Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.
Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 278. Sitzung des Deutschen Bundestages und bitte um Ihre Aufmerksamkeit für die Bekanntgabe der Namen der entschuldigten Abgeordneten.
Der Präsident hat Urlaub erteilt für drei Tage den Abgeordneten Freitag, Wallner, Loritz, Winter, Frau Strohbach, Lausen, Lemmer, Kalbfell und Dr. Frey, für zwei Tage den Abgeordneten Dr. Horlacher, Dr. Fricke, von Thadden und Frau Thiele.
Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Wirths, Freudenberg, Frau Korspeter, Gockeln, Hilbert und Dr. Keller.
Ich danke schön.
Ich habe Glückwünsche auszusprechen dem Herrn Abgeordneten Dr. Köhler zum 61. Geburtstag am 27. Juni,
({0})
dem Herrn Abgeordneten Ludwig zum 61. Geburtstag ebenfalls am 27. Juni
({1})
und dem Herrn Abgeordneten Scharnberg zum 60. Geburtstag am 28. Juni.
({2})
Die amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen:
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 26. Juni 1953 den nachfolgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt:
Gesetz über das Zweite Berichtigungs- und Änderungsprotokoll vom 8. November 1952 zu den Zollzugeständnislisten des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens ({3});
Gesetz über den deutsch-chilenischen Briefwechsel vom 6. September 1952 betreffend die zollfreie Einfuhr von 50 000 t Chile-Salpeter in der Zeit vom 1. Juli 1952 bis 30. Juni 1953;
Gesetz über das Zweite Protokoll vom 22. November 1952 über zusätzliche Zugeständnisse zum Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen ({4});
Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik zur Beratenden Versammlung des Europarates;
Gesetz zur Regelung von Fragen des Hebammenwesens;
Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die vorläufige Regelung der Errichtung neuer Apotheken;
Bundesevakuiertengesetz; Baulandbeschaffungsgesetz;
Drittes Gesetz zur Änderung des Zuckersteuergesetzes;
Gesetz zur Abänderung des Kapitalverkehrsteuergesetzes ({5});
Gesetz zur Aufhebung überholter steuerrechtlicher Vorschriften;
Gesetz zur Änderung des Erbschaftsteuergesetzes;
Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Lastenausgleich.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung vom 26. Juni 1953 zu folgenden Gesetzen den Vermittlungsausschuß angerufen:
Drittes Strafrechtsänderungsgesetz;
Gesetz über die Deckung der Rentenzulagen nach dem Rentenzulagengesetz für das Rechnungsjahr 1953;
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Gesetz über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen.
Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 26. Juni 1953 die Kleine Anfrage Nr. 342 der Fraktion der SPD betreffend Förderung der Berliner Wirtschaft - Drucksache Nr. 4415 - beantwortet. Sein Schreiben wird ,als Drucksache Nr. 4477 vervielfältigt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat unter dem 25. Juni 1953 die Kleine Anfrage Nr. 344 der Fraktion der SPD betreffend Deutsche Soldatengräber im Ausland - Drucksache Nr. 4417 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4613 vervielfältigt.
Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amtes hat unter dem 18. Juni 1593 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 260. Sitzung über die Schritte der Bundesregierung zur Freilassung des Herbert Kluge berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4628 vervielfältigt.
Meine Damen und Herren, wegen der Tagesordnung dieser Woche stehen wir vor etwas schwierigen Problemen. Es ist vorgeschlagen worden, mehrere Gesetze, die in den Bereich des Finanz- und Steuerausschusses fallen, auf die Tagesordnung zu setzen. Soweit ich unterrichtet bin, ist Einverständnis lediglich darüber erzielt worden, daß die erste bis dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP und DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die innerdeutsche Regelung von Vorkriegsremboursverbindlichkeiten auf die Tagesordnung gesetzt wird. Ich darf unterstellen, daß dieser Punkt auf die Tagesordnung kommt.
Ich habe dann die Frage zu stellen wegen des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Vereinbarungen über die Regelung der SchweizerfankenGrundschulden vom 23. Februar 1953. Kann dieser Punkt auf die Tagesordnung gesetzt werden?
({7})
- Sie widersprechen namens der Fraktion, Herr Abgeordneter Menzel. Es liegt also ein Widerspruch vor, der verhindert, es heute auf die Tagesordnung zu bringen.
Weiterhin habe ich die Frage zu stellen wegen der ersten Beratung der Entwürfe von Gesetzen betreffend die Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Vertretern der Gläubiger- und Garantiemächte über die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für gewisse österreichische Auslandsschulden - ({8})
- Nein, Herr Abgeordneter Menzel, das sind diese drei Dinge: die österreichischen Auslandsschulden, die Regelung der Forderungen der Französischen Republik und die Regelung der Forderungen des Fürstentums Liechtenstein an die Bundesrepublik. Wird auch widersprochen?
({9})
- Sie widersprechen; ich kann das also heute ebenfalls nicht auf die Tagesordnung bringen.
Dann frage ich wegen der Off-shore-Sache.
({10})
- Da widersprechen Sie auch; dann kann ich die Drucksache Nr. 4627 ebenfalls nicht auf die Tagesordnung bringen.
Dann die erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, FU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Verlängerung der im § 3 des Gesetzes über die drei Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz, über die Regelung der Forderungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegen das ehemalige Deutsche Reich und zum deutschen Lastenausgleich vom 7. März 1953 enthaltenen Fristen, Drucksache Nr. 4603. Wie steht es damit? - Einverstanden. Dann können wir das auf die Tagesordnung nehmen. Also diese beiden Punkte: dieser Gesetzentwurf und die Vorkriegsremboursverbindlichkeiten, kommen auf die Tagesordnung; im übrigen wird widersprochen.
Meine Damen und Herren, im Ältestenrat ist vereinbart worden, daß wir heute morgen mit der dritten Beratung des Bundeshaushaltsplans in allgemeiner Aussprache beginnen. Dafür ist eine Redezeit von 180 Minuten vorgesehen.
Es ist ferner vorgesehen, daß die Abstimmungen zur dritten Beratung erst ab 12 Uhr 30 stattfinden. Ich bitte die Herren Abgeordneten, sich darauf einzurichten.
Weiter ist in Aussicht genommen, daß der Punkt 2 der Tagesordnung unabhängig von dem Verlauf und der Erledigung der übrigen Tagesordnung etwa um 13 Uhr 30 aufgerufen werden soll. - Darüber besteht Einmütigkeit.
Ich rufe also auf Punkt 1 der Tagesordnung: Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 ({11}) ({12})
({13}); Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung ({14}); in Verbindung mit der
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({15}) über den Antrag der Abgeordneten Behrisch, Kahn, Dr. Wellhausen, Eichner und Genossen betreffend Bau der Autobahn Frankfurt-Würzburg-Nürnberg ({16}),
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bärsch; Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({17}) über den Antrag der Abgeordneten Behrisch, Kahn, Dr. Wellhausen, Eichner und Genossen betreffend Ausbau der Großschiffahrtsstraße Rhein-Main-Donau '({18}),
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Barsch; Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({19}) über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, BP, WAV, Z, Gruppe der BHE DG betreffend Bildung eines Grenzlandfonds zur Behebung wirtschaftlicher und kultureller Notstände ({20}),
Berichterstatter: Abgeordneter Wacker; Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({21}) über den
({22})
Antrag der Abgeordneten Kahn und Genossen betreffend Sanierung der westlichen Oberpfalz ({23}) ({24}),
Berichterstatter: Abgeordneter Wacker; Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses 00. Ausschuß) über den Antrag der Abgeordneten Gengler, Bauknecht, Dr. Weiß, Pfender, Kiesinger, Frau Rösch, Schuler und Genossen betreffend Bau von Umgehungsstraßen um Rottweil a. N. im Zuge der Bundesstraßen 27 und 14 ({25}),
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Bärsch;
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({26}) über den Antrag der Abgeordneten Dr. Bartram ({27}), Dannemann, Ewers und Genossen betreffend Ausbau von Bundesautobahnen um Hamburg ({28}),
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Barsch.
Wer wünscht das Wort zur allgemeinen Aussprache in der dritten Beratung? - Herr Abgeordneter Jaffé, bitte!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine abschließende kritische Würdigung des- letzten Haushalts, den dieser Bundestag zu beschließen hat, kann an der Problematik der Finanzsituation des Bundes einflach nicht vorübergehen. Angesichts der Größenordnung - im ordentlichen Haushalt über 27 Milliarden DM und im außerordentlichen nach Abzug der durchlaufenden Posten immer noch 1,3 Milliarden DM - stellt sich diese Problematik ja schon fast automatisch. Sie ergibt sich - und darum geht es hier im Grunde - aus der finanzpolitischen Gesamtlage in unserer Bundesrepublik überhaupt.
Finanzpolitik der öffentlichen Hand und damit Haushalts- und Steuerpolitik sind in einem Bundesstaat doch nur im ganzen zu sehen, d. h. daß eine isolierte Betrachtung des Haushalts des Bundes für sich ebensowenig bestehen kann wie eine davon losgelöste Betrachtung der Haushalte der Länder. Die Haushalte der Kommunen und kommunalen Verbände, deren Aufgaben sich naturgemäß regional wie fachlich in weit engeren Grenzen halten, vertragen schon wegen ihres im allgemeinen mehr örtlichen Interesses eher eine andere Schau. Bei den Haushalten der Lander wie dem des 'Bundes hingegen ist eine solche Verflechtung schon dadurch gegeben, daß sich diese Aufgaben trotz der im 'Grundgesetz geregelten Aufgabenteilung zwischen Bund und Ländern bekanntlich weitestgehend überschneiden. Denken Sie dabei z. B. einmal an den Wohnungsbau, an die Sozialpolitik und an das Vertriebenenproblem, um nur die wichtigsten Merkmale hervorzuheben, und beachten Sie bitte den Gesichtspunkt, den ich schon einmal ausführlich dargelegt habe, daß der Bundeshaushalt infolge seiner überregionalen Ausgleichsfunktion gewissermaßen zum Gemeinschaftshaushalt der Länder geworden ist. Die Bedeutung gerade dieser Funktion - sie hat ein Volumen von über 4 Milliarden DM - kann nicht genug betont werden.
Die Tatsache, daß der Bund neben dem überregionalen Ausgleich die großen gesamtstaatlichen
Aufgaben wahrzunehmen hat, Aufgaben, die ich als bekannt voraussetzen darf, bringt den Bundeshaushalt - und das ist gerade das Charakteristische an ihm - in die Ihnen gleichfalls bekannte Lage, daß ein so hoher Prozentsatz der Mittel für diese Aufgaben gebunden ist, daß für vieles, was uns zu tun besonders am Herzen liegt, ein allzu enger Spielraum übrigbleibt. Dieser Umstand - ich möchte das besonders an. dieser Stelle hervorheben - ist ein wirklicher Grund dafür, daß wir bei so vielen Problemen, die wir in dieser Legislaturperiode zu lösen uns noch vorgenommen haben, auf die fast unüberwindliche Schwierigkeit der Bereitstellung der hierfür benötigten Mittel stoßen. Ich glaube, wir sollten Verständnis dafür haben, wenn der zum Hüter der Solidität der Haushaltsgebarung berufene Finanzminister und letzten Endes damit der zum Hüter der Währung berufene Fachminister hier immer wieder seine warnende Stimme erhebt. Ich glaube, wir Abgeordnete sollten den Mut haben, in Erkenntnis dieser Verantwortung - wir können uns im Parlament dieser Verantwortung nun einmal nicht entziehen - zu manchen Wünschen auch einmal nein zu sagen. Dafür wird man auch draußen 'Verständnis aufbringen!
Wenn auf der einen Seite das Grundgesetz eine Teilung der Aufgaben entsprechend der föderalistischen 'Struktur der Bundesrepublik vorsieht, so versucht es, und zwar bekanntlich in dem Abschnitt „Das Finanzwesen", die Frage der Aufbringung der für diese Aufgaben benötigten Mittel in ihrer sinnvollen Verteilung auf Bund und Länder zu regeln. Ich sage ausdrücklich „versucht", denn der Gesetzgeber sieht selber die Regelung nicht als endgültig an, wenn er in Art. 107 die endgültige Regelung der Zukunft vorbehalten hat. Daß 'der seit nunmehr fast vier Jahren bestehende Zustand nicht immer voll befriedigend ist, zeigt sich doch immer wieder. Die stets wiederkehrenden Auseinandersetzungen über den Anteil des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer lassen dieses Spannungsfeld 'doch deutlich erkennen und machen ersichtlich, daß unsere Finanzverfassung in ihrem derzeitigen Zustand der Situation einfach nicht gerecht wird. Aufgabenteilung und Steueraufteilung sind eben nicht ausreichend aufeinander abgestimmt. Es bedarf also einer Neuregelung dieser Finanzverfassung. Ich glaube, nur so ist Abhilfe zu schaffen. Damit sind wir bei dem Punkt angelangt, der 'bei der Betrachtung des vorliegenden Haushalts doch die Frage Nr. 1 ist: das Problem des Ausgleichs der Ausgaben und Einnahmen. Man muß zugeben, daß ein Ausgleich unter Anwendung von Methoden gelungen ist, die nur durch die 'außergewöhnliche Situation zu erklären und zu rechtfertigen sind. Daß der für jeden Unbefangenen auf den ersten Blick als gegeben erscheinende Weg, gestiegene Ausgaben durch erhöhte Steuern und Abgaben zu decken, nicht gangbar war, darüber herrscht, glaube ich, in diesem Hause Einmütigkeit. Haben wir doch gerade deswegen, weil der Anteil 'der öffentlichen Hand am Volkseinkommen einfach nicht mehr tragbar erschien, die bekannte 15%ige Steuersenkung durchgeführt, und zwar einmal, um endlich den Steuerzahler wenigstens in etwa zu entlasten., und zweitens, um auf die Dauer überhaupt ein ausrei({0})
chendes Steueraufkommen sicherzustellen, Diese Steuersenkung - das ist das Entscheidende - trifft in ihrer vollen Wucht fast ausschließlich den Bund. Das ist eine der Hauptschwierigkeiten, mit denen in bezug auf den Ausgleich gerechnet werden muß. Es ist eine der Schwierigkeiten, aber nicht die einzige und. nicht die letzten Endes entscheidende. Entscheidend für das Problem, wie man mit dem auch unter dem heutigen Gesichtspunkt übergroßen Volumen der Ausgaben fertigwerden kann, ist letzten Endes die Frage, inwieweit man diese nicht durchlaufenden Belastungen in einem Haushaltsjahr decken, sondern sie auf einen längeren Zeitraum verteilen kann. Mit einem Wort gesagt: es ist die Frage des Kredits, die Frage der Anleihen. Diese grundsätzliche Frage ist ja in allen Debatten immer wieder aufgetaucht.
Hierzu bringe ich Ihnen heute noch einmal meinen Standpunkt und den meiner Freunde zur Kenntnis. Die Aufgaben und damit die Funktionen des Bundeshaushalts ebenso wie auch der übrigen öffentlichen Haushalts sind nicht .dieselben, wie sie in früheren Zeiten zu sein pflegten. Während früher die Verwaltungsaufgaben und ihre Durchführung die Haushalte weitgehend beherrschten, sind es heute aus der Zeit geborene, andere und größere Aufgaben, die ein Staatshaushalt zu er- füllen hat. Ich nenne neben der Notwendigkeit der Verteidigung nach außen die Aufgabe Nr. 1: die sozialen Leistungen - neben vielen anderen Gebieten, die man in dieser Größe früher kaum gekannt hat -, Leistungen, die nach ihrem Charakter dazu berechtigen und nach ihrer Größenordnung einfach dazu zwingen, die Lasten ihrer
Erfüllung nicht ausschließlich einem allzukurzen Zeitraum zur Last zu legen. Die Folgen eines verlorenen Krieges und damit die daraus entspringenden finanziellen Lasten können nicht nur aus laufenden Abgaben gedeckt werden. Wir müssen sie zu einem wesentlichen Teil auch auf die Schultern mindestens der nächsten Generation legen. Das ist um so mehr berechtigt, als diese Aufgaben doch teilweise einen stark vermögenswirksamen Charakter besitzen, d. h. echte Investitionen mit sich bringen. Für die Investitionen war ja auch nach den klassischen Grundsätzen der Haushaltspolitik die Anleihe immer ,die gegebene Finanzierung.
Sie werden fragen: Ist das nicht eh bedenklicher Weg, weil dadurch letzten Endes die Währung gefährdet sein könnte? Ich habe dazu nur zu sagen: nicht Anleihen, d. h. fundierte Schulden, gefährden die Währung, sondern kurzfristige ungedeckte Kassenkredite, wenn sie sich nicht in einem angemessenen Verhältnis zur Wirtschaftskraft des Staatsgebietes und zum Geldumlauf halten; und da, glaube ich, ist noch ein recht weiter Spielraum.
Wir stimmen deshalb .grundsätzlich dem Finanzminister zu, wenn er zur Abgleichung des Haushalts auch den Anleiheweg beschreitet. Wir wünschten allerdings - ich glaube, mit ihm -, daß er in der Lage wäre, diese Anleihen auf dem normalen Wege, nämlich über den Kapitalmarkt, aufzunehmen. Daß das nur in sehr beschränktem Maße gelingen kann, ist dem völlig unbefriedigenden Zustand des Kapitalmarktes zuzuschreiben. Uns scheint es nach wie vor die allerdringendste
und schlechthin entscheidende Frage zu sein, einen funktionsfähigen. Kapitalmarkt mit allen Mitteln, die dem Gesetzgeber auf wirtschafts- und finanzpolitischem Gebiet zur Verfügung stehen, zu schaffen - ich betone dabei ganz besonders - nicht etwa nur im Interesse des Kapitalbedarfs der öffentlichen Hand, sondern und in noch viel höherem Maße Und vordringlich auch im Interesse der privaten Wirtschaft.
Eine der großen Voraussetzungen dabei ist, gerade heute und morgen besonders aktuell, die Regelung der Auslandsschulden, wie sie im Londoner Schuldenabkommen ihren Niederschlag gefunden hat, und damit die Freimachung des Zugangs zum internationalen Kapitalmarkt. Ich glaube, wir alle wissen, wie weit wir hier noch von befriedigenden Verhältnissen entfernt sind, Weil meine Freunde und ich wissen, daß die Möglichkeiten für den Bund, auf den Kapitalmarkt zu gehen, einfach nicht ausreichen, sehen wir die kurz- und mittelfristigen Anlagen, die der Finanzminister zur teilweisen Deckung der Haushaltsausgaben vorgesehen hat, als die zur Zeit leider noch einzig mögliche Lösung an.
Ich darf abschließend eine kurze grundsätzliche Betrachtung anstellen. Die kameralistische Aufstellung des Haushaltsplans als reine Einnahmen- und Ausgabenrechnung läßt eines nicht erkennen: die Vermögensbildung. Der Bund bereitet, wie Ihnen wohl bekannt ist, eine Aufstellung seines Gesamtvermögens vor.
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- Ganz recht, Herr Kollege Dr. Gülich. - Ich muß sagen, ich bin darauf sehr gespannt. Die Vermögensbildung der öffentlichen Hand, und zwar nicht etwa allein des Bundes, hat bei uns Ausmaße angenommen, die mit unserer grundsätzlichen Auffassung von den Aufgaben der öffentlichen Finanzpolitik nicht mehr übereinstimmen.
({2})
Industrielle Beteiligungen z. B. in einer Gesamthöhe, wenn ich die mittelbaren und unmittelbaren Beteiligungen zusammenrechne, von 2,7 Milliarden DM bedürfen ganz dringend des Abbaues. Ich freue mich, in der letzten Zeit eine Pressenotiz aus der Feder des Herrn Ministerialdirektors Oeftering gelesen zu haben, daß einem solchen Abbau dieser Beteiligungen nichts im Wege steht, wenn er vorsichtig und sinnvoll gehandhabt wird.
Hierher gehören z. B. auch die Behördenneubauten in Bonn, die wir in diesem Jahr zwar noch wegen der Notwendigkeit ihres Entstehens mit einem tränenden Auge bewilligt haben, bei denen uns aber in Zukunft doch eine erhebliche Zurückhaltung dringend geboten erscheint, schon angesichts des vorläufigen Charakters von Bonn als Bundeshauptstadt und zur Vermeidung von Fehlinvestitionen. Der Staat hat nicht das Recht, seine Bürger weit über ihre Leistungsfähigkeit in Anspruch zu nehmen, um sich neben der Erfüllung laufender Verpflichtungen in großem Stile Vermögen anzusammeln. Das ist der Ausdruck eines Staatskapitalismus, den wir ablehnen und bekämpfen.
({3})
({4})
Eine solche Finanzpolitik der öffentlichen Hand - ich meine hier auch in erster Linie bei Ländern und Gemeinden, nicht nur beim Blind ({5}) macht die Deutsche Partei nicht mit.
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Ich sage das mit aller Deutlichkeit. Wir haben uns in diesen Jahren hinter den Finanzminister und seine Finanzpolitik gestellt. Wir werden dies auch weiter tun, müssen aber dabei voraussetzen, daß unsere Grundsätze - und gerade dieser Grundsatz - volle Beachtung finden.
Ich darf zum Schluß sagen: Wir haben diesen letzten Haushalt, über den der erste Deutsche Bundestag zu beschließen hat, bestimmt nicht kritiklos hingenommen, auch im Ausschuß nicht. Das wird den Damen und Herren, die mit mir den Vorzug haben, dem Haushaltsausschuß anzugehören, zur Genüge bekannt sein. Ich stehe aber nicht an zu erklären, daß wir bereit sind, ihn zu verabschieden, dem Finanzminister zu diesem Schlußstein des Aufbaues des Haushaltswesens des Bundes unsere Anerkennung zum Ausdruck zu bringen und damit der Regierung hinsichtlich ihrer Politik auch auf diesem entscheidenden Gebiete unser Vertrauen auszusprechen.
({7})
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mich hier nicht gleich in eine polemische Auseinandersetzung mit meinem Herrn Vorredner über das Problem einlassen, das er offenbar als den. zentralen Punkt seiner Ausführungen betrachtet hat: den Kampf gegen den sogenannten Staatskapitalismus. Darüber werden wir uns vermutlich mit der Deutschen Partei nicht einig.
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Die geschichtliche Entwicklung wird über diese Art von Theorien genau so hinweggehen, wie sie schließlich über den Versuch hinweggehen wird, etwas als Sozialismus zu bezeichnen, was im Grunde genommen echter Staatskapitalismus ist.
Die dritte Beratung des Bundeshaushalts gibt Gelegenheit zu einer allgemeinen Aussprache über politische Grundsätze auf den verschiedensten Gebieten. Soweit Einzelkritik am Haushaltsplan und an der Politik der verschiedenen Ressorts zu üben war, haben meine Freunde das bei der zweiten Beratung getan. Im übrigen war unsere Ablehnung, unsere - Zustimmung oder unsere Stimmenthaltung gegenüber den verschiedenen Einzelplänen der Ausdruck unserer politischen Haltung.
Ich möchte in diesem Zusammenhang nicht versäumen, noch einmal die kleine Episode in Erinnerung zu rufen, die sich bei der 'zweiten Beratung des 'Einzelplans 10 abgespielt hat. Ich habe den stillen Verdacht, daß diese Episode durch gewisse Bemühungen in der dritten Lesung aus der Welt geschafft werden soll. Aber ich möchte die Damen und Herren von der CDU bei dieser Gelegenheit noch einmal nachdrücklich darauf aufmerksam machen, daß unsere Haltung zu den Einzelplänen und zum Gesamthaushalt der Bundesregierung aus politischen Motiven entspringt, die in der Auseinandersetzung mit der Gesamtpolitik der Regierung ihre Wurzel haben. Wir haben ei bisher noch nicht fertiggebracht, sozusagen aus Ärger über die Abstimmung eines Teils der Koalition der Regierung selber eine Rute zu binden und sie in eine gewiß nicht angenehme Lage zu bringen. Ich möchte die Damen und Herren von der stärksten Regierungspartei bitten, bei Gelegenheit einmal darüber nachzudenken, wie sich im Bewußtsein der Opposition eine solche Haltung ausmalt, die Sie bei der zweiten Lesung des Einzelplans 10 - Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - bezogen haben.
Noch eine andere Bemerkung! Es ist vielleicht zuviel verlangt, aber ich muß sagen, ich wäre den Mitgliedern der Mehrheit dieses Hauses sehr dankbar, wenn sie die politische Motivierung unserer Stellungnahme zu einzelnen Ministerien endlich zur Kenntnis nehmen wollten, anstatt landauf landab damit hausieren zu gehen, die Sozialdemokratie im Deutschen Bundestag habe z. B. die Renten abgelehnt, weil sie zum Haushalt des Arbeitsministeriums eine bestimmte Haltung eingenommen habe. Das ist ein zu billiges Manöver, als daß man es sich zwischen ernsthaften politischen Menschen und ernsthaften politischen Parteien in der Propaganda draußen leisten sollte. Sie wissen doch genau, daß unser Nein in jedem Fall nicht einer von uns als notwendig erkannten Lösung gilt, sondern der von uns als unzulänglich oder schlecht betrachteten Lösung. Es wäre ein großer Fortschritt, wenn man von diesen Dingen Kenntnis nehmen wollte; aber angesichts eines harten Wahlkampfes wage ich nicht zu glauben, daß ein solcher Fortschritt in unserer politischen Auseinandersetzung tatsächlich erzielt werden kann.
({1})
- Nun, darüber läßt sich ja reden, Herr Kollege Horn.
Ich darf Sie ferner darauf hinweisen, daß die sozialdemokratische Bundestagsfraktion - und auch das wissen Sie - in keinem Fall ihre positive Mitarbeit versagt hat, wo sie notwendig war, und daß sie auf vielen Gebieten während dieser letzten vier Jahre drängend und wegweisend tätig gewesen ist.
Nun noch eine andere Bemerkung. Es wird immer wieder gesagt, daß die Opposition nur aus parteipolitischen Gründen oder aus parteipolitischem Egoismus zu dieser oder jener Frage so oder so Stellung nehme. Auch beim Haushalt ist das so. Ich darf vielleicht gerade in diesem Zusammenhang sagen, daß es eine allzu grobe Vereinfachung der Dinge ist, wenn man sich auf den 'Standpunkt stellt, die Opposition treibe im Prinzip und immer und überall Parteipolitik, während die Damen und Herren von der Koalition, von 'der 'Regierung stets und in jedem Fall nur aus reiner Vaterlandsliebe und aus glühendem Idealismus handelten und niemals an den kleinen, simplen parteipolitischen Vorteil dächten. Ich glaube, meine Damen und Herren, wir haben genügend Beispiele dafür wie fein man es versteht, mit der Ausübung der Regierungsgewalt auch einen sehr soliden parteipolitischen Vorteil zu verbinden. Ich habe diese Vorbemerkung gemacht,
({2})
weil ich glaube, daß es gut ist, wenn man für die haushaltspolitischen Auseinandersetzungen einen ordentlichen Ausgangspunkt und Standort hat.
({3})
Nun noch eine andere Vorbemerkung. Wir haben in der letzten Woche hier eine Reihe von kommunistischen Reden gehört und werden sicher auch heute wieder eine hören. Ich möchte mich nicht mit dem Inhalt dieser Reden auseinandersetzen. Es lohnt sich nicht. Wir sind auch nicht bereit, irgendwelche Belehrungen von .den Herrschaften entgegenzunehmen. Dazu sind sie nicht legitimiert. Was sie Opposition nennen, ist die Erfüllung eines Solls. Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion, die sozialdemokratische Opposition steht im Prinzip und in der Sache auf einem völlig anderen Boden als die, die sich kommunistische Opposition nennen.
({4})
- Herr Renner, seien Sie zufrieden. Das ist zu dumm, als daß ich es Ihnen abnehme, Herr Renner.
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Wir anerkennen und verteidigen den Grundsatz der Legitimität der demokratischen Grundordnung. Die Kommunisten wollen diese Grundordnung zerstören, sobald sie die Möglichkeit dazu haben. Der Ausgangspunkt der Kritik an der Politik der Bundesregierung ist der entschlossene Wille, die Demokratie zu verteidigen - auch gegen die zweifelhaften unter ihren Freunden - gegen die Verfälschung demokratischer Methoden und Einrichtungen durch parteipolitische Willkür, gegen bürokratische Engstirnigkeit oder konservativ-reaktionäre Borniertheit. Wir haben nichts gegen einen echten konservativen Grundton bei bestimmten politischen Parteien, soweit er sich in einer Weise äußert, mit der man sich auseinandersetzen kann. Wir sind der Meinung, daß die politische Demokratie vom Wechselspiel der progressiven und konservativen, der vorwärtsdrängenden und der bewahrenden Tendenzen geradezu eine Befruchtung erfahren kann. Aber wir glauben, daß das Verwechseln von konservativer Grundhaltung und reaktionärem Beharren auf unmöglich gewordenen politischen, ökonomischen und sozialen Zuständen nichts mit jenem echten Widerspiel einer fortschrittlichen Haltung und Gesinnung zu tun hat, ohne die die Demokratie schließlich erstarren und sich in ihr Gegenteil verwandeln muß.
Nun einige Bemerkungen zum Haushaltsplan selbst. Ich will, wie gesagt, nicht mehr auf Details eingehen. Es wird in der Fülle der Einzelprobleme, die sich in einem Haushalt niederschlagen, immer solche geben, bei denen die Auffassungen der Regierung und der Opposition weit auseinandergehen, und andere, bei denen Übereinstimmung in der Sache und gelegentlich sogar auch bei der Veranschlagung der Mittel besteht. Die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten liegen nicht beim einzelnen Haushaltstitel, bei der einzelnen Summe, sondern sie liegen bei den Methoden der Haushaltsfinanzierung, der Verteilung der Lasten im Großen und bei der politischen Begründung, bei der Tendenz des Haushalts. Auch der Herr
Bundesfinanzminister wird sich wohl in stillen Augenblicken darüber im klaren sein, daß der Bundeshaushalt 1953/54 selbst nach seinem Entwurf nur formal das Erfordernis des Art. 110 des Grundgesetzes erfüllt. Von einer echten Ausgeglichenheit kann doch wohl kaum die Rede sein. Ich sehe dabei ganz davon ab, welche Unstimmigkeiten bei der zweiten Beratung entstanden sind. Die entscheidende Frage ist, ob dieser Haushalt in dem Sinne ausgeglichen ist, wie es das Grundgesetz vorschreibt. Dabei kann man der Meinung sein, daß die Väter des Grundgesetzes vielleicht nicht die Situation bedacht haben, die die Bundesrepublik tatsächlich zu meistern hat. Man könnte sehr wohl darüber streiten, ob die Verpflichtung, in einem Haushaltsjahr einen Haushalt abzugleichen, tatsächlich immer die Beweglichkeit der öffentlichen Finanzpolitik gestattet, die notwendig ist, um schwierige Situationen zu meistern. Aber das ist eine Frage, über die man lange debattieren kann und die sicher auch hi den kommenden Jahren eine gewisse Rolle spielen wird.
Bedenken wir nur, daß im Haushaltsgesetz z. B. der § 13 steht, der ,die Vorschriften des § 75 der Reichshaushaltsordnung für das Haushaltsjahr außer Kraft setzt. Das heißt doch zunächst einmal, daß der Fehlbetrag des Rechnungsjahres 1951, der in diesem Haushaltsplan als Ausgabe hätte erscheinen müssen, zu den Schuldverpflichtungen des Bundes geschlagen und vom kommenden Bundestag wird verdaut werden müssen. Hinzu kommt - ob man es wahrhaben will oder nicht - die Inanspruchnahme der Reserven der Sozialversicherungsträger und der Arbeitslosenversicherung mit 740 Millionen DM. Wir haben in diesem Hause in den letzten Tagen über dieses Thema mehrfach gestritten. Aber es bleibt dabei, daß die Inanspruchnahme der Reserven der Sozialversicherung und der Arbeitslosenversicherung auf Kosten der für den sozialen Wohnungsbau und für andere wichtige Investitionszwecke verfügbaren Kapitalreserven geht.
Zu den unechten und nach unserer Auffassung höchst bedenklichen Deckungsmethoden gehört auch die Inanspruchnahme eines Kredits von 250 Millionen DM aus dem ERP-Sondervermögen. Dieses Sondervermögen ist ausdrücklich für Investitionszwecke reserviert. Nimmt man es zur Abdeckung laufender Verpflichtungen des Bundes in Anspruch, so wird der eigentlichen Bestimmung des Sondervermögens Abbruch getan. Niemand wird doch wohl im Ernst behaupten können, daß der Investitionsbedarf der deutschen Wirtschaft und insbesondere unserer Grundstoffindustrien zur Zeit auch nur annähernd befriedigt sei.
Man kann auch nicht behaupten, daß bei diesem Haushalt der Grundsatz der Haushaltswahrheit in vollem Umfang zu seinem Recht komme. Es ist mir nicht die Zeit gegeben, diesen Vorwurf in allen Einzelheiten an Hand von Tatsachen aus dem Haushalt zu begründen. Ich greife aber ein Beispiel heraus, das einen echten politischen und budgetären Charakter hat.
Im sogenannten Verteidigungskostenhaushalt sind für das Rechnungsjahr 1953/54 nach dem neuen Stand 8950 Millionen DM veranschlagt, d. h. der Herr Bundesfinanzminister hat für die
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Zeit vom 1. November bis zum Ende des Haushaltsjahrs nicht 600 Millionen DM Besatzungskosten monatlich, sondern die mit den Westmächten vereinbarten 950 Millionen DM monatlich eingesetzt. Er ist dabei zweifellos von der Annahme ausgegangen, daß die Verträge vom 1. November an in Kraft seien. Dazu ist folgendes zu sagen. Einmal: der Bundesfinanzminister glaubt ja wohl selbst nicht, daß diese Annahme heute noch aufrechterhalten werden kann, auch wenn es öffentlich immer so betont wird. Weder in Frankreich noch in Italien sind die Voraussetzungen für die Ratifizierung der Verträge gegeben. In der Bundesrepublik wird die verfassungsrechtliche Streitfrage nicht vor dem Herbst geklärt wenden. Von der weltpolitischen 'Entwicklung will ich in diesem Zusammenhang ganz schweigen. Und zweitens: der Herr Bundesfinanzminister weiß - und wir wissen es auch -, daß sich die westlichen Mächte bereit erklärt haben, sich bis zum 1. Januar 1954 oder bis zum Inkrafttreten der Verträge, soweit dieses vor dem 1. Januar 1954 erfolgen sollte, mit den 600 Millionen DM. pro Monat zu begnügen, die als Besatzungskosten mit ihnen vereinbart worden sind.
Ich behaupte, daß der Herr Bundesfinanzminister allein hier eine Reserve von 700 Millionen DM zur Verfügung hat - ich rede jetzt nur von diesem einen Posten: von anderen will ich ganz schweigen -, für deren Veranschlagung im Haushalt keine gesetzliche Grundlage besteht; aller Voraussicht nach braucht er diesen Betrag auch nicht zu zahlen. Man könnte es eine Manövriermasse nennen, oder wie man will. Wir werden
den Eindruck nicht los, daß der Herr Bundesfinanzminister - selbstverständlich in Übereinstimmung mit der Politik der Regierung, der er angehört - eine Art Thesaurierungspolitik mit dem Ziele betreibt, bestimmte Absichten, bestimmte Projekte, die sozusagen frei in der Luft hängen, zu finanzieren.
Mit der Einnahmeseite dieses Haushalts will ich mich nicht beschäftigen. Das würde zu weit führen. Ich weiß, daß wesentliche Teile eines jeden Haushaltsplanes auf Schätzungen beruhen und daß man darüber streiten kann, ob die Schätzung der Einnahmen optimistisch oder pessimistisch gehalten sei. Wie es wirklich ist, wird sich zeigen, wenn im Laufe des Haushaltsjahrs Übersichten über die tatsächliche Kassenlage des Bundes zu erhalten sind.
Schließlich darf ich in diesem Zusammenhang eine Bemerkung zur äußeren Gestaltung, zur Methodik des Bundeshaushalts machen. Eine Reform der Reichshaushaltsordnung erscheint uns dringend geboten. Dieses Instrument ist zwar heute noch in Kraft und bildet die Rechtsgrundlage für diesen Bundeshaushalt; aber eine gründliche Überprüfung und Anpassung an die Erfordernisse unserer Zeit ist längst überfällig. Ebenso halten wir es für notwendig, daß die Systematik des Haushaltsplans über den jetzt erreichten Stand hinaus entwickelt wird. Mit dem zur Zeit in Beratung stehenden Plan sind wir zwar ein Stück weitergekommen, aber eben nur ein Stück. Es genügt nicht, ein neues System der Bezeichnung und der Numerierung einzuführen. Nach unserer Auffassung ist nur ein halber Schritt getan worden.
Der beschrittene Weg muß konsequent in der Richtung weitergegangen werden, daß endlich die schematische Zweiteilung in einen ordentlichen und in einen außerordentlichen Haushalt fällt. An ihre Stelle müßte eine saubere Scheidung zwischen den Erfordernissen einer normalen Haushaltsführung der Bundesverwaltung und den Investitionsaufgaben der öffentlichen Hand treten. Heute ist das Extraordinarium nur zum Teil der Niederschlag von Investitionsabsichten: es ist auf der anderen Seite, wie wir bei den Beratungen im Haushaltsausschuß erfahren haben, auch eine gewisse Abladestelle für Projekte, von denen man nicht sicher ist, ob man sie finanziell überhaupt wird verkraften können. Ich glaube, daß das erstens eine Art von Selbstbetrug und zweitens auch ein Betrug an der Öffentlichkeit ist, der man sagt, daß man gewisse Projekte in den Haushalt eingesetzt habe, während man im Grunde genommen genau weiß, daß man die Mittel dafür nicht aufbringen kann.
Deshalb sind wir der Meinung, daß der außerordentliche Haushaltsplan zu einem echten Investitionsplan entwickelt werden muß, aus dem klar ersichtlich ist, was sich die öffentliche Hand an Investitionsaufgaben innerhalb einer bestimmten übersehbaren Periode vorgenommen hat, zu deren Durchführung sie entschlossen ist. Sonst ist der außerordentliche Haushalt eben ein Stück Papier ohne großen Realitätswert.
Nun ein Wort zur Finanz- und Steuerpolitik - auch nur sehr kursorisch! Meine politischen Freunde haben bei der Beratung der sogenannten Kleinen Steuerreform den Standpunkt der Sozialdemokratischen Partei eingehend dargestellt. Meine Fraktion hat übrigens bereits im Jahre 1950, als das erste Mal über eine Steuerreform beraten wurde, in diesem Hause Anträge gestellt, die auf eine wirkliche Steuerreform hinausliefen. Ich wiederhole sie hier nur in Stichworten. Wir sind nach wie vor der Meinung, daß eine Reform der Steuertarife von Grund auf notwendig ist und daß dazu einerseits die Erhöhung der Freibeträge und zum anderen eine gerechte Gestaltung der Progressionskurve notwendig ist. Was wir jetzt als lineare Tarifsenkung bei der kleinen Steuerreform erlebt haben, hat die alten Ungerechtigkeiten nicht beseitigt, sondern höchstens verschärft.
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Wir werden weiterhin für den Ersatz des Steuerklassensystems durch Familienbeihilfen und für die. Ausschaltung der Progression bei der Bestimmung des Unternehmensertrags durch die Betriebssteuer kämpfen. Ich glaube, daß wir in absehbarer Zeit gar nicht um die Lösung der Frage der echten und unser Steuersystem von Grund auf umgestaltenden großen Finanzreform herumkommen. Ich und meine Freunde verstehen nicht, -warum die Pläne, die ja nicht erst während der Lebensdauer dieser Bundesregierung angefangen worden sind, sondern die schon in Frankfurt sehr weit gediehen waren, immer wieder aufgeschoben warden sind. Das heißt, wenn ich sage, wir verstehen es nicht, so muß ich hinzufügen: wir verstehen selbstverständlich sehr gut die politischen Hintergründe und die politischen Hemmungen, die einer solchen Aufgabe zur Zeit im Wege stehen.
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In diesem Zusammenhang darf ich auch auf die Tatsache aufmerksam machen, daß der Bundeshaushalt zu 66,8°/o durch Einnahmen aus indirekten Steuern gedeckt wird. Das ist ein krasses Mißverhältnis.
({9})
Wir Sozialdemokraten sind uns darüber klar, daß die alte These der restlosen Beseitigung der indirekten Steuern angesichts des gewaltigen Ausmaßes der öffentlichen Ausgaben nicht mehr in vollem Umfang vertreten werden kann. Wir können es uns nicht leisten, so zu verfahren wie in einem gewissen Lande des Ostens, wo praktisch überhaupt nur indirekte Steuern erhoben werden und die Finanzierung der Staatsaufgaben ausschließlich auf diesem Wege vorgenommen wird. Da wir aber wissen, daß ein Idealzustand nicht erreichbar ist, glauben wir, daß eine Umschichtung des Verhältnisses zwischen direkten und indirekten Steuern absolut notwendig ist, und zwar in absehbarer Zeit, wenn die Steuerlast nach -der Tragfähigkeit der einzelnen Schultern der Steuerzahler wirklich gerecht verteilt werden soll. Wir vermögen, wie gesagt, nicht einzusehen, warum man sich immer wieder mit Flickwerk - begnügt, anstatt eine echte Lösung herbeizuführen, die längst fällig ist.
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Wir bedauern ausdrücklich - ich muß das in diesem Zusammenhang sagen -, daß dieser Bundestag nicht imstande war, die verfassungsrechtlichen Schlußfolgerungen aus den finanzpolitischen Erfahrungen der letzten vier Jahre zu ziehen. Eine einheitliche Bundesfinanzverwaltung muß kommen. Sie wird nicht nur außerordentliche Verwaltungsvereinfachung und echte finanzielle Ersparnisse von großem Umfang bringen; sie wird auch ihre Wirkung auf .die ,Steuermoral und den Vollzug der Steuergesetze ausüben und damit zur Gesundung des demokratischen Staatswesens beitragen. Diese Forderung, die wir Sozialdemokraten mit anderen politischen Kräften in der Bundesrepublik trotz -des vergeblichen Anlaufs in diesem Parlament niemals aufgeben werden, hat nichts mit zentralistischen Zielsetzungen zu tun. Im Gegenteil, man muß offen aussprechen, daß der falsch verstandene Föderalismus, der die deutsche Innenpolitik seit Jahren beherrscht, durch seinen Appell an den Egoismus der regionalen Interessen die Beseitigung von Notständen in -den schwächer entwickelten Gebieten der Bundesrepublik geradezu verhindert.
({11})
Er zwingt immer wieder zu Hilferufen an die Zentrale und sündigt so dauernd gegen seine eigenen, angeblich geheiligten Grundsätze.
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Ich glaube, hier wird der kommende Bundestag sich ernsthaft fragen müssen, ob er nicht die Verpflichtung hat, endlich einmal einen Strich unter gewisse Irrwege zu ziehen, die wir seit -dem Jahre 1949 gar nicht allein aus freien Stücken gegangen sind.
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Schließlich noch einige Bemerkungen zu einigen wichtigen Teilen des Haushaltsplans, oder besser gesagt, zu ihrer politischen Seite.
Über die Außenpolitik werden wir ja heute noch an anderer Stelle zu sprechen haben; es gehört
nicht zu meinen Aufgaben, mich hier damit auseinanderzusetzen.
Dagegen muß ich einige Bemerkungen zur Innenpolitik der Bundesregierung machen. Sie ist nach unserer Meinung schon durch die Person des Herrn Bundesinnenministers gekennzeichnet, der, das muß bei allem persönlichen Respekt, den man vor abgerundeten Persönlichkeiten haben kann, gesagt werden, sich durch die konservativ-reaktionäre Tendenz auszeichnet und geradezu zum Fahnenträger der Bundesregierung in dieser Richtung geworden ist. Was aus dem Ministerium Lehr im Laufe der Jahre an Gesetzentwürfen hervorging oder in der Planung steckengeblieben ist - und das ist ja bei einigen wichtigen der Fall -, ist derart, daß selbst gute Freunde der Regierung sich dagegen zur Wehr setzten und die schärfsten Bedenken äußerten; und das will viel heißen. Ich denke dabei an das Presse- und das Rundfunkgesetz, von den verunglückten Wahlgesetzentwürfen ganz zu schweigen. Auch in diesen Entwürfen hat sich ja eine gewisse Tendenz gezeigt,
({14})
die mit den Aufgaben eines Verfassungsministeriums nur sehr wenig zu tun hat, wohl aber sehr mit der Absicht der Sicherung bestimmter politischer Bastionen für eine bestimmte politische Kräftegruppierung.
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Auch über die Methoden des sogenannten konstruktiven Verfassungsschutzes, wie sie im Ministerium Lehr entwickelt worden sind, können wir nur unser äußerstes Mißtrauen aussprechen, zumal angesichts -der Tatsache, daß man sich beharrlich weigert, über diese Methoden und ihre Ziele und die damit verbundenen persönlichen und organisatorischen Bereiche ernsthaft mit -den Vertretern demokratischer Auffassungen in diesem Parlament zu sprechen.
Da ist schließlich das Verkehrsministerium des Herrn Dr. Seebohm. Es ist nicht nur -der Politik und der politischen Haltung des Ministers wegen Gegenstand unserer besonderen Aufmerksamkeit. Ich sage kein Wort über die Beamten dieses Ministeriums, wie überhaupt bei dem, was ich hier ausspreche, niemals die Angehörigen der Administration gemeint sind, sondern in erster Linie die politischen Chefs, die eine politische Kontur haben, die politische Ziele vertreten und mit denen wir uns auseinanderzusetzen haben. Wir haben mit wachsender Besorgnis die Verkehrspolitik der Bundesregierung verfolgt. Wir haben vergeblich nach einer einheitlichen Verkehrspolitik gesucht. Man kann eher das Fehlen einer solchen Politik feststellen. Der Herr Bundesverkehrsminister hat zwar neben seiner politischen Funktion als ganz rechter Flügelmann der Koalition noch eine heiße Liebe zur deutschen Luftfahrt entwickelt. Das ist vielleicht nicht nur sein Steckenpferd, sondern eine echte Leidenschaft. Aber damit allein kann man ja die Tatsache nicht verdecken, daß die Bundesregierung bisher entscheidende Maßnahmen zur Koordinierung der verschiedenen Verkehrsprobleme und der verschiedenen Verkehrsträger nicht ergriffen hat. Man kann summieren: Die Bundesbahn - ({16})
- Meine Damen und Herren, wenn Sie in der Propaganda die Verdienste Ihrer Regierung herausstreichen, sind Sie auch nicht ganz frei von Übertreibungen, um es milde auszusprechen. Sie
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heften sich ja manches Lorbeerblatt an Ihre manchmal etwas kahlen Schläfen, das auf anderen Bäumen gewachsen ist.
({18})
Seien Sie also doch sehr vorsichtig mit solchen Vorwürfen.
Ich sage noch einmal, die Bundesregierung hat bisher entscheidende Maßnahmen zur Koordinierung der Verkehrsprobleme nicht unternommen. Und wenn Sie den Zustand betrachten, in dem sich z. B. die Bundesbahn als einer unserer größten Verkehrsträger befindet, wenn Sie sich an die finanzielle Krise der Bundesbahn erinnern, die geradezu lebensgefährliche Ausmaße angenommen hat, wenn Sie dazunehmen, daß unser Straßennetz, auch wenn man die Winterschäden außer acht läßt, die ja in diesem Jahre besonders groß und kostspielig sind, - dann muß man doch feststellen, daß sich unser Straßennetz in einem katastrophalen Zustand befindet, der auch nicht durch die kleinen Mittelchen verbessert wird, die man im Rahmen der budgetären Möglichkeiten anwendet.
Ich glaube, hier ist tatsächlich auch eine ernste Besinnung auf das Notwendige erforderlich. Hier muß tatsächlich einmal die Frage gestellt werden, ob man lediglich damit, daß man repariert und daß man da und dort - vielleicht nach regionalen oder nach Wahlkreisgesichtspunkten - einmal eine Straße weiterführt oder eine Umgehungsstraße baut, den wirklichen Problemen unseres Straßenverkehrs, unseres Straßenwesens überhaupt, näherkommt. Auch das ist eine Frage, die nach unserer Meinung vom Herrn Bundesverkehrsminister nur an der Oberfläche gesehen, aber niemals im Zusammenhang mit allen anderen Verkehrsproblemen wirklich durchdacht worden ist. Denn das ist das Entscheidende: Wir haben uns eben nicht nur mit einem notleidenden Verkehrsträger zu beschäftigen, sondern mit einer ganzen Fülle von Problemen, die man nur im Zusammenhang sehen und auch nur aus dem Zusammenhang lösen kann.
Da ist der verheerende Wettbewerb zwischen Schiene und Straße. Er. geht unentwegt weiter. Die gesetzlichen Möglichkeiten, die gesetzlichen Maßnahmen, die getroffen worden sind, sind offensichtlich Notlösungen und gehen nicht an den wirklichen Kern der Dinge. Dabei wird sowohl auf der Straße wie auf den Schienen doch in zunehmendem Umfang nationales Vermögen zerstört und verschlissen, das in diesen Sektoren investiert ist. Hier ist Kritik, und zwar Kritik in einem durchaus positivem Sinne, angebracht, damit endlich die maßgebenden Stellen der Bundesregierung die Verkehrspolitik als eine der wichtigen Gegenwartsaufgaben betrachten lernen, die gelöst werden muß und für die man sich nicht irgendwelche kleinen Rezepte zurechtlegen kann.
({19})
Noch ein Wort zur Wirtschaftspolitik. Nichts ist so bezeichnend für die soziale Marktwirtschaft, d. h. für die wirtschaftspolitische Theorie, die angeblich die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung bestimmt, wie die Art und Weise, mit der für diese soziale Marktwirtschaft Propaganda gemacht wird. Diese Propaganda wendet sich - ich will von den Einzelheiten absehen, es gäbe darüber eine Fülle von interessantem dokumentarischem Material - nicht an die wirklichen Nutznießer der Politik des Herrn Professor Erhard. Die Herren vom Bundesverband der Industrie und von anderen großen Wirtschaftsverbänden brauchen schließlich nicht davon überzeugt zu werden, wie gut es Ihnen zur Zeit geht. Das wissen sie alle selber, und sie lassen es sich ein schönes Stück Geld kosten, damit es ihnen auch nach den Wahlen des Sommers 1953 weiter, só gut gehe wie bisher.
({20})
Nein, die propagandistischen Anstrengungen der Bundesregierung und ihrer Parteien konzentrieren sich auf diejenigen Schichten unseres Volkes, die am wenigsten von der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung profitiert haben. Ihnen muß man durch die Propagandalautsprecher der verschiedensten Kaliber weismachen, wie Großes man für sie geleistet hat. Daß das manchmal auf eine sehr merkwürdige, um nicht zu sagen umappetitliche Art geschieht, ist eine Sache für sich.
Ich habe dieser Tage ein Flugblatt gelesen, das aus Anlaß des Parteitages eines erheblichen Teils der größten Regierungspartei dieses Hauses erschienen ist. Was da an Vergleichszahlen und an Vergleichsgrundlagen aufgeführt wurde, das ist ({21})
man könnte es beinahe genial nennen, wenn es nicht so unehrlich wäre. Ich will nur einige Beispiele herausgreifen.
({22})
Da wird z. B. gesagt, die Produktion hätte im Juni 1948 37°/o der des Jahres 1936 betragen, und dann wird errechnet, wie sich durch die soziale Marktwirtschaft die Kurve nach oben bewegt habe. Daß eine solche Bewegung stattgefunden hat, wird niemand leugnen wollen. Das läßt sich ja statistisch nachweisen, obwohl wir wissen, daß die Statistik zu vielen, auch zu dunklen Zwecken gebraucht werden kann. Aber daß zwischen 1936 und Juni 1948 ein verlorener Krieg, ein katastrophaler Zusammenbruch, eine völlig zerrüttete Währung lagen, das sollte man, wenn man aus christlicher Verantwortung Propaganda macht, nicht ganz verschweigen.
({23})
- Aber es wird gelegentlich verschwiegen, Herr Wuermeling!
({24})
- Wenn Sie etwas beweisen wollen, was schwer zu beweisen ist, dann müssen 'Sie immerhin alle Tatsachen auf den Tisch legen, damit der Leser sich auch ein wirkliches Urteil über die zusammenwirkenden Elemente einer Erscheinung bilden kann. Das gehört nun einmal zur Ehrlichkeit der Propaganda.
({25})
In derselben Statistik wird gesagt, daß die Arbeitslöhne im Juni 1948 100 % derer von 1938 betragen hätten und daß sie bis August 1952 auf 192 % derer von 1938 gestiegen seien. Kein Wort von der Bedeutung 'der Kaufkraft in diesem Zusammenhang!
({26})
({27})
Kein Wort davon, daß die D-Mark von 1952 im Innenverhältnis nicht dieselbe Kaufkraft hatte wie die Reichsmark von 1938!
({28})
- Sie wechseln also je nach Bedarf Ihre technischen Mittel aus, damit der Leser, wie es gerade trifft, so oder so orientiert wird! Auch ein Stück Propaganda, Herr Wuermeling!
({29})
Und was soll man schließlich sagen, wenn behauptet wird, die soziale Marktwirtschaft habe das Realeinkommen von 66 % des Jahres 1948 auf 113 % im Jahre 1952 gesteigert? Meine Damen und Herren, selbst wenn diese Zahlen stimmen, bedeutet ihre willkürliche Gruppierung eine objektive Unwahrheit; denn daß das Realeinkommen des Jahres 1948 entscheidend durch den Währungsverfall bestimmt war, ist ja wohl allgemeine Überzeugung.
.({30})
- 1948 haben wir alle miteinander ,angefangen, nicht nur Sie, Herr Wuermeling!
({31})
1948 haben wir sozusagen mit Null angefangen, und es ist ja schließlich verständlich, daß von Null an die Sache entweder nur in einer vollendeten Katastrophe landen kann oder daß man sich ein Stückchen aufwärts bewegt.
({32})
Dieses Sichaufwärtsbewegen - davon rede ich die ganze Zeit - wird von niemandem geleugnet. Worauf es ankommt, ist, klarzustellen, aus welchen Elementen sich dieser Aufwärtstrend eigentlich ergeben hat. Darüber sollte man doch in guten Treuen und mit anständigen Voraussetzungen reden können. Man sollte jedenfalls aufhören, sich mit statistischen Kunststücken Erfolge auszurechnen, und offen zugeben,
({33})
- aber, Herr Arndgen! - ich sage, man sollte offen zugeben,
({34})
daß die nicht zu bezweifelnden Fortschritte, die der Wiederaufbau der zerstörten deutschen Volkswirtschaft seit den Tagen des Zusammenbruchs gemacht hat, - ({35})
Ich sage nicht ohne Grund: seit den Tagen des Zusammenbruchs, denn auch vor 1948 hat es in Deutschland eine schwere Zeit gegeben, haben deutsche Regierungen bestanden, die etwas getan haben,
({36})
gar nicht erst seit der Begründung der Bundesrepublik und der Etablierung dieser Regierung! Das ist einfach ein propagandistischer Kunstgriff, den wir nicht akzeptieren und gegen den wir uns mit aller Entschiedenheit wehren.
({37})
Man sollte zugeben, daß die unbezweifelbaren Fortschritte, die der Wiederaufbau gemacht hat, das
Resultat des Zusammenwirkens verschiedener Faktoren sind,
({38})
daß die Außenhilfe und die von den Alliierten durchgeführte Währungsreform - auch das muß wieder einmal gesagt werden - als zwei entscheidende Voraussetzungen angesehen werden müssen, von denen aber dann neben der Arbeit der Bundesregierung die Leistungen der Gemeinden und der Länder und vor allem der Fleiß und die Arbeitsfreude der Menschen nicht wegzudenken sind.
({39})
Täte man das, meine Damen und Herrn, würde man stets und ständig alle diese Dinge im Zusammenhang sehen, dann hätten wir eine saubere Ebene für die politische Auseinandersetzung. So haben wir sie leider nicht.
Schließlich darf man auch nicht vergessen, daß die Wirtschaft der Bundesrepublik wie die 'anderer westlicher Länder von dem Rüstungsboom etwas profitiert hat, der durch den Koreakrieg ausgelöst worden ist.
({40})
- Auch von den Nachteilen, zweifellos; nur haben die Nachteile in der Regel andere verspürt als die, die die Vorteile gehabt haben. Das hat sich nicht ganz gleichmäßig auf das ganze deutsche Volk ausgewirkt.
({41})
Man sollte auch einmal in die Rechnung einstellen - wir denken ja nicht nur an den gegenwärtigen Augenblick, wir reden ja nicht nur von diesem Bundeshaushalt, sondern von der künftigen Entwicklung -, daß eines Tages die Antriebskräfte von außen nicht mehr wirksam sein werden und daß wir uns dann mit unseren eigenen Mitteln und Möglichkeiten behelfen müssen. Dann wird sich zeigen, daß neben der „Genialität" des Erfinders der sozialen Marktwirtschaft in unserm Lande noch einiges andere notwendig ist, um eine stetige Weiterentwicklung unserer Wirtschaft zu gewährleisten, deren innere Unausgeglichenheiten ja durch die Politik der gegenwärtigen Bundesregierung nicht gemildert oder gar 'beseitigt worden sind; im Gegenteil, man kann sagen, daß sie eine Steigerung erfahren haben.
Die unzulänglichen Versuche, das Problem der Investitionspolitik zu lösen, sind noch in Erinnerung. Die Engpässe in unserer Wirtschaft, vor allem bei den Grundstoffindustrien, lassen sich nicht überwinden, wenn man landauf, landab die Sozialdemokratie, und zwar gegen 'besseres Wissen, als Anhänger der Zwangswirtschaft beschimpft, während die Widersprüche in unserem Wirtschaftsleben unentwegt fortbestehen. Wir Sozialdemokraten -das muß in diesem Zusammenhang gesagt werden - wollen ebensowenig den schematischen Dirigismus, den manche Leute uns andichten, wie wir an die unfehlbare Wirkung der sogenannten Gesetze der freien Marktwirtschaft glauben. Wir kämpfen vielmehr für eine Wirtschaftspolitik, die das notwendige Maß von Planung mit einem Höchstmaß von persönlicher Freiheit verbindet. Wir wenden uns gegen die Planung durch die Interessenten, die in erster Linie eine Planung gegen die Gesamtinteressen der Volkswirtschaft ist,
({42})
und wir machen auf den Widerspruch aufmerksam,
({43})
der darin liegt, daß dieselben Leute, die auf der nationalen Ebene drei Kreuze machen, wenn von Planung die Rede ist, auf der sogenannten supranationalen Ebene für Schumanpläne und ähnliche Konstruktionen schwärmen.
({44})
Eine Ausnahme macht dabei allerdings der Herr Stellvertreter des Bundeskanzlers, der vor einigen Tagen, wie ich im Rundfunk gehört habe, erklärt hat, er persönlich sei kein Freund des Schuman-plans und der Montanunion. Das war eine Offenbarung für unsereinen; denn bisher las man's anders.
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Vielleicht klären sich diese Widersprüche im Laufe der Begebenheiten noch auf. Aber wir haben schon so manche Widersprüche hinnehmen müssen, die niemals aufgeklärt worden sind, so daß wir uns auch damit abfinden werden.
Meine Damen und Herren! Abgesehen von den theoretischen Deklamationen sind die verschiedenen Zweige unserer Wirtschaft - und unter Wirtschaft versteht man ja nicht nur die Industrie, sondern dazu gehört noch eine ganze Menge anderes; sogar die Arbeiter gehören zu dieser Wirtschaft,
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und sie haben am wenigsten die Möglichkeit, ihre Stimme so laut zu erheben wie gewisse Herren, die sich ,das Monopol herausgenommen haben, sich „die Wirtschaft" zu nennen - in der Beurteilung der theoretischen Grundlagen und der Praxis der offiziellen Wirtschaftspolitik keineswegs in voller Übereinstimmung erstens mit der Regierung und zweitens untereinander. Das zeigt sich am besten in der Haltung der landwirtschaftlichen und der Mittelstandsorganisationen. Neben vielen Verbeugungen vor der sozialen Marktwirtschaft ertönt aus diesen Kreisen - und das können Sie überall in der Presse lesen - immer wieder und immer stärker der Ruf nach Reglementierung, nach Planung, nach Lenkung, nach Schutz vor der Konkurrenz, sei es die von innen oder die von außen. Jedenfalls sind gerade diese Kreise unserer Wirtschaft weit davon entfernt, an die ehernen Gesetze der freien Marktwirtschaft zu glauben, und sie wünschen sich sehr gern manchmal eine etwas größere Initiative von seiten der Bundesregierung und vor allem des Bundeswirtschaftsministers im Interesse der Gesamtheit der Volkswirtschaft, nicht im Interesse einzelner Gruppen.
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Schließlich findet sich derselbe Widerspruch ja auch im Schoße der Bundesregierung. Die Gegensätze und Rivalitäten zwischen Wirtschaftsministerium und Ernährungsministerium, zwischen Wirtschaftsministerium und Finanzministerium sind ja ein offenes Geheimnis; sie sind uns allen wohlbekannt. Sie sind unabhängig von den Personen der beteiligten Minister das Ergebnis von echten Interessengegensätzen, die schließlich nur bereinigt werden können, wenn der Staat den Mut hat, als Mittler einzugreifen, um den Ausgleich der Interessen durch eine bewußte Lenkung nach volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten durchzuführen.
