Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 60. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte den Schriftführer Herrn Abgeordneten Karpf, die Liste der abwesenden Mitglieder zu verlesen.
In der heutigen Sitzung fehlen folgende Damen und Herren des Hauses: wegen Erkrankung die Abgeordneten Feldmann, Frau Dr. Gröwel, Dr. Kopf, Bazille, Sander, Bettgenhäuser, Dr. Gülich, Dr. Baade, Frau Kipp-Kaule, Wittmann, Frühwald, Dirscherl, entschuldigt die Abgeordneten Dr. Pünder, Dr. Gerstenmaier, Dr. Dresbach, Dr. Brönner, Frau Dr. Weber, Dr. Ehlers, Raestrup, Giencke, Fürst Fugger von Glött, Loibl, Klabunde, Jahn, Frau Schroeder ({0}), von Knoeringen, Görlinger, Behrisch, Erler, Brunner, Ekstrand , Wönner, Brandt, Dr. Suhr, Kalbfell, Mellies, Eickhoff, Kuhlemann, Eichner, Ewers, Freiherr von Fürstenberg, Loritz, Nuding, Reimann, Müller ({1}), Frau Thiele, Agatz, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Schmitz, Dr. Middelhauve, Blank ({2}) und . Dr. Hoffmann. Außerdem fehlen die sich auf einer Studienreise in den Vereinigten Staaten befindlichen Abgeordneten.
Meine Damen und Herren! Ich habe dann weiter folgende Mitteilungen zu machen.
Auf Grund eines Beschlusses des Ältestenrats werden die Punkte 1 a) und b) der heutigen Tagesordnung betreffend Watenstedt-Salzgitter abgesetzt.
Ferner ist gestern im Laufe des Nachmittags interfraktionell vereinbart worden, daß die Behandlung der Punkte 3 a) und b) der Tagesordnung, die den Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Kinderbeihilfen und einen Antrag - über Finanzbeihilfen für kinderreiche Familien betreffen, wie folgt gestaltet werden soll. Die Drucksache Nr. 163, der seinerzeitige Antrag der Abgeordneten Gockeln, Even, Winkelheide, Heix und Genossen, mit dem sich der Ausschuß inzwischen abschließend befaßt hat, wird als Punkt 3 a) behandelt. Als Punkt 3 b) kommt dann die Beratung des Antrags der Fraktion des Zentrums betreffend Finanzbeihilfe für kinderreiche Familien, Drucksache Nr. 740, und als Punkt 3 c) folgt dann die erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kinderbeihilfen, Drucksache Nr. 774. Ich darf das Einverständnis des Hauses voraussetzen, daß die Beratung über diese drei Punkte gemeinsam durchgeführt wird. - Ich höre keinen Widerspruch.
Ferner darf ich auf folgendes hinweisen. Hinsichtlich des Antrags Drucksache Nr. 810 vom 30. März 1950 betreffend die Einstellung einer Überbrückungshilfe von rund 35 Millionen DM zugunsten der Personen, die unter Art. 131 des Grundgesetzes fallen, ist zwischen dem Haushaltsausschuß und Beamtenrechtsausschuß die Vereinbarung getroffen worden, daß das Verfügungsrecht der Bundesregierung nicht, wie es in dem Antrag Drucksache Nr. 810 vorgesehen war, mit Zustimmung des Haushaltsausschusses, sondern mit Zustimmung des Beamtenrechtsausschusses ausgeübt werden soll. - Ich darf das Einverständnis des Hauses mit dieser formlosen Änderung des Beschlusses nach Drucksache Nr. 810 annehmen.
Weiterhin habe ich mitzuteilen, daß der Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Bundesrats am 26. April 1950 die Anfrage Nr. 68 der Fraktion der SPD betreffend Rechte der Arbeiter und Angestellten der früheren Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes beantwortet hat. Die Antwort wird als Drucksache Nr. 872 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren! Wir kommen damit zu Punkt 2 der Tagesordnung:
Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Frey, Dr. von Brentano und Fraktion der CDU/CSU betreffend Arbeitslosigkeit im Grenzkreis Kleve ({0}).
Ich sehe eben: der Herr Bundesarbeitsminister ist noch nicht da. Diese Interpellation, Drucksache Nr. 712, sollte von ihm beantwortet werden. Wir werden die Erledigung eine Weile zurückstellen.
Ich darf das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß wir dann gleich zu den Punkten 3 a), b) und c) übergehen.
Punkt 3 a:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Sozialpolitik über den Antrag der Abgeordneten Gockeln, Even, Winkelheide, Heix und Genossen betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs über die Errichtung einer Familienausgleichskasse ({1});
Punkt 3 b:
Beratung des Antrags der Fraktion des
Zentrums betreffend Finanzbeihilfe für
kinderreiche Familien ({2});
Punkt 3 c:
Erste Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Gewährung von Kinderbeihilfen ({3}).
Es sind folgende Berichtszeiten vorgesehen: zu Drucksache Nr. 870 10 Minuten, zu Drucksache Nr. 740 ebenfalls 10 Minuten und zu Drucksache Nr. 774 30 Minuten. Ich darf annehmen, daß
({4})
diese Berichtszeiten nicht voll ausgenutzt werden. Für die Aussprache sind 60 Minuten vorgesehen. Ich darf das Einverständnis des Hauses mit dieser Zeiteinteilung annehmen. - Das Haus ist einverstanden.
Ich erteile dann zunächst Herrn Abgeordneten Dr. Hammer als Berichterstatter zu Drucksache Nr. 870 das Wort.
Dr. Hammer ({5}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Antrag Drucksache Nr. 163 trägt das Datum des 4. November 1949. Seine Behandlung ist gestern vormittag im Ausschuß glücklich zu Ende gebracht worden, nachdem es durch einen geschickten Kunstgriff des Kollegen Arndgen gelungen war, diesen etwas wehenschwachen Ausschuß durch Anlegung einer scharfen Geschäftsordnungszange zur Entbindung zu bringen.
Der Ausdruck „Kunstgriff" scheint sich hier zu einem allgemeinen Terminus zu entwickeln.
Dr. Hammer ({0}), Berichterstatter: Er ist hier nur technisch il gemeint.
Die antragstellende Fraktion begründete die Tendenz ihres Antrags mit der Bedeutung des Problems der Sicherung der Familie und deren sozialer und ethischer Bedeutung. Sie hat dabei durchaus die Problematik gesehen. die in einer Erhöhung jeder Soziallast liegt. Man machte aber nachdrücklich darauf aufmerksam: die Tendenz des Antrags sei so, daß diese Dinge im Rahmen der Sozialversicherung zustande gebracht werden sollen, also eines Ausgleichs, bei dem Subventionen nur insofern in Frage kämen, als für Versicherungsunfähige eine Zubuße zu leisten sei.
Die Gegner, die bei der Abstimmung erkennen ließen, daß sie nicht mit der Tendenz des Antrages einverstanden waren, wiesen darauf hin, daß der zur Zeit niedrige Reallohn die Durchführung dieses Ausgleichs innerhalb des Kreises der Versicherten außerordentlich erschwere. Sie wiesen auch darauf hin, daß eine Steigerung des Reallohns die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in Gefahr bringen könne.
Der wenig geänderte Antrag des Kollegen Arndgen wurde dann mit 11 gegen 5 Stimmen angenommen, und Ihnen zu empfehlen, diesen Antrag anzunehmen, ist mein Auftrag als Berichterstatter.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Wir kommen dann zur Behandlung der Drucksache Nr. 740. Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort zur Begründung? - Bitte, Herr Abgeordneter Determann!
Determann ({0}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Bei Behandlung dieses Problems könnte man im ersten Augenblick den Eindruck gewinnen, als wenn es sich hier um eine Maßnahme handle, die der Nationalsozialismus damais schon verabschiedet hatte. Dazu ist zu sagen, daß zwar das, was unser Antrag über die Methode besagt, ein und dasselbe ist, das Prinzip aber grundsätzlich verschieden ist. Der Nationalsozialismus hat die Kinderbeihilfen gegeben, weil er auf dem Standpunkt stand, daß die Familie für den Staat da sei, und der Staat nahm nachher auch die Kinder für sich in Anspruch. Wir aber gehen von dem Grundsatz aus, daß der Staat für die Familie da ist, und daß der Staat, wenn er überhaupt aufbauen will, zuerst eine gesunde Familie aufbauen muß. Wir wollen, daß der Staat - oder hier der Bund -, wenn er überhaupt eine gesunde Voraussetzung haben will, zuerst dafür sorgen muß, daß es innerhalb des Staates gesunde Familien gibt.
Betrachten wir die Situation von heute und aus dieser Situation haben wir gefolgert -,
so müssen wir sagen, daß diese Voraussetzungen
heute nicht gegeben sind. Wenn wir heute darauf
zurückblicken, wieviele Kindermorde geschehen
sind oder wieviele Kinder schon zu Verbrechern
geworden sind, so müssen wir feststellen, daß
diese Zustände zum Teil eben dadurch heraufbeschworen worden sind, daß die Kinder von der
Familie nicht so ernährt werden können, wie sie
ernährt werden müßten, weil eben die finanzielle
Grundlage nicht da ist. Wir müssen also zu dem
Schluß kommen, daß wir da in erster Linie einzugreifen haben. Meine Freunde und ich sind
durchaus darüber im klären daß das gewaltige finanzielle Auswirkungen zur Folge haben wird. Wir sind uns aber auch darüber im klaren, daß wir am falschen Ende sparen würden, wenn wir an diesem Ende sparen wollten.
Diese Regelung hat außerdem aber eine starke moralische Seite für das gesamte deutsche Volk. Man könnte natürlich auch sagen: Wir haben Arbeitslose genug, oder: Wir schaffen damit wieder die Voraussetzungen für den nächsten Krieg, indem wir Kanonenfutter liefern. Beides ist nicht zutreffend oder braucht es jedenfalls nicht zu sein. Arbeit haben wir auf lange, lange Sicht mehr als zuviel; darüber sind wir uns wohl alle klar und brauchen uns auch darüber nicht zu unterhalten. Die Arbeitslosigkeit, die wir gegenwärtig haben, ist wohl nur auf unsere Wirtschaftsführung zurückzuführen. Es muß Aufgabe der Wirtschaftführung sein, die Arbeitslosigkeit bei uns zu beseitigen. Wir brauchen auch keine Sorge zu haben, daß wir, wenn wir wieder mehr Kinder haben und diese Kinder auf anständige Weise großziehen, wieder den Weg zum Kriege beschreiten. Selbst bei einem noch so großen Kinderreichtum braucht kein Krieg geführt zu werden, wenn eine vernünftige Wirtschaftspolitik getrieben wird. Ich bin aber auch der Ansicht, daß das deutsche Volk von dem Schlagwort „Volk ohne Raum" gründlich kuriert ist. Man zeigt uns heute nämlich, daß wir auf viel engerem Raum als damals wohnen können, als es hieß: Wir müssen einen Krieg führen, um Raum zu gewinnen.
Ich wollte damit nur kurz skizzieren, daß diese Gesichtspunkte nicht ausschlaggebend sind. Für uns vom Zentrum ist allein ausschlaggebend, daß wir gesunde Familien aufbauen wollen, weil sie die Grundlagen für einen gesunden Staat sind. Deshalb hat der Staat die Verpflichtung, dabei zu helfen. Über das Wie und das Wieviel dessen, was der Staat dazu beitragen muß, kann man sieh unterhalten.
Ich beantrage deshalb, diesen Antrag Drucksache Nr. 740 dem sozialpolitischen Ausschuß und dem Haushaltsausschuß zu überweisen und den sozialpolitischen Ausschuß als federführend einzusetzen.
Wir kommen nunmehr zu dem Antrag Drucksache Nr. 774. Wer von den Herren Antragstellern wünscht das Wort? - Herr Abgeordneter Richter bitte!
Richter ({0}) ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der von der SPD-Fraktion im Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf behandelt die Gewährung von Kinderbeihilfen nach dem System der periodisch wiederkehrenden Barzahlung an die Unterhaltsverpflichteten. Systeme der Gewährung von Kinderbeihilfen, vielfach auch Familienhilfe genannt, bestehen seit Jahren in fast 30 Staaten der Welt, davon in Europa - und das dürfte uns interessieren in den Staaten Schweden, Schweiz, Großbritannien, Irland, Jugoslawien, Belgien, Tschechoslowakei, Frankreich, Finnland, Bulgarien, Italien, Ungarn, Luxemburg, Niederlande, Norwegen, Sowjetunion, Rumänien, Polen, Portugal und Spanien. Hieraus ist ersichtlich, daß es in Europa nur sehr wenige Länder gibt, die zur Zeit keine derartige Einrichtung haben, wozu bemerkt sei, daß in einigen dieser Länder bereits Untersuchungen über die Einführung eines solchen Systems der Gewährung von Kinderbeihilfen im Gange sind, so wie wir in diesem Hohen Hause es zur Zeit auch beabsichtigen.
Das in den letzten Jahren stetige Anwachsen der Erkenntnis, daß die Gesellschaft eingreifen muß, um das Einkommen der Familien mit Kindern zu erhöhen, wird durch die Einführung von Kinderbeihilfen eindeutig bewiesen. Unterhalt und Erziehung der Kinder belasten die Mutter und den Haushalt der Familien entscheidend. Der Lohn reicht kaum für die Familien ohne Kinder, er kann nicht reichen für die Familien mit Kindern. Dazu ist er zu gering und sind die Preise für die Lebenshaltung zu hoch.
Nach einer von dem Arbeitsministerium der Vereinigten Staaten durchgeführten Statistik für 19 Länder der Welt liegt entsprechend der Kaufkraft des Durchschnittslohnes der deutsche Arbeiter an viertletzter Stelle.
Obwohl in der Art und Auswirkung verschiedenartige Systeme bestehen, haben dieselben jedoch alle das gemeinsame Bestreben, die wirtschaftliche Lage der Familien mit Kindern zu heben und zu sichern. Es geht uns nicht darum, mit unserem Gesetzesinitiativantrag Bevölkerungspolitik zu betreiben und die Kinderzahl im Interesse der Volksvermehrung zu steigern. Es geht uns auch nicht darum, der großen Zahl derjenigen, die aus selbständiger Tätigkeit oder als Arbeitnehmer oder Rentenempfänger oder Arbeitslose oder Fürsorgeempfänger, ganz gleich welcher Art, ein Einkommen haben, das ihnen kein menschenwürdiges Dasein ermöglicht, zu helfen, roch unzureichendes Einkommen aus Arbeit oder selbständiger Tätigkeit durch Unterstützungen zu ergänzen und damit die Zahl bedenklicher Überschneidungen und ungesunder Zustände zu vermehren und diese zu stabilisieren. Es geht uns vor allem darum, den Familien und Personen, die Kinder zu betreuen haben, von Staats wegen einen gleich hohen Betrag für diese zur Verfügung zu stellen.
Wie jedoch die Verhältnisse zur Zeit tatsächlich sind, zeigen die nachstehenden Beispiele: Zwei Landwirte in demselben Ort haben unter den gleichen Verhältnissen das gleiche Jahreseinkommen von 2500 DM. Der eine hat ein Kind, der andere fünf Kinder. Der Landwirt mit einem Kind hat nach Abzug der Einkommensteuer pro Kopf der Familie rund 815 DM im Jahre zu verleben, während jener mit den fünf Kindern pro Kopf der Familie im Jahre nur 360 DM bei ein und demselben Einkommen zu verleben hat.
Ich habe, was die Arbeitnehmer angeht, noch ein weiteres Beispiel. Zwei Angestellte sind in demselben Büro tätig. Beide verrichten die gleiche Arbeit, sind gleich tüchtig und gleich fleißig und erhalten ein Monatsgehalt von rund 300 DM. Wiederum ist der eine Vater von einem Kind, der andere Vater von fünf Kindern. Dem Angestellten und seiner Frau mit einem Kind stehen im Monat nach Abzug der Steuern und Sozialbeiträge 258 DM zur Verfügung, also pro Kopf der dreiköpfigen Familie 86 DM. Dem anderen stehen rund 270 DM zur Verfügung, weil er auf Grund seines niedrigen Einkommens keine Einkommensteuer zu leisten hat, sondern davon befreit ist. Er hat also pro Kopf seiner siebenköpfigen Familie nur 38,50 DM im Monat.
Hinzu kommt, daß sowohl der Landwirt wie der Angestellte mit seiner Frau und einem Kind weniger Wohnraum, Kleidung usw. brauchen als der Vater mit seiner Frau und den fünf Kindern; letzterer hat bei gleichem Einkommen trotz Steuervergünstigung für den Kopf seiner Familie viel, viel weniger als der erstere.
Nach dem seither geltenden Gesetz über die Einkommensteuer - und das dürfte alle Steuer-und Finanzfachleute dieses Hauses interessieren - ist in Steuerklasse III die Ermäßigung nach der Kinderzahl geregelt. Gegenüber einem Ehepaar ohne Kinder hat eine Familie mit demselben Einkommen von monatlich rund 200 DM bei einem Kind 2,35 DM, bei zwei Kindern 4,35 DM, bei drei und mehr Kindern 6,40 DM weniger an Steuern zu zahlen. Ganze 6,40 DM pro Monat beträgt also die Steuerermäßigung bei dem Gros der deutschen Arbeitnehmerschaft, ob Arbeiter oder Angestellte.
Nehmen wir ein nächstes Beispiel, nehmen wir 300 DM Monatslohn. Da ist die Ermäßigung bei einem Kind 9,00 DM, bei zwei Kindern 12,60 DM, drei Kindern 16,20 DM, vier Kindern 20,70 DM und bei fünf und mehr Kindern 21,75 DM. Damit Sie sich nicht irren: nicht für ein Kind, sondern für alle fünf Kinder bei dieser großen siebenköpfigen Familie!
Nimmt man hingegen ein Einkommen von 1000 DM pro Monat, dann ist die Steuerermäßigung nach Steuerklasse III bei einem Kind 27 DM, bei zwei Kindern 54 DM, drei 81 DM, vier 105 DM, fünf 129 DM. Sehen Sie bitte diesen Unterschied, 129 DM Steuerermäßigung für fünf Kinder im Monat! Gönnen wir, meine Damen und Herren, denen, die vom Glück gesegnet sind und ein derartiges Einkommen haben, diese Steuerermäßigung! Auf der anderen Seite hat aber die große Masse der Arbeiter, Angestellten und Beamten eine derart geringe Ermäßigung.
Eine derartige Regelung schafft weder den sozialen Ausgleich, noch fördert sie die soziale Gerechtigkeit. Am allerwenigsten trägt sie aber zur wirtschaftlichen Stärkung der Familien der Arbeiter, Angestellten und Beamten sowie der
({2})
kleinen Landwirte, Handwerker, Gewerbetreibenden usw. bei.
