Plenarsitzung im Deutschen Bundestag am 4/15/1953

Zum Plenarprotokoll

Hinweis: Der Redeinhalt enthält nur die tatsächlich gesprochenen Worte des jeweiligen Politikers. Jede Art von Zwischenruf oder Reaktion aus dem Plenum wird aus dem Redeinhalt gelöscht und durch eine Positions-ID im Format ({ID}) ersetzt.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die 259. Sitzung des Deutschen Bundestags und bitte den Herrn Schriftführer, die Namen der entschuldigten Abgeordneten bekanntzugeben.

Heinz Matthes (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001437

Es suchen für längere Zeit um Urlaub nach Abgeordneter Dr. Friedensburg für acht Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Henßler für sieben Wochen wegen Krankheit, Abgeordneter Dr. Henle für vier Wochen wegen dienstlicher Inanspruchnahme, Abgeordneter Frühwald für drei Wochen wegen Krankheit.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich darf unterstellen, daß der Urlaub, soweit er über eine Woche hinausgeht, genehmigt ist. - Das ist der Fall. Bitte!

Heinz Matthes (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001437

Der Präsident hat Urlaub erteilt für zwei Tage den Abgeordneten Dr. von Merkatz, Dr. Götz, Frau Schroeder ({0}), Höfler, Dr. Mende, Lausen, Dr. Veit, Gockeln, Rademacher, Dr. Serres, Weltner, Dr. von Brentano, Frau Dr. Gröwel, Frau Thiele, Reimann, Rische, Dr. Baade, Dr. Reif, Dr. Edert, Dr. Bergstraeßer, Kalbfell, Funcke, Dr. Kopf, Ewers. Entschuldigt fehlen die Abgeordneten Reitzner, Pelster, Wagner, Eberhard, Görlinger, Hilbert, Dr. Keller, Fisch, Dr. Mühlenfeld, Hoogen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke. Meine Damen und Herren, die längere Sitzungspause bringt uns die erwünschte Gelegenheit, größeren Zahl von Abgeordneten nachträglich zum Geburtstag zu gratulieren oder des heutigen Geburtstages zu gedenken. Ich spreche die Glückwünsche aus Herrn Abgeordneten Pferdmenges zum 73. Geburtstag am 27. März, ({0}) Herrn Abgeordneten Dr. Pünder zum 65. Geburtstag am 1. April, ({1}) dem Herrn Bundesminister Storch, auch wenn er nicht anwesend ist, zum 61. Geburtstag am 1. April, ({2}) der ebenfalls heute beurlaubten Frau Abgeordneten Schroeder ({3}) zum 66. Geburtstag am 2. April, ({4}) Herrn Abgeordneten Dr. Glasmeyer zum 60. Geburtstag am 4. April, ({5}) Herrn Abgeordneten Ewers zum 66. Geburtstag am 5. April, ({6}) dem Herrn Vizepräsidenten Dr. Schäfer zum 61. am 6. April, ({7}) dem Herrn Abgeordneten Schmitt ({8}) zum 71. am 6. April, ({9}) dem Herrn Abgeordneten Böhm zum 63. am 8. April, ({10}) dem Herrn Abgeordneten Eberhard zum 61. am 9. April, ({11}) dem Herrn Abgeordneten Ritzel zum 60. am 10. April, ({12}) dem leider auch erkrankten Herrn Abgeordneten Henßler zum 67. am 12. April, ({13}) Herrn Abgeordneten Schuler zum 68. am 12. April. ({14}) Heute feiern ihren Geburtstag: den 67. Herr Abgeordneter Hoecker ({15}) und den 62. Herr Abgeordneter Horn. ({16}) Auch diesen beiden Herren herzliche Glückwünsche. Zur heutigen Tagesordnung habe ich folgendes mitzuteilen. Gemäß einer Vereinbarung im Ältestenrat sind abgesetzt die Punkte 3 und 7 der heutigen Tagesordnung. Eingeschoben als Punkt 3 ist die erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD, FDP, DP, FU ({17}) eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft, Drucksache Nr. 4247. - Das Haus ist mit dieser Änderung der Tagesordnung einverstanden. Ich habe ein technisches Versehen in der 257. Sitzung des Bundestages zu berichtigen. Infolge eines Irrtums bei der Zusammenstellung der Beschlüsse des Ausschusses ist in § 1 Abs. 1 des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über Viehzählungen der erste Satz, der aus der Regierungsvorlage übernommen werden sollte, versehentlich nicht im Ausschußbericht mitgedruckt und daher nicht mitbeschlossen worden. Es handelt sich um den Satz: In jedem Jahr finden im Geltungsbereich dieses Gesetzes in der ersten Woche des Dezember eine allgemeine Viehzählung und jeweils in der ersten Woche des März, Juni und September Viehzwischenzählungen statt. Ich darf unterstellen, daß das Haus mit dieser sachlich notwendigen und im Sinne der Vorlage liegenden Änderung als einer reinen Berichtigung einverstanden ist. - Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß naturgemäß die Zählungen des Hammelsprungs im Bundestag nicht unter den Begriff der Viehzählungen fallen. ({18}) Die nächste Fragestunde findet am Dienstag, dem 28. April 1953, 13.30 Uhr, statt. Die Sperrfrist für eingehende Fragen ist Donnerstag, den 23. April, 12 Uhr. Die übrigen amtlichen Mitteilungen werden ohne Verlesung ins Stenographische Protokoll aufgenommen: Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 27. März 1953 folgenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Art. 77 Abs. 2 des Grundgesetzes nicht gestellt: Gesetz zur Neuregelung der Abgaben auf Mineralöl; ({19}) Gesetz über die Erstreckung des Tarifvertragsgesetzes; Gesetz über die Verlängerung der Wahlperiode der Betriebsräte ({20}) in den öffentlichen Verwaltungen und Betrieben des Bundes und der bundesunmittelbaren Körperschaften des öffentlichen Rechts; Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Förderung der Wirtschaft von Berlin ({21}); Gesetz über die Feststellung eines Nachtrags zum Bundeshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1952; Gesetz zur Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens; Gesetz zur Änderung des Zolltarifs aus Anlaß der Errichtung des gemeinsamen Marktes der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl. Der Herr Bundesminister für Arbeit hat unter dem 27. März 1953 die Kleine Anfrage Nr. 261 der Fraktion der SPD betreffend Beschaffung von Lehrstellen für Jugendliche und von Dauerarbeitsplätzen für ältere Angestellte und Arbeiter - Drucksache Nr. 3306 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4245 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Wirtschaft hat unter dem 28. März 1953 die Kleine Anfrage Nr. 324 der Abg. Strauß und Genossen betreffend Stornierung von Exportaufträgen - Drucksache Nr. 4153 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4238 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat unter dem 9. April 1953 die Kleine Anfrage Nr. 325 der Fraktion der SPD betreffend Weihnachtszuwendungen an den früheren Postminister Ohnesorge - Drucksache Nr. 4195 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4262 vervielfältigt. Der Herr Staatssekretär des Auswärtigen Amts hat unter dem 8. April 1953 die Kleine Anfrage Nr. 326 der Fraktion der SPD betreffend Schuldenanerkenntnis - Drucksache Nr. 4206 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4252 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister des Innern hat unter dem 1. April 1953 die Kleine Anfrage Nr. 327 der Abgeordneten Kühn, Gaul, Dr. Miessner, Dr. Schäfer und Fraktion der FDP betreffend Unterbringung der Personen nach Art. 131 des Grundgesetzes - Drucksache Nr. 4207 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4251 vervielfältigt. Der Herr Bundeskanzler hat unter dem 14. April 1953 die Kleine Anfrage Nr. 330 der Fraktion der SPD betreffend Bevollmächtigter für die Filmwirtschaft - Drucksache Nr. 4233 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4261 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister für Vertriebene hat unter dem 11. April 1953 die Kleine Anfrage Nr. 331 der Fraktion der SPD betreffend Entschädigungsgesetz für Kriegsgefangene, Zivilinternierte und Zivilverschleppte - Drucksache Nr. 4234 - beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4253 vervielfältigt. Der Herr Bundesminister der Justiz hat unter dem 16. März 1953 unter Bezugnahme auf den Beschluß des Deutschen Bundestages in seiner 164. Sitzung und der Frage Nr. 15 der Fragestunde am 25. Februar 1953 über die Frage der Auslieferung des Frantisek Kroupa aus Norwegen nach Deutschland berichtet. Sein Schreiben wird als Drucksache Nr. 4244 vervielfältigt. Der Herr Präsident der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein hat unter dem 31. März 1953 gemäß §§ 6 und 9 des Branntweinmonopolgesetzes den Geschäftsbericht der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein und die Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung der Verwertungsstelle für das Geschäftsjahr 1951/52 ({22}) vorgelegt, die als Drucksache Nr. 4263 vervielfältigt werden. Damit sind die amtlichen Mitteilungen beendet. Ich rufe den Punkt 1 der Tagesordnung auf: Dritte Beratung des Entwurfs eines Tabaksteuergesetzes ({23}); Zusammenstellung der Beschlüsse in zweiter Beratung ({24}). ({25}) Der Ältestenrat schlägt Ihnen für die dritte Beratung eine allgemeine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. Zunächst wünscht der Herr Berichterstatter noch das Wort zum Vortrag einiger Berichtigungen. Herr Abgeordneter Peters, bitte! Peters ({26}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Leider muß ich als Berichterstatter noch einige Berichtigungen erbitten. In § 85 Abs. 2 auf Seite 52 der Drucksache Nr. 4182 muß es unter 1 c) in der Klammer nicht „Feinschnitt", sondern „Pfeifentabak" heißen. Es handelt sich hier um einen einfachen Druckfehler. In dem Umdruck Nr. 849 - das ist die Zusammenstellung der Beschlüsse der zweiten Lesung - muß es in § 28 nicht „für Gegenstände mit eigenem Verkaufs wert", sondern „für Gegenstände mit eigenem Verkehrs wert" heißen. Ich bitte, diese Berichtigungen vorzunehmen und bei der endgültigen Drucklegung dann auch zu berücksichtigen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. Sie haben freundlichst von diesen Veränderungen Kenntnis genommen. Ich rufe auf zur allgemeinen Aussprache der dritten Beratung. Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Brönner.

Dr. Josef Brönner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000270, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der vorliegende Gesetzentwurf ist aufgebaut auf steuerlichen und wirtschaftlichen Erwägungen. Das Gesetz kann aber auch im Hinblick auf seine gesundheitliche und sittliche Seite betrachtet werden. Ich glaube, es ist angebracht, daß wir in der dritten Lesung dieses Gesetzes auf diese Gesichtspunkte hinweisen. Das Ziel des Gesetzes ist, die 200 Millionen DM gestundeter Tabaksteuern zu bereinigen, den schlechtbezahlten Zigarrenarbeitern, den Tabakbauern und der Tabakindustrie zu helfen und dem Herrn Bundesfinanzminister möglichst den ({0}) gleichen Ertrag an Tabaksteuern zu sichern. Die Tabakindustrie soll nämlich seit eineinhalb Jahren finanziell notleidend sein. Daher hat der Herr Bundesfinanzminister Tabaksteuern in Höhe von etwa 200 Millionen DM gestundet. Wie ist nun diese Maßnahme zu beurteilen? Die Tabakindustrie hat diese Steuern von den Konsumenten erhoben, hat sie aber nicht abgeführt, sondern für eine Riesenreklame ausgegeben, um den Umsatz zu steigern. ({1}) Trotz des gestiegenen Umsatzes hat sie die eingenommenen Steuern nicht abgeführt. Die Großbetriebe haben vielmehr mit diesen Steuern ihr Geschäft umgetrieben und haben sie als Betriebsmittel verwendet. Was sollen wir einem kleinen Gewerbetreibenden sagen, der mit einem Gesuch um Stundung seiner Einkommensteuer oder seiner Umsatzsteuer an das Finanzamt herantritt, wenn diese nicht genehmigt wird? Dann wird er uns auf die Stundungen von 200 Millionen DM für diese Großbetriebe hinweisen. Und wie stehen wir als Abgeordnete da, wenn wir uns verteidigen wollen? ({2}) Gleiches Recht für alle! wird der kleine Mann sagen, wenn es sich um Steuerstundungen handelt. Je höher die gestundeten Steuerbeträge geworden sind, desto größer ist das Geschenk an die Großindustrie, besonders auch an Zinsen. Außerdem werden nach dem Gesetzentwurf nicht mehr alle gestundeten Beträge, sondern nur etwa 85 % beigetrieben. Wenn übermorgen ein anderer Gewerbezweig der Genußmittelindustrie kommt und über mangelnde Rentabilität klagt, - werden ihm dann auch 200 Millionen an Steuern gestundet? Wir werden als Abgeordnete keinen leichten Stand haben, wenn wir in der Öffentlichkeit wegen dieses Gesetzes angegriffen werden. Als zweite Begründung für das Gesetz wird die Bekämpfung des Zigarettenschmuggels angegeben. Die Produktion und der Verbrauch an Zigaretten beliefen sich im Jahre 1952 auf etwa 30 Milliarden Stück. Der Verbrauch ist in einem Jahr von etwa 22 Milliarden auf 30 Milliarden Stück gestiegen. Daneben kamen 4 bis 5 Milliarden Stück durch Schmuggel herein, die nicht versteuert wurden. Dabei wurde der Herr Finanzminister um etwa 3- bis 400 Millionen DM an Steuern gebracht. Er hofft, daß die Verbilligung der Zigaretten den Schmuggel erheblich verringern und daß er einige 100 Millionen DM an Tabaksteuern mehr einnehmen wird. Die Annahme, durch eine verhältnismäßig geringe Steuersenkung den Großschmuggel beseitigen zu können, erscheint reichlich optimistisch. Es ist mindestens zweifelhaft, ob diese Rechnung stimmt. Drittens rechnet der Herr Bundesfinanzminister damit, daß bei gesenkten Steuern etwa derselbe Ertrag an Tabaksteuer eingeht. Er kann in seinem Bundeshaushalt keine größeren Steuerausfälle hinnehmen und hofft daher bei einer Verbilligung der Zigaretten auf einen steigenden Konsum. Statt 30 Milliarden Stück sollen nach der Steuersenkung etwa 36 Milliarden Zigaretten im Jahr versteuert und verraucht werden. Die Zigarettenindustrie rechnet sogar mit 37 bis 38 Milliarden Stück. Diese Steigerung um ein Fünftel läßt sich daraus errechnen, daß nach der Steuersenkung die Packungen ein Fünftel mehr Zigaretten enthalten als vorher und den gleichen Preis kosten. Statt der Fünferpackung zu 50 Pf. gibt es dann eine Sechserpackung zu 50 Pf., statt der Zehnerpackung zu 1 DM eine Zwölferpackung zu 1 DM. Ähnlich wird sich die Verbilligung beim Stückverkauf auswirken. Die Raucher werden den gleichen Teil ihres Einkommens für Zigaretten ausgeben wie bisher. Es muß also damit gerechnet werden, daß im kommenden Jahr etwa 6 Milliarden Stück mehr geraucht werden als bisher. Welches sind nun die Folgen dieses verstärkten Konsums? Die finanziellen Folgen werden für den Herrn Bundesfinanzminister vielleicht befriedigend sein, weil um so mehr geraucht wird. Er wird alsbald bei den verringerten Steuersätzen ebenso viel Tabaksteuer einnehmen wie bei den erhöhten Sätzen. Die wirtschaftlichen Folgen werden günstig sein für die Tabakbauern und für die Tabakindustrie. Wir gönnen es den Tabakbauern und den Zigarrenarbeitern wie auch den Klein- und Mittelbetrieben. Dagegen werden die Großbetriebe ein ausgezeichnetes Geschäft machen. ({3}) Diesen Folgen stehen aber die gesundheitlichen und sittlichen Gefahren besonders bei der Jugend gegenüber. Das obere Ziel der Gesetzgebung sollte ein gesundes und sittlich gefestigtes Volk sein. Der Mensch muß im Mittelpunkt unserer Politik stehen. ({4}) Wir geben Milliarden aus für die Gesundung der kranken Menschen, Millionen für die Ertüchtigung der Jugend. Die Innere Mission, der Caritasverband, die Jugendorganisationen geben sich alle erdenkliche Mühe, den anfälligen Menschen und besonders der Jugend zu helfen. Diese Arbeit wird durch den steigenden Tabakkonsum ganz erheblich gefährdet. Daneben führt das übermäßige Rauchen auch zu sinkenden Leistungen. Unsere heutige Jugend ist gesundheitlich und charakterlich sehr labil. Das verstärkte Rauchen wird leicht zu einem steigenden Bedürfnis und bei der Jugend zu einer gesundheitlichen und sittlichen Gefahr. Die deutsche Hauptstelle gegen Suchtgefahren in Hamm hat den Abgeordneten unter dem 6. Dezember 1952 ein Schreiben zugehen lassen, aus dem ich Ihnen mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten ein paar Sätze vorlesen darf. Es heißt darin u. a.: Kein Steuergesetz zum Schaden der Volksgesundheit und der Jugend! Hervorragende Wissenschaftler und führende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wenden sich gegen die geplante Senkung der Zigarettensteuer. Diese Stimmen können und dürfen nicht überhört werden. Sie geben, da alle Richtungen vertreten sind, die Auffassung der Volksmeinung in dieser Frage wieder. Im Interesse der Volksgesundheit und der Jugend bitten wir Sie dringend, unter allen Umständen eine Erhöhung des Zigarettenverbrauchs zu verhindern und deshalb jede steuerliche Begünstigung der Zigarette gegenüber dem übrigen Lebensbedarf abzulehnen. Fragen wir einmal die verantwortlichen Führer der Jungsozialisten, der Jungdemokraten oder der Jungen Union, was sie von diesem Gesetz halten! Sie werden höchstwahrscheinlich sagen, daß ihnen ihre Arbeit nunmehr erheblich erschwert wird. Sehr viele Väter und Mütter und sehr viele Jungen und Mädchen werden nicht verstehen, was ({5}) hier geschieht. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß die gesundheitlichen, die geistigen und die charakterlichen Auswirkungen eines Gesetzes wichtiger sind als die wirtschafts- und finanzpolitischen Erwägungen. ({6}) Meine Damen und Herren, man kann gegen alle diese Bedenken einwenden, daß in anderen Ländern, in den USA, in Frankreich usw. noch mehr Zigaretten auf den Kopf der Bevölkerung kommen als bei uns. Dennoch kann man unseren verstärkten Konsum nicht rechtfertigen, wenn er so gut wie sicher eine gesundheitliche und erzieherische Gefahr bedeutet. Außerdem sind die Folgen des übermäßigen Rauchens erst später bemerkbar. Wir stehen hier vor einem echten Konflikt. Die Tabakbetriebe bemühen sich um eine Ausweitung ihrer Produktion und um höhere Gewinne. Die gesundheitliche und sittliche Seite des steigenden Tabakkonsums ist ihnen vollständig gleichgültig. Auf der anderen Seite stehen die sozialhygienischen Verbände, die Innere Mission, der Caritasverband, die Jugendverbände, die sich gegen eine Ausweitung des Zigarettenkonsums wenden. Das Gesetz bereitet ihnen große Sorgen, weil es ihre Bemühungen erheblich erschwert. Bei der zweiten Lesung haben meine Freunde und ich einen Antrag auf Rücküberweisung des Gesetzentwurfs an den Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und zur Mitberatung an den Ausschuß für Jugendfürsorge eingebracht. Dieser Antrag wurde mit großer Mehrheit abgelehnt. Daher sehen meine Freunde und ich heute von einem weiteren Antrag ab. Die Öffentlichkeit soll aber wissen, daß im Bundestag neben den finanziellen und wirtschaftlichen Erwägungen auch sittliche Überlegungen angestellt werden und daß der Mensch, der gesunde Mensch, die gesunde Familie und vor allem eine gesunde und charaktervolle Jugend ein wichtiges Ziel unserer Politik ist und bleiben muß. ({7}) Die Lösung all dieser Fragen hätte durch Herabsetzung der Zigarettensteuer ohne Senkung des Zigarettenpreises erreicht werden können. Dann brauchte kein steigender Konsum befürchtet zu werden. Der Herr Bundesfinanzminister hätte dann allerdings mit einem geringeren Ertrag der Tabaksteuer zu rechnen. Nun werden aber gesundheitliche und sittliche Bedenken gegen Steuererträge ausgehandelt. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn man einen anderen Ausweg aus den Schwierigkeiten gefunden hätte, und zwar ohne Ausweitung des Zigarettenkonsums. Da dies nicht geschehen ist, können meine Freunde und ich dem Gesetzentwurf nicht zustimmen. ({8})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Abgeordneter Peters.

Georg Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Finanz- und Steuerfragen und das Hohe Haus haben bei ihren Beratungen wesentliche Änderungen an dem urspünglichen Entwurf eines Tabaksteuergesetzes vorgenommen. Das Gesetz wird besser sein als der Entwurf. Die Fraktion der SPD begrüßt besonders die Erkenntnis, daß die einzelnen Tabakwarenerzeugnisse in der Preisrelation und nicht in der Belastungsrelation zueinander gesehen werden müssen. Aus dieser Sicht heraus wurde die im Regierungsentwurf enthaltene einseitige Bevorzugung der Zigarettenindustrie aufgehoben und eine entsprechende Preissenkung für die verschiedenen Tabakerzeugnisse, vor allem für den Feinschnitt mit Beimischungszwang, beschlossen. Die vom Herrn Finanzminister vorgeschlagene Senkung des Preises von 1,60 auf 1,50 DM für ein Päckchen Feinschnitt mit Beimischung konnte keinesfalls gegenüber einer Senkung des Zigarettenpreises von 10 auf 8 1/3 bzw. 7 1/2 Pf. in der Vorschaltpreisklasse als gerecht empfunden werden. Der 1950 gestellte Antrag der SPD-Fraktion sah eine Senkung auf 26 DM für ein Kilo und damit auf 1,30 DM für ein Päckchen in der regulären Preislage vor. Das wäre die richtige Relation zu der Zigarette gewesen. Wir haben dieses Ziel zwar nicht voll erreicht, können jedoch diesem Kompromiß zustimmen. Die in den Vorschaltpreisklassen bei der Zigarette und bei dem Tabak gefundenen Lösungen bezüglich der Herstellungsmengen finden in allen Teilen unsere Zustimmung. Die Beseitigung der progressiven Steuersätze bei Rauchtabak ermöglicht es, in den verschiedenen Preisklassen auch wirklich verschiedene Qualitäten anzubieten. Die prozentual gleichbleibenden Steuersätze sichern damit erfreulicherweise auch dem Tabakanbauer für seine Qualitätstabake entsprechende Erlöse bei der Industrie. Ich glaube, das ist ein nicht zu unterschätzender Faktor. Durch dieses Gesetz werden die Preise für Zigarren nicht geändert. Wenn die steuerliche Belastung jedoch von bisher 28 % des Verkaufspreises auf 23 % herabgesetzt wurde - der Herr Finanzminister wollte auf 25% herabgehen -, so soll damit neben der notwendigen Erlösberichtigung für die Industrie vor allem auch der Weg für eine dringend notwendige Lohnerhöhung freigegeben werden. Darüber liegen bereits bindende Abmachungen mit der Zigarrenindustrie vor. Die Tabakindustrie wird ebenfalls die Möglichkeit zu Lohnerhöhungen haben und dahingehende Abmachungen verwirklichen. Eine Diskussion im Ausschuß über die Frage, ob über Verbrauchsteuergesetze Lohnpolitik betrieben werden soll, war insofern müßig, als über die Steuersätze und die festgesetzten Kleinverkaufspreise für Tabakwaren so oder so Lohnpolitik betrieben wird. Es ist erfreulich, daß aus dieser Zwangslage die rechtliche Konsequenz gezogen und der Weg für eine Lohnerhöhung freigegeben wurde. Einen breiten Raum nahm im Ausschuß die Frage der Besteuerung von Zigarettenpapier ein. Sosehr wir es bedauerten, daß man es bei der jetzigen hohen Steuer von 24 Pf für 50 Zigarettenblättchen belassen wollte, so sehr begrüßen wir es, daß das Hohe Haus in der zweiten Lesung unserem Antrag gefolgt ist, die Steuer auf 5 Pf herabzusetzen, und damit zum mindesten steuerlich gerechter wird. Die Besteuerung von Zigarettenpapier ist an sich ungerecht, wenn man nicht sagen will: unmoralisch. Man besteuert den darin eingewickelten Tabak ja schon über alle Maßen. Unser Antrag auf Herabsetzung der Steuer von 24 auf 5 Pf für 50 Blättchen war schon aus diesem Gesichtspunkt heraus ein Kompromiß. Wir hoffen stark, daß das Hohe Haus es bei dem Beschluß der zweiten Lesung beläßt und den heute vorliegenden Gegenantrag ablehnt. ({0}) Eine grundsätzliche Erwägung fand im Ausschuß auch die Frage der Steuererleichterungen für die kleinen Betriebe. Diese Vergünstigungen, die bei der Besteuerung von Tabakwaren bereits eine Tradition darstellen, wurden beibehalten und durch neue Staffeln gerechter gestaltet. Sie finden grundsätzlich unsere Zustimmung, da sie der Erhaltung der kleinen und mittleren Betriebe dienen. Der Vollstreckungsaufschub, der seit dem 31. Oktober 1951 für Teile der Banderolensteuer gewährt wurde, umfaßt bis Ende März etwa den Betrag von 215 bis 220 Millionen DM. Für die Rückzahlung dieser Beträge fand der Ausschuß eine nach verschiedener Richtung hin bessere Lösung, als sie vom Herrn Bundesfinanzminister vorgeschlagen war. Der Rückzahlungsbetrag insgesamt wurde erhöht unter stärkerer Heranziehung der größeren und großen Betriebe. Die kleineren Betriebe bleiben dafür von der Rückzahlung verschont. Insgesamt ist durch die Verzögerung des Gesetzes der Zeitraum für den Vollstreckungsaufschub viel zu lang geworden. Wenngleich feststeht, daß die großen Betriebe 85 % der Beträge zurückzahlen müssen, geben die hängenbleibenden Beträge in der Öffentlichkeit oft zu einer falschen Beurteilung Anlaß. Insgesamt ist es ja so, daß der Vollstreckungsaufschub nur einen Teil dieses Gesetzes, nämlich die Erlösberichtigung, vorweggenommen hat. Wir stimmen der hier gefundenen Regelung zu, hätten jedoch mehr Sympathie für eine kürzere Rückzahlungsfrist gehabt. ({1}) Für Beträge, von denen die Industrie wußte, daß sie zurückzuzahlen sind, eine Rückzahlungsfrist von fünf Jahren festzusetzen, erscheint uns nach keiner Richtung hin gerechtfertigt. ({2}) Insgesamt gesehen entspricht die jetzige Vorlage in vielen Punkten unseren Bestrebungen. Durch die Beachtung der Preisrelation zwischen Zigarette und Tabak wurden sowohl die berechtigten Interessen der Tabakanbauer wie auch die der Konsumenten berücksichtigt. Die Regierungsvorlage hätte durch die einseitige Bevorzugung der Zigarette nicht nur die gesamte Rauchtabakindustrie zurückgedrängt, sondern auch den Pfeifenraucher und den Raucher der selbstgedrehten Zigarette steuerlich ungerecht behandelt. Mit dem Rückgang des Feinschnitts wäre wiederum der Tabakanbauer in Mitleidenschaft gezogen worden. Das Tabaksteuergesetz bringt eine gute Zusammenfassung aller bisherigen Steuerbestimmungen. Es bringt neue Steuersätze, neue Preise, eine Erlösberichtigung für die Industrie und eine Preissenkung für den Konsumenten bei Tabak, Zigaretten und Zigarettenpapier. Die vorgeschalteten Preisklassen bei Zigaretten und Tabak geben den kleineren Firmen eine echte Chance. Diese Hilfe für die Kleinen bedingt auf der andern Seite jedoch eine weise Beschränkung. Jede sogenannte Großzügigkeit in dieser Frage macht das gewollte Ziel illusorisch. Dies sollte auch in der dritten Lesung berücksichtigt werden. Wir stimmen dem Gesetz zu. Meine Damen und Herren, nach Verabschiedung dieses Gesetzes und der beschlossenen Verbilligung von Tabak, Zigaretten und Zigarettenpapier legt die Fraktion der SPD nunmehr größten Wert auf die baldige fühlbare Senkung der Tee- und Kaffeesteuer. ({3}) Bereits 1950 hat der Bundestag auf unseren Antrag hin entsprechende Gesetzentwürfe von der Regierung gefordert. Daß nach der endlos verzögerten Vorlage dieser Gesetzentwürfe beim Bundesrat wiederum Monate verstrichen sind, ohne daß von seiten des Herrn Bundesfinanzministers oder des Kabinetts etwas geschieht, ist nach unserer Meinung nicht mehr tragbar. ({4}) Wir werden deshalb Initiativanträge vorlegen und alles für eine baldige Verabschiedung tun. ({5})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Bertram.

Dr. Helmut Bertram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000164, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Unsere Fraktion ist keineswegs leicht zu der ganz überwiegend gefaßten Stellungnahme gekommen, diesem Gesetz zuzustimmen. Wir haben Pro und Kontra eingehend erwogen. Aber wenn man die Gründe, die für und die gegen die Senkung des Tabakpreises durch Steuersenkung sprechen, miteinander vergleicht, so wird man doch den für eine Senkung sprechenden das größere Gewicht beimessen müssen. Zunächst einmal geschieht ja die Senkung in erster Linie im Interesse der Schmuggelbekämpfung. Dadurch wird doch erreicht, daß diejenigen Mengen an Rauchwaren, die jetzt ohnehin geraucht wurden, in Zukunft auf legalem Wege erworben und verzehrt werden. Dadurch tritt insgesamt aber keine Umsatzvermehrung ein. Außerdem kommt hinzu, daß sich die Rauchgewohnheiten ja nur schwer ändern. Wir rechnen damit, daß zahlreiche Raucher, die jetzt ihr Quantum täglich zum Preis von 10 Pf gekauft haben, in Zukunft das gleiche Quantum eben zu einem billigeren Preis kaufen werden, daß sie aber nicht etwa, wie die Zigarettenindustrie es uns erzählt, automatisch mehr rauchen werden. Ganz im Gegenteil: gerade der Familienvater, der eine Fülle von Aufgaben zu bewältigen hat und dem es schwer genug fallen wird, alle Bedürfnisse seiner Familie zu befriedigen, wird nicht ohne weiteres, wenn die Steuersenkung kommt, die ersparten Pfennige automatisch in Mehrkonsum anlegen, sondern er wird sie im Interesse der Bedürfnisse seiner Familie verwenden. So kann auf diesem Wege also eine echte Verbesserung der Lebenshaltung der Familie eintreten. Die Frage, die sich bei der Erörterung des Problems vor allem stellt, ist, ob überhaupt auf dem Wege über die Steuer der Konsum derartiger Genußmittel entscheidend beeinflußt werden kann. Wenn das wirklich der Fall wäre, wenn die Theorie, von der die Vertreter der andern Auffassung, der hohen Preise, ausgehen, richtig wäre, dann hätte sich der Konsum jetzt schon nicht in dieser Höhe entwickeln können; dann hätte jetzt schon das Steueraufkommen aus Tabak und Kaffee und ähnlichen Genußmitteln nicht Milliardenhöhe erreichen und eine wesentliche Stütze des Bundeshaushalts überhaupt ausmachen können. Gerade die Tatsache, daß der Verbrauch trotz der durch die deutsche Steuergesetzgebung bedingten außergewöhnlichen Höhe des Preises, eines Preises, wie wir ihn ja sonst nirgendwo in der Welt kennen, diesen Umfang angenommen hat, zeigt doch ganz deutlich, daß nicht ({0}) die Steuern die entscheidenden Faktoren für den Verbrauch dieses Genußmittels sind, sondern daß die entscheidenden Faktoren irgendwoanders zu suchen sind. Sie sind in der ganzen seelischen Haltung zu suchen und können nur durch eine Erziehung, durch eine Änderung der allgemeinen Umweltsbedingungen entscheidend geändert werden, aber nicht dadurch, daß die Steuer und der Preis in der bisherigen Höhe festgehalten werden. Es ist keineswegs richtig, daß insbesondere die Jugend auf die Preissenkung in verstärktem Maße reagieren würde. Schon jetzt ist es doch so, daß die Selbstgedrehte nicht von den jungen Menschen geraucht wird, sondern in erster Linie von dem Familienvater geraucht werden muß, der sein Rauchbedürfnis auf andere Art und Weise nicht befriedigen kann. Wenn aber gerade die jungen Leute im allgemeinen eher als die Familienväter in der Lage sind, sich ihr Zigarettenquantum in dem Umfang zu kaufen, in dem sie es selber wollen und nötig zu haben glauben, wie sollte dann zu erwarten sein, wenn wir tatsächlich die Vorschläge der andern Seite verwirklichen, daß die Jugend nunmehr weniger rauchte, als sie es heute schon tut? Die jungen Leute sind im allgemeinen in der Lage gewesen, sich ihr Rauchquantum zu vollen Preisen so zu verschaffen, und es ist nicht anzunehmen, daß es dadurch anders wird, daß die Preise jetzt teilweise gesenkt werden. Ich bin deshalb in der Lage, namens meiner Fraktion zu erklären, daß wir bei Abwägung des Pro und Kontra dem Gesetzentwurf ganz überwiegend unsere Zustimmung geben werden. Wir tun das in erster Linie aus der Erwägung heraus, daß die Steuersenkung dazu beitragen wird, die Dekkung der Lebensbedürfnisse weiter Bevölkerungskreise zu erleichtern, und in zweiter Linie aus der Auffassung heraus, daß die Zurückdrängung des Genusses von Tabakwaren und ähnlichen Genußmitteln keine Aufgabe der Steuergesetzgebung, sondern eine Aufgabe der Erziehung und anderer politischer Maßnahmen ist. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.

Dr. Richard Hammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000795, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! In den letzten Wochen, also nach der zweiten Lesung dieses Gesetzentwurfs, ist eine Wolke von Papier auf uns herabgeschneit, auf dem man den Anhängern dieses Gesetzes allen Ernstes den Vorwurf gemacht hat, sie beabsichtigten, die deutsche Jugend mit Zigaretten und mit Nikotin zu vergiften. Ich bitte, diese Dinge doch einmal auf ein vernünftiges Maß zurückführen zu dürfen. Es besteht ja gar kein Zweifel darüber, daß Nikotin ein Gift ist. Das hat niemand bestritten, und man braucht nicht in böswilliger Propaganda ausgerechnet approbierten Ärzten vorzuwerfen, sie hätten das übersehen. Das ist gar nicht das Entscheidende bei einer positiven Stellungnahme zu diesem Gesetz. Das Gesetz befaßt sich doch nur damit, eine Verlagerung zustande zu bringen, zu erreichen, daß statt unversteuerter und unverzollter Zigaretten versteuerte und verzollte geraucht werden und daß statt Zigaretten, die im Ausland erzeugt werden, solche, die im Inland erzeugt werden, geraucht werden. Man müßte uns erst noch nachweisen, daß es Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, eine Steigerung des Tabakverbrauchs in Deutschland zu erreichen. Bei dieser Auseinandersetzung hat nun das Wort „Rauschgift" eine ebenso große Rolle gespielt wie das Wort „Jugend und Sittlichkeit". Gestatten Sie mir, dazu einiges zu sagen. Von Ausnahmen abgesehen, wird der Rausch durch irgendwelche Drogen erzeugt. Es gibt auch einen anderen Rausch, meine Herren: Der König Saul ist in den Tempel getanzt als ein Trunkener aus religiöser Trunkenheit! Wir pflegen das meistens nicht mehr zu machen, sondern wir bedienen uns dazu als Mittel des Weins oder des Tabaks. Aber dieses Rauschbedürfnis ist doch bei uns Adamskindern, soweit wir grad gewachsen sind, gleichmäßig vorhanden, und die Kunst der Menschheit ging immer darauf hinaus, das richtige und ordentliche Maß dabei zu halten. Das aber sollten Sie doch den Leuten überlassen, die die Fürsorge dafür zu tragen haben, daß wir Menschen erzogen werden und eine eigene sittliche Haltung zu bewahren haben. Das sind ganz andere Leute als der Finanzminister. ({0}) - Ich werde darauf zu sprechen kommen. Die Jugend - ja, Herr Kollege Brönner, sagen Sie einmal, - ich darf Sie daran erinnern -: Haben Sie nicht auch einmal als Bube versucht, die Friedenspfeife der großen Rothaut zu rauchen? ({1}) Es wäre vielleicht ganz interessant, sich zu überlegen, wie denn die Jugend zu so etwas kommt. Die Jugend spielt ja bekanntlich eine Rolle; sie ahmt ein Vorbild nach, und das Vorbild, das sie hier nachgeahmt hat, das ist ja ein heldisches Vorbild gewesen. Sein Attribut war diese merkwürdige Friedenspfeife. Und wenn die Jugend von heute die Zigarette nimmt, dann ahmt sie eine Geste nach, die der Kraftfahrzeugführer, der Flieger angenommen hat: das Zigarettenrauchen. In Wirklichkeit möchte sie auch hier einen Helden darstellen. Es ist eine Aufgabe der Erziehung, diesen Jugendlichen klarzumachen, daß sie ihrem Vorbild nicht in seinen Gesten, sondern in seiner Leistung nachzueifern haben - eine reine Erziehungsaufgabe. Wenn Sie die erfüllen wollen, meine Damen und Herren, dann denken Sie doch vielleicht auch einmal daran, daß wir unsere Volksschullehrer hundsmiserabel bezahlen und ebenso unsere Pfarrer und daß wir Klassengrößen haben, die einem Lehrer unmöglich den notwendigen Einfluß auf die sittliche Gestaltung einer jugendlichen Persönlichkeit gestatten. Dann denken Sie doch auch noch an etwas anderes: Diese Zigarette, die nun einmal das kleine Rauschmittel unseres Alltags ist, wird ja wohl für breite Volksschichten unentbehrlich sein. Um eine Zigarre zu rauchen, braucht man eine halbe Stunde oder Stunde. Aber jener Straßenbahnführer, der an der Endstation „dreht" und gerade seinen Bügel herumgelegt hat, hat nur Zeit für die drei Züge einer Zigarette. Und auch der Kraftfahrzeugführer, der durch den Nebel mit dem Tod um die Wette fährt, braucht diesen kleinen Rausch. Seien Sie nicht so intolerant und erinnern Sie sich daran, daß man seelische Erkrankungen wie Rauschgiftsucht nur adäquat behandeln kann, nämlich mit dem Mittel der Einwirkung auf die Seele, aber niemals mit Polizeigeboten, mit Steuergesetzgebung und mit all den Methoden einer vergangenen Periode der Diktatur, von der wir nichts wissen wollen. ({2}) ({3}) Nur Erziehung ist hier erfolgreich. Wem also daran gelegen ist, Rauschgiftsucht zu bekämpfen, der befasse sich damit. Wir werden im Grundsatz dieser Regierungsvorlage zustimmen. Die überwiegende Mehrheit meiner Fraktion glaubt, damit richtig zu fahren und auch unser Gewissen gegenüber der Volksgesundheit in keiner Form belastet zu haben. ({4})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Niebes.

Heinrich Niebes (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001605, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem in der zweiten Beratung der von mir vorgelegte Antrag auf Schaffung einer Konsumzigarette, die nicht der Versteuerung unterliegt., hier abgelehnt worden ist, kann ich nur feststellen, daß das Gesetz in keiner Weise mehr den Anforderungen der Masse der Verbraucher entspricht, die nicht über die Mittel verfügen, um sich Gott weiß was für Zigarren zu leisten, die über eine Stunde brennen sollen. Das Gesetz hat aber außerdem noch ganz beträchtliche andere Mängel an sich. Insbesondere möchte ich bezüglich der gestundeten 200 Millionen aus Steuerzeichen, die abgegeben worden sind ohne daß sie bezahlt wurden, die also aus der Tasche der Konsumenten in die Kassen der Zigarettenhersteller geflossen sind, darauf hinweisen, daß man nunmehr einen wesentlichen Betrag dieser Summe den Zigarettenherstellern belassen will, ihnen also wieder ein Steuergeschenk größeren Ausmaßes zuschanzt. Wir sind grundsätzlich dagegen, daß etwas Derartiges gemacht wird, und wir sind der Auffassung, daß, wenn schon eine Streichung rückständiger Steuern erfolgen sollte, davon auch ein ausreichender Anteil auf die TabakwarenKleinverteiler zu entfallen haben würde. Die Tabakwaren-Kleinverteiler haben sich ja schon seit Jahrzehnten diesen Titel zugelegt, der nichts anderes zu bedeuten hat, als daß sie die Tabakwaren tatsächlich nur im Auftrage der Produzenten verteilen. Sie sind gar nicht in der Lace, irgendwie den Preis für ihre Verkäufe zu bilden, sondern sie müssen das tun, was ihnen die Zigarettenfabrikanten vorschreiben, und sich mit einer Handelsspanne begnügen, die völlig unzureichend ist und nichts weiter verursacht, als daß derjenige. der lediglich Tabakwaren verkauft, und zwar als Kleinverkäufer, seine Rechnung und seine Existenz dabei nicht mehr findet. Wir würden also verlangen, daß dieses Gesetz zum mindesten vorsieht, die gestundeten Beträge, die gestrichen werden, anteilmäßig auch auf die Tabakwaren-Kleinverteiler aufzuteilen. Hinzu kommt, daß in dem Abschnitt III des Vierten Teils der Vorlage ohnehin auch noch Steuererleichterungen an kleinere Betriebe gewährt werden sollen, ohne daß man den kleinen Tabakwarenverteilern eine Steuererleichterung oder einen Anteil an der Steuererleichterung bewilligen wollne. Davon ist in diesem Gesetz mit keinem Wort die Rede. Wir stellen also fest, daß das Gesetz in keiner Weise den Anforderungen genügt, die an ein solches Gesetz gestellt werden müssen, und wir können ihm infolgedessen nicht zustimmen. Wenn man hier den Versuch macht, sozusagen bei der Jugend moralische Anforderungen dadurch in irgendeiner Weise zu stärken, daß man gegen eine Ermäßigung der Tabaksteuer redet, so bin ich der Meinung, daß das ein völlig untaugliches Mittel am falschen Objekt wäre. Wir glauben nicht, daß man Moral dadurch machen kann, daß man irgendwelche Steuermaßnahmen anwendet. Wir werden uns also bei diesem Gesetz entsprechend verhalten.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Bausch.

Paul Bausch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte nur noch einige kurze Bemerkungen zu dem zur Entscheidung stehenden Gesetz und zu einigen Ausführungen der Herren Vorredner machen. Zunächst einige Feststellungen zur finanzpolitischen Seite dieses Gesetzes! Mein Freund Dr. Brönner hat schon darauf hingewiesen, daß eine so weitgehende Stundung von Steuern, wenn sie nachher durch den Gesetzgeber noch legalisiert wird, doch mit vollem Recht bei den übrigen Steuerzahlern die Frage hervorrufen wird: Warum wird diese Steuerstundung allein einigen wenigen Großfirmen oder Großkonzernen der Zigarettenindustrie gewährt? Warum kommen nicht auch andere Steuerzahler und vor allem die kleinen Steuerzahler in den Genuß der Gunst des Herrn Bundesfinanzministers, wie das hier bei vier oder fünf Großfirmen der Fall ist, die gleichzeitig Riesensummen für Reklame ausgeben? Wie wird sich das Gesetz im übrigen finanzpolitisch auswirken? Man hat Rechnungen darüber aufgemacht, welches das mutmaßliche Ergebnis dieses Steuergesetzes sein wird. Ich habe alle diese Rechnungen sehr sorgfältig überprüft. Keine einzige hat mich davon überzeugen können, daß wir die Gewähr dafür haben, daß dieses Gesetz nicht einen mehr oder weniger beträchtlichen Ausfall an Steuereinnahmen zur Folge haben wird. Aber, meine Damen und Herren, wenn wir Steuern senken und wenn wir damit rechnen, daß diese Steuersenkung Steuerausfälle zur Folge hat, dann muß geklärt werden, wie diese Steuerausfälle abgedeckt werden sollen. Denn wir sind ja verpflichtet, dafür zu sorgen, daß der Bundeshaushalt wirklich ausgeglichen wird. Dies ist eine der vornehmsten Aufgaben, die diesem Parlament gestellt sind. Und die Antwort auf diese Frage: wir müssen entweder Ausgaben senken, d. h. wir müssen soziale oder andere Leistungen, die der Bund bisher bewirkt hat, streichen und können diese Leistungen künftig nicht mehr bewirken - und wir sind uns klar darüber, daß das für diejenigen, die bisher solche Leistungen empfangen haben, eine große Härte zur Folge haben wird -, oder aber wir sind genötigt, neue Steuern anderer Art zu beschließen. Daß das aber bei der heutigen Situation eine fast unmögliche Sache ist, darüber sind wir uns alle klar. So sehen wir, wie problematisch es ist, wenn man sich entschließt, eine Senkung der Steuern für Genußmittel zu beschließen. Ich bin der Meinung: wenn man das schon tun wollte, dann sollte man eher mit dem Kaffee den Anfang machen. Davon ist schon vorher die Rede gewesen. ({0}) ({1}) Aber in jedem Falle, meine Damen und Herren: Wer schon Tabak sagt, der muß auch Kaffee sagen! ({2}) Nun noch ein Wort zu der andern Seite der Angelegenheit, auf die hinzuweisen ich schon einmal die Ehre hatte: die Frage, ob uns dieses Gesetz nicht auch zu einer sehr sorgfältigen Betrachtung seiner Auswirkungen in bezug auf die Volksgesundheit und den Jugendschutz nötigt. Ich habe sehr bedauert, daß es ausgerechnet der Vorsitzende des Gesundheitspolitischen Ausschusses dieses Hohen Hauses, Abgeordneter Dr. Hammer, war, der über diese Seite der Angelegenheit mit Argumenten hinweggegangen ist, die nach meiner Überzeugung und auch nach der Überzeugung vieler Ärzte - und vieler bedeutender Ärzte - keinesfalls stichhaltig sind. Ich habe nach der letzten Lesung dieses Gesetzentwurfs aus allen Teilen der Bundesrepublik und von sehr vielen und sehr bedeutenden und hervorragenden Ärzten Zuschriften bekommen, die ihrem großen Bedauern über die Stellungnahme des Vorsitzenden des Gesundheitspolitischen Ausschusses dieses Hauses Audruck gegeben und erklärt haben, daß diese Beratung einen bedauerlichen Mangel an bevölkerungspolitischem und gesundheitspolitischem Denken geoffenbart habe. ({3}) Es ist nun einmal so, daß zumindest eine sehr sorgfältige Prüfung dieser anderen Seite des Gesetzentwurfs notwendig ist. Ich muß feststellen, daß es an dieser Prüfung einfach gefehlt hat. ({4}) Darum kommen wir nicht herum. ({5}) - Man hat den Herrn Reemtsma im Finanz- und Steuerausschuß gehört. Man hat aber in diesem Ausschuß keinen prominenten Arzt und keinen prominenten Vertreter des Jugendschutzes und der Jugendfürsorge gehört. ({6}) Das muß hier bei dieser Gelegenheit festgestellt werden. Man hat eine absolut einseitige Prüfung dieses Gesetzentwurfs vorgenommen. Weil diese Prüfung einseitig war und weil dieser Gesetzentwurf nicht sorgfältig genug auch unter diesen Gesichtspunkten überprüft worden ist, haben wir Bedenken, ihn heute anzunehmen. Wir werden deshalb gegen ihn stimmen. ({7})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Hammer.

