Kriegsversehrten, für die Bombengeschädigten, für die Gefangenen, kurzum: alles das, was der Staat an Leid, Trübsal und Armut verursacht hat, muß er in erster Linie auch wiedergutmachen.
Dazu gehört weiterhin die Fürsorge für die Beamten, die man infolge der Entnazifizierung vielfach aus ihren Ämtern herausgeschleudert und auf ganz geringe Bezüge gesetzt hat. Man muß sie entweder wiedereinstellen oder voll pensionieren. Beides ist nicht geschehen, Infolge der Entnazifizierung ist ein ungeheurer Jammer in die Menschheit hineingebracht worden. Die Regierung hat die Pflicht, hier einzugreifen.
Die Regierung hat ebenso die Pflicht, für die alten Wehrmachtangehörigen einzutreten. Auch hier ist unendlich viel Not und Elend vorhanden. Viel Selbstmord, viel Leid ist hier verursacht worden. Der Staat muß hier seine Pflicht tun. Wenn der Staat Schuldner ist, muß er sich auch gegenüber seinen Gläubigern seiner Verpflichtungen entledigen. Der Staat kann sich nicht hinter seiner Armut verschanzen, wenn er seinen Verpflichtungen nicht nachkommt. Der Staat ist als Schuldner verpflichtet, seine Schulden vollständig zu zahlen. Dazu gehören die wohlerworbenen Rechte der Beamten und der Wehrmachtangestellten sowie die wohlerworbenen Rechte der Kriegsteilnehmer, der Kriegsversehrten, der Kriegsbeschädigten, der Bombengeschädigten, kurzum all der Leute, die durch den Krieg zu Schaden gekommen sind.
Auf der andern Seite aber soll der Staat sich möglichst aus der Wirtschaft fernhalten. Der Staat hat mit der Wirtschaft überhaupt nichts zu tun.
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Der Staat soll Ruhe und Ordnung schaffen. Er soll
die Wirtschaft nur insoweit beeinflussen, als er
Gesetze gibt. Er soll keine Subventionen geben.
Eine wirklich gute Wirtschaftspolitik rechnet überhaupt nicht mit Subventionen. Sie überläßt es der Wirtschaft, für sich selber zu sorgen. Ich gehöre zu den Leuten, die die unbedingte Selbständigkeit des wirtschaftenden Menschen fordern. Der Einzelmensch ist Wirtschaftler. Bei den Zusammenschlüssen, den Vereinigungen usw., die der Einzelmensch schafft, liegt die Wirtschaft. Der Staat soll die Finger von der Wirtschaft lassen, schon aus dem einfachen Grund, weil er gar keine Möglichkeit hat, die Wirtschaft im wahren Sinne
des Wortes wirtschaftlich zu beeinflussen. Er muß sie ja immer wieder durch Beamte und Angestellte beeinflussen lassen. Und wir sind uns doch darüber im klaren, daß ein Beamter, der sein eigenes Vermögen und seine ganze Existenz nicht einzusetzen braucht, sondern gegen Gehalt und Lohn arbeitet, die Wirtschaft nicht lenken und leiten kann. Es ist also mit allem Nachdruck darauf aufmerksam zu machen, daß der Staat die Finger von der Wirtschaft lassen soll. Die gelenkte und geleitete Wirtschaft ist doch nur ein Ausfluß der Staatsallgewalt. Die gelenkte und geleitete Wirtschaft mag während des Krieges und in den Notlagen durchaus berechtigt sein. Sie ist aber nicht berechtigt, wenn wir wieder in die Bahnen der Friedenswirtschaft eindringen. Denn dort wird jede gelenkte und geleitete Wirtschaft - ich bitte, das nun einmal ganz genau zu nehmen - der Totengräber der selbständigen Unternehmungen sein. Mit der gelenkten und geleiteten Wirtschaft gräbt sich der Staat selber das Grab, indem er den Wagemut, die Unternehmungslust und den Wettbewerb in jeder Weise hemmt und lähmt.
Meine Damen und Herren, dazu gehört ein Weiteres. Wir müssen auch auf anderen Gebieten dafür sorgen, daß die Staatsgewalt irgendwie zurückgedrängt wird. Ich denke zunächst daran, daß auf dem Gebiet der Sozialpolitik ein ganz anderer Weg eingeschlagen werden muß. Die Sozialpolitik wird heute als eine Aufgabe des Staates angesehen. Das halte ich grundsätzlich für verkehrt.