Es ist leider eine feststehende Tatsache, daß das Einkommen, die Löhne, die Renten sowie die Unterstützungen eines großen Teiles aller Schaffenden kaum zum Leben, vor allem nicht noch für die Kinder ausreichen. In den letzten Jahrzehnten hat es sich immer wieder gezeigt, daß trotz vieler Anstrengungen nicht der Soziallohn, sondern der Leistungslohn die Grundlage unseres Lohnsystems ist. Weder die Gewerkschaften noch die Arbeitgeber halten eine beachtliche Abkehr von dem Leistungslohnsystem auf Grund der wirtschaftlichen Gegebenheiten und Verhältnisse für möglich. Es wird erklärt, daß das Leistungslohnsystem die Produktivität erhalten und steigern soll. Andererseits verhindert es aber die Befriedigung des Bedarfs der Familien mit Kindern.
Was hier über den Lohnempfänger festgestellt
wird, gilt mit wenigen Abweichungen auch für
den selbständigen Einkommensempfänger. Auch
sein Einkommen hängt von seiner bzw. der Leistung des Unternehmens mehr oder weniger ab.
In einzelnen Wirtschaftszweigen waren Ausgleichskassen vorhanden, sogenannte Familienausgleichskassen, die anscheinend auch dem CDU-Antrag, der trotz des gestrigen Beschlusses noch sehr undurchsichtig ist, vorschweben. Es ist also nicht so, daß wir dieses System in Deutschland nicht kennen oder noch nicht gehabt hätten. Die in Betracht kommenden Betriebe hatten die dafür notwendigen Mittel aufzubringen. Das System der Ausgleichskassen dürfte aber kaum Gewähr bieten, da in Krisenzeiten - da haben wir alle unsere Erfahrungen - gewöhnlich die gut entlohnten Arbeitnehmer zuerst von der Kündigung betroffen werden, wie auch Väter von kinderreichen Familien bei Neueinstellungen einfach nicht berücksichtigt werden, da alle Betriebe an niedrigen Zuschlägen für diese Ausgleichskassen interessiert sind. Die Beiträge für die Ausgleichskassen begrenzen einfach die Lohnsumme; denn die Beiträge für die Ausgleichskassen gehen genau so wie die Beiträge für die Sozialversicherung über das Lohnkonto. Die Familienausgleichskassen haben in Deutschland nie eine größere Bedeutung erlangt. Ich glaube, daß auch das Hohe Haus bei eingehender Beratung dieses Gegenstandes zu der Überzeugung kommen wird, daß sie nicht geeignet sind, in Deutschland allen Unterhaltspflichtigen Kinderbeihilfen zu gewähren.
Nachdem sich bereits der Gewerkschaftsrat, die Spitzenorganisation der Gewerkschaften bereits schon Monate vorher mit der Frage der Gewährung von gesetzlichen Kinderbeihilfen durch den Staat befaßt und in Verbindung mit dem Internationalen Arbeitsamt das dort zusammengestellte Material über die Regelung dieser Angelegenheit in den anderen Staaten der Welt zusammengetragen und weiterverbreitet hatte, wurde auf dem Gründungskongreß des Deutschen Gewerkschaftsbundes in München im Oktober 1949 in den sozialpolitischen Grundsätzen u. a. die Forderung erhoben, auf überbetrieblicher Grundlage einen Ausgleich der
kommensverhältnisse zu schaffen und für die Kinder Beihilfen zur Erreichung eines angemessenen Lebensstandards zu gewähren.
Anders als bei den Lohn- und Einkommensempfängern liegt es bei den Rentenempfängern
und Unterstützungsbeziehern. Sie bekommen neben ihrer Rente bzw. ihrer Unterstützung für die Kinder einen Zuschlag, der sich teilweise nach dem früheren Einkommen richtet. Dadurch ist der Kinderzuschlag bei den Rentenempfängern der Sozialversicherung, bei den Empfängern der Kriegsopferversorgung, bei den Fürsorgeempfängern, bei den Empfängern der Arbeitslosenversicherung und der Arbeitslosenfürsorge unterschiedlich. Je nachdem, ob der Vater Rentenempfänger, Fürsorgeempfänger, Alu-Empfänger oder Kriegsbeschädigter ist, wird für das Kind ein unterschiedlich hoher, leider meistens viel zu geringer Kinderzuschlag gewährt. Auf Grund des Vorstehenden steht es unseres Erachtens zweifelsfrei fest, daß eine dauernde Besserung der Lage der Familien mit Kindern weder von der Einkommensseite noch durch Steuerbegünstigung erwartet werden kann. Härten, die in den Verhältnissen unserer Gesellschaft begründet sind, werden nur gemildert, wenn für die Kinder auf anderem Wege gesorgt wird, als dies zur Zeit der Fall ist.
Nun gestatten Sie mir, meine Damen und Herren, noch einige Erläuterungen zu dem Initiativgesetzantrag der SPD, Drucksache Nr. 774. Im
1 ist der Kreis der Beihilfeberechtigen genannt. Es ist darin erwähnt, daß alle Arbeitnehmer, die Unterhaltspflichtige sind, alle unterhaltspflichtigen Landwirte, Handwerker, Gewerbetreibende, Angehörige freier Berufe sowie unterhaltspflichtige mithelfende Familienangehörige. weiter Unterhaltspflichtige, die Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, der Sozialversicherung oder Bezüge aus öffentlichen Kassen usw. erhalten, sowie die Waisen Anspruch auf Kinderbeihilfe haben sollen. Das bedeutet praktisch, daß alle Schaffenden, ganz gleich, ob in abhängiger oder in selbständiger Arbeit Tätige, Anspruch auf Kinderbeihilfe haben, ebenso auch die Rentenempfänger in der Sozialversicherung, die Unterstützungsempfänger in der Arbeitslosenversicherung und -fürsorge, die Fürsorgeempfänger in der öffentlichen Fürsorge wie die Kriegsopfer und die Waisen.
Die Kinderbeihilfe ist im § 2 unseres Gesetzentwurfs einheitlich auf monatlich 20 DM - das sind jährlich 240 DM - festgesetzt. Wir glauben, daß dieser Satz der gegebene ist, da er bereits Jahrzehnte an all die im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmer, Beamten, Angestellten usw. gezahlt wird.
Die Zahlung der Kinderbeihilfe ist eine technische Frage; ihre Regelung geht aus dem Wortlaut hervor. Dazu brauche ich hier nichts zu sagen. Aber die Regelung, daß die Kinderbeihilfe für alle Kinder bis zum 15. Lebensjahre gewährt werden soll und für Kinder, die in Berufs- oder Schulausbildung stehen, bis zum 18. Lebensjahr, dürfte wohl bedeutungsvoll sein. Auf der anderen Seite halten wir sie auch für ausreichend, da wir in Anbetracht unserer wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in erster Linie Wert darauf legen müssen, daß die Eltern die Möglichkeit haben, den Jungen oder das Mädel etwas lernen zu lassen, die Lehre für ein en handwerklichen oder Angestelltenberuf durchmachen zu lassen, umso wieder einen gesunden, tüchtigen Facharbeiterstand zu erreichen.
({3})
Daß die Unpfändbarkeit und die Steuerfreiheit der Kinderbeihilfen vorgesehen sind, darf ich nur noch im Zusammenhang erwähnen. Praktisch kann also die Kinderbeihilfe nicht als ein Lohnteil betrachtet werden und so der Lehnsteuer unterliegen; sie kann auch nicht bei der Berechnung der Sozialversicherungsbeiträge mitbeachtet werden, sondern sie ist ungeachtet der Lohnhöhe und der sonstigen Einkommensverhältnisse zu gewähren und deshalb steuerfrei, versicherungsbeitragsfrei und kann nicht der Pfändung unterworfen werden.
Wir haben keine besondere Organisation, keine besondere Behörde in Aussicht genommen. Wir denken uns die Sache so einfach, daß es genügt, wenn beim Bundesarbeitsminister die oberste Verwaltungsbehörde hierfür errichtet wird. Das Verfahren zur Durchführung dieser Regelung sehen wir darin, daß der Antrag auf Kinderbeihilfe bei der zuständigen Gemeinde gestellt werden muß; dort, wo das Kind nach der Geburt angemeldet wird, wo sich das Standesamt befindet, dort wird auch der Antrag gestellt. Denn dort ist schwarz auf weiß durch Urkunde erhärtet, daß ein Kind das Licht der Welt erblickt hat. Die Gemeindebehörde entscheidet über den Antrag nach den vom Bundesarbeitsminister zu dem Gesetz über die Gewährung von Kinderbeihilfen erlassenen Richtlinien. Gegen die Entscheidung der Gemeindebehörde findet nach den landesrechtlichen Vorschriften die Klage vor dem Verwaltungsgericht statt. Keine neuen Behörden, keine neuen Instanzen, keine neue Bürokratie! Einfach, schlicht und deshalb billig, ohne jegliche Mehrbelastung des gesamten Verwaltungsapparats kann dieses Gesetz durchgeführt werden.
0 Ebenso ist es bei den Auszahlungen. Es wird gesagt: Der Bundesarbeitsminister ist berechtigt, festzustellen und zu bestimmen, wer die Auszahlung vornehmen soll; ob die Gemeindebehörde, die Post oder andere Stellen. das bedarf noch der Überlegungen. Aber auch hier legen wir Wert darauf, einfach und zweckmäßig zu verfahren.
In unserem Deckungsvorschlag heißt es: Die Mittel sind im Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen. Der Bundestag hat bekanntlich auf Grund des Antrags der FDP - verehrter Herr Kollege Dr. Wellhausen, wenn Sie eben dazu einen Zwischenruf gemacht haben, verstanden habe ich ihn nicht -, hinsichtlich des § 48 a der Geschäftsordnung die gleiche Formulierung gewählt wie Sie in Ihrem Gesetzesinitiativantrag zu § 48 a.
Herr Abgeordneter, bitte in das Mikrophon sprechen; sonst gehen Ihre Ausführungen verloren.
Richter ({0}) ({1}), Antragsteller: Danke sehr, Herr Präsident. - Wir haben Ihren Ausdruck bei dem Gesetzesantrag zu dem Art. 131 des Grundgesetzes gewählt:
({2})
„Die Mittel sind im Bundeshaushalt zur Verfügung zu stellen."
({3})
Nachdem Sie selbst diese Regelung für zweckmäßig und ausreichend gehalten haben
({4})
- Sie können nachher dazu sprechen, es ist ja eine Aussprache vorgesehen -, glaube ich, daß dies auch genügt.
Nun zu der Mittelaufbringung selbst. Meine Damen und Herren! Man soll sich nicht vorher erregen, sondern erst abwarten, bis man alles weiß, besonders wenn man vorher keine Gelegenheit hatte, sich mit der Materie ausreichend zu beschäftigen. Wir sind bei unseren Betrachtungen von folgendem ausgegangen: Auf Grund der statistischen Unterlagen sowohl von den statistischen Ämtern wie von dem Wissenschaftlichen Institut der Gewerkschaften kann angenommen werden, daß von unseren 47 Millionen Einwohnern rund 22 % Kinder im Alter bis zu 15 Jahren sind. Das würde eine Gesamtzahl von 10 350 000 Kindern ergeben. Nehmen wir 20 DM monatlich, also 240 DM fürs Jahr an, ergibt sich die Gesamtsumme von rund 2,5 Milliarden DM.
({5}) Wenn Sie das etwa bezweifeln sollten,
({6})
so ist das sehr leicht nachzuweisen. Wenn aber Ihr Zwischenruf besagt, das bedeutet für Sie gar nichts -- woher nehmen und nicht stehlen? so wollen Sie mich bitte in den Betrachtungen, die wir angestellt haben, fortfahren lassen. Man kann andererseits annehmen, daß Kinderbeihilfe in der Sozialversicherung, in der Arbeitslosenversicherung, in der Arbeitslosenfürsorge, der öffentlichen Fürsorge, der Kriegsopferversorgung, der Soforthilfe usw. bereits in einem Gesamtbetrag von gut 400 Millionen DM gewährt wird.
Man kann weiter nach den Berechnungen, die wir auf Grund der Unterlagen angestellt haben. annehmen, daß sich für die im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmer einschließlich der bei der Bundeseisenbahn und der Bundespost Beschäftigten - und wenn Sie sich für Einzelheiten interessieren, ich habe hier meine Akten, dann kann ich Ihnen an den Summen den Unterschied zwischen den Beamten, den Angestellten, den Arbeitern usw. aufzeigen - an Kinderbeihilfen ein Gesamtbetrag von 500 Millionen DM ergibt. Insgesamt werden also bereits a) für die Rentenberechtigten, die Versorgungsbezieher sowie die Unterstützungsempfänger und b) für die im öffentlichen Dienst tätigen Arbeitnehmer 900 bis 1000 Millionen an Kinderbeihilfe gewährt.
Nimmt man nun die Steuerklasse III und stellt hier Berechnungen an, so stellt man fest - und die Experten in unserer Fraktion haben das nach den Unterlagen, die den Mitgliedern des Finanzausschusses bei der letzten Beratung des Einkommensteuergesetzes vom Finanzministerium zur Verfügung gestellt wurden, errechnet -, daß in der Steuerklasse III in eine Steuerermäßigung von insgesamt 800 Millionen bis 1 Milliarde gewährt wird.
Nimmt man diese Posten, addiert man sie und erwägt man, ob bei Einführung der allgemeinen Kinderbeihilfe aus Staatsmitteln die Steuer({7})
klasse III noch notwendig ist, ob die Zahlungen der Kinderbeihilfen aus der Sozialversicherung, Kriegsbeschädigtenversorgung, Arbeitslosenversicherung usw. noch erforderlich sind - die Abgeltung der Gewährung der Kinderbeihilfen an die im öffentlichen Dienst stehenden Personen durch die Gewährung von Staats wegen ist ja praktisch in der Höhe usw. genau dasselbe -, dann, so glaube ich, werden Sie mit mir zu dem Ergebnis kommen, daß an Mehraufwendung bei vorsichtigster Berechnung und Schätzung höchstens 400 bis 500 Millionen erforderlich sind. Ich verrate kein Geheimnis, wenn ich Ihnen sage, daß bei den Betrachtungen zu dem Antrag des Bundesrats, der ja bekanntlich einen dahingehenden Antrag gestellt hat, wie auch in der Erläuterung, die gestern der verehrte Herr Kollege zu dem Antrag der CDU gemacht hat, wie auch wahrscheinlich in dem Antrag des Zentrums - wenn er realisiert wird eine ebenso hohe Summe, nämlich 400 bis 500 Millionen, erwähnt wird. Das ist die Leistung, die zusätzlich aufzubringen ist.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, diese Angelegenheit ist uns Deutschen so wichtig, daß wir mit allem Ernst an die Beratung herangehen und in Erwägung ziehen müssen, wie wir die Mittel für diesen Zweck aufbringen können_.. Aufbringen sollten wir sie und aufbringen müßten wir sie. Mit der Gewährung von staatlichen Kinderbeihilfen in dem Ausmaß, wie es in dem Gesetzentwurf der SPD vorgesehen ist, sind diese Regelungen mit zu erwägen. Das in unserem Gesetzentwurf entwickelte System der Kinderbeihilfe findet bereits ein System sozialer Hilfe vor. das sehr unterschiedlich und kompliziert ist, wie ich versucht habe, Ihnen in wenigen Worten zu schildern. Im Interesse der Einfachheit und Klarheit ist es jedoch dringend erforderlich, daß Teillösungen unterbleiben. Soziale Leistungen aller Art und Steuern haben sich unseres Erachtens nach den Kinderbeihilfen zu richten und nicht umgekehrt. Die wirtschaftlichen. sozialen und kulturellen Wirkungen, die die Gewährung von Kinderbeihilfen ohne Zweifel mit sich bringen, sind nur zu erreichen. wenn dem System der Kinderbeihilfen die Priorität gesichert. ist. Jedes Kind hat ein Recht auf Erziehung zur leiblichen. seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit, denn die Kinder von heute sind die Frauen und Männer von morgen!
({8})
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache, und zwar gleichzeitig und gemeinsam über die Drucksachen Nr. 870, 740, 774. Ich bitte die einzelnen Fraktionsredner, dies bei der Verwendung ihrer Redezeit zu beachten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Winkelheide. - 12 Minuten!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Anliegen, das heute morgen zur Beratung steht, den Kindern und der Familie zu helfen, sind sich, glaube ich, alle Fraktionen dieses Hauses einig, Darum will ich wegen der vorgerückten Zeit die Begründungen, die hier gegeben worden sind, nicht wiederholen. Aber grundsätzlich sei mir zu dem vorliegenden Antrag Nr. 774 der SPD ein Wort gestattet. Der Antrag auf Gewährung von Kinderbeihilfen kommt
Ihnen, meine Damen und Herren von der SPD, glaube ich, nicht so ganz aus dem Grunde des Herzens heraus.
({0})
- Bitte, ich weiß das; da schwingen bei Ihnen einige optische, taktische und kluge sozialistische Überlegungen mit.
({1})
Ich muß hier feststellen, 175 Tage hat unser Antrag Nr. 163 in den Akten des sozialpolitischen Ausschusses geruht, ohne behandelt zu werden.
({2})
Wenn der Herr Abgeordnete Richter eben mit so warmen Worten seinen Antrag begründet hat und für die Familie eingetreten ist, dann hätte er ja sein warmes Herz bereits im November oder Dezember entdecken können, um da unsern Antrag zu behandeln. Dann wäre heute bereits das Gesetz verabschiedet.
({3}) - Ja, meine Damen und Herren, können Sie die Wahrheit nicht vertragen? Das steht ja fest.
Eine zweite Begründung möchte ich Ihnen sagen. Ich glaube, daß trotz dieser eben dargelegten Aufschlüsselung der Summe - es seien im Endeffekt nur 500 Millionen, so nach den Berechnungen des Herrn Senators van Heukelum, zu zahlen diese 500 Millionen sind die Grundlage der Diskussion der Familien-Ausgleichskasse - insgesamt bei diesem Ihrem Antrag ein Trugschluß vorliegt. Dieser Ihr Antrag geht, weil Sie generell 20 DM Kinderbeihilfe verlangen, bedeutend weiter und macht einen Gesamtaufwand von mehr als 2,5 Milliarden, fast 3 Milliarden DM aus. Denn im Bundesgebiete haben wir nicht 10 soundso viel Millionen Kinder, sondern rund 12 Millionen.
({4})
- Aus den statistischen Unterlagen, die auch Ihnen zur Verfügung gestanden haben und allgemein jedem Abgeordneten zur Verfügung stehen.
Ich glaube, wenn Sie ganz objektiv Ihren Antrag betrachten, dann müssen Sie sich selber sagen, daß diese hohe Milliardensumme im Augenblick einfach nicht aufzubringen ist, oder wir müßten über Nacht vor die Tatsache gestellt werden, daß die Besatzungskosten von uns nicht mehr zu zahlen seien.
({5})
Ich meine, hier liegt eine zweite Begründung, einmal die Hinauszögerung unseres Antrags und zweitens die totale große Forderung. Sie wollen jetzt wieder, sagen wir einmal, vor den Wahlen etwas sozialen Stoff für die Presse usw. haben.
