Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 3/27/1950

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und und Herren! Ich eröffne die 52. Sitzung des Deutschen Bundestages. Ich bitte zunächst den Herrn Schriftführer, die abwesenden Mitglieder des Hauses bekanntzugeben.

Hugo Karpf (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001067

Es fehlen wegen Erkrankung die Abgeordneten Dr. Müller ({0}), Schuler, Kemper, Frau Dr. Probst, Frau Dr. Gröwel, Frau Dr. Rehling, Schütz, Bettgenhäuser, Dr. Gülich, Marx, Schönauer, Herrmann, Margulies, Dr. Becker, Dirscherl, Frau Dr. Ilk, von Thadden, Wittmann, Dr. Gerstenmaier, Dr. Middelhauve, Frau Heiler, Revenstorff. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Höfler, Mehs, Dr. Dresbach, Brese, Kiesinger, Dr. Baur, Behrisch, Zinn, Kalbfell, Dr. Pferdmenges, Frau Krahnstöver, Jacobs, Reitzner, Kriedemann, Willy Müller ({1}), Henßler, Dr. Veit, Keuning, Roth, Frau Schroeder, Neumann, Brandt, Imig, Valentin Baur ({2}), Steinhörster, Dr. Reif, Dr. Besold, Eichner, Parzinger, Dr. Falkner, Kuhlemann, Eickhoff, Wittenburg, Dr. Richter, Strauß, Tobaben, Dr. Henle, Jahn, Rademacher, Freudenberg, Dannemann. Außerdem sind abwesend die Abgeordneten Goetzendorff, Wehner, Heiland.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich danke dem Herrn Schriftführer. Ich habe Ihnen zunächst folgendes bekanntzugeben. Der Herr Präsident läßt sich durch mich bei Ihnen entschuldigen. Er hat heute vormittag einen Vortrag in Frankfurt zu halten, zu dem er sich seit Wochen verpflichtet hatte. Der Herr Abgeordnete Dr. Richter hat ein Telegramm geschickt, in dem er wegen eines Todesfalles bittet, ihn zu entschuldigen. Er bittet um Absetzung des Punktes 11 der Tagesordnung. Ich glaube, daß wir diesem Ersuchen stattgeben müssen. ({0}) Herr Dr. Richter hat den Antrag eingebracht und wird ihn wohl begründen wollen. Er hat einen Anspruch darauf, ihn begründen zu dürfen. Kann ich das Einverständnis des Hohen Hauses mit der Absetzung des Punktes 11 annehmen? ({1}) - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Dann rufe ich auf Punkt 1 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der Deutschen Partei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beendigung der Entnazifizierung ({2}). ({3}) Das Wore zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz. Dr. von Merkatz ({4}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vereinbarungsgemäß hat unsere Fraktion zur Einbringung und Begründung dieser Gesetzesvorlage nur fünf Minuten Redezeit zugemessen erhalten. Wir begrüßen diese Regelung. Es ist über diese Angelegenheit genug gesprochen worden. Ich darf mich darauf beschränken, in dieser kurzen Frist die Grundgedanken unserer Gesetzesvorlage vorzutragen. Diese Gesetzesvorlage geht von einer grundsätzlichen Idee aus. Nach Auffassung der Fraktion der Deutschen Partei kommt es darauf an, daß die Bundesrepublik Deutschland eine Verständigungspolitik nach außen treibt, die auf einer Politik der sozialen Befriedung nach innen begründet ist. Der Gedanke, der dieser Gesetzesvorlage zugrunde liegt, ist die Beseitigung zweier politischer Klassen, wie sie aus der Entnazifizierungsgesetzgebung in den vier Zonen hervorgegangen sind. Wir wünschen keine soziale und politische Minderung unter den Staatsbürgern wegen eines politischen Irrtums. Wir wünschen auch nicht, daß in der deutschen Rechtsentwicklung ein politisches Strafrecht Platz greift. Für die Bestrafung im strafrechtlichen Sinn kommen nur die im Gesetz als solche bezeichneten Straftaten in Frage. Wir wünschen also mit dieser Gesetzesvorlage eine Bereinigung, einen klaren Schlußstrich unter eine unselige Vergangenheit. Wir sehen diese Vorlage, die auf eine Beendigung der Entnazifizierung und eine politische Amnestierung ihrer Folgen hinausläuft, allerdings unter einem sehr wichtigen Aspekt. Es kommt darauf an, daß diese junge Demokratie, die aus dem Nichts zu begründen ist, eine echte Autorität aus sich selber und aus der unbedingten Achtung des Rechts entwickelt. Eine Demokratie - insbesondere eine Demokratie im 20. Jahrhundert - bedarf einer echten, aus der Achtung des Rechts und aus der Achtung vor der Persönlichkeit und durch die Persönlichkeit geborenen Autorität. Deswegen sind wir nicht bereit und beabsichtigen auch nicht, mit dieser Gesetzesvorlage die Zügel gewissermaßen freizugeben, um die Pferde durchgehen zu lassen. Wir sehen diesen großzügigen und mit voller Entschlossenheit zu setzenden Schlußstrich unter dem Gesichtspunkt, daß es zugleich gelingt, alle die nötigen Schutzmaßnahmen für diese junge Demokratie zu entwickeln, die erforderlich sind, um sie in der rechten Autorität erwachsen zu lassen. Daher begrüßen wir den Versuch, diese Gesetzesvorlage durch ein Schutzgesetz - d. h. so, wie es die Regierung durch eine Novelle zum Strafgesetzbuch vorgelegt hat - auszubalancieren. Wir sind uns allerdings dabei zugleich bewußt, daß die Autorität nicht allein durch Gesetze, sondern durch die Grundsubstanz der Persönlichkeiten geschaffen wird, die eine solche Demokratie verkörpern, die vorbildlich wirken, vorbildlich in ihrem eigenen Persönlichkeitswert und vorbildlich auch in der Handhabung der Institutionen, die eine Demokratie entwickelt. ({5}) Diese allgemeinen Grundsätze der Gesetzesvorlage möchte ich nun noch kurz juristisch erläutern. Der Zweck der Vorlage ist, das in den vier Zonen aufgesplitterte Recht auf einen Gene-' Talnenner zu bringen. Wir sind dabei sehr realistisch vorgegangen und wissen, daß dieses auf dem Hintergrund unserer unseligen Vergangenheit geborene Unrecht nicht in irgendeinem Illusionismus zu einer Beendigung gebracht werden kann. Nicht das Aufstellen blutleerer Ideale, sondern die klare juristische Technik, die aus dem Gewordenen erwächst, ist hier erforderlich. Dabei kam es uns darauf an, Maßnahmen und Möglichkeiten zu finden, um die auch heute strafwürdigen Vergehen, d. h. die echten strafrechtlichen Tatbestände, von den Tatbeständen des politischen Irrtums genau zu trennen und auch verfahrensmäßig zu sondern. Der Zweck dieser Maßnahmen ist - ich fasse nochmals zusammen Beendigung der Entnazifizierung und politische Amnestie für die Folgen eines politischen Irrtums, soweit hieran Folgen in bereits abgeschlossenen Verfahren geknüpft worden sind. Gegen diese Gesetzesvorlage steht die grundsätzliche Auffassung, ob der Bund überhaupt zuständig ist oder nicht. Meine Damen und Herren, ich wünsche - und ich spreche hier im Namen unserer Fraktion daß der Bundestag dieser juristischen Zuständigkeitsfrage willen nicht vor der schicksalhaften Bedeutung der Beendigung der Entnazifizierung ausweicht. Weichen Sie nicht aus! ({6}) Es gibt eine Möglichkeit. Ich gebe zu: das Justizkollegium, in dem die Ländergesetzgebung koordiniert wird, ist schon sehr weit fortgeschritten. Der Herr Justizminister hat das sehr eingehend dargelegt. Aber wenn man tatsächlich zu der Auffassung gelangen sollte, der Bund ist hier nicht zuständig - aus Gründen grundsätzlich föderaler Einstellung -, so bitte ich doch, sich einer Rechtsfigur zu erinnern, die vor 1870 sehr segensreiche Gesetzgebungswerke in dem damals noch nicht staatlich zusammengefaßten Deutschland ermöglicht hat: die allgemeine Gesetzgebung im Sinne des gemeinen Rechts. Es kommt darauf an, daß der Bundestag hier für ganz Deutschland, d. h. für die Bundesrepublik Deutschland einheitliche Auffassungen begründet. Dann mögen - sollte man wirklich auf der Auffassung bestehen, daß der Bund nicht zuständig sei - die Länder einheitlich dieses vom Bundestag und den Organen der Bundesgesetzgebung erarbeitete Gesetz als ein allgemeines Gesetz zur Annahme bringen. Gerade in dieser Frage kommt es darauf an, daß wir zu einer einheitlichen Auffassung zur Gesundung, zur Bereinigung und zur Stärkung unseres Rechts kommen. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß dieser Antrag ohne weitere Debatte an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen ist. Erhebt sich Widerspruch dagegen? - Es ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Der Antrag ist an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen. Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Wuermeling, Dr. Nowack ({0}) und Genossen eingebrachten Entwurf eines Bundesbeamtengesetzes ({1}). ({2}) Zur Begründung brauche ich nicht das Wort zu erteilen. Es liegt eine schriftliche Begründung vor. Die Antragsteller beziehen sich auf diese schriftliche Begründung. Der Antrag gilt als eingebracht und begründet. - Auch hier ist vereinbart worden, keine Debatte zu führen. Erhebt sich Widerspruch dagegen im Hause? - Es ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Der Antrag ist an den Ausschuß für Beamtenrecht überwiesen. Ich rufe auf Ziffer 3 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Wiedereinführung der Befreiung nichtöffentlicher Schulen und Erziehungsanstalten von der Umsatzsteuer ({3}). Will der Antrag begründet werden? - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram. Dr. Bertram ({4}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Bevor wir diesen Antrag eingereicht haben, . haben wir uns an den Herrn Bundesminister der Finanzen gewandt, ob er vielleicht bereit sei, von Regierungsseite her eine entsprechende Änderung des Umsatzsteuergesetzes einzuführen. Mit der Antwort vom 17. Februar 1950 hat uns aber der Herr Bundesfinanzminister mitgeteilt, daß seitens der Regierung eine entsprechende Abänderung der jetzt geltenden Regelung nicht beabsichtigt sei. Dabei ist die jetzt geltende Regelung denkbar ungerecht, unsozial und erst durch die Unterdrückungsmaßnahmen des Dritten Reiches gegenüber den Privatschulen eingeführt worden. Bis zum 16. 10. 1934 waren die Befreiungen und Ausnahmen, wie wir sie mit unserem Antrag verlangt haben, geltendes Recht. Erst seit diesem Zeitpunkt sind sie im Zuge der nationalsozialistischen Schulpolitik abgeschafft worden. Die Regelung ist vor allem auch deshalb ungerecht, weil Überschüsse der Privatschulen dem Freistellenfonds der einzelnen Schulen zufließen. Die Einführung der Umsatzsteuerpflicht hat also nur dazu geführt, daß sich die etwaigen Überschüsse vermindert haben, dadurch die Freistellenfonds geringer wurden und eine entsprechend geringere Zahl von minderbemittelten Schülern in diese Schulen aufgenommen werden konnte. Der Staat leistet für die öffentlichen Schulen bei jedem Schüler erhebliche Zuschüsse. Diese braucht er bei den Privatschulen nicht zu leisten; er erspart also bei den Privatschulen erhebliche Beträge. Eine Förderung der Privatschulen durch die Wiedereinführung der Umsatzsteuerermäßigung bedeutet also praktisch keine Mehrbelastung der Staatsfinanzen, sondern eine Entlastung der Staatsfinanzen, weil die öffentlichen Schullasten in stärkerem Maße zurückgehen. Eine Sonderbehandlung der Privatschulen im Vergleich zu den öffentlichen Schulen verstößt auch gegen das Grundgesetz. Art. 7 des Grundgesetzes, der ausdrücklich eine Gleichstellung von Privatschulen und öffentlichen Schulen fordert, läßt meiner Ansicht nach eine derartig unterschiedliche Behandlung überhaupt nicht zu. ({5}) Ich bin der Ansicht, daß die Finanzgerichte bei der Überprüfung der geltenden Regelung mit dieser geltenden Regelung kurzen Prozeß machen würden. ({6}) Die tatsächliche Handhabung der Steuererhebung für die Privatschulen ist auch im Bundesgebiet keineswegs gleichmäßig. Sie ist denkbar unterschiedlich. Während durch Erlaß des Finanzministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28. Dezember 1949 für die Zeit vorn 1. Januar 1950 bis zum 31. März 1950 eine Befreiung der staatlich anerkannten Privatschulen von der Umsatzsteuer verfügt worden ist, während auch im Lande Hessen die Hermann Lietz-Schulen von der Umsatzsteuer vorläufig befreit worden sind, ebenso die Ordensschulen in Hessen, und während in Bayern Stundungen dem Landerziehungsheim in Neubeuren und Schongau gegenüber ausgesprochen worden sind, sind in anderen Ländern gleichgeartete Fälle von der Umsatzsteuer nicht befreit worden, so daß wir hier eine denkbar große Ungerechtigkeit auch gegenüber gleichartigen Schulen innerhalb des ganzen Bundesgebietes zu beklagen haben. Was insbesondere die Umsatzsteuer für die Internatskosten betrifft, so haben die Internate infolge der schwierigen Nachkriegsverhältnisse in weitgehendem Maße öffentliche Aufgaben übernehmen müssen: die Unterbringung von Flüchtlingskindern, von elternlosen Kindern, von Kindern aus geschiedenen Ehen, von Kindern berufstätiger Mütter oder von Kindern, die in Orten leben, wo sie keine höheren Schulen besuchen können. Diese Unterbringung kann für die höhere Schule tatsächlich nur in Internaten erfolgen. Wir können es uns meines Erachtens heute nicht leisten, bei derartigen Hochbegabungen eine entsprechende Ausbildung lediglich daran scheitern zu lassen, daß nicht die genügenden Internatsplätze vorhanden sind. Der Wiederaufstieg des deutschen Volkes hängt davon ab, daß unser Bildungswesen allen Hochbegabungen die Möglichkeit verschafft, ihr Studium zu vollenden. Außerdem können Internate Kinder aus gefährdeten Umwelteinflüssen zu sozial wertvollen Menschen erziehen, während sie sonst leicht zu Einzelgängern werden, die ihren Mitmenschen nicht dienen wollen und nur ihrem eigenen Vorteil nachgehen. Wenn ferner von seiten des Finanzministeriums darauf hingewiesen worden ist, daß die Umsatzsteuer grundsätzlich jeden Verbrauch ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche oder soziale Stellung des Unternehmers belastet, so ist das zwar im Grundsätzlichen richtig, trifft aber unseren Fall nicht. Nach § 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes ist die Ausübung der öffentlichen Gewalt keine gewerbliche Tätigkeit. Ob die Ausübung der Unterrichtsgewalt nun in einer öffentlichen Schule oder in einer staatlich anerkannten Privatschule erfolgt, ändert doch nichts daran, daß es sich um die Ausübung öffentlicher Gewalt handelt. Deshalb ist § 2 Abs. 3 des Umsatzsteuergesetzes meines Erachtens ohne weiteres anwendbar. Und § 18 der Umsatzsteuer-Durchführungsbestimmungen verstößt bereits gegen § 3 des Umsatzsteuergesetzes. Auch hier würden die Finanzgerichte voraussichtlich die geltende Regelung außer Kraft setzen. Jedenfalls ist in der Literatur dieser Standpunkt eingehend begründet und vertreten worden. Ein Einnahmeausfall ist infolge der Ersparnis an Schul- und Fürsorgelasten für die gesamte öffentliche Haushaltswirtschaft nicht zu befürchten, wenn auch möglicherweise eine Verschiebung ({7}) zwischen Bund, Ländern und Gemeinden eintritt. Von besonderer Bedeutung ist die Tatsache, daß die Umsatzsteuer jetzt allgemein auf 3 % erhöht worden ist. Eine solche Erhöhung der Umsatzsteuer auf 3 % würde selbst dann zu Ausnahmen zwingen, wenn der von der Finanzverwaltung geltend gemachte Grund an sich richtig wäre; er ist aber, wie ich bereits ausführte, falsch. Begünstigungen und Befreiungen sind aber im übrigen auch sonst dem Umsatzsteuerrecht in keiner Weise fremd. Einzelheiten will ich mir ersparen. Ich weise auf Ein- und Ausfuhrgroßhandel, Lieferung von land- und forstwirtschaftlichen Erzeugnissen oder die Erhöhung der Umsatzsteuer für Warenhäuser hin, eine typische persönliche Erhöhung. Es ist also gar nicht richtig, wenn die Finanzverwaltung uns vortragen läßt, derartige persönliche Begünstigungen und Erhöhungen seien dem Umsatzsteuerrecht fremd. Ich glaube, daß die Einwendungen der Finanzverwaltung von der Furcht bestimmt sind, daß bei einer Ausdehnung solcher persönlichen Befreiungen die Luxusumsatzsteuer dann vor der Tür stände, die ja eine derartige persönliche Erhöhung möglich machen würde, und daß man dieser Luxusumsatzsteuer generell ablehnend gegenüberstehe. Ich glaube aber, bei einem so kleinen Komplex, wie es die öffentlich anerkannten Privatschulen sind, kann diese Befürchtung tatsächlich völlig unbeachtet bleiben. Ich bin deshalb der Ansicht, daß dieses Gesetz nur dem geltenden Recht Rechnung tragen würde. ({8})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Auch hier ist im Ältestenrat verabredet worden, keine Debatte zu führen. Erhebt sich Widerspruch dagegen? - Das ist nicht der Fall; es ist so beschlossen. Ich schlage vor, den Entwurf an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen zu überweisen. - Das Haus ist damit einverstanden; der Antrag ist überwiesen. Ich rufe auf Punkt 4 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung des Reichsleistungsgesetzes, des Leistungspflichtgesetzes im Lande Hessen sowie des Notleistungsgesetzes in Württemberg-Hohenzollern ({0}). Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Bertram. Dr. Bertram ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren, ich kann mich hier sehr kurz fassen. Die Angelegenheit hat bereits dem Wirtschaftsrat vorgelegen. Im Wirtschaftsrat ist in der Drucksache Nr. 928 ein Initiativantrag des Länderrates vom 17. Januar 1949, Entwurf zu einem Sachleistungsgesetz, besprochen worden. Der Wirtschaftsrat hat beschlossen, diese Angelegenheit nicht weiter zu verfolgen, da sie Sache des Bundes sei. In der Begründung zu dem Initiativantrag des Länderrates heißt es wörtlich und ich glaube, dieser Begründung ist nichts hinzuzufügen -: Das Reichsleistungsgesetz, gegen dessen Anwendbarkeit sich nach 1945 sowohl bei der Verwaltung wie bei den Gerichten Bedenken erhoben, ist seinem Inhalt nach nicht als eigentlich nationalsozialistisches Gesetz angesehen worden. Es fällt somit nicht unter die solches Recht aufhebende Bestimmung der Militärregierung. Die Rechtsprechung hat sich dieser Auffassung angeschlossen. Dennoch kann an dem Bedürfnis, dieses rechtsstaatlichen Prinzipien weitgehend entsagende Gesetz durch ein von politischen Bedenken unbelastetes Gesetz abzulösen, ebensowenig gezweifelt werden wie an der Notwendigkeit, staatliche Eingriffe in die Privatrechtssphäre so lange zu ermöglichen, bis die unmittelbaren Kriegsfolgen behoben sind und die wirtschaftlichen Verhältnisse sich normalisiert haben. Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich normalisiert, und es ist deshalb nicht mehr erforderlich, derartige Rechtseingriffe in die Privatrechtssphäre ohne eine entsprechende Kontrolle durch die Verwaltungsgerichte zuzulassen. Es ist ja jetzt so, daß die Verwaltungsgerichte nicht in der Lage sind, bei Beorderungen zur Verfügung oder bei sonstigen Eingriffen die Zulässigkeit dieser Beorderungen im einzelnen zu überprüfen. Sie sind nicht berechtigt, die Ermessensgrenzen zu überprüfen, sondern lediglich befugt, bei Frmessensmißbrauch oder Willkür einzuschreiten. Das heißt also, daß heute jedem von uns oder jedem sonst ein Gegenstand weggenommen werden kann, wenn nicht gerade Ermessenswillkür oder Ermessensmißbrauch vorliegt, und diese mangelhafte Rechtskontrolle ist in erster Linie der Grund, warum das jetzige Reichsleistungsgesetz in einem Staat, der sich als Rechtsstaat bezeichnen will, nicht mehr fortbestehen kann. Ich bin deshalb der Ansicht, daß unser Antrag in dieser Hinsicht im Ausschuß geklärt werden müßte und die Aufhebung des Reichsleistungsgesetzes nach sich ziehen sollte.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Auch hierzu ist im Ältestenrat vereinbart worden, keine Debatte zu führen. Erhebt sich gegen diese Vereinbarung Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Ich schlage vor, den Antrag an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht zu überweisen. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 5 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Freien Demokratischen Partei, Deutschen Partei, Bayernpartei und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder des Bundestages ({0}). Dieser Entwurf ist noch nicht hier eingegangen. Er scheint noch bei den Fraktionen zur Unterschrift zu liegen. ({1}) Erhebt sich Widerspruch dagegen, daß dieser Punkt trotzdem aufgerufen wird? ({2}) Der Abgeordnete Dr. Mommer sollte doch wohl den Entwurf einbringen. Ist das nicht verabredet worden? ({3}) Ist das Haus damit einverstanden, daß der Entwurf dieses Gesetzes ohne Debatte an den Haushaltsausschuß überwiesen wird? ({4}) ({5}) - Wollen Sie das Wort zur Geschäftsordnung? ({6}) Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Herr Abgeordnete Loritz.

Alfred Loritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001375, Fraktion: Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Solange der Entwurf den meisten Mitgliedern dieses Hauses überhaupt nicht vorliegt, - ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Er ist schon verteilt, es fehlt nur das Formale.

Alfred Loritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001375, Fraktion: Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV)

Gut, dann möchte ich jetzt schon zwei Sätze zur Sache sagen. Es wird ja Sache des Ausschusses sein, noch zu den einzelnen Punkten eingehend Stellung zu nehmen. Ich selbst möchte einigen Bestimmungen des Diätengesetzes größte Skepsis entgegenbringen und sie ablehnen. Es scheint mir insbesondere kein Anlaß dazu vorzuliegen, daß Mitglieder des Hauses, die über ein bestimmtes größeres Einkommen verfügen meinetwegen kann man die Grenze höher ansetzen, als ich sie mir denke -, daß solche reiche Mitglieder dieses Hauses dieselben Bezüge erhalten wie arme Mitglieder, die keinerlei Möglichkeit zum Bezug eines sonstigen Einkommens haben. ({0}) Es scheint mir auch Anlaß vorzuliegen, bezüglich der Steuerfreiheit der Bezüge manches zu sagen. Wir werden ja das dann noch alles im Ausschuß vorzubringen haben! ({1}) Bis dahin behalte ich mir die endgültige Stellungnahme zum Beschluß des Ausschusses vor. Soviel möchte ich heute zu diesem Gesetzentwurf gesagt haben. ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich hatte nicht angenommen, daß der Abgeordnete Loritz zur Sache sprechen würde. Er hatte das Wort zur Geschäftsordnung erhalten. Ich wollte ihn jedoch nicht unterbrechen, um nicht seine Ausführungen noch mehr zu verlängern. ({0}) - Wir hatten doch im Ältestenrat vereinbart, daß zur Sache nicht gesprochen wird. ({1}) - Das ist nicht so bedeutsam gewesen, daß auch Sie noch dazu sprechen müßten. Aber wenn Sie es wollen, muß ich Ihnen das Wort erteilen. Ich halte es jedenfalls als nicht ganz den Übungen dieses Hauses entsprechend, Herr Abgeordneter Renner, nach einer solchen Vereinbarung im Ältestenrat doch das Wort zu nehmen. Sie haben sich jetzt nicht daran gehalten. Man sollte sich allgemein an solche Verabredungen halten.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Eine kleine Korrektur, Herr Präsident, wenn ich mir Ihnen gegenüber eine solche überhaupt noch erlauben darf. Verzeihen Sie, ich habe im Ältestenrat gesagt, meine Damen und Herren, daß dann, wenn der Abgeordnete Loritz es für nötig ansieht, hier etwas zu sagen, auch wir reden werden. ({0}) Nachdem nun der Herr Abgeordnete Loritz etwas gesagt hat - freilich nicht das, was man nach seinem bisherigen Auftreten hätte erwarten können -, ({1}) nachdem er diese sehr verklausulierte, gewundene Erklärung abgegeben hat, die dem, was man bei anderen Gelegenheiten sonst von ihm gehört hat, direkt ins Gesicht schlägt, bin ich der Meinung, daß wir Kommunisten dazu bereits heute folgendes sagen müssen. Erstens zum technischen Ablauf. Über dieses Kapitel könnte man schreiben „Gesucht wird ein Einbringer". Nicht wahr, wir haben doch den ulkigen Tatbestand, daß niemand an diese Sache herangeht und trotz Verabredung niemand den Mut aufbringt, sich für das Gesetz einzusetzen. ({2}) Aber zur Sache, zum Diätengesetzentwurf selber möchte ich im Namen meiner Fraktion folgendes erklären. Wir halten angesichts der großen Notlage des Volkes die Bezüge für zu hoch. Wir sind außerdem der Auffassung, daß die Verschachtelung der Bezüge an dem Gesetzentwurf nicht gut ist; denn sie hat unserer Meinung nach nur den einen Zweck, die Bezüge, die die Abgeordneten tatsächlich erhalten, ins Dunkel hineinzustellen, sie unübersichtlich zu gestalten. Ich mache von meiner Ankündigung im Ältestenrat Gebrauch, indem ich hier im Namen der Fraktion ausspreche, daß wir den Gesetzentwurf in seiner derzeitigen Fassung ablehnen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es ist Überweisung an den Haushaltsausschuß vorgeschlagen. Ist das Haus damit einverstanden? - Es ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Fraktion der Freien Demokratischen Partei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Zahlung der Pensionsvorschüsse und Unterhaltsbeihilfen an die im Artikel 131 des Grundgesetzes angeführten Personengruppen ({0}). Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeordnete Dr. Nowack.

Dr. Wilhelm Nowack (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001629, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Frage, welcher Personenkreis unter Art. 131 des Grundgesetzes fällt, hat uns hier im Laufe der vergangenen Monate wiederholt beschäftigt, ohne daß allerdings bisher in irgendeiner Weise eine positive Regelung im Sinne des Grundgesetzes erfolgt ist. Von seiten der Verwaltung sind entsprechende statistische Erhebungen gemacht worden; aber wir sind bis heute noch nicht in den Besitz der Zahlen gekommen, die diese Erhebungen ergeben haben. obwohl in einzelnen Ländern die Zahlen in den lokalen Zeitungen bereits veröffentlicht worden sind. Mit dem 1. April geht die Regelung der Verhältnisse auf den Bund über. ({0}) Ich möchte die Frage unter zwei Gesichtspunkten behandeln, einmal unter dem der Verwaltung, zum andern unter dem viel wichtigeren des menschlichen Problems. Wenn der Bund am 1. April die von den Ländern getroffenen Regelungen übernimmt, so sieht er sich vor eine Aufgabe gestellt, die absolut verwirrend ist. Wenn Sie die Unzahl der Bestimmungen sehen - ich habe hier eine Zusammenstellung vor mir liegen -, die in den einzelnen Ländern getroffen sind, wenn Sie dann feststellen, daß es kaum eine Bestimmung in einem Lande gibt, die mit den Bestimmungen in den anderen Ländern übereinstimmt, dann muß man sagen, daß die Verwaltung selbst das größte Interesse daran haben muß, daß eine Vereinheitlichung auf diesem Gebiet durchgeführt wird. Eine solche Vereinheitlichung schafft unser Antrag, wenn er angenommen wird. Er sieht vor, daß die jeweils günstigste Regelung für den betreffenden Personenkreis, die in irgendeinem Lande des Deutschen Bundes besteht, zur grundsätzlichen Regelung erhoben wird. Man hat uns darauf aufmerksam gemacht, daß es einige Länder gibt, die erst vor kurzem Gesetze gemacht haben und zwar sehr günstige Gesetze, weil sie sich gesagt haben, daß die ganze Angelegenheit am 1. April auf den Bund übergeht, weil sie sich dann gesagt haben: warum sollen wir uns innere Schwierigkeiten machen, indem wir uns mit kleinlichen Lösungen abgeben; machen wir großzügige Lösungen, am 1. April muß der Bund in seine Kasse greifen! Wir werden über diese Punkte im Ausschuß sprechen müssen. Aber ich glaube, die Verwaltung hat das dringendste Interesse daran, daß diese Frage so schnell wie möglich geregelt wird, und wir hoffen, daß es dem Beamtenrechtsausschuß gelingt, bis zu der am Freitag vorgesehenen zweiten und dritten Lesung diese Fragen zu regeln und den endgültigen Vorschlag vorzulegen. Nun lassen Sie mich noch einige Worte zu der menschlichen Seite der Angelegenheit sagen. Ich habe hier schon wiederholt darüber gesprochen, und ich glaube ich brauche Ihnen da nicht mehr viel zu sagen; denn jeder von uns bekommt Tag für Tag Briefe aus den betroffenen Kreisen, die von einem erschütternden Elend sprechen. Sicher ist es nicht so, wie es manchmal von den Organisationen der Betroffenen dargestellt wird, als ob nun gar kein vertriebener oder gar kein entnazifizierter Beamter oder gar kein früherer Angehöriger der Wehrmacht wieder in amtlicher Tätigkeit ist. Im Gegenteil, es sind sehr erhebliche Kreise in Tätigkeit. Aber trotzdem: der Kreis derjenigen, der außerhalb der Versorgung, der außerhalb der Tätigkeit steht, ist wirklich weit größer. In diesen Kreisen besteht zum Teil eine ungeheure Not. Man sieht diese Not nicht. Armut und Not machen keine Lichtreklame. Aber sie besteht, sie ist vorhanden. Und alle diese Menschen haben ihre Hoffnungen auf den Bund gesetzt. Sie sind erst jahrelang von den Ländern vertröstet worden. Dann gab es mehr oder weniger günstige oder annehmbare Lösungen, und letzten Endes hieß es immer wieder: ja, der Bund regelt das. Der Bund hat diese Regelung in das Grundgesetz aufgenommen. Dieses Grundgesetz ist bald ein Jahr alt. In dieses Grundgesetz hat man gleichzeitig ein Verbot für die Betroffenen aufgenommen, den Rechtsweg über die Gerichte einzuschlagen. Ein solches Verbot ist nur begründet und läßt sich nur vertreten, wenn man, wie es auch der Sinn dieser Bestimmung des Grundgesetzes ist, diese Angelegenheit schnell regelt. Wenn man dagegen die Dinge nicht mit der genügenden Schnelligkeit beendet, wenn man sie hinauszögert, dann entsteht für die Betroffenen zweifellos eine Rechtsminderung, die auf die Dauer nicht vertretbar ist. Darüber kann es gar keinen Zweifel geben. Wir wollen durch unseren Antrag diesem Personenkreis nun endlich einmal eine Regelung geben, die als Zwischenlösung gedacht ist, die ihnen als Lösung ein einheitliches Recht gibt, die ihnen bei notwendigen Umzügen von dem einen Land in das andere Land nicht Rechtsansprüche wieder nimmt, sondern die alles auf eine einheitliche Linie bringt. Wir wollen damit den betroffenen Personen auch sagen, daß wir sie nicht vergessen haben, sondern daß wir uns für ihre Interessen einsetzen. Wir glauben, daß diese zu treffende Regelung, daß der vor uns gemachte Vorschlag auch finanziell für die Bundesregierung tragbar ist. Wir hoffen, daß es uns gelingt, im Ausschuß in den wenigen Tagen bis zur zweiten und dritten Lesung eine Übereinstimmung herbeizuführen und Ihnen dann ein Ergebnis vorzulegen, dem Sie alle zustimmen können. Wir hoffen, damit dann einen entscheidenden Schritt zur Befriedung unseres Volkes getan zu haben, einen Schritt, der das Schicksal von Hunderttausenden von Menschen betrifft. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren! Auch hier hat der Ältestenrat den Vorschlag zu machen, den Antrag ohne Debatte an den Ausschuß für Beamtenrecht und den Haushaltsausschuß zu überweisen, wobei der Ausschuß für Beamtenrecht federführend sein soll. - Erhebt sich Widerspruch? ({0}) - Wollen Sie zur Sache sprechen? ({1}) - Zur Sache hat Herr Abgeordneter Krause das Wort.

Paul Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001204, Fraktion: Deutsche Zentrumspartei (Z)

Ich beantrage zusätzlich, diese Vorlage auch dem Ausschuß für Heimatvertriebene zu überweisen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ist das Haus mit diesem Antrage einverstanden: Beamtenrechtsausschuß, Haushaltsausschuß, Vertriebenenausschuß, federführend aber Beamtenrechtsausschuß? - Das Haus ist einverstanden. Darin ist es beschlossen. Ich rufe Ziffer 7 der Tagesordnung auf: Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet ({0}). Das Wort hat zur Berichterstattung Herr Abgeordneter Brookmann.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Dem Hohen Hause liegt die Drucksache Nr. 685 vor über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet, ({0}) ein Problem, das die Aufnahme illegaler Grenzgänger aus der russischen Besatzungszone betrifft. Dieses Problem ist bereits im vergangenen Jahr des öfteren Gegenstand von Erörterungen in erster Linie in den unmittelbar betroffenen Ländern und den Landesflüchtlingsverwaltungen der Länder des ehemaligen Vereinigten Wirtschaftsgebiets gewesen. Zur Regelung dieses Problems nahmen die Flüchtlingsverwaltungen der Länder des Vereinigten Wirtschaftsgebietes in einer Entschließung auf der Tagung in Uelzen am 11. Juli 1949 zum ersten Male konkret Stellung. Die Entschließung ist auf Seite 7 der Drucksache Nr. 685 zum Abdruck gekommen. Sie enthält Vorschläge und Empfehlungen an die Ministerpräsidentenkonferenz, in der Frage der Behandlung der aus der russischen Zone einwandernden illegalen Grenzgänger nach einheitlichen Grundsätzen zu verfahren. Diese Vereinbarungen, die auch von der Ministerpräsidentenkonferenz 'angenommen worden sind, werden seit dem 1. September vorigen Jahres angewandt. Seit dem 15. November 1949 sind im Zuge der neuen Verordnung der Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet Beauftragte der Bundesregierung eingesetzt, denen bestimmte Aufgaben zugewiesen worden sind. Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 20. Oktober 1949 auf Antrag des Landes Niedersachsen beschlossen, die Bundesregierung zu bitten, auf Grund des Artikels 119 des Grundgesetzes unverzüglich eine Verordnung über die Aufnahme und Verteilung illegaler Grenzgänger vorzubereiten, die sich auf die Uelzener Beschlüsse vom 11. Juli 1949 aufbaut. Diesem Beschluß des Bundesrates vom 20. Oktober 1949 entsprechend hat die Bundesregierung im November 1949 eine Verordnung vorgelegt, die durch den Flüchtlingsausschuß des Bundesrates nur geringfügige Abänderungen erfuhr, denen die Bundesregierung dann auch zustimmte. Die Verordnung der Bundesregierung wurde daraufhin dem Bundesrat zur Entscheidung zugeleitet. Nachdem das Kabinett die Verordnung verabschiedet hatte, übersandten die Hohen Kommissare für Deutschland unter dem 2. Dezember 1949 der Bundesregierung ein Memorandum, das zu der gleichen Frage Stellung nimmt. Dieses Memorandum liegt Ihnen ebenfalls in der Drucksache Nr. 685 auf Seite 6 abschriftlich vor. In diesem Memorandum wird die Bundesregierung gebeten, nach gewissen Grundsätzen zu verfahren. Einer dieser Grundsätze ist, die Aufnahme jedes deutschen Flüchtlings in das Gebiet der Bundesrepublik, der Bundesregierung, zu kontrollieren. Dabei wünscht die Hohe Alliierte Kommission, daß besonders auf die Anzahl der deutschen Flüchtlinge geachtet wird, die mit Rücksicht auf die gegenwärtig bestehende Übervölkerung und die großen Wohnraumschwierigkeiten in Deutschland aufgenommen werden können. Bereits am 16. Dezember 1949 reichte die sozialdemokratische Fraktion des Hohen Hauses mit Drucksache Nr. 350 einen Gesetzentwurf über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet ein. Dieser Antrag Nr. 350, meine Damen und Herren, ist am 18. Januar dieses Jahres an folgende Ausschüsse überwiesen worden: an den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen, den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung und den Ausschuß für Heimatvertriebene. Als federführender Ausschuß ist der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen bestimmt worden. Diese Ausschüsse haben folgendes beschlossen. Der Ausschuß für Heimatvertriebene hat am 25. Januar dieses Jahres das Gesetz, wie es in der Drucksache Nr. 350 vorlag, als Ganzes abgelehnt. Der Ausschuß für innere Angelegenheiten hat am 1. Februar 1950 beschlossen, die Beratung über den Antrag der Fraktion der SPD zurückzustellen und die Bundesregierung zu ersuchen, die von ihr vorgesehene Verordnung zu erlassen. Der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen hat sich in mehreren Sitzungen eingehend mit dem Gesamtproblem unter Zugrundelegung des SPD-Gesetzentwurfes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet beschäftigt. Es wurden in diesen Sitzungen alle rechtlichen, alle politischen und ganz besonders auch, meine Damen und Herren, alle menschlichen Momente erörtert, und in der Sitzung vom 16. Februar 1950 wurde mit Mehrheit beschlossen, die Drucksache Nr. 350 mit den aus der nebenstehenden Zusammenstellung ersichtlichen Änderungen dem Bundestag ungeachtet der Regierungsvorlage, deren Wortlaut sich im wesentlichen mit dem neuen Gesetzestext deckt, zur Beschlußfassung vorzulegen. Die sozialdemokratischen Mitglieder des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen vertraten die Auffassung, die Erlaubnis zur ständigen Niederlassung im Bundesgebiet dürfe nur kriminellen Staatsangehörigen und deutschen Volkszugehörigen aus der sowjetischen Besatzungszone oder dem sowjetischen Sektor von Berlin versagt werden, die wegen einer Tat verfolgt werden, die auch dann mit Strafe bedroht ist, wenn sie im Geltungsbereich der Bundesrepublik begangen sein würde. Die Mehrheit des Ausschusses entschied sich dahin, die besondere Erlaubnis nur den Personen zu erteilen, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die genannten Gebiete verlassen müssen. Der Antrag des Ausschusses für gesamtdeutsche Fragen an das Hohe Haus lautet folgendermaßen: Der Bundestag wolle beschließen: den vorliegenden Gesetzentwurf mit den . . . Änderungen - also den Beschluß des Ausschusses - zu genehmigen. Ich darf das Hohe Haus bitten, entsprechend zu verfahren.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Ich eröffne die Einzelaussprache und bitte das Haus um die Genehmigung, die §§ 1, 2 und 2 a der Vorlage 685 gleichzeitig aufrufen zu dürfen. Die Paragraphen gehören zusammen und können nicht gut einzeln diskutiert werden. - Es erhebt sich kein Widerspruch. Ich rufe auf § 1, - § 2 - und § 2 a. Das Wort hat Frau Abgeordnete Korspeter.

