Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 29. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte zunächst den Schriftführer, Herrn Abgeordneten Dr. Zawadil, die Liste der abwesenden Mitglieder des Hauses zur Kenntnis zu bringen.
Abwesend sind folgende Damen und Herren des Hauses: infolge Krankheit die Abgeordneten Albers, Pohle, Mayer, Dr. Pfleiderer; aus anderen Gründen entschuldigt die Abgeordneten Dr. Weiß, Feldmann, Dr. Henle, Dr. Serres, Neber, Dr. Gerstenmaier, Dr. Müller, Kunze, Mehs, Kemper, Raestrup, Dr. Vogel, Jacobi, Bromme, Ritzel, Jahn, Steinhörster, Reitzner, Knothe, Blachstein, Schönauer, Frau Schroeder, Wagner, Dr. Veith, Dr. Nölting, Kurlbaum, Dr. Gülich, Dr. Greve, Dr. Baumgartner, von Aretin, Rahn, Revenstorf, Dr. Oellers, Dr. Dr. Nöll von der Nahmer, Dirscherl, Juncker, Dr. Atzenroth, Dannmann, Euler, Freudenberg, Dr. Hoffmann, Rademacher, Dr. Freiherr von Rechenberg, Dr. Schäfer, Kuhlemann, Eickhoff, Weickert, Wittmann, Wallner, Reimann, Nuding, Niebergall, Agatz, Fisch, Tichi, Dr. Hasemann.
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900 Deutscher Bundestag -
Meine Damen und Herren! Ich habe zur Erläuterung der Tagesordnung folgende Bemerkungen voranzustellen.
Zu Punkt 2 ist der Berichterstatter, der bisher nicht auf der Tagesordnung verzeichnet war, Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Der bisherige Punkt 3:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend das Abkommen über die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Vereinigten Staaten von Amerika und der Bundesrepublik Deutschland vom 15. Dezember 1949 ({0});
soll mit Rücksicht darauf, daß der Herr Bundesminister für Angelegenheiten des Marshallplans aus dienstlichen Gründen heute nicht anwesend sein kann, gemäß einem durch den ERP-Ausschuß an mich gerichteten Wunsch von der Tagesordnung abgesetzt werden, um die Angelegenheit in Anwesenheit des zuständigen Herrn Ministers zu beraten.
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Darf ich das Einverständnis des Hauses damit feststellen, daß dieser Punkt 3 entsprechend dem Beschluß des ERP-Ausschusses für heute als abgesetzt gilt? - Ich höre keinen Widerspruch.
Ich schlage vor, an Stelle von Punkt 3 zu setzen die Auswertung der gestern behandelten Drucksache Nr. 386, Antrag der KPD betreffend Einstellung des Verfahrens gegen Angestellte der „Niedersächsischen Volksstimme", durch den Bericht des Geschäftsordnungs- und Immunitätsausschusses Drucksache Nr. 421. Beide Drucksachen liegen Ihnen vor. Darf ich das Einverständnis des Hauses auch damit feststellen.
Insoweit ist die Tagesordnung festgelegt.
Bezüglich der Redezeit schlägt Ihnen der Ältestenrat zu Punkt 1, nachdem für die Einbringung der Vorlage durch die Bundesregierung, wie mir der Herr Bundesarbeitsminister Storch eben in Aussicht stellte, etwa eine Viertelstunde benötigt wird, eine Redezeit für die Fraktionen von insgesamt 90 Minuten vor. Das würde nach dem bisherigen Schlüssel bedeuten: für die großen Fraktionen etwa 18 Minuten, für die FDP 12 Minuten, für die übrigen Fraktionen 8 bis 10 bzw. 5 Minuten. Ich nehme an, daß wir die Gesamtredezeit von ungefähr 11/2 Stunden einhalten können, und darf alle Damen und Herren, die sich an der Debatte beteiligen, bitten, sich danach richten zu wollen.
Wir kommen nunmehr zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen an Kriegsopfer ({2}).
Ich erteile das Wort zur Einbringung der Vorlage Herrn Bundesarbeitsminister Storch.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz hat nicht das Ziel, eine grundsätzliche Neuordnung des Kriegsbeschädigtenrechts herbeizuführen. Sie wissen, daß bis zum 1. April 1950 die Länder noch immer die verantwortlichen Institutionen für die Versorgung der Kriegsbeschädigten sind. Wir mußten hier in einem Übergangsgesetz einen Weg suchen, auf dem man die allergrößten Ungerechtigkeiten, die heute durch die unterschiedliche Gesetzgebung in einzelnen Ländern gegenüber den Kriegsbeschädigten gegeben sind, überbrücken kann. Unser Ministerium arbeitet allen Ernstes daran, ein endgültiges Kriegsbeschädigtengesetz fertigzustellen, in dem auch die grundsätzlichen Fragen, die heute vor allen Dingen von den Kriegsbeschädigtenorganisationen aufgeworfen werden, berücksichtigt werden sollen.
Das vorliegende Gesetz ist also ein Übergangsgesetz mit all seinen Schwächen, die ein Übergangsgesetz immer und immer wieder hat. Uns liegt daran, daß dieses Gesetz sobald wie möglich verabschiedet wird, weil wir von der Bundesregierung dem Hohen Hause das Versprechen gegeben haben, dieses Gesetz mit Wirkung vom 1. Januar wirksam werden zu lassen.
Lassen Sie mich kurz auf die Geschichte der Kriegsbeschädigtenversorgung in der Nachkriegszeit eingehen. In der ersten Zeit nach Beendigung der Feindseligkeiten wurden die Kriegsbeschädigten bei uns nach dem alten Versorgungsrecht, wie wir es früher kannten, behandelt. Sie wissen ja, daß vor allem die amerikanische und die englische Militärregierung im Jahre 1946 durch einen Befehl ihrerseits die Fortführung einer derartigen Kriegsbeschädigtenversorgung untersagt haben. Es wurde dann die Bestimmung getroffen, daß die Kriegsbeschädigten über die Sozialversicherungsträger der Rentenversicherungen mitversorgt werden .mußten und, soweit sie noch niemals einer derartigen Institution angehört haben, ihre Versorgung bei den Wohlfahrtsämtern lag. Es kam dann die geradezu unglückliche Lösung, daß man Kriegsbeschädigtenrenten festlegte, die ungefähr bei 40 Mark für den Vollbeschädigten lagen. Es wurde dann in Deutschland ein sehr starker Kampf darum geführt, den Kriegsbeschädigten ein besseres Recht und eine gerechtere Behandlung zuteil werden zu lassen. Es gab bei uns sehr viele Leute, die sagten: wenn schon die Militärregierungen es nicht gestatten, daß die besonderen Versorgungseinrichtungen in Deutschland fortbestehen, dann muß man zum mindesten dafür sorgen, daß der Kriegsbeschädigte so behandelt wird wie ein ähnlich Geschädigter im deutschen Volksleben. Man kam zu der Überzeugung, daß es das Nächstliegende sei, wenn man die Kriegsbeschädigten grundsätzlich nach dem Unfallversicherungsrecht in der Wirtschaft behandelte. Eine derartige gesetzliche Regelung bekamen wir im Jahre 1947, als man den Kriegsbeschädigten selbst im wesentlichen dieses Recht zuerkannte. Man hat in der britischen Zone für die Errechnung der Renten einen einheitlichen Jahresarbeitsverdienst von 1800 Mark zugrunde gelegt, so daß ein hundertprozentig Kriegsbeschädigter einen Rechtsanspruch auf 100 Mark Monatsrente bekam. In der amerikanischen Zone ist man diesem Beispiel sehr schnell gefolgt, nur daß man dort nicht den einheitlichen Jahresarbeitsverdienst von 1800 Mark zugrunde gelegt hat, sondern eine Staffelung vornahm, die in der ersten Ortsklasse 1800 Mark, in der zweiten, glaube ich, 1720 Mark und in der dritten Ortsklasse 1640 Mark als Grundlage für die Rentenberechtigung festlegte. In diesen Gesetzen sind die Witwen sehr unglücklich behandelt worden. Ihnen hat man das Recht der Unfallversicherung nicht zuerkannt. Nach dem uns damals von der Militärregierung aufgezwungenen Recht konnte eine Witwe nur eine Rente beziehen, wenn sie entweder ein Kind unter 3 Jahren oder zwei Kinder unter 7 oder 8 Jahren zu erziehen hatte. Das war eine Ungerechtigkeit, die draußen im Volk eine ungeheure Erregung mit sich brachte; aber wir konnten es zu
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jener Zeit nicht ändern. In der französischen Zone sind die Dinge wieder anders gelaufen. Dort hat man ,im wesentlichen die Versorgungsbehörden beibehalten und hat auch mit gewissen Abänderungen das alte Versorgungsrecht weiterlaufen lassen.
Im vergangenen Jahr war es das allgemeine Bestreben, auch den Kriegsbeschädigten eine Verbesserung ihrer Lebensmöglichkeiten zu geben. Damals habe ich als Direktor der Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebiets bei den Militärregierungen um die Genehmigung gebeten, ein einheitliches Kriegsbeschädigtenrecht vorzulegen. Sie wissen, daß der Wirtschaftsrat nach den für ihn geltenden Bestimmungen dafür nicht zuständig war. Es hat damals monatelang gedauert, bis ich die Genehmigung der Militärregierungen bekam, dem Wirtschaftsrat ein derartiges Gesetz zu unterbreiten. Es sollte aber keine Leistungsverbesserungen enthalten. Die Damen und Herren, die im Wirtschaftsrat mitgewirkt haben, wissen, zu welchen Schwierigkeiten das damals dort zur Verhandlung stehende Gesetz geführt hat. Sie wissen auch, daß das verabschiedete Gesetz von der Militärregierung nicht genehmigt wurde.
In der Zwischenzeit haben sich nun die Dinge in den Ländern vorwärts entwickelt. Die Länder der amerikanischen Zone haben im vergangenen Jahr Gesetze erlassen, durch welche einmal der Kreis der Bezugsberechtigten, vor allen Dingen der Witwen, erweitert wurde, und darüber hinaus hat man bestimmt, daß diejenigen, die in der Sozialversicherung waren, die Hälfte der Sozialrenten zusätzlich beziehen sollen. Der übrige Teil der Kriegsbeschädigten hat eine Erhöhung seiner Bezüge nicht bekommen.
Dann folgte das Land Nordrhein-Westfalen, das vor allem den Schwerstbeschädigten mit einer hundertprozentigen Kriegsbeschädigung eine Teuerungszulage gab. Ihm folgten dann die Länder Hamburg und Niedersachsen, die ihrerseits eine zwanzigprozentige Teuerungszulage für die Kriegsbeschädigten mit einer Beschädigung von über 50 Prozent gaben. So ist das ganze Kriegsbeschädigtenrecht heute wesentlich auseinandergelaufen.
In dem Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf wird der Versuch gemacht, dieses erweiterte Recht in allen Ländern gleichmäßig zu gestalten. Es ist notwendig, für die Kriegsbeschädigten in Bayern, Hessen, Württemberg-Baden, Bremen, NordrheinWestfalen und . Schleswig-Holstein einen Teuerungszuschlag zu geben, der in diesem Gesetz mit 20 Prozent vorgesehen ist. Darüber hinaus muß in den Ländern Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die Erweiterung des Kreises der Bezugsberechtigten auf die Witwen durchgeführt werden.
Die vorgeschlagene Rentenerhöhung und die vorgeschlagene Erweiterung des Kreises der Rentenberechtigten ergeben folgende Verpflichtungen. ln der amerikanischen Zone sind für die Rentenerhöhung im Lande Bayern 11 Millionen D-Mark, in Hessen 5 Millionen, in WürttembergBaden 5 Millionen und in Bremen 0,5 Millionen, in der britischen Zone in Nordrhein-Westfalen 15 Millionen und in Schleswig-Holstein 5 Millionen notwendig. Darüber hinaus werden Finanzanforderungen notwendig für die Rentenerweiterung, also für die Einbeziehung der Witwen: im Lande Hamburg 6,4 Millionen, im Lande Niedersachsen 17,8 Millionen und im Lande Schleswig-Holstein 14 Millionen D-Mark. Diese Beträge, die ich Ihnen eben genannt habe, sind Jahresbeträge, die, wenn Sie das vorliegende Gesetz verabschieden, in der Zukunft nach dem 1. April die Bundeskasse belasten. Insgesamt beträgt diese Mehrbelastung für das Jahr 80 Millionen D-Mark, von denen bis zum 1. April die Länder den vierten Teil, das heißt rund 20 Millionen D-Mark aufzubringen haben. Wir wissen sehr wohl, daß einige Länder, wie beispielsweise Schleswig-Holstein, vielleicht auch andere, ungeheure Schwierigkeiten in der Beschaffung dieser Gelder haben. Das Kabinett hat deshalb den Finanzminister angewiesen, dafür zu sorgen, daß diese Gelder auch für die Zeit bis zum 1. April auf jeden Fall zur Verfügung gestellt werden. Soweit sie die Länder nicht zur Verfügung stellen können, müssen irgendwie Bundesmittel dafür in Anspruch genommen werden.
Ich weiß sehr wohl, daß auch in diesem Hause sehr viele sind, die sagen: das, was hier vorgeschlagen wird, ist ja keine Regelung, die die Not in diesen Volkskreisen überwinden kann. Das weiß ich auch. Es ist nur so, daß wir bei allem, was wir hier beschließen, irgendwie eine finanzielle Fundierung haben müssen. Wenn nur dieses Kriegsbeschädigtenrecht, wie es das Übergangsgesetz vorsieht, aufrechterhalten bleibt, müssen wir im Jahre 1950 über 3 Milliarden D-Mark für diesen Zweck aufbringen. Ich bin mir vollkommen klar darüber, daß dieses Gesetz keine endgültige Bundesregelung darstellt, und ich würde Ihnen deshalb auch sehr dankbar sein, wenn Sie alle weitergehenden Ansprüche möglichst so weit zurückstellen würden, daß sie dann bei dem endgültigen Gesetz mit berücksichtigt werden können.
Es wird eine schwere Aufgabe sein, auch für die Bundesregierung selbst, sich darüber klar zu werden, wie groß der Geldbetrag ist„ den der Bund in der Zukunft für die Kriegsbeschädigten ausgeben kann. Sie wissen. daß die Finanzhoheit erst mit dem 1. April auf den Bund übergeht. Es ist deshalb notwendig, daß man vor der Behandlung des endgültigen Gesetzes zum mindesten einen Überblick darüber gewinnt, welche Summen im alleräußersten Fall für diesen Zweck aufgebracht werden können.
Ich bitte Sie also, diesen Gesetzentwurf als eine Übergangsregelung anzusehen, und ich bitte Sie gleichzeitig, die Verhandlungen so zu beschleunigen, daß die Kriegsbeschädigten in dem bescheidenen Rahmen, den wir ihnen heute anbieten können, recht bald in den Genuß der höheren Leistungen kommen.
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Meine Damen und Herren! Ich eröffne die Aussprache in der ersten Beratung. Als erste Rednerin hat das Wort Frau Abgeordnete Dr. Probst.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Herren und Damen! Das vorliegende Gesetz zur Verbesserung der Leistungen an die Kriegsopfer entspricht einem einstimmigen Beschluß des Hohen Hauses, der auf einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion zurückgeht. Im Sinne der Antragstellung und des einschlägigen Bundestagsbeschlusses hat der vorliegende Gesetzentwurf nur das eine Ziel, eine Überbrückung bis zur möglichst baldigen Vorlage und Verabschie({0})
dung des endgültigen Versorgungsgesetzes zu schaffen. Es war von vornherein der Wille der Antragstellung sowohl wie der Sinn des genannten Beschlusses in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Regierungserklärung des Kanzlers und der erst jüngst wiederholten Verlautbarung des Bundesarbeitsministers, daß gleichzeitig mit der Behandlung des vorliegenden tberbrückungsgesetzes die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs für das endgültige Versorgungsgesetz intensiv vorwärtsschreiten muß. Durch das Überbrückungsgesetz darf das Versorgungsgesetz, auf das Millionen von Kriegsbeschädigten, Kriegerwitwen und -waisen schmerzlich und sehnsüchtig warten, unter keinen Umständen eine Verzögerung erleiden. Wir erwarten von der Bundesregierung - und wir erheben die Forderung an sie -, daß das neue Versorgungsgesetz bis spätestens zum 1. April dieses Jahres in Kraft tritt.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat uns die derzeitige Lage auf haushaltsrechtlichem und damit auch verfassungsrechtlichem Gebiet geschildert. Ich brauche dem nichts hinzuzufügen. Aus der Besonderheit dieses Interimszustandes ergibt sich auch die Verzögerung des vorliegenden Gesetzentwurfes, die wir bedauern. Ich glaube, darüber sind wir uns alle einig. Wir sind uns aber auch darüber einig, daß niemandem eine Schuld dafür gegeben werden kann, sondern daß diese Verzögerung ihre Ursache, ich möchte sagen: in der höheren Gewalt des derzeitigen Schwebezustandes hat, da bis zum 1. April der Bund nicht in der Lage ist, die ihm zustehenden Mittel zu übernehmen und darüber hinaus die Kriegsfolgelasten zu tragen. Ich muß dabei aber betonen - ich darf das wiederholen -, daß von allen Beteiligten das Außerste versucht worden ist, den frühestmöglichen Termin für die Vorlage einzuhalten.
Wir werden uns in diesem Hohen Hause auch alle darüber einig sein, daß, da das neue Versorgungsgesetz erst ab 1. April 1950 wirksam werden kann, eine Überbrückung bis zu diesem Zeitpunkt dringend notwendig ist, um erstens die Rechtseinheit und Rechtsangleichung in den verschiedenen Ländern durchzuführen, die ja heute als Abbild der Zerrissenheit Deutschlands als Rechtszerrissenheit charakterisiert werden können. Wenn die Rentendifferenzen zum Beispiel zwischen der amerikanisch-britischen Zone auf der einen und den Ländern der französischen Zone auf der anderen Seite von vornherein mehr als 20 Prozent betragen und wenn dazu noch in der französischen Zone Zusatzrenten, Mietzuschüsse und Sozialausgleichsbeträge gegeben werden, so bedeutet das eine Divergenz, die mit Recht von den Kriegsbeschädigten, die in anderen Zonen leben, als ein Unrecht ihnen gegenüber empfunden werden muß.
In einzelnen Ländern, in Bayern, Bremen, Hessen, Württemberg-Baden, wird außerdem noch an der Aufsplitterung nach Ortsklassen festgehalten; der Herr Bundesarbeitsminister hat ja eben darauf hingewiesen. Diese Unterscheidung nach Ortsklassen ist überhaupt in den derzeitigen Verhältnissen nicht mehr begründet. Es trifft nicht zu, daß heute etwa die Lebenshaltungskosten in den Großstädten höher liegen als auf dem flachen Lande. Wenn in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen Kinderzuschläge und Waisengelder nur bis zum vollendeten 15. Lebensjahr und weiter bis zum 18. nur dann gegeben werden, wenn das betreffende Kind sich in Schulausbildung befindet, während sonst durchweg die Renten bis zum 18. Lebensjahr gegeben werden, so ist auch dies eine außerordentliche Härte und Ungerechtigkeit, zumal in sehr vielen Ländern ein Mangel an Lehrstellen zu verzeichnen ist und die Schulausbildung nicht in allen Fällen ermöglicht werden kann.
Ganz besonders kraß und schwerwiegend ist diese Rechtszersplitterung auf dem Gebiet der Witwenversorgung. In der amerikanischen Zone sind Besserungen erzielt worden. In der britischen Zone dagegen - mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen - wird immer noch an der Bedingung der Vollendung des 60. Lebensjahres festgehalten, wird immer noch die Versorgung von einem Kind unter 3 oder zwei Kindern unter 8 Jahren gefordert. Wir begrüßen es, meine Herren und Damen, daß der vorliegende Gesetzentwurf die Witwenversorgung der übrigen Länder der der amerikanischen und britischen Zone anpaßt.
Ich muß es mir versagen, heute bei der ersten, ja nur grundsätzlichen Erörterung dieser Vorlage des Überbrückungsgesetzes auf die übrigen genau so brennenden Fragen der Rechtsverschiedenheit zum Beispiel in bezug auf die Altersrente, auf die Anrechnung der sonstigen Einkommen, auf die Rentenbezüge usw. einzugehen.
Ich darf zusammenfassen. Die erste Aufgabe des Überbrückungsgesetzes wird sein, einen ersten Schritt auf dem Wege zur Rechtseinheit in der Kriegsopferversorgung zu gehen. Dabei darf ich annehmen, daß wir uns alle einig darüber sind, daß dieser erste Schritt vorsichtig gegangen werden muß, um nicht durch das Überbrückungsgesetz größere und weitergreifende Lösungsmöglichkeiten in der endgültigen Versorgungsgesetzgebung unter Umständen heute einengend zu präjudizieren.
Das vorliegende Überbrückungsgesetz kann auch nicht als eine Sanktionierung der durch die alliierte Gesetzgebung nach 1945 geschaffenen unseligen Koppelung zwischen Sozialversicherung und Kriegsopferversorgung gedeutet werden. Wir sind uns bewußt, daß die im Kriege in ihrer Gesundheit und durch Verlust eines nächsten Angehörigen seelisch und materiell zu Schaden gekommenen Angehörigen unseres Volkes nicht ohne weiteres mit den durch einen Betriebsunfall Verletzten verglichen und mit ihnen gleichbehandelt werden können und dürfen, zumal wenn ihnen gleichzeitig die Vorteile der Unfallversicherung versagt bleiben.
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Die Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen haben, da von ihnen das schwerste Opfer verlangt worden ist, einen besonderen moralischen und rechtlich begründeten Anspruch auf eine individuelle Schadensersatzleistung, die nur in einer einheitlichen Versorgungsgesetzgebung unabhängig von den Gesichtspunkten der Sozialversicherung gewährleistet werden kann.
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Genau so wesentlich wie der Grundsatz der Rechtsangleichung ist die zweite Aufgabe des vorliegenden Überbrückungsgesetzes, nämlich die bestehenden Rentensätze dem veränderten Preis-und Lohnniveau durch eine Teuerungszulage sobald als nur möglich und so weitgehend als nur möglich anzupassen,
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und zwar in einer Form, die eine rasche Auszahlung gewährleistet. Dabei sind wir uns alle bewußt, meine Herren und Damen, daß diese zwanzigprozentige Erhöhung, die das Gesetz vorsieht, nur als eine überbrückende Sofortmaßnahme gewertet werden kann und keineswegs als eine ausreichende materielle Hilfe. Die Not in den Kreisen unserer Kriegsbeschädigten, der Kriegsblinden, der Hirnverletzten, der Gelähmten, unserer Kriegerwitwen und Waisenkinder, unter denen sich Hunderttausende von Flüchtlingen, von Bombengeschädigten und Heimkehrern befinden, ist so groß und seit Jahren so drückend, daß wir uns voll bewußt sind, daß die zwanzigprozentige Erhöhung der Rentenleistung nur als eine erste Linderung angesprochen werden kann,.