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- Warten Sie nur erst einmal ab, ehe Sie lachen! Warten Sie einmal ab, was ich für Gedanken entwickle! Dieses Entgegenkommen kann ich doch von jedem Hörer billigerweise erwarten. wenn Sie nachher auch nicht damit übereinstimmen. Das ist Ihre Sache. Wir leben im demokratischen Staat, wo jeder seine eigene Ansicht haben kann, und wir sitzen hier im Bundestag, wo sich jeder aussprechen soll. Wir wollen uns nicht belehren. Ich weiß, daß Sie sich von mir nicht belehren lassen wollen. Vielleicht lasse ich mich von Ihnen auch nicht belehren. Aber im übrigen besteht das Wesen jeder Diskussion doch darin, daß man die Gründe des anderen anhört. Wir wissen alle, daß durch die dialektische Methode, durch die Diskutiermethode bei aufmerksamen und ehrlichen Menschen hintennach immer noch etwas herauskommt. Vielleicht sind die Herren, nachdem sie vom Rathaus gekommen sind, doch ein bißchen klüger als vorher. Es gibt natürlich Menschen, denen auch da nicht zu helfen ist. Die glauben an sich wie an den Herrgott und halten sich für unfehlbar. Mit diesen Leuten braucht man nicht zu diskutieren. Ich gehöre jedenfalls nicht zu diesen Menschen. Ich stehe schon jahrzehntelang im öffentlichen Leben, abgesehen von der Zeit, als Hitler das Zepter schwang. Dabei habe ich doch das eine gelernt, daß man in der Diskussion mit anderen über viele Dinge ins klare kommt, in denen man vorher nicht im klaren war.
Gestatten Sie mir nun einmal, daß ich die Sozialpolitik mit einem für Sie kühnen Gedanken auf einen anderen Boden stellen will. Die Sozialpolitik sollte nach meiner Auffassung auch auf den Berufsständen aufgebaut werden. Wir haben sieben Berufsstände - gestatten Sie mir als Soziologen auch diese ganz genaue Beschreibung -: den Arbeiter, den Bauern, den Handwerker, den Händler, den Industriellen, den Künstler und Wissenschaftler und den Angestellten und Beamten.
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- Es ist Ihnen vorbehalten, die Einordnung vorzunehmen. Wenn Sie ein kluger Politiker sind, dann gehören Sie zu den Künstlern und Wissenschaftlern,
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und wenn Sie das nicht sind, überlasse ich es Ihnen, wohin Sie gehören.
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Es ist vor allem festzuhalten, daß diese sieben Berufsstände in ihrer Geschlossenheit - und sie schließen sich zusammen - auch etwas bedeuten. Und nun schlage ich vor, daß wir diese Berufsstände zu Kammern zusammenordnen: Arbeiterkammern, Bauernkammern, Handwerkerkammern usw., und zwar zunächst über die Landesebene hin und dann auch über die Bundes- und Reichsebene hin, und daß diese Kammern die Grundlage der ganzen Sozialpolitik sind.
Ich möchte diesen Kammern ein paar große Aufgaben zuweisen. Die erste Aufgabe ist diejenige, daß sie für die Ausbildung und Weiterbildung sowie die Vorbildung ihrer Berufsangehörigen sorgen. Niemand kann besser diese Arbeit erledigen als die Berufsstände selbst. Das zweite, was ihnen zugewiesen werden sollte, ist, daß sie Träger der gesamten Sozialpolitik werden, des gesamten Versicherungswesens, der Unfallversicherung, der Krankenversicherung, der Altersversicherung. Was sie für Versicherungen nun schaffen wollen, das mögen die Berufsstände unter sich machen. Sie müssen natürlich zusammenarbeiten. Und dann gibt es auch keinen Streit mehr zwischen den Gewerkschaften und anderen Stellen; denn die Gewerkschaften sind dann ja die berufsständischen Vertreter entweder der Arbeiter oder der Angestellten und Beamten oder der Bauern usw. Jeder dieser sieben Berufsstände hat dann seine Gewerkschaft, und wenn diese Gewerkschaften zusammenarbeiten, kommt schon etwas Gutes heraus.
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- Dann werden sie gesetzlich gezwungen, das zu tun.
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Nun müssen Sie natürlich an irgendeiner Stelle, wenn Sie etwas schaffen wollen, etwas anordnen. Wir vom Bundestag haben ja die Staatsmacht in Minden; wir personifizieren ja die Macht.