Dr. Richard Hammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000795, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Ich habe in der zweiten Beratung zur Sache kein Wort gesagt, sondern lediglich zur Geschäftsordnung, also zu dem Antrag auf Verweisung an den Ausschuß für Fragen des Gesundheitswesens. Trotzdem ist mir damals schon in der deutschen Presse oder, besser gesagt, in den Propagandablättern der verschiedensten Art der Vorwurf gemacht worden, ich versündigte mich an der Volksgesundheit. Ich habe den Eindruck, daß das Affekthandlungen gewesen sind, die im allgemeinen bei Verbänden üblich sind, die irgendeine Pseudoerlösungslehre vertreten, in denen aber keinerlei sachliche Diskussion geführt wird. Zu der sachlichen Seite sei noch einmal gesagt: kein Mensch hat hier bezweifelt, daß Nikotin ein Gift ist. Es ist geprüft worden, ob dieses Gesetz eine Ausweitung des Tabakverbrauchs bedeuten könne. Das hat der Finanzausschuß verneint. Ich sehe nicht ein, welche weitere Prüfung dann nötig wäre, es sei denn über die Frage: Wie verhindert man den Tabakmißbrauch überhaupt? Dazu habe ich meine Meinung gesagt. Im übrigen: ich bin in diesen Bundestag nicht als Arzt, sondern als ein Politiker mit Verantwortung für das ganze Volk und damit auch für seine Jugend und deren Schicksal gewählt worden. ({0})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Schoettle.

Erwin Schoettle (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002061, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir einige Bemerkungen zum bisherigen Verlauf der Debatte! Mein Freund Peters hat bereits erklärt, daß die sozialdemokratische Fraktion dem Gesetzentwurf zustimmen wird. Das heißt nicht etwa, daß wir gewisse Auswüchse auf dem Gebiet des Tabakgenusses nicht genau so sähen wie einige Herren, die heute in diesem Hause die, sagen wir, moralische Seite der Sache besonders hervorgehoben haben. Ich darf aber doch die Frage stellen: Welche Wirkung hat denn der bisherige Zustand auf dem Gebiete der Besteuerung von Tabak und Tabakwaren gehabt? Fragen Sie einmal, wieviele unverzollte und keineswegs unschädliche Tabakerzeugnisse durch den Schmuggel in unser Land kommen und welche Schäden dadurch angerichtet werden! Wollen Sie diese Verhältnisse noch dadurch verschärfen, daß Sie den jetzigen steuerlichen Zustand aufrechterhalten? ({0}) Man kann doch nicht mit der Besteuerung eines Genußmittels die moralische Wirkung auslösen, die man erreichen könnte, wenn man die Voraussetzungen für das Wachsen dieser Mißbräuche zerstörte! Nachdem der Verbrauch von Tabakwaren nun einmal diesen Umfang angenommen hat, liegt es, und zwar gar nicht unter fiskalischen, sondern unter allgemeinen Gesichtspunkten viel näher, den steuerlichen Ertrag, der überhaupt möglich ist, in die öffentliche Hand zu bringen und diese dann zu zwingen, auf der andern Seite durch eine vernünftige Gesamtpolitik die Wurzeln des Übels zu zerstören. Unsere Jugendorganisationen könnten die Jugend sehr viel mehr an ein jugendgemäßes Leben heranbringen, wenn sie nur die Mittel dazu hätten; denn aus eigener Kraft können sie es nicht. ({1}) Wenn der Staat - schon in seinem eigenen Interesse - diesen Jugendorganisationen mehr hülfe, dann täte er sehr viel mehr dafür, den Tabakmißbrauch bei der Jugend abzustellen, den auch wir bedauern, als wenn er die Steuern in der bisherigen Weise erhebt. Ich glaube, man sollte sich sehr wohl überlegen, ob man mit dem Moralisieren aus dem Übel überhaupt herauskommen kann. Wir glauben das nicht. Deshalb stimmt die sozialdemokratische Fraktion dem Gesetzenwurf zu. ({2})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Bausch.

Paul Bausch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000116, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Damen und Herren! Ich möchte zunächst folgendes sagen. Es ist doch höchst bedeutsam, daß wir uns hier im Bundestag die Möglichkeit gewahrt haben, verschiedenartige Meinungen offen, sauber und anständig miteinander auszudiskutieren. ({0}) Zum zweiten, verehrter Herr Kollege Schoettle, möchte ich sagen: Sie meinen, von unserer Seite her seien die Dinge unter dem Gesichtspunkt des Moralisierens behandelt worden. Ich glaube, hier liegt wirklich ein Mißverständnis vor. Soweit es sich um die finanzpolitische Seite der Sache handelt, geht es einfach um eine ganz nüchterne Beurteilung des voraussichtlichen zahlenmäßigen Ergebnisses dieses Steuergesetzes. Bei einer solchen nüchternen Beurteilung kann man zu diesem oder jenem Ergebnis kommen. ({1}) Für mich ist jedenfalls klar: es besteht keine Sicherheit dafür, daß wir durch dieses Gesetz nicht einen Steuerausfall bekommen. Im Haushaltsausschuß des Bundestags müssen wir uns nachher die Köpfe darüber zerbrechen, wie wir diesen Ausfall abdecken können. Was aber den Schmuggel anlangt: Besteht denn wirklich die Gewähr dafür, daß künftig nicht mehr geschmuggelt wird? ({2}) Auch dafür haben wir zum mindesten - wir wollen uns ganz behutsam und ohne Emotion über diese Dinge aussprechen - keine Gewähr. Zum dritten: die gesundheitspolitische Seite der Sache. Herr Kollege Dr. Hammer, ich muß doch noch einmal darauf zu sprechen kommen. Es ist und bleibt eine bedauerliche Tatsache, daß der Gesundheitspolitische Ausschuß nicht etwa einige Gutachten von Medizinischen Fakultäten zu dieser Frage eingeholt, sondern überhaupt darauf verzichtet hat, ein gesundheitspolitisches Urteil über diese Frage zu erarbeiten und diesem Hause vorzulegen. ({3}) Ich fürchte, Herr Abgeordneter Dr. Hammer, daß Sie in Gefahr kommen, daß man Ihnen den Vorwurf machen muß: Dieser Gesundheitspolitische Ausschuß ist völlig steril. Er bringt nichts mehr hervor, er nimmt nicht Stellung zu den wichtigsten Problemen der Volksgesundheit. Er erfüllt die Aufgabe nicht, die man in erster Linie von diesem Gesundheitsausschuß erwartet! ({4}) An dieser Stelle hat der Gesundheitspolitische Ausschuß - entschuldigen Sie, lieber Herr Hammer, es ist gar nicht persönlich gemeint -, hier hat der Gesundheitspolitische Ausschuß versagt! ({5})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Abgeordneter Bausch, ich unterstelle, daß das Wort „steril" in diesem Sinne nicht medizinisch, sondern politisch gemeint war. ({0}) - Herr Abgeordneter Dr. Hammer, Ihre Redezeit ist eigentlich längst verbraucht. ({1}) - Aber bitte schön!

Dr. Richard Hammer (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000795, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Kollege Bausch, nach der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestags hat sich ein Ausschuß nur mit der Materie zu befassen, die ihm zugewiesen worden ist. ({0}) Der Versuch wurde nicht vor dem Tage unternommen, an dem Sie selbst es hier so beantragt haben. Ihr Antrag wurde von der Mehrheit dieses Hauses abgelehnt. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Ich darf annehmen, daß dieser gesundheitspolitische Hinweis allen Ausschüssen zugute kommen wird. ({0}) Das Wort hat der Abgeordnete Behrisch.

Arno Behrisch (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000137, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren! Nach der zweiten Lesung erschien in der „Welt" ein Artikel, der sich „Tabak-Komödie" nannte. In diesem Artikel befand sich ein interessanter Satz. Er lautete: Eines nämlich scheint sicher: Wein, Weib, Gesang und Tabak gehören zu den klassischen Leidenschaften, von denen auch Apostel nicht heilen können. Das dürfte unbestritten sein. Nur ist dabei eine Kleinigkeit übersehen worden, nämlich: Maß in allen Dingen! ({0}) Wenn einer über den Durst trinkt, erleidet er meist ein bestimmtes Schicksal, und zu lauten Gesang versucht man dadurch zu verhindern, daß man immer und immer wieder die Aufforderung durch den Äther gehen läßt: Stellen Sie Ihren Lautsprecher etwas leiser! Aber wenn einer zuviel raucht, welche Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen gibt es dagegen? ({1}) Ich habe den Eindruck, daß wir ein wenig an der Hauptsache vorbeigekommen sind. Wir wünschen den Rauchern, und ich besonders den Arbeiter-Rauchern, einen billigen Rauch. Aber wir möchten, daß das, was er einspart, seiner Frau zugute kommt, z. B. in Form eines Viertels Kaffee am Wochenende, und nicht, daß der Herr Finanzminister auf der Lauer liegt und erwartet, daß der Mann noch mehr Rauch macht. Hier komme ich nun auf die Hauptsache zu sprechen. Das kann man doch bei der Debatte über diese Frage nicht übersehen: früher haben erwachsene Männer das Rauchen gelernt. Dazu gehörte, daß man sich eines Aschenbechers bediente; dazu gehörte, daß man in Gesellschaft fragte, ob man rauchen darf. ({2}) und ähnliche Dinge mehr. Heute aber gewöhnen sich Rotzbuben das Rauchen an, und wir erwarten von ihnen, daß sie viel rauchen. ({3}) Gegenüber der hier aufgemachten Rechnung mit dem zusätzlichen Steuerertrag durch den Mehrverbrauch wüßte ich z. B. gern einmal - und insofern hat Kollege Bausch vollkommen recht -, wieviel Waldbrände es durch unbedachtes Rauchen gegeben hat, wieviel Löcher in Kleidern oder Tischtüchern durch brennende Zigaretten verursacht sind. ({4}) Sie lachen, meine Damen und Herren? Sie können jeden Tag aus den Zeitungen ersehen, daß dort ein Wochenendhaus, dort eine Villa abgebrannt ist, weil Leute sozusagen unvorschriftsmäßig geraucht haben. ({5}) Deshalb ist für uns die Frage, die der Herr Bundesfinanzminister nur im Vorbeigehen durch die Bemerkung gestreift hat, daß er den Jugendorganisationen eventuell Geld geben werde, nicht mit „eventuell" aus der Welt zu schaffen. Wir möchten sichergestellt wissen, daß die Steuersenkung nicht unter dem Gesichtswinkel betrachtet wird, der einzelne werde die Ersparnisse wiederum in Rauch umsetzen. Wir möchten vielmehr, daß, wie es einmal war, Männer rauchen, aber nicht Rotzbuben Unfug mit der Raucherei treiben. ({6}) - Die Damen, so hoffe ich, rauchen vorschriftsmäßig. ({7}) Das bedeutet: wir, die wir durch die Jugendorganisationen gegangen sind, dürfen zu Recht vom Bundestag erwarten, daß er sich Gedanken darüber macht, wie man das Rauchen wieder Menschen überläßt, die sozusagen reif dafür geworden sind, und wie wir die Jugend davor schützen können, daß sie allzufrüh einem Mißbrauch des Rauchens verfällt. Ich bin mir sicher, daß es nicht leicht ist, die Synthese zu finden, bin aber mit dem Kollegen Bausch der Meinung, daß man die Möglichkeiten ernsthafter prüfen muß, als es bisher geschehen ist. Wenn Sie mich fragen, warum ich hier diesen meinen Standpunkt, der nicht der Standpunkt meiner Fraktion ist, zum besten gegeben habe, dann möchte ich Sie an ein Wort von Schiller erinnern, der seinen Posa sagen läßt: „Sagen Sie ihm, daß er vor den Träumen seiner Jugend soll Achtung haben, wenn er ein Mann sein wird!" Wir haben in der Jugendbewegung nicht umsonst für einen gewissen Lebensstil und eine gewisse Haltung im Leben gekämpft. Heute ist es ja leider so, daß davon nicht mehr viel übriggeblieben ist, daß die Leute mit völlig verwilderten Sitten aus dem Kriege zurückgekommen sind. ({8}) - Soll ich die Kollegen hier aus dem Hause namhaft machen, die im Restaurant essen und dazu die Zigaretten fressen? ({9}) Soll ich die Kollegen namhaft machen, die hier im Vorsaal auf und ab gehen und die Zigarettenstummel nach unten werfen nach der Losung „tritt sich schon fest"? Meine Damen und Herren, es wäre an der Zeit, daß wir uns ernsthafter überlegen, wie wir mit den Auswüchsen dieser Dinge fertig werden. Ich kann nur eines erklären: Wenn das durchgeht, was der Herr Bundesfinanzminister will, dann wird es noch schlimmer sein, als es bisher war. Ich schließe mich auch hier dem Kollegen Bausch an: Tabak, Kaffee und Tee sind eine untrennbare Einheit. Ich bin erst bereit, der Senkung der Tabaksteuer zuzustimmen, wenn auch die anderen Steuern gesenkt werden. ({10})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Abgeordneter Dr. Wellhausen!

Dr. Hans Wellhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002468, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man kann nicht gerade behaupten, daß die Erkenntnisse in diesem Bundestage sehr schnell reifen. Wir befinden uns wenige Wochen vor der Auflösung, behandeln die Tabaksteuer so ungefähr die ganzen vier Jahre hindurch, und ausgerechnet jetzt kommen die klugen Ideen insbesondere des Kollegen Bausch. Herr Kollege Bausch, Sie kommen erst jetzt - ({0}) - Herr Bausch, das können Sie mir doch nicht bestreiten! Sie haben in der ersten Lesung kein Wort gesagt. ({1}) - Erlauben Sie mal, Herr Bausch, fragen Sie den Kollegen Even! Der hat in der ersten Lesung was gesagt. ({2}) Ich habe zufällig auch etwas gesagt. Da sind Sie halt als Baden-Württemberger ein bißchen zu spät gekommen. Es hat mich auch sehr gewundert, daß der Kollege Bausch nunmehr anfängt, päpstlicher zu sein als der Papst. Der Papst sitzt hier ({3}). ({4}) Der Papst ist nämlich verpflichtet, sich darüber Gedanken zu machen und dem Hause an Hand des Grundgesetzes Vorschläge zu machen, wie Steuerausfälle gedeckt werden sollen. Das hat er nicht getan. Es ist mir ganz interessant, daß die größte Regierungspartei jetzt also in dieser Beziehung ihren Finanzminister noch übertrumpfen will. ({5}) Ich möchte ferner darauf hinweisen - Herr Bausch, ich richte mich erneut an Ihre Adresse -, daß der Finanzausschuß sich mit der Angelegenheit beschäftigt hat. Sie gehören nicht dem Finanzausschuß an und haben uns auch trotz Ihres außerordentlichen Interesses in dieser Frage nicht die Freude gemacht, als Gast dort zu erscheinen. Sonst hätten Sie festgestellt, daß Ihr auch aus BadenWürttemberg gebürtiger Fraktionskollege Morgenthaler - ({6}) - Na ja, ich sage: aus Baden-Württemberg! Das haben Sie nicht richtig gehört, Herr Sabel. Der Ton liegt auf Baden; das scheinen Sie noch nicht zu wissen. ({7}) Herr Morgenthaler hat ausdrücklich zu Beginn der zweiten Lesung darauf hingewiesen - ich rufe den Herrn Berichterstatter als Zeugen an -, daß diese Dinge besprochen werden müßten. Herr Morgenthaler ist aber nicht von weitem auf die Idee ge({8}) kommen und Sie, Herr Bausch, haben es ihm offenbar auch nicht zugeflüstert, daß er dort beantragen sollte, den Gesundheitsausschuß zu fragen, daß er vielleicht auch beantragen sollte, Vertreter der Wohlfahrtsverbände zu hören. Diese Vertreter der Wohlfahrtsverbände habe aber ich gehört, wie Sie ja wahrscheinlich wissen. Auf deren Wunsch bin ich nach Frankfurt gefahren und habe vor der zweiten Lesung mit Ihnen eine Unterhaltung gehabt. Allerdings habe ich versucht, mit sachlichen Argumenten -- die wir hier ja zum großen Teil inzwischen verlassen haben; wir haben heute so eine Art Volksfest wegen der Tabaksteuer aufgeführt -({9}) den Herrschaften klarzumachen, was der Hintergrund der ganzen Aktion ist. Und das ist nach wie vor, daß wir den Schmuggel zurückdrängen wollen. Darüber läßt sich doch nicht diskutieren. Der verhältnismäßig sachliche Finanzausschuß hat dieses Argument auch sofort anerkannt, und es ist Ihnen vorbehalten, ganz andere Dinge vorzubringen. Ich habe noch ein Wort an Sie zu richten, Herr Bausch.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Abgeordneter Wellhausen, dieses „Volksfest" war auf eine Stunde begrenzt, wenn Sie sich freundlichst daran erinnern wollen. ({0})

Dr. Hans Wellhausen (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002468, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Ich will ja gar nicht mit einem Knalleffekt enden. Hoffentlich sehen Sie es nicht als einen Knalleffekt an, wenn ich jetzt den Herrn Kollegen Bausch daran erinnere, daß er in einem baden-württembergischen Wahlkreis gewählt ist und daß ja in Baden-Württemberg die Eigentabakpflanzung eine sehr große Rolle spielt. Wie gedenken Sie die Arbeiter, die etwa brotlos werden, zu beschäftigen, Herr Bausch? Wollen Sie mir das bitte sagen?! Wie wollen Sie den Zigarrenarbeitern, die ihre Lohnforderungen seit Jahren zurückgestellt haben, ohne dieses Tabaksteuergesetz zu einer Lohnerhöhung verhelfen? ({0}) Ich habe den Eindruck, meine Herren, daß die Dinge hier wirklich auf eine Linie gebracht werden, die nicht richtig ist. Meine Fraktion wird dabei bleiben, dem Gesetz zuzustimmen, und ich möchte mit den Worten des Herrn Hammer schließen, daß wir uns in keiner Weise deswegen Vorwürfe machen werden oder zu machen brauchen. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Herr Kollege Bausch, auch Ihre Redezeit ist verbraucht. Meinen Sie, daß noch neue Argumente kommen? - Offenbar nicht. Dann schließe ich die allgemeine Besprechung. Es gibt ja noch die Möglichkeit der Einzelberatung; ich verweise Sie ausdrücklich darauf. Meine Damen und Herren, wir treten in die Einzelberatung der dritten Beratung ein. Änderungsanträge sind gestellt: zunächst zu § 3 der Antrag Umdruck Nr. 868 der Abgeordneten Eickhoff, Matthes und Dr. von Merkatz und Fraktion. Soll er begründet werden? - Herr Abgeordneter Eickhoff!

Rudolf Eickhoff (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000452, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der zweiten Lesung haben wir in § 3 bei Kau-Feinschnitt in der Preisklasse von 32 DM die Steuer von 5,88 DM auf 5,60 DM heruntergesetzt. Wir haben das getan im Interesse einiger weniger Kau-Feinschnitthersteller aus Norddeutschland; denn dieser Priem wird ja nur an der Wasserkante gekaut. Wir haben aber vergessen, nun auch bei der Verkaufspreisklasse von 35 DM die Steuer herabzusetzen, und deswegen bitten wir Sie, unserm Antrag zuzustimmen und die Steuer bei der Preisklasse von 35 DM, die jetzt 7,- DM beträgt, auf 6,20 DM herabzusetzen. Ich weiß, daß das Finanzministerium damit einverstanden ist, und bitte Sie, unserm Antrag zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Wird das Wort dazu weiter gewünscht? - Das ist offenbar nicht der Fall. Dann schließe ich die Besprechung zu § 3. Ich komme zur Abstimmung über den eben von Herrn Abgeordneten Eickhoff begründeten Antrag Umdruck Nr. 868. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag auf Umdruck Nr. 868 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das erste war die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem § 3 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; § 3 ist angenommen. Ich rufe auf § 4. Dazu liegt der Änderungsantrag der Abgeordneten Pelster und Genossen Umdruck Nr. 860 vor. Soll er begründet werden? - Offenbar nicht. Weiter liegt vor der Änderungsantrag Umdruck Nr. 861 der Abgeordneten Neuburger, Pelster, Dr. Handschumacher und Genossen, wobei ich Sie bitte, freundlichst davon Kenntnis zu nehmen, daß in diesem Antrag in der viertletzten Zeile die Worte „die Herstellung von" wegfallen müssen und die Silbe „zu" in der letzten Zeile ebenfalls gestrichen werden soll. - Herr Abgeordneter Neuburger!

August Neuburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Zugleich muß der Antrag noch ergänzt werden durch den Satz: Die bisherigen Absätze 4 und 5 werden die Absätze 5 und 6.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das ergibt sich automatisch, wenn ein neuer Abs. 4 eingefügt wird. ({0}) - Ich habe einen Antrag Umdruck Nr. 860 zu Abs. 3 und einen Antrag Umdruck Nr. 861 zu Abs. 4. Zum ersten ist keine Begründung gewünscht. Das hatte ich ausdrücklich festgestellt. Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 860 betreffend neue Fassung des § 4 Abs. 3 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite war die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Ich komme zur Abstimmung über den Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 861 betreffend Neufassung des § 4 Abs. 4. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist inzwischen die Mehrheit geworden. Dieser Antrag ist angenommen. Ich bitte die Damen und Herren, die § 4 in der abgeänderten Fassung insgesamt zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit. Er ist angenommen. ({1}) Ich rufe § 6 auf. Dazu liegt der Änderungsantrag I der Abgeordneten Pelster, Neuburger, Hilbert und Genossen auf Umdruck Nr. 862 vor. Der Antrag soll nicht ausdrücklich begründet werden. Wird das Wort gewünscht? - Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Besprechung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 862, nach dem § 6 ein Abs. 3 angefügt werden soll, zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Es ist etwas unübersichtlich. Wir wollen den Versuch machen, das Ergebnis durch Aufstehen festzustellen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 862 zuzustimmen wünschen, sich von den Plätzen zu erheben. - Es bedarf keiner Gegenprobe. Das ist die Mehrheit; der Antrag ist angenommen. Ich bitte die Damen und Herren, die § 6 in der abgeänderten Fassung zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Bei zahlreichen Enthaltungen ist § 6 angenommen. Ich rufe § 12 auf. Hierzu liegt der Änderungsantrag der Abgeordneten Pelster, Morgenthaler, Scharnberg und Genossen auf Umdruck Nr. 863 vor. - Keine Begründung. Keine Wortmeldungen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 863 betreffend § 12 Absätze 2 und 3 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist angenommen. Ich bitte die Damen und Herren, die § 12 in der abgeänderten Fassung insgesamt zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit. § 12 ist angenommen. Ich komme zu § 18. Hier haben wir den Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP auf Umdruck Nr. 864, der die Wiederherstellung des § 18 in der Fassung des 11. Ausschusses beschlossen haben möchte. Wünscht jemand, den Antrag zu begründen? - Das ist nicht der Fall. Wortmeldungen? - Herr Abgeordneter Peters, bitte.

Georg Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Zum Änderungsantrag auf Umdruck Nr. 864. Hiermit will man wie bisher auf 50 Zigarettenblättchen 24 Pf. Steuer erheben. Auf Umdruck Nr. 864 wird beantragt, den sozial Schwächsten, nämlich den Zigaretten-Selbstdreher, bei den Blättchen von der Steuer- und Preissenkung auszunehmen. Hier wird beantragt, ein winziges Stückchen Papier weiterhin mit einem Pfennig Steuer deshalb zu belegen, weil der Käufer dieses Stückchen Papier benutzen will, um darin schon versteuerten Tabak einzuwickeln. Die ganze Regierungsvorlage bedeutete eine einseitige Stellungnahme für die Fabrikzigarette, und hier erleben wir nun noch einmal den Einsatz für diese Gattung der Rauchwaren und gegen den kleinen Selbstdreher. Man hat bei diesem Gesetz - namentlich der Herr Bundesfinanzminister in seiner Begründung - soviel von der Bekämpfung des Schmuggels gesprochen. Hier entsteht nun fast der Eindruck, als solle der Selbstdreher durch die überhöhte Steuer die Schmuggelbekämpfung zum erheblichen Teil mitbezahlen. Ich meine, daß es für das Hohe Haus blamabel wäre, wenn heute der vor vierzehn Tagen gefaßte Beschluß auf Senkung der Steuern und Preise für Zigarettenpapier wieder aufgehoben würde. Inzwischen ist dieser Beschluß publiziert und draußen außerordentlich freudig begrüßt worden. Der Bund der Steuerzahler hat aus sozialen Gründen und aus Gründen der Schmuggelbekämpfung den Beschluß für besonders begrüßenswert erklärt. Es erscheint mir unmöglich, daß die Mehrheit .dieses Hohen Hauses heute in der dritten Lesung der beantragten Verschlechterung des Gesetzes zustimmt. Hier geht es doch wirklich um die große Millionenzahl der Selbstdreher aus der Schicht der sozial Schlechtestgestellten unseres Volkes. Der in der zweiten Lesung beschlossene Steuersatz von 1 DM pro 1000 Blatt erledigt den Schmuggel völlig und bedeutet auf der anderen Seite für den kleinen Mann eine fühlbare Entlastung seines Rauchwarenetats. Bei einer Aufhebung dieses Beschlusses wäre die Enttäuschung dieser Menschen doppelt groß. In Wirklichkeit kann niemand von uns verantworten, dem Arbeitslosen oder dem Rentner bei jedem Päckchen Zigarettenblättchen 24 Pf Steuern von seiner geringen Einnahme wieder abzuknabbern. Ich bitte Sie deshalb, sich wie in der zweiten Lesung für den geringeren Steuersatz zu entscheiden, für die jetzige Fassung des Gesetzes und gegen den hier gestellten Antrag. Ich bitte ausdrücklich, diesen Antrag abzulehnen. ({0})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Herr Bundesminister der Finanzen. Schäffer Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte das Hohe Haus bitten, dem Antrag zuzustimmen. Der Antrag auf Senkung oder auf Änderung der Regierungsvorlage im § 18 ist in der zweiten Lesung mit einer sehr knappen Mehrheit - meines Wissens mit einer Stimme Mehrheit - seinerzeit angenommen worden. ({0}) Es ist also für das Hohe Haus wirklich nicht blamabel, wenn diese geringe Mehrheit, die durch einen Zufall entstanden ist, nun durch eine Mehrheit, die auf Grund vernünftiger Überlegungen entstehen würde, ersetzt wird. Meine Damen und Herren, ich darf im Ernst folgendes feststellen: Sie können aus einem solchen Gesetzentwurf nicht eine Frage allein herausnehmen und eine Frage allein beantworten. Das Thema „selbstgedrehte Zigarette" ist ein Thema sowohl des Tabaks wie des Zigarettenpapiers. Die Relation, die für den Tabak, für den Feinschnitt, gesucht worden ist, war berechnet auf Grund des Preises und des Steuersatzes für das Zigarettenpapier mit, wie es in der Regierungsvorlage enthalten war. Wenn Sie Steuer und Preis für Zigarettenpapier entgegen der Vorlage auch senken, ändert sich die Relation, von der gerade der Herr Vorredner gesprochen hat, zwischen Feinschnitt und Fabrikzigarette, und zwar ändert sie sich über das Maß hinaus, das im Regierungsentwurf als erträglich angesehen worden ist. Infolgedessen bitte ich schon im Interesse des ganzen Gedankenganges des Gesetzentwurfs und der Abwägung, die zwischen Feinschnitt und Fabrikzigarette gewählt werden mußte, es auch in § 18 bei der Regierungsvorlage zu belassen. ({1}) Zweitens: Es dürfte nicht unbekannt sein, daß dieser Gesetzentwurf auch im Bundesrat seinerzeit Bedenken begegnet ist, weil der Bundesrat mit Recht die Überlegung anstellt: wenn Ausfälle in reinen Bundessteuern, auch in Verbrauchsteuern, eintreten, wird die Anwendung des Art. 106 Abs. 3 - Bundesanteil der Einkommen- und Körperschaftsteuer - immer mehr und mehr in die Nähe gerückt. ({2}) Es gibt aber auch Herren, die den Finanzminister - und das wurde mir ganz ehrlich gesagt - in die Situation bringen wollen, die Ausfälle, die er kalkuliert hat, im Wege der Gesetzgebung so zu vergrößern, daß es ihm am Schluß unmöglich ist, seinem eigenen Gesetzentwurf gegenüber noch die Verantwortung zu tragen. Der Ausfall, der hier eintreten wird, ist wenigstens auf 20 Millionen DM festzusetzen. Ich möchte vor der ganzen Öffentlichkeit einmal feststellen: Die Haushaltslage des Bundes, so wie sie an uns herantritt, ist so, daß jeder Ausfall ernsthaft überlegt werden muß und daß ein Ausfall von 20 Millionen in den Einnahmen bedeuten kann, daß 20 Millionen notwendige und wünschenswerte Ausgaben nicht gemacht werden können. Ich möchte deshalb dringend bitten, erstens wegen der Relation, die auf dem Gebiet des Feinschnitts und der Fabrikzigaretten bestehen muß, und zweitens wegen des Ausfalls, den ich persönlich nicht befürworten und nicht vertreten kann, es bei der Regierungsvorlage zu belassen und dem Antrag zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Gengler.

Karl Gengler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000660, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sosehr ich sonst geneigt bin, dem Herrn Bundesfinanzminister gerade dann zu folgen, wenn es sich um die Wahrung der Belange der Bundesfinanzen handelt, so kann ich ihm leider in diesem Punkt nicht beipflichten und nicht folgen. Entgegen dem Antrag auf Umdruck Nr. 864 halte ich es für besser und richtiger, es bei den Beschlüssen der zweiten Beratung zu belassen. Die Besteuerung des Zigarettenpapiers in Deutschland hat eine sehr wechselvolle Geschichte. Neben der Schweiz, für die diese Besteuerung ein ganz anderes Gesicht und eine andere Wirkung hat, ist die Bundesrepublik das einzige Land, das neben dem Tabak das Zigarettenpapier extra besteuert. Die arbeitspolitische Wirkung dieser Sonderbesteuerung des Zigarettenpapiers war in den 30er Jahren schon einmal derart, daß die Betriebe an die neun Monate stillalten. Um hier abzuhelfen, mußte man die Steuer damals wesentlich herabsetzen, um schließlich, weil auch die erste Herabsetzung nicht geholfen hatte, auf dem Steuerbetrag von 1 RM zu landen. Der Herr Bundesfinanzminister hat vorhin in seinen Darlegungen zwei Punkte in den Vordergrund gestellt: erstens die Relation und zweitens die Frage der Ausfälle. Was die Relation betrifft, so glaube ich folgendes aussprechen zu können. Nachdem der Preis für die Fabrikzigarette von 10 auf 8 1/3 Pf im Durchschnitt gesenkt wird, ist eine Abwanderung zur selbstgedrehten Zigarette nicht zu befürchten, weil, wenn wir es bei den Beschlüssen der zweiten Beratung belassen, der Preis der selbstgedrehten Zigarette nur um etwa 1/4 bis 1/2 Pf gesenkt wird. Ich glaube sagen zu dürfen, daß man den Selbstdrehern auch im Rahmen des gesamten Gesetzes Gerechtigkeit widerfahren lassen sollte und müßte. Was die finanzielle Seite betrifft, so muß ich feststellen, daß auf keinem Gebiet der Schmuggel so groß ist wie auf dem des Zigarettenpapiers. Es ist festgestellt worden - und das wird auch vom Bundesfinanzministerium ausgesprochen -, daß die Menge des geschmuggelten Zigarettenpapiers größer ist als die deutsche Inlandproduktion. Wir sehen, welche Folgen es gehabt hat, daß durch Zölle und Steuern ein solch hohes Gefälle entstanden ist, daß der Schmuggel auf diesem Sondergebiet geradezu überwältigend geworden ist. Ich halte dafür, hier, wie es möglich ist, den Schmuggel zu beseitigen. Alle Sachkenner sagen, daß der Schmuggel völlig beseitigt wird, wenn wir die Steuer auf 1 DM festsetzen, wie es in der zweiten Lesung beschlossen worden ist. Allein die Beseitigung des Schmuggels ist bereits ein materieller und ein großer moralischer Erfolg. Auch die Schmuggelbekämpfung kostet viel Geld. Weiterhin glaube ich auch aussprechen zu können, daß die vom Herrn Bundesfinanzminister befürchteten finanziellen Ausfälle weitgehend dadurch kompensiert werden, daß die deutschen Papierfabriken, die verarbeitenden Betriebe, die Kartonfabriken und die Druckereien infolge der Drosselung des Schmuggels eine Auftragssteigerung um das Doppelte verzeichnen werden. Die sich daraus ergebenden Arbeitsmöglichkeiten gleichen mit den Steuererträgnissen zusammengenommen dem Herrn Bundesfinanzminister den Ausfall zu einem wesentlichen Teil aus. ({0}) Ich glaube daher, es widerspricht nicht dem finanziellen Interesse des Herrn Bundesfinanzministers, wenn wir es bei den Beschlüssen der zweiten Beratung in diesem Punkte belassen. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Neuburger.

August Neuburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Gegensatz zu meinem Vorredner bitte ich das Hohe Haus, dem Änderungsantrag zuzustimmen. Ich bewundere den Herrn Kollegen Gengler, wie er ohne Wissen um die Zusammenhänge dieses Gesetzes einen Punkt hier so völlig herausnimmt. Wenn es sich nur darum handelte, mein lieber Gengler, dann wäre wahrscheinlich auch der Finanz- und Steuerausschuß zu einem solchen Ergebnis gekommen. Aber man kann doch dieses Gesetz nur im Zusammenhang erörtern, man kann es nur in der Relation der einzelnen Bestimmungen und der einzelnen Preise zueinander sehen. Ich wundere mich auch über das, was Herr Peters ausgeführt hat. Er hat die Interessen des kleinen Mannes so sehr betont. Als es vorhin darum ging, dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 861 zuzustimmen, kannte man die Interessen des kleinen Mannes nicht. Da handelte es sich nämlich darum, die Vorschaltpreisklasse des billigen Rauchtabaks noch etwas zu erweitern! - Da hörte ich nichts von Posaunenklängen über die Wahrnehmung der Inter({0}) esssen des kleinen Mannes! Jetzt, beim Zigarettenpapier, wird auf einmal der kleine Mann in den Vordergrund gestellt. Dabei geht es um folgendes. Wir haben im Gegensatz zu der in sich abgestimmten Vorlage des Finanzministers die Rauchtabaksteuer gegenüber der Zigarettensteuer bereits um 3 Mark gesenkt und darüber hinaus, wie Sie wissen, die Vorschaltpreisklasse eingeführt. Wir wollten vorhin die Menge der Vorschaltpreisklasse noch erweitern. Man kann aber nicht zweimal geben, wenn man die Dinge einigermaßen in Ordnung halten will. Aus dieser Verantwortung heraus, mein lieber Gengler, sind wir zu dem Ergebnis gekommen, den Rauchtabak um 3 Mark zu verbilligen und dazu eine Vorschaltpreisklasse einzuführen, um hier dem kleinen Mann entgegenzukommen. Darüber hinaus können wir aber nicht noch das Zigarettenpapier in dieser Weise ermäßigen. Das waren die Gründe, und diese Gründe sind logisch und stichhaltig. Ich bitte deshalb das Hohe Haus, diesem Änderungsantrag zuzustimmen. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Peters.

Georg Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herrren! Der Herr Finanzminister hat von der Notwendigkeit einer richtigen Relation zwischen Feinschnitt und Zigarette gesprochen. Nun ergeben aber die Berechnungen, daß der Feinschnitt in der regulären Preislage nicht auf 27 Mark, sondern auf 26 Mark pro Kilo gesenkt werden müßte. Daß wir uns auf 27 Mark für 1 Kilo geeinigt haben, ist nur geschehen, um in diesem Punkt eine vollkommene Einheit in der Tabakwarenindustrie zu erreichen und im Ausschuß eine einstimmige Beschlußfassung herbeizuführen. Wenn der Bundesrat wegen der Ausfälle Bedenken geäußert hat, so muß man darauf hinweisen, daß dieses Gesetz sowieso Ausfälle bringt. Man hätte sich das bei den Steuerstundungen überlegen müssen, die man gewährt hat, Herr Bundesfinanzminister. ({0}) Man könnte auch schon sehr viel sparen, wenn man die Rückzahlungsfristen beim Vollstreckungsaufschub nicht auf fünf Jahre festgesetzt hätte, sondern um sehr viel kürzer; denn die Industrie hat ja schließlich gewußt, daß die Rückzahlung erfolgen muß. Dem Kollegen Neuburger möchte ich noch erwidern, daß wir uns gerade bei der Vorschaltpreisklasse in der Begrenzung auf 500 kg für die kleinen Betriebe eingesetzt haben. Ihr Antrag geht darauf hinaus, diesen kleinen Betrieben die Erzeugung von 375 kg Vorschaltpreisklasse zu gestatten, während wir auf 500 kg gegangen sind. Wir haben bei einer Änderung in Ihrem Sinne gerade für die kleinen Betriebe eine Gefahr erblicken müssen. Wenn Sie nun daraus einen Vorwurf machen, daß hier ein Herr Kollege von Ihnen in Unkenntnis der gesamten Zusammenhänge das Wort zu einem Punkt bei diesem Gesetz nimmt, dann möchte ich Sie daran erinnern, daß Sie in der zweiten Lesung gerade bei diesem Paragraphen im Ausschuß einige Mitglieder Ihrer Fraktion zu einer Abstimmung herangeholt haben, die tatsächlich nichts von den Zusammenhängen wußten und die einfach für das gestimmt haben, was man ihnen seinerzeit vorlegte. Ich habe festgestellt, daß einige der Herren Kollegen, die seinerzeit im Ausschuß gegen unseren Antrag gestimmt haben, hier, nachdem sie wußten, um was es ging, für unseren Antrag gestimmt haben. ({1})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren! Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Ich schließe die Besprechung. Ich darf bitten, daß um der Trennung der Gewalten willen die Mitglieder des Bundesrats auf den ihnen vorbehaltenen Plätzen Platz nehmen. Ich komme zur Abstimmung über den Antrag Umdruck Nr. 864. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag der CDU/CSU, FDP, DP Umdruck Nr. 864 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. ({0}) Ich rufe auf § 28. Änderungsantrag Umdruck Nr. 865. Herr Abgeordneter Neuburger, bitte!

August Neuburger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001589, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch hier soll die Vorlage des 11. Ausschusses wiederhergestellt werden. Danach sollen also Rückvergütungen aller Art, die auf der Grundlage des Umsatzes gewährt werden, nicht gestattet sein. Bei der zweiten Lesung wurde hier ein Änderungsantrag der SPD angenommen, der die Möglichkeit gibt, daß die Konsumgenossenschaften auf den Umsatz von Zigarren, Zigaretten und Rauchtabak ebenfalls die Rückvergütung gewähren. Ich bin persönlich der Auffassung, daß die Konsumgenossenschaften das Recht beanspruchen können, gleichbehandelt zu werden ich unterstelle auch, daß die Konsumgenossenschaften von sich aus nicht das Recht beanspruchen, im Wirtschafts- und Wettbewerbsleben eine bessere Chance und eine bessere Startbedingung zu haben. Ich war bisher immer der Auffassung, daß ihre bessere Chance eben in der Art ihrer Organisation liegt. Daher habe ich kein Verständnis dafür, daß dieses Hohe Haus nun auf dem Sektor des Absatzes von Tabakwaren hier die Konsumgenossenschaften einseitig bevorzugen will. Es handelt sich hier um einen vom Gesetzgeber festgelegten Preis, und es hieße mit diesem Preis Schindluder treiben, wenn man durch Rabatte und durch sonstige Dinge diesen Preis nach unten manipulieren könnte. Wir fordern also, wenn wir die Wiederherstellung der Vorlage des Ausschusses erbitten, nichts anderes als die Gleichheit aller, die sich mit dieser Materie befassen, vor dem Gesetz. Ich bitte daher das Hohe Haus, dem Änderungsantrag zuzustimmen. Berichtigen möchte ich noch, daß, ohne daß ich dafür persönlich irgendeine Verantwortung trage, die Namen der Abgeordneten Feister, Albers, Mühlenberg, Pfender und Lenz aus Versehen auf diese Vorlage gekommen sind. ({0})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Peters.

Georg Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bitte, den hier gestellten Antrag abzulehnen. Was hier geschehen soll und was hier beantragt wird, ist ein Unrecht - ein Unrecht gegenüber allen Mitgliedern der Konsumgenossenschaften ({0}) und auch gegenüber diesen Unternehmen. Alle Unternehmungen und Unternehmen schütten ja schließlich in irgendeiner Form ihre Erübrigungen aus. Dieses Recht muß man auch der Konsumgenossenschaft hier in dieser Fassung belassen. ({1}) Rückvergütungen sind kein Rabatt; sie können mit Rabatt nicht verglichen werden. ({2}) Der Käufer muß bezahlen und weiß überhaupt nicht, ob er am Jahresschluß darauf eine Rückvergütung bekommt oder ob er nicht noch auf Grund seines Anteils bei der Konsumgenossenschaft zusätzlich etwas zu bezahlen hat. ({3}) - Doch! - Es wäre vor allen Dingen bedenklich, jetzt dem kommenden Genossenschaftsgesetz mit einer solchen Entscheidung vorzugreifen. Richtig wäre, es bei dem bisherigen Recht zu belassen. Es ist kein Vorrecht für die Konsumgenossenschafter, sondern bedeutet nur ein gleiches Recht mit allen übrigen Unternehmen. Das bisherige Recht ist nur im Jahre 1933 von den Nazis angegriffen und aufgehoben worden. Ich bitte Sie also, es bei der jetzigen Fassung des Gesetzes zu belassen und diesen Antrag abzulehnen. ({4})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Bertram.

Dr. Helmut Bertram (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000164, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Meine Damen und Herren! Wir unterstützen den Antrag des Herrn Kollegen Neuburger und seiner Freunde. Wenn wir das tun, so deshalb, weil wir uns dafür einsetzen, daß Gleichheit vor dem Gesetz bestehen soll. Es kann doch nicht als dem Grundsatz der Gleichheit entsprechend angesehen werden, wenn Herr Kollege Peters sagt: „Ja, bei den Genossenschaften sind aber Rückvergütungen und Gewinnausschüttungen auch auf Tabakwaren dem Wesen der Genossenschaften entsprechend. Die Zigaretten werden zwar dadurch billiger, aber das entspricht doch dem Wesen der Genossenschaft, und deshalb müssen sie doch billiger werden." Meine Damen und Herren, wir haben es hier mit einem Steuergesetz zu tun, und wenn wir hier Preise festsetzen - wenn wir sie überhaupt festsetzen -, dann muß jeder, der mit Tabakwaren handelt, den gleichen Abgabepreis fordern müssen, ({0}) und es kann nicht irgend jemandem, ganz egal ob er nun Genossenschaft heißt oder Müller oder Meier heißt, gestattet sein, unter einer irgendwie gearteten Bezeichnung eine Rückvergütung zu gewähren. Entscheidend ist nämlich hier, Herr Kollege Peters, daß lediglich die Rückvergütung auf der Grundlage des Umsatzes verboten ist, und eine Rückvergütung auf der Grundlage des Umsatzes heißt beim Einzelhandel Rabatt und nichts anderes. ({1}) Deshalb, meine Damen und Herren, bitte ich Sie, im Interesse der Gleichmäßigkeit der Behandlung aller, die mit Tabakwaren handeln, dem Antrag des Herrn Kollegen Neuburger zuzustimmen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Keine weiteren Wortmeldungen. Ich komme zur Abstimmung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 865 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. ({0}) Enthaltungen? ({1}) Meine Damen und Herren, diese Entscheidung ist außerordentlich schwierig. Ich bitte Sie, im Wege des Hammelsprungs über den Umdruck Nr. 865 abzustimmen und den Saal möglichst schnell zu räumen. ({2}) - Ich darf bitten, das Hinausgehen zu beschleunigen. Ich bitte, mit der Auszählung zu beginnen. ({3}) Ich bitte, die Abstimmung zu beschleunigen. - Ich bitte, die Türen zu schließen. Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis der Abstimmung bekannt. Für den Antrag Umdruck Nr. 865 haben gestimmt 169 Abgeordnete, dagegen 142 Abgeordnete, bei null Enthaltungen. Damit ist der Antrag angenommen. Ich rufe auf §§ 82, - 83. ({4}) - Da der § 28 in einer neuen Fassung angenommen ist, wäre eine nochmalige Abstimmung eine Wiederholung, Herr Abgeordneter. Der § 28 ist durch die Abstimmung in der Fassung der Beschlüsse des 11. Ausschusses wiederhergestellt. Zu §§ 82, 83 und 84: Änderungsanträge auf Umdruck Nr. 867 Ziffern 1, 2 und 3. Herr Abgeordneter Peters!

Georg Peters (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001695, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieser Änderungsantrag ergibt sich aus der Änderung des Steuersatzes für Zigarettenblättchen. Die Steuererleichterungen für Zigarettenblättchenhersteller waren nach dem alten Steuersatz errechnet. Sie müssen nunmehr - das ist selbstverständlich - angeglichen werden. Das hat der Herr Finanzminister in der zweiten Lesung des Gesetzentwurfs bereits erklärt. Diese Angleichungen haben keine finanziellen Auswirkungen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort wird weiter nicht gewünscht. Sind Sie damit einverstanden, daß über die Änderungsanträge Umdruck Nr. 867 unter Ziffern 1, 2 und 3 zusammen abgestimmt wird? - Meine Damen und Herren, ich komme zur Abstimmung ({0}) über die Änderungsanträge Umdruck Nr. 867 unter Ziffern 1, 2 und 3 betreffend die §§ 82, 83, 84. Ich bitte die Damen und Herren, die diesen Änderungsanträgen zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, es ist sehr unübersichtlich, wenn sich ein Teil des Hauses an der Abstimmung nicht beteiligt. Ich mache den Versuch, die Abstimmung zu wiederholen, und bitte die Damen und Herren, die Unterhaltungen um eine halbe Sekunde zu unterbrechen. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Änderungsantrag Umdruck Nr. 867 unter Ziffern 1, 2 und 3 zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe! - Enthaltungen? - Meine Damen und Herren, ich werde den Versuch machen, es durch Erheben - -({1}) - Der Herr Minister möchte sich dazu äußern. Wir sind in der Abstimmung. Vielleicht klärt sich die Lage dadurch: Der Herr Minister glaubt, daß es sich um eine logische Folge der vorhergegangenen Abstimmung handelt. Weiter wünscht der Herr Minister nichts bekanntzugeben; ich habe es ihm abgenommen. Darf ich unter diesen Umständen die Abstimmung durch Erheben von den Sitzen wiederholen. Ich bitte die Damen und Herren, die für den Antrag Umdruck Nr. 867 sind, sich von den Sitzen zu erheben. - Es bedarf keiner Gegenprobe. ({2}) Ich bitte die Damen und Herren, die den §§ 82, 83, 84 in der geänderten Fassung zuzustimmen wünschen, eine Hand zu erheben. - Das ist die Mehrheit; die Paragraphen sind angenommen. Ich rufe auf den Änderungsantrag betreffend § 94 a Umdruck Nr. 866. Soll er begründet werden? ({3}) - Herr Abgeordneter Kather hat das Wort!