Dabei möchte ich schon jetzt bei der grundsätzlichen Betrachtung darauf hinweisen, daß der Berechnung des Teuerungszuschlages auf jeden Fall die KB-Rente einschließlich der Kinderzulage zugrunde gelegt werden muß, ebenso bei der Anrechnung des sonstigen Einkommens, das ja auf die halbe Rente Bezug nimmt. Wir begrüßen es, daß die Nichtanrechnung der Teuerungszuschläge auf die Leistungen der öffentlichen Fürsorge bereits im Gesetz selbst festgelegt ist. Andererseits, meine Herren und Damen, muß ich es bedauern, daß ein wesentlicher Punkt unseres Antrages und auch des Beschlusses des Bundestages im Überbrückungsgesetz nicht verankert ist, nämlich die Krankenversicherung für alle diejenigen, die nicht sozialversichert sind und waren. Darunter befinden sich insbesondere Kriegerwitwen und Waisenkinder. Hier ist eine Lücke im Versorgungsrecht der Kriegshinterbliebenen, die unbedingt sofort geschlossen werden muß. Das Fehlen der Krankenversicherung trifft in den meisten Fällen gerade wieder jene kinderreichen Familien Gefallener, deren Renten durch die unglückselige Anwendung des § 595 der Reichsversicherungsordnung auf den Höchstbetrag von 108 bzw. 120 DM gekürzt und festgelegt sind, ganz gleichgültig ob die betreffende Mutter nun 4, 7 oder 12 Kinder hat. Diese Härte ist um so größer, als die alten Eltern des Gefallenen in einem solchen Fall nur insoweit Anspruch auf die Altersrenten haben, als die Witwen und die Kinder den Höchstbetrag nicht erschöpfen. In den meisten Fällen sind also auch die Eltern solcher Familien dann ohne Rente.
Dazu kommt, daß die Fürsorge diese Beträge nur gering aufstockt. Durch die Verbesserung der Witwenversorgung in der amerikanischen und teilweise in der britischen Zone im Jahre 1949 erhält die Witwe sogar weniger Fürsorge als vorher, da die im vorigen Jahre neu gewährte Witwenrente auf die Fürsorge angerechnet wird. Derselbe Kreis gerade der Hilfsbedürftigsten ist bei der Soforthilfe wiederum dadurch geschädigt, daß die KB-Rente der Kinder auf die Soforthilfe der Mutter angerechnet wird; das heißt: der Mutter werden für jedes Kind 7 Mark von den 70 Mark der Soforthilfe abgezogen. Einen Antrag auf Beseitigung dieser Härte habe ich bereits gestellt.
Meine Herren und Damen! Es wird bei der Beratung des vorliegenden Gesetzes im Ausschuß zu erwägen sein, wie bei diesen am meisten hilfsbedürftigen Familien der alleinstehenden kinderreichen Mütter sofort geholfen werden kann. Dieses Problem wird in der Öffentlichkeit bisher viel. zu wenig gesehen. Es gibt kaum statistisches Material über die Ausdehnung dieses Personenkreises. In Bayern sollen es schätzungsweise 70 000 kinderreiche Mütter und Waisenkinder sein. Auch die Hilferufe, die aus den - viel zu wenigen! -
Müttererholungsheimen kommen und die auf die steigende Zahl von gesundheitlichen und nervlichen Zusammenbrüchen, ja Selbstmorden unserer Mütter hinweisen, verhallen ungehört.
Wenn ich den Antrag stelle, den vorliegenden Gesetzentwurf an den zuständigen Ausschuß zu überweisen, so behalten wir uns dabei vor, im Laufe der Beratungen Zusatz- und Abänderungsanträge zu stellen. Die Verankerung der Krankenversicherung habe ich ja bereits erwähnt. Ohne erschöpfend sein zu wollen, will ich abschließend nur noch auf die Notwendigkeit einer Kapitalisierung der Renten als Beitrag zur Belebung der Bautätigkeit hinweisen, die ein weiterer Beratungspunkt sein müßte. Gerade die Schwerbeschädigten haben ein besonders großes Bedürfnis nach einem entsprechenden eigenen Heim. Die besondere Berücksichtigung der Kriegsopfer in der Wohnungsgesetzgebung zusätzlich zu dem Bevölkerungskreis der Kriegssachgeschädigten, politisch Verfolgten und Heimatvertriebenen sei hier nur am Rande erwähnt.
Ich bitte um Überweisung des vorliegenden Gesetzentwurfs an den zuständigen Ausschuß.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bazille.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir die Ankündigungen, die über diesen Gegenstand durch den deutschen Pressewald gegangen sind, mit dem Ergebnis vergleichen, das uns in dem Gesetzentwurf Drucksache Nr. 395 heute vorliegt, so können wir nicht umhin festzustellen, daß es reichlich dürftig ist. Gestatten Siel mir zu dem Gesetzentwurf selbst eine kurze Vorbemerkung.
Der Herr Bundesarbeitsminister hat bereits angedeutet, daß dieses Gesetz nicht als endgültige Maßnahme zur Verbesserung von Leistungen an die Kriegsopfer gedacht Ist. Auf Grund der seitherigen Entwicklung sind wir leider skeptisch, daß der von meiner Fraktion gestellte Antrag Drucksache Nr. 30 so, wie es von dem Hause gewünscht wird, bis zum 1. April dieses Jahres durch die Vorlage eines entsprechenden Entwurfs der Bundesregierung seine Erledigung findet. Wir vermissen daher im Titel oder in einer Präambel oder ineinem Paragraphen des Gesetzes den Hinweis auf seinen Überbrückungscharakter oder aber darauf, daß dieses Gesetz bis zum 1. April dieses Jahres befristet sein soll.
Des weiteren haben wir nun schon bei allen Verhandlungen immer wieder gehört, daß die Ausgaben für die Versorgung der Kriegsopfer sich in der Höhe von 3 Milliarden D-Mark jährlich bewegen. Wir wären dem Herrn Bundesarbeitsminister außerordentlich dankbar, wenn er uns einmal mitteilen würde, wie er zur Berechnung dieser Gesamtsumme für den Rentenaufwand kommt.
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Ich werde auf diese Frage bei der Behandlung des
Entwurfs im einzelnen noch zu sprechen kommen.
Zu den Einzelheiten habe ich namens meiner Fraktion zu bemerken, daß mit dem Überbrückungsgesetz selbstverständlich nicht alle Wünsche der Kriegsopfer erfüllt werden und nicht alle rechtsnotwendigen Angleichungen und Verbesserungen erfolgen können, daß aber auch die Gesamttendenz der Vorlage nicht unsere Zustimmung finden kann.
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Sehen wir einmal Von den §§ 1 und 2 des Gesetzes ab und wenden wir uns dem § 3 zu, so müssen wir doch feststellen, daß die Bundesregierung eine recht eigenartige Auffassung von den bestehenden Härten des geltenden Rechts hat.
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Bringt man den § 3 der Vorlage in Verbindung mit Abschnitt C Absatz 3 der Begründung, so erkennt man daran, daß die Bundesregierung glaubt, mit einer Aufwandsumme von 10 000 D-Mark, von 60 000 D-Mark und von 30 000 D-Mark jährlich in den Ländern Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein die durch das geltende Recht entstandenen Härten mildern zu können.
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Übertragen wir diese Summen einmal in die Praxis, meine Damen und Herren, dann stellen wir fest, daß wir damit in Hamburg gerade 10, in Niedersachsen 60 und in Schleswig-Holstein 30 Fälle erledigen können.
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Man würde darüber hinweggehen können, wenn die Bundesregierung den Rest des Etats von 8C Millionen D-Mark, der diesem Gesetz zugrunde gelegt ist, für die Anwendung des Härteparagraphens aufgeteilt hätte. Aber das hat sie nicht getan, sondern sie hat einen Differenzbetrag von 0,2 Millionen D-Mark, der recht wohl für die Beseitigung von Härten hätte verwendet werden können, geradezu verschenkt, indem sie nämlich die gesamte Rentenaufwandsumme für dieses Gesetz nur mit 79,8 Million D-Mark oder vierteljährlich mit 19,9 Millionen D-Mark in Ansatz gebracht hat. Würde man den übrigbleibenden Teil noch für den Härteparagraphen verwenden, so könnte dieser immerhin mit nicht 0,1, sondern 0,3 Millionen
D-Mark materiell untermauert werden. Damit möchte ich nicht sagen, daß auch dieser Betrag ausreichend wäre; aber es ließe wenigstens in der Tendenz erkennen, daß man die Härten der bestehenden Kriegsopfergesetzgebung erkannt hat und gewillt ist, sie zu beseitigen.
Auch der § 1 ist so, wie ihn das Gesetz vorsieht, leider ohne praktische Auswirkung. Denn solange in diesem Gesetz nicht verankert ist, daß die Zuschläge nach § 1 auf Unterstützungen aus der allgemeinen Fürsorge nicht angerechnet werden dürfen, so lange wird gerade dem hilfsbedürftigsten Kreis der Kriegsopfer keinerlei materielle Hilfe erwachsen, da nach einer altbekannten Praxis die Fürsorgeverbände jede Rentenerhöhung sofort durch Kürzung der Fürsorgeleistungen wieder ausgleichen. Für den Staatsbürger draußen muß also der zwingende Eindruck entstehen: die eine Hand des Staates wird mir heute etwas geben, was mir die andere Hand morgen wieder wegnimmt. Um das zu vermeiden, wäre eine Einfügung in dem Sinne notwendig gewesen, wie ich es eben kurz angedeutet habe.
Wir wissen, daß weitergehende Änderungen und Verbesserungen des geltenden Rechts bei der bestehenden Rechts- und Finanzlage schwierig sind. Aber wir vermögen mit dem besten Willen kein Verständnis dafür aufzubringen, weshalb es die Bundesregierung für notwendig befunden hat, dem Bundestag den Entschließungsentwurf des Bundesrats vorzuenthalten, worin der Bundesrat die Bundesregierung ersucht, dahin zu wirken, daß Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene für den Fall der Krankheit so zu versichern sind wie die Empfänger von Renten aus der Invaliden- und Angestelltenversicherung.
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Um so weniger vermögen wir diese Unterlassung zu verstehen, als die vom Bundesrat bei zwei Stimmen Enthaltung und einer Gegenstimme. glaube ich, gefaßte . Entschließung ja dem Sinn nach dem Antrag der Regierungsfraktion entspricht
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und nachdem der Bundesrat ja letztlich bei dieser Vorlage vielleicht eine ausschlaggebendere Rolle spielen wird als dieses Hohe Haus, da die Mittel für dieses Gesetz bis zum 1. April 1950 von den Ländern aufzubringen sind.
Ich .kann mich auch nicht ganz mit der Argumentation des Herrn Bundesarbeitsministers anfreunden, daß diese 80 Millionen D-Mark für das Jahr 1950 ausreichen müssen, und zwar deshalb nicht, weil wir ja - ich glaube, in Übereinstimmung mit dem Herrn Bundesarbeitsminister zu sein - vom 1. April an neues Recht schaffen wollen. Wir wären deshalb durchaus in der Lage, gewisse Dinge, von denen wir wissen, daß sie im neuen Recht unter allen Umständen durchgeführt werden müssen, in diesem Gesetz zu präjudizieren und die Ausgaben dann eben zu tragen. Sie werden auch im neuen Gesetz getragen werden müssen und werden nicht etwa dann, wenn wir es einmal für grundsätziich richtig erkannt haben, auf irgendeine Art und Weise eingespart werden können. Diese Argumentation scheint mir also auch an der tatsächlichen rechtlichen und materiellen Seite dieser Problematik vorbeizugehen.
Ganz besonders kritisch muß ich noch den Teil C der Begründung bezüglich der Zahlenangaben beleuchten. Ich habe schon einmal früher im Wirtschaftsrat, als ich noch der einfache Sachverständige der Organisationen war, darauf hingewiesen, daß die Angaben der damaligen Verwaltung für Arbeit bezüglich der finanziellen Aufwendungen starken Schätzungsfehlern unterworfen waren. Ich vermag mich auch heute des Eindrucks nicht zu erwehren, daß die hier vorgelegten Zahlen ebenfalls starken Schätzungsfehlern unterlegen sind, und zwar ganz einfach deshalb, weil man aus der Summe der heute erarbeiteten Rentenanträge - etwa 50 bis 60 Prozent der insgesamt gestellten - auf die Gesamtheit geschlossen hat. Dieser Schluß ist falsch, denn die bis jetzt behandelten Anträge betreffen im wesentlichen Sozialfälle, bei denen der Beschädigte seinen Lebensunterhalt überwiegend aus seiner Rente bestreitet. Der Rest der jetzt noch zu bearbeitenden Anträge sind Fälle, in denen der Beschädigte überwiegend aus seinem eigenen Arbeitseinkommen lebt und daher nur die gekürzte Rente in Anspruch nehmen kann. Es ist also nicht angängig, aus der Zahl der heute 'versorgten Beschädigten und 'Hinterbliebenen auf die Gesamtzahl der zu Versorgenden dadurch zu schließen, daß man eben einfach eine Verdoppelung bei der Zugrundelegung von 50 Prozent vornimmt; ganz abgesehen davon, daß es im Ausschuß einfach nicht möglich sein wird, einen Gesetzentwurf zu beraten, wenn lakonische Zahlenangaben gegeben sind, wie etwa hier im Falle a: Bayern 11 Millionen D-Mark. Wenn die Abgeordneten sich schon ein Bild über die finanziellen Auswirkungen eines Gesetzes machen sollen, das wie kaum ein anderes hohe soziale Aufgaben zu erfüllen hat, dann ist es schon eine Mindestforderung, zu wissen, wie sich die Berechnungsgrundlage zusammensetzt.
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Wir können es also nicht verstehen, daß das Bundesarbeitsministerium auf dem Wege über die
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Bundesregierung dem Hohen Hause nach einer so langen Zeit einen derart fragmentarischen Entwurf vorlegt.
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Meine Fraktion ist trotzdem entschlossen, dem Antrag auf Überweisung an den Ausschuß zuzustimmen, um den Kriegsopfern eine möglichst rasche Erledigung zu gewährleisten. Wir müssen aber darauf hinweisen, daß eine völlig unnötige Belastung der Ausschußarbeit dadurch entstanden ist, daß dieses Gesetz weder mit der genügenden Sorgfalt durchdacht noch begründet worden ist. Wir wünschen, daß die Bundesregierung bei der Vorlage des neuen Versorgungsgesetzes entsprechend unserem Antrag Nr. 30 in einer anderen Weise als bei dieser Vorlage Nr. 395 verfährt.
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Das Wort hat der Herr Bundesarbeitsminister.
Meine Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Bazille hat in seinen Ausführungen ,von einem Beschluß oder Abänderungsantrag des Bundesrats bezüglich der Krankenversicherung der Kriegshinterbliebenen gesprochen. Ich kann Ihnen hier das Original des Schreibens des Bundesrats vorlegen. Ich finde darin nichts von einem derartigen Antrag des Bundesrates.
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Es sind vom Bundesrat drei Abänderungsanträge gestellt worden: einmal, daß das Land Niedersachsen in § 1 einbezogen werden soll, weil dort keine gesetzliche Regelung für die Zahlung der Teuerungszuschläge vorliegt, sondern nur eine Regierungsanordnung. Dann ist ein zweiter Punkt angegeben, worin gesagt wird, daß bei den sogenannten Übergangsfällen keine Minderung der Zulagen eintreten soll. Diesen beiden Anträgen haben wir ohne weiteres zugestimmt, und die entsprechenden Anträge werden in der Kommissionsberatung gestellt. Drittens wünschte der Bundesrat von uns, daß man die sogenannten Kleinstrenten mit sofortiger Wirkung auf der ganzen Linie streichen soll. Die Bundesregierung stellt sich auf den Standpunkt, daß man diesem Wunsch des Bundesrats nicht entsprechen soll, weil es sich hier um ein Gesetz handelt, welches Verbesserungen bringen und nicht einen Abbau durchführen soll. Diese drei Punkte hat uns der Bundesrat mitgeteilt. Indem ich Ihnen diese Anträge des Bundesrats und gleichzeitig die Stellungnahme der Bundesregierung dazu bekanntgegeben habe, hole ich etwas nach, was ich vielleicht vorher hätte tun können.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Mende.
Meine Damen und Herren! Es herrscht in diesem Hause Übereinstimmung darüber, daß zu den schwierigsten und vordringlichsten Problemen der Nachkriegszeit die Hilfe und Fürsorge für die Millionen Opfer zweier Kriege gehören, und ich empfände es als taktlos, die Notlage unserer Kriegsopfer gewissermaßen noch lange zu bereden, nachdem wir alle fast täglich draußen im Alltag Zeugen dieser Notlage unserer Kriegsopfer sind.
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Im Jahre 1946 wurde die bisherige Kriegsopferversorgung auf eine neue Basis gestellt, und damit begann der Leidensweg. Ich weiß, daß es nichtdeutsche Stimmen waren, die die Auffassung vertraten, man müsse durch eine Schlechterstellung der Kriegsbeschädigten gewissermaßen ein warnendes Beispiel geben und durch die besondere Notlage der deutschen Kriegsbeschädigten etwaige militaristische Tendenzen von vornherein inhibieren. Ich brauche nicht zu betonen, wie amoralisch, wie unsozial und wie unchristlich eine solche Auffassung ist, die jedem Begriff von Humanität geradezu ins Gesicht schlägt. Wenn nun seit 1945 eine große Verbitterung in den Kreisen der Kriegsopfer eingetreten ist, so darf man nicht vergessen, daß die Opposition und die Klagen über die ohne Zweifel unzureichende Versorgung sich nicht etwa auf die erst drei Monate arbeitende Bundesregierung konzentrieren sollten, sondern schließlich - das muß ich der Objektivität wegen feststellen - in erster Linie auf die Länder, die ja die allein verantwortlichen Träger bis zur Gegenwart waren.
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Es hat keinen Zweck, die Frage mit Deklamationen zu lösen, denn mit Deklamationen sind die Kriegsopfer genügend eingedeckt worden, nicht nur im Wahlkampf; sie haben ihre besondere Hoffnung auf die Konstituierung der Organe der Bundesrepublik gesetzt. Denn im Artikel 74 des Grundgesetzes ist ja nunmehr dem Bund die Möglichkeit gegeben, das Recht der Neugestaltung der Kriegsopferversorgung an sich zu ziehen. Es sind erst drei Monate vergangen, und so berechtigt manche Kritik an diesem vorliegenden Entwurf sein kann und ist - ich erinnere mich, daß wir alle in Hamburg bei der Tagung des Reichsbundes vor wenigen Tagen der Auffassung waren, damals im Dezember wären 80 Millionen D-Mark nicht für das ganze Jahr, sondern nur für das erste Vierteljahr veranschlagt worden, und daß wir alle sehr enttäuscht waren, daß dem nicht so war -, aber so sehr, wie gesagt, manches Anlaß zur Kritik gibt, so wollen wir doch nicht vergessen, daß dieser Entwurf lediglich ein erster Schritt zu einer Vereinheitlichung der gesamten Kriegopferversorgung sein und daß er heute hier erst einmal generell besprochen werden soll.
Wir wollen im Ausschuß noch verschiedene Verbesserungsvorschläge machen. Ich denke da zum Beispiel an die besonderen Anliegen der Kriegsblinden, dieser am meisten betroffenen Kriegsbeschädigten. Ich denke an die Frage der Herausnahme der Kriegsopferversorgung aus der Sozialversicherungs-Kompensation, wenn ich das einmal so nennen darf. Kurzum: wir werden noch genügend Gelegenheit haben, Verbesserungsvorschläge zu machen. Wir sollten aber bei alledem nicht vergessen, daß die komplizierte Gesetzesmaschinerie, die uns nun einmal durch das Grundgesetz beschieden ist, eine gewisse Anlaufzeit nötig macht, und ich glaube, es ist dem Bundesarbeitsminister in Hamburg bei der Tagung des Reichsbundes durchaus gelungen, auf die Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, denen sich eine Bundesregierung nun einmal gegenübersieht, die jetzt ohne jedwede Grundlagen völlig von vorn anfangen muß. Ich glaube, Kollege Bazille, das ist auch der Grund, weswegen die Zahlenangaben eben noch nicht so stich- und hiebfest sind, wie sie vielleicht später einmal sein werden, wenn sich aus dem Chaos gewissermaßen wirklich einwandfrei sachliche Fundamente herauszukristallisieren beginnen.
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Die Fraktion der FDP gibt diesem Gesetzentwurf die Zustimmung mit dem Wunsche, daß er lediglich ein Anfang auf dem Wege zu einem Bundesversorgungsgesetz sein soll, das dergestalt sozial und christlich in seinen Auswirkungen sein möge, daß wir uns seiner nicht zu schämen brauchen.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Frau Kollegin Probst von der CSU hat ihre Ausführungen über diese Gesetzesvorlage mit der Feststellung eingeleitet, daß der Gesetzentwürf das Ergebnis eines Antrags der CDU/CSU ist. Wenn, ich diesen Gesetzentwurf betrachte, bin ich der Auffassung, daß wir der CDU/CSU die Vaterschaft für dieses Gesetz ruhig überlassen können. Zur Steuer der historischen Wahrheit aber darf ich daran erinnern, was Herr Kollege Bazille klugerweise unterlassen hat, daß neben der SPD auch die KPD einen Antrag gestellt hat und daß unser Antrag - das ist der grundsätzliche Unterschied - eine Erhöhung der derzeitigen Renten um 60 Prozent verlangte.
Der Herr Bundesarbeitsminister legt ein Gesetz vor und sagt, daß es eine allgemeine Erhöhung der derzeitigen Bezüge um 20 Prozent bedeutet. Gehen wir dem einmal auf den Grund. In § 1 des Gesetzentwurfs heißt es, daß Beschädigte, die neben ihrer Rente ein Einkommen haben, das die halbe Rente übersteigt, oder die Anspruch auf eine Rente aus der Invalidenversicherung haben, den Zuschlag von 20 Prozent nicht erhalten. In die Praxis übertragen bedeutet das, daß der hundertprozentig Kriegsbeschädigte, der 100 Mark Rente bezieht, diese 20 Prozent nicht erhält, sobald er daneben 51 Mark Arbeitseinkommen pro Monat hat. Er erhält diese 20 Prozent ferner nicht, sobald er daneben eine Invalidenrente bezieht, auf die er sich durch jahrzehntelange Leistung von Beiträgen zur Sozialversicherung einen Rechtsanspruch erworben hat. Dies trifft vor allem ältere Kriegsbeschädigte.
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Das ist der eine Punkt, der aufzuklären war.
In Absatz 2 des § 1 heißt es, daß Berechtigten, die Anspruch auf den Zuschlag nach Artikel 1 des Gesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen zur Änderung der Sozialversicherungsdirektive Nr. 27 haben, dieser Zuschlag nicht gewährt wird. In der Begründung des Herrn Bundesarbeitsministers wird über die Auswirkung des Gesetzes von Nordrhein-Westfalen gesagt:
Der Teuerungszuschlag in Nordrhein-Westfalen erfaßt nur einen ganz beschränkten Personenkreis, nämlich die Beschädigten, die eine Rente von hundert vom Hundert oder Pflegegeld erhalten; deshalb muß auch in diesem Land der Teuerungszuschlag nach § 1 allgemein eingeführt werden. Soweit Beschädigte in Nordrhein-Westfalen Anspruch auf den Teuerungszuschlag von fünfzig D-Mark monatlich haben, verbleibt es dabei; sie können jedoch daneben nicht den Teuerungszuschlag nach § 1 erhalten.
Bei diesen Schwerbeschädigten ist es so, daß das Arbeitseinkommen und die Invalidenrente angerechnet werden.