Lassen Sie mich endlich noch ein Wort zu dem oft besprochenen Thema der Sozialleistungen sagen. Es ist richtig: die Sozialleistungen im Bundeshaushalt sind von Jahr zu Jahr gestiegen. Es ist ferner richtig, ,daß die Sozialleistungen einen großen und
im wesentlichen starren Block der Aufwendungen des Bundes ausmachen, wenn ich auch keineswegs bereit bin, die schematische Einreihung von Aufgaben und Ausgaben unter den Titel „Sozialleistungen" so zu akzeptieren, wie die Bundesregierung diesen Begriff a) in ihrem Haushaltsplan und b) in ihrer Propaganda verwendet. Ich glaube, daß da sehr viel hineingebaut worden ist, was mit eigentlichen Sozialleistungen nichts zu tun hat, wo vielmehr echte Verpflichtungen der öffentlichen Hand gegen ihre ehemaligen Angehörigen, gegenüber verdrängten Beamten usw. zu erfüllen sind. Das sollte man klar auseinanderhalten, und man sollte nicht so tun, als ob das alles mit dem großen Mantel der Sozialleistungen zugedeckt werden könnte.
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- Darüber kann man streiten, Herr Atzenroth, was „sozial" im eigentlichen Sinn des Wortes ist.
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Man sollte auseinanderhalten, was zwangsläufige Folgen des verlorenen Krieges und was echte Leistungen zur Behebung sozialer Notstände sind, die nicht unmittelbar mit dem Krieg zusammenhängen, sondern die in der Natur der Gesellschaft, in der Struktur der Wirtschaft und in der Altersschichtung ihre Ursache haben.
Wenn man die beiden Tatsachen, von denen ich vorhin ausgegangen bin, anerkennt, dann muß man sie aber auch in ihren wirklichen Zusammenhang hineinstellen, und man muß dann die Frage stellen: Warum sind die Sozialleistungen gestiegen? Sind sie gestiegen aus dem freien Entschluß der Bundesregierung, die wohltun wollte, die also der idealen Vorstellung vom Wohlfahrtsstaat eine Stätte in unserem Lande bereiten wollte? Oder sind sie entstanden aus gewissen Zwangsläufigkeiten oder Notwendigkeiten, denen man sich nicht entziehen konnte? Auch das ist manchmal eine Leistung, daß man eine Notwendigkeit 'akzeptiert, und ich will es gar nicht verkleinern.
Aber ich muß sagen: Sie sind gestiegen erstens, weil seit 1949, dem Jahr des Beginns dieser Bundesrepublik nicht nur Einnahmen, sondern auch Ausgaben und Aufgaben von den Ländern auf den Bund überkommen sind, so daß also das Volumen seiner Leistungen beinahe automatisch steigen mußte -das ist die eine Seite der Sache -, zweitens, weil die Bundesgesetzgebung im Lauf -dieser vier Jahre eine Reihe von Aufgaben gelöst hat und lösen mußte, Aufgaben, .die den Sozialhaushalt ausweiten. Ich erinnere dabei an das Bundesversorgungsgesetz und das 131er-Gesetz, und ich darf in diesem Zusammenhang ja wohl sagen, daß diese beiden Gesetze unter intensivster Mitwirkung der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion zustande gekommen sind. Daß die ständigen Bemühungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion um die Anpassung der Renten an die gesteigerten Lebenshaltungskosten ebenfalls in das Kapitel „Steigerung der Sozialleistungen" eingebaut werden müssen und mitgesehen werden müssen, möchte ich 'in diesem Zusammenhang auch nicht verschweigen.
Wir müssen nachdrücklich an dem Standpunkt festhalten, daß die sozialen Verpflichtungen der Bundesrepublik gegenüber den wirtschaftlich Schwächsten ihrer Bürger noch längst nicht so erfüllt sind, daß man von einer echten Bereinigung der sozialen Spannungen sprechen könnte, die für
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unseren Volkskörper charakteristisch sind. Mit der
Parole „Schafft Eigentum!", die man jetzt ausgibt, ist diesen Problemen nicht beizukommen. Dazu bedarf es einer grundlegenden Verschiebung der Akzente der innerdeutschen Politik.
Der Bundeshaushalt spiegelt in seiner Gesamtheit die politischen Tendenzen wider, gegen die wir Sozialdemokraten ankämpfen. Wenn er trotzdem auf vielen Gebieten moderne Züge zeigt, so ist das weniger das Ergebnis einer bewußten Politik der Bundesregierung als vielmehr die Konsequenz einer unaufhaltsamen Entwicklung, die sich in allen modernen demokratischen Staaten durchsetzt. Der Haushalt ist heute nicht mehr ein bloßer Niederschlag von Einnahmen und Ausgaben zur Bewältigung von Verwaltungsleistungen, er wird immer mehr zu einem Instrument zur Erreichung ernährungs-, wirtschafts-, sozial- und allgemeinpolitischer Ziele, und die Auseinandersetzung um einen solchen Haushalt ist eine politische Aufgabe ersten Ranges.
Die Konsequenz aus unserer Gesamthaltung gegenüber der Politik der Bundesregierung ist daher die Ablehnung dieses Haushaltsplans durch die sozialdemokratische Bundestagsfraktion. Ich verrate Ihnen kein Geheimnis, meine Damen und Herren: Die sozialdemokratische Fraktion wird in der Gesamtabstimmung den Haushaltsplan 1953/54 ablehnen.
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Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die letztmalige Verabschiedung eines Bundeshaushalts in der Sitzungs- und Tätigkeitsperiode dieses Parlaments gibt uns Anlaß, in einer Stunde der Besinnung zu überlegen, welche großen und leitenden Gesichtspunkte für die Finanz- und Haushaltspolitik der größten Fraktion dieses Hauses und darüber hinaus der Regierungskoalition maßgebend waren. Es wird sicher nützlich sein, eine solche Gelegenheit zu benützen, um sich selbst Rechenschaft darüber abzulegen, ob - der großen Linie nach gesehen - der Weg, den man beschritten hat, richtig oder falsch war, an welchen Stellen der eingeschlagene Weg etwa korrekturbedürftig war oder an welchen Punkten andererseits völlige Klarheit darüber besteht, daß der Weg richtig war.
Wir sind keinesfalls der Auffassung, daß wir alles richtig gemacht haben. Wir sind gar nicht der Meinung, daß das, was wir in den letzten vier Jahren getan und unternommen haben, nicht da und dort der Änderung bedürftig sei. Wir mußten in den letzten vier Jahren erst die Erfahrungen sammeln. Wir mußten uns erst Einblick in die ganz neuartigen Verhältnisse verschaffen. Außerdem war alles vollkommen in Bewegung. Wer hätte etwa im Herbst des Jahres 1949, als wir damit angefangen haben, Haushalte zu bearbeiten und Haushalte zu verabschieden, auch nur im entferntesten daran zu denken gewagt, daß wir im Jahre 1953 einen Haushalt mit einen finanziellen Gesamtvolumen von 27 Millionen DM verabschieden würden? Damals haben wir mit 7 Milliarden, wenn ich mich recht erinnere, angefangen. Alles war vollkommen unübersehbar. Wir waren vor die Notwendigkeit gestellt, in ein dunkles Land, in eine vernebelte Gegend hineinzumarschieren. Wir mußten von Fall zu Fall Lösungen finden. Man wird bei aller Schärfe der Kritik wohl nicht bestreiten können,
daß wir solche Lösungen gefunden haben. Aber wir hätten diese Lösungen niemals gefunden, wenn wir uns bei den wichtigsten Entscheidungen über unsere Finanzpolitik nicht von ganz festen und klaren Grundsätzen hätten leiten lassen. Es ist mir ein Bedürfnis, einige dieser Grundsätze in dieser Stunde einmal herauszustellen,
Zum ersten: Wir waren vor die Aufgabe gestellt, für die Bundesrepublik und ihre Finanzgebarung 'einen Raum des Vertrauens zu erwerben und zu erkämpfen. Ohne Vertrauen kann kein Staat, kann keine Gemeinschaft leben. Was aber ,den Deutschen und ihrer neu anhebenden Finanzgebarung in allererster Linie in der ganzen Welt entgegengebracht wurde, war zunächst nichts als Mißtrauen, bitterstes, härtestes Mißtrauen. Dieses Mißtrauen ist ausgelöst worden durch das, was durch das vergangene schlechte und verworfene Regime von Leid und Not über uns Deutsche und darüber hinaus über die ganze Welt gebracht worden ist. Unsere Aufgabe war es nun, darum zu kämpfen, daß an Stelle des Mißtrauens gegen Deutschland das Vertrauen zu Deutschland treten möge. Gerade auf dem Gebiet der Finanzen aber kann Vertrauen auf die Dauer nur dadurch erworben werden, daß eine ganz redliche, ganz ehrliche, sehr sorgfältige und sehr gewissenhafte Finanzwirtschaft getrieben wird.
({0})
Darüber, daß aber in der Bundesrepublik eine redliche, ehrenhafte, solide und gewissenhafte Finanzpolitik getrieben worden ist, besteht wohl kein Zweifel.
({1})
Jeder in Deutschland hat im Laufe der Zeit gesehen, daß dieser Bundesfinanzminister Schäffer und daß diese Regierungskoalition entschlossen sind, ein ehrliches Spiel und eine ehrliche Geldwirtschaft zu betreiben.
({2})
- Sie sagen „na, na"; es gibt leider noch manche Deutsche, die so sagen. Aber es ist unser ganzer Stolz, daß man im Ausland nicht so sagt,
({3})
sondern daß man im Ausland der Finanzpolitik dieser Regierung Vertrauen und Achtung entgegengebracht hat.
({4})
Wer noch irgendeinen Zweifel hieran hat, der braucht ja nur zu sehen, wie es um die Deutsche Mark steht. Wie stand es um 'das Jahr 1948 um die Deutsche Mark, als uns die Besatzungsmacht die Währung in die Hand gedrückt hatte? Wenn man damals ins Volk hineinhörte, dann stellte jeder zweite dazu die Frage: Wie lange wird diese Währung halten? Kaum jemand hatte Vertrauen zur Stabilität der Währung.
({5})
Und wie ist es heute? Heute ist die deutsche Währung eine der festesten Währungen, die es überhaupt in der Welt gibt.
({6})
Das ist der Ertrag einer redlichen und ehrlichen
({7})
Finanzgebarung, einer Finanzgebarung, die ganz streng darauf hielt, daß man nicht mehr ausgibt, als man einnimmt, daß gegebene Versprechen auch gehalten werden, einer Finanzpolitik, deren Träger sich ganz einfach und nüchtern an das Wort gehalten haben: „Eure Rede aber sei: ja, ja, nein, nein; was darüber ist, das ist vom Übel."
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Ein Kaufmann, der sich in seiner Geschäftspraxis an dieses Wort hält, der gegebene Versprechen auch einlöst, der hat Kredit. Eine Regierung, die das tut, hat auch Kredit. Unsere Regierung hat sich in der Welt Kredit erworben, weil sie sich bemüht hat, nach diesem Rezept zu handeln und einen redlichen, ehrlichen und sauberen Weg in der Finanzpolitik zu gehen.
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Wir haben in vielen harten und schweren Entscheidungen Gelegenheit gehabt, die Politik dieser Regierung zu stützen. Es ist uns oft sehr, sehr schwer, - bitterschwer gefallen, nein zu sagen zu irgendeiner Ausgabe, die wir sehr gern bewilligt hätten, für die wir aber keine Deckung hatten. Es war und ist auch heute unser ganzer Stolz, daß wir diese Härte aufgebracht haben, ganz entschlossen nein zu sagen zu Ausgaben, für die wir keine Deckung gesehen haben.
Nun komme ich zum zweiten Grundsatz, der uns bei unserer Arbeit im Haushaltsausschuß bestimmt hat. Wie Sie wissen, haben wir viele, viele Wochen lang im Haushaltsausschuß zusammengesessen. Der Haushaltsausschuß war einer derjenigen Ausschüsse, die wohl die meisten Sitzungen abgehalten haben. Kürzlich hatten wir die 250. Sitzung. Es waren Sitzungen voll von Mühe und Arbeit. Ich weiß nicht, ob man sich im Lande draußen eine genügende Vorstellung davon macht, welches Unmaß von Arbeit hinter diesen 250 Sitzungen des Haushaltsausschusses steht. Ich darf sagen, daß wir von der Christlich-Demokratischen Union und auch wir von der Regierungskoalition - ich hoffe, meine Kollegen von den anderen Regierungsparteien werden mir darin zustimmen - uns bemüht haben, eine Tugend zu praktizieren, die heute in dieser bewegten Zeit da und dort nicht mehr sehr groß im Ansehen steht. Wir haben versucht, die Grundsätze der Sparsamkeit anzuwenden.
({10})
Wir haben uns bemüht, auch bei den kleinen Dingen sparsam zu sein. Wie oft haben wir uns darüber gestritten, was nun die Ausstattung eines Zimmers in irgendeinem der Gebäude der Verwaltung höchstenfalls kosten darf!
({11})
Wir haben uns die Mühe nicht verdrießen lassen, gerade auf die kleinen und kleinsten Dinge mit großer Sorgfalt einzugehen. Wir haben das deshalb gemacht, damit der Steuerzahler draußen im Lande in dem Bewußtsein leben kann: Wenn die Leute hier in Bonn das Geld des Steuerzahlers ausgeben, dann denken sie an den Steuerzahler.
({12})
Sie denken daran, daß das Geld der Steuerzahler hart und sauer und schwer verdient werden muß und daß der Steuerzahler deshalb ein Recht darauf hat, daß die Leute, die sein Geld ausgeben, dies mit Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit und unter Anwendung der Grundsätze der Sparsamkeit tun, die unser Volk in der Vergangenheit wohlhabend und groß gemacht haben.
Und dann noch ein Drittes, auf das ich hinweisen möchte, wenn ich Rechenschaft über die Grundsätze ablegen soll, die wir gerade auf dem Gebiet der Finanzen und des Haushalts zu praktizieren versucht haben. Wir haben gesehen, daß eine Verwaltung - die Verwaltung ist ja in den letzten vier Jahren mächtig aufgeblüht ({13})
ihre Selbständigkeit haben und über ein Tätigkeitsfeld verfügen soll, auf dem sie frei und unabhängig ihr Werk verrichten kann. Ein Ministerium soll ein Eigenrecht, sein Leiter eine Verfügungsgewalt haben.
({14})
Dieses Eigenrecht der Verwaltung haben wir geachtet und respektiert. Wir haben aber andererseits auch gesehen, daß die Verwaltung nur dann fruchtbar ihres Amtes walten kann, wenn sie in einem wirklich lebendigen Spannungsverhältnis zum Parlament steht. Dieses Spannungsverhältnis zwischen der Verwaltung, die von der Organisationsgewalt der Bundesregierung her bestimmt ist, und dem Parlament, das von Fall zu Fall seine Stellung neu bezieht, stets lebendig zu erhalten, dies war ein weiteres besonderes Anliegen, das für unsere Haltung bestimmend war. Noch immer ist es so gewesen, daß eine Verwaltung von einem gewissen Moment an in Gefahr stand, zu verdorren und zu verknorpeln, wenn sie keine Inspiration mehr hatte, sondern nur, von starren Rechtsgrundsätzen geleitet, von Paragraphen und den Bestimmungen der Gesetze angetrieben, ihre Tätigkeit ausübte. So wie jeder Einzelmensch immer erneut der Inspiration bedarf, der schöpferischen und erleuchtenden Gedanken, die seine Haltung bestimmen und ihm immer neuen Antrieb geben, so bedarf auch die Verwaltung ständig der Inspiration. Sie muß neue und schöpferische Gedanken haben. Sie bedarf der ständigen Befruchtung. Der Verwaltung immer neu diese Befruchtung zu geben, ist in erster Linie Sache des Parlaments.
({15}) - Ja, ganz sicher, Herr Renner.
({16})
Das wäre sehr gut für uns alle, wenn wir diese nie vergäßen!
'({17})
Da könnten auch Sie wirklich noch einiges hinzulernen.
({18})
Ich wage es nicht zu sagen, daß diese gegenseitige Befruchtung von Parlament und Verwaltung in den letzten vier Jahren einen maximalen Standard erreicht hätte. - Das ist sicher nicht der Fall. Ganz gewiß aber hat sich unsere Tätigkeit auf dem Gebiet der Finanzwirtschaft befruchtend für die Arbeit der Regierung ausgewirkt. Darüber hinaus werden die kommenden vier Jahre dem Parlament und der Verwaltung Gelegenheit geben, in gemeinsamer Bemühung einen maximalen Standard gegenseitiger Befruchtung zu erreichen. Der Kontakt zwischen Regierung und Parlament muß verbessert werden.
({19})
Es darf nicht sein, daß es in der Verwaltung Männer gibt, denen es an der Achtung und dem Respekt vor idem Parlament fehlt.
({20})
Es sollte sich nicht ereignen können, daß in der Verwaltung auf irgendeinem Gebiet irgendwelche Aktionen unternommen werden, ohne daß dabei gleichzeitig geprüft wird, welches die großen konstruktiven Linien sind, die für dieses Gebiet vom Parlament als normativ und bestimmend entwikkelt worden sind. Achten wir doch sorgfältig darauf, daß wir es noch viel mehr, als dies bisher der Fall war, lernen müssen, aufeinander zu hören, damit nicht aus einem Gegensatz, sondern aus einer guten, konstruktiven und spannungserfüllten Zusammenarbeit heraus das gemeinsame Werk von Parlament und Regierung verrichtet werden kann.
Aber nun lassen Sie mich einige kurze Bemerkungen zu dem machen, was Herr Kollege Erwin Schoettle, mein verehrter Landsmann, heute an kritischen Bemerkungen gegenüber der Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung entwickelt hat.
Ich muß sagen, daß ich eigentlich etwas bekümmert darüber bin - schade, daß Schoettle nicht da ist; ich hoffe, daß er wiederkommt -, nun nur, nur das Nein aus seinen Worten herausgehört zu haben, nur Kritisches gehört zu haben. Ich glaube, wenn ich in seine innerste Herzkammer hineinblicken könnte,
({21})
dann würde ich feststellen können, daß es dort
ganz anders aussieht, als er uns das hier geschildert hat. Denn ich kann mir nicht denken, - ({22})
- Wollen wir doch nicht so sensibel sein! Sie sind ja nun wirklich auch nicht sensibel. Sie machen doch reichlich Gebrauch davon, Ihrer Überzeugung Ausdruck zu geben, und dann wollen Sie uns doch bitte dasselbe Recht zugestehen. Ich bin der Meinung, daß auch Sie bis ins Innerste hinein von dem Glauben und von der Überzeugung erfüllt sind, daß diese Bundesregierung nicht nur Schlechtes, sondern auch einige ganz ausgezeichnete Dinge gemacht hat,
({23})
nur haben Sie nicht den Mut, das auszusprechen,
({24})
und diesen Mut hätte ich Ihnen von Herzen gern gewünscht.
({25})
- Ich habe sehr aufmerksam zugehört. Aber ich habe kein positives Wort gehört, sondern nur negative Dinge! Das aber genügt nicht. Dies trägt nicht der Bedeutung der Stunde Rechnung. So können wir nicht miteinander umgehen, daß eine Gruppe von Menschen da ist, die sich ehrlich und redlich bemüht, vier Jahre lang die Last der Verantwortung zu tragen, und dann kommt die Opposition und sagt: Das war ja alles nur schlecht!
({26})
- Doch, doch, Herr Kollege Gülich, genau das wurde gesagt.
({27})
Ich habe genau zugehört. Die letzten Ausführungen des Kollegen Schoettle gingen etwa dahin: Im wesentlichen waren es reaktionäre Tendenzen, die bei der Regierung wirksam waren. Das, was sonst so gemacht worden ist, nun, das ist aus den allgemeinen Zeitläuften entsprungen, das ist im großen und ganzen von selber gekommen. Nein, meine Damen und Herren, in dieser Welt entsteht nur der Unsinn, nur der Blödsinn von selbst. Alles, was an guten und nützlichen Dingen in dieser Welt entsteht, das muß erkämpft und erarbeitet werden. Und wir haben gekämpft und wir haben gearbeitet. Wir haben vieles für unser Volk erreicht. Es hätte uns mit Befriedigung erfüllt, wenn Sie auch anerkannt hätten, daß die Frucht unserer Arbeit eine Reihe von positiven Ergebnissen war, die sich segensreich für unser Volk ausgewirkt haben.
Kollege Schoettle hat an den Deckungsmethoden Kritik geübt, die beim Haushalt 1953 angewandt worden sind, so z. B. daß der Fehlbetrag von 1951 nicht in den Haushalt eingestellt worden ist. Das ist eine Sache, die auch uns Kummer gemacht hat und die auch uns nicht gefällt. Sie hat auch dem Finanzminister nicht gefallen. Aber bei der Anspannung des Haushalts, unter der wir leiden, ist
es doch sonnenklar, daß es auf dem Gebiet der Finanzpolitik genau so geht, wie etwa auf dem Gebiet der Militärwissenschaft. Clausewitz hat einmal gesagt: „Der Krieg ist ein System von Aushilfen". Ich glaube, jeder Finanzminister, gleichgültig ob er von der CDU oder von der SPD gestellt wird, wird von Fall zu Fall ein System von Aushilfen ersinnen müssen,
({28})
um praktische Lösungen für die jeweiligen Probleme zu erreichen.
({29})
- Ein System von Aushilfen! - Ich halte es für eine durchaus legale Maßnahme, wenn etwa versucht wird, im Einvernehmen mit den Trägern der Sozialversicherung die Lösung zu finden, die nunmehr realisiert wird.
({30})
Nachdem die Träger der Sozialversicherung vom Bund laufend in bar große Summen, geradezu Riesensummen zugeschossen bekommen und nachdem sie große Summen frei disponibel haben, ist es doch nichts Unbilliges, wenn sich der Bund mit ihnen ins Benehmen setzt und eine Lösung anstrebt, wie sie nun gefunden wurde.
({31})
- Doch, das stimmt! Das ist genau das, was ich
({32})
meine und was meine Überzeugung ist. Ich halte diese Lösung nicht etwa für eine schlechte, sondern für eine ganz gute und ordentliche Sache.
Nun die weitere Frage, die Kollege Schoettle angeschnitten hat, die Sache mit den Mitteln, die für die Erfüllung der Verträge bereitgestellt sind. Er hat gesagt, für die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen stünden im Haushaltsplan 950 Millionen DM. Diese Beträge werde man aber wahrscheinlich gar nicht bezahlen müssen. Es wäre deshalb seiner Meinung nach besser gewesen, diese hohe Summe nicht in den Haushalt hineinzuschreiben. Dann hätte man bei den Deckungsmitteln doch etwas mehr Luft bekommen. Demgegenüber ist folgendes zu sagen: Für uns von der CDU und von der Regierungskoalition gilt, auch was diese Verträge anlangt, das, was ich eingangs gesagt habe: Wenn man Verträge geschlossen hat und wenn man sich verpflichtet hat, bestimmte finanzielle Leistungen zu vollbringen, dann ist man auch verpflichtet, die Deckungsmittel für diese Leistungen in den Haushalt einzustellen.
({33})
Unser außenpolitisches Handeln würde unglaubhaft werden, wenn wir anfingen, die Deckungsmittel für die Verpflichtungen aus den Verträgen, die wir abgeschlossen haben, aus dem Haushalt herauszustreichen. Das wollen wir nicht. Wir stehen zu den Verträgen. Wer zu der Bereitstellung dieser Mittel für die Erfüllung der Verträge nein sagt, muß folgerichtig ja sagen zur Leistung von Besatzungskosten, die dann vielleicht viel höher sein werden als die Beträge, die wir zur Erfüllung der Verpflichtungen aus den Verträgen bereitgestellt haben.
({34})
Vergessen wir nicht, daß bis zum heutigen Tage
noch das Besatzungsstatut vom 8. April 1949 gültig
ist, in dem vorgesehen ist, daß die Hohen Kommissare uns während seiner Dauer jederzeit durch
einseitige Anordnungen Besatzungslasten in beliebiger Höhe auferlegen können. Der, der die Verträge und die aus ihnen erwachsenden Kosten verneint, der bejaht das Besatzungsstatut und die
Besatzungskosten! Der muß dann aber auch ehrlich
genug sein, das auch draußen im Lande zu sagen.
({35})
- Die Ehrlichkeit ist ein wichtiges Element der Politik, Herr Professor Gülich! Wir gedenken sie nicht wegzulassen. Sondern wir gedenken sie auch in Zukunft zur Grundlage unserer Politik zu machen.
({36})
Sie werden doch im Ernst nicht bestreiten können, daß, wenn Sie nein zu den Verträgen sagen, Sie dann ja sagen zum Besatzungsstatut
({37})
und zur Vollmacht der Alliierten, uns auch in Zukunft durch einseitige Anordnungen zu regieren.
({38})
Was die übrigen Bemerkungen des Kollegen Schoettle anlangt, so habe ich nicht die Absicht, auf seine allgemeinen finanz- und steuerpolitischen Ausführungen einzugehen. Die Fragen des Steuersystems, der Einrichtung einer Bundesfinanzverwaltung und alle diese Fragen sind hier sehr häufig und sehr eingehend erörtert worden.
Ich möchte nur noch ein Wort zu seinen kritischen Bemerkungen über die Wirtschaftspolitik sagen. Die Wirtschaftspolitik steht in einem ganz engen Kontakt mit der Finanzpolitik. Ich habe schon darauf hingewiesen, daß wir mit einem Haushalt angefangen haben, der etwa 7 Milliarden DM in Ausgaben und Einnahmen umfaßte. Jetzt sind wir bei einem Haushalt mit 27 oder 28 Milliarden DM angelangt. Ich habe mich oft darüber gewundert, daß wir es fertig gebracht haben, für die sich ständig steigernden Staatsausgaben die erforderlichen Deckungsmittel zu beschaffen. Dabei haben sich die finanz- und steuerrechtlichen Grundlagen, die für die Einnahmeseite bestimmend sind, eigentlich kaum geändert. Gewiß, wir haben das eine Prozent Umsatzsteuer zugeschlagen. Dafür haben wir aber zweimal Senkungen der Einkommensteuer .vorgenommen. Obwohl also die steuerrechtlichen Grundlagen gleichgeblieben sind, haben wir es fertiggebracht, im Haushalt 1953 Staatsausgaben in Höhe von 27 Milliarden DM zu decken.
Wie ist aber nun dieses Kunststück möglich gewesen? Doch einfach deshalb, weil sich das Produktionsvolumen der deutschen Wirtschaft ständig vergrößert hat und weil sich deshalb auch die Steuereinnahmen erhöht haben.
Wir Deutschen haben ja eine fabelhafte Fähigkeit, uns herumzustreiten. Von dieser Fähigkeit hat der Kollege Schoettle auch bei seiner Auseinandersetzung über die Wirtschaftspolitik des Bundes reichlichen Gebrauch gemacht. Mag man aber nun über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung denken, wie man will, - jedenfalls ist es eine Tatsache, daß sich das Produktionsvolumen der deutschen Wirtschaft unter der Herrschaft dieser Regierung geradezu ungeheuerlich erweitert hat und daß deshalb auch die Staatseinnahmen entsprechend gestiegen sind. Niemand wird leugnen können, daß wir von der Regierungskoalition ein gerüttelt und geschüttelt Maß von Leistung erbracht haben, um dieses Ergebnis zu erzielen. Von selbst ist das alles nicht so gekommen. Ich wollte einmal sehen, wie es bei uns aussähe, wenn die Rezepte, die die SPD in den Jahren 1948 und 1949 für die Wirtschaftspolitik entwickelt hat, an Stelle der sozialen Marktwirtschaft verwirklicht worden wären. Wo wären wir da hingekommen!
({39})
Also, aufs Ganze gesehen, haben wir allen Anlaß, im Rückblick auf die letzten vier Jahre zu sagen, daß wir gut und redlich gewirtschaftet haben. Wir haben allen Grund, dankbar dafür zu sein, daß es uns in so weitgehendem Maße gelungen ist, das gesteckte Ziel zu erreichen. Wir können die Resultate dieser Finanzpolitik mit gutem Gewissen und in ehrlicher Überzeugung vor den breiten Schichten unseres Volkes vertreten.
Ich möchte nicht versäumen, in dieser Stunde dem Leiter der Finanzverwaltung des Bundes, dem Bundesfinanzminister Schäffer, für seine hingebende und schöpferische Arbeit für unser Volk den herzlichen Dank unserer Fraktion auszusprechen.
({40})
Wenn wir in den letzten 4 Jahren oftmals vor einer schwierigen Situation gestanden haben, habe ich mich oft gefragt: „Wird Herr Schäffer wohl wieder eine Lösung finden?" Bei unserer Ausschußarbeit waren wir uns immer wieder darüber einig, daß man einen Bundesminister zu dem Zweck hätte, damit ihm in einer kritischen Situation
({41})
etwas einfalle. Ich muß sagen, daß dem Finanzminister Schäffer immer etwas eingefallen ist. Meistens war es etwas Gutes.
({42})
Es ist in der heutigen Zeit, in der so viel Kritik geübt und in der so viel Negatives hervorgehoben wird, dringend nötig, einmal frei, deutlich und so laut, daß es alle Welt hört, unsern Dank denjenigen auszusprechen, die etwas Gutes für unser Volk geleistet haben.
Nun noch einige wenige Bemerkungen zu den vorliegenden Anträgen. Wir haben als Ergebnis der zweiten Beratung zu verzeichnen gehabt, daß der Haushalt des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten abgelehnt worden ist. Das war ein unvorhergesehenes Ereignis.
({43})
- Ja, wir können es auch später behandeln; das ist durchaus richtig. Dann werde ich die Bemerkungen darüber zurückstellen. Ich behalte mir aber vor, bei der Beratung des Einzelhaushalts dazu noch einige Randbemerkungen zu machen.
Abschließend möchte ich sagen: Wer auch immer in Zukunft die Verantwortung für die Finanz- und Haushaltspolitik der Bundesregierung tragen wird,
- niemals, wird man an dem vorbeigehen können, was an guter und ehrlicher Arbeit in den letzten vier Jahren geleistet worden ist. Für diejenigen, die in diesem Hause auch in Zukunft wirksam und tätig sein werden, werden die Erfahrungen, die wir 'in den letzten vier Jahren gesammelt haben, wertvolle Wegweiser für die Arbeit der Zukunft sein. Wenn in den kommenden vier Jahren die Rezepte realisiert werden, die für die Finanzpolitik dieser Regierung und für die Haltung der Regierungskoalition bestimmend waren, dann wird die Deutsche Mark auch in Zukunft in ihrem Wert erhalten bleiben, dann werden die Wohlfahrt, der Wohlstand und das soziale und innere Gefüge unseres deutschen Volkes auch in Zukunft sich weiter steigern, verbessern und verstärken. Was wir von der CDU aus dazu tun können, um diesen Kurs auch in Zukunft zu verfolgen, das werden wir tun. Denn wir sind alle der Überzeugung, daß der Weg, den wir gegangen sind, der rechte und der gute Weg war.
({44})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Wuermeling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Schoettle hatte die Freundlichkeit, sich in seinen Ausführungen zum Haushaltsplan etwas mit den von mir betreuten Flugblättern zu beschäftigen.
({0})
Ich bin Ihnen dafür sehr dankbar, da wir ja überhaupt noch vor der Notwendigkeit stehen, Herr
Kollege Schoettle, eine Diskussion zu Ende zu
führen, die wir bei der Haushaltsberatung im letzten Jahr begonnen haben. Ihre Beendigung vor
dem Rundfunk mit Ihnen ist mir leider deswegen
nicht gelungen, weil Sie sich trotz mehrfacher
Mühen nicht dafür zur Verfügung gestellt haben.
({1})
Herr Kollege Schoettle hat soeben davon gesprochen, daß vor der Übernahme der Wirtschaftspolitik durch Herrn Minister Erhard, den früheren Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des Vereinigten Wirtschaftsgebietes, schon unendlich viel in der Bundesrepublik an Aufbau geleistet worden sei. Niemand von uns hat bisher bestritten, daß das geschehen sei. Trotzdem muß ich sagen: wenn nun so getan wird, als wenn seit 1948 so gewissermaßen alles von selber gekommen wäre, dann habe ich das Gefühl, daß man sich der Situation von 1948 und der Umstände, wie man sie gerade auf seiten der SPD damals sah, heute nicht mehr genügend erinnert. Darf ich zu diesem Zweck mit Genehmigung des Herrn Präsidenten ein kurzes Zitat aus dem Buche von Herrn Dr. Schumacher „Nach dem Zusammenbruch" verlesen, das im Jahre 1948 gedruckt worden ist. Darin sehen wir, wie man seitens der SPD die Chancen und Möglichkeiten eines wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbaus nach 1948 beurteilt hat. Es heißt dort:
Unübersehbar ist das Trümmerfeld, unvorstellbar das Elend, unheilbar das Leid. Der deutsche Name ist besudelt ...., die Wirtschaft ist zerstört, ihre Substanz geschwunden. Das Land ist krank bis ins Mark. Die einfachsten und selbstverständlichsten Forderungen des täglichen Lebens sind schier unlösbare Probleme geworden.
So schrieb Dr. Schumacher 1948, um dann fortzufahren:
Daß jetzt neue Lebensformen von unvorstellbarem Tiefstand und nie gekannter Primitivität für alle Deutschen heraufziehen,
({2})
davor wollen viele die Augen verschließen.
({3})
Meine Damen und Herren, das ist unsere ganze Genugtuung und Befriedigung, daß wir im vollen Bewußtsein dessen, was alles noch zu tun ist und wieviel Not noch zu lindern ist, die Unrichtigkeit dieses Zitats des Herrn Dr. Schumacher inzwischen durch unsere politische Arbeit unter Beweis gestellt haben.
({4})
Herr Kollege Kreyssig sagte drei Jahre später in der Bundestagsdebatte am 11. Oktober 1951:
Wenn Sie sich einmal der Mühe unterziehen und den Dingen etwas ernsthafter auf den Grund gehen, dann werden Sie feststellen müssen, daß man eine Charakterisierung des Ergebnisses der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung dahin zusammenfassen muß: Sie hat begonnen mit dem Stichwort der „freien Marktwirtschaft" und der „Liberalisierung", - sie hat im Frühjahr dieses Jahres geendet mit dem Einfuhrstopp vom 21. Februar, der das Fiasko der ganzen Politik, vor allem auch im Außenhandel, kennzeichnet... Auch Sie haben wahrscheinlich bemerkt, daß seit einiger Zeit von „sozialer" Marktwirtschaft kaum noch gesprochen wird.
({5})
Sie werden mir zugeben müssen,
- schloß Herr Kreyssig daß der Herr Bundeswirtschaftsminister, der ausgezogen war, die Zwangswirtschaft zu beseitigen, jetzt drauf und dran ist und bis zum Halse drinsteckt, wieder eine obendrein noch miserabel funktionierende Bewirtschaftung einzuführen.
({6})
Es ist sehr interessant, meine Herren 'von der SPD, sich dieser Zitate jetzt einmal zu erinnern, wo wir ja nun für weitere Jahre die Ergebnisse der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung vorliegen haben.
Herr Kollege Schoettle, da wir ja nicht unbedingt wissen können, ob wir uns beide im Herbst in diesem Hohen Hause wiedersehen - ({7})
- Ja, wenn Sie sagen: „Hoffentlich Sie nicht!", dann muß ich darauf erwidern: ich fürchte, daß ich Ihnen auch im nächsten Bundestag nicht erspart bleibe.
({8})
Nachdem Herr Kollege Schoettle bei der Haushaltsdebatte im Juli vorigen Jahres meine Ausführungen über die Wirtschafts- und Sozialpolitik in nicht gerade sehr freundlicher Form behandelt hatte, indem er sagte, meine Ausgangspunkte stimmten nicht ganz, es kämen falsche Ergebnisse heraus, und ich hätte ein Meisterwerk der Irreführung geleistet,
({9})
habe ich darauf gewartet, daß Herr Kollege Schoettle, wie er es in Aussicht genommen hatte, sich „die Geschichte einmal schwarz auf weiß angesehen" hätte, um dann zu .den von mir vorgetragenen Zahlen in sachlicher Weise Stellung zu nehmen. Es ist mir nun, wie gesagt, nicht gelungen, diese Rundfunkaussprache, die ja in aller Sachlichkeit hätte erfolgen können, mit Ihnen durchzuführen; und nun wollen wir das Gespräch, Herr Kollege Schoettle, damit es auf jeden Fall zu Ende kommt, eben heute noch beenden.
Ich habe Ihnen in diesem Zusammenhange eigentlich nur einige Fragen vorzulegen, weil Sie ja immer über falsche Ausgangspunkte und derartige Dinge sprechen. Wenn wir unserer Beurteilung der wirtschaftspolitischen Lage die Zahlen zugrunde legen, wie sie laufend vom Statistischen Bundesamt veröffentlicht werden, dann können Sie uns ja nicht vorwerfen, daß wir falsche Ausgangspunkte nähmen, auch dann nicht, wenn das Jahr 1936 als letztes normales Friedensjahr vor der eigentlichen Aufrüstung zugrunde gelegt wird. Denn wir haben ja nicht das Statistische Bundesamt beauftragt, die Statistik auf dieser Basis durchzuführen, sondern das ist aus sachlichen und wissenschaftlichen Gründen geschehen, weil diese Ausgangsbasis eben sachlich die richtigste ist. Ich frage nunmehr:
Ist es richtig, daß die Produktion der deutschen Industrie, die im Jahre 1948 63 % der Produktion von 1936 betrug, sich im Jahre 1952 auf 145 % belief und inzwischen 156 % derjenigen von 1936 erreicht hat,
({10})
also auf weit mehr als das Doppelte gesteigert worden ist? Ich frage weiter:
Ist es richtig - ich muß eine Einschränkung machen Herr 'Kollege Schoettle; die Zahlen, die ich vor einem Jahr genannt habe, bringe ich heute nicht mehr ganz in dieser Form weil sie inzwischen nämlich noch wesentlich verbessert worden sind, aber ich darf annehmen, daß Sie mir diese Berichtigung ohne weiteres gestatten - ist es richtig, daß seit der Währungsreform 1,5 Millionen Wohnungen mit einem Kapitalaufwand von 17 bis 18 Milliarden DM für etwa 5 bis 6 Millionen Menschen gebaut worden sind?
Ist es richtig, daß die landwirtschaftliche Bodenerzeugung von 79 auf 110% des Vorkriegsdurchschnitts, also um 38 % allein in den drei Jahren von 1948 auf 1951 gesteigert worden ist?
({11})
Ist es richtig, Herr Kollege Schoettle, daß insbesondere die deutsche Ausfuhr in den letzten Jahren trotz aller Hemmungen, die doch, wie wir alle wissen, im Ausland lange bestanden haben, einen geradezu nicht vorausahnbaren Aufschwung genommen hat,
({12}) indem sie 1949 4,1 Milliarden, 1950 8,4 Milliarden, 1951 14,6 Milliarden und 1952 fast 17 Milliarden DM, also mehr als das Vierfache des Jahres 1949 betrug?
Ist es welter richtig, daß die deutsche Ausfuhr monatlich Ende 1948 etwa 200 Millionen DM betrug und daß sie im Winter 1952/53 das Siebenfache mit rund 1,4 Milliarden DM monatlich beträgt?
Und ist es vor allem richtig - das sind ja die entscheidenden Zahlen jetzt -, daß wir im Außenhandel im Jahre 1949 noch einen Fehlbetrag von 3,7 Milliarden DM batten, der durch Auslandshilfe gedeckt werden mußte, der im Jahre 1950 nur auf 3 Milliarden absank, dann aber 1951 nur noch 150 Millionen DM betrug bei je rund 14 Milliarden DM auf beiden Seiten der Handelsbilanz, daß wir also im Jahre 1951, wie ich Ihnen voriges Jahr schon sagte, zum erstenmal bereits fast wieder eine ausgeglichene Handelsbilanz hatten?
Aber, Herr Kollege Schoettle, ich muß jetzt weiter fragen über das letzte Jahr: Ist es richtig oder ist es nicht richtig, daß das Jahr 1952 uns erstmals einen Außenhandelsüberschuß von 700 Millionen DM gebracht hat, so daß wir also 1952 schon über das Ziel des Marshallplans hinausgekommen sind?
Trotz all den Unkereien, die man immer wieder, neulich auch von Herrn Ollenhauer in Frankfurt, hörte: Ja, nächstens kommt die Katastrophe; jetzt kommt ihr nicht mehr weiter: 'Herr Kollege Schoettle, ist es richtig, daß wir in diesem Jahre 1953 im Außenhandel am 1. Juni schon wieder einen Vorsprung von 700 Millionen DM Bilanzverbesserung gegenüber dem Vorjahr gehabt haben, während das ganze vergangene Jahr einen Ausfuhrüberschuß von 700 Millionen DM erbracht hat?
({13})
Das sind die wirklichen Entwicklungen, die Sie, meine Herren von der Opposition, gegenüber der Bevölkerung zu unterdrücken natürlich das höchste Interesse haben, weil diese Ergebnisse nun wahrlich besser als jeder theoretische Beweis für die Richtigkeit unserer Wirtschaftspolitik sprechen.
({14})
({15})
Ist es weiter richtig, Herr Kollege Schoettle, daß wir im Mai. 1953 einen Gold- und Devisenbestand von 5 Milliarden DM, also einen Vorrat zur Bezahlung von drei Monaten Einfuhrbedarf, bereits wieder verfügbar gehabt haben, darunter 3/4 Milliarden in Gold, während vor einem Jahr, als ich sprach, diese Beträge noch 2,7 Milliarden und ,440 Millionen DM in Gold gewesen sind?
Ist es weiter _richtig, daß unser Brutto-Sozialprodukt von 80 Milliarden im Jahre 1949 auf 125 Milliarden im Jahre 1952 gestiegen ist?
Alles amtliche Zahlen des Statistischen Bundesamtes,
({16})
an denen ich nicht das mindeste frisiert habe und an denen wir auch nichts zu frisieren haben, weil sie ebenso für sich sprechen.
Aber nun weiter: Ist es richtig, daß die Einzelhandelsumsätze von 1949 auf 1952 von 25 auf 40 Milliarden DM gestiegen sind, die Handwerksumsätze von 20 auf 32 Milliarden DM? Und ist es - und nun kommt etwas sehr Wesentliches, darauf spielten Sie vorhin 'an - richtig, ,daß die Lebenshaltungskosten in der Bundesrepublik heute fast genau die gleichen sind wie um die Jahreswende 1948/49?
({17})
Der Lebenshaltungsindex betrug ({18}) 168 um die Jahreswende 1948/49 und 169 im April und Mai 1951!
({19})
Sie kennen die Entwicklung, die dazwischenliegt. Der Index ging zuerst im Jahre 1949 im Zuge der sozialen Marktwirtschaft bis auf 148 herunter, und dann kam die Korea-Teuerung, die bei uns in der Bundesrepublik, wie Sie auch ganz genau wissen, die niedrigste unter allen Ländern der Welt gewesen ist. Diese Korea-Teuerung trieb die Preise dann hoch bis zu einem Lebenshaltungsindex von 172 in Mai 1952. Inzwischen sind wir nun wieder bei 169 gelandet, also ungefähr auf dem gleichen Niveau, das um die Jahreswende 1948/49 in der Bundesrepublik bestand. Das bedeutet aber, daß alle Gehalts-, Lohn- und Rentenerhöhungen, die zwischen Anfang 1949 und jetzt erfolgt sind, reale Kaufkraftsteigerungen gewesen sind
({20}) und nicht nur eine Änderung der Nominalbezüge.
Was nun die Verteilung des vergrößerten Sozialprodukts angeht, so ist es gerade vor diesem Hintergrund der Lebenshaltungskosten von Anfang 1949 und von heute immerhin interessant - ich möchte mir diese Zahlen von Ihnen bestätigen lassen, Herr Kollege Schoettle; denn ich lege Wert darauf, daß wir uns über die Tatbestände einig werden -, daß der Durchschnittsstundenlohn des Industriearbeiters im Juni 1948 98 Pfennig betrug, im Dezember 1948 1,13 Mark und im Februar 1953 1,59 Mark und daß der Durchschnittswochenlohn im Dezember 1948 50 Mark und im Februar 1953 73 Mark betrug; also eine annähernd 50% ige Reallohnsteigerung der Industriearbeiterschaft, die allerdings, meine Herren von der SPD, unser ganz großer Stolz ist, wenn wir auf diese vergangenen Jahre zurückblicken.
({21})
Ist es weiter richtig, daß die Zahl der Beschäftigten sich in diesen genannten Jahren um 2 Millionen, im Bereich der Wirtschaft sogar um 2,5 Millionen erhöht hat? Sie reden immer nur von dein nicht wesentlichen Absinken der Arbeitslosenzahl. Warum verschweigen S i e denn der Öffentlichkeit immer wieder, daß sich das Arbeitskräftepotential bei uns laufend erheblich erhöht hat, nämlich von 1.3,9 Millionen Menschen auf 16,5 Millionen Menschen in diesen wenigen Jahren, und daß es dadurch keinen einzigen zusätzlichen Arbeitslosen gegeben hat, sondern daß trotzdem die Bundesrepublik jetzt 300 000 Arbeitslose weniger hat als bei Zusammentritt des Bundestages? So muß man die Dinge doch sehen, wenn man sie objektiv darstellt.
({22})
Auch die Lage der Rentenempfänger muß in diesem Zusammenhang nochmals erörtert werden. Wir sind die letzten, meine Damen und Herren von der Opposition, die so vermessen wären, etwa zu erklären, daß die Renten der Sozialversicherung oder der Kriegsopferversorgung heute ausreichend wären.
Wir haben mindestens genau so wie Sie das ernste Bestreben und das heiße Bemühen, gerade auf diesem Gebiete dem bisher Geschehenen noch weiteres hinzuzufügen.
({23})
Meine Damen und Herren, wir machen es aber nicht so, wie sie das draußen mit solchen Flugblättern wie diesem hier machen,
({24})
wo Sie auf der einen Seite den Wählern draußen 41/2 Milliarden Mehrausgaben zugunsten der Notleidenden versprechen und dann auf der Rückseite Steuersenkungen in Höhe von ebenfalls 41/2 Milliarden in Aussicht stellen,
({25})
ohne eine Antwort darauf zu geben, woher Sie die Differenz von 9 Milliarden nehmen wollen,
({26}) ohne die Inflation herbeizuführen,
({27})
die in einem solchen Fall die einzige Lösung wäre. Meine Damen und Herren, darauf sind Sie nicht nur uns, sondern der Bevölkerung draußen die Antwort leider Gottes schuldig geblieben.
({28})
Wenn wir in diesem Zusammenhang, meine Herren von der Opposition, davon sprechen, daß hier verantwortungslose Opposition getrieben wird, dann, glaube ich, haben wir mit diesem Standpunkt sehr recht; denn nicht nur die Mitglieder der Regierungsparteien, überhaupt nicht nur die Abgeordneten des Bundestages, sondern jeder einzelne Wähler im Volke draußen ist Träger der staatsbürgerlichen Gesamtverantwortung und hat kein Recht, an diesen Staat, der von ihm selber mit repräsentiert wird, Forderungen zu stellen, wenn er
sich nicht Gedanken darüber macht, wie diese Forderungen ohne Schaden für die Gesamtheit, für die Währung usw. erfüllt werden können.
({29})
({30})
Sie erziehen die Leute draußen zum negativen staatsbürgerlichen Bewußtsein,
({31}) zum Egoismus, zum Nur-an-sich-Denken,
({32})
und wir geben uns Mühe, die Menschen zum staatsbürgerlichen Denken zu bringen, weil idas eine Voraussetzung für das Funktionieren unserer demokratischen Ordnung auf die Dauer ist.
Nun, meine Damen und Herren, noch ein Wort zu den Rentnern. Ich sagte also: sicherlich reicht das, was bisher geleistet ist, nicht, und Sie wissen aus den Verhandlungen des Bundestages, daß wir, wann und wo wir können, die Dinge zu bessern suchen. Andererseits darf ' auch hier nicht unterdrückt werden, daß die Invalidenrenten, die Anfang 1949 bei gleichem Lebenshaltungsindex wie heute durchschnittlich 46 DM monatlich betragen haben, heute im Durchschnitt 83 DM monatlich betragen, also eine Steigerung von 80 % auch in realer Kaufkraft aufweisen.
({33})
Das ist gewiß nicht unser letztes Ziel. Auch wir wollen noch mehr. Man kann aber keine Sozialpolitik treiben, indem man immer nur hier im Bundestag Anträge stellt oder Flugblätter vertreibt, um die Massen aufzuhetzen.
({34})
Wir ringen mit dem Finanzminister um positive Ergebnisse,
({35})
Wenn wir im Haushalt den Niederschlag dieser Dinge beobachten - ({36})
Wenn wir den Niederschlag dieser Dinge im Haushaltsplan beobachten, dann stellen wir fest, daß die Zuschüsse des Bundes zur Invalidenversicherung im Jahre 1949 eine halbe Milliarde DM betragen haben und im Jahre 1953, wenn auch zum Teil in Kreditform, über 2,4 Milliarden DM, also eine Verfünffachung, eine Vermehrung um annähernd 2 Milliarden DM. Ähnlich liegen die Dinge bei den Kriegsopfern, wo auch die frühere Summe von 1,9 Milliarden inzwischen auf insgesamt 3,3 Milliarden im Jahr gesteigert worden ist.
({37}) .
Es ist unser eiserner Wille, diese Steigerung weiter fortzusetzen,
({38})
sobald und wo wir in der Lage sind, die Mittel dafür aufzubringen; aber ohne Deckung geht es leider nicht, wenn man noch die Gesamtverantwortung für das Ganze überhaupt hat.
Zum Schluß noch eines. Ich habe eingangs ein Zitat von Herrn Dr. Schumacher über seine Beurteilung der Aussichten der Wirtschafts- und Sozialpolitik aus dem Jahre 1948 gebracht. Lassen Sie mich nun, nachdem ich diese Zahlen ganz kurz in Ihr Gedächtnis zurückgerufen habe, noch ein Zitat von Herrn Dr. Schumacher vom September 1951
bringen. Im September 1951 hielt Herr Dr. Schumacher eine Pressekonferenz in Kiel ab. Man glaubte damals anscheinend in der SPD, daß wir in der Regierung Sehnsucht hätten, die SPD in die Koalition aufzunehmen. Ich erinnere mich persönlich dieser Sehnsucht nicht; aber Herr Dr. Schumacher hat daran wohl gedacht, als er auf der Pressekonferenz in Kiel folgendes sagte:
Die Idee der großen Koalition in der Bundesrepublik ist ganz hart abzulehnen. Wir sollen in die Situation kommen, jetzt in der offensichtlichen Periode des Bankrotts der Bundesregierung und ihrer Politik uns an der Verwaltung des Bankrotts und damit in den Augen Urteilsloser an der Schuld am Bankrott zu beteiligen.
Wenn jetzt
- so sagte Herr Dr. Schumacher weiter die Regierung gezwungen ist, Brotkarten einzuführen , nun, dann möchten gewisse
weite Kreise der Regierungsparteien uns beim Regierungsgeschäft mitsehen. Zu sagen hätten wir nichts, weil nach dem Mehrheitsverhältnis wir jeden Tag wieder herausgesetzt werden können. Aber die Verantwortung zu tragen hätten wir. Und in den Augen des Publikums wäre dann die SPD für Zeit und Ewigkeit die Partei der Brotkarte und der Zwangswirtschaft.
({39})
Nun, meine Damen und Herren, wir sind ohne die SPD und auch ohne die Brotkarte ausgekommen, und ich hoffe von Herzen, daß es weiter in beider Hinsicht so bleibt.
({40})
Noch ein letztes. Zu der wirtschaftspolitischen Beurteilung unserer Politik durch die SPD darf noch folgendes ganz kurz gesagt werden. Neuerdings ist man mit den Ausdrücken „Planwirtschaft" und „Lenkung", nachdem sich das andere nämlich sehr gut bewährt hat, außerordentlich zurückhaltend geworden.
({41})
Man müßte diese neue Sprachregelung meines Erachtens nur etwas vorsichtiger in die Öffentlichkeit lenken. Herr Kollege Ollenhauer hat auf der letzten Frankfurter Tagung der SPD eine Rede gehalten, die er der Öffentlichkeit dann in korrigierter Form, aber unter Sichtbarlassen der Korrekturen, übergeben hat. Daraus können wir sehr deutlich erkennen, welche Wandlungen sich im wirtschaftspolitischen Denken der SPD noch während der Frankfurter Tagung vollzogen haben, nachdem man offenbar bemerkt hatte, daß man mit den alten Ladenhütern aus dem 19. Jahrhundert heute nicht mehr zum Zuge kommt.
({42})
Da sind z. B. folgende drei Änderungen an der Rede des Herrn Ollenhauer vorgenommen. Gestrichen wurde der Satz: „dazu eine Lenkung der Produktion unter dem Gesichtspunkt der Bedarfsbefriedigung."
({43})
Ich nehme mit Interesse davon Kenntnis, daß das also neuerdings - bis zur Wahl ({44}) keine Forderung der SPD mehr ist.
({45})
Weiter wurde aus dem Satz: „Allgemeine soziale und wirtschaftliche Sicherung erkämpfen sich die Arbeiter nur in den Reihen 'der politischen und gewerkschaftlichen Bewegung für den sozialistischen Staat" das gefährliche Wort „sozialistisch" gestrichen, offenbar im Zuge der neuen Mittelstandspolitik der SPD.
({46})
Und ein drittes. Da hieß es: „eine geplante und gelenkte Wirtschaft in Deutschland". In der neuen Fassung heißt das: „eine Wirtschaft in Deutschland in Verbindung mit Planung und Wettbewerb."
({47})
Meine Damen und Herren, wir sind natürlich sehr erfreut, daß die Praktizierung unserer wirtschaftspolitischen Prinzipien solche Erfolge bei Ihnen gezeitigt hat.
({48})
Wir werden aber die Befürchtung nicht los, zu erleben, daß Sie nach den Wahlen wieder in Ihre alten Konzeptionen zurückfallen. Deswegen, meine ich, sollte man den Wählern das während des Wahlkampfesdraußen möglichst rechtzeitig sagen.
({49})
Aber vielleicht gibt es doch diesen oder jenen, der in der Lage ist, auf Grund dessen, was jetzt vorliegt, von überholten Konzeptionen noch abzugehen und in sich zu gehen. In dem Zusammenhang möchte ich eigentlich meinen Appel1 an meinen im Haushaltsausschuß von mir stets besonders geschätzten Kollegen Schoettle richten. Wie wäre es denn, Herr Kollege Schoettle, wenn man nun wirklich einmal aus den Erkenntnissen, die die vergangenen Jahre jedem denkenden Wirtschaftspolitiker doch geradezu aufzwingen, Konsequenzen zöge? Ich glaube, es wird nicht nur im Himmel, sondern auch auf Erden mehr Freude über einen SPD-Mann sein, der Buße tut, als über 99 Christliche Demokraten, die gewiß der Buße auch bedürfen.
({50})
Das Wort hat der Abgeordnete Funcke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen Sie mich zu dem Haushalt zurückkehren. ich möchte aber zunächst das Wort des Herrn Kollegen Wuermeling von der Buße aufgreifen; denn die Haushaltsberatungen sind Bußtage für das Parlament,
({0})
indem es für seine Bewilligungen im Laufe der Zeit nun Einkehr halten und Deckung schaffen muß. Ich glaube, die Mehrheit dieses Hauses braucht diesem Bußtage nicht mit großer Sorge entgegenzusehen; denn der Haushaltsausschuß hat -dem Hause einen ausgeglichenen Haushalt vorgelegt.
Dieser Haushalt hat ganz unzweifelhaft seine Mängel. Das Defizit von 1 390 Millionen DM aus dem Jahre 1951 ist nicht eingesetzt, die Nicht-Barauszahlungen an die Sozialversicherung ergeben '735 Millionen DM, und die Entnahme aus dem außerordentlichen Haushalt einschließlich der Hereinnahme der ERP-Kredite von 255 Millionen DM beträgt 975 Millionen DM. Für Menschen, die im alten Haushaltsdenken befangen sind, sind diese Zahlen doch von einer sehr großen Bedeutung, insbesondere da der Haushaltsplan für die Gesetze, die jetzt noch nicht 'beschlossen worden sind, noch
keine Deckung vorsieht.
Bei der Betrachtung des Haushalts erkennt man drei große Aufgabenkreise: einmal den Verteidigungshaushalt, zweitens den sozialen Haushalt und drittens 'alle sonstigen. Hinsichtlich des Verteidigungshaushalts habe ich den Eindruck, daß in vielen Kreisen der Gedanke herrscht, aus diesem Haushalt könne man durch eine andere Politik Mittel entnehmen. Solange es aber andererseits Menschen und Menschengruppen gibt, die darauf ausgehen, andere Völker sich politisch oder wirtschaftlich dienstbar zu machen, wird man nicht daran vorbeikommen können, für die Verteidigung zu sorgen. Das gilt nicht nur für diejenigen, die die EVG-Verträge bejahen und die im Rahmen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft die eigene deutsche Wehrkraft einsetzen wollen. Auch diejenigen, die sich, wie bisher, noch weiterhin durch fremde Truppen verteidigen lassen wollen, werden an der Tatsache eines Verteidigungshaushalts - vielleicht in noch größerer Höhe - nicht vorbeikommen können. Selbst unsere Freunde von der äußersten Linken werden zugeben, daß, wenn ihr Idealstaat einmal eingerichtet wäre, auch er Verteidigungskosten zahlen müßte; denn ich habe noch nie gehört, daß in den Satellitenstaaten Rußlands etwa keine Wehrmacht mehr bestehe oder keine Verteidigungslasten mehr aufzubringen seien.
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Was den sozialen Haushalt betrifft, so sind wir an die Grenzen des Tragbaren gegangen. Daß diese Grenzen erweitert werden konnten, ist ausschließlich das Verdienst der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik, die in diesen vier Jahren getrieben worden ist. Selbst wenn man etwas niedrigere Preise ansetzte, würde ohnehin die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft einen solchen sozialen Haushalt niemals haben tragen können..
Es ist abwegig, die Sozialpolitik, die die Mehrheit dieses Hauses getrieben hat, anzugreifen, weil sie nicht alle Wünsche befriedigt. Sie ist gezwungen, sich in Grenzen zu halten. Diese Grenzen sind sehr weit gesteckt. Denn das, was ich vorhin als Mängel des Haushalts bezeichnet habe, sind doch Konstruktionen, die gewählt worden sind, um auch und vor allem den sozialen Haushalt des Bundes in dieser Höhe zu 'ermöglichen.
Der dritte Aufgabenkreis umfaßt die Verwaltungsausgaben: den Schuldendienst, die Ausgaben für Wirtschaft, Landwirtschaft und Verkehr und die verschiedenen Ausgaben für Kriegsfolgen. Lassen Sie mich, nachdem über die Wirtschaft so viel geredet worden ist, nur einige Worte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle über den Verkehr sagen. Ich glaube, wir sind uns einig - nicht nur zwischen uns, sondern im gesamten Haushaltsausschuß -, daß die Mittel, die wir im ordentlichen und im außerordentlichen Haushalt für den Verkehr ausgebracht haben, unzureichend sind. Hinsichtlich dessen, was er an Kritik über den schlechten Zustand der Straßen, über das ungelöste Problem der Bundesbahn vorgebracht hat, sind wir gar nicht weit auseinander. Aber, Herr Schoettle, ich glaube nicht, daß von Ihnen oder von Ihrer Partei im Haushaltsausschuß oder auch in der Öffentlichkeit konstruktive Pläne darüber gebracht worden sind, wie das zu beheben ist.
Auch Sie haben keine Deckung für weitere Anleihen für den Neubau von Straßen, Autobahnen
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und dergleichen, die so dringend begehrt werden, und auch Sie wissen über die Bundesbahn nur das alte und immer wiederkehrende Wort „Kredit", während es doch eigentlich die erste Aufgabe sein müßte, die Bundesbahn in einen Zustand zu bringen, daß sie wenigstens ihre laufenden Ausgaben durch laufende Einnahmen decken kann. Das kann unter keinen Umständen durch Kredite geschehen. Wir haben ja auch eine Subvention, um einmal das böse Wort zu gebrauchen, in der Form des Darlehens von 150 Millionen DM in den Haushalt eingestellt, während wir im vorigen Jahre 30 Millionen DM und im Nachtragshaushalt nur 60 Millionen DM eingestellt hatten, um wenigstens bei aller Misere der Bundesbahn ihren technischen Aufbau und den Ersatz ihrer Fahrmittel und vor allen Dingen ihres Oberbaues zu ermöglichen. Aber ich wollte mich über diese Dinge nicht so lange verbreiten.
Wir haben noch vor einigen Monaten in den Blütenträumen unserer Hoffnungen geglaubt, daß wir einmal in der Lage sein würden, alle die Entschädigungen, die sich als rechtliche oder moralische Verpflichtungen aus dem Krieg ergeben, in einem einzigen Gesamtplan zusammenzufassen und sie dann in der Gesetzgebung herauszugeben. Das sind die Fragen der Auslandsschulden, der Wiedergutmachung, der Heimkehrer und so viele andere bis herab zu der Konversionskasse. Das ist noch nicht gelungen, und wir haben in 'diesen Tagen noch über Einzelfragen 'aus diesem Problemkomplex zu befinden. Es wird dem nächsten Bundestag vorbehalten bleiben, sich mit idem Rest zu 'beschäftigen und ihn abzugleichen. Wir wissen, daß das alles noch zuwenig ist.