Dr. Linus Kather (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001072, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte um Aufklärung seitens der Antragsteller darüber bitten, ob hier absichtlich von „politischen Flüchtlingen" aus den Gebieten östlich der Oder-Neiße-Linie usw. die Rede ist und weshalb man an Stelle dieser Fassung nicht einfach gesagt hat: „Flüchtlingen und Vertriebenen". Einen entsprechenden Antrag kann ich leider nicht mehr stellen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Wünschen die Antragsteller sich dazu zu äußern? - Es heißt tatsächlich nach dem Wortlaut: „politischen Flüchtlingen aus ... den östlich der Oder-Neiße-Linie gelegenen Gebieten". Das scheint mir widersinnig zu sein. Darf ich Ihnen der Einfachheit halber den Vorschlag machen, zu sagen: „politischen Flüchtlingen und Vertriebenen aus der ..." usw.? ({0}) - Die Antragsteller sind damit einverstanden; damit ist diese Frage geklärt. Es würden also nach den Worten „politischen Flüchtlingen" eingefügt werden die Worte „und Vertriebenen". Das Wort hat Herr Abgeordneter Seuffert.

Walter Seuffert (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002165, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bei allem Wohlwollen und Verständnis, das wir dem Anliegen, das mit diesem Antrag gedeckt werden soll, entgegenbringen, sehen wir uns jedoch nicht in der Lage, einer Gesetzesbestimmung in der Form, wie sie hier vorgeschlagen wird, unsere Zustimmung zu geben. Erstens einmal sind wir im Finanzausschuß immer davor zurückgeschreckt - und wir haben gute Gründe für diese ständige Praxis gehabt -, der Bundesregierung oder dem Ministerium allgemeine Ermächtigungen zu geben; ganz abgesehen davon, daß derartige Ermächtigungen dem Grundgesetz widersprechen. Hier ist eine Ermächtigung gegeben, im Gesetz vorgesehene Vergünstigungen, die nicht näher genannt sind - es sind nur beispielsweise Anführungen gemacht -, auch zuzuerkennen, wenn die Voraussetzungen dafür nicht gegeben sind. Es ist nichts darüber gesagt, warum die Voraussetzungen nicht gegeben sein könnten und welche Härten wirklich beseitigt werden sollen. Es sind keinerlei Richtlinien und keine Anweisungen gegeben. Eine derartige Bestimmung bedeutet, daß der eine etwas bekommt und der andere nicht. Niemand hat einen Rechtsanspruch, niemand hat eine Anweisung. Derartiges nennt man ReptilienFonds. Das sind Ermächtigungen, die weder eine saubere Regelung zugunsten der Vertriebenen oder sonstigen Betroffenen bedeuten noch eine saubere Handhabung der Verwaltung ermöglichen. Man möge einen Antrag vorlegen auf eine Rechtsverordnung, man möge einen Antrag vorlegen auf eine saubere Ermächtigung, so wie sie unserem Grundgesetz entspricht; wir werden ihm gerne zustimmen. Aber eine derartige Abweichung von jeder zulässigen Gesetzespraxis vermögen wir zu unserem Bedauern nicht mitzumachen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort wird dazu weiter nicht gewünscht. Ich schließe die Besprechung. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Antrag Umdruck Nr. 866 zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Das zweite ist die Mehrheit; der Antrag ist abgelehnt. Damit sind die Änderungsanträge zu dem Gesetz erledigt. Die Einzelberatung ist geschlossen. Ich komme zur Schlußabstimmung über das Tabaksteuergesetz. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Gesetz in seiner Gesamtheit zuzustimmen wünschen, sich von ihren Plätzen zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen, bitte! - Das Gesetz ist mit überwiegender Mehrheit in der Schlußabstimmung angenommen. Es liegt ein Entschließungsantrag der Abgeordneten Pelster, Neuburger, Morgenthaler, Hilbert, Dr. Freiherr von Fürstenberg und Genossen vor, Umdruck Nr. 844. Ich bitte die Damen und Herren, die dem Entschließungsantrag Umdruck Nr. 844 zuzustimmen wünschen, ihre Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Enthaltungen? - Der Entschließungsantrag ist bei zahlreichen Enthaltungen angenommen. Vom Ausschuß ist in der Ihnen vorliegenden Drucksache unter Ziffer 2 beantragt worden, den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Neuregelung der Tabaksteuer und den Antrag der Fraktion der SPD betreffend Vorlage eines Gesetzentwurfs zur Herabsetzung der Tabaksteuer für erledigt zu erklären. Ich bitte die Damen und Herren, die diesem Antrag zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; angenommen. ({0}) Ferner hat der Ausschuß beantragt, die zu diesem Gesetzentwurf eingegangenen Petitionen für erledigt zu erklären. Ich bitte die Damen und Herren, die dem zuzustimmen wünschen, um ein Handzeichen. - Das ist die Mehrheit; ebenfalls angenommen. Ich rufe den Punkt 2 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften ({1}). Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, nach einer kurzen Begründung von zehn Minuten den Gesetzentwurf ohne Aussprache dem zuständigen Ausschuß zu überweisen. - Das Haus ist mit dieser Regelung einverstanden. Herr Abgeordneter Neuburger zur Begründung, bitte! Neuburger ({2}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In dem vorliegenden Gesetzentwurf sehen meine Parteifreunde ein en der möglichen Wege, um die wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch so entscheidende Forderung „Schafft Eigentum, schafft insbesondere Miteigentum an unserem industriellen Produktionsapparat!" zu verwirklichen. Durch dieses Gesetz soll also jedermann, insbesondere auch jedem Arbeitnehmer, der willens ist, entsprechend zu sparen, die Möglichkeit geschaffen werden, sich nicht nur an den derzeitigen, sondern auch an den sich neu bildenden Werten in unserer Wirtschaft eigentumsmäßig zu beteiligen. Es gibt zweifellos verschiedene Wege, dieses wirtschafts- und sozialpolitisch so bedeutsame Ziel zu erreichen. Vielleicht gibt es auch bessere Wege, als sie in dieser Gesetzesvorlage aufgezeigt werden. Entscheidend und wichtig ist aber, daß einmal ein solcher Weg eröffnet wird. Wir wissen zwar, daß das Beschreiten dieses Weges und die Verwirklichung des Ziels Sparen und nochmals Sparen zur Voraussetzung haben; aber dieser Gesetzentwurf will eben dem Sparen einen besonderen Anreiz dadurch geben, daß in Werten gespart werden soll, die immerhin beide Inflationen bedeutend besser überstanden haben als die Sparkapitalien. Die Aufgabe der zu bildenden Kapitalanlagegesellschaften besteht darin, die anvertrauten Geldbeträge in geeigneter Weise in Wertpapieren, insbesondere also in Aktien, anzulegen und die einzelnen Geldgeber anteilmäßig an der Gesamtheit der erworbenen Wertpapiere zu beteiligen. Dabei sollen die Risiken des Wertpapiererwerbs durch zweckentsprechende Mischung dieser Anlagewerte auf ein Mindestmaß herabgesetzt und andererseits eine mögliche Gleichmäßigkeit in der Ertragschance erreicht werden. ({3}) Dadurch nämlich, daß sehr viele verschiedene und vor allem verschiedenartige Werte in wirtschaftlicher und regionaler Streuung nach Branchen, Betrieben und Standorten erworben werden, soll ein Risikoausgleich herbeigeführt werden, den der einzelne Anleger mit seinen beschränkten Mitteln nicht erreichen kann. Das Gesetz ermöglicht also demjenigen, der von sich aus nicht das Risiko, auf den Effektenmarkt zu gehen, auf sich nehmen würde, sein Geld in Wertpapieren, insbesondere in Aktien anzulegen. Dieser Gedanke ist nicht neu. Er ist im Ausland seit Jahren praktiziert und hat sich nicht I nur in den angelsächsischen Ländern, sondern auch in der Schweiz bestens bewährt. Die Kinderkrankheiten und Mißbräuche, die sich dort eingestellt haben, sind und werden durch diesen Gesetzentwurf so gut wie ausgeschlossen. Die Gründung von Kapitalanlagegesellschaften ist an eine Genehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums geknüpft, die Geschäftsführung unterliegt der Aufsicht nach den Bestimmungen des Kreditwesengesetzes, und auch die Ausgabe der einzelnen Investmentpapiere wird sowohl hinsichtlich der Bedingungen als auch hinsichtlich der Höhe jeweils von einer Genehmigung des Bundeswirtschaftsministeriums abhängig gemacht. Im Rahmen der kleinen Steuerreform wollen wir einmal erreichen, daß durch die Steuersenkung eine gewisse Konsumbelebung eintritt. Wir wollen damit aber insbesondere auch erreichen, das zusätzlich gespart wird. Daher das Gesetz gerade zu dieser Stunde, um die zusätzlich gesparten Gelder in bestimmte Kanäle zu lenken und dem einzelnen Sparer die Möglichkeit zu geben, sich entsprechend an unserem industriellen Eigentum, an den sich neu bildenden Werten in unserer Industrie zu beteiligen. Sozialpolitisch ist es von allergrößter Bedeutung, daß die Möglichkeit der Bildung von Eigentum allen Kreisen der Bevölkerung geboten wird. Wir haben den Eindruck, daß damit zugleich der Tendenz Einhalt geboten wird, mit den ersparten Geldern allzusehr in den Konsum zu gehen. Wir wollen, daß auch die Kreise der Arbeitnehmer eine solche echte Chance erhalten, industrielle Werte anteilsmäßig zu erwerben. Dabei soll der Arbeitnehmer, wie gesagt, nicht nur auf die Möglichkeit der Beteiligung an dem Unternehmen beschränkt sein, in dem er selbst arbeitet. Er soll vielmehr Gelegenheit haben, auch anderweitig industrielles Eigentum zu erwerben. Für den Aufbau einer Investmentgesellschaft wurde die sogenannte Treuhandlösung gewählt. Man hätte auch eine andere Form wählen können § 1 verlangt, daß die Gesellschaft in der Rechtsform der Aktiengesellschaft oder der GmbH gegründet wird. Darüber hinaus wird aber in § 2 ausdrücklich klargestellt, daß die erworbenen Wertpapiere Treuhandvermögen sind, welches für die Anteilsinhaber verwertet wird. Die Gründung bedarf, wie ich bereits ausführte, der Genehmigung, die Geschäftsführung sowie die Ausgabe der Zertifikate unterliegen der Aufsicht. In § 3 sind dann die Mindesterfordernisse für die Ausgabe selbst geregelt. § 4 regelt die Ausgestaltung der Anteilscheine im einzelnen. § 5 enthält Vorschriften darüber, daß die Streuung gewahrt wird, daß keine Kapitalzusammenballungen in der Form erfolgen, daß nur Beteiligungen bei einzelnen Firmen erfolgen, daß die Ankäufe von einzelnen Wertpapieren nur in ganz bestimmtem Ausmaß möglich sind - nur bis zu einer Höhe von 5 % - daß keine gegenteiligen Beteiligungen von Investmentgesellschaften möglich sind. All das, was sich in den anderen Ländern als Mißbrauch erwiesen hat, wird ausgeschaltet. Das Eingehen auf Einzelheiten des Entwurfs wird im übrigen Sache der Ausschußberatung sein. Ich möchte nur noch auf die §§ 8 und 9 eingehen. Die §§ 8 und 9 enthalten steuerliche Vorschriften. Sie bilden mit ein Kernstück des Gesetzes. Denn es muß natürlich gewährleistet sein, daß durch die Einschaltung eines solchen Treuhänders, einer solchen Investmentgesellschaft nicht zusätzliche ({4}) steuerliche Tatbestände entstehen. Das Handeln dieser Investmentgesellschaft zugunsten der Treugeber darf daher keine Steuern auslösen. Daher waren gewisse Vorschriften erforderlich, um eben die Entstehung von Steuern sofort zu unterbinden. Darüber hinaus enthält der § 9 noch die Bestimmung, daß der unmittelbare oder der mittelbare Ersterwerb von solchen Zertifikaten steuerbegünstigt im Sinne des § 10 unseres Einkommensteuergesetzes sein soll. Das stellt meines Erachtens keine Besonderheit dar, im Gegenteil. Wer den Gesetzentwurf in seinem Grundsatz, in seiner wirtschafts-und sozialpolitischen Bedeutung bejaht, der muß ihm auch diese steuerliche Vergünstigung geben. Ich bin daher der Überzeugung, daß nicht nur der Ausschuß, sondern auch später das Hohe Haus diesem Gesetzentwurf ihre Zustimmung geben werden. Die Antragsteller bitten, die Vorlage dem Geld-und Kreditausschuß als federführend und im Hinblick auf die steuerlichen Vorschriften auch dem Finanz- und Steuerausschuß zu überweisen. ({5})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf eine Aussprache zu verzichten. - Kein Widerspruch. Es ist der Antrag gestellt worden, die Vorlage zu verweisen an den Ausschuß für Geld und Kredit, an den Ausschuß für Finanzen und Steuern ({0}) und an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik. Einverständnis besteht wohl darüber, daß der Ausschuß für Geld und Kredit federführend sein soll. - Kein Widerspruch. Die Überweisung an diese drei genannten Ausschüsse ist beschlossen. Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des Entwurfs eines Zweiten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft ({1}). Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, auf die Entgegennahme einer mündlichen Begründung und ebenso auf eine Aussprache zu verzichten und die Vorlage an den Ausschuß für Wirtschaftspolitik, Haushaltsausschuß, Ausschuß für Geld und Kredit - federführender Ausschuß der Ausschuß für Wirtschaftspolitik - zu überweisen. - Das Haus ist einverstanden; dann ist so beschlossen. Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Mende, Walter und Genossen eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks ({2}). Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, für die Begründung 20 Minuten und für die allgemeine Aussprache 120 Minuten Redezeit zu beschließen. Ist das Haus einverstanden? ({3}) - Dann ist die Redezeit in der vorgeschlagenen Weise festgesetzt. Wer begründet den Entwurf? ({4}) - Herr Dr. Vogel ist inzwischen gekommen. Ich erteile ihm das Wort. Dr. Vogel ({5}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die vor Ihnen liegende Materie stellt eine der schwierigsten verfassungsrechtlichen Fragen dar, mit denen sich der Bundestag zu befassen hat. ({6}) - Das, Herr Dr. Menzel, festzustellen, ist in diesem Zusammenhang nicht ohne Belang. Ich hoffe, daß Sie als verfassungsrechtlicher Experte nachher noch erlauchte Ausführungen dazu machen werden. Wenn wir uns mit diesen Fragen beschäftigen, müssen wir zwangsläufig einen Rückblick auf den Werdegang der Rundfunkgesetze in Deutschland überhaupt werfen. Wir haben den Zustand vor uns, daß gegenwärtig in der US-Zone nicht weniger als vier Gesetze nebeneinander existieren, vier Gesetze, von denen das letzte in Baden-Württemberg vom 6. April 1949 herrührt. In Wirklichkeit sind alle diese Gesetze der US-Zone durch ein Schreiben der amerikanischen Militärregierung vom 21. November 1947 - gerichtet an die Adresse der Militärgouverneure der vier amerikanischen Länder - geschaffen warden. In diesem Schreiben der Militärregierung war den Militärgouverneuren aufgetragen worden, die Länderparlamente der US-Zone zu veranlassen, bis zum 15. März 1948 entsprechende Ländergesetze zu verabschieden. Die Länder sind in mehr oder weniger großen Abständen diesem Ersuchen nachgekommen. Allerdings ist das letzte Gesetz dieser Art erst am 6. April 1949 von Württemberg-Baden als dem letzten Land verabschiedet worden. Gerade das Beispiel meines Heimatlandes Baden-Württemberg gibt besonderen Anlaß, noch einmal auf die Prozedur zurückzukommen, die hier stattgefunden hat. Der baden-württembergische Landtag - dafür sitzen ja auch in diesem Hause zahlreiche Zeugen, die als Mitglieder des ersten Landtags damals das alles mitgemacht haben - hat sich zweimal eine Zurückweisung seiner eigenen Gesetzesvorlagen und seiner zweiten und dritten Lesungen durch die Militärregierungen gefallen lassen müssen, bis dann schließlich - nach einem abermaligen Einspruch, sogar des inzwischen aufgebauten Senders - die Militärregierung ihre Zustimmung zu dem Landtagsgesetz erteilt hat. ({7}) - Warum zurückgewiesen? Das will ich Ihnen ganz offen sagen. Dafür, warum es zurückgewiesen ist, ist Herr Kollege Schoettle ein ausgezeichneter Zeuge. Ich zitiere hier ausdrücklich einen Ausspruch, den Kollege Schoettle von Ihrer Fraktion damals nach dem Protokoll über die 29. Sitzung des baden-württembergischen Landtags vom 18. Juni 1947 getan hat. Er bestand von seiner Seite aus darauf, daß die staatlichen Aufsichtsrechte und staatlichen Befugnisse stärker verankert werden, als dies die Militärregierung wünschte. Er sagte damals wörtlich - und das ist ein Ausspruch, ({8}) den ich auch heute noch für sehr bemerkenswert halte -, daß: „ein demokratischer Staat nicht unbedingt identisch ist mit dem Diktaturstaat des Nationalsozialismus, sondern daß der Staat in der Demokratie die Zusammenfassung aller öffentlichen Interessen ist und das Parlament Sprachrohr und Kontrollorgan des . öffentlichen Interesses gegenüber der Regierung ist". Auch dies sollten Sie zuweilen heute noch berücksichtigen, denn die Gültigkeit dieses Ausspruchs, von unserer Seite in Anspruch genommen, würde ein sehr interessantes Licht auf die heutige Diskussion werfen. In der britischen Zone hatten wir die Verordnung Nr. 118 vom 1. Januar 1948, das Statut des NWDR, nachdem bereits am 30. Januar 1947 die Lizensierung des NWDR kurz vorher erfolgt war. In der französischen Zone erfolgte die Rechtsetzung durch zwei Verordnungen Nr. 187 und 188 vom 30. Oktober 1948. Sie sind dann erst vor sehr kurzer Zeit durch den Staatsvertrag zwischen den früheren drei Ländern der französischen Zone 1952 abgelöst worden. Das Gesamtbild, das sich uns hier bietet, ist unbestreitbar ein rechtliches Chaos. Nun die Frage: Was konnte in einer solchen Situation die Bundesregierung und was konnte der Bundestag tun? Die Länder waren von den Besatzungsmächten vor der Bundesregierung geschaffen worden. Sie hatten für den noch nicht existierenden Bund treuhänderisch Rechte in Anspruch genommen, von denen sie sich jetzt verständlicherweise höchst ungern trennen. Es kommt eine vielleicht gerade in unserem Volk besonders tief eingewurzelte Neigung hinzu, sich auch von gewissen einmal geschaffenen politischen und rechtlichen Gegebenheiten nur ungern zu trennen. Wir haben unbestreitbar hier eine sehr starke Neigung zu Versteinerungen, selbst wenn es sich um Versteinerungen von Besatzungsrecht handelt, vor allen Dingen wenn sich neue Interessen darum gruppieren und sich diese neuen Interessen um diese früheren Besatzungsrechte in einer Weise konsolidiert haben, die man nur ungern löst, bzw. auch wenn Verhältnisse geschaffen worden sind, von denen man sich ungern um seines eigenen Nutzens willen trennt. ({9}) Die rücksichtslose Ausnutzung der beschränkten Souveränität des Bundes infolge der immer noch gültigen alliierten Anordnungen, vor allen Dingen des Gesetzes der Alliierten Hohen Kommission Nr. 5 vom 21. September 1949 ist ein ganz besonderes Beispiel für die Zwangslage, in der sich der Bund gegenwärtig befindet. Die Bundesregierung wäre auch heute noch gehalten, wollte sie ein solches Gesetz einbringen, vorher die Genehmigung der Alliierten Hohen Kommission einzuholen. Wir haben doch vor uns noch das immerhin traurige Schauspiel des Werdeganges des Ufi-Liquidationsgesetzes. Wir wissen, wie oft derartige Vorschläge von der andern Seite zurückgewiesen worden sind, bis man schließlich das erzwang, was dann nach außen hin als ein deutsches Gesetz deklariert werden sollte und mußte. Wenn unsere Regierung durch den Beitritt zum Internationalen Fernmeldeverein eine größere Bewegungsfreiheit auf diesem Gebiet erreicht hat und heute Mitglied der Internationalen AtlanticCity-Konferenz von 1947 geworden ist, so ist damit trotzdem noch nicht diejenige Bewegungsfreiheit der Bundesregierung geschaffen worden, ohne die ein freier Staat auch auf dem Gebiet der Rundfunkhoheit nicht denkbar ist. Wie nun diese ausgesprochene Zwangslage der Bundesregierung und des Bundestages zwischen den Besatzungsbehörden auf der einen Seite und den von diesen auf der anderen Seite geschaffenen Anordnungen und Gesetzen in den einzelnen Ländern ausgenutzt worden ist, davon kann ich Ihnen nach einem Protokoll Mitteilung machen, das mir in die Hände gelangt ist. Es handelt sich dabei um das Protokoll der Intendantensitzung der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten vom 20. und 21. Oktober in Stuttgart. Auf dieser Intendantenbesprechung hat Herr Intendant Beckmann vom Hessischen Rundfunk wörtlich erklärt: Eins möchte ich noch einmal festnageln: Was die Bundesregierung dazu sagt - es handelte sich um die gemeinsame Betreibung der Langwelle oder was sonst man noch dazu sagt, das ist uns vollkommen gleichgültig. ({10}) Wenn ich, sagen wir, fünf Minuten vor Inkrafttreten des Generalvertrags von den Engländern noch eine Welle herausschinden kann, dann werden wir sie nehmen und nicht daran denken, daß in fünf Minuten die Bundesregierung die Rundfunkhoheit hat. ({11}) Das ist die Art und Weise, in der diese Zwangslage der Bundesregierung genutzt worden ist. Ich glaube, es ist die Pflicht dieses Hauses, siedmaun einmal darauf zu besinnen, welche Funktionen es auch auf diesem Sektor, diesem ungemein wichtigen Sektor hat und welche Verpflichtungen es hat, auch hier die Möglichkeiten auszunutzen, die ihm jetzt nach der dritten Lesung der Verträge gegeben sind. Mit ein entscheidender Beweggrund der Koalition, diesen Gesetzentwurf einzureichen, ist der, daß, wenn wir jetzt auf diesem Gebiet nicht aktiv werden, dieses Interregnum auf der andern Seite dazu benutzt wird, zu präjudizieren und dem Bund unbestreitbare Rechte zu nehmen bzw. den Bund in außerordentliche spätere Schwierigkeiten zu bringen. Was auch immer der Regierung und der Koalition in der letzten Zeit unterstellt worden war oder ist, etwa hinsichtlich Beeinflussungsmöglichkeiten vor der Wahl, ist allein schon dadurch völlig hinfällig, daß jeder, der sich den möglichen Gang dieser Gesetzgebung vor Augen hält, der sich vor allen Dingen überlegt, wie lange Zeit wir dazu brauchen werden, um diesen Gesetzentwurf im Bundestag durchzubringen, ihn nachher vom Bundesrat behandelt zu sehen, und die daraus sich ergebenden Terminsetzungen usw. berücksichtigt, wissen wird, daß jedes dieser Argumente, wir beabsichtigten, damit irgend etwas für die Wahl zu tun, völlig hinfällig ist. ({12}) Nun zum Gesetz selbst. Wir haben nur das herausgegriffen, was wirklich vordringlich war. Wir haben nur das vor uns liegen, was wir als vordringlichste Aufgaben auf diesem Gebiet überhaupt ({13}) ansehen: Regelung der Kurzwelle, Regelung der Langwelle, des Fernsehens und damit untrennbar verknüpft die Frage der Gebühren. Es ist unbestreitbar, daß gerade auf dem Gebiet des Fernsehens die Dinge eine Entwicklung genommen haben, die wohl auch die Opposition keineswegs befriedigt. Es wäre wahrscheinlich wesentlich richtiger gewesen, wenn man zunächst einmal das getan hätte, was die Rundfunkanstalten jetzt in letzter Minute unter dem Druck dieser Gesetzesvorlage getan haben, sich nämlich zusammenzusetzen, um eine gemeinsame Aktion und eine gemeinsame Rechtskörperschaft für das Fernsehen zu schaffen; wenn man dann erst abgewartet hätte, bis die Post von der Nordsee, von Hamburg über Köln bis zum Wendelstein die Relaiskette geschaffen hätte, die zur Übertragung des Fernsehens quer durch die Bundesrepublik notwendig ist; und wenn man dann nach einer entsprechend guten Vorbereitung für ein gutes Programm das Fernsehen im gesamten Bundesgebiet gleichzeitig mit einer entsprechenden Werbung der Industrie angefangen hätte. So hat man vorzeitig losgeschossen, so hat man angefangen, ohne daß man vorher die notwendigen Voraussetzungen geschaffen hatte, und die Folge davon ist heute ein durchaus nicht nur von der Industrie wegen mangelnden Absatzes ihrer Geräte beklagter Zustand, sondern ein von und allen zu beklagender Zustand, weil hier seit dem 1. Januar ein Programm gestartet wird, das weder Sie, meine Herren der Opposition, noch uns in irgendeiner Weise befriedigt. Wir haben auch weder in diesem jetzt schnell zusammengeschusterten Vorschlag der Intendanten noch bis jetzt in irgendeiner anderen Form etwas verankert gesehen, was wir gleichfalls für absolut notwendig halten, nämlich die Schaffung eines entsprechenden Aufsichtsgremiums für den Betrieb des Deutschen Rundfunks, wie wir ihn in der Gesetzesvorlage genannt haben, zum gemeinsamen Betrieb der Kurzwellenanlagen, der Langwellenanlagen und des Fernsehens. Von Mittelwellen - das möchte ich ausdrücklich feststellen - ist hier gar nicht die Rede. ({14}) - Nein, davon ist nicht die Rede, und, Herr Blachstein, davon wird auch nicht die Rede sein. ({15}) - Ich habe es nicht geschrieben; Sie können sich später darauf berufen. - Die Notwendigkeit eines demokratisch völlig einwandfrei zusammengesetzten Aufsichtsgremiums als Beispiel für die notwendige Reorganisation der Gremien auch der Landesrundfunkanstalten ist in dem vorliegenden Gesetzentwurf, glaube ich, in einer wirklich völlig unanfechtbaren Weise dargelegt worden. ({16}) Man kann natürlich über die Zusammensetzung dieses Gremiums durchaus geteilter Meinung sein. Der eine wird vielleicht verlangen, daß der Bundestag, der Bundesrat und andere Körperschaften des öffentlichen Rechts stärker vertreten sind. Man kann vielleicht davon sprechen, daß Organisationen der Wirtschaft, die Gewerkschaften usw. stärker vertreten werden. Man kann daran denken, daß auch die zahlreichen Anträge von seiten des Handwerks, der Bauernschaft usw. berücksichtigt werden. Allerdings würde man dann ein Gremium schaffen, das einem Ständeparlament ähnlicher sein würde als dem, was wir zur Kontrolle dieser technischen Bereiche notwendig haben. Ich glaube, daß der Vorschlag, der hier gemacht worden ist, eine durchaus brauchbare Diskussionsgrundlage bietet und allen Erfordernissen einer wirklichen Kontrolle Rechnung trägt. Es ist auch von Ihrer Seite ({17}) niemals beanstandet worden, glaube ich, und ich darf mich hier auf den Artikel Ihres Referenten von der Parteiseite aus, Herrn Jürgen Warner, berufen, der sehr starke Kritik, meines Erachtens durchaus berechtigte Kritik an der bisherigen Zusammensetzung der Gremien in den Landesrundfunkanstalten geübt hat. Daß hier viele Wünsche offen sind, wissen Sie genau so wie wir. War haben uns bemüht, Ihnen hier ein Beispiel dafür zu geben, wie wir uns eine wirkliche Kontrolle auch der Intendanten, die diese drei Wellen betreiben sollen, vorstellen, und ich glaube, daß das ein sehr gutes Beispiel sein würde. Es ließe sich unter Umständen durchaus auch darüber sprechen, ob man nicht überhaupt das Fernsehen herausnehmen sollte, d. h. ob man eine besondere Fernsehanstalt gründen und sie nicht in diese gemeinsame Anstalt hereinnehmen sollte. Auch darüber ließe sich durchaus noch reden. Wir glauben aber, daß der gemeinsame Betrieb, schon von der Gebührenfrage aus gesehen, eine dringende Notwendigkeit darstellt. Was nun die Ihnen vorgeschlagene Gebührenregelung selbst betrifft, so war ich mir mit meinen Freunden bis zur letzten Minute noch darüber im unklaren, ob wir nicht für die vorgeschlagene Ziffer die Zahl x einsetzen sollten. Es kommt uns hier wirklich nicht darauf an, Ihnen einen genau präzisierten, finanziell durchgerechneten Vorschlag zu bieten, sondern darauf, Ihnen eine Diskussionsgrundlage zu geben, über die durchaus noch gesprochen werden kann. Unsere Absicht ist es, im Bundestag alle diese Dinge so gründlich wie möglich zu erörtern. Wir haben durchaus Verständnis dafür, daß die Länder aus der Macht der Gewohnheit heraus, aus der Rolle der Treuhänder an Bundes Stelle, die sie bis jetzt innehatten, das Bestreben haben, ihrerseits diese Funktion der Vergangenheit weiter aufrechtzuerhalten. Wir sind überzeugt, daß es hier durchaus zu einer Verständigung kommen kann. Ich bin aber der Ansicht, daß der Bund unbedingt zwei Dinge für sich in Anspruch nehmen kann, soll und muß. Auf Grund der Protokolle des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats muß er für sich die Organisationsgewalt in Anspruch nehmen, also nicht nur die technische Seite des Rundfunks. Ferner hat er nach meiner Ansicht, obwohl einige Professoren anderer Ansicht sind - aber auch darüber läßt sich streiten -, immer noch die unbestrittene Kompetenz auch in der Gebührenfrage. Schließlich sollte doch niemand übersehen, daß wir in unserer Lage heute dringender denn je auch alle solche Fragen berücksichtigen müssen, die die gemeinsame Vertretung unserer Interessen, der Interessen der neugeschaffenen Bundesrepublik, gegenüber der Sowjetzone und dem Ausland notwendig machen. Diese Dinge sind es, glaube ich, durchaus wert, daß sie wie in allen anderen Ländern Europas von der Vertretung des Volkes behandelt und ernsthaft und gründlich beraten werden. Diesem Haus allein ({18}) I kommt es unserer Auffassung nach zu, den ersten Schritt zu tun und den ersten Anstoß in dieser Richtung zu geben. Das hat auch die Opposition früher niemals geleugnet. Das bisherige Verhalten der Rundfunkanstalten und der Länder, die sich jetzt in letzter Minute zusammengefunden haben, um dem Bund noch zuvorzukommen, bestätigt, daß eine gesetzliche Regelung durch dieses Haus notwendig ist, ({19}) und zwar die Regelung einer Gemeinschaftsaufgabe für den gesamten Bereich der Bundesrepublik. ({20}) - Das können Sie ja später ausführen, aber nach mir bitte! ({21}) Wenden Sie sich vom deutschen Rundfunk in seiner jetzigen Form der Versteinerung des Besatzungsrechts ab! Es ist notwendig, daß wir heute die Erfordernisse des Jahres 1953 und nicht mehr die des Jahres 1949 erfüllen. Wir sind in der Zwischenzeit nicht stillgestanden. Es ist unser gemeinsames Bestreben, das Besatzungsrecht durch deutsches Recht nach dem Grundgesetz abzulösen. Dieser Gesetzentwurf gibt Ihnen die Handhabe dafür, einen Vorstoß in dieser Richtung zu machen. Es ist notwendig, daß das Haus sich in dieser Beziehung auf seine Pflicht besinnt. Ich bitte Sie daher, die Gesetzesvorlage dem Ausschuß für Presse, Rundfunk und Film zu überweisen und dem Vorschlag der Koalition zuzustimmen. ({22})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Herr Bundesinnenminister. ({0})

Dr. Dr. Robert Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001304

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Ausführungen des Herrn Bundestagsabgeordneten Dr. Vogel, der die aus der Mitte des Hauses eingebrachte Gesetzesvorlage begründet hat, kann ich namens der Bundesregierung nur in vollem Umfang zustimmen. ({0}) Es ist bekannt, daß diese Vorlage aus der Mitte des Hauses auf umfassende und jahrelange Vorarbeiten zurückgeht, die in meinem Hause auf diesem Gebiet geleistet worden sind. Sie haben zu einem Gesetzentwurf geführt, der auch die Zustimmung des Kabinetts gefunden hat und der nach eingehender Anhörung der Rundfunkanstalten, der Intendanten und der Vertreter der einzelnen Länder entworfen worden ist. Sie dürfen aber auch von mir erwarten, daß ich namens der Bundesregierung zu dem Entwurf einmal Stellung nehme. Der Hauptinhalt des Entwurfs ist der, daß gewisse überregionale Angelegenheiten des Rundfunks einer neuen Anstalt des öffentlichen Rechts übertragen werden sollen. An dieser Anstalt sind drei Besonderheiten bemerkenswert. Erstens: An ihr sollen alle Kräfte beteiligt werden, die auf der Ebene der Rundfunkanstalten, auf der Ebene der Länder und des Bundes bisher schon an der Lösung der Aufgabe beteiligt waren. Zweitens soll dieser Anstalt das Recht der Selbstverwaltung in gleichem Maße und in gleichem Umfang zustehen, wie es jetzt bereits den Rundfunkanstalten in den Ländern zugewiesen und gewährt worden ist. Damit komme ich zu dem dritten wesentlichen Punkt: eine Staatsaufsicht über den Rundfunk ist mit diesem Gesetz weder beabsichtigt noch irgendwo auch nur aus der Fassung herauszulesen. Ich möchte das mit Nachdruck hier in der Öffentlichkeit betonen, weil von interessierter Seite immer wieder unterstellt worden ist, namentlich dem Innenministerium, daß hier ein Staatsfunk geschaffen werden sollte. ({1}) Ich sprach davon, daß überregionale Fragen behandelt werden sollen. Es gibt unstreitig vier Gruppen überregionaler Fragen, die durch Bundesgesetz behandelt werden müssen. Die erste große überregionale Frage ist das Fernsehen, das noch in voller Entwicklung begriffen ist und das allein schon, weil es ein umfassendes finanzielles Problem darstellt, das auch die Kräfte der stärksten Rundfunkanstalt bei weitem übersteigt, eine überregionale Erledigung erfordert. Die zweite Frage ist die Einrichtung einer Deutschen Welle neben den verschiedenen Landessendern, die wir im Bund in der heutigen Zeit ebenso brauchen, wie wir sie einst in der Weimarer Zeit bereits gehabt haben. ({2}) Ich denke da an den Deutschlandsender zur Weimarer Zeit vor Hitler. ({3}) Drittens: Die Einrichtung eines deutschen Kurzwellendienstes für Sendungen ins Ausland, ({4}) die auch eigentlich selbstverständlich ist. ({5}) Schließlich gibt es eine Anzahl gemeinsamer Aufgaben - ich denke allein an die Forschung auf dem Gebiet der Ultra-Kurzwelle und des Fernsehens -, die eben auch überregional geführt werden müssen. Es ist auch hervorzuheben und bezeichnend für die Einstellung weiter Kreise, daß die überregionale Natur dieser vier Aufgaben, die ich eben nannte, nirgendwo auch von den schärfsten Kritikern des Gesetzentwurfs, bestritten worden ist und auch nicht bestritten werden kann. Es handelt sich lediglich um die Streitfrage: Sollen diese überregionalen Aufgaben, wie es die Intendanten der Rundfunkanstalten begreiflicherweise gern möchten, durch Vereinbarungen der Rundfunkanstalten selbst erledigt werden, oder soll es, wie es die Länder begreiflicherweise wollen, durch Staatsvertrag der zehn Länder untereinander gemacht werden, wobei vielleicht auch noch der Bund in gewisser Weise beteiligt werden darf, wenn er sich brav verhält, oder - und das ist die Auffassung der Bundesregierung mit den Initiatoren dieses Gesetzentwurfs - soll ein Bundesgesetz die ganze Materie regeln? ({6}) ({7}) - Auf das Grundgesetz komme ich noch ausführlich zu sprechen. - Ich darf nur heute einmal eine kritische Bemerkung anführen. Die Rundfunkanstalten haben ja immerhin fünf Jahre Zeit gehabt, die überregionalen Fragen vernünftig zu regeln. ({8}) Was sie bisher geschaffen haben, ist nichts als eine lose Arbeitsgemeinschaft. Sie hat eine charakteristische Ähnlichkeit mit der UNO; es genügt bisher nämlich das Veto eines einzelnen Mitglieds, um einen Beschluß nicht zustande kommen zu lassen. Aber, meine Damen und Herren, nicht nur ich und meine Mitarbeiter, die diese Materie kritisch zu bearbeiten hatten, sondern auch weite Kreise der Öffentlichkeit - ich habe das auch aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Dr. Vogel herausgehört - können sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Arbeitsgemeinschaft von den Rundfunkanstalten und ihren verantwortlichen Leitern im wesentlichen nur dazu benutzt worden ist, die durch Zufälligkeiten und Unzuträglichkeiten eines Besatzungszustandes der ersten Nachkriegsjahre geschaffenen Zustände zu konservieren. ({9}) Das liegt aber nicht im Interesse des deutschen Rundfunks. Es ist doch ganz klar: Erinnern Sie sich doch an unser atomisiertes Westdeutschland hier 1945, erinnern Sie sich an die kleinen und größeren Länder und Ländchen, erinnern Sie sich an die Zusammenfassung im Zonenbeirat in Hamburg und die entsprechende Zusammenfassung im Süddeutschen Länderrat in Stuttgart, die ersten Gehversuche für größere Einheiten im Westen, und erinnern Sie sich daran, daß damals, in dieser Zeit des äußersten Mißtrauens gegen alle staatlichen Schritte, eben die Rundfunkanstalten so geschaffen worden sind, wie sie bemüht sind, sich heute am Leben zu erhalten. ({10}) Wenn jetzt in letzter Minute plötzlich, Hals über Kopf, von den Intendanten, um dem Gesetzentwurf dieses Hohen Hauses zuvorzukommen, eine Vereinbarung über gemeinsame Durchführung des Fernsehens getroffen wird, so kann das meines Erachtens wenig überzeugen. ({11}) Ein solcher Vertrag bietet keinerlei Sicherheit. Er kann jederzeit wieder aufgehoben werden, wenn es den Urhebern des Vertrages passend erscheint. Im übrigen können auch die Rundfunkanstalten dem Fernsehen gar nicht die erforderliche Rechtsbasis geben. Oder will man vielleicht das Fernsehen erledigen dadurch, daß man eine Gesellschaft des bürgerlichen Rechts oder eine Gesellschaft des Handelsrechts schafft? Nach meiner Ansicht ist das Fernsehen genau wie der Tonrundfunk eine öffentliche Angelegenheit, und die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, daß die Dinge auf diesem zukunftsträchtigen Gebiet hier durch die berufene Volksvertretung behandelt werden. Lassen Sie mich zu diesem Vertragswerk nur das eine sagen: ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Fassade eindrucksvoller ist als der Inhalt selbst. Da liest man, daß das Erfordernis der Einstimmigkeit, das ich gegenüber der bisherigen Arbeitsgemeinschaft bereits moniert hatte, jetzt abgeschafft sei. Aber sehen Sie einmal näher zu! Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß nur bei Ausübung rundfunkhoheitlicher Befugnisse diese Aufhebung gilt. Es wird also das Fell des Bundesbären verteilt, bevor man den Bundesbären selbst zur Strecke gebracht hat. Im übrigen ist die Einstimmigkeit für Beschlüsse der Arbeitsgemeinschaft aufrechterhalten in allen Programmangelegenheiten und ferner in allen Fragen, die nicht unwesentliche finanzielle Auswirkungen haben. Das heißt also praktisch, daß es bei der Regelung der überregionalen Angelegenheiten künftig bei dem alten, rückständigen Prinzip der Einstimmigkeit verbleiben soll. Weiter ist wesentlich, wie man sich unter den Rundfunkanstalten die Verteilung der Lasten bei Wahrnehmung überregionaler Aufgaben denkt. Das ist ja gerade der kritische Punkt, bei dem die Geister sich scheiden. Hier finden Sie nichts anderes als die lakonische Feststellung, daß die finanziellen Mittel von den einzelnen Rundfunkanstalten nach Maßgabe ihrer Finanzkraft aufgebracht werden sollen. Die Einigung über diese Fragen, an der bisher 99 % aller Vereinbarungen scheiterten, ist also der Zukunft überlassen. Das zeigt, wie man diesen Entwurf der Intendanten zu bewerten hat. Es zeigt aber auch, daß das Bundesgesetz unbedingt notwendig ist, um auch auf finanziellem Gebiet gewisse unentbehrliche Ordnungen zu schaffen. Gewichtiger - und ich komme auf einen Zwischenruf zurück - sind die Einwendungen der Länder zu nehmen, daß aus verfassungsrechtlichen Gründen ein Bundesgesetz abgelehnt werden müsse und man den Inhalt der verschiedenen Wünsche durch Staatsverträge der 10 Länder zusammenfassen solle. Auf die sich aus dem Grundgesetz ergebenden Zuständigkeitsfragen gehe ich gleich noch ein. Ich möchte unabhängig von dem Grundgesetz nur darauf hinweisen, daß ein solcher Staatsvertrag der Zustimmung von 10 Länderparlamenten bedarf. Ich möchte mich mit dem Hinweis auf diese Schwierigkeiten begnügen, ohne sie näher zu begründen. Aber ich will durchaus nicht verkennen, daß sich sowohl in technischer, als auch in organisatorischer und finanzieller Hinsicht auch in kulturpolitischen Fragen gewisse Überschneidungen ergeben, die eben dem Problem des Rundfunks eigentümlich sind. Diese Dinge haben wir auch gewissenhaft berücksichtigt. Ich würde dankbar begrüßen, wenn die für die Ausschußberatungen des Ihnen vorliegenden Entwurfs notwendige Zeit dazu benutzt werden könnte, daß Bundesregierung und Länder in Fortsetzung ihrer bisherigen Fühlungnahme sich nochmals erneut um eine Verständigung bemühen. Ich glaube, daß die Länder dem Bund im Rahmen seiner Aufgabe auch die Rechte gewähren müssen, die dieser für sich in Anspruch nehmen kann. Er ist eben erst in die Erscheinung getreten, nachdem im Parlamentarischen Rat 1948/49 das Grundgesetz geschaffen worden ist und nachdem 1949 eine deutsche Regierung in Wirksamkeit getreten ist. Deshalb muß man jetzt den tatsächlichen Notwendigkeiten und der veränderten Rechtslage durch neue Verständigung Rechnung tragen. Die Gesetzesvorlage hat in Berücksichtigung der Tatsache, daß es hier um Dinge geht, die die Interessen der Rundfunkanstalten, der Länder und des Bundes gleichermaßen berühren, das einzig Vernünftige getan, was in dieser Sachlage zu tun ist. ({12}) Sie hat vorgesehen, in das entscheidende Organ der neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt, in den Gesamtrat, alle jene Repräsentanten als Mitglieder zu berufen, die auch bisher in Bund, Ländern und Rundfunkanstalten zur Mitwirkung bei den überregionalen Angelegenheiten berufen gewesen sind. Das sind bei den Rundfunkanstalten sämtliche Herren Intendanten und die Vorsitzenden der Aufsichtsratsgremien; das sind im übrigen sechs Vertreter, die von den Ländern aus dem Kreise des Bundesrats erbeten werden; das sind auch alle jene Persönlichkeiten, die als Vorsitzende der Rundfunkräte und der Verwaltungsräte der Rundfunkanstalten eingesetzt worden sind; das sind schließlich sechs Vertreter dieses Hohen Hauses und drei Vertreter - nur drei Vertreter - der Bundesregierung selbst und einige Repräsentanten großer wirtschaftlicher und konfessioneller Verbände. Es ist doch kein Zweifel, daß nur bei einem gemeinsamen und verständnisvollen Miteinander und nicht einem Gegeneinander aller die Sache einer kraftvollen Entwicklung zugeführt werden kann. Ich komme noch einmal besonders auf das Gebiet des Fernsehens zu sprechen. Alle Sachverständigen sind sich darüber einig, daß im Bundesgebiet nur e i n Fernsehprogramm entwickelt werden kann. ({13}) Das Fernsehen ist rund zehnmal so kostspielig wie der Tonrundfunk. Eine Minute Fernsehen kostet bei einem mäßigen Programm etwa 500 DM; bei einem einigermaßen anspruchsvollen Programm wird sie 1000 DM kosten, und sehr wahrscheinlich wird dieser Betrag rasch überschritten. Ein solches Jahresprogramm erforderte also etwa 30 bis 50 Millionen DM. Das geht selbst über die Kräfte des Nordwestdeutschen Rundfunks, des mächtigsten und kapitalkräftigsten von allen. Mit Zusammenlegung und Verständigung zwischen den einzelnen Ländern ist hier auch nicht genügend zu erreichen. Das bedeutete, daß die Führung an die Finanzstarken, an die ganz Großen übergeht und die Kleinen überfahren werden. Wir verkennen nicht, daß von den Rundfunkanstalten, soweit sie sich aus finanziellen Gründen der Aufgabe bisher überhaupt haben widmen können, eine wertvolle Pionierarbeit geleistet worden ist, und wir können ihnen keinen Vorwurf daraus machen, wenn mit unzureichenden Mitteln auch nur ein unzureichendes Programm entwickelt worden ist. Für uns erwächst hieraus aber die Pflicht, einzugreifen, um eine zweckmäßige Gesamtorganisation im Bundesgebiet zu schaffen. ({14}) - Ich komme gleich auch darauf. Die Rundfunkanstalten vertreten die Auffassung, die Unterschiede zwischen Tonrundfunk und Fernsehen seien nicht so gewichtig, als daß sie nicht aus der Natur der Sache auch zur Durchführung des Fernsehens berufen seien. Dieser Ansicht können wir nicht beipflichten. Gewiß, es sind von der sendetechnischen Seite manche Parallelen da, wenn man an den Vorgang der Ausstrahlung von Ultrakurzwellen denkt; aber was den Inhalt des Gesendeten betrifft, so ist durch die visuelle Seite beim Fernsehen eine völlige Verschiebung der Darstellungsprobleme gegeben. Während bisher alles in einem kleinen Studio hat erledigt werden können, vor dem Mikrophon, ohne große Aufmachung, sei es irgendeine Komödie, sei es ein Drama, ein Lustspiel oder seien es Reportagen, so ist das auf dem Gebiet des Fernsehens nicht mehr möglich. Das Fernsehen hat insofern viel mehr Berührungspunkte mit dem Filmwesen als mit dem Tonrundfunk. Es kann von der technischen Seite her gar nicht daran gedacht werden, daß etwa in den Tonrundfunkstudien der Rundfunkanstalten künftig gleichzeitig Fernsehen durchgeführt wird. Wir müssen eine vollständig neue Organisation schaffen. Bei der englischen BBC und auch in anderen Kulturländern hat man diese Trennung vorgenommen. Es ist deshalb abwegig, zu behaupten, daß durch die Neueinrichtung einer Fernsehanstalt unnütze Ausgaben hervorgerufen werden. Wenn alle Rundfunkanstalten anfingen, im eigenen Studio Fernsehforschungen und -betrieb zu veranstalten, dann würde doch zweifellos weit unrationeller gewirtschaftet werden. Wir können heute die Bedeutung des Fernsehens im Gesamtausmaß noch nicht abschätzen. Aber wir können aus der Entwicklung gerade des kommerziell gesteuerten Fernsehens in Amerika die kulturellen Gefahren abschätzen, die hier heraufziehen. Nur wenn die Dinge rechtzeitig vernünftig geordnet werden - und gerade die BBC in England ist hier richtungweisend -, dann kann der Gefahr der geistigen und kulturellen Vermassung wirksam begegnet werden. Dazu bedarf es eben zentraler Koordinierung. Nur durch Konzentration der Kräfte können wir wirkliche Qualität erreichen. In der praktischen Ausgestaltung der vielfältigen kulturellen Kräfte und der landsmannschaftlichen Eigenarten des deutschen Volkes finden wir die Möglichkeiten, auf diesem Gebiet wirkliche Qualität zu schaffen. Durch die Zusammensetzung des entscheidenden Aufsichtsrats-Gremiums der Anstalt, in der die Länder, wie ich schon sagte, durch Vertreter des Bundesrats und der Rundfunkanstalten bei weitem in der Mehrheit sind, wird dafür gesorgt werden, daß die Belange der Länder in jeder Beziehung, insbesondere auch auf kulturellem Gebiet, nicht zu kurz kommen. Ich komme nun zu dem bereits von mir durch Zuruf erfragten Problem der Gebührenverteilung. Daß der Bund zur Regelung der Gebühren zuständig ist, kann doch wohl kaum streitig sein. ({15}) Die Rundfunkgebühr ist von Anfang an stets eine Lizenzgebühr gewesen, eine Lizenzgebühr für die von dem Bundespostminister, früher vom Reichspostminister gewährte Genehmigung zum Betreiben einer Rundfunkempfangsanlage. ({16}) Die Zugehörigkeit dieser Frage zum Fernmeldewesen tritt hier ganz deutlich in Erscheinung. Nun wird plötzlich von den Intendanten und vielleicht auch noch von einigen Ländern die neue These vertreten, die Rundfunkgebühr sei eine Anstaltsgebühr, eine Anstaltsgebühr der einzelnen Rundfunkanstalten. Das ist eine Zweckkonstruktion mit der einzigen Absicht, die Zuständigkeit vom Bund auf die Länder zu verschieben. Alle Länder Europas einschließlich der Schweiz, einschließlich Englands kennen heute nur die Lizenzgebühren des jeweiligen Postministers. Ich kann mir daher auch nicht denken, daß ein deutsches Verfassungsgericht einer solchen gegenteiligen Zwecktheorie, wie sie jetzt von den Intendanten aufgestellt wird, Beachtung schenken wird. Ich glaube auch nicht, daß sich das Verfassungsgericht durch ein gerade heute veröffentlichtes Gutachten von neun Universitätsprofes({17}) soren - es sind teils Juristen, teils Pädagogen, teils Soziologen, teils Historiker - zu einer anderen Auffassung bewegen lassen wird. Es ist immerhin beachtlich, daß alle diese neun Herren Gutachter, die sich heute morgen in der Presse verlautbart haben, allerdings seit längerer Zeit zum Freundeskreis des Nordwestdeutschen Rundfunks gehören. ({18}) Der Auftraggeber des Gutachtens kann deshalb auch in bestimmter Richtung vermutet werden. Ich möchte in diesem Zusammenhang noch kurz auf Verträge und Entwürfe eingehen, die von den Intendanten in Hannover unter sich beraten und verabschiedet worden sind. Es findet sich bei diesen Beratungen der Entwurf eines Bundesrundfunkgesetzes und der Entwurf eines Staatsvertrags der zehn deutschen Länder. Nach diesem Staatsvertrag setzen die Länder sogar die Höhe der Rundfunkgebühren fest. Ich habe das Gefühl, daß hier allerdings die Herren Intendanten in ihren Beratungen die Rechnung ohne den Wirt, in diesem Fall den Herrn Bundespostminister, gemacht haben. Der Bundespostminister würde nach dem Entwurf immerhin noch die Funktion haben, daß er die Gebühren einziehen darf. Aber er muß sie dann an die Länder abführen. Es genügt, diese Regelung zu nennen, um sie in ihrem Wert zu charakterisieren. Intendanten und Länderregierungen haben nicht immer so gedacht, wie es heute aus einzelnen Verlautbarungen hervorzugehen scheint. Ich erinnere daran, daß zu einem Bundesgesetzentwurf der Rundfunkanstalten vom September 1950 meinem Ministerium von den federführenden Intendanten folgender ausgezeichneter Begleitsatz übermittelt wurde: Bei der großen Bedeutung der Angelegenheit und der Gefahr, daß nicht der Sache dienende Interessen die Entwicklung in eine falsche Richtung treiben, möchte ich die Bitte an Sie richten, auch Ihren persönlichen Einfluß aufzubieten, um das Rundfunkwesen in Deutschland nicht zum Schaden des Ganzen zersplittern zu lassen. ({19}) Ich habe diesem Gedanken nichts nachträglich hinzuzufügen. Dieser Entwurf eines Bundesgesetzes sah vor - ich betone das ausdrücklich -, daß die Organisation der Rundfunkanstalten der Landesgesetzgebung zu überlassen sei. Nun, man kann über diese Frage selbstverständlich reden, aber nachdem nun wieder drei Jahre seit jenem Entwurf ins Land gegangen sind, muß man auf einmal feststellen, daß dem Bund plötzlich das Recht zur Behandlung sogar der überregionalen Fragen abgesprochen wird. Ich komme damit zur Zuständigkeit. Sie wissen, wie der Bund seine Zuständigkeit zum Erlaß des Gesetzes begründet. Bekanntlich hat der Bund nach Art. 73 Ziffer 7 des Grundgesetzes die ausschließliche Gesetzgebung für das Post- und Fernmeldewesen. Der Begriff des Fernmeldewesens stammt aus der Weimarer Zeit. Damals hat der Reichspostminister den gesamten organisatorischen Aufbau des deutschen Rundfunks in seine Hand genommen. Die Rundfunkgesellschaften, die durch seine Initiative in Form von Gesellschaften mit beschränkter Haftung und Aktiengesellschaften ins Leben traten, sind entstanden, ohne daß es eines gesetzgeberischen Aktes bedurft hätte. Die Mehrheit der Anteile und die Stimmen dieser Rundfunkgesellschaften wurden bekanntlich durch die Reichsrundfunkgesellschaft verwaltet, und die Reichsrundfunkgesellschaft war ihrerseits zu 51 % im Besitz des Reichspostministers. Der Postminister regelte damals noch auf einem anderen Weg innerorganisatorische Angelegenheiten und Fragen der Programmüberwachung und anderer Sachgebiete. In seinen Sendelizenzen war eine Fülle von organisatorischen Auflagen enthalten. Ich erinnere nur an die Einrichtung der sogenannten politischen Überwachungskommissionen. Dieses gesamte Tätigkeitsfeld des Reichspostministers bezeichnet man in der Gesetzessprache als das Fernmeldewesen. Es bildet seinerseits einen Ausschnitt aus dem Post- und Telegraphenwesen, für das das Reich gemäß Art. 6 Ziffer 7 der Weimarer Reichsverfassung ausschließlich zuständig war. Der Parlamentarische Rat hat nachweislich an diesen Verhältnissen nichts ändern wollen. Besonders die Vertreter der SPD haben sich damals eindeutig und auch entschieden dafür eingesetzt, daß nicht nur sendetechnische, sondern auch organisatorische Angelegenheiten des Rundfunks zur Zuständigkeit des Bundes rechnen. Mein sehr verehrter Freund, Herr Professor Laforet hat sich damals sehr darum bemüht, die Zuständigkeit des Bundes auf sendetechnische Fragen zu beschränken; aber seinen Bemühungen ist kein Erfolg beschieden gewesen. Wenn man davon Abstand genommen hat, die Zuständigkeit des Bundes auch in organisatorischer Hinsicht expressis verbis zum Ausdruck zu bringen, so ist der Grund der gewesen, daß man es möglichst bei der Gesetzessprache der Weimarer Zeit hat belassen wollen, um die Alliierten nicht unnötig auf diese Konsequenz aufmerksam zu machen und etwa einen Einspruch auszulösen. Das geht freilich in dieser Klarheit aus den Protokollen nicht hervor. ({20}) Aber die Teilnehmer an jenen Beratungen, zu denen ich selbst gehöre, werden es ohne weiteres bestätigen können. Lassen Sie mich zum Abschluß noch sagen, daß die Bundesregierung diesen Gesetzentwurf noch in so vorgeschrittenem Stadium zur Diskussion gestellt hat, weil auf diesem verworrenen Gebiet seit langem jedenfalls eine Regelung in bezug auf überregionale Angelegenheiten fällig war. Es ist unbedingt nötig, in diesem Zeitpunkt zu einer klaren Weichenstellung zu kommen. Der Tonrundfunk ist für uns alle ein warnendes Beispiel dafür, daß, wenn der Bund nicht rechtzeitig im Wege der Gesetzgebung eingreift, gegensätzliche Entwicklungen stattfinden können, die nachher Tatsachen schaffen, die sehr schwer wieder aus der Welt zu schaffen sind. Ich denke an die einseitige Größenentwicklung des Nordwestdeutschen Rundfunks und stelle dem den Bremer Sender gegenüber. Es ist der Sinn meiner Ausführungen, Sie zu bitten, in den Ausschußberatungen alle diese Punkte ebenso sorgsam zu erwägen, wie wir es in den Verhandlungen innerhalb der Bundesressorts, wie wir es in den Verhandlungen mit den Ländern, den Intendanten und den Rundfunkanstalten getan haben. Ich bitte Sie, meine Damen und Herren, wenn Sie Ihre Beschlüsse fassen, dem Bunde zu geben, was des Bundes ist, im Interesse des deutschen Rundfunks. ({21})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Meine Damen und Herren, ehe ich das Wort weiter erteile, habe ich bekanntzugeben, daß die nächste Sitzung des Ausschusses für Wirtschaftspolitik heute um 18 Uhr in Zimmer 204 Süd stattfindet. Tagesordnung: Entwurf eines Zweiten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft, Drucksache Nr. 4247. Das Wort hat der Herr Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen.

