Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 59. Sitzung des Deutschen Bundestages.
Ich bitte zunächst den Schriftführer Herrn Abgeordneten Freiherrn von Aretin, die Liste der fehlenden Mitglieder bekanntzugeben.
Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Feldmann, Frau Dr. Gröwel, Bazille, Dr. Baade, Dr. Gülich, Bettgenhäuser, Sander, Arnholz, Frau KippKaule, Frühwald, Wittmann.
Es fehlen entschuldigt die Abgeordneten Dr. Brönner, Dr. Gerstenmaier, Dr. Henle, Dr. Ehlers, Raestrup, Giencke, Fürst Fugger von Glött, Dr. Menzel, Klabunde, Jahn, Frau Schroeder ({0}), Herbig, von Knoeringen, Görlinger, Steinhörster, Behrisch, Erler, Stierle, Brunner, Dr. Nöll von der Nahmer, Rademacher, Dr. Middelhauve, Stahl, Dr. Hoffmann, Eichner, Loritz, Frau Thiele, Agatz, Müller. ({1}), Müller ({2}), Frau Dr. Weber.
Außerdem fehlt der Abgeordnete Wehner. Ferner fehlen die dienstlich auf Studienreise in den Vereinigten Staaten sich befindenden Abgeordneten.
Meine Damen und Herren, ich habe weiter folgende Mitteilung zu machen: Die heutige Tagesordnung wird, wie gestern beschlossen, ergänzt durch die dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer - Heimkehrergesetz - Drucksachen Nr. 831 und 858. Da dazu ein Ergänzungsantrag eingegangen ist, der sich noch in der Vervielfältigung befindet, darf ich das Einverständnis des Hauses annehmen, daß wir diesen Punkt erst dann behandeln, wenn diese Drucksache zur Verteilung gekommen ist. - Ich höre keinen Widerspruch. Wir werden demgemäß verfahren.
Wir kommen dann zum ersten Punkt der Tagesordnung:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Solleder, Fürst Fugger von Glött, Strauß und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Mieterschutzgesetzes vom 15. Dezember 1942 ({0}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen gemäß § 88 der Geschäftsordnung folgende Einteilung der Redezeit vor: für die Einbringung des Gesetzentwurfs 10 Minuten und für die Fraktionen 60 Minuten nach dem üblichen Schlüssel. Ich darf das Einverständnis des Hauses damit feststellen und frage, wer von den Antragstellern den Gesetzentwurf einbringt. - Bitte, Herr Abgeordneter Dr. Solleder!
Dr. Solleder, ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Antrag geht dahin, daß der Bundestag folgendes Gesetz beschließen wolle:
Einziger Paragraph
§ 36 des Mieterschutzgesetzes in der Fassung vom 15. Dezember 1942 - RGBl. I S. 172 - erhält folgende Fassung:
Die Vorschriften dieses Gesetzes gelten
entsprechend für Pachtverhältnisse über
Räume und über gewerblich genutzte unbebaute Grundstücke mit Ausnahme derjenigen Fälle, in denen sich der Pachtzins für gewerblich genutzte Räume und unbebaute Grundstücke ausschließlich nach den mengen- und wertmäßigen Umsätzen, die der Pächter erzielt, bemißt.
Ich darf Ihnen den Sinn des Antrages darlegen. Durch § 36 des Gesetzes vom Jahre 1942 wurden die Bestimmungen des Mieterschutzes auf die gewerblichen Räume ausgedehnt. Diese Bestimmung ist an und für sich dem Mieterschutzgesetz, das ja aus der Wohnraumnot entstanden ist, fremd gewesen. Es' mag der Tendenz der damaligen Kriegszeit entsprochen haben, die Wirtschaft dem totalen Krieg zu unterstellen und die Verhältnisse so zu regeln, daß der einzelne keine Veränderungsmöglichkeiten hatte. Ich gebe zu, daß die Lockerung des gewerblichen Mieterschutzes äußerst vorsichtig gehandhabt werden muß, weil unsere Wirtschaftsverhältnisse heute noch nicht so geklärt sind, daß von vornherein eine Beseitigung dieser Bestimmungen verlangt werden kann. Aber offensichtliche Auswüchse und Mißstände müssen beseitigt werden. Ein derartiger Mißstand ist z. B. vorhanden, wenn ein Unternehmer sagen wir, etwa eine Brauerei, eine Gaststätte offensichtlich zu dem Zweck verpachtet, das in der Brauerei erzeugte Bier in der Gaststätte umzusetzen. Geht dieser Pachtvertrag z. B. auf das Jahr 1939 zurück, so ist zu sagen, daß man bei Abschluß des Pachtvertrages natürlich gewisse Vorstellungen über den mengenmäßigen Umsatz hatte; und das war die Grundlage des Vertrags. Nehmen wir an, daß in der Zwischenzeit, in der der Pachtschutz eingeführt worden ist, dieser oder jener den Absatz des Bieres aufgibt und sich auf den Absatz von Wein oder Schnaps verlegt, weil ihm das lukrativer erscheint. Es wird also ein vertragsmäßig gewollter Zustand durch diese Schutzbestimmung illusorisch gemacht. Ich könnte diese Beispiele beliebig erweitern. So kenne ich beispielsweise den Fall der Verpachtung einer Apotheke, die lediglich von dem Gesichtspunkt der Raumfrage aus unter Pacht- bzw. Mieterschutz fällt und infolgedessen nicht aufgehoben werden kann. Es wurde deshalb in die beantragte Bestimmung eingefügt, daß insoweit eine Lockerung der gewerblichen Pachtschutzbestimmungen erfolgen soll, als der Pachtzins nach den aus dem Pachtobjekt erzielten mengen- und wertmäßigen Umsätzen bemessen ist. Damit ist die Gefahr abgebogen, daß man allzu scharf in diese Lockerungsbestrebungen hineingreift, und andererseits ist einem bestellenden Mißstand abgeholfen.
Nicht ganz die gleichen aber doch ähnliche Bestimmungen haben inzwischen verschiedene Länder getroffen, so daß man vielleicht gelegentlich der dritten Beratung den Antrag dahin ergänzen könnte, daß, soweit ländermäßig bereits einschlägige Bestimmungen bestehen, dieselben durch dieses Gesetz nicht berührt werden.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung über die Drucksache Nr. 761. Wird das Wort gewünscht? - Bitte Herr Abgeordneter Paul.
Meine Damen und Herren! Mit dem Antrag wird, wie auch aus der Begründung hervorgeht, offensichtlich die Absicht ver({0})
folgt, gewisse Bestimmungen des § 36 des Mieterschutzgesetzes aufzuheben. Wir können uns mit der Einschränkung des Mieterschutzes nicht einverstanden erklären. In der Regel sind es nämlich doch die kleinen Leute, die- solche gewerblichen Räume heute in Benutzung haben. In einer Zeit, in der man noch nicht über genügend gewerbliche Räume verfügt, darf man nicht zulassen, daß diese Pachtverhältnisse und Pachtverträge einfach gelöst werden können. Wenn wir diesem Antrag, der hier vorliegt, zustimmen würden, würde das zur Folge haben, daß Tausende von solchen Verträgen gekündigt werden und daß man diesen Leuten neue Verträge aufdiktiert.
Diese Gesetzesvorlage, die hier eingebracht wurde, liegt zweifellos auf der Linie der sogenannten freien Marktwirtschaft. Es wurde ja auch bereits in der Begründung gesagt, daß die Absicht bestehe, alle Bestimmungen des Wohnungsschutzes mit der Zeit aufzuheben. Welche Auswirkungen auch nur die Antastung des Mieterschutzes bedeuten würde, kann man daran ermessen. Wir Kommunisten sind keinesfalls damit einverstanden, daß man den kleinen Handwerkern, den Wirten usw., die solche Verträge eingegangen sind, nun einfach die Verträge kündigt und sie damit praktisch um ihre Existenz bringt.
Wir schlagen deshalb im Interesse und zum Schutze der Mittelständler und der kleinen Leute vor, diesen Antrag abzulehnen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewers. 5 Minuten.
Herr Präsident! -Meine Damen und Herren! Ich nehme an - notfalls möchte ich den Antrag stellen -, daß dieser Antrag dem Rechtsausschuß und vielleicht noch einem anderen Ausschuß überwiesen wird. Meine Fraktion begrüßt die Tendenz dieses Antrags. Bei' 'denjenigen Pachtverträgen, bei denen die Pacht vom Umsatz gezahlt wird, liegt ja in der Regel ein gesellschaftsähnliches Verhältnis vor, indem sozusagen der Eigentümer die Grundflächen und die Baulichkeiten und der Pächter oder Mieter seine gewerblichen Unternehmen einbringt - weil der Raum zur Arbeit kommen muß -, um aus beiden zusammen dann eine Wirtschaftseinheit zu machen, bei der eine angemessene Verteilung des Reingewinnes oder des Umsatzes vorzunehmen ist. Ob aber diese Fälle hinsichtlich der Frage erschöpfend sind, wieweit der gewerbliche Raumschutz schon heute aufgehoben werden kann, ist mir sehr zweifelhaft. Meines Erachtens hat der Herr Vorredner von der kommunistischen Fraktion insoweit recht, als man die sogenannten kleinen Vertragsverhältnisse, also die kleinen Läden, auch dann, wenn sie etwa in der Pachthöhe vom Umsatz abhängig sein sollten, nicht ohne weiteres ausschließen kann. Dazu sind wohl in weitesten Gebieten des deutschen Vaterlandes die inneren Stadtteile zu sehr zerstört, als daß man heute schon insoweit etwa an eine freie Wirtschaft denken könnte. Ob aber ein gleiches nicht für alle Pacht- und Mietverhältnisse über eine Monatsmiete von, sagen wir, 200 DM hinaus zutrifft, ob insoweit nicht angesichts der Entwicklung der gewerblichen Betriebe und des Eigenbedarfs, sowie der Möglichkeit, sich räumlich anderweitig umzustellen - bei der, wie ich hoffe, auch auf diesem Bausektor eine weiterhin zu belebende Bautätigkeit eintritt -, inzwischen andere Verhältnisse obwalten, als sie zur Zeit des Krieges vorhanden waren, das bedarf ernster Prüfung.
Im Ausschuß sollte also insbesondere geprüft werden, ob man nicht überhaupt die Raumbewirtschaftungs-Zwangsvorschriften für Räume von einer gewissen Miethöhe an aufheben muß. Der Grundsatz muß jedenfalls bei dem Mieterschutzgesetz der bleiben, daß der Wohnraum geschützt werden sollte, daß dagegen derjenige, der sich gewerblich betätigt, den Raum für seinen Gewerbebetrieb, für sein Geschäft, für sein Unternehmen sich irgendwie auf normale Weise zu beschaffen hat.
Ich bitte also, im Ausschuß insbesondere dieser Frage nachzugehen, wieweit eine Auflockerung dieser Bestimmungen bei der heutigen Lage des Angebots und der Nachfrage in Frage kommen kann.
Herr Abgeordneter, habe ich Sie recht verstanden? Sie beantragen Überweisung des Antrags an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen?
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag bedeutet nur einen kleinen Teilausschnitt aus der Aufgabe, die mfr an sich gestellt ist, das Mieterschutzgesetz
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den veränderten Verhältnissen anzupassen, nicht aufzuheben; im Gegenteil, insoweit vielleicht sogar im Hinblick auf die besonderen Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkte, besonders im Hinblick auf die Lage der Vertriebenen
({1})
zu festigen. Dabei ist eine Reihe von Problemen aufgetaucht. In Hessen zum Beispiel ist der § 4 des Mieterschutzgesetzes, der den Eigenbedarf des Eigentümers bevorzugt, aufgehoben, ein Zustand, der als Einzelregelung eines Landes ja auf die Dauer nicht tragbar ist. Auch Württemberg-Baden hat auf dem Gebiete des Mieterschutzes eine eigene Gesetzgebung geschaffen. Wir stehen vor der Frage, ob wir uns insoweit für das ganze Bundesgebiet koordinieren wollen. Andere Probleme sind drängend: die Frage des Mieterschutzes für Untermietverhältnisse, besonders bei möblierten Zimmern oder bei Räumen, in denen der Untermieter einen Haushalt führt. Die Frage des Verfahrens ist zu prüfen, die Frage, ob nicht bei den Amtsgerichten Mietschöffengerichte, bei den Landgerichten Mietkammern eingerichtet werden sollen. Darüber steht dann das große Problem, ob nicht auf dem Gebiete der gewerblichen Räume, die in einzelnen Ländern schon weitgehend der Bewirtschaftung entzogen worden sind, eine Lockerung des Mieterschutzes durchgeführt werden soll.
Nicht möglich erscheint es mir, daß in dem Sinne des hier vorliegenden Antrages eine Sonderregelung nach der Art der Pachtvergütung geschaffen wird. Der Antrag erstrebt die Herausnahme von gewerblichen Räumen und von unbebauten Grundstücken aus dem Mieterschutz,
2162 Futscher Bundestag. ({2})
wenn die Pacht nach dem Umsatz festgelegt worden ist. Praktisch wird diese Frage wohl nur bei Bierwirtschaften, bei Schankstätten, möglicherweise noch bei der Verpachtung von Garderoben in Konzertsälen und ähnlichen Unternehmungen. Ich halte es nicht für angebracht, für diesen Sachverhalt eine besondere gesetzliche Regelung zu schaffen und insoweit die gewerblich benutzten Räume und die unbebauten Grundstücke aus dem Mieterschutz herauszunehmen.
Wird das Wort weiter gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache in der ersten Beratung des Gesetzentwurfs auf Drucksache Nr. 761 und darf das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß Drucksache Nr. 761 an den Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen als federführenden Ausschuß und an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen wird.
Ich hatte eigentlich die Absicht, jetzt zur dritten Beratung des Heimkehrergesetzes überzugehen, sehe aber, daß der Herr Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der einen Bericht erstatten soll, im Augenblick nicht anwesend ist. Ich schlage deshalb vor, daß wir zu Punkt 2 der Tagesordnung übergehen:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter ({0}).
Ich darf darauf aufmerksam machen, daß wir im Ältestenrat vorgesehen haben, lediglich die Berichterstattung entgegenzunehmen und dann das Gesetz ohne Debatte zu verabschieden.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Brill als Berichterstatter das Wort.
Dr. Brill ({1}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Gestatten Sie, daß ich den Bericht des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht mit einigen allgemeinen Bemerkungen einleite.
Der Entwurf eines Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter gehört in einen politischen Zusammenhang hinein, der für das moderne Kulturbewußtsein ungeheuerlich und für das Leben des deutschen Volkes maßlos tragisch ist. Dieser Zusammenhang wird durch die Reihe von Gesetzen, Verordnungen, Maßnahmen, Vergehen und Verbrechen gebildet, die der Rassenwahn der NSDAP hervorgebracht hat, die mit für manchen unter uns harmlos erscheinenden Dingen begonnen und schließlich mit der Ermordung von 5 Millionen Juden geendet hat. Niemand, kein Gesetz kann die Toten wieder lebendig machen. Wir aber sind verpflichtet, alles Mögliche zu tun, um das begangene Unrecht an den Überlebenden wiedergutzumachen. Das ist der Zweck des vorliegenden Gesetzes.
Die nationalsozialistische Diktaturgewalt hat es sich angemaßt, verbietend und befehlend in die Liebes- und Geschlechtsbeziehungen ihrer Untertanen einzugreifen. Niemand ist davor absolut bewahrt geblieben. Am stärksten aber hat das Eheleben der Juden in Deutschland darunter gelitten. So konnten nach den sogenannten Nürnberger Gesetzen von 1935, nach einer im Jahre 1940 dazu ergangenen Ausführungsverordnung und nach dem sogenannten großdeutschen Ehegesetz von 1938 aus angeblich rassischen Gründen bestimmte Ehen verboten, für nichtig erklärt oder überhaupt unmöglich gemacht werden, indem sie einer besonderen Genehmigung - die in der Regel nicht erteilt wurde - unterworfen wurden. Verlobte, die in dieser Zeit rassisch und politisch verfolgt gewesen sind, haben sich der diktatorischen Brutalität der Nationalsozialisten dadurch entzogen, daß sie freie Ehen begründet und in freien Ehen zusammengelebt haben. Diese Ehen zu legalisieren, ist ein moralisches und ein rechtliches Bedürfnis.
Dieses Bedürfnis ist schon sehr bald hervorgetreten. Es sind Versuche unternommen worden, es durch die Gesetzgebung zu befriedigen. So hat der Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes für die Länder Bayern, Hessen, Württemberg-Baden und Bremen bereits im Jahre 1947 ein zoneneinheitliches Gesetz ausgearbeitet, das in Bayern im Dezember 1947, in den übrigen genannten Ländern in den Monaten Januar bis März 1948 erlassen worden ist. Auf Grund einer Verordnung des Zentraljustizamtes für das britische Besatzungsgebiet konnten auf Gesuche der Betroffenen hin im Einzelfall Sanktionen erteilt werden. Im französischen Besatzungsgebiet ist nur im Lande Rheinland-Pfalz eine Regelung ergangen, die der des amerikanischen Besatzungsgebietes in etwa gleichkommt. Durch das vorliegende Gesetz soll nun für die gesamte Bundesrepublik Deutschland gleiches Becht geschaffen werden.
Allerdings will das vorliegende Gesetz nicht jede freie Geschlechtsgemeinschaft legalisieren. Es setzt voraus, daß bei rassisch Verfolgten entweder eine kirchliche Trauung stattgefunden hat oder <daß die Verbindung vor den Angehörigen erklärt worden ist oder daß eine andere ernsthafte Bekundung des Willens zu ehelichem Zusammenleben stattgefunden hat. Bei politisch Verfolgten wird außerdem verlangt, daß sie gezwungen gewesen sind, unter falschem Namen zu leben, in der Verborgenheit zu arbeiten oder überhaupt außerhalb der bürgerlichen Ordnung zu existieren. Sie finden diese Vorschriften, die der Ausschuß unverändert angenommen hat, in den §§ 1 und 4 des vorliegenden Gesetzentwurfs.
Der § 1 geht dann außerdem auf die Rechtswirkung ein, die durch die nachträgliche Legalisierung erreicht werden soll. Es soll nach § 1 Absatz 1 möglich sein, von einem bestimmten Zeitpunkt ab durch die Landesjustizverwaltung die bestehende Vereinigung als Ehe zu erklären oder aber eine seit 1945 geschlossene Ehe in ihrer Rechtswirkung vorzuverlegen. Eine Rechtswirkung auf das eheliche Güterrecht mit rückwirkender Kraft wird dabei in keinem einzigen Falle erlangt werden.
Das Gesetz sieht eine Antragsfrist von einem Jahr vor und bezeichnet als antragsberechtigt Verlobte, Ehegatten, überlebende Ehegatten, überlebende Verlobte, Abwesende, Überlebende von in Abwesenheit Verstorbenen, Überlebende von für tot Erklärten. Außerdem sollen über das bisher im amerikanischen Besatzungsgebiet geltende Recht hinaus die Kinder des eben bezeichneten Personenkreises für antragsberechtigt erklärt werden. Da diese Vorschrift neu ist, weicht die Ausschußfassung des Gesetzes, die Ihnen heute zur Beschlußfassung unterbreitet wird, auch in § 4 ({2}) von der Regierungsvor({3})
lage ab. Es ist notwendig, dieses Gesetz wegen dieser Rechtsbestimmung auch auf die Länder des amerikanischen Besatzungsgebietes auszudehnen.
In der Ausschußberatung hat sich weiter ergeben, daß das Gesetz des Wirtschaftsrates über die Wiederherstellung der Rechte von Verfolgten in der Sozialversicherung bisher zu wenig bekanntgeworden ist, um allen Verfolgten die Gelegenheit zu geben, von der in diesem Gesetz festgelegten Frist Gebrauch zu machen. Deshalb ist ein § 4 a in das Gesetz eingefügt, der, wie der Ausschuß wohl bemerkt hat, organisch nicht in dieses Gesetz paßt. Es wird aber für unpraktisch gehalten, wegen des Gesetzes des Wirtschaftsrates noch eine besondere Gesetzgebung in die Wege zu leiten.
Heute vormittag hat der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht Gelegenheit gehabt, noch einmal die Frage der Abwesenden zu prüfen. Dabei ist festgestellt worden, daß die überlebenden Verlobten von Abwesenden, die verstorben sind - es handelt sich praktisch um viele Fälle, die im letzten Jahr bei der Heimkehr von Kriegsgefangenen aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft aufgetreten sind -, dieselben Rechte haben sollen wie die anderen Überlebenden. Im Auftrage des Ausschusses habe ich deshalb über den gedruckten Ausschußantrag hinaus zu beantragen, daß der Text in § 2 Abs. 4 wie folgt fortgeführt werden soll:
Im Falle ihres Ablebens beginnt die Antragsfrist für den überlebenden Verlobten mit dem Bekanntwerden des Todes, frühestens mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes.
Ich habe mir erlaubt, dem Herrn Präsidenten diesen vom Ausschußvorsitzenden und Berichterstatter unterschriebenen Antrag einzureichen, und bitte, ihn dann in die Abstimmung mit einzubeziehen.
Im übrigen, meine Damen und Herren, sind die Änderungen, die der Ausschuß vorgenommen hat und die sich aus der Drucksache ergeben, lediglich redaktioneller Art; sie berühren also den Inhalt des Gesetzes selbst nicht.
Ich will nicht verschweigen, daß der Ausschuß auch Gelegenheit genommen hat, die Bedenken zu prüfen, die in einem früheren Stadium dieser Gesetzgebung gegen eine solche Ordnung der Eheverhältnisse von rassisch und politisch Verfolgten vorgebracht worden sind. Es ist früher - insbesondere im Parlamentarischen Rat des Länderrats in Stuttgart - behauptet worden, es bestände die Gefahr, daß durch dieses Gesetz willkürlich Restitutionsansprüche für Personen begründet werden, die selber niemals daran gedacht haben, solche zu behaupten oder zu erwerben. Dieses Bedenken, meine Damen und Herren, ist durch die Restitutionsgesetzgebung hinfällig geworden; denn das Restitutionsgesetz beschränkt die Ansprüche aus dem Restitutions-recht auf Erbberechtigte dritten Grades. Weiter ist früher das Bedenken geäußert worden, daß im Zuge der Wiedergutmachung, insbesondere der Haftentschädigung, hier Bevorzugungen von Personen eintreten, die selber persönlich keinen Anspruch darauf haben. Auch dieses Bedenken ist heute hinfällig, denn die Haftentschädigungsgesetze sehen insgemein vor, daß der Haftentschädigungsanspruch rein persönlich ist und nicht vererbt werden kann. Von beiden Gesichtspunkten aus dürfte also das Gesetz bedenkenfrei sein.
Meine Damen und Herren! Der Ausschuß hat dem Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt. Da die politische Bedeutung dieses Gesetzes weit über seine juristische hinausgeht, bitte ich Sie, Ihre Genehmigung der Vorschläge des Ausschusses ebenfalls einstimmig auszusprechen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Da keine Aussprache stattfinden soll, stimmen wir in zweiter Beratung über Drucksache Nr. 837 ab. Wer für § 1 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Zu § 2 liegt der Ergänzungsantrag des Ausschusses vor. Ich darf ihn nochmals verlesen:
An § 2 Abs. 4 wird folgendes angefügt:
Im Falle ihres Ablebens beginnt die Antragsfrist für den überlebenden Verlobten mit dem Bekanntwerden des Todes, frühestens mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes.
Wer für diesen Ergänzungsantrag des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Wer nunmehr für § 2 einschließlich der soeben beschlossenen Ergänzung, - für § 2 a, - § 3, -§ 4 a - ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Wer für Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke. Die Gegenprobe! - Einstimmig angenommen.
Ich eröffne die Aussprache in der
dritten Lesung.
Wird das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Dann schreiten wir zur Abstimmung.
Wer für die §§ 1 bis 4 a in der Fassung der Beschlüsse zweiter Beratung einschließlich Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Wir kommen zur Schlußabstimmung. Wer für das soeben beschlossene Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Ich danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Meine Damen und Herren! Damit ist das Gesetz in dritter Beratung endgültig verabschiedet.
Da inzwischen der Ergänzungsantrag zum Heimkehrergesetz in Form der Drucksache Nr. 869 verteilt worden ist, darf ich das Einverständnis des Hauses damit annehmen, daß wir nunmehr zur
Dritten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer ({0})
kommen. Der Gesetzentwurf ist gestern zur nochmaligen Beratung an den Haushaltsausschuß zurückverwiesen worden. Ich bitte den Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, Herrn Abgeordneten Schoettle, über das Ergebnis der Beratungen des Haushaltsausschusses Bericht zu erstatten,
Schoettle ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! 'Das Plenum hat gestern am Schluß der zweiten Lesung des Heimkehrergesetzes dem Haushaltsausschuß das Gesetz zur nochmaligen Beratung überwiesen. Der Haushaltsausschuß hat sich heute morgen mit dem Gesetz beschäftigt und kam zu dem Ergebnis, daß er in eine materielle Beratung nicht eintreten könne, da dem Ausschuß kein Antrag vorlag, der ihn in den Stand gesetzt hätte, tatsächlich zu beraten.
Das Plenum hatte gestern in der zweiten Lesung einen Beschluß zu § 2 des Gesetzes gefaßt, der die Erhöhung des Entlassungsgeldes von 100 DM, wie es der Ausschuß beschlossen hatte, auf 150 DM zum Inhalt hatte. Der Überweisungsantrag hatte eigentlich schon insofern seinen Sinn verloren. als ihm nicht gleichzeitig ein Antrag beigegeben war, an Hand dessen der Ausschuß zu einem Ergebnis hätte kommen können.
Für die negative Haltung des Haushaltsausschusses war aber noch ein anderer Gesichtspunkt maßgebend, den ich hier ganz offen darstellen will. Die Beschlußfassung in der gestrigen Vollversammlung war schließlich das Resultat eines politischen Tatbestandes. Der Haushaltsausschuß sah sich außerstande, diesen politischen Tatbestand mit den Mitteln zu bewältigen, die ihm als Ausschuß des Deutschen Bundestages zur Verfügung stehen. Er kam zu dem Ergebnis, daß es nicht seine Sache sein könne, eine politische Tatsache zu korrigieren, die zu korrigieren Sache der beteiligten Fraktionen sei.