Lisa Korspeter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001183, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als wir im Dezember vorigen Jahres einen Gesetzentwurf über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet vorlegten, wollten wir damit der Absicht der Regierung, diese Frage durch eine Verordnung zu ({0}) lösen, entgegentreten. Wir waren der Meinung, daß eine solche Frage, ein solches Problem nur vom Parlament mit der vollen politischen Entscheidung erledigt werden konnte. Wir sahen uns zu diesem Gesetzentwurf auch deshalb veranlaßt, weil wir glaubten, es nicht verantworten zu können, daß dieses Problem auf Grund der Regierungsverordnung mit Polizeimaßnahmen gelöst werden sollte, und zwar mit Polizeimaßnahmen, die unter Umständen deutsche Polizisten zwangen, sich gegen deutsche Männer und gegen deutsche Frauen an der Sowjetzone zu stellen. Der wichtigste Paragraph unseres Gesetzentwurfs - ich möchte sagen: das Kernstück unseres Gesetzentwurfs überhaupt - war der § 1 Absatz 2, der vorsah, daß nur jemandem die Erlaubnis versagt werden darf, wenn er wegen einer Tat verfolgt wird, die auch dann mit Strafe bedroht ist, wenn sie im Geltungsbereich des Bundesgebiets begangen sein würde. Dieser Paragraph stand im Gegensatz zu dem § 1 Absatz 2 der Regierungsverordnung, der eben die Erlaubnis nur den Personen erteilen wollte, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen Gründen die Ostzone verlassen mußten. Die Ausschußberatungen haben nun gezeigt, daß .die Mehrheit des Ausschusses sich gegen die Fassung unseres Paragraphen gestellt hat, und er wurde durch den § 1 Absatz 2 der Verordnung ersetzt. Und damit, meine Damen und Herren, hat unser Gesetzentwurf ein vollkommen anderes und von uns nicht gewolltes Gesicht erhalten. Wir sehen uns deshalb, wenn die Fassung unseres Entwurfs nicht wiederhergestellt wird, nicht in der Lage, unserem eigenen Gesetzentwurf zuzustimmen. Ich darf unsere Gründe noch einmal zum Ausdruck bringen, die uns zu dieser Fassung bewegen. Der Ausschußentwurf versucht im § 1 Absatz 2, den Rahmen der Zulassung für Deutsche aus der Ostzone zu umreißen, und wir sind nach wie vor der Ansicht, daß damit nicht nur das im Grundgesetz verankerte Recht der Freizügigkeit verletzt wird; wir sind auch der Ansicht, daß diese Regelung menschlich nicht zu verantworten ist. Sie alle müssen zugeben, daß die Definition, mit der man die Aufnahmemöglichkeiten zu umreißen versucht, auf reine Ermessensurteile von Ausschüssen und Bürokratie hinausläuft, die unausbleiblich ganz verschiedene Maßstäbe anlegen, weil diese Definition eine weite Auslegungsmöglichkeit in sich schließt. Damit kann die Kommission - und das ist für uns das Wesentliche - bei den Entscheidungen über Aufnahme oder über Ablehnung eine Entscheidung über Leben oder Tod treffen. ({1}) Das, meine Damen und Herren, kann nicht Ihr Wille sein, und trotzdem muß es bei der augenblicklichen Formulierung darauf hinauslaufen, weil Ermessensurteile an keinerlei Richtlinien zu binden sind. Sie heben ferner dadurch ein Grundrecht von Deutschen auf, die nicht etwa einen Verstoß gegen geltende Gesetze begangen haben, sondern die im Gegenteil alle gefährdet sind, sobald sie sich im nationalen Sinne zu Deutschland bekennen und sobald sie allgemeinpolitisch sich nicht der totalitären Staatsreligion drüben in der Ostzone unterwerfen. Sie sind gefährdet, sobald sie sich als Demokraten in westeuropäischem Sinne bekennen. Der Wortlaut des Ausschußentwurfs richtet sich deshalb gegen primitivste Menschenrechte, ({2}) er richtet sich gegen ein Bekenntnis zum ganzen deutschen Volke, und er richtet sich auch gegen die politische und demokratische Freiheit. Wir sind der Ansicht - und, meine Damen und Herren, ich nehme an, daß Sie es genau so sind -, menschliche und nationale und politische Rechte dürfen nicht vergewaltigt werden, sondern sie müssen von uns hochgehalten werden. Deswegen, allein aus diesem Grunde, kann man die Grenzen der Zulassung nicht festlegen, sondern wir müssen, so wie es unser Gesetzentwurf vorsieht, unter allgemeiner Aufrechterhaltung der Zulassung die Elemente ausschalten, die auch in der Bundesrepublik strafrechtlich verfolgt werden müssen. Auch dabei, meine Damen und Herren, muß man mit sehr viel Vorsicht vorgehen, weil jeder, der die Verhältnisse drüben kennt und aus eigenem Erleben kennt, weiß, daß man in vielen Fällen Menschen solche Delikte anhängt, um sie politisch zu erledigen. Eine andere Frage, die uns bewegt und die auch Sie bewegen muß und die in Ihrer Formulierung offenbleibt, meine Damen und Herren, ist die folgende: Was wird aus den Menschen, die Sie abweisen, die nach Ihrer Ansicht nicht in einer drohenden Gefahr für Leib und Leben stehen? Sie wissen so gut wie wir, daß die wenigsten, die abgewiesen werden, wieder in die Sowjetzone zurückkehren und auch nicht zurückkehren können und daß wir sie damit der Landstraße überantworten und sie in ein Schicksal hineintreiben, das wir alle nicht wünschen. Fast alle kommen zu uns herüber, um unsere Hilfe zu erbitten, um zu arbeiten, um einen Beruf zu erlernen. Wir aber schlagen mit einer solchen Regelung die Tür vor ihnen zu, und wir schicken sie auf die Landstraße oder bei Abschiebung - wer von uns weiß das immer vorher? entweder in die Zuchthäuser oder in den Tod. Es nicht so sehen zu wollen, hieße, vor der Wirklichkeit des Elends der Abgewiesenen die Augen zu verschließen. Wir übersehen ganz gewiß nicht die Schwierigkeiten, die sich bei Wiederherstellung des § 1 unseres Entwurfes für die Bundesrepublik ergeben. Wir wissen, daß damit der Lebensraum der bereits in der Bundesrepublik Lebenden eingeschränkt und eingeengt wird. Trotzdem sollten wir uns nicht anders entscheiden, trotzdem sollten wir Menschlichkeit und Verantwortlichkeit gegenüber unseren Brüdern und Schwestern in der Ostzone sprechen lassen. ({3}) Es kann gar nicht die Rede davon sein, meine Damen und Herren, daß § 1 unseres Gesetzentwurfes geradezu eine Aufforderung an die Bewohner der Ostzone darstelle, nach hier in den „goldenen Westen" zu kommen. Glauben Sie mir, die Gründe, die jemanden zwingen, seine Heimat zu verlassen und unter solchen Umständen zu verlassen, wie diese Menschen es tun müssen, die hier bei uns vorerst vor einem- Nichts stehen, ohne Arbeit, ohne Wohnung, müssen schon sehr zwingende sein. Nach meiner Überzeugung ist es aber drüben auch bereits bekanntgeworden, daß es mit dem „goldenen Westen" gar nicht so golden aussieht ({4}) ({5}) und daß auch bei uns der größte Teil der Bevölkerung auf der Schattenseite des Lebens steht, wie sie diese Wirtschaftspolitik zur Folge hat. ({6}) Im Ausschuß ist auch erklärt worden, die Tatsache, daß sich die Zahl der Einströmenden in der letzten Zeit verringert hat, sei darauf zurückzuführen, daß dieser Verordnungsentwurf bei uns im Parlament beraten werde und schon als sogenannte Abschreckungsmaßnahme auf die Sowjetzonenbewohner gewirkt habe. Ich möchte fragen: hat man sich dabei auch überlegt, daß vielleicht gerade diese Schranke, die wir damit gegenüber den oft verzweifelten Menschen noch zusätzlich aufgerichtet haben, manchem vielleicht bereits zum Verhängnis geworden ist, weil er sich noch in letzter Minute gefürchtet hat, nach hier zu kommen, aus der Sorge. was aus ihm wird? ({7}) Das, meine Damen und Herren, können wir nicht wollen, und das können auch Sie nicht wollen. Deshalb bitten wir Sie, aus menschlichen, aber auch aus politischen Gründen zu einer Entscheidung zu kommen, die unseren Brüdern und Schwestern in der Ostzone die Hoffnung und die Zuversicht gibt, daß wir zu ihnen stehen. Wir stellen deshalb folgenden Antrag, den wir Sie anzunehmen bitten: Der Bundestag wolle beschließen: In § 1 wird Absatz 2 gestrichen. Absatz 3 wird Absatz 2 und erhält folgenden Wortlaut: Die Erlaubnis darf jemand nur versagt werden, der wegen einer Tat verfolgt wird, die auch dann mit Strafe bedroht ist, wenn sie im Geltungsbereich des Grundgesetzes begangen sein würde. In § 2 a wird Absatz 2 gestrichen. Meine Damen und Herren, denken Sie bei Ihrer Entscheidung daran, daß Sie über eine wichtige Frage zu entscheiden haben! Deutschland muß die Heimat aller Deutschen bleiben! ({8})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Frau Abgeordnete Korspeter, darf ich Sie um den Änderungsantrag bitten! - Vielen Dank! Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen.

Dr. Else Brökelschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Herren und Damen! Die Frage der illegalen Einwanderung in das westdeutsche Bundesgebiet ist eine Frage, die sicher uns alle in unserem Gefühl tief bewegt. Und doch ist es eine Frage - das sage ich trotz aller Leidenschaftlichkeit, die Frau Korspeter auf dieses Thema verwandt hat -, die wir nicht allein gefühlsmäßig entscheiden dürfen. Meine Herren. und Damen, wenn man über die Situation der Flüchtlinge und Heimatvertriebenen im westdeutschen Bundesgebiet mit Ausländern spricht, stößt man immer wieder auf das vollkommene Fehlen jeder Vorstellung über die tatsächliche Grundlage dieses Problems, die nämlich darin besteht, daß wir gar nicht mit festen Größen rechnen können, sondern daß diese Millionen sich dauernd verschieben und die Zahl dauernd größer wird. ({0}) Das statistische Amt für das Bundesgebiet hat Anfang Februar die Zahl von 1,3 Millionen Personen veröffentlicht, die allein aus der Sowjetzone und aus Ostberlin hier zu uns nach dem Westen gekommen sind, und nach den Zahlen, die von Gießen und Uelzen seit September vorliegen, sind dort 73 000 Personen eingetroffen. Das ist ein Strom, der irgendwie gefaßt werden will, der irgendwie geordnet werden muß. Nun sprechen der SPD-Entwurf zu diesem Gesetz und auch das Gesetz selbst von der Tatsache, daß es sich um eine Notaufnahme handelt. Das setzt also voraus, daß irgendein Notstand da sein muß, der gegeben sein muß, ehe über die Aufnahme entschieden werden kann. Darüber ist im Ausschuß keine Debatte entstanden und wird auch hier im Plenum keine entstehen, daß jedem, der an Leib und Leben gefährdet ist, dessen persönliche Freiheit in Gefahr steht, und jedem, bei dem sonst zwingende Gründe vorliegen, eine Zuflucht hier im Westen offenstehen muß. Das ist eine Auffassung, die über alle Parteien hinweggeht, und ich erkläre hier mit allem Ernst, meine Damen und Herren, daß wir bereit sind, zu dieser Auffassung zu stehen, und wir müssen dazu auch in schweren Situationen bereit sein, in die wir vielleicht noch hineinkommen können. Gerade aber weil wir diesen Ernst der Situation sehen, müssen wir in aller Deutlichkeit darauf hinweisen, daß der Westen kein Land des Wohllebens ist. Frau Korspeter, es ist nicht so, daß die Menschen wirklich nur aus Not aus dem Osten herüberkommen! Die Menschen drüben müssen wissen, daß, wenn sie herüberkommen. der Preis, den sie für die Gewinnung ihrer persönlichen Freiheit und Sicherheit zu zahlen haben, ein hartes Leben ist, wirtschaftliche Not und für lange Zeit höchstens eine Behausung, keine Wohnung und keine Heimat. Gerade wenn wir die von Frau Korspeter geforderte Menschlichkeit walten lassen, dürfen wir nicht unbesehen weitere Hunderttausende und Millionen hier in den überfüllten Westen hineinlassen, wenn wir diesen Menschen nicht ein wirklich menschenwürdiges Leben garantieren können. ({1}) Die Menschenwürde bleibt auf dem Papier, meine Damen und Herren, wenn wir die Grenzen für die Ströme aus dem Osten völlig öffnen, und gerade unsere Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten verlangt von uns, daß wir sehr sorgfältige Überlegungen anstellen. Meine Herren und Damen, lassen Sie mich ein Weiteres sagen. In besonderen geschichtlichen Situationen gibt es besondere geschichtliche Aufgaben, denen der, dem sie gestellt sind, sich nicht entziehen darf. Das darf nicht geschehen, weil wir eine Verpflichtung gegenüber der Vergangenheit und eine Verpflichtung gegenüber der Zukunft haben. Die Bewältigung solcher Aufgaben braucht nicht in großen bemerkbaren Taten zu bestehen, sondern sie kann - und das ist oft das Schwerste dabei - im Ausharren und Bewahren, im Da-Sein und im Dableiben bestehen. Das ist vielleicht die schwere historische Aufgabe, die unseren Brüdern und Schwe({2}) stern im Osten, im Augenblick auferlegt ist. Wir können Ihnen diese Aufgabe nicht abnehmen. Wir wissen genau, wie schwer sie auf jedem Tag und auf jeder Stunde bei 'jedem einzelnen drüben lastet. Gerade wir als Frauen sprechen nicht gern von diesen Dingen, die tief in die Beziehungen des Menschlichen hineinreichen. Wir wollen aber doch klar herausstellen, daß die Verantwortung für diese Situation nicht bei dem Westen Deutschlands, sondern in der Weltsituation liegt, in der wir nur Amboß sind, einer Situation, in der es fünf Jahre nach Kriegsschluß noch nicht möglich gewesen ist, zum Frieden zu kommen und die gequälte Menschheit freizumachen von Sorge, Angst und Not. Meine Herren und Damen, die Folge dieser furchtbaren Weltsituation ist dieses Gesetz, ist damit die Tatsache, daß wir - und das haben wir in all seiner Furchtbarkeit bedacht - als Deutsche ein Gesetz gegen Deutsche machen müssen. ({3}) Das ist eine Situation, in der vielleicht noch niemals ein Volk gewesen ist. ({4}) - Herr Arndt, sagen Sie nicht, das brauchten wir nicht! Ich komme gleich noch auf die Dinge zurück. Wir müssen dieses Gesetz machen, Herr Arndt! Sie wissen genau wie wir, daß in dem Memorandum der Hohen Kommissare verlangt wird, wir sollten die Maßnahmen angeben, die wir treffen wollen, damit wir dem Ansturm nicht erliegen. Wir möchten diese Dinge durch ein deutsches Gesetz erledigen, wir wollen die Entscheidung über diese Fragen nicht in die Hand der Hohen Kommissare legen. ({5}) - Herr Renner, Sie sollten den Petersberg außer acht lassen, Sie sollten vielmehr an Stalin und den Osten denken! Wenn die Dinge im Osten nicht so wären, wie sie sind, wären wir in dem ganzen Konflikt nicht drin und brauchten das Gesetz nicht zu machen! ({6}) Nun sagt die SPD in ihrem Antrag: der Aufnahmeantrag soll nur abgelehnt werden, wenn es sich um Fälle handelt, in denen ein Tatbestand vorliegt, der auch hier im Westen unter Strafe gestellt würde. Meine Herren und Damen, wir kennen aus vergangenen Zeiten die Gesetzgebung eines autoritären Staates und auch die Möglichkeiten, die da gegeben sind, viel zu sehr, als daß uns eine solche Formulierung einleuchten würde. Wir müssen festhalten, daß eine wirkliche Gefährdung vorliegen muß. Wenn wir uns die Zahlen von Gießen und Uelzen ansehen, machen wir folgende interessante Feststellung: Fast 13 000 Aufnahmegesuchen im September stehen noch nicht 5000 im Januar gegenüber, mit anderen Worten: die Zahl der Aufnahmegesuche ist um über ein Drittel zurückgegangen. Warum? Weil inzwischen die Uelzener Beschlüsse vorlagen, aus denen man wußte, daß man nicht herüberkommen konnte, ohne wirklich zwingende Gründe nachzuweisen, und weil man vor allen Dingen wußte, daß die Witterung schlechter sein würde und infolgedessen auch die Anstrengungen bei einer Reise nach dem Westen größer sein würden. Meine Damen und Herren! Diese Tatsache des Rückganges in den winterlichen, ungünstigen Monaten zeigt, daß nicht überall die Notwendigkeiten vorliegen, von denen Frau Korspeter so eindringlich gesprochen hat. Ich möchte weiter sagen: wir wollen - die Zahlen beweisen, daß es notwendig ist - alle Abenteurer fernhalten. Frau Korspeter, Sie sagen, die sind nicht da. Sie sind da, denn gerade die Verhältnisse im Osten verlocken die Menschen, irgendwie den Versuch zu machen, neu Fuß zu fassen. Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen, daß die Zeiten, in denen man wie Kulpe im Stil von Hermann Hesse über die Landstraßen wanderte, restlos vorbei sind. Die Menschen kommen in Not hinein und haben sehr oft nicht die charakterlichen. Voraussetzungen, dieser Not standzuhalten, Des weiteren, meine Herren und Damen, legen wir absolut keinen Wert darauf - Sie kennen die Geschichte dieses Trupps, der nach Bonn unterwegs war -, in den Westen Sendboten einer neuen Wirtschafts- und Sozialordnung in größerer Zahl hineinzubekommen. ({7}) denen drüben gewisse Aufträge geworden sind und die hoffen, aus Zusammenbruch und Chaos hier im Westen ihre Früchte ziehen zu können. Das wollen wir nicht. Wir wollen hier unseren Westen mit aller Mühe und alle: Arbeit aufbauen können und uns nicht durch destruktive Elemente mit besonderer Zielsetzung in dieser Aufbauarbeit stören lassen. ({8}) Meine Damen und Herren, was uns auch bei einer Eindämmung des Stromes bleibt, ist die große Zahl der Illegalen. Frau Korspeter, diesen Rest sehen wir unbedingt. Es kommt uns nur darauf an, den Zustrom dieser Illegalen einzudämmen. Sie wissen genau - das ist im Ausschuß oft und klar genug besprochen worden -, daß wir die Menschen nicht durch Polizeibüttel üben die Grenzen zurücktreiben lassen wollen, sondern wir wollen den Menschen die Hoffnung verringern, daß sie hier im Westen ohne weiteres ein leichtes Leben finden können. Zahlenmäßig, Frau Korspeter, beweist die Entwicklung der Lage in Uelzen Tatsachen, die Sie nicht abstreiten können. Wir wissen genau; daß wir vorläufig die Zahl der Illegalen gar nicht feststellen können. Das Statistische Amt des Vereinigten Wirtschaftsgebiets gibt als geschätzte Zahlen 200 000 bis 700 000 an; wahrscheinlich wird die richtige Zahl bei 400 000 liegen. Was mir als Frau neben den Nichterfaßten viel Sorge macht, ist die Riesenzahl der Jugendlichen. Ich freue mich, daß gerade in der vorigen Woche der Jugendwohlfahrtsausschuß zur Behebung der Not dieser heimatlosen Jugendlichen so energische Maßnahmen verlangt hat. Da liegt tatsächlich. ein menschliches und ein politisches Problem vor, dem wir so schnell wie möglich auf den Hals rücken müssen. Die Behebung der Not der illegalen Jugendlichen ist Bundessache. Es geht auf die Dauer nicht, daß wir mit dem einzigen Lager Poggenhagen versuchen, dieser Not herr zu werden. Wir müssen weitere Auffang({9}) lager haben, in denen diese Jugendlichen zunächst einmal gesammelt und von wo auch sie dann in geordnete Verhältnisse und an ordentliche Arbeitsplätze gebracht werden müssen. Meine Herren und Damen! Wir wissen genau, daß in dieser Frage bei der ungeheuren Not eine befriedigende Lösung nicht gefunden werden kann. Wir streiten der SPD die Ehrlichkeit ihrer Überzeugung, daß es nur durch dieses fast unbegrenzte Öffnen der Grenzen möglich ist, der Frage Herr zu werden, nicht ab. Wir sind aber nach reiflicher Überlegung zu der Überzeugung gekommen, daß es nur andersherum geht, nur dadurch, daß man die Aufnahme erschwert. Frau Korspeter, ich bin mit Ihnen absolut einig: Deutschland muß die Heimat aller Deutschen bleiben, aber nicht die westdeutsche Bundesrepublik, sondern das gesamte Deutschland. Das sollten wir auch in dieser Stunde nicht vergessen! ({10})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krause.

Paul Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001204, Fraktion: Deutsche Zentrumspartei (Z)

Meine Damen und Herren! Zunächst einmal ist es zu begrüßen, daß endlich der Punkt 1 der uns allen ja bekannten „Uelzener Beschlüsse" vom 11. Juli 1949 bundeseinheitlich geregelt wird, wie das schon von den Flüchtlingsverwaltungen der Länder des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, damals also der britischen und der amerikanischen Zone, gewünscht worden ist. Zweitens darf man feststellen, daß bereits in der - ich glaube - 50. Sitzung des Bundestages von dieser Stelle aus von mir erklärt worden ist, daß die politische Entscheidung über die uns nun schon seit Monaten beschäftigende Notaufnahmeverordnung durch den fast einstimmig gefaßten Beschluß des Bundestages leicht gemacht worden ist, der die Bundesregierung damals beauftragt hat, gegen die von der Hohen Kommission verhängte Aufnahmesperre für die aus dem zur Zeit polnisch verwalteten Gebiet jenseits der Oder und der Lausitzer Neiße, aus der Tschechoslowakei und aus Polen ausgewiesenen Deutschen zu protestieren. Wenn wir uns nun die heutige Vorlage ansehen, so darf man zunächst einmal sagen, daß der Bundestag heute ganz ohne Frage vor der vielleicht schwierigsten Entscheidung steht, die wir auf diesem Gebiet bisher zu fällen gehabt haben. Es ist mir klar, daß die Frage der Aufnahme von Deutschen aus der russischen Zone und die Frage, unter welchen Bedingungen, wahrscheinlich in allen Fraktionen sehr eingehend behandelt worden sind. Wir von der Zentrumsfraktion können nur wünschen, daß man den Absatz 2 des § 1 des vorliegenden Gesetzentwurfes großzügig anwendet, das heißt großzügig darüber entscheidet, was als „zwingender Grund" im Sinne des § 1 Absatz 2 anzusehen ist. Wir wünschen also, daß der Begriff einer „drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit", aber auch der Begriff „aus sonstigen zwingenden Gründen" möglichst großzügig ausgelegt wird. Die Mitglieder der Aufnahmeausschüsse im Sinne des § 2 des Gesetzentwurfs sollten erst als Menschen und erst dann als Beamte bzw. Beauftragte der Bundesregierung handeln! Wer einmal Gelegenheit gehabt hat, sich den Betrieb in den Aufnahmelagern Uelzen und Gießen anzusehen, der wird wohl mit mir der Auffassung sein, daß das, was sich in Uelzen und Gießen tut, eine der größten menschlichen Tragödien der Nachkriegszeit ist. Dasselbe, was wir von dem § 2 und seiner Anwendung auf die Beauftragten der Bundesregierung gesagt haben, gilt selbstverständlich auch für die eventuell notwendige Rückführung, von der im Absatz 2 des § 2 a die Rede ist. Bei dem ganzen Gesetzentwurf geht es ja, wie von meinen verehrten beiden Vorrednerinnen schon ausgeführt worden ist, letztlich darum, wie der Absatz 2 des § 1 des Initiativantrags der SPD in der Praxis zu verstehen ist und was aus den Beschlüssen des 8. Ausschusses des Bundestages nun herauskommen soll. Es läßt sich nicht leugnen, daß diese Tatsache dem ganzen Gesetzentwurf auf dem Gebiet der Innenpolitik eine ungeheuer verantwortungsschwere Bedeutung gibt. Wenn man bedenkt, daß durch das evtl. fast ungehinderte Einströmenlassen von Millionen und aber Millionen aus der russischen Zone hier in den Westzonen die Wohnungsnot, die Arbeitslosigkeit und überhaupt die ganze soziale Lage immer noch mehr verschärft werden, so weiß man wirklich nicht recht, welche Entscheidung man in diesen Dingen vor Gott, dem Volk und seinem Gewissen treffen soll. Ich befürchte, daß bei Annahme des Initiativantrags, der ja heute von der SPD, wie wir eben hörten, wiederholt worden ist, eine neue Übervölkerung insbesondere der mit Heimatvertriebenen reichlichst belegten Länder Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern erfolgen könnte. Auch ich bin der Meinung, daß, wie die Frau Kollegin Dr. Brökelschen eben gesagt hat, die SPD bei der Einbringung ihres Antrages zweifelsohne von ehrlichstem Willen ausgegangen ist. Ich glaube aber, daß die Fassung, die der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen jetzt gefunden hat - indem er den Regierungsentwurf mit dem Antrag der SPD und umgekehrt gekoppelt hat -, den Dingen nach Lage der gegenwärtigen innenpolitischen Situation doch weitestgehend Rechnung trägt, nämlich daß eben die besondere Erlaubnis für den ständigen Aufenthalt im Bundesgebiet nur solchen Personen erteilt werden soll, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die in Absatz 1 des § 1 genannten Gebiete verlassen mußten. Aus allen diesen Gründen wird meine Fraktion diesmal im Sinne des Ausschußantrags stimmen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kohl.

Rudolf Kohl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001166, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Damen und Herren! Ich will mich auf wenige Bemerkungen zu dem, was hier bereits in der Diskussion in Erscheinung getreten ist, beschränken. Der Entwurf des Ausschusses und der Entwurf der Regierung werden von meiner Fraktion abgelehnt. Ich glaube, es ist aber trotzdem notwendig, daß wir uns auf einige amtliche Zahlen stützen, amtliche Zahlen, die beispielsweise sehr deutlich zum Ausdruck bringen, wie die wirkliche Situation ist. Ich berufe mich dabei auf den Flüchtlingsminister Albertz und den südwürttembergischen Staatspräsidenten Müller. die sehr eindeutig erklärt haben, daß unter den Grenzgängern, die in die Westzonen einfließen, eine außerordent({0}) lich hohe Zahl von Kriminellen ist. Mir wurde in den letzten Tagen eine Ziffer aus Hamburg bekannt - und das ist eine amtliche Ziffer -, nach welcher diejenigen, die aus der Demokratischen Republik nach dem Westen eingeflossen sind, zu 80 Prozent aus kriminellen Elementen bestehen. Ich bin auch hier der Meinung, daß man endlich einmal mit diesen Dingen in der politischen Propaganda Schluß machen sollte. Aber man wird die Geister, die man gerufen hat, einfach nicht mehr los. Wenn das Gesetz zur Annahme gelangte - auch wenn das abgeänderte Gesetz des Ausschusses angenommen werden sollte -, würde dies nach meiner Auffassung eine Ermunterung bedeuten. Ich berufe mich dabei auf den § 2, der davon spricht, daß diese besondere Erlaubnis nur Personen erteilt werden darf, die wegen einer drohenden Gefahr für Leib und Leben, für die persönliche Freiheit oder aus sonstigen zwingenden Gründen die in Absatz 1 genannten Gebiete verlassen müssen. Ich möchte diesen Absatz mit der Formulierung des Antrags der sozialdemokratischen Fraktion in Zusammenhang bringen, der davon spricht: Die Erlaubnis darf jemandem nur versagt werden, der wegen einer Tat verfolgt wird, die auch dann mit Strafe bederoht ist, wenn sie im Geltungsbereich des Grundgesetzes begangen sein würde. Wir wollen einmal ganz vernünftig und objektiv feststellen, daß dann in Westdeutschland eine ganze Reihe von Strafverfolgungen durchgeführt werden müßte, allein schon - sagen wir einmal - bei der Art der Propaganda gegen die Staatsoberhäupter. Es ist klar, daß der von der Sozialdemokratischen Partei vorgelegte Gesetzentwurf speziell in diesem Fall zu der Konsequenz führen würde, daß für die nach Westdeutschland Einströmenden, die sich auf den Paragraphen berufen, eine Gefahr für ihr Leben auch darin zu erblicken sein könnte, daß sie sich einer sehr ernsten Beleidigung des Staatspräsidenten der Demokratischen Republik, Pieck, schuldig gemacht haben. ({1}) Wir wollen uns darüber im klaren sein, da ß die Art und die Methode ihrer Propaganda in diesen Fällen nicht gerade als wählerisch zu bezeichnen ist; und das soll man offen feststellen. Auf der anderen Seite verwahre ich mich aber dagegen, daß nun all die Elemente, denen drüben der Boden zu heiß geworden ist, hier im Westen einen außerordentlich günstigen Unterschlupf finden, Menschen, die einfach den Geist einer neuen fortschrittlichen Zeit nicht begreifen wollen und auch nie begreifen werden. ({2}) Ich werde von den Kollegen der rechten Seite niemals erwarten können, daß sie, da sie nun einmal einer versinkenden Welt angehören, ({3}) den Geist einer neuen Welt begreifen. ({4}) Nun, meine Damen und Herren. Sie haben sich seit 1945 mit einigen entscheidenden geographischen Veränderungen in der Welt abfinden müssen. und Sie werden sich auch in Zukunft mit einigen Änderungen, die kommen werden, abfinden, ob Sie wollen oder nicht. ({5}) Ich halte es für außerordentlich leichtfertig. durch die Verabschiedung eines solchen Gesetzes oder durch die Annahme des Antrags der Sozialdemokratischen Partei den Menschen in der Demokratischen Republik Bilder über die Zustände in Westdeutschland vorzugaukeln, die den tatsächlichen Verhältnissen in Westdeutschland in keiner Weise entsprechen. Es wäre viel zweckmäßiger, die hier in Westdeutschland gegebene Tatsache der 2 Millionen Erwerbslosen in den Vordergrund zu stellen, um zu zeigen, daß die Krise der kapitalistischen Wirtschaft in Westdeutschland mit einer großen, permanent steigenden Arbeitslosenzahl verbunden ist. Ich teile auf der anderen Seite nicht die Befürchtungen - die nach meiner Auffassung sehr naiv sind -, daß sich durch die Annahme eines solchen Gesetzes die Möglichkeit ergibt, daß hier sogenannte Agenten einfließen, die destruktive Politik gegenüber der Politik treiben, wie sie in Westdeutschland durchgeführt wird. Auf diesem Gebiet ist wirklich sehr viel gelogen worden. Gelogen wurde beispielsweise erst in den letzten Wochen, als es sich um die Frage der Demontage in Watenstedt-Salzgitter handelte. Auch da ist aus sogenannten offiziellen Regierungskreisen festgestellt worden, daß 250 Agenten - woher man die genaue Zahl wußte, ist bisher nicht begründet worden - aus der Sowjetzone ihr Unwesen in Watenstedt-Salzgitter getrieben und dort die Bevölkerung aufgeputscht hätten. Den endgültigen, schlüssigen Beweis dafür ist man der Öffentlichkeit allerdings bis heute schuldig geblieben. Es genügt, solche Dinge in die Debatte zu werfen, um Stimmung gegen die Demokratische Republik zu erzeugen, weil es einfach in ihrer politischen Konzeption verankert ist. Wir haben keine Bedenken und werden jederzeit bereit sein, zuzustimmen, daß hei der Wiedervereinigung von Familien Leute von drüben aus der Demokratischen Republik nach Westdeutschland einfließen können. Aber wir lehnen die Propaganda, die nun mit diesen Dingen in Westdeutschland in Permanenz getrieben wird, auf das entschiedenste ab. Wir lehnen auch den Vorschlag der Regierung und den sozialdemokratischen Antrag ab. ({6})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Abstimmung; zunächst über den Abänderungsantrag der sozial demokratischen Fraktion zu § 1. Es ist der Antrag gestellt, den Absatz 2 von § 1 der Vorlage Drucksache Nr. 685 zu streichen. Wer für die Streichung dieses Absatz 2 ist. den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Das letztere ist ohne Zweifel die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Weiter ist der Antrag gestellt, dem Absatz 3 einen anderen Wortlaut zu geben. Es ist der Wortlaut des ursprünglichen Antrags der SPD; ich brauche ihn nicht zu verlesen. Wer dafür ist, daß der Antrag des Ausschusses in der beantragten Weise abgeändert wird, den bitte ich. die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Das letztere ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt. Ich lasse nunmehr über § 1 in der Fassung des Ausschusses abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Der § 1 ist mit Mehrheit angenommen. Zu § 2 liegt kein Abänderungsantrag vor. Ich lasse abstimmen. Wer für § 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. Der § 2 ist angenommen. ({0}) Zu § 2a liegt seitens der SPD-Fraktion der Abänderungsantrag vor, den Absatz 2 zu streichen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Der Antrag ist abgelehnt. Ich lasse über den § 2a in der Fassung des Ausschusses abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Die Annehmenden waren die Mehrheit. Der § 2a ist angenommen. Nunmehr rufe ich § 3 auf. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer für § 3 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Der § 3 ist angenommen. Ich rufe § 4 auf. - Das Wort hat der Herr Abgeordnete Krause.

Paul Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001204, Fraktion: Deutsche Zentrumspartei (Z)

Wir möchten an die Bundesregierung zunächst die Bitte richten, die Rechtsverordnung, die wir soeben in § 3 beschlossen haben, schon wegen der Zusammensetzung der Ausschüsse und wegen des Verfahrens so bald wie möglich ergehen zu lassen. Zu § 4 bedauert die Zentrumsfraktion, daß in der Ausschußfassung nicht die wirtschaftlichen und konfessionellen Verhältnisse des Aufnahmelandes berücksichtigt sind. ({0}) Nein!

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Nein, in Satz 2 sind die wirtschaftlichen Verhältnisse erwähnt.

Paul Krause (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001204, Fraktion: Deutsche Zentrumspartei (Z)

Schön, dann sind aber nur die wirtschaftlichen Verhältnisse mit berücksichtigt, die konfessionellen Verhältnisse indessen sind doch nicht berücksichtigt! Es hat sich aus der Erfahrung ergeben, daß es wirklich keinen Zweck hat, Personen aus dem überwiegend evangelischen Niederschlesien nach Bayern oder Personen aus dem katholischen Oberschlesien nach Schleswig-Holstein zu verpflanzen. ({0}) Wir halten es bei dieser Frage nun mal für erforderlich, daß all den Dingen bei der praktischen Anwendung des Gesetzes Rechnung getragen wird. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Keine weiteren Wortmeldungen? - Wir kommen zur Abstimmung. Wer für § 4 in der Fassung des Ausschusses ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Er ist angenommen. § 4a. Keine Wortmeldungen. Ich lasse abstimmen. Wer für 5 4a in der Fassung des Ausschusses ist. den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Er ist angenommen. 5. Wer dafür ist. den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Er ist angenommen. § 6 entfällt. Ich rufe § 7 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Angenommen. Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Es ist angenommen. Damit ist die zweite Beratung abgeschlossen. Ich eröffne die dritte Beratung. Zunächst die allgemeine Aussprache. Eine Wortmeldung aus dem Hause liegt nicht vor. Dann erteile ich dem Herrn Minister Dr. Lukaschek das Wort.

Hans Lukaschek (Minister:in)

Politiker ID: 11005299

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich über das Gesetz im allgemeinen einige Ausführungen machen; denn durch die Länge der Zeit und das außerordentliche Hin und Her zwischen Bundesrat und den Ausschüssen und schließlich der Einbringung des Gesetzes ist so viel Zeit vergangen, daß man, glaube ich, es heute für richtig hält, einmal den Entwicklungsgang aufzuzeigen. Ich war erst wenige Tage im Amt, als im Bundesrat der Antrag - und zwar der hauptbelasteten Länder Schleswig-Holstein und Niedersachsen - einging, wonach der Bundesregierung zur Pflicht gemacht werden sollte, sofort eine solche Rechtsverordnung einzubringen, die den Zugang der Ostzonenflüchtlinge regeln und insbesondere ein Weisungsrecht für den Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen einbauen sollte. Nach diesem Antrag sollten die in die ohnehin überbelasteten Länder kommenden Flüchtlinge sofort in die minderbelasteten Länder eingewiesen werden. Ich habe damals - ich erzähle das heute nur, um einmal psychologisch die ganze Lage voll verständlich zu machen - dringend gebeten, von einer solchen Rechtsverordnung Abstand zu nehmen, weil ich übersah, daß wir damit an derart schwere Entscheidungsfragen von politischer Bedeutung herankommen müßten, die uns vor sehr harte Entscheidungen stellen würden. Ich habe vielmehr gebeten, daß doch die Länder, die die Uelzener Beschlüsse - in Uelzen sind nämlich die Vereinbarungen zwischen den Ländern getroffen worden - gefaßt haben, sich weiter einigen sollten, mir die Vollmacht zu geben, mit all den möglichen Verwaltungsmaßnahmen den Zustrom der Ostflüchtlinge irgendwie zu hemmen und zu regeln. Ich hätte mir davon das gleiche versprochen wie von einer Reichsverordnung. Der Bundesrat bestand auf der Vorlegung der Verordnung, und nun ist durch die ganzen Monate hindurch der Streit um diese Verordnung gegangen. Auch im Rechtsausschuß des Bundesrats hat man eine Einigung über die grundsätzliche Frage nicht finden können: Verstößt eine solche Rechtsverordnung gegen die Bundesverfassung, weil der § 12 - nämlich die Frage der Freizügigkeit - nicht durch Rechtsverordnung geregelt werden könne, sondern nur durch Gesetz? Das ist überhaupt der Grund, weshalb nun das Gesetz eingebracht worden ist. Dieses Gesetz ist nun in der Fassung der SPD dem Bundestag vorgelegt worden. Diese Fassung enthält die Vorschrift, daß nur abgewiesen werden kann, wer die Ostzone wegen Bedrohung von Leib und Leben verlassen muß. Diese Fassung ist meiner Meinung nach zu eng, denn sie enthält implizite die Erklärung: wir nehmen jeden auf; dazu liegt aber keine Veranlassung vor, sondern die Deutsche Bundesrepublik hat alle Veranlassung, zu regeln und den Strom hier herein aufzuhalten. Sie wissen, wie die Zustände bei uns sind: 71/2 Millionen Vertriebene - echte Heimatvertriebene oder, wie wir sagen, A-Flüchtlinge - und heute schon rund 1,4 bis 1,7 Millionen - die Zahlen schwanken - Ostflüchtlinge. Die Deutsche Bundesrepublik, insbesondere ich, stehen auf dem Standpunkt, daß jeder, der in der Ostzone oder auch sonstwie nicht mehr leben kann, von uns aufgenommen werden muß, denn wir sind Deutsche. Wenn gerade heute dieses Gesetz zu dem Zeitpunkt zur Verhandlung kommt, in dem die Frage der Aufnahme der Deutschen aus Polen und der Tschechoslowakei - sei es, daß sie hier Zuzugsgenehmigung haben, sei es, daß sie von Polen oder der Tschechoslowakei ausgewiesen sind -akut ist, so müssen wir uns hier über den Unterschied klar sein, der zwischen beiden Arten von Flüchtlingen besteht. Wer heute aus Polen oder der Tschechoslowakei als Deutscher an unsere Grenze kommt und aufgenommen werden will, der ist offensichtlich und klar unter einem Zwang; denn er ist ausgewiesen. Darüber, daß wir diesen Leuten gegenüber den Standpunkt vertreten, aus Gründen der Menschlichkeit müssen wir unsere Pforten öffnen, brauchen wir nichts zu sagen. Hier handelt es sich darum, bei dem Zustrom aus der Ostzone regulierend einzugreifen. Die Bedeutung dieses Gesetzes oder der Verordnung liegt auf psychologischem Gebiet, nämlich in der herzlichen Bitte an unsere Deutschen in der Ostzone: Bitte, kommt nicht ohne dringende Not hierher, denn ihr schadet euch am allermeisten. Ihr schadet euch, weil unsere wirtschaftlichen Verhältnisse wirklich nicht so mit dem Schlagwort „Goldener Westen" gekennzeichnet werden können, und ihr schadet euch, weil ihr drüben das Deutschtum im Stiche laßt. ({0}) - Daß wir alle, die drüben strafrechtlich verfolgt werden, zurückweisen, Herr Renner, ist eine Selbstverständlichkeit. Nur sind unsere Ansichten darüber, ob eine Strafverfolgung berechtigt oder nicht berechtigt ist, - ({1}) Verzeihen Sie gütigst. mein Umzug hierher bestand aus 23 Postpaketen. Denn ich hatte damals noch keinen Koffer, und ich habe nicht ein einziges Stück Möbel besessen, als ich aus der Ostzone nach hier herüberkommen mußte, weil mir die wirtschaftliche Grundlage entzogen war. ({2}) - Ich habe keine Pension gehabt, denn die gab es nicht., und es gibt ja auch heute noch keine Pensionen hier, wenn man nach einem bestimmten Stichtag herüberkommt. - Ich wiederhole: mit 23 Postpaketen - zu 8 Kilogramm, waren es damals, glaube ich - habe ich hier mein „glänzendes" Leben begonnen. Aber das nur nebenbei. Die Informationen, die hierüber erteilt worden sind, sind funditus falsch gewesen; ich habe mich nicht dagegen gewehrt, weil es keinen Sinn hat, über solche Dinge zu sprechen. ({3}) Aber um nun in der grundsätzlichen Debatte fortzufahren: Wir können nicht ohne weiteres jeden, der glaubt, hier seine Pension zu bekommen, der glaubt, hier besser leben zu können, aufnehmen, ohne wenigstens ein Sieb vorzuschalten. Dieser § 1 Absatz 3 des durch den Ausschuß abgeänderten Gesetzes sagt das ja mit deutlichen Worten, und ich möchte ganz besonderen Nachdruck auf den Absatz 3 legen, in dem es heißt: „... oder aus sonstigen zwingenden Gründen". Wir können Härtefälle nicht einfach schematisch zurückweisen. Es gibt Fälle der Familienzusammenführung; es gibt Fälle, wo jemand aus wirtschaftlichen Gründen drüben nicht mehr leben kann; diese wollen wir mit Güte und menschlich entscheiden, können die Dinge aber nicht ungeregelt lassen. Das wollte ich sagen und gleichzeitig die Erklärung abgeben, daß ich meinen ganzen Einfluß dahin geltend machen werde, daß nicht mit bürokratischer Härte, sondern mit Menschlichkeit entschieden wird, daß aber gleichzeitig der denkbar größte Wert auf eine Beratung dahin gelegt wird, daß die Leute nicht wild hierherkommen. Denn sonst laufen alle alten Beamten von drüben weg, insbesondere wenn wir in den nächsten Wochen zur Pensionsregelung kommen. Das sind verständliche Dinge, und mir persönlich - dessen können Sie versichert sein - hat diese Notverordnung mehr Qual als vielleicht jedem anderen bereitet. Deshalb habe ich mich auch persönlich und nicht nur sachlich so dagegen gewehrt. Aber heute müssen wir, nachdem die Dinge als Gesetz zur Erörterung gestellt sind, auch den Mut zu einer Entscheidung haben. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Priebe.