Ich möchte an ein Wort erinnern, das Herr Professor Kaufmann einmal in Unkel in einer Ausschußsitzung des Bundestages gesprochen hat. Er sagte, daß unser Bundeshaus - nicht dieses Haus, sondern vergleichsweise der Bund - zunächst einmal grob habe zusammengehauen werden müssen und daß die Feinarbeit erst noch in längerer Zeit vor sich gehen müsse. Wir sind bereit, diese Feinarbeit auf uns zu nehmen; aber wir freuen uns und danken es unserer Regierung und, wie ich glaube, auch der Politik der Mehrheit dieses Hauses, daß die Verwaltung steht, daß sie ihre Aufgaben erfüllen kann. Wir hoffen, daß es ihr möglich sein wird, das auch weiterhin zu tun.
Ich darf mich nun an Herrn Kollegen Jaffe wenden. Auch ich bin der Meinung, daß die Investitionen der öffentlichen Hand nun einmal mehr oder weniger eingeschränkt, wenn nicht zu Ende geführt werden sollten. Aber 'die Investitionen der öffentlichen Hand sind ja aus der Not der Zeit entstanden. Wenn man die Haushaltspläne der letzten Jahre 'betrachtet, so wird man ohne weiteres feststellen, 'daß sich noch in den letzten Jahren Ausgaben etwa für Neubauten von Gebäuden und dergleichen im ordentlichen Haushalt befanden, die jetzt immer mehr in den außerordentlichen Haushalt aufgenommen worden sind. Vor ein bis zwei Jahren hätte der Kapitalmarkt ja überhaupt nicht die Summe darbieten können, die wir nun einmal ausgeben wollten und ausgeben mußten. Ich brauche bloß an den Wohnungsbau zu erinnern. Es ist also nicht so, daß diese Dinge aus einem sozialistischen oder staatskapitalistischen Gesichtspunkt heraus entstanden sind, sondern sie sind die logischen Folgen der Zeit gewesen.
Und ein anderes. Im Jahre 1913 hat Herr D r. H e 1 f f e r i c h das Volksvermögen des Deutschen
Reichs einmal geschätzt. Er kam auf 330 Milliarden Goldmark. Er hat errechnet, daß von diesen 330 Milliarden 130 Milliarden auf die öffentliche Hand, und zwar Reich, Staaten und Gemeinden entfielen. In diesem Vermögen befinden sich die Eisenbahn, die Post, die Straßen, die öffentlichen Gebäude, die militärischen Bedürfnisse, die Versorgungsbetriebe der Gemeinden und vieles andere. Viele von diesen Vermögensteilen sind nicht rentabel. Wo aber diese Vermögensteile rentabel sind, müssen wir leider auf Grund des 'Haushalts feststellen, daß die Verwaltungskosten die Einnahmen aufzehren. Ich möchte aber vor allen Dingen davor warnen, daß nach dem Grundsatz, solche Vermögensteile, die für den Bund entbehrlich sind, unter allen Umständen wieder der Privatwirtschaft zuzuführen - nicht aber die unentbehrlichen -, diese Vermögensteile beim Abstoßen verschleudert werden. Es ist vielleicht die richtigere Politik, gewisse Vermögensobjekte so weit zu entwickeln, daß sie wirklich zu einem brauchbaren Preise abgegeben werden können, so daß nicht der Vorwurf entstehen kann, man habe zu billigsten Preisen 'abgegeben, auf Grund deren dann andere große Verdienste machen könnten.
Der Bundestag hat leider - das ist eben schon festgestellt worden - keine Vermögensaufstellung des Bundes mehr bekommen. Der neue Bundestag wird sich mit dieser Frage zu beschäftigen haben und dann hoffentlich auch im Sinne dieser Ausführungen zu einer vernünftigen Politik der Vermögenshandhabung kommen.
Der Haushalt hat mit seinen 27 Milliarden große Dimensionen angenommen. Er wird auch durch die Wiedergutmachung und andere derartige Probleme, die uns beschäftigen, noch wachsen. Es werden noch schwere Jahre kommen. Andererseits sind viele Kosten, die uns gegenwärtig belasten, auslaufende Kosten. Wenn wir bedenken, daß wir in zehn oder zwanzig Jahren an das Ausland oder auch im Inland Milliarden von Schulden bezahlen müssen, deren Tilgung uns außerordentlich stark belasten wird, dann müssen wir sagen, daß es sicherlich eine durchaus zu vertretende Politik ist, die wir auch in den nächsten Jahren fortsetzen müssen - und da komme ich auch auf die Ausführungen von Herrn Jaffé zurück -, Mittel und Wege zu suchen, um die Belastung, die in diesen ersten Jahren noch vor uns liegt, auch auf die kommenden Generationen hinüberzuleiten. Es braucht ja nicht so weit zu gehen wie in Königsberg, wo man im Jahre 1912 glücklich so weit war, daß man die Kontributionsschulden aus den Jahren 1806/07 bezahlen konnte. Aber auf eine Reihe von 30 oder 40 Jahren wird man die Belastungen, die jetzt übermäßig sind, wohl verteilen können.
Ich möchte mich den Worten des Herrn Kollegen Bausch insoweit anschließen, als er sagt, daß wir anerkennen und wissen, was das Finanzministerium und insbesondere auch der Bundesfinanzminister geleistet hat. Es ist schon richtig, was der Kollege Bausch gesagt hat, daß der Haushaltsausschuß und wohl auch der Bundestag auf dem Wege der Suche nach der Deckung nicht sehr weit gekommen sind und daß es immer wieder der Erfindungsgabe des Bundesfinanzministers bedurft hat, um die Löcher zu stopfen, die nun einmal da waren. Deswegen möchten wir 'auch von dieser Stelle aus diesen Dank an den Bundesfinanzminister aussprechen.
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Wir empfehlen den Haushaltsplan zur Annahme.
Das Wort hat der Abgeordnete Renner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Adenauer-Mehrheit in diesem Hohen Hause hat die zweite Beratung des Haushaltsplans in einer Art und Weise vorgenommen, die geradezu als ein Hohn auf jede echte Demokratie, als eine Preisgabe des primärsten Rechtes eines Parlaments, die Positionen des Haushaltsplans einer sorgfältigen Kritik zu unterziehen, Verbesserungen oder Änderungen vorzunehmen, angesprochen werden muß. Daß die Adenauer-Koalition und die Regierung an einer derart gründlichen Durchberatung des Etats nicht interessiert sind, versteht sich von selber. Sie haben ja begreiflicherweise kein Interesse daran, daß das Volk erfährt, wieviel Milliarden für volksfeindliche Zwecke in diesem Haushalt verausgabt werden. Das Volk soll nicht wissen, daß - zugegebenermaßen - mehr als 9 Milliarden DM bereits heute für (die Wiederaufrüstung und 'den daraus zwangsläufig resultierenden neuen Krieg verschleudert werden. Das Volk soll nichts von den Korruptionsfonds wissen, von 'all den Beträgen, die eingesetzt sind, um die psychologische Kriegsführung vorwärtszutreiben. Das Volk soll nichts von der einen Milliarde zur Aufrechterhaltung des Status Berlins als „Frontstadt" wissen. Das Volk soll vor allen Dingen 'auch nicht wissen, wieviel Hunderte von Millionen zur Finanzierung der faschistischen Organisationen BdJ und „Technischer Hilfsdienst" verausgabt werden. Das Volk soll vor allen Dingen nicht erfahren, welches Mißverhältnis zwischen diesen destruktiven Ausgaben, diesen gegen das Interesse unseres Volkes verplemperten Beiträgen und den Leistungen für Sozialpolitik und Kulturpolitik 'besteht.
Was wir heute erlebt haben, war platterdings nichts anderes als eine mehr oder minder gute Wahlrede der verschiedenen Herren Sprecher. Mit dem Etat und seinen Einzelheiten hat man sich nur sehr en passant beschäftigt. Man hat heute hier also etwas vorweggenommen - ich komme zurück zu Ihnen, Herr Bausch, ich schenke Ihnen auch nichts! -,
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was man sonst draußen in einer schlecht 'aufgezogenen Wahlrede macht.
Aber nun etwas zu den Einzelheiten. Man hat heute so viel von den „hohen Leistungen auf sozialpolitischem Gebiet" geredet. Daß die 6,5 Milliarden DM, die im Haushalt für diese Ausgaben vorgesehen sind,
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zwangsläufige Ausgaben und übrigens Ausgaben für Folgen einer Politik sind, die Sie in Ihrer früheren Geschichte als Träger des Hitler-Systems selber mit verantworten müssen, davon redet man nicht. Daß keine Mittel z. B. für die wirkliche Sanierung der Sozialversicherung eingesetzt sind, daß die derzeitigen Renten - trotz aller schönfärberischen Reden - heute absolute Hungerrenten sind, davon wird nicht geredet.
Es wird auch nicht groß davon geredet, daß z. B. den Sozialversicherungsträgern zur 'Finanzierung dieser Kriegsvorbereitungspolitik mehr als eine halbe Milliarde DM wegeskamotiert werden, daß keine Möglichkeiten einer Erhöhung von Invalidenrenten in diesem Etat enthalten sind, daß z. B. auch die von allen Kriegsopfern und ihren Organisationen so dringend geforderte wirkliche Verbesserung
des Bundesversorgungsgesetzes nicht durchgeführt wird, wird hier 'verschwiegen.
Heute ist hier zum erstenmal etwas ausgesprochen worden - sowohl von dem Herrn Bausch als auch von dem Herrn Wuermeling -, was man bisher nur von unserer Seite hören konnte, nämlich die Tatsache, daß noch in diesem laufenden Etatjahr vermutlich zu den Mitteln, die Sie für Ihre Kriegsvorbereitung eingesetzt haben, noch weitere Belastungen hinzukommen werden. Das haben 'Sie, Herr Bausch, sehr klar gesagt, und das ist das einzig Dankenswerte an Ihren Ausführungen. Das haben Sie sehr klar zum Ausdruck gebracht. Damit bestätigen Sie nur die von uns immer wieder gegebene Darstellung, daß das dicke Ende noch kommt und daß wahrscheinlich noch im Laufe dieses Jahres weitere Milliardenlasten für die Finanzierung und Ausstattung dieser von Ihnen so bereitwilligst für die Herren Amerikaner zur Verfügung gestelltn 12 ersten Divisionen an uns herankommen werden, die unser Volk dann aufzubringen haben wird.
Nun, daß die sozialen Leistungen infolge einer derartigen Politik 'der Wiederaufrüstung leiden' müssen, ist ja eine Binsenweisheit. Heute ist auch erfreulicherweise von dem Herrn Sprecher der SPD, dem Herrn Schoettle- der sonst im allgemeinen abgelehnt hat, Belehrungen von unserer Seite entgegenzunehmen -, ein Wort der Kritik an dem Steuersystem ausgesprochen worden. Wir waren es aber, die in der zweiten Beratung festgestellt haben, daß 16 Milliarden DM in der Form indirekter Massensteuern aus dem Volk herausgeholt werden.
Nun ein Wort an den Herrn Schoettle. Ganz im Gegensatz zu der Auffassung, die Herr Bausch hier vertreten hat, bin ich der Meinung, daß der Tenor seiner Rede als „sachliche Kritik mit Verbeugungen" angesprochen werden muß. Die Verbeugungen bestehen z. B. darin, daß er ausgesprochen hat, in diesem Haushaltsplan seien „moderne" Züge erkennbar. Nun, was ist an d e m Minister modern? Was kann man denn von einem 'derartigen Minister als Sozialdemokrat an „moderner Entwicklung" erwarten? Das ist doch ein Haushalt, wie er seit Jahrzehnten immer wieder von solchen Kräften gemacht worden ist, deren Exponent im Augenblick 'der Herr Finanzminister Schäffer ist. Wo ist denn da etwas Modernes enthalten? Schön war doch auch sein Ausspruch, daß er an und für sich nichts gegen konservative Grundhaltung hat. Das war sogar für einen lebenden sozialdemokratischen Führer etwas Neues.
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Was dabei herauskommt, wenn man eine derartige Politik der Halbheit, eine derartige Politik des ständigen Zurückweichens vor den Interessen dieser Herren auf der rechten Seite dieses Hauses zeigt, das hat ihm (der Herr Wuermeling quittiert. Er hat hier klar und deutlich mit seinen Ausführungen den Erweis erbracht, daß diese sozialdemokratische Führerpolitik in ihrer ganzen Grundsatzlosigkeit es dem Herrn Adenauer überhaupt nur ermöglicht hat, seine Politik durchzuführen.
Nun zu dem Herrn Bausch. Er hat uns hier eine ganze Reihe von sogenannten „leitenden" Gesichtspunkten für die Politik des Herrn Schäffer herausgestellt. Er sprach von der „ehrbaren Finanzgebarung" des Herrn Schäffer, mußte aber selbst zugeben, daß in diesem Haushalt 2 Milliarden DM einfach verschleiert - vernebelt! - sind.
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- Das Defizit ist doch da. Das wissen Sie doch so gut, wie ich es weiß . - Er sprach dann davon, daß diese Politik Schäffers „Vertrauen" erweckt habe. Wer hat denn eigentlich bei uns in Westdeutschland zu dieser Politik des Herrn Schäffer noch Vertrauen? Hören wir nicht jeden Sonntag aus Ihren eigenen Kreisen, aus den Kreisen Ihrer Wirtschaft, harte Kritik an seiner Finanzpolitik? Vertrauen zu Herrn Schäffer und zu Herrn Adenauer, auch das gibt es in der Welt. Das haben die Herren Eisenhower, Dulles und Baruch. Die haben allen Grund, ihm Vertrauen zu schenken.
Nun, Herr Bausch, zu diesem „Ja, j a - Nein, nein" in ihrer angeblichen Politik und zu dieser „Härte des Neins gegenüber ungedeckten Forderungen" kann man nur folgendes sagen. Wissen Sie, Herr Bausch, wann Sie diese Härte gezeigt haben? Jedesmal, wenn es darum ging, sozialpolitische Forderungen zu realisieren! Dann haben Sie davon gesprochen, daß keine Deckung vorhanden sei, und dann haben Sie diese Härte gezeigt. Niemals aber haben Sie diese Härte gezeigt gegenüber den ständig anwachsenden Forderungen für die Wiederaufrüstung und für die Kriegsvorbereitung. Da war die Deckung immer da. Da waren Sie immer bereit, diese Deckung zu bewilligen.
Er sprach auch von der Tugend der Sparsamkeit im Sinne altpreußischer Sparsamkeit. Ich habe den Zwischenruf gemacht: „Gilt das auch für die Ministergehälter?". Gilt da auch die bewährte Sparsamkeit? Da waren Sie außerordentlich großzügig. Außerordentlich großzügig waren Sie auch in der Ausstattung, wenn nicht gewisser Büros in den Ministerien, so gewisser „Dienstsitze" von gewissen Herren Ministern. Oder haben Sie ganz die Feststellungen des zuständigen Ausschusses vergessen, der sich mit dem Problem der Villa des Herrn Bundeskanzlers beschäftigt hat?
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Vorsicht also mit solch generalisierenden Feststellungen.
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Nun noch einmal zurück zu dem Herrn Schoettle. Er sprach den Herrn Lehr an als die „abgerundete" Persönlichkeit.
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Nun, rund ist er ja schon.
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Das kann man nicht verkennen. Aber was ist denn an diesem Herrn Lehr als „abgerundetes Charakterbild" zu erkennen? Das wissen wir Alten doch. Das wissen doch die Sozialdemokraten aus Düsseldorf z. B. schon aus seiner Tätigkeit als Oberbürgermeister. Dieser Herr Lehr war immer ein Feind der Arbeiterbewegung. Dieser Herr Lehr war und ist ein Erzreaktionär. Das muß man hier aussprechen. Wenn man so an ihn herangeht, dann wundert man sich über die Auswirkungen und den Inhalt seiner Politik, die er als getreuer Diener des Herrn Adenauer durchführt, keinen Deut. Dann ist das alles verständlich. Man soll also diesen Minister als „Charakterbild" dieser ganzen Regierung nehmen, die im Lande systematisch die Politik des Bruchs gewisser verfassungsrechtlich verankerter Grundrechte betreibt, um den Kampf der Kräfte des Friedens in unserem Volk zu unterdrücken, dieser Regierung, die systematisch die Wahlbehinderung unserer Partei befiehlt oder duldet!
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Diesem Minister kann man nur den Titel „Erzreaktionär" geben. Man muß also schon etwas weitergehen als der Herr Schoettle. Lehrs Bild ist in der Geschichte wirklich abgerundet, und es hätte gar nicht mehr dessen bedurft, daß sein berühmtes Entschuldigungsschreiben an . die NSDAP vom Jahre 1933 wieder bekanntgeworden ist.
Wir lehnen diesen Haushalt der Regierung des Adenauer-Regimes grundsätzlich ab, weil er das zahlenmäßige Bild der Politik des Bundeskanzlers Adenauer und seines Kabinetts darstellt. Wir lehnen den Etat ab, weil wir die von Adenauer betriebene Außen- und Innenpolitik ablehnen. Wir sagen nein zu diesem Etat, weil die Politik Adenauers, die sich in diesem Etat widerspiegelt, gegen die wahren Interessen des Volkes verstößt. Seine Politik richtet sich gegen den Frieden und gegen die Wiedervereinigung Deutschlands. Deshalb sagen wir nein zu diesem Etat, wie wir nein sagen zu diesem. Kanzler, wie wir auch nein sagen zu diesem Kabinett.
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- Was über mich zu sagen ist, das hängt von meiner Partei ab; lassen Sie sich das sagen!
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- Über meinen Wert entscheidet immer noch meine Partei.
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Die Meinung meiner Parteigenossen bestimmt immer noch über meinen Wert, nicht Leute wie Pferdmenges und derartige Größen. Seien Sie also vorsichtig mit solchen Zwischenrufen.
Ich komme zum Schluß. Zu der Politik Adenauers und seiner Hintermänner zur Verhinderung der Einigung Deutschlands etwas zu sagen, habe ich keine Gelegenheit mehr, weil meine Zeit abgelaufen ist.
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Bei der politischen Aussprache wird sich aber noch genügend Gelegenheit bieten. Da werden wir noch einige ergänzende Ausführungen machen, die den wahren Charakter dieser Adenauer-Regierung und der Koalition sowie der allergetreuesten Opposition genügend beleuchten und erhellen. Also: bis auf ungefähr anderthalb Stunden!
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Das Wort hat der Abgeordnete Hoffmann ({0}).
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Haushaltsplan 1953 ist der erste seit 1945, der schon im ersten Vierteljahr fertiggestellt worden ist. Damit kommt voraussichtlich Ordnung in das Haushaltswesen. Alle beteiligten Stellen erhalten endlich die für die Fortführung eines Staates unerläßliche Übersicht. Ein geordneter Staat kann ohne Haushalt nicht auskommen. Vor allen Dingen wird der Haushaltsplan den Minister auf seiner Gratwanderung vor dem Abgleiten bewahren.
Der diesjährige Haushaltsplan zeigt, daß der gewollte Optimismus des Finanzministers bei der Ankündigung der kleinen Steuerreform nicht be({0})
gründet gewesen ist. Das gleiche gilt hinsichtlich der Ausführungen von Herrn W u e r m e l i n g, der so großartig mit Statistiken gearbeitet hat. Es ist immer etwas bedenklich, mit Statistiken zu arbeiten. Man weiß ja, wie sie zustande kommen. Mit Statistiken kann man schließlich alles beweisen.
Herr Kollege Bausch - er ist leider nicht hier -,
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Sie können von der Opposition nicht verlangen, hundertprozentig zu bejahen, was die Regierung gemacht hat.
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- Das ist sicher. Man kann auch nicht alles für gut finden, was der Herr Kollege Wuermeling gesagt hat.
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- Was der Herr Finanzminister gut gemacht hat, soll man auch gut finden.
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Das ist hundertprozentig richtig, was eben gesagt wurde.
Wenn der Herr Minister damals glaubte, die Anteile des Bundes an der Einkommen- und Körperschaftsteuer der Länder auf 40 % festsetzen zu können, und dabei schon die Zustimmung der Länder voraussah, dann hat er sich doch getäuscht. Herr Kollege Jaffé glaubte damals ja auch - und zwar als Mitglied einer föderalistischen Partei -, daß es möglich wäre, diese Erhöhung auf 40 % zu tragen. Die Entwicklung hat dem Herrn Finanzminister nicht recht gegeben. Der Versuch, gegen die Ablehnung der Länder nun durch neue Gesetze die Haushaltslage zu verbessern, hat sich nicht als richtig erwiesen; denn hier werden von seiten der Länder wieder die Einsprüche kommen. Es ist doch nichts anderes als ein Kunststück, Herr Bundesfinanzminister, wenn Sie nun sagen: „Wenn Ihr die 40 % nicht freiwillig gebt, dann werde ich sie mir an einer anderen Stelle nehmen!" Der Steuerkuchen ist nun einmal so klein, und man kann sich mit den Ländern darum raufen, wer den größten Teil davon bekommt. Die Lage der Länder bzw. der Gemeinden ist durchaus nicht so günstig. Was Sie den Ländern wegnehmen, nehmen die Länder wieder den Kommunalverbänden weg. Wenn Sie die Situation in den Landgemeinden kennen, dann werden Sie wissen, daß diese heute nicht mehr imstande sind, allen ihren Anforderungen nachzukommen, denen sie auf dem Gebiete des Schulwesens, beim Wegebau usw. nachkommen müssen. Es mag selbstverständlich auch Gemeinden geben, die hohe Gewerbesteueraufkommen haben und deshalb einen Luxus treiben, der in der heutigen Zeit nicht verantwortet werden kann.
Der Mittelstand stöhnt mit Recht über die Last der Steuern und sieht auch in der kleinen Steuerreform keine wirkliche Erleichterung. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung führt ein sorgenfreies Dasein. Das neu gewonnene Eigentum geht leider in die Hände weniger über.
Die Kreditpolitik hat sich nur für wenige günstig ausgewirkt. Ja, man hat den gewerblichen Mittelstand, der unter einer großen Kapitalarmut leidet, gezwungen, die noch vorhandenen flüssigen Mittel zur Investitionsabgabe zur Verfügung zu stellen.
Bei allem Verständnis für die Maßnahmen der Regierung ist dieses eine schlechte Politik für den Mittelstand, und die Regierung muß in dieser Hinsicht eine Änderung durchführen. Man kann das nicht „soziale Marktwirtschaft" nennen, wenn man sich durch überhöhte Steuern die Mittel beschafft, die man wieder als Kredit an diejenigen gibt, denen man diese Mittel vorher abgenommen hat. Die Regierung, die sich so sehr auf ihre Eigentumsfreudigkeit beruft, treibt damit einen gewissen Staatssozialismus. Denn der Staat ist heute fast überall durch die Hergabe von Krediten beteiligt. Er ist beteiligt im Wohnungsbau, in der Industrie, beim Gewerbe und neuerdings auch noch etwas in der Landwirtschaft. Es muß wieder dahin kommen, daß das Geld von den Banken geliehen werden kann, weil der einzelne sein Geld auf die Kasse bringt und dadurch den' Banken die Möglichkeit gegeben wird, das Geld wieder auszuleihen und für die Wirtschaft zur Verfügung zu stellen.
Der Haushalt ist auch nicht ausgeglichen; denn der außerordentliche Haushalt ist - auch nach der Ansicht des Herrn Bundesfinanzministers - ein sehr fragwürdiges Finanzgebilde. Im außerordentlichen Haushalt sind außerdem Ausgaben enthalten, die an und für sich in den ordentlichen Haushalt gehören und umgekehrt. Ich gebe zu, daß die Hauptausgaben Kriegsfolgelasten und Verteidigungslasten sind. Aber ist die Bundesregierung nicht zu optimistisch in der Bewilligung der Mittel zum EVG-Vertrag? Dabei kann sie doch nicht behaupten, daß dieser Beitrag schon die vorgesehene Höchstleistung ist, die sie bezahlen will oder muß. Dagegen sind die sozialen Leistungen gering. Die Opfer des letzten Krieges sind noch nicht annähernd entschädigt. Besonders die Bombengeschädigten sind noch in einer sehr schlechten Lage. lvian hat bisher in viel zu großem Umfange mit Formularen gearbeitet und bei den Krediten usw. Schwierigkeiten für die Betreffenden herbeigeführt, die sich zum Teil hätten vermeiden lassen.
Eine gewisse Sorge macht uns die Lage der Landwirtschaft. Denn sie leidet unter der klaffenden Preisschere. Das gilt besonders für die kleinen und mittleren Bauern. Der industrielle Index stand im April dieses Jahres auf 220, der Lohnindex auf 239, der landwirtschaftliche Index fiel auf 191 im Durchschnitt. Dabei steht der Index für diejenigen Produkte, die vor allem die kleinere Landwirtschaft erzeugt, unter dem Durchschnitt: bei Obst auf 110, bei Milch auf 176, bei Rindvieh auf 189; nur bei Schweinen erreicht der Index die Zahl 216. Die Lage der kleinbäuerlichen Betriebe verschlechtert sich und gibt zu ernsten Sorgen Anlaß. Man kann heute beim Bauernstand nicht mehr - was die Gesundheit anbetrifft - von einem Blutsquell der Nation sprechen, da seine gesundheitliche Lage schlechter ist als die vieler Berufsstände in den Städten.
Was uns noch zu einigen Bemerkungen besonders Anlaß gibt, ist die Frage des Bundessparkommissars. Wir haben den Bundessparkommissar verlangt. Man hat den Bundessparkommissar nicht eingeführt, sondern dem Präsidenten des Rechnungshofes diese Aufgabe übertragen. Aber dessen Tätigkeit erschöpft sich in der Erstattung von Gutachten. Es muß eine Stelle geschaffen werden, die auch einmal eingreifen kann und darf,
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Die Gesetzgebungsmaschine ist besonders in letzter Zeit auf Hochtouren gelaufen. Dabei wurden weniger wichtige Gesetze bevorzugt erledigt. Die Neugliederung der Länder, das Wiedergutmachungsgesetz und das Wahlgesetz sind unter Zeitdruck behandelt worden; sie hätten unbedingt in einem ruhigeren Tempo erledigt werden müssen.
Auch der diesjährige Haushalt ist doch unter einem Zeitdruck zustande gekommen, der eigentlich unerträglich ist.
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- Ja, wir sind monatelang daran; aber wir wissen ja auch, daß wir in letzter Zeit sogar Nachtsitzungen machen mußten, um überhaupt den Etat noch rechtzeitig fertig zu bekommen.
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Meine Damen und Herren! Der Haushalt 1953 ist zwar zahlenmäßig ausgeglichen; aber die Form und die Art des Ausgleichs gibt zu großen Bedenken Anlaß. Nicht nur, daß der Bundesfinanzminister Einnahmen eingesetzt hat, die problematisch sind
- z. B. die Anleihe aus der Sozialversicherung in Höhe von 550 Millionen DM -; es sind umgekehrt bei den Ausgaben Posten vorgesehen, für die aller Wahrscheinlichkeit nach die Einnahmen nicht zu dem vorgesehenen Zeitpunkt anfallen. Die erwartete Wirtschaftsbelebung ist auch eine Unbekannte. Dadurch ist eine große Unsicherheit im Haushalt eingetreten. Man nannte das früher in der Kommunalverwaltung: „Der Haushalt schwimmt".
Meine politischen Freunde haben gegen die heutige Finanzgebarung bei allem Verständnis für die Schwierigkeiten, die die Bundesregierung hat, größte Bedenken, da dadurch große Beträge von der öffentlichen Hand festgehalten werden, die in der Wirtschaft bei ihrer Kapitalarmut dringend notwendig sind.
Auf die deflationistische Wirkung, die dadurch entsteht, daß überhöhte Steuergelder in der öffentlichen Hand festliegen, kann in diesem Zusammenhang nicht deutlich genug hingewiesen werden.
Obwohl wir zu vielen Einzelplänen unsere Zustimmung geben, können wir dem Gesamtetat nicht unsere Zustimmung geben.
Herr Abgeordneter Schoettle, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist für einen Redner in diesem Hause durchaus angenehm, wenn seine Äußerungen Gegenstand einer lebhaften Polemik werden. Das zeigt wenigstens, daß man nicht ganz unbeachtet gesprochen hat. Ich habe nicht die Absicht, mich mit dem Herrn Kollegen Wuermeling über seine Statistiken auseinanderzusetzen. Er hat hier ja eine sicher sehr wohlvorbereitete Rede vorgetragen, vorbereitet deshalb, weil er glaubte, etwas nachholen zu müssen, was -ich ihm versagt habe. Ich bin ihm deshalb 'vor dem Hause eine Äußerung dazu schuldig, warum ich mich einer Auseinandersetzung mit ihm am Mikrophon versagt habe. Ich kann mich einfach nicht mit Herrn Kollegen Wuermeling unter den Linden zeigen nach der Art, wie er sich gegenüber der Sozialdemokratie hier im Hause und öffentlich geäußert hat.
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Es hängt ganz von dem Kollegen Wuermeling ab,
wie sich unsere Beziehungen zueinander gestalten,
und wenn sich da eine gewisse Besserung zeigt - ich gebe die Hoffnung nicht auf -, dann können wir vielleicht gelegentlich noch ein ganz anständiges Verhältnis zueinander gewinnen.
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Ich kann - ich gebe das offen zu - nicht über den Wert der Zahlen reden, die Herr Wuermeling hier vorgetragen hat; dazu fehlen mir die Unterlagen. Aber er kann sich darauf verlassen, daß sich die sozialdemokratische Bundestagsfraktion diese Zahlen genau ansehen wird. Und ich will - ganz allgemein zu statistischen Zahlen das sagen: Es ist eine Frage der politischen Interpretion von Statistiken, was man daraus macht. Im übrigen läßt sich ja kaum leugnen, daß die Ausgangsbasis, die man für die Beurteilung von statistischen Ergebnissen wühlt, entscheidend für die Bewertung der Resultate ist. Darauf sollte man sich, glaube ich, einigen können.
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- Ach, Herr Kollege Wuermeling, das Statistische Amt an sich ist ja wohl nicht zu beanstanden. Die Herren tun ihre Pflicht, sie tun vielleicht manchmal etwas mehr und verstehen unter ihrer Pflicht sehr viel mehr, als wir alle miteinander finanziell rechtfertigen können. Deshalb haben wir ja auch gemeinsam gewisse Striche beim Haushaltsplan des Statistischen Amtes vorgenommen.
Aber das ist ja gar nicht entscheidend. Entscheidend ist, was Sie und was wir aus diesen Zahlen zur Erklärung von wirtschaftlichen Tendenzen, von Gesamtentwicklungen herauslesen. Und da streiten wir uns; da sind wir nicht gleicher Meinung. Wir können nicht gleicher Meinung sein, weil w i r überzeugt sind, daß Ihre Versuche, die Statistik zu interpretieren, zur Rechtfertigung der Regierungspolitik dienen, während wir die Regierungspolitik angreifen und bestreiten, daß das, was im Zuge ,dieser vier Jahre getan worden ist, das war, was unter allen Umständen getan werden mußte.
Wir glauben eben, daß man mit einer anderen Politik auf einer Reihe von Gebieten Ergebnisse erzielt hätte, die nicht hinter dem zurückstehen, was ,die heutige Bundesregierung sich als' Verdienst zuschreibt, während man auf der andern Seite sehr viel mehr zum Abbau der sozialen Spannungen, zum Ausgleich der inneren Gegensätze hätte tun können.
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Denn Sie können ja nicht leugnen, meine Damen und Herren, daß der Anteil der Selbständigen am Ertrag der Volkswirtschaft in diesen Jahren gestiegen ist, während der Anteil der Unselbständigen gesunken ist.
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- Lesen Sie die Statistiken nach auf diesem Gebiet. Wir werden Ihnen im Laufe der nächsten Wochen darüber eine Reihe von Tatsachen sagen, auch öffentlich sagen, und dann können Sie sich damit auseinandersetzen.
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- Ich weiß, das hören Sie auch nicht gern. Aber es ist leider eine Tatsache, und das ist in der Statistik auch sehr deutlich zu erkennen.
Ich möchte mich, wie gesagt, nicht allzusehr in das Gestrüpp der Statistik verlieren, ohne die Unterlagen dafür zu haben. Aber ich darf Sie auf folgendes aufmerksam machen, meine Damen und Herren. Herr Kollege Wuermeling hat hier aus sozialdemokratischen Veröffentlichungen zitiert. Nun, es ist gar nicht zu leugnen, daß in bestimmten Perioden während der letzten Jahre die Meinungen über den Trend der Entwicklung auseinandergingen, daß vieles im Laufe der Zeit durch die Erfahrung und durch die Tatsachen korrigiert worden ist, was man vor vier oder fünf Jahren geglaubt hat. Das soll sogar auch bei den Mitgliedern der Regierungskoalition vorgekommen sein, und ich glaube, dafür lassen sich viele Beweise erbringen.
Mit solchen Zitaten beweisen Sie gar nichts, meine Damen und Herren! Mit solchen Zitaten beweisen Sie noch nicht einmal, daß die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zu bestimmten Fragen, die uns alle angehen, sich geändert habe. Selbstverständlich wird eine politische Partei, die nicht ein Wolkenkuckucksheim erstrebt, sondern im konkreten politischen Raum Entscheidungen herbeiführen und beeinflussen will, von Zeit zu Zeit ihre Konzepte überprüfen und Dinge nicht sagen, von denen sie glaubt, daß sie nicht im Bereich des Erreichbaren liegen. Warum nicht? Das tun Sie auch jeden Tag! Wenn Sie es nicht täten, müßte man Ihnen ja das vorwerfen, was Sie der Sozialdemokratie oft vorwerfen: Doktrinarismus. Ich glaube, wir sind hier weiter entfernt von der doktrinären Starre der politischen und sozialen Vorstellungen als gewisse Leute auf der Regierungsbank. Heute ist Herr Dr. Erhard leider nicht da. Aber der hat ja im Grunde genommen von den letzten 20 bis 30 Jahren gar nichts gelernt als das eine, daß die Sozialdemokratie überall regiert habe und daß es deshalb überall schiefgegangen sei. Das ist doch das Rezept, nach dem er seine Reden draußen hält. Ich erinnere mich, daß ein sehr hochgestellter Mann in der Bundesregierung - ich glaube, es ist sogar der höchstgestellte -, einmal so beiläufig gesagt hat, es wäre ihm lieber, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister sich um sein Ressort bekümmere, als daß er draußen Reden halte.
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Er hat nicht so ganz unrecht gehabt. Manche Rede bliebe besser ungehalten, weil sie nämlich nur beweist, daß auch ein Bundeswirtschaftsminister sich in eine Theorie so verbeißen kann, daß er sich den Blick für die Notwendigkeiten des Tages versperrt.
Nun, meine Damen und Herren, ich komme zum Schluß. Sie sagen, wir Sozialdemokraten seien negativ. Sie sagen - das wollte Herr Wuermeling beweisen -, wir Sozialdemokraten hätten uns gewandelt oder wandelten uns, und wir unterschlügen Dinge, die wir gesagt hätten, die wir aber eigentlich nicht gesagt haben wollten. - Ich bin sofort zu Ende, Herr Präsident. - Ich will Ihnen folgendes sagen: Hier in. diesem Hause wehren Sie sich mit Händen und Füßen dagegen, wenn wir Sozialdemokraten eine Politik der Vollbeschäftigung verlangen. In Straßburg, auf der Ebene des Europarates, stimmen die Vertreter der Koalition einer europäischen Politik der Vollbeschäftigung zu! Auch hier klafft ein Widerspruch zwischen Ihrer Haltung zu Hause und Ihrer Haltung drüben im Europarat, auf der europäischen Tribüne, wo man große Reden halten und schöne Bekenntnisse abliegen kann, die zu nichts verpflichten. Es wäre besser, man würde die Politik, die man auf der europäischen Ebene propagandistisch vertritt, auch' zu Hause praktizieren.
({8})
Ich möchte aber diese Auseinandersetzung nicht weiter vertiefen. Ich glaube, daß wir Gelegenheit haben werden, in den nächsten Wochen während des Wahlkampfes und auch im kommenden Bundestag in voller Frische und mit guten Argumenten miteinander die Klinge zu kreuzen. Dann wollen wir einmal sehen! Inzwischen werden wir ja auch sehen, was die Wähler von all den Dingen gehalten haben, für die Herr Bausch und Herr Wuermeling der Bundesregierung ein so hohes Lob gezollt haben.
({9})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Wuermeling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ganz kurz noch eine Erwiderung an Herrn Kollegen S c h o et t 1 e. Was zunächst die Vollbeschäftigungspolitik angeht, so darf ich mit Genehmigung des Herrn Präsidenten auch hier ein kurzes Zitat bringen, obschon es Ihnen, Herr Kollege, 'anscheinend nicht sympathisch ist, wenn wir die SPD zitieren.
({0})
Herr Staatsminister Oechsle hat laut einer von der SPD herausgegebenen Schrift, die Ihnen sicher nicht unbekannt ist, über die Vollbeschäftigungspolitik folgendes gesagt:
Ich bin mir bewußt, daß der Begriff Vollbeschäftigung allmählich zu einem Schlagwort geworden ist, das nicht nur im politischen, sondern auch im gewerkschaftlichen Leben eine oft mißverstandene Deutung erfahren hat und erfährt. Ich stehe nicht an zu erklären, daß es eine Vollbeschäftigungspolitik an sich, also eine Vollbeschäftigungspolitik um jeden Preis wohl kaum gibt; denn Vollbeschäftigungspolitik an sich und um jeden Preis würde bedeuten eine Politik ohne Rücksicht auf volks- und weltwirtschaftliche Gegebenheiten, ohne Rücksicht auf Währung, Kredit- und Steuerpolitik, und sie müßte zwangsläufig, da sie nicht getragen sein kann von einer organischen Entwicklung des volks- und weltwirtschaftlichen Ganzen, in inflationäre Erscheinungen münden.
({1})
- Bitte, gern, wenn Sie Wert darauf legen. Der nächste Satz lautet:
Vollbeschäftigung kann somit immer nur das Ziel einer gut durchdachten, planvollen und allen volkswirtschaftlichen Gegebenheiten Rechnung tragenden Wirtschaftspolitik sein.
({2})
Das bringt auch das Sozialprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands zum
Ausdruck, indem es erklärt: „die Existenz der
(Dr. Wuermeling
arbeitenden Bevölkerung kann nur durch eine planmäßige sozialistische Wirtschaftspolitik gesichert werden", wobei ich hinzufüge,
- nicht ich, sondern Herr Oechsle daß eine solche Wirtschaftspolitik den wirtschaftlichen Wettbewerb nicht ausschließt.
({3})
Das letzte ist auch wieder eine der neuesten, modernsten Korrekturen, die in Erkenntnis der Richtigkeit unserer Wirtschaftspolitik vorgenommen worden sind.
Deswegen hatte ich mich aber eigentlich nicht zum Wort gemeldet, sondern ich wollte zu den Ausführungen des Herrn Kollegen Schoettle Stellung nehmen, daß die Besserstellung der Bevölkerung im wesentlichen den Selbständigen zugute gekommen sei und daß die Unselbständigen dabei zu kurz gekommen seien. Wenn die Zahlen nicht mehr zu widerlegen sind, dann kommt man natürlich mit irgendwelchen anderweiten Ausreden. Ich stelle folgende Gegenfragen: Ist die Erhöhung des Fleischkonsums von 18 auf 38 kg pro Kopf und Jahr nur den Selbständigen oder auch den Unselbständigen zugute gekommen? Die Erhöhung beim Zucker von 19 auf 25 kg und beim Frischobst von 22 auf 44 kg hat doch mit den Selbständigen und den Unselbständigen gar nichts zu tun, sondern das beweist, daß alle Schichten der Bevölkerung Gott sei Dank - und immer wieder weisen wir mit Stolz darauf hin - von unserer Wirtschafts- und Sozialpolitik großen Nutzen haben.
({4})
Mit den anderen Produkten ist es ähnlich. So verzeichnen wir bei Käse eine Steigerung von 2,6 kg auf 3,9 kg pro Jahr und Kopf, bei Eiern das Dreifache, bei Fett das Doppelte, und sogar bei der Butter eine Steigerung um 50 %, sicher nicht nur bei den Selbständigen. Und wenn der Zigarettenverbrauch von 9 Milliarden Stück im Jahre 1948 - damals war er noch rationiert - über 22 Milliarden im Jahre 1949 auf 30 Milliarden Stück im Jahre 1952 gestiegen ist, dann haben nicht nur die Selbständigen, sondern auch die Unselbständigen geraucht. Auch der Bierverbrauch konzentriert sich ja nicht bei den Selbständigen. Dieser ist von 10 Millionen Hektoliter im Jahre 1948 über 14 Millionen Hektoliter im Jahre 1949 auf 25 Millionen Hektoliter im Jahre 1952 gestiegen.
Meine Damen und Herren, die Steigerung der Kaufkraft, die nachweisbar da ist und nicht weggeleugnet werden kann, zeigt sich am allerbesten
({5})
- ich bin sofort fertig, Herr Präsident! - in der großen Zunahme der Spareinlagen. Wenn von 1949 bis 1953 ,die Spareinlagen von 2 Milliarden auf über 8 Milliarden gestiegen sind, dann sind es bekanntlich nicht die Großaktionäre, die Selbständigen, die ihr Geld auf die Sparkasse getragen haben, sondern Gott sei Dank die breiten Schichten der Bevölkerung.
Zum Schluß nur noch eine Erinnerung an etwas Gemeinsames, das wir alle haben. Das ist nämlich unser Dichter Wilhelm Busch, der über die Unzufriedenheit derer, die immer mehr haben wollen, einmal einen sehr schönen Vers geschrieben hat, mit dem ich schließen darf:
Wonach du sehnlichst ausgeschaut, Es wurde dir beschieden.
Du triumphierst und jubelst laut: Jetzt hab ich endlich Frieden!
Ach, Freundchen, werde nicht so wild,
Bezähme deine Zunge!
Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt,
Kriegt augenblicklich Junge!
Diese Zuchtarbeit scheinen Sie sich besonders vorgenommen zu haben.
({6})
Meine Damen und Herren, die allgemeine Aussprache der dritten Beratung zum Bundeshaushaltsplan ist geschlossen.
Ich komme zur Einzelberatung. Ich rufe die Einzelpläne auf, zu denen Änderungsanträge gestellt sind.
Zum Einzelplan 08 ist ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Brookmann, Frühwald, Jaffé und Genossen auf Umdruck Nr. 1028 gestellt worden. Über die Entschließungsanträge wird bei den Einzelplänen abgestimmt. Soll dieser Entschließungsantrag begründet werden? - Offenbar nicht.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Entschließungsantrag Umdruck Nr. 1028 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. ({0})
- Meine Damen und Herren, der Antrag lautet:
Die Bundesregierung wird ersucht,
den im Einzelplan 08 des Bundesministers der Finanzen im Kapitel 08 06, Tit. 700 ausgebrachten Ansatz in Höhe von 20 Millionen DM „Durchführung vom Reich vor dem Zusammenbruch eingeleiteter Grunderwerbsgeschäfte" noch im laufenden Haushaltsjahr durch zusätzlichen Verkauf von Liegenschaften und Vermögensbesitz des Bundes zu erhöhen. Eventuell soll den enteigneten Grundbesitzern auf dem Tauschwege Bundesbesitz zum Ausgleich ihrer Forderungen angeboten werden.
Die Bundesregierung hat durch diese vorgeschlagene Maßnahme dafür Sorge zu tragen, daß die bisher festgestellten Gesamtforderungen in Höhe von 100 Millionen DM an die Bundesvermögensverwaltung nicht wie vorgesehen in fünf Jahresraten, sondern in spätestens zwei Jahren befriedigt werden.
Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen.
- Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen?
- Dieser Entschließungsantrag ist angenommen.
Zum Einzelplan 10 liegen zwei Anträge vor: der Antrag Umdruck Nr. 1017, den Einzelplan in der Fassung des Beschlusses des Haushaltsausschusses wiederherzustellen, und der Antrag Umdruck Nr. 1023 der Abgeordneten Frühwald und Genossen.
Soll der Antrag Umdruck Nr. 1017 begründet werden?
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- Herr Abgeordneter Bausch!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wie Sie wissen, wurde bei der zweiten Beratung der Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten von diesem Hohen Hause abgelehnt. Die Ablehnung ging von einem besonderen Vorgang aus; ein Antrag der Herren Kollegen Frühwald und Genossen, der eine Mehrbelastung des Bundes in Höhe von 68 600 000 DM erforderte, war nämlich angenommen worden.
({0})
Der Haushalt war von diesem Zeitpunkt an unausgeglichen und unter diesen Umständen auch für uns von der Regierungskoalition nicht annehmbar. Wir haben deshalb die Wiederherstellung des Haushalts nach den Beschlüssen des Haushaltsausschusses beantragt. Dieser Antrag liegt Ihnen auf Umdruck Nr. 1017 vor.
Ich möchte 'auf den Vorgang, der zur Ablehnung des Haushalts geführt hat, nicht mehr im einzelnen eingehen. Der Herr Finanzminister hat zu dem Antrag der Herren Frühwald und Genossen eingehend Stellung genommen. Es handelt sich im Grunde genommen um die Frage: Können Mittel für die Zwecke der Siedlung für Heimatvertriebene und für allgemeine Siedlungszwecke zur Verfügung gestellt werden oder nicht? Zunächst standen solche Mittel nicht zur Verfügung. Wir haben aber dann im Haushaltsausschuß beschlossen, 75 Millionen DM im außerordentlichen Haushalt bereitzustellen. Die Antragsteller haben Zweifel daran, ob diese 75 Millionen 'DM im außerordentlichen Haushalt von dem Herrn Finanzminister auch tatsächlich honoriert werden oder nicht. Denn die Mittel für die Ausgaben, die im außerordentlichen Haushalt beschlossen sind, werden nur dann wirklich bereitgestellt, wenn eine entsprechende Kreditaktion des Herrn Bundesfinanzministers erfolgreich ausgeht.
Nun sind wir von der CDU durchaus der Meinung, daß es dem Herrn Finanzminister gelingen wird, auf dem Kreditwege Mittel zur Deckung des außerordentlichen Haushalts 'flüssig zu machen, wie das schon in früheren Jahren der Fall war. Wir haben also diese Zweifel und diese Bedenken nicht. Aber wir möchten unsererseits gar keinen Zweifel daran lassen, daß wir entscheidenden Wert darauf legen, daß auch die im außerordentlichen Haushalt bereitgestellten Mittel für Siedlungszwecke tatsächlich flüssig gemacht und vom Finanzminister bereitgestellt werden. Um unserem in diese Richtung gehenden Willen einen noch sichtbareren und sinnfälligeren Ausdruck zu verleihen, möchte ich folgenden Entschließungsantrag einbringen:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Bundesfinanzminister wird ersucht, in sofortige Verhandlungen mit der Landwirtschaftlichen Rentenbank darüber einzutreten, daß diese zur Deckung der Ausgaben für Siedlungszwecke, die im Bundeshaushalt 1953 Kap. A 1002 Tit. 533 und 605 vorgesehen sind, einen Kredit von 68,6 Millionen DM baldigst bereitstellt. Die Kreditaufnahme ist auf die Ermächtigung in § 15 Abs. 2 des Haushaltsgesetzes 1953 anzurechnen.
Wenn dieser Antrag von dem. Hohen Hause angenommen wird, dann kann nicht der geringste Zweifel darüber bestehen, daß die im außerordentlichen Haushalt für Siedlungszwecke bereitgestellten Mittel, wie das unser aller Wille ist, auch tatsächlich flüssig gemacht werden. Bei dieser Sachlage darf ich Sie darum bitten, dem Antrag Umdruck Nr. 1017, den Einzelplan 10 in der Fassung der Beschlüsse des Haushaltsausschusses wiederherzustellen, Ihre Zustimmung zu geben.
Wünscht jemand zu dem Antrag Umdruck Nr. 1023 das Wort? - Herr Abgeordneter Frühwald!
Der Antrag Umdruck Nr. 1023 ist mit Ausnahme des ersten Satzes derselbe Antrag, der bereits in der zweiten Lesung zur Annahme gelangt ist. Ich verweise auf die Begründung, die Herr Kollege Dr. Trischler in der zweiten Lesung gegeben hat. Der Zweck unserer Antragstellung ist, die Positionen für die Siedlung, die im Vertriebenengesetz einerseits sowie im Gesetz zur Förderung der landwirtschaftlichen Siedlung andererseits festgelegt sind, auch rechtlich im ordentlichen Haushalt zu verankern.
Wenn der Herr Kollege Bausch jetzt sagt, dadurch sei der Haushalt unausgeglichen, so mache ich darauf 'aufmerksam, daß unsere in Ziffer 2 unseres Antrags gemachten Vorschläge darauf abzielen, die Abgleichung des ordentlichen Haushalts durch Hereinnahme aus dem außerordentlichen wieder herbeizuführen. Es wird immer wieder betont, die Wirkung werde ein und dieselbe sein. Aber wenn 'die Wirkung ein und dieselbe ist, so bin ich mehr als verwundert, daß man sich der Her-übernahme in den ordentlichen Haushalt widersetzt. Denn wenn die Wirkung wirklich ein und dieselbe ist, dann besteht doch auch kein Anlaß, unserem Antrag nicht stattzugeben. Unser Antrag bezweckt lediglich, die im Vertriebenengesetz im Abschnitt „Landwirtschaft" geschaffenen rechtlichen Grundlagen im ordentlichen Haushalt sicherzustellen und sie nicht den Zufälligkeiten der Ergebnisse des außerordentlichen Haushalts zu überlassen.
Ich mache weiter darauf aufmerksam, daß nicht die Koalition in der zweiten Lesung gezwungen war, den Einzelplan 10 'abzulehnen, sondern daß der Einzelplan gegen die Stimmen der FDP mit den Stimmen der Opposition und mit 'den Stimmen der CDU abgelehnt worden ist. Wenn die CDU damit ihren eigenen Minister in diese komische Situation bringt, dann hat sie heute die Möglichkeit, die damalige Verirrung wieder auszugleichen. Sie hat aber auch die Möglichkeit, diesen Weg konsequent weiterzugehen. Für die Folgen, die daraus entstehen, ist sie natürlich selber verantwortlich.
Für den Fall der Ablehnung dieses Antrags wird meine Fraktion einschließlich der Unterzeichner des Umdrucks Nr. 1023 nicht so verfahren, wie es die CDU bei der zweiten Lesung getan hat, und damit den Einzelplan 10 ablehnen, sondern meine Fraktion wird dem Einzelplan 10 auf Grund unserer Koalitionsverpflichtungen vorbehaltlos ihre Zustimmung geben. Sie wird auch der Entschließung Bausch, die soeben bekanntgegeben wurde, ihre 'Zustimmung erteilen. Da aber 'der Antrag Frühwald und Genossen Änderungen vorschlägt, ist er ein Änderungsantrag zum Antrag Umdruck Nr. 1017, und ich beantrage, über den Antrag Nr. 1023 zuerst abzustimmen.
Herr Abgeordneter Frühwald, dazu bedarf es keines Antrags. Die Geschäftsordnung hat darüber einige Bestimmungen.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist meine Pflicht - sonst würde ich es nicht tun -, auf die Ausführungen des Herrn Kollegen Frühwald zu erwidern, daß der Antrag Umdruck Nr. 1023 nach meiner festen Überzeugung und, wie ich glaube, nach objektivem Urteil mit Sinn und Geist des Art. 110 des Grundgesetzes einfach unvereinbar ist.
({0})
Wenn ich in dem Art. 110 des Grundgesetzes die
Bestimmung habe, die uns alle bindet, daß wir nur
({1})
einen abgeglichenen Haushalt vorlegen dürfen, so ist das Ausweichen auf den außerordentlichen Haushalt nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen möglich, die im Einzelfall geprüft und nachgewiesen werden müssen. Wo bisher auf den Haushalt des außerordentlichen Etats ausgewichen wurde, war nicht nur die Zweckbestimmung, sondern auch die Mittelbeschaffung von vornherein festgelegt. Wenn wir hier im Plenum dazu kommen, daß jeder Antragsteller, um dem Art. 110 auszuweichen, einfach die Erklärung abgibt: „Ich beantrage, in den außerordentlichen Etat eine höhere Anleihe einzusetzen und im ordentlichen Etat zu sagen ,Einnahmen aus dem außerordentlichen Etat' ", dann haben wir unsere Verfassung bewußt durchlöchert. Ich möchte das Haus davor warnen, einen solchen Weg zu gehen, der auf die Dauer nicht vertretbar und sachlich hier wirklich gar nicht notwendig ist. Ob die Flüchtlingssiedlung durchgeführt wird oder nicht, hängt nicht davon ab, ob der Antrag Frühwald oder der Antrag Bausch angenommen wird oder nicht. Wird der Antrag Bausch angenommen, ist genau die gleiche Sicherheit und die gleiche Möglichkeit gegeben wie bei dem andern Antrag.
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte beginnen mit einer kurzen Erwiderung auf die letzten Sätze des Herrn Bundesfinanzministers. Der Herr Bundesfinanzminister hat erklärt, gleichgültig, ob der Antrag Frühwald oder die Entschließung von Herrn Bausch angenommen werde, für die Flüchtlingssiedlung sei dadurch dieselbe Sicherheit geschaffen. Diese Erklärung des Herrn Bundesfinanzministers ist in ihrem Inhalt tatsächlich nicht zutreffend. Wenn wir entsprechend dem gestellten Änderungsantrag die hier zur Debatte stehenden Beträge in den ordentlichen Haushalt einstellen, dann ist die Sicherheit dafür geschaffen, daß die Beträge zur Verfügung stehen. Wenn wir sie im außerordentlichen Haushalt belassen und dazu eine Entschließung annehmen, so bedeutet das rechtlich nichts. Die Entschließung ändert an dem Sachverhalt nichts, denn es bedarf der Zustimmung des Herrn Bundesfinanzministers, wenn diese Beträge zum Zuge kommen sollen. Ich werde aus grundsätzlichen Erwägungen, selbst wenn der Antrag Frühwald abgelehnt werden sollte, gegen die Entschließung stimmen, weil man hier nicht etwas einsetzen soll, was nur einen Anschein erweckt, aber keine positive Sicherheit gibt.
Der Herr Bundesfinanzminister hat in der zweiten Lesung gesagt, alles braucheseine Vorbereitung, und eine andere Wendung von ihm könnte gleichfalls den Eindruck erwecken, als ob wir hier vor etwas Neuem stehen. Es handelt sich um eine Kriegsfolgelast, aus der der Bund verpflichtet wird. Im § 11 des Flüchtlingssiedlungsgesetzes, das noch vom Wirtschaftsrat verabschiedet worden ist, war dem Vereinigten Wirtschaftsgebiet, an dessen Stelle dann der Bund getreten ist, aufgegeben, die Mittel für die Flüchtlingssiedlung bereitzustellen, und das Bundesvertriebenengesetz hat in seinen § 46 nur die neue Regelung einer alten, seit langem bestehenden Verpflichtung aufgenommen. Wenn das Bundesvertriebenengesetz nicht gekommen wäre, dann wäre das Flüchtlingssiedlungsgesetz heute noch in Kraft und würde noch zwei Jahre lang gegolten haben.
Wenn wir nun eine Regelung akzeptieren sollen, nach der die Entscheidung in das Ermessen des Bundesfinanzministers gestellt wird, so ist es natürlich für uns nicht ohne Interesse zu wissen, wie sich der Herr Bundesfinanzminister in der Vergangenheit dieser Verpflichtung entledigt hat. Ich habe hier die Aufstellung über die Mittel, die in den Jahren 1950, 1951 und 1952 für diese Zwecke bereitgestellt worden sind: aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm der Bundesregierung 52 Millionen - ich nenne nur runde Zahlen -, aus dem Haushalt 15 Millionen, aus Soforthilfemitteln 246 Millionen, aus ERP-Mitteln 38 Millionen und aus Ländermitteln 221 Millionen. Das macht 564 Millionen, davon also 15 Millionen aus dem Haushalt und die Beträge, die ich eben nannte, aus dem Arbeitsbeschaffungsprogramm und aus den ERP-Mitteln.
Meine Damen und Herren, in diesen ganzen Jahren - und die Herren, die im Kontrollausschuß beim Hauptamt waren und sind, wissen das - hat es immer den Streit darum gegeben, daß der Präsident des Hauptamts sich mit Recht weigerte, größere Mittel, ,als geschehen, einzustellen, weil er sagte: Es liegt hier eine primäre Verpflichtung des Bundes vor, und die beiderseitigen Mittel müssen in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen. Das gilt auch noch für heute. Nach den Weisungen, die ergangen sind, muß hier eine Relation hergestellt werden, und es wird in Zukunft nicht mehr so sein wie in diesem Jahr, daß ohne Rücksicht auf die Bewilligung von Mitteln aus dem Haushalt Beträge zur Verfügung gestellt werden.
({0})
Für das Jahr 1953 sind insgesamt 28 Millionen eingesetzt. Davon bind 3 Millionen zweckbestimmt für das Flüchtlingssiedlungsgesetz, und von den übrigen 25 Millionen sind ebenfalls 75 % für diesen Zweck gebunden. Das würde also bedeuten, daß für die einheimische Siedlung nur 6 Millionen im Jahr zur Verfügung stehen. Und darum haben wir beim Bundesvertriebenengesetz und bei dem Zusatzgesetz so gekämpft, um endlich auch einmal etwas für die einheimische Siedlung, für die siedlungswilligen Bauernsöhne und Landarbeiter zu schaffen.
Die Einstellung in den außerordentlichen Etat genügt nicht. Wenn man diesen Betrag wirklich geben will, wie man uns ja sagt, dann ist der ganze Widerstand unerklärlich. Nach der Entschließung, die Herr Bausch vorgeschlagen hat, wird der Finanzminister ersucht, diese Mittel zu beschaffen. Nun, dann können wir doch auch ganze Arbeit machen und diesen Betrag in den Etat einstellen. Ich glaube, wir sollten das tun,
({1})
und zwar auch mit Rücksicht darauf, daß wir erst vor wenigen Wochen das Bundesvertriebenengesetz verabschiedet und hier gesagt haben, wir würden 100 Millionen für die Vertriebenensiedlung und 50 Millionen für die einheimische Siedlung einsetzen.
({2})
Der Vorbehalt der Deckungsklausel, der gemacht worden ist, kann doch nicht dazu führen, daß man nun keinerlei zureichende Beträge in den ordentlichen Haushalt einsetzt, und zwar schon beim erstenmal. Wenn man diese Beträge wirklich aufbringen will, dann ist doch alles, was man über Gefährdung der Finanzen, über Gefährdung der Währung gesagt hat - abgesehen davon, daß das
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I alles schon wegen der geringen Größenordnung gar nicht in Betracht kommt -, völlig abwegig.
Ich kann auch nicht zugeben, daß das richtig ist, was der Herr Bundesfinanzminister eben gesagt hat, daß hier ein Verstoß gegen Art. 110 des Grundgesetzes vorliegt.
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Der Herr Bundesfinanzminister oder der Haushaltsausschuß haben einen Betrag von 907 Millionen DM aus dem außerordentlichen Haushalt zur Abdeckung des Fehlbetrags im ordentlichen Haushalt übertragen. Es kann mir nun niemand sagen, daß es zulässig sei, das mit einem Betrag von 907 Millionen zu machen, aber nicht mit einem Betrag von 975 Millionen DM. Wenn man das eine kann, kann man auch das andere.
({5})
Ich möchte aber grundsätzlich etwas anderes sagen, meine Damen und Herren. Ich nehme es dem Herrn Bundesfinanzminister nicht ab, daß er uns anläßlich einer so bedeutsamen Aufgabe, einer staatspolitischen Aufgabe erster Ordnung, sagt: Ich habe keine Deckung für diesen Betrag, und es uns dann überläßt, die Deckung zu suchen. So kann man meiner Ansicht nach nicht verfahren. Die gesetzliche Verpflichtung liegt vor, und niemand kann doch bestreiten, daß hier auch wirklich ein echter Notstand vorliegt. Wenn man hier einmal die Statistik zu Gehör bringen will, stellt man fest, daß in den vergangenen drei bis vier Jahren von 270 000 oder 300 000 aus dem Osten gekommenen Bauern doch nur 35 000 wieder angesetzt worden sind. Wir müssen, Herr Bundesfinanzminister, diesmal ein ganz anderes Tempo vorlegen, wenn wir wirklich einmal zu einem Siedlungsvolumen kommen wollen, das auch irgendwie zu Buche schlägt. Man kann uns auch nicht beibringen, daß es bei einem Etat von insgesamt 27 Milliarden DM nun etwa völlig unmöglich sei, diese 75 Millionen DM in den ordentlichen Etat einzustellen.
Es handelt sich hier um eine so große und bedeutsame politische Frage, daß ich es für richtig und für notwendig halte, hierüber in namentlicher Abstimmung zu entscheiden. Ich beantrage das hiermit und bitte, diesen Antrag zu unterstützen.
Das Wort hat der Abgeordnete Erler.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Einwendungen des Herrn Finanzministers gegen den Antrag Umdruck Nr. 1023 halte ich nicht für schlüssig.
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Er hat ausgeführt, daß er gemeinsam mit uns allen die Verpflichtung habe - und das bestreitet niemand -, einen ausgeglichenen Bundeshaushalt zu verabschieden. Er hat nun dem Wege, den dieser Antrag vorschlägt, entgegengehalten, es verstoße gegen das Grundgesetz, wenn man die Ausgaben, die hierfür erforderlich seien, dadurch bestreite, daß man den Zuschuß des außerordentlichen Haushalts an den ordentlichen Haushalt um diesen Betrag erhöhe.