Deshalb kam der Haushaltsausschuß zu dem Ergebnis, dem Hause mitzuteilen, daß er sich außerstande sehe, in eine materielle Beratung des Gesetzes einzutreten.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Ich eröffne die Aussprache. Der Aussprache liegen die Drucksache Nr. 858 mit den gestrigen Beschlüssen der zweiten Beratung sowie die Drucksache Nr. 869, die soeben verteilt worden ist, zugrunde.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Parzinger.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Namens meiner Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben:
Die Fraktion der Bayernpartei hält ihren Antrag vom 17. März, Drucksache Nr. 631, unverändert und ungeschmälert aufrecht.
({0})
Meine Fraktion lehnt den Kunstgriff des in der Drucksache Nr. 869 gestellten Antrages der CDU/ CSU ab. Dieser Antrag würde den berechtigten Anspruch der Heimkehrer der Ermessenswillkür der Bürokratie preisgeben.
({1})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram.
Meine Damen und Herren! Der vorliegende Antrag Nr. 869 stellt ganz eindeutig eine Verschlechterung des Gesetzes gegenüber der gestern von uns beschlossenen Fassung dar.
({0})
Nach § 3 des Gesetzes, haben wir gestern beschlossen, sollen die Heimkehrer eine Kleiderbeihilfe von 250 DM erhalten. Heute steht in der gleichen Fassung „bis zu 250 DM".
({1})
Diese Verschlechterung des Gesetzes gegenüber einem Gesetzestext, den wir gestern mit großer Mehrheit angenommen haben, hat bisher in diesem Hohen Hause noch niemand begründet. Die Gründe, die heute morgen im Haushaltsausschuß für diese Verschlechterung des Gesetzes gegeben worden sind, konnten mich und meine Parteifreunde vom Zentrum in keiner Weise überzeugen. Daß zunächst das Heimkehrergeld auf 150 DM erhöht worden war, hatte seinen Grund in der entsprechenden bayerischen Regelung. Diese bayerische Regelung ist vom Haus, nachdem im Ausschuß eine andere Beschlußfassung stattgefunden hatte, akzeptiert worden. Die Annahme dieses Betrages von 150 DM soll pro forma bleiben. Mit der einen Hand wird aber gegeben, was mit der andern Hand vom Bundesfinanzministerium wieder genommen werden soll.
Das gesamte Objekt beträgt schätzungsweise 4 Millionen DM. Wenn uns der Herr Bundesfinanzminister erklärt, es sei nicht möglich, die vorgesehenen Leistungen an die Heimkehrer in diesem Umfange zu erbringen, so wird man bei dem Umfang des Gesamtetats nicht sagen können, daß dieser Betrag von 4 Millionen DM den Gesamtetat irgendwie ernsthaft in Gefahr bringen könnte.
Wenn man aper davon ausgeht, daß eine ernsthafte Gefährdung des Etats nicht in Frage steht, dann muß man doch auch einmal auf die Vorgeschichte des Antrags eingehen. Es war wohl so, daß durch den Antrag der Bayernpartei vom März bereits diese Regelung beantragt worden war. Durch einen Antrag von zahlreichen Mitgliedern der Regierungsparteien vom 25. April dieses Jahres ist der gleiche Antrag gestellt worden. Wenn daraufhin auf Grund eines Antrags sowohl der Bayernpartei wie der zahlreichen Mitglieder der Regierungsparteien ein solcher Antrag angenommen wird und das Haus dieser Regelung zustimmt, dann sollte es meiner Ansicht nach die Pflicht des Finanzministers sein, sich dieser Meinung seiner eigenen Parteifreunde anzuschließen
({2})
und nicht in der bekannten Manier zu versuchen, indem man einfach sagt: „Ich kann nicht!", die bereits gefaßten Beschlüsse des Hauses umzustoßen. Sind wir Abgeordneten denn nicht heute noch genau derselben Überzeugung, der wir gestern auch waren?
({3})
Hat uns die Mitteilung, die uns gestern Herr Abgeordneter Dr. Jaeger gemacht hat, der davon sprach, daß er aus Mitgefühl für die Heimkehrer diese Erhöhung des Heimkehrergeldes auf 150 DM fordern müsse, - haben uns diese Gründe nicht überzeugt, und haben wir nicht deshalb für den Antrag gestimmt? Und heute sollen wir gleichen Abgeordneten, die gestern für den Antrag gestimmt haben, diesem Kunstgriff des Bundesfinanzministers unsere Zustimmung geben und ohne sachliche Begründung eine Verschlechterung des Gesetzes hinnehmen können? Ich glaube, wenn wir Abgeordneten vor unserem Gewissen ehrlich sein wollen, können wir, die wir gestern zugestimmt haben, heute nicht andersherum stimmen.
({4})
({5})
- Die Verantwortung können Sie mir ruhig gönnen!
Ich weiß, was ich mit der Verantwortung anzufangen habe. Solche Kniffe würde ich mir nicht leisten.
({6}) Und wenn Sie die Verantwortung mit einer Stimme Mehrheit in dieser Ruhe auf sich nehmen wollen, dann müssen Sie selber wissen, was Sie tun.
({7}) .Dann noch ein Punkt, der, glaube ich, in diesem Zusammenhang auch erwähnt zu werden verdient. Es dreht sich darum, daß das Gesetz alsbald angenommen wird, und es dreht sich darum, daß der Bundesrat kein Veto einlegt. Wenn der Bundesfinanzminister sich jetzt vor seine Parteifreunde stellen, mit dem Bundesrat sprechen und ihm erklären würde: diese 4 Millionen, die die Sache vielleicht ausmacht, werde ich verkraften, dann brauchten wir keine Sorge zu haben, daß der Bundesrat etwa ein Veto einlegt und dadurch das Inkrafttreten dieses Gesetzes verzögert werden könnte. Das muß uns auch am Herzen liegen, und deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, die Abstimmung des gestrigen Tages heute zu wiederholen und damit dem Bundesfinanzminister den Auftrag zu geben, hier den Wünschen des Hohen Hauses entsprechend mit dem Bundesrat zu verhandeln und die alsbaldige Inkraftsetzung dieses Gesetzes durchzusetzen.
({8})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Strauß.
Meine Damen und Herren! Zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle: ihm kann darin nicht recht gegeben werden, daß es sich bei dem Abänderungsantrag, das Entlassungsgeld von 100 auf 150 DM zu erhöhen, um einen politischen Sachverhalt handelt.
({0})
Gerade die Tatsache, daß sich die Meinungen durch die Fraktionen hindurch geteilt haben, ist Beweis dafür, daß es sich nicht um einen politischen Sachverhalt handelt, sondern um eine verschiedene Auffassung dieser Angelegenheit.
({1})
Es muß auch in diesen Angelegenheiten einmal Fragen geben, die nicht immer rein politisch angesehen werden, sondern die auch von einer anderen Seite her betrachtet werden können. Es unterscheiden uns nämlich hierbei Denkweisen oder Generationsunterschiede, Herr Kollege Schoettle.
({2})
Wenn wir die Forderung erhoben haben, das Entlassungsgeld von 100 auf 150 DM zu erhöhen - und ich will hier nicht die Argumente von gestern wiederholen -, dann ist es allein - ({3})
- reden wir nicht darüber, Herr Dr. Baumgartner, wer abgeschrieben hat; dann würden Sie eine schlechte Zensur in Bayern bekommen -,
({4})
dann ist diese Forderung ausschließlich darin begründet, daß es sich hier um einen Personenkreis handelt, der mindestens und frühestens nach fünfjähriger Haft wieder in die Heimat zurückgekommen ist. Und es handelt sich hier - das Gesetz tritt
am 1. April 1950 erst in Kraft - doch jetzt, wo es de jure keine Kriegsgefangenen mehr gibt, ausschließlich um einen Personenkreis, der entweder in Untersuchungshaft genommen war oder langjähriges Zuchthaus und Straflager hinter sich hat und nunmehr zurückkommt. Daß wir diesen Personenkreis, ganz gleich, ob er bedürftig ist oder nicht, die Höchstsumme des Entlassungsgeldes zubilligen wollten, könnte, glaube ich, nach dem Beschluß von gestern keiner Kritik unterzogen werden, weil es keinen politischen Hintergrund hat.
Ich muß mich aber gegen den Ausdruck, den Herr Kollege Parzinger gewählt hat, „Kunstgriff" und ähnliches, mit aller Entschiedenheit verwahren.
({5})
- Wenn Sie behaupten, Kollege Parzinger, daß damit wiederum die Unterstützung der Heimkehrer von dem Ermessen der Bürokratie abhängig ist, dann dürfen Sie auch nicht der Bedingung „im Falle der Bedürftigkeit" zustimmen. Denn die Überprüfung der Bedürftigkeit ist in jedem Falle der Bürokratie, d. h. also der Verwaltung überlassen. Und außerdem möchte ich in diesem Falle, wenn man auch im Anfang schlechte Erfahrungen gemacht hat, nicht von vornherein zugrunde legen, daß der Beamte, der diese Frage zu überprüfen hat, dem Heimkehrer mit einer Abneigung gegenübertritt, sondern ihm ruhig auch mal zugute halten, daß er offenen Herzens die gesetzlichen Möglichkeiten ausnutzt, um dem Heimkehrer zu helfen. Der immer konstruierte Gegensatz, der aus dem Worte „Kunstgriff" spricht, als ob die Verwaltung von vornherein schon in einem ständigen- Gegensatz zu jedem Hilfsbedürftigen stände, kann nicht in allen Fällen aufrechterhalten werden.
({6})
- Wenn Sie wollen, daß ich lauter rede, ich bin dazu in der Lage. Mir kommt es nicht darauf an. Gerade die Tatsache, ,daß die Verwaltung die Bedürftigkeit prüfen muß, spricht dafür, daß es graduelle Unterschiede zwischen Bedürftigen und Nichtbedürftigen geben muß. Die Heimkehrer liegen ja nicht in zwei Kategorien fest, reich und arm; die einen erhalten 250 DM und die anderen gar nichts. Wenn man schon die Bedürftigkeit überprüft und wenn man zu dem Beamten das Vertrauen hat, daß er in der Lage ist, festzustellen: bedürftig oder nicht, kann man ihm auch das Vertrauen geben, festzustellen, wieviel innerhalb der möglichen Grenzen der Arme, der vor seinen Schreibtisch tritt, mit Recht beanspruchen kann.
Gerade dem Kollegen Bertram, der vom Bundesrat gesprochen hat, und denen, die ihm Beifall geklatscht haben, möchte ich sagen, worum es sich hierbei handelt. Der Bundesrat ist es gewesen, der mit Mehrheit gegen die Stimmen Bayerns und einiger anderer Länder dieses Entlassungsgeld von 150 DM abgelehnt hat. Die gleichen Herren von dieser Seite des Hauses, die Ihnen, Herr Kollege Bertram, Beifall geklatscht haben, als Sie hier mit Recht die Forderung nach Erhöhung vertreten haben, haben im Bundesrat gegen diese Erhöhung auf 150 Mark Stellung genommen. Uns kommt es bei diesem Antrag Drucksache Nr. 869 ausschließlich darauf an, zu verhindern, daß nicht die gleichen, die damals schon im Bundesrat das Gesetz in anderer Form durchgebracht haben, als wir es wollten, nun durch einen eventuellen Einspruch gegen dieses
({7})
Gesetz seine rasche Inkraftsetzung unmöglich machen; auf nichts anderes. Man soll in einem solchen Fall nicht politische Tatbestände oder einen Kunstgriff unterstellen, wenn es sich um ganz andere Erwägungen handelt.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Pohle.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, um der Wahrheit die Ehre zu geben, hier feststellen zu dürfen, daß wir die heutige Debatte nur den Herren von der CSU zu verdanken haben.
({0})
Wenn ich meinen Herrn Kollegen Dr. Wuermeling, der vorhin diesen Zwischenruf von der Verantwortung gemacht hat, schon richtig erkannt habe, dann darf ich Ihnen sagen, Herr Dr. Wuermeling: Erkundigen Sie sich bei Ihren Fraktionskollegen im Ausschuß für Kriegsopferfragen, wer in diesem Ausschuß verantwortlich gehandelt hat. Wir haben mit den Herren gerungen wie Jakob auf der Himmelsleiter mit dem Engel:
({1})
„Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn!"
({2})
Denn schon in diesem Ausschuß ist der Gedanke aufgekreuzt: Packen wir bei den 100 Mark 50 Mark zu, und nehmen wir von den 250 Mark 50 Mark weg! Das hat unseren stärksten Widerspruch hervorgerufen. Wir waren auf der andern Seite zu einem Entgegenkommen bereit. Aber gerade wir Sozialdemokraten haben diese Bestimmung „bis zum" aus dem Entwurf des Gesetzes herausgenommen und gesagt „im Werte von". Und, Herr Strauß, nachdem Sie eben das Sträußlein aus den bayerischen Alpen vorgeführt haben, möchte ich Ihnen doch eines sagen. ({3})
Ach, da sitzt er; Entschuldigung, bitte!
({4})
Sie sagten, dann sollten wir auch die Bedürftigkeitsprüfung herausnehmen. Auch das war unser Wille im Ausschuß. Wir haben davon nur Abstand genommen, weil uns der Vertreter des Herrn Arbeitsministers gesagt hat, daß diese Bedürftigkeitsprüfung nicht von den Fürsorgebehörden, sondern von den Arbeitsbehörden vorgenommen werden soll.
({5})
- Na ja, aber vielleicht ein wenig mehr mit Vertrauen gesegnet als die Fürsorgebehörden.
({6})
Es ist von fünf und sechs Jahren gesprochen worden. Wenn wir schon darüber enttäuscht sind, daß wir dem betreffenden Mann nicht mehr geben können, dann sollen wir ihm mindestens diese 250 Mark oder Sachwerte im Betrage von 250 Mark geben und es nicht der Entscheidung im Wege des „bis zum" überlassen, denn dann
kann man nachher eine ganze Variantenreihe konstruieren.
({7})
- Meine Damen und Herren, wir haben leider in diesen 24 Stunden zu manchem Abgeordneten, soweit er der CSU angehört, das Vertrauen in seinen politischen Instinkt verloren.
({8})
Abschließend darf ich sagen: Da wir Sozialdemokraten darauf bestanden haben, daß diese 250 Mark auf Antrag des Heimkehrers auch in bar gewährt werden können, halten wir diesen Antrag für überflüssig und werden ihn ablehnen.
({9})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Monde.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was Herr Kollege Pohle über die Verhandlungen im Ausschuß für Kriegsopfer und Kriegsgefangenenfragen hier berichtet hat, muß ich nachdrücklichst unterstreichen. Auch wir haben seinerzeit nach schweren Bedenken den ursprünglichen Beschluß, das Entlassungsgeld mit 150 Mark anzusetzen, um der Einheitlichkeit willen und aus der Sorge heraus zurückgezogen, daß eventuell durch das Veto des Bundesrates das ohnehin schon sehr langatmige Gesetz noch weiter verzögert würde. Nachdem aber gestern drei Anträge eine völlig neue Lage geschaffen haben und nachdem heute ein vierter Antrag die Situation erneut wesentlich verschlechtert, sieht sich auch die FDP nicht mehr in der Lage, das seinerzeitige Entgegenkommen im Ausschuß aufrechtzuerhalten. Auch die FDP und gleichzeitig die DP, für die zu sprechen ich die Ehre habe, werden für ein Entlassungsgeld in Höhe von 150 Mark stimmen.
({0})
Was den andern Antrag und die heute veränderte Situation bezüglich der 250 Mark Überbrückungshilfe anbetrifft, so haben wir mit allen Mitteln danach gestrebt und schließlich im Ausschuß auch die einmütige Zustimmung dazu gefunden, daß dieses Überbrückungsgeld auch in bar gewährt werden kann. Ich sehe eine große Gefahr darin, wenn wir es nunmehr in das Ermessen von Behörden und Beamten stellen, „bis zu" 250 Mark zu gewähren. Meine Damen und Herren, das stellt kein Mißtrauen etwa gegen den Beamten dar, schon deswegen nicht, weil seitens des Bundesarbeitsministeriums uns eine großzügige Interpretation der Bedürftigkeit zugesagt wurde, sondern es stellt ein Mißtrauen gegen diejenigen Beamten dar, die unter Durchbrechung des Prinzips des Berufsbeamtentums seit 1945 Beamte geworden sind.
({1})
Aus diesem Grunde lehnen wir diesen Abänderungsantrag der CSU ab
({2})
und verbleiben bei der gestrigen Fassung mit 250 DM.
Was nun die dadurch heraufbeschworene Gefahr eines eventuellen Vetos des Bundesrates anbetrifft, so empfehle ich, daß die Kräfte, die beim
({3})
Bundesrat entscheidend sind, beeinflussend wirken, damit die durch die gestrigen Anträge und den heutigen vierten Antrag entstandene neue Situation zu keiner Verzögerung oder Verschleppung des Gesetzes führt.
Da wir nun einmal bei Interpretationsfragen waren, darf ich Ihnen vielleicht noch kurz einen Wunsch übermitteln, den ich zu § 1 äußern möchte, einen Wunsch, der sich vielleicht in den Ausführungsbestimmungen verankern läßt. Die ehemaligen Insassen der KZs der Sowjetzone haben an uns die Bitte herangetragen, auch - nach ihrer Auffassung - unter die Bestimmungen der Heimkehrer genommen zu werden, sofern sie im Gebiete der Bundesrepublik wohnhaft sind.
({4})
Da für diesen Personenkreis weitestgehend dieselben Bedingungen zutreffend waren, unter denen auch die Kriegsgefangenen in der Sowjetunion gelebt haben, glaube ich, es würde dem Sinn des Gesetzes - und auf den Sinn eines Gesetzes kommt es an - nicht widersprechen, wenn auch die ehemaligen und nunmehr entlassenen Insassen der Sowjetzonen-KZs, die in der Bundesrepublik wohnhaft sind, in die Vergünstigung dieses Heimkehrergesetzes einbezogen werden.
Wir werden also heute für das Entlassungsgeld in Höhe von 150 DM und für die Überbrückungshilfe, wie sie gestern in dem ursprünglichen Entwurf geregelt war, stimmen, schon um zu vermeiden, daß bei einer engherzigen Auslegung der Bedürftigkeitsfrage und bei eventuell nicht nachweisbaren Papieren und Zeugen gerade der Teil der Heimkehrer benachteiligt wird, der in erster Linie in den Genuß der Hilfe kommen soll, nämlich die heimatvertriebenen Heimkehrer, die ja vor allen Dingen die volle Hilfe von 250 DM möglichst in bar in Empfang nehmen sollen.
({5})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löfflad.
({0})
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, daß gestern alle, die es mit den Heimkehrern ehrlich meinen, glücklich waren. als der größte Teil des Hauses den 150 DM Entlassungsgeld zustimmte. Insbesondere waren alle Abgeordneten des Landes Bayern glücklich und froh, daß sich die bayerische CSU gestern einmal christlich und sozial gezeigt hat.
({0}) Allerdings waren wir uns nicht im klaren, ob es, als wir die Drucksache Nr. 869 heute in die Hand bekamen. dieselbe bayerische CSU und derselbe Kollege Strauß sind, die selber in einem Antrag die 150 DM gefordert haben und nun heute plötzlich einen Abänderungsantrag vorlegen. Dieselben Argumente hätten auch gestern schon vorgebracht werden können. Es läßt in uns die Vermutung aufkommen, daß doch der Herr Minister Schäffer einen gewissen Druck der bayerischen CSU gegenüber ausgeübt hat.
({1})
- Jawohl, da haben Sie recht, es geht um Heimkehrer und nicht um Parteipolitik, und ich glaube, daß gestern keine Parteipolitik getrieben wurde. Aber heute hat es die bayerische CSU soweit getrieben, daß nun eine Parteipolitik herausgeschlagen wird, indem sie sich nämlich demaskiert hat!
({2})
Man kann nicht auf der einen Seite zum Schein geben, um auf der anderen Seite um so mehr nehmen zu können. Herr Kollege Strauß, wir wären gerne bereit gewesen, nicht vom parteipolitischen Standpunkt aus zu sprechen; das habe ich gestern hier erklärt. Aber durch Ihren Abänderungsantrag haben Sie ja bewiesen, daß Sie es nicht ehrlich meinten, sondern nur um parteipolitische - ({3})
Darf ich mal um eines bitten, Herr Löfflad: Wir wollen gegenseitig nicht an unserer Ehrlichkeit zweifeln!
({0})
Jawohl, daran möchte ich nicht zweifeln, Herr Präsident, aber ich glaube, wenn der Herr Kollege Strauß vorgebracht hat, daß es nur die Einspruchsgefahr von seiten des Bundesrats gewesen sei, die ihn dazu bewogen hätte, diesen notwendigen Abänderungsantrag zu stellen, so hat dieselbe Einspruchsgefahr auch schon gestern bestanden! Das sind gar keine Argumente. Wir halten auf alle Fälle daran fest, daß es dabei bleibt, was wir gestern schon beschlossen haben.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
In mir stieg anläßlich dieses Erlebnisses der letzten halben Stunde ein Wunsch auf,
({0})
der Wunsch nämlich, daß man alle technischen Wundermittel, die die letzten Jahre uns gebracht haben, heute hätte in den Dienst der Orientierung und Aufklärung der Kriegsgefangenen draußen im Lande stellen müssen.
({1})
Es wäre eine gute Lehrstunde für die Kriegsgefangenen gewesen, wenn sie diesen Skandal, der sich gestern und heute hier abgespielt hat, hätten erleben können.
({2})
- Herr Strauß, wenn Sie das Generationsproblem darin erblicken, daß Sie lauter schreien können als ich, irren Sie sich in dem Punkt ebenfalls.
({3})
Gestern fiel hier das Wort, daß dieses Gesetz die
({4})
Abgeltung einer Ehrenschuld .des deutschen Volkes an die Kriegsgefangenen sei.
({5})
Wir haben behauptet, daß Sie die Kriegsgefangenen
({6})
in der Hauptsache benutzt haben, um mit ihnen ein übles politisches Geschäft zu machen.
({7})
Wir haben Ihnen nachgesagt, daß Sie sie zum Objekt Ihrer Politik machen.
({8})
Es ist hier gesagt worden, es handele sich um Kriegsgefangene, um Menschen. Es handelt sich nicht um die Kriegsgefangenen.
({9})
- Herr Strauß, ich kann noch lauter schreien als Sie. Geben Sie sich keine Mühe! - Heute fiel die Behauptung, es handele sich um die Kriegsgefangenen; es handelt sich nicht um die Kriegsgefangenen. Es handelt sich für' Sie um ein Objekt in Höhe von 4 Millionen DM. Darum geht es.
({10})
Es handelt sich um ein Objekt von 4 Millionen DM. Das hat der zuständige Herr Minister ausgerechnet. Was ist los? Als sich gestern herausstellte, daß durch die so christlich eingestellte CDU/CSU sich dieser Bayernspalt zog,
({11})
hat uns einer der absolut treuen Adenauer-CDU-Leute das hier folgendermaßen erklärt. Stenogramm! - Ich habe ein gutes Gedächtnis. - Er sagte - das ist gut zu erklären -, daß die Bayern für ein Entlassungsgeld von 150 DM sind; sie haben nämlich die Bekleidungsstücke, die mit der Übergangshilfe im Falle der Bedürftigkeit gegeben wurden, in einem derartig riesigen Ausmaß angekauft, daß sie da sehr billig abgekommen sind. Das war der Herr Arndgen, der .das erklärte; heute ist er nicht da. Also die Sache scheint nach Ihrer eigenen Auffassung, nach der Auffassung in Ihrer Fraktion so zu sein, daß die Bayern diese Übergangshilfe sehr billig gestalten konnten, weil sie vermutlich da irgendwo billig STEG-Waren - Lumpen - beschaffen konnten. So liegen die Dinge.
({12})
- Überlassen Sie die Beurteilung meiner Intelligenz anderen Leuten aus Ihrer Fraktion, die etwas objektiver als Sie darüber denken. Fangen Sie mit mir keinen Streit an, Sie sind bloß dabei der Dumme, den Eindruck habe ich.
({13})
Bleiben wir bei den realen Tatsachen. Gestern ist ein Entlassungsgeld in Höhe von 150 DM
bewilligt worden. Als Beweis für das Vorliegen von Hintergründen hat uns ein CDU-Mann erklärt, das könnten die Bayern gut tun, weil sie billig an die Brocken gelangt sind, die sie in Gestalt von Übergangsbeihilfen gegeben haben. Heute erleben wir folgendes: Die CDU/CSU reicht uns hier unter .dem Einfluß desselben Finanzministers einen Antrag ein, der für die Bemessung der Übergangshilfe vollkommen offene Türen läßt. „Bis zu", das kann heißen 30 DM und kann heißen 250 DM. Das „bis zu" ist Ermessenssache der Behörden. Ich streite mich nicht mit Ihnen über den Charakter der Beamten, die dort sitzen, das ist vollkommen nebensächlich. Die unten diese Überprüfung machen, stehen nämlich unter dem Befehl der hohen Beamten, und die sind bei uns Reaktionäre. Ich will mich aber in keine Diskussion darüber einlassen, ob die kleinen Beamten mehr oder weniger große Reaktionäre sind; aber ich weiß, nach welchen Gesichtspunkten regiert wird. Die Linie wird von oben angegeben, von der Spitze der Reaktion. Also um den Punkt „bis zu" geht der ganze Streit. Die Fraktion, die heute die Umwandlung der Formulierung von „in der Höhe von" in „bis zu" will, will einfach keine Übergangsbeihilfe in ausreichendem Maße geben. So liegen die Dinge.
Eine kleine Korrektur. Mir ist nicht bekannt, daß die Sozialdemokratie im Ausschuß für unseren Antrag gestimmt hätte, der darauf hinausging, die Übergangsbeihilfe auch ohne Überprülung der Bedürftigkeit zu geben. Das finden Sie in keinem Protokoll, nirgends gibt es einen Beweis in dieser Richtung. Aber da ist doch in diesem Gesetz etwas, woran man erinnern soll. Jetzt ist in bezug auf die Höhe des Entlassungsgeldes Ihrer Verwaltungswillkür vollkommen Tür und Tor geöffnet. Dann kommt noch die Frage der Bedürftigkeit hinzu, die Sie nach den in der Armenpflege allgemein gültigen Begriffen auslegen werden.
Ich komme zum Schluß. Hier hat man erst etwas, getan, als es darum ging, für den kümmerlichen Rest der noch zu erwartenden Kriegsgefangenen etwas Positives zu tun - ({14})
- Sie sind mit Ihrer Hilfe erst gekommen, als 99 % der Gefangenen bereits zurück waren. Bisher haben Sie sich nicht gerührt. Seit September sind wir hier in Funktion, jetzt kommen Sie mit dem Gesetz heraus. Sie haben gewartet, bis keine Kriegsgefangenen mehr kommen!