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- Nein, der macht keine Sozialpolitik; der gibt nur die vernünftigen Gesetze und bekämpft die Verbrecher, die sich nicht danach richten. Ja, meine Herren, wenn Sie sich einmal mit diesen Gedanken beschäftigen, dann wird doch nicht bloß ein Lachen, sondern etwas mehr übrigbleiben. Ich kann Ihnen nur eines sagen: dieser Gedanke - das geht gerade die Herren von der CDU und CSU an - ist grundsätzlich seinerzeit von Papst Leo ΧIII. in seinen beiden großen Enzykliken „Quadragesimo anno" und „Novarum rerum"
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ausdrücklich behandelt worden. Glauben Sie nicht, daß ich diese Gedanken dort geholt habe; aber ich möchte ausdrücklich sagen, daß sie dort auch wurzeln.
Ich darf dann weiter darauf aufmerksam machen, daß es auch noch andere Dinge gibt, - -({14})
- Herr Präsident, würden Sie mir gestatten, meine Gedanken noch zu Ende zu führen, weil ich jetzt mehr in die Praxis hineinkomme.
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Ich muß leider manches übergehen; ich hätte gern etwas mehr Zeit gehabt.
Nun komme ich zu dem, was die Regierung im einzelnen angeht. Da möchte ich vor allem einmal als Finanzpolitiker ein paar Worte sagen. Vielleicht ist der Herr Finanzminister da.
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- Es freut mich, daß er es von mir hören kann. ({17})
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir in unserer Finanzpolitik wirklich zu Rande kommen wollen und wenn die Regierung Adenauer wirklich eine gute Finanzpolitik machen will, dann muß sie mit einer Aufgabe beginnen, von der sie bis jetzt noch nicht geredet hat, nämlich mit einer Neueinteilung der Länder. Wenn Sie die Länder in ihrer jetzigen Größe und Zerfahrenheit bestehen lassen, dann werden Sie nie eine geordnete Finanzpolitik in dem neuen Deutschen Bund herbeiführen. Wir müssen vor allen Dingen von der Zahl 11 der Länder in Westdeutschland herunter auf die Zahl 5, und wenn ich die Regierung zu bilden gehabt hätte, - ({18})
- Meine Damen und Herren, warten Sie nur erst einmal ab, bis ich das gesagt habe; vielleicht kommen wir zu anderer Zeit auch noch einmal auf diese Dinge zurück. Mit dem Artikel 29, an dem Sie, Herr Kollege Schmid, ja mitgewirkt haben, hat die Regierung die Pflicht auferlegt bekommen, diese Neueinteilung vorzunehmen, und der Herr Bundeskanzler hätte viel klüger getan, mit diesen Dingen anzufangen. Er kann doch unmöglich diese Dinge so lassen, das kleine Schleswig-Holstein und das große Rheinland-Westfalen und wie die Staaten sonst alle heißen. Auch Hessen ist doch zu klein und zu arm, um überhaupt als selbständiger Staat leben zu können.
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Deshalb ist das, was der Herr Bundeskanzler als erstes hätte tun müssen, diese Zahl von elf Staaten auf fünf zu vermindern. Vielleicht kann er es nachholen.
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Ich weiß, daß das eine Sisyphusarbeit ist; aber auch diese Sisyphusarbeit muß getan werden.
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- Ich lasse im allgemeinen nicht mit mir handeln;
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aber wenn der Herr Kollege Schmid gern handelt,
wird es ja schließlich auf einen nicht ankommen.
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Das Entscheidende bleibt also, daß wir fünf Bundesstaaten bekommen, die etwa gleich groß sind.
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- Wenn Sie absolut sechs haben wollen, behalten Sie sechs!
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Es kommt darauf an, daß diese fünf oder, wie Sie glauben, sechs Staaten gleich groß sind, die gleiche Bevölkerung haben und die gleiche Wirtschaftsund Steuerkraft besitzen.
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Herr Abgeordneter, ich bitte Sie, mit Ihren Ausführungen zum Schluß zu kommen.
Ich muß mich ja nun leider ganz kurz fassen, nachdem mir der Herr Präsident nicht gestattet, noch weiter zu reden. Ich möchte nur noch hervorheben, daß die Kräfte, die hinter dem Kabinett Adenauer stehen, bis jetzt noch nicht den Beweis dafür erbracht haben, daß sie eine sparsame Wirtschaft treiben.
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Meine Damen und Herren, sehen Sie sich doch bitte einmal diesen Parlamentspalast an!