({6})
Ich garantiere Ihnen, am morgigen Tage wird Ihre Presse schreiben: „CDU/CSU und Koalition lehnen Kinderbeihilfe ab".
({7})
Und noch eine dritte Begründung gebe ich Ihnen. Am 2. März ist an dieser Stelle von der verehrten Frau Kollegin Albrecht in der Diskussion
({8})
um das Beamtengesetz folgendes gesagt worden. Sie antwortete damals dem Herrn Kollegen Dr. Wuermeling, als er von der Stellung und Würde der Frau in der sozialen Gemeinschaft sprach.
({9})
- Herr Renner, in dieser Frage sind Sie gar nicht zuständig! Da haben Sie gar keine Meinung.
({10})
Ihre Auffassung von Ehe und Familie pendelt zwischen der freien Liebe und ,dem Mutterkreuz hin und her!
({11})
Die Frau Kollegin Albrecht hat folgendes gesagt:
Ihre Worte, Herr Wuermeling, wären passend gewesen in einer Zeit, als man noch Petroleum in der Hängelampe brannte und die drei großen K - ich brauche sie im einzelnen nicht besonders zu nennen - ausschließlich das Privileg der Frauen waren. Vielleicht erinnern sich einige nicht mehr an diese drei großen K: Kinder, Küche, Kirche. Jedes zu seiner Zeit, und jedes an seinem Platz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren der
SPD-Fraktion, in dieser Formulierung liegt in der
Tat eine nicht gerade sehr hohe und große Wertschätzung des Kindes seitens der verehrten Kollegin Albrecht.
({12})
Und heute finden wir Ihren grenzenlosen Antrag auf Gewährung dieser Kinderbeihilfen. Wir freuen uns an sich über die Wandlung, die sich da vollzogen hat.
Aber noch ein weiteres Wort grundsätzlich
dazu. Die Struktur Ihres Antrags zielt auf staatliche Kinderbeihilfe. Nicht die Kinderbeihilfe an sich, sondern die Staatseinrichtung lehnen wir von der CDU/CSU-Fraktion ab.
({13})
Dieser Weg entspricht nicht der Würde und der Freiheit der Familie und der Würde des Menschen.
({14})
Wenn Sie diese Einrichtung schaffen, wie sie einmal im nationalsozialistischen Staat bestanden hat, dann erweitern Sie den Charakter des Staates zum Wohlfahrtsstaat.
({15})
Meine Damen und Herren, darf ich Sie daran erinnern, daß Morgenstunde Gold im Munde hat!
({0})
Sie können die Wahrheit nicht vertragen, meine Damen und Herren!
({0})
Sie müssen auch einmal ruhig zuhören können, wenn wir unsere Auffassung vortragen.
({1})
Wir gehen in unserem Antrag davon aus, daß der
deutsche Mensch einen Rechtsanspruch an die
Wirtschaft haben muß; dort, wo er steht, und
dort, wo er arbeitet. Um diesen Rechtsanspruch
geht es uns. Jeder muß gemäß seinem Stand
ein menschenwürdiges Leben durch seine Arbeit haben. Das ist der fundamentale Grundsatz.
({2})
Auf diesen fundamentalen Grundsatz baut unser Antrag in Drucksache Nr. 163 auf. Ich möchte auf die weitere technische Erläuterung unseres Antrags verzichten, weil ja unser Antrag darauf hinzielt, daß die Regierung eine Vorlage macht, und ich kann Ihnen mitteilen, daß das Bundesarbeitsministerium bereits damit beschäftigt ist, diese Vorlage auszuarbeiten.
Aber gestatten Sie mir zur Familien-Ausgleichskasse noch einige ganz kurze Begründungen. Wir fordern sie auch aus all den Gründen, die der Herr Kollege Richter hier vorgetragen hat. Aber ich glaube, daß durch diese Familien-Ausgleichskasse, wenn sie verwirklicht wird - und wir hoffen es, daß sie verwirklicht wird -, die sozial schwache Familie, insbesondere Mutter und Kind wieder eine höhere ethische Bewertung in der breiten Öffentlichkeit erfahren wird. Zweitens fordern wir die Familien-Ausgleichskasse, weil wir der sozial schwachen und der kinderreichen Familie eine der Größe der Familie entsprechende Wohnung, die sie bezahlen kann, geben wollen;
({3})
drittens weil wir die sozial schwache Familie krisenfester wissen wollen; viertens weil wir gerade in der Arbeiterschaft eine freie und unabhängige Berufsentscheidung unserer Jugend haben wollen;
({4})
fünftens weil wir der Familie die vielen berufstätigen Mütter - ({5})
- lassen Sie mich ausreden, Herr Kollege Renner! ({6})
zurückgeben wollen, die Mütter, die vielfach in die Fabriken hineingesteckt sind, damit sie zur Ernährung der Familie beitragen; sechstens, weil wir die soziale Gerechtigkeit wollen.
({7})
- Meine Damen und Herren der SPD-Fraktion, Sie brauchen sich gar nicht aufzuregen, und Sie brauchen auch gar nicht das soziale Monopol für sich in Anspruch zu nehmen.
({8})
Ich darf Ihnen sagen: unser deutsches Volk und die deutsche Arbeiterschaft wären nicht im Besitz der gesamten Sozialversicherung, wenn Ihre damaligen Abstimmungen im alten Reichstag Erfolg gehabt hätten; Sie haben ja gegen die Sozialgesetzgebung gestimmt.
({9})
Zum Schlusse, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, möchte ich sagen: Die FAK, die Kinderbeihilfen sollen nicht als Entlohnung für geleistete Arbeit angesehen werden. Der Leistungslohn muß Grundlage bleiben.
({10})
({11})
Darum bitte ich das Hohe Haus, den Antrag der SPD in Drucksache Nr. 774 dem Haushaltsausschuß zu überweisen; ich bitte ferner, den Antrag des Zentrums in Drucksache Nr. 740 dem sozialpolitischen Ausschuß zu überweisen und den mündlichen Bericht des Ausschusses annehmen zu wollen.
({12})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gundelach. 5 Minuten!
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion über die Gewährung von Kinderbeihilfen im Ausmaß der aufgeführten Personengruppen ist unserer Meinung nach ein eklatanter Beweis für die elendige Lage des größeren Teiles unserer Bevölkerung. Tatsache ist, daß die Mehrzahl der Lohn- und Gehaltsempfänger wie auch der größere Teil der selbständigen Landwirte, Handwerker und der sonstigen selbständigen Berufe heute nicht mehr in der Lage sind, mit -ihrem Einkommen die Existenz einer Familie zu sichern. Noch schlimmer ist die Lage der 2 Millionen Arbeitslosen, die gezwungen sind, von ganz unzureichenden Arbeitslosenunterstützungen mit ihren Familien ihr Leben zu fristen. Ich denke aber auch an die große Zahl der Opfer des verbrecherischen Hitlerkrieges, die mit ihren niedrigen Renten nicht in der Lage sind, eine Familie so zu ernähren, wie es menschenwürdig ist.
Ich denke, die sozialdemokratische Fraktion wird einverstanden sein, wenn ich schon jetzt die Bemerkung mache, daß in die Aufzählung der einzelnen Gruppen auch die Kriegsopferversorgungsberechtigten hineingenommen werden müssen. Ich glaube, das wird eine Selbstverständlichkeit sein, und man wird sich bei der späteren Beratung im Ausschuß darüber schon einigen können.
Meine Damen und Herren! Allerdings wird mit dem vorliegenden Gesetz ein Weg beschritten, wie wir ihn bisher in Deutschland nicht gekannt haben; aber wir sagen ausdrücklich: dieses Gesetz hat seine Berechtigung angesichts der Einkommenverhältnisse der aufgeführten Personengruppen und angesichts deren steuerlicher Belastung durch die Einkommensteuer und die indirekten Steuern. Wir Kommunisten vertreten grundsätzlich den Standpunkt, daß es Aufgabe der Lohn- und Gehaltsempfänger ist, sich mit Hilfe ihrer Gewerkschaften dafür einzusetzen, daß sie für ihre Arbeitsleistung auch einen solchen Lohn erhalten, der zur Sicherung der Existenz ihrer Familien ausreicht. Mit der Erreichung dieses Zieles wird unserer Meinung nach auch sogleich die Sicherung der Existenz der in der Gesetzesvorlage genannten Personengruppen erreicht, die unter den Begriff des früheren Mittelstandes fallen. Wir Kommunisten geben uns aber keinerlei Illusionen hin. Solange die Einheit Deutschlands fehlt und solange das arbeitende Volk hier im westdeutschen Separatstaat mit fast 5 Milliarden D-Mark Besatzungskosten belastet ist, solange wird - dessen sind wir uns bewußt - die Massennot fortbestehen. Angesichts dieser Massennot, unter der besonders die Kinder von Familien mit geringem Einkommen der Ernährer zu leiden haben, sind wir, meine politischen Freunde und ich, bereit, alle
Maßnahmen zu unterstützen, die die Lage jener Familien erleichtern, deren Existenz durch die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse im westdeutschen Protektoratstaat gefährdet ist.
Wir geben uns aber keinen großen Illusionen hin. Der Redner der CDU, der hier soeben gesprochen hat, hat schon mit aller Deutlichkeit gesagt, welche Stellung diese Regierungspartei zu diesem in jeder Weise gerechten Gesetzentwurf einnehmen wird, und wir zweifeln nicht, daß der Herr Finanzminister Schäffer, dessen Finanzpolitik uns allmählich ein wenig bekanntgeworden ist, alles tun wird, um mit den Regierungsparteien die Annahme dieses Gesetzes zu verhindern. Denn seine Devise ist: „Alles für die Reichen!". Das hat er bei der Durchsetzung der Einkommensteuerreform bewiesen, die wir hier vor einigen Wochen erlebt haben,
({0})
und diese Politik - dessen sind wir uns klar wird fortgesetzt, solange die Adenauer-Regierung besteht. Es wird unserer Auffassung nach die Aufgabe jener Personengruppen sein, die in diesem Gesetzentwurf erwähnt worden sind, sich selbst außerhalb dieses Hauses aktiv dafür einzusetzen, daß die berechtigten Forderungen dieser Mehrheit des Volkes auch erfüllt werden.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hammer. 8 Minuten!
Meine Damen und Herren! Es ist Ihnen bekannt, daß wir glauben, die Konstruktion einer krisenfreien Wirtschaft sei unmöglich. Es wird Ihnen auch bekannt sein, daß wir aus diesen Erkenntnissen zu der Überlegung gekommen sind, daß die große Aufgabe in etwas anderem besteht, nämlich darin, den deutschen Arbeitnehmer krisenfest zu machen. Aus dieser Überlegung heraus sind wir die unbedingten Anhänger des Versicherungsprinzips, die Anhänger einer Lehre, nach der der Staat Hilfsstellung zu gewähren und die Organisationsformen aufzustellen habe, die einen genossenschaftlichen Zusammenschluß zur Lastenverteilung sicherstellen. Nur da, wo Reallöhne und Einkommen so niedrig sind, daß sie den Mitbürger nicht versicherungsfähig machen, sind wir der Ansicht, daß eine Subvention des Staates ergänzend dazukommen müsse. Sozialversicherungsanstalten brauchen Beiträge, die sogenannten Sozialaufwendungen, und diese Beiträge sind Bestandteile des Reallohnes.
Es ist doch, um vor Illusionen zu warnen, wohl angezeigt, über die Problematik des Lohnes überhaupt zwei Sätze zu sagen. Selbstverständlich gibt es die Betrachtung des Lohnes als gerechten Lohn. Es gibt die Betrachtung des Preises unter dem Gesichtspunkt der Gerechtigkeit, eine uralte Idee, und ich würde es bedauern, wenn die Menschheit von der Verfolgung dieser Idee abkommen würde. Sie können aber auch oder Sie müssen sogar den Lohn unter einem anderen Gesichtspunkt betrachten. Der Lohn ist auch Unkostenfaktor, d. h. er ist ein Bestandteil des Preises, und er muß von dem gewährt werden, der diesen Preis bezahlt.
({0})
Meine Damen und Herren, wir könnten bei einer
Verkennung dieser Angelegenheit hier Konstruk({1})
tionen schaffen, bei denen die Frau des Arbeitnehmers am Freitagabend diese Beiträge in die Ladenkasse wieder einzahlen müßte, die .sie drei Tage vorher aus einer Sozialversicherungseinrichtung erhalten hätte.
({2})
Ich weise noch auf etwas anderes hin: Wenn der Lohn eng mit Preis und Produktion verknüpft ist, dann sollte man überlegen, wie Nivellierungen, die infolge eines solchen Familien-Lastenausgleichs zustande kommen könnten, auf die Wettbewerbsfähigkeit wirken und ob sie ein vernichtendes Resultat in Form einer absinkenden Produktion mit sich bringen könnten.
Wenn ich die Gefahren und die schweren Aufgaben, die uns bei der Behandlung dieses Gesetzes gestellt sind, hier schildere, so bedeutet das keineswegs, daß ich etwa diesen CDU-Antrag ablehnen würde, im Gegenteil. Ich halte ihn für einen der wichtigsten Anträge; die in der kurzen Lebenszeit dieses Parlaments hier in Bonn gestellt worden sind, und zwar aus zwei Gründen.
Wenn ich Ihnen vorhin gesagt habe: Krisenfestigkeit und wenn Sie nun das mit voller Absicht von der CDU in ihrem Gesetz groß geschriebene Wort ,.Familie" mit diesem Begriff in Verbindung bringen wollen, so kann man doch ruhig feststellen: Ganz unerwünscht für einen Staatsbürger ist die Ehelosigkeit. Es gibt wohl kein krisenhafteres Dasein als das Dasein des Menschen, der nicht zu einer Eheschließung gelangt. Ich kann auch ruhig sagen, daß die Worte Ehe und Familie selbstverständlich auch die Zeugung von Kindern in sich einschließen. Die Kirchen haben darauf hingewiesen, - sie haben für die gesellschaftliche Einrichtung der Ehe eine ausgezeichnete Formulierung gefunden -, sie haben die Ehe einen Stand der Gnade genannt. Sie haben also damit wohl sagen wollen daß ein Zusammenleben der Geschlechter in dieser Art eine Form ist, in der man sich am ehesten so menschlich bewähren kann, daß dieses Dasein einen Sinn hat und erfüllt werden kann. Ich meide mit Absicht prägnantere religiöse Formulierungen, weil sie nicht vor ein politisches Parlament gehören. Aber Sie werden verstehen, was ich damit meine. Das Wort Krisenfestigkeit beinhaltet auch ganz bestimmt für jeden Menschen die Garantie einer Eheschließung und die Garantie zur Führung einer Ehe.
Meine Damen und Herren, etwas anderes! Es ist vorhin von dem ersten Redner, dem der Zentrumspartei, entschuldigend darauf hingewiesen worden. daß man ja mit ihrem Antrag nicht an bevölkerungspolitische Dinge denke; daß einem der Schreck der nationalsozialistischen Zeit noch in den Gliedern liege. Die sogenannte Bevölkerungspyramide ist keine Erfindung der Wehrwissenschaftler. Wenn ich mich nicht täusche, ist es sogar eine Erfindung eines jüdischen Mitbürgers gewesen, also eines Mannes, der bestimmt nicht im Verdacht steht, nationalsozialistische Politik gemacht zu haben.
Noch eine Minute, bitte!
Wenn Sie diese Pyramide auf die Spitze stellen, wie uns das für die Zukunft droht, so bitte ich, doch einmal die Wirkungen auf unsere Produktion und auf unsere soziale Lage kurz zu überprüfen! Es ist ein ungeheurer Unterschied, ob ein Alter oder Kranker oder Krüppel von zwei Arbeitsfähigen oder von drei Arbeitsfähigen ernährt wird. Einem schweren Schicksal geht ein Volk entgegen, das diese Gesetze der Bevölkerungsentwicklung mißachtet, und ich begrüße es, daß wir mit diesem Gesetz jetzt auch wieder derartigen Gedankengängen nähergekommen sind.
Nun zu den Anträgen! Ich habe Ihnen schon gesagt: Dem Antrag der CDU stimmen wir zu, obwohl wir wissen, wie schwer die Aufgabe sein wird, später im Ausschuß diese Dinge zu behandeln.
Was den Antrag des Zentrums angeht, so müssen wir den formalen Einwand machen, daß auch hier die Deckungsvorlage, die Bestimmung des § 48 a der Geschäftsordnung, nicht erfüllt ist, und beantragen Verweisung an den Haushaltsausschuß, um diese Dinge nachzuprüfen.
Dasselbe gilt für den Antrag der SPD. Aber bei dem Antrag der SPD kann ich mir doch eine kleine Schlußbemerkung nicht verkneifen. Der von mir sehr verehrte Kollege Pohle hat gestern oder vorgestern morgen die reizende Anekdote von dem Herrn Torgier erzählt, der im Deutschen Reichstag diesen schönen Antrag mit den 500 000 RM zurückzog, als die SPD 1 Million beantragte, und der ihn dann auf 2 Millionen erhöhte. - Wie haben sich doch die Zeiten verändert!
({0}) Sehen Sie, ich habe sehr viel Freude an Opposition. Meine alten Kollegen aus dem hessischen Landtag werden das wissen. Ich schätze schon dieses Wunder von Böcklein, das über jeden Graben springt. Aber, meine Damen und Herren, diese 3 Milliarden - da ist nicht mehr die Rede von einem Bocklein, das über einen Graben springt; das erinnert mich doch an eine Schar munterer Zentauren, die hier skrupellos
({1}) über die tiefen und gähnend leeren Schluchten eines Finanzminister-Portefeuilles hinweggaloppieren.
({2})
Meine Damen und Herren, wir beantragen die Überweisung auch des dritten Antrags an den Haushaltsausschuß, um zu überprüfen, wieweit er mit dem § 48 a der Geschäftsordnung vereinbar ist.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke. Fünf Minuten, bitte!
Herr Präsident, meine Herren und Damen! Die wohltuenden Ausführungen meines Vorredners haben das Gespräch wieder in die Atmosphäre zurückgeführt, in der ein Gespräch um sozialpolitische Reformen immer geführt werden sollte: einmal in absoluter Sachlichkeit, wie wir es auch im Ausschuß im allgemeinen gewohnt sind, und zum anderen da, wo wir mit politischen Waffen kämpfen müssen, wenn es möglich wäre, mit ein wenig mehr Geist und, wenn es darüber hinaus möglich wäre, auch noch mit etwas Humor.
Es ist sehr viel zu diesem Gesetz gesagt worden, und ich möchte nur noch einige grundsätzliche Dinge in der Auffassung meiner Fraktion hinzufügen. Der Herr Kollege Richter hat sich
({0})
in der Begründung des Initiativantrags der SPD darauf bezogen, daß in fast 30 Staaten diese Familienhilfe, diese Familienausgleichskassen bereits vorhanden sind und Kinderbeihilfen gezahlt werden. Nach einer bekannten Statistik sind in 26 Staaten die Kostenträger für diese Kinderbeihilfen sehr unterschiedlich. Ich möchte nur auf diesen einen Punkt hinweisen, um zu zeigen, wieviel bei diesem Problem noch unausgereift und unausdiskutiert ist und was dabei noch festzustellen wäre.