Ein weiterer schwerer Mangel des Gesetzes ist die Regelung nach Absatz 2 b des § 1. Da heißt es, daß Witwen, die bereits nach Vollendung des sechzigsten, aber vor Vollendung des fündundsechzigsten Lebensjahres einen Anspruch auf Rente von 40 vom Hundert haben, den Zuschlag von 20 Prozent nicht erhalten. Das heißt in der Praxis, daß die zwischen 60 und 65 Jahre alten Witwen, deren Rente zur Zeit 40 Mark pro Monat beträgt, diese 20 Prozent Zuschlag nicht erhalten. Was hat das zur Folge? Die Rentenbezüge dieser armen Menschen liegen normalerweise unter dem kommunalen Wohlfahrtsrichtsatz. Geben wir ihnen vom Bund oder von den Ländern aus jetzt eine Erhöhung, dann ist das nur eine Verschiebung innerhalb der Lastenträger.
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Was wir zulegen, ziehen die Gemeinden wieder ab, so daß für den Personenkreis der Witwen diese ganze Angelegenheit praktisch ohne jeden positiven Wert ist.
Wegen Zeitmangels nur noch einen Punkt. Es ist schon gesagt worden, daß für den Härteausgleich der „Riesenbetrag" von 0,1 Millionen D-Mark pro Jahr vorgesehen ist. Ein weiterer erheblicher Mangel ist der, den auch Frau Kollegin Probst aufgezeigt hat, daß der von der CDU/CSU geforderte Anspruch auf gesetzliche Einführung der Krankenversicherung für Kriegerwitwen nicht gewährt worden ist. Vollkommen leer gehen die Kriegereltern aus. Vollkommen unberührt bleibt die derzeitige gänzlich ungenügende Einkommensgrenze. Ein Elternpaar, das aus irgendeiner Quelle 120 Mark Einkommen pro Monat hat, kann keine Elternrente beziehen. Vollkommen leer gehen die Kriegsblinden aus.
Wenn dann die Frau Kollegin Probst sagt, man müsse sich doch auch einmal mit dem Gedanken der Wiedereinführung der Kapitalisierungsmöglichkeit der Rente beschäftigen, so kann ich nur sagen: Frau Kollegin Probst, wenn ich so wenig Rente beziehe, daß ich damit nicht den nackten Hunger stillen kann, wie soll ich da noch die Mittel freimachen, um per Rentenkapitalisierung zu dem niedlichen Eigenheim zu kommen, das uns in der Wahlparole der CDU so oft entgegengehalten wurde: „Jedem sein Eigenheim!" So sozial wie immer möglich, sagte Herr Konrad Adenauer. Hier beweist er, was er darunter verstanden hat.
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Nun ein Wort an den Herrn Minister. Was bezweckt er eigentlich mit dieser „schrecklichen" Androhung, daß das neue Gesetz eine Belastung des Bundes von 3 Milliarden bringen werde? 3 Milharden sind ein ungeheurer Betrag. Aber wäre der Herr Arbeitsminister nicht verpflichtet gewesen, zu sagen, daß, wenn der Bund die 3 Milliarden aufbringen muß, die Länder von dieser bisherigen Verpflichtung entbunden sind, daß also auch da nur eine Verschiebung des Lastenträgers vor sich geht?
Nun zu einem anderen Kapitel: das sind die 80-Millionen D-Mark. Am 16. Dezember hat hier der Vertreter des Arbeitsministeriums, Herr Dr. Sauerborn, erklärt, daß diese ominösen, nebulösen 80 Millionen Mark für das letzte Quartal des laufenden Rechnungsjahres vorhanden seien.
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Von diesem Gedanken aus hat man sowohl im zuständigen Fachausschuß wie hier im Plenum die Frage diskutiert. Die Kriegsopfer draußen haben gemeint, daß für das Überbrückungsgesetz, welches Ende März dieses Jahres ablaufen soll, 80 Millionen Mark zur Verfügung stehen. Der Herr Arbeitsminister hat uns mit Hilfe des Herrn Bundeskanz({4})
lers eines Besseren belehrt. Eine Delegation des Reichsbundes sprach hier vor, und den Kameraden wurde gesagt: O nein, diese 80 Millionen Mark sind der Betrag, den die Bundesregierung für das Jahr 1950 zur Verfügung zu stellen gedenkt. Ich stelle hier die Behauptung auf: diese 80 Millionen Mark werden der gesamte Mehrbetrag sein, den man per neues Versorgungsgesetz zur Verfügung stellen wird; mehr als diese 80 Millionen Mark zusätzlich der bisherigen Leistungen der Länder wird sich auch die Bundesregierung das neue Bundesversorgungsgesetz nicht kosten lassen.
Es ist von der Tagung des Reichsbundes am vergangenen Sonntag in Hamburg gesprochen worden. Dort war auch der Herr Arbeitsminister Storch, der einmal mehr von der Notgemeinschaft sprach. Dies ist ein hohes Wort, aber meiner Meinung nach ein leeres Wort, wenn es von den Reichen den Armen gepredigt wird, wenn die Satten es den Hungrigen predigen, um sie über den Grad ihrer Verelendung hinwegzutäuschen.
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- Ja, wir haben es alle schon einmal gehört, sogar mehrfach unter Hitler. Dort hieß es Volksgemeinschaft. Es war derselbe Schwindel wie heute.
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Herr Abgeordneter Renner, ich habe sehr große Bedenken!
Ich diskutiere um den Begriff Schicksalsgemeinschaft. Seien Sie nicht so feinfühlig, Herr Präsident! Wenn sich der Herr Bundesarbeitsminister deswegen angesprochen fühlen sollte, kann er mir nachher antworten.
Ich bin nicht für mich feinfühlig; ich bin feinfühlig im Interesse des gesamten Hauses, das von einer demokratischen Verfassung getragen wird.
Ich halte es für einen großen Betrug an unserm Volk, wenn die in unserm Lande herrschenden politischen Kräfte uns mit dem Titel und unter dem Schlagwort Notgemeinschaft diese Politik vorsetzen, die darauf hinausläuft, die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher zu machen.
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- Aber wir machen keinen Wahlkampf mit solch verlogenem Schwindel!
Aber nun noch ein Wort an die Kriegsopfer draußen, die bedauerlicherweise hier nicht zuhören können. Was ihnen fehlt, das ist die organisatorische Einheit. Die Kräfte, deren wichtigster Repräsentant heute in der Person des Kameraden Bazille hier aufgetreten ist, die bisher diese Einigung verhütet haben, sollten aus dem Ablauf dieser Verhandlungen heute begreifen, wie zwingend es ist, diese Einigung der Organisation herzustellen, um endlich die Kriegsopfer in eine Kampffront gegen die Regierung Adenauer zu führen, deren Politik im Augenblick darin besteht, daß sie dem überwiegenden Teil unseres Volkes Not, Not und nochmals Not bringt, und deren Perspektive - ich denke an die Pläne des Herrn Dr. Adenauer in puncto Remilitarisierung - darauf hinausläuft, daß uns morgen der Tod beschert wird.
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Unsere Fraktion lehnt dieses Gesetz in seinen Grundtendenzen ab. Wir stimmen der Überweisung an den Ausschuß zu und werden im Ausschuß, so gut das in unseren Kräften steht, versuchen, dieser Mißgeburt einen Inhalt zu geben.
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Wir rechnen damit, daß wir in diesem Kampf die Organisationen der Kriegsopfer hinter uns stehen haben, die beide - sowohl der Reichsbund wie der VDK -, nachdem sie dieses Gesetz kennengelernt hatten, bereits erklärt haben, daß sie dieses Gesetz als vollständig ungenügend ablehnen.
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Mein Wort von dem Florett neulich ist offenbar vergeblich gewesen, Herr Kollege Renner.
Der Herr Abgeordnete Dr. Seelos hat das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir in diesem Hohen Hause über die Kriegsopfer sprechen, dann sollte diese Diskussion eigentlich nur zeigen, daß sowohl die Regierung wie das Parlament, daß die verschiedenen politischen Parteien dieses Parlaments einen Willen haben: zu helfen.
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Man kann über daß Ausmaß der Hilfe verschiedener Meinung sein. Die Regierung wird sich über die Mittel, die zur Verfügung stehen, Rechenschaft geben müssen. Die Opposition wird ie nach dem Grade ihrer Art der Opposition die Höhe beliebig hinaufschrauben, und so haben wir Variationen von 20 Prozent bis zu 60 Prozent der Kommunisten. Wir konnten hier feststellen, in welch vorbildlicher und konstruktiver Weise die Sozialdemokratie mit ihrem Redner dieses Problem behandelt und sachlich das kritisiert hat, was offensichtlich an der Vorlage zu bemängeln ist; und wir haben die rücksichtslose Demagogie der Kommunisten gehört,
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die auch nicht davor zurückschrecken, diese heilige Sache nur zum Anlaß ihrer Propaganda zu nehmen, wo gerade sie mit Hunderttausenden dazu beigetragen haben, die Zahl der Kriegsopfer zu vermehren.
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Auch wir sind der Auffassung, daß das Ausmaß der im Gesetz vorgesehenen Hilfe nicht genügt und daß die Kriegsopfer mit einer schäbigen Erhöhung von 20 Prozent nicht zufrieden zu sein brauchen. Aber alles ist noch in dem Gesetz so zusammenziehend und nur koordinierend, daß wir nur warten und hoffen können, daß das kommende versprochene Versorgungsgesetz organischer und besser sein wird als diese Vorlage, die offensichtlich Mängel nach allen Seiten hat.
Insbesondere sehen wir, was wir schon bei der Soforthilfe, was wir bei der Einkommensteuer gesehen haben, daß die Regierung immer mit der einen Hand gibt und mit der andern Hand nimmt,
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daß sie immer mit Gesetzen, die so notwendig sind, quasi nur eine gewisse Schaumschlägerei betreibt
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l und nicht in die wirkliche Tiefe der Not hineingeht und diese Not organisch zu beheben sucht.
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Es gibt schließlich Mittel, um auch hierfür eine Deckung zu finden.
Der Herr Arbeitsminister hat davon gesprochen, man müsse erwarten, daß das neue Gesetz Lasten von 3 Milliarden bringe. Ich weiß nicht, ob das stimmt, ob das zu hoch gegriffen oder zu niedrig ist. Jedenfalls haben wir in dem Budget einen noch höheren Posten, das sind die Besatzungskosten in Höhe von 4,6 Milliarden D-Mark, die etwa 25 Prozent unseres gesamten Budgets in Anspruch nehmen. Wenn hier eine Deckung nicht mehr da ist, dann muß man energischer, als es die Bundesregierung bisher getan hat, den Alliierten die Bitte vortragen, im Interesse unserer Ärmsten größere Abstriche zu machen und nicht einfach, wie es der Herr Bundesfinanzminister hier vor kurzem vorgetragen hat, sich mit einem Abstrich von 2 Prozent, mit 100 Millionen D-Mark zu begnügen, wo doch andererseits der Abbau der alliierten Stellen und der alliierten Aufgaben laufend vor sich geht. Hier ist eine Möglichkeit für die Bundesregierung, sich Lorbeeren zu holen und das, was völkerrechtlich ein anerkannter Grundhatz ist, daß man in einem besetzten Land nur das nehmen kann, was die Lebenslage überhaupt noch zuläßt, entsprechend zur Geltung zu bringen.
Wir hoffen, daß an die Ausarbeitung dieses Gesetzes mit Intensität herangegangen wird und die Verbesserungen und Erhöhungen hineingebracht werden, die im Interesse der Kriegsopfer erforderlich sind. Die Bayernpartei wird hierfür im Ausschuß wirken.
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Meine Damen und Herren! Darf ich eine geschäftliche Bemerkung machen. Wir waren vorhin im wesentlichen darüber einig, daß wir etwa 90 Minuten auf diese Debatte verwenden wollten. Ich habe jetzt festgestellt: es stehen noch fiinf Redner auf der Rednerliste. und von den 90 Minuten sind noch etwa 18 bis 20 übrig. Darf ich, ohne damit irgendeine Beeinflussung ausüben zu wollen, die nachfolgenden Debatteredner auf diesen Tatbestand aufmerksam machen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Löfflad.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will nur in einigen kurzen Sätzen den Standpunkt meiner Fraktion im Plenum dartun; bin ich doch persönlich davon überzeugt, daß das Kriegsopfernroblem allen Mitgliedern des Hauses sehr am Herzen liegt, wie ich persönlich an dem „überfüllten" Saal feststellen kann.
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Es hat selbstverständlich gar keinen Zweck, so lange das Kriegsopferproblem noch Länderangelegenheit ist, lange Debatten darüber zu entfesseln. Wir waren um so mehr enttäuscht, als wir feststellen mußten, daß die 80 Millionen Mark, die vorgesehen waren. um die Rentenversorgung für den ganzen Bund im kommenden Haushalt zu garantieren, nicht für drei Monate. sondern für das ganze Jahr vorgesehen waren. Es erübrigt sich, viele Worte zu machen. Ich sage Ihnen nur, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Kriegsversehrten im ganzen Bundesgebiet würden Ihnen, falls sie Gelegenheit hätten, persönlich hier zu stehen
und zu sprechen, zurufen: Geben Sie schnell, dann geben Sie doppelt, aber geben Sie!
Aus diesem Grunde stehen wir auf dem Standpunkt: das sogenannte Übergangsgesetz, das uns von der Regierung versprochen wurde und schon vor Weihnachten verabschiedet werden sollte, ist nach unserer Meinung zweifellos keine befriedigende Lösung. Aber wollen wir doch darauf hinarbeiten, daß das Gesetz, das geschaffen werden soll, alle Kriegsversehrten befriedigen wird.
Eines möchte ich allerdings noch betonen, nämlich daß nicht der Ausschuß oder der Ausschußvorsitzende die Schuld daran trägt, daß die Kriegsversehrten im ganzen Bund heute noch auf Befriedigung ihrer berechtigten Forderungen warten; denn wenn der Ausschuß und dessen Vorsitzender geglaubt haben, daß das sogenannte Übergangsgesetz noch vor Weihnachten verabschiedet wird, und die Regierung, was wir nebenbei bemerkt verstehen können, nicht in der Lage war, dieses Übergangsgesetz noch vor Weihnachten zu verabschieden, so wollen wir doch im Interesse aller Rentenberechtigten hoffen, daß das neu zu schaffende Übergangsgesetz, das im wesentlichen auf das ehemalige Reichsversorgungsgesetz aufgebaut werden soll, zur Zufriedenheit aller Versehrten ausgearbeitet wird.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Kalinke.
Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich habe schon in der Be-gründung zu dem Gesetzentwurf hier gesagt, daß es bedauerlich, ja beschämend ist, daß wir bei diesem so ernsten Problem der Kriegsonferversorgung immer große Deklamationen über das Ausmaß der Not anhören müssen. Ich habe auch nicht die Absicht, diesen Deklamationen nur ein einziges Wort hinzuzufügen. Es ist hier schon sehr richtig festgestellt worden, daß es nicht das Anliegen etwa einer Fraktion, der Regierungskoalition, auch nicht das Anliegen etwa der Opposition 'ist, sondern daß es - wir sind fest davon überzeugt - das Anliegen aller Parteien gemeinsam gewesen ist und noch ist. dieses so schwierige Problem endlich einer vernünftigen und gerechten Lösung zuzuführen. Deshalb ist es auch unerfreulich, daß wir anläßlich der sozialen Probleme, die die große deutsche Not angehen, immer wieder parteipolitische Agitation mit anhören müssen.
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Alle Parteien haben Anträge gestellt. Darüber braucht hier nicht mehr diskutiert zu werden. Wir glauben auch, daß diese Anträge nicht aus Gründen der Agitation gestellt sind. daß sie vielmehr gestellt sind, weil in allen Parteien deutsche Menschen der Auffassung sind, ,daß hier ein Versäumnis nachzuholen ist, daß auch bei der Gesetzgebung der vergangenen Jahre im Wirtschaftsrat die Gruppe vergessen und nicht gebührend bedacht worden ist. die diese Hilfe am allernötigsten hatte. Ich weiß, daß dem die Militärregierung entgegenstand, und ich weiß, wie außerordentlich schwer es für die verantwortlichen Männer in den vergangenen Jahren war - Herr Kollege Mende hat das schon ausgedrückt -, dem entgegenzuarbeiten. Ich darf aber auch sagen, daß ich wenig davon erfahren habe, was gerade in den Ländern, deren Sache es ja nach dem Gesetz und Recht war, zu helfen, die Vertreter der sozialistischen Parteien,
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sowohl der Ihren, Herr Renner, wie der sozialdemokratischen, getan haben, um über ihre sozialistischen Freunde im Ausland jene böse Ansicht von den Kriegsverbrechen unserer Kriegsbeschädigten schon sehr viel früher zu beseitigen.
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Das ist bedauerlich.
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- Vielleicht kann der Herr Kollege Renner - die anderen Zurufe habe ich wegen der rufenden Masse nicht verstanden - gerade mit dafür sorgen, daß, wenn wir jetzt hier im Westen Deutschlands daran gehen, ein Kriegsbeschädigtenversorgungsgesetz neu zu schaffen, zunächst die Stadt Berlin schnellstens von sich aus alles tut, um sich diesem Gesetz anzupassen, damit die Kriegsbeschädigten in Berlin, und zwar in West und Ost, endlich auch einen Rechtsanspruch auf eine Kriegsbeschädigtenrente erlangen. Und vielleicht kann der Herr Kollege Renner darüber hinaus vor allem für unsere armen deutschen Männer und Frauen sorgen, die im Osten, in seinem „Paradies", einen solchen Rechtsanspruch noch nicht haben.
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- Herr Kollege Renner, ich muß Ihnen das immer wieder sagen, solange Sie den Mut haben, uns hier Lehren zu geben, und uns nicht den Beweis erbringen, daß Sie da, wo Ihre Leute die Verantwortung tragen, durch die Tat etwas zu ändern beabsichtigen.
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Eine wirklich positive Stellungnahme zu dem Gesetzentwurf haben wir hier nur von dem Kollegen Bazille gehört. Ich schließe mich seinen Ausführungen insofern an, als dieses Gesetz auch nach unserer Auffassung nichts weiter als der Versuch einer Koordinierung ist, der zaghafte Versuch einer Überbrückung der größten Not bis zu dem Augenblick, in welchem der Bund die Mittel und die Übersicht zur Verfügung hat, um maßgeblich und endgültig zu helfen. Ich bedaure auch, daß in diesem Gesetz eine ganze Reihe von Dingen, die ohne große Mittel vielleicht schon möglich gewesen wären, nicht mit erledigt sind. Wir werden, so hoffe ich, im Ausschuß Gelegenheit haben, das nachzuholen. Ich freue mich, daß als Positives in diesem Gesetz die vielen Kriegerwitwen in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg nun endlich genau so behandelt werden wie die Kriegerwitwen in den Ländern, in denen sie schon eine Rente bekommen. Ich hoffe, daß es über diese materielle Hilfe hinaus, die so bitter nötig ist, möglich sein wird, den Kriegerwitwen und -waisen auf dem Gebiet der Ausbildung und der Umschulung jene Hilfe zu geben, die ich als die noch positivere ansehe, nämlich die Möglichkeit, so schnell als möglich durch einen eigenen Beruf aus eigener Kraft sich und ihren Kindern zu helfen. Für die vielen Alten und Kranken wird es diese Möglichkeit nicht mehr geben. Bei ihnen ist nur auf dem Weg der Rentengewährung wirklich zu helfen.
Darüber hinaus ist selbstverständlich das schon angeregte Problem der Anrechnung, über das wir uns auch gestern im Ausschuß unterhalten haben, das Problem, daß die geringe Erhöhung nicht etwa durch eine Anrechnung auf die Fürsorgesätz wieder verlorengehen darf, eine Aufgabe, die wir sofort, schon bei diesem Gesetz, lösen sollten.
Ob die Zahlen des Bundesarbeitsministeriums stimmen, kann ich nicht beurteilen; ich weiß auch nicht, ob der Herr Kollege Bazille das überprüft hat. Ich nehme aber nicht an, daß der Herr Minister uns Zahlen nennen wird, die seinerzeit in der Verwaltung für Arbeit in Frankfurt erstellt sind. Ich nehme vielmehr an, daß im Augenblick diese Zahlen auf Nachforschungen und Angaben der Länder beruhen und daß auch die Organisationen das ihre dazu getan haben. „Nur ein Schelm gibt mehr, als er hat!" Es ist ganz abwegig, hier große Reden zu halten und etwas zu verlangen, was nicht da ist. Ich glaube aber, daß wir alle in dem einig sind, was uns allen heiß im Herzen brennt - und dessen Fehlen der Herr Kollege Renner dem Kanzler vorgeworfen hat -, nämlich in der echten Verpflichtung, so sozial wie immer möglich zu handeln!
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Und ich hoffe, daß der Herr Kollege Renner mit seiner sachlichen Mitarbeit im Ausschuß. die mir viel sympathischer ist als sein Getöse hier oben, dazu seinen Beitrag nicht versagen wird.
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Frau Abgeordnete Kalinke, ich muß der Ordnung halber feststellen, daß kein Abgeordneter hier oben ein Getöse macht.
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Das Wort hat Frau Abgeordnete Arnold.
Meine Herren und Damen! Auch die Zentrumsfraktion ist sich bewußt, daß es sich bei diesem Gesetz nur um ein kurzes Provisorium handeln kann. Die Verbesserungen und Fehler sind von den Vorrednern aufgezählt und dargestellt worden. Aber ich möchte noch einiges zu diesem Gesetz sagen.
Durch das Gesetz wird ein Teuerungszuschlag durch Erhöhung der Renten für die Kriegsbeschädigten, die Witwen und Verwandten der aufsteigenden Linie gewährt. Wir freuen uns insbesond ere fiber die nunmehrige Besserstellung der anspruchsberechtigten Witwen und die Erweiterung ihres Kreises auf die Länder der ganzen Bundesrepublik. Aber mit einem können wir nicht einverstanden sein: daß alle `Witwen nach Vollendung des 60.. aber vor Beginn des 65. Lebensiahres ausgeschaltet werden sollen, wenn sie einen Rentenanspruch von 40 Prozent haben. Die Zuschläge, die gegeben werden. sollen ia eine Angleichung der Versorgungsleistungen an das Preis- und Lohngefüge sein. Die Nutznießung ist in diesem Falle ia auch so gering. daß man den Personenkreis nicht ausschalten sollte. Auch wiinschen wir die absolute Gleichschaltung hinsichtlich des Ansnruchs auf Waisenrenen bei Waisen bis zum vollendeten 18. Lebensiahr.
Wir wissen, daß dieses Gesetz nicht die Hoffnungen erfüllt hat, die an ein von den Kriegsopfern zu forderndes Gesetz gestellt werden müssen. Sie sind für die Kriegsopferversorgung noch nicht in Erfüllung gegangen; so zum Beispiel in bezug auf die Krankenversicherung für die Hinterbliebenen und die unterschiedlichen Leistungen
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der Kassen, ferner die Loslösung des Kriegsopferrechts von der Verkoppelung mit der Unfallversicherung, Fragen der Siedlung für Schwerbeschädigte, ferner der Wunsch nach Einrichtung einer selbständigen Versorgungsverwaltung mit einer Hauptabteilung im Bundeswirtschaftsministerium, dann die Schaffung einer Stelle zur Wahrung des einheitlichen Rechts, vielleicht bei einem kommenden Bundesgericht.
Wir müssen uns bewußt sein, daß wir bei diesem Gesetz zunächst einmal eine Übergangslösung vor uns haben und eine großzügigere, weitergehende Verbreiterung der Versorgung erst bei der Regelung des gesamten Versorgungsrechts für Kriegsopfer erreichen können, das möglichst schnell kommen muß. Alle Fraktionen, die hier vertreten sind, haben den guten Willen, dieses Gesetz möglichst bald in Angriff zu nehmen; vor allem hat ihn auch unsere Zentrumsfraktion.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ott.