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Sehen Sie sich draußen die Speisehalle an, und sehen Sie sich überhaupt den ganzen Luxus und den Prunk hier an! Ich schäme mich in der Seele, wenn ich jetzt zu meinen Wählern im Vogelsberg komme, denen es so blutig schlecht geht, daß sie nicht wissen, wie sie durchkommen sollen, die keine Wohnungen haben, die sich mit ihren Ackern herumschlagen müssen, um überhaupt das für den Lebensunterhalt Notwendige zu schaffen. Und so geht es mir, wenn ich an die vielen Flüchtlinge und an die Ausgebombten und an das Elend und den Jammer draußen denke. Und hier stellt man so etwas wie diesen Luxuspalast hin! Ich will nicht sagen, wer dafür verantwortlich ist. Das wissen die Herren ja selber besser. Schließlich haben sie aber die Verantwortung so verschachtelt, daß man niemand mehr herausgreifen kann. Sie sind aber schließlich alle daran schuld, die seither mitgearbeitet haben, ob das . im Parlamentarischen Rat oder bei den Ministerpräsidenten oder sonstwo gewesen ist.
({2})
Meine Damen und Herren, wenn Sie das dem Volk zeigen, wenn Sie die Wähler hierherführen, dann werden sie mit dem Gefühl wieder fortgehen, daß da Hopfen und Malz verloren ist.
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Wir wollen uns diese Dinge weiter durch den Kopf gehen lassen. So können wir keine Zukunft gestalten! Ich denke daran, daß zum Beispiel die Engländer einen Parlamentsraum haben, in dem noch nicht einmal Bänke sind, in dem die Abgeordneten sich nicht einmal setzen können, sondern stehen.
({4})
Meine Damen und Herren, wir hätten unsere Sitzung mit derselben Lebhaftigkeit führen können, wenn wir sie in einer Turnhalle oder in einem anderen verschwiegenen Raum abgehalten hätten.
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Meine Damen und Herren, das sind doch Dinge, an denen wir nicht vorübergehen können. Das sind nun praktische Forderungen. Es tut mir leid, daß ich nicht weiter reden kann; aber es wird sich ja noch mehr Gelegenheit zum Sprechen bieten. Wir sprechen ja heute nicht zum letztenmal.
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Es wird sich schon noch Gelegenheit bieten, auch über diese Frage sehr eingehend zu reden. Vielleicht ist dann der Herr Kollege Schmid auch wieder so freundlich und sekundiert mir so, wie er mir heute sekundiert hat.
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Im übrigen bin ich der Meinung, daß der Kampf zwischen der Individualauffassung und der Auffassung von der Allgewalt des Staats, der Kampf der Auffassungen zwischen rechts und links - denn etwas anderes kenne ich nicht - ({8})
- Oh, Antisemitismus ist für mich nie ein Problem gewesen!
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War das jemals ein Problem für Sie?
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Also was wollen Sie denn? Ich habe jedenfalls mit dem Antisemitismus nur das eine zu tun, daß ich sehr vielen Juden in der Zeit von 1933 bis 1939 geholfen habe.
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- Mein Herr, vielleicht sind Sie noch etwas zu jugendlich in Ihren Einwürfen!
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Ich bin der Gründer einer Bank - ({13})
- Die lebt noch; Gott sei Dank! Diese Bank hat in einer Reihe von Jahren den Beinamen „Judenbank" bekommen. Nun können Sie sich im übrigen Ihren Vers darauf machen, wie ich zum Antisemitismus stehe.
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- Und früher genau so!
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-- Dichten Sie mir nicht etwas an, was nicht da ist.
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- Bleiben Sie bei der Wahrheit! Das ist nämlich
die Grundkonzeption, die Auffassung der Rechten,
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Politik als ethische Handlungsweise durchzuführen. Wir bemühen uns, das zu tun. Bemühen Sie sich, das auch zu tun!
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Meine Damen und Herren, die Rednerliste, wie sie für heute vorgesehen ist, ist jetzt erschöpft, weil Herr Abgeordneter Dr. Ott, der noch einige Worte sprechen wollte, dies erst am nächsten Dienstag tun will.
Das Wort hat jetzt lediglich noch zu einer persönlichen Bemerkung im Sinne des § 84 der Geschäftsordnung der Herr Abgeordnete Euler.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Während ich vorhin in einer interfraktionellen Sitzung saß, hat der Abgeordnete Fisch gesagt: „Es gibt in diesem Hause einen Mann, der als Syndikus der IG-Farbenindustrie an der Zwangsverpflichtung Tausender tschechischer Arbeiter mitgewirkt hat, die dann nach Auschwitz gebracht worden sind."
Ich wußte schon aus Zeitungsartikeln, die in der kommunistischen Presse erschienen sind, daß dieser Vorwurf gegen mich von der KP erhoben wurde. Ich habe ihn bereits mit einer DENA-Erklärung richtiggestellt und möchte in aller Kürze hierzu folgendes sagen.