Moritz Ernst Priebe (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001750, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir als Vertreter des Landkreises, der wohl am allerstärksten von allen Landkreisen durch den Zustrom der Grenzgänger belastet ist und auch in Zukunft belastet werden wird, zu dieser Frage, die wir hier angeschnitten haben, Stellung zu nehmen. Der Landkreis Uelzen, dessen Bevölkerung auf mehr als das Doppelte durch den Zustrom der Flüchtlinge angewachsen ist, ({0}) der Landkreis Uelzen, dessen Wohlfahrtslasten einen geradezu ungeheuren Umfang angenommen haben, dessen finanzielle Lage trostlos genannt werden kann, der Landkreis Uelzen, dessen Mehrheit im Kreistag von der Deutschen Partei, den Freien Demokraten und der Christlich-Demokratischen Union gestellt wird, dieser Landkreis Uelzen, der besser als kaum ein anderer die Lage der Illegalen kennt, ist einmütig der Ansicht, daß wir nicht das Recht haben, denjenigen unsere Hilfe zu versagen, die im westdeutschen Bundesgebiet Zuflucht suchen. Wenn ich zu Beginn des vergangenen Winters für nötig gehalten habe, einen Aufruf zu veröffentlichen und um Hilfe für die sogenannten Höhlenbewohner zu bitten - und an dieser Stelle möchte ich all den Freunden im In- und Auslande meinen Dank sagen, die wesentlich dazu beigetragen haben, den Notleidenden zu helfen und wenn wir uns darüber klar sind, daß sehr viele es nicht verdienen, unterstützt zu werden, so wissen wir doch, daß keine Stelle, keine Länderkommission in der Lage ist, gerecht zu beurteilen, wer aufgenommen werden dürfte und wer zurückgewiesen werden müßte; und wir glauben, daß wir nicht das Recht haben, als Deutsche Deutsche abzuweisen, solange wir vom Auslande für uns Hilfe verlangen. Wenn wir hier die Hilfe des Auslandes in Anspruch nehmen wollen dann sollten wir uns auch verpflichtet fühlen, dem deutschen Bruder und der deutschen Schwester beizustehen. Wir glauben weiter, daß wir nicht das Recht haben, hier von Menschlichkeit zu sprechen, daß wir nicht das Recht haben, von Freiheit zu sprechen, ({1}) wenn wir die Deutschen, die in der Sowjetzone wohnen, als Menschen zweiter Klasse betrachten. ({2}) - Wir tun es in dem Augenblick, in dem wir diejenigen, die in dieser Volksvertretung auch ihre Vertretung sehen, zurückweisen, ({3}) und ich möchte Sie gerade, meine Herren von der Christlich-Demokratischen Union, fragen, wie Sie als Christen glauben, - ({4}) Das glaube ich beurteilen zu können, weil ich noch nie ein Hehl daraus gemacht habe, daß ich mich ebenfalls als Christ betrachte. ({5}) - Aber bleiben wir nüchtern! ({6}) In der Zeit von August 1949 bis Februar 1950 hat die Aufnahmekommission. im Lager Uelzen etwa 50 000 Aufnahmeanträge vorliegen gehabt; etwa 25 000 Aufnahmesuchende sind zurückgewiesen worden. Diese 25 000 Aufnahmesuchenden haben sich zum allerkleinsten Teile in die Ostzone zurückbegeben. Die meisten sind im Landkreis Uelzen geblieben und haben sich von dort aus in die übrigen Kreise Niedersachsens und in die der anderen Länder begeben. Trotz der Abweisung ist Niedersachsen, ist das westdeutsche Bundesgebiet auch weiterhin mit diesen Leuten belastet geblieben, und ich bin überzeugt, daß sich kein deutscher Polizist finden wird, der einen deutschen Menschen, welcher nichts verbrochen hat, tatsächlich zwangsweise über die Grenze zurücktransportieren wird. ({7})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Euler.

August Martin Euler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000500, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dieses Gesetz ist Ausdruck der tragischen deutschen Situation. Wir wünschten uns alle, allein von der Erwägung eines solchen Gesetzes freigestellt zu sein. Wir bedauern, daß wir genötigt sind, ein solches Gesetz überhaupt in Erwägung ziehen zu müssen. ({0}) Wir sollten uns aber nicht der Erkenntnis verschließen, daß es sich nicht nur um menschliche Probleme, sondern um die Meisterung einer politischen Aufgabe handelt, von deren Lösung die weitere Entwicklung der deutschen Bundesrepublik und damit die Aussicht für unsere deutschen Menschen in der Ostzone abhängt, jemals wieder von der Tyrannei des sowjetischen Systems freizuwerden. ({1}) Das ist der entscheidende Gesichtspunkt: Wenn wir keinerlei Schutzmaßnahmen gegen diejenigen treffen, die aus leichtsinnigen Erwägungen hierherkommen, weil sie glauben, hier ein viel besseres Fortkommen zu haben als drüben in der Ostzone - eine Annahme, die allzu leicht durch die viel schlechteren Lebensverhältnisse in der sowjetischen Zone hervorgerufen wird -, wenn wir keine Vorsorge dagegen treffen, dann schwillt eben der Zustrom aus der Ostzone derart an, daß hier ein Verelendungsheer entsteht, gegen das es gar keine Möglichkeiten der Sicherung und Abhilfe gibt. ({2}) Damit wird jenen Kräften des Ostens, die nichts so sehr wünschen wie eine Unterminierung der Bundesrepublik, die allerbeste Hilfe geleistet. Wir müssen uns gegen diejenigen abriegeln, die nicht deshalb hierherkommen, weil sie etwa aus politischen Gründen dazu genötigt wären, sondern weil sie sich leichtfertigen Erwartungen hingeben, damit wir die große Aufgabe, Deutschland der Einheit in Freiheit zuzuführen, erfüllen können. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Farke.

Ernst August Farke (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000518, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir befinden uns in einem Rettungsboot. Das Boot ist überfüllt, und je mehr hereinkommen, desto mehr besteht die Gefahr, daß es umschlägt und alles versinkt. ({0}) Wenn der Kollege Priebe hier gesagt hat, daß sich der Kreis Uelzen in einer besonderen Notlage befindet, so kann ich das bestätigen; denn alle, die abgewiesen werden müssen, bleiben in diesem Kreis, und ich weiß, daß der Kreis im letzten Jahre 700 000 DM aufbringen mußte, um diesen abgewiesenen Menschen zu helfen. Ich weiß, daß in den letzten 5 Monaten etwa 27 000 abgewiesen worden sind. Ein großer Teil davon - das steht fest - ist in die Ostzone zurückgegangen; ein anderer Teil ist es nicht. Wenn aber nun der Kollege Priebe meint, daß wir letzt alle aufnehmen sollten, dann wird für den Kreis Uelzen geradezu eine Katastrophe eintreten; denn dann wird es nicht bei 700 000 DM bleiben, die in einem Jahre dort extra aufgebracht werden müssen, sondern es wird sich um Millionen handeln. Wir sind uns darüber klar, daß ein Sieb eingeschaltet werden muß, und wer wie ich in den Lagern gewesen ist und sich dort die Prüfung angesehen hat, der muß schon sagen, daß nicht alle Fälle ohne weiteres als einwandfrei zu bezeichnen sind. Diese Prüfung soll ja auch nur alle diejenigen abhalten, die ihren Platz dort drüben leichtsinnig verlassen. Wir haben nur zu überlegen, wie wir dem Kreis Uelzen helfen können, der bei aller Hilfe trotzdem noch genug Last weiter zu tragen hat. Ich glaube, es wäre richtig, daß hier von der Bundesregierung eingegriffen würde, um mit einer Hilfeleistung den Kreis zu unterstützen. Er steht nämlich vor dem Zusammenbruch. Von der niedersächsischen Regierung hat er 250 000 DM ersetzt bekommen; aber es bleiben noch 450 000 DM, die einfach nicht aufzubringen sind. Hier ist einzugreifen. Es ist ferner zu überlegen. wie man die abgewiesenen Illegalen, die man bisher noch nicht erfassen konnte, nun vielleicht doch erfassen könnte. Wenn wir einfach den Zustrom noch schlimmer anwachsen lassen. bedeutet das für den Kreis Uelzen und schließlich für unsere Westrepublik buchstäblich den Untergang. Ich weiß nicht, ob Sie die Rede des Kommunisten Koenen kennen, die er drüben gehalten hat, in der ({1}) er sagte - ich sage es nur dem Sinne nach, kann Ihnen aber auch den genauen Wortlaut geben, denn ich habe ihn auf meinen Platz liegen -: Wir wollen Menschen hineinbringen, damit die wirtschaftlichen Schwierigkeiten größer werden, damit man im Westen nicht mehr damit fertig wird. Ich bin auch genau davon unterrichtet, daß beispielsweise ab 1. April - wenn das auch der kommunistische Redner ableugnete - 500 neu ausgebildete Funktionäre hier einsickern sollen, die in der Polizeischule Potsdam ausgebildet sind und unter allen möglichen Berufen getarnt auftreten sollen. ({2}) Wir kennen die Gefahr genau und wollen die Augen davor nicht verschließen. Wir wollen menschlich sein - und das können wir in dem Rahmen dieses Gesetzes -, aber bitte menschlich für alle, ({3}) gerecht und menschlich, und unser junges Staatswesen im Auge behalten, auf das alle Deutschen von drüben blicken, damit es überhaupt ein Staatswesen wird und nicht vorher zusammenbricht. Ich bitte das Hohe Haus, den Entwurf so anzunehmen, wie er vom Ausschuß vorgelegt worden ist.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Frau Abgeordnete Döhring.

Clara Döhring (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000395, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was mich veranlaßt, zu dem Gesetzentwurf und vor allen Dingen zu dem Antrag, den wir eingebracht haben, noch einmal Stellung zu nehmen, sind die Ausführungen des Herrn Flüchtlingsministers, die Ausführungen des Herrn Kohl sowie des Herrn Euler und des letzten Redners. Es wird hier davon gesprochen, daß zwischen den Flüchtlingen aus Polen und der Tschechei einerseits und den Flüchtlingen aus der Ostzone andererseits ein Unterschied besteht. Gewiß besteht ein Unterschied, aber nur ein ganz bedingter. Wollen Sie vielleicht den Deutschen aus der Ostzone erst dann den Zuzug genehmigen oder das Recht zugestehen, zu uns zu kommen, wenn sie schon in den Händen der Schergen sind? Das besagt doch der Gesetzentwurf, wenn Sie ihn so annehmen, wie von Ihnen vorgeschlagen. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang aus meinem Erleben etwas sagen. Es gibt in der Ostzone viele Menschen, die sich auf Grund ihrer Anschauungen, auf Grund dessen, daß sie das nicht mitmachen wollen, was die SED drüben macht, sehr gefährdet fühlen, Menschen, die meiner Partei nahestehen. Wenn Sie nun diesen Gesetzentwurf annehmen, wird es vielen dieser Menschen so gehen, wie es bereits einigen meiner Freunde gegangen ist, die auch gern im Westen Zuflucht gesucht hätten, es aber nicht getan haben und dann letzten Endes in die Hände der GPU fielen. Ich darf Ihnen hier von diesen Menschen erzählen. Ein Jahr waren sie verschollen. Vor kurzem haben die Angehörigen endlich Nachricht bekommen. Ich fühle mich verpflichtet, hier etwas vorzulesen, nachdem ich gemerkt habe, daß auch unsere Frauen Kolleginnen und Herren Kollegen von der CDU bei der Abstimmung für die Regierungsvorlage waren. Gestatten Sie mir, Herr Präsident, das hier vorzulesen: Am Donnerstag, dem 2. Februar, haben wir endlich von Hermann und Paul Nachricht bekommen. Als Absender war eine Feldpostnummer angegeben. Es war ein Gefühl, wie wenn man von den Bergen die Sonne sieht, wie wenn eine Nebelwand zerreißt. Aus dem Brief des verhafteten Sohnes darf ich einen Satz vorlesen. Er schreibt seiner Pflegemutter: Weißt Du, das Leben ist so schön, und um seine unendliche Höhe erreichen und begreifen zu können, mußten wir durch seine Tiefe wandern. Warum sage ich Ihnen das hier, verehrte Anwesende? Weil Sie bei Ihrer ganzen Debatte vergessen haben, an das Einzelschicksal zu denken. ({0}) - Jawohl, Sie haben es vergessen. Selbst wenn es zutreffen sollte, was hier gesagt wurde, daß 80 Prozent sogenannte Abenteurer darunter wären, se wenn das so wäre - ich bestreite das ganz entschieden -, dann wäre es um der 20 Prozent ehrlicher und aufrechter Menschen willen, die so denken wie Sie und wie wir. ({1}) notwendig, das Gesetz so abzufassen, wie es Ihnen von meiner Fraktion vorgelegt wurde. Das möchte ich Ihnen zu erwägen geben und Sie bitten, bevor Sie in der dritten Lesung abstimmen, an das Wort zu denken: Einer trage des andern Last! ({2})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir treten ein in die Einzelberatung der dritten Lesung. Ich rufe § 1 auf. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen. § 2. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen. § 2a. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen. § 3. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen. Zu § 4 liegt ein Abänderungsantrag der Zentrumsfraktion vor, der besagt: In § 4 der Ausschußfassung wird in Satz 2 hinter den Worten „auf die wirtschaftlichen" die Worte „und konfessionellen" eingefügt, so daß es nunmehr heißen würde: „Auf die wirtschaftlichen und konfessionellen Verhältnisse des Aufnahmelandes ist Rücksicht zu nehmen." ({0}) - Wollen Sie dazu sprechen? ({1}) Das Wort hat Frau Abgeordnete Dr. Brökelschen.

Dr. Else Brökelschen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000269, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Herren und Damen! Dieser Gesichtspunkt des Konfessionellen ist bei den Ausschußberatungen lange besprochen worden. Der Herr Minister für die Angelegenheiten der Vertriebenen hat uns vorhin gesagt, daß die Entscheidungen dieses Gesetzes nach menschlichen Gesichtspunkten gefällt werden müssen und gefällt werden sollen. Ich fasse diesen Punkt darunter. ({0}) Meine Herrén und Damen, was herüberkommt, sind im wesentlichen evangelische Flüchtlinge. Es wird sehr oft nicht möglich sein, den konfessionellen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen. Ich bin durchaus dafür, daß es geschieht im Rahmen des Möglichen. Aber ich habe persönlich Bedenken, ob es richtig ist, es im Gesetz festzulegen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Bundesminister für Angelegenheiten der Vertriebenen.

Hans Lukaschek (Minister:in)

Politiker ID: 11005299

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe leider vergessen, in meinen letzten Ausführungen über diese Frage zu sprechen. Es ist eingehend im Ausschuß darüber gesprochen worden, und der Ausschuß war sich darüber klar, daß die konfessionellen Gesichtspunkte bei der Verteilung berücksichtigt werden müssen, nicht einmal so sehr aus den konfessionellen Gesichtspunkten an sich, sondern weil man ja auch ungeheure Verwaltungsausgaben spart, wenn nämlich neben die eine Kirche nicht noch eine zweite gesetzt werden muß, Schulen und all die anderen Dinge! Man hat nur diese Fassung gewählt. ({0}) Ich persönlich bin für die konfessionellen Dinge, und ich persönlich bin dafür, daß es eingesetzt wird. Ich habe in der Beziehung ja hinsichtlich meiner Vergangenheit eigentlich keine Mohrenwäsche mehr zu treiben. Das weiß jeder. ({1}) Aber der Ausschuß sagte: wir wollen dieses heiße Eisen hier nicht noch besonders anfassen, wir sind uns darüber klar, daß das Weisungsrecht in diesem Sinne verwaltungsmäßig mit feiner Hand ausgeübt werden soll; wir könnten und sollten es daher streichen. Dem habe ich mich nach den Vorgängen nicht unnötig widersetzt. Das wollte ich nur dazu sagen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich lasse über den Abänderungsantrag der Zentrumsfraktion abstimmen. Wer für den Abänderungsantrag ist. den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das ist die Mehrheit: der Abänderungsantrag ist abgelehnt. Ich lasse über 4 in der alten Fassung abstimmen. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen! § 4a. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen! § 5. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen! § 6 entfällt. § 7. Wer dafür ist. den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Angenommen! Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Angenommen! Ich lasse nunmehr über das Ganze abstimmen. Wer für die Annahme des Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet in der nunmehr beschlossenen Fassung ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegengrobe! - Das erste war die Mehrheit. Damit ist das Gesetz beschlossen. Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf: Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Versorgung der Familienangehörigen von Kriegsgefangenen und Internierten ({0}). Berichterstatter ist der Abgeordnete Langer. Ich erteile Herrn Abgeordneten Langer als Berichterstatter das Wort. Langer ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident, meine Damen und Herren! Namens des 26. Ausschusses für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen habe ich die Ehre, Ihnen Drucksache Nr. 766 betreffend Gesetzentwurf über die Versorgung der Hinterbliebenen der Kriegsgefangenen vorzulegen. Ausgangspunkt der Arbeit des Ausschusses waren die beiden Drucksachen: Nr. 424, die an die Regierung das Ersuchen stellt, ein Gesetz vorzulegen, und Nr. 522 der SPD, die einen Gesetzentwurf enthält. Der Ausschuß war sich bereits eingangs seiner Beratungen . darüber klar, daß die Notwendigkeit für die Schaffung eines solchen Gesetzes besteht. Es galt also für uns, einen weiteren Kreis von Personen in eine Versorgung einzubeziehen, die das gleiche Schicksal mit den Hinterbliebenen der Gefallenen und der Vermißten tragen. Es stand zunächst nicht die Form des Gesetzes zur Debatte, sondern es ging darum, entweder den Regierungsentwurf abzuwarten oder den Gesetzentwurf der SPD zur sofortigen Grundlage und zum Ausgangspunkt unserer Beratungen zu machen. Da dem Ersuchen der Drucksache Nr. 424 bis zu Beginn unserer Arbeit von seiten der Regierung nicht Rechnung getragen werden konnte und ein fertiger Entwurf im Kabinett noch nicht verabschiedet war, entschloß sich der Ausschuß, den Gesetzentwurf der SPD als Ausgangspunkt und Arbeitsgrundlage zu nehmen. Wegen der Eilbedürftigkeit dieses Gesetzes wurde ein Unterausschuß gebildet, der dann den Entwurf der Drucksache Nr. 522 der SPD bearbeitete. Sie haben in der Drucksache Nr. 766 nun das Ergebnis der Arbeit sowohl des Unterausschusses als auch dann des Ausschusses vor sich liegen. Wir haben uns im Ausschuß eingehend über die Stellungnahme auch der betreffenden Organisationen informiert und im Einvernehmen mit den Regierungsvertretern die materielle Seite gründlichst erwogen. Es hat sich herausgestellt, daß vom Bund ab 1. April 1950 431/2 Millionen DM als Kriegsfolgelasten zu übernehmen sind. Ich möchte aber der Klarheit wegen von vornherein feststellen, daß diese Summe nicht eine Neuaufwendung absoluter Art bedeutet, sondern daß diese Lasten heute bereits von den Ländern getragen werden. Es ging also dem Ausschuß bei diesem Gesetz in erster Linie darum, schnellstens eine Koordinierung zu finden, um auch hier eine Rechtsgleichheit zu schaffen. Die einzelnen Punkte hier durchzugehen, erübrigt sich wohl, weil erstens auch in diesem Hause dazu schon Stellung genommen war und weil zweitens die Mehrheit des Ausschusses in wirklich ernster Arbeit diese Dinge bereits erörtert hat. Ich kann es mir deshalb ersparen, auf den materiellen Gehalt dieser Dinge noch einzugehen, weil ich betonen darf, daß die Beschlüsse. die zum Zustandekommen dieses Gesetzentwurfes geführt haben, einstimmig gefaßt worden sind. Der Gesetzentwurf der SPD unterscheidet sich, wie Sie sehen, nicht wesentlich von den im Ausschuß dann vorgenommenen Veränderungen. Der Kürze halber und, wie gesagt. auch aus dem Grundsatz, der den Ausschuß geleitet hat, seine Arbeit ({2}) schnellstens zu beenden und hier eine Hilfe zu schaffen, die eben nur dann eine Hilfe ist, wenn sie schnell, zum mindesten noch zu Beginn des neuen Etatjahres kommt, darf ich Sie bitten, dem einstimmigen Beschluß des Ausschusses Ihre Zustimmung zu geben. Der Antrag des Ausschusses lautet dahin: Der Bundestag wolle beschließen: 1. den Gesetzentwurf Nr. 522 der Drucksachen mit den aus der nachstehenden Zusammenstellung ersichtlichen Änderungen zu genehmigen; 2. den Antrag der Abgeordneten Even, Heix, Winkelheide, Frau Brauksiepe und Genossen Nr. 424 der Drucksachen durch den Beschluß zu 1 als erledigt anzusehen; 3. folgende Entschließung anzunehmen: Die Bundesregierung wird im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Angelegenheit ersucht, die erforderliche Zustimmung des Bundesrates unverzüglich einzuholen. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Im Ältestenrat ist vereinbart worden, nicht in eine Debatte einzutreten. Ist das Haus mit diesem Vorschlag einverstanden? - Es scheint so zu sein. Dann rufe ich in der Einzelberatung auf: § 1. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Einstimmig angenommen. § 2. - Ebenfalls angenommen. § 3. - Ebenfalls. § 4. - Angenommen. § 5. - Angenommen. § 6. - Angenommen. § 7. - Angenommen. Einleitung und Überschrift. - Angenommen. Ich schließe die zweite Beratung und eröffne die dritte Beratung. Allgemeine Aussprache. - Keine Wortmeldungen. Eintritt in die Einzelberatung. Ich bitte, mir zu gestatten, die einzelnen Paragraphen zusammenzufassen. §§ 1 bis 7 einschließlich Einleitung und Überschrift. Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Angenommen. Nunmehr den Gesamtentwurf. Wer für die Annahme ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Der Gesamtentwurf ist angenommen. Wir haben noch einen Beschluß zu fassen über Ziffern 2 und 3 der Empfehlungen des Ausschusses. Wer für die Annahme von Ziffer 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Ziffer 2 ist angenommen. Wer für die Annahme von Ziffer 3 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Ziffer 3 ist angenommen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Ich rufe auf den Punkt 9 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Schaffung eines besonderen Arbeitgebers für die unständigen Hafenarbeiter ({0}) ({1}). Es ist ein Gesetzentwurf der Regierung. Eine schriftliche Begründung ist gegeben. Ist das Haus damit einverstanden, daß der Entwurf als begründet gilt? Ich erteile das Wort dem Herrn Bundesminister für Arbeit Storch.

Anton Storch (Minister:in)