Nun, wenn die Erhöhung verfassungswidrig ist, dann war schon die ursprüngliche Idee verfassungswidrig.,
({1})
Auf diese Idee ist aber der Bundesfinanzminister gekommen, und nicht das Parlament.
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Die Regierungsvorlage selbst enthält bereits als Deckungsmittel für den ordentlichen Haushalt einen Zuschuß aus dem außerordentlichen Haushalt. Dann darf sich der Herr Bundesfinanzminister nicht wundern, daß er, nachdem er diese Idee zur Abdeckung des Haushaltsplans eingeführt hat, nun erlebt, daß mißvergnügte Abgeordnete aus den Reihen seiner eigenen Koalition dieses von ihm entwickelte Instrument zur Abdeckung ihrer eigenen Wünsche benutzen. Das ist, glaube ich, der eine Sachverhalt.
Nun zum zweiten: die Größenordnung. Er sagt: Na ja, 900 Millionen DM werden wir vielleicht auf dem Kapitalmarkt finden, aber 975 Millionen DM, das ist zuviel. So genau kann der klügste Bundesfinanzminister die Ergiebigkeit des Kapitalmarkts im kommenden Jahr nicht vorausschätzen, daß Abweichungen von 7 Vo nach oben oder unten möglich oder unmöglich sind. Das würde, glaube ich, das Gehirn auch unseres Bundesfinanzministers überfordern heißen. Im übrigen dürfte die Rede des Kollegen Dr. Wuermeling über die Ergiebigkeit der Kapitalbildung gerade beim kleinen Manne den Herrn Bundesfinanzminister doch restlos davon überzeugt haben, daß eine optimistischere Einschätzung der Situation des Bundes am Kapitalmarkt durchaus gerechtfertigt ist.
({3})
Nun schließlich aber noch ein anderes Wort zu dem ausgeglichenen Haushaltsplan. Der Herr Bundesfinanzminister weiß doch mit uns allen ganz genau, daß er in Wirklichkeit über einen Betrag von '700 Millionen DM verfügt, den dieser Haus- o halt als Ausgabe enthält, obwohl die Ausgabe nicht geleistet wird. Niemand in diesem Hause glaubt noch ernstlich daran, daß die Verträge über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft zum 1. November dieses Jahres in Kraft treten.
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- Das wissen Sie doch selbst, daß bis zum 1. November nicht einmal das französische oder belgische Parlament mit den Dingen wie Verfassungsänderung in Belgien usw. zu Rande kommen können. Das ist völlig ausgeschlossen. Machen Sie sich doch nicht selbst etwas vor.
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Wenn die Verträge in Kraft treten, dann nicht zum 1. November. Wenn ja, dann erst zu einem viel späteren Zeitpunkt. Der Herr Bundeskanzler ist sicher nicht bereit, heute mit mir über diese Frage zu wetten, wie er es hier Anfang dieses Jahres freundlicherweise einmal angeboten hat. Über den 1. November wette ich mit Ihnen, Herr Bundeskanzler, um einen Korb Sekt, wenn ich ihn nicht ganz allein mit Ihnen trinken muß. Das halte ich nicht aus.
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Nun weiß der Herr Bundesfinanzminister, daß die Besatzungskosten in Höhe von 600 Millionen DM nicht nur bis zum 1. November für den Fall des Inkrafttretens der Verträge am 1. November begrenzt sind, sondern daß sie in Höhe von 600 Millionen DM bis zum 31. Dezember dieses Jahres begrenzt sind. Das kann der Herr Bundesfinanzminister nicht bestreiten.
Wenn also der Bundeshaushaltsplan auf alle diese Dinge keine Rücksicht nimmt, dann müssen wir
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doch ehrlich zugeben, daß er nicht eine ganz objektive Vorausschau über die mit Sicherheit oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben des Bundes ist. Gerade in diesen Posten stellt er doch in einem hohen Grade ein Instrument zur politischen Verhandlung mit den anderen Partnern über den Verteidigungsbeitrag und mit den Ländern über die Höhe des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer dar. Das sind beides Ziele, die eigentlich ein 'Bundeshaushaltsplan nicht haben sollte.
Ich meine, wir sollten hier den Mut haben, dem Antrag Umdruck Nr. 1023 zuzustimmen. Wenn im übrigen die Voraussetzungen für die Deckung zu schaffen sind, dann auch in diesem Punkte, und zwar nach dem Prinzip, das der Herr Bundesfinanzminister selbst erfunden hat.
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Der Herr Bundesminister der Finanzen.
Schäffer Bundesminister der Finanzen: Meine Damen und Herren! Es geht hier um eine grundsätzliche Frage, ich möchte sagen, um ein grundsätzliches Bekenntnis. Wir haben die Bestimmung, daß wir nur dann berechtigt sind, den Haushalt vorzulegen, wenn der Haushalt abgeglichen ist. Es ist selbstverständlich, daß ich diese Verfassungsbestimmung als ehrlicher Mann auch ehrlich auslegen muß und nicht damit spielen darf.
Ich möchte zunächst einmal als erstes feststellen: Ich halte es für leichtfertig, wenn in diesem Hause immer der Satz ausgesprochen wird: „Bei einem Etat von 27 Milliarden DM kommt es auf 75 Millionen DM Ausgaben nicht mehr an." Das halte ich I für ausgesprochen leichtfertig und nicht zu verantworten.
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Jeder in diesem Hause weiß, mit welcher Erbitterung, möchte ich sagen, der Kampf um die Aufrechterhaltung geordneter Finanzen geführt werden muß. Jeder weiß, daß es sich nicht um die Etatsumme von 27 Milliarden DM handelt, sondern um die Gefahr, in der der Haushalt heute bereits steht. Der Kollege Schoettle hat in seiner Rede doch selbst darauf hingewiesen, daß wir in diesem Jahre gezwungen gewesen sind, den Fehlbetrag von 1309 Millionen DM aus früheren Jahren nicht abzutragen, sondern zu hoffen, daß wir in den nächsten Jahren in der Lage sind, die Voraussetzung für seine Beseitigung zu schaffen. Er hat darauf hingewiesen, daß die Beträge von 250 Millionen DM aus dem ERP-Vermögen und 740 Millionen DM aus dem Vermögen der Sozialversicherungsanstalten im nächsten Jahr vielleicht nicht mehr zur Verfügung stehen. Er hat also erklärt, daß ein Betrag von 2300 Millionen DM im nächsten Jahr als neue Vorbelastung vor dem Bundesfinanzminister des Jahres. 1954 steht. Der Bundesfinanzminister des Jahres 1954 denkt nicht an den 27-Milliarden-Umfang des Haushalts, sondern er denkt, wenn er es gut meint - und ich nehme an, er wird es gut meinen und er wird ein gutmeinender Mann sein -, mit Sorgen daran, daß ihm hier schon eine Aufgabe zur Überbrückung gestellt ist, die mit jedem Antrag, der unüberlegt eingebracht und unüberlegt angenommen wird, immer größer wird. Deswegen möchte ich sagen, daß ich es für leichtfertig halte, vor der Öffentlichkeit solche Redewendungen zu gebrauchen.
Zweitens: das Thema Besatzungskosten. Herr Kollege Erler , internationale Verträge müssen den Charakter haben, -daß sie in ehrlicher Überzeugung abgeschlossen und gehalten werden.
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Wir haben uns in Paris in Besprechungen, in denen wir das Für und Wider erwogen haben, darauf geeinigt, den 1. November 1953 als den Tag des Inkrafttretens der EVG-Verträge in Aussicht zu nehmen. Heute noch laufen alle Besprechungen internationaler Art unter Berücksichtigung dieses Datums. Wenn ich nun den ehrlichen Willen habe, diesen Termin zu halten, und wenn ich der ehrlichen Überzeugung bin, daß dazu von deutscher Seite alles getan werden muß, kann ich auf Ihre Logik nicht eingehen, daß hier ein überschüssiger Betrag von 700 Millionen DM zur Verfügung stehe. Außenpolitische Bemerkungen will ich völlig vermeiden und die Frage nicht aufwerfen, ob Sie denn wissen, daß im Falle des Scheiterns oder der Verzögerung etwas Besseres nachkäme. Ich will mich nur auf die Beantwortung der Frage beschränken, die aus der Erklärung des Herrn Kollegen Erler klingt: Ist denn der Herr Finanzminister nicht selber einer anderen Meinung, weil er mit den alliierten Besatzungsmächten den Vertrag geschlossen hat, daß die 600 Millionen DM für die Besatzungskosten bis zum Inkrafttreten der Verträge, wie es darin heißt, gelten sollen und daß eine neue Vereinbarung abgeschlossen wird, wenn das Inkrafttreten nicht bis zum 31. Dezember erfolgt? Ja, Herr Kollege Erler, der Herr Finanzminister hat halt die Aufgabe, wenn er einen Schritt vorwärts tun und für den deutschen Haushalt etwas erreichen kann, das unter allen Umständen zu machen. Ich brauche Sie wohl nicht daran zu erinnern, 'daß ich von der Korrespondenz der SPD angegriffen worden bin, als ich seinerzeit die Erklärung abgegeben habe, nach meiner Meinung ende dieses Limit von 600 Millionen DM nicht am 30. Juni 1953, sondern laufe weiter. Aber es ist erreicht worden. Ich mußte versuchen, einen möglichst langen Termin zu erhalten. Deswegen habe ich damals selber diesen Zeitpunkt als den voraussichtlichen für das Inkrafttreten vorgeschlagen. Wenn ich auch der festen Überzeugung bin, daß der EVG-Vertrag am 1. November 1953 in Kraft gesetzt werden muß, und wenn ich auch fest hoffe, daß das erreicht wird, so will ich doch auf alle Fälle von vornherein die Sicherheit haben, daß ich nicht mit dem gleichen Tag in neue Verhandlungen geführt werde. Deswegen ist diese Formel gewählt worden. Frei ist kein Pfennig.
Was ist bisher geschehen? Herr Kollege Erler, der Posten von 907 Millionen DM setzt sich folgendermaßen zusammen. 250 Millionen DM sind Anleihe aus dem ERP-Vermögen. Der Rest ist das, was ich durch die Kreditoperation mit der Bank deutscher Länder vereinbart habe. Ich habe sie am 28. Januar in diesem Hause bekanntgegeben, als ich das Projekt der Einkommensteuerreform angekündigt habe. Die 250 Millionen DM ERP-Vermögen sind ein zur Verfügung stehendes Kapital. Um dessen Beschaffung brauche ich mir also den Kopf nicht mehr zu zerbrechen. Der Rest von rund 700 Millionen ist die feste Vereinbarung, die ich mit der Bank deutscher Länder bereits getroffen habe. Ich konnte damals dem Deutschen Bundestag mitteilen: In Höhe dieses Betrages kann der Bundesfinanzminister mit Unterbringung von Schatzanweisungen rechnen. Er muß aber den Bundestag darauf aufmerksam machen, daß die({2})
selbe BdL ihm erklärt hat, darüber hinaus könne er nicht mit einer Unterbringung von Schatzanweisungen rechnen. In diesem Rahmen muß ich mich halten, wenn ich nach Art. 110 des Grundgesetzes ehrlich verfahren will. Deswegen halte ich es nach der Verfassung für nicht vertretbar, einfach nach Belieben, ohne eine Deckung gesichert zu haben, zu sagen: der außerordentliche Haushalt wird um Millionen erhöht, und ein entsprechender Betrag daraus wird in den ordentlichen Haushalt hinübergenommen. Das halte ich nach wie vor für in Widerspruch stehend mit Sinn und Geist des Art. 110.
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Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fürchten Sie nicht, daß ich mit meinen Ausführungen in Hunderte von Millionen usw. gehe. Wir haben uns, als wir in diesen Bundestag gegangen sind, geschworen, immer mit Deckungsvorlagen bei der Hand zu sein. Wir bekommen natürlich eine schlechte Note vom Herrn Bundesfinanzminister, weil wir meistens nicht damit bei der Hand gewesen sind.
Meine Freunde und ich haben uns überlegt, ob wir nicht in diesem Fall eine Deckungsvorlage haben könnten, und bei scharfem Nachdenken -bei dem man ja überhaupt gelegentlich auf etwas kommt - sind wir auch auf etwas gekommen. Geld ist eine vertretbare Ware - wie Sie alle, sofern Sie Juristen sind, einmal gelernt haben -, die Gemütlichkeit hört in Geldsachen auf, idas ist übrigens in keiner Weise meine Ansicht.
Ich bitte Sie, den Einzelplan 40 - soziale Kriegsfolgeleistungen - aufzuschlagen und aus ihm zu ersehen, daß sich unter Kap. 4009, Kriegsopferversorgung, in den Einnahmen der Tit. 13, Erstattung von Versorgungsbezügen, findet, der mit 70 Millionen DM eingesetzt ist. Jetzt lesen Sie - was nicht gebräuchlich, aber manchmal zweckmäßig Ist - die Erläuterungen dazu, dann werden Sie finden:
Veranschlagt sind
Erstattung der vom Land Bayern gemäß § 18 usw. des Ersten Überleitungsgesetzes .... zu leistenden Nachzahlungen noch nicht endgültig festgesetzter Renten 50 000 000 DM.
Wie verhält es sich mit diesem Betrage? Er steht seit vier Jahren unentwegt im Haushalt. Die CSU, die das besondere Wohlwollen des Herrn Bundeskanzlers genießt, wie sich neulich auf idem Parteitag in Augsburg gezeigt hat,
({0})
stimmt seit vier Jahren mit diesem Hohen Hause für diesen Betrag. Sie tut aber seit vier Jahren nicht das geringste, daß der Bayerische Landtag nun diesen Betrag in seinen Haushalt einsetzt, was nach meiner Ansicht zu den Pflichten eines föderalistisch gesonnenen Bundestagsabgeordneten gehört. Ich könnte mich auch noch etwas deutlicher ausdrücken; aber wir sind ja noch nicht im Wahlkampf,
({1})
und darauf müssen Sie noch ein bißchen warten.
Daß diese 50 Millionen DM von Bayern nicht gezahlt werden, das hat sich bereits in dem Maße
herumgesprochen, daß Sie, wenn Sie die Erläuterungen - was manchmal auch zweckmäßig ist - zu Ende lesen, darunter finden:
Die Isteinnahme des Rechnungsjahres 1952 läßt für das Rechnungsjahr 1953 eine Isteinnahme von 20 Millionen DM erwarten.
Das heißt zu deutsch: die 50 Millionen, die in den 70 Millionen enthalten sind, wird der bayerische Staat in seiner Treue zum Bunde auch im Jahre 1953 nicht zahlen.
Ich fordere Sie also in aller Form auf, sich dieser 50 Millionen zu bedienen und vielleicht auf den Gedanken zu kommen, wenn Sie gute Juristen sind, die rückständigen Verzugszinsen aus den früheren drei Jahren einzufordern. Diese Beträge dürften ausreichen, es Ihnen zu ermöglichen, den Antrag Frühwald Umdruck Nr. 1023 anzunehmen.
({2})
Der Herr Bundesminister der Finanzen!
Meine Damen und Herren, nur ein oder zwei Sätze. Erstens: Es ist mir ja unerfindlich, was dieser Etatsposten von 50 Millionen DM mit dem schwebenden Antrag hier zu tun hat. Zweitens möchte ich feststellen: Es dürfte allmählich auch schon bekannt sein, daß das Bundesministerium der Finanzen, nachdem die Verhandlungen mit Bayern zu einem Ergebnis nicht geführt haben, Bayern bereits mitgeteilt hat, daß die nach dem Überleitungsgesetz - ich glaube, es ist § 10 - zuständige Instanz, nämlich der Bundesrechnungshof, nunmehr zur Entscheidung angerufen wird.
({0})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Bausch.
Meine Damen und Herren! Mit diesem Einnahmeposten, auf den Herr Kollege Wellhausen hingewiesen hat, haben wir uns, wenn ich mich recht entsinne, auf meinen Antrag hin, im Haushaltsausschuß sehr oft und sehr gründlich befaßt, und wir werden das auch in Zukunft tun. Aber es ist mir völlig unklar, Herr Kollege Wellhausen, welcher Zusammenhang zwischen diesem Einnahmeposten von 50 Millionen DM und dem Antrag Frühwald bestehen soll. - Offenbar ist Ihr Gedankengang der, daß, da ja 50 Millionen in den Einnahmen stehen, das Geld vorhanden sei, um den Antrag Frühwald zu decken. Aber das stimmt ja gar nicht. Diese 50 Millionen sind in unsere Rechnung schon einbezogen. Sie stehen auf der Einnahmeseite ides Bundeshaushalts. Selbst wenn die bayerische Landesregierung sich heute noch entschließen würde, diese 50 Millionen DM bar auf den Tisch des Hauses zu legen, hätten wir keine einzige Mark zusätzlich, um die weiteren Kosten des Antrags Frühwald zu decken. Ich fürchte, daß Ihnen, Herr Kollege Wellhausen, hier ein Fehlschluß mit unterlaufen ist. Ich kann es mir nicht anders denken.
Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
Herr Bausch - oder besser: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da({0})
men und Herren! - Herr Bausch, Sie gehen mit Ihrer Annahme fehl. Wenn man drei Jahre rückständig ist, und der betreffende Schuldner zahlt dreimal 50 Millionen DM, dann hat man in diesem Haushalt, über den wir reden, 150 Millionen DM, und die sind immer noch viel zuviel, um den Antrag Frühwald zu finanzieren.
({1})
Herr Abgeordneter Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! So leid es mir tut, ich muß die Sache doch korrigieren. Herr Wellhausen, es ist nicht so, wie Sie annehmen. Diese 50 Millionen DM stehen tatsächlich nicht zur Verfügung. Sie stehen in den Einnahmen in der Tat einfach deshalb, weil der Bundesfiskus seinen Rechtsanspruch aufrechterhalten muß in einer Sache, die noch nicht durch den Spruch des Rechnungshofs entschieden ist. Das muß man sagen, wenn die Dinge wirklich auf ihren wahren Grund zurückgeführt werden.
Ich glaube, ich brauche zur Sache selber nicht Stellung zu nehmen. Ich möchte nur vom Standpunkt des Haushalts aus jeden Zweifel darüber ausschließen, daß diese 50 Millionen DM zum Ausgleich des Antrags auf Umdruck Nr. 1023 ni c h t zur Verfügung stehen.
({0})
Herr Abgeordneter Dr. Kather.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur zwei Sätze. Der Herr Bundesfinanzminister hat mit Beziehung auf eine Äußerung von mir wiederholt den Ausdruck „leichtfertig" gebraucht.
({0})
Ich will mich nicht gegen einen persönlichen Vorwurf verteidigen; es kommt mir nur darauf an, klarzumachen, daß der Ausdruck sachlich nicht gerechtfertigt ist. Ich habe nicht gesagt, daß es bei einem Haushalt von 27 Milliarden nicht auf 75 Millionen ankomme, sondern ich habe gesagt: Man kann uns nicht klarmachen, daß es bei einem Haushalt von 27 Milliarden unmöglich ist, für diese 75 Millionen DM Deckung zu schaffen. - Herr Bundesfinanzminister, das ist etwas ganz anderes; das bezweifelt nur die richtige Rangordnung der Posten, für die man eine Deckung gefunden hat, weiter nichts, und ich will keine zusätzlichen 75 Millionen DM haben. Wenn Sie sich überlegen, daß es sich um die Gruppe der Vertriebenen handelt, die bisher unstreitig am schlechtesten weggekommen ist, so bin ich vor meinem Gewissen jedenfalls der Überzeugung, nur meine Pflicht getan und alles andere als leichtfertig gehandelt zu haben.
({1})
Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen.
({0})
Meine Damen und Herren! Ich habe noch niemanden von der CSU, wenn ich den Herrn Bundesfinanzminister in diesem Moment nicht als den Abgeordneten von Passau anspreche, gehört, der zu meiner Aufforderung, in den bayerischen Haushalt den Betrag von 50 Millionen einzusetzen, Stellung genommen und der mir gesagt hat, warum Sie im bayerischen Haushalt nicht identisch mit dem vorgehen, was Sie hier im Bundeshaushalt tun.
({0})
Was im übrigen die Äußerungen von Herrn Schoettle anlangt, so kann ich als Wirtschaftler, wenn ich das im Augenblick darf, dem Bundeshaushalt nur mein Beileid für seine Bilanzunwahrheit aussprechen.
({1})
Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. - Ich schließe die Besprechung zum Einzelplan 10. Es liegt erstens vor der Antrag Umdruck Nr. 1017, die Fassung. der Beschlüsse des Haushaltsausschusses wiederherzustellen, und zweitens ein Umdruck Nr. 1023, der diese Beschlüsse des Haushaltsausschusses ändern will, also offenbar ein Änderungsantrag zu diesem Antrag Umdruck Nr. 1017.
Herr Abgeordneter Kather hat namentliche Abstimmung für sich beantragt. Ich frage, wird dieser Antrag unterstützt? - Nun, meine Damen und Herren, dann stimmen wir namentlich ab: Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten über den Änderungsantrag Umdruck Nr. 1023 einzusammeln. ({0})
Meine Damen und Herren, darf ich bitten, Platz zu nehmen. Ich schlage Ihnen vor, daß wir nach Erledigung der Abstimmung zu Einzelplan 10 die Beratung des Haushalts unterbrechen und zu dem Punkt 2 der Tagesordnung übergehen.
({1})
Darf ich die Pause der Auszählung benutzen, um folgende beiden Dinge zu erledigen:
Heute morgen ist auf die Tagesordnung gesetzt worden der Antrag der Fraktionen des Hauses Drucksache Nr. 4603:
Beratung des von den Fraktionen der CDU/ CSU, SPD, FDP, DP, FU ({2}) eingebrachten Entwurfes eines Gesetzes über die Verlängerung der im § 3 des Gesetzes über die drei Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die deutschen Vermögenswerte in der Schweiz, über die Regelung der Forderungen der Schweizerischen Eidgenossenschaft gegen das ehemalige Deutsche Reich und zum deutschen Lastenausgleich vom 7. März 1953 ({3}) enthaltenen Fristen.
Ich bin darüber informiert worden, daß die Fraktionen des Hauses sich darüber einig sind, daß heute alle drei Beratungen dieses Gesetzes erledigt werden können,
({4})
und auch darüber einig sind, daß eine Aussprache nicht stattzufinden braucht. Ich kann also die erste Beratung als erledigt ansehen. Ich rufe zur
zweiten Beratung
dieses Gesetzes auf §§ 1, - 2, - Einleitung und Überschrift. Ich bitte die Damen und Herren, die
({5})
diesen Paragraphen, Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Allgemeine Besprechung. - Einzelbesprechung entfällt.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem aufgerufenen Gesetz Drucksache Nr. 4603 in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünschen, sich zu erheben. - Das ist die Mehrheit; das Gesetz ist in der Schlußabstimmung angenommen.
Weiterhin ist mir mitgeteilt worden, daß beabsichtigt ist, den Entwurf eines Gesetzes über die innerdeutsche Regelung von Vorkriegsremboursverbindlichkeiten, Drucksache Nr. 4626, heute nur in erster Beratung zu erledigen und an den Finanz-und Steuerausschuß zu überweisen.
({6})
- Also nicht an den Finanz- und Steuerausschuß, sondern an den Sonderausschuß zur Beratung des Londoner Schuldenabkommens. Ich darf unterstellen, daß Sie mit der Überweisung dieses Gesetzentwurfs auf Drucksache Nr. 4626 an den genannten Ausschuß einverstanden sind. - Die Überweisung ist erfolgt,
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die in der namentlichen Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 1023 ihre Stimme abzugeben wünschen?
({7})
Wünschen noch weitere Abgeordnete abzustimmen?
- Niemand. Dann schließe ich diese namentliche Abstimmung.
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. Es haben sich 352 Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 204, mit Nein 134 bei 14 Enthaltungen. Von den Berlinern haben mit Ja gestimmt 11, mit Nein 6, insgesamt 17. Damit ist dieser Änderungsantrag angenommen.
Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 1017 in der durch die Abstimmung über den Antrag Frühwald geänderten Form, die Fassung der Beschlüsse des Haushaltsausschusses wiederherzustellen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; dieser Antrag ist angenommen. Damit erledigt sich sachlich der Entschließungsantrag des Herrn Abgeordneten Bausch.
Meine Damen und Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir nun die Beratung des Haushaltsplans bis zur Erledigung des Punktes 2 der Tagesordnung unterbrechen. Ich rufe auf den Punkt 2:
a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Viermächteverhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands ({8});
b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP betreffend Volkserhebung im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin ({9});
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 13926, 1. Abstimmung.
c) Erste, zweite und dritte Beratung des von der Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den Nationalfeiertag des deutschen Volkes ({10});
d) Erste, zweite und dritte Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über den nationalen Gedenktag ({11}).
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, Begründungszeiten von 30 bzw. jeweils 15 Minuten und eine Aussprachezeit von 180 Minuten vorzusehen.
Zunächst wünscht der Herr Bundeskanzler das Wort. Ich bitte, das Wort zu nehmen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Infolge eines Versehens, das ich bisher nicht aufklären konnte, ist entgegen der Bitte des Kabinetts, den Punkt „Abgabe einer Regierungserklärung" auf die Tagesordnung zu setzen, dieser nicht auf der Tagesordnung. Ich bitte deswegen um Entschuldigung; ich werde die Sache aufklären. Aber ich glaube, die ganze internationale Lage ist derart, daß das Hohe Haus von der Bundesregierung eine Erklärung verlangen kann.
Der Aufstand der deutschen Bevölkerung in OstBerlin und der sowjetisch besetzten Zone gegen Unfreiheit und Unterdrückung hat die Spaltung Deutschlands wieder in den Brennpunkt der außenpolitischen Auseinandersetzungen gerückt. Was hat sich in Ost-Berlin und der Ostzone ereignet? Nach jahrelanger Unterdrückung, nach Ausbeutung und Terror haben sich die arbeitenden Menschen gegen den sowjetischen Machthaber erhoben und die Wiederherstellung der Menschenrechte gefordert.
({0})
Ausgehend von dem Protestmarsch der Bauarbeiter in der Frankfurter Allee, überspringend auf den Ostsektor Berlins und von da aus wie ein Lauffeuer sich ausbreitend über das ganze mitteldeutsche Gebiet, sich immer neu entflammend in Magdeburg, in Jena, in Erfurt, in Leipzig und vielen anderen Städten und kleineren Orten,
({1})
entwickelte sich der Aufstand für Freiheit und Recht, gegen Terror und Unterdrückung, gegen Panzer und Maschinengewehre.
({2})
Die Sowjets sind durch diesen Ausbruch überrascht worden. Nur mit äußersten Zwangsmaßnahmen ist es ihnen gelungen, der Situation wieder Herr zu werden.
({3})
Über die Zahl der Toten und der Verletzten liegen bis heute authentische Nachrichten noch nicht vor. Sowjetzonale Stellen haben lediglich zugegeben, daß bei dem Juni-Aufstand 25 Personen getötet und 388 Personen verletzt worden seien. Wir haben Grund zu der Annahme, daß nach den Unruhen 62 Todesurteile vollstreckt worden sind.
({4})
({5})
Darüber hinaus sind bisher rund 25 000 Personen verhaftet worden.
({6})
Diese Toten werden eingehen in die Geschichte des deutschen Volkes.
({7})
Den Gefangenen versichern wir, daß wir alles in unsern Kräften Stehende tun werden,
({8})
um sie so rasch wie möglich aus ihrer schweren Lage zu befreien.
Meine Damen und Herren! Millionen Deutsche haben die Welt aufgerufen, damit die Wiedervereinigung in Freiheit Tatsache werde und damit Brüder und Brüder und Schwestern und Schwestern nach Jahren der Trennung wieder zusammenkommen und das deutsche Haus gemeinsam bauen können.
({9})
Wir haben den Ruf gehört. Die Bundesregierung hat in eindringlichen Botschaften an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, den britischen Premierminister und den französischen Ministerpräsidenten den Appell gerichtet, alles in ihren Kräften Stehende zu tun, daß dem deutschen Volk die Einheit und die Freiheit wiedergegeben werden. Unser Appell hat starken Widerhall gefunden. Alle drei Staatsmänner haben sich in voller Übereinstimmung zur Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit bekannt und erklärt, daß sie den Grundlinien der an die Sowjets gerichteten Note vom 23. September 1952 folgen werden, die .die Wiedervereinigung Deutschlands und die Stellung einer freien gesamtdeutschen Regierung näher umschreiben. Diese Grundlinien stimmen vollständig mit der Entschließung des Bundestages vom 10. Juni dieses Jahres überein, deren Hauptpunkte lauten: Abhaltung freier Wahlen in ganz Deutschland,
({10})
Bildung einer freien Regierung für ganz Deutschland, Abschluß eines mit dieser Regierung frei vereinbarten Friedensvertrages, Regelung aller noch offenen territorialen Fragen in diesem Friedensvertrag, die Sicherung der Handlungsfreiheit für ein gesamtdeutsches Parlament und eine gesamtdeutsche Regierung im Rahmen der Grundsätze und der Ziele der Vereinigten Nationen.
Die Bundesrepublik steht also mit diesen Forderungen nicht allein. Sie ist in dieser Frage eng verbunden mit den Westmächten, die sich erneut zu den Verpflichtungen in den großen Vertragswerken bekennen, in deren Präambel es heißt, daß die Wiederherstellung eines völlig freien und vereinigten Deutschlands auf friedlichem Wege und die Herbeiführung einer frei vereinbarten friedensvertraglichen Regelung eingrundlegendes gemeinsames Ziel der vertragschließenden Mächte sind. Wir befinden uns in dieser für Europa und für Deutschland so entscheidenden Frage in voller Harmonie mit den drei Mächten. Das ist nicht zuletzt ein Ergebnis der konsequenten Politik der Bundesregierung in den letzten vier Jahren.
({11})
Meine Damen und Herren, .lassen Sie mich aus Anlaß des Aufstandes in Ostberlin und der Ostzone über unsere Außenpolitik Rechenschaft geben, unseren Standpunkt im gegenwärtigen Augenblick erhöhter außenpolitischer Aktivität präzisieren und die Ziele zeigen, die uns in der Zukunft für die deutsche Außenpolitik als richtungweisend erscheinen.
Nach der Katastrophe des Jahres 1945 mußte es für jede deutsche Regierung die erste Aufgabe sein, Deutschland wieder einen angesehenen Platz in der Gemeinschaft der Völker zu erringen. Das konnte nur dadurch geschehen, daß alles darangesetzt wurde, Deutschland aus Besatzung und Besatzungsrecht herauszulösen, es aus dem Objekt fremden Willens zum Subjekt eigener politischer Entscheidungen zu machen. Der Weg, meine Damen und Herren, war hart und dornenvoll. Er ist heute infolge der Tatsache, daß die großen Verträge noch nicht in Kraft getreten sind, noch nicht abgeschlossen. Wir dürfen aber, wenn wir den Weg seit Amtsübernahme der Bundesregierung im September 1949 bis heute überschauen, mit Befriedigung feststellen, daß sich unendlich vieles zum Besseren gewendet hat.
Die Bundesrepublik ist heute schon auf den meisten Gebieten der inneren und äußeren Politik tatsächlich Herrin ihrer eigenen Entscheidungen. Das konnte nur erreicht werden, weil wir in zähem Bemühen, Schritt für Schritt, in Geduld und Beharrlichkeit das zerstörte Vertrauen und den verlorenen politischen Kredit durch Leistung - und nur durch Leistung - zurückgewonnen haben.
({12})
Geholfen und genutzt hat uns auf diesem Wege, daß wir uns vom ersten Tage an entschieden und entschlossen zu der auch aus anderen Gründen zwingend notwendigen europäischen Integration bekannt haben.
({13})
Hier handelt es sich darum, in freier Zusammenarbeit mit den anderen europäischen Völkern d'en falschen und übertriebenen Nationalismus, der Ursache und Anlaß so vieler blutiger Kriege in der Vergangenheit gewesen ist, durch Zusammenschluß und Zusammenarbeit an praktischen Aufgaben zu überwinden.
({14})
Die Meilensteine auf diesem Wege sind der Eintritt der Bundesrepublik in den Europarat, der Abschluß des Vertrags über die Montanunion, der Vertrag über die Europäische Verteidigungsgemeinschaft und nicht zuletzt die Arbeit an der Entwicklung einer europäischen politischen Gemeinschaft, der Krönung der beiden anderen großen Zusammenschlüsse.
({15})
Auch dieser Weg ist mühsam und schwer.
Auf diesen Wegen, die wir einschlugen, um aus Deutschland einen gleichberechtigten und gleichverpflichteten Partner der freien Welt zu machen und ein neues, wirtschaftlich und politisch starkes Europa zu schaffen, isst uns leider die Opposition
({16})
nicht gefolgt. Ohne uns je zu sagen, wie man es anders oder besser machen könnte,
({17})
hat sie jeden Schritt, den die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestages getan haben, um Deutschland dem geschilderten Ziele näher zu bringen, mit negativer Kritik begleitet.
({18})
Ich brauche nur an die Tage des Petersberger Abkommens zu erinnern,
({19})
das die erste Etappe auf dem Wege zur Lösung der Besatzungsfesseln und zur Befreiung der deutschen Wirtschaft von Zerstörung durch Demontagen bedeutete.
({20})
Mit diesem Abkommen haben wir eine große Zahl bedeutender deutscher Industriewerke gerettet; mit diesem Abkommen sind auch die Fesseln gesprengt worden, die den deutschen Schiffbau zum Erliegen gebracht hatten.
({21})
Dieses Abkommen war der Ausgangspunkt für weitere zähe Verhandlungen der Bundesregierung um die Freigabe weiterer bedeutender Werke und ganzer Industriezweige. Wenn heute Watenstedt-Salzgitter,
({22})
von dem direkt oder indirekt 80 000 Menschen leben, wieder arbeitet, so hat die Bundesregierung daran einen entscheidenden Anteil.
({23})
Trotz der Widerstände der Opposition haben wir uns nicht beirren lassen. Eine spätere Zeit wird erst voll würdigen können, daß die Bundesregierung sich in diesen schweren Jahren entschlossen von falschen Ressentiments freigemacht hat und den Weg des Maßhaltens und der Verständigung mit anderen Mächten gegangen ist.
({24})
Das Ergebnis dieser Politik ist, daß sich die Beziehungen der Bundesrepublik zu der ganzen freien Welt nicht nur normalisiert, sondern freundschaftlich gestaltet haben. Wir können damit rechnen, daß, wie Botschafter Conant gestern vor der Presse ausgeführt hat, die Beziehungen zu den drei Westmächten noch vor dem Inkrafttreten der Vertragswerke soweit wie möglich normalisiert werden.
({25})
An dieser Entwicklung haben die Hohen Kommissare dank ihrer Umsicht und Tatkraft ein großes Verdienst.
Der Zusammenschluß der freien Völker Westeuropas, zu dem die Bundesrepublik einen so wesentlichen Beitrag leistete, hat an Stelle des desorganisierten Europas nach 1945 eine kraftvolle
Gemeinschaft ins Leben gerufen. Dieser Zusammenschluß ist - das ist meine feste Überzeugung - ein entscheidender Grund für die Taktik, die die sowjetische Politik seit dem Tode Stalins entwickelt hat.
({26})
Denn wenn es etwas gab, das den Sowjetrussen klarmachte, daß sie mit den Mitteln des Kalten Krieges die europäische Welt nicht unterminieren und von ihr Besitz ergreifen können, so war es der Zusammenschluß der europäischen Völker in den genannten Gemeinschaften.
({27})
Es ist also auch ein Erfolg unserer Außenpolitik, wenn wir heute die Möglichkeiten einer Viererkonferenz vor uns sehen, die die Lösung der Frage der deutschen Wiedervereinigung erbringen soll.
({28})
Es ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich, wenn unrealistische Politiker heute fordern, daß die europäischen Zusammenschlüsse zurückgestellt oder gar aufgegeben werden.
({29})
Ganz und gar unrealistisch ist es - und den Interessen Deutschlands abträglich -, wenn sogar geäußert wird, die Verträge seien tot.
({30})
Glaubt man, daß man damit Deutschland bei den Verhandlungen mit den Sowjets nützt?
({31})
Gerade die Bevölkerung der Ostzone, die so tapfer den sowjetischen Machthabern die Stirn bot,
({32})
hat uns in den letzten Tagen immer wieder sagen lassen, daß wir uns der starken Position nicht begeben möchten, die unsere Partnerschaft mit der freien Welt bedeutet
({33})
und die allein auch für das Volk Ostberlins und der Ostzone schließlich die Wiedervereinigung zu gewährleisten vermöge.
({34})
Ich habe es bedauert, daß infolge der Erkrankung des britischen Premiers die Bermuda-Konferenz nicht hat zustande kommen können.
({35})
Wir wollen hoffen, daß der britische Premier bald wiederhergestellt ist, damit in den Verhandlungen mit den Regierungschefs der anderen Mächte eine einheitliche gemeinsame Linie für die Verhandlungen mit den Sowjets festgelegt werden kann.
({36})
Es ist mir eine große Beruhigung, daß die verantwortlichen Leiter der Außenpolitik der drei Westmächte schon bald zusammentreten, um die Entwicklung voranzutreiben.
({37})
({38})
Im Mittelpunkt unseres Programms für die Wiedervereinigung Deutschlands stehen freie Wahlen.
({39})
Sie sind in der Tat die zentrale Frage. Wir werden in ganz Deutschland keine allgemeine und persönliche Freiheit erringen, solange nicht frei gewählte Vertretungen eine kontinuierliche demokratische Politik entwickeln und führen können. Die deutsche Politik soll auf dem Willen des Volkes beruhen und nicht auf Willkür und Launen totalitärer Machthaber.
({40})
Freie Wahlen können aber nur in geordneten freiheitlichen Verhältnissen abgehalten werden.
({41})
Die Bundesregierung wird sich bemühen, folgendes Sofortprogramm zu verwirklichen: Öffnung aller Zonenübergänge, Aufhebung des Sperrstreifens und der evakuierten Zone, Freizügigkeit aller Deutschen in ganz Deutschland,
({42}) Presse- und Versammlungsfreiheit,
({43})
Zulassung der Parteien,
({44})
Schaffung demokratischer Rechtsformen zum
Schutze des Menschen gegen Willkür und Terror.
({45})
Unsere Pläne für die Zeit nach der Wiedervereinigung sind fertiggestellt. Besondere Arbeitsausschüsse haben Sofortmaßnahmen für den Tag der Wiedervereinigung vorbereitet. Es sind Vorarbeiten geleistet für die Versorgung mit Lebensmitteln,
({46})
Kohle, Eisen, Stahl und Energie. Ferner sind die notwendigen Maßnahmen auf den Gebieten des Arbeitsmarktes, der Währung, der sozialen Versorgung und des Verkehrs festgelegt worden.
Wie können wir in diesem entscheidenden Stadium auf den Rat und die Mitwirkung der Deutschen in Ostberlin und der sowjetisch besetzten Zone verzichten?
({47})
Es wäre zu begrüßen, wenn der neue Bundestag sich entschlösse, ihre berufenen Vertreter in dieses Haus aufzunehmen.
({48})
Sie sollen und müssen teilnehmen an unserer Arbeit bis zu dem Tage, an dem ganz Deutschland frei eine Nationalversammlung wählt.
({49})
Man sagt uns, daß die Sowjets mit ihrer Politik der kleinen Zugeständnisse eine echte Entspannung einleiten wollen. Nun, meine Damen und Herren, es gibt etwas, das ihre Aufrichtigkeit beweisen könnte. Mögen sie zunächst alle jetzt Gefangenen, dann aber auch unsere Kriegsgefangenen, die Verschleppten und politischen Häftlinge freigeben, viele Hunderttausende, die seit Jahren in Sowjetrußland auf den Tag der Freiheit warten.
({50})
Was ich gesagt habe, ist nichts anderes ({51})
als die normalen Voraussetzungen, die notwendig sind, um ein friedliches Zusammenleben innerhalb eines Volkes und zwischen den Völkern zu gewährleisten.
({52})
Wir wünschen dieses friedliche Zusammenleben mit
allen unseren Nachbarn, auch mit der Sowjetunion.
({53})
Wie unserem Volke, so wünschen wir auch dem russischen Volke Wohlfahrt und Sicherheit.
({54})
Wenn die sowjetrussische Regierung die Auffassung vertritt, daß durch die Bildung der Europäischen Gemeinschaft die Sicherheit Rußlands bedroht werde, so kann ich dazu nur folgendes erklären: Die Europäische Gemeinschaft wie auch die anderen Zusammenschlüsse der freien Welt dienen ausschließlich der friedlichen Zusammenarbeit und tragen rein defensiven Charakter.
({55})
Die Tatsache, daß die militärischen Kräfte und die Rüstung beschränkt und kontrolliert bleiben, ist ein wesentliches Moment der Festigung und Erhaltung des Friedens in Europa. Ein solches System kann einen vernünftigen Ausgleich mit der Sowjetunion nur fördern.
({56})
Wenn ein System der Rüstungsbeschränkungen in weltweitem Maßstab verwirklicht werden könnte, so würden damit, wie Präsident Eisenhower in seiner denkwürdigen Rede vom 16. April dieses Jahres ausgeführt hat, die Mittel frei, um auch den bedürftigen Völkern den Weg zu Wohlstand und zu einem besseren Leben zu öffnen.
Da die Teilung Deutschlands ein Ergebnis des Ost-West-Konflikts ist, setzt die Wiedervereinigung die Entspannung dieses Konflikts voraus. Wiedervereinigung und europäisches Zusammenleben sind notwendige Teile ein und derselben Politik.
({57})
Wenn die Bundesregierung und die Mehrheit des Bundestages in den letzten vier Jahren diese Politik verfolgt haben, so erfüllten sie damit den Auftrag, den das Grundgesetz gegeben hat, nämlich die nationale und staatliche Einheit zu wahren und als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen.
({58})
Das Wort zur Begründung des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 4444 hat der Abgeordnete Wehner.
Wehner ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem der Herr Bundeskanzler in einer Erklärung dazu angesetzt
({1})
hat, die Ereignisse, die Mitte dieses Monats in der sowjetisch besetzten Zone und im Ostsektor Berlins zum Ausbruch gekommen sind, zum Anlaß eines Rückblicks auf die Außenpolitik der Bundesregierung zu machen, läge es - wenn es nur darauf ankäme, in diesem Hause in Rede und Gegenrede abzumessen, was getan oder versucht worden ist - nahe, auf diesen Versuch einzugehen. Ich vermisse allerdings, daß der Herr Bundeskanzler den Versuch, den er weit zurückgreifend begonnen hat, auch weitergeführt hat. Ich muß sagen, der Versuch wirkte doch mehr als eine Bekundung dessen, was der Chef der Bundesregierung im Lichte der gegenwärtigen Ereignisse über seine bisherige Politik sagen wollte,
({2})
damit es in dem Zusammenhang gesehen werden möge. Der Sprung hin zu Erklärungen, die der Herr Bundeskanzler hier über die innere Vorbereitung und Bereitschaft auf den Tag nach der Wiedervereinigung gegeben hat, scheint mir ein wenig sehr weit zu sein.
({3})
Die Erklärung, daß die Pläne für die Wiedervereinigung festgesetz und festgestellt, die Pläne für die Versorgung fertig seien und daß es eigentlich nur noch darauf ankomme, den Tag zu erleben, müßte bei ernster Betrachtung wesentlichen Korrekturen unterzogen werden.
- Bitte, wenn Sie der Meinung sind - ({4})
- Nein, nein, Herr Strauß! Ich habe z. B. in dem Forschungsbeirat für Fragen der Wirtschaft und Finanzen zur Wiedervereinigung mitgearbeitet und tue das noch. Ich möchte nicht, daß über solche Fragen in einer Weise, wie Sie sie jetzt schon am Beginn dieser Debatte anzuschlagen belieben, gesprochen wird. Ich nehme sie furchtbar ernst. Ich denke, das sollten alle Seiten tun. Es ist keineswegs so, daß man sagen könnte, diese Dinge seien abgeschlossen. Ich teile auch nicht die Meinung des Staatssekretärs vom Ministerium für gesamtdeutsche Fragen, der trotz der Geheimhaltungspflicht, die bisher allen Teilnehmern dieser Arbeit auferlegt gewesen war,
({5})
vor einigen Tagen in einem Artikel im „Bulletin" und in einer Rede vor Unternehmerverbänden Dinge darüber geäußert hat, über die es keineswegs schon abschließende Erklärungen und Thesen gibt, sondern die noch im Stadium der Forschung sind. Wir haben ja auch keinen Grund, uns dessen zu schämen. Jetzt werden wir aber hier mit Erklärungen und auch mit Behauptungen konfrontiert, die eben, wenn man sie so gebraucht, nicht unwidersprochen bleiben können. Der Herr Bundeskanzler hat noch kürzlich in einem Interview mit dem Hauptinterpreten seiner Politik auf dem journalistischen und dem Rundfunkgebiet gesagt, er meine zwar, daß die bevorstehenden Wahlen einem Plebiszit über die Außenpolitik dieser Regierung gleichkämen; er möchte aber die Frage der Wiedervereinigung ausgeklammert wissen. Ich frage mich: wie kann man denn beides gemeinsam wollen?
Derselbe Herr Bundeskanzler hat es für richtig gehalten, schon am Anfang zu erklären, die Opposition sei in den Fragen seiner Europapolitik einen anderen Weg gegangen und habe lediglich negative Kritik geübt, um am Schluß diese Art der Europapolitik, die Politik der Integration mit den Ländern - auch mit den beiden Ländern, die die stärksten kommunistischen Parteien in Westeuropa und die die am wenigsten stabilen Regierungen haben ({6})
als das notwendige Begleitstück zur Politik der Wiedervereinigung hinzustellen.
({7})
Herr Bundeskanzler, wir haben in unserem Antrag, den wir allerdings schon am 9. Juni ein-. gereicht haben, Vorschläge gemacht, von denen wir annehmen, daß sie auch durch die seit dieser Zeit eingetretenen Ereignisse in ihrer Bedeutung in keiner Weise abgeschwächt oder inaktuell geworden sind. Seit der Einreichung dieses Antrags sind bedeutende Ereignisse geschehen. Aber das Anliegen des Antrags ist unserer Meinung nach durch diese Ereignisse nur noch verstärkt worden. Wir meinen, heute kann man weniger denn je mit Entschließungen, mit Bekundungen und mit symbolischen Gesten etwas erreichen. Als solche muß ich das betrachten, was wir hier aus dem Munde des Herrn Bundeskanzlers hörten, daß man dem kommenden Bundestag nahelegen sollte, Vertreter - wie er sagt - der sowjetzonalen Bevölkerung zu kooptieren, damit sie mitberaten könnten. Das ist doch wirklich nur eine symbolische Geste; denn es geht um gesamtdeutsche freie Wahlen und um eine gesamtdeutsche verfassunggebende Nationalversammlung und nicht um eine solche Vertretung.
({8})
Ich wollte damit gesagt haben, daß heute weniger denn je etwas getan ist mit Entschließungen und Bekenntnissen solcher Art. Es kommt nicht nur uns, sondern es kommt geschichtlich auf konkrete Schritte an. Diese sind uns als Verpflichtung durch den Freiheitskampf der Arbeiter der sowjetisch besetzten Zone und Ost-Berlins auferlegt. Damit muß ich mich diesem wichtigsten Ereignis zuwenden, das seit der Einreichung unseres Antrages eingetreten ist.
Wir meinen, daß mit dem Aufstand der Arbeiter der meisten Betriebe der Großindustrie fast aller Städte der sowjetisch besetzten Zone und OstBerlins ein neues Stadium im Ringen um die Wiedervereinigung Deutschlands begonnen worden ist. Die Arbeiter der sowjetisch besetzten Zone haben mit ihrem Freiheitsmarsch, mit ihren Streiks in einem waffenlosen Aufstand gegen ein ihnen unerträglich gewordenes Regime im Ringen um die Wiedervereinigung diesen neuen Abschnitt eingeleitet.
({9})
Alle neigen sich in Ehrfurcht vor den Opfern. Darüber dürfte es keine Meinungsverschiedenheiten geben. Aber man muß in Sachlichkeit über die politischen und diplomatischen Folgerungen sprechen können, die sich aus diesem gewaltigen Ereignis, sicher dem gewaltigsten seit vielen Jahren, ergeben.
({10})
- Man sollte, verehrter Herr Zwischenrufer, etwas
Respekt haben vor den Anschauungen anderer, vor
({11})
den Anschauungen einer politischen Partei - auch wenn sie zu Ihnen in Opposition steht -, die doch Fleisch vom Fleisch der mitteldeutschen Arbeiter ist.
({12})
Ich verlange ja gar nicht, daß Sie einfach unseren Vorschlägen und Forderungen zustimmen. Wenn Sie aber schon in dieser saloppen Weise die Diskussion beginnen wollen, muß man für das, was eigentlich wirklich ernst zu erörtern wäre, schwarz sehen.
({13})
Die Einheit Deutschlands - und ich meine, das ist das Wesentliche, was durch diesen Aufstand manifestiert wurde - ist ein elementares Anliegen, das nicht durch Konstruktionen und Pläne nach mehr oder weniger fremden Interessen verschoben werden kann.
({14})
Diese Pläne beruhten auf der Vorstellung - ich will damit nicht sagen, daß alle, die solche Pläne gemacht haben, die Teilung Deutschlands wünschten - als sei diese Teilung für lange Zeit unabänderlich.
({15})
Diese Pläne sind heute nicht nur gefährlich, sondern wirklichkeitsfremd. Das haben die Arbeiter mit ihrem Aufstand in der sowjetisch besetzten Zone gezeigt.
Einige Tage nach den Ereignissen haben in der Montanversammlung belgische, holländische und französische Kollegen gesagt: „Nachdem wir jetzt wissen, was sich ereignet hat, sind wir davon überzeugt, daß es sich um eine elementare Kraft und um ein elementares Anliegen handelt." Wir sollten alle miteinander froh sein, wenn sich eine solche Ansicht allgemein ausbreitet, nachdem man es bisher - das wissen Sie doch auch, die Sie mit diesen Gremien zu tun haben - neben der allgemeinen, mit Ressentiments geladenen Zurückhaltung doch auch mit der Auffassung zu tun hatte, diese Teilung sei etwas, womit man sich - unter verschiedenen Vorzeichen und mit verschiedenen Vorstellungen - für geraume Zeit abzufinden hätte.
Zweitens: Die deutsche Politik und die Politik des ganzen Westens müssen unserer Meinung nach auf Grund des Aufstands der Arbeiter in Mitteldeutschland und in Ost-Berlin zum Ausgangspunkt ihrer Bemühungen und Handlungen das unbestreitbare Bedürfnis und den Willen der Bevölkerung dieser besetzten Teile Deutschlands nehmen. Das heißt, das sind die Kräfte, die uns antreiben müssen, das Äußerste mit den Mitteln der Politik und Diplomatie zu versuchen, damit wir die Leidenszeit dieser unserer Mitmenschen abkürzen und damit ihrem Anliegen gerecht werden.
({16})
Und drittens: Mit Bezug auf Deutschlands Teilung oder Einheit kann in Zukunft nicht mehr über Deutschland, sondern muß mit Deutschland verhandelt werden. Ich glaube, daß diesem gemeinsamen Anliegen die gewaltigen Aktionen der arbeitenden Menschen der sowjetisch besetzten Zone und Berlins einen entscheidenden Dienst getan haben.
({17})
- Nun, Herr Schäfer, ich sage ja nicht Dinge, über die unbedingt Meinungsverschiedenheiten bestehen sollen. Ich hoffe, daß das eine oder andere uns in Übereinstimmung finden kann. Man diskutiert doch nicht darum, um immer nur das Gegenteilige zu sagen. Aber bitte, das ist Ihre Sache. Die Arbeiter der sowjetisch besetzten Zone - das kann man nicht nur erraten, sondern das sagen sie, das schreiben sie, und sie wünschen, daß es bekannt wird - wollen nicht beklagt sein und bedauert werden, sondern was sie wollen, ist eine deutsche Politik, auf die das, was sie getan haben und trotz Standrecht noch weiter tun, Einfluß ausübt.
Ich möchte in diesem Zusammenhang - entschuldigen Sie - sozusagen nebenbei sagen, daß es unser Anliegen sein muß - und ich hoffe, es ist das Gesamtanliegen des Hauses -, daß die Regierung in absehbarer Zeit Gesetzesvorlagen vorlegt, durch die die Sorge für die Opfer und die Hinterbliebenen in Anlehnung, wie wir es in anderen Fällen gehabt haben, an die Gesetze für die Kriegsopfer und Hinterbliebenen geregelt wird. Ich wollte das nur bei der Gelegenheit mit vorgebracht haben.
Die Träger der deutschen Politik, wir alle, schulden den Arbeitern der sowjetisch besetzten Zone und Ost-Berlins Dank dafür, daß sie es uns - sogar mit viel Blut - bestätigt haben, daß wir ein Mandat haben, die Besatzungsmächte zu drängen und immer wieder zu drängen, jede sich bietende Chance zur Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit auszunutzen.
({18})
Lassen Sie mich bei dieser Gelegenheit und an dieser Stelle ein Wort zu dem Antrag der Fraktion der SPD sagen, der in der Form eines Gesetzentwurfs in drei Paragraphen gefaßt ist:
§ 1
Der 17. Juni ist der deutsche Nationalfeiertag.
§2
Der 17. Juni ist Feiertag im Sinne des Gesetzes zur Regelung der Lohnzahlung an Feiertagen vom 2. August 1951.
§3
Das Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in Kraft.
Ich war dankbar dafür, daß ein politisch durchaus auf anderem Boden stehender bedeutender Industrieleiter unseres Landes nach den ersten großen Ereignissen in der sowjetisch besetzten Zone in einem Brief, den wahrscheinlich auch andere Kollegen des Hauses erhalten haben, seiner Auffassung Ausdruck geben wollte, nämlich:
Uns alle'
- so schrieb er mir hat die Volkserhebung jenseits des Eisernen Vorhangs aufgerüttelt, wobei mir ganz besonderen Eindruck gemacht hat, daß und unter weichen Umständen die deutschen Arbeiter die Bundesflagge auf dem Brandenburger Tor gehißt haben.
({19})
({20})
In einem Brief an den Herrn Bundespräsidenten, den er zur Information beigelegt hat, betont er:
Ich glaube, daß für uns Deutsche dabei eines weit über die politischen Folgen hinaus erregend, ja erschütternd gewesen ist: die Tatsache nämlich, daß sich hier deutsche Arbeiter in aggressiver revolutionärer Form spontan und in dramatischer Weise zu unseren nationalen Symbolen bekannt haben.
Zum erstenmal hat die schwarz-rot-goldene Flagge, die uns zweimal
- so schreibt er nach Niederlagen gegeben worden ist, in einer
echten Kampfsituation ihre Weihe erhalten, eine
Weihe, die alle Deutschen anerkennen werden.
Ich glaube, daß aus solchen Stimmen, die sicherlich nicht vorübergehenden Stimmungen entsprechen, wirklich auch schwerwiegende politische und psychologische Schlußfolgerungen über das und für das Verhältnis dieses Staates und seiner Symbole zur Arbeiterschaft in diesem Staate gezogen werden müssen und können und. sollen.
({21})
Ein Wort, meine Damen und Herren, zu den gewiß verständlichen, aber, so meinen wir, nachdem die Ereignisse mit solcher Wucht hereingebrochen sind, doch schmählich dementierten Versuchen, mit Klügeleien im Hintergrund über den Ursprung der Ereignisse in der sowjetisch besetzten Zone herumzuraten. Es hat da Versuche gegeben, die eigentlich diejenigen beschämen sollten, die sie angestellt haben. Ich denke an die erste Meldung der bedeutendsten amerikanischen Nachrichtenagentur, die darauf aufgebaut war, daß die Ereignisse nichts anderes gewesen seien als ein von der sowjetischen Macht und von dem sowjetzonalen Besatzungswerkzeug bestelltes Spiel, bei dem die Arbeiter nichts anderes gewesen seien als sozusagen Marionetten.
({22})
Solche Vorstellungen entsprechen dier Auffassung, als sei in einem totalitären System alles, auch die letzte freiheitliche Regung, sozusagen gelenkt zum Schutze dieses totalitären Systems. Die tollste Pervertierung dieser Vorstellung fanden wir kürzlich im Bulletin des Presse- und Informationsamtes im Rahmen eines Interviews mit dem eigentlich längst vergessenen früheren russischen Ministerpräsidenten Kerenski. Wir bedauern, daß man durch solche Argumente aus der Steinzeit die Diskussionen um das Notwendige noch mehr erschwert, als sie es an sich schon sind.
Wir sollten aber vor allem - und das wollte ich hier als unser Anliegen angebracht haben - nicht in Erscheinung treten, als hätten wir es hier mit einem Wettbewerb um das Finden der Gründe und Ursachen zu tun. Wir stehen da auch nicht im Wettbewerb mit Pankow, das die lächerliche Erklärung zu lancieren versucht hat, das Ganze sei ein Werk ausländischer Agenten und Provokateure.
({23})
Hier handelt es sich - wie es bei solch großen historischen Situationen eben der Fall ist - um ein Zusammentreffen verschiedener Umstände und Faktoren, und man sollte sich nicht zu sehr in Einzelheiten ergehen.
({24})
- Zusammengetroffen ist die Verzweiflung der arbeitenden Menschen, in einer solchen Lage nicht mehr so weiterleben zu können,
({25})
mit einer gewissen Unsicherheit des Regimes von Gnaden der Besatzungsmacht. Denn es war ja eben erst kompromittiert und desavouiert worden wegen einer Politik, die mit Pauken und Trompeten seit Juni vergangenen Jahres als angeblicher „Aufbau des Sozialismus in beschleunigtem Tempo" angekündigt und eingepeitscht worden war und deren Krönung eben in diesen Tagen die unerhörte 10 %ige allgemeine Normenerhöhung, d. h. eine Akkordschinderei sonst in kapitalistischen Verhältnissen nicht bekannter Art war. Das war das zweite. Das dritte, was dazukam, war der Anfang mit gewissen Zugeständnissen, hinsichtlich derer die Arbeiter sich Gewißheit schaffen wollten, was es denn damit auf sich habe, weil sie aus Erfahrung heraus mit einem gesunden Mißtrauen und mit dem Verlangen begabt sind, zu wissen, ob es wenigstens in Teilfragen ernst ist oder nicht.
Im übrigen sollte festgehalten werden, was der bankrotte Ministerpräsident eines bankrotten Pankower Regimes vor den Arbeitern im Transformatorenwerk gesagt hat, als er sich eine Woche nach dier Verhängung dieses Belagerungszustandes und des Standrechts mit ihnen auseinandersetzen wollte. Er sagte wörtlich:
Die gegenwärtige Situation ist das Ergebnis einer fehlerhaften Politik unserer Partei
- d. h. der SED und der daraus resultierenden falschen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Maßnahmen durch die Regierung. Das ist
- so betont er - vollkommen klar.
Und weil es noch nicht genügend klar war, wurde auch noch betont, mit dieser Politik der SED und ihrer Blocksatellitenparteien habe man zu den bereits gegebenen neue Hindernisse gegen die Wiedervereinigung Deutschlands errichtet.
({26})
Diese Kluft
- so sagt Herr Grotewohl bildete eine Trennung zwischen den deutschen Menschen, so daß in der Tat ein praktisches Ergebnis in der wichtigsten Frage unserer Politik, nämlich in der Herstellung der Einheit Deutschlands, unterbrochen und geschädigt wurde.
Das ist immerhin wert, festgehalten zu werden, wenn es um die Feststellung historischer Tatbestände geht.
({27})
Die Frage ist: Wofür zogen denn die Arbeiter in einer für normale Berechnungen aussichtslos erscheinenden Lage und Kräfteverteilung in den Kampf? Aus zahlreichen Berichten, die ich von einzelnen und von Gruppen aus Ost-Berlin und aus der Zone bekommen habe, habe ich die Forderungen herausgezogen, für die die Arbeiter marschiert sind,. nachdem sie es in ihren Betriebsversammlungen beschlossen hatten, so, wie mans sie ge({28})
lehrt hat, z. B.: „Wir brauchen keine SED-Stadtverwaltung mehr!" - „Weg mit dem Spitzbart", mit Ulbricht, das war überall die Forderung. Dieses Regime ist für sie einfach nicht mehr diskutabel und erträglich. Und dann die schweren wirtschaftlichen Sorgen! „HO macht uns k. o."
({29})
Uns genügt nicht, so sagten die Arbeiter in Kirchmöser und forderten es schriftlich, die Abschaffung der Normen. Wir wollen mehr. Wir wollen freie, geheime Wahlen. Wir wollen die Abschaffung der Zonengrenzen. Wir wollen einen höheren Lebensstandard und Abzug der Besatzungsmächte. Wir fordern die Freilassung - das kehrt in fast allen Entschließungen wieder - der verhafteten Kollegen.
Zu den erschütterndsten Erlebnissen gehört ja doch wohl, wie die Arbeiter von Magdeburg, nachdem sie gehört hatten, in Berlin sei man in den Ausstand getreten, erklärten: Wir dürfen sie nicht im Stich lassen. Und sie traten ebenfalls in den Streik in einer Situation, in der sie seit sechs Wochen durch besondere Abgesandte des Politbüros der SED geknebelt und geplagt worden waren wegen ihres angeblichen Sozialdemokratismus, wegen angeblicher Sabotage am Aufbauwerk. Und die erste Tat der Magdeburger war die Befreiung von 150 politischen Gefangenen aus dem Gefängnis
({30}) und das Einsperren der Wachmannschaften.