Dr. - Ing. e. h. Hans Schuberth (Minister:in)

Politiker ID: 11002089

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Präsident, ich bin Ihnen sehr dankbar, daß Sie mir die Gelegenheit geben, eine Erklärung zusätzlich zu den Ausführungen meines Kollegen Dr. Lehr hier abzugeben. Veranlaßt ist diese Erklärung auch durch die in der heutigen Nummer der „Neuen Zeitung" veröffentlichten Vorschläge zur Regelung des Rundfunkwesens durch ein neunköpfiges Professorenkollegium. Dieses neunköpfige Professorenkollegium bejaht zunächst die Zuständigkeit des Bundes auf dem technischen Gebiet des Rundfunks. Das ist ja auch die Meinung der Bundesregierung. Das Fernmeldeanlagengesetz von 1928 haben aber offenbar diese Herren Gutachter vollkommen übersehen. Es ist nämlich nach wie vor Bundesrecht und ist in Geltung. Es ist nur durch das alliierte Gesetz Nr. 5 eingeschränkt, und dieses alliierte Gesetz Nr. 5 hat uns bisher für die Errichtung von Rundfunk- und Fernsehsendern Beschränkungen auferlegt. Aber wir wissen ja, daß diese Beschränkungen mit dem Inkrafttreten des Deutschlandvertrages aufgehoben werden, und dann steht dem Bund wieder die volle Hoheit auf dem Gebiet des Funks nach der früheren Gesetzgebung zu. Die Bundesrepublik ist im übrigen bereits Mitglied des internationalen Fernmeldevereins. Sie war auf der Konferenz in Buenos Aires und auf der Konferenz in Stockholm im vorigen Sommer, bei der es um die Frequenzen für das Fernsehen ging, bereits vertreten. Es bedarf also gar nicht, wie es die Professoren wollen, eines Bundesgesetzes über den Rundfunk, das die Fragen des Errichtens und Betreibens von Sendern, der Zuteilung von Rundfunkfrequenzen und der Beteiligung an internationalen Verhandlungen zugunsten des Bundes regeln soll. Das ergibt sich alles bereits aus dem Fernmeldeanlagengesetz von 1928, und zwar aus dem klaren Wortlaut des § 1: Das Recht, Funkanlagen zu errichten und zu betreiben, steht ausschließlich dem Reich zu, und aus dem Internationalen Fernmeldevertrag. Mein Ressort hat als Fernmeldeverwaltung des Bundes das Recht und die Pflicht, die international festgelegten Verpflichtungen und die internationalen Abkommen - besonders auf dem Gebiet der Funkfrequenzen - durchzuführen. Wenn nun aber die Zuständigkeit des Bundes über die technischen Fragen des Rundfunks bejaht wird, so ist es, fast möchte ich sagen, widersinnig, die Sendeseite von der Empfangsseite zu trennen. Funkanlagen setzen sich aus Sende- und Empfangsanlagen zusammen. ({0}) - Davon spreche ich nicht. ({1}) Ich sagte schon am Anfang, ich spreche von der technischen Seite. - Das Betreiben einer Funkempfangsanlage ist das Betreiben einer Funkanlage ebenso, wie das Betreiben einer Funksendeanlage das Betreiben einer Funkanlage ist. ({2}) Der Hörer, der eine Rundfunkempfangsanlage betreibt, bedarf also einer Befugnis dazu, die ihm von der zuständigen Fernmeldeverwaltung auf Grund des § 2 des Fernmeldeanlagengesetzes verliehen wird. Der Rundfunkhörer kann ja mit seiner Empfangsanlage die Sender der ganzen Welt empfangen. Er ist nicht etwa gezwungen, den bestimmten Sender der Rundfunkanstalt abzuhören, in deren Bereich er zufällig wohnt. Der Rundfunkhörer tritt also in keinerlei vertragliche Beziehung zu seiner Rundfunkanstalt. Die Rundfunkanstalt ihrerseits ist auch nicht verpflichtet, dem Hörer ein bestimmtes Programm seines Geschmacks zu liefern. Die Hörergebühr ist also nicht eine Programm-, eine Nutzungsgebühr, sondern sie ist eine echte Lizenzgebühr. Das Argument der Professoren, daß die Hörergebühr eine Gegenleistung für die Rundfunkanstalten seines Sendegebietes darstellt, da der Hörer erfahrungsgemäß nur die Sendungen der Rundfunkanstalt seines Bereichs abhört, schlägt eben rechtlich nicht durch. Auch in der Schweiz und in England hat der Rundfunkhörer die Rundfunkgebühr an die Fernmeldeverwaltung zu zahlen, die nun ihrerseits wieder sich mit den Rundfunkanstalten im Innenverhältnis über die Teilung der Gebühr auseinandersetzen. Die Rundfunkempfangsgebühr ist übrigens im Gebiet der französischen und britischen Zone jetzt schon eine Lizenzgebühr des Bundes. Lediglich in der amerikanischen Zone ist die Funkhoheit auf der Empfangsseite von den Ländern in Anspruch genommen worden. Aber auch die Ländergesetze stützen sich merkwürdigerweise - sogar zum Teil ausdrücklich - auf das Fernmeldeanlagengesetz von 1928. Die Länder erkennen damit selbst an, daß es sich bei den Rundfunkgebühren nicht um ein Entgelt für das Rundfunkprogramm handelt, sondern um eine echte Gebühr. Es ist klar, daß allein aus diesem Grunde die Rechtszersplitterung innerhalb des Bundesgebiets auf der Empfangsseite des Rundfunks beseitigt werden muß. ({3})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Eichler.

Willi Eichler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000450, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zu der Vorlage dieses Gesetzentwurfs, zu dem sich der Herr Innenminister so bekannte, als wenn er ihn eben erst kennengelernt hätte und er nun überrascht wäre, wie sehr der Entwurf mit seinen eigenen Absichten übereinstimmt, ({0}) bleibt außerordentlich viel zu sagen. Was wir zunächst sagen möchten: auch wir glauben nicht, daß auf dem Gebiete des Rundfunks nichts einer Regelung bedürftig sei. Das ist aber, wie ich glaube, das einzige, in dem wir mit den Einbringern dieses Gesetzentwurfs übereinstimmen. Mit verdächtigem Nachdruck ist hier wiederholt betont worden, es handle sich bei diesem Entwurf nicht um den Versuch einer Staatsaufsicht, denn davon stünde ja in dem Gesetz nichts drin. Das ist richtig; das tut es wirklich nicht. Von Herrn ({1}) Dr. Vogel wurde erklärt: Wer sagt, so etwas soll vielleicht noch für die Regierung als Propagandainstrument ausgenutzt werden, der sieht ja die Situation ganz falsch; vor der Wahl kann dieses Gesetz doch unmöglich noch etwas werden. Nun, Herr Dr. Vogel, wenn das so ist, dann möchte ich Sie fragen: Warum in Gottes Namen muß, nachdem von 1949 bis 1953 die Welt und Deutschland mit unserem heutigen Rundfunk keineswegs so böse gefahren sind, wie es jetzt mit einem Male aussehen soll, in diesen letzten Monaten und Wochen versucht werden, eine Materie zu regeln, die eingestandenermaßen keineswegs einfach zu regeln sein wird? ({2}) Wir hätten geglaubt, es gäbe vielleicht eine Notwendigkeit, sich über Rundfunkdinge jetzt schon zu entscheiden und etwas zu unternehmen, nämlich für den Fall, daß die einschränkenden Gesetze der Alliierten, das Gesetz Nr. 118 z. B., plötzlich fielen und daß man dann vor der Frage stünde: welches ist denn jetzt die Funktion des Bundes, wie wird denn die Vertretung des deutschen Rundfunks vor dem Ausland bei Wellenverhandlungen geregelt, wer handelt sie ein, wer verteilt sie, wer achtet in Deutschland auf die Einhaltung der Frequenzen? Man hätte einer Meinung sein können, daß es notwendig gewesen wäre, all dies e Fragen zu lösen. Davon steht aber in diesem Gesetz kein einziges Wort. Nun hat der Herr Bundesminister für das Postwesen gesagt: so etwas ist gar nicht nötig, denn das Fernmeldeanlagengesetz besteht eigentlich noch, es ist durch das Gesetz Nr. 5 nur suspendiert, und wenn dies einmal fällt, dann ist also der schöne, alte, herrliche Zustand da. Nun, meine Damen und Herren, ich glaube: ganz so einfach ist es nicht, denn die neun Professoren, auf deren Gutachten der Herr Bundespostminister eingegangen ist, sind doch nicht ganz so beschränkt, wie er sie hingestellt hat. Das Fernmeldeanlagengesetz aus der Weimarer Republik haben sie, weiß Gott, studiert. Dazu gehört nicht viel, dazu braucht man nicht gerade Professor zu sein. Wenn man aufgefordert wird, ein Gutachten über dieses Gesetz abzugeben, dann darf man wohl annehmen, daß das die Leute lesen, und sie haben das auch getan und festgestellt, was offenbar der Aufmerksamkeit des Herrn Postministers und auch unseres Herrn Innenministers entgangen ist, daß es inzwischen ein Grundgesetz der Deutschen Bundesrepublik gibt, das damals noch nicht existierte. ({3}) Wir müssen davon ausgehen, daß dieses Dokument besteht, wenn es inzwischen gelegentlich auch für die Regierung etwas störend gewesen ist. Aber so verbesserungsbedürftig es auch sein mag, vorläufig gilt es noch. Der Bundestag und auch die Einbringer der famosen Lösungsvorschläge im Rundfunkwesen täten gut daran, sich doch damit etwas zu beschäftigen. Dann würden sie dem Urteil der neun Professoren etwas wohlwollender gegenübertreten. Meine Damen und Herren, was immer der Bund aus alten Gesetzen an Kompetenzen für den Rundfunk ableiten mag, eines kann er nicht behaupten: daß der Rundfunk sich für den, der ihn benutzt, darin erschöpft, eine Weitergabe von bestimmten Tönen auf elektromagnetischen Wellen zu sein. Das ist zwar für den Techniker interessant, interessiert den Rundfunkhörer aber gar nicht; für den ist der Rundfunk eine kulturelle Einrichtung mit allem, was drum und dran ist. Das, was technisch dabei zu lösen ist, ist für den Hörer heute Nebensache und mit Recht so. ({4}) Auf dieser Grundlage, glaube ich, ist es wesentlich, uns darüber klar zu werden: Kulturelle Dinge sind Aufgaben der Länder und nicht des Bundes. Und daran wird kein Gegenurteil gegen unsere neun Professoren etwas ändern; wenn ich „unsere" sage, meine ich weiß Gott nicht die sozialdemokratischen, denn es sind keine. Aber mit diesem Argument kann nicht gegen die neun Professoren argumentiert werden. Damit möchte ich zu der eigentlichen Frage kommen, die das Gesetz anschneidet. Es gibt natürlich und unbestreitbar gemeinsame Aufgaben aller Rundfunkanstalten. Um das zu entdecken, war dieser Gesetzentwurf nicht nötig. Aber es gibt auch andere gemeinsame Aufgaben, Kulturaufgaben aller Länder, und die Länder sind dabei auf die sehr einfache Idee verfallen, solche Aufgaben z. B. durch die Kultusministerkonferenz zu lösen. ({5}) Bisher ist kein Mensch darauf verfallen, zu behaupten: da es in kulturellen Dingen aller Länder trotz der Verschiedenheit der Kulturauffassungen dort bestimmt gemeinsame Aufgaben gibt, müsse der Bund diese gemeinsamen Aufgaben an sich ziehen, um ein Chaos in der Bundesrepublik zu vermeiden. Meine Damen und Herren, lassen Sie uns zunächst einmal über den Rundfunk ein deutliches Wort sagen: Ich wäre glücklich, wenn das, was auf dem Gebiet des deutschen Rundfunks - und ich meine nicht irgendeine Anstalt - überhaupt produziert wird, in seiner Wirkung auf das Volk, in seiner künstlerischen Gestaltung, in seiner Erziehung, in seiner Unterrichtung, in seiner Nachrichtengebung die größte „Katastrophe" und das größte „Chaos" wäre, das wir in der Deutschen Bundesrepublik zu verzeichnen gehabt hätten. Dann, meine Damen und Herren, ginge es uns nämlich brillant. ({6}) Wenn die Frage heute zur Debatte steht, was eigentlich im Rundfunk für ein Chaos ist, was für ein Chaos etwa in der Unterrichtung des Volkes besteht, in dem Versuch, sich hier in Erziehung und Unterricht, in Politik und Nachrichtengebung zu beteiligen und zu betätigen, hier eine Aufgabe, und in der Tat eine kulturelle Aufgabe zu erfüllen, dann, glaube ich, ist es wirklich unberechtigt, wenn von allen Seiten so getan wird, als ginge sie ganz und gar schief, wenn nicht der Herr Dr. Lehr die Sache in die Hand nähme. Kultur und Leben, Politik in der Welt und in der Bundesrepublik hingen nur davon ab, daß man endlich von Bundes wegen ordentlich auf den Tisch haue. Was sind nun die gemeinsamen Aufgaben, von denen hier die Rede ist? In § 2 heißt es: Aufgaben der Anstalt sind: 1. der Betrieb der Deutschen Welle ({7}), 2. der Betrieb des Deutschen KurzwellenDienstes ({8}), 3. der Betrieb des Deutschen Fernseh-Rundfunks ({9}), 4. die Wahrnehmung sonstiger gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks ({10}), ({11}) und eine dieser weiteren und sonstigen gemeinsamen Aufgaben aus dem § 18 ist die Enteignung der Forschungsinstitute der Rundfunkanstalten bei einer mäßigen Entschädigung. Sie haben also hier offenbar etwas verwechselt; Sie haben vielleicht für eine Sozialisierung gehalten, was aber keine ist. ({12}) Sie wollten uns vielleicht darin Konkurrenz machen. Und schließlich bleibt noch ein ganz obskurer § 17: Die Anstalt kann durch Beschluß des Gesamtrates mit Zweidrittel-Stimmenmehrheit weitere gemeinsame Einrichtungen auf dem Gebiet des Rundfunks schaffen, sofern hierdurch nicht die Eigenständigkeit der einzelnen Rundfunkanstalten beeinträchtigt wird. Das heißt praktisch; die Anstalt kann später machen, was sie will, wenn der Gesamtrat damit einverstanden ist. Die Eigenständigkeit der Rundfunkanstalten braucht dann zwar nicht beeinträchtigt zu werden; die Rundfunkanstalten werden nur so ausgehöhlt, daß sie mit ihrer Eigenständigkeit dasitzen und vielleicht darauf beschränkt bleiben können, später auf Ultrakurzwellen einige Programme auszustrahlen. Was wir behaupten, ist, daß diese gemeinsamen Aufgaben längst in Angriff genommen und zum Teil gelöst sind, und nicht einmal schlecht. Die Deutsche Welle - das ist die Langwelle für ganz Deutschland - hätte schon längst errichtet werden können; denn die Rundfunkanstalten haben bereits am 16. November 1950 an die Alliierte Hohe Kommission - das war damals die zuständige Stelle - den Antrag auf Zuteilung einer Langwelle gerichtet. Dieser Antrag ist durch ein Schreiben des Auswärtigen Amts vom 1. August 1951 unterstützt worden. In diesem Antrag heißt es: Die Bundesregierung beabsichtigt nicht, diese den Rundfunkanstalten zur Verfügung gestellte Welle zu eigener Sendung zu benutzen. ({13}) Der amerikanische Hohe Kommissar hat am 14. März 1952 die Zuteilung der langen Welle in Aussicht gestellt. Dann wurde über eine Reihe möglicher Langwellen verhandelt, insbesondere auf der Wellenkonferenz in Stockholm. Diese günstig laufenden Verhandlungen wurden durch einen Brief des Herrn Bundeskanzlers vom 25. Oktober 1952 unterbrochen, der einen Bericht in einer Zeitung zum Anlaß nahm, gegen die Verhandlung zu protestieren. ({14}) In ihm wurde fälschlich gesagt, die Verhandlungen seien ohne Kenntnis einer deutschen Regierungsstelle aufgenommen worden. ({15}) Ohne dieses Schreiben könnten wir längst einen Langwellensender haben. ({16}) Der einzige, der hier schwere Füße hatte und bei dieser gemeinsamen Aufgabe bremste, war die deutsche Bundesregierung bzw. waren ihre Repräsentanten in den entscheidenden Stellen. Die zweite gemeinsame Aufgabe ist der deutsche Kurzwellendienst. Dieser Kurzwellendienst soll bekanntlich im wesentlichen ein außenpolitisches Programm ausstrahlen. Es ist klar - es wird von niemandem bestritten und ist von niemandem bestritten worden -, daß die Bundesregierung selbstverständlich nicht nur daran interessiert ist, sondern auch verpflichtet ist. sich da mit einzuschalten. In Verhandlungen zwischen der Bundesregierung und den Rundfunkanstalten hat man ein Programm, einen verantwortlichen Sender, verantwortliche Intendanten und verantwortliche Redakteure festgelegt. Es ist klar, wer das Programm macht und wie es gemacht wird. Von Mai an soll es gesendet werden, und plötzlich Ende März entdecken Kollege Vogel und Genossen: Hier herrscht ein Chaos, hier muß ein Bundesgesetz gemacht werden, um einzugreifen. Ich weiß nicht, wozu. Vielleicht um eine Sache zu stoppen, die längst läuft? Schließlich das Fernsehen. Hier sind gelegentlich auf Pressekonferenzen und auch heute wieder andeutungsweise durch den Herrn Bundesinnenminister Äußerungen getan worden, als ob so etwas ohne die tatkräftige verwaltungsmäßige Hilfe des Bundes nicht finanziert werden könnte. Die Rundfunkanstalten Deutschlands haben seit dem Augenblick, seitdem es ihnen durch die Besatzungsmächte erlaubt worden ist, Experimente und Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des Fernsehfunks unternommen. Es ist trotz wiederholter Äußerungen vor der Pressekonferenz auch nicht so, daß nur der finanzstarke NWDR solche Forschungsarbeiten unternommen habe; das ist einfach nicht wahr. Vielmehr sind daran die deutschen Rundfunkanstalten beteiligt, und die beiden Hauptzentren für diese Forschungsarbeit in Nürnberg und Hamburg sind jetzt dabei, ihre Arbeit noch enger zu koordinieren, die Kooperation auch organisatorisch noch mehr zu fundieren, wobei sie die Vorstellung haben, aus diesen Anstalten eine GmbH mit dem eigens diesem Zweck dienenden Programm zu entwickeln. Daß das Fernsehprogramm heute in Deutschland nicht so ist, daß wir darüber hosianna zu schreien hätten, darüber sind wir alle einig. Wir weigern uns aber, anzunehmen, daß es in dem Augenblick schöner und breiter werden würde, in dem sich die deutsche Bundesregierung oder die Anstalt für die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks darum kümmern würde. Es ist nicht einzusehen, was dadurch besser werden sollte. ({17}) Auch sie könnte nur Forschungsarbeit leisten; auch sie könnte nur Apparate bauen; auch sie könnte nur ein Programm ausstrahlen; und auch sie könnte nur Hörer werben. Die Deutschen laufen nun mit dem Fernsehfunk hinterher, weil sie mit ihm erheblich später angefangen haben als andere Leute. Insoweit hinkt Deutschland selbstverständlich hinter der übrigen Welt her. ({18}) - Da würde ich sagen: Nein, Herr Vogel, das stimmt nicht! Damit komme ich zu der Frage: Ist irgend etwas in der Aufbauarbeit, in der Zusammenarbeit des deutschen Rundfunks innerhalb der Anstalten des deutschen Rundfunks nötig oder wünschenswert? Hier würde ich grundsätzlich sagen, daß da eine ganze Menge korrigierbar sein mag und daß es auch notwendig ist, dies zu korrigieren. Wir haben es gerade in der letzten Zeit gesehen und sehen es insbesondere an dem, was heute die ({19}) „Neue Zeitung" aus München meldet. Da lesen wir nämlich von einem außerordentlichen Fortschritt, der offenbar in der Frage der Zusammenarbeit gemacht worden ist; denn hier heißt es nach einer Meldung von gestern, daß Bevollmächtigte der Regierungschefs aller Länder der Bundesrepublik am Montag und Dienstag unter dem Vorsitz des bayerischen Ministerpräsidenten Dr. Ehard Verhandlungen über vordringliche Fragen des Rundfunks und des Fernsehens geführt haben. Wie das Presse- und Informationsamt der Bayerischen Staatskanzlei mitteilte, habe Übereinstimmung darüber bestanden, daß der Auslandsdienst, das Fernsehen und die Forschung zu den Aufgaben gehörten, die gemeinschaftlich von den Ländern gelöst werden müßten. Der geeignete und nach dem Grundgesetz allein zulässige Weg dafür seien Vereinbarungen der Länder, die dazu bereit seien. Die Länder seien ferner bereit, den Bund im Rahmen seiner Aufgaben daran zu beteiligen. Wir haben inzwischen durch eine andere Meldung gehört, daß sich bereits am Freitag die Kultusminister der Länder mit den Intendanten zusammensetzen werden, um die Fragen, die sich aus dieser Organisation der Angelegenheit ergeben, weiter zu behandeln. ({20}) - Das ist etwas, was wir leider nicht kontrollieren können, Herr Vogel! Aber immerhin, es ist gut, wenn Sie sagen, die Entwicklung, die sich in München angebahnt hat, sei gut. Wenn sie durch Ihren Antrag begünstigt worden ist, dann hat er wenigstens e i n Gutes gehabt. ({21}) - Aber bedenken Sie: es ist noch ein „Wenn" dabei. Ich möchte hier nicht über die Gebührenverteilung reden. Aber wenn der Rundfunk heute im wesentlichen als eine Kulturaufgabe angesehen wird, dann scheint mir selbstverständlich zu sein, daß daraus auch eine gewisse eigene Verantwortung über die Einnahme und Verwendung von Gebühren folgt, und zwar sachlich daraus folgt. Denn es hätte keinen Sinn, dem Rundfunk zwar die kulturellen Aufgaben zuzuweisen, ihn aber finanziell, rechtlich und organisatorisch in die Lage zu bringen, daß der Postminister oder der Bundestag ihm jeden Tag durch eine Neuordnung und Neuverteilung der Gebühren den Hals abschneiden oder ihm wenigstens die Krawatte sehr viel enger ziehen kann. Das Schlimmste an dem Gesetz schließlich scheint die Unvollständigkeit zu sein; denn durch dieses Gesetz sollen zunächst andeutungsweise einzelnen Rundfunkanstalten nur bestimmte Aufgaben weggenommen werden. In absehbarer Zeit wird ein zweites oder drittes Gesetz ihnen den Rest ihrer Aufgaben abschneiden, d. h. man reicht hier dem Teufel die Hand, und Sie wissen ja alle, daß er damit nie zufrieden ist. Wir haben uns nicht von dem Verdacht freimachen können, daß hier mehr dahintersteckt als nur ein mißlungenes organisatorisches Experiment. Ich will diesen Verdacht ganz klar äußern, weil er selbstverständlich, wenn er zu Recht bestünde, die Situation vergiftete. Wir sind alle schockiert gewesen und, ich glaube, mit Recht schockiert gewesen über den Wahlrechtsentwurf des Herrn Innenministers, der nun weder mit Wahlen etwas zu tun hatte noch mit dem Recht, sondern ganz einfach darauf zugeschnitten war, einer Koalition das Leben zu erhalten, koste es was es wolle, ntürlich nur für die anderen. Wir haben zum Glück erlebt - und ich glaube, es gehört zu den besseren Taten und Seiten dieses Bundestages -, daß dieses Gesetz mit der entsprechenden Reserve aufgenommen worden ist, selbst von einer ganzen Reihe von Menschen, die vielleicht dadurch hätten profitieren können. Ich sage: das gehört zu den guten Seiten dieses Bundestages. Wir können uns nicht dem Verdacht verschließen, daß mit diesem Gesetz hier etwas Ähnliches gemeint sei. Jeder weiß, welche Bedeutung der Rundfunk hat. Jeder weiß, wieviel Nachrichten über den Äther das Ohr der Hörer erreichen, ja, daß schon drei oder vier Nachrichten, unkontrolliert gesendet oder unter der Verpflichtung, gesandt werden zu müssen, hier etwas anrichten können, was vielleicht zwanzig Zeitungen nicht konterkarieren können. Wir sehen hier ausgesprochen oder unausgesprochen den Versuch des Eingriffs der politischen Gewalt der Regierung auf den Rundfunk, den Versuch, darin mißliebige Stimmen oder mißliebige Personen auszuschalten. ({22}) - Herr Dr. Vogel, ich kann mir nicht denken, daß Sie mich im Ernst fragen, wie es möglich ist, eine Macht, die man hat, auch so zu gebrauchen, daß man es nicht auch noch formal in ein Gesetz hineinzuschreiben braucht. Ich nehme mir nicht das Recht heraus, Sie von hier aus über diesen Punkt zu belehren. Das müssen wir einmal persönlich machen, wenn Sie es wünschen. ({23}) Schließlich aber kommt es uns darauf an: Der Bund soll durchaus haben, was des Bundes ist. Worauf hier vertraut werden muß, das ist, daß die Länder, die nun einmal für die kulturellen Aufgaben zuständig sind, sich über diese Aufgaben verständigen werden. Man soll nicht daran verzweifeln, wenn eine solche Verständigung nicht von heute auf morgen gelingt. Kultur ist schließlich nicht etwas, was man einfach organisieren kann und was dann zu klappen hat, wenn man es einmal angeordnet hat. Kultur ist etwas, was etwas sehr Zählebiges und ein dickflüssiger Saft ist, was aber um so mehr heute und gerade heute verdient, überall da geschützt zu werden, wo es ein eigenes und sauberes Anliegen vertritt. Wir sind dafür, die gemeinsam zu lösenden Aufgaben energisch, schnell und wirksam in Angriff zu nehmen. Wir wissen selbstverständlich und haben es nie bestritten, daß da, wo es sich z. B. um Sendungen ins Ausland handelt, die Bundesregierung auf entsprechende Weise entscheidend mit daran beteiligt werden soll. Alles dies ist selbstverständlich und zugegeben, und wir werden nichts daran auszusetzen haben, wenn ein solches Gesetz etwa irgendwo beraten werden wird. Aber wir möchten auf alle Fälle klar und deutlich erklären: Alles, was im Rundfunk entscheidend geändert werden sollte und entscheidend geändert zu werden verdient, an seinem Programm, an der Lösung seiner gemeinsamen Aufgaben und an der Möglichkeit, daran Kritik zu üben, das kann nicht durch ein Gesetz in dieser Form gelöst werden und noch ({24}) weniger durch ein Gesetz in dieser Form und zu dieser Zeit. Wir werden deshalb gegen dieses Gesetz stimmen. ({25})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat Herr Abgeordneter Maerkl.

Heinrich Maerkl (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001406, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bereits am 17. Februar dieses Jahres hat der Herr Bundesminister des Innern den Entwurf zu einem Gesetz über die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiete des Rundfunks an die Rundfunkanstalten übersandt. Wahrscheinliche verfasssungsrechtliche Bedenken und vermutbare Bedenken für die Regierung, ob es im Augenblick zweckdienlich erscheint, in weiten Kreisen eine Stimmung allzugroßer Bundesverdrossenheit zu schaffen, waren wohl so weitreichend, daß die Koalitionsparteien nunmehr auf die Idee kamen, den Entwurf des Herrn Bundesinnenministers etwas zu entschärfen und ihn als Initiativgesetz vorzulegen. Es soll hier nicht untersucht werden, ob damit wenigstens teilweise verlorengegangenes Prestige wieder gerettet werden kann oder ob es zutreffend ist, daß gewisse Interessenten im Hinblick auf die Möglichkeit begehrenswerter Posten Wünsche anmelden. Hier muß vielmehr untersucht werden, ob und inwieweit diese Vorlage verfassungswidrig ist. Die Rundfunkfreiheit beinhaltet ein freies Programm, freie Verfügung der Sendeanstalten über technische Anlagen und die Selbstverwaltung der Anstalten. Eine Teilung der Funktionen in staatliche und nichtstaatliche Stellen entspricht nicht dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit. Es ist unseres Erachtens völlig sinnwidrig, sich auf Art. 73 Abs. 7 des Grundgesetzes zu stützen und den Rundfunk als einen Teil des Fernmeldewesens zu erklären. Der Rundfunk berührt nur die Interessensphäre des Fernmeldewesens, weil er eben den Äther mit beansprucht und mit benutzt. Er ist aber das, was andere Funkdienste nicht sind, nämein erstrangiges Kulturinstitut und ein heute nicht wegzudenkendes Instrument der Publizistik. ({0}) Würde man seine Rechtsbasis aus der Funktechnik ableiten, dann gäbe es eben keine kulturelle Unabhängigkeit dies Rundfunks. Man könnte glauben, daß zu dem vorliegenden Gesetzentwurf die verflossene Reichsrundfunkgesellschaft aus der Weimarer Zeit Pate gestanden hätte, die, weil eben zentralistisch, im Jahre 1933 eine willkommene Beute der nationalsozialistischen Propaganda gewesen ist. Die wiedererwachten zentralistischen Tendenzen sind klar zu erkennen. Allmählich soll an Stelle dies ländermäßig gegliederten Rundfunks ein zentralisierter Bundesrundfunk, eine Bundeskulturanstalt treten. ({1}) Die bestehenden Rundfunkanstalten würden jetzt schon in jeder Weise, nicht zuletzt auch finanziell, so beschnitten, daß eine öde Verprovinzialisierung die Folge sein würde. ({2}) Man will zwar den Ländern der deutschen Bundesrepublik ihr Gesicht nicht nehmen, aber nach und nach eine Einheits-Bundesmaske überstülpen. Die durch Gesetz erwirkte Monopolisierung des Fernsehens durch den Bund stellt einen höchst unzulässigen Eingriff auf dem Sektor des Programms dar, was bei einem so entwicklungsfreudigen Instrument von weittragender Bedeutung ist. Dias Problem des Fernsehens, meine Damen und Herren, läßt sich durch Zusammenarbeit der bestehenden Anstalten besser lösen als durch zentrale Einrichtungen. ({3}) Kulturinstitute und Kulturinstrumente - und das sind doch Rundfunk und Fernsehen - fallen nicht in die Zuständigkeit des Bundes. Hier treten die Länder auf den Plan; so bestimmt es die Verfassung. Das Vertrauen auf die Verfassungstreue wird durch den fraglichen Gesetzentwurf sehr erschüttert und Karlsruhe mit einem weiteren Verfassungsproblem belastet. Wir bitten die Föderalisten in diesem Hohen Hause, die hier drohende Gefahr zu erkennen und zu bannen. Die Länder haben sich gestern in München für den nach dem Grundgesetz allein zulässigen Weg zur Lösung der gemeinschaftlichen Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks, zu Vereinbarungen unter sich, bereit erklärt. Wir, die Föderalistische Union, erblicken hier den richtigen Weg und lehnen deshalb den Gesetzentwurf ab. ({4})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete de Vries. de Vries ({0}): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die bisherige Debatte hat uns gezeigt, daß der Gesetzesantrag, der uns vorliegt, außerordentlich schwierige Fragen aufwirft. Diese Fragen liegen auf staatsrechtlichen, kulturellen und anderen Gebieten. Obgleich diese Tatsachen vor uns stehen, werden wir doch nicht darum herumkommen, ein solches Gesetz zu verabschieden. Ich möchte weitergehen und sagen, daß es einfach Pflicht dieses Hohen Hauses ist, jetzt ein solches Gesetz zu verabschieden. ({1}) - Nein, anzunehmen. Es ist von keiner Seite - auch nicht von seiten der Opposition - bestritten worden, daß auf diem Gebiet des Rundfunks gemeinsame Aufgaben vorliegen, die nur zentral geregelt werden können. Ich glaube, wir können feststellen, daß dies von allen Seiten anerkannt wird. ({2}) - Jawohl, ich stelle nur noch einmal fest, daß das tatsächlich von allen Seiten anerkannt wird. Die Frage, wie diese Aufgabe gelöst werden soll, scheint nach den heutigen Ausführungen, die wir gehört haben, in wesentlichem Maße eine staatsrechtliche zu sein. Wir haben hier nicht die Möglichkeit, diese staatsrechtliche Debatte bis ans Ende durchzuführen. Ich möchte zu dieser Seite der vorliegenden Frage gleich sagen, daß wir hierbei nichts fürchten, auch nicht, daß eine Feststellungsklage oder eine andere Klage eingereicht werden sollte. Denn wir alle - Koalition und Opposition - haben schon eine gewisse Erfahrung in der Anhängigmachung und Zurückziehung von Feststellungsklagen. Wir würden nur bedauern, wenn durch eine Feststellungsklage das Inkrafttreten dieses Gesetzes hinausgezögert würde. Aber vielleicht kommen wir darum nicht herum. ({3}) Ich glaube, ich kann mir ersparen, ausführlich über die zentralen Aufgaben des Rundfunks zu sprechen. Ich darf sie nur kurz streifen. Es ist vollkommen klar, daß Fernsehen und Forschung - zwei Aufgaben, die große Summen erfordern - nur zentral gelöst werden können. Aber vergessen wir eines nicht. Die Durchführung der zentralen Aufgaben des Rundfunks ist eine Notwendigkeit. Sie ist heute größer als vorgestern und wird morgen dringlicher sein als heute. Wir brauchen so etwas wie eine „Stimme Deutschlands". ({4}) Die Wirkungen, die wir damit erzielen wollen, werden wir nur erreichen, wenn wir diese Stimme Deutschlands von einer zentralen Stelle aus ertönen lassen können. ({5}) - Ich habe Sie leider nur sehr schwach gehört. ({6}) Herr Kollege Dr. Vogel hat in einem Punkt vollkommen recht. Er hat hier von Versteinerungen gesprochen. Der Lateiner nennt eine Versteinerung einen Petrefakt. Petrefakten oder Versteinerungen gehören ins Museum. Stellen wir doch endlich diese Versteinerungen ins Museum, wohin sie gehören, und fangen wir neu an. ({7}) - Nein, ich spreche nicht vom Grundgesetz, sondern ich spreche von den Erscheinungen, die Herr Dr. Vogel zuerst mit Versteinerungen bezeichnet hat, und zwar den Erscheinungen, die zwischen I 1945 und heute wie ein Wildwuchs entstanden sind. Ich möchte bei diesem Begriff „Wildwuchs" etwas bleiben. Greifen wir doch nur einen Fall heraus. ({8}) - Oh, ich werde vorsichtig sein. Greifen wir doch nur den Fall des Nordwestdeutschen Rundfunks heraus. Ich habe aus den Ausführungen des Herrn Vertreters der Opposition den Eindruck gewonnen, daß er der Ansicht ist, auf dem Gebiet der regionalen Lösung des Rundfunkwesens seien die Verhältnisse so wunderbar, daß man an sie einfach gar nicht rühren sollte. Man sollte die Dinge ruhig sich weiter so entwickeln lassen und sie so erhalten wie bisher. ({9}) Wir wollen doch eines nicht vergessen. Der NWDR arbeitet auf der Grundlage eines Statuts, das mit den Überlegungen deutscher Stellen nur ganz am Rande etwas zu tun hat. Wir wissen, es ist auf der Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 118 vom Jahre 1945 mit der Ergänzung des Jahres 1948 aufgebaut. Ich habe heute noch mit Herrn Dr. Schäfer aus Hamburg über die Verhandlungen im Jahre 1948 gesprochen. Es ist mir bestätigt worden, daß dieses Statut in entscheidendem Maße einem ausländischen Beispiel folgt und daß wirklichen deutschen Forderungen oder Voraussetzungen kaum Raum gegeben worden ist. Es handelt sich hier um ein schlechtes Erbe der Vergangenheit. Wir sollten es allmählich abschaffen. Darum sage ich noch einmal: diese Versteinerungen gehören ins Museum. ({10}) Wir sollten also neu anfangen, und zwar auf einer klaren und soliden Grundlage. Diese soll das Gesetz schaffen. Weiter soll es nichts bezwecken; es soll die Garantie dafür bieten, daß all die Erscheinungen, die mit diesen Versteinerungen zusammenhängen und im Rundfunk auch heute noch zum Teil sichtbar sind, im Museum oder sonstwo verschwinden. Ich bitte also das Hohe Haus, seiner Pflicht nachzukommen und den Gesetzentwurf zunächst in den Ausschuß zu verweisen ({11}) und später im Plenum zu verabschieden. ({12})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Renner.