Meine Damen und Herren! Ich habe leider das Pech, daß ich immer nur als Letzter ergänzend einige Worte sagen kann. Nachdem ich nicht willens bin, noch einmal zu wiederholen, was vorher gesprochen wurde, hat mich ein Wort doch dazu bewogen, zu dem Problem Stellung zu nehmen, nämlich das Wort „christlich". Wenn man die Notlage unserer Kriegsopfer betrachtet und dabei die gesättigten und übersättigten Kreise bemerkt, wie sie oft achtlos an diesen Kriegsopfern vorbeigehen, dann kann man - und da möchte ich einmal meinen Vorrednern widersprechen - nicht mehr von einem christlichen Handeln und christlichen Denken reden. Unsere Kriegsopfer leben heute unter Umständen, die wirklich nicht mehr als christlich, sondern als heidnisch, als asozial anzusehen sind.
Man wird mir vielleicht vorwerfen, daß ich demagogisch wirke, wenn ich das sage, nachdem doch die Mittel nicht vorhanden sind. Dazu möchte ich dem Herrn Arbeitsminister nur eins sagen: Wenn man von dem Einkommen dieser gesättigten und übersättigten Kreise monatlich nur 50 D-Mark für die Kriegsopferversorgung abziehen würde, dann würde eine schöne Summe zusammenkommen, um diesen Ärmsten der Armen helfen zu können. Aber man müßte das noch proportionell steigern; denn es gibt Menschen, die nicht nur 500 Mark Einkommen haben, sondern die 1 000 Mark und noch mehr Einkommen haben. Die müßten von einer starken Regierung einmal unter die Lupe genommen werden, und es müßte da etwas abgezapft werden.
Frau Kollegin Kalinke möchte ich nur um eines bitten: nicht jede Kritik an irgendeiner Gesetzesvorlage gleich als Parteipolemik oder Demagogie zu bezeichnen. Ich habe nur den einen Wunsch, daß diese Gesetzesvorlage im Ausschuß wirklich das Gesicht bekommt, worauf unsere Ärmsten der Armen, unsere Kriegsopfer warten.
Die Rednerliste ist erschöpft. Es ist Überweisung an den Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen beantragt. Erhebt sich Widerspruch? - Das ist nicht der Fall. Es ist so beschlossen.
Das Wort zu einer persönlichen Bemerkung hat der Herr Abgeordnete Bazille.
Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Nachdem der Herr Bundesarbeitsminister festgestellt hat, daß ein in dem von mir vorgetragenen Sinne eingegangener Entschließungsentwurf des Bundesrats ihm nicht zugegangen ist, fühle ich mich verpflichtet, sachlich hier festzustellen, daß der Bundesrat während der Behandlung des vorgelegten Antrages - wir haben ihn jetzt dem Ausschuß überwiesen - folgende Entschließung gefaßt hat:
Der Bundesrat ersucht die Bundesregierung,
. dahin zu wirken, daß Kriegsbeschädigte und Kriegshinterbliebene für den Fall der Krankheit so zu versichern sind wie die Empfänger von Renten aus der Invaliden- und Angestelltenversicherung.
Diese Entschließung ist vom Bundesrat verabschiedet worden, und es bleibt bei der Bundesregierung festzustellen, weshalb diese Entschließung nicht an die Bundesregierung weitergeleitet worden ist.
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Ich rufe auf den Punkt 2 der Tagesordnung:
Beschlußfassung über den Entwurf einer Verordnung über Errichtung einer Zweigstelle des Deutschen Patentamtes in GroßBerlin ({0}).
Ehe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort erteile, habe ich bekanntzugeben, daß ein Abänderungsantrag der Fraktion der Bayernpartei eingegangen ist, der folgenden Wortlaut hat:
Der Bundestag wolle beschließen: daß in Drucksache Nr. 368, Errichtung einer Zweigstelle des Deutschen Patentamtes in GroßBerlin, der § 1 Absatz 2 abzuändern ist in: Die Zweigstelle führt die Bezeichnung „Dienststelle Berlin des Deutschen Patentamtes".
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Wellhausen als Berichterstatter.
Dr. Wellhausen ({0}), Berichterstatter: Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz empfiehlt Ihnen, dem Entwurf der Verordnung zuzustimmen, jedoch in § 2 das Datum des 1. Februar 1950 einzusetzen. Bei der großen Einfachheit der Materie glaubt der Ausschuß, von einer näheren Begründung durch den Berichterstatter absehen zu können.
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Ich eröffne die Aussprache. Ich schlage dem Hohen Hause vor, die Redezeiten so wie beim ersten Punkt der Tagesordnung einzurichten.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Decker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bayernpartei hat ihren Standpunkt seinerzeit bereits durch Kollegen Dr. Seelos dargelegt. Sie hat diesen ihren Standpunkt seither nicht ändern können. Ich möchte ihn kurz präzisieren. Die Bayernpartei stimmt an sich der Schaffung einer Annahmestelle in Berlin durchaus zu; denn schließlich dürfen die erfinderischen Berliner in ihren Prioritätsrechten durch die Schwierigkeiten im Verkehrswesen und bei der Post nicht benachteiligt werden. Andererseits scheut aber ein gebranntes Kind das Feuer, und wenn dieses Kind sehr häufig gebrannt wird, dann
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scheut es zum Schluß auch die harmlose Zündholzschachtel. Im übertragenen Sinn wird uns jetzt eine solche scheinbar harmlose Zündholzschachtel überreicht, deren Harmlosigkeit aber nicht ganz sichersteht.
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- Auch ein Streichholz kann Feuer machen, Herr Dr. Wellhausen.
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Herr Staatssekretär Strauß hat im Ausschuß klar zum Ausdruck gebracht, daß es sich in Berlin tatsächlich nur um eine Annahmestelle handeln soll. Das heißt: die Patentanmeldungen gehen dort ein, erhalten einen Datumsstempel, um dadurch die Priorität festzulegen, und gehen dann nach München zur Bearbeitung. Wenn dadurch nicht mehr geplant wird - und da liegt eben unsere Sorge dann könnten wir einverstanden sein. Wird aber nicht mehr geplant, dann ist es meines Erachtens auch nötig, die Stelle als das zu bezeichnen, was sie ist, und deshalb haben wir unsern Antrag gestellt.
Wenn das Hohe Haus unserem Antrag auf Namensänderung zustimmt, dann haben wir keinerlei Bedenken gegen die Errichtung einer Dienststelle Berlin des Deutschen Patentamts.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schatz.
Meine Damen und Herren! Es ist richtig, daß der Herr Staatssekretär im Justizministerium gestern im Ausschuß erwähnte, daß in Berlin nur eine Anmeldestelle geschaffen
3) werden soll. Demgegenüber möchte ich aber sagen, daß die Begründung zu dem Entwurf immerhin besagt, die Aufgabe dieser Stelle solle zunächst nur die Anmeldung von Patentrechten und fristwahrenden Anträgen sein. Wenn aber das Wort „zunächst" richtig ausgelegt wird, muß man doch wohl sagen, daß die Verordnung den ersten Schritt zu einer möglichen Unterhöhlung des Patentamts bedeutet. Dagegen wende ich mich; denn so wie das Reichspatentamt eine konzentrierte, zusammengefaßte Behörde war, die für die Rechtssicherheit in gewerblichen Rechtsschutz- und Patentsachen geschaffen wurde, so muß man auch verlangen, daß heute und in Zukunft das Deutsche Patentamt die Garantien für die Rechtssicherheit gibt. Ich habe auch nichts dagegen, daß in Berlin eine Annahmestelle geschaffen wird. Aber es ist verführerisch, wenn in dem Entwurf schon davon gesprochen wird, daß sie das nur zunächst bleiben soll.
In diesem Zusammenhang komme ich darauf, daß unter Umständen zu prüfen ist, ob überhaupt das Patentgesetz, das der Wirtschaftsrat erlassen hat, die Grundlage für die Schaffung dieser Verordnung bedeuten kann. In § 3 des Patentgesetzes sind nämlich die Annahmestellen aufgehoben. Solcher Annahmestellen hatten wir zwei: in Darmstadt und in Berlin. Jetzt enthält § 1 Absatz 3 die Bestimmune, daß Zweigstellen errichtet werden können. Wenn aber die Verordnung vorsieht, daß diese sogenannte Zweigstelle im Falle Berlin nur eine Annahme- oder Anmeldestelle ist, dann kann doch logischerweise nicht, da in § 3 die Aufhebung solcher Annahmestellen gesetzmäßig verankert ist, nun plötzlich in § 1 Ziffer 3 wiederum eine unter den Zweigstellen genannte Annahmestelle geschaffen werden. In diesem Falle müßte meines Erachtens das Gesetz einen Zusatz nach der Richtung bekommen, daß das Patentgesetz zu § 1 eine Ziffer 4 erhält, die diese Möglichkeit vorsieht.
Es ergibt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob denn der Herr Justizminister überhaupt dafür zuständig ist, diese Verordnung einzubringen. Wir haben auch die rechtlichen Dinge zu prüfen. Nach dem Patentgesetz war der Vorsitzende des Verwaltungsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes dafür zuständig, Verordnungen zu erlassen. Es fragt sich nun: wer ist der Nachfolger des Vorsitzenden des Verwaltungsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes? Ich glaube nicht, daß man sagen kann: der Justizminister ist der Nachfolger. Ich glaube höchstens - und manche vertreten die Meinung -, daß man die Bundesregierung oder den Bundeskanzler als Nachfolger ansprechen kann. Von letzterem bin ich eben nicht überzeugt. Diese sachlichen und rechtlichen Bedenken veranlassen meine Freunde von der CSU und mich, uns in dieser Angelegenheit der Stimme zu enthalten und dem Antrag nicht zuzustimmen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Bucerius.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn wir bei den allerersten Versuchen, die Stellung Berlins im Bund um ein Geringes zu verbessern, schon in diesem Hause auf Widerstand stoßen, was mag sich dann erst abspielen, wenn wir wirklich ernsthaft an die große Aufgabe herangehen, Berlin für Deutschland und Europa zu erhalten.
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Wir haben immer wieder gesagt, daß die Erhaltung Berlins nicht eine deutsche, sondern eine europäische Aufgabe sei. Wir haben mit Freude vernommen, daß sich der amerikanische Außenminister und der französische Außenminister dieser Aufgabe bewußt geworden und in Berlin erschienen sind und daß sie dort europäische Interessen vertreten haben. Aber die Anerkennung der europäischen Verpflichtung soll doch nicht bedeuten, daß Deutschland aus seiner Verpflichtung entlassen wird. Nur wenn wir bereit sind, diese Verpflichtung zu erfüllen, können wir erwarten, daß andere Länder mit uns für diese große Aufgabe eintreten, und wir werden uns auf diesem Wege durch niemand beirren lassen.
({1})
Der Herr Justizminister hat das Wort.
Meine Damen und Herren! Nur einige ganz kurze Ausführungen zu den geltend gemachten Bedenken! Meine Zuständigkeit zum Erlaß dieser Verordnung, zu der die Zustimmung des Bundestags erbeten wird, wird bezweifelt, weil in § 1 Absatz 3 des Gesetzes vom 12. August 1949 der Vorsitzende des Verwaltungsrats des Vereinigten Wirtschaftsgebietes als zuständig bezeichnet worden ist. Es wird gesagt, daß die nach Artikel 129 des Grundgesetzes korrespondierende Stelle nicht der Bundesminister der Justiz sei, sondern die Bundesregierung oder der Bundeskanzler. Ich
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halte diesen Einwand nicht für begründet. Der Vorsitzende des Verwaltungsrats ist in dem Gesetz damals als berechtigt zum Erlaß der Verordnung bezeichnet worden, weil auf ihn nach dem ersten Gesetz zur Änderung und Überleitung von Vorschriften auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes vom 8. Juli 1949 allgemein die Zuständigkeiten des früheren Reichsministers der Justiz auf dem Gebiete des gewerblichen Rechtsschutzes übergeleitet worden sind. Daß der Vorsitzende des Verwaltungsrates für zuständig erklärt wurde, geht darauf zurück, daß es in der Organisation des Verwaltungsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes den „Direktor für Justiz" nicht gab. Es steht außer Frage, daß diese Zuständigkeit jetzt auf den Bundesjustizminister übergegangen ist.
Auch das andere Bedenken hinsichtlich der Bezeichnung in § 1 Absatz 2 „Deutsches Patentamt, Dienststelle Berlin" halte ich nicht für gerechtfertigt. An sich hätte es dieses Absatz 2 nicht bedurft. Der Zusammenhang ist folgender. Der Direktor des Internationalen Büros in Bern hat an der Kennzeichnung „Zweigstelle" Anstoß genommen, weil im Jahre 1938 eine solche „Zweigstelle" des damaligen Reichspatentamtes für Österreich geschaffen worden ist, und zwar nach der gewaltsamen Eingliederung von Österreich in das Reich. Man wollte Mißverständnisse und Mißdeutungen ausgeschlossen wissen; deswegen die Bezeichnung als „Dienststelle" und deswegen der Absatz 2, der nach meiner Meinung harmlos ist; man darf nichts hineindeuten.
Ein weiteres Bedenken ist dahin erhoben worden, daß die Errichtung einer Zweigstelle gar nicht mehr möglich sei, weil in § 3 des Gesetzes vom August 1949- die Annahmestellen in Darmstadt und in Berlin aufgehoben worden seien. Ich sehe diesen Widerspruch nicht ein. Der § 1 Absatz 3 sieht ja ausdrücklich die Errichtung von Zweigstellen vor. Welche Zuständigkeiten diesen Zweigstellen zugeteilt werden, insbesondere dieser Zweigstelle Berlin, das muß noch Gegenstand der Verhandlungen sein, über die Sie, meine Damen und Herren, unterrichtet werden. Zunächst beschränkt sich die Zuständigkeit
({1})
auf die Annahme von Anmeldungen; aber es läuft die Verhandlung - das habe ich schon dargelegt, als ich diese Vorlage einbrachte - über die Ausweitung dieser Zuständigkeit. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Patentrechts auch in der Praxis muß aufrechterhalten werden. Er ist eine klare technische Forderung. Daneben gilt die Erwägung, die der Abgeordnete Dr. Bucerius mit Recht hervorgehoben hat, ob man nicht aus politischen Gründen dieser Zweigstelle in Berlin noch bestimmte Zuständigkeiten zusprechen soll: Alt-, schutzrechte, Altschutzanmeldungen, ihre Behandlung und ähnliches; ' aber das haben wir heute nicht zu entscheiden.
Ich bitte, der Verordnung so zuzustimmen, wie sie von mir eingebracht worden ist, mit der Inkraftsetzung der Verordnung am 1. Februar 1950.
Keine weiteren Wortmeldungen? - Dann schließe ich die Aussprache.
Wir kommen zur Abstimmung. Es ist zuerst abzustimmen über den Abänderungsantrag zur Vorlage des Ausschusses. Der Abänderungsantrag, gestellt von der Bayernpartei - ich will ihn noch einmal verleser -, lautet: den § 1 Absatz 2 wie folgt zu fassen:
Dic Z€~~ei stelle führt die Bezeichnung „Dienststelle Berlin des Deutschen Patentamtes".
Wer für die Abänderung des Ausschußantrages in diesem Sinne ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Mit überwiegender Mehrheit abgelehnt.
Dann lasse ich abstimmen über den Antrag des Ausschusses. Ich kann wohl über den Antrag des Ausschusses für Patentrecht und gewerblichen Rechtsschutz als Ganzes abstimmen lassen und brauche ihn nicht paragraphenweise aufzurufen. Wer für die Annahme dieses Antrags ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Gegen wenige Stimmen angenommen. Damit ist die Zustimmung des Bundestags zu der Verordnung erteilt.
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung.
({0})
- Ich meine den neuen Punkt 3:
Mündlicher Bericht des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität über- den Antrag der Fraktion der KPD betreffend die Einstellung des Verfahrens gegen Angestellte der „Niedersächsischen Volksstimme" ({1}).
Ich bitte den Berichterstatter, den Abgeordneten Dr. von Merkatz.
Dr. von Merkatz ({2}), Berichterstatter: Herr
Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hat sich auf Beschluß des Bundestages gestern mit dem Antrag der Kommunistischen Partei Drucksache Nr. 386 beschäftigt. Dem Antrag der kommunistischen Fraktion liegt folgendes Begehren zugrunde:
Der Bundestag beauftragt die Bundesregierung, bei der Hohen Kommission vorstellig zu werden, um die Einstellung des Verfahrens und generelle Maßnahmen zur Sicherung der im Grundgesetze garantierten Pressefreiheit und der Immunität von Abgeordneten zu erwirken.
Folgender Sachverhalt liegt diesem Antrag zugrunde:
Am 24. Januar 1950 wird vor dem Britischen Militärgericht in Hannover erneut verhandelt gegen acht Deutsche, Redakteure und Angestellte der „Niedersächsischen Volksstimme". Sie sind beschuldigt, an der Veröffentlichung eines Aufrufes in der inzwischen verbotenen „Niedersächsischen Volksstimme", der für den Demontagestop bei den Reichswerken Watenstedt-Salzgitter eintrat, mitgewirkt und damit gegen die Interessen der Besatzungsmacht verstoßen zu haben.
Die Fraktion der Kommunistischen Partei im Bundestag begründet diesen Antrag damit, daß einer der Angeklagten, Robert Lehmann, Abgeordneter des Landtages von Niedersachsen ist und in dieser seiner Eigenschaft das Recht auf Immunität besitzt.
Der Bundestag
- so heißt es in dem Antrag weiter sieht in dieser Anklageerhebung eine Außerkraftsetzung des im Artikel 5 des Grundgesetzes verfassungsmäßig verankerten Rechtes
Deutscher Bundestag
({3})
der freien Meinungsäußerung und des Rechtes
von Abgeordneten auf Immunität.
Dem Sachverhalt, wie ihn die kommunistische Fraktion vorgetragen hat, liegen also drei verschiedene Fragen zugrunde, einmal die Beachtung der Grundrechte, der Pressefreiheit und schließlich der Immunität eines Abgeordneten aus einem Landtag sowie die Beachtung dieser Rechte durch die Behörden der Besatzungsmacht.
Der Ausschuß hat sich sehr eingehend mit den Problemen beschäftigt, die hier aufgeworfen worden sind. Von einem Vertreter der Fraktion der CDU wurde folgendes vorgebracht. Ich halte es für erforderlich, dieses Vorbringen mit Rücksicht auf seine grundsätzliche Bedeutung möglichst genau wiederzugeben. Der Antrag - so wurde ausgeführt - zwinge zu einer grundsätzlichen politischen Überlegung. Die Kommunistische Partei die den Antrag stellte, erkläre sich stets solidarisch mit der herrschenden Partei in den Ländern der sowjetischen Besatzungszone, der SED. Dort werde zwar behauptet, daß die Besatzungsmacht der deutschen Presse Freiheit gewährt, tatsächlich aber würde jeder Redakteur, der auch nur in Andeutungen Entsprechendes gegen die Besatzungsmacht schreiben würde, wie es die „Volksstimme" getan hat, spurlos für immer verschwinden.
({4})
Es sei ein unerträglicher Widerspruch
- ich gebe diese Aussage wörtlich wieder! - gegen elementarste Erfordernisse echter Demokratie, daß die Partei, die diesen Zustand in der Sowjetzone nicht nur deckt, sondern deren oberstes Ziel es ist, die bolschewistische Ordnung in ganz Deutschland durchzusetzen,
({5})
sich hier im Bundestag zum Verteidiger der deutschen Pressefreiheit macht. Sie verfolgt damit lediglich den Zweck, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bekämpfen; Artikel 18 des Grundgesetzes.
Ein sozialdemokratisches Mitglied des Ausschusses schloß sich den Ausführungen des Vertreters der CDU an
({6})
und wies aus seinen Erfahrungen mit sowjetischen Presseoffizieren nach, wie durch die Pressemaßnahmen der sowjetischen Militäradministration die öffentliche Meinung systematisch so verfälscht wird, daß der Inhalt der Tageszeitungen der nichtkommunistischen Parteien in erklärtem Gegensatz zu dem Willen der Redakteure und Parteivorstände steht und keine Möglichkeit vorhanden ist, eine oppositionelle Anschauung zu äußern. Es sei deshalb eine über die Absurdität hinausgehende Zumutung der westdeutschen KPD, wenn sie von den Parteien, an deren Unterdrückung sie im sowjetischen Besatzungsgebiet beteiligt sei, eine Unterstützung ihrer Angriffe auf eine westliche Besatzungsmacht verlange. Juristisch sei für die Erledigung der Sache die niedersächsische Landesregierung und der Landeskommissar für Niedersachsen zuständig. Der SPD-Abgeordnete sprach sich aus politischen und juristischen Gründen für Übergang zur Tagesordnung aus.
Ein anderer Vertreter der SPD-Fraktion unterstützte die Kritik seines Parteifreundes, hob jedoch hervor, daß die Frage der Immunität der Landtags- und Bundestagsabgeordneten gegen über den Militärgerichten einer besonderen Prüfung bedürfe. Er sprach sich für die uneingeschränkte Geltung der Immunität gegenüber allen Gerichtsbehörden aus.
Nachdem der Berichterstatter aus einem Schreiben des Herrn niedersächsischen Justizministers mitgeteilt hatte, daß auf Grund einer Verfügung des Landeskommissars an die Staatsregierung in Hannover die Hohe Kommission für eine Entscheidung zuständig ist, wurde von dem sozialdemokratischen Abgeordneten erklärt, daß das nur das Verfahren innerhalb der Besatzungsbehörden berühre, jedoch, da das Grundgesetz im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung die Immunität der Landtagsabgeordneten nicht regele, keine Zuständigkeit zwischen Hoher Kommission und Bundesregierung begründe. Der sozialdemokratische Abgeordnete war jedoch der Meinung, daß trotzdem eine Behandlung der Immunitätsfrage durch den Bund auf der Ebene der Menschenrechte möglich und erforderlich sei. Gegen die Kommunistische Partei sprach er aus, daß diese Partei nicht mit den Mitteln des legalen Positivismus subjektive Rechte für sich in Anspruch nehmen könne; denn nach Wortlaut und Sinn des Grundgesetzes dürfe sich niemand auf Menschenrechte berufen, der sie zur Beseitigung der Freiheit mißbrauche.
Im Anschluß an diese Erörterungen hat sich der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität auf die Frage der Geltung des Immunitätsrechtes gegenüber den Besatzungsbehörden konzentriert.
Aus der bisher von mir dargestellten Debatte ging der Vorschlag hervor, den Sie in Punkt 2 des Ausschußantrags finden, nämlich über den Antrag der Fraktion der KPD Drucksache Nr. 386 zur Tagesordnung überzugehen.
Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität hatte aber auch noch aus einem anderen Grunde Anlaß, sich mit der Frage der Geltung des Immunitätsrechtes, das ja ein Recht des Parlamentes und nicht ein Recht des einzelnen Abgeordneten ist, zu beschäftigen. Es lag am selben Tage ein Schreiben des Herrn niedersächsischen Landtagspräsidenten vor, das mit Rücksicht auf seine grundlegende Bedeutung dem Hohen Hause mitzuteilen ist. Das Schreiben des Herrn niedersächsischen Landtagspräsidenten ist an General Robertson gerichtet und hat folgenden Wortlaut:
Der Gebietsbeauftragte für das Land Niedersachsen hat dem Gesetz zur vorläufigen Ordnung der Niedersächsischen Landesgewalt vom 11. Februar 1947 zugestimmt.