Wer es erlebt hat, wird es nicht vergessen, wie die Arbeiter des Henningsdorfer Stahlwerks in einer Weise, die darauf schließen läßt, daß sie sich der Ungewöhnlichkeit der Situation und ihrer Schritte wohlbewußt waren, Arm in Arm mit entblößter Brust, die meisten in Arbeitskleidung, den langen Marsch von ihrem Werk aus der Zone durch den französischen Sektor bis in den Ostsektor gemacht haben und als es wegen des Standrechts am Nachmittag nicht mehr möglich war, ihre Demonstrationen vor den Regierungsgebäuden fortzusetzen, geschlossen in den Betrieb zurückgegangen sind und dort noch drei Tage unter Standrecht den Sitzstreik durchgeführt haben.
({31})
Das machen doch Menschen nur aus dem Mute der Verzweiflung, gepaart mit einer Kühnheit, die eine Hoffnung in ihnen erweckt hat. Daß es gerade die Arbeiter waren, die in dieser Weise ihren Willen manifestierten, wundert uns nicht. Das ist die Fortsetzung, wenn auch auf Arbeiterart, des Protestes von Hundert- und aber Hunderttausenden, die seit dem Herbst vergangenen Jahres auf ihre Weise - Mittelschichten, Gewerbetreibende -, weil sie der Würgegriff gepackt hat, davongegangen sind, die Unsicherheit eines Flüchtlingsdaseins vorgezogen haben der „Sicherheit" dort, wirtschaftlich und menschlich kaputtgemacht zu werden. Nun ist diese neue Phase im Arbeiterkampf dazugekommen, wie ihn eben nur diese Schicht der Bevölkerung zur Förderung einer politischen und gesellschaftlichen Entwicklung beitragen kann.
Lassen Sie mich nun noch - und das ist ein Beispiel für viele, denn es ist natürlich so, daß man sich in den erschütternden Einzelheiten zu
verlieren Gefahr läuft - ein Wort von einem großen staatlichen Betrieb in Köpenick berichten, wo die Arbeiter mit 90% der Belegschaft beschlossen haben: Forderung Nr. 1: Garantierung der verfassungsmäßigen Bestimmungen und Absetzung der Regierungsfunktionäre, die sie verletzt haben. Forderung Nr. 2: Rechtssicherheit. Forderung Nr. 3: Wiedervereinigung durch freie Wahlen.
Meine Damen und Herren, es fing an mit dem Kampf gegen die Normenschinderei, mit einem Ausbruch gegen den Hunger. Es verband sich sofort mit dem Eintreten für verfassungsmäßige Verhältnisse gegen eine Regierung, die diese eigene Verfassung. verletzt und mit Füßen getreten hat. Und das alles mündete in dieses glühende Bekenntnis, für das in Berlin an einem Tag ein fast hundertprozentiger Generalstreik war und für das in der Zone Hunderttausende unter Lebensgefahr gestreikt haben; in dieses glühende Bekenntnis: Wir wollen nicht mehr in einem gespaltenen Deutschland leben, wir wollen Wiedervereinigung! Das mag etwas sein, das uns berechtigt, mit einem Wort von Karl Marx zum Gedenken an die JuniKämpfer von Paris des Jahres 1848 zu sagen: Die Arbeiter sind zwar geschlagen worden, aber sie sind nicht besiegt!
({32})
Besiegt sind ganz andere, das wird die Geschichte lehren!
Sehen Sie, meine Damen und Herren: Ich fand es erschütternd, daß immer wieder der Ruf erklang: Wir sind Arbeiter und keine Sklaven ! Welches Bewußtsein der menschlichen Würde, der Würde ihrer Schicht! Und das in welchem System! Hier habe ich ein Urteil vor mir, gefällt gegen einen Teilnehmer an den Aufmärschen nach den Tagen des Generalstreiks. Der bekam außer- der Freiheitsstrafe unter den sogenannten Sühnemaßnahmen diese aufoktroyiert: Es ist ihm für die Dauer von fünf Jahren nach seiner Freilassung verboten, in einem freien Beruf oder selbständig in irgendeinem gewerblichen Betrieb tätig zu sein, sich an einem solchen zu beteiligen oder dessen Aufsicht oder Kontrolle auszuüben, in nichtselbständiger Stellung anders als ein gewöhnlicher Arbeiter tätig zu sein. Dies das Urteil eines sowjetsektoralen Gerichts: Es ist eine Strafe, als gewöhnlicher Arbeiter tätig sein zu müssen! Das ist die Demaskierung eines Systems, das angab, für die Arbeiter wirken zu wollen! Um so erschütternder dieser Ruf: Wir sind doch Arbeiter und keine Sklaven!
({33})
Aber welches sind nun die Schlußfolgerungen? Wir haben aus vielen Ländern gehört - und können es noch täglich lesen - Bekundungen der Erschütterung, der Verwunderung und der Bewunderung. Überall klingt die Erkenntnis durch: Es handelt sich um eine elementare Kraft! Man muß eine neue Politik - so heißt es auch in einem seriösen amerikanischen Artikel. - inaugurieren, die die Spaltung zu überwinden 'sucht! Die Kürze der Zeit erlaubt mir leider nicht, Ihnen diese Dinge im einzelnen zu zitieren. Aber leider haben wir nicht nur solche Bemerkungen und Schlußfolgerungen zu verzeichnen. Wir haben in diesen letzten Wochen auch Ansichten gehört, und zwar nicht zufällige oder irgendwelche, die dahin gehen, die von diesen Leuten vertretene bisher zögernde
({34})
Politik im Hinblick auf Vier-Mächte-Verhandlungen mit dem Ziel der Wiedervereinigung jetzt sogar noch zu versteifen. Man erklärt: Das System der Sowjets ist ja im Wanken, laßt sie eine Weile im eigenen Saft schmoren, jetzt nicht verhandeln! Wir meinen: das ist es nicht, was diesen Blutopfern und dieser grandiosen Tat gerecht wird. Es müßte genau umgekehrt sein! Von uns werden jetzt nicht Bekundungen unserer Stärke auf Kosten derer, die das Risiko auf sich genommen haben, gewünscht,
({35})
sondern von uns wird eine Politik der Festigkeit und Zähigkeit, die die Stärke des Freiheitswillens unserer Brüder und Schwestern in der Zone und in Ost-Berlin mit einspannt und ihr Rechnung trägt, gewünscht und verlangt!
({36})
Ich kann nicht umhin, hier darauf hinzuweisen, daß der journalistische Hauptinterpret des Herrn Bundeskanzlers in einem Artikel, der einige Tage nach dem offenen Aufstand erschienen ist, geschrieben hat: Die Einheit in Freiheit war im vorigen Jahr unmöglich; sie ist es auch heute noch.
({37})
Sie wird erst erreichbar sein in der Stunde einer Gesamtbereinigung des Ost-West-Konflikts, und dafür - wörtlich - „ist es noch zu früh".
({38})
Weiter heißt es, eine solche Konferenz enthalte heute größte Gefahren. Wir haben diese Auffassung - und sicher wird mein Freund Brandt darauf noch zurückkommen, weil meine Redezeit es nicht mehr erlaubt - in einer besorgniserregenden Weise vor allem in einem Organ wie „United States News" gefunden, in dem der Bundeskanzler sozusagen als Zeuge für eine solche Haltung angerufen wird. Wir meinen, es wäre Sache des Bundeskanzlers, sich in aller Eindeutigkeit gegen solche Verbündete abzugrenzen
({39})
und zu sagen, was er im Gegensatz zu diesen für uns indiskutablen Auffassungen zu tun gedenkt.
({40})
Ich muß auch - das kann ich nur stichwortartig - auf die aufsehenerregenden Enthüllungen hinweisen, die im „Wallstreet Journal" in der letzten Woche gestanden haben. In dem Blatt, in dem gleichzeitig im Leitartikel positiv und konstruktiv eine neue amerikanische Europapolitik im Hinblick auf die baldige Herbeiführung der Einheit Deutschlands gefordert wurde, wurde festgestellt, daß im amerikanischen State Department die zur Zeit noch überwiegende Auffassung die sei, zunächst einmal bis zu den Bundestagswahlen die Bevölkerung Westdeutschlands nicht durch Wiedervereinigungsschritte zu beunruhigen,
({41})
und zwar im Hinblick auf die gegenwärtige Position der Bundesregierung. Wir meinen, die gegenwärtige Regierung sollte zu erkennen geben, ob sie damit identifiziert werden darf oder nicht, und das mit aller Deutlichkeit. Oder denken Sie an den hier schon so häufig unlieb zitierten Sender Free Europe auf deutschem Boden, der klar sagt: Unter den gegebenen Umständen können die Westmächte
nicht erwarten, daß eine Konferenz mit den Moskauer Diktatoren irgendeinen Erfolg bringen kann.
Dieser Chor ist zwar nicht ein Ausdruck für das, was im Volk vor sich geht, aber ein Ausdruck für das, was in einer gewissen Politiker-, Diplomaten- und Publizistenschicht gewünscht wird oder, anders gesehen, nicht gewünscht wird.
({42})
Deswegen möchte ich auf jenen Punkt unseres Antrags kommen, der unter 1 von der Bundesregierung verlangt, den Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte das dringende Anliegen der Bundesrepublik in aller Form mitzuteilen, nach der in Aussicht genommenen Konferenz der drei Westmächte s o f o r t zwischen den vier Besatzungsmächten unmittelbare Verhandlungen aufzunehmen, die der Herbeiführung einer Übereinkunft zur Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit dienen. Wir meinen, die Annahme dieses Antrags wäre das beste und eindrucksvollste Dementi der Unterstellungen, die in den von mir angedeuteten Publikationen der Politik Westdeutschlands gegenüber gemacht werden.
({43})
In unserm Antrag fordern wir von der Bundesregierung zweitens, den Hohen Kommissaren der drei westlichen Besatzungsmächte Vorschläge zu unterbreiten, in Verhandlungen mit dem sowjetischen Hohen Kommissar Erleichterungen im Verkehr über die Zonengrenze zu bewirken, die zunächst eine wirkungsvolle Hilfe für die unter Ernährungsschwierigkeiten leidende Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone ermöglichen und schließlich zu einer Aufhebung der Sperrmaßnahmen und weitgehenden Normalisierung im innerdeutschen Personen- und Güterverkehr führen.
Dazu haben wir einige konkrete Vorschläge. Wir sind der Meinung, die Bundesregierung müsse gegenüber den drei westlichen Hohen Kommissaren Vorschläge solcher Art, die beliebig erweitert werden können und um deren Erweiterung wir uns in gemeinsamer Denk- und Planungsarbeit bemühen sollten, machen.
Erstens ist alles in Bewegung zu setzen, um die Hilfe und die guten Dienste dritter Mächte und Kräfte für den Schutz der von Repressalien betroffenen und bedrohten Bevölkerungsteile der sow etisch besetzten Zone und Ost-Berlins zu bekommen. Das ist schwer, das ist mühselig. Aber alle können dazu etwas beitragen; denn es ist unser aller Anliegen. Wir sollten jedoch versuchen, das in einer Weise zu machen, daß es ohne großen Zeitverlust so effektiv wie möglich geschieht. Bei dem Schutz gegen Repressalien sollte man auch die Einflußmöglichkeiten der Hohen Kommissare einschalten.
Zweitens ist eine Nahrungsmittelhilfe in jeder erdenklichen Form - ich betone: in j e der erdenklichen Form - notwendig. Das heißt, daß versucht werden muß, vom sowjetischen Kommissar die Genehmigung genereller Empfangsberechtigung von Nahrungsmittel-, Medikamenten- und Starkungsmittelhilfe für alle Bevölkerungsteile der sowjetisch besetzten Zone zu erwirken,
({44})
ferner Möglichkeiten der Hilfe durch Speisungen in Schulen und Altersheimen durch die Vermittlung ausländischer, nichtdeutscher, internationaler Hilfsorganisationen zu erreichen. Ferner kann die Bundesregierung - das möchte ich hier einschalten
({45})
- auf einem Gebiet, auf dem sie schon nicht mehr durch die Hohen Kommissare beengt ist, etwas tun, was systematisch und impulsiv weiter betrieben werden müßte: eine Erweiterung des Interzonenhandels auf den Sektoren, die in irgendeiner Weise mit der Ernährung im Zusammenhang stehen.
Ein offenes Wort. Es ist oft darüber gesprochen worden, daß man auf diese Weise ja schließlich dem Regime eine gewisse Stütze geben würde. Wir sollten das in dieser Stunde nicht weiter zu erörtern suchen. Einem 'Regime, das von seiner eigenen Schutzmacht und Auftraggeberin und in erschütternder Weise von denen, die ihm unterworfen worden sind, so bloßgestellt worden ist, kann man durch solche Lebensmittelsendungen nicht auf die Beine helfen, aber man kann den Menschen auf die Beine helfen, ihren Mut, ihre Stärke und ihre Kraft zum Weiterertragen und Weiterringen mit den ihnen gemäßen Mitteln fördern.
Dritter Vorschlag: Auflockerung und Aufhebung der Sperren an der Zonengrenze entsprechend den Forderungen, die auch der - Herr Bundeskanzler kundgegeben hat, und Versuche, zu einem ungehinderten Reise- und Güterverkehr zu kommen. Dazugehört die Erhöhung der Zahl der Kraftfahrzeug-Übergangsstellen über die Zahl von drei hinaus. Dazu gehören entsprechende Erweiterungen für Eisenbahn und Binnenschiffahrt. Dazu gehört, beim Personenverkehr die Beschränkung nur noch auf die Einhaltung der politischen Meldevorschriften zu legen, statt, wie es heute der Fall ist, durch ein kompliziertes System über den Interzonenpaß hinaus die Reisemöglichkeiten beinahe zu zerstören. Wir sind ja in unserem Gebiet auch nicht frei davon. Etwas, was ursprünglich zur Abwehr von Agenteneinschleusungsversuchen geschehen ist, bleibt nun in einer Zeit bestehen, in der man umschalten müßte.
Viertens: Versuche, zu Aufgliederungen und Teillösungen von Komplexen zu kommen. Was verstehen wir darunter? Wir möchten, daß z. B. in bezug- auf die Gefangenen nicht nur die selbstverständliche und sicher allen gemeinsame Forderung nach Freilassung gestellt wird, sondern daß man durch Aufgliederung und Teilforderungen an die Gesamtlösung heranzukommen versucht, und zwar unter Einschaltung der Kommissare und ihres Einflusses. Ich nehme ein Beispiel heraus: die sogenannten Altinternierten, eine Gruppe von rund 12 000 Personen, die seit dem Jahre 1945/46 sitzen und die im achten und neunten Jahr ihrer Haft freigelassen werden müßten. Sie sind zum großen Teil nur noch Wracks. Das wäre ein Beitrag zu dem Versuch, das große Problem der Gefangenen, Internierten und politischen Gefangenen aufzugliedern, nicht um auf die anderen zu verzichten, sondern um zunächst zu versuchen, zu gewissen Teilresultaten zu kommen.
Dasselbe scheint uns in bezug auf die Kriegsgefangenen richtig zu sein. Warum sollte es nicht möglich sein, durch die westlichen Hohen Kommissare dem Kommissar der sowjetischen Besatzungsmacht vorzuschlagen, daß, damit die Vorwürfe über die Bestände, Listen und Register einmal aufhören - soweit das gewünscht wird -, z. B. die sowjetzonalen Stellen mit den bundesrepublikanischen Stellen an der Durchkämmung der Register der Wehrmachtsauskunftstellen ({46}) mitwirken? Dann wäre es möglich, daß man die eliminiert, die auf beiden Seiten als tot erkannt sind, etwas, was wir heute allein tun, wozu die andere Seite zwar Propaagandaverleumdungen liefert, aber nicht dazu beiträgt, daß diese Verzeichnisse ordnungsgemäß auf den Tag geführt werden.
Eine zweite Forderung, die dieses Problem aufgliedert, wäre, uns die Namen der verurteilten und angeklagten deutschen Kriegsgefangenen zu geben, die im Bericht der Sowjetregierung vom September 1951 an die Vereinten Nationen zahlenmäßig als dort befindlich bekanntgegeben worden sind, damit wir wenigstens wissen: diese Zahl deckt den und den lebenden Personenkreis.
Gewiß, Sie werden sagen: Das sind ja alles keine gewaltigen Dinge. Uns kommt es hier darauf an, zu versuchen, Kontakte herzustellen und zu sehen, ob es- Chancen gibt, die allmählich zur allgemeinen Entspannung führen.
Dazu gehören sechstens politische Schritte. Wir meinen a), daß man durch die Hohen Kommissare das Problem, das schon einmal in einem Angebot im September 1951 akut gewesen ist - das Angebot des Berliner Abgeordnetenhauses, das hier unterstützt worden ist, in allen vier Sektoren Berlins freie Wahlen auf der Grundlage der Wahlordnung von Oktober 1946 abzuhalten, was ohne kostspielige und umständliche Apparaturen und Kontrollen möglich wäre -, jetzt wieder aufgreifen und akut machen sollte, damit man zu einer einheitlichen Verwaltung unter demokratischer Kontrolle kommt.
Wir meinen b) eine Einwirkung, die - wenn man so will - als eine sowjetisch-sowjetzonale Vorleistung 'auf die notwendigen nächsten, größeren Leistungen betrachtet werden muß. Es geht darum, daß die von der SED und ihren Blockparteien diktatorisch und bürokratisch verhängte Verwaltungsreform, durch die die Länder aufgelöst und die Selbstverwaltung der Gemeinden, auch wenn sie nur noch eine Farce war, unter diesem 'Regime völlig liquidiert wurde, rückgängig gemacht wird. Denn sie fällt ja unter das, was angeblich am Kurs der SED durch die sowjetische Besatzungsmacht hat desavouiert werden sollen. Wir fordern also die Einführung der Selbstverwaltung in den Gemeinden und Kreisen als die Vorbereitung einer anderen Atmosphäre, in der es möglich sein wird, über Viermächtevereinbarungen zu einer Wahl in den vier Zonen und in Berlin zu kommen.
Alles das soll diesem Ziele dienen: auf das Viermächteabkommen hinzuarbeiten durch schrittweise Erleichterung, Lockerung und schließlich Normalisierung. Wir erwarten das und wir betonen, daß die 'Bundesregierung gegenüber den Hohen Kommissaren in dieser Weise aktiv werden soll, besonders nachdem wir in den letzten Tagen von dem Herrn amerikanischen 'Hohen Kommissar, Mr. Conant, Kommentare zur Lage statt Maßnahmen und Vorschläge zur Lösung und Änderung der Lage gehört haben.
({47})
Der Herr amerikanische Hohe Kommissar hat, wenn man das in großen Intervallen einmal überprüft, als 'er in Washington zu einem mehrwöchigen Besuch ankam, erklärt, nach seiner Meinung werde die Sowjetisierung der Ostzone weiter fortgesetzt werden. Er wurde unmittelbar darauf durch gewisse Ereignisse jedenfalls dementiert. Er kam zurück und erklärte noch nach dem Aufstand, es sei eigentlich nichts Wesentliches geändert. Schließlid haben wir die gestrigen Äußerungen, die uns befürchten lassen, daß neue und immer neue Voraussetzungen aufgetürmt werden, ehe man das Not({48})
wendige tut, um zu Viermächteverhandlungen und
zu einer damit zusammenhängenden Aktivierung
der Kommissare der Besatzungsmächte zu kommen.
In Punkt 3 unseres Antrags fordern wir schließlich, daß dem Ausschuß für auswärtige Angelegenheiten über das Verhandlungsprogramm der Bundesregierung für die vorgesehenen Konferenzen und die bei den Hohen Kommissaren unternommenen Schritte berichtet wird. Wir verstehen unter internem Verhandlungsprogramm das Entscheidende, was in dieser Stunde und in dieser Situation getan werden muß, nämlich eine Ausarbeitung - und das kann nur, wenn es nicht falsch gemacht werden soll, ein gemeinsames Werk von Regierung und Opposition sein -, die alle Gegebenheiten analysiert, die den Versuch macht, Alternativmöglichkeiten durchzudenken, festzulegen und 'darüber zu beraten. Das ist keine Angelegenheit, die man sozusagen aus dem Handgelenk und von Rednertribünen herunter erledigen kann. Das ist etwas, das wirklich zum Teil mühselig erarbeitet werden muß. Dieses interne Verhandlungsprogramm ist der Prüfstein dafür, ob es wirklich eine Gemeinsamkeit in dieser gemeinsamsten aller deutschen Fragen gibt.
({49})
Meine Damen und Herren, da muß man ein offenes Wort sagen können: wir stehen vor Bundestagswahlen. In Ländern mit einer eingewurzelten demokratisch-parlamentarischen Tradition ist es üblich - denken Sie an das, was am Ende des Krieges einige Länder 'als selbstverständlich gemacht haben -, daß auf Konferenzen antritt im Hinblick auf die Wahlen sozusagen eine doppelte Garnitur. Wir haben solche Forderungen hier nicht gestellt. Aber die Forderung, daß man das interne Verhandlungsprogramm und alles, was dazu gehört, gemeinsam ausarbeitet, ist für uns der Prüfstein dafür, ob es überhaupt ernst gemeint ist mit der Forderung nach sofortiger, unverzüglicher Viermächteverhandlung zum Zwecke der Vorbereitung der Wiedervereinigung Deutschlands unter gewährleisteten Bedingungen.
({50})
Um diese Frage wird die Regierung nicht herumkommen, auch wenn sie der Meinung sein sollte - wie es aus der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers hervorging -, es sei 'eigentlich schon 'alles in Ordnung. In Ordnung ist es nur, wenn diese Seite der Arbeit gemeinsam gemacht wird und wenn nicht mehr von einer Seite befürchtet werden muß, daß zwar etwas deklariert und deklamiert, aber nicht in allen Konsequenzen weitergeführt wird. Das ist unser Anliegen, das ich zur Begründung dieses Antrags vorzutragen habe.
({51})
Meine Damen und Herren, ich habe bekanntzugeben, daß der Ausschuß für Kriegsopfer- und Kriegsgefangenenfragen um 17 Uhr in Zimmer 03 Südflügel zusammentritt.
Ferner habe ich bekanntzugeben, daß eine Frau Dr. Neubüßer aus Berlin schwer verunglückt ist. Ihr Gatte soll sich hier im Saale befinden. Herr Dr. Neubüßer möchte sich in der Wandelhalle bei Frau Beckmann melden. Seine Frau wünscht, daß er sie im Krankenhaus aufsucht.
Das Wort hat der Abgeordnete Tillmanns.
Dr. Tillmanns ({0}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Fraktionen
der Regierungskoalition haben durch den Antrag Drucksache Nr. 4578 die Bundesregierung ersucht, dem Bundestag über die Volkserhebung in dem sowjetischen Sektor von Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands Bericht zu erstatten. Wir haben diesen Antrag gestellt, weil wir der Auffassung sind, daß heute keine außenpolitische Debatte in diesem Hause geführt werden kann, ohne daß wir von der Volkserhebung im sowjetisch besetzten Deutschland ausgehen. Nur wenn wir uns über die Bedeutung dieser Ereignisse klar sind, hat unsere Diskussion festen Boden unter den Füßen. Denn am 16. und 17. Juni dieses Jahres ist etwas schlechthin Neues in die Entwicklung eingetreten. Was sich in diesen Tagen ereignet hat, zwingt viele sowohl bei uns wie auch draußen zum Umdenken. Eine Debatte über die Wiedervereinigung Deutschlands ist ohne eine solche Bereitschaft zum Umdenken auf Grund dieser Ereignisse nicht möglich.
Wir stehen vor der Tatsache, daß die Arbeiterschaft und das gesamte Volk der sowjetischen Zone Deutschlands das kommunistische Regime und den Kommunismus erbittert ablehnen. Die dortige sogenannte Regierung kann fortan noch weniger als bisher den Anspruch erheben, auch nur einen kleinen Teil des deutschen Volkes drüben zu vertreten. Sie ist ein Regime gegen das Volk,
({1})
sie ist ein Regime geworden, das überhaupt nur noch die Besatzungsmacht hinter sich hat und sonst gar nichts.
({2})
Das ist schon etwas ungeheuer Wichtiges für die ganze weitere Entwicklung des großen Problems der Wiedervereinigung. Wie die Dinge drüben in der Zone weitergehen werden, das kann heute wohl noch niemand klar übersehen. Die letzten Tage zeigen, daß das Regime hilflos ist. Man schwankt hin und her zwischen zwei ganz verschiedenartigen Maßnahmen. Auf der einen Seite 'betreibt man eine Politik der Beschwichtigung, man gelobt Besserung, man erklärt sogar, daß man schwere Fehler gemacht habe und daß die Partei an den Vorgängen schuld sei, d. h. man versucht, die Linie der Politik vom 10. bis 11. Juni fortzusetzen, die Politik, die damals in der Beendigung der Maßnahmen zum Aufbau des Sozialismus bestand. Auf der andern Seite rasen die Verhaftungen durch das Land, Exekutionen und schlechthin der Terror. Das kann ganz sicherlich nicht gut gehen; denn das einmal aufgestandene Volk läßt sich nicht noch einmal durch ein solches Regime irreführen.
Meine Damen und Herren, ich hoffe, wir sind uns darin einig, daß wir die gewaltige Kraft, die in diesen Ereignissen steckt, nicht durch kurzsichtige Überlegungen abschwächen wollen. Dazu ist das zu groß, was dort drüben geschehen ist. Ich stimme Herrn Wehner darin zu, daß es wahrscheinlich wenige Ereignisse in unserer nationalen Geschichte gibt, die dem an die Seite gestellt werden können, was sich dort ereignet hat.
({3})
Aber wir sollten uns auch 'davor hüten, etwa diesen Aufstand drüben für bestimmte politische Parteien in Anspruch zu nehmen, wie es in dem Beschluß des Vorstandes der SPD geschehen ist.
({4})
({5})
Es ist ein großes Mißverständnis, wenn man meint, man könne das, was sich dort ereignet hat, in ein uns überkommenes politisches Schema pressen.
({6})
Diese Ereignisse werden jedes Schema sprengen, und es sind wahrscheinlich dort Kräfte erwachsen, die für die geistige Entwicklung unseres Volkes von großer Bedeutung sein können. Denn diese Arbeiter haben doch bei ihren großen Umzügen u. a. auch immer wieder den Ruf laut werden lassen: „Hoch Adenauer!" und: „Es lebe der Bundeskanzler!"
({7})
Sie haben das Deutschlandlied gesungen.
({8})
- Ich habe es gehört! ({9})
- Das war auch in Berlin! Und sie haben am Potsdamer Platz, wo sie die Kioske der HO, d. h. der staatlichen Läden zertrümmert haben, einen einzigen Kiosk stehenlassen, nämlich den eines kleinen Privathändlers, der auf seine Bretterbude mit Kreide geschrieben hatte: „Privateigentum".
({10})
Sie haben schließlich - auch das darf nicht vergessen werden, Herr Kollege Wehner - nicht nur die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Brandenburger Tor gehißt, sondern sie haben vorher die rote Fahne heruntergeholt.
({11})
- Sie können das doch nicht bestreiten.
({12})
Sie können sich nachher zum Wort melden.
Dr. Tillmanns ({0}), Antragsteller: Ich glaube, daß es immerhin einem richtigen Gefühl entsprungen ist, wenn die Berliner Sozialdemokratische Partei bei ihrer Kundgebung am 17. Juni auf dem Oranienplatz keine rote Fahne gezeigt hat.
Hier haben sich politische und geistige Kräfte gezeigt - ich sage es noch einmal -, von deren Bedeutung wir uns heute noch keine klare Vorstellung machen können. Es hat in der Sowjetzone auch von seiten dieser Arbeiterschaft wie schon in der ganzen Zeit vorher auch an klaren Vertrauensbeweisen zu den christlichen Kirchen nicht gefehlt; sie sind zum Teil in bewegender Weise zum Ausdruck gekommen.
({1})
- Das habe ich doch gar nicht behauptet!
({2})
- Sie können doch nicht immer Dinge in meine Worte hineininterpretieren, die ich gar nicht sage. Ich habe damit doch nur sagen wollen - und ich habe das auch sehr deutlich gesagt -, daß diese Erscheinung sehr viel komplexer ist, als daß wir
sie in ein uns geläufiges Schema einordnen könnten.
({3})
Ich glaube, daß es immerhin von weltgeschichtlicher Bedeutung ist, daß die Arbeiterschaft eines Landes sich gegen ein Regime 'erhebt, das den Anspruch erhebt, als kommunistisches Regime diese Arbeiterschaft zu vertreten. Dafür gibt es bisher keinen Vorgang in der Geschichte.
({4})
Die Arbeiter haben immer wieder, auch in persönlichen Erklärungen, das eine zum Ausdruck gebracht, daß die Einigung Europas und das Zusammenstehen der europäischen Mächte auch nach ihrer Überzeugung die einzige und wichtigste Voraussetzung dafür ist, daß der Bevölkerung der Ostzone eines Tages die Freiheit wiedergebracht werden kann.
({5})
Welche Aufgaben und, Verpflichtungen ergeben sich nun aus diesen Ereignissen für unsere Politik? - Dabei müssen wir davon ausgehen, daß das, was die Bevölkerung in der Sowjetzone getan hat, wahrscheinlich für die Wiedervereinigung Deutschlands mehr Bedeutung hat und einen stärkeren Impuls gegeben hat als viele Anträge und Beratungen in diesem Hause.
({6})
Es eröffnet sich eine vollständig neue Perspektive für das Problem der Wiedervereinigung, nämlich die, daß der stärkste Antrieb zur Erreichung dieses Zieles von den Unterdrückten der Sowjetzone Deutschlands ausgeht,
({7})
daß von ihnen ein Impuls erweckt wird, der uns
in dieser Frage einen großen Schritt weiterbringt.
Es ist oft in der Vergangenheit gesagt worden, daß die Demokratie in Deutschland wahrscheinlich deswegen so wenig im Bewußtsein unseres Volkes verankert sei, weil sie nicht vom Volke durch Opfer und durch Kampf errungen, sondern meistens in Zeiten nationaler Niederlagen uns von außen gebracht worden sei. Hier ist zum erstenmal in der deutschen Geschichte das Volk für die Freiheit, d. h. für eine demokratische Rechtsordnung aufgestanden und hat Opfer gebracht.
._({8})
Ich glaube, daß dadurch die rechtsstaatliche Ordnung in Deutschland - und zwar in ganz Deutschland - eine Verankerung erfahren hat, die tiefer ist und fester hält als alles andere, was in dieser Beziehung von uns aus getan werden könnte.
Wir sind deshalb der Auffassung, daß es unsere erste Pflicht und Aufgabe ist, dafür zu sorgen, daß dieser Tag, der - ganz gleichgültig, wie die Dinge laufen mögen - im Bewußtsein unseres Volkes der Tag sein wird, an ,dem zum erstenmal .das Tor zur Wiedervereinigung Deutschlands kräftig aufgestoßen worden ist, im Gedenken unseres Volkes nicht untergeht. Wir, die Fraktionen der Regierungskoalition, haben deshalb den Antrag gestellt, daß der 17. Juni zum nationalen Gedenktag erklärt werde.
Die Fraktion der SPD hat einen ähnlichen Antrag gestellt. Er unterscheidet sich in .der Fassung und auch in dem Grundgedanken etwas von dem Antrag, den wir gestellt haben. Ich würde es sehr
({9})
bedauern, wenn es in diesem Bundestag nicht möglich sein sollte, daß wir wenigstens in dieser Frage - im Grundgedanken sind wir uns ja einig - eine große Mehrheit finden.
({10})
Ich möchte daher den Antrag stellen, daß diese beiden Anträge Drucksachen Nrn. 4624 und 4625 dem zuständigen Ausschuß überwiesen werden, der noch ganz kurzfristig in diesen Tagen den Versuch machen sollte, eine gemeinsame Lösung zu finden.
({11})
Ich möchte annehmen, daß uns das gelingt.
({12})
Die weitere Aufgabe, die jetzt vor uns liegt - darin stimme ich Herrn Wehner zu -, besteht darin, daß wir alles tun müssen, um durch Hilfen aller Art - sowohl im Interzonenhandel als auf anderen Wegen - dafür zu sorgen, daß die Not der Sowjetzone gelindert wird und daß der Verkehr erleichtert wird. Aber das Wichtigste ist, daß wir jetzt den Großmächten die Dringlichkeit der deutschen Wiedervereinigung mit allem Nachdruck vor Augen führen, um die Entwicklung jetzt weiterzutreiben. Wir begrüßen daher den Appell, den der Bundeskanzler an den Präsidenten der Vereinigten Staaten und an die Ministerpräsidenten von England und Frankreich gerichtet hat. Wir glauben, daß die zustimmenden Antworten, die auf diesen Appell ergangen sind, schon zeigen, daß auch die Welt sieht, daß nunmehr hier ein neues Kapitel der deutschen Geschichte begonnen hat.
({13})
Wir begrüßen diesen Appell und glauben, daß die Bundesregierung dadurch, daß sie so schnell gehandelt hat, einen wesentlichen und wichtigen Beitrag geleistet hat.
Aber wenn der Herr Kollege Wehner meinte - so habe ich ihn jedenfalls verstanden -, daß diese Ereignisse uns nun dahin bringen müßten, von gewissen veralteten und überholten Konzeptionen Abschied zu nehmen - er meint damit wohl die Politik zur Einigung Europas -, so möchte ich demgegenüber erklären: das genaue Gegenteil ist der Fall.
({14})
Wenn eines uns lehren konnte, wie notwendig es ist, daß_ diese Einigung nun endlich zustande kommt und daß diese gemeinsame Kraft entwickelt wird, dann waren es die Ereignisse der letzten Tage.
({15})
Wir wissen doch alle, daß es das Ziel, und zwar das oberste Ziel der sowjetischen Politik ist, die Einigung Europas zu verhindern. Schon das allein sollte uns doch vorsichtig machen gegenüber der Formulierung, 'das sei nunmehr irreal geworden.
({16})
Es ist doch wahrscheinlich so, daß auch die neue Politik, die in der Sowjetzone seit dem 10. Juni dieses Jahres eingeleitet worden ist, nichts anderes im Auge hat, als durch neue politische Mittel das alte Ziel zu erreichen, die Uneinigkeit Europas und damit seine Schwäche, seine politische und wirtschaftliche Unfähigkeit, um dadurch letzten Endes auch für die USA die Politik des gemeinsamen Schutzes Europas unmöglich zu machen.
Wenn gerade ein Mann wie Churchill, der durch seine letzte große Rede und seine Vorschläge zu erkennen gegeben hat, daß es ihm ernst ist um eine Lösung des großen Weltproblems, der eifrigste Verfechter der Politik der gemeinsamen Verteidigung und Stärkung Europas ist, dann sollte uns auch das zu denken geben. Gerade Churchill ist derjenige gewesen, der in Straßburg den ersten Anstoß zu den gemeinsamen Verteidigungsbemühungen gegeben hat.
({17})
Die englische Regierung ist es gewesen, die als erste den Deutschland-Vertrag ratifiziert hat,
({18})
und im Deutschland-Vertrag ist die EVG bekanntlich mit enthalten. Es müßte doch immerhin zu denken geben, daß gerade ein Politiker, der dieses große Ziel der Klärung und Lösung 'des Weltproblems verfolgt, so entschieden, so klar und so eindeutig zu der Politik der Einigung und der Zuzammenfassung Europas steht.
({19})
Meine Damen und Herren, es scheint mir nutzlos, ja sogar schädlich zu sein, jetzt hier Diskussionen zu führen, die etwaige Verhandlungsergebnisse künftiger Vier-Mächte-Konferenzen vorwegnehmen wollen.
({20})
Ich glaube sogar, daß, wenn wir das in der gegenwärtigen Situation täten, wir den Erfolg solcher Verhandlungen direkt gefährden könnten. Denn wer die Methoden sowjetischer Politik kennt - und ich denke, wir haben alle etwas von ihnen erfahren -, der weiß doch, daß jedenfalls im gegenwärtigen Stadium nur durch große Festigkeit, nur durch Beharrlichkeit und Geschlossenheit unseres politischen Willens überhaupt etwas Positives erreicht werden kann. Wenn irgend jemand Konzessionen zu machen hat, dann ist es doch 'zunächst die Sowjetunion. Sie sollte doch endlich zeigen, 'daß sie bereit ist, den Willen des deutschen Volkes in der Sowjetzone zu respektieren, d. h. den Weg freizumachen zu einer echten Willensbildung des Volkes und zu gemeinsamen freien gesamtdeutschen Wahlen. Einen anderen Weg zur Wiedervereinigung gibt es nicht. Solange die Sowjets nicht zeigen, daß sie dazu bereit sind, ist das Zusammenstehen der Mächte der freien Welt und ist auch die Einigung Europas ein unbedingtes und unerläßliches Erfordernis unserer Politik. Dieses große politische Ziel ist nun einmal nicht zu erreichen, ohne daß es uns gelingt, in der Welt für uns und für 'ein freies und wiedervereinigtes Deutschland Verbündete und Vertrauen zu finden. Ich glaube, die größte Leistung der Bundesregierungbesteht darin, daß sie in ihrer Arbeit der letzten Jahre erreicht hat, daß diese feste Basis vorhanden ist, und wir wieder in einem gemeinsamen Vertrauen zueinander Verbündete haben, große und starke Mächte, die mit uns zusammen die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit erstreben. Ohne eine solche gemeinsame Unterstützung unserer Politik werden wir sie nie erreichen. Deswegen glaube ich, daß die letzten Ereignisse in der Sowjetzone und in Berlin uns nur darin bestärken können, die 'bisher von uns betriebene Politik fortzusetzen.
({21})
Die Anträge sind eingebracht und begründet.
Ich eröffne die Aussprache zu allen Punkten, die unter Ziffer 2 zusammengefaßt sind. Die Aussprache wird also gleichzeitig die allgemeine Aussprache erster Beratung der beiden Gesetzentwürfe sein.
Das Wort hat der Abgeordnete Brandt.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin genötigt, zunächst auf einen Vorfall einzugehen, von dem ich gehofft hätte, daß wir ihn heute nicht zum Gegenstand polemischer Ausführungen zu machen brauchten.
Als drei Vertreter der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion am Mittwoch vergangener Woche zu einer Unterredung beim Herrn Bundeskanzler waren, haben sie ihn darum ersucht, im Rahmen seiner Ausführungen in der heutigen Sitzung vor diesem Hause eine Feststellung zu treffen, die getroffen werden muß, wenn nicht wegen einer willkürlich vorgenommenen Berichtigung des Protokolls der Sitzung vom 10. Juni 1953 die damals gemachten. Ausführungen einen völlig falschen Sinn erhalten sollen.
Es handelt sich um folgendes. Im Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung Nr. 107 vom 11. Juni 1953 wird die Regiegierungserklärung so wiedergegeben. wie sie dier Herr Bundeskanzler am 10. Juni 1953 abgegeben hat, und zwar offenbar nach dem Tonband bzw. dem ersten Exemplar des Stenogramms. Im Bulletin heißt es:
Und endlich ist im Potsdamer Vertrag festgelegt, daß die gegenwärtig tatsächlich bestehenden Grenzen im Osten als endgültige Grezen für Deutschland anerkannt werden sollen.
Demgegenüber lautet der Text des gedruckten Stenographischen Berichts, Seite 13 250 der 269. Sitzung des Bundestags vom 10. Juni 1953, wie folgt:
Endlich ist nach Auffassung Sowjetrußlands im Potsdamer Vertrag festgelegt . . .
({0})
Der Bundeskanzler hat mithin, ohne das vor dem Hohen Hause bis heute zu berichtigen, im amtlichen Stenographischen Bericht nachträglich die Worte „nach Auffassung Sowjetrußlands" hinzugesetzt, wodurch unserer Meinung nach in Widerspruch zu § 119 der Geschäftsordnung dier Sinn der Rede in diesem Teil geändert warden ist.
Die Sache hat deshalb eine gewisse Bedeutung, weil der Sprecher der sozialdemokratischen Fraktion in seiner Rede, die im Protokoll wiedergegeben ist, auf 'das Bezug genommen hat, was der Bundeskanzler tatsächlich gesagt hat. Und der Kollege Dr. von Merkatz hat, nicht von dem, was der Bundeskanzler ,ausgeführt, sondern was dann im berichtigten Protokoll gestanden hat, ausgehend, seine polemischen Ausführungen gemacht.
Wir haben geglaubt, daß es nötig ist, diese Sache vor dem Hause in aller Form richtigzustellen, und hätten gewünscht, daß es uns erspart geblieben wäre, .das zu tun.
Meine Damen und Herren! Wir sind damit einverstanden, daß die beiden Gesetzentwürfe einem
Ausschuß überwiesen werden. Lassen Sie mich aber zu dem Teil, der hier heute zur Erörterung steht, noch ein Wort sagen. Wir haben nicht ohne Grund in unserem Gesetzentwurf vom 17. Juni als dem zu schaffenden nationalen Feiertag gesprochen. Es sollte nicht zu einer Sache des Gedenkens oder gar der Trauer werden. was Grund genug ist, uns den Kopf höher tragen zu lassen.
({1})
Niemand braucht sich seiner Tränen zu schämen. Die Opfer sind - darüber gibt es keine Meinungsverschiedenheit - eines ehrenden Andenkens gewiß. Aber es darf nicht zu einer wehleidigen Sache werden, was seinen geschichtlichen Sinn allein als Mahnung zum Kampf haben kann.
Die Tatsache, daß der Volksaufstand in Berlin und in der sowjetischen Zone vom 17. Juni 1953 in erster Linie das Werk der Arbeiterschaft war, verdient darum auch in diesem Zusammenhang noch einmal unterstrichen zu werden, weil in den vergangenen Jahren manch ungerechtes Wort über diese Arbeiter gesagt worden ist. als ob sie den Nacken unter das Joch der neuen Diktatur gebeugt hätten und als ob es sich bei ihnen um eine graue Masse ohne eigenen und echten Gestaltungswillen handelte. Diese Arbeiter eben haben sich nicht nur als Mitkämpfer, sondern als Vorkämpfer an der Spitze des Ringens um die Einheit in Freiheit bewährt. Sie haben, wie in allen großen revolutionären Krisen, den Kampf um ihre unmittelbaren wirtschaftlichen und sozialen Forderungen mit den Interessen der gesamten Nation verknüpft und den Kampf um die Einheit, um unser zentrales nationales Anliegen auf eine höhere Ebene gehoben.
Wenn man nun den Zusammenhang zwischen den Geschehnissen des 17. Juni und der deutschen Außenpolitik betrachtet, über die ja heute nach der Wahlrede des Herrn Bundeskanzlers auch zu sprechen ist, dann möchte ich folgendes sagen. Man mag bisher über Prioritäten und über die Rangordnung der zu lösenden Probleme in der deutschen Politik und in der auf Deutschland bezogenen internationalen Politik gemeint haben, was man will; heute kann es unserer Meinung nach nur eine Meinung geben: Das Rinnen um die Wiedervereinigung in Freiheit hat den Vorrang vor allen anderen Vorhaben und Projekten außenpolitischer Art.
({2})
Das war immer die Meinung der sozialdemokratischen Fraktion. Aber wir sagen heute mit betonter Zuspitzung: uns liegt - gerade auch nach dem heroischen und tragischen Geschehen in der Zone - die gesamtdeutsche Haut näher als irgendein kleineuropäisches Hemd!
({3})
Die Ereignisse in der Zone haben ein weltweites Echo gefunden. Wir haben lesen können, daß diese Ereignisse für die Stellung Deutschlands und für das Vertrauen zu den demokratischen Kräften in unserem Volk mehr bedeutet hätten als alle Schritte der Bundesregierung zusammengenommen. Das würde übrigens auch dann richtig sein, wenn die Schritte der Bundesregierung wirksamer und erfolgreicher gewesen wären, als sie es waren
({4})
oder sein konnten. Wir haben aber in der internationalen Auseinandersetzung mit diesen Geschehnissen in der sowjetischen Besatzungsszone auch Kommentare lesen müssen, die uns sehr bedenklich gestimmt haben. Unter Berufung auf amtliche Kreise in einer westlichen Hauptstadt hieß es etwa, es sei ein kaum zu überbietender Beweis dafür erbracht worden, daß die Bevölkerung der Ostzone eine Wiedervereinigung unter Moskauer Vorzeichen ablehne. Das ist richtig; aber das ist doch nur die halbe Wahrheit. Dem muß doch die andere, die positive Hälfte hinzugefügt werden: Das Geschehen um den 17. Juni - d'as kann heute und hier nicht stark genug unterstrichen werden - hat den unerschütterlichen Willen der breiten, tragenden Schichten unseres Volkes zum Ausdruck gebracht, sich nicht auf die Dauer mit der willkürlichen Spaltung unseres Landes und unseres Volkes abzufinden.
({5})
Sie sind gewiß nicht für die Einheit unter bolschewistischem Vorzeichen, aber mit ganzer Leidenschaft und mit letzter Hingabe für die Einheit unter freiheitlichem Vorzeichen.
In diesem Zusammenhang ist nun die Frage zu stellen, und wir stellen sie: Hat es die Bundesregierung verstanden, diese Leidenschaft und diese Hingabe für das zentrale nationalpolitische Ziel der Wiedervereinigung auch im deutschen Westen zu wecken? Wenn sie es getan hätte, wäre der gegenwärtige Bundesratspräsident kaum auf den Gedanken gekommen, dieser Tage die Matten und Lauen so streng zu tadeln
({6})
und davon zu sprechen, daß der Gedanke an ganz Deutschland für viele in einem Kühlschrank eingeschlossen zu sein scheine. Reinhold Maier
({7})
hat in Lübeck davon gesprochen. daß eine ganze Technik des die Wiedervereinigung nur im Munde Führens ausgebildet worden sei. Weil wir den Eindruck haben, daß diese harte Kritik nicht aus der Luft gegriffen ist, will es uns richtig erscheinen, unsere Argumente nicht in Watte einzupacken, sondern .die Auseinandersetzung mach der Begründung unserer Anträge so zu führen, daß aus der lebendigen Auseinandersetzung womöglich neue Energien für das Ringen um dieses unser zentrales Ziel entwickelt werden können.
Skepsis ist notwendig, Mißtrauen ist gewiß berechtigt gegenüber solchen Tastversuchen - oder vielleicht auch mehr - wie dem Programm des sowjetischen Hohen Kommissars Semjonow. Wir kommen allerdings nicht weiter mit dem Zögern und Zagen derer, die offenbar keine größere Sorge haben als die, daß die ihnen lieb gewordenen Pläne durch eine erfolgreiche Politik der Wiedervereinigung über den Haufen geworfen werden könnten.
({8})
Das von uns immer und jetzt erstrebte Höchstmaß an Gemeinsamkeit in gesamtdeutschen Fragen setzt mehr voraus als Gemeinsamkeit der symbolischen Gesten und der allgemeinen Bekenntnisse,
also auch mehr als die fünf Punkte vom 10. Juni dieses Jahres.
({9})
Wir sagen, es bedarf der Verständigung, wo immer möglich, der Einigung, über die Ziele und Methoden, über die Rangordnung der Probleme und die Reihenfolge der Aktionen. 'Da ergibt sich nun die Frage: Stehen wir alle in diesem Hause zu den Beschlüssen, die dieses Haus gefaßt hat; oder es gibt vielleicht Teile des Hauses, die sich die Auslegungen in der vorigen Nummer des „Rheinischen Merkur" zu eigen machen, eines Organs, das doch vielfach als dem Herrn Bundeskanzler nahestehend betrachtet wird? Dort wird wiederum, wie schon im Herbst 1951 nach den damaligen Beschlüssen des Bundestages, das böse Wort von dem zu befürchtenden ..gesamtdeutschen Elend" kolportiert.
({10})
Dort wird gegen gesamtdeutsche Wahlen als ersten Schritt auf dem Wege zur Wiedervereinigung und gegen eine souveräne Nationalversammlung Stellung bezogen.
({11})
Was dieses Haus beschlossen hat, wird dort als ein Plan des Kreml hingestellt, als ein Plan, der von dummen Professoren, Abgeordneten und anderen Prominenten nicht erkannt werde.
({12})
Wir sagen, die Luft in Fragen der Wiedervereinigung ist im westlichen Bundesgebiet nicht rein, solange es keine wirkliche Reaktion und, Herr Bundeskanzler, Reaktion auch der Leute an der Spitze der Bundesregierung gegenüber den separatistischen Querschüssen der Kreise um den „Rheinischen Merkur" gibt.
({13})
Wir haben gesehen, daß die Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP und FU einen Änderungsantrag unter Umdruck Nr. 1031 zum Antrag der sozialdemokratischen Fraktion eingereicht haben, der übrigens kein Änderungsantrag, sondern ein inhaltlich neuer Antrag ist. Man sollte nicht mit solchen geschäftsordnungsmäßigen Mitteln arbeiten, Herr Kollege Dr. Schröder,
({14})
wenn man eine neue politische Entschließung hier einbringt. Denn, Herr Kollege Schröder, in bezug auf einen Kernpunkt dessen, was wir jedenfalls für nötig halten, stellt Ihr sogenannter Änderungsantrag eine für uns unakzeptable Abschwächung dar. Sie sprechen allgemein von irgendwelchen Verhandlungen. Wir sagen konkret, daß es nach den Westmächteverhandlungen einer sofortigen Initiative und eines Hinwirkens der deutschen Politik auf Viermächteverhandlungen bedarf.
({15})
Davon werden wir uns nicht abbringen lassen. Wenn wir uns darüber nicht verständigen können, werden wir uns eben heute in dieser Debatte überhaupt nicht verständigen.
({16})
Wer A sagt, der muß auch B sagen. Wer den Vorrang der Wiedervereinigung anerkennt,
({17})
der kann zu Viermächteverhandlungen nicht nein sagen.
({18})
Denn wie anders als durch Krieg einerseits oder durch Viermächteverhandlungen andererseits wollen Sie dieses Ziel erreichen?
({19})
Der Herr Bundeskanzler hat dieser Tage in einer Rede, ich glaube, in Watenstedt-Salzgitter, gesagt, es sei eine krasse Unwahrheit, daß er Viermächteverhandlungen nicht wolle.
({20})
Die beste Art, solche offenbar falschen Eindrücke, die gerade auch außerhalb Deutschlands entstanden sind, aus dem Wege zu räumen, wäre doch gewesen, daß der Herr Bundeskanzler, wenn es eine krasse Unwahrheit ist, daß er gegen Viermächteverhandlungen sei, mit seinen Freunden dem sozialdemokratischen Antrag für Viermächteverhandlungen seine Zustimmung gegeben hätte.
({21})
Es ist doch schade, daß auch viele angesehene Organe der internationalen Presse offenbar einem ernsten Irrtum unterlegen sind, Herr Bundeskanzler. So haben doch bis in die letzten Tage angesehene Organe der internationalen Presse vielfach die Version vertreten, der deutsche Bundeskanzler habe bei seinen Kontakten mit den anderen Mächten nicht für, sondern eher gegen ein rasches Zustandekommen von Viermächteverhandlungen gewirkt.
({22})
Gerade aber über die Notwendigkeit raschen Handelns sollte keine Unklarheit aufkommen. Die Arbeiter in der Zone haben den Zeitpunkt erkannt, an dem ihre spontane Aktion einsetzen konnte. Jetzt gilt es, in der westlichen Welt den Zeitpunkt zu erkennen - und der Zeitpunkt ist gekommen -, zu dem die Frage Deutschland auf internationaler Ebene, wenn irgend möglich, ihrer Lösung entgegengeführt werden kann.
Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung" hat am 24. Juni 1953 aus Paris zu berichten gewußt, der Herr Bundeskanzler habe nach zuverlässigen Informationen zu verstehen gegeben, daß der Westen eine Viermächtekonferenz mit der Sowjetunion nicht überstürzen solle. Ich behaupte nicht, daß der Berichterstatter der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung" recht hat. Aber es ist doch eigenartig, daß der Herr Bundeskanzler immer wieder von der Presse mißverstanden wird und sich deshalb immer wieder genötigt sieht, sich gegen „krasse Unwahrheiten" zu verwahren. Der Gedanke, man solle sich Zeit lassen, ist übrigens
auch von anderer Seite entwickelt worden. Als unmittelbare Reaktion auf die Geschehnisse des 17. Juni wurde am 18. Juni aus Washington gemeldet, die Vorgänge in Berlin und in der Zone schienen die Position 'derjenigen Politiker gestärkt zu haben, die sich wenig von einem baldigen Treffen der westlichen Regierungschefs mit Malenkow versprächen.
({23})
Man solle - so hieß es dort - gewisse Entscheidungen ausreifen lassen, sonst werde man womöglich durch eine Viermächtekonferenz zu einer Stärkung der sowjetischen Position beitragen.
Lassen Siè mich dazu folgendes sagen. Erstens: Gerade nach den Ereignissen des 17. Juni und angesichts der Repressalien muß allen Ernstes der Versuch gemacht werden, ob trotz aller Schwierigkeiten der Weg nicht irgendwann, sondern jetzt geebnet werden kann zu einer Entspannung zwischen den Mächten, die Deutschland besiegt und besetzt haben und ohne deren Übereinkunft wir nicht die Einheit und den Frieden haben werden. Zweitens: Angesichts des eindringlichen Appells aus der Zone, den niemand von uns überhört haben dürfte, kann man nicht sagen, erst müsse sichergestellt sein, daß Verhandlungen auch zu einem positiven Ergebnis führten. Man kann das Ergebnis von Verhandlungen nicht gut vorwegnehmen wollen.
({24})
Natürlich ist niemand von uns, von der sozialdemokratischen Fraktion töricht genug, zu behaupten, daß ein positives Ergebnis sicher sei. Wir sind alle mit reichlicher Skepsis gewappnet. Aber neben der Skepsis und neben 'dem Mißtrauen steht doch die Erkenntnis, daß der ernste Versuch zu Verhandlungen unternommen und rasch unternommen werden muß.
Demgegenüber zieht nicht das Gegenargument des „Economist" und des „Wallstreet Journal", man müsse dem Bundeskanzler bis nach den Bundestagswahlen Zeit lassen.
Wort! Hört! bei der SPD.)
Die deutsche Einheit ist wichtiger als die Wahlsorgen des gegenwärtigen Herrn deutschen Bundeskanzlers!
({25})
- Ich habe meine Antwort auf die Äußerungen der auch Ihnen bekannten Organe der englischen und amerikanischen Presse - die jeder von Ihnen, wenn er will, nachlesen kann - hier in der Deutlichkeit gegeben, die uns unerläßlich schien.
Drittens zu dem Argument, daß es nicht so eilig sei. Wir können nicht mit gutem Gewissen die 18 Millionen in der Ostzone auf den SanktNimmerleins-Tag vertrösten.
(Beifall bei der SPD. - Abg. D. Dr. Gerstenmaier: Eine Unverschämtheit! - Weitere stürmische Zurufe von der CDU: Unerhört! Pfui! - Erneuter Beifall bei
({26})
der SPD. - Wiederholte Zurufe von der
CDU: Pfui! - Abg. Dr. Schröder ({27}): Eine gemeine Unterstellung! - Abg.
D. Dr. Gerstenmaier: Eine impertinente
Unterstellung! - Weitere Zurufe und Gegenrufe. - Glocke des Präsidenten.)
- Es sieht so aus, als ob sich Mitglieder dieses Hauses durch diese meine Feststellung getroffen fühlten.
({28})
- Wenn Sie gut zugehört hätten, hätten Sie bemerkt, daß ich mich hier mit Tendenzen der westlichen und allerdings auch der deutschen Politik auseinandersetze.
({29})
- Darauf komme ich gleich zu sprechen, Herr Kollege Lücke. - Wir dürfen diese 18 Millionen in der Zone
({30})
weder durch unser Zutun noch durch unser Nichtstun der Gefahr aussetzen,
({31})
daß sich wieder konsolidiert, was möglicherweise doch aufgelockert und durch eine gesamtdeutsche Regelung überwunden werden kann. Wir haben von dieser Stelle aus doch wiederholt von der Politik der Stärke als Voraussetzung für Verhandlungen gehört.
({32})
- Nun, Herr Kollege Dr. Bucerius, haben nicht die Kumpel und die Stahlwerker, die Maurer und die Fabrikarbeiter politisch gesehen mehr Stärke aufgebracht
({33})
als gewisse europäische staatliche Einheiten, deren Militärmächte von totalitären Kräften durchsetzt sind?
({34})
Und jetzt, angesichts der Schwäche des östlichen Regimes in der Auseinandersetzung mit der Stärke unserer Landsleute, sagt man plötzlich, daß die Stärke nichts gilt und daß man noch nicht verhandeln will.
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- Herr Kollege Dr. Bucerius, ich habe versucht, darzulegen - und Sie können es nicht abstreiten -, daß Sie durch den von ihrer Fraktion mit gestellten und unterschriebenen Änderungsantrag
wegwollen von unserer Forderung, daß sich die deutsche Politik für Viermächteverhandlungen einsetzt.
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- Das ist mir ganz egal, was der Bundeskanzler gesagt hat.
({37})
Wir reden zu diesem Punkt darüber, was dieses Haus zu beschließen hat.
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Wir reden doch zu diesem Punkt, Herr Kollege Bucerius, darüber, in welcher Entschließung der Bundestag seiner Meinung Ausdruck geben soll.
({39})
Wir sind der Meinung, daß gerade - abgesehen von den politischen Verhandlungen auf der Ebene der Regierungschefs und der Außenminister - auf der Ebene der Hohen Kommissare jener Gesichtspunkt eine Rolle spielen sollte und daß wir, auch auf die, Gefahr hin, daß es dem einen oder andern nicht paßt, die maßgebenden Leute in den westlichen Hauptstädten fragen müssen, warum denn wohl eigentlich der Westen auf propagandistische oder vielleicht auch manchmal ernster zu nehmende Vorstöße der Sowjetunion immer nur reagiert, anstatt viel stärker, als er es bisher getan hat, durch seine Vorschläge die Initiative zu ergreifen.
({40})
Wir haben auch heute wieder durch den Kollegen Wehner eine Reihe von konkreten Vorschlägen für die Verhandlungen auf dieser Ebene unterbreitet. Ein Punkt dieser konkreten Vorschläge befaßt sich auch heute wieder mit Initiativen zur Lösung der Probleme der widernatürlich gespaltenen deutschen Hauptstadt. Wir meinen heute wie früher - da gibt -es sicher keine Meinungsverschiedenheit -, daß, wer es ernst meint mit der Wiedervereinigung, in Berlin den Anfang machen sollte. Aber - und da sind wir sicher nicht einer Meinung, aber auch das sprechen wir an dieser Stelle und heute aus - wir halten es für eine schlechte Sache, daß sich der Beitrag der Bundesregierung und der Westalliierten zum Thema „freie Wahlen" im Augenblick darauf zu beschränken scheint, daß wir uns über die direkte Wahl der Westberliner Vertreter zum Bundestag nicht haben verständigen können
({41})
und daß sich in der Saarfrage, obgleich auch dort freie Wahlen dringend geboten wären, eine bemerkenswerte Zurückhaltung geltend macht.
Wir haben von verschiedenster Seite den Wunsch gehört, !daß man sich in den Fragen der
({42})
Wiedervereinigung um ein Höchstmaß an Gemeinsamkeit bemühen möge.
({43})
Eines aber geht dann nicht. Man kann nicht, wie es der Herr Bundeskanzler auch heute in seiner Rede getan hat, versuchen, die Wiedervereinigungsfrage auf das eine Blatt und die deutsche Außenpolitik, auf ein anderes zu setzen.
({44})
Wiedervereinigungspolitik und Außenpolitik sind zwei Seiten der gleichen Sache.
({45})
Wenn wir den Vorrang für die Frage der Wiedervereinigung fordern, dann ergeben sich daraus unserer Meinung nach auch klare Konsequenzen für die deutsche Außenpolitik. Darum ist es un- logisch, anzudeuten, man solle die gesamtdeutsche Frage ausklammern, den Wahlkampf aber, wie wir es an anderer Stelle als dieser gehört haben, zu einem Plebiszit über die deutsche Außenpolitik werden lassen. Übrigens sollte man mit idem Wort „Plebiszit" vorsichtig umgehen;
({46})
denn ihm haftet in diesem Zusammenhang etwas vom demokratischen Standpunkt aus durchaus Anrüchiges an.
({47})
Wir können darum nicht jenem CDU Blatt zustimmen, das in der vergangenen Woche meinte feststellen zu sollen, die Erhebung in der Zone sei ein Plebiszit für die Politik des Herrn Bundeskanzlers gewesen.
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Das heißt denn doch wohl - das bezieht sich auch auf die diesbezügliche Bemerkung, die der Herr Bundeskanzler zu diesem Thema in seiner Rede gemacht hat - die Erhebung dieser Menschen etwas leichtfertig für eine hier im deutschen Westen außerordentlich umstrittene Politik in Anspruch nehmen.
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Gestern hat das Bulletin der Bundesregierung behauptet, die Bevölkerung der Zone habe sich mit der Europa-Politik des Herrn Bundeskanzlers solidarisch erklärt. Nun, die Menschen in der Zone müssen es über sich ergehen lassen, wenn sie auf diese Weise in den Parteienstreit hineingezogen werden.
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- Ich werde Ihnen gleich ein paar Beispiele geben, Herr Kollege Euler! - In der machtvollen Manifestation in Ost-Berlin und in der sowjetischen Zone drückt sich nicht der Schrei nach dem Anschluß an Bonn aus, sondern es drückt sich darin auch aus der Anspruch auf die echte Mitgestaltung dieser arbeitenden Menschen bei der Schaffung einer gesamtdeutschen Ordnung.
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Ich sage Ihnen: die Arbeiter haben vom Brandenburger Tor nicht die rote Fahne, sie haben die rote Fahne als das Symbol der Unterdrücker heruntergeholt.