In einer Veröffentlichung, die in einem internationalen Blatt erschienen ist, wurde festgestellt, daß allein der Staat in neun von den 26 Fällen der Kostenträger ist. der Arbeitgeber in 11 Fällen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemeinsam in drei Fällen, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Staat in einem Fall und der Arbeitgeber und der Staat in zwei Fällen. Sie sehen, wie unterschiedlich in den verschiedensten Ländern nicht nur nach der Struktur ihrer wirtschaftlichen oder sozialpolitischen Verhältnisse, sondern auch nach ihrer politischen Situation, das Problem gelöst ist.
Wenn wir nun zu dem Problem grundsätzlich Stellung nehmen, so wird sowohl bei der Regierung, die die Vorlage auf Grund des CDU-Antrags vorzubereiten und sich mit dem Material zu befassen hat, wie auch bei uns im Ausschuß grundsätzlich von einer Fülle von Fragen ausgegangen werden müssen, die heute gar nicht mehr so schwierig sind wie vor etwa zehn oder zwanzig Jahren, weil es hier nicht um politische Kämpfe geht, sondern jetzt schon ganz nüchtern um Feststellungen, die nach den Erfahrungen, die in den verschiedensten Ländern bezüglich dieses Problems gemacht worden sind. beweisbar sind. Ich bin auch der Auffassung, daß man sich, wenn das Problem auch so populär und seine Diskussion noch so notwendig ist, doch jeden Gesprächs enthalten sollte. das im Zeichen bevorstehender Wahlkämpfe um dieses Problem geführt wird. Es wird gut sein, wenn wir uns im Ausschuß mit dieser Frage befassen, nachdem die Vorwellen der Wahlkämpfe in einigen Ländern abgeebbt sein werden.
Aus den Fragen, die zur Diskussion stehen, ist vor allem eine herauszugreifen und festzustellen ob die vom Kollegen Richter genannten Zahlen bezüglich der in der Sozialversicherung und auf Grund der Steuerermäßigungen heute schon getätigten Ausgaben zutreffen. Es ist weiter festzustellen, wieweit überhaupt eine Neuordnung der Steuergesetzgebung notwendig und möglich ist. Uns erscheint dies als eine sehr dringliche Frage. Das Problem kann nicht gelöst werden, ohne daß man es zusammen mit der Steuerreform sieht.
Einen sozial gerechten Lohn zu finden, ist eines der schwierigsten sozialpolitischen Probleme nicht nur der Gegenwart, sondern zu allen Zeiten gewesen, und es ist schon sehr richtig von meinem Vorredner gesagt worden, daß sehr verantwortlich überlegt werden müsse, ob nicht die Beschränkung der wirtschaftlichen Wettbewerbsmöglichkeiten auch angesichts der immer mehr Gestalt gewinnenden europäischen Union einer ernsthaften Prüfung unterzogen werden sollte. Es ist auch weiter zu prüfen, ob nicht die bei der Wirtschaft so notwendige Kapitalbildung eingeschränkt wird und ob nicht weitere Arbeitslosigkeit entstehen kann.
In dieser Hinsicht ist es für Sie sicherlich interessant, zu hören, wie es in den Ländern aussieht, die sich seit zehn oder fünfzehn Jahren mit diesem Problem befaßt haben, und da darf ich sicher mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten zitieren, was ein französischer Sozialpolitiker zu diesen Dingen an sehr wichtiger Stelle zu sagen hat.
Nein, die Zeit ist um!
In Frankreich ist das Problem der Kinderbeihilfen über zehn Jahre lang praktisch durchgeprüft worden, aber in diesen Jahren hat sich der Begriff des Lohnes selbst außerordentlich tiefgreifend verändert, und eines der grundlegenden Mißverständnisse in der Diskussion zwischen Arbeiter und Unternehmer liegt darin, daß nun für den Arbeiter auf Grund dieser Kinderbeihilfen der Lohn nicht etwa gestiegen ist, sondern ganz allgemein - für Arbeiter mit und ohne Kinder - gesunken ist.
Jener französische Sozialpolitiker ist in der „Tat" zitiert worden:
Weit einschneidender noch war das von christlich-sozialen Gewerkschaften und Politikern durchgesetzte Prinzip des Familienlohns, das eine Neuverteilung der Lohnmasse zugunsten der Familienväter und auf Kosten der ehe- und kinderlosen Arbeiter und Angestellten bedeutet. Für einen Handlanger, der Vater von vier Kindern ist, beträgt sein Arbeitslohn nur noch dreiviertel seiner Familienzulage, bei sechs Kindern nur noch die Hälfte; das heißt, der Lohn ist selbst eine zweitrangige Zulage zu dem garantierten Einkommen geworden, auf das ihm seine Eigenschaft als Familienvater ein Anrecht gibt.
Frau Abgeordnete Kalinke, Ihre Redezeit ist abgelaufen!
Ich darf vielleicht mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten - ({0})
Nein, die Genehmigung hat der Herr Präsident versagt! Es tut mir leid!
({0})
Ich bedauere außerordentlich, Sie dann bitten zu müssen, uns, nachdem die Regierung sich sehr gründlich mit diesem Material befaßt hat, im Ausschuß Gelegenheit zu geben, die Frage zu prüfen, ob wir verantworten können, daß der Lohn des deutschen Facharbeiters und des deutschen Angestellten durch Experimente etwa absinkt, und weiter zu prüfen, ob wir es verantworten können, daß unser armes Volk a 11 en eine Kinderbeihilfe gibt. Es wäre ernsthaft festzustellen, wo die Kinderbeihilfe beginnen soll - bei welchem Kind - und bei welchen Einkommensverhältnissen sie enden soll.
({0})
Unter diesen Voraussetzungen stimmen wir dem Antrag der CDU zu.
({1})
Meine Damen und Herren, wird das Wort weiter gewünscht? Herr Abgeordneter Richter, bitte! Ich nehme an, es handelt sich um das Schlußwort als Antragsteller.
Richter ({0}) ({1}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedauere außerordentlich, daß nach meinen sachlichen Ausführungen zu diesen von allen Rednern doch für so wichtig und bedeutsam anerkannten Fragen derartig ausfallende und gehässige Äußerungen von dem Kollegen Winkelheide mindestens habe ich es so aufgefaßt -gemacht wurden.
({2})
Ich kann mir nicht vorstellen, daß die CDU/CSU-Fraktion, die, wenn man sie nach ihrer politischen Einstellung im gesamten betrachtet, in der Vergangenheit in dem früheren parlamentarischen Getriebe, in der Regierung Männer hatte wie einen Arbeitsminister Braun oder einen Stegerwald oder einen Imbusch, derartige Ausführungen billigt.
({3})
Ich beantrage im Gegensatz zu den Kollegen Winkelheide, Dr. Hammer und anderen, daß der Antrag der SPD-Fraktion Drucksache Nr. 774 auch dem sozialpolitischen Ausschuß überwiesen wird. Meine Damen und Herren, der Ältestenrat hat bereits diese Überweisung beschlossen. Würden Sie dem Antrag der Abgeordneten Winkelheide und Dr. Hammer entsprechen, so würde das praktisch bedeuten, daß Sie diese Frage weiter verschleppen.
Was nun den Vorwurf anlangt, im sozialpolitischen Ausschuß sei eine Verschleppungstaktik betrieben worden, so darf ich dazu folgendes sagen. Meine Damen und Herren, wer hat denn die Mehrheit im sozialpolitischen Ausschuß?
({4})
- Verehrter Herr Kollege, der Vorsitzende hat diesen Punkt dreimal auf die Tagesordnung gesetzt, und zweimal hatten Ihre Damen und Herren, die die Mehrheit im Ausschuß haben, keine Zeit, um dieses Problem zu beraten.
({5})
Auch für gestern habe ich als Vorsitzender des Ausschusses für Sozialpolitik veranlaßt, ohne von irgend jemandem Ihrer Damen und Herren eine Anregung erhalten zu haben, daß der Punkt auf die Tagesordnung kommt, damit er möglichst bald abschließend behandelt wird.
Ich bitte Sie nochmals, daß Sie dem Antrag auf Überweisung der Drucksache Nr. 774 an den Ausschuß für Sozialpolitik im Interesse der Sache stattgeben.
Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die gemeinsame Aussprache über die Drucksachen Nr. 870, 740 und 774.
Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 870.
({0})
Das Wort hat der Abgeordnete Euler zur Geschäftsordnung.
Herr Präsident, es wäre wohl zweckmäßig, zunächst über unseren geschäftsordnungsmäßigen Antrag abstimmen zu lassen, daß der sozialdemokratische Antrag an den Haushaltsausschuß verwiesen wird.
({0})
Verzeihung, es ist schon im Ältestenrat vorgesehen worden, daß der Antrag Drucksache Nr. 774 an den Ausschuß für Sozialpolitik und an den Haushaltsausschuß überwiesen wird; es ist also nichts Neues.
({0})
- Das können wir ja nachher machen, wenn wir dazu kommen.
Wir stimmen jetzt über den Antrag Drucksache Nr. 870 ab. Wer für den Antrag Drucksache Nr. 870, d. h. für den Antrag des Ausschusses für Sozialpolitik ist, den bitte ich, die Band zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit. Damit ist der Ausschußantrag auf Drucksache Nr. 870 angenommen.
({1})
- Verzeihung, Herr Abgeordneter Laforet; wollen Sie sich bitte die Drucksache Nr. 870 vornehmen!
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über Drucksache Nr. 740. Ich darf, wenn keine anderen Anregungen gegeben werden, das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß dieser Antrag an den Ausschuß für - -({2})
- an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Sozialpolitik kommt.
({3})
- Nur Haushaltausschuß?
({4})
--- Ich bin in der Abstimmung.
Es liegen zwei Anträge vor, nämlich der Antrag, die Drucksache Nr. 740 lediglich an den Haushaltsausschuß zu überweisen, und der zweite Antrag auf Überweisung an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Sozialpolitik.
({5})
- Danke schön! Ich bin sehr dankbar für diese Belehrung, Herr Kollege.
({6})
Verzeihung, ich bin in der Abstimmung!
Der weitergehende Antrag ist zweifellos
der - -({7})
Ich bin mitten in der Abstimmung.
({8})
- Zur Abstimmung ja; aber nicht zur Geschäftsordnung!
({9})
({10})
- Herr Abgeordneter Dr. Becker zur Abstimmung!
Der Antrag auf Überweisung an den Haushaltsausschuß ist ein Antrag, der die geschäftsordnungsmäßige Behandlung betrifft, d. h. der Haushaltsausschuß soll prüfen, ob der Antrag den Vorschriften des § 48 a. der Geschäftsordnung entspricht.
({0})
- Jawohl, genau so, wie es auf Vorschlag des Herrn Kollegen Arndt im Ausschuß für Geschäftsordnung beschlossen und wie es auch vom Ältestenrat angenommen worden ist.
Der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Sozialpolitik ist ein Antrag, der die sachliche Behandlung der Dinge betrifft. Man kann deshalb nicht beide Anträge auf die gleiche Ebene stellen, sondern der Antrag, der die geschäftsordnungsmäßige Behandlung betrifft, hat den Vorrang.
Wird das Wort weiter zur Abstimmung gewünscht? - Herr Abgeordneter Schoettle! Nur zur Abstimmung.
Meine Damen und Herren! Ich vermag nicht ganz der strengen Logik des Herrn Kollegen Dr. Becker zu folgen. In den ganzen Überlegungen gibt es ja auch ein politisches Moment. Ich glaube, Sie tun etwas sehr Unkluges, wenn Sie mit den Mitteln der Geschäftsordnung eine wirklich ernsthafte Behandlung des sozialdemokratischen Initiativgesetzentwurfs im Ausschuß für Sozialpolitik entweder verhindern oder hinausschieben.
({0})
Ich glaube, hier ist ein Problem aufgeworfen worden, das wir alle - teils von der einen Seite des CDU-Antrags, teils von der Seite des SPD-Antrags her - ernsthaft überlegen und nicht mit geschäftsordnungsmäßigen Mitteln irgendwie in den Hintergrund drängen sollten. Ich bitte Si e sehr, meine Damen und Herren, hier nicht mit den Mitteln der Abstimmung eine Debatte weiter zu vergiften, die durch einige heute morgen vorgekommene Ereignisse wahrhaftig schon reichlich genug vergiftet worden ist.
Meine Damen und Herren! Vom Standpunkt der Geschäftsordnung aus gesehen
liegen die Dinge so. Der eine Antrag lautet lediglich: Überweisung an den Haushaltsausschuß; der andere lautet: Überweisung an den Haushaltsausschuß und an den Ausschuß für Sozialpolitik. Der letztere Antrag ist nach meiner Auffassung der weitergehende. Über ihn lasse ich zunächst abstimmen. Wer dafür ist, daß die Drucksache Nr. 740 an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. ({0}) - Das war zweifelhaft. Unter diesen Umständen bin ich gezwungen, einen Hammelsprung durchführen zu lassen. Ich bitte, den Saal zur Abstimmung durch Hammelsprung zu verlassen.
({1})
Die Schriftführer bitte ich, sich an die Türen zu begeben. - Sind an allen Türen je zwei Schriftführer?
({2})
Die Abstimmung kann beginnen.
({3})
Meine Damen und Herren! Ich bitte, Platz zu nehmen. - Sind alle Mitglieder des Hauses wieder im Saal? - Die Abstimmung ist beendet. Ich bitte die Damen und Herren, die als Schriftführer bei der Abstimmung zugegen waren, mir die Ergebnisse mitzuteilen.
({4})
Meine Damen und Herren, ich darf Ihnen das Abstimmungsergebnis des Hammelsprungs mitteilen. Für die Überweisung an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Sozialpolitik: 148 Stimmen, dagegen 129 Stimmen, 2 Enthaltungen.
({5})
Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ging hier um das Prinzip des § 48 a der Geschäftsordnung, Ich möchte folgenden Zusatzantrag stellen, damit keine Verzögerung eintritt und damit sich bei Anwendung des § 48 a eine sichere Verfahrensregel herausbildet, beide Anträge für den Fall, daß der Haushaltsausschuß ihre Zweckmäßigkeit bejaht, ohne weiteren Beschluß des Hauses sofort an den Fachausschuß zu überweisen.
({0})
Darf ich noch einmal wiederholen: das ist schon beschlossen. Es ist darüber abgestimmt worden, den Antrag gleichzeitig an den Haushaltsausschuß und den Ausschuß für Sozialpolitik zu überweisen. Dafür haben sich 148 gegen 129 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen ergeben.
Dann habe ich die Verkündung des Herrn Präsidenten mißverstanden. Ich war der Meinung, daß nur die Überweisung an den Haushaltsausschuß erfolgt sei. Ich bitte das zu entschuldigen.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 774. Auch da liegen zwei Anträge vor. Wird noch das Wort dazu gewünscht? - Das ist nicht der Fall.
Der eine Antrag lautet: Überweisung an den Haushaltsausschuß; der andere lautet: an Haushaltsausschuß und sozialpolitischen Ausschuß. Der letztere Antrag ist der weitergehende. Wer für die Überweisung des Antrags Drucksache Nr. 774 an beide Ausschüsse ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war die Mehrheit; dann ist demgemäß beschlossen.
Ich mache ferner auf folgendes aufmerksam.
Bezüglich des Punktes 2 der Tagesordnung: Beratung der Interpellation der Abgeordneten Dr. Frey, Dr. von Brentano und Fraktion der CDU/CSU betreffend Arbeitslosigkeit im Grenzkreis Kleve ({0})
haben die Antragsteller Absetzung beantragt. Ich
nehme das Einverständnis des Hauses damit an.
Wir kommen dann zu Punkt 4 der Tagesordnung: Erste Beratung des vom Deutschen Bundes({1})
rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über Reichsmarkverbindlichkeiten zwischen
Gebietskörperschaften ({2}).
Laut Beschluß des Ältestenrats soll die gedruckte Begründung als eingebracht gelten und damit die erste Beratung als beendet angesehen werden mit der Maßgabe, daß der Gesetzentwurf Drucksache Nr. 832 als dem Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen überwiesen gilt.
({3})
- Ausschuß Geld und Kredit und nicht Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen? - Dart ich das Einverständnis des Hauses damit feststellen: nicht Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen, sondern der Ausschuß Geld und Kredit? - Es ist demgemäß beschlossen.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses über den Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen betreffend Aufhebung der Ersten Gehaltskürzungsverordnung vom 1. Dezember 1930 für den Bereich des Bundesgebietes.
Dazu liegen folgende Drucksachen vor: Nr. 830, 140, 343, 364 und ein heute noch neu eingegangener Abänderungsantrag Drucksache Nr. 857.
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Dr. Krone das Wort.
Dr. Krone ({4}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Es handelt sich hier um die Drucksache Nr. 830. Sie enthält den Bericht des Haushaltsausschusses zur Frage der Aufhebung der Verordnung über die sechsprozentige Gehaltskürzung auf Grund der Notverordnung vom 1. Dezember 1930. Den Beratungen im Haushaltsausschuß lag der Antrag der Abgeordneten Renner und Fraktion Drucksache Nr. 140 zugrunde, in dem die Aufhebung beantragt worden ist; dann der weitere Antrag derselben Fraktion Drucksache Nr. 364, in dem beantragt worden ist, daß diese Aufhebung vom 1. Januar 1950 an in Kraft treten soll; ferner der mündliche Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht Drucksache Nr. 343; dieser Ausschuß hat ebenfalls beschlossen, daß diese Kürzung mit dem 1. Januar 1950 aufzuheben sei unabhängig von der Regelung jener Maßnahmen auf Grund des Art. 131 des Grundgesetzes.
Der Haushaltsausschuß hat sich eingehend mit diesen Fragen beschäftigt und den Beschluß auf Drucksache Nr. 830 gefaßt. Er stimmt der Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung zu. Was den Termin angeht, so hat er beschlossen, daß diese Aufhebung in zeitlicher und sachlicher Verknüpfung mit Maßnahmen erfolgen solle, die auf Grund des Art. 131 des Grundgesetzes in Vorbereitung sind, d. h. mit der Regelung der Rechtsverhältnisse ehemaliger Angehöriger der öffentlichen Dienste, insbesondere der Heimatvertriebenen. Die Aufhebung soll unverzüglich erfolgen, was im Sinne des Ausschusses heißen muß, daß auch die Regelung auf Grund des Art. 131 unverzüglich zu erfolgen habe.
Ich habe also die Aufgabe, Ihnen den Antrag Drucksache Nr. 830 zur Annahme zu empfehlen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich eröffne die Aussprache. Der Ältestenrat hat Ihnen, meine Damen und Herren, 60 Minuten Gesamtdiskussion unter Verteilung der Redezeiten nach dem üblichen Schlüssel vorgeschlagen. Ich nehme Ihr Einverständnis mit diesem Vorschlag an.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Baur.