Politiker ID: 11002264

Meine seht verehrten Damen und Herren! Der Ihnen hier vorliegende Gesetzentwurf hat eine verhältnismäßig unangenehme Geschichte. Er wurde bereits im Wirtschaftsrat verhandelt. Das Gesetz kam damals nicht zur Auswirkung, weil die Besatzungsmächte glaubten, man solle dieses neue Gesetz als Bundesgesetz herausbringen. Jetzt haben sich in der Zwischenzeit ebenfalls wieder Schwierigkeiten ergeben, weil ein Teil der Besatzungsmächte der Meinung war, es würde durch dieses Gesetz ein Zwangsarbeitgeberverband mit Zwangsmitgliedschaft gebildet. Diese Schwierigkeiten waren erst zu überwinden, ehe wir zur Vorlage dieses Gesetzes kommen konnten. Dann ergaben sich im Bundesrat Schwierigkeiten, weil einige der dort vertretenen Herren den wirklichen Sinn und das wirkliche Wollen dieses Gesetzes nicht richtig erkannt haben. In der Zwischenzeit haben sich die Sozialpartner auf diesem Gebiet, die Arbeitgeber und die Gewerkschaften, gemeinschaftlich dafür eingesetzt, daß dieses Gesetz als Bundesgesetz durchgebracht werden möge, um endlich den unständigen Arbeitern in den Seehäfen einen fiktiven Arbeitgeber zu geben, der es ihnen ermöglicht, alle arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Neuerungen für sich in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich an erster Stelle darum, daß der unständige Arbeiter nicht als Gelegenheitsarbeiter angesehen wird, daß er sich nicht dem reinen Zufall ausgeliefert in den Hafen begibt, sondern daß er von vornherein weiß: Die Gemeinschaft der auf diesem Gebiet tätigen Arbeitgeber hat die Verpflichtung, wenn du angefordert wirst, dir auch für die vorgesehene Arbeits zeit den Lohn zu zahlen. Zweitens kommt ja ein unständiger Arbeitnehmer niemals in den Besitz eines Urlaubsrechtsanspruchs, wenn man nicht die ihn abwechselnd beschäftigenden Arbeitgeber zu einer Gemeinschaft zusammführt und dieser Gemeinschaft die Verpflichtung auferlegt, diesem unständigen Arbeiter, wenn er seine Arbeitszeit im Urlaubsjahr geleistet hat, auch den Urlaub sicherzustellen. Dazu kommt, daß der unständige Arbeiter, wenn er seine Lohnabrechnungen in der Woche mit fünf oder sechs Arbeitgebern machen muß, viel größere Schwierigkeiten hat, um zu seinem Recht zu kommen, als wenn die Gemeinschaft der Arbeitgeber ihm für die Arbeitsleistung die gemeinschaftliche Garantie für die Lohnzahlung gibt. Ein weiterer Vorteil ist der, daß es in den Zeiten ruhigen Geschäftsganges in den Hafenbetrieben nicht zu Lohndrückungen kommen kann. Der Lohn ist dann zwischen der Gemeinschaft der Arbeitgeber in der Gemeinschaftshaftung mit der Gewerkschaft abgeschlossen und muß auf jeden Fall gezahlt werden. Als letztes kommt dazu, daß, wenn ich für diese unständigen Arbeiter einen einheitlichen Arbeitgeber habe, die unbedingte Sicherheit besteht, daß die Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden und der Mann dann für die Wechselfälle des Lebens seine Sicherung hat. Ich möchte Sie bitten, dieses Gesetz dem Ausschuß für Arbeit zu überweisen, damit es recht bald über die Bühne gebracht wird und die unständigen Hafenarbeiter zu dieser von ihnen gewünschten Neuregelung kommen. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren! Im. Ältestenrat ist vereinbart worden, dem Hause zu empfehlen, auf eine Debatte zu verzich({0}) ten. - Es erhebt sich kein Widerspruch; Sie sind dieser Empfehlung beigetreten. Es ist der Antrag gestellt, den Entwurf an den Ausschuß für Arbeit und den Ausschuß für Verkehrswesen zu überweisen; federführend soll der Ausschuß für Arbeit sein. - Es erhebt sich kein Widerspruch; es ist so beschlossen. Meine Damen und Herren! Wir sind rascher vorangekommen, als zu erwarten war. Es steht nunmehr an Punkt 10 der Tagesordnung, die Beratung des Gesetzentwurfes über die Wiedereinführung der Todesstrafe. Das Haus ist sehr schwach besetzt. Ich glaube nicht, daß es der Bedeutung dieses Antrages entsprechen würde, wenn wir vor so leerem Hause verhandeln. Ich mache Ihnen daher den Vorschlag, daß wir die Sitzung unterbrechen und um 14 Uhr fortfahren, und weiter den Vorschlag, daß vielleicht um 13 Uhr 45 der Ältestenrat sich versammeln möge, um sich darüber schlüssig zu werden, ob wir nicht von der Tagesordnung der Freitagsitzung, die, glaube ich, überlastet ist, einige Punkte wegnehmen und an die heutige Tagesordnung anhängen könnten. ({1}) Sind Sie einverstanden? ({2}) - Dann bitte ich die Mitglieder des Ältestenrates zu 13 Uhr 45 in das Rote Zimmer und unterbreche die Sitzung. ({3}) Die Sitzung wird um 14 Uhr 13 Minuten durch den Vizepräsidenten Dr. Schmid wieder auf genommen.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren! Die Sitzung ist wieder eröffnet. Der Ältestenrat ist zusammengetreten und macht dem Hause folgenden Vorschlag: die morgige Tagesordnung, die sehr voll bepackt ist, zu entlasten und die Punkte 2 und 3 der morgigen Tagesordnung schon heute zu behandeln. Punkt 2 betrifft die zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof. Der Ausschuß ist damit fertig; man könnte dieses Gesetz heute sehr rasch verabschieden. Auch Punkt 3 der morgigen Tagesordnung, die erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP und BP, WAV und des Zentrums eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Regelung der Rechtsverhältnisse von Bundestagsabgeordneten aus dem Beamtenverhältnis, ist eine glatte Sache, die wir heute erledigen können. Ich fürchte, daß wir, wenn wir die beiden Sachen auf der Tagesordnung für morgen lassen, diese beiden Punkte - in Anbetracht der schweren Klötze, die morgen zu spalten sind - nicht werden behandeln können. Der dritte Vorschlag geht dahin, gleichfalls zu beraten den Mündlichen Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Entwurf einer gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Art. 77 des Grundgesetzes. Diese Geschäftsordnung ist nötig. Sobald der Bundesrat einmal Einspruch einlegen sollte, werden wir diese Geschäftsordnung brauchen, um den Streit aus der Welt zu schaffen. Auch das wird einfach gehen. Im Ausschuß ist darüber offenbar Einstimmigkeit erzielt worden. Erhebt sich gegen diesen Vorschlag Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen. Dann rufe ich auf Punkt 10 der Tagesordnung: Erste Beratung des von der Fraktion der Bayernpartei eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wiedereinführung der Todesstrafe ({0}). Das Wort zur Begründung hat der Herr Abgeordnete Dr. Etzel. Dr. Etzel ({1}) ({2}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seitdem der nachmalige Professor des Staatsrechts an der Universität Mailand Cesare Beccaria sein berühmtes, in der ersten Auflage 1764 anonym erschienenes Werk „Dei delitti e delle pene", über Verbrechen und Strafen, schrieb, ist die Debatte über die Aufrechterhaltung oder Abschaffung der Todesstrafe, ihre Zulässigkeit, Berechtigung und Notwendigkeit nie mehr ganz zur Ruhe gekommen. Die Auseinandersetzungen, die meist mit großer Leidenschaft, ja Erbitterung geführt wurden, waren dadurch verwirrt und verwickelt, daß die rechtsphilosophische oder auch naturrechtliche Frage, ob dem Staate das Recht zustehe, die Todesstrafe zu verhängen, und die rechtspolitische Frage, ob der Staat, wenn die Vorfrage bejaht wird, gut daran tut, bei den schwersten Verbrechen, sei es zum Zwecke der Sühne, der Sicherung oder der Abschreckung, von ihr Gebrauch zu machen, nicht scharf auseinandergehalten wurden. Die tiefe Tragik und das hohe Ethos, Fluch sozusagen und Weihe des Problems, sollten es ermöglichen und gebieten, daß dies unvoreingenommen und jenseits einer hitzigen parteidoktrinären Betrachtungsweise behandelt wird. Wenn eine Berliner Zeitung am 21. Juni 1930 im Falle des Vatermörders Zech schrieb: Deutschland blieb zwei Jahre die Schande einer neuen Hinrichtung erspart. Es war der württembergischen Blockregierung und ihrem Vorsteher vorbehalten, dem deutschen Volk diese Schmach heute morgen auf dem Hof des Amtsgerichts Ravensburg zu schenken, so ist das eine Verfahrensweise, deren wir uns enthalten sollten. Die Tatsache, daß sich der Juristentag 1912 für die Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen hat, kann man nicht dadurch aus der Welt schaffen, daß man sagt, so weit zurückliegende Argumente hätten im Jahre 1950 keine Geltung mehr. Ich kann nicht finden, daß die Argumentation für und gegen die Todesstrafe wesentlich über den damaligen Stand der Diskussion hinausgewachsen ist. An sich richtige Beweise und Grundgedanken werden vom Zeitablauf allein nicht entwertet. Zu den Grundlagen unserer Zeit gehören auch früher gewonnene Erkenntnisse. Man kann nicht einwenden: Wie, im 20. Jahrhundert noch Todesstrafe? Die Mörder zögern auch nicht im Angesicht des 20. Jahrhunderts, ihre armen, unschuldigen Opfer kalt und brutal dem Tode zu überantworten. Der Herr Abgeordnete Dr. Carlo Schmid hat in der 50. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rates am 10. Februar 1949 an ein einmal in der französischen Kammer gesprochenes Wort erinnert: „Que les assassins commencent!" - die Herren Mörder mögen den Anfang machen -, mit der Unterlassung der Vernichtung des Lebens ihrer Mitmenschen nämlich. Er nannte den französischen député einen Witzbold. Man wird aber in dessen Einwand eher einen durchaus ernsthaften Hinweis sehen können. Es entspricht dem Schwergewicht und dem dunklen Ernst der aufgeworfenen Frage und es dient der Würde dieses Hauses wie der Sachbehandlung ({3}) [Bamberg] in gleicher Weise, die Beratungen in einer Atmosphäre der Besonnenheit und der Verantwortung zu führen. Es sollte sich die Leidenschaftlichkeit vermeiden lassen, die seinerzeit bei den Verhandlungen im Weimarer Reichstag geherrscht hat, dessen Rechtsausschuß sich am 20. Mai 1929 bekanntlich mit 14 zu 14 Stimmen für die Abschaffung der Todesstrafe ausgesprochen hat, wobei die Stimme des bekannten Rechtslehrers Kahl, der 1912 noch für ihre Beibehaltung plädiert hatte, den Ausschlag gab. Das Mitglied des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats Wagner hat bei der 4. Lesung des Grundgesetzes am 5. Mai 1949 beantragt, die Bestimmung „Die Todesstrafe ist abgeschafft" als Art. 131a - er wurde später Art. 103 und dann Art. 102 - einzufügen. Der Antrag wurde vom Hauptausschuß mit 15 zu 4 Stimmen angenommen. In der zweiten Lesung der 9. und letzten Vollsitzung des Rates am 6. Mai 1949 beantragte dann der CDU-Abgeordnete Dr. de Chapeaurouge, den Art. 103 aus dem Grundgesetz zu streichen. Der Antrag verfiel der Ablehnung. Dabei verblieb es auch bei der Schlußabstimmung. Man kann geteilter Meinung sein, ob die Aufhebung oder die Beibehaltung der Todesstrafe verfassungsrechtlich festgelegt und ob eine solche Vorschrift systematisch in den Abschnitt über die Grundrechte oder in jenen über die Rechtsprechung aufgenommen werden soll. Tatsächlich enthalten weder die Bismarcksche noch die Weimarer Verfassung noch die Staatsgrundgesetze des Auslands Bestimmungen darüber. Die Aufnahme des Art. 102 war eine Neuerung. Wenn man dafür Verständnis haben mag, daß unter der Schock- und Schreckwirkung des nazistischen Blutrausches und Amoklaufes der Wunsch entstand, im Grundgesetz selbst durch Aufhebung der Todesstrafe für die Heiligkeit des Lebens und für eine Metanoia, eine Umkehr, eine Geistes- und Gesinnungswandlung zu demonstrieren, so gereicht eine solche Bemühung den Gegnern der Todesstrafe gewiß nicht zur Unehre. Aber sie hätten nicht der Versuchung erliegen dürfen, eine solche schwerwiegende und weittragende Entscheidung ohne Befragung des Volkes selbst zu treffen, ({4}) dem, abseits gelehrter Disputationen, ein beharrliches, unbestechliches und unverbrüchliches Rechtsgefühl innewohnt. Der Parlamentarische Rat war keine Volksvertretung, ({5}) sondern ein auf dem Besatzungsrecht beruhendes Sonder- und Zweckgremium, das Geschöpf des Befehls der Sieger, ({6}) gebildet durch Delegationen aus Landtagen, von denen einige, wie die von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein nicht auf demokratische Weise zustande gekommen waren. ({7}) Denn diese Länder besaßen nicht einmal eine demokratische Verfassung, oder aus Landtagen, die wie der bayerische, in der Zusammensetzung längst nicht mehr dem inzwischen wesentlich gewandelten politischen Willen der Wählerschaft entsprachen. Auch die Abstimmung über die Einführung des Grundgesetzes ist nicht auf demokratische Weise durch das Volk selbst erfolgt. ({8}) Zwar behauptet die Präambel, das deutsche Volk in den Ländern habe kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt das Grundgesetz beschlossen, und in Art. 20 ist proklamiert, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgehe. In Wahrheit aber hatten die Bevölkerungen in den beteiligten Bundesländern mit dem Zustandekommen, der Verabschiedung und Einführung des Grundgesetzes nicht das Geringste zu tun. ({9}) Die Mehrheit der Landtage konnte das Plebiszit der Bevölkerungen nicht entbehrlich machen oder ersetzen. Das Volk hat nicht gesprochen, und es kann auch unter der Herrschaft des Bonner Grundgesetzes nicht sprechen, weil der Parlamentarische hat in seiner letzten Sitzung am 6. Mai 1949 einen vom Zentrum eingebrachten Antrag auf allgemeine und grundsätzliche Einführung des Volksbegehrens und des Volksentscheids als verfassungsrechtlicher Einrichtungen und Mittel der unmittelbaren Gesetzgebung des Volkes abgelehnt hat. ({10}) Es ist also die Forderung geboten und an der Zeit, daß die Vorschrift der Abschaffung der Todesstrafe aus dem Grundgesetz herausgenommen wird. Damit wird der frühere Zustand wiederhergestellt und die Entscheidung der Frage dem Strafgesetz selbst überlassen. Wie der Art. 102 nicht nur einen Programmpunkt, eine Anweisung an den Gesetzgeber darstellt, sondern unmittelbar rechtsetzende Kraft, also den Charakter einer Anweisung an die Strafverfolgungs- und Strafvollstrekkungsbehörden sowie an alle Strafgerichte hat, so wird auch die Streichung des Art. 102 unmittelbar für diese staatlichen Organe wirken. Die Argumente für und gegen die Todesstrafe, die rechtsphilosophischen und die rechtspolitischen, sind jedem, der sich einmal mit dem Problem beschäftigt hat, geläufig. Ich will mich daher auf einige wenige Hinweise beschränken. Die Gegner sagen, die Todesstrafe sei kein erlaubtes und kein geeignetes Strafmittel, sie sei roh und kulturwidrig und in ihrer Tragweite unabsehbar, sie widerstrebe der Besserung, ihre abschreckende Wirkung sei nicht erwiesen und Unschädlichmachung auch ohne sie möglich. Es fehlten ihr Teilbarkeit und Individualisierbarkeit. Bei einem Justizirrtum sei sie nie wiedergutzumachen. Die Befürworter erklären, die Lebensvernichtung gelte auch sonst, zum Beispiel im Kriege oder bei Notwehr, unter bestimmten Umständen und Bedingungen als erlaubt, und vor allem sei die Todesstrafe für die schwersten Fälle der Tötung, die in normalen Zeiten allein noch in Frage kämen, die einzige angemessene Sühne. Man dürfe nicht nur das Wohl des Verbrechers, man müsse vor allem das Leben des friedlichen Bürgers, der Frauen und der Kinder schützen. In Zeiten gelockerter Sitten und Rechtsbegriffe sei die gänzliche Beseitigung der Todesstrafe besonders bedenklich. Der Gefahr des Justizirrtums sei durch prozessuale Sicherungen zu begegnen, wozu noch die Möglichkeit der Begnadigung käme, so daß die . Todesstrafe nur in allerschwersten und ganz unzweifelhaften Fällen vollstreckt werde. Die Frage, ob und inwieweit im Einzelfall der verbrecherische Wille eines Mörders, seine Richtung und Intensität durch den Zeitgeist und allgemeine Zeitverhältnisse, durch Vererbung, innersekretorische oder endokrine Störungen, also pathologische Formen oder Funktionen hormonaler Organe ({11}) oder durch besondere Umweltfaktoren, das soziale Milieu des Täters bestimmt worden ist, muß hier auf sich beruhen. Es ist davon auszugehen, daß nach dem Rechtsempfinden des überwiegenden Teils der Bevölkerung die Zuchthausstrafe, auch die lebenslängliche, nicht als eine der Schwere des Verbrechens entsprechende, ausreichende Strafe angesehen wird und daß gegenüber der Bestialität von Ungeheuern in Menschengestalt, gegenüber den oft mehrfachen Raub- und Lustmördern, den Vater-, Mutter- und Kindermördern ein Notwehrrecht der Gesellschaft besteht, das ihr die Befugnis verleiht, die Gewaltverbrecher zur Sühne, zur Abschreckung und zur Sicherung durch Tötung auszumerzen und der Gefahr vorzubeugen, daß ihnen eine künftige Amnestie oder ein politischer Umsturz, der sich nach den Erfahrungen der Geschichte oft gerade der kaltblütigsten, bedenkenlosesten und energischsten Elemente der Zuchthäuser als Mithelfer bedient, nicht die Gelegenheit zu neuer Untat oder die Möglichkeit gibt, durch Fortpflanzung das ungeheuerliche Ausmaß der durch zwei Weltkriege verursachten negativen Auslese ihrerseits noch weiter zu erhöhen. Auch Kreise, die heute gegen die Todesstrafe Stellung nehmen, haben es in den Jahren 1922 und 1929 durchaus nicht verschmäht, die Todesstrafe für Tatbestände einzuführen, bei deren Begehung die Intensität und Skrupellosigkeit des verbrecherischen Willens des Täters weit geringer, gewiß aber nicht größer, und die Beweggründe keinesfalls so verwerflich waren wie bei bestialischen Mördern. So verstieg sich die auf den Artikel 48 der Weimarer Verfassung gestützte zweite Verordnung zum Schutze der Republik vom 29. Juni 1922 in Art. I zu folgender Strafandrohung: Personen, die an einer Vereinigung teilnehmen, von der sie wissen, daß es zu ihren Zielen gehört, Mitglieder einer im Amt befindlichen oder einer früheren republikanischen Regierung des Reiches oder eines Landes durch den Tod zu beseitigen, werden mit dem Tode oder mit lebenslangem Zuchthaus bestraft. Ebenso werden bestraft - also mit dem Tode oder lebenslangem Zuchthaus Personen, die eine solche Vereinigung wissentlich mit Geld unterstützen. ({12}) Hiernach war für den Tatbestand des Komplotts oder der finanziellen Unterstützung eines Komplotts allein die Todesstrafe angedroht, selbst wenn also das Komplott oder ein Teilnehmer desselben gar nicht einmal zur Vorbereitung oder zum Versuch, geschweige denn zur Ausführung der Tötung eines Angehörigen des geschützten Personenkreises geschritten war. Es lag zweifellos eine Ausschreitung, ein Exeß des Strafgesetzgebers vor. Das von dem Reichspräsidenten Ebert ausgefertigte und verkündete und von den Reichsministern des Innern Köster und der Justiz Dr. Radbruch gegengezeichnete Republikschutzgesetz vorn 21. 7. 29 nahm denn auch eine Abschwächung vor, traf aber in § 1 immerhin noch folgende Bestimmung: Wer an einer Vereinigung oder Verabredung teilnimmt, zu deren Bestrebungen es gehört, Mitglieder einer republikanischen Regierung des Reiches oder eines Landes durch den Tod zu beseitigen, wird mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslangem Zuchthaus bestraft. Ist in Verfolgung dieser Bestrebungen eine Tötung begangen oder versucht worden, so wird jeder, der zur Zeit der Tat an der Vereinigung oder Verabredung beteiligt war und ihre Bestrebungen kannte, mit dem Tode oder mit lebenslangem Zuchthaus bestraft. Und § 4 bestimmte: Dem Teilnehmer an einer in den §§ 1, 2 bezeichneten Vereinigung, Verabredung oder Verbindung steht gleich, - d. h. er wird je nachdem mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren bzw. mit dem Tode oder lebenslangem Zuchthaus bestraft wer die Vereinigung oder Verbindung oder einen an der Verabredung Beteiligten mit Rat oder Tat, insbesondere mit Geld unterstützt. Danach konnte schon die Teilnahme an einem Komplott oder dessen finanzielle Förderung unter der Voraussetzung einer ausgeführten Tötung oder eines unternommenen Tötungsversuchs mit dem Tode bestraft werden, auch wenn die Tötung oder der Tötungsversuch durch einen anderen Teilnehmer oder einen dazu gewonnenen Dritten ausgeführt wurde und nur der Tatbestand des Totschlags oder Totschlagsversuchs, aber nicht des Mordes oder Mordversuchs erfüllt war. Nun erkennt Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes das Recht auf Leben als Grundrecht an, das nach Art. 1 Abs. 3 die Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht bindet. Ich sehe hier von der Untersuchung der Frage ab, ob der Staat gegenüber offenem Aufruhr, der die bestehende gesellschaftliche und staatliche Ordnung gewaltsam umstürzen will und dessen Akteure sich tödlich wirkender Waffen bedienen, berechtigt ist, eine Tötungsanordnung, also den Schießbefehl an die Polizeiorgane zu erteilen. Sicher ist, daß der Polizeipräsident von Berlin ({13}) - jawohl, Zörgiebel - im Jahre 1929 vor Gott und den Menschen nicht befugt war, auf ruhig und ernst anläßlich des 1. Mai trotz ergangenen Umzugsverbots für ihr menschliches und soziales Recht demonstrierende Arbeiter mit der Wirkung schießen zu lassen, daß mehr als zwanzig von ihnen tot auf dem Platz blieben und über hundert zum Teil schwer verwundet wurden. ({14}) Ein Gesetz, das die Euthanasie einführt, wäre verfassungswidrig, da es das Grundrecht auf Leben in seinem wesentlichen Gehalt antastet, was nach Art. 19 Abs. 2 verboten ist. Jeder Versuch einer Behörde, jede von ihr zu dem Zweck unternommene Maßnahme, einen Menschen euthanatisch zu liquidieren, wäre Freiheitsberaubung, Nötigung, Körperverletzung; die Ausführung selbst Mord. Dem Bedrohten stünde Notwehr, der Verwaltungsrechtsweg, die Zivilklage und nach Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes in Verbindung mit § 84 des Regierungsentwurfs eines Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht Verfassungsbeschwerde zu diesem offen. Ein angerufenes ordentliches Gericht, ziviles oder Verwaltungsgericht, hätte nach Art. 100 das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Da das Leben unteilbar ist, kann es nicht beschränkt werden. Ein Eingriff in dieses Grundrecht bedeutet notwendigerweise seine Aufhebung. Außer Zweifel aber dürfte stehen, daß Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes der Beibehaltung, Einführung oder Wiederzulassung der Todesstrafe nicht entgegen steht. Stände schon dieser Artikel im Wege, dann hätte es der besonderen Bestim({15}) mung des Art. 102 gar nicht erst bedurft; daß sie aber der Parlamentarische Rat wollte, beweist, daß er in der Vorschrift des Art. 2 keine Abschaffung der Todesstrafe erblickte. Weiterhin ist darauf zu verweisen, daß auch das unschuldige Opfer des Mörders ein Recht auf Leben hatte und daß der Mörder, wenn er es mißachtet, sein eigenes verwirkt. Dieser allgemeine Grundsatz der Verwirkung von Grundrechten hat in den in Art. 18 des Grundgesetzes aufgeführten Fällen des Mißbrauchs von Grundrechten zum Kampf gegen die freiheitliche, demokratische Grundordnung einen konkreten Ausdruck gefunden. Die vom Bundesverfassungsgericht auszusprechende Verwirkung erfolgt, ohne daß ein echter strafrechtlicher Tatbestand vorzuliegen braucht. Wieviel mehr muß diese Verwirkung eintreten, wenn eine Untat wie die des Mordes begangen ist! Unsere Zeit und unsere Menschen schwanken zwischen den beiden äußersten Erscheinungen der menschlichen Existenz, zwischen Verwilderung und Erschlaffung. In einer solchen Epoche des Zusammenbruchs ehemals festgefügter sittlicher und gesellschaftlicher Ordnungen ist der Verzicht auf die Todesstrafe gefährlich und eine unverzeihliche Schwäche. Wer Fühlung mit dem Volk hat, weiß, daß es sich in seiner überwältigenden Mehrheit entschieden dagegen wehrt, ({16}) Freiwild und Opfer für Mörder zu sein, welche die Gewißheit haben, daß sie für ihre Unmenschlichkeiten nicht mit dem eigenen Leben zu büßen haben. ({17}) Die Bevölkerung hat kein Verständnis dafür, daß die vor deutsche Schwurgerichte kommenden Massenmörder von Buchenwald und anderen Schreckenslagern, daß vielfache Mörder, die ihre Tat aus niedrigsten, gemeinsten Beweggründen mit der größten Kaltblütigkeit und in unmenschlicher Weise vollführten, daß ausländische, sich aus den Kreisen der sogenannten Verschleppten rekrutierende Mörder, die einen besonders hohen Anteil ausmachen ({18}) - so betrug nach dem Münchener Zentralamt für Kriminalidentifizierung und Polizeistatistik in Bayern 1949 der Anteil der Ausländer bei Mord und Totschlag das 5,5fache des verhältnismäßigen Anteils der Deutschen -, ({19}) ich sage, das Volk lehnt sich dagegen auf, daß alle diesen Unmenschen für ihre Untaten ihr Leben als Staatspensionäre weiterführen können, auf Kosten auch der unglücklichen Hinterbliebenen der hingemordeten Opfer, deren Steuergroschen zum Unterhalt der Ungeheuer beitragen müssen. In den Vereinigten Staaten von Amerika, in England und Frankreich, den erzdemokratischen Ländern, den Geburtsstätten der Menschenrechte, den Vaterländern der Bills of rights ist die Todesstrafe beibehalten. Die Sowjetunion hat sie, bald nach ihrer Abschaffung, wieder eingeführt. In Italien beginnt die öffentliche Meinung ihre Wiedereinführung zu fordern. Im Bundestagsausschuß zum Schutze der Verfassung ist das Wort von der Notwendigkeit, „die Rute und das Beil" anzuwenden, gefallen. Konnte ein Ungeheuer wie jener Massenmörder aus Düsseldorf, der 9 vollendete Morde - davon 3 Kindermorde - und 7 Mordversuche auf dem Gewissen hatte, konnte ein zynischer, berechnender und raffinierter Gewaltmörder wie jener berüchtigte Versicherungsbetrüger Tetzner, konnten die jüngst vom Schwurgericht Hamburg wegen gemeinschaftlichen doppelten Raubmordes zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilten Verbrecher, der Pole Musor und die Russen Schewzow und Heros, können die in der ersten Hälfte des März festgenommenen mehrfachen Raubmörder, der ehemalige Sowjetsoldat Jaskow und seine Komplizen, die sich nicht scheuten, wegen 12 Mark einen Raubmord zu begehen, konnte der scheusälige, vom Schwurgericht München ebenfalls soeben zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilte Mörder Kressierer, der das warme Blut der von ihm geschlachteten Tiere zu trinken pflegte, weil das - wie er sagte - „das Schlachten erst schön macht" und der seinen Komplizinnen gegenüber erklärte, er habe schon viele Säue geschlachtet, aber eine solche zweibeinige Sau, bei der das Blut so gegurgelt habe - diesem unglücklichen Opfer, einer Frau, hatte er die Kehle bis auf den Halswirbel durchschnitten -, habe er noch nie gesehen, konnten alle diese Untiere billigerweise erwarten, daß sie mit dem Leben davonkommen? Ich frage: Wie kann eine Gesellschaft solchen Untieren gegenüber von der Todesstrafe absehen? Hier ist der Verzicht auf sie die Äußerung einer falsch verstandenen Humanität, ({20}) bedeutet er die Preisgabe wahrer Moral und wirklicher Humanität. Wenn manche einwenden, wer . einmal einer Hinrichtung beigewohnt habe, müsse gegen die Todesstrafe sein, so ist demgegenüber die Frage berechtigt: würden diese auch dann noch gegen die Todesstrafe sein, wenn sie dabei gewesen wären, als der Mörder sein armes Opfer kaltblütig, roh und unmenschlich umbrachte? Würden sie auch dann noch dagegen sein, wenn der Mörder seine Opfer aus ihrer eigenen Familie ausgewählt hätte? ({21}) Würden sie auch dann noch dagegen sein, wenn sie den entsetzten Blick in die furchtbaren Abgründe aller der Akten in Mordprozessen getan hätten? Die Gerechtigkeit schreit nach Wiederzulassung der Todesstrafe für derartige Untaten. Die Justitia hält nicht nur die Waage, sondern führt auch das Schwert. Es muß nachdenklich stimmen, daß ein Mann wie der Kapuzinerpater Sigisbert Greinwald, der als Kurat der Münchener Gefängnisse während seiner dortigen siebzehnjährigen Seelsorge acht Mörder auf das Schafott begleitet und sicher tiefe Einblicke in ihre Psyche gewonnen hat, in seiner 1931 erstmals erschienenen und nach dem zweiten Weltkrieg neu aufgelegten Schrift „Für und Wider der Todesstrafe" sich entschieden für diese ausgesprochen hat. Es ist weder Pathos noch emphatische Übertreibung, wenn ich zum Schluß noch einmal der Meinung Ausdruck gebe, daß die Bevölkerung in ihrer überwiegenden Mehrheit die Wiederzulassung der Todesstrafe im Namen der Moral, des Rechts, der Gerechtigkeit und der Sicherheit der menschlichen Gesellschaft fordert. ({22})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Bundesjustizminister.

Dr. Thomas Dehler (Minister:in)

Politiker ID: 11000364

Meine Damen und Herren! Ich beneide die Antragsteller darum, daß sie in dieser Zeit vornehmlich von dieser Frage erfüllt sind und es als eine Hauptsorge sehen, daß künftighin in unserem jungen ({0}) Staate, wir wollen einmal sagen: mehr geköpft werde. ({1}) Hier wird ein Problem angerührt, das mir so bedeutsam erscheint, daß ich es nicht für richtig halte, diese Frage mitten in den anderen Sorgen, von denen wir erfüllt sind, aufzuwerfen und zu behandeln. Die Diskussion bewegt alle kultivierten Staaten seit ungefähr zwei Jahrhunderten, seitdem ein wirklich mutiger Mann, Cesare Beccaria, Mitte des achtzehnten Jahrhunderts gegen die Härte der Strafen und insbesondere gegen die Härte der Todesstrafe aufgetreten ist. Beinahe in jedem Land hat diese Frage ein wechselvolles Geschick gehabt, sehr abhängig von der augenblicklichen politischen Situation, oft von dem Willen der politischen Machthaber. Man braucht sich nur die Dinge in Rußland zu vergegenwärtigen: zehn Tage nach der Abdankung des Zaren Nikolaus II. - Abschaffung der Todesstrafe. Kerenski kam ans Ruder - Einführung der Todesstrafe. Lenin hat in seinem Programm als wichtigsten Punkt die Abschaffung der Todesstrafe aufgestellt. Kaum waren die Bolschewiken am Ruder, so wurde, wie wohl noch niemals in der Geschichte, durch den Staat getötet und gemordet. ({2}) Jetzt, kurz nach dem Kriege, Abschaffung der Todesstrafe durch das Präsidium des Obersten Sowjets. Vor wenigen Wochen Wiedereinführung gegen die Täter, die angeblich Sabotage treiben und sich sonst gegen den Staat vergehen. So oder so ähnlich ist es mit dieser Frage überall. Meine Damen und Herren! Ich möchte vorschlagen, daß der Bundestag zumindest auf eine andere Zeit wartet, bis er die Frage erörtert. Ich werde Ihnen in absehbarer Zeit den Entwurf einer Reform des Strafrechts vorlegen. ({3}) Ich kann das nicht datieren; es wird aber keinesfalls länger als eineinhalb bis zwei Jahre dauern. Ich meine, dann wäre die gegebene Zeit, sich über die Wiedereinführung der Todesstrafe schlüssig zu werden. Das ist mein Vorschlag. Ich möchte mich nun aber gegen ein Argument des Herrn Antragstellers wenden, und ich möchte fast meinen, daß hinter diesem Antrag eine bestimmte Tendenz steht. Das Entscheidende dieses Antrages ist ja die Behauptung, der Parlamentarische Rat habe keine Kompetenz zur Entscheidung dieser Frage gehabt. ({4}) Man stellt hier die Behauptung auf, der Parlamentarische Rat sei gar nicht gehörig zusammengesetzt gewesen, er sei nicht vom Volke gewählt worden, ja, man versteigt sich so weit, daß man behauptet, dieser Parlamentarische Rat sei auf Befehl der Militärregierungen tätig gewesen. ({5}) Nicht in meiner Eigenschaft als Minister, aber als Mitglied des Parlamentarischen Rates wende ich mich gegen diesen Vorwurf, der das Werk des Parlamentarischen Rates auf das gröblichste entwerten und die Grundlage unserer staatlichen Existenz annagen würde. Es ist nicht wahr, daß der Parlamentarische Rat auf Weisung der Militärregierung tätig gewesen sei. ({6}) Das ist nicht richtig! Der Parlamentarische Rat hat aus sich das Bewußtsein der eigenen Verantwortung gehabt, er hat das Mandat des deutschen Volkes erfüllt und aus dieser Überzeugung heraus gehandelt. Die Militärregierungen hatten uns lediglich ein Stück unserer demokratischen Freiheit freigegeben. Ich habe das Empfinden, daß hier ein Antrag gestellt wird, um zu versuchen, an einem an sich unschuldigen Punkte unser Grundgesetz zu entwerten. ({7}) Meine Damen und Herren, man kann nicht verlangen, daß dieses Grundgesetz mit Liebe und mit Ehrfurcht entgegengenommen wird. Dafür ist es zu jung, und dafür sind die Umstände, unter denen es zustandegekommen ist, vielleicht zu wenig regulär gewesen. Aber eines darf man verlangen, wenn man nicht von vornherein die Axt an die Wurzel unseres Staates legen will, daß man diesem Grundgesetz mit Fairneß und mit Loyalität gegenübertritt, daß man diesem jungen Staat die Möglichkeit des Lebens gewährt. Darin sehe ich die böse Tendenz dieses Antrags: Man will diese Autorität nicht anerkennen, man will diesem Grundgesetz keine Chance geben. Lassen Sie uns doch auch bei dieser Bestimmung einmal abwarten, wie die Entwicklung sein wird, ({8}) sprechen wir auch über die Frage, ob sich die Abschaffung der Todesstrafe bewährt hat oder nicht, in ein oder in zwei Jahren! Warum diese Überstürzung? Nur aus der Tendenz heraus, die ich Ihnen angedeutet habe. ({9}) - Meine Damen und Herren, was das Volk will, - ({10}) - Ich antworte Ihnen. ({11}) Wir haben in Bayern in dem Vertrauen auf das Rechtsgefühl des Volkes das Schwurgericht in der alten Form wieder eingeführt, damit das Volk über Schuld oder Nichtschuld entscheidet. Sie haben gesehen, was sich in der letzten Woche in München ereignet hat. ({12}) Haben da diese zwölf Geschworenen des Münchener Schwurgerichts in der Sache Schäfer und Lebküchner das richtige Rechtsgefühl gehabt? Sie sind der Verantwortung ausgewichen. ({13}) Ich glaube, es gibt ein höheres Maß des Rechtsgefühls, als es das dumpfe, triebhafte Verlangen nach der Todesstrafe darstellt. Meine Damen und Herren, wir wollen doch nicht über Dinge diskutieren, die letztlich nicht diskussionsfähig sind. Die Einstellung zur Todesstrafe ist keine Frage der ratio und des Intellekts, sondern ist eine Frage der letzten persönlichen Entscheidung des einzelnen. Und ich sage: zu meiner liberalen und humanen Auffassung gehört die Abschaffung der Todesstrafe. ({14})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Wagner.

Friedrich Wilhelm Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002405, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Der Herr Kollege Etzel war liebenswürdig genug, fest({0}) zustellen, daß ich als Mitglied des Parlamentarischen Rates den Antrag gestellt habe: die Todesstrafe wird abgeschafft. Der Parlamentarische Rat hat demgemäß beschlossen. Wir haben heute einen Antrag von seiten der Bayernpartei auf Änderung, d. h. auf Abschaffung des Artikels 2 und Wiedereinführung der Todesstrafe vor uns. Meine Damen und Herren, der Herr Kollege Etzel - der Herr Justizminister hat das besonders unterstrichen, und ich bedanke mich dafür bei ihm -- hat die Katze aus dem Sack gelassen. Er hat nämlich hier, ich glaube, aus Verärgerung darüber, daß die Bayernpartei im Parlamentarischen Rat nicht vertreten war, - ({1}) - Ihre Argumente, die Sie vorgetragen haben, erfordern gar nicht, daß ich auf diese Einwürfe -

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Herr Abgeordneter Dr. Baumgartner, ich möchte Sie doch bitten, in ihren Ausdrücken nicht über die Grenzen des Parlamentarischen hinauszugehen. ({0}) - Nein, nein! Sie müssen sich dieser Ausdrücke nicht bedienen. Ich bitte den Redner, in seinen Ausführungen fortzufahren.

Friedrich Wilhelm Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002405, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Man hat die Grundlagen des Bonner Grundgesetzes angefochten und angezweifelt. ({0}) - Die Grundlage haben Sie insofern angezweifelt, als Sie erklärt haben, wir hätten gar kein Recht gehabt, derartige Verfassungsbestimmungen zu erlassen. ({1}) - Also bestätigen Sie das, was ich behaupte! ({2}) - Nein, Sie haben sich gegen das ganze Grundgesetz schlechthin gewandt. Sie haben erklärt: hier hat ein Sonder- und Zweckgremium ohne demokratische Berechtigung eine Verfassung erlassen. ({3}) - Indirekt gewählt, das ist richtig; aber indirekt gewählt bedeutet nicht, daß es nicht demokratisch wäre. ({4}) - Aber Sie müssen doch wissen, Herr Dr. Baumgartner, daß es bei der Demokratie eine direkte und eine indirekte Wahl gibt. Ich weiß nicht, warum Sie so opponieren, wo doch die Dinge klar sind. ({5}) Meine Damen und Herren, der Antrag der Bayernpartei ist falsch formuliert. Während Herr Dr. Etzel hier seine Vorlesung gehalten hat, ({6}) habe ich Mir auf einem Blatt Papier notiert, daß der Antrag lauten müßte: Das Grundgesetz wird abgeschafft. ({7}) Sie werden es nicht fertig bringen, mit derartigen Primitivitäten hier irgendwie Eindruck zu machen. ({8}) Herr Dr. Etzel hat an diesem Rednerpult das Blut herunterlaufen lassen. ({9}) Wenn Sie das als sachlich bezeichnen, - - ({10}) - Das nennen Sie sachlich? ({11})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich glaube, es empfiehlt sich, das Zwiegespräch einmal zu unterbrechen, um eine sachliche Darstellung hier zu ermöglichen. ({0})