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Im Zusammenhang mit dem Händler, der „Privateigentum" auf seine Bude geschrieben hatte, sage ich Ihnen, Herr Kollege Tillmanns: glauben Sie, daß es irgendwo im deutschen Osten oder im deutschen Westen einen Arbeiter gilbt, der so töricht ist, einen Händler mit seinem Geschäft, seiner Bude oder seinem Wagen anzugreifen?
Viel wichtiger, Herr Kollege Tillmanns, ist aber doch etwas anderes. Auf den Transparenten, die bei den Massenstreiks und bei den Massendemonstrationen mitgeführt wurden, standen viele und wichtige Forderungen. Nirgends hat etwas gestanden von jener Reprivatisierung der Mammutwerke, für die sich offenbar, wenn die Pressemeldungen zutreffen, der Herr Staatssekretär im Ministerium für gesamtdeutsche Fragen ausgerechnet in dieser Situation ausgesprochen hat. Wenn die Arbeiter in der Zone für bestimmte politische Zwecke im Westen so ausgeschlachtet werden sollen, wie es uns heute hier vorgetragen worden ist, dann muß man darauf erwidern: die fassen die Wiedervereinigung nicht als eine Gelegenheit zu persönlichem Gewinnstreben auf. Sie wollen demokratisieren, nicht restaurieren.
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Herr Kollege Lücke rief vorhin dazwischen - und er bezog sich dabei auf Herrn Tillmanns, der das in seiner Rede ausgeführt hatte -, es habe Demonstranten gegeben - ich bestreite es gar nicht; aber ich habe es nicht gehört oder gelesen -, die „Hoch Adenauer" gerufen hätten.
({54})
Herr Kollege Tillmanns, wenn Sie sich mit den Dingen in der Zone befaßt haben, dann wissen Sie genau so gut wie ich, daß es manche Orte in der Zone gegeben hat, in denen neben den Kampfparolen gegen das SED-Regime in den Beschlüssen und in den Parolen der großen Streikleitung eine durchaus kritische Note gegenüber dem deutschen Westen enthalten war
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und auch eine Tendenz, die auf eine möglichst unabhängige deutsche Politik abzielte. Die Zone will die Einheit. Man darf ihr keine Motive und keine Konzeptionen unterstellen, die hier wünschenswert erscheinen.
({56})
Von einem Vertrauensvotum für diese oder jene Richtung der Politik, die hier umstritten ist, kann keine Rede sein.
Wir sind also gegen eine Verfälschung dessen, was in der Zone erstritten und was dort gelitten wurde.
({57})
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Wer nun meint, die außenpolitische Debatte durch ein zurechtgemachtes Gespenst einer angeblich drohenden Neutralisierung und Machtlosigkeit töten zu können, der wird, glaube ich, den Notwendigkeiten nicht gerecht, die in dieser Situation angesichts möglicher Viermächteverhandlungen vor uns stehen. Wer heute noch, wie wir es immer wieder erleben, glaubt, die demokratische und nationale Zuverlässigkeit der deutschen Arbeiterbewegung und der deutschen Sozialdemokratie in Frage stellen zu können, der nimmt dadurch die Verantwortung für eine nochmalige, eine zusätzliche Spaltung unseres Volkes auf sich.
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Tatsache ist doch - und das bezieht sich noch einmal auf die angebliche Solidarisierung dieser Menschen im Osten Deutschlands mit der Politik des Herrn Bundeskanzlers -, daß die außenpolitische Entwicklung in diesen vier Jahren und gerade in den letzten Monaten, Herr Bundeskanzler, andere Wege gegangen ist, als Sie es in diesem Hause und an anderer Stelle und nicht zuletzt während Ihrer Reise in Amerika als einzig möglich hingestellt haben.
({60})
Tatsache ist weiter, daß die Opposition im Hause, daß die sozialdemokratische Fraktion dieses Hauses dazu beigetragen hat, daß die deutsche Politik nicht in einer Sackgasse gelandet ist.
({61})
Sie haben heute zum wiederholten Male die Behauptung aufgestellt, die Opposition habe in ihrer kritischen Auseinandersetzung mit der sogenannten Integrationspolitik nicht gesagt, wie man es anders machen sollte.
({62})
Wir haben in der Frage der deutschen Einheit und in der Frage der Viermächteverhandlungen gesagt, wie man es anders machen muß,
({63})
und wir sagen es heute, wie man es machen muß.
({64})
Wir haben in dem System unserer kritischen Auseinandersetzung nichts von unserer Forderung auf deutsche Gleichberechtigung, auf wirkliche Sicherheit und auf eine wirklich diesem Namen gerecht werdende europäische Lösung zurückzunehmen.
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Anstatt nun in den vergangenen Jahren die kritischen Vorbehalte, Einwände und Argumente der Opposition auszuwerten, um das Gewicht der deutschen Politik den Mächten gegenüber zu verstärken, sieht man die Aufgabe, auch heute wieder
vor diesem Hause, darin, die Sozialdemokraten zu kritisieren,
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ihnen zu sagen, daß sie zu keiner Frage positive Vorschläge unterbreitet hätten.
({67})
Am meisten überrascht uns nun das Argument, mit dem der Herr Bundeskanzler heute aufwartete: wenn es nun doch zu Vier-Mächte-Verhandlungen kommen sollte, wenn sich nun doch solche Möglichkeiten anbahnen sollten, dann sei das ein Erfolg der Politik, die er betrieben habe.
({68})
Das ist übrigens schwer in Einklang zu bringen mit der anderen These, die die Freunde des Herrn Bundeskanzlers in den letzten zwei, drei Wochen wiederholt vertreten haben - auch an maßgeblicher Stelle -, daß eine Wende der sowjetischen Politik weder erfolgt noch zu erwarten sei. Man kann doch nicht zu gleicher Zeit behaupten, daß sich nichts geändert habe und nichts ändern werde, daß aber, was sich dann doch geändert habe oder ändern sollte, das Ergebnis der eigenen Politik sei.
({69})
Die Illusionen auf außenpolitischem Gebiet in den hinter uns liegenden Jahren lagen nicht bei der deutschen Sozialdemokratie, sondern die Illusionen und der Mangel an Realismus lagen bei denen, die die Verhandlungen zwischen West und Ost nicht mit einkalkuliert hatten. Auch das muß man heute erörtern, wenn von einer Rechenschaft über die Außenpolitik dieser vier Jahre die Rede ist. Denn jetzt müssen Sie sich, meine Damen und Herren von der Mehrheit, die Sie die Politik, mit der wir uns kritisch auseinandersetzen, vorbehaltlos unterstützen, von maßgebenden ausländischen Kommentatoren sagen lassen - z. B. von amerikanischer Seite -, die umstrittenen kleineuropäischen Objekte,, etwa das der EVG, seien von der ausdrücklichen Voraussetzung ausgegangen, daß die Spaltung Deutschlands aufrechterhalten bleibe - ich zitiere Walter Lippman.
({70})
Ein Schweizer Organ wie „Die Tat" schreibt, daß die gesamte Außenpolitik des Bundeskanzlers auf einem axiomatisch angenommenen endgültigen Gegensatz zwischen Moskau und dem Westen basiert habe. Ein englischer Kommentator wie Herr Haffner vom „Observer", der bis in die jüngste Zeit sehr wohlwollend gegenüber den Bemühungen des Herrn Bundeskanzlers war, sagt nun unter dem frischen Eindruck der jüngsten Ereignisse, daß sie es dem deutschen Westen unmöglich machen würden, die deutsche Wiedervereinigung der westeuropäischen Integration unterzuordnen. Als wir im vergangenen Jahr Verhandlungen auf der Ebene aller vier Nächte gefordert haben und gewünscht haben, die Westmächte in
({71})
diesem Sinne zu beeinflussen, da ist es noch vorgekommen, daß man uns beschuldigt hat, wir begäben uns damit in Bolschewikennähe.
({72})
Das ist ja nicht mehr so einfach,
({73})
seitdem wir in so honoriger Gesellschaft sind, Herr Kollege von Brentano, wie der des britischen Premiers, dessen Initiative die Möglichkeiten zu einer Änderung der internationalen Lage beträchtlich gefördert zu haben scheint. In der Debatte im englischen Unterhaus, die sich der ChurchillInitiative anschloß, war von nicht ganz unbedeutender Seite, ich meine: von seiten des Oppositionsführers Attlee aus, sehr deutlich davon die Rede, daß eine einseitige Regelung des deutschen Sicherheitsproblems mit einer Politik der Wiedervereinigung Deutschlands nicht zu vereinbaren sei.
({74})
Weil das so einleuchtend ist,
({75})
muß leider gesagt werden, daß die Bezugnahme der drei Westmächte in den Briefen oder Telegrammen, die sie in den letzten Tagen dem Herrn Bundeskanzler geschickt haben, auf die Note an die Sowjetunion vom 23. September vorigen Jahres in Verbindung mit den von uns gemeinsam angenommenen fünf Punkten vom 10. Juni dieses Jahres sicher richtig ist, aber uns allein noch nicht weiterbringt. Denn es handelt sich doch um zweierlei:
({76})
einmal um die freien Wahlen und die übrigen
Schritte, die für eine demokratische Lösung des
deutschen Einheitsproblems unerläßlich sind, zum andern um die Verständigung der vier Mächte, mit denen der Friedensvertrag in bezug auf den internationalen Rahmen auszuhandeln sein wird, innerhalb dessen die von uns erstrebte Lösung erfolgen könnte.
Auch in der amerikanischen Diskussion ist in den letzten Monaten ziemlich viel von alternativen Lösungen die Rede gewesen, alternativ zu den von uns früher häufig mit Leidenschaft erörterten Vertragswerken. Uns hat man aber immer wieder gesagt, und zwar gerade unter Berufung auf die Westmächte und besonders auf Amerika, daß es alternative Lösungen überhaupt nicht gebe. Uns wollte man noch über Art. 103 der Europa-Verfassung eine zusätzliche Bindung auferlegen, die die viel zitierte Handlungsfreiheit einer gesamtdeutschen Regierung von vornherein illusorisch gemacht hätte:.
({77})
Der Herr Bundeskanzler hat sich ja neuerdings von diesen Vorhaben einiger seiner übereifrigen Freunde distanziert. Im übrigen hat er aber doch wohl heute, wenn ich es richtig verstanden habe, durch seine Regierungserklärung auch in der gegenwärtigen Situation an den unserer Meinung nach überholten Vertragsprojekten festgehalten. Wenn
wir sagen „überholte Vertragsprojekte" - um darüber gar kein Mißverständnis aufkommen zu lassen -, muß dabei festgestellt werden, daß wir niemals der Meinung waren und es auch heute nicht sind, daß damit die grundsätzliche Frage der Verteidigungsbereitschaft aufgeworfen wird. Wir haben nie einen Zweifel darüber gelassen, daß wir unter den Bedingungen der Gleichberechtigung und der Nichtgefährdung unseres Ringens um die Wiedervereinigung bereit sind, an der Schaffung eines gemeinsamen Systems effektiver, wirksamer Sicherheit mitzuwirken.
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Es geht also nicht um diese mehr grundsätzliche Frage, und es geht auch nicht um mehr periphere Fragen, die dieser Tage in die Debatte geworfen wenden, wie etwa um die Frage, ob der Kontrollrat von 1945 wiederaufgerichtet werden sollte, den niemand wiederautgerichtet sehen will.
({79})
Aber nun -hat der Herr Bundeskanzler in den Erklärungen der letzten Tage und Wochen mehrfach - auch in Watenstedt-Salzgitter - von der seiner Meinung nach bestehenden Gefahr gesprochen, daß die Westmächte über 'den Kopf Deutschlands hinweg mit der Sowjetunion verhandeln könnten, daß eine Vier-Mächte-Konferenz ohne das deutsche Volk entscheiden könnte. Diese Befürchtung geht unserer Meinung nach von einer besonders mißtrauischen und, wie wir hoffen, überängstlichen Einschätzung der Politik der Westmächte aus. Es entspricht im übrigen unserer Meinung nach nicht 'der europäischen unid der internationalen Lage des Jahres 1953, daß man die deutsche Frage überhaupt noch über die Köpfe der Deutschen hinweg erledigen könnte. Gerade das sollte auch nach den jüngsten Ereignissen klargeworden sein.
({80})
Im übrigen wird die These, daß es ohne die Deutschen bei einer solchen etwaigen Verständigung nicht geht, von uns in keiner Weise bestritten. Wir sollten dafür sorgen, daß die Mächte in Kenntnis der deutschen Vorstellungen in die zu wünschenden Verhandlungen hineingehen. Wenn jemand uns einen Vorwurf machen will, so fällt er auf den zurück, der ihn erhebt; denn, meine Damen und Herren, wir werden möglicherweise unter Umständen gerade dann Objekt, wenn wir zu passiv bleiben, wenn wir im Hinblick auf diese Konferenzen nicht genügend konkrete Vorschläge machen. Weder Trauerfeiern noch Telegramme reichen hier im Sinne konkreter Vorstöße und Maßnahmen unserer Meinung nach aus.
({81})
- Was denn? Zum Beispiel, Herr Kollege Tillmanns, daß über die allgemein gehaltenen fünf Punkte vom 10. Juni hinaus jenes konkretwerdende Verhandlungsprogramm sowohl auf der Ebene der Hohen Kommissare wie aber auch in der eigentlichen politischen Ebene für die Außenministerkonferenz in Washington und für eine etwaige Viermächtekonferenz erarbeitet werden müßte.
({82})
) Wir sehen übrigens die größere Gefahr - und auch das möchte ich hier sagen -, noch immer darin, daß die Mächte bis auf weiteres über eine Lösung der deutschen Frage überhaupt nicht verhandeln. Die deutsche Politik darf nichts tim, was diese Gefahr vergrößern könnte. Wir begrüßen ausdrücklich, daß der Herr Bundeskanzler die friedlichen Ziele der deutschen Politik in alle Himmelsrichtungen auch bei dieser heutigen Gelegenheit unterstrichen hat. Darüber kann und darf es keine Meinungsverschiedenheiten geben, daß das Friedensinteresse der deutschen Politik, wer auch immer sie vertritt, über jeden Zweifel erhaben sein muß. Denn wir wünschen und müssen es wünschen, daß am Verhandlungstisch zu regeln versucht wird, was uns sonst den Schrecken eines neuen Weltkriegs auszusetzen droht. Es gibt keine andere Lösung als die friedliche Lösung der deutschen Frage. Es gibt keine andere Möglichkeit als die der Verhandlungen über die deutsche Frage. Darum müssen wir sie fordern.
({83})
Wir Sozialdemokraten forden angesichts der uns auferlegten gemeinsamen großen Verantwortung mehr Aktivität, mehr Zielklarheit, mehr Entschlossenheit im Kampf um die deutsche Einheit in Frieden und Freiheit.
({84})
Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! I Meine Damen und meine Herren! Ich kann nur auf die eine oder andere der Ausführungen des Herrn Brandt eingehen, weil ich einen leitenden Faden in den ganzen Ausführungen nicht gefunden habe.
({0})
- Es mag ja sein, daß es an mir liegt. Ich sage: ich habe ihn nicht gefunden.
({1})
Ich muß zunächst zwei persönliche oder das Persönliche streifende Bemerkungen beantworten.
Erstens bitte ich davon Kenntnis zu nehmen, daß der „Rheinische Merkur" mir in keiner Weise nahesteht.
({2})
Ich bin weder Besitzer von Anteilen, noch habe ich je etwas darin geschrieben.
({3})
Zweitens, meine Damen und Herren, hat Herr Brandt Interesse für meine Wahlsorgen gezeigt. Er hat es nicht nötig. Ich kann ihm nur wünschen, er hätte so wenig Wahlsorgen, wie ich sie habe.
({4})
- Ja, Berlin! Darauf will ich Ihnen etwas sagen. Ich würde mich darauf gefreut haben, in Berlin
einen Wahlkampf führen zu können, weil ich überzeugt bin, wir hätten ihn haushoch gewonnen.
({5})
Aber ich halte es für unmöglich und habe es für unmöglich gehalten, daß gerade ausgerechnet in Berlin, in dieser vorgeschobenen deutschen Bastion, deutsche Parteien die Frage des Verhaltens im West-Ost-Konflikt zum Gegenstand des Wahlkampfes machen.
({6})
Daran würde nur der Russe Freude gehabt haben.
({7})
- Ich wünschte, ich hätte mehr Zeit, ihn zu lesen; denn es sollen oft sehr gute Artikel drin stehen.
({8})
Lassen Sie mich nun die Sache einmal ganz nüchtern nehmen und ganz ruhig auf das antworten, was Herr Brandt gesagt hat. Ich stimme mit ihm vollkommen darin überein, daß uns nur ein 1 bereinkommen der vier Mächte Frieden und Freiheit wiedergeben kann. Aus eigener Gewalt können wir das nicht. Nun darf aber Herr Brandt doch nicht übersehen, daß zwischen diesen vier Mächten einmal vereinbart gewesen ist, daß sie den Friedensvertrag unter sich aushandeln sollten und daß er dann uns präsentiert werden soll.
({9})
Sie werden mir zugeben - auch Sie, Herr Brandt -, daß die Position Deutschlands, wenn ihm diese vier Siegermächte einen Friedensvertrag vorlegten, außerordentlich ungünstig gewesen wäre.
({10})
- Das hat die Prawda ja jüngst wieder verlangt.
({11})
Lesen Sie mal in den Noten der Sowjetunion. Lesen
Sie diese genau so, wie Sie die amerikanischen und
englischen Blätter lesen. Da lernen Sie mehr draus.
Deswegen müßte doch jede deutsche Regierung
- ich betone das, nicht nur diese deutsche Regierung - versuchen, von den vier Mächten, von denen Frieden, Freiheit und Wiedervereinigung abhängen, den größeren Teil auf ihre Seite zu bekommen.
({12})
Das ist doch eine so banale Wahrheit; das muß doch jeder verstehen,
({13})
vorausgesetzt natürlich, daß er überhaupt verstehen will.
({14})
Und das, meine Damen und Herren, ist uns gelungen: wir haben von den Vieren die drei West({15})
mächte auf unserer Seite für eine Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit und nicht für einen Diktatfrieden. Das ist doch ein großer Erfolg.
({16})
Es ist ein Erfolg, an den vor drei Jahren noch niemand zu denken gewagt hätte.
({17})
Ich will hier nicht weiter gehen; ich werde das schon bei den Wahlreden besorgen, und zwar sehr gründlich.
({18})
Es wird immer wieder verlangt: Ihr habt darauf zu dringen, daß sofort Viermächteverhandlungen stattfinden. - Aber, verehrter Herr Brandt, ich kann von den Mächten doch höchstens drei, die drei Westalliierten, darum ersuchen, aus den und den Gründen so schnell wie möglich zu machen.
({19})
- Seien Sie überzeugt davon, daß ich das bei jeder nur denkbaren Gelegenheit tue. Sie müssen sich aber die Verhandlungen nicht so vorstellen, als wenn ich die drei Mächte vor mir sitzen hätte und oben auf dem Pult stünde und eine donnernde Rede hielte.
({20})
Zu einer Viermächtekonferenz gehört doch auch der
Vierte. Ich will Ihnen mal in aller Ruhe sagen, was Sowjetrußland getan hat, seitdem Semjonow da ist. Die drei westalliierten Kommandanten haben scharf protestiert gegen die Vorgänge in der Ostzone, gegen den Gebrauch von Waffen usw. Es ist ihnen nicht möglich gewesen, in dem sowjetrussischen Hauptquartier einen Offizier zu bekommen, der den Protest entgegengenommen hat.
({21})
Hören Sie weiter: Die drei Hohen Kommissare sind letzten Samstag in Berlin gewesen. Sie sind doch nicht mit irgendwelchen nebensächlichen Absichten nach Berlin gegangen, sondern wollten dem Herrn Semjonow nahelegen, sich mit ihnen in Verbindung zu setzen. Herr Semjonow hat keine Notiz von ihnen genommen.
({22})
Glauben Sie denn, meine Damen und Herren ({23}), daß Mächte wie die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich dann auf den Knien hinkriechen und sagen: „Bitte, haltet eine Viermächtekonferenz für Deutschland ab!"? Wie stellen Sie sich denn die Sache überhaupt vor?
({24})
Von Herrn Brandt sind - allerdings mit gewissen Schattierungen - Behauptungen vorgetragen worden. Er hat nämlich immer nur Zitate gebracht, jedoch nicht gesagt, ob er sich damit identifiziere oder völlig identifiziere. Aber die Zitate bringt er doch nur, um mich zu diffamieren. Aus gar keinem andern Grund hat er das getan.
({25})
Ich bin dafür - diesen Standpunkt habe ich immer vertreten und vertrete ihn auch jetzt -, daß sobald wie möglich eine Viermächtekonferenz abgehalten wird, wenn auch nur eine geringe Aussicht auf Erfolg besteht.
({26})
- Ich will in dieser Debatte jetzt nicht auf den Antrag eingehen, möchte aber doch noch eines sagen. Wir haben soeben zwei Redner der Opposition gehört: Herrn Wehner und Herrn Brandt. Sie wissen genau, daß ich noch lange nicht immer mit Herrn Wehner übereinstimme. Aber ich muß sagen: aus dem, was er gesprochen hat, klang wenigstens eine ehrliche Empörung über das, was in der Ostzone passiert ist, klang der Aufruf an dieses Hohe Haus, doch zusammen etwas dagegen zu tun.
({27})
Dagegen gingen die Ausführungen, die Herr Brandt machte, in einer völlig anderen Richtung, und sie haben uns keinen Schritt weiter gebracht.
({28})
Er hat vielmehr in dieses Haus, auf das ja auch die Leute im Ostsektor und in der Sowjetzone sehen, jetzt wieder Zwietracht hereingebracht.
({29})
Meine Damen und Herren! Zu dieser Empfindlichkeit auf seiten der Opposition
({30})
möchte ich Ihnen einmal folgendes sagen: Das Ministerium des Herrn Kaiser hat eine Broschüre mit einer Anzahl von Briefen aus der Sowjetzone herausgegeben, und weil in zwei oder drei dieser Briefe Kritik geübt war an der Politik der Sozialdemokratischen Partei, hat Herr Brauer von Hamburg verlangt, daß diese Briefe aus der Sowjetzone nicht weiter verbreitet werden dürften.
({31})
Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Becker.
Meine Damen und Herren! Als ich vorhin Zeuge der Lärmszenen in diesem Hause wurde, da gingen meine Gedanken an die Gräber derjenigen, die am 17. Juni gefallen sind;
({0})
da gingen sie an die Krankenbetten der Verwundeten und in die Zellen der Inhaftierten, und ich habe mich gefragt: womit haben diese Menschen, die ihren Mut für Deutschland bewiesen haben, das verdient!
({1})
Ich hatte geglaubt, daß dieses Haus, ehe es nun
seine Legislaturperiode abschließt, bei einer außenpolitischen Debatte einmal auf der Höhe der Situa13892
({2})
tion stehen würde, und wir haben erlebt: parteipolitische Klopffechterei.
({3})
Ich bitte, mir zu gestatten, wenn Sie schon Goût für parteipolitische Klopffechtereien haben, meinerseits davon abzusehen und bei einer außenpolitischen Debatte auch von der Außenpolitik zu sprechen.
({4})
- Ruhe bei der fünften Kolonne!
({5})
Wenn ich schon von einer Außenpolitik sprechen muß, die sich anknüpft an die Punkte: Wiedervereinigung und Zusammenführung sowie an die Vorgänge vom 17. Juni, dann müssen wir uns auch über die Weltlage im ganzen klar werden. Deshalb lassen Sie mich einmal mit einem Parallelfall beginnen, und dieser Parallelfall heißt Korea. Als im Sommer 1950 Nordkorea, russisch gedrillt, über Südkorea herfiel, das keine Wehrmacht hatte, in dem Augenblick wurde eine Wiedervereinigung des gespaltenen Korea nach volksdemokratischen Grundsätzen versucht.
({6})
Und da griff Amerika ein. Denn mit diesem Angriff hatten die Russen versucht, der amerikanischen Politik eine gewisse Zwickmühle aufzumachen, die in folgendem bestand: Griff der Amerikaner nicht ein, dann wurde diese Wiederveeinigung nach sowjetzonalen Grundsätzen Wahrheit, außerdem verlor Amerika das Gesicht bei allen europäischen Völkern. Dort wäre der Gedanke aufgetaucht: „Na, so wie dort, geht es uns vielleicht auch!" Diese Befürchtung hat Amerika durch seine Politik zerstreut.
Aber die andere Seite der Zwickmühle in der koreanischen Politik war folgende: Nunmehr konnte die Propaganda der Sowjetrussen durch ganz Asien gehen und konnte die nationale Selbständigkeit und die Freiheit der asiatischen Völker predigen, konnte weiter predigen von dem Angriff der weißen Rasse, der Kapitalisten und der Agressoren; sie konnte, mit anderen Worten, dem Kommunismus, den sie in Asien verbreiten wollte, die Maske der nationalen Selbständigkeit und der Hilfe zur Erlangung dieser Selbständigkeit der asiatischen Völker vorhängen. So steht die Weltpolitik, zumal es sich in diesen Zeiten auch um die Ausgangszeiten des kolonialen Zeitalters handelt, in Asien vor der Frage, nun diese Maske der nationalen Politik den Russen vom Gesicht zu reißen, damit eben der Kommunismus in seiner echten, nackten Gestalt den asiatischen Völkern klar in Erscheinung tritt.
So haben wir es erlebt, daß es nach drei Jahren Krieg in Korea und nach zwei Jahren Verhandlungen über Waffenstillstand - zwei Jahre Verhandlungen! - zu einem Abkommen zu kommen scheint, das zu dem Ergebnis führt, daß alles bleibt, wie es war: der Norden volksdemokratisch, der Süden echt demokratisch!
({7})
Aber so, daß der Süden, wenn er seine Selbständigkeit und seine Freiheit behalten will, sie nirgends
anders finden kann als in echter Verbindung mit
den Völkern des freien Westens!
({8})
Das ist die Lehre, die aus Korea zu ziehen ist.
Und nun kommen wir zu den anderen Punkten, auf die wir bei der Betrachtung der Weltlage zurückgehen müßten. Es ist die Stellungnahme der USA in der Proklamation des Präsidenten Eisenhower vom Frühjahr dieses Jahres. Er spricht darin davon, daß unsere Bundesrepublik bewaffnet sein müsse, daß sie als solche in ein Europa integriert werden müsse; er spricht weiter davon, daß das ganze Deutschland, dieses wiedervereinigte Deutschland, ebenfalls als Teil eines größeren Europas aufgefaßt und integriert werden müsse, und er spricht davon, daß auch Osteuropa, der Balkan wieder der Freiheit entgegengeführt werden müsse.
Auf der anderen Seite steht in Amerika - die Ansichten sind nicht einheitlich - die Richtung des Senators Taft. Herr Taft hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß man dieses Europa, das anscheinend nicht wisse, was es wolle, das in seinen einzelnen Staaten sich einer Vereinigung, einer Wiederbewaffnung entgegenstelle, unter Umständen seinem Schicksal überlassen und daß Amerika sich auf die periphere Verteidigung beschränken solle. Das bedeutet, daß die Verteidigung im Falle eines Angriffs nur von Flugzeugen geführt würde, die in England, in Spanien, in der Türkei und in Griechenland stationiert seien. Das bedeutet, daß, wenn dieser Kontinent jemals vor dem Ansturm aus dem Osten seitens der USA geräumt werden müßte, das Ruhrgebiet, das lothringische Gebiet, das luxemburgische, das belgische Industriegebiet vorher nach dem System der verbrannten Erde vernichtet werden müßten, damit nicht diese Stahlkapazität zusätzlich zur russischen etwa dem Osten zugute käme. Was das für uns in Deutschland bedeutet, brauche ich nicht auszuführen. Deshalb müssen wir darauf sehen, daß diese Ideen, die der Senator Taft vertritt, nicht Wirklichkeit werden. Ein Staat muß in Europa sein - und unser Deutschland muß das sein -, der zeigt, daß er die Zeichen der Zeit erkannt hat und gewillt ist, daraus auch die Konsequenzen zu ziehen.
({9})
Auf der anderen Seite die Ausführungen des englischen Premierministers Churchill. Diese Ausführungen gehen dahin, daß er ein Locarno vorschlägt, das er sich offenbar etwa wie folgt denkt: Deutschland wiedervereinigt, Deutschland auch in einer gewissen Weise bewaffnet, aber nicht inkorporiert in ein Europa, sondern unmittelbar als selbständiger Staat Nachbar Rußlands; und um hier im Osten dann ein deutsch-russisches Locarno zu schaffen, die Garantie Englands an Rußland, daß nie wieder von Deutschland oder aus dem deutschen Raum heraus irgendwie ein Angriff gegen den Osten gestartet werden könnte, und ebenso die Garantie gegenüber Deutschland, daß der Russe es nicht angreifen würde.
Die westeuropäische und die westliche Presse überhaupt oder ein Teil dieser Presse hat daraus den Schluß ziehen zu können geglaubt, daß ein Widerspruch zwischen diesen beiden Auffassungen bestände, und hat weiterhin den Schluß ziehen zu können geglaubt, daß die englische Regierung gewillt sei, die Führung der westlichen Nationen an sich zu reißen. Ich bin persönlich der Meinung, daß ein solcher Widerspruch nicht vorhanden ist, sondern daß sich durchaus auch eine Einigung, eine
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Übereinstimmung dieser Arten Politik finden läßt. Ich komme darauf noch zu sprechen.
Zuvor aber: Was ist in diesem Europa denn nun geschehen? Sind wir in der Lage, hier überhaupt als Macht einzugreifen? Ist Deutschland allein in der Lage, mit Rußland über die Wiedervereinigung zu verhandeln? Ist das Europa als Ganzes schon so weit, daß es verhandeln kann? Die Montanunion haben wir geschlossen, Verträge sind unterschrieben, noch nicht allseitig ratifiziert; in Baden-Baden soll im August der Vertrag über die europäische Einheit erörtert werden. Eine Berner-kung hier dazu: In der Diskussion ist davon die Rede gewesen, in den vergangenen Wochen, insbesondere in den Zeiten der Regierungskrise, in Frankreich habe man hier und anderwärts der Meinung zugeneigt, diese Vertragsentwicklung sei gehemmt, die Verträge seien tot, sie würden nicht Wirklichkeit werden. Dieser Punkt ist aber nun überwunden. Ich bitte alle diejenigen, die mit mir in der Verfassungskommission in Paris gearbeitet haben, sich die Ministerliste des jetzigen französischen Kabinetts anzusehen, und Sie werden finden, daß der tote Punkt überwunden ist.
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So darf ich Ihnen als einmütige Auffassung meiner Fraktion - und ich bitte, davon Notiz zu nehmen - mitteilen, 'daß wir grundsätzlich auf dem Boden dieser Vertragspolitik stehen und daß wir wünschen, daß diese Vertragspolitik durchgeführt wird, durchgeführt wird zum EVG-Vertrag, durchgeführt wird auch zum Vertrag über die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft.
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Wir hoffen, daß bei den Verhandlungen im August in Baden-Baden auch die Mitglieder des europäischen Verfassungsausschusses Gelegenheit haben, zusammen mit den Regierungen diese Angelegenheit in besonderer Weise voranzutreiben.
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In das Weltbild, das ich geschildert habe stößt
nun die russische Propaganda hinein, die es zunächst auf die Einwirkung auf die Wahlen in Italien angelegt hat und die es nun auf die Wahlen am 6. September in der Bundesrepublik abgesehen hat. Es gibt westeuropäische Gazetten, die glauben, aus all den kleinen Zügen, die sich jetzt von der russischen Seite her zeigen, könne geschlossen werden, Rußland habe sein System vollständig geändert. Wenn's wahr wäre, wir würden's gern glauben. Aber wir, meine Damen und Herren, wir haben ja unter einem solchen System gelebt. Wir kennen die bitteren Erfahrungen, die wir gemacht haben. Wir wissen: Jedes totalitäre System hat ein inneres Lebensgesetz in sich, nach dem es antritt, nach dem es handelt und nach dem es zugrunde geht.
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Dieses innere Gesetz geht dahin, daß sie versuchen, die Ideen, die sie vorantreiben, als allein seligmachende Ideen mit Kampf, mit Macht in der ganzen Welt zu verbreiten. Das zweite innere Gesetz ist, daß sie nur durch Furcht und Schrecken ihre Herrschaft aufrechterhalten können. Und weil sie nur durch Furcht und Schrecken diese Macht aufrechterhalten können, müssen sie die Furcht und den Schrecken in Form einer Spirale, einer Schraube immer weiter verstärken und haben dabei dann nach außen hin doch ein gewisses sogenanntes Sicherheitsbedürfnis.
Es ist das Merkwürdige, daß uns vorgeredet wird, das Sowjetreich, das sich von 1944 bis 1948 80 bis 90 Millionen Menschen in den Satellitenstaaten praktisch unterworfen hat, das Sowjetreich, das 1950 zum Angriff auf Korea startete, habe jetzt das Bedürfnis nach Sicherheit vor den 12 Divisionen, die in Deutschland zunächst nur auf dem Papier stehen.
({15})
Ich bin überzeugt, daß uns bis zum 6. Sptember noch mehr Avancen gemacht werden,
({16})
daß auf denjenigen Geist spekuliert wird, von dem der Dichter sagt, daß gegen ihn sogar Götter vergebens kämpfen.
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Wenn man glaubt, daß wirklich Vorschläge und Avancen gemacht würden, die die Grundlage für gute Verhandlungen sein könnten, dann wäre es das Dümmste, was wir heute machen könnten, wenn wir sagten, wir wollten unter allen Umständen verhandeln. Dann sollten wir uns\ doch so teuer wie möglich verkaufen und sollten erst mal warten, welche Vorschläge überhaupt noch kommen.
({18})
Statt dessen predigt jetzt die ganze Welt von einer Vierer-Konferenz. Gut, wenn man sich was davon verspricht, meinetwegen. Aber wer sind denn die Vier? Nr. 1: Rußland doch wohl, hat überhaupt noch nicht Laut gegeben, Nr. 2: die Vereinigten Staaten, Nr. 3: England, Nr. 4: Frankreich. Wo bleibt Deutschland, wo bleibt Europa? Die kleinen Staaten Dänemark, Holland, Belgien, Luxemburg, Schweiz und Österreich haben auch ein Lebensinteresse daran, daß dieses Deutschland bestehen bleibt, auch ein wiedervereinigtes Deutschland, weil ihre Sicherheit dann bestehen bleibt, denn sonst sind sie mitverloren. Ich hatte neulich Gelegenheit, auf einer Versammlung in Kassel mit einem holländischen Sozialisten zusammen zu sprechen. Dieser holländische Sozialist beschwor uns, nicht auf die Lockungen des Ostens hereinzufallen. Er sagte: Die Holländer haben ein großes Interesse daran, daß 'der Deutsche fest bleibt, weil hinter dem Deutschland dann auch die kleinen Staaten sicher sind. Meine Damen und Herren, wir haben in dieser Situation eine gewisse Führungsrolle, nicht im machtpolitischen Sinn, aber im psychologischen Sinn. Wir müssen dazu aufrufen, daß dieses Europa, das sicherheitsbedürftig ist, nun seinerseits auf diesen Konferenzen auch zu Wort kommt.
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In diese Versuche des Ostens hinein kam nun der 17. Juni in Berlin. Die Ereignisse dieses 17. Juni nötigen uns nicht nur Hochachtung ab. Auch wir neigen uns in Trauer vor dem Opfer, das in Berlin gebracht worden ist, und wir neigen uns vor dem Mut, der da gezeigt worden ist. Wenn wir die Schlußfolgerung ziehen unter Hinzunahme der Schilderungen der Kollegen Tillmanns und Wehner über die Ereignisse dort und besonders des einen Satzes, von dem uns Herr Wehner mitgeteilt hat, daß er dort gerufen worden sei: „Wir sind Arbeiter, aber wir wollen keine Sklaven sein!", dann geben diese Geschehnisse uns drei Lehren. Die erste Lehre
({20})
ist die, daß der deutsche Osten ungebrochen zu seinem ungeteilten Vaterland hält und daß er mit uns die Wiedervereinigung, die Zusammenfassung Deutschlands in einem Staat, wünscht. Die zweite Lehre ist die, daß diese Menschen sich einen solchen Staat nur als einen politisch freien Staat vorstellen können.
({21})
Die dritte Lehre ist folgende, und darauf mache ich aufmerksam: In der Ostzone hat man ein System eingeführt, durch welches die Wirtschaft als solche zertrümmert worden ist. Eine Wirtschaft, wie wir sie in den freien Ländern des Westens kennen, existiert dort nicht mehr; sie wirft dort für den Staat keine Erträgnisse mehr ab. Nunmehr mußte das, was schließlich für den Staat und für die Allgemeinheit geschaffen werden mußte, durch eine erhöhte Arbeitslast des Arbeiters herausgeholt werden. Das Stachanow-System in Rußland und das Hennecke-System in der Ostzone sind die Quintessenz dessen, was vor rund 100 Jahren in dem Kommunistischen Manifest als das Paradies für die Lohnarbeiterklasse - um im Jargon von Karl Marx zu reden - bezeichnet worden ist. Und nun hat gegen dieses System knapp 100 Jahre nach der Proklamation des Kommunistischen Manifestes gerade die Lohnarbeiterklasse als erste revoltiert!
({22})
Das ist eine Feststellung, die nicht aus der Welt zu schaffen ist. Das ist das Dritte, weswegen der 17. Juni von so weltbewegender Bedeutung ist.
Alle drei Wirkungen dieses Tages haben im Westen eingeschlagen, und der Westen hat nun auch seinerseits - das muß man anerkennen - die Voraussetzungen verstärkt, auf Grund deren er
3) in Verhandlungen mit dem Osten eintreten könnte, wenn - und nun darf ich Bezug nehmen auf das, was der Herr Kanzler eben ausgeführt hat - im Osten die Neigung dazu besteht.
Ich darf doch wohl die SPD dahin verstehen, daß sie eine unmittelbare Verhandlung zwischen der Bundesrepublik und der Sowjetunion nicht wünscht oder nicht ins Auge gefaßt hat, daß sie dieses Moment also ausschaltet. Schaltet sie es nicht aus, dann bitte ich alle die, die Skat spielen, sich doch einmal folgende Verteilung der Karten vorzustellen: Der eine hat die vier Jungen, die vier Asse und zwei Zehnen, und den ganzen andern Dreck haben die anderen.
({23})
Wenn die jetzt miteinander verhandeln, d. h. reizen wollen, dann können die anderen, die den Dreck haben, noch nicht einmal einen lumpigen Null ouvert auf die Beine bekommen.
({24})
Also diese Form der Verhandlung fällt ja wohl ohnehin weg.
Zweite Frage: Wenn eine Viererkonferenz vorgeschlagen wird, werden die Mächte USA, England, und Frankreich von der SPD deshalb vorgeschlagen, weil es unsere Besatzungsmächte sind, und nur solange sie Besatzungsmächte sind. Oder sollen sie auch nach Aufhören des Besatzungsstatuts als unsere Dolmetscher, als unsere Interpreten, als unsere Stützen auftreten? Ich glaube doch wohl das letzte annehmen zu sollen. Wenn aber das letzte der Fall ist, dann folgt doch daraus nach Adam Riese, daß, wenn ich mich von jemand unterstützen lassen will, wenn mir jemand helfen soll, ich mich mit diesem anderen so stelle, daß er mir nun auch hilft,
({25})
sonst hat die ganze Politik keinen Sinn mehr.
Also wir können die Dinge auffassen, wie wir wollen,
({26})
- Sie ahnen alles! ({27})
wir müssen die doppelte Politik, die zweigleisige Politik in Deutschland haben: a) Wiedervereinigung und b) die Frage der Fortführung der Politik der Zusammenarbeit mit dem Westen. Und dann taucht die Frage auf: in welcher Reihenfolge? Ja, meine Damen und Herren, wenn Karlchen Miesnick einen Hausaufsatz zu schreiben hat, dann macht er sich eine Disposition: erstens das, zweitens das und drittens das. Aber ich habe noch nie gehört, daß nach diesem System von Karlchen Miesnick in der Außenpolitik etwa gearbeitet werden könnte,
({28})
sondern die Sache liegt doch so. Man hat zwei Ziele vor Augen, und nun muß mit der Wendigkeit, die die Außenpolitik zur Voraussetzung hat, nach dem Ziel gegriffen werden, das sich als erstes greifbares zeigt. Keins steht dem andern im Wege. Die Wiedervereinigung steht der Integration in Europa nicht im Wege, und Europa steht der Wiedervereinigung nicht im Wege.
Nun kommen die Herren mit dem berühmten Art. 103. Vorhin sagte Herr Brandt, ein übereifriger Schüler oder Jünger des Herrn Bundeskanzlers hätte diesen Artikel verbrochen. Dieser übereifrige Jünger steht vor Ihnen.
({29})
Dieser Art. 103 besagt nämlich folgendes. Er steht in dem Abschnitt, in dem davon die Rede ist, wie neue Staaten in diese europäische Gemeinschaft aufgenommen werden können. Voraussetzung dafür ist, daß dort die demokratische Freiheit gewährleistet, daß die Menschenrechte geschützt sind. Diesen Beweis wollten wir der Ostzone ersparen. Wir haben ihn mit Recht erspart. Der Beweis konnte ja nicht besser geliefert werden, als er am 17. Juni geliefert worden ist.
({30})
Dann setzt das Statut voraus, daß sechs Staaten mit langatmigen Erklärungen, Parlamentsdebatten und Abstimmungen zustimmen müssen. Das alles ist gestrichen. Es heißt: Wenn ein Staat, also Deutschland, über Gebiete, die bis zum 31. Dezember 1937 zu ihm gehört haben, wieder die Rechtshoheit gewinnt - denken Sie also an die Ostzone und die Wiedervereinigung -, dann ist dieses Land damit automatisch in Europa eingegliedert.
Im Monat Mai - Ich war leider durch Krankheit verhindert, dort zu sein - hat man nun in Straßburg - ich glaube, es war Herr Carlo Schmid oder Herr Erler im Verein mit Herrn Professor Rolin aus Brüssel - dagegen Sturm gelaufen und behauptet, daß das verfassungswidrig wäre. Das
({31})
kennt man schon; es ist immer die gleiche Leier von der Verfassungswidrigkeit.
({32})
Weiter wurde behauptet, daß dieser Artikel die Wiedervereinigung hindere.
Darauf habe ich - ich will mich auf keine langen juristischen Dispute einlassen; ich sehe die Dinge politisch - an die SPD nur drei Fragen.
Erste Frage: Stellen Sie sich die Wiedervereinigung nach Schaffung eines Europa so vor, daß der Westen in Europa bleibt und der wiedervereinigte Osten etwa nicht? Ich glaube, wohl kaum; es wäre eine komische Wiedervereinigung.
Zweite Frage: Wünschen Sie, daß - und nun aber bitte mal Hand aufs Herz und nachher die Antwort! - alles, was im Osten an Kolchosen, an volkseigenen Betrieben, an Enteignungen, an Sklavenarbeit geschaffen ist, etwa als eine besondere Ausdrucksform des Marxismus bestehenbleibt? Ehe Sie antworten, denken Sie daran, warum am 17. Juni dieses Jahres die Berliner Arbeiter auf die Straße gegangen sind!
({33})
Und die dritte Frage: Wünschen Sie, daß die Bundesrepublik vor der Wiedervereinigung dem Ausland gegenüber als abschlußunfähig hingestellt wird? Wollen Sie behaupten, daß alle Verträge, die die Bundesrepublik abschließt, im Augenblick der Wiedervereinigung in sich zusammenfallen? Haben wir nicht, als Rechtsnachfolger des alten Reiches den Lastenausgleich gemacht, haben wir nicht das Gesetz nach Art. 131 und das Israel-Abkommen gemacht, stehen wir nicht vor der Frage der Auslandsschuldenregelung? Soll die Ansicht, daß diese Verträge, auch dieser Vertrag mit dem Art. 103, in sich zusammenfielen, wenn die Wiedervereinigung kommt, soll das alles Ihre Theorie sein? Dann brauchen wir in Deutschland überhaupt keine Verträge mehr abzuschließen. Dieser Art. 103 wird, was ich daran tun kann, bestehen bleiben, und an ihm sollen sich die Geister scheiden.
Wenn ich den Artikel aber nicht gebracht hätte, dann hätten Sie mit dem System von Verdächtigungen, mit dem heute gearbeitet worden ist, vielleicht mit einer Spur von Recht sagen können: Aha, da sehen wirr ja, die FDP redet nur von der Wiedervereinigung, aber sie will sie nicht. Jetzt haben wir den Artikel drin, und jetzt ist es wieder nicht recht. Nein, nein und immer nein, wie bisher!
({34})
Ergebnis aus alledem folgendes: Wiedervereinigung und europäische Integration schließen sich nicht aus, sondern bedingen einander. Beide haben gleiche Rangordnung, und gemacht wird das, was nach der Lage der Dinge als erstes gemacht werden kann. Und zweitens: Wenn verhandelt werden kann, jawohl, dann wird verhandelt, aber während des Verhandelns vergessen wir das Handeln nicht.
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Man will im Osten Zeit gewinnen, um mit der K Atombewaffnung, mit der man im Rückstand ist, noch vorwärtszukommen, und man will verhandeln, damit der Westen in der gleichen Zeit nichts tut und mit der Bewaffnung der Landmacht, Luftmacht und Seemacht in dem Rückstand bleibt, in dem er sich befindet. Nur wenn auf beiden Waagschalen die Machtgewichte gleichmäßig verteilt sind, nur dann herrscht Friede in dieser Welt. Sorgen wir dafür, daß dieser Friede erhalten wird und daß auf der Grundlage des Friedens die Wiedervereinigung herbeigeführt werden kann.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte meine kurze Redezeit heute nicht in Polemik erschöpfen. Diese Legislaturperiode sollte mit dieser außenpolitischen Debatte in einer würdigen Form zu Ende gehen. Mit dem Abschluß der Legislaturperiode fällt ungefähr das Datum des 17. Juni zusammen, mit dem eine neue Phase der deutschen Entwicklung von allergrößter Tragweite eingeleitet wird.
Die Opposition hat eine aktive Politik für die Herstellung der Einheit unseres Vaterlandes gefordert und im Laufe der vier Jahre mit herber
Kritik an den Aktionen der Regierung nicht gespart. Die Außenpolitik läßt sich aber nicht mit dialektischen Wortspielen, mit legalistischen Betrachtungen und auch nicht mit Hinweisen auf antideutsche Zitate begründen, wie das bei der Opposition so sehr beliebt ist, um die Bundesregierung im In- und Ausland zu verdächtigen und zu verleumden.
Ich möchte zunächst feststellen, daß es nicht genügt, sich im Trennungsschmerz zu erschöpfen. Vollends führt es zum Nachteil für Deutschland, wenn, wie das von der Opposition her geschehen ist, die emotionalen Gegebenheiten unserer Zeit als Nährboden für die Agitation im Wahlkampf ausgenutzt werden.
Ich kann es auch nicht für zweckmäßig halten, wenn der Ministerpräsident eines süddeutschen Landes die Frage der deutschen Einheit allein unter den Begriffen und in Problemstellungen des 19. Jahrhunderts betrachtet. Diese Wiederbelebung der Paulskirchensituation bedeutet eine Blindheit gegenüber den völlig veränderten Bedingungen dieses Jahrhunderts. Das Wiederauflebenlassen konfessioneller Gegensätze, die Hervorhebung früherer 'deutscher Neigung zur Kleinstaaterei und zum Einspinnen in kleine Verhältnisse, alles das sind Problemstellungen eines vergangenen Jahrhunderts, denen gegenüber ich feststellen möchte, daß wir in Deutschland über diese Punkte durch die Reichsgründung und die schweren Erfahrungen unseres Volkes in den letzten 50 Jahren hinweggekommen sind. Niemand wird die Herzenswärme und den nationalstaatlichen Elan des vorigen Jahrhunderts geringschätzen. Aber das damals erkämpfte Einheitsbewußtsein unserer Nation ist die Eiserne Ration unseres Volkes. Sie darf nicht durch die Unterstellung falscher, der Vergangenheit verhafteter Motive und Absichten zersetzt werden.
({0})
Ich weiß auch nicht, welchen politischen Sinn es hat, eine gar nicht vorhandene Reichs-Müdigkeit in unserem Volke anzusprechen. Oder will man wider besseres Wissen diejenigen verleumden, die vier- Jahre praktisch und ohne Illusionen gegenüber dem Bolschewismus für die deutsche Einheit und die Bewahrung der Freiheit gekämpft haben?
({1})
Es ist ein schlechter Dienst an der Politik der deutschen Einheit, durch Verleumdungen die Energien 'der positiven Politik zu schwächen und damit der Sowjetpropaganda in die Hände zu arbeiten.
({2})
Ich möchte den Gegensatz der Meinungen nicht besonders vertiefen, aber ich muß auf die Gefahr hinweisen, die für eine aktive Politik der deutschen Einheit dadurch gegeben ist, daß sich nicht in der überwiegenden Mehrheit des deutschen Volkes eine ganz klare, einfache Konzeption durchzusetzen vermag, wie die nationale Einheit praktisch einer Lösung zugeführt werden kann. Das wäre die aktivste Unterstützung einer Politik, die Einheit in Deutschland wiederherzustellen.
Die Außenpolitik der Bundesregierung ist in den vergangenen vier Jahren von meiner Fraktion als eine überparteiliche Angelegenheit betrachtet und unterstützt worden. Das Ergebnis des verlorenen Krieges ist ein gespaltenes Europa, ist ein gespaltenes Deutschland. Das nationale Ziel von uns Deutschen, die Einheit der Nation wiederherzustellen, deckt sich mit dem europäischen Ziel, die Einheit Europas aufzubauen, weil nur in ihr die Freiheit unserer Welt gegenüber dem Bolschewismus für die Dauer gesichert und damit eine Grundlage für den Frieden in der Welt herzustellen ist. Es muß eine Ordnung gefunden werden, die es der fortgesetzten Expansion des Bolschewismus unmöglich macht, den bisherigen Siegeszug fortzusetzen, dem Ostasien und halb Europa bereits zum Opfer gefallen sind. Die Energien der Sowjetunion sollten ebenso wie die Energien der westlichen Welt nicht auf Rüstungen, sondern auf den Vollzug friedlicher Werke gelenkt werden.
Eine solche Friedenspolitik und ihre Ziele können nur im Bündnis mit den Großmächten der westlichen Welt vollzogen und vollendet werden, d. h. die Energien des ganzen deutschen Volkes müssen angespannt werden, um sich mit den nationalen Energien der europäischen Völker im Sinne einer höheren Einheit zu verbinden, damit Friede und Freiheit in ganz Europa wiederhergestellt und für die Zukunft gesichert werden. Diese höhere europäische Einheit beruht auf den Traditionen unserer abendländischen Welt. Sie ist die moderne Form der alten Idee der Einheit der Christenheit in einem politischen Raum friedlich und freundschaftlich zusammenlebender Völker. Sie bedeutet aber auch, daß der Gedanke nationalistischer Hegemonien für immer erledigt sein muß. Der verlorene Krieg, die begangenen Rechtsbrüche der Völkerordnung sowie die Bedürfnisse eines modernen technischen Zeitalters verlangen andere politische Institutionen als in der Vergangenheit. Man kann sich nicht von heute auf
morgen aus der Situation, die zwischen Siegern ' und Besiegten besteht, lösen.
({3})
Aus diesem Dilemma ist das System der Vertragswerke entstanden, das zwar noch peinliche Reste des Besatzungsregimes aufweist, das aber in sich die konstruktive Möglichkeit trägt, diese Reste einer bösen Vergangenheit, die Ungleichheit zwischen Siegern und Besiegten, künftig zu überwinden. Nur im Bündnis mit den Großmächten der westlichen Welt ist ein Gespräch mit dem Ostblock zu führen.
({4})
Nur mit der Schaffung realer Grundlagen für die Zusammenarbeit der westlichen Welt kann eine Auseinandersetzung friedlicher Art, eine echte Verhandlung über die Lösung des Gegensatzes zwischen Ost und West erzielt werden. Die Fraktion der Deutschen Partei wird immer auf der Seite derjenigen stehen, die eine konstruktive Politik für ein einiges Deutschland, gesichert in einem einigen Europa, betreiben.
. Im letzten Jahre ist eine sehr gefährliche Verzögerung für die Fortentwicklung dieses auf Zusammenarbeit aufgebauten westlichen Staatensystems eingetreten. Diejenigen, die heute sagen, der Westen und die Bundesrepublik seien auf die Ereignisse des Aufstandes vom 17. Juni nicht genügend vorbereitet gewesen, sollten sich fragen, wer an dieser nicht genügenden Vorbereitung schuld gewesen ist.
({5})
Schuld sind diejenigen, die die Fortentwicklung des Staatensystems zur Verteidigung der Freiheit verzögert haben.
({6})
Denn wenn heute schon die Vertragswerke verwirklicht wären, wäre die objektive Grundlage für Verhandlungen mit dem Ostblock bereits jetzt geschaffen.
({7})
Es wäre möglich, in einem Zustand gesicherter Freiheit über die Einheit Deutschlands konkret zu verhandeln und diese Einheit dann in Freiheit, d. h. in einer gesicherten Freiheit, für die Zukunft zu verwirklichen. Die Verzögerungspolitik der Opposition und der mit ihr zusammenarbeitenden Kräfte hat die deutsche Einheit nicht gefördert, sondern uns in einen Zustand gebracht, der uns nicht instand setzt, bereits jetzt die Früchte der Politik der vergangenen vier Jahre zugunsten der Bevölkerung der sowjetisch besetzten Zone voll zu ernten.
({8})
Wir könnten weiter sein und so die Gegebenheiten
des 17. Juni ganz anders zur Wirkung bringen. Die
Gegner der Außenpolitik der Koalition sind allzusehr geneigt, auf die sowjetische Taktik einzugehen.
({9})
Dieses Eingehen auf die sowjetische Taktik aber kann den Sieg der Sowjetstrategie im kalten Krieg bedeuten. Diesen Weg gehen wir nicht mit. Wir machen der Opposition den Vorwurf, daß sie sich allzusehr in den Windschatten der sowjetischen Propaganda begeben hat.
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({11})
Die Opposition ist der Auffassung, daß die Verwirklichung der Westverträge eine Vier-MächteKonferenz über Deutschland mit der Sowjetunion unmöglich mache. Ich bin der Auffassung, daß das Vereiteln des Ziels der Sowjetunion, ganz Deutschland in ihren Machtbereich einzubeziehen, überhaupt die Voraussetzung dafür ist, daß um d'as Ziel der Einheit in Freiheit verhandelt werden kann .und verhandelt werden muß. Das Ergebnis solcher Verhandlungen muß eine Zusammenarbeit ganz Deutschlands auf friedlicher Basis mit den Mächten der freien Welt, die Einheit Europas, die Sicherung der Freiheit sein, ohne damit der Sowjetunion gegenüber bedrohlich zu werden, es sei denn, daß die Sowjetunion die Bedrohung darin sieht, daß ihr Ziel des Einbruchs in die freie Welt durch dieses System der Sicherung unmöglich gemacht wird.
({12})
Meine Fraktion wünscht mit allen Deutschen eine Bereinigung des Gegensatzes zwischen Ost und West. Sie wünscht eine friedliche Lösung dieses Konflikts und eine Beendigung des kalten Krieges. Aber wir sind nicht bereit, die realen Grundlagen der gesicherten Freiheit preiszugeben und uns damit der Möglichkeit zu berauben, um die Freiheit auch der Deutschen in der sowjetischen Zone zu ringen. Die Preisgabe dieser Sicherung kann das sehnlichst erwartete Ziel der deutschen Einigung nicht fördern. Die Verzögerungspolitik hat im Westen Zweifel aufkommen lassen. Der Zwiespalt in der Frage: Sicherung für Deutschland und Sicherung gegen Deutschland, der bereits durch die Politik der Bundesregierung weitgehend überbrückt war, ist in einzelnen unbelehrbaren Kreisen wieder aufgegriffen worden. Die Verzögerungspolitik hat das größte Hindernis in der konstruktiven Politik, nämlich das Mißtrauen gegen Deutschland, nicht vermindert, sondern noch dazu erhöht.
({13})
Das Haupthindernis für die echte Gleichberechtigung Deutschlands mit den westlichen Partnern ist die Furcht vor einem etwaigen Wiedererwachen deutscher hegemonialer Ansprüche. Es ist ferner aber auch das Mißtrauen, daß Deutschland zwischen Ost und West eine schwankende Haltung einnehmen könnte.
Durch die im Westen aufgetretenen Verzögerungen sind wir nun in eine Lage gekommen, die es meiner Fraktion notwendig erscheinen ließ, das volle Mitspracherecht und Mitbestimmungsrecht über Information und Konsultation hinaus - wie es in den beiden Bonner Vertragswerken vorausgesetzt war - bereits jetzt in Kraft zu setzen. Aus dieser Grundidee, die darauf abzielt, uns für die kommende Entwicklung völkerrechtlich tatsächlich verhandlungsfähig zu machen, ist der Gedanke hervorgegangen, den Bonner Vertrag von dem europäischen Verteidigungsvertrag zu trennen. Der Herr amerikanische Botschafter Oberkommissar Conant hat dieses Verlangen als nicht realistisch bezeichnet. Ich glaube, dieser Auffasung liegt ein Mißverständnis zugrunde. Wir haben von jeher den Zusammenhang der Verträge gesehen, wobei der Bonner Vertrag eine Vergangenheit abschließt und der EVG-Vertrag eine Zukunft einleitet. An diesem Zusammenhang beider Verträge ist nicht vorbeizugehen. Aber wir halten es nach wie vor für erforderlich, daß der Bundesregierung als Sprecherin für ganz Deutschland bereits auch formal die
Stellung eingeräumt wird, die ihr praktisch längst
zugewachsen ist, ferner daß die Sicherungsabmachungen, die der Bonner Vertrag enthält, bereits jetzt in vollem Umfang in Kraft gesetzt werden.
Meine Fraktion begrüßt es lebhaft, daß durch die Botschaften des Präsidenten Eisenhower und des britischen Premierministers sowie durch die Erhebung der gegenseitigen Vertretungen in den Rang von Botschaften ein wesentlicher Schritt in der von uns gewünschten Richtung erfolgt ist. Wir betrachten diese Fortentwicklung als eine moralisch, politisch, aber auch juristisch unwiderrufliche Entwicklung, die 'dem eigentlichen Ziel 'unserer Auffassung nähergekommen ist. Deutschland ist zutiefst an einer Bereinigung der Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Westmächte interessiert. Darum begrüßen wir es, daß an Stelle der beabsichtigten Bermudakonferenz wenigstens eine kleine Konferenz der Außenminister in Washington am 17. Juli stattfinden soll. Wir erhoffen uns von der Außenministerkonferenz, daß die Bedenken, die in Frankreich gegenüber einer Ratifikation des EVG-Vertrages bestehen, ausgeräumt werden. Denn ein einmal begonnener Weg kann nicht durch launenhafte Schwankungen unterbrochen werden. Die Überzeugungen, die dieses Vertragssystem tragen, müssen nicht nur im deutschen Volk, sondern in der ganzen freien Welt gefestigt werden. Wir wenden uns gegen jeden Versuch, mit Rücksicht auf die Möglichkeit von Viermächtebesprechungen die Konferenz in Baden-Baden zu desavouieren. Meine Fraktion hat durch ihren Vertreter maßgeblich an 'der Erarbeitung der Statuten der Europäischen Politischen Gemeinschaft mitgewirkt. Damit die letzthin aus einem gewissen Funktionalismus entwickelten Teilverträge zur Europäischen Einheit, zu einer politischen Ganzheit zusammenwachsen, ist es notwendig, über der EVG ein politisches Dach zu schaffen.
Herr Präsident, kann ich noch fünf Minuten bekommen?
Ja, ja.
Denn damit wird letzthin die EVG unter dem politischen Dach erst' wirksam gemacht. Die Statuten der Europäischen Politischen Gemeinschaft sind in der Welt und können durch nichts mehr fortgebracht werden. Hinter dieser Konzeption steht die überwiegende Meinung in allen sechs Vertragsstaaten. Wir sollten diesen Weg mit besonderer Intensität fortsetzen. Dieser Weg führt nicht zu einem abgekapselten Kleineuropa, sondern zu realistischen Formen, in denen ganz Europa, regional gegliedert, schließlich zusammengefaßt im Europarat, aufgebaut werden kann. Wir wollen kein Europa, das von Technokraten beherrscht wird. Wir wollen ein Europa, das von der Kraft der demokratischen Freiheit lebendig durchpulst ist. Wir wollen keine Verwischung der natürlich gewachsenen Grenzen der Nationen in Europa. Wir wollen aber eine Form der Zusammenarbeit zwischen den Nationen, die einer höhe' ren Einheit in der Europäischen Gemeinschaft verpflichtet ist. Wer die europäische Einigungspolitik und die Politik der Einheit unseres Vaterlandes .zueinander in Gegensatz bringen will oder eine Rangfolge zwischen diesen beiden Komplexen aufstellt, verkennt das Wesen des Zusammenhangs zwischen den beiden politischen Linien. Es handelt
({0})
sich hier um eine einheitliche Politik, genau so wie beim Zusammenspiel zweier Hände auf dem Klavier eine einheitliche Melodie entsteht. Dieses Zusammenspiel ergibt die einheitliche Melodie der Freiheit und des Friedens.