Meine Damen und Herren! Wenn dem Antrag die ihm zukommende Aufmerksamkeit erwiesen und wenn insbesondere die Bedeutung der nun fast ein Jahr dauernden Behandlung dieses Antrages in das richtige Licht gerückt werden soll, so ist das nur moglich, wenn Sie mir Gelegenheit zu einer kurzen chronologischen Behandlung des Schicksals dieses Antrags in den mit ihm befaßten Parlamenten gestatten. Nur wenn Sie sich das vergegenwärtigen, sind Sie meiner Meinung nach in der Lage, den vollen Ernst der Sachlage zu erkennen und einen entsprechenden Beschluß zu fassen.
Der Wirtschaftsrat hat in seiner 38. Vollversammlung am 24. J uni 1949 beschlossen, der Verwaltungsrat solle einen Vorschlag unterbreiten, nach dem die Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung durchgefuhrt werden konne. Das ist geschehen. Am 24. 6. und am 13. 7. sind die entsprechenden Beschlüsse gefaßt worden. Am 16. 7. hat der Wirtschaftsrat dann einen Gesetzentwurf angenommen, wonach diese Aufhebung der Gehaltskurzung am 1. 9. 1949 in Kraft treten sollte. Am 3. August hat der Länderrat seine Zustimmung zu diesem Gesetz gegeben. Am 5. 8. lehnte die Militarregierung diesen Gesetzentwurf mit der Begründung ab, daß dafür der bis dahin gewählte Bundestag zuständig sei. Am 8. 8., drei Tage später, hat der Ausschuß für Beamtenrecht im Wirtschaftsrat wiederum beantragt, die Militärregierung erneut zu ersuchen, diese Gehaltskürzung aufzuheben. Auch diesen Antrag hat die Militärregierung abgelehnt, wiederum mit der Begründung, daß das Aufgabe des Bundestages sei.
Der Wirtschaftsrat hat also in nicht ganz zwei Monaten sehr klar und sehr deutlich diese Frage entschieden. Der Bundestag besteht nunmehr acht Monate, und in acht Sitzungen, in denen wir uns mit diesem Problem beschaftigt haben, ist noch keine ordentliche Entscheidung getroffen worden.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was sind die Tatsachen? Zunächst, daß alle Länder und Gemeinden für ihre Beamten und Angestellten diese Gehaltskürzungen in der Zwischenzeit aufgehoben haben und daß sie in allen Ländern und Gemeinden spätestens zum 1. 10. 1949 in Wegfall gekommen ist. Es ist ferner festzustellen, daß speziell für die Bediensteten bei der Bundesbahn und Bundespost in der Zwischenzeit durch eine Maßnahme des Verwaltungsrates des Wirtschaftsrates die Versorgungsbezüge für die verdrängten Beamten dieser Kategorie gleichgestellt worden sind und daß entsprechend die übrigen Beamten dafür ihre Abzüge erhalten.
Es ist weiter festzustellen, daß die Bahnbeamten der französischen Zone bereits in den Genuß dieser sechs Prozent kommen, so daß die groteske Tatsache besteht, daß beispielsweise ein Eisenbahner, der in Karlsruhe wohnt und in der französischen Zone beschäftigt ist, diese sechsprozentige Gehaltskürzung nicht mehr zu ertragen hat, während der im gleichen Hause wohnende Eisenbahnbeamte, der in Karlsruhe bedienstet ist, immer noch durch diese sechs Prozent benachteiligt wird. Das bedeutet für diese Kreise im Hinblick darauf, daß die Regelung für die in diese Kategorie fallenden Beamten und
({0})
die Gleichstellung der Pensionen und Versorgungsansprüche in der Zwischenzeit durchgeführt sind, eine Benachteiligung.
Jeder Abgeordnete muß sich meines Erachtens doch einmal fragen, ob er von dem Volk, vor allen Dingen von den Beamten und Angestellten ernst genommen werden will. Ich bin der Meinung, daß die große Zahl der Beamten davon nichts hat, wenn Sie bei jeder Gelegenheit in den Debatten das Berufsethos der Beamten in Worten lobpreisen und nicht bei praktischer Gelegenheit beweisen, daß Sie dieses Berufsethos auch zu belohnen bereit sind, sondern nur platonische Worte dafür übrig haben. Mit platonischen Worten können diese Bürger und Bürgerinnen nichts anfangen. Sie wollen Taten sehen; denn nur dadurch wird ihnen geholfen.
Sie müssen weiter bedenken, daß unzufriedene Menschen für einen Staat und für die gesamte menschliche Gesellschaft immer ein sehr gefährlicher Sprengstoff sind und für einen neuen Staat, der sich erst im Aufbau befindet, wie unsere junge deutsche Bundesrepublik, doppelt gefährlich sind. Das Vertrauen, das diese Bürger in ihr gesetzgebendes Parlament haben sollen, ist eine absolute Voraussetzung dafür, daß der Aufbau überhaupt gelingen kann.
Bei den Beratungen um das Beamtengesetz haben Sie immer davon gesprochen, daß die Beamten in einem Treueverhältnis zu Staat und Gemeinden stehen. Ein Treueverhältnis kann nur dann Bestand haben, wenn es nicht einseitig gefordert wird. Auch Sie und die Regierung sind meines Erachtens verpflichtet, dieses Treueverhältnis zu beweisen, indem Sie endlich den gesamten Bundesbeamten die berechtigten Ansprüche zukommen lassen. Wir wollen, daß heute endlich die Zusicherung wahrgemacht und beschlossen wird, und zwar ohne irgendwelche Bindung.
Meine Freunde von der sozialdemokratischen Fraktion stehen absolut auf dem Standpunkt der Forderung der Gewerkschaften, die auch der Meinung sind, daß diese Angelegenheit ohne irgendwelche Verkoppelung zu regeln ist. Deshalb beantrage ich im Auftrage meiner Fraktion eine getrennte Abstimmung über die beiden Abschnitte der Drucksache Nr. 830. Das bedeutet nicht, daß wir die Kreise vernachlässigen wollen, die nach Art. 131 endlich auch ihre Regelung finden sollen. Wir treten als Sozialdemokraten dafür ein, daß diese Regelung für alle die Kreise, die in Art. 131 des Grundgesetzes vorgesehen sind, rasch 'und gründlich erfolgt. Wir sind bereit, die hierfür notwendigen Beratungen zu beschleunigen und, wo immer es geht, zu fördern, damit auch die Ansprüche dieser sich in Not befindenden Kreise baldmöglichst gesetzlich geregelt werden.
Meine Damen und Herren! Der Abgeordnete des bayerischen Landtages, Herr Haußleiter, hat vor wenigen Tagen in Augsburg in einer öffentlichen Versammlung gesagt, daß die Mitglieder dieses Hauses wenig zu sagen hätten und daß es die Meinung des Volkes sei, daß wir die bestbezahlten Arbeitslosen der Welt wären. Wenn solche demagogischen Äußerungen draußen im Volke auf fruchtbaren Boden fallen können, dann ist das Parlament nicht unschuldig daran, wenn es in acht Sitzungen in acht Monaten zu keiner entscheidenden Lösung kommt. Die Bundesbediensteten haben
Lösung kommt. Die Bundesbediensteten haben
das Recht, daß sie mit den Beamten der Länder und Gemeinden gleichgestellt werden.
Meine Fraktion ersucht daher das Haus, den Antrag in Ziffer 1 ohne irgendwelche Einschränkung zu genehmigen. Wir sind das diesen Männern
und Frauen, diesen Bürgern und Bürgerinnen schuldig, und ich bitte Sie, entsprechend zu entscheiden.
({1})
Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Gundelach.
Meine Damen und Herren! Über den historischen Verlauf dieser Angelegenheit, die allmählich tragisch geworden ist, brauche ich keine weiteren Ausführungen zu machen. Das hat bereits Kollege Baur getan. Aber gestatten Sie mir die Bemerkung, daß die Vertreter der Regierungsparteien im Haushaltsausschuß den nunmehr zu beratenden Antrag betreffs Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzungsverordnung von 1930 angenommen haben. Dieser Antrag ist ein Dokument dafür, wie die Regierungsparteien sich in dieser so wichtigen Angelegenheit um eine klare Stellungnahme herumdrücken. Dieser Antrag, der uns heute zur Beratung vorliegt, hat es - das kann man schon sagen - in sich. Ich muß mit einigen Sätzen darauf eingehen. Er besteht aus zwei Teilen, Ziffer 1 und 2, und er ist so gut und ausgezeichnet formuliert. daß Ziffer 2 die Ziffer 1, die positiv für die Beamten ist, wieder aufhebt.
({0})
Ziffer 1 lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. der unverzüglichen Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung auf Grund der Ersten Notverordnung vom 1. Dezember 1930 zuzustimmen.
Das ist eine absolut klare Formulierung, und ich sage, es dürfte eigentlich in diesem Hause kein Abgeordneter da sein, der heute den Mut hätte, sich um eine klare Entscheidung herumzudrücken. Er sollte diesem Teil des Antrags seine Zustimmung geben. Aber es gibt leider Abgeordnete, die unter „unverzüglich" etwas ganz anderes verstehen und nicht darunter verstehen, daß es sofort zu geschehen hat. Es gibt nämlich Abgeordnete der Regierungsparteien, die im Haushaltsausschuß auch der Ziffer 2 des vorliegenden Antrags ihre Zustimmung gegeben haben. Und diese Ziffer 2 hat folgenden Wortlaut:
Der Bundestag wolle beschließen:
2. diese Aufhebung
- gemeint ist die unverzügliche Aufhebung - soll in einer sachlichen und zeitlichen Abstimmung mit den Maßnahmen erfolgen, die auf Grund des Art. 131 des Grundgesetzes vorbereitet sind.
Das heißt weiter verzögern, ja das heißt: wir wollen den Beamten ihre berechtigten Ansprüche nicht gewähren.
({1})
Hier ist die Frage berechtigt: Was wird hier gespielt? Wie lange wollen Sie, meine Herren von den Regierungsparteien, den im Bundesdienst stehenden Beamten die Zahlung der durch Notverordnung ihnen abgezogenen sechs Prozent Gehalt vorenthalten? Sagen Sie es den Beamten doch endlich einmal in klarer, unmißverständlicher deutscher Sprache, die jeder versteht, daß Sie nicht willens sind, die sechsprozentige Gehaltskürzung ab 1. Januar, wie das in dem Antrag festgelegt ist, voll nachzuzahlen. Sagen Sie es den Beamten einmal mit aller Offenheit, daß -Sie formell für die Aufhebung der Gehaltskürzungsverordnung sind, daß
({2})
Sie aber mit der Aufhebung dieser Verordnung eine allgemeine Gehaltskürzung vornehmen wollen. Hier werden Sie, meine Damen und Herren von der Regierungskoalition, heute Farbe bekennen müssen.
Um eine klare Entscheidung herbeizuführen, beantragt meine Fraktion die Streichung der Ziffer 2 des vorliegenden Antrags. Unser Abänderungsantrag hat folgenden Wortlaut:
Der Bundestag wolle beschließen,
1. Ziffer 2 der Drucksache Nr. 830, die wie folgt lautet: „Diese Aufhebung soll in einer sachlichen und zeitlichen Abstimmung mit den Maßnahmen erfolgen, die auf Grund des Art. 131 des Grundgesetzes vorbereitet sind", zu streichen.
Wenn Sie diesem Teil unseres Antrages als erstes Ihre Zustimmung geben, dann kommen morgen die Beamten in den Genuß des sechsprozentigen Gehaltsabzugs ab 1. Januar dieses Jahres.
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme gleich zum Schluß, Herr Präsident. Wir Kommunisten haben eine weitere Ziffer beantragt, die folgendes besagt:
Bisher gewährte Teuerungszulagen für Beamte im Bundesdienst dürfen bei Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzungsverordnung vom 1. Dezember 1930 nicht angerechnet werden.
Meine Damen und Herren! en! Auch das ist ein absolut berechtigter Antrag und eine Forderung jener kleineren und mittleren Beamten, die inzwischen Teuerungszulagen erhalten haben. Wir ersuchen
deshalb den Bundestag, diesem unserem Antrag Rechnung zu tragen, ihm zuzustimmen, damit endlich Schluß gemacht wird mit dieser Komödie.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Falkner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es ist nicht mehr notwendig, zum Inhalt der uns vorliegenden Drucksachen Stellung zu nehmen, ich darf aber mit einer Bemerkung auf den Vorschlag des Sprechers der SPD eingehen. Herr Kollege Baur hat vorgeschlagen, der Bundestag solle in dem Mündlichen Bericht Drucksache Nr. 830 der Ziffer 1 die Zustimmung geben und Ziffer 2 ablehnen. Auf Grund einiger Erfahrungen, die wir auf diesem und anderen Gebieten hier schon gemacht haben, habe ich Bedenken, daß, selbst wenn diesem Vorschlag der SPD stattgegeben werden würde und der Bundestag zu der Entscheidung käme, die sechsprozentige Gehaltskürzung unverzüglich aufzuheben, dann der Fall eintreten würde, daß die Beamten tatsächlich morgen schon in den Genuß dieser Bestimmung kämen.
Ich möchte deshalb namens meiner Fraktion einen weitergehenden Änderungsantrag zum Mündlichen Bericht des Haushaltsausschusses über den Antrag der Abgeordneten Renner und Genossen Drucksachen Nr. 140, 343 und 830, einbringen, dei die Aufhebung der Ersten Gehaltskürzungsverordnung vom 1. Dezember 1930 für den Bereich de Bundesgebietes betrifft. Ich stelle namens meiner Fraktion folgenden Änderungsantrag:
Der Bundestag wolle beschließen, statt dem Antrag des Haushaltsausschusses laut Drucksache Nr. 830 folgendem Gesetzentwurf seine Zustimmung zu geben:
Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung nach der Ersten Gehaltskürzungsverordnung vom 1. Dezember 1930 für die Verwaltungsangehörigen des Bundesdienstes und der früheren Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes.
Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:
§ 1
Die sechsprozentige Gehaltskürzung der Beamten und Ruhestandsbeamten - ({0})
- Ich kann den Antrag des Ausschusses durch
einen Änderungsantrag - ({1})
- Das kann man ohne weiteres nach der Geschäftsordnung machen, darüber haben Sie zu entscheiden. Ich weiß, was Sie einflechten wollen - ({2})
- Es liegt ein Gesetzesantrag von Ihnen vor, der wurde in der ersten Lesung ausgesetzt. Deshalb stelle ich den Änderungsantrag. Ich wiederhole:
§ 1
Die sechsprozentige Gehaltskürzung der Beamten und Ruhestandsbeamten auf Grund der Ersten Gehaltskürzungsverordnung vom 1. Dezember 1930 ist für die Verwaltungsangehörigen ({3}) des Bundesdienstes und der früheren Verwaltung des Vereinigten Wirtschaftsgebietes aufgehoben.
§ 2
Dieses Gesetz tritt mit Wirkung vom 1. Januar 1950 in Kraft.
Ich darf diesen Änderungsantrag dem Herrn Präsidenten überreichen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Pannenbecker.
Meine Damen und Herren! Die beste Begründung für die Notwendigkeit der Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung hat im Laufe der vielgestaltigen und trotzdem unfruchtbaren Verhandlungen eigentlich der Herr Bundesfinanzminister gegeben, denn er hat im Laufe dieser Verhandlungen gesagt, ihm sei klar, daß die Beamtenschaft in den letzten Jahren gewissermaßen mit 50 % vorbelastet gewesen sei, weil ihre Bezüge noch auf der Besoldungsverordnung von 1927 minus der 6 % seit 1931 beruhten. Das ist nach meiner Meinung eine ganz ausgezeichnete Begründung für die Notwendigkeit, die sechsprozentige Gehaltskürzung endlich aufzuheben. Der Herr Finanzminister hat dann im Laufe der letzten Monate ein Weiteres getan. Er hat hier im Plenum einmal erklärt: wenn der Bundestag bereit ist, die sechsprozentige Gehaltskürzung aufzuheben, dann bin ich bereit, die 6 % ab 1. Januar 1950 zu zahlen.
Deutschei Bundestag. ({0})
Leider ist der Bundestag dieser Anregung des Herrn Finanzministers nicht gefolgt. Die Angehörigen der Koalitionsparteien haben damals gegen diese Anregung des Herrn Finanzministers gestimmt, sonst wären wir die Sache längst los, und die Gehaltskürzungsverordnung wäre aufgehoben.
Mehr möchte ich nach dem, was zur Sache von Herrn Kollegen Baur und von den anderen Herren gesagt worden ist, nicht sagen. Ich möchte nur dem von Herrn Kollegen Falkner von der Bayernpartei eingebrachten Abänderungsantrag zustimmen und Sie alle bitten, ebenfalls diesem Antrag zuzustimmen, damit diese Dinge endlich einmal bereinigt werden.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Oellers.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meine Fraktion hat volles Verstandnis dafür, daß man zwischen den Beamtenkategorien, fur die die sechsprozentige Gehaltskurzung aufgehoben ist, und denjenigen Beamtengruppen, bei denen die 6 % noch abgezogen werden, eine gerechte Übereinstimmung herstellen muß. Wir sind also im Prinzip der Auffassung, daß man nach Wegen suchen muß, um die Gleichstellung nunmehr auch fur die noch übriggebliebenen Bundesbeamten und die noch übriggebliebenen Beamten in einzelnen Ländern herbeizuführen,
({0}) - das werden Sie schon noch hören! - wenn es uns auch etwas zweifelhaft ist, wie man das beispielsweise bei der prekären Lage der Bundesbahn im Augenblick zu tun gedenkt. Mit Erklarungen ist in diesem Falle wenig geholfen.
Es ist im übrigen nicht richtig, wenn hier ausgefuhrt worden ist, daß in sämtlichen Ländern die sechsprozentige Beamtengehaltskurzung bereits aufgehoben worden sei. lm Gegenteil! Ausgerechnet vor drei Tagen hat der schleswig-holsteinische Landtag, in dem die Herren von der Sozialdemokratie nach dem Auszug der CDU unter sich sind und die Gesetze allein machen, die Aufhebung der sechsprozentigen Kürzung der Beamtengehalter abgelehnt.
({1})
Nun bin ich weit davon entfernt, etwa die schleswig-holsteinische Landtagsfraktion mit der Bundestagsfraktion der SPD zu identifizieren, aber nachdem Herr Kollege Baur diese Frage so weit auf das ideologische Gebiet verlagert hat, kann ich mir nicht denken, daß zwischen der Ideologie hier im Bundesparlament und der Ideologie der schleswig-holsteinischen SPD ein so weitgehender Unterschied bestehen sollte.
Herr Kollege Gundelach hat den Regierungsparteien die Frage vorgelegt, ob wir gewillt seien, ehrlich Farbe zu bekennen. Haben Sie keine Sorge, für meine Partei bin ich dazu durchaus in der Lage!