({15})
- Ich habe nicht den Eindruck, daß Sie gerne zahlen, sonst hätten Sie nicht diesen Antrag gestellt.
({16})
Mit dem Maul zahlen Sie gern, mit dem Maul leisten Sie gern, mit dem Maul helfen Sie gern, aber wenn es aufs Geld ankommt, sind Sie nicht da!
Herr Abgeordneter, das Wort „Maul" ist so unparlamentarisch; das entspricht nicht der Qualität Ihrer Persönlichkeit.
Schön! Ich korrigiere mich hier: „mit dem Munde"! Ich habe das Gesicht des Zwischenrufers angesehen und bin deshalb zu dem etwas deplazierten Wort gekommen. Entschuldigen Sie!
({0})
Ich komme zum Schluß. Das, was wir über die Hintergründe dieses Gesetzes in der Periode seiner Beratung gesagt haben, das haben Sie heute bewiesen. Ihnen kommt es nicht auf Hilfe an, sondern Ihnen kommt es darauf an, diese Kriegsgefangenen noch weiter als Instrument Ihrer Kriegs- und Völkerhetze benutzen zu können.
({1})
Darum Ihre ganze Aufregung. Geht es ums Geld, dann werden die Herren auch wach. Soll die Geschichte etwas kosten, dann kommt ihre reaktionäre Bürgerseele in Wallung, dann machen sie Szenen um das Wörtchen „bis zu".
({2})
Das Wort hat der Herr Bundesfinanzminister.
Meine Damen und Herren! Es ist mir leider Gottes nicht möglich, diese interessante Debatte bis zum Schluß zu verfolgen, da ich unbedingt in den Bundesrat muß. Ich möchte deswegen bitten, mir vorzeitig das Wort und damit die Erlaubnis zu geben, etwas zu den Anträgen zu erklären.
Das Bundesfinanzministerium ist unschuldig an dem Abänderungsantrag Nr. 1.
({0})
- Gewiß! - Es ist ebenso unschuldig an dem Abänderungsantrag Nr. 2.
Ich möchte zu dem Abänderungsantrag Nr. 2 aber folgendes sagen. Dieser will, wenn ich die Absicht richtig verstehe, den § 3 in der Fassung des Regierungsentwurfes wiederherstellen. Wer also diesem Abänderungsantrag böse Absichten unterschiebt, glaubt wohl, daß die Regierung schon bei der Fassung des § 3 ihres Entwurfs böse Absichten gehabt hätte. Das muß ich ablehnen. Ich darf bitten, den § 3 im Zusammenhang zu lesen. Hier heißt es:
. . . erhalten als Übergangsbeihilfe erforderliche Bekleidung oder Gebrauchsgegenstände
im Werte von bis zu 250 Deutschen Mark. Meine Damen und Herren! Wenn ich Gebrauchsgegenstände oder Bekleidung hergebe, so ist es nicht möglich, in allen Fällen genau den Wert von 250 Mark zu geben. Ich hätte auch erklären können: 'im ungefähren Wert von 250 Mark. Die Gegenstände können einen Wert von 240 oder meinetwegen von 235 oder 245 Mark haben. Hier ist gesagt worden: es soll ein Wert mit einer Höchstgrenze von 250 Mark, aber um diese Summe herum, angenommen werden. Das war der Leitgedanke, wie er dem Regierungsentwurf zu Grunde gelegen hat. Also ich glaube, daß viel Gerede um eine an sich recht unbedeutende Angelegenheit gemacht worden ist.
In der Sache selbst geht es aber auch nicht so sehr um die Frage: 50 Mark mehr oder 50 Mark weniger; es geht schon um eine grundsätzliche Frage. Die Ausschüsse des Bundestags haben sich auf die alte Fassung in Auseinandersetzungen geeinigt, denen ein Gedanke zugrunde lag: daß wir bei allem, was wir tun, nie an den Antrag allein denken dürfen, um den es sich handelt, sondern an die Auswirkung des Antrags auf die Gesamtheit und in Zusammenhang mit der gesamten Not, gegen die wir in Deutschland zu kämpfen haben. Jeder Abgeordnete des Deutschen Bundestags trägt eine Verantwortung nicht nur gegenüber der Gruppe, um die es sich jeweils handelt; er trägt eine Verantwortung gegenüber der Gesamtheit und vor allem gegenüber allen Steuerzahlern. Er hat infolgedessen auch die Verantwortung, die finanziellen Auswirkungen nicht nur für die Gruppe, über die man im einzelnen redet, sondern auch für die anderen Gruppen abzuschätzen, die ebenfalls hilfebedürftig sind. Wenn die Bundesregierung in allen Fällen damit rechnen müßte, daß ihre Vorschläge, auch wenn sie ihrer Berechnung nach an die Grenze des haushaltsmäßig Möglichen gegangen ist, im Bundestag überboten werden, dann wäre es ihr ja praktisch unmöglich, ihre Vorschläge immer im Rahmen des Möglichen zu bemessen. Ich glaube aber, niemand im Hause wünscht, daß die Bundesregierung von vornherein nicht in all diesen Fragen dem Bundestag, den gesetzgeberischen Körperschaften die im Rahmen des Ganzen äußerst mögliche Leistung vorschlägt. Von diesem Gesichtspunkt aus bedauere ich es, daß die Fassung des Gesetzentwurfs, wie sie im Ausschuß zustande gekommen ist, nunmehr Abänderungen unterworfen worden ist, deren Auswirkungen sich - zwar nicht bei diesem Gesetz, sondern bei anderen Gesetzen - vielleicht nicht übersehen lassen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gengler.
Meine Damen und Herren! Zunächst muß ich meinem großen Erstaunen über die Art und Weise Ausdruck geben, wie sich diese Debatte entwickelt hat.
({0})
Sachlich genommen bestand dafür und insbesondere für die leidenschaftlichen Polemiken gar keine Veranlassung.
({1})
Ich darf feststellen: das gestern beschlossene Entlassungsgeld von 150 Mark nach § 2 war heute in keiner Weise umstritten.
({2})
Darüber nochmals die Debatte aufzunehmen und eine Polemik zu entfachen, bestand wirklich nicht die geringste Veranlassung. Bei dem Antrag auf Drucksache Nr. 869 betreffend § 3 Abs. 1 handelt es sich um eine Fassung, die bezüglich der Prüfung der Bedürftigkeit sonst allgemein üblich ist. Die gestern ohne Berücksichtigung der Änderungen des § 2 in § 3 angenommene Fassung unterstellt von vornherein eine hundertprozentige Bejahung der Bedürftigkeit oder auch nicht. Wir haben darin eine Erschwerung in der praktischen Handhabung gesehen. Wie der Herr Bundesfinanzminister eben ausgeführt hat, können ja die Leistungen recht verschiedenartig gewertet werden. Das ist der wahre, Sinn dieses Antrags gewesen. Nachdem aber im Verlauf dieser lei({3})
denschaftlichen Debatte dem Antrag eine nicht gewollte politische Auslegung gegeben wurde,
({4})
ziehen wir den Antrag
({5})
auf Drucksache Nr. 869 zurück.
({6})
Mit dem Herrn Kollegen Renner darüber in eine Diskussion einzutreten, halte ich wirklich für völlig verfehlt.
({7})
Meine Damen und Herren! Als letzter hat Herr Abgeordneter Schoettle das Wort.
({0})
- Bedaure, Herr Abgeordneter Renner, Herr
Abgeordneter Schoettle hat das Wort, nicht Sie!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich stimme mit dem Kollegen Gengler überein, wenn er feststellt, daß die Zuspitzung dieser Debatte überflüssig gewesen sei. Ich nehme aber an, daß er seine Mahnung ebensosehr an seine eigenen Freunde gerichtet hat wie an diejenigen anderen. die sich an der Zuspitzung der Debatte beteiligt haben. Ich glaube, die sozialdemokratische Fraktion kann sich in diesem Falle von der Schuld freisprechen. Ich hätte auch hier zum Schluß nicht das Wort ergriffen, wenn sich nicht der Herr Kollege Strauß zu Beginn der Debatte zu einer Polemik gegen den Berichterstatter des Haushaltsausschusses hätte verleiten lassen. Das ist im allgemeinen nicht üblich. Ich habe hier berichtet, was ich im Namen des Haushaltsausschusses zu berichten hatte.
Daß es sich um eine politisch gewordene Frage handelt, Herr Kollege Strauß, hat die Debatte hier zur Genüge bewiesen. Ich spreche jetzt nicht als Vorsitzender des Haushaltsausschusses, sondern im Namen meiner Fraktion, und da möchte ich Ihnen, Herr Kollege Strauß, folgendes sagen: Politisch ist die Frage deshalb geworden, weil ein Teil derjenigen, die für den Beschluß des Ausschusses, für die Ausschußfassung die Verantwortung mit trugen, hier im Plenum ausgebrochen ist, nämlich Sie und Ihre Freunde.
({0})
Es ist doch ein merkwürdiges Verfahren, wenn in einem Ausschuß eine Vereinbarung erzielt wird und wenn dann der dritte Vorsitzende der CDU-Fraktion mit seinen bayerischen Freunden plötzlich einen Antrag einbringt, der diese Vereinbarung durchbricht. Dadurch ist es nicht eine politische, aber eine koalitionspolitische Frage geworden. Das sollten Sie doch akzeptieren, Herr Kollege Strauß!
({1})
Und was die Generationen-Probleme betrifft, mein lieber Herr Kollege Strauß, da kennen wir uns ja seit Frankfurt zu gut, um nicht zu wissen, daß ich, obwohl ich einige Jahre älter bin als
Sie, was das Temperament betrifft, mit Ihnen noch die Konkurrenz aufnehmen kann.
({2})
Also da wollen wir doch die Frage - ({3})
- Gut, ich bin bereit, es zu akzeptieren. Aber geben wir uns doch ganz allgemein zu, daß es sich hier tatsächlich nicht um die vier Millionen handeln sollte, die das mehr kostet, was gestern hier im Plenum besprochen worden ist, sondern daß es sich um das Schicksal von Menschen handelt, die wahrhaftig vom Schicksal schwer genug getroffen worden sind.
({4})
Und manchmal hat die Debatte hier den Eindruck erwecken können, als ob diese Menschen völlig in den Hintergrund getreten wären. Wir brauchen hier nicht im einzelnen zu erörtern, warum und unter welchen Umständen und mit welchen Absichten die oder jene Anträge gestellt und Regelungen angestrebt worden sind. Wir sollten an die Menschen denken; und da sage ich im Hinblick auf das Argument, daß der Bundesrat ja eventuell sein Veto einlegen könnte: Meine Damen und Herren, der Bundestag erfüllt hier eine Verpflichtung gegenüber einer Menschengruppe, die verdient, daß man sich um sie kümmert, und zwar aus politischen und aus menschlichen Gründen. Wenn der Bundesrat es dann nach einem einhelligen Beschluß dieses Hauses riskiert, ein Veto in dieser Frage einzulegen, dann soll er dafür die politische und moralische Verantwortung übernehmen.
({5})
Ich glaube, das sollten wir dem Bundesrat nicht ersparen. Und schließlich gibt es auch in diesem Hause Kräfte, die mit den Herren vom Bundesrat deutlich reden können, bevor er zu einer Entscheidung kommt. Da sollten wir nicht allzusehr auf die parteipolitische Zusammensetzung des Bundesrats abheben. Wenn es wahr ist, daß der Beschluß des Bundesrats gegen die Stimme von Bayern zustande gekommen ist, Herr Kollege Strauß, dann sind Ihre Freunde genau so schuldig wie die Herren, die mir nahestehen; nicht wahr? Alo, da sitzen wir beide im Glashaus. Und wenn man es genau überlegt, dann sind es schließlich ja die Länderinteressen gewesen, die ein entscheidendes Wort mitgesprochen haben. Es ist uns ja nicht unbekannt, daß die Länderinteressen gelegentlich mit den allgemeinen politischen Gesichtspunkten querlaufen.
({6})
Das haben wir oft erlebt, und das müssen wir einmal austragen.
Deshalb glaube ich, daß es sich hier tatsächlich darum handelt, daß der Bundestag zu einem möglichst einhelligen Beschluß kommt, der darin besteht, die Beschlüsse der zweiten Lesung von gestern aufrechtzuerhalten, und zwar in vollem Umfange. Das ist ja auch leicht, nachdem die CDU ihren Antrag zurückgezogen hat, den § 3 zu ändern.
Auf alle Fälle aber, meine Damen und Herren, bleibt das eine Betrübliche, und das sollte eine Lehre für die Zukunft sein: Wenn
({7})
man schon Vereinbarungen getroffen hat - seien sie nun paraphiert oder seien sie im Wege von Beschlüssen eines Ausschusses erreicht worden -, dann sollte es nicht möglich sein, daß hinterher - und da spreche ich jetzt ganz deutlich - aus Konkurrenzüberlegungen einer regionalen Gruppierung alles über den Haufen geworfen wird.
({8})
Wird ,das Wort noch gewünscht? - Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als ich gestern namens meiner Freunde anregte, die dritte Lesung zu vertagen, konnte ich nicht annehmen, daß die Sorgfalt, die Sachlichkeit, die Einheitlichkeit unserer eigenen Kollegen im Ausschuß so wenig ansteckend auf dieses Hohe Haus wirken würde.
({0})
Ich glaube, man kann es nur sehr bedauern, wie heute in dieser Angelegenheit vorgegangen ist. Wenn ich das ausspreche, dann muß man dies nach verschiedenen Seiten hin sagen, nicht nur wie öfter nach der Seite des Herrn Renner. Wenn wir hier in nute, in einer Nußschale demonstrieren wollten, wie man es nicht machen soll, dann haben wir es heute wieder ganz ausgezeichnet gemacht.
({1})
Meine Damen und Herren, zu der Sache selbst hat der Herr Kollege Mende den Standpunkt meiner Fraktion bereits ausführlich dargelegt, und ich bin derselben Meinung. Ich weiß, und ich rufe es in Ihre Erinnerung zurück, daß meine Freunde zuerst die 150 DM vorgeschlagen haben, sich dann aber der einhelligen Meinung des Ausschusses auf 100 DM angeschlossen haben.
Darf ich mit ein oder zwei Sätzen das vertiefen, was der Herr Bundesfinanzminister gesagt hat: In Wirklichkeit liegen die Dinge doch so, daß wir in diesem Heimkehrergesetz u. a. das vereinheitlichen wollen, was durch die Gesetzgebung von 1945 bis 1949 in Deutschland oder in den einzelnen Ländern der Bundesrepublik auseinandergelaufen ist. Und das ist ja keineswegs der einzige Fall! Wir werden uns noch sehr oft mit solchen Fällen zu beschäftigen haben, und ich glaube, Sie sind mit mir einig, daß man dann nicht immer ohne weiteres eine Regelung dahin treffen kann, daß man dem Lande folgt, das die materiell günstigste oder höchste Lösung für die Gruppe, um die es sich handelt, getroffen hat; sonst wäre der Bundestag ja mehr eine Maschine der Angleichung an die Bestlösung. Wir wollen uns vielmehr, wie wir dies im Ausschuß auch getan haben, ernst und verantwortungsbewußt darüber klar werden, wo die richtige Mitte liegt, und entsprechende Entschlüsse fassen. In diesem Fall nunmehr sind wir sachlich alle der Meinung, daß diese Mitte bei 150 DM liegt.
Nicht wahr, die Zahl der bayerischen Abgeordneten hier ist ja in diesem Hause Legion! Die FDP hat auch bayerische Abgeordnete, und ich habe den Vorzug, dazu zu gehören. Nicht jedes Land - ich erwähne z. B. das Land Bremen - verfügt nun über eine eigene Kampfgruppe in diesem Haus. Ich weiß nicht, ob wir weiterkommen, wenn sich dem Elan dieser Kampfgruppe andere Teile des Hauses aus regionalen Gründen anschließen. Ich glaube, ich darf das sogar als Angehöriger der Koalitionsparteien sagen. Wir sollten da eine andere Taktik einschlagen, unbeschadet dessen, daß wir in jedem einzelnen Fall prüfen müssen, wo nun das Maximum und Optimum für die Gleichschaltung der einzelnen Landesgesetze liegt. Hier liegt es bei 150 DM, aber nicht deswegen, weil Bayern diese Lösung hat, sondern weil das dem Schicksal und dem Los der Heimkehrer angemessen ist.
({2})
Wird das Wort weiter gewünscht? - Meine Damen und Herren, ich darf feststellen, daß dies nicht der Fall ist. Ich schließe damit die Aussprache der dritten Beratung.
Bei der Abstimmung ist die Drucksache Nr. 858 zu berücksichtigen, in der die Beschlüsse der zweiten Beratung niedergelegt sind. Das heißt: wir stimmen nach der Fassung der Beschlüsse der zweiten Beratung ab. Wer für die §§ 1 bis 28 sowie Einleitung und Überschrift des Gesetzentwurfs ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
({0})
Wir kommen nunmehr zur Schlußabstimmung. Wer für dieses Gesetz nach den Beschlüssen dritter Beratung im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
Wir haben dann noch über die Entschließungen abzustimmen, die auf der Drucksache Nr. 831 unter Ziffer 2 a und b enthalten sind. Ich nehme das Einverständnis des Hauses an, daß ich darüber nicht getrennt abstimmen zu lassen brauche. Wer also für die unter Ziffer 2 a und b der in der Drucksache Nr. 831 auf Seite 1 aufgeführten Entschließungen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Mit eindeutiger Mehrheit beschlossen.
Ich darf hiernach feststellen, daß nunmehr das Gesetz für die Heimkehrer in .dritter Lesung endgültig verabschiedet ist.
Meine Damen und Herren! Wir kommen zu Punkt 3 der Tagesordnung:
Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Beseitigung von Kriegsvorschriften über die Siegelung gerichtlicher und notarischer Urkunden ({1}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Berichterstattung fünf Minuten Redezeit festzulegen und dann die Abstimmung ohne Beratung vorzunehmen. Ich darf das Einverständnis des Hauses, von dem ich feststellen muß, daß es wieder in lebhafte Bewegung in Richtung Ausgang geraten ist,
({2})
({3})
annehmen und erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Greve als Berichterstatter das Wort.
({4})
- Meine Damen und Herren, ich bitte um etwas mehr Ruhe!
Dr. Greve ({5}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Ihnen vorliegende Entwurf eines Gesetzes zur Beseitigung von Kriegsvorschriften über die Siegelung gerichtlicher und notarischer Urkunden sieht die Beseitigung der §§ 1 und 2 der Verordnung über die Siegelung gerichtlicher und notarischer Urkunden vom 10. Mai 1944 vor. Der materielle Inhalt ist folgender.
Durch zeitbedingte Verhältnisse sind in den von mir eben zitierten Paragraphen der genannten Verordnung Erleichterungen bei der Siegelung von gerichtlichen und notarischen Urkunden geschaffen worden, z. B. durch Verwendung von Farbdruckstempeln anstelle von Prägesiegeln. Auch andere ähnliche Änderungen wurden damals getroffen. Die zeitbedingten Verhältnisse, aus denen sich diese Änderungen ergaben, sind beseitigt.
Die Vorlage der Regierung hat die einstimmige Billigung des Ausschusses für Rechtswesen und Verfassungsrecht gefunden. Die Ihnen vorliegende Drucksache Nr. 838 sieht eine Änderung gegenüber der Regierungsvorlage nur insoweit vor, als die beiden Paragraphen der genannten Verordnung mit Ablauf des 30. September 1950 außer Kraft treten sollen. Diese Fassung des Ausschusses hat die Billigung des Herrn Bundesjustizministers gefunden. Der Ausschuß schlägt Ihnen die Annahme des Gesetzes in der Fassung des Ausschußantrages vor.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen.
Wir schreiten zur Abstimmung über den Gesetzentwurf nach Drucksache Nr. 838. Wer für den einzigen Paragraphen, die Einleitung und die Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Fast einstimmig angenommen. Damit ist die zweite Beratung über das Gesetz auf Drucksache Nr. 838 geschlossen.
Ich eröffne die Aussprache der
dritten Beratung.
- Das Wort wird nicht gewünscht. Ich schließe die Aussprache. Wer für den einzigen Paragraphen, die Einleitung und die Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Angenommen.
Wer für die Annahme des Gesetzentwurfes nach dem Ausschußantrag auf Drucksache Nr. 838 im ganzen ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Das Gesetz ist einstimmig angenommen. Damit, meine Damen und Herren, haben wir den Gesetzentwurf gemäß Antrag Drucksache Nr. 838 in dritter Lesung verabschiedet.
Ich rufe nunmehr Punkt 4 der Tagesordnung auf:
Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten über den Antrag der Abgeordneten Dr. Horlacher, Bauereisen, Strauß
und Genossen betreffend Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft ({0}).
Für die zeittechnische Behandlung der Sache schlägt Ihnen der Ältestenrat vor: 15 Minuten für die Berichterstattung, 60 Minuten für die Aussprache. Nach den vorliegenden Äußerungen wird die Aussprache wohl nur von einer Seite geführt werden.
Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Dr. Mühlenfeld als Berichterstatter das Wort.
Dr. Mühlenfeld ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dem Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten ist mit dem Antrag Drucksache Nr. 428 ein Fragenkomplex zur Beratung überwiesen worden, der einen der neuralgischsten der ganzen Agrarpolitik und auch der gesamten Wirtschaftspolitik des Bundes darstellt. Bei seinen dreitägigen Beratungen hat der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten nicht einen Augenblick, die berechtigten Interessen der Verbraucher, der Erzeuger und auch der gesamten deutschen Wirtschaft außer acht gelassen und ihre gerechte Abwägung mit allem Ernst in den Vordergrund gestellt.
Ich möchte vorwegschicken, daß der Fragenkomplex, der mit der Ratifizierung der Handelsverträge in Zusammenhang steht, herausgenommen und einer gesonderten Behandlung zunächst im Rechtsausschuß und anschließend im Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unterzogen wurde. Beide Ausschüsse und mit ihnen gleichzeitig die Regierung haben sich für die Ratifizierung von Handelsverträgen durch dieses Hohe Haus ausgesprochen, so daß eine weitere Erörterung dieses Gegenstandes überflüssig erscheint.
Bei allen Mitgliedern des Ernährungsausschusses war übereinstimmend die Meinung festzustellen, daß sich die Landwirtschaft in einer Krise befindet, daß diese Krise im Begriff ist, größere Kreise zu ziehen, und daß sie sich überaus schädlich für die gesamte deutsche Wirtschaft auswirken kann. Um Ihnen über Art und Umfang der Krise ein Bild zu geben, möchte ich mich auf die Erwähnung einiger wichtiger Symptome beschränken.
Der Index der Agrarerzeugnisse liegt bei weitem unter dem der Bedarfsgüter der Landwirtschaft aus dem gewerblichen Sektor, so daß, wie Ihnen allen bekannt ist, die Preisschere zuungunsten der Landwirtschaft geöffnet ist. Das wirkt sich in. dem für alle, die sich mit der Materie befassen, sichtbaren Symptom eines Rückgangs beispielsweise des Kunstdüngerabsatzes aus. Um Ihnen die Bedeutung klarzumachen, erlaube ich mir, hier einige Zahlen einander gegenüberzustellen. Der Kunstdüngerabsatz per 31. 1. 1950 ist gegenüber dem vom 31. 1. 1949 bei Stickstoffabrikaten um zirka 20 %, bei phosphorsäurehaltigen Kunstdüngemitteln um zirka 18 % und bei Kalk um nicht weniger als 45 % zurückgegangen. Wenn sich auch in der letzten Zeit der Kunstdüngerabsatz und damit die Verwendung von Kunstdünger in der Erzeugung gebessert hat, so erreichen doch diese Zahlen bei weitem nicht die Planzahlen. Mir erscheint es wichtig, im Rahmen meiner Berichterstattung auf folgendes hinzuweisen. Durch
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seine wissenschaftlichen Ermittlungen hat insbesondere Herr Professor Baade festgestellt, daß diese Planzahlen in Anbetracht der Forderungen, die die deutsche Wirtschaft und Ernährungswirtschaft an die Landwirtschaft zu stellen haben, bei weitem nicht ausreichen. Dadurch ist also die Gefahr einer Produktionsminderung gegeben. Auffallend hierbei ist, daß der Rückgang in der Verwendung von Dünger, rein summenmäßig gesehen, mit den Summen korrespondiert, die die Landwirtschaft an Soforthilfeabgaben aufzubringen hat.
Ferner ist die steuerliche und soziale Belastung der Landwirtschaft einer Untersuchung unterzogen worden, vor allen Dingen in Beziehung auf die gegenüber der Kapitalumlaufsgeschwindigkeit in den übrigen Wirtschaftszweigen besonders niedrige Kapitalumlaufsgeschwindigkeiten in der Landwirtschaft.
Für die Produktionskraft der Landwirtschaft hat sich auch die Ungewißheit der Erzeuger über Absatz und Preise nachteilig ausgewirkt. Der mangelhafte Zustand der landwirtschaftlichen Produktionsmittel, insgesamt gesehen der Zustand der Maschinen, Geräte und Gebäude, ist eine weitere Ursache der Gefahr der abfallenden Leistung. Die Kriegsschäden der Landwirtschaft allein hinsichtlich der Gebäude belaufen sich im gesamten Bundesgebiet auf 1,2 Milliarden DM, hinsichtlich von lebendem und totem Inventar auf 1,7 Milliarden DM. Das sind erschreckende Zahlen, die zeigen, wie nachhaltig die Landwirtschaft allein in ihrem sachlichen Produktionsapparat getroffen ist. Wenn man dem gegenüberstellt, daß bislang nur 51 Millionen DM - ein Tropfen auf den heißen Stein - aus den verschiedensten Fonds bewilligt worden sind, mit denen diese Schäden beseitigt und der Nachholebedarf befriedigt werden sollen, so kann man ermessen, welche Gefahren aus dem drohenden Kapitalmangel und dem Nachholebedarf der Landwirtschaft entstehen.
Die Gefährdung der Saatzuchtbetriebe ist nicht unerörtert geblieben. Der verminderte Saatgutwechsel in der Landwirtschaft ist ein weiteres Sympton dafür, ,daß die Produktion unserer Landwirtschaft nicht in der Lage ist, die nötigen finanziellen Mittel aufzubringen, um auch hier eine stetige Erzeugung zu gewährleisten.