Friedrich Wilhelm Wagner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002405, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident, ich werde auf Zwischenrufe, die mich sturen, eingehen. Sie mussen sich dann an den wenden, der diese Störung veranlaßt, und nicht an den, der darauf reagiert. ({0}) - Seien Sie nur nicht so nervös! Sie werden schon sehen, was noch kommt. Sie werden noch viel mehr Grund zur Nervosität bekommen. Meine Damen und Herren, es dreht sich hier um einen Antrag aux Änderung der Verfassung. Die linse der Unterschriften der Mitglieder des Parlamentarischen Rats unter das Grundgesetz ist kaum trocken, und schon kommt man mit Antragen auf Änderung der Verfassung. ({1}) - Da haben Sie also die Berechtigung meiner Behauptung, daß ihr Antrag lauten sollte: Das Grundgesetz ist abgeschafft. ({2}) Es ist nur gut, daß diese Partei nicht groß ist, sonst gabe es keinen Parlamentarismus mehr. ({3}) - Wenn man von Verfassung auf Ewigkeit spricht, so mochte ich in diesem Zusammenhang sagen: diese Verfassung war genau neun Monate alt, als der Antrag von der Bayernpartei gekommen ist. Schließlich dürfen Sie doch nicht vergessen, daß in der Präambel zu lesen ist, daß dieses Grundgesetz für eine Übergangszeit gilt und daß der letzte Artikel dieser Verfassung sagt, daß sie gelten solle, bis das deutsche Volk in einer freien unabhängigen Wahl zusammentritt und für das gesamte einige Deutschland eine Verfassung schafft. ({4}) Man spricht doch jetzt schon von freien Wahlen in ganz Deutschland und von der Neuberufung einer Nationalversammlung. Meine Damen und Herren, wenn das der Fall ist und wenn die mitzuwirken haben, die von direkter Teilnahme ausgeschlossen ({5}) waren, dann stehen alle Grundsätze zur Diskussion, dann ist der Augenblick da, wo Sie mit solchen Anträgen kommen können. Wenn Sie aber jetzt schon das Tor öffnen wollen für Verfassungsänderungen, dann möchte ich Ihnen doch eines zur Warnung sagen: Auch meine Fraktion hat verschiedenen Bestimmungen nur mit aufeinandergebissenen Zähnen zugestimmt. ({6}) Wir könnten es uns durchaus leisten wie Sie und könnten auf allen möglichen Gebieten verfassungsändernde Anträge stellen, beispielsweise in der Frage des konstruktiven Mißtrauensvotums, ({7}) beispielsweise in der Frage der ganzen Regelung der Finanzangelegenheiten, in vielen anderen Dingen mehr. Aber ist denn das eine Staatspolitik? Kann denn ein Volk so arbeiten, daß es heute eine Verfassung macht und - kaum ist die Tinte trocken - mit Verfassungsänderungen beginnt? Kann denn dem deutschen Volke überhaupt eine Grundlage für eine Aufbauarbeit gegeben werden, wenn es - kaum ist eine Grundlage geschaffen - schon wiederum damit beginnt, die Dinge zu untergraben und die Verfassung, das Grundgesetz des Staates, zu ändern? ({8}) - Der Art. 79 bringt zum Ausdruck, daß man Verfassungen ({9}) nicht ändern kann wie Gesetze, sondern nur mit verfassungsändernder Mehrheit. ({10}) Er bringt ja zum Ausdruck, daß man bei Verfassungsänderungen besonders vorsichtig sein soll und daß man zum Schutze einer vernünftigen Entwicklung eine erhöhte Mehrheit verlangt. ({11}) Wie dem auch sei, an und für sich kann man diesen Vorstoß aus verfassungspolitischen Gründen nur aufs tiefste bedauern. ({12}) Aber wir haben gar keine Veranlassung, irgendwie der materiellen Erörterung dieser Frage aus dem Wege zu gehen. ({13}) - Sagen Sie nicht so früh „endlich", es ist noch nicht ganz so weit. ({14}) Wir sind in der Frage, die der Artikel 102 geregelt hat, an einer Grundsatzfrage angelangt, an einer Frage, die der Parlamentarische Rat diskutiert und in dem Sinne des Art. 102 entschieden hat. In der deutschen Verfassungsgeschichte war es nicht das erste Mal, daß diese Frage zur Erörterung stand. Wenn Herr Dr. Etzel bei seinen Betrachtungen etwas weiter zurückgegangen wäre, dann hätte er festgestellt, daß es bereits in der Deutschen Reichsverfassung von 1849 im Art. 3 § 9 heißt: „Die Todesstrafe sowie die Strafen des Prangers, der Brandmarkung und der körperlichen Züchtigung sind abgeschafft!" ({15}) - Oh ja, da haben Sie vollständig recht. Das war bereits ein Beschluß jenes Parlaments, und ich will nicht über jene gescheiterte Revolution sprechen, sondern die Idee war da, und die Idee hatte bereits Formen angenommen, wie ich sie Ihnen jetzt verlesen habe. ({16}) - Ich werde Ihnen darauf antworten. ({17}) - Ich werde Ihnen darauf antworten, Herr Kollege Etzel, wir haben Sie trotz Ihrer zum Teil grausigen Ausführungen ruhig mit angehört, und Sie müssen sich gefallen lassen, daß man Ihnen auch etwas sagt. ({18}) So hat im Laufe der letzten hundert Jahre die Frage der Todesstrafe bei den Erörterungen in unseren Parlamenten eine große Rolle gespielt. Bei der Schaffung des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund war in der ersten Lesung die Todesstrafe abgeschafft, und in der zweiten Lesung ist sie durch eine ungewöhnliche Intervention der Regierung wieder eingeführt worden. Sie können aber daraus ersehen, daß es schon 1870 Menschen gegeben hat, die auf diesem Gebiet, meine sehr verehrten Damen und Herren, viel weiter waren als manche Menschen der heutigen Zeit. ({19}) Und als später bei der Schaffung der Weimarer Verfassung diese Frage erneut zur Debatte stand - so wissen Sie, und der Herr Vertreter der Todesstrafe hat es Ihnen ja hier vorgetragen -, da wurde sie zunächst mit 14 Stimmen gegen 14 Stimmen abgeschafft und schließlich mit ganz schwacher Mehrheit wieder beibehalten. Die Frage hat seit unserer Reform des Strafrechts eine Rolle gespielt, und Sie, die Sie jemals sich um politische Dinge gekümmert haben, wissen alle, daß bereits Reichsjustizminister Koch-Weser im Hinblick auf die bevorstehende Justizreform - und, Herr Justizminister, man war jenes Mal auch sehr optimistisch bezüglich der Justizreform, ich habe selber die Ehre gehabt, Mitglied des Strafrechtsreform-Ausschusses des Deutschen Reichstags zu sein -, im Hinblick auf die Gedanken, die da zum Ausdruck gekommen sind, die Länderminister gebeten hat, keine Todesurteile in der Zukunft mehr zu genehmigen, sondern Begnadigungen auszusprechen. Wenn dann im Bonner Grundgesetz diese Frage zur Erörterung gestellt worden ist und entschieden wurde, so lag das doch durchaus in der Linie dieser Debatten, die wir seit hundert Jahren gesetzgeberisch, verfassungsmäßig in Deutschland haben. ({20}) Nun lassen Sie mich auf die Argumente, auf die materielle Prüfung der Berechtigung der Todesstrafe eingehen. Zur Todesstrafe muß Stellung genommen werden von vier verschiedenen Gesichtspunkten aus. Einmal vom Gesichtspunkt der Abschreckung, das andere Mal vom Gesichtspunkt der Sicherung der Gemeinschaft, schließlich vom Ge({21}) sichtspunkt der Vergeltung oder Sühne und endlich von der grundsätzlichen Seite überhaupt. Lassen Sie mich die Frage der Abschreckung kurz prüfen. Es wird so hingestellt, als ob durch die Einführung des Art. 102 im Bonner Grundgesetz die Mordtaten, die früher mit der Todesstrafe bedrohten Handlungen in auffälliger Weise, bedingt und verursacht durch den Art. 102, zugenommen hätten, daß also das Abschaffen der abschreckenden Todesstrafe dafür verantwortlich sei, daß die Mordtaten in Deutschland zugenommen hätten. Meine Damen und Herren! Da fällt mir gerade ein, daß der Herr Kollege Etzel während seiner Ausführungen einen Kollegen des Parlamentarischen Rates zitiert hat, der mir entgegentrat und der einen Fall anführte, der in jenen Tagen des Mai in Köln zur Aburteilung vor dem Schwurgericht stand. Ich kann mich an die Einzelheiten nicht mehr erinnern. Es handelte sich um eine Krankenschwester, die Menschen umgebracht hatte. Da ist ihm allerdings das Pech passiert, daß jene Krankenschwester ihre Mordtaten unter dem System der Todesstrafe ausgeführt hat! Die Todesstrafe war also für sie nicht abschreckend, die Straftaten, die mit ihr bedroht sind, trotzdem zu begehen. Wenn es so wäre, daß die Todesstrafe an und für sich den Verbrecher oder denjenigen, der den verbrecherischen Willen hat zu töten, von seiner Tat abhielte, dann müßte es, im großen und ganzen gesehen, unter dem System der Todesstrafe keine Straftaten mehr geben, die mit ihr bedroht sind. ({22}) Das ist aber nicht der Fall. Umgekehrt müßten in den Ländern und unter den Systemen, bei denen die Todesstrafe abgeschafft ist, die Verbrechen zunehmen. Das ist aber erst recht nicht der Fall. Sie haben auch von Italien gesprochen. In Italien war die Todesstrafe abgeschafft von 1890-1925, und die diesbezüglichen Verbrechen sind in dieser Zeitperiode um die Hälfte zurückgegangen. ({23}) Das scheint mir nun nicht gerade für die Theorie zu sprechen, daß die Todesstrafe abschreckend wirke und die Abschaffung der Todesstrafe die Verbrechen fördere und ihre Zahl ansteigen lasse. Schließlich muß man dann den Menschen, ob es Abgeordnete sind oder ob es Menschen unseres Volkes draußen sind, die diese Frage doch recht oberflächlich betrachten, und insbesondere dem Gesetzgeber sagen: Man braucht auf allen Gebieten, um zu einwandfreien Schlüssen zu kommen. eine bestimmte Beobachtungszeit, eine bestimmte Beobachtungsperiode. Kein Mensch wird doch behaupten wollen, daß eine Zeit von neun Monaten seit Inkrafttreten der Verfassung eine Periode ist, von der man sagen kann, daß sie wissenschaftlich ausreicht, um irgendeinen Nachweis, sei es in der einen, sei es in der anderen Richtung, zu erbringen. Was würden Sie von einem Naturwissenschaftler, von einem Mediziner, was von einem Techniker halten, der genaue wissenschaftliche Beobachtungen macht, wenn er mit den Beobachtungsperioden käme, mit denen man hier kommt? Unsere Naturwissenschaften, unsere medizinischen Wissenschaften und was weiß ich immer haben riesige Fortschritte gemacht. Aber ich muß sagen, eine Wissenschaft, die Wissenschaft des Verhaltens des Menschen dem Menschen gegenüber hat keinen Fortschritt gebracht! ({24}) Darauf ist viel von unserem Unglück nicht nur in Deutschland, sondern auch in der Welt zurückzuführen. Wenn man die Dinge so betrachtet, wie sie oft betrachtet werden, dann fällt mir immer ein Satz von Albert Schweitzer ein, der da sagt: „Die Gedankenlosigkeit ist dem modernen Menschen zur zweiten Natur geworden." ({25}) In Italien wurde die Todesstrafe wieder eingeführt im Jahre 1925. Durch wen? Durch den Faschismus! Durch jenes tyrannische, räuberische, Menschen und Freiheit tötende System! Das sollte alle schrecken, die so nach der Wiedereinführung der Todesstrafe schreien. Meine Damen und Herren! Wenn es richtig ist, daß in den letzten Jahren, in den letzten Monaten zahlreiche Verbrechen begangen worden sind, auf die normalerweise die Todesstrafe anwendbar wäre, so dürfen wir nicht vergessen, daß wir überhaupt in einer Periode zunehmender Kriminalität leben. ({26}) Wir haben nicht nur auf dem Gebiet des Mordes, der Tötung von Menschen, wir haben auch auf anderen Gebieten eine Kriminalität, die zum Teil erschreckend ist. Aber, meine Herren, Sie können nicht einfach die Kriminalität damit bekämpfen, daß Sie Köpfe abschlagen, sondern Sie müssen sich fragen: Woher kommt denn diese Kriminalität? ({27}) Wodurch ist sie denn verursacht? ({28}) Es ist doch gar kein Wunder, daß in einer Zeit, wie der unseren die Kriminalität zugenommen hat. Vergegenwärtigen Sie sich doch diese ungeheuren Massen von entwurzelten Menschen, Menschen ohne Wohnrecht, Menschen ohne Wohnsitz, umherziehend, Menschen ohne regelmäßige Arbeit, Menschen ohne Wohnung, Menschen, die sich in einer Situation befinden, die außerordentlich schwer für den vorstellbar ist, der in einer ähnlichen Situation des Entwurzeltseins, des Herausgerissenseins sich noch nicht befunden hat. Loslösung, Herauslösung aus jedem Familienverband - darüber und daraus resultieren Verwahrlosung, Verwahrlosung durch Krieg und Faschismus. Und, meine Damen und Herren, wenn Sie dem auf den Grund gehen, was wir erlebt haben auf dem Gebiet der Ausübung von Gewalt, der Morde und der Körnerverletzungen - alle diese demoralisierenden Wirkungen, sie kommen von dem großen organisierten Massenmord, genannt Krieg. ({29}) Das ist das Übel. Und dieser Krieg und dieser Massenmord hat sich ausgewirkt in der mangelnden Erziehung, er hat sich ausgewirkt in einer Verrohung, er hat sich auswirkt in einer Weise, die wir zum Teil jetzt schaudernd erleben. Meine Herren, gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang auf einen Gesichtspunkt hinzuweisen. Es ist nicht nur diese Entwurzelung, die Verwahrlosung, diese wirtschaftliche Not, dieses Elend, dieses sich aus der Gesellschaft Ausgestoßenfühlen, es ist noch etwas anderes, und zwar trifft das nicht nur zu für Deutschland; das traf auf alle Länder zu, in denen ich war, nicht nur als Spaziergänger, sondern um dort zu leben - ja, das trifft zu für Frankreich, das trifft zu für Amerika, das trifft zu - vielleicht weniger - für England, aber für ({30}) alle anderen Länder. Das sind - und da richte ich ein Wort an die Redakteure der Zeitungen - die Kriminalberichte, ({31}) das sind jene Kriminalberichte, die die Jugend und auch solche Jugend, die nicht mehr zu ihr zählt, mit einer wahren Inbrunst studiert. ({32}) Da werden die Verbrechen ausgemalt, ({33}) da wird alles dargestellt bis in jede kleine Einzelheit; da wird Schundliteratur in der ganzen Welt in einer Weise fabriziert, ({34}) die doch schwache Menschen geradezu zur Nachahmung anreizt. ({35}) Und wenn dazu noch eine Situation kommt, wie wir sie jetzt in Deutschland und in der Welt haben. dann ist das kein Wunder. Ich habe das auch in Frankreich gesehen. Lesen Sie die großen französischen Boulevardblätter. Sie lesen da über Mord und Totschlag auf der ersten Seite mehr als über die großen Fragen der Politik und des Lebens. Lesen Sie die amerikanischen Blätter; die haben das gleiche. Lesen Sie in Deutschland die ganzen Generalanzeiger. Irgendeiner ist umgebracht worden. Da lesen Sie alle Einzelheiten. Ja, es ist geradezu ein Anschauungsunterricht, wie es der, der noch gar kein Mörder ist, machen soll, um es zu werden. Meine Damen und Herren! Ich würde mir bei dieser Gelegenheit doch gestatten, einen Appell an alle die zu richten, die darauf Einfluß haben. daß man diesen Zeitungsraum für viel wichtigere Dinge benutzt, ({36}) aber nicht für Dinge, die gegen jede Moral und gegen jedes gesunde Gefühl. im anständigen Menschen sind. Und schließlich eins: Warum wundern wir uns, daß nach diesem Kriege und nach dem Faschismus die Mordtaten zugenommen haben. wenn sie wirklich zugenommen haben? Der Faschismus ist doch der Ausdruck für die Geringschätzung des Wertes des Lebens. ({37}) Das Leben hat überhaupt keinen Wert. Dem Führer paßt einer nicht, paßt die Nase nicht, paßt die Gesinnung nicht, und dann wird der Mann abgeknallt. Sie brauchen nur daran zu denken. wie es im Juni 1934 gewesen ist. Hitler und Göring paßten einige ihrer Bundesgenossen nicht mehr, und dann haben sie sie hingemordet, abgeknallt, wie man Hasen und Hunde abknallt. Dann sind sie zusammengetreten und haben erklärt: Das, was da geschah, ist Rechtens. Wenn Mord Rechtens ist, dann wundern Sie sich, wenn Menschen, die 14 Jahre unter diesem System der Verachtung des Menschenlebens gelebt haben, die darin erzogen worden sind, keinen Respekt vor dem Menschenleben haben! Sie können den Mord nur bekämpfen, indem Sie jedem Menschen den Respekt vor der Heiligkeit des Lebens einpflanzen. ({38}) - Ich danke Ihnen. ({39}) Meine Damen und Herren: nicht die Abschaffung der Todesstrafe, nicht das Wegfallen der abschrekkenden Wirkungen, sondern die Erscheinungen, die ich jetzt versucht habe, Ihnen in Kürze zu skizzieren, sind die Veranlassung für jene bedauernswerten Vorgänge, die wir alle zusammen mit Schrecken festgestellt haben. Sie dürfen bei der Betrachtung dieser Dinge und bei der Frage, ob die Todesstrafe wirklich abschreckend ist, eines nicht vergessen, und als Gesetzgeber müssen wir in diesem Punkte die Sache - und da gebe ich dem Herrn Kollegen Etzel recht - sehr leidenschaftslos betrachten: Je grausamer die Strafen, desto grausamer die Verbrechen! Das ist der Satz, der sich aus der Kriminalgeschichte ergibt. Und schließlich eines: Bei der Frage, ob die Todesstrafe abschreckend wirkt, kann man nicht von dem normalen Menschen ausgehen, der wohleingebettet in seiner natürlichen, sei es wirtschaftlichen, sei es sozialen, sei es psychologischen Situation lebt. Nachdem der Herr Kollege Etzel erklärt hat, auch Gedanken, die weiter zurückliegen. brauchten nicht falsch zu sein. gehe ich noch viel weiter zurück als nur bis zu 1912. Ich gehe zurück bis zum Jahre 1783. Im Jahre 1783 hat ein Mann namens Pestalozzi gelebt. Der Name Pestalozzi ist an vielen Schulhäusern zu finden, aber den Geist von Pestalozzi kann man auch heute nur sehr schwer entdecken. Dieser Pestalozzi hat in seinem Buche „Gesetzgebung und Kindermord" wörtlich gesagt: Die Todesstrafen haben auf den Lasterhaften und Elenden einen viel kleineren Einfluß als auf bessere und glücklichere Menschen. Laster und Elend verheeren einmal im Menschen die in ihm sich selber hütende und ihn vor Gefahren schützende Sorgfalt. Sie töten in ihm die Schrecken der Schande. Sie ersticken in ihm das reine Gefühl vom Wert des Lebens. Meine Damen und Herren, Sie mögen daraus ersehen, daß die Frage der abschreckenden Wirkung doch nicht so leicht und oberflächlich beantwortet werden kann, wie sie draußen beim Volk - das ist gar kein Zweifel - oft behandelt wird. Wenn Sie aber an die abschreckende Wirkung glauben, dann richte ich an Ihre Anhänger eine Frage. Wenn Sie die abschreckende Wirkung der Todesstrafe wollen, warum führen Sie dann die Exekutionen nicht öffentlich aus? Warum köpfen Sie nicht die Verbrecher auf offenem Markt, auf daß das ganze Volk sich ansammelt und sieht, wie schrecklich das ist, wenn ein Mensch geköpft wird? Warum machen Sie das nicht? ({40}) Sie machen das nicht, weil die Länder, die dieses System haben, sich schämen, eine solche Hinrichtung öffentlich vorzunehmen, und weil es noch eine andere Tatsache gibt, über die der gleiche Schriftsteller sich folgendermaßen äußert: Der lasterhafte Mensch wird vielmehr durch das Anschauen all der kaltblütigen Gerechtigkeitsschauspiele in seinem Innern noch mehr verheert. Man darf nur die niedrigsten Volksgebärden vor und nach den Exekutionen und Prangerstellen beobachten, so wird man an der Wahrheit meiner Äußerungen nicht zweifeln. Und nun, immer wieder unter Berufung auf den Satz, daß auch früher richtige Erkenntnisse vorge({41}) legen haben, wörtlich die Schlußfolgerungen dieses Mannes: Ich schließe kurz, daß die Todesstrafe kein geeignetes Mittel ist, dem Quell des Übels Einhalt zu gebieten. Nun wird gewöhnlich eines gemacht - und das hat der Verteidiger der Todesstrafe hier auch vorgetragen -: man tut so, als ob der Verbrecher, der eine Tat begangen hat, für die man die Todesstrafe verlangt, in einer Weise behandelt werde, die geradezu einer Unterstützung seiner Straftat gleichkomme. Heute hat man gesagt: er wird in einen Staatspensionär verwandelt! Meine Damen und Herren, wenn jemand zu fünf oder zehn Jahren Zuchthaus verurteilt wird, so ist das, glaube ich, schon etwas Furchtbares, und wenn er zu lebenslänglichem Zuchthaus verurteilt wird, so habe ich manchmal das Gefühl, daß durch das Übermaß der Eindruck, den es auf uns macht, verfehlt wird; denn lebenslängliches Zuchthaus ist doch immerhin eine Strafe, die etwas Schreckliches ist, eine Strafe, die nicht nur entehrt, sondern die in vielen Fällen doch auch zerstört; kurz, eine Strafe, die furchtbar ist. Aber was erleben wir? Ich komme da auf den Fall von Hamburg. Vor mir liegt das „Hamburger Echo" vom 2. März 1950, worin das Urteil gegen die Mörder der Taxifahrer behandelt wird. Der Vorsitzende dieses Gerichts hat dazu sehr bemerkenswerte Ausführungen gemacht, Ausführungen, die in den Rahmen dieser Erörterungen durchaus passen und zu denen Stellung genommen werden muß. Ich will in diesem Zusammenhang nur auf einen Satz in diesen Ausführungen hinweisen. Der Vorsitzende des Gerichts sagte: Es ist ein unerträglicher Gedanke, daß diesen brutalen und heimtückischen Raubmördern auf unbestimmte Zeit bei korrekter Behandlung und guter Verpflegung körperliches Wohlbefinden auf Staatskosten garantiert wird. Also, meine Damen und Herren, wenn Sie körperliches Wohlbefinden, gute Verpflegung und korrekte Behandlung auf Staatskosten haben wollen, dann müssen Sie ins Zuchthaus gehen! ({42}) Das ist keine abschreckende Wirkung einer Urteilsbegründung mehr, sondern diese paradiesische Verherrlichung des Zuchthauslebens reizt die Menschen zu Straftaten geradezu an. Diese verblendete und tendenziöse Darstellung des Hamburger Richters ist sehr bedenklich. ({43}) Auf andere Ausführungen dieses Mannes werde ich in anderem Zusammenhang zurückkommen. Ich komme zu dem Ergebnis - dabei will ich mit meinen Schlußfolgerungen sehr vorsichtig sein -, daß in der bisherigen Kriminalgeschichte in keiner Weise der Nachweis erbracht worden ist, daß die Todesstrafe eine abschreckende Wirkung hat. Wenn ich das so vorsichtig formuliere, dann deswegen, weil alle Beweise, die jetzt vorliegen, das Gegenteil dartun und weil ich die Erfahrungen in Deutschland auf Grund unserer neuen Verfassungsbestimmung abwarten will. Auf jeden Fall: ein Beweis dafür, daß die Todesstrafe abschrekkend wirke, ist nicht erbracht, aber, so würde ich sagen, der Anfang eines Beweises, daß bei Abschaffung der Todesstrafe die Zahl der Verbrechen, die mit der Todesstrafe bedroht werden, zurückgeht, ist geführt. Es ist richtig: es ist völlig unmöglich, einen Verbrecher, einen Mann, der einem anderen Menschen das Leben genommen hat, auf die Menschheit losuzlassen, ohne ein ganz schweres Verschulden auf sich zu laden. Die menschliche Gesellschaft und Gemeinschaft hat einen Anspruch darauf, daß sie vor derartigen Elementen beschützt wird. Diese Sicherung der Gemeinschaft aber wird völlig ausreichend durchgeführt, indem man die Leute ins Zuchthaus sperrt. Wenn man nun einwendet - und ich könnte hier viel mehr Einwendungen vorbringen, als der Herr Vorredner sie vorgebracht hat -: „Nach einigen Jahren werden sie amnestiert", dann sage ich: es ist Sache der Parlamente, darüber zu wachen, daß ihre Regierungen nicht unsinnige Maßnahmen ergreifen. Das also ist kein Argument, das dagegen spricht. Weiter wendet man ein, die Menschen müssen ernährt werden. Natürlich müssen sie ernährt werden. Aber die Menschen müssen ja auch arbeiten. Die Arbeit im Zuchthaus ist ja Zwangsarbeit. In anderen Ländern sagt man statt „Zuchthaus" auch „Zwangsarbeit". Bei dieser Zwangsarbeit wird schon soviel herauskommen, daß das, was sie essen und was sie sonst benötigen, von ihnen erarbeitet wird. Selbst aber, wenn es nicht so wäre, ist das keine Rechtfertigung für den Grundsatz, der hier aufgestellt wurde. Damit komme ich zur Frage der Vergeltung. Bei dieser Frage muß man sehr ehrlich mit sich selbst zu Rate gehen. Der Vergeltungstrieb wohnt in jedem Menschen, ausgenommen vielleicht ganz außergewöhnlich reine Menschen, die über jeder Norm stehen. Aber normalerweise wohnt der Vergeltungstrieb - keiner von uns wird sich da ausnehmen - in allen Menschen. Wenn uns einer etwas antut, werden wir darauf reagieren. Und so ist es auch in der Entwicklung gewesen. Wenn irgendeinem Angehörigen der Familie ein Leid geschah, ist das gerächt worden. Wenn einer vom Stamme A getötet worden ist, dann mußte vom Stamme B mindestens einer getötet werden, wahrscheinlich aber noch mehrere. Das ist die Vergeltung, die ihren radikalsten und hemmungslosesten Ausdruck in der Rache schlechthin und in der Blutrache findet. Meine Damen und Herren, ich will in dieser Frage der Vergeltung gar nicht schöntun. Ich will die Sache so leidenschaftslos behandeln, daß ich Ihnen vielleicht aus einem ganz anderen Grunde sogar auf die Nerven gehe. Für uns, die wir bis 1933 uns dem Faschismus entgegengeworfen haben, für uns, die wir alles verloren haben durch den faschistischen ({44}) - Ihre Nerven sind schon angegriffen, ich sehe es ja! ({45}) - Es ist für jeden - sehen Sie, Herr Baumgartner, ich komme Ihnen entgegen - ({46}) ({47}) - Wir sind hier nicht am Biertisch, wir sind im Parlament. ({48}) - Wir sind hier nicht auf einem Gartenfest, sind hier nicht im Hofbräuhaus, wir sitzen hier im deutschen Parlament! ({49}) Wenn also irgendeiner Grund hat, das Gefühl der Vergeltung und der Rache in sich zu fühlen. so sind es diejenigen, die vom Faschismus unterdrückt und gejagt worden sind, dann sind es diejenigen, die unter ihm gelitten haben. Was ist jetzt natürlicher, als daß man ruft: „à la lanterne!, an die Laterne mit denen, aufgehängt, hingerichtet! Das ist an und für sich eine ganz normale Reaktion, die der einzelne Bürger hat, die alle Menschen haben. Obwohl wir also sehr verlockt sein könnten, für die Todesstrafe zu sein, zumindest für alle die Naziverbrecher, die vor den Gerichten stehen, betrachten wir die Dinge von einer etwas höheren Warte, von einer Warte, für die allerdings nicht jeder Verständnis hat. Auf der Seite der Verteidiger der Todesstrafe steht man auf dem Standpunkt: die einzige Sühne für den Mörder ist die Todesstrafe, ist die Tötung des Menschen oder ist, wie der Herr Verteidiger der Todesstrafe sich hier ausgedrückt hat, das „Ausmerzen" dieser Menschen. Meine Damen und Herren, wenn ich das Wort „Ausmerzen" auf Menschen angewandt höre, dann habe ich so die Empfindung - und ich werde gleich in anderem Zusammenhang darauf kommen -, daß man über menschliches Leben doch mit etwas mehr Respekt reden sollte. ({50}) - Darauf werde ich noch zu sprechen kommen. Meine Damen und Herren, ich habe bereits das Urteil des Richters in Hamburg zitiert, der an anderer Stelle sagt, er mache die Presse darauf aufmerksam, daß sie das wortwörtlich bringen möge. Er spricht von den „östlichen Fremdlingen", die kein Daseinsrecht in Hamburg gehabt haben, und argumentiert dann so: Das Schwurgericht ist sich darüber klar, daß das Endergebnis, nämlich die Verurteilung zu lebenslänglichem Zuchthaus, in keiner Weise befriedigt. Es ist auch überzeugt, daß das Rechtsgefühl nicht nur der unmittelbar Betroffenen, sondern auch der großen Mehrheit der Hamburger Bevölkerung und darüber hinaus des ganzen deutschen Volkes die einzig mögliche Sühne, die Todesstrafe fordert. Und dann reitet er, der Richter, der dem Grundgesetz unterworfen ist, der Richter, der auf das Grundgesetz vereidigt ist, eine Attacke auf die Bestimmungen des Grundgesetzes. Ist es denn wirklich so, meine Damen und Herren, daß eine Mordtat als Vergeltung, als Sühne, nur die Todesstrafe zuläßt? Wenn Sie sich darauf im Prinzip einlassen und den Satz verkünden wollen „Wer gemordet hat, der muß sterben", dann können, dann müssen Sie ganz folgerichtig zu gewissen Abstufungen kommen und konsequent bleiben: Wenn einer einen einfachen Mord begangen hat - gut, er wird hingerichtet. Wie ist es aber dann, wenn er die scheußlichsten Verbrechen begangen hat, die auszumalen ich nicht die Gabe habe - Sie haben es heute schon gehört -, wenn einer mehrere Menschen umgebracht, sie in der übelsten Weise massakriert und gequält hat? Wäre es nicht das nächstliegende zu sagen: Ist das eine Vergeltung, daß man ihn auf den Block legt - knack - und das Leben ist aus? Und nebenbei, ist es nicht eine schwerere Strafe, wenn ich mein ganzes Leben lang hinter Gittern im Zuchthaus sitzen muß? Aber wird man nicht dazu kommen und ist man nicht immer in der Geschichte dazu gekommen, daß man je nach der Art des todeswürdigen Verbrechens eine andere Art der Hinrichtung vorgenommen hat? Wenn Sie nach Vergeltung rufen und sagen, Sühne kann nur der Tod dessen sein, der getötet hat, dann müssen Sie zurückkehren zur alten Hals- und Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. Der hat die Todesstrafe gehabt; er hat sie je nach der Grausamkeit des Verbrechens verschieden abgestuft. Er hatte ein ganzes System von grausamer peinlicher Bestrafung eingeführt. Hexen und Kirchenräuber, Brandstifter, Münzfälscher und Giftmischer hat man dem Feuertod ausgesetzt, Mörder und Giftmörder hat man gerädert; da wurden die Glieder, wie es in der Hals- und Peinlichen Gerichtsordnung Karls V. heißt, „zerstoßen". Totschläger, Räuber, Landfriedensbrecher, Aufrührer, Notzüchter, Abtreiber hat man mit dem Schwert vom Leben zum Tode befördert. Für andere gab es den Galgen; wieder andere hat man zum Galgen geschleift usw. Meine Damen und Herren, wenn Sie tatsächlich eine Sühne in dem Sinne haben wollen, wie es dem Prinzip der Todesstrafe entspricht, dann kommen Sie zu einer ganz verschiedenen Art der Ausführung der Todesstrafe je nach der Straftat, die begangen wurde. Dann bleibt es aber nicht nur dabei, daß Sie die Verbrechen des Mordes mit dem Tode bestrafen; dann entdeckt der Gesetzgeber je nach der Stimmung, je nach der Zusammensetzung der Parlamente, je nach den äußeren Situationen daß auch andere Delikte mit dem Tode bestraft werden müssen. Sie haben es bei Hitler gesehen. Die Todesstrafe war in Kraft von Weimar her, und wenn deshalb im Republikschutzgesetz Bestimmungen über die Anwendung der Todesstrafe enthalten waren, dann innerhalb des bestehenden Systems der Todesstrafe, nicht außerhalb des Systems. Wenn Sie aber das System der Todesstrafe nicht mehr haben, dann werden Sie auch keine Gesetze mehr machen können, die diesem System Konzessionen machen. Und wenn Ihnen das unangenehm war und unangenehm ist, dann hätten Ihre Vorgänger seinerzeit gegen die Todestrafe sein müssen. Meine Damen und Herren, man kann auch die Frage aufwerfen, ob es der richtige Augenblick gewesen ist, in dem der Parlamentarische Rat die Todesstrafe abgeschafft hat, ob man nicht auf eine spätere Zeit hätte warten können? Ich sage nein; das war der Augenblick, der nicht verpaßt werden durfte. Wir haben einen Strich unter das mörderische System 14-jähriger Hitlertyrannei gemacht, bei der das Leben nicht heilig war und nichts mehr bedeutete. Das mußte zum Ausdruck kommen, wenn man für einen Staat, einen neuen Staat, der umkehren, der einkehren, der etwas Neues schaffen will, eine gesunde Grundlage legen will. Denen, die erklären, es sei nicht der richtige Augenblick gewesen, darf man sagen: Für sie kommt für die Abschaffung der Todesstrafe niemals der richtige Augenblick; ({51}) sie waren immer dagegen, und der Augenblick ist ihnen nie passend, weil sie das Wesen dieser Frage nicht ganz würdigen. Diese Entscheidung bedeutet ({52}) einen Trennungsstrich zur Vergangenheit, sie bedeutet einen neuen Anfang. Meine Herren, wenn nicht wir auf diesem Gebiet - wenn das auch manchem abgelegen vorkommt - den Grundsatz, der im Art. 2 verankert ist, daß jeder das Recht auf Leben hat, mit all seinen Konsequenzen durchführen, wenn wir nicht in unserer Gesetzgebung, in unserem Leben, den Satz durchsetzen, daß das Leben etwas Heiliges ist, dann werden wir auch keinen neuen Staat bauen können, keinen Staat, der auf einer neuen und gesunden Moral und auf der Grundlage der Menschlichkeit beruht. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie kann man denn überhaupt die Dinge so anfassen, daß man sagt, es ginge uns um das Wohl des Verbrechers? Wir betrachten die Frage Todesstrafe ja nicht von der Frage des Wohles des Verbrechers aus, wir betrachten sie von der Frage des Grundsatzes und des Wohles für den Gedanken der Menschlichkeit aus: nicht für den Verbrecher, sondern für die menschliche Gesellschaft! Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen eines: solange die Maaten noch auf gesetzlicher Grundlage Menschen töten, so lange werden Menschen auf ungesetzlicher Grundlage Menschen töten. Und so lange der Staat das Leben nicht achtet, so lange wird auch ein Teil seiner Bürger das Leben der anderen Bürger nicht achten. Wir müssen es dahin bringen, daß eine neue Generation es zu einer Selbstverständlichkeit erklärt, daß das Leben unverletzlich ist, und daß sie sich mit Abscheu von jedem wendet, der irgendwie anderen das Leben nehmen will oder gar nimmt, und daß sie sich auch damit mit Abscheu wendet von dem Staat, der diese Mordtat von sich aus begeht. Seien Sie sich klar darüber: Die Begründung, die der Herr Dr. Etzel gegeben hat, es würde ja auch im Kriege getötet, ist keine Begründung gegen die Todesstrafe. Denn solange die Staaten im kleinen innerhalb ihrer Grenzen töten und das Menschenleben nicht achten, solange werden sie auch im großen töten. Der Krieg ist der organisierte Großmord, wie die Todesstrafe der organisierte Kleinmord der Staaten in ihrem Innern ist. Es bestehen für die Allmacht des Staates Grenzen; und wir sollten aus dem Dritten Reich eigentlich gelernt haben, daß man sehr vorsichtig sein muß, dem Staat eine Allmacht über alles zu geben, was da ist. Darf der Staat auch die Macht und das Recht haben, über das Leben der Menschen zu verfügen? Und da, meine Damen und Herren, wiederhole ich den Satz, den ich im Parlamentarischen Rat geprägt habe: Der Staat hat das Leben nicht gegeben, und der Staat hat auch nicht das Recht. das Leben zu nehmen. Es gibt keine Rechtfertigung für das Töten eines Menschen, und man darf sein Leben nicht in die Hand anderer Menschen geben, auch nicht in die Hand einer organisierten Gesamtheit, wie sie sich im Staate ausdrückt. All das gilt für schuldige, um wieviel mehr gilt all das erst für unschuldige Menschen, die vor den Richter gestellt werden und zum Tode verurteilt worden sind, obwohl sie nicht schuldig waren. Die Zahl der Justizirrtümer ist nicht gering; die Zahl der Justizirrtümer ist sehr groß. Und wer weiß, wieviele Menschen umsonst gestorben sind, weil die amtierenden Richter - ganz gleich, ob es Laienoder Berufsrichter waren - geglaubt haben, aus bestem Gewissen heraus: er sei schuldig! Sie können gar keine Sicherungen treffen, es gibt gar keine prozessualen Sicherungen, die irgendeine Garantie dafür bieten, daß Justizmorde, d. h. glatte Menschenmorde, im System der Todesstrafe überhaupt verhindert werden. Und nun möchte ich auf einen Gesichtspunkt kommen, auf den vorhin in einem Zwischenruf hingewiesen worden ist: die Mehrheit der Richter sei für die Todesstrafe. Ich habe in meiner Eigenschaft als Rechtsanwalt ja auch ein bißchen mit Richtern zu tun. Nach der Abschaffung der Todesstrafe haben viele Richter - nicht Richter, die meiner Partei angehören, wie das überhaupt keine Parteifrage ist - und viele Staatsanwälte mit mir gesprochen und mir erklärt, sie seien glücklich, daß die Todesstrafe abgeschafft worden ist. Ich kann und will natürlich nicht behaupten, daß die Mehrheit der Richter für die Abschaffung der Todesstrafe ist. Das wäre für mich auch kein Argument; das brauche ich nicht. Aber die Richter, die an Todesurteilen mitgewirkt haben, haben oft so schwere innere Kämpfe, so furchtbare innere Kämpfe durchzumachen gehabt, daß sie sagen, sie sind dankbar, daß sie nicht mehr so zu tun brauchten, als ob sie berechtigt wären, Leben auszulöschen, daß sie nicht mehr den kleinen Gott der Welt zu spielen brauchen. Sie bringen den Richter und den Staatsanwalt in einen ganz schweren Gewissenskonflikt, und diejenigen, die der Hinrichtung beiwohnen müssen, erst recht. Ein Richter sagte mir, auf diesen Gesichtspunkt habe niemand hingewiesen, und der Richter gehört nicht meiner Partei an. Der Richter gehört Ihrer eigenen CDU an, ein Mann, der mir aus dem Erleben heraus diese Dinge dargestellt hat. Nun, bei dem grundsätzlichen Teil vergessen Sie doch nicht die Richtigkeit jenes Satzes, den man besser gar nicht schreiben kann, als ihn der von mir schon zitierte Schriftsteller in dem zitierten Werk ausgedrückt hat. Er sagt: Erkennt, Gesetzgeber der Welt, und fühlt in Sonderheit in der Bestrafung der Taten, gegen welche ihr die Gewalt Gottes über den Menschen ausübt, in der Bestrafung der Taten, für welche ihr euren Brüdern, den Kindern eures Gottes, das Leben nehmt, erkennt doch in Ausübung der obersten und höchsten Gewalt, welche ein Mensch sich auf Erden über den anderen anmaßen kann, daß Lasterhaftigkeit in Bestrafung der Laster die Quelle des größten Nationalverderbens ist. Und wenn er dann dem Gesetzgeber ins Gewissen redet mit den Worten: Menschen, seid doch wenigstens in dem vorzüglichen Recht der Gottheit, das ihr euch anmaßt, behutsam und nicht kühn und schränkt euch doch in Erfüllung der Jammerpflicht der Kriminalgesetzgebung auf das ein, was ihr unumgänglich tun müßt und versucht doch niemals alles zu tun, was ihr könntet, denn ihr seid Menschen, ihr Götter! Es ist nun gesagt worden, das Volk sei für die Todesstrafe. Ich weiche diesem Problem gar nicht aus. Es ist gar kein Zweifel, daß die unmittelbare Reaktion aus dem Trieb der Vergeltung, die ja nicht zu leugnen ist, eine starke Neigung zu der Todesstrafe hervorruft, insbesondere deshalb weil die meisten Menschen sich mit der Problematik ihr Leben lang noch nicht beschäftigt haben. Ich frage: ist es Sache des Gesetzgebers, einem dunklen Trieb nachzugeben, ist es Sache des Gesetzgebers, so zu sprechen, daß es dem Volk, das diese Frage noch ({53}) nicht erforscht hat, angenehm ist? Oder ist es nicht Sache des Gesetzgebers, erzieherisch zu wirken und seinem Volk auf dem Wege zur Menschlichkeit voranzugehen? Ich möchte den Anhängern der Todesstrafe noch folgendes sagen: Wenn sich an dem Tisch in einem Gasthaus zu Ihnen irgendein Mann, ganz gleich welcher sozialen Stellung, setzt, werden Sie sich mit ihm unterhalten; Sie werden ihm die Hand geben, Sie werden mit ihm ein Glas Bier oder ein Glas Wein trinken. Wenn sich aber an Ihren Tisch der Henker setzt, werden Sie dann an diesem Tisch bleiben, ihm die Hand drücken und mit ihm gemeinsam Ihren Schoppen trinken? Sie werden, von Abscheu erfüllt, ihn verlassen. Sie wollen aber den Henker in Deutschland wieder einführen, den Sie verabscheuen, von dem Sie nichts wissen wollen. Demgegenüber wollen wir ein so niedriges und gemeines Instrument nicht mehr. Wir wollen nicht, daß der Staat Menschen zu Mördern, zu Henkern macht. Wir wollen, daß wir uns von der Bestialität zur Humanität entwickeln. Wir wollen nicht wieder zurück in das Dunkel der Barbarei, sei es der faschistischen oder der vorfaschistischen Barbarei, sondern wir wollen vorwärts in eine menschlichere Gesellschaft. Mit Ihrer Entscheidung sprechen Sie das Urteil über sich selbst. Sorgen Sie dafür -und ich bin überzeugt, Sie werden es tun -, daß es kein Todesurteil für den Fortschritt des Menschengeschlechts sein wird, kein Todesurteil für den Glauben an seine Aufwärtsentwicklung, und lehnen Sie den Antrag der Bayernpartei mit überwältigender Mehrheit ab. ({54})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst.

Dr. Josef Ferdinand Kleindinst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001120, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine verehrten Damen und Herren! Als mein Herr Vorredner im Parlamentarischen Rat den Antrag auf Abschaffung der Todesstrafe gestellt hatte, haben die Meinungsverschiedenheiten, wie er bereits hervorgehoben hat, nicht von Partei zu Partei, nicht von Fraktion zu Fraktion bestanden. Auch die Abstimmung hat nach der rein persönlichen Überzeugung und nach der rein persönlichen Verantwortung stattgefunden. Natürlich ist die Frage entstanden, ob man nach den Brutalitäten der Nationalsozialisten, nach der Abstumpfung durch den Krieg, nach den vielen Untaten, insbesondere von Ausländern, an die Abschaffung der Todesstrafe herangehen kann. Im Parlamentarischen Rat hat aber eine starke Mehrheit für die Abschaffung der Todesstrafe gestimmt, und eine Reihe von Mitgliedern hat sich der Stimme enthalten. Diese Mehrheit war aus allen Fraktionen gebildet, auch aus der CDU und CSU. So ist die Bestimmung in das Grundgesetz gekommen. Man mag zum Grundgesetz stehen, wie man will; es ist nun einmal die Grundlage unseres Verfassungslebens geworden. Wir sind nicht gesonnen, zehn Monate nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes aus ihm eine Bestimmung herauszubrechen, die unzweifelhaft in einem ideellen Zusammenhang mit den Grundrechten steht. ({0}) Was würden die Herren Antragsteller sagen, wenn morgen ein Antrag auf eine Erweiterung der Zuständigkeiten des Bundes, etwa in bezug auf das Gemeinderecht oder das Schulrecht, eingereicht würde? Meine Herren, ich hätte vom Standpunkt des Bundesstaats, den ich mit Ihnen vertrete, nicht das Vorbild zu einer Verfassungsänderung gegeben. ({1}) - Das ist schon hervorgehoben worden. Er ist gemacht worden, um das Grundgesetz unter einen besonderen Schutz zu stellen und um nicht von Stimmungen und Verstimmungen aus die Zuständigkeiten oder die übrigen Bestimmungen überhaupt verrücken zu lassen. Wir können also rein verfassungspolitisch nicht unsere Hand dazu bieten, jetzt ohne zwingendsten Grund das Grundgesetz zu ändern, und zwar auch aus föderalistischer Gesinnung. Nun kommt ein zweiter Gesichtspunkt. Wir haben es im Parlamentarischen Rat als einen Nachteil angesehen, daß die Frage der Abschaffung der Todesstrafe außerhalb der Strafrechtsreform behandelt werden mußte. Gewiß, die Gründe für und wider die Todesstrafe sind in den Fraktionen besprochen worden. Der Herr Antragsteller hat seine Gründe mit derselben Überzeugungskraft wie heute vertreten. Aber im Rahmen der Beratung des Grundgesetzes war die Stellungnahme zu dieser Frage nicht mit der Gründlichkeit und mit dem Aufwand möglich, wie es in einem Strafrechtsausschuß der Fall gewesen wäre. Aus diesem Grunde haben Mitglieder des Parlamentarischen Rates gegen den Antrag gestimmt oder sich der Stimme enthalten. Auch der vorliegende Antrag wird außerhalb einer Revision des Strafrechts gestellt. Wir sind der Anschauung, daß diese Frage nicht jetzt und nicht als isolierte Angelegenheit ausgetragen werden kann. Nun komme ich zu einer rein praktischen Frage. Wenn man die Anschauungen des Hauses einigermaßen objektiv übersieht, so wird man nie der Überzeugung sein können, daß man eine verfassungsändernde Mehrheit für diesen Antrag zusammenbringt. Da muß ich sagen: welchen Zweck hat dann der Antrag in diesem überlasteten Hause und auch im Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht? Ich glaube deshalb, daß man diesen Antrag, nachdem er keine Möglichkeit hat, hier durchzugehen, auch gar nicht dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überweisen sollte. ({2}) Wir sind hier durchaus der Meinung des Herrn Justizministers, daß diese Frage erst wieder gestellt werden kann, wenn die Strafrechtsreform vor uns liegt, und zu ihr werden wir ja kommen müssen. Man kann sie nicht von ihr trennen, und es wird wenigstens die Frage aufgeworfen werden: welche Erfahrungen hat man mit der Aufhebung der Todesstrafe gemacht? ({3}) Welche Erfahrungen haben die Strafvollzugsbehörden ({4}) beim Vollzug von Strafen von Verbrechern gemacht, die voraussichtlich zum Tod verurteilt worden wären? Das kann nur in diesem Zusammenhang gemacht werden. Nun ist bestritten worden, daß der Parlamentarische Rat überhaupt für die Beschlußfassung über diese Frage zuständig gewesen ist. Der Herr Kollege Laforet wird die staatsrechtliche Frage besonders behandeln, darauf will ich nicht eingehen; ({5}) ich will nur das eine sagen: wenn man hier Anträge stellt, Beschlüsse faßt und an den Beschlußfassungen teilnimmt, so stellt man sich auf den Boden dieses Grundgesetzes. Das gilt doch auch für die Herren Antragsteller. Aus diesen Gründen glauben wir, daß man den Antrag ablehnen muß, weil gar keine Möglichkeit besteht, daß er eine praktische Bedeutung annimmt. ({6}) - Jawohl, meine Herren, weil das Haus und der Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht so überlastet sind, werden sie nur zu Anträgen Stellung nehmen können, von denen man voraussieht, daß sie eine praktische Bedeutung gewinnen. ({7})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Hammer.

Dr. Richard Hammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000795, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Ich will von der Erörterung der verfassungsrechtlichen Fragen absehen und jetzt zu der eigentlichen Sache selbst einiges sagen: Es ist in Deutschland eine oft geübte Gewohnheit, seine Ausführungen mit einem Zitat aus Goethes „Götz" zu schließen. Gestatten Sie mir ausnahmsweise, mit einem solchen Zitat anzufangen. Ort: nicht Jagsthausen, sondern die Hofhaltung in Bamberg. Teilnehmer: der Abt von Fulda und jener Dr. Olearius aus Sachsenhausen. Der Kirchenfürst fragt den Mann, wer er sei. „Doctor utriusque juris". Wo er herkäme? „Von Bologna". Er fragt ihn dann nach seiner Wissenschaft und stellt ihm die Frage: Nun, wie ist das eigentlich mit eurem Recht? Sind da die zehn Gebote auch drin enthalten oder nicht? Da gibt dieser Olearius die Antwort: „Explicite nein, implicite ja!" Damit, meine Damen und Herren, hat dieser Dr. „Wolfgang Olearius" doch ganz eindeutig behauptet, daß nicht nur das kanonische Recht, sondern unser abendländisches Recht überhaupt säkularisiertes Christentum ist. Säkularisiertes Christentum heißt, daß es eine Tötung nicht geben darf, es sei denn in der Notwehr. ({0}) Versuchen Sie die kümmerliche Anzahl von Paragraphen unserer Tötungslehre darauf nachzusehen, so werden Sie außer dem, was der § 218 als erlaubt übriggelassen hat, nicht viel finden. Auch da ist schon die Einstimmigkeit nicht mehr vorhanden. Ich erinnere Sie an den Einspruch der alten Kirche. Mit den sehr fraglichen und problematischen Dingen des Zweikampfes und mit der vorhin zum ersten Mal in einem deutschen Parlament gestreiften Frage der Euthanasie sind Sie schon beinahe am Ende, wenn nicht die Todesstrafe wäre. Von der Todesstrafe wissen wir doch nach den Aussagen der Kulturhistoriker, daß das ursprünglich das Problem von fas und nefas war, von dem verletzten Gesetz der Gottheit, das gesühnt wurde, und daß die Hinrichtung ursprünglich eine sakrale Handlung, ein Opfer war. Ich bitte Sie, zu überlegen, was davon noch für uns übrig geblieben ist und wie fremd diese Vorgänge in unserer Welt wirken. Einer meiner Vorredner - ich glaube, es war der Herr Kollege Wagner - wies darauf hin, daß sich in der Gesellschaft wohl kaum einer Bereitfinden würde, an irgendeinem Tisch neben einem Henker Platz zu nehmen. Es ist das Erstaunliche geschehen, das der Tiefenpsychologe deuten möge, daß aus diesem Opferer einer geworden ist, der die Stelle eines Parias hat, jawohl, fast der einzige in unserer ganzen Gesellschaft mit Ausnahme der Prostituierten. Hier sind uns Dinge wie Petrefakte in unsere Gegenwart mitgegeben worden, die nicht mehr richtig am Platze sind. Wenn Sie den Versuch machen, sich zu überlegen: was kann denn Strafe für uns bedeuten? -, dann bleibt nur die Strafe in ihrer Bedeutung als Erziehungsmittel und die Strafe als endgültige Sicherungsverwahrung zum Schutz der Gesellschaft vor den Asozialen übrig. Es mag in anderen Zeiten dazu vielleicht noch mehr zu sagen sein. Wir sind ja im Augenblick davor bewahrt, ein Kriegsrecht kodifizieren zu müssen. Dann mögen diese Dinge unter Umständen anders aussehen. Im Augenblick scheint es mir so zu sein, daß eindeutig der Beweis geführt wird, daß die Tötung durch Gesetz keine erlaubte Notwehr mehr darstellt. ({1}) Es sind keine Beweise geführt worden, daß die Verhängung der Todesstrafe die Kriminalität gesenkt hätte, ({2}) und selbst wenn die Herren Statistiker ihre Arbeit nicht getan hätten, - wer halbwegs einen Sinn für den Ablauf der Geschichte hat, der weiß, daß in jener Zeit, in der der gehenkt wurde, der eines Strickes Wert entwendet hatte, die Kriminalität weiß Gott nicht geringer war, als sie heute beim modernen Strafvollzug gewesen ist. ({3}) Nun, meine Damen und Herren, trotzdem etwas ganz anderes zu der Frage der Todesstrafe, das den Anschein hat, paradox zu sein. Wir wissen alle oder wir haben gehört, daß uns immer Dichter und Weise erzählt haben, daß in der Seele des Menschen der Hang zu töten, der Hang, dem gehaßten Feind das Messer in die Brust zu stoßen, kreisen würde wie das Blut in unserem Leib. Wenn die Leute das mit schlechten Worten gesagt haben, dann hat man versucht, sie mit Aufklärung und Humanität zu besprengen, und hat das nicht wahrhaben wollen, was sie gesagt haben. Seit etwa fünfzig Jahren, seit in Deutschland und in Europa der große Sigmund Freud uns gelehrt hat, in die tiefsten Tiefen der Menschenseele hinabzusteigen, ist an die Seite dieser Seher und Dichter auch der Wissenschaftler getreten, und der macht genau dieselbe Aussage, noch eine weitergehende, daß in uns allen der Hang zu töten unauslöschbar sei, ja daß unser ganzes Fundament auf diesem ehernen Geschehen einer archaischen Welt stände; er hat uns noch mehr gesagt, er hat uns auch gelehrt, daß der Hang des Menschen, sich selbst zu töten, genau so vorhanden sei wie der, andere zu töten. Meine Damen und Herren, wenn Sie daran zweifeln würden, dann würde ich Ihnen nur einen einzigen Namen zurufen, ich würde Ihnen den Namen Baab zurufen, und ich würde Sie bitten, einmal zu prüfen: horchen Sie in sich hinein und registrieren Sie die Reaktion! Wir leben nun in einer politischen Zeit, in der diese Reaktion - die Reaktion, den Feind zu töten, zu vernichten - die unerwünschteste aller Reaktionen sein kann. Wir stehen als Volk vor der Aufgabe, in einer großen Versöhnung. in der Verkündung eines großen und wirksamen Landfriedens die Gegner der Vergangenheit zu binden und die Gegner in der Zukunft unschädlich zu machen. Zur wirksamen Demokratie gehört die Bereitwilligkeit, unter allen Umständen in dem Nachbarn und ({4}) Volksgenossen den Bruder und Freund zu sehen. Sie merken aus sich selbst heraus, meine Damen und Herren, wieviel in uns gegen diese Zumutung rebelliert, wie wir unter unseren Affekten leiden und kaum vergessen können. Es ist unhaltbar, in einer derartigen Stunde der deutschen Öffentlichkeit das Spektakelstück vergossenen Blutes, und sei es das von Verbrechern, zu geben; Sie können nicht den Frieden und die Versöhnung predigen und gleichzeitig - durch Presse, durch Rundfunk, mit allen Möglichkeiten - dem sensationslüsternen Volk, unkontrolliert, von einer Presse, der weitgehend die Verantwortung dazu fehlt, die Gelegenheit geben, sich mit dem Vorgang des Tötens und Hinrichtens zu befassen. Die Aufgabe, vorbildlich für Frieden und für Versöhnung innerhalb unseres Volkes zu sein, verbietet uns, barbarische Sühne- und Vergeltungsmaßnahmen in Deutschland ablaufen zu lassen. ({5}) - Herr Kollege Baumgartner, ich habe vorhin als Ausgang meiner Betrachtungen nicht nur dialektisch festgestellt, daß unser abendländisches Recht säkularisiertes Christentum ist, und ich halte es nicht für nötig, einen Vertreter der Bayernpartei auf die Offenbarung hinzuweisen. ({6})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Ich bitte, den Redner durch Zwischenrufe nicht zu sehr zu stören.