Das Gesetz ist im Niedersächsischen Gesetz- und Verordnungsblatt, Jahrgang Nr. 1, Seite 1, verkündet.
§ 2 dieses Gesetzes lautet:
§ 2
Auf den Landtag finden die Artikel 21, 26, 28, 30, 32, 34 und 36 bis 38 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919 entsprechende Anwendung.
Nach Artikel 36 der Reichsverfassung darf kein Mitglied des Landtages zu irgendeiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen der in Ausübung seines Berufes getanen Äußerungen gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb der Versammlung zur Verantwortung gezogen werden,
({7})
Nach Artikel 37 kann kein Mitglied des Landtages ohne Genehmigung des Hauses, dem der Abgeordnete angehört, während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Untersuchung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß das Mitglied bei Ausübung der Tat oder spätestens im Laufe des folgenden Tages festgenommen ist.
Dieses Immunitätsrecht gilt mit Zustimmung der Militärregierung für den Niedersächsischen Landtag. Es ist mir keine Bestimmung des Besatzungsstatuts bekannt, nach der dieses Recht irgendwie außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt ist.
Zur Klarstellung hat der Niedersächsische Landtag schon vor Erlaß des Besatzungsstatuts am 10. März 1949 beschlossen:
Die Staatsregierung wird ersucht:
1. bei der britischen Militärregierung dahin zu wirken, daß die Immunität der deutschen Abgeordneten auch vor britischen Militärgerichten anerkannt wird,
2. das Verhandlungsergebnis dem
Landtag mitzuteilen.
Hierauf hat der Landtag im Dezember 1949 durch die Staatsregierung eine Entscheidung ,des Land Commissioner Niedersachsen erhalten, aus der entnommen werden kann, daß die Hohe Kommission das Immunitätsrecht des Landtages gegenüber den Besatzungsbehörden nicht allgemein anerkennt.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 1949 habe ich dem Land Commissioner Niedersachsen gegenüber das Bedauern des Niedersächsischen Landtages über diese Entscheidung ausgedrückt und in einem Einzelfalle gebeten, das Immunitätsrecht des deutschen Parlaments für das Verfahren eines Gerichtes der Besatzungsmacht gegen einen Landtagsabgeordneten anzuerkennen und allgemein vor der Eröffnung eines Verfahrens die gemäß Artikel 37 der Reichsverfassung erforderliche Zustimmung des Niedersächsischen Landtages einzuholen.
Der Land Commissioner Niedersachsen hat dann mit Schreiben vom 24. Dezember 1949 die Anerkennung dieses Immunitätsrechtes des Landtages überhaupt abgelehnt, also sowohl für Äußerungen der Abgeordneten im Land- tag nach Artikel 36 als auch für das Verhalten der Abgeordneten außerhalb des Landtages gemäß Artikel 37 der Reichsverfassung.
Da das Immunitätsrecht in Deutschland als ein sehr wichtiges Recht des parlamentarischen Lebens gilt, erlaube ich mir, Ihnen die Angegelegenheit vorzutragen.
Die Abgeordneten des Niedersächsischen Landtages sind mit Genehmigung der Militärregierung in freier Wahl vom Niedersächsischen Staatsvolk gewählt. Es ist mir keine Bestimmung in Erinnerung, daß die so gewählten Abgeordneten nur Parlamentarier mit minderen Rechten sein sollen.
Ich bitte hiernach um erneute Überprüfung der Angelegenheit und um eine klare Entscheidung, ob das Immunitätsrecht allgemein von den Besatzungsbehörden nicht anerkannt wird.
Es handelt sich hierbei um die Entscheidung, ob
a) dien Abgeordneten der Schutz nach Artikel 36 der Reichsverfassung gewährt wird, der erst die freie politische Entscheidung im Parlament ermöglicht, und
b) ob das Recht des Parlaments gemäß Artikel 37 der Reichsverfassung anerkannt wird, nach dem kein Abgeordneter ohne Zustimmung des Parlaments wegen einer mit Strafe bedrohten
Handlung zur Untersuchung gezogen
werden darf.
Ich halte mich für verpflichtet,
- so schreibt der niedersächsische Landtagspräsident -.
darauf hinzuweisen, daß bei Nichtanerkennung des Immunitätsrechts durch die Gerichte der Besatzungsmacht der mit Zustimmung der Militärregierung im Lande Niedersachsen geltende Artikel 21 der Reichsverfassung über die Entschließungsfreiheit der Abgeordneten zu einer leeren Phrase wird.
Artikel 21 Reichsverfassung lautet:
Die Abgeordneten sind Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind nur ihrem Gewissen unterworfen und an Aufträge nicht gebunden.
Dann wären die Abgeordneten nicht mehr allein ihrem Gewissen, sondern auch der Furcht vor Strafe durch Gerichte der Besatzungsmacht unterworfen.
({8})
Ich habe den Land Commissioner Niedersachsen, den Präsidenten des Bundestages und die Präsidenten der westdeutschen Länderparlamente von diesem Schreiben unterrichtet.
Auf dieses Schreiben des niedersächsischen Landtagspräsidenten hat der Präsident des Württembergisch-Badischen Landtages geantwortet und unter anderem ausgeführt:
Im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen, die sich aus einem solchen Eingriff für die Mitglieder der Landesparlamente überhaupt ergeben könnten, würden wir es für angemessen halten, daß sich die Präsidenten der Landtage und der Präsident des Bundestags zu einer gemeinsamen Besprechung der strittig gewordenen Frage zusammenfinden. Die Initiative zu einer solchen Zusammenkunft müßte von dem Landtag ausgehen, bei dem sie aktuell geworden ist, also vom niedersächsischen Landtag. Inzwischen könnte, um einer einseitigen Entscheidung in Ihrem aktuellen Fall vorzubeugen, die Bundesregierung ersucht werden, bei der Hohen Kornmission vorstellig zu werden, um die von Ihnen und von uns für richtig gehaltene Auffassung nachdrücklich zu vertreten.
Der Herr württembergische Landtagspräsident ist also übereinstimmend mit der Meinung der überwiegenden Mehrheit des Ausschusses für Geschäftsordnung und, Immunität der Auffassung, daß die Zuständigkeit für die Klärung dieser Frage beim Bund liegt, und entsprechend dieser Ansicht hat sich der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität nunmehr auch für die weitere rechtliche Beurteilung der Frage interessiert. Dabei hat der Ausschuß besonders ein Schreiben des niedersächsischen Ministers der Justiz beachtet, in dem ein Schreiben der dorti({9})
gen Militärregierung mitgeteilt wird, das in seinem gesamten Gehalt vom Ausschuß sehr eingehend mit dem Ergebnis gewürdigt worden ist, daß der Ausschuß hierin die Möglichkeit eines Entgegenkommens sieht, eine Möglichkeit, die von der Bundesregierung wahrgenommen werden soll. Ich darf auch hier die entscheidenden Sätze verlesen, da sie von grundsätzlicher Wichtigkeit sind. Es heißt dort:
Leider ist die Hohe Kommission nicht in der Lage, sich damit einverstanden zu erklären, daß Landtagsmitgliedschaft die Befugnis der Besatzungsbehörde schmälert, sollte das Verhalten eines ,Landtagsmitglieds die Ausübung dieser Befugnisse notwendig machen. Auf jeden Fall ist die hier angeschnittene Frage natürlich nur hypothetisch. Ich möchte aber hinzufügen, daß, sollten sich die Umstände ergeben, Sie sich darauf verlassen können, daß die Hohe Kommission die Rechtsstellung der Landtagsmitglieder bei Prüfung der Frage, ob etwas zu veranlassen ist, berücksichtigen wird.
Im Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität war die überwiegende Anzahl der Mitglieder darin einig, daß dieses Schreiben der Hohhen Kommission nicht nach der Gewohnheit romanistischen Rechtsdenkens gewertet werden darf, sondern nur aus dem auf den praktischen Einzelfall abgestellten Geist des angelsächsischen Rechtsdenkens verstanden werden kann. Deshalb ist der Ausschuß nach eingehender Diskussion der rechtlichen Grundlagen zu der Ansicht gekommen, daß nach dem Besatzungsstatut mit Rücksicht darauf, daß das Grundgesetz durch die Regierungen der drei Be) satzungsmächte anerkannt worden ist, sie sich damit auch an die Beachtung dieses Grundgesetzes und. seiner Erfordernisse gebunden haben, und daß der Vorbehalt, der im Besatzungsstatut unter Ziffer 2 hinsichtlich der Besatzungsgerichtsbarkeit zum Ausdruck gekommen ist, nicht zu einer Schmälerung des Rechts der deutschen Parlamente in bezug auf die Immunität ihrer Abgeordneten führen kann. Vergleichen wir das Schreiben der Hohen Kommission und diese Ansicht des Ausschusses, dann ergibt sich, daß beide Verlautbarungen gar nicht so weit voneinander entfernt sind und lediglich auf dem Gebiet des Sicherheitsvorbehalts Möglichkeiten einer Einschränkung gegeben sein können. Der Ausschuß kann in dieser Form also zu einer weitgehenden Übereinstimmung mit der von der Hohen Kommission selbst geäußerten Ansicht kommen, wobei man vielleicht - das, was ich hier vortrage, ist eine Ansicht, die von dem Berichterstatter selbst geäußert worden ist - fol-. gende Unterscheidung für eine Wertung der Frage machen muß, nämlich bei Meinungsäußerungen eines Abgeordneten im Parlament, dann hinsichtlich der Taten, die außerhalb des Parlaments geschehen sind, und schließlich hinsichtlich der Achtung, gewissermaßen der Exterritorialität des Hauses selbst.
Wenn man also zu der Ansicht gelangen kann, daß aus dem Sicherheitsvorbehalt unter Umständen ein Eingriff in das Immunitätsrecht vielleicht möglich oder unvermeidlich sein könnte, so ergibt doch der gesamte Sachverhalt, daß bei der überwiegenden Mehrzahl der denkbaren' Fälle nur eine außerordentlich zurückhaltende Anwendung der Sicherheitsbefugnisse der Besatzungsmacht tunlich sein könnte. Nur ganz ungewöhnliche Fälle sollten die Hohe Kommission veranlassen, von diesem grundlegenden Recht der deutschen Parlamente, die sie selbst durch die Anerkennung des verfassungsmäßigen Zustands für Deutschland respektieren, abzuweichen.
Zusammenfassend kam der Ausschuß zu folgendem Ergebnis. Die Besatzungsbehörden sollen in aller Regel das Recht der deutschen Parlamente, und zwar sowohl des Bundestags wie der Landtag kraft des von ihnen selbst garantierten verfassungsrechtlichen Zustandes in
Deutschland achten. Der Ausschuß für Geschäftsordnung und Immunität schlägt dem Bundestag vor:
Der Bundestag wolle beschließen:
1. Die Bundesregierung wird ersucht, bei der Alliierten Hohen Kommission zu erwirken, daß die Immunität der Mitglieder der Landtage und des Deutschen Bundestages von den Behörden der Besatzungsmächte berücksichtigt wird.
2. Über den Antrag der Fraktion der KPD - Drucksache Nr. 386 - zur Tagesordnung überzugehen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter und eröffne die Aussprache. - Keine Wortmeldungen? ({0}) - Herr Abgeordneter Renner!
({1}) Herr Abgeordneter Dr. Richter!
Meine Damen und Herren! Ohne Zweifel steht das Haus in der Behandlung einer Frage, zu der man so oder so - ob es einem angenehm ist oder nicht - grundsätzlich Stellung nehmen muß.
({0})
Ich glaube nämlich, daß man hier sogar sehr eindeutig Stellung zu beziehen hat. Denn einmal stehen Rechte auf dem Spiel, die im Grundgesetz der deutschen Bundesrepublik festgelegt sind. Darüber hinaus wirft sich leicht die Frage auf, inwieweit ein Vorgehen, wie es in dem erwähnten Antrag geschildert ist, mit der Haager Landkriegsordnung in Einklang zu bringen ist, die ja auch die Alliierten bejaht haben und nach der die Landesgesetze grundsätzlich immer zu beachten sind. Ich finde, man sollte sich seitens der hohen Alliierten einmal überlegen, ob das Gesetz Nr. 5 damit tatsächlich in Einklang zu bringen ist. Es liegt dann nämlich im Ermessen der Hohen Kommission, grundsätzlich jede Meinungsäußerung in Deutschland, wenn es ihr paßt, als die Sicherheit der Alliierten bedrohend zu unterdrücken und entsprechend zu verfolgen.
Ich muß dem Redner der KPD von gestern allerdings in einem widersprechen. Es kann nämlich meiner Überzeugung nach nicht unsere Sache sein, die Höhe zu bestimmen, die die Alliierten selbst ihrem Ansehen beimessen. Wenn die Briten die Verhandlung gegen Redakteure und Angestellte einer in Hannover erscheinenden Zeitung zur Wahrung ihres hohen Ansehens vor einem niederen Militärgericht ansetzen, so muß das natürlich ihrem Ermessen überlassen bleiben. Wenn allerdings - und das ist hier eine ganz entscheidende Frage, die ich genau zu überlegen bitte - sogar ein Abgeordneter vor ein Militärgericht gestellt werden soll - ganz gleich, welcher Partei er angehört, das kann nämlich morgen jedem aus
({1})
diesem Hause ebenso passieren -, dann ist das eine Frage, meine Damen und Herren, an der der Bundestag nicht mit ein paar schönen Redensarten vorbeigehen kann. Ich glaube nämlich
das möchte ich an dieser Stelle bereits ausgesprochen haben -, es handelt sich hier um einen ersten Versuch, die Rechte der Demokratie und des Parlaments im Interesse der Besatzungsmächte außer Kraft zu setzen. Oder vielleicht handelt es sich um eine Sonderlektion, die Deutschland darüber erhalten soll, was es nun unter Demokratie und Immunität der vom Volk gewählten Vertreter verstehen darf.
({2})
Es ist kein Grund vorhanden, sich darüber zu wundern, daß hier ein Abgeordneter vor ein Militärgericht gestellt werden soll, wenn man weiß, wie oftmals Volksvertreter von alliierter Seite behandelt wurden; gegenüber den Beispielen, die man in dieser Richtung anführen könnte, würden die Vorgänge in Hannover meiner Ansicht nach noch verblassen.
Aber, meine Damen und Herren, es wird hier, wie ich schon erwähnte, das Völkerrecht, das Recht der Demokratie und damit der Volksvertretung bedroht. Jedem, der an den Alliierten im Interesse des Volkes glaubt Kritik üben zu müssen, kann morgen ein ähnliches Verfahren -. natürlich aus „Sicherheitsgründen" - angehängt werden. Einmal hat nach dem ersten Weltkrieg Albion, als es noch anerkannt seetüchtig war, ein ganzes Parlament - das türkische nämlich - nach Malta verschleppt und dort hinter Stacheldraht tagen lassen. Wenn der Bundestag seine Pflicht dem deutschen Volk gegen) über restlos erfüllt, könnte ihm eines Tages unter Umständen das gleiche geschehen, falls es England vom erzieherischen Standpunkt aus für notwendig hält.
({3})
Ich glaube deshalb, daß hier die Rechte der Volksvertretung - ich sagte schon, ganz gleich, welcher Partei einer angehört - um jeden Preis verteidigt werden müssen.
({4})
Und wenn man vorhin auf das Beispiel der Ostzone hinwies, so glaube ich, wir sollten uns gerade darüber hinausheben und dieses Beispiel nicht für uns als bindend ansehen, sondern besser sein.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Renner.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion bedauert diesen Beschluß des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität. Der Herr Berichterstatter, dem ich für seinen objektiven Bericht mit der kleinen Einschränkung zu danken habe, daß er leider unterlassen hat, die Argumente, die unsere Freunde gestern abend im Ausschuß zum Ausdruck gebracht haben, auch mit bekanntzugeben, hat mit Recht herausgestellt, daß durch unsern Antrag einige entscheidende Probleme gestellt sind, nämlich die sogenannten Grundrechte, die in unserm Grundgesetz verankert sind, und zwar das Recht der Pressefreiheit und das Recht auf Immunität. Er hat ganz richtig ausgeführt, daß leider auch im Parlamentarischen Rat schon die
Immunität der Abgeordneten dieses Parlamentarischen Rates, soweit sie gegen die Besatzungsmächte in Anspruch genommen werden mußte, nicht anerkannt worden ist. Wie wir wissen, wird die Immunität der Bundestags- und Landtagsabgeordneten auch heute noch nicht von den Besatzungsmächten anerkannt, sobald diese glauben, ihr Ansehen verteidigen zu müssen und ihre Sicherheit wahrnehmen zu sollen.
Meine Damen und Herren, ich habe den peinlichen Eindruck, daß Sie es unterlassen haben, sich einmal mit dem inkriminierten Artikel bekanntzumachen, dessen Veröffentlichung die Auswirkungen zur Folge hatte, von denen der Herr Berichterstatter gesprochen hat. Dieser Artikel ist nichts mehr und nichts weniger als eine Aufforderung des Landesvorstandes unserer Partei von Niedersachsen an die Arbeiterschaft, vor allem an die Arbeiterschaft von Watenstedt-Salzgitter, sich gegen die Demontage ihres Arbeitsplatzes zur Wehr zu setzen. Es handelt sich also in diesem Artikel darum, die Arbeiterschaft und das deutsche Volk in seiner Gesamtheit gegen Maßnahmen der Besatzungsmacht mobilzumachen, die auch in diesem Hause bei allen Parteien auf mehr oder minder heftige grundsätzliche Kritik gestoßen sind. Nichts anderes steht in diesem Artikel.
Es ist nun sehr bedauerlich, daß die Mehrheit des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität, vor allen Dingen die Vertreter der beiden hier genannten Parteien, der SPD und der CDU/CSU, sich an dieser Seite des Problems vorbeigedrückt haben. Ich kann mir nicht helfen; so ist der Tatbestand. Die Verteidigung der Immunität eines Abgeordneten ist eine selbstverständliche Sache, und es war hohe Zeit, daß der Bundestag einmal mit absoluter Eindeutigkeit ausgesprochen hat, daß er das Recht auf Immunität für die Abgeordneten auch gegenüber den Besatzungsmächten geltend macht. Wenn das auch eine selbstverständliche Einstellung ist, so sind wir Kommunisten doch dafür dankbar, daß diese Klarstellung endlich erfolgt ist, und wir können nur wünschen, daß die Bundesregierung schleunigst und mit Erfolg bei der Hohen Kornmission vorstellig wird, um das zu erreichen, was offensichtlich Auffassung des gesamten Plenums ist.
Aber, meine Damen und Herren, wenn Sie glauben, die zweite Seite des Problems dadurch umgehen zu müssen, daß Sie uns Kommunisten das Recht bestreiten, uns für die nationalen Belange und die demokratischen Rechte der Bevölkerung in Westdeutschland einzusetzen, dann gäbe es doch eine logische Schlußfolgerung: daß Sie aufständen und die Menschen, auch wenn es Kommunisten sind, verteidigten, die vor einem Besatzungsgericht stehen, weil sie sich dafür eingesetzt haben, wofür nach Ihren Erklärungen Sie ja alle sich einzusetzen bereit sind. Das wäre eine zwingende Schlußfolgerung.
({0})
Dieser Schlußfolgerung sind Sie aus dem Wege gegangen. Warum? Weil Sie vermeiden wollen, zum Gesetz Nr. 5 und zu den Strafverordnungen der Hohen Kommissare zum Schutz der Besatzungsmacht eine klare Haltung zum Ausdruck zu bringen. Diesem Problem wollen Sie aus dem Wege gehen. Sie wollen in diesen beiden entscheidenden Fragen, deren Auswirkungen Ihre Vertreter gestern ebenfalls beklagt haben, mindestens soweit sie sich auf das Pressegesetz
({1})
beziehen, einer Diskussion, einer kämpferischen Auseinandersetzung mit den Hohen Kommissaren ausweichen. Und Sie machen sich das nach bewährtem Muster bequem, indem Sie den Spieß umdrehen und sagen: Kommunisten, die diesen Antrag gestellt haben, haben kein Recht, die Grundrechte des Grundgesetzes für sich geltendzumachen, weil sie das bejahen, was sich in der dreimal, dreimal, dreimal bösen Sowjetzone tut Ich frage Sie: Ist das für einen deutschen Menschen logisch gedacht? Müßten Sie, die Sie sich doch immer als hundertzwanzigprozentige Verteidiger der Grundrechte, die im Grundgesetz verankert sind, aufspielen, in die Wahrung dieser Grundrechte nicht auch solche Menschen einbeziehen, von denen Sie doch selber, wenn Sie wahrhaftig sind, anerkennen müssen, daß sie letztlich deutsche Interessen vertreten haben? Oder war dieser Artikel gegen die Interessen unseres Volkes gerichtet? Daß ihn Kommunisten geschrieben haben, daß er in einem kommunistischen Verlag gedruckt worden ist, ändert doch an dem Endtatbestand nichts.
({2})
- Richtig, das ist uns zur Ehre anzurechnen, meinen wir Kommunisten.
Und wie reagieren Sie? Sie sagen: die Kommunisten haben kein Recht, weil sie ihrerseits das für richtig halten und verteidigen, was sich in der Deutschen Demokratischen Republik vollzieht.
Nun eine kleine Richtigstellung. Sie irren sich, wenn Sie uns Kommunisten in diesem Hause unterstellen, daß wir von Ihnen den Rechtsschutz fordern, den das Grundgesetz uns eigentlich zugesteht. Sie irren sich, daß wir Ihnen die Bereitschaft unterstellen, uns diesen Schutz zu gewähren. Wir haben soviel böse Beispiele erlebt, die uns Beweis genug waren, daß Sie Ihre vielgerühmte und Kielgepriesene Demokratie nur zugunsten der herrschenden Schicht in diesem Hause zu spielen bereit sind.
({3})
- Wenn es von ihrem Willen abhinge, wären wir bestimmt nicht hier.
({4})
-- Das weiß ich genau; denn wo Sie uns ausschalten können, da tun Sie das. Ich erinnere nur daran, daß Sie uns zum Beispiel aus den entscheidenden Ausschüssen - ERP-Ausschuß, Ausschuß für gesamtdeutsche Interessen usw. - ausgeschlossen haben, ohne eine Begründung auch nur zu wagen, nur weil es Ihnen unangenehm war, daß wir Kommunisten in die Lage gekommen wären, dort im Ausschuß, wo Sie die Karten offenlegen müssen, hinter die Hintergründe ihrer Manipulationen und politischen Manöver zu kommen. So liegen die Dinge. Sie haben uns in der Anwendung der Geschäftsordnung, Sie haben uns durch Ihre ganze Praxis, vor allen Dingen aber durch die Methode, uns aus den Ausschüssen auszuschließen, bewiesen, was Sie unter Ihrer vielgerühmten Demokratie in Wirklichkeit verstehen.
({5})
- Ich rede zur Sache, lieber Herr! Wenn Ihnen das nicht zur Sache zu sein scheint, dann bitte ich Sie, sich so lange ins Café zu setzen.
({6})
Ich möchte zur Unterstützung unserer Auffassung, daß in diesem Prozeß gesamtdeutsche Belange zur Aburteilung stehen, zusätzlich zu dem, was gestern von meinem Freund gesagt worden ist, nur zwei neue Dinge zitieren, die uns heute bekanntgeworden sind. Vor mir liegt ein Beschluß der rheinisch-westfälischen Zeitungsverleger, in dem es heißt:
Die rheinisch-westfälischen Zeitungsverleger verweisen darauf, daß die Durchführung des Prozesses zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der im Grundgesetz garantierten Pressefreiheit führen würde. Gegenüber der Tatsache, daß die Geschäftsführung der Druckerei der „Niedersächsischen Volksstimme" mit unter Anklage gestellt worden ist, heben sie hervor, daß bei der Lizenzierung der Zeitungen jede Einflußnahme des Druckers auf die Gestaltung und den Inhalt der Zeitung von der Militärregierung ausdrücklich ausgeschlossen worden ist.