({2}) Wir haben uns so oft und in einer von der Linken mehrfach abgelehnten Form vor das Berufsbeamtentum gesteilt, daß wir auch den Mut haben können, in einem Fall einmal die Wahrheit zu sagen, die vielleicht im Augenblick nicht allen Beamten angenehm klingen mag.
({3})
Und diese Wahrheit ist folgende: Wir halten es für politisch völlig untragbar, in einem Moment, in dem das Gesetz nach Art. 131 des Grundgesetzes noch
nicht verabschiedet ist, die sechsprozentige Gehaltserhöhung durchzuführen. In einem Moment, in dem in Kreisen des Finanzministeriums - im übrigen durchaus gegen unsere Meinung, da wir für die Gleichstellung der heimatvertriebenen Beamten sind, damit ich hier nicht mißverstanden werde - der Standpunkt vertreten wird, daß eine solche Gleichstellung aus finanziellen Gründen nicht möglich sei, ist es unmöglich, für andere Beamtenkategorien eine sechsprozentige Gehaltserhöhung durchzuführen.
({4})
- Selbstverständlich ist es eine Erhöhung, eine Aufhebung einer Kürzung ist immer noch eine Erhöhung, ob Sie das bestreiten oder nicht.
({5}) Jedenfalls sind wir der Meinung, daß wir dieses Problem nur im Zusammenhang zu prüfen in der Lage sind und daß man infolgedessen im Prinzip dem Antrag, wie ihn der Ausschuß vorgelegt hat, zustimmen muß.
Nun aber zu dem Antrag selbst. Ich verstehe den Vertreter der KPD, wenn er gesagt hat, daß dieser Antrag nicht Fisch und nicht Fleisch ist.
({6})
Wenn man nämlich im ersten Absatz von „unverzüglich" spricht,
({7})
kann man nicht im zweiten Absatz diese Unverzüglichkeit - was „ohne Verzug" heißt - wieder zur Aufhebung bringen.
({8})
Ich stelle für meine Fraktion den Antrag, die Angelegenheit dem zuständigen Ausschuß mit der Auflage zurückzuverweisen, sie wieder zusammen mit dem Gesetz nach Art. 131 vorzulegen.
({9})
Sollte dieser Antrag abgelehnt werden, dann stelle
ich den Hilfsantrag - damit der Ausschußantrag
seine logische Berechtigung hat -, im ersten Absatz den Ausdruck „unverzüglich" zu streichen.
({10})
Herr Abgeordneter Oellers, Sie müssen das schriftlich übergeben.
Das tue ich.
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Ich möchte zu dem Ausschußantrag Drucksache Nr. 830 erklären, daß dieser Antrag in seiner Absicht, seiner Fassung und seinem Wortlaut den Absichten der Bundesregierung selbst entspricht,
({0})
daß also irgendeine Erinnerung gegen die Annahme dieses Antrags von seiten der Bundesregierung nicht besteht. Warum ich spreche, ist also nicht so sehr dieser Antrag, dem die Bundesregierung ja zustimmt, sondern es ist der Abänderungsantrag, der von seiten der kommunistischen Fraktion gestellt worden ist, und es ist die Tatsache, daß die Bayernpartei den früheren Gesetzentwurf der Kommunistischen Partei Deutschlands für ihre
({1})
Fraktion übernommen hat. Das letztere hat für den politischen Feinschmecker eine gewisse interessante Note, aber ¡Aber diese interessante Note wird nicht in diesem Hause, sondern außerhalb dieses Hauses wahrscheinlich noch gesprochen werden.
({2})
Was aber nun die Übernahme des Gesetzentwurfs und den Antrag der KPD betrifft, so möchte ich feststellen, die Ziffer 2, die neuerdings im Antrag der KPD vorgeschlagen ist, scheint schon deshalb völlig unvollziehbar - selbst wenn man über den sachlichen Inhalt gar nicht sprechen wollte -, weil hier von bisher gewährter Teuerungszulage ausschließlich „für Beamte im Bundesdienst" die Rede ist. Schon diese Formulierung ist ganz falsch. Beamte im Bundesdienst gibt es zur Zeit überhaupt nicht. Es gibt derzeit nur Angestellte des Bundesdienstes, weil der Bund und die neue Bundesverwaltung wegen vorläufigen Nichtinkrafttretens des Beamtengesetzes bisher gar nicht in der Lage war, Beamte anzustellen. Der Antrag 'würde also vollkommen ins Leere gehen.
Nun darf ich aber zu dem Antrag, zu dem Gesetzentwurf, den die Bayernpartei von der kommunistischen Fraktion übernommen hat,
({3}) weiter bemerken: dieser Gesetzentwurf sieht vor, daß mit Wirkung vom 1. Januar 1950 ab die Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung gelten soll. Ich brauche dem Hohen Hause nicht zu erklären, welche auch besoldungsrechtliche Bedeutung ein Gesetzentwurf mit rückwirkender Kraft für vier bis fünf Monate hat. Von Behebung von Notständen mit rückwirkender Kraft kann wohl überhaupt nicht die Rede sein. Dies also eine grundsätzliche Erinnerung.
Zweitens. Nachdem die KPD ja will, daß sämtliche Teuerungszulagen weiter gewährt werden, und ich annehme, daß die Bayernpartei diesen Willen der KPD auch übernimmt,
({4})
möchte ich dazu Stellung nehmen. Der Wegfall der sechsprozentigen Gehaltskürzung bedeutet eine Belastung des Haushalts mit 71,3 Millionen. Ich habe in diesem Hause schon erklärt, daß trotz des Ernstes der Haushaltslage der Bundesfinanzminister bereit ist, diese Belastung im Zusammenhang mit der Lösung des gesamten Problems - Regelung der Rechtsverhältnisse der Beamten nach Art. 131 des Grundgesetzes - zu übernehmen.
Aber der Bundesfinanzminister hat immer auch erklärt, daß er sich dagegen wenden müsse, daß die Teuerungszulagen schlechthin beibehalten werden. Die Teuerungszulagen sind überwiegend als Ersatz für den Wegfall der sechsprozentigen Gehaltskürzung gegeben worden.
({5}) Wenn ich heute die 6 °/o Gehalt wieder gewähre und die Teuerungszulagen, die als Ersatz für den Wegfall gegeben worden sind, gleichzeitig bestehen lasse, dann leiste ich zweimal eine Vergütung und ich verschiebe die besoldungsrechtlichen Verhältnisse grundsätzlich. Das würde zur Folge haben, daß die Kreise, die die Teuerungszulagen als Ersatz für die 6 % Gehaltskürzung bekommen haben, nach Wegfall der 6 % Gehaltskürzung unter Beibehaltung der vollen Teuerungszulagen höhere Bezüge als ihre Vorgesetzten hätten. Es würde ein Sekretär höhere Bezüge als der Oberinspektor haben. Das ist besoldungsrechtlich schon unmöglich. Es ist auch unbillig, zu verlangen, daß eine Teuerungszulage, die als Ersatz für einen Gehaltsteil, der wegfiel, gegeben worden ist, beibehalten bleibt, wenn der Gehaltsteil wieder gewährt wird, wenn also der Grund für die Gewährung der Teuerungszulage weggefallen ist. Haushaltsrechtlich würde das bedeuten, daß die Belastung des Bundeshaushalts von 71,3 Millionen auf 121,2 Millionen steigen würde, eine Mehrung um 50 Millionen DM, die für den Bundeshaushalt bei den jetzigen Verhältnissen nicht tragbar und in der Sache auch nicht veranlaßt ist. Daß die KPD eine innere Verpflichtung, für den Bundeshaushalt Sorge zu tragen und die finanziellen Verhältnisse der Bundesrepublik aufrechtzuerhalten, nicht fühlt, darf ich wohl annehmen; daß sich die Bayernpartei dem anschließt, ist überraschend für mich.
({6})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor? - Das Wort hat Herr Abgeordneter Gundelach.
Meine Damen und Herren! Der Herr Finanzminister Schäffer hat den Versuch unternommen, ein Argument gegen unseren Antrag vorzubringen, aber er hat dieses Argument doch ein bißchen sehr weit hergeholt, wenn er nämlich davon spricht, daß es schon wegen der Fassung der Ziffer 2 gar nicht möglich sei, unseren Antrag vorzubringen, weil dort das Wort „Beamte" steht und es angeblich nach der Terminologie, wie er sie hier vorgetragen hat, zur Zeit überhaupt nur Angestellte gibt. Überlassen wir es den Beamten, die selbst im Bundesdienst stehen, was richtig ist. Um diesen formellen Einwand wegzunehmen, ändern wir unseren Antrag, indem wir für das Wort „Beamte" „Angestellte" setzen. Damit ist dieser kleine Schönheitsfehler, wenn ich es so bezeichnen soll, beseitigt, und Sie haben die Möglichkeit, sich klar zu erklären.
Was im übrigen vom Herrn Bundesfinanzminister hier zum Ausdruck gebracht worden ist, ist das, was wir nun schon seit einem halben Jahre in dieser Angelegenheit hören. Wenn er davon spricht, daß es finanziell nicht tragbar ist, weil 5 Monate nachgezahlt werden sollen, dann stelle ich hier die Tatsache fest daß daran einzig und allein der Herr Finanzminister und die Regierungskoalition schuld sind.
({0})
Denn Sie haben bereits im Dezember des vorigen Jahres Gelegenheit gehabt, einem Antrag unserer Fraktion Rechnung zu tragen und die berechtigten Ansprüche der Beamten ab 1. Januar zu regeln, wie es damals in dem einstimmig beschlossenen Antrag des Beamtenrechtsausschusses zum Ausdruck gekommen ist.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Falkner.
Ich bedauere, daß ich noch einmal das Wort ergreifen muß, aber die Ausführungen des Herrn Bundesfinanzministers zwingen mich dazu.
Meine Damen und Herren! Der Antrag, die sechsprozentige Gehaltskürzung aufzuheben, ist von der Fraktion der KPD eingebracht worden. Als man sich in der ersten Sitzung des Beamtenrechtsausschusses mit diesem Thema beschäftigte, war Über({0})
einstimmung bei den Vertretern aller politischen Parteien; einstimmig wurde diesem Antrag zugestimmt. Es ist, glaube ich, damals keinem Menschen eingefallen, deshalb etwa die Vertreter der SPD oder der CDU/CSU oder der FDP oder der Deutschen Partei zu verdächtigen, daß sie mit den Kommunisten, mit der KPD in irgendeinem Verhältnis stehen, weil sie nun einmal einem Antrag der KPD ihre Zustimmung geben. Ich darf weiterhin daran erinnern, daß der Herr Bundesfinanzminister selbst am 19. Januar hier erklärt hat, daß die Bundesregierung dem Antrag auf Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung, der nun einmal von der KPD gestellt war, zustimmt. Es ist keinem Menschen eingefallen, deshalb die Bundesregierung zu verdächtigen, daß sie Anhänger der KPD wäre.
({1})
Ausgerechnet, weil die Bayernpartei nun in Erkenntnis dessen, daß man diese Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung verschleppen will, den Antrag gestellt hat, die Vorlage des Ausschusses durch ein Gesetz zu ändern, ausgerechnet jetzt, weil dieser Antrag auch mit einem gleichlautenden, früher eingebrachten Antrag der KPD zusammenfällt, glaubt der Herr Finanzminister einen inneren politischen Zusammenhang zwischen der KPD und der Bayernpartei herstellen zu können. Ich lehne nicht nur jeden politischen oder sonstigen Zusammenhang mit der KPD namens meiner Fraktion und der Bayernpartei ab, sondern ich bedauere vor allem, ablehnen zu müssen, daß der Herr Finanzminister als Minister der Bundesrepublik Deutschland hier vor diesem Hause eine politische - ich möchte keinen stärkeren Ausdruck dafür gebrauchen - Diffamierung vorgenommen hat.
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
({0})
Ich will keinen bayerischen Hausstreit entfachen, ich möchte aber feststellen: es ist auch einem Minister der Bundesregierung erlaubt, darauf hinzuweisen, daß er über einen Antrag überrascht ist. Mehr habe ich letzten Endes nicht getan, als meine Überraschung ausgesprochen,
({0})
daß die Bayernpartei heute den Antrag der KPD übernimmt. Aber feststellen möchte ich - um der Wahrheit willen -, es ist unrichtig, daß ich oder ein anderes Mitglied der Bundesregierung je den Hauptpunkten des KPD-Antrages zugestimmt hätte, nämlich einer Rückwirkung für 1. Januar, Teuerungszulage in voller Höhe und Trennung von der Rücksichtnahme auf die Gesetzgebung, die die Verhältnisse aller Beamten nach Artikel 131 des Grundgesetzes neu regeln soll. Das sind doch die springenden Punkte dieses Antrags der KPD.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Pohle.
Meine Damen und Herren! Während ich an einer Besprechung teilgenommen habe, hat Herr Dr. Oellers hier einige Unfreundlichkeiten gegen die Haltung Schleswig-Holsteins an das Haus herangetragen.
({0})
Ich habe bisher immer gehört, daß sich Diplomaten und angehende Diplomaten
({1})
besonders durch eine große Verbindlichkeit und nicht durch eine besondere Aggressivität auszeichnen.
({2})
Ich darf Herrn Dr. Oellers sagen, daß die Mehrheit des schleswig-holsteinischen Landtages in der Aufhebung der sechsprozentigen Gehaltskürzung sofort folgt, wenn der Bundestag heute diesen Beschluß faßt.
({3})
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Aussprache.
Wir treten in die Abstimmung ein. Meine Damen und Herren, die Abstimmung ist kompliziert. Wir haben über sieben Anträge abzustimmen, bei denen die Frage der Priorität nicht immer ganz leicht zu lösen ist. Ich kann nicht anerkennen, daß der sogenannte Abänderungsantrag der Bayernpartei, der in Wirklichkeit eine Gesetzesvorlage ist, als Abänderung des Antrags des Haushaltsausschusses interpretiert werden kann. Es handelt sich um eine selbständige Gesetzesvorlage. Wenn aus dem Hause widersprochen wird, dann kann dieser nun gestellte Antrag überhaupt nicht behandelt werden.
Darüber hinaus bestimmt § 36 Absatz 1 Satz 2 der Geschäftsordnung, daß bei Gesetzentwürfen, auch wenn sie aus dem Hause eingereicht werden, die Beratungen frühestens am dritten Tage nach der Verteilung der Drucksachen beginnen können. Der Antrag der BP ist also unter keinen Umständen heute behandlungsfähig.
Aber ich habe zuerst die Frage zu stellen: Wird
der Behandlung des Antrags der BP widersprochen?
({0})
- Es ist widersprochen worden. Schon dadurch sind wir gehindert, diesen Antrag zu behandeln.
Wir haben also nunmehr über den weitestgehenden Antrag abzustimmen; das ist der Antrag der FDP, den Ausschußantrag an den Ausschuß zurückzuverweisen. - Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt.
Nächst weitgehend ist der Antrag der KPD. - Ich bitte um Entschuldigung: der Herr Schriftführer zu meiner Rechten bezweifelt meine Feststellung über die Abstimmung.
({1})
- Ich bitte wiederholt um Entschuldigung. Ich muß daraufhin die Abstimmung wiederholen lassen. Wer für den Antrag auf Zurückverweisung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. ({2})
Gegenprobe. ({3})
- Der Herr Schriftführer nimmt seine Anzweifelung zurück. Der Antrag ist abgelehnt.
({4})
Nächst weitgehend ist der Antrag der KPD auf Streichung der Ziffer 2 des Ausschußantrages. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe.
({5})
- Mir ist das Ergebnis der Abstimmung zweifelhaft. Wir müssen auszählen, und ich bitte die Damen und Herren, sich zum Hammelsprung bereitzumachen. Wer für die Streichung ist, den bitte ich, durch die Ja-Tür zu kommen, wer dagegen ist, bitte durch die Nein-Tür.
({6})
Meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, sich an der Abstimmung zu beteiligen, sie beginnt damit, daß die Abgeordneten den Saal verlassen.
Die Abstimmung beginnt.
({7})
Meine Damen und Herren! Ich erkläre die Abstimmung für geschlossen.
({8})
Meine Damen und Herren, das Ergebnis der Abstimmung ist: mit Ja, also für die Streichung, haben gestimmt 123, mit Nein 131, Enthaltungen 9. Der Antrag auf Streichung ist damit abgelehnt.
Der nächste Antrag. über den abzustimmen ist, ist der Antrag der KPD, - Verzeihung, der FDP. - Es lag mir fern, eine Verbindung herstellen zu wollen. ({9})
Der Antrag geht dahin, das Wort „unverzüglich" in Absatz 1 zu streichen. Wer für die Streichung dieses Wortes ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Nunmehr lasse ich gemäß dem Antrag der SPD ziffernweise über den Antrag des Ausschusses abstimmen und nach dieser Abstimmung über den Ergänzungsantrag der KPD. Ich rufe auf Ziffer 1 des Ausschußantrags. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Ich rufe auf Ziffer 2 des Antrags. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. ({10})
- Vielleicht hat sich ein Mitglied dieses Hauses in der Zwischenzeit anders besonnen.
({11})
Es wurden schon während des Hammelsprungs so viele Belehrungen an Mitglieder des Hauses erteilt, daß ich annehme, daß sie fortgesetzt worden sind. Vielleicht hatten sie Erfolg; ich weiß es nicht. - Das letztere war die Minderheit.
({12})
Der Ausschußantrag Ziffer 2 ist ebenfalls angenommen.
Nunmehr Tasse ich über den Ergänzungsantrag der KPD abstimmen; das ist Ziffer 2 der Drucksache Nr. 857. Wer dafür ist, daß dem Antrag des Ausschusses die Ziffer 2 der Drucksache Nr. 857 hinzugefügt wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Das letzte war die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Arbeit über den Antrag der Abgeordneten Aumer, Freiherr von Aretin, Donhauser, Dr. Solleder. Kahn und Genossen betreffend Kontrollmaßnahmen bei den Arbeitsämtern ({13}).
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Dr. Kneipp als Berichterstatter.
Dr. Kneipp ({14}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Es handelt sich bei der vorliegenden Drucksache um einen Antrag der Bayernpartei. Der Antrag ersucht die Bundesregierung, eine Kontrolle der Arbeitsämter vorzunehmen, bei der folgende Ziele verfolgt werden sollen. Zunächst soll das Personal der Arbeitsämter auf seine fachliche Tauglichkeit hin untersucht werden; zweitens sollen die Arbeitsämter einer kritischen Prüfung daraufhin unterzogen werden, ob sie auch bei der Betreuung, bei der Zuweisung von geeigneten Kräften an die Landwirtschaft bisher das Erforderliche getan haben und weiter tun; drittens sollen die Arbeitsämter angewiesen werden, sich mehr dafür einzusetzen, daß die Schwarzarbeit bekämpft wird.
Der Ausschuß war zunächst überrascht, daß ein solcher Antrag von der Bayernpartei gestellt wurde.