Heinz Renner (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001823, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Hinter diesem Initiativgesetzentwurf der Parteien der Adenauer-Koalition steht trotz aller Proteste, die wir heute gehört haben, offensichtlich der vor der Öffentlichkeit streng geheim gehaltene Entwurf des Herrn Bundesinnen- und -polizeiministers Dr. Lehr zu einem Bundesrundfunkgesetz. Diesen Lehrschen Entwurf haben die Intendanten der westdeutschen Rundfunkanstalten bekanntlich heftig kritisiert. Auch einige bürgerliche Zeitungen haben große Bedenken dagegen geäußert. Fest steht, daß auch der Bundesrat diesen Gesetzentwurf abgelehnt hat und daß die Länder nach wie vor statt eines Bundesrundfunkgesetzes Länderrundfunkgesetze fordern. Herr Dr. Lehr und Herr Dr. Vogel, der aus demselben Nest kommt, ({0}) haben hier betont, daß die Einbringung dieses Gesetzentwurfes in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lage stehe, die die alliierten Verträge, also die Kriegsverträge, geschaffen habe. Gesteuerte Kriegspropaganda ist es also, worum es heute geht; es geht nicht um organisatorische oder technische Fragen. Von dieser Tatsache muß man ausgehen, wenn man die ganze Gefährlichkeit dieses Gesetzes erkennen will. Ich kann bedauerlicherweise aus Zeitmangel auf den materiellen Inhalt des Gesetzes nicht eingehen. Nur die eine Tatsache stelle ich heraus: unter den für den Gesamtrat vorgesehenen 44 Mitgliedern befindet sich nur ein einziger Vertreter der deutschen Gewerkschaften, und die Rundfunkhörer, die monatlich zwei D-Mark an Rundfunkgebühren zahlen, haben im Gesamtrat und in der gesamten Organisation nicht einen einzigen direkten Vertreter und demnach auch keinerlei Möglichkeit, irgendwie auf die Programmgestaltung und die Sendungen einzuwirken. Die politische Absicht, die mit dem Gesetzentwurf verfolgt wird, ist zweifellos die, der Adenauer-Regierung eine direkte und unbegrenzte Eingriffs- und Einwirkungsmöglichkeit auf dem Gesamtgebiet des Rundfunks zu verschaffen. Der westdeutsche Rundfunk soll zu einem Instrument der Propagierung der Adenauerschen Gesamtpolitik, insbesondere seiner Politik der Remilitarisierung, soll ferner zu einem Instrument der psychologischen Kriegsvorbereitung, soll zu einem Propagandainstrument werden, das auch im Ausland für die Ziele der westdeutschen Kriegstreiber und Re({1}) vanchepolitiker werben soll. Der Bundesvorstand des DGB sogar stellt in einer Erklärung zur ursprünglichen Regierungsvorlage fest, daß sich der Gesetzentwurf des Bundesinnenministers über den Art. 5 des Grundgesetzes, der die Freiheit der Meinungsäußerung garantiert, hinwegsetzt und daß damit der Versuch gemacht wird, die Meinungsbildung durch den Rundfunk zum überwiegenden Teil „in die Hand der Bundesregierung zu bringen". Er spricht ferner aus, daß der Versuch, aus dem, wie er meint, gegenwärtig unabhängigen Rundfunk ein regierungsgefügiges Instrument zu machen, bereits einen für die Demokratie sehr gefährlichen Weg bedeutet. Die „Unabhängigkeit" des westdeutschen Rundfunks war schon bisher eine Farce. Geht das Gesetz durch, kommt der Rundfunk in die Hand des Herrn Bundespolizeiministers Dr. Lehr, dann haben wir in Westdeutschland auch auf diesem Gebiet wieder den Zustand, der in der Zeit der Hitler-Diktatur bestanden hat. Aber gerade darauf kommt es Herrn Adenauer und der Regierungskoalition an. Das ist der Zweck dieses Gesetzentwurfs. Wie sich der Herr Bundesinnenminister die Überwachung des Rundfunks vorstellt, haben wir ja anläßlich seiner schriftlichen Äußerung im Fall von Cube erlebt. ({2}) - Na, daß sie Ihnen paßte, Herr Vogel, das haben Sie schon erklärt. ({3}) - Sie legen leider kein Windei, sondern ein sehr gefährliches Ei! Was der Herr Lehr aus dieser Vollmacht machen würde, das kann nur der begreifen, der die politische Vergangenheit des Herrn Lehr genau kennt. ({4}) Daher erlaube ich mir, zur Abrundung das politische Bild des Herrn Lehr, dieses heutigen „Widerstandskämpfers", wie er sich gelegentlich feiern läßt, zu veröffentlichen. Es stammt aus der Schrift, die der Herr Lehr im Jahre 1933 an das Landgericht Düsseldorf geschickt hat, einer Schrift, in der er nachweist, daß er schon immer im Geiste mitmarschiert ist. ({5}) Da lesen wir, daß er schon im Jahre 1912 in Düsseldorf ein Krankenhaus habe bauen lassen, um es im bevorstehenden Krieg als Reservelazarett zu benutzen, - wie es dann auch geschehen ist. ({6}) Das ist Lehr, der Tarner der Kriegsvorbereitungen! ({7}) Er rühmt sich in dieser Denkschrift, im Weltkrieg die Schutzhaft eingeführt und unter anderem die SPD-Stadtverordnete Lore Agnes zusammen mit Gewerkschaftsführern in Schutzhaft genommen zu haben. Er klagt den Nazis, daß das Gericht die Schutzhäftlinge gegen seinen Einspruch wieder auf freien Fuß gesetzt habe. Die spätere Betätigung dieser Personen - so sagt er in seinem Erguß - beim Ausbruch der Revolution habe seine Warnung gerechtfertigt. Er rühmt sich bei den Nazis, als Polizeichef von Düsseldorf noch am 9. November 1918 sich angeboten zu haben, das Kommando der Polizei gegen die revolutionären Arbeiter zu übernehmen, zu einem Zeitpunkt, als die kaiserliche Regierung schon abdanken wollte. Er beschwert sich in dieser Schrift darüber, daß die Stadtverwaltung ihm damals die Schießerlaubnis versagt habe. ({8}) Das ist der Herr Lehr! In die Hand dieses „Demokraten" soll dieses Gesetz, soll diese Machtfülle gelegt werden. Das ist der Zweck, der verfolgt wird. Alles blumige Gerede darum, es gehe nur um rein technische Fragen, geht an dem, was man will und was beabsichtigt ist, glatt vorbei! Der Gesetzentwurf ist nach unserer Auffassung ein Beweis dafür, daß die Adenauer-Regierung und die adenauerhörige Koalition bereit sind, auch auf diesem Gebiet alle demokratischen Grundrechte über Bord zu werfen, um möglichst ungestört ihre Politik der Kriegsvorbereitungen durchsetzen zu können. Aus diesem Grunde, da wir die Feder kennen, da wir den Zweck kennen, da wir die Absichten kennen, die mit einem solchen Bundesrundfunkgesetz verfolgt werden, ({9}) und da wir vor allen Dingen den Mann kennen, der die Machtfülle ausüben soll, darum lehnen wir auch im Interesse unseres Volkes ({10}) diesen Gesetzentwurf ab. - Sagen Sie doch nicht „Aha"! Wenn unser Volk über diesen Herrn Lehr zu entscheiden hätte, säße er nicht hier! Und wenn unser Volk über die Kriegspolitik Adenauers zu entscheiden hätte, dann säßen Sie auch nicht hier! ({11}) - Reden Sie nicht, Herr Kollege Vogel; daß Sie Spezialinteressen haben, das bestreite ich gar nicht einmal. Wer weiß, was Sie daneben noch verfolgen, vielleicht eine außerordentlich lohnende Position in dem neuen Gesamtrat, ({12}) wer weiß denn das! Aber uns kommt es darauf an, vor aller Öffentlichkeit herauszustellen, was Ihre Hintermänner wollen, die Herren Amerikaner und der Herr Adenauer, der die amerikanischen Befehle auf deutschem Boden durchzuführen übernommen hat. Darauf kam es uns an. Wir lehnen den Gesetzentwurf ab und hoffen, daß es in diesem Hause keine Mehrheit gibt, die diesem Gesetzentwurf ihre Zustimmung gibt. ({13})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Brookmann.

Walter Brookmann (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000273, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich kann es mir wohl ersparen, auf die Ausführungen des Herrn Abgeordneten Renner einzugehen, schon deswegen ersparen, weil er zu dem eigentlichen Thema, das zur Diskussion steht, nämlich zum Bundesrundfunkgesetz, so gut wie nichts gesagt hat, sich vielmehr darauf beschränkte, unqualifizierbare Angriffe gegen den Herrn Bundesinnenminister zu richten. ({0}) ({1}) Immer, wenn in den letzten zwei Jahren von einem Bundesrundfunkgesetz die Rede war, dann schwankten in der bisherigen Reaktion der Öffentlichkeit die Pole zwischen wütenden Protesten, Verdächtigungen, Mißtrauen auf der einen Seite und freundlicher Anerkennung auf der andern Seite. ({2}) - Ob das berechtigt ist oder nicht, Herr Renner, das habe ich in diesem Fall selbst zu entscheiden. - Aus der Rede des Herrn Kollegen Eichler klang ebenfalls dieses Mißtrauen heraus. Ich glaube, daß ich doch noch mit ihm - wenn auch nicht heute, so doch in den Ausschußberatungen - ein Übereinkommen treffen werde. Wenn ich das behaupte, so habe ich meine guten Gründe dafür. Ich bin der Meinung, daß zwischen den Auffassungen der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion bzw. der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands und meiner Partei und Fraktion kaum wesentliche Unterschiede in dieser Hinsicht bestehen. Ich will das beweisen. Mit Genehmigung des Herrn Präsidenten darf ich mir erlauben, einige Sätze aus einem Artikel zu verlesen: Dieses Gesetz - damit ist das Bundesrundfunkgesetz gemeint -wird die Stelle zu bestimmen haben, die die deutschen Interessen auf internationalen Wellenkonferenzen vertritt. Ferner werden technische Fragen wie Verteilung von Wellen und Überwachung der Einhaltung von zugeteilten Frequenzen zu regeln sein. Eine Instanz wird zu schaffen sein, die bei der Regelung überregionaler Rundfunkfragen tätig wird. Hierzu gehören etwa Lizenzierung von Sendern, Vorschläge an die Bundesregierung zur Verteilung der Rundfunkfrequenzen, einheitliche Festsetzung der Rundfunkgebühren, Regelung des Einziehungsverfahrens und Überwachung der Gebührenverwendung, Festlegung eines Verteilungsschlüssels für die im Bundesgebiet eingehenden Gebühren unter die einzelnen Rundfunkanstalten und an Rundfunkeinrichtungen auf Bundesebene, z. B. Fernsehen, technisches Forschungsinstitut, Erforschung von Hörermeinung und -gewohnheiten, Sender für das Ausland. Diese Zentralinstanz soll in Form einer Rundfunkkommission ({3}) oder eines Rundfunkrates ({4}) eingerichtet werden. Derartige Funktionen dürfen also nicht einer bestehenden oder neu zu schaffenden Bundesbehörde übertragen werden. Vielmehr sollte hiermit ein Ausschuß betraut werden, der sich zweckmäßigerweise entsprechend dem Vorschlag des Arbeitskreises aus Vertretern der Rundfunkanstalten, des Bundestages und Bundesrates und vom Bundespräsidenten bestimmten Mitgliedern zusammensetzt. Zwei Dinge müßten also in Angriff genommen werden: einmal eine Reform der Landesrundfunkgesetze, die die Rundfunkanstalten in einen engeren Kontakt zu den Kräften des öffentlichen Lebens bringt, zum andern eine Rahmenordnung des Rundfunks auf Bundesebene, die ohne Einflußnahme auf das Programm eine zweckmäßige Zusammenarbeit der Sender bei der Erfüllung überregionaler Aufgaben sicherstellt. Beide Maßnahmen dürften zusammen geeignet sein, jedes Mißtrauen zum Rundfunk zum Verschwinden zu bringen und seine sinnvolle Entwicklung zu gewährleisten. Dieser Artikel ist überschrieben „Rundfunk und Staat, ein Vorschlag zur Neugestaltung der Rundfunkgesetzgebung". Der Artikel entstammt der Feder des Rundfunkexperten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, ({5}) Herrn Jürgen F. Warner. Dieser Artikel ist erschienen in der Monatszeitschrift „Kulturarbeit", Heft 10, 4. Jahrgang. ({6}) Herr Warner befindet sich mit dieser Auffassung unter seinen Kollegen von der Sozialdemokratischen Partei in äußerst angenehmer Gesellschaft. Ich zitiere zunächst Herrn Dr. Menzel. Er hat im Parlamentarischen Rat laut Stenographischem Bericht im Zuständigkeitsausschuß in der 2. Sitzung vom 22. September 1948 zu diesem Thema - es stand damals der Art. 73 zur Diskussion - folgende kurze Ausführungen gemacht: Die Programmgestaltung des Rundfunks soll natürlich nicht unter die Gesetzgebung des Bundes fallen .... Ich meine aber, daß die Hoheit über die technische Seite und den Aufbau dem Bund zusteht - also technische Seite nicht allein, sondern auch die Organisation, der Aufbau -, weil der Rundfunk ein so wesentliches Instrument der politischen Willensbildung und der politischen Macht darstellt, daß der Bund sich insoweit nichts irgendwie von den Ländern vorschreiben lassen sollte. In einer anderen Sitzung, der 29. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats am 5. Januar 1949, hat Herr Kollege Dr. Greve laut vorliegendem Stenographischen Bericht zum gleichen Thema gesagt - ({7}) - Nein, nein! Ich möchte mich darauf beschränken, gerade Ihre Freunde zu zitieren. ({8}) - Herr Schoettle, wenn Ihnen das unangenehm ist, so habe ich dafür Verständnis. ({9}) Herr Dr. Greve hat damals folgendes gesagt: Unsere Aufgabe ist allein, darüber zu entscheiden, ob das Post- und Fernmeldewesen in die ausschließliche Zuständigkeit der Bundesgesetzgebung fällt, einschließlich derjenigen Maßnahmen, die auf organisatorischem Gebiet zu treffen sind. Wie mein Kollege Wagner schon ausgeführt hat, sind wir dafür, daß die organisatorischen Maßnahmen in die Begriffsformulierung „Post- und Fernmeldewesen" einbezogen werden, und zwar aus guten Gründen, weil nämlich sehr viele Länder am Rundfunk beteiligt sind, für die die Organisation des Rundfunks überhaupt nicht auf ihrem Gebiete liegt. ({10}) Meine Damen und Herren, genau das wollen wir auch, und das haben wir nun einmal in dem Gesetzentwurf niedergelegt, der dem Hohen Hause vorliegt. Aber es gibt auch ausländische Zeugen, die sich mit der Lage des deutschen Rundfunks befaßt haben. ({11}) Es ist ein Gutachten bekanntgeworden - es ist auch in der Presse zitiert worden - des amerikanischen - international anerkannten - Rundfunkexperten Professor S i e p m a n n. Dieser Herr Professor Siepmann hat auf Wunsch der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten einen Bericht über die Lage des Rundfunks in Westdeutschland gebracht. Da schreibt er auf Seite 13 dieses Gutachtens im Zusammenhang damit, daß er von dem übermäßigen Provinzialismus spricht, der sich im heutigen deutschen Rundfunk zeige, unter Abs. 3 folgendes: Die Errichtung einer Anstalt für Rundfunksendungen durch die zentrale Regierung ist kein Anlaß zu Befürchtungen. Sie ist vielmehr erwünscht als eine Voraussetzung, um gewisse Endzwecke im besten Interesse Deutschlands und des Rundfunks zu erreichen. Er sagt dann weiter: Ein lebendiges Arbeitsverhältnis mit den Behörden in Bonn ist längst fällig und sollte von der Arbeitsgemeinschaft hergestellt werden. Auch das, meine Damen und Herren, ist durchaus unsere Meinung. In diesem Bericht des Herrn Professor Siepmann ist von dem übermäßigen Provinzialismus die Rede, der sich im deutschen Rundfunk zeige. Hier befinde ich mich in völliger Übereinstimmung mit dem Herrn Kollegen Eichler. Auch ich wäre glücklich - denn Herr Kollege Eichler sprach ja davon -, wenn dieser Provinzialismus so schnell wie möglich überwunden werden könnte. Wir sind nun einmal der Meinung, daß das der Fall sein wird, wenn wir dieses Bundesrundfunkgesetz schaffen. Der Ruf nach einer Bundesrundfunkreform - oder einer Rundfunkreform schlechthin - erklingt ja nicht erst seit heute. Seit vier Jahren besteht schon weithin Einigkeit darüber, daß die durch die Zuständigkeiten des Besatzungsregimes entstandenen Rundfunkverhältnisse einer neuen Regelung bedürfen. Der Antrag Drucksache Nr. 4198, der den Entwurf eines Gesetzes über die Wahrnehmung gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks enthält, hat sich das Problem herausgegriffen, an dem das Fehlen einer einheitlichen Regelung besonders spürbar wurde, nämlich die Durchführung gemeinschaftlicher Aufgaben. Meine Damen und Herren, ich glaube, wir werden da schon zu einem Übereinkommen gelangen. Denn wir haben ja, wie auch aus den Ausführungen des Herrn Kollegen Eichler trotz der Kritik, die er an dem Entwurf geübt hat, hervorgeht, gemeinsame Aufgaben vor uns zu sehen. Die oft bedauerte Schwerfälligkeit der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten, deren schönstes Vorhaben, wie der Herr Minister Lehr bereits anführte, durch ein einziges Veto eines der sechs Intendanten torpediert werden kann, ruft doch nun weiß Gott dringend nach einer Abhilfe. Das sind Sinn und Zweck des von den Regierungsparteien vorgelegten Initiativgesetzentwurfs. Es ist die Absicht der Regierungsparteien, noch in dieser Legislaturperiode zu einem Rundfunkgesetz zu kommen. Darum haben sie diesen Entwurf vorgelegt. In ihm werden nicht alle Rundfunkprobleme angesprochen. ({12}) Es ist bewußt darauf verzichtet worden, den Gesamtkomplex zu erfassen, sondern es war die Absicht, die künftigen Aufgaben der neu zu gründenden Anstalt des öffentlichen Rechts „Der Deutsche Rundfunk" auf die vordringlichsten Aufgaben dieser Art von Anstalt zu beschränken, ({13}) nämlich erstens den Betrieb der „Deutschen Welle". Um es für die Öffentlichkeit verständlich zu machen: gemeint ist damit der überregionale Sender. Ich erinnere dabei an einen Antrag der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion, der sich gerade mit diesem überregionalen Sender befaßt und in dem auch der Meinung Ausdruck gegeben worden ist, daß er nur durch den Bund betrieben werden könne. Ich erinnere daran, daß der Ausschuß für gesamtdeutsche Fragen - wenn auch nicht federführend - diesen Antrag beraten hat und dabei der Meinung Ausdruck gegeben hat, daß, wenn ein Beirat für einen solchen überregionalen Sender gebildet werden sollte, auch der Bundestag, also dieses Parlament, daran beteiligt sein müßte. Mit der „Deutschen Welle" ist also die lange Welle gemeint. Die zweite vordringliche Aufgabe ist der Betrieb des deutschen Kurzwellendienstes, die dritte der Betrieb des deutschen Fernsehrundfunks und die vierte ganz allgemein die Wahrnehmung sonstiger gemeinsamer Aufgaben auf dem Gebiet des Rundfunks. Meine Damen und Herren! Ich setze die Ratifizierung des Deutschlandvertrags und des EVG- Vertrags als sicher voraus. Nach dem Inkrafttreten dieser beiden Verträge wird die Bundesrepublik das Recht erhalten, Gesetze in bezug auf Presse, Rundfunk und Film frei und ohne Einspruchsrecht der Besatzungsmächte zu erlassen. Das ist es auch, was wir mit dem Antrag wollen. ({14}) Es soll kein Vakuum entstehen. Wir wollen auch nicht, daß das Fernmeldeanlagengesetz von 1928 wieder in Kraft gesetzt werden muß, ({15}) und das betrifft gerade das, was Herr Kollege Eichler mit seiner Frage an die Regierung bzw. an die Initiatoren dieses Gesetzentwurfs meinte: „Wozu denn die Eile?" Weil in absehbarer Zeit die Verträge ratifiziert werden, meine Damen und Herren, wobei dann nicht - ich wiederhole mich jetzt - das Fernmeldeanlagengesetz von 1928 wieder in Kraft gesetzt werden soll, sondern dann soll ein Gesetz vorliegen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die etwas verworrenen Verhältnisse im deutschen Rundfunk zu klären und neu zu regeln. Das ist der Grund. Nach dem Zerfall der deutschen Rundfunkeinheit im Jahre 1945 durch die Errichtung von Sendern der Militärregierung ist im Hinblick auf die zu erwartende Rückgabe der Funkhoheit an die Bundesrepublik die Notwendigkeit einer Neuregelung im deutschen Funkwesen allgemein anerkannt ({16}) worden. Diese Überlegung entspringt der Initiative, die von Abgeordneten der Regierungskoalitionsparteien ergriffen worden ist. ({17}) Ich muß noch sagen: es ist eine bedauerliche Kriegsfolgeerscheinung nach 1945, daß jede der vier Besatzungsmächte in der Bundesrepublik eine eigene Rundfunkpolitik verfolgte. Man muß das in der Öffentlichkeit wissen; deshalb sage ich das noch einmal mit einer gewissen Ausführlichkeit. Die Sowjets führten als die erfahrungsreicheren Diktatoren die Verstaatlichung des Rundfunks in der sowjetischen Besatzungszone auf den Spuren des Herrn Goebbels weiter fort. Die Amerikaner - damals noch überzeugte Föderalisten - zwangen jedem der vier Länder in ihrer Zone ein mehr oder weniger von ihnen oktroyiertes Landesgesetz mit einem Landessender für Bayern, WürttembergBaden, Hessen und Bremen auf. Die Briten wiederum, Zentralisten von Hause aus, führten das Vorbild von BBC für die britische Zone durch und gründeten durch eine Militärverordnung, die, wie bereits wiederholt betont, heute leider noch gültig ist, den Nordwestdeutschen Rundfunk für alle Länder ihrer Zone. Ohne Rücksicht auf Geographie und Menschen machten die Franzosen durch die Gründung des Südwestdeutschen Rundfunks in Baden-Baden mit Hilfe einer Militärverordnung das gleiche. Erst vor einigen Monaten löste ein Staatsvertrag der Länder der französischen Zone diese Militärverordnung ab. Als aber 1948 auf der Kopenhagener Wellenkonferenz über die Neuverteilung der Mittelwellen in Europa entschieden wurde, nahm keine der drei Besatzungsmächte ihre völkerrechtliche Pflicht als unbeschränkte Souveräne ihrer Zonen in Deutschland wahr. Die Folge war eine unhaltbare Demontage der Bundesrepublik von guten Mittelwellen und die Auslieferung des Wellenschwergewichts an die Sowjetzone. Wer sollte unter Berücksichtigung dieser unbestrittenen Tatsache noch daran zweifeln, daß wir heute in Deutschland mehr denn je auf einem ungewöhnlich wichtigen Gebiet der Propaganda, der Massenbeeinflussung, ja des Rundfunkwesens schlechthin einer zentraleren Neuregelung bedürfen? Angesichts dieser unbestreitbaren Tatsache einer mit einem riesigen Apparat ständig auf die Bevölkerung der Bundesrepublik einwirkenden kommunistischen Propagandamaschine kann und muß jede Nation, die sich zur freien Welt zählen will, von den Hauptinstrumenten der Massenbeeinflussung mehr als Neutralität fordern. ({18}) Ich stehe nicht an, hier in aller Öffentlichkeit zu erklären, daß sich die sechs deutschen Rundfunkgesellschaften in der Bundesrepublik ihrer Verantwortung gegenüber der mehr als prekären politischen Lage mehr oder weniger bewußt gewesen sind. Ich bin gern bereit, den maßgebenden Rundfunkmännern und ihren Mitarbeitern für die bisher geleistete Arbeit Dank zu sagen, wobei ich allerdings nicht verhehlen möchte, daß ich diejenigen ausnehmen muß, die durch die Besatzungsmächte aus kommunistischen und linkssozialistischen Lagern in maßgebende Stellungen, in politische Redaktionen hineingesetzt wurden und heute noch zum Teil maßgebende Stellungen einnehmen. ({19}) Diese Herren möchte ich ausdrücklich ausgenommen haben. ({20}) - Ich weiß, daß es für gewisse Leute peinlich sein kann, wenn dieses Thema angeschnitten wird. ({21}) Meine Damen und Herren, es ist notwendig, darauf hinzuweisen, daß der Gesetzentwurf klar erkennen läßt, daß niemand bei der Bundesregierung noch hier im Hohen Hause daran denkt, die Programmgestaltungsfreiheit der deutschen Rundfunkgesellschaften in irgendeiner Form anzutasten. Die Kritik, die an der Vergangenheit geübt werden muß, richtet sich gegen ganz andere Punkte. Es wird den Rundfunkgesellschaften mit Recht vorgeworfen, in den vergangenen sechs Jahren zu sehr an sich selbst und nicht an die gemeinsamen Aufgaben der Bundesrepublik gedacht zu haben. Zwar haben die sechs Gemeinschaften während der Zeit des kommunistischen Terrors in der Sowjetzone sich zu einer gemeinsamen Aktion zusammengefunden. Ich frage nun aber: was haben sie darüber hinaus getan? Was taten sie, so fragen wir von der Regierungskoalition, um gemeinsam mit der Bundesregierung einem dringenden Wunsche der Nation nachzukommen, z. B. ein deutsches Kurzwellenprogramm zu senden? Das sind einige der wenigen Gründe, die doch stündlich die Forderung nach einem Bundesrundfunkgesetz erheben lassen. Dieser Gesetzentwurf soll unbestreitbar die Unabhängigkeit und die Freiheit in der Programmgestaltung der Sendeanstalten neu festlegen. Er soll allerdings ebenso die Souveränität der Bundesregierung über die Vergebung der Wellenlizenzen bekräftigen. Zu den gemeinsamen Aufgaben auf dem Gebiete des Rundfunks gehört auch unbestreitbar der Zusammenschluß aller in Deutschland am Fernsehen beteiligten Kräfte. Ich muß wegen der Zeit zum Schluß kommen. Zu diesen gemeinsamen Aufgaben gehört auch die gesamtdeutsche Frage. Das ist meiner Meinung nach auch einer der springenden Punkte, die die Initiatoren dieses Gesetzentwurfs veranlaßt haben, noch in dieser Wahlperiode den Gesetzentwurf vorzulegen. Bisher ist leider jener mißverstandene Föderalismus, den die Besatzungsmächte seinerzeit einführten, weil er ihnen auch andere mißverstandene Garantien, etwa durch die Mitwirkung „bewährter Antifaschisten", Gewähr gegen Rückfälle in „deutsche Unarten" zu geben schien, auch auf dem Gebiet des Rundfunkwesens vorherrschend gewesen. Der echte Föderalismus soll in diesem Gesetzentwurf ersetzt werden, bei dem neben den Teilen auch das Ganze sein Recht erhält. Die Bundesregierung hatte bisher im deutschen Rundfunkwesen überhaupt noch keine Rechte. Nur die Länderregierungen hatten Mitwirkungsmöglichkeiten, und auch diese nur bedingt, während andere aus den früheren Besatzungseinrichtungen genommene Kräfte tonangebend geblieben waren. Es kommt nun darauf an, daß die gesamtdeutschen Aufgaben richtig erkannt und gelöst werden. Ich deutete schon an, daß dazu im Rundfunkwesen die Konzentration auf die dringendsten Notwendigkeiten gemeinsamer Aufgaben gehört, wozu neben einem guten, einwandfrei überparteilichen Programm auch die Errichtung starker Sender gegenüber der Sowjetpropaganda erforderlich ist. ({22}) Große Gebiete im Sendebereich der bisherigen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik werden von den mächtigen Ostsendern überstrichen und übertönt. Hier muß eine machtvolle und zugleich überzeugende Stimme der Freiheit erschallen. Sie muß allerdings auch unanfechtbar sein, damit sie sich durchsetzt. Auch das ist ein eminent wichtiger Gesichtspunkt, der die Regierungsparteien veranlaßt hat, diesen Gesetzentwurf einzubringen. Noch einmal, kurz gesagt: Es soll mit dem Entwurf nur ein Teilproblem verdienstlich in Angriff genommen werden, von dem aus meines Erachtens - jetzt komme ich auf den Eingang meiner Ausführungen zurück - auch die Opposition eine Diskussionsgrundlage finden könnte. Das wäre gut so, denn dann würde es auch möglich sein, für die weiteren Notwendigkeiten im gesamtdeutschen Interesse zusammenzuarbeiten. Der deutsche Rundfunk muß frei sein, muß stark und qualitativ für Höchstleistungen befähigt sein. Dann, aber auch nur dann kann er gute Vorarbeit zur Wiedervereinigung unseres deutschen Vaterlandes leisten. ({23})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Abgeordneter Dr. Jaeger.

Dr. Richard Jaeger (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001006, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einige der Herren Vorredner haben die Bundestagsdrucksache Nr. 4198, den Antrag der Abgeordneten Dr. Vogel, Dr. Mende, Walter und Genossen einen Antrag der Regierungsparteien genannt. Als Vertreter einer der Regierungsparteien, nämlich der Christlich-Sozialen Union, muß ich betonen, daß wir an diesem Antrag nicht beteiligt sind. ({0}) Der Antrag der Herren Kollegen Dr. Vogel und Genossen ist wohl seiner Entstehung nach ein Referentenentwurf des Bundesinnenministeriums. ({1}) Wir hätten gewünscht, daß dieser Entwurf, wenn er schon in die Gesetzgebungsmaschine gegeben wird, auf dem ordentlichen Wege eingebracht worden wäre. ({2}) Sollte es vielleicht so sein, daß das Bundesinnenministerium als ein Verfassungsministerium am Ende selber verfassungsrechtliche oder andere politische Bedenken gehabt hat, diesen Gesetzentwurf über den Bundesrat zu leiten, den er übrigens am Ende doch noch passieren muß? Uns scheint nämlich das Hauptbedenken gegen diesen Gesetzentwurf, so gut das eine oder andere Motiv sein mag, eben auf dem verfassungsrechtlichen Gebiet zu liegen. Die Zuständigkeit zwischen Bund und Ländern ist im Grundgesetz für die Bundesrepublik eindeutig festgelegt, und zwar nach den Artikeln 30 und 70 derart, daß die Zuständigkeit der Länder die Regel ist, die Zuständigkeit des Bundes die Ausnahme, und zwar immer nur dort, wo sie ausdrücklich im Grundgesetz ausgesprochen worden ist. Daraus ergibt sich auch der Grundsatz, daß bei der Auslegung der Zuständigkeit des Bundes einschränkend und nicht ausweitend vorgegangen werden darf. Außerdem sind sich alle Teile, sogar die Unitarier, in diesem Hohen Hause immer darüber einig gewesen, daß Kulturfragen prinzipiell Angelegenheit der Länder sind, da sie grundsätzlich nicht dem Bund überantwortet wurden. Was den Rundfunk betrifft, so kommt hinzu, daß zwar für Presse und Film die Möglichkeit einer Rahmengesetzgebung besteht, daß diese Möglichkeit aber eben nicht für den Rundfunk besteht. Damit ist vom Verfassungsgesetzgeber deutlich genug gesagt, wo der Rundfunk hingehört, nämlich in die Zuständigkeit der Länder. Mann kann allerdings aus Art. 73 Ziffer 7 entnehmen, daß der Bund für das Post- und Fernmeldewesen zuständig ist. Ich will die Frage, ob Teile des Rundfunks unter den Begriff des Fernmeldewesens fallen, hier nicht erörtern. Wieweit Funkanlagen Fernmeldeanlagen sind, darüber mögen sich Sachverständige einmal den Kopf zerbrechen. Aber sicher ist doch, daß damit vom Rundfunk nur die rein technische Seite gemeint sein kann. Der Bund hat einzig die Zuständigkeit, die Verträge internationaler Art, die das Rundfunkwesen in Deutschland betreffen, abzuschließen, die Wellenlängen in Deutschland zu verteilen und die Wellenstärke festzusetzen, die Leitungstechnik zu bestimmen, er hat die Aufgabe der großräumigen Entstörung des Äthers, des Schutzes der Fernmeldeanlagen der Bundespost und schließlich noch Obliegenheiten nach dem Gesetz über die Hochfrequenzgeräte. Diese rein technischen Dinge sind Angelegenheiten des Bundes und mögen aus praktischen Gründen der Bundespost überantwortet werden, mehr aber nicht. Wenn Sie aus der Tatsache, daß der Bund für Fernmelde- und für Funkanlagen zuständig sein soll, schließen wollen, daß er in der Sache selbst für den Rundfunk zuständig sei, so wäre das genau so, wie wenn eine Behörde, die für das Hochbauwesen zuständig ist, sagte, sie sei überhaupt für Volksschulfragen zuständig, weil Volksschulen im allgemeinen in Hochbauten untergebracht seien. Wir wollen doch daran festhalten, daß die Organisation eines Gegenstandes notwendiger Bestandteil der Aufgaben und der Zuständigkeit ist, die für diesen Gegenstand selber festgelegt sind, und wenn Kulturangelegenheiten - und dazu gehört ja schließlich der Rundfunk - immer Sache der Länder sind, dann ist ja auch die Organisation Sache der Länder. Soweit Organisation gleich Verwaltung ist, ist dies im Grundgesetz besonders klar festgelegt, weil in der Regel die Durchführung von Bundesgesetzen Angelegenheit der Länder ist. Was für den Rundfunk im allgemeinen gilt, gilt für das Fernsehen im besonderen, wenn Sie dieses überhaupt als einen Teil des Rundfunks ansprechen wollen, worüber man sich wieder seitens der technischen Sachverständigen den Kopf zerbrechen mag. Dazu kommt noch etwas anderes. Nicht nur vom Gesichtspunkt der Zuständigkeit bestehen Bedenken, sondern auch vom Gesichtspunkt der Grundrechte her. In Art. 5 des Grundgesetzes ist die Funkfreiheit als Grundrecht ausgesprochen, eine Freiheit, zu der die Sendung wie der Empfang gehört. Wenn aber die Sendefreiheit festgelegt ist, dann heißt das nicht nur freie Programmgestaltung, dann heißt es auch, daß derjenige, der über die Programmgestaltung entscheidet, über die technischen Anlagen verfügen muß. Sie können ja den Rundfunk nicht zerlegen in freie und unfreie, in staatsgebundene und nicht staatsgebundene Teile; das wäre in sich unlogisch und damit undenkbar. Jede Einschränkung einer Rundfunkstation in der Verfügung über die organisatorische und auch über die technische Seite würde eine sachliche und damit eine inhaltliche Einengung bedeuten. Würde ({3}) der Bund die technische Einrichtung des Rundfunks im ganzen Bundesgebiet in die Hand nehmen, so wäre das schließlich nicht anders, als wenn er der Eigentümer aller Druckereien des Bundesgebiets wäre. So wie es im letzteren Falle mit der Pressefreiheit aus wäre, ist es in jenem Falle mit der Rundfunkfreiheit aus. ({4}) Sie wäre nur noch eine platonische Angelegenheit. Zur Unabhängigkeit des Rundfunks und zu seiner Freiheit, wenn sie eine Bedeutung haben soll, gehört natürlich auch die wirtschaftliche Unabhängigkeit, und damit hängt nun einmal das Problem der Hörergelder zusammen. Von sehr prominenter Seite wurde hier die alte These vertreten, daß diese Hörergebühr von 2 DM im Monat, wie sie jetzt allgemein eingehoben wird, eine Verwaltungsgebühr sei, die als Lizenzgebühr aufzufassen sei. Sicherlich ist das in den Anfängen des Rundfunks so gedacht gewesen. Aber eine solche Lizenzgebühr bestimmt man im allgemeinen für den Verwaltungsakt der Genehmigung zur Aufstellung eines Empfangsgeräts. Längst hat sich der Charakter der Gebühr gewandelt, und man muß sie heute, wie das auch von Gutachten, die man nicht so leichthin abtun sollte, wie es manchmal geschieht, festgestellt worden ist, als eine Anstaltsgebühr bezeichnen, als eine Gebühr und eine Gegengabe für die Nutzung und für die Leistung seitens der Rundfunkanstalt. Damit gehört der Rechtsanspruch auf Gebühr zum Vermögen und, wenn Sie so wollen, zum Eigentum der einzelnen Anstalten. Sie ihnen zu nehmen, würde eine Enteignung bedeuten, für die eine Entschädigung nach Art. 14 des Grundgesetzes festzusetzen wäre. In besonderer Weise muß man sich aber aus verfassungsrechtlichen Gründen dagegen wenden, daß das gesamte Fernsehen zur Angelegenheit des Bundes werden und damit zentralisiert werden soll. Da bleibt von der Freiheit auf dem Gebiet des Fernsehens nicht mehr allzuviel übrig. Das wäre so, wie wenn Sie sämtliche deutschen Illustrierten verstaatlichen und einheitlich herausgeben wollten. Dann hätten Sie den Zustand, daß auf dem Gebiet des Illustriertenwesens eine Meinungsfreiheit und eine Pressefreiheit nicht bestehen würde. So würde hier eine Funkfreiheit nicht mehr bestehen, wenn Sie das Fernsehwesen in Deutschland zentralisieren. ({5}) - Das sind Tatsachen, die Sie nicht leugnen können, auch wenn sie dem einen oder anderen Anhänger dieses Gesetzes nicht besonders genehm sind. Wenn man aber schon eine andere Meinung äußern will, als ich sie hier vertrete, dann werden Sie damit nur zugeben, daß es sehr schwierige Rechts- und Verfassungsfragen sind, die in diesem Gesetz enthalten sind. Sollten Sie also entschlossen sein, dieses Gesetz einem Ausschuß zu überweisen, so möchte ich zusätzlich vorschlagen, dieses Gesetz auch dem Rechts- und Verfassungsausschuß zur Prüfung der verfassungsrechtlichen Voraussetzungen zu überweisen; ich möchte dies als Antrag einbringen. Dazu möchte ich noch folgendes Bedenken im besonderen anmelden. In § 17 des Gesetzentwurfs ist die Möglichkeit geschaffen, weitere gemeinsame Einrichtungen auf dem Gebiet des Rundfunks durch Beschluß des Gesamtrats mit Zweidrittelmehrheit durchzusetzen. Zwar soll hierdurch die Eigenständigkeit der Rundfunkanstalten nicht beeinträchtigt werden. Es ist aber kein Rechtsweg vorgesehen, der diesen Rundfunkanstalten den Schutz gibt, daß ihre Eigenständigkeit nicht gefährdet wird. In dieser Weise hat sich auch einmal die Reichsrundfunkgesellschaft entwickelt. Die Spuren schrecken! Wenn ich nun von der rechtlichen zur praktischen Seite übergehe, so leugne ich als Vertreter einer bayerischen Partei nicht, daß es in dem Rundfunk, der für unser Land zuständig ist, im bayerischen Rundfunk, in der vergangenen Zeit, mannigfaltige Mißhelligkeiten sachlicher und persönlicher Art gegeben hat und noch gibt. ({6}) Wir in Bayern sind aber durchaus in der Lage, mit dem Problem selber fertigzuwerden, ({7}) und sei es notfalls durch eine Änderung des bayerischen Rundfunkgesetzes. Wir vertrauen darauf, daß der Rundfunk selber diejenigen Maßnahmen ergreift, die notwendig sind. Jedenfalls sind wir nicht bereit, solche sachliche Schwierigkeiten, die sich ergeben können - so bedauerlich sie auch sind -, dazu zu benutzen, unsere grundsätzliche verfassungsrechtliche Auffassung zu ändern. Zur praktischen Seite möchte ich bemerken, daß der Auslandsdienst selbstverständlich eine Angelegenheit ist, die auf dem Gebiet der Kurzwellen und zum Teil auch auf dem der Langwellen den Bund jedenfalls mit berührt. Auch das Fernsehen und die Forschung sind Aufgaben, an denen der Bund mit interessiert sein kann. Es sind gemeinsame Aufgaben, die Bund und Länder hier haben, nicht Bundesaufgaben. Es bedarf darum hier keines Bundesgesetzes, um die notwendigen Maßnahmen zu treffen. Es ist nicht so, daß durch ein Bundesgesetz die gewünschte Kultur schon erstehen werde! Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern genügen. Diese Vereinbarungen würden sich wahrscheinlich praktisch sogar zugunsten des Bundes auswirken; denn die Länder sind natürlich in der Lage, dem Bund auf dem Weg der Vereinbarung notfalls auch Angelegenheiten zuzugestehen, auf die er verfassungsrechtlich keinen Anspruch hat. Auf dem Wege des Gesetzes kann er diese Möglichkeiten ohne Verfassungsänderung nicht erhalten, auf dem Wege des freiwilligen Verzichts der Länder könnte er sie erhalten. ({8}) Die Erfahrungen mit der Ständigen Konferenz der Kultusminister, mit der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und vor allem die erfolgreiche Münchener Konferenz, von der einer meiner Herren Vorredner heute schon gesprochen hat, geben uns die Hoffnung, daß der Weg der Vereinbarung statt des Gesetzes erfolgreich sein wird. Außerdem bin ich dahingehend informiert worden, daß ab 3. Mai bereits Sendungen der Bundesregierung über die Kurzwelle des Nordwestdeutschen Rundfunks erfolgen sollen. Damit hat man ja praktisch den Weg der Vereinbarung bereits beschritten. Was das Fernsehen im besonderen betrifft, so möchte ich darauf hinweisen, daß dessen Zukunft heute noch ungewiß ist. Es gibt viele unter uns, die das Fernsehen für eine Kulturkrankheit halten. Ich ({9}) möchte mich dazu nicht äußern. Wenn es eine solche ist, so glaube ich, wird sie trotzdem nicht aufzuhalten sein; so pflegt es in solchen Fällen zu sein. Aber das Fernsehen kann sich doch, wie es bei technischen Erfindungen häufig der Fall ist, im Laufe der Zeit so entwickeln, ,daß es in Zukunft vielleicht wesentlich billiger sein wird, als es heute ist, so daß in Zukunft vielleicht von jeder einzelnen deutschen Rundfunkanstalt eine eigene Fernsehsendestation betrieben werden kann. Jedenfalls darf man sich heute wegen der Kosten dieses Recht nicht für alle Zukunft aus der Hand nehmen lassen. Wenn die Kosten heute sehr hoch sind, so mag man das Fernsehen als Gemeinschaftsaufgabe der deutschen Rundfunksender betrachten; es braucht nicht zur Bundesaufgabe zu werden. Wenn man darüber hinaus die Forschungsanstalten und Fernsehstationen, die heute schon bestehen, zugunsten des Bundes einziehen will, wie es das Gesetz hier macht, so handelt es sich dabei um eine glatte Enteignung, die wir als Vertreter der Christlich-Sozialen-Union aus prinzipiellen Granden ablehnen. Wir wünschen überhaupt eine Zusammenarbeit statt eines Bundesmonopols und statt einer Zentralisation. Wir haben gegen dieses Gesetz mannigfache Bedenken, weil es verfassungswidrig ist. Wir halten es praktisch nicht für notwendig und sehen in ihm einen Schrittmacher des Zentralismus. Die Christlich-Soziale Union in Bayern vermag dem Gesetz deshalb nicht zuzustimmen. ({10})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Walter.