Die Lizenzbedingungen besagen also, daß der Drucker kein Recht der Einflußnahme auf den Inhalt der Zeitung hat. Im Gesetz Nr. 5 wird nun der Drucker von derselben britischen Militärregierung bzw. vom Hohen Kommissar dafür verantwortlich gemacht, was der Redakteur in das auf seinen Namen eventuell sogar lizenzierte Organ hineinsetzt.
Eine andere Verlautbarung. Dr. Gereke - wer es nicht wissen sollte, nur für den der Zusatz, daß er der CDU angehört und daß er stellvertretender Ministerpräsident von Niedersachsen ist - erklärte im Zusammenhang mit diesem Prozeß, die Anklageerhebung und das Verbot der „Niedersächsischen Volksstimme" hätten nichts mehr mit Demokratie zu tun.
({7})
- Wenn das wahr sein könnte, warum ermannen Sie sich da nicht und springen anstatt der Kommunisten, denen Sie das Recht bestreiten, in die Bresche und verteidigen Ihre Demokratie? Der Zwischenruf war sehr ungeschickt von Ihnen, lieber Freund!
Wir sind der Meinung, daß die politische und wirtschaftliche Entwicklung in der Deutschen Demokratischen Republik eine Entwicklung ist, die sich auch in Westdeutschland zum Heil unseres Volkes vollziehen müßte.
({8})
- Für Sie ein Irrtum; ich habe ja nur von uns gesprochen. - Wir sind andererseits der Auffassung, daß die Entwicklung, wie sie sich nach 1945 in Westdeutschland vollzogen hat, gegen die Interessen des deutschen Volkes ist. Wir sind der Meinung, daß es falsch ist und gegen die Interessen unseres Volkes sich richtet, wenn in Westdeutschland zum Beispiel in der Wirtschaft die alten Wehrwirtschaftsführer, die alten Generaldirektoren, die alten Großaktionäre und im Bankwesen die alten Pferdmengesse, die Träger und die Stützen des Hitlersystems, heute wieder an der Macht sind. Wir halten das für falsch.
({9})
Wir sind der Auffassung, daß die Entwicklung drüben in puncto Agrarreform richtig ist.
({10})
({11})
1- Bitte sehr, das gehört absolut zur Sache.
({12})
- Wenn Sie die Sache ernst ansehen, dürfen Sie nicht den Zwischenruf machen. Der Herr Berichterstatter hat ja begründet, warum der CDU-Vertreter uns das Recht abspricht, deutsche Belange zu vertreten.
({13})
Wir halten die Entwicklung für falsch, die einen Adenauer an die Spitze dieses separaten Weststaates geführt hat. Wir halten die Entwicklung für falsch, die dazu geführt hat, daß wir anstatt eines Friedensvertrages zum Beispiel das Besatzungsstatut bekommen haben, und wir halten es für falsch, daß in Westdeutschland die alten Kräfte an der Macht sind, denen das Volk das Elend von gestern verdankt. Wir sind der Auffassung, daß es im Interesse unseres Volkes am besten wäre, wenn bei uns diese Kräfte wirtschaftlich und politisch entmachtet wären. Das ist unsere Auffassung.
({14})
Ich bitte, den Redner nicht zu unterbrechen.
Unser Ziel geht darauf hin- aus, auch in Westdeutschland die patriotischen Elemente des deutschen Volkes zur nationalen Abwehrfront zusammenzuschließen
({0})
gegen diese Ihre Politik und gegen die Kräfte. die ihre typischste Personifizierung in dem Herrn Bundeskanzler Dr. Adenauer gefunden haben, auch Sie nicht zu vergessen, Herr Lehr, und in dem typischsten aller typischen CDU-Vertreter des christlichen Sozialismus, in Herrn Pferdmenges.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Kiesinger.
Meine Damen und Herren! Meine Freunde hatten ursprünglich nicht die Absicht, noch besonders das Wort zu nehmen. Nachdem aber nunmehr die äußerste Rechte und die äußerste Linke dieses Hauses zu der Materie gesprochen haben, fühlen wir uns doch gezwungen, unser Wort dazu noch zu sagen.
Zunächst sind wir uns durchaus bewußt, daß es sich bei dieser Angelegenheit um etwas sehr Wichtiges handelt. Wir sind der Meinung, daß vom Rechte her durchaus vertreten werden kann, daß die Immunität der Abgeordneten der deutschen Länderparlamente und des Deutschen Bundestages auch durch die Besatzungsmächte zu respektieren ist. Der Berichterstatter hat Ihnen vorgetragen, daß dies die einhellige Auffassung des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität gewesen ist. Wir haben es aber nicht für zweckmäßig gehalten, diesen einen Anlaß zu großen emotionalen Gesten vor diesem Parlament zu benutzen. Die Dinge liegen immerhin so, daß eine solche Angelegenheit in einem sehr einseitigen parteipolitischen Sinne ausgenutzt werden könnte.
Meine verehrten Herren von der Rechten, wir unterstützen Sie in Ihrer Bemühung, für die Immunität der deutschen Abgeordneten einzutreten. Wir /hoffen nur, daß Ihnen dieser Begriff der
Immunität in all Ihren Zukunftsperspektiven, die Sie etwa entwerfen, heilig bleiben wird. Ich meine auch, Herr Dr. Richter, man sollte solche Ausdrücke wie Albion allmählich in der Mottenkiste lassen, wohin sie gehören.
({0})
Wenn wir wirklich auf ein neues Europa hinstreben, haben wir durchaus das Recht, auch den Engländern und den Amerikanern unsere Meinung zu sagen, wie es sich geziemt. Aber mir klingt das reichlich veraltet, besonders wenn es von einem jungen Vertreter kommt, der, wie ich hoffe, auch zur deutschen Demokratie gehört.
({1})
Nun aber zu Herrn Renner. Herr Renner hat gemeint, wir bestreiten den Kommunisten das Anrecht auf einen solchen Schutz, wie er im Antrag der kommunistischen Fraktion begehrt wurde. Wir bestreiten dieses Recht den Kommunisten keineswegs. Es geht um etwas ganz anderes. Wir haben es nicht, sagen wir einmal milde: als geschmackvoll empfunden, daß ausgerechnet die kommunistische Fraktion diesen Antrag gestellt hat.
({2})
- Nein, weil in der Tat - es wird allmählich banal und öde, es immer und immer wieder sagen zu müssen - die furchtbare Wirklichkeit des Ostens hinter Ihnen steht. Es wirkt wie eine schauerliche Paradoxie, wenn immer wieder Sie sich hier in diesem Raum auf die Garantien eines Rechtsstaates berufen, die Sie selber da, wo Sie herrschen, niemandem zu geben bereit sind.
({3})
Herr Abgeordneter Rische, habe ich Sie recht verstar ien? Haben Sie nicht soeben dem Redner den Vorwurf der Lüge gemacht?
({0}) - Dann erteile ich Ihnen einen Ordnungsruf.
Ich jedenfalls habe noch kein Beispiel dafür erlebt, daß jenseits des Eisernen Vorhangs jemals rechtsstaatliche Garantien gegeben wurden. Ich will mich hier nicht in das Ausmalen der namenlosen Not und des namenlosen Elends jener tapferen Frauen und Männer einlassen, die drüben gewagt haben, noch eigene Überzeugungen zu äußern. Wir alle kennen es. Wir haben uns gestern im Ausschuß, wie Ihnen Ihr Parteifreund berichtet haben wird, auch zu Ihren Gunsten auf den Boden Rechtsstaates gestellt, Herr Renner. Wir haben gesagt, daß auch Sie hier im Westen gewählte Abgeordnete sind, und wir haben gesagt, daß Sie diesen Schutz genau so genießen wie irgend jemand von uns. Letzten Endes geht es auch nicht um den Schutz von unseinzelnen, sondern es geht urn den Schutz der Parlamente selbst. Das ist ja der Sinn der Immunität. Aber eines bestreiten wir Ihnen: Wir bestreiten Ihnen, meine Herren von der äußersten Linken, das Recht, immer wieder die Möglichkeiten unserer Demokratie dazu auszunutzen, unser Verhältnis mit den Besatzungsmächten zu stören und zu trüben.
({0})
({1})
- Wir stehen durchaus auf dem Boden der Demokratie. Man kann aber einen Anlaß wirklich im Sinne der echten Interessen des deutschen Volkes benutzen, man kann andererseits diesen Anlaß aus ganz anderen Gesichtspunkten und durchaus nicht im Interesse des deutschen Volkes, sondern einer ganz anderen Macht benutzen.
({2})
Das ist die Gefahr, die immer wieder auftaucht, wenn Sie das machen; und dagegen wehren wir uns. Daher wurde der Antrag gestellt, gerade über Ihren Antrag zur Tagesordnung überzugehen.
Im übrigen haben wir uns in der Frage der Immunität durchaus auf den Standpunkt gestellt, daß die Immunität auch durch die Besatzungsmächte zu respektieren ist und daß die Bundesregierung zu ersuchen ist, das ihrige zu tun, um die Besatzungsmächte zu veranlassen, diese Immunität zu respektieren. In der anderen Frage hat sich der Geschäftsordnungsausschuß nicht für zuständig gehalten. Weiter muß zu der anderen Frage auch folgendes gesagt werden. Wenn wir den Eindruck hätten, daß in solchen Fällen tatsächlich nichts anderes geschehen ist. als daß Arbeiter, denen ihre Arbeitsstätten weggenommen wurden, als daß Deutsche, die die Demontagemaßnahmen als ein deutsches Unglück empfinden, dagegen rebelliert haben,
Obg. Rische: Das ist doch geschehen!)
dann würden wir viel lieber, wie Sie es gefordert haben, zu Ihrem Schutz in die Bresche springen. Wir haben eben dieses Gefühl nicht, sondern wir haben immer wieder das Gefühl - ({3})
Herr Abgeordneter Rische, Sie können sich zum Wort melden.
Unser Gefühl und unser Urteil ist es, das uns sagt, daß, wenn solche Dinge veranstaltet, organisiert oder befohlen werden. es eben nicht primär die Interessen des deutschen Volkes sind, um die es sich handelt, sondern daß es die Interessen einer anderen Macht sind, die hier ins Feld geführt werden.
({0}) - Abg. Rische: Das ist doch einfach
unsinnig!)
- Ich glaube nicht, daß es unsinnig ist!
({1})
Herr Abgeordneter Rische, Sie könnnen sich zum Wort melden.
Man. kann über WatenstedtSalzgitter wirklich vom deutschen Interessenstandpunkt her sprechen; man kann über WatenstedtSalzgitter aber auch vom Standpunkt eines ganz anderen Interesseninhabers her sprechen, und da tun Sie meistens. Deswegen glauben wir Ihnen nicht, wenn Sie hier oben stehen, wenn Sie noch so erregt und pathetisch hier oben stehen und behaupten, gar die Patrioten des heutigen Deutschland zu sein.
({0})
Wir hoffen, daß die Besatzungsmächte auf ein Ersuchen der deutschen Regierung hin die Frage der Immunität sehr ernsthaft prüfen werden. Wir würden uns freuen, wenn daraufhin in der Tat auch in diesem einen Fall sich der Schutz der Immunität des betroffenen Abgeordneten durchsetzen würde. Wenn bei dieser Gelegenheit ein paar glühende Kohlen auf Ihr Haupt, Herr Renner, gesammelt würden, würde es uns nicht unangenehm sein. Aber ich fürchte, Sie werden die Glut dieser Kohlen gar nicht spüren
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loibl.
Meine Damen und Herren! Nur ein paar kurze Worte. Wenn ich den Herrn Abgeordneten Renner richtig verstanden habe, so hat er gesagt, alle nationalbewußten. Deutschen müßten eine Front bilden. Ich glaube, das ist auch so gut wie geschehen. Denn fast alle Mitglieder dieses Hohen Hauses sind sich, glaube ich, völlig darüber einig, daß die deutsche Zukunft unbeschadet aller Differenzen unter den Parteien nur auf dem Boden der deutschen Demokratie geschaffen werden kann. Alle diese Mitglieder des Hohen Hauses sind sich auch darüber einig. daß das Recht der freien Meinungsäußerung die Grundlage dieser Demokratie ist und daß zum Recht der freien Meinungsäußerung auch die Pressefreiheit gehört. Ich glaube, darüber hinaus sinc auch diejenigen, ,die die Pressefreiheit ablehnen. sich darüber klar, daß die Pressefreiheit die Grundlage der Demokratie ist; denn aus diesem Grund lehnen sie sie ja ab.
Meine Damen und Herren! Die Pressefreiheit darf nicht mißbraucht werden.
({0})
Wir haben das schon einmal erlebt. Wir tragen heute noch schaudernd die Folgen davon, daß wir durch Mißbrauch der demokratischen Freiheit in einen Zustand gekommen sind, der das heutige Unglück verschuldet hat. Es wäre aber angebracht, und es wäre sowohl dem Ansehen der deutschen Demokratie wie auch dem Ansehen der Besatzungsmächte nur förderlich, wenn die Besatzungsmächte bei einem Mißbrauch der Pressefreiheit nicht direkt eingreifen würden, sondern wenn sie den Schutz der Pressefreiheit und den Schutz gegen Übergriffe der Pressefreiheit der deutschen Demokratie überlassen würden.
Ich glaube, der Bericht des Herrn Berichterstatters des Ausschusses war so umfassend, so objektiv und so klar, daß ihm nichts hinzugefügt zu werden braucht. Man kann mit dem Antrag vollkommen einiggehen, daß die Regierung Fühlung dahin aufnehmen möge, daß die Hohen Kommissare die Immunität der deutschen Abgeordneten sicherstellen. Ich glaube, diese sollten darüber hinaus auch die Zuständigkeit der deutschen Demokratie in der Wahrung des Schutzes der Pressefreiheit und des Schutzes gegen ihren Mißbrauch sicherstellen. Im übrigen beantrage ich über den Antrag der KPD-Fraktion zur Tagesordnung überzugehen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Brunner.
Brunner (SPD: Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die SPD-Fraktion wird dem Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Im({0})
munität zustimmen. Doch scheint es uns angebracht, hier in der Aussprache dazu den Vorbehalt anzumelden, daß wir selbstverständlich der Eingriff in die Pressefreiheit, der einmal grundsätzlich durch die Verordnung Nr. 5 der Hohen Kommissare gegeben ist und der hier in einem praktischen Fall exerziert wird, bedauern. Wir stehen auch nicht auf dem Standpunkt, daß Prozesse dieser Art gute Beiträge zu dem äußerst heiklen und beide Teile sehr belastenden Thema der Demontage sind. Dabei ist es sicherlich eine feststehende Tatsache, daß gerade die Kommunisten keinen moralischen Anspruch auf das haben, was sie hier fordern. Unserer Auffassung nach sind sie keine Vorkämpfer in einer Politik, die sich das Ende der Demontage zum Ziel gesetzt hat; vielmehr sind sie in der Ostzone an dem Unrecht, das sie hier in erster Linie bekämpfen wollen, führend beteiligt. Sie sind auf diesem Gebiet nur gegen eins: sie sind dagegen, daß auch andere, außer den Russen, demontieren.
({1})
Zum andern sind die Kommunisten weder ein Anwalt der Pressefreiheit noch der Freiheit überhaupt und auch kein Anwalt des Rechts.
Ich möchte dabei - die andern Dinge sind ja in dem Ausschußbericht schon genügend gekennzeichnet worden - auf einen Umstand hinweisen, der mir als Politikum doch sehr beachtlich erscheint. Die Tatsache, daß die Kommunisten überhaupt, hier in diesem Hause und in der deutschen öffentlichkeit, immer und immer wieder Gelegenheit erhalten, uns mit Belehrungen über Freiheit und Recht und neuerdings auch über Patriotismus zu erfreuen, ist ein Ausfluß und eine Folge der britischen Besatzungspolitik. Die britische Besatzungspolitik hat in den letzten Jahren wiederholt sehr gut verstanden, in den etwas sterilen Körper dieser augenblicklich noch dazu von dem Fieber des Titoismus geschüttelten Partei
({2})
- ja, ich lese Ihre Presse! ({3})
immer wieder belebende Impulse hineinzubringen. Wir haben das an dem Fall Reimann gesehen, und wir haben das bei den verschiedenen Verboten kommunistischer Zeitungen erlebt. Die Wahlen zum Bundestag und auch die ihnen folgenden Wahlen in Hamburg haben gezeigt, daß die Bestrebungen der Besatzungsmacht in dieser Hinsicht gottlob ohne Erfolg geblieben sind. Aber immerhin muß man sagen: wenn es noch irgendeine Möglichkeit gegeben hätte, den Kommunisten auf die Beine zu helfen, die britischen Besatzungsbehörden hätten es geschafft.
({4})
Ich brauche die Methoden der Aktionsausschüsse, den spontanen Resolutionen und Entschließungen von irgendwelchen Gremien, die auch hier wieder mobilisiert worden sind, in diesem Falle nicht näher zu kennzeichnen. Es ist die gleiche Methode. die in der Ostzone zu einem ganz umgekehrten Zweck, nämlich dazu angewendet wird, um Menschen, die gerade erst angeklagt worden sind, schon von vornherein das Todesurteil zu verkünden.
Ich glaube, ich brauche die Zeit nicht damit in Anspruch zu nehmen, um diese ohnehin weltbekannten Dinge noch ausführlicher zu schildern. Ich brauche nur auf das eine hinzuweisen, daß wir sicherlich gerade in dieser Beziehung bald auch in der Ostzone einen sehr aufschlußreichen Anschauungsunterricht bekommen werden. Die organisatorischen Vorbereitungen für die Schauprozesse im Stil der Volksdemokratien sind getroffen worden. Wir möchten aber immerhin zum Ausdruck bringen, daß für die Klärung der Demontagefrage und für ihre Diskussion vor dem deutschen Volke es sicherlich bessere Mittel gibt als Zeitungsverbote und noch dazu Prozesse nicht nur gegen die verantwortlichen Redakteure, sondern auch gegen Angestellte des Verlagsbetriebes. Diese Dinge erinnern doch an den Stil, den man einstmals hatte, der allerdings auch den Kommunisten aus den Bereichen ihres freien Wirkens gut bekannt sein dürfte, daß meinetwegen schon bei Druckfehlern, die als provokatorisch empfunden werden, sämtliche Beteiligten, der Setzer und der Korrektor und vielleicht sogar die Reinemachefrau, die ihm zufällig über die Schulter gesehen hat, verhaftet werden, um in ein Verfahren einbezogen zu werden.
Die Stellung des Parlaments und damit die Stellung auch unserer Partei zu der Frage der Immunität der Abgeordneten ist hier schon genügend gekennzeichnet worden, so daß ich im einzelnen dem nichts mehr hinzuzufügen habe. Ich möchte abschließend nur sagen, daß man die sachliche Diskussion beide Seiten - nämlich die Westalliierten und das deutsche Volk - angehender Probleme wie das der Demontage nicht durch Verbote und Prozesse fördert. Wir glauben, daß im Grunde genommen niemand, außer den Kommunisten, ein Interesse daran hat, daß dieser Prozeß stattfindet.
({5})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Ewers.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ganz unabhängig von dem Anlaß dieser Auseinandersetzung ist das eigentliche Thema, nämlich der Antrag des Immunitätsausschusses zu Ziffer 1, für das ganze Haus und für alle Parlamente der Bundesrepublik von entscheidender Bedeutung. Die Kommunistische Partei darf ich hier ganz außer acht lassen. Der Anlaß dazu ist die Tatsache, daß nun einmal Besatzungsmacht und freie Demokratie außerordentlich schwer zu vereinbarende Begriffe sind und daß eine Besatzungsmacht vielleicht der ungeeigneteste Lehrmeister für eine freie Entfaltung demokratischer Kräfte sein dürfte.
In dieser etwas schwierigen und heiklen Situation stehen wir. Hinzu kommt, daß wir ja in allen Ländern außerhalb aller Gesetzgebungsakte in einer weltpolitischen Entwicklung stehen, die ständig neue Umstände, Tatsachen und Voraussetzungen schafft, so daß die von Menschen gesetzten Satzungen zeitlich schnell überholt sind. Das möchte ich insbesondere für das Besatzungsstatut sagen, unter dem zu leben wir Deutsche in .der Republik noch gezwungen sind. Dieses Statut haben wir Deutsche seit etwa 1946 stets gefordert, weil wir nicht vollkommen rechtlos sein wollten. Es ist dann mit einer Verspätung von drei Jahren eingeführt worden, war aber im M o-ment der Einführung kaum mehr zeitgemäß. Es scheint mir vielmehr mittlerweile in wesentlichen Teilen überholt zu sein.
({0})
Die Tatsache, daß sehr bald danach das Gesetz Nr. 5 erschien, das unser Pressewesen in einer in Deutschland bisher nicht gekannten Weise regelt, ist wiederum ein Umstand, den wir zur Zeit rechtlich nur beklagen und von dem wir nur wünschen können, daß er abgeschafft wird. Wir nehmen staunend von diesem Gesetz Kenntnis und hoffen, daß dieses für unsere Verhältnisse unmögliche Gesetz möglichst selten und, wenn überhaupt, dann sehr schonend angewendet wird. Unseren Rechtsbegriffen von Freiheit, insbesondere von Pressefreiheit und Demokratie entspricht es in keiner Weise.
Nun aber zum Hauptthema, zu der Frage, ob ein Abgeordneter eines deutschen Landes oder des Bundesparlaments vor den Besatzungsgerichten das Recht der Immunität in Anspruch nehmen kann. Die Antwort ist meiner Überzeugung nach nur aus dem Besatzungsrecht selbst zu entnehmen; denn wir haben bekanntlich nicht einmal die Macht, für alliierte Staatsangehörige Gesetze mit verbindlicher Kraft zu erlassen, wieviel weniger die Möglichkeit, der Besatzungsmacht selbst etwas vorzuschreiben. Die Antwort ist also aus dem Besatzungsstatut oder aus den in Ausführung desselben von den Hohen Kommissaren erlassenen Besatzungsgesetzen zu entnehmen. Die Gesetze, 'die die Rechtsfragen behandeln, die Gesetze Nr. 13 und 14 - das erste das formelle und das zweite das materielle strafrechtliche Gesetz - schweigen sich darüber aus; wie überhaupt die Frage der Immunität nicht in das Strafrecht, sondern in das Verfassungsrecht hineingehört. Das Besatzungsstatut selbst äußert sich dazu nicht. Der Herr Berichterstatter hat dargelegt, daß sich mit Rücksicht auf die Bestimmung der Ziffer 2 unter e), wonach Schutz, Ansehen und Sicherheit der alliierten Streitkräfte Sache der Besatzungsmächte sind, Zweifel ergeben können. Ohne weiteres ist aber danach nicht klar, daß dieser Schutz unter allen Umständen dem deutschen Verfassungsrecht vorgeht, wenn es, wie es der Fall ist, von den Hohen Kommissaren oder ihren Rechtsvorgängern, den Militärbefehlshabern, genehmigt worden ist.