Die beschleunigte Zunahme der Verschuldung in der gesamten Landwirtschaft des deutschen Bundesgebietes ist ebenfalls gebührend berücksichtigt worden und nicht zuletzt die Unterbewertung landwirtschaftlicher Arbeit. Die Gleichstellung der Landarbeiter hinsichtlich ihres Einkommens mit der Arbeiterschaft der Industrie ist ein Erfordernis, dessen Erfüllung und Befriedigung der Ausschuß als vordringlich angesehen hat.
Ich habe auch die Aufgabe, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß ein weiterer wichtiger Zweig der deutschen Ernährungswirtschaft, nämlich die Fischwirtschaft, sich in einem Zustand befindet, der nicht ohne die nachteiligen Folgen für die gesamte wirtschaftliche Struktur des Küstengebietes gesehen werden kann; hängen doch nicht mehr und nicht weniger als 80-bis 82 000 Menschen in unseren deutschen Küstengebieten von dem Schicksal der Fischwirtschaft in allen ihren Zweigen ab.
Nicht zuletzt sind die Gefahren auch der sogenannten Liberalisierung besonders eingehend erörtert worden, worauf ich gleich zurückkommen werde. Der Ausschuß ist sich seit langem darüber im klaren und legt Wert darauf, daß die Öffentlichkeit davon Kenntnis nimmt, welche Bedeutung der deutschen Landwirtschaft für die gesamte deutsche Wirtschaft überhaupt zukommt. Um dies zu demonstrieren, beschränke ich mich darauf, Ihnen nur drei Zahlen zu nennen. Erstens: der landwirtschaftliche Erzeugungswert beträgt jährlich 18 Milliarden DM. Zweitens: die unmittelbaren Aufwendungen der westdeutschen Landwirtschaft für Löhne , und Bestellungen bei der Industrie und bei dem Gewerbe betragen pro Jahr 51/2 bis 6 Milliarden DM; dazu Aufwendungen, die nicht so ohne weiteres erfaßbar sind und indirekt dem deutschen Gewerbe und der deutschen Industrie zugute kommen und damit einen erheblichen Faktor für die Beschaffung von Arbeitsplätzen darstellen. Drittens: Wenn es gelingt, die Erzeugung der deutschen Landwirtschaft auch nur um 10 % zu steigern, so bedeutet das eine Einsparung von nicht weniger als einer Milliarde D-Mark an harten Devisen. Der Ausschuß ist der Überzeugung, daß sich die für die offizielle allgemeine deutsche Wirtschaftspolitik maßgebenden Stellen und die deutsche Öffentlichkeit aus diesen Gründen über die Bedeutung der deutschen Landwirtschaft für die Existenz des deutschen Volkes klar sein sollten.
Damit erscheint dem Ausschuß auch die Berechtigung gegeben zu sein, die Forderung nach der Gleichberechtigung von Industrie und Landwirtschaft aufzustellen. Hierzu sind eine Reihe von Vorkehrungen zu treffen und Forderungen zu stellen. Erstens: Die Preise für Hauptnahrungsmittel müssen die Gestehungskosten decken. Eine langfristige Rentabilität muß gesichert und damit gleichzeitig der Anreiz zur Erzeugungssteigerung und Intensivierung gegeben sein. Der Agrarausschuß ist der Überzeugung, daß der Landwirtschaft politische Preise für ihre Erzeugnisse nicht zugemutet werden können und daß die Subventionierung der deutschen Landwirtschaft zugunsten der übrigen deutschen Bevölkerung nicht Aufgabe der Agrarpolitik ist, sondern eine der vornehmsten Aufgaben der Sozialpolitik.
Die Produktionskosten müssen gesenkt werden. Ich darf Ihnen als zwei wichtige Faktoren nur nennen: eine Senkung der Kunstdüngerpreise um ungefähr 25 % und gleichzeitig eine Senkung der Anschaffungspreise für Saatgut. Sonderbelastungen kann die Landwirtschaft nicht ertragen, wenn sie ihren Aufgaben für die Ernährungswirtschaft des deutschen Volkes gerecht werden soll. Frachttarife, Treibstoffpreise, die Leistungen für die Sozialversicherung bedürfen dringend der Überprüfung, soweit sie die Landwirtschaft betreffen.
Hinsichtlich der Handelspolitik, die zu betreiben ist, wenn man der Landwirtschaft die ihr gebührende Rolle in der deutschen Wirtschaft geben will, ist der Ausschuß, zu der Überzeugung gekommen, daß folgende Faktoren zu berücksichtigen sind: Ausschöpfung der handelspolitischen Möglichkeiten, als da sind Zölle, Negativlisten, Mitarbeit der Berufsstände, Importausgleichsgesetz und dergleichen mehr, und um die landwirtschaftliche Produktion nicht zu stören, Einfuhr nur des echten Bedarfs und
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zeitliche Rücksichtnahme. Das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten muß sich bemühen, baldmöglichst zu einwandfreien neuen Produktions- und Verbrauchsstatistiken zu kommen. Es sollen keine langfristigen Handelsverträge abgeschlossen werden. Das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten soll baldmöglichst ein Zolltarifschema vorlegen. Die Höhe der Zahl der in der landwirtschaftlichen Produktion beschäftigten Personen bedarf einer stetigen und sorgfältigen Beobachtung durch das Ministerium. Die Liberalisierung ist auf den Marshallplanraum zu beschränken. Für die agrarpolitischen Schlüsselprodukte soll die staatliche Lenkung im Mittelpunkt stehen.
Der Ausschuß war sich ferner darüber einig, daß die Katastrophenklausel allein, nicht genügt, sondern daß eine vorbauende Planung notwendig ist. Dazu gehört, gewissermaßen als Ausgangspunkt aller zukünftigen Liberalisierung, vor allen Dingen, daß unter den nationalen Wirtschaften Westeuropas eine Abstimmung über die Erzeugung erfolgt. Vorverhandlungen bäuerlicher Vertreter der Partnerländer sind wünschenswert. Es wird vorgeschlagen, statistische Unterlagen über Anbauflächen usw. auszutauschen. Eine beschränkte Einfuhr von nicht lebensnotwendigen Nahrungs- bzw. Genußmitteln wird immer notwendig sein, um dadurch den Export von Fertigwaren zu erweitern. In der Landwirtschaft herrscht große Unsicherheit. Das Kabinett soll eine klare Stellungnahme beziehen und die Bedeutung der Landwirtschaft herausstellen.
Zusammenfassend kann der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, soweit es die handelspolitischen Maßnahmen zur Liberalisierung des Außenhandels betrifft, zu folgenden Feststellungen:
Erstens: Die Bedeutung der Liberalisierung für die europäische Wirtschaft und für die Steigerung des Wohlstandes der europäischen Bevölkerung wird auch vom Standpunkt der Landwirtschaft anerkannt. Die Vorteile einer solchen Entwicklung bestehen in einer Belebung der Wirtschaft, in einer nach Qualität und Menge besseren Versorgung und in einer größeren Kaufkraft, die sich auf die landwirtschaftliche Erzeugung und deren Absatz günstig auszuwirken vermag. Diese Vorteile werden aber neben den Gefahren, die der Landwirtschaft erwachsen, nur Wirklichkeit werden, wenn alle europäischen Marshallplanstaaten in gleicher Weise den Außenhandel von den Beschränkungen befreien.
Zweitens: Da die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion eine lebensnotwendige Voraussetzung für ein größeres Maß von Sicherheit in der Lebensmittelversorgung und für eine ausgeglichene Handelsbilanz ist, muß grundsätzlich bei der Vorbereitung, dem Abschluß und der Durchführung von Handelsverträgen beachtet werden, daß Art, Menge und Zeitpunkt der Importe die landwirtschaftliche Erzeugung nicht beeinträchtigen und ihre Steigerung nicht behindern. Der leitende Ausschuß des Verbandes der europäischen Landwirtschaft hat bei der grundsätzlichen Anerkennung des Nutzens einer besseren wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den freien Staaten Europas auf die möglicherweise eintretenden tiefgreifenden Folgen einer überstürzten Liberalisierung hingewiesen und ebenfalls die besondere Notwendigkeit einer gesteigerten landwirtschaftlichen Produktion und einer reibungslosen Verwertung ihrer Erzeugnisse dargelegt. Er hat den Regierungen der beteiligten Länder empfohlen, bis zur Klärung und Sicherung dieser Grundvoraussetzungen die weitergehende Liberalisierung hinauszuschieben.
Drittens: Die teilweise überstürzte Durchführung der Liberalisierung hat bei der Landwirtschaft einiger europäischer Länder erhebliche Schäden hervorgerufen. Es ist deshalb notwendig, daß die Liberalisierung in Zukunft abwägend und vorausschauend weitergeführt wird und daß insbesondere eine Ausdehnung über das europäische Marshallplangebiet hinaus vorerst unterbleibt.
Viertens: Um die Grundlage und die Voraussetzung für einen freien Warenaustausch zu schaffen, muß in ständiger Zusammenarbeit zwischen allen Marshallplanländern eine Verständigung über die Aufnahmefähigkeit und die Beschickung der europäischen Märkte herbeigeführt werden mit dem Ziele, dadurch die Erzeugung so zu beeinflussen, daß sich die Marktangebote der Menge und dem Zeitpunkt nach ergänzen.
Fünftens: Um in der Übergangszeit, bis diese Verständigung unter den europäischen Marshallplanländern zum Erfolg führt, die landwirtschaftliche Produktion und die Volksernährung vor Schäden zu bewahren, wird bei der Durchführung der Liberalisierung die Anwendung folgender handelspolitischer Mittel für notwendig erachtet: a) Zölle, b) Schaffung von Einfuhr- und Vorratsstellen, c) Einbau der Gefahrenklausel in die Handelsverträge, d) Bildung gemischter Regierungskommissionen unter Hinzuziehung der beteiligten Wirtschaftskreise einschließlich der Verbraucher.
Ich habe zu erwähnen, daß der Ausschuß für Außenhandelsfragen, der sich ebenfalls eingehend mit dieser Materie befaßt hat, zu der gleichen Auffassung und Feststellung wie der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gekommen ist.
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten hat den Antrag Dr. Horlacher, Bauereisen, Strauß und Genossen auf Drucksache Nr. 428 sinngemäß zu seinem eigenen gemacht. Im Auftrage des Ausschusses habe ich Ihnen gemäß Drucksache Nr. 808 die folgende Fassung vorzuschlagen:
Der Bundestag wolle beschließen:
die Bundesregierung zu ersuchen, alle Maßnahmen zu treffen, damit der in Gang gekommene Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Fischerei keine Unterbrechung erfährt, sondern mit Beschleunigung, besonders angesichts des Jahres 1952, fortgeführt werden kann. Aus diesem Grund sind die Einfuhren landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie die Abmachungen in den Handelsverträgen so zu steuern, daß die Steigerung der landwirtschaftlichen Inlandserzeugung und Verarbeitung durch ungeregelte Importe keine Störung erfährt. In den Handelsverträgen sind hinsichtlich landwirtschaftlicher Positionen Vereinbarungen nicht nur mengenmäßig, sondern auch jahreszeitlich unter Einführung
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der notwendigen Schutzbestimmungen herbeizuführen. Angesichts der zu erwartenden Produktionsausweitung der deutschen Landwirtschaft ist für die nächste Zeit von langfristigen Abmachungen, die die Landwirtschaft berühren, abzusehen.
Dem Bundestag sollen monatlich bezüglich der Landwirtschaft fortlaufend Übersichten über die Einfuhren und Ausfuhren und Zusammenstellungen der abgeschlossenen handelsvertraglichen Abmachungen zugeleitet werden.
Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen namens des Ausschusses dringend die Bitte ans Herz zu legen, die Fassung dieses Antrages anzunehmen und damit der Bedeutung der deutschen Landwirtschaft für die gesamte deutsche Wirtschaft Rechnung zu tragen.
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Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Die Aussprache ist eröffnet. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Wartner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Herr Berichterstatter hat schon sehr ausführlich darüber berichtet, wie ernst und verantwortungsbewußt im Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft gearbeitet worden ist. Er hat die Öffentlichkeit auch darauf aufmerksam gemacht, welche Bedeutung die Landwirtschaft für die gesamte Volkswirtschaft hat. Nachdem mir aber nur 5 Minuten zur Verfügung stehen, ist es mir unmöglich, auf alle Einzelheiten einzugehen. Ich möchte nur betonen, daß wir dem vorliegenden Antrag im Ausschuß zugestimmt haben und daß wir ihm selbstverständlich auch jetzt zustimmen werden, wenn er auch nicht all den Forderungen entspricht, die wir erheben müssen.
Wenn es in dem Antrag heißt:
Aus diesem Grunde sind die Einfuhren landwirtschaftlicher Erzeugnisse sowie die Abmachungen in den Handelsverträgen so zu steuern, daß die Steigerung der landwirtschaftlichen, Inlandserzeugung und Verarbeitung durch ungeregelte Importe keine Störung erfährt,
und wenn es weiter dort heißt:
In den Handelsverträgen sind hinsichtlich
landwirtschaftlicher Positionen Vereinbarungen nicht nur mengenmäßig, sondern auch
jahreszeitlich unter Einführung der notwendigen Schutzbestimmungen herbeizuführen, so heißt das nichts anderes, als daß es ohne eine geordnete Marktwirtschaft - um nicht zu sagen: ohne Planwirtschaft - nicht geht, daß eine Liberalisierung, eine schrankenlos freie Wirtschaft unsere Landwirtschaft sogar in große Gefahr bringen könnte, wie es der Berichterstatter ja bereits angedeutet hat. Wir sprechen der Liberalisierung das Wort, aber letzten Endes - mit Recht hat der Berichterstatter darauf verwiesen - können wir es nur, wenn auch die übrigen Staaten in der Welt um uns herum das gleiche tun.
Mit Handelsverträgen, Schutzbestimmungen, Marktordnung und Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion allein wird der Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft eine sehr
kümmerliche Angelegenheit bleiben. Es müssen gleichzeitig grundsätzliche Maßnahmen wirksam werden, auch auf steuerlichem und auf sozialpolitischem Gebiet. Die Betriebskosten müssen den Einnahmen angepaßt werden. Diese Ausgaben, Steuern, Soziallasten und Betriebskosten, betragen ein Vielfaches gegenüber der Vorkriegszeit. Die Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse haben aber mit den Ausgaben nicht gleichen Schritt gehalten. Die großen Handelsspannen zwischen Landwirtschaft und gewerblichen Betrieben, die Spannen zwischen den Preisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse und denen der Industrie bedürfen unbedingt eines Ausgleichs. Wenn dieser Ausgleich nicht kommt, dann werden all die guten Ansätze, die man mit diesem Antrag gemacht hat, zu nichts führen, die vorgesehenen Maßnahmen werden nicht zur Auswirkung kommen.
Insbesondere für die landwirtschaftlichen Veredelungsprodukte müssen stabile und den Kosten entsprechende Preise geschaffen werden, Preise allerdings, die auch für die Verbraucherschaft tragbar sind. Letzten Endes sollen stabile Preise gerade im Interesse der kleineren Landwirte festgesetzt werden, die diese Edelprodukte erzeugen, damit auch diese kleinen landwirtschaftlichen Betriebe regelmäßig und etwas sicherer kalkulieren können. Nur ein ausgeglichener Haushalt auch in der Landwirtschaft kann diese vor schwersten Erschütterungen bewahren.
Der Antrag lautet in seinem letzten Absatz: Dem Bundestag sollen monatlich bezüglich der Landwirtschaft fortlaufend Übersichten über die Einfuhren und Ausfuhren und Zusammenstellungen der abgeschlossenen handelsvertraglichen Abmachungen zugeleitet werden.
Diese Unterrichtung wurde dem Außenhandelsausschuß von der Regierung wiederholt zugesagt, ist aber nicht erfolgt, vor allem nicht bei den neuen Zolltarifen, die den ausländischen Staaten am 15. Mai vorgelegt werden sollen. Erst heute erfahren wir, daß vorige Woche ein Handelsvertrag mit Jugoslawien über die Einfuhr landwirtschaftlicher Erzeugnisse, Getreide, Fleisch usw. in einem Betrage von 35 Millionen Mark unterzeichnet worden ist. Meine Damen und Herren, wir müssen schon ersuchen, daß das Bundesparlament von solch wichtigen Beschlüssen unterrichtet wird, wie es uns ja auch zugesagt worden ist!
Das ganze Problem der Agrarpolitik bedarf endlich einer eingehenden Erörterung im Bundestag. Ich glaubte, auch heute sei hierzu Gelegenheit gegeben. Leider ist den einzelnen Rednern besonders der kleineren Fraktionen die Zeit dafür allzukurz bemessen, als daß man auf die allgemeinen Dinge in großer Breite eingehen könnte, wie es notwendig wäre.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Horlacher.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin zunächst dankbar, daß man sich sowohl im Ausschuß für handelspolitische Fragen wie im Ernährungs- und Landwirtschaftsausschuß ganz sachlich und nüchtern über diese in Frage stehenden Verhältnisse aus({0})
einandergesetzt hat. Man hat sich dann einstimmig auf eine bestimmte Form des Antrages geeinigt. Damit sind vielleicht die Sorgen über die Führung der deutschen Agrarpolitik, wenn der Antrag angenommen wird, etwas gemildert, aber noch lange nicht behoben. Denn dazu gehört noch eine ganze Reihe von Maßnahmen seitens der Exekutive, die jetzt mit zwingender Notwendigkeit ergriffen werden müssen.
Zunächst einmal hat der Antrag festgestellt, daß die Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung in den nächsten Jahren ein dringendes Gebot für unser gesamtes Volk ist, nicht bloß für die Bauernschaft allein, sondern für die Verbraucher und für das Leben des ganzen Volkes in den Westzonen. Es ist eine sehr wichtige Lebensfrage für unser ganzes Volk, ob uns das gelingt oder ob das nicht gelingt. Unter allen Umständen muß alles so abgestellt sein, daß keinesfalls eine Unterbrechung der Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung eintritt. Deswegen habe ich mich persönlich trotz der großen Schwierigkeiten, die in der Landwirtschaft bestehen, in zahlreichen Versammlungen dafür eingesetzt, daß man unter keinen Umständen über den derzeitigen Verhältnissen, die auch auf einer Umstellungskrise beruhen, das eine vergißt, daß eine Vernachlässigung der Fortführung der Steigerung der landwirtschaftlichen Erzeugung ein Fehler wäre. Alles muß daran gesetzt werden, damit wir nicht bloß das Programm von 100 % des Jahres 1938 erreichen. Wir müssen über die 100 % der Nahrungsmittelversorgung, wie sie im Jahre 1938 war, hinauskommen, weil uns sowieso noch ein großes Defizit verbleibt. Es bleibt sowieso noch eine Lücke, und je geringer die Lücke wird und je weniger zur Auffüllung der Nahrungsdecke notwendig ist, desto besser ist es für die industrielle Rohstoffversorgung, und desto besser ist es für den gewerblichen und industriellen Sektor. Deswegen muß das alles miteinander zusammenwirken.
Ich habe an die Bundesregierung eine Bitte, daß sie doch einmal dafür sorgen möchte, daß das Aufbauprogramm, das mit Hilfe der Amerikaner in Angriff genommen wurde, auch zur Vollendung kommt. Es wäre ungerecht, wenn man hier dem amerikanischen Volk nicht den Dank für die ungeheure Hilfe aussprechen wollte, die es gerade zur Verbesserung der deutschen Lebenshaltung in den Westzonen geleistet hat. Aber es wäre wünschenswert, daß diese psychologische Seite dieser Hilfe vom Volke restlos anerkannt und daß vielleicht manches andere mit Rücksicht darauf anders gehandhabt würde.
Vor allen Dingen werden auch in der deutschen Landwirtschaft durch die Ziffern, die immer in der Presse erscheinen und die oft bis zu einer Milliarde gehen, die in den Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft hineingegeben werden sollen, falsche Vorstellungen entstehen. Ich habe das scherzhaft so formuliert: Man soll nicht bloß für die Ansage der amerikanischen Hilfe Dank sagen, sondern auch für die Verwirklichung der .amerikanischen Hilfe Dank sagen können. Was nützt es mir, wenn ausgeführt wird, es werden bedeutsame Millionenbeträge für die landwirtschaftliche Forschung ausgeworfen, und es kommt dann nichts!
Meine verehrten Damen und Herren! Ich habe den Unterschied zwischen unserer wissenschaftlichen Tätigkeit gegenüber der anderer Länder in Europa -gesehen. Ich habe den Unterschied zwischen den dänischen, schwedischen, holländischen Einrichtungen und unseren deutschen Einrichtungen gesehen. Unsere deutschen Einrichtungen auf landwirtschaftlichem Gebiet waren in der Vorkriegszeit hervorragend. Sie haben aber eine wesentliche Unterbrechung erlitten, einmal schon durch den ersten Weltkrieg und durch den zweiten Weltkrieg erst recht. Das heißt mit anderen Worten: bei uns muß auf dem Gebiete der Forschung noch sehr viel nachgeholt werden. Das ist eine wichtige Grundlage, die auf die Praxis ausstrahlen muß. Deswegen wäre es mir schon wünschenswert, wenn wir von der Regierung Auskunft bekommen könnten, wieweit es mit der Hergabe dieser ERP-Mittel für solche Zwecke steht. Können wir mit den angekündigten Millionensummen endlich rechnen, oder bleiben sie immer noch in weiter Ferne sichtbar, aber nicht greifbar?
Mit den anderen Dingen ist es dann auch so. Es ist meines Erachtens notwendig - und Gott gebe, daß das geschehen kann, den Grundsatz stelle ich mit aller Schärfe heraus -, daß vor Beginn des neuen Wirtschaftsjahres, das ist der 1. Juli 1950, die Wirtschaftsplanung für die Landwirtschaft für das nächste Wirtschaftsjahr auf allen Gebieten vorliegt.
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Wenn das nicht vorliegt - ({2})
- Jawohl, es muß vorliegen; denn wenn das nicht vorliegt, dann kann sich das Ganze nicht darauf einstellen. Herr Präsident Löbe, ich habe schon bei den Beratungen im Ausschuß gesagt: Ich bin nicht so ängstlich, ob das Planung heißt oder Lenkung oder wie es sonst heißt. Vorn Standpunkt der Landwirtschaft kommt es mir darauf nicht so sehr an. Aber eine Ordnung der Dinge muß auf jeden Fall geschaffen werden,
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so daß man sich darauf einstellen kann, damit der Bauer draußen weiß, wie sich die Verhältnisse gestalten, mit welchen Faktoren, mit welcher Unterstützung er rechnen kann. Dazu gehören z. B. auch die Pläne wegen der Senkung der Düngemittelpreise. Glauben Sie mir, die Pläne, die im Laufe des Jahres auftauchen, verwirren mehr, als sie Gutes stiften. Wenn ich schon etwas in Aussicht nehme, dann muß ich es zur rechten Zeit in Aussicht nehmen, dann muß es vor Beginn des Wirtschaftsjahres geschehen und nicht mitten im Laufe des Wirtschaftsjahres. Das war ja der Fehler der deutschen Agrar- und Ernährungspolitik, an dem wir - durchaus begreiflich - die ganzen Jahre hindurch gelitten haben. Wir müssen also den richtigen Ausgangspunkt für diese Dinge bekommen. Glauben Sie mir: mit einer bloßen Verkündigung einer Senkung der Düngemittelpreise sind die langfristigen Pläne für den Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft nicht schon erfüllt. Denn wenn die Senkung der Düngerpreise nicht von der Ausweitung der Produktion begleitet ist, dann ist das eine Fehlentwicklung, die sich im nächsten Jahre wieder ungünstig für die landwirtschaftliche Erzeugung auswirken wird. Deswegen muß, das alles nach bestimmten Richtlinien vor sich gehen.
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Besonders notwendig ist, daß die Regierung einmal das gesamte Problem der Milch- und der Fettwirtschaft überhaupt einer gesamten, aufeinander abgestellten Lösung entgegenführt. Denn so, wie die Verhältnisse auf dem Gebiete des Milchmarktes jetzt liegen, ist dringend eine Ordnung notwendig. Hier ist ein Bundesmilchverkehrsgesetz eine unerläßliche Notwendigkeit, damit der Streit aufhört, ob das frühere Reichsmilchgesetz mit bestimmten Bestimmungen noch gilt oder ob es nicht gilt.
Ebenso ist eine Ordnung in der deutschen Ölwirtschaft ein zwingendes Gebot der Stunde. Denn wir können es uns nicht leisten, daß wir unter Vorherrrschaft eines ausländischen Konzerns unsere ganzen Ölmühlenbetriebe zugrunde gehen lassen, daß wir dann hier Arbeiterentlassungen und eine Störung unseres gesamten Fetthaushalts bekommen.
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Das sind die Probleme, die hier vorliegen.
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Die andere Frage habe ich in dem Antrag niedergelegt, die einzelnen Gesichtspunkte, die auch von dem Herrn Berichterstatter hervorgehoben worden sind. Ich hoffe, daß die JEIAImporte - das ist ja mit den Worten „ungeregelte Importe" in dem Antrag gemeint - allmählich zu Ende gehen und daß die Regierung die notwendigen Instrumente in die Hand bekommt, auch durch den Bundestag, um sich hier handelspolitisch durchsetzen zu können.
Aber zum Schluß noch ein Wort. Ich würde den Herrn Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft dringend bitten, sich gegenüber seinem Kollegen auf dem Sektor der Wirtschaft bei Vertretung der landwirtschaftlichen Belange stärker durchzusetzen. Denn hier ist eine Klärung der landwirtschaftlichen Interessen gegenüber denen der Industrie, des Gewerbes und des Handels ein unbedingtes Erfordernis.
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Ich habe auf manche Dinge schon im Ausschuß hingewiesen; ich will das hier nicht wiederholen, will hier keine Verschärfung der Debatte hervorrufen. Aber ich wäre dem Herrn Bundesminister dankbar, wenn er die Unterstützung durch den zuständigen Ausschuß des Bundestages weitgehend in Anspruch nähme, damit wir auf dem Gebiete der landwirtschaftlichen Erzeugung und zum Wohle unserer Bauernschaft das Ziel erreichen, das zu erreichen im Interesse unseres ganzen Volkes notwendig ist.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt.
Meine Damen und Herren! Ich möchte vorerst Herrn Kollegen Horlacher für die Mitteilung seiner Erkenntnisse besonders danken. Ich hoffe nur, daß diese seine Erkenntnisse auch in seiner ganzen Fraktion Eingang finden. Wir Sozialdemokraten haben im Ernährungsausschuß diesem Beschluß Drucksache Nr. 808 voll zugestimmt. Wir werden das auch heute tun, und wir tun das im vollen Bewußtsein der politischen Verantwortung dafür.