Albert Walter (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002420, Fraktion: Deutsche Partei (DP)

Herr Präsident! Meine Damen. meine Herren! Ich möchte mich dem anschließen, was Herr Kollege Eichler behauptet hat, als er sagte, daß sicher vieles an unserem Rundfunk verbesserungsbedürftig ist und daß seit 1949 nicht alles so war, wie wir es hätten erwarten sollen. Wenn wir dieser Überzeugung sind, dann ist das schon Grund genug dafür, daß wir uns endlich einmal mit einem Gesetz beschäftigen, das diese Mißstände abschaffen soll. Und wenn kein anderer Grund vorhanden wäre, ein solches Gesetz einzubringen, dann glaube ich, daß schon die Schaffung des deutschen Rechts auf dem Gebiete des Rundfunks Grund genug dafür ist, daß dieses Problem praktisch angepackt werden muß. ({0}) Wir haben lange genug die verschiedenen Besatzungsrechte auf dem Gebiete des Rundfunks ertragen müssen, und draußen versteht niemand so recht, warum wir noch immer auf Grund dieser Gesetze in den Rundfunkanstalten die Nachrichten und die Kulturprogramme senden. Es ist also an der Zeit, daß endlich deutsches Recht geschaffen wird und daß wir nach deutschem Recht die verschiedenen Rundfunkanstalten vereinigen und gemeinsam mit dem Bund etwas Praktisches errichten. Nun möchte ich mich ganz kurz mit dem befassen, was die neun Herren Professoren in Nürnberg - oder wo immer - zum besten gegeben haben, als sie sich mit dem Gutachten über die Rundfunkanstalten beschäftigten. Man braucht nicht immer die Professoren heranzuholen, um etwas Brauchbares oder Nützliches zu schaffen. Im Gegenteil, ich bin der Meinung, daß manches viel klarer und einfacher durchgeführt werden könnte, wenn sich nicht so viele Professoren mit der Materie beschäftigten. ({1}) Ich möchte vor allen Dingen auf einen Teilnehmer an dieser Professoren-Tagung hinweisen, der im vorigen Sommer auf einer Tagung des Rundfunks in Hamburg zum besten gab - es war Herr Professor Eschenburg -, daß er gar nicht verstehe, wie die Bundesregierung sich anmaßen könne, etwas über den Rundfunk sagen zu wollen. In demselben Sinne hat sich auch Herr Beckmann geäußert. Wenn die Herren Professoren weiter nichts zu sagen haben, dann sollten sie solche Gutachten besser nicht erstellen. Im übrigen sind mir die Widersprüche in dem Gutachten nicht verständlich. Abschließend heißt es nämlich in dem Gutachten - mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten lese ich es vor -: Die einzige Möglichkeit einer aktiven Betätigung des Bundes auf dem Gebiet des Rundfunks, für die eine ausreichende gesetzliche Grundlage gegeben ist, wäre der Betrieb eines Kurzwellensenders. Ja, nun bitte ich Sie: wenn man der Regierung den Betrieb eines Kurzwellensenders zuerkennt, dann begreife ich nicht, warum die Regierung nicht über einen Langwellensender ebenfalls ihre Nachrichten nach draußen geben und ihre Programme ausstrahlen soll! Es ist wahrscheinlich ein Geheimnis der Professoren, warum man es seitens der Regierung nur über die Kurzwelle tun darf, wohingegen eine lange Welle und eine übrige Welle nicht gestattet werden soll. In unserem Gesetz ist von der Mittelwelle auch gar nicht die Rede, sondern wir sprechen von der Kurzwelle und von der langen Welle. Ich glaube, daß das, was in dem erarbeiteten Gesetz festgelegt worden ist, wohl wert ist, daß es im Ausschuß gründlich diskutiert wird. Denn was uns das Gutachten der Professoren bringt, das kann uns auf keinen Fall zufriedenstellen. Wir können daraus nichts entnehmen. Wir sind von der Koalition bereit, der Bundesregierung das denkbar Mögliche zuzugestehen. Sie muß das Recht haben, auf die Gestaltung des Rundfunks Einfluß zu nehmen und vor allen Dingen ihre eigenen Sendungen, wenn immer möglich, nach dem Ausland auszustrahlen. Wir haben gewiß genug Unzuträglichkeiten gehabt, sei es durch die verschiedenen Sender, die sich nach dem Ausland betätigen, sei es durch die Besetzung - das ist hier bereits angeführt worden - unserer Rundfunkanstalten mit Persönlichkeiten, die nicht immer verbürgt haben, daß alles in Ordnung blieb. Wir dürfen nicht verkennen - und das wird ja allgemein anerkannt -, daß die Personen beim Rundfunk in großem Maße schon politische Programme bedeuten und daß es um so mehr notwendig ist, daß die Regierung hier einen Einfluß darauf bekommt und endlich dafür sorgt, daß eine Änderung geschaffen wird, wo es notwendig ist. ({2}) Wir haben seit 1949 auf dem Gebiet des Rundfunks vieles erlebt, was nichts taugt, und sind der Meinung, daß der Bund nun endlich eingeschaltet werden sollte. Wir wollen ihn nicht einschalten, um den Ländern ihre kulturellen Rechte zu nehmen, die sie für sich beanspruchen; das fällt uns nicht ({3}) ein, und in dem Gesetzentwurf ist kein Wort davon gesagt. Was wir aber wollen, das ist ein sinnvolles Einschalten des Bundes in die Nachrichtengebung des Rundfunks. ({4}) Wir sind der Meinung, daß diese sinnvolle Einschaltung des Bundes von allen Parteien in diesem Plenum anerkannt werden sollte und die Zustimmung zu dem Gesetz daher eine Selbstverständlichkeit sein sollte. ({5})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Herr Abgeordneter Marx.

Franz Marx (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001430, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Ich habe an sich bisher von den Vertretern dieser Vorlage wenig Angriffsflächen bekommen, um gegen sie zu polemisieren. Der vorliegende Gesetzentwurf ist nichts anderes als die zweite Auflage des Entwurfs, der durch das Bundesinnenministerium vor einigen Monaten noch schneller unter dem Druck der Öffentlichkeit zurückgezogen wurde, als er ihr übergeben worden war. ({0}) - Na ja, Herr Kollege Dr. Vogel, Sie wollen doch nicht bestreiten, daß Ihr Entwurf nur ein Plagiat des Entwurfs des Bundesinnenministeriums ist. ({1}) - Natürlich; sie haben ihn bloß abgeschrieben und etwas verändert. ({2}) Es ist ein Irrtum des Vertreters der Bayernpartei, wenn er glaubt, dieser Entwurf sei harmloser. Er ist gefährlicher als der Entwurf des Bundesinnenministeriums. ({3}) Schon die Umstände der vorsichtig dosierten Informationen, der langen und geheimnisvollen Vorbereitungen, von denen das Bundesinnenministerium genau informiert ist, ließen die Erwartung zu, daß etwas Besonderes in diesem Gesetz vorgesehen ist. Diese Erwartungen haben uns nicht getrogen. Sie ließen schließen entweder auf ein schlechtes Gewissen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Entwurfs oder aber zum mindesten - und das hat sich ja auch bestätigt - auf eine wesentliche Unsicherheit über die Aufnahme und die Aussichten des Entwurfs in diesem Bundestag. Es handelt sich in der Tat - das hat mein Freund Eichler hier schon angedeutet - um die Absicht eines Bundesrundfunkgesetzes, das dem Bund eine Rundfunkanstalt geben soll, mit der Tendenz - und die Tendenz ist durch diesen Entwurf legitimiert -, die Möglichkeit zur Entwicklung einer Anstalt zu schaffen, die der Bundesregierung eine Beeinflussung und Dirigierung der öffentlichen Meinung gestattet. Schauen Sie sich den § 14 dieses Entwurfes an. Da heißt es: Die Anstalt betreibt als Gemeinschaftssender der Landes-Rundfunkanstalten die Deutsche Welle. Die Sendungen der Deutschen Welle setzen sich im wesentlichen aus Beiträgen der deutschen Rundfunkanstalten zusammen; - im wesentlichen! diese haben ihre Programme der Deutschen Welle ohne Berechnung der Produktionskosten zur Verfügung zu stellen. Für Nachrichtendienste, politische Kommentare und Diskussionen ist eine eigene Redaktion einzusetzen. ({4}) - Das macht der Bundespressechef! Wir haben ja erlebt, wie es den verschiedenen Bundespressechefs schon ergangen ist. Vielleicht haben wir hier einen Vorgeschmack für die Nachrichtenredaktion, die für diesen deutschen Rundfunk vorgesehen ist. In § 15 heißt es: Zu den Aufgaben des Deutschen Kurzwellendienstes gehört, das Ausland über die amtliche Haltung der Bundesrepublik zu außenpolitischen Fragen zu unterrichten. Die dehnbaren und unklaren Bestimmungen des Gesetzentwurfs lassen eben alle Möglichkeiten offen. Der Bund soll den Deutschen Kurzwellendienst betreiben; über die Mittelwellen steht in dem Entwurf überhaupt nichts drin. ({5}) - Ja, das wissen wir. Es steht aber auch nichts drin, daß Sie die Mittelwelllen für den Bund nicht ausschließen wollen. ({6}) - Dann ist es zu spät, Herr Dr. Vogel, dann haben wir ja gar keine Kompetenz mehr. ({7}) In § 16 heißt es: Die Anstalt betreibt den Deutschen FernsehRundfunk. In einigen Jahren wird die technische Entwicklung soweit fortgeschritten sein, daß sich der Hörer in Deutschland im wesentlichen mit dem Fernsehprogramm beschäftigen wird. Die Rundfunkanstalten der Länder werden dann auf ein Gebiet abgedrängt werden, das der öffentlichen Information nicht mehr besonders entsprechen wird. Der Gesetzentwurf sieht dann weiter die Enteignung der Forschungsinstitute vor. Mit diesem Paragraphen will man die endgültige Abdrosselung der Rundfunkanstalten der Länder sichern. Es wird hier immer von den Bestimmungen der Besatzungsmächte gesprochen. Man behauptet, die gegenwärtigen Verhältnisse im deutschen Rundfunkwesen seien auf die Anordnungen der Besatzungsmächte zurückzuführen. Neben den von den Besatzungsmächten erlasssenen Vorschriften gibt es auch noch das Grundgesetz. Dieses sichert in Art. 5 den Ländern ausdrücklich die Regelung der Rundfunkangelegenheiten. An dieser Tatsache kann eben nicht vorübergegangen werden. Ich möchte noch etwas Ergänzendes dazu sagen. Herr Kollege Dr. Vogel hat auf die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zu den Angelegenheiten des Rundfunkwesens Bezug genommen. Er hat der Meinung Ausdruck gegeben, daß die Sozialdemokratische Partei in dieser Frage durchaus eine zentrale Gesetzgebung angestrebt habe. ({8}) ({9}) Herr Dr. Vogel, das trifft in keiner Weise zu. Sie haben mich gebeten, dazu Stellung zu nehmen. Ich muß Sie bitten, zunächst einmal die Protokolle über die erste Aussprache, die in diesem Bundestag über die Rundfunkfragen stattgefunden hat, nachzulesen. Daraus können Sie ersehen, daß sich die Haltung der Sozialdemokratischen Partei zu diesen Fragen in keiner Weise geändert hat. Ich möchte Sie weiter darauf verweisen, daß das Aktionsprogramm unserer Partei, das in Dortmund beschlossen worden ist, ausdrücklich erklärt: Der Rundfunk muß eine öffentliche Einrichtung bleiben; er darf nicht Propagandamittel einer einzigen Partei oder Weltanschauung - auch nicht der Regierung - sein. ({10}) - Auch nicht! Sie können in keiner Weise nachweisen, Herr Brookmann, daß der Rundfunk irgendwo ein Propagandainstrument der Sozialdemokratischen Partei ist. ({11}) - Meine Damen und Herren, wir können uns ja einmal zusammensetzen und in einer Untersuchung alle Rundfunkanstalten unter die Lupe nehmen. ({12}) Ich glaube, es wäre für die Regierungsparteien nicht sehr vorteilhaft. ({13}) Die Sozialdemokratische Partei hat sich jedenfalls grundsätzlich für eine Regelung auf der Basis der bisherigen Länderrundfunkanstalten entschieden. Sie werden keinesfalls eine widersprechende offizielle Verlautbarung der SPD nachweisen können. Zum Schluß möchte ich noch einmal ausdrücklich folgendes unterstreichen. Die Sozialdemokratische Partei ist an einer freien unabhängigen Rundfunkanstalt interessiert. Wir sind überzeugt, daß der Gesetzentwurf diese Freiheit und Unabhängigkeit des Rundfunks beseitigen wird. Wir meinen, daß dieser Gesetzentwurf gar nicht erst an den Ausschuß überwiesen werden sollte. ({14}) Wir schlagen vor, den Entwurf jetzt schon hier abzulehnen. ({15})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Vogel.

Dr. Rudolf Vogel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002380, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist eine alte Übung, daß man dann, wenn man aus dem Wortlaut eines Gesetzes nichts feststellen kann, mit Unterstellungen arbeitet. Das ist hier in reichlichem Maße geschehen. Der Herr Kollege Marx hat eben zugeben müssen, daß in dem vorliegenden Gesetzentwurf keineswegs irgendeine Handhabe .zu einer wirklichen Beanstandung zu finden war. Deshalb hat er Stück für Stück der Bundesregierung bzw. den Antragstellern Dinge unterstellt; denn er hat keinerlei Beweis dafür erbracht, daß diese Dinge wirklich drinstehen. Nun, mit dieser Kampfmethode müssen wir uns eben abfinden; sie ist in diesem Hause oft genug geübt worden. ({0}) Von einem Redner der Opposition, dem verehrten Kollegen Eichler, ist hier festgestellt worden, daß im deutschen Rundfunk alles wunderschön sei, alles sehr gut gelaufen sei. Aber wie ist es denn bis jetzt gelaufen? Lassen Sie mich dafür einen ganz unparteiischen Zeugen zitieren! Nehmen wir doch einmal das Gutachten des als internationale Autorität anerkannten Professors Siepman aus New York, den diese gleichen Herren Intendanten geholt haben, damit er ein objektives Urteil über die deutsche Situation abgäbe. Dieser Herr sagte folgendes: „Es ist fraglich, ob irgend jemand anders als Deutschlands schlimmster Feind das längere Weiterbestehen des gegenwärtigen Systems und der gegenwärtigen Verhältnisse des Rundfunks in Westdeutschland wünschen würde." Er fügt hinzu: „Was diese Dinge betrifft, ist der Rundfunk in Westdeutschland heute voll von Anomalien und Widersprüchen; dies ist offenbar das Ergebnis der verschiedenen Willensrichtungen und zufälligen Interessen der Besatzungsmächte." Der Versteinerung dieses Zustandes ist hier ({1}) das Wort geredet worden. Das möchte ich festgestellt haben. Sie können das auch nicht bestreiten. Wie stellen Sie sich eigentlich den weiteren Verlauf der Dinge vor? Es ist gesagt worden, es sei bis jetzt alles so wunderschön gegangen. Die Entwürfe, die uns vorgelegen haben, scheinen es alle noch mehr „wunderschön" zu machen. Wollen Sie uns hier vielleicht weismachen, daß Sie mit den 5 %, wie es der Intendanten-Entwurf vorsieht, d. h. das gesamte Fernsehprogramm mit 12 Millionen DM, bestreiten können? Sie wissen doch selber, daß das niemals geht. Es ist Ihnen auch bekannt, daß die Intendanten bereits die Vorlage gemacht haben, das Werbefernsehen einzuführen, weil sie das aus eigenen Mitteln nicht tun können. Hier ist mit einer sehr bemerkenswerten Unkenntnis der Verhältnisse davon die Rede gewesen, daß es möglich sei, in den einzelnen Ländern ein separates Fernsehen einzuführen. Meine Herren, vor allen Dingen meine Freunde von der CSU, lassen Sie sich doch um Gottes willen vorher einmal informieren, wie hoch die wirklichen Kosten dabei sind. Sie können doch ein solches Programm nicht bloß mit Schuhplattlern und irgendwelchen anderen Dingen bestreiten, sondern Sie werden dafür die Summen ausgeben müssen, die der Bundesinnenminister vorhin genannt hat und die zwischen 500 und 1000 DM pro Minute liegen werden. Daran müssen Sie scheitern. Sie müssen ein Interesse daran haben, gemeinschaftlich ein Programm zu machen. Es gibt eine deutsche Rundfunkautorität, die Ihnen glatt sagen wird, daß sogar vielleicht in der kommenden Zeit bei einer Verteuerung der Dinge ein Fernsehen auf nationaler Basis gar nicht mehr, sondern daß, wenn wir über zwei Stunden pro Tag hinausgehen werden, nur noch ein europäisches Fernsehen finanziell tragbar sein wird. Wie ist es denn z. B. mit dem Programmausschuß? Glaubt jemand ernstlich, daß wir ein Fernsehprogramm mit dem Programmausschuß machen können? Meine Herren von der Opposition, Sie sind doch Fachleute genug, um selber zu wissen, daß dieser Vorschlag Nonsens ist. Trotzdem befürworten Sie ihn und glauben, es werde alles gut laufen. Nein, es kann nicht gut laufen, wenn es in dem bisherigen Schlendrian weitergeht. ({2}) Wie ist es nun mit dem Aufsichtsgremium? Sie müssen feststellen: in dem Intendantenentwurf ist gar kein Aufsichtsgremium vorgesehen. Wir schlagen Ihnen ein wirklich demokratisch zusammengesetztes Aufsichtsgremium vor. Sie sagen nein, das sei wieder nichts. Nun, machen Sie Änderungsvorschläge! Lassen Sie uns doch im Ausschuß mit Vernunft darüber sprechen und stellen Sie Gegenanträge, wie das immer der Fall war. Aber hier einfach zu erklären, weil wir die und die Unterstellungen gemacht hätten, die wir nicht beweisen könnten, lehnten Sie es ab, die Sache überhaupt in den Ausschuß zu geben, das bedeutet eine Verantwortungslosigkeit gegenüber einem brennenden deutschen Problem, die Sie nicht leugnen können. ({3}) Ich möchte dazu nur das eine sagen. Wir haben doch in bezug auf Aufsichtsgremien die Feststellung getroffen - Sie konnten sie nicht leugnen -, daß sie uns befriedigen. Sie haben heute Herrn Jürgen Warner glatt desavouiert, obwohl Sie ihn vorher nicht dementiert hatten. Sie haben ihn das ruhig schreiben lassen. ({4}) Aber Sie haben nachher auf der andern Seite nicht leugnen können, daß die bisherigen Aufsichtsgremien in den Landesrundfunkanstalten versagt haben. ({5}) - Sie selber, Herr Kollege Marx, haben im Bayerischen Rundfunk mit Verbesserungsvorschlägen angefangen, und Sie werden sie auch woanders machen müssen. Bis jetzt ist doch praktisch die Rolle der Aufsichtsgremien die des Chors in der antiken griechischen Tragödie: er beklagt den Gang der Ereignisse, die die Intendanten machen, ohne ihn ändern zu können. Das ist doch die wahre Rolle, die wir heute vor uns sehen. Es ist Ihnen sicher unangenehm, daß Sie heute mit verkehrten Fronten kämpfen müssen, daß Sie sich plötzlich in Föderalisten verwandeln. Ich weiß, daß Ihnen diese Prozedur schwer fällt. Trotzdem können Sie nicht daran vorbeisehen, daß wir heute bestimmte Dinge gemeinschaftlich tun müssen. Ich bitte Sie um Einsicht in der Beziehung! Arbeiten Sie mit an einer Angelegenheit, die Sie später genau so werden machen müssen! Sie werden gar nicht darum herumkommen. Und glauben Sie ja nicht, daß ein Zustand, von dem Sie heute annehmen, daß er Ihnen nützlich ist, in der Zukunft das gleiche für Sie sein könnte! Arbeiten Sie vielmehr mit uns daran, daß etwas geändert wird, was eine Versteinerung der Besatzungsrechte in Deutschland ist! ({6})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, keine weiteren Wortmeldungen. Ich schließe die Besprechung. Es liegt der Antrag vor, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films als federführendem Ausschuß zu überweisen. Weiterhin ist beantragt worden Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht ({0}) und Überweisung an den Ausschuß für Post- und Fernmeldewesen. ({1}) - Also es wird zunächst beantragt Überweisung an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Überweisung an den Ausschuß sind, eine Hand zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Ich bitte diese wichtige Frage durch Aufstehen von den Plätzen zu klären. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Überweisung sind, sich zu erheben. - Ich bitte um die Gegenprobe. - Der Vorstand sieht sich zu seinem Bedauern nicht in der Lage, das zu entscheiden. Ich bitte diese Frage im Wege des Hammelsprungs zu klären. ({2}) Ich bitte Sie, den Saal möglichst schnell zu räumen, damit wir keine unnötigen Verzögerungen erleiden. Ich bitte mit der Auszählung zu beginnen. ({3}) Ich bitte die Abstimmung zu beschleunigen. Ich bitte die Türen zu schließen. Meine Damen und Herren, für die Überweisung an den Ausschuß haben 160 Abgeordnete gestimmt, dagegen 143. Die Überweisung an den Ausschuß für Fragen der Presse, des Rundfunks und des Films ist erfolgt. Ich bitte die Damen und Herren, die für die Überweisung an den Ausschuß für Rechtswesen und Verfassungsrecht sind, eine Hand zu erheben. - Gegenprobe! - Das erste war die Mehrheit. Damit ist die Überweisung erfolgt. Weitere Überweisungen sind nicht beantragt. Ich rufe auf den Punkt 5 der Tagesordnung: Erste Beratung des Entwurfs eines Bundesevakuiertengesetzes ({4}). Zur Begründung der Bundesminister des Innern!

Dr. Dr. Robert Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001304

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach der Verabschiedung des Bundesvertriebenengesetzes kommt zweckmäßigerweise und logischerweise der Entwurf des Bundesevakuiertengesetzes. ({0})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich unterhalten wollen, dann bitte ich, das in der Vorhalle zu tun. Im übrigen aber bitte ich, Platz zu nehmen.

Dr. Dr. Robert Lehr (Minister:in)

Politiker ID: 11001304

Es wird mitunter angenommen, daß das Evakuiertenproblem sich im wesentlichen bereits durch Zeitablauf von selbst gelöst habe. Das ist ein entschiedener Irrtum. Allerdings sind schon viele Evakuierte in ihre Heimat zurückgekehrt, insbesondere die Jüngeren, die leichter eine Arbeitsgelegenheit gefunden haben und die, wenn sie eine Arbeitsmöglichkeit hatten, dann auch eine Unterkunft bekommen haben. Aber es sind doch noch viele, die Jahre nach ihrer Evakuierung heute noch gezwungen sind, fern der eigentlichen Heimat zu leben, die, wenn sie überhaupt eine Beschäftigung gefun({0}) den haben, eine Arbeit haben aufnehmen müssen, die ihrer früheren Tätigkeit und ihrer Vorbildung nicht entsprochen hat. Ich denke namentlich an die Evakuierten, die sich in gebirgigen und ärmeren Gegenden aufhalten - im Sauerland, im Bayerischen Wald, an der Nordseeküste - und die dort vielfach keine oder jedenfalls keine auch nur annähernd angemessene Arbeit gefunden haben. Andere haben wohl eine ihnen zusagende Arbeit gefunden, aber sie leben entfernt von ihrer Familie. Das sind die sogenannten Pendler, die täglich weite Wege zur Arbeitsstätte und wieder nach Hause zurücklegen müssen. Dann denke ich auch an die Vielzahl von Fällen, in welchen Kinder nicht die erforderliche Ausbildung erhalten können, und an diejenigen Personen, die es, auf sich allein gestellt, ohnehin besonders schwer haben, und nicht zuletzt an die Gebrechlichen und die Alten, bei denen das Heimatgefühl und das Heimweh besonders ausgeprägt sind und die wieder nach Hause kommen müssen. Die Notwendigkeit einer bundesgesetzlichen Regelung des Evakuiertenproblems ist übereinstimmend vom Bundestag - ich darf hier vielleicht auf die früheren Beschlüsse vom 16. Mai 1952 und vorher schon vom 8. März 1951 hinweisen - und vom Bundesrat anerkannt worden. Da die Evakuierung in Kriegszeiten auf Maßnahmen zurückzuführen ist, die die Evakuierten nicht selbst verschuldet oder sonstwie zu vertreten haben, entspricht es der Billigkeit - und damit nehme ich einen wesentlichen Punkt des Gesetzentwurfs vorweg -, daß die Kosten der Rückführung grundsätzlich von der öffentlichen Hand zu übernehmen sind. Nach § 8 trägt das Land des Wohnsitzes oder des Aufenthaltsortes diese Kosten. Der Entwurf bestimmt grundsätzlich diese Kostenpflicht. Die Evakuierten sollen die Rückführungskosten nur dann selbst tragen, wenn es ihnen nach ihrer wirtschaftlichen Lage zur Zeit der Rückkehr tatsächlich zugemutet werden kann. Die Frage der Kostentragung richtet sich also, was ich besonders vor Ihnen hervorheben möchte, nicht nach fürsorgerechtlichen Grundsätzen, sondern nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten. Im übrigen ist das Überleitungsgesetz maßgebend. Diese Regelung soll gelten gleichgültig, ob es sich um die Rückführung der Evakuierten von Land zu Land oder innerhalb eines Landes, also um die sogenannte Binnenrückführung, handelt. Erfaßt werden alle diejenigen, die rückkehrwillig sind, die also während des Krieges aus Orten, die im heutigen Bundesgebiet gelegen sind, zwangsweise „ausgewandert wurden" oder aus dem Lande Berlin evakuiert worden sind und nun im Bundesgebiet ihren Zufluchtsort gefunden haben. Dieser Evakuiertenkreis kann durch Rechtsverordnung noch erweitert werden. Dabei ist insbesondere an Personen gedacht, die aus dem Bundesgebiet in das augenblicklich zur Sowjetzone gehörende Gebiet evakuiert worden sind. Das Gesetz hat schlechthin zum Ziel, die Rechtsstellung und die Eingliederung der Evakuierten zu regeln. Nach dem von mir und meinem Hause immer verfolgten Grundsatz der Gleichstellung der Evakuierten mit den Flüchtlingen und anderen Geschädigtengruppen, sofern sie sieh in gleicher oder in ähnlicher Lage befinden, lehnt sich der Entwurf in manchen seiner Bestimmungen an das Bundesvertriebenengesetz an. Ich sage, er lehnt sich an; er übernimmt auch diese Teile nicht unverändert. Das Gesetz ist primär ein Rückführungsgesetz. Eine Beschränkung der gesetzlichen Maßnahmen auf die Rückführung allein erscheint aber weder wirtschaftlich noch in sozialer Hinsicht gerechtfertigt. Die Rückführung wäre ohne gewisse Betreuungsmaßnahmen, wie sie in den §§ 9 und 10 und den folgenden Paragraphen des Entwurfs vorgesehen sind, schlechterdings nicht möglich. Deshalb sieht der Entwurf auch eine Reihe von Betreuungsmaßnahmen vor: einmal solche, die die Ausübung des früheren Berufs oder Gewerbes sicherstellen, und zum andern auch solche, die der Wiedereingliederung der zurückgekehrten Evakuierten in das wirtschaftliche Leben dienlich sein sollen. Von diesen Möglichkeiten sollen alle unter das Gesetz fallenden Evakuierten Gebrauch machen können. Sie müssen sich nur selbst für die Rückführung entscheiden und sich für die Rückkehr melden. Der Entwurf gibt den Evakuierten einen Anspruch auf Rückführung. Eine Ausschlußfrist für die Geltendmachung dieses Ausspruchs ist nicht vorgesehen. Die Evakuierten sollen Zeit haben, sich ihre wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse zu überlegen, und dann ihre Entscheidung treffen, ob sie die Möglichkeiten, die ihnen das Gesetz bietet, nutzen wollen oder nicht. Nun müssen wir uns allerdings über die Zahl der Rückkehrwilligen und über den Umfang der gesamten Rückführung in absehbarer Zeit doch ein Bild machen können. Deshalb ist vorgesehen, daß nach einer gewissen Anlaufzeit des Gesetzes im Wege einer Rechtsverordnung eine Ausschlußfrist für die Abgabe der Erklärung der Rückkehrwilligen festgesetzt werden kann. Zu der Frage der Bereitstellung des erforderlichen Wohnraums muß ich bekennen, daß es des Zusammenwirkens aller berufenen Stellen im Bund, in den Ländern und vor allen Dingen in den Gemeinden bedarf, um die Lösung dieses wichtigen und für die Rückführung ausschlaggebenden Problems zu verwirklichen. Ich muß dann noch zu einigen Einschränkungen etwas sagen. Wie ich schon zum Grundsätzlichen bemerkt habe, hat das Gesetz in erster Linie die Rückführung zum Ziele, und die im Gesetzentwurf vorgesehenen Maßnahmen erstrecken sich daher nur auf die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes noch nicht in ihren Heimatort, in ihren Ausgangsort Zurückgekehrten. Die Betreuungsmaßnahmen können auch erst nach Rückkehr in den Ausgangsort in Anspruch genommen werden. Wenn nun die soziale Lage des Evakuierten am Zufluchtsort unbefriedigend ist, dann steht es ihm eben frei, sich zur Rückkehr zu melden, um in den Genuß der besonderen Betreuungsmaßnahmen zu kommen. Es erschien auch nicht möglich, die als Starthilfe gedachten Betreuungsmaßnahmen auf unbegrenzte Zeit zu gewähren. Der Entwurf sieht daher vor, daß sie drei Jahre nach Rückkehr in den Ausgangsort enden. Den Ländern bleibt allerdings im einzelnen anheimgestellt, ob sie diese Betreuungsmaßnahmen ihrerseits sowohl sachlich als auch hinsichtlich des Personenkreises günstiger und weiter gestalten wollen. Im übrigen liegt die Durchführung des Gesetzes bei den Ländern, die insbesondere befugt sind, die Binnenrückführung landesgesetzlich besonders zu regeln. Zum Schluß gestatten Sie mir noch eine Bemerkung über den wünschenswerten Anlauf der Rückführung. Die Reihenfolge der Rückführung wird ({1}) sich nach sozialer und wirtschaftlicher Dringlichkeit richten müssen. Dabei sollten die Familienzusammenhänge, die Familienzusammenführung namentlich solcher Evakuierter, deren Ernährer am Ausgangsort, also dem Heimatort, bereits arbeitet, neben der Rückkehr von Familien mit ausbildungsfähigen Kindern im Vordergrund stehen. Besondere Vorsorge muß auch dafür getroffen werden, daß die Alten und Schwachen nicht an letzter Stelle zurückgeführt werden. Es wird eben Aufgabe aller mit der Rückführung beauftragten Stellen sein, einen gerechten Ausgleich zwischen den einzelnen zurückzuführenden Personen zu finden. Alle, die dieses schwere Amt nun auf sich zu nehmen haben, werden sich der Evakuierten nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit warmem Herzen annehmen müssen. Schließlich scheint es mir angebracht, zur Vermeidung von Mißverständnissen noch auf folgendes hinzuweisen. Soweit Betreuungsmaßnahmen den Evakuierten eine bevorzugte Berücksichtigung einräumen, sieht der Entwurf gleichzeitig vor, daß durch diese Bestimmungen gleichartige Regelungen für andere Geschädigte, z. B. für die Vertriebenen oder die Heimkehrer, nicht berührt werden. Das bedeutet also, daß die Evakuierten in solchen Fällen mit den anderen bevorzugten Geschädigtengruppen immer als gleichrangig behandelt werden. Meine Damen und Herren, wir stehen in dauernder Fühlung mit den Evakuiertenkreisen, und ich glaube Ihnen sagen zu können, daß in Kenntnis der Wünsche dieser Kreise der Gesetzentwurf den berechtigten Wünschen und Interessen der Evakuierten soweit Rechnung trägt, als es die finanziellen und verwaltungsmäßigen Möglichkeiten zulassen. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß alles, was hier im Gesetzentwurf den Evakuierten gegeben wird, auch tatsächlich ohne jeden Abstrich gegeben werden muß. ({2})

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Meine Damen und Herren! Ich eröffne die allgemeine Aussprache der ersten Beratung. Der Ältestenrat schlägt Ihnen eine Aussprachezeit von 60 Minuten vor. - Sie sind damit einverstanden. Das Wort hat Abgeordneter Morgenthaler.

Wendelin Morgenthaler (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001534, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der soeben eingebrachte Gesetzentwurf entspricht einem Bedürfnis. Er kommt zugleich den Forderungen nach, die der Deutsche Bundestag schon vor zwei Jahren ausgesprochen hat, indem er der Regierung auftrug, Vorsorge zu treffen, daß die Evakuierten, sobald die Möglichkeit dazu besteht, heimkommen. Wenn ich den § 1 dieses Gesetzentwurfs ansehe, dann finde ich, daß die Begrenzung des Personenkreises zu eng gefaßt ist. Es sind nur Personen einbezogen, die nach dem 26. August 1939 bis zum 7. Mai 1945 aus kriegsbedingten Gründen evakuiert worden sind. Wir wissen aber, daß nach diesem Zeitpunkt noch eine große Anzahl von Personen auf Grund von Anordnungen der Besatzung evakuiert worden sind. Ich habe diese Dinge in BadenBaden beobachtet. Ich weiß auch, daß Köln noch eine große Zahl solch Evakuierter zurückerwartet. Ich glaube, es ist ein Unrecht, wenn wir diese Menschen ausgliedern und nur diejenigen, die direkt während des Krieges evakuiert worden sind, in den Gesetzentwurf einbeziehen. Der Gesetzentwurf stellt eine Grundlage dar, und es wird Aufgabe des Ausschusses sein, diese Grundlage auszubauen. Betrachtet man den genannten Personenkreis nach Berufen, so ist in dem Gesetzentwurf zunächst nur gesagt, daß die Ärzte, die Zahnärzte und die Dentisten, wenn sie zurückkehren, wieder zur Kasse zugelassen werden müssen, sofern sie zuvor Kassenärzte gewesen sind. Nach meinem Dafürhalten fehlt aber ein Hinweis darauf, was mit den Beamten geschieht und insbesondere mit den Evakuierten, die in den Ländern, in denen sie aufgenommen wurden, Beamte geworden sind. Unter denen sind eine große Anzahl, die wieder in ihre Heimat zurückkehren wollen. Sie haben aber zum Teil im Aufenthaltsland ihre Ausbildung genossen, die vielleicht anders war als in ihrer Heimat, und nun sehen sie gewissen Schwierigkeiten entgegen, von ihren Länderregierungen aufgenommen zu werden. Es sind nicht die schlechtesten, die heimkehren wollen, und ich möchte nur die Bitte aussprechen, daß die Länderregierungen ihre Landeskinder unter allen Umständen wohlwollend behandeln, daß sie sich nicht an irgendwelchen Formalitäten stoßen, für die der einzelne ja gar nichts kann. Der Herr Minister hat vorhin die Betreuungsmaßnahmen erwähnt und hat auch darauf hingewiesen, daß Bund, Länder und Gemeinden alles unternehmen müßten, um den Evakuierten zu helfen. Die schwierigste Frage ist ja die Wohnraumbeschaffung. Wir müssen auch in den Gemeinden draußen alles tun, um den Rückkehrwilligen eine Aufnahmemöglichkeit zu geben. Aber wer in der Kommunalverwaltung tätig ist, wer irgendwo Verantwortung trägt, z. B. in einer Wohnungskommission, der kennt die ungeheuren Schwierigkeiten, die die Wohnraumzuteilung heute einer Wohnungskommission, einer Gemeindevertretung überhaupt, aufbürdet. Für die Personenkreise, die bevorzugt behandelt werden müssen, also unsere Flüchtlinge, unsere Umsiedler, unsere Spätheimkehrer, unsere Naziverfolgten und jetzt die Evakuierten, haben wir selbstverständlich die Aufgabe, in den Gemeindeverwaltungen dafür zu sorgen, daß sie vordringlich untergebracht werden. Aber, meine Damen und Herren, wir haben vor wenigen Tagen hier das Vertriebenengesetz durchgesprochen, und es hat sich dort herausgestellt, daß neben all den bevorrechteten Personen - und wir erkennen sie ohne weiteres als solche an - auch noch Rücksicht genommen werden muß auf diejenigen, die in der Heimat geblieben sind und dort den Krieg ausgehalten haben. So ist es auch mit der Wohnraumzuteilung. Es ist leider Gottes vielfach außerordentlich schwer, den in der Heimat Wohnenden den notwendigen Wohnraum zuzubilligen; manche von ihnen wohnen auch heute noch in menschenunwürdigen Verhältnissen. Was mich besonders bedrückt, ist die Tatsache, daß wir in den Gemeinden meist nicht die Möglichkeit haben, insbesondere den jungen Ehepaaren und solchen Personen, die heiraten wollen, auch nur ein bescheidenes Heim - und sei es nur ein Zimmer mit Küche - zu geben. Nach meinem Dafürhalten müßten heute Darlehen nicht nur für die bevorzugten Personenkreise gegeben werden, sondern insbesondere auch für jung Verheiratete und für solche, die heiraten wollen. Es ist doch nachgewiesen, daß gerade das Fehlen des Wohnraums in vielfacher Hinsicht an den vielen Ehescheidungen ({0}) schuld ist. Es ist deswegen eine Aufgabe des Staates, eine Aufgabe des Bundes, an der sicherlich der ganze Bundestag teilnimmt, gerade hier einmal nach dem Rechten zu sehen und Mittel und Wege zu suchen, insbesondere auch durch Bereitstellung von Baudarlehen und von Darlehen zum Ausbau von Wohnungen, diesem Personenkreis jene Unterstützung zuteil werden zu lassen, die er als die Grundlage des Staates, als das Volk von morgen, ansieht. Ich möchte deswegen die Regierung und insbesondere die einzelnen Ministerien, die dafür zuständig sind, bitten, dem Gedanken der Unterbringung dieser Personen mehr Rechnung zu tragen, als es bisher geschehen ist. Die einzelnen Gemeinden sind dazu von sich aus nicht in der Lage; sie können dieses Problem nur lösen, wenn nicht von vornherein alle Wohnungen zweckgebunden sind. Als wir letzthin in meiner Gemeinde zwölf Wohnungen eines Hauses vergeben haben, waren ganze zwei Wohnungen für die Einheimischen frei, während zehn Wohnungen zweckgebunden waren. Dies muß auch der Bundesregierung zu denken geben. Meine Damen und Herren, es wird Gelegenheit sein, in den Ausschüssen über alle diese Fragen - es sind ja noch weit mehr - zu beraten und den Gesetzentwurf auszubauen. Ich möchte namens meiner Fraktion bitten, den Gesetzentwurf dem Ausschuß für innere Verwaltung federführend und daneben dem Ausschuß für Kommunalpolitik zur Mitberatung zu überweisen.

Dr. Hermann Ehlers (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11000438

Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.

Käte Strobel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Herren und Damen! Es ist höchste Zeit, daß dem Bundestag ein Gesetz vorgelegt wird, das den Evakuierten, besser gesagt, den einheimischen Heimatvertriebenen, die Gleichstellung mit den Heimatvertriebenen aus dem Osten gibt. Dieses Gesetz muß auch noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden. Dieses Problem berührt ein ganz besonders trauriges Kapitel menschlichen Leids der Kriegs- und Nachkriegsjahre. Unwillkürlich ist man veranlaßt, an den Bombenkrieg und seine Folgen und an jene furchtbaren Tage und Nächte zu denken. ({0}) Es handelt sich hier in besonderem Maße um Menschen, die schon während des Krieges als erste auf der Landstraße gewesen sind. Diejenigen unter uns, die selber aus der Großstadt oder ihrem Heimatland heraus evakuiert worden sind, wissen, wieviel unsägliche Mühe, Plage und Not damit verbunden war. Heute ist es so, daß jene, die noch draußen sind, gerade die schwächsten unter den Evakuierten Sind. ({1}) Diejenigen, die sich aus eigener Kraft nicht haben helfen können, haben zum Teil die Hoffnung und den Glauben an die Gerechtigkeit aufgegeben. Es ist unsere Aufgabe, ihnen mit diesem Gesetz zu beweisen, daß der Deutsche Bundestag ihnen die gleichen Rechte und Möglichkeiten gibt wie allen anderen Geschädigtengruppen. ({2}) In dieser Beziehung bin ich der Meinung, daß die Vorlage der Regierung leider nicht ganz den Forderungen entspricht, die der Bundestag einige Male einstimmig aufgestellt hat. Wenn ich mich recht erinnere, war Gegenstand unserer Beschlüsse immer die Bereitstellung von Mitteln sowohl für die Rückführung und für den Wohnungsbau als auch für soziale Betreuungsmaßnahmen im Zufluchts- wie im Rückkehrort. Ich vermisse in dem uns vorliegenden Gesetz allerdings das, was am allernotwendigsten wäre, die Bereitstellung von Mitteln. Bis jetzt sind die Evakuierten immer wieder vertröstet worden. Wenn nun ein Gesetz speziell für sie gemacht werden soll, dann kann es nicht ausschließlich aus der Anerkennung ihrer Notlage, aus Versprechungen und aus Hinweisen, daß sie bevorzugt zu berücksichtigen sind, bestehen, sondern dann muß man, meine ich, einen Schritt weitergehen und bereit sein, aus Haushaltsmitteln für den Wohnungsbau und für die notwendige soziale Betreuung der Evakuierten etwas Besonderes zu tun. ({3}) Es wird unsere Aufgabe sein, in den Ausschüssen dafür zu sorgen, daß der Gesetzgeber den notwendigen Schritt weiter geht, als die Regierung in ihrem Entwurf gegangen ist. Insofern verdient dieser Gesetzentwurf nicht uneingeschränktes Lob, weil ihm eben eine ganze Anzahl Mängel anhaften. Gestatten Sie mir, besonders zu einigen dieser Mängel Stellung zu nehmen. Es genügt einfach nicht, zu sagen: Die Evakuierten sind „bevorzugt" an Arbeitsplätze zu vermitteln; denn wir wissen, daß diese Forderung für andere Geschädigtengruppen in einer Reihe von Gesetzen bereits verankert ist. Wie soll dann die ausführende Behörde eigentlich die Frage der Reihenfolge usw. entscheiden, wenn die gesetzlichen Handhaben und Hinweise immer nur so lapidar sind? Darüber hinaus ist es auch nicht damit getan, daß man sagt: Die Betreuungsmaßnahmen können erst in Kraft treten, wenn die Rückführung erfolgt ist. Bitte, denken Sie einmal daran, daß sich der größere Teil der Evakuierten, die heute noch fern ihrer Heimat auf dem Lande leben müssen, aus Witwen mit Kindern und aus alten Leuten mit Enkeln zusammensetzt, vielfach jungen Menschen, deren Berufsvorbildung und Berufsausbildung durch die Evakuierung eben ungeheuer gelitten hat und noch leidet! Wenn man diese Leute vertrösten will, bis sie zurückgekehrt sind, dann sind die jungen Menschen teilweise über das Alter der Berufsausbildung hinaus. Man muß den jungen Leuten heut e in ihrer gegenwärtigen Situation eine Berufsausbildung geben, man muß die alten Leute heute betreuen und unterstützen. Ich darf auch darauf aufmerksam machen, daß ein Großteil der Evakuierten aus der gegenwärtigen Sowjetzone stammt. Diese Menschen haben zumindest zunächst keine Möglichkeit, in ihre ursprüngliche Heimat zurückzukehren. Sollen sie nun deswegen auch auf alle Betreuungsmaßnahmen verzichten müssen, weil ihr Schicksal sowieso schon unerträglicher und unangenehmer ist als das der anderen? Es ist notwendig, daß man das Gesetz in dieser Beziehung sehr stark verbessert. Ein weiterer Mangel des Gesetzes ist, daß man sich in entscheidenden Fragen auf Rechtsverordnungen zurückzieht. Wir kennen ja die Zeit, die das Parlament und seine Ausschüsse brauchen, um ein gutes Gesetz zustandezubringen. Wenn man sich dann noch in wichtigen Fragen, wie z. B. in den Fragen der Einbeziehung der Sowjetzonen({4}) evakuierten in die Maßnahmen des Gesetzes, auf künftige Rechtsverordnungen bezieht, dann bedeutet das nur, daß diese Menschen wieder warten, warten und warten sollen und letzten Endes gerade noch so am Rande irgendwie zurechtkommen sollen. Es handelt sich doch um Menschen, die einen langen Leidensweg hinter sich haben. Teilweise sind sie seit zehn und mehr Jahren vom Heimatort getrennt. Sie haben in ihrem gegenwärtigen Wohnort keine oder nur sehr wenig Arbeitsmöglichkeiten. Zum größeren Teil haben sie schon vor zehn Jahren Hab und Gut verloren. Sie haben vielleicht ihre liebsten und vom Ernährungsstandpunkt her wichtigsten Angehörigen verloren oder sie leben unter den besonders schwierigen Verhältnissen, die die Verkehrslage mit sich bringt. Der Herr Bundesinnenminister hat bereits die Situation der Pendler angesprochen. Gerade in den Fällen, in denen der Mann in der Großstadt arbeitet und seine Familie, seine Frau mit den Kindern weitab von seiner Arbeitsstätte auf dem Lande leben muß, ist schon die materielle Lage dieser Familien wesentlich schwerer, aber daraus entsteht auch manche Gefährdung für den Bestand der Familien, für die Erziehung der Kinder usw. ({5}) Die mangelhafte Unterbringung der Evakuierten kann man sicher niemandem zum Vorwurf machen. Aber wir müssen doch bei einem solchen Gesetz daran denken, daß eben das Leben auf dem Lande - bitte, ich habe es selber einige Jahre mitgemacht - in Notunterkünften, in denen man weder Wasser noch elektrisches Licht hat, den Lebensgewohnheiten der Großstädter in keiner Weise entspricht. Die alten Leute, die ein Leben lang in der Großstadt tätig waren, die nun draußen sitzen und nicht sehen, daß man sich wirklich ernsthaft bemüht, sie in ihre Heimat zurückzuführen, haben heute teilweise Angst, daß sie ihre Rückkehr nicht mehr erleben. Wenn wir nun lediglich im Rahmen der bereits bestehenden Mittelvergabe für den Wohnungsbau, die ja, wie hier bereits gesagt worden ist, zum größten Teil schon zweckgebunden ist, den Evakuierten versprechen, daß sie bevorzugt in Wohnungen vermittelt werden, dann ist ihnen damit eben nicht gedient, wenn wir nicht gleichzeitig entsprechende Mittel bereitstellen, die den betroffenen Rückkehrgemeinden die Möglichkeit des zusätzlichen Wohnungsbaus geben. Denn es gibt in der Bundesrepublik gewisse Schwerpunkte, so z. B. in Nordrhein-Westfalen oder in Bayern, in Niedersachsen, in Hamburg usw.; von dem allgemein menschlichen und seelischen Problem, das diese ganze Frage beinhaltet, gar nicht zu sprechen. Die Lebensbedingungen der Evakuierten sind zum Teil mindestens genau so schlecht wie die der Heimatvertriebenen, oft noch schlechter. Aber denken wir bitte auch daran, daß es für die Evakuierten ja möglich wäre, in ihre Heimat zurückzukehren, weil ihre Heimat die Bundesrepublik ist. Obwohl es also keinen politischen Hinderungsgrund dafür gibt, leben sie heute noch draußen, fühlen sich verlassen und vergessen, und ich habe den Eindruck, manchmal sind sie es auch. Um so notwendiger ist es, daß man in diesem Gesetz nicht nur schöne Dinge verspricht, nicht nur schöne Worte findet, sondern auch tatsächlich dafür sorgt, daß nicht nur die Rückführung, sondern auch die soziale Betreuung im gleichen Maße durchgeführt wird wie bei allen anderen Geschädigtengruppen. Im einzelnen darf ich zum Gesetz sagen, daß sich nach unserer Auffassung die Anerkennung als Evakuierte auf alle erstrecken muß, nicht nur auf diejenigen, die auf behördliche Anordnung die Heimat verlassen haben, sondern auch auf jene, die aus eigenem Entschluß gegangen sind, um sich und ihre Kinder vor den Auswirkungen des Bombenkrieges zu schützen, die also praktisch vor dem Tod davongelaufen sind. Auch daß man im Gesetz die Evakuierung nach dem 8. Mai 1945 und aus dem ehemaligen Reichsgebiet nur zusätzlich durch eine Rechtsverordnung anerkennen will, scheint uns der tatsächlichen Lage nicht gerecht zu werden. Im Gesetz ist auch nur vorgesehen, daß eine Rückführung an einen anderen als den ursprünglichen Heimatort nur dann möglich ist, wenn der Evakuierte dort einen Arbeitsplatz gefunden hat. Mir erscheint die Zusammenführung der Familien im Rahmen der Rückführung mindestens genau so notwendig. All den alten Leuten, die ihre Kinder irgendwo in einer Großstadt leben haben und die zu ihren Kindern ziehen wollen, muß man die Möglichkeit geben, auch für ihre Rückführung die Vorteile des Evakuiertengesetzes in Anspruch zu nehmen. ({6}) Darüber hinaus sind wir durchaus der Meinung, daß die Rückkehr nur eine freiwillige sein kann, daß aber ein Rechtsanspruch aller Evakuierten, die aus kriegsbedingten Gründen ihre Heimat verlassen haben, auf die Rückführung verankert werden muß. Nun zur Kostenfrage. Nach dem Gesetz sollen die Kosten für die Rückführung von den Ländern getragen werden, soweit es den Evakuierten nicht zumutbar ist, sie selbst zu tragen. Wir wissen aus der Praxis, daß der Begriff der „Zumutbarkeit" zu sehr vielen Schwierigkeiten Anlaß gegeben hat. Die Zumutbarkeit wird eben in verschiedenen, mehr oder weniger leistungsfähigen Gebieten verschieden ausgelegt. Das Land Nordrhein-Westfalen wird auf diesem Gebiet mehr tun können als die an und für sich schon als Flüchtlingsländer bekannten Länder wie Bayern, Niedersachsen usw. Uns erscheint es dringend notwendig, daß die Rückführungskosten vom Bund übernommen werden, und zwar möglichst für alle Evakuierten. Denn die Evakuierung ist eine Kriegsfolge; infolgedessen ist der Bund für die Kosten der Rückführung zuständig, und zwar nicht nur für die Rückführung von Land zu Land, sondern auch für die Rückführung innerhalb eines Landes. In Bayern z. B. befinden sich die meisten Evakuierten aus den Großstädten und den zerbombten Städten wie Nürnberg, Würzburg, München usw. im eigenen Lande. Es ist einfach unmöglich, in einem solchen Falle dem Lande die Rückführungskosten aufzuerlegen; schließlich kann ja das Land nicht dafür, in welchen Gebieten die Evakuierung besonders notwendig war und in welchen weniger. Man muß auch einmal daran denken, daß die Leistungsfähigen inzwischen zurückgekehrt sind und daß es sich bei den noch draußen Lebenden in erster Linie um sozial Schwache handelt. Ich stimme mit dem Herrn Minister vollkommen darin überein, habe aber leider im Gesetz die Verankerung dafür nicht gefunden, daß die Heimatgemeinden verpflichtet werden müssen, vor allen Dingen auch die alten Leute in ihre Heimat zurückzunehmen. Aus Erfahrung wissen wir, daß die Heimatgemeinden in erster Linie an den Arbeitsfähigen interessiert sind, an denjenigen, die keine ({7}) großen Kosten verursachen. Es liegt uns aber sehr daran, auch die alten Leute sehr rasch in ihre Heimat zurückzuführen. Wie wir festgestellt haben, ist der Anteil der alten Leute an der Gesamtzahl der Evakuierten besonders groß. So sind allein von den Nürnberger Evakuierten, die heute noch draußen sind und zurück wollen, über 15 Prozent über 65 Jahre alt. Wenn wir zu Versammlungen draußen sind, passiert es uns ja allen, daß wir ehemaligen Bürgern unserer Heimatstädte begegnen, und wir wissen, wie sehr sie sich nach der Rückkehr in ihre Heimatstadt sehnen. 31 Prozent - außer den erwähnten 15 Prozent - sind über 50 Jahre alt, also Menschen, die gewissermaßen der besonderen Fürsorge bedürfen. Wir hätten es sehr begrüßt, wenn man im Gesetz besondere Mittel für den Bau von Altersheimen in den Heimatgemeinden nach sogenannten Schwerpunkten zur Verfügung gestellt hätte, und wir werden im Ausschuß darauf hinarbeiten, daß es geschieht. Die Wohnraumbeschaffung ist, wie hier schon gesagt wurde, das Kernstück dieses Gesetzes. Nun hat aber der Bundesrat, soviel ich gesehen habe, beantragt, daß das wenige, was die Bundesregierung für die Beschaffung von Wohnraum vorgesehen hatte, auch noch gestrichen wird und diese Frage im Wege einer Rechtsverordnung geregelt werden soll. Dann bleibt überhaupt nichts mehr übrig. Deshalb noch einmal die Forderung, Haushaltsmittel zweckgebunden für den Wohnungsbau für Evakuierte, für die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen, für die Schaffung von Lehrstellen bereitzustellen. Im Gesetz ist zwar bestimmt, daß man Anspruch darauf hat; aber es steht nicht darin, von wem die Mittel aufgebracht werden, es steht nicht darin, wieviel Mittel aufgebracht werden sollen, und es steht auch nicht darin, in welchem Zeitraum die Rückführung erfolgen soll. Wir betonen: Es war immer, in allen bisherigen Anträgen und Beschlüssen des Bundestags, unsere übereinstimmende Meinung, daß den Evakuierten durch dieses Gesetz die Gleichberechtigung gesichert werden muß. Das gilt auch in bezug auf steuerliche Maßnahmen, in bezug auf Maßnahmen für die selbständigen Gewerbetreibenden, für die freien Berufe, aber im selben Maße auch für die unselbständigen Arbeitnehmer. Gestatten Sie mir noch ein letztes Wort zu den von der Regierung angeführten Zahlen. In der Begründung dieses Entwurfs ist darauf hingewiesen, daß etwa 300 000 Menschen in der Bundesrepublik heute rückkehrwillig seien. Wir haben erhebliche Zweifel, ob diese Zahlen der Bundesregierung stimmen. Ich habe sie einmal mit den Zahlen verglichen, die meine Heimatstadt Nürnberg, die in der Betreuung der Außenbürger an sich vorbildlich ist, aufgestellt hat. Wir haben festgestellt, daß 26 982 Nürnberger, die heute noch draußen sind, in ihre Heimatstadt zurückkehren wollen, während die Bundesregierung in ihrer Erhebung 10 500 Nürnberger aufgeführt hat, die zurück wollen. Wenn wir diesen Unterschied auf die Gesamtzahl übertragen, dann würden wir auf eine Zahl von 700 000 rückkehrwilligen Personen kommen, die sich heute noch draußen befinden. Es wird also eine sehr rasche und genaue Erhebung notwendig sein, um feststellen zu können, wieviel Mittel benötigt werden, um den Evakuierten zu ihrem Recht zu verhelfen, ihrer Not zu steuern und sie in ihre Heimat zurückzuführen. Ein gutes Evakuiertengesetz ist ohne Zweifel ein Akt der Gerechtigkeit, ein Akt der Solidarität und vor allen Dingen ein Akt der inneren sozialen Befriedung. Wir bitten Sie alle, in diesem Sinne an der Verbesserung des Gesetzentwurfs mitzuarbeiten. Wie schon vorgeschlagen, bitten wir darum, daß der Entwurf dem Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, aber auch dem Haushaltsausschuß und dem Wohnungsausschuß überwiesen wird, damit speziell die Fragen der Wohnraumbeschaffung und der Höhe der bereitzustellenden Mittel in diesen Ausschüssen geprüft werden können. ({8})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Abgeordnete Kunze.