Nun ist die Immunität in den Landtagen, in den Parlamenten nicht nur ein deutsches Grundrecht, sondern sie ist internationales demokratisches Recht. Es handelt sich hier nicht um eine deutsche Erfindung. Wenn wir schon auf parlamentarisch-demokratische Weise erzogen und geschult werden sollen, dann verweisen wir darauf, daß Immunität ein Palladium aller Parlamente ist. Ich darf insoweit auf die Ausführungen verweisen, die der verehrte Herr Präsident, der uns zu Häupten sitzt, aus Anlaß der ersten Debatte über die Immunität hier im Hause unter allgemeinem Beifall gemacht hat. Dieses Grundrecht dieses höchste Palladium des Parlaments steht zur Erörterung.
Wie steht nun in dieser Hinsicht das Besatzungsstatut im ganzen zu unseren demokratischen Einrichtungen? Da bitte ich auf Ziffer 3 Bezug nehmen zu dürfen. Ich bin der Ansicht, daß bei den Verhandlungen darauf großer Wert zu legen sein wird. In Ziffer 3 des Besatzungsstatuts behalten sich nämlich die Hohen Kommissare für gewisse Fälle ein Abweichen von ihren eigenen allgemeinen Richtlinien vor. Sie wollen noch über alles das. was ihnen in Ziffer 2 vorbehalten ist, hinausgehen, wollen die volle Regierungsgewalt wieder an sich nehmen, wenn das unter anderem „zur Aufrechterhaltung der demokratischen Regierungsform" in Deutschland erforderlich erscheinen sollte. Sie haben also den Fall im Auge, daß durch deutsche Gesetze oder durch deutsche Verfügungen demokratische Formen verletzt werden; dann wollen sie ihrerseits die Regierungsgewalt wieder in die Hand nehmen, am uns demokratisch zu schulen. Umgekehrt möchte ich sagen: in dem Falle, in dem die Besatzungsmächte demokratische Formen bei uns stören, sollten wir also eigentlich die volle Regierungsgewalt in Anspruch nehmen, damit das, was uns die Besatzungsmächte lehren wollen, auch durchgeführt werden kann. Ich bin der Ansicht, daß das Grundrecht, um das es sich hier handelt, etwas ist, was die Besatzungsmächte nicht antasten sollten, wenn sie die demokratische Regierungsform in Deutschland nicht zu einer reinen Schattendemokratie erniedrigen wollen. Wenn sie uns wirklich die Rechte, die wir heute wahrnehmen, die Souveränität in dem Umfange, wie wir sie haben, voll gestatten wollen, dann sollten sie uns die Einrichtungen schenken, die nun einmal unvermeidlich damit verbunden sein müssen, wenn das Ganze nicht ein Sandkastenspiel sein soll.
Deshalb könnte man meines Erachtens von den Besatzungsmächten zum mindesten verlangen, daß (sie eine Legalinterpretation von Ziffer 2 Buchstabe c ihres Statutes geben, darüber, wie weit dadurch Grundrechte der demokratischen Staatsform außer Kraft gesetzt worden sein sollen Wenn sie das nicht tun wollen, dann sollten sie wenigstens die Parlamente, die in Frage kommen, in denen Anträge auf Aufhebung der Immunität gestellt werden, fragen: Würden Sie in dom Fall, daß es sich um deutsche Gerichtsbarkeit handelte, auch Ihrerseits die Immunität aufheben? Wenn die Parlamente dann sagen, daß die Immunität nicht aufgehoben werden sollte, dann mögen die Besatzungsmächte schließlich nach ihrer Meinung immer noch frei sein. Aber diese Geste sollten sie machen, damit wir wissen, wie sie die Dinge ansehen.
Ich bin der Ansicht, daß man das bei einer konzilianten, diplomatisch geschickten Verhandlungsform auch erreichen könnte. Natürlich ist dieser Anlaß im allgemeinen kein Grund, auch nicht für einen Patrioten, gegen die Besatzungsmächte allgemeine Verdächtigungen auszusprechen. Ich rücke weit von dem ab, was der Herr Abgeordnete Richter sagte, daß nämlich die Besatzungsmacht etwa das ganze Parlament theoretisch verhaften könne. Es ist außer Zweifel, ,daß ein solcher Fall nicht zur Erörterung steht. Eine solche Unterstellung ist auch gegenüber dem, was seit 1945 an Fortschritten erreicht worden ist, nicht statthaft. Man soll solche Angelegenheiten in diplomatischer und höflicher Form, wie man mit einer fremden Macht verkehrt, mit den Besatzungsmächten erörtern und ihnen anheimgeben, uns die demokratischen Grundrechte, deren Durchführung in ihrem eigenen Interesse hegt, zu gewähren, wenn sie wirklich ein freies Europa aufbauen wollen.
({1})
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Rische.
Meine Damen und Herren! Ich habe die Pflicht, noch einmal für acht deutsche Menschen zu plädieren, die vor einem niederen Militärgericht angeklagt sind, weil sie sich für die Arbeiter von Watenstedt-Salzgitter eingesetzt haben, weil sie sich verpflichtet fühlten, zum Widerstand gegen die unseligen Demontagen aufzurufen. Wahrhaftig, sie erfüllten damit anerkanntermaßen - darüber darf kein Zweifel be({0})
stehen - eine patriotische Pflicht. Es ist auch folgerichtig, daß man in Hannover im Landesparlament einhellig für den Schutz der Immunität und der Pressefreiheit eingetreten ist, auch wenn es sich um deutsche Menschen handelt, die Kommunisten sind. In Dortmund stimmten aus demselben Grunde die Stadtverordneten ebenfalls einhellig für den Schutz der Immunität und für die Wahrung der demokratischen Pressefreiheit.
Meine Damen und Herren! Unter den Angeklagten in Hannover befinden sich deutsche Menschen, die im Widerstand gegen den Nationalsozialismus gestanden haben, die teilweise 5, 6, ja 12 Jahre lang das bittere Los des Vegetierens in Zuchthäusern und KZs auf sich nahmen, weil sie deutsche Patrioten waren. Diese gleichen deutschen Menschen, die Kommunisten sind -und das ist durchaus vereinbar -, stehen heute wiederum vor einem Gericht, weil sie sich gegen die Maßnahme einer Besatzungsmacht wandten, die nicht vereinbar ist mit den wirtschaftlichen und politischen Interessen des deutschen Volkes.
Ich war der Überzeugung, daß sich kein Abgeordneter des Hauses finden würde, der gegen den Schutz der Pressefreiheit auftreten würde, auch wenn es sich darum handelt, kommunistische Redakteure, Drucker und Verlagsangestellte zu verteidigen. Das w a r meine Auffassung. Diese Auffassung ist jetzt durch die Haltung einzelner Kollegen aus verschiedenen Fraktionen brutal widerlegt worden.
Sie haben die grundsätzliche Frage aufgeworfen, ob Kommunisten das Recht haben, im Interesse der Nation und des Volkes zu sprechen, und ich will betonen: die Kommunisten ließen sich dieses Recht nicht von Hitler nehmen! Sie sprachen und wurden von den Schergen der Gestapo eingesperrt oder zum Tode verurteilt und so verhindert, ihre Auffassungen von der Freiheit zu vertreten. Wir geben heute in aller Deutlichkeit von dieser Stelle aus kund, daß wir uns dieses Recht von keiner Macht der Erde nehmen lassen werden!
({1})
Meine Damen und Herren, es erübrigt sich, auf die Anwürfe einzugehen, die von den verschiedenen Sprechern der Fraktionen gegen die Deutsche Demokratische Republik erhoben worden sind, gegen das dort herrschende demokratische System und die dort herrschende Freiheit der Presse.
({2})
Meine Damen und Herren! Im Namen der Freiheit
({3})
wurden in den westlichen kapitalistischen Ländern mörderische Kriege vom Zaune gebrochen und ganze Völker vernichtet. Wir glauben, daß es darum unsere heilige Pflicht ist, die deutsche Presse freizuhalten von aller Propaganda, von allen Versuchen, die darauf gerichtet sind, Unfreiheit, Kriegshetze und Unterdrückung der Völker zu propagieren.
({4})
Alle diejenigen, die den Krieg propagieren und die Vergewaltigung des Volkes in sozialer, politischer und kultureller Hinsicht anstreben, haben unserer Auffassung nach kein Recht darauf, in irgendeiner Presse, sei es im Osten oder sei es im Westen unseres Vaterlandes als Journalisten tätig zu sein.
Meine Damen und Herren! Ich versuchte, noch einmal für acht deutsche Männer zu plädieren, die vor einem niederen Militärgericht als angeklagte Deutsche stehen, weil sie Kommunisten sind. Ich bin davon überzeugt: in der Geschichte der Demokratie westdeutscher Prägung wird es in Zukunft noch öfter dazu kommen, daß deutsche Menschen, nur weil sie Deutsche sind, und deutsche Menschen, nur weil sie Kommunisten sind, vor ein Gericht gestellt werden. Weil wir das wissen, kann uns nichts erschüttern, auch nicht Ihre so negierende Haltung!
({5})
Die Rednerliste ist erschöpft. Wir treten in die Abstimmung ein.
({0})
- Wir sind in der Abstimmung, Sie können keinen Antrag mehr stellen.
({1})
- Ich habe gesagt: wir treten in die Abstimmung ein.
({2})
Wer für den Antrag des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität Drucksache Nr. 421 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Der Antrag ist angenommen.
({3})
Meine Damen und Herren! Wir kommen zum nächsten Punkt der Tagesordnung.
({0})
- Die Abstimmung ist beendet!
({1})
- Es tut mir leid, die Abstimmung ist bereits erfolgt, und damit ist der Tagesordnungspunkt erledigt.
({2})
- Es gibt nach der Geschäftsordnung nur die Möglichkeit von persönlichen Erklärungen, weiter nichts!
({3})
- Das kann nach der Geschäftsordnung am
Schluß der Sitzung geschehen.
({4})
Wir kommen zum nächsten Punkt:
Zweite und Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Erhebung von Abschlagszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftssteuer 1950 ({5}).
Ehe ich dem Herrn Berichterstatter das Wort erteile, darf ich mitteilen, daß mir in einer Sitzung des Finanzausschusses übereinstimmend erklärt worden ist, es bestehe allgemeine Über({6})
einstimmung über diese Vorlage. Ich gebe diese Bemerkung wieder, um Ihnen insoweit zu erkennen zu geben, daß wir vielleicht in kürzerer Zeit als vorgesehen mit diesem Punkte fertig werden.
Herr Abgeordneter Dr. Besold als Berichterstatter hat das Wort.
Dr. Resold ({7}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mit der Drucksache Nr. 367 wurde dem Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages der Entwurf eines Gesetzes zur Erhebung von Abschlagszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer 1950 vorgelegt. Der Deutsche Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 19. Dezember 1949 dem in der Drucksache Nr. 367 vorliegenden Entwurf zu dem erwähnten Gesetz gemäß Artikel 76 Absatz 2 des Grundgesetzes ohne Widerspruch zugestimmt.
Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen des Bundestages hat in seiner Sitzung vom 17. Januar 1950 den Gesetzentwurf beraten und legt dem Bundestag in Drucksache Nr. 396 den abgeänderten Entwurf eines Gesetzes zur Erhebung von Abschlagszahlungen auf die Einkommen- und Körperschaftsteuer 1950 zur Genehmigung vor.
Die Anordnung von monatlichen Abschlagszahlungen auf die vierteljährlichen Einkommen- und Körperschaftsteuervorauszahlungen beruht auf dem Militärregierungsgesetz Nr. 64. Durch das Gesetz des Wirtschaftsrates vom 18. Februar 1949 wurden für das Kalenderjahr 1949 die monatlichen Abschlagszahlungen auf die vierteljährlichen Einkommen- und Körperschaftsteuervorauszahlungen angeordnet. In § 1 Absatz 3 des erwähnten Gesetzes vom 18. Februar 1949 waren die obersten Finanzbehörden der Länder erniächtigt worden, von der Erhebung der Abschlagszahlungen abzusehen. Verschiedene Länder haben von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht. Niedersachsen zum Beispiel hat infolge seiner Finanzlage die Erhebung der Abschlagszahlungen durchgeführt.
Der vorliegende Gesetzentwurf regelt die Erhebung der Abschlagszahlungen auf Einkommen-und Körperschaftsteuer 1950. Bei der Beratung dieses Gesetzes hat der Finanzausschuß den ebenfalls vorliegenden Entwurf des Gesetzes zur Anderung der Einkommensteuer berücksichtigt. Nachdem in diesem Entwurf die Entrichtung der Vorauszahlungen künftig für den 10. März, den 10. Juni, den 10. September und den 10. Dezember vorgesehen ist, ist der Finanzausschuß grundsätzlich der Auffassung, daß durch diese vorgesehene Regelung eine weitere Verlängerung der Abschlagszahlungsfristen gegenstandslos wird. Diese Auffassung hat ihren Grund in dem Bestreben, die Verwaltung zu vereinfachen. Da aber das Gesetz zur Änderung des Einkommensteuergesetzes erst im Stadium der Beratung ist und bis zur endgültigen Verbescheidung noch eine Zeit verstreichen wird, muß für diese Zeit eine Zwischenregelung gefunden werden, zumal insbesondere Niedersachsen wegen seiner Finanzlage auf die Abschlagszahlungen angewiesen ist, solange nicht die im Einkommensteuergesetz vorgesehenen Vorauszahlungen eingespielt sind.
Auf Grund dieses Sachverhalts hat der Finanzausschuß in Abänderung der Vorlage Drucksache Nr. 367 die in dem Antrag Drucksache Nr. 396 vorgesehene Lösung gefunden, die den Übergang bis zum endgültigen Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung der Einkommensteuer regeln soll.
Der Finanzausschuß sieht keine Notwendigkeit, die Abschlagszahlungen noch über das ganze Jahr 1950 durchzuführen, da in Bälde mit der Verabschiedung des Abänderungsgesetzes zum Einkommensteuergesetz zu rechnen ist. Er ist der Überzeugung, daß folgende Fassung des Gesetzes der Sach- und Rechtslage gerecht wird. Der Finanzausschuß schlägt vor, den § 1 der Drucksache Nr. 367 dahin abzuändern, daß Abschlagszahlungen nur mehr auf die im April und Juli 1950 zu leistenden vierteljährlichen Einkommensteuervorauszahlungen erhoben werden und daß die Abschlagszahlungen jeweils am 10. der Monate Februar, März, Mai und Juni 1950 fällig sind. Im übrigen wird die Fassung des Entwurfs gemäß Drucksache Nr. 367 beibehalten. Damit ist auch den Bedürfnissen der Länder, die von den Abschlagszahlungen Gebrauch gemacht haben, Rechnung getragen.
Der Finanzausschuß empfiehlt daher dem Hohen Hause, den in Drucksache Nr. 396 vorliegenden Gesetzentwurf in der von ihm in seiner Sitzung vom 17. Januar 1950 beschlossenen Fassung zu genehmigen.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter für seine Ausführungen. Darf ich fragen, ob das Wort gewünscht wird? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Beratung, und zwar auf der Grundlage des Antrags Drucksache Nr. 396, Seite 2. Wer für die §§ 1 und 2 ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Das erste war eindeutig die Mehrheit.
Wer für die Bezeichnung des Gesetzes ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Das ist die( Mehrheit.
Wer für die Überschrift ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Danke; das ist die Mehrheit.
Ich eröffne die Aussprache der
dritten Beratung.
Wird das Wort gewünscht? - Ich stelle fest: das ist nicht der Fall.
Wir kommen zur Abstimmung. Wer für das soeben in zweiter Lesung verabschiedete Gesetz Drucksache Nr. 396 im ganzen ist, den bitte ich. die Hand zu erheben. - Danke. Ich bitte um die Gegenprobe. - Damit ist das Gesetz in dritter Beratung verabschiedet.
Meine Damen und Herren, wir kommen nunmehr zu Punkt 5 der Tagesordnung:
Erste Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über den Sozialen Wohnungsbau - Antrag der Fraktion der SPD - ({0}).
Ich darf voranschicken, daß ich inzwischen interfraktionell den Wunsch auf Begrenzung der Redezeit festgestellt habe. Die Redezeit soll so begrenzt werden: für den Einbringer der Vorlage etwa 30 Minuten, dann in der Debatte für alle übrigen Fraktionen insgesamt 60 Minuten einschließlich des Schlußwortes der Antragsteller.
Zunächst hat der Herr Bundesminister für Wohnungsbau das Wort zu einer Erklärung.
Meine Damen und Herren! Ich habe namens der Bundesregierung zu diesem Punkt der Tagesordnung folgende Erklärung abzugeben. Das Kabinett hat heute den Entwurf eines Ersten Gesetzes
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zur Wohnungsbauförderung verabschiedet. Der Entwurf wird in diesen Tagen dem Bundesrat zugeleitet werden und damit den normalen Gang der Gesetzgebung gehen. Sobald dieser Entwurf im Wege der Gesetzgebung dem Plenum und den Ausschüssen dieses Hohen Hauses zugegangen sein wird, wird Gelegenheit geboten sein, ausführlich den Standpunkt der Regierung zu allen Problemen des Wohnungsbaus, auch zu dem Antrag der SPD, darzustellen und zu diskutieren. Bei dieser Sachlage möchte die Bundesregierung davon absehen, zu dem hier vorliegenden Gesetzentwurf, Punkt 5 der Tagesordnung, heute Stellung zu nehmen.
Ich erteile nunmehr zur Einbringung der Vorlage Herrn Abgeordneten Klabunde das Wort.
Klabunde ({0}), Antragsteller: Meine Damen und Herren! Die Mitteilung, die uns der Herr Bundeswohnungsminister eben gemacht hat, mag bei dem einen oder anderen den Eindruck erwecken, als ob die Einbringung des sozialdemokratischen Antrages überflüssig gewesen oder mindestens geworden sei. Ich glaube, Ihnen zeigen zu können, daß das nicht der Fall ist. Der Entwurf des Herrn Ministers ist ja durch eine Reihe von Veröffentlichungen, insbesondere durch die Erörterung seiner Grundsätze, allgemein bekanntgeworden. Wir haben aus seinen Ausführungen deutlich entnommen, daß sein Entwurf nur einen Teil der Fragen zu regeln bestrebt ist, die im Rahmen des gemeinnützigen Wohnungsbaues geregelt werden müssen, die auch dann geregelt werden müssen, wenn wir etwa die Wohnungsbaufrage nur so allgemein betrachten, wie der ) Herr Minister es voraussichtlich tun wird. Wir werden beantragen - und ich möchte das hiermit tun -, daß unser Antrag dem Ausschuß zugeleitet wird und daß der zuständige Ausschuß seine Beratung unverzüglich aufnimmt. Dies wird für die zeitige Entscheidung dieses Hauses den großen Vorteil haben, daß eine Reihe von Fragen im Ausschuß schon geklärt sind, wenn der Entwurf der Bundesregierung den Bundesrat passiert hat und an das Parlament kommt.
Betrachten Sie das nicht etwa als rein technischen Hinweis, sondern überlegen Sie bitte, daß in der Regelung des Wohnungsbaus größte Eile geboten ist, weil das neue Baujahr - das alte haben wir zum Glück, durch das Wetter begünstigt, nicht abzubrechen brauchen - in den nächsten Wochen beginnt und weil auch bei größter Eile des Bundesrats, unseres Ausschusses und unseres Plenums Mitte bis Ende März herankommen wird, ehe das Gesetz beschlossen werden kann. Der Ausschuß hat also die Gelegenheit, ohne daß er jede einzelne Formulierung unseres Entwurfes zu übernehmen brauchte, sich schon vorher mit allen grundsätzlichen Fragen auseinanderzusetzen und festzustellen, wie weit er gehen will, um dem Parlament einen entsprechenden Vorschlag zuzuleiten.
Unser Entwurf, den wir unmittelbar vor Weihnachten veröffentlicht haben, ist in einem Teil der Presse - ich darf den CDU-Pressedienst zitieren - gründlich mißverstanden worden. Man hat dort geglaubt, ihn mit wenigen Zeilen abtun zu können, die nichts anderes besagten, als es werde hier die Verewigung der Planwirtschaft versucht. Jeder, der die Wohnungspolitik im einzelnen kennt und der weiß, wie wenig man die Wohnungspolitik mit den Normen der allgemeinen
Wirtschaftspolitik ohne weiteres identifizieren kann, wird sich darüber klar sein, daß auch eine noch so liberal angelegte Wohnungspolitik eine ganze .Reihe von Maßnahmen vorsehen muß, die auf anderen Wirtschaftsgebieten nicht erforderlich sind. Das wird sich auch bei der Beratung des Entwurfs des Herrn Bundeswohnungsministers zeigen, der trotz des liberalen Willens, der bei ihm nicht zu bezweifeln ist, eine Reihe von Regeln hat finden müssen und bei diesen Regeln eine ganze Zeit wird bleiben müssen, wenn er aktiven Wohnungsbau treiben will.
Sie werden bei dem Vergleich des Regierungsentwurfes mit dem Entwurf der SPD feststellen, daß ein grundsätzlicher Unterschied in folgendem liegt, und da müßte, auch wenn Sie sonst von der Einstellung der SPD abweichen, Ihre Zustimmung nicht nur möglich, sie müßte sogar notwendig sein. Wir wollen nämlich nicht einen leeren Rahmen als Gesetz haben, sondern ein Gesetz, das die wesentlichen Fragen tatsächlich regelt. Es ist zu begrüßen, daß der Herr Bundeswohnungsminister die Idee eines Wohnungsbaugesetzes - das erste in der deutschen Geschichte - aufgenommen hat. Es ist aber sehr zu bedauern, daß er seinem eigenen Apparat, der Bürokratie des Bundes wie der Länder, viele Fragen zur Lösung überlassen hat, die so hohe Verantwortung erfordern, daß die Grundsatzentscheidung in diesem Parlament fallen muß. Man kann nicht so vorgehen, daß man sagt: nach Bedarf werden Bestimmungen über die Höhe der Miete, über die Höhe der Baukosten und ähnliche Normen geschaffen, sondern man muß diese Normen in einem gewissen Rahmen festlegen. Es gibt natürlich einen Spielraum in diesem Gesetz. Sie alle, Sie wie wir, haben in der Wahlpropaganda den Wohnungsbau zum Problem Nr. 1 erklärt. Wenn' wir es mit diesen Worten ernst meinen, müssen wir nicht nur den Grundsatz, sondern auch die wesentlichen Einzelheiten der Regelung vor der Bevölkerung verantworten wollen und können. Dann müssen wir den Mut haben, über die künftige Höhe der Miete, die künftige Größe der Wohnungen, die künftige Höhe der Baukosten und eine ganze Reihe anderer Fragen hier Entscheidungen zu fällen und, wenn sich die gefällten Entscheidungen etwa im Laufe der Zeit als überholt erweisen, auch Änderungen hierzu zu beschließen und sie nicht als eine Angelegenheit des Herrn Ministerialdirektors Sowieso oder des Herrn Staatssekretärs zu betrachten, so ehrenvoll diese Herren sein mögen und so große Kenntnisse sie auf diesem Gebiet haben mögen.
Mit anderen Worten: wir wollen Ihnen allen zumuten, daß die Grundsatzfragen, die vorliegen, in ihrer vollen Bedeutung erkannt und deswegen auch vom Parlament beschlossen werden, nicht aber, daß wir ein inhaltlich eigentlich leeres Rahmengesetz schaffen, das im übrigen in den Rahmenbestimmungen noch nicht einmal vollständig genug ist, um alle Möglichkeiten des Tuns für die Zukunft offenzulassen. Alle Möglichkeiten des Tuns bedeutet aber auch alle Möglichkeiten des Nichttuns, und wir möchten hoffen, daß wir keine Gelegenheit haben, Ihnen vorzuwerfen, daß Sie sich die Möglichkeit des Nichttuns offenhalten wollten.