Über die Gründe, die uns dazu bewegen, brauche ich Ihnen hier nichts weiter auszuführen. Ich erinnere Sie nur an die Ausführungen meines Kollegen Kriedemann in der 34. Sitzung des Bundestages. Diese Gründe kann man zusammenfassen in dem Satz, daß die Grundvoraussetzung eines neuen deutschen Wohlstandes die äußerste Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion ist. Diese Auffassung vertreten wir schon seit 1945 und bringen sie der Öffentlichkeit zur Kenntnis. Diese Erkenntnis hat uns bei allen Stellungnahmen zu allen agrarpolitischen Maßnahmen geleitet. Wir sind uns also über das Endziel, daß die Landwirtschaft ein vollwertiges Glied der Volkswirtschaft sein muß und sein will, einig. Wir sind uns auch in dieser Teilfrage einig, die in der Drucksache Nr. 808 angesprochen wird. Aber ich bin der Meinung, daß wir auf den Wegen, die zu diesem Ziele führen, nicht immer dieselben Methoden verwenden werden und auch nicht verwenden können.
Dazu gestatten Sie mir einige grundsätzliche Bemerkungen. Der Antrag Drucksache Nr. 808 hat eine sehr umfassende Überschrift: Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft. Wenn Sie dagegen den Inhalt dieser Entschließung betrachten, dann stellen Sie fest, daß er nur einen kleinen Ausschnitt umfaßt; ja, er sagt nicht einmal das, er spricht nur indirekt ein Problem an. Diese Entschließung Drucksache Nr. 808 ist also ein Glied in der Kette vieler Versuche, hier und dort zu flicken, Löcher zuzumachen und zu stopfen; es ist die Fortsetzung der Politik der vielen Pflästerchen, der kleinen Mittel. Wir haben schon im Ausschuß Gelegenheit gehabt, des öfteren darüber zu sprechen. Wenn Sie sich die Sitzungsberichte des Ernährungsausschusses einmal ansehen, dann werden Sie das voll bestätigt finden. Wir haben eingangs lange über die Rede des Bundesernährungsministers im Ausschuß diskutiert, haben grundsätzliche Debatten über alle möglichen Fragen gehabt. Wir haben die Regierung sogar aufgefordert, ein Jagdgesetz, ein Pachtgesetz, marktordnende Gesetze vorzulegen. Aber abgesehen vielleicht von der Verlängerung des Importausgleichsgesetzes und vom Gesetz zur Senkung der Zuckersteuer, meine Damen und Herren, haben wir nur Teillösungen, zum Teil sogar nur in winzigen Teilfragen, erreicht. Denken Sie nur einmal an die Düngemittelversorgung im Wirtschaftsjahr 1949/50, denken Sie an die Hilfe für die Flachsrösten, denken Sie an die Hilfe für die Konservenindustrie, denken Sie an die Kartoffelsaatversorgung für das Frühjahr 1950, denken Sie an die Hilfe für den Saathandel - alles das sind Maßnahmen, die nur Teillösungen sind.
Auch die Diskussionen über den Butter- und Milchpreis, meine Damen und Herren, behandeln nur solche Teilfragen.
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Es sind gerade in dieser Frage weise Beschlüsse
gefaßt worden, und trotz dieser weisen Beschösse
geht es mit der Butter und der Milch schief. Den
Sündenbock dafür sucht man in der Liberalisierung, obwohl die Veredelungsprodukte tatsächlich gar nicht auf der Freiliste stehen. Man starrt
meines Erachtens viel zu sehr auf unsere Handelsverträge, auf unsere Zolltarife, auf die Liberalisierung, und man sieht darin das alleinige
Heil zum Auffangen der ersten Krisenerschei({1})
nungen in der Landwirtschaft. Ich habe den Eindruck, daß die Regierung den Klageliedern der landwirtschaftlichen Interessenverbände allzuviel Gehör schenkt;
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sonst käme sie zu anderen Maßnahmen. Sie kommt aber nur zu Abwehrmaßnahmen. Dieser Politik der Nur-Abwehrmaßnahmen müssen wir ein Ende machen. Ich möchte hier die Aufforderung meines Kollegen Kriedemann in der gestrigen Sitzung des Ausschusses wiederholen, der verlangt hat, daß endlich einmal mit der konstruktiven Politik des Aufbaus begonnen wird, damit im Jahre 1952 unsere Landwirtschaft voll konkurrenzfähig ist gegenüber den anderen westeuropäischen Landwirtschaften.
Sollte die Regierung keine dafür geeigneten Maßnahmen wissen, nun, meine Damen und Herren, so darf ich Sie vielleicht auf die immerhin sehr deutliche Antwort der Marshallplan-Verwaltung auf das ERP-Memorandum verweisen. Darin steht zum Beispiel die Forderung nach der Flurbereinigung als einer noch immer unumgänglichen Vorausetzung für die Hebung der Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft. Die Regierung geht seit Monaten damit schwanger, aber bis heute ist der Gesetzentwurf noch nicht einmal vorgelegt, und ich nehme an, daß auch das immerhin noch einige Monate dauern wird. Denken Sie doch einmal an die Fragen der großen Landeskulturaufgaben, der Meliorationen! Denken Sie an die großen Ödlandkultivierungen im nordwestdeutschen Raum! Dafür sollte man entsprechende Mittel einsetzen, denn diese Mittel sind volkswirtschaftlich eingesetzt und werden, auf die Dauer gesehen, dem deutschen Volke mehr nützen als andere Dinge. Denken Sie an die Maßnahmen zur Steigerung des Düngemittelverbrauchs! Ich bin auch der Meinung des Kollegen Horlacher, daß die Regierung schleunigst, meinetwegen schon morgen, uns geeignete Maßnahmen vorschlagen sollte. Ich erinnere Sie nur daran, daß wir Sozialdemokraten unseren Standpunkt dazu bereits bezogen haben. Denken Sie auch an die Fragen der Förderung des Grünlandes! Vielleicht kann man ein Grönlandgesetz schaffen. Denken Sie einmal an das Beratungswesen! In Deutschland haben wir überhaupt noch keinen effektiven Beratungsdienst. Denn wer läßt sich heute beraten? Praktisch doch nur die, die es an sich gar nicht mehr nötig haben. Wir treffen mit unserem Beratungswesen nicht diejenigen Bauern und Landwirte, die es an sich nötig hätten.
({3}) Schließlich, meine Damen und Herren, denken Sie an die Marktordnungsgesetze, die ja wohl vor der Tür stehen; wir hoffen jedenfalls, daß sie dem Bundestag bald vorgelegt werden.
Das sind nur einige Maßnahmen, die ich hier anführe, die aber geeignet sind, die gleichen produktionspolitischen Voraussetzungen wie in den anderen westeuropäischen Ländern zu schaffen. Wir werden alle diese Maßnahmen unterstützen, wie wir auch jeden positiven Schritt in der Richtung einer Förderung der Landwirtschaft gutheißen werden. Aber, meine Damen und Herren, das allein genügt tatsächlich nicht. Ich habe hier an dieser Stelle schon einmal Gelegenheit gehabt, darauf hinzuweisen, daß mit den gesetzlichen Maßnahmen und Verordnungen allein nichts erreicht wird. Die Landwirtschaft selber muß die allergrößten Anstrengungen machen, um insbesondere zu einer innerbetrieblichen Reorganisierung zu kommen. Sie muß auch auf dem Gebiete der Sozialpolitik und der Sozialorganisation einen ganz neuen Standpunkt beziehen, und sie soll vor allen Dingen die Fülle der Möglichkeiten genossenschaftlicher Initiative voll ausschöpfen. Ich gebe zu, meine Damen und Herren, daß das nicht ganz einfach für die Landwirte ist, vor allen Dingen deshalb nicht, weil sie über zwei Generationen wie unter einer Glasglocke gelebt haben, wobei man ängstlich bemüht war, ja kein Lüftchen in diese Glasglocke eindringen zu lassen. Aber die Schuld dafür trägt nicht einmal die Masse , der Bauern selber, sondern die Schuld tragen die Führungskräfte der Landwirtschaft, deren geistige Krisis auch heute mehr denn je offen zutage tritt.
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Ich darf zum Schluß noch folgendes sagen: Wenn die Regierung diese praktischen Grundprobleme nicht sofort anpackt und wenn insbesondere die Landwirtschaft selber sich nicht dazu aufrafft, einen neuen Kurs zu steuern, dann wird der größte Teil der Betriebe, wie Herr Kollege Bauknecht nicht mit Unrecht befürchtet hat, auf der Strecke liegen bleiben, und das wollen wir Sozialdemokraten weiß Gott nicht.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Schmidt ({0}).
Meine Damen und Herren! Die Vorlage, die wir heute behandeln, spricht von einem Wiederaufbau der deutschen Landwirtschaft. In vielen Kreisen ist der Anschein erweckt worden, als ob damit der Wiederaufbau von Gebäuden und dergleichen gemeint sei. In diesem Falle wäre ein anderes Wort angebrachter gewesen, vielleicht die Überschrift „Weiterer Ausbau der deutschen Landwirtschaft".
Mit den Ausführungen, die die Herren Dr. Mühlenfeld, Dr. Horlacher und auch Herr Schmidt gemacht haben, bin ich voll und ganz einverstanden. Denn wir müssen uns vor Augen halten, meine Damen und Herren: der Bauernstand ist die Grundlage der deutschen Ernährung und damit auch der deutschen Wirtschaft. Die deutsche Landwirtschaft ist durch die Verhältnisse der letzten Monate in eine Lage gekommen, die ihre Existenz gefährdet. Darum muß von uns und von der Regierung alles getan werden, um diese Gefährdung abzustellen.
Meine Damen und Herren! Es ist mir in den letzten Wochen und auch heute von einer Seite nahegelegt worden, der Bauer komme schon wieder und jammere. Ich mußte dabei feststeilen, daß heute in gewissen Kreisen eine Art von Schadenfreude darüber vorhanden war; man meint, der Bauer solle für etwas büßen. Man lebt in dem irrigen Wahn, der Bauer sei damals daran schuld gewesen, daß die Lebensmittel in den Jahren des Krieges und der Nachkriegszeit so knapp waren oder daß sie vielleicht nicht richtig verteilt worden sind. Diesen Leuten möchte ich sagen, daß sie gewaltig im Irrtum sind. Ich möchte sie einmal fragen, ob sie sich eigentlich in der letzten Zeit auch überlegt haben, woher denn die Lebensmittel damals kamen, ob die viel({0})
leicht vom Himmel heruntergefallen sind oder ob wir sie zu Zeiten des Krieges vom Ausland bekommen haben. Nein, es war doch so, daß sie durch den Fleiß und durch den Schweiß des deutschen Bauern erzeugt worden sind.
Darum hat auch heute der Bauer einen Anspruch darauf, daß all das für ihn getan wird, was zu seiner Existenz nötig ist. Ja, ich möchte noch etwas nachholen: nicht der deutsche Bauer allein war es; damals, in den Zeiten, als unsere Brüder, unsere Väter und Söhne draußen waren, war nicht nur der Bauer hinter dem Pflug, sondern auch die Bauersfrau; beide haben damals ihre Pflicht bis zum äußersten erfüllt. Darum hat der Bauer das Recht, zu verlangen, daß ihm heute, wenn ihm Gefahr droht, von allen Seiten geholfen wird. Darum ist es unsere Aufgabe, Ihre Aufgabe, meine Damen und Herren, die Regierung darauf hinzuweisen, vorausschauend kommenden Dingen vorzubeugen, die vielleicht noch einmal über unser deutsches Volk hinweggehen könnten.
Ich möchte im Anschluß daran die Frage anschneiden, was geschehen würde, wenn man heute die deutsche Landwirtschaft ihrem Schicksal überließe und wenn die deutsche Landwirtschaft zugrunde ginge. Was würde geschehen? Wer würde die Ernährung des deutschen Volks sichern, wenn heute der deutsche Bauer nicht mehr wäre? Ich glaube, aus dem Grunde müssen sich diese Kreise, die noch eine gewisse Schadenfreude in sich tragen, weil es dem Bauern schlecht gehen soll, auf das besinnen, was - Gott wolle es verhüten - noch einmal kommen könnte. Es könnte kommen! Und da frage ich: Wer wäre dann der, der die deutsche Bevölkerung unterstützen würde, und wer würde ihre Ernährung sichern?
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Deswegen bin ich mit all den Maßnahmen, die im Ernährungsausschuß beschlossen wurden, einverstanden, ob es nun die Handelsverträge, die Aus- und Einfuhr, die Preisgestaltung, ob es die Marktregelung oder die Dinge, die mein Vorredner vorhin angeführt hat, betrifft. Mit all dem sind wir einverstanden. Wir sehen unsere Aufgabe darin, Sie, Kollegen und Kolleginnen des Bundestags, darauf hinzuweisen: Sie als Salz der Erde
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müssen dafür sorgen, daß vorbeugende Maßnahmen getroffen werden. - Sie lachen, wenn ich sage „Salz der Erde". Sie wissen, daß ein Spruch in der Bibel heißt: Ihr seid das Salz der Erde! - Und ihr habt dafür zu sorgen, daß diese Maßnahmen weiterbetrieben werden. Also in dem Sinne, Freunde, müssen wir alles tun.
Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Noch einen Augenblick! Ich bin gleich fertig.
In der Hinsicht müssen wir alles tun, damit die deutsche Landwirtschaft weiterhin die Grundlage der Ernährung des deutschen Volkes und der deutschen Wirtschaft bleiben kann. Ich könnte mir vorstellen, daß, wenn die deutsche Landwirtschaft zugrunde ginge, hier vielleicht kein Ernährungsminister mehr auf der Regierungsbank sitzen würde. Dann würden auch die
anderen Minister alle überflüssig sein, weil auf
der Landwirtschaft alle anderen Stände basieren.
Darum geht unsere Forderung dahin: Helfen Sie dem Stande, der in Not zu kommen droht. Er wird es Ihnen in dem Fall danken, wenn im Laufe der Zeit wieder einmal die Not käme. Sie hätten damit dem deutschen Volk und dem Bauern gedient. Ich danke Ihnen!
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Niebergall. - Sie haben fünf Minuten.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion stimmt dem Bericht des Ausschusses zu. Jedoch schlägt unsere Fraktion zum Antrag des Herrn Kollegen Dr. Horlacher eine Abänderung vor, und zwar hinter dem ersten Absatz einzufügen:
Die von der Bundesregierung durchzuführenden Maßnahmen müssen neben der Produktionssteigerung. der Sicherstellung des Absatzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse, der Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik auch ausreichende finanzielle Hilfe in der Form billiger und langfristiger Kredite enthalten. Im Rahmen des Wiederaufhaus der deutschen Landwirtschaft wird die Regierung verpflichtet. den Aufbau des gesamtdeutschen Innenhandels mit allen Mitteln zu fördern.
Meine Damen und Herren! Leider stehen mir nur fünf Minuten zu einem solch wichtigen Thema zur Verfügung. Man kann in fünf Minuten nicht das zu dieser Lebensfrage unseres Volkes sagen, was eigentlich notwendig wäre. Der Herr Bundeskanzler betonte in seiner Regierungserklärung am 20. September 1949. daß alles getan werden müßte. um der Landwirtschaft zu helfen. Seit diesem Tag sind mehr als sechs Monate vergangen. Ich frage: was ist in dieser Zeit auf diesem entscheidenden Lebensgebiet unseres Volkes geschehen? Zum Guten mehr als wenig und zum Schlechten mehr als genug. Es kann keim Rede davon sein, daß die Landwirtschaft in Gang gekommen sei, wie das im Antrag zum Ausdruck gebracht wird: es sei denn, man versteht unter dem Gang den Krebsgang. Wir warnen vor den Illussionen. die auch hier in den Reden zum Ausdruck kamen. als seien die heutigen Erscheinungen in der Landwirtschaft vorübergehender Natur. Auch davon kann keine Rede sein. Das, was wir in der westdeutschen Landwirtschaft gegenwärtig erleben und sehen, kann nur beseitigt werden, wenn die Politik und die Maßnahmen, die dazu geführt haben, beseitigt werden.
Die Ursachen des heutigen Zustandes liegen darin, daß dank der Politik der wirtschaftlich Mächtigen die Landwirtschaft rücksichtslos belastet und ausgepumpt wird. Die Marshallplanpolitik und ihre Auswirkung, die Spaltung Deutschlands, die Liberalisierung haben zur Folge, daß die Landwirtschaft einer verschärften Krise entgegengeht und gegenüber dem Auslande nicht konkurrenzfähig ist. Die Politik der wirtschaftlich Mächtigen in der Vergangenheit hat dazu geführt, daß nach den Ergebnissen der landwirtschaftlichen Betriebszählung vom Mai 1949, die vom statistischen Bundesamt veröffent({0})
licht wurden. die Zahl der Betriebe von 0 5 Hektar bis 5 Hektar gegenüber der letzten Betriebszählung von 1939 um rund 27 000 zurückgegangen ist. Die landwirtschaftliche Bevölkerung ist gegenüber der Zeit des ersten Weltkrieges bis zum heutigen Tage von 32 % auf 18 % zurückgegangen. In einer Stellungnahme des Bauernverbandes dazu werden als Gründe angeführt:
Mißverhältnisse zwischen den industriellen und
landwirtschaftlichen. Produktenpreisen. Wohnraummangel, steuerliche Belastung und Lastenausgleich. Diese Entwicklung hat zur Folge daß im Jahre 1948 ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe mit Verlust abgeschlossen haben. Dazu kommt noch die steuerliche Belastung.
Die steuerliche Belastung der Landwirtschaft sieht heute wie folgt aus. Zwei Beispiele von der steuerlichen Belastung landwirtschaftlicher Betriebe aufgestellt vom Bauernverband Bayern.
Betrieb A: Ein Betrieb mit 7 Hektar. Einheitswert 12 950 DM - es folgen dann Bürgersteuer,
Kirchensteuer Grundsteuer. Umsatzsteuer usw.
-. ergibt eine steuerliche Belastung im Jahre 1938 von 120 RM oder pro Hektar 17 40 RM. 1949 eine steuerliche Belastung von 619 15 DM oder pro Hektar 88 45 DM. - Ein zweites Beispiel Ein Betrich mit 10 Hektar. Einheitswert 15 300 DM, ergibt eine steuerliche Belastung im Jahre 1938 von 187 40 RM oder pro Hektar 77 15 DM Nicht anders sieht es mit der Soforthilfeabgabe aus. Ganz richtig wird in der Agrarpolitischen Pressekorresnondenz festgestellt:
Der jährliche Kapitalentzug von 400 Millionen DM. der fast das Doppelte der Zinszahlung der Vorkriegszeit beträgt, bedeutet eine ungeheuere Vorbelastung der Landwirtschaft und wird zwangsläufig bei vielen Betrieben zu einer Hemmung, wenn nicht zu einer Verhinderung der notwendigen Intensitätssteigerung führen.
Nicht weniger klar werden von einer anderen Zeitung die Ursachen aufgezeigt. Als Hauptursachen für die Verschuldung der Landwirtschaft werden angegeben: steuerliche Belastung, die Preisschere, die allgemeine Geldknappheit und in neuerer Zeit die Auslandskonkurrenz infolge der Liberalisierung des Handels. Was heißt: die Liberalisierung auf den Marshallplan beschränken, wie man das hier zum Ausdruck gebracht hat? Die Liberalisierung ist der Totengräber der deutschen Landwirtschaft und gar nichts anderes. Wer das heute nicht glaubt, wird in ganz wenigen Monaten, spätestens in einigen Jahren, wenn dieser Zustand so bleibt, das verspüren können. Denn wie ist heute schon die Auswirkung der Liberalisierung und des Marshallplans zu verspüren! Der Gemüse- und Obstbau wird durch die uneingeschränkte Einfuhr aufs schärfste getroffen. Nach dem Inkrafttreten des neuen Handelsvertrags mit Holland wurden in der Zeit vom 15. 12. bis 31. 12. 1949 Einfuhrlizenzen für Gartenbauerzeugnisse nur aus Holland in folgender Höhe erteilt: 23 037 056 Dollar. Ich frage mich: haben wir in Deutschland keinen Obstbau, haben wir in Deutschland keinen Gemüsebau? Unser Gemüse, unser Obst geht vor die Hunde, und ausländisches Gemüse wird auf Kosten der deutschen Landwirtschaft eingeführt. Das ist die Auswirkung der Liberalisierung.
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Hinzu kommt noch, daß uns insbesondere die Verantwortlichen in Holland nach Strich und Faden bemogeln.
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Auf die Vorsprache der Geschäftsführer des Landesverbands Hessen für Gemüse-, Obst- und Gartenbau wegen der hohen Einfuhren erklärte Herr Ministerialdirektor Bottnai: Daran ist nichts zu ändern, es liegen bindende Anweisungen der Militärregierung vor. Was dagegen zu tun ist, darüber schweigt des Sängers Höflichkeit. Was heißt: Anweisung der Militärregierung? Diese Fragen sind Lebensfragen unseres Volkes. Dann muß man gegen solche Anweisungen im Interesse der Landwirtschaft den Kampf führen und sich nicht vor dem Petersberg verneigen.
Herr Abgeordneter, Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Ich komme zum Schluß. So könnte man Beispiele anführen über die Einfuhr von Konserven und Weinen, über die Ausfuhr hochwertigen Hopfens und die Einfuhr minderwertigen Hopfens, für höhere Preise, die wir für die Ausfuhr bekommen.
Wo ist nun der Ausweg aus dieser Krise in der Landwirtschaft? Unsere deutsche Landwirtschaft kann nur gesunden durch Produktionssteigerung und Sicherstellung des Absatzes der landwirtschaftlichen Erzeugnisse. Unsere Landwirtschaft kann nur gesunden, wenn den Klein- und Mittelbetrieben ausreichend langfristige zinslose Kredite zur Verfügung gestellt werden. Die Existenz der deutschen Landwirtschaft kann nur gewährleistet werden, wenn der uneingeschränkten Einfuhr ausländischer landwirtschaftlicher Erzeugnisse Einhalt geboten und der Ausbau des gesamtdeutschen Innenhandels mit allen Mitteln gefördert wird. Unsere Landwirtschaft kann sich nur dann behaupten, wenn die Arbeitsüberlastung unserer Landfrauen durch Schaffung von Gemeinschaftseinrichtungen im Dorf beseitigt wird. Wir werden in der Landwirtschaft nur weiterkommen, wenn die Umsiedler und Neubürger aus der Landwirtschaft, die infolge des Krieges ihre Heimat verloren haben, jegliche Hilfe erhalten. Unsere Landwirtschaft kann nur gesunden, wenn die Steuern und Abgaben für die Landwirtschaft, insbesondere für die Klein- und Mittelbetriebe, entschieden gesenkt werden.
Ich bitte Sie, zum Schluß zu kommen.
Die deutsche Landwirtschaft kann nur gesunden durch die Wiederherstellung einer einheitlichen gesamtdeutschen Wirtschaft.
({0})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rüdiger.
Meine Damen und Herren! Wenn wir heute mittag gelegentlich des Heimkehrergesetzes hier unerquickliche Debatten hatten, dann darf ich wohl feststellen, daß wir erfreulicherweise bei der Beratung des Antrags zum Wiederaufbau der Landwirtschaft im ganzen Bundestag eine eigentlich fast einmütige und geschlossene Haltung zur Schau tragen.
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Ich freue mich ganz besonders, daß mein Vorredner hier so freundliche und nette Worte gefunden hat, und ich möchte all das, was er gesagt hat, mit ziemlichen Nachdruck unterstreichen und mir zu eigen machen; aber ich hoffe. daß den Worten dann auch die entsprechenden Taten folgen.
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Bei uns im Ernährungsausschuß ist es ja Gott
sei Dank so, daß wir die Not der Landwirtschaft
wirklich schon allgemein festgestellt haben, und
wenn wir hier zur Agrarpolitik nur wenige
Worte sagen wollen, dann müssen wir erklären.
daß die Landwirtschaft heute tatsächlich dem
Ruin entgegengeht. Das ist die Feststellung, die
in den Worten aller Redner durchgeklungen ist.
In welcher Situation befindet sich die deutsche Landwirtschaft? Wir müssen die Produktion nicht nur im Interesse der Landwirtschaft, sondern im Interesse des ganzen Volkes unter allen Umständen steigern, und dafür müssen die grundsätzlichen Voraussetzungen geschaffen werden. Wir glauben allerdings - und das darf ich mit Nachdruck zur Regierungsbank hin sagen -, daß die Interessen der Landwirtschaft manchmal gegenüber anderen Interessen allzusehr in den Hintergrund treten, und ich darf hier die Einmütigkeit und Geschlossenheit meiner Fraktion zum Ausdruck bringen, daß wir restlos der Ansicht sind, daß die Verhältnisse zwischen Industrie und Landwirtschaft einer grundsätzlichen Klärung bedürfen und die Unterbewertung der Landwirtschaft allmählich etwas verschwinden muß. Ich darf weiter aussprechen - und auch als Angehöriger der Regierungsparteien darf ich das erklären -, daß wir manchmal das Gefühl haben, als ob den berechtigten Wünschen der Landwirtschaft nicht von allen Herren im Kabinett mit Nachdruck gefolgt wird.
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Wir wollen keine Extrawurst; aber wir wollen uns auch nicht an die Wand drücken lassen.
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Ich möchte hier nur, eins mit wenigen Zahlen sagen. Die Dinge liegen so, daß eine zehnprozentige Steigerung des landwirtschaftlichen Binnenmarktes heute schon mindestens anderthalb Milliarden ausmacht, nach den Ausführungen, die einer meiner Herren Vorredner gemacht hat, sogar noch etwas mehr. Wir wissen, daß der Kampf für den Export unserer Industrieprodukte auf dem Weltmarkt sehr hart sein wird. Man soll aber das eine tun und das andere nicht lassen. Man soll neben der Förderung des Exports auch an die Kräftigung und Festigung des Binnenmarktes denken, und wir glauben, daß da nicht all das geschehen ist, was manchmal hätte geschehen können.
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Gerade auf dem Gebiet der Veredlungswirtschaft liegen die Verhältnisse leider ganz besonders im argen. Hierunter haben die kleinbäuerlichen Betriebe besonders zu leiden. Ich denke in diesem Zusammenhang auch an die Winzer. Ich denke an den Gartenbau, den mein Herr Vorredner ganz besonders unterstrichen hat. In denke an die verschiedenen Produkte, die speziell von kleinbäuerlicher Seite erzeugt werden. Es ist so, daß der Kleinbauer heute praktisch mindestens fünf Sechstel seiner Einnahmen aus dieser Veredlungswirtschaft - meist tierischen Ursprungs - bezieht. Wir müssen dieser' Veredlungsproduktion Rechnung tragen. Meine Herren, Sie haben jetzt die Gelegenheit, beim Milch- und Butterpreis zu beweisen, daß Sie nicht nur bereit sind, hier mit Worten für die Förderung der Landwirtschaft einzustehen, sondern daß sie ihren Worten auch die entsprechenden Taten folgen lassen.