Johannes Kunze (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001259, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, jetzt in der ersten Lesung wie meine Frau Vorrednerin das ganze Gesetz Punkt für Punkt durchzugehen und einer kritischen Beleuchtung zu unterziehen. Es erscheint mir für die erste Lesung zweckmäßig, zu prüfen, inwieweit dieser Gesetzentwurf grundsätzlich den Willen des Hohen Hauses erfüllt, der in den Entschließungen, die wir gelegentlich der Verabschiedung des Lastenausgleichsgesetzes gefaßt haben, zum Ausdruck gekommen ist, und inwieweit er noch einige Grundsatzfragen offenläßt. Es dürfte in diesem Hohen Hause keine Meinungsverschiedenheit darüber bestehen, daß wir unseren evakuierten Mitbürgerinnen und Mitbürgern das Recht auf eine schnelle Rückkehr in die Heimat geben wollen und geben müssen. Ich darf aus der Erfahrung, die wir mit diesen ganzen Problemen gemacht haben, einmal folgendes sagen. In dem Regierungsentwurf ist mit vollem Recht eine ganze Reihe von Fragen der Rechtsverordnung und nicht dem Gesetz zugewiesen worden. Warum? Weil dieses Gesetz nur in engster Fühlungnahme mit den Ländern gemacht werden kann und weil eine Fülle von Fragen der Durchführung im einzelnen noch viel stärker das Zusammenwirken von Bund und Ländern erfordert. Es wurde mit Recht darauf hingewiesen, daß der größte Teil der Evakuierten innerhalb des Landes und nicht in ein anderes Land evakuiert ist. Als während des Krieges und auch in der Nachkriegszeit Evakuierungen stattfinden mußten, hat doch keiner von uns einen Augenblick daran gedacht, daß jemand, der z. B. aus dem heutigen Gebiet von Rheinland-Pfalz in ein anderes Stück Deutschlands evakuiert wurde, sich eines Tages in einem anderen Lande befinden würde. Diese Fragen zwingen uns, bestimmte Entscheidungen der Rechtsverordnung zuzuweisen. Denn ich fürchte, wenn wir alles das, was ich zum großen Teil ebenso wie Sie, Frau Kollegin, anerkenne, in diesem Gesetz unterbringen und noch soundsoviele Ausschüsse mitbeteiligen wollen, wird mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit dieses Gesetz in dieser Legislaturperiode überhaupt nicht mehr zum Zuge kommen. Sie wollen doch bitte daran denken, daß der Bundesrat mit Recht ein ganz besonderes Interesse an diesem Gesetz bekundet. Wir müssen ganz nüchtern ausrechnen, was wir vor Schluß der Legislaturperiode noch fertigbekommen. Es hat keinen Zweck, jetzt lauter Versprechungen mit dem Ziel eines Perfektionismus zu machen, ohne die Überlegung einzuschalten, ob es zeitlich zu schaffen ist. Es wäre das schlimmste, was wir tun könnten, im Ausschuß für innere Verwaltung in gründlichster Arbeit zu versuchen, alles ins Gesetz zu bringen, um die Rechtsverordnung überflüssig zu machen, und dann ({0}) zum Schluß nicht mehr fertigzuwerden und die Evakuierten auf das nächste Parlament vertrösten zu müssen, das vielleicht bis Ende des Jahres oder im Frühjahr des kommenden Jahres in der Lage wäre, die Materie neu zu behandeln und endlich zu verabschieden. Wir sollten hier wirklich einmal großzügig sein und uns von dem Grundsatz leiten lassen: Wer schnell hilft, hilft doppelt. Daß geholfen werden muß, darüber gibt es keine Differenz der Auffassungen. Es dürfte auch keinem Zweifel unterliegen, daß wir uns, nachdem das Vertriebenengesetz verabschiedet worden ist, im besonderen Maße verpflichtet fühlen müssen, nun auch das Evakuiertenproblem anzufassen. Ich möchte den Damen und Herren dieses Hohen Hauses, die die Fragen nicht aus ihrer Tätigkeit unmittelbar kennen, folgendes sagen. Wenn ich den Tausenden von Kölnern, die bei uns oben in OstWestfalen und im Lipper Land sitzen und bei gutem Wetter vom Turm des Hermannsdenkmals aus die Spitzen des Kölner Doms sehen, nicht sagen kann: jetzt schaffen wir für euch die Rückkehrmöglichkeit, habe ich einfach etwas versäumt, was ich ihnen zu tun schuldig war. Es ist unwichtig, ob wir einzelne Formulierungen verbessern. Aber etwas anderes ist von entscheidender Bedeutung: das Problem darf nämlich nicht unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten angefaßt werden, sondern es dreht sich um den lebendigen Menschen. Das muß im Gesetz zum Ausdruck kommen. Meine Vorrednerin hat diese Seite mit Recht angesprochen. Ich darf den Alten, der ohne seine Schuld aus der Heimat evakuiert werden mußte und jetzt nicht mehr arbeitsfähig ist, also vom volkswirtschaftlichen Standpunkt aus nicht an erster Stelle steht, nicht warten lassen, bis er unter der Erde liegt; ich darf ihm nicht Versprechungen machen, von denen ich weiß, daß sie aus zeitlichen Gründen nicht erfüllt werden können. Ich schlage vor, daß man allein den Ausschuß für innere Verwaltung mit der Materie befaßt und ihm anheimstellt, den Haushaltsausschuß, wenn er etwa den Haushalt betreffende Bestimmungen in den Entwurf aufnehmen will, von sich aus um eine Stellungnahme zu bitten. Genau dasselbe gälte in bezug auf den Wohnungsbau hinsichtlich des dafür zuständigen Ausschusses. Wir haben es doch bei einem anderen Gesetz erlebt, wie lange die Beratungen gedauert haben, zumal die Ausschüsse zu spät mit der Materie befaßt worden sind. Wenn wir aber jetzt einen Beschluß fassen, wie wir es beim Lastenausgleichsgesetz getan haben, zwingen wir den Vorsitzenden des Ausschusses für Angelegenheiten der inneren Verwaltung, von Fall zu Fall die entsprechenden Ausschüsse zuzuziehen. Auf diese Weise geht die Arbeit schneller vor sich. Ich habe die große Sorge, daß dieses wichtige Gesetz nicht fertig wird, bevor wir auseinandergehen. Wenn wir ein Gesetz bekommen, das in den Vermittlungsausschuß geht, und wir bis zur Neuwahl nicht mehr zusammenkommen, wird eben die Verabschiedung des Gesetzes vertagt. Ich wäre deshalb dankbar, wenn das Plenum meinen Antrag annähme und die Ausschußüberweisung in dieser Form beschlösse. ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat der Abgeordnete Dr. Nöll von der Nahmer.

Not found (Mitglied des Bundestages)

, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Bei dem vorliegenden Gesetzentwurf ist eine Tatsache, so scheint es mir, beruhigend: In der Begründung zu dem Gesetz wird auf eine Statistik von 1951 Bezug genommen. Ich glaube, Frau Kollegin Strobel, man kann bei der Auswertung dieser Statistik nicht von der Kopfzahl ausgehen, sondern muß die Haushaltungen als solche zugrunde legen, weil uns ja die Haushaltungen vor allem auch wohnungsmäßig belasten. Nach dieser Statistik haben sich 1951 109 000 Haushaltungen gemeldet, die eine Rückführung wünschten. Auch ich bin Ihrer Ansicht, und zwar auf Grund von Informationen, die mir von einem sachverständigen Verband gegeben wurden, daß sich 1951 tatsächlich nicht alle Familien gemeldet haben, weil sie mißtrauisch waren, ob diese Meldung wirklich Sinn hätte und ob wirklich etwas geschehen würde. Ebenso wie Sie, Frau Kollegin Strobel, bin ich also der Ansicht, daß die effektive Ziffer höher liegen wird. Wenn das Gesetz herauskommt, werden sich trotz der inzwischen vergangenen Zeit zweifellos mehr Familien zur Rückführung melden. Aber selbst wenn man hier etwas daraufschlägt, kommt man doch schlimmstenfalls zu einer Ziffer, die einen mit einem gewissen Optimismus erfüllt. Wir können also doch wohl hoffen, daß, wenn allgemein der Wille da ist, sich dieser unglücklichen Evakuierten wirklich tatkräftig anzunehmen, dieses Problem in einer verhältnismäßig kurzen Zeit gelöst werden kann. Sehen wir uns doch einmal die Wohnungsbauziffern an! Gegenüber den Neubauziffern von Wohnungen sind die Evakuierten-Zahlen durchaus nicht erschreckend. Ich darf daran erinnern, daß wir etwa beim Lastenausgleich vor wesentlich größeren Ziffern gestanden haben, und das Problem haben wir auch angepackt. Alles in allem glaube ich also, daß wir hier tatsächlich einmal einen gewissen Optimismus hegen dürfen, vorausgesetzt natürlich, daß der Wille da ist, die Vorschriften dieses Gesetzes in der Praxis nun auch wirklich energisch durchzuführen. Etwas optimistischer als Frau Kollegin Strobel bin ich auch in einem anderen Punkt: Jeder von uns würde es begrüßt haben, wenn besondere finanzielle Mittel für die Durchführung des Gesetzes vorgesehen wären. Leider bestehen hier Grenzen, die wir alle kennen und die zu überwinden leider nicht einfach ist. Trotzdem enthält aber das Gesetz keineswegs nur leere Versprechungen. Mir scheint vielmehr das Wesentliche zu sein, daß jetzt eindeutige Rechtsansprüche auf Rückführung gegeben werden und daß z. B. auch in § 9 - der die Wohnungsfrage regelt und den ich als das Kernstück des Entwurfs ansehe - jetzt eindeutig festgestellt wird, daß die Evakuierten ein entsprechendes Vorzugsrecht auf Berücksichtigung im Rahmen der zur Verfügung stehenden Wohnungen haben. Das ist doch immerhin etwas, was bisher gefehlt hat und worüber sich unsere evakuierten Mitbürger bisher beklagt haben: daß sie durch das Fehlen eines solchen einwandfrei gesetzlich verankerten Anspruchs gegenüber den anderen Geschädigtengruppen benachteiligt gewesen seien! Ich glaube, man kann sich also insofern durchaus mit der Grundtendenz des Gesetzes einverstanden erklären und die Auffassung vertreten, daß das Gesetz nicht nur Versprechungen enthält, sondern doch positive Leistungen bringt. Wir haben etwas Sorge vor der Möglichkeit, daß das Gesetz vielleicht mit Rücksicht auf die Bestim({0}) mungen der §§ 2 und 3 wieder verschiedene Klassen von Evakuierten entstehen lassen könnte. Das möchten wir unbedingt vermieden wissen. Ich bin hier der Auffassung des Herrn Kollegen Kunze: Wir kommen gar nicht darum herum, diese Fragen der Regelung durch Rechtsverordnungen vorzubehalten. Wir können in einem Gesetz diese Fülle von Einzelfällen nicht eindeutig regeln, wenn die Verabschiedung des Entwurfs nicht große Verzögerungen erleiden soll. Ich halte an sich die Vorschrift des § 3 für ausreichend. Auch der Herr Minister hat ja auf diese Probleme hingewiesen. Ich möchte nur noch besonders auf die meines Erachtens beachtlichen Vorschläge aufmerksam machen, die der Bundesrat gerade zur Vermeidung dieser Schwierigkeiten zu § 20 gemacht hat. Auf weitere Einzelheiten möchte ich hier in der ersten Lesung nicht eingehen, nur der Hoffnung Ausdruck geben, daß das Gesetz von den Verwaltungsstellen, die es durchführen sollen, nicht nur mit dem Verstande und nicht nur in Erfüllung einer Amtspflicht, sondern vor allen Dingen mit dem Herzen durchgeführt wird. Hinter diesen Paragraphen stehen schwere menschliche Schicksale. Denken wir doch einmal an das alte Ehepaar, das ein Leben lang in einer Großstadt lebte und nun auf dem Dorfe lebt mit der Aussicht, da das Leben beschließen zu müssen, ohne die Möglichkeit zu haben, jemals etwa in sein geliebtes goldenes Mainz zurückkehren zu können; das sind schon menschliche Tragödien und schwere menschliche Schicksale, die gerade diese Alten getroffen haben! Deshalb begrüßen wir es besonders, daß auch meine Vorredner gerade diese Alten erwähnt haben. Wir sollten im Ausschuß gerade auch die Frage prüfen, was wir für die Sicherung der Rückführung dieser alten Menschen, die oft ein Leben lang gearbeitet und dem Volke etwas geleistet haben, tun können. Abschließend noch ein paar Worte zum weiteren Verfahren: Ich kann mich hier namens meiner Freunde nur dem Antrag von Herrn Kollegen Kunze anschließen. Wir bitten unsere anderen Kollegen um Zurückziehung ihrer weitergehenden Anträge. Es scheint uns völlig ausreichend, wenn der Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung allein zur Beratung dieses Entwurfs bestimmt wird. Wie Herr Kollege Kunze schon sagte, kann ja der Ausschuß für innere Verwaltung notfalls andere Ausschüsse hören, wenn er das für notwendig hält. Das Gesetz scheint mir doch so gut ausgearbeitet zu sein, daß wir eigentlich in Kürze eine Vorlage für die zweite Lesung erwarten dürfen. Hier kommt es vor allem auf Schnelligkeit an! Lieber schnell das Gesetz herausbringen, als durch Mitwirkung von mehreren Ausschüssen, die alle mehr oder minder überlastet sind, die Verabschiedung verzögern! Deswegen die Bitte, daß wir uns mit der Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung begnügen!

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Freiherr von Aretin.

Anton Aretin (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000045, Fraktion: Föderalistische Union (FU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es ist höchste Zeit, daß dieses Gesetz kommt, denn es läuft hier den Tatsachen bereits hinterher und hat noch schwere Mühe, der Wirklichkeit gerecht zu werden. Wir begrüßen es sehr, weil das Los der Evakuierten oft nicht weniger hart war als das der Flüchtlinge. Sie selber bezeichnen sich ja als die ersten Flüchtlinge; es ist hier gegangen wie so oft und wovon es in der Bibel heißt: „Die ersten werden die letzten werden." Die ersten, die von Haus und Hof mußten, wurden die letzten, als es darum ging, ein Gesetz zu ihrem Schutz zu schaffen. Ganz glücklich schien mir auch der Herr Bundesinnenminister nicht zu sein, weil das Gesetz zuwenig konkrete Tatsachen schaffen kann. Bei aller Würdigung dessen, was der Herr Kollege Kunze gesagt hat: etwas muß in dem Gesetz fest verankert werden, und zwar unabdingbar: das sind die konkreten Anhaltspunkte. Es muß darin vorgesehen sein, in welchem Zeitraum die Evakuierten zurückzuführen sind; es muß vorgesehen sein, daß aus dem Fonds des Sozialen Wohnungsbaues ein gewisser Teil für diese Zwecke abgezweigt wird. Was bei Begünstigung eines gewissen Kreises möglich ist, das haben wir bei der Verabschiedung des Flüchtlingsgesetzes gesehen, und wir sollten auch hier im Interesse dieses Kreises das Möglichste tun. Des weiteren müßte die Finanzfrage beachtet werden, weil von den Städten und auch von den Landgemeinden sehr unterschiedliche Leistungen bereits aufgebracht worden sind. Diese Frage wird auch der Ausschuß zu prüfen haben. Im übrigen schließe ich mich der Auffassung des Herrn Kollegen Kunze an und hoffe, daß der Ausschuß für innere Verwaltung aus diesem Gesetz ein festeres Gefüge macht; denn das, was uns heute hier vorgelegt worden ist, war nur eine recht platonische Liebeserklärung. ({0})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Gundelach.

Gustav Gundelach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000752, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Damen und Herren! Von allen Vorrednern ist zum Ausdruck gebracht worden, daß ,es auf schnelle Hilfe ankommt, und einer der Vorredner hat gesagt: Schnelle Hilfe ist doppelt Hilfe. Dieser Meinung sind auch wir Kommunisten. Sieht man sich das vorliegende Gesetz einmal näher an, dann kommt man allerdings zu der Feststellung, daß es sich mehr oder weniger um allgemeine Bestimmungen handelt, keineswegs aber um gesetzliche Maßnahmen, durch die die weit über 300 000 Personen, die dem Personenkreis der Evakuierten angehören, ein Recht erhalten, innerhalb einer festgesetzten Frist nach ihrem früheren Wohnort zurückzukehren. Denn alles, was hier heute abend zum Ausdruck gebracht worden ist, ist doch auf sehr, sehr lange Sicht abgestellt und nicht auf eine Lösung, auf Grund deren der Evakuierte damit rechnen kann, daß er in einer schon absehbaren Zeit in seinen früheren Wohnort zurückkommt. Was kann z. B. der Evakuierte mit dem Rechtsanspruch auf Zurückführung anfangen, wenn in der Begründung unter Ziffer I 4 folgendes gesagt wird: Auf die Rückkehr war ein Rechtsanspruch zu geben. Jedoch mußte die Verwirklichung des Anspruches von dem Vorhandensein von Wohnraum abhängig gemacht werden.... Eine andere Regelung würde - so heißt es hier praktisch undurchführbar sein. Nun, meine Damen und Herren, damit gibt man doch ganz offen zu, daß sehr viele der Evakuierten, und zwar jener Kreis der Älteren, überhaupt nicht mehr damit rechnen dürfen, noch vor ihrem Le({0}) b ens ende einmal in ihren früheren Wohnort zurückzukommen. Die Befürworter des Gesetzes werden fragen: Wie anders soll man es denn machen? Dazu ist von unserem Standpunkt aus folgendes zu sagen: Soll ein Evakuiertengesetz wirksam sein, dann muß darin die Verpflichtung für Bund und Länder enthalten sein, die Rückführung der Evakuierten bis zu einem bestimmten Termin durchzuführen. Dementsprechend müßten in einem solchen Gesetz auch die Maßnahmen für die Wohnraumbeschaffung enthalten sein. Davon ist hier aber mit keinem Wort die Rede. Nur ganz allgemeine Bestimmungen. Die Regierung denkt an eine solche Regelung auch deshalb nicht, weil sie gar nicht bereit ist, für die Erstellung des erforderlichen Wohnraums in kürzester Frist die notwendigen Gelder zur Verfügung zu stellen. Die Regierung argumentiert so: Die Evakuierten dürfen keine Sonderstellung gegenüber den Flüchtlingen und Ausgebombten einnehmen. Sie tut aber nichts Entscheidendes, um dem genannten Personenkreis insgesamt menschenwürdigen Wohnraum und eine Existenz zu sichern. Niemand in diesem Hause kann behaupten, daß diese Frage in den acht Jahren seit Beendigung des Krieges nicht hätte gelöst werden können. Bedenken wir nur die vielen Milliarden, die in diesen Jahren unnötig für die Besatzungskosten ausgegeben worden sind! Bedenken wir nur die weitere Tatsache, daß in Verbindung mit dem Generalvertrag und dem EVG-Vertrag in den nächsten Jahren Dutzende von Milliarden erforderlich sind! Hier sind die Geldquellen vorhanden, mit denen man den erforderlichen Wohnraum im Bundesgebiet hätte erstellen können und auch in der Zukunft noch erstellen kann. ({1}) Dafür haben aber diese Regierung und die hinter ihr stehenden Parteien kein Geld. Wir Kommunisten sagen deshalb den Evakuierten und den Flüchtlingen wie den Ausgebombten: Eine Regierung, die eine solche gegen die Interessen des Volkes gerichtete Politik betreibt, ist nicht willens und auch nicht fähig, die Opfer des verbrecherischen Hitlerkrieges aus ihrer Not und ihrem Elend zu befreien. ({2}) Ja, das wage ich zu sagen, weil ich ein Recht dazu habe, das zu sagen. Fragen Sie einmal in Ihren Reihen, wer mitschuldig ist an diesen Zuständen, dann bekommen Sie ein wahres Bild! ({3}) Der vorliegende Gesetzentwurf enthält nichts als allgemeine Bestimmungen. Das muß noch einmal zum Ausdruck gebracht werden. Es sind keine bindenden Verpflichtungen für Bund und Länder darin enthalten, die den Evakuierten die Rückkehr in ihre frühere Wohngemeinde in einer festgesetzten Frist garantieren. Das aber ist die Frage, die die Evakuierten beantwortet wissen wollen. Der vorliegende Gesetzentwurf gibt darauf keine Antwort, wie ich festgestellt habe, und entspricht aus diesem Grunde in keiner Weise den berechtigten Forderungen der Evakuierten. ({4})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Frau Abgeordnete Strobel.

Käte Strobel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002272, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Herren und Damen! Wir freuen uns über das Versprechen, schnell und doppelt zu geben. Wir hoffen nur, daß dieses Versprechen bei der dritten Lesung dann auch tatsächlich gehalten wird. ({0}) Unsere Bitte, sofort den Haushaltsausschuß zuzuziehen, beruhte darauf, daß wir die Bereitstellung von Mitteln aus dem Haushalt für notwendig halten, und außerdem auf der Erfahrung, daß das Heimatvertriebenengesetz, als es im Sonderausschuß bereits fertig war, dadurch aufgehalten worden ist, daß es dann eben erst noch in verschiedene Ausschüsse gehen mußte. Nun, wir sind bereit, alles zu tun, um diese Hindernisse zu beseitigen. Wir sind damit einverstanden, daß das Gesetz zunächst nur in den Ausschuß für innere Verwaltung geht, bitten aber dann darum, mit uns im Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung dafür zu sorgen, daß sofort beim Auftauchen der Notwendigkeit, den Haushaltsausschuß und den Wohnungsbauausschuß zu Rate zu ziehen, das auch tatsächlich geschieht. Wir sind genau wie Sie daran interessiert, daß dieses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet wird. Wir müßten uns ja vor unseren einheimischen Heimatvertriebenen schämen, wenn wir jetzt, nachdem dieses Gesetz leider erst nach dreieinhalb Jahren vorgelegt wird, nun auch noch zögerten, es zu verabschieden. Aber wir halten es für notwendig, daß ein gutes Gesetz herauskommt. Die Evakuierten haben dreieinhalb Jahre gewartet; jetzt warten sie lieber, glaube ich, noch vierzehn Tage länger und bekommen tatsächlich Hilfe statt nur Versprechungen! ({1})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Die Rednerliste ist erschöpft. Damit ist die Aussprache geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung. Es ist die Überweisung an den Ausschuß für Angelegenheiten der inneren Verwaltung beantragt. - Dem wird nicht widersprochen. Ich darf also die Zustimmung des Hauses annehmen. Im Laufe der Debatte war dann noch die Überweisung an den Ausschuß für Kommunalpolitik beantragt worden. ({0}) - Das wird nicht unterstützt. Ich darf also infolgedessen feststellen, daß das Haus beschlossen hat, diesen Antrag auf Überweisung an den Ausschuß für Kommunalpolitik abzulehnen. Damit ist dieser Punkt der Tagesordnung erledigt. Wir kommen zu Punkt 6 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Fragen der Jugendfürsorge ({1}) über den Antrag der Fraktion der CDU/CSU betreffend Hilfe für die sittlich gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms ({2}). Für die Debatte hat der Ältestenrat eine Gesamtredezeit von 40 Minuten vorgesehen. Ich nehme Ihre Zustimmung dazu an. Das Wort zur Berichterstattung hat Herr Abgeordneter Hübner. Hübner ({3}), Berichterstatter: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Ausschuß für Fra({4}) gen der Jugendfürsorge hat sich mit dem Antrag Drucksache Nr. 3691 der CDU/CSU betreffend Hilfe für die sittlich gefährdete Jugend in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms in mehreren Sitzungen beschäftigt. Er hat sich am 12. und 13. November 1952 an Ort und Steile einen Eindruck von den vorliegenden Zuständen verschafft und in Aussprachen mit den Vertretern der Regierung des Landes Rheinland-Pfalz und der Gemeinden sowie der Justiz und der Kirche die Ursachen der außergewöhnlichen Gefährdung der Jugend in diesem Raum erörtert und die Lösungsmöglichkeiten zur Behebung der Mißstände beraten. Der Ausschuß hat sich dabei von einer ihn mit Bestürzung erfüllenden Situation der Jugend in diesen Gebieten überzeugen müssen. Diese Situation ist dadurch ausgelöst worden, daß die zum Teil kleinen Landstädte und Landgemeinden durch umfangreiche Einrichtungen der Besatzungsmächte und durch die damit verbundene Verpflanzung einer großen Anzahl von Arbeitskräften und Besatzungsangehörigen in diese Ortschaften in eine völlig neue Lebenssphäre hineingerissen worden sind. Aber auch größere Städte, wie z. B. Kaiserslautern, blieben naturgemäß von dieser Entwicklung nicht verschont. Die nachteiligen Auswirkungen dieser Entwicklung beruhen auf der Bereitschaft eines Teiles der Besatzungsangehörigen und ihrer Arbeitskräfte, für ihren persönlichen Lebensgenuß außerordentlich hohe Mittel aufzuwenden und mit diesen Mitteln Bedürfnisse zu befriedigen, die eine schwere Schädigung der Moral der Bevölkerung zur Folge haben. Die ernsteste Gefahr liegt aber darin, daß der Jugend diese Vorgänge nicht nur nicht verborgen bleiben, sondern zum Teil zweckbewußt an sie herangetragen werden mit dem Ergebnis, daß ein Teil der Jugend in ungewöhnlich frühen Jahren einem lasterhaften Lebenswandel verfällt. Diese in einzelnen Vorkommnissen weit eindrucksvoller zur Darstellung zu bringenden Zustände finden aber auch in Zahlenangaben ihre eindringliche Spiegelung. Einige Zahlenangaben mögen deshalb für die Situation Zeugnis ablegen. Die Bevölkerung einer kleinen Stadt mit 2000 Einwohnern ist beispielsweise etwa um das Zehnfache der Einwohnerzahl durch Besatzungsangehörige und Arbeitskräfte vermehrt worden. 343 einheimische Frauen sind hier bei den Besatzungsmächten beschäftigt und lassen infolge Fehlens von Betreuungseinrichtungen 131 Kinder unter 14 Jahren uribetreut zurück. ({5}) Dieser Ort zählt u. a. 30 registrierte Dirnen. Anfang des Jahres 1952 wurden aber 300 gezählt, die sich inzwischen zum größten Teil auf die kleinen Dörfer der Umgebung zurückgezogen haben. Viel gefährlicher grassiert jedoch die heimliche Prostitution. Eine beträchtliche Anzahl fremder Frauen hat sich hier wie auch in anderen Orten unter bereitwilliger Zahlung hoher Preise für möblierte Zimmer niedergelassen und treibt, vielfach unter den Augen der einheimischen Jugendlichen, ihr Unwesen. In einem Dorf mit 750 Einwohnern ist eine Bar eingerichtet worden, in der bei Razzien mehrfach 14- bis 17jährige Mädchen festgestellt worden sind. In einer anderen Stadt mit 2000 Einwohnern liegen die Verhältnisse ähnlich. Hier sind 124 Dirnen registriert. In einer mittleren Stadt betrug die Zahl der unehelich geborenen Kinder im Oktober 1952 22, während in allen Jahren vorher jährlich nur 90 gezählt wurden. In einer größeren Stadt mußten ' im letzten Jahre 28 Mädchen zwischen 15 und 18 Jahren wegen Schwangerschaft aus der Berufsschule entlassen werden. Alle diese Angaben ließen sich noch durch drastischere Beispiele ergänzen. Der Gesamteindruck wird höchstens dadurch in seinen Erscheinungsformen, nicht aber in seinem Umfange gemildert, daß es sich hier um Gefahren handelt, von denen die Großstädte, wenn auch in einem anderen Rahmen, schon immer bedroht waren. Der grundlegende Unterschied liegt aber darin, daß die Großstädte Schutzeinrichtungen besitzen, mit denen sie diese Gefahren auffangen und neutralisieren können. Derartige Schutzeinrichtungen fehlen aber in den kleinen Städten, von denen hier die Rede ist, völlig. Der Ausschuß ist aus den dargelegten Gründen der einmütigen Auffassung, daß der Bund sehr schnell und mit ausreichenden Mitteln den Schutz der Jugend in diesen Gebieten unterstützen muß. Die aus eigener Kraft getroffenen Maßnahmen des Landes Rheinland-Pfalz und der Gemeinden reichen nicht aus. Dabei darf auch nicht übersehen werden, daß es sich bei den Mißständen um Entwicklungen handelt, die in ihren Ursachen über die Verantwortung eines einzelnen Landes hinausgehen und schon damit eine Hilfe des Bundes rechtfertigen. Der Ausschuß sieht die dringlichste Aufgabe darin, die unbetreute und schlecht betreute Jugend von der Straße und den üblen Eindrücken fernzuhalten, denen sie durch verantwortungslose Erwachsene unterliegt. Hierzu ist die beschleunigte Schaffung von Kindergärten, Kindertagesstätten, Jugendheimen, Jugendwohnheimen und die Einrichtung von Jugendbüchereien nötig. Die Finanzierung dieser dringlichen Vorhaben kann zu einem erheblichen Teil durch Eigenfinanzierung der vorgesehenen Träger der Heime durchgeführt werden. Diese Organe sind gewillt, rund 1,2 Millionen für Heime bereitzustellen, wenn der Bund für den gleichen Zweck 2,5 Millionen zuschießt, von denen jedoch 33 000 DM für die Einrichtung der Jugendbüchereien abgezweigt werden sollen. Der Herr Bundesinnenminister hat sich zur Beschleunigung der Hilfeleistung mit einer Bereitstellung der Mittel in Höhe von 2 Millionen DM über den vierten Bundesjugendplan 1953/54 einverstanden erklärt. Der Ausschuß ist mit dieser Bereitstellung nur unter der Voraussetzung einverstanden, daß der Bundesjugendplan mit diesen Aufwendungen nicht im Rahmen des ursprünglichen Betrages belastet wird. Der Haushaltsausschuß hat dieser Auffassung inzwischen durch Verstärkung der Mittel dankenswerterweise Rechnung getragen. ({6}) Neben diesen Maßnahmen wird das Land Rheinland-Pfalz noch eine Verstärkung der Polizei und der Kräfte für die Jugendpflege durchführen müssen. Außerdem aber wird es nützlich sein, die Organe der Justiz zu einer schnellen und energischen Behandlung aller Strafrechtsfälle anzuhalten, die in den Bereich der geschilderten Mißstände fallen. Schließlich werden alle für die Abwendung der Mißstände zu treffenden Maßnahmen koordiniert werden müssen. Diese Maßnahmen werden aber nur dann zum Erfolg führen, wenn auch die Besatzungsmächte durch Einwirkung auf die ihnen unterstellten Kräfte den Mißständen energisch entgegentreten. ({7}) Der Ausschuß schlägt dem Hohen Hause einstimmig die Annahme des Ausschußbeschlusses gemäß Druckache Nr. 4191 vor. Ich darf hierzu bemerken, daß der Punkt 2 dieser Drucksache insofern einer Änderung bedarf, als es sich nicht mehr um einen Vorgriff handelt, sondern daß wir hier bereits den Bundesjugendplan 1953/54 in Anspruch nehmen. ({8})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Ich danke dem Herrn Berichterstatter. - Wortmeldungen liegen nicht vor. - Doch! Das Wort hat Herr Abgeordneter Jacobs.

Peter Jacobs (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001001, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion stimmt den hier beschlossenen Maßnahmen ausdrücklich zu und knüpft daran die Bitte, es keinesfalls bei diesen Maßnahmen zu belassen. Wenn eben durch den Herrn Berichterstatter auf Zustände in den genannten Kreisen im Lande Rheinland-Pfalz, insbesondere in den Räumen Baumholder, Kaiserslautern, Bitburg und Worms hingewiesen wurde, dann muß ergänzend dazu gesagt werden, daß sich dieser Bericht auf eine Besichtigung stützt, die immerhin einige Zeit zurückliegt, und zu unserem Bedauern muß festgestellt werden, daß sich in der Zwischenzeit die Verhältnisse sehr geändert haben; sie haben sich weiter verschlechtert, auch was die Zahl und das Ausmaß der erneut festzustellenden Gefährdung nicht nur der Jugend, sondern der gesamten Bevölkerung anlangt. Aus Zeitungsnotizen beispielsweise war zu entnehmen, daß sich in Baumholder oder in unmittelbarer Nähe davon in jüngster Zeit sogar eine Zeltstadt aufgetan hat, die von obskuren Elementen der Besatzungsmacht, einer bestimmten Kategorie von Leuten, die dort jetzt ansässig geworden sind, für ganz bestimmte Zwecke zur Verfügung gestellt wurde. ({0}) Ich will hier nicht im einzelnen darauf hinweisen, wie sich die Zustände entwickelt haben, sondern möchte in dem Zusammenhang nur erklären, daß es falsch wäre, dafür eine Besatzungsmacht verantwortlich zu machen. Es ist ganz allgemein die Folge der Tatsache der Zusammenballung von Truppenmassen an irgendwelchen Plätzen, wobei allerdings zum Ausdruck gebracht werden muß, daß der Lebensstandard der jeweiligen Besatzungsmacht und die Möglichkeit, solche Dinge zu forcieren, ein entsprechendes Ausmaß zeitigen. Es gehört ja zu diesen Dingen nicht nur einer, sondern in diesem speziellen Fall sind es drei. Der dritte ist dabei derjenige Teil der Bevölkerung, der sich nicht scheut, um des klingenden Lohnes willen Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Das beweist, daß die Ursachen dieser unmöglichen Verhältnisse umfassender sind, als man es gemeinhin annimmt. Wir möchten aber vor allen Dingen darauf hinweisen, daß sich die sozialdemokratische Fraktion keinesfalls damit einverstanden erklären kann, daß die sogenannten Sofortmittel, die in ihrer Auswirkung als ungenügend zu bezeichnen sind, auf den Bundesjugendplan selbst angerechnet werden können. Wenn feststeht, daß der Haushaltsausschuß die benötigten Mittel bewilligt hat, dann muß unsererseits die Forderung erhoben werden, daß selbst bei der Notwendigkeit, den Bundesjugendplan vorübergehend in Anspruch zu nehmen, eine weitere Erhöhung der benötigten Mittel keinesfalls auf Kosten der Mittel des Bundesjugendplans gehen darf, da der Bundesjugendplan in seiner ganzen Struktur und in dem, was er beabsichtigt, ja etwas anderes verfolgt als die Bereitstellung der Mittel für diesen speziellen Zweck. ({1}) Der Bundesregierung möchten wir in diesem Zusammenhang auch noch sagen, daß ein hochpolitisches Anliegen mit dieser Sache verbunden ist, ein politisches Anliegen, das besonders in diesem Raum seinen Niederschlag gefunden hat. Eine der repräsentativsten, zwar unabhängigen, aber durchaus nicht regierungsfeindlichen Zeitungen des Landes Rheinland-Pfalz hat sich kürzlich in einem Leitartikel mit der Überschrift „negative Grenzlandpolitik", glaube ich, mit Recht darüber beklagt, wie wenig seitens der verantwortlichen Instanzen dieser Tatsache M diesem Gebiet Rechnung getragen wird. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder erlebt und erleben es auch in der Gegenwart, daß die Bevölkerung eines bestimmten Gebiets gegen gewisse Gefahren auch politischer Natur von außen um so immuner wird, je je günstiger der Lebensstandard und die sozialen Verhältnisse des betreffenden Lande sind, während überall dort, wo ein sogenanntes soziales Gefälle zu verzeichnen ist, die Gefahr von der andern Seite außerordentlich groß ist. Ich darf daran erinnern, daß ein Teil der hier genannten Räume, insbesondere Baumholder, in unmittelbarer Nähe des Saargebiets liegt, jenes Teiles unseres Vaterlandes, in dem zur Zeit keine Arbeitslosigkeit und vor allen Dingen keine Jugendarbeitslosigkeit herrscht. Es ist immer wieder erschütternd, festzustellen, daß bei der Beurteilung und bei der Auswertung der Statistik über die Beschäftigung in der Bundesrepublik angesichts einer Zahl von fast 2 Millionen Arbeitslosen so getan wird, als ob es sich da um einen mehr oder weniger nicht behebbaren Schönheitsfehler handle, wobei vergessen wird, daß unter diesen 2 Millionen Arbeitslosen der Prozentsatz der jugendlichen Beschäftigungslosen so außerordentlich groß ist. Gerade die Zahl der jugendlichen Beschäftigungslosen in diesen Räumen ist außerordentlich groß, und es ist falsch, anzunehmen und zu sagen, daß ja für diese Jugendlichen die Möglichkeit bestehe, bei den Besatzungsbauten in diesem Gebiet Arbeit und Brot zu finden. Das ist eben nicht der Fall, weil in der Regel die Firmen, die dort beschäftigt sind, ihr Stammpersonal aus dem ganzen Bundesgebiet heranholen und weil darüber hinaus diese Arbeiten nicht geeignet sind, Jugendlichen eine Beschäftigung zu geben, vor allen Dingen eine Ausbildungsmöglichkeit, die wir als Voraussetzung einer Berufsausbildung betrachten, auf die jeder Jugendliche in der Bundesrepublik eigentlich Anspruch haben müßte. Ich glaube auch berechtigt zu sein, in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, daß dieses Gebiet ein Sammelbecken für diejenigen beklagenswerten Jugendlichen ist, die immer noch aus der Bundesrepublik den Weg in die Fremdenlegion finden. Wir sollten alles tun, um diesen Jugendlichen gerade an dieser Stelle unseres Vaterlandes, an der Grenze, nicht das Gefühl zu geben, mit der Überschreitung der Grenze auf dem Wege in ein ungewisses Schicksal nichts Sonderliches aufzugeben. Deshalb ist es sinnvoll und zweckmäßig, daß die jetzt bereitgestellten Mittel, die dringend einer Erhöhung bedürfen, so verwendet werden, daß sie auch eine konstruktive Auswirkung haben, und nicht nach gewissen Absichten verwendet ({2}) werden, die bei manchen Organisationen bereits ihren Niederschlag in bestimmten Forderungen gefunden haben. Diese Organisationen glauben, mit diesen Mitteln die Möglichkeit zu haben, wiederum billig oder sehr bequem an den Ausbau von gewissen Heimen zu kommen, die dann in mehr oder weniger kurzer Zeit anderen Zwecken zur Verfügung gestellt werden als denen, für die sie eigentlich errichtet werden sollen. ({3}) Wir sind also der Meinung, weil wir die Notwendigkeit, zu diesem Zweck Mittel zur Verfügung zu stellen, bejahen und weil es etatrechtliche Vorschriften im Augenblick wahrscheinlich nicht anders ermöglichen, man sollte dafür vorerst den Bundesjugendplan in Anspruch nehmen. Wir sehen darin keinesfalls eine Endlösung, sondern sind der Ansicht, daß in jedem Fall die weitere Erhöhung der benötigten Mittel über das im Bundesjugendplan festgesetzte Soll hinaus noch bewilligt werden muß. Die sozialdemokratische Fraktion bittet darüber hinaus in der Erkenntnis, daß hier Entscheidendes geschehen muß, und angesichts der Tatsache, daß überall dort, wo Truppenzusammenballungen zu verzeichnen sind, eine solche Gefährdung auftritt, aber auch aus politischen Erwägungen im Hinblick auf die grenzpolitischen Aufgaben, die wir gegenüber der westlichen Seite haben, in Zukunft mehr fördernde Maßnahmen ins Auge zu fassen, vor allen Dingen solche fördernden Maßnahmen, die geeignet sind, einen entscheidenden politischen und moralischen Erfolg zu bewirken. ({4})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Frau Abgeordnete Strohbach.