Diese Politik darf niemals allein aus innerpolitischen Aspekten des Machtgewinns oder des Machtverlustes für die eine oder andere Partei betrachtet werden. Eine Linie Rom-Bonn-Washington gibt es ebensowenig, wie es die Linie Wien-MünchenMainz-Köln jemals in der Realität der deutschen Politik gegeben hat.
({1})
Diese Vorstellungskomplexe sind Ausgeburten eines literarischen Gemüts. Wir haben in der Politik keine Literaten zu sein, sondern der höchst modernen Entwicklung zu dienen, die auf eine Zusammenarbeit der Völker und auf eine Überwindung der staatlichen Grenzen als trennende Schranken und auf eine Überwindung der nationalstaatlichen Rivalitäten abzielt. An Stelle des Gegeneinanders hegemonialer Bestrebungen einzelner Nationen muß das Miteinander des Wettkampfs um ein gemeinsames großes Ziel der Einheit treten. Einheit unseres Vaterlandes und Einheit Europas, das war und ist letzthin das Ziel des historischen Aufstandes vom 17. Juni gewesen.
Die in dieser Sitzung in den Entschließungen vorgeschlagenen praktischen Maßnahmen werden von meiner Fraktion gebilligt. Ich darf mich auf unsere Veröffentlichungen hinsichtlich des weiteren graduellen Fortschrittes der zur praktischen Lösung der deutschen Einheit eingeleiteten Maßnahmen beziehen. Leider reicht die Redezeit einer kleinen Fraktion nicht aus, die Gedanken, die hier zum Ausdruck kommen mußten, so gründlich und so abgewogen darzulegen, wie das notwendig ist. Es wird sich noch bis zur Wahl - ungeachtet aller Versuche der Störung - zeigen, welchen Sinn, welche in die Zukunft weisende Bedeutung die Außenpolitik der Koalition und der Bundesregierung, die von ihr getragen wurde, gehabt hat. Wir werden - das sage ich für meine Fraktion - ohne Schwanken, ohne Abweichen, in voller Konsequenz der Linie, die wir in den vier Jahren eingehalten haben, in den Wahlkampf gehen und uns dem Urteil der Wähler stellen. Ich bin überzeugt, daß das Ergebnis so sein wird, daß unsere Redezeit nicht mehr so kurz sein wird, wie sie gegenwärtig ist.
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Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Decker.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Seit dem Tod Stalins sind in der Sowjetzone und in der Sowjetunion Wandlungen, Schwenkungen und Ereignisse vor sich gegangen, die wenige Monate vorher noch für völlig unwahrscheinlich, ja für unmöglich gehalten werden mußten. Anscheinend hat sich die starre und unnachgiebige Haltung der Sowjets und ihrer in der Ostzone wirksamen politischen Organe etwas gelöst. Laut und vernehmlich wurde die Bereitschaft nicht nur zu Verhandlungen, sondern auch zur Anpassung an die Verhältnisse außerhalb der Sowjetzone in die Welt hinausposaunt. In manchen Kreisen der westlichen Bereiche und nicht zuletzt innerhalb der Bundesrepublik wurden diese Erklärungen schon als die ersten leisen Glockenklänge einer zukünftigen Befriedung Europas, zumindest aber Deutschlands, gehört. Ich wollte, wir könnten dieser Ansicht beipflichten.
Aber darf man denn vergessen, daß Rußland auch nach dem Tode Stalins ein totalitärer Staat geblieben ist? Die Geschichte der letzten Jahrzehnte hat es uns zur Genüge bewiesen, daß es in keiner Staatsform so leicht ist wie in totalitären Staaten, die Oberfläche zu ändern, daß es aber gleichzeitig für einen totalitären Staat unmöglich ist, den Kern seiner Politik zu wandeln, wenn er sich nicht selbst aufgeben will. Rußlands Politik ist heute nicht weniger expansiv, als sie es seinerzeit war, als das Riesenreich zusammengetragen worden ist.
Allein diese Erkenntnis zeigt uns schon, daß es für die Sowjets einen ungeheuren Verzicht bedeuten würde, die Ostzone aus dem Gefüge der Sicherungsstaaten an seiner Westgrenze zu entlassen. Dieser Gesichtspunkt allein ist von solchem Gewicht, daß darüber die Änderungen im Ton der russischen Außenpolitik und in der Haltung der SED nicht höher gewertet werden dürfen als Schwankungen im Wetter. Um bei diesem Bild zu bleiben: es muß allerdings darauf hingewiesen werden, daß die innerhalb kurzer Zeiträume scheinbar richtungslosen Wetterschwankungen über lange Bereiche gesehen doch eine Tendenz haben, nämlich den Gang der Jahreszeiten. So dürfen wir wohl auch die Schwankungen in der Ostzonenpolitik Rußlands, die in so kurzer Zeit erfolgt sind, noch nicht als die Preisgabe alter Ziele ansehen. Ob tatsächlich eine Richtungswandlung in Moskau vorgenommen wird, können erst Beobachtungen über längere Zeiträume erweisen. Man könnte daraus den Schluß ziehen, daß die heutige Debatte verfrüht ist. Die Absage der Bermuda-Konferenz, einer Konferenz, die hoffentlich nicht - wie so oft - vorher wichtiger genommen wird, als sie sich nach ihrem Abschluß erweist, spricht dafür.
Es wäre sicherlich falsch, die deutsche Außenpolitik ausschließlich auf die derzeitigen Konstellationen einzustellen. Dauernder als diese dürfte die Tatsache sein, daß sich Rußland nach wie vor als Träger der kommunistischen Weltrevolution fühlt und daß es aus dieser Einstellung heraus - nebenbei gesagt: es gibt auch einen russischen Nationalismus - Macht- und Expansionspolitik treiben muß.
Wenn, wie gesagt, die heutige Debatte auch etwas verfrüht ist, so ist sie deswegen nicht überflüssig. Der Wille Deutschlands zur Wiedervereinigung kann nicht oft, nicht deutlich und nicht nachhaltig genug immer wieder vor der ganzen Welt betont werden. Wir alle haben den Willen, mit aller Energie und allen Mitteln - eines ausgenommen: dem Krieg - Deutschland wieder zusammenzuführen. Aber die Zusammenführung darf nicht um jeden Preis geschehen. Der Preis, den wir dafür nicht zahlen können, ist der Verlust der Freiheit.
Unabhängig von den kurzfristigen Lageschwankungen muß das Ziel der deutschen Außenpolitik die Bildung der europäischen Staatengemeinschaft und einer gemeinsamen europäischen Verteidigungsarmee bleiben, nicht zuletzt, um die Ausgangsstellung der Bundesrepublik in etwaigen Wiedervereinigungsverhandlungen möglichst vor({0})
teilhaft und stark zu gestalten. Die in der letzten Zeit etwas wohllautenderen Töne aus dem Osten, von denen wir noch nicht wissen, ob sie Glockenklänge oder Sirenengesänge sind, dürfen uns keineswegs dazu verführen, die sichere Linie zu demolieren. Ebensowenig aber darf die Frage der Wiedervereinigung, diese ernsteste Lebensfrage des deutschen Volkes, zu innerpolitischen oder Wahlmanövern ausgenutzt werden. Auch darf sie nicht in das konfessionelle Spannungsfeld hineingezogen werden.
({1})
Am allerwenigsten ist diese Frage als Sportplatz geeignet, auf dem sich zukünftige Bundeskanzleraspiranten gegenseitig um eine Nasenlänge überrunden wollen.
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Man hört in den letzten Jahren so oft die Sorge äußern, je länger die Wiedervereinigung auf sich warten lasse, desto mehr werde uns die Ostzone entfremdet. Die Sowjets und die SED mögen auch so kalkuliert haben. Wie falsch die Rechnung ist und daß die Zeit - wenn wir auch noch so lange warten müssen! - nicht für eine dauernde Trennung arbeitet, haben die tapferen Ost-Berliner und ihre Mitkämpfer in der Ostzone bewiesen.
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Vielleicht ist die bedeutungsvollste Gabe, die die Berliner Aufständischen mit ihrem Blut dem deutschen Volk dargebracht haben, die Erkenntnis: Auch die Zeit wird nicht den Willen der Ostzonendeutschen zu einer Wiedervereinigung in Frieden und Freiheit brechen. Die Kräfte und die Mächte, die auf dem Spannungsfeld der Wiedervereinigung wirksam sind, sind so ungeheuer, daß kaum einzelne Personen - und seien es auch Außenminister -, auch nicht Konferenzen 'die endgültige Lösung herbeiführen werden, sondern die Kräfte und Mächte gehen weit über den Bereich der Einzelpersonen hinaus.
Den beiden Großmächten, die die Schuld an der gewaltsamen Zerschneidung des Herzens Europas tragen, sei aber gesagt, daß sie ein gemeinsames Interesse und einen Punkt finden können, aus dem heraus die Lösung dieser Frage in Angriff genommen werden könnte, nämlich aus dem Willen, der Welt den Frieden zu erhalten. Die klaffende, blutende Wunde quer durch ganz Deutschland ist das drohende offene Kriegstor des Janustempels. Mögen die beiden Großen dem Willen der Völker stattgeben, dieses Tor so schnell wie möglich zu schließen!
({4})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind nicht die Ausführungen des Herrn Kollegen Wehner, die mich veranlassen, noch in diese Debatte einzugreifen. Er hat mit einer großen Eindringlichkeit auf die Ereignisse in Berlin und in der Ostzone hingewiesen. Ich glaube, daß das, was er gesagt hat, als er sich vor diesen Menschen ehrend verneigt hat, die Zustimmung des ganzen Hauses gefunden hat.
Die Ausführungen, die 'der Herr Kollege Brandt gemacht hat, veranlassen mich jedoch, einiges zu
sagen und manches richtigzustellen. Ich finde es schon bedauerlich, wenn in der Diskussion über ein Anliegen, das uns alle so bewegt, in der Diskussion über Ereignisse und Vorgänge, die uns die ganze Tragik der deutschen Situation so deutlich vor die Augen geführt haben, der - erlauben Sie mir, das zu sagen - schlechte Versuch unternommen wird, diese Menschen nun für irgendeine Richtung in Anspruch zu nehmen. Niemand hat behauptet oder wird behaupten, daß diese Menschen, wenn sie sich dort zur Freiheit bekannt und dafür auch das schwerste Opfer gebracht haben, das etwa für die Koalition getan haben. Aber, Herr Kollege Brandt, ich bitte Sie, auch nicht zu sagen: sie hätten es für die Opposition gemacht.
({0})
Wir sollten so etwas nicht sagen, sondern sollten uns in der Ehrfurcht vor diesen Menschen gegenseitig zugestehen, daß sie das, was sie getan haben, für das ganze deutsche Volk, für die Freiheit gemacht haben.
({1})
- Herr Kollege Renner, an dieser Diskussion teilzunehmen, steht Ihnen nicht zu.
({2})
Der Herr Kollege Brandt ist dann in der Diskussion auf die Außenpolitik der 'deutschen Regierung und der Mehrheit dieses Bundestages zu sprechen gekommen. Nun, daß wir in der Methode der Außenpolitik nicht einer Meinung sind, war uns schon vor dieser Diskussion bekannt. Aber ich war doch überrascht, aus dem Munde von Herrn Kollegen Brandt zu hören, die „konstruktive Mitarbeit" seiner Person und seiner Partei habe uns daran gehindert, in einer Sackgasse zu landen. Ich glaube, daß Sie den konstruktiven Beitrag, den Sie mit Ihrem Nein geleistet haben, da doch weit überschätzen.
({3})
Wenn jemand in einer Sackgasse gelandet ist, ich glaube, Herr Kollege Brandt, dann sind Sie es! Und Ihre Rede hat bewiesen, daß Sie aus dieser Sackgasse gar nicht mehr herauskommen.
({4})
Sie haben dann gesagt, daß Sie uns auch neue Wege der Außenpolitik gewiesen hätten. Nun, ich habe vor wenigen Tagen einmal das Aktionsprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands durchgelesen.
({5})
- Es ist immer noch früh genug, Herr Kollege!
({6})
- Oh ja, ich bin sehr lernbegierig. Dabei habe ich Ihren „Beitrag" festgestellt. Erlauben Sie, daß ich zitiere:
Eine sozialdemokratische Bundesregierung wird nicht nur in der Methode, sondern in der Sache selbst einen von der Außenpolitik der jetzigen Bundesregierung verschiedenen Weg einschlagen.
({7})
({8})
1 Meine Damen und Herren, das ist ein sibyllinischer Spruch. Aber wenn Sie glauben, daß das ein Beitrag zu einer konstruktiven Außenpolitik sei, dann muß ich Sie enttäuschen und Ihnen sagen: Dies er Beitrag genügt uns nicht.
({9})
- Herr Kollege, wir sind ja hier im Bundestag, um uns gegenseitig unsere Meinung zu sagen und uns zu belehren. Sie hatten vier Jahre Zeit, uns die Gründe für Ihr Nein hier klarzulegen. Wenn Sie vier Jahre damit gewartet haben, dann müssen Sie mir schon noch einige Tage Zeit geben, mir Ihren Kommentar anzusehen!
Dann hat sich Herr Kollege Brandt mit der Haltung der Bundesregierung in der Frage der Wiedervereinigung auseinandergesetzt. Ich muß Ihnen offen sagen: Ich habe den Eindruck, daß Sie selbst, Herr Kollege Brandt, sich gar nicht darüber im klaren sind, welche Behauptungen Sie hier aufgestellt haben.
({10})
Sie wissen aus der Entschließung des Bundestags, aus den Erklärungen der Bundesregierung und auch aus der Erklärung, die der Herr Bundeskanzler vor wenigen Stunden hier abgegeben hat, daß wir niemals daran gezweifelt haben, daß eine VierMächte-Konferenz der einzige - ich betone: der einzige - Weg ist, um diese Frage, die uns alle bewegt, zu lösen, und daß die Vier Mächte, die die tragische Spaltung Deutschlands und - lassen Sie es mich hier wiederholen - Spaltung Europas verschuldet haben, die einzigen sind, die dieses Geschehen wieder ungeschehen machen können. Wir haben uns noch am 10. Juni zu dieser Vier-MächteKonferenz in einer Entschließung bekannt, der Sie zugestimmt haben. Und heute sagen Sie in einer - wenn ich mich sehr vorsichtig ausdrücke - sehr unguten Form: Nun, der „Economist" und Herr Lippmann sind der Meinung, daß es der Bundeskanzler doch nicht so ehrlich meine! - Erinnern Sie sich daran. meine Herren, wie empört Sie waren, als man Ihnen von dieser Stelle aus sagte, wie Ihre Politik von der amtlichen Nachrichtenagenfur der Sowjetunion aufgenommen und mißverstanden wurde? Sie haben sich leidenschaftlich dagegen gewehrt und haben gefordert: Suchen Sie sich andere Zeugen! Und das sage ich Ihnen auch: Für die Politik der Bundesregierung sitzen hier die Zeugen; hier ist Herr Walter Lippmann kein Zeuge!
({11})
Sie sollten sich doch klar sein, meine Damen und Herren von der Opposition, daß solche Unterstellungen einen Charakter tragen, den wir hier vermeiden sollten.
({12})
- Sie haben das Recht, das dem Kanzler zu sagen.
({13})
Ich lehne es ab, meine Damen und Herren - ich wiederhole es noch einmal -, hier in einer unwürdigen Form in einen Wettlauf einzutreten, wem es mehr darum zu tun ist, die deutsche Wiedervereinigung herzustellen. Ich beanspruche für die Politik der Bundesregierung, die von der Mehrheit dieses Hauses getragen ist, mindestens dieselbe
Glaubwürdigkeit, die Sie für Ihre Politik beantworten
({14})
Aber Sie haben dann in dem Zusammenhang, als Sie von der Vier-Mächte-Konferenz sprachen, etwas gesagt, was ich aufnehmen möchte, weil ich glaube, es könnte neue und ernste Mißverständnisse und Auslegungsschwierigkeiten hervorrufen. Sie sagten, es sei die Aufgabe dieser Vier-Mächte-Konferenz - ich kann nur dem Sinne nach zitieren -, den internationalen Rahmen für den Status Gesamtdeutschlands auszuhandeln. Sie brachten das in Zusammenhang mit Ihrem Wunsche oder mit Ihrer Forderung, den Weg, den wir bis dahin beschritten haben, zu verlassen und mit der Politik der europäischen Integration, d. h. mit der Politik, uns dort Freunde und Bundesgenossen zu schaffen, wo bisher noch Gegner standen, einzuhalten.
Ich glaube, Sie sollten, was Sie gesagt 'haben, doch etwas erläutern. Denn den internationalen Rahmen für den Status des gesamten Deutschlands festzustellen, ist nicht Sache dieser Vier-MächteKonferenz, sondern das ist Sache des deutschen Volkes, und ich nehme für die gesamtdeutsche Vertretung, die wir einmal haben werden, das Recht in Anspruch, ohne diesen internationalen Rahmen nun etwa auszufüllen, sich in freier Entscheidung zu der Entwicklung zu bekennen. die wir als Deutsche für richtig halten. Wenn wir das nicht verlangen, dann begehen wir einen verhängnisvollen Fehler. Dann glauben wir nämlich, daß die Freiheit etwas Teilbares sei; und ich hatte bisher den Eindruck. daß Sie uns darin zustimmen. daß dem nicht so sei.
({15})
Das erinnert ein wenig - erlauben Sie mir, daß ich daran erinnere - an gewisse Zeiten, als es auch in Ihrer Fraktion und Partei doch Menschen gab. die diesen Gedanken einer Neutralisierung Deutschlands nicht mit der Entschiedenheit abgelehnt haben, mit der Sie heute erklären, daß das niemals vertreten worden sei. Sie sagten vorhin sehr apodiktisch. die Sozialdemokratische Partei habe sich niemals ablehnend zu einem Verteidigungsbeitrag geäußert, weil sie anerkenne, daß er eine Lebensaufgabe eine Verpflichtung sei. Ich möchte Sie nicht mit Zitaten belästigen, aber ich könnte Ihnen hier Zitate zeigen - allerdings auch aus Zeiten, wo Wahlen bevorstanden -. in denen dieses Bekenntnis noch nicht mit der begrüßenswerten Eindeutigkeit abgelehnt wurde. wie sie heute aus Ihrem Munde zu hören war. Ich hoffe, daß es auch in der Diskussion vor den Wahlen mit der gleichen Deutlichkeit wiederholt wird.
Aber ich möchte Ihnen eines sagen. Wenn Sie meinen, daß eine Vier-Mächte-Konferenz diesen internationalen Status zu umgrenzen habe, dann möchte ich Sie doch mindestens um Aufklärung bitten: Meinen Sie, daß es Aufgabe, ja das Recht einer Vier-Mächte-Konferenz sei, einem wiedervereinigten Deutschland Verpflichtungen und Bindungen aufzuerlegen, die mit dem Begriff der Frei- heit unvereinbar sind? Ich habe nicht den Eindruck, daß wir uns fragen sollten, was wir in solchen Verhandlungen der Sowjetunion zumuten können. Das scheint mir eine sehr falsche Ausgangsstellung zu sein. Wenn irgend jemand unter diesen vier Mächten uns die Freiheit - die sogenannte Freiheit - und die Wiedervereinigung nur gewähren wollte, indem er uns unveräußerliche und selbstverständ({16})
liche Lebensrechte verweigert, die ohne weiteres und von vornherein gewährt werden müssen, weil es ohne sie keine Freiheit gibt, dann, meine Damen und Herren, sind es nicht wir, die Bedingungen stellen, welche unerfüllbar sind, sondern sind es andere, die uns Bedingungen auferlegen, die für uns unannehmbar sind.
({17})
Denn die Freiheit ist etwas Unteilbares. Ich erwarte und verlange, daß eine Viermächtekonferenz dahin führt - was Sie auch mit Ihren Stimmen am 10. Juni mitbeschlossen haben, vergessen Sie das nicht -, daß wir nach freien Wahlen eine freie deutsche Regierung haben, die in ihren politischen Entscheidungen frei ist und der nicht etwa durch einen internationalen Rahmen Hypotheken auferlegt werden, die wir vielleicht nur noch um den Preis der Freiheit amortisieren können.
({18})
Auf diesem Wege werden wir Ihnen bestimmt nicht folgen, und ich habe die Hoffnung, daß Sie durch eine Interpretation einer sehr mißverständlichen Äußerung bestätigen, daß das auch Ihre Meinung nicht ist.
Ich möchte nur noch hinzufügen, daß ich dem, was mein Kollege Herr von Merkatz gesagt hat, ohne jede Einschränkung beistimme. Es ist meines Erachtens eine völlig falsche Vorstellung, wenn Sie meinen, daß die Politik der europäischen Zusammenarbeit und der europäischen Integration in irgendeinem Rangverhältnis zu der Politik stehe, über die wir eben sprechen, und zu dem Ziel und Zweck dieser Debatte, nämlich der Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes und Volkes. Es handelt sich gar nicht um zwei verschiedene Dinge, und am wenigsten handelt es sich um zwei Konzeptionen, die einander ausschließen.
Unser Ziel und Vorsatz ist es, die europäische Integration weiter voranzuführen. Auf diesem Weg werden wir, wie es auch meine Vorredner, die Herren Kollegen Becker und Merkatz gefordert haben, mit derselben Entschlossenheit wie bisher fortfahren, das sage ich sehr eindeutig, um jedes Mißverständnis zu vermeiden. Und am Ende dieses Weges wird ein in Europa integriertes Gesamtdeutschland stehen.
({19})
- Am Ende, man muß immer mit dem Ende aufhören.
({20})
- Herr Kollege Renner, Sie hätten's ja so leicht, dafür zu sorgen,
({21})
daß das Ende früher eintritt.
({22})
Es ist -ich wiederhole es - keine Frage der Prioritäten, und es ist auch keine Frage der Bewertung. Wir werden die eine Politik machen, ohne die andere zu vernachlässigen, weil sie nebeneinandergehen und einander nicht ausschließen. Wir werden aber
keine Politik machen - und wir dürfen sie gerade im Interesse der 18 Millionen Menschen nicht machen, von deren Opfer wir gerade gesprochen haben -, die etwa die Befreiung der 18 Millionen so gefährden könnte, daß als Kaufpreis für die Befreiung zunächst der Verlust unserer Freiheit in Kauf genommen werden müßte. Und, meine Damen und Herren ({23}), das ist die Gefahr, zu der Ihre Politik führen kann, wenn Sie nicht sehr eindeutig und besser, als es hier gesagt worden ist, vor aller Welt sagen, was Sie meinen und was Sie wollen. Wir haben es gesagt, wir haben es wiederholt gesagt, und ich versichere Ihnen, wir haben wirklich den Wunsch, daß es gelingen möge, Meinungsverschiedenheiten über Methoden in solchen Lebensfragen unseres deutschen Volkes auszuschalten oder uns über diese Grundsatzfragen doch in einem Geist zu verständigen, der besser ist, als es aus den Äußerungen unseres Kollegen Brandt geklungen hat. Es liegt nicht an uns und wird nicht an uns liegen, wenn diese Gemeinsamkeit in der Arbeit nicht so verwirklicht wird, wie ich es im Interesse des ganzen deutschen Volkes begrüßen würde.
({24})
- Herr Kollege Mellies, ich weiß nicht, was Ihnen das Recht gibt, eine so - ({25})
- Herr Kollege Mellies, ich finde, daß Ihre Zwischenrufe nur der Ausdruck der - na - ({26})
- Ja, ich möchte nichts sagen, um die Situation nicht zu verschärfen. Aber erlauben Sie mir, zu sagen: Herr Kollege Mellies, Sie haben nicht das Recht, ich bestreite Ihnen das Recht, in dieser Weise die Offenheit und Ehrlichkeit meiner Absicht und dessen, was ich Ihnen gesagt habe, anzuzweifeln,
({27})
und ebensowenig haben Sie das Recht, dem Herrn Bundeskanzler zu unterstellen, daß er anderes meine, als er gesagt habe.
({28})
Das Wort hat Frau Abgeordnete Wessel.
Frau Wessel ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung legte das Schwergewicht ihrer Tätigkeit auf die Eingliederung Westdeutschlands in ein internationales westliches Vertragssystem. Im Anfang war es die deutsch-französische Verständigung, anschließend die wirtschaftliche Zusammenarbeit, die vom Marshallplan bis zur Montan-Union lief, und schließlich die Konstruktion eines vereinten Europa. Die Ergebnisse dieser Außenpolitik der Bundesregierung liegen vor uns, und wir müssen feststellen, daß diese Politik die europäische Einheit bis heute nicht verwirklicht hat. Wir haben im Gegenteil festzustellen: unter dem Mantel der Einheit Europas werden die nationalen Interessen der beteiligten Staaten auf Kosten der schwächeren, und das ist Westdeutschland, besonders erfolgreich verfochten. Insbesondere führten alle Bemühungen des
({1})
Herrn Bundeskanzlers nicht zu einer deutsch-französischen Verständigung, vielmehr, wie die Saarfrage zeigt, zu einer verschärften Gegnerschaft.
Vor allem ist es aber die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands, diese Kernfrage der deutschen Politik, die durch das westliche Vertragssystem nicht gelöst werden kann, und es wird sich zeigen: Die EVG bringt nicht die Wiedervereinigung Deutschlands, sondern schließt sie aus. Die Bundesregierung erklärt in Übereinstimmung mit der amerikanischen Politik, daß es für den Zusammenschluß Deutschlands keine andere Alternative gibt als die militärische Stärke, d. h. die Aufrüstung unter Einschluß Westdeutschlands bis zur Herstellung des Gleichgewichts zwischen den Westmächten und der Sowjetunion. Ein Gleichgewicht der militärischen Stärke hebt aber den Status quo zwischen den beiden Mächtegruppen nicht auf, auch nicht die Zonengrenzen inmitten von Deutschland. Bei gleicher Stärke die Wiedervereinigung fordern, heißt die Entscheidung durch den Krieg stellen.
Wir haben heute festzustellen, daß diese Politik der USA bereits ihre Grenze erreicht hat. Die Vereinigten Staaten werden von ihren Verbündeten gezwungen, ihre Außenpolitik den Realitäten anzupassen, wenn sie nicht selbst in eine außenpolitische Isolierung kommen wollen. Auch die Völker erwarten von ihren Staatsmännern, daß sie den ernsten Willen zeigen, die Beseitigung der Differenzen auf dem Verhandlungswege vorzunehmen. Die Erfahrung von zwei Weltkriegen hat gelehrt, daß die Politik der Alternativen, die Wahl des EntwederOder, des Alles oder Nichts zu Niederlagen geführt hat. Auch in Korea endete die so eindringlich angepriesene Politik der militärischen Stärke im Nichts. Geblieben sind nach Not und Tod das Elend und die Ruinen ohne eine Aussicht auf Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea.
Das deutsche Volk, das wissen wir alle, verabscheut den Krieg. Es will, daß die beiden Mächtegruppen, die unser zweigeteiltes Land seit über acht Jahren für ihre politischen, wirtschaftlichen und militärischen Interessen nutzen, die Wiedervereinigung durch Verhandlungen verwirklichen. Während seiner vierjährigen Regierungszeit hat aber der Herr Bundeskanzler nichts Konkretes getan, um das ganze Deutschland erstehen zu lassen. Für ihn ist nach seiner außenpolitischen Rede in diesem Hohen Hause am 10. Juni das Potsdamer Abkommen der Alpdruck für solche Verhandlungen. Aber es sollte nicht übersehen werden, daß in diesem Abkommen die vier Besatzungsmächte für das unterworfene und zerteilte Deutschland die Verpflichtung zur Wiederherstellung der deutschen Einheit unterschrieben haben, und nichts darf den Herrn Bundeskanzler, welche Alpdrücke er auch haben mag, davon abhalten, die Durchführung dieser Verpflichtung von den vier Mächten zu verlangen.
Mit Deklamationen über die deutsche Einheit ist es heute nicht mehr getan. Wir haben es gehört: jede Chance für Verhandlungen über die deutsche Frage soll unterstützt werden. Aber sie muß unterstützt werden in einer Art, daß man nicht Vorleistungen von Rußland fordert - wie es heute auch wieder geschehen ist -, von denen man weiß, daß sie in der gewünschten Weise nicht gegeben werden können.
({2})
- Ich werde es jetzt sagen! - Vor allem sollte
man es sich darüber klar sein, daß eine Politik, die
ein wiedervereinigtes Deutschland in das westliche Verteidigungssystem einfügen will - wie es doch verlangt wird -, nach den Erklärungen Moskaus eine Viermächte-Konferenz über Deutschland für die Sowjetunion unmöglich macht.
Meine Damen und Herren, mit dieser Politik, die der Bundeskanzler in engster Anlehnung an die Politik der USA verfolgt, werden Sie die Wiedervereinigung Deutschlands nicht erreichen. - Sie mögen es heute noch so laut sagen -, und zwar deswegen nicht, weil diese Bundesregierung nicht in der Lage ist, einen brauchbaren, d. h. von den Realitäten ausgehenden Beitrag zur gesamtdeutschen Lösung zu leisten. Um des deutschen Volkes willen, von dem Sie heute so viel gesprochen haben, um dieses Volkes in Ost und West und um all der Opfer willen können wir nur das eine wünschen: daß der Wille des deutschen Volkes, zur Wiedervereinigung zu kommen, so stark ist, daß keine Regierung, weder hier im Westen noch im Osten, geduldet wird, die diesen Willen nicht erfüllt.
({3})
Das Wort hat der Abgeordnete Reimann.
Meine Damen und Herren! Die kommunistische Fraktion
({0})
stimmt dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion, in dem eine Vier-Mächte-Konferenz und eine deutsche Initiative gefordert werden, zu. Schon seit Jahren hat die Kommunistische Partei Deutschlands vorgeschlagen, daß sich die Deutschen aus Ost und West untereinander über die friedliche Lösung aller Fragen verständigen, die uns Deutsche in der Innen- und Außenpolitik angehen. Das Hauptanliegen ist dabei die Durchführung einer Vier-Mächte-Verhandlung über den Abschluß eines Friedensvertrages und die Wiedervereinigung Deutschlands. Wir haben von jeher die Auffassung vertreten, daß es keine Frage gibt, die unter uns Deutschen nicht gelöst werden kann, und betonen noch einmal ausdrücklich, daß die friedliche Lösung der deutschen Frage, die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes, nur auf dem Wege eines Kompromisses zustande kommen kann.
Jeder Politiker Westdeutschlands, der den Gedanken der Eroberung oder der Eingliederung der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik propagiert oder verbreitet, wie es Dr. Adenauer tut, gibt zu erkennen, daß er die Wiedervereinigung Deutschlands auf friedlichem Wege nicht will.
({1})
Die Politik, die Dr. Adenauer und seine in- und ausländischen Hintermänner betreiben, ist nicht darauf gerichtet, daß sich die Deutschen und ebenso die vier Größmächte verständigen. Dr. Adenauer unternimmt alles um die Regelung der deutschen Frage auf friedlichem Wege zu torpedieren. Mit jedem Tag wird offensichtlicher, daß die Politik Dr. Adenauers Schiffbruch erlitten hat. Ursprünglich wollte Herr Dr. Adenauer heute im Bundestag als der große Sieger im Glorienschein seiner außenpolitischen Erfolge auftreten. Daraus ist aber nichts geworden. Die Völker in Frankreich, Italien und in England kennen besser als Herr Dr. Adenauer die weltpolitische Lage. Vor allem wissen sie, welch eine Gefahr der wiedererstarkende deutsche
({2})
A) Imperialismus und Militarismus für die Völker der Welt bedeuten.
({3})
Weil die vorgesehene große Wahlrede des Herrn Dr. Adenauer infolge eines andern Ablaufs der internationalen Ereignisse, als ihn Herr Dr. Adenauer wünschte, heute nicht stattfinden kann, darum wird jetzt eine nationalistische Pogromhetze losgelassen,
({4})
um idas deutsche Valk zu irritieren und um Wählerstimmen zu fangen. Immer mehr erkennt das deutsche Volk und erkennen die Völker der Welt, daß der 17. Juni in Berlin von in- und ausländischen Provokateuren organisiert worden ist.
({5})
Ihre Hetzreden sind ein Zeichen der Unsicherheit, der Verwirrung und der Schwäche. Wenn Dr. Adenauer dem Bundestag seine bekannten fünf Punkte unterbreitet, so tut er dies, um das deutsche Volk zu irritieren. Die wahren Absichten Dr. Adenauers gehen aus der Denkschrift hervor, die er Herrn Blankenhorn zu Verhandlungen mit dem Präsidenten der USA mit auf den Weg gegeben hat. In diesem Dokument heißt es u. a.:
1. Die Bundesregierung lehnt eine Vier-MächteVerhandlung mit der Regierung der UdSSR ohne vorherige Festlegung einer Tagesordnung ab.
({6})
2. Das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik bleibt weiterhin Besatzungsgebiet der drei Westalliierten auf der Grundlage der Bestimmungen des Generalvertrags.
({7})
- Hören Sie gut zu, meine Herren 3. Freie Wahlen in Gesamtdeutschland spätestens ein Jahr nach Abzug der sowjetischen Besatzungstruppen.
4. Die verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Struktur der Bundesrepublik Deutschland wird durch den Ausgang dieser Wahlen nicht berührt. Die in beiden Ländern gewählte Volksvertretung hat nicht den Charakter einer Verfassungsgebenden Nationalversammlung, sondern den einer gesamtdeutschen Wahl zum Deutschen Bundestag auf der Basis des Grundgesetzes, das als unveränderlich anerkannt werden muß.
.({8})
5. Der neugewählte gesamtdeutsche Bundestag hat sämtliche von der jetzigen Bundesregierung eingegangenen internationalen Verpflichtungen und Verträge sowie die vom jetzigen Deutschen Bundestag beschlossenen Gesetze anzuerkennen.
Das ist auch Ihr Art. 103, Herr Becker, den Sie hier zitiert haben.
({9})
- Das stimmt ganz genau, Herr Becker. Sie selbst
haben das heute hier zitiert. Das stimmt aufs Wort.
Der „Rheinische Merkur" Nr. 26 vom 26. Juni 1953 kommentiert die Grundlagen der Politik dieses
Memorandums. In dem Artikel des „Rheinischen Merkur" heißt es:
Der Parlamentarische Rat hat, und zwar auch mit den Stimmen der Sozialdemokratie, die Bundesrepublik zum alleinigen rechtmäßigen Staatsgehäuse des deutschen Volkes erklärt, zum allein berufenen Sprecher aller Deutschen.
({10})
Meine Damen und Herren, mit solch einer Politik wollen Sie die Einheit Deutschlands herstellen? Nie! Die Realität ist eine ganz andere, ob wir wollen oder nicht: zwei Hälften Deutschlands, zwei Regierungen. Und Sie maßen sich an, daß diese Regierung für ganz Deutschland sprechen und Verträge abschließen darf, die dann eine andere deutsche Regierung unterschreiben muß? Das, Herr Kaiser, ist Ihr Ziel, Ihre Politik, das haben Sie festgelegt. Glauben Sie nicht, daß auf diesem Weg die Einheit Deutschlands hergestellt Werden kann!
({11})
Diese von Dr. Adenauer verfolgte Politik ist nicht auf eine friedliche Wiedervereinigung Deutschlands ausgerichtet, sondern auf die Eroberung, den Krieg und den Bruderkrieg. Eine Vier-Mächte-Konferenz ist auf Grund der besonderen Lage, in der wir uns befinden, und der Entwicklung der Politik im Weltmaßstab sofort möglich. Es ist allen bekannt, daß die Regierung der UdSSR energisch das Zustandekommen einer Vier-Mächte-Konferenzanstrebt und hierzu bereits erfolgreiche diplomatische Schritte eingeleitet hat. Diese Konferenz kommt - da können Sie sich heute gegen den Antrag der sozialdemokratischen Fraktion noch so wehren -, diese Konferenz werden Sie nicht verhindern!
({12})
Die Tatsache, daß die Bermuda-Konferenz mit den von den Amerikanern beabsichtigten Zielen nicht stattfindet, muß jedem verständlich machen, daß Maßnahmen eingeleitet sind und noch eingeleitet werden, die eine Verständigung der Großmächte über eine Vier-Mächte-Konferenz herbeiführen werden, ohne daß dieselbe mit Vorleistungen, die Sie wünschen, belastet wird.
Wenn in diesem Augenblick in- und ausländische Kräfte glaubten, diese Entwicklung dadurch zu behindern, daß sie einen Tag x in Berlin und in der DDR auslösten, so müssen diese sich sagen lassen, daß alle Provokationen am Verständigungswillen des deutschen Volkes und der Völker scheitern werden, genau so scheitern werden wie die Torpedierungsversuche Syngman Rhees gegen das Zustandekommen eines Waffenstillstands in Korea. Ich möchte allen Politikern in der Bundesrepublik noch einmal an das Herz legen, sich reiflich zu überlegen, was sie heute und morgen tun.
({13})
- Ja, wir überlegen uns jeden Schritt. - Das deutsche Volk und die Völker Europas werden nicht dulden, daß aus Deutschland noch einmal ein faschistischer Unruheherd wird, von dem eine neue Bedrohung des Friedens, der Sicherheit und der Unabhängigkeit der Völker ausgeht.
Die Kommunistische Partei Deutschlands stand von jeher auf dem Standpunkt, daß das deutsche Volk nicht Objekt der Politik sein darf. Das deutsche Volk hat ein Anrecht darauf, seine volle Souveränität wiederzuerlangen und als selbständige Nation an der Zusammenarbeit aller Völker teilzunehmen.
({14})
({15})
Insbesondere verzichtet das deutsche Volk nicht auf sein Recht, bei den Verhandlungen der vier Großmächte durch Vertreter des ganzen deutschen Volkes, und zwar Gesamtdeutschlands, seine Meinung zu sagen.
Wenn nun auch der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, Kollege Ollenhauer, zu der Auffassung gelangt ist, daß das deutsche Volk nicht Objekt der Politik sein darf, so ist das sehr erfreulich. Aber dann gibt es nur eine Schlußfolgerung, nämlich die, daß Deutsche aus Ost und West sich über eine einheitliche deutsche Innen- und Außenpolitik den vier Großmächten gegenüber verständigen und diese durch eine gesamtdeutsche Vertretung auf einer Vier-Mächte-Konferenz, die in absehbarer Zeit kommen wird, vertreten.({16})
Wenn Herr Ollenhauer auf der Duisburger Parteikonferenz der SPD erklärt, daß es ein Zusammengehen zwischen ihm, der SED und der KPD nicht gibt, so handelt er, ob er will oder nicht, in Widerspruch zu seinen eigenen Erklärungen über die Wiedervereinigung Deutschlands.
Die deutschen Politiker aus West- und Ostdeutschland würden dem deutschen Volke und der internationalen Öffentlichkeit ein beschämendes Schauspiel bieten, wenn erst die Großmächte auf der Vier-Mächte-Konferenz eine Aufforderung an die Deutschen aus West und Ost ergehen ließen, eine Vertretung zu bilden, damit dieselbe den Standpunkt des deutschen Volkes über die Wiedervereinigung und den Abschluß enes Friedensvertrags darlegt.
({17})
Im Interesse unseres Volkes darf es so weit niemals kommen. Im Interesse unseres Volkes empfehle ich eindringlichst, den Vorschlag zu einer deutschen Verständigung aufzugreifen. Das ist die Kernfrage einer jeden deutschen Innen- und Außenpolitik, die heute hier zur Entscheidung steht.
Wenn Sie den Vorschlag der sozialdemokratischen Fraktion annehmen, dann muß er dahingehend erweitert werden, daß eine Initiative zu einer gesamtdeutschen Verständigung und Vertretung herbeigeführt wird. Darum sind wir der Meinung, daß der Bundestag angesichts der innen- und außenpolitischen Entwicklung nicht in Ferien gehen, sondern zusammenbleiben sollte, um allen Entscheidungen, die täglich und stündlich heranreifen können, gerecht zu werden.
({18})
Ist diese Initiative der Bildung einer gesamtdeutschen Vertretung erreicht und eine Verständigung herbeigeführt, dann ist das deutsche Volk nicht mehr Objekt, sondern, da es um sein eigenes Schicksal geht, in die Lage versetzt, durch eine gesamtdeutsche Delegation die berechtigten nationalen Interessen unserer Nation den vier Großmächten gegenüber zu vertreten. Dann können auch alle Fragen wie die Durchführung freier Wahlen, die Beseitigung der Zonengrenzen, die Aufnahme eines ungehinderten Waren- und Personenverkehrs in ganz Deuschland im Geiste der Verständigung durch ehrliche Kompromisse gelöst werden.
Immer mehr Menschen in unserer Heimat erkennen, daß die Adenauer-Regierung und besonders die Politik des Herrn Bundeskanzlers dem Frieden
und der friedlichen Wiedervereinigung unseres
Vaterlandes im Wege stehen. Darum wird das deutsche Volk bei der kommenden Bundestagswahl durch seine Wahlentscheidung das Kräfteverhältnis im Bundestag ändern. Jede andere Regierung, die dann gebildet wird und einen Schritt, nur einen Schritt auf dem Wege der friedlichen Lösung der deutschen Frage tut, ist tausendmal besser als die Regierung unter dem Bundeskanzler Dr. Adenauer. Um dieses nationale Ziel zu erreichen, müssen sich alle Parteien, Gruppen und Politiker, die mit der Politik Dr. Adenauers nicht einverstanden sind, einigen und untereinander einen fairen Wahlkampf führen, der nur ein Ziel kennt: die AdenauerRegierung zu beseitigen und eine Koalitionsregierung zu bilden, die eine Regierung der Verständigung, des Friedens und des sozialen Aufstiegs unseres Volkes darstellt.
({19})
Das Wort hat der Abgeordnete Fröhlich.
Fröhlich ({0}) : Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist sehr bedauerlich, daß diese letzte außenpolitische Debatte des ersten Bundestages sich in einer Form abgewickelt hat, die in gar keiner Weise der deutschen Situation und all dem gerecht wird, was sich in letzter Zeit in der Sowjetunion selbst, in den Satellitenstaaten, in Berlin und in der Sowjetzone abgespielt hat. Alle diese Ereignisse hätten als ein Wink des Schicksals betrachtet werden müssen, daß sich die deutschen Parteien, soweit sie sich zu den Grundprinzipien der Demokratie bekennen, nun endlich einmal in den entscheidenden außenpolitischen Fragen auf einer gemeinsamen Basis einigen. Unsere gequälten Menschen in der Sowjetzone haben uns durch ihren Mut und ihre Opferbereitschaft für die Freiheit dazu aufgefordert. Für den Gesamtdeutschen Block-BHE steht es fest, daß die Regierung der Sowjetunion auf die Europapolitik der drei Westmächte und der Bundesregierung scharf gezeichnet hat. Die durch die außenpolitischen Verträge angebahnte politische, wirtschaftliche und militärische Einigung und die zwangsläufig sich daraus ergebende Vollendung dieser Einigung setzen der sowjetrussischen Politik der Gewalt und der Expansion ein entschiedenes Halt entgegen, nicht nur in Europa, sondern auch in anderen Teilen der Welt. Aus dieser Erkenntnis heraus sind den Bolschewisten alle Mittel und Wege recht, um die sich immer schärfer abzeichnende Einigung der freien Staaten Europas zu hemmen oder gar zu verhindern.
({1})
Sie rechnen hierbei mit der sprichwörtlichen Uneinigkeit dieser Völker. Die harte Konsequenz auf die scharfe Reaktion der sowjetischen Politik muß für die Westmächte und die Bundesrepublik sein, um so mehr an der bisherigen Politik der Schaffung eines vereinigten Europa festzuhalten.
({2})
Es würde allen Erfahrungen widersprechen, würde man in einem Augenblick, in idem die ersten Erfolge der europäischen Einigungspolitik sichtbar werden, von dem bisher erfolgreichen Wege abweichen.
({3})
Der Gesamtdeutsche Block-BHE ist daher der Meinung, ,daß, wie auch immer die weitere Entwicklung im Hinblick auf die außenpolitischen Verträge
({4})
gehen sollte, an ihnen festzuhalten ist, um für den Fall des Scheiterns dieser Verträge und der daraus entstehenden Folgen nicht nur für die Bundesrepublik, sondern für Europa einschließlich der nichtdeutschen Gebiete, die heute unter idem sowjetischen Terrorregime schmachten, von der Verantwortung entbunden zu sein.
({5})
- Schreien Sie ruhig heute noch einmal! Ich hoffe, .daß Sie die letzte Gelegenheit dazu haben.
Der Gesamtdeutsche Block-BHE ist für VierMächte-Verhandlungen zur Wiedervereinigung Deutschlands in Frieden und Freiheit und sieht als Grundlage für solche Verhandlungen die Vereinbarungen an, die im Generalvertrag in der Präambel und im Art. 7 Abs. 1 und 2 festgelegt worden sind, niemals aber den Schandvertrag von Potsdam. Solche Verhandlungen sollten sobald als möglich beginnen, und man sollte die Aufnahme solcher Verhandlungen nicht davon abhängig machen, ob sich bereits vor ihrem Beginn Erfolgsaussichten abzeichnen. Weil wir gegenüber der Sowjetunion an einer wahrhaftigen Politik der Wiedervereinigung nach den schlechten Erfahrungen der Vergangenheit Zweifel haben, muß an allen Maßnahmen, die für die Einigung Europas eingeleitet worden sind, mit aller Kraft festgehalten werden.
Diese zustimmende Stellungnahme meiner Partei zu der Europapolitik und der Politik der Wiedervereinigung Deutschlands bedeutet nicht eine Bejahung aller Einzelmaßnahmen der Bundesregierung. Wir unterstützen jedoch die Generallinie dieser Politik aus gesamtdeutscher und europäischer Verpflichtung.
({6})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schmid.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist erfreulich, daß sich heute in Deutschland alle Verantwortlichen in einem Ziele einig sind, nämlich der Wiedervereinigung Deutschlands. Was die Geltendmachung der Vordringlichkeit, mit der man dieses Ziel anstreben will, konkret bedeutet, das kann nur von einer Rangordnung der politischen Ziele her bestimmt werden. Diese Rangordnung kann nicht nach Prestigegesichtspunkten aufgestellt werden. Sie kann nur von der politischen Notwendigkeit her bestimmt werden. Und d'a sind wir der Meinung, daß die Wiedervereinigung Deutschlands das schlechthin erste Ziel jeder deutschen Außenpolitik sein muß, schon deswegen, weil ohne seine Verwirklichung vor anderen Zielen sehr entscheidende andere Ziele nicht realistisch verwirklicht werden können, jedenfalls nicht mit Aussicht auf Dauer, z. B. die Ordnung Europas.
Man hat uns gesagt, man müsse beide Ziele gemeinsam angehen. Ich glaube, daß das richtig ist. Bei keinem darf man das andere aus dem Auge lassen. Aber das gilt doch im Grunde immer nur für den Ausgangspunkt und für das Allgemeine. Immer wenn man vor konkreten Entscheidungen steht, wird man vor dem Dilemma stehen: welcher Maßnahme gehört denn im einzelnen und konkret die Priorität, einer Maßnahme, die hier und jetzt auf Westintegration ausgeht, oder einer Maßnahme, die konkret - hier und jetzt - die Chancen für die Möglichkeit gesamtdeutscher Wahlen erhöhen könnte? Wir unterscheiden uns im wesentlichen, glaube ich, in der Methode. S i e glauben, die Westintegration schaffe überhaupt erst die Voraussetzungen für eine realistische Wiedervereinigungspolitik. Wir glauben, daß die Westintegration im Gegenteil gewisse Voraussetzungen, die anders geschaffen werden könnten, nicht zustande kommen läßt, 'daß sie also die Erreichung des gemeinsamen Zieles nicht fördert, sondern daß sie ihr im Wege steht.
({0})
Sie sagen, die Westintegration fördere die Erreichung des Ziels, denn sie gebe uns die Möglichkeit, eine stärkere Politik zu führen, als wir es ohne diese Westintegration könnten. Wenn aber nun die Westintegration von den Russen als das größere Übel gegenüber der Erhaltung des Status quo angesehen wird, wird dann diese „Politik der Stärke" irgendwelche Chance der Erfüllung haben? Wenn dem, wie wir meinen, nicht so ist, dann scheint uns gerade eine realistische Politik zu fordern, die Versuche, die Bundesrepublik in ein Europa der Sechs zu integrieren, aufzugeben.
Es wurde weiter gesagt, durch diese Politik hätten wir zum mindesten eine der notwendigen Voraussetzungen einer jeden Wiedervereinigungspolitik geschaffen: wir hätten damit das Vertrauen wenigstens der Westmächte gewonnen. Das ist gut und das ist sehr viel. Dieses Vertrauen ist notwendig. Aber, meine Damen und Herren, was nützt uns denn dieses Vertrauen konkret, wenn es mit Mitteln gewonnen worden ist, die den Russen das Interesse an Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands nehmen? In diesem Fall hebt eben einfach die Realität und Gegensätzlichlichkeit der Interessen die Wirkung dieses Vertrauens, von idem Sie sprachen, auf.
Wir glauben, daß die „Integrationspolitik" der Erreichung des Zieles hinderlich ist. Sie setzt doch im Grunde voraus, daß die Russen sich, e h e sie an den Verhandlungstisch gehen, damit einverstanden erklären, daß der Teil des deutschen Potentials, den sie heute noch kontrollieren, in einen politischen Block eingebracht wird - und zwar unlösbar -, den sie - ob mit Recht oder Unrecht, sei dahingestellt - nun einmal als feindlich gegen sich gerichtet betrachten. Unter diesen Voraussetzungen eine russische Bereitschaft anzunehmen, die Voraussetzungen für die Wiedervereinigung mitzuschaffen, scheint mir nicht sehr realistisch zu sein. Es sei denn, Sie gingen davon aus, daß es bei solchen Verhandlungen dazu kommen könnte, das Integrierte zurückzudifferenzieren. Das wollen Sie nicht, Herr von Brentano, und das werden höchstwahrscheinlich eine Reihe der Vertragspartner auch nicht wollen, die in dieser Integration ihre besonderen Interessen verwirklicht sehen.
Vielleicht wird die Deutschlandfrage nur gelöst werden können - ich sage „vielleicht" und empfinde es als schmerzlich, wenn es sich so verhalten sollte - durch eine Gesamtabrechnung Moskaus und Washingtons über die Gesamtheit ihrer wesentlichen Differenzpunkte. Dann wäre die Lösung des Deutschlandproblems nur ein Teilstück einer sehr viel größeren Rechnung. Ich weiß nicht, ob eine Bundesregierung die Möglichkeit hätte, aktiv durch eigene . politische Unternehmungen auf das Zustandekommen einer solchen Gesamtabrechnung im günstigen Sinne hinzuwirken. Aber eines kann sie auf jeden Fall tun: sie kann eine Politik betreiben, die es verhindert, daß vollendete Tatsachen geschaffen werden, die sich prohibitiv auswirken könnten. Ob das geschehen ist oder nicht - das, und nicht die guten Absichten -,
({1})
gibt den Maßstab für die politische Beurteilung der „europäischen" Teilmaßnahmen ab, von denen in der Regierungserklärung gesprochen worden ist - Montanunion, EVG-Vertrag usw. -.
Ich persönlich glaube nicht, daß man mit diesen Verträgen, daß man mit dieser Politik solche prohibitiv wirkenden vollendeten Tatsachen vermieden hat. Vor allem aber, glaube ich, sollte es keine deutsche Politik geben, die den Versuch macht, den politischen Status Deutschlands einseitig so bestimmen zu lassen, daß der andere kapituliert haben muß, e h e er sich an den Verhandlungstisch setzt.
({2})
Nun, wer kann denn den politischen Status Deutschlands bestimmen? Den kann weder der Westen für sich, noch kann es der Osten für sich bestimmen, noch können es der Westen und der Osten zusammen ohne die Deutschen.
({3})
Dieser Status kann nur bestimmt werden durch alle fünf. Man sollte doch endlich aufhören, die Wiedervereinigung Deutschlands etwa im Sinne des Art. 103 des Statuts für die Europäische Behörde als eine Art Eingemeindungsproblem zu sehen.
({4})
Die politische Einheit Deutschlands wird nicht dadurch hergestellt werden, daß man die Deutschen jenseits des Eisernen Vorhangs „heimführt", sondern dadurch, daß wir zusammen mit ihnen Inhalt und Formen der nationalen Existenz unseres Vaterlandes bestimmen.
({5})
Es ist also eine Notwendigkeit, zu einer VierMächte-Konferenz zu kommen, auf der zunächst die vier Mächte klären müssen, ob sie das Ergebnis freier Wahlen in ganz Deutschland riskieren wollen. Scheitert diese Vier-Mächte-Konferenz, nun, dann wird man auf Grund der dann vorliegenden Tatsachen Entscheidungen zu treffen haben. Aber man kann die Vier-Mächte-Konferenz nicht nur deswegen jetzt nicht wollen, weil nicht sicher ist, ob sie zu dem von uns gewünschten Ergebnis führen wird. Gelingt diese Konferenz, nun, dann werden wir freie Wahlen in Deutschland haben und eine Nationalversammlung erhalten, die eine Regierung produzieren wird, und dann wird man zu f ü n f en über einen deutschen Friedensvertrag verhandeln müssen.
({6})
Der Status Deutschlands und damit gleichzeitig die außenpolitische Bewegungsfreiheit Deutschlands werden aus diesem Friedensvertrag hervorgehen müssen. Sollte man von uns verlangen, einen Vertrag zu unterzeichnen, in dem Dinge stehen, die für uns nicht akzeptabel sind, dann wird eine deutsche Regierung eben nein sagen müssen. Dann wird auf Grund dieser Situation hüben und drüben entschieden werden müssen, was zu geschehen hat. Aber man muß auf dieses Ziel zugehen und muß darauf auf dem Wege der konkreten Maßnahmen zugehen. Nur wenn dieses Ziel erreicht sein wird, wird es möglich sein, realistisch eine Ordnung Europas zu schaffen, die dauerhaft und etwas anderes ist als eine Kampfposition.
({7})
Ihre Redezeit ist abgelaufen, Herr Professor!
Noch einige Sätze!
Wenn Sie Vier-Mächte-Verhandlungen wollen, wie Sie gesagt haben und wie ich Ihnen glaube, dann stimmen Sie doch unseren Anträgen zu. Darin steht doch nichts anderes, als Sie selber wollen!
({0})
Wenn Sie nicht glauben zustimmen zu können, - nun, welches sind dann Ihre Gründe für Ihre „Wenn" und Ihre „Aber"? Nehmen Sie vielleicht Ihre „Wenn" und Ihre „Aber" wichtiger als den Impuls, der Sie, wie Sie sagten, treibe, VierMächte-Verhandlungen zu fordern? Vergessen Sie nicht, daß der Aufstand der deutschen Arbeiter im Osten auch ein Appell an den Westen - den Westen der ganzen Welt - war,
({1})
ein Appell, die Trägheit des Herzens zu überwinden und etwas zu wagen - auch Initiativen, von denen nicht von Anfang an sicher ist, daß sie den gewünschten Erfolg bringen werden. Man muß auch solche Initiativen wagen. Denn wenn man sie nicht wagen sollte, dann fürchte ich, daß sich die Verhältnisse so verhärten werden, daß letzten Endes zum Unglück der ganzen Welt einfach aus der Trägheit der Materie heraus - nichts anderes zuwege kommen wird als eine Versteinerung des Status quo.
({2})
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung zu Punkt 2 der heutigen Tagesordnung.
Die Frage der Prozedur bei der Abstimmung ist etwas schwierig. Wir haben erstens vorliegen den Antrag der Fraktion der SPD, Drucksache Nr. 4444, dann einen Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP und FU, Umdruck Nr. 1031, und einen dazu gestellten Änderungsantrag des Herrn Abgeordneten Erler, der, wie ich annehme, von ihm begründet und vorgetragen worden ist. Der Umdruck Nr. 1031 trägt die Überschrift „Änderungsantrag". Er scheint mir aber lediglich in den Ziffern II und III sachlich ein Änderungsantrag zu sein, in Ziffer I dagegen ein selbständig neben dem anderen Antrag der SPD stehender Antrag. Ich schlage Ihnen also vor, daß wir absatzweise abstimmen, und zwar darf ich die Änderungsanträge unter Ziffer II und III des Umdrucks Nr. 1031, die mit den Ziffern 2 und 3 des Antrags der Fraktion der SPD Drucksache Nr. 4444 korrespondieren, zunächst zur Abstimmung bringen. Dann ist allerdings die Frage, Herr Abgeordneter Erler, ob über Ihren Änderungsantrag zu diesen Änderungsanträgen zunächst auch wieder abgestimmt werden muß. Formal wäre das nötig.
({0})
- Ja, bitte schön, Herr Abgeordneter Erler!
Es gibt zu Ziffer III nur einen einzigen Unterschied. Wir halten ihn für wesentlich. Wir beantragen eine Einfügung, so daß die Ziffer III nicht nur lautet:
Die Bundesregierung wird ersucht, den Auswärtigen Ausschuß und den Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen des Deutschen Bundestages über die im Sinne dieses Beschlusses getroffenen Maßnahmen laufend zu unterrichten,
({0})
sondern:
. . . zu unterrichten über das Verhandlungsprogramm der Bundesregierung für die vorgesehenen Konferenzen.
Herr Abgeordneter Dr. Schröder zur Prozedur der Abstimmung!
({0})
- Herr Abgeordneter Renner kommt gleich.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bedaure, daß ich der Auffassung des Herrn Präsidenten nicht ganz fol-. gen kann. Der Antrag Umdruck Nr. 1031 ist, wie ich und mit mir meine Freunde glauben, in allen Punkten ein Änderungsantrag, da er das unter Ziffer 1 des Antrags der SPD behandelte Thema in einem umfassenderen Sinne formuliert. Wenn jetzt von der SPD ein Änderungsantrag zu unserem Änderungsantrag gestellt ist, dann läuft das darauf hinaus, daß die SPD der Ziffer 1 ihres Antrags Drucksache Nr. 4444 die Substanz entzieht. Ich kann mich also nicht damit einverstanden erklären, daß der Antrag der SPD als ein Änderungsantrag angesehen wird. Ich bitte den Herrn Präsidenten, zunächst über Umdruck Nr. 1031, dann, wenn Umdruck Nr. 1031 nicht angenommen werden sollte, über den Antrag Drucksache Nr. 4444 abstimmen zu lassen. Wird Drucksache Nr. 1031 angenommen, so erübrigt sich nach unserer Meinung eine Abstimmung über den Antrag Drucksache Nr. 4444.
Herr Abgeordneter Renner hat das Wort zur Geschäftsordnung. Wollen wir das erst einmal hören!
Meine Damen und Herren, ich darf Sie auf § 53 der Geschäftsordnung hinweisen. Vielleicht haben Sie die Freundlichkeit, sich inzwischen damit zu befassen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erlauben uns den Vorschlag, zuerst über den Antrag Drucksache Nr. 4444 der Fraktion der SPD abzustimmen. Wir sind der Auffassung, daß es nicht tunlich und' nicht angebracht ist, diesen Antrag mit dem Antrag Umdruck Nr. 1031 zu verkoppeln. Wir verwahren uns auch gegen die Darstellung, daß die einzelnen Ziffern der Anträge ein und dasselbe beinhalteten.
Wir bitten Sie also dringend, vor allen Dingen die SPD-Fraktion, darauf zu bestehen, daß der Antrag der SPD losgelöst von dem Antrag der Regierungskoalition behandelt wird.
Herr Abgeordneter Erler zur Geschäftsordnung!
Natürlich steht es außer jedem Zweifel, daß der Herr Präsident nach der Geschäftsordnung die aufkommenden Zweifelsfragen selbst zu entscheiden hat. Ich glaube aber, der Herr Kollege Schröder hat eben sehr eindeutig bewiesen, daß es sich bei seinem Antrag nicht um einen Änderungsantrag, sondern um einen völlig neuen Antrag handelt. Aus seiner Begründung ist das hervorgegangen. In diesem Falle wäre in der Reihenfolge abzustimmen, daß zuerst über den weitergehenden Antrag entschieden wird. Weitergehend ist eindeutig der Antrag, der den Bundestag zu einer Stellungnahme zur Frage der VierMächte-Konferenz zwingt. Das ist nämlich der ganze Unterschied zwischen den beiden Formulierungen. Sie haben sich unter I um das Thema eines Ersuchens an die Bundesregierung, herumgedrückt; davon steht gar nichts drin.
Ich möchte eine Ankündigung für den Fall machen, daß der Herr Präsident auf seiner vorgeschlagenen Reihenfolge beharrt. Ich persönlich hielte es für zweckmäßiger, zuerst über die Hauptfrage und hinterher über die Nebenfrage zu entscheiden. Die Hauptfrage wäre im Antrag Drucksache Nr. 4444 Ziffer 1, weil nach Ihrer Meinung damit Ziffer 1 des Umdrucks Nr. 1031 korrespondiert. Über den weitergehenden Antrag auf Umdruck Nr. 4444 Ziffer 1 wäre also zuerst zu entscheiden. Geschieht das nicht und wird zunächst über die anderen Punkte der Drucksache entschieden, so - (da möchte ich auf den zu Ziffer II des Antrags Umdruck Nr. 1031 gestellten Änderungsantrag meiner Fraktion aufmerksam machen -
bleibt Ihnen die Entscheidung doch nicht erspart. Wir beantragen die Einfügung eines Buchstaben c, in dem die Regierung ersucht wird, dafür Sorge zu tragen, daß den Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte das dringende Anliegen des deutschen Volkes förmlich mitgeteilt wird, mit der in Aussicht genommenen Konferenz der drei westlichen Außenminister unverzüglich zwischen den vier Besatzungsmächten unmittelbare Verhandlungen über eine Übereinkunft zur Wiedervereinigung Deutschlands herbeizuführen. Sie können sich drehen und wenden, wie Sie wollen. Sie müssen sich heute entscheiden, ob Sie das wollen.