Das gilt besonders für eine Frage, deren überragende Bedeutung heute erst teilweise erkannt ist, nämlich für die Frage der Anlage langfristiger Sparkapitalien des deutschen Volkes im Wohnungsbau. Da lautet beispielsweise nach dem in
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Iden Zeitungen publizierten Text ein Satz aus dem Entwurf des Herrn Bundeswohnungsministers - und ich weiß, daß dieser Satz stimmt - etwa so: Die Bundesregierung kann auf Vorschlag des Bundeswohnungsministers Bestimmungen hierüber erlassen. Meine Damen und Herren! Diese Bestimmung ist so inhaltleer, daß wir sie eigentlich gar nicht bräuchten. Dann könnten wir auf sie verzichten, und die Regierung könnte, falls sie eines nahen oder fernen Tages von der Bestimmung Gebrauch machen will, diesem Hause eine entsprechende gesetzliche Regelung vorschlagen. Wir wollen mehr. Wir wollen, daß derjenige, der etwa als Leiter eines Instituts Sparkapitalien angelegt hat, auf Jahre hinaus weiß, womit er zu rechnen hat, damit er nicht eines Tages von einer Maßnahme bedroht wird, die seine sonstigen geschäftlichen Dispositionen stören kann.
Ich möchte Ihnen die Dinge so nahe bringen, damit Sie sehen, daß es nicht so einfach ist, dieses Thema als eine sozialistische Planwirtschaftsidee abzuweisen. Im Gegenteil, wenn Sie den von uns eingebrachten Entwurf unter diesem Gesichtspunkt sehen, dann könnte ein Radikaler aus vergangenen Jahrzehnten den sozialistischen Entwurf sehr bemängeln. Ich weise Sie ausdrücklich darauf hin, ehe ich Ihnen klarmache, daß der sozialistische Entwurf die Tendenz hat, absolut realistisch zu sein, damit Sie die notwendigen Maßnahmen einsehen. Aus Ihren eigenen Kreisen ist einmal im Ausschuß das Wort gefallen: Wir müssen für diejenigen die Regelung treffen, die es am allernötigsten haben; ein Wort, das ich buchstäblich unterschreiben möchte. Wenn man diese Norm aber dem Gesetz voranstellt, ist es doch etwas schwer verständlich, daß ein Staatssekretär der Bundesregierung im zuständigen Wohnungsausschuß des Parlaments erklärt hat: Meine Damen und Herren, Sie dürfen den Wohnungsbau, soweit er sozialer Wohnungsbau ist, nicht auf 250 000 je Jahr limitieren, denn dann bleibt ja nichts für den freien Wohnungsbau über. Wir sind uns doch alle darüber klar, daß der freie Wohnungsbau, der sich völlig aus eigener Kraft des Erbauers erhält, wünschenswert ist, solange wir die Kapazitätsmöglichkeiten haben. Wir sind uns aber ebenso klar darüber, daß dieser Wohnungsbau an sozialer Dringlichkeit hinter dem sozialen Wohnungsbau zurückstehen sollte. Wenn man nun so formuliert, wie es durch den Vertreter des Kabinetts im Ausschuß geschehen ist, daß nämlich der soziale Wohnungsbau nicht so groß sein dürfe, weil sonst für den freien Wohnungsbau finanzierungsmäßig nichts übrigbleibe, so, glaube ich, ist das doch ein Satz, den die Regierung und die Regierungsparteien sehr sorgfältig erwägen sollten, ehe sie ihn in das Gesetz - oder in die Auswirkung, die das Gesetz hat - hineinnehmen.
Meine Damen und Herren! Sie sehen also, daß wir alles tun wollen, um für alle wichtigen Fragen des Wohnungsbaues hier eine grundsätzliche und erschöpfende Aussprache zu haben. Diese erschöpfende Aussprache wird sicherlich nicht schon bei der ersten Lesung stattfinden können; das wollen wir Ihnen gern unterstellen. Deswegen haben wir ja den Antrag auf Ausschußüberweisung gestellt, den ich vorhin erwähnt habe.
Wir wollen doch eins, wir wollen Sie darauf hinweisen, daß dieses Gesetz in der großen Fülle wichtiger Gesetze, die wir bearbeitet haben, eine besondere Stellung einnimmt und eine besonders gründliche Prüfung erfahren muß. Wir werden uns deswegen gestatten, Ihnen in den nächsten Tagen eine Kommentierung unseres Entwurfs, die einigermaßen umfangreich ist, vorzulegen. Sie soll Ihnen klarstellen, was wir im einzelnen bei den von uns vorgesehenen Bestimmungen gemeint haben.
Verstehen Sie es bitte so, daß die Opposition, die den Antrag gestellt hat, die Regierung möge bis zum 31. 12. ihren Gesetzentwurf festlegen, und die es durchaus begrüßt, daß das Kabinett heute einen Entwurf verabschiedet hat, Ihnen zeigen wollte, was sie sich als ,das richtige Programm des Wohnungsbaues vorstellt. Es ist verhältnismäßig einfach, wenn ein Regierungsentwurf vorliegt, an dem einen oder anderen Paragraphen diese oder jene Kritik zu üben. Wir haben bewußt das Risiko auf uns genommen, Ihnen ein vollständiges und geschlossenes System unserer Gedanken vorzulegen. Wir unterwerfen uns Ihrer Kritik ebenso, wie der Regierungsentwurf unserer Kritik unterworfen ist. Aber wir wollen eines eindeutig klarstellen: Wohnungspolitik durch das Parlament treiben kann nicht das heißen, was vor 30 Jahren etwa die Weimarer Nationalversammlung getan hat. Wenn Sie deren Protokolle nachlesen - "ich habe es heute getan -, dann werden Sie feststellen, daß dort Redner aller Parteien nacheinander die Entwicklung der Wohnungsnot bedauert haben und daß schließlich auch ein paar hundert Millionen Papiermark zur Förderung bereitgestellt wurden. Wir wollen, nachdem wir inzwischen eine klare Analyse der Wohnungswirtschaft ermöglicht haben, nachdem alle Faktoren zu erkennen sind und zu erkennen ist, wo die Kosten und Gewinne liegen, wo die Gewinne notwendig sind und wo sie eine vertretbare Grenze wahrscheinlich überschreiten, daß diese Dinge hier so exakt diskutiert werden, daß wir bei der endgültigen Lösung, die das Gesetz im Parlament findet, vor der deutschen Öffentlichkeit sagen können: wir haben nicht nur ein paar unverbindliche Grundsätze beschlossen, sondern wir können für diese Regelung die Verantwortung übernehmen.
Meine Damen und Herren, es sind außerordentlich weitreichende wirtschaftspolitische Fragen, die auch außerhalb des Wohnungsbaus liegen, Fragen, die uns beispielsweise vor das Problem stellen: wenn in einem Jahrzehnt oder in wenigen Jahren mehr die dringende Wohnungsnot - fünf Millionen fehlende Wohnungen - behoben und eine ungeheure Kapazität der Bauwirtschaft zusätzlich zu der heute vorhandenen entstanden ist, - was geschieht dann in dem Jahre danach? Wir glauben, daß es möglich sein wird, wenn die Dinge gut gehen, in, sagen wir, 10, 11 oder 12 Jahren vier Millionen Wohnungen im sozialen Wohnungsbau zu bauen, und wir glauben, daß eine weitere Million im freien Sektor entstehen wird. Das würde die Möglichkeit bedeuten, daß in einem Jahrzehnt oder längstens in einem Jahrzwölft die vorhandene Lücke geschlossen ist. Das stellt uns aber, wie ich schon angedeutet habe, vor das Problem für das Jahr danach, ein Problem, das auch erörtert werden sollte und das, glaube ich, nicht einfach nach der beliebten wirtschaftspolitischen Grundsatzfrage sortiert werden kann: freie oder nichtfreie Lösung, sondern das sich mit dem Problem nach beiden Seiten berührt, ohne daß da eine fein säuberliche dogmatische Trennung möglich ist. Diese Debatte wollen wir haben. Wir wollen sie sehr gründlich haben. Aber wir wollen unter allen Umständen die Lösung so schnell haben, daß das
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Malheur früherer Jahre nicht wiederholt wird, daß nämlich bis in den Sommer hinein über wichtige Fragen debattiert wird und erst gegen den Herbst mit dem Wohnungsbau begonnen werden kann. Darauf beruht auch unser Grundgedanke, daß wir jetzt eine Lösung für die Wohnungsnot zu finden suchen, nicht nur eine Übergangslösung. wie sie der Minister vorschlägt. Wenn wir alle, ohne Rücksicht auf unsere wirtschaftspolitische Grundsatzeinstellung, eine mehrjährige Lösung finden, wie sie im Ausland in den Parlamenten teilweise einstimmig von allen Parteien beschlossen worden ist, dann werden wir in die Lage kommen, für die Jahre 1951, 1952 usw. sehr zügig fortlaufend zu bauen und die Lücken zu schließen, ohne daß unerträgliche Produktions-, Umsatz- und Arbeitskraftspitzen entstehen müssen. Das sind die Grundgedanken, die wir haben. Wir glauben, daß die von allen Seiten beklagte, unbestrittene Wohnungsnot so groß ist, daß hier eine großzügige Lösung, die sich aber nicht im Utopischen verliert, sondern die so realistisch wie möglich ist, stattfinden kann. Wir appellieren an Sie, daß Sie uns bei diesem Bemühen helfen.
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Meine Damen und Herren, ich eröffne die Aussprache. Wer wünscht das Wort? - Herr Abgeordneter Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion hält eine ins einzelne gehende Beratung des Entwurfs der SPD-Fraktion nach den Erklärungen des Herrn Wiederaufbauministers heute nicht für erforderlich. Wir sind mit dem Herrn Wiederaufbauminister der Meinung, daß die Beratung dieses Problems, das uns genau so am Herzen liegt wie denen, die heute den Initiativantrag eingebracht haben, schon aus Gründen der Ökonomie und der vernünftigen Zeiteinteilung mit der Beratung des Kabinettsentwurfes verbunden werden sollte, der in wenigen Wochen diesem Hause vorliegen wird.
Ich beantrage für meine Fraktion die Überweisung des Antrages der SPD an den zuständigen Ausschuß. .
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- Ich kann die Erklärung gleichzeitig auch für die Fraktion der FDP abgeben.
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- Ebenso bin ich ermächtigt. .die gleiche Erklärung
für die Fraktion der Deutschen Partei abzugeben.
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Das Wort hat der Herr Abgeordnete Loritz.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens der WAV möchte ich folgendes sagen. Es geht nicht an, daß immer wieder von seiten der Regierung erklärt wird: „Jetzt kommen wir mit einem Gesetz, jetzt wartet noch, jetzt wartet noch ein wenig, und dann wird man im Ausschuß und hier im Plenum ja darüber noch einmal sprechen können!" Sie wissen ja, wie es mit Regierungsvorlagen ist; Sie kennen die Einschaltung des Bundesrats usw. usw. Ich glaube, wir müssen über alle Dinge, die Wohnungsbaufragen betreffen, so rasch wie möglich zu einer Debatte kommen. Wir sind deswegen absolut damit einverstanden, daß die ganzen Probleme, wie sie hier durch den Antrag der SPD ins Rollen gekommen sind, dem Ausschuß überwiesen werden. Wir bedauern es aber außerordentlich, daß man hier nicht schon früher, schon vor einigen Monaten, von seiten der Regierung mit einer Vorlage gekommen ist.
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- Wir haben keine Regierung gehabt vor einigen Monaten? Herr Dr. v. Brentano, wir haben jetzt eine Regierung seit dem Oktober vorigen Jahres! Es wäre von größter Wichtigkeit gewesen, bereits im November oder spätestens im Dezember mit solchem Entwurf zu kommen.
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Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Loritz. Ich bitte, ihn anzuhören.
Was es da zu lachen gibt, Herr Graf Spreti, weiß ich nicht. Nachdem Sie hier so grinsen, - wenn Sie die Frage des Wohnungsbaus für so lächerlich finden, - ({0})
- Herr Präsident, ich ersuche Sie, den Herrn Abgeordneten Strauss wegen dieser Äußerung zur Ordnung zu rufen!
Darf ich einmal grundsätzlich auf eins aufmerksam machen. Es ist immer das Vorrecht des Parlaments gewesen, seiner Meinung auch in Heiterkeitsausbrüchen Ausdruck zu geben.
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Wenn ein Abgeordneter - -
Wenn ein Abgeordneter im speziellen zum Ausdruck bringt, daß er mit seiner Heiterkeit ein Mitglied des Hauses meint, dann ist eine solche Bemerkung selbstverständlich zurückzuweisen.
Das hat er getan! Das hat er wortwörtlich gesagt, und der Herr Präsident hat ihm keinen Ordnungsruf deswegen gegeben. Es scheint fast, als gäbe es hier zweierlei Recht, nämlich für die Mitglieder der CDU und der Regierungskoalition und für andere Leute in diesem Hause; denn sonst müßte ein Ausdruck und ein Ausspruch eines Abgeordneten, der hier irgendeinen anderen Abgeordneten für lächerlich erklärt, vom Präsidenten mit einem Ordnungsruf zurückgewiesen werden.
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Herr Abgeordneter, darf ich Sie unterbrechen. In der Geschäftsordnung sind ausdrücklich die verschiedensten Maßnahmen vorgesehen, sowohl Zurückweisungen wie Ordnungsrufe. Es liegt im Ermessen des Präsidenten, von diesen Maßnahmen Gebrauch zu machen. - Bitte,. fahren Sie fort.
Ich möchte wissen, was mit mir geschehen wäre, wenn ich es je gewagt hätte, ein Mitglied des Hauses oder gar ein Mitglied der Regierungsparteien als lächerlich hinzustellen.
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Meine Damen und Herren! Jede Woche, die. wir hier gezögert haben bzw. die die Regierung mit ihrer Vorlage gezögert hat, wird uns sehr schwer schaden können, weil das Neubauprogramm unter allen Umständen bereits mit dem beginnenden Frühjahr anlaufen muß, sonst ist es auch in diesem Jahr wieder zu spät, und die Regierung weiß ganz genau, daß es Wochen und aber Wochen dauert, bis ihre Vorlage dann durch den Bundesrat gelaufen ist. Darum sage ich, Herr Kollege Strauss, daß es die Aufgabe der Regierung gewesen wäre, gleich nach ihrer Wahl mit einer solchen Gesetzesvorlage - die Vorarbeiten dazu sind ja schon lange von früher her, von den Länderregierungen und vom Wirtschaftsrat her da - zu kommen, um zu verhindern, daß auch das kommende Frühjahr, die wichtigste. Bauperiode, wieder ungenützt vorübergeht.
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Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beantragen deshalb auch zusammen mit der SPD und mit anderen Parteien, daß der Gesetzentwurf der SPD dem Ausschuß überwiesen wird. Wir wenden uns aber schärfstens dagegen, daß die Beratung über diesen Entwurf so lange hinausgezögert wird, bis uns einmal eine Regierungsvorlage auf den Tisch des Hauses gelegt. wird. Wir müssen über diese Dinge so rasch als möglich debattieren. Ich sage nicht, daß wir mit allem einverstanden seien, was im Entwurf der SPD steht; aber ich sage Ihnen eines: wir haben es schon einmal auf Länderbasis erlebt, daß kostbare Zeit ungenützt vertan wurde, weil bei Beginn des Frühjahrs die Baupläne und die dazugehörige Regierungsvorlage nicht fertig waren, und ich fürchte, es wird diesmal auch so gehen. Wir haben heute
allein im Lande Bayern bereits eine Arbeitslosigkeit von über einer halben Million Menschen. Es wird in anderen Ländern, auch im reichsten Lande des Bundes, in Nordrhein-Westfalen, ebenso gehen, wenn es nicht endlich einmal so weit kommt, daß die Wohnungsbautätigkeit in ganz großem Umfange in Angriff genommen wird.
Ich habe allerdings größte Zweifel, ob der Regierung die Wichtigkeit dieser Aufgabe . voll zum Bewußtsein gekommen ist.
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In der Theorie sagt es die Regierung zwar; in der Praxis aber befürchte ich, daß die Mittel, die sie zur Verfügung stellt, absolut ungenügend sind. Wenn ich mich heute von berufener Seite recht habe informieren lassen, dann hat es ja schon die größten Schwierigkeiten in dem betreffenden Ausschuß gegeben, weil man gewisse Milionenbeträge auf die Wohnungsbau-Ausgaben anrechnen lassen wollte; Millionenbeträge, die bereits für ganz andere Zwecke ausgegeben worden sind, sollten hier auf den Wohnungsbau angerechnet werden, obgleich sie den Wohnungsbau im Gebiet des Bundes selbst gar nicht betreffen!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir bitten Sie also, den Antrag dem Ausschuß zu überweisen. Wir wenden uns schärfstens dagegen, daß die Beratung im Ausschuß verzögert wird. Wir selbst werden Ihnen im Ausschuß eine Reihe von Vorschlägen vorzulegen haben, damit wirklich in genügendem Umfange Wohnungen gebaut werden.
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- Wie bitte, Herr Zwischenrufer? - Ich bin es
nämlich gewöhnt, Ihnen auf Ihre Zwischenrufe sofort zu antworten und hinauszugeben.
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- Es ist gut, wenn Sie es wissen, Herr Kollege Strauss. Aber ich möchte Ihnen nochmals sagen: Wenn Sie auf diesem Wege fortfahren, den Sie schon eingeschlagen haben, nämlich alles lächerlich zu machen, was Leute sagen, die den kleinen Fraktionen und den kleinen Parteien angehören, wenn Sie glauben, ein Monopol nur für die CDU/ CSU zu besitzen,
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hier irgendwelche Gedankengänge vorzutragen, dann graben Sie dem demokratischen Gedanken in kurzer Zeit das Grab, und ich hoffe nur, Ihre Wähler werden das nicht wollen!
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Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Glasmeyer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Zentrumsfraktion begrüßt die Einbringung dieser Gesetzesvorlage schon deswegen, um der Regierung Gelegenheit zu geben, nun baldmöglichst auch ihrerseits ihre Arbeit dem Hohen Hause zu dokumentieren und zu demonstrieren. Denn allmählich, finden wir im Zentrum, ist es doch etwas eigenartig, daß die Regierung mit vielen maßgebenden Gesetzen immer um einige Wochen nachhinkt. Wir hoffen gern, daß sie uns ihre Arbeiten nun auch baldmöglichst im Ausschuß zeigen wird. Im übrigen aber sind wir genau wie alle anderen Parteien der Ansicht, daß dieser esetzentwurf dem Ausschuß zu übergeben ist. Dort werde ich als Mitglied meiner Partei die entsprechenden Anträge zu stellen wissen.
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Paul.
Meine Damen und Herren! Es ist selbstverständlich heute nicht möglich, auf den Gesetzentwurf der sozialdemokratischen Fraktion im einzelnen einzugehen. Im übrigen hat der Herr Minister zum Ausdruck gebracht, daß er dem Hohen Hause seine Vorlage sehr bald zuleiten wird. Wenn man sich aber die Zeitungen der letzten Wochen ansieht, kommt man zu der Auffassung, daß sich im Wohnungsbau zwei Linien bereits klar abzeichnen. Die eine Linie scheint mir die der Regierung und des Herrn Wohnungsministers zu sein, nämlich eine Liberalisierung der ganzen Wohnungswirtschaft und des ganzen Wohnungsbauwesens durchzusetzen, und die andere Linie geht darauf hinaus, den jetzigen Zustand zu straffen und weiter zu ordnen, und zielt darauf ab, in erster Linie den wirklich sozialen Wohnungsbau für das werktätige Volk vorwärtszutreiben. Man spricht in den Zeitungen bereits davon, daß in dem Entwurf des Herrn Ministers in starkem Maße die Frage der Mieten enthalten sein soll. Ich kann jetzt schon sagen, daß wir diesem Grundsatz nicht folgen werden. Man muß eine Mietpolitik betreiben, die darauf hinausgeht, daß wirklich auch die Ärmsten der Armen in der Lage sind, eine anständige Wohnung zu bezahlen. Die Sätze, die schon im Entwurf der Sozialdemokratischen Partei genannt wurden - ich denke bis zu 1,10 Mark pro qm -, scheinen mir schon zu hoch zu sein; denn die Ver({0})
dienste der Arbeiter und kleinen Angestellten reichen nicht hin, um solche Mieten zu bezahlen. Hinzukommt, daß es nicht darauf ankommt, jetzt bestimmten kapitalistischen Wohnungseigentümern zu helfen, sondern daß es darauf ankommt, im beschleunigten Verfahren mit der Hilfe der Länder und des Bundes wirklich in breitem Maße für die Obdachlosen und Ausgebombten Wohnraum zu schaffen.
Heute kann man schon sagen, daß die Fragen der Finanzierung wohl die schwierigsten sein werden. Aus zahlreichen Erklärungen in der Presse ist erkenntlich, daß die Finanzierungsfrage noch keineswegs geklärt ist, wenn auch der Herr Minister in der letzten Ausschußsitzung die Dinge so darstellte. Ich kann diesen Optimismus nicht teilen. Das Wohnungsproblem ist nämlich vom gesamten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Problem nicht zu lösen; es ist ein Teil desselben. Wenn wir uns die Zahlen der ansteigenden Arbeitslosigkeit ansehen, wenn wir auch keineswegs den rosigen Zweckoptimismus in der Entwicklung unserer Wirtschaft mitmachen können, wenn wir dann sehen, daß das Steueraufkommen keineswegs so aussehen wird, wie es hier sehr oft dargestellt wurde, und wenn ich daran denke, was der Herr Finanzminister gestern sagte, dann muß ich schon sagen, gerade auf dem Wohnungsgebiet muß mit äußerstem Nachdruck vorgegangen werden. Wir sind jedenfalls der Meinung, daß man sehr bald vom Reden zu Taten kommen muß, daß man etwas tun muß, denn auch mit schönen Gesetzesvorlagen ist es nicht getan. Wir sind sowieso schon mit einer großen Hypothek belastet,
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das ist die Hypothek der Besatzungsmächte. Wenn
Sie mit uns gemeinsam energischer für die Herabsetzeng der Besatzungskosten kämpfen würden, könnten auch viel größere Möglichkeiten auf dem Gebiet des Wohnungsbaus geschaffen werden. Ich möchte jedenfalls jetzt schon eines sagen, daß wir die Linie, die aus den Zeitungen zu ersehen ist und die anscheinend auch vom Herrn Minister eingeschlagen wird, nicht mitmachen können, sondern der Wohnungsbau muß in erster Linie den breiten Volksmassen dienen, und dafür müssen die Mittel bereitgestellt werden. So werden wir uns auch an der Debatte über den Gesetzentwurf der SPD und über den Gesetzentwurf der Regierung beteiligen und werden auch im Ausschuß die geeigneten Vorschläge zu den beiden Gesetzentwürfen machen.
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Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Dann erkläre ich die Aussprache der ersten Beratung über die Drucksache Nr. 352 für geschlossen. Ich darf das Einverständnis des Hauses feststellen, daß die Drucksache Nr. 352 an den zuständigen Ausschuß für Wiederaufbau und Wohnungswesen überwiesen wird.
Damit sind wir am Ende der Tagesordnung angelangt. Ich berufe die nächsten Sitzungen des Bundestages auf Mittwoch, Donnerstag und Freitag, den 25, 26. und 27. Januar, beginnend nachmittags 14 Uhr 30.
Die 29. Sitzung des Deutschen Bundestages erkläre ich für geschlossen.