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Wir wissen, daß wir auf die Kaufkraft der Bevölkerung weitestgehend Rücksicht zu nehmen haben; aber wir wollen unter allen Umständen Preise erzielen, die der Kaufkraft entsprechen und auf der andern Seite die Produktionskosten der Landwirtschaft sicherstellen. Ich glaube, gerade der Milchpreis ist von entscheidendster Bedeutung; denn die Einnahmen der bäuerlichen Betriebe aus der Milchproduktion stellen die Hälfte der Gesamteinnahmen dar. Deshalb möchte ich Sie alle hier im Hause bitten, bei diesen entscheidenden Dingen nachher auch die entsprechenden Taten folgen zu lassen.
Ich habe hier nur verhältnismäßig wenig Worte zu verlieren, weil praktisch die Einmütigkeit des Hauses festgestellt ist. Ich bin eigentlich selten gerade mit einem kommunistischen Redner so einig gewesen wie mit meinem Herrn Vorredner, und nur die Theorie und die Praxis werden uns nachher vielleicht trennen. Mit schönen Worten ist es nicht getan, sondern den schönen. Worten müssen dann-' auch die Taten folgen.
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Das Wort hat der
Herr Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nachdem meine Herren Vorredner hier so eingehend und auch so landwirtschaftsfreundlich geredet haben, kann ich es mir versagen, auf weitere Einzelheiten einzugehen, sondern ich möchte nur ganz allgemein die Stellung meiner Fraktion zum Problem „Landwirtschaft" erläutern.
Die Bitte des Vaterunsers „Gib uns heute unser täglich Brot" ist die Basis, von der aus wir vom Zentrum das' Problem Landwirtschaft betrachten. Es gibt bei uns im Münsterlande einen Spruch, der lautet: „Wenn der Himmel einfällt, haben wir alle zusammen dieselbe Nachtmütze auf!" Unser Himmel ist eingefallen, und die Nachtmütze, die wir heute tragen, heißt: Not, Sorge, Armut. Wir schwimmen heute alle in einem Boot, im Boot der Gemeinschaft, der deutschen Volksgemeinschaft.
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- Meine Damen und Herren! Lachen Sie nicht!
- Die erste Bedingung, um der Landwirtschaft zu helfen, ist unseres Erachtens die Beendigung der Arbeitslosigkeit. Früher hieß es immer: „Hat der Bauer Geld, dann hat's die ganze Welt!" Heute muß es heißen: „Hat der Arbeiter Geld, dann hat's der Mittelstand, dann hat's der Bauernstand und damit die ganze Welt!" Und darum: Solange wir rund 6 Millionen Arbeiter haben, .die mit einem Nettomonatseinkommen von 180 DM auskommen müssen, solange wir darüber hinaus noch rund 1 1/2 Millionen Arbeitslose haben, wird es der Land({1})
wirtschaft nicht eher besser gehen, bis die Kaufkraft der großen Masse des Volkes gestärkt wird.
Darüber hinaus suchen wir natürlich nach Mitteln und Wegen, um der Landwirtschaft im Rahmen der allgemeinen Volkswirtschaft ohne Einengung der eigenen Bewegungsfreiheit den unbedingt notwendigen Schutz zu gewähren. Aber eines, meine Damen und Herren, möchte ich doch zu bedenken geben. Es gibt auch fortschrittliche Bauern genug, die die starke Umhütung und Beschützung, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, gar nicht so sehr wünschen. Mir scheint: es fehlt der Landwirtschaft heute ein guter Schuß von Wagemut und frischen Blutes.
Wer nicht wagt, der nicht gewinnt;
wer nicht beischläft, kriegt kein Kind!
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Meine Damen und Herren!
({3})
- Meine Damen und Herren! Lachen Sie nicht!
({4}) Die Zentrumsfraktion wird alle Anträge und Eingaben - ({5})
Die Zentrumsfraktion - ({6})
- Lachen Sie ruhig weiter!
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Meine Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion wird alle Anträge und Eingaben, die in diesem Sinne gehalten sind, aufs freudigste unterstützen und bejahen. Wir sehen aber in der Behandlung der materiellen Fragen nicht das einzig Notwendige, sondern wir richten unser Augenmerk auch auf die immateriellen Fragen. Insbesondere denken wir an die Berufsausbildung an unseren landwirtschaftlichen Schulen und Hochschulen.
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Ihre Redezeit ist abgelaufen.
Meine Damen und Herren! Ich möchte nur noch eins sagen. Wenn Sie das, was ich vorhin gesagt habe, in einem verkehrten Sinne aufgefaßt haben, so liegt das an Ihnen, nicht an mir.
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Ich glaube, für das Hohe Haus feststellen zu können, daß in Anbetracht der Eindeutigkeit dieses Urworts ein Mißverständnis kaum möglich war.
({0})
Das Wort hat der Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich wollte, ich könnte als
Landwirtschaftsminister so herzhaft und so langandauernd lachen, wie die Mitglieder des Hohen Hauses es eben getan haben. In Wirklichkeit verdüstern sich jetzt meine Züge, wenn ich daran denke - und verschiedene der Herren Vorredner haben mit Recht darauf hingewiesen -, daß die Lage der Landwirtschaft sich in der letzten Zeit doch sehr erheblich verschlechtert hat.
Gestatten Sie mir ein ganz offenes Wort. Wie ist die Einstellung breiter Schichten zur Landwirtschaft? Wenn ich so draußen herumkomme, höre ich - ich darf es einmal ganz trivial ausdrücken -: „Was wollt ihr denn? Ihr habt im Kriege kein Taschentuch verloren!
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Ihr habt dann ungeheure Verdienstmöglichkeiten gehabt. Über euch ist die zweite Währungsreform hinweggegangen, wie es immer der Fall ist. Inflationen berühren Ziegelsteine und Scholle nicht. Also. was wollt ihr denn? Ihr seid ja im siebenten Himmel!"
Ich könnte jetzt lange und längste Ausführungen machen, um nachzuweisen, wie oberflächlich diese Einstellung ist. Es sind heute viele Ziffern genannt worden. Ich hoffe, meine sehr verehrten Damen und Herren, daß ich sehr bald Gelegenheit habe, in einer wirklichen Agrardebatte eine Fernphotographie von dem derzeitigen Zustand der Landwirtschaft und die dazugehörenden Zahlen zu liefern. Nach dem Tage X war die Situation doch ganz klar die: Freiheit für sämtliche übrigen Teile der deutschen Wirtschaft. Dagegen aus gewissen Notwendigkeiten heraus, die ich als Ernährungsminister als letzter verkenne: Beibehaltung eines gewissen Ausnahmerechts für die Landwirtschaft hinsichtlich der Einnahmeseite. Ergebnis: ein ungeheures Klaffen der berühmten Schere, über die man spricht, solange man über Agrarkrisen spricht.
Nun hat einer der Herren gemeint, es sei noch gar nichts geschehen. Verehrter Herr Dr. Schmidt, wenn Sie eine Liste aufstellen, wieviele Gesetze meinen Namen tragen, dann bekomme ich vielleicht Note 3 bis 4! Wenn Sie jetzt aber einmal gerade unsere Arbeit nach ihrem Erfolg hinsichtlich der Schließung der Schere betrachten, dann, glaube ich, darf ich die Brust herausstrecken. Es' ist doch gelungen, diese unbedingt notwendige Voraussetzung - einigermaßen gleiche Verhältnisse zwischen den Agrarpreisen und den Produktionsmittelpreisen - herzustellen. Aber jetzt läuft uns die Geschichte auf der anderen Seite davon!
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- Hören Sie mir doch auf mit dem Marshallplan! Wir haben mit dem Marshallplan bereits
viel Gutes für die Landwirtschaft leisten können.
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Spielen Sie doch einmal auf einem anderen Klavier! Das wird ja schon bald langweilig!
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Jetzt habe ich folgende Meinung: Es ist furchtbar schwer, die Situation der Landwirtschaft von der Preisseite her zu bessern. Wir müssen natürlich unter allen Umständen - da stimme ich allen Rednern von Dr. Horlacher an bis zum
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letzten Redner bei - den Milchpreis halten; denn, meine Damen und Herren, der dünne, weiße Strahl, den die fleißige Hand der Bäuerin dem Euter der Kuh entlockt, wird zum breitesten Goldstrom. Ich habe das schon einmal gesagt. Und das, was der Fleiß unserer Kohlenarbeiter aus dem Schoß der Erde holt, ist - rein ziffernmäßig genommen - nicht mehr an Wert als -der der Milch.
Aber wie liegen denn die Dinge? Es hat doch gar keinen Zweck, große Reden zu halten. Wir sind darauf angewiesen, daß die Konsumkraft gleich bleibt. 1,8 Millionen Arbeitslose bedeuten für uns, daß sich die Kaufkraft allein für Lebensmittel im Jahr um 720 Millionen senkt. Denken Sie doch einmal die Sache in der Praxis durch! Brot muß der Arbeitslose nach wie vor kaufen, sonst verhungert er, ebenso Kartoffeln. Hat er Kinder, so braucht er Nährmittel. Folgende Dinge kann er aber nicht mehr in entsprechendem Umfang kaufen: Fleisch, Eier, Milch, Butter, also die gesamten Produkte der Veredelungswirtschaft.
Ich mache in meinem Amt eine große Kurve: rot die Zahlen der Arbeitslosen. blau die Preise für die Veredelungsprodukte. Ebenso steil, wie die Arbeitslosenkurve in die Höhe geht, sinkt die Kurve für die Veredelungsprodukte in die Tiefe. Das sind doch Zusammenhänge, die ganz klar zutage liegen! Das zeigt doch die Verbundenheit aller Teile der deutschen Wirtschaft! Eine entsprechende Agrarpolitik ist infolgedessen eine gute Verbraucherpolitik und umgekehrt. Das wollte ich grundsätzlich dazu sagen.
Meine Damen und Herren! Ich will nur ganz kurz auf einige Fragen antworten, die gestellt wurden. Herr Dr. Horlacher fragte. wo die Zuschüsse aus dem Marshallplan bleiben. 75 Millionen sind vorgesehen! - Schwierigkeiten der Abwicklung? Der ECA-Vertrag vom 15. Dezember 1949 sieht eine gewisse Haftung der Bundesregierung vor. Er ist ohne weiteres erfüllbar hinsichtlich der als Kredite ausgeliehenen ECA-Mittel, dagegen nicht ohne weiteres mehr applizierbar hinsichtlich der 70 Million en. Die Verhandlungen sind aber sehr weit gediehen, und wir können in allernächster Zeit damit rechnen, daß diese 70 Millionen zur Auszahlung kommen. Damit sollen Dinge gefördert werden, auf deren Notwendigkeit heute auch schon hingewiesen wurde, insbesondere die landwirtschaftliche Forschung.
Meine Herren! Ich habe im Jahre 1946 die ersten wirklichen Friedensschwalben hier in Deutschland begrüßen können, die in Gestalt von sechs Professoren von landwirtschaftlichen Universitäten über den großen Teich herüberkamen. Ich habe mir die Mühe gemacht und habe sie auf der ganzen Reise begleitet, die der Besichtigung unserer wissenschaftlichen Institute galt. Deren Urteil lautete zunächst: Na, Kinder, zeigt' einmal das blecherne Spielzeug her, das ihr habt! Es zeigte sich aber steigende Hochachtung vor der deutschen Wissenschaft, je mehr man den Herrschaften zeigen konnte, wie wir in Deutschland auch mit einfachen Mitteln etwas erreichen.
Ich komme eben von einer Sitzung im Zentralausschuß der deutschen Landwirtschaft. Wir haben uns über die so wichtige Frage der Tierernährung auf Grund eines sehr interessanten Referats unterhalten. Ich darf folgendes Beispiel herausstellen: Es sind Milliarden zu sparen, wenn wir in der Tiefernährung vorwärtskommen und neue Erkenntnisse gewinnen. Unser deutscher Professor muß den Versuch mit zwölf weißen Mäusen und zwanzig Meerschweinchen ansetzen. Sein Kollege von drüben macht einen Versuch mit hundert Ochsen und kommt infolgedessen zu viel einwandfreieren und genaueren Resultaten als unser deutscher Professor, der sich mit den weißen Mäusen abplagen muß. Die deutsche Wissenschaft hat unmenschlich viel geleistet, auch im Agrarsektor - angefangen von Justus von Liebig bis Soxhlet usw. -, aber ich muß offen zugeben, daß wir einen Fehler gemacht haben: wir haben die Wissenschaft auch in der Landwirtschaft zu sehr als Selbstzweck betrachtet.
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Da haben wir jetzt gelernt und wir hoffen, von den Amerikanern noch viel zu lernen, die z. B. jeden Lehrstuhl auf den landwirtschaftlichen Universitäten doppelt besetzt haben. Nur der eine Professor ist ein Wissenschaftler, der andere ist der Propagandist, der daneben sitzt und schaut, ob sein Kollege am Mikroskop irgend etwas herausbringt, was der Landwirtschaft nützen könnte, und dafür sorgt, daß diese neueste Erkenntnis sich in möglichst rascher und möglichst breiter Form der Landwirtschaft übermitteln läßt.
Da also waren wir rückständig, das muß offen zugestanden werden. Nach dieser Richtung hin soll es besser werden, und damit, Herr Dr. Schmidt, können wir auch eine moderne Beratung aufbauen. Das ist aber leichter gesagt als getan. Meine Herren, unsere Bundesrepublik ist der Agrarstruktur nach ein Bauernland, fast ein Kleinbauernland. Wenn Sie z. B. die Mitte des Bundesgebiets nehmen, das Gebiet, in dem die Franken siedeln, die durch ihre Erbteilung im Laufe der Jahrhunderte eine gewisse Atomisierung des Bodens hervorgerufen haben, dann sehen Sie, daß dort ein landwirtschaftlicher Berater 5000 landwirtschaftliche Betriebe zu betreuen hat.
Das ist auch der Grund dafür, daß Maßnahmen wie z. B. die Verbilligung des Kunstdüngers so schwer durchzuführen "sind. Ich könnte lange reden, um das Problem aufzuzeigen; aber es sind Dinge, über die man sich vielleicht in den kommenden Wochen unterhalten kann. Ich bin der Meinung von Dr. Horlacher, daß das bald geschehen muß. Ja, meine Herren, das sind 600 Millionen. Verbilligen Sie den Kunstdüngemittelbezug um 25 %, dann müssen Sie mit einem Aufwand von 150 Millionen im Jahre rechnen. Das kann nur dann geschehen, wenn' mit einem an Sicherheit grenzenden Grad von Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, daß sich diese Aufwendung auch wirklich produktionssteigernd auswirkt.
Man hat davon gesprochen - Dr. Schmidt hat es getadelt -, daß man z. B. die Subventionen für Flachsrösten nicht mehr gibt. Im Ernährungsausschuß haben wir uns lange darüber unterhalten, und die Parteien waren es, die erfreulicherweise übereinstimmend zu der Auffassung kamen, daß man mit den kleinen Subventionen aufhören sollte, um alle Mittel, die zur Unterstützung der - Landwirtschaft herangezogen
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werden, auf einen Punkt zu massieren, von dem aus man einsetzen kann.
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen auf die Tonne nachweisen, daß die geradezu glänzende Ernte, die wir im Jahre 1949 hatten, außer auf die gute Witterung auf die Steigerung in unserem Kunstdüngemittelverbrauch zurückzuführen ist. Ich glaube, man muß der deutschen Landwirtschaft dafür dankbar sein, daß sie trotz der Kapitalnot, unter der sie zu leiden hat, im Jahre 1949 bereits wieder einen Kunstdüngemittelverbrauch gehabt hat, der dem Verbrauch in den Friedensjahren 1938 und 1939, also in der Zeit nach der Göringschen Düngemittelverbilligung, entspricht. Ich weiß, daß große Sorgen dahin geäußert worden sind, daß wir in diesem Frühjahr beim Bezug von Düngemitteln zurückstehen. Es sah auch bedrohlich aus. Am 30. Januar waren wir im Stickstoffbezug um 21 % hinter dem Bezug am gleichen Stichtag des Vorjahres zurück. Bei P2 O5, bei Phosphorsäure. fiel der Bezug um 19 % zurück. Meine Damen und Herren, die Sache ist so gut wie aufgeholt. Nach dem letzten Stand vom 31. März liegen wir bei Stickstoff nur mehr um 6 % und bei Phosphorsäure nur noch um 9 % zurück. Die täglichen Meldungen der Eisenbahn über Verladungen lassen erwarten, daß wir- per 30. April wieder den ungefähren Stand vom Vorjahre haben. Dagegen haben wir unseren Plan hinsichtlich einer weiteren Erhöhung des Kunstdüngemittelverbrauchs nicht voll erreicht.
Herr Dr. Schmidt, wir haben schon Pläne; sie sind ganz genau aufgestellt bis zum Jahre 1952. Es ist auch so, daß die Pläne nicht nur Papier sind. Die Landwirtschaft hat es unter Aufwendung von viel Arbeit und manchen Opfern verstanden - und mit der Angabe einer Zahl nach der Richtung darf ich jetzt zum Schluß kommen, weil diese Zahl vielleicht mehr als lange Darlegungen sagt -, unsere Bodenleistungsnutzung, die nach dem Plan, den wir zusammen mit den Alliierten aufgestellt haben, im Jahre 1952 gleich 103 sein sollte, bereits im Jahre 1949 auf 105 zu bringen. Wir sind also bodennutzungsmäßig bereits um zwei Punkte über unser Planziel, das wir uns für das Jahr 1952 gestellt haben, hinausgekommen. Das muß man auch einmal sagen. Wenn man als Landwirtschaftsminister so das Gefühl hat, daß sich alle immer so gern an einer gewissen angeblichen Inferiorität der Landwirtschaft reiben, und wenn man immer vorgesetzt bekommt, daß man nur in den anderen Teilen der deutschen Wirtschaft die Weisheit mit Löffeln gefressen habe, dann darf man wohl auch einmal auf solche Positiva hinweisen; denn sie sind nicht nur das Ergebnis von Schweiß und von Entbehrungen, sondern auch das Ergebnis -von wohlüberlegtem, denkerischem Arbeiten. Wir wissen alle, daß die Landwirtschaft von heute in ihren Ansprüchen nicht nur von dem Körper, sondern auch von dem Geist ebensoviel verlangt wie jeder andere Wirtschaftszweig. Diesen Erfolg, daß wir jetzt unseren Plan hinsichtlich der Bodenleistungsnutzung um volle zwei Punkte überschritten haben, hier von der Tribüne der deutschen Volksvertretung festzustellen, ist mir als Landwirtschaftsminister ein Herzensbedürfnis.
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Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.
Wir kommen zur Abstimmung. Es liegt ein Ergänzungsantrag der Kommunistischen Partei vor, den der Abgeordnete Niebergall übergeben und begründet hat. Über diesen Ergänzungsantrag zum Ausschußantrag wäre zunächst abzustimmen. Ich verlese diesen Antrag, der vor der Abstimmung nicht verteilt werden konnte, noch einmal. Er lautet:
Hinter dem ersten Absatz wird eingefügt:
Die von der Bundesregierung durchzuführenden Maßnahmen müssen neben der Produktionssteigerung, der Sicherung des Absatzes landwirtschaftlicher Erzeugnisse, der Verbesserung der landwirtschaftlichen Technik auch eine ausreichende finanzielle Hilfe in der Form billiger und langfristiger Kredite enthalten.
Im Rahmen des Wiederaufbaues der deutschen Landwirtschaft wird die Regierung verpflichtet, den Aufbau des gesamtdeutschen Innenhandels mit allen Mitteln zu fördern.
Wer dafür ist, daß der Ausschußantrag nach dem Antrag der KPD, den ich eben verlesen habe, ergänzt wird, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Ergänzungsantrag ist abgelehnt.
Dann lasse ich über den Antrag Drucksache Nr. 808 abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Einstimmig angenommen.
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- Nein, das war nur seine Hand, die sich vom
letzten Male her besonders langsam gesenkt hat!
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Ich rufe auf Punkt 5 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD betreffend Anwerbung von Deutschen für fremdländischen Militärdienst ({2}).
Das Wort zur Begründung des Antrages hat der Herr Abgeordnete Harig. - Sie haben 10 Minuten Redezeit zur Einbringung.
Harig ({3}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Vor Ihnen liegt die Drucksache Nr. 687. Die Ursache zu diesem Antrag ist ein trauriges Kapitel. Schon am 1. Februar 1950 richtete meine Fraktion eine Anfrage über die Anwerbung Deutscher in ausländischen Söldnerheeren an die Bundesregierung. Am 21. Februar 1950 antwortete die Bundesregierung, die Anwerbung für ausländische Heere sei nicht verboten. Die Bundesregierung habe mit der Hohen Kommission auch noch keine Verhandlungen mit dem Ziel der Einstellung der Anwerbung gepflogen. Sie besitze keine zuverlässigen Unterlagen über den Umfang der Werbung. Das war sinngemäß die Antwort der Bundesregierung. Die Länderregierungen schlossen sich auf Befragen der Antwort der Bundesregierung im großen und ganzen an. So zum Beispiel hat der Sprecher der badischen Regierung ganz kürzlich erklärt, die Werbungen seien nicht verboten und fielen in das Tätigkeitsgebiet der Besatzungsmacht.
Wie liegen nun die Dinge? In einer westdeutschen Zeitung vom 1. März 1950 lesen wir:
Vom Bundesflüchtlingsministerium wurde bekanntgegeben, daß täglich 50 deutsche Jugendliche bei der Werbestelle für die französische Fremdenlegion angenommen werden.
({4})
Das Ministerium muß zugeben, daß es sich in der Hauptsache um arbeitslose Jugendliche handelt, welche die Not in die Fangarme der Legionen treibt.
({5})
Die Luzerner Neuesten Nachrichten" berichten, daß monatlich 2000 bis 2500 jugendliche Deutsche von fremden Ländern für den Waffendienst angeworben würden. Am 30. März 1950 schreibt eine süddeutsche Zeitung, daß 40 000 Deutsche in Vietnam gefallen seien. Die Hannoversche Presse berichtet, daß in den letzten vier Jahren rund 50 000 Deutsche in Vietnam gefallen seien. Das Rekrutierungsbüro befindet sich in Offenburg in der französischen Zone, wo monatlich rund 500 Eintragungen vorgenommen würden.
Das sind einige Berichte aus deutschen Zeitungen, die ich hier angeführt habe. Jetzt habe ich eine Zeitung zur Hand genommen, die erst gestern herausgekommen ist, und zwar die „Süddeutsche Zeitung" Nr. 96 vom 26. April 1950. Diese Zeitung. die in München erscheint, schreibt hier unter anderem - ich zitiere -:
Offenburg ist ein unruhiges Pflaster geworden, seitdem die Franzosen hier den einzigen Umschlagplatz für Legionäre aus Deutschland eingerichtet haben. Das Lager liegt am „Holderstock", zehn Minuten von der Stadt entfernt. Rechts weht an einem hohen Mast die Trikolore.
Jeden Tag passieren etwa vierzig bis fünfzig die Barrieren. wöchentlich kommen etwa einhundert, eingekleidet und vereidigt. in einem geschlossenen Transport nach Marseille.
Es heißt weiter:
Die Anwerbestellen in Lindau, Landau und anderen Städten Deutschlands können ihre Tätigkeit . also ruhig fortsetzen, denn die Bundesregierung hat „bisher keine Verhandlungen über die Anwerbung geführt".
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Das zu den Zeitungsberichten. Ich bin Betriebsrat in einem Großbetrieb. Unter den bei uns sich täglich einfindenden 60 bis 70 Arbeitslosen, die um Arbeit bitten, gibt es eine ganze Menge Jugendlicher, die auch heimatlos und wohnungslos sind. Da es nicht möglich ist,, die Leute unterzubringen, habe ich persönlich schon des öfteren gehört, daß diese Jugendlichen erklären: „Es bleibt uns nichts übrig, wir müssen zur Fremdenlegion gehen." In ihrer Not, in ihrer wirklichen Not erklären sie das. Ein anderer Weg bleibt ihnen auch tatsächlich nicht, trotz Marshallplan!
Ich persönlich habe neulich ein Erlebnis im Wartesaal des Kölner Hauptbahnhofes gehabt. Dort traf ich einige junge Menschen. Ihre Unterhaltungen haben ich dann gehört. Ich habe mich später in ihre Unterhaltung auch eingemischt. Sie erklärten ganz offen: „Wir wissen nicht mehr, was wir machen sollen. Wir haben keine Heimat, wir haben keine Arbeit. Wenn
Sie uns irgendwo Arbeit besorgen könnten, wären wir Ihnen sehr. sehr dankbar. Aber da wir nirgends Arbeit finden, müssen auch wir uns notgedrungen nun der Fremdenlegion zur Verfügung stellen." - Das ist ein Erlebnis, das ich selbst in Köln im Wartesaal des Hauptbahnhofes gehabt habe.
Aus dem Grunde ist die Frage der Anwerbung von Söldnern für ausländische Heere nicht nur eine nationale, sondern auch eine soziale Frage.
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Es liegen Erlebnisberichte vor. und die eben von mir zitierte Zeitung bringt einen solchen Erlebnisbericht, wie die Anwerbungen in den Biros in Koblenz, Hochheim, in Landau und Lindau vorgenommen wurden und wie sich das Schicksal dieser jungen Deutschen dann gestaltet.
Das sind Dinge, die ich nicht an den Haaren herbeiziehe, sondern die in den von mir zitierten Zeitungen zu lesen sind. Die Zeitungen stehen voll von diesen Dingen, aber die Regierung sieht nichts.
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Ist denn die Regierung eigentlich blind, daß sie diese Dinge nicht sieht, daß sie dort nicht von sich aus eingreift; erst recht, nachdem wir den von mir zitierten Antrag mit den sieben Fragen gestellt haben? Ich glaube. diese Regierung will nichts sehen und sie darf nichts sehen.
({9})
Es paßt alles so schön in das Mosaik der Kriegsvorbereitungen.
({10})
- Gut gelesen? Ich will dem Zwischenrufer sagen: Geben Sie mir eine Stunde Redezeit! Ich brauche kein Konzept. Ich will mit Ihnen eine Wette eingehen. daß ich mich in der Rededauer Ihnen gleichstelle.