({0})
Herr Abgeordneter Ewers zur Geschäftsordnung! - Wir wollen es nicht so lange ausdehnen, meine Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will nur drei Worte sagen. Der Änderungsantrag. ist ja nicht ein Änderungsantrag „zum Antrag" der SPD, sondern „zur Beratung des Antrags". Er besagt also, daß nach dem Wunsch der Antragsteller die Beratung mit der Annahme dieses Antrages schließen soll.
({0})
Daher ist es kein Änderungsantrag; darin hat mein Vorredner wohl recht.
({1})
- Denn eine Änderung „zur Beratung" kann man nicht beantragen. Man kann nur sagen: Statt des Ausgangs der Beratung durch Annahme des Antrags Drucksache Nr. 4444 wünschen wir einen Ausgang der Beratung durch Annahme des Antrags Umdruck Nr. 1031. Ich glaube, anders ist es nicht zu machen. Ich bitte daher den Herrn Präsidenten, Herrn Erler zu folgen und den nach seiner Auffassung weitergehenden Antrag - das mag er entscheiden - zuerst zur Abstimmung zu bringen.
Herr Abgeordneter Dr. Schröder zur Geschäftsordnung!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht weil ich ein Freund langer Geschäftsordnungsdebatten bin, sondern weil Mißverständnisse aufkommen können, möchte ich folgendes sagen.
Nach unserer Meinung ist das, was wir unter Ziffer I sagen, deswegen das Umfassende, weil das Anliegen bezüglich einer Vier-Mächte-Konferenz
({0})
bereits in doppelter Weise erledigt worden ist. Ich darf an den Antrag erinnern, den wir am 10. Juni
- also später, als Ihr Antrag gestellt war - angenommen haben. Dort heißt es:
Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, auch in Zukunft bei den Regierungen der Vereinigten Staaten von Amerika, Großbritanniens und Frankreichs darauf zu dringen, daß diese Mächte alles tun, um die Wiedervereinigung des ganzen Deutschlands auf friedlichem Wege herbeizuführen.
Der Bundeskanzler hat darüber hinaus heute eindeutig und vollständig klargestellt - und wir teilen die Auffassung, die er entwickelt hat, völlig -, daß er sich für eine Vier-Mächte-Konferenz einsetzt, wenn sie auch nur eine geringe - er ist soweit gegangen, zu sagen, wenn sie auch nur eine geringe - Aussicht auf Erfolg hat.
Da das der Stand der Dinge ist, sind wir der Meinung, daß unsere in Ziffer I entwickelte Auffassung in der Tat die weitergehende ist und deshalb auch bei der Abstimmung den Vorrang hat.
Meine Damen und Herren! Ich glaube nicht, daß es zweckmäßig ist, die Geschäftsordnungsdebatte fortzusetzen. Es ist gar kein Zweifel - ich muß hier eine Entscheidung fällen -, daß die Punkte II und III des Umdrucks Nr. 1031 sachlich Änderungsanträge zu den Punkten 2 und 3 der Drucksache Nr. 4444 sind. Daher habe ich den Vorschlag gemacht, absatzweise abzustimmen. Es scheint mir ebenso gar keinen Bedenken zu unterliegen - wenn das sachlich geschehen sollte -, Punkt 1 beider Anträge nebeneinander anzunehmen; denn sie schließen sich
offenbar sachlich nicht aus.
Nachdem der Teilung der .Frage von den Antragstellern widersprochen worden ist, muß ich nach § 53 der Geschäftsordnung über die Teilung der Frage den Bundestag entscheiden lassen. Ich bitte die Damen und Herren, die dafür sind, daß entsprechend dem von mir in Erwägung gestellten Vorschlag die Abstimmung über Umdruck Nr. 1031 als Änderungsantrag zu zwei Absätzen der Drucksache Nr. 4444 stattfindet, also absatzweise geschehen soll, eine Hand zu erheben. ({0})
- Also, meine Damen und Herren, dann verstehe ich nicht, warum die Geschäftsordnungsdebatte geführt wurde.
({1})
Dann muß ich aber nun die Anträge des Herrn Abgeordneten Erler zu den Absätzen 2 und 3 vorweg zur Abstimmung stellen. - Herr Abgeordneter Erler!
Ich beantrage zu dem Änderungsantrag zu II - auf Einfügung einer Ziffer II c - im Namen der Fraktion namentliche Abstimmung.
({0})
Ich verlese den Antrag noch einmal, damit es völlig klar ist. Ich komme zur Abstimmung über den Punkt II des Umdrucks Nr. 1031 als Änderungsantrag zu Ziffer 2 der Drucksache Nr. 4444. Zu diesem Punkt II des Umdrucks Nr. 1031 hat der Abgeordnete Erler namens der Fraktion der SPD folgenden Änderungsantrag gestellt:
In Abs. II wird eingefügt:
c) daß den Regierungen der drei westlichen Besatzungsmächte das dringende Anliegen des deutschen Volkes förmlich mitgeteilt wird, nach der Konferenz der drei westlichen Außenminister unverzüglich Verhandlungen zwischen den vier Besatzungsmächten über die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit aufzunehmen.
Sie sind sich über den Antrag im klaren. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln zur Abstimmung über den eben verlesenen Änderungsantrag der Fraktion der SPD. - Ich bin in der Abstimmung, Herr Abgeordneter Dr. Becker; es tut mir leid.
({0})
Meine Damen und Herren, darf ich die Pause benutzen, um folgendes bekanntzugeben: Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen tritt um 19 Uhr
({1})
- nach Schluß der Abstimmung zu diesem Punkt zusammen, und der Sonderausschuß Londoner Schuldenabkommen tritt um 20 Uhr zusammen.
Ich frage: Sind noch Abgeordnete vorhanden, die zu der namentlichen. Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD ihre Stimme abzugeben wünschen? - Das ist nicht der Fall; dann schließe ich die namentliche Abstimmung. ({2})
Ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU bekannt. Es sind 355 Stimmen von stimmberechtigten Abgeordneten abgegeben worden. Mit Ja haben gestimmt 166, mit Nein 178 bei 11 Enthaltungen.
({3})
Von den Berliner Abgeordneten haben mit Ja 12, mit Nein 4 gestimmt. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie, die Sie den Änderungsantrag Umdruck Nr. 1031 - ({4})
Herr Abgeordneter Erler, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eine Erklärung zur Abstimmung: Nachdem Sie eben eindeutig bewiesen haben, daß Ihre Reden zugunsten einer Vierer-Konferenz nicht von Taten begleitet werden, sehen wir uns außerstande, der Ziffer II in Ihrer Fassung zuzustimmen. Wir lehnen den Abschnitt ab.
({0})
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 1031 Ziffer II zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe.
- Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Ziffer II ist angenommen.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag der Fraktion der SPD zum Änderungsantrag Umdruck Nr. 1031 Ziffer HI zuzustimmen wünschen - ich verlese ihn noch 'einmal:
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 13926, 2. Abstimmung
({0})
Im Absatz III wird nach dem Wort „Maßnahmen" eingefügt: „und über das Verhandlungsprogramm der Bundesregierung für die vorgesehenen Konferenzen".
({1})
Meine Damen und Herren, es ist namentliche Abstimmung beantragt. Jede Erregung hindert nur den Ablauf der Geschäfte. Ich bitte die Herren Schriftführer, zur Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD die Stimmkarten einzusammeln.
({2})
Meine Damen und Herren, ich frage, ob noch Abgeordnete vorhanden sind, die zu der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD zu Ziffer III des Umdrucks Nr. 1031 ihre Stimme abzugeben wünschen. - Das ist außer Herrn Abgeordneten Blank nicht der Fall. Ich schließe die namentliche Abstimmung. - Und Frau Abgeordneten Kalinke! Aber bitte, begeben Sie sich freundlichst zu den Schriftführern, Frau Kalinke; ich bin nicht zuständig.
({3})
Meine Damen und Herren, darf ich versuchen, die Erledigung der Tagesordnung während der Auszählung noch etwas zu fördern. Herr Abgeordneter Tillmanns hat beantragt, die beiden Anträge Drucksachen Nrn. 4624 und 4625 dem Ausschuß für innere Verwaltung und dem Gesamtdeutschen Ausschuß als mitberatendem Ausschuß zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag auf Ausschußüberweisung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. ({4})
- Es war beantragt Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung als federführenden Ausschuß. Sind Sie einverstanden? - Die Überweisung ist erfolgt.
Es liegt noch vor der Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP betreffend Volkserhebung im sowjetisch besetzten Sektor von Berlin, Drucksache Nr. 4578.
({5})
- Ist durch die Regierungserklärung erledigt; wird also zurückgezogen.
Meine Damen und Herren, an der namentlichen Abstimmung*) haben sich 356 stimmberechtigte Abgeordnete beteiligt. Mit Ja haben gestimmt 146, mit Nein 205, bei 5 Enthaltungen. Von den Berliner Abgeordneten haben 8 mit Ja und 8 mit Nein gestimmt. Der Antrag ist abgelehnt.
Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU auf Umdruck Nr. 1031.
({6})
- Ich bin noch bei III, Herr Abgeordneter Dr. Schröder; wir wollen erst einmal mit III fertig werden.
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 13926, 3. Abstimmung
Zu Ziffer III! Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Änderungsantrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist dieser Änderungsantrag angenommen.
Meine Damen und Herren, ich darf unterstellen, daß durch die Abstimmung über den Änderungsantrag der SPD unter Ziffer 2 der Antrag Drucksache Nr. 4444 Ziffer 1 sachlich erledigt ist, da es sich inhaltlich um den gleichen Antrag handelte. Ist das Ihre Auffassung? ({7})
Dann komme ich -zur Abstimmung über Umdruck Nr. 1031 Ziffer I. Dazu beantragt Herr Abgeordneter Dr. Schröder namentliche Abstimmung. Ich bitte die Herren Schriftführer, die Stimmkarten einzusammeln.
({8})
Meine Damen und Herren, ich frage: sind noch Abgeordnete vorhanden, die bei der namentlichen Abstimmung ihre Stimme abzugeben wünschen? -Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die namentliche Abstimmung.
({9})
Meine Damen und Herren, ich gebe das vorläufige Ergebnis*) der namentlichen Abstimmung bekannt. Für Ziffer I des Antrags haben von insgesamt 356 abgegebenen Stimmen 342 gestimmt, mit Nein haben gestimmt 14. Von den Berliner Abgeordneten haben 16 mit Ja gestimmt. Ziffer 1 ist angenommen.
Damit sind die Abstimmungen zu diesem Punkt der Tagesordnung erledigt. - Das Wort hat der Herr Bundeskanzler.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Erlauben Sie mir, folgende Erklärung abzugeben. Ich kann eine gewisse Befürchtung nicht unterdrücken, daß durch das Hin und Her der Abstimmungen draußen, namentlich im Ausland, ein nicht richtiger Eindruck von dem entsteht, was das deutsche Volk bezüglich einer Viererkonferenz will.
({0})
Deswegen möchte ich Ihnen erklären - und ich glaube, ich befinde mich da in Übereinstimmung mit dem weitaus größten Teil dieses Hauses -, daß ich als Chef der Regierung darum bemüht sein werde, daß eine Viererkonferenz zusammentritt, auch wenn nur eine geringe Aussicht auf Erfolg besteht. Ich sage das so ausdrücklich, meine Damen und Herren, gerade auch um festzustellen, daß ich damit dem Willen der übergroßen Mehrheit dieses Hauses entsprechen werde.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Wehner.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Für die Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands habe ich zu erklären: Mit der Ablehnung des Antrags, sofort Vier-Mächte-Verhandlungen zu fordern, und mit dem Ausweichen vor der gemeinsamen Ausarbeitung eines internen deutschen Verhandlungsprogramms ist unbestreitbar erwiesen, daß die von Dr. Adenauer geführte
*) Vgl. das endgültige Ergebnis Seite 13926, 4. Abstimmung
({0})
Koalition praktisch nichts zur Herbeiführung von Vier-Mächte-Verhandlungen für die Einheit Deutschlands tun will.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Brentano.
Meine Damen und Herren! Es kommt mir darauf an, noch einmal die Erklärung des Herrn Bundeskanzlers zu unterstreichen und gegenüber der Erklärung des Herrn Abgeordneten Wehner festzustellen, daß es - ich bedaure es sagen zu müssen; aber diese Erklärung hat es bewiesen - der Sozialdemokratie gar nicht darauf ankommt, in eine Zusammenarbeit zu kommen,
({0})
sondern daß es ihr leider darauf anzukommen scheint, hier Wahlpolitik vor deutsche Politik zu setzen.
({1})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. von Merkatz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die im Interesse Deutschlands sehr bedauerliche Erklärung des Herrn Abgeordneten Wehner veranlaßt mich, die Motive der Abstimmung meiner Fraktion zu präzisieren. Genau so, wie Herr von Brentano die Tragweite der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers ausgelegt hat, genau in demselben Sinne stimmen wir zu. Wir stimmen insbesondere zu, daß der Herr Bundeskanzler das Risiko einer Vier-Mächte-Konferenz auf sich nehmen will, wenn sie auch nur
({0})
eine geringe Aussicht auf Erfolg hat.
Der Opposition habe ich aber zu sagen: Ich glaube, Sie verkennen die Gefahr, die eine gescheiterte Vier-Mächte-Konferenz für den Frieden Deutschlands und der Welt bedeutet.
({1})
Es wird von Ihnen aus rein innerpolitischen Gründen ein gefährliches Spiel mit dem Feuer getrieben!
({2})
Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer.
Meine Damen und Herren! Zu
den Ausführungen des Herrn Bundeskanzlers - ({0})
Meine Damen und Herren, das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer. Durch Unruhe fördern Sie unsere Verhandlungen nicht.
({0})
- Meine Damen und Herren, darf ich Sie bitten, auf Ihre Plätze zurückzukehren. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Schäfer. Ich darf ihn bitten, das Wort zu nehmen.
({1})
Bitte, Herr Abgeordneter.
Meine Damen und Herren! Ich glaube, besser als alle Zwiegespräche wäre es, wenn Sie sich in aller Ruhe die Meinungsverschiedenheiten, die wir empfinden, anhörten.
({0})
Man soll nicht immer schwach im Nehmen sein. ({1})
Dem habe ich im Namen meiner Freunde noch folgendes hinzuzufügen: Wir stellen uns in vollem Umfang hinter die Ausführungen, die der Herr Bundeskanzler soeben gemacht hat.
({2})
Wir sind ebenso überzeugt von der Notwendigkeit, die Möglichkeit einer Viererkonferenz zu suchen. Aber - was ich Ihnen neulich schon einmal gesagt habe - wir sind nicht der Meinung, daß das unbedingt die große Wunderwaffe sei. Wir wissen zwischen Wunder und Wagnis zu unterscheiden, und wir wissen auch die Wagnisse zu sehen, die da vorhanden sind, wo Sie glauben, einfache Rezepte verschreiben zu können.
({3})
Zu den Erklärungen des Herrn Kollegen Wehner kann ich nur einen Satz mit einem schmerzlichen Bedauern aussprechen: Man hat aus dieser Erklärung allerdings den Eindruck gewonnen, daß die Opposition an Stelle der nicht vorhandenen außenpolitischen Konzeption den Wahlkampf mit unzutreffenden Behauptungen über die Tendenzen ihrer politischen Gegner betreiben will.
({4})
Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt.
Ich kehre dann zurück zu Punkt 1 der Tagesordnung:
Dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 ({0}) ({1});
Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung ({2}) ({3}).
Die Änderungsanträge zu Einzelplan 10 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten - waren erledigt.
({4})
Es liegt weiter vor zu
Einzelplan 12 - Haushalt für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr - ({5})
ein Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP Umdruck Nr. 1024 auf Wiederherstellung des Tit. 301 in Kap. 1204 in der Fassung der Beschlüsse des Haushaltsausschusses.
({6}) Meine Damen und Herren, darf ich freundlichst bitten, durch Ihre Ruhe die Verhandlungen zu fördern.
Soll der Antrag begründet werden? - Herr Abgeordneter Bausch, bitte!
Meine Damen und Herren! Bei der zweiten Lesung ist ein Antrag der Abgeordneten Steinhörster und Genossen angenommen worden, in dem Haushalt des Bundesministeriums für Verkehr zusätzlich einen Betrag von 3,5 Millionen DM einzusetzen. Ich bitte darum, die durch diesen Antrag vorgenommene Änderung dadurch rückgängig zu machen, daß beschlossen wird, den Haushalt in der vom, Haushaltsausschuß vorgelegten Fassung wiederherzustellen. Ich bitte Sie darum einfach deshalb, weil für diese 3,5 Millionen DM, die zusätzlich beschlossen worden sind, keine Deckungsmittel vorhanden sind.
Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen.
Meine Damen und Herren, ich kann unterstreichen, was der Vorredner gesagt hat. Die Notwendigkeit, diesen von ihm soeben begründeten Antrag zu stellen, hat sich sehr deutlich am Schluß der zweiten Lesung des Haushalts gezeigt. In der zweiten Lesung waren verschiedene Anträge gestellt und angenommen worden, obwohl für sie eine Deckung nicht vorhanden war. Das Ergebnis war, daß ein abgeglichener Haushalt nicht vorgelegt werden konnte. Das hat wenig mit dem Thema „Seewasserstraßenverwaltung" etwas zu tun. Für die Bedürfnisse der Seewasserstraßenverwaltung kann in späterer Zeit Vorsorge getroffen werden.
Herr Abgeordneter Steinhörster!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich hatte die Ehre, den Antrag bei der zweiten Lesung des Haushaltsplans zu begründen, und es war für mich eine Genugtuung, das Hohe Haus davon überzeugen zu können, daß das, was hier beantragt war, weit aus dem Rahmen herausfällt, in den man die sonstigen Anträge eingliedern kann. Ich habe dem Hause sagen dürfen, daß es sich bei der Förderung ,des Nord-OstseeKanals um eine im Bundesgebiet einmalige Angelegenheit handelt. Die Notwendigkeit ist auch schon im Haushaltsausschuß anerkannt worden.
Wenn also nunmehr ein Änderungsantrag gestellt wird, die alte Fassung wiederherzustellen, und zwar mit der Begründung, es seien keine Dekkungsmittel vorhanden, dann darf ich in diesem Zusammenhang auf die gleichen Vorschläge hinweisen, die gemacht worden sind, als es sich darum handelte, die Deckungsmittel für die Beträge der ländlichen Siedlung und der Heimatvertriebenensiedlung zu suchen. Ich bin durchaus der Meinung, daß sich auch für diese 3,5 Millionen DM noch eine
Deckung finden läßt, wenn man nur gewillt ist, anzuerkennen, daß es sich hier um eine einmalige, um eine vordringliche und um eine ganz besondere Aufgabe handelt. Ich habe dem Hohen Hause mitgeteilt, daß der Nord-Ostsee-Kanal in Schleswig-Holstein eine internationale Wasserstraße ist und daß deshalb für den Bund als Träger dieser internationalen Wasserstraße die große Verpflichtung besteht, sie in einen Zustand zu versetzen, daß sie mit Recht den Namen „internationale Wasserstraße" führen kann. Der Zustand von heute ist einfach katastrophal. Meine Kollegen aus Schleswig-Holstein werden es bestätigen müssen.. Es gibt gar keinen Grund, diese wenigen Millionen abzulehnen, wenn man sich nur der Verantwortung bewußt ist, die man auch gegenüber der internationalen Schiffahrt trägt.
Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, den Antrag Umdruck Nr. 1024, den alten Zustand wiederherzustellen, abzulehnen.
Herr Abgeordneter Ewers, bitte.
({0})
Meine hochverehrten Damen und Herren! Ich verstehe durchaus, daß es bei den Haushaltsspezialisten Ungehaltenheit auslöst, wenn in der zweiten Lesung im Plenum Anliegen vorgebracht werden, die zunächst einmal die Ausgeglichenheit des Haushaltsplans beeinträchtigen. In diesem Falle handelt es sich aber um ein Anliegen, das mit Parteipolitik überhaupt nichts zu tun hat. Die sachliche Begründung des Kollegen Steinhörster in der zweiten Lesung hat das Haus überzeugt.
Ich darf als Schleswig-Holsteiner Abgeordneter erklären, daß auch ich diese Ausgabe für die Instandhaltung des Nord-Ostsee-Kanals für dringend geboten halte. Er ist eine Wasserstraße, die immerhin für Seeschiffe jeder Größe befahrbar ist und in steigendem Maße auch von ihnen befahren wird.
Der Ausgleich des Haushalts wäre für den Herrn Finanzminister eine Kleinigkeit. Er braucht z. B. nur irgendeine Steuer, irgendein Aufkommen um 3,5 Millionen DM höher zu schätzen oder diesen Betrag von den Verteidigungsausgaben abzusetzen; und der Ausgleich wäre ziffernmäßig da.
An Formalien darf diese Sache nicht scheitern. Die Abgeordneten mögen selbst die Frage beantworten, ob dieser Antrag des Herrn Steinhörster etwa ein wahltaktischer Antrag ist, um Stimmen für die Wahl zu fangen. Wir glauben das bestimmt nicht. Der Antrag hat, vielleicht infolge eines Versehens, jedenfalls nicht rechtzeitig dem Haushaltsausschuß vorgelegen. Dort wäre er bei sachlicher Behandlung bestimmt angenommen worden.
Meine Fraktion wird, soweit ich sehe, geschlossen für den Antrag stimmen müssen.
({0})
Meine Damen und Herren, keine weitere Wortmeldung. Ich schließe die Besprechung.
Ich bitte die Damen und Herren, die dem von Herrn Abgeordneten Bausch begründeten Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP und des Abgeordneten Jaffé zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die
({0})
Gegenprobe. - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, ich bitte, diese Frage durch Aufstehen zu klären; einer der Herren Schriftführer ist mit meiner Feststellung nicht ganz einverstanden. Ich bitte die Damen und Herren, die für den Antrag Umdruck Nr. 1024 sind, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Meine Damen und Herren, ich muß Sie bitten, diese Frage im Wege des Hammelsprungs zu klären.
Es wird über den Antrag Umdruck Nr. 1024 abgestimmt.
({1}) Ich bitte, den Saal schnell zu räumen.
Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen. ({2}),
Ich bitte die Abstimmung zu beschleunigen. - Ich bitte, die Türen zu schließen.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Antrag auf Umdruck Nr. 1024 haben gestimmt 132 Abgeordnete, dagegen 169 Abgeordnete bei drei Enthaltungen. Der Antrag ist abgelehnt.
Meine Damen und Herren, ich komme zu
Einzelplan 27.
Herr Abgeordneter Rademacher!
({3})
- Nein, Sie haben keinen Änderungsantrag zu Einzelplan 12 eingereicht, Herr Abgeordneter.
({4})
- Sie haben einen Änderungsantrag zu Drucksache Nr. 4275 eingereicht, aber nicht zu Einzelplan 12, Herr Abgeordneter. Das ist ein Sonderantrag, der nach der Abstimmung behandelt wird.
Meine Damen und Herren! Zu Einzelplan 27 liegt der Änderungsantrag der Fraktion der SPD Umdruck Nr. 1029 vor. Zur Begründung Herr Abgeordneter Dr. Bärsch, bitte!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ihnen liegt auf Umdruck Nr. 1029 der Änderungsantrag meiner Fraktion vor, nach dem im Haushalt des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen in einem neuen Titel unter den einmaligen Ausgaben 60 Millionen DM eingestellt werden sollen. Wir wollen auf diese Weise den Menschen aus dem Ostsektor Berlins und aus der sowjetisch besetzten Zone die Möglichkeit geben, in West-Berlin Lebensmittel mit Ostmark zu normalen Preisen einzukaufen. Die 60 Millionen DM, die hier eingestellt werden sollen, sollen als Subvention gezahlt werden, um die Währungsdifferenz zwischen Ostmark und Westmark auszugleichen.
Meine Damen und Herren, ich brauche hier keine längeren Ausführungen über die Situation in Ost-Berlin und in der sowjetisch besetzten Zone zu machen. Es ist uns allen bekannt, daß nach einer vorübergehenden Besserung der Ernährungslage die Zone inzwischen wieder in eine schwere Versorgungskrise hineingebracht worden ist und daß das Gespenst des Hungers wieder in der Zone umgeht. Wir wissen alle, daß diese 60 Millionen DM nur ein kleiner Betrag sind und daß sie in gar keinem Verhältnis stehen zu der gewaltigen materiellen und ideellen Vorleistung, die diese 20 Millionen Menschen in der Zone für Gesamtdeutschland haben erbringen müssen. Aber gerade deshalb fühlen wir die Verpflichtung, alles zu tun,
um die Not dieser Menschen lindern zu helfen. Wir glauben, daß es dabei nicht allein und nicht primär auf die großen Worte, auf die großen Solidaritätserklärungen ankommt, sondern daß es vor allem auch darum geht, in den kleinen Dingen die Bereitschaft zu zeigen und zu beweisen, das Mögliche und das Äußerste zu tun. Wir sehen gerade in diesem Punkt ein Stück praktischer Bewährung gesamtdeutscher Politik und bitten Sie deshalb herzlich, diesem Antrag zuzustimmen.
({0})
Meine Damen und Herren, es liegt weiter ein Entschließungsantrag - Umdruck Nr. 1030 - vor. Wer wünscht das Wort? - Frau Abgeordnete Maxsein.
Herr Präsident! Meine
Herren Und Damen! Die Fraktion der CDU legt dem Hohen Hause eine Entschließung vor, in der die Bundesregierung ersucht wird, alle möglichen Maßnahmen zu treffen, um schnellstens eine ausreichende Versorgung in der notleidenden Sowjetzone und in Ost-Berlin mit Lebensmitteln sicherzustellen. Wir wissen, daß die Bundesregierung alles tut und tun wird, um das Elend jenseits des Brandenburger Tors und hinter dem Eisernen Vorhang zu beseitigen und die Not zu lindern.
Am 17. Juni haben die Arbeiter in Ost-Berlin und in der Sowjetzone für das Recht auf Freiheit und Brot demonstriert. In dieser Stunde ersuchen wir die Bundesregierung erneut, alles, und zwar alles bis an die äußerste Grenze des Möglichen zu tun, um unseren Brüdern und Schwestern im Sektor und in der Zone, die in Hunger und Elend leben, zu helfen. Wir sind der Meinung, daß die Entschließung der Fraktion der CDU der Regierung mehr Freiheit läßt zu helfen. Wir bitten deswegen das Hohe Haus, der Entschließung der CDU auf Umdruck Nr. 1030 zuzustimmen.
({0})
Der Herr Bundesminister der Finanzen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich muß auf folgendes aufmerksam machen: Der Haushalt muß nun einmal abgeglichen, auch rechnerisch abgeglichen, vorgelegt werden. Das war ja mein Bedenken vorhin gegen den Antrag wegen des NordOstsee-Kanals, ganz abgesehen davon, daß Bundesregierung und Landesregierung Schleswig-Holstein sich über alle Zuschußleistungen an Schleswig-Holstein in den letzten Tagen völlig einig geworden sind.
({0})
Aber nun zu der haushaltsrechtlichen Seite: Ein Haushalt kann gar nicht verkündet und vorgelegt werden, wenn er nicht abgeglichen ist. Ich werde infolgedessen in meiner Eigenschaft als Abgeordneter dem Herrn Präsidenten einen Antrag einreichen, um die Abgleichung nachträglich herbeizuführen. Es ist leider nur dadurch möglich, daß aus dem Kapitel Unvorhergesehenes - das ist 6002 Tit. 399 - von dem kleinen Rest von 9,3 Millionen DM, der noch vorhanden ist, 3,5 Millionen DM gestrichen werden, so daß ein Bestand von 5 866 300 DM übrigbleibt. Daß dieser Posten im Laufe des Haushaltsjahres nicht ausreichen wird, ist vorauszusehen. Ich bemerke das schon jetzt, um meine Stellungnahme zu den beiden Anträgen zu begründen.
({1})
Herr Kollege Ollenhauer und Fraktion können überzeugt sein, daß sich die Bundesregierung über die Frage, die materiell Gegenstand ihres Antrags ist, was geschehen kann, um in der jetzigen Situation der Ostzonenbevölkerung über West-Berlin durch die Bundesrepublik zu helfen, schon den Kopf zerbrochen hat. Ich darf hier wohl verraten, daß erst in den letzten Tagen auf Anregung von Berlin und in Gegenwart des Bundesbevollmächtigten von Berlin eine Kabinettssitzung stattgefunden hat, in der wir uns über die möglichen Maßnahmen unterhalten haben. Dabei müssen wir uns darüber klar sein, daß diese möglichen Maßnahmen nach gewisser Richtung hin aus Gründen, die ich nicht darzulegen brauche, mit einer gewissen Vorsicht getroffen werden müssen, weil sonst die Möglichkeit besteht, die von der Bundesregierung und, ich nehme an, der gesamten deutschen Bevölkerung gewünschten Hilfsmaßnahmen unter Umständen konterkariert zu sehen. Der Gedanke, durch Wechselkurse künstlicher Art auszugleichen, war bekannt, wurde dabei besprochen und wurde von allen Sachverständigen leider als nicht durchführbar bezeichnet.
Es ist aber versucht worden, andere Wege zu finden, und ich glaube, daß diese Wege gefunden worden sind. Zu diesem Zweck wird bereits eine Abordnung der Bundesregierung nach Berlin entsandt, um an Ort und Stelle die Maßnahmen zu besprechen. Eine Zahl, wie hoch der Aufwand sein wird, wie er sich verteilt, läßt sich heute unmöglich nennen. Ich bitte, das Vertrauen zu haben, daß die Bundesregierung all das, was möglich ist, tut.
Ich wäre sehr dankbar, Herr Kollege Ollenhauer, wenn Sie und Ihre Fraktion sich entschließen könnten, zuzustimmen. Es ist nun technisch nicht möglich, den Haushalt unabgeglichen vorzulegen, und leider ist in der Eile die Form der Änderung einer Ausgabenposition gewählt worden, ohne auf der Gegenseite eine Einnahme zu finden. Wenn der Antrag angenommen würde, würde der Haushalt vielleicht als äußerlich verfassungswidrig erklärt und als Ganzes gefährdet sein. Infolgedessen möchte ich bitten, in diesem Fall das Vertrauen in die Bundesregierung zu haben, daß sie alles Mögliche tut, um die von Ihnen gewünschte Maßnahme durchzuführen, auch wenn das auf Grund der Entschließung erfolgt, die inzwischen eingereicht worden ist. Ich würde sehr dankbar sein, wenn diese Entschließung vom gesamten Hause übernommen werden würde.
({2})
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung zum Einzelplan 27.
Es liegt zunächst vor der Antrag der Fraktion der SPD auf Umdruck Nr. 1029, die neue Ziffer „60 Millionen DM" einzufügen. Ich bitte die Damen und Herren, die für diesen Antrag sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das letzte war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt.
Ich bitte die Damen und Herren, die der Entschließung Umdruck Nr. 1030 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die überwiegende Mehrheit; diese Entschließung ist angenommen.
Meine Damen und Herren, der Herr Bundesminister der Finanzen hat in seiner Eigenschaft als Abgeordneter des Bundestages, Wahlkreis Passau, einen Antrag gestellt, den er Ihnen eben begründet
hat, zur Ausgleichung des Haushalts mit Rücksicht auf die hinsichtlich des Nord-Ostsee-Kanals angenommenen 31/2 Millionen DM. Ich glaube, daß das bei der Berücksichtigung der Endzahlen in Betracht gezogen werden muß, daß aber eine Abstimmung darüber erforderlich ist.
({0})
Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Herrn Abgeordneten Schäffer 'hinsichtlich der unvorhergesehenen Ausgaben zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die überwiegende Mehrheit des Hauses. Dieser Antrag des Herrn Abgeordneten Schäffer ist angenommen.
({1})
Meine Damen und Herren, damit sind die zu den Einzelplänen gestellten Änderungsanträge erledigt. Ich darf unterstellen, daß Sie damit einverstanden sind, daß die durch die Beschlüsse der zweiten Beratung sowie durch die Beschlüsse der dritten Beratung erfolgten Veränderungen der Endsummen bei der Zusammenstellung der Beschlußfassungen zu dem Gesetz berücksichtigt werden,
({2})
ohne daß Ihnen die Zahlen von mir im Augenblick hier im einzelnen vorgetragen werden. Die Ausgleichung oder die Abgleichung des Haushalts - um mit dem Herrn Bundesfinanzminister zu sprechen ({3})
ist also durch den letzten Antrag hergestellt.
Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953, Drucksache Nr. 4500, und zwar entsprechend dem Antrag des Haushaltsausschusses, den Gesetzentwurf mit den Änderungen anzunehmen, die Anlage zum Haushaltsgesetz 1953 - Gesamtplan - in der durch die zweite und dritte Beratung festgestellten Fassung anzunehmen und die Drucksache Nr. 4093 - Ergänzungsvorlage der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 - für erledigt zu erklären. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetzentwurf in dieser Fassung in der Schlußabstimmung zuzustimmen wünschen, sich von den Plätzen zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; dieser Gesetzentwurf ist in der Schlußabstimmung angenommen.
Meine Damen und Herren, wir kommen dann zur Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({4}) über den Antrag der Abgeordneten Behrisch, Kahn, Dr. Wellhausen, Eichner und Genossen betreffend Bau der Autobahn Frankfurt-Würzburg-Nürnberg ({5}).
Herr Abgeordneter Dr. Bärsch hat auf eine Berichterstattung verzichtet.
({6})
- Das Haus verzichtet ebenfalls auf Berichterstattung. Dann bitte ich die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses, 'diesen Antrag der Bundesregierung als Material für künftige Haushaltspläne zur Verfügung zu stellen, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; ist angenommen.
({7}) Wir kommen dann zur
Beratung des Mündlichen Berichts des Haushaltsausschusses ({8}) über den Antrag des Abgeordneten Behrisch, Kahn, Dr. Wellhausen, Eichner und Genossen 'betreffend Ausbau der Großschiffahrtsstraße Rhein-Main-Donau ({9}).
Hier wird ebenfalls auf Berichterstattung verzichtet.
Nach dem Antrag des Ausschusses wird ersucht, den Buchstaben a des Antrags der Bundesregierung als Material für künftige Haushaltspläne zur Verfügung zu stellen, die Buchstaben b und c dagegen abzulehnen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag des Haushaltsausschusses zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur Drucksache Nr. 4572 betreffend Bildung eines Grenzlandfonds zur Behebung wirtschaftlicher und kultureller Notstände. Herr Abgeordneter Wacker hat den Bericht bereits erstattet. Das Wort wird nicht gewünscht. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag des Ausschusses, diesen Antrag für erledigt zu erklären, zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur Drucksache Nr. 4573 betreffend Sanierung der westlichen Oberpfalz. Die Berichterstattung durch Herrn Abgeordneten Wacker ist ebenfalls bereits erfolgt.
({10})
- Jetzt wird es schwierig! Zunächst Herr Abgeordneter Wellhausen, dann Herr Abgeordneter Kahn und Herr Abgeordneter Meitinger.
Herr Präsident! Ich erlaube mir, darauf aufmerksam zu machen, daß ein Antrag Wellhausen, Rademacher usw. in der Angelegenheit vorliegt, über die Sie eben haben abstimmen lassen. Sie haben leider über diesen unseren Antrag nicht abstimmen lassen.
Meine Damen und Herren, ich habe einen Antrag der Herren Abgeordneten Wellhausen und Rademacher zu den Drucksachen Nrn. 4275 und 4571.
({0})
Ich bitte um Entschuldigung. Es handelt sich um den Ausbau der Großschiffahrtsstraße Rhein-MainDonau. Darf ich darauf also zurückkommen.
({1})
- Es kommt noch etwas hinzu. Herr 'Abgeordneter Rademacher wünscht, den Antrag wegen der Buchstaben b und c zu begründen. Bitte schön!
Meine Damen und Herren! Der in Frage stehende Antrag wurde seinerzeit federführend dem Haushaltsausschuß und beteiligt dem Ausschuß für Verkehrswesen überwiesen. Der Ausschuß für Verkehrswesen konnte zu der Angelegenheit keine Stellung nehmen, weil die gemeinsame Antwort des Verkehrsministeriums und des Finanzministeriums erst heute morgen bei uns eingegangen ist. Nun ist es in den letzten Jahren leider schon häufig so gewesen - es ist so Sitte gewesen -, daß federführende Ausschüsse abgestimmt haben, ohne die Antwort bzw. die Stellungnahme der beteiligten Ausschüsse abzuwarten. Wenn ich über die Geschäftsordnung richtig unterrichtet bin, ist das nicht zulässig, und in dieser Beziehung sind schon verschiedene Male Beanstandungen erhoben worden.
Der Haushaltsausschuß hat nun die Beschlußfassung geteilt und hat damit außer der den Haushalt betreffenden Frage eine verkehrspolitische Entscheidung getroffen. Ich bin daher der Meinung, daß es, nachdem diese Panne nun einmal passiert ist, korrekt wäre, den ganzen Antrag, also auch die Buchstaben b und c, der Regierung als Material zu überweisen. Damit können wir das Übergehen des beteiligten Ausschusses übersehen, und außerdem tun Sie, meine Damen und Herren, den bayerischen Abgeordneten einen großen Gefallen.
Meine Damen und Herren! Ich bitte also um Entschuldigung, daß ich diesen Antrag, da er nur mit den Nummern versehen war und nicht den Gegenstand selbst darstellte, übersehen habe. Ich darf unterstellen, daß das Haus bereit ist, seine Abstimmung hinsichtlich b und c gegebenenfalls zu korrigieren. Herr Abgeordneter Rademacher hat also mit der Fraktion der FDP beantragt, nicht nur den Buchstaben a, sondern auch 'die Buchstaben b und c der Bundesregierung als Material für künftige Haushaltspläne zur Verfügung zu stellen.
({0})
Darf ich fragen, wer für diesen Antrag der Fraktion der FDP ist. - Das ist offenbar die Mehrheit; damit ist die vorherige Abstimmung korrigiert. Eine Abgleichung ist nicht erforderlich, so daß sich keine Schwierigkeiten ergeben.
Aber jetzt geht es wieder zur westlichen Oberpfalz. Herr Abgeordneter Kahn!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Meinen Kollegen von der CSU genügt der Beschluß des Haushaltsausschusses nicht. Ich habe vor ungefähr drei Monaten bei der Debatte im Haushaltsausschuß erklärt, die von mir in meinem Antrag genannten Gebiete müßten durch Organe des Bundes auf die tatsächliche wirtschaftliche Notlage überprüft werden und dann sollte erst endgültig Stellung genommen werden. Wir sind heute in der vorvorletzten Sitzung des Plenums des Deutschen Bundestages. Ich bitte zunächst, diesen Antrag nicht in der Form, wie ihn der Haushaltsausschuß beschlossen hat, anzunehmen, sondern ihn zumindest der Bundesregierung als Material zu überweisen. Im übrigen werden die Kollegen, die in der Oberpfalz am 6. September wiedergewählt werden, den Antrag erneut dem neuen Bundestag in Vorlage bringen.
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Weitere Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Meitinger! In Kürze, Herr Abgeordneter!
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin erstaunt, daß der Herr Kollege Kahn den Antrag gestellt hat, seinen eigenen Antrag, den ich mit unterschrieben habe, nur als Material zu überweisen. Das bedeutet ja, den Antrag zu annullieren.
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- Da bin ich mit meiner Fraktion anderer Ansicht.
Wir beantragen, den Antrag des Haushaltsausschusses abzulehnen und dem Antrag Kahn und
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Genossen mit folgender Änderung zuzustimmen. Ich stelle für die FU - Bayernpartei und Zentrum - zu Antrag Drucksache Nr. 3513 betreffend Sanierung der westlichen Oberpfalz den Antrag:
In Abs. 1 vorletzte Zeile werden die Worte
„erhöhten Grades" gestrichen und die Worte
„und zu Sanierungsgebieten" eingefügt. Dadurch wird es dem Hohen Hause möglich, dem Antrag als passierbar zuzustimmen; denn ein Notstandsgebiet erhöhten Grades kennen wir nicht.
Die Oberpfalz ist, wie bekannt, die Steinpfalz: landwirtschaftlich derart arm und Industrie, Handel und Gewerbe so wenig vorhanden,
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daß es notwendig ist, diesen wenigen Betrieben eine Unterstützung zukommen zu lassen. Sie kann jedoch nur gewährt werden, wenn die Oberpfalz .zum Notstandsgebiet einfacher Art erklärt wird. Die örtliche Industrie,
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die Holzindustrie und die Stein- und Pflasterindustrie, ist infolge der übertriebenen Wirtschaftsliberalisierung am Erliegen. Wir müssen deshalb der wenigen Industrie, dem wenigen Handwerk und dem wenigen Handel, die überhaupt vorhanden sind, durch die Erklärung zum Notstandsgebiet die Möglichkeit geben, sich zu erhalten und zu entfalten.
Aber noch etwas Weiteres ist notwendig. Neben der Erklärung zum Notstandsgebiet ist die Erklärung zum Sanierungsgebiet erforderlich. Sie wissen alle, daß im Jahre 1952 gegenüber dem Interministeriellen Ausschuß erbittert darum gekämpft wurde, daß die vordere Oberpfalz ebenfalls zum Sanierungsgebiet erklärt wurde. Man wendet dagegen ein, Herr Finanzminister, daß diese Bezirke die Bedingungen nicht erfüllten. Es ist so, daß 'die Oberpfalz wirtschaftlich derart arm ist, daß sie diese Bedingungen eben nicht erfüllen kann und anderen Gebieten wie dem niederbayerischen zumindest als gleichwertig zu erachten ist. Herr Finanzminister, wir sind viel ärmer. Darum müsssen wir sagen: wenn überhaupt ein Gebiet als Sanierungsgebiet erklärt werden kann, ist die Oberpfalz vorweg als solches zu erklären, damit auch ihr diese Zuwendungen zugute kommen können. Ich freue mich natürlich nicht darüber, daß der Herr Finanzminister bei der Oberpfalz wenig freundlich den Kopf schüttelt. Ich billige es ihm zu, daß er bei Niederbayern sagt: Die müsen in das Sanierungsgebiet hinein. Ich bitte die Damen und Herren, das Problem der Oberpfalz nicht oberflächlich zu nehmen.
Die Oberpfalz ist auch volksmäßig als Bollwerk gegen den Osten in Betracht zu ziehen. Sie ist durch den Eisernen Vorhang 500 bis 1000 km von den Wirtschaftszentren der westdeutschen Bundesrepublik entfernt. Das kann natürlich durch den geringen Frachtenausgleich nicht wettgemacht werden.
Ich bitte das Hohe Haus, diesem Antrag in der geänderten Form zuzustimmen; denn das kostet den Bundesfinanzminister nicht so viel Geld, wie er tut, und der Opferpfalz ist geholfen, wenn die wenigen Industriebetriebe,
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das wenige Handwerk bei Aufträgen des Bundes besonders berücksichtigt werden kann. Das ist nur möglich,
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wenn die Oberpfalz zum Notstandsgebiet erklärt wird und 'ausschließlich im Sanierungsweg ihre Hilfe bekommt.
Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Darf ich zunächst den Antrag selber etwas korrigieren. Der Wortlaut ist nicht korrekt; es kann natürlich nicht heißen: „Der Bundestag wolle beschließen: Die Bundesregierung wird ersucht, 'den Antrag . . . abzulehnen . . ."; vielmehr wollte der Ausschuß den Bundestag ersuchen, den Antrag abzulehnen.
Zur Sache selber darf ich eine Bemerkung machen, die den Antrag des Ausschusses erklärt. Der Ausschuß hat sich von allen zuständigen Vertretern der Behörden, d. h. der Bundesregierung, sagen lassen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit ein Gebiet zum Notstandsgebiet erklärt werden kann. Es ist festgestellt worden, daß keine dieser Voraussetzungen auf das in Rede stehende Gebiet zutrifft.
Ich mache Sie auf eines aufmerksam: Wenn Sie einen solchen Antrag beschließen, müssen Sie natürlich damit rechnen, daß die Richtlinien für die Eingliederung in den Begriff „Notstandsgebiet" oder „Sanierungsgebiet" entweder sehr strapaziert oder daß sie geändert werden müssen. Das hat natürlich Konsequenzen.
Ich möchte zu den Anträgen, die hier gestellt worden sind, gar nicht Stellung nehmen. Wenn sich eine Mehrheit findet, die der Meinung ist, die Regierung solle sich das noch einmal überlegen, so sind wir einer solchen Überlegung nicht im Wege. Aber ich möchte pflichtgemäß darauf aufmerksam machen, daß hier nicht einfach beschlossen werden kann: „Von jetzt ab ist das oder jenes Gebiet Notstandsgebiet", sondern daß man sich die Konsequenzen überlegen muß.
Herr Abgeordneter Kahn, bitte.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur ein paar Worte zur Richtigstellung! Ich erwidere dem verehrten Kollegen Dr. M e i -t i n g e r aus Neumarkt in der Oberpfalz, daß die CSU bzw. ich unseren vor einem Jahr gestellten Antrag nicht zurückgezogen haben. Wir haben nur in Anbetracht der Zeitlage und in Anbetracht der Umstände, die auch der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der Herr Kollege Schoettle, hier vorgetragen hat, betont, daß wir wünschen, daß nicht in der Art und in der Form, für die der Berichterstatter, der Herr Kollege Wacker, im Auftrage des Haushaltsausschusses plädiert hat, beschlossen wird, sondern daß unser Antrag zum mindesten der Bundesregierung als Material überwiesen wird.
Der neue Bundestag, Herr Kollege Dr. Meitinger, wird sich damit befassen müssen, daß wir das erreichen, was meine engeren Freunde und ich seit -vier Jahren angestrebt haben. Mit einer langen Rede kann man das nicht tun; das werden wir im nächsten Bundestag versuchen. Wir glauben be({0})
stimmt, daß wir dann im. kommenden Bundestag eine Lösung und eine Regelung finden, die der bayerischen Oberpfalz, Bayern und Deutschland und dem Begriff eines jeden Notstandsgebietes billigerweise gerecht wird.
Meine Damen und Herren, ich schließe die Besprechung. - Ich warne nur davor, für den nächsten Bundestag schon lange Reden anzukündigen; das könnte doch gefährlich werden!
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Es liegen zwei Anträge vor. Der Herr Abgeordnete Meitinger und seine Fraktion wünschen, in Abänderung des Antrags, den der Haushaltsausschuß gestellt hat, den Antrag der Abgeordneten Kahn und Genossen mit einer Änderung anzunehmen, nämlich die Worte „erhöhten Grades" durch die Worte „und zu Sanierungsgebieten" zu ersetzen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. -Dieser Antrag ist offensichtlich nicht von der Mehrheit angenommen; er ist abgelehnt.
Herr Abgeordneter Kahn hat beantragt, den Antrag Drucksache Nr. 3513 der Bundesregierung als Material zu überweisen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die überwiegende Mehrheit.
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Damit ist der Antrag des Haushaltsausschusses erledigt.
Ich komme zum Antrag Drucksache Nr. 4574 /betreffend den Bau von Umgehungsstraßen um Rottweil am Neckar. Eine Berichterstattung erübrigt sich auch hier. - Keine Wortmeldungen; auch nicht aus der Gegend?
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Der Antrag des Haushaltsausschusses lautet, den Antrag Drucksache Nr. 4353 der Bundesregierung als Material für künftige Haushaltspläne zur Verfügung zu stellen. Ich bitte, darauf hinweisen zu dürfen, daß auch hier der Text natürlich unsinnig ist. Die Bundesregierung kann nicht ersucht werden, den Antrag der Bundesregierung zur Verfügung zu stellen. Es soll jeweils „die Bundesregierung zu ersuchen" wegfallen. Sie gestatten, daß wir das bei 'der Redaktion richtigstellen. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Schließlich liegt vor der Antrag betreffend den Ausbau von Bundesautobahnen um Hamburg, Drucksache Nr. 4576. Der Haushaltsausschuß beantragt auch hier, den Antrag der Bundesregierung als Material zur Verfügung zu stellen. - Ohne Berichterstattung. - Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Drucksache Nr. 4576 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; angenommen.
Meine Damen und Herren, es erhebt sich die Frage, wie wir weiter prozedieren wollen. Wir haben noch zwei Punkte auf der Tagesordnung, erstens die Saarfrage, zweitens das Abkommen zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten über den Betrieb gewisser Rundfunkanlagen innerhalb der Bundesrepublik. Ich fürchte, daß, wenn wir unseren Plan, um 9 Uhr aufzuhören, verwirklichen wollen, wir die Saardebatte nicht mehr durchführen können. Wie ist die Meinung des Hauses?
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- Ich schlage Ihnen vor, den Punkt 4 noch zu erledigen:
Zweite und dritte Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über den Betrieb gewisser Rundfunkanlagen innerhalb der Bundesrepublik vom 11. Juni 1952 ({4});
Mündlicher Bericht des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten ({5}) ({6}).
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Berichterstatter ist Herr Abgeordneter Dr. Vogel. Bitte!
Dr. Vogel ({8}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz hat zwei Ausschüssen vorgelegen: zunächst dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films und dann dem Auswärtigen Ausschuß.
Bei der Behandlung des Gesetzentwurfs vor dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films stellte sich 'heraus, daß der Ausschuß sehr einmütig zwei Änderungen verlangte. Die Opposition hatte von vornherein erklärt, sie würde dem Gesetz ihre Zustimmung nicht geben können. Die beiden Änderungswünsche waren folgende. Erstens wird gewünscht, in Art. I Abs. 2 des Abkommens, das zu diesem Gesetzentwurf gehört, den Zusatz einzufügen: „Eine paritätisch zusammengesetzte ständige Kommission hat diese gemeinsamen Interessen laufend aufeinander abzustimmen." Zweitens sollte die Bundesregierung ersucht werden, im Zusammenhang mit den zur Änderung des des Art. I Abs. 2 aufzunehmenden neuen Verhandlungen einer Herabsetzung der Lauffristen dieses Abkommens, die in Art. VII festgelegt worden sind, zu erreichen. Diese beiden Änderungswünsche sind vom ersten Ausschuß dem Auswärtigen Ausschuß zugeleitet worden.
Der Auswärtige Ausschuß nahm sie gleichfalls an und beauftragte die Bundesregierung, die entsprechenden Schritte einzuleiten. In seiner letzten diesbezüglichen Sitzung erklärte der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts, daß seine Bemühungen, in dieser Frage ein Nachgeben der Vereinigten Staaten zu erreichen, im wesentlichen erfolglos geblieben sind. In der Frage der Fristen war kein Zugeständnis zu erreichen. Lediglich in der Frage der Mitwirkung der deutschen Seite an der Wahrnehmung der gemeinsamen Interessen konnte man so etwas wie ein halbes Entgegenkommen herauslesen. Aber auch hier war auf den klar präzisierten deutschen Wunsch nicht eingegangen worden. Obwohl also diese Demarche nicht den gewünschten Erfolg hatte, hat der Auswärtige Ausschuß mit Mehrheit beschlossen, Ihnen zu empfehlen, diesem Gesetz Ihre Zustimmung zu geben.
Ich danke dem Herrn Berichterstatter.
Ich rufe auf zur zweiten Beratung Art. I, - II, - III, - Einleitung und Überschrift. Liegen Wortmeldungen vor? - Das ist nicht der Fall. Ich bitte die Damen und Herren, die Art. I, II, III, der Einleitung und der Überschrift zuzustim({0})
men wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; angenommen.
Ich komme zur
dritten Beratung.
Wird zur allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht? - Bitte schön, Herr Abgeordneter Paul, im Rahmen einer Höchstredezeit von 60 Minuten, die der Ältestenrat beschlossen hat.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Frage des Betriebes ausländischer Rundfunksender auf dem Gebiet der Bundesrepublik hat die deutsche Öffentlichkeit seit langem stark beschäftigt. Auch der Bundestag hatte schon zu wiederholten Malen Gelegenheit, sich mit diesen Dingen zu befassen. Es wurde sowohl an dier Tatsache, daß ausländische Rundfunksender auf dem Gebiet der Bundesrepublik installiert wurden und weiter in Betrieb sind, wie auch am Inhalt der Sendungen selbst heftige Kritik geübt. Diese Kritik war berechtigt. Sie ist auch nicht völlig erfolglos gewesen. Wir haben in einzelnen Fällen eine Wendung zum Besseren feststellen können. Diese Wendung zum ,Besseren ist ungenügend und ändert nichts am Prinzip, daß eben ausländische Rundfunksender auf dem Gebiet der Bundesrepublik in Betrieb sind.
Wir wollen nicht mißverstanden werden. Wir anerkennen die Notwendigkeit der Unterrichtung jener Menschen, die hinter idem Eisernen Vorhang leben. Wir wünschen keine Propaganda, wohl aber Information, Aufklärung. Die Verbreitung objektiver Informationen über die Vorgänge in der westlichen Welt, von der diese Menschen abgeschlossen sind, über Vorgänge in der Bundesrepublik, ja selbst über Vorgänge in diesen Ländern selbst ist eine Notwendigkeit. Die Menschen leiden ja nicht nur unter dem materiellen Terror, sie leiden auch unter dem geistigen Terror und befinden sich in einer geistigen Zwangsjacke.
Unerträglich ist aber die Form, in welcher sich diese Tätigkeit abwickelt. Bisher geschah dies auf Grund des Besatzungsrechts. Jetzt soll nun aus diesem Besatzungsrecht Vertragsrecht werden. Die Bundesrepublik wird in ihrer Souveränität eingeschränkt, ohne daß sie einen wirklichen Einfluß auf den Inhalt dessen hat, was gesendet wird. Dies ist mehr als 'bedauerlich. Nicht nur die Vereinigten Staaten haben ein Interesse an der Entwicklung hinter dem Eisernen Vorhang, ein Interesse hat auch die Bundesrepublik. Wir lehnen jede missionäre Sendung des deutschen Volkes im Osten ab. Wir denken nicht an eine Sendung, die bis zum Ural reicht. Wir wollen auch keine Einflußnahme auf die Verhältnisse in ,den Nachbarstaaten üben außer der einen, daß wir wünschen, daß diese Staaten möglichst bald in den Besitz ihrer vollen Freiheit kommen. Aber wir haben ein legitimes Interesse am Schicksal der 18 Millionen Deutschen in der Sowjetzone. Wir haben ein ebenso legitimes Interesse an der Heimat der Vertriebenen, die jenseits von Oder und. Neiße und hinter dem Böhmerwald liegt.
Man kann mittels des Rundfunks das friedliche Zusammenleben der Völker auf der Basis gerechter Lösungen vorbereiten. Man kann aber auch alten und neuen Nationalismus nähren und selbst durch einseitiges Verschweigen von Tatsachen Komplikationen für die Zukunft schaffen. Die bisherigen Erfahrungen, die mit diesen ausländischen
Sendern auf idem Gebiet der Bundesrepublik gemacht wurden, berechtigen zu großem Mißtrauen. Der Rundfunk, auch dieser Rundfunk, kann zu einem Mittel der Beeinflussung deutscher oder gesamtdeutscher Interessen werden. Kollege Wehner hat uns heute nachmittag ein Beispiel erzählt, wie bei „Free Europe" die jüngsten Ereignisse hinter dem Eisernen Vorhang und ihre Auswirkungen auf die westliche Welt dargestellt werden. Wir wissen, daß RIAS unbestreitbare Verdienste um die Aufklärung und Ermunterung der Deutschen in der Sowjetzone hat. Aber ist es nicht bezeichnend, daß eben dieser RIAS die Erklärung der Berliner SPD, die in jener entscheidenden Nacht vom 17. auf den 18. des vergangenen Monats abgegeben wurde und die vereinbarungsgemäß in den Morgenstunden zwischen 5 und 6 Uhr, wo die Menschen sonst zur Arbeit zu gehen gewohnt sind, gesendet werden sollte, nicht gesendet hat und daß er vom Wort der SPD erst im Laufe des Tages aus einer Presseerklärung_dieser Partei Kenntnis genommen hat?
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Ist es nicht bezeichnend? Ja, es ist bedauerlich, daß so etwas geschieht; denn es wäre berechtigt gewesen, daß das Wort der SPD gerade in dieser Stunde an die Arbeiter in Berlin und in der Sowjetzone gekommen wäre.
Ist es nicht ebenso bezeichnend, daß z. B. bei RIAS kein heimatvertriebener Abgeordneter - ich meine die demokratischen Abgeordneten des Bundestages - die Möglichkeit hat, einmal ein politisches Grußwort an seine zahlreichen in der Sowjetzone lebenden Freunde zu richten, an Menschen, die ihrer ganzen inneren Einstellung nach zweifellos nicht zu den Stützen des bolschewistischen Regimes gehören?
Der Vertrag - so ist zu befürchten - verewigt diese Zustände. Es ist bedauerlich, daß trotz einstimmiger Beschlüsse - wie der Herr Berichterstatter hier mitgeteilt hat - sowohl des Ausschusses für Presse, Film und Rundfunk wie auch des Auswärtigen Ausschusses an 'dem Vertrag im Prinzip nichts geändert werden konnte. Wir erhalten keine paritätische Kommission, die das Mitspracherecht hat, und wir haben auch mit der langen Laufzeit zu rechnen, die eine Kündigung erst in einer Zeit ermöglicht, in der wir vor völlig anderen politischen Verhältnissen stehen werden. Was sich hier anbahnt, ist nichts anderes als eine Art Rundfunk-Kolonialherrschaft, gegen die wir auf das schärfste zu protestieren haben.
Es wurde zugesichert, daß man wohl über die Dinge reden könne. Aber das kennen wir. Wir wissen, wie es sich dabei verhält. Es sind Gespräche im nachhinein. Wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, kann man über die Dinge reden, und dann bleibt nichts übrig, als weinend an der Klagemauer zu stehen und zu hoffen, daß sich die Dinge in Zukunft ändern. Würdig ist dieser Zustand für die Bundesrepublik nicht. - Ich sehe da gerade den Herrn Bundesfinanzminister vor mir, und ich lenke seine Aufmerksamkeit auch auf gewisse steuerliche Konsequenzen des Vertrags. Es ist sicher für ihn nicht uninteressant, zu wissen, daß sich die zahlreichen und in der Regel 'sehr wohl dotierten Angestellten, denen wir ihren Verdienst, soweit er ehrlich verdient ist, nicht schmälern und mißgönnen möchten, immerhin im Zustand der Steuerfreiheit befinden.
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) Meine Damen und Herren! Dieser Vertrag ist unmöglich. Wir kommen in einen Zustand, der im neunten Jahr nach Beendigung des Krieges doch nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Es wäre zu hoffen gewesen, daß gerade die Vereinigten Staaten der Welt ein Beispiel -gegeben hätten - auch dem Osten ein Beispiel gegeben hätten -, daß man solche Dinge auch auf einer anderen Ebene machen kann.
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- Das ist kein Einwand. Diese Veränderung geschieht auch bereits auf Grund der Voraussetzung, daß die Verträge ratifiziert werden, sonst könnte es ja weiter beim Besatzungsrecht bleiben.
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- Ich bezweifle, daß man mehr erreicht hätte als jetzt, da einmütige Beschlüsse sowohl des Auswärtigen Ausschusses als auch des Fachausschusses, des Ausschusses für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films, vorlagen.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit nicht versäumen, darauf aufmerksam zu machen, daß wir eine deutsche Pflicht zur Aufklärung haben. Da hat man die Frage zu stellen, warum hier die Chancen nicht ausgenutzt werden, die bestehen. Die Bundesregierung hat sich bisher nur hemmend in den Weg gestellt, als die Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten die Initiative entwickelte, einen überregionalen deutschen Langwellensender in Betrieb zu setzen. Wir könnten heute diese deutsche Langwelle längst in Betrieb haben, wenn die Bundesregierung damals nicht bremsend entgegengetreten wäre. Auf diesem Gebiete wäre mehr Aktivität erwünscht und erforderlich, als sie beim Abschluß dieser Verträge gezeigt wurde.
Ich möchte abschließend bemerken, daß diese Art der Rundfunkpolitik unserer Pflicht zur objektiven Aufklärung nicht dient. Sie beschneidet außerdem die deutsche Souveränität, ehe wir sie noch errungen haben, und schädigt schließlich auch die deutschen Interessen.
Das sind die Gründe, die die sozialdemokratische Fraktion veranlassen, in dieser Frage eine ablehnende Stellung zu beziehen.
Meine Damen und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die allgemeine Aussprache der dritten Beratung. Einzelbesprechung entfällt, da Änderungsanträge nicht gestellt sind.
Ich komme zur Abstimmung über die Artikel I, - II, - III, - Einleitung und Überschrift des Gesetzes betreffend das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika über den Betrieb gewisser Rundfunkanlagen innerhalb der Bundesrepublik vom 11. Juni 1952. - Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit. Das Gesetz ist angenommen.
Es wurde mir gesagt, daß noch eine Erklärung gemäß § 36 der Geschäftsordnung abgegeben werden sollte; aber offenbar heute nicht. Es besteht ja auch morgen die Möglichkeit dazu.
Meine Damen und 'Herren, ich schlage Ihnen vor, daß wir heute die Sitzung abbrechen und Punkt 3 a und b der Tagesordnung betreffend die Große Anfrage und den Ausschußbericht zur Saarfrage an die Spitze der morgigen Tagesordnung stellen.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf morgen, Donnerstag, den 2. Juli, 9 Uhr, und schließe die 278. Sitzung.