Dr. Richard Hammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000795, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Baumgartner, ich habe keine Lust, ein theologisches Gespräch über das Wesen der Kirche zu beginnen. Maßgebend ist und bleibt für mich, mindestens für jeden Protestanten, die Offenbarung, und darin steht, daß das Töten verboten ist. Aber ich möchte zur Sache zurückkommen. Die Aufgabe, in der wir politisch stehen, zwingt uns zu dem Entscheid, an unser Volk zu denken und an die große Versöhnung, und da paßt das Spectaculum der Hinrichtung nicht hinein. ({0}) Ich bitte deshalb im Namen einer starken Anzahl von Freunden, dem Antrag der Bayernpartei ein entschiedenes Nein entgegenzusetzen. ({1})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Laforet.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Gegenüber den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Etzel über die rechtliche Bedeutung und die Wirkung des Grundgesetzes sowie über die Befugnisse und die Tätigkeit des Parlamentarischen Rats muß folgendes kurz und klar betont werden. Der Parlamentarische Rat war kein Vollzugsorgan der Besatzungsmächte. ({0}) Nach dem völligen Zusammenbruch war kraft des Völkerrechts die Ausübung der deutschen Staatsgewalt auf die Besatzungsmächte übergegangen. Die Besatzungsmächte haben die Ausübung der deutschen Staatsgewalt nach und nach deutschen Organen wieder zurückgegeben. Die Besatzungsmächte haben den Ministerpräsidenten der Länder die Ermächtigung erteilt, Vertreter der deutschen Länder zusammenzuberufen, um ein Grundgesetz auszuarbeiten, und die Ministerpräsidenten haben von dieser Ermächtigung, in Ausübung der deutschen Staatsgewalt zu handeln, nach ihrem Ermessen Gebrauch gemacht und den Parlamentarischen Rat berufen. Dann sind die Mitglieder des Rates nach demokratischen Grundsätzen von den Parlamenten der deutschen Länder gewählt und abgeordnet worden. ({1}) Der Parlamentarische Rat war die damals allein mögliche Gesamtvertretung des deutschen Volkes ({2}) und hat als solche Gesamtvertretung des deutschen Volkes kraft deutschen Rechts gehandelt. ({3}) Das Grundgesetz ist darauf auch durch die Volksvertretungen von zwei Dritteln der beteiligten deutschen Länder angenommen worden. Wir blieben in der Minderheit, als wir die Beschlußfassung durch das Volk forderten; das ist aber für die rechtliche Wirksamkeit nicht das Entscheidende. Auf dieses Grundgesetz bauen alle Parteien, auch die Partei des Herrn Kollegen Dr. Etzel, ihre gesamte Arbeit in diesem Hause auf. ({4}) Das Grundgesetz ist von zwei Dritteln der deutschen Länder angenommen, und damit ist die Voraussetzung erfüllt, die dieses Grundgesetz selbst sich bei der Entstehung gesetzt hat. Es ist ein Übergangsgesetz, das gelten soll, bis das gesamte deutsche Volk in der Lage ist, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden. Aber das Grundgesetz ist ein Gesetz, das aus der Befugnis deutscher Männer und Frauen kraft deutschen Rechts für das deutsche Volk erlassen ist. ({5})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat Frau Abgeordnete Meyer-Laule.

Emmy Meyer-Laule (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001498, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ein Fachmann des Strafrechts und einer unserer größten Rechtsphilosophen, der vor wenigen Monaten verstorbene Professor Gustav Radbruch, der sich ein Leben lang für die Abschaffung der Todesstrafe einsetzte und der den Artikel 102 des Staatsgrundgesetzes wie ein Gnadengeschenk begrüßte, sagte schon im Mai letzten Jahres in weiser Vorahnung dessen, was heute ({0}) nach wenigen Monaten des Inkrafttretens dieses Artikels zur Debatte steht, folgendes: Seien wir auf der Hut, wenn vorübergehende Volksstimmungen die Rückgängigmachung einer humanen Tat fordern sollten, die uns als ein guter Anfang eines neuen Zeitalters durch weitblickende Verfassungsgesetzgeber geschenkt worden ist. Die Antragsteller möchten gegenüber der gesteigerten Kriminalität auf das schärfste unter den Strafmitteln nicht verzichten. Sie glauben, mit der Wiedereinführung der Todesstrafe das Allheilmittel gefunden zu haben, und vergessen dabei, daß diese Abschreckungstheorie wirkungslos geworden ist bei einer Generation, die allein durch das Wort „liquidieren" dokumentiert hat, daß sie den Menschen einem leblosen Objekt gleichsetzte, ({1}) und der das Wort „umlegen" in zynisch kalter Ausdrucksweise vom Munde ging. ({2}) In einer Zeit, wo Härte eine heroische Tugend und die Achtung vor dem Menschenleben in erschreckendem Maße zersetzt war, wo Geisel- und Justizmorde an Tausenden von Menschen demonstriert wurden, da haben diese Menschen die Angst vor dem Tode genau so verloren wie die Ehrfurcht vor dem Leben. ({3}) Gerade diese Vergangenheit ist es ja, die die Urinstinkte nach sogenannter Vergeltung wachrief, und unsere Pflicht wird sein, an ihrer Stelle den Ruf nach Menschlichkeit zu erheben in der Überzeugung, daß nur über die Vermenschlichung der Zustände eine höhere Moral und Gesittung erreicht werden kann. ({4}) Solange aber die Moral auf der Demontageliste steht, wird es die Pflicht dieses Hohen Hauses sein, der. Zerstörung von sittlichen Werten mit allem Nachdruck entgegenzutreten. ({5}) Die Kriminalität wird durch die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht gemindert werden, was ja die Statistiken beweisen. Wenn die anderen Staaten die Todesstrafe noch beibehalten, darf das für uns kein Vorbild sein, wenn wir uns ernsthaft zu den Grundsätzen der Humanität auf allen Gebieten des privaten und öffentlichen Lebens bekennen. Das Bekenntnis zur Humanität verpflichtet uns ja, täglich die Frage vorzulegen: Was haben wir in der Bundesrepublik getan, um die Kriminalität einzudämmen? Es vergeht doch kaum ein Tag, an dem uns nicht die menschliche Tragödie in irgendeiner Form zum Bewußtsein gebracht wird. Ich glaube, daß bei einem großen Teil der Kriminellen der Ursprung in den schlechten wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten liegt. ({6}) Wir Sozialdemokraten machen uns die Erfahrungen und Erkenntnisse des großen Rechtslehrers Franz Liszt zunutze, der sagte: Eine gute Sozialpolitik ist die beste Kriminalpolitik. ({7}) Lassen Sie uns diese Weisheit gemeinsam in die Wirklichkeit umsetzen, und ich glaube, Sie werden dann keine überfüllten Zuchthäuser mehr haben. Der Antrag Nr. 619 kommt mir so vor, wie wenn ein Hausbesitzer aus den Fundamenten seines neugebauten Hauses, das er nicht liebt, die Steine herausbricht, weil ihm der Grundriß dieses Hauses von Anfang an mißfallen hat. ({8}) Die Achtung vor dem Gesetz bedingt aber auch die Achtung vor dem Grundgesetz als Fundament des staatlichen Aufbaus. ({9}) Wir Sozialdemokraten bejahen die Abschaffung der Todesstrafe von ganzem Herzen und sehen darin die Erfüllung einer Forderung der Menschlichkeit und den ersten kühnen Schritt von der Bestialität der Vergangenheit in die Humanität einer neuen Zeit. Ich möchte die Antragsteller fragen, wie sie ihre Forderung mit dem christlichen Gewissen vereinbaren wollen. ({10}) Das göttliche Gebot „Du sollst nicht töten" befiehlt uns doch, daß wir keinem Menschen das Recht zugestehen dürfen, einem anderen das Leben abzusprechen. Wir wissen, daß es Menschen gibt, die den tausendfachen Tod verdient hätten; aber wir wissen auch, daß der Tod keine Sühne, oft nicht einmal eine Strafe ist, weil er von diesen Menschen ja nur als Ende gewertet wird. Die Strafe, lebenslänglich verurteilt zu sein, läßt durch das Gewissen sühnen und gibt dem Verurteilten die Möglichkeit, sich zum Menschentum zurückzufinden. Der beste Beweis dürfte der Ihnen doch wohl allen bekannte Fall Ernst von Techow sein, der im Rathenau-Prozeß zu 15 Jahren verurteilt wurde und in dieser Zeit der Besinnung eine Umwandlung zum Guten durchmachte. Nach seiner Begnadigung auf Grund der Hindenburg-Amnestie lebte er in Südfrankreich und verhalf -während der Zeit des Nazi-Regimes unzähligen deutschen Emigranten unter Einsatz seines Lebens zur Flucht. ({11}) Aus welchen Motiven der Wille, gutzumachen, entsprang, mag dahingestellt sein. Ich möchte annehmen, daß es ein Brief von einer Mutter an eine Mutter war, den die Mutter Rathenaus nach dem Todes ihres Sohnes an die Mutter von Ernst von Techow geschrieben hat: In tiefstem Schmerz reiche ich Ihnen, ärmste aller Frauen, die Hand. Sagen Sie Ihrem Sohn, daß ich ihm verzeihe, wie auch Gott ihm verzeihen möge. Dieser Brief ist ein Stück Weltgewissen, entsprungen aus den tiefen Lebensquellen Güte und Liebe. Lassen Sie diesen Brief von der Mutter Rathenaus nicht ungeschrieben, nicht umsonst geschrieben sein! Lassen Sie uns abseits auch von einer gerechten Empörung an das Gute im Menschen glauben! Und beginnen wir damit, beginnen wir alle damit, die Gebote Gottes zu leben. ({12}) Bevor Sie sich entscheiden, ob Sie diesem Antrage Ihre Zustimmung geben, bitte ich Sie, meine Herren, einmal darüber nachzudenken, wie Sie sich verhalten würden, wenn Ihr eigenes Kind, durch Veranlagung oder Verführung aus der Bahn geworfen, dem Strafrichter zur Aburteilung zugeführt würde. Und wenn wir zu den Leidgetroffenen gehörten, hätten wir die Kraft der Mutter Rathenaus, zu verzeihen? Die Entwicklung unseres Volkes in diese Richtung zu lenken, sollte Endziel unserer Arbeit sein. Mag die Argumentation der Antragsteller noch so beweiskräftig geführt werden, wir werden und müssen diesen Antrag in Ehrfurcht vor dem Leben und in der Überzeugung ablehnen, ({13}) daß nur über eine soziale Neuordnung eine moralische Neuordnung erreicht werden kann. ({14})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat der Abgeordnete Loritz.

Alfred Loritz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001375, Fraktion: Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Was heute alles fur und wider die Todesstrafe gesagt worden ist, das ist seit vielen, vielen Hunderen von Jahren von den Juristen durchdacht worden. In jedem einfachen Lehrbuch des Strafprozeßrechtes konnen Sie darüber das Nähere finden. Vielleicht war es nicht nötig, sich wegen all dieser Dinge die Köpfe so zu zerreden, wie das hier tatsachlich geschehen ist. Es ist ja weiß Gott bei der heutigen Debatte schon ziemlich stürmisch zugegangen. ich glaube, daß dazu keinerlei Veranlassung vorlag. Das Problem sollte abseits jeder Polemik untersucht werden. Ich möchte mich zu den Theorien für und wider im einzelnen garnicht äußern. Ich möchte nur eines sagen, nachdem immer und immer wieder davon gesprochen wurde, die Gerechtigkeit erfordere die Bestrafung des Mörders mit der Hinrichtung. Ich glaube, ich habe Sie recht verstanden, Herr Dr. Etzel, und möchte Ihnen eines antworten: wenn wir auf dem Boden des Christentums stehen, so können wir überhaupt mit dem Wort „die Gerechtigkeit verlangt dies" keine Bestrafung vornehmen; denn in der Bibel heißt es ganz klar: Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! ({0}) Ganz klar und eindeutig! ({1}) - Herr Kollege, es ist sehr nutzlos, darüber zu lachen. Ich bitte Sie, diese Ausführungen mit dem nötigen Ernst entgegenzunehmen, so wie sie auch gemeint sind. ({2}) - So, diesmal wurde nicht über mich gelacht; dann nehme ich das dankend zur Kenntnis. Mit der Forderung nach Gerechtigkeit können Sie überhaupt kein Urteil begründen, wenn Sie auf dem Boden des Christentums stehen. Eine ganz andere Begründung nur kann vorgebracht werden von den Anhängern der Todesstrafe, nämlich die Begründung mit der abschreckenden Wirkung dieser Strafe. Ich kann meiner sehr verehrten Frau Vorrednerin, deren Ausführungen sehr interessant waren, hier nicht ganz zustimmen, wenn sie meint, durch die Verrohung der letzten Jahre und Jahrzehnte sei eine solche abschreckende Wirkung in Wegfall gekommen. Das stimmt nicht. Ich könnte Ihnen aus meiner eigenen Erfahrung als Rechtsanwalt sofort das Gegenteil beweisen. So ist es nicht. Daß man heute mit dem Umlegen so freigebig geworden ist - leider! -, das trifft doch immer nur im Verhältnis auf andere zu. Andere sollen umgelegt werden, ja, mit diesen Dingen sind heute leider Millionen sehr oberflächlich geworden. Aber wenn es um das Selbst-Umgelegtwerden geht, ist trotzdem eine abschreckende Wirkung da, wenn der Betreffende weiß: ich riskiere meinen Kopf, wenn ich einen anderen Menschen ums Leben bringe. Ich kann Ihnen auf Grund von Besprechungen mit verschiedenen Leuten, die unter Mordverdacht standen und teilweise auch deswegen abgeurteilt wurden, ganz klar sagen, daß zweifelsohne gerade auf die primitiven Menschen die Aussicht, hingerichtet zu werden, wenn sie einen Menschen ums Leben bringen, abschreckend wirkt. Darüber gibt es gar keinen Zweifel, und ich glaube, die Rechtsanwälte hier, die schon eine Reihe von Kapitaldelikten zur Verteidigung überantwortet bekommen haben, werden mit mir wohl derselben Auffassung sein. ({3}) - Ich danke Ihnen für diese Zustimmung, Herr Kollege von der CDU; das interessiert mien sehr. Ich habe schon mit einer Reihe von Kollegen gesprochen, auch hier, die keineswegs unserer Partei angehören, und ich habe eigentlich überall das bestatigt gefunden, was ich selbst als Wahrnehmung so oft gemacht habe. Darüber müßte man weiß Gott sehr ernst debattieren, ohne Hin- und WiderZwischenrufe. Gibt es denn etwas anderes, was dem Hingerichtetwerden in seiner abschreckenden Wirkung gleichkommt? ({4}) - Herr Kollege Renner, machen Sie doch nicht wieder solche Zwischenrufe! ({5}) - Nein, das ist keine Logik, sondern diese Logik schreibt man mit „eh" in diesem Falle, Herr Kollege Renner. Ich habe nicht gefragt, ob es noch abschreckendere Dinge gibt, sondern ich habe gesagt und gefragt: gibt es etwas, was wir als Ersatz der Todesstrafe dann anwenden können und was ebenso abschreckend auf die Mordgesellen wirken wird wie die Aussicht, hingerichtet zu werden? ({6}) Da möchte ich Ihnen eines sagen: Ich glaube nicht, daß die Aussicht, eingesperrt zu werden, sei es auch lebenslänglich, Leute, die zum Morde neigen, im entscheidenden Moment davon abhalten wird, einen Mord zu begehen. ({7}) Das glaube ich nicht. Diese Sorte Menschen, mit denen jeder Strafverteidiger schon zu tun gehabt hat, wird nur durch eine ganz massive Drohung zurückgehalten. ({8}) - Ich weiß es, Herr Professor. Das ist vollkommen richtig. Aber umgekehrt wissen Sie nicht und weiß ich nicht, wieviele Menschen davon abgehalten worden sind, einen Mord zu begehen. Wenn man die Psychologie dieser Leute kennt, dann muß man sagen: ein sehr großer Teil wird nur durch die Aussicht darauf, hingerichtet zu werden, davon abgehalten, andere Menschen zu ermorden. Wir möchten - wir werden einen diesbezüglichen Antrag im Ausschuß stellen lassen -, daß der Herr Bundesjustizminister uns statistische Zahlen vorlegt, und zwar erstens: wie hat sich die Abschaffung der Todesstrafe bei uns auf diese Kapitaldelikte ausgewirkt, zweitens: wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus, wo in der jüngsten Zeit die Todesstrafe abgeschafft worden ist? Ich denke an die Schweiz, wo verschiedene Kantone gerade in der allerletzten Zeit die Todesstrafe abgeschafft haben, und an verschiedene andere Länder. Vielleicht könnte man daraus einiges entnehmen. Aber ich bin sicher, ein großer Teil der Mörder , der Menschen, die einen Mord begehen wollen, wird ({9}) im letzten Moment dadurch aufgehalten und gehemmt, daß sie wissen, sie werden selbst ihren Kopf verlieren! Nun zu einer ganz anderen Frage: sollen wir im jetzigen Augenblick die Todesstrafe wieder einführen, was wir nur durch verfassungsänderndes Gesetz können? Sollten wir das jetzt tun? Da möchte ich Ihnen eines gleich sagen: mir graut es davor, wenn ich das befürworten müßte. Mir graut es davor, solange unsere Strafprozeßordnung noch so wenig entwickelt ist, solange es leider gewisse Gerichte gibt, die meines Erachtens bei der Beurteilung der Strafrechtsfälle etwas vorschnell vorgehen. Ich will mich nicht noch drastischer ausdrücken. Solange es das gibt, graut es mir davor, die Wiedereinführung der Todesstrafe zu empfehlen. Das ist nicht etwa erst seit gestern und heute so. Ich kann mich noch sehr wohl erinnern, als ich als junger Rechtsanwalt eine Mordsache zu bearbeiten hatte, in der auf Grund eines anscheinend lückenlosen Indizienbeweises eine Ehefrau zum Tode verurteilt wurde und ihr Geliebter zu einer sehr langjährigen Zuchthausstrafe verurteilt werden sollte. Es war dies ein Fall in Niederbayern. Die Ehefrau hatte des öfteren vor Zeugen, die die erregten Auseinandersetzungen_ zwischen den Ehegatten mit angehört hatten - die Ehe war zerruttet -, erklärt: du, Kerl, dich werde ich nochmal hinüberbefördern! Wenn dich nur der Teufel holen würde, usw. usw. Gerade aus diesen Dingen wurde vom Schwurgericht Passau der Schluß gezogen, daß hier die Frau von Anfang an eine Mordabsicht gehabt hätte. Es kam ein unglücklicher Zufall hinzu. Der Ehemann ist plötzlich gestorben. Obwohl Professor Friedrich von Müller als Sachverständiger, eine allererste Kapazität, sagte, die Erscheinungen beim Tode seien so gewesen, daß er, Professor Friedrich von Müller, auf Paratyphus geschlossen hätte, hat sich das Gericht auf das Urteil des Gerichtsmediziners, eines Obermedizinalrats Soundso, gestützt und die Frau verurteilt. Die Strafe ist dann später umgewandelt worden, wenn ich mich nicht irre, aber immerhin! Wenn ich mir all diese Dinge durch den Kopf gehen lasse - ich hatte den Mann zu verteidigen, der wegen Beihilfe angeklagt war; er wurde freigesprochen, nebenbei bemerkt-, ({10}) dann muß ich sagen: bei einem so unvollkommenen Strafprozeßrecht, wie wir es noch haben, möchte ich davor zurückschrecken, die Wiedereinführung der Todesstrafe im jetzigen Moment zu befürworten. Immerhin, der Herr Bundesjustizminister möge dem Ausschuß rasch statistisches Material an die Hand geben! Besonders bedauerlich erscheint es mir allerdings, wenn ausgerechnet diese Sache zum Anlaß genommen wird, einen Abänderungsantrag zur Bundesverfassung jetzt zu stellen. Da gäbe es noch andere Dinge: Wie einer meiner Herren Vorredner sagte, die Geschichte mit dem konstruktiven Mißtrauensvotum zum Beispiel. Na, einen derartigen Abänderungsantrag würden auch wir unterstützen, ({11}) weil wir wissen, daß sehr viel Scherben oder noch viel mehr Scherben entstehen können, als sie so schon entstanden sind durch die Verunmöglichung von Mißtrauensvoten. Ich möchte aber nicht befürworten, jetzt ausgerechnet die Frage ob Todesstrafe oder nicht, wo die Meinungen sogar in den Kreisen der Juristen und der Verteidiger geteilt sind, zum Anlaß zu nehmen, gegen unsere Verfassung Sturm zu laufen und hier eine Debatte heraufzubeschwören, die heute manchmal so aussah, als würden sich einige gegenseitig in die Haare geraten. ({12}) So schaute das von den hinteren Bänken gesehen aus, diese sehr erhitzten gegenseitigen Zwischenrufe und so fort! Darf ich Ihnen nochmals zusammenfassend sagen: Ich selbst bin an sich ein Befürworter der Todesstrafe für Mord. Ich bin aber nicht in der Lage, heute schon, noch dazu, nachdem nicht genügendes statistisches Material vorliegt, und wo die Zusammensetzung der Gerichte so oft noch sehr ungenügend ist, einer entsprechenden Abänderung unserer Verfassung das Wort zu reden. Das ist es, was ich namens der WAV Ihnen zu diesem Problem sagen möchte! ({13})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ewers.

Hans Ewers (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000505, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Die Vertreter meiner Fraktion im Parlamentarischen Rat haben gegen das Grundgesetz in seiner gegenwärtigen Form gestimmt; aber Partei und Fraktion erkennen vorbehaltlos an, daß selbstverständlich das Grundgesetz die einzige Möglichkeit und die Basis für unser gesamtes politisches und staatliches Leben in den Bereichen der Bundesrepublik abgibt und deshalb nun auch außer Streit sein sollte. Wir meinen daher, daß die verehrten Vertreter der Bayernpartei ihrem Antrag zum Art. 102 einen sehr schlechten Dienst erwiesen haben, indem sie ihn mit Ausführungen begründeten, die man gegen jeden Artikel des Grundgesetzes anführen könnte. Denn damit haben sie natürlich die Debatte auf ein staatsrechtliches Gleis geschoben, auf dem die Sonderfrage gar keinen Platz haben sollte. Ich möchte heute zu der Grundsatzfrage nur kurz namens der Mehrheit meiner politischen Freunde Stellung nehmen; denn diese Frage ist keine parteipolitische Frage, sondern, wie schon ausgeführt, eine Frage, die nicht von der ratio, sondern von irgendwelchen tieferen Lebensäußerungen her bestimmt wird und über die jeder mit sich selbst zu Gericht sitzen muß. Ich möchte nicht, wie ein Teil meiner Vorredner, etwa auf die Grundsätze selbst eingehen. Die sind, wie Herr Kollege Loritz mit Recht ausführte, jedem Juristen von der Schulbank her bekannt, vom dritten Semester her, als er anfing, Strafrecht zu hören. ({0}) Es ist darüber auch schwerlich in einem Parlament etwas Neues zu sagen, jedenfalls nichts für den Juristen Neues. Die Tatsache, daß Staaten, solange es diese Gebilde in historischer Zeit gibt, ihre Rechtsbrecher bestraft haben, hat niemals von irgendwelchen Theorien abgehangen, sondern war ein Ordnungsprinzip, das in der Tat im Ursprung wohl religiös begründet war, das aber jedenfalls auch dem Selbstbewußtsein des Staates und seiner Angehörigen immer entsprochen hat. Und wenn man schon die Bibel zitieren will, so braucht man nur an die beiden Worte „Auge um Auge, Zahn um Zahn" oder an das Wort „Seid untertan der Obrigkeit, die Gewalt über euch hat" zu denken, um festzustellen, daß das Strafprinzip mit dem christlichen Glauben in der Tat bestens vereinbar sein dürfte, (Ewers worüber aber letzten Endes nicht das Parlament, sondern allein die Kirchen zu entscheiden haben. Des weiteren muß ich allerdings als Rechtswahrer ({1}) zurückweisen, daß eine Reihe von Vorrednern gesagt hat, eine Hinrichtung sei eine Tötungshandlung. ({2}) Mit demselben Recht könnte man sagen: eine Gefangensetzung ist eine Freiheitsberaubung, oder eine Beschlagnahme des Vermögens ist ein Diebstahl. ({3}) Davon kann nicht die Rede sein. Denn der Strafvollzug ist in der Tat nicht mit bürgerlichen Rechtsbegriffen zu messen. Nicht nur das, was dem Individuum ansteht, steht dem Richter oder der Staatsgewalt selbst zu. Derartige Vergleichsetzungen verschieben die Debatte auf eine ganz unrichtige Ebene. Nun lassen Sie mich mit einigen wenigen Sätzen die Gedanken und Bedenken, die meine Freunde, soweit sie auf meiner Seite stehen, haben, zur Todesstrafe aussprechen. Es ist nicht alles das, was seit der Aufklärungszeit an Strafgrundtheorien aufgestellt worden ist, nicht die Besserungs-, nicht die Abschreckungs- und nicht die Schutztheorie, die in erster Linie hier irgendwelches Material für die innere Entscheidung geben können, sondern es ist lediglich eben das, was die Staaten seit jeher geübt haben, die Vergeltungsmaxime, die eine Stützung letzten Endes für dieses letzte Strafmittel sein kann. Diese Maxime lebt nach unserer Meinung in allen tüchtigen, aufrechten, den Staat bejahenden Bürgern jeder Klasse und jedes Standes, soweit sie nicht von Theorien über den Staat, über die Justiz oder der Philosophie angekränkelt sind. ({4}) - Nein, nicht bei den Primitiven, sondern es gibt bekanntlich ein Empfinden, eine allgemeine, nach Sitte und Brauchtum sich richtende innere Einstellung, die klar ist, und wenn hier meine verehrte Vorrednerin Frau Meyer-Laule von einem Kinde, das man habe, ausgegangen ist, das durch irgendwelche Umstände von der natürlichen Lebensbahn abweicht, in die Hände von schlechten Elementen kommt und selbst Verbrecher wird, so möchte ich dem die Gefühle einer Mutter gegenüberstellen, deren Kind durch einen Rohling, durch einen Sittlichkeitsmord aus dem Leben befördert worden ist. Wir wollen auch diese Mutter ansehen und nicht nur jene andere. ({5}) - Die Mutter Rathenaus? Ihr Sohn ist das Opfer eines politischen Mordes geworden. Lassen Sie mich darüber folgendes sagen: ({6}) Jeder politische Täter glaubt, in höherem Auftrag zu handeln und ist insofern kein gemeiner Mörder. So sehr wir alle den politischen Mord entschieden verneinen, er steht nicht auf einer Basis mit dem Roheits- und Eigennutzverbrechen. So bedauerlich das politische Attentat auch immer sein mag, der Täter ist verblendet durch irgendeine Propaganda, durch eine einseitige Schau ins öffentliche Leben hinein, er glaubt vielleicht gar, eine gute Tat begangen zu haben. Er ist Überzeugungstäter, wie es die Attentäter, die aus Ihren Reihen, meine Herren von der Linken, hervorgegangen sind, Leute wie z. B. Nobiling, zweifellos gewesen sind. Keine Rede davon, daß das gemeine Verbrecher sind, sondern es sind vom Standpunkt des Gegners irregeleitete Missetäter, von ihrem Standpunkt aus gar Märtyrer, die sich irgendeiner Idee opfern. Ob sie falsch, ob sie richtig gehandelt haben, - das kann erst die Geschichte erweisen. Jedenfalls möchte ich kein politisches Verbrechen hier als Ausgangspunkt nehmen. Daß diese unter Umständen nach einer gelungenen Revolution gar straffrei bleiben, ist allgemein anerkannt. Ich rede allein vom gemeinen Rechtsbrecher, vorn entmenschten Übeltäter, um den es sich hier nur handelt. Hoffen wir, daß der politische Mord nicht mehr vorkommt, jedenfalls nicht in unserem Vaterland. Im Ausland kommt er ja hier und da noch vor. ({7}) Ich spreche also davon, daß dieses Gefühl, dieses Empfinden, das man beim Gedanken an den Getöteten hat und das nach einer gerechten Sühne schreit, entscheidend ist. Dieses unverbildete Gefühl - meinetwegen sogar der Primitiven, soweit sie einen klaren Verstand und ein klares Empfinden haben-ist meines Erachtens das Ausschlaggebende. Und nun kommt die Frage: ist demgegenüber gar nichts einzuwenden? Ich sage: Ja! Für uns prinzipielle Bejaher ist der schwerste Umstand, der gegen die Todesstrafe spricht, der Umstand, den Herr Kollege Loritz angedeutet hat, nämlich die Tatsache, daß nun einmal keine Götter auf dem Richterthron sitzen, sondern Menschen, die, wie wir alle, leider ach so sehr dem Irrtum unterworfen sind. ({8}) Die Todesstrafe ist tatsächlich die einzige Strafe, bei der es auf Erden eine Berichtigung nicht mehr gibt, wenn sie einmal vollzogen ist. Deswegen eröffnet die Todesstrafe die Möglichkeit des Justizmordes. Das ist nach unserer Auffassung der entscheidendste und bedeutsamste Einwand gegen ihre praktische Verwirklichung im Strafrecht. Deshalb würden wir allerdings, wenn die Todesstrafe wieder eingeführt werden sollte, die Beachtung zweier Grundsätze fordern. Es ist vielleicht ganz gut, daß man derartige Ideen schon heute einmal in die Debatte wirft, damit man sich das allerzeit überlegen kann, bis es mit der Strafrechtsreform soweit ist. Erstens darf die Todesstrafe niemals als einzige Strafe angedroht sein, sondern nur neben lebenslänglichem oder zeitlichem Zuchthaus als schwerste Tatfolge, und zweitens darf die Todesstrafe nicht verhängt werden, wenn das Gericht nach der Maxime des Reichsgerichts die zugrundeliegenden Tatsachen nur mit „einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" feststellen kann. Wenn auch nur der geringste fernliegende Zweifel daran, daß das todeswürdige Verbrechen begangen wurde, besteht, sollte ein Richter nicht die Todesstrafe aussprechen. Er mag sich überzeugt halten, daß dieser Mann der Täter ist, aber der kleinste Zweifel sollte ihn hindern, eine Strafe zu verhängen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese beiden Forderungen als Sicherheit gegen die Möglichkeit, des Justizmordes! Dann noch ein allgemeines Wort gerade zur Todesstrafe bzw. zum Strafrecht im allgemeinen, zur Todesstrafe aber aus gewissen aktuellen Gründen vielleicht nicht ohne besondere Bedeutung: Tat und Strafe haben eine geheimnisvolle und un-wegdenkbare Beziehung zum Zeitablauf. Eine Todesstrafe, die erst Jahre nach rechtskräftigem Urteil vollstreckt wird, ist eine unmenschliche ({9}) Grausamkeit. Eine Todesstrafe ist nur dann gerecht vollstreckt, wenn sie ziemlich bald, spätestens etwa innerhalb eines Monats nach Rechtskraft vollstreckt wird. Man kann den armen Verurteilten - in diesem Falle ist er nämlich wirklich „arm" - unmöglich monate- und jahrelang im Ungewissen über sein Leben lassen. Abschließend möchte ich noch folgendes sagen. Wenn Herr Kollege Wagner hier von den Abschrekkungsfaktoren geredet hat, die, wie gesagt, für mich nicht von entscheidender Bedeutung sind, so möchte ich darauf hinweisen, daß selbstverständlich nicht der Strafvollzug, sondern stets nur die Strafandrohung abschreckend ist. Sonst müßten ja dauernd Führungen durch die Zuchthäuser stattfinden. Sonst müßte ja bei jedem Vollzug einer Geldstrafe eine gewisse Schar von Zuschauern zugegen sein, um zu sehen, wie die Strafe abgeführt wird. Daß man die Todesstrafe heute gottlob nicht mehr als öffentliches Schauspiel, sondern hinter verschlossenen Kerkermauern vollzieht, buchen wir als einen Akt der Menschlichkeit; denn das wäre weiß Gott nicht geeignet, für den Staat besonders zu werben. ({10}) Meine sehr geeinten Damen und Herren! ich hoffe, Sie haben aus meinen Ausführungen entnommen, daß jedenfalls ich und meine Freunde zur Todesstrafe nicht aus politischen Erwägungen Stellung nehmen, daß wir ihre Verneiner also nicht im geringsten anders als ihre Anhänger werten. Aber die Dinge sind im Fluß, sind schon lange im Fluß und werden im Fluß bleiben. Auf jeden Fall hoffe ich, daß wir alle meilenfern sind von jenem die Staatsmoral untergrabenden Satz, der nach dem ersten Weltkrieg aufgestellt wurde und der da lautete: „Nicht der Mörder, der Ermordete ist schuldig!" Das erkennen wir hoffentlich alle nicht mehr als wahr an! Welche Konsequenzen man aber aus dem schlimmsten und fluchwürdigsten Verbrechen ziehen soll, das ist schließlich eine innere Entscheidung, die uns politisch nicht zu trennen braucht. ({11})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. von Merkatz.

Dr. Hans Joachim Merkatz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001477, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Kleine Damen und Herren! Ich spreche für eine Minderheit meiner Fraktion und möchte damit zum Ausdruck bringen, daß wir in dieser Frage die völlige Gewissensfreiheit gewahrt wissen wollen. Diese Minderheit meiner Fraktion ist wie die damaligen Vertreter der Deutschen Partei im Parlamentarischen Rat für die Beibehaltung des Art. 102, und zwar aus sehr schwerwiegenden, letzthin im Gefühl der Verantwortung vor Gott beruhenden Gründen. Ich habe einmal auf einem alten Richtschwert einen Spruch entziffert, der lautete: „Sobald ich dieses Schwert aufheben tu, gebe Gott dem armen Sünder die ewige Ruh." Dieser Spruch hat mich tief berührt, denn er gibt etwas wieder von dem nicht in Worte zu fassenden, fast sakralen Gehalt, von dem unerhörten Ernst, der hinter dieser Strafe steht. Ich könnte mir denken, daß ein Mörder, in dem das Menschliche nicht erstorben ist, unter Umständen durstig ist nach dieser ewigen Ruhe und die Qual, Pin ganzes Leben die Untat mit sich herumzutragen, kaum ertragen kann. Diese große Würde, die bei der Todesstrafe gilt, die ja den letzten Ernst des Rechtes verkörpert, diese große Würde und dieser letzte Ernst sind durch die Schinderknechte der Totalität geschändet worden. Es ist nichts mehr vorhanden von diesem alten ernsten Ahnengeist, der aus dem Spruch auf dem Richtschwert spricht. Wir stehen hier nach meiner persönlichen und nach der Auffassung einer Minderheit meiner Fraktion vor einer kriminalpolitisch neuartigen Erscheinung. Wer die in den letzten Jahren nach dem Krieg geschehenen Mordtaten, die besonderen Falle verfolgt hat, wer Überlegungen daran geknupft und sie etwas analysiert hat, wird dabei auf zwei Erscheinungen treffen. Die eine ist alt und ist nach jedem Krieg aufgetreten: das sind reine Bestialitäten. Das andere aber ist etwas vollkommen Neues; es sind aus der mechanistischen Gesinnung unserer Welt, aus der Verapparatung unseres Daseins hervorgegangene Taten. Wir stellen hier fest, daß das Gewissen völlig erstorben ist. Da wird gemordet, wie man einen Nagel einschlägt oder wie man etwas auf den Mülleimer der Verwesung wirft. Ich bin persönlich der Überzeugung, daß es keine Abschreckung und überhaupt keine Strafart gibt, die dieser grauenvollen Erscheinung gerecht werden kann, nachdem die Todesstrafe durch die totalitären Systeme zu einem Liquidieren im Verwaltungswege, zu einem Werfen auf den Schindanger geworden ist. Ich möchte hier an die Darstellung von Ernst Jünger in „Die Marmorklippen", an das Bild von Röppels-Bleek erinnern. Dort ist in der Dichtung am besten und am tiefsten dargestellt, was in der totalitären Entwicklung geschehen ist. Seitdem diese Entwicklung von dem letzten Ernst der Todesstrafe das Eigentliche, die tiefste, innerste Verantwortung fortgenommen hat, hat sie, so glaube ich, ihre bedeutungsvolle Wirkung eingebüßt. Es gibt auch Fragen, bei denen man in der Demokratie nicht nur auf das hören sollte, was man dann so „das Gefühl des Volkes" nennt. Eine Demokratie muß auch einmal voranschreiten, Autorität gewissermaßen von oben her bilden. ({0}) Bei dieser Frage, bei dieser letzten Entscheidung gegen die Gewalt, handelt es sich um ein Voranschreiten, um den Mut zur Entscheidung. ({1}) Ich begrüße persönlich die ernsten, im wahren Sinne guten Darlegungen der Frau Kollegin von der Sozialdemokratischen Partei, Frau Meyer-Laule, außerordentlich. Sie hat nach meinem Gefühl das kriminalpolitische Problem wahrhaft erhellt. Ich möchte mich aber zugleich auch dagegen wenden, in dem Antrag der Bayernpartei gewissermaßen nur einen Vorspann für andere Absichten zu sehen. Meine Damen und Herren, wir sollten uns in diesem Hause unbedingt davor hüten, bei Dingen, die aus dem innersten Gefühl und einer wahrhaft guten Überlieferung begründet werden können und begründet werden - ich möchte behaupten, daß tatsächlich die Mehrzahl der Angehörigen unseres Volkes so- empfindet -, gegenüber einer solchen, sagen wir ruhig, konservativen Einstellung eine Kritik anzuwenden, die der Verwurzelung solcher Gedanken in keiner Weise gerecht wird. ({2}) Wir, die Minderheit meiner Fraktion, sind der Auffassung, daß wir das Grundgesetz, so wie es nun einmal geworden ist, nun auch als etwas Bestehendes, als etwas Festes ansehen sollten. Unsere Zeit leidet im tiefsten daran, daß die Substanz, daß die eigentlichen inneren Werte in Zweifel gezogen worden sind, daß sie analysiert, veranalysiert werden, daß alles irgendwie fließend und flüchtig ({3}) geworden ist. Gegen diese Zersetzung unseres abendländischen Geistes müssen wir Front machen und gerade aus der Veranwortung gegenüber der Krise des abendländischen Denkens die festen Punkte mutig - auch von der Seele her gesehen - finden und dann dafür eintreten, uns nicht bescheinigen lassen, daß wir in schwankender Zeit selbst schwankend gesinnt sind. Wir haben hier nun einmal eine mutige Entscheidung gefunden, um die hart gerungen worden ist. Lassen wir sie doch stehen! Es ist eine kriminalpolitische Erfahrung: ob mit oder ohne Todesstrafe, die Morde, die bestialischen Taten bleiben sich gleich. Verkennen Sie doch nicht: die Todesstrafe ist ja nicht die schnell auf das Verbrechen folgende Rachetat, aus dem innersten Gefühl geboren, sondern sie ist eine Strafe, die mit einer düsteren Weihe umgeben ist, und man kann sie, wenn man sie rechtfertigen will, auch nur in dieser düsteren Weihe sehen. Man darf dabei nicht in die leidenschaftlichen dunklen Bezirke versinken, sozusagen in die Blutopfer vor den alten Urgöttern. ({4}) - Dieser Einwand von Herrn Professor Schmid gibt dem Problem, wie ich es auch sehe, das richtige Bild: dann auf offenem Markt! Aber ich möchte behaupten, daß dann genau so, wie es im Mittelalter war, nachdem das Strafrecht immer weiter verwilderte, die Bestialität der Untaten steigen würde, ({5}) daß so genau das entgegengesetzte Ergebnis zustande kommen würde. Denken Sie doch hier etwas an die Tradition unserer strafrechtlichen Entwicklung. Eine bedeutende Tat, aus dem Geiste des Humanismus geboren, war damals die Carolina. Die Carolina war ein umstürzendes Werk; und es ist interessant, daß nach der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in dem ja zwei Drittel des Bevölkerungsbestandes Deutschlands vernichtet wurden, eine Humanisierung des Strafrechts begonnen hat. Ich denke hier an Benedikt von Carpzow und an die gesamte Entwicklung, die schließlich zu dem Ergebnis geführt hat, daß man in der Josephinischen Zeit zum ersten Mal zu einer Aufhebung der Todesstrafe schritt. Alles das sollte uns zu denken geben. Wir stehen hier genau in der großen Spannung zwischen dem Menschlichen und dem Unmenschlichen. Ich glaube, daß man die europäische Kulturkrise unserer Tage unter diesem großen Spannungszustand zwischen Menschlichem und Unmenschlichem sehen kann. Haben wir jetzt den Mut zum Menschlichen! ({6})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat Herr Abgeordnete Neumayer.