({11})
Es war von jeher die Eigenschaft verfallender Klassen, sich von der Nation zu trennen. Die preußischen Junker und die Fürsten haben in der Geschichte Beispiele dafür geliefert.
({12})
Und so werden auch diejenigen, die nationalen Verrat übten, auch heute wieder würdige Nachfolger finden.
({13})
Beruhigen Sie sich, seien Sie still von der Ostzone! Ich bin vor wenigen Wochen mit einem der Ihrigen, und zwar dem Vorsitzenden der CDU aus Hagen-Haspe, zehn Tage dort gewesen. Nun will ich Ihnen sagen, was passiert ist.
({14})
Als wir zurückkamen - unterbrechen Sie mich doch nicht! -, hat ihn seine Partei, die CDU, weil er die Wahrheit gesagt hat, zur Räson gebracht. Sie hat ihn so lange getreten, bis er nicht nur seinen Vorsitzendenposten niedergelegt hat, sondern sogar aus der CDU austreten mußte,
({15})
2186 Deutscher Bundestag. bloß weil er die Wahrheit über die Verhältnisse gesagt hat, die er dort erlebt hat.
({16})
- Sie haben bisher doch einen der Ihrigen beschwindelt und nicht uns.
({17})
- Ich sage ja, ich messe mich nicht an Ihrer Intelligenz.
({18})
- Das tue ich auch nicht. Ich bin ja auch nur ein simpler Betriebsrat, und manchem fällt es überhaupt auf, daß ein Arbeiter aus einem Betrieb hier in diesem Parlament anwesend ist; dem kommt das ganz komisch vor.
({19})
Dieser westdeutsche Staat bedeutet ja nicht nur die Spaltung unseres Vaterlandes, sondern stellt auch nur eine Karikatur eines selbständigen Staates dar.
({20})
Das gefällt Ihnen auch wieder nicht. Adenauer hat nicht mehr Selbständigkeit, als General Pétain in Vichy mit seiner Regierung hatte. Die deutsche Jugend aber - und nun können Sie wiederum aufheulen - wird am Pfingsten zeigen, daß sie nicht gewillt ist,
({21})
für die Interessen der Monopolkapitalisten des In- und Auslandes zu sterben.
({22})
Das deutsche Volk sollte jedenfalls erwarten dürfen, daß die Bundesregierung auf dem Petersberg vorstellig wird, um zu verhindern, daß weiterhin deutsche Söhne im Interesse der Imperialisten in fremden Ländern elend umkommen.
({23})
Ich bitte daher, dem Antrag auf Drucksache Nr. 687 zuzustimmen,
({24})
wobei ich mir auf Ihre Unterstützung keine Hoffnung mache.
({25})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Eichler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion sympathisiert an sich mit dem sachlichen Inhait
dieses Antrags,
({0})
wenn sie allerdings auch von Anfang an erklären muß, daß die Adresse, an die sich dieser Antrag wendet, falsch gewählt worden ist.
({1})
Es ist sehr schwer, an die Ernsthaftigkeit der Argumente der kommunistischen Fraktion hier zu glauben, wenn der Redner sogar die Stellungnahme des Bundesinnenministers hier zitiert, ohne offenbar auf die Idee zu kommen, daß diese ja nicht nur von der kommunistischen Fraktion gelesen wird. Was er an dieser Stellungnahme zu erwähnen vergessen hat, ist in diesem Zusammenhang das Interessanteste. Daraus geht nämlich hervor, daß von deutscher Seite aus die Werbung für die Fremdenlegion schon verboten gewesen ist, und zwar nach § 141 a des Reichsstrafgesetzbuchs,
({2})
obwohl in Art. 179 Abs. 3 des Versailler Vertrages die Werbung ausdrücklich zugestanden werden mußte. Dieser Paragraph des Strafgesetzbuchs ist im Januar 1946 außer Kraft gesetzt worden, nicht von den drei Hohen Kommissaren, sondern durch ein Kontrollratsgesetz Nr. 11, das von allen vier Besatzungsmächten unterschrieben worden ist.
({3})
Damit ist es klar, daß die Adresse der Kontrollrat ist und nicht die drei Hohen Kommissare.
({4})
- Wir haben noch nie erklärt, daß wir den Kontrollrat nicht anerkennen. Das wäre erstens eine außerordentliche Dummheit, und zweitens haben wir gar nichts dagegen.
({5})
Soviel wegen der Adresse. In der Tat scheint es uns nötig und für die Volksvertretung auch würdig, zu sein, Schritte gegen die Werbung von Fremdenlegionen irgendwelcher Art auf deutschem Gebiet zu unternehmen.
Wir haben selbstverständlich, das liegt im Charakter der Fremdenlegion und insbesondere am Aufbau der französischen, keinerlei wirklich authentisches Material, weder darüber, wieviel Leute dafür geworben worden sind, noch darüber, wieviele Deutsche jemals Mitglieder der Fremdenlegion gewesen sind.
({6})
Übereinstimmende Schätzungen haben bisher ergeben: man kann damit rechnen, daß bis zum
Jahre 1920 etwa 250 000 Deutsche und von 1920
bis 1929 weitere 70 000 allein in den Reihen der
französischen Fremdenlegion umgekommen sind.
({7})
Das, scheint uns, sind Zahlen, die zu denken geben, wobei es nicht nur die Höhe ist, weil an sich jeder, der nutzlos für eine Sache aufgeopfert wird, selbstverständlich überflüssigerweise geopfert wird. Um so mehr ist das zu bedauern, als die Auslese für die französische Fremdenlegion außerordentlich streng ist. Das heißt: es ist ganz sicher, ,daß die, die im Dienste der französischen Fremdenlegion umkommen, Leute
({8})
sind, die unter normalen Umständen wenigstens die Chance gehabt hätten, lange zu leben und vernünftige und ordentliche Arbeit zu leisten.
Nach den Berichten, die uns vorliegen, sind unter denjenigen, die zur Fremdenlegion gehen, auch ein großer Teil von Flüchtlingen und auch von Flüchtlingen, die in jüngster Zeit aus der Ostzone geflüchtet sind. Es sind aber auch - und das sollten diejenigen bedenken, die gern einen Stein auf die Fremdenlegionäre werfen und meinen, das seien nur schlechte Landesverräter und Leute ohne Gewissen und Charakter - im wesentlichen auch gestrandete Existenzen, die nicht so sehr wegen ihrer eigenen Unfähigkeit gestrandet sind als wegen der Unzulänglichkeit unserer eigenen Verfassungen und insbesondere unserer Wirtschaftsverfassung.
({9})
Grund genug also, darüber nachzudenken, daß der Kampf gegen die Werbung für die Fremdenlegion am wirkungsvollsten eigentlich dadurch geführt werden sollte, daß man Verhältnisse schafft, bei denen ein Deutscher schon von sich aus keinen Geschmack daran haben könnte, Mitglied einer Fremdenlegion zu werden, nicht nur aus nationalen Gründen, sondern vor allen Dingen aus sozialen Gründen.
Prinzipiell steht meine Fraktion auf dem Standpunkt, daß die Nationen, die wünschen, eine Armee aufzustellen, weil sie sie für irgendwelche wichtigen oder unwichtigen Zwecke brauchen, sehen sollten, dazu eigene Landeskinder einzustellen und die Angehörigen anderer Nationen damit zu verschonen.
({10})
Wir haben auch Nachrichten, daß England und Amerika gewisse Versuche der Mobilisierung einer Fremdenlegion anstellen, die Engländer 6000 und die Amerikaner 10 000 Mann, wenn auch offenbar unter erheblich menschenfreundlicheren Bedingungen als in der französischen Fremdenlegion. Wir haben Gründe, auch dagegen zu opponieren. Wir stellen fest - zu unserer Freude -, daß man in diesen beiden Völkern schon erheblichen Widerstand geltend gemacht hat, weil man sich insbesondere daran erinnert, daß König Georg III. von England seinerzeit in seinem Kampf gegen die englischen aufständischen Kolonisten in Nordamerika in Deutschland eine ganze Reihe von Fremdenlegionären, allerdings nicht als Freiwillige, hat werben lassen, sondern den entsprechenden Landesvätern von damals einfach abgekauft hat, eine Erinnerung, die für den deutschen Namen und für die deutschen Dynastien ganz gewiß nicht schmeichelhaft ist.
Nun aber, meine Damen und Herren, haben wir den Eindruck - und das hat uns veranlaßt, die Sache hier ernsthafter zur Sprache zu bringen -, daß wir eigentlich auch in unserem Osten von einer Fremdenlegion zu sprechen haben,
({11})
nicht so, daß etwa die russische Besatzungsmacht Freiwillige für die Rote Armee wirbt; darüber haben wir keine Meldungen, und wir würden es auch durchaus glauben, wenn uns versichert wird, daß das nicht der Fall ist. Durchaus aber muß die Entwicklung der sogenannten
Volkspolizei im Osten jedem ernsthaften Menschen zu denken geben.
({12})
Eigentlich schon der Name Volkspolizei; denn es hat sich gezeigt, daß bei unserer neudeutsehen Sprachverhunzung das Vorwort „Volk" immer dann gebraucht wird, wenn man das Volk aus irgendeinem Grunde hintergehen will.
({13})
Ob das Volkspolizei oder Volksgericht oder Volksdemokratie ist,
({14})
es ist immer dieser Pleonasmus, der verdächtig ist und vor dem man auch von dieser Stelle aus warnen sollte.
Meine Damen und Herren, die Volkspolizei in der Ostzone ist heute etwa 200 000 Mann stark.
({15})
Davon sind rund 50 000 sogenannte Bereitschaftspolizei. Das ist eine Bereitschaftspolizei, die nicht nur in ihren Übungen nicht. mehr an eine Polizei erinnert, sondern einfach militärische Übungen veranstaltet und die zwar formell dem Innenministerium der Ostzone untersteht, praktisch aber in allen ihren Einheiten durch russische Offiziere, sogenannte Sowjetniks, kontrolliert wird, die darauf zu achten haben, daß die von der SMA herausgegebenen allgemeinen Richtlinien für die deutsche Volkspolizei auch beachtet werden.
({16})
Nun, meine Damen und Herren, man kann dieses Instrument nennen, wie man will; wir wollen uns nicht auf Titel festlegen. Auch über den Zweck dieser Polizei wollen wir uns insofern nicht den Kopf zerbrechen, als wir glauben,' wir kennten ihn jetzt ohnehin genau. Ich möchte aber zu bedenken geben, daß die Verwendung dieser Polizei vielleicht noch fragwürdiger sein wird als die jeder Fremdenlegion;
({17})
denn bisher galt es als ein ungeschriebenes Gesetz
für die Fremdenlegionen, daß sie meist in Erdteilen eingesetzt werden, wo niemand der Beteiligten in die Verlegenheit kommen kann, auf seine
eigenen, sagen wir mal, Volksgenossen zu schießen.
({18})
Diese Voraussetzung scheint uns bei der Volkspolizei keineswegs gesichert zu sein.
({19})
Es scheint uns so zu sein, daß sie etwa, sagen wir, die SA der SMA sei.
({20})
In dem Sinne nehmen wir uns heraus, auch von den Bereitschaften der Volkspolizei als von einer Fremdenlegion zu sprechen.
({21})
Wir haben deshalb vorzuschlagen, da wir diesen Fragenkomplex einmal sehr gründlich durchleuchten möchten, diesen Antrag nicht einfach heute mit ja oder nein zur Abstimmung zu bringen, sondern ihn dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen, der Gelegenheit haben wird, gründlich jede Einzelheit der uns vorliegenden Informationen zu überprüfen.
({22})
Wir haben dafür noch einen anderen Grund. Gerade im Zusammenhang mit den Erörterungen über die Fremdenlegion hat sich ein Problem herausgestellt, das vielleicht in Zukunft ein Problem unserer ganzen Demokratie werden kann. Es handelt sich hier um eine Art von Fremdenlegionären, die wahrscheinlich nie daran gedacht haben, daß sie jemals damit zu tun haben könnten, nämlich eine Gruppe von deutschen Wissenschaftlern, z. B. von Atomforschern. Eine ganze Reihe von ihnen hat 1945 mit der amerikanischen Regierung Verträge auf fünf Jahre abgeschlossen, die jetzt
abgelaufen sind. Nach zuverlässigen Nachrichten hat ein Regierungsbeamter in Amerika erklärt, einen Teil dieser Leute könnte man jetzt nicht einfach wieder nach Deutschland zurückkehren lassen, auch wenn sie es möchten, weil sie inzwischen durch die Arbeit, die sie geleistet haben, notwendigerweise in den Besitz sehr intimer militärischer Geheimnisse gekommen sind, die man von Amerika nicht leichtfertig einfach jedem zugänglich machen könnte. Selbstverständlich hat man - ohne Zwang - keine praktische Möglichkeit, jemand zu nötigen, diese Geheimnisse nicht zu verraten. Ich möchte darüber heute nicht mehr sagen, als diesen Komplex mit einem Fragezeichen zu versehen. Ich glaube aber, daß es nötig ist, daß wir im Auswärtigen Ausschuß darüber sprechen, um zu erörtern, in welcher Weise wir über diesen Gegenstand dann im Bundestag Beschluß fassen können. Ich bitte also, diesen Antrag Nr. 687 dem Auswärtigen Ausschuß zu überweisen.
({23})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Richter.
Dr. Richtar ({0}): Meine Damen und Herren! Auch wir bekennen durchaus, daß wir uns inhaltlich mit dem Antrag einverstanden erklären. Aber eins finden wir doch etwas reichlich übertrieben und haben wir schon sehr oft gehört, nämlich daß in Verbindung mit derartigen Erörterungen immer wieder davon gesprochen wird, daß hier in Westdeutschland irgend jemand, die Regierung - oder wer weiß, wer sonst noch angeführt werden könnte -, die Absicht hätte, einen Krieg vorzubereiten.
({1})
- Ich glaube, man müßte doch einmal die Dinge von der anderen Seite her betrachten, Herr Rische, und man käme dann wohl zu dem Ergebnis, daß es wirklich einmal Zeit würde, daß Sie, meine Herren von der KPD, einmal eine neue Platte auflegen würden.
Die Not treibt ohne Zweifel heute manchen in eine Legion, in ein fremdes Heer hinein. Aber um so notwendiger ist es, daß die Regierung alles tut, den Menschen hier in Deutschland eine Beschäftigung zu geben und sie aus ihrer Notlage herauszuführen.
Ich darf mir erlauben, im Namen meiner politischen Freunde dem Herrn Präsidenten einen Antrag zu überreichen, dessen Wortlaut ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten gleich vorlesen möchte:
({2})
Die Bundesregierung wird ersucht, ein Gesetz vorzulegen, durch das der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit mit dem Dienst in einer Fremdenlegion in Zukunft für unvereinbar erklärt wird. Als Fremdenlegion im Sinne des
Gesetzes soll jede bewaffnete militärische Truppe oder Polizeiformation gelten, in der Deutsche in Mannschafts- oder Unteroffiziergraden unter dem Befehl ausländischer Offiziere Dienst tun oder künftig tun sollen, sowie Formationen, über deren Einsatz im Ernstfall nicht deutsche, sondern ausländische politische Stellen zu entscheiden hätten.
Kein Deutscher darf Soldat sein, es sei denn auf Grund eines in voller Freiheit eigener Entschließung von der Bundesregierung vorgelegten
({3})
und vom Bundestag beschlossenen Gesetzes,
({4}) und er darf es nur in einer Truppe, die unter deutschem Kommando steht und ausschließlich zum Schutze der deutschen Heimat durch deutschen Entschluß eingesetzt werden kann.
({5})
- Sie täuschen sich, und ich glaube, wenn Ihre Genossen aus Moskau hier wären, dann wären Sie wahrscheinlich schon ehrenhalber Oberst der Volkspolizei.
({6})
Wer sich einer Truppe anderen Charakters anschließt, soll hierdurch automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren, ganz gleich, ob diese Truppe in Deutschland oder irgendeiner anderen Stelle der Welt gebildet und eingesetzt wird.
Regelungen, die die Verteidigung eines vereinigten freiheitlichen Europa betreffen, das Deutschland mit umfaßt, werden hiervon nicht berührt,
({7})
wenn sie für Deutschland und für Deutsche das gleiche bestimmen, das für andere Länder und deren Staatsangehörige gilt.
({8})
- Ihre Unterbrechungen besagen wahrscheinlich nur das eine, daß Sie weder für Deutschland noch für ein freiheitliches Europa einzutreten bereit sind.
({9})
- Ich habe nicht von einer Atlantikpaktarmee, sondern von der Verteidigung Europas gesprochen, allerdings gegen jene Welle, die vorzubereiten Sie Ihr Unwesen treiben. Das möchte ich hier hervorgehoben haben.
Was die Legionäre anlangt, die heute in den Legionen dienen, so möchte ich gleich das eine gesagt haben, daß der Passus, der mit der Staatsangehörigkeit zusammenhängt, nicht angewandt werden soll. Denn es ist selbstverständlich, daß sie oftmals in eine solche Fremdenlegion hineingezwungen wurden. Nicht nur in Frankreich, sondern wir erleben es heute auch in der Sowjetzone, wo mancher, weil er sonst keinen anderen Ausweg findet, bei der Volkspolizei landet. Selbstverständlich müßten hier entsprechende Rücksichten genommen werden.
Ich erlaube mir, dem Herrn Präsidenten diesen Antrag zu überreichen, und bitte Sie dann um Ihre Zustimmung.
Ich muß den Herrn Abgeordneten Dr. Richter darauf hinweisen, daß dies nach der Geschäftsordnung ein gesonderter An({0})
trag ist, der erst behandelt werden kann, wenn er auf die Tagesordnung gesetzt ist. Ich nehme an, Sie haben ihn mit der Überreichung hier in den normalen Geschäftsgang des Hauses geben wollen.
Das Wort hat Herr Abgeordneter Strauß.
Meine Damen und Herren! Wenn man den Inhalt dieses Antrages von der Absicht und dem Hintergrund der Antragsteller trennt, dann lohnt es sich, über den Gegenstand im Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu verhandeln. Darum erklären sich die Parteien der Regierungskoalition mit der Überweisung an diesen Ausschuß einverstanden.
Keine weiteren Wortmeldungen? - Der Herr Justizminister hat sich zum Wort gemeldet.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Eichler hat mit Recht die bedauerliche Lücke hervorgehoben, die dadurch entstanden ist, daß durch das Kontrollratsgesetz vom 30. Januar 1946 die strafrechtliche Bestimmung aufgehoben wurde, die das Anwerben für eine fremdländische Militärmacht unter Strafe gestellt hat. Es ist unser Wille, diese Lücke zu schließen. Deswegen ist in der Strafrechtsnovelle, die Ihnen hoffentlich sehr bald zugehen wird, eine Bestimmung vorgesehen, die dem Inhalt des Art. 141 a des Strafgesetzbuches entspricht. Danach soll unter Strafe gestellt werden, und zwar Gefängnis nicht unter drei Monaten, wer einen Deutschen zum Wehr- oder Rüstungsdienst einer ausländischen Macht anwirbt oder ihren Werbern oder dem ausländischen Wehr- oder Rüstungsdienst zuführt. Wir sehen vor, daß als Wehr- oder Rüstungsdienst einer ausländischen Macht nicht der Dienst bei zwischenstaatlichen Einrichtungen gilt, die wir im Grundgesetz vorgesehen haben.
({0})
Ein Wort nur zu dem Antrag des Herrn Abgeordneten Richter, der begehrt, daß jeder, der sich zu einer fremden Militarmacht - Fremdenlegion - begibt, die Staatsangehörigkeit verliert. Dieser Antrag scheitert an der Bestimmung des Grundgesetzes. Wir haben ausdrücklich im Art. 16 Abs. 1 des Grundgesetzes festgelegt, daß gegen den Willen des Betroffenen keinem Deutschen die Staatsangehörigkeit abgesprochen werden kann, wenn er dadurch staatenlos wird. Also: die Repressalie, die Herr Abgeordneter Richter im Auge hat, ist keinesfalls durchführbar, nach meiner Meinung auch nicht notwendig. Das einzige, was die deutsche Regierung in der augenblicklichen Lage tun kann, ist die Unterbindung des Werbens für eine Wehrmacht eines ausländischen Staates,
({1})
und diesen strafrechtlichen Schutz unserer jungen
Leute wollen wir möglichst bald wieder schaffen.
({2})
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen.
Es ist der Antrag gestellt, den Antrag Drucksache Nr. 687 an den Ausschuß für das Besatzungsstatut und auswärtige Angelegenheiten zu verweisen. Wer für die Überweisung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Ist angenommen.
Ich rufe auf Punkt 6 der Tagesordnung:
Beratung des Antrags der Fraktion der KPD
betreffend Vorlage des Entwurfs eines Gesetzes
zum Verbot der Herstellung usw. von Kriegsmaterial ({0}).
Wer begründet den Antrag? - Herr Abgeordneter Fisch! Sie haben 15 Minuten.
Meine Damen und Herren! Meine Fraktion legt Ihnen einen Antrag vor, der von der Regierung verlangt, daß sie ohne Verzug ein Gesetz ausarbeitet, das die Herstellung von Waffen und Waffenteilen verbietet, das die Einfuhr von Kriegsmaterial und solchem Material, das zur Herstellung von Waffen verwendet werden kann, verbietet und das schließlich die Beförderung jeder Art von Kriegsmaterial innerhalb des Bundesgebiets verbietet einschließlich des Transitverkehrs nach Frankreich, nach Italien und anderen Ländern Westeuropas.
({0})
Ichglaube, die Regierung müßte sich selbst verleugnen, wenn sie sich diesem Antrag gegenüber positiv verhalten wollte.
({1})
Ich sage das ganz offen darum, weil es feststeht, daß diese Regierung steht und fällt. mit der Erfüllung amerikanischer Wünsche, und weil es zweifellos ist: die amerikanischen Wünsche gehen dahin, auf deutschem Boden eine . Angriffsfront aufzurichten, aus Westdeutschland ein Aufmarschgebiet zu machen und die deutsche Jugend unter dem Zwang der Remilitarisierung und der Eingliederung in Söldnerarmeen zu stellen. Es ist klar, daß ein solcher Wunsch auch für die Haltung der Bundesregierung Befehl ist. Ich bin auch davon überzeugt, daß sich in diesem Hause eine Mehrheit finden wird, die gegen diesen Antrag Stellung nehmen wird, nicht darum etwa, weil sie die Tatsachen, die diesem Antrag zugrundeliegen, bestreiten könnte, sondern darum, weil sie in diesem westdeutschen Separatstaat mit seiner militärischen Dauerbesetzung eine Garantie für die Aufrechterhaltung der Klassenprivilegien des Großkapitals sieht und weil sie weiß, daß dieser Separatstaat nur dann weiterexistieren und garantiert werden kann, wenn er sich den amerikanischen Wünschen unterwirft, auch unterwirft den Plänen der amerikanischen Kriegsstrategie.
Trotzdem stellen wir diesen Antrag, weil wir das Haus zu einer offenen Stellungnahme zu den hier angeschnittenen Problemen zwingen wollen und weil wir ganz klar die Verantwortung für den Ablauf von Dingen feststellen wollen, die sich jetzt auf deutschem Boden abspielen. Wir sind uns bewußt, daß wir als Minderheit in diesem Hause einen solchen Antrag stellen. Aber gleichzeitig wissen wir, daß wir mit diesem Antrag die Interessen der erdrückenden Mehrheit unseres Volkes vertreten,
({2})
die Interessen aller derjenigen in Deutschland und in der Welt, die den Frieden erhalten wollen.
({3})
Meine Damen und Herren, ich möchte nur einige wenige der Tatsachen hier erwähnen, die uns zur Einreichung dieses Antrages veranlaßt haben. Zuerst möchte ich von einigen Beispielen der Kriegsproduktion auf westdeutschem Boden sprechen, Bei den Flugzeugwerken von Blohm & Voß in Hamburg, die unter britischer Regie stehen, werden seit einiger Zeit Panzer montiert, Ersatzteile werden bereits im Werke hergestellt; die Einfuhr
({4})
von Einzelteilen aus England wird immer mehr eingeschränkt und durch deutsche Produktion ersetzt. Bei der Firma Schmieding in Köln werden Kompressoren für Langstreckenflugzeuge hergestellt,
({5})
bei den Deutschen Metallwerken in Altena Patronenhülsen für Handfeuerwaffen. Ein Metallwerk in Neuß stellt Spezialschrauben her in besonders abgetrennten Räumen, in denen die Belegschaft über ihre Tatigkeit zum Schweigen verpflichtet ist. Eine Solinger Firma, die früher Fallschirme herstellte, wurde bereits gefragt, ob sie heute wieder einen größeren Auftrag übernehmen könne. Die Firma Börkey in Hagen stellt umfangreiches Kriegsmaterial her, darunter spanische Reiter, meterhohe Stacheldrahtringe usw., die nach Hannover, nach Hamburg, nach Köln und in das Moselgebiet transportiert werden. Dem Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes Böckler sind diese Tatsachen aus dem letztgenannten Betriebe bekannt. Er versprach, etwas zu unternehmen, doch bis heute hüllt er sich über die Affäre in Schweigen.
({6})
Verschiedene Betriebe der Schwerindustrie in Nordrhein-Westfalen erzeugen heute bereits wieder einen Sonderstahl mit der Bezeichnung PSt, der während des Krieges ausschließlich für Rüstungszwecke produziert wurde. Die Firma Scholp in Karlsruhe richtete ein Angebot an zahlreiche Firmen, größere Mengen khakifarbener Tarnnetze in der Größe von 7x14 herzustellen. In Worms wird die dortige Munitionsanstalt wiederhergerichtet. In Stockstadt am Rhein wird die Produktion von Gewehrständern wieder aufgenommen. In der Konkordiahütte in Koblenz werden Panzergehäuse gebaut. Bei der Firma Hilgers in Rheinbrohl ist die Produktion von Pontons für die französische Armee aufgenommen. Meine Damen und Herren, ich könnte diese Liste beliebig lange fortsetzen, und diejenigen Herren, die in der deutschen Schwerindustrie Bescheid wissen, müßten, wenn sie ehrlich sind, die Echtheit dieser Angaben nicht bloß bestätigen, sondern diese Angaben sogar erweitern können.