({15})
Man sah in der Antragstellung durch die Bayernpartei die Morgenröte einer stärkeren Bundesbejahung durch die Bayernpartei. Man stellte nämlich im Ausschuß erneut fest, daß die Arbeitsämter heute noch alle der Landesarbeitsverwaltung und damit dem Lande selbst unterstehen und daß die Möglichkeit eines Eingreifens in der von der Bayernpartei erstrebten Richtung durch den Bund gar nicht gegeben wäre. Man stellte weiter fest, daß wir bis jetzt eine Bundesanstalt sozusagen als Ersatz der früheren Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung noch gar nicht hätten, so daß die Möglichkeit nach der Richtung hin nicht gegeben sei. Immerhin glaubte man doch, den Antrag der Bundesregierung als Material zu einer ihr geeignet erscheinenden Verwendung überweisen zu sollen. Ich darf namens des Ausschusses bitten, entsprechend zu beschließen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. Der Ältestenrat hatte vereinbart, keine Aussprache folgen zu lassen. Ich nehme an, daß sich das Hohe Haus diese Empfehlung zu eigen macht.
Ich lasse nunmehr über Drucksache Nr. 722 abstimmen. Wer für den Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
({0})
- Also mit großer Mehrheit angenommen. Ich rufe auf Punkt 7 der Tagesordnung:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge über den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Sofortmaßnahmen zur Behebung der Not der arbeits-, berufs- und heimatlosen Jugend
({1}).
({2})
Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten Ribbeheger als Berichterstatter.
Ribbeheger ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge hat sich in Zusammenarbeit mit den Vertretern der zuständigen Bundesministerien in mehreren Sitzungen mit dem Antrag der SPD-Fraktion Drucksache Nr. 355 betreffend Sofortmaßnahmen zur Behebung der Not der arbeits-, berufs- und heimatlosen Jugend befaßt. Schon die Überweisung dieses Antrags an diesen Ausschuß durch den Bundestag macht deutlich, daß hier neben dem sozialpolitischen und sozialrechtlichen auch ein soizalpädagogisches Problem in den Vordergrund tritt, das zwar oft mit erwähnt, aber nicht in seinem ganzen Umfang, nicht in seiner elementaren Bedeutung und auch nicht in seiner Tragik gesehen und genügend herausgestellt ist.
Die Ausschußmitglieder haben deshalb den Antrag der SPD-Fraktion in dem Sinne behandelt, zunächst einmal über die trostlose Lage der arbeits-, berufs- und heimatlosen Jugend ein möglichst klares und umfassendes Bild zu gewinnen. Es wurde deshalb versucht, erstens im Verein mit dem Jugendaufbauwerk und den jeweils zuständigen Länderministerien einschließlich des Magistrats von Groß-Berlin die arbeits-, berufs- und heimatlose Jugend zahlenmäßig zu erfassen; zweitens die wirtschaftlichen Hilfsmaßnahmen und die Anstrengungen der einzelnen Länder zur Behebung dieser Not kennenzulernen; drittens bundeseinheitliche Möglichkeiten festzustellen und dem Bundestag die notwendigen Schritte und Maßnahmen vorzuschlagen.
Es kann gesagt werden, daß sich rein zahlenmäßig folgendes Bild ergibt. Am Stichtag, dem 28. Februar 1950, zählte man im Bundesgebiet einschließlich Berlin rund eine halbe Million Jugendlicher Arbeitsloser im Alter bis zu 25 Jahren. Davon sind unter 18 Jahren 23 355 männliche Arbeitslose und 32 517 weibliche Arbeitslose, im Alter von 18 bis 25 Jahren 290 931 männliche und 125 318 weibliche Arbeitslose. Das entspricht bei der männlichen arbeitslosen Jugend unter 18 Jahren einem Prozentsatz von 1,6 % aller Arbeitslosen, bei den weiblichen Arbeitslosen einem Satz von 6,5 % aller Arbeitslosen; bei der männlichen arbeitslosen Jugend im Alter von 18 bis 25 Jahren einem Satz von 19,7 %, bei den weiblichen Arbeitslosen einem solchen von 25 % aller Arbeitslosen.
Von der Gesamtarbeitslosenzahl sind Heimatvertriebene unter 18 Jahren 7630 männliche gleich 1,5 % aller Vertriebenen und 10 716 gleich 6,5 % weibliche. In der Altersstufe von 18 bis 25 Jahren beträgt die Zahl der männlichen Arbeitslosen 77 988 gleich 16 % aller Heimatvertriebenen, die Zahl der weiblichen 40 000 gleich 24,3 % aller Heimatvertriebenen.
Hinzu kommt noch, daß zu Ostern ungefähr 500 000 Schulentlassungen stattgefunden haben. Berlin zählt rund 23 000 Schulentlassungen. Wenn man bedenkt, daß nur 40 bis 50 % dieser 500 000 Schulentlassenen in Arbeit und Beruf vermittelt werden können, so kann man daraus ersehen, daß die Arbeitslosenziffer infolge der hohen Zahl der Schulentlassungen noch gesteigert wird. Da aber in der amerikanisch besetzten Zone und in der französisch besetzten Zone Mitte dieses Jahres noch Schulentlassungen stattfinden werden, die man beiläufig auf 200 000 bis 250 000 beziffern könnte, ergibt sich das Bild, daß die Zahl der Arbeitslosen unter den Jugendlichen durch diese eminent hohe Zahl der Schulentlassungen noch weiter steigen wird. Diese relativ vielen Schulentlassungen sind dadurch verursacht, daß wir bis zum Jahre 1939 relativ starke Geburtenjahrgänge zu verzeichnen haben, so daß die Zahl der Schulentlassungen bis 1953 andauernd hoch sein wird.
Ich möchte noch erwähnen, daß sich außer diesen Gruppen in den Westzonen zur Zeit noch zirka 20 000 nicht erfaßbare illegale Jugendliche aufhalten. Des weiteren strömen laufend Jugendliche aus der Ostzone in die Westzone ein, deren Zahl nie genau ermittelt werden kann. Die Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern sind als ausgesprochene Flüchtlingsländer naturgemäß am stärksten betroffen.
Ich möchte hier nicht vergessen, darauf hinzuweisen, daß die große Berufsnot gerade der weiblichen Jugend im Alter von unter 18 Jahren ins Auge fällt, wogegen die Zahl der männlichen Arbeitslosen im Alter von 18 bis 25 Jahren bei weitem überwiegt. Ich möchte Ihnen einige Zahlenbeispiele dazu angeben. In Schleswig-Holstein zählt man 3911 männliche Arbeitslose und 5225 weibliche, in Niedersachsen 3689 männliche
und 4263 weibliche Arbeitslose, in Nordrhein-Westfalen 1914 männliche und 3425 weibliche, in Bremen 305 männliche und 334 weibliche, in Württemberg-Baden 1159 männliche und 2598 weibliche, in Bayern 6383 männliche und 10 575 weibliche Arbeitslose. Wie ich schon betonte, übersteigt die Zahl der männlichen Arbeitslosen im Alter von 18 bis zu 25 Jahren die Zahl der weiblichen Arbeitslosen. Dafür nur einige Beispiele: Schleswig-Holstein zählt an männlichen Arbeitslosen im Alter von 18 bis 25 Jahren 29 598, an weiblichen Arbeitslosen 16 854, Niedersachsen 61 543 männliche und 23 7411 weibliche Arbeitslose, Nordrhein-Westfalen 37 816 männliche und 17 546 weibliche, Bayern 82 270 männliche und 37 517 weibliche, Baden 3 336 männliche und 839 weibliche Arbeitslose.
Die Bundesländer haben versucht, durch Entfaltung oder Förderung der staatlichen oder privaten Initiative dieser Not mehr oder weniger zu steuern. Man hat Jugendwohnheime, teils mit Familiencharakter, sowie Jugendlehrwerkstätten errichtet. Sie kennen den Jugenddienst und das Jugendaufbauwerk aus den einzelnen Ländern. Es muß hier einmal ganz deutlich gesagt werden, daß neben dieser staatlichen und privaten Hilfe sich insbesondere die freien Wohlfahrtsverbände, die Kirchen, Persönlichkeiten und karitativen Verbände des Auslandes eingesetzt haben, um diese ungeheuere Not zu lindern. Trotz alledem, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist es durch diese Taten - im großen und ganzen wertvollste Hilfsmaßnahmen - allein aber nicht möglich, ein Problem von diesem Ausmaß zu lösen.
Daher - und damit komme ich zu Punkt 3 - hat sich der Ausschuß für Jugendfürsorge und Jugendpflege veranlaßt gesehen, von der Bundesebene her das Problem zu sehen und dementsprechende Maßnahmen dem Bundestag vorzuschlagen. Allen Mitgliedern des Ausschusses stand dabei deutlich vor Augen, daß eine solche Not der arbeits-, berufs- und heimatlosen Jugend allergrößte Beachtung und den willensstarken Einsatz aller erfordert. Jugend ohne Heimat, ohne Beruf und ohne Arbeit ist für unser Volk ein Alarmzeichen und für die verantwortlichen Politiker ein Signal zum Handeln, nicht nur um Gefahren, Nachteile und Schäden nach der politischen, wirtschaft({4})
lichen, kulturellen, soziologischen und volkswirtschaftlichen Seite hin zu beseitigen und zu vermeiden, sondern vielmehr aus der Verantwortung heraus, ein gesundes, lebens- und existenzfähiges Volk zu erhalten.
Die Vorschläge des Ausschusses gehen dahin, im Zusammenwirken aller verantwortlichen Stellen unseres Bundesgebietes Lehrstellen und Fortbildungsmöglichkeiten zu gewinnen und neu zu schaffen, Wohnraum und Jugendwohnheime zu errichten, wobei besonderes Augenmerk auf die Auffanglager zu richten ist.
Des weiteren hat sich der Jugendfürsorgeausschuß für die baldige Abfassung eines sozialen Arbeitsschutzrechtes für den jungen Menschen eingesetzt.
Der Ausschuß ist nach langer Beratung einstimmig zu folgendem Ergebnis gekommen. Er trägt dem Bundestag den einstimmig angenommenen Antrag zur Beschlußfassung vor, der in Drucksache Nr. 751 niedergelegt ist:
Der Bundestag wolle beschließen:
Die Bundesregierung wird ersucht, in Zusammenarbeit mit
den Landesregierungen,
den Spitzenverbänden der freien Wohlfahrtspflege,
dem Jugendaufbauwerk,
dem Deutschen Bundesjugendring,
den Spitzenverbänden der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie
dem Zentralverband der vertriebenen Deutschen
nach den im folgenden zusammengestellten Gesichtspunkten wirksame Maßnahmen zu ergreifen bzw. anzuregen, um die Not der arbeits-, berufs- und heimatlosen Jugend zu beheben:
1. Gewinnung und Schaffung von Lehrstellen mit anerkanntem Lehrvertrag in Handel, Handwerk, Industrie, Landwirtschaft, öffentlichen Dienststellen und öffentlich-rechtlichen Körperschaften durch
a) steuerliche Maßnahmen,
b) Zuteilung verbilligter Kredite für zusätzliche einwandfreie Lehrlingsausbildung,
c) Bevorzugung solcher Betriebe bei der Vergebung von Aufträgen der öffentlichen Hand,
d) Freimachung des von betriebsfremden Personen belegten Werkwohnraumes,
e) bundeseinheitliche, den wirtschaftlichen und sozialen Erfordernissen Rechnung tragende Regelung des Arbeitsschutzrechts für Jugendliche,
f) Veranlassung umfangreicher Werbemaßnahmen,
g) volle Ausnutzung aller zur Verfügung stehenden Ausbildungsmöglichkeiten in der gesamten öffentlichen Verwaltung ({5}) unter besonderer Berücksichtigung der weiblichen Jugend.
2. Förderung und Errichtung von überbetrieblichen Lehr- und Fortbildungswerkstätten.
3. Förderung und Errichtung von fachlichen Umschulungsbetrieben und Lehrwerkstätten auf privater und öffentlicher Grundlage.
4. Laufender übergebietlicher Ausgleich von Lehrlingen und jugendlichen Arbeitskräften.
5. Eörderung und Errichtung von Auffanglagern aus Bundesmitteln.
6. Bau von Lehrlings- und Jugendwohnheimen sowie finanzielle Sicherung der Unterhaltung dieser Heime.
7. Einführung eines 9. Volksschuljahres oder eines zusätzlichen Schuljahres für Berufsausbildung.
8. Ausweitung des hauswirtschaftlichen Lehrverhältnisse mit Schaffung von Aufstiegsmöglichkeiten.
Ich möchte namens des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge und Jugendpflege das Hohe Haus bitten, diesem einstimmig eingebrachten Antrag des Ausschusses seine Zustimmung nicht zu versagen, und der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Bundestag diesen Antrag ebenso einstimmig annehmen wird.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Das Wort hat Herr Bundesminister Lukaschek.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung begrüßt diesen Antrag. Sie hält die Fragen der heimatlosen und arbeitslosen Jugend für eines der ernstesten Kapitel und bemüht sich von Anbeginn an, da zu mildern. Alle die Dinge, die hier in dem Antrag aufgezählt sind, sind in Vorbereitung durch die Bundesregierung. Schon in den nächsten Tagen wird unter Führung des Innenministers, für den ich hier spreche, und des Arbeitsministers eine grundsätzliche Aussprache all der Verbände, die hier genannt sind, stattfinden. Ich darf für mein Ministerium bemerken, daß der Zustand gerade bei der heimatlosen Jugend am ernstesten ist, insbesondere durch die ostzonalen Grenzgänger, die sich ja zu einem großen Teil aus Jugendlichen zusammensetzen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Berlin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn sich heute das Hohe Haus mit dieser Angelegenheit beschäftigt, dann möchte ich sagen, daß dieses Fragengebiet neben den verschiedensten Fragen und Komplexen, die aus der Not und den Kriegsfolgen geboren sind, eine Bedeutung hat, an der wir als Volk und Parlament nicht vorübergehen können. Es handelt sich um ein Stück unserer gesamten Volksfamilie, die Jugend, auf die wir schauen müssen und der wir unsere Pflege nach jeder Richtung hin angedeihen lassen müssen. Diese Debatte und die Behandlung dieser Frage möchte ich als einen Appell sowohl an das Parlament wie an das gesamte Volk betrachtet wissen. Jugend klagt an! Jugend will einen Weg finden und Jugend will einen Weg geebnet haben, der die Möglichkeit gibt, jene Entwurzelung, die in einem starken Maße durch die Kriegsfolgen erfolgt ist, wieder auszugleichen und zu beseitigen.
Wenn wir heute von Maßnahmen für die Jugend sprechen, können wir nicht an der Ursache der Tatsachen vorübergehen, die uns heute alle beschäftigen. Der Krieg mit allen seinen Auswirkun({0})
gen war es, der auch die Jugend so stark angeschlagen hat. Ob es sich um jene illegalen Wanderer handelt, ob es sich um jene handelt, die heute im Arbeitsprozeß keine Stätte finden, ob es sich um die Tausende handelt, die nicht die Möglichkeit haben, eine Lehrstelle zu finden, sie alle sind es, die aus der Familie Volk herausgerissen worden sind. An den Gesichtern liest man das Schicksal ab, und wenn wir in den Einzelheiten herumstöbern, ergibt sich eine Fülle von Schicksalen, die uns klarwerden lassen sollten, mit welchem Ernst, aber auch mit welcher Liebe wir uns dieser Menschen annehmen sollten. Es gab einmal eine Zeit, in der viele der Meinung waren, daß der Mensch erst dann ein vollwertiges Glied in der Gemeinschaft sei, wenn er den Weg über den Kasernenhof gemacht habe. Man hat viel vom Heldentum, vom Heldentum auf den Schlachtfeldern gesprochen und dabei vergessen, daß es ein anderes Heldentum gibt, das Heldentum in der Arbeit. Wir haben uns immer in einem starken Maße für die Jugend eingesetzt, weil wir wußten und wissen, daß sie im Ablauf der Generationen immer wieder jenes Element ist, das von der einen zur anderen Generation Brücken schlägt und zugleich eine Entwicklung
trägt.
Wenn wir uns heute die Jugend anschauen und wenn wir die Zahlen des Berichterstatters eindringlich auf uns wirken lassen, dann, glaube ich, werden wir von den Menschen, die vor einigen Jahren die Auffassung vertreten haben, das Schicksal der Jugend in die Kasernen und auf die Schlachtfelder verlagern zu müssen, heute fordern müssen, daß sie der Jugend Werkzeuge in die Hand geben, die dem Aufbau dienen. Jugend wird immer ein aufbauender Faktor sein. Diejenigen, die einst die Instrumente für die Zerstörung, die Instrumente für das Töten anderer Menschen geliefert haben, haben heute die Verpflichtung, dieser Jugend Hammer und Kelle und die Werkzeuge zu reichen, die dem Frieden und dem Leben dienen. - Meine sehr verehrten Anwesenden! Ich bin im Augenblick nicht in der Lage, meine Betrachtungen fortzuführen, weil ich in einen Zustand geraten bin, der es mir nicht erlaubt, das Stoffgebiet so zu behandeln, wie ich es möchte.
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Ich bedaure diesen Zwischenfall. Wir wünschen unserem Kollegen eine baldige und völlige Genesung.
Ich erteile das Wort der Frau Abgeordneten Niggemeyer.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Gestatten Sie mir zunächst einen Hinweis darauf, daß ich und sicher nicht ich allein, sondern zumindest alle Mitglieder des Jugendausschusses es an sich bedauert haben, daß dieser so wichtige Punkt erst am Ende unserer Tagesordnung behandelt wird. Es ist eine Angelegenheit, die uns allen, die wir in dieser Arbeit stehen, ans Herz greift; wie sehr, haben Sie ja an meinem Herrn Vorredner erlebt. Sie werden verstehen, daß ich heute nicht nur unter dem Eindruck der Materie spreche sondern auch unter dem Eindruck dessen, wie sehr ein Mensch, der sich mitten in die Jugendarbeit hineingestellt hat und vor der Öffentlichkeit und vor dem Parlament für die Jugend werben will, davon innerlich so betroffen wird, daß er zusammenbricht.
Ich bedauere es also, daß dieser wichtige Punkt als letzter Punkt der Tagesordnung des letzten Tages einer arbeitsreichen Woche behandelt wird, und sicher bedaure nicht ich allein das. Gewiß entschädigt die Tatsache etwas, daß etwa zwei Stunden Redezeit für die Aussprache zur Verfügung stehen. Ich will auch nicht etwa dem Rat der Ältesten, dem Rat der Weisen, der diese Entscheidung getroffen hat, das Generationenproblem, wie es gestern durch das Haus gegeistert ist, nahebringen. Ich käme da ja nicht in den Verdacht, daß ich es anschneiden wollte, weil ich ja nach Jahren gerechnet dem Rat der Alten und Weisen selber nahestehen könnte. Ich möchte aber doch in dieser Tatsache, daß wir dieses wichtige Problem am Schlusse einer arbeitsreichen Woche behandeln, kein böses Omen dafür sehen, daß es etwa auch bei der weiteren Behandlung und Bearbeitung an letzter Stelle stehen wird.