Dr. h. c. Fritz Neumayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001599, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Auch in den Reihen der Freien Demokratischen Partei herrschen verschiedene Auffassungen über die Abschaffung oder Wiedereinführung der Todesstrafe. Ich bin von einem Teil meiner Fraktion beauftragt, für diejenigen hier noch einige Worte auszuführen, die an sich materiell-rechtlich dem von der Bayernpartei gestellten Antrag ihre Zustimmung geben könnten. Nach all den schönen Ausführungen, die hier für die Ablehnung des von der Bayernpartei gestellten Antrages gemacht worden sind, fällt es schwer, nun noch in entgegengesetztem Sinn einige Worte zu finden. Ich gebe ohne weiteres zu, daß die Ausführungen insbesondere der Rednerin der Sozialdemokratischen Partei auch mich gefühlsmäßig stark beeindruckt haben. Von den verfassungsrechtlichen Bedenken, die vorhin vorgetragen sind, wollen wir hierbei absehen. Meine Freunde und ich haben diesen Antrag nicht gestellt und würden ihn wohl auch wegen der verfassungsrechtlichen Bedenken, die der Herr Justizminister geäußert hat, nicht gestellt haben. Trotzdem aber einige Worte zu dem materiellen Inhalt dieses Antrages. Meine Damen und Herren! Von den Anhängern der Todesstrafe wird vor allem betont, daß sie in zweierlei Hinsicht besonders bedeutungsvoll sei: einmal als Sühne, zum andern als Abschreckung. Gegen die Vergeltungstheorie wird insbesondere eingewandt, daß diese doch wohl noch eine Reminiszenz an primitive Zeiten darstelle, sich mit den heutigen humanen Auffassungen nicht mehr decke und vielleicht auch mit der christlichen Idee nicht in Einklang gebracht werden könne. Diese primitive Idee - wenn ich sie so nennen darf - verlangt, daß derjenige, der fremdes Leben genommen hat, auch sein eigenes lassen müsse. Wir sind der Auffassung, daß trotz aller Auflockerung im Denken über die Fortschritte in der Wissenschaft und in der Kultur ein gewisses Maß von primitivem Denken doch wohl nicht entbehrt werden kann. ({0}) Wenn wir heute gerade den primitiven Menschen fragen und hören wollen, wie seine Auffassung zu diesen Problemen ist, so werden wir in den meisten Fällen doch erfahren, daß er die Auffassung vertritt: Wenn ein Mord geschehen ist, dann soll er auch mit der Todesstrafe geahndet werden. ({1})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Ober diese Frage, die keine politische, sondern eine reine Gewissensfrage ist, wollen wir uns doch in Ruhe unterhalten.

Dr. h. c. Fritz Neumayer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001599, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich habe ausdrücklich gesagt meine Herren, daß wir uns trotz aller Aufgeschlossenheit für den Fortschritt ein gewisses Maß von primitivem Denken bewahren sollten; ({0}) gerade eine gewisse primitive Vorstellungsart wird uns sehr häufig auf die richtige Bahn führen. ({1}) Meine Damen und Herren! Es wird gegen die Todesstrafe vor allem eingewandt, daß sie, einmal vollstreckt, nicht mehr rückgängig gemacht werden könne. Das ist gewiß der stärkste Einwand, den man gegen sie vorbringen kann. Aber die Hilfsmittel, die die heutige Wissenschaft der Kriminalistik an die Hand gibt, sind so weit vorgeschritten - ich verweise auf Fingerabdrücke und ähnliche derartige Mittel -, daß mit Fehlurteilen auf Grund eines Indizienbeweises heute doch nur in den allerseltensten Fällen gerechnet werden kann. ({2}) ({3}) Und um auch solchen Fällen vorzubeugen, würde ich empfehlen, ähnlich wie es Herr Kollege Ewers hier vorgetragen hat, entsprechende Bestimmungen einzubauen, die eben bei einem Indizienbeweis die Möglichkeit einer anderen Strafe außer der Todesstrafe offenlassen. Ganz wird man natürlich auf den Indizienbeweis nie verzichten können. Bei derartigen Verbrechen ist in den meisten Fällen ein Zeuge nicht dabei. Wir haben uns diese Frage natürlich auch reiflich überlegt, ob man die Todesstrafe auf Grund eines Indizienbeweises nicht überhaupt ausschließen sollte Aber ich glaube, wenn man die Todesstrafe in ihrer abschreckenden und in ihrer vergeltenden Wirkung bejaht, dann muß man auch den Indizienbeweis annehmen. Denn es wird nicht angängig sein, die richterliche Beweiswürdigung in einer solchen Weise einzuschränken. Aber mit einer entsprechenden Sicherung im Strafgesetz, wie sie Herr Kollege Ewers vorhin vorgeschlagen hat, könnten auch wir uns einverstanden erklären. Es ist darauf hingewiesen worden, daß gerade in den westlichen Demokratien, in den westlichen Kulturstaaten auch heute noch die Todesstrafe besteht. Ich habe erfahren daß man in Frankreich sogar daran denkt, nicht nur bei Mord, sondern auch bei bewaffneten Raubüberfällen unter Umständen die Todesstrafe einzuführen. Meine Damen und Herren, es ist ja nicht so, daß hier blutdürstige Leute etwas derartiges verlangen. Es ist ja nur das Gefühl des Rechts, das uns hier zwingt, ({4}) unsere Auffassung vorzutragen. ({5}) - Ich glaube, wir wollen uns über diese Frage heute nicht unterhalten. ({6}) Meine Damen und Herren! Nach diesem Intermezzo will ich fortfahren. Es steht fest, daß in unserer Zeit gerade die Kriminalität in schweren Verbrechen zugenommen hat. Wir haben in den Zeitungen Erschreckendes gelesen, wie auch jugendliche Kreise von einer Nichachtung des Lebens, von einer Mißachtung des Lebens ergriffen sind. Und hier halten wir es für notwendig, daß sich das abschreckende Moment der Todesstrafe äußert und eine entsprechende bessernde Wirkung ausüben wird. Es ist vorhin gesagt worden, die Achtung vor der Heiligkeit des Lebens zwinge uns, die Todesstrafe zu verneinen. Meine Damen und Herren! Man kann auch die Auffassung vertreten, gerade die Achtung vor der Heiligkeit des Lebens zwingt uns, zu verlangen, daß derjenige, der fremdes Leben mißachtet, mit der Verwirkung des eigenen Lebens bedroht wird. Wenn derartige Strafen angesetzt werden, dann wird man auch die Erfahrung machen, daß die Kriminalität in diesen Dingen zurückgeht. ({7}) - Nein, ich bin überzeugt, daß die Kriminalität zurückgehen wird. Herr Kollege Wagner, ich habe Ihre Ausführungen mit großem Interesse gehört, aber nach allen Erfahrungen, die wir in den letzten Jahren gemacht haben, müssen wir zugeben, daß die Kriminalität hier zugenommen hat. ({8}) - Unter dem System der Todesstrafe als Folge des Krieges! Aber gerade weil jetzt die Todesstrafe abgeschafft ist, haben wir bei den Jugendlichen diese besondere Kriminalität. ({9}) Wir wissen, daß der Leidensweg des deutschen Volkes durch Ströme von Blut geführt hat. ({10}) Wir wissen, daß das Menschenleben viele Jahre hindurch keinen Kurswert mehr hatte. Und wir wissen, daß es notwendig ist, gerade unserer Jugend wieder die Achtung vor der Unantastbarkeit und Heiligkeit des menschlichen Lebens beizubringen. Wir glauben - wie ich das bereits auszuführen mir erlaubt habe -, daß dies am besten dadurch geschieht, daß wir strenge Strafen, nämlich die Strafe des Todes, auf den Fall setzen, wenn das Leben eines anderen mit Überlegung genommen wird, nenn nicht nur an den Mörder müssen wir denken, sondern auch an den Gemordeten und an dessen Familie. Dies sind Fragen von sehr großer Bedeutung, die weit über den Rahmen dessen hinausgehen, was heute hier erörtert werden konnte. Gerade im Interesse des Schutzes des Menschenlebens, im Interesse des Schutzes des Rechtstaates, aus den doppelten Gründen: der gerechten Sühne und der Abschreckung, vertreten wir die Auffassung, daß eine Wiedereinführung der Todesstrafe empfehlenswert ist. ({11})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Meine Damen und Herren! Ehe ich das Wort weiter erteile, möchte ich eine Mitteilung zur Geschäftsordnung machen. Wie mir eben Herr Kollege, Vizepräsident Schmid, sagte, hat er heute früh auf folgendes nicht hingewiesen. Wir waren uns am Sonnabend früh im Ältestenrat darüber einig gewesen, daß wir heute unter allen Umständen um 18 Uhr die Sitzung beenden wollten, teilweise, um den Fraktionen Zeit zu Besprechungen zu geben. Nun habe ich allerdings gehört, daß eine zweistündige Mittagspause eingelegt worden ist, was insoweit wieder eine Programmverschiebung bedeutet. Ich frage aber trotzdem jetzt das Haus in aller Form., ob es sich diesem Vorschlag des Ältestenrats von Sonnabend früh anschließen will, weil wir ja in den kommenden Tagen naturgemäß länger tagen müssen und insofern vielleicht der erste Wochentag mit einer gewissen Kürze vorzuziehen wäre. Darf ich fragen, wie die Meinung des Hauses - ganz zwanglos - ist? ({0}) - Zur Geschäftsordnung Herr Abgeordneter Euler. Es geht also doch nicht so in sans-geneUnterhaltung.

August Martin Euler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000500, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich meine, die Tagesordnung der nächsten Tage ist derart überfüllt, daß die Gefahr besteht, wir werden unser Pensum nicht erfüllen können, ({0}) wenn wir heute vorzeitig abbrechen. Denn es wird nicht möglich sein, Reste von heute auf einen der nächsten Tage zu übertragen. Auf dem Programm des heutigen Tages befinden sich einige Gesetzesvorlagen, die unbedingt erledigt werden müssen, ehe wir für längere Zeit - vielleicht besser zu sagen: für zu lange Zeit - auseinandergehen. Um so weniger dürfen wir uns dessen schuldig machen, daß wir wichtigste gesetzgeberische Maßnahmen unerledigt gelassen haben. Deswegen möchte ich anregen, den Versuch zu machen, die Reste der Tagesordnung möglichst schnell abzuwickeln.

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das heißt so, wie es heute mittag im Ältestenrat noch einmal umgeändert und festgestellt worden ist. Herr Abgeordneter Schröter, zur Geschäftsordnung!

Carl Schröter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002085, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin gezwungen, eine entgegengesetzte Auffassung zum Ausdruck zu bringen. Wir haben mit dem Schluß um. 18 Uhr gerechnet. Wir haben eine wichtige Fraktionssitzung. Diese Fraktionssitzung kann nicht lange dauern, weil heute abend noch einige Ausschußsitzungen oder Besprechungen mit Ministern stattfinden. Unter diesen Umständen bitte ich, an dem Beschluß des Ältestenrats, um 18 Uhr zu schließen, festzuhalten. ({0})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Wir müssen sonst zur Abstimmung schreiten. Vielleicht finden wir doch eine mittlere Linie. Zur Geschäftsordnung hat das Wort der Herr Abgeordnete Renner.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Ältestenrat ist nicht beschlossen worden, eine zweistündige Mittagspause einzulegen. ({0}) - Fast zwei Stunden. Zusammen mit der Zeit, die wir dadurch verloren haben, daß eine Ältestenratsitzung durchgeführt werden mußte, waren es fast zwei Stunden. Im Ältestenrat hatte man aber beschlossen, Herr Kollege Schröter, daß die Aussprache über diesen Punkt sich ohne Beschränkung vollziehen sollte. Die Fraktionen, die im guten Glauben daran, daß das durchgehalten würde, sich darauf beschränkt haben, eine Wortmeldung einzureichen, und sich dabei nicht der Methode bedient haben, gleich pro Fraktion zwei oder noch mehr Redner vorzuschicken, sind, wenn Ihr Vorschlag durchgeht, leider in die Zwangslage versetzt, zu der Sache nichts sagen zu können. Ich bitte Sie, das auch zu berücksichtigen und dem Rechnung zu tragen, daß schließlich die Fraktionen, die sich an die Abrede gehalten haben, die Möglichkeit haben müssen, hier zu sprechen. ({1}) - Daran bin ich unschuldig. Dann sind es die Leute, die die Abreden dauernd durchbrechen und hier machen, was sie wollen, weil sie gerade Lust haben, einmal ausgiebig Mittag zu essen. So liegen doch die Dinge.

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Herr Abgeordneter Renner, immer leidenschaftslos! Wir wollen nicht mehr lange darüber reden. Ich schlage vor, daß wir probeweise feststellen lassen, welches die Meinung des Hauses ist. Ich bitte diejenigen, die für die Durchführung des Ältestenratsbeschlusses sind, um 18 Uhr zu schließen, die Hand zu erheben. - Ich danke und bitte um die Gegenprobe. - Mitglieder von allen Seiten des Hauses sind dagegen. Das letztere ist zweifellos die Mehrheit. Wir fahren also in der Tagesordnung fort. Ich möchte trotzdem an die nachfolgenden Redner den Appell richten, die Redezeit so zu gestalten, daß der Rest der vorliegenden Tagesordnung noch .erledigt werden kann. Ich erteile dem Herrn Abgeordneten Renner als nächstem Redner das Wort.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Haben Sie keine Sorge, ich will nichts wiederholen, was bereits gesagt worden ist; ich beschränke mich auf das Grundsätzliche. Als im Ältestenrat beraten wurde, wie dieser Antrag der Bayernpartei im Plenum behandelt werden soll, habe ich mir den Vorschlag erlaubt, über diesen Antrag zur Tagesordnung überzugehen. Ich bin der Meinung, daß das die einzig richtige Behandlungsmethode gewesen wäre. ({0}) Nein, ich will Ihnen erkären, warum das richtig ist. Sie waren sich von Anfang an darüber klar, daß Ihr Antrag zu nichts anderem als zu einem stundenlangen Kolleg führen würde. Sie sind doch kein kleines Kind; glauben Sie denn, daß Sie für diese Verfassungsänderung hier im Hause eine Mehrheit finden? Im Ältestenrat ist doch klar und eindeutig kundgetan worden, daß Sie nicht damit rechnen können, daß auch nur eine ernstzunehmende Fraktion sich mit diesem Antrag befassen wird. Sie waren sich also über den Ausgang klar. Sie wollten gar nichts anderes als mit Ihrem Antrag beweisen, daß Sie den primitiven Rachegedanken, den Vergeltungsgedanken, die heute bei primitiven Menschen in unserem Volk herrschen, Rechnung zu tragen bereit sind, ({1}) primitiv deshalb, weil es die Gedanken des saturierten Bürgers sind. ({2}) - Ich gebe Ihnen auch darauf eine Antwort. - Tatsache ist nun einmal, daß die Aufhebung der Todesstrafe Bestandteil des Grundgesetzes ist. Tatsache ist weiter, daß die Diskussion um dieses Problem im Parlamentarischen Rat mit einer Gründlichkeit, mit einer Vornehmheit und mit einer Sachkunde geführt worden ist, die sich wohltuend von dem unterschieden hat, was wir heute hier, vor allen Dingen in Gestalt der Zwischenrufe der Herren von der Bayernpartei, erlebt haben. ({3}) - Ich habe gegen das Grundgesetz gestimmt, genau so wie Sie. ({4}) ({5}) - Das ist Auffassungssache. Ich glaube, in diesem Fall ist sich das Plenum mit mir einig, daß das eine höchst unsachliche Betrachtung des Problems war. Wenn dann noch hinzukommt, daß die Bayernpartei sich zu Hause als eine christliche Partei anpreist, ({6}) dann wird die Sache noch dubioser. Sie müßten sich doch als christliche Partei gegen die Ausbreitung des Rachegedankens im Volke aussprechen und dagegen ankämpfen. Und wenn Sie gar schon bei der Begründung Ihrer Konzeption von der Behauptung ausgegangen sind, daß noch im 20. Jahrhundert ein katholischer Geistlicher sich für die Beibehaltung der Todesstrafe ausgesprochen habe, dann hätten Sie doch - ich nehme an, daß Sie das sind - als frommer bayerischer Christ zumindest die Verpflichtung gehabt, darauf hinzuweisen, daß es für diese Auffassung in der katholischen Glaubenslehre einen durchaus ernstzunehmenden geistigen Unterbau gibt. ({7}) Ich werde mit ihnen als Kulturbayer keine Diskussion über Humanität beginnen. ({8}) Tatsache ist doch, um die Sache so ernst zu behandeln, wie 'sie es verdient, daß tatsächlich in der katholischen Glaubenslehre die Todesstrafe unter einem gewissen sakralen Aspekt angesehen und betrachtet worden ist. Tatsache ist doch, daß nach der katholischen Glaubenslehre der Delinquent - -({9}) - Vielleicht versuchen Sie einmal, sich ein bißchen anständig zu benehmen. ({10})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Herr Abgeordneter Renner, wir wollen uns gegenseitig keine Vorschriften über anständiges Benehmen machen.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Ich wollte ihm nur gut zureden. ({0})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Dann ist die Sache wieder ausgeglichen. ({0})

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Bleiben wir ernst! Es ist doch so - und das darf doch nicht übersehen werden, weil von dieser Einstellung her die ganze Entwicklung ausgegangen ist, die die Menschheit in der Frage der Berechtigung oder des Rechtes auf Verhängung der Todesstrafe erlebt hat -, daß nach der katholischen Glaubenslehre der Delinquent nach Beichte und Absolution und nach Empfang der Sterbesakramente in den Zustand der Gnade versetzt worden ist. ({0}) - Bitte, das ist mir durchaus ernst. - Es ist doch so, daß er nach katholischer Auffassung aus diesem Zustand heraus aus dem Leben sozusagen in den Tod hineinbefördert - im guten Sinne gemeint worden ist. Diese Auffassung, die während des ganzen Mittelalters, gestützt auf diese Glaubenstheorie der katholischen Kirche, untermauert worden ist, ist selbstverständlich heute in den Ländern, die sich betont „christliche" nennen, längsl verschwunden. Heute hat die Todesstrafe ah staatlicher Anspruch immer mehr den Charakter einer Vergeltung und Abschreckung erhalten. ({1}) - Nein, keine Vorlesung, Herr Professor, ich bemühe mich, frei zu sprechen. Ich bin ja kein Philosoph wie Sie. Ich versuche, das einmal vom sozialistischen Standpunkt aus zu erklären. ({2}) Wenn es tatsächlich so wäre, daß das Moment der Abschreckung eine günstige Auswirkung auf die Kriminalität hätte, dann wäre doch ganz logisch zu fordern, daß zur Abschreckung noch härtere und brutalere Methoden angewandt werden, weil ja dann logischerweise das Ergebnis ein höheres sein müßte. Wir wissen doch alle, daß die Vollstreckungsart der Todesstrafe im Laufe der Jahrhunderte auch eine Wandlung durchgemacht hat. Mein Zwischenruf von vorhin war meines Erachtens gar nicht so sehr unlogisch. Will man das höhere Ziel erreichen, will man mittels der Abschreckungstheorie die Kriminalität senken, dann tut man gut, wenn man die Vollstreckungsmethoden verschärft. Also zurück etwa zur Vierteilung! Warum denn nicht, meine Herren? Das müßte sich nach Ihrer Auffassung doch direkt wohltuend auswirken. Und dann noch ein anderes Moment, das heute auch schon zitiert worden ist. Warum wagt denn niemand von Ihnen zu bestreiten, daß die Vollstreckung der Todesstrafe im Geheimen, vom Standpunkt der Humanität aus gesehen, eine Verbesserung ist? Warum fordern Sie denn nicht, wenn Sie schon das Moment der Abschreckung geltend machen, dann auch die Wiederherstellung der öffentlichen Hinrichtung, die ja in Frankreich zum Beispiel erst vor etwa 15 Jahren eingestellt worden ist? ({3}) Warum fordern Sie das nicht? Sie wissen genau, daß diese Änderung in der Konzeption von der Todesstrafe eine Folge einer Wandlung in den politischen Verhältnissen der modernen Staaten ist. Je stärker ein Staatsgebilde von einer mit aller Machtfülle ausgestatteten Schicht beherrscht wird, desto stärker wird auch in diesem Staatsgebilde der Anspruch des Staates auf Vergeltung als Sinn der Strafe herausgebildet werden. ({4}) Es kommt noch etwas anderes hinzu. Dieses Vergeltungsprinzip wirkt sich mit besonderer Stärke und Härte in einem derartigen Staat gegen diejenigen aus, die die Interessen der kleinen, den Staat aber beherrschenden Oberschicht irgendwie verletzen. ({5}) Wir haben also dann eine ausgesprochene Klassenjustiz vor uns. ({6}) - Wie man als Sozialist an d e r Stelle „Siehe Rußland", sagen kann, ist mir schleierhaft, ({7}) Herr angelernter Sozialdemokrat Professor Carlo Schmid! ({8}) ({9}) Aber noch etwas anderes. Die Rufer nach der Wiedereinführung der Todesstrafe vergessen, was hinter diesem Ruf steht. Darum habe ich es direkt begrüßt, daß der Zwischenruf von der Bayernpartei kam. ({10}) - Richtig, das haben Sie zuerst gerufen: „Das Volk will es!" Wie Sie allerdings dazu kommen, das beweiskräftig behaupten zu können, weiß ich nicht. Herr Dr. Etzel selber hat behauptet, und zwar mit Recht, daß nach unserem Grundgesetz die Durchführung einer Entscheidung des Volkes durch Volksbefragung unmöglich ist. Nun will mir nicht in den Kopf hinein, liebe Herren von der Bayernpartei, daß die Verbindung, die Sie zu einem Bruchteil des bayerischen Volkes haben, Sie in die Lage versetzt, zu sagen: Das Volk will es! ({11}) Die Kreise, die das bei Ihnen in Bayern wollen, sind vermutlich die Wählerkreise, die hinter Ihnen stehen. ({12}) - Das liegt an Ihrem Wahlgesetz und an der „Demokratie" in Bayern, daß wir im Bayerischen Landtag nicht vertreten sind. Hätten Sie das Wahlgesetz, wie wir es in Nordrhein-Westfalen haben, dann wären wir Kommunisten auch in Bayern vertreten. ({13}) - Wir wären aber sicherlich nicht so reaktionär, auf solche Ideen wie die Bayernpartei zu verfallen. ({14}) - Der ist nicht relativ, der ist absolut geklärt. wenn ich Sie ansehe, Herr Kollege Baumgartner! ({15}) Nun, meine Herren, zurück zum Thema. Ich habe angeführt, daß sich im Zuge der politischen Entwicklung, die in den Ländern dazu geführt hat, daß das Volk an dem Geschehen auf politischem Gebiet immer mehr Anteil nimmt, in der Frage des Sinnes des Strafvollzuges eine Wandlung dahin vollzogen hat, daß sich der Gedanke des Strafvollzuges zum Zweck der Sicherung bzw. der Besserung immer mehr und mehr durchsetzt. In einem derartigen Staate, meine Herren von der Sozialdemokratie, in dem der Anteil des Volkes an der Macht größer und größer wird, verschwindet immer mehr - und muß logischerweise verschwinden - die Konzeption, daß die Strafe den Sinn einer Abschreckung und einer Vergeltung haben soll. In einem derartigen Staatswesen muß immer mehr der Gedanke zum Durchbruch kommen, daß die Strafe den Zweck der Re-Sozialisierung des Delinquenten, des Rechtsbrechers haben muß, d. h. den Zweck, den Delinquenten, den Rechtsbrecher, den Asozialen durch Erziehung wieder in die staatliche und soziale Ordnung des betreffenden Staates einzufügen. Das nur kann der Sinn eines Strafvollzugs in einem fortschrittlichen Lande sein. ({16}) - Wie wir das machen, haben wir noch nicht praktizieren können; aber wie man es machen kann, dafür gibt die Entwicklung bei einigen westeuropäischen Ländern ja bereits einen Hinweis, ({17}) und dafür gibt auch der Strafvollzug in der Sowjetunion einen Beweis, der, wie jeder sachkundige Mensch weiß, den Zweck verfolgt, die Strafe auszuwerten, um den Rechtsbrecher durch Erziehung ({18}) an die gesellschaftliche Ordnung wieder heranzuführen ({19}) und ihn zu einem nützlichen Glied der menschlichen Gesellschaft zu machen. ({20}) Wenn nun etwa hier darauf hingewiesen worden ist, daß besonders in der Nachkriegszeit die Kriminalität in Deutschland angewachsen ist wenn hier mit Recht vor allen Dingen vom Anwachsen der Jugendkriminalität gesprochen worden ist, dann ist es doch notwendig, daß die sozialen, die gesellschaftlichen, die in Ihrem Wirtschaftssystem, in Ihrer Ordnung liegenden Ursachen für dieses Anwachsen der Kriminalität klar aufgezeigt werden. Dieses Anwachsen der Kriminalität in Deutschland und in den vom Faschismus beherrschten und auch zum Teil in den vom Faschismus blutigst unterjochten westlichen Ländern ist darauf zurückzuführen, daß der Faschismus jeden Begriff von Recht und Ordnung und Heiligkeit des Lebens vernichtet hat. ({21}) Wenn bei unserer Jugend heute diese Auffassung verschwunden ist, daß das Leben heilig ist, daß es erhalten zu werden verdient, dann ist das die Folge der Erziehung dieser Jugend in der Periode der Kriegsvorbereitung. Dann ist das aber auch eine Folge der Durchführung dieses totalen Krieges, über dessen Folgen Sie sich ja hier nur höchst ungern gelegentlich einmal etwas sagen lassen. Der deutsche junge Mensch, dem beigebracht worden ist, daß der Russe ein Untermensch sei und daß es sozusagen Gott wohlgefällig sei, ihn zu morden, der deutsche junge Mensch, der jetzt zurückgekehrt ist, wird weiter in diesen Gedankengängen denken und wird weiter nach Untermenschen suchen, die zu vernichten er berechtigt ist. Und sie lernen es heute bereits wieder: diese „Untermenschen", die es zu vernichten gilt, sind gewisse Völker, die um uns herum wohnen, - besonders durch die Kriegshetze, die Sie treiben. Sie treiben heute bereits die Jugend wieder auf diesen Weg, statt sie zum Frieden mit allen Völkern der Welt zu bekehren, mit allen Völkern, die um uns herum wohnen und leben. Sie machen ja heute schon wieder die Differenzierung der Völker- und Rassenhetze, die Hitler benutzt hat, um das deutsche Volk und die deutsche Jugend willfährig zu machen, seinen verbrecherischen Krieg durchzuführen. Im Erkennen und Bekennen der eigenen Schuld liegen die Voraussetzungen für die Abstellung dieser Dinge. ({22})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Darf ich mir den bescheidenen Hinweis erlauben, etwas mehr zur Sache zu sprechen.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Mit Recht ist heute von einer Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion schon zugerufen worden: Schaffen Sie eine gerechte soziale Ordnung, damit schaffen Sie einen der wesentlichsten Faktoren für die Kriminalität unserer Jugend aus der Welt. ({0}) - Nein, dort sinkt sie bezeichnenderweise! Das kann Ihnen jeder Fachjurist bestätigen, der hier sitzt; das dürfen Sie bloß nicht in Ihren Zeitungen schreiben. So liegen die Dinge. ({1}) Es muß so sein in der Deutschen Demokratischen Republik. Dort gibt es keine Erwerbslosigkeit mehr, ({2}) dort gibt es keine Jugendlichen, die sich nach Schulentlassung auf der Straße herumtreiben müssen. ({3}) Dort gibt es Aufbau-, dort gibt es Aufstiegsmöglichkeiten für die Jugend, die Sie ihr hier im Westen nicht bieten können, ({4}) und darum muß logischerweise die Kriminalität sinken. Die Ernsten unter Ihnen wissen das auch; denn das ist in Ihren eigenen westdeutschen juristischen Zeitschriften nachzulesen. ({5}) Ich komme zum Schluß. ({6}) Ich will, weil ich Achtung habe vor der Stunde, nicht auf die Frage eingehen, die hier aufgeworfen worden ist, ob der Parlamentarische Rat berechtigt gewesen ist, diesen Artikel in das Grundgesetz hereinzubringen. Wenn ich es tun wollte, wäre ich verpflichtet, dem Herrn Kollegen Laforet einige Erlebnisse aus der damaligen Periode in Erinnerung zurückzurufen. Wenn er hier zum Beispiel von der „Freiheit seines Gewissens" sprach, die er bei der Ausarbeitung des Grundgesetzes gehabt habe, dann sei daran erinnert, wie oft die Herren Militärgouverneure von Frankfurt diese „Freiheit des Gewissens" durch schallende Ohrfeigen korrigiert haben, die sie gewissen Fraktionen des Parlamentarischen Rates bei Gelegenheit und recht häufig appliziert haben. Also kommen Sie mir nicht mit diesen Dingen! Diese Frage steht auch nur in allzu losem Zusammenhang mit dem, was heute vor sich geht. Der Kampf um die Beibehaltung des Verbotes der Todesstrafe muß Sache aller fortschrittlichen demokratischen Menschen sein. Wer eine andere Auffassung vertritt, - ({7}) - Gut, daß Sie mir zuletzt noch diesen Tip geben! ({8}) -- Gerade Sie, Herr Bausch, dürften wissen, daß eine alte sozialistische Forderung lautet: Beseitigung der Todesstrafe. ({9}) - In Rußland war die Todesstrafe grundsätzlich bereits abgeschafft. ({10}) Aber ({11}) sie ist - das wissen Sie so genau wie ich - für einen ganz genau umrissenen, eng begrenzten Tatbestand und ausdrücklich zeitweilig wieder eingeführt worden. ({12}) Das wissen Sie, und Sie wissen, daß, wenn dieser Tatbestand aus der Welt geschafft ist, d. h. wenn die Bedrohung der Sowjetunion durch Ihre Agenten ({13}) und die anderen imperialistischen Staaten, wenn die Bedrohung der Sowjetunion durch den von Ihnen gewollten und vorbereiteten Krieg aufhört, dann die Todesstrafe in der Sowjetunion sofort wieder abgeschafft wird. ({14}) Herr Bausch, Sie haben doch im Parlamentarischen Rat - ({15}) - Ihre Freunde haben im Parlamentarischen Rat zum Teil wenigstens mit großer Wärme auch vom Standpunkt des Christentums aus die Rechtfertigung der Beseitigung der Todesstrafe bejaht. Also bitte, beweisen Sie zumindest, daß Sie in Westdeutschland Christen sind! ({16}) Stimmen Sie also dagegen und stimmen Sie unserm Antrag zu, über den Antrag der Bayernpartei zur Tagesordnung überzugehen. ({17})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Miessner. Dr. Miessner ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist mir leider nicht möglich, Sie in gleicher Weise so heiter zu unterhalten wie mein Herr Vorredner; aber ich werde mir Mühe geben, mich um so kürzer zu fassen. Es gibt für den Strafvollzug verschiedene Theorien, die heute ja lang und breit erörtert worden sind. Die Erziehungs- und Besserungstheorie sollte man mehr in das Gebiet des Jugendstrafvollzuges verlegen. Dort dürfte sie noch einigermaßen Aussicht auf Erfolg haben. Bei einem handfesten erwachsenen Mörder erscheint mir eine derartige Theorie den tatsächlichen Lebensverhältnissen wenig zu entsprechen. Es gibt dann die Abschreckungstheorie, die heute von verschiedenen Seiten als Positivum für die Todesstrafe angeführt worden ist. Der Kollege Loritz wies mit Recht darauf hin, daß nach seiner Praxis und auch wohl nach der Praxis anderer Jristen die Tatsache daß man für einen begangenen Mord auch seinen eigenen Kopf verliert, doch immerhin nicht ganz unbeachtlich sein dürfte. Wenn man allerdings in dieser Beziehung zu Statistiken greifen will, so darf man das wohl nicht in einem Lande wie dem unsrigen zu der ({1}) jetzigen. Zeit tun; denn es ist noch nicht lange her, daß wir einen rauhen Krieg, in dem nun einmal ein Menschenleben nicht viel gilt, hinter uns haben. Aber die Anregung der Herrn Kollegen Loritz. in der Schweiz, wo die Zeiten seit Jahrzehnten ruhig und gleichmäßig dahinfließen, einmal zu forschen, wie sich die Abschaffung der Todesstrafe in den einzelnen Kantonen ausgewirkt hat, erscheint mir so beachtlich, daß man ihr nachgehen sollte. Es gibt schließlich noch eine dritte Theorie, die Sühne- oder Vergeltungstheorie. Sie ist diejenige. die im Volke tatsächlich verwurzelt ist. Strafrecht aber darf nicht wie die komplizierten Bestimmungen zum Beispiel des Bürgerlichen Gesetzbuches. des Handelsrechts oder des Aktien- und des Wechselrechts nun im Theoretischen hängenbleiben. Das Strafrecht muß mehr als jedes andere Recht volkstümlich sein. Fragen Sie das Volk aus allen Schichten - und gerade die urwüchsigen und unverbildeten Teile -, und vor allem: fragen Sie die Frauen! Sie werden in der überwiegenden Zahl aus ihrem natürlichen Instinkt heraus die Todesstrafe bejahen. ({2}) Die Deutsche Reichspartei bejaht ebenfalls die Todesstrafe. ({3}) Sie sollte aber, wie der Kollege Ewers schon hervorhob. anders als bisher in das Strafgesetzbuch eingebaut werden, nämlich in der Weise, daß sie im Gesetz neben lebenslänglichem Zuchthaus als Strafandrohung ausgesprochen wird. Der Richter muß die Möglichkeit haben, in jedem Einzelfall letztlich noch zwischen lebenslänglicher Zuchthausstrafe und Todesstrafe zu wählen, um dem jeweiligen Sachverhalt auch bis ins Letzte gerecht zu werden. Mit dieser Einschränkung, die sich ja leicht in das Strafgesetzbuch, bzw. in die Entwürfe. die sich in Vorbereitung befinden, einbauen läßt, unterstützt die Deutsche Reichspartei den Antrag der Bayernpartei. ({4})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmid.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001993, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Die Herren von der Bayernpartei haben uns beim demokratischen Portepee zu fassen gesucht, als sie sagten, was wir im Parlamentarischen Rat getrieben hätten, sei eine Art absolutistischen Weggehens über alles, was das Volk über die Todesstrafe denke. Meine Herren von der Bayernpartei, ich bin wie Sie davon überzeugt: wenn man über die Frage, ob die Todesstrafe abgeschafft werden solle oder nicht, ein Plebiszit veranstaltet hätte, wäre die Wahrscheinlichkeit, daß die Mehrheit unseres Volkes sich für ihre Beibehaltung entschieden hätte, sehr groß gewesen. ({0}) Aber ich machte auf die Gefahr hin, daß Sie mir jedes Recht, mich künftighin noch einen Demokraten nennen zu dürfen, absprechen, sagen: in Dingen der Humanität, in Fragen der Beseitigung eingewurzelter Vorurteile und der Ausrottung blutiger Mythen mißtraue ich dem Plebiszit; da traue ich dem aufgeklärten „Absolutismus" eines Parlaments mehr zu. ({1}) Sie können dieses Bekenntnis in der Polemik und agitatorisch verwerten, wie Sie wollen, Herr Dr. Baumgartner; ich habe es abgelegt, und ich stehe dazu. Wenn man vor 200 Jahren ein Plebiszit darüber veranstaltet hätte, ob man Hexen verbrennen soll oder nicht, dann würde man heute noch die Scheiterhaufen rauchen sehen! ({2}) Vergessen Sie nicht: die letzte Hexenverbrennung in Europa hat nicht unter dem Zepter eines verruchten Fürsten, sondern in einem Schweizer Urkanton mit plebiszitärer Landsgemeinde stattgefunden, und zwar in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts! Ich glaube, man sollte nicht so sehr betonen, daß es gelte, in sich die Möglichkeit primitiver Reaktionen zu konservieren. Wenn man Gesetze gibt, sollte man versuchen, sich vom Primitiven zu entfernen. Jedenfalls sollte man zum mindesten nicht ausgesprochenermaßen danach streben, Primitivität zu aktualisieren. Das Primitive läuft uns sowieso nach, ohne daß wir uns um sein Geleit zu bemühen brauchten. Sie sprechen von Vergeltung als einem sittlichen Prinzip. Vergeltung ist aber doch letzten Endes nichts anderes als die Anwendung des Grundsatzes: Auge um Auge, Zahn um Zahn. W i e man dabei die Taxe macht, ist schließlich nur noch eine Frage der Relationen. Vergeltung heißt: du hast mir etwas getan, nun tue ich dir etwas Entsprechendes. Ich muß sagen: da finde ich das Alte Testament konsequenter als das Strafrecht, das Sie wollen. Alles Spekulieren darüber sind, glaube ich, Versuche, wie man mit dem Bestreben, nicht primitiv zu sein. ein bißchen eigene oder fremde Primitivität verbinden könnte. Nun, meine Damen und Herren, zur Abschreckungstheorie. Die Abschreckungstheorie ist doch nichts anderes als eine Theorie zur Konkretisierung des Satzes ,,Der Zweck heilig t die Mittel". Wenn man zu einer humanitären Demokratie gelangen will, muß man umgekehrt sagen: Die Mittel müssen so sein, daß sie den Zweck heiligen. Und, meine Damen und Herren, wenn Sie schon auf die abschreckende Wirkung der Strafe soviel Wert legen, müßten Sie konsequenterweise die Einführung von Steigerungen auch beim Vollzug der Todesstrafe wollen; denn Sie müssen zugeben: Vierteilen schreckt noch mehr ab als Köpfen. Aber Sie wollen keine Folterungen. Warum bleiben Sie nicht konsequent? Sie wollen diese verschärften Todesstrafen - wenn Sir mir diesen nazistischen Ausdruck gestatten wollen - nicht, weil Sie mit Recht der Meinung sind: der Mensch degradiert sich selber dadurch, daß er foltern läßt. Wir sollten so weit kommen, daß wir erkennen: der Mensch degradiert sich auch dann, wenn er einen Menschen in regulierter Weise vom Leben zum Tode bringt, sei es, daß er dies selber tue, sei es, daß er dem Henker den Auftrag dazu gebe! Meine Damen und Herren, noch eines möchte ich sagen: es ist auch ein Unterschied, ob man die Todesstrafe abschafft oder ob man sie wiedereinführt! ({3}) Ich glaube, mancher, der nicht zögern würde, ja zu sagen, wenn man ihn fragte, ob er die Todesstrafe abgeschafft sehen wolle, würde sich nicht ({4}) bereit finden, ja zu sagen, wenn man ihn fragte, ob er wolle, daß sie wiedereingeführt werde. ({5}) In unserer Fraktion haben wir die Abstimmung freigegeben, weil wir der Meinung sind, daß es sich hier um eine Sache handelt, bei der jeder nur nach dem Ruf seines Gewissens handeln kann. Trotzdem wäre ich traurig, wenn einer meiner politischen Freunde nicht der Auffassung wäre, daß wir uns durch ein Ja zu dem Antrag der Bayernpartei degradieren würden. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren: Gehen wir über diesen Antrag zur Tagesordnung über! ({6})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Der Abgeordnete Dr. Etzel hat als Antragsteller das Schlußwort. Dr. Etzel ({0}) ({1}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte hat gezeigt, wie schwer es ist, die wirklichen Motive eines Antrags zur Geltung zu bringen. Der Herr Bundesjustizminister hat nach dem Wortlaut des Stenogramms erklärt: Ich beneide die Antragsteller darum, daß sie in dieser Zeit vornehmlich von dieser Frage erfüllt sind und es als eine Hauptsorge sehen, daß künftighin in unserem jungen Staate, wir wollen einmal sagen: mehr geköpft wird. ({2}) - Herr Justizminister, ich muß zum Ausdruck bringen, daß Sie damit die tiefste Sprosse einer Diskussion, ({3}) einer Auseinandersetzung, einer notwendigerweise von dem Geist und dem Ethos getragenen Debatte festgehalten, ({4}) ich will nicht sagen: erstiegen haben, aber auf ihr verharrt sind. ({5}) Ich bedaure das sachlich, und ich bedaure es - Herr Justizminister, Sie werden das begreifen - auch persönlich. ({6}) Wir haben, nicht von Blutdurst getrieben, den Antrag gestellt; wir haben von Anfang an geglaubt, es würde das Ethos, von dem aus dieser Antrag bestimmt war, verstanden. ({7}) Dieses Ethos ist auch von einem großen Teil der Debatteredner begriffen worden. ({8}) Es hat uns außerordentlich merkwürdig berührt, daß in unserem Antrag ein Vorstoß auf das Grundgesetz selbst erblickt werden konnte. ({9}) Es ist uns übel ausgelegt worden, daß wir es wagen, von der verfassungsrechtlichen Möglichkeit des Art. 79 Gebrauch zu machen. ({10}). Warum diese Intoleranz, die jede Möglichkeit, hier nach Art. 79 zu verfahren, schon diffamieren möchte, weil die Verfassung tabu ist? Es zeugt von einem geringen Glauben an die Stabilität dieses Grundgesetzes, das ja von einem Teile seiner Schöpfer ursprünglich nur als Statut, als Satzung bezeichnet werden wollte, wenn in einem verfassungsändernden Antrage sofort ein Ansturm gegen die Verfassung gesehen werden will. ({11}) Auch Herr Kollege Loritz, dessen Sachlichkeit, soweit er sich auf die Frage der Todesstrafe bezog, ich dankbar anerkennen möchte, hat hier eine panikartige Furcht erzeugt, als ob wir gegen die Verfassung, d. h. das Grundgesetz selbst Sturm laufen wollten. Nichts falscher als das! Aber niemand sei so intolerant und verdächtige sofort einen verfassungändernden oder grundgesetzändernden Antrag. Wir haben natürlich sehr viel an diesem Grundgesetz auszusetzen, selbstverständlich, ({12}) weil wir gar nicht in die Lage kamen, auf dieses Grundgesetz irgendwelchen Einfluß zu nehmen. Damit komme ich zu einem anderen, sehr wesentlichen Punkt. Es ist die Frage, ob eben der Parlamentarische Rat legitimiert war, eine solche Entscheidung zu treffen, da er doch nicht das Ergebnis einer unmittelbaren, geheimen, gleichen Volkswahl war. ({13}) Nun zu dem Herrn Vertreter der CSU, dem Herrn Kollegen Dr. Laforet, der sagte, es sei keine Rede davon, daß der Parlamentarische Rat ein Vollzugsorgan der Besatzungsmächte gewesen sei. Ich habe niemals eine solche Behauptung aufgestellt. Ich habe erklärt, er sei das Geschöpf der Sieger gewesen, und das war er; denn die ganze Geschichte erweist es. Als die Londoner Konferenz gescheitert war, haben die sechs Mächte - das heißt Amerika, Frankreich, Großbritannien und die Beneluxstaaten - sich in London zusammengesetzt und haben sich gesagt: wie können wir jetzt diesen großen weltweiten Konflikt wenigstens auf eine Teillösung bringen? Und sie haben in drei Dokumenten ein an die Adresse der beteiligten deutschen Länder gerichtetes. ganz strenges Instrument vorgelegt. Diese Richtlinien waren ja im letzten Sinne bindend. ({14}) Gewiß war es eine Einladung, aber ich muß dann fragen: warum haben denn die Herren Ministerpräsidenten, die ja autoritär regierten, und die ihnen untergebenen und gehorsamen Landtage eine solche Einladung nicht von sich gewiesen und erklärt: „wir wollen das nicht, wenn nicht -". Aber in dem Dokument I war davon die Rede, daß die Abstimmung über das Grundgesetz durch die Bevölkerung selbst stattfinden sollte. ({15}) Die Ministerpräsidenten und die Landtage haben es hintertrieben, daß ein solches Plebiszit über das Grundgesetz stattfindet. ({16}) - Das muß ich zum Ausdruck bringen, weil hier offenbar versucht wird, die Dinge schief darzu({17}) stellen. Die Zweidrittelmajoritätsklausel ist ein bedingungsweiser Wunsch gewesen, und man weiß ja, was man von Wünschen des Siegers zu halten hat: wenn man nur im ganzen seine Offerte annimmt, daß man dann auch im Detail ihm zu gehorchen hat. Das ist die Situation; ich habe beanstandet, daß dieses Grundgesetz, das nicht durch ein Volksparlament geschaffen worden ist, in einer so eminent wichtigen Sache von sich aus in dem „aufgeklärten Absolutismus" eines solchen Sonder- und Zweckgremiums entschieden hat. Das beanstanden wir, weil wir der Meinung sind: in einer Demokratie hat das Volk zu sprechen. Wir sind durchaus der Ansicht, daß man nicht sagen kann: „Quoll licet Jovi, non licet bovi", sondern wir sagen: „Vox populi, vox dei". ({18}) Ein Herr Vertreter der CDU hat davon gesprochen, daß unser Recht säkularisiertes Christentum sei. Nun gut, wer möchte nicht wünschen, daß die profanen Rechtsordnungen der Ausdruck eines hohen, der Menschheit durch Uroffenbarung eingepflanzten, immanenten Sittengesetzes wären! Wir sehen in dem Ethos des Christentums dis höchste Blüte der sittlichen Entwicklung der Menschheit. Aber warum spricht sich dann die katholische Moraltheologie für die Todesstrafe aus? ({19}) Ich darf weiter sagen: damit in dieser Tragikomödie nicht das Satyrspiel fehlt, haben sich der Herr Abgeordnete Dr. Kleindinst von der CSU und Herr Abgeordneter Renner gemeldet. Herr Dr. Kleindinst sagte: Wir sind aus föderalistischen Gründen -