Nachdem ich im Jahre 1936 das große Staatsexamen gemacht hatte, konnte ich weder Anwalt noch Anwaltsassessor werden, weil ich als Staatsfeind bekannt war. Ich habe drei Jahre lang Anwälte und Notare vertreten, bis ich im Sommer 1939 als Vertragsjurist bei der IG Farben angestellt
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wurde. Die Anstellung bekam ich auf eine Anzeige, die die IG in der Frankfurter Zeitung aufgegeben hatte. Ich habe dann bis zum Sommer 1942 bei der IG als Vertragsjurist gedient und hatte während dieser Zeit mit Arbeiterverpflichtungen überhaupt nichts zu tun. Ich habe lediglich in Fragen der Konzernjustiz, in Fragen der Aktien- und GmbH-Organisation gearbeitet. Im Sommer 1946, Mitte Juni, wurde ich dann zum Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung dienstverpflichtet.
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Ja, im Sommer 1942 wurde ich zum Generalbevollmächtigten für Sonderfragen der chemischen Erzeugung kriegsdienstverpflichtet und habe dort als Jurist Verträge bearbeitet, die den Firmeneinsatz zum Gegenstand hatten. Diese Verträge wurden als völlig freie Verträge mit ausländischen Firmen abgeschlossen. Diese ausländischen Firmen verpflichteten sich, bestimmte Bauaufgaben auf Großbaustellen des chemischen Erzeugungsplans zu übernehmen bzw. Betriebsaufgaben in laufenden Betrieben auszuführen Mit Arbeitergestellung und Arbeiterverpflichtung hatten wir überhaupt nichts zu tun. Das war Sache der Firmen, die freiwillige Verpflichtungen eingegangen waren, und diese Firmen fanden ihre Arbeiter, die sie zum Einsatz in Deutschland brachten, lediglich im Wege der freiwilligen vertraglichen Verpflichtung. Nach meiner politischen Einstellung, die während der ganzen nationalsozialistischen Zeit unverändert geblieben ist, hätte ich zu einer anderen Tätigkeit, auch im Wege der Kriegsdienstverpflichtung, meine Hand nicht gereicht. Ich wäre lieber ins Feld gegangen, in das ich noch im Herbst 1944 einzog. Das ist eine wahrheitsgemäße Darstellung.
Ich stehe jetzt seit 1945 im öffentlichen Leben. Damals wurde ich kommissarischer Landrat des Kreises Hersfeld. Ich bin dann im Sommer 1946 in die verfassungberatende Landesversammlung Hessens gewählt worden, wo ich Fraktionsvorsitzender der LDP war. Ich war danach Fraktionsvorsitzender der LDP im Hessischen Landtag, bin dann zwei
Jahre lang im Wirtschaftsrat tätig gewesen und bin bei der Übernahme all dieser Tätigkeiten gründlich überprüft worden. Ich hatte nichts zu verheimlichen, und das ist auch heute nicht der Fall.
Die Anschuldigungen, Vorwürfe oder Diffamierungen in den kommunistischen Zeitungen tauchen jetzt plötzlich unter der Überschrift „FDP-Euler -Sklavenhändler" auf. Diese Verlautbarungen der Publikationen sind nicht ernst zu nehmen. Ich bin ihnen mit einer über DENA verbreiteten Erklärung entgegengetreten. Die nichtkommunistische Presse hat aber diese Erklärung im allgemeinen nicht gebracht, weil sie auch der Veröffentlichung der KPD keine Bedeutung beigemessen hatte. Angeblich beruhen diese Artikel der KPD auf Informationen aus Prag. Jedenfalls berufen sich die zwei Artikel, die mir zu Gesicht gekommen sind, auf Prager Informationen.
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Das ist eine knappe sachliche, wahrheitsgemäße Darstellung. In Anbetracht dessen, daß politische Gegner an mir sehr großes Interesse hatten, und in Anbetracht dessen, daß auch die Besatzungsmächte seit 1945 in derartigen Fragen eine scharfe Nachprüfung walten ließen, glaube ich sagen zu können, daß keinerlei gerechtfertigte Anhaltspunkte für derartige Anschuldigungen bestehen. Nachdem ich diese Erklärung hier abgegeben habe, werde ich jedes Mitglied des Hauses, das ähnliche Vorwürfe wiederholt, wie sie heute Herr Fisch hier ausgesprochen hat, wegen übler Nachrede und Verleumdung belangen.
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- Doch, das ist möglich.
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Wir sind am Ende unserer heutigen Tagesordnung. Ich schließe die 7. Sitzung des Deutschen Bundestags und berufe die 8. Sitzung ein auf Dienstag, den 27. September, 15 Uhr.
Die Sitzung ist geschlossen.