Gertrud Strohbach (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11002274, Fraktion: Kommunistische Partei Deutschlands (KPD)

Meine Herren und Damen! Was Sie mit dem vorliegenden Ausschußantrag vorschlagen, charakterisiert wieder einmal drastisch die jugendfeindliche Politik der AdenauerRegierung und der Mehrheit dieses Hauses. ({0}) Durch die Schuld der Regierung Adenauer und der hinter ihr stehenden Parteien tummeln sich in Westdeutschland und leider nicht nur in dem schwer heimgesuchten Land Rheinland-Pfalz, sondern auch in allen anderen Ländern immer noch Besatzungssoldaten in solchen Mengen, daß sie längst zur Landplage geworden sind. ({1}) Ihr Auftreten und ihr Betragen in der Öffentlichkeit ist so unerhört, daß man es nur noch als Kulturschande bezeichnen kann. ({2}) - Ja, Ostzone! Diesen Zwischenruf habe ich erwartet. Nach Ihren Gepflogenheiten in diesem Hause ist es ja gar nicht anders anzunehmen, als daß der kommt.. Glauben Sie, daß, wenn drüben in der Deutschen Demokratischen Republik auch nur die Spur dieser Zustände wäre, wie wir sie hier haben, ({3}) alle Zeitungen in der Bundesrepublik davon voll wären! ({4}) Ich mache Ihnen einen Vorschlag. Schicken Sie doch die Kommission hinüber in die Deutsche Demokratische Republik und lassen Sie sie dort feststellen, ({5}) wie es in der DDR in diesen Fragen aussieht. Die Mehrheit dieses Hauses - ({6}) - Herr Wehner, mit Ihnen rede ich über solche Dinge nicht. Entschuldigen Sie, das war nicht Herr Wehner, ich habe den Herrn Kollegen Neubauer mit ihm verwechselt. ({7}) Die Mehrheit dieses Hauses ist aber im Gegensatz zur Mehrheit unseres Volkes gerade dabei, der Bevölkerung den hier bestehenden Zustand für weitere 50 Jahre aufzuzwingen. Sie scheut dabei weder vor Milliardenausgaben aus den Steuergeldern zurück noch vor der Anwendung von Gewaltmaßnahmen und gröblicher Irreführung der Bevölkerung. Nun glauben Sie, die Folgen Ihrer verderblichen Politik der Kriegsvorbereitung auf dem Boden Westdeutschlands aus der Welt schaffen zu können, indem Sie dem Bundesjugendplan 2,5 Millionen Mark entziehen, dem Bundesjugendplan, der ohnedies für die Erfüllung der notwendigen Aufgaben nicht ausreicht, und indem Sie außerdem verstärkte Polizeimaßnahmen in den betroffenen Gebieten durchführen. Erstens reicht das, was Sie hier vorschlagen, nicht zur Behebung der erschütternden Zustände aus, die gerade den Teil unserer Jugend am meisten bedrohen, der unserer Hilfe am meisten bedürfte. Die Jugend in Westdeutschland wird niemals damit einverstanden sein, daß die ohnedies völlig unzureichenden Mittel aus dem Bundesjugendplan praktisch auch noch für Besatzungskosten aufgewendet werden. ({8}) Wir protestieren entschieden gegen eine solche Verwendung dieser Gelder. Außerdem ist die sittliche Gefährdung unserer Jugend damit nicht aus der Welt geschafft, daß man das Übel von der Straße in die sogenannten öffentlichen Häuser verlegt, ({9}) für die nach Gerüchten in der Öffentlichkeit ebenfalls von diesen 2,5 Millionen Mark Gelder verwendet werden sollen, und indem man Jugendliche in Erziehungsanstalten steckt. ({10}) Viele hunderttausend Jungen und Mädel haben in den letzten Jahren weder eine Lehrstelle noch einen anderen Arbeitsplatz gefunden, wenn sie aus der Schule kamen. Dafür hat die Adenauerregierung kein Geld gehabt, weil sie es brauchte, um beispielsweise die berüchtigte Grenzpolizei aufzustellen und andere Maßnahmen der amerikanischen Kriegsvorbereitung auf westdeutschem Boden zu finanzieren. Diese arbeitslosen Jungen und Mädel vor allem werden eine leichte Beute für alle, die ihnen dann auf den verschiedensten dunklen Wegen zu Geld verhelfen. Die Zustände in Baumholder sind eine Anklage gegen die yolks- und ({11}) jugendfeindliche Regierung Adenauer und diejenigen, die ihre Politik mitzuverantworten haben. Wirkliche Hilfe für unsere bedrohte Jugend muß das Übel an der Wurzel packen. Die Besatzungstruppen müssen heraus aus Deutschland. Damit ist die Wurzel des Übels ausgerottet, ({12}) das uns im Gebiet von Baumholder und in ganz Westdeutschland entgegentritt. Dann werden außerdem Milliardensummen frei werden für die so notwendige Errichtung von Lehrwerkstätten für unsere Jugend, für Lehrlingsheime und für solche Jugendhäuser, in denen die Jugend ein wirklich kulturelles Jugendleben entwickeln kann. ({13}) Nur so kann man nach unserer Meinung der Jugend in ganz Westdeutschland wirklich helfen. ({14})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Frau Abgeordnete Dietz.

Maria Dietz (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000390, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Meine Herren und Damen! Es ist ausdrücklich vorgesehen, daß in die Betreuung des Bundesjugendplans auch die Grenzund Notstandsgebiete einbezogen werden. Daß Rheinland-Pfalz Notstandsgebiet geworden ist, insbesondere in bezug auf die sittliche Gefährdung unserer Jugend, davon hat sich jeder überzeugen können, der an unserer Besichtigungsfahrt durch dieses Land teilgenommen hat. Es ist aber auch noch ein anderer Grund, weshalb wir für die Hilfe des Bundesjugendplans dankbar sind. Die Jugend, die wir dort zu betreuen haben, stammt nicht allein aus dem Lande Rheinland-Pfalz, sondern es ist die Jugend aus dem gesamten Bundesgebiet, die hier zusammengekommen ist. ({0}) Zum großen Teil besteht sie neuerdings auch aus jüngeren Flüchtlingen aus der Sowjetzone, die durch die Lager Loccum und Poggenhagen hergekommen sind. ({1}) Es ist anzuerkennen, daß das Land RheinlandPfalz bisher schon wesentliche Beträge eingesetzt hat, um die Fragen der Jugendpflege, des Jugendschutzes und der Jugendfürsorge zu lösen. Aber das Land kann diese Aufgabe nicht allein lösen. Es geht ja hier um Dinge, die uns nicht allein angehen. Was wir ertragen müssen, die Massierung von Arbeitskräften und Militär, die Beschlagnahme von Land, das sind Dinge, die wir nicht für uns ertragen, sondern für das ganze Bundesgebiet und letzten Endes für die gesamte westliche freie Welt. ({2}) Ich möchte noch dankend erwähnen, daß die Stadtund Landkreise des Landes Rheinland-Pfalz gerade ihre Jugendpflegeetats wesentlich erhöht haben, oft um das Zehnfache; und es ist auch einiges geschehen in Rheinland-Pfalz. ({3}) Lassen Sie mich Ihnen sagen, das Jugendasyle und Vorasyle errichtet worden sind, daß Jugendwohnheime - vier ganz eingerichtete - erbaut und 30 Jugendheime erstellt worden sind. Wir haben die Polizei verstärkt, um dem Dirnenunwesen zu begegnen. Wir haben Fürsorger und Fürsorgerinnen in größerer Zahl neu eingestellt. Ich möchte dankbar anerkennen, was auch von seiten anderer Organisationen hier getan worden ist. Ich möchte dafür danken, was die Caritas, was die Innere Mission, was die Arbeiterwohlfahrt, was das Jugendherbergswerk, Jungmännervereine und viele andere Vereinigungen geleistet haben. Ich meine, wir sollten nicht immer nur das sagen, was noch nicht geschehen ist - wir wissen ja alle, daß wir noch am Anfang stehen -; wir sollten uns einmal freuen über das, was bereits geleistet worden ist, und sollten das einmal anerkennen. ({4}) Wir sollten dankbar sein für jede Hand, die uns geboten wird, und sollten uns freuen, daß der Bundesjugendplan um 10 Millionen DM erhöht worden ist, nicht zuletzt, um all den Anforderungen gerecht zü werden, die das Notstandsgebiet Rheinland-Pfalz heute an uns stellt. Wir sollten dankbar sein für jede Hand, die sich uns entgegenstreckt, um das Köstlichste zu hüten, das wir aus den Trümmern der Vergangenheit gerettet haben: unsere Jugend. Ich bitte Sie deshalb, dem Antrag des Jugendausschusses Ihre Zustimmung zu geben. ({5})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor; die Aussprache ist geschlossen. Wir kommen zur Abstimmung über Drucksache Nr. 4191. Ich bitte diejenigen, die dem Antrage des Ausschusses zustimmen, die Hand zu heben. - Gegenprobe! - Enthaltungen? - Gegen wenige Stimmen - ({0}) - Also gut, wenn Sie das wollen: gegen die Stimmen der KPD angenommen. ({1}) Meine Damen und Herren, ich glaube, es empfiehlt sich, wenn wir nach der Tagesordnung verfahren und uns hier nicht in Gespräche auflösen. Punkt 7 der Tagesordnung betreffend Entwurf eines Gesetzes über die Verwaltung der Deutschen Bundespost ({2}) ist abgesetzt. Zu Punkt 8 der Tagesordnung: Beratung des Mündlichen Berichts des Ausschusses für Geschäftsordnung und Immunität ({3}) betreffend Genehmigung zur Haft zwecks Erzwingung der Ableistung des Offenbarungseides gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin gemäß Schreiben der Rechtsanwälte P. Orlowsky und O. H. Leiling, München, vom 27. Dezember 1952 ({4}) ({5}) habe ich mitzuteilen, daß er gegenstandslos geworden ist, nachdem der von den Anwälten gestellte Antrag gegen den Abgeordneten Freiherrn von Aretin zurückgezogen worden ist. ({6}) Ich rufe Punkt 9 der Tagesordnung auf: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU, FDP, DP, FU ({7}) eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Lastenausgleich ({8}). Dazu ist mir von den Antragstellern mitgeteilt worden, daß sie die Absetzung für heute und die Aufsetzung auf die Tagesordnung von morgen wünschen. ({9}) - Der Punkt ist demnach abzusetzen. Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: Beratung des Antrags der Fraktion der SPD betreffend Subventionen für das bundeseigene Kupferschieferbergwerk in Sontra sowie kommunale Erstausstattung für die Gemeinden Sontra, Nentershausen, Rockensüß und Solz ({10}). Das Wort als Antragsteller hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt. Dr. Arndt ({11}), Antragsteller: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Zum dritten Male muß sich dieser Bundestag mit dem Notstandsgebiet Nordhessen beschäftigen, in dessen Raum das Elendsgebiet Sontra ein nach wie vor besonders brennendes Problem ist. Die Verhandlung ist notwendig geworden, weil die Antwort, die Herr Staatssekretär Hartmann mir am 25. Februar in der Fragestunde der 250. Sitzung erteilt hat, lebhafte Beunruhigung unter der Bevölkerung und besonders den Kupferarbeitern in Sontra ausgelöst hat. Es kann nicht zugegeben werden, daß der Kupferbergbau allein aus sozialpolitischen Gründen betrieben würde. Gewiß ist der Betrieb leider zur Zeit sehr unwirtschaftlich, weil der Weltkupferpreis stark gefallen ist und weil in Sontra der Reichenberg-Schacht durch den Wassereinbruch ausgefallen ist. Aber es ist noch nicht lange her, daß im Reichenberg-Schacht Kupfer zu 300 DM Selbstkosten je 100 kg gefördert werden konnte, während der Weltmarktpreis auf 600 DM stand. Wir haben allen Anlaß, sämtliche in Westdeutschland vorhandenen Erzvorkommen zu erschließen, weil die so stark von der Einfuhr aus fremden, teilweise auch kolonialen Ländern abhängige Metalleinfuhr eines . Tages in Schwierigkeiten kommen könnte. Auch wirtschaftliche, nicht zu vergessen devisenpolitische Gründe rechtfertigen also den Kupferbergbau. Unter allen Bergarbeiten in Deutschland - und ich kenne aus eigener Anschauung unter Tage auch die Arbeit vor Kohle und im Kalischacht - ist die im Kupferschieferbergbau weitaus die schwerste. Die Arbeiterschaft will nicht nur sozial unterstützt werden, sondern sie kann und muß den Anspruch erheben, durch redliche Arbeit eine volkswirtschaftlich wichtige Produktion zu leisten. Vor allem ist das Problem unter politischen Gesichtspunkten zu sehen. Selbst Professor Roepke hat zugeben müssen, daß es in der ost-west-geteilten Welt längs der ideologischen Demarkationslinie Gebiete gibt, die dauernd durch „wirtschaftliche Untertemperatur" leiden und denen daher mit grundsätzlich anderen als nur marktwirtschaftlichen Mitteln geholfen werden muß. Wir halten es für notwendig, daß für die Zonengrenzgebiete ein Bundesbevollmächtigter bestellt wird und daß eine umfassende Planung diese Gebiete endlich lebensfähig macht. Jedenfalls gebietet diese politische Situation den Entschluß, ständig den Betrieb des Kupferbergbaus in Sontra zu sichern, da er die fast einzige Existenzgrundlage der Menschen in jenem Raum ist. Ich danke dem Herrn Bundeswirtschaftsminister, daß er sich bisher dieser Einsicht nicht verschlossen hat, und hoffe, daß Bundestag und Bundesregierung die Voranmeldung von 8 412 000 DM an Zuschüssen für das Rechnungsjahr 1953/54 bewilligen. Da diese Voranmeldung auch die Sümpfung der dritten Sohle mit einschließt, gewährleistet diese Bewilligung eine Abbaumöglichkeit für weitere 15 Jahre und mit ihr den Arbeitsplatz für 1430 Mann. Erwägenswert bleibt auch die Finanzierung über den Kupferpreis. Der westdeutsche Kupferverbrauch mit 200 000 t jährlich hat zur Zeit einen Wert von etwa 380 Millionen DM. Würde man die gegenwärtig für Sontra erforderlichen Zuschüsse auf diesen Wert des Gesamtkupferverbrauchs umlegen, beliefe sich die Erhöhung des Kupferpreises nur auf 5 Pf je Kilo, von 3,40 DM auf 3,45 DM. Der Verbraucher könnte eine solche Umlage tragen, wie dies auch bei dem Aufschlag von 2 DM je Tonne Kohle für den Bergarbeiterwohnungsbau an der Ruhr geschieht oder wie es durch den Aluminiumzoll geregelt ist. Ich komme jetzt zu dem zweiten Teil des Antrags. Herr Staatssekretär Hartmann hat es am 25. Februar als noch ungeklärt bezeichnet, ob das Deutsche Reich sich zur kommunalen Erstausstattung an die Gemeinden Sontra, Nentershausen, Cornberg und Solz verpflichtet hat. Vor vier Monaten habe ich selber der Bundesregierung die Unterlagen vorgelegt, die nach meiner Überzeugung einwandfrei beweisen, daß sich das Reich rechtsverbindlich zu dieser Leistung wegen des auf seine Veranlassung eröffneten Kupferbergbaues verpflichtet hat. Eine gesetzliche Regelung nach Art. 134 Abs. 4 des Grundgesetzes braucht nicht abgewartet zu werden, da der mit dem Reich identische Bund den Gemeinden ja kein Geld, sondern Sachleistungen schuldet. Jedenfalls hat Herr Staatssekretär Hartmann anerkannt, daß diese Gemeinden auf Grund des Preußischen Ansiedlungsgesetzes vom Jahre 1904 einen Rechtsanspruch insoweit gegen das bundeseigene Bergbauunternehmen besitzen. Daß gleichwohl Herr Staatssekretär Hartmann am 25. Februar die Weigerung erklärt hat, dem bundeseigenen Bergwerk die zur Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtungen notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen, ja, daß er in seiner Antwort mit dem unmöglichen Gedanken gespielt hat, der Bund könne eine bundeseigene Gesellschaft in Konkurs gehen lassen. anstatt ihr die Regelung öffentlich-rechtlicher Verbindlichkeiten zu ermöglichen, verdient scharfe Zurückweisung. Als der Bund das Bergwerk übernahm, wußte die Bundesregierung, daß diese Rechtspflichten den Siedlungsgemeinden gegenüber bestanden. Kein Betrieb, zu allerletzt aber ein Betrieb des Bundes, kann in einem sozialen Rechtsstaat einen solchen kaltschnäuzigen Standpunkt einnehmen, daß seine Verbundenheit mit der arbeitenden Bevölkerung bei Aushändigung der ({12}) Lohntüte ende, aber die sonst durch das Unternehmen zusätzlich verursachten Aufgaben der Arbeitergemeinden entbehrliche Nebensache seien, für die man keine Verantwortung trage. Der Bund kann die Gemeinden auch nicht an das Land verweisen oder die rechtlich gebotene Pflichterfüllung von freiwilligen Leistungen des Landes abhängig machen. Das Land Hessen hat übrigens bereits durch laufende Zuschüsse diese Gemeinden vor der Zahlungseinstellung bewahrt sowie ersatzlos mehr als 7 Millionen DM in diese Bergwerke investiert. Im inneren Finanzausgleich hat Hessen im letzten Jahr etwa 90 Millionen DM mehr nach Nordhessen gegeben, als von dort Steuern aufgekommen sind. Die Finanzkraft der Länder ist schließlich durch den ständig gestiegenen Bundesanteil an den direkten Steuern empfindlich geschwächt. Ohne daß ihn damals eine gleichartige Rechtspflicht traf, legte der Bund im Falle WatenstedtSalzgitter etwa 20 Millionen DM für die kommunale Erstausstattung vor. Ich verweise auf den Bericht vom 26. Juli 1950 des Ausschusses für Wirtschaftspolitik in der Drucksache Nr. 1220 und die dazu gehörende gedruckte Begründung. Das war ein vorbildliches Beispiel, zu dem dieselben staatspolitischen Gründe Veranlassung gaben, die im Falle Sontra bestehen. Ich will daher gerne hoffen, daß die vielleicht nicht so überlegte Antwort des Herrn Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium nur der Mißgriff eines Augenblicks war; sie steht zu sehr im Widerspruch zu den beträchtlichen Opfern, die der Bund für das Kupferschieferbergwerk Sontra bisher gebracht hat und leider noch bringen muß, die anzuerkennen und für die im Namen der beteiligten Bevölkerung den Dank an den Bundestag und die Bundesregierung auszusprechen mir eine ehrenvolle Pflicht ist. Ich bitte deshalb darum und vertraue darauf, daß in drei Jahresraten auch die Mittel in den Bundeshaushalt eingestellt und zur Auszahlung bewilligt werden, die gebraucht werden, um alsbald die bundeseigene Bergwerksgesellschaft in den Stand zu setzen, ihrer gesetzlichen Pflicht zur kommunalen Erstausstattung der beteiligten Gemeinden nachzukommen. Es handelt sich dabei um einen Betrag von insgesamt 1 898 000 DM, der sich wie folgt aufteilt. Für Sontra sind erforderlich: eine Schule mil 350 000 DM, ein Schulhof mit 30 000 DM, eine Turnhalle mit 150 000 DM, Siedlungsstraßen mit 100 000 DM, Ausbau der Bürgersteige mit 20 000 DM, Kläranlage mit 175 000 DM, Straßenbeleuchtung mit 35 000 DM, Sportplatz mit 10 000 DM und Gemeinschaftshaus mit 50 000 DM. Für Nentershausen sind notwendig: eine Schule mit 200 000 DM, eine Turnhalle mit 116 000 DM, Kläranlage mit 80 000 DM, Straßenbau mit 20 000 DM, Wasser-Ringleitung mit 22 000 DM, Lehrerdienstwohnung mit 50 000 DM. Für Rockensüß, d. h. für die Bergbausiedlung Cornberg, sind notwendig: eine Schule mit 150 000 DM, für Wegebau 60 000 DM, Kanalisation mit 150 000 DM und Bachregulierung mit 80 000 DM. Für Solz ist eine Lehrerdienstwohnung für 50 000 DM notwendig. Aus diesen Gründen bitte ich Sie, dem Antrag der sozialdemokratischen Fraktion in der Drucksache Nr. 4196 Ihre Zustimmung zu geben. ({13})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Zur Aussprache im Rahmen der Gesamtredezeit von 40 Minuten hat das Wort Herr Abgeordneter Sabel.

Anton Sabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, es braucht hier nichts darüber gesagt zu werden, was mit dem Kupferschieferbergbau in Sontra eigentlich los ist. Die Frage ist ja bereits zweimal in diesem Hause behandelt worden. Der Herr Kollege Dr. Arndt hat gesagt, daß die Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Hartmann gelegentlich der Fragestunde vom 25. Februar in der Bevölkerung des Gebiets Sontra Beunruhigung hervorgerufen hätten. Ich bitte Sie, einmal den Bericht über diese Sitzung zur Hand zu nehmen. Sie werden dann feststellen, daß der Herr Staatssekretär Hartmann auf die Frage des Herrn Kollegen Arndt eine sachliche Antwort gegeben und den Tatbestand aufgezeigt hat. Für mich besteht hier wirklich keine Veranlassung, an den Ausführungen des Herrn Staatssekretärs Hartmann Kritik zu üben. ({0}) Ich glaube, es ist notwendig, hier aufzuzeigen, wie es in Sontra steht, um deutlich zu machen, welche gewaltigen Leistungen der Bund bisher zur Aufrechterhaltung des Kupferschieferbergbaus in Sontra erbracht hat. Seit der Übernahme des Kupferschieferbergbaus durch den Bund im August 1951 sind an Subventionen geleistet worden: in dem Teilhaushaltsjahr 1951 fast 2 Millionen DM, im vergangenen Haushaltsjahr 8,7 Millionen DM, und in diesem Haushaltsjahr sind im Etat, im Haushalt des Wirtschaftsministeriums 8,1 Millionen DM vorgesehen. ({1}) Mit dieser Summe ist die Aufrechterhaltung des Betriebs im bisherigen Ausmaß für dieses Haushaltsjahr sichergestellt. Damit ist an sich der Antrag als erledigt zu betrachten. Er rennt offene Türen ein. Niemand denkt daran, die Position im Haushalt zu streichen. Ich möchte das nur feststellen, damit nicht irgendwo die Auffassung zutage tritt, diese Position im Bundeshaushalt sei nur auf den genannten Antrag zurückzuführen. Es ist aber notwendig, einmal aufzuzeigen, wie sich diese Subvention durch den Bund auswirkt. Ich glaube, das ist notwendig, um die Situation klar zu erkennen. Zur Zeit sind im Kupferschieferbergbau in Sontra 1400 Personen beschäftigt. Der Subventionsaufwand beträgt also pro beschäftigten Arbeitnehmer und pro Jahr 6000 DM. ({2}) Der Bund würde mit einer niedrigeren Belastung auskommen, wenn er die gesamte Lohnzahlung ohne jede Gegenleistung übernehmen würde, da die Jahreslohnsumme zur Zeit bei 5 Millionen DM liegt. Von dem Kollegen Arndt ist darauf hingewiesen worden, diese Aufrechterhaltung bedeute nicht nur eine sozialpolitische Maßnahme, sondern sei auch eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit. Dazu ist folgendes zu sagen. Die Herstellungskosten, die Förderkosten pro Tonne Kupfer in Sontra liegen dreimal so hoch wie der Weltmarktpreis. ({3}) Bei dieser Situation kann man doch nicht sagen, daß wirtschaftliche Gesichtspunkte entscheidend seien. Bitte, beachten Sie auch noch folgendes. Die Gesamtförderung beträgt pro Monat 100 t. Das sind ungefähr 1 °/o unseres Bedarfs. Auch daraus mögen Sie erkennen, ob es sich wirklich um eine wirt({4}) schaftspolitische oder um eine sozialpolitische Maßnahme handelt, wenn der Betrieb aufrechterhalten wird. Ich sage mit aller Deutlichkeit: Ich halte die Aufrechterhaltung des Betriebs für notwendig, aber eben nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil die besondere Situation im Grenzzonengebiet die Aufrechterhaltung dieses Betriebs zur Zeit dringlich erscheinen läßt. Ehe andere Arbeitsmöglichkeiten für die in Frage kommenden Menschen geschaffen werden, wird das Opfer der Subvention weiter getragen werden müssen. Wir sollten aber anerkennen, daß es ein beachtliches Opfer ist. Natürlich müssen wir uns Gedanken darüber machen, wie diese Frage für die Zukunft zu regeln ist. Ich persönlich bin der Meinung, die derzeitige Lösung wird und kann keine Dauerlösung sein. Wie soll nun diese Frage geregelt werden? Es ist notwendig, dafür Sorge zu tragen, daß in dem genannten Raum Ersatzindustrien geschaffen und andere dringliche Arbeiten, Straßenbauarbeiten usw., ermöglicht werden. Darüber hinaus wäre natürlich auch zu prüfen, ob es nicht wirtschaftspolitisch und sozialpolitisch vernünftiger wäre, einen Einsatz dieser Qualitätsfachkräfte in anderen Bergbaugebieten vorzusehen. Es ist uns ja bekannt, daß im Steinkohlenbergbau der Ruhr ein echter Bedarf an solchen Arbeitskräften besteht. Wir wissen, daß auch der Erzbergbau in Salzgitter einen Bedarf hat, und ich glaube darüber hinaus, daß sogar die benachbarte Kaliindustrie in einem gewissen Umfang aufnahmefähig ist. Das muß im Einzelfall überprüft werden. Um nun diesen Bezirk hier wirklich wirtschaftlich gesund zu erhalten, ist für die Zukunft noch I eine beachtliche finanzielle Hilfe durch den Bund - allerdings auch durch das Land Hessen - notwendig. Es scheint mir aber wirtschaftlich vernünftig zu sein, rechtzeitig Wege zu suchen, um den dort gegebenen Schwierigkeiten gerecht zu werden, ehe die Unmöglichkeit eintritt, den Kupferschieferbergbau durch Subventionierung aufrechtzuerhalten. Ich halte es für notwendig, daß das Finanzministerium und das Wirtschaftsministerium ersucht werden, in Verbindung mit dem Land Hessen alle diese Fragen zu prüfen und dann brauchbare Regelungen vorzuschlagen. Zu Ziffer 1 des Antrags möchte ich also sagen: der Antrag ist praktisch erledigt. In der uns vor mehreren Monaten zugegangenen Haushaltsvorlage ist ein entsprechender Subventionsbetrag von mehr als acht Millionen DM vorgesehen, der die Aufrechterhaltung des Kupferschieferbergbaues für das laufende Jahr sicherstellt. Nun lassen Sie mich zu dem Punkt 2 des Antrags etwas sagen. Ich glaube, wir müssen auch hier klar sehen. Der Herr Staatssekretär Hartmann hat bereits in der Fragestunde darauf hingewiesen: Die Verpflichtung zur Erstausstattung trifft nicht den Bund, sondern eben die Kurhessische Kupferschieferbergbau GmbH. Diese ist an sich zur Erstausstattung verpflichtet, ist aber nicht in der Lage, wenn nicht der Bund oder eine andere Stelle dieser GmbH. die Mittel zur Verfügung stellen, um die Erstausstattung der genannten Gemeinden zu übernehmen. Ich schätze die Kosten der Erstausstattung sogar auf etwas über 2 Millionen DM. Es wird verlangt, daß sie in drei Jahresraten zur Verfügung gestellt werden. Das würde praktisch einen Jahresbetrag von rund 700 000 DM bedeuten. Ich bin der Meinung, nachdem das Land Hessen seit der Übernahme von Sontra durch den Bund, also seit dem August 1951, keine Zuschüsse mehr leistet, obschon es natürlich an der Aufrechterhaltung des Betriebs interessiert ist, sollte man wirklich überlegen, ob hier nicht das Land einspringen könnte, um den Gemeinden die notwendige Hilfe zu geben. Wenn das geschähe, dann würde trotzdem die Leistung des Landes Hessen nur bei etwa 9 % der Zuschußleistung liegen, die heute durch den Bund erfolgt. Wenn wir berücksichtigen - das hat ja Kollege Arndt eben schon gesagt -, daß mit diesen Beträgen für die Erstausstattung im wesentlichen Schulbauten usw. erstellt, also Aufgaben erledigt werden sollen, die an sich doch mehr Landesaufgaben sind, dann erscheint es nicht falsch, diesen Weg zu beschreiten. Ich würde deswegen empfehlen, daß die Bundesregierung ersucht wird, mit dem Land Hessen in Verhandlungen einzutreten, wie dieses Problem geregelt wird, wobei ich es für notwendig erachte, daß auch das Land Hessen seinen Obolus dazu beiträgt, um den gegebenen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen. Lassen Sie mich abschließend folgendes sagen. Unverkennbar ist die besondere Leistung des Bundes für den Kupferschieferbergbau in Sontra. Wir müssen uns darüber klar sein: wäre dieser Bergbau von einem privaten Unternehmen betrieben worden, dann wäre lange der Konkurs eingetreten. Man hat - das war gut so - das Opfer gebracht, insbesondere unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es sich hier um das Zonengrenzgebiet handelt. Man soll sich allerdings bemühen, eine Dauerlösung zu suchen. Mir scheint die gegenwärtige Lösung keine Dauerlösung zu sein. Ich empfehle, den ersten Teil des Antrags als erledigt zu betrachten durch die Tatsache, daß die entsprechenden Subventionssummen im Haushalt vorgesehen sind. Ich bitte, den Punkt 2 des Antrags an den Kommunalpolitischen Ausschuß zuüberweisen. ({5})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Becker.

Dr. Max Becker (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000130, Fraktion: Freie Demokratische Partei (FDP)

Meine Damen und Herren! Die Verhältnisse in der Gegend von Sontra sind mir deshalb gut bekannt, weil ich geborener Hesse bin und in der Gegend wohne. Ich bin deshalb sofort im Herbst 1949, nachdem dieser Bundestag zusammengetreten war, zum Bundeswirtschaftsministerium gegangen, und wir haben im Februar 1950 in einer Sitzung in Sontra an Ort und Stelle zusammen mit den Herren des Wirtschaftsministeriums des Bundes, dem Berghauptmann in Hessen und den zuständigen lokalen Stellen verabredet, was zu geschehen hat. Das Programm von damals ist durchgeführt. Es lautete: bei einem Bestand von nur etwa 300 Arbeitern etwa 1500 Arbeitslose allmählich wieder in Brot zu bringen. Das ist geschehen. Der derzeitige Stand, und zwar schon seit mehreren Monaten, der Beschäftigten beträgt dort über 1400. Das ist also mit Bundeshilfe geschehen. Wir haben ferner gehört - und das ist auch unbestreitbar -: der Bund leistet einen Zuschuß von im vorigen Jahr 8,6 Millionen und in diesem Jahr von 8,1 Millionen DM. Das sind rund über 6000 DM pro Arbeitsplatz. Ich freue mich, daß das geschehen ist. Aber ich lege Wert darauf, daß auch festgestellt wird, daß diese Bundeshilfe geschehen ist. ({0}) ({1}) Ich möchte darauf aufmerksam machen, daß, als dieser Antrag von Herrn Kollegen Arndt gestellt wurde, der Bundeshaushaltsplan, in dem drinstand, daß auch für 1953 8,1 Millionen DM gegeben werden sollten, schon hier im Hause vorlag. ({2}) so daß nicht der Anschein erweckt werden könnte, als ob es nur dieses Antrags bedurft hätte, um den Bund an seine Pflichten zu erinnern. Wir haben unsere Pflichten gekannt und haben sie schon vorher erfüllt. Insofern ist der Antrag unter Ziffer 1 erledigt. Den Antrag unter Ziffer 2 möchte ich meinerseits sehr unterstützen, und zwar aus folgenden Gründen. Man kennt die Verhältnisse in den Orten, die der Kollege Arndt genannt hat. Die Verhältnisse sind allerdings sehr betrüblich, weil im Dritten Reich unendliche Menschenmengen im Verhältnis zur bislang dort vorhanden gewesenen Einwohnerzahl - die Stadt Sontra ist von etwa 2500 auf über 7000 gestiegen - in Sontra zusammengeballt wurden. Dadurch sind im Schulwesen, aber auch im Abwässerwesen usw. unerträgliche Zutände eingerissen. Daß hier geholfen werden muß, ist klar. Ich möchte bitten, diese Angelegenheit dem Wirtschaftspolitischen Ausschuß zu überweisen, meinetwegen auch dem Kommunalpolitischen Ausschuß. Das ist mir auch recht; meinetwegen beiden. Dabei mag dann im Hinblick auf die Gemeinden, aber auch im Hinblick darauf, was künftig nun aus dem Kupferbergwerk Sontra werden soll, das Nähere geklärt werden. Wir wissen, daß im Augenblick wegen des Fallens des Kupferpreises auf dem Weltmarkt die Differenz ganz besonders groß ist. Man wird einmal prüfen müssen, was im Durchschnitt der ganzen Jahre als mittlerer Kupferpreis anzusehen ist und wie sich bei Ansetzung eines mittleren Kupferpreises - er kann ja auch mal wieder steigen - die Verhältnisse dort nun entwickeln werden. Das alles bitte ich einmal in einer wirklich ruhigen und sachlichen Atmosphäre im Ausschuß zu klären. Im übrigen unterstütze ich auch den Hinweis des Herrn Kollegen Sabel, daß es sich hier um Schulbauten und um Straßenbauten handelt. Es ist vielleicht auch Sache des Landes, hier mit einzuspringen. Ich bitte also, das im Ausschuß zu klären, damit sowohl der Bund, aber auch das Land Hessen ihrer Aufgabe gerecht werden. Ich bin überzeugt, daß bei den ausgezeichneten Beziehungen der antragstellenden Fraktion zur Regierung in Hessen das Land Hessen sich darum nicht zweimal bitten lassen wird. ({3})

Dr. Hermann Schäfer (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001933

Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Arndt.

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Meine Damen und Herren! Warum Sie, Herr Kollege Becker, jedesmal im Falle Sontra so besonders betonen, daß Sie gebürtiger Hesse sind, das weiß ich nicht. Ich glaube, meine genealogischen Beziehungen zu Sontra sind doch etwas älter als Ihre; den sie reichen schon sehr lange zurück. In der Sache selbst habe ich doch einigen Widerspruch zu dem anzumelden, was der Herr Abgeordnete Sabel und der Herr Abgeordnete Becker hier ausgeführt haben. Der Antrag unter Ziffer 1 ist noch keinesfalls erledigt. Denn bloß der Umstand, daß die Bundesregierung in ihrem Vorschlage eine Bewilligung angesetzt hat, bedeutet ja noch nicht, daß das Parlament sie auch vollzieht. ({0}) - Nein, sicher nicht, Herr Kollege, das wissen Sie. ({1}) Im übrigen sind immerhin zwei Umstände von Ihnen dabei übersehen worden, nämlich einmal, daß bis zur vorvergangenen Woche durchaus streitig war, ob sich die Bundesregierung und das Bundesfinanzministerium mit einer Übertragung der im letzten Haushaltsjahr insoweit nicht verbrauchten Mittel einverstanden erklären würden. Überdies ist übersehen worden, daß Herr Staatssekretär Hartmann das böse Wort von der Möglichkeit eines Konkurses gesprochen hat. Und Sie, Herr Sabel, haben heute sehr eindeutig hinzugefügt, daß der Zustand „keine Dauerlösung" sei, so daß die Arbeiterschaft und die Bevölkerung dort befürchten müssen, daß eines Tages von Ihnen aus doch ein Widerstand gegen diese Bewilligung kommen könnte. ({2}) Das haben Sie doch damit begründet, daß Sie bestritten haben, wirtschaftliche Gesichtspunkte seien hierbei „entscheidend". ({3}) Das habe auch ich nicht gesagt. Ich habe lediglich gegenüber der Behauptung von Herrn Staatssekretär Hartmann, es seien ausschließlich sozialpolitische Gesichtspunkte, geltend gemacht, daß durchaus auch ein wirtschaftliches Interesse und vor allen Dingen ein politisch es Interesse besteht, das Sie durchaus immer zu übersehen pflegen. ({4}) Denn Ihr Vorschlag, die Arbeiter in andere Bergwerke, in Kaligruben oder gar nach Salzgitter oder ins Ruhrgebiet zu verbringen, wird ganz bestimmt wenig Gegenliebe bei der Bevölkerung finden. In früherer Zeit sind solche Versuche der Umsiedlung gemacht worden. ({5}) Sie haben sich als äußerst familienzerstörend herausgestellt. Das sollten Sie doch eigentlich als Letzter gutheißen. Überdies würde es doch zu einem Vakuum 6 km vor dem Eisernen Vorhang führen. Es würde dazu führen, daß nur noch die Arbeitsunfähigen, die Witwen und die Kinder eventuell dort übrigblieben und alle irgendwie arbeitsfähigen Männer von dort wegkämen. Das ist eben kein Zustand, den wir wollen, und das ist auch kein Zustand, den die Bevölkerung wünscht. Deshalb wünscht sie, auf die Dauer gesichert zu sehen, daß das Bergwerk betrieben wird. Diesem Ziele dient der Antrag, der deshalb keinesfalls erledigt ist, zumal er noch nicht vom Bundestag beschlossen ist. Dann zum andern Teil des Antrags, der kommunalen Erstausstattung. Es ist nicht richtig, Herr Kollege Sabel, daß diese Verpflichtung nur die juristisch selbständige Gesellschaft träfe. Ich habe solch einen Haufen Papiere selbst bei der Bundesregierung vorgelegt, aus denen eindeutig hervorgeht, daß sich das Deutsche Reich damals rechtsverbindlich verpflichtet hat, diese Aufgaben durch({6}) zuführen, als es im Zuge der Aufrüstung darum ging, von überallher Arbeiter dienstzuverpflichten und über Nacht diesen Bergwerksbetrieb aufzumachen, wodurch allein die kleine Ackerbauerstadt Sontra, die damals ungefähr 1600 Einwohner hatte, in kurzer Zeit auf etwa 7000 Einwohner anwuchs. Diese rechtsverbindlichen Verpflichtungen des Reichs liegen vor, und sie liegen gesetzlich vor für die Gesellschaft. Es ist doch wirklich merkwürdig, daß, wenn eine bundeseigene Gesellschaft eine gesetzliche Pflicht hat, die durch die Ansiedlung ihres Betriebes zusätzlich erwachsenen kommunalpolitischen Aufgaben auch finanziell zu unterstützen, der Bund als Eigner dieser Gesellschaft den Standpunkt einnimmt, wie es Herr Hartmann hier getan hat: „Ich kann ja meine GmbH in Konkurs gehen lassen, oder aber das Land soll das tun." Nun, Herr Schäffer pflegt ja auch sonst, glaube ich, als Bundesfinanzminister nicht ohne weiteres Leistungen zu übernehmen, zu denen ein Land gesetzlich oder rechtlich verpflichtet ist. In der Weise kann also der Bund sich hier nicht so aus der Affäre ziehen. Aber ich will Ihnen dazu noch eines ganz deutlich sagen, damit Sie sehen, mit welch verschiedenen Maßstäben man mißt. Der Bund hat seinerzeit die Option ausgeübt, und zwar in Kenntnis dieser kommunalpolitischen Verpflichtungen, gegenüber der privaten Mansfelder Kupferschieferbergbaugesellschaft, früher Eisleben, die ja treuhänderisch für das Deutsche Reich die Gesellschaftsanteile in Besitz hatte, und der Bund hat an Eisleben bei Ausübung dieser Option 1 500 000 DM gezahlt, für Geschäftsanteile auf den Tisch des Hauses gelegt, die wertlos gewesen wären, wenn das Land Hessen nicht bereits 7 Millionen DM und jetzt der Bund weitere Millionen in das Bergwerk investiert hätten; denn dann wäre es nichts anderes als ein ersoffenes Loch. Überdies sind die Investitionen, die Eisleben früher gemacht hat, in Reichsmark erfolgt. Da hat man das Portemonnaie aufgemacht und eineinhalb Millionen an die privaten Anteilseigner bei Ausübung der Option gezahlt. Aber 1,8 Millionen DM jetzt in drei Jahresraten zu bezahlen, damit die Arbeiterschaft Schulen und Rathäuser bekommt und das, was sie braucht, die Arbeiterschaft, die dort von den Nationalsozialisten zwangsläufig angesiedelt worden ist, weigert man sich. Da sagt man: Das können wir nicht, da lassen wir unter Umständen eher die GmbH in Konkurs gehen. Ich glaube nicht, daß das ein moralisch, geschweige denn ein juristisch zu verantwortender Standpunkt ist. Sie müssen dabei folgendes bedenken. Normalerweise leben die Kommunen von der Gewerbesteuer, besonders der Gewerbesteuer der Betriebe. Der bundeseigene Betrieb Kupferschiefer zahlt hier entweder gar keine oder so gut wie keine Gewerbesteuer, auch keine Lohnsummensteuer, weil es sich um einen subventionierten Betrieb der öffentlichen Hand handelt. Infolgedessen hat das Land Hessen dauernd schon durch ständige Zuschüsse alle diese Gemeinden über Wasser gehalten, weil sie von sich aus überhaupt nicht lebensfähig sind, und der Bund muß nun das tun, was er hier zusätzlich für seinen Bergwerkbetrieb zu tun hat. Wenn Sie einmal dahin kämen, würden Sie sehen, daß z. B. in der Bergbausiedlung Cornberg bei 1600 Einwohnern und 300 Kindern für diese Hunderte von Schulkindern zwei alte RAD-Baracken dastehen, und das alles bei einem bundeseigenen Betrieb, ({7}) obgleich man doch in Deutschland wissen sollte, daß da, wo der Bund einen Betrieb hat, alles am besten gerichtet und vorbildlich sein muß, wozu dann noch alle diese politischen Erwägungen der unmittelbaren Nähe der Zonengrenze kommen. Ich glaube und hoffe - Herr Kollege Sabel, ich habe sehr eindeutig hier meinen Dank der Bundesregierung und dem Bundestag für die großen Leistungen für Kupferschiefer ausgesprochen, daran ist nichts irgendwie zu bemänteln -, daß diese Ausweichtaktik, sich hinter dem Land zu verbergen oder zu sagen, man kann eine GmbH auch in Konkurs gehen lassen, aufhört und daß Bundestag und Bundesregierung sich auf die Verpflichtung besinnen, die kommunale Erstausstattung genau so wie in Watenstedt-Salzgitter auch für Kupferschiefer Sontra und die dazu gehörenden Siedlungsgemeinden zu geben. ({8})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Das Wort hat der Abgeordnete Sabel.

Anton Sabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nur einige kurze Bemerkungen. Ich habe hier gesagt, daß die derzeitige Regelung keine Dauerlösung sein kann. Das muß man doch angesichts der gewaltigen Subvention pro Kopf der beschäftigten Arbeitnehmer verstehen. Mir ist ein ähnlicher Fall in der Bundesrepublik nicht bekannt, in dem die Subventionssumme um mehr als 50 % höher als die gesamte Lohnsumme ist. Das muß uns doch dazu zwingen, zu überlegen, wie wir diesen Schwierigkeiten gerecht werden. Nun sagt Herr Kollege Arndt, der Herr Staatssekretär Hartmann habe davon gesprochen, daß man die Gmbh. in Sontra in Konkurs gehen lassen könne. Bitte, ich will Ihnen - mit Genehmigung des Herrn Präsidenten - vorlesen, was damals in der Fragestunde gesagt worden ist. Herr Kollege Arndt hat folgende Frage gestellt: Eine letzte Frage, Herr Staatssekretär: Wären Sie dann also unter Umständen bereit, eine bundeseigene G.m.b.H. in Konkurs gehen zu lassen? Dazu sagte Herr Staatssekretär Hartmann: Herr Abgeordneter, das ist eine allgemeine Frage. Ich glaube aber, wenn der Bund oder eine andere öffentliche Körperschaft sich entschlossen hat, eine Gesellschaft nicht in Form eines Regiebetriebs, sondern in der kaufmännischen Form der Aktiengesellschaft oder der G.m.b.H. zu betreiben, daß dann allerdings die Möglichkeit des Konkurses unter Umständen nicht ausgeschlossen ist. Es ist hier Sontra nicht erwähnt, und ich bin der Auffassung, rein rechtlich konnte Herr Staatssekretär Hartmann gar keine andere Auskunft geben. Nun zu der Frage der Umsiedlung, damit auch hier kein Mißverständnis aufkommt und nicht eine falsche Meinung draußen noch schnell inszeniert wird. Bitte, ich bin der festen Überzeugung: Niemand denkt daran, hier jemand zwangsweise umzusiedeln. Dazu hat keiner die Möglichkeit. Aber wenn einmal dieses Problem erörtert wird, so ist das doch zweckmäßig angesichts der Tatsache, daß hier ein gewaltiger Subventionsbetrag notwendig ist, und angesichts der Tatsache, daß anderenorts Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind, die für den einzelnen dann auch eine dauernde Sicherstellung seiner Existenz bedeuten. Es ist doch so: ({0}) Für den qualifizierten Bergarbeiter ist es kein angenehmes Gefühl, dauernd in einem Betrieb zu arbeiten, von dem er weiß, daß er unwirtschaftlich ist, und wo er immer mit der Gefahr rechnen muß, daß der Betrieb eines guten Tages einmal zum Erliegen kommt. Ich glaube, von diesem Gesichtspunkt aus sollten wir diese Frage betrachten. ({1})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Die Beratung ist abgeschlossen. Wir kommen nunmehr zur Abstimmung. Es ist der Antrag gestellt worden, die Abstimmung zu teilen. ({0}) - Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Arndt.

Dr. Adolf Arndt (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11000047, Fraktion: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Ich bitte, um Überweisung an den Haushaltsausschuß. ({0})

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Zur Abstimmung Herr Abgeordneter Sabbel.

Anton Sabel (Mitglied des Bundestages)

Politiker ID: 11001912, Fraktion: Christlich Demokratische Union Deutschlands/Christlich-Soziale Union in Bayern (CDU/CSU)

Ich halte den Abs. 2 unbedingt für geeignet, im Kommunalpolitischen Ausschuß behandelt zu werden. Es handelt sich hier um die kommunale Erstausstattung. Wir haben den Spezialausschuß für kommunalpolitische Fragen, und der scheint mir geeignet zu sein.

Dr. Carlo Schmid (Mitglied des Präsidiums)

Politiker ID: 11001993

Wenn ich recht verstanden habe, ist der Antrag gestellt, den gesamten Antrag an den Haushaltsausschuß zu überweisen und Ziffer 2 zusätzlich an den Kommunalpolitischen Ausschuß. ({0}) - Und Ausschuß für Wirtschaftspolitik, ebenfalls das Ganze. Federführend soll der Haushaltsausschuß sein. ({1}) Wir können über das Gesamte abstimmen, nehme ich an. Wir brauchen nicht getrennt abzustimmen. Wer für die Überweisung in der geschilderten Weise an die bezeichneten Ausschüsse ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. - Gegenprobe. - Enthaltungen? - Ich stelle einstimmige Annahme fest. Meine Damen und Herren, wir stehen nun vor der Frage, wie wir weiter prozedieren wollen. Es besteht die Vereinbarung, daß wir nicht nach 9 Uhr verhandeln. ({2}) - Das Haus will an dieser Vereinbarung festhalten, wie ich sehe. Dann, meine Damen und Herren, schlage ich Ihnen vor, daß Sie beschließen, die Punkte 11 und 12 auf die morgige Tagesordnung zu setzen. Ist das Haus einverstanden? ({3}) Dann berufe ich die nächste, die 260. Sitzung des Deutschen Bundestages auf Donnerstag, den 16. April, 13 Uhr 30, ein und schließe die 259. Sitzung des Deutschen Bundestages.