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Herr Abgeordneter, entschuldigen Sie! Darf ich fragen: wenn sich irgendwelche zwei Abgeordnete melden, - ist das ein Satyrspiel? Sie haben eben gesagt: Um dieses Satyrspiel zu vollenden, hätten sich die Abgeordneten Kleindinst und Renner zum Wort gemeldet.

Dr. Hermann Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000498, Fraktion: Bayernpartei (BP)

Nein. Ich habe gesagt: Damit der Tragikomödie nicht das Satyrspiel fehle!

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Aha!

Dr. Hermann Etzel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000498, Fraktion: Bayernpartei (BP)

Ich gestehe gern zu. ich habe nicht eine Absicht der Abgeordneten, sondern nur die Folge ihrer Ausführungen zum Ausdruck bringen wollen, ({0}) weil ihr Auftreten eine solche Folge hervorrief; denn man kann nicht sagen: Wir sind aus föderalistischen Gründen gegen die Aufhebung des Art. 102. Dann sind wir aus zentralistischen Gründen für seine Beseitigung! Man kann auch nicht sagen, man müsse den Antrag ablehnen, weil er keine praktische Bedeutung habe, weil er doch nicht durchgehe. Ich sage, das sind keine sachlichen Diskussionen. ({1}) Ich möchte noch eines ausführen. In der 9. Vollsitzung des Parlamentarischen Rates vom 6. Mai hat Herr Abgeordneter Renner ausgeführt: Zu den Ländern mit einer wahrhaften Kultur, die die Todesstrafe beseitigt haben, gehört auch die Sowjetunion. ({2}) Er hat heute gesagt, daß die Sowjetunion für einen scharfumrissenen „kleinen" Tatbestand die Todesstrafe wieder eingeführt hat. Das ist es eben! Dieser kleine Tatbestand ist gegenüber den schweren, furchtbaren Tatbeständen der Raubmorde wirklich etwas eminent Kleines. Warum? Er ist nur politisch! Er ist genau so klein gegenüber der Wucht und ,der Schwere der Raubmorda, wie seinerzeit der politische Tatbestand kriminell nur von geringem Gewicht war in der zweiten Verordnung zum Schutz der Republik von 1922, die, wie ich sagte, auf Grund dies Artikels 48 doch von einem demokratischen Reichspräsidenten erlassen worden ist. Das ist es, was wir ablehnen, daß wir ein Politikum strafrechtlich als einen schweren Tatbestand behandeln und ein menschlich ungeheuerliches Geschehen als einen schwächeren, in der Kriminalität viel weniger erheblichen Sachverhalt. ({3}) Es handelt sich bei der Abschaffung des Artikels 102 um nichts anderes als darum, die Bahn freizumachen für eine Strafgesetzgebung, die der Herr Bundesjustizminister heute für absehbare Zeit angekündigt hat. Es geht nicht um eine Demonstration gegen das Grundgesetz. Wie konnte man das aus meinen Ausführungen herauslesen? Es handelt sich nicht um die sofortige Wiedereinführung, sondern um die Öffnung der Bahn für die spätere strafrechtliche Reform. Darum allein war uns zu tun im Hinblick auf die Geschehnisse und Untaten, die unser Leben tagaus, tagein in einer im höchsten Maße bestürzenden Weise beunruhigen. ({4})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Weitere Wortmeldungen zur Sache liegen nicht vor. Dann schließe ich die Aussprache zu Drucksache Nr. 619. Es liegt von zwei Antragstellern, den Herren Abgeordneten Renner und Dr. Schmid, der gleichlautende Antrag auf Übergang zur Tagesordnung vor. Das ist ein Antrag zur Geschäftsordnung, zu dem ich nach der Vorschrift des § 76 zunächst noch einem weiteren Redner das Wort gebe, der gegen diesen Antrag ist. Wünscht jemand, gegen diesen Antrag auf Übergang zur Tagesordnung zu sprechen? ({0}) - Verzeihen Sie, es handelt sich jetzt um den Antrag auf Übergang zur Tagesordnung. ({1}) - Nein, verzeihen Sie, § 76 sagt ausdrücklich, daß nur über Vorlagen der Regierung und über Anträge der Regierung nicht zur Tagesordnung übergegangen werden kann. - Also es wünscht niemand das Wort gegen den Antrag zur Geschäftsordnung auf Übergang zur Tagesordnung. Dann lasse ich darüber abstimmen, .weil das der weitestgehende Antrag ist. Wer für diesen Antrag ist, über Drucksache Nr. 619 zur Tagesordnung überzugehen, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war eine eindeutige Mehrheit. Damit ist der Antrag Drucksache Nr. 619 erledigt. Deutscher Bunde tag ({2}) Meine Damen und Herren! Infolge der Besprechungen, die heute mittag im Ältestenrat stattgefunden haben, fallen die Punkte 11 und 12 der gedruckten Tagesordnung aus. Beim Punkt 13: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Aufgaben des Bundes auf dein Gebiete der Seeschiffahrt ({3}) wird auf die Einbringung und Begründung des Gesetzentwurfes verzichtet; es wird lediglich auf die gedruckt vorliegende Begündung hingewiesen mit der Maßgabe, daß keine Debatte darüber stattfindet. Darf ich das Einverständnis des Hauses feststellen, daß der Gesetzentwurf Drucksache Nr. 628 damit dem zuständigen Ausschuß für Verkehrswesen als überwiesen gilt? - Ich höre keinen Widerspruch. Es ist demgemäß beschlossen. Wir kommen dann zum Punkt 14: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter ({4}). Wird seitens der Regierung der Wunsch gehegt. den Gesetzentwurf einzubringen? - Seitens des Herrn Bundesjustizministers wird auf die gedruckt beiliegende Begründung verwiesen. Schließt das Haus sich dem an? - Ich höre keinen Widerspruch. Eine Debatte erfolgt nicht. Dann darf ich auch hier das Einverständnis des Hauses feststellen, daß die erste Beratung des Gesetzentwurfes als abgeschlossen und die Drucksache Nr. 699 als dem Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht überwiesen gilt. Wir kommen zum Punkt 15: Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Ausschluß des Umtauschs und der Bareinlösung außer Umlauf gesetzter Postwertzeichen ({5}). Ich glaube, auch darüber besteht wohl Einverständnis des Hauses, daß die erste Beratung sich mit der vorliegenden gedruckten Begründung begnügt. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann schließe ich die erste Beratung und darf das Einverständnis des Hauses mit der Überweisung der Drucksache Nr. 711 an den Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen annehmen. Meine Damen und Herren! Wir kommen dann weiter zu den Punkten, die nicht auf der gedruckten Tagesordnung stehen. Das ist Ihnen bereits bekanntgegeben worden. Es handelt sich zunächst um die Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Bundesfinanzhof ({6}). Soviel ich weiß, werden wir wohl- ohne wesentliche Debatte bei diesem Gesetzentwurf auskommen, und deshalb möchte ich empfehlen, daß wir damit beginnen. Ich setze das Einverständnis des Hauses voraus und erteile als Berichterstatter Herrn Abgeordneten Dr. Höpker-Aschoff das Wort. Dr. Dr Höpker-Aschoff ({7}), Berichterstater: Meine Damen und Herren! Der Entwurf dieses Gesetzes war dem Rechtsausschuß und dein Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen überwiesen. Beide Ausschüsse haben sich in gemeinsamen Sitzungen mit diesem Gesetzentwurf befaßt, und ich habe den Auftrag, im Namen beider Ausschösse über das, was in den Ausschüssen beschlossen worden ist, zu berichten. Meine Damen und Herren! Durch den vorliegenden Gesetzentwurf soll ein Notstand beseitigt werden, der sich daraus ergibt, daß sowohl in der französischen Zone als auch in der britischen Zone im Raum der Finanzgerichtsbarkeit eine letzte Instanz, die über Rechtsbeschwerden zu entscheiden hätte, nicht vorhanden ist. Dieser Notstand soll so schnell wie möglich beseitigt werden, und aus diesem Grunde hat sich die Regierung entschlossen, dieses Gesetz vorzulegen, und zwar bevor uns das ausstehende Gesetz über die Finanzgerichtsbarkeit im allgemeinen vorgelegt wird. Ich darf im übrigen auf die Begründung verweisen, die den Damen und Herren bekannt ist. Die beiden Ausschüsse haben nur einige Abänderungen beschlossen, die im wesentlichen redaktioneller Art sind. Ich glaube, nur auf zwei Abänderungen hinweisen zu müssen, die in dem § 3 enthalten sind. Dort haben wir die Worte der Vorlage: Der Bundesfinanzhof besteht aus einem Präsidenten, aus Finanzpräsidenten und Räten dahin abgeändert: Der Bundesfinanzhof besteht aus einem Präsidenten, aus Finanzpräsidenten und Bundesfinanzrichtern, von der Überzeugung ausgehend, daß die Richter nicht Rat erteilen, sondern zu richten haben, und weil uns von seiten der Regierung mitgeteilt worden ist, daß man bei dem künftigen Richtergesetz bei allen Gerichten die Bezeichnung „Räte" beseitigen und durch die Bezeichnung „Bundesrichter" und „Richter" ersetzen will. Außerdem haben wir in § 3 den Absatz 3 der Vorlage gestrichen, der besondere Bestimmungen über die Qualifikation der Mitglieder des Bundesfinanzhofs enthielt. Es gilt dann, wenn dieser Absatz 3 gestrichen ist, die Bestimmung der Reichsabgabenordnung, daß die Hälfte der Mitglieder des Bundesfinanzhofs aus Richtern bestehen muß, die die Fähigkeit zum Richteramt haben. Wir waren der Meinung, daß nähere Vorschriften über die Qualifikation der Richter erst dann getroffen werden können, wenn uns das Gesetz über die Finanzgerichtsbarkeit im allgemeinen vorgelegt werden wird und dann auch über die Qualifikation der Richter an den unteren Finanzgerichten gesprochen werden kann. Ich schlage Ihnen vor, den Gesetzentwurf nach den Beschlüssen der beiden Ausschüsse anzunehmen.

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen und eröffne die Aussprache. Zum Wort hat sich Herr Abgeordneter Dr. Schneider gemeldet.

Dr. Ludwig Schneider (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002046, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Wir sind mit der Grundtendenz dieses Gesetzes, daß unbedingt und schnellstens eine oberste Spitze in der Finanzgerichtsbarkeit errichtet werden soll, ein oberster Gerichtshof selbstverständlich einverstanden. Wir sind auch im wesentlichen mit allen Paragraphen, wie sie ({0}) der Entwurf der Regierung uns gebracht hat, einverstanden. Wir sind auch mit der abgeänderten Fassung, wie sie in den beiden Ausschüssen erarbeitet worden ist, einverstanden. Nur mit einer einzigen Fassung sind wir nicht einverstanden; das ist § 3 Absatz 3, den die beiden Ausschüsse gestrichen haben. Hier rühren wir an das Problem, das immer wieder auftaucht, wenn wir die Frage entscheiden wollen, wie oberste Gerichtshöfe zu besetzen sind. Und da es sich hier um einen obersten Gerichtshof handeln soll - das war auch in den beiden Ausschüssen nicht streitig -, ist die Frage nur: wie soll man diesen obersten Gerichtshof besetzen? Der Regierungsentwurf schlug ursprünglich diesen Absatz 3 des § 3 vor: Zum Mitglied des Bundesfinanzhofes kann nur ernannt werden, wer das 35. Lebensjahr vollendet hat. Mindestens die Hälfte der Mitglieder muß die Befähigung zum Richteramt erlangt haben. Die Mitglieder müssen, soweit sie nicht die Befähigung zum Richteramt besitzen, die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst erlangt haben. Der Ausschuß oder, ich möchte sagen, die beiden Ausschüsse haben über dieses Problem diskutiert, und es zeigte sich sofort, daß hier ein Zentralproblem angeschnitten wurde. Die Meinungen gingen naturgemäß sofort auseinander, und da sind diese vereinigten Ausschüsse - jedenfalls nach dem Eindruck, den ich dort bekommen habe - einfach ausgewichen. Man hat sich auf die bisher bestehende Regelung, nämlich die in der Reichsabgabenordnung, zurückgezogen, die bestimmte, daß nur die Hälfte der Richter am Bundesgerichtshof ordentliche Richter sein müßten. Der Bundesfinanzhof hat in der Vergangenheit mit Ausnahme der Periode im Nationalsozialismus eine Bedeutung erlangt, die erstaunlich ist. Alle, die Gelegenheit hatten, seine Urteile kennenzulernen, waren von der Qualität dieser Urteile überzeugt. Er hat deshalb eine außerordentliche Autorität erlangt, und wenn wir nicht wollen, daß diese Autorität in der Zukunft sinkt, sollten wir jetzt schon dafür sorgen, daß in der Besetzung dieses Gerichtshofes nur die besten Kräfte erscheinen können. Wir sind damit einverstanden, daß die Richter mindestens das 35 Lebensjahr vollendet haben müssen. Wir sind aber nicht damit einverstanden, daß man jetzt diesem Problem, das wir doch lösen müssen, ausweicht, einfach um deswillen, weil sich vielleicht im Augenblick sonst Schwierigkeiten ergeben könnten. Wir sind um deswillen nicht damit einverstanden, weil der Hinweis, daß es bisher gut gegangen sei, uns nicht restlos zu überzeugen vermag. Es ist mir bekanntgeworden, daß trotz der seither geltenden Bestimmung theoretisch auch andere Leute als nur solche, die die Befähigung zum Richteramt erworben haben, zu obersten Richtern dorthin berufen werden konnten und daß das tadellos geklappt hat. Aber, meine Damen und Herren, vergessen Sie nicht: seither hatten wir auch eine andere Art der Berufung dieser Richter. Seither hatten wir nicht die Möglichkeit, wie sie jetzt im Grundgesetz verankert ist, die Richter nach einer ganz anderen Methode, nämlich nach Wahl, zu bestimmen. Darin liegt nach unserer Auffassung zweifellos eine gewisse Gefahr, wenn wir nicht von vornherein die Normativbestimmungen, die Bedingungen festlegen, an die auch dieser Richterwahlausschuß gebunden ist. Deshalb sind wir der Meinung, daß wir diesem Problem nicht ausweichen, sondern daß wir es anpacken sollten. Wir sind der Auffassung, daß an diesem Spezialgerichtshof - so möchte ich ihn einmal nennen - unbedingt nur allerbeste Kräfte sitzen können, denn diese Spezialmaterie erfordert das einfach. Meine Damen und Herren, ich sage Ihnen ja nichts Neues. Lesen Sie doch nur mal Finanzgesetze wie das Einkommensteuergesetz. oder wie sie sonst heißen mögen, lesen Sie mal die Durchführungsverordnungen dazu oder sehen Sie sich mal die sogenannten technischen Gesetze an, die wir neulich dazu erlassen haben. Es gehört beinahe schon eine Geheimwissenschaft dazu, ein derartiges Gesetz überhaupt zu lesen. Für einen normalen Menschen ist das gar nicht mehr möglich, und selbst ein Spezialjurist ist dazu kaum in der Lage. Dort oben kommt es aber nicht darauf an, nur zu lesen, sondern dort oben kommt es ja darauf an, nach dem Geist und dem Text dieser Gesetze Recht zu sprechen. Dazu gehören eine ganz besondere Fähigkeit und ganz besondere Fachkenntnisse. Deshalb sind wir der Meinung, daß dort nur Menschen hingehören, die ihrer Ausbildung nach diese Fachkenntnisse mitbringen. Im Ausschuß wurde darauf hingewiesen, der Begriff „höherer Verwaltungsdienst" sei nicht mehr einheitlich. Das ist zugegeben. Früher war dieser Begriff einheitlich. Es handelte sich um Leute, die studiert und die die zwei vorgeschriebenen Prüfungen abgelegt hatten. Das mag sich in den einzelnen Ländern verschoben haben, aber das ändert nichts an dem Grundproblem. Führen wir diesen Begriff ,.höherer Verwaltungsdienst" wieder ein, so haben wir immerhin die Gewähr, daß damit schon die Grundtendenz auch für den Richterwahlausschuß festgelegt ist. Auf die Wiedereinführung dieses Begriffes legen wir aber gerade deshalb so entscheidendes Gewicht, weil es sich hier ja nicht um eine Tatsacheninstanz handelt. Wir vertreten auch sonst den Standpunkt, daß man das Laienelement in die Rechtsprechung mit einbeziehen sollte. Aber das sollte man nur da tun, wo es sich um Tatsacheninstanzen, d. h. um die Beurteilung konkreter Tatbestände handelt, und nicht da, wo es um reine Rechtsfragen geht, wie hier beim Bundesfinanzhof. Aber es kommt noch ein weiterer Grund hinzu, weshalb wir glauben, daß das Problem jetzt gelöst werden sollte. Auch der gemischte Ausschuß konnte sich der Tatsache nicht verschließen, daß, wenn das Gesetz hier verabschiedet sein wird, diese Richter, und zwar alle Richter, auf Lebenszeit bestellt werden sollen. Wir stimmen diesem Grundsatz zu. Wenn wir jetzt aber Elemente hineinnehmen, die nach unserer Auffassung nicht die nötigen Qualifikationen mitbringen, dann schaffen wir damit auch ein gewisses Präjudiz für die kommende Gesetzgebung über die Finanzgerichtsbarkeit. Das kann man dann einfach nicht mehr ändern, denn damit werden Tatsachen geschaffen, die irreparabel sind; die Richter sollen ja durch diesen Aus({1}) schuß auf Lebenszeit bestellt werden. Wenn sie aber einmal bestellt sind, mag die Finanzgesetzgebung sagen, was sie will, an dieser Tatsache kann sie dann nichts mehr ändern. Deshalb sind wir der Meinung, daß das jetzt geändert werden müßte. Ich stelle deshalb namens meiner Fraktion den Abänderungsantrag: Der Bundestag wolle beschließen: § 3 Absatz 3 wird in der Fassung der Regierungsvorlage wiederhergestellt. Ich bitte .das Haus, diesem unserem Abänderungsvorschlag zuzustimmen. ({2})

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Wird das Wort weiter gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Aussprache der zweiten Lesung. Wir kommen zur Abstimmung. Wer für § 1 und § 2 in der Fassung der Drucksache Nr. 770 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. Zweifelsfrei mit Mehrheit angenommen. Zu § 3 liegt der eben verlessene Abänderungantrag vor, § 3 Absatz 3 in der Fassung der Regierungsvorlage wiederherzustellen. Wer für diesen Antrag ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Stimmen wir überein? - Das erste war die Mehrheit. Meine Damen und Herren, dann rufe ich auf § 3 mit der soeben beschlossenen Änderung. Wer für § 3,- 4,- 5,- 6,- 7,- 8,- 9 und 10 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Ich bitte um die Gegenprobe. - Bei Enthaltungen mit Mehrheit angenommen. Wer für Einleitung und Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke! Gegenprobe! - Mit Mehrheit bei Enthaltungen angenommen. Ich werde soeben von einer interfraktionellen Übereinkunft zwischen der Regierungskoalition und der SPD-Fraktion verständigt, wonach die dritte Beratung dieses Gesetzentwurfes, da die SPD-Fraktion noch keine Gelegenheit gehabt hat, dazu Stellung zu nehmen, auf Mittwoch verschoben werden soll, und zwar soll sie als erster Punkt der Tagesordnung, d. h. vor Beginn der dritten Beratung des Haushalts, erledigt werden. - Ich darf das Einverständnis des Hauses damit festellen. Damit erkläre ich dieses Gesetz, Drucksache Nr. 770, in zweiter Lesung angenommen. Meine Damen und Herren, dann kommen wir zur Ersten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Regelung der Rechtverhältnisse von Bundestagsabgeordneten aus dem Beamtenverhältnis ({0}). Ursprünglich war dieser Antrag von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP und DP gemeinsam gestellt, jetzt haben sich BP, WAV und Zentrum angeschlossen. Wir waren uns im Ältestenrat darüber einig geworden, dieses Gesetz im Hinblick auf seine Dringlichkeit für zahlreiche Mitglieder des Hauses in drei Lesungen zu verabschieden. Was die Einbringung anlangt, so glaube ich, mich erinnern zu können, daß wir uns im Ältestenrat auf den Standpunkt gestellt hatten, wir wollten von einer besonderen Einbringung absehen. Darf ich das Einverständnis des Hauses dazu annehmen? ({1}) - Einen Augenblick! Jetzt muß ich erst einmal feststellen, ob bei allen Fraktionen, die diesen interfraktionellen Antrag eingebracht haben, Übereinstimmung dahin besteht, daß von einer formellen Einbringung und Begründung in der ersten Lesung abgesehen werden soll. Herr Abgeordneter Dr. Kleindinst, Sie baten ums Wort zur Geschäftsordnung, vermutlich uni Überweisung an den Ausschuß zu beantragen. Ich habe soeben festgestellt, daß sich nach. einer Vereinbarung im Ältestenrat alle darüber einig waren, auch die zweite und dritte Lesung vorzunehmen. ({2}) - Das scheint in allen beteiligten Fraktionen der Fall zu sein. Dann erteile ich Herrn Abgeordneten Dr. Kleindinst das Wort zur Geschäftsordnung.

Dr. Josef Ferdinand Kleindinst (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001120, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Die Angelegenheit ist doch so bedeutungsvoll, daß man sie trotz der Dringlichkeit ohne Ausschußberatung nicht behandeln kann. Ich beantrage deshalb, die Vorlage dem Ausschuß zu überweisen.

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Der Antrag auf Überweisung an den Ausschuß ist, wie bekannt, der weitestgehende Antrag. Dann stelle ich Schluß der ersten Beratung fest und weiter, daß der Antrag Drucksache Nr. 720 an den Ausschuß für Beamtenrecht überwiesen ist. Wir kommen nun - das ist der letzte Punkt, meine Damen und Herren - zur Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über den Entwurf einer Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 des Grundgesetzes ({0}). Es handelt sich um die Drucksache Nr. 745. Ich erteile das Wort Herrn Abgeordneten Dr. Arndt als Berichterstatter. Dr. Arndt ({1}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe im voraus um Entschuldigung zu bitten, denn ich erfahre erst jetzt in diesem Augenblick, daß ich Ihnen heute diesen Bericht erstatten soll. Sie wissen, daß nach dem Grundgesetz eine Neuerung im deutschen Staatsrecht erforderlich ist. Es handelt sich um eine Einrichtung, die wir bisher nicht gekannt haben: es soll ein gemeinsamer Ausschuß des Bundestages und des Bundesrates eingesetzt werden, ein Ausschuß, der unter bestimmten Voraussetzungen, die im Grundgesetz geregelt sind, zusammentreten soil, wodurch insbesondere vermieden werden soll, daß bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Bundestag und Bundesrat ein Stillstand in der Gesetzgebung eintritt. ({2}) ({3}) - Herr Kollege Bausch, wenn Sie den Bericht halten wollen, ist es doch besser, Sie kommen auf die Rednertribüne herauf.

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Herr Abgeordneter Bausch, darf ich auch meinerseits an Sie appellieren. Sie empfinden das anscheinend gar nicht, aber man hört hier oben jedes Wort, das nicht in Moll, sondern in Dur gesprochen wird. Bitte, Herr Abgeordneter. Dr. Arndt ({0}), Berichterstatter: Dieser gemeinsame Ausschuß braucht eine Geschäftsordnung, die vom Bundestag zu beschließen ist und der, damit sie in Kraft treten kann, der Bundesrat zustimmen muß. Die Initiative hat also ausnahmsweise aus dem Hause zu kommen. Infolgedessen hat der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität gemeinsam mit dem zuständigen Ausschuß des Bundesrats, dem Rechtsausschuß, einen Unterausschuß eingesetzt, der die Ihnen vorliegende Vorlage ausgearbeitet und übereinstimmend verabschiedet hat. Auch der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat dann dieser Vorlage einstimmig zugestimmt. Wesentlich sind folgende Gesichtspunkte. Zunächst war zu entscheiden, ob es einen ständigen Vermittlungsausschuß geben soll, oder ob bei Auftreten von Differenzen zwischen Bundestag und Bundesrat jeweils ein besonderer Ausschuß ad hoc einzusetzen ist. Wir haben uns übereinstimmend für einen ständigen Ausschuß entschieden, damit dieser Ausschuß auch eine gewisse politische Erfahrung und Übung in der Vermittlung solcher Streitigkeiten bekommt, deren Schlichtung nicht mehr die Aufgabe der I speziellen Sachverständigen sein kann. Sie ersehen aus § 1, daß es sich also um einen ständigen Ausschuß handelt, der aber auch auf eine optimale Größe oder Kleinheit beschränkt werden muß. Über diese Frage haben zunächst im Bundesrat Meinungsverschiedenheiten bestanden. Die kleinen Länder waren für einen großen Ausschuß, und die großen Länder waren für einen kleinen Ausschuß aus dem einfachen Grunde, weil die großen Länder wußten, daß sie in einem kleinen Ausschuß auch vertreten sein würden, die kleinen aber Angst hatten, daß sie nur in einem großen Ausschuß sein könnten. Wir haben uns aber von uns aus ganz unbefangen davon überzeugt, daß es doch zweckmäßig ist, jedes Land in diesem Ausschuß vertreten sein zu lassen. Wir haben deshalb vorgeschlagen, den Ausschuß aus insgesamt 24 Mitgliedern zu bilden. Wir halten es für möglich, daß man sich auch unter 24 Mitgliedern zu einem Vermittlungsvorschlag zusammenfinden kann, zumal dann, wenn die Zahl der anwesenden Mitglieder des Bundestages und Bundesrates auch wirklich auf diese 24 Personen beschränkt bleibt. Deshalb sind hier ausnahmsweise strenge Vorschriften getroffen, dahin nämlich, daß auch Vertreter nicht anwesend sein dürfen, geschweige denn Nichtmitglieder. Das gilt sogar für die Bundesregierung, die ja nach dem Grundgesetz ein Anwesenheitsrecht hat. Aber auch insoweit ist entschieden worden, daß nur der Minister erscheinen darf und ein Angehöriger der Verwaltung nur dann, wenn der Ausschuß es vorher ausdrücklich gewünscht und beschlossen hat. Die Einzelheiten im übrigen sind Ihnen bekannt, so daß ich glaube, nicht noch näher darauf eingehen zu sollen. Eine politisch wichtige Frage war, wie die Beendigung des Vermittlungsversuches festzustellen ist, da an dieses Ende vom Grundgesetz bestimmte Fristen angeknüpft werden. Der Ausschuß hat Ihnen deshalb insoweit vorgeschlagen, eine besondere Art der Beschlußfähigkeit einzuführen. Beschlußfähig ist dieser eigentümliche Vermittlungsausschuß nicht erst dann, wenn die Hälfte der Mitglieder anwesend ist; vielmehr ist er schon beschlußfähig, wenigstens in einem negativen Sinn, wenn mindestens 8 Mitglieder anwesend sind, wobei die Anwesenheit von 8 Mitgliedern aus einem der beiden Häuser genügt. Selbstverständlich kann er dann aber keinen positiven Vermittlungsvorschlag machen. Das ist besonders geregelt; dafür ist natürlich eine andere Mehrheit erforderlich. Im übrigen sind formale Vorschriften darüber getroffen, wie der Abschluß des Verfahrens festzustellen ist. Eine Bestimmung hat noch politische Bedeutung und sei Ihrer besonderen Beachtung empfohlen. Es mußte nämlich die Frage entschieden werden, wie über einen Vermittlungsvorschlag dann hier im Hause zu verfahren ist. Die Beratung und die Entscheidung über den Vermittlungsvorschlag bedeuten gewissermaßen eine vierte Lesung. Es entstand das Problem, ob in dieser vierten Lesung - wie wir es in der dritten kennen erneut von den Fraktionen Anträge zur Sache gestellt werden können, so daß die Gesetzesvorlage, die zwischen Bundestag und Bundesrat umstritten ist, nun wieder eine ganz andere Fassung bekommen würde, als in dem Vermittlungsvorschlag vorgesehen ist. Insoweit haben wir alle es für erforderlich gehalten, das Hohe Haus zu binden und in diese Geschäftsordnung die Bestimmung aufzunehmen, daß der Bundestag in dieser quasi vierten Lesung lediglich über den Vermittlungsvorschlag mit Ja oder Nein abstimmen kann und daß auch die Aussprache dadurch beschränkt sein soll, daß die Fraktionen lediglich Erklärungen abgeben, aus welchen Gründen sie für oder gegen den Vermittlungsvorschlag stimmen. Diese Regelung ist uns anfangs nicht ganz unbedenklich erschienen. Es wurde teilweise gefordert, überhaupt keine Aussprache oder sogar eine unbeschränkte Aussprache zuzulassen. Beides schien uns nicht angemessen, sondern wir hielten den Mittelweg für das Richtige. Für die Offentlichkeit und für die Zukunft muß gesagt werden können, warum man den Vermittlungsvorschlag annimmt oder ablehnt; mehr soll nicht gesagt werden. Darum ist das hier so geregelt. Wir haben überlegt, ob ein solche Selbstbindung des Parlaments mit seiner Autonomie vereinbar sei, da wir ja von dieser gemeinsamen Geschäftsordnung ohne Zustimmung des Bundesrates nicht wieder herunterkönnen. Wir sind aber der Auffassung gewesen, daß eine solche Selbstbindung zulässig ist; sie kann natürlich nicht unbeschränkt sein. Die Erwägung, eine Kündigungsklausel einzuführen, haben wir infolgedessen abgelehnt, da das Ganze einen Versuch darstellt. Wir haben uns vielmehr dahin entschieden, daß diese Geschäftsordnung nur eine einstweilige ist und am 31. März 1951 von sich aus außer Kraft tritt. Damit tritt auch die Selbstbindung des Bundestages außer Kraft. Dann ({1}) werden wir, nachdem wir sozusagen ein Experiment gemacht haben, prüfen können, ob sich alles so bewährt hat oder ob Anlaß besteht, hinsichtlich des Vermittlungsausschusses zu einer anderen Regelung überzugehen. Ich bitte Sie daher im Namen des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität, dieser gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates zuzustimmen.

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. - Ich eröffne die Aussprache. Wird das Wort gewünscht? Ich stelle fest: das ist nicht der Fall. Ich schließe die Aussprache über die Drucksache Nr. 745. Nach Art. 77 des Grundgesetzes bedarf es nur einer Beschlußfassung des Bundestages und nicht etwa der Form der Beratung und Abstimmung über die einzelnen Paragraphen. Ich bitte daher diejenigen Damen und Herren des Hauses, die für den Beschluß, nämlich den Entwurf einer gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und des Bundesrates, in der Fassung der Drucksache Nr. 745 im ganzen sind, die Hand zu erheben. - Ich danke und bitte um die Gegenprobe. - Gegen wenige Stimmen angenommen. Damit, meine Damen und Herren, ({0}) darf ich die erfreuliche Mitteilung machen, daß wir nunmehr am Ende der vorgesehenen Tagesordnung angelangt sind. - Das Wort zur Geschäftsordnung hat der Abgeordnete Euler.

August Martin Euler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000500, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Hause bestehen erhebliche Meinungsverschiedenheiten darüber, ob der Abänderungsantrag des Kollegen Dr. Schneider zu der Gesetzesvorlage über den Bundesfinanzhof angenommen oder abgelehnt wurde. Der Präsident wollte die Annahme konstatieren, hat aber versehentlich gesagt, der Antrag sei abgelehnt. Daher rührt die Meinungsverschiedenheit. Ich bitte deshalb, nochmals formell festzustellen, daß der Antrag angenommen wurde.

Dr. Erich Köhler (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001150

Ich erhebe mich zu diesem Zweck, Herr Abgeordneter Euler, und stelle in aller Form fest, daß ich ausdrücklich zweimal habe abstimmen lassen, weil wir uns im Moment über die Mehrheitsverhältnisse nicht klar waren. und ich habe bei der zweiten Abstimmung festgestellt: die Mehrheit war für den Antrag; dann habe ich über den § 3 in der nunmehr geänderten Fassung abstimmen lassen. Ich hoffe, daß Ihnen diese Erklärung genügt; im übrigen geht das aus dem Protokoll hervor. Wir stehen am Ende der Tagesordnung. Ich habe noch folgende amtliche Mitteilungen bekanntzugeben: 1. Die für heute 20 Uhr anberaumte Sitzung des Ausschusses für innergebietliche Neuordnung wird auf morgen, Dienstag, den 28., 20 Uhr oder, sofern die Plenarsitzung morgen nach 19 Uhr endet, eine Stunde nach offiziellem Sitzungsschluß verlegt. Sitzungsraum Zimmer 108. 2. Die CDU-Fraktion hat anschließend an die Sitzung eine Fraktionssitzung. Ich berufe die 53. Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Dienstag, den 28. März, 10 Uhr vormittags ein und schließe die heutige 52. Sitzung.