({7})
Ich möchte Ihnen nun aus dem Komplex des Transports von Kriegsmaterial über deutsche Städte und Häfen einige Dinge angeben. Es ist bekannt, daß in letzter Zeit umfangreiche Transporte von Panzern mittlerer Schwere bis zu 45 Tonnen im Hafen von Bremerhaven gelöscht worden sind. Es ist bekannt, daß die ehemaligen Munitionszubereitungsanlagen in Lübberstedt wiederhergestellt wurden und daß dort eine Ausbildung für die Entladung an Kränen für schweres Gut vorgenommen wird an einer großen Anzahl junger deutscher Menschen, die durch deutsche Stellen aus dem Ruhrgebiet und aus Niedersachsen dorthin geworben worden sind. Es ist bekannt, daß bei Munitionsentladungen im Hafen von Nordenham vor einigen Wochen schwere Vergiftungserscheinungen vorgekommen sind.
({8})
Schließlich ist bekannt, daß im Hafen Brake in der letzten Zeit umfangreiche Verstärkungen an den Hafenanlagen vorgenommen und schwere Betonladungen hingesetzt werden;
({9}) alles das, um umfangreiche Ausladungen von schwerem Material sicherzustellen.
({10})
Zu diesem Zweck werden auch zwei neue Kräne errichtet, die ausschließlich für die Entladung von schweren Panzern bestimmt sind.
({11})
- Meine Herren, ich überlasse es Ihnen sehr gern, darüber Witze zu machen.
({12})
Wenn Sie einmal die Verantwortung übernehmen wollen für neue Millionen Tote,
({13})
die durch solche Dinge hervorgerufen werden, wird Ihnen das Lachen und das Witzemachen vielleicht vergehen.
({14})
Meine Damen und Herren, es gibt weitere Meldungen über umfangreiche Vorbereitungen auf deutschem Boden, insbesondere auch in der französischen Zone.
({15})
Soll ich Ihnen schildern, was sich auf Flugplätzen in der amerikanischen und französischen Zone in der letzten Zeit abgespielt hat?
({16})
Soll man das Beispiel des von Wiesbaden aufgestiegenen Marinebombers hier besonders behandeln, von dem jeder weiß, daß er in einer unerhörten Weise den Frieden gefährdet hat?
({17})
Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß hier in der britischen Zone im Gebiet des Teutoburger Waldes und im Gebiet der Lüneburger Heide Dutzende von Ortschaften geräumt werden mußten, um Platz zu machen für die Errichtung von Manöverplätzen, von Bombenabwurfplätzen usw. Sie kennen die Explosionskatastrophe von Prüm. Sie wissen, daß es sich hier um neuangeliefertes amerikanisches Sprengstoffmaterial handelte, und Sie könnten es wissen, daß in Kaiserslautern ähnliche Riesenlager modernster Munition unter amerikanischer Bewachung in besonderen Anlagen bestehen, zu denen nicht einmal Angehörige der französischen Besatzungsmacht Zutritt haben. Es gibt ähnliche militärische Anlagen der Amerikaner in der französischen Zone im Hunsrück, die für die deutsche Zivilbevölkerung und die Franzosen hermetisch abgeschlossen sind.
({18})
Jetzt schon werden wieder alle großen Zufahrtsstraßen, die zum Rhein führen, unterminiert, auf Entfernungen von je 200 m mit Sprenglöchern versehen, und man ist bereits daran gegangen, auch die Loreley anzubohren,
({19})
mit Sprenglöchern zu versehen.
({20})
- Wenn Sie sich darüber beruhigt haben, dann möchte ich Sie bitten, einmal einen Moment ernsthaft nachzudenken.
({21})
({22})
- Ihr Lachen soll nur den Ernst des Problems vertuschen!
({23})
Ich bitte, den Redner ausreden zu lassen, damit wir bald zum Schluß kommen.
Ich habe Zeit. Wenn Sie sich beruhigt haben, werden Sie vielleicht Zeit dafür finden, darüber nachzudenken, was es bedeutet, daß heute fünf Jahre nach Kriegsende
({0})
umfangreiche militärische Anlagen auf deutschem Boden errichtet werden. Vielleicht treten Sie vor die deutsche Bevolkerung hin und sagen ihr, daß Sie für derartige Dinge nichts anderes übrig haben als ein hämisches Lachen.
({1})
In der französischen Zone gibt es Sprengkommandos, die unter amerikanischem Kommando stehen. im Lande Wurttemberg-Hohenzollern ist ein solches Kommando in Calw stationiert. Es hat die Aufgabe, sämtliche Brücken und Tunnels im Lande zu unterminieren. Man verspricht den Angehörigen dieser Kommandos die amerikanische Staatsbürgerschaft nach zwei Jahren Dienst.
({2})
Nun, meine Damen und Herren, ich frage Sie: Wollen Sie an diesen Dingen vorübergehen, ohne die Regierung aufzufordern, klar vor dem Volk zu bekennen, was hier geschieht? Ich möchte die Regierung fragen, ob sie von diesen Dingen nichts weiß oder nichts wissen will. Wir haben ein Interesse daran, daß diese Dinge vor dem ganzen deutschen Volk bekannt werden und daß die Presse darüber berichtet. Wir wollen das, weil wir um das Leben von Millionen Menschen besorgt sind
({3})
und weil wir wissen, daß, wenn es gelingt, der Menschheit den Frieden zu erhalten, jene, die am Krieg interessiert sind, die imperialistischen Kriegstreiber, am Frieden ersticken. Es gehört zur amerikanischen Strategie, diesen Weg der Kriegsprovokation zu beschreiten, weil sie keinen- anderen Ausweg aus der verzweifelten Situation ihrer immer mehr anwachsenden Wirtschaftskrise sehen.
({4})
In dem Maße, in dem ihre kolonialen Extraprofite zusammenschmelzen,
Ihre Redezeit ist um.
-in dem Maße, in dem ihre Manövrierfähigkeit auf der ganzen Welt eingeengt wird, in dem Maße, in dem ihr Außenhandel eingeengt wird, in dem Maße, in dem der Widerstand der Völker gegen das Kolonialregime wächst, wächst auch die Sucht der amerikanischen Imperialisten, zu einem Präventivkrieg zu treiben oder aber aus der Angst, aus der Panikstimmung der Menschen eine Steigerung ihrer Rüstungsprofite zu erzwingen.
Es geht uns darum, die Verantwortung der Regierung klarzustellen. Wir fordern sie auf, auf deutschem Boden alles zu unternehmen, um diesem Treiben ein Ende zu setzen,
({0})
und wenn sie es nicht will, weil sie dazu befohlen ist, dieses Treiben zu fordern und zu unterstutzen, nann werden wir unseren Appell an die Massen des Volkes richten, an die Hafenarbeiter in Hamburg und Bremen, an die Metallarbeiter des Rhein- und Ruhrgebietes,
({1})
sie werden stärker sein als die Regierung. Sie werden ein neues Kriegsrüsten zu verhindern wissen. Wir klagen die Regierung Adenauer an -
Herr Abgeordneter Fisch, kommen Sie zum Schluß! Ihre Redezeit ist um.
Wenn Sie die Unterbrechungen abrechnen, habe ich noch einige Minuten Zeit. - Wir klagen die Regierung Adenauer an, daß sie die Bildung einer Soldnerarmee unter amerikanischem Oberbefehl fördert,
({0})
daß sie Hilfsdienste deutscher Menschen, Hilfsdienste mit deutschen Materialien den amerikanischen Kriegsplanen zur Verfügung stellt. Wir klagen sie an, daß sie ihre Zustimmung zur Errichtung einer „toten Zone" entlang der Zonengrenze nach der Deutschen Demokratischen Republik hin gegeben hat, daß sie ihre Zustimmung zur Zerstorung von Watenstedt gegeben hat, weil die westlichen Imperialisten an der Existenz leistungsfähiger Betriebe in dieser toten Zone nicht interessiert sind; wir klagen die Regierung an der Konspiration mit den nazistischen Generälen, wir klagen sie an -
Ich bitte Sie ein zweites Mal, zum Schluß zu kommen.
({0})
Ich komme zum Schluß. Darum haben wir im Namen der Millionen deutscher Mütter, die ein neues Völkergemetzel verhindern wollen, unseren Antrag eingebracht, im Namen der Jugend und im Namen der Millionen von Kriegsopfern.
({0})
Ich entziehe Ihnen das Wort!
Nehmen Sie Stellung zu diesem Antrag!
({0})
Das Wort ist Ihnen entzogen.
Dann wird es klare Fronten in diesem Hause geben, wer für den Frieden und wer für den Krieg ist.
({0})
Das Wort hat der Herr Justizminister.
Meine Damen und Herren! Ich verteidige die Bundesregierung nicht gegen die Anklagen des Herrn Fisch. Ich beschränke mich darauf, ganz kurz die rechtliche Lage darzustellen. Ich könnte den Herrn Abgeord({0})
neten Fisch in gleicher Weise replizieren, wie es der Herr Abgeordnete Eichler beim letzten Antrag getan hat.
({1})
Durch das Gesetz Nr. 43 des Kontrollrats sind all die Fragen, die in dem Antrag der KPD aufgeworfen worden sind, geregelt. Durch dieses Gesetz, das die Entwattnung des deutschen Volkes erstrebt und das alle mit dieser Entwattnung zusammenhangenden Fragen - Beschrankung der industrie, Verbot bestimmter industrien - regelt, sind alle diese Fragen genau geklart, und damit sind auch die Zustandigkeiten der Bundesregierung abgegrenzt. Im Besatzungsstatut sind mese Fragen ausdrücklich unter den Vorbehalt der Besatzungsmächte gestellt.
Aber, meine Herren von der KPD, wir kommen ihnen durchaus entgegen. Wir sind mit Ihnen der Meinung, daß es nottut, im Sinne des Friedens jede Rustungsmaßnahme auf deutschem Boden zu verhindern. Auch hier führen wir nur aus, was das Grundgesetz bereits im Art. 26 Absatz 2 restgelegt hat, in dem es ausdrucklich verboten wird, ohne Genehmigung der Bundesregierung Kriegsmaterial herzustellen oder zu befordern oder sonst irgendeine Maßnahme in dieser Richtung zu treffen. In Ausführung dieser Bestimmung des Grundgesetzes wird die Strafrechtsnovelle, von der ich vorhin schon sprach, eine ausdrückliche Bestimmung enthalten, die sicherlich auch der Meinung der Antragsteller entsprechen wird. Es wird als ein Teiltatbestand des sogenannten Friedensverrats mit Zuchthaus bedroht werden, wer ohne Genehmigung der Bundesregierung zur Kriegführung geeignete Waffen oder Munition oder auch - wir gehen sogar noch weiter - Kriegsgerat entwickelt, herstellt, lagert, befördert oder in Verkehr bringt.
({2})
Mehr zu tun ist die Bundesregierung in der gegenwärtigen Lage nicht imstande.
({3})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Mommer.
Meine Damen und Herren! Wir haben in diesem Hause schon vor einiger Zeit, im Dezember, eine längere Debatte über Fragen der Remilitarisierung gehabt. Die sozialdemokratische Fraktion hat damals zu dem Problem grundsätzlich Stellung genommen, und es ist vielleicht nicht un-nützlich, um Mißverständnisse zu vermeiden, wenn ich einiges aus unserer damaligen Erklärung ins Gedächtnis rufe.
Wir haben gesagt: Die sozialdemokratische Fraktion lehnt es ab, eine deutsche Wiederaufrüstung auch nur in Erwägung zu ziehen. Wir lehnen das allerdings aus anderen Motiven als die Antragsteller der Drucksache Nr. 715 ab. Wir lehnen es ab, weil wir der Meinung sind, daß die Verantwortung für die Sicherung des Gebiets der Bundesrepublik bei den Besatzungsmächten liegt.
({0})
- Jawohl, Herr Rische, sie liegt bei den Besatzungsmächten, und wir haben keine Lust, uns von
ihnen gleichschalten zu lassen. Aber wir sind auch
der Meinung, daß jede Art der Remilitarisierung
hier in Westdeutschland, sei es durch Aufrüstung
materieller Art, sei es durch Aufstellung militärischer Einheiten, in keiner Weise zu der Sicherung
des Gebiets der Bundesrepublik beitragen kann.
Deshalb sympathisieren wir mit dem Inhalt des Antrags, den die KPD stellt, wenn wir auch dabei, wie Kollege Strauß es sagte, von den Antragstellern, dem Hintergrund und den Motiven absehen müssen, aus denen der Antrag gestellt worden ist.
({1})
Der Herr Justizminister hat schon darauf hingewiesen, wie die Rechtslage ist. Es ist eine elementare Tatsache in unserem politischen Leben, daß wir unter dem Besatzungsstatut stehen. Nach diesem Besatzungsstatut ist die gesetzgeberische Kompetenz in militärischen Fragen eindeutig der Hohen Kommission vorbehalten. Die Hohe Kommission - und darin darf ich vielleicht sogar die Ausführungen des Herrn Justizministers ergänzen - hat von dieser Kompetenz auch Gebrauch gemacht. Wir sind gar nicht mehr nur auf das Gesetz des Alliierten Kontrollrats von 1946 angewiesen. Die Hohe Kommission hat das Gesetz Nr. 7 und das Gesetz Nr. 16 erlassen. In beiden Gesetzen wird die Remilitarisierung, und zwar in jeder Hinsicht: Aufstellung militärischer Einheiten und Produktion von Rüstungsmaterial irgendwelcher Art und deren Verbreitung, Transport usw. ausdrücklich unter Strafe und sogar unter sehr hohe Strafe gestellt; das Gesetz Nr. 16 sieht Geldstrafen bis zum Betrage von 100 000 DM und Freiheitsstrafen bit zu lebenslänglicher Dauer vor.
({2})
- Es wird sich beweisen, ob das ein Stück Papier ist.
({3})
Aus den Ausführungen des kommunistischen Redners sollte man nur einen Absatz ernst nehmen: das ist der, in dem er über Rüstungsproduktion, die es hier in Westdeutschland geben soll, einige Behauptungen aufgestellt hat. ich glaube, wir sollten die Bitte an die Regierung richten, daß sie diese Ausführungen des kommunistischen Redners einmal vornimmt und prüft und den Dingen nachgeht und uns auch in diesem Hohen Hause darüber Bericht erstattet. Ich glaube, daß es unser deutsches Interesse ist, da restlose Klarheit zu haben, und wir wollen sie schaffen. Vielleicht sollte man auch, wenn man diese Dinge untersucht, einige kommunistische Abgeordnete, vor allem den Redner, einmal mitnehmen, um zu untersuchen, ob die Behauptungen richtig sind. Wenn dann gleich die Anschuldigungen über Rüstungsproduktion in der Ostzone kommen, dann könnten uns die Antragsteller vielleicht auch einmal Gelegenheit geben, dahinterzuschauen, so wie wir gewillt sind, hinter jede Anschuldigung auf Remilitarisierung hier in der Westzone zu schauen.
({4})
Meine Damen und Herren! Nicht nur die alliierte
Gesetzgebung, sondern auch die deutsche verbietet
die Rüstung. Der Herr Minister hat schon auf den
Art. 26 des Grundgesetzes hingewiesen, und es ist
erfreulich, wenn die Regierung die Absicht hat, die
dort erhobene Forderung auf Regelung durch ein
Bundesgesetz zu implizieren. Diese Sachlage ist
der kommunistischen Fraktion natürlich auch bekannt, und ich glaube, das Bemühen um ein Gesetz
und auch die angeblich in einigen genannten Betrieben vorgekommene Rüstungsproduktion sind
nicht die wirklichen Motive, die die antragstellende
Fraktion zu ihrem Antrag bewogen haben. Der Hintergrund ist doch der: Der Atlantikpakt ist geschlossen worden, und im Rahmen des Atlantikpaktes finden Waffenlieferungen an westeuropäische
Nationen statt; die kommunistischen Parteien aller
({5})
Länder Europas haben im Augenblick als Programmpunkt Nr. 1 die Bekämpfung der Ankunft, der Ausladung, der Verbreitung dieser Waffen.
({6})
- Nun, das ist ihre Sache. Sie tun das in Italien, in Frankreich, in Belgien usw.
({7})
Selbst wenn auch nicht das kleinste Teil von einem Gewehr hier in den Westzonen hergestellt wird, wird sich natürlich die Kommunistische Partei trotzdem, um auf diesem Gebiete nicht ganz ohne Aktivität zu sein, veranlaßt sehen, etwas gegen die Militarisierung auch hier in Westdeutschland zu tun, und um eine gute Nummer zu bekommen, wird sie einen solchen Antrag Drucksache Nr. 715 hier einreichen.
Weiterhin ist das ernsthafteste Motiv dieses Antrages natürlich das der Methode „Haltet den Dieb!".
({8}) Nun, ich werde nicht die Methode des kommunistischen Redners nachahmen und jetzt mit langen Listen von Namen und Adressen uber Peenemünde und Dessau, und was weiß ich alles, auffahren, was da an Einzelteilen produziert wird. Das wäre ein leichtes; darüber liegt unendlich viel Material bei uns vor,
({9})
und zwar auch solches, das absolut zuverlässig ist. Ich möchte nur auf eine Tatsache hinweisen, die von überragender Bedeutung in der Ostzone ist.
({10})
- Wenn Sie es wissen, schön, sagen Sie es selbst! Es ist nämlich Aue, es ist der Uranerzbergbau. Meine Damen und Herren, Sie wissen, daß in einem modernen Kriege, wenn es ihn unglücklicherweise noch einmal geben sollte, nicht die Panzerplatten, das Gewehr usw. entscheidend sein werden, sondern die Waffe par excellence eines kommenden Krieges wird die Atomwaffe sein, und nun hat die russische Besatzungsmacht, man kann sagen: die gesamte Ostzone mobilisiert, um dort das Ausgangsmaterial für die Produktion von Atomwaffen zu gewinnen.
({11})
Im Uranbergbau in Aue arbeiten 150 000 Menschen. Sie werden das bestreiten; aber wir wissen es trotzdem.
({12})
Allzuviele sind von dort geflohen und zu uns herübergekommen. Diese Produktion in Aue ist natürlich eine Kriegshilfsproduktion par excellence, und sie überragt an Bedeutung alles übrige, was in der Ostzone auf dem Gebiet der Rüstung getan wird. Aus unseren Berichten geht übrigens hervor, daß es eine Taktik der russischen Besatzungsmacht ist, nicht so sehr fertige Waffen in ostdeutschen Betrieben zu produzieren, sondern diese Betriebe mehr in die Rüstungsmaschinerie der gesamten Sowjetunion einzugliedern und hier mehr Einzelteile und Rohmaterialien für Waffen zu gewinnen, die dann woanders fertiggestellt werden.
({13})
Nun ein Seitenhieb zu diesen 150 000 - ({14})
- Wir können ja mal hinfahren, Herr Rische; wenn Sie mir garantieren, daß man freies Geleit hat, dann können wir da mal hinfahren. Das würde mich sehr interessieren.
({15}) Ihre Methode der Dementis kennen wir. Es gibt gegen die Sowjetunion einen der schwersten politischen Vorwürfe. Dieser Vorwurf ist der, daß in Rußland Millionen von Menschen Zwangsarbeit leisten müssen. Das wird nun von den Kommunisten dementiert. Leute, die in Deutschland in den KZs Zwangsarbeit machen mußten, haben ihnen das Angebot gemacht, eine internationale Kommission zusammenzustellen, die sich das einmal an Ort und Stelle ansehen und durch einen Bericht diese angeblich verleumderischen Behauptungen entkräften könnte.
({16})
Bezeichnenderweise haben diese Leute kein Einreisevisum bekommen, und bezeichnenderweise wird niemals jemand die Gelegenheit haben nachzuprufen, ob aas Dementi, das natürlich immer kommt, berechtigt ist.
({17})
Ich komme zum Schluß und stelle fest, daß für das geforderte Gesetz keine deutsche Kompetenz besteht, und darüber ist die SPD im Augenblick gar nicht besonders traurig.
({18})
Zweitens besteht auch kein besonderer Bedarf an einem solchen Gesetz; denn solange nicht das Gegenteil bewiesen ist, nehmen wir an, daß in Westdeutschland keine Rustung stattfindet. Drittens befolgt dieser Antrag die Methode „Haltet den Dieb!".
({19})
In der Ostzone wird tatsächlich remilitarisiert und gerüstet, und zwar in großem Ausmaße.
Gestatten Sie mir aber noch ein Wort zu den Einsatzbereitschaften der Polizei. Sie dementieren immer. Wenn Sie die Wahrheit wissen wollen, empfehle ich Ihnen, einen gewissen Herrn Reimann einmal darüber zu fragen.
({20})
- Natürlich, nicht den Vater, sondern den Sohn! Der Sohn war drüben in der Offiziersschule und hat sich mit Erfolg nach dem Westen abgesetzt.
({21})
Fragen Sie ihn mal danach, welche militärischen Proportionen die Bereitschaften in der Ostzone schon erreicht haben!
Meine Damen und Herren! Angesichts dieser Sachlage empfehlen wir dem Hohen Hause, über den Antrag zur Tagesordnung überzugehen.
({22})
- Aber warten Sie! Ihre Arbeit ist nicht umsonst gewesen, Herr Rische. Nehmen Sie Ihren Antrag, streichen Sie das Wort „Bundestag", ersetzen Sie es durch „Provisorische Volkskammer", streichen Sie das Wort „Bundesregierung", ersetzen Sie es durch „Regierung der Deutschen Demokratischen Republik",
({23})
und schicken Sie ihn nach Berlin!
({24})
Aber, meine Damen und Herren, wir haben gar keinen Zweifel, daß die Provisorische Volkskammer
über diesen Antrag auch zur Tagesordnung über({25})
gehen wird, allerdings aus ganz anderen Gründen.
({26})
Vizepräsidenf Dr. Schmid: Nach § 76 der Geschäftsordnung kann dem Antrag auf Übergang zur Tagesordnung widersprochen werden. Wird diesem Antrag widersprochen?
({27})
- Dann kann ein Redner iur den Antrag und ein Redner gegen den Antrag sprechen. Ich nehme an, daß das hohe haus sich mit den Ausfuhrungen des Abgeordneten Dr. Mommer als Redner für den Antrag begnügt.
({28})
- Gegen den Antrag hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner.
({29})
Es ist eine Geschäftsordnungsdebatte, also haben Sie 5 Minuten Redezeit!
Meine Damen und Herren: Hier handelt es sich darum, einen Tatbestand, für den der Sprecher meiner Fraktion nur einen Bruchteil der uns bekannten Daten anführen konnte, zu überprufen und diesen Tatbestand - die Behauptungen, wenn Sie wollen - mit der durch Ihr Grundgesetz geschaffenen „Rechtslage" in Verbindung zu bringen. Darum handelt es sich. Es handelt sich also darum festzustellen, ob die Regierung etwas zu tun gedenkt, um dem Grundgesetz, auf das Sie hier ja
B) eingeschworen sind, meine Damen und Herren, Geltung zu verschaffen. Darum handelt es sich, wenn man die Dinge rein von der rechtlichen Seite aus ansieht. Es handelt sich um mehr, wenn man die Dinge von der ausgesprochen politischen Seite aus sieht, wenn man also nachgeht, welche Bedrohung des Friedens hinter den Angaben steht, die unser Sprecher gemacht hat. Darum geht es uns.
Zwei Dinge wären hier zu klären. Sie haben sich an der Klärung dieser beiden Fragen vorbeigedrückt durch mehr oder minder lächerliche Behauptungen,
({0})
für die Ihnen auch die Spur jeden Beweises sogar fehlt.
({1})
- Machen Sie, Herr Neumann, doch nicht in Geist. Das gelingt Ihnen doch nicht, Herr Neumann. Sie können doch nur mit dem Knüppel arbeiten, nicht wahr?
({2}) Zu mehr reicht Ihr „Geist" ja nicht.
Hier handelt es sich also darum, den Herrn Justizminister etwa zu fragen, wann denn das von ihm angekündigte Gesetz herauskommt. Hier handelt es sich darum zu fragen, was die Regierung, die ja bei der Verkündung des Grundgesetzes gesagt hat, daß es in seinen wesentlichen Artikeln und Bestimmungen Rechtskraft habe, in der Zwischenzeit getan habe, um die laut Grundgesetz nur mit ihrer Genehmigung mögliche Herstellung von Kriegsmaterial hier auf deutschem Boden zu verhüten. Darum handelt es sich.
({3}) - Das ist Geschäftsordnung! (C
({4})
Es handelt sich darum, ob Sie und die Regierung sich reinwaschen konnen von dem Vorwurf, daß mit ihrem Willen und mit Ihrem Wissen diese Kriegsvorbereitung auf dem Boden Westdeutschlands betrieben wird.
({5})
ihr Versuch, an einer Klarung dieses Problems dadurch vorbeizukommen, uber unseren Antrag zur Tagesordnung uberzugehen, das ist ein lächerlicher V ersuch, dessen Sie sich eigentlich schämen sollten.
({6})
- Wenn es Ihnen auf Ehrlichkeit ankäme, dann müßten Sie bestrebt sein, diese unsere Anklagen durch eine ordnungsmäßige Untersuchung zu überprufen. Es kommt ihnen gar nicht auf Ehrlichkeit und Klärung an. Sie wollen ja gar nichts bewiesen haben, Sie wollen ja diese Schweinereien weitertreiben können. So liegen die Dinge.
({7})
Und darum widerspreche ich diesem Antrag und bitte, unseren Antrag zur Abstimmung zu bringen und ihm zuzustimmen.
({8})
Keine weiteren Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. Wer für den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. ({0})
Gegenprobe! - Der Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ist angenommen.
({1})
Damit ist die Tagesordnung erschöpft.
Ich habe noch folgendes bekanntzugeben.
Die FDP lädt zu einer Fraktionssitzung im unmittelbaren Anschluß an das Plenum ein.
Finanz- und Steuerausschuß: eine Stunde nach dem Plenum, Zimmer 108, Südflügel. Es wird gebeten, pünktlich zu erscheinen.
Die Sitzung des Ausschusses für Beamtenrecht findet heute abend eine Stunde nach Schluß der Plenarsitzung in Zimmer 12, Südflügel, statt.
Ich habe dem Hause weiter bekanntzugeben, daß der Herr Abgeordnete Dr. Doris folgenden Brief an den Präsidenten des Deutschen Bundestages gerichtet hat:
Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen und dem Hohen Hause bekanntzugeben, daß ich ab sofort nicht mehr als unabhängiger Abgeordneter, sondern als Abgeordneter der Sozialistischen Reichspartei ({2}) gelte,
({3})
da mittlerweile sieben Landesverbände der SRP sich als Partei konstituiert haben.
({4})
Ich berufe die nächste Sitzung, die