Der Herr Berichterstatter unseres Ausschusses hat mit vielen Zahlen die materielle Bedeutung dieses Problems umrissen. Unser Vorredner hat aus tiefstem Herzen heraus von der Not der Jugend gesprochen. Ich möchte dartun, daß es ein Problem ist, das von der Regierungsseite her gesehen alle Ministerien angeht, das vom Innenministerium her in das Flüchtlingsministerium, Arbeitsministerium. und, leider nicht zuletzt, in das Finanzministerium hinein seine Ausstrahlungen haben muß. Ich freue mich, daß gleich zu Beginn der Debatte der Vertreter des Flüchtlingsministeriums schon zu dem Problem Stellung genommen hat. Aber über all dem, über das Wirtschaftliche, das Finanzpolitische, das Arbeitsrechtliche hinaus, steht die Not unserer Jugend, steht unserem Gesamtvolk gegenüber die Frage, wie wir diese Not der Jugend lindern wollen.
Wir ringen hier oft um Entschlüsse und um Erkenntnisse, wenn es um rein materielle Dinge und C Gesetzesmaterien geht. Hier, wo es um unsere Jugend, um die Zukunft unseres Volkes geht, sollte - so scheint mir - bei allen Stellen noch ernster, noch verantwortungsvoller geprüft werden, wie geholfen werden kann. im Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge hat sich Einmütigkeit in der Erkenntnis der Not ergeben und eine Einmütigkeit darüber, welchen Weg wir beschreiten wollten. Wir waren der Ansicht, daß wir bei Meisterung dieser Notlage nicht allein und nicht maßgebend den Staat einschalten wollten. Wir ließen uns von der Erkenntnis leiten und wir haben uns auch darüber gefreut, daß die Notlage der Jugend draußen im Volk von den verschiedensten Organisationen, von den Ländern, von der Jugend selbst erkannt worden ist und schon Wege der Abhilfe beschritten worden sind. Ich nenne den Deutschen Bundesring und das Jugendaufbauwerk.
Ich finde, unsere Jugend verdient es, wenn an dieser Stelle einmal gesagt wird, daß sie die ihr innewohnende Aufbaukraft schon zu erkennen gegeben hat. Wir waren im Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge der Ansicht, daß alle Ansatzpunkte der Hilfe, die schon gegeben sind, daß alle Träger der Hilfe, die schon am Beginn des Aufbaues stehen - oft schon mit guten Erfolgen -, jetzt durch den Bund zusammengefaßt werden müssen, um eine einheitliche Lenkung der Hilfe, einen einheitlichen Lastenausgleich der Länder untereinander zu erreichen und so einen Strom der Hilfe für die Jugend zu schaffen, bei dem wir die Gewähr dafür haben, daß auch wirklich Abhilfe geschaffen wird.
Uns ist schon etwas über die Ursache dieser Not gesagt worden. Der Krieg mit seinem Zusammen({0})
bruch und seinen furchtbaren Folgen sei schuld daran, daß wir auf drei verschiedenen Gebieten eine so große Not sehen: bei den arbeitslosen Jugendlichen, bei den heimatlosen Jugendlichen und bei den berufslosen Jugendlichen. Bei Lösung dieser Fragen kann es nicht nur um materielle Hilfe gehen. Hier muß der Personenkreis derer gesehen werden, um die es sich handelt, die Jugend, und zwar die Jugend in einem weiteren Ausmaß, als die Juristen diesen Begriff umfassen, unsere Jugend, die in nicht ferner Zeit unser Deutschland darstellen wird. An uns ist es, wie sie es darstellen wird.
Ich brauche die Zahlen der Betroffenen nicht zu nennen. Es ist uns eingehend in der Berichterstattung gesagt worden, was alles unter den Begriff der arbeitslosen, der heimatlosen, der berufslosen Jugend fällt. Ich unterstrich schon, daß es nicht so sei, daß die Not nicht schon im Volk gesehen werde.
Der Jugendfürsorgeausschuß hat in seinen Arbeiten über die Lösung dieser Frage der berufslosen, arbeitslosen und heimatlosen Jugend geschlossen seine Auffassung dahin vertreten, daß alle vom Bund zu ergreifenden Maßnahmen im Zusammenhang mit den Gruppen zu erfolgen haben, die schon in dieser Richtung gearbeitet haben.
Lassen Sie mich jetzt einiges Grundsätzliches sagen, wie meine Freunde und ich die Maßnahmen geleitet sehen wollen, die über den Rahmen der Hilfe am einzelnen hinaus getan werden. Es gilt da, die Verantwortung des einzelnen zu wecken, die Verantwortung der freien Verbände und der Jugendverbände. Die Behörden sollen nur Hilfestellung zu der Förderung leisten. Alles, was nach dieser Richtung hin nach Maßnahmen des Staates und nur des Staates aussieht, wird im Volke auf den heftigsten Widerspruch stoßen. Je mehr die Behörde bei der Durchführung der Maßnahmen zurücktritt, um so mehr werden in aller Öffentlichkeit die Befürchtungen überwunden werden können, als bahnten sich hier wieder Wege einer Staatserziehung an. Also keine Staatserziehung! Auch eine Vermassung nach irgendeiner Seite hin muß bei der Durchführung der Maßnahmen vermieden werden. Die Massenarbeitslosigkeit der Jugend darf nicht zu Massenmaßnahmen führen. Darum ist bei allen Maßnahmen, die ergriffen werden, von jeder Vermassung, jeder Uniformierung Abstand zu nehmen. Die Freiwilligkeit muß gewahrt bleiben. Die Familie muß im Vordergrund, im Blickfeld aller Maßnahmen stehen. Sie soll gestützt werden, sie soll befähigt werden, die vorberufliche Wartezeit ihrer Söhne und Töchter selbst fruchtbringend zu gestalten.
Alle Maßnahmen zur Behebung der Berufsnot müssen darum familienähnlichen Charakter tragen. Also Vermeidung aller Formen, die mit Kasernen und Lagern zusammenhängen! Alle Maßnahmen müssen als tragendes Fundament die echte Arbeitserziehung haben, Erziehung zum Arbeitsethos hin, zum Dienstgedanken, zur Arbeitsfreudigkeit. Eine solche Arbeitserziehung bietet dann die Gelegenheit, die große Zahl der Jugendlichen, für die eine Berufsausbildung im engen Sinne des Wortes nicht in Betracht kommt, aus dem Dasein und dem Bildungstiefstand des ungelernten Arbeiters, des Hilfsarbeiters herauszunehmen. Ein einseitiges Ausleseverfahren muß vermieden werden. Nicht nur der besonders befähigte und talentierte Jugendliche, sondern jeder ausbildungsfähige Jugendliche hat Anrecht auf Unterstützung.
Die Mittel, die vom Bund und von den Ländern zur Behebung der Berufsnot eingesetzt werden, sind sparsam zu verwerten, möglichst nutzbringend zu verwenden. Dabei ist darauf zu achten, daß die Mittelaufwendungen für den einzelnen Jugendlichen nicht in ein Mißverhältnis zu den Unterstützungssätzen kommen dürfen, die den Familien gewahrt werden.
Es schien mir notwendig, diese unsere grundsätzliche Einstellung zu den jugendfördernden Maßnahmen, sofern es sich um Einrichtungen handelt, die über die Hilfe am einzelnen hinausgehen, kurz festzulegen.
Die Probleme der vom Ausschuß für Fragen der Jugendfürsorge Ihnen zur Annahme empfohlenen Punkte bieten an sich viel Stoff zur Diskussion und wären auch wert, hier erörtert zu werden. Aber die Zeit reicht dazu nicht aus. So gestatten Sie mir, aus diesen Punkten einzelne herauszugreifen, die ich für besonders wertvoll und wichtig halte. Ober die anderen Punkte nicht sprechen heißt nicht, ihren Wert verkennen. Das sei all den Vertretern der Einzelgruppen der Wirtschaft, des Handels, des Gewerbes gesagt, die vielleicht hier nicht angesprochen werden.
Aber ich unterstreiche doch, daß mir etwas notwendig zu sein scheint im Hinblick auf die Ergreifung geeigneter Maßnahmen. Es scheint mir notwendig, hier gerade auf die Probleme der Landwirtschaft einzugehen, sie in den Vordergrund zu stellen, da sie ja der Sektor ist, der für sein Gesamtleben dringend der Zuführung von Arbeitskräften bedarf. Man spricht von mehreren Hunderttausend, und so scheint sie auch der Sektor zu sein, der geeignet wäre, Jugendliche in größerem Maße aufzunehmen. Wir sind uns aber darüber klar, daß diese Frage und die Frage, die Landwirtschaft bereitwilliger zu machen und in den Stand zu setzen, mehr als bisher Jugendliche aufzunehmen, nicht allein von irgendwelchen Steuerbegünstigungen her gelöst werden kann, auch nicht durch das Freimachen von Wohnraum, der von werksfremden Einwohnern bewohnt ist, sondern es muß eine Regelung unter den Tarifpartnern hinzukommen, die eine Grundlage der Existenzsicherheit für die Landarbeiter und die landwirtschaftlichen Berufe schafft. Hinzukommen muß die fruchtbringende Erziehungsarbeit der ländlichen Berufsverbände zum Landleben hin. Hinzukommen muß nicht nur ein zahlenmäßig festgelegter Anteil der nicht selbständigen Vertreter der Landwirtschaft in den berufsständischen Organisationen, sondern das Verschmelzen der einzelnen Ringe zu einer echten Gemeinschaft der Landwirtschaft. Der Weg dazu ist beschritten; ich weiß es. Das Ziel ist noch fern. Es ist beglückend, daß es auf diesem Wege wieder die Jugend war, die für die Lösung dieser Frage am aufgeschlossensten ist und die da vielleicht die Gewähr dafür bietet, daß sie unentwegt und zielsicher den Weg verfolgt. Erst dann, wenn diese Aufgeschlossenheit, deren Ansatzpunkte wir in der Landjugend sehen, zum Ziel geführt hat, ist nicht nur Landflucht beseitigt, sondern dann ist der Zug zum Lande hin gewährleistet.
Diesem Fernziel stehen andere wichtige Nahziele zur Seite. Als solches Nahziel, das unterstrichen zu werden verdient, ist der Punkt der Vorschläge des Ausschusses zu sehen, der sich damit befaßt, daß alle schon im Bunde vorhandenen Lehrlingswerkstätten in ihrer vollen Kapazität ausgenutzt werden. Hier lassen Sie mich Ihr Augenmerk, das Augenmerk der Öffentlichkeit und das Augenmerk unserer Regierungsvertretung
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auf die Lehrlingswerkstätten hinlenken, die wir in
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unseren großen Eisenbahnwerkstätten haben. Lassen Sie mich kurz von dem Zustand der Lehrlingswerkstätten Paderborn und Witten sprechen, von den Werkstätten, zu denen die Belegschaft in einem Treueverhältnis steht, das schon Generationen zurückliegt, und deren Belegschaft in den letzten Jahren weithin Verständnis Air die Notwendigkeiten gehabt hat, etwa Kurztagearbeit hinzunehmen, die aber kein Verständnis dafür hat, daß in der Öffentlichkeit von allen Seiten um Lehrstellen für unsere Jugendlichen geworben wird, wenn sie am eigenen Wohnorte erleben muß, daß die Lehrlingswerkstätten in ihrer Kapazität nicht ausgenutzt werden.
Ich möchte auf das Treueverhältnis der Generationen zu diesen Werkstätten hinweisen. Glauben Sie, es hat mich erschüttert, als mir bei einem Besuch der Eisenbahnwerkstätte Paderborn die Belegschaftsmitglieder erzählten: Wenn bei uns ein Junge geboren wird, dann tragen wir ihn zum Fenster hin, das den Blick zum hohen Schornstein der Werkstätte hat, und sagen: Sieh ihn dir an, dort gehörst du hin.
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Treue um Treue können diese Menschen erwarten. Herren wir: Nicht nur der Minister fur Verkehr, sondern auch der Finanzminister und der Minister fur Flüchtlingsfragen mögen es sich alle überlegen, ob hier nicht doch die Mittel bereitgestellt werden können, um diese Kapazitaten auszunutzen.
Ein weiteres Nahziel, zu dem ich sprechen wollte, ist die Frage der Auffanglager für heimatlose Jugendliche. Wir haben in ausgedehnten Diskussionen darüber gesprochen und sind einmütig der Ansicht, auch meine Freunde, daß es hier um ein Problem geht, das nicht von einem Lande allein getragen werden kann, daß hier nicht einzelne Länder die Last des Krieges, die Last dieser Not allein darum tragen müssen, weil sie an den Grenzen der Ostzone liegen. Die Erkenntnis ist notwendig, daß die Frage der Auffanglager für Jugendliche und der Lager überhaupt eine Frage des gesamtdeutschen Landes ist.
Zum Schluß lassen Sie mich als Frau und weil das Problem es bei seiner Wichtigkeit erfordert, mit besonderer Nachdrücklichkeit auf die Not der weiblichen Jugend hinweisen. Diese Frage ist in Punkt 8 unserer Empfehlungen angeschnitten, aber sie ist nur angeschnitten. Gewiß ist viel getan, wenn es uns durch fördernde Maßnahmen gelingt, unsere weibliche Jugend wieder dem Hausfrauenberuf zuzuführen. Wir schaffen damit die Grundlage zu ihrer ihr von der Natur gegebenen Aufgabe, Hausfrau und Mutter zu sein. Aber das in Punkt 8 angegebene Mittel ist auch hier nur eines der Mittel. Wie schon bei der Frage der Landwirtschaft angeführt, bedarf es auch hier des Gehens vieler Wege, um zum Endziele zu kommen, nämlich zum freudigen Bejahen der Arbeit im Haushalt durch die weibliche Jugend. Wege des Umerziehens auf beiden Seiten, Forträumen sozialer Spannungen, Schaffung und Sicherung von Aufstiegsmöglichkeiten!
Aber darüber hinaus ist der Berufsnot der Mädchen Rechnung zu tragen. Erschütternde Zahlen gab uns unser Berichterstatter. Wenn im Durchschnitt für je sechs Mädchen nur ein Ausbildungsplatz zur Verfügung steht, dann beweist das, daß alle Anstrengungen gemacht werden müssen, um die weibliche Jugend, die künftigen Mütter und Hüterinnen der Familie, vor sozialer Verelendung und Verwahrlosung zu schützen. Die Wirtschaft möge bereitwilliger als bisher Ausbildungs- und Arbeitsstellen für Mädchen zur Verfügung stellen, vor allem auch in solchen für weiblichen Nachwuchs geeigneten Berufszweigen, die bisher vorwiegend von Jungen beschickt waren. Die Verwaltung des Bundes, der Länder, der Kommunen und öffentlich-rechtlichen Körperschaften möge bei der Einschaltung weiblicher Kräfte die berechtigten Forderungen der Heimkehrer, der Körperbeschädigten und der Flüchtlinge mit den berechtigten Ansprüchen der weiblichen Jugend in eine gesunde Relation bringen. Jedenfalls darf es nicht so sein, daß, wie es die Praxis so oft zeigt, in manchen Verwaltungen um des Mannes wegen, der als erster ein Anrecht auf Arbeit habe, ein langsames Hinausdrängen der weiblichen Kräfte erfolgt. Auch hier müssen Aufstiegsmöglichkeiten der weiblichen Jugend gegeben werden, auch die Möglichkeit des Aufrückens in Beamtenstellen, wenn die Vorbedingungen dazu gegeben sind.
Meine Redezeit ist abgelaufen. Ich habe bewußt nicht auf die Schaden hingewiesen, die unsere arbeitslose, berufslose und heimatlose Jugend jetzt scnon durch Verwahrlosung erlitten hat. Diese Krankheitserscheinungen sind auf einem anderen Gebiet zu beseitigen. Aber lassen Sie mich Ihnen warnend sagen: Verschließen wir uns, verschließt sich unsere Regierung der Tatsache, der 'Wichtigkeit dieses Problems dann werden wir in nicht ganz ferner Zeit die
Mittel, die wir hier sparen, im Etat unserer Geschlechtskrankenfürsorge, im Etat der Tuberkulosefürsorge und im Etat unserer Gefängnisse wiederfinden.
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Unsere Freunde, die Christlich-Demokratische Union und die CSU, schließen sich dem im Ausschußantrag niedergelegten Standpunkt aus tiefstem Herzen an.
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Das Wort zur Geschäftsordnung hat Herr Abgeordneter Strauß.
Meine Damen und Herren! Angesichts der Tatsache, daß der Gegenstand, den wir behandeln, ohne Zweifel zu den wichtigsten Fragen unserer gesamten Wirtschafts- und Sozialpolitik überhaupt gehört und eines der fundamentalen Probleme unserer wirtschaftlichen und sozialen Zukunft ist, glaube ich, daß es besser wäre, wenn dieser Gegenstand vor einem volleren Hause
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und in Anwesenheit der zuständigen und damit ebenfalls befaßten Minister
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behandelt und wenn außerdem dem Redner der SPD die Möglichkeit gegeben würde, seine Ausführungen zu Ende zu bringen oder den Gesamtgegenstand in seiner Rede noch einmal zu behandeln, nachdem durch diesen bedauerlichen Zwischenfall sich dieser menschlich bedauerliche Abschluß seiner Ausführungen ergeben hat. Darum stelle ich den Antrag, daß die Beratung heute ausgesetzt und der Gegenstand das nächste Mal als Punkt 1 der Tagesordnung beraten wird.
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Wird zu diesem Antrag das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann lasse ich über diesen Antrag abstimmen.
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Er ist einstimmig angenommen. Demnach wird der Punkt von der heutigen Tagesordnung abgesetzt; er soll als Punkt 1 auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung gesetzt werden.
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Meine Damen und Herren! Ich kann Ihnen die erfreuliche Mitteilung machen, daß unser Kollege Berlin offensichtlich nur von einer Ohnmacht überwältigt worden ist. Es scheint sich nicht um eine schwerere Erkrankung zu handeln.
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Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Ubersicht über Anträge von Ausschüssen des Deutschen Bundestages über Petitionen nach dem Stande vom 27. Februar 1950 ({2}).
Es wird nicht notwendig sein, diese Drucksache im einzelnen zu verlesen. Die Anträge sind Ihnen bekannt. Sie haben die Drucksache zugestellt erhalten. Ich nehme an, daß das Hohe Haus mit den Empfehlungen einverstanden ist, die in Drucksache Nr. 718 enthalten sind. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist also so beschlossen.
Die Tagesordnung ist damit erschöpft. Ich habe dem Hause noch bekanntzugeben: Das Tagungsbüro bittet darum, daß nach Beendigung der Sitzung die wöchentlichen Eilbriefe sofort im Tagungsbüro abgeholt werden. Der Bundestag erspart dadurch erhebliche Portokosten.
Damit sind wir am Ende angelangt. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 4. Mai, 14.30 Uhr, ein und schließe die heutige Sitzung.